Das Lehrbuch gibt vor einem kommunikationswissenschaftlichen Hintergrund einen Überblick über die Grundlagen, den Prozes
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German Pages XXVI, 775 [777] Year 2019
Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXVI
Front Matter ....Pages 1-7
Kommunikationstheoretische Grundlegung (Jörg Tropp)....Pages 9-37
Moderne Marketing-Kommunikation (Jörg Tropp)....Pages 39-105
Das System der Marketing-Kommunikation (Jörg Tropp)....Pages 107-140
Medialisierung des Marketings und der Marketing-Kommunikation (Jörg Tropp)....Pages 141-155
Front Matter ....Pages 157-163
Kommunikationsqualitative Kriterien des Inputs (Jörg Tropp)....Pages 165-209
Analysen und Strategien (Jörg Tropp)....Pages 211-345
Front Matter ....Pages 347-348
Synopse klassischer Kommunikationsdisziplinen (Jörg Tropp)....Pages 351-353
Moderne Kommunikationsdisziplinen (Jörg Tropp)....Pages 355-503
Front Matter ....Pages 505-506
Kommunikationsqualitative Kriterien des Outgrowth (Jörg Tropp)....Pages 509-555
Wirkungen und Effekte (Jörg Tropp)....Pages 557-600
Front Matter ....Pages 601-602
Direkter Outcome (Jörg Tropp)....Pages 605-624
Indirekter Outcome (Jörg Tropp)....Pages 625-649
Front Matter ....Pages 651-653
Kommunikationscontrolling (Jörg Tropp)....Pages 655-661
Methoden und Kennzahlen des Outflow-Managements (Jörg Tropp)....Pages 663-688
Back Matter ....Pages 689-775
Jörg Tropp
Moderne MarketingKommunikation Grundlagen, Prozess und Management markt- und kundenorientierter Unternehmenskommunikation 3. Auflage
Moderne Marketing-Kommunikation
Jörg Tropp
Moderne MarketingKommunikation Grundlagen, Prozess und Management markt- und kundenorientierter Unternehmenskommunikation 3. Auflage
Jörg Tropp Hochschule Pforzheim Pforzheim, Deutschland
ISBN 978-3-658-25317-2 ISBN 978-3-658-25318-9 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-25318-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2011, 2014, 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Verantwortlich im Verlag: Barbara Emig-Roller Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort zur dritten Auflage
Die im Vorwort zur zweiten Auflage getroffene Feststellung, dass die Entwicklungen in der Marketing-Kommunikation eine grundlegende Überarbeitung und Aktualisierung des Buchs erforderten, gilt auch und besonders für diese dritte Auflage. Programmatic Advertising und Influencer Kommunikation sind feste, wirtschaftlich und kommunikativ hoch relevante Bestandteile moderner Marketing-Kommunikation geworden. Die Bedeutung des Qualitätsaspekts der Marketing-Kommunikation hat in Zeiten von Werbemüdigkeit, Werbevermeidung, Ad Fraud und Brand Safety noch weiter zugenommen. Und Customer und Advertising Engagement haben sich zu wichtigen Indikatoren der Qualität moderner Marketing-Kommunikation entwickelt. Diese und weitere neue Entwicklungen sind in der dritten Auflage aufgenommen worden. Da steigende Komplexität aber unvermeidbar mit einer Zunahme an Selektivität einhergeht, konnten aufgrund von Priorisierungsüberlegungen für die Lehre einige Inhalte der zweiten Auflage nicht mehr in diese neue Auflage einfließen. Dies betrifft die erkenntnistheoretischen Anmerkungen zur modernen Marketing-Kommunikation sowie den detaillierten Überblick über die Entwicklungen im Marketing-Kommunikationssystem. Die Inhalte eines Buchs zu priorisieren, das einen kommunikationswissenschaftlichen, lehrtauglichen Überblick über die Marketing-Kommunikation einer moderner Gesellschaft geben will, ist ein riskantes Unterfangen. Die Marketing-Kommunikation befindet sich in einer Transformationsphase, in der traditionelle wie neue Ansätze das Praxisgeschehen bestimmen. Copy-Strategie und Utility-Strategie, klassische Mediaplanung und Programmatic Advertising oder Mediawerbung und Influencer Kommunikation kommen heute auf strategischer und instrumenteller Ebene nebeneinander zum Einsatz. Eine Wette darauf, ob in fünf Jahren einige traditionelle oder aber auch moderne Ansätze keine Rolle mehr spielen, würde ich aufgrund der enormen kommunikativen, medialen und technologischen Dynamik der MarketingKommunikation nicht eingehen wollen. Bewährt hat sich in den beiden ersten Auflagen die aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht empfehlenswerte Einordnung der Marketing-Kommunikation als eine spezifische Form der Unternehmenskommunikation. Gelingt es doch damit, Marketing-Kommunikation und Werbung aus dem Korsett des Marketing-MixDenkens zu befreien und die Aufmerksamkeit stärker auf Prozesse markt- und kundenorientierter Kommunikation zu lenken, die sich im Unternehmen, zwischen dem V
VI
Vorwort zur dritten Auflage
Unternehmen und seiner Umwelt sowie in der Unternehmensumwelt abspielen. Entsprechend kommt im neuen Untertitel des Buchs diese Ausrichtung jetzt deutlicher zum Ausdruck. Nicht bewährt hat sich hingegen in der zweiten Auflage die Einbindung von Fallstudien und Beispielen über QR-Codes. Ich war überrascht, in Gesprächen mit Studierenden zu erfahren, wie wenig Gebrauch von diesem Angebot gemacht wird. Die Gründe wollen wir demnächst näher untersuchen. Für die dritte Auflage habe ich mich jedoch entschieden, aus pragmatischen Gründen zunächst auf ergänzende, über QR-Codes verlinkte Inhalte zu verzichten. Danken möchte ich an dieser Stelle Studierenden, Kolleginnen und Kollegen, Rezensentinnen und Rezensenten sowie allen anderen Leserinnen und Lesern für ihre wertvollen Anmerkungen und Kommentare, die mir bei der Erstellung dieser dritten Auflage sehr hilfreich waren. Dank gilt auch wieder dem Lektorats- und Satzbüro text plus form für die professionelle DTP-Arbeit. Wenn Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, dieses Buch zur modernen Marketing-Kommunikation im Studium oder auch in der Praxis hilfreich ist, Sie Aspekte vermissen oder Kritik üben wollen – lassen Sie es mich bitte wissen. Ich würde mich sehr freuen ! Frankfurt am Main/Pforzheim im Dezember 2018 Jörg Tropp
Vorwort zur ersten Auflage
Längst haben die Entwicklungen in der Werbung diese selbst überrollt. Ihre Ausdifferenzierung in eine Vielzahl von Marketing-Kommunikationsdisziplinen – vom Direkt- und Eventmarketing über Guerilla- und Utility Marketing bis hin zur Kommunikation gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme (Corporate Social Responsibility) und zum Word-of-Mouth-Marketing –, die Entwicklung der digitalen Medien, der auf ihr lastende Effektivitäts- und Effizienzdruck, die Werbemüdigkeit eines kritischen, mündigen und medial hochgerüsteten Konsumenten und nicht zuletzt ihr bei Hochschulabsolventen angeschlagenes Image als zukünftiges Arbeitsfeld sind nur einige der gravierenden Herausforderungen, denen sich die Akteure in Kommunikationsagenturen, Marketing-Abteilungen und Branchenverbänden gegenübersehen. Unterm Strich laufen die veränderten empirischen Verhältnisse auf die Herausbildung einer Modernen Marketing-Kommunikation heraus, deren konzeptioneller Mittelpunkt nicht mehr allein vom Kontaktmodell der klassischen Mediawerbung gebildet wird, sondern in der zunehmend die Frage nach ihrer kommunikativen Qualität dringlich wird. Hier setzt das vorliegende Lehrbuch an. Es geht nicht darum, mit diesem Buch für didaktische Zwecke eine weitere Systematisierungsversion der vorliegenden Erkenntnisse zum Phänomenbereich Werbung anzubieten. Dieses Buch ist vielmehr Ausdruck der Notwendigkeit, marktgerichtete Kommunikation von Unternehmen heute anders zu beschreiben als es bis in die frühen 1990er Jahre plausibel stattfinden konnte. Dafür erweist sich der kommunikationswissenschaftliche Zugang als äußerst fruchtbar. Stellt er doch am ehesten in Aussicht, zur festgefahrenen verhaltenswissenschaftlichen Werbeforschung eine erkenntnisbringende Alternative bei den Bemühungen zu sein, die heutigen hochkomplexen kommunikativen Gegebenheiten der ehemaligen Werbebranche zu verstehen. Das Ziel dieses Lehrbuches ist es entsprechend, zum Verständnis des heutigen Zustandes des Marketing-Kommunikationssystems beizutragen, die Spezifika des Marketing-Kommunikationsprozesses herauszuarbeiten und dem Leser moderne und traditionelle Instrumente des Marketing-Kommunikationsmanagements an die Hand zu geben. Der Mix aus der Darstellung grundlegender wissenschaftlicher Theorien und Konzepte, gepaart mit Erkenntnissen und Erfahrungen aus der Praxis und illustriert anhand von Beispielen, erschien mir am zweckmäßigsten, um dieses Ziel zu erreichen. Dies vor allem, weil theoretisches wie praktisches Know-how heute unentbehrlich ist, um in der Marketing-Kommunikationsbranche zu reüssieren. VII
VIII
Vorwort zur dritten Auflage
Grundlegende Probleme der Marketing-Kommunikation, die durch den kommunikationswissenschaftlichen Zugang aufgedeckt werden und für die bislang keine praxiskompatiblen Lösungen in Sicht sind, werden nicht verschwiegen. Dies betrifft vor allem Fragen nach der Feststellung der Wirkungen von Marketing-Kommunikationsangeboten. Erfreulich ist, dass in jüngerer Zeit die kommunikationswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der marktgerichteten Unternehmenskommunikation zunimmt. Sei es, dass Lehrbücher zur Werbeforschung entstanden sind (z. B. Siegert/Brecheis 2005, Zurstiege 2007), dass sich innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) eine Forschungsgruppe Werbung konstituiert hat oder dass an der Universität Wien eine Professur für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Werbeforschung eingerichtet wird. Dies stimmt dahin gehend zuversichtlich, dass der Phänomenbereich der MarketingKommunikation endlich auch in der Lehre und Forschung der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft seinen so dringend notwendigen festen Platz findet. Das Buch ist in drei Teile (A: Erkenntnistheoretische Anmerkungen zur Modernen Marketing-Kommunikation, B: Marketing-Kommunikation im Wandel und C: Prozess und Management der Modernen Marketing-Kommunikation) gegliedert. Den Hauptkapiteln der einzelnen Teile steht jeweils ein kurzes Abstract voran, das einen kompakten Überblick über die folgenden Ausführungen gibt. Wichtige Definitionen und Beispiele werden von einem Kasten eingerahmt. Ein solches Buch kann nicht ohne die Hilfe, Hinweise und kritischen Anmerkungen von Kollegen, wissenschaftlichen Mitarbeitern, Freunden und Bekannten entstehen. Ihnen allen sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt. Mein besonderer Dank gilt meiner Frau Uta für ihre nicht müde werdende Akzeptanz meiner häufigen geistigen Abwesenheit trotz physischer Präsenz, Dirk Engel für seine großzügige Unterstützung bei der Beschaffung von Media-Planungsdaten, Tobias Reinold für seine akribischen Recherchearbeiten und seinem kompetenten Management der Abbildungen und Tabellen sowie dem Lektorats- und Satzbüro text plus form für die professionelle DTP-Arbeit. Frankfurt am Main/Pforzheim, im Oktober 2010 Jörg Tropp
Inhalt
Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil A Grundlagen der Modernen Marketing-Kommunikation 1 Kommunikationstheoretische Grundlegung . . . . . . . . 1.1 Das schwere Erbe der mathematischen Informationstheorie 1.2 Bedeutungsvermittlung und soziales Handeln . . . . . . . 1.2.1 Typen sozialen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Notwendige Kriterien für Kommunikation . . . . . . . . . . 1.3.1 Selektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Reflexivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Kontextualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Zusammenfassendes Kommunikationsmodell . . . . . . . 2 Moderne Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . 2.1 Konzeption und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Marketing-Kommunikation als eine Art der Unternehmenskommunikation . . . . . . . . . . 2.1.3 Das Kriterium der Kommunikationsqualität . . . . . . 2.1.4 Inhaltliche Qualität (Output-Qualität) . . . . . . . . . 2.1.5 Customer Engagement fokussierte Qualität (Outcome-Qualität) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.6 Die Rolle von Selektivität, Kontextualität und Reflexivität 2.2 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Formen der Modernen Marketing-Kommunikation . . . . . 2.4 Struktur der Modernen Marketing-Kommunikation . . . . . 2.5 Prozess der Modernen Marketing-Kommunikation . . . . . 2.6 Paradigmen der Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . 2.6.1 Persuasive Markenkommunikation . . . . . . . . . . 2.6.2 Beziehungsorientierte Direktmarketing-Kommunikation 2.6.3 Integrierte Marketing-Kommunikation . . . . . . . . .
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9 10 12 17 18 19 26 32 36 39 40 40
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42 46 50
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54 56 63 65 67 74 77 78 87 96
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XV XVII
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X
3 3.1 3.2 3.3
Inhalt
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Teil B Prozess und Management der Modernen Marketing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikation
161
3.4
3.5 4 4.1
4.2
Das System der Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . Komponenten des Marketing-Kommunikationssystems . . . . . Autonomisierung des Marketing-Kommunikationssystems . . . Die Marketing-Kommunikation in der Gesellschaft . . . . . . . 3.3.1 Werbung als Programmbereich der Massenmedien . . . . 3.3.2 Werbung als Interpenetrationszone . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Werbung als funktional ausdifferenziertes Gesellschaftssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Marketing-Kommunikation als Subsystem des Wirtschaftssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstorganisation des Wandels der Marketing-Kommunikation . 3.4.1 Systemorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Selbstorganisation und Emergenz . . . . . . . . . . . . . Marketing-Kommunikation und Mediensystem . . . . . . . . . Medialisierung des Marketings und der MarketingKommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Medienbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Medienwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Earned Media: Medialisierung der Marketing-Kommunikation
B I Input 1 1.1
1.2
1.3
1.4
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationsqualitative Kriterien des Inputs . . . . . . . . Achtsamkeit (Selektivität) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Begriff und Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Achtsamkeit von Organisationen . . . . . . . . . . . . . . Marketing-Kommunikationswissen (Reflexivität) . . . . . . . . . 1.2.1 Consumer Insight: Begriff und Konzept . . . . . . . . . . . 1.2.2 Elementare Consumer-Insight-Kontexte . . . . . . . . . . . 1.2.3 Methoden der Consumer-Insight-Gewinnung . . . . . . . . Input-Relevanz (Kontextualität) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Begriff und Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Elementare Kontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassendes Modell kommunikationsqualitativen Handelns in der Input-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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161 165 165 166 169 178 179 183 190 194 194 196
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208
Inhalt
2 Analysen und Strategien . . . . . . . . . . . . . 2.1 Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Das Grundprinzip der Unterscheidung . . . . 2.1.2 Die Notwendigkeit der Positionierung . . . . 2.1.3 Der Bezugspunkt des Selbstkonzeptes . . . . 2.1.4 Methoden der Positionierung . . . . . . . . 2.1.5 Positionierungsmodelle und -strategien . . . 2.1.6 Herausforderungen der Positionierung . . . 2.2 Markenstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Entwicklungsgeschichte der Marke . . . . . 2.2.2 Markenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Markenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Markenstrategiedimensionen und -optionen 2.2.5 Herausforderungen der Markenstrategie . . . 2.3 Zielgruppen und Zielpersonen . . . . . . . . . . 2.3.1 Das Segmentierungskonzept . . . . . . . . 2.3.2 Zielgruppen- und Zielpersonenbegriff . . . . 2.3.3 Vorgehen und Anforderungen der Zielgruppensegmentierung . . . . . . . 2.3.4 Segmentierungsmethoden . . . . . . . . . 2.3.5 Die Begriffe Typ und Typologie . . . . . . . . 2.3.6 Typenmerkmale und Arten von Typologien . 2.3.7 Herausforderungen der Zielgruppenplanung 2.4 Marketing-Kommunikationsziele . . . . . . . . . 2.4.1 Grundsatz der Zurechenbarkeit . . . . . . . 2.4.2 Systematisierung der Ziele . . . . . . . . . . 2.4.3 Anforderungen an Ziele . . . . . . . . . . . 2.5 Kontext-Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Copy-Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Utility-Strategie . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 USP, UAP, UCP und USE . . . . . . . . . . . . 2.6 Media-Strategie und Media-Planung . . . . . . . 2.6.1 Rezeptionsbezogene Kennzahlen . . . . . . 2.6.2 Distributionsbezogene Kennzahlen . . . . . 2.6.3 Erstellung und Evaluierung des Media-Plans . 2.6.4 Vorgehen bei der Planung von DirektmarketingKommunikation . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.5 Programmatic Advertising . . . . . . . . . . 2.6.6 Herausforderungen der Media-Planung . . . 2.7 Budget . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.1 Verfahren der Budgetierung . . . . . . . . .
XI
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211 212 212 214 215 216 223 233 238 238 241 247 248 262 265 265 266
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268 269 276 277 280 283 286 287 292 294 295 304 310 311 313 324 325
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334 337 338 339 340
XII
B II Output
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Synopse klassischer Kommunikationsdisziplinen . . . . . Moderne Kommunikationsdisziplinen . . . . . . . . . . . Dialogische Grundorientierung . . . . . . . . . . . . . . . Partizipative Marketing-Kommunikation (PMK) – Co-Kreation von Unternehmen und Konsumenten . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Kommunikationsqualitative Zielsetzung und Definition der PMK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Entwicklung der PMK . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Das Konzept der Co-Kreation . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Implizite und explizite PMK . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Consumer-Generated Advertising (CGA) . . . . . . . . 2.2.6 Markengemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7 Management von CGA und Markengemeinschaften . . 2.3 Utility Marketing (UM) – situativ nützlich sein . . . . . . . . 2.3.1 Kommunikationsqualitative Zielsetzung und Definition des UM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Entwicklung des UM . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Das Prinzip der intersystemischen Hybridisierung des UM 2.3.4 Branded Entertainment . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Content Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Branded Services . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.7 Rechtlicher Rahmen des UM . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Corporate-Social-Responsibility-Kommunikation (CSR-Kommunikation) – kommunizieren, gut zu sein . . . . 2.4.1 Kommunikationsqualitative Zielsetzung der CSR-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Begriffliche Abgrenzungen und Definition . . . . . . . 2.4.3 Entwicklung der CSR-Kommunikation . . . . . . . . . 2.4.4 Konzeptionelle CSR-Positionen . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Erscheinungsformen der CSR-Kommunikation . . . . . 2.4.6 Nachhaltigkeitsberichterstattung . . . . . . . . . . . 2.4.7 Cause-related-Marketing-Kommunikation (CrM-Kommunikation) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.8 Kommunikationsmodell der CSR-Kommunikation . . . 2.5 Guerilla Marketing (GM) – unkonventionell kommunizieren . 2.5.1 Kommunikationsqualitative Zielsetzung und Definition des GM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Entwicklung und Grundauffassungen des GM . . . . . 2.5.3 Ambient Media Marketing . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Ambush Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 2.1 2.2
Inhalt
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347 351 355 357
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361
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361 361 365 366 369 373 376 380
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380 382 387 394 398 403 405
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408
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408 408 413 419 422 423
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435 436 439 451
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Inhalt
2.6 Word-of-Mouth-Marketing (WOM-Marketing) – zur Kommunikation anregen . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Kommunikationsqualitative Zielsetzung und Definition des WOM-Marketings . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Entwicklung und Konzept des WOM-Marketings . . . 2.6.3 Virales Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.4 Social Media Marketing . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.5 Influencer Kommunikation . . . . . . . . . . . . . 2.7 Synopse moderner Kommunikationsdisziplinen . . . . . .
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463 464 471 485 494 502
B III Outgrowth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Kommunikationsqualitative Kriterien des Outgrowth . . . . . 1.1 Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Der Begriff und seine Entwicklung . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Theorien der modernen Aufmerksamkeitsforschung . . . . 1.1.3 Zentrale Elemente des modernen Aufmerksamkeitskonzeptes 1.1.4 Aufmerksamkeitsproblematik der Marketing-Kommunikation 1.2 Marketing-Kommunikationswissen (Reflexivität) . . . . . . . . 1.2.1 Reflexivitätsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Das Persuasion Knowledge Model . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Advertising und Brand Literacy . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Problematik des Marketing-Kommunikationswissens . . . 1.3 Rezeptionsrelevanz (Kontextualität) . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Begriff und Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Relevanztheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Zentrale Charakteristika von Relevanz . . . . . . . . . . . 1.3.4 Relevanz und Involvement . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.5 Problematik der Rezeptionsrelevanz . . . . . . . . . . . . 2 Wirkungen und Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Was sind Kommunikationswirkungen ? . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Customer Journey: Effekte und ihr Verhältnis zueinander . . 2.3 Explizite und implizite Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Kommunikationspsychologische Effekte . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Kognitive Dissonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Halo-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Intentionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Mere-Exposure-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Primacy-/Recency-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6 Priming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.7 Reaktanz und Bumerang-Effekt . . . . . . . . . . . . . . 2.4.8 Vampir-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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505 509 511 512 514 517 521 523 523 524 531 533 534 535 537 546 550 554 557 558 560 571 574 574 577 577 579 581 582 584 586
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIV
Inhalt
2.5 Kommunikationssoziologische Effekte . . . 2.5.1 Opinionleadership . . . . . . . . . . . 2.5.2 Effekt der vermuteten Mehrheitsmeinung 2.5.3 Third-Person-Effekt . . . . . . . . . . 2.6 Rezipientenaktivität . . . . . . . . . . . . .
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588 589 592 594 597
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Direkter Outcome . . . . . . . . . . . . . . . . . Anschlusshandlungen in Absatzmärkten . . . . . . Anschlusshandlungen in sozialen Netzwerken . . . Anschlusshandlungen in Beschaffungsmärkten . . . Anschlusshandlungen im Unternehmen . . . . . . Mediale Anschluss-Berichterstattung (Earned Media) Indirekter Outcome . . . . . . . . . . . . . . . . . Pre- und Posttests, Tracking-Studien . . . . . . . . . Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Blickverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Recall und Recognition . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Likeability . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Attitude toward the ad, Attitude toward the brand 2.2.5 Kaufabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Image . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7 Markenloyalität . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.8 Empfehlungsbereitschaft . . . . . . . . . . . 2.3 Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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601 605 606 613 615 618 621 625 626 629 630 633 637 638 641 642 643 645 646
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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651 655 657 663 663 664 679 683 686
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
689 769
B IV Outcome
1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 2 2.1 2.2
B V Outflow
. . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationscontrolling . . . . . . . . . . . . . Kommunikation als immaterieller Vermögenswert . . Methoden und Kennzahlen des Outflow-Managements Funktionsübergreifende strategische Ansätze . . . . . 2.1.1 Scorecard-Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Markenbewertungen . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Cultural Due Diligence . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Funktionsbezogene operative Ansätze . . . . . . . .
1 1.1 2 2.1
Literatur Register
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7
Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15
Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22
Kommunikationsmodell von Shannon . . . . . . . . . . . . . . . Grundmodell der Kommunikation: Kommunikation als Bedeutungsvermittlung kognitiv autonomer Menschen . . . . . . Modell der Kommunikation als Bedeutungsvermittlung kognitiv autonomer, handelnder Menschen . . . . . . . . . . . . Das Schema der Marke Nivea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auszug aus dem Produktkategorie-Schema Getränke inklusive Subschemata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontextfaktoren der Mediennutzung . . . . . . . . . . . . . . . Modell der Kommunikation als Prozess der selektiven, reflexiven und kontextuellen Bedeutungsvermittlung kognitiv autonomer, handelnder Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plakat-Motiv der „Du bist Deutschland“-Kampagne (2007) . . . . . Teilbereiche der Unternehmenskommunikation als spezifische Form der Organisationskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklungsphasen der Marketing-Kommunikation . . . . . . . Modell der inhaltlichen Qualität der Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel für den Einsatz aufmerksamkeitsgenerierender Inhaltselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel für eine situative Kontextualisierung . . . . . . . . . . . Mobile Bordkarte der Lufthansa . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grobe Einteilung der Formen der Modernen Marketing-Kommunikation, exemplarischer Medien und Kommunikationsangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturmodell der Modernen Marketing-Kommunikation . . . . Selektiver Blickverlauf innerhalb eines Kommunikationsangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessmodell der Modernen Marketing-Kommunikation . . . . . Ein markt- und werbepsychologisches S-R-Modell . . . . . . . . . Das S-O-R-Modell der Einstellungen in der Persuasionsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elaboration-Likelihood-Model von Petty und Caccioppo . . . . . . www.nivea.de . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 14 17 24 25 34
36 41 44 46 53 57 59 59
67 70 72 75 79 80 83 84 XV
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abb. 23 Inhaltliche Integration der Kommunikation der Marke Krombacher mittels Schlüsselbild . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 24 Der IMC-Entwicklungsprozess nach Schultz/Kitchen . . . . . . Abb. 25 Themen der IMC-Forschung von 1990 bis 2006 . . . . . . . . Abb. 26 Komponenten des Marketing-Kommunikationssystems . . . . Abb. 27 Das Wirtschaftssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 28 Das Marketing-Kommunikationssystem . . . . . . . . . . . . Abb. 29 Handlungsbereiche und ihre Organisationssysteme bei Berücksichtigung der Rolle des Konsumenten/Kunden im Marketing-Kommunikationssystem . . . . . . . . . . . . Abb. 30 Zusammenhang von Leistung und Organisation des Marketing-Kommunikationssystems . . . . . . . . . . . . . Abb. 31 Selbstorganisierter Wandel von Sozialsystemen . . . . . . . . Abb. 32 Das System der Marketing-Kommunikation und seine Umwelt mit beispielhaften intersystemischen Kommunikationen . . . Abb. 33 Beispiel skandalistischer Marketing-Kommunikation: Kampagnenmotiv für die MTV-Sendung „Popetown“ von der Agentur Roxy Munich aus dem Jahr 2006 . . . . . . . Abb. 34 144 Quadratmeter großes Luftkissen der „Free-Taco“- Promotion der amerikanischen Fastfood-Kette Taco Bell vor der australischen Küste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 35 Motiv der VW-Golf-Kampagne „Horst Schlämmer macht Führerschein“ von der Agentur DDB Group Germany aus dem Jahr 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 36 Mediawert der VW-Golf-Kampagne „Horst Schlämmer macht Führerschein“ von der Agentur DDB Group Germany aus dem Jahr 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 37 Kommunikationskriterien und ihre kommunikationsqualitätsorientierte Auslegung in den einzelnen Bereichen des Marketing-Kommunikationsprozesses . . . . . Abb. 38 Elementare Consumer-Insight-Kontexte . . . . . . . . . . . . Abb. 39 Beispiel für die Berücksichtigung des situativen Kontextes im Medium: Marketing-Kommunikationsangebote im journalistischen Stil des Mediums in der Zeitschrift Brigitte . Abb. 40 Tische mit interaktiver Oberfläche im Restaurant Inamo in London . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 41 Visualisierter Kontext der Marke Becks . . . . . . . . . . . . . Abb. 43 Visualisierter Kontext der Marke Deutsche Telekom . . . . . . Abb. 42 Visualisierter Kontext der Marke ebay . . . . . . . . . . . . . Abb. 44 Visualisierter Kontext der Marke O2 . . . . . . . . . . . . . . Abb. 45 Consumer-Insight-Phasen in einem Produktinnovationsprojekt des Tiefkühlkost-Unternehmens iglo . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
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99 102 103 112 123 125
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127
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130 135
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136
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152
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153
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154
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154
. . . .
160 183
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186
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187 189 189 189 189
. .
193
Abbildungsverzeichnis
Abb. 46 Das Input-Relevanz-Konstrukt der Marketing-Kommunikation Abb. 47 Modell der Unternehmenskultur gemäß der Konzeption von Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 48 Struktur und Inhalt des Briefings . . . . . . . . . . . . . Abb. 49 Zusammenfassendes Modell kommunikationsqualitativen Handelns in der Input-Phase Moderner MarketingKommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 50 Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . Abb. 51 Direkte Einflüsse auf die Positionierung im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 52 Punktattraktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 53 Zweidimensionales Positionierungsmodell für ein Restaurant Abb. 54 Dreidimensionales Positionierungsmodell für eine Fluggesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 55 Kompositionelle und dekompositionelle Vorgehensweise der Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 56 Grundgedanke der Faktorenanalyse . . . . . . . . . . . . Abb. 57 Imagedifferenzial im Premium-Pilsmarkt . . . . . . . . . Abb. 58 Positionierungsmodell im Premium-Pilsmarkt . . . . . . . Abb. 59 Kausalmodell einer WISA . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 60 Auszug aus der WISA zwischen Beck’s und Jever . . . . . . Abb. 61 Positionierungsstrategien nach Marketingmix-Elementen . Abb. 62 Anzeigenmotiv für Tamaris-Schuhe als Beispiel für einen informativ ausgerichteten Kommunikationsstil . . . . . . Abb. 63 Anzeigenmotiv für Soho-Soho Fashion Designer als Beispiel für einen informativ ausgerichteten Kommunikationsstil . Abb. 64 Anzeigenmotiv von Olaz-Total-Effects-Creme als Beispiel für einen emotional-informativ ausgerichteten Kommunikationsstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 65 Kampagne für das BMW 1er-Coupé aus dem Jahr 2007/ 2008 als Beispiel für einen emotional ausgerichteten Kommunikationsstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 66 Guerilla-Marketing-Aktion von Mercedes Benz als Beispiel für einen auf Aktualität ausgerichteten Kommunikationsstil Abb. 67 Werbung unterschiedlicher Branchen mit stereotypen Motiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 68 Markensteuerrad der Marke Jack Daniel’s . . . . . . . . . Abb. 69 Kampagne der Marke Yello aus 1998 . . . . . . . . . . . . Abb. 70 Entwicklung der Gestaltung der Marke Nivea als Ausdruck ihrer dynamischen Positionierung . . . . . . . . . . . . .
XVII
. . .
195
. . . . . . . .
199 206
. . . .
209
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212
. . . . . . . . . . .
213 214 216
. . . .
217
. . . . . . .
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218 219 220 220 221 222 224
. . . .
225
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225
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226
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227
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227
. . . . . . . . . . . .
228 231 231
. . . .
235
. . . . . . .
. . . . . . .
XVIII
Abbildungsverzeichnis
Abb. 71 Prinzip der dynamischen Positionierung . . . . . . . . . . . . . . Abb. 72 Akzidentielle Positionierungsdimension der Produktqualität der Marke McDonald’s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 73 Direkte Einflüsse auf die Markenstrategie im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 74 Systematik der Erklärungsansätze zur Marke . . . . . . . . . . . . Abb. 75 Display in einem McDonald’s-Restaurant in Griechenland 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 76 Produktarten und ihr Ausmaß an Kulturbindung als Einflussfaktoren auf den landesspezifischen Adaptionsbedarf der Marke . . . . . . Abb. 77 Mehrmarkenstrategie des Reiseunternehmens Thomas Cook AG in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 78 Produktmarke Lenor des Unternehmens Procter & Gamble . . . . Abb. 79 Familienmarke Nivea mit exemplarischen Produkten aus der Produktkategorie der Körperpflege des Unternehmens Beiersdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 80 Die Dachmarke Allianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 81 Anzeigenmotiv für den VW Golf GTI als Beispiel eines Markenstrategie-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 82 Vertikale und horizontale Koordination der Marketinginstrumente bei Einsatz einer Dach- bzw. Familienmarke . . . . . . . . . . . . Abb. 83 Fiktives Profil der Bedeutungsgewichte relevanter Bewertungskriterien bei der Wahl zwischen einer Mono- und einer Mehrmarkenstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 84 Erfüllungsgrad im Hinblick auf Anforderungen an eine Monound eine Mehrmarkenstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 85 Wechselwirkungsbezogene Markenarchitekturtypen nach Laforet/Saunders 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 86 Wechselwirkungsbezogene Markenarchitekturtypen nach Aaker/ Joachimsthaler 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 87 Wirkungsbezogene Klassifikation von Markenarchitekturen . . . . Abb. 88 Die Zielgruppen- und Zielpersonenselektion im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 89 Exemplarische Zielgruppensegmentierung anhand des Kaufund Verwendungsmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 90 Typologie von Clustermethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 91 Baumdiagramm der hierarchischen Clusteranalyse . . . . . . . . Abb. 92 Ellbogen-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 93 Targeting-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
235 236
238 242 249 250 251 252
253 255 257 260
261 261 263 263 264
265 268 270 271 271 273
Abbildungsverzeichnis
Abb. 94 Beispiel für Targeting in der Suchwortvermarktung bei google.de . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 95 Direkte Einflüsse auf die Bestimmung der MarketingKommunikationsziele im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation . . . Abb. 96 Ableitung der Marketing-Kommunikationsziele . . . . . . . . . . Abb. 97 Systematik der Marketing-Kommunikationsziele eines Unternehmens aus dem B2C-Bereich mit Zielbeispielen . . . Abb. 98 Wichtige Kommunikationsziele der Top-500-Unternehmen . . . . Abb. 99 Architektur der Kontext-Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 100 Direkte Einflüsse auf die Copy-Strategie im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 101 Copy-Strategie und Anzeigen von TUI . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 102 Direkte Einflüsse auf die Utility-Strategie und ihr indirekter Einfluss auf die Media-Strategie und -Planung im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 103 Tankbeleg mit aufgedrucktem Hinweis von VW: „Mit dem Polo BlueMotion würden Sie mit dieser Tankfüllung 1 563 km weit kommen !“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 104 Format der Utility-Strategiekarte und das Beispiel VW Polo Blue Motion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 105 Utility-Strategie, resultierende Kommunikations-/Media-Idee, Anzeige sowie Ergebnisse der Kampagne „The best job in the world“ des Tourismusbüros Queensland/Australien, Agentur: Cumminsnitro Brisbane, Australia . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 106 Direkte Einflüsse auf die Media-Strategie und -Planung im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 107 Beispiel der Verteilung von Kontakten auf Kontaktklassen . . . . . Abb. 108 Mögliche Formen des Zusammenhangs zwischen Kontaktanzahl und Werbewirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 109 Schematische Darstellung der Überschneidungen der Mediennutzung von drei Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . Abb. 110 Exemplarische alternative Berechnung des GRP-Wertes . . . . . . Abb. 111 Distributionsmuster von MarketingKommunikationsangeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 112 Entwicklung des TKP und TNP nach zwei Schaltungen . . . . . . . Abb. 113 Rangreihe nach Affinitätsindizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 114 Rangreihe nach TKP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 115 Rangreihe nach Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIX
275
284 286 291 292 294
296 303
305
306 309
309
312 316 317 319 321 322 327 329 331 332
XX
Abbildungsverzeichnis
Abb. 116 Exemplarische alternative Media-Pläne . . . . . . . . . . . . Abb. 117 Akteure und Wertschöpfungskette im Realtime Advertising via Supply Side- und Demand Side Platforms . . . . . . . . . Abb. 118 Direkte Einflüsse auf das Budget im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 119 Formen des Dialogmarketings und beispielhafte Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 120 Vorder- und Rückseite eines Zeitschriften-Beilegers der PMK-Kampagne von Chesterfield aus dem Jahr 1994 . . . Abb. 121 Implizite und explizite Partizipation des Konsumenten bei der Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 122 Ausmaß des Vertrauens in unterschiedliche Mittel der Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 123 Systematik der Formen der expliziten PMK . . . . . . . . . . Abb. 124 Taktisch-promotionale und strategisch-systemische Ausrichtung der expliziten PMK interaktionsorientierter Marken . . . . . . Abb. 125 Meilensteine in der Entwicklung des UM . . . . . . . . . . . Abb. 126 Modell der Hybrid Messages . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 127 Beispiel einer medial distribuierten Masked-Expert-Mitteilung Abb. 128 Beispiel einer medial distribuierten Masked-CelebrityMitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 129 Beispiel für ein Advertorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 130 IPI Cube zur Systematisierung von Werbung in der Medienund Informationsgesellschaft mit exemplarischer Verortung ausgewählter Werbeformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 131 Beispiel für ein Generic Placement . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 132 Beispiele für Branded Artworks (Absolut) . . . . . . . . . . . Abb. 133 Brand Content als neuer Typus der MarketingKommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 134 Zweidimensionale Typologisierung von exemplarischen Dienstleistungen nach ihrer zeitlichen Art und der Art der Beziehung zwischen Dienstleister und Konsument . . . . Abb. 135 Systematik der Begriffe im Diskurs der Verantwortungskommunikation . . . . . . . . . . . . . . Abb. 136 Steigende Ressourcennachfrage der Menschheit . . . . . . . Abb. 137 CSR-Pyramide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 138 Prozentuale Anteilsentwicklung der CSR-Anzeigenwerbung . . Abb. 139 CSR-Anzeigen am Beispiel der Unternehmen EnBW und BASF aus dem Jahr 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 140 Der Business Case für CSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 141 Beispiele von Öko- und Sozial-Labels . . . . . . . . . . . . .
. .
333
. .
337
. .
339
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359
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362
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368
. . . .
369 372
. . . .
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378 387 388 389
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 142 Entwicklung durchgeführter CrM-Kamapgnen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 143 Verteilung der CrM-Kampagnen in Deutschland nach Branchen im Zeitraum von 2002 bis zum 1. Hj. 2008 . . . . . . . . . . . Abb. 144 CrM-Kampagnen von Volvic . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 145 CSR-Kommunikationsangebote und deren Glaubwürdigkeit . Abb. 146 Guerilla-Marketing-Kampagne von McCann Erickson/Tel Aviv für den Optikhändler Opticana . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 147 Guerilla-Kommunikationsmaßnahme eines FotoEinzelhandelsgeschäftes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 148 Zebrastreifen als Ambient Medium . . . . . . . . . . . . . . Abb. 149 Pizzabox der Kampagne „Doppelt Käse erzählen für 1 Cent“ für ein CallYa-Angebot von Vodafone . . . . . . . . . . . . . Abb. 150 Ambient Media aus Anbietersicht . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 151 Ambient Media Stunt des Magazins FHM/UK vom 09. 05. 1999 . Abb. 152 100-Meter-Sprinter Linford Christie mit Puma-Linsen . . . . . Abb. 153 Zielstruktur des Ambush Marketing . . . . . . . . . . . . . . Abb. 154 Arten des Ambush Marketings . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 155 Erscheinungsformen von Maßnahmen des Ambush Marketings nach Bruhn/Ahlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 156 Erscheinungsformen von Maßnahmen des Ambush Marketings nach Stumpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 157 Wahrnehmung der Sponsoren bei den Olympischen Spielen 1992 in Albertville . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 158 Typen von Netzwerkstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 159 Adopterkategorien im Diffusionsprozess . . . . . . . . . . . Abb. 160 KwK-Kampagne der Commerzbank . . . . . . . . . . . . . . Abb. 161 Viral Spot „Dove Evolution“ und Spoof „Slob Evolution“ . . . . Abb. 162 Nutzung von Social-Media-Plattformen nach Altersgruppen in Deutschland im Jahr 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 163 Tägliche Nutzung von Social Media in Deutschland . . . . . . Abb. 164 Funktionen von Social Media . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 165 Metriken zur Messung des Erfolgs von Social MediaMarketingaktivitäten in Österreich, Deutschland und der Schweiz; Erhebung April bis August 2013; n = 186 Unternehmen . . . . Abb. 166 Influencer-Rollen und-Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 167 Vorteile von Influencer Kommunikation im Vergleich zu klassischem Online Marketing 2018 . . . . . . . . . . . . Abb. 168 Herausforderungen der Influencer Kommunikation . . . . . . Abb. 169 Zusammenhang von Aufmerksamkeit, MarketingKommunikationswissen, Rezeptionsrelevanz sowie Effekten . . Abb. 170 Beziehung zwischen Aktivierung und Leistung . . . . . . . .
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XXII
Abbildungsverzeichnis
Abb. 171 Das Persuasion Knowledge Model . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 172 Vorder- und Rückseite der Lufthansa-Miles-&-More-/ Beeline-Promotion-Postkarte . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 173 Das Rezeptionsrelevanzkonstrukt der MarketingKommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 174 Strukturierung der Involvement-Forschung nach Ursachen und Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 175 Stufenmodelle der Werbewirkungsforschung in chronologischer Reihenfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 176 Das Planungsmodell von Vaughn . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 177 Das Integrated Information Response Model von Smith und Swinyard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 178 Bestimmung des Ausmaßes der kognitiven Dissonanz . . . . . Abb. 179 Das Konzept der Theory of Planned Behavior von Ajzen . . . . Abb. 180 Primacy-Recency-Kurve für Werbespots . . . . . . . . . . . . Abb. 181 Priming am Beispiel von Motiven aus der MarketingKommunikation des Mietwagenunternehmens Sixt . . . . . . Abb. 182 Beispiel für die Auslösung des Vampireffektes durch die Darstellung eines Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 183 Recall Werte von Werbung bei verschiedenen Graden der Aktivierung durch Erotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 184 Klassisches Modell des two-step flow of communication . . . Abb. 185 Opinionleader und Meinungsfolger im Kommunikationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 186 Dynamisches Modell der öffentlichen Meinung nach der Theorie der Schweigespirale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 187 Direkter und indirekter Outcome im MarketingKommunikationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 188 Key Visual der OBI-Kampagne „WIE, WO, WAS weiß OBI“ aus dem Jahr 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 189 Beziehungen zwischen kommunikativen Reizen und unterschiedlichen Reaktionen der Adressaten gemäß dem neobehavioristischen S-O-R-Schema . . . . . . . . . . . Abb. 190 Anzeige für Gore-Tex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 191 Heatmap der Gore-Tex-Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 193 Blickverlauf bei sechs Sekunden dauernder Darbietung . . . . Abb. 192 Blickverlauf bei zwei Sekunden dauernder Darbietung . . . . Abb. 194 Blickaufzeichnungs-Kamera von 1989 . . . . . . . . . . . . . Abb. 195 Das Attitude-toward-the-ad-Konstrukt . . . . . . . . . . . . Abb. 196 Exemplarische Erhebung der Kaufabsicht . . . . . . . . . . . Abb. 197 Imagemessung mittels Semantischen Differenzials am Beispiel von zwei Automarken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 198 Das dreidimensionale Brand Loyalty Model . . . . . . . . . Abb. 199 Systematisierung und Abgrenzung des intellektuellen Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 200 Modell des Kommunikationskapitals . . . . . . . . . . . . Abb. 201 Sozialkapital als zentraler immaterieller Vermögenswert . . . Abb. 202 Die Balanced Scorecard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 203 Aufbau einer Strategy Map . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 204 Die erweiterte Balanced Scorecard nach Zerfaß . . . . . . . Abb. 205 Auszug aus einer exemplarischen Corporate Communications Scorecard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 206 Die Communication Scorecard nach Hering et al. . . . . . . Abb. 207 Die sieben Prozessschritte der CSC . . . . . . . . . . . . . Abb. 208 Die Struktur- und Prozess-Perspektiven der BrandScoreCard . Abb. 209 Kommunikation im Wertschöpfungsprozess des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 210 Das Stakeholder-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 211 Zusammensetzung und Berechnung des EVA . . . . . . . . Abb. 212 Das CommunicationControlCockpit (CCC) – Kennzahlensystem für die Ermittlung von Imagerendite, Wertbeitrag und Kommunikationseffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 213 Die 10 wertvollsten globalen Marken in 2018, sortiert nach ihren kombinierten Markenwerten von Interbrand und Kantar Millward Brown BrandZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 214 Der Faktor der Kommunikationsstärke und mögliche Einzelfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 215 Organisationskulturprofile als Grundlage der vergleichenden Kulturanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Tabellenverzeichnis
Tab. 1 Qualitätsansätze der Qualitätsforschung . . . . . . . . . . Tab. 2 Qualitätsfelder der Marketing-Kommunikation . . . . . . . Tab. 3 Literaturanalytisch gewonnene Dimensionen und Faktoren des Konstrukts der inhaltlichen Qualität der Marketing-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 4 Definitionen des Begriffs Direktmarketing . . . . . . . . . . Tab. 5 Kommunikations- und medienwissenschaftliche Grundverständnisse des Medienbegriffs . . . . . . . . . . Tab. 6 Überblick grundlegender Positionierungsmodelle . . . . . Tab. 7 Funktionen der Marke für Hersteller, Handel und Konsumenten Tab. 8 Wichtige Vor- und Nachteile der Produktmarkenstrategie . . Tab. 9 Wichtige Vor- und Nachteile der Familienmarkenstrategie . . Tab. 10 Wichtige Vor- und Nachteile der Dachmarkenstrategie . . . Tab. 11 Typologiearten mit beispielhaften Typologien . . . . . . . Tab. 12 Exemplarische Outgrowth-Ziele . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 13 Synopse klassischer Marketing-Kommunikationsdisziplinen Tab. 14 Exemplarischer Überblick über Brand/-ed-EntertainmentMaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 15 Ambient Media nach Lebensumwelten und Orten . . . . . Tab. 16 Kategorisierung der Ambient Medien gemäß dem deutschen Fachverband Ambient Media . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 17 Synopse moderner Marketing-Kommunikationsdisziplinen . Tab. 18 Prinzipien der Gewinnung unwillkürlicher Aufmerksamkeit nach Scott (1903) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 19 Synopse zu Arbeiten des Relevanzkonstrukts im Kontext der Marketing- und medienvermittelten öffentlichen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 20 Übersicht der Werbewirkungsmodelle nach Abfolge der Hierarchien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 21 Eigenschaften impliziter und expliziter Gedächtnisprozesse . Tab. 22 Direkter Outcome in Form von Anschlusshandlungen im Absatzmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Tabellenverzeichnis
Tab. 23 Direkter Outcome in Form von Anschluss-Interaktionen und -Kommunikationen in sozialen Netzwerken der Konsumenten und Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 24 Direkter Outcome in Form von Anschlusshandlungen in Beschaffungsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 25 Medien der unternehmensinternen Kommunikation . . . . . . Tab. 26 Direkter Outcome in Form von medialer AnschlussBerichterstattung (Earned Media) . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 27 Wichtige Kern-Outcome-Indikatoren der Outgrowth-Messung . Tab. 28 Top-10-Kennzahlen des Marketing-Managements . . . . . . . . Tab. 29 Synopse der wichtigsten ökonomischen Kennzahlen des Direktmarketings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tab. 30 Synopse der wichtigsten ökonomischen Kennzahlen der Media-Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil A Grundlagen der Modernen Marketing-Kommunikation
Die Moderne Marketing-Kommunikation konstituiert sich letztlich erst im Wandel der Beschreibung der Marketing-Kommunikation, der wiederum auf dem Wandel der Voraussetzungen beruht, auf denen die Beschreibung des Phänomenbereichs der Marketing-Kommunikation basiert. Dieser Wandelzusammenhang realisiert sich heute auf mehreren Ebenen.
Dialog zwischen den Wissenschaftsdisziplinen Der Komplexität und Dynamik heutiger Marketing-Kommunikation wird zunehmend mit einem Dialog zwischen den Wissenschaftsdisziplinen begegnet, die sich mit Marketing-Kommunikation im weitesten Sinne beschäftigen, insbesondere: Betriebswirtschaftslehre, Kommunikations-/Medienwissenschaft, Psychologie und Soziologie. So hat beispielsweise jüngst die betriebswirtschaftliche Marketingwissenschaft auf die Notwendigkeit des Dialogs mit der Kommunikations- und Medienwissenschaft hingewiesen und ihn angestoßen. Im Vorwort des Sammelbandes „Medien im Marketing“ bringen die Herausgeber Andrea Gröppel-Klein und Claas Christian Germelmann (2009) ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass der „Dialog zwischen Marketing und den verschiedenen Mediendisziplinen … fruchtbar [ist], und scheinbar eindeutige Trennungslinien zwischen den Gebieten … sich bei näherem Hinsehen als künstlich errichtete Gräben [erweisen], deren Überschreitung zu beiderseitigem Nutzengewinn ist“ (ebd.: V, ein vergleichbarer Hinweis findet sich auch in Bruhn et al. 2000: VI).
Kommunikations- und Wirkungsverständnis im Wandel Der Beschreibungswandel des Phänomens der Marketing-Kommunikation wird des Weiteren beobachtbar in der schleichenden Erosion des verhaltenswissenschaftlichen Theorieansatzes, wie er traditionell von der Marketingtheorie genutzt wurde (s. z. B. Esch 2011: 36 f., Kroeber-Riel 1984: 6 f., Nieschlag et al. 1998: 104 f., Meffert 1998: 21 f.). An ihm nagt der Zahn der Zeit in Form der Entwicklung der empirischen marketing-kommunikativen Verhältnisse. Das Kommunikations- und Wirkungsverständnis dieses klassischen Ansatzes beruht auf einer stark vereinfachten, mechanistischen 3
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Grundlagen der Modernen Marketing-Kommunikation
Vorstellung vom Kommunikationsprozess, mit der heute die kommunikativen und medialen Verhältnisse im Marketing-Kommunikationssystem nicht mehr erklärbar sind. Eine instrumentelle und kausalistisch wirkungsorientierte Betrachtungsweise stößt hier an ihre Grenzen. Auf der siebten von der European Advertising Academy/ EAA im Jahr 2008 veranstalteten „International Conference on Research in Advertising/ICORIA“ forderten Don E. Schultz und Gayle Kerr (2009: 252) daher radikal, dass besonders als Folge der geänderten technologischen und medialen Verhältnisse die wissenschaftliche Werbeforschung vollkommen überdacht werden muss. „This paper suggests the entire basis for academic advertising research needs to be rethought.“ (ebd.)
Besonders bezweifeln die beiden Autoren, dass das traditionelle behavioristische Forschungsmodell mit seiner zentralen Idee eines beeinflussbaren Konsumenten im Zeitalter interaktiver Medienumgebungen noch angemessen ist (vgl. ebd.: 253 f.). Diese klassische Perspektive wird immer häufiger kritisiert. So stellte beispielsweise bereits vor über zwanzig Jahren auch Annette Shelby (1998: 387) fest: „An increasing number of scholars in various communication-related disciplines have minimized, if not turned their backs on, instrumentality – that is, on treating communication as a mechanism by which message senders use their knowledge and skill to affect the understanding or behaviour of message receivers toward predetermined goals.“
An die Stelle von Instrumentalität, so Shelby (ebd.), rückt in der Unternehmens- und damit auch in der Marketing-Kommunikation der Aufbau von Wissen während des Austausches der Kommunikationspartner. Um die heutige Spezifik der Marketing-Kommunikation zu erfassen, ist es daher zunächst notwendig, eine zeitgemäße Perspektive zu entwickeln. Dazu ist zunächst eine tiefer gehende grundlegende Auseinandersetzung mit dem Phänomen Kommunikation, der Struktur und dem Prozess der Marketing-Kommunikation und auch deren gesellschaftliche Einordnung auf der Makroebene notwendig. Und es geht vor allem auch darum, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, die sich zäh halten und die das oben erwähnte, von Schultz und Kerr eingeforderte Umdenken so erschweren.
Integration von objektivistischer und subjektivistischer Position Eine weitere wichtige Voraussetzung für den Wandel des Marketing-Kommunikationsverständnisses ist eine Entwicklung, die in der Marketingwissenschaft auf wissenschaftstheoretischer Ebene stattfindet. Im Kern geht es um die Frage, wie der „blinde Empirismus“ (Gröppel-Klein/Weinberg 2000: 82), der sich in der Marketingdisziplin
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Grundlagen der Modernen Marketing-Kommunikation
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in den letzten Jahrzehnten als Folge eines falsch angewandten kritisch rationalen Forschungsverständnisses im Sinne von Karl Popper (2005) ausgebildet hat, überwunden werden kann. So sieht sich die Mainstream-Marketingforschung, die sich am Paradigma des kritischen Rationalismus orientiert, heute mit schweren Vorwürfen konfrontiert: Sie sei weitgehend bedeutungslos geworden, ihr fehle es an theoretischer Reife und ihre empirische Forschung richte sich an einem falschen Objektivitätsverständnis aus. Allgemein gesagt richtet sich die Kritik, die mittlerweile sogar Einzug in die renommierte deutschsprachige wissenschaftliche Marketing-Fachzeitschrift Marketing. Zeitschrift für Forschung und Praxis (4/2007) gefunden hat, gegen die heutige Orientierung an einem „pseudo-kritischen Rationalismus“ (Srnka 2007: 249). Hypothesen, die theoretisch abgeleitet sind, werden bestätigt, aber nicht, wie vom kritischen Rationalismus postuliert, rigorosen Falsifikationsversuchen unterworfen, um ihre Bewährung zu prüfen und um für sie Gültigkeit beanspruchen zu können. Im Resultat läuft dies auf einen erheblichen „Bedarf an empirischen Arbeiten [hinaus, J. T.], die auf Exploration und Entdeckung gerichtet sind“ (ebd.: 250). Denn durch das auf Bestätigung ausgerichtete Testen theoretisch verankerter Hypothesen lässt sich kein kreativer Prozess in Gang setzen, in dem typischerweise teilweise auch intuitiv die Bildung neuer, Erkenntnis bringender Hypothesen erfolgt. Hilfreich ist hier ein Blick auf den Stand der Forschung in der Organisationstheorie. In ihrer Skizzierung organisationstheoretischer Ansätze unterscheiden Franz Xaver Bea und Elisabeth Göbel (2010: 231 f.) eine objektivistische und eine subjektivistische Position. Wird bislang erstere traditionell auch von der Marketingwissenschaft vertreten – Merkmale dieser Position sind: Realismus (Realität wird abgebildet), Positivismus (der Forscher erkennt Gesetze), Determinismus (der Mensch reagiert zuverlässig auf Umweltstimuli) und Nomothetik (großzahlige, quantitative Querschnittsanalyse mit statistischer Auswertung, um Hypothesen zu testen) –, hat sich nun auch die subjektivistische Position herausgebildet. Ihre Kennzeichen sind: Konstruktivismus (Wirklichkeit wird konstruiert), Anti-Positivismus (der Forscher versteht Einzelfälle), Voluntarismus (der Mensch handelt unabhängig von Umweltstimuli) und Idiografie (tief gehende, qualitative Längsschnittanalyse eines Einzelfalls mit induktiver Hypothesengewinnung) (vgl. ebd.: 237). Das Ziel der Marketing-Kommunikationswissenschaft muss, wie auch in der Organisationsforschung, in einer Integration der beiden Positionen liegen, da sie sich unterschiedlicher Facetten der heutigen Komplexität der Marketing-Kommunikation annehmen. Methodisch bedeutet dies, dass die quantitativ ausgerichtete empirische Marketingforschung, die sich durch die Analyse großer Datensätze mittels komplexer statistischer Verfahren auszeichnet, durch qualitative Forschung ergänzt wird. Das bedeutet, dass das Primat der Methode der objektivistischen Position gebrochen werden muss. So beklagt Lutz Hildebrandt (2005: 75) in der Marketing-Fachzeitschrift Marketing. Zeitschrift für Forschung und Praxis (2/2005) die allgegenwärtige Präsenz der Kausalanalyse, was den Eindruck erweckt, dass die statistische Methodik die inhaltliche Vorgehensweise unterordnet. Er vermutet sogar, dass die „Popularität von
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Grundlagen der Modernen Marketing-Kommunikation
Strukturgleichungsmodellen bei der empirischen Forschung … so groß [ist], dass einige Forscher meinen, diese Methodik erhöhe die Wahrscheinlichkeit der Publikation einer Forschungsarbeit“ (ebd.). Idiografische, qualitative Forschung wendet sich hingegen in einem verstehenden Zugang dem Forschungsgegenstand in seiner ganzen Breite und Tiefe zu. Mit der Einführung derartiger Methoden in der Marketing- und Werbeforschung geht ein Wandel des Objektivitätsverständnisses einher. Die Wissenschaftlichkeit von Forschung wird in der traditionellen Forschung positivistisch begutachtet, in dem Sinne, dass Forschung objektiv zu sein hat, was durch methodische Strenge zu erreichen ist. Objektivität wird dabei als die wahre, reale Beschreibung eines Untersuchungsgegenstandes konzipiert, losgelöst von jeglichem interpretativen Einfluss des Forschers. Die qualitative Forschung, die sich um einen verstehenden Zugang zum Untersuchungsobjekt bemüht, vertritt hingegen den Standpunkt, dass eine vom Forscher abgekoppelte, existente Realität überhaupt nicht beobachtbar und erfahrbar ist und somit Objektivität vielmehr der Anforderung der intersubjektiven Nachprüfbarkeit gewonnener Erkenntnisse genügen muss (vgl. Srnka.: 252). In der Marketing- und Werbewissenschaft hat die subjektivistische Position in letzter Zeit deutlich an Bedeutung gewonnen, vor allem dank der Intensivierung des Dialogs zwischen betriebswirtschaftlicher Marketing- und Kommunikations-/Medienwissenschaft. So wird in der Kommunikationswissenschaft die subjektivistische Position bereits seit längerem vertreten (s. besonders Merten 1978) und ist dort heute weitestgehend unstrittig. Die Wirklichkeit des Untersuchungsgegenstandes ist unaufhebbar mit der Wirklichkeit, die durch den Kontakt des Forschers mit dem Untersuchungsgegenstand erst geschaffen wird, verschränkt. Daher „… sind empirische Forschungsmethoden … keine neutralen Instrumente zur Messung einer externen Wirklichkeit“ (Scholl 2015: 98). Forschung ist methodisch geleitete Wirklichkeitskonstruktion.
Prozesscharakter der Marketing-Kommunikation Schließlich resultiert der Wandelzusammenhang von Voraussetzungen und Beschreibung der Marketing-Kommunikation auch aus dem Prozesscharakter der Marketing-Kommunikation, aus der Tatsache, wie Gerhard Schulze (2002: 973) zu Recht feststellt, dass sich die Marktbeziehungen zwischen Anbieter und Konsumenten fortlaufend wandeln und sich die Marketing-Kommunikation und ihre Beschreibungen daher in einer kontinuierlichen Transformation befinden. Es liegt also auf der Hand, dass sich wandelnde Marktbeziehungen unter den Handelnden mit einem Wandel der kommunikativen Verhältnisse einhergehen – sowohl in der als auch über die Marketing-Kommunikation. Vor dem Hintergrund des Wandels der Voraussetzungen erscheint mir ein Lehrbuch, dessen Aufgabe es ist, eine kommunikationswissenschaftliche Fundierung des
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Grundlagen der Modernen Marketing-Kommunikation
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Marketings vorzunehmen als eine heute notwendige Beschreibung, um den Wandel der Marketing-Kommunikation zur Modernen Marketing-Kommunikation adäquat und plausibel nachvollziehen zu können. Ausgangspunkt des vorliegenden Buches ist entsprechend ein moderner kommunikationswissenschaftlich orientierter, aber interdisziplinär ausgerichteter Standort.
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Kommunikationstheoretische Grundlegung
Abstract In diesem Kapitel und seinen Unterkapiteln wird zunächst ein Missverständnis aus dem Weg geräumt, das im Kontext von Werbung und Marketing-Kommunikation heute teilweise immer noch angetroffen wird und das aus einem falschen Kommunikationsbegriff resultiert, der der mathematischen Informationstheorie entstammt (Kap. A 1.1). Anschließend wird ein modernes elaboriertes Verständnis von Kommunikation entwickelt, wonach unter Kommunikation allgemein eine soziale Handlung der Vermittlung individueller Bedeutungskonstruktionen verstanden wird (Kap. A 1.2). Es folgt die Erörterung der drei notwendigen Kriterien für Kommunikation – Selektivität, Reflexivität und Kontextualität –, mit denen das Kommunikationsverständnis näher spezifiziert wird (Kap. A 1.3). Die Erläuterungen dieses ersten Hauptkapitels münden in einem zusammenfassenden allgemeinen Modell der Kommunikation handelnder Menschen, wie es damit auch dem Konzept der Modernen Marketing-Kommunikation zugrunde liegt (Kap. A 1.4).
So allgegenwärtig und alltäglich Kommunikation ist und so sehr sie uns wie selbstverständlich ermöglicht, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, ja dieses überhaupt erst zu konstituieren, so bravourös verschleiert sie ihre Komplexität und ihr eigentlich sozial ernüchterndes Wesen. Die Vielzahl an vorliegenden wissenschaftlichen Definitionen – Klaus Merten hat bereits 1977 einhundertundsechzig Definitionen zusammengetragen und analysiert – zeigt die Heterogenität des Begriffs- und Prozessverständnisses auf, die sich im Laufe der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem im Alltag doch eigentlich so unmissverständlich gebrauchten Kommunikationsbegriff eingestellt hat. Mindestens vier unterschiedliche grundlegende Kommunikationsmodelle hat Denis McQuail (2012) identifiziert, die sich im Laufe der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Kommunikationsphänomen herausgebildet haben: • •
das Transmissionsmodell, bei dem Kommunikation als die Übersendung einer Information zu einem Empfänger verstanden wird, das rituelle oder expressive Modell, das Kommunikation als nicht instrumentell, als das gemeinsame Teilen von Verständnissen und Gefühlen – in dem Sinne, dass es gemeinschaftsbildend ist – begreift, 9
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Tropp, Moderne Marketing-Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25318-9_1
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das Öffentlichkeitsmodell, das Kommunikation als einen Aufmerksamkeit generierenden Prozess durch den Einsatz von Medien betrachtet, das Rezeptionsmodell, nach dem Kommunikation wesentlich durch die Interpretation der Botschaft durch die Rezipienten bestimmt ist.
Im Laufe der noch jungen wissenschaftlichen Analyse des Kommunikationsphänomens, die in Deutschland erst seit den 1940er Jahren von der Publizistik und seit den 1960er Jahren von der Kommunikationswissenschaft betrieben wird (vgl. Burkart 2002), hat sich mit dem Transmissionsmodell ein Missverständnis eingeschlichen, das im alltäglichen und auch in manchem wissenschaftlichen Verständnis nicht unwesentlich zu einer simplifizierten Vorstellung vom menschlichen Kommunikationsprozess geführt hat und um dessen Beseitigung sich die Kommunikations- und Medienwissenschaft bis heute bemüht.
1.1
Das schwere Erbe der mathematischen Informationstheorie
Das hartnäckige Missverständnis des auf dem Transmissionsmodell beruhenden Kommunikationsphänomens kann mit der Container-Metapher von Klaus Krippendorf (1994: 86 f.) illustriert werden. Demnach stellt man sich Kommunikation als einen linear verlaufenden Prozess vor, bei dem die Botschaft und ihr Inhalt Einheiten (Entitäten) unterschiedlicher Art sind. In einer Botschaft, gedacht als Container (z. B. Werbespot, Werbebrief, Stimme eines Verkäufers), werden Inhalte (Bedeutungen, Sinn) verpackt und zu einem Empfänger geschickt, der die Inhalte genau so wieder entnimmt. Mag es hinsichtlich des Containers noch nachvollziehbar sein, ihn sich als eine physikalisch messbare Entität vorzustellen, für obige Beispiele also als elektronisches Signal, Papier und Schall, so fällt dies für den Inhalt weitaus schwerer. Denn wie sollen Bedeutungen oder Sinn als Entitäten verstanden werden, die materiell einem Container entnommen werden können ? Nach dieser Metapher ist das Scheitern des Kommunikationsprozesses erst einmal ausgeschlossen: Es wird das dem Container entnommen, was in ihm deponiert wurde. Sollte dennoch etwas anderes entnommen werden, so muss entweder ein Fehler auf dem Übertragungsweg vorliegen oder der Empfänger ist inkompetent oder gar böswillig. Solange Kommunikation gelingt, ist die Plausibilität dieser Metapher zur Erläuterung des Kommunikationsprozesses unproblematisch. Gleichwohl ist den meisten Menschen wohl bewusst, welch triviales Bild von Kommunikation damit gezeichnet wird und zu welchen Ungereimtheiten und Widersprüchen es führt. So dürfte der Empfänger eines Werbespots, den er zum zweiten Mal sieht, diesem eigentlich gar keine Inhalte mehr entnehmen können, da er dieses physikalische Material ja bereits beim ersten Mal entnommen hat. Auch dürfte es eigentlich kaum Kommunikationsprobleme im Alltag geben, was in Anbetracht der täglich passierenden Missverständnisse und Nachfragen („Meinst du damit, dass … ?“) aber eine weitere Widersprüchlichkeit dieser Metapher offenbart.
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Das Hauptproblem, das diese Metapher birgt und das ihre Widersprüchlichkeit produziert, ist die Übertragung von physikalischen Zusammenhängen auf die Ebene von Bedeutungen und Sinn. Dass sich dieses damit kreierte Missverständnis von Kommunikation so hartnäckig halten kann, verdankt sich wesentlich der Nutzung der mathematischen Informationstheorie zur Erklärung kommunikativer Zusammenhänge, wenngleich auch in der einschlägigen kommunikationswissenschaftlichen Literatur heute immer wieder auf die Unhaltbarkeit dieses Theorieimports hingewiesen wird. Die beiden amerikanischen Mathematiker Claude E. Shannon und Warren Weaver (1949) haben eine mathematische Theorie der Fernmeldetechnik entwickelt, der Carl F. Graumann (1972: 1155) zu Recht attestiert, dass sie eben jenen wesentlichen Einfluss auf eine Vielzahl der heute vorliegenden psychologischen und soziologischen Kommunikationsmodelle gehabt hat. Auch ist ihr Einfluss auf die Marketing-Kommunikationsforschung offensichtlich (s. z. B. Fill 2001: 45 f., Hofbauer/Hohenleitner 2005: 14, Kotler/Bliemel 1999: 928 f., Pepels 2001: 12 f.). Nach dieser Theorie verwandelt der Sender (transmitter) die von einer Informationsquelle (information source) ausgewählte Botschaft in ein Signal (signal), sendet dieses durch einen Kommunikationskanal an einen Empfänger (receiver), wo die Botschaft entschlüsselt und an den Zielort weitergeleitet wird. Während der Übermittlung des Signals können Geräuschquellen (noise sources) unbeabsichtigt die Genauigkeit der Informationsübermittlung beeinflussen (z. B. Klangverzerrungen durch das Telefon) (s. Abb. 1). Shannon (1949: 3) klammert explizit semantische Kommunikationsaspekte, die die Bedeutung der Botschaft betreffen, aus dem Modell aus – „… semantic aspects of communication are irrelevant to the engineering problem“ – und fokussiert ausschließlich Fragestellungen syntaktischer Art, wie die nach der in Bits gemessenen Informationsmenge, die in einer bestimmten Zeiteinheit von einer Quelle zu einem
Abb. 1 Kommunikationsmodell von Shannon (1949: 5)
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Ziel übertragen werden kann. Das zentrale Interesse Shannons gilt also dem technisch-physikalischen Aspekt der Informationsübertragung, wie auch Weaver (1949: 97) betont: „… the technical problem of accuracy of transference of various types of signals from sender to receiver“. Weaver (ebd.) sieht jedoch die Analyse des technischen Kommunikationsproblems („level A“) als grundlegende Voraussetzung für die semantische („level B“) und auch für die pragmatische („level C“) Analyse, die Analyse der Wirksamkeit von Informationen, an. „Part of the significance of the new theory comes from the fact that levels B and C … can make use only of those signal accuracies which turn out to be possible when analysed at level A.“ (ebd.)
Ob diese postulierte Abhängigkeit der analytischen Verhältnisse letzten Endes für die Karriere dieses informationstheoretischen Sender-Empfänger-Modells in der Erforschung der menschlichen Kommunikation verantwortlich ist, kann hier nicht beantwortet werden. Wohl aber sind die Parallelen zur Container-Metapher gut erkennbar. Erwecken doch beide Fälle den Eindruck, bei Kommunikation ginge es lediglich um den mehr oder weniger störungsfreien Transport von Botschaften von einem Sender zu einem Empfänger. Mit dem Bonner Kommunikationswissenschaftler Johann G. Juchem (1998) kann zusammengefasst werden, dass das informationstheoretisch zwar fruchtbare, kommunikationstheoretisch aber verfälschende Sender-Empfänger-Modell ebenso wie die Container-Metapher sich für die Beschreibung der technologischen Realisierung von Kommunikationsprozessen im Sinne einer Botschaftsübermittlung durchaus eignen. Durch die breite Diffusion deren zentraler Annahmen in unsere alltagstheoretischen Vorstellungen von Kommunikation wird aber leider der Eindruck erweckt: „Seit es die ‚Telekom‘ gibt, können wir kommunizieren !“ (ebd.: 11)
1.2
Bedeutungsvermittlung und soziales Handeln
Ein Verständnis von Kommunikation als Informationsaustausch im Sinne der Container-Metapher, demzufolge prädeterminiert ist, was der Empfänger wie zu verstehen hat, hieße, Kommunikation als das Kontrollinstrument schlechthin zu begreifen. Eine vollständige Nivellierung der Menschen innerhalb kürzester Zeit wäre die Folge und es wäre, wie Siegfried J. Schmidt (1990: 71) betont, unmöglich, sich gegen Kommunikation zu wehren, da sie uns einfach überwältigen würde. Die Menschen wären den Beeinflussungsabsichten der Werbung schutzlos ausgeliefert und würden einen Werbespot exakt so verstehen, wie es von den Machern beabsichtigt ist. Jedes Zeichen wäre eindeutig einer Bedeutung zuordenbar und die Probleme der Semantik könnten gleich denen der Mathematik einer Logik folgend in Lösungen überführt werden. In der modernen Kommunikationstheorie hat sich hingegen heute ein Kommunikationsverständnis durchgesetzt, das ganz im Gegenteil grundsätzlich von der Un-
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wahrscheinlichkeit des Verstehens ausgeht und damit an dem im kommunikativen Alltag doch so häufig auftretenden Gefühl des Sich-Unverstanden-Fühlens ansetzt. Kommunikation wird nicht begriffen als eine Technik der instruktiven Steuerung von Menschen oder der Signal- oder Bedeutungsübertragung, sondern als ein sozialer Prozess der Vermittlung von Bedeutungen, der sich über die wechselseitige Codierung, Präsentation und Decodierung von Kommunikationsangeboten jeglicher Art – zum Beispiel einer sprachlichen Äußerung, eines Textes oder eines TV-Werbespots – realisiert. Zu beachten ist dabei, dass die Eigenschaften von Kommunikationsangeboten und die sich eröffnenden Handlungsmöglichkeiten von der Wahrnehmung eines Beobachters abhängig sind (vgl. Gibson 2015). Das heißt, Bedeutungen von wahrgenommenen Kommunikationsangeboten entstehen erst individuell im jeweiligen kognitiven Bereich der Kommunikationspartner, in ihrem Inneren, und können erst dort zu einer sinnvollen Information decodiert werden (vgl. z. B. Burkart 2002, Rusch 2002: 112, Schmidt 1990: 71, Theis-Berglmair 2003: 348). Diese Informationskonstruktion geschieht vor dem Hintergrund der persönlichen Biografie und des individuellen Lebenszusammenhangs jedoch unter gleichzeitigem Rückgriff auf das erlernte kollektive Wissen, den „Common Ground“ (Clark 1992: 3, Clark/Brennan 2004: 127, s. Kap. B 1.3.2.1) einer Gesellschaft, in dem intersubjektiv gültig die Normen, Werte, Moralvorstellungen, Rollenerwartungen, der Symbolgebrauch etc., kurz: der gesamte soziale Erfahrungsbestand, der notwendig ist, um gesellschaftlich sinnvoll handeln zu können, festgeschrieben ist. Subjektivistische Willkürlichkeit wird somit im Prozess der Bedeutungsgebung ausgeschlossen, da die Menschen in ihren Kommunikationen ständig eine gemeinsam zugrunde gelegte Sinnstruktur aktualisieren (vgl. Luhmann 1971: 42 f.). George H. Mead (1973: 196 f.) drückt diesen Zusammenhang in seinem Konzept des „verallgemeinerten Anderen“ aus. Menschen unterstellen sich gegenseitiges Verstehen, wodurch sie gemeinsam ihrer Kommunikation einen Sinn geben können. Diese Unterstellung ermöglicht es ihnen, sozial handeln zu können. Und zwar können sie dies, obwohl sie kognitiv autonom sind, da jedes individuelle Verstehen auf vorangegangenen individuellen Verstehensprozessen beruht und konstitutiv den folgenden Verstehensprozessen zugrunde liegt. Mit anderen Worten: Menschen können verstehen, weil sie verstanden haben. Bedeutungskonstruktion ist also nicht fremdgesteuert, sondern selbstreferentiell, da sie sich stets auf früher erfolgte kognitive Bedeutungskonstruktionen bezieht (vgl. Tropp 1997: 56 f.). In Abb. 2 ist dieser Zusammenhang schematisch dargestellt. Menschen sind also in Kommunikationsprozessen trotz sozialer Reglementierung mit gewissen kognitiven Entscheidungsfreiheiten ausgestattet, die es ihnen ermöglichen, etwas auch anders zu verstehen als es vom Kommunikationspartner gemeint ist und dies darüber hinaus sogar absichtlich zu tun. Damit ist ein zentrales Charakteristikum von Kommunikation angesprochen, nämlich die subjektive Sinnzuschreibung, die ausgehend von der „Innen-außen-Dichotomie“ (Juchem 1998: 15) der Kommunikation handlungstheoretisch näher erläutert werden kann: Alle Prozesse der inneren
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Abb. 2 Grundmodell der Kommunikation: Kommunikation als Bedeutungsvermittlung kognitiv autonomer Menschen (eigene Darstellung)
Bedeutungskonstruktion sind prinzipiell und ohne Ausnahme nur dem jeweiligen Individuum zugänglich, das diese vollzieht. Außen stehen in der Kommunikation lediglich interpretierbare Kommunikationsangebote zur Verfügung, deren innere Verarbeitung von den Kommunikationspartnern niemals direkt, ungefiltert, sondern nur indirekt über weitere Kommunikationen beobachtet und beurteilt werden kann. Dies hat notwendig die Fallibilität kommunikativer Prozesse zur Folge. Das heißt, Kommunikation ist genuin und unvermeidbar täuschungs- und enttäuschungsanfällig und weist sich im semantischen Bereich trotz der regulierenden Kraft des Common Ground durch eine grundsätzliche, nicht eliminierbare Unsicherheit und Unbestimmtheit aus. Gerold Ungeheuer (1980) formuliert entsprechend: „Kommunikation zeigt sich in ihrem Wesen enthüllt in der Täuschung (Lüge)“ (zit. n. Juchem 1998: 10). Folgerichtig ist Verstehen im emphatischen Sinne der Übernahme von Bedeutungen aus dem Kopf des anderen unmöglich. Verstehen kann sich nur auf die inneren Prozesse des Individuums beziehen, ist nur für dieses direkt erfahrbar und bleibt für den Kommunikationspartner unerschließbar. Das Ziel, das jeder menschlichen Kommunikation inhärent ist, kann daher nicht Verstehen, sondern Verständigung sein. Menschen können nur glauben zu wissen, dass sie sich verstanden haben. Sie können Verständigung darüber erzielen, dass sie die jeweils gemeinten Bedeutungen miteinander teilen, dass sie etwas den selben Sinn geben, aber letzten Endes können sie sich dabei nur auf der Ebene von Vermutungen und Unterstellungen bewegen. Endgültige Gewissheit ist nie erreichbar. Bei Siegfried J. Schmidt und Guido Zurstiege (2000: 167 f.) findet sich diese Innen-außen-Dichotomie in der Differenzierung von kognitivem und sozialem Verstehen wieder. Sind mit kognitivem Verstehen eben jene inneren Prozesse der Bedeutungskonstruktion gemeint, die – solange es keine Probleme, beispielsweise aufgrund von unbekannten Ausdrücken, gibt – im
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Übrigen weitestgehend automatisch und unbewusst ablaufen, weist soziales Verstehen darauf hin, dass nur durch Anschlusskommunikationen und -handlungen entschieden werden kann, ob Verstehen oder Missverstehen beim Kommunikationspartner vorliegt. Dazu werden die erwarteten Folgen mit den stattfindenden Reaktionen des Partners abgeglichen. Für die Marketing-Kommunikation heißt das, dass erst dann, wenn einem Unternehmen auf sein Kommunikationsangebot (z. B. einen personalisierten Werbebrief) eine zurechenbare Reaktion des Konsumenten vorliegt (z. B. die Anforderung von Informationsmaterial, die Bestellung des beworbenen Produktes etc.), es entscheiden kann, ob es glaubt, überhaupt verstanden worden zu sein, ob also Verständigung stattgefunden hat oder nicht. Wenn Menschen im Hinblick auf andere Menschen etwas tun, ihrem Tun somit einen Sinn geben, sie sich also intentional verhalten, dann handeln sie sozial. Sozial deswegen, weil Handeln „seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“ (M. Weber 1972: 1, Hervorh. i. Orig.). Allgemein definiert Max Weber (1984: 19) Handeln als „ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) …, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden“ (Hervorh. i. Orig.). Handeln ist mit anderen Worten ein bewusstes und absichtsvolles, auf ein Ziel hin ausgerichtetes Verhalten, das von anderen beobachtet werden kann (äußere Handlungen) oder das im Inneren des Menschen, in seinem kognitiven Bereich geschieht (innere Handlungen). Das reflexartige, nicht absichtsvolle Verhalten auf einen externen Reiz, wie etwa das Wegziehen der Hand von einer heißen Herdplatte oder auch ein bloßes Verhalten wie Niesen, Gähnen oder Stolpern, ist demnach keine Handlung. Wird hingegen ein Mensch überfallen und entscheidet er sich mehr oder weniger bewusst (innere Handlung), laut um Hilfe zu rufen (äußere Handlung), so verhält er sich intentional; er handelt sozial, da er seinem Tun den Sinn gibt, dass andere Menschen auf ihn aufmerksam werden und ihm zu Hilfe eilen. Menschliche Kommunikation kann damit als eine Art sozialen Handelns aufgefasst und wie folgt definiert werden: ▶ Definition Menschliche Kommunikation ist eine soziale Handlung der Vermittlung individueller Bedeutungskonstruktionen.
Dabei gilt für jede Kommunikation als soziale Handlung, dass ihr immer die Intention des Erreichens des allgemeinen Kommunikationsziels der Verständigung inhärent ist. Dieses Ziel bezieht sich nicht auf Intentionen hinsichtlich der Akzeptanz, Zustimmung oder des Für-wahr-Haltens dessen, was der Kommunikationspartner mitteilt. Lediglich das vermutete erfolgreiche Miteinander-Teilen von Bedeutungskonstruktionen der Kommunikationspartner („Mit-Teilen“) ist impliziert. Darüber hinaus erhält die Kommunikation ihren intentionalen Charakter durch die Verfol-
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gung von bestimmten Kommunikationszwecken seitens der Kommunikationspartner, in obigem Beispiel das Zur-Hilfe-Eilen von anderen Menschen (vgl. Ungeheuer 1978: 8). So werden auch und gerade in der Marketing-Kommunikation über Verständigung hinaus Kommunikationszwecke verfolgt, die den Grund für die Initiierung des Kommunikationsprozesses ausmachen, wie etwa die Steigerung des Bekanntheitsgrades von Produkten, die Erhöhung der Werbeerinnerung, der Aufbau eines unverwechselbaren Markenimages oder natürlich der Kauf des beworbenen Produktes. In der Theorie der Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen gibt es bereits seit geraumer Zeit den von Roland Burkart (1993, Burkart/Probst 1991) entwickelten Ansatz der Verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit, der ausgehend vom Begriff der Verständigung von Jürgen Habermas auf die zentrale, nicht zu unterschätzende Rolle des Verständigungsprozesses in der Öffentlichkeitsarbeit hinweist (s. im Überblick Burkart 2012: 18 f.). Alfred Schütz (2004) weist in seinem Überlegungen zum Handlungsbegriff auf die Bedeutung der zeitlichen Dimension hin, die Handeln von Verhalten unterscheidet. Beim Handeln verhält sich der Mensch zum Zeitpunkt des Handlungsentwurfes so, „als wäre das Handeln, welches er entwirft, im Zeitpunkt das Entwurfes bereits in der Vergangenheit liegende, abgelaufene, vollzogene Handlung, die nunmehr in dem (im Zeitpunkt des Entwurfes gegebenen) Erfahrungszusammenhang eingeordnet wird“ (ebd.: 158). Beim Handeln geht der Mensch also von einem zukünftig abgeschlossenen Handlungsresultat aus und richtet daran vergangenheitsorientiert sein gegenwärtiges Handeln aus. Handeln ist daher im Gegensatz zum Verhalten an ein Denken in Form einer vollendeten Zukunft geknüpft (etwas wird geschehen sein), an ein Denken „modo futuri exacti“ wie Alfred Schütz (ebd.: 159) es nennt. Außer von Verhalten ist Handeln auch vom Wahrnehmen, dem Erleben von Widerfahrnissen jeglicher Art zu unterscheiden (vgl. Janich 2000: 125). Fortwährend erlebt der Mensch etwas, sei es, dass das Wetter gut oder schlecht oder dass ein Werbespot lustig oder langweilig ist. Auch erlebt der Mensch sein eigenes Verhalten, wie zum Beispiel die Atmung während des Joggens oder ein plötzliches Erschrecken. Ebenso erlebt er, dass die eigene Handlung gelungen oder misslungen, das gewünschte Handlungsresultat also eingetreten oder ausgeblieben ist. Die Feststellung, dass eine Handlung gelungen oder misslungen ist, dass das Kommunikationsziel der Verständigung erreicht und die Kommunikation ihren Zweck erfüllt hat, erfolgt durch den bewertenden Abgleich von erlebtem und ursprünglich entworfenem Handlungsresultat, wobei dies wie das Erleben schlechthin als ein affektlogischer Prozess aufzufassen ist, in dem sich Denken und Fühlen miteinander verschränken (vgl. Ciompi 1999, 2007). Abb. 3 stellt das Modell der Kommunikation als Bedeutungsvermittlung kognitiv autonomer Menschen dar, ergänzt um das hier skizzierte Handlungsverständnis (zur weiteren Vertiefung des Zusammenhanges von Kommunikation und Handlung s. den Überblick bei H. Scherer 1997: 25).
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Abb. 3 Modell der Kommunikation als Bedeutungsvermittlung kognitiv autonomer, handelnder Menschen (eigene Darstellung)
1.2.1 Typen sozialen Handelns Mittels einer Differenzierung unterschiedlicher Handlungstypen kann Kommunikation als Handlung näher bestimmt werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Handeln und damit auch kommunikatives Handeln nicht stets an ein gründlich durchdachtes Entwerfen eines angestrebten Handlungsresultats gebunden ist. Häufig laufen Handlungen unreflektiert ab. Max Weber (s. zusammenfassend Weber 1984: 44 f.) unterscheidet aus analytischen Gründen vier Typen sozialen Handelns, wobei empirisch jedoch selten ein Typ in seiner reinen, mit den anderen unvermischten Form vorgefunden werden kann. • Traditionales Handeln ist ein Handeln aus eingelebter Gewohnheit und ist als ein Grenzfall sinnhaft orientierten Handelns aufzufassen. Das Gros des Alltagshandelns ist von diesem Typ. Derartige Handlungen haben den Charakter eines unreflektierten Reagierens auf gewohnte Erlebnisse. • Ähnlich bewegt sich auch das affektuelle Handeln, das durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen bestimmt ist, an der Grenze bewusst sinnhaft orientierten Handelns. Das hemmungslose Reagieren auf ein nicht alltägliches Erlebnis oder auch die Entladung von Gefühlslagen, zum Beispiel nach einer erfolgreich absolvierten Prüfung, fallen unter diesen Handlungstyp. Von affektuellem und traditionalem Handeln sind die beiden rationalen Typen des wert- und des zweckrationalen Handelns zu unterscheiden.
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• Wertrationales Handeln ist Handeln aus Überzeugung, ohne die absehbaren Konsequenzen des Handelns zu berücksichtigen. Die Handlung wird vom Sinn ihres Eigenwertes bestimmt, der sich aus einer ideologischen Überzeugung ergibt und beispielsweise ethischer, ästhetischer oder religiöser Art sein kann. Wertorientiertes Handeln ist nicht einem Erfolg verpflichtet, wohl aber das zweckrationale Handeln. • Das Individuum, das zweckrational handelt, wägt die Mittel, Zwecke und Folgen seiner Handlung hinsichtlich der Vor- und Nachteile gegeneinander ab. Das Ziel ist es, das Handeln mit einem größtmöglichen Erfolg versprechenden Nutzen zu versehen. Es ist evident und ein zentrales Kennzeichen der Marketing-Kommunikation, dass die kommunikativen Handlungen der beteiligten Akteure von unterschiedlicher Typik sind. Während die Handlungen der in den Marketing-Abteilungen der Unternehmen, der in den Kreativ- und Media-Agenturen tätigen Menschen zweifelsfrei als zweckrational, genauer: als ökonomisch zweckrational eingestuft werden können – einen Grenzfall kann die Corporate Social-Responsibility-Kommunikation mancher Unternehmen darstellen (s. Kap. B II 2.4) –, ist die Frage nach dem Handlungstyp der Rezeption von Marketing-Kommunikationsangeboten keinesfalls so eindeutig zu beantworten. Hier stellt sich zunächst einmal die Frage, ob überhaupt von einer Handlung im Sinne eines intendierten sinnhaften Verhaltens gesprochen werden kann. Denn dies würde bedeuten, dass sich der Rezipient im Marketing-Kommunikationsprozess sinngebend den Kommunikationsangeboten (Werbespots, Anzeigen, Funkspots etc.) zuwendet, und sei es aus Gewohnheit in einer rein traditionalen Form. Auf diesen wichtigen Punkt wird bei den Ausführungen zum Marketing-Kommunikationswissen und zur Rezeptionsrelevanz zurückgekommen (s. Kap. B III 1.2 und 1.3).
1.3
Notwendige Kriterien für Kommunikation
Damit sich Kommunikation als ein Prozess der Bedeutungsvermittlung kognitiv autonomer, handelnder Menschen überhaupt konstituieren kann, sind drei komplementäre Kriterien notwendig, die als kommunikative Prämissen des Marketings aufgefasst werden können: Selektivität, Reflexivität und Kontextualität. Sie ersetzen die drei zentralen Annahmen des oben skizzierten, missinterpretierten Informationsübertragungsmodells, das der Kommunikation eine omnipotente Wirkungskraft zuschreibt (vgl. Merten 1994a: 296 f., ders. 1995: 14): •
Proportionalität Annahme des überholten Modells: Die kommunikative Wirkung fällt umso stärker aus, je massiver beziehungsweise je öfter der Stimulus gesetzt wird. Wenn der Stimulus den Rezipienten erreicht, ist er wehrlos ausgeliefert und vollkommen passiv.
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An der Stelle von Proportionalität steht heute Selektivität. •
Kausalität Annahme des überholten Modells: Kommunikative Stimuli der Massenkommunikation beeinflussen zwangsweise den Rezipienten. Er wird manipuliert. Zwischen dem kommunikativen Stimulus und der Wirkung besteht ein kausaler Zusammenhang. Der kommunikative Stimulus und nur dieser ist die Ursache.
An der Stelle von Kausalität steht heute Reflexivität. • Transitivität Annahme des überholten Modells: Mit dem kommunikativen Stimulus versendet der Kommunikator bestimmte Inhalte, die beim Rezipienten genauso, wie sie versendet wurden, ankommen (Container-Metapher, s. o.). An der Stelle von Transitivität steht heute Kontextualität.
1.3.1 Selektivität Kommunikativ zu handeln heißt immer auch zu selektieren, indem man sich, wie bewusst auch immer, für eine Handlungsmöglichkeit entscheidet. Selektivität ist daher als unabdingbare Notwendigkeit für Kommunikation aufzufassen, da erst durch sie die Komplexität der Umwelt für das Individuum behandelbar wird und zwar unabhängig davon, ob es rezipierend oder produzierend handelt. Erst Selektivität ermöglicht es, etwas überhaupt als etwas, nämlich als eine Information wahrzunehmen und zu erleben, und damit dem Tun einen handlungsorientierenden Sinn zu verleihen. Die Medienpsychologie weist auf den engen Zusammenhang von Selektivität und Aufmerksamkeit hin. Menschen können dank ihrer Aufmerksamkeit, die graduell stark variieren kann, bestimmte Umweltwiderfahrnisse fokussieren und andere ausblenden, wodurch sie die Umweltkomplexität reduzieren (vgl. Kempter/Bente 2004: 275, s. auch ausführlich Kap. B III 1.1). Die Medienwirkungsforschung hat sich intensiv mit dem Selektionsphänomen beschäftigt. Ihre junge Geschichte wird von Denis McQuail (2012) in vier Phasen eingeteilt. Diese viel zitierte Einteilung kann jedoch kritisch gesehen werden und bedarf im Kontext von Forschungen zur Geschichte der Medienwirkungsforschung sicherlich noch genauerer Prüfung (vgl. im Überblick Esser/Brosius 2000: 59 f.): In der Phase der wirkungsstarken Medien („all-powerful media“), die von der Jahrhundertwende bis in die 1930er Jahre andauerte, wurde den Medien ein großer Einfluss auf die Meinungs- und Einstellungsbildung und auf das Verhalten zugesprochen. Dies geschah jedoch nicht auf wissenschaftlichen Forschungsergebnissen basierend, son-
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dern schlicht aufgrund der enormen Popularität, zu der die Massenmedien (Presse, Funk, Film), die mehr und mehr den Alltag wie die Öffentlichkeit kommunikativ prägten, gelangten. Es folgte die Phase der moderaten Medienwirkungen („theory of powerful media put to the test“), die sich bis in die frühen 1960er Jahre erstreckte und die sich besonders durch das Aufkommen empirischer Medienforschung auszeichnete. Deren Höhepunkt stellte Joseph Klappers Arbeit (1949, veröffentlicht 1960) dar, der in seinem „Phenomenistic Approach“ den Medien aufgrund der Existenz mediatisierender Faktoren („mediating factors“) nur eine indirekte Wirksamkeit attestiert. Wirkung wurde von Klapper somit nicht länger als ein unabdingbares Korrelat der Massenmedien aufgefasst, sondern als eine Interdependenz von weiteren neben der Massenkommunikation existierenden Einflüssen, die in ihrer Gesamtheit auf den Rezipienten einwirken: „Whatever it be called, it is in essence a shift away from the tendency to regard mass communication as a necessary and sufficient cause of audience effects, toward a view of the media as influences, working amid other influences, in a total situation.“ (Klapper 1964: 5)
In der sich bis Anfang der 1970er Jahre anschließenden dritten Phase der Medienwirkungsforschung („powerful media rediscovered“) dominierte eine Wiederentdeckung direkter Medienwirkungen, wobei sich die Forschung aber weniger auf individuelle psychische Effekte konzentrierte, sondern langfristige Wirkungen im sozialstrukturellen Bereich – wie zum Beispiel beim öffentlichen Meinungsklima, bei kulturellen Werten und sozialen Wirklichkeitsentwürfen – fokussierte. Die seit Ende der 1970er Jahre bis heute andauernde vierte Phase ist durch das konstruktivistische Wirkungsverständnis geprägt („negotiated media influence“), wonach Wirkungen im Sinne von Bedeutungen von den Rezipienten selbst geschaffen werden, indem sie auf das von den Medien geschaffene soziale Wirklichkeitskonstrukt als Interpretationsrahmen bei ihrer Rezeption der medialen Kommunikationsangebote zurückgreifen. Seit der zweiten Phase der Medienwirkungsforschung spielt das Konzept der Selektivität eine zentrale Rolle und wird von Michael Schenk (2000: 73) zu Recht als eines der „Schlüsselkonzepte für das Auftreten von Medienwirkungen“ bezeichnet, da es über die unterschiedlichsten theoretischen Modelle von Medienwirkungen hinweg Gültigkeit besitzt. Aus der Perspektive der Wirkungsforschung kommt der Selektivität eine Art Schutzfunktion vor der Beeinflussungskraft der Medien zu, wie sie beispielsweise bei Klapper mit den „mediating factors“ zum Ausdruck kommt. Zurück geht das Selektivitätskonzept auf die Entdeckung von „selective exposure“, die Paul Lazarsfeld und seinen Mitarbeitern (1944) in ihrer Erie-County-Studie „The People’s Choice“ zum amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf im Jahre 1940 gelang. Der festgestellte geringe Einfluss der Massenmedien auf die Wahlentscheidung des Einzelnen wurde einerseits mit dem Einfluss der interpersonalen Kontakte erklärt, was dann zur Formulierung der bekannten Hypothese des two-step flow of
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communication führte. Demnach haben die persönlichen Kontakte einen größeren Einfluss auf die Wahlentscheidung der Wähler als die Massenmedien, und es gibt bestimmte Individuen, die „opinion-leaders“, die sich bedeutend mehr mit den Massenmedien beschäftigen als die übrigen und die auf die Wahlentscheidung anderer durch persönliche Gespräche einen bestimmenden Einfluss genommen haben. Der Massenkommunikationsprozess stellt sich demnach zweistufig als eine Kombination von direkter und indirekter Kommunikation dar (s. zusammenfassend Katz 1964: 104 sowie Kap. B III 2.5.1). Andererseits wurde die schwache Medienwirkung mit der Selektivität der Mediennutzung erklärt, wonach dem eigenen Standpunkt entgegengesetzte Argumente in der Berichterstattung kaum beachtet und Argumente, die den bereits persönlich präferierten Kandidaten stützten, bevorzugt wahrgenommen werden. Dieses Ergebnis mündete in einem kommunikationswissenschaftlichen Gesetz, das die Entwicklung der Kommunikationswissenschaft und besonders der Wirkungsforschung nachhaltig prägen sollte: „The fact that people select their exposure along the line of their political predispositions is only a special case of a more general law which pervades the whole field of communication research. Exposure is always selective; in other words, a positive relationship exists between people’s opinions and what they choose to listen or to read.“ (Lazarsfeld et al. 1944, zit. n. Donsbach 1991: 20)
Besonders in Leon Festingers (1957, 1964) Theorie der kognitiven Dissonanz findet sich eine starke Anbindung an das Selektivitätsgesetz. Unter kognitiver Dissonanz wird ein als unangenehm empfundener innerer Spannungszustand verstanden, wie etwa das Erkennen negativer Aspekte einer eigenen Handlungsentscheidung, verbunden mit dem Wunsch, diesen Zustand zu beseitigen. Die Folge ist, dass die jeweilige Person Aktivitäten entwickelt, diese wahrgenommene Dissonanz zwischen ihren Meinungen oder Informationen und der von ihr tatsächlich ausgeführten Handlung zu reduzieren oder vollständig abzubauen. Dabei wird das Wahrnehmungsverhalten durch die kognitive Dissonanz derart beeinflusst, dass das Individuum sich selektiv denjenigen Informationen zuwendet, die zum Abbau dieses inneren Spannungszustandes führen (s. Kap. B III 2.4.1). Wolfgang Donsbach (1991) und Christiane Eilders (1997) haben aufgezeigt, dass es bestimmte Nachrichtenfaktoren gibt, die als inhaltliche Merkmale die Selektivität des Rezipienten gewissermaßen überwinden können. So erhöhen beispielsweise die inhaltlichen Faktoren „Faktizität/Überraschung“, „Negativismus“ oder „Region“ die Wahrscheinlichkeit der Auswahl einer Zeitungsnachricht, wobei aber der Einfluss formaler Merkmale wie Umfang, Platzierung und Überschriftsgröße auf die Selektivitätsentscheidung nicht vernachlässigt werden darf. In der Forschung herrscht jedoch kein Konsens darüber, was als Nachrichtenfaktor angesehen werden kann und was nicht. Joachim F. Staab (1998: 53) kommt in seinem Überblick zu dem Ergebnis, dass die verschiedenen Studien sehr unterschiedliche Kataloge an Nachrichtenfak-
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toren zum Ergebnis haben und dass einzelne Faktoren, die in mehreren Katalogen aufgeführt sind, in ihrer Erklärungskraft – nicht zuletzt auch in Abhängigkeit von der Mediengattung – sehr schwanken (s. auch den Überblick über die Nachrichtenfaktoren bei Maier et al. 2018). Diesen postulierten Einfluss von Merkmalen des Kommunikationsangebots im Wirkungsprozess haben auch Werner Früh und Klaus Schönbach in ihrem dynamisch-transaktionalen Ansatz aufgenommen. Sie gehen davon aus, dass Medienwirkung sich als Interaktionszusammenhang von einerseits Umweltreizen, die bestimmte Eigenschaften haben, was den Nachrichtenfaktoren entspricht, und andererseits kognitiven Konstruktionsleistungen seitens des Rezipienten konstituiert (s. Früh/ Schönbach 1982, 1984). Früh (1994: 397) spricht entsprechend von einer „Synthese aus radikal konstruktivistischem und Stimulus-response-orientiertem Transportmodell“. Selektionsprozesse finden nicht nur auf der Rezipientenseite statt. Auch seitens der Produktion greifen Auswahlprozesse, die die Zusammenstellung von Kommunikationsangeboten steuern. Besonders die Nachrichtenauswahlforschung mit ihren beiden Zweigen der Nachrichtenwertforschung und der News-Bias-Forschung sind zu nennen. Christiane Eilders (1999: 37) kritisiert nach ihrem Überblick zum Stand der Selektivitätsforschung, dass sich die produktions- wie auch die rezeptionsorientierte Forschung stark auf die Erklärung der Informationsselektion (Nachrichten) konzentriert hat und das Auswahlverfahren aus dem Unterhaltungs- oder auch aus dem Gesamtangebot der Medien vernachlässigt hat. Auch in der Marketing-Kommunikationsforschung kommt der Selektivität besondere Bedeutung zu. Vor allem der Aufmerksamkeitssteuerung des Rezipienten gilt traditionell das Interesse. Sie wurde von Elmo Lewis bereits 1898 in seinem bekannten, heute nicht mehr haltbaren AIDA-Stufenmodell der Werbewirkung thematisiert, wonach sich Werbewirkung als eine Abfolge von Aufmerksamkeit (attention), Interesse (interest), Wunsch (desire) und Handlung (action) gestaltet. Auch bei Untersuchungen zur Werbevermeidungsstrategie Zapping steht das Selektivitätskonzept zwangsläufig im Mittelpunkt (s. z. B. Niemeyer/Czycholl 1994, Ottler 1998, Rossmann 2000). Zur Beantwortung der Frage nach den Auswahlprozessen aufseiten der marketingtreibenden Unternehmen und der Agenturen liegen bislang jedoch keine Analysen aus der Selektivitätsforschung vor, obwohl die Input-Phase, die Phase der Informationsproduktion im Marketing-Kommunikationsprozess, interessante Anknüpfungspunkte für die Nachrichtenauswahlforschung bereithält (s. Kap. B I).
1.3.1.1 Schemata, Skripts, Heuristiken
Über die Betrachtung der grundsätzlichen Funktionsweise des menschlichen Rezeptionsprozesses ergeben sich für die Marketing-Kommunikationsforschung weitere Anknüpfungspunkte an das Selektivitätskonzept, besonders im Zusammenhang mit Untersuchungen zum Markenwesen. Wie erwähnt verhindert das Selektivitätsprinzip
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eine Eins-zu-eins-Abbildung der Umwelt durch den Rezipienten. Die Psychologie differenziert bei der Rezeption analytisch einen Bottom-up- und einen Top-downModus, wobei empirisch jedoch stets beide Modi gleichzeitig in unterschiedlicher Intensität am Rezeptionsprozess beteiligt sind. Im Bottom-up-Modus haben Eigenschaften der externen Reize einen wesentlichen Einfluss im Prozess der Bedeutungskonstruktion, wie oben im Zusammenhang mit den Nachrichtenfaktoren ausgeführt wurde. Im Top-down-Modus hingegen steuern Schemata als kognitive Strukturen die Rezeption im Sinne einer selektiven interpretativen Bedeutungskonstruktion (vgl. Brosius 1991: 287, Schweiger 2007: 175, Unz/Schwab 2004: 513). In Schemata werden Einzelheiten zu Gesamtheiten organisiert, die von Objekten einer bestimmten Kategorie geteilt werden. Schemata dienen also im Prozess der Bedeutungskonstruktion der schnellen Kategorisierung und Interpretation des gerade Wahrgenommenen und sorgen damit für ein effizientes Erleben. So erleben Menschen beispielsweise Einzelteile als ein ganzes Auto, ohne dass sie jedes Detail wahrgenommen haben (Lenkrad, Reifen → Auto). Wir wechseln den TV-Sender und erkennen auf Anhieb, ob auf einem Programm gerade ein Werbespot läuft, etc. Schemata entstehen in Interaktions- und Kommunikationsprozessen mit anderen Menschen und bilden sich besonders während der kindlichen Entwicklung unter dem Einfluss sprachlicher Kommunikation aus. Sie dienen damit der Sozialisierung von individuellen kognitiven Operationen und erlauben Intersubjektivität von Kommunikationen und Handlungen. Zum Beispiel weiß man und erwartet auch von anderen, dass sie wissen, wie man einen „Witz erzählt“ oder eine „Vorlesung hält“ (Kommunikationsschemata), ebenso, wie man in der „Stadt Auto fährt“ oder im „Supermarkt einkauft“. Schemata verleihen daher Handlungsabläufen ihre spezifische Stereotypik (vgl. Schmidt 1994: 171). Zu beachten ist, dass Schemata stets auch einen gefühlsmäßigen, affektiven Aspekt haben, der besonders auffällig beim Vaterschema, Kindchenschema oder auch beim Heimatschema ist. Indem Schemata während der Rezeption kategorisierend und interpretierend wirken, reduzieren sie die Komplexität des Wahrgenommenen. Sie ermöglichen es, die Fülle der Sinnesreize, Erfahrungen und Erlebnisse zu gliedern und zu beherrschen. Entscheidungstheoretisch betrachtet sorgen Schemata daher dafür, dass Menschen nach dem Prinzip des geringsten Aufwandes ihre Rezeption steuern (vgl. Schweiger 2007: 173). Als ein spezieller Schematyp ist das Skript zu nennen, das wiederkehrende routinisierte Handlungsabläufe strukturiert und sich auf größere Erlebniszusammenhänge bezieht (z. B. Party-Skript, Alltag-Skript). Während Schemata einschließlich Skripts die kognitive, netzwerkartig angelegte Struktur stellen und auf die inhaltlichen Aspekte von kognitiven Modellen abheben, beziehen sich Heuristiken auf den prozeduralen Aspekt der Kognition. Heuristiken laufen als Prozessprogramme auf der kognitiven Schemata-Struktur ab und ermöglichen als kognitive Abkürzungen, Annäherungen oder Faustregeln, dass eben nicht detailliert das gesamte Kommunikationsangebot rezipiert, sondern nur ein Teil davon, der für die Bedeutungskon-
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struktion und die Sinnaktualisierung ausreichend ist, selektiert werden muss (vgl. Brosius 1991: 294, Schweiger 2007: 175). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass erst Selektivität den Handlungen der Produktion und Rezeption von Kommunikationsangeboten ihren Sinn verleiht, indem Menschen durch sie komplexitätsreduzierend eine kognitiv behandelbare Umwelt schaffen. In Schemata realisiert, überführt Selektivität Widerfahrnisse in emotional-kognitive, top-down generierte Erlebnisse, wobei dieser Prozess von Merkmalen des Kommunikationsangebots bottom-up mitgestaltet wird. In der Markenforschung werden Marken häufig als Schemata konzipiert (s. z. B. Esch 2011: 88, Esch/Wicke 2000: 47 f., Kroeber-Riel/Weinberg 2003: 233 f., Sommer 1998: 50 f.). Die Marke wird dann als „ein assoziatives Netzwerk oder auch ein Schema aller Vorstellungen, die ich mit dieser Marke verbinde“ (Sommer 1998: 50) verstanden (s. Abb. 4). Marken- und Produktschemata werden häufig als ein hierarchisch organisiertes System aufgefasst, das aus dominierenden Schemata und diversen in sich verschachtelten Subschemata besteht. Abb. 5 stellt einen Auszug aus dem Schema der Produktkategorie Getränke inklusive der Subschemata dar.
Abb. 4 Das Schema der Marke Nivea (Quelle: Sommer 1998: 51)
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Abb. 5 Auszug aus dem Produktkategorie-Schema Getränke inklusive Subschemata (Quelle: Regier et al. 2008: 207)
Die für eine Produktkategorie typischen Konnotationen gelten dabei auch für ihre Subschemata, was besonders bei der Einführung neuer Produkte/Marken beachtet werden muss. So sollte Schemainkongruenz vermieden werden. Das heißt, dass die Attribute des neuen Produktes – von physikalisch-chemisch-technischen Produktmerkmalen bis hin zu assoziierten Emotionen – konsistent mit denen der übergeordneten Schemata sein sollten (vgl. Regier et al. 2008: 207). Ob es jedoch überhaupt gerechtfertigt ist, von Markenschemata zu sprechen, kann bezweifelt werden. Wenn die Marke als kognitives Schema die Rezeption topdown steuert, dann müsste sie gemäß dem Gesamtheitspostulat Attribute besitzen, die für alle Marken gelten, so wie beispielsweise für das Wahrnehmungsschema „Vogel“ gilt, dass alle Objekte dieser Kategorie Federn und einen Schnabel haben oder wie für das Medienschema „Krimi“ gilt, dass sich die Handlung in einem Krimi um einen Gesetzesverstoß dreht. Bislang konnte sich jedoch der merkmalsorientierte Ansatz, nach dem die Marke anhand von bestimmten allgemeingültigen Merkmalen beschrieben werden kann, in der Markenforschung nicht durchsetzen. Die vorgestellten Kataloge, sei es der bekannte von Mellerowicz (1963: 39) oder auch der vom Deutschen Markenverband (1994, s. Sandler 1994: 45), können nicht für die von ihnen als markentypisch postulierten Merkmale tatsächlich markenübergreifende Geltung beanspruchen (s. zusammenfassend Tropp 2004: 31 f.). Anstelle von Markenschemata ist es daher angebrachter, schlicht von semantischen Netzwerken zu reden, die von einer Marke organisiert werden, indem sie bereits vorhandene unterschiedliche Schemata zu spezifischen emotional-kognitiven Wissensbereichen verknüpft (s. ebd.: 115 f., 123). Diese unscharfe Verwendung des Schema-Begriffs in der Markenforschung beklagt Brosius (1991: 290 f.) jedoch für die Schema-Theorie schlechthin. Der Begriff
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wird sehr weit gefasst und findet häufig eine uneindeutige Verwendung. Daher sind Arbeiten notwendig, um die Schema-Theorie konzeptuell weiter zu festigen und damit auch einer Entwicklung vorzubeugen, die die Karriere eines vielversprechenden theoretischen Konstruktes, wie es die Schema-Theorie zweifelsfrei darstellt, unweigerlich begleitet, nämlich „Mädchen für alles“ zu werden, wie Werner Kroeber-Riel (1984: 158) vergleichbar die steile, aber zweifelhafte Karriere des Imagebegriffs, besonders dank seiner weitestgehend unreflektierten Verwendung in der kommerziellen Marktforschung, beschreibt.
1.3.2 Reflexivität Reflexivität ist der Mechanismus, auf dem die Fähigkeit der Menschen beruht, sich in Kommunikationsprozessen zu unterstellen, dass sie sich verstehen, womit die Widersprüchlichkeit aller menschlichen Kommunikationen von kognitiver Autonomie und gleichzeitiger sozialer Reglementierung der Kommunikationspartner aufgehoben wird. Klaus Merten (1977) hat die hohe kommunikationstheoretische Bedeutung der Reflexivität herausgearbeitet, sie als notwendiges Kriterium für Kommunikation identifiziert und wie folgt allgemein definiert: ▶ Definition Reflexivität ist die unter bestimmten Bedingungen auftretende Reflektierung von Prozessen auf sich selbst, womit eine Steigerung von Leistungen einhergeht (vgl. ebd.: 86).
Mit ‚Steigerung von Leistungen‘ verweist Merten (ebd.) unter Rückgriff auf Niklas Luhmann (1970) darauf, dass entlang aller Evolution Reflexivität nachgewiesen werden kann, und zwar nicht nur im Bereich der Human-Kommunikation, sondern bereits unterhalb der animalischen Ebene wie etwa in der Autokatalyse von Proteinen (vgl. ebd.: 161). In jüngerer Zeit wird auch seitens der neurobiologischen Forschung, ausgelöst durch Giacomo Rizzolattis (1996) Entdeckung der Spiegelneurone, auf die durch Reflexivität erzielte Leistungssteigerung hingewiesen. Das Gehirn setzt, realisiert durch Spiegelneurone, zur Wahrnehmung und inneren Abbildung anderer Menschen dieselben Programme für Handlungssequenzen, Körperempfindungen und Gefühle ein, mit denen es sich auch sein Bild von sich selbst modelliert. Wird ein handelnder Mensch beobachtet, aktiviert das Gehirn zu einem Großteil dieselben neuronalen Verknüpfungen, die aktiv wären, wenn der Beobachter die vom Beobachteten vollzogene Handlung im selben Moment selbst vollzöge. Diese auf Spiegelneuronen basierende Reflexivität des neuronalen Verknüpfungsmusters während der Beobachtung anderer führt zu einer enormen menschlichen Leistungssteigerung. Da das System der Spiegelneuronen ein überindividuelles, allen Menschen eigenes neuro-
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nales Format darstellt, erzeugt es ein gemeinsames Vielfaches im Sinne eines Pools, in dem die neuronalen Programme für die sozial möglichen und vertretbaren Handlungs- und Erlebnismöglichkeiten einer Gesellschaft gespeichert sind (s. im Überblick J. Bauer 2009, Zaboura 2008). In kommunikationswissenschaftlicher Betrachtung liegt bei menschlicher Kommunikation Reflexivität in dreifacher Hinsicht vor: in zeitlicher, sachlicher und sozialer (vgl. Merten 1977: 161, ders. 1978: 111 f.). Reflexivität in der Zeitdimension heißt, dass die Folgen von Kommunikation auf den Kommunikationsprozess selbst zurückwirken, wodurch Kommunikation zu einem selbstreferentiellen Prozess wird. Beispiele sind, dass Menschen mit Worten neue Worte bilden können oder dass die Art und Weise, wie Menschen Bedeutungen konstruieren, durch bereits früher vollzogene Bedeutungskonstruktionen bestimmt wird. Kommunikation ist also, wie Siegfried J. Schmidt und Guido Zurstiege (2000: 29) formulieren, „ein selbstbezüglicher (reflexiver) Prozess, der in Schleifen immer wieder auf sich selbst Bezug nimmt: Kommunikation setzt Kommunikation voraus und vollzieht sich als Anschlusskommunikation“. Reflexivität in der Sachdimension heißt, dass in Kommunikationsprozessen Aussagen immer von Meta-Aussagen begleitet werden, die Kommunikationsangebote erst verständlich machen. So liefert in der Face-to-Face-Kommunikation der schnellere nonverbale Kanal Aussagen über den langsameren verbalen Kanal. Dieselbe verbale Aussage wird beispielsweise vollkommen anders verstanden, wenn sie begleitet von einem erhobenen Zeigefinger oder mit einem Lächeln im Gesicht getätigt wird. Erst durch diesen reflexiven Bezug der Kanäle können sich Bewusstsein, Sprache und Kultur ausbilden. Informationen im Sinne von selektiven Wahrnehmungen unterliegen also stets einer Interpretation und können damit im kognitiven Bereich des Individuums an vorhandene Sinnstrukturen angeschlossen werden. Reflexivität in der Sozialdimension heißt, dass im Kommunikationsprozess immer eine Orientierung am Kommunikationspartner vorliegt, die sich als Reflexivität •
•
des Wahrnehmens (wahrnehmen, dass der andere wahrnimmt; wahrnehmen, dass der andere mich wahrnimmt; wahrnehmen, dass der andere wahrnimmt, dass ich wahrnehme usw.) und des Erwartens (erwarten, dass der andere von mir erwartet: Erwartungserwartung)
realisiert. Diese soziale Reflexivität leistet die wechselseitige Kopplung der Kommunikationspartner. So formuliert auch Alex Bogusky, Mitinhaber der US-amerikanischen Agentur Crispin Porter & Bogusky, die 2008 von der amerikanischen Werbefachzeitschrift Advertising Age zur Agency of the Year 2008 gekürt wurde: „Der Konsument soll wissen, dass wir wissen, dass er weiß, dass wir ihm etwas verkaufen wollen“ (zit. n. Häberle 2008: 21).
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Die drei Reflexivitäten setzen sich gegenseitig voraus und statten die Kommunikation mit wesentlichen Aspekten aus: anhand der Selbstreferenz von Kommunikation mit dem Evolutionsprinzip, anhand des Behandelns von Handlungen als Grundlage für Kultur mit dem Sachprinzip und anhand der Kopplung der Kommunikationspartner mit dem Sozialprinzip. Wegen diesen Reflexivitätsverhältnissen kann die wechselseitige Unterstellung, man verstehe sich, funktionieren und sich im Ergebnis kollektives Wissen, ein Common Ground, ausbilden: Jeder nimmt nämlich an, dass jeder andere im Prinzip über dasselbe Wissen verfügt. So können Menschen über diese auf dem Mechanismus der Erwartungserwartung beruhenden Fiktion trotz ihrer kognitiven Autonomie erfolgreich sozial verbindliches, handlungsanleitendes Wissen in einer Gesellschaft aufbauen, verfestigen und an nachfolgende Generationen weitergeben. „Über diese Fiktion löst sich das Dilemma der Unvereinbarkeit von kognitiver Autonomie … und sozialer Kontrolle bzw. Orientierung … in Interaktionen und Kommunikationen auf – man muss nicht wissen, es genügt, erfolgreich zu meinen. Und das muss aus dem einfachen Grund genügen, weil wir nicht in die Köpfe der anderen hineinschauen können.“ (Schmidt 2003a: 35)
Es muss unterschieden werden zwischen der Reflexivität von Face-to-Face-Kommunikationen und der der medial vermittelten Kommunikation. Im letzteren Fall fällt das Kriterium der Anwesenheit der Kommunikationspartner weg, das im Fall der persönlichen, direkten Kommunikation mit der Reflexivität der Wahrnehmungen und Handlungen verknüpft ist. Doch selbst in der medial vermittelten öffentlichen Kommunikation haben die Kommunikationspartner bestimmte wechselseitige Erwartungen, die ein Reflexiv-Werden von Erwartungen auslösen: „Der Kommunikator erwartet die Erwartungen des (vorgestellten) Rezipienten, und der Rezipient konstruiert die Erwartungen des Kommunikators an seinen Erwartungen nach“ (Merten 1977: 138). Auch in der öffentlichen Kommunikation ist daher davon auszugehen, dass Reflexivität auf die Handlungen der Kommunikationspartner einwirkt. Zwar können sich die Kommunikationspartner hier nicht direkt gegenseitig an den beobachtbaren Handlungen des jeweils anderen orientieren, doch die Vorstellung dessen, was der andere über einen selbst denkt oder erwartet, hat bereits Einfluss auf den Handlungsentwurf und die äußere Handlung. So ist es denkbar, dass jemand ein bestimmtes öffentliches Kommunikationsangebot nur deshalb rezipiert, weil er erwartet, dass in seinem sozialen Umfeld alle dies tun und er in der Lage sein möchte, mitreden zu können. In diesem Fall stellen die reflexiven Erwartungsstrukturen sogar ein Selektionskriterium für Kommunikationsangebote dar und beeinflussen bereits vor der eigentlichen Rezeption das Handeln entscheidend. Als spezifische Variante der reflexiven Erwartungsstruktur kann einerseits eine reflexive Wissensstruktur ausgebildet werden, die ebenfalls in der sozialen Dimension wirksam ist. Sie entsteht, da jeder Rezipient medial vermittelter öffentlicher
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Aussagen sich der Tatsache bewusst ist, dass nicht nur er, sondern auch andere diese Aussage rezipieren bzw. rezipieren können: „Jeder weiß also, was die anderen wissen können oder sogar: dass sie wissen können, dass er weiß, was sie wissen“ (ebd.: 147). Darüber hinaus bildet sich andererseits in der öffentlichen Kommunikation eine reflexive Meinungsstruktur aus (meinen, was andere meinen), die gemeinsam mit der Reflexivität des Wissens die Anwesenheit der Kommunikationspartner bei derartiger Kommunikation entbehrlich macht. Gerade der Reflexivität des Meinens kommt in der öffentlichen Kommunikation eine bedeutende Rolle zu. Elisabeth NoelleNeumann hat in den 1970er Jahren dieses Prinzip in den Mittelpunkt ihrer Theorie der Schweigespirale gestellt. Menschen schützen sich vor sozialer Isolation, indem sie sich mit ihrer Meinung der erwarteten Mehrheitsmeinung anpassen. Dies hat den Effekt, dass die zunehmende Meinungsfraktion im Zeitverlauf immer stärker und die abnehmende Meinungsfraktion immer schwächer erscheint, als sie es in Wirklichkeit ist: ein Spiralprozess (s. im Überblick Donsbach 2007, Jäckel 2011 sowie Kap. B III 2.5.2). Die Wirkungskraft der Reflexivitätsverhältnisse in der öffentlichen Kommunikation lässt sich auch mit dem bekannten Beispiel der fiktiven Landung von Marsmenschen aufzeigen, die Orson Welles 1938 als die Hörfunksendung „The Invasion from Mars“ inszeniert hat: Beispiel (vgl. Merten 1994a: 311, Jäckel 2011)
Am Abend des 30. 10. 1938 wurde in Amerika das Hörspiel „The Invasion from Mars“, basierend auf dem Roman ‚War of the Worlds‘ von H. G. Wells, ausgestrahlt. Dieses wurde von etwa 9 Millionen, Michael Jäckel zufolge sogar von 32 Millionen Amerikanern empfangen, von denen ein verschwindend geringer Teil in Sorge geriet und zum Telefon griff, um bei der Polizei oder beim Sender CBS nachzufragen, ob es sich bei den Tonaufnahmen um Realität oder Fiktion handelt. Allerdings waren die Telefonleitungen aufgrund solcher Anrufe dauerhaft blockiert, was die Anrufer zu der Annahme veranlasste, die Polizei sei schon im Einsatz. Zwar glaubte zuvor niemand wirklich an die Ankunft von Marsmenschen, doch einige Menschen verließen ihre Häuser. Dies wiederum konnten andere sehen und folgten dem Beispiel. Die Ereignisse spitzten sich zu, sodass am Ende immer mehr Menschen auf den Straßen waren und über verschiedene Regionen Amerikas der Ausnahmezustand ausgerufen werden musste.
1.3.2.1 Common Ground
Der Common Ground ist das Resultat der in der Kommunikation wirksamen Reflexivitätsverhältnisse. Seine Funktion ist es, den Kommunikationspartnern wechselseitig die Unterstellung zu ermöglichen, dass der eine den anderen versteht. Er löst damit – wie oben bereits erwähnt – das Problem, dass kognitiv autonome Menschen
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dennoch sozial, in Abstimmung mit anderen handeln können. Er verschleiert damit erfolgreich die Fiktion, dass man sich verstehen kann, indem er Verstehen gegen Verständigung austauscht. Der Begriff des Common Ground ist vor einem linguistischen Theoriehintergrund von Karttunen und Peters (1975) eingeführt worden. Herbert H. Clark (1992) hat ihn weiterentwickelt, wobei er von der grundlegenden Annahme ausgeht, dass jegliche gemeinsame menschliche Handlung und damit auch Kommunikation der Koordination von Inhalt und Prozess bedarf (vgl. Clark/Brennan 2004: 127). Diese Koordination erfolgt inhaltlich über die gegenseitige Unterstellung einer geteilten Informationsmenge hinsichtlich eines Bestandes an geteiltem Wissen, geteilten Überzeugungen und geteilten Annahmen, zusammengefasst: den Common Ground. Prozessual realisiert sich die Koordination über das sogenannte Grounding. Der Common Ground der Kommunikationspartner wird im Verlauf der Kommunikation ständig aktualisiert, wobei es das Ziel ist, gemeinsam anzunehmen, dass sich die Kommunikationspartner verstehen und somit der Kommunikationsinhalt Teil des Common Ground ist. „In conversation, for example, the participants try to establish that was has been said has been understood. In our terminology, they try to ground what has been said – that is, make it part of their common ground.“ (ebd.: 128)
Unmittelbar einsichtig ist, dass sich gemäß dem Common-Ground-Konzept die Aktivität des Senders nicht auf die Bereitstellung von Informationen beschränkt, sondern der Sender eine Mit-Teilung unter Bezugnahme auf den Common Ground abstimmt. Clark (1992: 217) nennt dies Audience Design. Der Sender entscheidet, wie er was mitteilt auf der Basis dessen, was er weiß, wovon er überzeugt ist und annimmt, was der Empfänger weiß, annimmt und wovon er überzeugt ist. Als ein Beispiel für gelungenes Audience Design kann ein Brief gelten, den eine Studentin an ihre Mutter schreibt, mit dem Ziel, dass die Eltern die Kosten in Höhe von 15 000,– US-Dollar für ein weiteres Studienjahr übernehmen. Beispiel (Fortini-Cambell 2001: 37)
„Dear Mom, I know how much you and Dad have always wanted the best for me and have tried to provide it. I want you to know how much I appreciate everything you’ve done, and I’ll always try to make you proud of what I accomplish in life. I especially know that you want me to be successful, independent and self-supporting. And that’s why I’m writing today. I feel that to get the most out of college I need to stay here another year. I’ve learned so much in the four years I’ve been here, but there’s so much more to learn.
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If I could stay another year, I’d take some classes in marketing, advertising and business management that would help me use my psychology major to get a really good job with a good future. Do you think you and Dad could help me out with one more year’s tuition, room and board ? I promise you it will be a good investment in my future. And do you think you could help me plan how to talk to Dad about this ? Thanks, Mom. I love you.“
Offensichtlich kennt die Studentin ihre Adressaten sehr gut und weiß, was sich die Mutter für ihre Tochter wünscht, welche hohe Bedeutung dabei dem Hochschulabschluss zukommt und dass es besser ist, von „Investition“ zu sprechen als geradeheraus zu formulieren, dass sie 15 000,– US-Dollar benötigt. Wie kommen die Kommunikationspartner zu ihren Annahmen und Unterstellungen, was Bestandteil des Common Ground ist und was nicht ? In Anlehnung an Clark (1992: 35 f.) können drei Heuristiken genannt werden, die häufig miteinander kombiniert vorkommen, mittels derer die Kommunikationspartner ohne großen kognitiven Aufwand ihre Annahmen synchronisieren: •
Soziale Mitgliedschafts-Heuristik Wenn jemand weiß, dass der Kommunikationspartner einer bestimmten Gemeinschaft, einer bestimmten sozialen Gruppe angehört, dann lässt sich ein bestimmtes Wissen unterstellen, das jedes Mitglied dieser Gruppe hat (z. B.: der Mitarbeiter einer Kommunikationsagentur weiß, was eine Copy-Strategie ist). • Physikalische Kopräsenz-Heuristik Alle Beobachtungsgegenstände, die in der Kommunikationssituation wahrgenommen werden können, werden als gemeinsam wahrgenommen unterstellt und gehören damit dem Common Ground an (z. B. ein Besprechungstisch in einem Konferenzraum). • Semiotische Kopräsenz-Heuristik Alle Kommunikationsangebote, von denen Kommunikationspartner annehmen, dass deren syntaktische, semantische und pragmatische Dimension bekannt ist, gehören dem Common Ground an (z. B. sagt jemand in einem Konferenzraum ohne Besprechungstische zu den Anwesenden: „Besprechungen, die nicht an Besprechungstischen stattfinden, sind zeitlich effektiver“). Gängig ist die Kombination dieser Heuristiken. So unterstellt man, dass ein Autofahrer weiß, wie ein Gang einzulegen ist (soziale Mitgliedschafts-Heuristik), und dass er die Verkehrszeichen kennt (semiotische Kopräsenz-Heuristik). Das Common-Ground-Konzept fundiert theoretisch die hohe Bedeutung, die in der Modernen Marketing-Kommunikation dem Marketing-Kommunikationswissen zukommt (s. Kap. B I 1.2, B III 1.2). Methodisch lässt sich der Common Ground über
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die Dokumentarische Methode erschließen (s. im Überblick Bohnsack 2011: 40 f.). Im Mittelpunkt steht dabei die Analyse des sogenannten konjunktiven Wissens, womit das kollektiv fundierte Orientierungswissen gemeint ist, das die jeweiligen Handlungen der Akteure in soziokulturellen, bildungsspezifischen, oder auch generationenspezifischen sozialen Gruppen orientiert.
1.3.3 Kontextualität Kontextualität ist das dritte notwendige Kriterium für Kommunikation. Dass Kommunikation als soziale Handlung der Vermittlung individueller Bedeutungskonstruktionen immer auch Interpretation ist, ist bereits bei der Besprechung der beiden Kriterien Selektivität und Reflexivität angeklungen. Sei es, dass Schemata als kognitive Strukturen die Rezeption steuern, indem sie selektiv interpretierend auf die Bedeutungskonstruktion einwirken, oder dass die Reflexivität in der Sachdimension den unvermeidbaren interpretativen Einfluss von Meta-Aussagen und Meinungen in Kommunikationen konstituiert. Aber erst das Kriterium der Kontextualität zeigt die Grundsätzlichkeit der Verknüpfung von Kommunikation und Interpretation in ihrer ganzen Tragweite auf. Wie ausgeführt, heißt Handeln, seinem Tun einen subjektiven Sinn zu geben. Bloßes unbewusstes reflexhaftes Verhalten wird damit zu einem intentionalen, auf bewusster Interpretation beruhendem Akt. Damit ein Beobachter einen solchen Akt und damit auch eine kommunikative Handlung wie zum Beispiel die Rezeption eines Kommunikationsangebots im Medium Fernsehen erklärend verstehen kann, ist es notwendig, dass der Sinnzusammenhang verstanden wird, in den diese Handlung eingebettet ist. Dessen Verstehen liefert die Erklärung für die konkrete aktuelle Handlung. „Erklären bedeutet … Erfassung des Sinnzusammenhanges, in den, seinem subjektiv gemeinten Sinn nach, ein aktuell verständliches Handeln hineingehört.“ (Weber 1984: 25, Hervorh. i. Orig.)
Handlungen eines Beobachteten können wir uns also erst dann erklären, wenn wir den jeweiligen Zusammenhang verstehen, in dem die sinnhafte Handlung stattfindet. Beispiel
Die Rezeption eines Werbespots erhält in Abhängigkeit von dem Zusammenhang, in dem jemand dies tut, einen anderen Sinn, da sie aus unterschiedlichen motivationalen Zusammenhängen erfolgen kann: Man möchte unterhalten werden; man plant gerade den Kauf eines Produktes aus der Produktkategorie, der das in dem TV-Spot beworbene Produkt angehört; man ist Wissenschaftler und arbeitet an einer Untersuchung zur
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Dramaturgie von TV-Werbespots; man weiß, dass der Werbeblock aus nur einem Spot besteht und man deswegen nicht zappt usw. Der Sinnzusammenhang kann sich auch in Abhängigkeit von der Situation über eine Verschränkung von kommunikativen und nichtkommunikativen Handlungen manifestieren. So sieht jemand einen TV-Werbespot, wenn er gerade zu Abend isst; er hört einen Funkspot und sieht ein Werbeplakat, während er Auto fährt; der Kreativdirektor einer Kommunikationsagentur produziert Ideen für Werbekampagnen, während er joggt usw.
Dieser Sinnzusammenhang, der notwendig ist, um kommunikative Handlungen erklären zu können, kann als Handlungskontext aufgefasst werden. Kontextualität kann dann wie folgt definiert werden: ▶ Definition Kontextualität der Kommunikation ist der notwendige Einfluss des Zusammenhangs, aus dem eine kommunikative Handlung ihren erklärbaren Sinn bezieht.
Es ist evident, dass die persönliche Biografie und der individuelle Lebenszusammenhang ebenso wie der Common Ground einer Gesellschaft eine wesentliche kontextuelle Rolle in der Kommunikation einnehmen. Die persönlichen Erfahrungen und Einstellungen, der Bildungshintergrund, Norm- und Wertvorstellungen, moralische und ethische Grundhaltungen usw. – all dies spielt bei der Erklärung der Rezeption von Kommunikationsangeboten eine bedeutende Rolle (s. auch Burkart 2003: 183). In der Literatur finden sich unterschiedliche Bezeichnungen, um die Kontexte der Kommunikation konzeptionell zu fassen. Lothar Mikos (2004: 29) spricht vom „lebensweltlichen Kontext“, Ralph Weiß (2001: 199) von der „Weltanschauung“, Gerold Ungeheuer (1974: 74) von der „individuellen Welttheorie“ und Erving Goffman (1980: 31) schlicht von „Rahmen“. Allen Konzepten ist der zentrale Gedanke gemeinsam, dass eine kommunikative Handlung immer als hermeneutischer Akt in einem Sinnzusammenhang zu begreifen ist. Kommunikative Handlungen, gleich ob die Produktion, Vermittlung oder Rezeption von Kommunikationsangeboten, basieren also immer auf dem Mechanismus ihrer Vernetzung mit Kontexten als Voraussetzung dafür, Erlebnissen einen Sinn zuschreiben zu können und sie infolgedessen als relevant oder irrelevant beurteilen zu können. Eine Differenzierung kommunikativer Kontextualität kann erfolgen, indem zwischen internen und externen Kontexten unterschieden wird, da somit der Kontext der Kommunikationssituation nicht aus den Augen gerät (vgl. Merten 1994a: 311 f.). Unter den internen Kontext, den individuellen Lebenszusammenhang und die Biografie, fällt der psychische und physische Zusammenhang wie die persönlichen Erfahrungen und Einstellungen, das individuelle Wissen sowie die situative affektive Disposition (z. B. aufgeregt oder gelangweilt sein). Letztere wird im Zusammenhang mit der Mediennutzung im Rahmen der Mood-Management-Theorie unter-
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sucht. Nach dieser Theorie, die in das Feld der erregungstheoretischen Modelle einzuordnen ist, wenden sich Menschen den Medien zu, um ihre Stimmung („mood“) zu beeinflussen („management“) (s. Zillmann 1988, 1988a). Ihr Medienhandeln ist also affektueller Art. Die aktuelle Stimmungslage wirkt demnach als Kontext der Rezeptionshandlung auf die Mediennutzung, wobei es das Ziel des Menschen ist, einen möglichst angenehmen physiologischen Erregungszustand zu erreichen. Der externe Kontext umfasst situative Widerfahrnisse wie die Anwesenheit anderer während der Rezeption oder die Beschaffenheit des Mediums, aber auch soziale und kulturelle Randbedingungen, vor allem in Form des Common Ground einer Gesellschaft. Ein weiterer Differenzierungsvorschlag stammt von dem schwedischen Kommunikationswissenschaftler Karl Erik Rosengren (1996). Er unterscheidet gesellschaftlich-strukturelle, positionelle und individuelle Kontexte, die auf die Handlung der Mediennutzung sinngebend einwirken. Dabei postuliert er, dass der Klasse der gesellschaftlich-strukturellen Faktoren die einflussstärkste Bedeutung zukommt, da sie sowohl alle Handlungen mitbestimmt als auch auf die Einflussfaktoren des positionellen und individuellen Kontextes einwirkt. Michael Meyen (2004: 47) hat dieses Modell zu einer Kategorisierung von Einflussfaktoren der Mediennutzung genutzt (s. Abb. 6). Natürlich ist eine solche Systematisierung kontextueller Einflussfaktoren problematisch, worauf auch Meyen (ebd.: 48) selbst hinweist. Einerseits lässt sich über die
Abb. 6 Kontextfaktoren der Mediennutzung (in Anlehnung an: Rosengren 1996: 26, Meyen 2004: 47)
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Zuordnung der Faktoren streiten, wobei besonders die Grenze zwischen positionellen und individuellen Merkmalen fließend ist. Andererseits bestehen zwischen den einzelnen Faktoren Zusammenhänge, die in der tabellarischen Darstellung nicht detailliert zum Ausdruck kommen. So wird beispielsweise der Tagesablauf von den Arbeits- und Lebensbedingungen oder auch vom Klima beeinflusst. Derartige Zusammenhänge ließen sich jedoch durch eine Netzwerkdarstellung abbilden. Wichtiger ist der Hinweis zwei Aspekte der empirischen Erforschung der Kontextualität betreffend: Die Verschränkung von kommunikativen und nichtkommunikativen Handlungen erfordert eine genaue Beachtung der Hierarchie der Handlungsverhältnisse in einer Situation. Lothar Mikos (2004: 28) verdeutlicht dies am Beispiel der Rezeption der heute-Sendung. So macht es einen grundlegenden Unterschied, ob die Formulierung lautet: „Während der heute-Sendung wird zu Abend gegessen“; oder ob sie lautet: „Während des Abendessens wird die heute-Sendung gesehen“. Beide Formulierungen implizieren eine Hierarchie der Handlungen. Im ersten Fall ist die Rezeption vorrangig, im zweiten nachrangig. Empirische Untersuchungen zum Nebenbei- oder Hintergrundsmedium Fernsehen einschließlich solcher zur Rezeption von TV-Werbespots müssen diese hierarchischen Handlungsverhältnisse unbedingt in Betracht ziehen, wollen sie nicht irreführende Schlussfolgerungen evozieren. So macht es ebenfalls einen grundlegenden Unterschied, ob es in einer empirischen Studie zur Rezeption von TV-Werbeblocks heißt: „Während der Rezeption eines Werbeblocks wird telefoniert“, oder ob es heißt: „Während telefoniert wird, wird ein Werbeblock rezipiert“. Impliziert die erste Formulierung, dass das Telefonat mit dem Ende des Werbeblocks dem Ende zugeführt wird, damit von der Fortsetzung der unterbrochenen Sendung nichts verpasst wird, legt die zweite Formulierung die Schlussfolgerung nahe, dass der Beobachtete auch weiterhin telefonieren wird, wenn die durch einen Werbeblock unterbrochene Sendung fortgesetzt wird. Der zweite Aspekt betrifft die unausweichliche Unvollständigkeit empirischer Kontextualitätsforschung. Für den Forscher ist es unvermeidbar, aus der Fülle physischer, psychischer, situativer, sozialer und kultureller Kontextbedingungen eine Auswahl zu treffen, die in die Untersuchung eingeht. Darauf weist auch Wolfgang Schweiger (2007: 316) hin, wenn er feststellt, dass für die Mediennutzungsforschung die Berücksichtigung der Kontexte absolut erstrebenswert ist, „… es [allerdings] naiv [wäre] zu glauben, man könnte alle nur erdenklichen Einflussfaktoren empirisch untersuchen“. Theoretisch wie methodisch stößt die Forschung hier an ihre Grenzen, was aber nicht im Umkehrschluss heißen darf, die Erforschung der Kontextualität der Kommunikation komplett unter den Tisch fallen zu lassen. Vielmehr wird hier deutlich, dass schließlich auch die Wissenschaft sich den Spielregeln der Kommunikation unterwerfen muss und damit unter anderem um Selektivität bei der Produktion ihrer Kommunikationsangebote nicht umhinkommt. Aber auch die Reflexivität der Kommunikation schlägt hier zu Buche. Wird doch die Selektion der in einem Forschungsvorhaben berücksichtigten kontextuellen Randbedingungen maßgeblich durch die kontextuelle Verfassung des Forschers bestimmt, konkret: vor allem durch seine bis-
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herigen Forschungsarbeiten, sein ausgebildetes Erkenntnisinteresse, seinen theoretischen Rahmen und dem sich damit aufspannenden Sinnzusammenhang seiner Forschung, die sich damit unvermeidbar als selbstreferentiell erweist.
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Zusammenfassendes Kommunikationsmodell
Das in Abb. 3 skizzierte Modell der Kommunikation als Bedeutungsvermittlung kognitiv autonomer, handelnder Menschen kann um die notwendigen Kriterien für Kommunikation, nämlich Selektivität, Reflexivität und Kontextualität ergänzt und weiter spezifiziert werden (s. Abb. 7). Es resultiert die schematische Darstellung des allgemeinen Kommunikationsverständnisses, wie es dem Konzept der Modernen Marketing-Kommunikation zugrunde liegt. Stichpunktartig kann das Kommunikationsmodell wie folgt zusammengefasst werden: •
Definitorische Voraussetzung: Menschliche Kommunikation ist eine soziale Handlung der Vermittlung individueller Bedeutungskonstruktionen. • Äußere Handlungen sind von anderen erlebbar. Innere Handlungen gehören dem kognitiven Bereich an und sind nur indirekt über äußere Handlungen, das heißt kommunikativ erschließbar. • Jeder menschlichen Kommunikation inhärentes Kommunikationsziel ist Verständigung.
Abb. 7 Modell der Kommunikation als Prozess der selektiven, reflexiven und kontextuellen Bedeutungsvermittlung kognitiv autonomer, handelnder Menschen (eigene Darstellung)
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• Über Verständigung hinaus werden Kommunikationszwecke verfolgt, die den Grund für die Initiierung von Kommunikationsprozessen geben. • Das Entwerfen kommunikativer Handlungen orientiert sich an einem zukünftig abgeschlossenen Handlungsresultat. Kommunikativ zu handeln ist daher an ein Denken in Form einer vollendeten Zukunft geknüpft (etwas wird geschehen sein). • Wahrnehmen ist das Erleben von Widerfahrnissen jeglicher Art. Es ist ein affektlogischer Prozess, in dem sich Denken und Fühlen miteinander verschränken. • Denken und Fühlen wird anhand von bedeutungsstiftenden Schemata und Skripts strukturiert, die Heuristiken als kognitive Prozessprogramme zur schnellen Kategorisierung und Interpretation des Wahrgenommenen nutzen. • Das Widerfahrnis, ob die eigene kommunikative Handlung gelungen oder misslungen ist, das gewünschte Handlungsresultat also eingetreten oder ausgeblieben ist, wird erlebt durch den bewertenden Abgleich mit dem ursprünglich entworfenen Handlungsresultat. • Selektivität ist für Kommunikation notwendig, da sie Komplexität reduziert. Dadurch wird die Umwelt für das Individuum behandelbar, weil etwas als eine Information wahrgenommen werden kann. • Kontextualität ist für Kommunikation notwendig, da sie den notwendigen Einfluss des Zusammenhangs herstellt, aus dem eine kommunikative Handlung ihren erklärbaren Sinn bezieht. • Reflexivität ist für Kommunikation notwendig, da sie es ermöglicht, dass in Kommunikationen kognitiv autonome Menschen mit einer spezifischen Biografie und einem individuellen Lebenszusammenhang dennoch sozial reglementiert handeln. Sie ermöglicht das Funktionieren der wechselseitigen Unterstellung, dass andere einem Kommunikationsangebot dieselbe Bedeutung verleihen. Im Ergebnis bildet sich dadurch ein Common Ground aus: Jeder nimmt an, dass jeder andere im Prinzip über dasselbe Wissen verfügt. • Durch den gesellschaftlich vorhandenen Common Ground wird eine subjektivistische Willkürlichkeit im Prozess der Bedeutungsgebung ausgeschlossen. Menschen können so in Kommunikationen eine gemeinsam zugrunde gelegte Sinnstruktur aktualisieren.
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Moderne Marketing-Kommunikation
Abstract Nach einer kurzen Klärung des Marketing-Konzeptes (Kap. A 2.1.1) wird die Marketing-Kommunikation neben der internen Unternehmenskommunikation und der Public Relations (PR) als eine spezifische Art der Unternehmenskommunikation vorgestellt (Kap. A 2.1.2). Es erfolgt die Einführung des Kriteriums der Kommunikationsqualität, dem heute die zentrale Rolle bei der Konzeption und Umsetzung Moderner Marketing-Kommunikation zukommt. Die Diskussion vorliegender Konzeptualisierungen zeigt, dass besonders das Erwartungskonzept vielversprechende Ansatzpunkte aufweist, es sich aber auf die Output-Qualität konzentriert. Um aber den Marketing-Kommunikationsprozess in seiner Gesamtheit nach kommunikationsqualitativen Kriterien gestalten zu können, wird zur theoretischen Fundierung des Konstruktes im Folgenden auf die notwendigen Kriterien von Kommunikation – Selektivität, Kontextualität und Reflexivität – zurückgegriffen. Diese manifestieren sich Marketing-kommunikationsspezifisch als Erzielen von Aufmerksamkeit, Relevanz der Kommunikationsangebote und Auslösen von Anschlusshandlungen (Kap. A 2.1.3 bis 2.1.6). Nach erfolgter Definition der Modernen Marketing-Kommunikation (Kap. A 2.2) werden Formen der Marketing-Kommunikation vorgestellt, die auf oberster Ebene in solche der Individual- und der öffentlichen Kommunikation unterschieden werden können (Kap. A 2.3). Die Struktur der Modernen Marketing-Kommunikation stellt sich dar als ein sechs- bzw. siebenstufiger Selektionsprozess, der sich von der Auswahl dessen, was mitgeteilt werden soll, bis hin zur Selektion der Verarbeitungsweise des rezipierten Marketing-Kommunikationsangebots erstreckt (Kap. A 2.4). Anschließend wird der Prozess der Marketing-Kommunikation erläutert und in einem Modell zusammenfassend dargestellt (Kap. A 2.5). Es können drei Paradigmen der Marketing-Kommunikation ausgemacht werden: die persuasive Markenkommunikation, die beziehungsorientierte Direktmarketing-Kommunikation und die integrierte Marketing-Kommunikation (Kap. A 2.6). Zuletzt genanntes ist das heute dominierende Paradigma. Ihm kann am ehesten der Ansatz der Modernen Marketing-Kommunikation zugerechnet werden. Er darf aber nicht auf die zentralen Annahmen dieses Paradigmas verkürzt werden.
39 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Tropp, Moderne Marketing-Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25318-9_2
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Grundlagen der Modernen Marketing-Kommunikation
Konzeption und Abgrenzung
Zur Konzeption und Abgrenzung der Modernen Marketing-Kommunikation ist es notwendig, sich zunächst dem Marketingbegriff zuzuwenden.
2.1.1 Marketing Grundsätzlich kann ein engeres betriebswirtschaftliches von einem weiteren generischen Marketingverständnis unterschieden werden. Marketing im engeren Sinne fokussiert die marktgerichteten Aktivitäten eines Unternehmens, um Bedürfnisse des Marktes zu befriedigen und eigene Ziele zu erreichen (s. z. B. Berndt 1993: 5, Meffert 1998: 7, Vergossen 2004: 18, Weis 2018). Ein generisches Verständnis von Marketing fasst dieses als eine Sozialtechnik auf, die im Rahmen der Steuerung gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Prozesse eingesetzt wird (Generic Marketing) (vgl. Nieschlag et al. 1988: 18 f.). Unterschieden werden kann hier zwischen einem •
Balanced Marketing: Ziel der Marketing-Bemühungen eines Unternehmens sind nicht nur der Absatzmarkt, sondern alle Bereiche der unternehmerischen Umwelt, aus denen Menschen Kontakt mit dem Unternehmen haben, wie zum Beispiel Beschaffungsmärkte (Lieferanten), der Arbeitsmarkt (Arbeitssuchende), Finanzmärkte (Kapitalgeber, Analysten) oder die Öffentlichkeit (Fachjournalisten). • Marketing nichtkommerzieller Institutionen: Das Marketing der Non-Profit-Organisationen (NPOs) wie das Deutsche Rote Kreuz, die Caritas oder Greenpeace fallen ebenso hierunter wie das der Parteien und der nicht profitorientierten Bildungseinrichtungen, Theater oder Museen. • Marketing für öffentliche Anliegen: Hier steht nicht die kommerzielle oder nichtkommerzielle marketingtreibende Organisation im Vordergrund, sondern eine bestimmte Idee oder ein Anliegen von hohem gesellschaftlichen Nutzen. Als Beispiel kann die „Du bist Deutschland“-Kampagne der 25 größten deutschen Medienunternehmen mit dem Ziel der Schaffung eines neuen Meinungsklimas der Deutschen über ihr eigenes Land genannt werden (Abb. 8). Die Definition von Philip Kotler (1989: 19) kann stellvertretend für das generische Marketingverständnis angeführt werden: „Das Marketing ist eine menschliche Tätigkeit, die darauf abzielt, durch Austauschprozesse Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen bzw. zu erfüllen.“
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Abb. 8 Plakat-Motiv der „Du bist Deutschland“-Kampagne (2007) (Quelle: gwa.de, Zugriff: 20. 06. 2010)
Diese weite Interpretation des Marketingbegriffs hat sich in der betriebswirtschaftlichen Forschung (vgl. die Ergebnisse der Studie zum Status quo der Marketingwissenschaft von Franke 2002: 71) und auch in der Praxis in den letzten Jahren zunehmend durchgesetzt. So definiert heute die American Marketing Association (AMA) Marketing als „the activity, set of institutions, and processes for creating, communicating, delivering, and exchanging offerings that have value for customers, clients, partners, and society at large“ (AMA 2013). Der Großteil der deutschsprachigen Marketingwissenschaftler hält diese Definition für zutreffend (vgl. Meffert/Sepehr 2012). Marketing wird nicht mehr auf den Transaktionsaspekt beschränkt, bei dem Austauschprozesse zur Erfüllung individueller und organisationsbezogener Zielsetzungen im Vordergrund stehen. Die Beziehung zu Kunden und die marktorientierte Führung des Unternehmens sind weitere zentrale Merkmale des heutigen Marketingverständnisses in Wissenschaft wie Praxis (Bruhn 2016; DMV o. J.; Meffert et al. 2012). Darüber hinaus beschränkt sich im Sinne eines generischen Verständnisses von Marketing dessen Einsatzbereich nicht mehr nur auf das Wirtschaftssystem. Marketing findet sich heute als Denkhaltung bei Organisationen und Individuen in nahezu allen gesellschaftlichen Zusammenhängen wieder – sei es in der Bildung, der Politik, bezüglich der Vertretung von Interessen des sozio-ökologischen Gemeinwohls oder beim Auftritt einer Person im Rahmen einer Casting-Show.
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Die Entwicklung in Richtung eines generischen Marketingverständnisses wird begleitet von einer grundlegenden marketingphilosophischen Neuausrichtung, die seit den 1990er Jahren zu verzeichnen ist. Das klassische Transaktionsmarketing, bei dem die Austauschprozesse zur Erfüllung individueller und organisationsbezogener Zielsetzungen im Vordergrund stand, wird zunehmend von einem Beziehungsmarketing (Relationship Marketing) verdrängt, das den Ursprung von Wettbewerbsvorteilen in der Beziehung einer Organisation mit seinen Zielgruppen sieht. Dieses teilweise sogar als „Paradigmenwechsel im Marketing“ (Bruhn 2006: 8) bezeichnete interaktionale Marketingverständnis kann dahin gehend zusammengefasst werden, dass Marketing eine Unternehmensaufgabe ist, die den Aufbau, die Aufrechterhaltung und die Verstärkung der Beziehungen zu Kunden, aber auch zu anderen Anspruchsgruppen (Stakeholder) zum Gegenstand hat. Der zentrale, auch dem Transaktionsmarketing inhärente Gedanke, dass die Sicherung der Unternehmensziele einhergeht mit der Befriedigung der Bedürfnisse der jeweiligen Gruppen, bleibt dabei als Ausdruck des basalen ökonomischen Prinzips des Tausches aber unverändert erhalten (vgl. Meffert 1998: 9). Die Kommunikations- und Medienwissenschaft vertritt in letzter Konsequenz nicht ein generisches Marketingverständnis, da sie die absatzmarktgerichtete Orientierung des Marketings betont, gleichzeitig aber Marketing auch als eine breit gefächerte Art der Unternehmensführung auffasst. So definiert Klaus-Dieter Altmeppen im Lexikon der Kommunikations- und Medienwissenschaft (2013: 194) Marketing als „umfassende marktorientierte Unternehmensführung, die ein konsequent marktund damit absatzorientiertes Entscheidungsverhalten voraussetzt“. Der Grund für diese sich nach wie vor auch am klassischen engeren Marketingverständnis orientierende Auffassung wird deutlich, wenn im Folgenden der Begriff der Marketing-Kommunikation geklärt wird.
2.1.2 Marketing-Kommunikation als eine Art der Unternehmenskommunikation Auf oberster Ebene ist die Marketing-Kommunikation in das Feld der Organisationskommunikation einzuordnen, das allgemein Kommunikationen in als auch von Organisationen umfasst (vgl. Herger 2004: 23, Theis-Berglmair 2003: 18). Peter Szyszka (2013: 259) subsumiert dem Begriff der Organisationskommunikation zusätzlich die öffentliche Kommunikation über eine Organisation, die sich in der gesellschaftlichen Umwelt der Organisation vollzieht und die die Organisation zum Kommunikationsthema hat. Im engeren Sinne stellt die Marketing-Kommunikation eine spezifische Art der Unternehmenskommunikation dar, verstanden als Gesamtheit der nach innen und nach außen gerichteten kommunikativen Handlungen einer im Wirtschaftssystem operierenden gewinnorientierten Organisation (vgl. Hubbard 2004: 27). Die konkre-
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te Ausgestaltung der Marketing-Kommunikation ist Resultat des kommunikationspolitischen Entscheidungsfeldes des Unternehmens, das neben der Produkt-, Kontrahierungs- und Distributionspolitik das vierte Element im Marketingmix stellt. Mit diesem gestaltet nach übereinstimmender Meinung in der Literatur das Unternehmen maßgeblich seinen Erfolg im Absatzmarkt (vgl. Becker 2013). Dabei liegt ein Wunschtyp persuasiver Kommunikation zugrunde. Dieser fußt auf einem normativen Idealmodell, das aus der frühen Persuasionsforschung mit ihrem zentralen Einstellungskonstrukt resultiert (s. Kap. A 2.6.1). Das Modell begreift Kommunikation als Instrument für den einseitigen Transport von Informationen von einem Sender zu einem Empfänger, um Letzteren intendiert im Sinne der eigenen Ziele beeinflussen zu können (Transmissionsmodell). Dieses Modell verliert in der heutigen Mediengesellschaft mit ihrer zunehmenden Internetfokussierung an Plausibilität. Angebracht ist es daher heute, unter Marketing-Kommunikation einerseits das von Unternehmen initiierte, außen in der Unternehmensumwelt, konkret: auf Beschaffungs- und Absatzmärkten stattfindende Handeln der Bedeutungsvermittlung aufzufassen, das auf den gewinnorientierten Einkauf und Verkauf von Ressourcen, Produkten und Dienstleistungen zielt. Gleichzeitig wird unter Marketing-Kommunikation im Sinne des unternehmensführungsorientieren Marketingverständnisses aber auch die im Unternehmen stattfindende Kommunikation über dessen Marketing und Marketing-Kommunikation subsumiert. Damit trägt die Marketing-Kommunikation zur Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung des Unternehmens und damit zu dessen reflexiver Steuerung bei. Schließlich umfasst der Marketing-Kommunikationsbegriff aufgrund der medial bedingten Entwicklungen in Form der drastisch angestiegenen Consumer-to-Consumer-Kommunikationen im Internet und in sozialen Medien heute auch die vom Unternehmen intendierte Kommunikation in seiner Umwelt über dessen Marketing und Marketing-Kommunikation. ▶ Definition Marketing-Kommunikation umfasst alle Prozesse der Bedeutungsvermittlung (a) im Unternehmen, (b) zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt und (c) in der Unternehmensumwelt, mit denen die markt- und kundenbeziehungsorientierte Unternehmensführung realisiert wird.
Innerhalb der Unternehmenskommunikation wird die Marketing-Kommunikation damit von der internen, nicht mit Marketing-Kommunikation befassten Mitarbeiter-Kommunikation, aber auch von Public Relations (PR) unterschieden, die auf das gesellschaftspolitische Umfeld der Unternehmung gerichtet ist, womit sich das Unternehmen prinzipielle Handlungsspielräume sichern und sein Handeln legitimieren möchte (vgl. Mast et al. 2005: 37, Zerfaß 2014: 23) (s. Abb. 9). Lässt sich selbst die interne Kommunikation von den beiden anderen Teilbereichen der Unternehmenskommunikation anhand des Kriteriums der Innen-/AußenAusrichtung der Kommunikation in Kombination mit dem Kommunikationsthema
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Organisationskommunikation
Kommunikation von Organisationsnetzwerken
Kommunikation von Non Profit-Organisationen Interne Kommunikation: formelle und informelle Kommunikationen unter den Mitarbeitern, die nicht Marketing(kommunikation) zum Inhalt haben
Unternehmenskommunikation
Marketingkommunikation: • Kommunikationen zwischen Unternehmen und Beschaffungsund Absatzmarktakteuren • marketing(kommunikations)bezogene Kommunikationen im Unternehmen
Public Relations /PR: Kommunikationen zwischen Unternehmen und Akteuren im gesellschaftlichen, nichtökonomischen Umfeld
• vom Unternehmen intendierte Kommunikationen in seiner Umwelt über dessen Marketing(kommunikation)
Abb. 9 Teilbereiche der Unternehmenskommunikation als spezifische Form der Organisationskommunikation (eigene Darstellung)
kaum noch trennscharf differenzieren (Szyszka/Malczok 2016), ist eine saubere Differenzierung der beiden anderen Bereiche nahezu unmöglich geworden. Hier verschwimmen die Grenzen zunehmend, da sowohl die Marketing-Kommunikation die beschaffungs- wie verkaufsstützende Funktion der PR entdeckt als auch die PR ihren Aktionsradius in Richtung Marken- und Produkt-Kommunikation ausgeweitet hat (vgl. Mast et al. 2005: 36). Der Feststellung von Nikodemus Herger (2004: 110), „dass ein gegenseitiges Durchgreifen der Public Relations und der Marktkommunikation auf die Operationen des jeweils anderen Systems ausgeschlossen sind“, kann daher nicht gefolgt werden. Tatsächlich ist die lange propagierte Dichotomie von PR und Marketing-Kommunikation längst kollabiert und war im übrigen auch schon in der Vergangenheit in Abhängigkeit vom Unternehmenstyp und Markt, auf dem das Unternehmen agiert, immer höchst unterschiedlich ausbalanciert. Entsprechend spricht Peter Szyszka (2007: 747) von einer „absatzunterstützenden PR-Arbeit“, womit eine produktbezogene PR-Arbeit im Rahmen der Marketing-Kommunikation gemeint ist. Diese Vermischung von PR und Marketing-Kommunikation findet sich auch in der öffentlichen Kommunikation. In Form von terminologischen und funktionalen Unschärfen in der PR-Berichterstattung der deutschen Qualitätspresse, haben dies Romy Fröhlich und Katharina Kerl (2012) anhand einer inhaltsanalytischen Unter-
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suchung der Print-Titel Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel und Focus nachgewiesen. Dass diese Vermischung nicht zu einer Schlichtung des traditionellen Konfliktes um die Vormachtstellung von Marketing-Kommunikation versus PR innerhalb der Unternehmenskommunikation beiträgt, liegt auf der Hand. Manfred Bruhn und Grit Mareike Ahlers (2004: 73) sehen als einen wesentlichen Grund für diesen Konflikt, dass sich die Abgrenzungsprobleme von Aufgaben und Verantwortungsbereichen dieser beiden Bereiche der Unternehmenskommunikation aus der übergreifenden Verwendung von Kommunikationsinstrumenten ergeben. Dies gilt besonders für das Sponsoring in den Bereichen Sport, Kultur, Soziales und Umwelt, das Product Placement, die Pressearbeit (People vs. Product Publicity), die Events, Online-Kommunikation und Messen. Das Einsatzgebiet dieser Kommunikationsinstrumente ist im unternehmerischen Alltag fließend, weswegen es zu den Abgrenzungsproblemen kommt. Daraus resultierende Konflikte werden jedoch häufig – so das Fazit von Bruhn und Ahlers (ebd.: 77 f.) nach ihrem Review entsprechender empirischer Studien – in der Praxis als weniger gravierend wahrgenommen, als sie in der Literatur dargestellt werden. Das dennoch in der Praxis beobachtbare Gerangel der beiden Disziplinen ist daher weniger sachbegründet, insofern es sich in der Regel vielmehr der persönlichen Interessenlage der Vertreter der beiden Bereiche verdankt. Damit sind Aspekte wie Ressourcenstreitereien um Budgets und Mitarbeiter, Rangstelleneifersucht sowie Einfluss- und Machtstreben angesprochen. Ebenfalls ist der unterschiedliche Ausbildungshintergrund der jeweiligen Fachvertreter zu erwähnen. Die in ihrem Ausbildungshintergrund wirtschaftswissenschaftlich dominierte Marketing-Kommunikation auf der einen Seite und die kommunikations- und medienwissenschaftlich orientierte PR auf der anderen Seite führen dazu, dass im Unternehmen unterschiedliche Sichtweisen auf Fragestellungen der Unternehmenskommunikation aufeinandertreffen und zu Verständnisschwierigkeiten führen können. Es ist daher die Aufgabe einer integrierten Kommunikationsstrategie, die drei Teilbereiche der Unternehmenskommunikation untereinander abzustimmen und in Abhängigkeit von der spezifischen arbeitsteiligen Struktur eines Unternehmens, wie sie im Organigramm skizziert ist, die Ziele der Marketing-Kommunikation und PR zu definieren und die Verantwortung für die Zielerreichungen Abteilungen und Personen zuzuordnen. Damit kann sichergestellt werden, dass die Unterschiedlichkeit der Perspektiven von Marketing-Kommunikation und PR und die gleichzeitige teilweise Überlappung ihrer Handlungsfelder kanalisiert und dem übergeordneten Zweck der Schaffung eines konsistenten Erscheinungsbildes des Unternehmens unterstellt werden (s. ausführlich Kap. A 2.6.3).
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2.1.3 Das Kriterium der Kommunikationsqualität Der Wandel des Marketingverständnisses in Richtung eines Beziehungsmarketings schlägt sich notwendigerweise in der Ausgestaltung des Marketingmix nieder und nimmt damit auch Einfluss auf die Entwicklung der Marketing-Kommunikation. Manfred Bruhn (2006: 7) zufolge hat im Jahr 2000 für die Marketing-Kommunikation die Phase der Dialog-Kommunikation (s. Kap. B II 2.1) begonnen. Der Marketing-Kommunikation kommt demnach als mittlerweile wichtigstes Element des Marketingmix die Aufgabe zu, die Beziehungen zu Zielgruppen auszubauen und zu intensivieren und vor allem die Kunden an das Unternehmen zu binden. Diese Phase der Dialogorientierung der Marketing-Kommunikation geht heute in eine Phase über, in der nicht nur die kommunikativen Handlungen im Rahmen eines Beziehungsmarketings zwischen Unternehmen und Zielgruppen beziehungsweise -personen im Mittelpunkt stehen, sondern in der als Folge der Entwicklungen im Marketing-Kommunikationssystem der Qualität der Kommunikation das besondere Interesse in der Marketing-Kommunikation gilt (s. Abb. 10). Die Förderung der Qualität der Marketing-Kommunikation ist die Antwort der Unternehmen und Agenturen auf die gestiegene Komplexität der Umwelt, in der sie operieren. Als Indikator für die zunehmende Bedeutung der Qualitätsforschung im Bereich Kommunikation kann die Einrichtung eines Lehrstuhls für Medienqualität an der Ludwig-Maximilians-Universität München im Jahr 2010 gewertet werden. „Inhaltlicher Schwerpunkt der neu eingerichteten Professur ist das Forschungsfeld Medienqualität. Der Bereich Qualitätsforschung soll aus sozialwissenschaftlich empirischer Perspektive bearbeitet und möglichst breit abgedeckt werden, d. h. bezogen auf unterschiedliche Medien und Ebenen (Journalismus, Medieninhalte, Rezeption). Zu diesem
Abb. 10 Entwicklungsphasen der Marketing-Kommunikation (Weiterentwicklung von Bruhn 2006: 7)
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Forschungsfeld gehören etwa Qualitätskriterien, Evaluation und Erklärung der Qualität von Medienangeboten, Qualitätsmaßstäbe bzw. -urteile von Journalisten, Rezipienten oder anderen Akteuren, Qualitätsmanagement in Redaktionen.“ (Ludwig-MaximiliansUniversität München 2010)
2.1.3.1 Konzeptualisierungen
Im Wirtschaftssystem liegt eine einfache und anerkannte Definition des Qualitätsbegriffs vor, die ihre allgemeine Gültigkeit der Autorität ihres Absenders verdankt. Das Deutsche Institut für Normung (DIN) definiert Qualität allgemein als den Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale einer Einheit, zum Beispiel eines Produktes, Anforderungen erfüllt (vgl. Deutsches Institut für Normung 2005: 18). Auch auf internationaler Ebene findet sich dieses Qualitätsverständnis. Die International Organization for Standardization (ISO) (1994) definiert Qualität als „the totality of characteristics of an entity that bear on its ability to satisfy stated and implied needs“. Aus diesem Qualitätsverständnis resultiert für die (Marketing-)Kommunikation die Frage, um was für Anforderungen es sich handelt, wie diese begründet und vor allem auch, wie sie in Kommunikationsprozessen berücksichtigt werden können, um qualitativ hochwertig zu kommunizieren. Zur Beantwortung der Frage, soll zunächst ein kurzer Blick auf die verschiedenen Qualitätsansätze geworfen werden, wie sie in der Qualitätsforschung zu finden sind (Tab. 1). Qualität im Bereich Marketing- und Markenkommunikation auf einem absoluten bzw. transzendenten Ansatz zu fundieren, macht aufgrund der schweren Operationalisierbarkeit und der unklaren Bestimmung der Perspektive der Qualitätsbeurteilung im Rahmen der Marketing-Kommunikation wenig Sinn. Ebenso wenig geeignet ist ein produktbasiertes Qualitätsverständnis, da die Marketing-Kommunikation zwar durchaus ‚Produkte‘, z. B. in Form einer WWW-Site oder eines Spots auf einem YouTube-Kanal, hervorbringt, diese aber nicht objektiv, Individuen unabhängig anhand bestimmter Eigenschaften beurteilt werden können. „Objective quality may not exist because all quality is perceived by someone“. (Zeithaml 1988: 5) Auch ein normativer Zugang, wie er in der Publizistik zur Konzeptualisierung journalistischer Qualität häufig angewendet wird, scheint nur wenig sinnvoll, da die Kommunikation in Markenmedien keinen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen hat, d. h. nicht in erster Linie diesbezüglichen Ansprüchen genügen muss. Wenig zielführend wäre es ebenfalls, sich der Qualität der Markenmedienkommunikation mit einem wertbasierten Ansatz anzunähern, da die von Unternehmen ausgehende Kommunikation an sich keine (zumindest monetären) Kosten bei Konsumenten verursacht und damit keine Beurteilung des wahrgenommen Kosten/Nutzen-Verhältnisses erfolgen kann.
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Tab. 1 Qualitätsansätze der Qualitätsforschung (Quelle: Tropp/Fries (2016: 262) in Anlehnung an Garvin 1984) Perspektive
Kennzeichen/Prämissen
Absolutes bzw. transzendentes Verständnis
Abstrakte philosophische Interpretation, die davon ausgeht, dass Qualität nicht präzise definiert werden kann
• Qualität ist absolut und wird mit Einzigartigkeit, Exzellenz oder Perfektion gleichgesetzt • Keine präzise Definition von Qualität möglich; Qualität wird aber erkannt, wenn sie vorhanden ist • Subjektive Wahrnehmung/Beurteilung nicht relevant • Schwer operationalisierbar und ungeeignet für Praxis
Produkt-basiertes Verständnis
Qualität beruht auf einem Set verschiedener Produkt-Attribute und deren Ausgestaltung
• Mess-/quantifizierbare Produkteigenschaften/-attribute dienen als Basis eines Kennzahlensystems • Höhere Qualität geht mit höheren Kosten einher • Qualität ist objektiv messbar und berücksichtigt den individuellen Nutzen nicht
Nutzer-/erwartungsbasiertes Verständnis
Qualität wird erreicht, wenn Bedarf/Wünsche/ Erwartungen der Nutzer erfüllt werden
• Die Qualität von Produkten und Dienstleistungen wird durch die individuelle Wertung bzw. Präferenzen von Nutzern bestimmt • Qualität ist subjektiv, da die gewünschten Eigenschaften unterschiedlich sein können • Durch die Aggregation wird eine Annäherung an eine „allgemeine“ Qualität verfolgt (Mehrheitsprinzip)
Herstellungsbezogenes Verständnis
Qualität ist davon abhängig, inwieweit Leistungen die spezifizierten Anforderungen/Ziele erfüllen
• Fokus auf die Konformität mit vorgegebenen Spezifikationen/Zielen • Häufig werden Kundenanforderungen als Grundlage der Spezifikationen berücksichtigt • Fokus auf Verbesserung von Abläufen und Ergebnissen
Wertbezogenes Verständnis
Qualität wird durch die Beurteilung des Kosten/ Nutzen-Verhältnisses bestimmt
• Die Leistung steht in angemessenem Verhältnis zu den Kosten • Das Kosten/Nutzen-Verhältnis kann aus Konsumentenund Unternehmenssicht beurteilt werden
Normatives Verständnis
Qualität ist ein normativ gesetzter Zustand, den es zu erreichen gilt
• Qualität und ihre Dimensionen leiten sich aus einem spezifischen Wertesystem ab • erhebt den Anspruch einer objektiven Qualitätszuschreibung
Integrative Ansätze
Qualität wird holistisch, durch ein Aggregieren verschiedener Ebenen/ Perspektiven erfasst
• Qualität wird durch die Erfüllung von Anforderungen verschiedener Anspruchsgruppen erreicht • Bezugsobjekte der Qualität sind Systeme, Prozesse und Ergebnisse
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Da es sich bei Marketing-Kommunikation um ein ausgesprochen konsumentenorientiertes Phänomen handelt, scheint es hingegen sinnvoll, die Qualität zumindest teilweise aus der Sicht der Konsumenten zu bestimmen. Deren individuelle Wertungen, Erwartungen und Präferenzen zu berücksichtigen, entspricht der Prämisse des Nutzer-/erwartungsbasierten Ansatzes. Dennoch greift eine alleinige konsumentenseitige Qualitätsbeurteilung zu kurz, da die zur Erstellung der Kommunikation im Unternehmen notwendigen Strukturen und Prozesse nur aus Sicht der Produzierenden bzw. des Unternehmens beurteilt werden können. Aus dieser herstellerorientierten Perspektive ist Qualität davon abhängig, inwieweit Leistungen mit einem beabsichtigten Entwurf übereinstimmen oder die spezifizierten Anforderungen erfüllen bzw. im Voraus definierte Ziele erreichen. Die Idee, die Kommunikator- und Rezipienten- bzw. Konsumentenperspektive zu verbinden, ist keineswegs neu: Bereits Prakke (1968: 58) verstand Kommunikator und Rezipient als ebenbürtige Träger publizistischen Handelns, die sich auf der gleichen Ebene in einem „gesellschaftlichen Zwiegespräch“ begegnen. Wippersberg (2012) betont, dass es mithilfe einer Analyse von Ziel- und Erwartungskategorien möglich sei, Diskrepanzen als auch Übereinstimmungen aus der Sicht beider Beurteilungsperspektiven festzustellen. Auch Bruhn ist der Meinung, dass für zukünftige Betrachtungen des Kommunikationserfolges Ansätze einer wertorientierten Unternehmensführung herangezogen werden müssen, „… die konsumenten- sowie unternehmensseitige Beurteilungen relevanter Erfolgsgrößen berücksichtigen“ (Bruhn 2011: 208). Dementsprechend untersuchen auch Dahinden et al. (2004) sowohl Angebots- als auch Rezipientenperspektive, und Rössler (2004: 129) unternimmt im Bereich Online-Journalismus ebenfalls den Versuch, die „User Quality“ und „Sender Quality“ gemeinsam zu modellieren. Er bezieht sich dabei auf den dynamisch-transaktionalen Ansatz von Früh und Schönbach (1982). Letztere verstehen sowohl Absender als auch Rezipienten als aktive und passive Teilnehmende am Kommunikationsprozess und vereinigen in ihrer Theorie den Wirkungs- mit dem Nutzenansatz. Gemäß dieser Argumentationslinie kann die Qualität der Marketing-Kommunikation als Konstrukt verstanden werden, das auf einem Prozess des Aushandelns verschiedener Interessen zwischen Kommunikator/Marketing-Kommunikationsmanagement und Rezipienten/Konsumenten und auf deren Erwartungen, Bedürfnissen und Zielen basiert. Damit erhält Qualität einen relativen und dynamischen Charakter.
2.1.3.2 Qualitätsfelder der Marketingkommunikation
Eine übergreifende Betrachtung vorhandener Qualitätsmodelle zeigt, dass diese mehrheitlich prozessual konzipiert sind und dem klassisch-funktionalistischen Input-Output-Modell folgen, das vor allem im Rahmen der Erforschung der Produktionswirtschaft und des Projekt- und Prozessmanagements herangezogen wird. Da-
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bei erfolgt oft ein Rückgriff auf das Konzept der Erfolgs- bzw. Wirkungskette, das die Verknüpfung verschiedener Variablen und deren Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge darstellt (Reinecke et al. 2016, Rolke/& Jäger 2009). Erfolgsketten lassen sich grundsätzlich in Aktivitäten bzw. Prozesse des Unternehmens (Input), dessen Produkte und Dienstleistungen (Output), deren Wirkungen bei den Konsumenten und dem daraus resultierenden ökonomischen Erfolg (Outcome) gliedern. Qualität wird dieser Logik folgend nicht nur am Ergebnis (Ergebnisqualitäten) festgemacht, sondern auch in Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden Ressourcen und Strukturen (Inputqualitäten) sowie der bei der Bereitstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung verbundenen Prozesse (Prozessqualitäten) (Donabedian 1988; Golder et al. 2012; Meyer/Mattmüller 1987). Als geeignetes Mittel zur Strukturierung verschiedener Qualitätsfelder in der Kommunikation der Markenmedien können die nach gleicher Logik aufgebauten Phasenmodelle des Kommunikationsprozesses dienen (Engesser 2013, Rolke/Zerfass 2014). Demnach steht zu Beginn des Kommunikationsprozesses die Input-Phase, die sich hauptsächlich mit den für die Kommunikation eingesetzten Unternehmensressourcen und -strukturen sowie der strategischen Planung des Medienangebots in Unternehmen beschäftigt. Dieser schließt sich die Phase des Kommunikationsoutputs an, in der das Resultat der Input-Phase in Form des fertig produzierten Medienangebots distribuiert wird. Die sich anschließende Outcome-Phase, bei der die Wirkungen des distribuierten Medienangebots im Fokus stehen, lässt sich in drei Teilbereiche gliedern: Zum einen stehen das Verstehen und die emotional-kognitive Verarbeitung des Medienangebots im Zentrum des Interesses (Outgrowth), zum anderen interessiert aber auch, welches Verhalten seitens der Konsumenten das Angebot bewirkt (Outcome im engeren Sinne) und schließlich, der wertorientierten Logik folgend, ist drittens das Ergebnis des Kommunikationsprozesses in Bezug auf strategische und finanzielle Zielgrößen des Unternehmens von Interesse (Outflow) (s. ausführlich Kap. B). Die Modelle der traditionellen Qualitätslehre lassen sich aufgrund ihrer logischen Entsprechung problemlos in diesen Bezugsrahmen der Phasenmodelle des Marketing-Kommunikationsprozesses integrieren (Tropp/Fries 2016). Die Qualität der Marketing-Kommunikation lässt sich somit in die Felder Input, Output und Outcome unterteilen (Tab. 2).
2.1.4 Inhaltliche Qualität (Output-Qualität) Gemäß den Qualitätsfeldern der Marketing-Kommunikation wäre für eine übergreifende und vollständige Erklärung der Qualität der Marketing-Kommunikation eine detaillierte Betrachtung aller Qualitätsfelder von Input (inkl. Prozesse) über Output hin zum Outcome aus den jeweiligen Beurteilungsperspektiven wünschenswert. Da dies in der empirischen Forschung mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist,
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Qualitätsfelder der Marketing-Kommunikation (Quelle: Tropp/Fries 2016: 267) Qualität der Marketing-Kommunikation
Qualitätsfelder
Bezugsobjekte
Bestehende Qualitätsmodelle
Donabedian 1988
Golder et al. 2012
Meyer & Mattmüller 1987
Engesser 2013
Input-Qualität
Herstellung und Planung von Marketing-Kommunikationsangeboten
Struktur/ Potenzialqualität
Output-Qualität
Fertige und distribuierte Marketing-Kommunikationsangebote
Prozessqualität
Prozessqualität
Herstellung
Outgrowth
Outcome
Outflow
Verstehen und emotional-kognitive Verarbeitung der Angebote
Wirkungen der mitgeteilten Marketing-Kommunikationsangebote
Beitrag zum Gesamterfolg
Ergebnisqualität
Quality Experience Process
Quality Production Process
Potenzialqualität
Outcome-Qualität (im weiteren Sinne)
Inhalt
Quality Evaluation Process
Ergebnisqualität
Nutzung
Wirkung
findet eine Konzentration auf die inhaltliche Qualität, die Output-Qualität der Marketing-Kommunikation statt. Empfehlenswert ist es, die theoretische Konzeptualisierung des Konstrukts der inhaltlichen Qualität der Marketing-Kommunikation im Einklang mit den Ausführungen zum Stand der Ansätze der Qualitätsforschung (Kap. A 2.1.3.1) aus einer integrativen Perspektive vorzunehmen, die die Erwartungen seitens des Kommunikators/Marketing-Kommunikationsmanagements (Zielvorstellungen und -vorgaben) und der Rezipienten/Konsumenten vereint. Entsprechend ist die Output-Qualität dann optimal, wenn die Erwartungen beider Kommunikationspartner erfüllt werden (Shelby 1998). Damit ist die Qualität der Inhalte von Markenmedien nicht eine Eigenschaft der Medienangebote selbst, sondern ein Urteil aus unterschiedlichen Perspektiven über die relevanten – aus Erwartungen abgeleiteten – Faktoren, die als Maßstab zur Bestimmung der Qualität fungieren. Hinsichtlich des Erwartungskonzeptes
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wird an die verbreitete Meinung im Diskurs der Erwartungsforschung angeschlossen, dass Erwartungen einen geeigneten Referenzstandard für einen Vergleich mit nachfolgenden Erfahrungen bzw. wahrgenommener Leistung darstellen, der eine differenzierte Evaluation von Zufriedenheit oder Qualität ermöglicht (Chang 2014, Higgs et al. 2005). Diese Konzeption findet sich vor allem im Diskonfirmationsparadigma (Brady & Cronin 2001, Grönroos 1984, Oliver 1977, Parasuraman et al. 1988). Demnach ist die Qualitätseinschätzung dann positiv, wenn die Wahrnehmung der effektiven Leistung über den Erwartungen liegt, bzw. diese zumindest erfüllt. Wird das vom Beurteilenden festgelegte Erwartungslevel nicht erreicht, erfolgt ein negatives Qualitätsurteil. Aus diesem Vergleichsprozess entsteht als Resultat die wahrgenommene Qualität. Neben seiner breiten Anwendung sprechen auch empirische Befunde für die Validität des Diskonfirmationsparadigmas (Robledo 2001). Zudem bestehen bereits auf diesem Paradigma basierende Ansätze, die sich spezifisch mit der Qualität von Medienangeboten beschäftigen und diese mit Nutzungsentscheidungen, bzw. der Akzeptanz und Nutzung von Angeboten durch die Rezipienten, verknüpfen (Wolling 2004). Tab. 3 Literaturanalytisch gewonnene Dimensionen und Faktoren des Konstrukts der inhaltlichen Qualität der Marketing-Kommunikation Potenzielle Dimensionen
Potenzielle Faktoren
Inhalt des Angebots
Korrektheit/Richtigkeit
Klarheit/ Verständlichkeit
Glaubwürdigkeit
Informationsgehalt
Aktualität
Vielfältigkeit
Authentizität
Transparenz/Offenheit
Vollständigkeit
Narration/Story
Unterhaltsamkeit
Abwechslung
Emotionalität
Einzigartigkeit/Neuheit
Originalität
Kreativität
Konsistenz
Tonalität
Visuelle Erscheinung/ Attraktivität
Media Richness
Störungsgrad
Kontext/Lebensumwelt
Alltagspassung
Relevanz/Nützlichkeit
Sinnhaftigkeit
Marken-Fit
Passung Medium/Kommunikation
Integration
Einbettung in Medium
Zugänglichkeit
Ubiquität/Mobilität
Multi-/Crossmedialität
(Kommunikations-)Erlebnis
Interaktivität/ Dialog/Austausch
Reflexivität
Partizipation/ Beteiligung der Rezipienten
Stil/Darstellung des Angebots
Kontextualität des Angebots
Interaktivität des Angebots
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Zusammenfassend kann das Konstrukt der inhaltlichen Qualität der Marketing-Kommunikation als von Markenverantwortlichen und Konsumenten beurteilte Fähigkeit des Medienangebots verstanden werden, ihre Erwartungen entlang bestimmter qualitätsrelevanter Dimensionen und Faktoren zu erfüllen. Tropp und Fries (2016) haben literaturbasiert eine erste systematische Ausgestaltung des Konstrukts auf Dimensionen- und Faktorenebene vorgenommen. Demnach lassen sich vier Dimensionen inhaltlicher Qualität der Marketing-Kommunikation unterscheiden – Inhalt des Angebots, Stil/Darstellung des Angebots, Kontextualität des Angebots und Interaktivität des Angebots –, mit denen in der Literatur identifizierte Qualitätsfaktoren systematisiert werden können (Tab. 3). Die Aufführung der Quellen zu den einzelnen aus der Literaturschau gewonnenen Faktoren würde den Rahmen des Lehrbuchs sprengen (s. dazu ausführlich Tropp/Fries 2016: 272 f.). Die Abbildung 11 fasst abschließend in einem Modell das Konzept der inhaltlichen Qualität der Marketing-Kommunikation zusammen.
Abb. 11 Modell der inhaltlichen Qualität der Marketing-Kommunikation (Quelle: Tropp/Fries 2016: 274)
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2.1.5 Customer Engagement fokussierte Qualität (Outcome-Qualität) Neben der Fokussierung auf die inhaltliche Qualität, die Output-Qualität der Marketing-Kommunikation, finden sich in letzter Zeit kommunikationsqualitative Überlegungen und Konzeptualisierungen, die sich auf den Bereich der Mediaplanung beziehen. Die qualitativ orientierte Mediaplanung versteht sich als Alternative zur quantitativen Mediaplanung, die sich vorrangig auf Planungskriterien wie Tausender-Kontakt-Preis, Zielgruppen-Affinität und Reichweite stützt. Die qualitativ orientierte Planung zielt hingegen auf die Nutzung bestmöglicher Kontakteigenschaften zur Wirkungsoptimierung (vgl. Stark 2010: 69 f.). In der Literatur finden sich unterschiedliche Listen, welche Planungskriterien bei der qualitativen Mediaplanung eine Rolle spielen. Dazu können zählen der Impact des Mediums, das redaktionelle Umfeld, Image und Glaubwürdigkeit des Mediums oder auch die Gestaltungs-Adäquanz (s. ebd.: 73 sowie den Überblick bei Kliment 2005: 23 f., allgemein zur Werbeträgerauswahl s. Dahlem 2005, 2008 sowie Kap. B I 2.6). In der Praxis wird aktuell besonders dem erst genannten Kriterium, dem Media Impact – auch als Media-Engagement bezeichnet –, besondere Aufmerksamkeit geschenkt (s. z. B. Mudter 2011: 21, Paperlein 2010, 2012: 19, Wild 2011: 36). Dadurch dass die Mediaplanung Engagement als Qualitätskriterium definiert, wird der Fokus des Qualitätskonstrukts auf das Qualitätsfeld des Outcome gelegt (Tab. 2). Die Qualität der Marketing-Kommunikation soll sich im Engagement der Konsumenten niederschlagen. Mittlerweile hat sich eine eigenständige CustomerEngagement-Forschung ausgebildet, die über medienplanungsspezifische Aspekte hinaus sich grundsätzlich mit dem Konstrukt des Customer Engagement beschäftigt. So findet sich seit den Research Priorites 2006 – 2008 des Marketing Science Institute (MSI 2006) Customer Engagement in den MSI-Priorities regelmäßig als ein zentrales Forschungsdesiderat im Bereich Customer Understanding und Experience. Die Customer-Engagement-Forschung trägt dem Umstand Rechnung, dass aufgrund des hohen Kommunikationswettbewerbs und der Digitalisierung der Kommunikation die klassische Mediawerbung an die Grenzen ihrer Effektivität stößt. So merkt der weltweite Marketing-Chef von Procter & Gamble (P&G) Mac S. Pritchard (2018: 11) in einem Interview an, dass unter anderem aufgrund der hohen Werbefrequenzen 71 Prozent der Konsumenten sich heute von Werbung belästigt fühlen und sich die Marketing-Kommunikation des P&G-Konzerns sich heute auf Customer Engagement konzentriert. Mit innovativen, kommunikationsqualitäts-orientierten Ansätzen soll die Kommunikation mit vorhandenen und potenziellen Kunden optimiert werden und somit das Engagement der Konsumenten und Kunden gesichert werden (Tropp et al. 2019). Auch hat der Anstieg der Social-Media-Marketingausgaben zur Karriere des Customer-Engagement-Konstrukts beigetragen. Viele Branchenerhebungen (Ascend2, Gerber 2014, eMarketer 2013, SmartBrief 2010, Ragan and Solutions 2012) haben ergeben, dass das Erzielen von Engagement auf großen Plattformen wie Facebook ein
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wichtiges Ziel für Unternehmen und Social-Media-Marketingagenturen geworden ist. Die Einnahmenmodelle dieser Agenturen sind vertraglich zunehmend auf der Basis von Customer Engagement geregelt, das diese Agenturen für ihre Kunden erzielen. Dabei wird Engagement in der Regel nur eindimensional mittels der Verhaltensdimension konzipiert, indem Nutzeraktivitäten (Posts, Likes, Shares, Comments etc.) als Indikatoren zur Messung von Engagement genutzt werden (Lee et al. 2018, Granfield/McArdle 2016). Entsprechend dem Mediaplanungsursprung der Engagement-Forschung hat sich diese bislang schwerpunktmäßig an der Engagement-Definition der Advertising Research Foundation (ARF) orientiert, die vom ARF Chief Research Officer Joe Plummer 2006 präsentiert wurde: „Engagement is turning on a prospect to a brand idea enhanced by the surrounding context.“ (Creamer 2006) Engagement wird demnach als ein Media-Kontext-Effekt verstanden. Je stärker sich Konsumenten mit einem Medium beschäftigen, desto stärker sind sie für Werbung ansprechbar (Calder/Malthouse 2008, Calder et al. 2009, Kim et al. 2016, Lloyd/Woodside 2013, Wang 2006). Als grundlegend für die theoretische Konzeptualisierung des Customer-Engagement-Konstrukts wird der Service-Dominant-Logic-Ansatz (SDL) (Vargo/Lusch 2004) betrachtet (Brodie et al. 2011, Hollebeek 2011, van Doorn et al. 2010) (s. Kap. B II 2.2.3). Dieser hat jedoch für die Konzeptualisierung von Customer Engagement im Kontext von Marketing-Kommunikation und Werbung, was dann als Advertising Engagement bezeichnet werden kann (Tropp et al. 2019), bislang keine Berücksichtigung gefunden. Die Definition von Brodie et al. (2011: 260) reflektiert die zentrale theoretische Rolle der SDL. Sie begreifen Customer Engagement als Effekt „of interactive, cocreative customer experiences with a focal agent/objet (e. g., a brand) in focal service relationships.“ Diese Definition impliziert, das Customer Engagement ein mehrdimensionales Konstrukt ist, das kognitive, affektive und konative Effekte umfasst. Daraus resultiert, dass Engagement in unterschiedlichen Formen und Intensitäten der Verarbeitung von Marketing-Kommunikationsangeboten zum Ausdruck kommen kann (Schivinski et al. 2016). Während bei Consumption das Engagement-Intensitätslevel noch relativ gering ausgeprägt ist, sich auf die psychische Ebene beschränkt und vornehmlich Ergebnis der Beziehung von Kommunikationsmaßnahme (z. B. Anzeige, Post, Placement) und Medium ist – z. B. einen Film sehen, in dem ein Harley Davidson Motorrad gezeigt wird –, steigt das Engagement über Contribution – z. B. kommentieren oder liken eines Marken-Post – bis hin zu Creation, wo im Sinne der Service-Dominant Logic die Realisation der kommunikationsstrategischen Maßnahme in Co-Kreation mit dem Unternehmen erfolgt – z. B. ein Consumer generated Spot, der im TV gesendet wird. Abgeleitet aus diesen Ausführungen zum Customer Engagement kann Advertising Engagement als eine Unterform des Customer Engagements wie folgt definiert werden:
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▶ Defintion Advertising Engagement ist das Level der kognitiven, affektiven und konativen Verarbeitungstiefe der Interaktionen mit einem Marketing-Kommunikationsangebot.
Schließlich ist Engagement das Prozessergebnis von gleichzeitig wirksamen Engagements. Konsumenten beginnen und engagieren sich gleichzeitig in unterschiedlichen Engagement-Beziehungen (Dessart et al. 2016, Brodie et al. 2011). Bei der Entstehung des Engagement-Effekts kann ein Interaktionsfokus – die Werbemaßnahme, das Medium (Calder et al. 2009, Wang 2006), die Marke (Dessart et al. 2016) oder die Community (Stokburger-Sauer 2010) – kontextspezifisch fehlen, überwiegen oder einem anderen Fokus vorausgehen (Kim et al. 2013). Beispielsweise spielt das Medium bei einer Event-Marketing-Maßnahme keine oder nur eine geringe Rolle oder dem Fokus der Community kommt speziell im Social-Media-Kontext eine besonders hohe Bedeutung zu.
2.1.6 Die Rolle von Selektivität, Kontextualität und Reflexivität Um mit Marketing-Kommunikation Outcome-Qualität und in dessen Folge Engagement zu erzielen, kommt den drei notwendigen Kriterien für Kommunikation – Selektivität, Kontextualität und Reflexivität – zentrale Bedeutung zu. Denn grundsätzlich kann gesagt werden: Die Qualität der Marketing-Kommunikation richtet sich nach dem Grad, in dem Selektivität, Kontextualität und Reflexivität vom Management strategisch berücksichtigt und operationalisiert werden. Je stärker dies der Fall ist, desto qualitativ hochwertiger ist die Kommunikation. Alle drei Kriterien sind marketingspezifisch ausgeformt und erfahren heute zunehmend Beachtung.
2.1.6.1 Aufmerksamkeit
Die Marketing-Kommunikation versuchte stets, über perzeptuell und/oder sozial saliente Stimuli die Aufmerksamkeit des Konsumenten zu gewinnen und so seine Selektivität zu überwinden. Dabei macht sie selbst vor moralisch anstößigen Motiven nicht halt (s. Abb. 12), um die Rezeption sicherzustellen. Bedingt durch die fortgeschrittene Verknappung der Aufmerksamkeit (s. Kap. B III 1.1.4) sind in den 2000er Jahren weitere aufmerksamkeitsproduzierende Mitteilungsstrategien entwickelt worden. So wird über Consumer-Generated Advertising versucht, die Selektivität der Konsumenten zu überwinden, indem deren Anschluss-
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Abb. 12 Beispiel für den Einsatz aufmerksamkeitsgenerierender Inhaltselemente (Print-Kampagne des internationalen Lifestyle-Magazins „Deutsch“, kreiert von der Agentur Jung von Matt 2007) (Quelle: https://dreamyourworld.de/blog/artikel/585-die-Guertellinie---provokantprovoziert.html, Zugriff: 23. 10. 2018)
handlungen über eine Strategie der Partizipation in der kooperativen Erstellung der Marketing-Kommunikationsangebote münden (s. Kap. B II 2.2). Einen anderen Ansatz verfolgt die Strategie der Hybridisierung. Hier verschmilzt das Marketing-Kommunikationsangebot mit redaktionellen Inhalten zu einem nutzenstiftenden Kommunikationsangebot (Utility Marketing, s. Kap. B II 2.3), das – häufig in der Nähe zur Schleichwerbung – die Aufmerksamkeit des Konsumenten anhand der Verschleierung der unternehmerischen Intentionalität der MarketingKommunikation zu gewinnen versucht. Auch in der medialen Dimension der Marketing-Kommunikation hat sich eine neue, auf die Aufmerksamkeitsgenerierung ausgerichtete Mitteilungsstrategie etabliert. So werden beim Guerilla Marketing mittels Ambient Media (s. Kap. B II 2.5.3) die Lebensumwelt der Menschen oder Dinge dieser Umwelt als Kommunikationsinstrument instrumentalisiert. Die Berücksichtigung des Selektivitätskriteriums der Kommunikation äußert sich jedoch nicht nur als Versuch der Aufmerksamkeitsgewinnung seitens des Konsumenten und Kunden. Auch seitens der marketingtreibenden Unternehmen gewinnt die Fähigkeit, achtsam für Entwicklungen in einer zunehmend komplexeren und dynamischen Umwelt zu sein, die ein strategisch-selektives kommunikatives Handeln einfordert, verstärkt an Bedeutung.
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2.1.6.2 Relevanz
Andreas Baetzgen (2007) hat am Beispiel der Markenkommunikation die heutige Bedeutung des Kontextualitätskriteriums für die Moderne Marketing-Kommunikation aufgezeigt. Sein plausibler zentraler Gedanke ist, dass Markenbotschaften in Abhängigkeit von den Kontexten der Rezeption systematisch zu gestalten sind (vgl. ebd.: 157 f.). Als für die Markenkommunikation wichtigste Kontexttypen identifiziert er: •
•
•
die Rezeptionssituation, verstanden als eine aus mehreren Handlungen bestehende Handlungssequenz, die von Individuen als Einheit erlebt wird (z. B. die Erlebniseinheit „abendliches Fernsehen“ besteht aus den Handlungen Film rezipieren, zu Abend essen, telefonieren, mit dem Sohn reden, Werbespot sehen etc.); die Lebenswelt der Zielgruppe, verstanden als die Gesamtheit von Wissen, Werten, Einstellungen und emotionalen Dispositionen einschließlich der daraus resultierenden typischen Handlungsmuster; den Markenkontext, verstanden als das Wissen, die Einstellungen und Emotionen, die jemand mit einer Marke verbindet.
Diese drei Kontexte spannen den Sinnzusammenhang auf, der für die Rezeption von Markenkommunikationsangeboten ausschlaggebend ist. Die Folgerung ist, dass im „Konzept der Kontextbasierten Markenkommunikation … jede Botschaft so gestaltet werden [muss], dass diese in den Kontext der Situation, Lebenswelt und Marke passt bzw. mit diesen kohärent ist“ (ebd.: 161). Beispiele
Die Kommunikationsagentur Ogilvy & Mather/Frankfurt hat für das Unternehmen Provinzial im Rahmen eines Plakat-Wettbewerbes für die Bewerbung von dessen Unfallversicherung einen situativen Kontext kreiert, indem die Werbebotschaft „Denken Sie doch einmal über eine Unfallversicherung nach“ eingebettet wurde in die Situation: Meteorit kracht in die Buswartehalle, in der man gerade auf den Bus wartet (s. Abb. 13). Die Lufthansa bietet seit 2008 mobile Bordkarten an, die auf dem Handy angezeigt werden können. In diesem Umfeld könnte ein Ausflugsveranstalter, der vor Ort am Urlaubsziel des Passagiers ansässig ist, neben der Bordkarte auf seine Tourenangebote hinweisen (s. Abb. 14).
Die bedeutende Rolle, die Kontextualität heute in der Modernen Marketing-Kommunikation spielt, verdankt sich vor allem der mangelnden Rezeptionsrelevanz traditioneller Werbung. Denn in den meisten Fällen bezieht die werbliche Botschaft aus dem aktuellen Handlungskontext des Rezipienten keinen mit der konkreten Handlungssituation kompatiblen Sinn, mit anderen Worten: Sie wird häufig in der aktuel-
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Abb. 13 Beispiel für eine situative Kontextualisierung (Quelle: Horizont 18/2008: 30)
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Abb. 14 Mobile Bordkarte der Lufthansa (Quelle: direkt marketing 8/2008: 17)
len Situation als nicht bedeutsam, oft sogar als störend, als relevanzlos bewertet (vgl. Kap. B III 1.3). Dieses Relevanzproblem wird verschärft durch die grundsätzlichen Glaubwürdigkeitsvorbehalte, die der Werbung inhärent sind (vgl. Hellmann 2005, Kloss 2012, Willems 2002: 83). Auch hat Programmatic Advertising – der automatisierte, softwarebasierte Einund Verkauf von Werbeflächen in Form einer Auktion im Internet – dazu geführt, dass Werbeumfelder, also der mediale Kontext, in der letzten Zeit an Beachtung in der Mediaplanung verloren hatten, was dem Engagement-Konzept zuwider läuft (s. Kap. A 2.1.5). Andere neue Marketing-Kommunikationsformen wie bspw. Keyword Advertising, Native Advertising und intelligente TV-Werbung, bei der automatisiert passende Werbeeinblendungen zu bestimmten redaktionellen Begriffen erscheinen, reflektieren hingegen das in der Mediaplanung nach wie vor vorhandene Bewusstsein für die wichtige Relevanz gebende Funktion des Media-Kontextes. Auch hinsichtlich der Kontextualität Moderner Marketing-Kommunikation ist wieder das „Utility Marketing“ zu nennen. Das Relevanzdefizit und auch die Glaubwürdigkeitsvorbehalte sollen durch nutzenbringende und somit positiv bewertete Kommunikations- und Serviceangebote überwunden werden, die intendiert von Konsumenten und Kunden rezipiert werden (s. Kap. B II 2.3). Indem sich die Unternehmen in ihrer Marketing-Kommunikation zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung bekennen (Corporate Social Responsibility/
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CSR, s. Kap. B II 2.4) stellen sie die wirtschaftliche Zweckrationalität ihres Handelns in den Kontext von gesellschaftlich hoch relevanten sozialen und ökologischen Belangen und versuchen, sich so als verantwortungsvolles glaubwürdiges Unternehmen zu positionieren. Schließlich ist auch das Word-of-Mouth-Marketing (Kap. B II 2.6) bspw. in Form der Influencer Kommunikation (Kap. B II 2.6.5)zu nennen, bei dem auf einen kontextuellen Transfer des Marketing-Kommunikationsangebots gezielt wird, indem die Botschaft nicht innerhalb der gewohnten Struktur des Marketing-Kommunikationsprozesses, sondern im sozialen Umfeld des Konsumenten ohne vordergründig ersichtliche Intentionalität eines Unternehmens dargeboten wird und zu Relevanz kommt. Im marketingethnografischen Forschungsansatz, der auch als „contextual research“ (Mariampolski 1999: 78) bezeichnet wird, nimmt das Kontextualitätskriterium bereits seit Längerem eine exponierte Rolle ein (s. auch Arnould/Wallendorf 1994, Mick/Buhl 1992). Das Interesse dieses Ansatzes gilt den sinn- und bedeutungsgebenden Zusammenhängen, in denen das Individuum allgemein als Konsument handelt. „Context operates on several levels – the immediate physical and situational surroundings, as well as language, character, culture and history which all provide a basis for the meaning and significance attached to roles and behaviours. Can we divorce the ways we buy, use and talk about products from the cultural and linguistic context within which economic transactions occur ? The answer is an emphatic ‚no‘.“ (Mariampolski 1999: 82)
In der Praxis war Jürgen Scholz, Gründer der Kommunikationsagentur Scholz & Friends, einer der ersten, der die hohe Bedeutung des Prinzips der kontextbasierten Relevanz für die Marketing-Kommunikation erkannte: „Jeder Mensch ist nur an Dingen interessiert, die für ihn persönlich von Nutzen sind. Wenn ich ein Produkt habe, muß ich – nach wie vor – irgendeine Ecke des Produktes finden, die für die Leute relevant ist. Das kann ein weites Spektrum sein: Prestige, Wertegefühl, Überlegenheit oder praktischer Nutzen. Wenn ich es nicht schaffe, den Leuten klarzumachen, daß mein Produkt für sie in irgendeinem Bereich von Nutzen ist, habe ich keine Chance.“ (J. Scholz. zit. n. Schmidt/Spieß 1997: 38)
Heute herrscht in der Praxis Konsens über die herausragende Bedeutung der Relevanz, die sich aus den Kontexten ergibt. So formuliert Ralf Nöcker (2011: 61/62), Geschäftsführer des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen GWA: „Werbung und andere Formen der Marketing-Kommunikation müssen für einen Konsumenten vor allem eines sein – relevant. Eine wenig kreative, aber personalisierte Preisbotschaft – nur für Dich und nur zum Preis X – womöglich dank Mobile Marketing noch abgesendet mit Bezug zum Aufenthaltsort des Konsumenten, ist für diesen hoch relevant.“
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Auch hier darf wieder, wie schon beim Selektivitätskriterium, nicht übersehen werden, dass Kontextualität ebenfalls im Bereich der Produktion von Marketing-Kommunikationsangeboten eine tragende Rolle innehat und für die Einschätzung der Relevanz von mitzuteilenden Informationen (Input-Relevanz) zuständig ist.
2.1.6.3 Äußere Anschlusshandlungen
Schließlich kommt heute auch dem Reflexivitätskriterium eine gestiegene Bedeutung zu. Sie äußert sich in dem deutlichen Ausbau von handlungsorientierendem Marketing-Kommunikationswissen unter Unternehmen, Agenturen und Konsumenten. Seitens der Unternehmen und der von ihnen beauftragten Agenturen hat die Gewinnung von Consumer Insights höchste kommunikationsstrategische Bedeutung erlangt. Denn erst diese ermöglichen ihnen die Ausbildung von Erwartungserwartungen. Sie sind die Grundlage, um in den Märkten beobachtbare äußere Anschlusshandlungen bewirken zu können, die den Marketing-Kommunikationsangeboten von Unternehmen strategisch zugerechnet, also auf diese zurückgeführt werden können. Diese Anschlusshandlungen müssen nicht nur im Sinne der dialogorientierten Marketing-Kommunikation auf das Unternehmen zielen (z. B. Informationsanforderung, Beschwerden, Fragebogenrücksendung etc.), sondern umfassen auch kommunikative Anschlusshandlungen, die im sozialen Netzwerk der Konsumenten, beispielsweise initiiert durch Word-of-Mouth-Marketing, vonstatten gehen. Ebenso ist es heute ein Qualitätskriterium der Marketing-Kommunikation, Anschlusshandlungen im Mediensystem auszulösen, indem für das Unternehmen kostenlos über seine Marketing-Kommunikation wie beispielsweise über einen Event oder eine Promotion berichtet wird (Earned Media). Und natürlich will die Marketing-Kommunikation heute mehr denn je einen (Wieder-)Kauf als die fundamentalste sinnhafte Anschlusshandlung im Marketing-Kommunikationskontext auslösen. Beispiele
VW hat den Launch seines neuen Modells Eos unter anderem mit einer Online-Kampagne begleitet, wobei VW die gebuchten Online-Medien nicht für Werbemittelkontakte, sondern im Rahmen eines performanceorientierten Abrechnungsmodells für durchgeführte Probefahrten bezahlt hat. Die Kosten konnten so um das achtfache reduziert werden (vgl. Hegner 2008: 4). Die Verlage Springer und Burda haben Abrechnungsmodelle im Printmedienbereich eingeführt, nach denen sich der Preis für die Schaltung einer Anzeige am Abverkauf des beworbenen Produktes bemisst (vgl. o. V. 2009: 1).
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Um Marketing-Kommunikation reflexiv gestalten und damit abseits vom technizistischen Informationsübertragungsmodell im eigentlichen Sinne überhaupt erst kommunikativ handeln zu können (s. Kap. A 1.2), ist es für das Unternehmen unabdingbar, die Selbstbezüglichkeit seiner Marketing-Kommunikation begutachten zu können, was idealerweise eben über beobachtbare und zurechenbare Anschlusshandlungen des avisierten Publikums und der avisierten Zielpersonen vonstatten geht, die als Grundlage für die Ausgestaltung der Folgekommunikationen des Unternehmens dienen. Nur so können die Unternehmen der typischen Einseitigkeit der Handlungsintention der traditionellen Marketing-Kommunikation, vor allem in Form der klassischen Werbung, entgegenwirken. Denn die Rezeption werblicher Kommunikationsangebote erfolgt in der Regel nicht intendiert. Verschränkt mit anderen intendierten kommunikativen und nichtkommunikativen Handlungen ist deren Rezeption gewöhnlich hierarchisch nachgeordnet, weswegen ja gerade auch die TV-Blockwerbung als etwas Störendes erlebt wird, da sie eine intendierte Rezeption, beispielsweise die eines Spielfilms, unterbricht. In den Worten von Chuck Porter (2008: 7), dem Mitgründer und Chairman der US-amerikanischen Kommunikationsagentur Crispin, Porter + Bogusky, formuliert: „… Marketer [bemerken], dass es kein allzu zielführender Ansatz mehr ist, Menschen bei ihren Tätigkeiten durch Werbung zu unterbrechen. Neue Technologien wie Festplattenrekorder, aber auch das Pay-TV machen es für das Publikum leichter denn je, Marketingbotschaften zu ignorieren, die über klassische Massenmedien versendet werden.“
Traditionell behelfen sich die Unternehmen in dieser Situation, indem sie Indikatoren aus Werbewirkungsanalysen heranziehen, um zu Aussagen hinsichtlich der Anschlusswahrscheinlichkeit von Handlungen seitens der Konsumenten zu kommen. Diese geben jedoch nur indirekt Hinweise zur Steuerung der Marketing-Kommunikation. Es werden die Ausprägungen von Merkmalen innerer, emotional-kognitiver Dimensionen, vor allem der Bekanntheit und der Einstellung (z. B. gestützte und ungestützte Marken-/Werbebekanntheit, Kaufbereitschaft, Markenimage) gemessen und in der konzeptionellen Ausrichtung der Marketing-Kommunikation berücksichtigt. Äußere Anschlusshandlungen stellen jedoch ein weitaus härteres Evaluationskriterium des Erfolgs der Marketing-Kommunikation dar, da sie, ihre direkte Zurechenbarkeit vorausgesetzt, als etwas ungefiltert Wahrnehmbares dem Unternehmen die unmittelbare Überprüfung des Selbstbezugs seiner Marketing-Kommunikation ermöglichen und damit zu verlässlicheren Annahmen hinsichtlich des Verständnisses und der Verarbeitung seiner Kommunikationsangebote verhelfen: Sie helfen dem Unternehmen bei der Beantwortung der fundamentalen Frage, ob sich die Erwartungserwartungen, die als Consumer Insights der Konzeption und konkreten Ausgestaltung seiner Marketing-Kommunikation zugrunde liegen, als plausibel erweisen. Mit Philip J. Kitchen et al. (2004: 27) kann die sich heute für Unternehmen stellende Notwendigkeit, sich am reflexivitätsbasierten Erfordernis der Anschlusshandlun-
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gen zu orientieren, zusammengefasst werden mit: „Only if communication resources are invested and measured against actual customer behavior can financial returns be compiled“. Und auch hier gilt wieder, dass Reflexivität im Marketing-Kommunikationsprozess natürlich auch rezipientenseitig wirksam ist und als intersubjektiv gültiges Marketing-Kommunikationswissen den Handlungen der Konsumenten und Kunden Orientierung verleiht.
2.2
Definition
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Im Zuge der kommunikationstheoretischen Klärung des Marketing-Kommunikationsbegriffs rücken drei für Kommunikation notwendige, komplementäre Kriterien in den Mittelpunkt. Diese können als kommunikative Prämissen des Marketings aufgefasst werden und fördern abseits vom Sender-Empfänger-Modell die Diffusion eines modernen, elaborierten, qualitätsorientierten Kommunikationsverständnisses im Marketingkontext: Selektivität, Kontextualität und Reflexivität (vgl. auch Tropp 2016, 2019): •
Der fortschreitende Anstieg an Komplexität und Dynamik in unternehmerischen Umwelten und die zunehmende Verknappung der Aufmerksamkeit beim Konsumenten fordern von Unternehmen einerseits höchste Achtsamkeit bei der eigenen Informations- und Mitteilungsproduktion und andererseits Strategien zur Aufmerksamkeitsgewinnung von Konsumenten und Kunden ein. Achtsamkeit und Aufmerksamkeit sind Voraussetzung, um Komplexität in Information überführen zu können (Selektivitätskriterium). • Seitens der Unternehmen und der Konsumenten steuern unterschiedlichste Kontexte, welche Bedeutung und welchen Sinn Marketingkommunikationsmittel haben. Kontexte, beispielsweise die Rezeptionssituation, und Kommunikationsmittel müssen zueinander passen. Dies ist die Voraussetzung für die Relevanz von Marketingkommunikationsmitteln (Kontextualitätskriterium). • Über die Gewinnung von Consumer Insights verschaffen sich die Unternehmen Sicherheit über das allgemeine und unternehmens-/markenspezifische kollektive Marketingkommunikationswissen, das sie mit den Konsumenten teilen. In sozialer Hinsicht ist dies die Voraussetzung zur Abstimmung der unternehmensseitigen Erwartungen und Handlungen mit denen der Konsumenten. Erwartungen und Handlungen wirken in der Zeitdimension auf sich selbst zurück und ermöglichen dem Unternehmen seine Marketingkommunikation und damit sich selbst zu steuern. In der Sachdimension verweben sich Marketingbotschaften ineinander und produzieren im Kommunikationsprozess begleitende Meta-Aussagen (Reflexivitätskriterium).
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Selektivität, Kontextualität und Reflexivität konstituieren als notwendige Kommunikationskriterien den Marketing-Kommunikationsprozess sowohl im Bereich der Produktion von Kommunikationsangeboten (Unternehmen, Agenturen) als auch im Bereich der Rezeption (Konsumenten, Kunden). Ansonsten wäre Marketing-Kommunikation keine spezifische Art von Kommunikation. Die hohe Bedeutung, die diesen Kriterien im Management der heutigen Marketing-Kommunikation zukommt, soll über die Charakterisierung der MarketingKommunikation als „modern“ zum Ausdruck kommen. Moderne Marketing-Kommunikation kann dann wie folgt definiert werden: ▶ Definition Moderne Marketing-Kommunikation umfasst alle Prozesse der Bedeutungsvermittlung (a) im Unternehmen, (b) zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt und (c) in der Unternehmensumwelt, mit denen die markt- und kundenbeziehungsorientierte Unternehmensführung realisiert wird. Um eine höchstmögliche Kommunikationsqualität zu erzielen, finden beim Management dieser Prozesse die kommunikationsnotwendigen Kriterien der Selektivität, Kontextualität und Reflexivität besondere Beachtung.
Aus diesem Verständnis Moderner Marketing-Kommunikation ergeben sich für Unternehmen drei zentrale Konsequenzen: •
Der Kommunikationsqualität kommt höchste Priorität zu. Dem Unternehmen steht heute ein vielfältig ausdifferenziertes Spektrum an Kommunikationsmöglichkeiten von grundsätzlich gleichberechtigten Mitteilungsstrategien (Kommunikationsdisziplinen) mit jeweils unterschiedlichen Funktionen beziehungsweise Funktionsschwerpunkten zur Verfügung (Werbung, Verkaufsförderung, Guerilla Marketing, Empfehlungsmarketing etc.). Keine dieser Disziplinen hat ein grundsätzliches Primat. Ihr jeweiliger Einsatz richtet sich an den spezifischen kommunikativen Erfordernissen unter Achtung des Grundsatzes der Erzielung höchst möglicher Kommunikationsqualität, besonders zur Erzielung von Customer Engagement aus. • Marketing-Kommunikation wird komplexer. Der einseitigen und einstufigen Persuasion von Zielgruppen wird die wechselseitige und mehrstufige Interaktion mit Zielpersonen zwecks des Aufbaus von Kundenbeziehungen zur Seite gestellt. Moderne Marketing-Kommunikation „emphasizes two-way communication through better listening to customers and interactivity and the idea that communication before, during and after transactions can build or destroy important brand relationships“ (Duncan/Moriarty 1998: 1). Die Folge ist, dass zunehmend ein lineares monokausales Kommunikationsprozessverständnis von einem zirkulären und relationalen Prozess- und Wirkungsverständnis verdrängt wird. Da Marken jedoch auf Öffentlichkeit angewiesen sind und damit öffentliche Kommunikation und ihre Reflexivitätsverhältnisse
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auch zukünftig integraler Bestandteil Moderner Marketing-Kommunikation sein werden, wird die an anonyme Zielpersonen gerichtete Kommunikation auch weiterhin Bestand haben. • Unternehmen müssen ihre quantitative kontaktbasierte um eine qualitative kommunikationsbasierte Media-Planung ergänzen. Das heißt, sie nutzen in der Marketing-Kommunikation in Abhängigkeit von der Komplexität der Kommunikationsaufgabe (Ziele, zu kommunizierende Inhalte, antizipierte Rezeptionssituation des Konsumenten etc.) Medien mit unterschiedlichen Graden an „Reichtum“ (Media Richness). Reiche Medien werden bei komplexen Aufgaben eingesetzt und zeichnen sich der Media-Richness-Theorie zufolge durch Informationsfülle und Symbolvielfalt, die Möglichkeit für persönliche Kontakte und eine unmittelbare Feedback-Möglichkeit aus (vgl. Daft et al. 1987: 358, Daft/Lengel 1984). Die reichste Form der Kommunikation ist demnach das Gespräch, die ärmste das nicht persönlich adressierte, auf Papier verschriftlichte Wort. Mit Denis McQuail (2012) können reiche Medien noch weiter spezifiziert werden. Sie weisen folgende Eigenschaften aus: ◆ Interaktivität (Teilnahmemöglichkeit des Rezipienten am Kommunikationsprozess), ◆ Sozialpräsenz/Soziabilität (persönliche Kontaktmöglichkeit), ◆ Zeichenvielfältigkeit (multimodale Wahrnehmung), ◆ Nutzenvielfalt (unterschiedliche Funktionalitäten), ◆ Autonomie des Rezipienten gegenüber den Kommunikationsangeboten bzw. dem Kommunikationspartner, ◆ Verspieltheit (Unterhaltungsnutzen in Relation zu Nützlichkeitserwägungen) sowie ◆ Privatheit und Personalisierungsmöglichkeit von Mediengebrauch und Inhalten.
2.3
Formen der Modernen Marketing-Kommunikation
Die Moderne Marketing-Kommunikation nutzt grundsätzlich alle zur Verfügung stehenden Formen der Kommunikation, wobei sie jedoch ein besonderes Augenmerk auf die Möglichkeiten des Einsatzes moderner computertechnologie- beziehungsweise mikroprozessorbasierter Medien legt. Für die Zwecke der Darstellung der Formen der Marketing-Kommunikation können unter einem Medium, hier zunächst verkürzt auf den technologischen Aspekt (zur ausführlichen Besprechung des Medienbegriffs s. Kap. A 4.1.1), alle auf Technologie beruhenden Mittel zur Codierung und Übermittlung, zur Speicherung sowie zur Abrufung und Decodierung von Kommunikationsangeboten verstanden werden, die für die Teilnahme an medienvermittelter öffentlicher Kommunikation wie Individualkommunikation notwendig sind (vgl. U. Six et al. 2007: 23).
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▶ Definition Als medienvermittelte öffentliche Kommunikation wird jene Form der Kommunikation verstanden, bei der Aussagen ohne begrenzte und personell definierte Empfängerschaft, „durch technische Verbreitungsmittel (Medien), indirekt (also bei räumlicher oder zeitlicher oder raumzeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartnern) und einseitig (also ohne Rollenwechsel zwischen Aussagendem und Aufnehmendem) an ein disperses Publikum … vermittelt werden“ (Maletzke 1963: 32).
Mit dispersem Publikum sind die Menschen gemeint, die sich den Aussagen der Medien zuwenden. In ihrer Gesamtheit bilden die Mitglieder dieses Publikums ein Aggregat von Individuen, die räumlich voneinander getrennt oder die an einem Ort in relativ kleinen Gruppen versammelt sind, wie beispielsweise im Fall des Public Viewing einer TV-Liveübertragung (vgl. ebd.: 28 f.). Die davon zu unterscheidende Medien-Individualkommunikation, die sich einer öffentlichen Kommunikation anschließen kann – beispielsweise wenn ein Konsument über die in einer Anzeige öffentlich kommunizierte E-Mail-Adresse Kontakt mit dem Unternehmen aufnimmt –, vollzieht sich heute zunehmend computergestützt und kann ausdifferenziert werden in die • • •
nicht digitalisiert vermittelte interpersonale Kommunikation (z. B. Werbebrief), computervermittelte interpersonale Kommunikation (z. B. E-Mail, Unternehmens-Chatroom und -Blog) und Mensch-Computer-Kommunikation, die durch die Interaktion mit dem Computer gekennzeichnet ist – wie im Fall von Computerspielen oder von einigen Lernprogrammen, bei denen keine Interaktion zwischen Personen stattfindet.
Die Abb. 15 gibt einen groben Überblick über die von der Modernen MarketingKommunikation nutzbaren Kommunikationsformen. Allen derartigen Kategorisierungsversuchen liegt heute die Problematik zugrunde, dass, bedingt durch die Digitalisierung der Medien, die Grenzen zwischen den verschiedenen Kommunikationsformen und Medien fließend geworden sind. So können heute beispielsweise das Fernesehen als ein klassisches audiovisuelles Medium in Form von Internet Protokoll TeleVision (IPTV) auch den neuen Medien zugerechnet werden. Damit sind moderne Medien gemeint, die computertechnologie- beziehungsweise mikroprozessorbasiert sind und die zwar im Sinne von Gerhard Maletzke ihre Kommunikationsangebote öffentlich präsentieren, aber gleichzeitig Eigenschaften wie Digitalisierung, Interaktivität oder Vernetzung innehaben (vgl. U. Six et al. 2007: 23).
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Abb. 15 Grobe Einteilung der Formen der Modernen Marketing-Kommunikation, exemplarischer Medien und Kommunikationsangebote (in Anlehnung an U. Six et al. 2007: 25)
2.4
Struktur der Modernen Marketing-Kommunikation
Der Prozess der Bedeutungsvermittlung kann mit Niklas Luhmann (1991: 193 f., 1991c: 314 f.) anhand von drei kontingenten Selektionsschritten strukturiert werden: „… Kommunikation [ist] immer eine dreistellige Relation, bei der alle drei Stellen kontingente Selektionen repräsentieren: 1. ein Sachverhalt, der so oder auch anders beschaffen sein könnte; 2. ein Kommunikator, der über diesen Sachverhalt reden oder auch nicht reden könnte; 3. ein Empfänger, der die Mitteilung verstehen, akzeptieren oder nicht akzeptieren kann“ (Luhmann 1991c: 314 f.). Die Selektionsschritte, die dem Kommunikationsprozess seine Struktur geben, lauten demnach: •
die Selektion der Information, womit die Wahl des Kommunikationsinhaltes, das Was der Kommunikation gemeint ist; • die Selektion der Mitteilung, in der die Wahl der Kommunikationsart, das Wie der Kommunikation erfolgt; • die Selektion des Verstehens, bei der der Empfänger im Prozess seiner Bedeutungskonstruktion unterscheidet zwischen Mitteilung und Information. Erst wenn das Handeln eines Menschen daher als die Mitteilung von Information verstanden wird, liegt ein kommunikativer Akt vor, der Anlass für kommunikative
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Anschlusshandlungen geben kann, in denen über das Erreichen des Kommunikationsziels (Verständigung) und das Erfüllen des oder der Kommunikationszwecke(s) entschieden werden kann, also darüber, ob Kommunikation erfolgreich stattgefunden hat oder nicht. Es geht also darum, den Unterschied zu verstehen zwischen der inhaltlichen Information, dem Was, und dem Wie, wie die Information mitgeteilt wird, wodurch die Gründe für die Mitteilung einer Information geliefert werden. Erst wenn der verstehende Kommunikationspartner also dem mitteilenden Kommunikationspartner einen Unterschied zwischen Information und Mitteilung unterstellt, handelt es sich um Kommunikation (vgl. Schuldt 2012). Beispiel
Wenn Konsumenten nicht auf ein Marketing-Kommunikationsangebot eines Unternehmens reagieren, handelt es sich solange nicht um Marketing-Kommunikation, wie das Nichtreagieren vom Unternehmen einfach nur als ein Nichterreichen der Konsumenten verstanden wird. Das Nichtreagieren ist zwar eine Information für das Unternehmen, die aber nicht mitgeteilt wurde. Wird die Nichtreaktion aber vom Unternehmen als Folge des von der Zielgruppe als irrelevant eingestuften Kommunikationsangebots verstanden, handelt es sich um Kommunikation, weil das Unternehmen die Nichtreaktion als Mitteilung begreift und zwischen Information und Mitteilung unterscheidet.
Im Kommunikationsalltag schließt die kommunikative Anschlusshandlung in der Regel an die Information, an das „Was“, das der andere mitgeteilt hat, an, seltener an die Mitteilung, an das „Wie“, wie er es mitgeteilt hat. Jedoch wird in Situationen, in denen Verstehen einem Kommunikationspartner Probleme bereitet, typischerweise auf die gewählte Art der Mitteilung fokussiert, beispielsweise derart, dass man fragt, was der Sprecher mit seinem Unterton bezwecken will oder warum er sich ausgerechnet dieser ausgefallenen seltenen Formulierung bedient. Passen beim Verstehen die Informations- und Mitteilungsselektion des Kommunikationspartners nicht zusammen, entsteht Bedarf für reflexive Kommunikation, bei der über die vorausgegangenen Kommunikationsakte kommuniziert wird (vgl. Schneider 1992: 421). Diesen drei Selektionen, die einen kommunikativen Akt strukturieren, kommt in der Marketing-Kommunikation herausragende Bedeutung zu, da die Selektion der Information und der Mitteilung hochgradig professionalisiert ist. Kommunikationsagenturen bemühen sich unter Erwartung, wie eine Mitteilung von bestimmten Zielgruppen und -personen verstanden und verarbeitet wird, um die Schaffung kreativer, effektiver Kommunikationsangebote (Wie), deren Inhalte (Was) von den marketingtreibenden Unternehmen und/oder Kommunikationsagenturen ausgewählt wurden, um von den Rezipienten verstanden und je nach Kommunikationszweck durch innere und/oder äußere Anschlusshandlungen verarbeitet zu werden. In einer detaillierten Betrachtung lassen sich in Abhängigkeit von der Form der Marketing-Kommunikation (Direkt- vs. Medienkommunikation) die folgenden
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sechs beziehungsweise sieben strukturgebenden Selektionsschritte in der Marketing-Kommunikation identifizieren, die hier im Folgenden zunächst nur kurz zusammengefasst dargestellt sind. Wichtig ist der Hinweis, dass diese Schritte keine chronologische Abfolge implizieren, wie es rezipientenorientierte Modelle der Selektionsphasen vorsehen, die eine Unterteilung in eine präkommunikative, kommunikative und postkommunikative Phase vornehmen (selektive Zuwendung, selektive Wahrnehmung und selektive Erinnerung) (s. z. B. W. Schulz 1990, Donsbach 1991). Dieser Temporalisierung der Selektionsschritte wird einerseits nicht gefolgt, weil mit der hier vorgenommenen Konzeption von Kommunikation als Ergebnis der Handlungen von mindestens zwei Menschen Kommunikation nicht auf den Zeitpunkt des physischen Kontaktes des Rezipienten mit einem Kommunikationsangebot reduziert und mit selektiver Wahrnehmung gleichgesetzt werden kann. Zum anderen scheint es angebracht, von einer vernetzten Organisation der Selektionen und damit von Wechselwirkungen unter den einzelnen Schritten auszugehen. So wird beispielsweise die Auswahl des konkreten Inhalts des Marketing-Kommunikationsangebots unweigerlich von der Auswahl des Mediums mit beeinflusst. Ebenso ist es unsinnig anzunehmen, dass die Selektion einzelner Mitteilungsteile aus einem MarketingKommunikationsangebot, wie zum Beispiel der Überschrift einer Anzeige, vor der Rezeption dieser Mitteilungsteile geschieht. Selektion von Inhalten ist immer auch mit einer mehr oder weniger bewussten selektiven Bedeutungszuschreibung verbunden (vgl. auch Wirth/Schweiger 1999: 45). Klaus Merten (1994a: 298 f.) zeigt auf, dass neben den unmittelbar einem Kommunikationsakt zurechenbaren Selektionen noch weitere Selektionsinstanzen begleitend wirksam sind, indem diese auf die eigentlichen Selektionen des Kommunikationsaktes einwirken, also die Selektivität der Kommunikation noch weiter verstärken. Diesen Selektionsinstanzen entsprechen gemäß dem hier zugrunde gelegten Kommunikationsverständnis die Kontexte, aus denen eine kommunikative Handlung ihren erklärbaren Sinn bezieht (s. Abb. 16). 1. Auswahl des Inhalts des Marketing-Kommunikationsangebots Ausgewählt wird von den Mitarbeitern eines marketingtreibenden Unternehmens – alleine oder in Zusammenarbeit mit einer Kommunikationsagentur – oder von einem einzelnen Unternehmensvertreter (z. B. Verkäufer, Servicemitarbeiter) die Information, die mitgeteilt werden soll (Inhalt des Marketing-Kommunikationsangebots). Diese Selektion beruht auf einer Reihe von Teilselektionen (Positionierung, Markenstrategie, Zielgruppenauswahl, Ziele etc.), die in ihrer Gesamtheit die Konzeption der Informationsproduktion ausmachen. 2. Auswahl der Mitteilungsstrategie, des Kommunikationsstils (Tonalität) und der Kommunikationsgestaltung In Abstimmung zwischen einer Kommunikationsagentur, genauer: Content- oder Kreativ-Agentur, und dem marketingtreibenden Unternehmen wird unter Bezug-
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Abb. 16 Strukturmodell der Modernen Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
nahme auf das Marketing-Kommunikationswissen, vor allem das vorhandene Wissen über den oder die Rezipienten, ausgewählt, • welche Mitteilungsstrategie beziehungsweise -strategien im Sinne von Kommunikationsdisziplinen wie zum Beispiel Werbung, Verkaufsförderung, Guerilla Marketing etc. eingesetzt werden, • in welcher Tonalität die Mitteilung erfolgen soll, beispielsweise: engagiert, menschlich, dynamisch und jung, • wie die Mitteilung formal gestaltet wird hinsichtlich des Layouts, Filmschnitts, Artworks, der Farbigkeit, Typografie etc. Erfolgt die Marketing-Kommunikation direkt, beschränkt sich dieser Selektionsschritt auf den Punkt der Tonalität. 3. Auswahl des Mediums (inter- und intramedial) Ausgewählt wird in der Regel von einer Media-Agentur, in welcher Mediengattung (z. B. Fernsehen oder Zeitschrift) das Marketing-Kommunikationsangebot präsen-
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tiert werden soll (= intermediale Selektion) und in welchen konkreten Medien innerhalb einer Mediengattung (z. B. Zeitschrift: Focus oder Der Spiegel) dies wann erfolgen soll (= intramediale Selektion). Die Selektion orientiert sich an: •
qualitativen Aspekten wie zum Beispiel dem Kommunikationszweck, der MediaZielgruppe, den Mediumsqualitäten oder dem redaktionellen Umfeld; • quantitativen Aspekten wie beispielsweise dem zur Verfügung stehenden MediaBudget und dem Kosten-Leistungs-Verhältnis eines Mediums; • formalen Kriterien wie beispielsweise der Regionalität eines Mediums oder dessen kurzfristige Verfügbarkeit (vgl. Hofsäss/Engel 2003: 201 f.). Ausgewählt wird aber auch vom Rezipienten, welcher Mediengattung und welchem Medium er sich zuwendet. Als Selektionskriterium dient die dauerhafte oder habituelle Auswahl eines Mediums aus dem Angebot von substituierbaren Medien wie beispielsweise das Abonnement einer Tageszeitung, die Präferenz für einen bestimmten Hörfunksender oder die voreingestellte Startseite des WWW-Browsers (vgl. Donsbach 1991: 25). Wird die Marketing-Kommunikation direkt, als nicht medial gestaltete interpersonale Kommunikation realisiert, wie es beispielsweise bei einem Verkaufs- oder Servicegespräch der Fall ist, entfällt dieser Selektionsschritt. 4. Auswahl des Marketing-Kommunikationsangebots Media- und/oder Kreativ-Agentur wählen in Absprache mit dem Unternehmen das Marketing-Kommunikationsangebot aus, das in einem Medium präsentiert wird. Die Selektion erfolgt wiederum nach qualitativen und quantitativen Aspekten und wird darüber hinaus durch die in einem Medium zur Verfügung stehenden buchbaren Präsentationsoptionen gesteuert, die nach • • •
Größe (z. B. 1/1-Seiten-Anzeige versus 1/2-Seiten-Anzeige), Dauer (z. B. 10-Sekunden- versus 30-Sekunden-TV-Werbespot), redaktionellem Integrationsgrad (z. B. 1/1-Seiten-Anzeige versus Advertorial)
variieren. Auch hinsichtlich der Auswahl des Marketing-Kommunikationsangebots ist der Rezipient aktiv. Er wendet sich im physischen Kontakt mit dem Medium selektiv einem Marketing-Kommunikationsangebot zu, womit im selben Moment Verstehen einsetzt. Dieser Selektionsschritt kann daher als Schnittpunkt der Mitteilungsselektion seitens des Kommunikators und der Verstehensselektion seitens des Rezipienten angesehen werden. In der direkten Marketing-Kommunikation realisiert sich die Auswahl des Marketing-Kommunikationsangebots vornehmlich über die Art der Führung des Verkaufsgesprächs.
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5. Auswahl einzelner Mitteilungsteile aus einem Marketing-Kommunikationsangebot Ausgewählt werden vom Rezipienten einzelne Mitteilungsteile aus dem selektierten Marketing-Kommunikationsangebot. Dies kann beispielsweise die Überschrift einer Anzeige, ein Bild auf einem Plakat, der Jingle eines Funkspots oder der in einem Verkaufsgespräch genannte Produktpreis sein. Der Aufmerksamkeit des Rezipienten kommt hier als Selektionskriterium entscheidende Bedeutung zu (vgl. Eilders 1999: 25, Merten 1994a: 299, Wirth/Schweiger 1999: 45). Abb. 17 zeigt beispielhaft die mittels einer Augenkamera festgehaltene Auswahl einzelner Teile einer Mitteilung, wobei jeweils die Position im Blickverlauf und die Verweildauer des Blicks in einem Gebiet ausgewiesen sind (vgl. auch Kap. B IV 2.2.1). 6. Sozial und kulturell geregelte Bedeutungskonstruktion (Rezeption) Der Rezipient versteht unter Rückgriff auf seinen gesamten sozial-kulturellen Erfahrungsbestand das Marketing-Kommunikationsangebot beziehungsweise dessen einzelne Mitteilungsteile; er konstruiert also top-down und buttom-up eine spezifische Bedeutung – oder er versteht es nicht.
Abb. 17 Selektiver Blickverlauf innerhalb eines Kommunikationsangebots (Quelle: www. phaydon.de; Zugriff: 14. 11. 2018)
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7. Auswahl der Verarbeitungsweise des rezipierten Marketing-Kommunikationsangebots beziehungsweise einzelner Teile daraus Ausgewählt werden vom Rezipienten innere und äußere Anschlusshandlungen, mit denen er das rezipierte Marketing-Kommunikationsangebot beziehungsweise Teile davon verarbeitet. Diese Handlungen können mehr oder weniger bewusst erfolgen. Beispiele sind das Erinnern, das Bewerten, die Weiterempfehlung von etwas an Dritte oder das Reagieren in Form der Kontaktaufnahme mit dem Unternehmen. Alle geschilderten Selektionsschritte sind in spezifische Sinnzusammenhänge, in Kontexte eingebettet. Zum einen sind die unternehmensinternen Kontexte zu nennen, worunter beispielsweise die organisatorisch-strukturellen Bedingungen des Kommunikators fallen. Dies sind beispielsweise die Unternehmensgröße, die Gesellschaftsform (z. B. inhabergeführtes vs. börsennotiertes Unternehmen) oder die strukturelle Verankerung der Abteilung Marketing-Kommunikation innerhalb des Unternehmens. Die Ausformung der Organisationsstruktur ist an die Unternehmens- beziehungsweise Agenturkultur gebunden, die als Problemlösungsprogramm alle relevanten Unternehmensprozesse und damit auch die Entwicklung der Marketing-Kommunikation regelt. Andererseits sind auch unternehmensexterne Kontexte zu berücksichtigen. So macht es beispielsweise bei der Auswahl des Kommunikationsinhaltes einen grundlegenden Unterschied, ob ein Unternehmen unangefochtener Marktführer in seinem angestammten Markt ist oder ob es in ein neues Marktsegment eintreten will. Schließlich sind auf Kommunikatorseite auch individuelle Kontexte bei der Informations- und Mitteilungsproduktion sinngebend wirksam. Zu denken ist etwa an Karriereüberlegungen und persönliche Werte und Überzeugungen eines MarketingKommunikationsmanagers. Seitens des Konsumenten und Kunden schlägt sich unter anderem die Verfügbarkeit des Mediums als externe Kontextbedingung im selektiven Verstehensprozess nieder. So stehen in Abhängigkeit von der Situation nur bestimmte Medien zur Verfügung und andere nicht, wie dies beispielsweise im Wartezimmer eines Arztes der Fall ist. Auch spielt eine Rolle, ob zum Zeitpunkt der Rezeption andere anwesend sind und man durch diese abgelenkt wird oder nicht. Weiterhin stehen die Selektionsschritte des Verstehens und der Verarbeitung im internen Kontext psychosozialer Bedingungen des Handelnden, wobei vor allem seinem Involvement eine zentrale Rolle zukommt. Zu nennen sind aber auch Erfahrungen, Einstellungen, emotionale Verfassung, rationale Kalküle sowie Normen und Werte, die ihrerseits wiederum auch nur selektiv aktiviert werden, als auch soziodemographische Spezifika. Alle diese Faktoren tragen zur Komplexität und schweren Kalkulierbarkeit des Verstehensund Verarbeitungsprozesses bei.
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Prozess der Modernen Marketing-Kommunikation
Die geschilderte Struktur der Marketing-Kommunikation ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Marketing-Kommunikation als ein Prozess systematisch realisieren kann. Dieser kann in einem Prozessmodell der Marketing-Kommunikation dargestellt werden (s. Abb. 18). Er wird im Folgenden im Überblick kurz beschrieben. Auf die einzelnen Prozessphasen und die zugrunde liegenden strukturgebenden Selektionsschritte wird in den Kapiteln des Teils B ausführlich eingegangen. Die Informationsproduktion (Input) seitens des marketingtreibenden Unternehmens und seiner externen Dienstleister – in der Regel Kommunikationsagenturen – oder seitens personaler Unternehmensvertreter, wie im Fall der direkten oder medienvermittelten Individualkommunikation (z. B. Verkäufer, Messestandpersonal, Call-Center-Mitarbeiter), vollzieht sich unter Einfluss unternehmensinterner und -externer sowie individueller interner Kontextfaktoren. Diese variieren und wirken sinngebend auf die miteinander verschränkten kognitiven und emotionalen Zustände und Prozesse der beteiligten Personen ein, die während der Produktion der Marketing-Kommunikationsinformation stattfinden. Die Informationsproduktion wird dadurch selektiv. Dies gilt auch für die Gestaltung der Mitteilung, für die Codierung der Information, also für die Gestaltung des konkreten, sinnlich wahrnehmbaren Kommunikationsangebots im Marketing-Kommunikationsprozess, sowie im Fall der indirekten Realisation des Kommunikationsprozesses für die Entscheidung die interund intramediale Präsentation des Kommunikationsangebots (Output) betreffend. Bedingt durch die Reflexivität des Kommunikationsprozesses in seiner zeitlichen Dimension wirken frühere Ergebnisse der Informationsproduktion und der Mitteilungsgestaltung auf den aktuellen Prozess und dessen Selektivität zurück (R1). Informationsproduktion und Mitteilungsgestaltung sind also im Falle von Unternehmen, die bereits seit Längerem Marketing-Kommunikation betreiben, als selbstreferentielle Prozesse anzusehen, die in der zeitüberdauernden Orientierung an der Markenpositionierung (Information) und in der Einhaltung des Corporate beziehungsweise Brand Designs (Mitteilung) ihre operative Ausformung in der Praxis finden. Die Möglichkeit, diesen Mechanismus je nach Perspektive als Vorteil (Selbstreferenz verschafft Sicherheit, da sie den Möglichkeitsraum einengt, also Kontingenz reduziert) oder als Nachteil (Selbstreferenz schränkt die Kreativität ein) aufzufassen, eröffnet sich Start-ups nicht. Sie sind bis zum Tag ihres ersten kommunikativen Auftritts im Markt geschichtslos und damit in ihrer Marketing-Kommunikation (leider) befreit von Selbstreferenz. Als weiteres Reflexivitätsverhältnis sind bei der Informationsproduktion und der Gestaltung der Mitteilungsform in der sozialen Dimension die erwarteten Erwartungen der Konsumenten und Kunden wirksam (R2). Unternehmen und Agenturen machen also die von ihnen angenommenen Erwartungen der Zielgruppen und Zielpersonen, die sie als „Consumer Insights“ aus ihren Abteilungen Marktforschung, strategische Planung oder Data Analytics beziehen, zur Grundlage der Gestaltung
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Abb. 18 Prozessmodell der Modernen Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
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des Inhalts (Was ?) und der Form (Wie ?) des Marketing-Kommunikationsangebots. Diese angenommenen Erwartungen können sich auf alle Aspekte beziehen, die von Relevanz für die Kaufentscheidung und die Produktverwendung seitens des Konsumenten sind. In jüngerer Zeit haben die Erwartungen, die sich auf den Kommunikationsprozess selbst beziehen, enorm an Bedeutung gewonnen. Annahmen über die Erwartungen des Konsumenten, wie er in der Marketing-Kommunikation welche Information mitgeteilt bekommen möchte, haben bei Unternehmen und Agenturen wesentlich zur Bedeutungszunahme des Kriteriums der Kommunikationsqualität in der Modernen Marketing-Kommunikation beigetragen. Auch das Verstehen und die emotional-kognitive Verarbeitung der mitgeteilten Information (Outgrowth) geschehen unter dem sinngebenden Einfluss von Kontextfaktoren, und zwar differenziert in individuumsinterne Kontexte und soziodemografische Spezifika einerseits und individuumsexterne Kontexte andererseits. Die mit der Decodierung des selektierten Kommunikationsangebots erfolgende Bedeutungskonstruktion ist ebenfalls selektiv und selbstreferentiell, da auch hier die Resultate früherer selektiver Kommunikationsprozesse auf den aktuellen Verstehens- und Verarbeitungsprozess zurückwirken (R3). Der Rezipient nimmt im Prozess entsprechend dem Grad an Loyalität die Rolle eines Konsumenten (bisher kein Kauf eines Angebots des Unternehmens getätigt) bis hin zu der eines Stammkunden (höchste Loyalität) ein. Auch kann er als Kommunikationspartner den Marketing-Kommunikationsprozess mehrstufig gestalten, indem er in direkter oder medienvermittelter Kommunikation ein Kommunikationsangebot im intendierten Sinne des Unternehmens und seiner Agentur in seinem sozialen Netzwerk oder auch in der Öffentlichkeit (z. B. via youtube.com) distribuiert. Auch seitens des Konsumenten und Kunden sind erwartete Erwartungen wirksam (R4). So hat er beispielsweise dank seines Marketing-Kommunikationswissens genaue Vorstellungen davon, was für Reaktionen ein Unternehmen auf seine Marketing-Kommunikationsangebote erwartet. Genau dies impliziert die Redeweise vom mündigen und kritischen Verbraucher, der heute bereits während seiner Schulzeit einen detaillierten Überblick über die Marketing-Kommunikation in unserer Gesellschaft erhält (s. z. B. Riedel 2016). Als weiteres äußerst wirksames Reflexivitätsverhältnis ist die Reflexivität des Wissens und Meinens der Konsumenten und Kunden in Bezug auf andere Konsumenten und Kunden zu nennen (R5). So weiß oder meint der einzelne Konsument, dass auch andere Konsumenten über die spezifischen Eigenschaften einer Marke Bescheid wissen. Diese reflexive Wissensstruktur ist bei Produktkategorien mit einem hohen ökonomischen und/oder sozialen Kaufrisiko (z. B. Auto, Kleidung) ein wichtiger Entscheidungsmechanismus bei der Markenwahl, um mit dem Kauf und der Nutzung des Produktes eine bestimmte soziale Gruppenzugehörigkeit und Wertehaltung zum Ausdruck bringen zu können. Reflexivität ermöglicht also das Entstehen kollektiven Markenwissens in Öffentlichkeiten im Sinne von Zielgruppen. Hierin ist der Grund zu sehen, warum Moderne Marketing-Kommunikation auch zukünftig auf
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Öffentlichkeit angewiesen ist. Nur so kann sie kollektives Markenwissen aufbauen, was nicht über private One-to-One-Kommunikationen zwischen Unternehmensvertretern und Kunden erreicht werden kann. Mit Medien, die sich an die Öffentlichkeit wenden, die also allgemein adressierte Kommunikationsangebote vorhalten, verknüpfen Rezipienten das Wissen, dass auch (viele) andere dieselben Medien nutzen, womit allein aus der Reichweite der Medien wichtige Wirkungen resultieren. Durch öffentliche Kommunikation „kennt der Einzelne die Themen, die er auch bei anderen als bekannt unterstellen kann, und er kann das Entscheidungsverhalten anderer Gesellschaftsmitglieder zumindest prognostizieren“ (Jarren 2008: 335) und damit sein soziales Kaufrisiko mindern. Die äußeren beobachtbaren Handlungen der Konsumenten, Kunden und Kommunikationspartner (Outcome und Outflow) dienen schließlich dem Unternehmen und seinen Agenturen der Erfolgskontrolle des Prozesses und seiner Adjustierung. Dies betrifft auch die Frage nach den Wirkungen der Selbstreferenz der MarketingKommunikation, beispielsweise: Ist auch heute noch unsere Orientierung an der bis dato erfolgreich gewesenen Orientierung an der Positionierung unserer Marke, getreu dem Motto „Das haben wir doch immer so gemacht !“, erfolgreich ?
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Paradigmen der Marketing-Kommunikation
Parallel zur Entwicklung des Marketings vom Transaktions- zum Beziehungsmarketing (s. Kap. A 2.1.1) haben sich seit der Mitte des 20. Jahrhunderts in der MarketingKommunikation die beiden Paradigmen der persuasiven Markenkommunikation und der beziehungsorientierten Direktmarketing-Kommunikation herausgebildet. Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich zudem die Integrierte (Marketing-)Kommunikation als drittes Paradigma konstituiert, das im Sinne von Thomas Kuhn (1976) als das heute herrschende Paradigma bezeichnet werden kann. Es bewahrt typischerweise für ein neues Paradigma Teile aus den beiden früheren Paradigmen, führt diese zusammen und eröffnet im Zuge des Komplexitätsanstiegs der Marketing-Kommunikationsverhältnisse in der Praxis neue Problemlösungszugänge (vgl. ebd.: 181). Alle drei Paradigmen zeichnet jeweils aus, dass sie spezifische Positionen zum Phänomen der Marketing-Kommunikation beinhalten, die von einem Kreis von Wissenschaftlern vertreten werden, die jeweils als eine wissenschaftliche Gemeinschaft angesehen werden können (vgl. ebd.: 187). Es handelt sich also um Konzeptionen von Marketing-Kommunikation, die kommunikationswissenschaftlich relevant sind, die sich in wesentlichen Punkten durch ihre unterschiedlichen Vorstellungen von Marketing-Kommunikation auszeichnen und die jeweils eine Menge der empirischen und theoretischen Arbeiten in den einzelnen Phasen des Entwicklungsverlaufs der Marketing-Kommunikation (s. Abb. 10) bündeln.
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2.6.1 Persuasive Markenkommunikation Zur Darstellung der Positionen des Paradigmas der persuasiven Markenkommunikation empfiehlt es sich, zunächst einen Blick auf den Persuasionsbegriff zu werfen, wodurch zentrale kommunikationstheoretische Annahmen dieses Paradigmas aufgedeckt werden können. Im Lexikon der Kommunikations- und Medienwissenschaft greift Klaus Merten zur Bestimmung des Persuasionsbegriffs auf die Definition von James Stiff (1994) zurück, wonach unter Persuasion „any message that is intended to shape, reinforce or change the responses of another, or others“ (zit. n. Merten 2013: 264 f.) verstanden wird. Spezifiziert werden muss, was unter „responses“ zu verstehen ist. So spricht die psychologisch orientierte Kommunikations- und Medienwissenschaft konkreter von Einstellungen und/oder Verhalten, die durch gezielte Kommunikation beeinflusst werden (vgl. U. Six 2007: 109). Aufgrund dieses Verständnisses von Persuasion als beeinflussende Kommunikation, die einen Wirkungserfolg impliziert, ist die Persuasionsforschung traditionell stark dem behavioristischen Stimulus-Response-Modell (S-R-Modell) verhaftet. Dieses fußt auf der durch Gustave Le Bon (1895) bekannt gewordenen Massenpsychologie. Le Bon (1951: 18) erklärt eine direkte Beeinflussbarkeit der „Masse“ damit, dass sich der einzelne als Glied einer Masse in einem hypnoseähnlichen Zustand befindet, wodurch die bewusste Persönlichkeit vollkommen ausgelöscht wird. „Sorgfältige Beobachtungen scheinen nun zu beweisen, daß ein einzelner, der lange Zeit im Schoße einer wirkenden Masse eingebettet war, sich alsbald – durch Ausströmungen, die von ihr ausgehen, oder sonst eine noch unbekannte Ursache – in einem besonderen Zustand befindet, der sich sehr der Verzauberung nähert, die den Hypnotisierten unter dem Einfluß des Hypnotiseurs überkommt.“ (ebd.: 17 f.)
Entsprechend kann nach dem S-R-Modell ein omnipotentes Medium („all-powerful media“, vgl. Kap. A 1.3.1) die schutzlos ausgelieferten und sozial isolierten Individuen nach Belieben beeinflussen. Eine bei allen Rezipienten identische Wirkung wird direkt und linear, ungeachtet jeweiliger psychosozialer Merkmalsausstattungen der Rezipienten, mit der Gestaltung der massenmedial verbreiteten Reize in Beziehung gesetzt. Die Introspektion als die Beobachtung des inneren Handlungsbereichs der Individuen, mit der der einzelne die in ihm ablaufenden Erlebnisprozesse, wie zum Beispiel Denkvorgänge, Gefühlsregungen oder Stimmungslagen, erfassen kann, wird von den Behavioristen mit der Begründung abgelehnt, dass die mit dieser Methode erfassten Beobachtungsgegenstände nur jeweils dem einzelnen Individuum zugänglich sind. Dadurch sei der Anspruch der Objektivität an eine wissenschaftliche Methode bei der Introspektion nicht erfüllt. Der Behaviorismus schließt diese Vorgehensweise daher vollkommen aus dem Repertoire der wissenschaftlichen Methoden aus, was schließlich dazu führt, dass jegliches menschliches Erleben, Verhalten
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Abb. 19 Ein markt- und werbepsychologisches S-R-Modell (Quelle: Rosenstiel/Neumann 1982: 41)
und Handeln entweder anhand von vorausgehenden Reizen oder von Reaktionen beziehungsweise Konsequenzen dieser Reaktionen operationalisiert wird (vgl. Rosenstiel/Neumann 1982: 4, 39, s. Abb. 19). John B. Watson, der Hauptvertreter des Behaviorismus, der im Jahre 1924 Vice President der Kommunikationsagentur J. Walter Thompson wurde, fasst die Ausrichtung des Behaviorismus wie folgt zusammen: „Psychology as the behaviorist views it is a purely objective experimental branch of natural science. Its theoretical goal is the prediction and control of behaviour.“ (Watson 1913: 158)
Die vom S-R-Modell propagierte Vorstellung von weitgehend uniformen Reaktionsweisen der Adressaten auf Kommunikationsstimuli trägt erheblich zum Bild eines nahezu uneingeschränkt manipulierbaren Rezipienten beziehungsweise Konsumenten bei, der den Reizen der Marketing-Kommunikation bedingungslos unterliegt. Persuasion wird von den Behavioristen als eine eindeutig planbare, kommunikative Beeinflussung anderer aufgefasst, wie es etwa bei Neil F. Miller zweifelsfrei zum Ausdruck kommt: „It is a fact that human behavior, following the laws of psychology, is often more predictable than the performance of machines that are governed by the laws of physics and chemistry.“ (Miller 1950: 580)
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in jüngerer Zeit Zweifel aufgekommen sind, ob Medienwissenschaftler vor dem zweiten Weltkrieg tatsächlich einem S-R-Denken
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verpflichtet waren. Frank Esser und Hans-Bernd Brosius (2000) kommen nach umfangreicher Literaturrecherche zu dem Ergebnis, dass der S-R-Ansatz ein kommunikationswissenschaftlicher Mythos ist, der aufgrund mangelnder Reflektiertheit, gegenwartsbezogener Überheblichkeit und einem rhetorischen Abgrenzungsbedürfnis nicht totzukriegen ist (vgl. ebd.: 65 f.). Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass viele Methoden und Theorien, die von Marketingwissenschaftlern und Werbewirkungsforschern zur Erklärung kommunikativer Vorgänge herangezogen werden, auf naiven deterministischen Wirkungsannahmen basieren, wie sie auch dem skizzierten S-R-Ansatz zugrunde liegen (vgl. Kap. B III 2.1). Das Persuasionskonzept erfährt vor allem durch die zwischen Ende der 1940er und Anfang der 1960er Jahre entstandenen Forschungen aus dem Yale Communication Research Program unter der Leitung von Carl I. Hovland eine Modifizierung (s. besonders Hovland et al. 1953, 2017, im Überblick s. Schenk 1987: 45 – 103). Die in diesem Programm stattfindende Persuasionsforschung konzentriert sich auf die Frage, wie und unter welchen Rahmenbedingungen eine Veränderung von Einstellungen durch Kommunikation bewirkt wird. Einstellungen werden hier von einem neobehavioristischen Standpunkt aus als intervenierende Variable aufgefasst, die im Organismus (O) zwischen Stimulus und Reaktion als ein wirkungsmodifizierender Filter operieren (S-O-R-Modell, s. Abb. 20). ▶ Definition (vgl. Hannover et al. 2004: 190, Schenk 1987: 37) Einstellungen sind eine wertende Haltung einer Person gegenüber einem Objekt, einer Person oder einem Sachverhalt (dem Einstellungsobjekt) und spiegeln deren allgemeine Orientierung (Annäherung versus Ablehnung) gegenüber dem Einstellungsobjekt wider.
Abb. 20 Das S-O-R-Modell der Einstellungen in der Persuasionsforschung (Quelle: Schenk 1987: 39)
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In der Literatur werden Einstellungen übereinstimmend anhand der Drei-Komponenten-Theorie strukturiert, wonach sich eine Einstellung aus in Interrelation befindlichen affektiven, kognitiven und konativen Elementen zusammensetzt: die gefühlsmäßige Bewertung eines Sachverhalts, das erkenntnismäßige Wissen über diesen Sachverhalt und die Handlungstendenzen, zum Beispiel die Kaufabsicht (s. z. B. Hormuth 1979: 5, B. Six 1980: 57 f.). Deutlich ist, dass Verhalten integraler Bestandteil des Einstellungskonzeptes ist, weswegen die Forschung zum Einstellungskonstrukt, deren Beginn Bernd Six (1980: 56) zufolge auf die Arbeit von William I. Thomas und Florian Znaniecki (1918 – 1920) zurückgeht, nahtlos in die behavioristische Persuasionsforschung eingepasst werden konnte. Den Individuen wird aber durch die Berücksichtigung ihrer Einstellungen ein erheblicher Spielraum bei ihren Reaktionsmöglichkeiten auf Kommunikationsstimuli zugeschrieben, womit die behavioristische Annahme der identischen, interindividuell unterschiedslosen Wirkung der Massenmedien in ihrer Radikalität verworfen wird. Carl I. Hovland und seine Mitarbeiter haben in zahlreichen Experimenten den Einfluss von Kommunikationsstimuli auf Einstellungsveränderungen untersucht, wobei sie besonders die Bedeutung von zwei Faktorengruppen herausgearbeitet haben. Die eine Faktorengruppe, die im Persuasionsprozess wirksam ist, beinhaltet Merkmale des kommunikativen Stimulus. Einseitige oder auch eine Gegenargumente verwendende zweiseitige Argumentation, emotionale – zum Beispiel furchterregende – Appelle oder auch die Anordnung der Argumente, also die Frage, ob die zuerst präsentierten oder die zuletzt aufgeführten Argumente einen stärkeren Einfluss ausüben (Primacy- versus Recency-Effekt), waren Gegenstand der Untersuchungen. Auch fallen in diese Faktorengruppe Eigenschaften des Kommunikators, wobei besonders dessen wahrgenommene Glaubwürdigkeit und der ihm zugeschriebene Sachverstand die Kommunikationswirkung beeinflussen. Die zweite Faktorengruppe umfasst Merkmale der Rezipienten wie zum Beispiel Selbsteinschätzung, Geschlecht und intellektuelle Fähigkeiten, die im Persuasionsprozess wirksam sind. So sind beispielsweise Rezipienten mit hoher Intelligenz aufgrund ihrer Fähigkeit, Schlussfolgerungen zu ziehen, stärker durch eine rationale und logische Argumentation beeinflussbar. Auch werden sie aufgrund ihres Kritikvermögens durch eine unlogische, falsche und irrationale Argumentation seltener als weniger intelligente Rezipienten beeinflusst. Es wurde eine Fülle von deskriptiven Einzelbefunden produziert, die sich teilweise widersprechen und die nicht zur Entwicklung einer kohärenten formalen Persuasionstheorie beigetragen haben, was – worauf Michael Schenk (1987: 97) mit Verweis auf Hovland et al. (1953) hinweist – im Yale Program allerdings auch überhaupt nicht beabsichtigt war. Die Persuasionsforschung lässt sich am besten charakterisieren als ein In-Beziehung-Setzen von Input- und Output-Variablen. Sie versucht, diese Variablen in einer Matrix (s. McGuire 1989: 45) oder in einem Modell des kommunikativen Einflussprozesses von Individuen (s. Braehmer 1980: 26) zu ordnen, um so die Beziehungen von unabhängigen und abhängigen Variablen im Persuasionsprozess zu klären.
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Heute hat sich die Persuasionsforschung dahin gehend weiterentwickelt, dass sie nicht länger nach wirksamen Merkmalskombinationen aus den beiden Faktorengruppen Stimulus und Rezipient sucht, sondern die bei den Einstellungsänderungen stattfindenden kognitiven und emotionalen Verarbeitungsprozesse fokussiert. So beschreiben die Zwei-Prozesse-Modelle (Chaiken 1980, Petty/Cacioppo 2011, im Überblick s. U. Six 2007: 111 f., Hannover et al. 2004: 190 f.) zwei unterschiedliche Wege, auf denen es zu einer Einstellungsänderung kommen kann. Das Elaboration-Likelihood-Modell von Richard Petty und John Cacioppo (2011, s. Abb. 21) unterscheidet – dabei auf der Linie des Involvement-Konzeptes (s. Kap. B III 1.3.4.1) liegend – eine zentrale von einer peripheren Route. Erstere schlägt ein stark involvierter Rezipient ein. Sie ist durch eine elaborierte kognitive Auseinandersetzung mit den Inhalten einer persuasiven Botschaft gekennzeichnet, zum Beispiel bei gegebenem Interesse für ein Thema oder dessen Einschätzung als wichtig oder persönlich relevant. Die periphere Route hingegen wird von schwach involvierten Rezipienten eingeschlagen, die nicht fähig oder nicht motiviert sind, sich mit der Botschaft auseinanderzusetzen. Zu einer Einstellungsänderung kommt es bei diesem Weg, wenn die Botschaft bestimmte periphere Hinweisreize („cues“) enthält, wie beispielsweise einen attraktiven oder kompetenten Kommunikator, auffallende Bilder oder Hinweise auf gesellschaftliche Normen. Die über die periphere Route erzielte Einstellungsänderung ist meist jedoch nur von kurzer Dauer und leicht wieder veränderbar. Dieses Verständnis von Persuasion als Beeinflussung des Verhaltens infolge von erzielter Einstellungsänderung ist ein zentrales Charakteristikum der klassischen, imageorientierten Markenkommunikation. In evolutorischer Betrachtung hat es sich während der Wirkungsphase der Marke ausgeprägt, die im Laufe des 19. Jahrhunderts mit dem Anbruch des Industriezeitalters begann und die die Markierungsphase der Marke ablöste (vgl. Tropp 2004: 23 f.). Die bis dahin dominierende Identifikationsfunktion der Marke wurde durch gravierende Veränderungen, vor allem durch • •
den Anstieg der Produktionsmengen der Fabriken, die zunehmende Konkurrenz unter den Herstellern und die resultierende Notwendigkeit an Produktprofilierung, was zum Entstehen der Produktmarken führte, und • das Entstehen von Reklame und ihrer Entwicklung zur Werbung als Folge der Anonymisierung von Herstellern und Konsumenten von einer neuen, aus diesen Veränderungen resultierenden Funktion, der Beeinflussungsfunktion, überlagert. Mit Myriam Roth (1999: 169) kann die Beeinflussungsfunktion der Marke allgemein an ihrer Eigenschaft festgemacht werden, dass sie einen Handlungsanreiz bietet und dadurch zu einem Instrument der Beeinflussung wird, was auf ein teleologisch geprägtes Markenverständnis hinausläuft. Konkretisiert werden kann die Beeinflussungsfunktion der Marke dahin gehend, dass, bedingt durch
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Abb. 21 Elaboration-Likelihood-Model von Petty und Caccioppo (Quelle: Schenk 2007: 261)
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die zunehmende Kluft zwischen den Akten der Produktion und der Konsumption von Gütern, die Hersteller nicht gewillt waren, sich vom Handel ins Abseits drängen zu lassen, und sich um die Aufrechterhaltung des Kontaktes mit den Endabnehmern bemühten. So trat bei berühmten, um die Jahrhundertwende entstandenen Marken wie beispielsweise Maggi (1887), Henkell (1906) oder Nivea (1912) neben die Funktion der Identifikation und der damit ermöglichten Qualitätsdokumentation der Produkte verstärkt die Notwendigkeit der Kommunikation eines markenspezifischen absatzsichernden Images, das über den reinen funktionalen Produktnutzen hinausgeht und einen emotionalen oder symbolischen Zusatznutzen vermittelt. Beispiel
Der funktionale Nutzen der Marke Nivea ist die Körperpflege. Ihr darüber hinausgehender symbolischer Nutzen ist die natürliche Schönheit (s. Abb. 22).
Der Imagebegriff verbindet das Persuasionskonzept mit der Markenkommunikation, wodurch er das Paradigma der persuasiven Markenkommunikation maßgeblich prägt. Denn, „psychologisch gesehen, sind die Markenimages nicht anderes als Einstellungen zur Marke“ (Sommer 1998: 149, s. auch Kroeber-Riel 1984: 158). Markenimages stellen damit, wie die Einstellungen, eine Form der verhaltensrelevanten Wertung dar. Analog zum Einstellungskonzept wird entsprechend von einer kauf-
Abb. 22 www.nivea.de; Zugriff: 24. 10. 2018
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beeinflussenden Wirkung von Images ausgegangen, was das zentrale Merkmal des Paradigmas der persuasiven Markenkommunikation ist. Auch der neobehavioristische Neuromarketing-Forschungsansatz, der vor allem in der verhaltenswissenschaftlich ausgerichteten Marketing-Kommunikationsforschung erprobt wird, orientiert sich an diesem Paradigma. Das Markenimage wird hier als die gespeicherten Assoziationen, die Konsumenten mit einer Marke haben, definiert und von der Markeneinstellung, der positiven oder negativen Haltung gegenüber der Marke, differenziert. Neben der Markenbekanntheit, der Markenbindung und dem Markenvertrauen werden das Markenimage und die Markeneinstellung als Variablen modelliert, die in Abhängigkeit von der unabhängigen Variable der Markenemotionen bei der Auswahl und dem Kauf des Produktangebots intervenieren (s. Esch et al. 2008). Aus heutiger Sicht und vor dem Hintergrund des dargelegten Verständnisses einer Modernen Marketing-Kommunikation sind folgende Anmerkungen in einer zusammenfassenden Würdigung vorzunehmen: •
In methodologischer Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass die Positionen des Paradigmas der persuasiven Markenkommunikation weitestgehend auf Erkenntnissen beruhen, die aus Laborexperimenten der Carl-I.-Hovland-Gruppe resultieren. Das für Kommunikation notwendige Kriterium der Kontextualität wird in Form des sozialen Kontextes, in dem Individuen ihre Eindrücke aus Kommunikationen sinngebend verarbeiten (Freundeskreis, Familie usw.) und das dadurch einen entscheidenden Einfluss auf die Wirkung hat, ausgeblendet. Auch gilt ein jeweils festgestellter kausaler Zusammenhang zwischen unabhängigen und abhängigen Variablen nur unter den jeweiligen Rahmenbedingungen der Laborsituation. Inwiefern sich also die in der künstlichen Situation des Labors gewonnenen Befunde auf natürliche Kommunikationssituationen übertragen lassen, ist fragwürdig (vgl. Jäckel 2011, Schenk 1987: 97 f.). Carl I. Hovland (1959) hat diesen Punkt selbst thematisiert, als er die in Laborexperimenten festgestellten Wirkungen mit denen, die in Surveys beobachtet wurden, verglich. • Viele Arbeiten des Yaleschen Forschungsprogramms erscheinen als theorielos und rein pragmatisch orientiert. Zwar ging es der Hovland-Gruppe nicht um die Erarbeitung einer formalen Persuasionstheorie, aber sie bezog sich, wie Michael Schenk (1987: 96) anmerkt, explizit auf lerntheoretische Konzepte, ohne diese jedoch konsequent zu operationalisieren. So wurde beispielsweise der wichtigen Variable der Kontakthäufigkeit der Rezipienten mit einem Stimulus keine Aufmerksamkeit gewidmet, was, zusammen mit der Vernachlässigung weiterer S-Rpsychologischer lerntheoretischer Variablen, im Ergebnis darauf hinausläuft, dass das Yalesche Programm auch ohne einen lerntheoretischen Bezug hätte durchgeführt werden können. • Die zentrale Position des Paradigmas der persuasiven Markenkommunikation, die kaufbeeinflussende Wirkung von Images, kann durch vorliegende Forschungs-
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ergebnisse nicht als abgesichert und bestätigt gelten. Seit den 1970er Jahren existieren erhebliche Zweifel, dass es überhaupt eine direkte Beziehung zwischen gemessener Einstellung und erfasstem Verhalten gibt (vgl. Hormuth 1979: 5). So resümiert Martin Fishbein (1979: 148), dass, wenn überhaupt, es nur sehr wenig Belegmaterial dafür gibt, „daß das Wissen um die Einstellung einer Person zu einem bestimmten Gegenstand Vorhersagen darüber erlaubt, wie sie sich dem Gegenstand gegenüber verhalten wird“. Die Beziehungen unter den Variablen des S-O-R-Modells (s. Abb. 20) können hingegen sehr verschiedenartig sein. So ist beispielsweise nach der Low-Involvement-Hierarchie durchaus eine Verhaltensänderung möglich, ohne dass eine vorherige Einstellungsänderung stattgefunden hat. Der Wirkungsverlauf kann in diesem Fall mit Michael Ray als „cognitiveconative-affective“ beschrieben werden. Markenkommunikation kann demnach unter bestimmten Bedingungen entlang der Faktoren Involvement der Rezipienten, eingesetzte Medien und Produktunterschiede nach wiederholtem Kontakt mit dem Kommunikationsangebot durchaus kognitive Effekte in Form von Wissenszunahme haben, die das Kaufverhalten beeinflussen. An das Produkt geknüpfte Einstellungen, dessen Image, prägen sich aber erst infolge des direkten Produktgebrauchs aus (vgl. Ray 1973: 152, 172). • Neben der Missachtung des Kontextualitätskriteriums in forschungsmethodologischer Hinsicht vernachlässigt persuasiv ausgerichtete Markenkommunikation in strategisch-konzeptioneller Hinsicht die Berücksichtigung eines weiteren notwendigen Kommunikationskriteriums, nämlich der Reflexivität von Kommunikation und ihres Wirkungsprozesses. Die im Persuasionskonzept verankerte Unterstellung unidirektionaler Kausalität der Kommunikation liegt auf der Linie eines Kommunikationsverständnisses, das der mathematischen Informationstheorie und der Container-Metapher entstammt (s. Kap. A 1.1) und als „one-way communication“ (Duncan/Moriarty 1998: 2) bezeichnet werden kann. Die Reflexivitätsverhältnisse der Kommunikation werden ◆ in zeitlicher Hinsicht (Wirkungen von Kommunikation wirken auf den Kommunikationsprozess selbst zurück), ◆ in sachlicher Hinsicht (die unterschiedlichen Kommunikationsangebote einer Marke in den unterschiedlichen Medien beeinflussen wechselseitig ihre jeweilige Interpretation) und auch ◆ in sozialer Hinsicht (Orientierung am Kommunikationspartner) weitestgehend ausgeblendet (vgl. Kap. A 1.3.2). Die Konzeption persuasiv ausgerichteter Markenkommunikation mutet daher zusammenfassend an wie „meaning approaching marketing communication planning from the needs of the marketer“ (Swain 2004: 48). Dies hat aber mit Moderner Marketing-Kommunikation, die auf Kommunikationsqualität achtet, wenig gemeinsam. • Der Individualkommunikation kommt, bedingt durch die Zunahme des Dienstleistungsanteils an der Wirtschaftsstruktur in modernen Gesellschaften, eine zunehmende Bedeutung zu. Aber auch die meisten Business-to-business- wie
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auch die mittel- und hochpreisigen Güter des Business-to-consumer-Sektors sind heute mit kritischen Servicekomponenten verbunden (z. B. Auto, Haushaltsgeräte, Computer etc.) (vgl. Duncan/Moriarty 1998: 2). Diese Dienstleistungs- und Serviceorientierung erzwingt in der Marketing-Kommunikation zunehmend Individualkommunikationen – sei es direkte interpersonale oder medienvermittelte –, die zuallererst auf Interaktionen, auf Sprechen und Zuhören, auf Beziehungsaufbau, zusammenfassend: auf dem Gedanken von gleichermaßen aktiven Kommunikationspartnern beruht, die sich in ihren jeweiligen kognitiven, inneren Handlungsbereichen durch Kommunikation ko-orientieren.
2.6.2 Beziehungsorientierte Direktmarketing-Kommunikation Wird beim Paradigma der persuasiven Markenkommunikation die Transaktion als Folge der beeinflussenden Wirkung von Markenimages konzipiert, steht beim Paradigma der beziehungsorientierten Direktmarketing-Kommunikation der wiederkehrende Verkaufs- und Kaufakt von Gütern, der in der Beziehung zwischen einem konkreten Kunden und einem Unternehmen stattfindet, im Zentrum des Erkenntniswie Managementinteresses. Es ist das Marketing-Kommunikationsparadigma mit der ältesten Tradition. Sein Grundstein liegt im Produktvertrieb und wurde von Johannes Gutenberg im Jahre 1437 durch die Erfindung beweglicher Drucktypen gelegt. Das neue Druckverfahren ermöglichte zu jener Zeit erstmals die Produktion von Katalogen mit Produktangeboten. Als Pionier bei der Verwendung der neu geschaffenen Möglichkeiten gilt der Buchhändler Aldus Manutius, der in Venedig bereits 1498 seine Bücher kataloggestützt verkaufte. Im amerikanischen Raum wird diese Pionierrolle Benjamin Franklin zugeschrieben, der im Jahre 1744 einen Bücherkatalog mit 600 Angeboten veröffentlichte und dabei dem Postkunden das gleiche Leistungsangebot wie dem Ladenkunden versprach. Insbesondere die Schaffung eines funktionierenden Postwesens sowie die Möglichkeit, selektierte Adressdaten durch hierauf spezialisierte Adressverlage und Adressenbüros beziehen zu können, verhalfen dem Direktmarketing zu seiner weiteren erfolgreichen Entwicklung. Adressverlage und Adressenbüros hatten erkannt, dass eine direkte Ansprache potenzieller Käufer ausschließlich über einen selektierten Adressdatensatz durchführbar ist. Das Tätigkeitsspektrum der Adressverlage umfasste hierbei einerseits das systematische Sammeln und Auswerten von Adressdaten sowie deren Vermietung an Kunden, andererseits übernahmen sie in der Folgezeit vermehrt auch den kompletten Versandservice, was die Geburtsstunde heutiger Lettershops markierte, die im Kundenauftrag die Adressierung und Konfektionierung von Werbesendungen ausüben. Als ein Adressenbüro der ersten Stunde gilt das in Berlin gegründete Unternehmen Robert Tessmer, das bereits im Jahre 1884 die ersten selektierten Adressengruppen zusammenstellte und so den gezielten Zugriff auf Ad-
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ressensätze von beispielsweise den Bewohnern einer Stadt oder den Beamten eines Landes ermöglichte. Der Direktvertrieb erlebte in dieser Zeit seinen Durchbruch und es entstanden zahlreiche neue Wirtschaftsunternehmen, die ihre Angebote auf dem Postwege vertrieben. Mit Aaron Montgomery Ward startete 1872 weltweit der erste Universalversender, was den Beginn der Mail-Order-Industrie einläutete. Innerhalb von zwölf Jahren entwickelte sich aus dessen ursprünglich einseitiger Preisliste ein Katalog mit 10 000 angebotenen Produkten auf 240 Seiten. Bei Nichtgefallen wurde den Käufern eine Geld-zurück-Garantie versprochen. Der Durchbruch des Direktmarketings in Deutschland knüpft sich an die erste Gründungswelle des deutschen Versandhandels während der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Prominente Beispiele aus jener Zeit sind Eduscho (1924), Robert Klingel (1925), Friedrich Wenz (1926) und Quelle (1927). In dieser Phase stieg auch das Geschäftsvolumen der Adressenbüros sprunghaft an, da sich Industrie und Handel im Rahmen ihrer Kundenansprache immer öfter angemieteter Adressen bedienten. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges und der damit einhergehenden Bezugsscheinwirtschaft brach der Markt des Direktmarketings zwar zunächst wieder in sich zusammen, erlebte jedoch mit Kriegsende durch den boomenden Versandhandel sogleich einen Neubeginn. Im Rahmen des Wirtschaftswunders der 1950er Jahre rollte die zweite große Gründungswelle des Versandhandels mit Unternehmen wie Otto Versand (1949), Neckermann (1950), Heinrich Heine (1951) und Schwab (1955). Die Versorgung des Verbrauchers durch den Versandhandel kann gewissermaßen selbst als Teil des Wirtschaftswunders verstanden werden (vgl. Holland 2004: 1 f., Wirtz 2006: 7 f.). Die Rezession der Jahre 1966/1967 verhalf dem Direktmarketing in Deutschland zu einem weiteren Aufschwung: Die industrielle Massenproduktion führte zu einer Sättigung der Märkte, was das Verkaufen grundlegend erschwerte und das Konsumverhalten stark veränderte. Weitgehend homogene Me-too-Produkte, große Wahlmöglichkeiten und ein Überangebot förderten auf Konsumentenseite das Bedürfnis nach Individualität sowie nach Service und Qualität. Der Absatzmarkt hatte sich von einem Anbieter- zu einem Käufermarkt entwickelt. Die Individualkommunikation mit dem Kunden und die Festigung der Kundenbindung gewannen schon damals stark an Bedeutung, was sukzessive mit einem Abschied von der undifferenzierten Massenwirtschaft einherging und in der Expansion des Direktmarketings und dessen Entwicklung zu einem auf Effizienz ausgerichteten Kommunikationsinstrument mündete. Besonderes Kennzeichen des Paradigmas der beziehungsorientierten Direktmarketing-Kommunikation ist dessen Konzentration auf das seit den 1970er Jahren bis heute immer wichtiger gewordene Kriterium der Wirtschaftlichkeit von MarketingKommunikation. Die Direktmarketing-Kommunikation kann diesbezüglich mit ihrer Fokussierung auf Transaktionen, die in Kundenbeziehungen eingebettet sind, den Unternehmen vielversprechende Ansätze aufzeigen, wodurch sie sich deutlich von der persuasiven Markenkommunikation unterscheidet:
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Die individuelle Kundenansprache bei niedrigen Streuverlusten wird der fortschreitenden Zersplitterung von Zielgruppen und Medien auf einer grundsätzlichen, konzeptionellen Ebene gerecht. Die Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie haben moderne IT-Applikationen wie beispielsweise Data Mining und Collaborative Filtering hervorgebracht, die in Verbindung mit elektronischen stationären oder mobilen Kommunikationssystemen eine kanalübergreifende und weitgehend zeit- sowie ortsunabhängige Individualkommunikation mit dem Endverbraucher zu tragbaren Kosten erlauben. Die Speicherung und systematische Auswertung gewonnener Daten erlaubt im Rahmen eines professionellen Database-Marketings eine maßgeschneiderte Ansprache des Kunden, die zu einer kontinuierlichen Erhöhung der inhaltlichen Präzision und Effizienz in der Kommunikation führt. Diese Entwicklung ist im Zusammenhang mit den Möglichkeiten einer immer feineren Mikrosegmentierung einzelner Zielgruppen zu sehen. Auch diese resultieren aus dem technologischen Fortschritt, der es ermöglicht, umfangreiche Daten hinsichtlich unterschiedlicher Merkmale von aktuellen beziehungsweise potenziellen Kunden zu erfassen und diese durch eine entsprechende Aufbereitung für das Direktmarketing verwertbar zu machen (vgl. Bruhn 2014: 599 f.). Mithilfe modernster Verfahren können im analytischen Customer Relationship Management (CRM) dann Score-Karten errechnet werden, durch die sich bei gleichbleibender Anzahl an Neugeschäften die Mailing-Auflagen reduzieren lassen, da potenzielle Kunden viel gezielter angesprochen werden können. Die so frei werdenden finanziellen Mittel können eingespart oder anderweitig, beispielsweise in die kreative Umsetzung, investiert werden (vgl. K. Weber 2006: 27). Der überproportionale Kostenanstieg direkter interpersonaler Marketing-Kommunikation, besonders in Form des Einsatzes von Außendienstmitarbeitern, hat dazu geführt, dass sich viele Unternehmen auf die Suche nach effizienten Alternativen gemacht haben und letztlich in der Verwendung von Direktwerbemedien fündig geworden sind. Heinz Dallmer (1997: 12) nennt hier vor allem das Telefonmarketing sowie Direct Mailings, die das direkte Verkaufs- und Servicegespräch substituieren. Dem ist heute noch die E-Mail hinzuzufügen. Das Beziehungsmarketing (Relationship Marketing) postuliert, dass über das Management individueller Kundenbeziehungen diese zu langfristigen und vor allem rentablen Kunden-Unternehmensinteraktionen auf- und ausgebaut werden können und somit Kunden zu profitablen Kunden entwickelt und an das Unternehmen gebunden werden können, was weitaus kostengünstiger ist, als neue Kunden zu akquirieren (vg. Wirtz 2006: 8). Im Zuge der Internationalisierung bietet das Direktmarketing den Unternehmen den Vorteil, dass sie durch seinen Einsatz große Anfangsinvestitionen vermeiden und das mit einem Markteintritt verbundene Risiko reduzieren können. Denn das Direktmarketing ermöglicht einem Unternehmen, potenzielle Kunden im Aus-
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land relativ kostengünstig und vor allem ohne Inanspruchnahme von Absatzmittlern anzusprechen. Eventuelle marketingmixbezogene Probleme wie etwa die Produktverpackung oder die Preisstellung können relativ zügig erkannt und durch entsprechende Maßnahmen behoben werden (vgl. Hesse et al. 2015: 20). Die lange Tradition des Paradigmas der Direktmarketing-Kommunikation hat eine Vielzahl von Definitionen hervorgebracht, die jeweils unterschiedliche Aspekte akzentuieren. Vergleicht man einige gängige, der einschlägigen Literatur entnommene Definitionen des Begriffs Direktmarketing (s. Tab. 4), fällt folgendes auf: Direktmarketing wird als Werbeaktivität (Bird), direkte Anspracheform (Hell), Bündel aus Kommunikationsmaßnahmen (Bruhn), interaktives Marketing-System (Kotler), Gesamtheit individueller marketing- beziehungsweise marktbezogener Aktivitäten (DDV, Dallmer, Elsner, Holland, Homburg, Schmidt et al.) oder als datenbasiertes Marketing (Bruns) definiert. Ein ähnlich divergentes Begriffsverständnis ist auch im Hinblick auf die definitorisch implizit oder explizit erwähnten Marketingmix-Elemente zu verzeichnen. Bruns etwa subsumiert dem Direktmarketing-Instrumentarium sowohl den Direktvertrieb und die Direktwerbung als auch die kundenindividuelle Leistungserstellung zu individuell festgelegten Preisen. Bei Dallmer umfasst das Direktmarketing hingegen nur kommunikationspolitische sowie Direktvertriebs- und Versandhandelsaktivitäten. Die Definition des Deutschen Direktmarketing Verbands (heute: Deutscher Dialogmarketing Verband) fokussiert auf spezifische Direktmarketing-Medien. Wirtz hebt indessen den zunehmenden Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien hervor. Als gemeinsame Implikation der Definitionen kann eine der Direktmarketing-Kommunikation zugrunde liegende teleologische Perspektive ausgemacht werden, nämlich dass ein individueller, bidirektionaler Kommunikationsprozess zu einer messbaren Kundenreaktion im Sinne einer Anschlusshandlung führt beziehungsweise führen soll. Hier muss aber einerseits berücksichtigt werden, dass auch eine nichtindividuelle, allgemein gehaltene Konsumentenansprache zur Direktmarketing-Kommunikation zu rechnen ist. Dies aber nur dann, wenn sie derartig der Kontaktanbahnung und Zielgruppenerschließung dient, dass sie letztlich die Grundlage für einen individuellen Kontakt legt. Voraussetzung hierfür ist, dass in den Kommunikationsangeboten der Unternehmen Rückkopplungsmöglichkeiten angeboten werden. Die Rezipienten sollen den angebotenen Rückkanal nutzen, sodass in einem zweiten Schritt eine Individualkommunikation zwischen Konsument und Unternehmen entstehen kann (vgl. Bruhn 2006a: 249 f., Hilke 1993: 12, Kloss 2012). Aus dieser mehrstufigen Perspektive ist es nun möglich, dem Direktmarketing auch typische Kommunikationsangebote der allgemein adressierten Marketing-Kommunikation wie Anzeigen, TV- und Radiospots sowie alle Formen der Außenwerbung zuzuordnen – vorausgesetzt, sie sind mit einem Response-Element (Antwort- bzw. Bestellkarte, Coupon/Gutschein, Telefonnummer für Service- oder Hotline, SMS-Nummer, E-Mail- oder WWW-Adresse) versehen.
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Andererseits gehen die inhaltlichen Ziele der Direktmarketing-Kommunikation heute weit über das Auslösen einer messbaren Kundenreaktion im Sinne einer einmaligen Anschlusshandlung (z. B. Kauf) hinaus und liegen im Zuge der steigenden Bedeutung der Kundenorientierung zunehmend in der Initiierung und Aufrechterhaltung eines kontinuierlichen Kommunikationsprozesses. Dieser zielt auf die Entwicklung einer dauerhaften, rentablen Kundenbeziehung, die auf Wiederkauf, CrossSelling und Up-Selling basiert und die unter Kundenwertgesichtspunkten über den gesamten Lebenszyklus hinweg der Optimierung bedarf (vgl. Wirtz 2006: 14). Die Direktmarketing-Kommunikation deckt damit in ihrem Zielhorizont sowohl die Kundenakquisition wie auch die Kundenbindung ab. Plausibel erscheint es daher, definitorisch die Punkte des Beziehungsauf- und -ausbaus sowie die individuellen und messbaren äußeren Anschlusshandlungen von Zielpersonen zu betonen, was in Anlehnung an die Definitionen des DDV (o. J.) und von Elsner (2003: 17) zu folgender Bestimmung der zentralen Position des Paradigmas der Direktmarketing-Kommunikation führt: ▶ Definition Die Direktmarketing-Kommunikation umfasst alle Marketing-Aktivitäten, bei denen Medien und Kommunikationstechniken mit der Absicht eingesetzt werden, eine interaktive Beziehung zu Zielpersonen herzustellen, die sie langfristig an das Unternehmen bindet und in der sie individuelle, messbare transaktionsorientierte Handlungen durchführen.
Mit der Charakterisierung der Beziehung zwischen dem Unternehmen und Zielpersonen als interaktiv wird die Möglichkeit beider Kommunikationspartner betont, wechselseitig aufeinander Einfluss zu nehmen. Damit stellt neben der Ausrichtung der Marketing-Kommunikation nach Effizienzkriterien Interaktivität ein weiteres wichtiges Unterscheidungskriterium dar, das das Direktmarketing-Kommunikationsparadigma vom Paradigma der persuasiven Markenkommunikation mit seinem einseitigen Kommunikationsprozessverständnis differenziert. Beide Unterscheidungskriterien, die Effizienz- wie die Interaktivitätsausrichtung der Direktmarketing-Kommunikation, finden ihren operativen Niederschlag bereits vor der Durchführung des eigentlichen Kommunikationsprozesses, was ihre besondere Bedeutung für das Paradigma der Direktmarketing-Kommunikation unterstreicht. Vor der abschließenden Auflagenproduktion und Distribution der Kommunikationsangebote werden diese nämlich in der Regel ex ante geprüft. Hierfür werden mehrere unterschiedliche Varianten des Kommunikationsmittels produziert und gegeneinander getestet. Das zentrale Ziel der Direktmarketing-Tests liegt in der Aufdeckung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, was sich letztlich nur realisieren lässt, wenn sich sowohl Ursache (unabhängige Variable) als auch Wirkung (abhängige Variable) isolieren lassen, also der Test (das Experiment) unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt werden kann. Die Ceteris-paribus-Forderung verlangt zudem, dass
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Definitionen des Begriffs Direktmarketing
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Definition
implizit oder explizit erwähnte Marketingmix-Elemente Produkt
Bird (1990: 35)
„[Direktmarketing ist] jede Werbeaktivität, die eine direkte Bindung zwischen Ihnen und Ihrem potentiellen oder vorhandenen Kunden auf individueller Basis schafft oder nutzt.“
Bruhn (2005: 656)
„Direct Marketing umfasst sämtliche Kommunikationsmaßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, durch eine gezielte Einzelansprache einen direkten Kontakt zum Adressaten herzustellen und einen unmittelbaren Dialog zu initiieren oder durch eine indirekte Ansprache die Grundlage eines Dialoges in einer zweiten Stufe zu legen, um Kommunikations- und Vertriebsziele eines Unternehmens zu erreichen.“
Bruns (1998: 27) „Direktmarketing ist eine auf der Erfassung individueller Daten basierende, im Dialog erfolgende Ausrichtung aller Direktmarketing-Instrumente und aller Unternehmensfunktionen auf die Befriedigung der Bedürfnisse des Individuums einer Zielgruppe mit abschließender Erfolgsmessung. Instrumente des Direktmarketing sind dabei die Direktwerbung, der Direktvertrieb sowie die kundenindividuelle Massenfertigung oder die kundenindividuelle Dienstleistung zu individuell gestaltbaren Preisen.“ Dallmer (1997: 6)
„Direct Marketing umfasst alle Marketingaktivitäten, die sich einstufiger (direkter) Kommunikation und/oder des Direktvertriebs bzw. des Versandhandels bedienen, um Zielgruppen in individueller Einzelansprache gezielt zu erreichen. Direct Marketing umfasst ferner solche marktgerichteten Aktivitäten, die sich mehrstufiger Kommunikation bedienen, um einen direkten, individuellen Kontakt herzustellen.“
Deutscher Direktmarketing Verband e. V. (DDV) (o. J.) (heute: Deutscher Dialogmarketing Verband e. V.)
„Direktmarketing, häufig auch als Dialogmarketing bezeichnet, umfasst alle Marketingaktivitäten, bei denen Medien mit der Absicht eingesetzt werden, eine interaktive Beziehung zu Zielpersonen herzustellen, um sie zu einer individuellen, messbaren Reaktion (Response) zu veranlassen. Dazu zählen: Bei klassischer Direktwerbung: • Adressierte Werbesendungen • Haushaltsdirektwerbung wie Prospekte, Kataloge und Postwurfsendungen (unadressierte Werbesendungen) • Teiladressierte Werbesendungen wie „Postwurf Spezial“ • Aktives und passives Telefonmarketing • Interaktive Medien Bei Direktmarketing in klassischen Medien: • Anzeige und Beilage mit Responseelement • Funk- und Fernsehwerbung mit Responseelement • Plakat- und Außenwerbung mit Responseelement.“
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Definition
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implizit oder explizit erwähnte Marketingmix-Elemente Produkt
Preis
Distri- Kommubution nikation
Elsner (2003: 17)
„Der Begriff Direktmarketing umfasst alle Marketingaktivitäten, bei denen Medien und Kommunikationstechniken mit der Absicht eingesetzt werden, eine interaktive Beziehung zu Zielpersonen herzustellen, um sie zu einer individuellen, messbaren Reaktion im Sinne einer Transaktion mit direkter Distribution bzw. Versandhandel zu veranlassen.“
Hell (1993: 8)
„Direktmarketing ist die direkte Ansprache von Zielpersonen über die verschiedensten Medien mit der Absicht, die Angesprochenen zu einer sofortigen Reaktion zu veranlassen.“
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Holland (2004: 5)
„Direktmarketing umfasst Marketingaktivitäten mit einer gezielten, direkten Ansprache der Zielpersonen und Marketingaktivitäten, die mit mehrstufiger Kommunikation den direkten Kontakt herstellen wollen, und hat das Ziel, eine messbare Reaktion (einen Response) auszulösen.“
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Homburg (2017: 823)
„Direktmarketing umfasst alle marktbezogenen Aktivitäten, die sich einstufiger (direkter) Kommunikation bedienen, um Zielgruppen in Einzelansprache gezielt zu erreichen.
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Kotler (2003: 631)
„Direct marketing is an interactive marketing system that uses one or more media to effect a measurable response or transaction at any location.“
Schmidt et al. (2004: 147)
„Direkt-Marketing ist die Gesamtheit der Marketingaktivitäten, die ein Wirtschaftsunternehmen durch direkte, individuelle Kommunikation mit den Mitgliedern einer Zielgruppe verfolgt.“
Wirtz (2006: 12) „Unter Direktmarketing versteht man den Prozess der Anbahnung und Aufrechterhaltung einer direkten, personalisierten Interaktion mit dem Kunden unter der Zielsetzung, die Beziehung zum Kunden dauerhaft zu gestalten und den Kundenwert zu maximieren. Als Elemente werden hierfür sämtliche Instrumente des Marketingmix in integrierter Form und zunehmend unter Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt.“
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prinzipiell nur ein Testmerkmal variiert werden sollte, da es sonst nicht mehr möglich ist, ursächliche Beziehungen aufzudecken. Indem neben der Experimentalgruppe zusätzlich eine Kontrollgruppe eingesetzt wird, kann die Wirkung eines Testelementes durch den Abgleich der Reaktionen von Kontroll- und Experimentalgruppe ermittelt werden. Als Erfolgskriterien dienen beispielsweise die Responserate oder die Kosten pro Produktbestellung/Auftrag (Cost-per-Order/CpO). Offensichtlich ist, dass der Ceteris-paribus-Forderung in der Praxis oftmals nur schwer nachzukommen ist, da sich die externen Einflüsse kaum konsequent durch das Unternehmen kontrollieren, geschweige denn exakt messen lassen. Mit Verzerrungen der Testergebnisse muss daher immer gerechnet werden (vgl. Holland 2004: 54 f., Mann 2017). Dennoch liegen die Vorteile gegenüber den Pretests der klassischen anwendungsorientierten Werbeforschung, die sich am Paradigma der persuasionsorientierten Markenkommunikation ausrichtet, auf der Hand. Durch die auf äußere Anschlusshandlungen und damit auf Interaktivität ausgelegte Struktur des Direktmarketing-Kommunikationsprozesses hat die Ex-ante-Erfolgskontrolle des Direktmarketings den Vorteil, dass sie die Effekte und die Effizienz eines Kommunikationsprozesses mit hoher Wahrscheinlichkeit quantitativ eindeutig, in dem Sinne, dass sie zurechenbar sind, prognostizieren kann. Weiterhin werden ihre Ergebnisse nicht durch die Künstlichkeit einer Laborsituation beeinflusst, ebenso wenig ist bei den Testteilnehmern mit Reaktivitätseffekten zu rechnen, da die Tests verdeckt ablaufen und in die alltägliche soziale Lebenswelt der Teilnehmer integriert werden. Wirft man einen Blick auf den heutigen Stand der Direktmarketing-Kommunikation, wie er sich in Praxis und Wissenschaft darstellt, lassen sich zusammenfassend folgende Anmerkungen treffen: • Trotz der enormen Fortschritte, die in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologie gemacht wurden, ist vielen Unternehmen in Sachen Kundenbindung ein wirklicher Durchbruch bisher nicht gelungen. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass in Unternehmen die Direktmarketing-Kommunikation häufig eng mit einem stark technokratisch ausgerichteten Weltbild einhergeht. Kundenbindung kann aber nicht allein aus einer rationalen Kriterien folgenden Planung und dem konsequenten Einsatz von entsprechenden Instrumenten resultieren. Notwendig ist eine Umstellung von unternehmerischen Prozessen und Strukturen, die auf einer Neuausrichtung der Unternehmenskultur in Richtung Kundenzentrierung fußt, wie es das Konzept des Customer Relationship Management (CRM) ja auch postuliert. Dies fällt anscheinend jedoch vielen Unternehmen schwer. Es liegt also nicht an einem Mangel an Instrumenten, an Wissen oder an Experten, dass der Durchbruch im Kundenbeziehungsmanagement vielen Unternehmen bisher versagt blieb. Es liegt wohl eher daran, dass sich Unternehmen der Wichtigkeit der Kundenorientierung, also der kommunikationskonstituierenden Rolle von sozialer Reflexivität voll und ganz bewusst sind, sie aber nicht konsequent beziehungsweise zu technologisch leben.
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Die Unternehmen haben sich in den letzten Jahren zu sehr auf die vermeintliche Macht der informations- und kommunikationstechnologischen Instrumente zur Kundenbindung verlassen, die als CRM-Tools zur Verfügung stehen und die verdeckt haben, dass die Handlungsfreiheit und die Bedürfnisse eines aufgeklärten Kunden nicht technologisch eingeebnet werden können. Kundenloyalität kann nämlich nicht strikt instrumentell und monokausal mittels Direktmarketing-Programmen unter Einsatz von Mailings, Callcenters oder interaktiven WWW- und E-Mail-Kampagnen erzielt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Kunden sich aufgrund der gesamten Wertschöpfung, die sie erfahren und die ihr Wissen über die Marke und über deren Konkurrenten bereithält, gegenüber Marken loyal verhalten. Hier sind beispielsweise die Produktqualität, der Service, die Verkaufsberatung und die Verfügbarkeit zu nennen, die eine Marke in ihrem Erlebnis als geschlossenes Ganzes ausmachen (vgl. Reichheld 1999: 56). • Zwischen den Individualisierungsbemühungen der Direktmarketer bei ihrer Produktion von Kommunikationsangeboten und den individuellen Wahrnehmungen dieser Angebote seitens des Konsumenten/Kunden klafft anscheinend ein beachtlicher Spalt. Das Nürnberger Marktforschungsinstitut GfK hat in 2006 die Studie „Konsumeinstellungen und -meinungen zu persönlich adressierten Werbesendungen“ vorgelegt (Methode: schriftliche Befragung von 4500 Haushalten des GfK-Direktmarketing-Panels). Demnach liegt die Zahl der Mailingverweigerer in den Branchen Versicherungen, Sammelartikel, Spendenorganisationen und Banken bei über 70 Prozent („Möchten Sie zukünftig gerne mehr, gleich viele oder weniger Mailings erhalten ?“). Die GfK folgert daraus, dass der Individualisierungsgrad – zumindest im Bereich Mailing – wohl nicht auf dem Niveau liegt, auf dem er sein sollte. Und so wundert es auch nicht weiter, wenn in der Studie als ein weiteres Ergebnis aufgedeckt wird, dass nur 8,7 Prozent der Befragten sich von Werbesendungen persönlich angesprochen fühlen und lediglich 4,2 Prozent glauben, dass Mailings Angebote beinhalten, die auf ihren persönlichen Bedarf zugeschnitten sind. Man könnte diesen Befund dahin gehend radikalisieren, dass aus Konsumenten- und Kundensicht individuell nicht gewünschte und individuell nicht relevante Kommunikationsangebote, seien es Mailings, E-Mails oder Telefonanrufe, heute den Direktmarketing-Alltag dominieren. Die Ursachen für diese nicht wahrgenommene Individualität der Kommunikationsangebote können an dieser Stelle nicht zufriedenstellend geklärt werden. Wohl aber kann ein erster Indikator ausgemacht werden. Durch die heutige Flut an personalisierten Mailings mit vermeintlich individuellen Angeboten beraubt sich dieses Kommunikationsangebot selbst seiner Aufmerksamkeitsstärke und seiner Relevanz. Je mehr individuell nicht gewünschte und nicht relevante Mailings produziert werden, desto uniformer wirken diese Kommunikationsangebote beim Konsumenten, wodurch die Produktion eines individualisierten Angebots noch schwieriger wird.
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Die Forschung, die sich vom Paradigma der beziehungsorientierten Direktmarketing-Kommunikation leiten lässt, hat mit einem ähnlichen kommunikationstheoretischen Defizit zu kämpfen wie die, die sich dem Paradigma der persuasiven Markenkommunikation verpflichtet. Auch hier kommt die Berücksichtigung der Reflexivitätsverhältnisse in der Kommunikation zu kurz, trotz der auf Interaktion ausgelegten Struktur des Direktmarketings. Es dominieren Bemühungen, den Kundenwert zu modellieren, womit die Unternehmen-Kunde-Beziehung aus der Perspektive des Unternehmens in das Zentrum der Analyse gestellt wird, um dem Unternehmen zu ermöglichen, sein Direktmarketing nach ökonometrischen Kennzahlen zu managen. Dabei wird die Kundenperspektive vernachlässigt. Christoph Burmann und Stefan Rickert (2006: 51) weisen entsprechend zu Recht auf die Notwendigkeit hin, dass in der ausreichenden Herstellung eines Kundennettonutzens durch das Unternehmen die notwendige Bedingung für eine Vertiefung der Kundenbeziehung zu sehen ist. Unter Kundennettonutzen, in der Praxis auch häufig als Mehrwert bezeichnet, verstehen sie den aus Kundensicht wahrgenommenen Wert dessen, was der Kunde aus der Beziehung zu dem Unternehmen erhält, abzüglich der dadurch entstehenden Opportunitätskosten (vgl. auch Tropp et al. 2005: 521). Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive rücken damit die Gratifikationserwartungen und die erhaltenen Gratifikationen des Konsumenten und Kunden, denen im Rahmen des Uses-and-GratificationAnsatzes zentrale Bedeutung zukommt (vgl. im Überblick Schweiger 2007: 60 f.), neben die Frage nach dem Kundenwert zusätzlich in den Analysefokus. Für eine vollständige Erforschung der Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmen müssen daher beide Dimensionen berücksichtigt werden.
2.6.3 Integrierte Marketing-Kommunikation Das zu Beginn der 1990er Jahre aufgekommene Paradigma der Integrierten Marketing-Kommunikation (IMK) – Edwina Luck und Jennifer Moffart (2009: 311) sprechen sogar von einem neuen Paradigma des Marketings – reflektiert Entwicklungen im Umfeld der Werbung, die den Ruf nach einem Konzept zur Systematisierung und Koordination der Marketing-Kommunikationsaktivitäten eines Unternehmens laut werden ließen. Zu diesen Entwicklungen gehören: •
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die sich schnell verbreitende Kommunikations- und Informationstechnologie, die zur Konsumentenfragmentierung sowie zur Fragmentierung und Diversifikation der Medien beigetragen hat; die diversifizierten Lebensstile und Vorlieben der Konsumenten, die ebenfalls zur fragmentierten Konsumentenschaft beigetragen haben; die Forderung der Agenturkunden nach effektiveren und effizienteren Methoden der Marketing-Kommunikation;
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die Globalisierung, die bei multinationalen Unternehmen zum Streben nach einer Vereinheitlichung von Produkten, Marken, Positionierungen und Kommunikationsstrategien geführt hat (vgl. Kim et al. 2004: 33, Kirchner 2001: 29).
Eine der ersten Definitionen des Begriffs der Integrierten Marketing-Kommunikation (Integrated Marketing Communications/IMC) stammt aus dem Jahre 1989, wurde von der American Association of Advertising Agencies formuliert und hebt auf den Mehrwert der Marketing-Kommunikation ab, der durch eine übergreifende Planung der unterschiedlichen Kommunikationsdisziplinen erzielt werden soll: ▶ Definition „IMC is a concept of marketing communications planning that recognizes the added value of a comprehensive plan that evaluates the strategic roles of a variety of communication disciplines – general advertising, direct response, sales promotion, and public relations – and combines these disciplines to provide clarity, consistency, and maximum communication impact.“ (zit. n. Kim et al. 2004: 34, Kirchner 2001: 35, Kliatchko 2001: 1)
Als Pionier des Konzeptes gilt die Northwestern University, an der Don E. Schultz im Jahre 1991 eine Definition veröffentlichte, die die Rolle des Konsumenten und Kunden als externe Bezugsgruppe im IMC-Konzept betont. Dies wird als „Outsidein-Perspektive“ bezeichnet. Demnach ist IMC ein Managementprozess aller kaufauslösend relevanten Informationsquellen ein Produkt oder eine Dienstleistung betreffend, mit denen ein (zukünftiger) Kunde in Kontakt kommen könnte und die darüber hinaus dem Aufbau von Markentreue dienen (vgl. Kliatchko 2001: 1). Aus diesen beiden und auch weiteren häufig zitierten Definitionen (s. besonders Duncan/Moriarty 1994, Kitchen/Schultz 1997) lassen sich die zentralen Charakteristika des IMC-Konzeptes mit den folgenden Schlagworten zusammenfassen: • Stakeholder-zentriert, besonders: konsumenten-/kundenzentriert (Outside-in) • vernetztes strategisches Management • basierend auf Daten und Kommunikations-/Informationstechnologie sowie • ergebnisorientiert. Jerry Kliatchko (2008: 147 f.) hat vorgeschlagen, darüber hinaus noch das strategische Management von Kommunikationsinhalten und Kommunikationskanälen, im Sinne aller denkbaren „Touch Points“, über die ein Konsument in Kontakt mit einer Marke kommt, definitorisch zu berücksichtigen. Die Integrierte Kommunikation ist seit den 1990er Jahren zu einem der meist diskutierten Themen in der wissenschaftlichen Marketing-Kommunikationsforschung avanciert. So waren beispielsweise je eine Sonderausgabe der Zeitschriften Journal of Business Research (Vol. 37. 1996), Journal of Marketing Communications (Vol. 37,
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2/1996), Journal of Advertising Research (Vol. 39, 1/1999) sowie Journal of Advertising (Vol. 34, 4/2005) dem Themenbereich „Integrated Marketing Communications“ gewidmet. Im deutschsprachigen Raum beschäftigt sich seit Beginn der 1990er Jahre insbesondere Manfred Bruhn mit Fragestellungen zur Integration unternehmenskommunikativer Handlungen. Im Gegensatz zu dem skizzierten US-amerikanischen Konzept der IMC bezieht er nicht nur Kunden, sondern auch weitere Anspruchsgruppen (z. B. Mitarbeiter, Lieferanten, Öffentlichkeit) in sein Konzept ein, weswegen er allgemein von „Integrierter Kommunikation“ spricht. Seine Definition lautet: ▶ Definition „Integrierte Kommunikation ist ein Prozess der Analyse, Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle, der darauf ausgerichtet ist, aus den differenzierten Quellen der internen und externen Kommunikation von Unternehmen eine Einheit herzustellen, um ein für die Zielgruppen der Kommunikation konsistentes Erscheinungsbild des Unternehmens bzw. eines Bezugsobjektes des Unternehmens zu vermitteln.“ (Bruhn 2006: 17)
Der Schwerpunkt des Konzeptes liegt auf dem Managementprozess, wobei auch organisatorische und personalpolitische Aspekte berücksichtigt werden. Die theoretische Fundierung erfolgt vor allem anhand der Gestaltpsychologie. Danach muss das Unternehmen versuchen, in der Wahrnehmung der Konsumenten eine Einheit der Kommunikation zu erzielen, da so – gemäß des Gestaltkriteriums der Übersummativität („Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“) – eine höhere Wirkung erreicht werden kann als durch eine lediglich summierte Wahrnehmung einzelner Kommunikationsmaßnahmen (vgl. Bruhn 2006: 37 sowie grundlegend zur Gestaltpsychologie: Köhler 1929, Metzger 1941). Dieser Zusammenhang wird in der Diskussion um den vernetzten Einsatz von Fernsehen und gedruckten Medien auch als Media Multiplier Effekt (MME) oder verkürzt als Multiplying Effekt bezeichnet. Wolfgang Koschnick (o. J.) führt empirische Studien an, in denen nicht nur eine einfach additive, sondern eben eine multiplikative Wirkung durch den Einsatz von Anzeige und TV-Spot nachgewiesen wird. Der MME realisiert sich dann als 1) die Reaktion auf den Spot, 2) die Reaktion auf die Anzeige, 3) die Wirkung der Anzeige auf das Verstehen und die Verarbeitung des Spots, was als Reflexivität von Kommunikation in sachlicher Hinsicht aufgefasst werden kann. Manfred Bruhn (2006) differenziert die Integration der Kommunikationsmaßnahmen zur Erstellung eines konsistenten Erscheinungsbildes in eine inhaltliche, formale und zeitliche Form aus, die sowohl bei verschiedenen Zielgruppen (horizontale Rich-
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tung) als auch über die verschiedenen Marktstufen hinweg (vertikale Richtung) – von den Zulieferbetrieben über den Groß- und Einzelhandel bis zum Konsumenten – vorzunehmen ist. Integriert werden müssen dabei sowohl die kommunikationspolitischen Maßnahmen der unterschiedlichen Kommunikationsinstrumente (interinstrumentelle Ebene) als auch die, die innerhalb der einzelnen Instrumente zum Einsatz kommen (intrainstrumentelle Ebene). Die inhaltliche Integration erfolgt durch Verbindungslinien zwischen den Kommunikationsangeboten, wie sie zum Beispiel Slogans, Schlüsselbilder oder Kernbotschaften darstellen. Diese Integrationsform dient der langfristig ausgerichteten, strategischen Kommunikation. Beispiele
Krombacher integriert seine Marketing-Kommunikation inhaltlich durch die Verwendung eines Schlüsselbildes mit einem Naturmotiv (s. Abb. 23). McDonald’s integriert weltweit seine Marketing-Kommunikation inhaltlich durch die Verwendung des Slogans „I’m lovin’ it“.
Für die formale Integration sorgen festgelegte Gestaltungsprinzipien wie zum Beispiel Logo, Schriftart, Farben, die als Vorgaben für das Corporate Design eines Unternehmens fixiert sind. Diese Integrationsform dient der leichteren Wiedererkennbarkeit beim Rezipienten. So sind beispielsweise Blau, Gelb und Grau die Hausfarben der Marke Lufthansa und in ihren Kommunikationsangeboten kommt ausschließlich die Schrift Helvetica zum Einsatz, deren Verwendung in punkto Schriftschnitt, Größe und Farbe klar definiert ist.
Abb. 23 Inhaltliche Integration der Kommunikation der Marke Krombacher mittels Schlüsselbild (Quelle: Schiller 2015)
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Mit der zeitlichen Integration erfolgt die Koordination der Abfolge der Kommunikationsmaßnahmen, wobei der Kontinuität von Kommunikationskonzepten besondere Bedeutung zukommt, um Lerneffekte bei den Rezipienten auszulösen. Auch wenn sich Manfred Bruhn neben der Gestaltpsychologie auch noch mittels der Schematheorie und der Involvement-Theorie um einen theoretischen Rahmen für sein Konzept der Integrierten Kommunikation bemüht, ist der Hinweis von Karin Kirchner (2001: 131) ernst zu nehmen, dass sich die Anwendung der theoretischen Erkenntnisse überwiegend auf Aspekte zur Gestaltung von Kommunikationsmaßnahmen beschränkt und andere wichtige Fragen wie beispielsweise die nach den Kommunikationswirkungen (z. B. MME) weitestgehend unberücksichtigt bleiben. Damit ist ein Punkt angesprochen, der auch die Diskussion des aktuellen Status quo der IMC in den USA bestimmt, nämlich dass „… little has been done to resolve the fact that the theoretical concept of IMC remains vague und uncertain“ (Kitchen et al. 2004: 23). Jooyoung Kim et al. (2010: 98 f.) haben sich im Rahmen einer Studie zur Wirkung kombinierter Effekte aus werblichen und redaktionellen Kommunikationsangeboten um eine fundierte theoretische Grundlegung bemüht, indem sie ihre Hypothesen aus unterschiedlichen theoretischen Ansätzen hergeleitet haben (u. a.: Information Integration Theory, Integrated Information Response Model). Dennoch ist der Hinweis von Ilchul Kim et al. (2004: 3) sehr ernst zu nehmen, dass von einem sehr negativen Standpunkt aus IMC sogar lediglich als eine neue Management-Mode betrachtet werden könnte („just another management fad“, vgl. auch Cornelissen/Lock 2000: 7 f.) und ihr der Status eines akademischen, theoretisch fundierten Phänomens abgesprochen werden kann. Vielmehr sei sie als eine „pop management“ Theorie einzustufen, die ihre Ideen stark vereinfacht, anwendungsorientiert („turnkey solutions“) und damit akzeptabel für die Praxis vermitteln möchte (Cornelissen/Lock 2000: 10). Aber selbst dies gelingt nur äußerst eingeschränkt. Es mangelt an Theoretisierung, was es konkret heißt „to do“ integrierte Kommunikation (Ots/Nyilasy 2017). Das theoretische Defizit der Integrierten Marketing-Kommunikation scheint sich bis in die Hochschullehre durchzuziehen. In ihrer internationalen Analyse der Syllabi von IMK-Lehrveranstaltungen an Universitäten kommen Kerr et al. (2008) zu dem ernüchternden Ergebnis, dass das klassische Werbe- und Marketing-Kommunikationsmanagement heute als integrierte Kommunikation ausgeflaggt wird, ohne dass im Kern die Lehrinhalte Besonderheiten des IMK-Paradigmas reflektieren. Daran hat sich bis heute im Wesentlichen nicht viel geändert wie Kerr und Kelly (2017) in einer Replikation der Studie nachweisen. Die Probleme, mit denen sich das Paradigma der Integrierten Marketing-Kommunikation nach seinem circa dreißigjährigen Bestehen konfrontiert sieht, sind jedoch nicht nur theoretischer Art und nicht nur im wissenschaftlichen Umfeld angesiedelt. So ist die Situation in der Praxis durch ein diffuses Nebeneinander von Begriffen gekennzeichnet wie zum Beispiel: 360-Grad-Kommunikation, holistische Kommunikation, Multichannel-Kommunikation oder orchestrierte Kommunikation, die sich im Kern alle auf die Idee der Integrierten Marketing-Kommunikation bezie-
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hen. Die Kommunikationsagenturen möchten mit ihren jeweiligen Wortschöpfungen etwas spezifisch anderes bezeichnen, weil sie sich gegenüber den marketingtreibenden Unternehmen als ihren (potenziellen) Kunden im Wettbewerb mit anderen Agenturen zu profilieren und zu positionieren versuchen. Damit wird in der Branche jedoch genau das konterkariert, wofür das Konzept der Integrierten Marketing-Kommunikation nach Manfred Bruhn steht: Prägnanz und Konsistenz der Kommunikation. So fasst Tonio Kröger (2003: 24), CEO der Agenturgruppe DDB Germany, die Situation zusammen: „Wenn die Unternehmen integrierte Kommunikation fordern und nahezu alle Agenturen integrierte Lösungen versprechen, scheint alles klar zu sein. Die Praxis zeigt jedoch, dass unter den Beteiligten keineswegs ein einheitliches Verständnis der Thematik herrscht.“
Verständnisunterschiede herrschen zwischen den Agenturen auch auf internationaler Ebene. Während koreanische und britische Agenturen, vergleichbar zum Konzept von Manfred Bruhn, im Erzielen von Konsistenz das wichtigste Ziel Integrierter Kommunikation sehen, betrachten US-Agenturen IMC als eine Art, das MarketingGeschäft zu organisieren. Die Praktiker waren und sind, wie Kitchen et al. (2008: 531) die Verständnisheterogenität resümieren, stärker daran interessiert, IMC-Programme zu entwickeln und zu implementieren, als deren Effekte und ihren Wert zu messen, was eine genaue Definition von IMC voraussetzt. Zusammenfassend läßt sich konstatieren, dass das Paradigma der IMK sich als äußerst heterogen, ausdifferenziert und leider auch schwer praxistauglich erweist. Als Konsequenz findet in der IMK-Diskussion mit dem Polyphonie-Ansatz (Christensen/Cornelissen 2013) der spannende Versuch statt, den Gegensatz von Integration und Ausdifferenzierung aufzulösen. Demnach können Unternehmen zwar einem IKLeitbild folgen, aber ihre Kommunikationen können und sollen sich sogar inhaltlich voneinander unterscheiden. Damit soll das Unternehmen den unterschiedlichen Erwartungen seiner Stakeholder-Gruppen gerecht werden können und darüber hinaus die nötige Flexibilität erlangen, um mit den heutigen hochdynamischen Verhältnissen in den Unternehmensumwelten umgehen zu können. Die mangelnde Praxistauglichkeit wird deutlich bei einem Blick auf den Entwicklungsstand der Integrierten Marketing-Kommunikation in den Unternehmen. Philip J. Kitchen et al. (2004: 28) kommen zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sich diese mehrheitlich auf den beiden untersten Stufen des von Don E. Schultz und Philip J. Kitchen konzipierten vierstufigen, hierarchisch organisierten IMC-Prozesses befinden (s. Abb. 24). Demnach überwiegt im Rahmen einer taktischen Koordination der MarketingKommunikation eine Inside-out-Perspektive bei den Unternehmen (Stufe 1) beziehungsweise finden auf der Stufe 2 zwar Outside-in-Planungsversuche statt „… to actively consider what customers and consumers want to hear or see, when, where, and through which media“ (ebd.: 27). Die Stufen 3 und 4, die über Fragen nach der Ge-
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Tactical Coordination of
Abb. 24 Der IMC-Entwicklungsprozess nach Schultz/Kitchen (Quelle: Kitchen et al. 2004: 26)
staltung des Kommunikations-Mix hinausgehen und auf einer strategischen Ebene Investitionen in Informationstechnologie (Stufe 3) und eine Return-on-InvestmentBetrachtung der Marketing-Kommunikation (Stufe 4) erfordern, sind, so Philip Kitchen et al. (ebd.), von den Unternehmen jedoch nahezu unerreicht. Die Probleme, die sich in den Unternehmen als Implementierungsbarrieren der Integrierten Marketing-Kommunikation auswirken, können in fünf Gruppen zusammengefasst werden: • •
• • •
inhaltlich-konzeptionelle Barrieren (z. B. mangelnde oder problematische Erfolgskontrolle, fehlende Zielformulierungen), organisatorisch-strukturelle Barrieren (z. B. Fehlen von Abstimmungs- und Entscheidungsregeln, Fehlen einer Abteilung/Stelle/Person, die für die Integrierte Kommunikation verantwortlich ist), personell-kulturelle Barrieren (z. B. Bereichs- beziehungsweise Abteilungsdenken der Mitarbeitenden, Informationsüberlastung der Mitarbeitenden), mangelnde Investitionsbereitschaft, besonders in Informationstechnologie, Messbarkeit von Integrationseffekten (vgl. Bruhn 2006: 81 f., Kitchen et al. 2004: 28, Reinold/Tropp 2010).
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Betont werden muss die hohe Bedeutung, die der internen Unternehmenskommunikation hinsichtlich einer erfolgreichen Integration der Kommunikation und damit auch der Marketing-Kommunikation zukommt. Erst die gelungene Verknüpfung interner und externer Kommunikation im Sinne der Schaffung eines konsistenten Kommunikationsangebots nach außen, das aus der stimmigen internen Kommunikation und aus der Thematisierung der Entwicklungsprozesse unter den Mitarbeitenden hervorgegangen ist, kann, so Gustav Bergmann (2006: 227 f.), als Integrierte Kommunikation bezeichnet werden. Negativbeispiel
Ein Unternehmen kommuniziert im Rahmen einer Recruiting-Kampagne, dass es neue Mitarbeiter für die Bereiche Marketing und Vertrieb sucht. Gleichzeitig gibt die Geschäftsführung unternehmensintern die Parole der Kostensenkung aus, was auch mit Stellenstreichungen u. a. in den Abteilungen Marketing und Vertrieb verbunden sei.
Auch die US-amerikanische Forschung zum IMC-Konzept wendet sich der unternehmensinternen Kommunikation beziehungsweise dem „internal marketing“ zu (s. Abb. 25). Im Zusammenhang mit der Rolle der internen Unternehmenskommunikation ist zu ergänzen, dass heute in der kommunikationswissenschaftlichen Literatur Einigkeit herrscht, dass es zu einer Integrierten Unternehmens- und Marketing-Kommunikation einer funktionierenden Unternehmenskultur einschließlich eines elaborierten zeitgemäßen Kommunikationsverständnisses bedarf, die die Kommunikation im Unternehmen ordnet und das Handeln und Kommunizieren der Mitarbeitenden orientiert (s. z. B. Derieth 1995: 191, Hubbard 2004: 41 f., Maier 2006: 46 f., Schmidt 2000: 141, Tropp/Piskurek 2006: 350).
Abb. 25 Themen der IMC-Forschung von 1990 bis 2006 (Quelle: Kliatchko 2008: 139)
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In einer zusammenfassenden Würdigung sind besonders folgende Punkte festzuhalten: •
Dem Diskurs, der sich am Paradigma der Integrierten Marketing-Kommunikation orientiert, liegen unterschiedliche Kommunikationsverständnisse zugrunde. In dem US-amerikanischen IMC-Konzept wurde von Beginn an mittels der Forderung nach einem Outside-in-Planungsprozess auf die hohe Bedeutung der Rolle des Konsumenten und Kunden im Marketing-Kommunikationsprozess hingewiesen und damit sozialer Reflexivität als notwendigem Kriterium für Kommunikation Rechnung getragen. Die deutschsprachige Diskussion eröffnete hingegen, in der Tradition des Paradigmas der persuasiven Markenkommunikation stehend, mit einem verhaltenswissenschaftlichen Kommunikationsverständnis, nach dem ein Unternehmen mit einem einseitigen, nicht dialogischen Kommunikationsprozess Zielgruppen mit seinen Botschaften von Vermarktungsgegenständen im weitesten Sinne überzeugen möchte. Kunden und Konsumenten werden nicht als Kommunikationspartner und konstitutiver Bestandteil der Integrierten MarketingKommunikation aufgefasst, sondern finden nur indirekt bei der Formulierung der Kommunikationsziele ihre Berücksichtigung (s. Tropp 2016). • Die theoretische Konzeptualisierung von Integrierter Marketing-Kommunikation konzentriert sich in Deutschland auf Aspekte der Gestaltung der Kommunikationsmaßnahmen. In jüngerer Zeit erfahren die interne Unternehmenskommunikation, die Unternehmenskultur und Aspekte der Kommunikationswirkung verstärkt Beachtung bei der theoretischen Fundierung. • Der Management-Ansatz, auf dem das Konzept der Integrierten Marketing-Kommunikation beruht, orientiert sich in weiten Teilen am Maschinen-Paradigma mit seiner Vorstellung klar definierter, steuerbarer Input-Output-Beziehungen. Die hohe Bedeutung von Selbstorganisationsprozessen im Sozialsystem Unternehmen, und damit unter den Mitarbeitenden in Marketing-Abteilungen, wird vernachlässigt. Dies betrifft auch die Frage, bis zu welchem Punkt die Wahrnehmung und Verarbeitung von Kommunikationsangeboten – in Anbetracht kognitiver Selbstorganisation und Selbstreferenz – überhaupt gemanagt werden kann. Entsprechend konfrontiert Gustav Bergmann (2006: 228) das Konzept der Integrierten Marketing-Kommunikation in seiner heute gängigen Lesart im deutschsprachigen Raum mit dem Vorwurf, dass es „stark an voluntaristische Phantasien [erinnert] und … die systemischen Erkenntnisse ignoriert. Integrierte Kommunikation mutet wie eine Totalplanung nach überholtem Muster an.“ Vergleichbar wird aus Agentursicht gefordert, dass sich Integrierte Marketing-Kommunikation am Grundsatz der Praktikabilität und nicht an einem in der Praxis nicht umsetzbaren Idealismus ausrichten soll (vgl. Tropp 2002: 448 f.). • In der Praxis dominiert der Vernetzungsgedanke von Kommunikationsinstrumenten und Kommunikationsangeboten das Paradigma der Integrierten Marketing-Kommunikation. Zu Positionierungszwecken haben die Agenturen eine
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Vielzahl von eigenen Begriffen geschaffen. In jüngster Zeit rückt das von den Media-Vermarktungsorganisationen entwickelte Cross-Media-Konzept verstärkt in den Fokus, was den Grad an begriff licher Verwirrung weiter erhöht. • Das US-amerikanische IMC-Konzept mit seiner Betonung der wichtigen Rolle des Konsumenten/Kunden, der postulierten Notwendigkeit von informations- und kommunikationstechnologisch basierter Steuerung der Marketing-Kommunikation sowie der Ertragsorientierung der Marketing-Kommunikation weist große Überschneidungen mit dem Paradigma der Direktmarketing-Kommunikation, besonders mit dem Customer-Relationship-Management-Konzept (CRM-Konzept) auf, was die Inkonsistenz des Integrierten Marketing-Kommunikationsparadigmas noch weiter fördert. Ansatzpunkte für eine Steigerung der Kommunikationsqualität der Marketing-Kommunikation, indem explizit Hinweise für den Umgang mit den Kriterien der Selektivität, Reflexivität und Kontextualität gegeben werden, findet man im Konzept der Integrierten Marketing-Kommunikation nicht. Wohl kann aber angenommen werden, dass es der Integrierten Marketing-Kommunikation letztlich genau darum geht. Indirekte Hinweise darauf geben die empirischen Studien zum MME (Reflexivität in sachlicher Hinsicht), die schematheoretischen Anmerkungen und die damit implizite Thematisierung des Selektivitätsphänomens bei Manfred Bruhn (2006: 43 f.) sowie das Outside-in-Planungspostulat des US-amerikanischen IMC-Ansatzes und die damit implizite Berücksichtigung der sozialen Reflexivitätsverhältnisse in der Marketing-Kommunikation. Insofern kann das Konzept der Modernen MarketingKommunikation am ehesten dem Paradigma der Integrierten Marketing-Kommunikation zugerechnet werden. Gleichwohl ist das erstgenannte aber kommunikationstheoretisch breiter wie auch tiefer angelegt und darf nicht auf das Integrationsmodell weder in der US-amerikanischen noch in der deutschen Lesart gekürzt werden.
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Das System der Marketing-Kommunikation
Abstract Auf der gesellschaftlichen Makroebene wird die Marketing-Kommunikation als ein soziales System betrachtet. Kennzeichen dieses Systems ist es, dass es einen ihm eigenen Sinnzusammenhang, eine spezifische Systemlogik (re-)produziert, an der sich die Handlungen und Kommunikationen der Akteure in diesem System orientieren. Das Marketing-Kommunikationssystem besteht aus vier Komponentenklassen: Individuen und ihre emotional-kognitiven Systeme, an Rollen gebundene Handlungen und Kommunikationen, Marketing-Kommunikationswissen (Common Ground der Marketing-Kommunikation) und Kommunikationsangebote (Kap. A 3.1). Die Interaktion der Komponenten sorgt für die operative Schließung des Systems, wodurch es einen gewissen Grad an Autonomie erhält (Kap. A 3.2). Das heißt, die Marketing-Kommunikation einer Gesellschaft kann nicht intendiert von anderen Gesellschaftssystemen gemäß deren Systemlogiken und Zielen gesteuert werden (z. B. von der Politik). Es lassen sich unterschiedliche Konzeptionen unterscheiden, mit denen die MarketingKommunikation in der Gesellschaft verortet werden kann. Sie bzw. die Werbung kann eine Aufgabe im Massenmediensystem übernehmen (Luhmann), sie kann zwischen Medien und Wirtschaft vermitteln (Siegert/Brecheis), sie kann als eigenständiges funktional ausdifferenziertes Gesellschaftssystem aufgefasst werden (Zurstiege) oder sie kann als ein Subsystem des Wirtschaftssystems konzipiert werden (Schmidt, Tropp) (Kap. A 3.3). Die Autonomisierungstendenz des Marketing-Kommunikationssystems geht mit der Selbstorganisation des Systems einher. Aus ihr resultieren der Wandel der Marketing-Kommunikation und emergente Zustände des Systems, die sich nicht durch die alleinige Betrachtung der Veränderungen auf Komponentenebene erklären lassen (Kap. A 3.4). Besondere Beachtung kommt dem Verhältnis von Marketing-Kommunikations- und Mediensystem zu. Die Marketing-Kommunikation funktionalisiert das Mediensystem für das Wirtschaftssystem, indem es die Systemlogik der Medien an die der Wirtschaft knüpft. Dies erfordert einen genaueren Blick auf das Mediensystem und auf die Funktion der Medien für die Gesellschaft, die in der Produktion und Sicherstellung indirekter Sozialität ausgemacht werden kann (Kap. A 3.5).
107 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Tropp, Moderne Marketing-Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25318-9_3
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Um die Marketing-Kommunikation auf einer Makroebene gesellschaftlich einordnen zu können, ist es hilfreich, sie systemtheoretisch zu konzipieren. Demnach kann sie als ein Wirkungszusammenhang verstanden werden, der sich aus der Interaktion seiner Komponenten konstituiert und der gleichzeitig seine Komponenten systemisch spezifiziert. Darüber hinaus ist die systemtheoretische Konzeption zweckhaft, um zu einer Systematisierung der aktuellen Entwicklungen in der Marketing-Kommunikation zu gelangen und um die Komplexität dieser Entwicklungen handhabbar zu machen. Zunächst sind jedoch einige grundlegende Unterscheidungen hinsichtlich der Systemtypen zu treffen, die für die Konzeption von Marketing-Kommunikation als ein System von Bedeutung sind. Während emotional-kognitive Systeme sich auf das Individuum und dessen Bewusstsein, dessen innere Handlungen beziehen und die untrennbar ineinander verwobenen Bereiche der Gefühle und Gedanken umfassen (s. Kap. A 1.4, vgl. auch Ciompi 1999, 2007, Bosch 2006: 348 f.), wird mit sozialen Systemen der Bereich der Kommunikation, der äußeren Handlungen angesprochen. Beide Bereiche beziehen sich also auf grundlegend verschiedenartige Phänomene und konstituieren sich mittels vollkommen unterschiedlicher Elemente. Aber erst aus der Einheit dieser Unterscheidung von Emotion/Kognition und Kommunikation können als Resultat der Interaktion von Menschen Wirkungszusammenhänge wie der der Marketing-Kommunikation entstehen. Beide Bereiche sind nämlich notwendig aufeinander angewiesen: keine Kommunikation ohne Emotion/Kognition, keine Emotion/Kognition ohne Kommunikation. Aber sie bilden eben kein einheitliches System. Emotionalkognitive Prozesse beziehen sich auf emotional-kognitive Prozesse, und zeitlich synchron laufende Kommunikationsprozesse beziehen sich auf Kommunikationsprozesse, nicht auf emotional-kognitive Prozesse. Dieser Zusammenhang kann mithilfe des von Humberto Maturana geprägten Begriffs der strukturellen Kopplung verdeutlicht werden. Strukturelle Kopplung bezeichnet ein Irritationsverhältnis zwischen System und Umwelt: Jedes System verarbeitet gemäß seiner systemspezifischen Struktur die Irritationen seiner Umwelt. Es ist strukturdeterminiert. Strukturelle Kopplung bezeichnet einen notwendigen Zusammenhang von Systemen und ihren Umwelten, der primär durch ein Verhältnis der Gleichzeitigkeit von Prozessen gekennzeichnet ist, die einerseits im Sozialsystem – kommunizieren und beobachtbares Handeln – und andererseits im emotional-kognitiven System der Individuen – wahrnehmen, denken und fühlen – ablaufen. Das Ergebnis sind nicht determinierbare wechselseitige Strukturveränderungen im jeweiligen System (vgl. Maturana/Varela 1991: 85). Diese strukturelle Kopplung von Emotion/Kognition und Kommunikation wird über die Sprache oder allgemeiner über Kommunikationsangebote (sprachliche Äußerungen, Texte, Fernsehsendungen, Werbespots usw.) als Resultat der Verwendung von Zeichen jeglicher Art, zum Beispiel eines Werbespots als semiotischer Gesamtkomplex seiner syntaktischen, semantischen und pragmatischen Dimension, bewerkstelligt (vgl. Morris 1979). Über die strukturelle Kopplung von Emotion/Kognition und Kommunikation durch Kommunikationsangebote werden die Bildung und die
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Ko-Evolution beider Bereiche ermöglicht. Im Laufe der sprachlichen Sozialisation erlernt das Kind in seinem Lebenszusammenhang die intersubjektive Wirklichkeit seiner Gesellschaft mit ihren Normen, herrschenden Moralvorstellungen, Rollenverteilungen, Erwartungen, Werten usw. (kommunikative Ebene), die sein Bewusstsein als kollektives Wissen verinnerlicht (emotional-kognitive Ebene), womit die Orientierung an dieser Wirklichkeit sichergestellt wird. Die sozialen Systeme können in drei unterschiedliche Typen weiter ausdifferenziert werden. Auf der Mikroebene kann das Interaktionssystem verortet werden. Es zeichnet sich durch die wechselseitig wahrgenommene Anwesenheit von Personen aus und bildet sich zwangsläufig, da die Personen „dadurch genötigt sind, ihr Handeln in Rücksicht aufeinander zu wählen“ (Luhmann 1991a: 81). Als Beispiel kann ein Gespräch zwischen einem Verkäufer und einem potenziellen Käufer im Ausstellungsraum eines Automobilhändlers dienen. Mit dem Ende dieses Gesprächs löst sich auch das Interaktionssystem auf, weswegen es flüchtiger und zeitlich instabiler Art ist. Organisationssysteme sind auf der Mesoebene angesiedelt. Dieser Systemtyp zeichnet sich dadurch aus, dass die Mitgliedschaft an Zulassungsbedingungen und an die Übernahme von bestimmten Rollen geknüpft ist. Obwohl die individuellen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden, bleibt immer noch Raum für informale Kommunikationsthemen, die als Seitenthemen im Organisationssystem mitlaufen, zum Beispiel: „Wie war Dein Abend gestern ?“ (vgl. Luhmann 1991: 268 f.). Eine Kommunikationsagentur ist beispielsweise ein solches Organisationssystem, dessen Mitgliedschaft an den Abschluss eines Angestelltenvertrages gebunden ist, in dem dem Systemmitglied die Rolle im System (z. B. Kundenberater) zugewiesen wird und definiert ist. Durch die Mitgliedschaft werden einzelne Handlungen und ganze Arbeitsabläufe berechenbar und von der Umwelt abgrenzbar, worin eine wichtige Funktion des organisierten Systems liegt. Auf der Makroebene sind die Gesellschaftssysteme zu verorten. Dieser Systemtyp ist das umfassendste Sozialsystem, wobei es nicht als Summe aus Interaktions- und Organisationssystem zu begreifen ist. So finden auch die Handlungen zwischen Abwesenden, die kein Interaktionssystem bilden, im Gesellschaftssystem statt und die Mitgliedschaft ist auch nicht disponibel, in dem Sinne, dass man formal so ein- oder austreten kann wie man einen Angestelltenvertrag einer Kommunikationsagentur unterschreibt oder kündigt. Niklas Luhmann (2018) bezeichnet Gesellschaftssysteme daher als Systeme höherer Ordnung, als Systeme anderen Typs neben den Interaktions- und Organisationssystemen. Die allgemeine Funktion eines jeden Gesellschaftssystems liegt in dem Schaffen eines abgrenzbaren Sinnzusammenhangs, der die Handlungen und Kommunikationen lenkt und damit die Wahrscheinlichkeit von Handlungs- und Kommunikationserfolg im Sinne der Sicherstellung von Anschlusshandlungen und -kommunikationen erhöht. Evolutionär ist das Entstehen der Gesellschaftssysteme als eigenständiger Sozialsysteme eingelagert in den im späten Mittelalter anlaufenden und erst Ende des 18. Jahrhunderts sich in Europa deutlich
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abzeichnenden Prozess der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft. Nachdem die segmentäre Differenzierung der Gesellschaft in gleiche oder ähnliche Systeme (Familie, Geschlechter, Dörfer) von der stratifikatorischen Differenzierungsform als Einteilungsprinzip in ungleiche, hierarchisch organisierte Schichten abgelöst wurde, entstand erst mit der funktionalen Differenzierung die enorme Komplexität in der modernen Gesellschaft (vgl. Luhmann 2010.). Die gesellschaftlichen Teilsysteme erhalten einen Funktionsprimat, der jedoch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene nicht durchgesetzt werden kann. „Nur für das Erziehungssystem ist dann die Funktion der Erziehung wichtiger als alle anderen; nur für das Rechtssystem kommt es in erster Linie auf Recht und Unrecht an; nur die Wirtschaft stellt alle anderen Erwägungen hinter ökonomisch formulierten Zielen, sei es der Produktionssteigerung, sei es der Rationalität des Verhältnisses von Aufwand und Ertrag, sei es der Profitmaximierung, zurück.“ (ebd.: 28)
Jedes Teilsystem hat mit der Fokussierung auf seine Funktion ein eigenes und ganz bestimmtes Verhältnis zu seiner gesellschaftlichen Umwelt, was die hohe Komplexität der Gesellschaft erklärt. Denn nicht nur Systeme werden differenziert, sondern System/Umwelt-Beziehungen: „Jede fällt anders aus“ (ebd.: 29). Im Rahmen dieser gesellschaftlichen Entwicklung hat sich auch das Wirtschaftssystem ausgebildet. Dessen Ausdifferenzierung wurde durch Geld in Gang gebracht, da sich durch Geld eine bestimmte Art von Handlungen systematisieren und rationalisieren lässt, nämlich Zahlungen. Wenn Handlungen sich in letzter Instanz an Geldzahlungen orientieren, lassen sich diese daher dem funktional ausdifferenzierten Wirtschaftssystem zurechnen (vgl. Luhmann 2015). Ausgehend von dieser Systemtypologie kann die Marketing-Kommunikation auf der Makroebene theoretisch wie folgt als ein Gesellschaftssystem aufgefasst werden: ▶ Definition Das Gesellschaftssystem der Marketing-Kommunikation ist ein Gebilde von Individuen, die durch Kommunikationen und Handlungen einen gemeinsamen marketingkommunikationsspezifischen Sinnzusammenhang (Systemlogik) schaffen, an dem sie gleichzeitig ihre eigenen Handlungen und Kommunikationen ausrichten und mit dem sie die Handlungen und Kommunikationen anderer Individuen als system- oder umweltzugehörig einordnen.
Zusammenfassend gesagt konstituiert das Marketing-Kommunikationssystem also über intrasystemische Handlungen und Kommunikationen seinen sinnhaften Wirkungszusammenhang, der sich von der Umwelt unterscheidet und daher identitätsstiftend wirkt, und steht über intersystemische Kommunikationen im Austausch mit der Umwelt, mit anderen gesellschaftlichen Systemen.
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Komponenten des Marketing-Kommunikationssystems
Folgt man Luhmann, sind Kommunikationen, und zwar ausschließlich Kommunikationen, als Komponenten des Marketing-Kommunikationssystems anzusehen. Ein soziales System bestünde dann also nicht aus Menschen, auch nicht aus Gedanken und Gefühlen, sondern einzig aus Kommunikationen (s. Luhmann 2008). Alles, was nicht Kommunikation ist, platziert Luhmann in die Umwelt sozialer Systeme, die er als reine Kommunikationssysteme auffasst. Der cartesianische Dualismus, der die beiden Seinsbereiche Subjekt und Objekt strikt voneinander unterscheidet, wird abgelöst von der systemrelativen Unterscheidung System/Umwelt. Erkenntnisgewinn wird also an ein erkennendes System gebunden, das dazu aufgrund des selbstreferentiellen Prozessierens der System/Umwelt-Differenz befähigt ist. „Jedes selbstreferentielle System hat nur den Umweltkontakt, den es sich selbst ermöglicht, und keine Umwelt ‚an sich‘.“ (Luhmann 1991: 146)
Im Sinne einer empirieorientierten Modellierung des Marketing-Kommunikationssystems kann dem luhmannschen Vorschlag, was die Komponenten sozialer Systeme betrifft, jedoch nicht gefolgt werden. Denn wie können empirisch gesicherte Erkenntnisse über das Marketing-Kommunikationssystem gewonnen werden, wenn nur die Umwelt (Menschen und ihre Handlungen), nicht aber das System direkt beobachtet und befragt werden kann ? Hier wird daher in Anschluß an die Strukturationstheorie von Giddens (1997) eine theoretische Verbindung der Makro- und der Mikroebene favorisiert. Es wird davon ausgegangen, dass sich soziale Strukturen und menschliche Handlungen rekursiv wechselseitig konstituieren. Prozesse gesellschaftlicher Strukturbildung (Makroebene) basieren demnach auf Handlungen (Mikroebene), wie gleichzeitig umgekehrt Aspekte der Struktur das Handeln der Mitglieder eines Sozialsystems maßgeblich prägen. Zur theoretischen Erörterung von Fragestellungen zum Kommunikationsmanagement von Organisationen kann mit diesem integrativen Ansatz der Dualismus von Akteur und System überwunden werden (s. z. B. Thiessen/Ingenhoff 2011, Röttger 2005). Konkret werden vier heterogene Klassen angesetzt, aus denen die Komponenten des Systems der Marketing-Kommunikation stammen (s. Abb. 26): •
Individuen und ihre emotional-kognitiven Systeme Diese Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass jeder emotional-kognitive Zustand konstitutiv an dem Entstehen des jeweils folgenden Systemzustandes beteiligt ist, dass also sein Zustand im Wesentlichen nicht von außen, von der Umwelt bestimmt wird, sondern von innen, vom System selbst. Das System ist somit operational geschlossen (autonomisiert), es organisiert sich im Sinne der Bildung seiner Bedeutungskonstruktionen selbst und es bezieht sich dabei auf seine frü-
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Abb. 26 Komponenten des Marketing-Kommunikationssystems (eigene Darstellung)
heren Zustände (Bedeutungskonstruktionen), ist also selbstreferentiell. Die notwendigen Kriterien für Kommunikation, nämlich Reflexivität, Kontextualität und Selektivität sind zentrale Kennzeichen der in diesem System ablaufenden bedeutungsbildenden Prozesse (vgl. Kap. A 1.3). • an Rollen gebundene Handlungen und Kommunikationen Handlungen und Kommunikationen sind an bestimmte Rollen (z. B. Kreativdirektor, Mediaplaner) gebunden. Diese Handlungen erscheinen als Marketingkommunikationslogisch, da sie in Handlungskontexte eingebettet sind, denen ein systemspezifischer Common Ground zugrunde liegt. Sie können den vier Handlungsbereichen ◆ der Inhaltsproduktion, der Gestaltung und der Herstellung der Mitteilung (Selektion der Information und der Mitteilungsform), ◆ der Media-Planung und des Media-Einkaufs (Selektion des Mitteilungsmediums), ◆ der Rezeption der Mitteilung (Selektion des Verstehens sowie innerer und äußerer Anschlusshandlungen), ◆ der Selbstthematisierung (Selbstreferenz des Systems) zugeordnet werden. Dass es sich um vier Handlungsbereiche handelt, folgt aus der einfachen Überlegung, dass (1) für ein Kommunikationsangebot wie zum Beispiel einen Werbespot ein Inhalt festgelegt, durch ein spezifisches Arrangement von Zeichen gestaltet und hergestellt wird, (2) ausgewählt werden muss, über welches Medium das Kommunikationsangebot distribuiert werden soll, dass (3) das mitgeteilte Kommunikationsangebot rezipiert und verarbeitet wird sowie (4) dass die rezipierten Kommunikationsangebote im Marketing-Kommunikationssys-
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tem Anlass zur Selbstthematisierung geben, indem diese zum Beispiel formell von einem Marktforschungsinstitut aufgegriffen und zum Gegenstand von neuen Kommunikationsprozessen im Sozialsystem werden. • Marketing-Kommunikationswissen (Common Ground der Marketing-Kommunikation) Der Marketing-kommunikationsspezifische Common Ground (Normen, Werte, Beeinflussungstaktiken, Produkt-, Marken- und Unternehmenskenntnisse, Moralvorstellungen, Rollenerwartungen, Symbolgebrauch etc.) wird als MarketingKommunikationswissen bezeichnet (vgl. Kap. B III 1.2). Es bildet sich durch die strukturelle Kopplung der Komponenten in den Klassen Emotion/Kognition und Kommunikation qua Kommunikationsangeboten aus und orientiert gleichzeitig systemlogisch die Komponenten aus diesen beiden Klassen in ihren Ausprägungen. Dank des Sozialmechanismus der Erwartungserwartungen (A erwartet, dass B erwartet) besitzt Marketing-Kommunikationswissen im System reflexiv intersubjektive Geltung. • Kommunikationsangebote In konkreten Kommunikationsangeboten manifestiert sich die Mitteilung. Sie bewerkstelligen die strukturelle Kopplung der emotional-kognitiven Systeme und der an Rollen gebundenen Handlungen und Kommunikationen. Deutlich wird an der Frage nach den Komponenten von Sozialsystemen, dass diese hier als Konstrukte eines wissenschaftlichen Beobachters zum Zwecke seiner Problemlösung und nicht als reale Entitäten, in dem Sinne, „daß es soziale Systeme gibt“ (Luhmann 1991: 30), aufgefasst werden. Des Weiteren wird in Konsequenz der Berücksichtigung von Individuen als empirischen Orten der Komponentenklassen der emotional-kognitiven Systeme, des Marketing-Kommunikationswissens sowie der sinnvollen, an Rollen gebundenen Handlungen und Kommunikationen nur in abkürzender Redeweise einem sozialen System zugestanden, dass es (im weitesten Sinne) handeln oder sich verhandeln kann oder bestimmte Eigenschaften hat. Stets sind die Individuen eines Sozialsystems impliziert. „Nur Subjekte können sich zu sich verhalten. Anonymen Systemen Selbstbezüglichkeit zuzuweisen, ist eine metonymische Redeweise, die, sofern sie rhetorisch kontrolliert bleibt, aus diskurs-ökonomischen Gründen durchaus zulässig ist, die aber, sofern sie reinen Abstraktionen und Idealisierungen wie der Sprache oder dem System trockenen Auges die Handlung der Selbstreflexion zuspricht, nicht mehr weit entfernt ist von Positionen verschobener [sic] Ursprungsphilosophie … à la Heidegger oder Derrida, wo ja ebenfalls bald das Sein, bald der Text spricht, so als seien sie – wie es die Grammatik dieser sinnlosen Formulierungen unzweideutig zutage bringt – handlungs- und reflexionsmächtige Subjekte.“ (Frank 1986: 12 f.)
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Autonomisierung des Marketing-Kommunikationssystems
Durch die Interaktion der Komponenten des Marketing-Kommunikationssystems erlangt das System gegenüber seiner Umwelt operationale Geschlossenheit, da es selbstreferentiell operiert. ▶ Definition „Unter selbstreferentiellen Systemen verstehe ich solche Systeme, deren Zustände wesentlich durch die Interaktion ihrer Komponenten (also ‚von innen‘) und nicht wesentlich durch die Beeinflussung durch ihre Umwelt (also ‚von außen‘) bestimmt werden. Selbstreferentielle Systeme sind daher ihrer Umwelt gegenüber autonom, selbstbestimmt.“ (G. Roth 1987: 399 f., Hervorh. i. Orig.)
Empirisch kann das Marketing-Kommunikationssystem dann als selbstreferentiell bezeichnet werden, wenn die von einem Beobachter definierten, diesem Sozialsystem zurechenbaren kommunikativen Handlungen der Individuen sich auf die kommunikativen Handlungen der Individuen dieses Sozialsystems beziehen. Die dadurch erzielte Autonomie des Marketing-Kommunikationssystems darf jedoch nicht als ein Entweder-ganz-oder-gar-nicht-Zustand verstanden werden (vgl. ebd.: 400). Angebrachter ist eine Auffassung von einer jeweiligen systemabhängigen abgestuften Autonomie, denn die vom Autonomiekonzept anvisierte idealtypische konstruierte absolute Autonomie realisiert sich empirisch in Form von unterschiedlichen Maßen von Autonomisierung (vgl. Hejl 1993: 233, Teubner 1987: 90 f.). Dies wird beim Marketing-Kommunikationssystem besonders deutlich, da hier externe, nicht systemimmanente Steuerungs- und Beeinflussungsmöglichkeiten zu konstatieren sind. Diese spielen eine wichtige Rolle, weswegen dieses System sogar nur als schwach autonomisiert eingestuft werden kann. Die Möglichkeiten der selbstbestimmten Ausgestaltung seiner Kommunikation sind nämlich im Bereich der Selektion der Information, also in der Wahl des Kommunikationsinhaltes, des „Was“ der Kommunikation, erheblich eingeschränkt. Es bekommt von anderen Gesellschaftssystemen, allen voran vom Wirtschaftssystem, die Themen der Kommunikation beispielsweise in Form eines Kampagnen-Briefings vorgeschrieben, sodass die Festlegung der Inhalte und Zielsetzungen der Kommunikation größtenteils systemextern beziehungsweise in Absprache mit seiner Systemumwelt erfolgt. Größere Autonomisierung hat das System hingegen bei der Selektion der Mitteilung, also bei der Wahl der Kommunikationsart, dem „Wie“ der Kommunikation. Jedoch erweist sich auch hier das System, bedingt durch die Rolle der Kommunikationsagenturen als Auftragnehmer, die diese gegenüber den Auftrag gebenden Organisationen innehaben, letztlich als von außen beeinflussbar. Neben dieser Auftraggeber-Auftragnehmer-Konstellation kommt in der jüngeren Zeit einem weiteren Umstand Bedeutung für die Diagnose der schwachen Autonomisierung des Marketing-Kommunikationssystems zu. Der große Einfluss des
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Rechtssystems auf die Marketing-Kommunikation wurde erstmals mit der Einführung des Werbeverbotes für Zigaretten in Funk und Fernsehen in Deutschland im Jahr 1974 deutlich. Im Jahr 2005 folgte das EU-weite Tabakwerbeverbot in Zeitungen, Zeitschriften und im Internet. Und im Jahr 2008 hat die Bundesregierung die Anpassung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) an die EU-Richtlinien beschlossen, was mit marketing-kommunikativen Konsequenzen für nahezu alle im B2C-Bereich tätigen Unternehmen einhergehen wird. Der damalige Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen GWA Henning von Vieregge (2008: 7) kommentiert dies als „Werberaum in großem Umfang zu enteignen und Werbung schwierig bis unmöglich zu machen … Es gibt mittlerweile kaum ein Geschäftsfeld, wo nicht Einschränkungen bis faktische Abschaffung der Werbung droht“ (zit. n. w&v 20/2008: 7). Beispiele (vgl. Pfannenmüller 2008: 13 f., Schroeter 2008: 21)
Die EU möchte einen EU-weiten Verhaltenskodex für Alkoholwerbung einführen, wonach beispielsweise alle Werbemittel einen Warnhinweis für Jugendliche und Autofahrer beinhalten, zwischen 6:00 und 21:00 Uhr ein TV-Werbeverbot herrscht und das Sportsponsoring eingeschränkt wird. Das EU-Parlament hat 2007 vorgeschlagen, dass in der Automobilwerbung zu künftig umfangreiche Informationspflichten einzuhalten sind. So sollen beispielsweise zukünftig in der Print-Automobilwerbung ca. 20 Prozent der Werbefläche für Pflichtinformationen über Schadstoffe und Energieverbrauch verwendet werden. Seit 2007 ist die Health-Claims-Verordnung der EU über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln in Kraft. Unternehmen dürfen ihre Lebensmittel nur noch als „zuckerfrei“, „leicht“ oder „fettarm“ bezeichnen, wenn sie Vorgaben exakt einhalten. Die EU hat 2010 eine Positivliste mit für Marketing Kommunikation zugelassenen nährwert- und gesundheitsbezogenen Aussagen (Claims) vorgelegt. 2008 hat das Europäische Parlament die neue Verbraucherkreditrichtlinie verabschiedet, wonach für die Marketing-Kommunikation ab 2010 gilt, dass das Werben mit Zinssätzen nur gestattet ist, wenn die Gesamtkreditkosten sowie Laufzeit, Kreditbetrag und effektiver Jahreszins ausgewiesen werden.
Der Einfluss des Rechtssystems, vor allem in Form von EU-Regularien, macht sich aber auch in anderen Gesellschaftssystemen wie beispielsweise in der Medizin und der Wirtschaft und des Weiteren in der Lebenswelt der Gesellschaft wie beispielsweise in Form des eingeschränkten Rauchverbots in Deutschland bemerkbar. Die Autonomisierungsfrage ist daher für nahezu das gesamte sozialsystemisch und nicht sozialsystemisch geregelte Gesellschaftsleben virulent – wenn auch in systemabhän-
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gigen unterschiedlichen Ausmaßen. Das systemische Prinzip, dass aus der Selbstreferenz die Autonomisierung des Marketing-Kommunikationssystems resultiert, bleibt von den externen Steuerungsversuchen jedoch unberührt. Denn diese haben keine nennenswerten Auswirkungen auf den Zustand des Sinnzusammenhangs des Systems, auf dessen Systemlogik. Die Marketing-Kommunikation gerät durch die Steuerungsversuche von außen also in keine Sinnkrise. So kommen Michael Capella et al. (2008) in ihrer durchgeführten Meta-Analyse zur Frage nach dem Zusammenhang von Tabakwerbeverbot und Zigarettenkonsum zu dem Ergebnis, dass das Verbot keinen signifikanten Effekt auf den Zigarettenkonsum hat. Dieses Ergebnis spiegelt wider, dass das Marketing-Kommunikationssystem schon längst den Sinn seiner Handlungen nicht länger aus dem Kontext der behavioristischen monokausalen Verhaltensbeeinflussungstheorie bezieht, wohl aber, dass sich der Sinnzusammenhang der Marketing-Kommunikation aus der Perspektive anderer Sozialsysteme (Politik, Recht etc.) teilweise immer noch derart reduziert darstellt. Die Autonomisierung ermöglicht es also dem System, seinen Sinnzusammenhang, seine für Kommunikation notwendige Kontextualität, von seiner Umwelt abzugrenzen. Dieser Sinnzusammenhang wird kontextuell differenzlogisch konzipiert, indem von einer sozialsystemspezifischen Vielfalt, Interpretation, Relationierung und vergleichenden Bewertung von basalen Dichotomien, die Bestandteile des Common Ground (hier: Marketing-Kommunikationswissen) der Individuen eines Sozialsystems (hier: Marketing-Kommunikationssystem) sind, ausgegangen wird (vgl. Schmidt 1994: 231). Für die im Auftrag des Wirtschaftssystems operierende Moderne Marketing-Kommunikation bedeutet dies, dass die miteinander verknüpften Unterscheidungen • • • •
zahlen/nicht zahlen für in Kommunikationsangeboten wahrgenommene Güter, Leistungen, Organisationen etc. (Leitcode des Wirtschaftssystems), äußere Anschlusshandlungen/keine äußeren Anschlusshandlungen (Reflexivitätskriterium), aufmerksam sein/nicht aufmerksam sein (Selektivitätskriterium), Relevanz der Kommunikationsangebote/Irrelevanz der Kommunikationsangebote (Kontextualitätskriterium)
das Zentrum ihres Sinnzusammenhangs bilden. Diese Basisdichotomien beinhalten kognitive, emotionale und normative Aspekte und werden in der strukturellen Kopplung von Kognition und Kommunikation ausgebildet, stabilisiert und modifiziert. Entsprechend bilden die vier heterogenen Komponentenklassen der emotional-kognitiven Systeme, des Marketing-Kommunikationswissens, der sinnvollen, an Rollen gebundenen Handlungen und Kommunikationen sowie der Kommunikationsangebote in ihrem Interaktionsgefüge jenen Wirkungszusammenhang (= soziales System), der die beobachtbaren sozialen Handlungen von Individuen spezifiziert und orientiert (Abb. 26). Das Marketing-Kommunikationssystem (re-)produziert so seinen ihm eigenen Sinnzusammenhang.
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Die Marketing-Kommunikation in der Gesellschaft
Fragt man danach, wo sich die Marketing-Kommunikation in der Gesellschaft verorten lässt, hilft ein Blick auf die vorliegenden Befunde der systemtheoretischen Werbeforschung. Aktuell bieten vier unterschiedliche Konzepte ihre Vorschläge an (s. auch Borchers 2014: 153 f.).
3.3.1 Werbung als Programmbereich der Massenmedien Ausgehend von einer Konzeption medienvermittelter öffentlicher Kommunikation, die Niklas Luhmann (2017) als Massenmediensystem bezeichnet, das anhand der Leitdifferenz Information/Nichtinformation festlegt, welche Kommunikationen im System und welche in der Umwelt ablaufen, modelliert Luhmann neben Nachrichten und Berichten sowie Unterhaltung die Werbung nicht als ein eigenständiges Gesellschaftssystem, sondern als einen Programmbereich des Gesellschaftssystem der Massenmedien. Dies wirkt auf den ersten Blick plausibel. Werbung, will sie erfolgreich sein, benötigt Aufmerksamkeit für ihre Inhalte, weswegen sie auf die Publizität der Massenmedien zurückgreift. Auf einen zweiten Blick fordert diese Konzeption jedoch besonders zwei kritische Anmerkungen ihre Theoriearchitektur und auch ihre empirische Plausibilität betreffend heraus. Theoriearchitektonisch wirft das Ansetzen einer einzigen Leitdifferenz, und dazu noch des nicht systemspezifischen, kommunikationstheoretischen Supercodes Information/Nichtinformation, zur Modellierung eines spezifischen funktional ausdifferenzierten Sozialsystems der Massenmedien einige Unklarheiten auf (s. ebd.). Gemäß Luhmanns Ansatz wird die gesamte Informationsverarbeitung eines Systems durch die Codierung mittels einer Leitdifferenz kanalisiert, anhand derer die Handelnden überhaupt erst sinnvolle Informationen in einem Sozialsystem produzieren und Informationen einem System zugeordnet werden können. Sinnvolle Informationen haben damit eine rein systeminterne und -relative Qualität, die durch diese systemspezifische Differenztechnik ermöglicht wird. Demnach orientieren sich alle Kommunikationen des Wirtschaftssystems an der Unterscheidung zahlen/nicht zahlen und nicht zum Beispiel an der Unterscheidung schön/hässlich. Die binäre Codierung schließt das System gegenüber seiner Umwelt ab. Mit anderen Worten: Der Code reguliert die Grenze des Sozialsystems, indem systemspezifische von nicht systemspezifischen Kommunikationen unterschieden werden können. Über die binären Codes – so Luhmann (2008) – identifizieren sich funktional ausdifferenzierte Sozialsysteme. Ein System operiert nur anhand seiner Codierung und lässt andere Unterscheidungen anderer Sozialsysteme zur Bearbeitung anderer gesellschaftlicher Funktionsbereiche außer Acht. In welchem Gesellschaftssystem sind aber dann über das Fernsehen verbreitete Kommunikationsangebote einzuordnen, die einen ganz konkreten Code eines an-
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deren Gesellschaftssystems thematisieren ? Die Antwort kann nur lauten: im Massenmediensystem und im jeweiligen Gesellschaftssystem. Der Code Information/ Nichtinformation erlaubt es, jegliche Kommunikation auch als Kommunikation des Massenmediensystems zu behandeln. Dies schließt aber nicht aus, dass die über das Fernsehen verbreiteten Meldungen über den aktuellen Stand der Aktienkurse gleichzeitig im Wirtschaftssystem zu sinnhaften und sogar äußerst folgenreichen ökonomischen Informationen konstruiert werden – auch wenn die Informationsproduktion seitens der Progammmacher überhaupt nicht wirtschaftlich, sondern eben „informativ“ codiert ist. Die weitere Informationsverarbeitung im Massenmediensystem kann daher in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit zu einem Sozialsystem die Form einer gänzlich neuen Informationserzeugung annehmen. Damit kann aber die Frage nach der Grenze des Massenmediensystems, nach der System/Umwelt-Differenzierung, nicht mehr schlüssig beantwortet werden; in der Folge steht auch die theoretische Schlüssigkeit eines Programmbereichs Werbung in einem nicht abgrenzbaren Massenmediensystem zur Disposition. Darüber hinaus ist auch die grundsätzliche Funktionsfähigkeit eines Programmbereichs Werbung zu hinterfragen. Der Code eines ausdifferenzierten Gesellschaftssystems schließt dieses gegenüber der Umwelt ab und sorgt für die Selbstreferenz des Systems, die jedoch nur als „mitlaufende Selbstreferenz“ (Luhmann 1991: 604) zu denken ist. Das Konzept der mitlaufenden Selbstreferenz hebt die klassische systemtheoretische Differenzierung von geschlossenen und offenen Systemen auf. Unter mitlaufender Selbstreferenz versteht man die Unmöglichkeit des exklusiven Auf-sichselbst-Bezugs eines Sozialsystems. Denn wäre ein soziales System rein selbstreferentiell, stünde es vor dem „… Problem des Unterbrechens eines nur tautologischen Zirkels. Das bloße Hinweisen des Selbst auf sich selbst muß mit Zusatzsinn angereichert werden“ (ebd.: 631). So ist beispielsweise für das Wirtschaftssystem ein ausschließliches Beziehen auf sich selbst – etwa in der Form: Eine Zahlung ist eine Zahlung, weil sie keine Nichtzahlung ist – eine beliebige Relation, die nichts darüber aussagt, warum die Präferenz des Wirtschaftssystems der Zahlung und nicht der Nichtzahlung gilt. „Durch Selbstreferenz wird rekursive, zirkelhafte Geschlossenheit hergestellt. Aber Geschlossenheit dient nicht als Selbstzweck, auch nicht als alleiniger Erhaltungsmechanismus oder als Sicherheitsprinzip. Sie ist vielmehr Bedingung der Möglichkeit für Offenheit. Alle Offenheit stützt sich auf Geschlossenheit … und dies ist nur möglich, weil selbstreferentielle Operationen nicht den Gesamtsinn absorbieren, nicht totalisierend wirken, sondern nur mitlaufen; weil sie nicht abschließen, nicht zum Ende führen, nicht das telos erfüllen, sondern gerade öffnen.“ (ebd.: 606, Hervorh. J. T.)
Genau an dieser Stelle setzen die Programme eines Systems an. Ihre Aufgabe ist es nämlich, die durch Selbstreferenz erzwungene Öffnung eines Systems zu bearbeiten. Durch die Handhabung von Programmen werden systemexterne Gegebenheiten in
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Betracht gezogen, die die Bedingungen fixieren, unter denen der eine oder der andere Wert der Codierung eines Sozialsystems gesetzt wird. Programmbeispiele sind Gesetze im Rechtssystem, die angeben, wann Recht beziehungsweise Unrecht vorliegt, Theorien und Methoden im Wissenschaftssystem, die über wahre und unwahre Kommunikationen entscheiden oder eben Preise im Wirtschaftssystem, die Zahlungen beziehungsweise Nichtzahlungen steuern (vgl. Luhmann 2015a). Durch das Setzen der Leitdifferenz Information/Nichtinformation gerät das Massenmediensystem jedoch gerade in jenen unendlichen tautologischen Regress, den Luhmann anhand der Programmierung eines Codes aufheben will. Denn wie kann das Programm Werbung festlegen, was als informativ und was als nichtinformativ im Massenmediensystem zu gelten hat, wenn es doch selbst nichts anderes als Information oder Nichtinformation sein kann (wie lustig und unterhaltend aufbereitet auch immer) ? Somit stellt es aber nicht die Öffnung des Systems her, es fixiert nicht die Bedingungen, was als informativ im Massenmediensystem zu gelten hat. Programm und Code fallen hier zusammen. Dem Programm wird seine Instrumentalität entzogen, so dass die Werbung dem Massenmediensystem keine Information liefern kann, im Sinne eines Unterschiedes, der einen Unterschied macht, was das Informationsverständnis von Luhmann im Anschluss an Bateson ist. Einfach ausgedrückt: Im Massenmediensystem kann nicht entschieden werden, ob Werbung informatorisch sinnvoll ist oder nicht. Hinsichtlich der empirischen Plausibilität der Verortung der Werbung als einen Programmbereich des Massenmediensystems ist kritisch anzumerken, dass die Offensichtlichkeit der ökonomischen Zusammenhänge und Hintergründe der Werbung komplett ausgeblendet werden, und zwar in einem zweifachen Sinne. Weder wird der ökonomische Sinn der Werbung reflektiert, derart, dass ihre Funktion und Leistung, die sie empirisch zweifelsfrei für das Wirtschaftssystem innehat, berücksichtigt wird, noch findet die durch die Werbung vorangeschrittene Ökonomisierung des Massenmediensystems ihren Niederschlag. Besonders letztgenannter Punkt wirft die Frage auf, inwiefern Werbung heute nur als ein Programmbereich des Massenmediensystems anzusehen ist oder ob sie nicht mit diesem zunehmend deckungsgleich wird. Zumal im Massenmediensystem operierende Organisationssysteme wie beispielsweise die ProSiebenSat.1 Media AG oder die Axel Springer AG börsennotiert sind und damit zweifelsfrei ihre Handlungen an einer ökonomischen Rationalität ausrichten. Schließlich ist auch noch anzumerken, dass mit Blick auf die heutigen Verhältnisse nicht nur von einer Werbung im Massenmediensystem ausgegangen werden kann, sondern von einer umfassenden medialen Marketing-Kommunikation, die sich zunehmend auch der Individualmedien (Brief, Mobiltelefon, E-Mail etc.) zur persönlichen Ansprache bedient.
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3.3.2 Werbung als Interpenetrationszone Einen Kompromiss, um die ökonomische und die publizistische Logik gleichermaßen in der Werbung zu berücksichtigen, haben Gabriele Siegert und Dieter Brecheis (2017) mit ihrem auf Richard Münch (2015) rekurrierenden Konzept der Werbung als Interpenetrationszone vorgelegt. Auch sie modellieren Werbung nicht als ein Gesellschaftssystem, sondern als eine gesellschaftliche Zone, die sich durch die Vernetzung der beiden Systemlogiken des Wirtschaftssystems (Geld) und der Medien (Publizität) auszeichnet (s. Siegert/Brecheis 2017: 109). Dieser doppelte Bezug der Werbung findet seine Begründung darin, dass das Wirtschaftssystem genauso auf die Informationsproduktion der Werbung angewiesen ist, wie umgekehrt das publizistische System auf die Finanzierung durch die Werbung. Die Konvertibilität der unterschiedlichen Codes und Logiken der beiden Systeme wird durch die Einrichtung der Institution der Medien- und Publikumsforschung sichergestellt, die, so Siegert und Brecheis (ebd.: 108), als eine „intersystemische Wechselstube“ fungiert, in der Geld gegen Publizität und, damit verbunden, gegen Aufmerksamkeit getauscht wird. Im Resultat läuft diese Konzeption darauf hinaus, dass der Medien- und Publikumsforschung in der Werbung eine zentrale Rolle zugewiesen wird, da sie über den Währungskurs wacht, also für die Kontaktpreise der einzelnen Werbeträger, die üblicherweise pro eintausend Kontakte mit der Zielgruppe (Tausend-Kontakt-Preis/TKP) festgelegt werden, verantwortlich ist. Beispiel
Für das Medium Fernsehen ist in Deutschland die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), ein Zusammenschluss der fünf Senderfamilien ARD, ZDF, RTL, SAT.1 und Pro Sieben, Auftraggeber für die von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) durchgeführte Zuschauerschaftsforschung. Die von der AGF-/GfK-Forschung ermittelten Einschaltquoten bilden die Basis für die Festlegung der TKPs im folgenden Kalenderjahr.
Ob sich jedoch die Medien- und Publikumsforschung mit diesem ihr zugewiesenen Platz in der Gesellschaft als Institution in der Interpenetrationszone Werbung einverstanden erklärt, ist diskussionswürdig und müsste geprüft werden. Denn schließlich lassen sich auch gute Gründe dafür anführen, dass sich diese Forschung, wie andere Forschungsunterfangen auch, zuallererst einmal dem Code des Wissenschaftssystems verpflichtet fühlt, also den Sinn ihrer Forschung primär am Wahrheitskriterium festmacht. Damit wären die Verhältnisse in der Interpenetrationszone Werbung noch verschränkter, da sich zur Logik der Medien und der Wirtschaft auch noch die des Wissenschaftssystems gesellen würde. Zu erwarten ist auch, dass sich, einhergehend mit den zunehmenden Diversifikationsbemühungen der Medienunternehmen, zukünftig neben dem Tausch von Pu-
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blizität und Geld verstärkt auch andere medial-ökonomische Wechselbeziehungen etablieren und die Logik der Werbung beeinflussen werden. So weist eines der führenden kommerziellen elektronischen Medienunternehmen im deutschsprachigen Raum, die ProSiebenSat.1-Gruppe, darauf hin, dass neben den AGF-/GfK-Quoten für den Bereich des Free-TV für die Steuerung des Quizsenders 9Live die Anzahl der Telefonanrufe, für das Online-Geschäft die Page-Impressions und Visits und im Bereich Pay-TV und Video on Demand die Anzahl der Abonnenten die entscheidenden medialen Kenngrößen sind, die eine monetäre Wertentsprechung haben (vgl. ProSiebenSat.1 Media AG 2007: 82). Auch können Zweifel an der Funktion der Medien- und Publikumsforschung als Hüter des Währungskurses der „intersystemischen Wechselstube“ Werbung angeführt werden. So hebeln die Verlage, besonders in kommerziell schwierigen Zeiten, das Tauschverhältnis Geld gegen Aufmerksamkeit aus, indem sie im Rahmen performanceorientierter Abrechnungsmodelle die Vormachtstellung des Geldes als Währung der Werbung proklamieren. Nach diesen Modellen richtet sich die Vergütung der Verlage für die Schaltung von Anzeigen zu einem Teil nach dem durch die Werbung erzielten Umsatz der werbungtreibenden Unternehmen – unabhängig von Kontaktpreisen (vgl. Pauker 2009: 39).
3.3.3 Werbung als funktional ausdifferenziertes Gesellschaftssystem Einen mutigen Vorschlag, wo die Werbung in der Gesellschaft lokalisiert werden kann, hat Guido Zurstiege (2007) vorgelegt. Mutig ist der Vorschlag, weil die Werbung als autonomes, funktional ausdifferenziertes Gesellschaftssystem auf derselben Ebene angesiedelt wird wie die großen Gesellschaftssysteme Wirtschaft, Recht, Politik usw. Wenn eine solche Theorieoption haltbar sein soll, dann muss für ein derartig gesellschaftlich prominentes Werbesystem dessen gesamtgesellschaftliche Funktion genannt werden können, die ausschließlich dieses System im Ensemble aller Gesellschaftssysteme innehat. Guido Zurstiege (ebd.: 44) sieht diese Funktion in der Produktion von Teilnahmebereitschaft. Werbung soll Bereitschaft zur freiwilligen Teilnahme an bestimmten Handlungszusammenhängen produzieren. Dies heißt dann beispielsweise, dass die Werbung für das Wirtschaftssystem die Bereitschaft zu zahlen produziert, für das politische System die Bereitschaft, eine Partei zu wählen, oder für das Mediensystem die Bereitschaft, ein Programmangebot zu rezipieren (vgl. Zurstiege 2002: 156). Der Vorteil, den Guido Zurstiege in dieser Theorievariante sieht, liegt in der Möglichkeit, die vielfältigen Interaktionen zwischen dem Werbesystem und anderen Sozialsystemen (politische Werbung, Wirtschaftswerbung, Non-Profit-Werbung usw.) in eine allgemeine Theorie der Werbung zu integrieren (vgl. ebd., Zurstiege 2007: 43 f.). Vollkommen zu Recht weist Zurstiege darauf hin, dass Wirtschaftswerbung heute im Kontext von anderen gesellschaftlichen Werbeformen zu sehen ist. Daraus aber
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die Notwendigkeit zu folgern, die Werbung als ein eigenständiges funktional ausdifferenziertes Gesellschaftssystem zu konzipieren, wirft einige Unklarheiten auf. Matthias Kohring (2007) merkt an, dass letztlich alle Gesellschaftssysteme mit werbenden Mechanismen basal durchdrungen sind und das Problem der Teilnahmebereitschaft selbst lösen. Bereits seit Parsons die „Tauschmedien“ konzipiert hat, deren Hauptfunktion in der gesamtgesellschaftlichen Integration von ausdifferenzierten Sozialsystemen liegt, steht zumindest rudimentär eine Theorie werbender Kommunikation im Sinne der Produktion von Teilnahmebereitschaft zur Verfügung. Und seitdem Luhmann (2018) diese zu symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien weiterentwickelt hat, die – wie Geld, Wahrheit, Macht, Liebe oder Recht – die jeweilige Systemlogik repräsentieren, hält jedes Gesellschaftssystem einen Mechanismus in Form einer mitlaufenden Werbung vor, der genau diese Teilnahme beziehungsweise die Motivation zur Teilnahme am systemspezifischen Handlungszusammenhang sichern soll und auch sichert. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien reduzieren Komplexität, indem sie beim Kommunikator die Selektion dessen, was kommuniziert wird, anleiten, und sie wirken zugleich als Motivationsmittel zur Befolgung des Selektionsvorschlages seitens des Rezipienten (vgl. Luhmann 1991: 222). Sie lösen also das der Kommunikation inhärente Problem der doppelten Kontingenz. Eine Antwort auf die plausible Frage von Zurstiege die Integration der vielfältigen Werbeformen betreffend kann daher besser über die Differenzierung der Systemfunktion von der Systemleistung gewonnen werden. Während erstere auf die jeweilige Beziehung eines Gesellschaftssystems zur Gesamtgesellschaft verweist, legt die Leistung die Beziehungen eines Gesellschaftssystems zu anderen Gesellschaftssystemen fest (vgl. Luhmann 2015). In diesem Sinne kann auf der Makroebene durchaus als die Leistung der Werbung bestimmt werden, das Mediensystem mittlerweile auch für die Organisationssysteme anderer Gesellschaftssysteme (Parteien, Krankenhäuser, Hochschulen, Non-Profit-Organisationen wie z. B. das Deutsche Rote Kreuz, Amnesty International etc.) zu funktionalisieren und diese so bei ihrer Produktion von Teilnahmebereitschaft zu unterstützen. Gleichwohl wird damit die Werbung nicht mit einem gesellschaftlichen Funktionsprimat ausgestattet, was ihren Status als autonomes funktional ausdifferenziertes Gesellschaftssystem fragwürdig erscheinen lässt.
3.3.4 Marketing-Kommunikation als Subsystem des Wirtschaftssystems Die letzte Variante ordnet die Werbung in das Feld der Marketing-Kommunikation ein und begreift letztere als ein gesellschaftliches Subsystem des Wirtschaftssystems. Dies bringt den theoretischen Vorteil, die Marketing-Kommunikation zwar mit dem Rüstzeug der Systemtheorie als ein soziales System betrachten zu können, sie dadurch aber nicht in ihrer gesellschaftlichen Position auf Augenhöhe mit den großen
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funktional ausdifferenzierten Gesellschaftssystemen zu begreifen. Auch sind die empirischen Verhältnisse, vor allem in evolutionärer Hinsicht, sehr kompatibel mit dieser Lösung. Zunächst zum Wirtschaftssystem: Mit Luhmann kann die Funktion des Wirtschaftssystems bestimmt werden als die gegenwärtige Sicherung von zukünftiger Bedürfnisbefriedigung. „Letztlich scheint es bei allem Wirtschaften nicht um bestimmte, abgrenzbare Bedürfnisse zu gehen, sondern um die Möglichkeit, eine Entscheidung über die Befriedigung von Bedürfnissen zu vertagen, die Befriedigung trotzdem gegenwärtig schon sicherzustellen und die damit gewonnene Dispositionszeit zu nutzen.“ (Luhmann 1974: 206) Beispiel
Jemand, der Geld gespart hat, hat die Befriedigung seines zukünftigen Bedürfnisses, ein Auto zu kaufen, schon heute gesichert und kann die so gewonnene Zeit durch Anlage des Geldes zinsbringend nutzen.
Preise sind, wie bereits erwähnt, das Programm des Wirtschaftssystems. Sie sichern die durch die Selbstreferenz des Geldes erzwungene Öffnung des Systems und die Steuerung der Zahlungen beziehungsweise Nichtzahlungen. Dazu setzen sie Zahlungsgründe, eben in der Umwelt des Wirtschaftssystems liegende Bedürfnisse, zu der Codierung des Wirtschaftssystems in Beziehung (s. Abb. 27).
Abb. 27 Das Wirtschaftssystem (eigene Darstellung)
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Innerhalb dieses Wirtschaftssystems kann nun das Marketing-Kommunikationssystem angeordnet werden (vgl. Schmidt 1991, Tropp 1997, Willems 2002: 61). Die Marketing-Kommunikation kann dann als ein Teilsystem des Wirtschaftssystems aufgefasst werden, wenn sie von ihrer Umwelt und damit auch vom Wirtschaftssystem unterschieden werden kann. Die Ausdifferenzierung der Marketing-Kommunikation, beziehungsweise der damaligen Werbung, innerhalb des Wirtschaftssystems war an zwei Entwicklungen gekoppelt: • •
an die Ende des 18. Jahrhunderts einsetzende Entwicklung eines kapitalistischen und industriell geprägten Wirtschaftssystems; an das gleichzeitige Entstehen und die Verbreitung der Massenmedien (vgl. Schmidt 1991: 6).
Das Wirtschaftssystem produzierte durch den Mechanismus der Kapitalvermehrung durch Kapitaleinsatz in nahezu beliebiger Menge Güter, die weniger auf die Befriedigung der Elementarbedürfnisse zielten, sondern immer stärker auf die vom Wirtschaftssystem selbst geschaffenen Bedürfnisse ausgerichtet waren. Bis heute sorgt diese selbst kreierte Bedürfnisvarietät dafür, dass innerhalb ein und derselben Produktkategorie alternativ positionierte Produkte zur Verfügung stehen – eben für jede Bedürfnislage. Die Markentheorie hat dafür die Begriffe des emotionalen Zusatznutzens, des symbolischen Nutzens oder des emotionalen Erlebniswertes einer Marke geschaffen, die genau darauf verweisen, dass es heute nicht mehr ausreicht, wenn ein Produkt lediglich rein funktional das elementare Bedürfnis nach einem Gebrauchsnutzen oder einen Grundnutzen befriedigt (vgl. Tropp 2004: 120 f.). Beispiel
Der Kauf eines Autos befriedigt nicht nur das Bedürfnis, sich individuell von A nach B bewegen zu können. Gekauft wird auch eine Automarke, die bestimmte immaterielle Werte symbolisiert und die sich damit für die individuelle Befriedigung spezifischer ideeller Bedürfnisse eignet.
Gerade selbst erzeugte Bedürfnisse müssen aber wirkungsvoll kommuniziert werden, sollen sie eine aus der Perspektive des Wirtschaftssystems gesamtgesellschaftliche Relevanz erhalten und den Handlungsfluss der Zahlungen im Wirtschaftssystem sicherstellen. Hierfür boten sich die Massenmedien an, mit deren Entwicklung sich gleichzeitig auch die Werbung im 19. und 20. Jahrhundert konsequenterweise ausdifferenzierte und parallel zu den Medien in Form von Print-, Hörfunk- und Filmund Fernsehwerbung entwickelte (vgl. Schmidt 1991: 7). Die Funktion, die das Marketing-Kommunikationssystem für seine primäre Umwelt, für das Wirtschaftssystem innehat, liegt in der Schaffung der Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des modernen Wirtschaftssystems. Sie liegt in der Bestim-
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mung, wie die Preise die Zahlungen für Mittel der Bedürfnisbefriedigung steuern. Preise alleine reichen längst nicht mehr aus, um die Zahlungen für das Überangebot an Befriedigungsmitteln (Produkte, Dienstleistungen) für die selbst geschaffenen Bedürfnisse des Wirtschaftssystems zu lenken. Das Programm des Marketing-Kommunikationssystems ist daher die Preise rechtfertigende Kommunikation, die auf Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet ist. Sie liefert die Gründe, warum trotz oder gerade auch wegen des Preises gekauft werden soll. Sie rechtfertigt also das Programm Preise und damit die notwendige Offenheit des Wirtschaftssystems, indem sie die selbst geschaffenen Bedürfnisse des Wirtschaftssystems legitimiert (s. Abb. 28). Diese Legitimierung erfolgt über Differenzierung. Die Marketing-Kommunikation differenziert mit ihrer Kommunikation im Wirtschaftssystem die Vielfalt an organisierten Systemen (Unternehmen) und deren Marken, indem sie diese zueinander positioniert und damit Wettbewerb unter den Produzenten der Mittel zur Bedürfnisbefriedigung schafft. Um differenzieren zu können, muss die Marketing-Kommunikation die Aufmerksamkeit der Rezipienten haben. Daher produziert sie ihre Kommunikationsangebote nach dem Leitsatz der folgenreichen Aufmerksamkeit (vgl. Schmidt 1991: 10). Und da Aufmerksamkeit heute zur wertvollsten kommunikativen Ressource schlechthin avanciert, greifen auch Organisationssysteme anderer gesellschaftlicher Funktionssysteme mit ihren spezifischen Systemlogiken, wie zum Beispiel die Politik (Macht) oder die Wissenschaft (Wahrheit), auf das Know-how und das Instrumentarium der Marketing-Kommunikation zurück. Alle Gesellschaftssysteme haben heute die Marketing-Kommunikation als eine Erfolg versprechende, auf Bedürfnisbefriedigung
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ausgerichtete Kommunikationsform für sich entdeckt, um die Teilnahmebereitschaft an ihren jeweiligen gesellschaftlichen Handlungszusammenhängen, meistens auf Organisationsebene, zu fördern. Entsprechend gibt es mittlerweile auch den Vorschlag, die traditionelle, starke Bindung der Werbung an die Ökonomie aufzugeben und stattdessen die Werbung bzw. Marketing-Kommunikation der Sinnlogik der einzelnen gesellschaftlichen Funktionssysteme zu unterstellen (werbende religiöse Kommunikation, werbende politische Kommunikation etc.) und sie nicht als ein eigenständiges soziales (Sub)System zu konzipieren (vgl. Kohring/Borchers 2013: 232). Obwohl zweifelsohne die Intensität der Interaktionen zwischen dem MarketingKommunikationssystem und den anderen Gesellschaftssystemen zugenommen hat, lassen sich jedoch zusammenfassend gute Gründe anführen, aus denen die Marketing-Kommunikation nach wie vor vorrangig als ein Subsystem des Wirtschaftssystems aufgefasst werden kann: • •
•
die Evolution der Werbung als Vorläufer der Marketing-Kommunikation, die in ihrem Ursprung an die Entwicklung des Wirtschaftssystems gekoppelt ist, die wirtschaftliche Funktion der Marketing-Kommunikation, die in dem Schaffen der Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des modernen Wirtschaftssystems und des zunehmend privatwirtschaftlich geprägten Mediensystems liegt, die mit dem Wirtschaftssystem übereinstimmende Systemrationalität des Geldes.
Letztgenannter Punkt ist von besonderer gesellschaftlicher Brisanz, da die Marketing-Kommunikation sich zum gesellschaftlichen Interface der Wirtschaft entwickelt (hat), das – und man kann darüber laut fluchen, einfach hinwegsehen oder es verleugnen – zur Ökonomisierung der Kommunikation anderer Sozialsysteme beiträgt, mit denen es interagiert. Denn ungeachtet des konkreten Inhaltes der kommunikativen Botschaft, ob für eine Partei, für eine Hochschule oder gegen die Ansteckung mit AIDS geworben wird, in letzter Instanz geht es bei Marketing-Kommunikation immer auch um Geld und damit um einen ökonomisch definierten Sinnzusammenhang. Medien kassieren Geld dafür, dass sie Werbezeit und Werberaum zur Verfügung stellen; jeder, der Werbung – egal für oder gegen was – rezipiert, weiß, dass die Erstellung und Verbreitung der rezipierten Botschaft Geld gekostet hat; und die, die Werbung treiben, müssen Geld beschaffen, um überhaupt werben zu können. Der kommunikative Preis für die Inanspruchnahme der Leistung der Marketing-Kommunikation, den jedes Organisationssystem ungeachtet seines jeweiligen gesellschaftlichen Hintergrundes bezahlen muss, ist das Glaubwürdigkeitsproblem, das der Systemlogik der Marketing-Kommunikation inhärent ist. Es handelt sich eben nicht um originär publizistische, um redaktionell erstellte Kommunikation. Es handelt sich um parasitäre, weil gekaufte Kommunikation, die von einem ständigen Beeinflussungsverdacht begleitet wird, weil sie aus der Perspektive der Marketing-Kommunikation dem Erzielen mediensystemfremder Gegenleistungen, zum Beispiel Produktkäufe, Wählerstimmen, Spenden oder Studenteneinschreibungen dienen soll.
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Die an Rollen gebundenen Handlungen und Kommunikationen im MarketingKommunikationssystem können in vier Handlungsbereiche kategorisiert werden: • • • •
Inhaltsproduktion, Gestaltung und Herstellung der Mitteilung (Produktion), Distribution: Media-Planung und Media-Einkauf, Rezeption der Mitteilung (Rezeption), Selbstthematisierung des Systems (Verarbeitung)
Die Abbildung (s. Abb. 29) gibt einen Überblick über die vier Handlungsbereiche mit ihren jeweiligen Organisationssystemen auf der Mesoebene. Auch ist auf der Mikroebene die Rolle des Konsumenten/Kunden berücksichtigt worden. Dies geschieht aus zwei Gründen. Erstens lassen sich heute auch Konsumenten- und Kundenaktivitäten im Handlungsbereich der Produktion konstatieren, was unter Stichworten wie Social Media, Consumer-to-Consumer (C2C), Reverse Marketing oder Consumer-Generated Advertising (CGA) diskutiert wird. Zum zweiten weist ebenfalls der Handlungsbereich der Rezeption die Besonderheit auf, dass organisationseingebundene als auch nicht organisationseingebundene Handlungen angetroffen werden können. In Business-to-Consumer- (B2C-) und C2C-Beziehungen finden sich im Rezeptionsbereich keine organisatorisch eingebun-
Abb. 29 Handlungsbereiche und ihre Organisationssysteme bei Berücksichtigung der Rolle des Konsumenten/Kunden im Marketing-Kommunikationssystem (eigene Darstellung)
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denen professionalisierten und institutionalisierten Handlungsrollen. Es ist lediglich von Konsumenten beziehungsweise von Kunden die Rede. Anders ist die Situation in Business-to-Business-Beziehungen (B2B). Hier wird die Konsumenten-/Kundenrolle von Organisationen aus dem Wirtschaftssystem bekleidet, wie es beispielsweise der Fall ist, wenn ein Unternehmen von einem Automobilhersteller zwecks der Ausstattung seines Fuhrparks umworben wird. Aus dem wechselseitigen Zusammenwirken der Entwicklungen in den einzelnen Bereichen resultiert in Kopplung mit den emotional-kognitiven Systemen der Handelnden der heutige Zustand des Marketing-Kommunikationssystems.
3.4
Selbstorganisation des Wandels der MarketingKommunikation
Erst durch das Zusammenspiel der stattfindenden Entwicklungen werden die heutigen Interaktionen, Kommunikationen und Handlungen im Marketing-Kommunikationssystem maßgeblich geprägt. Die Interaktions-, Kommunikations- und Handlungseigenschaften eines Systems stehen also nicht isoliert nebeneinander. Sie sind miteinander vernetzt, wirken wechselseitig aufeinander ein und sorgen so auf der Makroebene für die strukturellen Veränderungen, denen sich die Handelnden im Marketing-Kommunikationssystem heute gegenübersehen. Das System der Marketing-Kommunikation ist daher heute strukturbedingt in dem Zustand, dass dem Kriterium der Kommunikationsqualität oberste Priorität zukommt. Die Frage, die sich entsprechend stellt, lautet: Woraus resultieren diese Entwicklungen und wie gestaltet sich deren Einflussnahme auf das systemspezifische soziale Handeln der Individuen im System der Marketing-Kommunikation ? Zur Beantwortung dieser Frage dient das Konzept der Selbstorganisation von Sozialsystemen, dem zunächst die Klärung des Konstrukts der Systemorganisation vorangestellt werden muss.
3.4.1 Systemorganisation ▶ Definition (vgl. Hejl 1992: 185) Unter der Sozialsystemorganisation wird das Kommunikationsmuster zwischen den Komponenten des jeweiligen Systems verstanden. Es handelt sich um die Teilmenge der sich wiederholenden Komponentenkommunikationen.
Es interagiert und kommuniziert also immer nur eine Teilmenge der Komponenten eines Systems, weswegen Systemorganisationen durch eine spezifische Selektivität
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gekennzeichnet sind. Es handelt sich um ein selektives Netz von Input/Output-Beziehungen zwischen den Systemkomponenten, und zwar ist es notwendig selektiv. Dies, weil die Anzahl der Systemkomponenten so groß ist, dass nicht alle prinzipiell möglichen Kommunikationen stattfinden können. So kann nicht jede der ca. 100 Mitgliedsagenturen im Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA mit allen anderen GWA-Agenturen in der gleichen Intensität kommunizieren; es kann nicht jede Agentur im Auftrag jeder Marketing-Abteilung eines Unternehmens Marketing-Kommunikationskonzepte entwickeln und umsetzen; es kann nicht jede Media-Agentur mit allen denkbaren Verarbeitern – vom Geschäftsführer eines Verbandes über den Journalisten eines Fachmediums und den Marktforscher bis hin zu Konsumenten, die sich über einen Werbespot unterhalten – kommunizieren etc. Das Problem, auf das die Systemorganisation hier mit Selektivität reagiert, ist das der Komplexität. Das System wird durch seine Größe zu Selektivität in der Relationierung seiner Komponenten und damit zur Ausbildung eines bestimmten Kommunikationsmusters gezwungen. Niklas Luhmann (1991b: 55) definiert Komplexität wie folgt: ▶ Definition Systemkomplexität bezeichnet den Zustand, dass ein System so viele Komponenten beinhaltet, dass nicht mehr jede Komponente mit jeder anderen verknüpft werden kann.
Komplexität tritt bereits bei geringer Systemgröße auf, da mit der Anzahl der Komponenten die Zahl der Relationierungs-, also Kommunikationsmöglichkeiten gemäß der Formel (N2 – N) : 2 exponentiell steigt. Beispiel
Würde jede der ca. 100 GWA-Mitgliedsagenturen (N) mit jeder anderen Agentur in derselben zeitlichen Intensität von lediglich 8 Stunden pro Jahr kommunizieren wollen, müssten die Agenturen unter sich in einem Jahr 4950 Kommunikationen à 8 Stunden koordinieren, was der Organisation eines Zeitaufwandes von 39 600 Stunden beziehungsweise 1650 Tagen oder 4,5 Jahren entspricht. Zuzüglich würden noch die Kommunikationen der Agenturen mit Handelnden aus den Bereichen der Distribution, Rezeption und Verarbeitung anfallen.
Diese notwendige Selektivität der Systemorganisation führt dazu, dass einige Kommunikationen zwischen Komponenten eine größere Bedeutung im System haben als andere, da sie organisatorisch gefestigt sind. So haben einige Agenturen eine bessere Beziehung zu bestimmten Fachjournalisten als andere, einige Konsumenten einen intensiveren Kontakt mit bestimmten Unternehmen als mit anderen etc. Neben diesem allgemeinen Organisationskennzeichen sozialer Systeme, der Stabilisierung der selektiven Kommunikationen zwischen den Systemmitgliedern,
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zeichnet sich die Systemorganisation des Marketing-Kommunikationssystems durch die Besonderheit aus, dass die Handlungen der Agenturen und die der Konsumenten nicht in einem direkten, systemintern realisierten Kommunikationsverhältnis stehen. Die Kommunikationen verlaufen indirekt über das Mediensystem, wobei zusätzlich noch das Wirtschaftssystem in Form der werbungtreibenden Unternehmung als Absender der Kommunikationsangebote zwischengeschaltet ist. Auch die über eine Telefonnummer, in einem Coupon oder in einer E-Mail-Adresse in einem Werbemittel angebotene Kontaktaufnahme richtet sich an die werbungtreibende Unternehmung (Wirtschaftssystem) und nicht an die Kommunikationsagenturen. Für die Organisation des Marketing-Kommunikationssystems kommt mit dem Mediensystem ein äußerst wichtiger Aspekt ins Spiel: Die Leistung des MarketingKommunikationssystems, nämlich die Funktionalisierung des Mediensystems für das Wirtschaftssystem, ist gleichzeitig die Voraussetzung dafür, dass sich die Organisation des Marketing-Kommunikationssystems überhaupt realisieren kann (Abb. 30). Griffig ausgedrückt: ohne Leistungserbringung keine Systemorganisation und vice versa. Und dass das Marketing-Kommunikationssystem zu seiner systemorganisatorisch notwendigen Funktionalisierung des Mediensystems in der Lage ist, verdankt es einzig und allein der heute gegebenen ökonomischen Abhängigkeit der Medien von der Marketing-Kommunikation. Das Geld der Marketing-Kommunikation ist der kritische Input des Mediensystems. Es ließe sich der Einwand erheben, dass alle Funktionssysteme unserer Gesellschaft die Kommunikation unter ihren Komponenten über das Mediensystem abwickeln, dass dies mithin keine Besonderheit des Marketing-Kommunikationssystems wäre. Hier ist auf die wichtige Differenzierung zwischen „constituent relations“ und „non-constituent relations“ (an der Heiden et al. 1985: 128) hinzuweisen. Ohne gerade heute die Relevanz des Mediensystems für alle ausdifferenzierten sozialen Funktionssysteme unterzubewerten, müssen die Kommunikationen zwischen den Komponenten der Handlungsbereiche Produktion und Rezeption im Marketing-Kommunika-
Abb. 30 Zusammenhang von Leistung und Organisation des Marketing-Kommunikationssystems (eigene Darstellung)
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tionssystem über die Funktionalisierung des Mediensystems erfolgen. In diesem Sinne handelt es sich bei diesen indirekten Kommunikationen um „constituent relations“, da ohne sie das System nicht existieren kann. Im Marketing-Kommunikationssystem gibt es, anders als in anderen Sozialsystemen, keinen Ort, an dem die Komponenten direkt kommunizieren. Im Wirtschaftssystem bietet sich die Möglichkeit der direkten Kommunikation in Form des Marktes (Geschäfte), im Wissenschaftssystem in Form der Universität, im Gesundheitssystem in Form des Krankenhauses und der Arztpraxen, ja selbst im Kunstsystem und im Literatursystem in Form einer Vernissage (Galerie) bzw. einer Autorenlesung (Literaturhaus). Die Intentionen des Marketing-Kommunikationssystems, die sich hinter den Stichworten below-the-line, Direktmarketing, Dialogmarketing, Relationship-Marketing und natürlich auch Customer Relationship Management (CRM) verbergen, zielen genau auf die Behebung dieses Defizits der direkten Kommunikationsmöglichkeiten und der damit einhergehenden Schwierigkeit für das Marketing-Kommunikationssystem, seine notwendigerweise selektiven Kommunikationen zu stabilisieren. So formulierten die beiden Agenturgründer Stan Rapp und Thomas Collins bereits 1988: „Es entsteht ein Szenario, in dem die unmittelbare Wechselbeziehung zum einzelnen potentiellen und aktuellen Kunden an die Stelle des Massenmarkt-Denkens der Vergangenheit tritt.“ (Rapp/Collins 1988: 19)
Die kompensatorischen Maßnahmen, die mit diesen Begriffen verbunden sind, können jedoch nicht das in anderen Funktionssystemen nicht gegebene Problem beheben, dass selbst im Falle einer direkten Kommunikation – das Sampling von Produkten in „Szene-Kneipen“ oder in Einkaufsmärkten, das Verkaufs-/Beratungsgespräch oder das Event Marketing stellen solche Ausnahmefälle dar – diese nicht an einem sozialstrukturell institutionalisierten Ort des Marketing-Kommunikationssystems stattfinden, der als Symbol der Systemlogik, des Sinnzusammenhangs dieses Systems und als Ort der direkten Inklusion des Konsumenten fungieren kann. Diesen Ort – und das gilt auch und besonders für das Mediensystem, dessen zentraler Nutzen ja gerade in der Realisation von indirekten Kommunikationsformen, also in der räumlich oder zeitlich oder räumlich-zeitlich getrennten Produktion und Rezeption von Kommunikationsangeboten liegt – gibt es nicht. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Leistung und Organisation des Marketing-Kommunikationssystems in einem sich wechselseitig bedingenden Verhältnis stehen, dessen zentrales und notwendiges Charakteristikum die Funktionalisierung des Mediensystems ist. Dadurch ist die Systemorganisation der Marketing-Kommunikation äußerst instabil, da sie sich weitestgehend nur über indirekte Kommunikationen realisieren kann.
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3.4.2 Selbstorganisation und Emergenz Ausgehend von der Systemorganisation kann nun mittels des Konzeptes der Selbstorganisation geklärt werden, wie sich die Einflussnahme der heutigen Entwicklungen auf das systemspezifische soziale Handeln der Individuen im System der MarketingKommunikation gestaltet und woraus diese Eigenschaften überhaupt resultieren. Zunächst ist festzustellen, dass Individuen als die grundlegenden Komponenten sozialer Systeme – in dem Sinne, dass sie ein Sozialsystem empirisch erforschbar konstituieren – qua unterschiedlicher Rollenübernahmen gleichzeitig mehrere Sozialsysteme konstituieren. Diese können auf gesamtgesellschaftlicher Ebene als ein Netzwerk von Sozialsystemen konzipiert werden, dessen Knoten die interagierenden und kommunizierenden Individuen in ihren jeweiligen Rollen sind (vgl. Hejl 1992: 332 f., ders. 1993: 219). Soziale Systeme interagieren somit über die Interaktionen und Kommunikationen der sie konstituierenden Individuen. Dabei müssen die Individuen ihre unterschiedlichen Handlungsrollen und damit auch die differierenden Bereiche von systemdependenten Sinnzusammenhängen (Systemlogiken) integrieren. Kommt es dabei aufgrund von Veränderungen des Sinnzusammenhangs in einem System zu Schwierigkeiten, müssen die als inkompatibel erfahrenen Handlungsanforderungen ausgeglichen werden (vgl. Hejl 1992: 329). Die radikalste Lösung eröffnet sich als entweder diese oder jene Systemzugehörigkeit bzw. als Absage an alle Alternativen. Diese Art von Systemveränderung ist stark von der Größe des Sozialsystems und der Anzahl der austretenden Individuen abhängig. Für das Marketing-Kommunikationssystem als ein soziales Gesellschaftssystem ist es jedoch plausibler, seinen Wandel als eine den Systemmitgliedern weitgehend unbewusste Ko-Evolution ihrer Kommunikationen und Bedeutungskonstruktionen zu konzipieren (vgl. ebd.: 331). Diese basiert auf gemeinsamen Erfahrungen, die die Mitglieder in anderen Sozialsystemen, und zwar besonders im Medien- und im Wirtschaftssystem, gemacht haben, und ist aufgrund der Parallelität der sich so einstellenden Handlungsmodifikationen im sich wandelnden Marketing-Kommunikationssystem in erster Linie nur von Beobachtern des Systems wahrnehmbar. Dies birgt eine große Gefahr: Obwohl das Marketing-Kommunikationssystem im Jahr 2017 Gesamtinvestitionen in Höhe von 26,12 Mrd. Euro und damit eine Zunahme gegenüber dem Vorjahr um 0,6 Prozent vorweisen konnte (vgl. ZAW 2018), befindet sich das System in der Situation, gerade wegen dieses Erfolgs gewissermaßen betriebsblind und dadurch anfällig zu werden und sich abzeichnende Krisen nicht erkennen zu können. Generell gilt nämlich, dass systemische Entwicklungsprozesse in der Regel langsam und sukzessive vonstatten gehen, sodass in einem Zeitfenster, in dem noch die Möglichkeit zur Einflussnahme zum Erzielen einer positiven Veränderung besteht, der Handlungsbedarf oft überhaupt nicht erkannt wird. Dann könnte aber dem Marketing-Kommunikationssystem dasselbe Schicksal drohen wie dem gekochten Frosch in der durch
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Charles Handy (1989) bekannt gewordenen Parabel: Wenn man einen Frosch in heißes Wasser wirft, versucht dieser natürlich, so schnell wie möglich wieder herauszukommen. Was passiert aber, wenn man einen Frosch in lauwarmes Wasser setzt und die Temperatur ganz allmählich erhöht ? Überraschenderweise passiert überhaupt nichts. Der Frosch fühlt sich pudelwohl und beginnt zu kochen, ohne es auch nur zu merken. Der Frosch merkt also nicht, dass sich die Umwelt langsam verändert und für ihn bedrohlich wird. Und genau dies darf dem Marketing-Kommunikationssystem, wie auch anderen Systemen, nicht passieren. Dem kann vorgebeugt werden, indem die Akteure aus dem Systembereich der Verarbeitung – hier besonders die Verbände als die Vertreter der Branche nach außen – kontinuierlich und konsequent das Denken und Tun der im System Handelnden hinterfragen und sorgfältig die Systemumwelt in der Hoffnung beobachten, Entwicklungsprozesse frühzeitig erkennen und kritisch reflektieren zu können. Methodisch realisiert sich dieses Hinterfragen in einer beständigen Suche nach Alternativen zum Status quo des Sinns der stattfindenden Handlungen und der Kommunikation der Suchergebnisse – auch wenn aktuell alles einen blendenden Eindruck macht. Diese Ko-Evolution der Kommunikationen und Bedeutungskonstruktionen der Systemmitglieder wirkt auf die Systemorganisation der Marketing-Kommunikation zurück. Aufgrund deren Selektivität erhalten nicht alle Mitglieder dieselben Inputs. Je nach Ort im Kommunikationsmuster, an dem sie sich befinden, unterscheiden sich ihre Erlebnisse, Erfahrungen und damit ihre Entscheidungsprädispositionen zukünftige Kommunikationen im System betreffend. Die Folge ist, dass sich Differenzierungsprozesse auf der Organisationsebene einstellen, sich also neue selektive Kommunikationsverhältnisse im System entwickeln. Das sich herausbildende neue Kommunikationsmuster beruht auf der intrasystemischen Kompatibilität der neu ausgebildeten Kommunikationseigenschaften einzelner Unternehmen und Handelnder in den vier Handlungsbereichen. Beispiel
Eine Kommunikationsagentur sah sich im Zuge der zunehmenden Ausdifferenzierung der Marketing-Kommunikation dazu gezwungen zu entscheiden, welche Disziplinen sie zukünftig anbietet und welche nicht. Sie entschied, die Entwicklung „Mobile Marketing“ nicht in ihrem Leistungs-Portfolio zu berücksichtigen. Konsequenz: Entsprechende Anfragen von Unternehmen werden entweder abgelehnt oder gemeinsam mit einem hierauf spezialisierten Dienstleister gelöst. Mit letzterer, wahrscheinlicherer Lösung hätte sich im Marketing-Kommunikationssystem ein neues Kommunikationsverhältnis (Organisationsebene) etabliert, was auf den zukünftigen Zustand der Agentur beziehungsweise ihrer Mitarbeiter (Komponenten) zurückwirkt. Im Resultat bedeutet dies, dass es zu einer Wechselwirkung zwischen der Ebene der Komponenten und der der Systemorganisation kommt, bei der sich beide verändern, was als Selbstorganisation begriffen wird.
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▶ Definition (vgl. Hejl 1992b: 285) Selbstorganisation des Marketing-Kommunikationssystems bezeichnet die Wechselwirkung zwischen ihrer Systemorganisation und ihren Komponenten, die zu einer Veränderung der Komponenten und damit zu einer Veränderung der Systemorganisation führt.
Dies bedeutet, dass die Veränderung des Marketing-Kommunikationssystems, also der Wandel der Spezifik der sozialen Handlungen seiner Individuen, aus dem Zusammenwirken der Individuen resultiert, und zwar gemäß ihrer selektiven Aktivierung, wie sie durch das veränderte Muster der Organisation festgelegt ist (vgl. Hejl 1992b: 279). Und auch der zweite Teil der eingangs des Kapitels gestellten Frage, wie sich die Einflussnahme der Entwicklungen auf die systemspezifische Sinnhaftigkeit des sozialen Handelns der Individuen im System der Marketing-Kommunikation gestaltet, kann nun beantwortet werden: Die Kommunikationseigenschaften bewirken für sich genommen nicht die Handlungs- und Kommunikationsspezifik der Akteure. Vonnöten ist Emergenz. ▶ Definition Emergenz bezeichnet einen Systemzustand und ein Systemverhalten; sowohl Systemzustand wie -verhalten gehen dabei aus Wechselwirkungen unter den Systemkomponenten und ihren Eigenschaften hervor, können aber nicht aus den Eigenschaften der Komponenten des Systems abgeleitet werden. Die heute alltagssprachliche Redewendung „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ drückt diese Vorstellung aus. Beispiel
Die Komponenten des Systems Gehirn sind interagierende Nervenzellen. Die emergierende Eigenschaft des Gehirns ist die Produktion von Geist und (Selbst-)Bewusstseinstätigkeiten. Dies kann nicht mit den Eigenschaften der Komponenten (Empfangen und Übermitteln von chemischen Botenstoffen) erklärt werden.
Obwohl der Zustand des Marketing-Kommunikationssystems aus nichts anderem als aus den Handlungen seiner Systemkomponenten in den vier Handlungsbereichen hervorgeht (s. Abb. 29) kann er sich doch nur durch den Prozess der Systembildung ergeben. Jegliche reduktionistischen Erklärungen zur Beschreibung des Systemzustandes, also das additive Aufzählen einzelner Entwicklungen, werden dadurch ausgeschlossen, da sie die aktivierende und selegierende Rolle der Systemorganisation unberücksichtigt lassen würden. Aus den Kommunikationseigenschaften – im Sinne individueller Entwicklungen, die in den vier Handlungsbereichen aktuell vonstatten gehen – emergiert erst durch das Zusammenspiel mit der Systemorganisation die systemspezifische Sinnhaftigkeit des sozialen Handelns der Individuen im System der Marketing-Kommunikation, das sich selbstorganisierend fortentwickelt.
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Abb. 31 Selbstorganisierter Wandel von Sozialsystemen (eigene Darstellung)
In Abb. 31 ist der hier beschriebene Zusammenhang visualisiert. Das emergente Verhalten der Akteure im heutigen Marketing-Kommunikationssystem, so kann zusammenfassend formuliert werden, kann auf die Formel sozialen Handelns gebracht werden, das auf einem kollektiv geteilten Sinnzusammenhang Moderner Marketing-Kommunikation beruht. Es ist das selbstorganisierte Resultat aus der Wechselwirkung der Komponenten und der Organisation des Systems. Im Mittelpunkt des Sinnzusammenhangs Moderner Marketing-Kommunikation steht zunehmend die Gestaltung qualitativ hochwertiger Kommunikationsprozesse, in dem Sinne, dass ökonomisch folgenreiche äußere Anschlusshandlungen ausgeführt werden (Reflexivitätskriterium), ökonomisch folgenreich Aufmerksamkeit erlangt wird (Selektivitätskriterium) und ökonomisch folgenreich eine Relevanz der Kommunikationsangebote wahrgenommen wird (Kontextualitätskriterium).
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Marketing-Kommunikation und Mediensystem
Zweifelsohne ist das Verhältnis zwischen dem Marketing-Kommunikationssystem und dem Mediensystem von besonderer Art. Um folgenreiche Aufmerksamkeit für ihre auf Differenzierung zielenden Kommunikationsangebote generieren zu können, ist die Marketing-Kommunikation auf die Medien angewiesen. Es ist die Leistung des Marketing-Kommunikationssystems, über Kommunikationen die Kopplung zwischen dem Wirtschafts- und dem Mediensystem sicherzustellen, indem es die Systemlogik der Medien an die der Wirtschaft knüpft. Damit funktionalisiert die Marketing-Kommunikation das Mediensystem für das Wirtschaftssystem, weil
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sie in der Lage ist, der Gesellschaft kostenpflichtige Aufmerksamkeitsproduktion für Güter, Dienstleistungen, Organisationen, Personen, Ideen und Marken jeglicher Art anbieten zu können (s. Abb. 32). Diese Leistungserbringung ist Voraussetzung dafür, dass das Marketing-Kommunikationssystem seine Organisation realisieren kann (s. Kap. A 3.4). Während es zweifelsfrei ist, dass sich die Kommunikationen und Handlungen im Wirtschaftssystem an der Systemlogik des Geldes orientieren, fällt es für das Mediensystem weitaus schwerer, eine deutlich dominierende Systemrationalität identifizieren zu können. Dies ist hier bereits mit der Diskussion des luhmannschen Vorschlages, die Werbung als einen Programmbereich des Massenmediensystems zu verorten, angedeutet worden. Eine Variante zielt darauf, nicht den stark strapazierten Medienbegriff zu nutzen, sondern Publizistik als ein Gesellschaftssystem zu modellieren, dessen Kommunikation durch die Codierung öffentlich/nicht öffentlich geregelt wird. Dessen Primärfunktion ist es, der Gesellschaft ihre Selbstbeobachtung als auch Fremdbeobachtung zu ermöglichen, indem den gesellschaftlichen Funktionssystemen mittels publizistischer Kommunikation eine Beobachtungsmöglichkeit zweiter
Abb. 32 Das System der Marketing-Kommunikation und seine Umwelt mit beispielhaften intersystemischen Kommunikationen (eigene Darstellung)
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Ordnung – die Beobachtung der Medien, wie sie die Gesellschaft beobachten – ermöglicht wird (vgl. Marcinkowski 1993: 148). Mit der Privatisierung der Medien erlangt auch die Überlegung Diskussionswürdigkeit, von einem ökonomischen Sinnzusammenhang des Mediensystems auszugehen. So diskutiert Marcinkowski (ebd.: 153 f.) am Beispiel des Rundfunks als eines Subsystems des funktional ausdifferenzierten publizistischen Systems die Frage, inwieweit der Rundfunk im Rahmen des dualen Mediensystems nicht als publizistisch, sondern als primär ökonomisch codiert verstanden werden muss. Er beharrt auf der publizistischen Leitdifferenz, gleichwohl anerkennend, dass heute das ökonomische Kalkül und damit Geld im Rundfunk eine weitaus größere Rolle spielt als früher. Aber, so fragt Marcinkowski (ebd.: 182): „Kann … man die Ausstrahlung genehmer Botschaften kaufen, nicht im Werbefernsehen, sondern im redaktionell verantworteten Programm ?“ Die Antwort auf diese Frage muss heute ernüchternd ausfallen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Marketing-Kommunikation das redaktionell verantwortete Programm der privat organisierten Fernsehanstalten aufgrund von Zahlungen mitbestimmt. Bartering (fertig produzierte redaktionelle Medienangebote werden den Rundfunkanbietern kostenlos von den Unternehmen zur Verfügung gestellt, die im Gegenzug Werbezeiten in Werbeblöcken erhalten), Programming („redaktionelle“ Medienangebote werden von Unternehmen bei Integration ihrer Produkte, des Logos etc. produziert) oder Product Placement sind nur einige der heute unter dem Begriff „Branded Entertainment“ zusammengefassten Techniken, mit denen ein direkter, nur einer ökonomischen Sinnhaftigkeit folgender Einfluss auf das redaktionelle Programm genommen wird – von der indirekten Wirksamkeit ökonomischer Kalküle bei der Programmgestaltung ganz zu schweigen: Die Einschaltquoten bestimmen die Einnahmen aus der Werbung, die wiederum das redaktionelle Rahmenprogramm der Werbung bestimmen. Es scheint, dass das redaktionelle und das werbliche Programm, zumindest was die rein profitorientierten privaten Programmanbieter angeht, fusioniert haben. Und dass es sich dabei um ein offenes Geheimnis handelt, hat bereits früh und öffentlich die Frankfurter Allgemeine Zeitung (7. 2. 1995) reflektiert: „Die Bedürfnisse der Werbung bestimmen den Sendeplan im Privatfernsehen“. Dieter Gorny, der ehemalige Chef des Musiksenders Viva, hat es ebenfalls bereits frühzeitig für das Fernsehen auf den Punkt gebracht: „Die Marken wollen ins TV, und wir wollen vom Bildschirm runter ins Geschäft“ (zit. n. o. V. 1995: 11). Eine ähnliche Variante läuft darauf hinaus, wiederum nicht die Medien, sondern den Journalismus als ein soziales System zu konzipieren, das die Funktion hat, den diversen gesellschaftlichen Teilsystemen ihre Selbstbeobachtung zu ermöglichen (vgl. Arnold 2008: 493). Davon wird dann die Werbung differenziert. Aber auch hier muss konstatiert werden, dass „Veränderungen beim Anzeigenaufkommen … sich ebenso im redaktionellen Teil nieder[schlagen] … wie umgekehrt zum Beispiel mangelnde Attraktivität des journalistischen Teils Einbußen hinsichtlich der Reichweite und damit sinkendes Interesse an Anzeigenschaltungen nach sich ziehen kann“ (Blöbaum 1994: 294).
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Die Frage, die man dann mit Siegfried Weischenberg (1990: 35) stellen muss, lautet entsprechend, ob die „Ökonomie … also das zentrale Bezugssystem [ist], wenn man über die Medien in unserer Gesellschaft spricht“. Bei der Beantwortung dieser Frage muss genau differenziert werden, welches soziale System fokussiert wird. Wenn man, wie Weischenberg, die Medienkonzerne als soziale Systeme, also als Organisationssysteme modelliert (s. ebd., ders. 1990a: 37), so ist die These einer an „ökonomischen Maßstäben orientierten Logik“ (ders. 1990: 35) dieser Systeme heute durchaus vertretbar, wobei zu überprüfen ist, inwiefern dies auch auf die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zutrifft. Tendenzen der Ökonomisierung sind auf jeden Fall auch hier zu beobachten. Ein Indikator für die steigende Ökonomisierung der Medienorganisationen ist der Umfang, in dem die Medien für sich selbst werben. Seit dem Jahr 2000 sind die Medien die werbestärkste Branche (vgl. Reinemann/Huismann 2007: 471 f.). Im ersten Halbjahr 2010 führte die Medienbranche das Ranking der Werbeinvestitionen nach Wirtschaftsbereich mit EUR 1,9 Mrd. an, gefolgt von Handel und Versand (EUR 1,5 Mrd.) und dem Kraftfahrzeugmarkt (EUR 976 Mio.) (G+J 2011). Dass die Medien ihre eigenen Werbeplätze und -zeiten nicht oder nur teilweise bezahlen, unterstreicht ihre zugrunde liegende wirtschaftliche Handlungslogik. Sie versuchen möglichst effizient, Marktanteile (Zuschauer-, Hörer-, Leserquote) zu halten oder zu erhöhen und, damit zusammenhängend, Einnahmen aus dem MarketingKommunikationssystem zu erzielen. Anders sieht es jedoch aus, wenn man die Medien als ein Gesellschaftssystem betrachtet, das den Handlungsbereich der Rezeption zur Identifikation der Struktur und damit die Struktur mitkonstituierend berücksichtigt. Dies ist das an dieser Stelle interessierende Systemkonstrukt auf der gesellschaftlichen Makroebene. Damit wird aber die These einer ökonomischen Codierung und einer Regelung der Kommunikationen durch das Steuerungsmedium Geld fragwürdig. Kommunikationsangebote wie die Nachrichten, ein Spielfilm oder eine Sportsendung werden – zumindest im Free-TV – wohl kaum als wirtschaftlich relevant wahrgenommen, also als sinnhafte ökonomische Information decodiert. Deutlich wird anhand dieser Diskussion zweierlei: Erstens müssen die Rationalitäten von organisierten und von gesellschaftlichen Systemen klar auseinandergehalten werden. Um Systeme zu organisieren, ist es notwendig, die individuellen Handlungsmöglichkeiten anderer Menschen einzuengen und Handlungen dadurch für die Systemmitglieder kalkulierbar, also anschlussfähig für die eigenen Handlungen zu machen. Dafür ist die wirtschaftliche Rationalität bestens geeignet. Eine Geldzahl erhebt Anspruch auf Objektivität, sie stiftet damit individuenabgekoppelte Orientierung und sie lässt sich dank ihres metrischen Charakters hervorragend weiterverrechnen, also als Steuerungsgröße für unterschiedlichste Handlungsergebnisse einsetzen, die in Zahlen ausdrückbar sind – und zwar bei verschiedenartigsten Organisation (z. B.: Anzahl der Arbeitsstunden, Belegquote von Krankenhausbetten, Anzahl immatrikulierter Studenten, Bekanntheitsgrad in einer Zielgruppe, Menge von benötigten Rohstoffen etc.). Auch wenn Organisationssysteme daher bevorzugt ge-
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mäß einer ökonomischen Logik operieren, heißt das nicht, dass deren umfassendes Gesellschaftssystem der Ausübung seiner gesellschaftlichen Funktion wirtschaftlich rational nachkommt. Da sich jedoch Individuen stets beiden Systemtypen verpflichtet fühlen, kann es zu den heute beobachtbaren intersystemischen Konflikten kommen, weil Handlungsrationalitäten unterschiedlicher Systemtypen (Organisationsvs. Gesellschaftssysteme) um Vorrangstellungen ringen. Beispiele
Die Organisationssysteme Krankenhäuser und Hochschulen bemühen sich zunehmend darum, ökonomisch sinnvoll zu handeln. Aber weder kann Gesundheit noch Wahrheit gekauft werden, so wie man im Wirtschaftssystem ein Auto gegen Geld bei einem Autohändler tauscht. Die Leistung einer Rechtsanwaltskanzlei kostet Geld. Gleichwohl kauft man dafür kein Recht ein. Würde ein Richter gegen eine Geldzahlung Recht sprechen, würde er korrupt handeln und sich strafbar machen.
Zweitens müssen die Kommunikationen in einem funktional ausdifferenzierten Gesellschaftssystem nicht zwingend nur durch einen einzigen deutlich identifizierbaren Code, und zwar nur durch diesen einen, geregelt werden, wie dies Niklas Luhmann postuliert. Angebrachter ist es, von einer sozialsystemspezifischen Vielfalt grundlegender Unterscheidungen auszugehen, die netzwerkartig organisiert ist, die Bestandteil des Common Ground der Individuen eines Sozialsystems ist und anhand derer die Inputs der Umwelt in für das System sinnhafte Informationen transformiert werden können. Diese zentralen Unterscheidungen des Mediensystems speisen sich heute besonders aus den Grundsätzen der Publizität (öffentlich/nicht öffentlich), Interaktivität (bidirektional/unidirektional) und Ökonomie (zahlen/nicht zahlen) und konstituieren heute dessen Systemlogik. Hilfreich bei der Beantwortung der Frage nach der Spezifik der Medien, nach dem Grund, dass man überhaupt von einem funktional ausdifferenzierten Mediensystem in unserer Gesellschaft sprechen kann, ist es, sich in Erinnerung zu rufen, dass Medien als technische Verbreitungsmittel aufgefasst werden können. Ohne die Medien auf ein technisches Konstrukt zu verkürzen, eröffnet sich durch die Berücksichtigung des technologischen Aspektes der Medien eine neue Perspektive: Dank der Medientechnik wird die traditionelle, ein Interaktionssystem konstituierende Verknüpfung von menschlicher Beziehung bei Anwesenheit an einem Ort aufgehoben. Die technische Entwicklung der Medien erlaubt es heute, unabhängig vom Ort der physischen Präsenz des Einzelnen ein Wir-Gefühl, sogar eine Gruppenidentität, also Sozialität zu empfinden. Medien formen daher virtuelle soziale Systeme, die sich nicht durch direkte Interaktionen zwischen Menschen auszeichnen, sondern die indirekte Sozialität, eine Fernanwesenheit ermöglichen. Dies geschieht, indem entweder
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erstens (1), wie im Falle der Allgemeinmedien, auf Gesellschaftsebene Beziehungen zwischen Rezipienten hergestellt werden, da jeder Rezipient mit der Kenntnis eines medienvermittelten öffentlichen Kommunikationsangebots zugleich auch weiß, dass andere dieses Kommunikationsangebot ebenfalls kennen (vgl. Merten 1977: 147 f.) oder zweitens (2), wie im Fall der Individualmedien, Beziehungen auf Organisationsoder Interaktionsebene zwischen Kommunikatoren und Rezipienten ohne deren räumliche Anwesenheit hergestellt werden. Die internetbasierte Social-Media-Entwicklung unterstützt diese Bildung virtueller sozialer Systeme nachhaltig. Beispiele
ad (1): Mit Kenntnis der Meldung über einen Stau auf der Autobahn weiß man gleichzeitig, dass auch andere diese Meldung kennen. Daraus resultiert ein soziales Problem. Man wägt ab, ob es sinnvoll ist, auf die empfohlene, nun vermeintlich überlastete Ausweichroute auszuweichen oder auf der Autobahn weiterzufahren, da sich der Stau in Kürze bedingt durch das Ausweichen der anderen Verkehrsteilnehmer auf die empfohlene Ausweichroute auflösen wird. ad (2): Eine Arbeitsgruppe hat sich in einem global agierenden Unternehmen ortsunabhängig mittels digitaler Medientechnik virtuell zusammengeschlossen.
Die Funktion des Mediensystems kann dann zusammenfassend als die Produktion und Sicherstellung indirekter Sozialität bezeichnet werden, indem zwischenmenschliche Beziehungen trotz physischer Abwesenheit eingerichtet werden können und auf Individualebene eine Entwicklung des intersubjektiv geteilten Wissensstandes in einer Gesellschaft stattfinden kann.
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Medialisierung des Marketings und der Marketing-Kommunikation
Abstract Bevor das Konzept der Medialisierung eingeführt werden kann, ist es notwendig, wichtige medienwissenschaftliche Grundlagen zu erörtern (Kap. A 4.1). Es können grob vier verschiedene Medienbegriffe unterschieden werden: ein physikalischer, ein codebezogener, ein technischer und ein soziologischer Medienbegriff. Letztgenannter integriert die drei anderen Begriffsverständnisse und wird damit der Mehrdimensionalität des Phänomens Medium gerecht. Hinsichtlich der Medienwirkungen sind im Kontext der Medialisierung vor allem die strukturellen Wirkungen von Interesse. Jedes Medium wirkt über seine eigenen Bedingungen der Produktion und Rezeption, unabhängig von den Kommunikationsinhalten. Ausgehend von diesen Grundlagen wird das Medialisierungskonzept im Allgemeinen und für die Marketing-Kommunikation im Speziellen vorgestellt (Kap. A 4.2). Letzteres wird als Earned Media bezeichnet. Earned Media steht für die Medialisierung der Marketing-Kommunikation, die über Anschlusskommunikationen in den Medien und den sozialen Netzwerken der Konsumenten Publizität für die Marketing-Kommunikation eines Unternehmens erzeugen soll. Die Marketing-Kommunikation der Unternehmen wird also zunehmend selbst zum Thema journalistischer Berichterstattung und privater Anschlusskommunikationen auf Individualebene. Nicht zuletzt versprechen sich die Unternehmen davon Einspareffekte bei ihren Media-Budgets.
In Abb. 32 ist ein Zusammenhang zwischen dem Marketing-Kommunikationssystem und dem Wirtschaftssystem vermerkt, der als Medialisierung oder auch als Mediatisierung bezeichnet wird. Die von Experten prognostizierte grundsätzliche Bedeutungszunahme der Marketing-Kommunikation im Vergleich zu den anderen Instrumenten des Marketingmix wird erst bei einer Berücksichtigung eines gesellschaftlichen Meta-Prozesses umfassend verständlich, der – ähnlich wie die Individualisierung oder die Globalisierung – alle gesellschaftlichen Sozialsysteme betrifft. Gemeint ist die Medialisierung, von der das Marketing-Kommunikationssystem aufgrund seiner Interaktionsintensität mit dem Mediensystem in besonderem Maße betroffen ist (s. Kap. A 3.4.1). Die Marketing-Kommunikation wirkt daher als ökonomisches Subsystem verstärkend auf die Medialisierung des Wirtschaftssystems und hier vor allem auf die des Marketings ein. 141 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Tropp, Moderne Marketing-Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25318-9_4
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Grundlagen der Modernen Marketing-Kommunikation
Grundlagen
4.1.1 Medienbegriff Es können vier kommunikations- und medienwissenschaftliche Grundverständnisse des Medienbegriffs unterschieden werden, mit denen die Vielzahl an vorhandenen Begriffsbestimmungen geordnet werden kann (s. Tab. 5). Das Medium als Mittel der Wahrnehmung bezieht sich auf Mittel, die als physikalische Medien und als Kontaktmaterien jeglicher menschlicher Wahrnehmung zugrunde liegen. Beispiele für Medien nach diesem Verständnis sind elektromagnetische Felder und die unterschiedlichsten festen, flüssigen und gasförmige Stoffe, allen voran die Luft. Die Medien als Mittel der Verständigung umfassen diejenigen Mittel, auf denen die Konstruktion von Bedeutungen der Kommunikationspartner basiert. Damit sind Zeichen oder Zeichensysteme angesprochen, die als semiotische Kommunikationsinstrumente überhaupt erst die Grundlage schaffen, Bedeutungen und Gedanken eine von Dritten wahrnehmbare Form geben zu können. Beispiele sind die mündliche und schriftliche Sprache, Bilder, Gestik, Klänge etc. Wird das Medium als Mittel der Verbreitung begriffen, sind solche Mittel gemeint, die die Übermittlung von Mitteilungen über räumliche, (raum-)zeitliche und gesell-
Tab. 5 Kommunikations- und medienwissenschaftliche Grundverständnisse des Medienbegriffs (vgl. Mock 2006: 195) Medium als
Kriterium
Medienbegriff
Beispiele
Mittel der Wahrnehmung: physikalische Medien (auch: Wahrnehmungsmedien, materielle Medien)
Wahrnehmung
Physikalischer Medienbegriff
Luft, elektromagnetische Felder etc.
Mittel der Verständigung: semiotische Medien (auch: Kommunikationsinstrumente, kommunikative Medien, Codierungsmedien, symbolische Medien)
Zeichen
Codebezogener Medienbegriff
Sprache, Schrift, Geräusche, Gestik etc.
Mittel der Verbreitung (auch: Medientechniken)
Technik
Technischer Medienbegriff
Papier, Telefon, Fernseher, Computer etc.
soziales System und Instrument der Sinngebung von Kommunikation (auch: Medium als Kompaktbegriff, soziales Medium;
Systemischer Zusammenhang
Soziologischer Medienbegriff
Zusammenhang von: Sprache, Drucktechnik, Verlag und Zeitschrift
symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium)
Geld, Macht etc.
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Medialisierung des Marketings und der Marketing-Kommunikation
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schaftliche Grenzen der direkten Kommunikation hinweg ermöglichen. Diese Mittel sind in der Regel technischer Art. Das Medium als soziales System und Instrument der Sinngebung von Kommunikation integriert die zuvor genannten drei Grundverständnisse und hebt auf den sozialen Aspekt ab. Ein Medium ist nach diesem Verständnis einerseits selbst ein spezifischer sozial etablierter Kommunikationszusammenhang von Kommunikationsmitteln, Akteuren, Organisationen, Regeln, Themen etc., mit anderen Worten: ein soziales System. Andererseits kann es auch als ein Mittel zur Sinngebung der Kommunikationen in anderen Gesellschaftssystemen verstanden werden, nämlich wenn es dort symbolisch generalisiert Komplexität reduziert, für die Übertragbarkeit reduzierter Komplexität und für die Sicherung der Anschlussselektivität sorgt (vgl. Luhmann 2018). Beispiele sind Geld im Wirtschaftssystem oder Macht im politischen System. Der Überblick über die Grundverständnisse des Medienbegriffs verdeutlicht, dass aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht die häufig anzutreffende Kürzung der Bedeutung des Medienbegriffs auf technische Gegebenheiten nicht opportun ist. Darauf weist auch Klaus Beck (2013) im Lexikon der Kommunikations- und Medienwissenschaft hin (s. auch Beck 2006a: 12 f.). Stattdessen definiert Beck Medien mit Saxer „… zugleich als technisch basierte Zeichensysteme, arbeitsteilig verfahrende Organisationen und als Institutionen (Normen- und Regelsysteme) mit jeweils spezifischem Leistungsvermögen für andere soziale Systeme und Funktionen für die Gesellschaft“ (Beck 2013: 201). Ähnlich wendet sich Udo Thiedeke (1997: 25) gegen eine Engführung des Medienverständnisses auf den technischen Aspekt als Kommunikationskanal und begreift Medien als Strukturen technischer Instrumente zur Mitteilung von Informationen über lokale, soziale und temporale Distanzen hinweg, die es ermöglichen, Informationen universell reproduzierbar zu organisieren. Als Beispiel für ein umfassendes integratives Bedeutungsverständnis des Medienbegriffs, das gleichzeitig eine trennscharfe empirische Strukturierung ermöglicht, kann auch das Medienkonzept von Siegfried J. Schmidt (2003: 135 f., ders. 2008: 144 f.) angeführt werden. Er unterscheidet vier begriffskonstituierende Aspekte: •
semiotische Kommunikationsinstrumente (natürliche Sprache, Schriften, Bilder, Töne), • das technisch-mediale Dispositiv bzw. die jeweilige Medientechnik (Druck-, Funk-, Film-, Fernseh-, Computertechnik), • die sozialsystemische Institutionalisierung eines Mediums (Verlage, Fernsehanstalten, Internet Service Provider, Medienvermarktungsorganisationen etc.), • Kommunikationsangebote als Resultate des Zusammenwirkens der drei zuvor genannten Bereiche (Film, Zeitschrift, Buch etc.). Der Begriff Medium kann dann wie folgt definiert werden:
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▶ Definition Ein Medium ist eine institutionalisierte Verständigungshilfe, die in organisierter Form durch technische Aufbereitung von semiotischen Kommunikationsinstrumenten die Produktion und die räumlich, zeitlich und gesellschaftlich entgrenzte Verbreitung von Kommunikationsangeboten ermöglicht, für deren Rezeption komplementäre Technikausstattung notwendig sein kann.
Für die Rezeption medialer Kommunikationsangebote kann komplementäre Technikausstattung notwendig sein, muss aber nicht. So ist beispielsweise für die Rezeption des Mediums Zeitung keine technische Ausstattung vonnöten – wohl aber für dessen Produktion. Diese Medien werden in Abgrenzung zu den primären Medien, bei denen weder produktions- noch rezeptionsseitig eine Medientechnik benötigt wird (z. B. das Theater), als sekundäre Medien bezeichnet. Anders ist die Situation hingegen bei den Medien Fernsehen, Telefon oder PC. Hier ist sowohl auf Produktions- wie auch auf Rezeptionsseite notwendigerweise Technikeinsatz vonnöten. Diese Medien werden als tertiäre Medien bezeichnet (vgl. Faulstich 2004). Zusammenfassend soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass ungeachtet dessen, dass, wenn in verkürzter Redeweise – wie sie sich eingebürgert hat – zum Beispiel von der „Zeitschrift“ oder von dem „Kino“ die Rede ist, damit nicht nur der technische Prozess oder die technische Geräteausstattung gemeint sein kann. Zumal ein solches enges Verständnis von einem Medium als Mittel der Verbreitung heute stärker denn je an seine Grenzen stößt. Denn gerade die kommunikationstechnologische Entwicklung selbst sorgt dafür, dass die Bedeutungen gewohnter Redeweisen zur Disposition stehen. Wie lange wird sich noch eine gerätezentrierte Semantik halten können, die von dem Fernseher, dem Radio, dem Handy usw. ausgeht ? Die Digitalisierung und technologische Konvergenz hebt die gewohnten Unterschiede zwischen den Endgeräten auf, wonach das TV für das Fernsehen, das Telefon für das Telefonieren usw. steht. Bestimmtes kommunikatives Handeln ist nicht mehr an den Gebrauch bestimmter Endgeräte gebunden. Mit dem TV-Gerät lassen sich WWW-Seiten aufrufen und mit dem Computer lässt sich fernsehen. Uwe Hasebrink (2001: 10) formuliert entsprechend: „Fernsehen ist, wenn Menschen fernsehen“. Dies könnte darauf hindeuten, dass sich verstärkt eine prozessorientierte Semantik zur Kommunikation über Medien durchsetzt, also primär nur noch nach den kommunikativen Handlungen mit Bewegtbildern, Bildern/Abbildungen, Ton und Text unterschieden wird, die in der Regel, basierend auf dem Internet-Protokoll, von multifunktionalen mobilen und stationären Bildschirmen (Screens) empfangen werden (z. B. „Video sehen“, „Blog lesen“, „eine WWW-Seite aufrufen“ etc.). Aus demselben Grund hat sich heute die Redeweise von den Massenmedien überholt. Durch die Digitalisierung der Medien verschwimmt die Grenze zwischen Massen- und Individualmedien zunehmend. Zweckdienlicher ist es daher, heute nicht mit der Rezipientenquantität als Differenzierungskriterium für Formen der medialen Kommunikation zu operieren, sondern nach der Art der Ansprache zu unter-
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Medialisierung des Marketings und der Marketing-Kommunikation
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scheiden. Dann kann Friedrich Krotz (2007: 64) gefolgt und eine standardisierte, allgemein adressierte von einer individuell adressierten Kommunikation unterschieden werden. Letztere manifestiert sich in der Marketing-Kommunikation, indem die Unternehmen im Rahmen der dialogischen Grundausrichtung Moderner MarketingKommunikation verstärkt auf einen Medieneinsatz zur persönlichen, individuellen Ansprache setzen (Brief, E-Mail, SMS usw., vgl. Kap. B II 2.1).
4.1.2 Medienwirkungen Die Wirkung von Medien entfaltet sich nicht nur über ihre Inhalte und deren formale Gestaltung, sondern auch aus den Medien selbst heraus. Siegfried J. Schmidt und Guido Zurstiege (2000: 172) differenzieren entsprechend in semantische und strukturelle Medienwirkungen. Mit strukturellen Medienwirkungen ist gemeint, dass jedes Medium über seine eigenen Bedingungen der Produktion und der Rezeption wirkt. Und genau diese strukturellen Medienwirkungen sind dafür ausschlaggebend, ob ein neues Medium in der Gesellschaft seine Nutzungsakzeptanz findet und damit von der Marketing-Kommunikation genutzt werden kann oder nicht. So erzwingen Printmedien die Beherrschung von Schreiben und Lesen, Fotografie erlaubt die Produktion und die Verarbeitung von statischen Bildern und das Fernsehen zwingt die Produzenten, ihre Beiträge für bestimmte Programmformate und definierte Zeitfenster zu erstellen, weswegen auch nicht von einer objektiven Berichterstattung gesprochen werden kann, sondern von einer Fernsehwirklichkeit, die gemäß den medialen Bedingungen des Mediums produziert und angeboten wird. Das der Redaktion vorliegende Filmmaterial sowie dessen Selektion nach Kriterien wie Aktualität, Skandalisierung, Informationsgehalt etc. bestimmt die Fernsehwirklichkeit der Nachrichten im komprimierten senderspezifischen Minutenformat, nicht aber ein medienunabhängiges Weltgeschehen. Besonders deutlich werden diese strukturellen Medienwirkungen beim PC und dem Internet. Ohne Anwendungskenntnisse von Programmen, ohne ein Verständnis für Hyperlink-Strukturen und das Wissen um die Funktionsweise von Suchmaschinen bleiben diese Medien den Menschen unzugänglich. Vor allem die Vertreter der Mediumstheorie in der Tradition von Innis, McLuhan und Meyrowitz und die Vertreter der Cultivation Analysis um George Gerbner beschäftigen sich mit diesen Wirkungen und Kultivierungseffekten der Medien, die den Wirkungen aus der eigentlichen Rezeption von Medieninhalten (semantische Wirkungen) vorgelagert sind. Während die Cultivation Analysis den Fokus ausschließlich auf mediale Sozialisationseffekte in der Gesamtgesellschaft richtet, gilt das Interesse der Mediumstheorie auch den Wirkungen der Medien, insofern, als sie sich mit der „historischen und interkulturellen Untersuchung der unterschiedlichen kulturellen Umwelten, wie sie verschiedene Kommunikationsmedien schaffen“ (Meyrowitz 1987: 22), beschäftigt. McLuhans berühmtes Credo „the medium is the message“ steht stellvertretend für das Wirkungsverständnis der Mediumstheoretiker. Mit Dagmar Berg-
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haus (1999: 190) können die zentralen Thesen die strukturellen Medienwirkungen betreffend folgendermaßen zusammengefasst werden (vgl. auch Andree 2010: 157 f.): •
Die inhaltsübergreifenden, charakteristischen Merkmale jedes Mediums entfalten eigene Wirkungen, die stärker als die Wirkungen einzelner inhaltlicher Elemente sind. • Jedes Medium gibt die Bedingungen für die Auswahl der Inhalte vor, die in diesem Medium präsentiert werden. In Abhängigkeit vom Medium variieren die Inhalte oder die inhaltlichen Akzente. • Die Existenz und die Verfügbarkeit eines Mediums betreffen alle Mitglieder einer Kultur und haben Auswirkungen, die unabhängig von der individuellen Rezeption sind. Soziokulturelle Mediumswirkungen sind semantischen Inhaltswirkungen übergeordnet. • Gleichzeitig orientieren sich auch die Rezipienten stärker am Medium als an den einzelnen Medieninhalten. Die Selektion des Mediums ist in der Regel der Selektion von Inhalten vorgelagert, womit auch auf individueller Ebene Mediumswirkungen eventuellen Inhaltswirkungen übergeordnet sind.
4.2
Medialisierung
Bereits 1916 kam John Dewey (1916: 5) zu der bis heute unstrittigen Feststellung, dass Gesellschaft überhaupt erst durch Kommunikation existiert. Daraus kann der ebenfalls unstrittige Schluss gezogen werden, dass der Zustand von Gesellschaften in enger Abhängigkeit von den Möglichkeiten und Mitteln der Kommunikation gesehen werden muss, dass also die Evolution von Kommunikation und ihren Medien notwendige Voraussetzung für die Evolution von Gesellschaften und ihren Wirklichkeitsentwürfen wie zum Beispiel Kultur, Alltag und Identität ist (vgl. Merten 1994: 141). Sibylle Krämer (2012: 66) spricht diesbezüglich vom Apriorismus des Medialen. Gemeint ist damit, dass Medien keine Phänomene unter anderen Phänomenen sind, sondern dass sie den Konstitutionszusammenhang von Kultur, Gesellschaft und/oder Geschichte bilden. Damit ist klar, dass die Medien auch den Bedingungs- und Möglichkeitsraum des Marketings und dessen Kommunikationen konstituieren. Es steht heute außer Frage, dass sich der exponentiell verlaufende Medienzuwachs auf die Sinnzusammenhänge und damit auf die Interpretationsmuster sozialen Geschehens auswirkt, mit der sich anschließenden Konsequenz der Veränderung von Handlungsmustern in der so emergierenden Mediengesellschaft und ihren Sozialsystemen. Es hat den Anschein, dass das sozial ausdifferenzierte Funktionssystem der Medien mit dem Gesamtsystem Gesellschaft mehr und mehr deckungsgleich wird. Die Akteure in den einzelnen Sozialsystemen wie Politik, Wirtschaft, Sport, Gesundheit und besonders Marketing-Kommunikation richten ihr Handeln zunehmend an der Logik und den Erfolgsbedingungen des Mediensystems aus, woraus im Kern eine
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Überformung aller Gesellschaftssysteme durch das Mediensystem resultiert. In der Konsequenz orientieren sie sich in ihrem Handeln verstärkt an den Nachrichtenfaktoren des Mediensystems, mit denen die Medienorganisationen die Selektivität des Rezipienten überwinden. Neben medienspezifischen Faktoren sind allgemein besonders zu nennen Aktualität, Konfliktivität, Skandalisierung, Moralisierung, Prominenzierung und Personalisierung (vgl. Schranz 2007: 132, s. auch Boetzkes 2008: 64, Maier et al. 2018). Dieser gesellschaftliche Meta-Prozess wird vom Konzept der Medialisierung, auch als Mediatisierung bezeichnet (s. z. B. Krotz 2003, 2005), beschrieben. Michael Meyen (2009: 24 f.) hat sich um eine Differenzierung der beiden Begriffe bemüht. Er verweist darauf, dass das autorenspezifische zugrunde liegende Verständnis des Medienbegriffs sowie die ebenfalls autorenspezifische Definition des Gegenstandes der Kommunikationswissenschaft für die Begriffsentscheidung ausschlaggebend sind (vgl. ebd.: 24 f.). Auch macht er darauf aufmerksam, dass „Mediatisierung“ in den Geschichts- und Sozialwissenschaften bereits mit anderen Bedeutungen belegt ist, weswegen er letztlich für den Medialisierungsbegriff plädiert. Grundannahme des Medialisierungskonzeptes ist, dass sich das Verhalten und der Alltag von Menschen (Mikroebene), Organisationen und Institutionen (Mesoebene) und Gesellschaftssystemen (Makroebene) verändert, weil die Akteure davon ausgehen, dass allgemein adressierte Medienangebote nicht wirkungslos sind (vgl. ebd.: 36). ▶ Definition Medialisierung bezeichnet die Reaktionen auf individueller, organisationaler und gesellschaftssystemischer Ebene, „die sich entweder auf den Strukturwandel des Mediensystems … oder auf den generellen Bedeutungszuwachs medial vermittelter öffentlicher Kommunikation [beziehen]“ (Meyen 2009: 23).
Medialisierung ist heute überall beobachtbar. Die Redeweise von der heutigen Mediengesellschaft bringt dies treffend zum Ausdruck. In ihr verschmilzt die reale, unmittelbar erfahrbare Wirklichkeit mit der fiktionalen Wirklichkeit – mit der durch Medien reproduzierten Wirklichkeit – zu einer dritten handlungsleitenden Wirklichkeit (vgl. Merten 2010: 105). Oder anders formuliert: Der Alltag der Menschen ist von medialer Alltäglichkeit geprägt (vgl. Gentzel/Koenen 2012: 209). Auf der gesellschaftlichen Makroebene zeigen besonders Gesellschaftsbereiche, die stark von der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit abhängen und deren spezifische Handlungslogik kompatibel mit der des Mediensystems ist, deutliche Spuren der Medialisierung. Für das Wirtschaftssystem kann mittlerweile sogar eine „kommunikative Neukonstitution der Ökonomie“ (Imhof 2006: 206) diagnostiziert werden, die aus seiner Medialisierung resultiert. Als hierfür typische Indikatoren gelten: •
die Nutzung von Charismaeffekten medial präsenter Topmanager zur Profilierung der Unternehmensreputation,
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die moralische Aufladung der Unternehmenskommunikation im Rahmen des Managements von Corporate Social Responsibility (CSR) als Antwort auf die mediale Skandalierungskommunikation oder auch die Bedeutungszunahme der Unternehmenskommunikation für die Wertschöpfung des Unternehmens (vgl. ebd., Will 2007: 85 f.).
Die Medialisierung prägt in besonderem Maße die Ko-Evolution der Systemmitglieder der Marketing-Kommunikation und damit den selbstorganisierten Wandel ihres Marketing-Kommunikationswissens, ihrer Kognitionsprozesse und kommunikativen Handlungen. Bedingt ist dies durch die Spezifik der Systemorganisation des Marketing-Kommunikationssystems, die sich über die Medien realisiert, und durch ihre dadurch bedingte unmittelbare Anknüpfung an die Logik des Mediensystems (vgl. Kap. B 4.5.1). Dadurch kann sich die Marketing-Kommunikation gegenüber den anderen Marketingmix-Elementen des Wirtschaftssystems (Produkt-, Preis- und Distributionspolitik) im Sinne von gesellschaftlicher Relevanz profilieren, was im Ergebnis auf die unternehmerische Bedeutungszunahme der Marketing-Kommunikation hinausläuft, die als Medialisierung des Marketings manifest wird. Sie äußert sich in einer vom Marketing-Kommunikationssystem vorangetriebenen steigenden Orientierung des Marketings an der Systemlogik des Mediensystems, was unterm Strich einen Kommunikationswettbewerb der Unternehmen bewirkt, bei dem die Verknüpfung der Logik des Mediensystems mit der des Wirtschaftssystems immer stärker die Handlungen der Marketing-Akteure in den Unternehmen bestimmt. Das bedeutet, dass neben die Bedürfnisse des wirtschaftlich handelnden Konsumenten immer mehr die Bedürfnisse des kommunikativ handelnden Rezipienten in den Vordergrund rücken, die es für die Unternehmen und ihre Agenturen zu erkennen und zu berücksichtigen gilt. Konkret schlägt sich im Marketing diese Orientierung an der Logik des Mediensystems vor allem dahin gehend nieder, dass die Ausgestaltung des Marketingmix nicht mehr nur von Publizität als dem klassischen sinnstiftenden Leitcode des Mediensystems (vgl. Marcinkowski 1993: 53) beeinflusst wird, sondern heute verstärkt Interaktivität der Handlungsorientierung der Marketing-Akteure dient. ▶ Definition Die Medialisierung des Marketings ist die Überformung der auf Märkte gerichteten Maßnahmen durch eine zunehmende Orientierung an der Logik des Mediensystems, die sich im Anstieg publizitäts- und interaktivitätsausgerichteter Marketing-Handlungen der Akteure niederschlägt.
Interaktivität zeitigt im Zuge der Medialisierung des Marketings den Effekt eines „Open Source Marketing[s]“ (Cherkoff 2005: 5) oder „Reverse Marketing[s]“ (Kotler et al. 2002: 67). Der informationstechnologisch und medial hochgerüstete Konsument/Rezipient greift zunehmend gemäß seinen Wünschen, Bedürfnissen und Interessen in den Verlauf von unternehmerischen Prozessen nicht nur im Bereich der
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Kommunikationsgestaltung, sondern auch der Produkt-, Preis- und Distributionsausrichtung ein. Die individuelle Produktgestaltung wird nicht mehr nur im Dienstleistungsbereich (besonders im Versicherungs-, Finanz- und Touristik-/Reisesegment), sondern vermehrt auch in den Produktmärkten angetroffen. Beispielsweise bietet Swarovski (create-your-style.com) die Möglichkeit, Schmuckstücke nach eigenen Wünschen zu gestalten, und unter onlinesuits.com kann man sich einen Maßanzug schneidern lassen. Auch die Preisgestaltung wird von der Medialisierung beeinflusst. So wird es dem Kunden mittlerweile ermöglicht, die Preise mitzubestimmen. Nicht nur Online-Portale wie ebay tragen hierzu ihren Teil bei. Auf der Plattform tripsavvy.com haben die Konsumenten die Möglichkeit, individuelle Preise für Flüge, Hotelzimmer oder Mietautos abzugeben. Im Fall einer Fluganfrage werden der Preisvorschlag des Konsumenten sowie die gewünschte Flugroute und das Flugdatum an verschiedene Airlines geschickt. Ist eine Airline bereit, dem Konsumenten zu dem gewünschten Preis den gewünschten Flug anzubieten, bestätigt diese die Anfrage. Im Bereich der Distribution können digitalisierte Produkte (Software, Musik, Filme) bequem durch einen Download bezogen werden und mittlerweile nahezu alle nicht digitalisierbaren beziehungsweise noch nicht digitalisierten Produkte (Kleidung, Bücher, Hardware etc.) entweder direkt beim Hersteller (z. B. hp.com), bei Versandhäusern (z. B. quelle.de) oder auf elektronischen Handelsplattformen (z. B. amazon.de) bestellt werden. Die klassische instrumentelle Sichtweise auf die Marketing-Kommunikationspolitik als ein neben anderen zur Marktstimulierung einzusetzendes Marketingmix-Element wird dieser neuen, weitaus komplexeren medialisierten Situation nicht mehr gerecht. Marketing-Kommunikation ist heute Teil eines wertorientierten Kommunikationsmanagements, das als Ausdruck der gestiegenen Bedeutung der kommunikativen Dimension des Unternehmens übergeordnet der funktionalen arbeitsteiligen Organisation einer Integration in die Unternehmensführung bedarf. Die MarketingKommunikation erfährt durch diesen grundsätzlichen Bedeutungsanstieg der Unternehmenskommunikation eine enorme Aufwertung.
4.2.1 Earned Media: Medialisierung der Marketing-Kommunikation Die Moderne Marketing-Kommunikation umfasst neben den Kommunikationen zwischen Unternehmen und Beschaffungs- und Absatzmarktakteuren sowie den Marketing-kommunikationsbezogenen Kommunikationen im Unternehmen als dritten Bereich die intendierten Kommunikationen in der Unternehmensumwelt über die Marketing-Kommunikation eines Unternehmens (s. Kap. A 2.1.2). Derartigen Marketing-Kommunikationen liegt der Earned-Media-Ansatz zugrunde. Er spiegelt wider, dass auch und gerade die Marketing-Kommunikation von
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der Medialisierung betroffen ist und dass sich diese massiv auf ihr gesellschaftliches Leistungsversprechen, das Mediensystem für das Wirtschaftssystem zu funktionalisieren (s. Kap. A 3.5), auswirkt. Hierfür hat sich der Begriff „Earned Media“ etabliert, der besonders durch das Marktforschungsunternehmen Forrester Research geprägt wurde (vgl. Corcoran 2009). ▶ Definition Earned Media bezeichnet sämtliche beabsichtigten Kommunikationen über eine Marke, sei es in Form medialer, allgemein adressierter öffentlicher Kommunikation beispielsweise in TV, Funk oder Print oder sei es in Form medienvermittelter oder direkter Individualkommunikation beispielsweise durch E-Mails beziehungsweise face-to-face. Die Unternehmen versprechen sich dadurch nicht zuletzt auch positive Effekte für ihre Media-Budgets.
Die Medialisierung der Marketing-Kommunikation trägt damit nicht nur zur Diffusion der Interaktivitätsorientierung im Marketing bei, sondern auch zum Sichtbarwerden der Selbstreferenz der Marketing-Kommunikation in Form der Herausbildung eines neuen Themenfeldes der Marketing-Kommunikation, das die Marketing-Kommunikation selbst zum Inhalt hat. Analog zur marketingorientierten Leistungserwartung an die PR-Arbeit im Produktbereich (vgl. Szyszka/Einwiller 2015) gibt es heute eine marketingorientierte Leistungserwartung an die Earned-Media-Arbeit im Marketing-Kommunikationsbereich: Denn es reicht nicht mehr aus, Werberaum und -zeit zu kaufen (Paid Media) und darüber Werbebotschaften zu streuen. Es bedarf Strategien und Konzepte, die für Anschlusskommunikationen von Journalisten und Konsumenten in ihrem medialisierten Alltag sorgen. Die hohe Bedeutung, die Moderne Marketing-Kommunikationskampagnen Earned Media beimessen, realisiert sich über Campaigning, womit aus absatzorientierter Perspektive die weitere Entdifferenzierung von PR und Marketing-Kommunikation vorangetrieben wird (vgl. auch Baerns 2012: 64). „Kampagnen sind dramaturgisch angelegte, thematisch begrenzte, zeitlich befristete kommunikative Strategien zur Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit, die auf ein Set unterschiedlicher kommunikativer Instrumente und Techniken – werbliche und marketingspezifische Mittel und klassische PR-Maßnahmen – zurückgreifen. Ziele von Kampagnen sind: Aufmerksamkeit erzeugen, Vertrauen in die eigene Glaubwürdigkeit schaffen und Zustimmung zu den eigenen Intentionen und/oder Anschlusshandlungen erzeugen.“ (Donges 2008: 165)
Das Auslösen von Anschlusshandlungen zu einem Thema und das Bemühen um spezifische Einstellungs- oder Verhaltensänderungen beim Zielpublikum ist traditionell auch das grundsätzliche Ziel von PR-Kommunikationsangeboten (vgl. Jarren/Röttger 2015). Eine nähere Bestimmung des Campaigning-Verständnisses kann mithil-
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fe der von Szyszka/Einwiller (2015: 858) betonten Unterscheidung der zwei basalen PR-Konzepte nach Hermanns/Naundorf (1994) erfolgen. Die strategische unternehmensbezogene PR zielt auf Vertrauensaufbau, Akzeptanz und Interessenausgleich,
damit der Erfolg unternehmerischen Handelns langfristig gesichert wird. Die absatzorientierte PR zielt hingegen auf den Absatzmarkt, um über die Beeinflussung von Bekanntheits- und Imagewerten verkaufsfördernde Effekte zu bewirken. Marketingkommunikationsbezogenes Campaigning ist der absatzorientierten PR zuzurechnen. Die journalistische Kommunikation in den Medien und die der Konsumenten sollen über Aufmerksamkeitsgewinnung für das Unternehmen, dessen Leistungsangebot und dessen Kommunikation zum Erzielen von Absatzzielen beitragen. Gefolgt wird damit dem Ansatz von Michael Behrent und Peter Mentner (2001: 24), die auf der Linie mit dem oben erwähnten Verständnis des Kampagnenbegriffs Campaigning in seinem Ausgangspunkt instrumental und medial neutral konzipieren und die Suche nach dem „öffentlichen Momentum“ (ebd.) in den Mittelpunkt des Campaigning-Konzeptes stellen. Analog zu den Consumer Insights als Erkenntnisse über Zielpersonen, die der Ausgestaltung des Marketing-Kommunikationsprozesses dienen (s. Kap. B I 1.2), kann von „Communication Insights“ gesprochen werden, womit Wissen über die Nachrichtenfaktoren – und deren Zusammenspiel –, die den Wert einer Nachricht für einen Rezipienten konstituieren, gemeint ist. Der Campaigning-Begriff ist nicht neu. Er verweist auf den Kampagnenbegriff, der über die Öffentlichkeitsarbeit der Non-Profit-Organisationen, allen voran von Greenpeace, zu Bekanntheit gelangt ist. Ursprünglich bezeichnete er in der europäischen Geschichte die Dauer von Feldzügen, bevor er im 17. Jahrhundert in das politische Handlungsfeld diffundierte. Entsprechend ist dort mit Campaigning die Eroberung von Mandaten gemeint (vgl. Röttger 2014). In der Kommunikationsbranche gehört der Kampagnenbegriff heute zum verbalen Standardrepertoire. Durch die Medialisierung der Marketing-Kommunikation rückt aber die Anschlussfähigkeit von Marketing-Kommunikation in Form von Earned Media verstärkt in das strategische Zentrum von Marketing-Kommunikationskampagnen. Dies soll mit „Campaigning“ zum Ausdruck kommen. ▶ Definition Campaigning bezeichnet die Medialisierung der Marketing-Kommunikation, die in Form von Earned Media Anschlusskommunikationen für die Marke und die MarketingKommunikation eines Unternehmens erzeugen soll.
Die Medialisierung der Marketing-Kommunikation erfolgt – wie bei allen gesellschaftlichen Medialisierungsprozessen – über den zunehmenden handlungsorientierenden Einfluss der Systemlogik des Mediensystems. Im Fall der Marketing-Kommunikation äußert sich dies konkret darin, dass die Entwicklung von Marketing-Kommunikationskampagnen heute maßgeblich durch die vier Nachrichtenfaktoren der Skandalisierung, Moralisierung, Inszenierung/Spektakulisierung und Unterhaltung gesteuert
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wird, die sich als Mittel zur Überwindung der Rezipientenselektivität im Mediensystem erweisen (vgl. Kap. A 1.3.1). Skandalträchtige Themen wie •
sexuelle Gewalt (zum Beispiel die Kampagne des Modelabels Dolce & Gabbana aus dem Jahre 2007), • Sodomie (zum Beispiel die Kampagne des Lifestyle Magazins „Deutsch“ aus dem Jahr 2007, s. Abb. 12) oder • Blasphemie (s. Abb. 33) werden in Kampagnen aufgegriffen, wobei Abmahnungen durch den Deutschen Werberat Bestandteil des Campaigning-Konzeptes sind. „Wir haben einkalkuliert, dass es eine Abmahnung geben wird. Der mediale Hype, der damit entfacht wurde, sollte passieren“, formuliert Cornelis Stettis (zit. n. Campillo-Lundbeck/Tumpach 2007: 4) von der Agentur Roxy Munich, die 2006 die Kampagne für die MTV-Serie „Popetown“ entwickelte. Die implizite moralistische Anklage der Jugend- und Schönheitsverherrlichung der Werbung durch die mit einem goldenen EFFIE prämierte Dove-Kampagne „Pro Age“ von Ogilvy & Mather aus dem Jahr 2007 sorgte nach eigenen Angaben für 77 TV-Be-
Abb. 33 Beispiel skandalistischer Marketing-Kommunikation: Kampagnenmotiv für die MTV-Sendung „Popetown“ von der Agentur Roxy Munich aus dem Jahr 2006 (Horizont 45/2007: 4)
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richte, über 970 Zeitungsartikel in Printmedien und 116 Online-Artikel (Ogilvy & Mather 2008). Die von Red Bull inszenierten Events, zum Beispiel der Red Bull Flugtag oder das Bull Air Race, ziehen bis zu 300 000 Zuschauer an und sind Thema journalistischer Berichterstattung (vgl. Schweiger/Dabic 2016: 407). Die Experten sind sich darüber einig, dass Red Bull mit seinem Stratos-Projekt in 2012 einen Mediawert erzielt hat, der ein Vielfaches über den geschätzten Projektkosten in Höhe von rund EUR 50 Mio. liegt. Ebenso werden spektakuläre Promotions (s. Abb. 34) bis hin zu kompletten integrierten Kampagnen, zum Beispiel die Karl-Lagerfeld-Kampagne des Textilhandelsunternehmens H&M aus dem Jahr 2004, vor allem auch mit dem Ziel von Publizität für die eigene Marketing-Kommunikation entwickelt. Beispiel einer Promotion-Spektakulisierung
Die amerikanische Fastfood-Kette Taco Bell versprach jedem Amerikaner ein Freigericht, wenn Trümmer der im Jahr 2001 gezielt vor der australischen Küste zum Absturz gebrachten russischen Raumstation MIR ein innerhalb des Zielsektors verankertes 144 Quadratmeter großes „Free Taco“-Luftkissen treffen würden (s. Abb. 34). Ingo Philipps (2007: 34) resümiert: „Fortan war Taco Bell stets dabei, wenn in den Medien über
Abb. 34 144 Quadratmeter großes Luftkissen der „Free-Taco“- Promotion der amerikanischen Fastfood-Kette Taco Bell vor der australischen Küste (http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/ americas/1231447.stm; Zugriff: 09. 08. 2010)
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Grundlagen der Modernen Marketing-Kommunikation
den bevorstehenden Absturz berichtet wurde“. Das resultierende hohe Schadensrisiko in Höhe von 220 Mio. US-Dollar wurde über eine Versicherung abgemildert, deren Kosten weit unter dem durch die Kampagne erzielten Mediawert lagen (vgl. ebd.).
Der Mediawert der ebenfalls mit einem goldenen EFFIE prämierten VW-Golf-Kampagne „Horst Schlämmer macht Führerschein“ (s. Abb. 35) aus dem Jahr 2007 geht dank des unterhaltenden Formates, das die Kampagne zu Beginn überhaupt nicht als Marketing-Kommunikation erkennen ließ, nach Agenturangaben zu lediglich 2 Prozent auf die Media-Kosten zurück. Der Großteil stammt aus TV-Beiträgen über die Kampagne (s. Abb. 36). Natürlich haben sich Unternehmen schon immer um eine positive Medienresonanz auf ihre kommunikativen Maßnahmen bemüht. Die heutigen Bemühungen haben aber eine neue Qualität bekommen. Sie sind nicht mehr intuitiver Natur, sondern fundamentaler strategischer, kommunikationszentrierter Art, und sie sind erfolgsdefinierend. So erhält heute das Kriterium des Werbeäquivalenzwertes, in der Marketing-Kommunikationspraxis als Mediawert bezeichnet, eine zentrale Bedeutung bei der Beurteilung der Kampagnen seitens der Jurys der diversen Werbefestivals. Die Medialisierung fängt auch an, sich in der Ausrichtung der Agenturen niederzuschlagen. So hatte die Agenturgruppe Zum Goldenen Hirschen 2009 das Thema Campaigning zum Kern ihrer Geschäftstätigkeit erkoren. Gemeint war damit, in den Worten des Geschäftsführers der Agentur, Martin Blach (zit. n. Richter 2009: 30), formuliert, „nicht mehr Kampagnen zu schaffen, die geschaltet werden, sondern Kampagnen zu erdenken, über die geredet und geschrieben wird“.
Abb. 35 Motiv der VW-Golf-Kampagne „Horst Schlämmer macht Führerschein“ von der Agentur DDB Group Germany aus dem Jahr 2007 (DDB Group Germany 2008)
Abb. 36 Mediawert der VW-Golf-Kampagne „Horst Schlämmer macht Führerschein“ von der Agentur DDB Group Germany aus dem Jahr 2007 (DDB Group Germany 2008: 35)
4
Medialisierung des Marketings und der Marketing-Kommunikation
155
Ob dies der Auftakt für eine einsetzende Spezialisierung in der Praxis sein wird, ob sich also beispielsweise Campaigning-Agenturen ausdifferenzieren werden oder ob derartige Earned-Media-Maßnahmen zukünftig weiterhin von den Media-Agenturen und/oder den Kreativ-Agenturen initiiert werden, lässt sich nicht prognostizieren. In Anbetracht der steigenden internen Komplexität des Marketing-Kommunikationssystems und des hohen Grades an Hybridisierung der Marketing-Kommunikation spricht jedoch einiges für eine Sowohl-als-auch-Entwicklungslinie. In Anbetracht der Grundsätzlichkeit der Entwicklung der Medialisierung des Marketings ist jedenfalls denkbar, dass Campaigning und Earned-Media-Konzepte von den Unternehmen und Agenturen als ein Baustein umfassender Content-Marketing-Strategien im Rahmen eines Utility-Marketing-Ansatzes (s. Kap. B II 2.3.5) konzipiert werden.
Teil B Prozess und Management der Modernen Marketing-Kommunikation
Auf der Meso- und Mikroebene der Marketing-Kommunikation stehen die involvierten Organisationen und Individuen der vier Handlungsbereiche des MarketingKommunikationssystems im Mittelpunkt der Betrachtung. Sie konstituieren den Prozess der Marketing-Kommunikation (s. Kap. A 2.5), der in Anlehnung an den Bezugsrahmen für Kommunikations-Controlling, wie er von der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) und dem Internationalen Controller Verein (ICV) 2009 als Branchenstandard verabschiedet wurde, systematisiert werden kann (vgl. Rolke/ Zerfaß 2010: 51 f.). Dieser Bezugsrahmen beruht auf der in den letzten Jahren entwickelten Systematisierung der Erfolgsmessung in der PR-Forschung (vgl. Porák et al. 2007: 541 f., Rolke 2006: 2, Sass/Zerfaß 2008: 6). Je nach Modell wird von vier bis fünf Wirkungsdimensionen der Unternehmenskommunikation ausgegangen, die – wie beim aktuell verabschiedeten DPRG/ICV-Bezugsrahmen – in sich noch einmal ausdifferenziert werden. Zum Zweck der Systematisierung des Marketing-Kommunikationsprozesses empfiehlt sich eine Kategorisierung anhand von fünf interdependenten Phasen: 1) Input bezeichnet die Informationsproduktion, die in strategischer und operativer Hinsicht alle Schritte der Inhaltsproduktion und der Codierung in Form der Gestaltung und der Herstellung des Marketing-Kommunikationsangebotes sowie die Planung seiner Distribution umfasst. Von der Codierung wird erwartet, dass sie den Input kreativ in den Output überführt. 2) Output bezeichnet das fertig produzierte und distribuierte Marketing-Kommunikationsangebot, das das Ergebnis der eingesetzten Kommunikationsdisziplin ist und indirekt (medial) oder direkt (ohne Medieneinsatz) mitgeteilt wird. 3) Outgrowth bezeichnet das Ergebnis der Bedeutungskonstruktion, bei dem die Mitteilung decodiert und mit Sinn versehen wird. Es geht um das Verstehen und die emotional-kognitive Verarbeitung der mitgeteilten Information durch den Rezipienten/Konsumenten. 4) Outcome bezeichnet die von marketingtreibenden Unternehmen festgestellte Wirkung des mitgeteilten Marketing-Kommunikationsangebots, auf die über äußere Anschlusshandlungen des Rezipienten/Konsumenten geschlossen wird. 5) Outflow bezeichnet das strategische und/oder finanzielle Ausmaß des Outcome. Es geht um die Frage, inwiefern die Marketing-Kommunikation zu einem ökonomischen Erfolg des Unternehmens beiträgt. 159
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B
Prozess und Management der Modernen Marketing-Kommunikation
Werden diese Schritte des Marketing-Kommunikationsprozesses in Beziehung gesetzt mit den notwendigen Kriterien für Kommunikation (Selektivität, Reflexivität, Kontextualität), ergibt sich die kommunikationsqualitätsorientierte Auslegung der Kriterien in den einzelnen Bereichen des Marketing-Kommunikationsprozesses (s. Abb. 37).
Marketing-Kommunikationsprozess
Input
Output
Outgrowth
Outcome
Outflow
Kreativität
Kommunikationskriterien Selektivität
Achtsam sein Erfolgsfaktor: Schadensprävention
Reflexivität
Marketing-Kommunikationswissen haben (u. a. Consumer Insights) Consumer Insights bezogene Erfolgsfaktoren: Erwartungen betreffend: • Alltagspassung • Erlebniswert • Konsistenz des Marketing-Kommunikationsangebotes
Kontextualität
Input-Relevanz managen
Kommunikationsdisziplinen wählen: • Klassische Kommunikationsdisziplinen • Partizipative Marketing-Kommunikation • Utility Marketing • Corporate Social ResponsibilityKommunikation • Guerilla Marketing • Word of MouthMarketing
Aufmerksamkeit erzielen
MarketingKommunikationswissen des/der Konsumenten verändern
Rezeptionsrelevanz erzielen
E f f e k t e e r z i e l e n
Äußere Anschlusshandlungen auslösen und bewerten
Erfolgsfaktoren: • Alltagspassung • unternehmens-/ agenturinterne Orientierungskraft • Informationsstatus
Abb. 37 Kommunikationskriterien und ihre kommunikationsqualitätsorientierte Auslegung in den einzelnen Bereichen des Marketing-Kommunikationsprozesses
Teil B Prozess und Management der Modernen Marketing-Kommunikation
B I Input
Die Kommunikationsqualität Moderner Marketing-Kommunikation wird in der Input-Phase maßgeblich von der strategischen Berücksichtigung der drei Faktoren der Achtsamkeit, des Marketing-Kommunikationswissens, vor allem in Form von Consumer Insights, und der Input-Relevanz geprägt. Diese werden als spezifische unternehmensinterne Marketing-kommunikative Ausformungen der zentralen Kommunikationskriterien der Selektivität, der Reflexivität und der Kontextualität aufgefasst und sind während der Informationsproduktion im Marketing-Kommunikationsprozess wirksam. Aus ihnen können konkrete Erfolgsfaktoren der Modernen Marketing-Kommunikation abgeleitet werden. Des Weiteren haben sie wesentlichen Einfluss auf die in der Input-Phase durchzuführenden Analysen, zu entwickelnden Strategien und zu treffenden Entscheidungen, die für die Konzeption einer Marketing-Kommunikationskampagne unerlässlich sind.
163
1
Kommunikationsqualitative Kriterien des Inputs
Abstract Aus den drei notwendigen Kriterien der Kommunikation – Selektivität, Reflexivität und Kontextualität – resultieren die kommunikationsqualitativen Kriterien der Input-Phase Moderner Marketing-Kommunikation: Achtsamkeit, Marketing-Kommunikationswissen und Input-Relevanz. Aus ihnen lassen sich die Input-Erfolgsfaktoren der heutigen Marketing-Kommunikation gewinnen: • Schadensprävention (Achtsamkeit) (Kap. B I 1.1), • Erwartungen der Akteure in Unternehmen und Agenturen hinsichtlich der Erwartungen an die Alltagspassung, des Erlebniswertes und der Konsistenz der Marketing-Kommunikationsangebote seitens der Zielgruppen und -personen (Marketing-Kommunikationswissen) (Kap. B I 1.2), • die individuelle Zufriedenheit der Passung gewählter Entscheidungsalternativen mit dem beruflichen Alltag des Mitarbeiters, die unternehmens- beziehungsweise agenturinterne Orientierungskraft sowie der Informationsstatus hinsichtlich der Marktgegebenheiten (Input-Relevanz) (Kap. B I 1.3). Diese kommunikationsqualitativen Erfolgsfaktoren stellen für das Kommunikationsmanagement die Entscheidungsvoraussetzungen dafür, welche Analysen wie erfolgen, wie ihre Ergebnisse interpretiert werden, welche Ziele mit welchen Strategien und mit welchem Budget verfolgt werden. Sie steuern also die unternehmensinterne Kommunikation über die Marketing-Kommunikation des Unternehmens.
1.1
Achtsamkeit (Selektivität)
Bedingt durch das hohe Ausmaß an heute zu konstatierender Komplexität und Dynamik in der Umwelt der marketingtreibenden Unternehmen sehen sich diese und ihre Agenturen bei ihren Selektionen im Prozess der Informationsproduktion einem enormen Risiko ausgesetzt. Die Unternehmen haben es heute immer mit unprognostizierbaren oder in ihren Planungen nicht berücksichtigten System- und Umweltentwicklungen zu tun. Dieser Situation kann nur mit einem Höchstmaß an Achtsamkeit begegnet werden.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Tropp, Moderne Marketing-Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25318-9_5
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BI
Input
1.1.1 Begriff und Konzept Werden Risiken als solche vom Management nicht wahrgenommen oder gar ignoriert oder verdrängt, läuft es Gefahr, auf neue und unbekannte Situationen unangemessen zu reagieren. Doch um in einer zunehmend komplexer und dynamischer werdenden Umwelt dauerhaft und nachhaltig Spitzenleistungen erzielen zu können, müssen Unternehmen heute permanent in der Lage sein, unerwartete Umweltereignisse und Bedrohungen erfolgreich zu bewältigen und insbesondere Trends frühzeitig zu erkennen, um dann ihre internen Strukturen und Prozesse sowie die marktgerichteten Kommunikationsstrategien entsprechend anzupassen und zu modifizieren. Das Management der Marketing-Kommunikation muss sich auf neue und unbekannte Situationen demnach so vorbereiten, dass diese im Idealfall zu keiner Zeit seine Handlungsfähigkeit lähmen können (vgl. Mistele 2005: 1, Pawlowski et. al. 2005: 56). Dabei geht es vor dem Hintergrund der heutigen prinzipiellen Unvorhersagbarkeit zukünftiger Entwicklungen und Ereignisse vor allem um den Umgang mit Nichtwissen und weniger um das Prognostizieren von eindeutig operationalisierten und inhaltlich klar definierten Größen (vgl. Liebl 2006: 73). Das Management der Marketing-Kommunikation ist daher heute untrennbar mit einem Komplexitätsmanagement verbunden. Dabei kommt dem Denken in Alternativen, also den nicht aktualisierten Möglichkeiten, ein besonders hoher Stellenwert zu. Das Management muss lernen, Alternativen, die außerhalb seines direkten Erfahrungsbereichs liegen, überhaupt erst erfahrbar zu machen, also quasi seinen Möglichkeitssinn mit dem Ziel zu schulen, „alles, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist“ (Roehl 2002: 206). Es geht um die Einrichtung einer Routine zur Hinterfragung von Routinen. Dadurch wird eine gelassene und vor allem zügige Reaktion auf unerwartete Umweltereignisse im Markt (z. B. eine unerwartete Launch-Kampagne zum Markteintritt eines neuen Wettbewerbers) erheblich begünstigt, da das Management-Set an Alternativen fortwährend inaktualisiert mitläuft. Für diesen gezielten Umgang mit Selektivität im Rahmen des Komplexitätsmanagements während der Input-Phase der Marketing-Kommunikation steht das Konzept der Achtsamkeit. Der Begriff der Achtsamkeit (engl.: mindfulness) und seine Konzeptualisierung erfreuen sich in der Management-Theorie seit geraumer Zeit einer beachtlichen Aufmerksamkeit. Das Achtsamkeitskonzept ist zugleich ein zentrales Thema in der buddhistischen Psychologie und reicht dort zurück bis ins 6. Jahrhundert (vgl. 2009). Dort ist Achtsamkeit „durch ein leidenschaftsloses, nicht-wertendes und fortwährendes Bewusstsein wahrnehmbarer geistiger Zustände und Prozesse von einem Augenblick zum anderen gekennzeichnet“ (ebd.: 111) und wird oft auch beschrieben als „reine Aufmerksamkeit gegenüber geistigen Ereignissen und Prozessen“ (ebd.).
1
Kommunikationsqualitative Kriterien des Inputs
167
Alltagssprachlich stellt der Achtsamkeitsbegriff ein allgemein verwendetes Wort mit den unterschiedlichsten Bedeutungen dar, wobei keine dieser Begriffsbestimmungen der buddhistischen Auffassung von Achtsamkeit entspricht. Achtsamkeit beinhaltet zum Beispiel vielfach Konnotationen wie „Beachtung schenken oder sich innerhalb eines deutlich bewertenden Kontextes um etwas kümmern“ (ebd.: 110). So können Kinder von ihren Eltern beispielsweise dazu aufgefordert werden, auf ihre Manieren oder auf ihre Sprache zu achten, sich also in einer kulturell angemessenen Art und Weise zu verhalten. Andere Formulierungen wie etwa „das Management achtete immer auf seine Verpflichtungen gegenüber seinen Shareholdern“ bringen eine Betonung sorgfältiger Aufmerksamkeit zum Ausdruck, sodass niemand unter den Folgen eines achtlosen Verhaltens zu leiden hat. In der allgemeinen westlichen Psychologie wird Achtsamkeit definiert als „Bewusstsein und Aufmerksamkeit gegenüber gegenwärtigen Erfahrungen“ (ebd.: 109). Aus der sozialpsychologischen Perspektive von Ellen Langer (1991) werden stärker die unvermeidbare Situationskontingenz, der Möglichkeitsraum sowie der zielgerichtete Umgang damit hervorgehoben. Danach umfasst der Achtsamkeitsbegriff „das kognitive Bewusstsein und die Einschätzung der Variabilität verschiedener Situationen in den gegenwärtigen Umständen, sowie die praktische und zielgerichtete Entwicklung bestimmter Fertigkeiten, durch die die Wahrnehmung von Unterschieden gewährleistet wird“ (zit. n. Grossman 2009). Damit gelangt man im Kontext der Marketing-Kommunikation und deren Management zu folgender Definition: ▶ Definition Marketing-kommunikative Achtsamkeit bezeichnet den strategischen Umgang mit der Selektivität der Informationsproduktion unter dem Einfluss der Komplexität und Dynamik der heutigen Entwicklungen im Marketing-Kommunikationssystem.
Das Ziel von Achtsamkeit in der Input-Phase der Marketing-Kommunikation ist, dass die Marketingabteilung und die Agentur, die Umweltveränderungen frühzeitig, als miteinander vernetzt und als kontingent wahrnehmen. Achtsamkeit beinhaltet folgende Charakteristika: • • • •
Offenheit gegenüber Neuem, Bewussthaltung multipler Perspektiven, Empfindsamkeit für verschiedene Kontextdimensionen, Prozessorientierung (vgl. Langer 1991: 74 – 90).
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BI
Input
1.1.1.1 Achtsamkeit versus Achtlosigkeit
Die Bedeutung und das Wesen individueller Achtsamkeit lassen sich weiter konkretisieren, wenn das Gegenstück zur Achtsamkeit, also Achtlosigkeit, verstanden als destruktiver Zustand der Gedankenlosigkeit, skizziert wird. Achtlos zu sein bedeutet einerseits, in einem starren Kategoriendenken gefangen zu sein, was dann der Fall ist, wenn man sich zu sehr auf altbewährte Kategorien und Unterscheidungen verlässt, anstatt aktiv denkend neue Kategorien zu bilden. Ohne das Schaffen von Kategorien und das Treffen von Unterscheidungen wie jung/alt, männlich/weiblich oder Erfolg/Versagen ließe sich die Welt nicht begreifen, denn nur durch eben dieses Denken in Unterscheidungen können wir uns ein Bild von der Welt und von uns selbst machen. Einmal gebildete Dichotomien gewinnen allerdings an Stoßkraft und lassen sich nur schwer abbauen: „Wir entwickeln eigene und gemeinsame Wirklichkeiten und werden dann ihre Opfer – blind gegenüber der Tatsache, dass sie bloß Konstrukte sind, Ideen.“ (Langer 1991: 21)
Ein automatisches oder mechanisches Verhalten fördert die Gedankenlosigkeit, da ein vertrauter Rhythmus oder vertraute Strukturen signalisieren, dass Achtsamkeit nicht vonnöten sei und mit zunehmender Routine schrittweise abgezogen werden könne. Wenn eine Aufgabe beispielsweise übertrainiert wird, sodass sie gewohnheitsmäßig, also gedankenlos erledigt werden kann, dann stehen die einzelnen Lösungsschritte dem Bewusstsein unter Umständen nicht mehr zur Verfügung. Bei einer Veränderung der Aufgabe hin zum Ungewöhnlichen oder beim Eintritt eines unerwarteten Ereignisses wirkt sich dies nachteilig auf die Lösungsfähigkeit des vermeintlichen Experten aus, wodurch dessen tatsächliche Kompetenz eher anzuzweifeln wäre. Das Wesen der Unachtsamkeit kommt andererseits auch dann zum Ausdruck, wenn wir in unserem Handeln lediglich eine einzige Perspektive berücksichtigen. Ein solch verengter Blickwinkel resultiert zumeist aus präzisen Anweisungen, die wir von Autoritäten erhalten und durch die unser Denken keine frischen Informationen mehr produziert (vgl. ebd.: 21 f.). Mit Karl-Heinz Brodbeck (2004: 12) kann hier noch ein weiterer Aspekt angeführt werden. Unser äußeres und inneres Handeln sind funktionalisiert, also auf einen bestimmten Zweck oder auf bestimmte Ziele ausgerichtet. Dies kann sich gegebenenfalls aber nachteilig auswirken, da durch diese Ergebnisorientierung der Weg zum Ziel oftmals nur unzureichend berücksichtigt wird. Demgegenüber wird bei der Orientierung auf den Prozess die Aufmerksamkeit auf die Betrachtung der einzelnen Prozessschritte gelenkt, und vorläufige Ziele werden einer fortwährenden Überprüfung unterworfen. Prozessorientierte Menschen werden bei dem Eintritt unerwarteter Umweltereignisse demzufolge nicht so leicht aus der Fassung geraten wie ergebnisfixiert, also gedankenlos agierende Menschen (vgl. auch Langer 1991: 46).
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Kommunikationsqualitative Kriterien des Inputs
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In einem Zustand der Achtlosigkeit befinden sich Menschen auch dann, wenn sie sich zu sehr auf Erwartungen verlassen, da diese in der Wahrnehmung oftmals zu toten Winkeln führen, indem sie die Aufmerksamkeit gezielt auf solche Hinweise lenken, die als Bestätigung für eben jene Erwartungen dienen (vgl. Weick/Sutcliffe 2003: 46). Dies ist vergleichbar mit dem Überprüfen einer Hypothese, die allein schon aus ökonomischen Gründen nur ungern verworfen wird, weil bei ihrer Aufstellung unter Umständen sehr viel Energie und Zeit investiert worden sind, die nicht umsonst gewesen sein sollen. Etwas Unerwartetes manifestiert sich häufig in der Plötzlichkeit des Ereignisses. Dies ist jedoch nur eine von insgesamt fünf unterscheidbaren Formen des Unerwarteten. Eine weitere Form tritt auf, wenn ein Problem zwar erkannt wird, die Erwartungen bezüglich des Ausmaßes jedoch in eine falsche Richtung gehen, dass also das Gegenteil dessen eintrifft, was ursprünglich erwartet wurde. Bei der dritten Spielart des Unerwarteten erwartet man einen bestimmten Ereignisablauf, muss dann allerdings feststellen, dass das Timing nicht stimmt. Die vierte Überraschungsvariante tritt ein, wenn die Dauer eines Ereignisses länger ist als erwartet. Um die fünfte Spielart des Unerwarteten handelt es sich, wenn man mit dem Auftreten eines bestimmten Problems rechnet, das Schadensausmaß bezüglich des Problems jedoch unterschätzt (vgl. Weick/Sutcliffe 2003: 48 f.). In Abhängigkeit von spezifischen sozialen und psychischen Faktoren pendeln Individuen zwischen dem Zustand der Achtsamkeit und dem Zustand der Achtlosigkeit hin und her. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das kognitive System im Grunde von zwei übergeordneten Programmierungen beherrscht wird. Einerseits achtet es auf den höchst ökonomischen Einsatz der zur Verfügung stehenden Ressourcen und konstruiert top-down auf der Basis von Schemata, Skripts und Heuristiken relativ achtlos Bedeutungen und bewirkt damit eine Entlastung von der aufwendigen Analysearbeit. Zum anderen produziert das kognitive System im aufwendigeren Bottomup-Modus Abwechslung, Neues und Unbekanntes, ist also kreativ (s. Kap. B 1.3.1.1). Festzuhalten ist, dass es prinzipiell immer möglich ist, den Zustand individueller Achtsamkeit absichtsvoll zu erreichen, sich also dem Modus der kognitiven Bequemlichkeit willentlich zu entziehen (vgl. Heidenreich/Michalak 2003: 265).
1.1.2 Achtsamkeit von Organisationen In der Organisationstheorie haben sich besonders Karl Weick et al. (1999) um die Übernahme des Konzeptes der individuellen Achtsamkeit bemüht und es erweitert. Während Achtsamkeit für gewöhnlich ein Phänomen auf individueller Ebene darstellt, ist kollektive Achtsamkeit ein Charakteristikum von Organisationen. Der fundamentale Unterschied zwischen individueller und kollektiver Achtsamkeit liegt nun darin, dass Individuen in Organisationen lediglich dann achtsam sein werden, wenn Prozesse und Strukturen auf organisatorischer Ebene existieren, die Achtsamkeit för-
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Input
dern. Bei kollektiver Achtsamkeit handelt es sich demnach sowohl um einen mentalen Zustand von einzelnen Personen als auch um einen Organisations- und Führungsstil (vgl. Weick/Sutcliffe 2003: 166). Mit Andrew Hopkins (2002: 8) lässt sich hier ergänzen, dass achtsame Organisationen letztlich achtsame Individuen hervorbringen und dass ebendieser Zustand der Achtsamkeit auf individueller Ebene das eigentliche Ziel eines solchen Prozesses darstellt. Achtsamkeit ist die zentrale Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit von High Reliability Organizations (HROs, Hochverlässlichkeitsorganisationen), wie sie von den Akteuren auf Flugzeugträgern, in Kernkraftwerken oder Chemieunternehmen geschaffen werden. Diese Organisationen arbeiten allesamt unter höchst widrigen Umweltbedingungen mit potenziell gefährlichen Technologien, schaffen es jedoch, ihre Fehlerquote weitaus geringer zu halten, als dies statistisch zu erwarten wäre. Diesen Organisationen gelingt es, beim Eintritt unerwarteter, unbekannter Ereignisse auch unter Einfluss von Stress, Zeit- und Entscheidungsdruck sowie unter der Bedingung einer unvollständigen Informationsgrundlage kurzfristig und zügig situationsgerechte Entscheidungen zu treffen (vgl. Gundel 2004: 50, Mistele/Kirpal 2006: 2, Pawlowski et. al. 2005: 52 ff.). Wegen ihres flexiblen und höchst effizienten Verhaltens werden diese Organisationen in der Literatur auch als Hochleistungssysteme bezeichnet. Im Zuge der intensiven Auseinandersetzung mit HROs hat sich die High Reliability Theory (HRT) entwickelt, die ihren Ursprung an der University of California at Berkeley hat und auf den Erkenntnissen der Normal Accident Theory (NAT) aufbaut. Die NAT geht davon aus, dass „in komplexen und eng gekoppelten technologischen Systemen […] das Auftreten von Fehlern vorprogrammiert und unvermeidlich [ist]“ (Mistele 2005: 7), weswegen Fehler und Unfälle als normal anzusehen sind. In letzter Konsequenz müssen sich die Handlungen der betroffenen Organisationen also auf die Schadensminimierung konzentrieren. Demgegenüber vertritt die HRT einen Standpunkt, wonach sich „Fehler und Unfälle in komplexen und eng gekoppelten technologischen Systemen […] durch ein gutes organisationales Design und ein gutes Management eindämmen und stellenweise sogar verhindern [lassen]“ (ebd.). Neben einer Schadensbegrenzung verfolgen HROs folglich auch Strategien zur proaktiven Schadensvermeidung. Unfälle und Fehler lassen sich nach der HRT letztlich durch strukturelle und organisationale Maßnahmen sowie insbesondere durch Achtsamkeit und die Implementierung einer Sicherheitskultur minimieren (vgl. ebd.: 11). Die Umfelder von HROs sind in der Regel überaus risikoreich. Man kann sich mit diesen Umfeldern demnach nicht durch das Prinzip von Versuch und Irrtum vertraut machen, da der erste Irrtum meist auch der letzte Versuch wäre (vgl. Weick/Sutcliffe 2003: 34). So sind die Besatzungen auf atombetriebenen Flugzeugträgern geradezu zur Achtsamkeit gezwungen, weil sie sich ansonsten in Lebensgefahr begeben würden. Auch auf Öltankern sowie in der Notfallmedizin muss in besonderer Art und Weise dafür Sorge getragen werden, dass Unfälle und Fehler unter allen Umständen
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vermieden werden, da bei diesen Organisationen das Ausmaß eines Schadens für Leben und Umwelt unverhältnismäßig hoch ist (vgl. Mistele 2005: 4). Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Achtsamkeit der HROs im Wesentlichen auf Schadensprävention zielt, was in Anbetracht der enormen Budgets, die jährlich von den Unternehmen für ihre Marketing-Kommunikation aufgebracht werden, auch ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Input-Verantwortlichen im qualitätsorientierten Marketing-Kommunikationsprozess sein muss. Bisher ist dies in den Unternehmen vor allem die Domäne der Krisen-PR, indem sie unterschiedliche, negative, publizistisch wirksame und für das Unternehmen relevante Ereignisse antizipiert und prophylaktisch korrespondierende Kommunikationskonzepte entwickelt (vgl. auch Höbel 2014). Das Unternehmen und seine Agentur(en) muss heute für die Marketing-Kommunikation einen Kontingenzplan („contingency plan“) entwickeln, der den marketing-kommunikativen Umgang mit Möglichkeiten, vor allem in Form von denkbaren Problemen, festlegt (vgl. Macchiette/Roy 1994: 62). In einem solchen Kontingenzplan können nicht alle Eventualitäten im Voraus geplant werden. Die Mitglieder von HROs sind sich aufgrund ihrer Erfahrung darüber im Klaren, dass eine absolute Sicherheit unter keinen Umständen zu erreichen ist. Sie wissen vielmehr, dass sie nicht alles wissen können, und rechnen damit, überrascht zu werden (vgl. Weick/Sutcliffe 2003: 69). Aus diesem Grund entwickeln sie ein außergewöhnlich hohes Niveau an Achtsamkeit für denkbare Fehler und Abweichungen von Normalzuständen und stufen diese als schwache Signale für potenzielle Fehler ein (vgl. Pawlowski et. al. 2005: 54). In dieser Sensibilität für selbst kleinste Unregelmäßigkeiten ist letztlich auch der Hauptunterschied zu finden, der zwischen HROs und anderen „gewöhnlichen“ Organisationen besteht (vgl. Gundel 2004: 51). Im Gegensatz zu HROs sind die meisten Unternehmen auf den Eintritt unerwarteter und überraschender Ereignisse nämlich nicht ausreichend oder sogar überhaupt nicht vorbereitet. Viele Manager geben sich vielmehr der Illusion hin, dass sie über all das, was als Nächstes geschehen wird, mehr oder weniger Bescheid wissen. Doch dieses Verhaltensmuster ist überheblich und gefährlich, da hier die Tatsache ignoriert wird, dass etwas Überraschendes geschehen könnte. Zudem wird dabei vergessen, welche unbeabsichtigten Auswirkungen ein solches Entscheidungsverhalten haben kann. Beim Eintritt des Unerwarteten reagieren die meisten dieser Unternehmen schließlich wie gelähmt. Beispiel
Unmittelbar nach der Markteinführung von „New Coke“ im Jahr 1985 wurde die CocaCola Company von verärgerten Kunden mit über 8000 Briefen pro Tag bombardiert. Hier zeigt sich, dass es dem Unternehmen nicht gelungen ist, das Verhalten der Men-
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schen richtig zu antizipieren. Die verantwortlichen Marketing-Strategen von Coca-Cola suchten in dem Zeitraum kurz vor der Einführung der neuen Coke vielmehr nach Hinweisen, durch die sich der Entschluss, mit einer veränderten Rezeptur an den Markt zu gehen, bestätigen ließ. Hinweise auf negative Reaktionen wurden dagegen ignoriert. Es vergingen drei Monate, ehe Coca-Cola mit dem Nachlegen von „Coke Classic“ auf die Probleme reagieren konnte.
Dieses Beispiel macht deutlich, dass es von elementarer Bedeutung ist, bereits beim ersten Anzeichen einer Gefahr entsprechende Maßnahmen einzuleiten, um eine mögliche Eskalation der Probleme zu verhindern (vgl. Coutu 2003: 104, Weick/Sutcliffe 2003: 86 f.).
1.1.2.1 Eigenschaften achtsamer Organisationen
Die HRO-Forschung hat fünf charakteristische Eigenschaften von HROs identifiziert, aus deren Zusammenspiel kollektive Achtsamkeit resultiert. Diese für HROs typischen Handlungsmuster lassen sich in die zwei Stufen der achtsamen Antizipation des Unerwarteten und der achtsamen Eindämmung des Unerwarteten kategorisieren (vgl. Weick/Sutcliffe 2003: 22, 66 ff.): •
•
achtsame Antizipation des Unerwarteten: ◆ Konzentration auf Fehler, ◆ Abneigung gegen vereinfachende Interpretationen, ◆ Sensibilität für betriebliche Abläufe, achtsame Eindämmung des Unerwarteten: ◆ Streben nach Flexibilität, ◆ Respekt vor fachlichem Wissen und Können.
Die Antizipation des Unerwarteten zielt grundsätzlich darauf ab, Anomalien und Abweichungen möglichst frühzeitig zu erkennen und auf diese Weise noch einen ausreichend großen Handlungsspielraum zur Verfügung zu haben, um der unkontrollierbaren Eskalation eines Ereignisses rechtzeitig vorbeugen zu können. Diese antizipierende Wahrnehmungskompetenz resultiert prinzipiell aus einer Konzentration auf Fehler, aus einer Abneigung gegen vereinfachende Interpretationen sowie aus einer Sensibilität für betriebliche Abläufe. Aufgrund der Tatsache, dass kein System vollkommen ist und trotz aller Maßnahmen zur Schadensprävention immer Fehler passieren und unvorhergesehene Ereignisse auftreten können, spielt der Aspekt einer achtsamen Eindämmung des Unerwarteten eine ebenso wichtige Rolle. Die Fähigkeit, unvorhergesehene Situationen zu managen, wird unterstützt durch das Streben nach Flexibilität und den Respekt vor dem fachlichen Wissen und Können anderer (vgl. ebd., Mistele 2005: 13).
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Konzentration auf Fehler: Achtsamkeit resultiert zu einem großen Teil aus dem stark ausgeprägten Interesse, mögliche Fehlerquellen aufzudecken. Dabei werden bei HROs selbst kleinste Fehltritte und Zwischenfälle analysiert und als ein Symptom dafür gewertet, dass etwas mit dem System möglicherweise nicht in Ordnung sein könnte (vgl. Weick/Sutcliffe 2003: 23). In HROs zeigt sich diese Konzentration auf Fehler in den zahlreich durchgeführten Analysen von Zwischenfällen, in der Berichterstattung über Störungen, egal, wie unwichtig sie auch erscheinen, sowie in der geradezu obsessiven Auseinandersetzung der beteiligten Akteure mit den möglichen Gefahren des Erfolgs wie zum Beispiel Selbstzufriedenheit, dem Abdriften in Routine und einer Nachlässigkeit bei den Sicherheitsstandards. Weick/Sutcliffe (ebd.: 69) betonen die negativen Wirkungen des Erfolgs für Individuen und Organisationen: So verengt der Erfolg die Wahrnehmung, verändert Grundhaltungen und nährt die Überzeugung, dass sich das Geschäft lediglich auf eine einzige Art betreiben lässt. Durch Erfolg verstärkt sich das Vertrauen in die Effizienz vorhandener Fähigkeiten und Routinen, und die Organisation läuft Gefahr, diesen Erfolg als ein Zeichen eigener Kompetenz zu betrachten, wodurch letztlich die Selbstzufriedenheit und damit einhergehend auch die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass unerwartete Ereignisse unentdeckt bleiben und sich zu größeren Problemen ausweiten. Während es bei größeren Zwischenfällen ganz normal ist, eine gründliche Ursachenanalyse zu betreiben, achten die Mitarbeiter in HROs jedoch ebenso stark auf kleinere Pannen, beispielsweise in einem Kernkraftwerk, wenn eine Brandschütztür nicht richtig geschlossen worden ist (vgl. ebd.: 68). Die Ursachen für diese Ausrutscher und Lappalien sind zumeist Aufmerksamkeitsstörungen, welche durch Überlastung, durch Ablenkung oder etwa durch die Unterbrechung einer Tätigkeit verursacht werden können (vgl. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltentwicklung/WBGU 1998: 302). Doch solche kleinen Unregelmäßigkeiten können in einem ungünstigen Moment zusammenwirken und in einer größeren Katastrophe enden. Dieses Verständnis setzt voraus, dass Störfälle nicht nur auf diejenigen Teilsysteme begrenzt werden, in denen sie auftreten. Jeder Zwischenfall muss vielmehr als ein Signal für eine potenzielle Schwachstelle im Gesamtsystem betrachtet werden. Hier unterscheiden sich HROs eklatant von herkömmlichen Organisationen, bei denen Fehler in den meisten Fällen lokal begrenzt und als spezifische, voneinander unabhängige, also in keinem Schadenszusammenhang stehende Probleme aufgefasst werden (vgl. Weick/Sutcliffe 2003: 68 ff.). Eine funktionierende Berichterstattung von Mitarbeitern über Störfälle und andere Irrtümer setzt ein „Klima der Offenheit“ (ebd.: 72) voraus. Müssen die Mitarbeiter bei der Meldung von Fehlern Sanktionen befürchten, so werden sie diese ignorieren oder gar vertuschen. In HROs werden Management-Methoden angewandt, die gerade dazu motivieren, Pannen zu melden oder Fragen zu stellen. Diese Praktiken stärken letztlich eine organisationsweite Kultur, die auf Berichterstattungen dieser Art großen Wert legt. Andererseits wird durch diese Handhabung gleichzeitig das organisationseigene Wissensfundament verstärkt, was es einer Organisation letztlich
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ermöglicht, aufgrund besserer Erfahrungswerte noch sensibler auf Anomalien und schwache Störsignale zu achten als zuvor (vgl. ebd.: 68, Mistele 2005: 13). Die Etablierung unternehmenskulturell verankerter Achtsamkeit bedarf demzufolge der Implementierung von Belohnungs- oder anderweitigen Anreizsystemen zur Förderung des Austausches sowie der Meldung von Fehlern und Unregelmäßigkeiten. Aufgrund der Erkenntnis, dass Lernaugenblicke eher kurzlebige Phänomene darstellen, lernen effiziente HROs aus ihren Fehlern infolge einer zügigen und möglichst unmittelbaren Analyse. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Menschen, denen ein Fehler unterlaufen ist, meist nur für einen relativ kurzen Zeitraum „offen über die Geschehnisse sprechen, bevor sie dann später ihre Geschichten auf eine Weise beschönigen, die ihr Handeln rechtfertigt und ihren guten Ruf schützt“ (Weick/Sutcliffe 2003: 71). Abneigung gegen vereinfachende Interpretationen: Achtsamkeit umfasst neben dem Aspekt, selbst kleinen Fehlern auf den Grund zu gehen, ebenso die Fähigkeit, den Komplexitätsgrad von vereinfachenden Maßnahmen zu steigern. Hierbei werden Vereinfachungen wie das bereits oben erwähnte Vertrauen in Erwartungen auf ein Minimum reduziert und parallel dazu die Wahrnehmungsfähigkeit durch die Realisation eines möglichst breiten Vorstellungsspektrums gesteigert. Durch ein erweitertes Beobachtungsfeld sind HROs in der Lage, ein reichhaltiges und vielfältiges Bild potenzieller Folgen unvorhersehbarer Ereignisse zu entwickeln, das wiederum vielfältigere und aussagekräftigere Vorsichtsmaßnahmen und Frühwarnzeichen erkennen lässt (vgl. Baecker 1994: 153, Mistele 2005: 17, Tropp 2004: 177, Weick/Sutcliffe 2003: 73). Zur Operationalisierung dieser Fähigkeit innerhalb eines Unternehmens eignen sich unterschiedliche Methoden: •
Bei prospektiven Interviews handelt es sich um eine qualitative Befragung – beispielsweise in Form einer Gruppendiskussion –, bei der vor allem Fragen nachgegangen wird, wie sich Menschen in einer bestimmten vorgegebenen hypothetischen Situation verhalten würden (vgl. Schetsche 2015: 64). • Die Szenariotechnik fördert die Bildung von Optionen und schult damit den Möglichkeitssinn, da sie die Bildung unterschiedlicher, aber in sich schlüssiger Zukunftswelten ermöglicht, die auf der Grundlage dessen, was in der Gegenwart gewusst wird, als plausibel erscheinen (vgl. Roehl 2002: 126, Wilms 2006). • In Workshops und bereichsübergreifenden Klausuren, die sich durch eine interdisziplinäre Teamzusammensetzung auszeichnen, hinterfragt die Organisation kritisch die bisher angewandten Routinen und Prozesse, um im Zuge einer Problemlösung keine verengten Denk- und Wahrnehmungsmuster anzuwenden (vgl. Tropp 2004: 212 f.). • Mit Simulationen werden die erarbeiteten Möglichkeiten/Alternativen durchgespielt und Wechselwirkungen aufgezeigt. Dafür bieten sich insbesondere Planspiele sowie digital basierte Systemsimulationen an (vgl. z. B. Dörner et al. 1994, Vester 2000).
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Diese Methoden dienen der Entwicklung und Schulung eines organisatorischen Wahrnehmungsvermögens, mit dem sich die komplexen und dynamischen Gegebenheiten der Umwelt besser erkennen lassen. Aus einer vereinfachenden Perspektive hingegen werden sowohl Anzeichen auf unerwartete Ereignisse als auch das breite Spektrum an Handlungsalternativen leichter übersehen. Es geht also um das kontinuierliche Aktualisieren von Möglichkeiten, um die toten Winkel von Plänen, Visionen und Prognosen in den Griff zu bekommen, denn „Pläne verleiten uns genauso geschickt wie andere Erwartungen dazu, die allmähliche Entwicklung des Unerwarteten zu übersehen“ (Weick/Sutcliffe 2003: 57). Sensibilität für betriebliche Abläufe: Besonders große Aufmerksamkeit widmen HROs der Ausgestaltung ihrer Entscheidungsstrukturen, wobei sie hier zwischen Routineund Nicht-Routine-Situationen differenzieren. Beim Eintritt einer Nicht-Routine-Situation werden Entscheidungsbefugnisse des Öfteren an untere Hierarchiestufen delegiert, im Vertrauen darauf, dass dort bessere Informationen vorliegen oder unnötige zeitliche Verzögerungen vermieden werden. Typisch für dieses Verhalten sind etwa die Landevorgänge auf Flugzeugträgern, die auch von einem Großteil der Soldaten mit niedrigem Dienstrang unterbrochen werden dürfen, sobald diese Zweifel an einer sicheren Durchführung des Manövers haben. Doch auch bei Routine-Situationen lassen sich Hinweise auf prinzipiell flache Entscheidungsstrukturen finden, wie beispielsweise in der pädiatrischen Intensivstation eines Krankenhauses (vgl. Gundel 2004: 50 f.). Beispiel
Bei dem Unternehmen Body Shop kommen vernetzte Organisationsstrukturen und Managementprozesse zum Einsatz. Es werden Gremien mit Personen aus verschiedenen Funktionsbereichen und allen Hierarchiestufen eingesetzt. So soll sichergestellt werden, dass neue Produkte und Ideen unternehmensweite Aufmerksamkeit erhalten und implementiert werden (vgl. Joachimsthaler/Aaker 2000: 530).
Festzuhalten ist also, dass HROs in besonderer Weise darum bemüht sind, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Hierarchiestufen zu reduzieren. Nicht selten wird der untersten Hierarchieebene sogar ein höherer Stellenwert zugeschrieben als den Managern aus den oberen Ebenen, die ja als eigentliche Lenker und Treiber des gesamten Systems fungieren. Auf diesen Punkt wird weiter unten im Zusammenhang mit der Darstellung der HRO-Eigenschaft des Respekts vor fachlichem Wissen und Können zurückgekommen. Für ein hierarchisch flach organisiertes Handeln spricht auch, dass der einzelne Akteur sein eigenes Handeln am besten einordnen kann und zumeist eine genaue Vorstellung davon hat, welche anderen Personen auf welche Art und Weise in ein Problem und dessen Lösung eingebunden sind beziehungsweise sein sollten (vgl. Mistele 2005: 14).
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Durch den sensiblen Umgang mit betrieblichen Abläufen lassen sich unerwartete Ereignisse meist bereits im Anfangsstadium lokalisieren, wodurch eine Ausweitung des Problems in den meisten Fällen verhindert werden kann. Eine unabdingbare Voraussetzung dafür ist jedoch das Vorhandensein entsprechender Kommunikationsstrukturen, über die ein Wissensaustausch in Bezug auf potenzielle Anomalien und Abweichungen überhaupt erst stattfinden kann (vgl. ebd., Weick/Sutcliffe 2003: 78 f.). Streben nach Flexibilität umfasst die Fähigkeit, auf Fehler zu achten, die bereits eingetreten sind, sowie die Fähigkeit zur Korrektur dieser Fehler, bevor sich deren Schadensausmaß unkontrolliert ausweiten kann. Es handelt sich hierbei also um eine andere Grundeinstellung als bei der Antizipation von zukünftigen Situationen. Die Fähigkeit zu einer flexiblen Reaktion impliziert dabei die Konfrontation mit einem Ereignis, das man nicht vorhergesehen hat, das allerdings dennoch eingetreten ist. An dieser Stelle offenbart sich letztlich die große Gefahr eines zu starken Strebens nach Antizipation bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Flexibilität: Antizipation unterstellt ein gewisses Niveau des Verstehens, das jedoch kaum zu erreichen ist, sofern man es mit unvorhersehbaren, höchst komplexen Umweltbedingungen zu tun hat. Darüber hinaus verschlingt Antizipation eine große Menge an Ressourcen, da alle potenziellen Lösungen für sämtliche vorweggenommenen Problemstellungen im Handlungsrepertoire, das heißt im Gedächtnis der beteiligten Akteure präsent sein müssen (vgl. Weick/Sutcliffe 2003: 83 f.). Das Streben nach Flexibilität zeichnet sich also dadurch aus, dass trotz der Schulung des Möglichkeitssinns von der Organisation anerkannt wird, dass sie unmöglich für alle denkbaren Probleme und Ereignisse eine Lösung vorproduzieren kann und sie sich daher auch auf das Abschwächen von eingetretenen Problemen konzentrieren muss. Wer flexibel ist, achtet eher auf Kenntnisse und Ressourcen, mit denen sich negative Überraschungen zügig eindämmen, lindern und reduzieren lassen. Hierfür bedarf es nicht nur einer rein fachlichen Kompetenz. Flexible Individuen zeichnen sich vielmehr durch sogenannte Metakompetenzen aus, die als eine wichtige Voraussetzung für ein situationsspezifisches Handeln angesehen werden (vgl. Mistele 2005: 18). Auf Organisationsebene sind Indikatoren dieser Metakompetenzen • • • •
das Streben nach einer raschen und präzisen Kommunikation, vor allem in Form schneller Feedbacks, das kontinuierliche Bemühen um neue Erkenntnisse und eine schnellere Lernfähigkeit, der Aufbau und Ausbau von Erfahrungsvielfalt sowie die situationsgerechte Kombination von vorhandenen Fachkenntnissen und Handlungsmustern (vgl. ebd., Weick/Sutcliffe 2003: 85).
Als ein Beispiel für den letzten Punkt nennen Karl Weick und Kathleen Sutcliffe (ebd.: 86) die hohe Flexibilität, die auf Flugzeugträgern zu beobachten ist, wo Krisen nicht
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selten durch den Zusammenschluss von informellen Netzwerken eingedämmt werden. Diese Ad-hoc-Netzwerke setzen sich aus erfahrenen Besatzungsmitgliedern zusammen und ermöglichen so ein schnelles Bündeln von Fachkenntnissen. Dadurch wird das Spektrum an Handlungsoptionen in Bezug auf die Problemlösung erheblich erweitert, wodurch sich letztlich Wissenslücken und Unsicherheiten ausgleichen lassen. Respekt vor fachlichem Wissen und Können: Die meisten Unternehmen weisen sehr starre hierarchische Entscheidungsstrukturen auf, die auf einem ausgeprägten Respekt gegenüber Autoritäten gründen. HROs sind demgegenüber durch eher flache Entscheidungsstrukturen gekennzeichnet. Entscheidungsbefugnisse werden dabei oftmals an Personen delegiert, die eher auf den unteren Hierarchiestufen rangieren. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass gerade die Mitarbeiter auf den unteren Ebenen zumeist als erste das Signal einer Anomalie wahrnehmen. So steht beispielsweise der Kundenberater einer Kommunikationsagentur nahezu täglich in Kontakt mit dem Kunden und pflegt mit diesem idealerweise eine enge und vertrauensvolle Beziehung. Bei herkömmlichen Entscheidungsstrukturen haben diese Personen jedoch keinerlei oder äußerst geringe Weisungs- und Entscheidungsgewalt. Urteile und wichtige Entscheidungen werden in diesen Organisationen normalerweise von hochrangigen Führungskräften getroffen, was die Reaktionsgeschwindigkeit der Organisation beträchtlich reduziert. In HROs zeichnet sich die Entscheidungsstruktur dagegen durch eine Kombination aus Hierarchie und Spezialisierung aus. Geschlossene hierarchische Strukturen mit den damit verbundenen Macht- und Entscheidungskompetenzen treten bei HROs zugunsten eines tiefen Respekts vor der Fachkenntnis folglich in den Hintergrund, werden dabei allerdings auch nicht gänzlich verworfen. Durch die Verbindung von fachlicher Kompetenz und Hierarchie wird vielmehr ein Prinzip anerkannt und verwirklicht, das sowohl Ordnung als auch Flexibilität garantiert. Dennoch hat sich in HROs die Erkenntnis durchgesetzt, dass Know-how und Erfahrung bedeutender sind als der hierarchische Rang und der Status eines Mitarbeiters (vgl. Mistele 2005: 19, Weick/Sutcliffe 2003: 88 ff.). Beispiel
Ein kommunikationstechnologisch versierter Mitarbeiter einer Kommunikationsagentur mit einem spezialisierten Wissen im Bereich Social Media sollte bei der Entwicklung einer Social-Media-Kampagne für einen Agenturkunden mit mehr konzeptionellen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet sein als der zuständige Etatdirektor oder Geschäftsführer Kundenberatung.
Durch diese äußerst flexible Entscheidungsstruktur sind HROs in der Lage, jedem auftretenden Problem unverzüglich die nötige Beachtung zu schenken. Sollten die Ereignisse aus dem Ruder laufen, kann das Management höherer Ebenen jederzeit
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die Entscheidungsgewalt sukzessive zurückfordern, was von Weick/Sutcliffe (2003: 91) als koordinierte Führung beschrieben wird. Nach diesem Prinzip kommt die Führungsrolle stets derjenigen Person zu, die aktuell über die höchste Problemlösungskompetenz verfügt. Dabei wandern die Entscheidungen in der Hierarchie sowohl von oben nach unten, gleichzeitig allerdings auch von unten nach oben, denn Personen, die in einer bestimmten Situation nicht mehr weiter wissen, haben bei HROs keine Angst, sich an die nächsthöher liegende Instanz zu wenden und um Hilfe zu bitten. In HROs wird es vielmehr als ein Zeichen von Selbstbewusstsein und Stärke gewürdigt, wenn man erkennt, dass die Grenzen des eigenen Wissens erreicht worden sind und die Hilfe anderer in Anspruch genommen werden muss. Die fünf Eigenschaften konstituieren in ihrem Zusammenwirken die Achtsamkeit von Organisationen, die es den Unternehmen und Agenturen ermöglicht, das Unerwartete effizient und angemessen zu managen. Notwendig geworden ist diese Fähigkeit durch die gestiegene Umweltkomplexität und die daraus resultierende Unsicherheit für die Handelnden im Input-Bereich der Marketing-Kommunikation.
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Marketing-Kommunikationswissen (Reflexivität)
Das Marketing-Kommunikationswissen, der Common Ground des Marketing-Kommunikationssystems (vgl. Kap. A 3.1), erfährt in Abhängigkeit vom Unternehmen eine spezifische Ausformung. Diese betrifft in Anlehnung an das Persuasion Knowledge Model von Marian Friestad und Peter Wright (1994, 1995) die folgenden drei Wissensbereiche (s. ausführlich Kap. B III 1.2): •
•
•
das Themenwissen („Topic Knowledge“), womit das Wissen über das Thema und den Inhalt der Marketing-Kommunikationsangebote bezeichnet wird, sei es über eine Produktkategorie, eine Marke, eine Dienstleistung, den Wettbewerb, ein soziales Verantwortungsfeld im CSR-Bereich, den Media-Mix, die Positionierung etc.; das Zielgruppen-/Zielpersonenwissen („Target Knowledge“), womit das Wissen betreffend die Eigenschaften und Charakteristika der Konsumenten und Kunden gemeint ist, das es ermöglicht, ihnen relevante Kommunikationsangebote unterbreiten zu können; das Persuasionswissen, womit das persuasionspsychologische Wissen gemeint ist, das dem Umgang mit Beeinflussungsversuchen zugrunde liegt.
Zwecks der Gestaltung konkreter Kommunikationsangebote für definierte Zielgruppen kommt dem Target Knowledge traditionell besondere Beachtung zu. Diese äußert sich in der unternehmens- und agenturseitigen Suche nach Consumer Insights.
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1.2.1 Consumer Insight: Begriff und Konzept Damit die marketingtreibenden Unternehmen und ihre Agenturen äußere Handlungen der Konsumenten als Anschlusshandlungen ihren Marketing-Kommunikationsangeboten zurechnen können, benötigen sie vorab Hypothesen, die sie auf Consumer Insights (Erkenntnisse über Konsumenten) stützen. Dieses Vorgehen basiert auf dem notwendig reflexiven Charakter der Kommunikation und zwar in seiner sozialen Dimension (s. Kap. A 1.3.2). Die Konzeption des Marketing-Kommunikationsangebotes bis hin zu einer kompletten Kampagne wird von den Erwartungen des Unternehmens und seiner Agentur, die diese(s) im Hinblick auf die Erwartungen von Zielpersonen und Zielgruppen hat, geleitet (Erwartungserwartungen). Diesem Reflexivitätsprinzip kommt heute in der Marketing-Kommunikation verstärkte Bedeutung zu. Das Bemühen um immer individuellere, auf die Interessen, Wünsche und Bedürfnisse des einzelnen Konsumenten zugeschnittene Kommunikationsangebote geht mit einer Steigerung des Ausmaßes einher, in dem ein Unternehmen fähig ist, die Bedeutungsstrukturen und Sinnzusammenhänge der Konsumenten in seine Kommunikationskonzepte zu integrieren. Diese Fähigkeit ist ausschlaggebend für die strategische Entwicklung produktiver Kundenbeziehungen. Auf die hohe Bedeutung sozialer Reflexivität in der Marketing-Kommunikation ist im US-amerikanischen Raum bereits zu Beginn der 1990er Jahre im Kontext des Konzeptes der Integrated Marketing Communications (IMC) hingewiesen worden. Neben einem ergebnisorientierten und vernetzten Management der unterschiedlichen Kommunikationsinstrumente, das kommunikations- und informationstechnologisch basiert sein soll, betont dieser Ansatz das Einnehmen einer „Outsidein-Perspektive“. Kommunikationsplanung muss kundenzentriert erfolgen, aus der Perspektive externer Anspruchsgruppen, besonders aus der der Kunden und Konsumenten (vgl. Kap. A 2.6.3). Geht man noch weiter zurück, so lässt sich in Deutschland mit dem Aufkommen der professionellen Markt- und Produktforschung Mitte der 1960er Jahre, die von den deutschen Niederlassungen der US-amerikanischen Agenturen importiert wurde, bereits das Prinzip der reflexiven Marketing-Kommunikation aufzeigen. Im Kern dieser angewandten Forschung stand damals wie heute der Consumer Insight, der das Prinzip der sozialen Reflexivität mit seinen kommunikationsanleitenden Erwartungserwartungen der Beschäftigten in den Marketing-Abteilungen und Agenturen praxistauglich operationalisiert. Über den Ursprung des Begriffs Consumer Insight kann nur gemutmaßt werden, wie Kerstin Föll (2007: 26) nach ihrer diesbezüglichen Literatur- und Internet-Recherche feststellt. Der Begriff Insight tauchte bereits 1964 bei dem Vater der Motivforschung Ernest Dichter (vgl. ebd.: 434) auf, der ihn unter Rückgriff auf psychoanalytische Konzepte von Sigmund Freud im Sinne einer Einsicht und eines Einblicks in das Unterbewusstsein verwendete und Insight als ein Aha-Erlebnis als einen der Hauptfaktoren erfolgreicher Persuasion ansah.
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„Die einzige, wirklich menschliche Form des Lernens aber basiert auf Verständnis oder, wie die Psychologen es nennen, aus dem ‚Aha‘-Erlebnis. Wir verstehen plötzlich, warum etwas auf bestimmte Art getan wird, warum jemand so und nicht anders reagiert.“ (Dichter 1985: 106, s. auch ders. 1964: 433)
Im Zuge der Entwicklung und der Etablierung der strategischen Planung (Planning) im Marketing-Kommunikationssystem in den 1980er Jahren und der damit im Kommunikationsentwicklungsprozess stattfindenden Betonung der zentralen Rolle des Konsumenten hat sich der Begriff zu Consumer Insight weiterentwickelt. Die Werbepraktikerin Lisa Fortini-Campbell benannte Mitte der 1980er Jahre die Marktforschungsabteilung der Werbeagentur Young & Rubicam (Y&R) in Chicago in „Consumer Insight“ um und nimmt für sich die erstmalige systematische Verwendung des Begriffs in Anspruch (vgl. Föll 2007: 27). Sie veröffentlichte erstmals 1992 ein praxisgerichtetes Buch, in dem sie ihr Consumer-Insight-Konzept umfassend darlegt (Fortini-Campbell 2001). Im wissenschaftlichen Kontext wird der Begriff erst seit Beginn der 2000er Jahre systematisch aufgearbeitet und untersucht (s. z. B. Renkema/Zwikker 2003, Stone et al. 2010). Consumer Insight kann sich dadurch seiner Konnotation als ein „schillernder Begriff der trendigen Werbepraxis“ (Trommsdorff 2007: V) langsam entledigen. Sein Bedeutungsfeld hat sich bis dato jedoch nicht weit von dem ursprünglichen Verständnis von Ernest Dichter entfernt. Consumer Insight bezeichnet demnach im Unterschied zum allgemeinen und breiteren Wissen über Charakteristika von Zielgruppen (z. B. soziodemografische Merkmale, Einstellungen, Kaufverhalten) ein weitaus spezifischeres Phänomen. In der Tradition von Ernest Dichter wird beim Konsumenten auf „das Aufdecken der seelischen Strukturen, der psychologischen Antriebskräfte im Sinne eines erleuchtenden Einblicks“ (Föll 2007: 25) abgehoben. So definiert Kerstin Föll (ebd.: 38) den Consumer Insight als eine Wahrheit in Form einer spezifischen, neuartigen und erleuchtenden Kombination von Erkenntnissen über den Konsumenten, die • • •
die seelischen Strukturen des Konsumenten offenbart, dadurch einen Anknüpfungspunkt für die Bestimmung eines differenzierenden Nutzenversprechens und entsprechende Marketing-Kommunikationsmaßnahmen bietet und schließlich eine Verbindung zwischen Konsument und Marke schafft.
Im Mittelpunkt der angewandten Consumer-Insight-Forschung in den Agenturen und Marktforschungsinstituten steht somit prinzipiell die Suche nach Bedeutungen und damit nach dem Sinn von Handlungen für die Handelnden. Bei diesem „Fishing for Insights“ (Paul 2002: 408) geht es nicht darum, eine sichtbare, sondern eben eine bedeutende Welt zu beschreiben (vgl. ebd.: 420). Clifford Geertz (2015: 10) nennt dies von einer ethnografischen Perspektive aus unter Rückgriff auf Gilbert Ryle die Anfertigung einer „dichten Beschreibung“, bei
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der es nicht um die Frage nach dem ontologischen Status von Verhalten und Handeln geht, nicht um deren fotografieartiges Festhalten, wie es Gegenstand der „dünnen Beschreibung“ (ebd.: 11 f.) ist. Es geht vielmehr um das Herausarbeiten von Bedeutungen in Sinnzusammenhängen, also in Kontexten. Beispiel …
… für den Unterschied von dünner und dichter Beschreibung (Geertz 2015: 10 f.) „Stellen wir uns … zwei Knaben vor, die blitzschnell das Lid des rechten Auges bewegen. Beim einen ist es ein ungewolltes Zucken, beim anderen ein heimliches Zeichen an seinen Freund. Als Bewegungen sind die beiden Bewegungen identisch; vom Standpunkt einer photographischen, ‚phänomenologischen‘ Wahrnehmung, die nur sie sieht, ist nicht auszumachen, was Zucken und was Zwinkern war oder ob nicht gar beide gezuckt oder gezwinkert haben. Obgleich man ihn nicht photographisch festhalten kann, besteht doch ein gewichtiger Unterschied zwischen Zucken und Zwinkern, wie ein jeder bestätigen wird, der ersteres fatalerweise für letzteres hielt. Der Zwinkerer teilt etwas mit, und zwar auf ganz präzise und besondere Weise: (1) er richtet sich absichtlich (2) an jemand Bestimmten, (3) um eine bestimmte Nachricht zu übermitteln, (4) und zwar nach einem gesellschaftlich festgelegten Code und (5) ohne daß die übrigen Anwesenden eingeweiht sind. Es ist nicht etwa so, … daß derjenige, der zwinkert, zwei Dinge tut – sein Augenlid bewegt und zwinkert –, während derjenige, der zuckt, nur sein Augenlid bewegt. Sobald es einen öffentlichen Code gibt, demzufolge das absichtliche Bewegen des Augenlids als geheimes Zeichen gilt, so ist das eben Zwinkern. Das ist alles, was es dazu zu sagen gibt: ein bißchen Verhalten, ein wenig Kultur und – voila – eine Gebärde. Das aber ist nur der Anfang. Angenommen … es gäbe noch einen dritten Knaben, der ‚zur hämischen Belustigung seiner Kumpel‘ das Zucken des ersten Knaben auf amateurhafte, unbeholfene, auffällige oder andere Weise parodiert. Er macht das natürlich genauso wie der zweite Knabe, der zwinkert, und der erste Knabe, der zuckt: er bewegt das rechte Augenlid. Nur daß dieser Knabe weder zwinkert noch zuckt, sondern den seiner Meinung nach lächerlichen Versuch eines anderen zu zwinkern parodiert. Auch hier liegt ein gesellschaftlich festgelegter Code (er ‚zwinkert‘ bemüht, zu offensichtlich, vielleicht schneidet er noch zusätzlich eine Grimasse – die üblichen Kunstgriffe eines Clowns) sowie eine Nachricht vor. Es geht jetzt jedoch nicht um eine geheime Verständigung, sondern um ein Lächerlichmachen. Sollten die anderen meinen, er zwinkere tatsächlich, so ist – wenn auch mit anderen Ergebnissen – sein ganzes Vorhaben ebenso fehlgeschlagen, wie wenn sie meinten, er zucke. Man kann noch weiter gehen: seiner mimischen Fähigkeiten nicht sicher, übt der Möchtegern-Satiriker vielleicht zu Hause vor dem Spiegel. Was er dort macht, ist weder Zucken noch Zwinkern und auch nicht Parodieren, sondern Proben, obwohl eine Kamera, ein radikaler Behaviorist oder ein Anhänger von Protokollsätzen ebenso, wie bei den anderen Knaben, nur
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eine schnelle Bewegung des rechten Augenlids festhalten würde. Weitere Komplizierungen sind möglich und stoßen auf keine logischen, wenn auch auf praktische Grenzen. Der ursprüngliche Zwinkerer könnte z. B. nur so getan haben, als ob er zwinkerte, um Außenstehenden eine geheime Abmachung vorzutäuschen, die gar nicht vorlag.“
Ein modernes Verständnis von Consumer Insight, das sich weniger mythisch anmutend und differenzierter als der Insight-Ansatz von Ernest Dichter mit der Frage nach den Bedeutungen von Handlungen befasst, wird über den Rückgriff auf das Kontextualitätskriterium (s. Kap. A 1.3.3) erzielt. Kontexte sind als Sinnzusammenhänge notwendig, um als Beobachter Handlungen anderer erklären, ihnen Bedeutung zuschreiben zu können. Kontexte von Handlungen sind damit für die Relevanz von Marketing-Kommunikationsangeboten zuständig und der Consumer Insight kann in diesem Sinne dann als Schlüssel zu dieser Relevanz aufgefasst werden (vgl. Föll 2007: 22, Paul 2002: 411). Das Ziel der Suche nach Consumer Insights ist entsprechend die Darbietung relevanter Marketing-Kommunikationsangebote für bestimmte Konsumenten als Kommunikationspartner. Die Spezifizierung von Konsumenten als Kommunikationspartner macht deutlich, dass als Kontext nicht nur die Person mit ihrer Lebenswelt in Betracht kommen kann. Ebenso gilt es, das Individuum in seiner Rolle als Rezipient und damit die Rezeptionssituation sinngebend zu berücksichtigen und darüber hinaus auch das Individuum in seiner Rolle als Konsument zu fokussieren, womit des Weiteren Markenkontexten die Aufmerksamkeit gelten muss. Daraus ergibt sich folgende Definition von Consumer Insight: ▶ Definition Consumer Insights sind die durch professionalisierte Reflexivität gewonnenen Erkenntnisse über Personen als Kommunikationspartner und als Konsumenten, die sich auf die Relevanz von Marketing-Kommunikationsangeboten beziehen, wie sie sich aus den Kontexten der Lebenswelt, der Rezeptionssituation und der Marke ergibt.
Zu ergänzen ist, dass, bedingt durch das Interaktions- und Kommunikationsverhältnis von marketingtreibenden Unternehmen und deren beauftragter Agentur, ein weiteres Reflexivitätsverhältnis im Spiel ist. Die Agentur orientiert sich als Auftragnehmer in der Input-Phase auch an den Erwartungen des Unternehmens an die Agentur. Sie gewinnt im Laufe der Zusammenarbeit wichtige Hinweise zum Erwartungsspektrum des auftraggebenden Unternehmens, ihres Kunden, was in Analogie zu Consumer Insights als Client Insights bezeichnet werden kann. Ob ein Marketing-Kommunikationsangebot aus der Perspektive der Agentur relevant ist, ist daher nicht nur eine Frage, die mittels Erkenntnissen über die Zielpersonen im Absatzmarkt des Un-
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ternehmens beantwortet wird, sondern auch mittels des Wissens, das in der Agentur über die Erwartungshaltung des Unternehmens den Output der Agentur betreffend vorhanden ist.
1.2.2 Elementare Consumer-Insight-Kontexte Die in der Praxis angewandte Consumer-Insight-Forschung kann genauso wenig wie die wissenschaftliche Grundlagenforschung alle individuumsinternen und -externen Kontexte kultureller, sozialer, situationaler und personaler Art in einem Modell berücksichtigen. Ein derartiger „Radikaler Kontextualismus“ (Ang 2006) würde in einer nicht mehr zu bewältigenden Komplexität mit geringer Effizienz münden. Sinnvoll ist es daher, dem Vorschlag von Andreas Baetzgen (2007: 161) zu folgen und von einer elementaren Typologie auszugehen, die die für die spezifische Problemstellung, hier: die Consumer-Insight-Gewinnung, wichtigsten Kontexte umfasst und alle anderen fundiert. Diese anderen sind der Kontext der Lebenswelt, der der Rezeptionssituation und der der Marke, die empirisch untrennbar miteinander verbunden sind und lediglich aus analytischen und darstellerischen Gründen isoliert betrachtet werden müssen (Abb. 38). Mit der Fokussierung der elementaren Consumer Insight-Kontexte werden gleichzeitig drei zentrale Erfolgsvariablen der qualitätsorientierten Modernen MarketingKommunikation verfolgt, nämlich • •
die Alltagspassung des Marketing-Kommunikationsangebotes, die aus dem Fit des Marketing-Kommunikationsangebotes mit der Lebenswelt resultiert, der Erlebniswert des Marketing-Kommunikationsangebotes, der dem Kontext der Rezeptionssituation entspringt,
Abb. 38 Elementare Consumer-Insight-Kontexte
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die Konsistenz des Marketing-Kommunikationsangebotes, die sich aus dessen Passung in den Kontext der Marke ergibt (vgl. Baetzgen 2007: 169 f.).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für den Konsumenten und Kommunikationspartner sich die Relevanz eines Marketing-Kommunikationsangebotes (= Rezeptionsrelevanz, s. Kap. B III 1.3) und damit das Advertising Engagement (s. Kap. A 2.1.5) maßgeblich aus der Alltagspassung, dem Erlebniswert und der Konsistenz des Marketing-Kommunikationsangebotes ergibt. Diese resultieren als Erfolgsfaktoren der Marketing-Kommunikation aus den Kontexten der Lebenswelt, der Rezeptionssituation und der Marke.
1.2.2.1 Lebenswelt
Mit dem von Lothar Mikos (2004: 29) geprägten Begriff des lebensweltlichen Kontextes wird die Gesamtheit an Wissen, Einstellungen/Images, Werten und Normen, Motiven und Bedürfnissen, emotionalen Dispositionen sowie der daraus resultierenden typischen Handlungsmuster eines Individuums bezeichnet (vgl. Kap. A 1.3.3). In der englischsprachigen Literatur wird diesbezüglich von der „Personal History“ und der „Current Life-World“ gesprochen (s. Mick/Buhl 1992: 319). Der Kontext der Lebenswelt ist der Bereich, dem sich die angewandte Consumer-Insight-Forschung traditionell am stärksten beziehungsweise sogar ausschließlich zugewendet hat. Welche Eigenschaften, so lautet die allgemeine Consumer-Insight-Suchfrage, weist die Lebenswelt der Kommunikationspartner auf, sodass die Alltagspassung und damit – in Interaktion mit dem Markenkontext und dem Kontext der Rezeptionssituation – die Relevanz der Mitteilung über einen spezifischen Marketing-Gegenstand (Produkt, Dienstleistung, Person etc.) gesteigert werden kann ? Die Suche richtet sich also auf kognitiv-emotionale Charakteristika der Zielpersonen, um die alltäglichen, durchaus versteckten Typiken von Produktwahrnehmungs- und Produktverwendungsmustern auszumachen. Seine Relevanz gewinnt das Marketing-Kommunikationsangebot dann dadurch, dass es aufzeigt, wie die Verwendung des beworbenen Markenproduktes den Alltag angenehmer gestaltet oder die Erfüllung von Träumen in Aussicht stellt. Beispiel
Die in Großbritannien etablierte Unkrautvernichtungsmarke Weedol ist in ihrer Produktleistung den Hauptkonkurrenten unterlegen, was unter den Marktteilnehmern bekannt war. Das Unkraut wuchs ständig nach, sodass das Mittel immer wieder benutzt werden musste. Der Hauptkonkurrent betonte in seiner Marketing-Kommunikation, dass nach Gebrauch seines Mittels das Unkraut nicht mehr nachwachse.
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Beim Ausprobieren des Weedol-Mittels entdeckten Mitarbeiter der beauftragten Kreativ-Agentur, dass Unkrautvernichten ihnen überraschenderweise großen Spaß bereitet. In Tiefeninterviews mit Hobbygärtnern konnte diese Entdeckung weiter gefestigt werden, wodurch der vermeintliche Wettbewerbsnachteil plötzlich als ein Vorteil interpretiert konnte. Die Forschungsarbeiten mündeten in dem Consumer Insight: „Gärtner hassen Unkraut. Sie möchten es leiden sehen. Unkraut vernichten macht Spaß. Es ist vergleichbar mit dem ‚köstlichen‘, racheerfüllten Lustgefühl, das man hat, wenn man etwas aus dem Weg räumt, das man hasst.“ (Föll 2007: 8)
Im Bereich der medialen interaktiven Marketing-Kommunikation erübrigt sich zunehmend diese Suche nach Charakteristika von Produktwahrnehmungs- und Produktverwendungsmustern, da der Kommunikationspartner selbst entsprechend seiner lebensweltlichen Spezifika die Präsentation von Marketing-Kommunikationsangeboten gemäß ihrer Alltagspassung steuern kann. Beispiel
Konsumenten definieren im Internet (www.google.com/ads/preferences) ihre Interessenkategorien und steuern damit, welche Anzeigen sie im Google-Content-Netzwerk zu sehen bekommen („Personalisierte Werbung“).
1.2.2.2 Rezeptionssituation
Die Berücksichtigung des Consumer-Insight-Kontextes der Rezeptionssituation resultiert aus der Rolle als Rezipient, die das Individuum im Marketing-Kommunikationsprozess einnimmt. Dieser Kontext bezeichnet die Gesamtheit kognitiv-emotionaler Charakteristika (Wissen, Einstellungen/Images, Werte und Normen, Motive und Bedürfnisse, emotionale Dispositionen) und die daraus resultierenden typischen Rezeptionsmuster oder „Rezeptionsmodalitäten“ (Hasebrink/Hasebrink-Paus 2005: 239), die der Rezipient mit dem medialen Umfeld des Marketing-Kommunikationsangebotes und mit der außermedialen Situation zum Zeitpunkt der Rezeption verknüpft. Der Consumer-Insight-Kontext der Rezeptionssituation umfasst also einerseits die Situation im Medium, andererseits auch die Situation vor dem Medium, aus der heraus das mediale Geschehen verfolgt wird (vgl. Baetzgen 2007: 59, 168, Krotz 2001: 88, Mikos 2001: 67). Die klassische Werbung schenkt diesem elementaren Consumer-Insight-Kontext der Rezeptionssituation geringe Beachtung. So werden beispielsweise TV-Spots breit über die unterschiedlichen Sender gestreut und stehen allenfalls in einem losen thematischen Sinnzusammenhang mit ihrem medialen Umfeld. Um Advertising-Engagement zu erzielen, erkennt hingegen die Moderne Marketing-Kommunikation die
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wichtige sinngebende Rolle der Rezeptionssituation an, indem eine kontextuelle mediale Einbettung der Werbung erfolgt (s. Kap. A 2.1.5, Abb. 39). Besonders mittels der Kommunikationsdisziplinen Utility Marketing (s. Kap. B II 2.3) und Word-of-Mouth-Marketing (s. Kap. B II 2.6) orientiert sich die Moderne Marekting-Kommunikation in der inhaltlichen und formalen Mitteilungsgestaltung am medialen Umfeld. Und auch der Situation vor dem Medium wird heute mittels Guerilla Marketings in Form von Ambient Media Marketing (s. Kap. B II 2.5.3) und Location Based Services im Rahmen von Mobile-Marketing-Kampagnen hohe Aufmerksamkeit zuteil. Die Relevanz konstituiert sich hierbei über den Erlebniswert, den das Kommunikationsangebot in der konkreten Situation für den Kommunikationspartner hat, wobei dem erlebten situativen Nutzen des Marketing-Kommunikationsangebotes heute eine zentrale Rolle zukommt. Die allgemeine Suchfrage für die Consumer Insights den Kontext der Rezeptionssituation betreffend lautet: Welche Eigenschaften weisen Rezeptionssituationen vor und in dem Medium auf, mit denen der Erlebniswert und damit – in Interaktion mit dem Marken- und dem Lebensweltkontext – die Relevanz der Mitteilung über einen spezifischen Marketing-Gegenstand (Produkt, Dienstleistung, Person etc.) gesteigert werden kann ?
Abb. 39 Beispiel für die Berücksichtigung des situativen Kontextes im Medium: MarketingKommunikationsangebote im journalistischen Stil des Mediums in der Zeitschrift Brigitte (20/2007: 64, 65)
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Beispiel für die Berücksichtigung des situativen Kontextes vor dem Medium
Im Londoner Restaurant Inamo bestellen die Gäste über die interaktive TouchscreenOberfläche ihres Tisches die Speisen und Getränke. Auch lässt sich das „Tischdesign“ selbst bestimmen, dem Koch per Webcam über die Schulter schauen und vom Tisch aus das Taxi nach Hause bestellen. Auf einer Umgebungskarte des Restaurants präsentieren sich Clubs für den anschließenden Besuch. Weiterhin ist denkbar, dass über den zum Menü ausgewählten Wein Einzelheiten auf dem Tisch nachgelesen werden können und der Wein auch über Direktvertrieb nach Hause bestellt werden kann (s. Abb. 40). Grundsätzlich empfiehlt sich diese Kommunikationsmöglichkeit allen Branchen, die sich in den Situationskontext des ‚Essens im Restaurant‘ einpassen können.
1.2.2.3 Marke
Aus seiner Rolle als Konsument, die das Individuum in der Marketing-Kommunikation einnimmt, resultiert, dass der Markenkontext, einschließlich des Produktkategorienkontextes, als elementare Consumer-Insight-Kategorie zu berücksichtigen ist. Die Marke ist zwar, worauf Andreas Baetzgen (2007: 167) hinweist, als Teil unserer Lebenswelt aufzufassen, wird aber aufgrund ihres hohen Einflusses auf die Bedeutungsgebung im Prozess der Rezeption von Marketing-Kommunikationsangeboten als gesonderter elementarer Consumer-Insight-Kontext ausgewiesen. Die Marke
Abb. 40 Tische mit interaktiver Oberfläche im Restaurant Inamo in London (inamo-restaurant. com, 15. 11. 2018)
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kann innerhalb des Marketing-Kommunikationswissens als ein spezifischer Bereich des Themenwissens aufgefasst werden. Es beinhaltet Kenntnisse über ein Unternehmen, ein Produkt oder eine Dienstleistung und besteht aus einer Vielzahl von miteinander vernetzten, sinnkonstituierenden und hochgradig emotional besetzten Unterschieden, die das Individuum mit der Marke assoziiert (vgl. Tropp 2004: 123). Dabei kann es sich um die physisch-technischen Spezifika des Markenproduktes, die Symbolik der Marke, typische Verwender oder emotionale Verfassungen handeln, die eine Marke von anderen Marken unterscheidet. Die Marke ermöglicht dem Konsumenten, das Marketing-Kommunikationsangebot unverzüglich in die spezifische Symbolwelt eines Marketing-Gegenstandes, also in dessen Bedeutungsraum einzuordnen (vgl. Kap. B I 2.2.2) und dadurch eine Brand Literacy zu entwickeln (vgl. Kap. B III 1.2.3). Dabei ist das Marketing-Kommunikationsangebot umso relevanter, je konsistenter und damit je weniger kognitiv verarbeitungsaufwendig es ist, je mehr es also den Assoziationen der Zielgruppe entspricht, mit dem vorhandenen Markenwissen kompatibel ist und damit die Orientierungs- und Sicherheitsfunktion, die die Marke unter anderem für den Konsumenten hat, stützt. Beispiel
Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) führte im Auftrag des Unternehmens Brandmeyer Markenberatung 2005 eine repräsentative persönliche Befragung (CAPI) von Personen ab 14 Jahren durch (n = 1006). Es wurden Motive von Werbeanzeigen vorgelegt, die weder Markennamen noch Produktabbildungen beinhalteten (s. die Abb. 41 bis Abb. 44). Die Anzeigen wurden in dieser Form zuvor nicht von den Marken eingesetzt (Vorgabe von 10 Antwortalternativen mit Marken der jeweiligen Branche) (s. Pogoda 2005).
Die allgemeine Suchfrage für die Consumer Insights den Markenkontext betreffend lautet: Welche Kommunikationsangebote passen inhaltlich und formal in die Konsistenz der Marke, damit – in Interaktion mit dem Lebensweltkontext und dem Kontext der Rezeptionssituation – die Relevanz ihrer Mitteilung gesteigert werden kann ?
1.2.2.4 Integratives Consumer-Insight-Management
Ist die Suche nach einem Consumer Insight in einem der drei elementaren Kontexte erfolgreich gewesen und hat die gewonnene neue Erkenntnis über den Konsumenten einer tiefergehenden Prüfung standgehalten, schließt sich die Frage nach der kommunikationsstrategischen und -konzeptionellen Berücksichtigung des Consumer Insights im Marketing des Unternehmens an. Besonderes Augenmerk gilt dabei einem integrativen Consumer-Insight-Management, das den Wechselwirkungen unter den drei Kontexten im Sinngebungsprozess des Konsumenten gerecht wird. Konkret gilt
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Abb. 41 Visualisierter Kontext der Marke Becks
Abb. 42 Visualisierter Kontext der Marke ebay
Abb. 43 Visualisierter Kontext der Marke Deutsche Telekom
Abb. 44 Visualisierter Kontext der Marke O2
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dabei das Interesse der Frage nach der Kompatibilität und Konsistenz von MarketingKommunikationsmaßnahmen, die sich aus einem neuen Insight empfehlen würden, im Zusammenspiel aller drei Kontexte. Konzentriert sich die Insight-Suche beispielsweise überwiegend auf den Rezeptionskontext, um den Erlebniswert in Form des situativen Nutzens der MarketingKommunikationsangebote sicherzustellen oder zu optimieren und vernachlässigt sie gleichzeitig den Lebensweltkontext und damit die Alltagspassung, wird das Marketing-Kommunikationsangebot zwar einen kurzfristigen Aufmerksamkeitseffekt erzielen, nach kurzer Zeit aber in Vergessenheit geraten und letzten Endes folgenlos und ohne Anschlusshandlungen bleiben. Andererseits vernachlässigt eine Consumer-Insight-fokussierte Kommunikation auf die Alltagspassung die Erfolgsvariable des Erlebniswertes und kann damit nicht die notwendige Aufmerksamkeit für sich verbuchen, die gerade in Anbetracht der Informationsüberlastung des Konsumenten als Zielsetzung heute zwingend notwendig ist. Wird des Weiteren bei der MarketingKommunikation überwiegend auf die Konsistenz geachtet, also der Markenkontext strategisch und konzeptionell übergewichtet, läuft das Unternehmen Gefahr, weder ein erlebnisreiches noch ein alltagspassendes Kommunikationsangebot zu unterbreiten, da es sich zu stark an der Historie der Marke und dem etablierten Markenwissen orientiert und die Entwicklungen im Marketing-Kommunikationssystem ausblendet (vgl. Baetzgen 2007: 174 f.) Ein integratives Consumer-Insight-Management muss organisatorisch im Unternehmen und in der Agentur abgesichert sein. So kann im Zuge des Wandels der Media-Agenturen davon ausgegangen werden, dass diese für den Kontext der Rezeptionssituation vermehrt interessante neue Erkenntnisse zur Steigerung des Erlebniswertes des Kommunikationsangebotes produzieren. Diese müssen mit Consumer Insights, die von Marktforschungsinstituten den Lebensweltkontext betreffend gewonnen werden, und mit Insights, die seitens der Kreativ-Agentur für den Markenkontext vorliegen, abgeglichen werden. Auch muss geklärt werden, wer für diese Consumer-Insight-Integration verantwortlich ist und damit letztlich auch die strategische und konzeptionelle Hoheit innehat, sollen die Voraussetzungen für eine effektive Bedeutungskonstruktion und Sinngebung der Konsumenten im Marketing-Kommunikationsprozess sichergestellt sein.
1.2.3 Methoden der Consumer-Insight-Gewinnung Zur Gewinnung von Consumer Insights werden qualitative Marktforschungsmethoden eingesetzt, die die Sekundärforschung ergänzen. Bei Consumer Insights geht es nicht um Erkenntnisse, die über das Messen der Ausprägungen von psychologischen oder soziologischen Variablen erlangt werden können, auf dem die Methodik der quantitativen, erklärenden Marktforschung basiert. Das Erkenntnisinteresse gilt vielmehr dem Verstehen der Prozesse der Bedeutungskonstruktion und der Sinngebung
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seitens der Konsumenten als Kommunikationspartner. Es werden keine Aussagen über Häufigkeiten oder quantitativ bezifferbare Unterschiede angestrebt. Stattdessen wird versucht, möglichst umfassend die Kontexte der Lebenswelt, der Rezeptionssituation und der Marke in Bezug auf den jeweiligen Marketing-Gegenstand aus der Perspektive der definierten Kommunikationspartner (= Zielgruppe) zu erfassen und die Kontexteigenschaften hinsichtlich der Schaffung eines relevanten MarketingKommunikationsangebotes zu interpretieren. Es geht also primär um die Beantwortung von Warum- und nicht von Wieviel-Fragen. Die Methoden, die dabei zum Einsatz kommen, können als weitestgehend offen, kommunikativ und typisierend beschrieben werden (vgl. Kepper 2008: 177). Mit der Beschreibung als offen wird darauf hingewiesen, dass der Forscher möglichst unvoreingenommen, ohne einengende Vorgaben und dadurch mit Verzicht auf eine Vorstrukturierung den Consumer-Insight-Forschungsprozess eröffnet. Kommunikativ sind qualitative Marktforschungsmethoden, weil im Gegensatz zur quantitativen Forschung die Interaktionen und Kommunikationen zwischen Forscher und Erforschungsperson nicht als auf ein Mindestmaß zu reduzierende Störgrößen betrachtet werden, sondern als grundlegende Bestandteile des Forschungsprozesses. Daher wird versucht, eine möglichst natürliche, biotische Kommunikations- und damit Forschungssituation zu schaffen, die das kommunikative Handeln der zu Erforschenden möglichst wenig einschränkt. Bei der Auswertung und der Sample-Bildung stehen nicht statistisch-repräsentative Überlegungen im Vordergrund, sondern der Versuch, die charakteristischen, typischen Merkmale der drei elementaren ConsumerInsight-Kontexte in Bezug auf den Marketing-Gegenstand zu finden. Daher sind die qualitativen Methoden der Consumer-Insight-Forschung typisierend. Sie sollen sich an inhaltlicher und nicht an statistischer Repräsentanz ausrichten. Die Identifizierung von Typen mittels eines flexiblen Kategoriensystems steht bei der Auswertung im Mittelpunkt. Neben den für die qualitativen Marktforschungsmethoden typischen/spezifischen Aufgabenfeldern der Strukturierung, qualitativen Prognose, Ursachenforschung und des Screenings (Grobauswahl von Alternativen) dienen die qualitativen Methoden der Consumer-Insight-Forschung vor allem der Ideengenerierung (vgl. ebd.: 178 f.). Sie sollen in der Agentur kreative Prozesse zur Schaffung relevanter MarketingKommunikationsangebote stimulieren. Entsprechend kann die Consumer-InsightGewinnung als ein kreativer Prozess konzipiert werden, in dem unterschiedliche Kreativitätstechniken zum Einsatz kommen (vgl. Föll 2007: 96 f., 108). Von den qualitativen Methoden der Consumer-Insight-Forschung kommen besonders ethnografische Beobachtungen und Interviews, Tiefeninterviews und Gruppendiskussionen zum Einsatz, die in vielfältigen Ausgestaltungsvarianten flexibel und häufig miteinander kombiniert an das Consumer-Insight-Interesse des Forschers angepasst werden (vgl. Kepper 2008: 210, Paul 2002: 418, Schauss 2008: 23, Schweiger 2007: 321; ein Überblick über die diversen qualitativen Methoden findet sich bei Buber/Holzmüller 2009: 415 f.).
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Beispiele
Das Marktforschungsunternehmen Icon added Value (heute Kantar Added Value) ist von dem Tiefkühlkost-Unternehmen iglo mit einem Produktinnovationsprojekt beauftragt worden, dessen Schwerpunkt im Consumer-Insight-Kontext der Lebenswelt lag und bei dem in Abhängigkeit von den einzelnen Projektphasen Sekundärforschung und unterschiedliche qualitative Marktforschungsmethoden zum Einsatz kamen (s. Abb. 45). Zwei Familien sind über einen Erhebungszeitraum von 14 Tagen komplett bei ihrer Rezeption von TV-Werbespots beobachtet worden (Audio-Aufnahmen der Rezipienten und Video-Mitschnitte der gesehenen TV-Inhalte). Ziel war es, zu Consumer Insights bezüglich des Kontextes der Rezeptionssituation, konkret die Rezeptionsmuster von Werbespots im Medium TV betreffend, zu gelangen (s. Ayaß 2001: 201 f.).
Auch gelangen tiefenpsychologische Analysen der morphologischen Marktforschung zum Einsatz. Konkrete Methoden zur Consumer Insight Gewinnung sind hier die morphologische Motivanalyse, mit deren Hilfe Eigenheiten verschiedener Märkte untersucht werden (psychologische Grundkategorien, die Erleben und Verhalten bedingen), die morphologische Segmentierung, welche die Segmentierung nach Motivdominanzen und Motivmechanismen ermöglicht und die morphologische Markenund Kommunikationsanalyse, die aufdeckt, wie die operative Implementierung der Kommunikationsmaßnahmen gelingt (Ziems 2010: 38). Einen breiteren Zugang zur Gewinnung von Consumer Insights wählen Patrick Barwise und Seán Meehan (2011). Sie unterscheiden zwischen „High Tech Sources“ und „High Touch Sources“. Erstere beziehen sich auf die quantitative Marktforschung. Allerdings wird hier nicht nur auf Fragebögen zurückgegriffen, sondern auch auf die quantitative Auswertung organisationsinterner Daten wie bspw. Reklamationen, Preis-Absatz-Verhalten bei Preisänderungen etc. „High Touch Sources“ hingegen beziehen sich auf die qualitative Marktforschung. Allerdings wird auch hier der Rahmen weiter als beispielsweise bei Ziems gefasst. So rücken nicht nur Tiefeninterviews in den Fokus der „High Touch Sources“, sondern auch das Lernen von Mitarbeitern (besonders von denen mit häufigem Kundenkontakt) oder von Wettbewerbern (s. Barwise/Meehan 2011: 343). Consumer Insights, so der leitende Gedanke, lassen sich also an den verschiedensten Orten einer Unternehmung oder eines Marktes finden. Manche ergeben sich durch zielgerichtete Forschung, andere werden hingegen durch Zufall entdeckt. Eine aufschlussreiche Methode ist auch die Day Reconstruction Method (DRM), mit der erhoben wird, wie Menschen ihren Tag zeitlich verbringen und wie sie ihre unterschiedlichen Aktivitäten und verschiedene Ereignisse erleben. Daniel Kahneman et al. (2004) haben die Methode zur Experience Sampling Method (ESM) weiterentwickelt, die auf eine aufschlussreiche Beschreibung – in der Terminologie von
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Abb. 45 Consumer-Insight-Phasen in einem Produktinnovationsprojekt des Tiefkühlkost-Unternehmens iglo (Quelle: Schauss 2008: 23)
Geertz: „dichte Beschreibung“ (s. Kap. B I 1.2.1) – der Momente im Leben von Menschen zielt, konkret darauf, „… where they are, what they are doing, and how they feel several times throughout a day“ (ebd.: 1776). Durch die Social-Media-Entwicklung hat sich den Unternehmen und Agenturen eine neue Methode eröffnet, die schlicht als „Zuhören“ bezeichnet werden kann. Foren, Blogs und Chatrooms erlauben den Marketingtreibenden, die ungefilterten und nicht verzerrten Meinungsäußerungen und Kommentare von Konsumenten zu Produkten und Dienstleistungen zu registrieren und so zu bisher unbekannten und unerwarteten Erkenntnissen zu gelangen. In der renommierten Fachzeitschrift Journal of Advertising Research spricht Joel Rubinson (2009: 7) diesbezüglich sogar von einem neuen Imperativ der Marketingforschung, bei dem der Mensch und nicht mehr das Produkt im Mittelpunkt steht und die Unternehmen wie die Agenturen lernen müssen – unter anderem durch Zuhören. „Social Media allows us to ‚listen‘ to naturally occurring conversations and behaviours … to hear the unexpected. These insights come at us like a continuous river, changing the cadence of research.“ (ebd.: 8)
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Input-Relevanz (Kontextualität)
1.3.1 Begriff und Konzept Das dritte Qualitätskriterium der Input-Phase im Prozess der Modernen MarketingKommunikation, das aus den notwendigen Kriterien für Kommunikation resultiert, ist die Input-Relevanz. Sie ergibt sich aus der durch Kontextualität bedingten interpretativen Informations- und Mitteilungsproduktion seitens der Marketing-Abteilungen und der Agenturen (s. Kap. A 1.3.3, zur theoretischen Fundierung des Relevanz-Konzeptes s. Kap. B III 1.3). Damit kommt ihr eine wichtige Steuerungsfunktion bei der Input-Gestaltung in der Marketing-Kommunikation zu, weshalb MarketingAbteilungen und Agenturen sich über das Zustandekommen ihrer Entscheidungen, welche mitteilbaren Informationen sie als relevant einstufen, im Klaren sein sollten. Dies betrifft auch die Frage nach der Interpretation und der Verwertung gewonnener Consumer Insights, deren Relevanz für die Marketing-Kommunikation eines Unternehmens von unterschiedlichen Kontexten abhängig ist. Wie für die Consumer-Insight-Gewinnung, so gilt auch für die Analyse der Input-Relevanz, dass aus Komplexitätsgründen nicht alle Kontexte zur Erklärung des Sinngebungsprozesses berücksichtigt werden können, sondern dass die elementaren zu identifizieren sind. ▶ Definition (vgl. auch die Definition und theoretischen Ausführungen zur Rezeptionsrelevanz in Kap. B III 1.3) Input-Relevanz ist der kontextuelle Nutzen von Informationen, auf die für die Produktion von Marketing-Kommunikationsangeboten zurückgegriffen werden.
Input-Relevanz ergibt sich aus dem Verhältnis von Aneignungsaufwand von Informationen, die zur Erstellung des Marketing-Kommunikationsangebotes dienlich sein können, und dem Ausmaß der Befriedigung von Bedürfnissen, wie es in der Rezeption aus der kontextgesteuerten Interpretation dieser Informationen resultiert. Je geringer dabei der Aneignungsaufwand ist, der zeitlicher, monetärer und/oder kognitiver Art sein kann, und je höher das Ausmaß der Bedürfnisbefriedigung seitens des Handelnden (z. B.: Etatdirektorin in einer Kommunikationsagentur) ist, desto relevanter – im Sinne von kontextuell nützlich – sind die Informationen. Die elementaren Kontexte, die in der Input-Phase der Marketing-Kommunikation wirksam sind, können aus der Perspektive des „methodologischen Individualismus“ (Coleman 1990, Lindenberg 1992) eingegrenzt werden, der auf der Makro-, Meso- und Mikroebene nach Erklärungen für das Handeln von Individuen sucht. Dabei wird von einem Mehrebenenzusammenhang ausgegangen, der Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Ebenen ausweist, weshalb eine isolierte Betrachtung der einzelnen Ebenen nur – wie auch bei den elementaren Consumer-Insight-Kontexten – aus analytischen Gründen angemessen und unvermeidbar ist. Die Makro-
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ebene stellt also einerseits wichtige Bedingungen für das individuelle Handeln, andererseits ergibt sie sich aus den Wirkungen des Handelns der Einzelnen (vgl. Kunz 2004: 24 f., Scheufele 2008: 342) (s. Abb. 46). Auf der Makroebene, der Ebene der Gesellschaft, der gesellschaftlichen Teilsysteme und ihrer spezifischen Logiken kann der Markt als unternehmensexterner Kontext verortet werden. Hier ist auch das im heutigen Sinnzusammenhang Moderner Marketing-Kommunikation zentrale Kriterium der Kommunikationsqualität anzusetzen, das aus den miteinander vernetzten Entwicklungen im Marketing-Kommunikationssystem emergiert (s. Kap. A 2.1.3). Auf der Mesoebene sind Organisationssysteme, also Unternehmen und Agenturen, aber auch Gruppen wie beispielsweise die Marketing-Abteilung eines Unternehmens anzusiedeln. Es handelt sich hier um unternehmensinterne Kontexte, wobei dem Kontext der Unternehmens- beziehungsweise Agenturkultur besondere Bedeutung zukommt. Das einzelne Individuum schließlich ist auf der Mikroebene zu verorten. Die Kategorie der individuellen Kontexte umfasst bestimmte Zustände des kognitiv-emotionalen Systems (Interessen, Werte, Bedürfnisse, Emotionen etc.) des Individuums in seiner Rolle als Mitarbeiter in der Marketingabteilung des Unternehmens beziehungsweise in der Agentur. Hier kommt dem Kontext der beruflichen Lebenswelt, in den die Entscheidungen eines Mitarbeiters beziehungsweise Managers eingebettet sind, eine gewichtige Rolle zu. Die Strukturierung der Kontexte mittels unterschiedlicher Ebenen ist im Zusammenhang von kommunikations- und medienwissenschaftlichen Konzeptionen, die
Abb. 46 Das Input-Relevanz-Konstrukt der Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
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sich mit den Einflussfaktoren auf die Medienberichterstattung befassen, nicht neu. So identifiziert beispielsweise Siegfried Weischenberg (2004) für Journalisten die vier Kontextkategorien der Normen (Ebene der Mediensysteme), Strukturen (Ebene der Medieninstitutionen), Funktionen (Ebene der Medienaussagen) und Rollen (Ebene der Medienakteure) (vgl. im Überblick Raupp/Vogelsang 2009: 28 f.). Hinsichtlich der Prozesse der Informations- und Mitteilungsproduktion im Marketing-Kommunikationssystem ist grundsätzlich festzustellen, dass bislang wenig gesicherte Erkenntnisse vorliegen. So beklagt auch Julien Cayla (2008: 8) auf der achten europäischen Konferenz der Association for Consumer Research in 2007, dass ein Ungleichgewicht zwischen dem vorhandenen Wissen über Prozesse seitens des Konsumenten und den von Marketing-Akteuren eingesetzten Techniken und Konzeptionsprozessen zur Konstruktion des Konsumenten vorhanden ist. Er verweist auf die Fruchtbarkeit der Kontextbezogenheit der Cultural Studies (z. B. Ang 2006), um hier Fortschritte erzielen und unternehmensspezifische Marketing-Kulturen identifizieren zu können.
1.3.2 Elementare Kontexte 1.3.2.1 Berufliche Lebenswelt
Unter den Organisationstheorien ist es vor allem die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie, mit der auf der Mikroebene auf die Rolle des Kontextes der beruflichen Lebenswelt in der Input-Phase der Marketing-Kommunikation hinzuweisen ist. Diese begreift Entscheidungsprozesse nicht als Entscheidungslogik, sondern als menschliches Entscheidungsverhalten, dessen Merkmale und Gründe zu untersuchen sind (vgl. Berger et al. 2014) – aufgrund des bewussten und absichtsvollen, auf ein Ziel hin ausgerichteten Entscheidungsverhaltens ist es besser, von Entscheidungshandeln zu sprechen. Eine Vielzahl von Faktoren aus der beruflichen Lebenswelt des Individuums hat Einfluss im Sinngebungsprozess und damit auf die Entscheidung, welche Informationen im Unternehmen überhaupt verarbeitet und wie sie mitgeteilt werden. Zu nennen sind, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die informellen Kommunikationskanäle des Mitarbeiters im Unternehmen, seine „Seilschaften“, Werteorientierungen, Ziele, Interessen, Wünsche sowie sein Karrierestreben. Steht aber die Frage im Mittelpunkt, wie letztlich der Mitarbeiter oder Manager eine konkrete Entscheidung hinsichtlich der Produktion eines Marketing-Kommunikationsangebotes trifft, zeigt sich, dass in seinem grundsätzlichen Umgang mit Alternativen, wie sie in einem Entscheidungszusammenhang immer vorhanden sind, der Schlüssel zum Verständnis liegt. Dabei wird diejenige Information als relevant eingestuft, die – in Interaktion mit den Kontexten der Unternehmenskultur und des Marktes – in seinen beruflichen Alltag passt. Das heißt, sie gewinnt ihre Relevanz da-
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durch, dass sie diejenige Alternative ist, die kognitiv einfach verarbeitet werden kann, den beruflichen Alltag erleichtert und den Handelnden bei der Erreichung seiner Ziele in der Rolle eines Mitarbeiters in der Marketing-Abteilung eines Unternehmens oder einer Agentur unterstützt. Anzumerken ist dabei aber, dass als Konsequenz für den Manager nicht die Suche nach der optimal passenden Information resultiert. Vielmehr regelt sein Anspruchsniveau, welche Information eine lediglich zufriedenstellende Passung und damit Relevanz aufweist (vgl. Kirsch 1998: 29 f.). Diese Bedeutung des Anspruchsniveaus an die präferierte Alternative einer Entscheidung im Marketing-Kommunikationsprozess, beispielsweise wenn der Etatdirektor einer Kreativ-Agentur die eine Produktinformation als relevant für einen zu entwerfenden Anzeigentext hält und eine andere als nicht passend klassifiziert, ergibt sich aus der begrenzten Rationalität („bounded rationality“), mit der Individuen Entscheidungen fällen. Ihrer intendierten Rationalität stehen ihre kognitiven Grenzen der Informationsaufnahme und -verarbeitung entgegen, die sie zu Selektivität zwingen und die ein Treffen objektiv rationaler Entscheidungen verhindern (vgl. H. Simon 1976: 80, im Überblick Kieser 2019). Manager in Unternehmen und Agenturen können aufgrund • • •
der immer gegebenen Unvollständigkeit ihres Wissens, der Schwierigkeiten bei der Bewertung zukünftiger Ereignisse und der nicht zuletzt auch aus Effizienzgründen (z. B. Umgang mit Zeitressourcen) gegebenen begrenzten Auswahl an Entscheidungsalternativen
nicht gemäß dem Ideal der objektiven Rationalität entscheiden (vgl. H. Simon 1976: 81 f.). Herbert A. Simon (1976) hat daher das Konzept des „satisficing“ entwickelt. Aus den beiden englischen Wörter to satisfy (zufriedenstellen) und to suffice (ausreichen) wird dieser Neologismus gebildet, der ausdrückt, dass Individuen in komplexen und dynamischen Umwelten nicht nach Maßgabe des Maximalen und Optimalen entscheiden, sondern die Suche nach der befriedigenden Lösung derartige Entscheidungssituationen kennzeichnet. Was als befriedigende Lösung eingestuft wird, regelt das individuelle Anspruchsniveau, womit das Konzept der begrenzten Rationalität des Individuums an die psychologische Forschungstradition Kurt Lewins anknüpft (vgl. Berger/Bernhard-Mehlich 2002: 141). Beispiel
Eine Kreativ-Agentur ist zu einer Wettbewerbspräsentation die Entwicklung der Marketing-Kommunikation zur Einführung eines neuen Produktes betreffend eingeladen, die in vier Wochen stattfindet. Um der Kreationsabteilung relevante Consumer Insights zur Konzeptentwicklung liefern zu können, gibt sich der in der Agentur zuständige strategische Planer in Anbetracht der Zeitknappheit mit der Sichtung von vorhandenen Studien zufrieden.
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Der strategische Planer einer anderen Kreativ-Agentur, die auch zu dieser Präsentation eingeladen ist, hat die Erfahrung gemacht, dass mit Kommunikationskonzepten, die auf der Basis von Consumer Insights entwickelt werden, die in qualitativer Primärforschung gewonnen wurden, stets gute Präsentationsergebnisse erzielt wurden. Er hat daher ein hohes Anspruchsniveau an die Consumer Insights und ist entsprechend nicht mit einer zeitbedingten Beschränkung auf die Sichtung von Studien zufrieden, da sie seiner Meinung nach nur wenig relevante Insights an den Tag befördern würde.
Dieses Beispiel zeigt, dass Anspruchsniveaus mit dem Erfahrungshintergrund der Individuen variieren und die Relevanz des Inputs in der Marketing-Kommunikation von der jeweiligen Zufriedenheit des Mitarbeiters/Managers mit seiner Alternativenauswahl beeinflusst wird. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden: Je höher bei einer Entscheidung, was in der Marketing-Kommunikation wie mitgeteilt werden soll, der Grad der Zufriedenheit der Passung der gewählten Alternative mit dem beruflichen Alltag ist, desto relevanter ist der Input für den Entscheider.
1.3.2.2 Unternehmensinterner Kontext der Unternehmenskultur
Für die Mesoebene der unternehmensinternen Kontexte liefert unter den Organisationstheorien besonders der Situative Ansatz wertvolle Hinweise darauf, was in Marketingabteilungen und Agenturen auf die Input-Relevanz einwirkt. Der Situative Ansatz geht davon aus, dass die formale Organisationsstruktur einen wesentlichen Einfluss auf die Organisationseffizienz hat, wobei es aber keine universell effizienten Organisationsstrukturen gibt. Organisationen müssen vielmehr ihre Struktur an ihre jeweilige Situation anpassen (vgl. Kieser 2019). So haben große Netzwerk-Agenturen (z. B. DDB, Leo Burnett, Ogilvy etc.) eine andere Struktur als kleine inhabergeführte Agenturen (z. B. Heimat, Huth & Wenzel, Kolle Rebbe etc.). Agenturen geben sich in konjunkturell schwierigen Zeiten eine andere Struktur als in stabilen überschaubaren. Spezial-Agenturen (z. B. Event- oder Media-Agenturen) haben eine andere als FullService-Agenturen usw. Die Einflussfaktoren der internen Situation können anhand der Zeitdimension in die beiden Klassen •
der gegenwartsbezogenen (Leistungsprogramm, Größe, Fertigungstechnik, Informationstechnik, Rechtsform und Eigentumsverhältnisse) und • der vergangenheitsbezogenen (Alter der Organisation, Art der Gründung, Entwicklungsstadium der Organisation) Faktoren einsortiert (vgl. ebd.: 175) und als unternehmensinterne Kontexte aufgefasst werden, die auf die Relevanz des Marketing-Kommunikationsangebots für ein Unternehmen einwirken.
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Der Einfluss dieser Kontexte richtet sich aber nach der Einschätzung der Situation, die unternehmenskulturell in Form der ausgeprägten informellen Strukturen des Unternehmens variiert (vgl. Heinen/Dill 1990: 17, Krulis-Randa 1990: 6, Tiebler/Prätorius 1993: 26 f.). So sehen einige inhabergeführte Agenturen in ihrer geringen Größe und Unabhängigkeit viele Vorteile und wollen sich nicht einem Agentur-Netzwerk anschließen, andere hingegen haben das Ziel, sich möglich rasch zu einer großen internationalen Agentur mit Netzwerk-Anschluss zu entwickeln, einige messen ihrer Selbstkontrolle große Bedeutung bei und prüfen nach definierten Kriterien ihren Output (z. B. Creative Review Commitee), andere überlassen die Beurteilung ihrer Leistung ausschließlich ihren Kunden usw. Die Unternehmens- beziehungsweise Agenturkultur steuert den Einfluss anderer interner Kontexte wie auch die Ausrichtung der formellen Organisationsstruktur und kann daher als elementarer interner Unternehmenskontext aufgefasst werden. In der Literatur herrscht Konsens über die bedeutende Rolle der Unternehmenskultur, die sie als Voraussetzung für den unternehmerischen Erfolg innehat (vgl. z. B. Karlöf 1991: 77, Schmidt 2004: 112, W. Simon 2002: 233). Sie stimuliert und richtet die Handlungen der Mitarbeiter unternehmensspezifisch aus. Nur dank der Hilfe seiner unternehmensspezifischen Kultur gelingt es dem Unternehmen, Probleme für sich optimal lösen zu können und damit den Bestand und den Erfolg des Unternehmens zu sichern. Es lassen sich fünf zentrale Dimensionen identifizieren, die als Basisthemen menschlicher Existenzbewältigung angesehen werden und in denen Unternehmensprobleme verortet werden können (vgl. Schmidt 2004: 75 f.) (s. Abb. 47).
Abb. 47 Modell der Unternehmenskultur gemäß der Konzeption von Schmidt (2004) (eigene Darstellung)
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1. Umweltkonstruktion Ein Unternehmen muss deutlich erkennbar festlegen, wie es sich durch seine Aktivitäten (Güterproduktion, Dienstleistungen usw.) in seiner Umwelt positionieren möchte, welche Wirkungen es erzielen will und wie es bewertet werden möchte. Dabei kommt heute der Übernahme von Verantwortung, die das Unternehmen für seine Umwelt hat, besondere Bedeutung zu. Die eindeutige Bestimmung des Verhältnisses, das ein Unternehmen mit und zu seiner Umwelt hat, ist die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt in seiner Systemumwelt erfolgreich tätig sein kann. 2. Menschenbild Ein Unternehmen muss ein (wie bewusst auch immer angelegtes) Menschenbild entwickeln, um die Art der Beziehungen zwischen den Personen zu regeln, mit denen das Unternehmen zu tun hat (Stakeholder). So macht es zum Beispiel einen grundlegenden Unterschied, ob Mitarbeiter als Humankapital oder als Wissensressource gewertet werden. 3. Organisationsform Um seine Handlungsfähigkeit zu stabilisieren, muss ein Unternehmen Organisationsstrukturen entwickeln, die Handlungsspielräume hinreichend genau spezifizieren. So muss beispielsweise die Entscheidung über starke oder flache Hierarchien, über Topdown- und Bottom-up-Procedures und den daraus resultierenden Kommunikationsund Entscheidungsstil getroffen werden. 4. Gefühle Da Menschen in Unternehmen aus Körper und Geist bestehen und in allem, was sie tun und erleben, von Gefühlen begleitet und bestimmt sind, muss in einem Unternehmen klar sein, welchen Stellenwert Gefühle haben. Wer Gefühlen keinen wichtigen Stellenwert einräumt, ist auf der Linie der überholten neoklassischen Theorie mit ihrem homo oeconomicus, der meint, auf der Basis vollständiger Information und unbegrenzter Rationalität handeln zu können. 5. Moral/Wertorientierungen Und da Menschen in allen ihren Aktivitäten von Werten bestimmt sind und dies auch von allen anderen erwarten, muss in einem Unternehmen klar sein, welche moralischen Orientierungen unter welchen Bedingungen auch in Krisensituationen verbindlich sind. Das gilt für den Umgang mit Mitarbeitern ebenso wie für den Umgang mit anderen Unternehmen und mit der Umwelt. Jedes Unternehmen vertritt bezüglich dieser fünf grundlegenden Problemdimensionen eine eigene spezifische Position, wobei es keine Rolle spielt, wie explizit diese Position ist. Sie kann durchaus auch „nur“ unterbewusst vorhanden sein. Diese Position kann als Problemlösungsprogramm bzw. als Unternehmenskultur bezeichnet werden.
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Die Unternehmenskultur regelt alle relevanten Unternehmensprozesse und ermöglicht so dem Unternehmen, sich mit Identität auszustatten und damit die Grundlage für seinen wirtschaftlichen Erfolg zu schaffen. So meinen zum Beispiel einige Unternehmen bezüglich der Problemdimension Umweltkonstruktion, in konjunkturell angespannten Zeiten der Wirtschaftsflaute mit einer primär preispolitisch ausgerichteten Positionierung in Form von drastischen Rabattierungen begegnen zu können, andere hingegen setzen verstärkt auf Maßnahmen zur Kundenbindung, andere wiederum versuchen, über eine Diversifikationsstrategie in für sie bis dato neuen, Erfolg versprechenden Märkten Fuß zu fassen usw. Denkbar und heute täglich beobachtbar ist auch, dass Unternehmen und Agenturen im Problembereich Organisationsform auf Konjunkturprobleme mit Kosteneinsparungen in Form einer organisatorischen Verschlankung reagieren, wohingegen in anderen Unternehmen Kündigungen aus moralischen und menschlichen Erwägungen (Problembereich: Moral/Werteorientierungen) erst dann zum Zug kommen, wenn dem Unternehmen das Wasser bereits bis zum Hals steht. Und schließlich hat ein Unternehmen die Möglichkeit, mit der Angst der Mitarbeiter vor Entlassungen durch interne Kommunikation proaktiv umzugehen oder aber diese schlichtweg zu ignorieren (Problembereich Gefühle). Welche Variante aus dem Möglichkeitsuniversum zum Zuge kommt, ist durch die jeweilige Unternehmenskultur festgelegt. Unzweifelhaft kommt dem Kontext der Unternehmenskultur damit auch eine gewichtige Rolle bei der Entscheidung über Input-Relevanz in der Marketing-Kommunikation zu, da sie die Handlungen der Informationsproduktion und Mitteilungserstellung unternehmens- und agenturspezifisch orientiert. Dies lässt sich auf die Ebene der Kreationsabteilung einer Agentur weiter herunterbrechen. So hat Mark Stuhlfaut (2011) einen agenturspezifischen „creative code“ identifiziert, der eine Sammlung impliziter Theorien über das kreative Produkt einer Agentur ist, die von den Mitarbeitern der Kreationsabteilung geteilt wird. In diesem Sinne steuert der creative code, was in einer Agentur exzellente Marketing-Kommunikation repräsentiert und was nicht (ebd.: 283, 285). Beispiel
Die von der Agentur Jung von Matt 2007 entwickelte Print-Kampagne für das internationalen Lifestyle Magazin „Deutsch“ (s. Abb. 12) kommentierte Lothar S. Leonhard, ehemaliger Chef der Agenturgruppe Ogilvy in Deutschland, vor dem Hintergrund der Ogilvy-Agenturkultur mit: „Das ist eine Frage der Agenturführung. Bei mir hätte so eine Idee niemals das Haus verlassen“ (zit. n. Campillo-Lundbeck/Tumbach 2007: 4).
Die interne Orientierungskraft des Unternehmens und der Agentur ist somit ein weiterer Erfolgsfaktor der qualitätsorientierten Modernen Marketing-Kommunikation. Sie ist umso stärker, je mehr sich der Mitarbeiter in seinen inneren und äußeren Handlungen an der Position des Unternehmens in den fünf grundlegenden Problem-
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dimensionen, einschließlich an dem agenturspezifischen creative code, ausrichtet. Die jeweiligen Positionen dienen ihm – in Interaktion mit den Kontexten der beruflichen Lebenswelt und des Marktes – bei der Bewertung, was für die Produktion des Marketing-Kommunikationsangebotes relevant ist und was nicht. Neben der Steuerung der Input-Relevanz auf der Mesoebene kommen der Unternehmenskultur vier weitere Kernfunktionen zu: •
Koordinationsfunktion: Die Unternehmenskultur steuert das Handeln im Unternehmen, indem sie Handlungsabläufe und -freiräume festlegt. • Integrationsfunktion: Die Unternehmenskultur stiftet Konsens und damit ein Zugehörigkeitsgefühl, auch bei dezentralen und netzwerkartigen Organisationsstrukturen. • Identifikationsfunktion: Die Unternehmenskultur ermöglicht ein Wir-Gefühl und sorgt für eine Identifikation des Mitarbeiters mit seinen Handlungen. • Motivationsfunktion: Die Unternehmenskultur verleiht dem Handeln Sinn und motiviert daher zum Handeln (vgl. Schmidt 2004: 40, 114, W. Simon 2002: 237). Die Bedeutung der Unternehmenskultur als Kontext für unternehmerisches Handeln und Kommunizieren findet in der jüngeren Zeit enorme Beachtung. Besonders die Dimension Moral/Wertorientierungen wird in den Corporate-Social-ResponsibilityProgrammen (CSR-Programmen) kommuniziert, wobei jedoch das Verhältnis von Moral und Unternehmenskommunikation alles andere als einfach und geklärt ist (s. im Überblick Schmidt/Tropp 2009, Kap. B II 2.4).
1.3.2.3 Unternehmensexterner Kontext des Marktes
Auf der Makroebene verleiht der unternehmensexterne Kontext des Marktes in der Input-Phase den marketing-kommunikativen Handlungen der Akteure in Agenturen und Marketingabteilungen ihren Sinn. Letztlich stiftet er auch die Grundlage, dass es überhaupt zu Interaktionen und Kommunikationen zwischen marketingtreibenden Unternehmen und Agenturen kommt. Denn es darf nicht übersehen werden, dass aus der Dienstleisterperspektive der Agentur nicht der Absatzmarkt des Unternehmens, sondern ihr eigener Absatzmarkt, also der der marketingtreibenden Unternehmen, ihren Handlungen Relevanz gibt. Schließlich werden sie von den Unternehmen für ihre Leistungserbringung beauftragt und bezahlt. Die unternehmensexternen Kontexte finden bislang in der Praxis die größte Beachtung bei der Erklärung, warum für die Entwicklung von Marketing-Kommunikationsangeboten bis hin zu ganzen Kampagnen etwas relevant ist, die Input-Phase also plausibel diesen und keinen anderen Output zum Ergebnis hat. Die aktuellen Entwicklungen im Kommunikationsmarkt mit seinem systemischen Handlungszusam-
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Kommunikationsqualitative Kriterien des Inputs
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menhang haben dabei ebenso Einfluss auf die Relevanzzuschreibung wie die spezifische Situation des Marketing-Gegenstandes in seinem Absatzmarkt. Letztlich fallen alle unternehmensexternen Gegebenheiten im Wirtschafts- und Marketing-Kommunikationssystem, die in einen sinnvollen Bezug zur Ausrichtung des Kommunikationsangebotes gesetzt werden können, unter den Marktkontext, der aus dem kollektiven wirtschaftlichen Handeln der Akteure hervorgeht. Um diese Komplexität in der Input-Phase handhabbar zu machen, muss das Unternehmen selektieren und strukturieren, welche Informationen es intern und vor allem der Agentur in welchem Umfang zur Marketing-Kommunikationsentwicklung mitteilt. Da es heute Standard ist, dass Agenturen im Auftrag der Unternehmen deren Marketing-Kommunikation entwickeln, stellt sich der Informationsstatus in der Agentur bezüglich des Unternehmens und dessen Umwelt, besonders hinsichtlich des Absatzmarktes des Marketing-Gegenstandes, als ein weiterer Erfolgsfaktor der qualitätsorientierten Modernen Marketing-Kommunikation heraus. Je höher der Grad der Passung des Informationsstatus hinsichtlich der bei der Agentur konkret anstehenden Aufgabe ist, desto mehr sehen sich die Handelnden in der Agentur – in Interaktion mit den Kontexten ihrer beruflichen Lebenswelten und der Agenturkultur – in der Lage, ein relevantes Marketing-Kommunikationsangebot produzieren zu können.
1.3.2.3.1 Das Briefing
Mit dem Briefing erfolgt die Auftragserteilung eines marketingtreibenden Unternehmens, dem Briefing-Geber, an eine Agentur, dem Briefing-Empfänger, die zu dessen Erfüllung Informationen vom Unternehmen benötigt. Der aus der amerikanischen Militärsprache stammende Begriff „Briefing“ bedeutete ursprünglich kurze Lagebesprechung mit abschließendem Marschbefehl (s. Back/ Beuttler 2006). Er wurde im Verlauf der 1950er Jahre in den USA besonders durch die beiden Werbepraktiker Rosser Reeves und David Ogilvy aus dem militärischen Fachjargon in die Werbebranche eingeführt. Die durch Militarismen stark geprägte Branche nutzte den Begriff für die Bezeichnung einer kurzen, exakten Auftragserteilung. Schnell fand der Begriff dann Einzug in die allgemeine Terminologie von Marketing, Media-Planung und Public Relations (vgl. Pepels 2001: 33, Koschnik 2003: 484). In der Literatur findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen mit verschiedenen Schwerpunkten. Louis Back und Stefan Beuttler (2006) konstatieren, dass besonders Uneinigkeit darüber herrscht, wie viel Freiraum das Briefing der Agentur erlaubt. So definieren Dieter Pflaum et al. (2002: 29) in ihrem Lexikon der Werbung das Briefing ohne nähere Spezifizierung ganz allgemein als „eine schriftliche Aufgabenstellung an einen am Kommunikationsprozess beteiligten Partner“. Anders begreift Ralph Hartleben (2014) das Briefing bereits als eine „inhaltliche Ausarbeitung von Werbe- und Kommunikationskonzeptionen und deren verdichtete Weitergabe
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an interne und/oder externe Auftragnehmer“. Dem steht die Position gegenüber, dem Briefing-Empfänger Gestaltungsfreiräume einzuräumen, indem zwischen festen und offenen Briefing-Bestandteilen differenziert wird (s. Bristot 2000: 167). Louis Back und Stefan Beuttler (2006) integrieren in ihrer Definition beide Perspektiven. Im Briefing sollen einerseits so präzise wie möglich die Ziele formuliert sein, die erreicht werden sollen. Andererseits wird im Rahmen der Beschreibung der kommunikativen Aufgabe des Briefing-Empfängers sein kreativer Spielraum festgelegt, mit dem er bis zu einem gesetzten Termin die Aufgabe lösen soll. Darüber hinaus betonen die beiden Autoren zu Recht, dass ein Briefing nicht eine „eindimensionale Lenkungssituation“ (ebd.: 5) im Sinne einer einseitigen Instruktion des Aufragnehmers durch den Auftraggeber sein sollte – wie es die Etymologie des Wortes nahelegt –, sondern dass die Erfahrungen und das Wissen des Dienstleisters in der Feinabstimmung des Briefings unverzichtbar und wünschenswert sind. Ein Briefing kann daher mit Franco Rota (2002: 308) als ein Informationsaustausch aufgefasst werden, der sich als iterativer Prozess zwischen den Briefing-Beteiligten realisiert. Nur so kann der Briefing-Empfänger als Voraussetzung für die Schaffung eines von ihm als relevant eingestuften Marketing-Kommunikationsangebotes einen Informationsstatus erreichen, der von ihm in quantitativer Hinsicht als ausreichend und in qualitativer als zufriedenstellend eingestuft wird. Dies führt zu folgender Definition von Briefing. ▶ Definition Das Briefing ist der Startpunkt eines wechselseitigen Kommunikationsprozesses zwischen Briefing-Geber und Briefing-Empfänger. Er dient dazu, in Abhängigkeit von der terminierten, kommunikativen Aufgabe Informationen über den Briefing-Geber, dessen Umwelt und den Marketing-Gegenstand abzustimmen, um definierte Ziele zu erreichen.
Die Intensität und Dauer des Briefing-Abstimmungsprozesses sowie die Frage nach den Freiräumen, die der Briefing-Empfänger bei der Aufgabenbearbeitung hat, kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern muss in Abhängigkeit von der Art des Briefings gesehen werden. Diese variiert mit den Zielen, die mit der Aufgabenstellung erreicht werden sollen, wodurch Umfang, Struktur und Inhalte von Briefings sich stark unterscheiden (vgl. Brückner/Reinert 2005: 16, Schmidbauer 2007: 8). Folgende Briefing-Arten können unterschieden werden (vgl. Back/Beuttler 2006, Brückner/ Reinert 2005: 16, Pepels 2001: 36, Schmidbauer 2007: 8, Vergossen 2004: 366): •
Das strategische Briefing Komplexe, konzeptionelle Aufgaben wie strategische Marketing- und Kommunikationsprojekte werden auf Basis strategischer Briefings gelöst. Aufgrund der besonderen Aufgabenstellung ist diese Form auch die umfassendste und komplexeste aller Briefing-Arten. Evident ist, dass Freiräume seitens des BriefingEmpfängers Voraussetzung für die Bearbeitung derartiger Briefings sind.
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Kommunikationsqualitative Kriterien des Inputs
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•
Das kreative Briefing Mithilfe eines kreativen Briefings oder Gestaltungsbriefings wird eine gestalterische Aufgabenstellung übermittelt. Auf Grundlage einer bestehenden Kommunikationsstrategie soll eine kreative Idee entwickelt werden. Die strategische Basis wird entweder vom Auftraggeber geliefert oder sie wurde zuvor bereits vom Briefing-Empfänger entwickelt. In der Praxis werden allerdings oftmals kreative Briefings erteilt, ohne dass eine strategische Leitlinie existiert. Auch hier sind trotz der unvermeidbaren und notwendigen Corporate-Design-Vorgaben und Gestaltungsfestlegungen zum Marken-Design Freiräume seitens des Briefing-Empfängers Voraussetzung für die Briefing-Bearbeitung. • Das operative Briefing Ausführende Aufgabenstellungen werden durch operative Briefings, auch Ausführungsbriefings genannt, festgehalten. Hierbei wird im Sinne einer Arbeitsanweisung ein klarer und konkreter Umsetzungsauftrag erteilt, der in der Regel keine umfangreichen Abstimmungsprozesse erfordert. • Das Media-Briefing Wird ein Media-Briefing gegeben, erwartet der Briefing-Geber eine ausgearbeitete Media-Strategie als Ergebnis. Es geht nicht um die Erstellung von Kommunikationsmitteln, sondern lediglich um die mediale Realisation des Kommunikationsmittels. • Kunden- vs. Agentur-Briefing Als weitere Briefing-Arten können das Klienten- bzw. Kunden-Briefing und das Agentur-Briefing unterschieden werden. Die beiden Begriffe werden aber je nach Perspektive unterschiedlich interpretiert. Wolfgang Koschnick (2003: 485) bezeichnet mit dem Klienten-Briefing das Briefing der Agentur durch das Unternehmen und mit dem Agentur-Briefing das interne Briefing unterschiedlicher Abteilungen innerhalb der Agentur (s. auch Schneider/Pflaum 2003: 255 f.). Manfred Bruhn (2014: 355) hingegen bezeichnet das Briefing des Auftragnehmers, also der Agentur, durch den Auftraggeber als Agentur-Briefing (s. auch Pflaum 2002: 29). Weitestgehend Einigkeit herrscht, was die Inhalte von Briefings angeht (vgl. Brückner/ Reinert 2005: 37 f., Bruhn 2014: 355, Dahlhoff 1993: 130, Fill 2001: 176, Hartleben 2014, Kloss 2012, Koschnick 1996: 194 f., Schmidbauer 2007: 41 f.). Die Modelle unterscheiden sich aber in ihren Schwerpunkten, dem Detaillierungsgrad sowie in der Gliederung der einzelnen Punkte. Beispielhaft wird hier das Modell von Schmidbauer angegeben, dessen konkrete Ausgestaltung mit der Art des Briefings variiert (s. Abb. 48). Inhaltlicher Ausgangspunkt ist die so klar und eindeutig wie möglich formulierte Problem- bzw. Aufgabenstellung. Daran anschließend werden die inhaltlichen – internen wie externen – Fakten erläutert, die aus Sicht des Briefing-Empfängers, der Agentur, dem agenturexternen Kontext zuzurechnen sind. Auf Briefing-Geber-interner Ebene sind das Informationen zu Unternehmen und Team, zum Konzep-
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Input
Abb. 48 Struktur und Inhalt des Briefings (Quelle: Schmidbauer 2007: 40)
tions- und Planungsobjekt, zu Zielen und Strategien sowie zum Marketing- und Kommunikationsstatus. Informationen zu Branche und Markt, Kunden- und Mittlerzielgruppen, direkten und indirekten Wettbewerbern sowie allgemeinen Rahmenbedingungen und Trends zählen zu den Briefing-Geber-externen Faktoren. Neben den inhaltlichen sind auch die technischen Fakten Bestandteil eines Briefings. Dahinter verbergen sich im Wesentlichen Etat- und Personal- sowie Zeit- und Präsentationsvorgaben. Eine gründliche und umfassende Information kann auch beinhalten, dass der Briefing-Empfänger in einem Gespräch über die schriftlich mitgeteilten Informationen hinaus Hinweise erhält, die Meinungen und Ansichten des Briefing-Gebers betreffen und die für die Akzeptanz der erarbeiteten Lösung wichtig sein können (vgl. Mast 2006: 143). Dies ist eher bei einem Strategie- oder Kreativ-Briefing als bei einem operativen Briefing der Fall, bei dem bereits eine sehr genaue konsensuelle Vorstellung von dem Ergebnis vorhanden ist und nicht mit einer Diskussion über die Lösungsadäquatheit zu rechnen ist. In Anbetracht der Präzision und Prägnanz, die ein Briefing haben soll (vgl. Back/ Beuttler 2006), drängt sich die Frage auf, ob es Inhalte gibt, die für ein Briefing zwin-
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gend relevant sind. Eine amerikanische Untersuchung identifiziert nach der Literatursichtung sechs derartige kritische Faktoren, die bei einem Kreativ-Briefing von höchster Relevanz sind: • • • • • •
Informationen zum soziodemografischen Profil der Zielgruppe, Informationen zur Produktverwendung durch den Kunden, Informationen zu Funktionen und Leistungen des Produktes, Informationen zu Funktionen und Leistungen der Konkurrenzprodukte, Informationen zur Marketingstrategie des Produktes, das Hauptverkaufsargument („main selling point“) (vgl. Sutherland et al. 2004: 40).
Die Kreativen einer Agentur erhalten, so das Ergebnis der empirischen Studie, häufig nicht einmal Informationen zur Zielgruppe und zur Marketingstrategie des Produktes, die die absolute informatorische Minimalbasis eines Briefings stellen. Am seltensten werden vom Briefing-Geber Informationen zur Produktverwendung durch den Kunden und zu Funktionen und Leistungen der Konkurrenzprodukte mitgeteilt. Diese beiden Informationsfaktoren eines Briefings sind die kostenintensivsten, da hierfür Daten aus der Unternehmensumwelt beschafft werden müssen (vgl. ebd.: 49). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Briefing inhaltlich in Abhängigkeit von der zu lösenden Aufgabe nach dem Reduce-to-the-Max-Prinzip gestaltet sein soll. Es soll knapp und verdichtet (engl. „brief “ = kurz) und gleichzeitig gründlich und umfassend sein. In Anlehnung an Louis Back und Stefan Beuttler (2006) können die Anforderungen an die Briefing-Gestaltung wie folgt zusammengefasst werden: 1. kurz, 2. klar, 3. konkret, 4. komplett, 5. konstruktiv, 6. konsequent, 7. kooperativ. Während sich die ersten vier Punkte auf den Inhalt des Briefings beziehen, beschreiben die letzten drei Punkte die Anforderungen an das Handeln der Beteiligten im Briefing-Prozess. Dennoch ergibt sich als zentrale Konsequenz, dass bei aller Wichtigkeit, die der Briefing-Ausgestaltung zukommt, diese in ihrer Bedeutung nicht überbewertet oder sogar als alleinige Ursache für den Entwicklungsverlauf der Input-Phase gesehen werden darf, wie dies in der Praxis häufig der Fall ist. Es ist das Zusammenspiel individueller, unternehmens-/agentur-interner und -externer Kontexte, das die Relevanz von Informationen und Mitteilungen steuert und das entsprechend ein umfassendes Management der Erfolgsfaktoren der Input-Relevanz einfordert.
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Input
Zusammenfassendes Modell kommunikationsqualitativen Handelns in der Input-Phase
Der aus den notwendigen Kriterien für Kommunikation resultierende Zusammenhang kommunikationsqualitativen Handelns in der Input-Phase Moderner Marketing-Kommunikation ist in Abb. 49 resümierend modelliert. Stichpunktartig kann er wie folgt zusammengefasst werden: •
Das Qualitätskriterium des Achtsam-Seins umfasst den selektiven Umgang mit unerwarteten Ereignissen in der Umwelt und in der eigenen Organisation (Unternehmen, Agentur) und dient der Schadensprävention. • Das Qualitätskriterium des Marketing-Kommunikationswissen-Habens stützt sich vor allem auf Erkenntnisse, die die kontexteingebundenen Handlungen und Kommunikationen von Personen als Kommunikationspartner und als Konsument betreffen. Sie dienen der Entwicklung von Marketing-Kommunikationsangeboten, die sich durch ihre erwartete Alltagspassung, ihren erwarteten Erlebniswert und ihre erwartete wahrgenommene Konsistenz auszeichnen. • Das Qualitätskriterium des Input-Relevanz-Managens resultiert aus den kontexteingebundenen Handlungen und Kommunikationen der Mitarbeiter/Manager in Unternehmen und Agenturen. Dies erfordert eine Steuerung folgender Erfolgsfaktoren: ◆ die individuelle Zufriedenheit der Passung gewählter Entscheidungsalternativen mit der beruflichen Lebenswelt (Alltag) des Mitarbeiters, ◆ die unternehmens- beziehungsweise agenturinterne Orientierungskraft und ◆ der Informationsstatus die Marktgegebenheiten betreffend. • Die kommunikationsqualitativen Erfolgsfaktoren stellen für das Kommunikationsmanagement die Entscheidungsvoraussetzungen dafür, welche Analysen wie erfolgen, wie ihre Ergebnisse interpretiert werden, welche Ziele mit welchen Strategien und mit welchem Budget verfolgt werden. Zusammengefasst: Sie steuern die organisationsinterne Kommunikation über Marketing-Kommunikation.
Markt
Informationsstatus
unternehmens-/ agenturinterne Orientierungskraft
Input-Relevanz managen
Unternehmens-/ Agenturkultur
Konsistenz
Erlebniswert
Alltagspassung
Erwartungen betreffend:
Schadensprävention
Erfolgsfaktoren
berufliche Alltagspassung
MarketingKommunikationswissen haben (u.a. Consumer Insights)
Achtsam sein
Qualitätskriterien des Input Moderner MarketingKommunikation
berufliche Lebenswelt
Marke
Rezeptionssituation
Lebenswelt
eigene(s) Unternehmen/Agentur
Umwelt
Dimension
• Kontext-Strategie (Copy-Strategie, Erlebnis-Strategie)
• Kommunikations-/ Media-Idee
• Media-Strategie/ -Planung
• Budget
• Marketing-Kommunikationsziele
• Zielgruppe/-person
• Markenstrategie
• Positionierung
Analysen und Strategien
Abb. 49 Zusammenfassendes Modell kommunikationsqualitativen Handelns in der Input-Phase Moderner Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
Kontextualität
Reflexivität
Selektivität
Kommunikationskriterien
1 Kommunikationsqualitative Kriterien des Inputs 209
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Analysen und Strategien
Abstract In diesem zweiten Hauptkapitel und seinen Unterkapiteln werden die wichtigsten miteinander vernetzten Analysen und Strategien vorgestellt, die bei der Konzeption des Inputs der Marketing-Kommunikation zum Einsatz kommen: (1) die Festlegung der Positionierung, (2) die Auswahl der Markenstrategie, (3) die Definition von Zielgruppen und Zielpersonen sowie (4) von Marketing-Kommunikationszielen, (5) die Entwicklung der Kontext-Strategie, die sich aus der Copy- und der Utility-Strategie zusammensetzt, (6) die Entwicklung der Media-Strategie und des Media-Plans sowie (7) die Festlegung des Budgets. Für die einzelnen konzeptionellen Elemente werden wichtige Unterscheidungen, Klassifikationen, Kategorisierungen und Beispiele angegeben. Auch werden die jeweiligen Herausforderungen der Analysen und Strategien aufgezeigt, wie sie aus den Entwicklungen im MarketingKommunikationssystem resultieren.
Die zentralen Analysen und strategischen Entscheidungen des Kommunikationsmanagements zur Konzeption des Inputs der Marketing-Kommunikation betreffen die Positionierung, die Festlegung der Markenstrategie, der Zielgruppen und Zielpersonen, der Marketing-Kommunikationsziele, der Kontext-Strategie, der MediaStrategie und des Media-Plans sowie die Definition des Budgets. Der Kommunikations- und Media-Idee kommt eine Sonderstellung zu, da sie im strengen Sinne weder als ein strategisches noch als ein analytisches Konzeptionselement aufgefasst werden kann, sie aber dennoch in dem Wirkungsgefüge der Elemente gewichtigen Einfluss ausübt (s. Abb. 50).
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Tropp, Moderne Marketing-Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25318-9_6
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Zielgruppe/ -person
Media-Strategie/ -Planung
MarketingKommunikationsziele
Markenstrategie
Input
Kommunikations-/ Media-Idee
Budget
Positionierung
KontextStrategie
CopyStrategie
UtilityStrategie
Abb. 50 Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
2.1
Positionierung
Über die herausragende Rolle der Positionierung bei der Konzeption des Inputs der Marketing-Kommunikation und im Marketing schlechthin besteht in Wissenschaft wie Praxis Einigkeit. Sie kann als „Kernentscheidung des Marketing[s]“ (Tomczak/ Roosdorp 1996: 26) aufgefasst werden. Die Positionierung erfolgt in Abhängigkeit von der Zielgruppe und der Markenstrategie, wobei sie aber gleichzeitig auf letztere auch einwirkt (vgl. Abb. 51). So hat beispielsweise einerseits eine umgesetzte Dachmarkenstrategie eines Unternehmens Einfluss auf die Positionierung seines neuen Produktes am Markt, andererseits nimmt das Image eines eingeführten Produktes, das dessen Position im Markt markiert, Einfluss auf markenstrategische Entscheidungen vor allem bei der Frage nach möglichen Image-Transfereffekten.
2.1.1 Das Grundprinzip der Unterscheidung Das kognitionswissenschaftliche Axiom, dass Wahrnehmung Interpretation ist, Bedeutungszuweisung ist, und dass es für diese Operation nötig ist, dass etwas von etwas anderem unterschieden wird, liegt als Grundprinzip menschlicher Beobachtung auch der Wahrnehmung von Produkten und Marketing-Gegenständen im weitesten Sinne zugrunde (vgl. Roth 1985: 236, Foerster 2006). Mit dem differenzlogischen Ansatz von George Spencer-Brown (1994: 3) kann entsprechend das Wesen der Positionierung zusammengefasst werden mit: „Draw a distinction !“ Dem eigenen Produkt, so der differenzstrategische Ausgangspunkt, wird vom Unternehmen eine ein-
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Analysen und Strategien
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Abb. 51 Direkte Einflüsse auf die Positionierung im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
zigartige und damit klar unterscheidbare Position von den Wettbewerbsprodukten gegeben, häufig fokussiert auf ein einzelnes Segment eines Marktes. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie durch Ausprägungen von Dimensionen festgelegt wird, aus denen ein Vorteil für den Konsumenten resultiert, den Wettbewerbsprodukte nicht haben. Das so positionierte Produkt kann sich dadurch von einem reinen Preiswettbewerb abkoppeln (vgl. M. Porter 2008.). Eine Positionierung ist damit immer relativ. Ohne die Analyse der Position der Wettbewerber kann keine eigene Positionierung erfolgen, da dann keine Eigenständigkeit der Position, also kein Unterschied erzielt werden kann. ▶ Definition Die Positionierung ist der wirtschaftlichen Erfolg versprechende Prozess der Festlegung der Merkmale, die aus der Sicht definierter Kommunikationspartner einen Marketing-Gegenstand von konkurrierenden Marketing-Gegenständen unterscheiden.
Die einzunehmende beziehungsweise eingenommene Position (Soll- bzw. Ist-Position) im Wettbewerbsumfeld muss vom Unternehmen deutlich und unverkennbar markiert werden, sollen unerwünschte Verwechslungen mit den Konkurrenten vermieden und die Eigenständigkeit nicht verloren werden – es sei denn, das Unternehmen verfolgt eine Me-too-Strategie, die gezielt auf die Verwechslung mit anderen Marken setzt, um an deren Erfolg zu partizipieren. Abgesehen von dieser Variante mündet der vom Unternehmen mit der Positionierung initiierte Bedeutungs- und Sinnschöpfungsprozess im Erfolgsfall in einer Marke, die ihre im Markt bekannten Unterschiede symbolisiert. Diese konstituieren das spezifische Markenwissen der Konsumenten. So weiß man, dass die Marke Nivea blau und nicht rot gestaltet ist, ihre
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Input
Produkte mild, sanft und nicht aggressiv sind, sie der Körperpflege und nicht der Körperreinigung dient und ihr Nutzen in der natürlichen Schönheit und nicht im kosmetischen Styling liegt. Im Zentrum des Markenwissens ist der Markenkern, das, was die Marke in ihrem Innersten symbolisiert, sodass sie schnell und zuverlässig bei der Rezeption von Marketing-Kommunikationsangeboten und beim konsumtiven Handeln im Markt Orientierung geben kann. Der Markenkern fungiert damit gleich einem Punktattraktor (s. Abb. 52). Abb. 52 Punktattraktor (Quelle: Analog zur Kugel, die in eine Schüssel geworGreschik 2001: 29) fen wird und die wegen des durch Reibung bedingten Energieverlusts schließlich in der Mulde liegen bleibt, wird die im Prozess der Wahrnehmung zu Beginn oszillierende Aufmerksamkeit über die zentrale von der Marke symbolisierte Information (im weitesten Sinne) kanalisiert. Beispiele sind: • • • • • • •
BMW – Fahrfreude Dell – PC-Direktversand
Dr. Best – flexible Zahnbürste Krombacher – Felsquellwasser Pampers – Wegwerfwindel Red Bull – Energydrink Sensodyne – für schmerzempfindliche Zähne
2.1.2 Die Notwendigkeit der Positionierung Die explizite und detaillierte Auseinandersetzung mit dem Wahrnehmungsgrundprinzip der Unterscheidung im Kontext von Marketing und Marketing-Kommunikation verdankt sich dem Umstand, dass ein Unternehmen in gesättigten und kommunikationsüberfluteten Märkten nur dann erfolgreich sein kann, wenn es ihm gelingt, sein Produkt, seine Marke an eine attraktive und unverwechselbare ‚Position in den Köpfen‘ der Verbraucher zu binden (vgl. Ries/Trout 1986: 19). Auf gesättigten Märkten unterscheiden sich Produkte kaum mehr über ihre physisch-technischen Eigenschaften, sodass in qualitativer Hinsicht von einer Produktparität ausgegangen werden kann. Hier bieten sich den Unternehmen demnach keine Ansatzpunkte mehr, sich und ihre Produkte zu differenzieren. Zigaretten oder Biere aus dem jeweils selben Marktsegment unterscheiden sich letztlich nicht mehr über ihre Produkteigenschaften. Vonnöten ist daher die Differenzierung, die am konsumentenrelevanten Nutzen ansetzt und damit eine Markierung des Produktes. Die Positionierung er-
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Analysen und Strategien
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möglicht damit, dass jenseits vom Preis überhaupt ein Wettbewerb zwischen nahezu identischen Produkten auf ein und demselben Markt stattfinden kann. So ist Wagner nicht einfach eine Fertigpizza wie viele andere auch, sondern eine „Steinofen“-Fertigpizza, was die Originalität des italienischen Pizza-Backens und damit einen bestimmten Geschmack assoziiert, und Wick Medinait ist nicht irgendein Erkältungsmedikament, sondern das „für die Nacht“, das einen erholsamen Schlaf ermöglicht.
2.1.3 Der Bezugspunkt des Selbstkonzeptes Wie stuft der Konsument die Position einer Marke als für sich vorteilhaft und nützlich ein ? Die Antwort liegt in dem Bezug der Marke zum Selbstkonzept (engl.: „self-construal“), das als die Gesamtheit aller Gedanken und Wissensbestände, die in Bezug zur eigenen Position stehen, konzipiert wird (vgl. Kassin et al. 2013 sowie grundlegend Levy 1959, Sung/Choi 2011: 71). Die Selbstkongruenzforschung betrachtet die Konsumenteneigenschaften als derartiges Selbstkonzept und konzentriert sich dabei auf die Persönlichkeit des Konsumenten und vernachlässigt dabei leider häufig die das Selbstkonzept auch formenden kulturellen und sozialen Gegebenheiten (vgl. Rosenberg 1981: 135, Sirgy et al. 1991: 363). Trotzdem fragt sie sehr plausibel nach den Konsequenzen, die aus einer Übereinstimmung der Persönlichkeit von Konsumenten und Imagebestandteilen von Markenprodukten, der Markenpersönlichkeit, resultieren. Dabei geht sie von der Kongruenzhypothese aus, die postuliert, dass die Selbstkongruenz einen Idealzustand darstellt, den Individuen anstreben, indem sie sich, gesteuert durch intrinsische Motivation, konsistent zum Selbstkonzept verhalten (vgl. Bruhn et al. 2010: 76). Die vorliegenden Ergebnisse münden in der grundlegenden Annahme, dass Konsumenten eine Marke umso stärker bevorzugen, je größer die Übereinstimmung von Marken- und Konsumentenpersönlichkeit ist und sich ein „regulatorischer Fit“, also eine Passung zwischen Eigenschaften, die der Konsument einer Marke zuschreibt, und seinen persönlichen Zielen einstellt (vgl. H. Bauer et al. 2006a: 839, Leesch 2011: 19). Dabei spielt es für den Konsumenten keine Rolle, ob es sich um einen Abgleich mit seiner tatsächlichen (wie man ist) oder idealen (wie man gerne sein möchte) Persönlichkeit handelt (vgl. ebd.: 857). Beide Persönlichkeitskonzepte haben eine gleichberechtigte Stellung inne, in dem Sinne, dass Produkte sowohl verwendet werden, um auszudrücken, wie man ist, als auch, wie man gerne sein möchte. Allerdings hat die Produktkategorie Einfluss auf den Selbstkongruenzeffekt. Dieser ist in seiner Wirkung umso höher, je mehr sich die Produkte zur sozialen Distinktion eignen. Kleidung, Autos oder Armbanduhren werden öffentlich gebraucht und eignen sich daher besser zur eigenen differenzierenden Selbstdarstellung als Produkte mit geringerem sozial-symbolischen Potenzial, die wie Zahnpasta oder Haushaltsreiniger privat genutzt werden und kaum Ansätze zur Persönlichkeitsinszenierung im öffentlichen Raum bieten (vgl. ebd.: 850, 858).
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Offensichtlich ist die unmittelbare Kopplung der Positionierung an die Consumer Insights im Bereich des Markenkontextes. Die gewonnenen Consumer Insights dienen als Orientierungshilfe für die Positionierung, indem sie Hinweise geben, welche Eigenschaften der Marke vor dem Hintergrund des Selbstkonzeptes des Konsumenten als relevant wahrgenommen werden.
2.1.4 Methoden der Positionierung Zur Erstellung von Positionierungsmodellen kann die klassische Methode von deren Weiterentwicklung, der Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse (WISA), unterschieden werden.
2.1.4.1 Klassisches Positionieren
Das klassische Positionierungsmodell bildet die aus Sicht der Konsumenten wahrgenommene Position der eigenen Marke und der Konkurrenzmarken relativ zu einem oder mehreren Idealpunkten von relevanten Positionierungseigenschaften ab (vgl. Esch 2016). Die Distanzen zwischen den einzelnen Markenpositionen und zu dem Idealpunkt verdeutlichen die Stellung einer Marke im Markt aus Konsumentensicht. Sind sich Marken in dem Modell nahe, besteht die Gefahr der Substituierbarkeit, ist eine Nähe zum Idealpunkt gegeben, wird von einer Bevorzugung dieser Marke durch den Konsumenten ausgegangen. Die Positionierungsmodelle variieren in der Anzahl ihrer Dimensionen. Abb. 53 zeigt ein klassisches zweidimensionales Positionierungsmodell für ein Restaurant,
Abb. 53 Zweidimensionales Positionierungsmodell für ein Restaurant (Quelle: Kloss 2007: 124)
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Analysen und Strategien
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dessen zwei Dimensionen „regionale Ausrichtung der Küche“ und „Preise der Gerichte“ durch die jeweiligen Gegensatzpaare aufgespannt werden. Der Durchmesser der einzelnen Positionierungspunkte der konkurrierenden Restaurants bildet die jeweilige Marktbedeutung ab. Ausgehend von der Position der Restaurants zu den vier Idealpunkten (I), die das Modell anbietet, empfiehlt sich einzig die Option der exklusiven lokalen Küche als Positionierungsoption in dem betrachteten Gebiet (Markt). Pizzerien und asiatische Restaurants decken die preiswerte internationale Küche ab, französische und Restaurants in Hotels bieten die exklusive internationale Küche an und die preiswerte lokale Küche ist durch gutbürgerliche Restaurants abgedeckt. In Abb. 54 ist ein dreidimensionales Positionierungsmodell für eine Fluggesellschaft abgebildet, das durch die Dimensionen Service, Flugatmosphäre und Zuverlässigkeit/Vertrauen aufgespannt wird.
Abb. 54 Dreidimensionales Positionierungsmodell für eine Fluggesellschaft (Quelle: Esch 2000a: 237 n. Trommsdorff 1992)
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Abb. 55 Kompositionelle und dekompositionelle Vorgehensweise der Positionierung (Quelle: Skiera/Gensler 2002: 200)
Bei der Analyse der Positionen der Marken kann grundsätzlich zwischen kompositionellen und dekompositionellen Verfahren unterschieden werden (s. Abb. 55), die vereinzelt auch kombiniert in einer Positionierungsstudie zum Einsatz kommen (vgl. z. B. Farsky/Eggers 2007: 107). Bei kompositionellen Verfahren werden einzelne Bewertungen von Produktmerkmalen mittels Faktorenanalyse zu Imagedimensionen verdichtet. In der Regel kann aus den gewonnenen Consumer Insights eine größere Anzahl von Einflussfaktoren gewonnen werden, die aus Konsumentensicht die Relevanz einer Marke ausmachen. Zudem lassen sich durch Inhaltsanalysen der Marketing-Kommunikationsangebote der Wettbewerber Hinweise auf die Positionierungsstrategien der Konkurrenz gewinnen. Um eine Aussagekraft der Ergebnisse sicherzustellen, ist eine Unabhängigkeit der einzelnen Einflussfaktoren grundlegend. Die Faktorenanalyse macht es sich als statistisches Instrument zur Aufgabe, Faktoren auf ihre Unabhängigkeit zu untersuchen und gegebenenfalls abhängige Variablen zu unabhängigen Faktoren zu verdichten. Neben der Sicherstellung der Faktorenunabhängigkeit ermöglicht ein solches komprimierendes Verfahren eine bessere Übersichtlichkeit der Ergebnisse, da sich hinter wenigen Faktoren eine große Anzahl von Eigenschaftsbeurteilungen verbergen kann. Den Ausgangspunkt stellt eine Erhebung von metrisch skalierten Daten für jede zu bewertende Eigenschaft. In einem nächsten Schritt erfolgt eine Berechnung der Korrelation, welche eine mögliche beziehungsweise die gegebene Stärke von Eigenschaftsbeziehungen misst. Falls sich eine Beziehung von Eigenschaften herausstellen sollte, scheiden diese als unabhängige Erklärungsvariablen aus und werden zu Faktoren verdichtet. Eine Korrelation ist hierbei Voraussetzung einer Bündelung und muss stets sichergestellt werden. Abb. 56 zeigt den Grundgedanken der Faktorenanalyse anhand des Beispiels der Verdichtung von Variablen zu relevanten Positionierungsfaktoren.
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Analysen und Strategien
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Abb. 56 Grundgedanke der Faktorenanalyse (Quelle: Backhaus et al. 2006: 265)
Mit dekompositionellen Verfahren wie zum Beispiel der multidimensionalen Skalierung (MDS) oder der Conjoint-Analyse wird hingegen zunächst ein Globalurteil wie beispielsweise wahrgenommene Ähnlichkeiten oder Präferenzrangfolgen von Marken erhoben, die dann in einzelne Merkmale mit ihren dimensionalen Beiträgen zum Globalurteil segmentiert werden (vgl. Trommsdorff/Paulssen 2000: 1052). Die Aussagekraft klassisch entwickelter Positionierungsmodelle ist jedoch beschränkt, wie das Beispiel einer kompositionellen Positionierung des Premium-Pilsmarktes zeigt (vgl. Trommsdorff/Paulssen 2000: 1053 f.). Aus den ermittelten Produktmerkmalen, die für eine Positionierung infrage kommen, werden ausgewählte zunächst als Aussage (Items) formuliert und zur Beurteilung Angehörigen der Zielgruppe vorgelegt. Die Merkmalsausprägungen der einzelnen Marken lassen sich so als Profil abbilden, das Aufschluss über die Positionsunterschiede der Marken je Merkmal gibt (s. Abb. 57). Das Imagedifferenzial der sieben Premium-Pilsmarken zeigt, dass Beck’s beim Item „International bedeutend“ eine stärkere Position hat, womit aber keine Aussage getroffen werden kann, ob sich diese gegenüber bestimmten Marken als Wettbewerbsvorteil auswirkt. Aus dem Imagedifferenzial wird in einem nächsten Schritt mittels (explorativer) Faktorenanalyse die Verdichtung der Items auf die zentralen Imagedimensionen vorgenommen, die einen Vergleich mit den Wettbewerbern je Imagedimension oder in der Gesamtposition erlaubt (s. Abb. 58). Auch wenn so deutlicher zum Ausdruck kommt, dass Beck’s in der Dimension „Internationalität“ eine stärkere Position als die Wettbewerber hat und „Internationalität“ überhaupt als eine von anderen unabhängige Imagedimension gelten kann, kann immer noch nichts darüber gesagt werden, ob – und wenn, in welchem Aus-
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Abb. 57 Imagedifferenzial im Premium-Pilsmarkt (Quelle: Trommsdorff/Paulssen 2000: 1054)
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Abb. 58 Positionierungsmodell im PremiumPilsmarkt (vgl. Trommsdorff/Paulssen 2000: 1055)
maß – Internationalität zur Präferenzbildung für Beck’s und gemäß Positionierungsdefinition zum wirtschaftlichen Erfolg der Marke beiträgt. Das Ableiten strategischer Positionierungsempfehlungen zwecks der Erzielung von positionierungsbedingten Wettbewerbsvorteilen ist mit der Vorgehensweise des klassischen Positionierens somit nur sehr eingeschränkt möglich.
2.1.4.2 Positionieren mittels der Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse (WISA)
Das Positionierungsmodell der Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse (WISA) distanziert sich von der Vorstellung, dass unterschiedliche Marken anhand derselben Imagedimensionen aussagekräftig beurteilt werden können. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass sich Marken gemäß des Konzeptes der Unique Selling Proposition (USP) jeweils auf verschiedenen Imagedimensionen profilieren und differenzieren. Für die WISA kommt daher die Möglichkeit einer grafischen Positionsbeschreibung anhand weniger Dimensionen nicht infrage, da diese lediglich für eine oder nur für wenige andere Marken relevant sind und somit die Wettbewerbssituation im Markt verzerrt wird. Von folgenden grundlegenden Anforderungen geht die WISA aus (vgl. Trommsdorff/Zellerhoff 1994: 370, Trommsdorff/Paulssen 2000: 1057): •
Positioning: Profilierungseigenschaften kommen nur auf wenigen, markenindividuell unterschiedlichen Wettbewerbsdimensionen, die im Rahmen einer Positionierungsstrategie ausgewählt werden, zum Tragen.
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Analysen und Strategien
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• Wettbewerbsorientierung: Im Gegensatz zu herkömmlichen Positionierungsmodellen erfolgt eine Betrachtung der Beziehung zwischen einzelnen Imagemerkmalen der Marken und deren Einfluss auf die eigene Markenposition. • Differenzierung: Es werden auf allen Dimensionen einzeln nur die relevanten Wettbewerbseffekte analysiert und der Annahme derselben Dimensionen und Wirkungsstärken für alle Wettbewerber wird eine Absage erteilt. • Querwirkung: Die WISA bildet die Wettbewerbswirkungen von Imagedimensionen einer Marke auf die Kaufabsichten, Einstellungen und Marktanteile anderer Marken ab. Die eigene Wettbewerbsposition wird als abhängige Variable verstanden, die sich durch die unabhängigen Variablen in Form der Merkmalsausprägungen der eigenen sowie der konkurrierenden Marken erklärt (s. Abb. 59). Bei der Durchführung werden wettbewerbsrelevante Marken des ConsiderationSet (Marken, zu denen man weder eine negative oder indifferente Einstellung hat und die daher grundsätzlich für einen Kauf infrage kommen) durch Zielgruppenbefragung ermittelt. Eine anschließende Verdichtung relevanter Einflussfaktoren zu Imagedimensionen erfolgt mittels Faktorenanalyse. Eine Betrachtungsmöglichkeit unterschiedlicher USPs bleibt dabei gewahrt. Eine folgende multiple Regressionsanalyse oder Kausalstrukturanalyse (LISREL) liefert Erkenntnisse über den Einfluss eigener und fremder Imagedimensionen sowie indirekter Effekte auf die Erfolgskriterien wie zum Beispiel die Kaufabsicht. Durch die Berücksichtigung von Erfolgskriterien bei der Positionierung liegt die WISA auf einer Linie mit den neueren Positionierungsverfahren, die im Outcome- und auch im Outflow-Bereich auf Positionie-
Abb. 59 Kausalmodell einer WISA (Quelle: Trommsdorff/Paulssen 2000: 1059)
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Input
Abb. 60 Auszug aus der WISA zwischen Beck’s und Jever (Quelle: Trommsdorff/ Paulssen 2000: 1062)
rungseffekte – neben der Kaufabsicht können dies beispielsweise Umsatz, Profit oder Marktanteil sein – abheben (vgl. den Überblick bei Blankson et al. 2008). Zurückkommend auf das Beispiel des Premium-Pilsmarktes aus dem vorherigen Kapitel (B I 2.1.4.1) ergibt die Untersuchung des Consideration-Set, dass Jever ein relevanter Wettbewerber für Beck’s ist. Mit der WISA wird nun in einem Teilmodell der Image-Wettbewerb zwischen Jever und Beck’s analysiert (s. Abb. 60). Zusammengefasst ergibt sich (vgl. Trommsdorff/Paulssen 2000: 1063): • Zu 21 Prozent wird die Kaufabsicht von Beck’s durch Images erklärt, die von Jever zu 24 Prozent. • Die Beck’s-Imagedimension „Genuss“ beeinflusst die Kaufabsicht von Beck’s mäßig stark (+0,57) und die von Jever schwach negativ (−0,36). Vergleichbares gilt für die Jever-Imagedimension „Genuss“: mäßig starker Einfluss auf die Kaufabsicht der eigenen Marke (+0,58) und mittlerer negativer Einfluss auf die von Beck’s (−0,42). • Über seine Imagedimension „Männer“ kann Beck’s die Kaufsabsicht von Jever leicht negativ beeinflussen (−0,29). Die Marke Jever übt hingegen nur über ihre Imagedimension „Genuss“ Einfluss auf die Kaufabsicht aus. Als strategische Positionierungsoption ergibt sich für Beck’s, sich männlicher zu positionieren, wodurch die Kaufabsicht des Wettbewerbers Jever unter der Zielgruppe negativ beeinflusst wird. Die mittels der klassischen Positionierung ermittelte Dimension „Internationalität“ hat, so zeigt die WISA, weder im Wettbewerb mit Jever noch mit anderen Konkurrenten aus dem Consideration-Set eine Wettbewerbsrelevanz. Beck’s, so die Schlussfolgerung, wird nicht gekauft, weil es als das internationale Bier wahrgenommen wird.
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Analysen und Strategien
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2.1.5 Positionierungsmodelle und -strategien Unabhängig davon, ob klassisch oder mittels der WISA positioniert wird, unterscheiden sich die Positionierungsmodelle in der Anzahl ihrer Dimensionen, der Art der Dimensionen sowie nach ihrer eher strategischen oder operativen Management-Ausrichtung. Die Vielzahl der in der Literatur gängigen Positionierungsmodelle basieren jedoch auf den konzeptionellen Grundlagen einiger weniger Autoren, die Charles Blankson und Stavros Kalafatis (2004: S. 10) zusammengestellt haben (s. Tab. 6). Im Folgenden werden einige in der Literatur häufig genannte Modelle näher vorgestellt. Tab. 6
Überblick grundlegender Positionierungsmodelle (Blankson/Kalafatis 2004: 10)
Autor
Positionierungskonstrukte, -konzepte
Buskirk (1975)
Features, (2) Price, (3) Advertising, (4) Distribution
Brown and Sims (1976)
Problems solved, (2) Usage situation, (3) Users, (4) Competitors
Berry (1982)
Value (warehouse, off-pricing), (2) Time efficiency (super stores, catalogue stores, teleshopping), (3) High contact (specialty, facilitating, advising, added value, resource usage), (4) Sensory (sounds, smells, visuals)
Wind (1982)
Product features, (2) Benefits, (3) Problem solutions or need, (4) Usage occations, (5) User, (6) Against another product, (7) Product class dissociation
Aaker and Shansby (1982)
Attributes, (2) Price/quality, (3) Use or application, (4) Product/service user, (5) Product/service class, (6) Competition
Crawford (1985)
Features, (2) Benefits: direct/indirect, (3) Surrogates: nonpareil, parantage (brand, company, person), manufacture (process, ingredients, design), target (end use, demographic, psychographic, behavioural); rank, endorsements (expert, emulative), experience (other market, band wagon, years/time), predecessor, competitor
Ries and Trout (1986)
Market leader, (2) Follower, (3) Reposition the competition, (4) Use the name, (5) Line extension (use of the house name)
Easingwood and Mahajan (1989)
Reputation/capabilities of the organisation: expertise, reliability, innovativeness, performance, (2) Augmentation of product offering: product augmentation, extra services, (3) People advantage, (4) More attractive package offering, (5) A superior product through technology, (6) Accessibility, (7) Extra attention given to individual requirements through customisation, (8) Satisfaction of more user needs within the sector through offering a complete product line
Arnott (1992, 1994)
Empathy, (2) Solvency, (3) Promotions, (4) Administrative time, (5) Helpfulness, (6) Reliability, (7) Attentiveness, (8) Staff competence, (9) Flexible products, (10) Access to people, (11) Reputation, (12) Customisation, (13) Incentives, (14) Social awareness, (15) Security, (16) Technology
Hooley et al. (1998b)
(1) Low Price – High Price, (2) Premium Qualitiy – Basic Quality, (3) Innovation – Imitation, (4) Superior Service – Limited Service, (5) Differentiated Benefits – Undifferentiated Benefits, (6) Tailored Offering – Standard Offering
Kalafatis et al. (2000)
(1) Pricing, (2) Easy to do business, (3) Personal contact, (4) Product performance, (5) Range of offerings, (6) Presence, (7) Safety, (8) Leadership, (9) Distinct identity, (10) Status, (11) Country identity, (12) Differentiation, (13) Attractiveness
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Input
2.1.5.1 Positionierungsstrategien im Marketingmix
Positionierungsstrategien können mit Fokus auf die unterschiedlichen Marketingmix-Elemente und mit entsprechend unterschiedlichen Marketing-Zielsetzungen entwickelt werden. Die eigenständige Position der Marke wird über Strategien angestrebt, die sich auf die Dimensionen des Marketingmix, also auf Produkt, Preis, Distribution oder Kommunikation beziehen. Abb. 61 gibt einen Überblick über Positio-
Positioning Strategy
Marketing Mix Elements
Marketing Objectives
Positioning by product attribute
Product Price Distribution Mktg. comm.
Establish, increase, or maintain brand association with product attribute X
Positioning by intangible factor
Product Price Distribution Mktg. comm.
Establish, increase, or maintain brand association with intangible factor X
Positioning by product class
Product Price Distribution Mktg. comm.
Establish, increase, or maintain brand association with product class
Positioning by competitors
Product Price Distribution Mktg. comm.
Establish, increase, maintain brand and/or association with leading competitor X
Positioning by country of origin
Product Price Distribution Mktg. comm.
Establish, increase, or maintain brand association with country or geographic area
Positioning by relative price
Product Price Distribution Mktg. comm.
Establish, increase, or maintain brand association with quality through price
Positioning by productdistributor tie-In
Product Price Distribution Mktg. comm.
Establish, increase, or maintain brand association with distributor X
Positioning by distributor location
Product Price Distribution Mktg. comm.
Establish, increase, or maintain brand association with distributor location X
Positioning by distributor service ability
Product Price Distribution Mktg. comm.
Establish, increase, or maintain brand association with distributor X‘s service ability
Positioning by celebrity or person
Product Price Distribution Mktg. Comm.
Establish, increase, or maintain brand association with celebrity or person X
Positioning by lifestyle/ personality
Product Price Distribution Mktg. Comm.
Establish, increase, or maintain brand association with lifestyle/personality
Note: Terms in boldface reflect focus or emphasis.
Abb. 61 Positionierungsstrategien nach Marketingmix-Elementen (Quelle: Sirgy 1998: 75)
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Analysen und Strategien
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nierungsstrategien, die sich auf die Marketingmix-Elemente beziehen und auf die hier aber nicht näher eingegangen werden kann (vgl. Sirgy 2004).
2.1.5.2 Kommunikationsstilistische Positionierungsarten
Im Bereich der Kommunikation lassen sich vier verschiedene Arten unterscheiden, die über den Kommunikationsstil der Marketing-Kommunikationsangebote auf die Positionierung der Marken einwirken (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2015): •
Der informative Kommunikationsstil ist die traditionelle Art der Positionierung. Er entsprang dem Gedanken, dass eine sachliche Information ausreicht, um Konsumenten für ein Angebot zu gewinnen. Heute kommt sie vorwiegend ◆ auf wenig entwickelten Märkten mit starken und noch gering befriedigten Bedürfnissen, ◆ bei Produktneueinführungen und zur Positionierung über innovative Eigenschaften von schon etablierten Angeboten und ◆ bei Angeboten, bei denen ein verstärktes Informationsinteresse der Kommunikationspartner erwartet werden kann (z. B. Medikamente, Investitionsgüter) zum Einsatz (s. Abb. 62 und Abb. 63).
Abb. 62 Anzeigenmotiv für TamarisSchuhe als Beispiel für einen informativ ausgerichteten Kommunikationsstil (Quelle: Stern 18/2009)
Abb. 63 Anzeigenmotiv für Soho-Soho Fashion Designer als Beispiel für einen informativ ausgerichteten Kommunikationsstil (Quelle: Blue Magazin 2009)
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Input
•
Die emotionale Positionierungsart kommt auf gesättigten Märkten mit ausgereiften und qualitativ ähnlichen Produkten zum Einsatz. Mittels der Mitteilung von Produktinformationen kann relativ zum Wettbewerb kein nennenswerter Unterschied mehr erzielt werden. Angestrebt wird stattdessen, das Produkt als Symbol eines emotionalen Erlebnisses zu etablieren (s. Abb. 65). • Gängig ist auch die Mischform aus informativem und emotionalem Stil in der Kommunikation. Die Positionierung orientiert sich dann an dem Schema, an ein Bedürfnis zu appellieren und über Eigenschaften des Marketing-Gegenstandes zu informieren, die dieses Bedürfnis befriedigen (s. Abb. 64). • Bei der Positionierungsart der Aktualität steht die auffallende Inszenierung der Marketing-Kommunikation im Vordergrund, ohne dabei auf die Mitteilung markenspezifischer Informationen oder Erlebniswelten abzuheben. Die Aktualität der Marke soll durch ihre einprägsame und ungewöhnliche Thematisierung erzielt werden und sich positiv auf ihre Bekanntheit auswirken. Diese Positionierungsart hat sich mittlerweile zu der selbständigen Kommunikationsdisziplin Guerilla Marketing entwickelt (s. Kap. B II 2.5 sowie Abb. 66). Bei den vier genannten kommunikationsstilistischen Positionierungsarten handelt es sich nicht um Positionierungsoptionen im engeren Sinne gemäß der Positionierungsdefinition. Sie liefern keine Ansätze zur Differenzierung von Wettbewerbern innerhalb einer Kategorie beziehungsweise des Consideration-Set, sondern geben in
Abb. 64 Anzeigenmotiv von Olaz-TotalEffects-Creme als Beispiel für einen emotional-informativ ausgerichteten Kommunikationsstil (Quelle: Brigitte 22/2008: 85)
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Abb. 65 Kampagne für das BMW 1er-Coupé aus dem Jahr 2007/2008 als Beispiel für einen emotional ausgerichteten Kommunikationsstil (Quelle: adc.de; Zugriff: 06. 01. 2009)
Abb. 66 Guerilla-Marketing-Aktion von Mercedes Benz als Beispiel für einen auf Aktualität ausgerichteten Kommunikationsstil (Quelle: Horizont 28/2007: 40)
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Abb. 67 Werbung unterschiedlicher Branchen mit stereotypen Motiven (Quelle: Kroeber-Riel/ Esch 2004: 59)
Abhängigkeit von der Marktsituation und der Produktkategorie allgemeine Hinweise kommunikationsstilistischer Art. Dabei lässt sich heute beobachten, dass branchenübergreifend stereotype Motive zum Einsatz kommen, die einer Eigenständigkeit der Marke entgegenarbeiten (s. Abb. 67).
2.1.5.3 Kommunikative Positionierung
Das Modell der kommunikativen Positionierung ist eine Weiterentwicklung des lediglich auf den inhaltlichen Aspekt der Kommunikation abzielenden T-C-B-Modells, dessen Übergang zur Copy-Strategie fließend ist. Dieses Positionierungsmodell besteht aus den drei Elementen „Target Customer (T)“, „Category Need (C)“ und „Key Benefit (B)“ (vgl. Rossiter/Bellman 2005: 42 f.). Demnach gilt es, in Abhängigkeit von der Stakeholder-Gruppe (T) (Konsumenten, Distributoren, Mitarbeiter etc.) das Bedürfnis zu identifizieren, das Produkte der Kategorie, der das Produkt angehört, aus Sicht der Stakeholder befriedigen sollen (C), und den zentralen Vorteil des Produktes für diese Bedürfniskategorie (B) zu ermitteln. Das allgemeine Positionierungs-Statement hat entsprechend die Form: „To the target customer (T), Brand X is the brand of category need (C) that offers the key benefit (B)“ (ebd.: 43). Der Key Benefit muss
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Analysen und Strategien
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dabei den Anforderungen der klassischen Positionierung genügen, indem er für die Zielpersonen wichtig oder motivierend und durch die Marke lieferbar und zwar nur durch diese Marke lieferbar ist („unique“), damit die Marke einen relevanten Unterschied machen kann. Die kommunikative Positionierung ergänzt die inhaltliche Dimension, wie sie der Key Benefit verkörpert, um die mediale Dimension („Key Touch Point“) sowie um die Art und Weise der Kommunikation, über die auf eine spezifische Kommunikationskultur des Unternehmens geschlossen werden kann. Eine Marke kann sich kommunikativ von ihren Wettbewerbern differenzieren, indem sie eben nicht nur auf der inhaltlichen oder stilistischen Ebene einen zentralen und relativen Vorteil anbietet, sondern indem sie zum einen auf der medialen Ebene Kontaktpunkte mit den Zielpersonen aufweist, die sie eigenständig und unverwechselbar macht. Beispiel
Das Prostata-Medikament Prostagutt wird inhaltlich mit dem Key Benefit der Kontrolle über den Harndrang für die Zielgruppe „Männer über 50 Jahre“ positioniert. Dies geschieht mittels eines informativen Kommunikationsstils. Als Medium der MarketingKommunikation kommen, für die Bedürfniskategorie einzigartig, deutschlandweit neben TV-Spots und Anzeigen Plakate in den Herren-Toilettenräumen von AutobahnRaststätten als Key Touch Point zum Einsatz.
Zum anderen kann über die Art und Weise der Kommunikation die Marke positioniert werden, indem eine Kommunikationskultur im Unternehmen gepflegt wird. Ziel ist es, die Marke über ihre Kommunikationskompetenz zu profilieren und vom Wettbewerbsumfeld abzuheben. Dabei erfolgt eine Anerkennung der Individualität und der Situationsabhängigkeit des einzelnen Kunden mit einer gleichzeitigen Orientierung an dieser. Es reicht somit nicht, ausschließlich ein Produkt bereitzustellen und die Konsumenten über dessen Einzigartigkeit inhaltlich mit einem bestimmten Stil zu informieren. Vielmehr muss die Marke als kommunikationskompetenter Ansprechpartner über den gesamten Kaufentscheidungsprozess und die anschließende Verwendungsdauer zur Verfügung stehen. Individuelle und situative Informationsund Kommunikationsbedürfnisse müssen hierbei berücksichtigt werden, was das Unternehmen aus Kundensicht mehr als Kommunikationspartner denn als Anbieter erscheinen lässt. Voraussetzung für ein Gelingen einer solchen Positionierungsstrategie ist vor allem das Schaffen interner Strukturen und Prozesse, die es ermöglichen, auf Kunden individuell und zielgerichtet einzugehen. Es muss für das Einhalten von Kommunikationsregeln gesorgt werden, die die im Marketing zum Einsatz kommenden Grundarten der Kommunikation betreffen. Beispielsweise ist im Rahmen der gegenseitigen, dialogischen Kommunikation jede E-Mail eines Konsumenten spätestens nach einer definierten Anzahl von Stunden kompetent und individuell zu beantwor-
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ten, ohne den Eindruck zu erwecken, dass von einem beauftragten Dienstleister (z. B. Callcenter) belanglose Standard-Textbausteine aneinandergefügt wurden. Ebenso ist festzulegen, wie häufig ein Kunde maximal innerhalb eines definierten Zeitrahmens auf Initiative des Unternehmens hin kontaktiert werden darf oder wie groß der zeitliche Mindestabstand zwischen zwei Kommunikationsanstößen des Unternehmens sein muss. Zusammenfassend und in Weiterentwicklung des oben genannten T-C-B-Modells von Rossiter/Bellman kann die kommunikative Positionierung als Z-BX-KI,M,A-Modell beschrieben werden: Für die Zielperson (Z) ist die Marke X diejenige Marke einer Bedürfniskategorie (BX), die vorteilhaft kommuniziert, da sie inhaltlich einen einzigartigen zentralen Nutzen aufweist (KI) und sie sich medial (KM) sowie über die Art und Weise ihrer Kommunikation (KA) differenziert.
2.1.5.4 Das Markensteuerrad
In der Praxis ist das Positionierungsmodell des Markensteuerrades vom Marktforschungsinstitut Icon Brand Navigation sehr verbreitet. Es soll der ganzheitlichen Erfassung der relevanten Positionierungseigenschaften einer Marke dienen. Anhand einer Differenzierung in vier Dimensionen mit ihren jeweiligen analytischen Leitfragen wird der Markenkern bestimmt: •
• •
•
Die Markenkompetenz (Wer bin ich ?) bildet die Kernwerte einer Marke ab, wie beispielsweise Firmenhistorie, Herkunft, technische Kompetenz etc. In einer weiteren Konkretisierung werden diese Eigenschaften prägnant in einem Statement zusammengefasst. Der Markennutzen (Was biete ich ?) zeigt den relevanten Nutzen der Marke für die jeweilige Zielgruppe, der sich aus Benefits und dem Reason Why zusammensetzt. Bei der Markentonalität (Wie bin ich ?) stehen Eigenschaften der Marke in Analogie zu denen einer Person im Mittelpunkt. Dies können beispielsweise Geschlecht oder Sympathien sein, die mit der Marke assoziiert werden. Die Markenikonografie (Wie trete ich auf ?) umfasst den gesamten semiotischen und sensorischen (haptischen, bildlichen, akustischen, olfaktorischen etc.) Auftritt der Marke. Dieser bestimmt sich durch alle Punkte, die die Marke materialisieren, die sie erlebbar machen (z. B. Logo, Farben, Claim, Töne etc.).
Als Beispiel für ein ausgearbeitetes Markensteuerrad dient die Marke Jack Daniel’s (s. Abb. 68). Hervorzuheben ist die große Nähe, die dieses Positionierungsmodell zur Copy Strategie aufweist (vgl. Kap. B I 2.5.1). Auch dort spielen zwecks konkreter kommunikativer Umsetzung der Positionierung Benefit, Reason Why und die Tonalität eine zentrale Rolle. Das Modell darf daher nicht dahin gehend falsch interpretiert wer-
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Abb. 68 Markensteuerrad der Marke Jack Daniel’s (Quelle: Icon Brand Navigation 2001: 16)
den, dass eine tragfähige Positionierung vorrangig über die Markenikonografie oder die -tonalität erzielt werden kann. So hat beispielsweise die Agentur Kreutz & Partner 1998 versucht, die Strommarke Yello einzig über die Farbe Gelb zu positionieren (s. Abb. 69). Der hohe erzielte Bekanntheitsgrad schlug sich aufgrund mangelnder Relevanz des Angebots nicht im Gewinn von Kunden nieder. Entsprechend hoch fielen die Anwerbungskosten pro neuem Kunden aus, die sich zwischen 350 und 500 Euro bewegten. Aufgrund der damaligen Yello-Preisformel 19/19 (19 Mark Grundgebühr im Monat, 19 Pfennig pro Kilowattstunde) konnte zusätzlich nicht kostendeckend gewirtschaftet werden, womit sich mit jedem neuen Kunden der Verlust vergrößerte. Erst mit dem Anstieg der Energiepreise seit 2007 und der Zunahme der grundsätzlichen Bereitschaft der Konsumenten, den Stromanbieter zu wechseln, erhielt die
Abb. 69 Kampagne der Marke Yello aus 1998 (Quelle: planung & analyse 2/2009: 41)
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Botschaft „Gelb. Gut. Günstig.“ Relevanz (vgl. Ohnemus/Lebock 2009: 40 f., Willenbrock 2005: 86). Dem funktionalen und heute vor allem dem symbolischen Nutzen – auch als Zusatznutzen bezeichnet, in dem Sinne, dass er einen emotionalen oder sozialen Mehrwert bietet – kommt im Vergleich zu den Markeneigenschaften, also den sachlichtechnischen Eigenschaften, sowie zur Markengestaltung herausragende Bedeutung zur wirtschaftlichen Erfolg versprechenden Wettbewerbsdifferenzierung zu (vgl. C. Herrmann 1999, Siegert 2003, Tropp 2004: 120 f.). Durch das Besetzen von Key Touch Points sowie mit einer kompetenten, sich vom Wettbewerb differenzierenden Kommunikationsart des Unternehmens gewinnt der Zusatznutzen im Rahmen einer kommunikativen Positionierung noch weiter an Prägnanz.
2.1.5.5 Passive versus aktive Positionierung
Die Vertreter der aktiven Positionierung weisen auf die Unzulänglichkeiten der lediglich an der operativen Ebene des Marketings anknüpfenden klassischen Positionierungsansätze hin. Ausgangspunkt muss im Rahmen einer modernen aktiven Positionierung ein Handlungsplan der Entscheider sein, der gesamtkonzeptionell orientiert ist. Gesamtkonzeptionell heißt, dass basierend auf einer schlüssigen Ziel-, Strategieund Mixpositionierungskette die Programme zur Differenzierung von MarketingGegenständen „reißbrettartig“ entworfen werden (vgl. Becker 1996: 21, Tomczak/ Roosdorp 1996: 29). Die passive klassische Positionierung setzt hingegen nachträglich, nach bereits erfolgter Einführung des Marketing-Gegenstandes im Markt an und konzentriert sich nur auf die operative Marketingmix-Ebene. „Seine [der Ansatz der passiven Positionierung; J. T.] Berücksichtigung entspringt vielfach der Initiative von Marketingdienstleistern (speziell Werbeagenturen), die für ein bereits fertiges Produkt ein Werbekonzept entwickeln sollen. Auf der Suche nach einer ‚richtigen‘, möglichst alleinstellenden Werbebotschaft bemüht man sich entweder um die qualitative (mehr verstehende) oder quantitative (methodengestützte) Erfassung nutzengeprägter Merkmalsräume und ihrer bisherigen Besetzung, um auf diese Weise Positionierungslücken als Basis des zu erarbeitenden Werbekonzeptes zu finden.“ (Becker 1996: 21, Hervorh. i. Orig.)
Die aktive Positionierung verfolgt zwar, vergleichbar mit der klassischen Positionierung, die Zielsetzung, für den Konsumenten bislang unbekannte, für ihre Kaufentscheidung neue relevante Eigenschaftsdimensionen zu besetzen. Der Unterschied liegt in dem Anspruch, mit der aktiven Positionierung einen eigenen Markt zu kreieren und zu bedienen. Dem Marktherausforderer darf es nicht darum gehen, die Marktregeln besser zu beherrschen als der Marktführer, sondern er sollte eine Strategie verfolgen, die darauf zielt, neue Regeln für einen neuen Markt zu finden („New-
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Game-Strategien“) (vgl. Tomczak/Roosdorp 1006: 29) – eben: Draw a distinction ! Als Beispiel kann hier das Schaffen des Marktes der Energydrinks durch Red Bull gelten. Die aktive Positionierung unterstreicht die hohe Bedeutung, die dem Gewinnen von Consumer Insights durch qualitative Marktforschungsmethoden zukommt, um eine „explorative Innovationsbedarfserfassung“ (ebd.: 30) im Absatzmarkt als Voraussetzung des Einsatzes von New-Game-Strategien durchführen zu können. Zwei wichtige Konsequenzen resultieren aus der Forderung nach aktiver Positionierung. Erstens muss das Grundprinzip der Positionierung, die Unterscheidung, funktionen- und abteilungsübergreifend im Topmanagement des Unternehmens bearbeitet werden. Es bedarf Entscheidungen zu Unterscheidungen, die das Handeln aller Unternehmensmitglieder in normativer, strategischer und operativer Hinsicht steuern, womit die Steuerung der aktiven Positionierung durch den unternehmensinternen Kontext der Unternehmenskultur deutlich wird (vgl. Kap. B I 1.3.2.2). Wollen Unternehmen bei der Positionierung mit Agenturen zusammenarbeiten, ergibt sich zweitens, dass sie diese bereits frühzeitig in den Prozess der Marketing-Strategieentwicklung involvieren. Dies gilt besonders bei Produktneueinführungen.
2.1.6 Herausforderungen der Positionierung 2.1.6.1 Verführung zum Essentialismus
Aus Gründen der besseren Einprägsamkeit und der Sicherstellung der Konsistenz im Markenauftritt tendieren Positionierungen dazu, sich essentialistisch auf den Markenkern zu konzentrieren, der lediglich aus einem einzigen Nutzenversprechen bestehen soll. Dieses ist langfristig und nahezu unverändert über die Zeit hinweg zu kommunizieren (vgl. Liebl 2000: 133). Henning Meyer et al. (1997: 343) weisen zu Recht darauf hin, dass sich gerade diejenigen Marken, denen ein „Kultstatus“ zugeschrieben wird (z. B. Levi’s, Coca-Cola, Sony, Nivea oder Gauloises), im Laufe ihrer Entwicklung nicht an Zeitströmungen angepasst haben. In der Praxis herrscht Konsens darüber, dass „Markenführung by Hasensprung“, wie Reinhard Springer (2002: 53), Mitbegründer der ehemaligen Agentur Springer & Jacoby, formuliert, nicht erfolgsdienlich ist. Eine kontinuierliche Markenführung, so die breite Meinung, gibt den Konsumenten gerade in dynamischen Zeiten Sicherheit und Orientierung. Die Gefahren, die von einer Um- oder gar Neupositionierung einer Marke ausgehen, werden immer wieder gern anhand der Zigarettenmarke Camel illustriert, die sich zu Beginn der 1990er Jahre von ihren traditionellen Imageattributen von Abenteuer und Freiheit löste und mit einer humorausgerichteten Kampagne neu positionierte, was zu massiven Marktanteilseinbrüchen führte. Diese hatten erneute Positionierungsänderungen zur Folge, was zur weiteren Zersplitterung des Markenbildes führte. Schnell werden das Markenmanagement und die Agenturen also dazu verführt, von einem essentialistischen Wesen der Positionierung auszugehen, wie es auch vom
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Input
bekannten klassischen Konzept der Unique Selling Proposition (USP) vertreten wird (vgl. Reeves 1961). Gestärkt wird dieses Verständnis weiterhin durch die Angewiesenheit der Marketing-Kommunikation auf die Medien. In den klassischen Medien der allgemein adressierten Kommunikation (TV, Funk, Print etc.) ist Zeit und Raum begrenzt und teuer, was die Erstellung kurzer und pointierter Marken-Kommunikationsangebote erfordert. Dieses Positionierungsverständnis konfligiert aber mit der heutigen Flexibilität von Selbstkonzepten in von Individualisierung und Multioptionalität gekennzeichneten modernen Gesellschaften. Der multiple Konsument mit seinem Bedürfnis nach stetiger Abwechslung und seiner Suche nach neuen Erlebnissen ist nicht kompatibel mit einer starren und eindimensionalen Positionierung, die der Marke auch in ihrem Aufbau von langfristigen Kundenbeziehungen keinerlei Entwicklungsdynamik einräumt (vgl. Baetzgen 2000: 137). Die Alternative der multiplen Positionierung, wie sie von Gerd Gerken (1994) vertreten wird, mündet jedoch in einer fraktalen Marke, der jegliche Konsistenz fehlt, die damit keine Position in einem Unterscheidungsraum einnehmen kann und die daher einhellig in der Markentheorie abgelehnt wird: „Fraktale Kommunikation und fraktale Marken sind fatal“ (Esch 2001: 66). Der Verführung zum Essentialismus lässt sich am besten mit einem dynamischen Positionierungsverständnis entgegenwirken, das im Zeitverlauf unterschiedliche markenkernkompatible Dimensionen akzentuiert und dabei aber stets am Prinzip der Selbstähnlichkeit der Marke festhält (vgl. Otte 1995, Tomczak/Roosdorp 1996: 33). Damit öffnet sich ein Mittelweg zwischen essentialistischer und multipler Positionierung. So entpuppt sich auch die Marke Nivea nur vermeintlich als essentialistisch positioniert. Sorgsam wird mit viel Feingefühl in der Markenführung durch eine dynamische Positionierung über die Jahre hinweg die Markenaktualität sichergestellt, was besonders bei der Gestaltungsentwicklung der Marke deutlich wird (s. Abb. 70). Methodisch operiert die dynamische Positionierung mit der Unterscheidung von essentiellen und akzidentiellen Positionierungsdimensionen. Perioden, in denen eine Konzentration und inhaltliche Reduktion auf die Kernaussage der Marke stattfindet, wechseln sich mit Perioden ab, in denen die Kommunikation zusätzlicher, mit dem Markenkern kompatibler Positionierungsdimensionen die Marke aktuell halten (s. Abb. 71). Neben der Kompatibilität der Positionierungsdimensionen mit dem Markenkern sind folgende weitere Anforderungen an eine dynamische Positionierung zu richten (vgl. Tomczak/Roosdorp 1996: 34): •
•
Kommunizierbarkeit der akzidentiellen Positionierungsdimensionen zur Sicherstellung ihrer Wahrnehmung besonders hinsichtlich des Gelingens der Assoziation zum Markenkern; die kommunizierten akzidentiellen Positionierungsdimensionen müssen glaubhaft sein und damit eine für den Konsumenten widerspruchsfreie Assoziation sicherstellen;
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Analysen und Strategien
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Abb. 70 Entwicklung der Gestaltung der Marke Nivea als Ausdruck ihrer dynamischen Positionierung (Quelle: www.design-literatur.de/blog/2006/11/11/nivea-logo-geschichte-der-marke; Zugriff: 15. 11. 2018)
Abb. 71 Prinzip der dynamischen Positionierung (Quelle: Tomczak/Roosdorp 1996: 34)
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•
•
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auch für die akzidentiellen Positionierungsdimensionen gilt, dass sie eigenständig und einzigartig sind und nicht nur eine Variante der essentiellen Positionierungsdimensionen sind; ebenfalls gilt für die akzidentiellen Positionierungsdimensionen, dass auch hier ein Role-Taking stattfindet. Die Perspektive der definierten Stakeholder-Gruppe ist Ausgangspunkt für die Ermittlung von möglichen Positionierungsdimensionen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Entwicklungen im MarketingKommunikationssystem und im Markt, aber auch in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen, zum Beispiel durch eine geänderte Rechtslage, die Aktualität der Marke einfordern, um sie stets zeit- und situationsabhängig als eine relevante Alternative anbieten zu können. Beispiel
Die Marke McDonald’s wird unter anderem dadurch aktualisiert, dass neben der essentiellen Positionierung als familienfreundliches Schnellrestaurant die akzidentielle Positionierungsdimension der Qualität der Speisen kommuniziert wird (s. Abb. 72).
Abb. 72 Akzidentielle Positionierungsdimension der Produktqualität der Marke McDonald’s (Quelle: http://www.mcdonalds.de/wahrheit#menu; Zugriff: 15. 11. 2018)
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2.1.6.2 Datenerhebung
Beide Analysemethoden zur Bestimmung der Positionen von Marken, die kompositionelle wie die dekompositionelle, sehen sich mit generellen Problemen bei der Datenerhebung konfrontiert. Neben der bei vielen Methoden der empirischen sozialwissenschaftlichen Forschung zu beklagenden Reaktivität mit ihrem Problem der sozialen Erwünschtheit von Antworten und Handlungen in Datenerhebungssituationen sind zusammenfassend zu nennen (vgl. Merten 1978: 109, Sommer 1998: 159 f.): •
Halo-Effekt: die Bewertung einzelner Produkt- beziehungsweise Markenmerkmale bei der Profilerstellung im Rahmen einer kompositionellen Vorgehensweise wird stärker von der generellen Akzeptanz beziehungsweise Ablehnung des Produktes/ der Marke bestimmt und weniger durch die Beurteilung der abgefragten konkreten Dimension. Bei diesem als Halo-Effekt bekannten Phänomen erfolgt also eine Übertragung der allgemeinen Bewertung auf die Detailebene (vgl. grundlegend Thorndike 1920). Von Konsumenten präferierte Marken schneiden demnach in allen berücksichtigten Positionierungsdimensionen besser ab, unabhängig von den tatsächlichen Eigenschaftsausprägungen bei diesem Produkt (vgl. Kap. B III 2.4.2). • Aktivierungsumfang des Markenwissens: Bei Ähnlichkeitseinschätzungen von Marken im Rahmen einer dekompositionellen Vorgehensweise ist entscheidend, dass möglichst das jeweils gesamte Markenwissen und nicht nur Ausschnitte aktiviert werden. Ähnlichkeiten sind das Resultat eines kognitiven Prozesses, der in Positionierungsstudien ausgelöst wird, das heißt, sie sind nicht als Gegebenheit im kognitiven System abgespeichert. Um Verzerrungen zu vermeiden, die unweigerlich aus der Selektivität des kognitiven Systems und seiner grundsätzlichen Neigung zur Aufwandsminimierung entstehen (s. Kap. A 1.3.1), ist es daher nötig, möglichst das gesamte Markenwissen mit seinem komplexen Netzwerk aus unterschiedlichen Schemata zu aktivieren, und zwar basierend auf einer handlungsrelevanten, die Lebenswelt des Konsumenten betreffenden Frage, beispielsweise: Welche zwei dieser drei Marken entsprechen am ehesten Ihrer Vorstellung und welche würden Sie für einen Kauf in Erwägung ziehen ? Unabhängig davon, ob kompositionelle oder dekompositionelle Verfahren zum Einsatz kommen, fällt auf, dass in vielen Untersuchungen keine oder nur geringfügige Unterschiede zwischen den Marken aufgedeckt werden. Da Konsumenten jedoch eindeutige Präferenzen für bestimmte Marken haben, müssen Unterschiede zwischen den Marken bestehen, die aber in Positionierungsstudien häufig eben nicht aufgedeckt werden können. Die Komplexität von Marken mit ihren vielen Dimensionen, implizite Effekte, die eigene Erhebungsmethoden erfordern, und die situationsabhängige Wahrnehmung und Nutzung von Marken durch einen multioptionalen Konsumenten stellt die Positionierung heute vor große Herausforderungen. Die sich einstellende Einsicht, dass Marken das Ergebnis eines situativ durchaus variierenden,
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Input
komplexen emotional-kognitiven Sinngebungsprozesses sind, ist, insgesamt gesehen, die Herausforderung, der mit der Idee einer exakt verortbaren Position von Marken zu begegnen immer schwieriger wird.
2.2
Markenstrategien
Im Wirkungsnetz der Input-Konzeptionselemente der Modernen Marketing-Kommunikation wird die Ausrichtung der vom Unternehmen verfolgten Markenstrategie von der Zielgruppe und von der Positionierung des Marketing-Gegenstandes beeinflusst, wobei Positionierung und Markenstrategie wechselseitig aufeinander einwirken, wie bereits in den Ausführungen zur Positionierung einleitend dargelegt wurde (vgl. Kap. B I 2.1, s. Abb. 73).
2.2.1 Entwicklungsgeschichte der Marke Die Anfänge der Markenentwicklung werden auf das späte 2. Jahrhundert datiert. Germanische Zeichen wie Heilsbilder, Heilszeichen und Runen gehören zu den uns bekannten Vorläufern der Marke (vgl. für das Folgende M. Roth 1999: 17 f.). Sie wurden auf Waffen und Schmuckgegenständen angebracht und sollten ihren Träger vor Unheil bewahren. Die Runenschrift, die im 7. Jahrhundert von der lateinischen Schrift verdrängt wurde, setzte sich aus senkrechten und schrägen Strichen zusammen und fand sich vor allem auf hölzernen Losstäben, die zur Befragung der Götter eingesetzt wurden. Allerdings dienten diese Heilsbilder, Heilszeichen und Runen noch nicht der Unterscheidung oder Identifizierung von Personen, Gegenständen oder Institutio-
Abb. 73 Direkte Einflüsse auf die Markenstrategie im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
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Analysen und Strategien
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nen, was ein wesentliches Charakteristikum des Begriffs der „Marke“ in seiner heutigen Bedeutung ist. Daher kann man bei diesen frühen Praktiken des kultischen Markierens etymologisch betrachtet noch nicht von einer „Marke“ sprechen. Die etymologischen Wurzeln liegen im mittelhochdeutschen „marc“ (Grenzlinie, Grenze), dem französischen Begriff „marquer“ (markieren) und dem englischen „mark“ (Marke, Zeichen) (vgl. Bruhn 1994: 5, Linxweiler 2004). Erst ab dem 5. Jahrhundert entwickeln sich Hausmarken, Porträt- und Wappensiegel, die der Kennzeichnung und Unterscheidung von Personen und Gegenständen dienen. Es ist der Beginn der Markierungsphase der Marke. Das Bevölkerungswachstum und die Bildung von großen Herrschaftsgebieten erforderten zunehmend eine stärkere Regelung des sozialen Lebens. Gleichzeitig nahm der Glaube an die heidnischen Götter ab, womit ebenfalls neue Regelwerke für das Gemeinschaftsleben notwendig wurden. Das Urkundenwesen wurde eingeführt, und die Hausmarke – häufige Grundformen waren z. B. der Krähenfuß, der Widerhaken und das Hakenkreuz – diente als Unterschrift. Eine wichtige weitere Funktion der Hausmarke war der Schutz des Eigentums. Das Haus sowie alle zugehörigen Gegenstände und Grundstücke wurden mit der Hausmarke gekennzeichnet, wodurch gestohlenes Gut identifizierbar wurde. Auch die Entstehung der Siegel ist an gesellschaftliche Entwicklungen gebunden, die eine stärkere Ordnung und Regulierung des gesellschaftlichen Lebens erforderten. Eine zunehmende Aufgliederung der Macht- und Herrschaftsverhältnisse, das Aufkommen von Verwaltungsaufgaben, die Verstärkung der Ständebildung und die privilegierte Stellung des Adels führten zur Entwicklung von Porträt- und Wappensiegeln, die der Dokumentation von Macht, der Identifikation von Personen und dem Fälschungsschutz von Anweisungen und Urteilen dienten. Zu dieser Zeit bildeten sich die Grundfunktionen der Marke, das Informieren über den Eigentümer einer Sache und damit zusammenhängend die Identifizierung von Personen und von Haus- und Hofgemeinschaften, aus. Es fand eine Individualisierung der Zeichen statt, also eine Zurechenbarkeit, womit sich die Marke im etymologischen Sinne ausbildete. Mit der Entstehung von Städten neben den landwirtschaftlich geprägten Siedlungsformen und der damit einhergehenden zunehmenden Ausprägung der ständischen Gesellschaft kam es ab dem 12. Jahrhundert zu Funktionsverschiebungen bei den bestehenden Marken und zur Entwicklung neuer Marken und Markenfunktionen. Die Städtegründungen führten zu einer Abtrennung des Handwerksstandes von der Landwirtschaft, zur Ansiedlung der vormals reisenden Kaufleute in den Städten und zur Ausbildung von neuen Berufen, den Dienstleistern. Diese an die Verstädterung gekoppelte gesellschaftliche Ausdifferenzierung ging einher mit der Ausdifferenzierung der ursprünglichen Hausmarken in Handwerks-, Handels- und Dienstleistungsmarken. Die entstehenden Städte verwandten bei ihren Verwaltungs- und Regierungsaufgaben eigene Städtemarken, die jedoch nicht der Wahrnehmung der Interessen der ansässigen Kaufleute und Handwerker und dem Schutz der neuen Wirtschaftszweige dienten. Als Konsequenz bildeten sich neue Institutionen mit
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eigenen Marken, die diese Aufgaben ausübten: die Zünfte und die Zunftmarken. Die ursprüngliche Funktion der Hausmarke, nämlich die Kennzeichnung von Häusern, Gegenständen, Urkunden etc. wurde durch die Einführung der Nummerierung der Häuser sowie die persönliche Unterschrift substituiert. Als wichtige neue Funktion der Handwerks-, Handels- und Dienstleistungsmarken prägte sich die Gewährleistung von Qualität aus, womit eine mittelbare Förderung des Abverkaufs verbunden war. Zu dieser Zeit entwickelten sich erstmals Marken, die ausschließlich wirtschaftlichen Zielsetzungen dienten. Die Entwicklung der Marke ab dem 15. Jahrhundert war geprägt durch das Entstehen neuer, arbeitsteilig organisierter Betriebsformen, die wiederum aus der Notwendigkeit resultierten, den Bedarf der stark zunehmenden Bevölkerung zu decken. Es wurden Verlage, Manufakturen und dann Fabriken gegründet, deren Marken die traditionellen Funktionen der Identifikation und der Demonstration eines hohen Qualitätsniveaus fortführten. Kennzeichen dieser neuen Betriebsformen waren die Abkopplung des Handwerkers vom Markt und das entstehende Abhängigkeitsverhältnis des gewerblichen Produzenten vom Kaufmann. Die Auflösung der Zünfte ab dem 16. Jahrhundert und der zunehmende Gestaltungseinfluss der Territorialstaaten auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben führten zur Aufgabe von Städteund Zunftmarken. Symbolisierte die Zunftmarke die Qualität und das Leistungsvermögen eines ganzen Berufsstandes, so übernahmen nun Handwerks-, Handels- und Dienstleistungsmarken zunehmend diese Aufgabe selbst. Diese Marken wurden entsprechend gestalterisch veredelt und ausgeschmückt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kommt es mit dem Anbruch des Industriezeitalters zu so gravierenden Veränderungen in der Entwicklung des Markenwesens, dass die Redeweise von einer „Zäsur“ (Berekhoven 1992: 34) gerechtfertigt erscheint. Das moderne Markenwesen bildete sich aus, was mit einer Verdrängung der Markierungsphase durch die Phase der Markenwirkung einherging. Verdrängung meint nicht, dass die Marke nicht länger ihre Identifikationsfunktion innehat, sondern dass diese überlagert wird durch eine neue Meta-Funktion, nämlich die der Beeinflussung. Die wesentlichen Veränderungen waren: •
•
Die zunehmende Gewerbefreiheit, die gleichzeitig zunehmende Entmachtung des Handwerks und die entstehenden Zollunionen führten zu einem starken Anstieg der Produktionsmengen der Fabriken. Diese wuchsen entsprechend und entwickelten sich durch die Abkopplung von der Gründerpersönlichkeit zu unpersönlichen Unternehmen mit eigenen Unternehmensmarken (vgl. M. Roth 1999: 71). Die Kluft zwischen den Akten der Produktion und der Konsumtion von Gütern vergrößerte sich. Da die Hersteller nicht willens waren, sich vom Handel ins Abseits drängen zu lassen, bemühten sie sich um die Aufrechterhaltung des Kontaktes mit den Endabnehmern. Daraus resultierte eine Funktionserweiterung der Unternehmensmarke. Neben die Funktionen der Identifizierung und der Qualitätsdoku-
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mentation trat „die Notwendigkeit der Übermittlung eines besonderen – über den reinen funktionalen Nutzen hinausgehenden, auch emotionalen und sensualen Nutzen vermittelnden – Images zur Sicherung des Absatzes“ (ebd.: 94, vgl. auch Dichtl 1992: 4). Dies ist die Geburtsstunde der modernen Marke. • Das sich beschleunigende Wirtschaftswachstum führte zu einer zunehmenden Konkurrenz unter den Herstellern. Diese reagierten mit einer Diversifikationsstrategie. Immer differenziertere Produkte kamen auf den Markt, die sich von denen der Konkurrenz nicht nur unterscheiden, sondern auch begehrter als diese sein mussten. Die Profilierung der eigenen Produkte gegenüber den Konkurrenzprodukten gewann immer mehr an Bedeutung. Die Produktmarken entstanden. • Die halbautomatisierte und später die automatisierte Fertigung von Glasverpackungen und Blechpackungen machte es möglich, dass der Produktverpackung als Markenträger bei der Entwicklung des Markenartikels eine immer wichtigere Rolle zukam (vgl. Leitherer 1994: 147). • Die Reklame entstand. Hergeleitet wird das Wort vom französischen „réclamer“ (zurückrufen, mehrmals rufen) und darüber hinaus von dem lateinischen Wort „clamare“ (rufen), „reclamare“ (dagegenschreien) (vgl. Römer 1980: 15). In der älteren Druckersprache war „la réclame“ das Anfangswort der neuen Seite, das auf der endenden Seite unter die letzte Zeile gesetzt wurde (vgl. Kluge 2015). Von Heine (1840) und Gutzkow (1842) wurde „Reklame“ ins Deutsche eingeführt und die Bedeutung auf die Kundenwerbung ausgedehnt (vgl. Kluge 2015). Die neuen Handelsstrukturen anonymisierten Hersteller und Endabnehmer, was für die Hersteller große Risiken barg. Unübersichtliche Märkte bedeuteten unsichere Nachfrage, was zu Absatzrisiken führte. Die Lösung sah man in der Bekanntmachung der massenhaft produzierten Produkte per Massenkommunikation. Vorrangige Aufgabe der Reklame war es, bei den Kunden Aufmerksamkeit für die produzierten Waren zu schaffen.
2.2.2 Markenbegriff Aus juristischer Sicht wird die Unterscheidungsfunktion der Marke betont. Am 1. Januar 1995 ist das neue Markenrechtsreformgesetz in Kraft getreten, das als Kern das Markengesetz (MarkenG) enthält. Darin vereinte der Gesetzgeber die Schutznormen von unterschiedlichen Kennzeichnungsarten, die bis dahin in unterschiedlichen Gesetzen zu finden waren (Warenzeichengesetz – WZG, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb – UWG, Bürgerliches Gesetzbuch – BGB und Handelsgesetzbuch – HGB), und entwickelte so ein kohärentes Schutzsystem für die Marke, das den Schutz all derjenigen zur Kennzeichnung einer Marke verwendeten Zeichen ermöglicht, die geeignet sind, ein Produkt eines Unternehmens von den Produkten anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. Wahlert 1994: 1753, Bugdahl 1998: 2 f.).
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„Als Marke können alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen geschützt werden, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“ (MarkenG, § 3 Abs. 1, zit. n. Wahlert 1994: 1750)
Auch im außerjuristischen Kontext ist die Variante, zur Begriffsbestimmung der Marke über die Unterscheidungsfunktion zu gelangen, vertreten. Irmscher (1997: 6) ordnet derartige Begriffsbestimmungen in die Kategorie „Marke als formales Objekt“ ein, womit die Marke als ein „… Kennzeichen verstanden [wird], das der Markierung von materiellen oder immateriellen Gütern dient“ (ebd.). Diese Definition beschränkt den Markenbegriff semantisch jedoch auf eine pure Differenzierungsfunktion. Sinnvoller erscheint es, in diesem Zusammenhang von „Branding“ zu sprechen, wobei die Markierung als eine notwendige, aber nicht hinreichende Maßnahme zur Markenbildung verstanden wird. „Wir wollen … unter Branding alle Maßnahmen verstehen, die dazu geeignet sind, ein Produkt aus der Masse gleichartiger Produkte herauszuheben und die eine eindeutige Zuordnung von Produkten zu einer bestimmten Marke ermöglichen.“ (Esch/Langner 2000: 411)
Die in der Literatur angeführten Erklärungsansätze zur Marke (s. z. B. Bruhn 1994: 7 f., Essinger 2001: 55 f., Irmscher 1997: 10 f., Linxweiler 2004) können anhand der Elemente des Kommunikationsprozesses grob systematisiert werden. Der Systematik liegt die Vorstellung eines viergliedrigen Prozesses zugrunde, der sich aus den Elementen (1) Markenartikel, (2) Absender (Unternehmen), (3) Instrumentarium und (4) Empfänger (Konsument) zusammensetzt (s. Abb. 74).
Markenartikel
Absender (Unternehmen)
• Merkmalsorientierter Ansatz • Intensitätsbezogener Ansatz
• Herkunftsstrukturierender Ansatz • Identitätsorientierter Ansatz
Instrumentarium
• Instrumentaler Ansatz • Semiotisch orientierter Ansatz
Empfänger (Konsument) • Erfolgsorientierter Ansatz • Konsumentenbezogener Ansatz
Prozess Kommunikationsorientierter Ansatz
Abb. 74 Systematik der Erklärungsansätze zur Marke (eigene Darstellung)
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Analysen und Strategien
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Element: Markenartikel • Merkmalsorientierter Ansatz Der Markenartikel wird anhand von Merkmalskatalogen beschrieben. Der Grundgedanke ist, dass verschiedene herausragende Eigenschaften konstitutiv für einen Markenartikel sind. Der prominenteste Merkmalskatalog dieser Art stammt von Mellerowicz, wonach Markenartikel zu definieren sind als „… die für den privaten Gebrauch geschaffenen Fertigwaren, die in einem größeren Absatzraum unter einem besonderen, die Herkunft kennzeichnenden Merkmal (Marke) in einheitlicher Aufmachung, gleicher Menge sowie in gleichbleibender oder verbesserter Güte erhältlich sind und sich dadurch sowie durch die für sie betriebene Werbung die Anerkennung der beteiligten Wirtschaftskreise (Verbraucher, Händler und Hersteller) erworben haben (Verkehrsgeltung).“ (Mellerowicz 1963: 39)
Die Position des Markenverbandes fiel unter diesen merkmalsorientierten Ansatz. Der Markenverband definierte einen Markenartikel als „… ein Produkt, das die Marke des Herstellers trägt und stets gleich bleibende oder verbesserte Qualität und Ausstattung bietet“ (zit. n. Sandler 1994: 45). Sieben Folgerungen konkretisieren diese Definition: 1) Der Konsument bekommt durch den Markenartikel Sicherheit beim Einkauf. 2) Der Markenartikel steht für Qualität und schafft Vertrauen bei den Konsumenten. 3) Der Markenartikel reagiert flexibel auf Verbraucherwünsche und fördert durch Innovationen den Wettbewerb. 4) Der Markenartikel ist seinen Preis wert. 5) Der Markenartikel ist überall erhältlich und wird über ein dem Produkt entsprechendes Vertriebssystem distribuiert. 6) Der Markenartikel steht aufgrund seiner Qualität, seines Markenbildes, seines Preises und seiner Kommunikation für Kontinuität. 7) Das Angebot an Markenartikeln orientiert sich an den individuellen Verbraucherbedürfnissen und bietet mit seiner Vielfalt Auswahlmöglichkeiten (vgl. ebd.). Die aktuelle Definition des Markenverbandes ist jedoch nicht dem merkmalsorientierten Ansatz zuzuordnen, da sie auf die hohe Bedeutung der Zielgruppe für die Marke abhebt und damit dem konsumentenbezogenen Ansatz zugerechnet werden kann. „Als Marke werden Leistungen bezeichnet, die neben einer unterscheidungsfähigen Markierung durch ein systematisches Absatzkonzept im Markt ein Qualitätsversprechen geben, das eine dauerhaft werthaltige, nutzenstiftende Wirkung erzielt und bei der relevanten Zielgruppe in der Erfüllung der Kundenerwartungen ein Erfolgsniveau im Markt realisiert.“ (Deutscher Markenverband 2001, zit. n. Errichiello et al. 2001: 308)
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• Intensitätsbezogener Ansatz Auch Artikel, die nicht alle Merkmale eines Markenartikels aufweisen oder einige Merkmale in verminderter Intensität ausgeprägt haben, sollten als Markenartikel betrachtet werden. Dies ist die zentrale Überlegung des intensitätsbezogenen Ansatzes, wonach beispielsweise Handelsmarken zwar oftmals nicht das Kriterium der Ubiquität erfüllen, aber dennoch als Markenartikel eingestuft werden. Element: Absender • Herkunftsstrukturierender Ansatz Eng verwandt mit dem intensitätsbezogenen ist der herkunftsstrukturierende Ansatz. Zur Bestimmung des Wesens einer Marke werden die Herkunft beziehungsweise der Träger herangezogen, womit zwischen Hersteller-, Handels- und Dienstleistungsmarken unterschieden werden kann. • Identitätsorientierter Ansatz Der identitätsorientierte Ansatz resultiert aus der Kritik von Jean-Noel Kapferer (1992: 44, ders. 1997: 145) an der Dominanz des Imagekonzeptes im Marketing. Nicht der Schein der Marke darf im Vordergrund stehen, wie es beim Imagekonzept der Fall ist, sondern ihr Wesen, ihre Identität, die vom Unternehmen zu definieren ist. Neben Kapferer sind David Aaker (1996: 68) und im deutschsprachigen Raum Heribert Meffert und Christoph Burmann Vertreter dieses Ansatzes. Sie sehen in einer ausgeprägten Markenidentität die Voraussetzung für den Aufbau und die Festigung des Vertrauens des Konsumenten in die Marke, das sie wiederum zur Grundlage einer langfristigen Kundenbindung und Markentreue erklären (vgl. Meffert/Burmann 1996: 13, s. auch Meffert/Burmann/Koers 2002). „Unter Markenidentität soll … die in sich widerspruchsfreie Summe aller Merkmale einer Marke verstanden werden, die diesen Markenartikel von anderen dauerhaft unterscheidet und damit seine Markenpersönlichkeit ausmacht.“ (Meffert 1998: 812)
Element: Instrumentarium • Instrumentaler Ansatz Der instrumentale Ansatz ermittelt die Charakteristika des Markenartikels durch Rekurs auf den Einsatz typischer Marketinginstrumente. Ein Markenartikel muss demnach bezüglich der Werbung, des Preises, Absatzraums, der Vertriebskanäle etc. bestimmte Anforderungen erfüllen. „Der Markenartikel in eindeutig faßbarer Form besteht … gar nicht … Jeder Markenartikel hat seine besondere ihm eigentümliche Erscheinungsform. Was ihn mit anderen verbindet, ist lediglich die Form des Absatzsystems.“ (Bergler 1939: 237, zit. n. Irmscher 1997: 13)
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• Semiotisch orientierter Ansatz Der semiotisch orientierte Ansatz versammelt alle Wesensbestimmungen der Marke, die diese als ein Zeichen im weitesten Sinne begreifen (s. z. B. Adjouri 1993, Boltz 1999: 42 f., Hoshino 1987, Schiele 1999: 14 f.). Auch Arbeiten mit einer klassischen Marketingprovenienz sind hier zu finden. So ist beispielsweise auch die Definition von Philip Kotler, der sich auf das Markenverständnis der AMA (American Marketing Association 1960) beruft, diesem Ansatz zuzurechnen. „Eine Marke (brand) ist ein Name, eine Bezeichnung, ein Zeichen, ein Symbol oder ein Design, oder eine Kombination dieser Elemente, die zur Identifikation der Güter oder Dienstleistungen eines Anbieters oder einer Gruppe von Anbietern zu ihrer Differenzierung von jenen der Konkurrenten dient.“ (Kotler 1989: 379, Hervorh. i. Orig.)
Element: Empfänger • Erfolgsorientierter Ansatz Ein Artikel muss sich in einem Markt erfolgreich durchsetzen, um den Status eines Markenartikels innehaben zu können. Dieser zentrale Gedanke des erfolgsorientierten Ansatzes ist daher daran geknüpft, dass der Markenartikel auf hohem Niveau ökonomische Ziele (z. B. Marktanteil, Distributionsgrad) und psychologisch-kommunikative Ziele (z. B. Markenimage, Markenbekanntheit) erreicht (vgl. Berekhoven 1978). • Konsumentenbezogener Ansatz Der konsumenten- oder auch wirkungsbezogene Ansatz versucht, den Markenartikel nicht aus der Perspektive des Herstellers zu bestimmen, sondern den Konsumenten in das Zentrum der Erklärungsbemühungen zu stellen. Besonders Ludwig Berekhoven hat diesen Ansatz in Weiterentwicklung des erfolgsorientierten Ansatzes nachhaltig geprägt. Er weist darauf hin, dass Markenbildung ein sozialpsychologisches Phänomen ist; „es entscheiden allein die Vorstellungen über Wert und Bedeutung einer Marke im Bewußtsein der (potentiellen) Abnehmer“ (Berekhoven 1992: 43). Als Erfolgsvariablen setzt Berekhoven weniger quantitative ökonomische Größen wie Marktanteil oder Umsatz an, sondern er hebt die Bedeutung der qualitativen Erfolgsdimensionen wie Bekanntheitsgrad, Wertschätzung und Markentreue hervor (vgl. ebd.: 44). Auch Heribert Meffert (1998: 785) vertritt stellenweise in der Literatur mit seinem Markenbegriff diesen Ansatz, den er um Elemente des merkmalsorientierten Ansatzes erweitert. „Im folgenden soll eine Marke … als ein in der Psyche des Konsumenten verankertes, unverwechselbares Vorstellungsbild von einem Produkt oder einer Dienstleistung beschrieben werden. Die zugrunde liegende markierte Leistung wird dabei einem möglichst großen Absatzraum über einen längeren Zeitraum in gleichartigem Auftritt und in gleichbleibender oder verbesserter Qualität angeboten.“ (ebd.)
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Dem konsumentenbezogenen Ansatz lassen sich auch die marken- und konsumentenpsychologischen Erklärungsansätze subsumieren: „Wenn Verbraucher gelernt haben, bestimmte Produktgattungen mit konkreten Marken zu assoziieren, dann sprechen wir von Markenartikeln“ (Unger 1986: 17, s. auch Kroeber-Riel 1984: 296, Sommer 1998). Prozess • Kommunikationsorientierter Ansatz Auch der kommunikationsorientierte Ansatz betont bei seiner Erklärung der Marke die wichtige Rolle des Konsumenten. Er geht aber über die Fokussierung auf den Konsumenten gemäß dem konsumentenbezogenen, verhaltenswissenschaftlich geprägten Ansatz hinaus und legt ein integratives, prozessuales Verständnis zugrunde (vgl. auch Bentele et al. 2009: 10, Herrmann 1999: 42). Dieses resultiert aus der Auffassung von Kommunikation als Prozess der Bedeutungsvermittlung, wodurch in der Interaktion von Unternehmen und Stakeholdern das markenkonstituierende Momentum gesehen wird. Der symbolische Mehrwert der Marke, auch als „symbolischer Nutzen“ (Siegert 2003), „Erlebniswert“ (Schulze 2005, Opaschowski 1991), „emotionale Produktdifferenzierung“ (Kroeber-Riel 1984: 116) oder zusammenfassend als der über den funktionalen Nutzen hinausgehende „Zusatznutzen“ (Esch/Wicke 2000: 19) bezeichnet, bildet sich erst aus dem Zusammenspiel von Bedeutungs- und Sinnzuschreibung sowie Verwendung der Marke durch die Stakeholder einerseits und durch das Markenmanagement in den Organisationen (z. B. NPOs, Unternehmen, Parteien) und Agenturen andererseits. ▶ Definition Die Marke ist ein in Kommunikation entstandenes einzigartiges, emotional aufgeladenes semantisches Netzwerk betreffend einen Gegenstand der öffentlichen Kommunikation (Organisation, Unternehmen, Produkt, Dienstleistung etc.). Dieses Netzwerk wird von einer Menge hochgradig komplexitätsreduzierender Kommunikationsangebote konsistent symbolisiert. Bei diesen Kommunikationsangeboten handelt es sich um jegliche semiotische Materialisierungen – sei es ein TV-Spot, eine Anzeige, ein Logo, eine Tonfolge/Melodie, der Markenname in einem Zeitungsbericht etc. –, die dieses spezifische semantische Netzwerk ganz oder teilweise, bewusst oder unbewusst zur Bedeutungskonstruktion aktivieren.
Die Bedeutungskonstruktion von Marken unterliegt situativen Bedingungen. Sie variiert in Abhängigkeit vom jeweiligen kognitiv-affektiven Zustand des Individuums (z. B. Produktkategorie-Involvement, Rezeptionsrelevanz) und von Charakteristika der Rezeptionssituation (z. B. Modalitäten des Mediums). Desweiteren reduziert die Marke durch ihre Symboleigenschaft Komplexität, weil sie ordnend in den Kommunikationsprozess eingreift. Sie ermöglicht als sinnstiftender Kontext in unübersichtlichen Umwelten selektives Handeln der Stakeholder (z. B.: konsumieren,
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spenden) und dämmt gleichzeitig auch die Kontingenz der Informations- und Mitteilungsproduktion seitens der Organisationen ein (vgl. Tropp 2004: 115, 118; 2013a: 9). Damit reduziert die Marke Komplexität, weil sie ordnend in den Marketing-Kommunikationsprozess eingreift. Sie ermöglicht als sinnstiftender Kontext in unübersichtlichen Märkten selektives konsumtives Handeln und dämmt gleichzeitig auch die Kontingenz der Informations- und Mitteilungsproduktion seitens der marketingtreibenden Organisationen ein (vgl. Tropp 2004: 115, 118). Durch die integrative Perspektive des kommunikationsorientierten Ansatzes geraten weiterhin die Entwicklungen des Marketing-Kommunikationssystems im Bereich der Media-Planung und des Media-Einkaufs nicht aus dem Blick. Denn zweifelsohne haben die Medien einen wesentlichen Einfluss auf die Ausbildung, die Stabilisierung und die Modifikation von markenspezifischem Wissen – sei es durch die Entscheidungen im Bereich der Media-Strategie und -Planung, die festlegen, in welchen Medien wann, wie und wie häufig die Marke kommuniziert wird, oder sei es durch den gesellschaftlichen Meta-Prozess der Medialisierung, von dem auch und gerade die Marketing-Kommunikation und damit die Marke betroffen ist (s. Kap. A 4).
2.2.3 Markenfunktionen Die folgende Aufstellung zeigt die Breite von Markenfunktionen. Sie resultiert aus der Berücksichtigung des betriebswirtschaftlichen, verhaltenswissenschaftlichen, psychologischen, soziologischen und kommunikationswissenschaftlichen Zugangs (vgl. Adjouri 1993: 232, Bruhn 1994: 23 f., Hellmann 2005, Irmscher 1997: 16, Meffert 1998: 785, Schiele 1999: 16 f., Sommer 1998: 79 f.). Die Funktionen können klassisch nach den Perspektiven von Hersteller, Handel und Konsumenten sowie zusätzlich nach deren Kommunikationsverhältnis gegliedert werden (s. Tab. 7). Aus einer Perspektive, die auf die Kommunikation zwischen den Marktteilnehmern gerichtet ist, ergibt sich die Kopplungsfunktion der Marke. Die Marke realisiert und festigt im Idealfall die Beziehung zwischen den Marktakteuren, womit ihr eine kommunikative Doppelfunktion zukommt. Denn neben ihrer Rolle als Botschaft im Kommunikationsprozess zwischen Hersteller, Handel und Konsument dient die Marke dem Konsumenten auch als Botschaft in der Kommunikation und Interaktion mit seiner sozialen Umwelt (vgl. Adjouri 1993: 232). Dies ist aber auf Markenprodukte einzuschränken, die im öffentlichen Raum (z. B. Autos, Kleidung) und nicht überwiegend nur privat zu Hause genutzt werden (z. B. Zahnpasta, Haushaltsreiniger).
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Tab. 7
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Funktionen der Marke für Hersteller, Handel und Konsumenten Funktionen der Marke
Herstellerperspektive
Handelsperspektive
Konsumentenperspektive
• Differenzierungsfunktion • Absatzförderungsfunktion • Verhandlungsfunktion: Stärkung der Verhandlungsposition gegenüber dem Handel • Sortenfunktion: Dokumentation der gemeinsamen Herkunft von Produkten, z. B. Audi A4 und Audi A3 • Monopolisierungsfunktion: Sicherstellung der exklusiven Nutzung eines Markenzeichens durch rechtlichen Schutz • Profilierungsfunktion: Möglichkeit der über die Differenzierungsfunktion hinausgehenden Profilierung des Unternehmens, eines Produktes oder einer Dienstleistung
• Absatzrisikominderung: Minderung des Absatzrisikos durch Selbstverkäuflichkeit der Herstellermarken • Renditefunktion • Marketingfunktion: Reduzierung des Einsatzes eigener Marketinginstrumente • Kostensenkungsfunktion: Kostenersparnis durch schnellen Produktumschlag • Profilierungsfunktion im Fall der eigenen Handelsmarke Profilierungsfunktion gegenüber Herstellern
• Identifikationsfunktion • Vertrauens- und Sicherheitsfunktion • Nutzenfunktion • Orientierungsfunktion • Garantiefunktion • Selbstinszenierungsfunktion • Ausdrucksfunktion von Gruppenzugehörigkeit • Ausdrucksfunktion von Wertorientierungen • Mythosfunktion • Ritualfunktion
Kommunikationsperspektive Kopplungsfunktion
2.2.4 Markenstrategiedimensionen und -optionen Das zentrale Anliegen der Markenstrategie besteht in der schlüssigen Auswahl von Markentypen zwecks der Zusammenstellung eines Markenportfolios, das zum Aufbau beziehungsweise zur Sicherung eines Wettbewerbsvorteils beiträgt (vgl. Becker 2018, Schiele 1999: 29). Damit gibt die Markenstrategie die grundsätzliche Ausrichtung des Marketingmix vor. Es kann zwischen folgenden Strategiedimensionen mit ihren jeweiligen Strategieoptionen unterschieden werden (vgl. Schiele 1999: 30 f.): • Übernahme der Marketing-Führerschaft Kernfrage: Bis zu welchem Grad soll die Markenführung selbstständig übernommen werden ? Als strategische Optionen bieten sich zum einen die reine Herstellermarkenstrategie und zum anderen im Rahmen einer Doppelstrategie die zusätzliche Vermarktung der produzierten Erzeugnisse als Handelsmarke an. Mit letzterer Variante, dem Vertrieb von Hersteller- und Handelsmarke/-n, ist eine partielle Verlagerung der Marketing-Führerschaft in den Absatzkanal verbunden. Der Handel tritt dann gegenüber den Konsumenten als Markeneigner auf und steuert den Einsatz der Marketing-Maßnahmen.
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•
Länderübergreifender Standardisierungsgrad der Markenkonzeption Kernfrage: Wie soll im Rahmen der internationalen Markenpolitik vorgegangen werden ? In dieser Dimension des geografischen Geltungsbereichs von Marken stehen die Strategieoptionen der Welt-, Regional- und Ländermarkentypen zur Wahl. Die Weltmarke wird durch ein globales Markenzeichen symbolisiert und beruht auf einer entsprechenden Positionierung (z. B. Coca-Cola, Marlboro). Die Markenprodukte können dabei jedoch an die jeweiligen Markt- und Kulturverhältnisse angepasst werden. Beispiel
McDonald’s bietet nur in Griechenland einen Greek Salad, Greek Mac und Greek Chicken an (s. Abb. 75).
Erzwingen Ländergruppen aufgrund der Bedürfnislage der Konsumenten oder der Wettbewerbssituation eine spezifische Marktbearbeitung, kommt die regionale Strategieoption zum Zug. Auch kann die sprachabhängige Semantik eines Markennamens diese Strategieoption erzwingen. Beispiel
Der Automobilhersteller Mitsubishi hat seinen Geländewagen Pajero in allen spanischsprachigen Ländern Montero genannt. Pajero steht im Spanischen umgangssprachlich für „Wichser“.
Abb. 75 Display in einem McDonald’s-Restaurant in Griechenland 2006 (eigene Abbildung)
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Schließlich können landesspezifische Konsumentenbedürfnisse, die Konkurrenzsituation, die Rechtslage oder auch im Falle einer Fusion oder Übernahme ein hoher Bekanntheitsgrad einer Marke einer geografischen Standardisierung im Wege stehen und zu einer Ländermarkenstrategie führen. Beispiel
1973 wurde das im Jahr 1865 gegründete Schweizer Familienunternehmen Dosenbach durch die Deichmann-Gruppe übernommen. In der Schweiz wurde der Name des Unternehmens aber beibehalten.
Die Art des Markenproduktes spielt eine gewichtige Rolle bei der strategischen Entscheidung in der Dimension des geografischen Geltungsbereichs der Marke. So sind Industriegüter und technische Produkte (z. B. Hardware) in ihrer Bedeutung und Handhabung weniger kulturell codiert als Gebrauchs- und vor allem Konsumgüter. Letztere erzwingen eher eine regional- oder landesspezifische Adaption der Markenpolitik (s. Abb. 76).
Abb. 76 Produktarten und ihr Ausmaß an Kulturbindung als Einflussfaktoren auf den landesspezifischen Adaptionsbedarf der Marke (vgl. Quelch/Hoff 1986: 60, T. Richter 2002: 225 f.)
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• Anzahl der Marken in einem Produktbereich Kernfrage: Wie viele Marken sollen in einer Produktkategorie lanciert werden ? Mit einer Monomarkenstrategie bleibt das Markenportfolio in einer Produktkategorie auf eine Marke beschränkt, die sich an alle Konsumenten richtet. Die Mehrmarkenstrategie hingegen zeichnet sich durch ein differenziertes Vorgehen in Form der parallelen Führung von mehreren, auf unterschiedliche Konsumentensegmente zugeschnittenen Marken in einer Produktkategorie aus. Beispiel
„Städtereise, Aktivurlaub, eine kleine gemütliche Pensionen in den Bergen oder lieber das klassische Strandhotel mit Pool ? Für jeden Urlaubswunsch gibt es den entsprechenden Reiseveranstalter.“ (https://www.thomascook.de/reiseveranstalter/ Zugriff: 16. 11. 2018) (s. Abb. 77)
• Anzahl der unter einer Marke geführten Produkte Kernfrage: Soll einer integrierten oder isolierten Produktmarkierung Vorrang gegeben werden ? Rein formal betrachtet geht es in dieser Strategiedimension um die Frage, ob jeder Marketing-Gegenstand mit einer eigenen Marke versehen werden oder einer Bündelung dieser unter einer Marke Vorrang gegeben werden soll. Aus der Perspektive der Konsumenten wird damit aber die Option des produktübergreifenden Image- oder Goodwill-Transfers angesprochen, also die reziproke Übertragung von Wissen von einem Markenprodukt auf ein anderes und vice versa. Dies
Abb. 77 Mehrmarkenstrategie des Reiseunternehmens Thomas Cook AG in Deutschland (Quelle: https://www.thomascook.de/reiseveranstalter/ Zugriff: 16. 11. 2018)
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Input
geschieht über eine klammernde Markensymbolik, in der Regel das Markenzeichen, das inhaltlich den zentralen Produktnutzen als Transferklammer konnotiert (vgl. Hätty 1994: 572). Optionen stellen die Produkt-, Familien- oder Dachmarkenstrategie dar.
2.2.4.1 Produktmarkenstrategie
Die Produktmarkenstrategie, auch Einzelmarken- oder Monomarkenstrategie genannt, ordnet jedem Produkt ein eigenes Produktversprechen zu. Das Markenartikel herstellende Unternehmen bleibt dabei für den Konsumenten im Hintergrund und verzichtet damit gezielt auf ein produktübergreifendes Identifikationsmerkmal. Da von anderen Marken des Unternehmens kein Spill-over-Effekt auf die Produktmarke zu erwarten ist, sich also keine Wirkungen einstellen, die auf Marketing-Maßnahmen für andere Marken des Herstellerunternehmens zurückgehen (vgl. Nieschlag et al. 1998: 851), bietet eine Produktmarkenstrategie am ehesten die Voraussetzung, eine direkte, klare Positionierung vornehmen zu können (vgl. Becker 2005, Schiele 1999: 33). Grundsatz der Produktmarkenstrategie eine Marke = ein Produkt = ein Produktversprechen Beispiel
Das Unternehmen Procter & Gamble stellt unter anderem die Marken Ariel, Lenor und Pampers her. Lediglich aufgrund der gesetzlichen Kennzeichnungspflicht ist zumeist auf der Rückseite der Produktverpackung unauffällig der Name des Unternehmens angegeben (vgl. Abb. 78).
In Tab. 8 wird ein Überblick über die wichtigsten Vor- und Nachteile der Produktmarkenstrategie gegeben.
Abb. 78 Produktmarke Lenor des Unternehmens Procter & Gamble
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Tab. 8 Wichtige Vor- und Nachteile der Produktmarkenstrategie (vgl. Becker 2000: 275, s. auch Meffert 1998: 796) Vorteile
Nachteile
Klare („spitze“) Profilierung eines Produktes möglich
Ein Produkt muss den gesamten Markenaufwand (Markenbudget) allein tragen
Konzentration auf eine definierte Zielgruppe
Voraussetzung ist ein tragfähiges Marktvolumen(potenzial)
Wahl einer spezifischen Positionierung gegeben
Langsamer Aufbau einer Markenpersönlichkeit („brand identity“)
Gute Darstellungsmöglichkeit des Innovationscharakters eines neuen Produktes
Bei immer kürzeren Produktlebenszyklen Gefahr, dass der Break-Even-Point nicht mehr erreicht wird
Profilierungs- und Positionierungsfreiheiten im Produktlebenszyklus (Relaunch-Maßnahmen)
Durch Strukturwandel von Märkten kann die Überlebensfähigkeit produktspezifischer Marken gefährdet sein
Vermeidung eines Badwill-Transfereffektes bei Misserfolg des Produktes auf andere Produkte des Unternehmens
Immer größere Probleme, geeignete und schutzfähige Markennamen zu finden
2.2.4.2 Familienmarkenstrategie
Mit der Familienmarkenstrategie werden unter einer Marke unterschiedliche Produkte für eine bestimmte Produktkategorie gebündelt, die auf unterschiedliche Marktsegmente der Produktkategorie zielen. Die Imagedimensionen der Markenpositionierung sind somit für alle unter der Familienmarke angebotenen Produkte wirksam. Grundsatz der Familienmarkenstrategie eine Marke = unterschiedliche Produkte einer Produktkategorie = produktübergreifendes Versprechen Beispiel
Das Unternehmen Beiersdorf bündelt unter der Familienmarke Nivea Produkte aus der Produktkategorie der Körperpflege (s. Abb. 79). Auch kann ein Unternehmen mehrere
Abb. 79 Familienmarke Nivea mit exemplarischen Produkten aus der Produktkategorie der Körperpflege des Unternehmens Beiersdorf (Quelle: www.nivea.de, Zugriff: 10. 08. 2010)
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Input
Familienmarken führen. Beispielsweise führt das Unternehmen Unilever unter anderem die Familienmarken Livio (Salatdressing und Speiseöl), Langnese (Speiseeis) und Unox (Suppen).
Von den im Folgenden aufgeführten Vor- und Nachteilen der Familienmarkenstrategie (s. Tab. 9) ist der Aspekt des Markenbudgets hervorzuheben. Er hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass es durch die im Rahmen einer Familienmarkenstrategie erzielbaren Synergieeffekte und damit Kosteneinsparungen im Markenmanagement zu einer Abkehr von Produktmarken gekommen ist.
Tab. 9 Wichtige Vor- und Nachteile der Familienmarkenstrategie (vgl. Becker 2000: 277, s. auch Meffert 1998: 799) Vorteile
Nachteile
Spezifische Profilierungsmöglichkeit (vor allem bei spezieller „Nutzenphilosophie“ für Produktlinien)
Der Markenkern der Ausgangsmarke begrenzt die Innovationsmöglichkeiten
Mehrere Produkte tragen den erforderlichen Markenaufwand (Markenbudget)
Gefahr der Markenüberdehnung bzw. -verwässerung durch nicht philosophieadäquate Neuprodukte („rubber effect“)
Neue Produkte partizipieren am Goodwill der Familienmarke (Starthilfe)
Bei der Profilierung einzelner Produkte muss Rücksicht auf die Basispositionierung genommen werden
Insbesondere bei Vorhandensein einer speziellen Nutzenphilosophie gute Ausschöpfungsmöglichkeiten von (neuen) Teilmärkten (Satellitenstrategie)
Wettbewerbsbedingte Restrukturierungsmaßnahmen (Relaunch) sind relativ begrenzt (insbesondere gegenüber starken Produktmarken)
Jedes neue „philosophiegerechte“ Produkt stärkt das Markenimage (Markenkompetenz)
Die Familienmarke ist nur dort einsetzbar, wo die Konsumenten Angebotssysteme mit entsprechenden Nutzenklammern akzeptieren
Die Familienmarke ermöglicht die Bildung eigenständiger „strategischer Geschäftsfelder“ (Organisationseinheiten mit eigenen strategischen Erfolgsfaktoren)
Familienmarkensysteme sind gefährdet, wenn der Handel solche Systeme nicht voll aufnimmt (bzw. nicht als System präsentiert)
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2.2.4.3 Dachmarkenstrategie
Die Dachmarkenstrategie stellt den Gegenpol zur Produktmarkenstrategie. Es werden alle Marketing-Gegenstände eines Unternehmens unabhängig von ihrer Produktgruppenzugehörigkeit unter einer Marke gebündelt. Bei diesem auch als Umbrella Brand bezeichneten Markentyp steht das Unternehmen und seine Kompetenz im Vordergrund der Positionierungsbemühungen, weswegen es bei dieser Strategieoption auch typisch ist, den Unternehmensnamen als Markennamen zu verwenden. Grundsatz der Dachmarkenstrategie eine Marke = unterschiedliche Produkte aller Produktkategorien = produktkategorienübergreifendes Versprechen Beispiel
Die Automobilhersteller BMW, Fiat oder VW bündeln unter ihren Dachmarken das gesamte Angebotsprogramm. Ebenso das Unternehmen Allianz (s. Abb. 80).
Wie auch bei der Familienmarkenstrategie sind als Vorteil der Dachmarkenstrategie die positiven Kosteneffekte zu betonen, die durch Synergieeffekte erzielt werden können (s. Tab. 10). Selbst Unternehmen, die klassisch eine Produktmarkenstrategie verfolgen – wie etwa Procter & Gamble –, fassen heute eine Strategiemodifikation in Richtung Dachmarke ins Auge.
Abb. 80 Die Dachmarke Allianz (Quelle: www.allianz.de; Zugriff: 02. 04. 2019)
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Tab. 10 Wichtige Vor- und Nachteile der Dachmarkenstrategie (vgl. Becker 2000: 279, s. auch Meffert 1998: 799) Vorteile
Nachteile
Alle Produkte tragen den notwendigen Markenaufwand (Markenbudget) gemeinsam
Die klare Profilierung eines ganzen Programms unter einer Marke ist stark erschwert (nur „runde“ Profilierung möglich)
Eine vorhandene Dachmarke erlaubt relativ leicht die Einführung neuer Produkte
Die Konzentration auf einzelne Zielgruppen ist im Prinzip nicht möglich
Jedes neue Produkt kann am Goodwill der Dachmarke partizipieren (Starthilfe)
Als Positionierung kann nur eine allgemeine, eher unspezifische „Lage“ gewählt werden
Das Unternehmen kann sich auch in kleineren Teilmärkten engagieren
Auf Besonderheiten der Profilierung einzelner Programmteile kann (auch bei Relaunchaktivitäten) keine Rücksicht genommen werden
Kurze Produktlebenszyklen bei einzelnen Produkten gefährden nicht die gesamte Ökonomie der Marke
Innovationen können nicht spezifisch profiliert bzw. ausgelobt werden
Kein aufwendiger Prozess der Suche nach neuen schutzfähigen Marken notwendig
Im Falle des Scheiterns eines Produktes ergeben sich Badwill-Transfereffekte auf die Marke und alle Produkte
Als weiterer triftiger Grund für eine derartige Strategiekorrektur ist die Profilierungsnotwendigkeit des Unternehmens zu nennen, das sich heute erkennbar zu seiner gesellschaftlichen Verantwortung bekennen muss. James Stengel, weltweiter Chief Marketing Officer von Procter & Gamble, formuliert entsprechend: „Die Menschen wollen wissen, was das für ein Unternehmen ist, von dem sie die Produkte kaufen“ (zit. n. Schroeter 2008a: 14).
2.2.4.4 Markenstrategie-Mix
In der Praxis ist es gängig, Produkt-, Familien- und Dachmarkenstrategie zu kombinieren, und nicht, eine idealtypische, reine Markenstrategie zu verfolgen. Der Grund ist in der Evolution des Unternehmens und seines Markenportfolios zu sehen, innerhalb der es zu nicht absehbar gewesenen Markentransfers und Markeninnovationen gekommen ist, die mit der Ausgangsstrategie nicht kompatibel sind. Ebenso habe Mergers & Acquisitions dazu beigetragen, dass Unternehmen heute komplexe Markenarchitekturen aufweisen. So hat das Unternehmen Henkel beispielsweise rund 200 Marken in seinem Portfolio und Unilever hat seine früheren 1600 Marken auf heute 400 Stück reduziert.
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▶ Definition (Esch 2014: 542) „Unter einer Markenarchitektur versteht man die Anordnung aller Marken eines Unternehmens zur Festlegung der Positionierung und der Beziehung der Marken und der jeweiligen Produkt-Markt-Beziehungen aus strategischer Sicht.“
Beobachten lassen sich Markenstrategie-Kombinationen von: • • • •
Dach- und Produktmarke, zum Beispiel: Henkel (Dachmarke)/Pril (Produktmarke), Red Bull (Dachmarke)/Cola (Produktmarke), Dach- und Familienmarke, zum Beispiel: Milka (Dachmarke)/Lila Pause (Familienmarke), Familien- und Produktmarke, zum Beispiel: Jacobs (Familienmarke)/Krönung (Produktmarke) sowie von Dach-, Familien- und Produktmarke, zum Beispiel VW (Dachmarke)/Golf (Familienmarke)/GTI (Produktmarke) (s. Abb. 81).
Dachmarke
Produktmarke + Familienmarke
Abb. 81 Anzeigenmotiv für den VW Golf GTI als Beispiel eines Markenstrategie-Mix (Quelle: Stern 18/2009)
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2.2.4.5 Selektion der Markenstrategie
Die Selektion der Markenstrategie steht unter dem Einfluss von folgenden Determinanten der Gestaltung des Markenportfolios (vgl. Schiele 1999: 232 f.): •
Ressourcenausstattung des Herstellers Sind die finanziellen Ressourcen des Unternehmens beschränkt beziehungsweise stehen Kostenüberlegungen im Vordergrund, kommt weniger eine Produkt- als eher eine Dach- oder Familienmarkenstrategie infrage. Der Grund ist besonders in den notwendigen Aufwendungen für die Marketing-Kommunikationskosten zu sehen. Wird keine hinreichende Aufmerksamkeit für die Marke aufgebaut als Voraussetzung dafür, dass überhaupt Nachfrage bei den Konsumenten entstehen kann, wird der Handel einer Listung des Markenartikels kritisch gegenüberstehen. Damit fällt die Chance gering aus, das Produkt auf dem Markt zu etablieren. • Transfereignung eingeführter Markensymbole Steht das Wissen über eine Marke, besonders das im Bereich der primären zentralen Assoziationen des Markenkerns, im Widerspruch zur Soll-Position einer neuen Marke, kommt keine Familien- oder Dachmarkenstrategie infrage. Auch ist zu beachten, dass für einen Transfer einer Marke im Sinne der Übertragung eines Warenzeichens auf eine andere Produktklasse in Deutschland gemäß dem Markengesetz und der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke eine Neuanmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt notwendig ist. Die Gewährung eines Schutzrechtes in der Zielproduktklasse ist somit abhängig von dem dort bereits noch nicht erteilten Schutzrecht für ein anderes Unternehmen, das diese Marke führt. • Technisch-funktionaler Fit von Stamm- und Transferprodukt Neben dem symbolischen Nutzen der Marke ist auch ihr technisch-funktionaler Nutzen auf eine Übertragbarkeit im Rahmen einer integrativen Familien- oder Dachmarkenstrategie zu prüfen. So dürfte ein Hersteller von Babynahrung erhebliche Probleme erhalten, wenn er unter derselben Marke auch ein Schädlingsbekämpfungsmittel anbieten wird. Kognitive Dissonanzen (s. Kap. B III 2.4.1) seitens des Konsumenten sind Folgen der wahrgenommenen Inkompatibilität der technisch-funktionalen Eigenschaften von Produkten unter einer Marke, die sich ökonomisch negativ auswirken. • Ausmaß der Markenstärke Die Übertragung positiver Imageeigenschaften und eines hohen Bekanntheitsgrades ist stets die Absicht, die mit einem Markentransfer verfolgt wird. Sind beide Voraussetzungen bei der Ausgangsmarke nicht gegeben, kommt eine integrative Markenstrategie nicht infrage. Idealerweise ist die Originalmarke in ihrem Segment beziehungsweise Consideration Set Marktführer oder liegt hinsichtlich ihrer Markenstärke zumindest an zweiter Stelle (vgl. Müller 1994: 503). Ist jedoch
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der technisch-funktionale Fit von Stamm- und Transferprodukt nicht gegeben, ist auch vorhandene Markenstärke kein Garant für einen erfolgreichen Markentransfer. Beispiel
„Im Falle von BIC hatte man versucht, den Goodwill der Konsumenten auf Damenstrumpfhosen zu übertragen … Bis dahin war das Markenimage in erster Linie durch preisgünstige Wegwerfartikel, die trotz alledem eine akzeptable Qualität aufwiesen, geprägt. Es handelte sich insofern um Imagedimensionen, die auf den ersten Blick betrachtet auch beim Kauf von Damenstrumpfhosen von Bedeutung sind. Dennoch wurde mit dem Transferprodukt nur ein sehr geringer Umsatz erzielt. Der Grund dafür lag darin, dass man die bisherigen BIC-Produkte wie Kugelschreiber und Feuerzeuge primär aus Plastik fertigte, weshalb die Assoziation mit diesem Material fest im Image von BIC verankert war (BIC = Produkte aus Plastik). Der Goodwill der Marke bezog sich insofern lediglich auf Plastikprodukte. Bei der Beurteilung von Strumpfhosen durch die Benutzerinnen spielte die Kompetenz von BIC bei Plastikartikeln allerdings keine Rolle. Der ohne Zweifel existente USP von BIC, der den Stammprodukten großen Erfolg bescherte, kam beim Transferprodukt nicht zum Tragen.“ (Schiele 1999: 241 f.)
•
Kompatibilität der Zielgruppen Stehen die Zielgruppen von Produkten, die mit einer Marke angesprochen werden sollen, in einem Antipathie- oder Spannungsverhältnis zueinander, ist keine Familien- oder Dachmarkenstrategie zu wählen. Die Marke, die als produktübergreifendes Identifikationsmerkmal fungiert, signalisiert auch Mitgliedern heterogener Zielgruppen eine Zusammengehörigkeit durch ihre Markenwahl. Marken, die im öffentlichen Raum genutzt werden, können in diesem Fall nicht mehr zur sozialen Distinktion eingesetzt werden, um sich als Mitglied einer Bezugsgruppe gezielt von anderen Konsumentengruppen abzugrenzen. • Integriertes Marketingmix-Management Die vertikale Koordination der Marketing-Maßnahmen im Rahmen einer Produktmarkenstrategie bedarf im Falle einer produktübergreifenden Familien- beziehungsweise Dachmarkenstrategie der Ergänzung um eine horizontale Koordination (s. Abb. 82). Diese stimmt die Maßnahmen für die Produkte aufeinander ab und sichert damit die produktübergreifende Konsistenz der Marke, sodass es beispielsweise nicht zu widersprüchlichen Aussagen oder nicht miteinander vereinbaren preispolitischen Entscheidungen kommen kann. Eine Familien- oder Dachmarkenstrategie stellt damit Anforderungen an die Organisationsstruktur des Unternehmens. Diese darf sich als Organisationsprinzip nicht an Produkten, sondern sollte sich an Marken orientieren. Nicht die isolierte Verantwortung der Produktmanager für ihre Produkte, sondern die produktüber-
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Abb. 82 Vertikale und horizontale Koordination der Marketinginstrumente bei Einsatz einer Dach- bzw. Familienmarke (vgl. Schiele 1999: 247)
greifende Verantwortung eines Markenmanagers ist die zu wählende Organisationsoption im Falle des Einsatzes integrativer Markenstrategien. Neben diesen Determinanten zur Gestaltung des Markenportfolios können in einem weiteren Konkretisierungsschritt detaillierte Bewertungskriterien zusammengestellt werden, anhand derer die Erfüllung unternehmensspezifischer Anforderungen an eine Markenstrategie beurteilt werden können. Die Beurteilungskriterien können sich auf die unternehmensinterne Situation, die Wettbewerbs-, die Zielgruppen- oder die Handelssituation richten und sind unternehmensindividuell, eben je nach Situation festzulegen. Die zusammengestellten relevanten Beurteilungskriterien werden durch ein Punktbewertungsmodell in einem nächsten Schritt gewichtet, je nach Anforderungen des Unternehmens an eine Markenstrategie (vgl. Abb. 83). Im folgenden Schritt erfolgt die Einschätzung der Erfüllung der Markenstrategieoptionen hinsichtlich der formulierten Anforderungen (vgl. Abb. 84). Schließlich ermöglicht die Multiplikation eines jeden Beurteilungskriteriums mit dem jeweiligen Bedeutungsgewicht des Items und die anschließende Addition der Einzelwerte eine Aussage über die Vorteilhaftigkeit einer Option. Keinesfalls sollte die Gewinner-Option jedoch anschließend unkritisch umgesetzt werden. Es gilt, sich über die methodischen Schwächen des Punktbewertungsverfahrens im Klaren zu sein (Unvollständigkeit der Bewertungskriterien, Abhängigkeit der Kriterien untereinander, Subjektivität der Gewichtungen), weshalb letztlich im Rahmen einer Expertendiskussion, die sich auf das Ergebnis des Verfahrens stützt, die Entscheidung über die Wahl der Markenstrategie zu fällen ist.
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Abb. 83 Fiktives Profil der Bedeutungsgewichte relevanter Bewertungskriterien bei der Wahl zwischen einer Mono- und einer Mehrmarkenstrategie (Quelle: Schiele 1999: 260)
Abb. 84 Erfüllungsgrad im Hinblick auf Anforderungen an eine Mono- und eine Mehrmarkenstrategie (Quelle: Schiele 1999: 261)
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2.2.5 Herausforderungen der Markenstrategie Den erwähnten, heute zu beobachtenden komplexen Markenarchitekturen von Unternehmen in Form von historisch gewachsenen Markenportfolios mangelt es an interner Logik, was eine strategische Markenführung erschwert und bei den Unternehmen zur Notwendigkeit der Überarbeitung ihrer bestehenden Markenarchitekturen führt. Infrage steht, ob sie sich dabei auch weiterhin an den klassischen Markenstrategien (Produkt-, Familien-, Dachmarkenstrategie) orientieren können. Denn erstens ist deren zentrales Differenzierungskriterium – die Anzahl der Produkte, die in einem Produktbereich unter einer Marke geführt werden – wenig hilfreich für das heutige Markenmanagement, das Interaktionseffekte zwischen Marken in komplexen Markenarchitekturen berücksichtigen muss. Damit zusammenhängend steht zweitens die Markenführung vor der Herausforderung, dass sie festlegen muss, in welchem Ausmaß jeweils das Unternehmen (Corporate Brand) und die einzelnen Produktmarken (Product Brand) in der zu schaffenden Markenarchitektur fokussiert werden sollen. Diese Herausforderung resultiert aus der Tatsache, dass Corporate Brand und Product Brand in Abhängigkeit von der Perspektive der jeweiligen Anspruchsgruppe unterschiedliche Bedeutungen zukommen. So messen Kunden, Handelsunternehmen und Unternehmensangestellte der Product Brand eine größere Bedeutung zu als Aktionäre und Analysten, für die umgekehrt die Corporate Brand von höherer Relevanz ist (vgl. Esch 2014). Des Weiteren ist bei der Überarbeitung des Markenportfolios zu beachten, dass die Corporate Brand durch die heutige Profilierungsnotwendigkeit des Unternehmens in Richtung ihres Bekenntnisses zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung (Corporate Social Responsibility) zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Markentheorie hält aktuell zwei Lösungsansätze bereit, um der Herausforderung der effektiven Gewichtung von Corporate und Product Brand in der Markenführung zu begegnen. Zum einen wird vorgeschlagen, das klassische markenstrategische Differenzierungskriterium der Anzahl der Produkte, die unter einer Marke geführt werden, gegen das der Wechselwirkungen der Marken eines Unternehmens auszutauschen (s. z. B. Laforet/Saunders 1994: 68, Aaker/Joachimsthaler 2000: 105). Es lassen sich dann auf einem Kontinuum Markenarchitekturen unterscheiden, die von den beiden Extremtypen „Branded House“ (Dominanz der Corporate Brand und starke Interaktionen zwischen den Marken) und „House of Brands“ (Führung von Einzelmarken mit eigenständiger Positionierung und ohne integrierendes Markendach) eingerahmt werden (vgl. Abb. 85 und Abb. 86). In der Praxis der Überarbeitung von Markenarchitekturen werden aktuell diese beiden Extremvarianten jedoch kaum angetroffen. Am verbreitetsten ist die Strategievariante des Endorsement Branding, bei der ein Mittelweg eingeschlagen wird und einzelne Aspekte der Stärke der übergeordneten Marke zur Stützung der Product Brands genutzt werden, besonders die Vertrauens- und Glaubwürdigkeit der Herstellermarke und deren Qualitätsgarantie (z. B. Nestlè → Nescafé).
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Abb. 85 Wechselwirkungsbezogene Markenarchitekturtypen nach Laforet/Saunders 1994 (Quelle: Esch 2005: 425)
Abb. 86 Wechselwirkungsbezogene Markenarchitekturtypen nach Aaker/Joachimsthaler 2000 (Quelle: Esch 2005: 427)
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Abb. 87 Wirkungsbezogene Klassifikation von Markenarchitekturen (Quelle: Esch 2005: 429)
Der zweite Vorschlag hebt auf die Wahrnehmung von Markenarchitekturen aus Konsumentensicht ab (vgl. Esch 2005: 429). Hier wird mittels einer Outside-in-Perspektive eine wirkungsbezogene Klassifikation von Markenarchitekturen angestrebt (vgl. Abb. 87). Werden diese beiden Ansätze miteinander verglichen, zeigt sich jedoch als wesentliches Differenzierungskriterium lediglich die Anzahl der jeweils resultierenden Markenarchitekturtypen. Diese fällt bei einer wirkungsbezogenen Klassifikation geringer aus. Inhaltlich sind keine signifikanten Unterschiede feststellbar. Auch weisen die beiden Ansätze im Vergleich zu den klassischen Markenstrategien wenig neuen Erkenntnisgewinn auf. Als Fazit für den Umgang mit der Herausforderung der effektiven Gewichtung von Corporate Brand und Product Brand lässt sich festhalten, dass heute ein integrierter Inside-out-/Outside-in-Ansatz anscheinend das größte Erfolgspotenzial bei der Gestaltung der Markenarchitektur vorhält. Es gilt, aus Unternehmensperspektive (Inside-out) die Markenführung an der Nutzung von Synergien zwecks optimaler Kapitalisierung der Unternehmensmarke auszurichten und gleichzeitig aus der Anspruchsgruppenperspektive (Outside-in) eine höchstmögliche Relevanz der einzelnen Marken die jeweiligen Bedürfnisse und Interessen ihres Publikums betreffend sicherzustellen. Zweifelsohne ist aber weitere Forschung notwendig, um Fragen zur Wahl der Markenstrategie und der Markenarchitektur in den heutigen komplexen unternehmensinternen und -externen Umgebungen weiter abzuklären.
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Zielgruppen und Zielpersonen
Damit das marketingtreibende Unternehmen mit seiner Umwelt kommunizieren kann, ist es notwendig, dass es aus dieser gemäß seinen Zielen Bereiche selektiert und damit seine Umwelt überhaupt erst bearbeitbar macht, indem es so eine Struktur erkennen kann. Dies stellt die Voraussetzung für intentionales Verhalten und sinnhaftes Tun, also für soziales Handeln dar (vgl. Kap. A 1.2, A 1.3.1). Dies geschieht mit der Zielgruppen- und Zielpersonenbestimmung, die die Input-Konzeption auf definierte Ausschnitte der Umwelt ausrichtet, um festgelegte Handlungsziele zu erreichen. Entsprechend diesem konzeptionell grundlegenden Charakter der Zielgruppenund Zielpersonenselektion wird dieses Element im Wirkungsgefüge von keinem anderen Element beeinflusst. Es ist aber selbst in seiner Einflussnahme auf zu treffende Entscheidungen hochgradig aktiv, da es mit Ausnahme von der Kommunikations-/ Media-Idee direkt auf alle anderen Konzeptionsschritte einwirkt (s. Abb. 88).
2.3.1 Das Segmentierungskonzept Das kommunikationsnotwendige Kriterium der Selektivität liegt dem Segmentierungskonzept zugrunde, das von Wendell Smith (1956) in Marketingtheorie und -praxis eingeführt wurde. Es umfasst die Aufteilung heterogener Gesamtmärkte in homogene Teilmärkte, was je nach Marktgegebenheiten und Intentionen mittels unterschiedlicher Datengrundlagen geschehen kann. Infrage kommen Informationen, die das Unternehmen aus Daten über die Konkurrenz, das Angebot oder die Konsumenten als Nachfrager produziert. Steht letztere Option, das Selektieren von Kon-
Abb. 88 Die Zielgruppen- und Zielpersonenselektion im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
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Input
sumenten zur Bildung von Segmenten, im Mittelpunkt, um eine segmentbezogene Kommunikation zu ermöglichen, handelt es sich um eine Marktsegmentierung im engeren Sinne (vgl. Baier/Brusch 2008: 771). Grundsätzliche Vorteile der Segmentierung sind ein verbessertes Verständnis der Kunden, effizientere Ressourcenverteilung, besser zugeschnittene Marketingkampagnen sowie eine verstärkte Wettbewerbsfähigkeit (vgl. Dibb/Simkin 2010: 113). Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist jedoch kritisch anzumerken, dass durch die kommunikative Notwendigkeit der Selektion Marktpotenzial verlorengeht. Als problematisch sind außerdem die höheren Kosten zu sehen. Massenproduktionsvorteile können bei einer Segmentierungsstrategie nicht in dem Umfang genutzt werden, wie dies ohne Segmentierung der Fall wäre. Zusätzliche Investitionen in einen spezifischeren und aufgefächerteren Marketingmix erhöhen die Ausgaben. Die Dynamik der Märkte erschwert zudem deren effiziente Segmentierung (vgl. Diller 2006: 51, Pepels 1995: 127). Daher wird die Marktsegmentierung auch als ein „Kompromiss“ (Baier/Brusch 2008: 772) bezeichnet, der aber als notwendiger gelten muss. Für die Marketing-Kommunikation bedeutet dies, dass die Marktsegmentierung einen erfolgreichen Mittelweg aufzeigt zwischen der undifferenzierten, aber kostengünstigeren allgemein adressierten öffentlichen Kommunikation, die lediglich ein umfassendes Segment selektiert und die sich an den Bedürfnissen und Interessen eines angenommenen durchschnittlichen Konsumenten in einem eventuell heterogenen Gesamtmarkt orientiert, und der differenzierten, aber in der Regel kostenintensiveren Individualkommunikation, die sich an den Bedürfnissen und Interessen jedes einzelnen Konsumenten (Segment-of-One) ausrichtet. Gleichwohl ist heute vor allem wegen Kosteneinsparungsmöglichkeiten, die sich aus den kommunikationstechnologischen Entwicklungen ergeben, aber auch aufgrund der Fragmentierung der Medienlandschaft ein Bestreben nach einer immer feineren Segmentierung zu beobachten, um dem Vorteil der Zielgenauigkeit der Individualkommunikation möglichst nahezukommen.
2.3.2 Zielgruppen- und Zielpersonenbegriff Übereinstimmung herrscht in der Literatur wie in der Praxis, was die Bestimmung der Begriffe Zielgruppe und Zielperson angeht (vgl. z. B. Huth/Pflaum 2005: 252, Kloss 2012, Koschnick 1996: 1037, Rogge 1990: 80). Demnach können sie wie folgt definiert werden. ▶ Definition Diejenigen einzelnen Personen, Gruppen von Personen oder Organisationen, die zur Rezeption des Kommunikationsangebots segmentiert werden, um Kommunikationsziele zu erreichen, werden Zielpersonen beziehungsweise Zielgruppen genannt.
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Von einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive aus kann Kritik an diesem Begriffsverständnis geäußert werden. Beanstanden lässt sich, dass es Assoziationen weckt, die den Kommunikationsprozess aus einer rein instrumentellen Sichtweise begreifen und erklären und ihn damit nicht adäquat widerspiegeln. Vorzuziehen sei der Begriff der Bezugsgruppe, womit diejenigen Kommunikationspartner eines Unternehmens gemeint sind, an die sich die Kommunikation richtet (vgl. Hubbard 2004: 26, Mast 2006: 126). Dabei wird von einem Verständnis gleichberechtigter partnerschaftlicher Kommunikationspartner ausgegangen, bei dem der Rezipient, die Zielperson, nicht einfach ein passiver Empfänger ist, der mit dem Instrument Kommunikation bearbeitet wird, sondern aktiv über sein Medienhandeln und seine Bedeutungskonstruktion in das kommunikative Geschehen eingreift. Ganz im Sinne des Stakeholder-Ansatzes (vgl. Freemann 1984: 52) kann die Zielgruppe der Konsumenten aber auch als eine Anspruchsgruppe neben anderen (z. B. Mitarbeiter, Lieferanten, Journalisten etc.) aufgefasst werden, deren Erwartungen die Erwartungen des MarketingKommunikationsmanagements prägen und die damit ihrerseits durchaus indirekt Einfluss auf die Handlungen und Kommunikationen des marketingtreibenden Unternehmens ausüben. Es besteht daher kein Grund, im Kontext der Modernen Marketing-Kommunikation mit ihrer Betonung der wirksamen Reflexivitätsverhältnisse den Zielgruppenbegriff aufzugeben. Denn nicht Instrumentalität impliziert dieser Begriff vorrangig – obwohl diese natürlich unstrittig ein Merkmal von MarketingKommunikation ist –, sondern lediglich, dass die Initiative zur Eröffnung des Kommunikationsprozesses vom Unternehmen und nicht vom Konsumenten ausgeht. Wird segmentbezogen kommuniziert, ist in der Regel davon auszugehen, dass auch Nichtmitglieder der Zielgruppe das Kommunikationsangebot rezipieren. Dies wird als Streuverlust bezeichnet. Wird beispielsweise in einem Marketing-Kommunikationsprozess mit der Zielgruppe Männer ein Aftershave-Produkt thematisiert, sind alle Frauen, die an diesem Kommunikationsprozess teilnehmen, Streuverlust. Es sei denn, sie sind von dem Unternehmen als primäre Zielgruppe segmentiert worden, die als Meinungsführer in dem Prozess agiert und die als „Relaisstation“ zwischen dem Unternehmen und der sekundären Zielgruppe, den Männern, meinungsbildend wirkt (vgl. Bruhn 2014). Marketing-Kommunikationseffekte bei der Sekundärzielgruppe sind somit maßgeblich von dem Meinungsbild den Marketing-Gegenstand bei der Primärzielgruppe betreffend abhängig. Hintergrund dieser Differenzierung in primäre und sekundäre Zielgruppe ist die Hypothese des two-step flow of communication, wonach Meinungsführer einen großen Einfluss auf Entscheidungen von Personen in ihrem sozialen Umfeld haben (vgl. Kap. B 1.3.1, C III 2.5.1). Hierzu zählen heute vor allem auch Journalisten und Vertreter von Nichtregierungs- und Non-Profit-Organisationen. Mit der Unterscheidung in primäre und sekundäre Zielgruppen ist ein grundsätzliches Schema der Zielgruppensegmentierung angesprochen. Anhand der beiden Kategorien Käufer/Nichtkäufer und Verwender/Nichtverwender können Konsumenten in einem ersten Schritt anhand des Kauf- und Verwendungsmerkmals grob in vier
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Käufer
Nichtkäufer
Verwender
Produkte des täglichen Bedarfs
Geschenke/Wünsche, Mitarbeiter in Unternehmen
Nichtverwender
Geschenkartikel, Eltern, Großeltern
Meinungsführer, Berater
Input
Abb. 89 Exemplarische Zielgruppensegmentierung anhand des Kauf- und Verwendungsmerkmals
Zielgruppen mit aus Unternehmenssicht jeweils eigenen Zielsetzungen und Einsatzbereichen segmentiert werden (s. Abb. 89) (vgl. Rogge 1990: 80, Unger/Fuchs 2005: 114).
2.3.3 Vorgehen und Anforderungen der Zielgruppensegmentierung Das Vorgehen bei der Zielgruppensegmentierung erfolgt in drei Schritten: • Vorbereitung: Definition der Kriterien und Gewinnung der entsprechenden Daten zur Aufteilung des Gesamtmarktes, der Konsumentenschaft, in homogene Teilmärkte, in Zielgruppen; • Durchführung: anhand der gewonnenen Daten Segmentierung der Konsumenten in Zielgruppen; • Verwertung: Auswahl von Zielgruppen zur Konzeption und Umsetzung segmentspezifischer Marketing-Kommunikationsmaßnahmen. An die identifizierten Zielgruppensegmente sind bestimmte Anforderungen zu stellen, die diese zu erfüllen haben (vgl. z. B. Baier/Brusch 2008: 775, Bruhn 2014: 322 f., Freter 1983: 43 f., Meffert 1998: 178 f., Rogge 1990: 81 f.): 1) Handlungsrelevanz: Die gewählten Kriterien sollen zukünftige Kaufhandlungen vorhersagen können. Es müssen daher Merkmale zugrunde liegen, die Beziehungen zu den Bestimmungsfaktoren von Kaufhandlungen aufweisen. Voraussetzung ist dabei eine Homogenität innerhalb der Segmente und eine Heterogenität zwischen den verschiedenen Segmenten. 2) Segmentbezogene Output-Fähigkeit: Nur wenn die verschiedenen Marketing-Kommunikationsdisziplinen ihren Output zielgerecht in den Segmenten einsetzen können, ist die Bildung von Segmenten sinnvoll. Eine Verbindung zwischen Markterfassung und Marketing-Kommunikation muss daher stattfinden. Diese realisiert sich grundsätzlich über die mediale Erreichbarkeit der Konsumenten innerhalb der Segmente.
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3) Messbarkeit der Segmente: Die Segmentierungskriterien sollen mit den gängigen Methoden der Marktforschung messbar sein, um die Zielgruppen zu identifizieren. Die Operationalisierbarkeit der Kriterien ist die Voraussetzung für die Anwendung mathematisch-statistischer Methoden. 4) Zeitliche Stabilität der Segmente: Die Zielgruppen sollten für einen gewissen Zeitraum beständig sein, um eine sinnvolle Prognose zu ermöglichen und spezifische Output-Maßnahmen in diesen Segmenten einsetzen zu können. Marketing-Kommunikationseffekte stellen sich häufig erst nach einem längeren Zeitraum ein, wie beispielsweise im Bereich des Imageaufbaus. 5) Wirtschaftlichkeit: Der sich aus der Segmentierung ergebende Nutzen muss größer als die anfallenden Kosten sein. Darauf ist besonders zu achten, wenn empirische Primärforschung zum Einsatz kommt.
2.3.4 Segmentierungsmethoden Es steht eine große Spannbreite von Methoden zur Zielpersonen- und Zielgruppensegmentierung zur Verfügung. Genannt werden können einfachere Methoden wie beispielsweise die ABC- oder RFMR-Analyse aus der Klasse der Scoring-Verfahren, die in der Praxis für die Erstellung von Kundenwerttypologien häufig zum Einsatz kommen (vgl. Deyle 2007: 85). Für bestimmte Ereignisse im Verlauf der Beziehung zwischen Unternehmen und Kunde ordnet das Unternehmen dem Kunden positive oder negative Punkte (Scores) zu, die kumuliert werden und die die Einordnung des Kunden in eine definierte Score-Klasse ermöglichen. Dabei kann es sich um ein- oder mehrdimensionale Verfahren handeln. Mit der ABC-Analyse werden Kunden des Unternehmens eindimensional nach dem Umsatzkriterium einem A-, B- oder C-Segment zugeordnet, sodass umsatzstarke von -mittelmäßigen und -schwachen Kunden unterschieden werden können. Die Recency-Frequency-Monetary-Ratio-Methode (RFMR-Methode) ist ein mehrdimensionales Verfahren, das zur Segmentierung die Kriterien letztes Kaufdatum (Recency), Kaufhäufigkeit (Frequency) und den Bestell- beziehungsweise Kaufwert (Monetary Ratio) einsetzt. Je nach Branche und unternehmensspezifischen Zielsetzungen wird die RFMR-Methode situativ angewendet. So verwendet das Versandhaus Quelle bis zu 450 Basiskriterien, aus denen bis ca. 1500 Einzelmerkmale zur Score-Ermittlung abgeleitet werden (vgl. Kehl 2000: 241). Auch kann der unternehmensspezifischen Relevanz der einzelnen Kriterien jeweils durch einen Gewichtungsfaktor Rechnung getragen werden.
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2.3.4.1 Clusteranalyse
Komplexere Verfahren der Segmentierung stellen die multivariaten Analysemethoden dar, von denen besonders die Clusteranalyse zu nennen ist. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, mit dessen Hilfe Objekte oder Fälle zu Gruppen zusammengefasst werden. Um das Anforderungskriterium der Handlungsrelevanz der Segmentierung zu erfüllen, müssen die gebildeten Gruppen hinsichtlich des Merkmalbereichs in sich ähnlich (minimale Innenvarianz) und untereinander möglichst andersartig (maximale Außenvarianz) sein (vgl. Bacher 1996: 1, Backhaus et al. 2018). Die Analyse dient also dazu, homogene Objekte in einer Gruppe zusammenzufassen, mit dem Ergebnis, dass jedes Objekt am Ende einer Gruppe angehört. Als Klassifikationsobjekte können beispielsweise Personen, Organisationen oder auch Nationen dienen. Eine ganze Bandbreite von kaum mehr zu überblickenden Clustermethoden steht zur Verfügung. Für die Zwecke der Zielgruppenbildung kommen überwiegend interdependenzanalytische Clustermethoden zum Einsatz, die nicht zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen trennen, besonders die hierarchische und die partitionierende Methode (s. Abb. 90) Als klassische, nicht überlappende Methoden ordnen beide jede Person genau einem Cluster zu. Bei den hierarchischen Clustermethoden wird mittels Algorithmen von unten eine Clusterhierarchie aufgebaut. Es wird mit der einzelnen Person be-
Abb. 90 Typologie von Clustermethoden (Quelle: Jensen 2008: 339)
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Abb. 91 Baumdiagramm der hierarchischen Clusteranalyse (Quelle: Jensen 2008: 341)
gonnen, die dann aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit anderen Personen – gemessen anhand von Proximitätsmaßen, die sich in Ähnlichkeits- und Distanzmaße aufteilen (vgl. Backhaus et al. 2018) – sukzessive zu immer größeren Clustern verschmolzen wird. Visualisiert werden kann dies durch ein Baumdiagramm, auch Dendrogramm genannt (s. Abb. 91). Um die optimale Clusteranzahl aus dem Lösungsbaum auszuwählen, stehen unterschiedliche Kriterien bereit, von denen das Ellbogen-Kriterium trotz einiger Nachteile (stellenweise Abwesenheit des Ellbogens oder mehrere Knickstellen in einem Datensatz) sehr verbreitet ist (vgl. Jensen 2014: 352). Es zeigt an, wann ein nächster Verschmelzungsschritt in der Clusterhierarchie einen überproportionalen Zuwachs an Heterogenität innerhalb eines Clusters zur Folge hat, weswegen dieser nicht mehr sinnvoll ist und die optimale Clusterzahl vorliegt. Grafisch bildet sich dieser überproportionale Zuwachs als ein Diagrammknick, als ein „Ellbogen“ ab (s. Abb. 92).
Abb. 92 Ellbogen-Kriterium (Quelle: Jensen 2008: 353)
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Bei partitionierenden Clustermethoden wird keine Hierarchie ermittelt, aus der dann die optimale Clusterlösung ermittelt werden muss. Stattdessen muss vorab angegeben werden, wie viele Cluster ermittelt werden sollen, denen dann Personen zugeordnet werden. Diese Startlösung des Verfahrens wird dann im Laufe der Clusterung modifiziert, indem ein definiertes Optimierungskriterium (z. B. K-Means- oder Clusterzentren-Kriterium) so lange minimiert oder maximiert wird, bis keine Optimierung mehr möglich ist. Dies geschieht durch die iterative Umgruppierung von Personen zwischen den Clustern, also durch die Partitionierung des Datensatzes (vgl. Haas/Brosius 2006: 167, Jensen 2014: 348). Häufig wird eine Kombination aus hierarchischen und partitionierenden Verfahren eingesetzt, bei der zunächst mit einer kleineren Stichprobe eine Clusterlösung hierarchisch ermittelt wird. Diese wird dann mit der partitionierenden Methode, die Simulationsstudien zufolge der hierarchischen überlegen ist, fortgeführt (vgl. Jensen 2014: 349).
2.3.4.2 Targeting
Auch wenn das Targeting streng genommen nicht als eigenständige Segmentierungsmethode bezeichnet werden kann, da es sich unter anderem vor allem der Clusteranalyse bedient, soll es aufgrund seiner hohen Bedeutung für die Zielgruppensegmentierung in der Online-Kommunikation gesondert aufgeführt werden. Leitender Gedanke des Targetings ist es, in der Online-Kommunikation definierte Zielgruppen ohne Streuverluste zu erreichen. Dazu wird Technologie in Form von Adservern und Targeting-Systemen, die der Segmentierung dienen, eingesetzt. Targeting kann wie folgt definiert werden. ▶ Definition Targeting ist ein Distributionsverfahren von Kommunikationsmitteln in der OnlineMarketing-Kommunikation, bei dem diese segmentspezifisch gestaltet und angeboten werden.
Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ist es das Ziel des Targetings, über die Reduktion von Streuverlusten die Effizienz der Marketing-Kommunikation zu erhöhen. Dies soll die segmentspezifische Auslieferung von Kommunikationsmitteln sicherstellen, bei der die Marketing-Kommunikationsangebote nach zuvor definierten Kriterien nur an bestimmte Nutzer distribuiert werden (vgl. Eisinger et al. 2009, Greve et al. 2011: 8). In kommunikationswissenschaftlicher Betrachtung steht die Erhöhung der Rezeptionsrelevanz von Marketing-Kommunikationsangeboten als Zielsetzung im Mittelpunkt des Targetings. Der Targeting-Prozess gestaltet sich derart, dass mit dem Besuch eines Nutzers einer bestimmten WWW-Seite dieser vom Targeting-System als Angehöriger eines de-
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Abb. 93 Targeting-Prozess (Quelle: Pellikan 2008: 13)
finierten Zielgruppensegmentes identifiziert und ihm über einen Adserver das passende segmentspezifische Kommunikationsangebot präsentiert wird (vgl. Abb. 93). Betreiber von Targeting-Systemen und Adservern sind in der Regel spezialisierte Targeting-Anbieter (z. B.: nugg.ad, AudienceScience) oder Internet-Vermarktungsorganisationen (z. B. United Internet Media, Interactive Media). Aber auch die Media-Agenturen (z. B. GroupM, Plan.Net) drängen verstärkt in dieses Geschäftsfeld vor (vgl. Pellikan 2009: 44). Zur Datengewinnung und Identifikation des Nutzers zwecks Segmentierung stehen folgende serverseitigen Möglichkeiten zur Verfügung (vgl. Fisch 2004: 20 f., Mühling 2007: 24 f., Chaffey et al. 2001: 328 f.): •
Die Logfile-Analyse von automatisch erstellten Dateien, die die Aktionen eines Web-Servers protokollieren, gibt Aufschluss über die Art, den Zeitpunkt und den Namen abgerufener Dateien, die IP-Adresse des abrufenden Rechners (Client), die vor dem Seitenaufruf zuletzt besuchte Seite, den genutzten Browser und das verwendete Betriebssystem sowie das Übertragungsvolumen. • Cookies sind Dateien, die ein WWW-Server auf der Festplatte des Nutzers dauerhaft (permanente Cookies) oder für die Dauer einer Nutzer-Session (Session Cookies) ablegt. Permanente Cookies übermitteln bei einer erneuten Nutzung der WWW-Site gespeicherte Daten an den WWW-Server. Dies können Daten zu besuchten Seiten, Einstellungen und Eingaben des Nutzers sein.
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• Über die notwendige Registrierung und das erforderliche Login des Nutzers, um ein WWW-Angebot nutzen zu können, ergibt sich für den Anbieter Zugang zu persönlichen Daten wie Name und Adresse sowie zu weiteren demografischen, soziodemografischen oder psychografischen Daten. Beim sogenannten value exchange tauscht der Nutzer seine Daten gegen einen Service des Anbieters aus, wie beispielsweise die Nutzung eines kostenlosen E-Mail-Kontos. • Beim von der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW) und von der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung (AGOF) verwendeten Pixel-Tracking werden kleine, oftmals nur 1 × 1 Pixel große, transparente Grafiken, sogenannte Web Bugs, auf einer WWW-Seite integriert. Diese dienen vor allem dazu, Erkenntnisse über Seitenaufrufe kompletter Seiten (Page Impressions) und über Besuche von Nutzern (Visitors) zu gewinnen. Für die Zwecke der Segmentierung kommt in der Regel ein Mix dieser vier Methoden der Datengewinnung zum Einsatz. Unproblematisch sind die Methoden jedoch nicht. So ist bei der Logfile-Analyse zu beachten, dass viele Internet Service Provider dynamische IP-Adressen vergeben, sodass ein Nutzer auf Dauer nicht zwingend über eine IP-Adresse identifizierbar ist. Weiterhin kann sich hinter einer IP-Adresse ein Multi-User-Access verbergen, sodass mehrere Nutzer eine IP-Adresse nutzen. Nutzer haben des Weiteren die Möglichkeit, Cookies abzulehnen oder sie regelmäßig von ihrer Festplatte zu löschen und bei der Registrierung zur Nutzung von Internet-Seiten können von Nutzern falsche Angaben getätigt werden. Aus den Möglichkeiten der Datengewinnung resultieren unterschiedliche Formen des Targetings (vgl. Greve et al. 2011: 11 f., Mühling 2007: 68 f.). Beim Targeting nach technografischen Kriterien steht neben der Auslieferung des Marketing-Kommunikationsangebots gemäß der technischen Ausstattung des Nutzers (z. B. Browsertyp, Bandbreite) auch die Häufigkeit der Auslieferung eines Kommunikationsmittels im Mittelpunkt. Diese kann mittels Frequency Capping begrenzt werden und so der Gefahr des „Banner-burnout“ (ebd.: 69) beim Nutzer vorgebeugt werden. Das Targeting nach geografischen Kriterien erlaubt die nationale und regionale Aussteuerung der Kommunikationsmitteldistribution und das Targeting nach zeitlichen Kriterien erfolgt auf Basis von bestimmten Wochentagen oder Tageszeiten. Die Vermarkter, die dank Nutzerregistrierung über detailliertere Profile von Nutzern ihrer Seiten verfügen, können Targeting nach soziodemografischen und/oder psychografischen Merkmalen und – sofern die Daten von ihnen erhoben wurden – auch ein Targeting nach Affinitäten anbieten, bei dem Nutzer gemäß ihren Interessen Kommunikationsangebote ausgeliefert bekommen. Auf dieses Interesse kann jedoch auch indirekt über das mediale Handeln des Nutzers im Rahmen des Behavioural Targeting geschlossen werden. Besucht ein Nutzer mehrmals ein Interessengebiet auf einem WWW-Angebot (z. B. Reisen, Sport oder Auto), wird eine Themenaffinität unterstellt und der Adserver liefert inhaltlich passende Marketing-Kommunikationsangebote aus. Diese werden dann im Folgen-
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den auch in nicht interessenaffinen Umfeldern präsentiert (vgl. auch Lorenz et al. 2009: 24). Einen Schritt weiter geht das Predictive Behavioural Targeting, bei dem mediale Nutzerhandlungen mit anonymisierten Registrierungs- oder Befragungsdaten verknüpft werden und algorithmusgestützt Hypothesen die Ausprägung von soziodemografischen und Affinitätsmerkmalen von Nutzern betreffend entwickelt werden, die bislang noch nicht über ihre Handlungen einem bestimmten, nach Affinitätskriterien definierten Zielgruppensegment zugeordnet wurden. Beim Targeting in der Suchwortvermarktung (Search Engine Marketing/SEM) werden dem Nutzer unabhängig von seinen persönlichen soziodemografischen oder psychografischen Merkmalen, aber stattdessen in Abhängigkeit von seinem Suchbegriff neben den in der sogenannten organischen Liste aufgeführten Suchergebnissen auch inhaltlich passende Marketing-Kommunikationsangebote (sponsored links) – von Google als „AdWords-Anzeige“ bezeichnet – präsentiert (s. Abb. 94). Schließlich ist noch das Retargeting zu nennen, bei dem Nutzer, die auf einer WWW-Site eine definierte Interaktion vollzogen haben, während ihres Besuches auf anderen WWW-Angeboten ein Marketing-Kommunikationsangebot eingeblendet bekommen, das in Bezug zu ihrer getätigten Interaktion steht. So ist es denkbar, dass an einen Nutzer, der zuvor auf der WWW-Site eines Automobilherstellers ein Fahrzeug konfiguriert hat, zu einem späteren Zeitpunkt auf einer anderen WWW-Site ein Kommunikationsmittel distribuiert wird, das exakt eine Abbildung seines zuvor konfigurierten Fahrzeuges enthält. So verlockend die Möglichkeiten der streuverlustreduzierten Online-MarketingKommunikation mittels der unterschiedlichen Formen des Targetings sind, so wenig darf übersehen werden, dass die genannten Probleme der Datenerhebung eine Herausforderung die Validität der Segmentierung betreffend darstellen, die dem Targe-
Abb. 94 Beispiel für Targeting in der Suchwortvermarktung bei google.de (Suche: 15. 06. 2009)
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ting zugrunde liegt. Auch muss stets beachtet werden, dass sich das Targeting im Rahmen der datenschutzrechtlichen Bestimmungen bewegt (s. im Überblick Eickmeier/Hansmersmann 2011). Bis dato fehlt es an Grundlagenstudien, die sich mit dem Thema Targeting befassen. Es dominieren die Fallstudien der Online-Vermarktungsorganisationen mit ihren wirtschaftlich orientierten Interessenlagen. Trotzdem treibt das Targeting die weitere Etablierung der Ausrichtung der Marketing-Kommunikation am Ideal der differenzierten Individualkommunikation, die sich an den Bedürfnissen und Interessen jedes einzelnen Konsumenten (Segment-of-One) orientiert, weiter voran. Sie trägt wesentlich zur Steigerung der Rezeptionsrelevanz in der Marketing-Kommunikation bei, indem kontextbezogen nach Merkmalen der Lebenswelt und der Rezeptionssituation die inhaltliche Ausrichtung und die Distribution von Marketing-Kommunikationsangeboten erfolgt.
2.3.5 Die Begriffe Typ und Typologie Ein Typ oder Typus kann als eine definierte Menge von Personen aufgefasst werden, die sich durch eine festgestellte Übereinstimmung in bestimmten einzelnen Merkmalen auszeichnet. Dabei handelt es sich um eine Verallgemeinerung von Subjekten anhand der sie kennzeichnenden Merkmale (vgl. Braunschweig et al. 1975: 11, Breuer/ Koppelmann 1986: 85, Koschnick 2006: 48). Die Einteilung in Typen unterscheidet sich von der Klassifikation durch die Anzahl der verwendeten Merkmale. Zudem werden anstelle rein formaler, quantitativer Kriterien zur Typenbildung meist charakterisierende, qualitative Merkmale verwendet (vgl. Welter 2006: 113). Jedoch wird in der Praxis diese strikte Begriffstrennung selten vorgenommen. Als Ergebnis analytischer Forschung ist der Begriff der Typologie als „systematische Ordnung einer Menge von Untersuchungsobjekten […] anhand sinnvoller, d. h. dem jeweiligen Untersuchungsziel dienender Merkmale“ (ebd.: 113) zu verstehen. Die Bündelung von mehreren Typen ergibt somit eine Typologie. Typologien können aufgrund ihres breiten Spektrums von Anwendungsmöglichkeiten in vielen verschiedenen Bereichen bzw. Disziplinen gebildet werden. Mit Gert Gutjahr (1983: 54 f.) können für den Bereich der Konsumenten drei Arten von Typologien unterschieden werden: 1) Pseudo-Typologien, 2) kausale Typologien und 3) Persönlichkeits-Typologien. Pseudo-Typologien stellen keine Typologien im eigentlichen Sinne dar, sondern Sozial-Stereotype, die aus dem Besitz oder der Verwendung bestimmter Marken oder Produkte resultieren (z. B. „Typ Mercedes-Fahrer“). Die zweite Kategorie (kausale Typologien) stützt sich auf einen Kausalzusammenhang zwischen Charaktertyp und Konsum (Typ der regelmäßigen Spiegel-Leser). Persönlichkeits-Typologien geben Aufschluss über die Mitglieder einer bestimmten Gruppe anhand diskriminierender Persönlichkeitsmerkmale. Hierunter fallen die meisten aktuellen Zielgruppen-Typologien (vgl. auch Koschnick 2006: 50).
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Auch wenn Versuche vorliegen, die beiden Begriffe Typologie und Segmentierung voneinander abzugrenzen (s. z. B. Breuer/Koppelmann 1986: 86 f.), werden sie in der Fachliteratur häufig synonym gebraucht. Eine relativ trennscharfe Differenzierung der beiden Begriffe kann erzielt werden, wenn unter Konsumententypologien eine mehr allgemein gehaltene, produktkategorienübergreifende und unternehmensunabhängige Aufteilung verstanden wird, wohingegen sich die Segmentierung auf eine unternehmens- und produktkategorienspezifische Clusterung bezieht (vgl. Deyle 2007: 56, Freter 1983: 65 f., Pepels 2000: 98 f.). Zu ergänzen ist, dass in jüngerer Zeit im Zusammenhang mit Zielgruppenbeschreibungen vermehrt der Begriff der „Persona“ auftaucht. Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Gebiet der Mensch-Maschine-Interaktion und wird dort verwendet, um typische Nutzer einer Computer-Anwendung, vorrangig von WWW-Sites, mittels soziodemografischer und Mediennutzungsmerkmale zu beschreiben. Zwecks der Beschreibung marketing-kommunikativer Personae werden zusätzlich auch Kriterien des Konsumhandelns genutzt. Im Wesentlichen konnotiert der Begriff dasselbe wie der des „Typs“, mit dem kleinen Unterschied, dass er eine individuellere Beschreibung von Personen, also einen geringeren Verallgemeinerungsgrad assoziiert.
2.3.6 Typenmerkmale und Arten von Typologien Eine Vielzahl von Typologien steht heute zur Kommunikations- und Media-Planung bereit. Die Strategien und Pläne der Marketing-Kommunikationsakteure, besonders die der Media-Planer, werden in erheblichem Maße von der herangezogenen Typologie beeinflusst. Als Grund für die Karriere der Typologien wird allgemein die seit den 1960er Jahren abnehmende Erklärungskraft soziodemografischer Variablen wie Alter, Geschlecht, Bildung oder Schicht- und Klassenzugehörigkeit für menschliches Erleben und Handeln angeführt (vgl. Haas/Brosius 2006: 159). Neben dem bereits erwähnten Besitz- und Konsummerkmal können Typen von Konsumenten und Kunden anhand unterschiedlichster Merkmale gebildet werden, die in der Regel kombiniert im Rahmen einer mehrdimensionalen Zielgruppenbestimmung zum Einsatz kommen. Folgende fünf einschlägige Merkmalskategorien können der Literatur entnommen werden (vgl. z. B. Bruhn 2014, Deyle 2007: 62, Freter 2016: 315, Unger/Fuchs 2005: 110 f.): •
•
Die oben schon genannten soziodemografischen Merkmale gelten als klassische Beschreibungskriterien. Ihr Vorteil liegt in der leichten Zugänglichkeit über sekundärstatistisches Material und ihrer zumeist kostengünstige Beschaffung. Geografische Merkmale beschreiben die Bevölkerungsdichte, Gebietsstruktur oder Kaufkraft von Regionen oder Orten. Im Direktmarketing kommen diese als mikrogeografische Kriterien zum Einsatz, anhand derer eine Aufteilung in kleinräumige Wohngebietszellen erfolgt.
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•
Psychografische Merkmale wie Einstellungen, Motive oder Wertorientierungen haben vor allem Relevanz für die Gestaltung des Marketing-Kommunikationsangebots. Jedoch werden sie auch in Mediennutzungstypologien integriert (s. z. B. Schweiger 2006). • Physiologische Merkmale wie Körpergröße, Allergien, Haut- oder Haartyp spielen ebenfalls für die passende Formulierung des Marketing-Kommunikationsangebotes eine wichtige Rolle. So ist beispielsweise zu klären, welcher Haartyp (trockenes, fettiges usw. Haar) mit einem Shampoo angesprochen werden soll. • Handlungsmerkmale wie beispielsweise Kaufmengen und -häufigkeiten, die Markenwahl oder kommunikative Handlungen wie Mediennutzung oder Weiterempfehlungen eignen sich nur dann als Bestimmungsfaktoren für Kaufhandlungen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Handlungen der Zielgruppen stabil bleiben. Besonders im Zusammenhang mit der Zielsetzung der Kundenbindung eignet sich der Einsatz dieser Typologisierungsmerkmale. Durch die Kombination von Merkmalen aus den fünf Kategorien können unterschiedliche Arten von Typologien gebildet werden. Zu nennen sind Verbraucher-/ Konsumententypologien, Publikums-/Mediennutzertypologien, Lebensstil- und Milieutypologien, phasen- und zyklenbezogene Typologien sowie Markt-Media-Studien (vgl. Haas/Brosius 2006: 162 f.; Tab. 11).
2.3.6.1 Verbraucher-/Konsumententypologien
Die Verbraucher-/Konsumententypologien gruppieren Personen anhand ihres allgemeinen oder spezifischen konsumtiven Handelns, ihrer Einstellungen, Interessen etc. Spezifische Verbraucher- oder Konsumententypologien können sich auf Produktkategorien (z. B. Automobiltypologie) oder auch Menschenkategorien (z. B. Frauen-Typologie) beziehen. Fließt auch das Merkmal der Mediennutzung in die Typologisierung ein, kann der für die Marketing-Kommunikation selektierte Konsumententyp gezielt medial angesprochen werden. Der Übergang zu einer MarktMedia-Studie ist in diesen Typologien häufig fließend.
2.3.6.2 Publikums-/Mediennutzertypologien
Bei Publikums- beziehungsweise Mediennutzertypologien werden nur Merkmale der Mediennutzung zur Bildung der Typen herangezogen, womit es sich um Spezialtypologien handelt. In diesen Studien können sowohl nur ein Medium (z. B. die Nutzertypologie von twitter.de, vgl. Trump/Busse 2010) als auch mehrere unterschiedliche Medien berücksichtigt werden. Sie liefern wertvolle Ansatzpunkte für die Gewin-
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Typologiearten mit beispielhaften Typologien
Verbraucher-/ Konsumententypologien
Publikums-/ Mediennutzertypologien
Lebensstil-/ Milieutypologien
Phasen- und zyklenbezogene Typologien
Markt-MediaStudien
Outfit-Studie (Spiegel Verlag)
Typologie der Mediennutzer (Meyen 2007)
Sinus-Milieus (Sinus Markt- und Sozialforschung)
KundenbedarfslebenszyklusTypologie (Bruhn 2001)
Allensbacher Marktund Werbeträgeranalyse (Institut für Demoskopie Allensbach)
PKW-Käufer-Typologie (Burda Media KG)
Typologie transmedialer Nutzungsstile (W. Schweiger 2006a)
GfK Roper Consumer Styles (GfK)
Kundenbeziehungslebenszyklus-Typologie (Stauss 2000)
Best for planning (b4p) (Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung GIK)
Nielsen-Gebiete (The Nielsen Company)
Erlebnismilieus (Schulze 1992)
Kinder-Medien-Studie (sechs herausgebende Verlage)
Limbic-Typen (Gruppe Nymphenburg) Semiometrie (Kantar TNS) Kundenwerttypologien (unternehmensindividuelle Segmentierung anhand unterschiedlicher Verfahren, z. B. ABC-Analyse, ScoringModell)
nung von Consumer Insights den elementaren Kontext der Rezeptionssituation des Konsumenten betreffend.
2.3.6.3 Lebensstil-/Milieutypologien
Als Universaltypologie kombinieren die Lebensstil- beziehungsweise Milieutypologien Merkmale aus den fünf Kategorien und sind im Gegensatz zur Spezialtypologie, die sich häufig nur auf einen Markt bezieht, in unterschiedlichsten Segmentierungsbereichen einsetzbar (vgl. auch Hölscher 1998). Sie liefern wichtige Ansatzpunkte für die Gewinnung von Consumer Insights den elementaren Kontext der Lebenswelt des Konsumenten betreffend.
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2.3.6.4 Phasen- und zyklenbezogene Typologien
Bei den phasen- und zyklenbezogenen Typologien spielt die Zeitdimension die zentrale Rolle. Die Segmentierung erfolgt anhand der lebenszeitabhängigen Ausprägung des Produktbedarfsmerkmals (Kundenbedarfslebenszyklus) oder anhand des Merkmals der zeitabhängigen Intensität der Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen (Kundenbeziehungslebenszyklus). Diese Typologien eignen sich wie die Kundenwerttypologie nicht für die Segmentierung zwecks Neukundengewinnung. Das Lebenszykluskonzept hat seinen Ursprung in der Diffusionsforschung, die sich mit der Verbreitung von Innovationen in der Gesellschaft befasst (vgl. Schweiger 2007: 329 f.). Im Marketing hat es vor allem in Form des Produktlebenszyklus Anwendung gefunden, wonach ein Produkt unterschiedliche Entwicklungsphasen, je nach Modell vier bis sechs Stück, durchläuft: von der Einführungs- über die Wachstumsund die Reifephase, die mit steigenden Umsatzsatzzahlen verbunden sind, über die Sättigungsphase mit stagnierenden Umsätzen hin zur Verfalls- und der Sterbephase, die mit sinkenden Umsätzen einhergehen (vgl. Nieschlag et al. 1998: 170 f.).
2.3.6.5 Markt-Media-Studien
Markt-Media-Studien zeichnen sich durch ihre Fülle der erhobenen Daten aus. Aus den zahlreichen Merkmalen zum konsumtiven Handeln und zur Mediennutzung, die sie beinhalten, kann das Unternehmen eigene Spezialtypologien erstellen. Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger bietet unter pz-online.de das von COMsulting erstellte Analyseinstrument „Zielgruppenfinder“ an, das einen komprimierten Überblick und Vergleich der wichtigsten deutschen Markt-Media-Studien ermöglicht.
2.3.7 Herausforderungen der Zielgruppenplanung 2.3.7.1 Problem der zeitlichen Stabilität
Von Typologien muss gemäß der klassischen Anforderung der zeitlichen Stabilität von Zielgruppensegmenten erwartet werden können, dass sie auf dauerhaften Dispositionen der Befragten aufbauen. Wer heute als moderner Performer identifiziert wird, sollte dies auch noch in einem Jahr sein. Über diese Stabilität beziehungsweise Volatilität von Typen liegen bisher jedoch wenige Erkenntnisse vor. Alexander Haas und Hans-Bernd Brosius (2006: 168) weisen darauf hin, dass neue Erhebungen, in denen andere Personen befragt werden, nicht hilfreich bei der Lösung dieses Problems sind. Selbst in dem Fall, dass die Randverteilungen der Typen stabil bleiben, kann intraindividuell eine Inkonstanz vorliegen. Nicht nur bei multioptional veranlagten, auch bei jungen Menschen ist das Problem evident, da hier davon aus-
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gegangen werden kann, dass ein Wandel der Merkmalsausprägungen, die der Zielgruppenbeschreibung zugrunde liegen, bei den befragten Personen aufgrund ihres Entwicklungsgangs die Regel ist. Es kann daher bezweifelt werden, ob die Anforderung der Stabilität grundsätzlich plausibel ist und ob Zielgruppen als ein relativ statisches Konstrukt mit stabilen Bewertungs- und Präferenzstrukturen begriffen werden sollten. Gerade in individualisierten Gesellschaften müsste nämlich dann das Handeln der Menschen als zunehmend irrational erscheinen, da es keine Handlungslogik erkennen lässt. Dem kann entgegengehalten werden, dass nicht die Zielgruppen der Grund für das Dilemma sind, sondern die Art ihrer „Beschreibung so far“ (Mitterer 2000, Schmidt 1994: 35). Die Handlungslogik der Konsumenten moderner Gesellschaften ist – wie Andreas Baetzgen (2007: 132) argumentiert – nicht mit einer veralteten Segmentierungsschablone zu fassen, die lediglich mit festen Persönlichkeitseigenschaften operiert, was der Grund dafür ist, dass Konsumenten den Managern in Unternehmen und Agenturen als irrational beziehungsweise hybrid erscheinen. Die resultierende Herausforderung und der Lösungsansatz für Typologisierungen werden in einer „Beschreibung from now on“ (Mitterer 2000, Schmidt 1994: 35) gesehen, die zusätzlich die Situation als prozessualen Kontext berücksichtigt, in dem sich Menschen befinden (vgl. auch Kap. A 3). Es gilt also, Situationen zu identifizieren und zu beschreiben, in denen sich Menschen trotz unterschiedlicher soziodemografischer oder psychografischer Merkmalsausprägungen weitestgehend identisch orientieren und verhalten (vgl. Baetzgen 2007: 133). Ein weiterer Ansatzpunkt zur Lösung des Problems kann für das Direktmarketing in der dynamischen Segmentierung gesehen werden. Bei scorebasierten Typologien werden dann beispielsweise auch Kunden in einer Direktmarketing-Kampagne berücksichtigt, die aufgrund ihres zu geringen Punktwertes aus vergangenen Aktionen eigentlich nicht der Zielgruppe der aktuell geplanten Maßnahme angehören. Dies bringt darüber hinaus den wirtschaftlichen Vorteil mit sich, dass die Fixkosten einer Kampagne, beispielsweise die Agenturkosten für die Konzeption, auf eine größere Anzahl von Zielkunden verteilt werden können (vgl. Mann 2006: 77). Auch kann mit einem kontinuierlichen Data Mining die Segmentangehörigkeit eines Kunden fortlaufend überprüft werden. Ebenfalls kann ein größeres Gewicht der Selbstsegmentierung eingeräumt werden, bei der Kunden online ihre eigenen Interessen- und Bedürfnisprofile anlegen und damit die Art und Weise ihrer Ansprache aktiv mitsteuern (vgl. ebd.: 75 f.).
2.3.7.2 Optimierung des Nutzen-Aufwand-Verhältnisses
Da die Erstellung einer Typologie mit einem erheblichen Aufwand vor allem im Bereich der Datenerhebung einhergeht, müssen Typologien einer Messung ihres Nutzens, der diesem Aufwand gegenübersteht, standhalten können. Die vorhandene
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Vielzahl an Typologien scheint zu dokumentieren, dass der Aufwand gerechtfertigt ist. Dennoch zeigen aktuelle Untersuchungen, dass es gilt, nicht voreilig einer Typologie-Gläubigkeit zu verfallen. In Sekundärauswertungen der TdW und der VA haben Haas und Brosius (2006: 169 f.) gezeigt, dass die in diesen Typologien erhobenen Daten nicht wesentlich mehr Varianz erklären als von den soziodemografischen Variablen allein erklärt wird. Die Dominanz soziodemografischer Merkmale ist unverkennbar, womit die Autoren zu dem Schluss kommen, dass „Typologien … bisher allerdings den Beweis schuldig geblieben [sind], dass durch sie Konsum- und Mediennutzungsverhalten besser erklärt werden können als durch andere Konzepte“ (ebd.: 176) wie eben die einfache soziodemografische Zielgruppenbeschreibung. Der Aufwand, der betrieben wird, schlägt sich demnach also nicht in Erklärungs- beziehungsweise Prognosekraft das Medien- und Konsumhandeln betreffend nieder. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Petra Schreiber (2008: 56) in ihrer Untersuchung, in der sie die Erklärungskraft von Lebensstiltypen mit der von mittels Alter, Bildung und Geschlecht soziodemografisch beschriebenen Zielgruppen vergleicht. „Es stellt sich die Frage, ob der Aufwand, kostspielige und zeitintensive Lebensstil-Typologien zu entwickeln, den Ertrag in Form der höheren Erklärungskraft der Lebensstilvariable bzw. psychografischen Variablen im Vergleich zu dem einfach handhabbaren und kostengünstigen Einsatz der soziodemografischen Variablen rechtfertigt. Nach dem vorliegenden Befund muss dies eher verneint werden.“
Die resultierende Frage für marketingtreibende Unternehmen und die Agenturen lautet: Können Lebensstil-Typologien erkenntnisbringend genutzt werden, damit ihre offensichtliche Stärke der plakativen und lebendigen Zielgruppenbeschreibung effektiv und effizient in der Konzeption der Marketing-Kommunikation eingesetzt werden kann ? Überraschenderweise liegt die Antwort bereits seit Beginn der 1990er Jahre vor, als Lifestyle-Typologien in der Zielgruppenplanung gerade ihren Siegeszug angetreten hatten. So hat Franz Böcker schon 1992 in der Branchenzeitschrift w&v (3/1992: 16) darauf hingewiesen, dass Lifestyle-Typologien nicht auf Basis allgemeiner psychografischer Merkmale konsumtives Handeln in spezifischen Marktsegmenten erklären oder prognostizieren können (vgl. auch Diller 2006: 51, Hoepner 2006: 15, Haas/Brosius 2006: 177). Vielversprechender ist es, zielgruppenspezifische Typologien für soziodemografisch definierte Segmente zu entwickeln, wie dies ja auch von vielen Markt-Media-Studien bereits angeboten wird (z. B. PKW-Käufer-Typologie oder Kaffeetrinkertypologie). Dem Marketing-Manager und strategischen Planer in der Agentur ist nämlich weniger mit Typologien von allen Menschen in der Gesellschaft geholfen als vielmehr mit solchen, die die spezifische Zielgruppe eines Produktes beziehungsweise einer Marke wie beispielsweise jugendliche Handy- oder seniore Computer-Nutzer beschreiben (vgl. Brosius 2005: 54).
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2.3.7.3 Bestimmung der Clusteranzahl
Die Clusteranalyse ist als Segmentierungsmethode zur Zielgruppenproduktion keineswegs unumstritten. Ihren Lösungen in Form der Clusteranzahl wird in der Marktforschung regelmäßig mit Misstrauen begegnet. Diese gelten häufig als subjektiv und willkürlich, besonders die der klassischen Methoden (vgl. Jensen 2014: 367). So geben hierarchische Clusteranalysen immer eine Lösung an, was für Zweifel an der Erklärungsstärke sorgt. In der Regel erfolgt die Festlegung der Clusteranzahl aus pragmatischen Überlegungen des Analytikers, wobei die Zahl sieben (plus/minus zwei) sich sehr gut dazu eignet, „die Anzahl der Objekte zu beschreiben, die Menschen gleichzeitig im Gedächtnis behalten können“ (Haas/Brosius 2006: 167), weswegen es nicht verwundert, so Haas und Brosius (ebd.), dass Typologien sich letztlich um diese Zahl herum anordnen lassen. Ove Jensen (2014: 367) weist besonders darauf hin, dass neben dem in der Regel eingesetzten Ellbogen-Kriterium Alternativen zur Bestimmung der Clusteranzahl wie das Pseudo F und das Cubic Clustering Criterion (CCC) vorhanden sind. Auch stellen die probabilistischen Clusterverfahren eine interessante Alternative für die Zielgruppensegmentierung dar. Die Herausforderung für die Zielgruppenforschung – und zwar gleichermaßen für die angewandte Marktforschung wie für die Grundlagenforschung – liegt somit im Umgang mit dem Verdacht einer methodisch bedingten Willkürlichkeit. Diesem muss mit einer stärkeren Berücksichtigung neuerer methodischer Entwicklungen begegnet werden, was mit der Inkaufnahme von Aufwand, sei er kognitiver, technologischer oder auch finanzieller Art, verbunden ist. Die Tatsache, dass auch neuere Verfahren stets nur eine Lösung in Form einer Wirklichkeitskonstruktion bieten, indem sie eine bestimmte Anzahl an Clustern schaffen, und nicht eine in der Realität existierende Zahl von Clustern abbilden, bleibt davon aber unberührt.
2.4
Marketing-Kommunikationsziele
Die Marketing-Kommunikationsziele werden im Wirkungsnetz der Konzeptionselemente unter Berücksichtigung der Zielgruppen-/Zielpersonenbestimmung, der Positionierung sowie des zur Verfügung stehenden Budgets definiert. Gleichzeitig wirken aber die Marketing-Kommunikationsziele auf die Budget-Entscheidungen ein (s. Abb. 95). Für die Marketing-Kommunikation als eine spezifische Form der Kommunikation gilt – wie für jede Art der Kommunikation als soziale Handlung –, dass mit ihr auf allgemeiner Ebene das Kommunikationsziel der Verständigung verfolgt wird. Nachgelagert dieser kommunikativen Primär-Zielsetzung werden mit der Marketing-Kommunikation Kommunikationszwecke verfolgt, die als die spezifischen Marketing-Kommunikationsziele aufgefasst werden können. Werden diese erreicht, wird
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Abb. 95 Direkte Einflüsse auf die Bestimmung der Marketing-Kommunikationsziele im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
implizit auf erfolgte Verständigung geschlossen, das primäre Kommunikationsziel also als verwirklicht eingestuft (s. Kap. A 1.2). ▶ Definition Marketing-Kommunikationsziele sind Beschreibungen von zukünftigen Zuständen, von Sollzuständen, die durch marketing-kommunikative Handlungen erreicht werden sollen.
Aus der Definition ergibt sich die Funktion der Vorgabe und der Kontrolle von Marketing-Kommunikationszielen. Durch den Abgleich von ursprünglichem Soll- und erreichtem Istzustand können die Maßnahmen, die stattgefunden haben, bewertet werden. Marketing-Kommunikationsziele geben daher einerseits Orientierung in der Planungs- und Gestaltungsausrichtung des gesamten Marketing-Kommunikationsprozesses und sind gleichzeitig die Basis für die Erfolgskontrolle dieses Prozesses. Damit kommt ihnen auch eine Funktion für die Entscheidungsfindung zu. Eine Zielorientierung ist im Unternehmen im Hinblick auf eine Entscheidung zur Konzeption des Marketing-Kommunikationsprozesses ein konsensfähigeres Kriterium als beispielsweise die subjektive Einschätzung eines Managers. An Marketing-Kommunikationszielen können und müssen in Unternehmen und Agenturen die zur Konzeption des Marketing-Kommunikationsprozesses notwendigen Entscheidungen (z. B. Zielgruppenauswahl, Budgetierung, Medienauswahl) ausgerichtet werden. Die Ziele haben damit auch eine Koordinationsfunktion inne, da sie die Handlungen der an der Konzeption der Marketing-Kommunikation beteiligten Akteure aufeinander abstimmen und sie diese darüber hinaus motivieren, auf das Erreichen der Sollzustände hinzuwirken (Motivationsfunktion) (vgl. Bruhn 2014: 310 f., Hofbauer/Hohenleitner
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Analysen und Strategien
285
2005: 147, Unger/Fuchs 2005: 101). In der Literatur findet sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Kriterien, anhand derer sich Marketing-Kommunikationsziele differenzieren lassen (vgl. z. B. Pepels 2001: 83 f.). Sie können unterschieden werden nach: • •
•
•
•
• •
•
ihrer vertikalen Einordnung in die Zielhierarchie des Unternehmens; ihrer horizontalen Einordnung in den Zielkanon der Unternehmensziele, die auf derselben Ebene liegen, und nach den resultierenden Charakteristika der Beziehungen der Ziele (Zielidentität, Zielkonkurrenz, Zielharmonie, Zielindifferenz etc.) (vgl. Rogge 1990: 47); ihrem Zeitbezug: kurzfristige, operative Ziele (Laufzeit unter einem Jahr), mittelfristige, taktische Ziele (Laufzeit zwischen einem Jahr und drei oder fünf Jahren) und langfristige, strategische Ziele, die eine Laufzeit von drei beziehungsweise fünf bis zu dreißig Jahren haben (vgl. auch Hofbauer/Hohenleitner 2005: 147, Kloss 2012, Vergossen 2004: 47); ihrem Ausmaß, wobei zwischen Extremal-, Optimal-, Fixations- und Satisfaktionszielen differenziert werden kann, wobei letztere über ihren Grad der Zielerreichung (von – bis) definiert werden und in der Marketing-Kommunikation die gängigste Form darstellen (vgl. Pepels 2001: 85); ihrer Richtung, von der Ausweitung (Steigerung des Ausmaßes, z. B. Umsatzsteigerung) über die Konsolidierung (Fortschreibung des Status quo) und Etablierung (Platzierung am Markt) bis hin zur Reduzierung als Verminderung des Ausmaßes des Zielinhaltes; ihrer Raumerstreckung, beispielsweise lokal, national oder global; ihrem Inhalt, wobei sich Ziele in materieller und formeller Hinsicht unterscheiden lassen. Formell geben Ziele entweder als Meta-Ziele abstrakte Steuerungsvorgaben vor (z. B. Wachstum, Umweltschutz, Betriebsklima etc. betreffend), die sich vor allem in den „Mission Statements“ der Unternehmen finden, oder sie beziehen sich als Sachziele auf das konkrete Handlungsprogramm mit seinen Kosten und Leistungen. Materiell lassen sich Ziele mittels der in den 1960er Jahren entstandenen Kategorisierung in ökonomische und psychografische Ziele einteilen (vgl. Behrens 1963: 106 f.), worauf im folgenden noch näher eingegangen wird; ihrer Gewichtung in Hauptziele mit hoher Priorität und Nebenziele mit geringer Priorität, was bei der Zuweisung von finanziellen Mitteln zur Zielerreichung, der Budgetierung, von Bedeutung ist.
Von diesen Kriterien zur Differenzierung von Marketing-Kommunikationszielen bedarf das der vertikalen Einordnung in die Zielhierarchie des Unternehmens sowie das damit immer wieder in Beziehung gesetzte Inhaltskriterium mit seiner Differenzierung in ökonomische und psychografische Ziele einer näheren Betrachtung. Hier offenbart sich ein Ableitungsproblem der Marketing-Kommunikationsziele, das in den Grundsatz der Zurechenbarkeit von Wirkungen der Marketing-Kommunikation zu Marketing-Kommunikationszielen mündet.
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Input
2.4.1 Grundsatz der Zurechenbarkeit Mittels des Kriteriums der vertikalen Einordnung in die Zielhierarchie des Unternehmens werden Marketing-Kommunikationsziele als Unterziele klassifiziert, die als Voraussetzung zum Erreichen von übergeordneten Zielen (Oberzielen) dienen. Letztere sind ökonomische Marketingziele auf der Outflow-Ebene, die ihrerseits wiederum in einem konditionalen Verhältnis mit den Unternehmenszielen stehen, zu deren Erreichung sie dienen (s. Abb. 96). Outflow-Ziele wie beispielsweise die Steigerung des Absatzes von Produkt X um 7 Prozent, die Erhöhung des Marktanteils um 12 Prozent oder eine Erhöhung der Erstkäuferquote um 8 Prozent sind jedoch häufig in Kommunikationsdisziplinen, die – wie in der klassischen Mediawerbung – primär auf Veränderungen im kognitiv-emotionalen System des Konsumenten zielen, für die Ableitung von Marketing-Kommunikationszielen untauglich. Erstens reAbb. 96 Ableitung der Marke- sultieren derartig beschriebene Sollzustände aus dem ting-Kommunikationsziele (in Zusammenwirken eines kompletten Marketingmix Anlehnung an Hofbauer/Hoaus produkt-, preis- und distributionspolitischen sohenleitner 2005: 147) wie marketing-kommunikativen Maßnahmen. Diese Ziele weisen also keine kommunikationsbedingte Reagibilität, keine Bereichsadäquanz auf. Dem Marketing-kommunikativ verantwortlich Handelnden im Unternehmen oder in der Agentur wird dadurch ein auf dem Kausalitätsprinzip basierender Sollzustand vor Augen gehalten, den er durch sein eigenes Handeln nicht isoliert und damit eindeutig zurechenbar erreichen kann (vgl. Steffenhagen 2009: 361; Kap. B III 2.1). Darüber hinaus wirken zweitens unternehmensexterne Entwicklungen und Zustände im Marketing-Kommunikations-, Wirtschafts- und Mediensystem auf die Erreichung von Marketingzielen – aber auch auf die von Marketing-Kommunikationszielen – ein. So bleibt in summa unklar, wie sich beispielsweise das Erreichen des Marketing-Kommunikationsziels der Bekanntheitsgradsteigerung um 12 Prozent für das Produkt X auf das Erreichen des ökonomischen Marketingziels der Erhöhung des Marktanteils um 6 Prozent auswirkt. Der Grundsatz der Zurechenbarkeit besagt also, dass das Erreichen von Sollzuständen mit hoher Wahrscheinlichkeit isoliert auf den Einsatz von Marketing-Kommunikationsmaßnahmen zurückgeführt werden kann. Der Status quo stellt sich jedoch so dar, dass quantifizierte Kommunikationsziele oftmals nicht aus ökonomischen Vorgaben hierarchisch abgeleitet werden können. Daher bleibt bis auf Weiteres den Akteuren nichts anderes übrig, als ausgehend von einer fundierten Analyse des durchschnittlichen Zustandes der kognitiv-emotionalen Systeme der Zielgruppe sowie des Status quo der kommunikativen Verhältnisse
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Analysen und Strategien
287
mit dieser Zielgruppe mehr oder weniger anspruchsvoll das Ausmaß der MarketingKommunikationsziele heuristisch zu bestimmen (vgl. Steffenhagen 2009: 374). Dies konfligiert aber mit der Bedeutungszunahme des Performance Marketing in konjunkturell angespannten Zeiten. Dieses propagiert mit seiner stark ökonomisch definierten Leistungsorientierung aller Marketing-Maßnahmen die Zurechenbarkeit von Marketing-Kommunikationsmaßnahmen zu Marketingzielen auf der OutflowEbene und sieht diese Zurechenbarkeit sogar als Grundlage einer performanceorientierten Vergütung der Kommunikationsagenturen an. Kommunikationsdisziplinen wie die Verkaufsförderung oder das Direktmarketing sind hier qua ihres stärker auf äußere Anschlusshandlungen ausgerichteten Kommunikationsprozesses und der damit gegebenen einfacheren Zurechnungsmöglichkeit von Maßnahmen zu ökonomisch definierten Marketingzielen gegenüber der klassischen Mediawerbung oder dem Sponsoring im Vorteil, die sich auf Ziele im kognitiv-emotionalen Bereich des Konsumenten konzentrieren.
2.4.2 Systematisierung der Ziele Von den oben aufgeführten Kriterien zur Differenzierung von Marketing-Kommunikationszielen wird häufig das von Karl Christian Behrens (1963: 106 f.) in die Werbeforschung eingeführte Inhaltskriterium mit der Differenzierung in nicht- beziehungsweise außerökonomische und ökonomische Ziele zur Systematisierung der einzelnen Marketing-Kommunikationsziele genutzt. Die Begriff lichkeit dieser Differenzierung sowie die geschilderte Ableitungsproblematik dürfen aber nicht den Eindruck erwecken, dass außerökonomische Marketing-Kommunikationsziele wirtschaftlich belanglos wären. Dem ist keinesfalls so. Denn schließlich baut das Marketing-Kommunikationssystem als Subsystem des Wirtschaftssystems auf einer ökonomisch codierten Handlungs- und Kommunikationslogik auf. Die Redeweise von außerökonomischen Zielen macht vielmehr auf die Bedeutung der inneren Handlungen im kognitiv-emotionalen System von im Marketing-Kommunikationssystem agierenden Menschen aufmerksam, die von den äußeren, direkt beobachtbaren kommunikativen Handlungen (u. a. der ökonomischen Kaufhandlung) zu unterscheiden sind. Dies spiegeln auch differenziertere Systematisierungen wider, in denen die Ziele an den Wirkungsbereichen der Marketing-Kommunikation ausgerichtet werden. Beispiele sind: • Kontaktwirkung, • psychologische Wirkung, • ökonomische Wirkung (Rogge 1990: 49); • Aufmerksamkeit, • kognitive und emotionale Kommunikationswirkung, • Beeinflussung (Schwaiger 1997: 36);
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• Wahrnehmung von Botschaften, • kognitive Verarbeitung und Bewertung von Botschaften, • Bildung von Entscheidungen und Wünschen, • Verankerung im Gedächtnis, • Einstellungen, Motive, Werte, • Rückbewertung eigenen Handelns, beispielsweise nach erfolgtem Kauf oder Produktverwendung (Unger/Fuchs 2005: 105 in Anschluss an Irle 1975). Ein weiterer Systematisierungsansatz setzt bei den Zielgruppen an. So können neue, zusätzliche Kunden von bisherigen und abgewanderten Kunden unterschieden werden und die Marketing-Kommunikationsziele in die drei entsprechenden Zielklassen Gewinnen, Halten und Rückgewinnen eingeteilt werden (vgl. Steffenhagen 2009: 364 f.). Derartige Systematisierungen kommen besonders in Kombination mit der Zielgruppenplanung mittels Kundenbeziehungslebenszyklus-Typologien zum Einsatz (vgl. Kap. B I 2.3.6). Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht ist es zweckmäßig, zur Systematisierung der Ziele in einem ersten Schritt am Prozess der Marketing-Kommunikation anzusetzen. Es können dann folgende fünf Kategorien von Marketing-Kommunikationszielen unterschieden werden: •
Input-Ziele beziehen sich auf die Schritte der Informationsproduktion, der Gestaltung und der Herstellung des Kommunikationsangebots sowie auf die Planung seiner Distribution. Den kommunikationsqualitativen Kriterien der unternehmerischen Achtsamkeit, des Marketing-Kommunikationswissens sowie dem Management der Input-Relevanzbeurteilung von Unternehmens- beziehungsweise Agenturmitarbeitern kommt dabei besondere Bedeutung zu. • Output-Ziele beziehen sich auf die vollzogene Mitteilung des Marketing-Kommunikationsangebots einer Kommunikationsdisziplin, womit Media-Ziele wie Kontakthäufigkeiten mit dem Kommunikationsmittel oder dessen Reichweite in der Zielgruppe im Mittelpunkt stehen. Für die Agenturen sind ein nicht zu unterschätzender Output-Zielbereich die Agenturwettbewerbe, bei denen sie mit den im Auftrag ihrer Kunden entwickelten Arbeiten aus Reputationsgründen gute Platzierungen anstreben. • Outgrowth-Ziele haben das Verstehen und die Verarbeitung der mitgeteilten Information im kognitiv-emotionalen System des Konsumenten zum Inhalt. Sie zielen dort auf das Auslösen (z. B. Mere-Exposure-Effekt) oder das Vermeiden (z. B. Reaktanz) von inneren Effekten. Outgrowth-Ziele können unterschieden werden in eher kognitiv-, affektiv- oder konativ-orientierte Ziele. Eher kognitiv-orientierte Ziele beziehen sich auf das kommunikationsqualitative Kriterium der Erzeugung von Aufmerksamkeit. Darüber hinaus werden das Verständnis und die Kenntnis der mitgeteilten Information (Bekanntheit) sowie das Wissen über den Marketing-Gegenstand (Informati-
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Analysen und Strategien
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onsstand) angestrebt. Eher affektiv-orientierte Ziele beziehen sich auf das Erleben des Marketing-Kommunikationsangebots und darüber hinaus die Bildung und Veränderung von Einstellungen und Images sowie die grundsätzliche Schaffung von Präferenzen. Eher konativ-ausgerichtete Ziele beziehen sich auf das Wecken von Kaufabsichten oder auf die Auslösung des Wunsches, mehr Informationen zu einem Produkt zu erhalten. Hier steht die Absicht, eine konkrete äußere Handlung durchzuführen, im Mittelpunkt. Allen Outgrowth-Zielen gemeinsam ist, dass sie als angestrebte kognitiv-affektiv-konative Effekte nicht direkt, sondern nur indirekt über Indikatoren kommunikativ erschlossen werden können. Das heißt, dass streng genommen das Erreichen von Outgrowth-Zielen ihrem Wesen nach überhaupt nicht kontrolliert werden kann, sondern Wissenschaft wie Praxis auf indikatorengestützte plausible Beschreibungen und Theorien angewiesen sind, die einen Zusammenhang zwischen nicht beobachtbarem Outgrowth und beobachtbarem Outcome herstellen. So werden beispielsweise die Recall-Werte auf der Outcome-Ebene als Indikator für die Bekanntheit eines Produktes (Outgrowth) angesetzt, die nur kommunikativ durch Befragung ermittelt werden kann. • Outcome-Ziele sind entsprechend Ziele, die sich auf die kommunikative Handlungsebene beziehen. Direkte Outcome-Ziele in Form des Bewirkens von intendierten äußeren Anschlusshandlungen des Konsumenten wie die Kontaktaufnahme mit dem Unternehmen, der Kauf des beworbenen Produktes und die Kommunikation in sozialen Netzwerken der Konsumenten und Kunden fallen ebenso darunter wie indirekte Outcome-Ziele, die als Indikatoren angestrebte Outgrowth-Effekte operationalisieren, symbolisieren und damit kommunikativ bearbeitbar machen. • Outflow-Ziele beziehen sich auf das ökonomische Ausmaß des Outcome, auf die betriebswirtschaftlichen Effekte der Marketing-Kommunikation. Aufgrund der beschriebenen Ableitungsproblematik ist es häufig schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, Outflow-Ziele wie beispielsweise die Umsatzsteigerung mit einzelnen Marketing-Kommunikationsmaßnahmen zu verbinden. Auswege versucht das strategische Kommunikationscontrolling aufzuzeigen, bei dem sich OutflowZiele als unternehmerische Oberziele auf den Beitrag der Kommunikation zur Wertschöpfung des Unternehmens beziehen und die Bewertung der gesamten Unternehmenskommunikation, einschließlich der Marketing-Kommunikation, beispielsweise mittels Cultural Due Diligences oder Communication Scorecards erfolgt (vgl. Porák et al. 2007: 543, Sass/Zerfaß 2008: 6). Auch fällt die Steigerung des ökonomisch definierten Markenwertes als Zielsetzung in den Outflow-Zielbereich. Richtet man den Blick auf die unternehmensinterne Ausformung der Zielkategorien des Marketing-Kommunikationsprozesses, können Outflow-Ziele auch im Bereich des effizienten Einsatzes zeitlicher, finanzieller und personeller Ressourcen liegen.
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Input
Da Marketing-Kommunikationsziele immer in Abhängigkeit von Zielgruppen formuliert werden, ist es zweckmäßig, die Zielkategorien des Marketing-Kommunikationsprozesses mit den Zielgruppen der Mitarbeiter sowie denen der neuen, bisherigen und abgewanderten Kunden des marketingtreibenden Unternehmens in ein Verhältnis zu setzen. Marketing-Kommunikationsziele lassen sich dann mit der in Abb. 97 dargestellten Matrix systematisieren. In der Literatur herrscht keine einheitliche Auffassung über einen Katalog konkreter Ziele. Besonders für den Outgrowth-Bereich lässt sich in Abhängigkeit von der spezifischen Situation des Unternehmens eine Vielzahl von Zielen formulieren, die auf die einzelnen Zielgruppen ausgerichtet werden können. Beispiele sind in Tab. 12 aufgeführt. Hinsichtlich der Frage, ob einer Kundenzielgruppe bei der Zielausrichtung der Marketing-Kommunikation eine höhere Bedeutung zukommt, findet sich ein interessanter Hinweis bei Claudia Mast et al. (2005: 100). Im Jahr 2003 haben sie einhundert Kommunikationsverantwortliche von Top-500-Unternehmen in Deutschland unter anderem zu der Wichtigkeit von inhaltlich allgemein gehaltenen Kommunikationszielen befragt (s. Abb. 98). Die Kundenbindung erweist sich mit deutlichem Abstand vor der Information über Produkte und Dienstleistungen sowie der Kaufauslösung als wichtigstes Ziel. Daraus kann in Kombination mit der vergleichsweise geringen Bedeutung des Ziels „Kunden von anderen abwerben“ geschlossen werden, dass der Zielgruppe der Bestandskunden besondere Bedeutung zukommt. Diese dürfte aber sicherlich in Ab-
Tab. 12
Exemplarische Outgrowth-Ziele
eher kognitiv-orientierte Ziele
eher affektiv-orientierte Ziele
eher konativ-orientierte Ziele
Erhöhung des Bekanntheitsgrades eines Produktes oder einer Marke
Präferenz für die Marke aufbauen oder festigen
Kauf-/Wiederkaufsabsicht bewirken
Kenntnis schaffen über neue Produkte oder Produktinnovationen/-variationen
Einstellung zu Marke, Produkten, Unternehmen verändern oder stabilisieren
Förderung der Weiterempfehlung von Produkten und Leistungen
Kenntnis schaffen über die Funktionsweise eines Produktes oder eines Services
Vertrauens-/Sympathiebildung
Förderung von kritischem Feedback zu Produkten, Kommunikation, Service etc.
Serviceangebot bekannt machen
Relevantes Erleben der Marke
Anregung zu Informationseinholung über weitere Produkte des Unternehmens
Erinnerung von Kommunikationsmitteln sowie ihrer Elemente wie bspw. Markennamen, Slogans, Prominente etc.
emotionale Positionierung gegenüber der Konkurrenz
Förderung des Besuchs der WWW-Site
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Analysen und Strategien
Zielkategorien des MarketingKommunikationsprozesses
Zielgruppen Mitarbeiter
Bisherige Kunden
Abgewanderte Kunden
Achtsamkeit gegenüber Marktentwicklungen
Lebenswelt-bezogene Daten zur Gestaltung individualisierter Kommunikationsangebote
Mitteilung von Produktverwendungserfahrungen
Mitteilung von Kündigungsgründen
viele Einträge in das MarketingkommunikationsWiki
hohe Kontaktreichweite
hohe Kontaktfrequenz
Wiederherstellung eines persönlichen Kontaktes
eher kognitiv orientiert
Kenntnis über die Marketingkommunikationspläne in der PR-Abteilung
Aufmerksamkeit für Kommunikationsmittel Kenntnis der Marke
Kenntnis von Mengenrabatten
Kenntnis neuer Produktangebote
eher affektiv orientiert
hohe Identifikation mit der Marke
relevantes Erleben der Marke
Präferenz für die Marke festigen
Verzeihung von Ser viceunzulänglichkeit
eher konativ orientiert
Absicht zur abteilungsübergreifenden Kommunikation
Kaufabsicht
Wunsch, ein anderes Produkt des Unternehmens zu kaufen (Cross-/UpSelling)
Wiederkaufsabsicht
abteilungs-/ bereichsübergreifende MarketingkommunikationsMeetings
Anforderung von Informationsmaterial
Weiterempfehlung des Produkts
Wiederkäufe
effizienter Produktionsprozess des Produktkataloges
Niedriger Tausend-KontaktPreis (TKP) Erhöhung des Direktvertriebumsatzes
Erhöhung des Wertes selektierter Kunden
effiziente Reaktivierung ehemaliger Kundenbeziehungen
Output
Outcome
Outflow
Kunden des marketingtreibenden Unternehmens (B2C) Neue Kunden
Input
Outgrowth
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Abb. 97 Systematik der Marketing-Kommunikationsziele eines Unternehmens aus dem B2CBereich mit Zielbeispielen (Quelle: eigene Darstellung, s. auch Tropp 2016)
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Input
Abb. 98 Wichtige Kommunikationsziele der Top-500-Unternehmen (Quelle: Mast et al. 2005: 100)
hängigkeit von einer Reihe von Faktoren, vor allem von der konjunkturellen Lage im Allgemeinen sowie der des Unternehmens im Besonderen schwanken.
2.4.3 Anforderungen an Ziele Sollen Marketing-Kommunikationsziele ihre Funktionen der Vorgabe und Kontrolle, der Unterstützung der Entscheidungsfindung, der unternehmensinternen Koordination sowie der Motivation erfüllen können, müssen sie bestimmten Anforderungen genügen. Folgende können unterschieden werden (vgl. Bruhn 2014: 310 f., Pepels 2001: 82, Steffenhagen 1993: 288): •
• •
Entsprechend dem Grundsatz der Zurechenbarkeit müssen Marketing-Kommunikationsziele eine marketing-kommunikative Reagibilität aufweisen. Die Veränderung der Zielvariablen hat stark sensibel auf die Änderung der MarketingKommunikationsaktivität zu reagieren. Bezüglich zu ergreifenden marketing-kommunikativen Handlungen in Unternehmen und Agenturen müssen die Ziele eine selektive Steuerungskraft haben. Marketing-Kommunikationsziele müssen eine Kaufhandlungsrelevanz hinsichtlich ihrer angestrebten Wirkungen haben und sich damit aus einem ökonomisch codierten Handlungszusammenhang ableiten lassen.
2
Analysen und Strategien
293
•
Marketing-Kommunikationsziele müssen vollständig und präzise formuliert sein, allein schon als Voraussetzung dafür, dass sie überhaupt eine selektive Steuerungskraft entfalten können. Folgende Angaben müssen vorhanden sein: ◆ Angabe der Zielart beziehungsweise -variable („Was ist zu erreichen ?“) (z. B. Produkt-Bekanntheit), ◆ Angabe des angestrebten Ausmaßes einer Zielart/-variable („Wie viel soll bei der Zielart erreicht werden ?“) (z. B. um 5 Prozentpunkte), ◆ Angabe des Zeitbezugs der angestrebten Zielerreichung („Wann soll das Ziel erreicht sein ?“) (z. B. innerhalb des nächsten Jahres), ◆ Angabe des Objektbezugs der angestrebten Zielerreichung („Bei welcher Marke, Produktart, Einkaufsstätte etc. soll das Ziel erricht werden ?“) (z. B. für das Produkt XY), ◆ Angabe der Zielgruppe („Bei wem soll das Ziel erreicht werden ?“) (z. B. Neukunden zwischen 20 und 49 Jahren mit einem Jahreseinkommen über 30 000,– Euro), ◆ Angabe zum räumlichen Bezug („Wo soll das Ziel erreicht werden ?“) (z. B.: im Nielsen-Gebiet 1). Beispiel …
… für ein operationales Marketing-Kommunikationsziel in der Zielkategorie Outgrowth Erhöhe innerhalb eines Jahres in der Zielgruppe neuer Kunden zwischen 20 und 49 Jahren, die im Nielsen-Gebiet 1 wohnhaft sind und ein Jahreseinkommen von über 30 000,– Euro haben, die Bekanntheit für das Produkt XY von aktuell 15 auf 20 Prozent.
Hartwig Steffenhagen (1993: 287) moniert nach einer Durchsicht der Dokumentation von Kampagnen, die zwischen 1981 und 1991 mit einem GWA-EFFIE-Preis ausgezeichnet wurden, dass die Praxis den Anforderungen an die Formulierung der Marketing-Kommunikationsziele in der Regel nicht gerecht wird. Er vermutet weniger mangelnde Professionalität als Grund dafür, sondern eher die starke Orientierung an der klassischen wissenschaftlichen Systematisierung der Ziele in ökonomische und außerökonomische, wodurch leicht der Grundsatz der Zurechenbarkeit übersehen wird.
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2.5
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Input
Kontext-Strategie
Mittels der Kontext-Strategie wird in der Praxis der Modernen Marketing-Kommunikation basierend auf Consumer Insights der kommunikationsqualitative Faktor der Rezeptionsrelevanz operationalisiert (vgl. Kap. B III 1.3). Dazu knüpft die Kontext-Strategie an die drei elementaren Consumer-Insight-Kontexte an und differenziert sich in zwei Teilstrategien aus, die wechselseitig aufeinander Einfluss haben und die in jeweils unterschiedlicher Intensität die Kontexte fokussieren. Die Teilstrategie der Copy-Strategie fokussiert primär den Kontext der Marke. Der Kontext der Rezeptionssituation liegt vorrangig der Entwicklung der Utility-Strategie zugrunde, die sich auf die Identifikation und Realisation eines situativen Nutzens der Marketing-Kommunikation konzentriert. Die Entwicklung beider Strategien wird dabei durch Insights die Lebenswelt des Konsumenten betreffend beeinflusst (s. Abb. 99). Die Kontext-Strategie hat kommunikationsdisziplinenübergreifend Gültigkeit, womit ihr zum einen eine strategische Integrationsfunktion auf horizontaler Ebene zukommt. Zum anderen richtet sie sich gleichermaßen an Mitarbeiter aus der Kreations- und der Media-Abteilung beziehungsweise der Media-Agentur und ist die Grundlage für deren Entwicklung der Kommunikations- und Media-Idee. Sie hat daher auch eine strategische Integrationsfunktion auf vertikaler Ebene. Die Marketing-Kommunikation hat sich in Form der klassischen Mediawerbung bisher vorwiegend auf die Copy-Strategie konzentriert. Dem Erlebniswert des Marketing-Kommunikationsangebots wurde bislang wenig strategische Beachtung geschenkt. Dies ist mit dem Anspruch, heute nach kommunikationsqualitativen As-
KONTEXTSTRATEGIE
Strategien: Utility-Strategie
Copy-Strategie
Rezeptionssituation
Marke Kontexte:
Lebenswelt
Abb. 99 Architektur der Kontext-Strategie
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Analysen und Strategien
295
pekten Marketing-Kommunikationsprozesse zu konzipieren, nicht länger vereinbar. John Hegarty, Chairman und weltweiter Kreativchef der international renommierten Kommunikationsagentur Bartle, Bogle, Hegarty, formuliert entsprechend: „Bis vor ein paar Jahren ist Werbung als Unterbrechung in den Alltag der Menschen hineingeplatzt. Heute muss man den Konsumenten viel mehr mit Inhalten fesseln und sein Interesse wecken. Wenn Werbebotschaften für die Konsumenten keinen Wert vermitteln, schalten sie einfach woanders hin.“ (Hegarty 2009: 22)
Ähnlich spricht Frank Dopheide, ehemaliger Chairman der Agentur Grey in Düsseldorf, davon, dass es heute die Aufgabe der Marketing-Kommunikation sein muss, das Leben der Konsumenten zu bereichern: „Warum gilt Google als wertvollste Marke ? Weil es das Leben der Menschen bereichert“ (zit. n. Sonnenschein 2009: 20).
2.5.1 Copy-Strategie Die Debatte über den Sinn und die Funktionen, die die Copy-Strategie im Prozess der Marketing-Kommunikation erfüllt, wird weitestgehend konsensuell geführt.
2.5.1.1 Begriff und Funktionen der Copy-Strategie
Die Copy-Strategie baut auf der Positionierung der Marke auf und kann als schriftliche Fixierung der inhaltlichen Grundkonzeption in Abhängigkeit von der Zielgruppe und den Marketing-Kommunikationszielen aufgefasst werden (s. Abb. 100). Sie bildet gemeinsam mit der Utility-Strategie die strategische Grundlage für die kreative Entwicklung der Kommunikations- und Media-Idee. Dabei fokussiert sie die Inhalte einer Kampagne (vgl. Bruhn 2015: 534, Pickert 1994: 78, Schmidt 2004a: 90, Schweiger/Schrattenecker 2005: 222, Unger/Fuchs 2005: 143). Als gedankliche Vorstufe zur konkreten Gestaltung eines Kommunikationsangebots setzt sie die Rahmenbedingungen für dessen Verbalisierung und Visualisierung und wird manchmal auch als „Kommunikationsleitstrategie“ bezeichnet (Vergossen 2004: 60), was jedoch zu weit gegriffen ist. Ein weiteres gebräuchliches Synonym in der Praxis ist der Begriff der Copy-Plattform (vgl. Vergossen 2004: 61, Barowski 2003: 27). Auch wird die Copy-Strategie gelegentlich als „Creative Brief “ bezeichnet (vgl. z. B. Rossiter/Bellman 2005: 34). Zur Beschreibung der Funktion der Copy-Strategie kommt des Weiteren die Metapher zum Einsatz, dass sie als „Personalausweis der Marke“ (z. B. Barowski 2003: 28, Vergossen 2004: 60) fungiert, indem sie die Markenpersönlichkeit darstellbar, begreifbar und nachvollziehbar macht. Zentrales Kennzeichen der Copy-Strategie ist, dass sie in komprimierter Form die grundlegenden konzeptionellen Überlegungen zum Kommunikationsinhalt zusam-
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Utility-
Abb. 100 Direkte Einflüsse auf die Copy-Strategie im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
menfasst und damit die Frage beantwortet: Was soll in welcher Anmutung kommuniziert werden ? Dabei stützt sie sich auf Consumer Insights den Kontext der Marke sowie den der Lebenswelt der Zielgruppe betreffend und gibt der Kreationsabteilung die Vorlage für die Entwicklung inhaltlich relevanter Kommunikationsmittel (vgl. Kap. B I 1.2.2). ▶ Definition Die Copy-Strategie ist die schriftliche Fixierung der Grundkonzeption des MarketingKommunikationsinhalts. Sie basiert auf der Positionierung und auf Consumer Insights den Kontext der Marke sowie den der Lebenswelt der Zielgruppe betreffend und dient gemeinsam mit der Utility-Strategie als Grundlage für die zielgerichtete kreative Umsetzung einer Kommunikationsmaßnahme oder Kampagne.
Aus diesem Verständnis können zentrale Funktionen der Copy-Strategie abgeleitet werden. Einerseits fungiert sie als Anleitung für die Kommunikationsagentur zur Kreation der Mitteilung in Form eines oder mehrerer Kommunikationsmittel. Sie trägt so zu einer Disziplinierung der kreativen Arbeit bei, wodurch gewährleistet werden soll, dass der kreative Output in die angestrebte Richtung geht. Sie fungiert andererseits als Anleitung zur Beurteilung der Agenturarbeit und ist folglich Messkriterium zur Überprüfung, ob die produzierten Marketing-Kommunikationsangebote „on-strategy“ sind und die Erwartung eines Kommunikationserfolgs plausibel ist (vgl. Bruhn 2005a: 482, Kloss 2012). Da die Positionierung in der Regel langfristig angelegt ist, ist die Copy-Strategie ebenfalls als ein Langzeit-Dokument zu begreifen und behält somit auch für Folge-
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Analysen und Strategien
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kampagnen Gültigkeit. Eine Anpassung der Strategie kann dann erforderlich werden, sobald sich Änderungen bei der Positionierung der Marke, beim beworbenen Produkt selbst, bei der Produktverwendung, der Konkurrenzsituation und/oder bei den Verbraucherbedürfnissen ergeben (vgl. Kloss 2012, Schmidt 2004a: 90). Dank dieses Langzeit-Charakters kommen der Copy-Strategie weitere Funktionen zu. Sie garantiert, dass die Inhalte der kommunikativen Maßnahmen über einen längeren Zeitraum hinweg mit der Positionierung sowie mit den angestrebten Zielen übereinstimmen. Weiterhin gewährleistet sie eine Kontinuität und Folgerichtigkeit der Kommunikationsinhalte im Zeitablauf (vgl. Kloss 2012). Dies wird realisiert, wenn unabhängig vom Kommunikationsmittel oder vom Medium sämtliche Einzelgestaltungen von Sujets, also beispielsweise von Plakaten, Anzeigen oder TV-Spots, mit der Copy-Strategie abgestimmt werden. Die Copy-Strategie steht damit im Dienste der strategischen Berücksichtigung des Markenkontextes in der Marketing-Kommunikation. Sie fungiert als Sicherung der Konsistenz der Marketing-Kommunikationsangebote und damit der Herstellung der Kompatibilität mit dem ausgebildeten Markenwissen der Zielgruppe. Eine klar konzipierte, langfristig angelegte Copy-Strategie erspart zudem allen an der Produktion der Werbemaßnahmen beteiligten Instanzen ein großes Maß an Zeit und Energie, da sie komplexitätsreduzierend die zentralen Entscheidungen der Inhaltskonzeption zusammenfasst, sodass diese nicht bei jeder zu entwickelnden Kampagne aufs Neue erdacht und aufgearbeitet werden muss. Die einzelnen Funktionen der Copy-Strategie lassen sich stichpunktartig wie folgt zusammenfassen: • • • • •
Disziplinierung der kreativen Arbeit, Maßstab zur Beurteilung der kreativen Arbeit einer Agentur, Garantie für Kongruenz von Werbung und Positionierung, Sicherstellung der Konsistenz in der Marketing-Kommunikation, komplexitätsreduzierende Funktion.
Die schriftliche Fixierung der Grundkonzeption der Inhalte geschieht auf einer relativ abstrakten Ebene, um die nachgelagerten Instanzen – die eigentlichen Kommunikationsmittelgestalter wie Texter und Grafiker – in ihrer Kreativität nicht zu beschneiden. Hierin sieht Mike Pickert (1994: 79) den Grund, weshalb sich die Copy-Strategie immer auf den Kern, auf das Typische des Kommunikationsangebots zu beschränken hat. In der Konsequenz kann ein und dieselbe Positionierung demnach mit höchst unterschiedlichen Kommunikations- und Media-Ideen umgesetzt werden, selbst wenn die Inhalte der Copy-Strategie der definierten Position der Marke entsprechen. Die Copy-Strategie ist von jedem, der an der Produktion der Kommunikationsmaßnahmen beteiligt ist, inhaltlich mitzutragen – sowohl auf Unternehmens- als auch auf Agenturseite. Sie sollte gemeinsam mit der Utility-Strategie verabschiedet worden sein, bevor mit der kreativen Arbeit begonnen wird. In der Markenartikel-
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industrie wird auf Unternehmensseite oftmals ein sehr formalisierter Prozess der Strategie-Entwicklung und -Verabschiedung angewandt, der häufig damit endet, dass die Copy-Strategie von den Verantwortlichen abgezeichnet wird. Die Kreativund Beratungsverantwortlichen aufseiten der Kommunikationsagentur sollen in diesen Prozess voll einbezogen sein, wie Mike Barowski (2003: 28, 52) fordert. Während hier also das Erarbeiten und Verfassen der Copy-Strategie in das Aufgabengebiet der Produktverantwortlichen auf Unternehmensseite und deren Pendants aufseiten der Agentur eingeordnet wird, konstatieren andere Autoren hingegen, dass die CopyStrategie der Agentur vom marketingtreibenden Unternehmen vorgegeben wird (vgl. z. B. Kloss 2012). Ein grundsätzliches Prozedere der Copy-Strategie-Erstellung zu proklamieren, wird jedoch der Situation in der Praxis nicht gerecht. Vielmehr werden in Abhängigkeit von dem auftraggebenden Unternehmen, der UnternehmensAgentur-Beziehung sowie dem Briefing der Bedarf und die Zuständigkeit für die Erstellung der Copy-Strategie ausfallen. Dass in letzter Instanz aber das auftraggebende Unternehmen für deren Freigabe zuständig ist, gilt als unbestritten.
2.5.1.2 Elemente der Copy-Strategie
Während über die Funktionen der Copy-Strategie in Wissenschaft und Praxis weitgehend Einigkeit herrscht, ist bei der Diskussion um ihre wesentlichen Elemente ein sehr heterogenes Meinungsbild zu beobachten. So vertritt eine Vielzahl von Autoren die Auffassung, dass sich die Copy-Strategie üblicherweise aus den folgenden drei Elementen konstituiert: dem Consumer Benefit (Verbrauchernutzen), dem Reason Why (Begründung des Verbrauchernutzens) und der Tonality (Gestaltungsstil/richtlinien, Flair) (vgl. z. B. Huth/Pflaum 2005, Reim 1986, Schnettler/Wendt 2003, Schweiger/Schrattenecker 2005, Stender-Monhemius 1999, Trautwein 1999). Diese Konzeption wird auch als „Triade der Copy-Strategie“ (Pickert 1994: 79) bezeichnet. Daneben findet sich eine Reihe von Autoren, die die Meinung vertreten, aus der Copy-Strategie müssten darüber hinaus auch Aussagen zur Zielgruppe, die mit den werblichen Maßnahmen letztlich angesprochen werden soll, hervorgehen (s. z. B. Bruhn 2015, Kloss 2012, Schmidt 2004a). Dem kann entgegengehalten werden, dass die Copy-Strategie von der Positionierung, von den Marketing-Kommunikationszielen und von den Zielgruppen ausgeht und letztere damit eben nicht als Element beinhaltet (vgl. Schweiger/Schrattenecker 2005: 222). Philip Kotler (2017) wiederum verzichtet auf eine Beschreibung der Zielgruppe und favorisiert als viertes Element der Copy-Strategie die Darstellung der Kommunikationsziele; dem kann jedoch dasselbe oben genannte Argument entgegengehalten werden. Einen etwas anderen Kurs schlägt hier Harald Vergossen (2004: 64) ein, der den Versuch unternimmt, die einzelnen Elemente der Copy-Strategie zu systematisieren in nur nach innen wahrnehmbare und auch nach außen wahrnehmbare Teile der Stra-
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tegie. Bei diesem Ansatz stellen die in einem Kommunikationsmittel umgesetzten Elemente Consumer Benefit, Reason Why und Tonality die nach außen wahrnehmbaren Elemente dar, während Positionierung und Zielgruppenbeschreibung die nur intern wahrnehmbaren strategischen Elemente einer Copy-Strategie ausmachen. Auch hier gilt wieder, dass in der Praxis in Abhängigkeit vom Unternehmen und der Agentur eine Vielzahl unterschiedlicher Copy-Strategie-Formate mit höchst unterschiedlichen Elementen existiert und der Nutzen, den ein Systematisierungsversuch bringt, der Allgemeingültigkeit beansprucht, eher gering einzustufen ist. Zweifelsohne können aber Consumer Benefit, Reason Why und Tonality als die Kernelemente einer Copy-Strategie aufgefasst werden. Consumer Benefit Ansatzpunkt des Consumer-Benefit-Elements ist der Gedanke, dass Konsumenten nur dann dazu bereit sind, einen Teil ihrer normalerweise knappen Geldressourcen für ein Gut beziehungsweise eine Dienstleistung auszugeben, wenn sie ein für sie relevantes Nutzenversprechen erhalten. Das grundlegende Nutzenversprechen dient dem Verbraucher somit als Äquivalent für den Kaufpreis, den dieser für das Produkt zu bezahlen hätte (vgl. Bruhn 2015: 535, Vergossen 2004: 64). ▶ Definition (vgl. Bruhn 2015: 535, Schweiger/Schrattenecker 2005: 222) Der Consumer Benefit ist der versprochene Nutzen, den der Verbraucher aus dem Konsum oder der Verwendung einer Marke ziehen wird.
Weil der Nutzen eines Markenproduktes vor dessen Kauf und anschließender Verwendung in der Kommunikation der vorgenommenen Positionierung zum Ausdruck kommen soll, muss der Consumer Benefit im Rahmen der Copy-Strategie eindeutig identifiziert und beschrieben werden. Die Funktion des Consumer Benefit als Element der Copy-Strategie ist daher die agentur- und/oder unternehmensinterne Mitteilung der zu kommunizierenden Positionierung eines Produktes oder einer Dienstleistung am Markt, ohne dass dabei eine konkrete marketing-kommunikative Aussage formuliert wird. Dabei verdichtet der Consumer Benefit die Positionierung auf den zentralen Vorteil der Marke und beantwortet zusammenfassend die Frage: Welches relevante Produktversprechen soll als zentrale Botschaft in der Marketing-Kommunikation gegeben werden ? Beispiele
Red Bull macht körperlich und geistig fit. Mit Wasa Knäckebrot bleibt man schlank.
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Der Nutzen kann sich aus physikalischen, technologischen oder wirtschaftlichen Eigenschaften des Produktes (Grundnutzen) ergeben. Angesichts der heute zu konstatierenden faktischen Produkt- und Dienstleistungsparität hat der Grundnutzen in der Marketing-Kommunikation jedoch vielfach an Bedeutung verloren, da er von dem überwiegenden Teil der Konkurrenzprodukte ebenfalls erfüllt wird. So ist die spezifische Auslobung eines Vermarktungsgegenstandes bzw. die Entwicklung einer Produktpersönlichkeit in Anbetracht der weitgehenden Homogenität des Angebots in Bezug auf den Grundnutzen und aufgrund der Konkurrenzsituation auf den Märkten nur noch schwer oder teilweise gar nicht zu realisieren (vgl. Bruhn 2005a: 482). Die daraus resultierende kommunikative Herausforderung liegt folglich in der Produktion von Marketing-Kommunikationsangeboten, die einen über den funktionalen Produktnutzen hinausgehenden Zusatznutzen aufweisen. Dieser kann in einer der folgenden Kategorien gefunden werden (vgl. Pickert 1994: 80, Reim 1986: 75, Schnettler/Wendt 2003: 43 f.): • • •
• •
Rationaler Zusatznutzen: Die Vorteile eines Produktes sind für den Verbraucher beweisbar und direkt sichtbar. Sensorischer Zusatznutzen: Das Produkt ist dazu geeignet, sensorische Reize wie etwa das Gehör, das Sehen, den Geschmacks- oder den Geruchssinn anzusprechen. Sozialer Zusatznutzen: Der Konsum des Produktes trägt dazu bei, die Stellung des Verbrauchers innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppe aufzuwerten oder zu verbessern. Egoistischer Zusatznutzen: Die Ich-Bestätigung des Verwenders wird durch den Konsum des Produktes verstärkt. Emotionaler Zusatznutzen: Die Gefühle der potenziellen Verbraucher werden angesprochen und mit der Verwendung des Produktes in einen Zusammenhang gestellt.
Ganz gleich, welcher Art und Kategorie der versprochene Nutzen einer Marke entspricht, es lassen sich einige Voraussetzungen identifizieren, die ein wirkungsvoller Consumer Benefit erfüllen muss: Das Nutzenversprechen muss eine lebensweltliche Relevanz haben, also für den Alltag der anzusprechenden Zielgruppe von Bedeutung sein, um überhaupt eine kommunikative Wirkung erzielen zu können. Das Versprechen sollte außerdem im Wettbewerbsfeld einzigartig sein und somit eine deutliche Abgrenzung zu Konkurrenzprodukten sicherstellen. Des Weiteren sollte das Versprechen glaubwürdig und genuin, das heißt aus dem Produkt abgeleitet und keinesfalls künstlich aufgesetzt sein (vgl. Barowski 2003: 47 f., Vergossen 2004: 64). Von besonderer Bedeutung ist, dass sich der Benefit bei der Produktverwendung auch tatsächlich einstellt und dass sich dem Verbraucher das gegebene Versprechen auf diese Weise bestätigt. Hierauf haben aber letztlich weder Unternehmen noch Agentur einen Einfluss, denn dies unterliegt dem Erleben des Konsumenten. Unehrliche und übertriebene Versprechen sollten
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stets vermieden werden, denn sie führen auf Konsumentenseite zu Enttäuschungen und haben zumeist einen Markenwechsel zur Folge. Reason Why Um mit marketing-kommunikativen Maßnahmen Konsumenten überzeugen zu können, muss der Consumer Benefit bewiesen beziehungsweise glaubhaft kommuniziert werden. Dies wird durch den Reason Why realisiert, der zuweilen auch als Nutzenbeweis oder Proof bezeichnet wird (vgl. Vergossen 2004: 65). Seine Funktion ist es, das Versprechen für den Konsumenten mit einer Begründung nachvollziehbar zu machen. Mit dem Reason Why wird in der Copy-Strategie also die Frage beantwortet: Wie kann das Produktversprechen begründet und damit dessen Relevanz und Nutzen untermauert werden ? Der Reason Why ist folglich ein wesentlicher Bestandteil der Copy-Argumentation und kann auf den folgenden unterschiedlichen Faktoren basieren (vgl. Vergossen 2004: 65, Pepels 2001: 373): •
•
•
Inputfaktoren des Produktes: Material, Zutaten, Rohstoff und Güte Beispiel: „… mit der berühmten Piemont-Kirsche“ (Mon Chérie) Beispiel: „Spätreife Apfelsinen“ (Valensina) Beispiel: „Spürbar belebende Wirkung durch Koffein und Taurin“ (Red Bull) Prozessfaktoren der Leistungserstellung: Technik, Verfahren, Know-how Beispiel: „Vollendet veredelter Spitzenkaffee“ (Dallmayr Prodomo) Beispiel: „Älteste Brauerei der Welt“ (Weihenstephan) Outputfaktoren des Produktes: Wirkung, Effekt und Komposition Beispiel: „… sensationelles 3-Klingen-Rasiersystem“ (Mach3) Beispiel: „… dann klappt’s auch mit dem Nachbarn“ (Calgonit)
Neben diesen Kategorien lassen sich noch weitere Ansatzpunkte finden, die dem Verbraucher die Gewissheit geben, dass das kommunizierte Versprechen gehalten werden kann. Zu nennen sind hier beispielsweise Garantien (z. B. Geld-zurück-Garantie von Actimel), die Funktion der Marke als Qualitätsgarant, Bürgschaften von Testimonials oder positive Ergebnisse aus Produkttests (vgl. Stender-Monhemius 1999: 49, Schnettler/Wendt 2003: 45). Prinzipiell ist zu konstatieren, dass die Bedeutung des Reason Why als Voraussetzung für eine überzeugende Kommunikation mit steigendem Produktanspruch zunimmt (vgl. Bruhn 2015: 536). Tonality Die Kommunikationsangebote sollen den versprochenen Nutzen in Form des Consumer Benefit und dessen Begründung in Gestalt eines Reason Why aktivierend und erinnerungsstark mitteilen. Voraussetzung dafür ist, dass auch unthematische Informationen (Anmutungsqualitäten, Gefühlsreize) kommuniziert werden. Diese inhalt-
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liche Dimension der Marketing-Kommunikation wird in der Copy-Strategie durch die Festlegung der Tonality im Sinne der Diktion des Kommunikationsangebots beschrieben (vgl. Pickert 1994: 82). Dieses Copy-Strategie-Element hat damit die Funktion, der Kreationsabteilung eine Beschreibung der gewünschten affektiv-orientierten Anmutung des Kommunikationsmittels an die Hand zu geben. Dazu werden Gestaltungsrichtlinien verfasst, die den typischen Charakter und den kreativen verbalen und visuellen Stil der zu produzierenden Kommunikationsmaßnahmen bestimmen. Die Angaben zur Tonality beantworten somit zusammenfassend die Frage: Mit welchem gestalterischen Grundstil sollen der Consumer Benefit und der Reason Why kommuniziert werden ? Zu beachten ist, dass der resultierende festgelegte Grundton der Kommunikationsangebote einen zielgruppenspezifischen Bezug zur Lebenswelt des Verbrauchers haben muss und im Falle einer bereits im Markt eingeführten Marke konsistent mit dem früherer Kommunikationsmittel ist. Üblicherweise beschränken sich die Tonality-Angaben in der Copy-Strategie auf die Nennung von Adjektiven wie beispielsweise dynamisch, jugendlich, sportlich, humorvoll, selbstironisch, heimatverbunden, traditionsbewusst, phantastisch etc. Die Angabe generischer marketing-kommunikativer Attribute wie glaubwürdig, sympathisch oder auffallend sollte allerdings vermieden werden, da diese allgemeine Anforderungen und Eigenschaften des Kommunikationstyps Marketing-Kommunikation darstellen (vgl. Barowski 2003: 50). Konkrete Umsetzungsanweisungen sind mit der Vorgabe des Gestaltungsstils jedoch nicht verbunden, sodass die eigentliche kreative Leistung letztlich noch zu erbringen ist. Dennoch äußern sich bisweilen gerade die Mitarbeiter der Kreationsabteilungen der Agenturen kritisch über die Gestaltungsrichtlinien, die ihnen im Rahmen der Copy-Strategie vorgegeben werden, weil dadurch der kreative Spielraum zu stark eingeengt werde. Dem ist entgegenzuhalten, dass die damit angesprochene Disziplinierungs- und Beurteilungsfunktion der Copy-Strategie nicht zur Disposition stehen kann. Sie schützen die Agentur davor, dass durch die Bewertung ihrer kreativen Arbeit hinsichtlich des Zielerreichungsbeitrags der instrumentelle Charakter der Marketing-Kommunikation nicht von einem Drang zur expressiven Kommunikation verdrängt wird, in der ein Selbstzweck dominiert. Das abgebildete Beispiel der Marke TUI stellt die Ausführungen zur Copy-Strategie in einen Praxiszusammenhang (s. Abb. 101).
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Abb. 101 Copy-Strategie und Anzeigen von TUI (Quelle: Schweiger/Schrattenecker 2005: 224 f.)
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2.5.2 Utility-Strategie Die Utility-Strategie ist neben der Copy-Strategie die zweite Teilstrategie der Kontext-Strategie Moderner Marketing-Kommunikation. Mit ihr wird das Vorgehen zur Schaffung des situativen Nutzens des Marketing-Kommunikationsangebotes festgelegt. Eingesetzt wird sie vor allem im Rahmen des Utility Marketings (s. Kap. B II 2.3).
2.5.2.1 Begriff und Funktion der Utility-Strategie
Die Utility-Strategie findet wie die Copy-Strategie ihre theoretische Fundierung im für Kommunikation notwendigen Kriterium der Kontextualität, die in der Modernen Marketing-Kommunikation den kommunikationsqualitativen Faktor der RezeptionsRelevanz – vom Konsumenten als relevant wahrgenommene Kommunikationsangebote – konstituiert. Diese Teilstrategie hat bisher keine oder nur geringe explizite Berücksichtigung in Marketing-kommunikationsstrategischen Zusammenhängen gefunden. Mit ihr werden die Akteure in Unternehmen und Agenturen der Tatsache gerecht, dass die Personen ihrer Zielgruppen im Marketing-Kommunikationsprozess nicht nur eine wirtschaftssystembezogene Rolle als Konsument, sondern vor allem auch eine mediensystembezogene Rolle als Rezipient innehaben. Wird mit der Copy-Strategie das Augenmerk auf die inhaltliche Grundkonzeption der Marketing-Kommunikation gerichtet, kann die Utility-Strategie als schriftliche Fixierung der Grundkonzeption des nutzenstiftenden Rezeptionserlebnisses aufgefasst werden. Wie die Copy-Strategie baut sie auf der Positionierung auf und steht in Abhängigkeit von der definierten Zielgruppe und den Marketing-Kommunikationszielen. Von ihren indirekten Einflüssen im Wirkungsnetz der Konzeption ist hervorzuheben, dass sie – wie auch die Copy-Strategie – als Grundlage zur kreativen Entwicklung der Kommunikations- und Media-Idee dient, aber darüber hinaus auch wichtige Anstöße für die Entwicklung der Media-Strategie und des -Plans gibt (s. Abb. 102). Damit fördert sie eine integrierende Perspektive während der Konzeption der Marketing-Kommunikation, indem sie die in der Vergangenheit isoliert voneinander agierenden Bereiche der Kreation sowie der Media-Strategie und -Planung aufeinander zuführt. Auch die Utility-Strategie sollte wie die Copy-Strategie in komprimierter Form die grundlegenden konzeptionellen Überlegungen zusammenfassen. Dabei wird zunächst geklärt, in welchen Produktkategorie-affinen Situationen sich die Zielgruppe befinden kann; in welchen Situationen also die Produktkategorie, der der Marketing-Gegenstand angehört, eine Rolle spielt oder spielen könnte (direkter oder indirekter Gebrauch des Produktes, physische oder imaginäre Anwesenheit des Produktes etc.). In einem nächsten Schritt wird eine Antwort auf die Frage gesucht, welche Handlungsziele die Konsumenten in den identifizierten Situationen verfolgen und was für das Erreichen dieser Handlungsziele nützlich sein und wie die Rezeption
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Utility-
Abb. 102 Direkte Einflüsse auf die Utility-Strategie und ihr indirekter Einfluss auf die MediaStrategie und -Planung im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
eines Marketing-Kommunikationsangebots dazu beitragen kann. Zur Beantwortung wird zur Entwicklung der Utility-Strategie auf Consumer Insights den Kontext der Rezeptionssituation und der Lebenswelt betreffend zurückgegriffen. Die Kreationsabteilung wie die Media-Verantwortlichen können der Utility-Strategie dadurch Hinweise für die Entwicklung rezeptionssituativ relevanter Marketing-Kommunikationsangebote entnehmen. Das Ziel ist es, eine oder mehrere der identifizierten Produktkategorie-affinen Situationen zu besetzen, sie also als markenspezifische Situationen zu positionieren. ▶ Definition Die Utility-Strategie ist die schriftliche Fixierung der Grundkonzeption des situativen Nutzenerlebnisses. Sie basiert auf der Positionierung und auf Consumer Insights zum Kontext der Rezeptionssituation und der Lebenswelt der Zielgruppe und dient gemeinsam mit der Copy-Strategie als Grundlage für die kreative und mediale Umsetzung einer Kommunikationsmaßnahme oder Kampagne.
Im Unterschied zur Copy-Strategie wird bei der Utility-Strategie die Relevanz des Kommunikationsangebots also nicht primär über dessen Inhalt in Form des im Consumer Benefit enthaltenen versprochenen konsumtiven Nutzens gewonnen, sondern vorrangig über den unmittelbar erlebten situativen Nutzen des Kommunikationsmittels, der sich aus dessen Rezeption ergibt. Die Gesamtrelevanz des Kommunikationsmittels kann damit als das Ergebnis der Interaktion von inhaltlichem und situativem Nutzen aufgefasst werden, wie es konzep-
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tionsseitig die Ausdifferenzierung der Kontext-Strategie in Copy- und Utility-Strategie widerspiegelt. Beispiel
Volkswagen hat mittels des Consumer Benefit des sparsamen Benzinverbrauchs den Nutzen seines Produktes VW Polo BlueMotion inhaltlich kommuniziert (inhaltlicher Nutzen) und für die Rezeption dieses inhaltlichen Nutzens die Situation des Tankens gewählt, in der das Kommunikationsangebot aufgrund des unmittelbaren Situationsbezugs einen situativen Nutzen hat (s. Abb. 103).
Abb. 103 Tankbeleg mit aufgedrucktem Hinweis von VW: „Mit dem Polo BlueMotion würden Sie mit dieser Tankfüllung 1 563 km weit kommen !“ (Quelle: ddp-award.de; Zugriff: 27. 06. 2009)
Aus dem dargelegten Begriffsverständnis kann die zentrale Funktion der Utility-Strategie bestimmt werden als die Sicherstellung der strategischen Berücksichtigung des Erlebniswertes in Form des erlebten situativen Nutzens während der Konzeption der Marketing-Kommunikation. Damit wird der oben zitierten Forderung von John Hegarty und Frank Dopheide Rechnung getragen, dass Marketing-Kommunikation heute einen Wert vermitteln und das Leben der Menschen bereichern muss.
2.5.2.2 Elemente der Utility-Strategie
Zu den Elementen der Utility-Strategie zählen die Produktkategorie-affine Situation der Zielgruppe, das Action Goal und der Situation Benefit (s. auch Tropp 2013b: 297 f., Tropp/Beuthner 2018). Mit dieser Terminologie wird an die auch im deutschsprachigen Raum verbreitete englischsprachige Bezeichnung der Elemente der Copy-Strategie angeschlossen. Produktkategorie-affine Situation Es wird die Frage beantwortet, in welchen Produktkategorie-affinen Situationen sich die Zielgruppe befinden kann; in welchen Situationen also die Produktkategorie, der das zu vermarktende Produkt angehört, eine Rolle spielt oder spielen könnte (direkter oder indirekter Gebrauch des Produktes, physische oder imaginäre Anwesenheit des Produktes etc.). Day scripts, die den Tagesablauf von Zielpersonen protokollieren, können wertwolle Insights zur Identifikation derartiger Situationen liefern.
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Action Goal Die Identifikation von Produktkategorie-affinen Situationen ist verbunden mit der Gewinnung von Consumer Insights die Ziele betreffend, die die Zielpersonen mit ihrem Handeln in diesen Situationen bewusst oder unbewusst verfolgt. Dabei ist es nicht angebracht, nur Situationen des medialen Handelns, der Medienzuwendung, zu berücksichtigen. Gerade durch die Unvoreingenommenheit in puncto Medienzuwendung während der Entwicklung der Utility-Strategie können Situationen im Alltag der Zielgruppe gefunden werden, aus denen sich neue kreative Kontaktpunkte („Touch Points“) zur Ansprache der Zielpersonen ergeben können. Der Zweck des Action Goals ist es, zu einer auf das Handlungsziel ausgerichteten Bestimmung des Situation Benefit zu gelangen. Mit der Bestimmung des Action Goals wird also die Frage beantwortet: Welches Handlungsziel verfolgt der Konsument in der identifizierten Situation ? Dies können sowohl Ziele äußerer kommunikativer Handlungen als auch die innerer kognitiv-emotionaler Handlungen sein. Situation Benefit Der Situation Benefit ist der Nutzen, den der Verbraucher unmittelbar aus der Rezeption eines Marketing-Angebots zieht. Ansatzpunkt des Situation Benefit ist die aus dem Nutzen- und Belohnungsansatz abgeleitete Annahme, dass Menschen nur dann bereit sind, einen Teil ihrer knappen Aufmerksamkeitsressourcen für die Rezeption von Marketing-Kommunikationsangeboten aufzuwenden, wenn sie sich davon in der aktuellen Situation einen hohen Erlebniswert beziehungsweise Nutzen versprechen und damit die Mitteilung für sie relevant ist (vgl. im Überblick Schenk 1987: 379 f.). Die Rezeptionsstrategie des Konsumenten, auf der der Situation Benefit aufbaut, kann damit als ergebnisbezogen (outcome based) bezeichnet werden. Je nach persönlichem Interesse in einer Situation wird das Marketing-Kommunikationsangebot verarbeitet (vgl. Slater 1997: 135 f.). Hier dient also der situative Rezeptionserlebniswert dem Kommunikationspartner beziehungsweise Konsumenten als Äquivalent für die Aufmerksamkeit, die er für die Rezeption des Kommunikationsangebots aufzuwenden hätte. Der Situation Benefit beantwortet zusammenfassend die Frage: Wie kann in der identifizierten Produktkategorie-affinen Situation der Zielgruppe das Marketing-Kommunikationsangebot zum Erreichen des Handlungsziels nützlich sein und damit als relevant wahrgenommen werden ? Das Marketing-Kommunikationsangebot kann so im Rahmen des Utility Marketings (s. Kap. B II 2.3) durchaus einen Servicecharakter annehmen, wodurch es zu dem positiven Erleben der Situation beiträgt (s. Tropp et al. 2019). Diese Sichtweise setzt sich in der Praxis der Marketing-Kommunikation zunehmend durch. So betont Bridge Einicke/Procter & Gamble (2009: 18), dass der konzeptionelle Ausgangspunkt von Marketing-Kommunikationsprozessen das Erleben des Konsumenten sein muss: „Wann und wo ist der Konsument offen für welche unserer Botschaften ? Die Antwort auf diese Frage ist wichtig, um die richtige Info, den richtigen Service zur richtigen Zeit zur Verfügung zu stellen“ (ebd.). Ähnlich, je-
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doch mit stärkerer Fokussierung der technologischen Entwicklungen im Mediensystem, formuliert die Agentur MRM Worldwide: „In today’s mediasphere, the best – and, we argue, only – way to achieve results is by talking with consumers on their terms. Technology empowers us to read, watch, listen to and experience whatever we like, whenever we like, anywhere we like. In light of this fact, our goal is to conceive and construct engaging content for consumers that has meaning for them, is applicable to their needs, wants and desires, and that offers them value.“ (MRM o. J.)
Der Nutzen kann sich aus unterschiedlichen Arten von situativen Erlebniswerten konstituieren: von der Optimierung bisheriger Handlungsroutinen in bestimmten Situationen bis hin zu komplett neuen Serviceangeboten, die dem Erreichen spezifischer situativer Handlungsziele dienlich sind. Der Einsatz des Utility-Strategieformats kann anhand des oben angeführten Beispiels des Unternehmens Volkswagen und der Tanksituation (s. Abb. 103 und Abb. 104) sowie anhand weiterer Beispiele illustriert werden: Beispiele
Das Tourismusbüro in Queensland/Australien verfolgte 2009 das Marketing-Kommunikationsziel, die Bekanntheit (Awareness) der Inseln des Great Barrier Reef zu erhöhen. Anstatt herkömmlich beispielsweise Consumer-Benefit-basierte Anzeigen in den Zielmärkten zu schalten, konzentrierte man sich strategisch auf einen Situation Benefit, der als kreativer Campaigning-Ansatz umgesetzt wurde. Der entstandenen Kampagne „The best job in the world“, die in Cannes 2009 mit dem Grand Prix in den Kategorien Direct Marketing, PR und Cyber ausgezeichnet wurde, liegt die in Abb. 105 dargestellte Utility-Strategie zugrunde. Utility-Strategiekarte: Smart ideas for smarter cities, IBM (s. https://www.youtube. com/watch?v=pN_uTH2kiDA) Situationen: unterschiedliche alltägliche Situationen, die sich ergeben können, wenn man in der Stadt unterwegs ist (z. B.: Regenschauer, sich ausruhen wollen, Gepäck befördern etc.) Action Goals: z. B.: nicht nass werden (Regenschauer), sich hinsetzen (sich ausruhen wollen), wenig Kraft aufwenden (Gepäck befördern) Situation benefits: Werbemittel mit Funktionserweiterungen nutzen können
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Situation: Welche Produktkategorie-affinen Situationen der Zielgruppe Autofahrer gibt es? (Auto waschen, Einkaufen fahren, Parken etc.)
Consumer Insights die jeweilige Situation betreffend gewinnen (z. B. Tanken)
Situation Benefit: Wie kann in dieser Situation ein Kommunikationsangebot zum Erreichen des Handlungsziels nützlich sein und damit als relevant wahrgenommen werden?
Action Goal: Welches Handlungsziel verfolgt der Konsument in der identifizierten Situation?
Prüfung des getätigten Tankvorgangs Aufzeigen, wie beim Tanken Geld gespart werden kann
Abb. 104 Format der Utility-Strategiekarte und das Beispiel VW Polo Blue Motion
Situation: Welche Produktkategorie-affinen Situationen der Zielgruppe Urlaubsplaner gibt es? (Urlaubsplanung, von einem „besseren“ Leben träumen, im Urlaub sein, frustriert sein und alles hinschmeißen wollen etc.)
Consumer Insights die jeweilige Situation betreffend gewinnen (z. B. von einem „besseren“ Leben träumen) Situation Benefit: Wie kann in dieser Situation ein Kommunikationsangebot zum Erreichen des Handlungsziels nützlich sein und damit als relevant wahrgenommen werden?
Action Goal: Welches Handlungsziel verfolgt der Konsument in der identifizierten Situation?
Vielversprechendes Stellenangebot bei der Jobsuche finden
Der Wirklichkeit entfliehen
Abb. 105 Utility-Strategie, resultierende Kommunikations-/Media-Idee, Anzeige sowie Ergebnisse der Kampagne „The best job in the world“ des Tourismusbüros Queensland/Australien, Agentur: Cumminsnitro Brisbane, Australia (Quelle: canneslions.com; Zugriff: 01. 07. 2009)
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2.5.3 USP, UAP, UCP und USE Im Anschluss an die Ausführungen zur positionierungstechnischen Herausforderung der Verführung zum Essentialismus (vgl. Kap. B 2.1.6.1) ist im Zusammenhang mit der Skizzierung der Kontext-Strategie das Konzept der Uniqueness zu erwähnen. So wird häufig postuliert, dass der Consumer Benefit einzigartig zu sein hat, da der Grund- oder Zusatznutzen von keinem Konkurrenzprodukt geboten wird und der Nutzen damit den Status einer Unique Selling Proposition (USP) innehat (vgl. z. B. Reim 1986, Schweiger/Schrattenecker 2005, Stender-Monhemius 1999). Als Begründer des USP-Gedankens gilt der amerikanische Werbefachmann Rosser Reeves (1961). Er vertritt die Auffassung, dass sich ein Produkt nur dann von Konkurrenzprodukten differenzieren kann, wenn es ein einzigartiges Verkaufsargument in sich trägt (Alleinstellungsmerkmal), das stark genug ist, Verbraucher zu einem Kauf zu veranlassen. Diese Alleinstellung äußert sich in der Individualisierung und Profilierung des Produktes, wodurch eine Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit erreicht wird. Das Produkt unterscheidet sich dann deutlich von anderen Produkten und erzielt daraus einen Wettbewerbsvorteil. Nach Reeves muss die Einzigartigkeit und Besonderheit eines Marketing-Gegenstandes im Mittelpunkt einer jeden Marketing-Botschaft stehen. In der Praxis stellt sich die Umsetzung des USP-Konzeptes heute jedoch oft als eine sehr schwierige Aufgabe dar. Das Finden des eigentlichen Zusatznutzens ist nicht sonderlich problematisch. Auch die Forderung, dass der Zusatznutzen verkaufsstimulierend wirken soll, kann oftmals leicht erfüllt werden. Das Problem liegt vielmehr in der Herausstellung eines tatsächlich einzigartigen Zusatznutzens, was in vielen Fällen aufgrund der heutigen gesättigten, dicht besetzten Märkte, in denen praktisch alle lohnenden USPs bereits vergeben sind, kaum mehr zu realisieren ist. In Anbetracht dieser Produkt- und Dienstleistungsparität ist eine faktische Alleinstellung daher kaum mehr durchzusetzen. Die krampfhafte Suche nach einer USP kann negative Konsequenzen nach sich ziehen. So kann vielleicht tatsächlich ein Nutzen bestimmt werden, der den Einzigartigkeitsanspruch im Sinne einer USP erfüllt, dem jedoch gleichzeitig aufgrund fehlender Relevanz eine Marktberechtigung aberkannt werden muss, sodass ein Erfolg fragwürdig erscheint. Um dem von Reeves postulierten Ziel nach einer Alleinstellung im Markt in Anbetracht der hohen Sättigung gerecht werden zu können, tendieren viele Unternehmen heute dazu, diese Differenzierungsleistung mit rein werblichen Mitteln zu erreichen, was in dem Konzept der sogenannten Unique Advertising Proposition (UAP), auch als Unique Communciation Proposition (UCP) bezeichnet, mündet. Die UAP wird über eine spezifische und unverwechselbare Tonality erzielt und kann als Ergebnis einer passiven Positionierungsstrategie betrachtet werden (vgl. Kap. B I 2.1.5.5). Während eine genuine USP gewissermaßen die eigentliche Identität des MarketingGegenstandes darstellt, handelt es sich bei der UAP um einen kommunikativen Akt
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in Form eines gegebenen einzigartigen Versprechens. Dieses riskiert auf Produktebene, also auf der Ebene des bezeichneten Marketing-Gegenstandes, zwar, als „Metoo“ enttarnt zu werden, kann aber dennoch kraft seiner eingesetzten Symbolik in der Marketing-Kommunikation eine empfundene marketing-kommunikative Alleinstellung erzielen. Evident ist, dass die UAP mittlerweile eine größere Bedeutung erlangt hat als die USP, da auf gesättigten Märkten, wie Gerhard Schulze (2005) in seiner Konzeption der Erlebnisgesellschaft dargelegt hat, der Konsum von Erlebnissen eine größere Rolle spielt als der Konsum von Erzeugnissen. Entsprechend der Architektur der Kontext-Strategie ist es angebracht, in der Konzeption der Marketing-Kommunikation konsequenterweise auch eine Unique Situation Experience (USE) anzudenken. Die Alleinstellung wird in diesem Fall vorrangig über die Einzigartigkeit des Situation Benefit erzielt, den ausschließlich eine Marke innehat. Damit eröffnet sich neben der UAP ein weiterer Lösungsansatz zur heutigen Problematik, über die rein inhaltliche Dimension der Marketing-Kommunikation zu einer USP zu gelangen. Aus der im Rahmen der Kontext-Strategie stattfindenden stärkeren konzeptionellen Berücksichtigung der Interaktionsverhältnisse der inhaltlichen und der situativen Dimension, also aus dem gefundenen Fit von Consumer und Situation Benefit, können sich vielversprechende Kommunikations- und MediaIdeen mit hohem Alleinstellungspotenzial ergeben.
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Media-Strategie und Media-Planung
Die Gestaltung der Media-Strategie und Media-Planung wird im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation unmittelbar von der Zielgruppe, den Marketing-Kommunikationszielen, dem Media-Budget sowie der Media-Idee, die maßgebliche Impulse aus der Utility-Strategie bezieht, beeinflusst (s. Abb. 106). Die Einflussnahme zwischen Media-Strategie/-Planung und dem Budget ist aber wechselseitig. So können aus Media-Zielen, beispielsweise der Erzielung einer bestimmten Reichweite oder eines definierten Werbedrucks in der Zielgruppe, Anforderungen an die Höhe des Budgets abgeleitet werden. Zu dem maßgeblichen Einfluss der unternehmensinternen, kommunikationsqualitativen Kriterien (Achtsamkeit, Marketing-Kommunikationswissen, Input-Relevanz) auf diesen Wirkungszusammenhang kommt zum einen das mediale Handeln der Wettbewerber hinzu. Dessen Analyse dient dem Unternehmen dazu, bei der Planung der Distribution seiner Marketing-Kommunikationsangebote das Ziel eines relativen medialen Wettbewerbsvorteils verfolgen zu können, der sich über das Ausmaß der kommunikativen Präsenz im Markt definiert. Zum anderen wirken auf die Gestaltung der Media-Strategie und -Planung auch die stattfindenden technologischen Entwicklungen ein, die unter dem Oberbegriff Programmatic zusammengefasst werden können. Die Auswirkungen dieser Entwick-
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Abb. 106 Direkte Einflüsse auf die Media-Strategie und -Planung im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
lungen werden als dermaßen gravierend eingeschätzt, dass sich bezüglich den Prozessen der Mediaplanung und des Media-Einkaufs die Redeweise eines Paradigmenwechsels in Richtung eines programmatischen Ablaufs findet (Hofsäss/Engel 2017). Da sich dieser Wandel jedoch nur schrittweise realisiert und in den kommenden Jahren die bekannten Prinzipien der Mediaplanung ihre Gültigkeit behalten, wird im Folgenden der Schwerpunkt auf die klassische Media-Planung gelegt, bevor im Anschluss ansatzweise die Vorgehensweise bei Programmatic Advertising beschrieben wird (s. Kap. B I 2.6.5) Ein komplexes Wechselspiel von Einflüssen findet sich auch bei dem Versuch, die beiden Begriffe der Media-Strategie und der Media-Planung auseinanderzudividieren. Die gängige Vorstellung, dass auf die Erarbeitung der Media-Strategie die MediaPlanung folgt, kann weder theoretisch noch praktisch bestätigt werden. Eine trennscharfe Abgrenzung der beiden Bereiche ist aufgrund der Interdependenzen von zu treffenden Entscheidungen kaum möglich. Zweckmäßig ist es daher, die Media-Strategie als Rahmenplanung zu begreifen, innerhalb der die detaillierte Media-Planung erfolgt, ohne dabei eine trennscharfe und eindeutige Zuordnung der einzelnen Arbeitschritte zu postulieren (vgl. Krupp 2004: 132, Hofsäss/Engel 2003: 175). Mit dem englischen Aphorismus „to do the right things“ kann dann der Entwurf des Grundgerüsts der Media-Planung als Media-Strategie und die detaillierte Ausgestaltung dieses Grundgerüsts im Sinne von „to do the things right“ als Media-Planung im engeren Sinne begriffen werden. Im mediastrategischen Entwurf der Planung werden die Ausprägungen der oben genannten Einflussfaktoren aufgegriffen, was zu einer Selektion der Mediengattungen (TV, Funk, Zeitschrift, Plakat etc.) unter Effizienzabwägungen führt. Innerhalb dieses intermedial abgesteckten Rahmens ist es die Aufgabe der Media-Planung, durch
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einen Intramedia-Vergleich innerhalb der einzelnen selektierten Mediengattungen die richtigen Medien zu finden (z. B. Publikumszeitschrift → Stern, Spiegel, Focus etc.), mit denen das richtige Kommunikationsmittel den Angehörigen der Zielgruppe zum richtigen Zeitpunkt mit der richtigen Zahl an Schaltungen und im richtigen Umfeld im Sinne der richtigen intramedialen Situation präsentiert wird – und zwar so günstig wie möglich. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Media-Strategie und die Media-Planung ein auf Effektivität und Effizienz ausgerichteter Medienselektionsprozess ist. Die Funktion der Medien ist aus der Perspektive der Media-Planung offensichtlich. Sie liegt darin, die Mitteilung in Form eines Marketing-Kommunikationsangebots für die Zielgruppe zeit- oder ortsunabhängig verfügbar zu machen. Konzentrierte sich die klassische Media-Planung mit der Streuplanung auf die Verbreitung des Kommunikationsangebotes über klassische kontaktreiche Medien der öffentlichen Kommunikation, fasst die Moderne Marketing-Kommunikation auch die Medien der Individualkommunikation sowie, resultierend aus kontextstrategischen Überlegungen, grundsätzlich jegliche Möglichkeit der kommunikativen Instrumentalisierung von zielgruppentypischen Situationen (Ambient Media) ins Auge (vgl. Kap. B II 2.5.3.). Der Prozess der Media-Planung wird in der Literatur autorenübergreifend bis auf wenige Unterschiede sehr ähnlich strukturiert (s. z. B.: Unger et al. 2013, Hofsäss/Engel 2017, Schnettler/Wendt 2015). Ausgehend von einer (1) Situationsanalyse erfolgt (2) die Bestimmung der Media-Ziele und der -Zielgruppe bevor unter vorgegebenem Budget (3) die Media-Strategie inkl. der Selektion der Mediengattungen (Media-Mix) erfolgt. Dem schießt sich (4) die intramediale Detailplanung, (5) der Media-Einkauf und (6) die Leistungsdokumentation (Effektivitäts- und Effizienzdokumentation) an.
2.6.1 Rezeptionsbezogene Kennzahlen Die rezeptionsbezogenen Kennzahlen fokussieren das marketing-kommunikative Handeln der Rezipienten und können in die vier Klassen Kontakt, Reichweite, Kommunikationsdruck und Response eingeteilt werden. Die ersten drei Kennzahlen beziehen sich auf den Medieneinsatz zur unidirektionalen, allgemein adressierten Marketing-Kommunikation und stehen in einem Wechselverhältnis. So ist beispielsweise Wissen über die erzielte Kontaktmenge nötig, um zu Aussagen zu gelangen, ob eine wirksame oder unwirksame Reichweite in der Zielgruppe erreicht wurde. Soll andererseits die Nettoreichweite einer Kampagne ermittelt werden, ist das Wissen über die Mehrfachkontakte unabdingbar. Interessiert schließlich der Kommunikationsdruck, muss auf Kennzahlenwerte aus dem Kontakt- und dem Reichweitenbereich zurückgegriffen werden. Zur Ermittlung des Response-Wertes wird hingegen aufgrund der Andersartigkeit der Struktur des Prozesses der dialogorientierten Marketing-Kommunikation, auf den sich diese Kennzahl bezieht, auf die distributionsorientierte Kennzahl der Auflage zurückgegriffen.
314
BI
Input
Über die Definition der Kennzahlen herrscht in Praxis wie Lehre Konsens (vgl. z. B. Hofsäss/Engel 2003: 88 f., Huth/Pflaum 2005: 321 f., Neumann/Nagel 2001: 229 f., Schweiger/Schratenecker 2005: 206 f., Unger/Fuchs 2005: 370 f., Unger et al. 2013, Vergossen 2004: 84 f.), womit die Voraussetzung für den Vergleich von Media-Plänen auf Basis allgemein anerkannter Kennzahlen erfüllt ist – beispielsweise im Fall von zwei um den Media-Etat eines marketingtreibenden Unternehmens konkurrierenden Media-Agenturen.
2.6.1.1 Kontakt
Die Media-Planung sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass sie für die Medien, die neben redaktionellen Inhalten auch Marketing-Kommunikationsangebote distribuieren (z. B. Zeitschrift, TV, Funk), im Gegensatz zu Medien, die nur marketing-kommunikativen Zwecken dienen (z. B. Litfasssäule, Plakatstelle, Schaufenster), lediglich auf der Basis von Kontaktwahrscheinlichkeiten arbeiten kann. Die Datenquellen der Media-Planung beruhen nämlich auf Medienkontakten und nicht auf Kontakten mit dem Kommunikationsmittel in einem Medium. Mediatechnisch ist ein Kontakt mit einem Marketing-Kommunikationsangebot also dann erreicht, wenn der Rezipient Kontakt mit einem Medium hat, das Kommunikationsmittel verbreitet. Als Kontakt zählt demnach das Durchblättern einer Zeitschrift, in der sich eine Anzeige befindet, das Sehen oder Hören von Fernseh- oder Rundfunkprogrammen, in denen ein Spot ausgestrahlt wird oder das Aufrufen einer WWW-Seite, auf der ein Werbebanner integriert ist. Es kann dann jedoch noch nichts darüber gesagt werden, ob tatsächlich ein Kontakt mit dem Marketing-Kommunikationsangebot stattgefunden hat oder ob es eventuell sogar zu mehreren Kontakten mit diesem gekommen ist, beispielsweise mit einer Anzeige beim ungezielten Durchblättern einer Zeitschrift. Um zu einer Aussage über den Kontakt mit dem Kommunikationsmittel zu gelangen – denn diesem gilt letztlich das Interesse von Agentur und marketingtreibendem Unternehmen – ist eine Wahrscheinlichkeitsschätzung notwendig. Diese erfolgt auf den Daten über das Medienhandeln basierend, wie sie in den Datenquellen der Media-Planung hinterlegt sind. So ist der Kontakt in der MA für den Print-Bereich in drei Ebenen ausdifferenziert, vom Kontakt mit dem Medium bis hin zum Kontakt mit dem Kommunikationsmittel: • Werbeträger-Kontakt (Leserschaft pro durchschnittliche Ausgabe = LpA): Personen, die die betreffende Ausgabe eines Titels in der Hand hatten, um darin zu blättern oder zu lesen; • Werbemittel-Kontaktchance (Leser pro Seite = LpS): die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person in einer Ausgabe eines Titels eine durchschnittliche Seite aufschlägt, um darauf zu schauen oder zu lesen;
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Analysen und Strategien
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• Werbemittel-Kontakt (Leser pro Werbung führende Seite = LpwS): die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person in einer Ausgabe eines Titels eine durchschnittliche Anzeigenseite aufschlägt, um sie zu lesen (vgl. Hofsäss/Engel 2003: 102). Der LpwS-Wert wird über einen Schätzfaktor berechnet, der experimentell gewonnen wird. Das Verfahren ist beispielsweise bei Hofsäss und Engel (2003: 103 f.) erläutert. Der LpwS-Wert stellt für den Print-Bereich die „härteste“ Kontaktkennzahl der Media-Planung dar. Mediengattungsübergreifend wird im Bereich der allgemein adressierten Marketing-Kommunikation die als Kontakthäufigkeit bezeichnete Anzahl der Kontaktchancen mit dem Opportunity to see/… hear-Wert (OTS-/OTH-Wert) ausgewiesen. Dabei handelt es sich um einen Durchschnittswert, der sich aus der Summe aller Kontaktchancen (Bruttokontakte) dividiert durch die Anzahl der erreichten Zielpersonen (Nettoreichweite) errechnet: Zielperson
Bruttokontakte
A
2
B
6
C
3
D
2
∑ 4 erreichte Zielpersonen
∑ 13 Bruttokontakte
OTS/OTH =
Summe aller Kontaktchancen (Bruttokontakte in Mio.) Anzahl erreichter Personen (Nettoreichweite in Mio.)
→
13 4
→ 3,25
Beispiel
Werden gemäß der MA 2013 (Presse II) mit zwei Anzeigenschaltungen in der Zeitschrift Focus 7,93 Mio. Bruttokontakte bei 5,87 Mio. Lesern erzielt, ergibt dies einen OTS-Wert von 1,35.
Da es sich bei den Opportunity-Werten um Durchschnittswerte handelt, kann nicht festgestellt werden, wie die Aufteilung der Kontaktchancen auf die einzelnen Angehörigen der Zielgruppe ist. Werden beispielsweise bei Person A zehn Kontakte und bei Person B zwei Kontakte mit einer Print-Kampagne erzielt, resultiert dies in einem hohen OTS-Wert von 6, wobei aber lerntheoretischen Ansätzen folgend davon ausgegangen werden kann, dass die Kampagne bei den Personen A und B unterschiedliche Effekte erzielt hat, bei Person B eventuell sogar überhaupt keinen. Die Lösung
316
BI
Input
für die Media-Planung liegt in der Betrachtung der Verteilung der Kontakte auf unterschiedliche Kontaktklassen, wie das Beispiel in Abb. 107 zeigt. Die Kontaktklassenbetrachtung ermöglicht es, die unwirksame von der wirksamen Reichweite zu unterscheiden. Die Personen, die eine geringere als die für nötig erachtete Kontakthäufigkeit aufweisen, bilden die unwirksame Reichweite, wohingegen die Personen mit der als ausreichend hoch eingestuften Kontakthäufigkeit die wirksame Reichweite abbilden. Für die Media-Planung resultiert als eine Zielsetzung die Minimierung der unwirksamen Reichweite bei gleichzeitiger Nichtsteigerung der Kontakthäufigkeit unter den Zielpersonen der wirksamen Reichweite. Letzteres geht auf Kostengründe zurück und erfolgt darüber hinaus auch, um eventuelle negative Effekte bei der Zielgruppe (z. B. Reaktanz) zu vermeiden. Die Beantwortung der Frage nach dem Ausmaß der Kontakthäufigkeit für eine wirksame Reichweite lässt sich nicht pauschal und darüber hinaus selbst für den spezifischen Fall eher nur wenig zufriedenstellend beantworten. Zur Kontaktbewertung liegt es nahe, die Wirkung der Marketing-Kommunikation im Segment der unidirektionalen, allgemein adressierten Kommunikation in Abhängigkeit von der Kontakthäufigkeit zu sehen. Dieses Verfahren ist aus der klassischen Media-Werbung bekannt. Wirkung wird dabei reduziert auf die Erinnerung an das Werbemittel. Das Verhältnis von Werbewirkung und Kontaktzahl bildet die Kontaktbewertungskurve
Abb. 107 Beispiel der Verteilung von Kontakten auf Kontaktklassen (Quelle: Vergossen 2004: 87)
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Analysen und Strategien
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Abb. 108 Mögliche Formen des Zusammenhangs zwischen Kontaktanzahl und Werbewirkung (Quelle: Schweiger/ Schrattenecker 2005: 302)
ab, die auch als Response-Funktion bezeichnet wird (vgl. Huth/Pflaum 2005: 329 f., Schweiger/Schrattenecker 2005: 301; s. Abb. 108). Günter Schweiger und Gertraud Schrattenecker konstatieren, dass die degressive Wirkungskurve, gefolgt vom S-förmigen ertragsgesetzlichen Verlauf, die höchste empirische Relevanz aufweist. Eine pauschal gültige Kontaktbewertungskurve liegt aber nicht vor. Der Verlauf der Kurve variiert fallspezifisch in Abhängigkeit von zahlreichen Faktoren, die bei Schweiger und Schrattenecker (ebd.: 303) aufgelistet sind. Exemplarisch können genannt werden: die kreative Gestaltung des Kommunikationsmittels, die Art des beworbenen Produktes, die Konkurrenzwerbung oder zielpersonenabhängige Faktoren wie beispielsweise die wahrgenommene Relevanz des Kommunikationsangebotes oder die Produktkenntnis. Auch spielt der sogenannte Adstock eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Kontakthäufigkeit. Er ist Ausdruck des aktuellen Depots der Marketing-Kommunikation und steht für die heutige Wirkung vergangener Kommunikationsmaßnahmen. Ist eine Kampagne mit ihren Motiven bereits seit einiger Zeit im Markt, sind demnach weniger Kontakte notwendig, um eine Wirkung zu erzielen (vgl. Broadbent/ Haarstick 1999: 176 f.). Schließlich ist die Kontaktdosierung auch in Abhängigkeit von den MarketingKommunikationszielen und damit von der angestrebten Wirkung zu sehen. Will eine Kampagne beispielsweise Aufmerksamkeit für ein neues Produkt gewinnen, kann eine höhere Kontaktzahl pro Zielperson angebracht sein als im Fall der Imageprofilierung einer Marke. Neben den zahlreichen fallspezifischen Einflussfaktoren spielt weiterhin und gerade die implizit oder explizit der Media-Planung zugrunde liegende Wirkungs-
318
BI
Input
theorie eine entscheidende Rolle bei der Kontaktzahlbestimmung. So kann mit dem Recency-Planning-Ansatz, der von Erwin Ephron, Partner des New Yorker Media-Beratungsunternehmens Ephron, Papazian & Ephron entwickelt wurde, in der MediaPlanung heute eine Position bezogen werden, die der Kontaktdosis eine geringe oder sogar überhaupt keine Wirksamkeit zuspricht und die stattdessen auf die Bedeutung des Kommunikationskriteriums der Kontextualität verweist: „Das Recency-Modell unterstellt, dass die Konsumenten selbst steuern, ob sich eine Botschaft der Marktkommunikation auf ihr Verhalten auswirkt. Aus der Vielzahl der Botschaften selektieren sie lediglich diejenigen, die für sie selbst zu dem gegebenen Zeitpunkt relevant sind. Nicht die Werbung nimmt Einfluss auf das Verhalten der Konsumenten, sondern die Ereignisse im Leben der Konsumenten bestimmen, ob Verbraucher bereit sind, den Botschaften Bedeutung beizumessen oder nicht.“ (Koschnick 1999: 61)
Für die Media-Planung heißt dies konkret, hohe Nettoreichweiten bei bewusster Vernachlässigung von Kontakthäufigkeiten zu erzielen. Eine große Anzahl von Personen soll mindestens einmal erreicht werden, wobei es das Ziel ist, so viele Konsumenten wie möglich zu vielen unterschiedlichen Zeitpunkten zu erreichen. Nur dies kann Garant dafür sein, dass der Mehrheit derjenigen Konsumenten, die gerade „auf dem Markt“ (ebd.), also kaufbereit sind, ein Marketing-Kommunikationsangebot unterbreitet wird.
2.6.1.2 Reichweite
Geben die Kontaktkennzahlen an, wie oft Zielpersonen mit einem Kommunikationsmittel erreicht werden, geben die Reichweitenkennzahlen Auskunft darüber, wie viele Zielpersonen in Kontakt mit dem Marketing-Kommunikationsangebot kommen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Brutto- und Nettoreichweite. Die Bruttoreichweite (BRW) beschreibt die Anzahl der Kontakte, die erzielt werden, und ergibt sich durch Addition der Einzelreichweiten. Sie wird in Millionen oder Prozent ausgewiesen. Der Nachteil ist, dass keine Berücksichtigung von Doppelkontakten stattfindet. Daher geht aus der BRW nicht hervor, wie oft dieselben Personen durch ein Kommunikationsmittel erreicht werden. Erfolgt beispielsweise die parallele Schaltung einer Anzeige in drei Zeitschriften, ergibt sich die Bruttoreichweite aus der Summe der Leser aller drei Zeitschriften (L1 + L2 + L3; vgl. Abb. 109). Die Nettoreichweite (NRW) ergibt sich aus der Bruttoreichweite unter Bereinigung der Doppel- und Mehrfachkontakte. Für das Beispiel in Abb. 109 ergibt sich die NRW entsprechend aus: BRW − L12 − L13 − L23 − L123. Die NRW gibt an, wie viele Personen durch eine Kampagne mindestens einmal erreicht werden, wobei jede Person nur einmal gezählt wird, auch wenn mehrere Kontakte auf sie entfallen.
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Abb. 109 Schematische Darstellung der Überschneidungen der Mediennutzung von drei Zeitschriften (vgl. Kloss 2007: 271, Schweiger/Schrattenecker 2005: 297)
Das Differenzierungskriterium von BRW und NRW ist also das der Überschneidungen. Von den in Abb. 109 schematisch dargestellten externen Überschneidungen der Mediennutzung sind die internen Überschneidungen zu unterscheiden, die ebenfalls bei der NRW herausgerechnet werden. Interne Überschneidungen resultieren aus dem mehrfachen Kontakt eines Nutzers mit einem Kommunikationsmittel, weil es in dem gleichen Medium mehrmals hintereinander geschaltet wird. Beispiel
Wird gemäß der MA 2013 (Presse II) in 50 Ausgaben der Zeitschrift Der Spiegel eine Anzeige geschaltet (1/1 S., 4c), kostet dies, basierend auf einem jahresdurchschnittlichen Schaltpreis, 2 721 000,– Euro, wobei die Anzeige eine Nettoreichweite von 16,64 Mio. Personen über 14 Jahren erzielt. Wird in jeweils nur zwei Ausgaben der Zeitschriften Focus, Der Spiegel und Stern eine Anzeige (1/1 S., 4c) geschaltet (∑ 6), kostet dies, basierend auf einem jahresdurchschnittlichen Schaltpreis, 339 000,– Euro und die Anzeigen erzielen eine Nettoreichweite von 18,11 Mio. Personen über 14 Jahren.
2.6.1.3 Kommunikationsdruck
Aus der Werbeträgerforschung steht die Kennzahl Gross Rating Points (GRP) für die Bemessung des Werbedrucks zur Verfügung. Sie setzt die Bruttoreichweite, also die Summe der Kontakte ohne Berücksichtigung von Überschneidungen, in Relation zur erreichten Zielgruppe, weswegen sie auch als Ausdruck der prozentualen Bruttoreichweite aufgefasst werden kann.
320
BI
Input
Der GRP-Wert gibt Auskunft über die durchschnittliche Kontaktzahl pro 100 Zielpersonen und ermöglicht so eine Aussage über den relativen Werbedruck in der entsprechenden Zielgruppe, wobei aber die Kontaktqualität nicht berücksichtigt wird. Alternativ kann der GRP-Wert auch über die Multiplikation der prozentualen Nettoreichweite mit dem Durchschnittskontaktwert ermittelt werden:
GRP =
Bruttokontakte (absolut) Zielpersonen (absolut)
× 100
oder: GRP = Nettoreichweite in Prozent × durchschnittliche Kontaktzahl Beispiel
Wird in 50 Ausgaben der Zeitschrift Der Spiegel eine Anzeige geschaltet, dann wird bei den Zielpersonen (Bevölkerung > 14 Jahre) ein Werbedruck von rund 433,9 GRP erzielt. Wird in jeweils zwei Ausgaben der Zeitschriften Focus, Der Spiegel und Stern eine Anzeige geschaltet, wird bei den Zielpersonen (Bevölkerung > 14 Jahre) ein Werbedruck von rund 49,5 GRP erzielt (s. Abb. 110).
Bei der Erstellung von Media-Plänen ermöglicht der GRP einen Vergleich mit den Kontaktintensitäten der Wettbewerber wie auch mit früheren oder alternativen Kampagnen der eigenen Marke und ist so eine wichtige Entscheidungshilfe bei der Bewertung und Auswahl eines Plans. Bei der GRP-Betrachtung ist aber stets zu berücksichtigen, dass der GRP-Wert eine aggregierte Kennzahl aus Kontakt- und Reichweitenwerten ist, die in unterschiedlichsten Kombinationen zum selben GRPWert führen können (z. B.: 30 × 2 = 60 oder 10 × 6 = 60). Das heißt, dass der GRP nur der ersten Orientierung im Wettbewerbsumfeld dienen kann und in Abhängigkeit von den Marketing-Kommunikationszielen stets eine detaillierte Betrachtung der Kontakt- und Reichweitenleistungen eines Plans erfolgen muss. Weitere Kennzahlen zur Bestimmung des wettbewerbsrelativen Kommunikationsdrucks sind der Share of Advertising (SoA), Share of Voice (SoV) und der Share of Mind (SoM). Mithilfe dieser Kennzahlen kann der in einer Branche gegebene Kommunikationsdruck quantifiziert werden, was ebenfalls zur Entscheidungsfindung bei der Media-Planung beiträgt. Der Share of Advertising (SoA) weist den Anteil des eigenen Media-Etats in Prozent an den gesamten Bruttomediainvestitionen des definierten Marktsegmentes aus. Er dient damit der schnellen Beurteilung des Werbedrucks innerhalb eines bestimmten Marktes.
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Analysen und Strategien
321
Abb. 110 Exemplarische alternative Berechnung des GRP-Wertes (Quelle: MA 2009/Presse 1, eigene Darstellung)
Der Share of Voice (SoV) gibt den Anteil der eigenen Kontakte in Prozent an den gesamten Kontakten des definierten Marktsegmentes an. Er ist damit ein Maß für die Effizienz des in den Medien gestreuten Budgets. Der Share of Mind (SoM) gibt den Anteil der eigenen Kontakte in Prozent an den gesamten Kontakten je einzelne Zielperson an. Es handelt sich also um den zielpersonenspezifischen Kommunikationsdruck-Anteil in einer Branche.
2.6.1.3.1 Zeitliche Verteilung des Kommunikationsdrucks
Wie soll der Kommunikationsdruck zeitlich gestaltet werden, wie also sollen die Marketing-Kommunikationsangebote im Zeitablauf präsentiert werden ? Angesprochen ist damit die Erstellung des Timings, die Festlegung der genauen Distributionszeitpunkte der Kommunikationsmittel. Werden die beiden Dimensionen des grund-
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BI
Input
sätzlichen Einsatzes der Kommunikationsangebote und des Verlaufs der Intensität miteinander in Beziehung gesetzt, resultieren typische Distributionsmuster von Marketing-Kommunikationsangeboten (vgl. Abb. 111). Grundsätzlich können die Kommunikationsmittel konzentriert auf einen kleinen Teil einer Planungsperiode (in Abb. 111 ist dies ein Monat), kontinuierlich verteilt oder in bestimmten Abständen intermittierend distribuiert werden. Jede dieser Einsatzformen kann pro Planungsperiode in unterschiedlicher Intensität umgesetzt werden. Das heißt, die Kommunikationsmittel werden in gleichbleibender, zunehmender, abnehmender oder alternierender Frequenz geschaltet. Ähnlich wie bei der Frage nach dem Ausmaß der Kontakthäufigkeit zum Erzielen einer wirksamen Reichweite muss die Media-Planung bei der Selektion des zeitlichen Distributionsmusters eine Reihe von Faktoren berücksichtigen. Zu nennen sind vor allem die Marketing-Kommunikationsziele, die Zielpersonen, die Produktart, die Kaufintervalle, die Käuferumschlagsrate, die Konkurrenzaktivitäten und die Stärke des Vergessenseffektes, womit an das Wirkungskonstrukt der Kontaktbewertungskurve angeschlossen wird. Beispielsweise empfiehlt sich eine kontinuierliche marketing-kommunikative Präsenz, wenn (vgl. Kotler 1989: 542): • •
die Käuferumschlagsrate hoch ist, also schnell neue potenzielle Kunden in den Markt kommen, die Wiederkaufsrate hoch ist, damit Kunden ständig an das Produkt erinnert werden,
Abb. 111 Distributionsmuster von Marketing-Kommunikationsangeboten (vgl. Kotler 1989: 541)
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Analysen und Strategien
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• •
der Vergessenseffekt bei den Zielpersonen hoch ist, das Involvement der Zielpersonen gering ist und sie die Kommunikationsangebote als wenig relevant einstufen.
Für die Bezeichnung der vier Frequenzoptionen, die die Intensität des Kontaktes mit dem Kommunikationsmittel ausmachen, haben sich in der Praxis der Media-Planung auch folgende Begriffe eingebürgert (vgl. z. B. Hofsäss/Engel 2003: 198): Backloading steht für die steigende Intensität im Planungszeitraum. Es wird mit einem niedrigen Kommunikationsdruck gestartet, der dann sukzessive bis zum Ende des Planungszeitraums ausgebaut wird. Diese Variante kommt beispielsweise bei der Einführung von neuen Produkten (z. B. in der Automobil-Branche) in der PreLaunch-Phase zum Einsatz, um Neugierde und Spannung unter den Zielpersonen aufzubauen. Frontloading meint eine abfallende Intensität im Planungszeitraum. Die Kampagne beginnt mit einem hohen Kommunikationsdruck, der im Folgenden stetig abfällt. Beim Markteintritt (Launch) neuer Produkte kommt dieses Muster mit dem Ziel des schnellen Bekanntheitsaufbaus zum Einsatz. Flighting und Pulsing bezeichnen Druckmuster mit alternierender Intensität im Planungszeitraum. Die beiden Varianten unterscheiden sich dahin gehend, ob ein kontinuierlicher Kommunikationsdruck mit abwechselnden Perioden höheren Drucks realisiert wird (= Pulsing, vgl. Felder 4 und 8 in Abb. 111) oder ob sich Perioden der marketing-kommunikativen Abstinenz mit denen der Aktivität ablösen (= Flighting, vgl. Feld 12 in Abb. 111). Zuweilen finden sich in der Praxis noch weitere Bezeichnungen für Kommunikationsdruckmuster wie beispielsweise Waving oder Bursts, mit denen innerhalb der einzelnen Grundmuster – hier betreffend Pulsing (Feld 8) und Flighting (Feld 12) der Abb. 111 – die Kommunikationsdruckverteilung noch näher und häufig agenturterminologiespezifisch beschrieben wird (s. den Überblick bei Vergossen 2004: 100 f.).
2.6.1.4 Response
Streng betrachtet handelt es sich bei der Kennzahl des Response nicht um eine reine rezeptionsbezogene Kennzahl. Sie setzt nämlich das der Rezeption folgende Handeln der Kontakterwiderung durch den Rezipienten in ein Verhältnis mit der distributionsbezogenen Kennzahl der Auflage. Der Response ist Ausdruck des Rücklaufs der dialogorientierten Marketing-Kommunikation. Die Kennzahl gibt Aufschluss darüber, wie groß der Anteil der Zielgruppe ist, die auf das Kommunikationsangebot zurechenbar reagiert hat und damit in einen Dialog mit dem Unternehmen eingetreten ist. Sie wird als Quote ausgedrückt und nach der Formel ermittelt:
324
Responsequote (RQ) =
BI
Input
Anzahl der Reaktionen × 100 Anzahl der distribuierten Kommunikationsmittel
Haben beispielsweise auf eine E-Mail, die an 10 000 Kunden eines Unternehmens versendet wurde, 200 Kunden geantwortet, ergibt dies eine RQ von 2 Prozent. Wie auch die Kennzahlen des Kontaktes, der Reichweite und des Kommunikationsdrucks sagt die RQ nichts über die Wirtschaftlichkeit einer Marketing-Kommunikationsmaßnahme aus, da weder Kosten noch Erlöse berücksichtigt werden. Es kann daher nicht pauschal gesagt werden, dass eine höhere RQ unter wirtschaftlicher Beobachtungslogik besser als eine niedrige ist. Aufgrund ihrer einfachen Berechnung ist die RQ in der Praxis jedoch stark verbreitet. Sie dient der ersten Adhoc-Einschätzung der Attraktivität eines dialogischen Kommunikationsimpulses bei der Zielgruppe.
2.6.2 Distributionsbezogene Kennzahlen Die distributionsbezogenen Kennzahlen der Media-Planung setzen nicht am marketing-kommunikativen Handeln des Rezipienten an, sondern dienen der Medienselektion, indem sie für den Handlungsbereich der Distribution, beispielsweise von Printmedien, einen quantitativ orientierten Vergleich ermöglichen. Die zentrale Kennzahl ist die der Auflage mit ihren unterschiedlichen Konkretisierungsformen. Wichtige sind (vgl. Koschnick o. J., Pepels 2001: 448 f.): • Druckauflage: Gesamtzahl gedruckter Exemplare, abzüglich Makulatur; • Abonnement-Auflage: Gesamtzahl der Exemplare, die im Festbezug distribuiert werden; • Einzelverkaufsauflage: Gesamtzahl der Exemplare, die einzeln über Verkaufsstellen verteilt werden; • Remittenden: Gesamtzahl der Exemplare des Einzelverkaufs, die nicht verkauft und an den Verlag zurückgesendet werden; • verkaufte Auflage: Gesamtzahl der Exemplare, die voll bezahlt distribuiert werden und die sich zusammensetzt aus der Einzelverkaufsauflage abzüglich Remittenden, Abonnement-Auflage, Lesezirkel-Auflage und den sonstigen verkauften Exemplaren wie beispielsweise den rabattierten Exemplaren aus einem Firmenabonnement mit Mengenrabatt oder aus dem Bezug von Luftverkehrsgesellschaften; • verbreitete Auflage: Gesamtzahl der Exemplare aus verkaufter Auflage und Freiexemplaren wie beispielsweise für Agenturen und zu Werbezwecken; • kontrollierte Auflage: Gesamtzahl der Exemplare, die von der IVW als gedruckt, verbreitet oder verkauft ausgewiesen werden (IVW-geprüfte Druck-, verbreitete oder verkaufte Auflage).
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Analysen und Strategien
325
Zu ergänzen ist, dass für die Media-Planung nicht nur Auflagenzahlen im Bereich der Printmedien der öffentlichen, allgemein adressierten Kommunikation von Interesse sind, sondern dass auch im Segment der Individualkommunikation mittels Printmedien die Auflage von Relevanz ist. Verbreitet ist hier die Kennzahl der MailingAuflage, die die Gesamtzahl der Werbebriefe beziffert, die an Empfänger persönlich adressiert, teil-adressiert („An die Bewohner des Hauses Musterstraße XX“) oder nichtadressiert (Hauswurfsendung) distribuiert werden. Wie bei den Zeitungs- und Zeitschriftenauflagen kann auch hier nach unterschiedlichen Auflagenhöhen weiter differenziert werden (z. B. gedruckte Mailing-Auflage, versendete Mailing-Auflage, unzustellbare Auflage). Aus dem Verhältnis von verbreiteter Auflage und Reichweite kann die MediaPlanung Hinweise auf die Nutzung eines Printmediums durch mehrere Personen erhalten.
2.6.3 Erstellung und Evaluierung des Media-Plans Zur Selektion der Medien, in denen das Kommunikationsmittel geschaltet wird, wird in einem ersten Schritt eine Rangreihe erstellt. Diese beinhaltet die Medien einer selektierten Mediengattung und listet die einzelnen Werbeträger sortiert nach bestimmten Leistungskriterien auf. Den Media-Planern stehen zur Erstellung der Rangreihen Computerprogramme zur Verfügung. Am verbreitetsten ist das Mediaplanungs-Dialog-System (MDS), das 1989 von der Axel Springer AG eingeführt und bis heute kontinuierlich weiterentwickelt wurde und das die Lizenznehmer mittlerweile auch online nutzen können (s. Axel Springer o. J.). Mit dieser Planungssoftware kann auf die Daten vieler Mediaund Markt-Media-Studien zugegriffen werden und eine schnelle und flexible Erstellung von Rangreihen erfolgen. Als Leistungskriterien, die zur Reihung der Medien herangezogen werden, dienen vor allem: • • •
die Reichweite, der Tausend-Kontakt- und der Tausend-Nutzer-Preis, der Affinitätsindex.
Der Tausend-Kontakt- und der Tausend-Nutzer-Preis dienen der Beurteilung der Effizienz eines Mediums. Die Kosten der Schaltung eines Kommunikationsmittels werden in ein Verhältnis gesetzt zur Anzahl der Kontakte oder Nutzer eines Mediums, wobei nicht der Preis eines Kontaktes oder erreichten Nutzers ermittelt wird, sondern der von 1000. Der Tausend-Kontakt-Preis (TKP) gibt demnach die Media-Kosten für 1000 Kontakte innerhalb der Zielgruppe an. Die Formel lautet entsprechend:
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BI
TKP =
Input
Einschaltkosten × 1 000 Anzahl der Kontakte
Beispiel
Kostet eine vierfarbig gedruckte 1/1-Seite in der Zeitschrift Focus 50 000,– Euro und werden damit 4 Mio. Kontakte in der Zielgruppe deutsche Gesamtbevölkerung ab 14 Jahre erzielt, so entspricht dies einem TKP in Höhe von 12,50 Euro.
Anders als der TKP weist der Tausend-Nutzer-Preis (TNP) die Kosten bezogen auf die Reichweite und nicht auf die Kontakte aus. Er gibt die anfallenden Kosten zur Erreichung von 1000 Nutzern eines Mediums an. Dazu werden die Insertionskosten durch die Nettoreichweite dividiert. Die Formel lautet:
TNP =
Einschaltkosten × 1 000 Nettoreichweite (abs.)
Beispiel
Kostet eine vierfarbig gedruckte 1/1-Seite in der Zeitschrift Focus 50 000,– Euro und werden damit 4 Mio. Personen in der Zielgruppe deutsche Gesamtbevölkerung ab 14 Jahre erreicht, so entspricht dies einem TNP in Höhe von 12,50 Euro.
Zu beachten ist, dass TKP und TNP bei einer Einschaltung identisch sind. Werden beispielsweise vier Millionen verschiedene Personen mit einer einmaligen Schaltung über ein Medium erreicht, dann werden auch vier Millionen Kontakte erzielt. Erst nach zwei und mehr Schaltungen weichen TKP und TNP voneinander ab und zwar dahin gehend, dass der TNP vergleichsweise höher wird. Wird beispielsweise mit einer zweifachen Belegung desselben Mediums eine doppelt so hohe Kontaktsumme wie mit einer einmaligen Schaltung erreicht, bewegt sich die Nettoreichweite hingegen irgendwo zwischen den Werten nach einmaliger Schaltung und der Kontaktsumme nach zwei Insertionen (s. Abb. 112). Die Affinität beziehungsweise der Affinitätsindex ist ein weiteres wichtiges Leistungskriterium zur Rangreihung der Medien. Es zeigt an, wie hoch der prozentuale Anteil der Zielgruppe an der Nutzerschaft eines bestimmten Mediums ist. Ausgedrückt als Index ist die Affinität ein Verhältnismaß, das Auskunft darüber gibt, ob ein Medium eine definierte Zielgruppe über- oder unterdurchschnittlich erreicht. Medien können so entsprechend über ihr Ausmaß der Zielgruppennähe selektiert werden, wobei gilt, dass das Medium die Zielgruppe umso besser erreicht, je höher der Index ist.
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Analysen und Strategien
327
GesamtbevölkerungPotenzial: 100.0 %, 38 814 Fälle, 64.87 Mio. 2009er Preise 29. 6. 2009 – Netto Werbeträger
Format
Farbe
Preiszone
Plan 1
Plan 2
FOCUS
1/1 S.
4c
Jahresdurchschnitt
1
2
DER SPIEGEL
1/1 S.
4c
Jahresdurchschnitt
stern
1/1 S.
4c
Jahresdurchschnitt
Kosten in Euro
49 752
97 514
Reichweite %
6,1
9,1
Reichweite Mio.
3,96
5,87
12,55
16,61
3,96
7,93
12,55
12,30
GRP
6,1
12,3
Kontakte pro Nutzer
1,0
1,4
Euro pro 1000 Nutzer Kontakte Mio. Euro pro 1000 Kontakte
Abb. 112 Entwicklung des TKP und TNP nach zwei Schaltungen (Quelle: ma 2013 Presse II)
Zur Berechnung des Affinitätsindex stehen zwei Modi zur Verfügung:
Affinitätsindex =
Reichweite in Zielgruppe Reichweite in Grundgesamtheit (Gesamtbevölkerung)
× 100
oder:
Affinitätsindex =
Zielgruppenanteil an der Nutzerschaft eines Mediums Zielgruppenanteil an der Grundgesamtheit (Ges.-Bevölk.)
× 100
328
BI
Input
best for planning 2013 I Zielgruppe: Deodorants, Antitranspirants Markenverwender AXE Potenzial: 19.6 %, 5944 Fälle, 13.81 Mio. Vergleichs-Zielgruppe Zielgruppe: Deutsche Bevölkerung ab 14 Jahre Potenzial: 91.8 %, 27785 Fälle, 64.54 Mio. 2013er Preise 25. 9. 2013 – Netto Medien Werbeträger
Format
Farbe Kosten Euro
Euro pro 1 000 Kont.
Reichweite %
Reichweite Mio.
Kont. Mio.
Affinität
Indexsumme Rw + Tkp + Affi
1 sport auto
1/1 S.
4c
10 900
50,91
1,6
0,21
0,21
239
135
2 AUTO BILD SPORTSCARS
1/1 S.
4c
10 800
65,06
1,2
0,17
0,17
236
126
3 COMPUTER BILD SPIELE
1/1 S.
4c
12 900
15,47
6,0
0,83
0,83
227
214
4 Men's Health
1/1 S.
4c
22 500
49,73
3,3
0,45
0,45
217
132
5 Playboy
1/1 S.
4c
25 917
56,11
3,3
0,46
0,46
217
129
6 AUTO TEST
1/1 S.
4c
17 200
79,65
1,6
0,22
0,22
211
113
7 SPORT BILD
1/1 S.
4c
32 900
18,82
12,7
1,75
1,75
208
209
8 MOTORRAD
1/1 S.
4c
16 990
52,59
2,3
0,32
0,32
206
123
9 AUTO BILD
1/1 S.
4c
42 000
40,00
7,6
1,05
1,05
206
149
10 AUTO BILD ALLRAD
1/1 S.
4c
10 800
75,56
1,0
0,14
0,14
205
110
11 auto motor und sport
1/1 S.
4c
39 150
52,43
5,4
0,75
0,75
205
133
12 COMPUTER BILD
1/1 S.
4c
27 400
19,95
9,9
1,37
1,37
199
193
13 kicker-sportmagazin
1/1 S.
4c
24 600
21,38
8,3
1,15
1,15
198
182
14 CHIP
1/1 S.
4c
17 300
25,23
5,0
0,69
0,69
194
158
15 AUDIO VIDEO FOTO BILD
1/1 S.
4c
13 100
68,77
1,4
0,19
0,19
194
108 107
16 CHIP FOTO-VIDEO 1/1 S.
4c
11 000
69,22
1,2
0,16
0,16
193
17 BRAVO Sport
1/1 S.
4c
17 430
113,18
1,1
0,15
0,15
192
98
18 GQ
1/1 S.
4c
20 200
108,63
1,3
0,19
0,19
192
99
19 AUTOStraßenverkehr
1/1 S.
4c
16 300
101,80
1,2
0,16
0,16
189
98
20 CHIP Test & Kauf (angepasst an AWA 2013)
1/1 S.
4c
7 500
65,46
0,8
0,11
0,11
181
102
21 manager magazin 1/1 S.
4c
24 470
110,17
1,6
0,22
0,22
172
91
22 selbst ist der Mann
1/1 S.
4c
19 297
75,01
1,9
0,26
0,26
172
99
23 Wunderwelt Wissen
1/1 S.
4c
11 008
31,90
2,5
0,35
0,35
172
128 108
24 CINEMA
1/1 S.
4c
14 965
52,13
2,1
0,29
0,29
170
25 AUTO ZEITUNG
1/1 S.
4c
22 544
90,39
1,8
0,25
0,25
170
94
26 FOCUS-MONEY
1/1 S.
4c
16 317
89,43
1,3
0,18
0,18
165
90
27 SELBER MACHEN 1/1 S.
4c
17 900
88,16
1,5
0,20
0,20
164
91
28 Welt der Wunder 1/1 S.
4c
19 094
33,53
4,1
0,57
0,57
164
128
2
Analysen und Strategien
Medien Werbeträger 29 P.M. Magazin
Format
329
Farbe Kosten Euro
Euro pro 1 000 Kont.
Reichweite %
Reichweite Mio.
Kont. Mio.
Affinität
Indexsumme Rw + Tkp + Affi 109
1/1 S.
4c
23 925
51,36
3,4
0,47
0,47
163
30 Wirtschaftswoche 1/1 S.
4c
27 700
81,14
2,5
0,34
0,34
163
95
31 Capital
1/1 S.
4c
29 633
92,23
2,3
0,32
0,32
157
90
32 Treffpunkt Kino (angepasst an AWA 2013)
1/1 S.
4c
***
***
3,0
0,41
0,41
149
***
136
33 TV Movie
1/1 S.
4c
56 591
37,53
10,9
1,51
1,51
143
34 ACE LENKRAD
1/1 S.
4c
20 300
69,14
2,1
0,29
0,29
139
87
35 ADAC Motorwelt 1/1 S.
4c
116 800
26,76
31,6
4,36
4,36
139
216
36 TV DIGITAL
1/1 S.
4c
54 475
48,34
8,2
1,13
1,13
138
116
37 NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND
1/1 S.
4c
21 800
56,51
2,8
0,39
0,39
130
91
38 VIEW
1/1 S.
4c
16 433
75,91
1,6
0,22
0,22
128
79
39 DER SPIEGEL
1/1 S.
4c
61 837
39,55
11,3
1,56
1,56
127
128
40 BILD am SONNTAG
1/1 S.
4c
81 150
33,71
17,4
2,41
2,41
127
154
41 FOCUS
1/1 S.
4c
49 752
45,57
7,9
1,09
1,09
125
111
42 ADAC reisemaga- 1/1 S. zin (angepasst an AWA 2013)
4c
19 850
42,97
3,3
0,46
0,46
122
98
***
43 SuperTV
1/1 S.
4c
***
***
1,1
0,16
0,16
121
44 Guter Rat
1/1 S.
4c
15 900
47,96
2,4
0,33
0,33
118
89
45 GEOSAISON
1/1 S.
4c
17 100
80,77
1,5
0,21
0,21
118
73 109
46 TVdirekt
1/1 S.
4c
18 100
32,89
4,0
0,55
0,55
117
47 NEON
1/1 S.
4c
22 867
111,73
1,5
0,20
0,20
117
67
***
***
9,0
1,24
1,24
115
***
4c
11 600
52,34
1,6
0,22
0,22
111
81
***
***
2,7
0,37
0,37
110
***
51 Frankfurter All250 mm 4c gemeine FAS 4 Sp AT Sonntagszeitung
14 100
73,99
1,4
0,19
0,19
109
71
48 TV SPIELFILM 49 GEO Epoche (angepasst an AWA 2013)
1/1 S.
50 TV TODAY
52 GEO
1/1 S.
4c
39 450
54,95
5,2
0,72
0,72
107
90
53 stern
1/1 S.
4c
59 933
40,16
10,8
1,49
1,49
107
118
54 WELT am SONNTAG Gesamtausgabe
250 mm 4c 4 Sp AT
14 850
70,62
1,5
0,21
0,21
107
72
55 Hörzu Wissen (angepasst an AWA 2013)
1/1 S.
9 950
85,82
0,8
0,12
0,12
105
65
4c
56 tv pur
1/1 S.
4c
19 033
60,85
2,3
0,31
0,31
102
75
57 HÄUSER (angepasst an AWA 2013)
1/1 S.
4c
13 900
200,63
0,5
0,07
0,07
102
52
58 BRAVO
1/1 S.
4c
42 517
229,28
1,3
0,19
0,19
102
54
59 Das Haus
1/1 S.
4c
42 900
133,00
2,3
0,32
0,32
101
61
Abb. 113 Rangreihe nach Affinitätsindizes (Quelle: b4p 2013 I, Ranking durch Mindshare)
330
BI
Input
Beispiel (vgl. Hofsäss/Engel 2003: 280)
Beträgt die Reichweite eines Zeitschriftentitels in der Zielgruppe der Personen 14 – 29 Jahre 30 Prozent und innerhalb der Grundgesamtheit (Personen > 14 Jahre) 15 Prozent, resultiert ein Affinitätsindex von: 200 =
30 % 15 %
× 100
Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn der Zielgruppenanteil an der Nutzerschaft dieses Mediums, der bei 40 Prozent liegt, mit dem Zielgruppenanteil an der Grundgesamtheit, der bei 20 Prozent liegt, in ein Verhältnis gesetzt wird und mit 100 multipliziert wird: 200 =
40 % 20 %
× 100
Im Folgenden wird die Erstellung des Media-Plans anhand eines Beispiels für Publikumszeitschriften aufgezeigt. Kern-Zielgruppe sind Verwender der Deodorants/Antitranspirants der Marke AXE in Deutschland (13,8 Mio. Personen). Als Datenquelle dient die Markt-Media-Studie best for planning 2013 I. Um zu gewährleisten, dass nur Zeitschriftentitel bei der Selektion berücksichtigt werden, mit denen die Zielgruppe überdurchschnittlich erreicht werden kann, empfiehlt es sich, in einem ersten Schritt eine Rangreihe aller Titel nach dem Kriterium der Affinität zu bilden (s. Abb. 113 auf den vorangegangenen Seiten). Von den Titeln mit überdurchschnittlicher Affinität belegt der Titel Sport Auto mit einem Affinitätsindex von 239 den ersten Rang. In einem nächsten Schritt werden nur noch alle Titel mit einer überdurchschnittlichen Affinität (Affinitätsindex > 100) für die weitere Planung berücksichtigt, womit 59 Medien übrigbleiben. In einem zweiten Schritt werden diese verbleibenden Titel in einer Rangreihe nach ihrem Kosten-Leistungs-Verhältnis (TKP) geordnet. Diese zeigt, dass mit dem Titel Computer Bild Spiele die Kern-Zielgruppe am günstigsten erreicht werden kann, gefolgt von Sport Bild und Computer Bild (s. Abb. 114). In die weitere Titelauswahl fließen nun die Titel, die mehr als das Dreifache pro eintausend Kontakte als das Medium Computer Bild Spiele kosten, nicht mehr ein. Schließlich zeigt eine dritte Rangreihung nach dem Kriterium der Reichweite, dass mit dem Titel ADAC Motorwelt, gefolgt von Bild am Sonntag und Sport Bild am meisten Angehörige der Zielgruppe erreicht werden können (s. Abb. 115). Würde man das Reichweitenkriterium bei der Titelselektion außer Acht lassen und sich in seiner Auswahl primär von den Affinitäten der Titel leiten lassen, würden zwar stark überdurchschnittlich affine Zielgruppentitel belegt werden, die aber – überspitzt formuliert – so gut wie niemanden erreichen. Die Folge wäre, dass für ein bestimm-
2
Analysen und Strategien
331
best for planning 2013 I Zielgruppe: Deodorants, Antitranspirants Markenverwender AXE Potenzial: 19.6 %, 5944 Fälle, 13.81 Mio. Vergleichs-Zielgruppe Zielgruppe: Deutsche Bevölkerung ab 14 Jahre Potenzial: 91.8 %, 27785 Fälle, 64.54 Mio. 2013er Preise 25. 9 2013 – Netto Medien Werbeträger 1 COMPUTER BILD SPIELE
Format
Farbe Kosten Euro
Euro pro 1 000 Kont.
1/1 S.
4c
15,47
6,0
12 900
Reichweite %
Reichweite Mio.
Kont. Mio.
Affinität
Indexsumme Rw + Tkp + Affi
0,83
0,83
227
214
2 SPORT BILD
1/1 S.
4c
32 900
18,82
12,7
1,75
1,75
208
209
3 COMPUTER BILD
1/1 S.
4c
27 400
19,95
9,9
1,37
1,37
199
193
4 kicker-sportmagazin
1/1 S.
4c
24 600
21,38
8,3
1,15
1,15
198
182
5 CHIP
1/1 S.
4c
17 300
25,23
5,0
0,69
0,69
194
158
6 ADAC Motorwelt 1/1 S.
4c
116 800
26,76
31,6
4,36
4,36
139
216
7 Wunderwelt Wissen
1/1 S.
4c
11 008
31,90
2,5
0,35
0,35
172
128
8 TVdirekt
1/1 S.
4c
18 100
32,89
4,0
0,55
0,55
117
109
9 Welt der Wunder 1/1 S.
4c
19 094
33,53
4,1
0,57
0,57
164
128
4c
81 150
33,71
17,4
2,41
2,41
127
154 118
10 BILD am SONNTAG
1/1 S.
11 tv 14
1/1 S.
4c
47 538
34,25
10,1
1,39
1,39
98
12 ÖKO-TEST
1/1 S.
4c
11 025
35,52
2,2
0,31
0,31
86
87
13 TV Movie
1/1 S.
4c
56 591
37,53
10,9
1,51
1,51
143
136
14 DER SPIEGEL
1/1 S.
4c
61 837
39,55
11,3
1,56
1,56
127
128
15 AUTO BILD
1/1 S.
4c
42 000
40,00
7,6
1,05
1,05
206
149
16 stern
1/1 S.
4c
59 933
40,16
10,8
1,49
1,49
107
118
17 GLÜCKS REVUE
1/1 S.
4c
5 400
41,65
0,9
0,13
0,13
62
66
18 ADAC reisemaga- 1/1 S. zin (angepasst an AWA 2013)
4c
19 850
42,97
3,3
0,46
0,46
122
98
19 SUPERillu
1/1 S.
4c
23 300
44,80
3,8
0,52
0,52
87
83
20 FOCUS
1/1 S.
4c
49 752
45,57
7,9
1,09
1,09
125
111
Abb. 114 Rangreihe nach TKP (Quelle: b4p 2013 I, Ranking durch Mindshare)
tes Reichweitenziel (z. B. 65 Prozent) eine Vielzahl von unterschiedlichen Titeln belegt werden müsste, womit aber eventuell das Reichweitenziel trotzdem nicht erreicht werden kann. Nach der Ermittlung potenzieller Medien mithilfe des Rangreihenverfahrens werden in einem nächsten Schritt auf Basis eines definierten Media-Budgets alternative Media-Pläne erstellt, die sich in der Auswahl der Medien und in der Einschalthäufigkeit voneinander unterscheiden (s. Abb. 116). Die dargestellten Alternativpläne berücksichtigen nur die Titel erster Wahl, wie sie sich aus den aufeinander folgenden Schritten des Verfahrensbeispiels der Rangreihenselektion ergeben. Natürlich kön-
332
BI
Input
best for planning 2013 I Zielgruppe: Deodorants, Antitranspirants Markenverwender AXE Potenzial: 19.6 %, 5944 Fälle, 13.81 Mio. Vergleichs-Zielgruppe Zielgruppe: Deutsche Bevölkerung ab 14 Jahre Potenzial: 91.8 %, 27785 Fälle, 64.54 Mio. 2013er Preise 25. 9. 2013 – Netto Medien Werbeträger
Format
Farbe Kosten Euro
Euro pro 1 000 Kont.
Reichweite %
Reichweite Mio.
Kont. Mio.
Affinität
Indexsumme Rw + Tkp + Affi
1 ADAC Motorwelt 1/1 S.
4c
116 800
26,76
31,6
4,36
4,36
139
216
2 BILD am SONNTAG
4c
81 150
33,71
17,4
2,41
2,41
127
154 209
1/1 S.
3 SPORT BILD
1/1 S.
4c
32 900
18,82
12,7
1,75
1,75
208
4 rtv
1/1 S.
4c
103 265
61,76
12,1
1,67
1,67
75
95
5 DER SPIEGEL
1/1 S.
4c
61 837
39,55
11,3
1,56
1,56
127
128 136
6 TV Movie
1/1 S.
4c
56 591
37,53
10,9
1,51
1,51
143
7 stern
1/1 S.
4c
59 933
40,16
10,8
1,49
1,49
107
118
8 tv 14
1/1 S.
4c
47 538
34,25
10,1
1,39
1,39
98
118
9 COMPUTER BILD
1/1 S.
4c
27 400
19,95
9,9
1,37
1,37
199
193
***
***
9,0
1,24
1,24
115
***
24 600
21,38
8,3
1,15
1,15
198
182
10 TV SPIELFILM 11 kicker-sportmagazin
1/1 S.
4c
12 TV DIGITAL
1/1 S.
4c
54 475
48,34
8,2
1,13
1,13
138
116
13 FOCUS
1/1 S.
4c
49 752
45,57
7,9
1,09
1,09
125
111
Abb. 115 Rangreihe nach Reichweite (Quelle: b4p 2013 I, Ranking durch Mindshare)
nen aber auch Titel ergänzt werden (Ergänzungstitel), die sich aufgrund ihres guten Abschneidens in nur einem oder zwei Kriterien empfehlen (z. B. rtv mit einer Reichweite von 12,1 Prozent). Zur Evaluation der Pläne kann wiederum MDS oder eine andere Planungssoftware genutzt werden, wobei in der Regel auf die folgenden Kriterien zurückgegriffen wird (vgl. Abb. 116, s. auch Unger et al. 2007: 34 f.): • • • • • • • •
Kosten in Euro Reichweite in Prozent Reichweite in Mio. Euro pro 1000 Nutzer (TNP) Kontakte in Mio. Euro pro 1000 Kontakte (TKP) GRP Kontakte pro Nutzer
Die Evaluation der Planalternativen in obigem Beispiel zeigt, dass Plan 2 im Vergleich zu den beiden anderen Plänen deutliche Vorteile aufweist. Er erzielt in der Kern-
2
Analysen und Strategien
333
best for planning 2013 I Zielgruppe: Deodorants, Antitranspirants Markenverwender AXE Potenzial: 19.6 %, 5944 Fälle, 13.81 Mio. 2013er Preise 25. 9. 2013 – Netto Werbeträger
Format
Farbe
Preiszone
Plan 2
Plan 3
ADAC Motorwelt
1/1 S.
4c
Ganzjahrespreis
Plan 1
4
2
BILD am SONNTAG
1/1 S.
4c
Ganzjahrespreis
8
3
SPORT BILD
1/1 S.
4c
Ganzjahrespreis
rtv
1/1 S.
4c
Ganzjahrespreis
DER SPIEGEL
1/1 S.
4c
Jahresdurchschnitt
6
TV Movie
1/1 S.
4c
Jahresdurchschnitt
6
3
2
stern
1/1 S.
4c
Jahresdurchschnitt
6
8
2
tv 14
1/1 S.
4c
Jahresdurchschnitt
2
COMPUTER BILD
1/1 S.
4c
Ganzjahrespreis
2
kicker-sportmagazin
1/1 S.
4c
Ganzjahrespreis
TV DIGITAL
1/1 S.
4c
Jahresdurchschnitt
FOCUS
1/1 S.
4c
Jahresdurchschnitt
6
2 2 2
TV SPIELFILM (*)
Kosten in Euro Reichweite % Reichweite Mio. Euro pro 1 000 Nutzer
2 6
2 2
6 1 605 906 67,0
2 1 600 520 69,8
1 573 863 83,7
9,25
9,64
11,56 136,20
173,70
166,10
Kontakte Mio.
51,32
53,18
46,66
Euro pro 1 000 Kontakte
31,29
30,10
33,73
GRP Kontakte pro Nutzer
371,7
385,1
337,9
5,6
5,5
4,0
Abb. 116 Exemplarische alternative Media-Pläne (Quelle: Mindshare)
zielgruppe zwar nicht so eine hohe Reichweite wie Plan 3 (70 vs. 84 Prozent) – womit auch sein TNP vergleichsweise höher ist (166 vs. 136 Euro) –, liegt aber dennoch deutlich über dem vorgegebenen Reichweitenziel von 65 Prozent. Nach TKP-Evaluation liegt Plan 2 vorn, ebenso nach dem wichtigen GRP-Kriterium. Bei gleichem Budget kann mit Plan 2 also der vergleichsweise höchste Werbedruck erzielt werden (385 GRP). Diese Evaluation kann um eine Betrachtung der Kontaktklassen erweitert werden, um zu sehen, wie sich die fünf durchschnittlichen Kontakte pro Nutzer (OTS) verteilen.
334
BI
Input
2.6.3.1 Gewichtung im Media-Plan
Die Evaluierung des Media-Plans kann durch die Gewichtung von Faktoren weiter abgestimmt werden. So ist beispielsweise in den seltensten Fällen der Rezipientenkreis eines Mediums mit der Kern-Zielgruppe eines marketingtreibenden Unternehmens identisch. Entsprechend dem Grad an Übereinstimmung kann eine Personengewichtung erfolgen: Zielgruppenmerkmal Alter bis 19 Jahre Gewichtungsfaktor 0,5 20 – 40 Jahre Gewichtungsfaktor 1,0 ab 41 Jahre Gewichtungsfaktor 0,7 Auch kann eine Gewichtung der Kontaktklassen erfolgen. Obwohl eine möglichst hohe wirksame Reichweite mit der Media-Planung angestrebt wird, ist es unvermeidbar, dass der Plan auch Kontaktklassen enthält, die als unwirksame Reichweite interpretiert werden. Entsprechend werden die OTS-/OTH-Werte der einzelnen Kontaktklassen gewichtet. Es könnte sich folgende Gewichtungstabelle ergeben: Kontaktklasse 1 Kontaktklasse 2 Kontaktklasse 3 Kontaktklasse 4
bis 6,5 OTS 6,6 bis 9,0 OTS 9,1 bis 11,5 OTS > 11,5 OTS
Gewichtungsfaktor 1,00 Gewichtungsfaktor 0,75 Gewichtungsfaktor 0,50 Gewichtungsfaktor 0,00
Dieser Gewichtungslogik liegt die in der Praxis der Media-Planung weitverbreitete Annahme eines degressiven Wirkungsverlaufes zugrunde (s. Abb. 108). Für Personen, die bis zu 6,5 Kontaktchancen haben, ergibt sich auch ein OTS-Wert von 6,5. Personen mit 11,5 OTS erhalten einen rechnerischen OTS-Wert von (6,5 × 1) + (2,4 × 0,75) + (2,4 × 0,5) = 9,5.
2.6.4 Vorgehen bei der Planung von Direktmarketing-Kommunikation Die Planung im Bereich der bidirektionalen Direktmarketing-Kommunikation basiert, bedingt durch die andere Struktur des Marketing-Kommunikationsprozesses, auf anderen Kriterien, die zur Bewertung der Kommunikationsmaßnahme herangezogen werden. Das Äquivalent zum Tausend-Kontakt- und Tausend-Nutzer-Preis sind die Kostenvergleichswerte, die die Kosten einer Kommunikationsmaßnahme in ein Verhältnis zur erzielten Wirkung setzen. Geht es lediglich um die Kontaktherstellung mit einer Zielperson, drückt analog zum TKP und TNP der Cost per Contact (CpC) die Kosten pro Kontakt mit einer Zielperson aus. Die Formel lautet:
2
Analysen und Strategien
CpC =
335
Gesamtkosten der Maßnahme Anzahl der kontaktierten Personen
Beispiel
Ein Unternehmen versendet an 8700 Personen ein Mailing, wobei sich die Gesamtkosten inkl. Agenturkosten und Porto auf 30 000,– Euro belaufen. Der CpC beträgt dann 3,40 Euro.
Im Kontext von Online-Marketing-Kommunikation steht das Kürzel CpC auch für Cost per Click. Es bezeichnet dann die Kosten, die für ein marketingtreibendes Unternehmen entstehen, wenn ein Nutzer einen auf einer WWW-Plattform geschalteten werblichen Link des Unternehmens anklickt. Dank der zum Tragen kommenden Bidirektionalität des Kommunikationsprozesses im Direktmarketing können des Weiteren die Kosten pro Interessent (Cost per Interest/CpI) und, im Falle, dass eine Bestellung als Folge des Kontaktes getätigt wurde, die Kosten pro Bestellung (Cost per Order/CpO) ermittelt werden. Da diese Werte aufgrund der individuellen unternehmens- und maßnahmenabhängigen Kosten- und Ertragssituation nicht in Media- oder Markt-Media-Studien enthalten sein können und sie erst ex post ermittelbar sind, kommen zur Planung der DirektmarketingKommunikation Tests zum Einsatz. Aus deren idealerweise repräsentativen Ergebnissen wird auf die zu erwartenden Ergebnisse des sogenannten full run, der letztlich realisierten Kommunikationsmaßnahme, geschlossen. Bei diesen Tests handelt es sich in der Regel um Kontrasttests, bei denen die Reaktionen von zwei Stichproben auf unterschiedlich gestaltete Kommunikationsmaßnahmen gemessen und verglichen werden. Da die intramediale Selektion im Sinne der Auswahl eines Mediums innerhalb einer Mediengattung bei der Individualkommunikation (noch) nicht zur Entscheidung steht, dienen dieses Tests weniger der Entscheidungsfindung hinsichtlich des Medieneinsatzes als vielmehr der Prüfung der Ausgestaltung von anderen zielerreichungsrelevanten Kriterien. Besonders zu nennen sind: •
die Gestaltung des Kommunikationsmittels (z. B.: Welche Formulierung der Betreffzeile eines Werbebriefes ist effektiver ?) • die Attraktivität eines Angebotes (z. B.: Welches Angebot ist für die Neukunden einer Direktbank attraktiver: bei Kontoeröffnung ein Startguthaben auf dem Konto oder alternativ einen gleichwertigen Fondsanteil zu erhalten ?) • die Qualität von Adresslisten (z. B.: Mit welcher Adressliste von Listbrokern kann der durchschnittlich niedrigere CpO-Wert erzielt werden ?) • Ausgestaltung des Fulfilment: (z. B.: Müssen Bestellungen innerhalb von 24 Stunden bearbeitet werden oder toleriert der Kunde eine etwas längere Wartezeit ?
336
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Input
Oder: Erhöht sich die Quote der Kontoeröffnungen bei einer Direktbank, wenn die angefragten zugesandten Formulare bereits weitestgehend personalisiert und nicht blanko sind ?) Durch die Möglichkeit, die Marketing-Kommunikation zurechenbar auf die Anschlusshandlung des Kaufs auszurichten, ergibt sich für die bidirektionale gegenüber der unidirektionalen Kommunikation der wirtschaftliche Vorteil, vor der Kommunikationsmaßnahme eine Break-Even-Betrachtung vornehmen zu können. So kann ermittelt werden, wo die Gewinnschwelle des Marketing-Kommunikationsprozesses liegt, indem errechnet wird, ab welcher Responsequote eine Maßnahme die Gewinnzone erreicht. Dieser Break-Even-Point (BEP) kann basierend auf Testergebnissen vor der Aktion festgelegt werden. Er ist ein Soll-Wert für die prozentuale Höhe des Responses, der als Voraussetzung für eine profitable Maßnahme überschritten werden muss. Für seine Berechnung werden alle mit der Kommunikationsmaßnahme verbundenen Kosten mit dem Deckungsbeitrag beziehungsweise dem Rohertrag, der durch die Maßnahme erzielt wird, in ein Verhältnis gesetzt. Beispiel
Die Gesamtkosten einer Mailing-Maßnahme betragen 10 000,– Euro. Die versendete Auflage beläuft sich auf 5000 Stück. Es resultieren Stückkosten pro Mailing in Höhe von 2,– Euro (CpC). Dem Mailing liegt ein Bestellschein bei, mit dem das in dem Mailing beworbene Produkt bestellt werden kann. Pro verkauftes Produkt kann das Unternehmen einen durchschnittlichen Deckungsbeitrag in Höhe von 50,– Euro erzielen. Es ergibt sich folgender BEP:
BEP in % =
Kosten pro versendetes Mailing (CpC) × 100 Deckungsbeitrag pro Stück
BEP in % =
2 × 100
4
50 Um alle Kosten zu decken, muss die Responsequote 4 Prozent betragen. Es müssen also 200 Bestellungen aus der Aktion eintreffen.
2
Analysen und Strategien
337
2.6.5 Programmatic Advertising Programmatic ist der Oberbegriff für die strukturierte systematische und automatische Vorgehensweise bei der Planung und dem Einkauf von Online-Werbeplätzen mit Hilfe von Software (s. Hofsäss/Engel 2017). Dieser Prozess vollzieht sich über Handelsplattformen. Seitens der Vermarkter und Site-Betreiber (Anbieter/Verkäufer von Werbeplätzen) kommen Supply Side Platforms (SSP) und seitens der MediaAgenturen und Trading Desks (Nachfrager/Käufer) Demand Side Platforms (DSP) zum Einsatz (s. Abb. 117). Das spezifische Charakteristikum dieses Prozesses ist, dass er das sogenannte Realtime Advertising ermöglicht. ▶ Definition Realtime Advertising bezeichnet die automatisierte Aussteuerung digitaler Werbung auf Basis einzelner Werbekontaktchancen in Echtzeit. (Bardowicks/Busch 2013 zit. n. Busch 2014: 7)
Die Redeweise von „Echtzeit“ weist darauf hin, dass der gesamte Prozess von der Entstehung der Werbekontaktchance über die Evaluierung, den Abschluss und die Abwicklung bis hin zur Anzeige des Werbemittels beim Nutzer im Regelfall circa 50 Millisekunden dauert. Mittlerweile findet er über DSP und SSP millionenfach pro Sekunde statt (vgl. Busch 2014: 9).
Abb. 117 Akteure und Wertschöpfungskette im Realtime Advertising via Supply Side- und Demand Side Platforms (Quelle: Busch 2014: 10)
338
BI
Input
In den Datenbanken sind umfassende demographische und psychographische Daten von Nutzern hinterlegt, die zusammen mit Daten zum Surfverhalten und zu Produkt- und Kaufinteresse genutzt werden, um ein zielgruppen- und zielpersonenspezifisches Targeting vornehmen zu können. Die Werbemittel können also dynamisch in Abhängigkeit des individuellen Surfverhaltens ausgespielt werden (Behavioral Targeting). Im Idealfall findet eine Programmatic Creation des Werbemittels statt, der nicht nur das individuelle Surfverhalten des Nutzers zugrunde liegt, sondern eine Vielzahl von unterschiedlichen Datentypen miteinander kombiniert werden, um dem Nutzer sein richtiges, im Sinne von relevant, Werbemittel ausspielen zu können.
2.6.6 Herausforderungen der Media-Planung Die Herausforderungen, denen sich die Media-Planung heute gegenüber sieht, können wie folgt zusammengefasst werden: •
•
•
•
•
Die Media-Planung sieht sich durch die zunehmende Medienvielfalt einer steigenden Fragmentierung der Werbeträgerlandschaft gegenüber. Die Planung muss Medien mit immer kleiner werdenden Zielgruppen berücksichtigen, was die Anforderungen an die Gestaltung eines effektiven und effizienten Media-Mix steigen lässt. Als Folge der Digitalisierung des Mediensystems und der daran gekoppelten fortschreitenden Individualisierung der Marketing-Kommunikation muss sich eine integrierte Media-Planung entwickeln, die die Planung des Kommunikationsmitteleinsatzes in Medien der allgemein adressierten Kommunikation mit der Planung der Individualkommunikation verknüpft. Die interaktivitätsorientierte Vermittlung von Marketing-Kommunikationsangeboten erfordert die Entwicklung neuer Kennzahlen für die Media-Planung, die die Eigenarten der interaktiven und sozialen Medien reflektieren. Die Media-Planung muss sich stärker am Kontext der Rezeptionssituation ausrichten, wie er in der Utility-Strategie berücksichtigt ist. Dies geht mit einer Änderung des Kontaktverständnisses einher: neben dem relativen Werbedruck, wie ihn der GRP ausdrückt, sollte zusätzlich die Qualität des Kontaktes, zum Beispiel in Form eines Quality Rating Point (QRP), und darüber hinaus die Kontaktwirkung, beispielsweise ein Form einer Kennzahl Effective Rating Point (ERP), bei der Media-Planung berücksichtigt werden (vgl. Dahlem 2005: 42, 58). Die Hybridisierungstendenzen, die neuen Konkurrenzverhältnisse unter den Agenturen im Marketing-Kommunikationssystem sowie der Druck auf die Honorare stellen die Media-Agenturen vor die Notwendigkeit, sich neu zu positionieren. Die dabei präferierte, zukünftige Soll-Position in Form der umfassenden strategischen Kommunikationsberatung kann aber keine Eigenständigkeit aufweisen, da
2
Analysen und Strategien
339
sie auch von Kreativ-Agenturen, Spezial-Agenturen, Unternehmensberatungen und freien Beratern angestrebt wird. • Wandel bestimmt heute das Geschäft der Media-Planung. Klassische und programmatische Media-Planung werden noch eine ganze Weile koexistieren und sorgen damit für eine enorme Komplexität in der Media-Planung. Die PlattformBetreiber (SSP und DSP) müssen gegenüber der werbungtreibenden Wirtschaft für Transparenz sorgen, damit Media-Planung nachvollziehbar bleibt und auf Vertrauen unter den Marktteilnehmer beruhen kann.
2.7
Budget
Die Festlegung des Budgets steht im Wirkungsgefüge der Modernen MarketingKommunikation unter direktem Einfluss der konzeptionellen Elemente der Zielgruppe, der Ziele, der Media-Strategie und -Planung sowie der Media-Idee (s. Abb. 118). Gleichzeitig wirken aber die Budget-Entscheidungen selbst auf die Gestaltung der Media-Strategie und -Planung sowie auf die Definition realistischer Marketing-Kommunikationsziele ein. Als externer Einflussfaktor ist auch hier wieder besonders das Medienhandeln der Konkurrenz zu nennen, von dem die Höhe des eigenen relativen Kommunikationsdrucks und das resultierende Media-Budget abgeleitet werden kann. ▶ Definition Das Marketing-Kommunikationsbudget ist die Summe aller Kosten, die ein Unternehmen durch seine Marketing-Kommunikation in einem bestimmten Zeitraum verursacht.
Utility-
Abb. 118 Direkte Einflüsse auf das Budget im Wirkungsgefüge der Elemente zur Konzeption des Inputs Moderner Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
340
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Als wesentliche Kostenfaktoren des Kommunikationsbudgets sind zu nennen: •
• • • •
Kosten für die Produktion der Kommunikationsmittel (z. B. Druckkosten eines Prospekts, Drehkosten eines TV-Spots, Studiokosten eines Funkspots) (Produktionsbudget) Kosten für die Distribution der Kommunikationsmittel (Media-Budget), Kosten der Kommunikationsagenturen (Beratung, Layout-Erstellung, Abwicklung etc.) (Agenturhonorare), Kosten für Marktforschung (Pretests, Erfolgskontrolle) (Marktforschungsbudget), Kosten der unternehmensinternen Marketing-Kommunikationsabteilungen (Personalkosten, Raumkosten etc.).
2.7.1 Verfahren der Budgetierung Auffallend bei einer Bestandsaufnahme der bestehenden Budgetierungsverfahren ist eine deutliche Praxis/Theorie-Dichotomie. So hat sich in der Literatur eine Differenzierung der Methoden in heuristische Verfahren, die in der Praxis zum Einsatz kommen, und Optimierungsmodelle, die die Betriebswirtschaftslehre als mathematische Lösungsalgorithmen für Entscheidungsprobleme bei der Budgetoptimierung anbietet, durchgesetzt (vgl. z. B. Berndt/Cansier 2009: 823, Schweiger/Schrattenecker 2005: 183 f., Simon/Möhrle 1993: 304 f., Unger/Fuchs 2005: 341 f.). Dabei sind die Budgetierungsverfahren für die Disziplin der Mediawerbung am besten dokumentiert.
2.7.1.1 Budgetierungsverfahren der Praxis
Die Praktikerverfahren beruhen auf Erfahrungswerten und haben den Charakter allgemeiner Faustregeln, von denen angenommen wird, dass sie sich bewährt haben. Folgende Ansätze können unterschieden werden. Prozent-vom-Umsatz-/Prozent-vom-Gewinn-Methode Bei dieser weitverbreiteten Methode werden die Marketing-Kommunikationskosten als bestimmter Prozentsatz vom Umsatz oder Gewinn geplant. Unternehmensindividuell entschieden wird, ob es sich bei der Bezugsgröße um den prognostizierten Umsatz (Gewinn), um einen Vergangenheitswert oder um einen Durchschnittswert der vergangenen Jahre handelt. Im Laufe der Zeit haben sich in der Markenartikelindustrie branchenübliche Budgetierungssätze herausgebildet: von 10 Prozent bei Körperpflege über 25 Prozent bei Kosmetik bis hin zu 30 Prozent bei Reinigungsmitteln (vgl. Schweiger/Schrattenecker 2005: 183).
2
Analysen und Strategien
341
Methode der Kommunikationskosten je Verkaufseinheit Ähnlich zu erstgenannter Methode gestaltet sich die Budgetierung, die sich an der verkauften Einheit orientiert und entsprechend Kommunikationskosten pro Verkaufseinheit festlegt. Auch hier fehlen allgemeine Richtlinien, beispielsweise die Zeitdimension der Werte (vergangene versus zukünftige Verkaufseinheiten) betreffend. Methode der Kommunikationskosten je Kunde Unternehmen, die ausschließlich oder primär bidirektional orientierte MarketingKommunikation einsetzen, nehmen eine Kommunikationskostenbestimmung je Kunde vor (Cost per Contact, Cost per Order). Entsprechend dem Wert der einzelnen Kunden für das Unternehmen können die Kosten je Kunde skaliert werden. Auf wertvollere Kunde werden dann mehr Kosten allokiert als auf weniger wertvolle. Konkurrenzorientierte Methoden Die Budgetierung der eigenen Kommunikationskosten orientiert sich an den Aufwendungen der Wettbewerber. In der Regel dient der relative Kommunikationsdruck in Form des Share of Advertising oder Share of Voice zur näheren Bestimmung der anfallenden Kommunikationskosten. Diese beziehen sich aber nur auf die Aufwendungen für den Media-Bereich (Media-Budget) und lassen die anderen Kostenfaktoren des Kommunikationsbudgets außer Acht. Methode der Fortschreibung In der Annahme, dass sich das Kommunikationsbudget der/des Vorjahre/-s als sinnvoll herausgestellt hat, wird die Budgethöhe für die anstehende Planungsperiode übernommen. Marktentwicklungen können berücksichtigt werden, indem mit Steigerungs- beziehungsweise Senkungsraten das Budget dynamisiert wird. All-you-can-afford-Methode Bei dieser Methode wird das Kommunikationsbudget an die finanzielle Situation des Unternehmens gekoppelt und gefragt, wie viel Marketing-Kommunikation man sich leisten kann beziehungsweise wie viel finanzielle Mittel nach Abzug aller sonstigen Kosten für Kommunikation zur Verfügung stehen. Über die Einschätzung dieser Modelle als weitestgehend unzulänglich herrscht in der Theorie Einigkeit (vgl. z. B. Schweiger/Schrattenecker 2005: 183, Simon/Möhrle 1993: 304 f., Unger/Fuchs 2005: 341 f.). Die wichtigsten Kritikpunkte sind: •
Die verhältnisorientierten Methoden kehren den Instrumentalzusammenhang um. Das Kommunikationsbudget und damit die Marketing-Kommunikation werden nicht als ein Instrument für erfolgreiches Agieren an Beschaffungs- und Absatzmärkten gesehen, sondern im Gegenteil als eine Funktion des Umsatzes, Gewinns oder Kundenwertes. Sie können deswegen nicht als sachlogisch gelten.
342
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• Weiterhin wirken diese Verfahren prozyklisch. Hohe Umsätze, Gewinne oder viele wertvolle Kunden sorgen für hohe Kundenbudgets und geringe Umsätze (Gewinne) beziehungsweise wenige nicht wertvolle Kunden für geringe Budgets. In konjunkturell schwachen Jahren wird dadurch weniger kommuniziert als in guten Jahren. • Auch erfolgt die Bestimmung des Prozentsatzes willkürlich. • Bei den kundenorientierten Budgetierungsmethoden sehen sich die Unternehmen dem Problem gegenüber, dass das zukünftige Verhalten der Wettbewerber nicht bekannt und damit nur eine retrospektive Budgetierung möglich ist. Hinzu kommt, dass unternehmensindividuelle Unterschiede in einer Branche (Verbindlichkeiten, Ressourcen, Ziele etc.) bei der Budgetierung nicht berücksichtigt werden. • Auch die Fortschreibungsmethode lässt die spezifischen situativen Unternehmensanforderungen in der kommenden Planungsperiode außer Acht und unterstellt, dass die Budgetierung des vorherigen Planungszeitraums effizient war. Damit besteht die Gefahr, dass unnötige Kosten nicht aufgedeckt und einfach fortgeschrieben werden. • Da bei der All-you-can-afford-Methode der Zweck der Marketing-Kommunikation nicht ansatzweise zum Ausdruck kommt, wird sie in der Literatur durchgehend als ungeeignet abgelehnt. Objective-and-Task-Methode Die Objective-and-Task-Methode, auch als zielorientierte Methode oder aufgabenorientierter Budgetansatz bezeichnet, kann als sachlogisch korrekt gelten, da sie die Instrumentalverhältnisse in der Marketing-Kommunikation reflektiert. Zunächst werden die Marketing-Kommunikationsziele für die anstehende Planungsperiode definiert. Dem schließt sich die Bestimmung der Kommunikationsmaßnahmen an, mit denen die Ziele verfolgt werden sollen. Die Summe der anfallenden Kosten zur Realisation der Kommunikationsmaßnahmen bildet dann das für die Zielverfolgung notwendige Budget. Dieses wird auf Finanzierbarkeit geprüft und im Fall, dass die erforderlichen Mittel die verfügbaren übersteigen, gelten die Kommunikationsziele als nicht erreichbar und müssen adjustiert werden, was einen neuen Durchlauf des Verfahrens auslöst. Bei allen Vorteilen, die diese Methode aufgrund ihrer sachlogischen Korrektheit im Vergleich zu den anderen praxisüblichen Methoden aufweist (vorausgehende Ist-Soll-Analyse, nachvollziehbare und damit korrigierbare Planung, Berücksichtigung der unternehmensindividuellen Situation), erweist sich die Sicherstellung des Grundsatzes der Zurechenbarkeit als kritischer Punkt, worauf im Zusammenhang mit den Ausführungen zu den Marketing-Kommunikationszielen bereits eingegangen wurde (vgl. Kap. B I 2.4.1). Die Selektion der Kommunikationsmaßnahmen richtet sich nämlich nach der Prognose, inwieweit die einzelnen Maßnahmen jeweils zur Erreichung der Ziele beitragen, was aber für ökonomisch definierte Outflow-Ziele in
2
Analysen und Strategien
343
der Regel unmöglich ist. Eine Ausnahme stellen Direktmarketing-Maßnahmen dar, die zwar technisch eine exakte Zuordnung von Anschlusshandlungen der Zielperson zu rezipierten Marketing-Kommunikationsangeboten erlauben, wobei aber Effekte anderer früherer oder zeitgleicher Kommunikationsmaßnahmen auf die Anschlusshandlung, die der Direktmarketing-Maßnahme zugerechnet wird, mit einwirken, sodass auch hier eine Monokausalität auszuschließen ist. Eine andere Budgetierungssituation ergibt sich, wenn die Marketing-Kommunikationsziele auf der Output-Ebene formuliert werden. Dann rücken besonders Media-Ziele in den Mittelpunkt der Budgetierung. Die Maßnahmen in Form der Distribution von Kommunikationsmitteln und die hierfür anfallenden Kosten lassen sich gut Output-Zielen zurechnen, wie das folgende Beispiel zeigt: Beispiel (vgl. Hofsäss/Engel 2003: 197)
Es sollen 75 Prozent einer Zielgruppe durchschnittlich viermal erreicht werden und 100 GRP im TV würden in der Zielgruppe circa 0,7 Mio. Euro kosten: 75 % Nettoreichweite × 4 OTS = 300 GRP und damit: 0,7 Mio. Euro pro 100 GRP × 3 = 2,1 Mio. Euro Es resultiert ein Budget in Höhe von 2,1 Mio. Euro.
Evident ist, dass bei der Output-orientierten Budgetierung die Wirkung der Kommunikation nicht nur auf der Outflow-, sondern auch bereits auf der Outgrowth- und der Outcome-Ebene nicht berücksichtigt wird. Damit kommt zum Ausdruck, dass zur Erreichung von Marketing-Kommunikationszielen auch weitestgehend budgetunabhängige Faktoren, vor allem die der Positionierung und der kreativen Kommunikationsmittelgestaltung eine wichtige Rolle spielen.
2.7.1.2 Optimierungsmodelle
Den Schwächen der Budgetierungsmethoden der Praxis wird in der Theorie mit Optimierungsmodellen begegnet, die auf mathematischen Lösungsalgorithmen beruhen. Gemeinsames Kennzeichen aller dieser Modelle ist, dass sie eine Response-Funktion postulieren, die nicht wie im Bereich der Media-Planung auf der Outgrowthund Outcome-Ebene (Erinnerung), sondern auf der Outflow-Ebene liegt. Impliziert wird damit, dass ein Budget marketing-kommunikative Wirkungen ökonomischer Art verursacht, die prognostiziert werden können. Dem Grundsatz der Zurechenbar-
344
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keit wird dabei versucht, Rechnung zu tragen, indem unterschieden wird zwischen Modellierungen des Outflow unter Sicherheit (deterministische Modelle) oder unter Risiko (stochastische Modelle), was aus der Berücksichtigung unternehmensexterner Umweltentwicklungen resultiert. Die Response-Funktionen unterscheiden sich nach der Anzahl der berücksichtigten Variablen und können grob in mono- und polyinstrumentelle Funktionen aufgeteilt werden. Berücksichtigen erstgenannte nur das eigene aufgewendete Kommunikationsbudget, werden bei der polyinstrumentellen Response-Funktion auch Variablen wie Konkurrenzaktivitäten, Copy-Effizienz oder andere Elemente des Marketingmix einbezogen. Schließlich können diese Modelle noch nach dem Zeitkriterium unterschieden werden. Statische Ansätze gehen von einem synchronen Einfluss der Kommunikation auf den Outflow aus, der bei Beendigung der Aktivitäten, also am Ende der Planungsperiode, sofort verschwindet. Als Outflow-Zielgrößen kommen hier in erster Linie die Gewinnmaximierung, die Steigerung oder die Aufrechterhaltung des Marktanteils in Betracht. Dynamischen Modellen hingegen liegt eine sich im Zeitablauf entwickelnde Kommunikationswirkung zugrunde. Hier werden der Adstock-Effekt, auch als Carry-Over-Effekt bezeichnet, sowie Verzögerungseffekte berücksichtigt, die in die Planungsperiode hineinwirken. Die Outflow-Zielgröße der dynamischen Modelle stellt der Kapitalwert (vgl. Berndt/Cansier 2009: 827). Als Optimierungsmodelle können beispielhaft genannt werden (s. die Überblicke bei Berndt/Cansier 2009: 829 f., Schweiger/Schrattenecker 2005: 184 f., Unger/Fuchs 2005: 353 f.): •
•
•
marginalanalytische Ansätze, bei denen das Kommunikationsbudget bis zu dem Punkt erhöht wird, an dem, bedingt durch die abnehmenden Grenzerlöse der Kommunikation, die Grenzkosten die Grenzerlöse überschreiten; der konkurrenzbezogene Ansatz von Weinberg, dessen Ziel in der Marktanteilsänderung eines eingeführten Produktes liegt. Dabei wird davon ausgegangen, dass Kommunikation für ein eingeführtes Produkt auf einem gesättigten Markt ohne Auswirkungen auf den Branchenumsatz bleibt und es nur zu Änderungen in der Aufteilung des Marktes und damit zu Marktanteilsveränderungen kommt. Simulationsmodelle, die Budget-Entscheidungssituationen unter Risiko Rechnung tragen.
Der Vorteil der heuristischen Verfahren der Praxis, nämlich die vergleichsweise einfache Budgetierungsmethodik, kommt bei den Optimierungsmodellen nicht zum Tragen, was wohl als Hauptgrund für ihre geringe Verbreitung in der Praxis angesehen werden kann. Das rationale, sachlogisch korrekte Vorgehen der Optimierungsmodelle ist im Fall der polyinstrumentellen Modelle an einen enormen Informationsbedarf geknüpft, um die Response-Funktion modellieren zu können. Aber selbst im Fall des Vorliegens aller vom Modell eingeforderten Informationen bleibt die grund-
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Analysen und Strategien
345
sätzliche Problematik in Form von Zweifeln an der Erfüllung des Grundsatzes der Zurechenbarkeit bestehen, also das Problem der Prognose eines Outflow-Effekts aufgrund einer Maßnahme.
Teil B Prozess und Management der Modernen Marketing-Kommunikation
B II Output
Der Output ist das im Markt sichtbare Resultat der Input-Phase der MarketingKommunikation. Er materialisiert sich als medienvermitteltes individuelles oder allgemein adressiertes Marketing-Kommunikationsangebot sowie als direkte interpersonale Marketing-Kommunikation (z. B. als Verkaufsgespräch, persönliche Kommunikation auf einem Event oder am Messestand). Es handelt sich also um das Kommunikationsmittel, das die Mitteilung realisiert, wobei aber deren Verstehen und ihre Wirkung bei den Zielgruppen und -personen in dieser Prozessphase nicht im Mittelpunkt steht. Die Marketing-Kommunikationsangebote wie ein TV-Spot, eine Anzeige, eine WWW-Site oder ein Brand Post und ihre jeweiligen Inhalte beruhen auf der spezifischen kommunikationsdisziplinären Umsetzung der Grundkonzeption, wie sie in der Input-Phase entwickelt wurde. Dabei steuern die kommunikationsqualitativen Kriterien der Input-Phase (Achtsamkeit, Marketing-Kommunikationswissen, InputRelevanz) sowie die Zielsetzungen der Marketing-Kommunikation in den Bereichen Outgrowth, Outcome und Outflow, welche Marketing-Kommunikationsdisziplinen an der Output-Realisation beteiligt sind. Anstelle von Marketing-Kommunikationsdisziplinen, in abgekürzter Form Kommunikationsdisziplinen, wird in der Literatur auch von Kommunikationsinstrumenten oder Kommunikationswegen gesprochen. ▶ Definition Eine Marketing-Kommunikationsdisziplin ist eine ausdifferenzierte Marketing-Kommunikationsform, die einen spezifischen mitteilungsstrategischen Output produziert. Dieser ist das Ergebnis der zielgerichteten und kreativen Überführung von gemäß der Grundkonzeption zu kommunizierenden Inhalte in konkrete Marketing-Kommunikationsangebote.
Es können klassische und moderne Kommunikationsdisziplinen unterschieden werden. Die zunehmende Bedeutung Letzterer hat sich seit den 1990er Jahren kontinuierlich herausgebildet. Ihnen liegen in stärkerem Maße als den klassischen Disziplinen kommunikationsqualitative Überlegungen zugrunde.
349
1
Synopse klassischer Kommunikationsdisziplinen
In nahezu jedem Werk zu den Themen Marketing oder Marketing-Kommunikation findet sich eine Darstellung der unterschiedlichen klassischen Kommunikationsdisziplinen (s. z. B. Bruhn 2014, Fill 2001, Hofbauer/Hohenleitner 2005). An dieser Stelle ist es daher ausreichend, wenn diese klassischen Kommunikationsdisziplinen synoptisch dargestellt werden (s. Tab. 13). Gelegentlich wird die Mitarbeiterkommunikation als eigenständiges Kommunikationsinstrument aufgeführt (vgl. z. B. Bruhn 2014). Dieser Auffassung wird hier nicht gefolgt, da die unternehmensinterne Kommunikation die Voraussetzung für die arbeitsteilige Entwicklung von Kommunikationsdisziplinen ist. Sie konstituiert das Unternehmen als ein Sozialsystem, wodurch es andere Sozialsysteme (Wettbewerber) und sich selbst beobachten und Entscheidungen unter anderem hinsichtlich der Ausrichtung der Marketing-Kommunikation treffen kann.
351 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Tropp, Moderne Marketing-Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25318-9_7
Produktion von Aufmerksamkeit; unter Effizienzabwägungen zwangfreie Beeinflussung von Einstellungen, Meinungen und Images auf kognitiver und affektiver Ebene
vorrangig Kundenbindung; Beziehungsaufbau mit selektierten Zielpersonen; Auslösung von individuellen, messbaren transaktionsorientierten Handlungen
Stimulierung des Absatzes mittels zeitlich befristeter Maßnahmen mit Aktionscharakter und Anreizen (Gewinne, Boni, Rabatte etc.); Information, Unterstützung und Motivation aller im Absatzprozess involvierten Organe
zeitlich begrenzte und räumlich festgelegte Präsentation des Unternehmens und seines Leistungsangebots; Differenzierung zur Konkurrenz; Beziehungsaufbau und -pflege; Herstellung von Kontakten
Werbung
Direktmarketing
Verkaufsförderung (Vkf )
Messen und Ausstellungen
Kommunikationsdisziplin
Ziele/Leistungen
Fachpublikum, Journalisten, interessierte Öffentlichkeit
aktuelle und potenzielle Kunden des Unternehmens; Groß- und Einzelhandel; Außendienst
Fokus auf Kunden des Unternehmens (B2B, B2C), gefolgt von potenziellen neuen Kunden
aktuelle und potenzielle Kunden des Unternehmens; Fokus liegt auf dem Absatzmarkt
Primäre Zielgruppen
Synopse klassischer Marketing-Kommunikationsdisziplinen
Beschreibungskriterium
Tab. 13
direkt, gegenseitig, öffentlich und privat, einstufig, analog
Universalmessen, Spezialmessen, Branchenmessen, Fachmessen, Importmessen, Händlermessen
Verkaufs-, Verbraucher-, Händlerpromotions: z. B. Versendung von Gutscheinen, Gewinnspiele, InternetCouponing, Kostproben am Point of Sale (PoS), Handelswettbewerbe, Schaufenstergestaltung
Persönlich adressierter Werbebrief, E-Mail, Anzeige mit Response-Element, TVSpot mit eingeblendeter Telefonnummer
indirekt, gegenseitig, ein- und mehrstufig, privat, immer häufiger digital (online)
direkt und indirekt, ein- und gegenseitig, öffentlich und privat, ein- und mehrstufig, analog und digital (online)
TV-Spot in Werbeinsel, Anzeige, Funkspot, Großflächenplakat, Bannerwerbung im WWW
Typische Erscheinungsformen
indirekt, einseitig, öffentlich, einstufig, analog und digital (online)
Kommunikationsart
D. Arnold (2008), Bruhn (2005: 958 f.)
Gedenk (2002), Fuchs/Unger (2003), Rudek (2008), Spürkmann (2009)
Dallmer (2002), Mann (2004), Wirtz (2005)
Kloss (2007), Schweiger/ Schrattenecker (2005), Siegert/ Brecheis (2005), Zurstiege (2007)
Beispiele weiterführender Literatur
352 B II Output
vorwiegend emotional wirkende Inszenierung von erlebnisorientierten, firmen- oder produktbezogenen Veranstaltungen; Aufbau und Steigerung von Bekanntheit mittels Campaigning
Bereitstellung von Geld, Sachmitteln, Dienstleistungen oder Wissen durch Organisationen (Unternehmen, Verbände, Institutionen etc.) oder Personen zur Förderung von Personen und/oder Organisationen in den Bereichen Sport, Kultur, Soziales, Umwelt und Medien
konsumentenseitige Meinungsund Imagebildung in Bezug auf Marketinggegenstände, ProduktPublizität im Wirtschaftssystem; Zusammenarbeit mit den Medien
physische Präsenz der Kommunikationspartner kann oder soll nicht durch den Einsatz von Medien substituiert werden; Verständigung erreichen
Event-Marketing
Sponsoring
Produkt-PR
Face-to-FaceMarketing-Kommunikation
indirekt, einseitig, öffentlich, einstufig, analog und digital
direkt, gegenseitig, privat, mehrstufig,
aktuelle und potenzielle Kunden des Unternehmens; Akteure in Beschaffungsmärkten
direkt und indirekt, ein- und gegenseitig, öffentlich, einstufig, analog und digital
direkt, gegenseitig, öffentlich und privat, ein- und mehrstufig, analog
Journalisten, Blogger
aktuelle und potenzielle Kunden des Unternehmens
Konsumenten und Kunden, Händler, Mitarbeiter, Meinungsführer (Journalisten)
Verkaufsgespräch, Beschwerde am PoS, Briefing-Gespräch mit einer Werbeagentur, Preisverhandlung mit Zulieferer, Tag der offenen Tür
journalistische Kommunikation über Marketinggegenstände: z. B. Presse-/TV-Bericht,
Sportsponsoring, Kultursponsoring, Soziosponsoring, Umweltsponsoring, Mediensponsoring
Tagungen, Kongresse, Road Shows, Sport- oder Gala-Veranstaltungen
Wangenheim (2003), Wiener et al. (1990)
Bentele et al. (2008), Röttger et al. (2011),
Bruhn (2003), Hermanns/ Marwitz (2007)
Nickel (2007), Nufer (2007)
1 Synopse klassischer Kommunikationsdisziplinen 353
2
Moderne Kommunikationsdisziplinen
Abstract Infolge der stattfindenden Neuausrichtung des Marketing-Kommunikationssystems mit der damit einhergehenden Fokussierung der Unternehmen auf die Gestaltung qualitativ hochwertiger Kommunikationsprozesse entstehen neue Kommunikationsdisziplinen: Partizipative Marketing-Kommunikation (PMK), Utility Marketing (UM), Corporate-Social-Responsibility-Kommunikation (CSR-Kommunikation), Guerilla Marketing (GM) und Word-of-MouthMarketing (WOM-Marketing). Ihnen gemeinsam ist, dass sie jeweils in unterschiedlicher Intensität und Kombination auf das Erreichen von Aufmerksamkeit, darauf, dass die Konsumenten/Rezipienten die Kommunikationsangebote als relevant wahrnehmen, und auf die Auslösung von Anschlusshandlungen/-kommunikationen zielen. Gleichzeitig gewinnt die Kommunikationsart des Dialogs zunehmend an Bedeutung und dient der grundsätzlichen Orientierung bei der Output-Gestaltung. Dies muss jedoch gemäß der ökonomischen Logik des Marketing-Kommunikationssystems unter Kosten-Nutzen-Abwägungen erfolgen. In einer Synopse (Kap. B II 2.7) werden abschließend die modernen Kommunikationsdisziplinen zusammengefasst.
Schon 1999 haben Erich Joachimsthaler und David Aaker (2000: 511) festgestellt, dass die klassische und bis dato bedeutsamste Kommunikationsdisziplin, nämlich die Werbung, als überholt gelten muss. Besonders die Entwicklungen im Bereich der medialen Distribution der Kommunikationsmittel (Medienvielfalt, digitale Mediendienste, Effizienzabwägungen) werden von den beiden Autoren (ebd.) als Grund für den Bedeutungsverlust der klassischen Werbung angeführt. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass diese Entwicklungen nur im systemischen Wirkungszusammenhang mit den Entwicklungen in den drei anderen Handlungsbereichen des Marketing-Kommunikationssystems (1. Inhaltsproduktion, Gestaltung und Herstellung der Mitteilung, 2. Rezeption und 3. Selbstthematisierung) (s. Kap. A 3.1) ihre volle evolutionäre Schubkraft für die Marketing-Kommunikation und den zu konstatierenden Bedeutungswandel der Werbung entwickeln konnten. Heutige Beobachtungen wie Werbereaktanz, Werbemüdigkeit oder Werbeverweigerung der Konsumenten führen dazu, dass sich Unternehmen und Agenturen verstärkt mit der Frage befassen müssen, wie heute Advertising Engagement erzielt werden kann. Einer Studie von Forsa zufolge denken 86 Prozent der Deutschen, dass in 355 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 J. Tropp, Moderne Marketing-Kommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25318-9_8
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der Werbung gelogen wird, 82 Prozent fühlen sich von Werbung gestört und 55 Prozent für dumm verkauft (Botzenhardt/Pätzmann 2012). Auch ist zu konstatieren, dass selbst mit wissenschaftlich sorgfältig fundierten Strategien Konsumenten nur noch schwer zu erreichen sind (Kreutzer/Merkle 2008). Die Online-Werbung muss sich mit dem Phänomen des Adblocking befassen. Die Hälfte der 18 – 34-Jährigen in Deutschland hat entweder einen Adblocker beziehungsweise eine Anti-TrackingSoftware im Browser (42 Prozent) oder sowohl im Browser als auch auf dem Mobiltelefon (7 Prozent) installiert (YouGov 2017). Bereits in den 1990er Jahren ist mit neuen Formen der Konsumenten- und Kundenansprache experimentiert worden, die sich heute zu eigenständigen modernen Kommunikationsdisziplinen im Marketing-Kommunikationssystem entwickelt haben. Zu nennen sind die Partizipative Marketing-Kommunikation (PMK), das Guerilla Marketing (GM), Word-of-Mouth-Marketing (WOMM), Utility Marketing (UM) und die Corporate-Social-Responsibility-Kommunikation (CSR-Kommunikation). Gegenüber den klassischen Kommunikationsdisziplinen zeichnen sich diese modernen Instrumente durch einen Output aus, dem eine stärkere Orientierung an qualitativen Aspekten der Rezeption zugrunde liegt und der nicht länger dem Paradigma der Persuasiven Markenkommunikation folgend konzipiert wird (vgl. Kap. A 2.6.1). Bent Rosinski, Mitinhaber der Agentur Lukas Lindemann Rosinski (LKK) fasst dieses klassische „diktatorische“ Werbeprinzip treffend wie folgt zusammen: „Jahrzehntelang hat die Werbebranche die 1: n-Kommunikation (ein Sender – viele Empfänger) perfektioniert. Man suchte nach der ‚big idea‘, die über ein, zwei starke Kanäle penetriert wurde. Man suchte nach Aufmerksamkeit in den Massenmedien. Denn Markenimages entstehen nicht im stillen Kämmerlein, sondern benötigen eine öffentliche Plattform. Die Annahme hinter diesem diktatorischen Werbeprinzip: Ich Marke habe dir Kunde etwas Wichtiges mitzuteilen. Darum brülle ich auch so. Ich wiederhole es häufiger, dann wirst du mir schon vertrauen.“ (Rosinski 2009: 21)
Es wäre aber falsch, den Schluss zu ziehen, dass öffentlich wirksame Kommunikationsmaßnahmen und damit ein Großteil der klassischen Kommunikationsdisziplinen, allen voran die Werbung, zukünftig keine Daseinsberechtigung mehr hätten. Marken benötigen die in der Öffentlichkeit eingebettete Reflexivität, auf deren Wirkungsmechanismus die Werbung aufsetzt: Der Konsument meint zu wissen, dass andere Konsumenten wissen, dass er weiß, dass die Marke A das Image X hat. Dieses reflexive Wissen wird auch weiterhin seine Kaufentscheidung wesentlich mitsteuern. In dem sowohl untereinander als auch miteinander vernetzten, zielgerichteten Einsatz von klassischen und modernen Kommunikationsdisziplinen wird daher wohl die Zukunft der Marketing-Kommunikation liegen.
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Die modernen Kommunikationsdisziplinen setzen die notwendigen Kommunikationskriterien der Selektivität, Kontextualität und Reflexivität zielgerichtet ein, was zu einer qualitativen Fundierung der Marketing-Kommunikation führt, die in Advertising Engagement mündet – in einer hohen kognitiven, affektiven und konativen Verarbeitungstiefe der Interaktionen mit einem Marketing-Kommunikationsangebot (s. Kap. A 2.1.5). (1) Überraschende und intelligente Formen der Aufmerksamkeitsgewinnung, (2) das Erleben der Marketing-Kommunikationsangebote als relevant und (3) das Auslösen von Anschlusshandlungen des Menschen in seiner Rolle als Rezipient und Konsument, die zurechenbar sein sollen, damit das Unternehmen selbstbezüglich seine Marketing-Kommunikation beurteilen und Folgekommunikationen entsprechend der gewonnenen Consumer Insights konzipieren kann, resultieren als die wichtigsten drei kommunikationsqualitativen Orientierungskriterien der Output-Gestaltung moderner Kommunikationsdisziplinen. Der Output der unterschiedlichen Disziplinen unterscheidet sich im Ausmaß der jeweiligen disziplinspezifischen Berücksichtigung dieser Zieldimensionen, wobei in der Praxis eine Vernetzung dieser Disziplinen und damit der kommunikationsqualitativen Dimensionen an der Tagesordnung ist. Die kommunikationsqualitative Ausrichtung des Outputs geht einher mit einer dialogischen Grundorientierung, die der Optimierung der Erfolgsfaktoren der Input-Phase dienlich ist.
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Dialogische Grundorientierung
Marketing-Kommunikation, mit der ein hochwertiger Output im Sinne eines integrativen Erreichens kommunikationsqualitativer Zielsetzungen bezüglich Aufmerksamkeit und Rezeptionsrelevanz im Outgrowth-Bereich sowie äußerer Anschlusshandlungen im Outcome-Bereich erzeugt werden soll, ist in ihrer Grundausrichtung auf Gegenseitigkeit ausgerichtet, also dialogisch orientiert. Aus Dialogen, die nicht nur zwischen Unternehmen und Konsumenten/Kunden, sondern auch unter Konsumenten und Kunden diesen geführt werden, gewinnt das Unternehmen für die Input-Phase des Marketing-Kommunikationsprozesses wertvolle Hinweise im Hinblick auf Erfolgsfaktoren wie beispielsweise die Schadensprävention oder Consumer Insights. In der dialogischen Grundorientierung Moderner Marketing-Kommunikation kommt der Einfluss des Paradigmas der beziehungsorientierten DirektmarketingKommunikation zum Ausdruck (vgl. Kap. A 2.6.2). Dieses betont die hohe Bedeutung der Herstellung interaktiver Beziehungen zu Zielpersonen für das Marketing, womit eine dialogische Grundorientierung der Marketing-Kommunikation impliziert ist. Diese dialogische Grundorientierung Moderner Marketing-Kommunikation im Sinne eines Dialogmarketings geht jedoch über das Verständnis des Direktmarketings hinaus und sollte daher nicht mit diesem Begriff synonym verwendet
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werden. Dies gilt auch für den spezifischeren Begriff des interaktionsorientierten Direktmarketings, womit Manfred Bruhn (2014) einen bestimmten DirektmarketingTyp bezeichnet, den er vom passiven und vom reaktionsorientierten Direktmarketing unterscheidet: •
Das passive Direktmarketing zeichnet sich durch einen sehr geringen Interaktionsgrad aus. Mit ihm sollen Konsumenten allgemein auf das Leistungsangebot des Unternehmens aufmerksam gemacht werden. Typisch für diese Art von Direktmarketing ist der Einsatz von adressierten oder unadressierten Werbebriefen, von Katalogen oder von Hauswurfsendungen und Flugblättern, wobei die Initiierung eines Dialogs, indem dem Rezipienten Responsemöglichkeiten angeboten werden (z. B. Rückantwortkarten), nicht intendiert ist. • Beim reaktionsorientierten Direktmarketing wird hingegen dem Empfänger eine Reaktionsmöglichkeit und die Option zur Dialogaufnahme (z. B. Telefonnummer) gegeben. Dabei kann es sich sowohl um eine persönliche Ansprache (z. B. adressiertes Mailing) als auch um eine Kontaktaufnahme mittels allgemein adressierter Kommunikationsangebote (z. B. Anzeige, Plakat) handeln. • Erst beim interaktionsorientierten Direktmarketing treten das Unternehmen und der Kommunikationspartner in einen unmittelbaren Dialog ein, der sich durch gegenseitige Mitteilungen auszeichnet (z. B. Telefonmarketing). Entsprechend hoch sind der Interaktions- und Individualisierungsgrad der Kommunikation sowie das Erfordernis von Flexibilität bei den Kommunikationspartnern. Das Dialogmarketing betont aber noch weitaus stärker als das interaktionsorientierte Direktmarketing die interaktive und verständnisorientierte Ausrichtung der Marketing-Kommunikation, um Marketing-Ziele zu erreichen (vgl. Mann 2004: 2 f.). Ein genauerer Vergleich zeigt die folgenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf (vgl. ebd.: 138 f.): Zunächst fällt auf, dass beide Ansätze weitgehend die gleichen Ziele verfolgen und teilweise auch die gleichen Medien benutzen. Direktmarketing-Aktivitäten verfolgen wie das Dialogmarketing neben Zielen im Outflow-Bereich (z. B. in den Bereichen Absatz, Umsatz, Gewinn und Rentabilität) auch Ziele in den Bereichen Outgrowth und Outcome wie beispielsweise Informations-, Akquisitions- und Kundenbindungsziele. Ein zentraler Unterschied kann jedoch darin ausgemacht werden, dass in Wissenschaft und Praxis das Direktmarketing primär als eine Kommunikationsdisziplin aufgefasst und entsprechend mit einem sehr instrumentellen Verständnis verknüpft wird. Es steht insbesondere der Medieneinsatz zur Direktkommunikation im Fokus, der einer optimalen Gestaltung bedarf. In diesem Rahmen ist das Direktmarketing somit vorrangig auf der operativen Management- und Marketingebene zu verorten. Dessen Nutzung findet hierbei, soweit es aus Effektivitäts- und Effizienzgründen sinnvoll ist, lediglich für die ergänzende oder substituierende Realisierung von generellen Marketingstrategien statt.
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Auf der strategischen und der normativen Managementebene hat das Direktmarketing bisher kaum Möglichkeiten zur Erklärung und Gestaltung geboten. Das Dialogmarketing hingegen geht mit einer Verankerung der Verständigungs- und Konsensorientierung auf normativer Ebene einher. Gleichzeitig wird die Dialogfähigkeit des Unternehmens auf strategischer Ebene abgesichert, um die Glaubwürdigkeit der Dialogausrichtung des Unternehmens nicht zu gefährden und um einen „aufgesetzten und dilettantischen Eindruck“ (ebd.: 499) in der Dialog-Kommunikation mit den Stakeholdern zu vermeiden. Die dialogische Grundorientierung der Marketing-Kommunikation ist also anders als das Direktmarketing fest in der Unternehmenskultur verankert. Auch bezüglich der Frage nach dem Rezipientenkreis ist das Dialogmarketing grundsätzlich umfassender angelegt als das Direktmarketing. Konzentriert sich das Direktmarketing auf den direkten Kontakt mit potenziellen Interessenten und Kunden, werden beim Dialogmarketing darüber hinaus auch andere Anspruchsgruppen berücksichtigt, die das Geschehen in Absatzmärkten beeinflussen können (z. B. Verbände, Medien, Nichtregierungsorganisationen/NGOs). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Dialogmarketing auf einem zeitgemäßen, in der Unternehmenskultur verankerten Kommunikationsverständnis fußt, das Kommunikation als einen sozialen, verständnisbasierten Prozess der Vermittlung von Bedeutungen für das Erreichen von Marketingzielen begreift. Dieser realisiert sich in Form reziproker Kommunikation zwischen Unternehmen und Stakeholdern. Dieses Kommunikationsverständnis liegt als Grundorientierung kommunikationsqualitativer Output-Gestaltung der Modernen Marketing-Kommunikation zugrunde. So installieren beispielsweise branchenübergreifend Unternehmen Kundenbeiräte (customer advisory boards) (z. B. Commerzbank, Deutsche Bahn oder Deutsche Telekom). Die Formen des Dialogmarketings können danach unterschieden werden, ob einzelne oder kontinuierliche Maßnahmen vorliegen und ob diese präventiv oder zur Regulierung angewandt werden. Die verschiedenen Formen widersprechen sich dabei nicht, sondern können sich im Rahmen eines integrierten Dialogmarketings gegenseitig ergänzen (s. Abb. 119).
Abb. 119 Formen des Dialogmarketings und beispielhafte Ausprägungen (Quelle: Mann 2004: 114)
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Mit der Betonung der Verständnis- und Konsensausrichtung, die mit der dialogischen Grundorientierung Moderner Marketing-Kommunikation einhergeht, wird die Verwischung der Grenzen zwischen dieser und der PR weiter vorangetrieben (vgl. Kap. A 2.1.2). So skizzieren James Grunig und Todd Hunt (1984: 41 f.) das „TwoWay-Symmetric“-Modell als dialogbasiertes und von ihnen favorisiertes Public-Relations-Modell. Im deutschsprachigen PR-Praxisdiskurs hat das Dialogthema bereits seit Ende der 1980er Jahre seinen Platz und wird mit dem PR-Modell von Grunig/ Hunt verknüpft (vgl. Szyszka 2010: 151 f., s. im Überblick Bentele et al. 1996). Ebenfalls steht im Konzept der verständnisorientierten Öffentlichkeitsarbeit von Roland Burkart (1993, 1996) die dialogorientierte Kommunikation zur Bewältigung von Konflikten mit Stakeholdern im Mittelpunkt. Gleichwohl bemerkt Andreas Mann (2004: 127) zu Recht, dass sich die PR-Konzepte auf das gesamte gesellschaftliche Umfeld von Unternehmen ausrichten und das Dialogmarketing trotz seiner erweiterten Kundenperspektive im Sinne einer Stakeholder-Orientierung doch im Wesentlichen der näheren Marktumwelt von Unternehmen und den dort zu verortenden Anspruchsgruppen verhaftet ist. Trotzdem lassen sich starke Verbindungen und stellenweise Überschneidungen zwischen Dialogmarketing und PR-Ansätzen nicht bestreiten, wenngleich sie nicht als wechselseitig substituierbar aufgefasst werden können. So stützt Roland Burkart (2012: 18) die Notwendigkeit einer verständnisorientierten Öffentlichkeitsarbeit unter anderem auf die Praxis der werbungtreibenden Unternehmen, für die Volker Nickel, ehemaliger Sprecher des Zentralausschusses der deutschen Werbewirtschaft (ZAW), bereits 1990 eingefordert hat, dass sie die Kritik und Forderungen ihrer Stakeholder einholen und in unternehmensinternen Entscheidungsprozessen berücksichtigen müssen. „Rede über das, was du tust. Frage die anderen, ob sie mit deinem Tun einverstanden sind. Erkläre ihnen die Beweggründe, so gehandelt zu haben oder so handeln zu wollen. Beziehe die Interessen der anderen in deine Entscheidungsprozesse mit ein.“ (Nickel 1990 in w&v 15/1990: 36, zit. n. Burkart 2012: 18)
Zu beachten ist, dass Dialogmarketing mit einem hohen Kontaktaufwand und damit einem intensiven Ressourceneinsatz (Geld, Zeit, Personal) verbunden ist, der mit dem Grad der Abnahme an Standardisierung (z. B. durch Verwendung von Textbausteinen in der schriftlichen Individualkommunikation mit dem Kunden) zunimmt. Dialogische Marketing-Kommunikation muss aber mit der Logik des MarketingKommunikationssystems, die wirtschaftlicher Natur ist, vereinbar sein. Das heißt, dass auch bei einer gegebenen dialogischen Grundorientierung des Unternehmens das Ausmaß der dialogischen Ausrichtung konkreter Kommunikationsmaßnahmen und Kampagnen nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis zu entscheiden ist. Schließlich ist auch noch auf die sich wandelnde Begriff lichkeit in der Praxis hinzuweisen, die besonders durch die Umbenennung des DDV reflektiert wird, der sich seit dem 10. April 2008 nicht mehr als Deutscher Direktmarkting Verband, sondern
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als Deutscher Dialogmarketing Verband bezeichnet. Diese Umbenennung resultiert aber nicht aus einem Verständniswandel des Direktmarketings in Richtung des oben skizzierten Dialogmarketings, sondern wird vom DDV mit der technologischen Entwicklung der neuen Medien begründet, in deren Folge der bisherige direkte Kontakt immer öfter ohne zeitliche Verzögerung als wirklicher Dialog vollzogen wird. Dialogmarketing wird vom DDV heute als Oberbegriff für alle Marketingaktivitäten genutzt, bei denen – wie auch im früheren Direktmarketing – Medien mit der Absicht eingesetzt werden, eine interaktive Beziehung zu Individuen herzustellen, und es wird als eine durch die mediale Entwicklung bedingte nächste Evolutionsstufe des Direktmarketings in Richtung eines „Inbound Marketing“ (Belz et al. 2009: 42) aufgefasst. Implikationen für die strategische und normative Managementebene können dem Dialogbegriff des DDV nicht entnommen werden (vgl. Deutscher Dialogmarketing Verband o. J., s. auch Kreutzer 2009: 6).
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Partizipative Marketing-Kommunikation (PMK) – Co-Kreation von Unternehmen und Konsumenten
2.2.1 Kommunikationsqualitative Zielsetzung und Definition der PMK Der Partizipationsbegriff hat seinen Ursprung im politischen Bereich. In der Kommunikationswissenschaft spielte er lange Zeit nur eine marginale Rolle. Erst im Zuge des Bedeutungszuwachses der interaktiven Medien und des Internets zog er auch in den kommunikationswissenschaftlichen Diskurs ein. Grundsätzlich impliziert Partizipation eine schöpferische Inhaltsproduktion, die dazu beiträgt ein neues Ganzes zu erstellen oder zu vollenden (Abel 2018: 37). Die Partizipative Marketing-Kommunikation (PMK) versucht Adverting Engagement zu erzielen, indem äußere Anschlusshandlungen der Rezipienten/Konsumenten bewirkt werden, die den Marketing-Kommunikationsprozess mitkonstituieren, ihn co-kreieren. ▶ Definition Partizipative Marketing-Kommunikation (PMK) ist eine Marketing-Kommunikationsdisziplin, die explizit Zielpersonen in die Interpretation der Marke und in die Realisation des kommunikativen Outputs integriert.
2.2.2 Entwicklung der PMK Nachdem Alvin Toffler 1980 den Begriff des Prosumenten einführte, um den zunehmenden Einfluss der Konsumenten im Produktionsprozess von Gütern zu beschreiben, der – so seine damalige Prognose – zu vollkommen individualisierten,
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maßgeschneiderten Produkten führen würde, dauerte es noch knapp 15 Jahre, bis in Deutschland der Prosumenten-Gedanke erstmals im Kontext der Marketing-Kommunikation öffentlich sichtbar wurde. Die Werbeagentur Michael Conrad & Leo Burnett (heute: Leo Burnett) kreierte für die Zigarettenmarke Chesterfield ihres Kunden Philip Morris die „Everyone is an Original“-Kampagne, die von der Werbefachzeitschrift Horizont 1994 zur Kampagne des Jahres gekürt wurde. Die Kampagnenmotive wurden von den Konsumenten auf Kreativ-Partys entwickelt, wobei ihnen bei der Gestaltung ein nahezu uneingeschränkter Freiraum gelassen wurde. Lediglich der Packshot (die Abbildung der Produktverpackung), der Claim („Everyone is an Original“) und der gesetzlich vorgeschriebene Warnhinweis der EG-Gesundheitsminister waren vorgegeben (s. Abb. 120). Christoph Mayer, der damals für die Kampagne verantwortliche Kreativdirektor der Agentur, fasst das Konzept der Kampagne zusammen: „Die Leute sollen auf den Events keine Werbung machen, sondern das kommunizieren, was ihnen im Moment wichtig ist“ (vgl. Tropp 1997: 119). Einerseits mutet dies nach den Prinzipien der klassischen Markenführung wie ein Kapitalverbrechen an. Soll einer Marke doch eine vom Unternehmen strategisch entwickelte und bei den Konsumenten tief verankerte Bedeutung, ihre Identität, verliehen und gepflegt werden, die sich aus Assoziationen wie Eigenschaften, Werten, Nutzenaspekten und Persönlichkeitsmerkmalen speist (vgl. Esch 2014, Kotler/Bliemel 2001: 737). Markenführung und damit auch die Marketing-Kommunikation ist demnach gerade in Anbetracht des Aufbaus und Erhalts des Markenwerts, dem zentralen Bezugspunkt der Markensteuerung, eine nicht an Konsumenten delegierbare Unternehmensaufgabe von höchster strategischer Brisanz.
Abb. 120 Vorder- und Rückseite eines Zeitschriften-Beilegers der PMK-Kampagne von Chesterfield aus dem Jahr 1994
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Andererseits haben sich rund 25 Jahre nach der Geburt der Chesterfield-Kampagne, besonders bedingt durch die Entwicklung des Internets, interaktive Kommunikationsformen zwischen Unternehmen und Konsumenten etabliert, aus denen heute scheinbar selbstverständlich und unumgänglich – zumindest bis zu einem bestimmten Punkt – eine Partizipation des Konsumenten an der Gestaltung der Marketing-Kommunikation und ein Geführt-Werden durch den Prosumenten in der Markenführung resultiert, womit sich Alvin Tofflers Prognose zu bewahrheiten scheint. Chuck Porter (2008: 8), Mitgründer der US-amerikanischen, international renommierten Kreativagentur Crispin Porter + Bogusky, formuliert entsprechend heute, dabei ganz auf der Linie der damaligen Chesterfield-Kampagne liegend: „Bis zu einem gewissen Grad verlieren Sie die Kontrolle über die Markenwahrnehmung. Willkommen in der modernen Werbewelt, das sind die neuen Regeln. Marken müssen heute in einen engen Dialog, in einen Austausch mit ihren Zuhörern treten, sie können nicht mehr einfach nur Ankündigungen machen“. Verschärft wird die Diskussion um die Ausrichtung der Markenführung durch den gleichzeitig steigenden Einfluss des Controllings. Effektivität und Effizienz der Markenführung müssen heute auch im Bereich der Kommunikation nachgewiesen werden, also messbar sein. Die vor allem für das operative Markenmanagement resultierende Frage nach den Effektivitäts- und Effizienzvor- bzw. -nachteilen von partizipativ angelegter Marketing-Kommunikation auf der einen und von einseitig konzipierter Marketing-Kommunikation auf der anderen Seite muss auf strategischer und normativer Managementebene mit der Frage nach dem im Unternehmen herrschenden Kommunikationsverständnis verbunden werden. Die explizite unternehmensinterne Kommunikation dieses Verständnisses, das gerade auch für das operative Management handlungsorientierend im Kontext der Unternehmensbeziehungsweise Agenturkultur seine Verankerung finden muss, trägt entscheidend zur grundsätzlichen dialogischen beziehungsweise monologischen Ausrichtung der Marketing-Kommunikation bei. Die Frage nach partizipativer oder nichtpartizipativer Marketing-Kommunikation erweist sich damit als eine Frage, die die Unternehmen unvermeidbar in die Situation bringt, ihre bis dato funktionierende Orientierung an einem schlichten Sender-Empfänger-Modell der Marketing-Kommunikation zu hinterfragen. Denn dieses gerät durch die Entwicklungen in den Unternehmensumwelten und durch die gestiegene Komplexität der Unternehmens- und Marketing-Kommunikation sowie deren Management zunehmend in Bedrängnis. Im Kontext der PMK rücken besonders die strukturellen Wirkungen des seit Mitte der 1990er Jahre auch unternehmenskommunikativ genutzten Internets in den Analysefokus. Die mittlerweile selbstverständliche Nutzung des Internets zu Marketingzwecken zwingt die Unternehmen zur Interaktion mit den Konsumenten. Für das Marketing bedeutet dies, dass wechselseitig aufeinander gerichtete Handlungen gleichermaßen aktiver Kommunikationspartner eine mediumsinduzierte Wirkung sind, wobei Letztere inhaltsübergreifend die Frage nach Partizipation oder Nicht-
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partizipation des Konsumenten bei der Entwicklung der Marketing-Kommunikation zugunsten eines interaktionalen Verständnisses von Marketing-Kommunikation suspendiert. Im Zuge der Medialisierung des Marketings dient Interaktivität verstärkt als Bezugspunkt in Sinngebungsprozessen und für die Handlungsorientierung der Marketing-Akteure – und zwar über alle Marketingmix-Elemente hinweg (vgl. Kap. A 4.2). Um den heutigen Funktionsbereich der PMK umfassend zu verstehen, ist es hilfreich, sich an den Ursprung des Partizipationsbegriffs zu erinnern, der eng mit demokratietheoretischen Debatten verknüpft ist. Dem Begriff haftet bis heute eine ideologische Akzentuierung an, da Partizipation auf das Vorhaben schließen läßt, Konsumenten an substanziellen Fragestellungen der Marketing-Kommunikation zu beteiligen. Unternehmen wollen diesen Partnerschaftlichkeitsanspruch durchaus bewusst mit ihrer Kommunikation implizieren, wenn sie von einer User-generatedKampagne oder „demokratischer Zusammenarbeit“ sprechen (vgl. Apel 2018: 304). Die heutige Funktion der PMK liegt daher einerseits in der tatsächlichen co-kreativen kommunikativen Wertschöpfung von Konsumenten/Kunden und Unternehmen, andererseits ist die PMK aber für das Unternehmen auch ein Instrument der Imagebildung, indem es eine „Kulisse der Gleichberechtigung“ (ebd.: 303) schafft. Die öffentliche Inszenierung des Beteiligungsprozesses, so folgert Apel (ebd.), bildet heute den entscheidenden Mehrwert der PMK gegenüber ihren früheren Phasen. Interessant ist der Befund, dass „eine basisdemokratische Mitwirkung von Konsumenten an der Werbegestaltung … jedoch nicht festgestellt werden [konnte]. Alle identifizierten Typen partizipativer Werbekommunikation basieren trotz gradueller Unterschiede auf der Konsumentenbeteiligung in einem abgesteckten, klar definierten Rahmen.“ (ebd.: 304). Dieses Fazit deckt sich mit den Untersuchungsergebnissen von Chris Miles (2017: 222 f.), dass es sich bei PMK eher um eine rhetorische Strategie der Unternehmen als um eine tatsächliche Gleichberechtigung des Konsumenten in der marketing-kommunikativen Wertschöpfung handelt. Deutlich wird, dass die PMK in der Logik der Kausalmodelle empirischer Sozialforschung nicht als abhängige Variable in ein direktes und monokausales Verhältnis zu den Veränderungen der medialen Bedingungen als unabhängige Variable gesetzt werden kann. Intervenierende Variablen wie zum Beispiel auf der Mesoebene Unternehmensinteressen in Form von Effizienzoptimierungen von Marketing-Budgets oder Imageprofilierungsstrategien und auf der Mikroebene der individuelle elementare Kontext der beruflichen Situation von Marketing-Akteuren beeinflussen den Zusammenhang von Marketing-Kommunikationsveränderungen und medialen Entwicklungen. Ebenso gilt es, einen eventuellen Einfluss soziodemografischer Faktoren, zum Beispiel des Alters und der Bildung der Marketing-Verantwortlichen, sowie den Faktor der technologisch-medialen Kompetenz der Akteure im Unternehmen wie der Zielgruppe zu kontrollieren, die ebenfalls neben den medialen Veränderungen einen direkten Einfluss auf die abhängige Variable des PMK-Aufkommens haben könnten. Die Bedeutung des Faktors der technologisch-medialen Kompetenz der
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Zielgruppe kann an dem von Joseph Jaffe unaufgefordert für Nike produzierten und unter anderem über youtube.com verbreiteten Spot aufgezeigt werden. Auf die Frage, warum er den Spot kreierte, antwortete er: „I did this because I could. I had the technology. I had the creative means and media ends. The production cost was zero. The media cost was zero. The time to produce and distribute was less than an hour“ (Jaffe 2005). Schließlich müssen auch Faktoren, die das Zusammenwirken der Variablen überhaupt erst ermöglichen, stabil bleiben (Konstanten), um zu belastbaren, empirisch gewonnen Erkenntnissen der PMK-Entstehung zu gelangen (vgl. z. B. zur empirischen Untersuchung der Medialisierung von Politik Vowe 2006). Zu nennen ist etwa der Rechtsrahmen, der die Frage der Urheberrechte von Consumer Generated Advertising (CGA) regelt.
2.2.3 Das Konzept der Co-Kreation ▶ Definition Co-Kreation ist ein aktiver, kreativer und sozialer Prozess zwischen Organisationen (z. B. Unternehmen) und Stakeholdern, der Nutzen und Wert für alle Beteiligten schafft (vgl. Ind et al. 2013: 9).
Für die Fundierung des Konzepts partizipativer Marketing-Kommunikation in Form von Co-Kreation bieten sich vor allem zwei Zugänge an. Der ältere Zugang entstammt dem Innovationsmanagement, wo eine Sichtweise auf den Konsumenten als passiver Empfänger von unternehmerischen Innovationsleistungen zunehmend durch Hinweise auf die Notwendigkeit einer Kollaboration mit Konsumenten in der Innovationsentwicklung und auf offene Innovationsprozesse verdrängt wird. Demnach werden Innovtionen nicht einseitig vom Unternehmen geschaffen, sondern in Austauschprozessen zwischen Unternehmen und Konsumenten. Wert und der komparative Wettbewerbsvorteil entstehen erst gemeinsam durch Co-Kreation von Unternehmen und Konsumenten (vgl. Baumgarth/Kristal 2015: 16.). Beispiel partizipativer Innovationsentwicklung
Das Unternehmen Ritter Sport hat 2013 das digtale Sortengestaltungs-Tool Sortenkreation eingeführt https://www.ritter-sport.de/sortenkreation/#/start. Nutzer können damit eigene Sortenvorschläge einreichen, die von Nutzern gelikt, kommentiert und geteilt werden können. Unter anderem wurde so, die „Einhorn-Schokolade“ erfolgreich in den Markt eingeführt.
Der zweite, jüngere Zugang erfolgt über die Service-dominant Logic (SDL). Die SDL spielt auch im Kontext des Customer-Engagement-Konzepts eine zentrale Rolle. Dort
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wird sie genutzt, um die Engagementform der Creation, die auf ein hohes Engagement des Konsumenten schließen lässt (Schivinski et al. 2016), zu erklären (s. Kap. A 2.1.5). Der grundlegende Gedanke der SDL ist, dass die Goods-dominat Logic (GDL) mit ihrem Fokus auf einen greifbaren, materiellen Output und davon zu unterscheidenden Transaktionsprozessen zugunsten der SDL in den Hintergrund rückt, in deren Mittelpunkt Austauschprozesse, Beziehungen und Immaterialität stehen. Servcies werden definiert als „application of specialized competences (knowledge and skills) through deeds, processes, and performances for the benefit of another entity or the entity itself “ (Vargo/Lusch 2004: 2). Ähnlich wie der Innovationsmanagement-Ansatz mündet auch die SDL in einem neuartigen Wertverständnis. Wert wird nicht länger vom Unternehmen bestimmt und im Sinne von Tauschwert definiert. Stattdessen wird der Wert vom Konsumenten auf der Basis von Value-in-Use und in Co-Kreation zwischen dem Konsumenten und dem Unternehmen festgelegt. Daraus folgt, dass Güter, einschließlich Kommunikationsprodukte (z. B. WWW-Site, Anzeige etc.), keinen Wert haben, solange sie nicht genutzt werden und nützlich zum Erreichen von persönlichen Zielen der Konsumenten sind. Der Konsument wird also nicht länger als eine „operand resource“ (ebd.: 7) betrachtet, derart, dass der „customer is the recipient of goods. Marketers do things to customers; they segment them, penetrate them, distribute to them, and promote to them“ (ebd.). Stattdessen übernimmt der Konsument im Wertschöpfungsprozess die Rolle einer aktiven „operant resource“ (ebd.), eines Co-Produzenten von Services, einschließlich Kommunikationsservices. Hinsichtlich der Arten von Co-Kreationsprozessen können die interaktive Wertschöpfung und die interaktive Wertschaffung voneinander unterschieden werden. Während sich erstere auf die Einbindung des Konsumenten in den Wertschöpfungsprozess bezieht, z. B. in Form der Erstellung oder Vermarktung einer neuen App, verweist die interaktive Wertschaffung darauf, dass der Konsument durch seine individuelle Nutzung des Services (der App) das Unternehmen in seinen Prozess der Wertschaffung integriert (vgl. Drengner 2015: 8).
2.2.4 Implizite und explizite PMK In dem für Marketing-Kommunikation notwendigen Kriterium der Reflexivität (in sozialer Hinsicht) ist der Grund zu sehen, warum die Differenzierung in partizipative versus nichtpartizipative Marketing-Kommunikation, die sich in der Praxis eingeschlichen hat, eigentlich in die Irre führt. Genauso wie sich heute herausstellt, dass sich vor allem in Anbetracht der technologischen, soziokulturellen und medialen Entwicklungen ein simples Sender-Empfänger-Modell (= Konsumenten führen) nicht zum Erkennen der Funktionsweise von Markenführung eignet, genauso wird dessen Umkehrung in ein Empfänger-Sender-Modell (= Geführtwerden durch
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Prosumenten) der Markenführung keine neue Erkenntnisse liefern können. Beide vernachlässigen komplett die Reflexivitätsverhältnisse der Marketing-Kommunikation und damit auch der Markenführung. Insofern muss Situationsbeschreibungen, die heute in der Praxis des Kommunikationsmanagements häufig angetroffen werden – wie zum Beispiel: „Der Verbraucher hat die Fäden in der Hand“ (Morel zit. n. Rösch 2008: 26) –, skeptisch begegnet werden, da sie die per se gegebene und schon immer vorhanden gewesene Reflexivität in der Markenführung ausblenden und die Marketing-Manager zu Unrecht als in Anbetracht der heutigen Veränderungen ohnmächtig begreifen. Wären Sie ohnmächtig in dem Sinne, dass sie heute ihre Marken nicht mehr führen könnten, wäre das absurde Szenario gegeben, dass überhaupt keine Kommunikation mehr zwischen Unternehmen und Konsumenten stattfindet. Auf die hohe Bedeutung sozialer Reflexivität in der Marketing-Kommunikation ist im US-amerikanischen Raum bereits zu Beginn der 1990er Jahre im Kontext des Konzeptes der Integrated Marketing Communications (IMC) hingewiesen worden. Neben einem ergebnisorientierten und vernetzten Management der unterschiedlichen Kommunikationsinstrumente, das kommunikations- und informationstechnologisch basiert sein soll, betont dieser Ansatz das Einnehmen einer „Outsidein-Perspektive“. Kommunikationsplanung muss kundenzentriert erfolgen, aus der Perspektive externer Anspruchsgruppen, besonders aus der der Kunden und Konsumenten (vgl. Kap. A 2.6.3). Geht man noch weiter zurück, so lässt sich in Deutschland mit dem Aufkommen der professionellen Markt- und Produktforschung Mitte der 1960er Jahre, die von den deutschen Niederlassungen der US-amerikanischen Agenturen importiert wurde, ebenfalls das Prinzip reflexiver Marketing-Kommunikation aufzeigen. Im Kern der Forschung stand damals wie heute der Consumer Insight, der die soziale Reflexivität mit ihren kommunikationsanleitenden Erwartungserwartungen der Marketing-Manager praxistauglich operationalisiert. Der Konsument hat also schon immer die Marke mitgeführt. Die Situation stellt sich heute somit nicht derart dar, dass PMK eine neue Alternative zum bisherigen nichtpartizipativen Kommunikationsmodell wäre. Was vielmehr neu ist, ist der heutige Grad an expliziter Partizipation des Konsumenten an der Marketing-Kommunikation infolge der zunehmenden Medialisierung des Marketings (vgl. Abb. 121). Die implizite Partizipation des Konsumenten bei der Marketing-Kommunikation bezieht sich auf das Consumer-Insight-basierte Kommunikationsmanagement, das sich nicht der unmittelbaren Interaktion mit dem Kunden bedient. Consumer Insights werden hier aus der überwiegend quantitativ ausgerichteten Marktforschung mit ihren diversen Zielgruppentypologien sowie aus der Werbeerfolgskontrolle gewonnen. Die explizite Partizipation des Konsumenten bei der Marketing-Kommunikation bezieht sich auf das Consumer-Insight-basierte Management der Marke, das sich maßgeblich auf direkte Interaktionen zwischen dem Unternehmen/der Marke und den Konsumenten beziehungsweise Kunden stützt, wie auch auf Interaktionen, die zwischen den Konsumenten einer Marke stattfinden. Consumer Insights resultieren
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Abb. 121 Implizite und explizite Partizipation des Konsumenten bei der Marketing-Kommunikation (eigene Darstellung)
hier überwiegend aus in qualitativer Marktforschung gewonnenen ethnografischen Daten und aus den unmittelbaren Beobachtungen der Interaktionen der Konsumenten im Rahmen von Marketing-Programmen. Abb. 121 zeigt, wie sich die beiden Marketing-Kommunikationsansätze zueinander verhalten. Beide Varianten befassen sich mit Marketing-Maßnahmen, deren kommunikative Realisationen dem gewinnorientierten Einkauf und Verkauf von Ressourcen, Produkten und Dienstleistungen und letztendlich dem Aufbau und Erhalt des Markenwerts dienen. Bei den meisten Marken findet in der Marketing-Kommunikation eine gleichzeitige Realisation der impliziten und der expliziten Partizipation des Konsumenten/Kunden statt. Der entscheidende Unterschied liegt darin, welcher Ansatz dominiert. Marken, die mit einer eher impliziten Partizipation des Konsumenten geführt werden, weisen eine geringere Medialisierung ihres Marketings auf. Überwiegend gibt hier Publizität als originärer Leitcode des Mediensystems dem Management der Marketing-Kommunikation Orientierung. Ein derartig gering medialisiertes Marketing liegt persuasionsorientierten Marken zugrunde, die dem Stimulus-Organismus-Response-Modell (S-O-R) der Yale Studies verhaftet sind und entsprechend von der Beeinflussungskraft ihrer überwiegend monologisch ausgerichteten Kommunikation ausgehen (vgl. Kap. A 2.6.1). Marken, an deren Kommunikation der Konsument/Kunde hingegen explizit partizipiert, sind durch eine hohe Medialisierung ihres Marketings gekennzeichnet. Außer an Publizität orientieren sich die Marketing-Akteure in ihren Handlungen auch an Interaktivität als weiterem Leitcode des Mediensystems. Dies braucht nicht nur auf den Bereich der Marketing-Kommunikation, sondern kann auf den gesam-
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ten Marketingmix zutreffen. Das Marketing interaktionsorientierter Marken ist dialogisch ausgerichtet, und Markenstärke wird im systemtheoretischen Sinne über die Vergesellschaftungskraft einer Marke definiert (vgl. Tropp 2004).
2.2.5 Consumer-Generated Advertising (CGA) Kommunikationspolitisch sehen sich die Unternehmen heute einer hohen Transparenz in den Märkten, in denen sie operieren, gegenüber. Der Kunde kann leichter denn je in Sekundenschnelle Informationen über Produkte und Preise erhalten und vergleichen (z. B. billiger.de, preisvergleich.de, geizkragen.de). Zudem werden Informationen zu Produktbewertungen durch unabhängige Institutionen wie von der Stiftung Warentest oder von Verbraucherorganisationen bereitgestellt (z. B. test.de, testberichte.de). Ebenso können Kontakte zu anderen Kunden aufgebaut werden. Social Media und Bewertungsportale (z. B. Yelp, Golocal) bieten im Web Raum für Produktbewertungen und Stellungnahmen zu Unternehmen und Produkten, die sich als äußerst relevant für den Kaufentscheidungsprozess und damit aus Marketing-Sicht für die Kommunikationsmittelwahl erweisen (s. Abb. 122). Gestützt wird dieser Befund auch durch eine europäische Gemeinschaftsstudie von Ipsos und Hotwire, einer Agentur für Technologie-PR, die zum Ergebnis hat, dass 56 Prozent der deutschen Internetnutzer eher bei positiven Kommentaren kaufen würden, 30 Prozent hingegen bereits auf einen Kauf oder eine Dienstleistung wegen negativen Kommentaren oder Kritiken privater Nutzer verzichtet haben (n = 485 deutsche Personen ab 15 Jahre) (vgl. Ipsos 2006). Die Ergebnisse der umfassenden
Abb. 122 Ausmaß des Vertrauens in unterschiedliche Mittel der Marketing-Kommunikation (n = 26 486 Internetnutzer aus Europa, Asien, Amerika, Naher Osten) (Quelle: Nielsen 2007)
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empirischen Studie (n = 4190 US-amerikanische Personen ab 13 Jahre) von Riegner (2007) zeigen aber auf, dass die Einflussstärke von Konsumentenkommentaren auf das Kaufverhalten von der Produktart beeinflusst wird. So wird die Kaufentscheidung betreffend komplexe, höherpreisige und sehr begehrte Produkte – wie beispielsweise solche aus dem Technologie- und Elektronikbereich – von der Kommunikation unter Konsumenten stärker beeinflusst als diejenige, die im Hinblick auf Low-Produktinvolvement-Produkte getroffen wird (vgl. ebd.: 443). Für diese nicht unmittelbar unternehmensinitiierten, von Konsumenten oder Kunden geschaffenen Inhalte hat Pete Blackshaw, Chief Marketing Officer bei Nielsen BuzzMetrics, den Begriff Consumer-Generated Media (CGM) geprägt. Er bringt den Gedanken einer „Individualpublizistik“ (Meckel 2010: 226) zum Ausdruck und wird synonym mit User-Generated Content (UGC) oder User-Created Content (UCC) verwendet. Auch der Begriff des Word of Mouth (WOM) wird gelegentlich in gleicher Bedeutung genutzt. Dem wird hier jedoch nicht gefolgt, da in der Praxis heute WOM strategischer Bestandteil vieler moderner Marketing-Kommunikationskampagnen ist und somit als unternehmensinitiiert betrachtet werden kann. Darüber hinaus bezieht sich WOM auf die Art der Kommunikation und den Kommunikationskanal wohingegen CGM auf die Inhalte der Kommunikation abhebt. Des Weiteren wird mit WOM die Kommunikation zwischen Konsumenten und nicht die Partizipation des Konsumenten an der Erstellung der unternehmerischen Marketing-Kommunikationsangebote fokussiert (vgl. Kap. B II 2.6). Im engeren Sinne kommt die PMK, ideell in der Tradition der eingangs erwähnten Chesterfield-Kampagne stehend, im Rahmen eines „Open Source Marketings“ (Cherkoff 2005: 5) oder „Reverse Marketings“ (Kotler et al. 2002: 67) als ConsumerGenerated Advertising (CGA) zum Ausdruck. Synonyme Begriffe sind hier Open Source Branding (Garfield 2005: 17), User-Generated Branding (Arnhold 2010: 331), self-generated advertising (Shimp et al. 2007: 453), Engagement Marketing oder Vigilante Marketing, worunter „unpaid advertising and marketing efforts, including oneto-one, one-to-many, and many-to-many commercially oriented communications, undertaken by brand loyalists on behalf of the brand“ verstanden werden (Muniz/ Schau 2007: 35). Vergleichbar definiert Arnhold (2010: 127) User-Generated Branding (UGB) als das „… strategic and operative management of brand related UserGenerated Content (UGC) to achieve brand goals“. Sie geht dabei von einem UGCVerständnis aus, welches an das der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) anknüpft. Damit wird betont, dass UGC öffentlich zugänglich ist, seine Erstellung freiwillig und mit kreativem Aufwand verbunden ist und er nicht von Marketing- und Branding-Spezialisten produziert wird (vgl. ebd.: 28 f., 127). Die Ziele, die Unternehmen mit dem Einsatz von UGB verfolgen, liegen in den Bereichen angewandte Marktforschung, Kommerzialiserung von Inhalten, Kundenbindung und unternehmensinternes Branding (vgl. ebd.: 132 f.). Zu unterscheiden ist diese unmittelbar unternehmensinitiierte (sponsored) Form des CGA, die meist promotional in Form eines Wettbewerbs (contest) umgesetzt wird,
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von der nicht unmittelbar unternehmensinitiierten (non-sponsored) Form, bei der ein Kommunikationsmittel, meistens in Form eines Spots, ohne ausdrückliche Aufforderung des Unternehmens durch einen Kunden, der als Marken-Fan bezeichnet werden kann, produziert und im Internet veröffentlicht wird (vgl. Bishop 2007: 2 f.). Bekanntes Beispiel ist der Apple-iPod-Touch-Spot von Nick Haley, der von der Apple-Agentur TBWA/Chiat/Day 2007 auf youtube.com entdeckt, professionell nachproduziert und im TV ausgestrahlt wurde. Beispiel unmittelbar unternehmensinitiierter CGA
2017 hat das Unternehmen Beiersdorf für die Deomarke 8x4 die CGA-Influencerkampagne „Spray and Play Challenge“ realisiert. Von Beiersdorf beauftragte Influencer animierten ihre Follower, die Zielgruppe der 14- bis- 18-jährigen Mädchen, 15-sekündige Videos passend zu den Mottos der fünf unterschiedlichen Deos der limitierten DeoEdition zu gestalten und auf Musically unter #SprayAndPlayChallenge zu posten.
Zu ergänzen sind noch die mittlerweile entstandenen CGA-Marktplätze, die eine Mittlerrolle zwischen Unternehmen und den Kommunikationsmittel produzierenden Konsumenten einnehmen (z. B. zooppa.com). Die Markengemeinschaften verbinden die beiden Ansätze der unternehmens- wie der nicht unternehmensinitiierten PMK und werden aufgrund dieser Besonderheit im folgenden Kapitel noch ausführlicher behandelt. Sowohl an die unmittelbar unternehmensinitiierten als auch an die nicht unmittelbar unternehmensinitiierten Handlungen können sich WOM und damit virale Kommunikationseffekte anschließen, also viele und vom Unternehmen unkontrollierbare Anschlusskommunikationen. Die folgende Systematik gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Formen der PMK (Abb. 123). Es stellt sich die Frage, wieso Konsumenten überhaupt dazu kommen, ein Kommunikationsmittel für ein Unternehmen zu kreieren. Pierre Berthon et al. (2008) haben in einer Studie drei Motivationsdimensionen identifiziert, die miteinander kombiniert den Konsumenten zu kreativen CGA-Handlungen veranlassen (ebd.: 10): •
Intrinsische Freude („Intrinsic Enjoyment“) Konsumenten kreieren der Kreation wegen ein Marketing-Kommunikationsangebot. Der Kreationsprozess selbst verleiht die Motivation. Was mit dem geschaffenen Kommunikationsmittel geschieht und was für einen Effekt es hat, ist sekundär. • Werbung für die eigene Person („Self-promotion“) Konsumenten kreieren Kommunikationsmittel für Unternehmen mit dem spezifischen Ziel der Bewerbung der eigenen Person. Beispielsweise zielen sie darauf, die Aufmerksamkeit potenzieller Arbeitgeber, seien es Werbeagenturen oder deren Kunden, zu gewinnen.
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B II
unmittelbar unternehmensinitiierte PMK
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nicht unmittelbar unternehmensinitiierte PMK
Consumer Generated Media/CGM
Reverse Marketing
(User Generated Content/UGC, User Created Content/UCC)
(Open Source Marketing)
Consumer Generated Advertising/ CGA (Open Source Branding, User Generated Branding, SelfGenerated Advertising, Engagement Marketing, Vigilante Marketing)
non-sponsored CGA
sponsored CGA
CGA-Marktplätze Markengemeinschaft (brand community)
Virale Kommunikationseffekte
Abb. 123 Systematik der Formen der expliziten PMK (eigene Darstellung)
• Veränderung bewirken („Change Perceptions“) Diese Motivationsdimension steht für die Intention, bei einer Zielgruppe mit dem geschaffenen Kommunikationsangebot etwas zu bewirken. Der Wunsch, Personen zu beeinflussen, steht im Mittelpunkt. Wie bei der „Werbung für die eigene Person“ ist auch hier das Engagement vom Konsumenten für ein Unternehmen mit der Funktion verbunden, persönliche Ziele zu erreichen. Die Motivation für CGA seitens des Konsumenten ist also keinesfalls nur intrinsisch, sondern weist instrumentelle Züge auf, die darauf hindeuten, dass sich der Konsument einen Vorteil aus seinem Engagement verspricht. Diese Erkenntnis entkräftet einen Standpunkt, der im Zusammenhang mit CGA in jüngerer Zeit öfter vertreten wird. Es wird kritisch angemerkt, dass Konsumenten „as value-enhancing laborers in a commercial media system“ (Andrejevic 2008, zit. n. Duffy 2010: 27) kostenlos ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen oder Konsumenten, die CGA-aktiv sind, sogar als „exploited consumers whose labor is expropriated under the logic of marketing“ (Zwick et al. 2008, zit. n. Duffy 2010: 27) angesehen werden. Wahrscheinlich ist es angebracht, die motivationalen Dimensionen, die dem CGA-Handeln des Konsumenten zugrunde liegen, mit den Effizienzvorteilen, die Unternehmen aus der Konsumentenpartizipation ziehen, in einem interaktionalen CGA-Ansatz zu verbinden, der eine Win-win-Situation aller Beteiligten zum Ergebnis hat.
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2.2.6 Markengemeinschaften Zur Erhöhung der Vergesellschaftungskraft der Marke und damit zur Steigerung ihrer Stärke muss sich das Management der Marketing-Kommunikation im Bereich der Consumer-to-Consumer-Kommunikation (C2C-Kommunikation) (vgl. Belz/Bieger 2004: 388) mit Fragen der Sozialsystembildung, des Sozialsystemerhalts und der Spezifik von Systemkulturen befassen. Dadurch rückt das von Muniz und O’Guinn in die Diskussion eingeführte Konzept der Markengemeinschaft (brand community) in den Fokus der Markenführung: „A brand community is a specialized, non-geographically bound community, based on a structured set of social relationships among admires of a brand. It is specialized because at its center is a branded good or service. Like other communities, it is marked by shared consciousness, rituals and traditions, and a sense of moral responsibility. Each of these qualities is, however, situated within a commercial and mass-mediated ethos, and has its own particular expression. Brand communities are participants in the brand’s larger social construction and play a vital role in the brand’s ultimate legacy.“ (Muniz/O’Guinn 2001: 412)
Konsumenten partizipieren über ihre Mitgliedschaft in einer Markengemeinschaft erheblich an der Markenführung. Dazu sind ein paar theoretische Ausführungen notwendig. Die Bildung von Markengemeinschaften geht mit Sinngebungsprozessen einher, die auf dem sozialsystemspezifischen Common Ground fußen (vgl. Kap. A 1.3.2.1). Dieser beinhaltet Erfahrungen betreffend den Markengebrauch und die in der Gemeinschaft geltenden Normen, Werte und Rollenerwartungen wie auch das Wissen über Rituale und Traditionen, die die Geschichte der Gemeinschaft aufrechterhalten. Er liefert der Gemeinschaft ihre Identität und besitzt dank des Mechanismus der sozialen Reflexivität (A erwartet, dass B erwartet) in der Gemeinschaft intersubjektive Geltung. Damit kommt ihm für die Konstitution der Markengemeinschaft eine herausragende Bedeutung zu. Einerseits wird er durch die Handlungen und Kommunikationen der Mitglieder überhaupt erst ausgebildet und andererseits orientiert es diese gleichzeitig in einer sozial verbindlichen und die Ausführung anleitenden Weise. Damit hat der Common Ground auch eine Immunisierungsfunktion inne. Er schließt das Sozialsystem gegen eine intendierte Steuerung aus der Umwelt weitestgehend ab, da er dem System Selbstreferenz in seinen Sinngebungsprozessen ermöglicht. Dadurch ist dieses gegenüber seiner Umwelt autonomisiert, also äußerst selbstbestimmt. Die Operationalisierung dieses kollektiv geteilten Erfahrungsfundus mit seinen Ritualen und Traditionen, also seine semantische Interpretation und damit seine kommunikative Erlebbarkeit im Sozialsystem, werden durch die Kultur der Markengemeinschaft, kurz: durch die Markenkultur sichergestellt. Markenkultur kann da-
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bei in Anlehnung an die Konzeption von Unternehmenskultur gemäß Siegfried J. Schmidt (2004: 118) als ein Programm aufgefasst werden, das Lösungen dafür liefert, wie die Markengemeinschaft das letztendliche Ziel aller Markengemeinschaften, nämlich der Markenbewunderung kollektiv Ausdruck zu verleihen, erreichen kann. Wie geht sie dabei mit ihrer Umwelt, zum Beispiel mit Wettbewerbsmarken, um ? Welches Menschenbild wird in der Markengemeinschaft vertreten, ist sie also grundsätzlich offen für jeden Typ oder gibt es Restriktionen soziodemografischer (z. B. Alter, Geschlecht) oder psychografischer Art (z. B. Einstellungen) ? Welche Organisationsstruktur ist in der Gemeinschaft wirksam: Gibt es starke oder flache Hierarchien, gibt es Top-down- und/oder Bottom-up-Procedures und was für ein Kommunikations- und Entscheidungsstil resultiert hieraus ? Wie wird den Gefühlen, die für die Marke ausgeprägt sind, in der Gemeinschaft Ausdruck verliehen ? Und schließlich: Welche moralischen Orientierungen sind unter welchen Bedingungen auch in Krisensituationen in der Markengemeinschaft verbindlich ? Wie selbstverständlich ist es also, beispielsweise Mitgliedern der Gemeinschaft bei Schwierigkeiten im Markengebrauch Hilfe zu geben ? Die Antworten auf diese Fragen fallen von Markengemeinschaft zu Markengemeinschaft unterschiedlich aus und machen – gleichgültig ob ausdrücklich festgehalten oder im Unterbewusstsein bei den Mitgliedern vorhanden – die Spezifik der jeweiligen Markenkultur aus. Unabhängig von der spezifischen Ausgestaltung unterschiedlicher Markenkulturen in diesen fünf Dimensionen (Umwelt, Menschenbild, Organisationsform, Gefühle und moralische Orientierungen) konnten in einer neueren Studie neun Faktoren identifiziert werden, anhand deren Ausprägungen übergreifend die Qualität einer Markengemeinschaft und ihrer Kultur ausgemacht werden kann (vgl. Loewenfeld 2006: 281 f.): • gegenseitige Unterstützung der Mitglieder bei Problemen, • Interaktion zwischen der Marke und den Mitgliedern, • Interesse an der Marke, • Identifikation mit der Marke, • Erfüllung der Bedürfnisse der Mitglieder durch die Marke, • Gemeinsamkeiten der Interessen zwischen den Mitgliedern, • Wir-Gefühl im Sinne einer sozialen Identität, • Freundschaften zwischen Mitgliedern, • Einflussnahme auf die Gestaltung der Gemeinschaft. Die Vorteile und Chancen, die Markengemeinschaften für das Markenmanagement bergen, sind beeindruckend (vgl. Schögel et al. 2005: 3): •
Die Bindung der Mitglieder an die Marke wird durch die Community-Zugehörigkeit gestärkt. Die in Interaktionen erlebte Loyalität der Mitglieder wirkt wechsel-
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seitig bindungsverstärkend auf den Einzelnen. Für das Marketing-Kommunikationsmanagement resultiert die Chance, dass es dauerhafte Vertrauensbeziehungen zu diesen Kunden aufbauen kann. • Die Markengemeinschaft intensiviert das Markennutzungserlebnis. Das Erleben der Markennutzung durch den Einzelnen erfolgt selbstverstärkend durch das Wissen, dass Gleichgesinnte, mit denen ein Interaktionsverhältnis besteht, die Marke ebenfalls nutzen. Das Markenerlebnis wird durch gemeinsame Aktivitäten, die den Charakter von Ritualen und Traditionen annehmen können, in eine unmittelbare soziale Wirklichkeit eingebettet. Ein bekanntes Beispiel ist der erstmals 1979 ausgetragene „Posse Ride“ des Harley Owners Club (HOC). • Markengemeinschaften agieren als Botschaften. Als loyaler Kunde empfiehlt das Mitglied die Marke weiter und akquiriert für die Gemeinschaft neue Mitglieder. Die hohe Effektivität dieses WOM beruht auf der hohen Glaubwürdigkeit, dem hohen erzielbaren Involvement sowie dem Expertenstatus, der dem Mitglied zugeschrieben wird. • Markengemeinschaften liefern wertvolle Consumer Insights. Aus der Interaktion mit der Markengemeinschaft kann das Markenmanagement wichtige Erkenntnisse für die Weiterentwicklung des Produktes, der Dienstleistung oder der Marke gewinnen und die Gemeinschaft explizit an der Markenführung partizipieren lassen. Dies befruchtet die Markenführung nachhaltig, da sie Ideen und Verbesserungsmöglichkeiten gemäß den hoch authentischen Wünschen und Bedürfnissen der Kunden berücksichtigen kann. Die sich geradezu aufdrängende Frage lautet, warum sich ein derart effektives und effizientes Instrument der partizipativen Markenführung nicht längst zum Leitinstrument der beziehungsorientierten Marketing-Kommunikation entwickelt hat. Die Frage kann zusammenfassend dahin gehend beantwortet werden, dass die instrumentelle Sichtweise auf Markengemeinschaften das Marketing-Kommunikationsmanagement in eine paradoxe Situation manövriert. Einerseits müssen gemäß einem instrumentellen, plandeterminierten Management Ziele und Maßnahmen zur Zielerreichung definiert werden. Andererseits schließt die Autonomisierung der Markengemeinschaft ihre intendierte Steuerbarkeit und Instrumentalisierung durch das Management aus, was im Ergebnis darauf hinausläuft, dass sich dieses mit den Möglichkeiten der Planung des Unplanbaren befassen muss (vgl. Tropp 2004: 146). Dementsprechend bezeichnen Fournier et al. (2005: 18) den Begriff „brand community management“ als ein Oxymoron. Marketing-Kommunikationsmanager finden sich daher in der für sie hoch riskanten Situation wieder, dass sie die Ausrichtung der Markengemeinschaft der Selbstorganisation der Gemeinschaft überlassen müssen. Dies wird beispielsweise von dem Unternehmen Apple konsequent befolgt: „User groups are independent organizations run by local volunteer Apple enthusiasts. Apple promotes and supports user groups, but the company does not own, manage, or di-
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rect them. They are not organized into a formal hierarchy; each operates independently.“ (https://appleusergroupresources.com/questions-and-answers-about-user-groups/; Zugriff: 20. 11. 2018)
Ähnlich haben auch Albert Muniz und Thomas O’Guinn (2001: 414) bereits in ihrer Studie darauf hingewiesen, dass Markengemeinschaften eine aktive interpretative Funktion übernehmen, indem die Bedeutung einer Marke in der Gemeinschaft sozial verhandelt und nicht von außen unverändert und gemäß der Intention des Markenmanagements übernommen wird. Interaktionsorientierte Marken werden daher, so ist zu folgern, mit einem anderen Markenverständnis geführt. Die Marke wird weniger als eine gedankliche Entität im Sinne einer transportierbaren Information gesehen, weniger als eine hoheitliche Markierung von Produkten oder Dienstleistungen, weniger als eine Anordnung von Merkmalen in der Tradition von Mellerowicz (1963: 39) und auch weniger als ein Instrument zur Erreichung von definierten Zielen. Um die unplanbare Planung von Markengemeinschaften in den Griff zu bekommen, wird sie und muss sie eher verstanden werden als ein symbolisches Wissen, das aus einem Prozess kontinuierlicher Sinngebung durch und für die verschiedenen Marktteilnehmer (Unternehmen und ihre Anspruchsgruppen) resultiert, der für diese vergesellschaftend wirkt. Daraus kann gefolgert werden, dass sich Markengemeinschaften grundsätzlich um jede Marke bilden können. Gleichwohl sind Marken im Vorteil, die ein höheres Vergesellschaftungspotenzial aufweisen, da sie ein starkes Image und eine lange Historie haben sowie in der Regel in einem scharfen Wettbewerb stehen. Auch interaktionsorientierte Marken aus Produktkategorien, die der sozialen Distinktion dienen und öffentlich oder unter Wahrnehmung Dritter im privaten Kreis genutzt werden (Kleidung, Autos, Schmuck, Geschirr, Möbel etc.), haben eine größere Chance auf die Entwicklung von Markengemeinschaften (vgl. Muniz/O’Guinn 2001: 415; s. auch Loewenfeld 2006: 281).
2.2.7 Management von CGA und Markengemeinschaften Welche Maßnahmen resultieren für das Management der Marketing-Kommunikation aus dem Umstand der unplanbaren Planung von Markengemeinschaften ? Zunächst ist offensichtlich, dass trivialerweise die sorgsam entwickelte implizite und/ oder explizite Partizipation der Kunden an der Marketing-Kommunikation die Voraussetzung für den Aufbau und Erhalt einer Markengemeinschaft ist. Dabei müssen zwei Zugänge unterschieden werden: In einem eher taktisch-promotionalen CGA-Ansatz werden punktuell Medialisierungseffekte genutzt. Das Potenzial der Effekte wird dabei nicht immer voll ausgeschöpft. Die explizite Partizipation des Konsumenten/Kunden erfolgt teilweise nur unter stark eingeschränkten Bedingungen. Als Beispiele können nach Partizipationsausmaß sortiert (in aufsteigender Reihenfolge) genannt werden:
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•
die CGA-Promotion von Mastercard „Create your own Priceless Ad“ aus dem Jahr 2006, bei der Konsumenten auf priceless.com unter zwei Spots auswählen konnten und in vorgegebenen Lücken ihren Textvorschlag für einzelne Szenen schreiben konnten. Eine Jury ermittelte unternehmensintern den Gewinner und der Spot wurde im TV ausgestrahlt. • die CGA-Promotion von Chevrolet „Make your own Chevy Tahoe Commercial“ aus dem Jahr 2006. Zum Launch des neuen Geländewagens Tahoe wurde auf chevyapprentice.com ein Spot-Baukasten mit frei kombinierbaren Film- und Musiksequenzen bereitgestellt, die um einen individuellen Text ergänzt werden konnten. Die kreierten Spots wurden auf der WWW-Site präsentiert. Die Promotion erzeugte ein hohes Maß an viralen Effekten. Dies aber besonders aufgrund von einigen sehr negativen aufmerksamkeitserregenden Spots (hoher Benzinverbrauch, schlechte Qualität) (vgl. Karig 2007: 14). • die CGA-Promotion von Converse „conversegallery.com“ aus dem Jahre 2004. Converse forderte Konsumenten auf, einen Spot zu erstellen, wobei ihnen lediglich ein kurzes Briefing ohne jegliche Restriktionen gegeben wurde: „Converse stands for originality, creativity and self-expression, so make a film that does the same“ (Jeffers 2005). Die über 1300 eingereichten Spots wurden auf der WWWSite conversegallery.com präsentiert. Zudem wurden ausgewählte Spots im TV geschaltet, deren Urheber erhielten jeweils 10 000 US-Dollar. Außer auf das explizite Partizipationsausmaß, das der Konsument bei der Erstellung hat, kann die Markenführung auch auf das Ausmaß der Öffentlichkeit der Präsentation der partizipativ entwickelten Kommunikationsangebote reglementierend einwirken. So kann es auf der einen Seite selektiv nur einige von einer internen Jury ausgewählte Einreichungen monomedial auf der unternehmenseigenen WWW-Site veröffentlichen oder auf der anderen Seite eine crossmediale Publikation mit dem Ziel größtmöglicher Reichweite vornehmen. Letzteres war bei der oben erwähnten CGA-Kampagne der Zigarettenmarke Chesterfield der Fall oder bei der des Chipsherstellers Doritos mit seiner CGA-Promotion „Crash the Superbowl“ im Zeitraum 2006/2007. Nicht nur das Briefing war hier, ähnlich wie bei der Converse CGAPromotion, sehr offen gehalten: „Maybe it’s a story about eating your first Doritos chips or what life is like for the spices on the surface of the chip. Anything. Make the video you’d be excited to see if you were watching TV. Make it yours“ (zit. nach Morrissey 2006). Alle eingereichten Spots wurden auf crashthesuperbowl.com veröffentlicht und konnten mit anderen WWW-Sites verlinkt werden. Aus fünf von einer unternehmensinternen Jury ermittelten Finalisten wählten die Konsumenten anschließend den Gewinner-Spot aus, der im Rahmen der Superbowl 2007 gesendet wurde. Einen vergleichbar öffentlichkeitsstarken Weg hat auch McDonald’s mit seiner Promotion „Mein Burger“ im Jahre 2011 eingeschlagen. In die Promotion wurden produktpolitische Maßnahmen integriert, indem im Rahmen eines Open Source Marketings die Entwicklung von Produkten partizipativ mit Konsumenten
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erfolgte. Anschließend konnten die Gewinner im TV ihre selbst geschaffenen Burger präsentieren. Von diesem eher taktisch-promotionalen Ansatz kann der eher strategisch-systemische Ansatz der expliziten PMK unterschieden werden. In seiner konsequentesten Umsetzungsform wird die Marke (= Marke A) in ihrer Interpretation dem Common Ground und der Kultur einer Markengemeinschaft überlassen (= Marke a), und mit dieser wird ein Interaktionsverhältnis gepflegt, das die Autonomie der Gemeinschaft respektiert (s. Abb. 124). Das Potenzial der Medialisierungseffekte wird in der Regel voll ausgeschöpft, wobei deren zielgerichteter Einsatz zur Initiierung und Aufrechterhaltung von Vergesellschaftungsprozessen im Vordergrund steht. Beispiele für diese Form der strategisch-systemischen Ausrichtung der expliziten PMK interaktionsorientierter Marken sind: •
das Unternehmen Mozilla Europe, das die Entwicklung des Open-Source-Browsers Firefox gemeinsam mit Internet-Usern durchgeführt und diesen mit der mittlerweile entstandenen „Mozilla Community“ weiterentwickelt hat. Im Jahre 2005 wurde konsequenterweise auch im Rahmen einer CGA-Promotion der Spot „Daredevil“ zur Bewerbung des Browsers entwickelt.
Abb. 124 Taktisch-promotionale und strategisch-systemische Ausrichtung der expliziten PMK interaktionsorientierter Marken (eigene Darstellung)
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•
Procter & Gamble, das mit seinem „connect + develop“-Programm eine ausdrücklich kommerziell ausgerichtete Partnerschaft mit Konsumenten sucht: „It’s our version of open innovation: the practice of tapping externally developed intellectual property to accelerate internal innovation and sharing our internally developed assets and know-how to help others outside the Company.“ (Procter & Gamble 2018). Der Aufbau einer Markengemeinschaft steht hier nicht im Mittelpunkt. Stattdessen wird hier eine Vergesellschaftung von Unternehmen und Konsumenten angestrebt. Dies ist anders im Fall der Vocalpoint-Plattform von Procter & Gamble (www.vocalpoint.com), die sich an Mütter richtet, oder der deutschsprachigen „For Me“-Plattform (for-me-online.de) dieses KonsumgüterKonzerns, die als ein allgemeines Frauenportal konzipiert ist und monatlich rund 1,6 Mio. Besucher verzeichnet (vgl. Reidel 2010: 13). Beide Plattformen bieten den Besuchern vielfältige Anlässe zur Interaktion untereinander und mit dem Unternehmen. • das Modelabel Ecko Unlimited, dessen Gründer Marc Ecko unter der Vision „Freiheit“ mehrere Sublabels gründete, die sich zu jugendkulturell unterschiedlich ausgerichteten Communitys (Zoo York, Cut & Sew, G-United) entwickelten. Ecko gab den Anstoß zu den Community-Gründungen, indem er gezielt auf ein Common-Ground-Potenzial setzte. Dieses fand er in den Werten der gelebten Freiheit, der bewussten Lebenseinstellung und einer klaren Haltung, die seiner Einschätzung nach für seine Zielgruppe der nachwachsenden Generation eine herausragende Bedeutung haben (vgl. Baumgartner 2007: 36 f). Ecko unterbreitete Kommunikationsangebote auf CGM-Plattformen im Internet und in Social Media (z. B. youtube.com) und auf einer eigenen Website (stillfree.com), die diese Werte thematisieren, ohne irgendeine Art der Produktpräsentation zu integrieren. Er setzte damit in der Phase der Gründung der Gemeinschaften weniger auf eine explizite Partizipation des Konsumenten, als dass er sie vielmehr auf einer ideellen Ebene „vollkommen in die Marke eingebettet“ (Ecko o. J., zit n. Baumgartner 2007: 36) hat. Zur Frage, ob aus kundenpartizipativen Marketing-Kommunikationen, die mit dem taktisch-promotionalen Ansatz bewirkt werden, eine Markengemeinschaft emergieren kann, liegen bislang keine Erkenntnisse vor. Das Fazit, das Erick Soderstrom, Director of Global Brand Development bei Converse, aus der oben erwähnten CGAPromotion zieht, deutet aber zumindest darauf hin, dass der Erfolg der Promotion mit dem Zusammenhang zwischen der Vergesellschaftungskraft der Marke und ihrer Stärke begründet wird: „This campaign was intended to engage our consumers on being part of the Converse family. It’s obviously built brand awareness and built brand equity“ (Soderstrom o. J., zit. n. Jeffers 2005).
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Auch scheint es plausibel, davon auszugehen, dass sich mit Zunahme des expliziten Partizipationsausmaßes des Konsumenten und der nicht restriktiven Kommunikation der partizipativ erstellten Dinge (i. w. S.) die Chancen auf Markengemeinschaftsbildung erhöhen. Dem Kriterium der für ein Sozialsystem überlebensnotwendigen Autonomisierung wird damit bereits von vornherein Rechnung getragen und es werden keine Signale in Richtung Steuerung und Instrumentalisierung in den Markt gesendet. Hat sich eine Markengemeinschaft konstituiert, gilt es, diese in ihrer Selbstorganisation und selbst gesteuerten Entwicklung zu unterstützen. Schögel et al. (2005: 4) sprechen in diesem Zusammenhang von „enabling“, Raabe (2011: 33) nennt es in Anschluß an Egli/Gremaud (2008) „Societing statt Marketing“. Gemeint ist, dass kein aktiver Einfluss im Sinne eines Community-Managements erfolgen soll, sondern vielmehr sichergestellt wird, dass die energetische Versorgung der Gemeinschaft gesichert ist. Dazu können das Zurverfügungstellen von aktuellsten Informationen zu Produkt und Marke oder von Prototypen, extra geschaffene Services und Ansprechpartner im Unternehmen für die Community, die Unterstützung bei Treffen der Gemeinschaft etc. zählen. Die Unplanbarkeit der Planung von Markengemeinschaften bleibt freilich bestehen, womit das Management der Marketing-Kommunikation in den Unternehmen und Agenturen – unabhängig davon, ob es an die Unterscheidung einer Konsumenten- versus Prosumenten-Philosophie in der Markenführung glaubt oder nicht – noch stärker als bisher von dem wahren Wesen der Kommunikation herausgefordert wird: von ihrer grundsätzlichen Unzuverlässigkeit und Unbestimmtheit, die es zu zähmen gilt.
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Utility Marketing (UM) – situativ nützlich sein
2.3.1 Kommunikationsqualitative Zielsetzung und Definition des UM Der Output der modernen Kommunikationsdisziplin Utility Marketing (UM) zielt vorrangig auf die werbereaktanzlose Aufmerksamkeitsgewinnung, kombiniert mit Rezeptionsrelevanz. Dazu kommt grundsätzlich jegliches Angebot in Betracht, das für die Zielperson von Nutzen sein könnte. Nutzen beziehungsweise Nützlichkeit spielen traditionell in der Werbeforschung eine bedeutende Rolle. So steuert das Bedürfnis nach Nützlichkeit in entscheidendem Maße, wie Marketing-Kommunikationsangebote rezipiert und verarbeitet werden (vgl. MacInnis/Jaworski (1989: 2 f.). Des Weiteren hat sich in der Werbeforschung auch zur Definition von Kreativität neben der Dimension der Neuigkeit die der Nützlichkeit als plausibel erwiesen (vgl. Sheinin et al. 2011: 6). Ebenso kommt dem Nutzenkonstrukt in der Kommunikationswissenschaft eine zentrale Bedeutung zu. Der
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Rezipient – und damit auch der Konsument – wird im Rahmen des Uses-and-Gratification-Ansatzes als ein aktives, handelndes Individuum konzipiert, das Medienangebote hinsichtlich der Befriedigung von Nutzungsbedürfnissen auswählt (s. Kap. B III 2.6). Die Karriere des UM kann als eine Konsequenz der Marketing-Kommunikationsverantwortlichen aus der oftmals stattgefundenen Abkopplung der bunten Eigenwelten der Marken von ihrem Nutzen für den Alltag der Konsumenten sowie aus der Flut an täglichen Werbebotschaften (Schätzungen liegen zwischen 3 000 und 10 000 pro Tag) betrachtet werden. Die eingangs des Kapitels B II 2 skiziierten resultierenden Entwicklungen der Werbereaktanz, Werbemüdigkeit oder Werbeverweigerung fördern Überlegungen, Marken als allgemeine Nutzenplattformen für den Alltag der Menschen zu schaffen, die Nutzenerlebnisse bieten, welche weitestgehend abgekoppelt von dem Nutzen sind, der sich aus der Verwendung oder dem Gebrauch eines Produkts ergibt. Denn neben die Phase des Überangebots an funktional gleichen Produkten, die in der Konsequenz mit einem differenzierenden Zusatznutzen ausgestattet werden mussten, ist nun die Phase des Überangebots an Produktkommunikation eingetreten, die dazu führt, dass die Kommunikation selbst einen Nutzen bieten muss, unabhängig von dem Nutzen des Vermarktungsgegestand. Folglich werden Marken neben ihren klassischen zentralen Basis- und Zusatznutzen (s. Kap. B 2.5) mit einer weiteren Nutzendimension ausgestattet, die als peripherer Nutzen bezeichnet werden kann und die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Diese periphere Nutzendimension gliedert sich auf in einen gesellschaftlichen Nutzen (s. Kap. 2.4 Corporate-Social-Responsibility-Kommunikation) und einen situativen Nutzen (vgl. Heun 2014: 45). Die Schaffung eines situativen Nutzens der MarketingKommunikation und damit auch der Marke ist die Aufgabe des Utilty Marketings. Bezieht sich das Konzept des Utility Marketings nur auf die Nutzenschaffung in digitalen Medienumgebungen wird auch der Begriff Useful Brand Experience (UBX) genutzt. Der Begriff Utility Marketing geht auf den Gedanken der „Branded Utility“ zurück, wie er 2006 von Benjamin Palmer, Mitgründer und Vorsitzender der Barbarian Group/USA, eingeführt wurde. Er meint damit: „I believe the next stage of brand advertising is going to be in the realm of ‚branded utility‘ … For the same budget and energy as we expend on current forms of advertising, we could be making something more tangible, useful and reusable that plays a more integral part in the consumer’s life“ (Palmer 2006, zit. n. Iezzi 2006: 18). Einige Agenturen befassen sich bereits intensiv mit UM. So fassen Thomas Bernardin, Chairman und CEO von Leo Burnett Worldwide, und Paul Kemp-Robertson, Mitgründer und Herausgeber des Contagious Magazine, den zentralen Gedanken des UM folgendermaßen zusammen: „It is the art of ditching overt marketing messages in favor of services: providing something useful, relevant, or entertaining that embeds itself much deeper into everyday life than a 30-second commercial ever could“ (Bernardin/Kemp-Robertson 2008: 132, Hervorh. i. Orig.). Vergleichbar erklärt die Agentur MRM Worldwide Relevanz zu
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einem ihrer grundlegenden Arbeitsprinizipien: „Be relevant: content and functionality are key“ (vgl. MRM 2012). ▶ Definition Utility Marketing (UM) ist eine Marketing-Kommunikationsdisziplin, die MarketingKommunikationsangebote in lebensweltliche Situationen und Handlungen von Zielpersonen einpasst und mit einem situativen Nutzen versieht.
UM orientiert sich demnach also vorwiegend an Consumer Insights über die beiden
elementaren Marketing-Kommunikationskontexte der Rezeptionssituation und der Lebenswelt von Zielpersonen. Zur Entwicklung von Utility Marketing-Kampagnen, besonders im Bereich der Branded Services, dient das Utility-Strategieformat (s. Kap. B I 2.5.2).
2.3.2 Entwicklung des UM Ursprung des UM ist die bis heute im Kern nahezu unverändert gebliebene Idee, werbliche Botschaften mit anderen nicht-werblichen Medienangeboten zu verschmelzen, um ein integratives Angebot zu schaffen, das die Bedürfnisse der Konsumenten in ihrer Rolle als Mediennutzer befriedigt, somit Nutzen stiftet und werthaltig ist. Das Unternehmen Procter & Gamble gilt als Pionier dieser Kommunikationsform. Den ersten Versuch unternahm der Konzern 1923, als zur Vermarktung seines Produktes Ivory Soap ein Familiendrama mittels eines Comicstrips erzählt wurde. Diese Verbindung zwischen einer erzählten Geschichte und dem darin eingewobenen Produkt erwies sich als so erfolgreich, dass Procter & Gamble diese Idee in Form des aufkommenden Genres der Radio Serials fortsetzte (vgl. Schmalz 2012: 45). Die erste durch Procter & Gamble initiierte Radio Soap Opera, „Oxydol’s own Ma Baker“, wurde am 9. Dezember 1933 auf Red Network von NBC erstausgestrahlt. Nach dem Erfolg dieses Programms ließ Procter & Gamble für alle seine Produkte solche Serien produzieren, was dazu führte, dass bis zum Jahr 1939 22 verschiedene Serien für den Konzern produziert wurden. Ende der 1930er Jahre war ein Großteil der im Radio laufenden Serials werblicher Art, sogenannte Selling-Dramas (vgl. Donaton 2004: 45, Schmalz 2012: 45, Tsvetkova 2007: 38): „Fully 55 % of the programs on radio were not only paid for by advertisers, but created by advertisers and ad agencies“ (Turner 2004, zit. n. Schmalz 2012: 45). Nicht nur im Radio, sondern auch im Film etablierte sich seit frühesten Tagen diese Verschmelzung. Zum Beispiel hatte der amerikanische Automobilhersteller Buick einen 10-picture-Deal mit Warner Brothers ausgehandelt, der dem Autobauer Präsenz in den Filmen der Gesellschaft zusicherte (vgl. Hudson/Hudson 2006: 490). Auch im deutschen Film hielten die Produkte bekannter Markenhersteller bereits in den dreißiger Jahren Einzug. Bekannte Modedesigner achteten darauf, dass die UFA-
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Stars ihre Entwürfe beim Dreh trugen. Des Weiteren platzierte die Automobilindustrie ihre Wagen durch rabattierten Verkauf an die Stars, die den Wagen nicht nur privat, sondern auch beruflich vor der Kamera verwenden sollten (vgl. Auer/Diedrichs 1993: 15). Mit dem Aufkommen und der Verbreitung des Fernsehens Anfang der 1950er Jahre in den USA wurde die Praxis der Vermischung von Unterhaltung und werblicher Botschaft auf das neue Medium übertragen. So wurden Fernsehsendungen nicht selten von Marken gesponsert und auch nach ihnen benannt, wie die „Colgate Comedy Hour“ oder das „Kraft Television Theater“ (vgl. Hudson/Hudson 2006: 490). Auch im Medium Fernsehen wurde die Daily Soap als Mittel der werblichen Unterhaltung eingesetzt. So begann Ende 1951/Anfang 1952 unter anderem mit der von Procter & Gamble produzierten Serie „The guiding Light“, die aus dem Radio adaptiert wurde, die Erfolgsära der Daily Soaps im Fernsehen. Der Begriff der Soap Opera kommt nicht von ungefähr. Es war das Sponsoring von US-Fernsehserien durch Procter & Gamble in den 1950er Jahren, das diesem Genre seinen Namen gab (vgl. Hackley/Tiwsakul 2006: 64 f., Schmalz 2012: 47). Das vorläufige Ende dieser Praktiken wurde in den USA 1958 durch einen TV-Skandal eingeleitet. Es wurde bekannt, dass der Kosmetikhersteller Revlon, Sponsor des Telequiz „Die 64 000-Dollar Frage“, die Sendung durch vorherige Ausgabe der Quizfragen an jene Teilnehmer, die sich besonders positiv auf das Zuschauerverhalten und folglich auf die Einschaltquoten auswirkten, manipuliert hatte (vgl. Auer/Diedrichs 1993: 68). Nach diesem Skandal waren die Amerikaner mit dem Programmsponsoring recht zurückhaltend. Erst wieder seit Anfang der 1970er Jahre erfolgten Aktivitäten, die sich aber auf ein schlichtes Einblenden des Sponsors vor und nach der Sendung beschränkten (vgl. ebd.). Nach diesem vorläufigen Ende aggressiver Werbemaßnahmen innerhalb von Unterhaltungsangeboten fand in der Fernseh- und Filmlandschaft für einen längeren Zeitabschnitt die etwas subtilere Art des Product Placement Verbreitung. Product Placement war bis in die späten 1970er Jahre weder eine gut organisierte Disziplin, noch handelte es sich um einen schnell wachsenden Markt. Als gängige Praxis galt das Ausleihen der Produkte an Filmproduktionen; für die Platzierung in den Filmen bezahlten Markenhersteller folglich nichts (vgl. Balasubramanian 1994: 33). Paradebeispiel für Product Placement ist die Filmserie James Bond, in der seit ihrer Premiere im Jahr 1962 die verschiedensten Markenprodukte nicht nur erscheinen, sondern als in den Handlungsstrang integrierte Helfer den Helden aus bedrohlichen Situationen retten. Ganz anders war der Umgang mit der Vermischung von Werbung und Programm in den italienischen und brasilianischen Medien. Mit der Einführung des Privatfernsehens in Italien gewannen auf diesen Kanälen aggressive Maßnahmen bereits in den 1970er Jahren zunehmend an Bedeutung. Auch in Brasilien war der Umgang mit gesponserten Programmen deutlich progressiver. Der Sender „Rede Globo“ produzierte und exportierte sogenannte Telenovelas, in denen der Sponsor die Möglichkeit er-
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hielt, seine Produkte in den Handlungssträngen unterzubringen und diesen auch die entsprechende Beachtung zukommen zu lassen (vgl. ebd.). In den 1980er Jahren änderte sich der Umgang mit Product Placement auf dem amerikanischen Markt und es kam zu einer deutlichen Professionalisierung. Es etablierte sich die Praxis, dass die Unternehmen beträchtliche Summen für die Platzierung ihrer Produkte in den Unterhaltungsangeboten zahlten. Im Austausch dafür erlangten die Sponsoren stufenweise mehr Einfluss auf die Product-Placement-Botschaft (vgl. Balasubramanian 1994: 33). Ausgelöst wurde diese Entwicklung 1982 durch die Platzierung von „Reese’s Pieces“ des Herstellers Hershey’s im Film „E. T.: The Extra-Terrestrial“ (vgl. Hudson/Hudson 2006: 491). Nachdem das Hershey’s-Management bekannt gab, dass der Verkauf der Cracker nach der Platzierung um 65 Prozent gestiegen sei, fand der Gedanke, Marken mit Unterhaltung und Stars zu verbinden, im Marketing-Kommunikationssystem auf breiter Ebene Anklang. Das aggressive Verfolgen dieser Kommunikationsform seitens der Unternehmen und ihrer Agenturen führte dazu, dass Marken bald wieder integraler Bestandteil der verschiedensten medialen Unterhaltungsangebote waren, sei es in Filmen, im Fernsehen, in Romanen, auf Musik-CDs und in Musik-Videos, in Computerspielen und sogar in Liveshows wie Broadway-Musicals (vgl. Balasubramanian et al. 2006: 116). Zeitgleich wurden auf dem brasilianischen Markt die Drehbücher bereits nicht mehr auf Passgenauigkeit für die Placements abgesucht, sie wurden vielmehr gleich im Auftrag der Industrie um das Produkt herum entworfen. Auch im italienischen Fernsehen war Ende der 1980er Jahre die Präsenz von Markenherstellern signifikant. „Keine Show, kein Fernsehereignis, in denen sich die Produkte des jeweiligen Finanziers der Sendung nicht ausbreiteten“, resümieren Manfred Auer und Frank Diedrichs (1993: 66). So zum Beispiel in der Dixan-Lotterie. Überall auf der Bühne standen die Pakete des von Henkel hergestellten Waschmittels, über der Bühne befand sich die Leuchtschrift „Dixan“, es gab Ballettmädchen, die in ihren Dixan-Hemden „nach der Linienführung der fünf Buchstaben“ (ebd.: 67) tanzten und dazu Loblieder auf das Produkt sangen. Im Mittelpunkt der Sendung befand sich die Dixan-Lotterie, an der man nur mit einer Teilnahmekarte, distribuiert über den Waschmittelkarton, partizipieren konnte. Heute weiß man, dass derart auffällige Placements eher kontraproduktiv in puncto Einstellung zur Marke sind und störend wirken (vgl. Cowley/ Barron 2008, Wirth et al. 2009). Auch in Deutschland hielten mit der Zulassung des Privatfernsehens in den Achtzigern die Techniken des Product Placements und des Programmsponsorings Einzug. Die Intensität der Anwendung war allerdings deutlich geringer als in den oben genannten Ländern. Trotzdem wurden auch in vielen deutschen Produktionen Produkte platziert und sie hielten durch Serien wie das „Traumschiff“ oder „Schöne Ferien“ Einzug ins öffentlich-rechtliche Fernsehen (vgl. Auer/Diedrichs 1993: 15). Die zunehmende Verwendung führte dazu, dass aus dem Otto-Walkes-Film „Otto – der neue Film“ Anfang der 1990er Jahre bei seiner Fernseherstaustrahlung mehr als acht Minuten der Originalfassung entfernt wurden, in denen Produkte zu auffällig prä-
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sentiert wurden. Des Weiteren wurden zahlreiche Produktlogos aus dem Film herausretuschiert (vgl. ebd.: 16). Die rechtliche Grundlage dieses Vorgehens wurde 1990 durch ein Urteil des BGH geschaffen, das Product Placement sowohl bei öffentlichrechtlichen wie auch privaten Fernsehsendern grundsätzlich untersagte. Im Kinobereich wurde das Sponsoring erlaubt, was etwa der Rechtslage in den USA, Großbritannien und Frankreich entsprach. Trotzdem entwickelten sich Placements während der 1980er, 1990er und 2000er Jahre zu einer weitverbreiteten Praxis. So wuchs beispielsweise in den USA die Anzahl der TV-Placements im Jahr 2004 im Vergleich zum Vorjahr um 46 Prozent (vgl. Balasubramanian et al. 2006: 116). In den 2000er Jahren hat sich das Product Placement über das Branded Entertainment hin zum Utility Marketing weiterentwickelt. Der Begriff Branded Entertainment tauchte erstmals 2001 beim Launch der Kurzfilmserie „The Hire“ durch BMW in den USA auf. Starregisseure aus Hollywood setzten im Auftrag von BMW deren Automobile sowie namhafte Schauspieler in Kurzfilmen in Szene. Es entstanden acht Kurzfilme in zwei Staffeln, die kostenlos über das Internet verbreitet wurden. Das Entstehen spezialisierter Dienstleister für Branded Entertainment und Utility Marketing in den 2000er Jahren hat die Entwicklung des Product Placement als Element einer modernen Kommunikationsdisziplin weiter vorangetrieben. Agenturen wie beispielsweise TBWA/Stream, DDB Entertainment, Newcast, Chocolate Blue oder Virtual Identity sind entstanden, deren Tätigkeit auf die griffige Formel „Brand to Media“ (Chocolate Blue 2009) gebracht werden kann. Ebenfalls hat eine Analyse der im Zeitraum 1981 – 2008 in wissenschaftlichen Fachzeitschriften erschienenen Studien zum Thema Product Placement zum Ergebnis, dass über die Hälfte der 57 erschienenen Studien erst seit 2004 veröffentlicht wurden (vgl. Reijmersdal et al. 2009: 439). Damit wird der junge Bedeutungszuwachs von UM in der Praxis auch durch das wissenschaftliche Interesse an diesem Thema reflektiert. In den Niederlanden, so das Ergebnis der Studie von Edith Smit et al. (2009: 777), wird Brand Placement im TV von den Organisationen in der Kommunikationsbranche (Unternehmen, TV-Produktionsfirmen, Sendeanstalten und Kommunikationsagenturen) sogar als die Zukunft der Werbung eingeschätzt, wenngleich Produktionsfirmen und Sendeanstalten etwas zurückhaltender sind. „The industry itself perceives brand placement as the future of advertising, although production companies and broadcasters are rather reserved about allowing sponsors to have too much control over content.“ (ebd.)
Zusammenfassend gesagt geht es um intersystemische Hybridisierung, und zwar derart, dass eine organisatorische und inhaltliche Vermischung vom Marketing-Kommunikations- und Mediensystem stattfindet (vgl. Kap. B 4.1.6). Beispiele sind: •
die 2007 vom Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA mit einem goldenen EFFIE ausgezeichnete VW-Golf-Kampagne „Horst Schlämmer macht Füh-
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rerschein“. Diese Kampagne, die zunächst überhaupt nicht als Marketing-Kommunikation erkennbar gewesen war, setzte rein auf den Unterhaltungseffekt beim Publikum (vgl. Kap. B 5.2.1). Red Bull inszenierte 2006 das Red Bull Air Race in Budapest mit über einer Million Zuschauer, über das der TV-Sender RTL im Rahmen seines Sportprogramms einen 45-minütigen Bericht ausstrahlte (vgl. Wörmann 2006: 14).
Utility Marketing setzt aber mittlerweile in Form von Branded Entertainment nicht mehr nur auf den rezeptionssituativen Nutzen der Unterhaltung des Medienpublikums. Vielmehr werden heute jegliche lebensweltliche Situationen und Handlungen von Zielpersonen daraufhin überprüft, ob sie nicht von der Marke mit irgendeinem einem (weiteren) Nutzen ausgestattet werden können, der zu ihrer Positionierung passt. Das Branded Entertainment hat sich folglich zum Branded Utility weiterentwickelt. Peripherer situativer Nutzen wird nicht mehr nur durch den Unterhaltungswert von Marketing-Kommunikationsangeboten wie im Fall von Branded Entertainment gestiftet, sondern durch die grundsätzliche wahrgenommene Relevanz des medialen Angebots – sei es in Form eines Informationswerts, eines Serviceangebots, sozialer Vernetzung oder monetärer Incentivierung (z B. Weiterempfehlungsprämie) (vgl. Merisavo et al. 2010, Tropp et al. 2016, Tropp et al. 2019). Zusammenfassend geht es darum, die Rezeption von Marketing-Kommunikation mit einem Added Value auszustatten, der das Marketing-Kommunikationsangebot über den kommunizierten Basis- und Zusatznutzen des Marketinggegenstands hinaus aufwertet. Beispiele für Branded Utility
Die damalige Agentur Tribal DDB 2007 hat für das Unternehmen Nike Deutschland die heutige Nike+ Run Club App entwickelt, die als Personal Trainer dient. https://www. nike.com/de/de_de/c/nike-plus/running-app-gps Die Agentur Plan.Net Innovation Studio hat 2016 für BMW Motorrad Deutschland Eye Ride kreiert, eine virtuelle Motorrad-Probefahrt für die Oculus Rift.
Auf dem Zeitstrahl in Abb. 125 sind wichtige Meilensteine in der Entwicklung des UM zusammenfassend dargestellt.
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Abb. 125 Meilensteine in der Entwicklung des UM (eigene Darstellung)
2.3.3 Das Prinzip der intersystemischen Hybridisierung des UM In der Dimesion der Mediennutzung (Kontext der Rezeptionssituation) der Konsumenten basiert UM auf dem Prinzip der intersystemischen Hybridisierung, mit der das Rezeptionsrelevanzdefizit heutiger Werbung umgangen werden soll. Es findet eine organisatorische und inhaltliche Vermischung von Marketing-Kommunikations- und Mediensystem statt. In der Dimension des Alltags der Konsumenten (Kontext der Lebenswelt) findet eine Vermischung von Marketing-Kommunikationssystem und allgemeiner Lebenswelt der Zielpersonen statt. Siva K. Balasubramanian (1994) legte mit seinem Konzept der Hybrid Messages den Grundstein für die Forschung zum Thema Branded Entertainment. Sein Grundgedanke ist es, die Vorteile aus der Werbung und der medialen Öffentlichkeit miteinander zu verbinden. Für sein Modell greift Balasubramanian auf die Definition von Dorothy Cohen (1988) zurück, die Werbung wie folgt definiert: „… advertising refers communications that are paid for, and which clearly identify the message sponsor …“ (zit. n. Balasubramanian 1994: 29). Öffentlichkeit wird dagegen defi niert als: „… publicity represents messages, that are not paid for, and which do not identify the sponsor“ (ebd.). Balasubramanian argumentiert, dass beide Formen, die der Werbung wie auch die der Öffentlichkeit, sowohl Vor- als auch Nachteile haben. Für die Werbung identifiziert Balasubramanian als größten Vorteil, dass der Geldgeber die Kontrolle
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über die Gestaltung des Inhalts und des Formats hat. Als Hauptnachteil gilt die Identifikation des Sponsors, durch die die Glaubwürdigkeit der Botschaft reduziert wird. Genau umgekehrt verhält es sich bei öffentlicher Kommunikation. Da das Unternehmen nicht für die Publizität bezahlt, hat es keinen Einfluss auf Inhalt und Format der Botschaft. Dadurch, dass die Botschaft nicht erkauft wurde, ist sie frei vom Verdacht der Einflussnahme, wodurch das Vertrauen des Rezipienten ihr gegenüber größer ist (vgl. ebd.: 48). Wie in Abb. 126 dargestellt, wird als Hybrid Message eine Botschaft verstanden, die den Vorteil der Kontrolle über Gestaltung und Inhalt durch den Geldgeber mit dem Vorteil der Anonymität gegenüber dem Rezipienten kombiniert. Balasubramanian (ebd.: 31) unterscheidet zwischen etablierten und aufkommenden Formen hybrider Botschaften. Als bereits bestehende beziehungsweise etablierte hybride Botschaften kennzeichnet er •
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das Product Placement als „… a paid product message aimed at influencing movie (or television) audiences via the planned and unobtrusive entry of branded product into a movie (or television program)“, den Program Tie-In als „… a paid product message because of a quid-pro-quo arrangement between a program source (e. g., a television network) and a product sponsor“ und
Abb. 126 Modell der Hybrid Messages (eigene Darstellung nach Balasubramanian 1994: 30)
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den Program-Length Commercial als „… a paid product message broadcast to television audiences using a format that resembles a legitimate program in both content and length“.
Als aufkommende Typen hybrider Botschaften bezeichnet Balasubramanian die Masked-Art Hybrid Message, die Masked-News und die Masked-Spokesperson Message. Unter einer Masked-Art Hybrid Message versteht er jedes Kunstwerk (Gemälde, Skulptur, Lied oder literarisches Werk), mit dem Marketing-Gegenstände absichtlich, aber für den Rezipienten nicht offensichtlich mit kommerziellen Interessen dargeboten werden. Unter hybriden Botschaften der Art Masked-News fasst er in Nachrichten- und Informationsquellen eingebettete kommerzielle Botschaften bis hin zu kompletten Fachzeitschriften werblicher Art. Die Masked-Spokesperson-Botschaften unterteilt Balasubramanian in die zwei Kategorien der Masked-Expert- und der MaskedCelebrity-Mitteilungen. Erstere vermitteln Glaubwürdigkeit, indem sie von einem Experten präsentiert werden. Als Beispiel für eine Masked-Expert-Botschaft nennt Balasubramanian (ebd.: 32) den Frequent-PrescriberMarketingplan der Wyeth-Ayrest Laboratories. Dieser sah vor, jedem Arzt, der deren Medikament Inderal verschrieb, 1000 Bonusmeilen von American Airlines gutschreiben zu lassen. Klar ist, dass der Einsatz derartiger Maßnahmen im Hinblick auf moralische und rechtliche Aspekten intensiv abzuwägen und zu diskutieren ist und dass dies im Unternehmen wohl letztlich unter dem Einfluss seiner jeweiligen Kultur geschieht. Masked-Expert-Mitteilungen können auch medial distribuiert werden. Als Beispiel können die Weintipps der Sommelière Natalie Lumpp in der Zeitschrift Brigitte genannt werden (s. Abb. 127). Abb. 127 Beispiel einer medial distriDas Prinzip der Masked Celebrity hingegen buierten Masked-Expert-Mitteilung bedient sich Berühmtheiten, die ihre Rolle als (Quelle: Brigitte 21/2007: 197)
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Abb. 128 Beispiel einer medial distribuierten Masked-Celebrity-Mitteilung (Quelle: Revue 52/2007: 53, 54)
bezahlter Fürsprecher verheimlichen, um einem Produkt zu höherer Bekanntheit zu verhelfen (vgl. ebd.: 33, s. Abb. 128). Dieses Prinzip der Hybridisierung, wie es Balasubramanian vorgelegt hat, berücksichtigt zwar nur die UM-Dimension der Rezeptionssituation und lässt den Kontext der lebensweltlichen Situationen und Handlungen von Zielpersonen außer Acht. Dennoch kann es in seiner konzeptionellen Ausrichtung als grundlegend für die Kommunikationsdisziplin des UM angesehen werden. Vor allem macht es deutlich, dass der im Jahr 2001 im Umfeld der „The Hire“-Kurzfilmreihe von BMW kreierte Begriff des Branded Entertainment eigentlich zu kurz greift. Hybride Mitteilungen müssen keinesfalls nur „unterhaltsamer“ Art sein, sondern können auch als „masked news“ beispielsweise in Form eines Infomercials – eine Werbesendung im Stil einer Informationssendung oder eines Dokumentarfilms, die bzw. der das Publikum detailliert über Produkte oder Dienstleistungen informiert (vgl. Koschnick o. J.) – gestaltet werden. Das Pendant im Printmedien-Bereich sind die Advertorials. Hierbei handelt es sich um Anzeigen, die sich in ihren Gestaltungsmerkmalen (Schrift, Layout, Aufmachung etc.) kaum oder gar nicht von ihrem redaktionellen Umfeld unterscheiden. Sie sind nach § 10 der Länderpressegesetze als ein Marketing-Kommunikationsangebot zu kennzeichnen, indem sie mit dem Wort „Anzeige“ überschrieben werden (vgl. Abb. 129).
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Abb. 129 Beispiel für ein Advertorial (Quelle: Brigitte 16/2009: 121)
Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht ist die Differenzierung in Unterhaltung versus Information jedoch wenig fruchtbar. Die Funktion der Unterhaltung für den Rezipienten – darüber sind sich die meisten Autoren einig (vgl. im Überblick Schweiger 2007: 104 f.) – kann nicht über den Unterschied zur Information bestimmt werden. Vielmehr ist mediale Unterhaltung als ein bloßes Genießen des Mediennutzungsaktes, der Rezeptionssituation, aufzufassen, ohne Vorhandensein irgendeiner Motivation instrumenteller oder utilitaristischer Art. Informationsaufnahme, die also der augenblicklichen kognitiven Stimulation und nicht einem konkreten oder eventuellen späteren Nutzen dient, ist damit auch als Unterhaltung aufzufassen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Quizsendungen im TV. Auch wenn diesen hin und wieder eine Bildungsfunktion nachgesagt wird, kann als dominierendes Rezeptionsmotiv in der Regel die augenblickliche kognitive Stimulation und damit Unterhaltung angenommen werden (vgl. ebd.: 110). Fruchtbarer wäre es daher, anstelle von Branded Entertainment in der Tradition von Balasubramanian von Branded Hybrid Content zu sprechen, was aber hier aufgrund der mittlerweile stark verbreiteten Nutzung des Branded-Entertainment-Begriffs und dessen mittlerweile erlangten Status eines Gattungsbegriffs als wenig pragmatisch eingeschätzt und daher nicht weiter verfolgt wird. Die Kommunikationswissenschaft hat traditionell großes Interesse an hybriden Marketing-Kommunikationsformen (vgl. z. B. Baerns 1996, 2004; Hartwig 1998, Schmalz 2012, Schmidt 1995, Spitzer 1996), da sie nur bedingt oder überhaupt nicht als Marketing-Kommunikation erkennbar nachhaltig auf die redaktionellen Angebo-
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te der öffentlichen Kommunikation des Mediensystems Einfluss nehmen. So haben Gabriele Siegert und Dieter Brecheis (2017) den IPI Cube zur Systematisierung der Konkretisierungsformen der Werbung in der Medien- und Informationsgesellschaft konzipiert (vgl. Abb. 130). Die Integrationsdimension der Matrix beschreibt das Ausmaß der Verquickung der Werbeform mit dem redaktionellen Umfeld. Dabei verstehen die Autoren, kompatibel mit dem Konzept von Balasubramanian, unter programmintegrierter Werbung und hybriden Werbeformen nur bedingt oder nicht als solche erkennbare Werbung: „Um … Werbevermeidung zu überwinden, generell die Werbeleistung zu erhöhen und Schaltkosten zu reduzieren, wird Werbung mehr oder weniger intensiv in redaktionelle Kontexte integriert … Zwar sind diese Werbeformen teilweise immer noch explizit als Werbung gekennzeichnet, teilweise sind sie aber so integriert, dass sie nur noch bedingt oder eben gar nicht als Werbung erkennbar sind. Damit ist ihnen also ein gewisses Täuschungspotenzial inhärent.“ (ebd.: 215)
Abb. 130 IPI Cube zur Systematisierung von Werbung in der Medien- und Informationsgesellschaft mit exemplarischer Verortung ausgewählter Werbeformen (Quelle: Siegert/Brecheis 2017: 220)
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In der Personalisierungsdimension werden die Werbeformen nach der quantitativen Ausrichtung der Werbeadressierung systematisiert, wobei unterschieden wird, ob sich das Marketing-Kommunikationsangebot an eine anonyme Masse, eine ausgewählte definierte Zielgruppe oder an eine einzelne Zielperson richtet. In der Interaktivitätsdimension schließlich werden die Werbeformen nach dem Grad, in dem die Nutzer partizipieren können bzw. müssen, unterschieden. Dabei wird unterschieden in Werbung als Information im Sinne von Ein-Weg-Kommunikation mit geringer oder gar keiner Interaktionsmöglichkeit seitens der Nutzer, als Interaktion im Sinn von Zwei-Wege-Kommunikation und in Werbung als Transaktion im Sinne von aktivem Austausch, derart, dass Nutzer im Rahmen des Werbeformats zu Kommunikations- und Handelspartnern werden, weil sie aktiv mit Geld oder persönlichen (geldwerten) Daten und Inhalten mitwirken (Siegert/Brecheis 2017: 214 f.). Von zentraler Bedeutung im Kontext von Branded Entertainment ist die Frage, auf welche Weise Rezipienten verschiedene Kommunikationsangebote verstehen und verarbeiten. Zur Beantwortung dieser Frage identifiziert Jens Woelke (2004) für das Medium TV drei Ebenen kommunikativer Abgrenzungen von Werbung und Programm: Die vom Rezipienten erfolgte Zuschreibung einer Beeinflussungsabsicht des Kommunikationsangebots, die unterschiedlichen Wirkungen (Gedächtnisleistungen, Einstellungen) von redaktionellen und werblichen Aussagen und drittens unterschiedliche Verarbeitungs- und Urteilsprozesse von werblichen und redaktionellen Kommunikationsangeboten. Die experimentelle Überprüfung dieser Abgrenzungskriterien hat jedoch zum Ergebnis, dass „eine für Werbung und deren vermeintliche Angebote einheitliche und typische Rezeptionsweise und Wirkung … aber nicht feststellbar [ist]“ (ebd.: 261). Zu heterogen sind die Ergebnisse in den Bereichen Einstellungen sowie Verarbeitungs- und Urteilsprozesse, als dass ein genereller Rezeptionsmodus der Werbung beschrieben werden könnte, der sich von der Rezeptionsweise redaktioneller Angebote eindeutig abgrenzen lässt. Dies wird besonders deutlich, wenn, so Woelke (ebd.), Werbespots und redaktionelle Fernsehangebote nicht mehr als inhaltlich unterschiedliche Kommunikationsangebote verstanden werden. Genau aus diesem Rezeptionsstil, bei dem Werbung nicht über einen Unterschied zu anderen Fernsehgattungen (z. B. Film, Serie, Nachrichten) als störende Werbung identifiziert wird, zieht das Utility Marketing in Form des Branded Entertainments seine heutige Bedeutung als Methode der Aufmerksamkeitsgewinnung und der Vermittlung von als relevant wahrgenommenen Botschaften, hinter denen sich Zielsetzungen kommerzieller Art verbergen. Die Instrumente und Erscheinungsformen des UM lassen sich entsprechend den beiden elementaren Kontexten, an denen sich das UM orientiert – die Rezeptionssituation und die Lebenswelt der Zielpersonen –, in die Kategorien Branded Entertainment und Brand Content einerseits und Branded Services andererseits einteilen.
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2.3.4 Branded Entertainment Unter Branded Entertainment, das auf den Nutzen in der Rezeptionssituation abzielt, sind im Wesentlichen die sechs oben genannten, von Balasubramanian aufgeführten Formen hybrider Botschaften zu fassen: Product Placement, Program Tie-In (auch als Programm-Bartering oder Programming bezeichnet), Program-Length Commercial, Masked-Art Hybrid Message, Masked-News und die Masked-Spokesperson Message. Ein Blick auf einschlägige Definitionen des Begriffs Branded Entertainment zeigt, dass über die Rolle des Merkmals der Hybridisierung der Kommunikation als konstitutiver Eigenschaft von Branded Entertainment Einigkeit besteht (vgl. z. B. Duttenhöfer 2012, Hudson/Hudson 2006: 492, Schmalz 2012: 65 f., Tsvetkova 2007: 44). Anhand dieses Merkmals fällt es leicht, Branded Entertainment von Advertainment zu unterscheiden. Advertainment zielt auf ein hohes Amüsement der Rezipienten und nutzt die klassischen Werbemöglichkeiten zur Distribution der Kommunikationsangebote. Es geht im Vergleich zum Branded Entertainment gewissermaßen den umgekehrten Weg. TV-Zuschauer rezipieren also einen TV-Spot oder nutzen ein anderes werbliches Medienangebot, das als solches ausgezeichnet ist, freiwillig und bewusst (vgl. Schmalz 2012: 84). Zentrales Abgrenzungskriterium zwischen Advertainment und Branded Entertainment ist damit die vom Rezipienten eindeutig vorgenommene Zuordnung des Advertainments zur Gattung Werbung. Es handelt sich, zusammenfassend formuliert, bei Advertainment also schlicht um unterhaltende Werbung. Da das Placement als die älteste marketing-kommunikative Hybridform sehr ausdifferenziert ist, soll es im Folgenden etwas näher beleuchtet werden. Zunächst kann Placement definiert werden als „die geplante Platzierung verschiedener Objekte in kompatiblem Umfeld gegen Entgelt“ (Hormuth 1993: 82). Es gibt mehrere Ansätze, wie Placements systematisiert werden können. So können sie unterschieden werden nach den verschiedenen Mediengattungen und Kommunikationsangeboten, in denen sie erfolgen. Dies können beispielsweise TV-Shows, Nachrichtensendungen, Dokumentationen oder Reality-TV-Formate sein. Solche Placements sind jedoch durch rechtliche Einschränkungen besonders in Deutschland problematisch. Beim Placement wird weiterhin zwischen zwei Stufen der Programmintegration unterschieden, dem On-Set-Placement und dem Creative Placement. Werden beim On-Set-Placement die Objekte nur statisch integriert, ohne sie näher in die Handlung im Medium einzubeziehen, werden beim Creative Placement hingegen die Objekte zum aktiven Bestandteil einer Handlung und möglichst kreativ inszeniert (vgl. ebd.: 79). Letztgenannte Form hat im Rahmen der Branded-Entertainment-Entwicklung stark an Bedeutung gewonnen. Für ein On-Set-Placement lassen sich mittels spezialisierter Agenturen in Realisation befindliche Film- und TV-Projekte ausfindig machen, in die Markenartikel nach dem Vorschlag der Drehbuchautoren und nach einem sogenannten Script Break-
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down (Auflistung aller Elemente, die für die Produktion eines Beitrags (i. w. S.) in einem audiovisuellen Medium benötigt werden) integriert werden (vgl. Pepels 2004: 722). Das werbende Unternehmen nimmt dabei eine rein passive Funktion ein. Dahingegen wird beim Creative Placement die inhaltliche Verknüpfung zwischen Marke und Inhalt aktiv und von vornherein geplant, sodass das gesamte Konzept stimmig wirkt. Somit fällt der Entscheidungsspielraum weitaus größer aus als beim klassischen Placement. „If the scene requires a car, a beer or suit then it is likely that Ford, Budweiser or Hugo Boss would be potential brands for placement. For branded entertainment, you must take a step back from your film and evaluate the messages that it communicates.“ (Grove 2003: 317)
Peter G. Bourdeau und Mary-Lou Galician (2004) haben in einer Langzeitstudie die Entwicklung des Creative Placement untersucht. Dazu haben sie die Placements der jeweils 15 monetär erfolgreichsten US-Kinofilme aus den Jahren 1977, 1987 und 1997 analysiert. Sie haben festgestellt, dass Platzierungen mit geringer Handlungsintensität leicht abgenommen haben, während sich die Anzahl an Produktplatzierungen mit hohem Plot-Involvement annähernd verdoppelt hat. Weiterhin konnten die beiden Autoren eine Zunahme von Schlüsselplatzierungen, sogenannten Key Placements, registrieren. „These key placements – some of them lasting as long as 10 minutes or more – often entailed an extended series of shots that featured the brand in an idealized display frequently characterized by rapid shifts in perspective and lightning-quick editing. Notable among them was a scene in Tomorrow Never Dies (1997), in which Pierce Brosnan, as Agent 007, escapes from thugs with the help of a BMW motorcycle.“ (ebd.: 22)
Dieses Ergebnis zeigt, dass Marken über das Creative Placement die Rolle des reinen Requisits ablegen und, je nach Grad der Einflussnahme auf das Drehbuch, in der Handlung eines Filmes oder einer Serie eine zentrale Bedeutung innehaben können. Als weiteres Unterscheidungskriterium wird in verschiedenen Studien die von Gupta und Lord entwickelte Trennung zwischen prominent und subtle Placements verwendet. „Highly prominent placements were large, bright, central to the narrative and/or distinctive. Subtle placements, on the other hand, were often placed in the background, amid a clutter environment, and/or were not directly referenced.“ (Schneider/Cornwell 2005: 324)
Teilweise findet sich für besonders starke Placements auch der Begriff program integration, womit eine intensiv mit der Handlung verwobene Platzierung und Präsenz über die gesamte Dauer des Unterhaltungsangebots gemeint ist.
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Als weiteres Unterscheidungskriterium kann schließlich die Art des angesprochenen Sinnesorgans dienen. Es wird unterschieden, ob das Placement auditiv, visuell oder in beiden Modi präsentiert wird (vgl. Hormuth 1993: 80 f.). Im Folgenden wird das Placement in seiner traditionellen Systematik nach Art des platzierten Objektes in die Untergruppen des Product Placement, Corporate Placement, Service Placement, Country Placement und Idea Placement aufgeteilt dargestellt (vgl. Hormuth 1993: 67 f.). Product Placement Product Placement bezieht sich auf die Platzierung von Produkten oder Produktnamen in kompatiblen medialen Umfeldern gegen Entgelt. In der neueren, vor allem angloamerikanischen Literatur wird anstelle von Product Placement immer öfter der Begriff „brand placement“ verwendet: „The term ‚brand placement‘ is used synonymously with product placement to distinguish marketer-specific products from others in the category, and is considerd by some researcher to be a more accurate description since brands are placed rather than specific products“ (Babin/Carder 1996, zit. n. Morton/Friedman 2002: 34). Das Product Placement hat mehrere Unterformen, das Innovation Placement, das Generic Placement, das Image Placement und das Historic Placement (vgl. Auer/Diedrichs 1993: 18, Auer et al. 1988: 94 f.): •
Innovation Placement Als Innovation Placement wird die Platzierung einer Produktneuheit in einer internationalen Spielfilmproduktion bezeichnet. Dabei kann es sich um ein eben auf den Markt gekommenes Produkt handeln oder auch um ein Produkt, das noch nicht auf dem Markt erhältlich sind. Gerade in letzterem Fall führt das Innovation Placement zu einem Aha-Erlebnis. Ein gutes Beispiel für ein Innovation Placement findet sich im Film „Zurück in die Zukunft“ mit Michael J. Fox. In dem Film ist Fox unter anderem mit einer Video-Kamera des Herstellers JVC ausgerüstet. Diese hatte als erste ein in der Kamera integriertes Band und somit keinen Aufnahmekasten, der zusätzlich zur eigentlichen Kamera am Körper getragen werden musste. • Generic Placement Generic Placement im engeren Sinne bezeichnet die Platzierung von Warengattungen (z. B. Zigaretten, Tee, Jeans, Wackelpudding) in einem Film oder anderen Fernsehgattungen. Diese Placement-Maßnahme ist vor allem für Unternehmen interessant, deren Artikel einen hohen Marktanteil oder gar die Marktführerschaft innehaben. Weiterhin bietet es sich für eine Gemeinschaftswerbung ganzer Industriezweige an. Häufig handelt es sich beim Generic Placement auch um reinen Zufall, da Produktgattungen als Requisiten für eine realistische Darstellung benötigt werden. Das Generic Placement im weiteren Sinne meint die Verwendung von anonymisierten Markenprodukten. Diese Form des Placements geht auf das in vielen Län-
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dern wirksame Verbot für Product Placement im Fernsehen zurück. Grundgedanke dieser Technik ist der Wiedererkennungseffekt, den eine Verpackung oder ein Produkt aufgrund der charakteristischen Form oder Farbe auslöst, auch ohne dass der Name explizit genannt wird. Häufig wird das Produkt mit einem namenlosen Etikett versehen, das von der Gestaltung des Originaletikettes kaum abweicht, wie das Beispiel in Abb. 131 zeigt. Das obere Etikett enthält das Budweiser-Logo, das untere das Generic-Logo zur Verwendung in USTV-Serien. • Image Placement Image Placement wird von Auer et al. (1998: 98) als diejenige Variante des Product Placement aufgefasst, bei der das gesamte Thema und der Inhalt eines Films auf ein Produkt oder eine Marke zugeschnitten sind. Diese Form wertet bei richtiger Umsetzung das Image einer (Wirtschafts-)Organisation, eines Produktes oder einer Institution auf. Sie stellt eine gewisse Sonderform des Product Placement dar, da hier nicht nur kurz ein Produkt oder eine Marke in einem Film präsen- Abb. 131 Beispiel für ein Generic tiert wird, sondern das Produkt bzw. die Mar- Placement (Quelle: Auer/Diedrichs ke die ganze Zeit über im Film explizit oder 1993: 18) implizit präsent ist. Ein Beispiel für ein gelungenes Image Placement ist die amerikanische Produktion Top Gun. Die sich um den jungen Navy-Piloten Maverick (gespielt von Tom Cruise) drehende Handlung spielt in einer Fliegerschule der US-Navy. Der Film stellt diese Ausbildung äußerst positiv und aufregend dar. Nach seinem Anlaufen war ein deutlicher Anstieg der Bewerbungen zur Pilotenausbildung zu verzeichnen. • Historic Placement Das Historic Placement beschreibt die Platzierung von Markenprodukten oder Marken in einem historischen Film oder anderen historischen Kontext. Hierfür wird das Produkt in seiner damals aktuellen Form in das Medienangebot eingebettet. Besonders für alte, traditionsbewusste Unternehmen bietet sich so die Möglichkeit, implizit auf ihre lange Geschichte und die daraus resultierende Erfahrung hinzuweisen. Corporate Placement Corporate Placement beschreibt die Platzierung einer Marke oder eines Markennamens in einem Kommunikationsangebot. Es erfolgt nicht wie beim Product Placement die Platzierung eines spezifisches Produktes.
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Service Placement Service Placement ist das Unterbringen einer Service- bzw. Dienstleistung im Inhalt eines Mediums zur Verbesserung des Ansehens einer Berufsgruppe. Country Placement Beim Country Placement werden Länder, Regionen oder Städte in verschiedene Kommunikationsangebote eingebettet und in einem positiven Licht präsentiert, um deren Popularität zu steigern. Diese Variante bietet die Möglichkeit, durch eine positive Darstellung das Interesse der Rezipienten zu wecken, wovon vor allem der Tourismus profitieren kann. Idea Placement Beim Idea Placement sind die platzierten Objekte Ideen oder Mitt