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Sicard von Cremona Mitralis Der Gottesdienst der Kirche
CORPVS CHRISTIANORVM IN TRANSLATION
9
CORPVS CHRISTIANORVM Continuatio Mediaeualis 228
SICARDI CREMONENSIs EPISCOPI MITRALIS DE OFFICIIS
cura et studio
Gábor Sarbak Lorenz WEINRICH
TURNHOUT
FHG
Sicard Von Cremona Mitralis Der Gottesdienst Der Kirche Einleitung A. Allgemeiner Teil
Einleitung, Übersetzung und Anmerkungen von Lorenz WEINRICH
H
F
© 2011, Brepols Publishers n.v., Turnhout, Belgium All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted, in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording, or otherwise, without the prior permission of the publisher.
D/2011/0095/27 ISBN 978-2-503-54215-7 (two volumes) Printed in the E.U. on acid-free paper.
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
15
Einleitung
17
Zur Biographie des Sicard von Cremona Mittelalterliche Liturgieerklärungen Leben und Werke Sicards Der Titel “Mitralis” Datierung des Mitralis Der Aufbau des Werkes Charakteristik Sicards Quellen Sicards Arbeitsweise Benutzung des Werkes Einrichtung des Bandes Indices
17 17 18 21 23 28 28 30 35 41 45 47
Bibliographie
48
Abkürzungen
48 49 56
Autoren Ausgewählte Literatur
Inhaltsverzeichnis
Addenda et corrigenda
59
Addenda
59 62
Errata corrigenda Teil A Allgemeiner Teil Einführung des Autors [Sicard]
69
Buch I Die Kirche
71
1. Die Einrichtung der Kirche 2. Die Grundlegung der Kirche 3. Der Altar 4. Die Teile der Kirche 5. Die Namen der Kirche 6. Die Weihe der Kirche 7. Ebenfalls Kirchweihe – Segnungen 8. Ebenfalls Kirchweihe – Altarreliquien 9. Ebenfalls Kirchweihe – Altarsalbung und Messe 10. Kirchweihe spirituell gedeutet 11. Entsühnung der Kirche 12. Der Kirchenschmuck 13. Gebrauchsgegenstände der Kirche a. Die Gerätschaften im Tempel b. Die Geräte in der Kirche Buch II Die Personen
71 74 76 79 89 92 98 100 102 105 107 111 119 119 126 138
Vorwort
1. Einrichtung und Kleidung der Kirchenleute 2. Die Weihegrade 3. Die geistliche Bedeutung der Weihen 4. Die Würden – Die Bischofsweihe 5. Die Paramente
138 138 145 154 157 163
Inhaltsverzeichnis
6. Die königlichen Herrschaftszeichen 7. Weiteres über Gewänder 8. Das Ankleiden der Altardiener Buch III Die Messe
180 182 185 195
Vorwort
9. Kurze Zusammenfassung über die Messe
195 195 198 198 205 208 216 222 235 239 239 248 252 269 275 276 276 282 285
Buch IV Das Stundengebet der Kirche
292
1. Name, Einrichtung und Teile der Messe 2. Der erste Teil der Messe a. Der Einzug b. Kyrie und Gloria c. Das Tagesgebet
3. Der zweite Teil der Messe – Die Epistel 4. Der dritte Teil der Messe – Evangelium und Credo 5. Der vierte Teil der Messe – Die Opferung 6. Der fünfte Teil der Messe a. Die Opfermesse b. Die Präfation c. Der Messkanon d. Das Gebet des Herrn
7. Der sechste Teil der Messe – Die Segnungen des Bischofs 8. Der siebente Teil der Messe a. Die Kommunionfeier b. Die Entlassung
Vorwort
1. Die Nachtgottesdienste an Wochentagen 2. Der Nachtgottesdienst an Festtagen 3. Die sieben kanonischen Stundengebete 4. Das Morgenlob an den Wochentagen – Die Laudes 5. Das Morgenlob an Festtagen – Die Laudes
292 293 301 310 314 320
Inhaltsverzeichnis
6. Die Prim a. Allgemeines b. Das Glaubensbekenntnis des Athanasius c. Der weitere Ablauf der Prim
7. Die Terz, Sext und Non 8. Der Vesper-Gottesdienst 9. Kollationen und Komplet 10. Das monastische Offizium
324 324 327 340 343 346 349 353
Teil B Das Kirchenjahr Vorweg eine Einleitung
361
Die Vielfalt der Bücher und die Verschiedenheit der Zeiten a. Die Bücher der Kirche b. Die Zeiten des Kirchenjahrs Buch V Die Zeit vom Advent bis Erscheinung des Herrn
1. Erster Sonntag in der Adventszeit a. Die erste Ankunft b. Das 1. Responsorium c. Das 2. und 3. Responsorium d. Das 4. Responsorium e. Das 5. und 7. Responsorium f. Das 9. Responsorium g. Das Offizium h. Allgemeines zur Adventszeit
2. Zweiter Sonntag im Advent 3. Dritter Sonntag im Advent a. Das Offizium der Woche b. Die Quatembertage c. Die Weihen d. Zusammenfassung der Messfeiern
361 361 363 365 365 365 371 375 376 378 379 381 385 388 391 391 392 395 400
Inhaltsverzeichnis
4. Vierter Sonntag im Advent 5. Vigil von Weihnachten 6. Weihnachten
7. Die Weihnachtsoktav 8. Der Sonntag in der Oktav von Weihnachten 9. Erscheinung des Herrn 10. Die Offizien nach der Oktav von Erscheinung 11. Hypopante – Darstellung im Tempel
401 405 409 409 410 415 417 418 419 421 433 436 444 448
Buch VI Die Zeit von Septuagesima bis Ostern
451
a. Allgemeines b. Das Nachtoffizium c. Die Weihnachtsmessen d. Die erste Weihnachtsmesse e. Die zweite Weihnachtsmesse f. Die dritte Weihnachtsmesse
Vorwort
1. Der Sonntag in der Septuagesima a. Die Zeit der siebzig Tage b. Der Sonntag Septuagesima
2. Der Sonntag in der Sexagesima 3. Der Sonntag in der Quinquagesima 4. Der Beginn des Fastens – Aschermittwoch 5. Der erste Sonntag in der Fastenzeit a. Der Sonntag Inuocabit b. Die erste Fastenwoche
6. Der zweite Sonntag in der Fastenzeit a. Der Sonntag Reminíscere b. Die zweite Fastenwoche
7. Der dritte Sonntag in der Fastenzeit a. Der Sonntag Óculi
451 451 451 457 460 463 466 471 471 478 483 483 484 488 488
Inhaltsverzeichnis
b. Die dritte Fastenwoche
8. Der vierte Sonntag in der Fastenzeit a. Ein Überblick über die Septuagesima b. Der Sonntag Laetare c. Der Beginn der vierten Fastenwoche d. Die Taufskrutinien e. Das Apostolische Glaubensbekenntnis f. Der zweite Teil der Woche
9. Passionssonntag a. Der Sonntag Júdica b. Die Woche nach dem Passionssonntag
10. Palmsonntag a. Die Palmprozession b. Die Messe am Palmsonntag c. Die Kartage der Heiligen Woche
11. Allgemeines über das Triduum Sacrum 12. Gründonnerstag a. Die Wiederaufnahme der Büsser b. Die Weihe der hl. Öle c. Die Fußwaschung des Mandatum d. Die Messe am Gründonnerstag
13. Karfreitag a. Vom Rüsttag b. Der Lesegottesdienst c. Die Allgemeinen Fürbitten d. Die Kreuzverehrung e. Die Kommunionfeier
14. Karsamstag a. Die Pascha-Nacht b. Die Weihe des Osterfeuers
490 495 495 499 502 503 508 514 519 519 522 527 527 530 531 535 543 543 545 554 557 559 559 561 568 569 572 576 576 578
Inhaltsverzeichnis
c. Die Weihe der Osterkerze d. Die Taufvorbereitung e. Die zwölf Lesungen f. Die Weihe des Taufwassers g. Die Taufe h. Die Firmung i. Das Taufritual j. Die Messe der Pascha-Nacht
15. Das hochheilige Osterfest a. Der österliche Festkreis b. Das österliche Stundengebet der Nacht c. Die Prozession zum Hl. Grab mit sog. Osterfeier d. Das österliche Stundengebet am Tage e. Die Osterprozession f. Das Osterhochamt g. Die Osteroktav Buch VII Die Zeit von Ostern bis Pfingsten Vorwort
1. Am Sonntag in der Oktav von Ostern 2. Am 1. Sonntag nach der Oktav von Ostern 3. Am 2. Sonntag nach der Oktav von Ostern 4. Am 3. Sonntag nach der Oktav von Ostern 5. Am 4. Sonntag nach der Oktav von Ostern 6. Die Bitt-Tage 7. Vigil von Himmelfahrt 8. Christi Himmelfahrt 9. Am Sonntag nach Himmelfahrt 10. Vigil von Pfingsten 11. Pfingsten a. Das Hochfest b. Die Pfingstoktav
580 582 584 591 593 595 598 602 608 608 614 616 617 617 621 624 643 643 643 645 647 648 650 652 658 661 664 666 670 670 675
Inhaltsverzeichnis
Buch VIII Die Sonntage nach Pfingsten
683
Vorwort
683
1. Sonntag in der Oktav von Pfingsten, also 1. Sonntag nach Pfingsten 2. Sonntag nach Pfingsten 3. Sonntag nach Pfingsten 4. Sonntag nach Pfingsten 5. Sonntag nach Pfingsten 6. Sonntag nach Pfingsten 7. Sonntag nach Pfingsten 8. Sonntag nach Pfingsten 9. Sonntag nach Pfingsten 10. Sonntag nach Pfingsten 11. Sonntag nach Pfingsten 12. Sonntag nach Pfingsten 13. Sonntag nach Pfingsten 14. Sonntag nach Pfingsten 15. Sonntag nach Pfingsten 16. Sonntag nach Pfingsten 17. Sonntag nach Pfingsten 18. Sonntag nach Pfingsten 19. Sonntag nach Pfingsten 20. Sonntag nach Pfingsten 21. Sonntag nach Pfingsten 22. Sonntag nach Pfingsten 23. Sonntag nach Pfingsten 24. Sonntag nach Pfingsten 25. Sonntag nach Pfingsten 26. Rückblick auf das Kirchenjahr
683 688 689 690 691 692 692 693 694 695 696 697 699 700 703 703 704 705 706 707 708 709 710 711 711 712
Inhaltsverzeichnis
Buch IX Die Heiligenfeste
715
Zunächst die Festtage von Advent bis Weihnachten 1. Hl. Andreas 2. Hl. Nikolaus 3. Hl. Luzia 4. Hl. Thomas Die Festtage von Weihnachten bis Septuagesima 6. Hl. Stephanus 7. Hl. Johannes der Evangelist 8. Fest der Unschuldigen Kinder 9. Hl. Felix in Pincio 10. Hll. Marius, Martha, Audifax und Abakuc 11. Hll. Fabian und Sebastian 12. Hl. Agnes Die Feste von Septuagesima bis Ostern 14. Hl. Blasius 15. Hl. Agatha 16. Petri Stuhlfeier 17. Hl. Matthias 18. Verkündigung des Herrn Die Feste von Ostern bis zur Pfingstoktav 20. Hl. Markus 21. Hll. Philippus und Jakobus 22. Auffindung des Heiligen Kreuzes 23. Hl. Johannes vor der Lateinischen Pforte 24. Fest der hl. Maria bei den Märtyrern 25. Der Sieg des hl. Michael Die Feste von der Pfingstoktav bis zum Advent 27. Hll. Marcellinus und Petrus 28. Hll. Gervasius und Protasius 29. Hl. Johannes der Täufer
715 716 717 717 718 718 718 720 721 722 722 723 723 724 724 725 725 725 726 726 728 728 729 730 730 731 731 731 732 732
Inhaltsverzeichnis
30. Hll. Johannes und Paulus 31. Die Apostel Petrus und Paulus 32. Das Fest der Sendung der Apostel 33. Die Sieben Brüder 34. Reliquienübertragung des hl. Benedikt 35. Hl. Jakobus der Ältere 36. Petri Kettenfeier 37. Auffindung des hl. Stephanus 38. Verklärung Christi 39. Hl. Laurentius 40. Mariä Himmelfahrt 41. Enthauptung des hl. Johannes des Täufers 42. Hll. Felix und Adauktus 43. Mariä Empfängnis und Geburt 44. Kreuzerhöhung 45. Weihe von St. Michael 46. Hl. Remigius 47. Hl. Lukas 48. Hl. Apostel Simon und Judas 49. Festtag Allerheiligen 50. Totengeleit/Exequien 51. Die Vier Gekrönten 52. Hl. Martin 53. Hl. Cäcilia 54. Hl. Clemens Allgemeines zu den Festen Schluss
734 734 735 736 736 736 738 738 739 739 740 741 742 743 743 744 745 745 745 747 747 758 759 760 760 760 762
Indices Index zur Heiligen Schrift Index der Quellen Index zur Liturgie Sachregister Personenregister
765 787
801 801 808
Vorbemerkung
Um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert hat Sicardus, damals Bischof von Cremona, über die Liturgie der Kirche eine umfassende Abhandlung in der Tradition dieses Genre abgefasst, um den Geistlichen und den Gebildeten seiner Zeit allgemein eine Hilfe zum inneren Verständnis der Zeremonien an die Hand zu geben. Dieses Werk ist im Jahr 2008 als Band 228 in der Reihe Corpus Christianorum Continuatio Mediaeualis von Gábor Sarbak und Lorenz Weinrich herausgegeben worden. Durch die jetzige Übertragung ins Deutsche vermag nicht nur die wissenschaftliche Welt jene kritische Edition mit dem Nachweis der Quellen zu lesen, sondern das Werk kann jetzt auch in der kommentierten Übersetzung weiteren Kreisen zugänglich gemacht werden. Der Übersetzer hat sich bemüht, durch sorgsame Übertragung den Text Sicards in verständlicher und angemessener Sprache wiederzugeben. Dankbar bin ich Gábor Sarbak, Budapest, dass er, der wegen dringender eigener Forschungs- und Editionsaufgaben für diesen Band eigentlich nicht zur Verfügung stand, doch selbstlos noch die Fußnoten mit dem Nachweis der Zitate überprüft hat. Sein Beitrag aber lag nach seiner bescheidenen Selbsteinschätzung unterhalb der Schwelle, die für eine Nennung als Mitautor gereicht hätte. Mein Berliner Kollege Dietrich Kurze hat sich der entsagungsvollen Arbeit unterzogen, die Übersetzung in frühem Stadium sorgsam und kenntnisreich zu überprüfen, und mir viele Anregungen für eine treffendere Formulierung gegeben. Mit
Vorbemerkung
Hingabe haben Dr. Alina und Tudor Soroceanu das Manuskript durchgearbeitet und zahlreiche wertvolle Verbesserungen eingebracht. Meiner Frau Helga konnte das Erstellen der beiden Liturgieregister nach dem Muster der Edition erfolgreich überlassen werden.
Einleitung
Zur Biographie des Sicard von Cremona Mittelalterliche Liturgieerklärungen Bücher über die Liturgie waren im Mittelalter angesichts der vielen Geistlichen, die über keine gediegene theologische Ausbildung verfügten, keine Besonderheit. Entsprechend gibt es eine lange Tradition von Erklärungen, zumal die Zeremonien sich ja weiter entfalteten. Ausgehend von der Zeichenhaftigkeit des Alten Testaments werden auch Handlungen und Texte der Liturgie auf ihre innere Sinnhaftigkeit untersucht. Diese Allegorese, also das ‘Anderes-Aussagen’ als der ursprüngliche oder äußerliche Sinn, wurde zunehmend die Forschungsrichtung der Interpreten. In der Karolingerzeit war es besonders Amalar von Metz, der 823 in seinem Werk Liber officialis die Liturgie seiner Zeit in allegorischer Deutung beschrieb. Sein Werk wurde auch im 12. Jahrhundert noch von den Autoren eifrig benutzt. Einige Thesen oder Hypothesen wurden allgemein anerkannt und wiedergegeben, anderes wurde von den Erklärern un terschiedlich interpretiert. Sicard stellt gern die verschiedenen Ansichten nebeneinander, auch um den Preis der Unübersichtlichkeit. Sein Werk Mitralis übertrifft an Umfang die Arbeiten der anderen Interpreten des 12. Jahrhunderts, etwa Honorius Augustodunensis, Johannes Beleth und Rupert von Deutz, die er eifrig exzerpiert hat.
Einleitung
Im allgemeinen Teil (A), den Büchern I-IV, werden von Sicard das Kirchengebäude, die Geistlichkeit, die Messe und das Stundengebet behandelt. Im besonderen Teil (B) widmet sich Sicard dem Kirchenjahr, in den Büchern V-VIII dem Propri um de Tempore (vom Advent bis Epiphanie, Septuagesima bis Osteroktav, Ostern bis Pfingsten, Sonntage nach Pfingsten), und schließt mit Buch IX die Heiligenfeste an, das Proprium de Sanctis.
Leben und Werke Sicards Obwohl Sicard in den verschiedenen Lebensräumen seiner Zeit tätig war, als Bischof, als Politiker, als Historiker, als Kanonist und als Theologe, hat er doch keine zeitgenössische Würdigung erhalten. Aber dank der Forschung ist er als Person kein Unbekannter geblieben, nur müssen die Daten aus verstreuten Bemerkungen der Zeitgenossen und besonders aus seinen Werken einzeln zusammengetragen werden. Darum sei Sicards schriftstellerisches Werk hier kurz vorgestellt: Nicht erhalten sind: – das Jugendwerk Liber Mythologię, das er später kritisch e rwähnt, – eine Vita des Homobonus, des von ihm 1199 kanonisierten Laien aus Cremona, – Theologię disputationes, auf die Sicard nur einmal im Mi tralis (III, 6a), S. 242, verweist.
Seine Hauptwerke sind: – Summa decretorum oder Summa canonum, ein (noch un-
gedrucktes) Handbuch des Kirchenrechts, mit einer von ihm beigefügten Apologia, – Chronica, eine umfangreiche Weltgeschichte von der Erschaffung der Welt bis 1213, – Mitralis de officiis ecclesiasticis.
Sicard hat sein letztes großes Hauptwerk, den Mitralis de officiis ecclesiasticis, frei gehalten von Bemerkungen zu seiner
Einleitung
Person.1 Anders steht es bei seinen zuvor veröffentlichten Büchern. Zu den frühen Lebensjahren Sicards fehlen erwartungs gemäß fremde Zeugnisse, doch bieten seine eigenen späteren Angaben einen kleinen Ersatz. So bezeichnet sich Sicard in seiner Apologia von 1181 als Sohn einer Cremoneser Familie: Von meiner Abstammung her bin ich, Sicard, ein Sohn Cremonas. Dass er im Jahr 1185 Bischof wird, vermerkt er in seiner Weltchronik mit einer Devotionsformel: “1185 nach Christi Geburt.…In diesem Jahr wurde ich, Sicard, der Sammler und Schreiber dieses Werkes, zum Bischofsamt von Cremona, obgleich unwürdig, gewählt.“ Also wird er – entsprechend der 30-Jahre-Klausel im Canon 3 des III. Laterankonzils von 1175 – vor dem Jahr 1155 geboren sein. Es wird dafür von der Forschung meist das Jahr 1150 angenommen. Somit bleiben genügend Jahre für das Studium des Kirchenrechts in Bologna, vielleicht auch in Paris. 1181 jedenfalls lehrte Sicard wohl in Mainz Kirchenrecht, wie aus der Bemerkung in seiner Apologia geschlossen wird: Durch Übertra gung geistlicher Sohn des Bistums Mainz. Vielleicht deutet in den Handschriften der Titel seiner Summa decretorum auf seinen akademischen Grad als magister hin.2 Bei der Darstellung seiner Zeitgeschichte in seiner Chronica zeigt Sicard, wie wachsam er die Geschicke seiner Heimat mitverfolgt hat. Aus seiner späteren Bischofszeit, so zu den Jahren 1188 und 1196, hat er einige politische Verwicklungen, die auch ihn betrafen oder in deren Mittelpunkt er stand, in diese Weltchronik aufgenommen.
1 Die ausführlichen Nachweise zu den folgenden Lebensdaten sind unten zu finden in der Bibliographie Autoren: O. Holder-Egger, Sicardi Cronica; 1, De vita Sicardi, p. 22–59. Auswahlbibliographie: Brocchieri, Coleman, Vauchez; ferner bei: L. Astagnabo, Codex diplomaticus Cremonensis, 2. Bde. Historiae Patriae Monumenta, ser. II, tom. 21–22, Torino 1898; G. Picasso, in: Dictionnaire de Spiritualité, XIV, (1990); S. Kuttner, Refexions sur les Brocardes der Glossateurs, in: Melanges de Ghellinck, 2, Gembloux 1952; Die Register Innozenz’ III., 1, Graz, Köln 1964. Außerdem in der Einführung zu meiner Ausgabe Sicardi Cremonensis episcopi Mitralis de officiis ecclesiaticis, Corpus Christianorum Continuatio Medi aeualis 228, Turnhout, 2008. 2 Im Titel heißt es bei diesem kirchenrechtlichen Werk: secundum magistrum Sykardum, Cremonensem episcopum.
Einleitung
Sicards rege Tätigkeit als Bischof wird durch manche Urkunde und einmal sogar durch ein anerkennendes Schreiben Papst Innozenz’ III. bezeugt. Sein politisches Engagement, hauptsächlich als Vermittler und Friedensstifter zwischen Papst und Stauferkaiser sowie zwischen seiner Stadt und dem Lombardischen Bund, wird in diversen Aktionen belegt. Wie verworren die politischen Verhältnisse in der Lombardei waren, wird deutlich im Jahr 1201, als wegen der Verhaftung eines päpstlichen Gesandten die freie Stadt Cremona von Innozenz III. mit dem Interdikt belegt, der Bischof aber ausgenommen wurde. Nun wagte es Sicard nicht, sich als Vermittler einzuschalten oder sich für eine der Parteien zu entscheiden. Stattdessen entschloß er sich noch im November 1201 zur Teilnahme am Kreuzzug in das Heilige Land. Tatsächlich reiste er im Frühjahr 1202 mit zwei Kardinälen nach Akko. Mitte Oktober 1204 ist Sicard in Konstantinopel nachweisbar, also ein halbes Jahr nach der Eroberung durch die venezianischen Kreuzfahrer. Über seine Rückkehr ist nichts weiter bekannt, außer einer Amtshandlung in Cremona im Dezember 1205. Diese Daten sind möglicherweise für die Überlegungen zur Datierung des Mitralis bedeutsam. In den folgenden Jahren war Sicards Geschicklichkeit, im Konflikt innerhalb der Parteien Cremonas zu vermitteln, sehr gefragt. Auch musste er in der großen Politik unmittelbar mit dem Welfen-König Otto IV. und dem Staufer-Kaiser Friedrich II. tätig sein. Papst Innozenz III. ernannte ihn 1208 zum uisita tor et prouisor, also zum päpstlichen Legaten und Beauftragten für die weltlichen Belange des Papstes in der Lombardei, und bemühte sich 1210, allerdings vergeblich, Sicard zu einer neuen Kreuzfahrt zu gewinnen. Kurz vor seinem Tode bestimmte ihn der erkrankte lateinische Patriarch von Konstantinopel mit zwei anderen Persönlichkeiten, beim Papst wegen der Nachfolgeregelung vorstellig zu werden. Der eigene Gesundheitszustand Sicards verschlechterte sich 1214, – seine Chronik führte er selbst nicht mehr fort – so dass er das Amt des päpstlichen Legaten über die anderen lombardischen Diözesen zurückgab.
Einleitung
Im Cremoneser Nekrolog3 heißt es dann: “Am 6. Tag vor den Iden des Juni im Jahr des Herrn 1215 ruhte Sicard, Bischof von Cremona, von seinen Mühen aus. Dank seiner Wohltaten besitzen wir eine Partikel vom hl. Kreuz und den Leib des hl. Homobonus sowie einen Arm des hl. Bischofs und Märtyrers Maximin sowie zwei große Kandelaber, ferner ein Buch mit dem Titel Mi trale.“ Er starb also am 8. Juni 1215. In der Chronica des Alberto de Bezanis, einem Cremoneser Abt vom Anfang des 15. Jahrhunderts, liest man: “Im Jahr des Herrn 1185 wurde Sicard Bischof von Cremona. Er war ein hervorragender Mann im Leben und in der Wissenschaft.“4 – Weitere Erkenntnisse zu Sicards Persönlichkeit sind nur aus seinen Werken herauszulesen.
Der Titel “Mitralis“ Zur Titelwahl für dieses liturgiehistorische Werk äußert sich Sicard nicht im Prolog des Werkes. Man braucht aber den verschiedenen Bedeutungen des griechischen Lehnworts in der Antike5 und dann bei Isidor von Sevilla6 nicht weiter nachzugehen, weil die Bedeutung der Mitra als bischöfliche Kopfbedeckung allgemein geworden war und Sicard an zwei Stellen sein spezielles Anliegen deutlich werden lässt. Sicard hat das sonst ungebräuchliche Adjektiv mitralis (zu ergänzen: liber), (nicht das Neutrum mitrale, wie es schon fälschlich in seiner Todesanzeige heißt) gewählt. Die Wortwahl lässt also aufhorchen. Zu dem Wort mitra, das auch die Vulgata kennt, äußert er sich, indem er seinen Gewährsmann Honorius Augustodunensis frei zitiert und dabei noch Eigenes beisteuert (in der folgenden Stelle ist das Bibelzitat ‘kursiv’, nicht Identisches ‘petit’ gesetzt): O. Holder-Egger, S. 58/59; Brocchieri, S. 28 Anm. 88. Ed. O. Holder-Egger, MGH, Scr. 3, Hannover/Leipzig 1908, p. 30. Vgl. für Sicard selbst etwa die Beschreibung der Bischofspflichten in Mitralis II 5, besonders S. 177. 5 Griechisch: Leibbinde, Kopfband. Römisch: Kopfbedeckung von Frauen. 6 Mitra est pilleum phrygicum, caput protegens, quae est ornamentum capitis deuo tarum. Mitra ex lana est. Sed pilleum uirorum est, mitrae autem feminarum. – Mitra ist eine phrygische Mütze, die den Kopf bedeckt, ein Kopfschmuck von Frauen, die sich dem Dienst Gottes geweiht haben. Sie ist aus Leinen. Die Mütze ist für Männer, die Mitra für Frauen. Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 19, 31, 1. 4. 3 4
Einleitung
Honorius Augustodunensis, Gemma I 214 col. 609:
Sicard, Mitralis II 5 S. 175
Mitra quoque pontificalis est sum- Die Mitra stammt vom Gesetz, sie pta ex usu legis. Haec ex bisso con- heißt auch ‘tiara, cidaris, ínfula, ficietur et tiara, ydris, infula dicitur. pileum’. Sie wird aus feinem Linnen
gefertigt, mit Gold und Edelsteinen geschmückt, sie hat hinten zwei Hörner und zwei Streifen und unten herabhängende Fransen. Mit ihr wird
Mitra quoque caput velat, in quo sensus sunt locati, est custodia sensuum ab illecebris mundi in mandatis Domini, pro corona vitae, quam repromisit Deus diligentibus se. (Jak 1,2). Mitra etiam est Ecclesia,
das Haupt verhüllt und gekrönt. Sie symbolisiert den Schutz der fünf Sinne vor den Verlockungen der Welt entsprechend den Geboten des Herrn, wegen der Krone des Lebens, die denen verheißen ist, die Gott lieben. Oder sie bezeichnet die Kirche, die
durch das Linnen der Reinheit, das Gold der Weisheit, die glitzernden Edelsteine der Tugenden geziert wird, die beide Testamente verkündet, beide Liebesgebote ständig erfüllt, in den Niedrigsten aber mit Schmach und Unruhe die Widrigkeiten erträgt.
Sie krönt das Haupt Christi, wenn sie rein durch die Taufe, weiß durch die Mühen guter Werke, das Haupt für die Krone der Herrlich dum Ecclesia baptismate mundata, keit nachahmt und von Herzen labore bonorum operum candidata, über seine Würde frohlockt. caput suum, scilicet Christum, in gloria videre anhelat, dum Ecclesia eius doctrina illustrata dignitati eius congratulatur. Honorius, Gemma I 243 Durch die Mitra empfangen wir Illorum mitra regni coronam, alba die Krone des Königtums, durch sacerdotii prefert stolam. das weiße Gewand die priesterliche Würde.
caput vero Christus, eius figuram gerit episcopus. Mitra ergo ex bysso facta multo labore ad candorem perducta caput pontificis circumdat,
Deutlich wird zunächst Sicards Art der Übernahme aus anderen Autoren, indem er den vorgefundenen Text mit eigenen Gedanken erweitert. Wichtiger ist indes die inhaltliche Änderung.
Einleitung
Dies ist eine klare Beschreibung, die ihre Hauptaussage hat in den Begriffen “Kirche“ und “Haupt Christi“. Statt der Junktur mitra pontificalis bei Honorius, die auf die bischöfliche Amts tracht (statt auf die des Hohenpriesters) hinweisen könnte, übernimmt Sicard geschickt den zweiten Begriff ‘a lege’ aus seiner Quelle. Nun erhält die Mitra eine neue zentrale Bedeutung, die er seinem Werk zugrunde legt. Es besteht also weniger ein unmittelbarer Bezug zur Liturgie als vielmehr eine Anspielung auf Christus den König. Im übrigen mag Sicard bei seiner Titelwahl von Honorius Augustodunensis angeregt worden sein, der seine Schriften prägnant Elucidarium, Speculum ecclesiae, Gemma animae, Sacra mentarium genannt hatte. Später hat dann Durandus der Ältere, Bischof von Mende, bei seiner Verarbeitung des Sicardschen Mi tralis sein eigenes Werk nach der Brustplatte des Hohenpriesters Rationale diuinorum officiorum genannt.
Datierung des Mitralis Direkte zeitliche Angaben zu Sicards Werk fehlen, daher müssen die Daten aus dem Text erschlossen werden. Da alle Handschriften im Titel den Autor als episcopus Cremonensis bezeichnen, scheint 11857 für die Abfassung der früheste Termin zu sein. Bis zu Sicards Tod (8. Juni 1215)8 bleiben also 30 Jahre. Da eindeutige chronologische Zeugnisse, wann Sicard sein Werk Mitralis abgefaßt hat, leider nicht vorhanden sind, müssen Daten in vielleicht verwirrenden Einzelversuchen erschlossen werden. Nur soviel steht aufgrund Sicards eigener Aussage fest, dass er dieses Werk erst nach seiner Summa canonum von 1181 veröffentlichte.9 In der neueren Literatur differiert die zeit liche Einordnung; sie wird für die Jahre ‘vor 1195’ und für das 7 Sicards Bischofswahl fand nach dem Tod des Vorgängers Offred am 8. August 1185 statt. 8 Vgl. oben S. 18. Außerdem Sicardi Cronica, Continuatio, MGH SS 31, ed. Holder-Egger, p. 181: Anno MCCXV obiit presul Sighardus mense iunii huius operis conpilator. 9 S. 242 alibi super decretis … studiose tractauerimus.
Einleitung
Jahr 120010 angesetzt. Diese Datierung stützt sich lediglich auf die Nichterwähnung des cremoneser Laien Homobonus (†1195), dessen Kult Sicard 1196 förderte und dessen Kanonisation er schon 1199 erreichte. Doch Sicard beschränkt sich in Buch IX, wie Brocchieri selbst feststellt, auf le feste dei principali santi dell’anno liturgico. Gewiß hat Sicard, berücksichtigt man seine sonstigen zeitlichen Belastungen, mehrere Jahre für die Arbeit am Mitralis gebraucht und seine umfangreiche Darstellung der Liturgie während eines längeren Zeitraumes niedergeschrieben. Je nachdem, welchen Teil des Werkes man für die Zeitbestimmung benutzt, können die Ergebnisse also unterschiedlich aus fallen. Vielleicht lassen sich kleinere Inkonsequenzen im Aufbau des Werkes aus den zeitlichen Intervallen erklären. Das aber ist Spekulation. Sicard wertete unmittelbar besonders Autoren der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts aus, zuletzt Johannes Beleth (von ca. 1165). Lediglich das Buch seines Landsmannes Praepositinus, das nach Ansicht des Herausgebers in den Jahren vor 1196/1198 geschrieben sein soll,11 wäre für die Datierung relevant und würde den frühen Ansatz von Brocchieri unmöglich machen.12 Zu prüfen ist auch, ob ein Nutzer des Werkes einen zeitlichen Hinweis gibt: Oderigo, ein Domkapitular in Siena, der für seinen Ordo officiorum ecclésiae Senensis13 Sicards Mitralis weitgehend benutzte, hat sein Werk im Jahr 1215 abgeschlossen, wie im cap. 168 aus seiner graphischen Darstellung der Osterkerzen-Inschrift hervorgeht: Um ein großes Kreuz herum gruppiert steht: A. D. M.CC.XV. IND. III. A Ω, also Anno Domini 1215, Indictione 10 G.. S. Ficker, (1889) S. 9 “scheint die Annahme erlaubt, dass der Mitralis um die Wende des XII. Jahrhunderts verfaßt sei.” – Brocchieri, (1958) S. 72: “dal 1185 al 1195“. – Ch. Lefebvre in Dictionnaire de droit canonique, VII (1965) S. 1009: “composé en 1200“. – G.. Picasso in Dictionnaire de Spiritualité ascétique et mysti que, doctrine et histoire 14, (1990) S. 811: “sans doute rédigé avant 1195” – M. A. Aris in: Lexikon des Mittelalters VII (1995), col. 1833: “noch vor 1195“. – Gleiche Datierung: Repertorium fontium historiae medii aevi 10, 3, (2006) S. 347: “ante a. 1195 ut videtur.” – Bis auf Brocchieri entbehren die Datierungen einer Begründung. 11 Ed. Corbett, S. 14. 12 Vgl. unten S. 34 13 Siena, Biblioteca Comunale, cod. G V. 8. Vgl. Anm. 75. Siehe auch unten S. 32.
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tértia, Alpha – Omega. Jahreszahl und sog. Römerzinszahl (Indiktion ist ein 15-jähriger Zyklus) stimmen überein. Aber dieses Datum, identisch mit Sicards Todesjahr, führt uns nicht näher an das Datum der Fertigstellung des Mitralis heran. In der Literatur wird gemutmaßt, zu welcher Zeit Sicard das letzte Buch abgeschlossen und das Werk aus der Hand gegeben hat. Doch sollte man darüber hinaus auch mögliche indirekte Hinweise Sicards in den einzelnen Büchern, also wann er an einer Passage gearbeitet hat, gewissermaßen die Zwischentermine, berücksichtigen. Solche Spuren oder Hinweise sind nach unterschiedlichen Kriterien untersucht worden.14 Die Ergebnisse werden im folgenden zusammengefasst, sie sind leider nicht unmittelbar zwingend. Verwerten lassen sich möglicherweise einige Angaben, in denen Sicard eine Verbindung von Proprium de Tempore, Proprium de Sanctis der Messe und Officium herstellt. Diese Teile der Liturgie, die historisch gesehen keine gemeinsame Genese haben – bei den Heiligen auch gar nicht haben konnten – weisen unterein ander nur wenige Berührungspunkte auf.15 Doch Sicard scheint hier nach inneren Gemeinsamkeiten in einem Kirchenjahr gesucht und sie tatsächlich bei seinem Gewährsmann Honorius Augustodunensis in dessen Gemma animae gefunden zu haben. Zu beachten ist, dass Sicard diese übernommenen Bezüge, die wegen des mobilen Osterdatums nur für wenige Jahre passen, anscheinend ohne Vorbehalte setzt. Beim 17. Sonntag nach Pfingsten etwa findet sich bei Sicard16 ein interessantes Eingehen auf das Fest des heiligen Michael: “Das Offertorium erklärt das Beispiel Daniels, wenn er sagt: ‘Oraui – Ich hab gebetet’ (Dan 9,17). In diesem Vers wird der Engel erwähnt. Dies passt gut, weil dieses Offizium um das Fest der Weihe von St. Michael gesungen wird.“17 Das Offertorium geht im Text auf Dan 9 zurück. Vers 3 des Offertoriums hatte 14 Weinrich, 1999 und Weinrich, 2002 (siehe unten Anm. 64) sowie Ausgabe CC CM 228, Einführung S. XIII-XVII. 15 Etwa die auf den Kalender bezogenen Schriftlesungen, die Historiae, in der Matutin. 16 Mitralis VIII, 17, S. 705. 17 Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 4, 83.
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allerdings den bei Dan 9,21 genannten Erzengel Gabriel mit Michael vertauscht, der seit Gregor dem Großen als Nothelfer gilt. Zwischen den beiden Terminen lagen im Jahr 1204 immerhin noch fast zwei Wochen, aber die aus Honorius Augustodunensis stammende Bezugnahme hat auch später Wilhelm Durandus so überzeugt (oder war auch er unaufmerksam?), dass er die Passage wörtlich in sein Rationale aufnahm.18 Für eine zuverlässige Datierung reichen diese Stellen kaum aus. Vielleicht geht es mit einer anderen Methode besser: Bei einer Passage in Buch V, Kapitel 919, in der es um die Bestimmung des Ostertermins geht, setzt allerdings Sicard auch schon bei seinen Lesern zum Verstehen die Kenntnis der mittelalterlichen Chronologie voraus. Die Struktur der Passage stammt zwar aus Isidor (Etymologiae VI, 17, 32), der aber andere Beispielzahlen verwendet. Daher handelt es sich nicht um eine schlichte Übernahme. Sicard schreibt: Der Mond aber nimmt in den Augen der Men schen ab und zu, wie man oft sieht. Entsprechend fällt Ostern in den einzelnen Jahren nicht auf denselben Tag. Denn heute ist es die Epakte 14. Im folgenden Jahr nach Hinzufügen der Zahl 11 wird die Epakte 25 betragen, im 3. Jahr nach erneuter Erhöhung um die Zahl 11 und dem Abzug von 30 entsteht nun die Epakte 6.20 Diese Angaben, die sehr kompliziert dargestellt sind, wird man wohl so deuten dürfen, dass im Jahr der Niederschrift für das Buch V für den Abfassungstag (hodie) die Epakte 14 gilt, im folgenden Jahr nach Hinzufügen der Zahl 11 (eben der Zahl, um die das Mondjahr an Tagen kürzer ist als das Sonnenjahr) die Epakte 25 beträgt, und dass im dritten Jahr nach erneuter Erhöhung um 11 und dem Abzug von 30 (also einem durchschnittlichen Sonnenmonat) nun die Epakte 6 entsteht. Wenn man dafür nun bei Ps.-Bedas Decemnouenales Circuli-Tabellen nach diesen Zahlen schaut, so stößt man dort im fraglichen Zeitraum Durantus (wie unten S. 42 Anm. 69) p. 567. Dort S. 209. 20 S. 211: Luna uero secundum uisum hominum crescere et decrescere sępe uide tur. Rursus nec eadem est per singulos annos in eodem die. Namque est hodie XIIIIa, reuoluto anno additis XI, erit hodie XXVa, et tertio anno, additis XI et abiectis XXX, erit hodie VIa. 18 19
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auf das Jahr 1201 (mit den Folgejahren 1202 und 1203)21 als möglichem Jahr der Entstehung von Buch V. Zu einem anderen, allerdings diesem Befund nicht widersprechenden Ergebnis kommt man für Buch VIII, wenn man weitere Angaben Sicards zum Ostertermin (S. 713) heranzieht, die allerdings wieder von Honorius Augustodunensis abhängig sind. Hier werden einzelnen Monaten bestimmte Termine des Kirchenjahres zugewiesen: dem Februar Septuagesima, dem März Aschermittwoch, dem April Ostern, dem Mai Pfingsten. Bei dieser Methode bleiben im Ausschlussverfahren für Buch VIII zunächst nur die Jahre 1197, 1200, 1202, 1203, 1205 möglich. Die Jahre 1197 und 1200 dürften wegen der eben ermittelten späteren Datierung von Buch V ausfallen. Andererseits scheidet 1203 wegen Sicards damaligen Aufenthalts im Heiligen Land aus.22 Somit bliebe nur das Jahr 1205 für die Beendigung der Arbeit an den neun Büchern des Mitralis. Diese Datierung würde ohne Schwierigkeiten zu Sicards gut bezeugter Reise ins Heilige Land und nach Konstantinopel passen, die in die Jahre 1203/04 gefallen war.23 Erst im Anschluß an seine Rückkehr nach Cremona im Jahr 1205 konnte er sich weiter seiner schriftstellerischen Arbeit widmen. Vielleicht hat er Buch VIII in dieser Zeit geschrieben und sich auf das zuletzt erlebte Kirchenjahr besonnen. Bei einem Erscheinungsjahr 1205 hätte Oderigo maximal ein Jahrzehnt zur Verfügung gehabt, um das in Cremona geschriebene Werk in Siena auszuwerten. Das erscheint sehr knapp, ist aber möglich.
21 Beda, Circuli. PL, 90, col. 863. Vgl. Missale Romanum, De anno et eius partibus. H. Grotefend, Zeitrechnung des Deutschen Mittelalters und der Neu zeit. 2 Bde. Hannover, 1891/98. ND 1997, I, S. 50 f. u. Tafel VI (8). 22 Weinrich, 1999 (siehe Anm. 64), S. 876. 23 Siehe oben S. 20. – Sicardi Cremonensis episcopi Chronicon, PL, 213, col. 535 f.; MGH SS, 31, S. 37.
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Der Aufbau des Werkes Charakteristik Nach Sicard ist die Liturgie von Christus eingesetzt und danach von den Aposteln und deren Nachfolgern ausgestaltet worden. Diese Änderungen hätten sich, und dabei folgt er Robertus Paululus (1. Viertel des 12. Jahrhunderts)24, stets ad ipsum uerum pon tificem, also auf Christus selbst als den wahren Herrn der Kirche bezogen.25 Nicht alle Ausgestaltungen der Päpste seien jedoch kodifiziert. Daher kann Sicard auch Varianten akzeptieren, die in Rom nicht in Gebrauch sind. Von manchem Brauch distanziert er sich. Sicard hat sein Werk Mitralis umfassend heilsgeschichtlich ausgerichtet, daher bildet das Alte Testament mit den beiden Zeitaltern “vor dem Gesetz des Moses und unter dem Gesetz“ sowie danach “die Zeit der Gnade“ seit dem Neuen Testament die Grundstruktur der Liturgie. Er wollte durchaus kein knappes Schulbuch für unerfahrene Geistliche schreiben (wie etwa Johannes Beleth von sich sagt), sondern suchte bei seinen gebildeten Lesern durch literarisch ansprechende Darstellung die Liebe zur Liturgie der Kirche zu vertiefen. Die literarische Intention und Qualität von Sicards Werk wird auch darin deutlich, dass er (bis auf Buch IX) den meisten Kapiteln26 ein Motto aus der Bibel vorausschickt, das zur jeweiligen Liturgie passt oder aus der Liturgie selbst stammt. Zu beachten ist vielleicht, dass er für die Adventszeit (Buch V) als Motto nur Stücke aus dem Offizium, nicht aus der Messe, wählt. In den Handschriften wird das Motto jedoch nicht eigens graphisch durch einen Absatz hervorgehoben. Sicard behandelt nicht nur die einzelnen Riten mit deren Gesängen, sondern weitet die Betrachtung der Liturgie durch ergiebige Interpretationen der Perikopen von Epistel und Evangelium 24 Siehe S. 201 Anm. c aus Robertus Paululus, De ceremoniis 2, 11 (col. 416C). 25 Siehe S. 197 Anm. a. 26 Nur bei fünf Kapiteln fehlt das Motto.
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aus. Dadurch rückt er die Liturgie in die Mitte des gelebten Glaubens der Kirche. Für sein Werk, dem alle Handschriften im Incipit den Gesamttitel Mitralis de officiis geben, scheint Sicard einen festen Plan gehabt haben. Seine Worte am Beginn des Werkes27 sind wohl so zu verstehen: Zuerst wollen wir uns daran machen, Betrachtungen anzustellen über die Kirche, die dem Paradies und der Arche oder dem erhabenen Speisesaal angenähert wird, und ihren Bau, ihren Schmuck und die Geräte, zweitens über die Einrichtung, die Kleidung und die Lebensweise der Altardiener, drittens deren Messen, viertens die Ordnung des Stundengebets (officium) zu beschreiben.
Diesem Plan entsprechend schließt er Buch IV mit einem ‘Amen’. Sicard deutet ferner darauf hin, dass er mit Buch V einen neuen Teil des Werkes beginnen wollte. Dieser Neuanfang von Buch V, in dem er den Beginn des Kirchenjahres vorstellt, ist grafisch nur noch in einer Handschrift28 deutlich: Gestalterisch ist in den Codizes sonst der Beginn eines neuen Buches nicht eigens hervorgehoben. Hier jedoch beginnt das Buch auf einer neuen rectoSeite und lässt zwei ganze Spalten leer. Der Titel der Einleitung beginnt in zwei Handschriften. mit der Floskel ‘ante rem’, was angesichts des doppelten Themas Die Vielfalt der Bücher und die Verschiedenheit der Zeiten (des Kirchenjahres) recht passend ist. Dieser umfängliche Prolog paßt nicht eigentlich für die Kapitel des beginnenden Buches, wohl aber für alle folgenden Bücher. Hinzuweisen ist noch auf einen Vermerk Sicards S. 86 bei Anm. a, in dem er auf seine “Abhandlung über die Toten“ hinweist, den er “weiter unten“ zu bringen beabsichtige. Er gibt tatsächlich in Buch IX, Kap. 50 einen Abschnitt de exequiis mortuorum, der dort wegen seiner Länge wie ein Fremdkörper wirkt. Möglicherweise war der Abschnitt im Zusammenhang von Buch I, hier bei dem Stichwort “Friedhof“, begonnen worden, dann aber später in den anderen Kontext versetzt und zu Ende geführt worden. 27 28
S. 70. Rom, Biblioteca Casanatense, ms. 446, 13. Jh.
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Sicards Quellen Gemeinsam ist den mittelalterlichen Liturgieerklärern der Wunsch, möglichst viele Ideen und Deutungen von den Vorgängern in ihr Werk so einzubauen, dass etwas Einmaliges entsteht. Auch hier zutreffend sagt Ernst Bernheim (im Hinblick auf Augustins Werk): “Man muss m. E. allgemein eine Art von Genialität und genialer Leistung anerkennen, die nicht wesentlich in der Hervorbringung ganz neuer, durchaus selbständiger Gedanken besteht, sondern in der Beherrschung und Zusammenfassung vorhandener Elemente so, dass sie in diesem Zusammenhange, in dem sie nun auftreten, und durch diesen Zusammenhang etwas Neues, neu Bedeutendes und Wirksames bieten.“29 Bei einer Analyse von Sicards Quellen ist an erster Stelle “die ungewöhnlich starke Benutzung der Heiligen Schrift“30 zu nennen, die nur zum Teil auf seine Quellen zurückgeht. Sicard konnte sicher aus seinem reichen Gedächtnis schöpfen und dürfte selten in seinem Bibel-Codex nachgeschlagen haben. Die Nachweise sind jedenfalls so reichlich, wie sie ein fleißiger und bibelfester Bearbeiter einer Handschrift im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert am Rand eingetragen hat und wie sie seither bis zum Druck von Migne beibehalten und vermehrt wurden. Selbstverständlich konnte Sicard als Bischof auf sein Missale und das Pontificale zurückgreifen. Er zitiert allerdings nicht immer wörtlich. Die historischen Notizen über Anweisungen der Päpste zur Liturgie, die aus dem Liber Pontificalis stammen, konnte Sicard aus seiner eigenen Weltchronik, der Cronica, übernehmen, ferner auch – und das ist nicht erstaunlich, weil Sicard der Verfasser einer Summa decretorum ist – aus Gratians Sammlung des kanonischen Rechts, der Concordia discordantium canonum, besonders aus dem 3. Teil de consecratione. Kirchenväter und -lehrer des Altertums und des Frühmittel alters bis zu Beda († 735) werden als auctoritates von Sicard namentE. Bernheim, Mittelalterliche Zeitanschauungen in ihrem Einfluss auf Politik und Geschichtsschreibung. Tübingen 1918 (Neudruck Aalen 1964), S. 12. 30 A. Franz, Die Messe S. 449. – Auf derselben Seite steht auch die Kritik “aber die Darstellung ist durch die übermäßig zahlreichen Zitate aus der Heiligen Schrift allzu breit geworden.“ 29
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lich genannt. Der Mitralis enthält über 100 wörtliche Zitate aus diesen Kirchenvätern und Anspielungen an sie, in der Mehrzahl aus Augustinus und Gregor I., daneben Hieronymus und Beda. Doch hat Sicard deren Schriften wohl in den seltensten Fällen selbst eingesehen, er zitiert vielmehr nach der jeweiligen sekundären Quelle. Autoren seit der Karolingerzeit und besonders aus dem 12. Jahrhundert führt Sicard nicht mehr unter Namensnennung an, ausgenommen drei Päpste bei Stellen aus Johannes Beleth: Gregor IV. (827-844) (mit dem Schreibfehler Gg. VII., statt Gg. IV.), Alexander II. (1061-1073) und Urban II. (1088-1099).31 Als Quellen für seine Darstellung nennt Sicard ca. 150 mal quidam – jemand, also Personen, die er nicht näher erläutert. Literarischem Brauch folgend schreibt er ut quidam ait oder aiunt bzw. ut quidam dixerunt. Doch nur an etwa 15 Stellen umschreibt Sicard auf diese Weise den Autor, bei dem er selbst die Stelle oder Meinung gefunden hat. In gleicher Anzahl aber übernimmt er die Formulierung quidam aus seiner jeweiligen Quelle wörtlich, mitunter etwas verändert, nicht unbedingt verbessernd. Sicard unterscheidet sich dabei kaum von den anderen Liturgikern des 12. und 13. Jahrhunderts. Diese Form des (modern gesehenen) Plagiats wird von heutigen Wissenschaftlern gern angeprangert. Hätte Sicard stets seine Quellen angegeben, wäre sein Werk unleserlich geworden. Was von ihm nicht direkt eingesehen wurde, läßt sich nur aus übernommenen und tradierten Fehlern erkennen. Deutlich wird es bei Sicard etwa in der falschen Zuschreibung der Formel offícium quasi effícium an Hieronymus, die er von Johannes Beleth abschrieb32, die Odericus danach in seinen Ordo übernahm und die Durandus dann wiederum mit Johannes Beleths Zusatz Hieronymus de officiis versah, obwohl die Formel von Isidor, Etymologiae VI 19, 1 stammt. Zur Art der Übernahme aus Johannes Beleth, aber auch für die Verwendung bei Odericus mag eine Übersicht nützlich sein. Abgedruckt wird der Text des Johannes Beleth nach dem Druck CC CM 41A.33 Die Übersetzung des Textes Sicards befindet sich auf Seite 292. S. 731 und S. 453 aus Iohannes Beleth, Summa 127 (p. 243) und 250. S. 292. Vgl. Weinrich, 1999 (siehe Anm. 64), S. 381. 33 Sicard zitiert aus Johannes Beleths III. Rezension. Die Änderungen sind hier eingearbeitet und durch Sperrung kenntlich gemacht. 31 32
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Johannes Beleth, De ecclesiasticis officiis, ed. h. Douteil p. 40.
Sicardus Cremonensis, Mitralis, ed. G. Sarbak/L. Weinrich p. 222.
Odericus, Ordo officiorum ecclesiae Senensis, ed. J. G. Trombelli p. 3.
Capitulum 18 De ecclesiasticis officiis
Incipit liber IV De officiis Ecclesię Prologus
Cap. 1 Quid sit officium et unde dicatur et quis illud ordinauit in Ecclesia Dei ?
Primo ergo uidendum est,
Expedit his, quos labor officiorum exagitat, inuestigare, quid sit officium et unde dicatur. Officium est, ut ait Ysidorus, congruus actus uniuscuiusque secun dum leges et mores ciuitatis uel instituta professionis.
Expedit his, quos labor officiorum exagitat, inuestigare, quid sit officium et unde dicatur. Officium est, ut ait Isidorus, congruus actus uniuscuiusque secun dum leges et mores ciuitatis uel instituta professionis.
Alia namque sunt instituta monachorum, alia canonicorum. heremite, et sic de aliis. Dicitur autem officium, ut Dicitur autem officium, ut dicit Ieronimus in libro ait Ieronimus, quasi effide officiis: Of f i c ium est cium, quia unusquisque dequasi efficium ab efficio, ef bet efficere suum officium. ficis. Vnicuique enim suum Vel quia in eo sunt agenda, officium efficere incumbit. quę prosint omnibus et nulli officiant. De officiis agendum est generaliter et particulaSunt autem officia quędam riter. Sunt enim quedam genera- generalia per totum annum lia officia et uniforma, que obseruanda, ut matutinę et septem horę. per totum annum obser uantur ut hore, uespere et conpletorium et misse quedam et matutine quedam. Quędam sunt specialia secundum diuersitatem temSunt etiam quedam porum, quędam secundum specialia, que uariantur distantiam solempnitatum. secundum diuersitatem temporum et distantiam sollempnitatum: S ecundum Alia enim cantantur in quadragesima, alia in diuersitates temporum, aduentu, alia in pascha, alia quoniam alia cantantur in Natali. in quadragesima, alia in paschali tempore, alia in estate, alia in aduentu.
Alia namque sunt instituta monachorum, alia canonicorum. Est autem officium, ut ait Hieronymus, quasi efficium, quia unusquisque debet efficere suum officium. Vel quia in eo sunt agenda, quae prosint omnibus et nulli officiant.
Pertractatis quattuor primis capitulis de quinto et ultimo agendum est, sc. de ecclesiasticis officiis.
quid sit officium, secundo unde dicatur, tertio qualiter de eo sit agendum. Officium sic describitur ab Ysidoro: Officium est proprius u e l c o n g r u u s actus unius cuiusque secundum mores et leges ciuitatis uel instituta professionis. Alia enim habent instituta monachi, alia canonici, alia
Sunt autem officia quaedam generalia per totum annum obseruanda,
Quaedam specialia secundum diuersitatem temporum, quaedam secundum distantiam solemnitatum, …alia in adventu, alia in pascha, alia…
Während sich Sicard Änderungen an seiner Vorlage erlaubt, hält sich Odericus genau an Sicards Text.
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Große Anleihen, gerade auch konzeptioneller Art, hat Sicard neben Amalar34 bei den Liturgikern des 12. Jahrhunderts gemacht, so hauptsächlich bei Honorius Augustodunensis, Gemma animae (ohne Buch VII und IX), bei Johannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis (erst ab Buch III, weil der Stoff der Bücher I und II des Mitralis bei Beleth fast gar nicht behandelt wird), bei Hugo von St. Victor und dem anonymen Ps.-Hugo sowie bei Rupert von Deutz, De diuinis officiis (ohne Buch IX). In Buch VIII mit den 23 Sonntagen nach Pfingsten konnte Sicard nur auf Rupert und Honorius Augustodunensis zurückgreifen, weil allein deren Werke35 diese Zeit des Kirchenjahres behandeln.36 Etwas unsicher bleibt, ob Sicard den Tractatus de officiis des Magister Praepositinus Cremonensis benutzt hat. Wörtliche Zitate liegen nicht vor, doch könnte die (biblische) Junktur lex et prophetę (vgl. S. 551 Anm. b) auf die vor 1196/1198 von Sicards Landsmann Praepositinus abgefaßte Schrift zurückgehen. Die Realien der Beschreibung dieses Teils der Messe an Gründonnerstag stammen zwar direkt aus dem Pontificale Romanum saeculi XII., doch der Verweis auf Mt 7,12, der sich jedenfalls bei Amalar nicht findet, rechtfertigt wohl die Aufnahme des Praepositinus in den Index der Quellen des Mitralis – und damit die Datierung “nach 1195“. Festzuhalten ist, wie stark und fast ausschließlich Sicard bei der Beschreibung der 3. Adventswoche die Schrift des Rupert von Deutz als Quelle nutzt.37 Er zitiert hier jeweils einige Sätze, um daran längere Paraphrasen aus Rupert anzuknüpfen. Dann fährt er in ähnlicher Arbeitsweise38 mit Exzerpten aus Johannes Beleth39 fort. Siehe über Amalar S. 17. Im Speculum ecclesiae des Honorius werden allerdings nur einzelne Sonntage nach Pfingsten behandelt. 36 Iohannes Beleth, Summa 114 (p. 215) beendet dagegen vorher die chronologische Behandlung des Kirchenjahres mit der Pfingstoktav. 37 Rupertus Tuitiensis, De Officiis. 3, 4–9 (p. 68–74). 38 S. 383 bei Anm. a. 39 Iohannes Beleth, Summa 134 (p. 254–256). 34
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Auch die Darstellung Sicards über die Quadragesima in Buch VI fußt weitgehend auf dem Liber de diuinis officiis des Rupert von Deutz40, erst ab dem Sonntag Laetare werden von Sicard auch andere Autoren herangezogen. Lediglich auf eine Quelle (Johannes Beleth41) gestützt, formuliert er die Übersicht über das Triduum Sacrum (S. 535). Eine wichtige Quelle Sicards war jedenfalls das etwa einhundert Jahre ältere Werk (1108/1112) des Rupert von Deutz.42 Ein Stilvergleich mit Rupert mag die Arbeitsweise und den Charakter von Sicards Darstellung beleuchten. Es geht hier dabei um den Ostertermin, der in den Frühling fällt: Rupert, 6, 27 übers. H. u. I. Deutz (S. 849)
Sicard, Mitralis Buch VI, Kap. 14a S. 577
Die Tagundnachtgleiche aber, nach deren Vorübergang der Tag schon die Dauer der Nacht überschreitet und der Nacht die Stunden wegnimmt, ihr mindert und sich hinzufügt, bedeutet zeichenhaft, dass nach der Nacht der Unkenntnis der Tag der Erkenntnis Gottes in langer Heiterkeit sich auszudehnen begonnen hat und der Eifer und die Mühe derer, die die Wahrheit Gottes erkennen, die Menge der Unwissenden verringert haben. Auch die Kräfte der Natur stimmen uns darüber freudig und nähren die Kindlichkeit unseres Empfindens, weil die weiche Luft nach der Härte des Winters Frühlingsdüfte wehen läßt, das noch nicht lange ‘vom starren Frost’ (Lukan, Bell. Civ. 4, 108)
Da die Tagundnachtgleiche schon vorüber ist und der Tag die Nacht übertrifft, wird diese Nacht gefeiert, weil sich nach der Unkenntnis die Erkenntnis über Gott ausdehnt, und wo die Sünde mächtig wurde, da ist nun die Gna de übergroß geworden (Röm 5,20).
Diese Nacht liegt im Frühling, wo nach der Härte des Winters
Siehe S. 398. Siehe S. 535 ff. nach Iohannes Beleth, Summa 101b-104 (p. 187–195). 42 Übersetzung von Helmut und Ilse Deutz in Fontes Christiani, Bd. 33, Freiburg/New York 1999. 40 41
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befreite Erdreich frisches Gras hervorwachsen läßt, die Blumen und die Saaten aus wieder belebter Frucht hervorsprießen und die Vögel des Himmels süß jubeln, da die traurige Kälte vertrieben ist.… da die Welt nämlich nach der Vertreibung der Kälte des Unglaubens und nach den Regengüssen der Laster in der Schönheit des Glaubens und der Tugenden wieder aufgeblüht ist.
Blumen blühen, Vögel jubilieren,
denn nach der Vertreibung der Kälte der Gottlosigkeit blüht nun die Welt in der Schönheit der Tugenden, und der Apostel Botschaft geht in die ganze Welt hinaus (Ps 19,5). Diese Nacht ist beiden Tagen gemeinsam… Diese Nacht…
Statt eines Schwelgens in Frühlingsgefühlen lässt Sicard in siebenfacher Anapher schon das Exsultet der Weihe der Osterkerze anklingen. Außerdem ist das Einbauen von zwei Bibelzitaten für seine Arbeitsweise typisch. Für die Darstellung der Heiligenfeste in Buch IX kommt neben anderen Viten und Legenden, die Sicard nur pauschal nennt,43 aber nicht exzerpiert, besonders das Martyrologium Ado nis in Betracht.44 Ado von Ferrières, ab 860 Bischof von Vienne, hatte sein Martyrologium im Jahr 850 herausgegeben, 875 erschien es in dritter Fassung. Usuardus, Mönch in St.-Germaindes-Prés, verarbeitete die Darstellung Ados; seine zweite Rezension gab er 877 heraus. Sie galt als klassisches Werk bis zum Martyrologium Romanum von 1586.
Sicards Arbeitsweise Sicard interpretiert, wie es seit Jahrhunderten für die Heilige Schrift üblich war, auch die Liturgie nach den vier Prinzipien: 43 Sie wurden ja oftmals für die ‘Historia’, also die Ausgestaltung des Stundengebets verwendet. 44 Vgl O. Holder-Egger, S. 621. – Vom Martyrologium des Ado stand Sicard (nach Brocchieri, S. 90, Anm. 48) eine 1181 angefertigte Handschrift in Cremona zur Verfügung.
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historisch, allegorisch, tropologisch und anagogisch.45 Dabei ist die Allegorie, wie sie von Amalar eingeführt worden war, das Grundmuster. Während Allegorie für die geschichtlichen Ereig nisse als wesenhaft anerkannt wird,46 wird sie heutzutage bei der Liturgieerklärung gern als “unerträglich gekünstelt“ und als “unheilvoll“ angesehen.47 Auch A. Franz bemängelt, dass bei Sicard “die Allegorie so stark überwiegt, dass oft der natürliche Sinn der Worte nicht zur Geltung kommen kann.“48 Durch Rückgriff auf die Elemente Anamnese und Epiklese glaubt man bei der Mess erklärung die Allegorie überwunden zu haben.49 Als Grundprinzip der Liturgie faßt Sicard zusammen: “Von dem, was in der Messe gesprochen, gesungen oder durch Gebärden vorgestellt wird, ist einiges eine Vergegenwärtigung von Vergangenem, einiges eine Schilderung von Gegenwärtigem, einiges ein Ausblick auf Zukünftiges“.50 Diese drei Gesichtspunkte hat er stets bei seiner Darlegung im Sinn. Die Arbeitsweise Sicards mag hier an einigen charakteristischen Beispielen deutlich werden. Er hatte ja im Vorwort angedeutet, dass er die Kirche schon im Paradies vorgebildet sieht, und beschränkt sich nicht auf eine äußere Beschreibung der Gebäude und ihrer Weihe (nach dem Pontificale), sondern zielt auf ihre spirituelle Deutung. Dafür kann er nur auf wenige Autoren zurückgreifen. Nachdem Sicard die sieben Weihegrade der Kleriker (S. 145 f.) wieder anhand des Pontificale beschrieben hat, behandelt er das Thema der Nachfolge Christi im folgenden Kapitel. Zunächst zeigt er, prägnant gekürzt, aus Hugo von St. Viktor, wie Christus diese einzelnen Grade vorlebte, und weist dann (angeregt durch einige Zeilen im Ps.-Hugo) darauf hin, wie auch die Laien auf ihre Art die geistlichen Ämter in der Nachfolge des Herrn ausüben können und sollen. 45 Siehe S. 122: Exponitur enim ystorialiter, allegorice, tropologice, anagogice. – Diese Begriffe erläutert er dort. 46 G. Siewerth in 2LThK I col. 342 s. v. Allegorie. 47 B. Fischer in 2+3LThK I col. 414 u. 482 s. v. Amalarius. 48 A. Franz, Die Messe S. 450. 49 Prof. A. Häussling OSB in 3LThK I col. 402, s. v. Allegorische Messerklärung. 50 Siehe S. 197. Ähnliche Formulierung S. 452.
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Im Buch über die Messe geht er besonders auf das Offertorium ein (S. 235 f.). Neben seinem Missale stand ihm offensichtlich ein Exemplar der Gemma animae des Honorius zur Verfügung. Diese Schrift exzerpierte er ausgiebig. Er bezieht sich auf diesen Autor mit dem üblichen ‘quidam aiunt’. Dann erläutert er weiter nach Honorius die Gabenprozession im Rückblick auf Moses (Ex 34 und Ex 35) und Christus (Mt 21,8). Doch danach geht er über diese allegorische Interpretation hinaus und deutet die Opfergaben als Zeichen der gegenwärtigen Gerechtigkeit (signa pręsentis iustítię). In Buch IV beschreibt Sicard das Officium ausführlich jeweils mit dem Ablauf der einzelnen Horen. In dem Ablauf der kanonischen Gebetsstunden einer Woche sieht er ein Abbild der sechs Zeitalter (ętates) (S. 204), gleiches symbolisieren die sechs Antiphonen (S. 297). Darüber hinaus bedeuten für Sicard – er macht hier einen seiner vielen Ausflüge in die Zahlensymbolik51 – die sieben Stundengebete auch die sieben Zeitalter sowie die sieben Lebensalter des Menschen (S. 310) und die sieben Gaben des Heiligen Geistes (S. 311). Auf S. 282 hatte Sicard nach Honorius52 auch das siebenmalige Dominus uobiscum der Messe mit den Gaben des Heiligen Geistes gleichgesetzt. An einer Stelle kommentiert sich Sicard selbst unter Namens nennung. Bei der Darlegung über das Athanasianische Symbolum (S. 327) verteidigt er einen gesetzten Singular “ut Sycardus scribit“. Doch diese Form der Selbstzitierung ist wohl eine stilistische Übernahme aus Johannes Beleth, der sich selbst öfter mit seinem Namen einführt.53 Mehrmals beantwortet Sicard fiktive Fragen zu Sachverhalten. Mitunter, so S. 213, stammt das “respondeo – Ich antworte“ Sicards allerdings aus der übernommenen Quelle. Bemerkenswert ist, dass für Sicards Kommentierung von einigen wichtigen Stücken der Liturgie kaum Quellen gefunden werden konnten. Sicard ist hier also offensichtlich ganz Siehe S. 311: Nam et septenarius numerus est uniuersitatis. Honorius Augustodunensis, Gemma 2, 53 (col. 632D). 53 Andere Deutung noch Weinrich, 1999, S. 870 (siehe Anm. 64), wo eine fremde Kommentierung vermutet wurde. 51 52
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s elbständig vorgegangen. Dies betrifft das Glaubensbekenntnis in der Messe: Sýmbolum Nicaeno-Constantinopolitanum, (S. 233), ferner Pater noster (S. 269), Sýmbolum Athanasianum, (S. 327) und Sýmbolum Apostólicum (S. 508). Beim Mess-Credo allerdings beschränkt sich Sicard darauf, lediglich die Rubriken zu erläutern. Ähnlich unabhängig kommentiert Sicard die großen Responsorien der Adventszeit. Konnte er für das 1. Responsorium Aspíciens a longe (S. 371) einige Sätze oder Gedanken bei Amalar, Honorius und Johannes Beleth finden, so mußte er den Kommentar zum 2. Responsorium Aspiciebam (S. 375) selbständig gestalten. Bei den übrigen Responsorien formulierte Sicard seine Bemerkungen ebenfalls frei ohne nachweisbare Vorlagen. Für das Kirchenjahr, das Sicard im zweiten Teil des Mitra lis darstellt, legt er die vier Festkreise zugrunde, die Johannes Beleth in Analogie zu den vier Jahres- und Tageszeiten in den vier Zeitaltern seit Adam sah. Allerdings scheuten sich beide, die Vorbereitungszeit auf die Ankunft Christi folgerichtig als Nacht des Irrtums und der Sünde zu beschreiben. Doch “die löbliche Mannigfaltigkeit der Offizien“ ermöglichte es, diese Ordnung oder Interpretation zu verlassen und mit dem Advent als dem Rückruf der Menschheit zu beginnen und nach Epiphanie mit dem Irrweg der Menschen fortzufahren.54 Nach der extrem weitschweifenden Darstellung der liturgischen Feiern vom Advent bis zur Osteroktav scheint ein Bruch zum weiteren Kirchenjahr vorzuliegen. Sicard begründet im Prolog zu Buch VII den Einschnitt damit, dass durch das Wirken Christi bis zum Tod und zur Auferstehung nun die Schuld Adams getilgt sei. Es werde im folgenden von der Kirche nur diese Versöhnung gefeiert. Bei Sicards Vorbildern hatten Johannes Beleth und Robertus Paululus diese Zeit vom Weißen Sonntag bis Pfingsten gar nicht mehr berücksichtigt. Von Honorius übernimmt Sicard nicht dessen Betonung dieses Zeitabschnitts unter dem Gedanken der Trinität,55 stattdessen beschreibt er die Sonntage als Zeit der Osterfreude. 54 55
Siehe die Einleitungen zu Buch V und VI S. 361 und S. 451 Honorius Augustodunensis, Gemma 4, 24/28.
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Doch diese Sicht kann Sicard nicht durchhalten, denn die Tage der Bittprozessionen (S. 652) stören den Osterjubel. Um solchen Einbruch zu begründen, übernimmt Sicard die Äußerungen Johannes Beleths,56 Bischof Mamertus habe den Termin der Prozessionen zwischen den 5. Ostersonntag und Himmelfahrt Christi gelegt, weil das Wort Christi, “Petite – Bittet“, das im vorangehenden Sonntagsevangelium steht (S. 653), hier besonders passend sei. So wie der Papst die Markus-Bittprozession57 institutionalisiert habe, so habe Rom auch diesen partikularen Brauch des Gallikanischen Ritus der “kleinen Bitttage“ kanonisiert und zu einem universalen gemacht. Zwar stammen diese historischen und rubrikalen Darlegungen aus Johannes Beleth, Paulus Diaconus und dem römischen Ordo 2158, auch konnte Sicard die Passage über die Gesangsstücke der Bittmesse wiederum aus Rupert59 übernehmen, doch er erweitert seine Darstellung noch um generelle Bezüge zum Alten Testament. Dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten entspricht für ihn die Ordnung des Kults bei den Prozessionen. Bei der Pfingstoktav läßt sich Sicard darauf ein zu erklären, warum die Liturgie an den drei Quatembertagen das Fasten vorsieht, das eigentlich, wie er indirekt zugibt60, nicht in die Freude des Hochfestes hineinpaßt. Da er keine Kenntnisse über die – noch heute terminlich umstrittene – Einfügung in die römische Liturgie hatte, harmonisiert er, indem er nach Rupert61 auf das Herrenwort verweist: Sponso ablato, apóstolis ieiunandum erat.62
Siehe S. 653 aus Iohannes Beleth, Summa 122 (p. 234). Am Festtag des hl. Markus am 25. April. 58 Siehe S. 653 aus Iohannes Beleth, Summa 122a -123 (p. 233–237); aus Paulus Diaconus, Vita Gregorii 10 col. 45D-46C); aus Les ordines Romani du Haut Moyen Age, Ordo 21, 10A (III S. 248). 59 S. 657 aus Rvpertus Tvitiensis, De officiis 9, 5 (p. 312). 60 S. 678: Et attende, quod sollempnitate sancti Spiritus ieiunium Quatuor temporum non derogat hodiernum, sed potius illustrat. 61 Rupertus Tuitiensis, De officiis 10, 26 (S. 363). 62 S. 678 zu Mt. 9, 15. 56
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Die noch radikalere Kürze der Darstellung ab dem 2. Sonntag nach Pfingsten (Buch VIII) und besonders die knappen Erläuterungen zu den Heiligenfesten (Buch IX) stehen im Kontrast zu Sicards Büchern V und VI. Sicards Gewährsmänner schon von Amalar an lassen diese Zeit in ihren Darstellungen einfach aus. Lediglich Honorius benutzte die Sonntage nach Pfingsten, um jeweils einen Vergleich der christlichen Liturgie mit den Abläufen im Alten Testament zu ziehen: die Zeit “unter dem Gesetz“ und “unter der Gnade“ werden gegenübergestellt.63 Sicard übernimmt zwar jeweils die alttestamentlichen Bezüge, lässt aber den Vergleich mit dem Evangelium des jeweiligen Sonntags aus. Er betrachtet die Zeit von Pfingsten bis zum Advent als die Zeit der Pilgerschaft. Für die Interpretationen der Perikopen aus dem Neuen Testament stützt er sich auf Rupert von Deutz. Sicard zollt also der Tatsache Tribut, dass im Spätmittelalter das Próprium de Témpore weithin durch das Próprium de Sanctis überdeckt wurde und im Kirchenjahr keine große Rolle spielte. Außerdem mag Sicard sich, de brevitate vitae cógitans, um die Vollendung seines opus magnum gesorgt haben. Doch dafür gibt es keinen Beleg. Es ist ein Verdienst Sicards, dass er das Kirchenjahr mit dem Beginn am 1. Adventssonntag dargestellt hat; diese zeitliche Festlegung wurde dann von Durandus übernommen und so gesichert. Sicard lässt sich in Buch IX verhältnismäßig wenig auf die ausschmückenden Heiligenlegenden ein. Diese relative Abstinenz hat einen Leser einer Handschrift veranlaßt, die anschauliche Beschreibung der Legende des hl. Andreas aus Johannes Beleth am Rand nachzutragen. Aber Sicard beschränkt sich eben weitgehend auf die Gestaltung der Festtage, wie sie in der Messe und im Stundengebet vorlag. 63 Honorius Augustodunensis, Gemma 4, 43–97 (col. 704B-747C). – Honorius beendet danach das Kirchenjahr nicht, sondern schließt ohne Übergang den Advent bis Pfingsten an (III 99–117 [col. 728A-736C]). Im Speculum ecclesiae behandelt er nur die Sonntage 1, 2, 10, 11, 13, 20, 22 und 23 nach Pfingsten (col. 1038D-1078B).
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In der knappen “Schlussbemerkung“ nach Buch IX spielt Sicard noch einmal auf seinen Eingangsgedanken vom Anfang des Werkes an und ermuntert seine Leser, sie sollten so, wie der Herr zum himmlischen Gastmahl einlädt, den gedeckten Tisch der Liturgie nutzen, den er, Sicard, ihnen ausgebreitet hat.
Benutzung des Werkes Die Benutzung eines mittelalterlichen Buches lässt sich zunächst oft an der Zahl der Abschriften ablesen. Über die wenigen erhaltenen Handschriften mit Sicards Text braucht hier nicht viel gesagt zu werden,64 weil diese zuletzt in der Ausgabe CC CM 22865 ausführlich untersucht wurden. Hier genügt der Hinweis, dass der Druck vom Jahr 1855 bei J.-P. Migne66 auf einer Abschrift beruhte, die Comte Charles de l’Escalopier im Jahr 1845 gefertigt hatte. Im Vergleich zu den 200 Handschriften des Durandus und den oft an die Durandus-Codizes angehängten 100 des Johannes Beleth nimmt sich sie Verbreitung des Mitralis mit seinen neun z. T. unvollständigen Exemplaren recht bescheiden aus. Immerhin kennen wir die frühe Nebenüberlieferung vom Anfang des 13. Jahrhunderts: Oderigos Ordo officiorum Senensis ecclesiae. Dieser Domkapitular hat in seinem Werk, wie er schreibt, nicht nur “zum allgemeinen Nutzen aller Geistlichen des Bistums Siena die Ordnung der Liturgie“ aufgelistet, wie es dem Typus Ordo – Directórium entsprach, sondern auch “was für alle Geistlichen sehr nützlich ist, eingefügt, was Ihr bei öfterem Lesen klar wissen und finden könnt und über die wahre 64 Vgl. L. Weinrich, Die Handschriften des Mitralis de officiis des Sicard von Cremona, in F. J. Felten / N. Jaspert (Hgg.): Vita Religiosa im Mittelalter, Festschrift für Kaspar Elm, Berliner historische Studien Bd. 31, Ordensstudien XIII, Berlin, 1999, S. 865–876. L. Weinrich, Der Ordo officiorum Senensis ecclesię des Oderigo und Sicards Mitralis de officiis. In Sacris Erudiri 41 (2002) S. 375–389. 65 Dort S. XXV. 66 Patrologiae Latinae Cursus completus, tomus 213, Sicardi Cremonensis episcopi Mitrale, Paris 1855.
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Lehre allen, die Euch fragen, zuverlässig Antwort geben könnt.“67 In diesem Handbuch für das Bistum Siena wurden also die Gedanken Sicards, wie üblich stillschweigend, übernommen zur Verbreitung unter den Gläubigen. Oderigos Buch wurde im 13. Jahrhundert tatsächlich lange genutzt.68 Am Ende dieses Jahrhunderts wurde dann 1286 Sicard in Durandus’ Rationale diuinorum officiorum in starkem Maße exzerpiert.69 Wenngleich Durandus von Mende den Namen Sicards mehrfach nennt, so hat er doch seine Sätze und Absätze zumeist stillschweigend wörtlich übernommen. Diese weitgehende Einarbeitung des Textes aus Sicards Mitralis – der neuere Editor des Durandus schätzt, dass annähernd die Hälfte des Rationale aus Sicards Mitralis übernommen ist70 – hat dann wohl das weitere Abschreiben der Vorlage gestoppt, vielleicht auch bei einer der Handschriften die Fertigstellung verhindert. Doch für die Verbreitung der Methode und der Ideen Sicards war das Rationale des Durandus eminent wichtig. Auch hat Sicards Bemerkung, der ideale Termin der Kaiserkrönung sei der Sonntag Laetare (S. 500) über Durandus sogar Eingang in das Compendium zur Krönung Kaiser Karls V. 1529 gefunden.71 Immerhin zeigen einige Handschriften von Sicards Mitralis, dass die Schrift mit Interesse gelesen wurde. Eine Handschrift ist reich an Randbemerkungen, die knapp den Inhalt des jeweiligen Textes umschreiben, aber auch kritisch mit den Aussagen umgehen. Ebenfalls hat ein bewanderter Leser einer anderen Handschrift passende Merkverse zur Liturgie am Rande oder unter dem Text aufgeschrieben. Eine weitere Handschrift weist an mehreren Stellen längere Erweiterungen im Text auf. 67 Ordo officiorum ecclesiae Senensis ab Oderico ejusdem ecclesiae canonico Anno MCCXIII compositus: et nunc primum a. D. Ioanne Chrysostomo Trombelli Bono niensi, canonicorum regularium ex-generali et S. Salvatoris Bononiae abbate, editus et adnotationibus illustratus vindicatusque, Bononiae 1766, p. 2. 68 Eintrag im Sieneser Necrologium, vgl. L. Weinrich, 2002 (siehe Anm. 64) S. 375. 69 Vgl. die zehn Seiten Sicard-Nachweise im Index des Rationale. Siehe Guillel mus Durantus, Rationale diuinorum officiorum, hg. v. A. Davril/T. M. Thibodeau, CC CM, 140–140B. Hier 140B p. 295–304. 70 M. Thibodeau, Introduction, CC CM 140B S. 254. 71 Ordines coronationis imperialis XXVII, 21 S. 168.
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Aus dem 18. Jahrhundert gibt es Zeugnisse über die Bekannt heit Sicards. Allerdings kannte der Kirchenhistoriker L. A. Mabillon (1672-1750), der Sicards Chronica teilweise edierte, den Mitralis nicht und glaubte, er sei eine weitere chronikalische Schrift Sicards.72 Bei seinen Untersuchungen zur Taufspendung in seinem Werk Tractatus de Sacramentis73 verglich Giovanni Grisostomo Trombelli 1758 die Aussagen des Durandus74 und die des Oderigo, dessen Ordo officiorum ecclesiae Senensis75 er dann 1766 edierte, auch mit dem Text des Sicard. Diesen kannte er aus einer von ihm gekauften Handschrift, die er dann seinem Chorherrenkloster von S. Salvatore in Bologna vermachte. Die übereinstimmenden Aussagen der drei Autoren aus dem 13. Jahrhundert wertete er als allgemeiner verbreiteten Usus. Obwohl er also Codices der drei Werke vor sich liegen hatte, erkannte er die beiden Schriften Sicards und Oderigos zwar als gleichzeitig, zweifelte aber, welche die authentische wäre. Er vermutete, sie stammten beide von einem berühmteren Meister.76 Auch fand Trombelli die Vaterunser-Erklärung Sicards bemerkenswert und druckte sie in seinem Tractatus ab (p. 221-225). Ansonsten hält er sich mit Urteilen zurück. Angelo Mai (1782-1854), dem Kardinal und Präfekten der vatikanischen Bibliothek, waren zwei dortige Codizes mit Sicards Mitralis gut bekannt. Er hielt es, wie er schreibt, für unwürdig, dass diese überreiche Quelle über die Liturgie in einer unzugänglichen Grotte stecke, und war überzeugt, die Kostbarkeiten würden von Verständigen erkannt werden, wenn sie erst einmal gedruckt wären. Daher plante er eine Edition des Werkes, aber, wie er 1841 resignierend feststellte, im Hinblick auf 72 Einleitung zu Rerum Italicarum Scriptores VII. p. 523, Abdruck: Migne PL 213, p. 10. 73 Bd. I, Mailand 1758 (siehe Bibliographie, Literatur), p. 212–221. 74 Siehe Anm. 69. 75 Ordo officiorum ecclesiae Senensis ab Oderico ejusdem ecclesiae canonico Anno MCCXIII compositus: et nunc primum a. D. Ioanne Chrysostomo Trombelli Bono niensi, canonicorum regularium ex-generali et S. Salvatoris Bononiae abbate, editus et adnotationibus illustratus vindicatusque, Bononiae 1766, p. V. 76 Trombelli, (wie Anm. 73) p. 313: ab alio celebriori magistro.
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die Kürze des Lebens, de brevitate vitae cógitans, müsse er sich bescheiden und könne nur einige Exzerpte drucken.77 Nur wenige Jahre vor A. Mai hatte in Paris ein anderer Bibliophile den Plan einer vollständigen Ausgabe des Mitralis verfolgt. Comte Charles de l’Escalopier schrieb in jahrelanger Arbeit in Paris eine Handschrift des Mitralis ab, gab das Manuskript aber an den Verleger Abbé J.-P. Migne weiter. Infolge der Ausgabe des Mitralis durch Jacques-Paul Migne 1855 in der Patrologia Latina wurde Sicards Werk durchaus beachtet und in Monographien sowie in den entsprechenden Handbüchern behandelt. War es doch nun möglich, die hochmittel alterliche Liturgie besser wissenschaftlich zu untersuchen. Das wurde vom protestantischen Theologen Gerhard Paul Ficker78 und dem katholischen Archäologen Joseph Sauer79 genutzt. Adolf Franz widmet dem Mitralis 5 Seiten, Joseph Braun80 nennt Sicard 37 mal im Register, genau so oft wie den Durandus. J. A. Jungmann jedoch belegt manche liturgiehistorischen Fakten mit Durandus, statt mit Sicard, der die eigentliche Quelle darstellt.81 Das ist dann insofern etwas irreführend, weil die Darstellung “eine genetische Erklärung der römischen Messe“ (so der Untertitel) liefern sollte und Jungmann doch an möglichst alten Belegen interessiert war, nun aber die testimonia um ein ganzes Jahrhundert verschoben 77 Angelo MAI, Spicilegium Romanum, 10 Bde., Roma, 1839–1844, ND Graz, 1974, VI, p. 583. – Die Einleitung ist abgedruckt PL, 213, col. 11/12. 78 S. G. Ficker, Der Mitralis des Sicard nach seiner Bedeutung für die Ikono graphie des Mittelalters. Leipzig, 1889. 79 J. Sauer, Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auf fassung des Mittelalters, mit Berücksichtigung von Honorius Augustodunensis, Sicardus und Durandus, Freiburg i. Br., 21924. Neudruck Münster in Westfalen, 1964. 80 J. Braun, Die liturgische Gewandung im Okzident und Orient nach Ur sprung und Entwicklung, Verwendung und Symbolik. Freiburg im Breisgau, 1907, ND Darmstadt, 1964 81 So belegt Jungmann II S. 421 Anm. 38 das Fortlassen des Dona nobis pacem am Gründonnerstag mit Durandus, Rationale IV 52, 4, statt Sicard Mitralis, Buch VI, Kap. 12d, S. 558. Er zitiert auch I S. 557 Anm. 90 den Durandus IV 19, 1, die Passage stammt allerdings wörtlich aus Sicard Mitralis, Buch III, Kap. 3, S. 219, ist also ein Jahrhundert älter. Jungmann erwähnt Durandus dreimal so oft wie Sicard. Einen Beleg für die jeweils drei Lesungen in den Weihnachtsmessen hätte Jungmann I S. 507 Anm. 18 bei Sicard Mitralis Buch V, Kap. 6f, S. 419 finden können.
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hatte.82 Dem gegenüber äußern sich Joseph de Ghellinck,83 und Henri de Lubac84 nur sehr knapp über die pastoralen Bemühungen Sicards beim Herausarbeiten des Reichtums der Liturgie. Hier könnte noch mancher weitere Schatz gehoben werden.85 Aus der Zeit nach der Liturgiekonstitution des II. Vatikanischen Konzils läßt sich zum Mitralis außer den wenigen Bemerkungen bei G. Macy86 nur der Nachdruck der über ein Jahrhundert zurückliegenden Arbeit von P. G. Ficker registrieren.
Einrichtung des Bandes Bei der Struktur wird Sicards Einteilung in Buch, Kapitel und – weitgehend – Absätze wie in der Ausgabe CC CM 228 beibehalten. Die komplizierten Satzkonstruktionen sind vielfach aufgelöst und damit dem deutschen Sprachgebrauch angepasst. Die Bibelzitate werden gleich im Anschluss an die Stelle verifiziert, durchweg mit den Abkürzungen der sog. “Einheitsübersetzung“ von 1980. Die Übertragung folgt der Einheitsübersetzung, obwohl diese auf die jeweiligen Ursprachen zurückgeht und die Vulgataübersetzung, die von der Liturgie verwendet wird, nicht in besonderer Weise berücksichtigt. Mitunter lässt sich eine direkte Übernahme der Einheitsübersetzung nicht verantworten, weil die bei Sicard zugrundeliegende Vulgata einen völlig anderen Sinn ergibt. Hier wurde dann der Zusatz “Vg.“ (= Vulgata) in der Klammer eingefügt. Entlehnungen und notwendige Worterklärungen sind in Fußnoten erläutert. Die mit Anführungsstrichen (“…“) gekenn zeichneten und unten auf der Seite verifizierten Übernahmen aus den Quellen könnten den Eindruck erwecken, dass nur wenig Text von Sicard selbst stammt. Doch man muss berücksichtigen, Sicard war eine solche Bevorzugung des Alten fremd. L’essor de la litterature latine au XIIe siècle, Bruxelles, 1954,2 1955, S. 157. 84 Exégèse médiévale, les quatre sens de l’Écriture, 3 Bde., Paris, 1959–1964. 85 Vgl. etwa die Aufgaben der Laien, oben S. 37. 86 Commentaries on the Mass During the Early Scholastic Period. in Medieval Liturgy, A Book of Essays. L. Larson-Miller (Hg.), New York – London, 1997, S. 25–59. 82 83
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dass Sicard kaum einen Satz unverändert übernimmt, ihn vielmehr mit eigenen Worten und Gedanken paraphrasiert. Die Kennzeichnung verweist also nur auf Beginn und Ende der Stelle. Wenn dagegen eine Stelle nur eine lockere Reminiszenz an eine Vorlage enthält, wird diese mit ‘Vgl.’ deutlich gemacht. Da die von Sicard beschriebene Liturgie ja eine lateinische ist, werden bei den einzelnen Stücken (nicht bei den Psalmen) zunächst die Initien lateinisch zitiert. dann wird in Übersetzung der Wortlaut des Textes angeschlossen. Während Sicard nur in den ersten beiden Büchern die Kapiteleinteilung recht kleingliedrig vorgenommen hat, sind nun nach diesem Prinzip auch bei den weiteren Büchern die längeren Kapitel untergliedert, sodass im Überblick die Reichhaltigkeit der Riten besser zur Geltung kommt. Bei den Kapiteln gehen die Ziffern nicht auf Sicard, sondern auf den Erstdruck von J.-P. Migne zurück. Weil sie sich bei Zitierungen eingebürgert haben, werden sie auch hier verwendet, allerdings nicht im Buch VIII, weil sie dort nur eine unnötige und unschöne Verdoppelung darstellen würden. In Buch IX werden die Zahlen von Migne zwar übernommen, doch bei den eigentlichen Kapiteln Sicards werden die Ziffern fortgelassen, damit die vorgesehene Struktur nach dem Kirchenjahr deutlich bleibt. Die Zählung wird nicht gestört. Die Ziffern am Seitenrand verweisen auf die entsprechenden Seiten der Edition. Sachlich offenkundige Schreibfehler bei Zahlen wurden berichtigt (S. 545 XXIIII statt XLIIII, S. 584 VI statt IV, S. 731 VII statt IV, S. 641 XL statt L). Die Redaktion des CCT hat die Addenda et Corrigenda zur Edition des Mitralis nicht versteckt an den Schluss des Bandes, sondern bewusst vor die Übersetzung gestellt, weil es sich hier um wichtige Zusätze zu Sicards Werk handelt. Die Addenda wurden ja erst nach der Fertigstellung der Edition gefunden. Die Corrigenda stellen – abgesehen von den bedauerlichen Übertragungsfehlern etwa bei Bibelstellen – keine schlichten Berichtigungen der Interpunktion oder Orthographie dar, sondern sind Neuinterpretationen, die dann der Übersetzung als Grundlage dienten.
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Indices Die Indices vervollständigen die Ausgabe und vereinfachen ihre Benutzung. Der Index zur Heiligen Schrift gibt eine gegliederte Übersicht über die von Sicard reichlich verwendeten Bibelzitate. Die in der Bibliographie aufgeführten Autoren, deren Gedanken im Text zitiert sind, listet nun der Index der Quellen mit den jeweiligen Stellen einzeln auf. Der Index zur Liturgie ist zweigeteilt: Im Sachregister werden die von Sicard herangezogenen oder erläuterten Begriffe nach den Kategorien alphabetisch aufgelistet. Im Personenregister dagegen werden nur die Namen der Heiligen, deren Feste Sicard bespricht, sowie diejenigen ‘auctores’ aufgezählt, die Sicard unter diesem Begriff als ‘Erweiterer’ oder ‘Gestalter’ der Liturgie namhaft macht.
Bibliographie
Abkürzungen AH = Analecta hymnica medii aevi – ed. G. M. Dreves, C. Blume, 55 Bde., Leipzig, 1886–1920. BKV2 = Bibliothek der Kirchenväter. Eine Auswahl patristischer Wer ke in deutscher Übersetzung. 2. Ausgabe – ed. O. Bardenhewer u. a., Kempten. I. Reihe 1911-1931, II. Reihe 1932–1938. CC CM = Corpus Christianorum, Continuatio Mediaeualis, Turnhout. CC SL = Corpus Christianorum, Series Latina, Turnhout. CSEL = Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Wien-Leipzig. MGH, scr.= Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Germani carum, Hannover. PL = Patrologia Latina, Paris. Walther I = H. Walther, Initia carminum ac versuum medii aevi posterioris latinorum. Aphabetisches Verzeichnis der Versanfänge mittellateinischer Dichtungen, (Carmina medii aevi posterioris Latina, I), Göttingen, 21959. Walther II = H. Walther, Proverbia sententiaeque latinitatis medii aevi, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters in alphabe tischer Reihenfolge, (Carmina medii aevi posterioris Latina, II), Bde. 1–6, Göttingen, 1963–1969. Proverbia sententiaeque latinitatis medii ac recentioris aevi. Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in alphabetischer Reihenfolge – ed. P.-G. Schmidt, (Carmina medii aevi posterioris Latina, II), Bde. 7–10, Göttingen, 1982–1986.
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Addenda et corrigenda ad CC CM 228, Sicardus, Mitralis de officiis ecclesiasticis
Addenda
Pag.
App.
Lin.
Additio Liber I
25
font.
34
Basileos – populi] Isid., Etym. 9, 3, 18
30
font.
100/104
Surgens – orandum] Hvgo S. Vict., De sacramentis II, 6, 1 (col. 439D – 440A) – (PL, 176), Paris, 1854, col. 173–618.
41
font.
8/10
Violatur – reconcilietur] Gratianus, CIC, D.1 c.19 de cons. (I col. 1299) Liber II
86
87
font.
3/6
expressit – nominauit] Hvgo S. Vict., De sacramentis II, 3, 6 (col. 424A)
font.
9/11
Lector – me] ebd. 3, 7 (col. 424D)
font.
12/13
Exorcista – adaperire] ebd. 3, 8 (col. 425B)
font.
14
Acolitum – mundi] ebd. 3, 9 (col. 425D)
font.
15/16
Subdiaconi – tersit] ebd. 3, 10 (col. 426A)
Addenda et corrigenda
Pag.
App.
Lin.
Additio
font.
17/19
Diaconi – orate] ebd. 2, 11 (col. 428A)
font.
20/23
Sacerdotis – nobis] ebd. 3, 12 (col. 429D)
92
Font.
94/95
sicut – secernitur] Hier., Epist. 146, 1, 6 (p. 310); Gratianus. CIC, D. 93 c. 24 § 1 (I col. 328)
102
bibl.
180
Phil. 2, 8
105/106
font.
264/265
semper – effluentiam] Beda, Marty rol. (col. 978; p. 131)
113
font.
24/34
Imperator – dabantur] Isid., Etym. 19, 24, 8; 18, 2, 4–5 Liber III
196
font.
698/699 Crede et manducasti] Avgvstinvs, in Joannis euangelium Tractatus 25, 12; Gratianvs, CIC, d. 2 c. 47 de cons. Liber V
307
bibl.
340
Is. 38, 8
331
bibl. font.
46
46 Jes. 40,9 46 Clama in fortitudine] Breu. Rom., Feria 4 Quat. Temp. Resp. I
361
bibl.
307
cfr Apoc. 6, 2
366
font.
52/53
De tribus – pręferatur] Rvp. Tvit., Off. 3, 24 (p. 98/99)
368
bibl.
98/99
Ps. 45, 5.2 Liber VI
410
bibl.
292/293
prosperabitur – illud] Is. 55. 11
447
font
25/25
Vexillum – perforati] cf. Venantius Fortunatus, hymni Vexilla regis et Pange lingua (AH, 50, 71 et 74)
453
font.
193/195
quod – impende] Avg., in Euang. Ioh. 50, 6–7
460
font
191/192
Ambrosius – est] Liber Quare 10
Addenda et corrigenda
Pag.
App.
Lin.
Additio
469
font.
2/9
Sicut – officiis] Rvp. Tvit., Off. 5, 14 (p. 168) Ex aquis – loca] Hymnus Magnae De us potentiae 1. 2 (AH, 51, 36)
3/5 475
font.
187/188
Hęc – serenos] Pont. Rom. De officio, Praefatio, in feria V. Coenae Domini
500/501
font.
33/50
de pugna – et ω] Rvp. Tvit., Off. 6, 26¸ Liber VII
565
bibl. font.
38
bibl. font.
39 41
Apoc. 5, 9 Dignus] CAO 6448 (4, p. 114); 1. Resp. fer. V. post Dom. III p. oct. Pascae Ps. 136, 5 Si oblitus] CAO 7653 (4, p. 407); 1. Resp. Dom. IV. post. oct. Pascae Decantabat] CAO 6400 (4, p. 102); 1. Resp. Sabb. post Dom. III
574
bibl.
87/88 88
Luc. 10, 18 Apoc. 12, 4
578
bibl.
29
Sap. 10, 20
591
font.
84 85
Confirma] CAO 1873 (3, p. 106) Ego sum] CAO 2588 (3, p. 194) || Postulaui] CAO 4342 (3, p. 409) Liber VIII
605
bibl.
100
100 Ps. 20, 2
615
font.
9/10
Si bona] CAO 7647 (4, p. 405)
621
font.
5
Adaperiat] CAO 6028 (4, p. 8); 1. Resp. 1. Noct., 1. dom. Oct.
625
font.
7
Vidi Dominum] CAO 7875 (4, p. 460); 1. Resp. 1. Noct., 1. dom. Nov.
Addenda et corrigenda
Errata corrigenda
Pag.
Text. uel App.
Lin.
Editio
Correctura
Liber I 4
font.
36/41
christ. 1, 36
christ. 1, 36, 41
18
bibl.
120/121
Cant. 1, 15
Cant. 1, 17
24
textus
15 16
Tria… domo Stillicidium… uxor
Tria… domo Stillicidium… uxor
29
bibl.
68/69
Matth. 16, 8
Matth. 16, 18
31
bibl.
140
cfr Rom.13, 4
cfr Rom. 13, 14
35
textus
8/10
Ambulate… populus
Ambulate… populus
60
font.
227
Pontif. Rom.
Missale Rom.
69
crit.
488
similis… carni
”similis…” carni
Liber II 98
textus
75
humerale, honus
humerale honus
111
textus
419
rectę
recte
119
font.
90
Pontif.
Missale
121
bibl.
136/137
Ps. 37, 14
Ps. 33, 14
Liber III 160
bibl.
194/196
cfr Num. 21, 6
cfr Num. 21, 9
219
textus
98
nobis
‘nobis’
Liber IV 223
textus
28
prosequente
prosequentes
224
textus
27
clangore, tubarum
clangore tubarum,
244
bibl.
100/101
I Cor. 3, 18
II Cor. 3, 18
246
bibl.
46
Is. 39, 19
Is. 38, 19
Addenda et corrigenda
Pag.
Text. uel App.
Lin.
Editio
Correctura
250
textus
130/131
euangelia in aurora.
euangelia. In aurora:
263
textus
200
sit.
sit.’
273
bibl.
7, 2
cfr Dan. 6, 13
cfr Dan. 6, 10
276
font.
8, 2
Ordinarium
Psalterium
Liber V 296
bibl.
63
Ps. 113, 1
Ps. 113B, 1
300
font.
173/174
cfr Rvp. Tvit., Off. 4, 58. (p. 106–107)
cfr. Ioh. Bel., Summa 58 (p. 106–107)
303
textus
255
ei.
ei.’
304
bibl.
285/286
Phil, 2, 4
Phil, 2, 6
307
bibl.
342/343
cfr Reg. 20, 5; Is. 38, 8
343/344 I Reg. 28, 5–15
323
bibl. bibl.
89 96/97
Ps. 84. 1.8 Zach. 14, 6
Ps. 84. 7.8 Zach. 14, 5
325
bibl.
154/155
cfr Dan. 3, 15
cfr Dan. 3, 49
338
bibl.
10/11
Sap. 18, 14–45
Sap. 18, 14–15
339
textus
39/40
cantatur,
cantatur
345
textus
197
Quia… enarrabit?
Quia… enarra bit?
347
textus
253
Sancta
sancta
349
bibl.
2/3
Luc. 2, 22
Luc. 2, 21
350
bibl.
19
Luc. 2, 22
Luc. 2, 21
354
bibl.
128/129
Ps. 44, 6
Ps. 44, 3
360
textus
297
pręcauemus
precauemus
363
font.
67
67
67/69
368
textus
98/99
Fluminis impetus
Fluminis im petus
371
bibl.
169 170
cfr Dan. 7, 99 Matth. 2, 1
cfr Dan. 7, 9 Luc. 2, 42
372
bibl.
2/3
Ps. 6. 37
Ps. 6, 2; 3, 2
376
textus
112
id est,
id est
Addenda et corrigenda
Pag.
Text. uel App.
Lin.
Editio
Correctura
Liber VI 380
textus
3 4
deuiatio. A qua inchoare post
deuiatio a qua inchoare. Post
386
bibl.
156
Ps. 53, 3
Ps. 62, 2
393
textus
23
quadraginta
quinquaginta
394
bibl.
51 60 68
I Cor. 13, 3 Ps. 71, 18 Luc. 18, 38
I Cor. 13, 12 Ps. 76, 15 Luc. 18, 9
410
bibl.
300/301 cfr Matth. 12, 22 cfr Matth. 12, 43
415
bibl.
58 67 72/73
cfr Ps. 50, 3 cfr Ps. 50, 2 cfr Esth. 13, 8–18 cfr Esth. 7, 10 Ps. 142, 7 Ps. 28, 1; 142, 7
418
bibl.
25
cfr Luc. 11, 14
24/25 cfr Luc. 11, 26
419
textus
142
annuntiatio hęc,
annuntiatio, hęc
422
bibl.
135
Ps. 5, 3 || Ps. 27, 7
Ps. 27, 7 || Ps. 5, 3
426
bibl.
81/82
cfr Ps. 90, 1
cfr Ps. 90, 13
432
font.
220/229 reseruata
447
textus
92
clamantis
clamantis,
448
bibl.
63
Ioh. 8, 50
Ioh. 8, 59
450
textus
114/115
font.
128/134
Non… interficere Hier. Praef. Vulg.
Non… interfi cere Rvp. Tvit., Off.
font.
139/146
font.
155/161
Hier. Praef. Vulg Hier. Praef. Vulg
Rvp. Tvit., Off. Rvp. Tvit., Off.
font.
162/169
font.
171/174
textus
165/166
Hier. Praef. Vulg Hier. Praef. Vulg Causamque… dicentes
Rvp. Tvit., Off. Rvp. Tvit., Off. Causamque… dicentes
451
452
renouemus
Addenda et corrigenda
Pag.
Text. uel App.
Lin.
Editio
Correctura
454
bibl.
14/18
Ex. 12, 3–16
Ex. 12, 3–6
455
textus crit.
36 36
supersedens supersedens] supersederes BV
supersederes supersederes] supersedens m
458
bibl.
122/123
Ioh. 12, 33
Ioh. 12, 32–33
477
textus
224
euangelio,
euangelio
486
textus bibl. crit.
62 71 62
diuino cfr Os. 6 62 satiatis
diutino cfr Os. 6, 2 62 diutino] diuino B C || satiatis
496
bibl.
357
I Cor. 11, 24
I Cor. 11, 25
510
bibl.
299
Deut. 31,
Deut. 31, 22
512
textus
346
quod est ‘adaperire’
quod est ‘ada perire’
536
textus
223
In personis, quorum In personis, quorum
In personis quorum In personis quorum
226 542
bibl.
363
cfr I Cor. 2, 16
cfr I Cor. 5, 7
543
bibl.
394
Ps. 24, 29
Marc. 13, 25
560
textus
883
XI
L
561
bibl.
895
Ioh. 3, 3
Ioh. 3, 5
Liber VII 562
bibl.
Prol. 3
Ps. 76 10
Ps. 76, 10
563
bibl.
17
cfr Ioh. 5, 4–10
cfr 1 Ioh. 5, 4.7–8
564
bibl.
12
Ioh. 10, 15
Ioh. 10, 11
567
bibl.
9/10
Luc. 24, 32–35
Luc. 24, 52
568
bibl.
24/25
Ioh. 7, 30
Ioh. 7, 39
581
bibl.
40
cfr Luc. 24
cfr Luc. 24, 50
583
textus
41
”In quibus”
In quibus”
584
bibl.
7/8
Rom. 8, 20
Rom. 8, 26
Addenda et corrigenda
Pag.
Text. uel App.
Lin.
Editio
Correctura
586
bibl.
51
Deut. 31, 22–30
Deut. 31, 9–30
588
bibl.
102/103 103
Ps. 146, 1 Ps. 145, 1
Ps. 147, 1 Ps. 146, 1
591
bibl.
85
Ioh. 10, 11
cfr Ps. 1, 1–2
592
bibl. bibl.
119 119/120
119 cfr Ps. 18, 5
119/120 Ioh. 14, 26
Liber VIII 605
bibl. bibl. bibl.
100 101 102
100 101 cfr 1 Ioh. 4, 10
98/99 100 cfr 1 Ioh. 4, 8
607
font.
13
1 Petr. 5–10
i Petr. 5, 6–10
609
bibl.
18 2
Matth. 24, 19 Ps. 22., 8
Matth. 4, 19 Ps. 27, 2
617
bibl.
12
Gal. 3, 6
Gal. 3, 16
631
bibl.
64
cfr Iob 1, 10
cfr ob 1, 3
Liber IX 638
bibl.
21
Eccli. 15, 7
Eccli. 15, 5
645
textus bibl. font.
8
8 Fili 8 Cant. 3, 11 8 CAO - 228)
8 Filiae 8 Ps. 97, 9 8 CAO 3877
654
bibl.
8/10
Marc. 16, 4
Marc 16, 14
666
textus
18
perueniat
perueniant
674
textus
240
diei
Dei
Teil A Allgemeiner Teil
Einführung des Autors [Sicard]
Für den klugen und reichen Mann, der seine Freunde zum Gastmahl einladen wollte, war es angemessen, das Speisezimmer und die Küche herzurichten und zu schmücken, Geschirr vorzubereiten, die Diener einzuweisen, mit Gewändern zu schmücken, schließlich alle Aufgaben auf die einzelnen Diener zu verteilen. – So auch jener reiche Mann, dem alles dient, hat im Anfang Himmel und Erde geschaffen (Gen 1,1), das Meer und alles, was dazu gehört. Und als Er das Gebäude der Welt mit allen Teilen geschaffen hatte, formte Er den Menschen vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem (Gen 2,7). Er setzte ihn in das Paradies der Lust, bezeichnete zu seiner Nahrung alle Bäume, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, außer dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse (ebd. 2,9). Und als das Ende für alle Wesen aus Fleisch da war, denn durch sie war die Erde voller Gewalt (ebd. 6,13), da befahl Er Noah und den Seinen, um die Saat des glücklichen Ursprungs zu retten, die Arche aus glattem und moderfestem Holz (ebd. 6,14) zu errichten und in ihr von allem Essbaren einen Vorrat anzulegen (ebd. 6,21) als Nahrung für die Insassen. Auch erschien unser Herr auf der Erde und hielt sich bei den Menschen auf; Er wollte nach dem Gesetz mit seinen Brüdern und seinen Jüngern das Paschamahl essen und sagte zu ihnen: “Geht in die Stadt, dort wird euch ein Mann begegnen, der einen Wasserkrug trägt. Folgt ihm, bis er in ein Haus eintritt, und sagt dem Herrn des Hauses, er möge euch den Raum zeigen, wo der Meister mit seinen Jüngern
3
4
Mitralis
das Paschalamm essen kann. Er wird euch den großen Speisesaal zeigen, der für das Festmahl hergerichtet ist. Dort bereitet alles vor!” (Mt 26,17-19; Mk 24,13.14: Lk 22,10-11) So möge Er auch uns, die wir gleichwohl ganz unwürdige und schwache Nachfolger sind, dennoch als Brüder und Söhne einladen zur Feier des Paradieses, zum Sakrament der Taufe, zum Abendmahl des Herrn, die in der Kirche zu feiern sind. Zuerst wollen wir uns daran machen, Betrachtungen anzustellen über die Kirche, die dem Paradies und der Arche oder dem erhabenen Speisesaal angenähert wird, und ihren Bau, ihren Schmuck und die Geräte, zweitens über die Einrichtung, die Kleidung und die Lebensweise der Altardiener, drittens deren Messen, viertens die Ordnung des Stundengebets (officium) zu beschreiben. Wir beabsichtigen, dies nicht nur einfach so hinzustellen, sondern genau die Einführung der einzelnen Dinge und die Gründe für die Weiterführung der Einrichtungen offenzulegen. Doch bei der Verfolgung der Gründe mag ich vielleicht über die Ansichten der Gestalter hinausgehen, nicht aber sollte mich deswegen ein voreiliger und neidischer Verächter beschuldigen, ich hätte schädlich geschrieben, denn Augustinus sagt im Buch Über die christliche Lehre: “Wenn einer bei den Schriften eine andere Meinung hat als jener Schreiber, dann täuscht der nicht verderblich und lügt auch nicht. Wenn er jedoch mit dem Wort, das Liebe aufbaut, sich täuscht, im Irrtum den rechten Pfad verlässt, und dort über den Acker geht, wohin ihn der Weg führt, wo doch der Weg offen ist, dann ist er zu tadeln. Wenn der Weg verborgen ist, dann ist ihm beizubringen, er dürfe den Weg nicht verlassen, damit er nicht wegen der Gewohnheit abzuweichen gezwungen wird, querfeldein oder in die Irre zu gehen.”a Da ich nun bei den Gestaltern des Gottesdienstes nicht Berater war und es nicht leicht ist, deren Ansichten aus der Entfernung aufzuspüren, mag ich mitunter einen Fehler begehen, doch es gefällt mir, darin nachzuforschen, solange der Ausflug nützlich für den Aufbau der Liebe ist. a
Aurelius Augustinus, De doctrina christiana 1, 36, 4.
Buch I Die Kirche
1. Die Einrichtung der Kirche In den Kirchen preist unsern Gott, den Herrn an den Quellen Israels! (Ps 68,27 Vg.). Obgleich Gott überall, auf dem Acker, in der Einsamkeit, an jedem Ort seiner Herrschaft gepriesen und angerufen werden kann, eilen doch zu Recht die Gläubigen zur rechten Zeit zum Haus des Gebets, gleichsam zum Rathaus, um die Weisungen des ewigen Königs anzuhören. Zu Recht eilen sie zum Gastmahl, um teilzunehmen am Tisch mit dem Mastkalb. Zu Recht treten sie rasch ein in das Heiligtum, wo nach dem Wort des Herrn Gott in ihrer Mitte wohnt (vgl. Ex 25,8). Und dies ist keine neue Einrichtung, denn “der Herr hat dem Moses auf dem Berg Sinai befohlen, ein Zelt mit wundervoll geknüpften Vorhängen zu errichten.”a “Ein Teil war heilig, wo das Volk opferte, der andere hieß: ‘Das Allerheiligste’, wo die Priester und Leviten Gottesdienst feierten. Nachdem dieses Zelt infolge des Alters verschlissen war, befahl Gott, einen Tempel zu bauen, den Salomo im Frieden errichtete, wundervoll in seiner Arbeit und berühmt für ewige Zeiten.”b Er bestand aus den zwei Bereichen wie das Zelt. Von beiden empfing unser steinernes Kirchengebäude seine Form. Im vorderen Teil hört das Volk zu und betet. Im Heiligtum a b
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 123. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 123.
5
Mitralis I – Die Kirche
6
aber predigen die Geistlichen, jubeln und halten Gottesdienst. Wegen dieser Verschiedenheit der Teile, oder besser wegen ihrer Mannigfaltigkeit sagt der Prophet ‘in den Kirchen’ (Ps 68,27), nicht ‘in der Kirche’. Das Zelt, das auf der Wanderung geschaffen wurde, stellt einmal die Welt dar, denn die Welt und ihre Begierden vergeht (1 Joh 2,17). Darum besteht es aus den vier Farben der Vorhänge, wie die Welt aus den vier Elementen geschaffen wurde. Es wurde ja die Welt aus den Elementen geschaffen,a und alles, was auf der Welt ist, wurde darin Gestalt. ‘Gott im Zelt’ ist also ‘Gott in dieser Welt’, wie in Christi Tempel, der von seinem Blut rot gefärbt ist. Insbesondere “gibt das Zelt ein Abbild der streitenden Kirche”b, die hier keine Stadt hat, die bestehen bleibt, sondern welche die künftige sucht (Hebr 13,14). Deshalb “drücken die vier Farben der Vorhänge bei diesem Gottesdienst die Rechtfertigungen aus: Im Leinen wird das entstellte Fleisch ausgedrückt, das sich der Reinheit widersetzt. Im Hyazinth der Geist, der das Himmlische begehrt, im Purpur das Fleisch, das dem Leiden unterliegt, im Scharlach strahlt der doppelt gefärbte Geist Gottes und die Nächstenliebe.”c ‘Gott im Zelt’ ist also der Gott der in seinem Namen versammelten Gläubigen. “Der erste Teil des Zeltes, der ‘das Heiligtum’ hieß, in dem das Volk opferte, ist das aktive Leben, in dem das Volk sich in Nächstenliebe übt. Der andere Teil, der ‘Allerheiligstes’ hieß, wo die Leviten Gottesdienst hielten, ist das kontemplative Leben, in dem der lautere Lebenswandel der Gottesmänner sich frei hält für Gottes Liebe und die Kontemplation. Daher gibt es in der Heiligen Schrift drei Zelte: das erste nur in der Gestalt wie das Zelt des Moses, das zweite in Gestalt und Wahrheit wie der Weltenbau, das dritte allein in der Wahrheit besteht in dem Dienst des Volkes Gottes.”d Das Zelt wandelt sich zum Tempel, denn beim Kriegsdienst strebt man zum Triumph. a Nach dem griechischen Philosophen Empedokles Feuer, Wasser, Luft und Erde. b Beda Venerabilis, Liber de tabernaculo et uasis eius ac uestibus sacerdotum 2. c Beda Venerabilis, Liber de tabernaculo et uasis eius ac uestibus sacerdotum 2. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 124.
1 – Einrichtung der Kirche
“Der Tempel, den ja Salomo gebaut hat und den das Volk in der Heimat und im Frieden besaß, symbolisiert den Tempel der Herrlichkeit. Dieser ist im himmlischen Jerusalem von dem wahren Friedenstifter aus lebendigen Steinen erbaut, d. h. in der Vision des Friedens, wo die Kirche in ewigem Frieden jubelt.”a “Deshalb heißt es, Hämmer, Meißel und sonstige eiserne Werkzeuge (1 Kön 6,7) waren beim Bau des Tempels nicht zu hören, sondern alles wurde außerhalb von Jerusalem vorbereitet, passend zurechtgehauen, an Ort und Stelle dann mit Zement oder Nägeln verbunden. Denn im Frieden der ewigen Seligkeit soll der Glaube nicht durch Anfechtungen auf die Probe gestellt und das Leben durch keine Verwirrung verfolgt werden. Doch was hier gehärtet wurde, das wird dort durch den Leim und die Bande der Liebe Seinen Ordnungen eingefügt.”b Und obgleich es hier jenes Jerusalem, die starke Stadt, dicht gebaut und fest gefügt (Ps 122,3), gibt, so wird doch dieser Tempel “in zwei Teile geteilt, weil der himmlische Hof in den Bereich der Engel und den der Menschen gegliedert ist.”c Doch wird der Tempel mitunter als Gleichnis der streitenden Kirche gesetzt. Daher liest man, vor den Türen habe es zwei Säulen gegeben, deren eine die ‘Festigkeit’, die andere die ‘Stärke’ genannt wurde. Die eine bezeichnet die alten Väter, die aufgrund des Glaubens Königreiche besiegt und Gerechtigkeit geübt haben (1 Kön 7,21). Diese feste Säule war Joseph, welchen die Dirned nicht von der Gerechtigkeit abbringen konnte. Die andere bezeichnet die neueren Väter, wie die Apostel und Märtyrer als Zeugen Christi, die durch keinen Windsturm von der Wahrheit losgerissen werden konnten. Paulus war die starke Säule, die weder Tod noch Leben von der Liebe Christi scheiden konnte (Röm 8,38-39). So liest man auch, dass der Tempel in sieben Jahren erbaut und in sieben Tagen eingeweiht wurde. In dieser Zeit wird in diesem Leben, das in sieben Tagen abläuft, die heutige Kirche stets lebendig erbaut, wenn sich einige zum Glauben bekehren. Vgl. Hymnus Urbs beata. (AH 51, 110) Beda Venerabilis, Liber de tabernaculo et uasis eius ac uestibus sacerdotum 2. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 125. d Die Frau des Potifar (vgl. Gen 39,7-18). a
b
7
Mitralis I – Die Kirche
8
Stets geweiht wird sie, wenn diese sich durch Buße und heiligen Lebenswandel dem Herrn weihen. Daher bezeichnen die zwei Tempel zugleich die Gesamtkirche, also war jener ‘Tempel auf dem Wege’ eigens die streitende Kirche, dieser, weil in friedfertiger Zeit, die triumphierende. Und wenn man beide als Gesamtes bezeichnet, bezeichnet das ‘Heiligtum’ die streitende Kirche, das ‘Allerheiligste’ die triumphierende Kirche. Unsere steinerne Kirche aber, so wie sie von diesen beiden Ursprung und Einrichtung der Form übernimmt, übernimmt auch die Bedeutung von beiden. Unsere steinerne Kirche bezeichnet also die Gesamtkirche. Wenn man ‘Gesamt’ hört, verstehe man die ‘streitende’ aus dem Heidentum und den Juden geschaffen, zugleich auch die ‘triumphierende’ aus Engeln und Menschen zu sammelnde und gesammelte. Ihre beiden Teile, Schiff und Chor, stellen die streitende und die triumphierende Kirche dar. Oder in Bezug auf die streitende bezeichnen sie die beiden Leben, das aktive und das kontemplative, oder die beiden Kirchen aus den Heiden und den Juden, in Bezug auf die beiden Gemeinschaften, die der Menschen und die der Engel. Zu Recht also spricht der Prophet im Plural von ‘den Kirchen’ (Ps 68,23 Vg.), gleichsam ‘in der Gemeinde’ der aus Juden und Heiden bekehrten Gläubigen. In dieser seid ihr die Bekehrten aus Basan (vgl. Ps 22,13), d. h. aus der Verwirrung der Sünder, – preist Gott, dem Anbetung, dem Herrn, dem Verehrung gebührt. Ihr seid, sage ich, getränkt aus den Quellen Israels, d. h. der Lehre der Apostel, damit ihr zum Nacheifern derer aufruft, die Christus aus Israel erwählt hat, um Wasser der sprudelnden Quelle zu geben, die ewiges Leben schenkt (Joh 4,14). 2. Die Grundlegung der Kirche
9
Gut gegründet ist das Haus des Herrn auf festem Felsen (vgl. Mt 7,25; Lk 6,48).a Die Kirche wird ja in folgender Weise auf einem Felsen gegründet: Den für das Fundament vorbereiteten Ort besprenge a
Antiphon Bene fundata est.
2 – Grundlegung der Kirche
der Bischof (oder ein Priester, wenn der Bischof nicht da sein kann) mit Weihwasser, um die Hirngespinste der Dämonen zu verscheuchen. Er setze den Stein, auf dem im Fundament das Kreuz aufgeprägt wurde, indem er die Psalmen Miserere mei – Gott sei mir gnädig (Ps 51) und Fundamenta – Seine Gründung (Ps 87) singt mit Gebeten und der passenden Oration: ‘Emíttere dignare Dómine – Herr Gott, allmächtiger Vater, lasse Dich herab, Deinen Engel vom Himmel zu senden, der diesen Ort und alle, die jetzt und in Zukunft dort beten, schützen, hegen und verteidigen möge.’ Während der Bischof dies sagt und tut, wende er sich nach Osten, d. h. zum Aufgang der Sonne der Tagundnachtgleiche, nicht wie es einige tun, zur Sonne der Sommersonnenwende. Dann errichte er einen Altartisch und feiere die Messe: Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus (1 Kor 3,11). Er ist jener Felsen, auf den die Kirche gegründet wird. Daher: Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen (Mt 16,18). Stark und fest ist das Fundament, das weder den Winden noch der Gewalt des Wildbachs weichen noch unter den Regengüssen zerbrechen wird. O Mensch, nimm Zuflucht im Felsen, verbirg dich im Staub, versteck dich in der Steilwand (Jes 2,10), damit du die kommenden Taten des Herrn siehst! Folge diesem Felsen, dass Er deinen Durst stillt! Den Bug dieses Felsens spalte, damit er dir wie dem Adler deine Jugend erneuert! (Ps 103,5). Auf diesem Fundament, nicht daneben, steht das Fundament der Apostel und Propheten, über das der Apostel sagt: Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut (Eph 2,20). Also ist Christus das allererste Fundament. Dieses Haus wird zum Sonnenaufgang der Tagundnachtgleiche ausgerichtet, weil die Kirche, die auf Erden streitet, sich in Glück und Unglück mit gleichem Mut zügeln muss. Wieder wendet der Bischof sich nach Osten, einmal weil er dort die Sonne der Gerechtigkeit (Mal 3,20) verehrt und den anbetet, dessen Name der ‘Aufgehende’ ist, nach dem Wort: Besucht hat uns das aufstrahlende Licht aus der Höhe (Lk 1,8). Denn auch im Osten liegt das Paradies der Freuden, das die Kirche mit einer Fülle von Bezeichnungen bedenkt. Es ist der verschlossene Garten
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(Hld 4,12), die versiegelte Quelle, wo Adam hingesetzt ist, damit er ihn bebaue und hüte, wo der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, wo der Baum des Lebens, wo die anderen duftenden Bäume stehen, wo die vier Ströme sprudelnd hervorquellen (Gen 2,15; 2,17; 2,9; 2,10-14). In diesem Garten gibt es Bewässerung, Brennmaterial, Bäume und Früchte. In der Kirche gibt es Taufe und Ölung, Glaube und Werke, die den Weisen verborgen, den Unmündigen aber offenbart werden. Was verstehen wir anderes unter Adam, dem Arbeiter und Wächter, als den Stand der Priester? Sie sind die Arbeiter, die in die Ernte geschickt werden. Sie sind die Wächter, die die Stadt bewachen (Hld 3,3). Über sie heißt es, wenn sie vom Baum des Ungehorsams gegessen haben: Seht, dass sie nicht auch vom Baum des Lebens nehmen (Gen 3,22). Wegen der Sünde ist dieser Baum verboten, der zuvor nicht verboten war, er ist der Leib Christi, der Baum des Lebens, der an Wasserbächen gepflanzt ist (Ps 1,3), denn wer dieses Fleisch isst, hat das ewige Leben (Joh 6,54), doch wer unwürdig davon isst und trinkt, zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt (1 Kor 11,29). Durch die übrigen duftenden Bäume empfangen wir die Heiligen. Unter denen war einer, der gesagt hat: Ich bin im Haus Gottes wie ein grünender Ölbaum (Ps 52,10). Über sie heißt es auch: Wie junge Ölbäume sind deine Kinder rings um deinen Tisch (Ps 128,3). Die vier Ströme sind die vier Evangelisten, die an der Brust des Herrn trinken, durch sie wird die Welt gewässert und die Kirche fruchtbar gemacht. Über sie heißt es: Fluten erheben ihr Brausen (Ps 93,3). Diesen ‘Osten’ beten wir im Osten an, damit wir durch die Sonne erleuchtet werden; vom Osten werden wir besucht; den Baum des Lebens genießen wir; an den Strömen des Paradieses werden wir gewässert. 11
3. Der Altar Nun möge einer der Seraphim zu mir fliegen, eine Kohle vom Altar nehmen und meine Lippen berühren; Christus, der größte der Engel, der Engel des großen Ratschlusses, möge mir Sünder nicht vorwerfen: “Warum nimmst du meinen Bund in
3 – Der Altar
deinen Mund?” (Ps 50,16). Doch mit dem Feuer seiner Liebe, das vom Altar genommen wurde, von dem die ganze Fülle aller Gaben stammt, berühre er meine Lippen, damit sie über den Altar nichts Falsches oder Eitles sagen, sondern was von den geistlichen Männern gebilligt werden kann. – “Noah hat, liest man, als erster einen Altar errichtet, danach haben Abraham, Isaak und Jakob Altäre errichtet. Unter diesen versteht man nichts weiter als aufgeschichtete Steine. Darauf schlachteten sie Opfertiere, die sie mit darunter entfachtem Feuer verbrannten. Deswegen tötete Kain seinen Bruder, weil der Herr auf Abel schaute und dessen Opfer entflammte. Das himmlische Feuer verzehrte das Opfertier Abels, Kains Opfertier jedoch blieb unberührt.”a Und siehe, Altäre und Brandaltäre (arae) werden oftmals ohne Unterschied gebraucht. “Es gibt aber den Unterschied zwischen ‘altare’ und ‘ara’, dass ‘altare’ ‘hohe Sache’ oder ‘alta ara’ bedeutet, auf dem die Priester den Brand auflodern ließen. ‘Ara’ heißt gewissermaßen ‘area’, also ‘flach’, vielleicht von ‘ardor – Glut’, weil sie darauf Opfertiere verbrannten.” b Auch Moses errichtete einen Altar aus dem Holz von Akazien und einen Altar mit Thymian, den er mit reinstem Gold (Ex 25,23-24) bekleidete. Auch Salomo stellte einen goldenen Altar her. Von diesen alten Vätern nahmen die Altäre der Jetztzeit ihren Ursprung. Sie werden mit vier Ecken ausgestattet; einige sind aus einem einzigen Stein, andere sind aus mehreren zusammengesetzt. Die zu einem Altar aufgerichteten Steine, der goldene Altar und diese unsere Altäre aus Stein versinnbildlichen Christus, der ein Stein, ohne Zutun von Menschenhand vom Berg losgebrochen (Dan 2,45), ein Quaderstein, fest, stählern, Emanuelc, ist, über den wir die Anliegen unserer Gebete zusammentragen. Darum schließen wir die Orationen mit: ‘Per Iesum Christum Dóminum nostrum – durch Jesus Christus, unsern Herrn’. Über ihm schlachten wir das Lamm, das Kalb und das Böcklein, wenn wir seine Unschuld, seine Werke und die Buße weihen, auf ihm opfern wir den Leib Christi. Denn an ihn glaubend, Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 122. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 122. c Unklare und verderbte Stelle in den Handschriften. a
b
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werden wir von Gott erquickt und werden mit ihm wie ein Leib mit vielen Gliedern und wie die vielen Steine zu einem Altar. Ein Goldstück ist er, denn in ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen (Kol 2,3). Opferaltar und Altäre stellen das Kreuz des Herrn dar. Lamm, Böckchen und Kalb auf dem Altar ist der am Kreuz hängende Christus, der, obgleich Er unschuldig ist, unsere Schuld getragen, die Erde unseres Fleisches gezähmt und mit dem Samen des Heiligen Geistes reich ausgestattet hat. Die Stufen, auf denen man zum Altar emporsteigt, sind die Märtyrer, welche die Braut im Hohenlied den ‘Aufstieg in Purpur’ (Hld 3,10) nennt, weil diese aus Liebe zu Ihm ihr Blut vergossen haben. Durch den Altar betrachten wir das Herz eines jeden Gläubigen, das steinern ist in der Festigkeit des Glaubens, golden durch die Gabe der Weisheit, durch die Stufen als Tugenden. Es waren 15 Stufen, mit denen Salomo zum Tempel aufsteigen ließ. Diese hat der Prophet mit den 15 Psalmen zusammenhängend dargestellt.a Diese hat der selige Mann beim Aufstieg in seinem Herzen eingesetzt (Ps 84,6 Vg.). Dies ist die Leiter, auf der Jakob die Engel auf- und niedersteigen sah. Der Altar wird auch der besonders ‘abgelegene Ort’ genannt entsprechend der Offenbarung: Ein Engel ging weg zum Altar (Offb 8,3; 14,17-18), d. h. Christus ging an einen abgelegenen Ort. Der Altar aus Zedernholz aber ist der saubere Weg der Gerechten, also der kräftige und unversehrte für die Opfer der guten Werke als zubereitete Gaben, wo das Fleisch der Opfertiere geschlachtet wird. Denn sie haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt (Röm 12,1) und Gott zum süßen Wohlgeruch ein lebendiges Opfer dargebracht. Der Altar mit Thymian, der auch aus Zedernholz war, mit Gold verkleidet, ist der Lebenswandel der Vollkommenen. Sie sind im Glauben fest, in der Weisheit strahlend, mit den vier Tugenden hervorragend, für Gebete offen um das Feuer der Liebe anzunehmen und zu pflegen, bereit die Gaben der Tugenden darzubringen. Bemühen wir uns also, liebe Brüder, dass unsere Altäre von Altar zu Altar zur Vollkommenheit gelangen können! a
Die Gradual- oder Staffelpsalmen Ps 121-135.
4 – Die Teile der Kirche
4. Die Teile der Kirche Kostbare Steine sind alle deine Mauern, und die Türme Jerusalems werden mit Edelsteinen aufgebaut (vgl. Tob 13,17).a Die Kirche wird so aufgebaut, dass sie einen Estrich mit einer Krypta unter der Erde hat. Mit vier Wänden in die Länge und Breite steigt sie in die Höhe. Einige Kirchen werden in Kreuzesform gestaltet, andere rund; mit steinernen Mauern, die durch Zement zusammengefügt sind, mit einigen Fenstern an den Seiten und mit Türen. Im Innern Chorschranken und ein Ambo, Säulen mit Basen und Kapitellen, Balken, Bohlen und Dachziegel, Wendeltreppen, Stockwerke mit Decken. Draußen Vorhallen, Friedhöfe, Türme und Klausur. “Der Estrich, der mit den Füßen begangen wird, ist das Volk, durch dessen Bemühungen die Kirche unterstützt wird. Die unterirdischen Krypten sind die Einsiedler, die Verehrer des zurückgezogenen Lebens.”b “Mit den Lehren der vier Evangelien wie Mauern wächst sie in die Höhe der Tugenden.”c “Ihre Länge ist Langmut, die Unglück geduldig erträgt. Die Breite ist die Liebe, die in dem weiten Bogen des Geistes die Freunde in Gott und die Feinde wegen Gott liebt. Die Höhe ist die Hoffnung auf künftige Läuterung, die das Günstige und Widrige nicht meidet, bis sie die Güte des Herrn im Lande der Lebenden schaut (Ps 27,13).”d Doch mit dem, was nach Art des Kreuzes gebaut wird, zeigen wir, dass wir in der Welt gekreuzigt werden und dem Gekreuzigten folgen müssen. Nach dem Wort: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach (Mt 16,24). – Was nach Art eines Kreises gebaut wird, versinnbildlicht die über den Erdkreis verbreitete Kirche. Daher: Ihre Kunde geht bis zu den Grenzen der Erde (Ps 19,5), und wir werden aus dem Weltkreis zum Kreis der Krone der Ewigkeit gelangen. Antiphon Lapides pretiosi. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 134. c Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 129. d Beda Venerabilis, Liber de tabernaculo et uasis eius ac uestibus sacerdotum 1. a
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“Die mit Zement gefestigten Steinmauern sind die Kollegien der Frommen, die im Glauben und durch das Wirken stark sind, geeint durch das Band der Liebe,”a um die Schwachen durch ihre Gebete zu stärken. Über sie: Kostbare Steine sind alle Mauern deines Jerusalem (vgl. Tob 13,17) und andernorts: Die Mauern Jerusalems werden wieder aufgebaut (Ps 51,20). Also sind die Steine in den vier Mauern die Menschen in den Kollegien, die in den vier Teilen der Welt stehen, in den vier Evangelien gebildet oder in den vier Tugenden bestärkt. “Alle Steine sind geglättet und wohl gefügt, kostbar mit edlen Steinen, d. h. rein und stark, mit den Tugenden geschmückt, geordnet durch die Hand des obersten Künstlers.”b Je weiter sie funkeln, umso mehr strahlen sie in der Liebe. Einige von ihnen tragen andere wie die Apostel, andere tragen und werden wie Gelehrte getragen, noch andere werden wie die Schwachen getragen. Je unterschiedlicher sie hervorragen, desto demütiger erheben sie das Bauwerk weiter empor. “Sie alle hält der Eckstein in der Einheit des Glaubens und mit dem Erdpech der Liebe zusammen.”c Mörtel besteht aus Kalk, Wasser und Sand. Kalk ist die Glut der Liebe, Wasser der Heilige Geist. Mit diesen wird der Sand vermischt, wenn die Geistlichen Kummer auf sich laden in irdischen Angelegenheiten, ohne die man in diesem Leben nicht leben kann. Wenn sie in den Stürmen und Schlägen der Welt nicht erschüttert werden, bilden sie eine Mauer der Festigkeit, stellen einen Schutzwall dar. Daher ist die Stadt unserer Stärke Zion, in ihr werden Mauern und Schutzwall gesetzt (Jes 26,1). Christus war unsere Mauer bei seinem Erdenwandel und Schutzwall in seinem Leben. Und: Durch die Mauern empfangen wir die Heilige Schrift, durch sie halten wir die Bedrängung durch die Ketzer fern. “Die Fenster, die den Sturm fernhalten und das Licht hereinlassen, sind die Kirchenlehrer, die dem Wirbel der Ketzereien widerstehen und den Gläubigen das Licht der Kirche Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 1. Aurelius Augustinus, Enarrationes in psalmos 39, 1. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 130. a
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4 – Die Teile der Kirche
eingießen.”a Daher: Ja, er steht an der Wand unseres Hauses, er blickt durch die Fenster (Hld 2,9). Denn verhüllt durch die Wand unserer Sterblichkeit hat Er uns von oben durch die Fenster, d. h. die Apostel, erleuchtet. Er, der jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt (Joh 1,9). “Das Fensterglas, durch das uns der Sonnenstrahl erreicht, ist der Geist der Lehrer, der Himmlisches in einem Spiegel in rätselhaftem Umriss (1 Kor 13,12) schaut,”b oder durch den im Spiegel in rätselhaftem Umriss die wahre Sonne in uns hineindringt. Und sieh: “Fenster werden bisweilen abgeschrägt, d. h. innen breiter. Das hat sich Salomo ausgedacht. Der Lehrer, der den Lichtglanz der himmlischen Kontemplation vielleicht einen Augenblick sieht, erweitert das Herz mitunter und breitet es in einsichtiger Übung darauf vor, Größeres zu empfangen.”c Und unter den Fenstern, die geschlossen die Stürme fernhalten und geöffnet sie hereinlassen, verstehe ich die fünf Sinne des Leibes, die beschränkt sind als Tor des Lebens, gelöst als die Tür des Todes. Daher Jeremia : Der Tod steigt durch unsere Fenster ein (Jer 9,20). Sie werden eigens festgemacht, “damit sie nicht Eitles aufnehmen”d und drinnen für die Gaben des Heiligen Geistes offen sind. Und “versteh unter den Fenstern die Heilige Schrift, die Schädliches fernhält und in den Kirchen die dort Lebenden erleuchtet. Sie sind auch innen weiter, denn der mystische Sinn ist umfassender und übertrifft den Wortsinn.”e Die Tür der Kirche ist Christus. Daher: Ich bin die Tür. Wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden (Joh 10,9). Niemand kommt zum Vater außer durch (Joh 14,6) Ihn “Das Wort für ‘hóstium’ stammt von ‘obstare’‘entgegenstehen’ oder ‘osténdere’ ‘zeigen’ oder von ‘hostis’, es sind nämlich Pforten, um Feinde abzuwehren und Gäste hereinzulassen. Er ist es, der den Stolzen entgegentritt und den Demütigen seine Gnade schenkt (Jak 4,6), der durch Gerechtigkeit den Weg versperrt, die Ungläubigen abwehrt vom Himmelreich, durch grenzenloses Erbarmen den Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 130. Beda Venerabilis, De Templo 1. c Vgl. Ambrosius, Hymnus Iam lucis orto (AH 50, 40). d Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 1. e Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 138. a
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Zugang öffnet und die Gläubigen in sein Reich führt.”a Im Plural heißt es ‘Pforten’, weil es viele Wege des Herrn gibt. Daher: Zeige mir, Herr, Deine Wege, lehre mich Deine Pfade! (Ps 25,4). Die ‘ualuae – Türflügel’ heißen so nach dem Fliegen (uolare), die ‘fores – Ausgänge’, weil sie nach draußen führen, ‘porta’ nach ‘Portiere’. Sie sind die Apostel, durch deren Predigt wir zum Glauben getragen werden, und durch den Glauben zur Seligkeit. Über sie heißt es: Der Herr liebt die Tore Zions, mehr als die Zelte Jakobs (Ps 87,2). Durch die Chorschranken, die Fenster der Arche, empfangen wir die Propheten und andere unbekannte Lehrer der streitenden Kirche, in denen sich wegen der beiden Liebesgebote mitunter die kleinen Säulen verdoppeln, so wie auch die Apostel zu zweit zum Predigen geschickt werden. Denn weil die Rückenlehnen zu den Sitzenden gehören, gibt es viele Wohnungen im Haus des Vaters (Joh 14,2). Und die Kanzel, die ein niederer Teil im Palast ist, bedeutet, welche Demut es in der Geistlichkeit geben muss. Denn, wie es im Chronikbuch heißt, Salomo hatte ja eine bronzene Tribüne anfertigen lassen und sie in der Mitte des Hofes aufgestellt (2 Chr 6,13). Er trat auf sie und breitete seine Hände [zum Himmel] und sprach zum Volk Gottes. Esra baute eine hölzerne Kanzel zum Sprechen, er stand auf ihr und überragte das ganze Volk (Neh 8,4-5). Von diesen nahm das Wort ‘Podium’ seinen Ursprung. Und ‘Podium’ heißt gewissermaßen ‘öffentlich’, wie einige sagen.b Wir aber benutzen öfter steinerne Podien, keine aber sind frei vom Mysterium. Das Podium ist also das Leben der Vollkommenen. Der Allerhöchste Pontifex erkennt an, dass das Wirken des vollkommeneren Lebens zu Recht das des Volkes übersteigt im Verständnis der Sakramente. Sie fehlen nach dem Vorbild der Bronze[glocke] bei keiner langen Dauer, oder in den Lehren der Apostel, die bislang bei der Bronze[glocke] den Ton angaben, weil ihr Schall in alle Welt hinausging (Ps 19,5). Er ging auch über die Nachahmung des Leidens des Herrn hinaus, der sich selbst verleugnete, das Kreuz trug und im Kreuz des Herrn rühmte, a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 138. Vgl. Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 15, 4, 15.
4 – Die Teile der Kirche
“Es herrscht der Herr vom Kreuzesholz.”a
Er übersteigt auch die Festigkeit des Glaubens und zeigt sich als Stellvertreter Christi, der der Eckstein ist zwischen den beiden Mauern, so wie Er zwischen Geistlichkeit und Volk steht. “Die Säulen, die das Haus tragen, sind die Bischöfe, die das Gebäude der Kirche in Wort und Tat stützen,” b die wegen des Klanges des Gotteswortes die ‘Silbernen’ heißen, wie im Hohenlied: Er schuf silberne Säulen (Hld 3,10). Obgleich es mehr sind, sagt man doch, es seien sieben nach dem Wort: Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, ihre sieben Säulen behauen (Spr 9,1), “weil sie mit der Gnade der sieben Gaben des Heiligen Geistes erfüllt sind.”c Jakobus und Johannes haben, wie der Apostel sagt, als die Säulen Ansehen genossen (Gal 2,9). Die Basen der Säulen sind die Päpste, die die Bischöfe und den ganzen Bau der Kirche stützen. Die Kapitelle der Säulen sind der Verstand der Bischöfe. So wie durch das Haupt die Glieder, so werden durch den Verstand unsere Worte und Taten geleitet. Die Kapitelle sind die Worte der Heiligen Schrift, deren Meditation und Beachtung wir uns unterwerfen. “Die Balken, die das Gebäude zusammenhalten, sind die Fürsten der Welt oder die Prediger, die die Einheit der Kirche stärken,”d die einen durch das Wort, die anderen durch die Tat, indem sie die Ketzer vernichten und die Spaltungen bezähmen. Das Bauholz sind die Prediger, über die es heißt: Zedern sind die Balken unserer Häuser (Hld 1,17). Die Prediger müssen unverderbbar an Tugenden sein und im Duft ihrer Predigt und ihres Lebens die Schlangen, d. h. die Dämonen, in die Flucht jagen. “Die Dachziegel, die den Regen vom Haus fernhalten, sind die Soldaten, welche die Kirchen vor den Heiden und vor den Feinden schützen.”e Sie sitzen auf den Dachlatten und stützen sie, denn sie vertrauen sich den Predigern an und folgen ihnen. Vgl. Venantius Fortunatus, Hymnus Vexilla regis (AH 50, 71) 4, 4. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 131. c Beda Venerabilis, In proverbia Salomonis 3, 1. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 131. e Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 131. a
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So werden sie von diesen in die Höhe getragen. Die Treppen, deren Vorbild aus dem Tempel Salomos stammt, sind die Wege, die sich verborgen in den Mauern empor winden. Durch sie empfangen wir die geheimen Gedanken der Einzelnen, die wir zum Himmel emporsteigend erkennen, wir jedoch nur zum Teil, vollständig nur Gott. Obgleich ja das Tor offen steht, denn die Werke der Taten und das Bekenntnis der Sakramente stehen offen, ist doch Gott allein Erforscher der Herzen. Die Stockwerke wurden von Salomo eingerichtet zum Gehen rings um den Tempel; “sie heißen im Evangelium ‘Zinnen’, es sind die Stufen der streitenden Kirche. Im Tempel Salomos sollen es drei Stockwerke gewesen sein, lesen wir: ganz oben, in der Mitte und weiter unten, wegen der drei Ränge der Jungfrauen, Enthaltsamen und Verheirateten.”a Die Brustwehren und Platten sind die Seiten der Stockwerke im Kreis ringsum, Mauern oder Kanzeln oder eine Art Appodiatorienb, damit die Lehrer nicht auf Plattformen sitzend und dem Volk predigend hinunter rutschen, nach dem Wort: Verkündet es von den Dächern (Mt 10,27). So ist es Ahasjac geschehen, dem König von Samarien, der durch das Gitter gefallen war (2 Kön 1,2), wie man liest. Dadurch wird der göttliche Schutz dargestellt, der uns hilft, die wir uns in dieser Welt abmühen und nach unsern Fähigkeiten zu Höherem streben, damit wir nicht zugrunde gehen. Ketzer und Schismatiker, deren Vorbild Ahasja darstellt, sind, obgleich sie zuweilen die Burg der guten Tat zu erklimmen scheinen, dennoch, weil sie nicht das Band der Einheit haben, von der Leitung und Leistung göttlichen Schutzes ausgeschlossen und werden in den Keller ihrer Laster zurückfallen. – Auch Rückenlehnen gibt es in der Kirche, durch die wir “die kontemplativen Männer erkennen, in denen Gott ohne Bedenken ruht. Denn wer die Klarheit des ewigen Lebens betrachtet, wird mit dem Gold verglichen. Daher: Er schuf Lehnen von Gold (Hld 3,10).”d Beda Venerabilis, De Templo 1. Stützbauten. c Beda Venerabilis, De Templo 1. d Liber Quare, Additiones 51, 58-61. a
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4 – Die Teile der Kirche
Exedren sind gemauerte Nischen, die auf dem Friedhof stehen, sie heißen ‘Éxedrae’, d. h. sie ‘hängen draußen’. In den Torhallen Salomos gab es drei Arten von Sitzen, wie Isidor sagt: “die Stühle der Lehrer,”a “die Sitze der Zuhörer, genannt nach den ‘Dabeisitzenden’, die Nischen der Beisitzer, wo der Richter mit den Beisitzern abgesondert etwas beriet. Gleichwohl wird Exedra mitunter uneigentlich für ‘Bett’ gebraucht. Daher werden auch die Toten in Hallen wie in Betten beerdigt.”b “Der Friedhof ist die Schlafstätte der Toten.”c Denn die in Christus Gestorbenen heißen nicht ‘Tote’, sondern ‘Schlafende’. Aus drei Gründen werden die Toten um die Kirche herum beerdigt: Durch die Gebete der zur Kirche Kommenden sollen sie dem Herrn empfohlen werden. Wie die Mutter Kirche die der Welt Gestorbenen durch die Taufe für Christus geboren und mit der Milch ernährt hat, so hegt sie die Toten in ihrem Schoß und empfiehlt sie Gott in Gebeten. Wie sie auf dem Erbgrund Jesu Christi beerdigt werden, sollen sie seine Miterben im Reich Gottes sein. Vielleicht hat deswegen Abraham seine Gattin auf dem Acker Ephon erst beerdigt, nachdem er den Preis dafür bezahlt hatte, damit sie nicht auf dem Land eines Ungläubigen beerdigt wäre und der Vater des Unglaubens sie aus irgendeinem Grund belästigen könnte. Vielleicht deshalb dürfen wir nur auf Grund und Boden Kirchen bauen, der dem Eigengrund Jesu Christi zugerechnet wird. Und siehe: Die Gräber haben vielleicht aus der doppelten Höhle der Exedra mit den steinernen Gräbern ihren Ursprung genommen. Es ist nicht ohne tieferen Sinn, warum die schlafende Seele von den Sorgen der Welt ausruhen soll in der Ruhe vom Tätigsein und in der Betrachtung. Sie steigt ein in die Höhlen des Felsens und verbirgt sich in der Grube im Staub, und vielleicht etwa in den Mausoleen und Pyramiden der Heiden. Denn was auch immer dem menschlichen Leib zugewendet wird, ist kein Schutz zum Heil, sondern Trost des Menschseins. In den Kirchen aber darf keiner beerdigt werden, der nicht im Hinblick auf seine Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines XX, 11, 9. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 147. c Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 147. a
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Verdienste oder das Sakrament [der Weihe] hoch berühmt ist. Doch darüber wird weiter unten in der Abhandlung über die Toten gesprochen werden.a Es werden Türme an hervorragender Stelle gebaut, hier einer, dort zwei, andernorts vier Türme, zwei im vorderen Teil, zwei im hinteren. Darauf setzt man das Kreuz oder einen Hahn, drinnen hängen die Glocken. Der eine Turm ist das Leben des Predigers oder der Prediger selbst, und “seine Zinne ist das Leben oder sein Geist, der nach dem Höheren strebt.”b Er ist der Turm Davids (Hld 4,4), wie es im Hohenlied heißt, mit einer Vorwehr erbaut auf dem Libanon-Berg, der auf Damaskus schaut. Tausend Schilde hängen daran, lauter Waffen von Helden (Hld 4,4). “Das Leben der Prediger muss beständig sein, tapfer und unüberwindlich zur Verteidigung der Gebäude des Glaubens, zum Abprallen der Geschosse der Feinde, da sie von David, d. h. von der starken Hand und dem unvergesslichen König, gebaut wurden.”c Er muss in der Höhe der Tugenden verharren, um nach Damaskus zu schauen, von wo aus der Ferne die Feinde kommen. Damaskus ist die Hauptstadt Syriens, die bis auf den heutigen Tag Jerusalem erobert und gefangengenommen hat. Unter ihr verstehen wir die Menge der Menschen oder bösen Geister, vor deren Nachstellungen wir uns schützen müssen. Dieses Leben ist aber geschützt durch die Vorburgen, wenn die Gnade der Wunder gegeben wird, oder im Vertrauen auf die unzerbrechlichen Worte der Schrift durch den Schild des Verstandes, gewappnet aber mit wirksamen Waffen. Dieser Turm schützt sich vor Ketzern und erschüttert sie, er ist beispielhaft für unseren Widerstand und unser Leben. Die zwei Türme sind die beiden Gesetze, die vier aber die Lehre der vier Evangelisten, vorne Matthäus und Johannes, die leibhaftig mit Jesus verkehrt haben, hinten Lukas und Markus, die Schüler der Apostel. Das Gesetz des Moses gab der Herr auf dem Berg Sina, das Evangelium ebenfalls auf einem Berg. Er belehrte die Berge und offenbarte auf dem Berg Tabor dessen Lohn und teilte Siehe S. 747. Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 1. c Beda Venerabilis, In cantica canticorum 2, 4, 4. a
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4 – Die Teile der Kirche
mit, dass wir durch die Befolgung seiner Gebote vom Zion zum Tabor gelangen, von der Vermutung zum Begreifen. Und: Die zwei oder vier Türme sind die in diesen Gesetzen und Lehren unterwiesenen Prediger. Über sie: Friede wohne in deinen Mauern und Fülle in deinen Türmen (Ps 122,7). “Ein Kreuz wird oben aufgesetzt,”a denn umsonst spricht die Zunge des Predigers, wenn nicht der Glaube des Mittlers dabei ist, der nur im Kreuz des Herrn gerühmt werden kann. “Die Kuppel, auf die es gesetzt wird, verweist zeichenhaft darauf, dass der katholische Glaube unverletzlich verkündet wird.”b Der Hahn wird aufgesetzt, weil er als eifriger Prediger durch die Lehre der beiden Gesetze die Schlaftrunkenen aufwecken soll, mitten in der Nacht den Herrn zu bekennen. Nacht ist die gegenwärtige Welt. Schläfer ist, wer in der Sünde liegt, dem der Hahn die Stunden zählt, wenn er klar verkündet und ihn aufruft, von den Sünden aufzustehen. “Er kündet zuvor das Licht, wenn er die künftige Herrlichkeit verkündet, die an uns offenbar werden soll (Röm 8,18). Doch zuvor schlägt er sich mit seinen Flügeln, wenn er seinen Leib züchtigt, damit er nicht als Prediger von den anderen verworfen wird.”c Er wendet sich gegen den Wind, wenn er sich für das Haus Gottes als Mauer gegen die Stolzen wendet und sich dem herankommenden Teufel widersetzt. Die eiserne Stange dort ist die Gradlinigkeit der Predigt, die im Munde des Predigers sein soll. – Das Kloster hat seinen Ursprung von den Wachposten und Wachen der Leviten um das Bundeszelt genommen, vom Atrium der Priester oder der Säulenhalle Salomos beim Tempel. Der Herr hat ja dem Moses befohlen, nicht die Leviten zusammen mit der Menge des Volkes zu zählen, sondern er solle sie einsetzen zur Wache des Bundeszeltes, zum Tragen und Bewachen (vgl. Num 2,3; 3,6-9). Mit dem Stamm Levi wird die Priesterschaft bezeichnet, die nicht mit der Menge des Volkes gleichgesetzt ist, sondern es leitet, damit sie als Beispiel hervorragt, die Sorge für die materielle und streitende Kirche übernimmt; in sie eingebettet sind die Petrus Comestor, Allegoriae in uetus testamentum 1. Vgl. Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 1 c Vgl. Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 1. a
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Testamente des Herrn. Sie hat den Auftrag, das Volk zu leiten und in Wort und Tat zu lehren ehrenvoll zu leben. Indem sie mit ihm leidet, es berät und die Sitten der Schwachen hinnimmt, trägt sie es auf den Schultern der Geduld. Damit sie dem Feind keinen Zugang gibt, wacht sie wie ein aufmerksamer Hirte. Salomo aber schuf das Atrium der Priester, schuf auch den Portikus, der die alten Väter der streitenden Kirche verkörpert: Abel und Enoch. “In diesem Portikus halten sich die Apostel einträchtig auf und erheben sich zum Gebet, und sie waren ein Herz und eine Seele (vgl. Apg 4,32). Dieser Formel folgen die Regularkanoniker und Mönche, indem sie diese bindend versprechen, wenn sie einträchtig im Kloster leben, sich zum Gottesdienst erheben, die Welt verlassen und in allem ein gemeinsames Leben führen. Ja, darin symbolisiert dieser Tempel die triumphierende Kirche, zeigt das Kloster auf, das himmlische Paradies, wo es ein Herz gibt und dieses in der Liebe und dem Willen Gottes, wo sie alles gemeinsam besitzen. So wie Wasser mit Wein gemischt nicht den Geschmack des Weins zerstört, so weicht der Wille der Heiligen nicht in einem anderen Willen von dem Gottes ab. Denn wer weniger für sich hat, freut sich, dass er es in anderen besitzt, weil Gott alles in allem (1 Kor 15,28) sein wird. Die Verschiedenheit der Ämter und Aufgaben im Kloster ist vergleichbar mit der Verschiedenheit der Wohnungen und Belohnungen im Himmelreich. Und sie weist hin auf das Paradies Eden.”a So wie dort die fruchttragenden Bäume, von denen einer Holz des Lebens, ein anderer Holz des Wissens um Gut und Böse war, dessen Verzehr ewigen Tod bedeutete, so sind in unserem Kloster die Bücher der Heiligen Schrift, die einigen der Duft des Lebens zum Leben, anderen aber der des Todes zum Tod ist (2 Kor 2,16). Moralisch gedeutet aber ist das Kloster die Kontemplation der Seele, wohin sie sich zurückzieht, wenn sie sich von den Wirrungen der fleischlichen Gedanken trennt und nur über Himmlisches meditiert. Aus diesem Kloster ging Dina, die Tochter Jakobs, um sich die Töchter des Landes anzusehen; sie wurde von Sichem, dem Sohn des Hamor, vergewaltigt, und der gewann sie lieb a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 149.
5 – Die Namen der Kirche
(Gen 34,1-3). Dies gleicht dem Verstand des Menschen, der, wenn er seine Studien vernachlässigt und sich mit weltlichen und ihm fremden Dingen abgibt, vom Teufel verdorben wird und sich mit ihm in der Bosheit vereinigt. In diesem Kloster gibt es vier Seitena: Verleugnung seiner selbst, Verleugnung der Welt, Nächstenliebe und Gottesliebe. Eine jede Seite hat eine Säulenordnung, so hat die Verleugnung seiner selbst die Demut, den Kampf gegen das Fleisch, demütiges Gespräch und dergleichen. Die Basis aller Säulen ist die Geduld. In diesem Kloster ist die Verschiedenheit der Ämter die Verschiedenheit der Tugenden, wie das Hospital das Mitleiden des Geistes ist. Und sieh: Das Hospital nimmt entsprechend den Personen die Verschiedenheit der Namen an. Es heißt “Fremdenheim, Siechenheim, Altersheim, Waisenheim, Krankenheim, Findelkinderheim. Die heiligen Väter und die frommen Kaiser haben ja Orte eingerichtet, wo Pilger, Waise, Greise, Schwache, Sieche und Verwundete aufgenommen werden sollten.”b Ihnen sollten, weil wir mitleiden, durch das Hospital das Mitleiden des Geistes gegeben werden. Das Kapitelc ist das Geheimnis des Herzens, das Refektorium die Erquickung der heiligen Meditation, der Keller die Heilige Schrift, das Oratorium das unbefleckte Leben, der Garten der Bäume und Kräuter die Versammlung der Tugenden. Ein Brunnen lebendigen Wassers (Hld 4,15) ist die Tränke der Guten, die hier ihren Durst lindern und in der Zukunft ganz still werden. 5. Die Namen der Kirche Mein Haus wird Haus des Gebetes genannt (Lk 19,46).d “Das Gebäude, das aus so vielen Teilen errichtet wird, zeichnet sich durch viele verbürgte Benennungen aus. Es heißt ja ‘Haus des Gebets’ oder ‘Oratorium’, weil dort das Volk der Gläubigen zum Gemeint ist der Kreuzgang. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 2a-b; Codex Justinianus I 2,19. c Kapitelhaus (Versammlungsraum). d Antiphon Domus mea. a
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Beten zusammenkommt. So wie es Orte gibt, die für notwendige Tätigkeiten bestimmt sind, wie das Dormitorium, so gibt es auch solche für das Gebet eigens bestimmte wie die Kirche und für die Mönche die Oratorien in den Grangiena. Es heißt auch ‘Haus Gottes’, weil Gott darin wohnt. Daher sagt Jakob: Hier ist das Haus Gottes und das Tor des Himmels (Gen 28,17). Und sieh: Es ist das Haus Gottes wie die streitende Kirche, die gläubige Seele und die himmlische Heimat. Sie ist das Haus der Seele wie das Gewissen. Sie ist das Haus des Menschen wie die Familie. Sie ist das Haus des Dämons wie die menschliche Treulosigkeit. Vom Haus Gottes sagt Salomo: Die Weisheit hat sich ihr Haus gebaut (Spr 9,1). Und David: Wie freute ich mich, als man mir sagte: Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern (Ps 122,1). Vom Haus der Seele heißt es: Bestell dein Haus! ( Jes 38,1). Und jenes: Dreierlei treibt den Menschen aus dem Haus: Rauch, ein ständig tropfendes Dach und das Gezänk der Frau (Spr 19,13; 27,15), d. h. die Sünde der Unwissenheit, der Einflüsterung und der eigenen Lüsternheit. Über das Haus des Menschen heißt es: Gott baute den Hebammen Häuser (Ex 1,20). Über das Haus des Dämons sagt der Dämon selbst: Ich will in mein Haus zurückkehren, das ich verlassen habe (Lk 11,24). Es wird auch nach der Vorzüglichkeit des Hauses von dem ‘doma’ gesprochen, das ist das Dach, denn die in einem Hause wohnen, sind unter einem Dach. Es heißt auch ‘Kirche’, d. h. die Zusammenrufung, denn sie enthält eine wahre Kirche, d. h. das zusammengerufene Volk nach der rhetorischen Figur, die bei den Grammatikern Metonymieb heißt, da das Benannte durch Umbenennen entsteht.” ‘Synagoge’ bedeutete ‘Zusammenkunft’, weil die Zuchtrute des Gesetzes dort wie die Herde des blöden Viehs das Volk zusammenscharte.”c Doch die Kirche ist die ‘Zusammenrufung’, weil sie in der Liebe des Heiligen Geistes zum einen Glauben, zu den Gerichtsurteilen Gottes, zur Gemeinschaft mit Christus zusammengerufen wird.d Die Wirtschaftshöfe der Zisterzienser. Vertauschung verwandter Begriffe. c Vgl. Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 8, 1, 7-8. d Vom Anfang des Kapitels vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 126, 124; ders,, Sacramentarium 3, 31. a
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5 – Die Namen der Kirche
So wie einst das Volk zusammenkam, um die Gebote zu hören und erneut zusammenkam, um das Osterlamm zu essen, – daher der Apostel: Was ihr bei den Zusammenkünften tut, ist keine Feier des Herrenmahles mehr (1 Kor 11,20) – so wird sie heute aufgerufen, die Strafen und den Lohn der künftigen Welt zu hören und den Leib des Herrn zu empfangen. Sie heißt auch ‘Basilika’, ‘Königshalle’, wie man es im Chronikbuch findet (2 Chr 4,9), d. h. ‘königlich’, denn dort wird dem König der Könige gedient. ‘Basileus’ wird ja mit ‘König’ übersetzt, gleichsam die Basis des Volkes, d. h. Säule und Stütze des Volkes. Daher heißt ‘Basiliske’ ‘König der Schlangen’. Sie heißt auch ‘Kyriaké’, d. h. ‘die Herrschaftliche’, denn man dient dort dem Herrn der Herren. ‘Kýrios’ wird ja mit ‘Herr’ übersetzt. Daher: ‘Kyrie eleison – Herr, erbarme Dich unser’. Die Kirche heißt auch ‘Aula’, weil dort das große Gastmahl des Ewigen gefeiert wird. Daher: Furcht gebietend ist dieser Ort. Hier ist das Haus Gottes und das Tor des Himmels (Gen 28,17). Und sie wird auch ‘Halle Gottes’ genannt werden (ebd. 28,22). Sie heißt auch ‘Münster’, denn sie ist ein Ort der Einsamkeit und Wohnung der Eremiten. ‘Monos’ heißt ja ‘allein’ oder ‘einer’, ‘stérion’ ‘Wohnung’. Daher sind die Mönche einzeln und betrübt. Sie heißt auch ‘Zönobium’ nach ‘kenon’ gleich ‘gemeinsam’, weil sie eine gemeinsame Wohnung ist, daher heißen die Bewohner ‘Zönobiten’. Sie heißt auch ‘heilig’, d. h. stark, weil ihr Haus auf Fels gegründet ist (Mt 7,24), und weil die Stärke auf dem Gottesdienst darinnen beruht. Daher: Der Pontifex ist ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen (Hebr 9,12). Sie heißt auch ‘Märtyrergrotte’, weil dort die Leiber der Märtyrer liegen oder weil sie dort gelitten haben, oder diejenigen, die sich dort versammeln, für den Namen Christi gelitten haben. Deren Stelle nehmen heute die Regularkanoniker ein. ‘Großkirchen’ heißen die Tempel, d. h. die weiten Dächer, weil das Volk dort drinnen unter der Weite des einen Daches vereint wird. Die kleinen Kirchen aber heißen ‘Kapellen’ nach den Fellen der Ziegen.a Die Adligen hatten a
Abwegige Ableitung von capra Ziege.
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ja auf Reisen Kirchen aus Ziegenfell gefertigt. Und sie heißen Armenhäuser, wohin die Armen wegen der Almosen strömen. Daher heißt ‘Kapelle’, wo die Armen im Geiste durch das Futter des Wortes Gottes genährt werden. Deren Wärter oder Altardiener heißen ‘Kapläne’. Daher sind sie gehalten, nicht bunte Pelze, sondern Ziegenpelze zu gebrauchen, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen (Mt 20,28). Und vielleicht heißen die Kapläne nach der Kappa des hl. Martin, denn diese trugen sie vor den Frankenkönigen in den Krieg und in die Schlachten. – Deshalb kommen wir als Brüder in der Kirche zusammen, nicht um uns in ihr leiblichem Nutzen hinzugeben, sondern um für das Gebet frei zu sein. Denn wir dürfen sie nicht zur Räuberhöhle (vgl. Mt 21,13) machen, die mit dem Rauch von Gewürzen und dem Geruch von Salben zu erfüllen ist, durch die man hier Heilung und in der Zukunft das Heil erlangt. 6. Die Weihe der Kirche
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Salomo feierte ein großes Fest und ganz Israel mit ihm vor dem Herrn (1 Kön 8,65). Kirchen und Altäre zu weihen ist keine neue Gewohnheit, sondern beruht auf altem Vorbild. Erexit Jacob – Jakob stellte ja den Stein als Steinmal auf und goss Öl darauf (Gen 28,18). Salomo baute den Tempel und weihte ihn dem Herrn. Daher nahmen die Väter des Neuen Testaments dieses Beispiel auf, wie wir oben gesagt haben, Kirchen zu bauen und die Gebäude zu weihen. Die Weihe bewirkt zweierlei: Sie gibt Gott diese materielle Kirche zu eigen und offenbart unsere Verlobung mit der Kirche wie mit dem getreuen Herzen. Denn ein nicht geweihtes Haus ist wie ein Mädchen, das für einen Mann bestimmt ist, doch noch nicht Aussteuer und Ehevertrag besitzt und auch noch nicht im Fleisch vereint ist. Aber durch die Weihe erhält es die Aussteuer und geht in das Eigentum Jesu Christi über. Was für ein Sakrileg ist es, wenn ein Ehebruch es künftig verletzt! Die Kirche endet damit, dass sie ein Bordell der Dämonen wird. Wenn du ein Beispiel
6 – Die Weihe der Kirche
suchst – da gibt es viele, doch statt deines Tempels reicht es, dass das Pantheon, wie es früher hieß, übergeht in den Palast des ewigen Königs, in dem Er in Gnade wohnt. Denn auch in jenem Tempel ließ sich die Herrlichkeit des Herrn sichtbar nieder. Das nicht geweihte Haus ist das Heidentum oder die Seele, der die Erkenntnis Gottes fehlt. Die Weihe der Kirche ist die Hochzeit Christi mit der Kirche oder der Seele, und dies wollen wir durch die einzelnen Zeichen der Weihe erklären. Zuerst erfleht der Bischof an der Stelle, wo Reliquien in der vergangenen Nacht aufbewahrt waren, vor diesen in der Litaneia das Erbarmen Gottes und die Hilfe der Heiligen, um das hehre Sakrament der Kirche würdig zu vollenden. Dann vollzieht er vor den Toren der Kirche den Exorzismus mit Salz und Wasser: Deus in adiutórium meum intende – Gott, komm herbei, um mich zu retten! (Ps 70,2), ohne Halleluja. Darüber sprechen wir späterb. Dieses Wasser, das mit dem Geschmack des Salzes gewürzt wurde, verweist auf die Taufe, weil es mit dem Geschmack des Glaubens gewürzt ist, wenn der Täufling im Glauben unterwiesen wird. Dessen Quelle hat der Herr in Judäa geweiht. Mit diesem Wasser besprengt der Bischof draußen beim Umschreiten dreimal die Kirche und bittet Gott für sie um den Segen. Diese dreimalige Besprengung und das dreimalige Gebet ist das Symbol für die dreimalige Beerdigung, das Untertauchen im Taufbrunnen ist die Anrufung der Heiligen Dreifaltigkeit. Der Herr befahl den Aposteln, die Taufe im Erdenrund zu vollziehen, als er sagte: Geht, tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes (Mt 28,19). Daher erleuchten inzwischen im Umgang zwölf Kerzen die Kirche. Denn die zwölf Apostel erleuchteten die Völker mit dem Licht des Glaubens. Die drei Responsorien, die inzwischen gesungen werden, sind die Fröhlichkeit der drei Ränge der den Glauben Empfangenden: d. h. Noah, Daniel und Hiob. Und weil bei dieser Anrufung die Gnade des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe eingegossen wird, besprengt man die Kirche am Sockel, a b
Allerheiligenlitanei. Siehe Buch I, Kapitel 7, S. 98.
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in der Mitte und im oberen Teil der Mauer. Beim Besprengen bedenken einige Bischöfe auch das Atriuma, einige aber erst nachdem die Kirche besprengt wurde, mit Wasser, das zuvor geweiht wurde, wie es sich im Kanon findet. Das kanonische Maß für das Atrium ist 30 oder 40 Fuß, ausgenommen die Kapellen, die sich im Bereich der Kastelle finden. Das Atrium ist Christus, durch den der Zugang zum himmlischen Jerusalem offensteht. Es wird in uns geheiligt nach dem Wort: Geheiligt werde Dein Name (Mt 6,9). Diese Zahlen ‘30’ und ‘40’ aber symbolisieren das Geheimnis des Glaubens und der Buße, die für die streitende Kirche nötig sind. Die Besprengung aber geschieht mit einem aus Ysop gefertigten Schwengel, nach dem Wort: Besprenge mich mit Ysop, Herr, dann werde ich rein. Wasche mich, dann werde ich weißer als Schnee (Ps 51,9). Ysop ist ein niederes Kraut, das auf Felsen wächst und als Heilmittel für den Körper verwendet wird. Deshalb bezeichnet es die Demut, die aus dem Felsen Christus hervorgeht. Er hat gesagt: Lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig (Mt 11,29). Bei den Täuflingen nützt die Welle der Taufe nichts, wenn sie nicht aus der Wurzel der Demut entspringt. Doch wenn Demut hinzukommt, vertreibt sie so das Aufwallen des Hochmuts und wäscht und reinigt den Menschen. Sie macht ihn unvergleichlich weißer als Schnee, oder wie Schnee entsprechend dem Wort des Jesaja: Sie sollen weiß werden wie Schnee (Jes 1,18), damit der Mensch zum Gewand Christi wird: Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus [als Gewand] angelegt (vgl. Gal 3,27). Das weiße Gewand, d. h. ohne Flecken und Falten (vgl. Eph 5,27), ist, sage ich, in der Verklärung des Herrn dargestellt. Der Bischof tritt vor den Eingang der Kirche und stößt dreimal mit dem Stab gegen den Türbalken und sagt: Tollite portas – Ihr Tore, hebt euch nach oben! (Ps 24,7). Dieses dreimalige Stoßen ist die dreifache Gewalt Christi im Himmel, auf der Erde und in der Unterwelt. Und er stößt auch zu, weil Er seiner Kirche die Gewalt zu binden und zu lösen im Himmel und auf der Erde verliehen hat und hinzugefügt: Und die Mächte der a
Die Vorhalle, das sog. Paradies.
6 – Die Weihe der Kirche
Unterwelt werden sie nicht überwältigen (Mt 16,18). Er befiehlt also, die Tore des Todes zu beseitigen und die ewigen Tore zu öffnen. Die Tore des Todes sind die Laster, die Tore des Lebens sind die Tugenden und die Sakramente der Kirche. Er hat damals geschlagen, auch als Er die Bösen mit rauen Worten anfuhr, nach dem Wort des Jesaja: Er wird den Erdboden schlagen mit dem Stock seines Wortes, und mit dem Hauch seines Mundes den Schuldigen töten (Jes 11,4). Und dieses dreimal, denn Er lehrt den Glauben an die Dreifaltigkeit. Durch dieses Klopfen wird der Teufel vertrieben, der unter dem flüchtenden Diakon verstanden wird. Zu Recht: Wer dessen Rang hat, darf ihn vertreten, denn ‘Diakon’ wird mit ‘Diener’ übersetzt. Diese aber sind die Bediensteten des Geistes. Entsprechend dem Wort: Tausendmal Tausende dienten ihm (Dan 7,10). Und der Apostel: Alle sind dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst (Hebr 1,14). Wenn er aber Archidiakon ist, verkörpert er Luzifer. Über den sagt Hiob: Er ist der Anfang der Wege Gottes (Ijob 40,19). Deshalb ist er mit kostbaren Gewändern gekleidet, denn allerlei kostbare Steine umgaben ihn (Ez 28,13). Er war ein bewaffneter starker Mann, der seinen Hof bewachte (Lk 11,21). Als er die Welt beherrschte, kam ein Stärkerer über ihn, vertrieb ihn und verteilte die Beute, als Christus ihn mit seinem Leiden besiegte und die Kirche und die Seelen befreite. Man sagt ihm: ‘Áperi – Öffne!’, nicht weil er die Herzen der Gläubigen zum Glauben öffnen könnte, sondern weil der Weggang des Lasters den Eintritt der Tugenden bewirkt. Mit dem Verschwinden des Teufels öffnet die Kirche bald das Tor des Glaubens für Christus. Und weil die Frage des Eingeschlossenen die Unkenntnis über die Sünde ist, ist das Öffnen der Pforte der Ausschluss der Vergehen. “Der Bischof tritt ein und sagt dreimal: Pax huic dómui – Friede diesem Hause! (Lk 10,5). Denn Christus hat bei seinem Eintritt in die Welt den Menschen guten Willens den Frieden gebracht (Lk 2,14),”a indem er sie mit der Dreifaltigkeit versöhnte. Er tritt mit zweien oder dreien ein, damit durch die Aussage von a
Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis 2.
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zwei oder drei Zeugen (2 Kor 13,1) das Wort der Weihe bestätigt wird, und weil für die Kirche der verklärte Herr bei wenigen Anwesenden gebetet hat (vgl. Mt 17,1-9). Dann wirft sich der Bischof zu Boden im Gebet für die Weihe der Kirche, weil Christus sich gedemütigt und für die Heiligung der Kirche zum Vater gebetet hat: Vater, heilige die, die Du mir gegeben hast ( Joh 17,11). Die Geistlichen, welche die Apostel symbolisieren, die für die Heiligung der Kirche und der Seelen bei Gott eintreten, beten und stimmen die Litanei an. “Der Bischof steht auf, grüßt aber das Volk nicht mit dem ‘Dòminus uobiscum – Der Herr sei mit euch’, sondern lädt es zum Gebet ein mit: ‘Flectamus génua – Beuget die Knie!’ Denn Ungläubige sind nicht zu begrüßen, sondern zur Buße aufzurufen, und noch nicht Geheiligten ist nicht Beifall zu klatschen, sondern für sie zu beten.”a “Danach schreibt er auf den Estrich zwei Alphabete, durch die wir die Kenntnis der beiden Testamente oder das Verständnis der Heiligen Schrift, also die Buchstaben und den Geist verstehen. Es gibt nur wenige Buchstaben, doch in ihnen ist die ganze Fülle des Wissens enthalten. Dieses Wissen also soll in den Estrich unserer Brust eingeschrieben werden, in die Herzen der Weltmenschen, damit wir dadurch den Herrn erkennen und auf das Himmlische ausgerichtet werden können. Also wird von der linken Ecke im Osten bis zur rechten Ecke im Westen geschrieben.”b Die linke Ecke im Osten ist Judäa, in der Christus dem Fleische nach geboren wurde, und dennoch wird es wegen des Unglaubens zu den Linken gerechnet. “Die rechte Ecke im Westen ist das Heidentum, in dem der Unglaube gefallen ist und für das Christus, die Sonne der Gerechtigkeit (Mal 3,20), gestorben ist und das daher einen Anteil auf der rechten Seite erhalten wird. Von der linken zur rechten Ecke wird also in Erinnerung an dessen Übergang geschrieben, von dem es heißt: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben, das die erwarteten Früchte bringt (Mt 21,43). Es wird das Alphabet auch von der rechten Ecke im Osten a b
Hugo de S. Victore, De sacramentis christianae fidei II 5, 1.5. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 143.
6 – Die Weihe der Kirche
nach links im Westen geschrieben. Die rechte Ecke im Osten ist die Kirche der Urzeita, in der das Licht des Glaubens aufgegangen ist. Die linke im Westen ist der Rest Israels, der jetzt noch links steht und bis zum Abend der Welt links bleiben wird. Also wird von rechts nach links geschrieben. Denn nach der Vollendung der Heidenvölker (vgl. Röm 11,25) wird sich Israel zum Glauben bekehren. Zuerst wird das Alphabet auf Griechisch, danach auf Lateinisch geschrieben. Jenes ist nämlich früher und reich an Weisheit. Das zweite ragt hervor an Macht,”b Hebräisch wird nicht geschrieben, denn es schweigt in der Kirche. Beide werden mit dem Bischofstab geschrieben, denn dies alles wird durch die Verkünder gemacht. So aber werden die Buchstaben geschrieben, dass sie alle in die Form des Kreuzes mitten auf dem Estrich passen. Einmal weil die beiden Testamente den Glauben an die Passion lehren, dann weil beide Völker im Mysterium des Kreuzes gerettet werden. “Zuvor sollen aus dem Estrich die Gebeine der Ungläubigen herausgenommen werden, wenn es da welche gibt.”c Denn sie sind nicht heilig und nicht geheiligt, und Christus hat ihre Seelen nicht mit dem Ring des Glaubens verpfändet, und sie werden nicht in die herrliche Einheit des allgemeinen Leibes übergehen. Doch die Gebeine von Gläubigen werden entweder gehoben oder tiefer in die Erde versenkt, dass keine Spur der Gräber sichtbar bleibt. Wenn wir wollen, dass mit dem Ysop der Demut besprengt wird, mit dem sakramentalen Wasser gereinigt, mit der geistlichen Weisheit erfüllt, durch den Glauben an das Kreuz gerettet wird, muss der Estrich unserer Brust vom Abfall und aller Ansteckung der Todsünde gereinigt werden, damit wir, weißer als Schnee (Ps 51,9), Christus anziehen (Röm 13,14) und als seine Braut, als reine Jungfrau, ohne Flecken und Falten (Eph 5,27) erscheinen. a Kirche ab Adam.– Vgl. Honorius Augustodunensis, Speculum e cclesiae, col. 833: “Unter dem Paradies, das auch hortus deliciarum heißt, wird die Kirche verstanden.” b Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 155. c Gratianus, CIC, D.1 c.28 de cons.
Mitralis I – Die Kirche
7. Ebenfalls Kirchweihe – Segnungen
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Christus ist als Hoherpriester ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen (Hebr 9,11-12). Bislang war es gewissermaßen die Einführung in die Weihe. Von jetzt an beginnt die Weihe der Kirche, und deshalb wird durch das, was folgt, die Passion Christi und die Ausgießung des Heiligen Geistes dargestellt. “Der Bischof tritt also an den Altar heran um das Wasser zu segnen und spricht: Deus in adiutorium meum intende – Gott, sei auf meine Hilfe bedacht! (Ps 70,2)”a und fügt ‘Gloria Patri – Ehre sei dem Vater’ ohne Halleluja hinzu. Diese Form ist üblich bei der Segnung dieses Wassers und dessen, was Papst Alexanderb bei der Segnung an den Sonntagen eingeführt hat. Der Bischof fleht also die göttliche Hilfe an. Und weil diese Segnung geschieht, um die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit zu preisen, deshalb fügt er ‘Ehre sei’ usw. an. Doch weil wir uns noch reinigen und noch nicht die Wirkung der Segnung erlangt haben, unterlassen wir – unter Seufzen – das Halleluja, d. h. das Gott gebührende Lob für die empfangenen Wohltaten. Daher wird es nach der Kirchweihe gesungen, weil nach Ausschluss der Phantastereien der Dämonen dort Gott gelobt wird. So hat Christus, als Er an den Altar des Kreuzes herantrat, die Hilfe des Vaters angerufen und zur Verherrlichung der Dreifaltigkeit den Tod auf sich genommen. Doch das Halleluja hat Er erst nach der Auferstehung gesungen, als das Werk offensichtlich geleistet war. Danach werden Salz, Asche und Wasser gesegnet, nach einem Kreuzzeichen vermischt und schließlich Wein hinzugesetzt. Salz ist die Weisheit Gottes. Darum hat Elischa Salz in das Wasser getan, um das Wasser gesund zu machen. Denn der Vater hat seinen Sohn in die Welt gesandt, damit die Welt durch ihn gerettet wird (Joh 3,17). Asche ist Christi menschliche Natur. Sie ist die rote Kuh, die verbrannt wurde (vgl. Num 19,2), also das Fleisch Christi, rötlich vom Blut, im Feuer des Leidens gebraten, durch das wir gerettet wurden. “Wasser symbolisiert a b
Vgl. Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 2. Sicardus, Cronica zum Jahr 70. – Papst Alexander I. (etwa 105-115).
7 – Segnungen
das Volk.”a Daher: viele Wasser, viele Völker. Daher werden Salz und Asche vermischt, da das Wort Fleisch wird, das unter einem Kreuzzeichen mit dem Wasser vermischt wird, da das Volk in der Passion Christi gerettet wird. Dass aber Wein hinzugesetzt wird, verweist darauf: Die Gottheit wirkt die Rettung, und die Trauer der Passion wurde in die Freude der Auferstehung gewandelt. Durch dieses Wasser empfangen wir den Heiligen Geist. Von ihm heißt es: Wer an mich glaubt, aus dessen Innern werden Ströme von lebendigem Wasser fließen (Joh 7,38). Dem werden Salz, Asche und Wein beigemischt, denn wen der Geist wäscht, der wird mit Weisheit gewürzt, mit dem Staub der Buße besprengt und mit dem geistlichen Verständnis trunken gemacht. Daher wird die Kirche draußen und drinnen gewaschen, sodass, wer gerettet werden soll, aus Wasser und Geist wiedergeboren wird (Joh 3,5). Und “das Salz ist die Lehre des Glaubens, die Asche das Gedenken an das Leiden Christi, der Wein mit Wasser gemischt die der Menschheit verbundene Göttlichkeit. So werden wir durch die Lehre des Glaubens und Gedanken an das Leiden Christi geheiligt, sodass wir unserem Haupt, dem Gott und Menschen, verbunden werden.”b Danach macht der Bischof von diesem Wasser mit dem Daumen Kreuze auf dem Altar in der Mitte und an den vier Ecken. Er besprengt ihn beim Umgang um den Altar siebenmal oder dreimal. Altar bedeutet an dieser Stelle die Urkirche. In seiner Mitte errichtete Er das Kreuz, als Er sich mitten in der Welt, also in Jerusalem, dem Leiden unterwarf. Auch wies Er auf die vier Ecken hin, als Er am Kreuz die vier Teile der Welt rettete. Er besprengte siebenmal den Altar, als Er befahl, die Kirche in Jerusalem zu taufen, damit sie die sieben Gaben des Heiligen Geistes empfange. Und er besprengt ihn dreimal, da im Namen der Dreifaltigkeit getauft und die Kirche von den Sünden des Denkens, Redens und Tuns gereinigt wird. Daher wird Miserere mei Deus – Gott, sei mir gnädig (Ps 51,3) während des Besprengens gesungen. Dann besprengt der Bischof die Kirche ringsum von a b
Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 2. Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 2.
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Mitralis I – Die Kirche
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Ost nach Ost oder einmal durch die Mitte in Form des Kreuzes, weil Christus befahl, ganz Judäa oder alle Heidenvölker im Namen der Dreifaltigkeit zu taufen. Dieser Taufe gab Er die Wirksamkeit im Geheimnis der Passion. Dass die Besprengung im Umgang geschieht, symbolisiert, dass der Herr, in Sorge um die Seinen, seinen Engel schickt rings um die ihn fürchten (Ps 34,8). Er fängt im Osten an und gelangt wieder nach Osten, weil der Herr bei den Juden begann, bei denen er geboren wurde, und damit unser Glaube zu ihnen zurückgebracht werde. – Während der Umgang geschieht, werden die Psalmen Laetatus sum – Ich freute mich, als man mir sagte (Ps 122) usw., Exsurgat Deus – Gott steht auf, seine Feinde zerstieben (Ps 68), usw., Qui hábitat – Wer im Schutz des Höchsten wohnt (Ps 91) usw. gesungen. Durch die Apostel, die das Geheimnis der Auferstehung und das Sakrament der Taufe verkündeten, wurde die Besessenheit der Feinde vernichtet und das Haus des Herrn stark gebaut. Wir werden dahin eintreten und in seinem Schutz wohnen, dafür betet Christus und steht in der Mitte; wie ein Mittler für uns hält Er bei Gott dem Vater täglich Fürsprache. Dann gießt der Bischof Wasser an den Fuß des Altars und erinnert daran, dass von Jerusalem die Quelle der Taufe hervorbrach. Und er empfiehlt Gott, dass er in diesem Sakrament die menschlichen Kräfte übersteigt. Dadurch dass danach der Altar mit einem Leinentuch bedeckt wird zum Gedenken an die Passion Christi, wird der Kummer der Urkirche besänftigt. Denn durch ein Tuch aus Leinen, das aus der Erde entsteht und mit viel Arbeit zum weißen Glanz gewandelt wird, nehmen wir Christus auf, der von einer Jungfrau geboren wurde und der durch die Mühe der Passion zur Freude der Auferstehung gelangte. 8. Ebenfalls Kirchweihe – Altarreliquien Wir bemühen uns, in jenes Land der Ruhe zu kommen, denn an Jesus Christus haben wir Anteil (Hebr 4,11). Wenn dies geschehen ist, geht der Bischof zu den Reliquien, und in Prozession, Gebet, großer Ehrfurcht und
8 – Altarreliquien
Frömmigkeit trägt er sie an den Ort, der ihnen vom Herrn bereitet wurde. Nachdem Christus uns einen Platz bereitet hat, nimmt Er die Gerechten auf, die sich in dieser Nacht der Welt wachen Sinnes vor dem Bösen schützen, und führt sie in das Haus seines Vaters. Daher singt man: ‘Ambulate – Kommt ihr Heiligen Gottes, tretet ein in die Stadt des Herrn’, d. h. das himmlische Jerusalem. Dies ist ja die neue Kirche, in der das Volk den Herrn ewiglich anbeten wird. Hier Gesang, dort Freude der Engel, die die Seelen mit Freuden aufnehmen und sie begleiten, bis sie entsprechend ihren Verdiensten in die gebührenden Wohnungen aufgenommen werden. Bevor der Bischof die Kirche wieder betritt, schreitet er um den Bau herum mit den Reliquien, damit sie die Beschützer dieser Kirche sind. Währenddessen wird das Responsorium über die Zehntena gesungen. Und danach ermahnt der Bischof das Volk wegen des Zehnten und der Abgaben, der Ausstattung und des Kerzengeldes. Dann macht er das Kreuzzeichen mit Chrisam auf den Türbalken. Dadurch werden wir hingewiesen, wir sollten nicht erröten, das Siegel der Passion unseres Herrn Jesus Christus auf der Stirn zu tragen. Und dies ist genommen aus dem Blut des Osterlammes, mit dem auf Geheiß des Herrn die Türpfosten bestrichen wurden. Wenn der Bischof eintritt, begleitet ihn das Volk, damit es unter dem Schutz Christi und der Heiligen geleitet werde. Deswegen lege er als Mittler Fürsprache ein für die Gläubigen. Wenn er aber zum Grab kommt, wo die Reliquien geborgen werden sollen, breite er einen Vorhang zwischen Altar und Volk aus. Denn die Orte und Sitze der Seelen sind vom Blick der Sterblichen abgesondert. Dazu wird gesungen: ‘Exsultabunt – In festlichem Glanz sollen die Heiligen frohlocken, auf ihren Lagern jauchzen.’ Dann tut er Chrisam in das Märtyrergrab, in Kreuzesform an den vier Ecken und sagt: ‘Sanctificetur – Geheiligt werde dieses Grab im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes’, d. h. diese Ruhestätten mögen euch Kraft bringen in Ewigkeit wegen des Glaubens an das Leiden Christi, das ihr in den vier Zonen der a
Pontificale Romanum, De ecclesiae dedicatione, Responsorium Erit mihi.
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Mitralis I – Die Kirche
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Welt gepredigt habt. Dann setzt er drei Portionen Weihrauch, als ob er sagen wollte: ‘Und wieder werde euch Kraft gegeben, die ihr von der Heiligen Dreifaltigkeit in euren Gebeten erlangt habt.’ Danach werden die Reliquien im Märtyrergrab versiegelt und die Seelen im Himmel verankert. Und zu Recht wird währenddessen von den Geistlichen gesungen: ‘In caeléstibus – In dem himmlischen Reich’ usw. Wenn die Schlusstafel mit Chrisam befestigt und der Schutz Jesu Christi daraufgelegt wird, singt man: ‘Sub altare – Unter dem Altar habt ihr euren Ort erhalten’. Dies ist die ewige Ruhe, die von uns mit Mörtel, d. h. dem Bindemittel der Liebe, festgefügt wird. 9. Ebenfalls Kirchweihe – Altarsalbung und Messe Taten des Heils vollbringt der Herr auf Erden (Ps 74,12). Der Bischof aber, der das Kreuz mit hl. Öl in der Mitte des Altars und an den vier Ecken macht, ist Christus, der auf die Urkirche den Heiligen Geist durch den Glauben der Passion ausgegossen und durch sie bis zu den vier Zonen der Welt erweitert hat. Dann wird gesungen: Erexit Iacob – Jakob stellte das Steinmal auf und goss Öl darauf (Gen 28,18). Die Kirche war das Steinmal der anderen, denn vom Zion aus kam die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort (Jes 2,3). Dreimal wird der Altar gesalbt, zweimal mit hl. Öl, beim dritten Mal mit Chrisama, denn die Kirche wird durch Glaube, Hoffnung und Liebe, die am größten von ihnen ist, bezeichnet. Während Chrisam ausgegossen wird, singt man: Ecce odor fílii – Ja, mein Sohn duftet wie das Feld, das der Herr gesegnet hat (Gen 27,27). Dieses Feld ist die Kirche, die voll Blumen blüht, von Tugenden strahlt, durch Arbeiten duftet. Wo sind die Rosen der Märtyrer, die Lilien der Jungfrauen, die Veilchen der Bekenner? Wo die Lebenskraft der Anfänger, die Blüte der Fortgeschrittenen, die Früchte der Vollender? – Dann macht er an den Mauern der Kirche zwölf Kreuze mit Chrisam, fängt rechts an und gelangt nach links. Diese Salbung ist der Glaube an die Passion, der Mit Balsam versetzte geweihte Öle.
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9 – Altarsalbung und Messe
durch die Apostel von den Juden zu den Heiden kam. Und “besser noch verkörpert diese Salbung die Gnade des Heiligen Geistes, dessen Fülle im Haupte Christi wohnt, das vom Haupt herabströmt auf den Bart, auf Aarons Bart (Ps 133,2), d. h. zu den Aposteln. Diese haben das Geheimnis des Kreuzes von den vier Mauern der Kirche, d. h. den vier Zonen der Erde, überallhin gepredigt”a und den Glauben an die Dreifaltigkeit hinzugefügt. Daher werden an jeder Wand drei Kreuze vernünftigerweise angebracht. Das mehrfache Inzensieren mit Weihrauch ist das ständige Appellieren Christi, des Priesters und Bischofs für uns bei Gott Vater. Das Kreuz mit dem Weihrauch bedeutet, dem Vater die Passion zu zeigen und für uns Fürsprache einzulegen. Reichlich Weihrauch zu verbrennen in der Mitte des Altars und an den Ecken bedeutet, das Beten zu verstärken für die Kirche in Jerusalem und in der ganzen Welt. Dann salbt der Bischof die Stirnseite des Steins in Kreuzesform und sagt: Confirma hoc Deus – Bestätige das, o Gott (Ps 68,29). Denn Christus oder die Kirche selbst bittet den Vater, die Erlösung, die er gewirkt hat, selbst zu bestätigen. So geschieht es, dass die Getauften bestärkt und gefirmt werden. Diese Erlösung begann vom hl. Tempel aus, hoch über Jerusalem (Ps 68,29-30). Denn das Heil der menschlichen Natur begann in der Mitte des Erdenrunds und vom Tempel aus, d. h. von Christus, in dem die ganze Fülle Gottes wohnt (Kol 2,9). Und weil die Dreifaltigkeit diese Erlösung bewirkt, deshalb wird ‘Gloria Patri – Ehre sei dem Vater’ angefügt, damit das Lob der Dreifaltigkeit gesungen wird. Danach werden die Geräte, Paramente und Leinentücher für den Gottesdienst gesegnet. Die Gegenstände zu segnen heißt unsere Werke Gott zu empfehlen. Was die notwendigen Gegenstände sind, werden wir weiter unten sagen.b Danach erhält der Altar seine Gewänder. Den Altar bekleiden bedeutet die Seele mit unsterblichem und unverweslichem Leib zu verbinden. Über diese Gewänder sagt Christus von sich: Du hast mir das Trauergewand ausgezogen a b
Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 2. Unten Kapitel 13b, S. 126.
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und mich mit Freude umgürtet (Ps 30,12). Die letzte Segnung des Altars bezeichnet jene letzte Segnung, in der es heißt: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid (Mt 25,34). Danach wird die Kirche mannigfaltig geschmückt, wie unten gesagt wird,a und die Kerzen werden angezündet. Dann sollen die Werke der Gerechten glänzen, wie Funken, die durch das Stoppelfeld sprühen (Weish 3,7). Dann wird die Messe gefeiert. “Kirchen dürfen ja nicht ohne Messe geweiht werden.”b Da wird das Geheimnis offenbar, das auch vor den Engeln zunächst verborgen gehalten war. Der Introitus beginnt: Terríbilis – Ehrfurcht gebietend ist dieser Ort (Gen 28,17). Was ist mehr Ehrfurcht gebietend als dass die Engel fürchten und der Gerechte kaum gerettet wird (1 Petr 4,18)? Dann zieht der Bischof feierlich gekleidet ein, und in Freuden wird gesungen. Dann sehen wir ja den Herrn von Angesicht zu Angesicht inmitten seiner Herrlichkeit. Und siehe: Der Bischof gebraucht bei der Besprengung der Basilika leinene und geringere Gewänder, doch beim Altardienst tritt er auf, geschmückt mit den Pontifikalgewändern und Schmuck, und erinnert daran, dass der Hohepriester das Heiligtum mit Leinentüchern entsühnte und danach, gewaschen, in Pontifikalgewändern den Widder als Brandopfer opferte. Und in diesen Leinengewändern entließ er den Bock nach der Entsühnung. Auch wir verwenden bei der Taufwasserweihe und dem Untertauchen der Katechumenen, bei dem deren Sünden weggenommen werden, einige einfache und leinene Gewänder. Und: Durch den Altar empfangen wir Christus durch die Kirche wie eine Braut. Er ist ja der Stein, der von Jakob als Steinmal aufgestellt wurde (Gen 28,22), er stand als Zeichen für die Heidenvölker. Er ist der Eckstein, der alles eins macht (vgl. Apg 4,11). Er ist der Stein, der zum Berg wächst. Er ist der an Gipfeln reiche Berg, gesalbt mit dem Öl der Freude wie keiner deiner Gefährten (Ps 45,8). Deswegen werden nur steinerne Altäre gesalbt. Er stellt auch einen steinernen Weg dar, darum a b
Unten Kapitel 12, S. 111. So Papst Hyginus (etwa 136-140) – Gratianus, CIC, D.1 c.3 de cons.
10 – Kirchweihe
frohlockt er wie ein Held und läuft seine Bahn (Ps 19,6). Und: Er trinkt aus dem Bach am Weg (Ps 110,7). Der Wegestein aber ist ähnlich und wird aus ähnlichen Gründen mit dem Gemisch aus Salz, Asche, Wasser und Wein besprengt und, damit der Geruch dazukommt, mit Chrisam gestärkt. Neben dem Altar, sag ich, ist Christus das Becken, in dem wir unsere Hände waschen. Dieses ist das Erbarmen Christi, in dem den Menschen in der Taufe oder durch Buße der Sündenschmutz abgewaschen wird. Dazu steigt man auf den Stufen empor. Diese sind die Märtyrer, wie wir zuvor sagten, oder die Tugenden, durch die man zum Herrn gelangt. In ihnen sind die Reliquien, d. h. die Schätze der Weisheit und Erkenntnis (Kol 2,3). Dies ist ja die Bundeslade des Herrn, in der es Manna und die Bundestafeln gab. In ihnen verbrennen wir als Opfer Weihrauch und Öl, mit ihm beschreiben wir klar Priestertum und Gottesreich. Auf dem Altar Christi werden Kapselna abgesetzt; dies sind die Apostel und Märtyrer. Stoff und Vorhang sind die Bekenner, Jungfrauen und alle Heiligen, über die es heißt: Du sollst dich mit ihnen bekleiden (vgl. Jes 49,18). Darauf wird zu Recht das Evangeliar gelegt, weil das Evangelium über Ihn herausgegeben wurde und von Ihm Zeugnis gibt. Darüber wird auch das Kreuz aus drei Gründen errichtet: als Zeichen des Königs wird Er in seinem Haus oder der Königsburg verehrt, Christi Passion wird dargestellt, das Volk folgt Christus dem Gekreuzigten nach, indem es sich mit seinen Lastern und Begierden kreuzigt. Auch werden Siegeszeichen über den Altären angebracht, damit der Triumph Christi stets in der Kirche in Erinnerung bleibt. Durch Ihn hoffen auch wir, über den Feind zu triumphieren. 10. Kirchweihe spirituell gedeutet Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr (1 Kor 3,17). Dies alles wird auf den Menschen bezogen. Denn die Kirche wird außen gewaschen, es wird dreimal an die Tür geklopft, der Bischof tritt ein, es wird das Alphabet auf die Erde Mit Reliquien.
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geschrieben, die Kirche wird erleuchtet, der Altar mit Salz, Asche, Wasser und Wein gewaschen und die Kirche innen besprengt. Im Altar werden der Leib des Herrn und die Reliquien geborgen, Weihrauch und Chrisam gesetzt. Der Altar wird mit Öl gesalbt, mehrfach mit Weihrauch inzensiert, mit Stoffen geschmückt und auf ihm das Opfer des Lobes gefeiert. Der Mensch ist also die Kirche, nach dem was Paulus in der heutigen Epistel sagt: Ihr seid das Gebäude Gottes (1 Kor 3,9). Wenn also der getaufte Mensch von den drei Sünden der Gedanken, Worte und Werke gequält wird und die Tür zum Glauben offen steht, tritt auch Christus ein. Daher heißt es im heutigen Evangelium: Zachäus, ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein (Lk 19,5). Die Schrift der beiden Testamente wird dem Geist eingeprägt, und der Geist mit der Lehre der zwölf Apostel erleuchtet, das Herz, das so in unserem Körper ist wie der Altar im Tempel, wird durch das Salz geweiht, mit der Asche der Buße besprengt, in dem heilsamen Wasser des Heiligen Geistes gewaschen, durch den Wein der Weisheit trunken gemacht und so, wie er im Fleisch gewaschen ist, so auch im Geiste, sodass er sagen kann: Mein Herz und mein Leib jauchzen ihm zu, ihm, dem lebendigen Gott (Ps 84,3). Deshalb werden die Worte des Offertoriums angemessen verdoppelt, also: Fecit Salomo – Salomo feiert (2 Chr 7,8) usw. Auf den Altar den Leib des Herrn und die Reliquien zu setzen heißt, die Gebote des Herrn und die Vorbilder der Heiligen im Gedächtnis behalten, sodass man sagen kann: Ich berge Deinen Spruch im Herzen, damit ich gegen Dich nicht sündige (Ps 119,11). Auf dem Altar wird auch Weihrauch und Chrisam niedergelegt, wir halten uns frei für Gebete in guter Meinung und guten Werken. Wir salben unseren Altar und vergessen nicht die Barmherzigkeit. Es tritt zu dem Altar unseres Herzens der höchste Priester ein nach der Ordnung des Melchisedek (Ps 110,4) und salbt ihn, wenn Er sagt: Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist (Lk 6,36). Mit diesem Öl hat dich jener Oberste Priester gesalbt, über deine Gefährten hinaus (Hebr 1,9), als Er sagte: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun (Lk 23,34). Mit diesem Öl müssen nicht
11 – Entsühnung der Kirche
nur das Herz, sondern auch alle Glieder gesalbt werden. Die Hand wird ja, wenn sie nicht gesalbt wird, trocken und öffnet sich nicht dem Bedürftigen. Diesen unseren Altar inzensieren wir mit unseren Gebeten und schmücken ihn mit Tugenden, damit wir in ihm uns selbst als lebendiges Opfer darbringen (vgl. Röm 12,1) können, das Gott gefällt, damit wir das Opferlamm des Tempels und der Tempel Gottes sind. 11. Entsühnung der Kirche Leg deine Schuhe ab, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden (Ex 3,5; Jos 5,15). Da die Kirche für einen solchen Bräutigam mit so feierlicher Weihe hergerichtet wurde und ihre Geräte dem Gottesdienst gewidmet worden sind, steht fest, dass es eine gewaltige Sünde ist, sie mit unehrenhaften Dingen zu verletzen. Daher erschien dem Belschazzar, der die Gefäße des Herrn missbrauchte, die Königshalle mit der Schrift: mene, tekel, peres, d. h. gezählt, gewogen, geteilt (vgl. Dan 5,25-28). “Verletzt aber wird die Kirche durch Brandstiftung, Mord, Ehebruch, Abreißen des Siegelsa, Versetzen des Hauptaltars. Was aber verletzt wurde, muss, wenn es nicht wieder versöhnt oder wenn nötig neu geweiht wird,”b unrein bleiben und ist nur für Hunde brauchbar. Die Form der Entsühnung ist folgende: Zuerst betet der Bischof vor den Toren der Kirche. Danach betritt er die Kirche unter der Litanei und betet erneut. Dann wäscht er mit gesegnetem Wasser, das mit Salz, Wein und Asche gemischt ist, die Kirche und reinigt die entehrten Stellen, und so bewirkt er unter Gesängen und Gebeten, die dafür bestimmt sind, die Wiederversöhnung. So wird auch der Mensch, der in der Taufe Gott gewidmet war, durch das verbrennende und tödliche Verbrechen der Sünde befleckt. Und wenn er durch Ketzerei das Siegel des Glaubens verloren hat, wird er verletzt. Nach dem Abschlagen a
Aufbrechen der Versiegelung der Reliquienkapsel. Gratianus, CIC, D.1 c.19 de cons.
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des Hauptes (ich spreche vom Geist und vom Bischof) ist der gesamte Leib, d. h. das Volk kraftlos. Deshalb ist folgendes nötig: Wer dem Täufer nicht mehr helfen kann, der erneuere sich mit dem Strom der Tränen, d. h. durch Buße, und helfe mit Gebeten. Andernfalls wird der Tempel Gottes wieder zum Freudenhaus der Dämonen, das Gasthaus der Dreifaltigkeit wird zum Dirnenhaus der Buhlerin, wo die Dämonen tanzen und die Sirenen nisten. Durch Gebete aber wird es wieder zum Tempel Gottes und zur Wohnstatt des Heiligen Geistes, und wer auf dem Meer Schiffbruch erlitten hat, kehrt heim in den Hafen des Heils. Daher muss die Große Kirche mit Umsicht geschützt werden, die sich über ein dreifaches Privileg freut an Personen, an Sachen und an dem Ort. Über die Personen und Sachen nichts im Augenblick! Der Ort aber muss mit solcher Ehrfurcht geschützt werden, dass es keiner wagt, dort Liebesmahle zu feiern, Gelage durchzuführen, Tänze zu veranstalten, Straftaten zu verüben, Diebstahl zu begehen, einen Flüchtling herauszuholen oder andere fleischliche Bedürfnisse zu befriedigen. Er nehme sich auch nicht heraus, in einer Umgebung der Kirche, die 30 oder 40 Fuß beträgt, in Häuser einzubrechen. Dies ist ja ein heiliger Ort, d. h. ein fester, über den der Herr zu Moses und der Engel zu Josua gesagt hat: Leg deine Schuhe ab, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden (Ex 3,5; Jos 5,15). Schuhe werden aus den Häuten von toten Tieren gefertigt. Also ‘Schuhe ablegen’ heißt, die Fesseln der Todsünden von den Füßen zu lösen mit Taten, die wir beim Eintritt in das Heiligtum Gottes ablegen müssen, um an das Leben der Engel zu denken, wo Ruhe ohne Untätigkeit, Friede ohne Krieg, Arbeit ohne Mühsal, Sattheit ohne Ende ist. Sooft wir also diesen Ort betreten, – besonders wenn das himmlische Mysterium gefeiert wird, wo die Schar der Engel als anwesend geglaubt wird – müssen wir voll Ehrfurcht vor deren Anblick treten, das Gesicht zur Erde neigen, deren Freuden betrachten und uns erinnern, dass wir Staub und Asche sind. In der Kirche muss man sich auch überflüssiger Worte enthalten. Nach dem Wort des Chrysostomus: “Wenn du in die Königshalle eintreten willst, bereite dich in Kleidung
11 – Entsühnung der Kirche
und Auftreten darauf vor. Sobald du eintreten willst, wo ist da wirklich die Königshalle, – lachst du? Du kennst sie nicht, weil du sie nicht siehst, aber die Engel sind da, denn das Gotteshaus ist voll von körperlosen Mächten.”a Was wir aber sagen müssten, lehrt der Apostel, indem er sagt: Lasst in eurer Mitte Psalmen und Lieder erklingen (Eph 5,19). Aus Ehrfurcht vor diesem Ausnahmerecht betreten die Kirche keine Frauen, die nach einer Geburt vom Wochenbett aufstehen, auch nicht nach der Gewohnheit der Römer Frauen, die mit Monatsbluten und solche, die mit Männern geschlafen haben. Deswegen werden auch Büßer feierlich ferngehalten. Einmal weil sie sich an die Schuld erinnern, während sie die Buße erleiden, dann auch weil in allem jenes Geheimnis verstanden wird, dass Unreine vom Tempel des Himmels gänzlich ausgeschlossen werden. Ansonsten wäre es ihnen nur an dem Tage erlaubt einzutreten um Gott Dank zu sagen, an dem sie etwas davon täten oder erlitten. Die Kirche ist ja “die heilige Stadt Jerusalem”b, die selige Burg, die Stadt Gottes. Über sie: Herrliches sagt man von dir, du Stadt unseres Gottes (Ps 87,3). Und an anderer Stelle: Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, vom Himmel herabkommen (Offb 21,2). Sie leistet Dienst auf Erden, doch sie herrscht im Himmel. Sie ist das herrliche Reich, dessen Wächter auf Erden das Kollegium der Prälaten ist, die Scharen im Himmel sind das Heer der Engel, das Kollegium der Apostel, die Scharen der Märtyrer, der Zug der Bekenner und Jungfrauen. Deren Versammlungshaus wird von jenem einzigartigen Edelstein geschmückt, der nicht zuvor gesehen wurde und keinen Nachfolger hat. Da sie auch die streitende Kirche darstellt, schreckt es mich auch nicht, wenn sich in ihrem Körper die Guten mit den Bösen mischen. Denn in Eden wurde die Frau vom Mann genommen (vgl. Gen 2,22). Der Baum des Lebens und der Erkenntnis wird vorgestellt (vgl. Gen 2,17). Man findet auch die Schlange. In der Arche Noahs sind reine und unreine Tiere in einem zusammen, dabei haben sie Frieden untereinander. Die keinen Frieden halten, sind nicht a b
Vgl. Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis 4, 38, 2. Hymnus Urbs beata Ierusalem (AH 51, 110).
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in der Arche, obwohl es so scheinen könnte, und die grimmigen finden sich bei den Bestien. Außerhalb der Kirche gibt es keinen Raum für Zuflucht, doch nicht alle, die dort sind, werden die Gnade des Vaters erlangen. Denn Ham empfing in seinen Söhnen die Verfluchung. Im Haus Abrahams, glaubt man, haben der Sohn der Magd mit dem Sohn der Freien gespielt. Im Mutterleib der schwangeren Rebekka stießen die beiden Söhne einander; von diesen wird der glatte geschätzt und der struppige verworfen. Oft wird im Umkreis des verschlossenen Gartens die Bitterkeit des Absinth gefunden. Beim Abendmahl des Herrn und im Boot Simons war auch Judas Iskarioth. Im Netz des Fischers sind gute und schlechte Fische, auf der Tenne Korn und Spreu. In ähnlicher Weise beten in den Kirchen Männer so gemeinsam mit den Frauen, dass die Frauen nach dem Brauch einiger auf der Nordseite, die Männer auf der Südseite sind. Denn unter den Männern versteht man sie als stark bei den Versuchungen in der Hitze dieser Welt, doch auch im Glauben und feurig in der Liebe. Unter den Frauen in der Tat die Schwächeren und in den guten Werken Lauen. Nach anderen sind die Männer im vorderen Teil der Kirche, die Frauen im hinteren. Denn der Mann ist das Haupt der Frau (Eph 5,23). Deshalb ist er ihr Führer. “Dass die Männer getrennt von den Frauen stehen, haben wir nach Beda aus alter Überlieferung übernommen. Daher kam es, dass Josef und Maria ihren Sohn verließen, weil der eine, der ihn nicht bei sich sah, glaubte, er sei bei dem anderen.”a Der Grund der Trennung ist folgender: weil das Fleisch von Mann und Frau, wenn sie näher bei einander sind, zur Begierde entzündet wird. Wo immer die Frauen ihren Platz haben, immer sollen sie nach dem Apostel mit verhülltem Haupt beten (vgl. 1 Kor 11,5), damit sie nicht mit offenem Haar die Sinne der jungen Leute reizen und nicht wegen der Schönheit des Haares stolz werden, auch nicht wegen der Engel, d. h. wegen der Priester. Der Priester ist ja der Richter und Stellvertreter Jesu Christi. Also soll sich die Frau vor dem Priester mit einem Schleier verhüllen, sodass sie eingedenk a Amalarivs Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis 3, 2, 6; Beda Venerabilis, In Lucae euangelium expositio 1, 2, 45.
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der Erbsünde, die durch sie geschah, sichtbar errötet und sich vor dem Richter wegen ihres Aussehens anklagt. Deswegen hat Linusa aufgrund eines Gebots des Petrus verfügt, dass die Frau in die Kirche mit verhülltem Haupt eintreten solle. Dort darf sie beten, doch nicht reden, d. h. dem Volk predigen. Der Ort heilt also nicht den, den die Schlechtigkeit des Gewissens verdammt, so wie schreckliche Orte denen nicht schaden, die fromm leben. Nadab und Abihu wurden vom Feuer im Bundeszelt verzehrt, Korach, Datan und Abiram wurden vor dem Bundeszelt verschlungen. Der Priester Eli ging an heiliger Stätte zugrunde, Usa starb neben der Bundeslade, Joab wurde neben dem Altar getötet, Usija kam im Tempel an Aussatz um. Dagegen wurden Moses aus dem Fluss befreit, Joseph aus der Zisterne und dem Kerker, Hiob vom Misthaufen, Jeremia aus dem Schlamm, Daniel aus der Löwengrube, die drei Jünglinge aus dem Feuer. Schließlich stürzte der Teufel vom Himmel, der Mensch aus dem Paradies. Die Gerechten aber werden auf der Erde aufgesucht und aus der Unterwelt zum Himmel emporgehoben. Doch, obgleich der Ort nicht heilig macht, wird doch wegen der Ehrfurcht vor dem Sakrament vieles der Heiligung näher geführt. Wegen dieser Ehrfurcht sollen wir die Schuhe von den Füßen ziehen, damit wir es verdienen, an diesem Ort vom Herrn geheiligt zu werden. 12. Der Kirchenschmuck Herr, ich liebe den Schmuck deines Hauses, die Stätte, wo deine Herrlichkeit wohnt (Ps 26,8). Geschmückt werden die Kirchen mit Plastiken, Gemälden und Schnitzwerk. Sie erhielten vom Bundeszelt des Moses oder vom Tempel Salomos ihre Form. Moses schuf ja zwei Cherubim. Auch Salomo schnitzte, aber die Wände schmückte er mit Plastiken, Schnitzereien und Gemälden. Sie werden so gefertigt, dass sie nicht nur Schmuck der Kirchen sind, sondern auch Mitteilungen an die Laien. Alles, was geschrieben oder geschnitzt Nach dem Liber Pontificalis (1, 2) als Papst von 56-67 Nachfolger des Petrus.
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wurde, ist zu unserer Belehrung geschrieben (Röm 15,4). Die Wörter sind, sage ich, Erinnerungen an das Vergangene, Hinweise für die Gegenwart und Zeichen der Zukunft – des Vergangenen wie Geschichten und Visionen, der Gegenwart wie Tugenden und Laster, der Zukunft wie Strafen und Belohnungen. Wir wollen nun, wenn auch nicht die einzelnen, so doch die gebräuchlichsten Beispiele durchlaufen. Im Bundeszelt also sind die beiden Cherubim, die sich zur Versöhnung mit dem Antlitz anschauten, die beiden Testamente, die sich in nichts widersprechen. Sie würden ja ihre Gesichter von einander abkehren, wenn, was der eine verspricht, der andere leugnet. Auf der Deckplatte schauen sie einander an, denn was in ihnen enthalten ist, beziehen sie auf den Gehorsam zum Schöpfer. In unseren Kirchen aber wird auf vielerlei Weise und aus vielerlei Gründen das Bild unseres Herrn Jesus Christus gemalt. Denn in der Krippe gemalt erinnert es uns an die Geburt, auf dem Schoß der Mutter gemalt an seine Kindheit, gemalt und geschnitzt am Kreuz an das Leiden. Am Kreuz werden auch Sonne und Mond, die unter der Sonnenfinsternis leiden, gemalt. Die Schächer und die Nägel, die Geißeln und die Wunden, die Lanze, Blut und Wasser, die Kreuzesinschrift und die Dornenkrone mit dem Purpurmantel, dies alles sind Zeichen der Passion. Gemälde im Aufstieg der Treppen zeigen die Himmelfahrt, Gemälde auf erhabenem Thron zeigen seine jetzige Herrlichkeit und Macht, so als ob gesagt würde: Ihm ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde (Mt 28,18). Und es erfüllt sich die Vision des Jesaja, der da sagt: Ich sah den Herrn. Er saß auf einem hohen und erhabenen Thron (Jes 6,1), d. h. den Sohn Gottes, der über die Engel herrscht. Entsprechend dem Wort: Der du auf den Kerubin thronst (Ps 80,2). Mitunter aber wird gemalt, wie Moses und Aaron, Nadab und Abihu Ihn sahen, also auf dem Berge und unter seinen Füßen wie eine Arbeit aus Saphir und wie der Himmel, wenn er heiter ist. Mitunter werden ringsum Engel mit sechs Flügeln gemalt nach Jesaja, der da sagt: Seraphin standen über ihm. Jeder hatte sechs Flügel. Mit zwei Flügeln bedeckten sie ihr Gesicht, mit zweien bedeckten sie ihre Füße und
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mit zweien flogen sie (Jes 6,2). Ich glaube, Seraphim müsste hier mit ‘m’ geschrieben werden, es werden zwei verstanden, denn es folgt ‘einer dem andern’. Sie stehen auf der Kirche wie Wächter, und da sie brennen, zünden sie diese zu den beiden Geboten der Liebe an. Es heißt, sie hätten Flügel wegen des raschen Herbeilaufens um zu schützen; Kopf und Füße verhüllen sie, die Mitte enthüllen sie. Denn sie verhüllen uns das Vergangene und das Zukünftige. Daher Jesaja: Teilt mir das Vergangene mit und das Zukünftige, was sein wird, und ich sage dann: Ja, ihr seid Götter (vgl. Jes 41, 22-23). Das Mittlere aber, das in sechs Tagen und Zeitaltern geschehen ist, enthüllen sie uns in stellvertretender oder heilsamer Erläuterung: wir erkennen stückweise und weissagen stückweise. Denn die unsichtbare Wirklichkeit Gottes kann an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen werden (Röm 1,20). Unbegreiflich aber ist seine Ewigkeit, und wie das Alpha und Omega können wir sie nicht begreifen. Mitunter wird der Engel Michael gemalt, wie er den Drachen unter die Füße zwingt, entsprechend dem Wort des Johannes: Es entbrannte im Himmel ein Kampf; Michael kämpfte mit dem Drachen (Offb 12,7). Diesen Kampf betrachte ich als Scheidung der Engel, als Kräftigung der Guten und Zerfall des Bösen, oder auch in der heutigen Kirche als Verfolgung der Gläubigen. Mitunter werden ‘die 24 Ältesten’ gemalt, nach der Vision in weißen Gewändern und mit goldenen Kränzen. Durch sie wird auf die Lehrer des alten und neuen Gesetzes verwiesen. Es sind zwölf wegen des Glaubens an die Heilige Dreifaltigkeit, die sie verkünden sollen in den vier Zonen der Welt, oder ‘die 24’ wegen der Werke und der Befolgung der Evangelien. Durch sie wird die Unschuld geschützt und mit dem Diadem der Liebe und Weisheit gekrönt. Wenn die Lampen hinzugefügt werden, verkörpern sie die Gaben des Heiligen Geistes; wenn aber das gläserne Meer hinzugefügt wird, wird die Taufe symbolisiert. Mitunter werden die vier Tiere nach der Vision des Ezechiel und des Johannes gemalt. Ihre Gesichter gleichen dem Antlitz des Menschen, dem des Löwen zur Rechten, dem des Stiers zur Linken und dem des Adlers über diesen als vierter. Und
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die vier Gesichter gleichen dem einen, und vier Flügel einem, und deren Gleichheit wird der Anblick von Kohlen und Lampen. Dies sind die vier Evangelisten. Daher werden sie mit Büchern zu ihren Füßen gemalt, denn was sie durch Wort und Schrift lehren, erfüllen sie in Vernunft und Werken. Jeder hat vier Gesichter, denn was das von einem war, war die Kenntnis aller von der Fleischwerdung des Wortes; aber das Einzelne ist dem einzelnen angenähert. Mag auch jeder die Eigenheiten Christi verfolgen, sie führten sie jeweils einzigartig aus. Wie Matthäus das Menschsein nennt: Der Stammbaum Jesu Christi (Mt 1,1), so sucht er die menschliche Natur heraus und stellt Christus als Menschen dar, der Gott gleich war, aber nicht daran festhielt und Mensch wurde (Phil 2,6.7). Markus beginnt mit der Predigt des Johannes, des Verkünders in der Wüste; er erhält die Gestalt des Löwen, der in der Wüste brüllt. Weit klarer als die anderen erläutert er Christi Auferstehung, in der Christus von einem Löwen dargestellt wird, der nach dem Tod aufersteht und nach dem Ruf des Vaters am dritten Tag belebt wird. Diese stehen auf der rechten Seite, weil Christi Geburt und Auferstehung die allgemeine Freude aller war. Daher im Psalm: Am Morgen herrscht Jubel (Ps 30,6). Lukas ist das Kalb, weil er beim Priester Zacharias (vgl. Lk 1,5-25) begann und das Leiden Christi und das Opferkalb besonders behandelte. Das Kalb ist ja als Tier der Priester geeignet für die Opfer. Und deshalb wird er mit einem Kalb verglichen, weil es zwei Hörner hat wie die zwei Testamente und vier Hufe wie die vier Evangelisten zusammen. Dadurch wird auch Christus dargestellt, der für uns das geopferte Kalb wurde. Deshalb wird er zur Linken gesetzt, weil der Tod Christi für die Apostel traurig war. Daher: Am Abend dauert das Weinen an (Ps 30,6). Und an anderer Stelle: Ihr werdet bekümmert sein, aber euer Kummer wird sich in Freude verwandeln ( Joh 16,20) Johannes ist der Adler, denn in die Höhen fliegend sagt er: Im Anfang war das Wort ( Joh 1,1). Er stellt also Christus dar, dessen Jugend wie die des Adlers erneuert wird, wenn er von den Toten aufersteht, aufblüht und in den Himmel eintritt. Hier wird nicht entsprechend dem Sein, sondern darüber hinaus beschrieben; denn er stellt den Aufstieg
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dar und verkündet: Das Wort war bei Gott (ebd.). Jeder fliegt mit vier Flügeln, wenn er die Augen zur Gottheit hebt und sie überall in den vier Zonen der Welt ankündigt. Johannes aber hat diesen Tieren sechs Flügel zugewiesen, denn überall in den Zonen dieser Welt haben sie, als die sechs Tage vorüber waren, das Unsichtbare erkannt und Gott als ihren Herrn gepriesen. Und der erste Flügel war das Naturgesetz, der zweite das Gesetz des Moses, der dritte die Propheten, der vierte das Evangelium, der fünfte die Anweisungen der Apostel, der sechste die der Kirchenlehrer. Auf diesen fliegt die Kirche, wenn die Prediger von ihnen die Grundlagen der ganzen Lehre annehmen. Nach Johannes sind auch die Augen voll, wegen ihrer vollkommenen Kenntnis von Schöpfer und Schöpfung. Dies sind die Feuerkohlen, die Kohlen der Verödung; wenn du auf ihnen sitzt, werden sie dir zur Hilfe; wenn du sie berührst, wirst du von den Kohlen angezündet und wirst mit den Heiligen heilig. Dies sind die Lampen der guten Meinung, die voller Licht strahlen. Manchmal werden die Apostel ummalt, oder besser werden sie untermalt, die Seine Zeugen waren, in Wort und Tat in Samarien und Judäa und bis an die Grenzen der Erde (Apg 1,8). Gemalt werden auch mitunter die zweigeteilten Zungen wie von Feuer, die sich auf jeden von ihnen verteilten (ebd. 2,3), denn mit solchen Zeichen erfüllte der Paraklet ihre Herzen. “Sie werden mitunter mit langen Haaren gemalt, wie Nazoräer, d. h. Heilige. Es war ja Gesetz bei den Nazoräern, dass sie zur Zeit der Absonderung nicht mit ihrem Kopf unter das Schermesser gegangen sind. Sie trennen sich aber von dem gemeinsamen Leben der Menschen,”a einige zeitweilig, einige ständig wie Samuel. Mitunter wird der Täufer wie ein Einsiedler eingeführt, Märtyrer mit Marterwerkzeugen wie Laurentius auf dem Rost, Stephanus mit den Steinen, Bekenner mit ihren Symbolen, etwa Bischöfe mit Mitra, Äbte mit Kapuzen, Gelehrte mit Büchern in Händen, Jungfrauen dem Evangelium entsprechend mit Lampen. Mitunter werden Märtyrer mit Palmzweigen und Bekenner mit Lilien abgebildet. Der Palmzweig symbolisiert ja den Sieg und die Lilie die Keuschheit. Palmzweige werden den Siegern Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis,Additiones 39 ia, ib, ic.
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gegeben, damit, so wie die Palme grünt, so deren Andenken in Ewigkeit blüht. Die Palme wächst aus der Enge in die Höhe. So sollen die Märtyrer, wenn sie aus dem Kampf zurückkehren, im himmlischen Kapitol ewiglich belohnt werden. Daher: Der Gerechte gedeiht wie die Palme (Ps 92,13). Mit der Palme gelangten sie ins Himmelreich. Und sieh: Der Herr Jesus wird stetig gekrönt gemalt. Gleichsam als ob gesagt wird: Kommt her, ihr Töchter Zions, und schaut König Salomo mit der Krone! (Hld 3,11) Damit hat ihn seine Mutter gekrönt. Und beachte: Der Herr wurde dreifach von seiner Mutter gekrönt: mit der Krone der Barmherzigkeit am Tage der Empfängnis, und diese Krone ist doppelt wegen der Natur und der Gnade. Deshalb wird sie auch Diadem genannt, denn ‘Diadem’ heißt ‘doppelte Krone’. Gekrönt wurde er auch von der Stiefmutter mit der Krone des Erbarmens am Tag der Passion. Diese war die Dornenkrone, denn Er trug unsere Sünden. Vom Vater wurde Er am Tage der Auferstehung ebenfalls mit der Herrlichkeit gekrönt. Daher: Mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt, Herr (Ps 8,6). Schließlich wird er von der Hausgenossenschaft mit der Krone der Macht am Tag der letzten Offenbarung gekrönt. Er wird ja mit den Ratsherren der Erde kommen, von deren Gefolge geleitet, wird Er den Erdkreis gerecht richten (Ps 96,13). So werden alle Heiligen gemalt, als ob man sagen wollte: Filiae – Ihr Töchter Jerusalems (Ps 97,8), kommt und seht die Märtyrer mit ihren Kronen, mit denen sie der Herr gekrönt hat. Diese Antiphon wollen wir nach Gottes Willen weiter unten behandeln.a Jetzt aber genügt es zu sagen, dass wir von den Kronen wiederholt gesprochen haben wegen der goldenen Krone mit der Einfassung des Tisches und wegen des goldenen Kranzes darum (vgl. Ex 25,25). Der Tisch ist die Heilige Schrift, die ‘Lippe’ der Prediger ihre Gelehrsamkeit. Die goldene Krone ist das ewige Leben, das den Heiligen wegen der Mannigfaltigkeit ihrer Verdienste bestimmt ist. Denn: Die Gestirne unterscheiden sich durch ihren Glanz (1 Kor 15,41). Der goldene Kranzb ist allgemein a b
Siehe S. 727. Heiligenschein, Strahlenkrone.
12 – Der Kirchenschmuck
die Verherrlichung der Leiber oder das geistliche Strahlen der Jungfrauen. Und sieh, wie in der Form des Rundschildes dieser Kranz gemalt wird; denn die Heiligen erfreuen sich des göttlichen Schutzes. Daher singen sie als Danklied: Herr, wie mit einem Schild der Gnade hast du uns gekrönt (Ps 5,13). Und beachte, dass die Krone Christi durch die Form des Kreuzes sich von den Kränzen der Heiligen unterscheidet. Denn durch das Siegeszeichen des Kreuzes hat er sich die Verherrlichung des Fleisches und uns die Befreiung aus der Gefangenschaft und den Genuss des ewigen Lebens verdient. Mitunter wird in den Kirchen Paradies und Hölle gemalt, damit jenes uns zu den Freuden des Lohns anlockt, diese aber uns abschrecken soll mit der Angst vor den Qualen, und wir verstehen mitunter unter den Palmzweigen den Sieg. Wir mischen auch andere Blumen und Bäume mit Früchten dazwischen, um die Früchte der guten Taten darzustellen, die aus der Wurzel der Tugenden hervorgehen. Schließlich gibt es eine Vielfalt von Skulpturen in erhabener Arbeit, die auf Griechisch ‘Anaglypha’a heißen, was wiederum ‘Vielfalt’ von Gemälden und Tugenden bedeutet. Dem einen wird vom Geist die Gabe der Weisheit geschenkt, dem andern die Gabe der Erkenntnis, dem dritten der Glaube, einem andern die Gabe Krankheiten zu heilen (1 Kor 12,8-9). Die Liebe aber, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit (Gal 5,22) sind das Werk der heiligen Gemüter. Dass aber die Tugenden in weiblicher Gestalt gemalt werden, kommt daher, dass diese streicheln und nähren. Und unter dem Schnitzwerk, “das auch Tafelwerk genannt wird, was zum Schmuck des Hauses da ist, verstehen wir die schlichten Diener Christi, die die Kirche nicht mit ihrer Gelehrsamkeit, sondern allein durch ihre Tugenden schmücken.”b Daher: Zypressen sind die Wände (vgl. Hld 1,17). Zypressen sind ja von bestem, starkem Geruch und zur Heilung des Leibes geeignet. Die Wände werden mit Schnitzwerk bedacht, damit die Gläubigen mit bereitem Herzen stark und zum Gehorsam gegenüber Gott bereit a Nach Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae 20, 4, 8 eine Vollplastik. b Hrabanus Maurus, De uniuerso 14, 23.
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sind und sagen: Ich will den Herrn loben allezeit (Ps 34,2). Und: Mein Herz ist bereit, o Gott, mein Herz ist bereit (Ps 108,2). Und sie stützen sich nur auf die Tugenden, dass sie nicht durch Widrigkeiten von ihrem Weg abgehalten werden. Schnitzwerk übertrifft die übrigen Gewerke an Schnelligkeit und hält die Regel ein, die ohne Irrtum arbeitet. So ist das Leben der Heiligen offener zum Gehorsam gegenüber dem Himmel und wird durch keine irrtümlichen Abweichungen ins Wanken gebracht. Und sieh, dass die Skulpturen hervorragend und aus den Wänden heraus zu treten scheinen, denn wenn die Tugenden den Gläubigen zu solcher Gewohnheit werden, dass sie ihnen gleichsam von Natur eingepflanzt erscheinen, werden sie in mannigfachen Arbeiten ausgeübt. Auch werden die Altäre und die Kirchen geschmückt mit Teppichen, Vorhängen und Seidenstoffen, Leinen, mit Geschichten versehenen Wandbehängen, königlichen Bildnissen, anderen Ideen oder verschiedenen “Jochgeländern”a ausgezeichnet. Dies alles gehört zu den Wundern Christi oder zur zukünftigen Herrlichkeit, die aus den alten Beispielen und Verdiensten sowie unseren, nein: den vielfachen und fruchtbaren Werken der göttlichen Gnade hervorgehen, die in uns offenbar werden wird (vgl. Röm 8,18). Dass Kirchen aber nicht draußen, sondern drinnen geschmückt werden, gehört zum mystischen Schmuck der Braut, deren herrlicher Schmuck durchwirkt ist mit Gold und Perlen (Ps 45,14), d. h. in der Standhaftigkeit guter Werke. Mag sie auch außen schwarz sein in den Drangsalen, ist sie doch drinnen schön (vgl. Hld 1,5) in ihren Tugenden. Also bezeichnet der weiße Wandbehang die Reinheit, ein roter die Liebe, ein grüner die Betrachtung, ein schwarzer die Abtötung, ein bunter die abwechslungsreichen Tugenden, ein leinener die Anfechtungen, ein seidener symbolisiert Jungfräulichkeit, sodass wir durch das Sichtbare zum unsichtbaren Schmuck gemahnt werden und mit wachem Verstand nach der im Himmel aufbewahrten Herrlichkeit suchen. a Cantabriebus insignitis ist möglicherweise Weiterführung von canthérius (griech. κανθήλιoς) Sparren.
13a – Geräte im Tempel
13. Gebrauchsgegenstände der Kirche
a. Die Gerätschaften im Tempel Den Schatz des Herrn tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen (2 Kor 4,7). Die Gefäße oder Gebrauchsgegenstände im Haus des Herrn hatten ihren Ursprung bei Moses und Salomo. Moses errichtete ja auf Befehl des Herrn die Bundeslade aus Akazienholz, innen vergoldet und außen mit einer goldenen Leiste, mit vier Ringen und zwei Riegeln an den Seiten (vgl. Ex 25). Da hinein wurden die Bundestafeln gelegt. Darauf legte er eine Deckplatte und setzte auf die Deckplatte die beiden Cherubim, die sich einander anschauten. Er fertigte auch einen vergoldeten Tisch aus Akazienholz mit einer Leiste, einem Goldkranz, mit vier Füßen an den vier Ecken und zwei Stangen an den Seiten. Darauf wurden immer die zwölf Schaubrote gelegt. Er fertigte Schüsseln und Schalen, Kannen und Krüge für die Trankopfer. Er verfertigte auch einen Leuchter aus Gold, Schaft und Kelche, Knospen und Blüten, die daraus getrieben wurden, und Gefäße. Er setzte auch Lampen auf einen Leuchter und deren Dochtscheren. Auch hatten unsere Vorväter Kessel, Zangen, Dreizacke, Schlegel und Feuerpfannen, Schilde, Hohlgefäße, Wassertöpfe, Mörser, Becken und Hohlmaße (vgl. Ex 25,10-39). Sie hatten zum Wechseln des Zeltplatzes, deren Beispiel sie nachahmten, Trompeten, Feldzeichen und Fahnen (vgl. Num. 10,2-10). Die Notwendigkeit und der Gebrauch der Gegenstände folgen der Zeit und dem Opferritus. So kommt es, dass die Zeit des Gesetzes Eigenheiten für sich beansprucht wie Kessel und Wassertöpfe, die Zeit der Gnade Besonderheiten ihr Eigen nennt wie Kreuz, Kelch und Patenea. Einiges ist beiden gemeinsam wie Weihrauch und Kandelaber. Aber mag auch der Gebrauch eines Materials vergangen sein, den Schatz des Geistes, der bleibt und belebt (vgl. 2 Kor 3,6), wollen wir untersuchen.
a
Hostienteller.
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Die Bundeslade des Herrn aus Akazienholz, das leicht, unverwüstlich und dem Weißdorn ähnlich ist, ist der Leib Jesu Christi, gebildet aus reinsten Gliedern, durch keine Berührung mit der Sünde verdorben. Er kam ja nicht mit dem Fleisch der Sünde, sondern in der Gestalt des sündigen Fleisches (Röm 8,3). Die Länge der Lade ist die Geduld der Passion, die Er in Wort und Tat lehrte, daher hatte sie die Länge von zwei Ellen. Die Breite war die Liebe, die Höhe die Hoffnung auf künftige Herrlichkeit. Innen wegen der Göttlichkeit vergoldet, draußen aber gekrönt wegen des Strahlens der Werke und Wunder der Heiligen sowie der Verherrlichung des Leibes. Und die Bundeslade aus Aka zienholz ist die Kirche, die von den Gläubigen errichtet wurde, weswegen sie in allen Ausmaßen den Halbfußa beibehielt. Denn: Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden; wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk (1 Kor 13,8-10). Was vergoldet wird, wird mit Weisheit und ewigem Lohn gekrönt. Beide Bundesladen, d. h. die des Leibes Christi und die der Kirche haben vier Ringe; durch die vier Ecken sind es die vier Evangelisten, die durch die vier Zonen der Welt das Sakrament der Menschwerdung [Christi] und den Glauben der Kirche weitergeben. Daher die beiden auf der rechten Seite, Matthäus und Johannes, die Christus als dem Lehrer anhingen, die beiden links, Markus und Lukas, die nach der Himmelfahrt des Herrn zum Glauben kamen. Die Stützen beider Bundesladen sind die starken Lehrer, mit Weisheit ausgestattet, die beiden Gebote der Liebe bewahrend, den Glauben an die Menschwerdung und an die Kirche in ihren Lehren verkündend, immer in die Ringe eingefügt. Denn es ist nötig, dass diejenigen, die andere das Himmlische lehren, niemals ihren Sinn vom Gedächtnis der Heiligen Schrift und ihre Hände nicht von der Beachtung der Gebote wegnehmen. Die um das Lehramt besorgt sind, dürfen sich nicht der eifrigen Lektüre entziehen, damit es, wenn die Bundeslade zu tragen ist, wegen des Einziehens der Stangen keine Behinderung gibt. Es ist ja schmählich, wenn der Hirt noch lernen will, wo der Hirt eine Schwierigkeit lösen müsste. Wir wollen also stets bei a
1 Fuß = ca. 30,8 cm. Vgl. Mt 10,29.
13a – Geräte im Tempel
den Ringen der Bücher bleiben, damit wir über die himmlischen Worte meditieren, wenn es nötig ist, die Bundeslade erheben, und bereit sind, jedem der es fordert, Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die uns erfüllt (1 Petr 3,15). In den beiden Bundesladen sind die Tafeln des Bundes, denn in Christus sind die Schätze der Weisheit und Erkenntnis Gottes verborgen (Kol 2,3). In der Kirche gibt es die Meditation über Gott und das Evangelium. In beiden gibt es das goldene Gefäß mit Manna; denn in Christus wohnt die Fülle der Gottheit (vgl. Kol 2,2), in der Kirche der Glaube an die Menschwerdung. In beiden der Zweig Aarons, denn in Christus steckt die Macht der Priesterschaft, die durch den Tod abgeschnitten war, doch am Morgen der Auferstehung wieder aufblühte. In der Kirche gibt es Teilhabe am Reich. Daher: Ihr seid ein auserwähltes Volk, eine königliche Priesterschaft. (1 Petr 2,9). Und die Selige Jungfrau, die eine Blume ohne Bewässerung gebar und unberührt den Heiland hervorbrachte. Auf beiden Bundesladen liegt die Deckplatte, d. h. die goldene Tafel mit dem Maß dieser Lade. Auf ihr erschien der Herr dem Moses und versöhnte sich mit dem Volk. Daher symbolisiert sie in Christus die Barmherzigkeit, die über das Gericht triumphiert (Jak 2,13). Daher: Der Herr ist gütig zu allen, sein Erbarmen waltet über all seinen Werken (Ps 145,9). In der Kirche aber symbolisiert sie die himmlische Gnade, die vom Vater der Gestirne kommt (Jak 1,17), hinein in die Herzen der Gläubigen. In beiden Bundesladen gibt es die beiden Cherubim, auf der Deckplatte die beiden Testamente, die Menschwerdung des Herrn, sein Erbarmen und seine Gnade, die uns geschenkt wurde und die sich jetzt zeigt in der Fülle der Erkenntnis. Und diese Engel wenden ihre Gesichter auf der Deckplatte einander zu, denn was das eine [Testament] verspricht, das teilt das andere in der Versöhnung aus. Der Tisch aus Akazienholz ist die Heilige Schrift, zusammen gezimmert mit den starken Worten der Vorväter, seine Länge ist die Beharrlichkeit, die Er lehrt. Wie dort: Mehr als die Wächter auf den Morgen warte Israel auf den Herrn (Ps 130,6). Die
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reite ist die Liebe, die Er befiehlt. Wie an der Stelle: Du sollst B den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen (Deut 6,5; Mt 22,37). Die Höhe ist die Hoffnung, die Er empfiehlt. Wie dort: Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land besitzen (Mt 5,5). Und die Länge der Beharrlichkeit beträgt zwei Ellena wegen der Reinheit, wegen des Wirkens, des Gewissens und des guten Rufes; die Breite der Liebe beträgt eine Elle. Denn Liebe ist die eine und einfältige, mit der wir den Herrn und unsern Nächsten, ja auch unsere Feinde lieben, wenngleich in unterschiedlicher Weise. Jakob hat ja alle seine Söhne geliebt, aber er liebte Joseph wegen dessen Unschuld mehr als die ande ren. Die Höhe ist die Hoffnung mit anderthalb Ellen, denn es ist das eine Reich, das wir erwartend betrachten, doch wie in einem Spiegel in rätselhaften Umrissen (1 Kor 13,12). Die goldene Lippe ist die reine Lehre der Prediger. Das Goldbrett, vier Zollb hoch, ist das ewige Leben, das von den Predigern versprochen wird entsprechend der Mannigfaltigkeit der Verdienste, wenn sie in der Lehre der vier Evangelien verharren, die mit dem Finger geschrieben werden oder in denen sich Gottes Finger findet. Der Heiligenschein ist die allgemeine Verherrlichung oder das Glänzen der Jungfrauen. Die vier Füße des rechteckigen Tisches sind die Auslegung der Heiligen Schrift. Ausgelegt wird ja historisch, allegorisch, tropologisch und anagogisch.c Geschichte ist, wenn eine Sache in einfacher Sprache berichtet wird, wie: ‘Das Volk kam aus Ägypten in das Land der Verheißung.’ ‘Geschichte’ (história) heißt so nach ‘ystorin’, was ‘sehen’ (uidere) heißt, denn es ist Eigenart der Geschichtsschreiber, die Geschehnisse nach der ersten Bedeutung der Worte darzustellen. Allegorie ist, wenn durch mystische Worte oder Sachen die Geheimnisse der Kirche zeichenhaft dargestellt werden. Durch ‘Worte’: Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht (Jes 11,1). Das heißt: Es wird eine Jungfrau aus dem Stamme Davids geboren 1 Elle = 2 Spannen = 45,8 cm. 1 Zoll = 1 Finger = ca. 2 cm. c Also als Erzählung, mit bildlichem Ausdruck, in figürlicher Redeweise und mit tieferem Sinn. a
b
13a – Geräte im Tempel
und von dieser Jungfrau Christus. Bei ‘Sachen’, wie: Das Volk wurde durch das Blut des Lammes aus Ägypten befreit und die Kirche wurde aus der Gewalt des Teufels durch das Blut Christi gerettet (vgl. Ex 12; Jos 5). ‘Allegorie’ aber heißt gleichsam ‘fremde Rede’. Tropologie ist moralische Rede über die Einführung der Sitten oder ihre Besserung, sie geschieht mit offenen oder mystischen Worten. Mit offenen wie: Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit (1 Joh 3,18). Bildlich wie: Trag jederzeit frische Kleider, und nie fehle duftendes Öl auf deinem Haupt (Koh 9,8). Tropologie heißt auch ‘verdrehte Rede’, da, was gesagt wird, auf die Kennzeichnung der Sitten bezogen wird. Anagogé ist Rede, die auf Früheres zurückführt, so wie bei künftigem Lohn oder über das künftige Leben; und es geschieht mit offenen oder mystischen Worten. Offen wie: Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen (Mt 5,8). Mystisch wie: Selig, wer sein Gewand wäscht: Er hat Anteil am Baum des Lebens und wird durch die Tore des Lebens in die Stadt eintreten können (Offb 22,14), d. h. selig, die reine Gedanken und Werke haben, sodass sie Christus sehen können, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (Joh 14,6). Und dank der Lehre und der Beispiele der Vorgänger dürfen sie in das Reich eintreten. Und beachte: Es gibt eine doppelte Bedeutung: die wörtliche und die inhaltliche. Die wörtliche ist, wenn Sachen durch Laute mittels Verstehen bezeichnet werden. Davon spricht die Logik. Die inhaltliche: Wenn durch eine Sache eine andere angedeutet wird. Die wörtliche stammt aus einer menschlichen Einrichtung. Die inhaltliche stammt aus der göttlichen. Wie ja der Mensch seinen Willen durch seine Stimme kundtut, so Gott durch seine Geschöpfe und seine Werke. Die wörtliche ist Einlaut oder Gleichlaut. Die inhaltliche aber ist tiefer, denn so viele Eigenheiten es gibt, so viele Verschiedenheiten bei den Bedeutungen. Beides ist bei den Füßen des Tisches notwendig. Und deshalb leuchtet es ein, dass die Kenntnis der Künste zur Erkenntnis der Heiligen Schrift beiträgt. Es gibt ja die Künste oder die Teile der
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Philosophie: die Logik, Ethik und Theorie. Die Logik über die Worte, die Ethik über die Sitten, die Theorie über die Dinge. Und die Theorie teilt sich in Mathematik, Physik und Theologie. Mathematik aber spricht über die sichtbaren Formen, Physik über die unsichtbaren Naturen, Theologie über das Göttliche. Also trägt die Physik zur Theologie bei, wenn sie mit Worten dargelegt wird. Die Ethik trägt bei, wenn sie sich den Sitten öffnet. Die Theorie trägt bei, wenn sie das Unsichtbare Gottes durch das, was geschaffen wurde (Röm 1,20), verstehbar sieht. Die vier Ringe an den vier Ecken der Bundeslade sind die vier Bücher des Evangeliums, die auf die vier Zonen der Welt verbreitet sind. Die beiden Stangen sind die Prediger, die die beiden Liebesgebote bewahren, stets in Ringen, d. h. den Lehren des Evangeliums anhangend, wie wir oben über die Stangen der Bundeslade gesagt haben,a die, während die Worte der Heiligen Schrift zum Glauben und zur Liebe des Evangeliums beitragen, den ganzen Tisch des Herrn tragen. Darauf lagen die Schaubrote der Erquickung, denn diese führt zur Speise des Lebens, während sie auf die ewigen Freuden zeigt und wie man dahin gelangt. Sie heißen Brote der Vorstellung. Denn es dürfen in der Kirche die Worte des Trostes nicht fehlen, sondern es muss allen Gläubigen das Wort des Heils offenstehen. Darauf wurden Gefäße für die Trankspenden gesetzt, d. h. die Gelübde, wie Trinkschalen usw. Die Verschiedenheit dieser Gefäße symbolisiert die Verschiedenheit der Wörter je nach der Verständnisfähigkeit des Hörers, denn nicht alles passt für alle gleichermaßen. Daher der Apostel: Milch gab ich euch (1 Kor 3,2). Und doch verkünden wir Weisheit unter den Vollkommenen (1 Kor 2,6). Bei den Trinkschalen gibt es eine reichhaltige Lehre, bei den Kelchen aber eine zarte Beschreibung. Was die Hörer voller trunken macht, reicht die Trinkschale. Wer was spürt, ganz gleich wie er es verkündet, gibt den Geschmack durch den Kelch. Wer die Untergebenen anfährt, reicht ein Essiggefäß, wer zum Gebet aufruft, die Weihrauchpfanne. Dies alles reicht die Heilige Schrift, die uns mit Speise und Trank erfrischt, Schwereres zum Essen darreicht a
Siehe den Anfang dieses Kapitels.
13a – Geräte im Tempel
und Leichtes zum Trinken reicht, denn mit Milch netzt sie die ganz Kleinen, mit Brot nährt sie die Kräftigen. Doch was uns als Speise vorgesetzt wird, ist bei den Juden zur Falle geworden, das Opfermahl zum Fangnetz (Ps 69,23). “Die Weihrauchpfanne aber ist beiden Gesetzen gemeinsam. Sie symbolisiert, wie wir gesagt haben, die Lehre des Gebets, d. h. sie ermuntert zum Gebet oder zum Leib des Herrn. Doch wenn sie golden ist, symbolisiert sie die Weisheit, denn in ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen (Kol 2,3). Daher: Ein Engel trat an den Altar mit einer goldenen Räucherpfanne in der Hand (Offb 8,3). Also Christus, der Auferstehende, hatte den Leib in seiner Gewalt. Wenn sie silbern ist, symbolisiert sie das Freisein von aller Schande und ist in Reinheit widerstrahlend, wenn kupfern zerbrechlich und sterblich, wenn eisern die Tapferkeit des Auferstandenen. Wenn sie vier Richtschnüre hat, zeigt sie, dass sie aus den vier Elementen besteht, oder mit den vier Tugenden, Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß, geschmückt wird. Die fünfte Richtschnur, die die Teile trennt, bezeichnet die Seele, die sich im Tode für die drei Tage vom Leib getrennt hat. Wenn sie aber drei Richtschnüre hat, stellt sie den Leib dar, die Seele und das Wort, das in einer Person zusammenkommt. Die vierte Richtschnur, die die Teile trennt, ist die Kraft, die ihr Leben hingibt für die Schafe (Joh 10,11).”a “Wenn nur eine Richtschnur unterstützt wurde, bedeutet es, dass Er allein von der Jungfrau geboren wird oder Er allein war unter den Toten frei (Ps 88,6). Der Kreis, von dem dies alles umschlossen wird, ist die Gottheit, die von keiner Grenze eingeschlossen wird, von der dies alles zusammengehalten wird und wirkt.”b Weihrauch aber symbolisiert die Gebete, die Er im Leib für uns gesprochen hat. Daher: Wie ein Rauchopfer steige mein Gebet vor deinem Angesicht auf (Ps 141,2). Feuer ist die Liebe, mit der Er uns so sehr geliebt hat, dass Er seinen Leib gewärmt und gedörrt hat am Altar des Kreuzes. Daher: Trocken wie eine Scherbe ist meine Kehle (Ps 22,16). Und den Wohlgeruch der Gebete gab er ausbreitend in die Nase a b
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 12. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 12.
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Mitralis I – Die Kirche
des Vaters. Daher antwortete dieser: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen (Joh 12,28). Und durch den Wohlgeruch nehmen wir den Wohlgeruch von Christus auf, der befiehlt, wer leben wolle, solle sein Herz dahingeben. Und durch die Rauchpfanne nehmen wir die Apostel und Lehrer auf. Sie sind den einen Todesgeruch, der den Tod bringt, den anderen Lebensduft, der Leben verheißt (2 Kor 2,16). Deren Worte und Gebete sind wie viel Weihrauch und wie der Rauch der Aromen (vgl. Off 8,3). Und die Weihrauchpfanne ist das Menschenherz, das Feuer die Liebe, die Weihrauchkörner das Gebet. Wie Weihrauch mit dem Feuer in der Pfanne duftet und nach oben aufsteigt, so duftet das Gebet mit der Liebe im Herzen mehr als alle Gewürze.
b. Die Geräte in der Kirche 59
Auch ist der Leuchtera ein Gerät, das beiden Gesetzen gemeinsam ist, das aber die Vorväter aufwendiger gestaltet haben. Moses fertigte ja einen Leuchter aus purem Gold (Ex 25,31). Hier ist es Christus, der jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt (Joh 1,9). Er strahlte ja durch das Licht seiner Gottheit und seiner Lehre, um der Leuchter der Welt zu sein, durch dessen Licht der Sünder seine Finsternis erkenne. Der war aus Gold wegen der Weisheit und Reinheit und war eine getriebene Arbeit wegen des Ertragens der Passion, deretwegen Er in die Gnade der Auferstehung geführt wurde. Daher: Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen (Phil 2,9). Der Schaft des [siebenarmigen] Leuchters ist die Kirche, die frei zwischen den Widrigkeiten steht. Oder besser: Der ganze Leuchter ist der ganze Christus, Haupt und Glieder. Denn auch die Kirche selbst zeigt den Irrenden das Licht. Sie hat die Klarheit der Weisheit, wird mit Hämmern geschunden und geführt mit wachsender Kraft (Ps 84,8). Der Schaft ist Christus, das Haupt der Kirche, der Mittler zwischen Gott und a Sicard hat hier den siebenarmigen Leuchter im Blick, die Menorah, vgl. die ausführliche Beschreibung Ex 25,31-36 und auch Num 8,4.
13b – Geräte in der Kirche
den Menschen (1 Tim 2,5), aus dem der ganze Leib gebildet ist und zur Vergrößerung Christi wächst. Die Klangrohre sind die Lehrer, die einen lieblichen Klang, d. h. ein neues Lied der Welt gegeben haben, wie auch alle, die dem Propheten gefolgt sind, der da sagt: Singt dem Herrn ein neues Lied (Ps 96,1). Gehorsam tönen sie zum Lob des Schöpfers, und es gibt sechs Werke zur Vollkommenheit. Drei Klangrohre auf der einen Seite und drei auf der anderen, denn die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna in der Höhe (Mt 21,9), sie priesen den Glauben an die göttliche Dreifaltigkeit. Denn David in der Reihe der Vorausgehenden sagt: Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel geschaffen, ihr ganzes Heer durch den Hauch seines Mundes (Ps 33,6). Der nachfolgende Johannes fügte hinzu: Drei sind es, die Zeugnis ablegen im Himmel: der Vater, das Wort und der Heilige Geist (vgl. 1 Joh 5,7), und zwar vor der Menschwerdung wie auch später. Drei Ränge gab es in der Kirche: Noah, Daniel und Hiob, d. h. Führer, Jungfräuliche oder Enthaltsame und Verheiratete. Dies sind nach dem Evangelium die auf dem Feld arbeiten, auf dem Bett ruhen und mit der Mühle tätig sind (vgl. Mt 24,40). Die Kelche am Leuchter sind die Lehrer oder die Zuhörer, die trunken machen oder gemacht werden durch den Wein der Erkenntnis. Die Knospen sind die Flüchtigkeit der Lehrer oder einiger Erwählter. Die Blüte dreht sich nach jeder Seite, so der Lehrer und jeder Erwählte, der nicht durch Unglück oder Glück zerbricht, sondern im Unglück stark und im Glück demütig, der kein Versteck der Furcht hat und keine Augenbraue der Überheblichkeit hebt. Nach Kelch und Knospen werden die Blüten geformt, die nach der geistlichen Erwägung, nach dem heiligen Werk entsprechend der Unterschiedlichkeit der Zeiten beweglich, als blühendes Vaterland folgt, das mit heiligen Seelen, d. h. mit ewigen Blumen blüht. Der Herr, der ja den Becher der geistlichen Weisheit zu trinken gibt, zeigt den unangefochtenen Weg des Wirkens. Damit wir nicht vergeblich laufen (Gal 2,2), hat Er uns das Tor zum blühenden Vaterland geöffnet. Es gibt also bei den einzelnen Tropfen drei Kelche und ebenso viele Knospen
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und Blüten. Denn jeder Rang hat drei Zeiten: entweder vor der Menschwerdung [Christi] oder später. Vorher: die Zeit vor dem Gesetz, unter dem Gesetz und unter den Propheten. Danach: die Urkirche aus Israel, die zweite die aus den Heiden, die dritte aus den übrigen Völkern. In jeder gibt es, gab es und wird es diejenigen geben, die nach den Bechern der Gnade wie Kelche dürsten, trunken gemacht werden und trunken machen, die auf dem Weg Gottes wie Tropfen laufen, die den Geschmack und den Geruch ewigen Lichts wie die Blüten sehen möchten. Und siehe, wie dies alles aus dem Schaft hervorgeht, denn wir haben alle aus seiner Fülle empfangen (Joh 1,16). So wie Er sagt: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben (Joh 15,5), so könnte Er sagen: ‘Ich bin der Leuchter, ihr seid die Arme und Kelche.’ In dem Schaft sind vier Kelche, Knospen und Blüten. Denn vier Evangelien lehren das Ganze in der Gnade des Heiligen Geistes. Und: Er frohlockt wie ein Held und läuft seine Bahn (Ps 19,6), damit Er verherrlicht zur Rechten des Vaters sitzt. Aber das ist nicht müßig, dass die einzelnen Arme mit den Kelchen, Knospen und Blüten nachgeahmt werden, denn die heiligen Lehrer werden mit Geschenken, Geboten und Versprechungen des Herrn unterstützt. Er machte auch sieben Lampen (Ex 37,23). Die sieben Lampen sind die Gaben des Heiligen Geistes, die in der Nacht dieser Welt die Finsternis unserer Blindheit erleuchten. Diese werden auf einen Leuchter gesetzt, denn der Geist lässt sich auf Christus nieder, der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und Frömmigkeit und der Geist der Gottesfurcht (Jes 11,2-3). Den Gefangenen hat Er die Botschaft von der Entlassung verkündet (Jes 61,1). Lichtputzscheren sind Zangen, um die Dochte zu stutzen. Dieses sind die göttlichen Worte, bei denen wir Silben abschneiden und die Leuchtkraft des Geistes verstärken. Es gibt ja einiges im Gesetz und im Evangelium, was jetzt und in Zukunft bewahrt werden muss. Wie: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben (Deut 64,5). Einiges jetzt, und nicht in Zukunft wie: Macht euch Freunde mit Hilfe des ungerechten Mammons (Lk 16,9). Einiges im Gesetz,
13b – Geräte in der Kirche
nicht im Evangelium, wie: Gedenke des Sabbats (Ex 20,8) und der Opfersitten, die in ihrer Zeit beachtet wie Lichter leuchteten im Öl der Frömmigkeit und entzündet im Feuer der Liebe. Doch sie werden gelöscht, da gelehrt wird, dass der Buchstabe vergangen ist, und das Verständnis des Geistes weit leuchtender geöffnet wird. Deswegen heißt es: Ihr werdet noch von der alten Ernte zu essen haben und wenn das Neue kommt, das Alte hinausschaffen müssen (Lev 26,10). Die Geräte, mit denen die gestutzten Lichter gelöscht werden, sind die Herzen der Gläubigen, die eingestehen, dass die Beobachtung der Gesetze beendet ist. Und: Die Lichter sind die Gaben der Gnaden, die Geräte, Körper oder Herzen der Heiligen. Die Lichter leuchten ja in den Heiligen umso heller, weil nach Beseitigung der gegenwärtigen Bräuche, deren Bräuche umso heller strahlen. Und: Wenn die Sterblichkeit geendet hat, werden sie im Reich des Himmels wie die Sonne leuchten (Mt 13,43). Die Vielzahl der Leuchter in der Kirche bezeichnet den Ungläubigen die Vielfalt der Gnaden. Und: die Leuchten sind jene, durch deren Lehre die Kirche glänzt, wie Sonne und Mond, über die es heißt: Ihr seid das Licht der Welt (Mt 5,14). Eine einzigartige Leuchte ist Christus, der das wahre Licht ist, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt (Joh 1,9). Bei den neueren Heiligen werden Leuchter in den Kränzen gesetzt. Die Kränze aber werden aus drei Gründen in den Kirchen aufgehängt: erstens zum Schmuck oder zum Nutzen, zweitens zum Zeichen dafür, dass, wer in der Einheit der Kirche bleibt, wenn er Gott fromm dient, den Kranz des Lebens (Jak 1,12) erhält, drittens aber wird uns das himmlische Jerusalem ins Gedächtnis gerufen, nach dessen Gestalt Er gebildet erscheint. Er besteht ja aus Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Ketten und Edelsteinen. Gold, das sind die Märtyrer, Silber die Jungfrauen, Kupfer die Lehrer, Eisen die Enthaltsamen, die Edelsteine, die in den fünf Tugenden blitzen. Die Kette, das ist die Kontemplation, die sich immer zum Herrn erhebt. Der höchste Kranz ist Gott, der alles enthält und umfasst. Töpfe und Kessel, die die Asche aufnehmen, sind die Gläubigen, die das Leiden des Herrn mit frommem Gemüt betrachten. Denn wie schon durch die Asche
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einer Kuh, mit der ein Unreiner heilig wird (Hebr 9,13), wird das Sakrament des Leidens unseres Herrn angenommen. Die Schnäbela, aus deren doppelten Zacken das Feuer geschlagen wird, sind die Prediger, die uns mit den zusammenklingenden Seiten der beiden Testamente belehren und passend mit Sitten zur Liebe entzünden. Gabeln, mit denen Fleisch aus den Sudpfannen herausgenommen und als Essen für die sich Stärkenden geholt wurde. Einige aber wurden gelassen, damit sie vom Feuer verzehrt wurden; dies sind die Prediger, die die Sakramente Christi, gleichsam das Fleisch der heilsamen Hostie verwalten, teils mit Wirken nachahmen, teils die anderen erquicken, das aber, was nicht zu unserer Aufnahmefähigkeit gehört, dem Heiligen Geist überlassen. Die kleinen Gefäße, in denen das Feuer vom Altar des Brandopfers zum Thymianaltar getragen wurde, das sind die Prediger, die nach dem Beispiel der Heiligen das Feuer der Liebe zu den Herzen der Gläubigen hinübertragen und das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden (Mal 3,24). Und sie schreiten dahin mit wachsender Kraft (Ps 84,8). Die Feuerpfannen sind die Söhne, die die Herzen der Väter, die vor Liebe brennen, nachahmen und sich bemühen, die Flamme des himmlischen Opfers, die sie in den Herzen der Nächsten sehen in den eigenen anzuzünden. Alle Gefäße aber waren aus Kupfer, weil die Herzen der Heiligen standhaft gehorchen und mit deutlicher Stimme die anderen anweisen. ‘Skutiae/Schüsseln’ sind Gefäße gleichen Umfangs am Boden und am oberen Rand zum Wärmen geschaffen. Dies sind die Lehrer, die den Schatz des Herzens nicht verbergen, sondern aus ihm Neues und Altes hervorholen (Mt 13,52). Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern stellt es auf den Leuchter, dann leuchtet es allen im Haus des Herrn (Mt 5,15), sodass sie Licht und Wärme des Heiligen Geistes empfangen. ‘Ámulae’ sind Gefäße, um Wein anzubieten. Sie sind die Prediger, die die Untergebenen bissig schelten, oder die Richter, die strenge Urteile sprechen, oder die trunken von der Gnade des Heiligen Geistes auch andere trunken machen. ‘Hýdriae’ sind a Funkenentzündung auf Werg durch Reiben der Dochtscheren. Vgl. S. 578 Anm. c.
13b – Geräte in der Kirche
große Wassergefäße. Sie sind die Gelehrten, getränkt mit dem Wasser der Einsicht (Sir 15,3). mit lebendigem Wasser erfüllt. Der ‘Mörser’ ist die Mühe der Büßer, die durch den Geist die sündigen Taten des Leibes töten (Röm 8,13); sie züchtigen und unterwerfen ihren Leib (1 Kor 9,27) und schinden ihn mit der Mörserkeule der Furcht. Salomo aber fertigte zehn ‘Zuber’, d. h. Waschbecken, neben dem flüssigen Meer, d. h. dem größeren Zuber. Jeder von ihnen fasste 40 Bata, der größte aber 2000 Bat. In den zehn Zubern wurden die Opfertiere gewaschen, im Meer wuschen sich die Priester. Der größte Zuber ist die Taufe, die ‘Meer’ heißt zum Andenken an das Rote Meer. Daher: Unsere Väter waren alle unter der Wolke, alle zogen durch das Meer; und alle wurden von Moses getauft in der Wolke und im Meer (1 Kor 10,1-2). Darin waschen sich alle Priester, d. h. die Glieder des erwählten Priesters Jesus Christus, wenn ihnen durch seine Kraft alle Makel der Sünden abgewaschen werden. 2000 Bat fasste er (1 Kön 7,26), da er beide Völker abwusch und zur Vollständigkeit eines Viererdenarsb hinüberschickte, jetzt zum festen Gewissen, das durch keine Versuchung vom Stand der Rechtschaffenheit abgezogen wird, künftig zum Denar des Lebens, in dem sich keine Zurückweisung findet. Die zehn Zuber sind die zehn Gebote oder Getaufte, die die zehn Gebote halten. Darum fasste jeder 40 Bat wegen der Beachtung des Dekalogs und der Evangelien. In diesen werden die Opfer gereinigt, d. h. die Geister werden bedrückt und die Herzen gedemütigt, damit sie dem Herrn den Atem der Süßigkeit verschaffen. Denn: Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst Du, Gott, nicht verschmähen (Ps 51,19). Die Alten gebrauchten Trompeten, wie man in Numeri liest, um die Gemeinde einzuberufen zum Kampf, zum Danksagen an den Festtagen (vgl. Num 10,1-10), doch mit verschiedenen Klängen, und sie waren von Widdern und silbrig (vgl. Jos 6,20). Deren Verwendung war von solcher Kraft im Jubel, dass bei deren Klang die Mauern von a b
1 Bat = ca. 40 Liter. Vier Denare. 1 Denar = 1 Drachme.
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Jericho zusammenstürzten. Dies sind die beiden Testamente oder die Prediger, durch sie wird zur Rüstung des Glaubens das Volk aufgerufen, zur Buße und zur Zerknirschtheit mit Weinen angeregt zum Darbringen von Lob des Herrn und zum Hinzutreten zum Berg Zion eingeladen, zum himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln in einer Versammlung (Hebr 12,22) und zum künftigen Gericht Gottes aufgerufen. Und siehe, im Unglück und im Glück erschallen die Trompeten, denn alle Zeit passt zum Wort Gottes. Daher: Ich will den Herrn allezeit preisen, immer sei sein Lob in meinem Mund (Ps 34,2). Jedoch ist entsprechend der Art der Zuhörer und Zeiten die Rede der Lehrer anzupassen und unterschiedlich zu gestalten. Mitunter muss man belehren, mitunter bitten, mitunter aber singen und der Menge einfach und offen redend Milch geben, aber wir verkünden Weisheit unter den Vollkommenen (1 Kor 2,6). Alles geschehe so, dass es aufbaut (1 Kor 14,26). Was nützt denn die Dunkelheit der Rede, die den Zuhörer nicht aufbaut? Umsonst sprechen wir, wenn wir von denen, deretwegen wir reden, nicht verstanden werden. Es ist also eine große Begabung dessen, der lehrt, unter allen Worten, die nicht belehren, bei den Worten die Wahrheit zu lieben, nicht die Wörter. Was nützt ein goldener Schlüssel, wenn er nicht öffnet? Was schadet ein eiserner, wenn er öffnet? Wir suchen nur, was das Verschlossene öffnet und das Verborgene enthüllt, daher sind die rechten Worte zu wählen. Denn die Trompeten sind silbern, d. h. sie schimmern vom Glanz der Redewendungen, die, wenn sie nicht zusammenpassen, auch bei Verdorbenheit benutzt werden, wenn nur die Sache rein gelehrt und gelernt wird. Doch die Ausdauer führt zu einem vollkommenen Werk (Jak 1,4). Widderhörner sind da, um mit den Schlägen der Trübsal zu wachsen. “Statt der Trompeten haben wir heute Glocken, um am Morgen die Huld des Herrn zu verkünden und in den Nächten seine Treue (Ps 92,3), um, wenn sie am Morgen ertönen, die Hörer aufmerksam, lernbereit und gutwillig für das himmlische Lob zu machen. Glocken sind bronzene Gefäße, die in Nola in Kampanien erfunden wurden. Daher heißen die größeren Stücke ‘Glocken’
13b – Geräte in der Kirche
(campanae) nach der Landschaft Kampanien. Die kleineren aber heißen ‘Nolae’ nach der Stadt Nola.”a Sie haben einen Klöppel mit einem Seil, Holz mit einem Strick. Wenn sie der Priester zieht und sie gezogen wird, wird die Glocke durch den Klöppel zum Tönen gebracht. Obgleich Trompeten und Glocken aus verschiedenem Material sind, haben sie dennoch denselben Zweck. “Denn Glocken sind Prediger, sie sind die Gefäße des Heiligen Geistes, stark und klangvoll. Denn die Härte des Metalls symbolisiert die Stärke des Geistes.”b Daher sagt der Herr: Ich mache deine Stirn ebenso hart wie ihre Stirn (Ez 3,8). Der eiserne Klöppel ist die Zunge oder die Beständigkeit der Rede, die beide Seiten anschlägt, wenn beide Testamente tönen. Das Glockenseil ist die Mäßigkeit, von der die Zunge beherrscht wird.”c Das Seil aber, mit dem die Glocke durch das Holz verbunden ist, ist die Liebe, durch die der Prediger mit dem Holz des Kreuzes verknüpft ist. Gemäß dem Wort: Ich will mich allein des Kreuzes unseres Herrn rühmen (Gal 6,14). Das Holz ist das Leiden Christi in unserm Haupt, d. h. in unserm Gemüt angesiedelt, von den Propheten vorausgesagt, von den Aposteln verbreitet. Das Glockenseil ist die Heilige Schrift, die aus vielen Sätzen zusammengefügt ist, oder das Band der Liebe, die bis auf die Erde, d. h. bis zu den Gebrechlichen reicht, oder die Demut des Predigers, der sich wegen der anderen zu ihnen hernieder lässt. Daher sagt der Apostel: Wenn wir von Sinnen wären oder wenn wir euretwegen besonnen sind (vgl. 2 Kor 5,13). An seinem Ende wird ein Ring gesetzt, der die Ausdauer symbolisiert oder den Kranz des Lohnes. Der Priester zieht an dem Strang nach unten, wenn er von der Kontemplation zum aktiven Leben heruntersteigt. Es zieht ihn nach oben, wenn er nach der Lehre der Schrift zur Kontemplation emporgehoben wird. Und er zieht nach unten, wenn er die Schrift nach dem Buchstaben, der tötet (2 Kor 3,6), versteht. Emporgehoben wird er, wenn er sie a Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 16; vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 24 a-d; Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae 16, 25, 6. b Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 142. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 142 und ders., Sacramentarium 30.
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g eistlich versteht. Und nach Gregor: “Nach unten zieht und nach oben wird gezogen, wenn er sich dabei misst, wie sehr er im Verkehrten liegt und sich entwickelt zum Gutes tun.”a Der Priester weise es nicht zurück, diese Arbeit zu verrichten, sodass er ein Nachfolger der Söhne Aarons wird. Über diese heißt es: Die Söhne Aarons sollen die Trompeten blasen (Num 10,8). Wer sich als Schuldner der Predigt begreift, ziehe sich nicht zurück vom Bewegen der Zeichen. Aufgrund des Ziehens am Seil erklingt die Glocke und wird das Volk zusammengerufen; denn zur Darlegung der Heiligen Schrift wird der Prediger angehört und das Volk in der Einheit des Glaubens und der Liebe vereint. So wie also die Glocke erschallt, so soll auch der Wächter Jerusalems in seiner Höhle nicht schweigen. Nach dem Wort: Die ihr den Herrn (an Zion) erinnern sollt, gönnt euch keine Ruhe! (Jes 62,6). Und weil die Prediger in der Zeit der Gnade häufiger eine Überfülle an Gnade haben, deswegen läuten sie an den Festtagen, die zur Gnade gehören, reichlich drauflos, lassen es länger erschallen, um die Schläfer und Trunkenen zu erreichen. Denn wer schläft, schläft bei Nacht, und wer sich betrinkt, betrinkt sich bei Nacht (1 Thess 5,7). Sie zwingen sie, zum Gotteslob aufzustehen. Es gibt also ein dreifaches “Trompeten“-Zeichen an Hochfesten: Am Morgen, am Abend und zum Beginn der Messe wird geläutet, so wird der Evangelien-Prediger nachgeahmt, damit er das Wort verkündet, ob man es hören will oder nicht (2 Tim 4,2), die Klagen dieses Lebens und das Freudenlied des zukünftigen. Wehe der Hölle! Wundere dich nicht, dass die Prediger mit so vielen Namen benannt werden, wie ich besprochen habe, denn sie sind für viele Dienste notwendig. Auch haben die Alten Zeichen und Fahnen beim Verlegen der Zeltlager verwendet. Entsprechend diesen Zeichen ging jeder an seinen Platz im Lager. Die Zeichen sind die Eigenheiten der Einzelnen, die es im Leib und im Geist gibt. Als Beispiel: Mögen wir alle uns ähnlich sein, so hat doch jeder eine Besonderheit, entweder im Gesicht, in der Stimme, der Statur, dem Aussehen oder im Gehabe. Ebenso ist im Geist der eine sanft, der Gregorius Magnus, Liber regulae pastoralis III, 34.
a
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andere hochmütig. Und wie es etwa im leiblichen Aussehen die Verschiedenheit gibt, so auch im Herzen. Daher Salomo: Wie die Gesichter von einander verschieden sind, so die Herzen der Menschen. Wenn man sie mit einander verbindet, tritt, wie einige sagen, diese Besonderheit eigenartig hervor. Mit ihr wird Petrus von Paulus unterschieden, sie wird mit einem abgehobenen Wort ‘Paulität’ genannt. So wie es im Menschen solche Art natürliche Zeichen gibt, so, meine ich, sind die Gnaden, d. h. der Gebrauch der Tugenden. Dasselbe sind bei den Griechen die Elemente wie bei uns, aber nicht dieselben Zeichen. Dieselben Tugenden sind bei allen als Anlage, aber nicht in der Anwendung. Daher wird Abraham wegen der Treue, Moses wegen der Milde, David wegen der Demut als Vorbild empfohlen. Wegen dieser und ähnlicher Zeichen geht jeder aus dem Dienst hervor und aus dem Stadion der Burgen hin zur Heimat und zum Siegespreis des Ewigen. Daher: Die in der Erkenntnis vorgezogen werden, gehen zu den Cherubin. Die aber allein in der Liebe Christi weiden, gehen zu den Seraphin, und so wie bei den übrigen Wohnungen. So wie es verschiedene Gnadengaben gibt (1 Kor 12,4), so auch verschiedene Kräfte und Dienste in diesem Leben, so gibt es verschiedene Wohnungen im Reich Gottes. Unser Zeichen und unsere Fahne ist das Geheimnis des heiligen Kreuzes. Daher: Wer steht als Zeichen der Völker, d. h. als Gnade Gottes? Ebenso Des Königs Fahnen ziehn einher, Es glänzt das Geheimnis des Kreuzes.a
“Das Zeichen des hl. Kreuzes wird in den Kirchen errichtet, damit es als Zeichen des Königs in seinem Haus wie in einer Königsburg von seinen Soldaten verehrt wird. Ebenso damit uns Christi Passion dargestellt wird und damit jeder seinen Leib kreuzigt und Christus nachfolgt. Das Triumphkreuz wird in der Mitte der Kirche gesetzt, damit wir das Zeichen des Sieges öffentlich sehen, auch damit wir aus der Mitte des Herzens unsern Erlöser lieben, der das Innere liebevoll ausgeziert hat wegen der Töchter Jerusalems (vgl. Hld 3,10-11 Vg.). Wir benutzen die a
Hymnus Vexilla regis prodeunt (AH 50, 74).
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materiellen Fahnen zusammen mit dem Kreuz zum Andenken an das Siegeszeichen unseres Herrn Jesus Christus.”a Denn der Herr hat am Holz regiert. Als das Leben am Kreuz starb, richtete Er sich in Liebe auf. Denn ein Starker hat den Starken gebunden und sein Gefäß geraubt. – Der Name ‘Kelch’ hat vom Alten und vom Neuen Testament seinen Ursprung genommen. Daher sagt Jeremia : Ein goldener Becher Babylons hat die ganze Erde berauscht (Jer 51,7). Und David: In der Hand des Herrn ein Becher, herben, gärenden Wein reicht er dar (Ps 75,9). Und an anderer Stelle: Ich will den Kelch des Heils erheben und anrufen den Namen des Herrn (Ps 116,13). Der Herr im Evangelium: Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? (Mt 20,22). Sowie: Er nahm den Kelch und sprach das Dankgebet (Mt 26,27). Der Kelch muss aus Gold, Silber oder Zinn sein, nicht aus Bronze oder Messing, denn infolge der Kraft des Weines würde er Rost ansetzen und zu Erbrechen führen; nicht aus Glas, da dieses zerbrechlich ist und die Gefahr des Verschüttens brächte; nicht aus Holz, da dieses ein poröses und schwammartiges Material ist, das den Wein aufsaugen würde. Mystisch ist der Kelch der Geist der Einsicht (Sir 39,6), den Er uns nach dem Maß des Glaubens zugeteilt hat (Röm 12,3). Stückwerk ist unser Erkennen (1 Kor 13,9). Daher gibst du mir das Erbe und reichst mir den Becher (Ps 16,5). Es ist auch das Alte Testament, es enthält in sich den reinen Wein der geistlichen Erkenntnis und der sittlichen Gebote, gemischt mit der Hefe des Buchstabens und der körperlichen Heilsgaben. Daher: In der Hand des Herrn ein Becher, herben, gärenden Wein reicht er dar. Indes: Ihn müssen alle trinken, d. h. von den Juden zu den Heiden, doch auch die Hefe der Buchstaben ist nicht getilgt (Ps 75,9). Es trinken ihn die Sünder der Erde, Juden und Ebionitenb. Das ist die Erkenntnis der Welt und des Fleisches. Die Weisheit der Welt ist bei Gott Torheit: Das Trachten des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott (Röm 8,7). Das erste rät Torheit, das zweite Süßigkeit. Durch das erste ist schmecken ‘unsinnig’ sein, durch das zweite ist schmecken ‘toll’ a
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 135. Eine judenchristliche Sekte.
b
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sein. Daher: Der goldene Becher Babylon (Jer 51,7). Der Kelch ist auch Leiden, gleichsam beruhigtes Trinken. Daher: Sie gingen weg vom Hohen Rat und freuten sich, dass sie Schmach litten im Namen Jesu Christi (Apg 5,41). Ein reich bemessener Trank. Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet (1 Kor 10,13). Er sagt hier: Den Kelch des Heils will ich erheben (Ps 116,13). Und: Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? (Mt 20,22). Und: Dann nahm er den Kelch und sprach das Dankgebet (Mt 26,27). Wenn dieser golden ist, symbolisiert er die Schätze der Weisheit, die in Christus verborgen sind (Kol 2,3). Wenn silbern, bezeichnet er die Reinigung von der Schuld. Wenn aus Zinn, stellt er Ähnlichkeit von Schuld und Sühne dar. ‘Stannum’ ist ein Gemisch aus Silber und Blei. Obgleich der Leib Christi nicht aus Blei war, d. h. die Sünderin, war er dennoch dem Leib der Sünderin ähnlich, und obgleich es nicht silbern war, d. h. dem Leiden unterworfen wegen seiner Schuld, war Er wegen unserer Schuld dem Leiden unterworfen. Denn: Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen (Jes 53,4). Die Handschriften des Evangeliums werden mit Gold, Silber, kostbaren Steinen zu Recht geschmückt; in ihnen glänzt das Gold der Weisheit, das Silber der Beredsamkeit und der Wunder. Kostbare Steine sind goldene Kettchen, Silberkugeln daran (Hld 1,11). Es möge keiner sagen: Das hätte man teuer verkaufen und das Geld den Armen geben können (Mt 26,9). Das ist ähnlich dem Judas und der Gegensatz zur Frau mit dem Salböl. Dafür arbeiten wir, nicht dass nackte Körper den Herrn weniger erfreuen als goldene; vielmehr dass Menschen, die lieben, Gott gern opfern und wir durch die Gottesverehrung unseren Geiz besiegen. Wieder sind diese moralischen Dienste Zeichen der göttlichen Liebe und Hinweise auf die künftige Herrlichkeit.
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Buch II
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Die Personen
Vorwort Der allerhöchste Urheber des Alls hat von der Gesamtheit des Alls einiges als Besonderheit für sich beansprucht, wie bei den Orten die Verehrungsstätten, bei den Personen die Kleriker, Mönche und Nonnen, bei den Sachen die Zehnten und Spenden, bei den Zeiten die Hochfeste. Über die Orte haben wir oben gesprochen. Im folgenden Abschnitt wollen wir über die Personen handeln. 1. Einrichtung und Kleidung der Kirchenleute Als Diener Christi soll der Mann uns betrachten und als Verwalter der Sakramente a Gottes (1 Kor 4,1). “Zur besseren Veranschaulichung der Kirchenleute ist zu wissen, dass man von drei wesentlichen Gruppen (sectae) liest: von Heiden, Juden und Christen. Die erste Gruppe kommt von ‘secare–schneiden’. Die zweite und dritte ist abzuleiten von ‘sectare’, denn jene erleuchtet, diese gibt Heil und Freiheit. Die Riten der Heiden und Juden haben sich zum christlichen Ritus gewandelt, und: Das ist die Änderung der Rechten des Höchsten (Ps 77,11). Die Christen, Weltliche wie Geistliche, a
Die Handschriften setzen ministrorum. Vulgata: mysteriorum.
1 – Kleidung der Kleriker
stammen aus jenen beiden Gruppen, der jüdischen und der heidnischen. Denn bei den Heiden gab es eine Verschiedenheit der Personen, weil sie Volksleute oder Laien waren (‘laos’ heißt ja ‘Volk’) oder weltliche Amtsträger wie Monarch, also Kaiser, König, Patricius, Präfekt, Senator, Herzog, Markgraf, Graf, Präses, Tribun, Zenturio, Decurio, Quaternio, Triumvir, Prätor, Quästor, Ädil, Hof- und Türwächter. Andere waren beschäftigt mit dem Kult der Götter wie die Erzpriester, gleichsam ‘filamen’ von ‘filum’ ‘Band’, das sie am Kopf trugen, also Priester beiderlei Geschlechts. Andere waren für Aufgaben bestimmt wie Komödianten, Tragöden, Geschichtsschreiber. Ebenso gab es bei den Juden weltliche Personen wie Könige und Heerführer und solche unter diesen wie Chiliarchen, Hekatonarchen, Pentakonarchen, Dekarchen, d. h. Anführer von je 1000, 100, 50 und 10 Leuten. Denn ‘chile’ heißt übersetzt tausend, ‘ekas’ hundert, ‘penta’ fünfzig, ‘dekas’”a zehn. Diese hat Moses auf Anraten seines Schwiegervaters Jitro eingeführt (vgl. Ex 18,25). “Die für den Kult bestimmten wie der Hohepriester, die niederen Priester, die Leviten, Nathanäer, Leuchterträger, Exorzisten, Türhüter, Sänger und Hauspriester, setzte Moses ebenfalls ein; David und Salomo aber setzten einige auf Geheiß des Herrn ein. Ebenso gibt es bei den Christen Personen im Volk, die ungefähr dieselben Namen tragen wie bei den Heiden die zum göttlichen Kult Bestimmten wie Kleriker und Mönche. Die Kleriker heißen nach ‘kleros’, das bedeutet ‘Los’. Denn im Alten Testament wurden die Priester durch Los ausgewählt. Auch Matthias wurde durch das Los erwählt. Ebenfalls wählten die Heiden für den göttlichen Kult einen Freien aus, oder sie nannten sie deshalb Kleriker, weil sie am Los, d. h. der Erbschaft des Herrn wie Zehnten, Erstlingsgaben und Spenden teilhatten.”b Denn ‘kleros’ heißt auch ‘Erbteil’. Oder der Kleriker heißt so, weil der Herr ihn auserwählt hat und er den Herrn, nach dem Wort: Herr, du gibst mir das Erbe (Ps 16,5). So kommt es, dass wir bei der Tonsur der Klerikerc diese Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 12a-d. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 174. c Pontificale Romanum, Psalm Conserva me beim Ritus De clerico faciendo. a
b
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Mitralis II – Die Personen
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Worte gebrauchen. “Wer also Teil des Herrn ist oder Anteil am Herrn hat, hat nichts, wie Hieronymus sagt, außer dem Herrn, doch er zeigt sich so, dass er den Herrn besitzt oder er vom Herrn besessen wird”a, und dann empfängt er Segen vom Herrn und ist einer derer, die nach Ihm fragen und Dein Antlitz suchen, Herr (Ps 24,6),b wie wir bei der Tonsur sagen. “Die ‘Tonsur’ der Geistlichen nahm ihren Anfang von der Sitte der Nasiräer, die nach dem Gebot des Gesetzes ihr Haar rasierten und es dann als Opfer verbrannten. ‘Nasiräer’ bedeutet ‘heilig’. Deshalb lehrten sie, die Diener der Kirche müssten geschoren werden, damit sie nach Ausschluss überflüssiger Gedanken aus ihrem Gehirn und nach Entflammen der Liebe zu Gott im Allerheiligsten als Heilige in Heiligkeit dienen könnten.”c Oder anders: Die Tonsur hat ihren Ursprung im Gesetz. “Die Gesetzespriester trugen auf dem Haupt eine Mitra (tiara), d. h. eine Kapuze aus Batist in Form eines Halbkreises, der König aber trug eine Krone.”d Der geschorene Teil des Kopfes bezeichnet die Mitra, der Haarkranz die Krone, damit wir verstehen und Dank sagen, dass uns Gott berufen hat als auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft (1 Petr 2,9). “Oder anders: vom Gesetz, wo befohlen wird, dass um den Tisch die Einfassung vier Finger breit geht und um diese eine goldene Leiste herumführt (vgl. Ex 25,25). Der Haarkranz symbolisiert also die Krone,”e der kahle Kopf ein Krönchen. Wir hoffen, durch die Lehre der Heiligen Schrift und besonders der vier Evangelien nicht nur die Lieblichkeit des ewigen Lebens der Seele zu verdienen, sondern auch die Verherrlichung des Leibes. Und die Tonsur der Geistlichen und das Rasieren dabei, wie wir es nach unserer Sitte machen, empfing ihren Ursprung von Christus. “Christus, unser König, trug die Dornenkrone”f, um die Dornen und Stacheln unserer Sünden wegzunehmen, und als Er sich am Hieronymus, Epistolae 52, 5. Pontificale Romanum. Antiphon Hi accipient beim Ritus De clerico f aciendo. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 193. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 193. e Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 197. f Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 194. a
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1 – Kleidung der Kleriker
Altar des Kreuzes opfern wollte, ertrug Er die Kahlheit. “Es war ja Brauch bei den Alten, dass sie ihre Gefangenen schoren, die sie kreuzigen wollten. Daher hieß der Ort Kalvaria, wo der Herr gekreuzigt wurde (Mt 27,33; Mk 15,22; Lk 23,33; Joh 19,17), und deshalb wurde Er ‘calvatus’ genannt, nicht weil Er kahl geschoren war, sondern weil Er auf Kalvaria gelitten hat.”a Das wird durch Korah dargestellt, was als ‘kahl’ übersetzt wird, und durch Elischa, dem von jungen Burschen nachgerufen wurde: “Komm herauf, Kahlkopf!” (2 Kön 2,23) “Und von Samson, dem Dalila das Haupt rasierte (vgl. Ri 16,19), d. h. den die Synagoge, nicht der Sinne mächtig, auf Kalvaria kreuzigte.”b Wir aber werden wie die Söhne des Korah oben kahl, wenn wir geschoren werden, und erinnern durch den Haarkranz und die Nacktheit infolge der Rasur an das Leiden Christi, in dem wir verherrlicht werden und dem wir nachfolgen müssen. “Diese Rasur heißt Kranz, weil das Kahlscheren Christi unser Sieg war. Daher: Ich aber will mich allein des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christi rühmen (Gal 6,14). Doch noch war die Herrlichkeit nicht offenbar geworden, wie Er sein wird (1 Joh 3,2). Er hält ja noch das Zeichen der Trauer, bis die Trauer sich in Freude verwandelt (Joh 16,20).”c Oder die Tonsur hat bei Petrus ihren Ursprung, so wie es sich nach der Autorität des Beda in dessen ‘Geschichte der Angeln’ findet. Er sagt: “Keine Tonsur ist mehr zu begrüßen als die, die der am Kopf trägt, zu dem der Herr sagt, als er ihn bekennt: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen (Mt 16,18). Und keine ist mehr zu verfluchen als die Tonsur, wie sie der trug, dem Petrus sagte, als jener die Gnade des Heiligen Geistes kaufen wollte: Dein Geld fahre mit dir ins Verderben!“(Apg 8,20).d “Petrus, gefangen von den Heiden, wurde der Bart und der Kopf geschoren, doch was jene zum Spott getan hatten,”e wollte er als Mysterium betrachten, also entweder zum Andenken an das Leiden des Herrn oder, was sich gebührt, in seiner Ethik stehend. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 194. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 25. c Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 25. d Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica gentis Anglorum 5, 21. e Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 195. a
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“Durch das Haupt wird der Verstand angenommen, wie das Haupt mit den Haaren, so mit den Gedanken geschmückt. Es muss durch das Schermesser der Gottesfurcht von überflüssigen Gedanken befreit werden, damit es mit klarem Blick des Herzens das Himmlische betrachten kann. Der Haarkranz ist der Schmuck der Tugenden. Die Haare werden in einem Kreis angeglichen, weil die Tugenden sich in der Eintracht der Liebe verzehren.”a So sei der Kleriker in sich tapfer, “ohne Ecken und rund”b; nichts sei in Bildern, mehr sei ihm einträchtig, und wie ein Kreis sei er von jeder Seite passend. Der obere Teil der Tonsur wird rasiert, und es bleibt ein Kreis an der unteren Seite, damit der Verstand frei was Gottes ist betrachtet und die Sinnhaftigkeit einträchtig und nicht vom Verstand abweichend das betrachtet, was die Reinen nötig haben. Es ist nötig, dass Haare zurückbleiben, denn bei den weltlichen Angelegenheiten, ohne die das Leben nicht durchgeführt werden kann, empfiehlt es sich mitunter, sich Gedanken zu machen, wenn nur die Ohren und Augen nicht hindern, dass weltliche Gedanken die Ohren und Augen des Geistes zu Weltlichem ziehen, die das Wort des Sämanns zu ersticken pflegen. Oder wir tragen Schmach auf dem Haupt, dass wir an der Stirn anscheinend den Kranz des ewigen Lebens erhalten, der denen verheißen ist, die Gott lieben (Jak 1,12). Wir werden am Bart geschoren, damit wir wie Knaben aussehen, deren Demut und Unschuld wir nachahmen werden, wenn wir mit dem Herrn Kost zu uns nehmen (vgl. Joh 21,5), in das Himmelreich eintreten und den Engeln gleich werden, die immer in jugendlichem Alter erblühen. Doch beim Fasten gestatten wir, dass Haare und Bart wachsen, damit wir den Stand der Büßer darstellen und nicht die aktiven Erwartungen, die Gott nicht zuwider sind, verwerfen, wie etwa die Kirche aufbauen und dergleichen. Oder weil wir nach Gregorc “das Leben mit großer Enthaltsamkeit sinnfällig machen, da sonst die Gedanken der Anmaßung emporwachsen.”d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 195. Horatius, Sat. II, 7, 86. c Papst Gregor I., d. Gr. (590–604). d Gregorius Magnus, Moralia in Iob 2, 52, 84. a
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1 – Kleidung der Kleriker
S chließlich sollen wir das Schema unseres Stammbaums, aus dem wir unseren Ursprung nehmen, nicht zu sehr untersuchen, da wir wissen, dass diese Meisterschaft durch die Vernunft ersonnen ist. Es gibt ja vieles, von dem die jetzige Kirche die Urheber nicht kennt, doch was sie aus der Gewohnheit heraus billigt. Bei den Klerikern benutzen diejenigen, die die Tonsur erhalten werden oder gerade erhalten haben, Kapuzen und Stola bei der Messe sowie mitunter leinene, geschlossene und nicht geschlitzte Tuniken. “Die Kapuze ist anscheinend aus einer Kasel hervorgegangen. Durch sie und durch die Kasel werden wir ermahnt, mit den Werken der Nächstenliebe zu wandeln und sie mit Wort und Beispiel zu lehren.”a Stola, Kutte oder Chorrock ist ein weißes Gewand in Form des Kreuzes gefertigt. In der Farbe versinnbildlicht es die Sauberkeit oder noch besser: die neue Herrlichkeit der Heiligen und das Leben der Engel, in der Form das Leiden unseres Herrn. Und beachte: An den einfachen Tagen gebrauchen wir schwarze Kapuzen, “damit wir mit Locken wie Rispen rabenschwarz sind (Hld 5,11). Um sie auf das Haupt zu setzen, richten wir die Sinne auf das Himmlische und bekennen die Schwärze unserer Sünden mit demütigem Gewissen. Doch an Festtagen nehmen wir eine weiße Toga und zeigen so, dass wir diese alltägliche Schwärze heilsamer Trauer mit dem Glanz künftiger Freude bekleiden. Hochzeitsgäste können nicht trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist (Mt 9,15).”b ‘Induvien’ sind weiße Gewänder, knöchellang und weit, sie haben ein oder zwei Bindevorrichtungen. “Weiße ‘Alben’, die Reinheit des Lebens, sind weit, weil sie die Weite guter Werke, knöchellang, weil sie Beständigkeit bis zum Ende bezeichnen.”c Dies ist der knöchellange Rock des Joseph, die vollbrachte Tat am Ziel des Lebens. Diese Gewänder gebrauchen wir, die wir mit Macht und Glanz in seinem Heiligtum (Ps 96,6) Gott gefallen wollen. Die Tunika des Herrn, die ohne Naht war (Joh 19,23), soll auch eine Bindevorrichtung gehabt haben. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 234. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 23. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 232; Gregorius Magnus, Moralia in Iob 1, 37, 56. a
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Dieses Kleidungsband ist die Sprache des Gelehrten; wenn es zwei sind, bezeichnen sie die beiden Testamente, in denen sie kundig sein müssen, oder die beiden Liebesgebote, dass wir Gott und den Nächsten lieben sollen, oder bei Priestern die doppelte Gewalt zu binden und zu lösen. Die wollene Tunika ist die Rauheit der Buße, die Demut oder die Kraft der Geduld, sie umschließt und ist geschlossen, nicht geschlitzt, damit kein Wind wie die Sünde der Anmaßung hineinkriechen kann. “Geistliche dürfen keine Waffen tragen, denn sie dürfen nicht gegen Menschen, wohl aber gegen Dämonen ankämpfen, wie Moses gegen Amalek ohne Waffen, doch mit Gebeten angekämpft hat (vgl. Ex 17,10). Wie die Apostel uns gelehrt haben, nicht mit Waffen Widerstand zu leisten, sondern eher Unrecht zu leiden.”a “Deshalb dürfen wir nicht mit Laiengewändern Missbrauch treiben, wie auch die Laien nicht das geistliche Amt an sich reißen und daher nicht geistliche Gewänder anziehen dürfen. Laienkleidung darf eng und geschlitzt sein, damit sie zum Kämpfen geeignet ist, um die Kirche vor Ketzern und Heiden zu schützen.”b Diese Ordnung wollen wir beibehalten, so dass wir nicht wie Laien, sondern als Diener des Herrn, d. h. als Geistliche erscheinen. Mönche heißen Einzelgänger und Traurige, von ‘monos’, was ‘einer’ bedeutet, und von ‘chos’, was mit ‘Traurigkeit’ übersetzt wird. Wenn diese den Habit der Demut anziehen, verpflichten sie sich zum Gehorsam, zur Keuschheit, zum Habit als Kleidung und zur Absage an Eigengut. Das ist das Wesen des Gelübdes, das Übrige aber ist Beigabe wie Fasten, Dienst, Schweigen und dergleichen. Dann bekleiden wir sie mit der Kutte unter dafür bestimmten Gebeten: Sie sollen den alten Menschen mit seinen Werken ausziehen und den neuen anziehen, der nach Gott geschaffen ist. “Die Kutte der Mönche ist von der ärmellosen Tunika der Apostel genommen, die wie die Dalmatik geschnitten war, und sie bevorzugten bei ihnen die Form des Kreuzes, denn sie haben a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 235. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 236.
2 – Die Weihegrade
sich mit ihren Leidenschaften und Begierden gekreuzigt (Gal 5,24). Deren Schwärze ist die Verachtung der Welt, die Länge das Beharren beim Guten. Bei den Nonnen ist die Schwärze der Kleidung die Verachtung der männlichen Umarmung, der Schleier das Zeichen der Keuschheit und künftige Ehre. Bei der Hochzeit verhüllen die Mädchen ihr Haupt, so wie Rebekka, als sie Isaak gesehen hatte, sich mit einem Schleier bedeckte. So nimmt die Braut Christi den Schleier, damit sie allen Männern unerlaubt erscheint, weswegen ihr der Kranz des Lebens verliehen wurde.”a Damit wird die Selige Jungfrau gemalt, die Meisterin beider Leben ist, des aktiven, weil verheiratet, des kontemplativen, weil mit schlichten Gewändern gekleidet. Daher liest man an ihren Festtagen das Evangelium von Maria und Martha. “Auch bei Witwen ist die schlichte Kleidung die Verachtung der Welt.”b Beim Begriff ‘Mönche’ haben wir die Konversen, Eremiten sowie Hospizbrüder und Hospizschwestern mit einbezogen. Alle tragen ja den Habit der Demut, obgleich nicht alles Vorgenannte bei allen beachtet wird. Dass Mönche und Nonnen eines anderen Ordens weiße Gewänder tragen, stammt bei den Frauen von der hl. Cäcilia, die, während sie äußerlich in ihrem Gewand glänzte, im Innern von Keuschheit erstrahlte. Das weiße Gewand zeigt ja das Gelübde der Jungfräulichkeit. Bei den Männern aber wurde es von den Engeln genommen, die nach der Auferstehung des Herrn in weißen Gewändern gesehen wurden. Deren weiße Farbe symbolisiert den Glanz künftiger Herrlichkeit. 2. Die Weihegrade Das sind die Menschen, die nach dem Herrn fragen, die Dein Antlitz suchen, Gott Jakobs (Ps 24,6). Bei den Kirchenleuten haben die einen einfachen Rang, andere ein höheres Amt in der Kirche Gottes. Denn entweder tragen sie Klostertracht wie die Mönche, oder sie haben einen Weihegrad wie die Geistlichen, oder sie haben Habit oder a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 237 und 239. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 241.
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eihewürde wie Äbte und Bischöfe. Weihegrade aber gibt es W sieben: Ostiarier, Lektor, Exorzist, Akolyth, Subdiakon, Diakon und Priester. “Sieben sind es entsprechend der siebenförmigen Gnade des Heiligen Geistes, aus dessen Gabe sich seine Ämter ergeben.”a Wenn du aber zu den einzelnen Weihegraden einzelne Gaben in Bezug setzen willst, fang bei der Gottesfurcht an, die du den Ostiariern zuteilst, und von dort beziehe auf jeden eine Gabe bis hin zu den Priestern die Weisheit. Dies sind die sieben Frauen, in denen der Heilige Geist eine Wohnung hat, und einer jeden bereitet er ein Gastmahl (vgl. Jes 4,1). Wenn einer stufenweise zu diesen Stufen emporsteigen will, so ist grundsätzlich diese Reihenfolge zu beachten, d. h. dass sie erstens erbeten, zweitens in ihre Ämter eingewiesen, drittens geweiht, und viertens gesegnet werden. Alles dies ist eine Sache der Feierlichkeit, abgesehen von der Weihe, die wir hier, da sie aus Worten und Sachen besteht, als Substanz des Sakraments verfolgen. “Die Ostiarier haben die Nachfolge der Türsteher und Hauswarte, die den Tempel oder die Gebäude bewachten wie Samuel.”b Von diesen heißt es im Chronikbuch: Die Wächter waren nach den vier Himmelsrichtungen aufgestellt (1 Chr 9,24). “Wenn ein Ostiarier geweiht wird, übergibt ihm der Bischof die Kirchenschlüssel und sagt: ‘Sic age – Handele so, als ob du Gott Rechenschaft ablegen musst für die Dinge, die mit diesen Schlüsseln weggeschlossen werden!’”c Die Schlüssel sind also wie die Worte Substanz dieses Sakraments. ‘Dinge’ bezeichnet die Schätze und Personen dieser Kirche. Der Ostiarier muss ja die Bücher, Glocken und alles, was sich in der Kirche befindet, bewachen, aber auch das Buch für die Prediger und Vorleser halten, die Läutezeichen geben, die Kirche schließen und öffnen, die Gläubigen empfangen, Exkommunizierte und Ungläubige abfangen, “Katechumene einführen und ausschließen, Büßer, die vom Bischof wiederversöhnt wurden, in den Schoß der Mutter Kirche einführen.”d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 174. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 175. c Vgl. Gratianus, CIC, D.23 c.19: Sacramentarium Gregorianum 688. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 175. a
b
2 – Die Weihegrade
“Lektoren halten den Wechsel mit den Sängern, die wie Asaph und Jedithun die Gesänge Salomos tönen ließen.”a Wenn er geweiht wird, übergibt ihm der Bischof den Codex der Pro phezeiungenb und sagt: “Áccipe et esto – Nimm dies hin und sei ein treuer Sprecher des Wortes Gottes. Wenn du treu und demütig dein Amt ausführst, wirst du Anteil erhalten mit denen, die das Wort Gottes verwaltet haben!” Der Codex und diese Worte sind also Substanz dieses Sakraments. Das Amt zu lesen besagt: die Lesungen in der Kirche vortragen; das, was die Propheten vorausgesagt haben, dem Volk verkünden. Dies bedeutet auch, dass er gut hörbar liest. Von Esra hat das, glaubt man, seinen Anfang genommen, wo es heißt, er habe das Gesetz gut hörbar und offen dem versammelten Volk vorgelesen. Auch ist es sein Amt, das Brot zu segnen und alle neuen Früchte. Daher ist es auf der ganzen Welt Brauch, dass Knaben, auch die Vorleser der Prälaten, die Tische segnen. “Exorzisten heißen so und hießen auch einst so, weil sie Dämonen beschwören und aus den Leibern der Besessenen vertreiben,”c wie Joseph über den Dämonenvertreiber Eleasar sagt. Wenn er geweiht wird, übergibt der Bischof ihm den Codex der Exorzismen und sagt: “Accipe et commenda – Nimm hin und präge es deinem Gedächtnis ein und habe die Befugnis, die Hand aufzulegen auf die Besessenen (energúmeni), seien es Getaufte oder Katechumenen.”d Der Codex und diese Worte sind Substanz dieses Sakraments. ‘Energúmenus’ nennt er die Besessenen, ‘en’ ‘in’, ‘erga’ ‘Last’, ‘mene’ ‘Fehlen’, ‘nous’ ‘Verstand’, also ‘Energúmenus’ ist einer, der so von Dämonen belastet wird, dass er an einem Fehler im Verstand leidet, und das nicht nur mit körperlichen Qualen, sondern auch wenn einer durch eine Sünde zu einem Glied des Teufels und zur Wohnung eines Dämonen geworden ist. Das Amt des Exorzisten ist also, diesen Exorzismus im Gedächtnis zu haben: “Adiuro te – Ich beschwöre dich, unreiner Geist, bei Gott dem Vater und dem Sohn und Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 176. Das Lektionar. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 177. d Gratianus, CIC, D.23 c.17. a
b
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dem Heiligen Geist: Verlass diesen Diener Gottes!” Und gleiches gilt bei Exorzismen, d. h. den Dämonen die Leiber der Katechumenen verbieten und aus den besessenen Täuflingen zu weichen. “Die den unreinen Geistern Befehle erteilen sollen, mögen also einen reinen Geist haben.”a Akolythen haben die Stelle der Lichtlöscher oder Lampenherrichter, die Leuchten löschten und Lichter verbrannten wie den Nadab und den Abihu. Wenn dieser geweiht wird, übergibt ihm der Bischof einen Leuchter mit Kerze und spricht: “Áccipe ceroferárium – Nimm hin den Leuchter mit der Kerze, damit du weißt, dass es dein Amt ist, die Lichter zu entzünden.” Ebenso übergibt er einen leeren Weinkrug und spricht: “Áccipe urcéolum – Nimm hin den Krug zum Herrichten des Weins für die Eucharistie des Blutes Christi.” Die Gegenstände und diese Worte sind die Substanz dieses Sakraments. ‘Akolyth’ griechisch, heißt lateinisch ‘ceroferarius – Kerzenträger’. “Seine Aufgabe ist die Zurichtung der Lichter in der Sakristei,”b die Kerzen und die Weihrauchgefäße zum Altar zu seinem Schmuck zu tragen und den Priester anzukleiden, mit Stola und den Gewändern zu bedienen sowie Wein und Wasser dem Subdiakon für die Eucharistie bereitzustellen. Es folgen die Heiligen Weihen. Dafür ist eine größere Untersuchung erforderlich. Denn der Archidiakon erbittet, der Bischof prüft, der Archidiakon bezeugt, das Volk beschwört. Es werden vom Volk für die Weihekandidaten Gebete gesprochen. Darauf werden sie in vorher festgelegter Reihenfolge aufgerufen und ihnen Anweisungen erteilt, danach werden sie geweiht und gesegnet. Und wie wir sagten, alles gehört zur Feierlichkeit außer der Weihe selbst, die aus Worten und Sachen besteht, die wir als Substanz der Sakramente verfolgen. “Die jetzt Subdiakone heißen, wurden einst ‘Nasiräer’ genannt, d. h. demütige Diener,”c die vom Volk die Opfer entgegennahmen und das Nötige im Tempel bereitstellten wie Nathanael, von dem es bei Esra heißt: Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 5. Burchardus episcopus Wormatiensis, Decretorum libri viginti 3, 50. c Vgl. Ps. Alcuinus, De divinis officiis liber 34. a
b
2 – Die Weihegrade
Alle wohnten in ihren Städten, die Priester, die Leviten, die Nasiräer (Neh 10,29). Die auf griechisch ‘hypodiákones’ heißen, werden lateinisch ‘Subdiakone’ genannt. Wenn ein solcher geweiht wird, erhält er vom Bischof den leeren Kelch mit Patene und vom Archidiakon den Krug mit dem Wasserkännchen und das Handtuch, und der Bischof sagt: “Vide – Sieh, welcher Dienst dir übergeben wird!” Zu Recht nimmt er diese Dinge vom Archidiakon entgegen, denn sie werden zu dessen Hilfe geweiht. Danach übergibt der Bischof den Manipela und spricht: “Áccipe máppulam – Nimm hin deinen Manipel und erfülle deinen Dienst, Gott ist mächtig, Er möge dir seine Gnade vermehren!” Diese Dinge und diese Worte sind Substanz dieses Sakraments. Der Bischof gibt ihm auch die Tunika und spricht: “Túnica iocunditatis – Mit der Tunika der Freude und dem Gewand der Fröhlichkeit bekleide dich der Herr!” Dieses Gewand und diese Worte gehören zur Feierlichkeit, nicht zur Substanz, denn der Dienst des Subdiakons wird ohne sie verrichtet. Sein Amt ist es also, die Epistel vorzulesen und dem Diakon zu dienen, d.h. den Kelch mit Wein und das Kännchen mit Wasser zu bringen, den Priestern und Leviten Wasser zu reichen und das Handtuch und den Wasserkrug zu halten. Deswegen wird ihnen das Gebot der Enthaltsamkeit auferlegt, nach dem Wort: Haltet euch rein, denn ihr tragt die Geräte des Herrn (Jes 52,11). Und sieh: Weil ihm zuerst das Gewand gegeben wird, also der Manipel, wird darunter die Buße verstanden. Daher trete nur ein reuiger Mann an den Subdiakonat heran. Die jetzt ‘Diakone’ heißen, d. h. ‘Diener’, wurden einst ‘Leviten’ nach Levi, dem Sohn Jakobs, genannt, d. h. ‘die Aufgenommenen’, weil sie zur Hilfe der Priester wie Eleasar und Ithamar genommen wurden. “Dieser Rang wurde von den Aposteln bekräftigt, denn sie wählten sieben Männer voll des Heiligen Geistes.”b Diese sind die sieben Engel der sieben Kirchen, die sieben goldenen Leuchter, auch die sieben a b
Auf dem linken Unterarm getragenes Ornatstück. Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 5.
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Donner, denn sie verkündeten das Wort des Herrn und erleuchteten die Zuhörer, denen sie etwas angedroht hatten. Wenn einer geweiht wird, legt ihm nicht allein der Bischof die Hände auf, sondern alle anwesenden Priester, denn es heißt in der Apostelgeschichte: Sie beteten und legten ihnen die Hände auf (Apg 6,6). Wenn also gesagt wird, nur der Bischof müsse die Hände auflegen, weil nicht zum Priesterstand, sondern zu einem Dienst geweiht werde, so tadeln wir das. Kann etwa ein einzelner Bischof mehr erbitten als die vielen Apostel? Die die Hände auflegen geben nicht selbst den Geist, sondern sie beten, dieser möge über sie kommen. Wenn also der Gebrauch aller Gaben nicht in einem, sondern in vielen liegt, ist es recht, dass mehrere die Hände auflegen, damit ein jeder den Herrn bitte, dem Weihekandidaten einen Teil vom Heiligen Geist zuzuwenden, nach dem Vorbild des Moses, von dessen Geist der Herr siebzig Männern weitergab. Danach legt der Bischof ihm die Stola über die linke Schulter und spricht: “Accipe stolam – Nimm hin die weiße Stola aus der Hand des Herrn!” Und danach, damit er versteht, dass er Christi Herold ist, übergibt er ihm das Evangelienbuch und spricht: “Accipe potestatem – Nimm hin die Befugnis, das Evangelium in der Kirche zu verkünden, für die Lebenden und die Toten, im Namen des Herrn!” Diese Sachen und diese Worte sind Substanz dieses Sakraments. Die Dalmatik aber, die ihm gegeben wird, gehört zur Feierlichkeit, nicht zur Substanz. Und sieh: Die Stola, durch die der Gehorsam oder “das Joch des Herrn, das im Evangelium genannt und deshalb mit dem Evangelium gegeben wird, wird nur über die linke Schulter gelegt. Denn Gehorsam dem Evangelium gegenüber wird zuerst in Aktion aufgenommen,”a oder es lehrt, das Zeitliche zu unterdrücken und dem Geistlichen zu dienen. Oder die rechte Seite des Diakons soll, wie es angemessen ist, frei sein, damit er unbehinderter zum Dienst für den Priester geschäftig sein kann. Es ist ja sein Dienst, die Kirche und ihre Gerätschaften zu bewachen, wie es in Numeri heißt: Wenn es nötig ist, a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 204.
2 – Die Weihegrade
die Tücher und Geräte zu tragen (Num 4,25–26 Vg.). Deshalb müssen meines Erachtens die Wächter Diakone sein, denn es ist Aufgabe der Diakone, den Priestern zur Hand zu gehen und ihnen bei den Sakramenten der Kirche zu dienen, bei Taufe, Chrisam, Patene und Kelch, Oblaten zu bringen und auf den Altar niederzulegen, das Blut Christi auszuteilen, den Tisch zu bereiten, das Kreuz zu tragen. Dazu hat er die Dalmatik angelegt, die Kreuzesform hat, wodurch die Leiden Christi versinnbildlicht werden. Er verkündet die Preces, d. h. die Litaneien, trägt die Namen der Weihekandidaten vor, der Katechumenen, Exkommunizierten und Suspendierten, und liest das Evangelium. Der Herr war ja, als er das Evangelium predigte, Diener. Deshalb wird das Evangelium eigens dem Diakon zugewiesen, denn er wird ja mit ‘Diener’ interpretiert. Einst, als das Evangelium noch nicht schriftlich abgefasst war, las der Diakon die Lesungen. Doch nachdem festgesetzt war, dass der Diakon das Evangelium lesen solle, wurde hinzugefügt, dass der Subdiakon Epistel und Lesungen vorliest, die von geringerer Würde als das Evangelium sind, so wie der Subdiakon geringer als der Diakon ist. Deshalb predigt und tauft er auch, wenn es nötig ist. Er mahnt zum Beten und sagt: “Flectamus génua – Beuget die Knie!” Er mahnt auch, die Ohren beim Herrn zu haben, und sagt: “Humiliate – Demütigt euch zum Segen’ oder: ‘Cápita vestra Deo – Neiget in Demut euer Haupt vor Gott!” Er gibt dem Volk die Erlaubnis und sagt: “Ite, missa est – Geht, es ist Sendung!” Er ermuntert, zum Herrn zu rufen, er verkündet die Hochfeste und die Fastenzeiten.a Die jetzt Priester heißen, waren einst die Anführer des Volkes wie Korach, Datan und Abiram oder wurden Führer oder Tempellehrer genannt wie Nikodemus und Gamaliel. Jetzt aber sind die Priester, d. h. ‘die Ältesten’, nicht die nach dem Lebensalter, sondern nach dem Verstand. Mehr als graues Haar bedeutet für die Menschen die Klugheit (vgl. Weish 4,8). Oder die Priester, die gleichsam für das Volk ‘den Weg angeben (presbýteri – iter praebentes)’ vom Exil der Welt in die Heimat a
Siehe S. 442.
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des Reiches, oder “sacerdotes, d. h. heilige Führer (sacri duces), wie Beda sagt, denn sie geben dem Volk die Führung vor,”a oder sie geben Heiliges, denn sie geben dem Volk die Sakramente und Gott das Messopfer. Die Priester (sacerdotes) sind die Nachfolger der siebzig Männer, auf die der Herr den Geist des Moses verteilt hatte, auch Nachfolger der 72 Jünger. Wie die Bischöfe sind sie Stellvertreter des Moses und der Apostel. Wenn der Priester nun geweiht wird, soll er auf das Zeugnis der Diakone und Priester hin über seinen Charakter, seinen künftigen Lebenswandel und seinen Gehorsam geprüft werden. Ihm wird dann die segnende Hand der anwesenden Priester aufgelegt. Die Handauflegung kennzeichnet die Wirksamkeit der Werke des Heiligen Geistes. Denn durch den Kopf empfangen wir die Denkkraft, durch die Finger symbolisieren wir die Gaben des Heiligen Geistes, durch die Hand seine Werke. Es werden ihm also die Finger oder die Hand auf das Haupt gelegt, ihm, der mit seiner Denkkraft, mit den Gaben des Heiligen Geistes ausgestattet, die Werke Christi nachahmt. Von vielen Priestern wird die Hand in der Weise aufgelegt, wie wir es beim Diakon zuvor beschrieben haben. Aber, wenn die Hand schon dem Diakon aufgelegt wird, warum wird sie erneut dem Priester aufgelegt? – Ich antworte: Weil es bei einem Dienst eigens auf diesen Dienst und bei einer Aufgabe eigens auf diese Aufgabe bezogen wird. – Ihm legt der Bischof die Stola (orárium) über die rechte Schulter in Form des Kreuzes auf der Brust und sagt: “Áccipe iugum – Nimm hin das Joch des Herrn, denn sein Joch drückt nicht und seine Last ist leicht (Mt 11,30).” Die Stola wird von der linken Schulter auf die rechte gerückt, denn wenn er mit dem Gehorsam vom aktiven Leben mit der Nächstenliebe beginnt, geht er zum kontemplativen Leben durch die Gottesliebe, und weil der Priester gewappnet sein muss, mit den Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und in der Linken (2 Kor 6,7). Er trägt das Kreuz auf der Brust, wenn er dem Leiden Christi, dessen Diener er ist, im Geist nachfolgt. Daher wird von einigen hinzugefügt: “Stola innocéntiae – Mit a Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 182; Beda Venerabilis, Liber de tabernaculo et vasis eius ac vestibus sacerdotum 3, 7.
2 – Die Weihegrade
der Stola der Unschuld bekleide dich der Herr!” Die Stola betrifft die Ursprünglichkeit, die bezeichnend für Unschuld war. Sie ist deren Stellvertretung wie weiter unten dargelegt wird. Die wir jetzt benutzen, ist die Stola des Gehorsams. Dann bekleidet ihn der Bischof mit der Kasel und sagt: “Áccipe uestem sacerdotalem – Nimm hin das priesterliche Gewand”, unter dem die Nächstenliebe verstanden wird; in seiner Macht kann Gott (ebd. 9,8) in dir die Liebe und das vollkommene Werk vermehren.’ Dies ist das hochzeitliche Gewand; wenn die Priester es nicht haben, werden sie hinausgeworfen in die äußerste Finsternis (Mt 22,13). Danach salbt der Bischof seine beiden Hände mit Chrisam und sagt: “Consecrare – Der Herr möge diese Hände segnen und heiligen durch diese Salbung und unsere Segnung, damit alles, was du segnest, gesegnet werde.’ Die Hände werden gesalbt, damit sie rein zum Opfern der Hostien für die Sünden sind und damit die Priester, die die Befugnis zum Konsekrieren vom konsektrierten Herrn erlangen, die Beispiele Christi, des Gekreuzigten, in Werken der Barmherzigkeit nachahmen. Danach gibt der Bischof ihm die Patene mit Oblaten und den Kelch mit Wein und sagt: “Áccipe potestatem – Nimm hin die Befugnis, das Opfer Gott darzubringen und die Messe zu feiern für die Lebenden und die im Namen des Herrn Verstorbenen.” Stola und Kasel, Öl, Kelch und Patene sowie diese Worte sind die Substanz dieses Sakraments. Das Übrige zuvor und danach gehört zur Feierlichkeit. Sein Amt ist Personen und Sachen zu segnen, die Messe zu feiern, den Leib des Herrn auszuteilen, über das Gesetz Gottes zu meditieren, zu lehren, zu predigen, zu beten, zu taufen, Büßer zu binden oder zu lösen, Kranke zu salben, Tote zu bestatten. Welch große Befugnis, wunderbare Würde, erhabener und erschreckender Dienst! Und sieh: Priester und Diakone werden eigens vom Apostel mit Namen genannt, denn sie sind die Eigentlichen beim Dienst am Altar. “Darum wird nach Ambrosiusa gerade ihre Weihe am Altar vollzogen, und dafür werfen sich der Bischof und die Weihekandidaten vor dem Altar a
Ps. Ambrosius = Ambrosiaster.
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nieder. Obgleich die übrigen nicht am Altar geweiht werden, weil sie keinen Dienst am Altar verrichten, sondern die einen den Dienst des Vorlesens erfüllen, andere Sorge für die Lichter tragen, wieder andere das Nötige in der Diakonie zurichten.”a Alle aber suchen das Antlitz, d. h. die Gegenwart Gottes, damit sie mit den Erstgeborenen Erbrecht erhalten nach dem Vorbild Jakobs, der seinem Bruder das Erstgeburtsrecht streitig machte. 3. Die geistliche Bedeutung der Weihen
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Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach (Joh 12,26). Alle oben beschriebenen Grade hat “Jesus Christus mit Wort und Tat ausgedrückt und bei sich selbst als Vorbild für alle gezeigt. Ostiarier war Er ja, als Er mit einer Geißel aus Stricken die Tische der Wechsler umstieß (Joh 2,15), sie aus dem Tempel hinaustrieb und die Käufer verjagte. Ebenso als Er sich als ‘Tür’ bezeichnete, und zu Recht, denn niemand kommt zum Vater außer durch ihn (Joh 14,6). Er ist ja der Türhüter, der öffnet, sodass niemand mehr schließen kann, der schließt, sodass niemand mehr öffnen kann (Offb 3,7). Lektor war Er, als Er in der Mitte der Alten das Buch des Propheten Jesaja aufschlug und sagte: Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt und mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe (Jes 61,1). Exorzist war Er, als Er die Besessenen befreite, mit Speichel die Ohren des Taubstummen und die Zunge des Stummen berührte und sagte: Effeta, das heißt: Öffne dich! (Mk 7,34). Akolyth zu sein bezeugte Er, als Er sagte: Ich bin das Licht der Welt (Joh 8,12). Des Subdiakons Amt führte er aus, als Er sich mit einem Leinentuch gürtete, den Jüngern die Füße wusch und mit dem Leinentuch abtrocknete (Joh 13,5). a Amalarius Metensis Opera liturgica omnia II: Liber officialis 2, 6, 2; Ambrosiaster Commentarii in epistulas B. Pauli 3, 8–10.
3 – Bedeutung der Weihen
Des Diakons Amt stellte Er dar, als Er Seinen Jüngern im Sakrament seines Leibes und Blutes austeilte, oder als Er die Eingeschlafenen zum Gebet weckte und sagte: Wachet und betet! (Mt 26,41). Das Priesteramt vollzog Er, als Er das Brot in seinen Leib und den Wein in sein Blut verwandelte und als Er sich am Altar des Kreuzes als Priester und Opferlamm zeigte, als Er dann noch herrlicher sein Amt erfüllte, da Er jetzt täglich zur Rechten des Vaters sitzt und für uns eintritt (Röm 8,34).”a Er ist ja König der Könige, Kraft Gottes und Gottes Weisheit (1 Kor 1,21), dessen Herrschaft von Meer zu Meer (Ps 72,8) reicht. Er hat es nicht verschmäht, diese Ämter auszuüben, und verachtete es nicht, als Reicher und Mächtiger darin zu dienen. Für keinen, der auf das Höchste Bischofsamt schielt, sei das Amt eines dieser Grade zu dürftig, sondern er eile schnell, wenn es sich ergibt, nach draußen zu diesen Ämtern; und damit er nicht als verworfen erkannt wird, erfülle er sie moralisch, sodass er als Knecht den anderen einen Dienst leistet. Da es sich um den Tempel Gottes handelt, “öffne sich also der Ostiarier für die Tugenden und für Gott, er verschließe sich den Lastern und dem Teufel, damit der Weg des Lebens nicht versperrt wird und der Tod nicht durch seine Fenster hereinkommt. Jeder ist auch geistlicher Türhüter, wenn er durch seinen Glauben Demütige in die Kirche einführt und Hochmütige tadelt und vertreibt. Der Glaube ist ja das Tor, durch das wir in den Schafstall hineingehen, denn der aus dem Glauben Gerechte wird leben (Röm 1,17). Als Geschenk der Gnade zählte der Apostel auf: einem anderen Glaubenskraft im gleichen Geist geben (1 Kor 12,9). Der Lektor erfülle mit seinen Taten, was er dem Volk zum Einhalten verkündet. Jeder ist auch geistlicher Lektor, wenn er einige im Heil des Lebens belehrt und sie unterrichtet, Turteltauben unter die Achseln zu klemmen (vgl. Lev 5,11). Wenn er anderen predigt, darf er selbst nicht der Strafe der Verworfenheit verfallen. Solchen Dienst tadelt der Apostel bei der Gabe a
Hugo de S. Victore, De sacramentis christianae fidei II 2, 6–12.
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der Weisheit. Daher: Wer bis zu diesem Grad des Lektors oder Predigers gelangt, muss mit Weisheit ausgezeichnet sein. Der Exorzist befiehlt den Dämonen mit herrischen Befehlen, wenn ihn nicht sein Gewissen wegen der Sünde anklagt. Jeder ist auch geistlicher Exorzist, wenn er mit seinen Gebeten andere aus der Gewalt eines Dämonen befreit, aus der Krankheit der Sünden. Diese Gabe verstand der Apostel unter der Gnade des Heilens. So wie der Akolyth die brennenden Leuchter in seinen Händen trägt, so sollen seine Werke vor Gott und den Menschen leuchten. Jeder ist auch geistlicher Akolyth, wenn er anderen das Licht eines guten Werkes verschafft, indem er ihnen mit Wort und Tat das Feuer der Liebe entzündet. Diese Gabe gehört, so glauben wir, zur Prophetie. Es gibt ja zwei Aufgaben der Propheten, und zwar die Zukunft zu verkünden und die dunklen Stellen in der Schrift zu erklären, damit die Zuhörer erleuchtet und zur Liebe zum Herrn entflammt werden. Die Subdiakone sollen, wenn sie die reinen Gefäße empfangen, auch den Manipel und die Buße annehmen, damit sie sich im Dienst rein halten und sich als Gefäße des Herrn erkennen. Jeder ist auch geistlicher Subdiakon, wenn er in Wort und Tat die Schuld der anderen abwäscht. Diese Gabe können wir im Vollzug der Tugenden oder in der Unterscheidung der Geister erfahren. Wenn die Diakone die Stola empfangen, erkennen sie an, dass sie an das Gesetz des Herrn gebunden sind und durch die freie rechte Hand anerkennen, sie seien befreit um den Gläubigen zu dienen. Jeder ist auch geistlicher Diakon, wenn er anderen dient, in Liebe sowie in Wort und Tat andere beten lehrt. Diese Gabe können wir bei der Deutung der Predigten verstehen. Die Priester, deren Hände mit Chrisam geweiht werden, sollen sich von jeder Unreinheit fernhalten, damit sie den Leib des Herrn würdig feiern. Jeder ist auch geistlicher Priester, wenn er das Opfer eines zerknirschten Geistes darbringt, wenn er sich selbst als lebendiges Opfer darbringt,” a das Gott gefällt (Röm 12,1). a
Vgl. Ps.-Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 6.
4 – Die Würden
Jeder kann ein heiliger Priester sein, wie Chrysostomus sagt: Wir glauben, dass wir dies der Gabe der Weisheit zuschreiben müssen. Auf diese Weise lasst uns dem Herrn dienen, so dass wir Ihn erreichen können.
4. Die Würden – Die Bischofsweihe Du bestellst sie zu Fürsten im ganzen Land (Ps 45,17). Aus dem zuvor Gesagten geht klar hervor, dass die Weihen ihren Ursprung und ihre Vorbilder vom Gesetz genommen haben. Auch die Einrichtung der Würden hängt vom Alten Testament ab. Moses setzte ja auf Anraten Jethros Chiliarchen, Hekatonarchen, Pentakonarchen und Dekane ein, die die einfachen Arbeiten erledigten und für Moses die größeren durchführten. Schließlich wurden 70 Männer eingesetzt, die den Geist des Moses annahmen und das Volk führen sollten. Nach deren Muster gibt es Subdekan und Dekan, Subscholaster und Scholaster, Subkantor und Kantor, Thesaurar, Archíkola, Chiliarcha, Primizérius und Ökonom oder “Propst, Archipresbyter und Archidiakon, Vitztum und Chorbischof, Bischof,”a Erzbischof, Primas und Patriarch. Es sagen jedoch einige, dass die Weihen vom mosaischen Gesetz, die Würden ihre Form aus dem Heidentum genommen haben. Daher hat der Papst Ähnlichkeit mit einem Monarchen, der Patriarch mit königlicher Gewalt. Wie also der König über drei Herzögen steht, so der Patriarch über drei Erzbischöfen. Die Erzbischöfe werden mit Herzögen, die Bischöfe mit Grafen verglichen, – daher sind einige Erzbischöfe auch Herzöge und einige Bischöfe Grafen – Chorbischöfe mit Präfekten, Pröpste mit Militärtribunen, Archiprésbyter mit den Zenturionen, Dekane mit den Dekurionen. Doch woher auch immer die Einrichtung stammt, es steht fest, dass über allen die Bischofswürde steht. “Die Würde der Bischöfe wird auf vier verteilt: auf Bischof, Erzbischof, Primas und Patriarch. ‘Bischof’ ist ein allgemeines Wort und heißt eigentlich ‘Aufseher’, ‘epi’ heißt ja ‘auf’, ‘skopin’ ‘sehen’; denn der Wächter im Weinberg des a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 182.
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Herrn Zebaoth, der in der Höhe thront, schaut auf die Sitten und den Lebenswandel der einzelnen. Er heißt auch ‘Wächter’ (speculator), weil er auf dem Wachtturm sitzt und den Feind, also den Teufel, das Fleisch und die Welt, die Ketzer und falschen Brüder beobachtet, wenn sie anstürmen, der die Bürger ermahnt Widerstand zu leisten und darauf dringt sich zu wappnen. Er heißt auch ‘Praesul’, weil er im Rat präsidiert. Er heißt auch ‘Vorsteher’ (antistes), weil er vor den anderen steht und das Volk überragt oder dagegensteht, denn ‘anti’ ‘dagegen’, weil die Bischöfe den Ketzern entgegenstehen, wie Hirten den Wölfen Widerstand leisten und die Schafe verteidigen. Er heißt auch ‘Póntifex’, gleichsam ‘die errichtete Brücke’. Das Leben eines Bischofs muss für das ganze Volk eine Brücke über das Meer der Welt zur Heimat im Paradies sein oder er muss eine Brücke bauen. Er baut ja eine Brücke, wenn er mit der gesunden Lehre über die Sümpfe der Ketzerei zu den Höfen des Lebens führt.”a “Er ist Aaron, der höchste Priester im mosaischen Gesetz.”b Wenn die Bischöfe ordiniert werden, werden sie am Samstag gegen Abend erbeten und befragt über ihre Sitten und den Stand des bisherigen Lebens, wobei ein dreifacher Segen erbeten wird, dass sich die heilige Dreifaltigkeit als bei der Ordination anwesend zeige. Sobald es Morgen ist, wird er befragt über den künftigen Wandel und seinen Glauben. Diese Prüfung stammt aus einer Einrichtung der Urkirche wegen der Verdächtigten im Glauben, in den Sitten und in ihrem Stand. Danach halten zwei Bischöfe das Evangelienbuch auf seinen Schultern, wie wenn sie beten und den zu Ordinierenden ermahnen, künftig dem gewohnten Joch untertan zu sein und dem Evangelium zu gehorchen. Ein dritter Bischof nimmt die Segnung vor. Die Anwesenheit von drei Bischöfen leitet sich von den Aposteln ab, weil Jakobus, der Bruder des Herrn, von Petrus, Jakobus und Johannes als Bischof von Jerusalem eingesetzt wurde, und es ist die Absicht, dass eine solche Belehnung nicht flüchtig erteilt wird. Auf die Aussage von zwei oder drei Zeugen darf eine Sache Recht a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 183. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 184.
4 – Die Würden
bekommen (Deut 19,15; Mt 18,16; 2 Kor 13,1 Vg.). Es sollen solche herbeigerufen werden, die sich über die Entfaltung des zu Ordinierenden freuen können, und für ihn Bittgebete sprechen. Danach salbt der Bischof sein Haupt mit Chrisam in Kreuzesform und sagt: “Ungatur et consecretur – Gesalbt und geweiht sei dein Haupt mit himmlischem Segen im bischöflichen Rang, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.” Bei dieser Salbung wird er als der geistliche Stellvertreter Jesu Christi bezeichnet, der mit unsichtbarem Öl gesalbt wurde, so wie Er das Haupt der gesamten Kirche ist, so ist er Haupt der ihm anvertrauten Kirche. Oder wie Gregor sagt: “Das Öl auf seinem Haupt ist die Liebe in seinem Herzen.”a Und danach salbt der Bischof die Hände in Kreuzesform und sagt: “Ungantur manus – Gesalbt seien diese Hände mit dem heiligen Öl und dem Chrisam der Heiligung, wie Samuel den David zum König und Propheten salbte, so seien sie gesalbt und geheiligt im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.” Danach kräftigt er den Daumen, dann übergibt er den Stab, den Ring, das Evangeliar, dass “die Aufdrückung des Daumens allen zum Heil gereiche”.b Im Stab möge er die ihm übertragene Vollmacht zu binden und zu lösen erkennen. Im Ring stärke er sich in der Lauterkeit des Glaubens. Mit dem Hirtenstab der Lehre führe er die Herde auf die Weide. Mit dem Ring des Glaubens vermittle er der Braut die Geheimnisse der Heiligen Schrift. Im Evangelium verstehe er sich als Apostel. Übergeben werden aber die einzelnen Sachen mit passenden Worten. Daher ist die Salbung des Hauptes und der Hände, die Kräftigung des Daumens, die Übergabe des Hirtenstabes und des Ringes und deren jeweilige Worte, wie ich glaube, Substanz dieses Sakraments, das übrige gehört zur Feierlichkeit. Die Salbung mit Chrisam stammt vom mosaischen Gesetz, wo auf Gebot des Herrn die Priester und Propheten gesalbt waren, wie wir lesen. Es heißt ja in Levitikus über den Bischof: Auf sein Haupt wurde Salböl gegossen, und seine Hände sind im Priestera b
Gregorius Magnus, Moralia in Iob 2, 52, 82. Pontificale Romanum, Gebet Deus et Pater.
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tum geweiht (Lev 21,10). Das Handauflegen stammt von Isaak, der, als er Jakob segnete, ihm die Hand auflegte, und Moses legte dem Josua die Hand auf, als er ihn zum Führer über das Volk setzte. Doch auch der Herr legte den Aposteln die Hand auf, als er sie zu Fürsten der Welt einsetzte. Aber auch die Apostel selbst spendeten durch Handauflegen den Heiligen Geist. Die Weihen der Bischöfe müssen an Sonntagen und zur 3. Stunde [um 9 Uhr] feierlich durchgeführt werden. Zu dieser Stunde wurden ja die Apostel vom Heiligen Geist mit unsichtbarem Öl geweiht. Das Öl erleuchtet und heilt Wunden. So stattete der Heilige Geist die Apostel mit Weisheit aus und tilgte ihre Sünden. Deshalb werden die Bischöfe an diesem Tag und zu dieser Stunde gesalbt, damit sie erfahren, dass sie den Heiligen Geist empfangen, der den Aposteln gegeben wurde. Welche Konsekrationsmesse genommen wird, ergibt sich aus dem Ordo Pontificalis. Wie deren Offizium offensichtlich zur Weihe passt, möge der aufmerksame Beobachter beachten. Bischöfliches Amt ist es, die Priester und anderen Kirchendiener zu weihen, den Jungfrauen den Schleier zu geben, die Getauften zu firmen, Chrisam und Öl zu weihen, die Kirchen einzuweihen, die Widerspenstigen zu exkommunizieren, die Reumütigen wiederaufzunehmen, Gewänder und Geräte zu segnen. Und beachte: “Einst wurden die Bischöfe auch als Priester (présbyter) bezeichnet, wie aus vielen Quellen hervorgeht. Doch die Bezeichnung des Lebensalters ist etwas anderes als die des Amtes.”a Aber später wurde, wie der Archidíakon von den Diakonen und der Kaiser vom Heer gewählt wird, so auch ein Oberer von den Priestern ausgesondert; und so wurden die Bezeichnungen getrennt, so wie es einen Bürgermeister in den einzelnen Städten gibt, so wird auch der Stellvertreter Christi ‘Bischof’ genannt. Es wird aber auch ein Oberster über die anderen Priester gewählt, dem alle Sorge für die Kirche zustehen soll, damit inmitten der Spaltungen die Saat geschont wird und keiner sagt: Ich halte zu Paulus – ich zu Apollos (1 Kor 1,12). “Ihm gehören genannte Äma
Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 7, 12, 21.
4 – Die Würden
ter eher aus Gewohnheit, wie Hieronymus sagt, denn nach einer Anordnung des wahren Herrn.”a “‘Erzbischof’ heißt ‘Erster Bischof’, dasselbe ist ‘Metropolit’ oder, Metropolitan’, nach der ‘Metropole’, der Mutter der Städte. Dies ist Moses, der den Aaron mit Öl zum Bischof geweiht hat.”b Es gibt einige Orte, die sich mit der Bezeichnung ‘primatial’ schmücken nach den Ursprungsorten der Bekehrung zum Glauben. Von denen beanspruchen einige, weil sich Primas und Patriarch nur im Titel, nicht im Amt unterscheiden, für sich den Titel ‘Patriarchos’ wie der von Venedig. ‘Patriarcha’ heißt ja ‘Vater der Arche’, d. h. der Kirche, oder ‘Erster der Väter’. Es gibt deren drei nach den drei Teilen des Erdkreises. Einer in Asien, der in Antiochien sein Bischofsamt hatte. Ein anderer in Afrika, der in Alexandria das Höchste Bischofsamt besitzt. Der dritte in Europa, der in Rom das Höchste Bischofsamt besitzt. Diese wurden von Abraham, Isaak und Jakob vorgebildet. Diese Würden wurden anderswohin übertragen aus Vorliebe oder Hass, wie der Patriarchat von Antiochien nach Jerusalem, der von Alexandrien wurde nach Aquileja übertragen. Gewiss haben Petrus in Antiochien und Markus in Alexandrien gepredigt, weil jedoch beide Orte zum Gespei des Unglaubens zurückgekehrt sind, wurde ihnen die patriarchale Würde genommen. Jerusalem aber wurde ausgezeichnet, denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, von Jerusalem sein Wort (Jes 2,3). Auch Aquileja wird geehrt, weil Markus zunächst Aquileja, danach Alexandria leitete. Hinsichtlich des Patriarchats von Rom gefiel es den Alten, so wie Augustus vor den Königen angesehen wird, so sollte der Papst mit dem besonderen Namen vor den übrigen Bischöfen genannt werden und Recht und Namen des Patriarchats nach Konstantinopel übertragen werden. Den Erzbischöfen, Primaten und Patriarchen werden außer der oben genannten feierlichen Bischofsweihe die vor ihnen herzutragenden Insignien des Kreuzes gewährt, damit sie erkennen, dass sie den Gekreuzigten nachahmen müssen. Auch die Insignie des Palliums wird ihnen a b
Hieronymus, Commentarii in epistolam ad Titum 1, 5. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 186.
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verliehen, sodass sie mit der Halskette des Sieges gekrönt werden. Das Pallium wird weiter unten erläutert werden.a Aufgabe der Erzbischöfe ist es, die Bischöfe zu weihen, die der Patriarchen die Erzbischöfe, beider Aufgabe ist es, Konzilien zu versammeln und verschwundene Rechte wiederherzustellen. “Der Papst aber heißt Vater der Väter; er heißt auch Allgemeiner Vater, weil er über die allgemeine Kirche herrscht. Er heißt auch ‘Apostólicus’, weil er anstelle des Fürsten der Apostel waltet. Er heißt auch ‘Oberster Bischof’ (summus Póntifex), weil er das Haupt aller Bischöfe ist,”b von dem wie von einem Haupt die Glieder abhängen. Von seiner Fülle empfangen alle. Er ruft sie zur Teilhabe an seiner Hirtensorge, nicht zur Fülle der Macht. Er ist Melchisedek, dessen Priestertum nicht mit den anderen gleichgestellt wurde. “Wenn der Papst geweiht wird, ändert er seinen Namen, weil der Herr dem Petrus zur Führung der Kirche den Namen änderte,”c und Paulus wurde aus dem Saulus zum Paulus. Ihm, dem Papst, werden sieben Leuchter vorangetragen, gleichsam die Gaben des Heiligen Geistes. “Ihm werden die Schlüssel übergeben, weil Christus dem Petrus die Schlüssel des Himmelreiches übergeben hat, damit er sich als Türwächter des Himmels verstehe.”d Ein roter Mantel wird ihm zuteil, durch den die Liebe und das Martyrium bezeichnet werden, wozu er stets für die Schafe bereit sein muss. Seine Aufgabe ist es, die Messe und die anderen Offizien zu ordnen, kirchliche Rechtssätze aufzustellen, den Kaiser zu weihen, die Pallien für die Patriarchen und Erzbischöfe, die Privilegien für alle Ordensleute zu geben, ja, die ganze Kirche zu regieren. Äbte werden auf folgende Weise gesegnet: Zuerst wird er vom Konvent gewählt, vom Bischof bestätigt und auf dem Ambo mit Zustimmung aller verkündet. Zweitens: Während sich Bischof und Erwählter vor dem Altar niederstrecken, werden Litanei und das Gebet des Herrn vorgetragen. Drittens erhebt sich der Bischof allein und spricht über dem Erwählten die Bitten Vgl. S. 178. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 188. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 188. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 188. a
b
5 – Die Paramente
und Gebete, die dafür vorgesehen sind. Dann übergibt er ihm die Regel und sagt: “Áccipe régulam –Nimm hin die Regel, die uns von den heiligen Vätern überliefert wurde.” Danach gibt er ihm den Stab und sagt: “Áccipe báculum – Nimm hin den Stab des Hirtenamtes, damit du beim Zurechtweisen sanft grimmig bist, und wenn du zornig bist, sei des Erbarmens eingedenk.” Ebenso beim Segnen der Äbtissin, falls über sie keine besondere Segensformel vorliegt. Jungfrauen aber dürfen nur an den Tagen von Erscheinung des Herrn, Weißem Sonntag oder an den Tagen der Apostel den Schleier erhalten, es sei denn sie würden von schwerer Krankheit abgehalten. Dies ist so, damit der Heilige Geist auf sie wie einfältige Tauben herabzusteigen scheint. Da die Apostel den Brauch der Jungfräulichkeit als Erste in der Kirche eingeführt haben, “sollen sie gleichsam als Brautführer des Herrn geweiht werden”a und gleichsam nach dem Leben der Apostel und dem Wandel der Engel duften. Auch der Kaiser wird geweiht, oder besser: er wird gesalbt und gekrönt, was von David genommen ist, den Samuel zum König salbte. Geweiht wird er auf folgende Weise: Erstens leistet er der hl. Römischen Kirche gegenüber den Treueeid. Zweitens werden Gebete über ihn gesprochen. Drittens salbt ihn der Bischof von Porto am rechten Arm und unter den Achseln und spricht Gebete. Viertens setzt ihm der höchste Bischof die Krone auf und spricht dabei: “Áccipe signum glóriae – Nimm hin das Zeichen der Herrlichkeit im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.”b Sein Amt ist es die Kirche Christi zu schützen, Gesetze zu erlassen, Gerechtigkeit zu wahren, damit er die ewige Fülle erlangt. 5. Die Paramente Du sollst für Aaron und seine Söhne heilige Gewänder anfertigen (Ex 28,4). Nun ist über die heiligen Gewänder und die Insignien der zuvor genannten Würden ausführlicher zu sprechen. Die a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 192. Ordines coronationis imperialis I, XIV.
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heiligen Gewänder scheinen vom Alten Bund genommen zu sein. Der Herr hat ja dem Moses geboten, er solle dem Aaron und seinen Söhnen heilige Gewänder zu Ruhm und Zierde machen. Einige aber werden von den Aposteln genommen. Doch sowohl diese wie jene symbolisieren die Tugenden, die Werke der Gerechtigkeit oder das Geheimnis der Menschwerdung des Herrn. Da aber alle Gewänder, die die übrigen Kirchendiener anziehen, auch die Bischöfe tragen, doch nicht umgekehrt, wollen wir zunächst über die Gewänder der Bischöfe sprechen, auf dass in den allgemeinen die spezifischen Sachen enthalten sind. Also bezeichnen die rein seidenen Schuhe die Reinheit und das Gewaschensein der Füße. Über sie sagt der Herr: Wer vom Bad kommt, ist ganz rein und braucht sich nur noch die Füße zu waschen (Joh 13,10). Weil jedoch die Reinheit des Herzens nicht ausreicht, wenn sie auch vorteilhaft ist ohne das Leiden der Verfolgung, deswegen folgen die roten Filzpantoffeln als Zeichen des Martyriums. Wer aber im Herzen die Reinheit hat und wenn nötig im Willen die Geduld, darf sicher wie zur Predigt der Apostel gehen, die von den Sandalen symbolisiert wird. “Sandalen haben ihren Namen vom Rotkraut oder von der roten Mennigefarbe, mit denen sie gefärbt sind. Es handelt sich dabei um eine Schuhart, bei der der Fuß teilweise, nämlich unten bedeckt wird, weiter oben teilweise nackt bleibt, hergestellt aus Tierfell-Leder.”a Innen weiß, außen schwarz oder rot, aus vielen Fäden und Leinenstreifen zusammengesetzt, mit Edelsteinen geschmückt, hatte vier Laschen oder zumindest zwei, eine auf dem Fuß, die andere an der Ferse. Die Fußbekleidung hatte ihren Ursprung nicht von Aaron, der sich ja nur in Judäa aufhielt, deshalb hatte er sie nicht nötig, sondern von den Aposteln, denen gesagt war: Geht zu allen Völkern und unterrichtet sie (Mt 28,19). Diese benutzten also eine Art Schuhe, die auch die Bischöfe benutzen sollen, nicht aber die Priester, damit durch die Verschiedenheit der Sandalen auch die Verschiedenheit der Diener deutlich wird. Aufgabe der Bischöfe ist es, durch die Pfarreien zu ziehen, um das Volk zu a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 209–210.
5 – Die Paramente
leiten. Deshalb tragen sie Sandalen, die an den Unterschenkeln festgebunden werden, damit sie nicht wegrutschen. Daraus kann geschlossen werden, wie notwendig es für Bischöfe ist, die Schritte des Geistes zu stärken. Aufgabe der Priester ist es, daheim die Hostien zu opfern, und deshalb tragen sie um sicher zu gehen keine Schnürsenkel am Bein. Der Diakon hat sie, denn seine Aufgabe ist es, zur Versammlung zu gehen. Mystisch ist die Predigt der Apostel, mit der dem Buchstaben nach den fleischlich eingestellten Menschen etwas zugedeckt wird, und allegorisch den Himmlisches Erbittenden entblößt oder teils entblößt, teils zugedeckt, denn der Prediger darf Himmlisches nicht verbergen und keineswegs nach Irdischem lechzen. Er trägt die Beispiele der vorangegangenen Heiligen vor, deren Gewissen oder Leben vor Gott in der Reinheit weiß war, vor den Menschen schwarz, d. h. aus Demut niedrig, oder rot, d. h. vor Liebe entflammt. Viele Fäden, viele Sätze sind drei Schnüre: Gesetz, Prophezeiung und Evangelium. Die Seiten sind Sinnbild des Gesetzes und der Prophezeiung, die Mitte aber Sinnbild des Evangeliums. Zwei Schnüre werden in der Mitte verflochten, denn Gesetz und Prophetentum werden im Evangelium wiederaufgenommen. Die Edelsteine sind die Werke der Tugenden. Vier Schnüre sind die Lehre der vier Evangelien oder die beiden Lehren der beiden Testamente, die uns lehren, vom Irdischen sich zu erheben und nicht nach ihm zu lechzen, sondern uns auf das Himmlische auszurichten. Oder: Die vom Leder getrennten Laschen sind die Zungen der Menschen, die den Predigern gute Zeugnisse ausstellen, obwohl sie vom Leben der Geistlichen getrennt sind. Sie müssen ja auch bei den Außenstehenden einen guten Ruf haben (1 Tim 3,7). Der Schnürsenkel ist das Geheimnis der Menschwerdung, die Vermehrung der Schnürsenkel ist Zusatzspende der Predigt. Dass sie nur zum Teil gelöst werden, bedeutet, dass wir es nicht wert sind, d. h. nicht ausreichen, die Schuhe Christi aufzuschnüren (Lk 3,16; Joh 1,27). Dass sie aber an einer Stelle geschlossen sind, an anderer durchlöchert, bedeutet, dass die himmlischen Sakramente einigen offenbart werden, anderen aber verborgen bleiben.
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“Das Schultertuch (humerale), das ‘ephot’ genannt wurde, in dem die zwei Steine die Namen der zwölf Patriarchen enthielten, heißt bei uns ‘Amikt’. Es ist ein weißer Stoff, der das Haupt, den Hals und die Schultern bedeckt, dessen beide Leinenbänder über der Brust verknüpft werden, sodass nur ein Band sichtbar ist, das andere verborgen bleibt. Dieses ist die Hoffnung auf Himmlisches, für die wir die Sauberkeit des Geistes, die Keuschheit des Wortes und der Arbeit dem Herrn weihen. Das Haupt ist ja die Werkstatt des Geistes, der Hals das Werkzeug der Stimme, die Schultern Träger der Bürde. Wir verhüllen also das Haupt mit dem reinen Amikt, da wir aus Hoffnung auf den Himmel Gott die Reinheit des Geistes darbieten. Den Hals gürten wir, wenn wir aus Hoffnung auf den Himmel dem Mund einen Zaum anlegen (Ps 39,2) nur das Lob des Herrn zu singen. Die Schultern bedecken wir, wenn wir aus Hoffnung auf den Himmel einer des anderen Last tragen (vgl. Gal 6,2), die Mühen des aktiven Lebens auf uns nehmen und den Nächsten in seinen Nöten unterstützen. Die beiden Bänder des Humerale sind Liebe und Glaube sowie Wirken. Wenn sie auf der Brust verknüpft werden, werden Glaube und Liebe im Herzen verborgen, das Wirken aber ist offenkundig bei dem Leisten der Arbeit. Die beiden Binden oder Bänder sind die Furcht vor Strafe und das Verlangen nach Leben,”a das die verschrobenen Gedanken aus der Brust des Priesters zugunsten der Hoffnung auf die Seligkeit fernhält. Allgemein nehmen wir durch das Schultertuch die priesterliche Last auf uns, durch die wir im Herzen gehalten sind, Mitleid zu haben mit den Nächsten, im Verstand vorzusorgen und auf den Schultern Lasten zu tragen. Oder der Amikt bietet das Vorbild des Superhumerale und des Rationale, und durch das Schultertuch gelangt man zur Gerechtigkeit, durch das Rationale zur Erkenntnis. Deshalb bedeckt es die Brust und die Schultern. Oder unter dem Amikt verstehe man die Zucht der Stimme, er berührt ja den Hals als Organ der Stimme, und den Druck der Gedanken, er gürtet ja die Brust und verhüllt die Blicke der Augen. a
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 201.
5 – Die Paramente
“Die Albe, die im mosaischen Gesetz Tunika oder Talar und bei den Griechen Podéris heißt, ist ein weißes Gewand, das bis auf die Knöchel reicht. Es hat einen Kopfdurchlass mit einer Schließe, wird in der Körpermitte verengt und wallt mit vielen Falten hernieder. Sie ist die Reinheit der Keuschheit, die Inzuchtnahme des Leibes, mit der das ganze Leben des Priesters zielgerichtet und beharrlich geschmückt sein soll,”a damit sie die Diener des ewigen Königs, also die Engel, in den weißen Gewändern nachahmt. “Das Kapítium ist das Bekenntnis zur Keuschheit. Die Schließe ist die Kraft der priesterlichen Stimme, die die Widerspenstigen bindet und die Reumütigen in der Lossprechung wiederversöhnt. Diese Liebe inmitten eines verdorbenen und verwirrten Volkes (Phil 2,15) wird durch die Bedrängnisse der Welt in die Enge getrieben, doch in der Liebe mit vielfältigen Tugenden ausgebreitet.”b Sie schränkt die Hände und Arme ein, dass sie nichts Unnützes tun; die Brust, dass sie nichts Törichtes denkt; den Bauch, dass er nicht nach Leckerbissen verlangt; die Scham, dass sie nicht unzüchtig wird; die Knie, dass sie nicht von der Eindringlichkeit des Gebets weich werden; die Schienbeine und Füße, dass sie nicht zum Bösen rennen. Dieses Gewand war einst kurz, denn sie hatten den Geist der Knechtschaft, jetzt aber ist es lang, weil wir den Geist der Kindschaft und Freiheit (Röm 8,15) empfangen haben. “Das Zingulum, das im mosaischen Gesetz und bei den Griechen ‘bálteum’ heißt, mit dem die Hüfte gegürtet und die Albe zusammengehalten wird, damit sie nicht herunterhängt und den Schritt behindert, ist die Hüterin des Verstandes, die Furcht des Herrn oder die Keuschheit, die die Begehrlichkeit des Fleisches zügelt. Es wird um die Hüfte gegürtet, weil sie bei der Wollust gebietet. Daher: Lasst eure Lenden umgürtet sein (Lk 12,35 Vg.). Und vom Teufel wird gesagt: Sieh doch die Kraft in seinen Lenden (Ijob 40,16). ‘Die Lenden gürten’ bedeutet also das wollüstige Verlangen zu zügeln. Sie hält die Keuschheit fest, dass sie nicht a b
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 202. Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 202.
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vom Wege abkommt und die Schritte der guten Werke nicht behindert werden.”a “Das Subzingulum, das auch, perizóma’ oder, succinctórium’ genannt wird und das zu beiden Seiten vom Gürtel herabhängt, symbolisiert Gebet und Fasten, durch die die Keuschheit gestärkt und ohne die sie schwerlich bewahrt wird. Oder durch das Subzingulum erhalten wir den Eifer für das Erbarmen. Deshalb ist es doppelt gefaltet, weil es zu beidem passt: einerseits sich der eigenen Seele erbarmen, andererseits den Nächsten das Nötige barmherzig zuteilen.”b “Die Stola war einst ein weißes Gewand, das bis auf die Füße hinabreichte; dieses benutzten die Patriarchen vor dem mosai schen Gesetz. Die Erstgeborenen trugen es, wenn sie den Segen des Vaters erhielten, sie kleideten sich so und boten dem Herrn ihre Opfertiere wie Hohepriester an. Doch nachdem man anfing, weiße Gewänder zu tragen, wurde sie zu einem schmalen Stoffstreifen, der ‘stola’ oder ‘orárium’ genannt wird. Unter der ‘ersten Stola’c verstehen wir die Unschuld, die im ersten Menschen steckte, doch als er sie wegen der Sünde verlor, musste er sie durch das Mastkalb wiedergewinnen. Selig, wer diese Stola vom Schandfleck der Untaten bewahrt oder die befleckte mit Tränen sauber wäscht, denn dessen Macht wird im Holz des Kreuzes, also in Christus bestehen, durch den er die verlorene Herrlichkeit erlangen wird.”d Aber noch bleibt, dass wir durch den Gehorsam auferstehen werden, die wir durch den Ungehorsam gefallen sind. Mit Recht unterziehen wir uns zum Erlangen des Gewandes der Unschuld dem Joch des Gehorsams. “Denn durch die Stola, die wir jetzt gebrauchen, empfangen wir den Gehorsam des Evangeliums.”e “Das Evangelium ist ja das süße Joch des Herrn und Seine leichte Last. Dazu sagt der Herr: Nehmt mein Joch auf euch (Mt 11,29). Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 203. Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 206. c Zu dieser übertragenen Bedeutung von Stola vgl. S. 324 Anm. a. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 205. e Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 20. a
b
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Die Riemenstola ist der Gehorsam.”a Wenn also der Prediger den Nacken unter die Stola beugt, zeigt er, dass er geduldig dem Joch des Evangeliums gehorcht. Daher wird sie von der linken Schulter auf die rechte gezogen, denn man geht durch den Gehorsam von der Aktion zur Kontemplation über. Die Stola heißt auch ‘orarium’, weil es den Priestern zwar erlaubt ist, ohne andere priesterliche Gewänder, nicht jedoch ohne Orarium zu taufen, Bußen aufzuerlegen und Ähnliches zu verrichten, wenn nicht höchste Not dazu zwingt. Sie reicht bis auf die Knie, die gebeugt werden, damit sich dadurch unsere Demut zeige. Einige verstehen unter der Stola das Ertragen von Unglück und Glück, und unter ihrer Länge die Beharrlichkeit. Dass aber die Stola mit einem Band zusammengehalten wird, besagt, dass die Tugenden mit den Tugenden vereint werden. “Die Tunika im Alten Testament war nur von violetter Farbe,”b sie hatte oben ein gewebtes Kapítium, im Kreis bis zu den Füßen, gleichsam ein “Granatapfel mit Glöckchen dazwischen”.c “Diese hieß, wie Hieronymus sagt, ‘subúcula’, sie gehörte nur dem Hohenpriester und wurde darunter getragen.”d “Durch sie wird das himmlische Gespräch der Vollkommenen verstanden, denn der Himmel hat hyazinthene Farbe. Mit dieser Tunika war der Apostel bekleidet, als er sagte: Unsere Heimat ist im Himmel (Phil 3,20).”e “Oder wie ein Stein dieser Farbe seine Farbe ändert entsprechend der Luftqualität – die ist ja heiter im Heiteren und blass im Nebel – so ist es für den Bischof angemessen, sich mit den Fröhlichen zu freuen und mit den Weinenden zu weinen (Röm 12,15).”f Was eine andere Farbe hat, hat auch eine andere Bedeutung. Das Gewebe, also das gut gestärkte Kapítium, ist der Beginn des himmlischen Gesprächs, das mit der Wurzel der Gottesfurcht gestützt ist oder das beständige Vertrauen des Predigers Himmlisches zu predigen. Dieses Gewand bis zu den Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 204. Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 23. c Vgl. Ps. Hugo de S. Victore, Miscellanea 203. d Vgl. Hieronymus, Epistolae 64, 20. e Vgl. Bruno Astensis episcopus Signiensis, Tractatus de sacramentis ecclesiae 3. f Vgl. Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 6. a
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üßen herunterfallen zu lassen, bedeutet bis zum Lebensende F sich mit guten Werken abzumühen. Unter dem Granatapfel verstehe man das Leben des Priesters, der die Keuschheit und Bereitwilligkeit zum Martyrium mit einer Schutzmauer der Liebe verteidigt. Durch die Fransen wird die Lehre sinnfällig gemacht. Denn gegen sich ruft er den Zorn des verborgenen Richters hervor, wenn er ohne die Lehre der Predigt auftritt. Die Vollkommenheit des priesterlichen Lebenswandels ist in den Werken und der Lehre der Wahrheit beschlossen, entsprechend dem Wort: Jesus fing an zu tun und zu lehren (Apg 1,1). “Die Dalmatik ist ein nach der Provinz Dalmatien benanntes Gewand, wo es zuerst erfunden wurde. Man glaubt, dass sie von der nahtlosen Tunika des Herrn und dem Kollóbium der Apostel umgewandelt wurde. Das Kollobium ist ein Gewand ohne Ärmel, wie wir es an den Mönchskutten sehen. Doch der selige Silvestera veränderte das Kollobium zur Dalmatik. Er fügte weite Ärmel hinzu und verordnete, sie sei im Gottesdienst zu tragen. Sie hat also die Form eines Kreuzes und hat zwei Streifenbesätze vorne und hinten, scharlach- oder purpurfarben”b mit 15 Fransen, die auf der hinteren Seite in doppeltem Besatz herunterhängen, also vorne und hinten verteilt. Der linke Ärmel hat Fransen, der rechte nicht. “Darunter wird der reine und makellose Gottesdienst (Jak 1,27) verstanden, der Sache des Bischofs ist.”c Die beiden Ärmel sind die Flügel als Schutz. “So wie ja die Weisheit Gottes die Küken der Kirche unter die Flügel der Gnade und Barmherzigkeit sammelt, so muss der Bischof die Gläubigen unter die Flügel des Alten und Neuen Testaments beim Predigen sammeln, durch Beispiele sich über sie ausbreiten und vor den Raubvögeln, d. h. den Dämonen, mit Gebeten verteidigen und schützen.”d “Die Weite der Ärmel ist die Heiterkeit des Bischofs als Spender.”e Unter seinen Flügeln sind sie hinter einem Spundloch verborgen, um den Spuren dessen nachzugehen, Papst Silvester I. (314–335). Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 211. c Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 212. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 211. e Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 212. a
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dessen Seite von der Lanze durchbohrt wurde. Zur Messe und zur Verkündigung des Evangeliums ist sie zu tragen, wo Christus vorgestellt und verkündet wird, denn Er trägt die Form des Kreuzes (vgl. Phil 2,8). Die Form des Kreuzes hat sie, weil Christus das Holz des Kreuzes getragen hat, und weil sich der Bischof mit Lastern und Begierden kreuzigen lassen muss. “Die scharlachroten Besätze vorn und hinten sind die Liebe zu Gott und die Nächstenliebe, die in beiden Testamenten geboten sind. Die purpurfarbenen Besätze sind der Glaube, dass das Blut Christi bei beiden Völkern notwendig ist. Die Fransen sind die Gebote oder die Wirkung und Übung der Liebe, oder Worte und Werke der Predigt. Daher die 15 vorne und hinten, denn 15 Psalmen im Alten Testament gehen gleichsam als 15 Stufen auf dem Weg der Caritas, und 15 Zweige wachsen entsprechend im Neuen Testament aus dem Baum der Caritas. Beispiel: Die Liebe ist langmütig, ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf (1 Kor 13,4–8).”a “Einige Dalmatiken haben 28 Fransen vorne und ebenso viele hinten, womit der siebenförmige Geist achtmal wiedergegeben wird, der die acht Arten derer, die Gott loben, erfüllt, also die Könige der Erde und alle Völker, die Fürsten und alle Richter, die jungen Männer und Mädchen, die Alten und die Jungen (Ps 148,11–12).”b Der Besatz in der Mitte ist der Marterpfahl der Liebe. Auch hat die linke Seite Fransen, weil das aktive Leben unruhig ist und gegen Vieles in Aufregung versetzt wird. Die rechte Seite aber hat keine Fransen, denn das kontemplative Leben hat den besten Teil erwählt (Lk 10,42), also die Sicherheit dieses Lebens und die Ruhe der Kontemplation. Mit all dem muss das Leben des Bischofs eingelöst werden. Auch wird das gegenwärtige Leben, das zur Linken gedacht wird, durch viele Hürden behindert. Das künftige, das zur Rechten a b
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 212. Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis 2, 21, 6.
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verstanden wird, wird durch keine Sorgen behindert. Öfter ist die Dalmatik weiß, doch bunt in verschiedenen Farben gewebt wegen der Reinheit und Mannigfaltigkeit der Tugenden und ist mit einer Goldborte geschmückt, entsprechend dem Wort: Die Königin steht dir zur Rechten in goldenem Gewand, mit Buntheit umgeben (Ps 45,10 Vg.). Oder wir verstehen unter der Dalmatik die verborgene Vernunft der ‘Höhe’. Darum ist sie am Hals geschlossen, damit die Brust bedeckt ist, weil die Erkenntnis der erhabenen Geheimnisse dem Fleischlichen verborgen ist. Diese beiden Tuniken, also Tunika und Dalmatik, werden nicht gegürtet, denn es stehen die nicht unter dem Gesetz, die durch den Geist Gottes geführt werden. “Die Kasel, die gewissermaßen ein ‘kleines Haus’ (casa) genannt wird, heißt auch ‘planeta’ nach ‘planum’, d. h. ‘Irrtum’, denn der umherschwirrende Saum hebt sich über die Arme. Und sieh: Weil das Gewand auf der Brust und auf den Schultern mit den Falten verdoppelt ist und bei den Armen dreifach, wird es über den anderen Gewändern getragen und entsprechend der Zeit in der Farbe geändert. Sie ist die Mutter Caritas und das Haus der Tugenden. So wie der ganze Mensch im Haus gesucht wird, so umfasst die Caritas den ganzen Leib der Tugenden, denn die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes (Röm 13,10). Auf der Brust wird sie in den Falten verdoppelt, denn durch die Liebe wird der gute Wille und eine heilige Absicht erzeugt. An den Schultern wird sie in Falten verdoppelt, weil das Widrige hierdurch unterstützt wird von den Nächsten und von den Feinden. Oder die Verdopplung mit Falten bedeutet, dass wir Liebe im Herzen und beim Arbeiten haben müssen, drinnen und draußen. Auf den Armen wird die Kasel erleichtert, da die Caritas die guten Werke bewirkt, und zwar zur Rechten, da wir Gutes tun den Glaubensgenossen (Gal 6,10 Vg.). Zur Linken, wenn dies auch auf die Feinde erweitert wird. Dreifach liegt sie also zur Rechten, da wir den Gläubigen, Mönchen, Klerikern, Laien oder besonders Noah, Hiob und Daniel, d. h. den Führern, den Verheirateten und Enthaltsamen zu Hilfe kommen. Dreifach zur Linken, wenn wir den Ungläubigen, d. h. den schlechten Christen, Juden und Heiden oder
5 – Die Paramente
Tagelöhnern, den Ehebrechern und den törichten Jungfrauen das Nötige zuwenden.”a Über den anderen Gewändern wird sie getragen, weil sie sich als hervorragender als die übrigen Tugenden erweist. Daher sagt der Apostel: Ich zeige euch jetzt einen anderen Weg, einen, der alles übersteigt (1 Kor 12,31b), denn die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes (Röm 13,10). An diesen Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten (Mt 22,40). Bei der Farbe wird nach der Art der Zeit gewechselt, wie: Weiß brauchen wir zu Ostern, denn die Engel erschienen in weißen Gewändern; rot zu Pfingsten, denn der Heilige Geist erschien den Aposteln in Feuerzungen. Diesem Gewand wird oben das Schultertuch (humerale) hinzugefügt, weil die Hoffnung wie eine Mutter die Caritas umarmt. Der Priester darf während seines Dienstes die Kasel nicht ablegen, denn nach dem Gebot des Herrn ist es ihm nicht erlaubt, das Heilige zu verlassen. Oder: Durch die Kasel empfangen wir das kontemplative Leben; wenn wir das ablegen, dann deuten wir an, dass es bisweilen für die Brüder notwendig ist, den Belangen des irdischen Lebens nachzugeben. “Das Rationale ist ein Gewand, das aus dem Alten Testament stammt: Aus Gold, violettem und roten Purpur und gezwirntem Byssus, sie soll zusammengefaltet und quadratisch sein, darin waren, in der Größe einer Spanne lang und breit, zwölf Steine eingewebt, auf denen die Namen der Söhne Israels eingraviert waren (vgl. Ex 28,15–21). Die Wahrheit und die Lehre waren eingraviert, dies alles trug der Hohepriester auf der Brust. Heute zieht man Gold und Edelsteine auf der Brust des Bischofs vor, angebracht auf der Planeta.”b Dieses Gewand bezeichnet den Verstand oder das Unterscheidungsvermögen. Deshalb hieß es ‘Rationale des Urteils’, weil der Leiter in genauer Untersuchung gut und schlecht unterscheiden muss, zu leuchten mit dem Gold der Weisheit, dem Scharlach der himmlischen Hoffnung, dem Leinen der leiblichen Sauberkeit. Doppelt ist sie, damit seine Prüfung Gott gefällt und der Mensch sie nicht verachtet. Quadratisch, damit es in den vier Tugenden geschmückt erscheint a Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 207. Zur Junktur “Noah, Hiob und Daniel” vgl. Ez 14,14.20 als Prototypen der Gerechtigkeit. b Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 213.
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und zu Dem hin gerichtet ist, “der den Himmel mit der Hand ausmisst”a und alles nach Gewicht, Zahl und Ausmaß verteilt. In der Heiligkeit begleite er die zwölf Apostel, auch den Glauben der Patriarchen und ahme die Werke der Einfachheit nach. In der Wahrheit und Lehre soll er strahlen. Mit den Edelsteinen der Tugenden soll er geehrt werden. Im Opfer sei er des ganzen Volkes eingedenk. Das Fanon, das auch Schweißtuch oder Mápula gleichsam ‘Manipel’ heißt, wird nicht von Aaron hergeleitet, sondern von den alten Vätern der Urkirche, die, wie man “im Martyrologium Bedas vom Vater Arsenius liest, der immer ein Schweißtuch in der Gewandfalte oder in der Hand trug, um die Flut der Tränen abzuwischen.”b Mit dem Schweißtuch wischen wir ja den Schweiß und den Schleim von Augen, Nasen und den Speichel ab. “Deshalb denken wir beim Schweißtuch an die Buße, mit der die Flecken der täglichen Verfehlungen”c oder der Ekel über das Leben in der Welt weggewischt wird. Darüber: Meine Seele verschmachtet vor Ekel (Ps 119,28 Vg.). Es ekelt sich die Seele der Sünder vor dem Gewissen und der Schwäche des Leibes. Womit wir die Stirn des Gewissens bedecken, womit wir uns aufzubrechen sehnen, wie der Apostel sagt: Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten? (Röm 7,24) Daher heißt das Sudarium nach dem Schweiß, den wir abwischen, der aus der Mühsal körperlicher Arbeit entsteht. Darum liest man beim Haupt des Herrn Jesus Christus über das Schweißtuch (vgl. Joh 20,7). Also wird auch mit dem linken Arm gewischt, weil wir in dieser Welt solchen Ekel empfinden und unsere Sünden infolge der Buße gereinigt werden. Oder: Wir verstehen unter dem Manipel den künftigen Lohn für unser Wirken. Darum trägt man in einigen Klöstern, sooft an Festen Alben gebraucht werden, Manipeln, weil in jenem Leben ein jeder seinen besonderen Lohn empfängt je nach der Mühe, die er aufgewendet hat (1 Kor 3,8). Und: Sie kommen wieder mit Jubel und bringen ihre Garben ein (Ps 126,6). Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 213. Vgl. Petrus Comestor, Sermones 91. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 208. a
b
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“Die Mitra stammt vom Gesetz, sie heißt auch ‘tiara, cidáris, ínfula, píleum’. Sie wird aus feinem Linnen gefertigt,”a mit Gold und Edelsteinen geschmückt, sie hat hinten zwei Hörner und zwei Streifen und unten herabhängende Fransen. Mit ihr wird das Haupt verhüllt und gekrönt. Sie symbolisiert den Schutz der fünf Sinne vor den Verlockungen der Welt entsprechend den Geboten des Herrn, wegen der Krone des Lebens, die denen verheißen ist, die Gott lieben (Jak 1,12). Oder sie bezeichnet die Kirche,”b die durch das Linnen der Reinheit, das Gold der Weisheit, die glitzernden Edelsteine der Tugenden geziert wird; die beide Testamente verkündet, beide Liebesgebote ständig erfüllt, in den Niedrigsten aber mit Schmach und Unruhe die Widrigkeiten erträgt. Sie krönt das Haupt Christi, wenn sie rein durch die Taufe ist, weiß durch die Mühen guter Werke, das Haupt für die Krone der Herrlichkeit nachahmt und ob seiner Würde frohlockt. “Der Gebrauch der Handschuhe ist von den Aposteln gewandelt worden. Unter den Händen verstehen wir die Arbeit, unter den Handschuhen deren Verhüllung. Wie ja mitunter Hände durch Handschuhe verhüllt werden, mitunter enthüllt, so werden gute Taten mitunter um Anmaßung zu verhindern verhüllt, mitunter offen gezeigt, um die Nächsten aufzubauen. Sie sind nahtlos, weil die Taten der Bischöfe mit dem rechten Glauben übereinstimmen müssen.”c “Der Brauch des Rings ist wohl vom Evangelium genommen, wo der verlorene Sohn wiedergefunden wird (vgl. Lk 15,24–32) und zunächst mit einem Gewand und einem Ring ausgezeichnet wird. Die Vorväter pflegten ja einst Briefe mit einem Ring zu siegeln.”d Der Bischof trägt daher den Ring, weil er “die Geheimnisse der Heiligen Schrift und die Sakramente der Kirche vor den Ungläubigen versiegeln”e und den Demütigen enthüllen muss. Ebenso brauchte man als Zeichen der Freiheit den Siegelring. Der Bischof trägt also den Ring, weil er keiner Beschränkung Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 214. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 214. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 215. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 216. e Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 216. a
b
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u nterworfen ist – die bischöfliche Würde befreit ja von jedem unfreien Stand – und weil er ein Prediger der geistlichen Freiheit ist, zu der uns Christus befreit hat (Gal 5,1). “Ebenso hat der weise Proteus als erster als Zeichen der Liebe einen Eisenring hergestellt, einen Diamant darin eingeschlossen und damit ein Treuezeichen für Brautleute eingeführt. Denn wie das Eisen alles bändigt, so besiegt die Liebe alles, und wie Diamant unzerbrechlich ist, so ist die Liebe unübertrefflich. Stark wie der Tod ist die Liebe (Hld 8,6). Deshalb einen Finger mit dem Ring versehen, in dem eine Ader vom Herzen kommt, bedeutet, dass ein Ring getragen wird. Später aber wurden statt der eisernen Ringe goldene eingeführt, und statt des Diamanten mit Edelsteinen geschmückt. Denn wie das Gold die übrigen Metalle übertrifft, so übertrifft die Liebe alle anderen Güter, und wie das Gold von einem Edelstein geziert wird, so wird die Liebe vor den übrigen Tugenden geschmückt. Der Bischof trägt also einen Ring, damit er sich als Braut Christi und Bräutigam der Kirche versteht nach dem Wort: Ich habe euch einem einzigen Mann verlobt, um euch als reine Jungfrau zu Christus zu führen (2 Kor 11,2). Dafür setzt er wenn nötig seine Seele ein.”a Oder weil im Ring der Name des Königs und sein Bild eingraviert wird, deshalb verstehen wir unter dem Ring das Symbol des katholischen Glaubens.b Höre das Wort: ‘Der Herr ist Vater, der Herr ist Sohn, der Herr ist Heiliger Geist.’c Sieh das Bild: Wie der Vater, so der Sohn, so der Heilige Geist. Also heißt den Ring an der Hand tragen, den Glauben im Werk zeigen. “Der Stab wird vom mosaischen Gesetz und vom Evangelium genommen, er wird auch Hirtenstab,, cambuta’,, pedum’ und, férula’ genannt. Moses hatte auf Gebot des Herrn den Stab”d, mit dem er im Himmel, auf der Erde und auf dem Meer Schrecken verbreitete. Denn er brachte Speise vom Himmel, Trank aus der Erde und versprach dem Volk das Land, im dem Milch und Honig fließt. Auch im Evangelium befahl der Herr den Aposteln, sie sollten, wenn sie zum Predigen gehen, den Stab mitnehmen (vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 216. Vgl. Pontificale Romanum, De consecratione Electi in Episcopum. c Symbolum Athanasianum, siehe S. 327. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 217. a
b
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Mk 6,8). “Dieser Stab wird aus Knochen und Holz gefertigt, das mit einem gläsernen oder goldenen Knauf verbunden ist. Der Knochen wird oben gekrümmt, das Holz wird unten mit Eisen zugespitzt”, jedoch ein wenig stumpf gemacht. Der Knochen und das Holz werden kunstvoll poliert. Unter dem Stab wird das Ansehen der Lehre verstanden.a Mit ihm werden die Schwachen unterstützt, die Unruhigen getadelt, die Irrenden zur Buße zurückgeführt. Daher auch der Name ‘pedum’. “‘Pedum’ ist ja ein gekrümmtes Holz, mit dem die Hirten die Beine der Tiere schnappen.”b Hier besteht das Evangelium mit dem aus Knochen, d. h. mit der Härte des Gesetzes, und dem aus Holz, d. h. der Sanftheit. Diese beiden verbundenen Stücke sind die Weltkugel der Gottheit Jesu Christi. Oder: Unter dem Knochen verstehe man die Strenge, unter dem Holz die Sanftmut des Bischofs. Die verbindet der Bischof im Gericht durch die Liebe. Denn die Strenge oder das Erbarmen verschwindet, wenn eines ohne das andere angewandt wird. Deshalb wird das Eisen abgestumpft, denn das Gerichtsurteil wird durch die Güte gemildert. Der Stab ist gebogen, da der Mund des Predigers zur Achsel der Tätigkeit gekrümmt wird oder da die Irrenden zur Buße zurückgerufen werden. Unten wird er mit dem Eisen geschärft, da die Predigt mit dem Jüngsten Gericht beendet wird. “Mitunter wird in die Krümmung ein Kopf gesetzt, weil denen, die sich zu Gott bekehren, das ewige Leben versprochen wird. Mitunter wird in die Krümmung geschrieben: Wenn dein Zorn entbrennt, sei der Barmherzigkeit eingedenk (Tob 3,13 Vg.), damit nicht wegen der Schuld der Herde der Zorn im Hirten das Auge der Vernunft trübt, sondern mit Wort und Beispiel die Sünder zur Barmherzigkeit des Erlösers zurückruft. Mitunter wird ein Mensch in die Weltkugel eingraviert, damit sich der Bischof erinnert, dass er ein Mensch ist und sich angesichts seiner ihm zugewiesenen Amtsgewalt nicht erhebt. Mitunter wird auf das Eisen graviert: “Verschone”, damit Er bei der Züchtigung verschont,”c damit der Barmherzige aus der Barmherzigkeit selbst Barmherzigkeit erlangt. Der Bischof wisse also, Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 219. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 217. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 220. a
b
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“Mild den Ergebenen sein und niederdrücken den Trotzer.”a
Daher heißt es: “Der gekrümmte Teil zieht die Sanften, der spitze trifft die Aufsässigen.”
Und: “Die Krümmung zieht die, die der Stab leitet, der letzte Teil sticht.”b
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Alles ist kunstvoll poliert, denn dies alles muss im Bischof durch die Regeln der Heiligkeit erlöst sein. Das Pállium ist ein Schultergewand in Kreisform, es hat vorne und hinten herabhängende Streifen aus Wolle, also aus billigem Material hergestellt. Auf der linken Seite liegt es doppelt, auf der rechten einfach. Es werden schwarze Kreuze aufgenäht, drei Nadeln oder Dorne werden eingestochen. Es steht fest, dass dieses Gewandstück keine zierende, sondern spirituelle Bedeutung hat, es symbolisiert ja die Nachfolge der Passion Jesu Christi. Darüber: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach (Mt 16,24; Mk 8,34). Dafür werden wir die Krone des ewigen Lebens verdienen. Die beiden Streifen sind die beiden Liebesgesetze, die der Passion Christi vorausgehen. Diese Nachfolge ist für die Menschen beachtenswert; die Prediger dienen ihr in diesem Leben bald mit dem Verstand, bald mit dem Leib, bald hängen sie dem Himmlischen an, bald erbitten sie das für die Erde Nötige, bald werden sie durch Unglück gebrochen, bald im Glück gefeiert. Doch im künftigen Leben gibt es kein Doppeltes, nicht Makel noch Falten, sondern es gibt dort Glück ohne Widrigkeit, Freude ohne Trauer. Die Kreuze sind die Zerknirschtheit des Herzens und die Abtötung des Leibes. Die drei Nadeln sind Glaube, Hoffnung, Liebe oder knechtliche, beginnende und kindliche Furcht, durch die geholfen wird, dass der Bischof nicht von der vorgesehenen Nachfolge abweicht: Oder durch das über Vergilius, Aeneis 6, 853. Vgl. Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 6; Walther II, 4801. a
b
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die Schultern herabfallende Pallium wird die Ehrerbietung der Bischöfe bezeichnet, die dem Römischen Stuhl gebührt. Darum wird das Pallium von dem Apostolischen Stuhl entgegengenommen. So wie der Vater den Sohn aussandte und der Sohn gehorsam war, und so wie der Sohn die Apostel aussandte und sie dem Herrn gehorsam waren, so schickt der Papst die Bischöfe, die dem Papst gehorsam zu sein haben. Und unter dem Pallium verstehe man die Disziplin, die er anziehen muss, um zu wissen, dass er die Sitten der Untergebenen bändigen und sich zu ihnen herablassen muss. Die beiden Stoffstreifen sind die beiden Testamente, in denen die wahre Disziplin fortdauert, und wie die Halskette nur denen gegeben wird, die rechtens gekämpft haben, so wird das Pallium nur denen gegeben, die es nach ihrem Grad verdient haben. Auch wir, die wir die Disziplin wahren, werden mit dem Siegeskranz gekrönt werden, nach dem Wort Salomos: Anmut werde ein Kranz auf deinem Haupt sein und eine Kette für deinen Hals (Spr 1,9). Einige sagen, das Pallium sei statt der goldenen Rosette eingeführt worden. (vgl. Ex 28,36–38) Ich glaube stattdessen, dass die Goldborten der Mitra die Stelle der Rosette eingenommen haben, oder vielmehr hat die Rosette das Zeichen des Kreuzes eingenommen, das es bei der Erteilung der Firmung gibt. Dort ist die unaussprechliche Erhabenheit des Namens, hier das unaussprechliche Geheimnis des Kreuzes. Es war ja an der Stirn des Hohenpriesters hervorragend, auf der die vier Buchstaben eingraviert waren, also He, Joth, Het und Vau;a die Erklärung ist: Es ist der Anfang der Passion, des Lebens, denn der Bischof verkörpert Christus, der der Anfang des in Adam verlorenen Lebens ist, das er uns in seiner Passion wiederherstellte, und die Rosette bezeichnet das Vertrauen in unsere Berufung. Deshalb wurde sie auf der Stirn getragen, und heute bezeichnen wir uns auf der Stirn mit dem Kreuz und werden mit Chrisam gefirmt, denn wir schämen uns nicht wegen der Passion Christi. “Das Pluviale (cappa) wurde wohl aus der Tunika geändert, daher wird es, wie jene mit Glöckchen, so dieses mit Fransen a
Also für Jahwe.
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verziert.”a Es hat eine Zierkapuze (capútium), und reicht bis auf die Füße, vorn bleibt es offen. Hier wird der heilige Lebenswandel symbolisiert; die Fransen, die unten angebracht sind, sind die Mühen und Aufregungen dieser Welt. “Die Zierkapuze ist die himmlische Freude, die weite Ausdehnung bis auf die Füße das Beharren bis zum Ende. Die Öffnung bedeutet, dass denen, die heiligmäßig leben, das ewige Leben offensteht.”b Oder durch das Pluviale erhalten wir die ruhmvolle Unsterblichkeit des Leibes. Daher legen wir es nur an Hochfesten an, wenn wir auf die künftige Auferstehung schauen, wenn die Erwählten, denen nach Ablegen des Fleisches in den Seelen die weiße Stola geschenkt wird und sie die beiden Stolen empfangen, die Ruhe der Seele und die Herrlichkeit des Leibes. Das Pluviale ist zu Recht vorne offen und wird nur von einer Fibel zusammengehalten, es ist nicht genäht, denn die Leiber sind schon geistlich geworden und werden nicht die Seele mit Ängsten vollstopfen. Es wird mit den Fransen verziert, weil dann nichts an unserer Vollkommenheit fehlt, denn jetzt ist unser Erkennen Stückwerk (1 Kor 13,9), dann aber werden wir klar erkennen, so wie wir erkannt sind. Schließlich ist bemerkenswert, dass unser Bischof mehr als acht Gewänder anzieht, während Aaron, wie wir lesen, nur insgesamt acht gehabt hat; denn es ist angebracht, dass unsere Gerechtigkeit Überfülle hat, mehr als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, sodass wir ins Himmelreich eintreten können. 6. Die königlichen Herrschaftszeichen Wer siegt, dem werde ich Macht über die Völker geben. Und er wird über sie herrschen mit eisernem Zepter, und ich werde ihm den Morgenstern geben (Offb 2,26–28). Die königlichen Herrschaftszeichen sind: Zepter, Krone, Diadem, Purpurmantel. “Der Zepterstab ist die Macht des a b
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 227. Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 227.
6 – königl. Herrschaftszeichen
Königtums”a, die Krone der Erdkreis, das Diadem der Lohn des Sieges, der Purpur das Fleisch der Schwachen. Im Stab wird er gemahnt, die Gerechtigkeit zu lieben; in der Krone, die Welt zu regieren; im Diadem, so im Kampf zu streiten, dass er den ewigen Lohn empfängt; im Purpur, obgleich er sich so bedeutend sieht, doch nicht überheblich zu werden, sondern sich als schwach zu erkennen. Wer also zu stehen meint, der gebe acht, dass er nicht fällt (1 Kor 10,12). “Dazu heißt es, es werde auch ein Ranzen hinzugefügt, damit er erkennt, dass er ein Fremder in seinem Königreich ist und, da er hier keine Stadt hat, die bestehen bleibt (Hebr 13,14), die künftige sucht. Oder weil er so, wie er auf den Gipfel des Reiches aufsteigt, so in die Bettelarmut hinabfallen kann wie Diokletian, der vom Kaiser zum Gärtner wurde.”b Die übrigen königlichen Gewänder sind die vornehmsten Tugenden oder die untergebenen Gewalthaber. “Vor dem König wird das Kreuz vorangetragen, damit er dem gekreuzigten König dient,”c Schwert und Lanze, damit er im Gericht nicht von der Gerechtigkeit abweicht. Auf diese Art pflegte das römische Volk bald ein Denkmal, bald einen Triumph zu bereiten. Das Denkmal ist das Frohlocken über die in die Flucht gejagten Feinde. In ihm wurden nicht Palmblätter, sondern Lorbeer, d. h. ein Lorbeerkranz gegeben und eine weiße Toga. Die aber, die im Kampf mannhaft gekämpft hatten, erhielten einen Kranz um den Hals, d.h. einen goldenen Kranz. Der Triumph ist das Frohlocken über die besiegten Feinde, dessen Vergegenwärtigung er war. Dem Kaiser legte man die Trábea an, d. h. das Purpurgewand, und er wurde gekrönt. Auf einem mit Edelsteinen geschmückten Wagen, den Schimmel zogen, wurde er unter Lobgesängen zum Kapitol gefahren, vorweg gingen die Senatoren, dann folgten die Reiter zu Pferd, das Volk schloss sich an, alle sangen komponierte Siegeshymnen. Die gefangenen Fürsten wurden mit goldenen Ketten vor dem Wagen vorgeführt. Das gefangene Volk folgte mit auf den Rücken gebundenen Ketten an Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 224. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 224. c Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 224. a
b
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den Händen. Scharen von Kamelen, Pferden und Beuteträgern folgten noch. Wenn er so eingeführt wurde, schmückte sich die ganze Stadt mit Tüchern. Schließlich wurde die Beute verteilt und denen, die Leute gefangengenommen hatten, wurde eine mit Palmen und Palmzweigen geschmückte Toga gegeben, d. h. eine solche, auf die Palmen aufgemalt waren. So kommt es, dass diejenigen, die aus Jerusalem kommen, Palmzweige in Händen halten als Zeichen, dass sie für jenen König gekämpft haben, der in Jerusalem mit dem Teufel gekämpft, der Sieger war und der in den Palast des Himmels im Triumph mit den Engeln eingezogen ist, wo die Gerechten wie die Palme gedeihen (Ps 92,13) und wie die Sterne leuchten. 7. Weiteres über Gewänder
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Ich sah den Menschensohn, bekleidet mit einem weißen Gewand (Offb 1,13 Vg.). “Außerdem bedeuten nach den Beispielen der Urväter die priesterlichen Gewänder nach Beschaffenheit, Material und Farbe die vier Elemente und die beiden Halbkugeln des Himmels.”a Die oben auf die Stirn gesetzte Platte des Hohenpriesters deutete darauf hin, dass alles, was darunter war, durch Gottes Weisheit regiert wurde und der Hohepriester, der ein Abbild des Schöpfers darstellte, gehalten war, für alle seine Untertanen Sorge zu tragen. Allegorisch aber wird es auf Christi Priestertum bezogen. Der Priester verweist zeichenhaft auf die Person unseres Hauptes hin, also unseres Herrn Jesus Christus. Daher verstehen wir unter den Schuhen des Bischofs das Geheimnis der Menschwerdung. Und bei der Verschiedenheit von deren Farbe verstehen wir die Vielfalt von Christi Tugenden. Die Gottheit kam nämlich darin beschuht zu uns. Über dieses Schuhwerk heißt es im Psalm: Auf Edom werfe ich meinen Schuh (Ps 108,10), d. h. ich mache meine Menschwerdung den Heiden bekannt. Der Täufer des Herrn bekennt, er könne die Schnürsenkel dieses Schuhwerks nicht aufbinden. So erfahren a
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 18.
7 – Weiteres über Gewänder
wir durch die Bänder der Sandalen die unsagbare Einheit von Gottheit und Menschsein. “Christus hat mit dem Amikt, der Albe, sein Haupt bedeckt, als Er die Gottheit, die das Haupt ist, d. h. der Anfang ohne Anfang, in der Grotte des Fleisches verbarg.”a Hier ist der Amikt der starke Engel in der Wolke, von dem es in der Offenbarung heißt, er sei vom Himmel herabgekommen (vgl. Offb 10,1). Und bei Jesaja: Seht, der Herr fährt auf einer weißen Wolke daher (Jes 19,1). “Und schön wird dies im Amikt und den Sandalen dargestellt, weil die Gottheit im Fleisch”b verborgen war und durch das Fleisch seine Kunde durch alle Welt eilte. Christus legte die Albe an, als Er das neue Leben der Unschuld im Wort und im Beispiel lehrte und es den in der Taufe Auferstehenden schenkte. Die Tunika (podéris) ist auch Christi Leib oder die Kirche, deren Band des Gewandes Er nicht unten, sondern oben festmachte, als Er die Lehre der Unschuld, das Fleisch und die Kirche zum Himmlischen, nicht zum Irdischen lenkte. Christus trug das Zingulum, als Er die zu gürtenden Lenden ermahnte und sagte: Lasst eure Lenden umgürtet sein (Lk 12,35 Vg.). Das ist der goldene Gürtel, von dem es in der Offenbarung heißt: Ich sah ihn, um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold (Offb 1,13). “Durch die Stola Christi empfangen wir den Gehorsam und die Knechtschaft, denen wir uns um unseres Heiles willen unterziehen. Er ist ja Jakob, der auf Anweisung des Vaters, d. h. Gottes, und auf Anraten der Mutter, d. h. des Heiligen Geistes, gehorsam dem Laban, d. h. der Welt, als Knecht diente. Er trug auf seinen Schultern die Sünden, um Rachel und Lea als Ehefrau zu erhalten, d. h. um die Synagoge aus den Juden und die Kirche aus den Heiden aufzunehmen.”c Unter der bischöflichen Tunika und Dalmatik verstehen wir die Hoheit Christi und von Christus die Weise, die nicht allen offen steht, sondern nur den Großen und Vollkommenen. “Diese hatten die Hohenpriester, denen gesagt wurde: Steig auf einen Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 19 und 24. Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 20. c Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 21. a
b
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hohen Berg, Zion, du Predigerin (Jes 40,9). Diese symbolisiert die Tunika Jesu Christi ohne Naht.”a Diese hatte der Herr, in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind (Kol 2,3). Sie gab Er seinen Aposteln und sagte: Alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch mitgeteilt (Joh 15,15). Die beiden Gewänder sind also Gaben des Heiligen Geistes, die die Weisheit und Erkenntnis darstellen, und der Mangel bedeutet die Arbeit. Die Reinheit der Handschuhe bezeichnet das Wirken Jesu Christi. “Durch den Bischofsring wird die Gabe des Heiligen Geistes bezeichnet, durch den der kostbar geschmückte Sohn Gottes zur Kirche herabsteigt. Den Gläubigen hat Er sich aufgeteilt, wie Er will, dem einen gibt Er den Geist der Weisheit, einem andern den Geist der Erkenntnis (1 Kor 12,8). Die Verteilung der Gnadengaben ahmt der Bischof durch die Erteilung der Weihen nach, indem er die einen zu Priestern, die anderen aber zu Diakonen einsetzt. Es ist also nicht unangebracht, dass an seinem Finger ein Ring mit Edelstein funkelt, durch dessen Dienst die funkelnden Gnadengaben des Heiligen Geistes gegeben werden. Oder Christus hat den Ring getragen, als Er die Braut mit der Vollkommenheit des Glaubens verlobt hat.”b “Durch die Kasel wird die heilige Kirche symbolisiert. Sie ist das Gewand des wahren Aaron, auf dessen Saum durch den Bart das Salböl vom Haupt träufelt. In unserm Haupt ist die Fülle des Heiligen Geistes, die in den Bart träufelt, d. h. zu den Aposteln und anderen Vollkommenen und von dort in die ganze Kirche bis zum Saum des Gewandes, d. h. die äußersten Glieder der Kirche. Dies ist die eine, vollständige und von allen Seiten geschlossene Kirche, um die Einheit des Glaubens und Ganzheit zu symbolisieren. Doch obwohl sie ein e ist, wird sie doch durch das Ausbreiten der Hände des Gekreuzigten irgendwie geteilt. Der vordere Teil symbolisiert die Kirche, die dem Leiden des Herrn vorausging, der hintere Teil aber die spätere. Darüber a b
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 23. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 25.
8 – Ankleiden der Altardiener
wird der Amikt angezogen und um den Kopf geschlungen, denn als Krone und Zier der Kirche wird die Menschheit Christi verstanden.”a “Das Pallium des Bischofs symbolisiert die Demut Jesu Christi, der nicht sich, sondern dem Vater die Macht zugewiesen hat, als Er sagte: Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch (Joh 20,21).”b Er war dem Vater gehorsam bis zur Bitterkeit des Todes. Darum hat ihn Gott erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen (Phil 2,9) und ihm alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben, die durch den Stab verkörpert wird, und Er hat Ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt (Ps 8,6). Darum wird der Bischof mit der Mitra ausgezeichnet und der höchste Bischof gekrönt. 8. Das Ankleiden der Altardiener Deine Priester will ich bekleiden mit Gerechtigkeit, Deine Frommen sollen jauchzen (Ps 132,16). Die heiligen Gewänder sollen nur beim Eintreten in das Allerheiligste gebraucht werden, nicht beim Hinausgehen zum Volk. “So hat es ja der gebürtige Römer Stephanusc eingesetzt, worunter verstanden wird, dass nicht alles Heilige oder Geheime den Leuten mitgeteilt werden soll. So muss die Homilie sein, dass sie von der unterstellten Gemeinde verstanden wird. Ebenso darf man nicht mit beschmutzter und Alltagskleidung eintreten, weil man mit reinem Gewissen herantreten muss zum Sakrament des Herrn”d und in der Kontemplation, bei der fleischliche Gedanken ausgeschlossen werden. Deswegen sagt Hieronymus: “Die göttliche Religion hat eine andere Kleidung im Dienst, eine andere im täglichen Umgang.”e Gegenwärtig aber behandeln wir die beim Gottesdienst notwendige Kleidung, dass die Diener des Herrn die vorgenannten Gewänder anziehen, damit sie sauber Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 22. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 27. c Vgl. Sicardus, Cronica zum Jahr 258. – Stephanus I. (254–257). d Vgl. Liber Quare 242; Sicardus, Cronica zum Jahr 753. e Hieronymus, Commentarii in Ezechielem 13, 44, 17–21. a
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und ordentlich zum Tisch des Herrn kommen. Den Ostiariern, Lektoren, Exorzisten, Akolythen werden die Alben zugestanden, damit sie die Engel, die Diener des Herrn, mit der Sauberkeit der Keuschheit nachahmen und sich ihnen im Fleisch, das herrlich geworden ist, in gleichsam geistlichen Kleidern beigesellen. Und achte darauf: Die Altardiener sollen eher leinene Gewänder gebrauchen, denn wie das Leinen durch viele Mühen zum Weißsein gebracht wird, so ist es nötig, durch viele Drangsale zur Herrlichkeit des Reiches Gottes zu gelangen (vgl. Apg 14,22). Den Schmuck der Keuschheit muss man durch die Mühen des Fastens und der Nachtwachen erreichen. Sie legen also den Amikt an, mit dem Haupt, Nacken und Schultern bedeckt werden, mit denen man Lasten trägt, damit sie lernen, die Gesinnung zu zügeln, die Zunge im Zaum zu halten (Jak 1,26) und die Lasten der anderen zu tragen und so Christus in seinen Gliedern zu dienen und umhüllt in der Wolke Christi Menschsein wieder ins Gedächtnis zu rufen. Sie ziehen die Talartunika (poderis talaris) an, um zu lernen, die Reinheit des Leibes und die Keuschheit anzuziehen und in ihr bis zum Lebensende Christus zu dienen. Dann gürten sie ihre Nieren mit dem Zingulum (báltheum), um in der Furcht des Herrn zu lernen, die fleischlichen Begierden zu zügeln und die Lenden zum Gebot Christi gegürtet zu haben. Den Subdiakonen werden die drei oben genannten Gewänder gestattet und zwei hinzugefügt, d. h. die Tunizella (subtile) und der Manipel (sudárium). Die Tunizella, die ‘gekürzte Tunika’ heißt, tragen sie, um die Gerechtigkeit anzulegen, gleichsam als Panzer. Den Manipel tragen sie am linken Arm, mit dem sie Schmutz von Geräten und Tränen aus den Augen wischen, um zu lernen in diesem Leben den Schmutz der Laster abzuwischen und in der Buße die begangenen Sünden zu beweinen. Es ist auch erwähnenswert, dass der Manipel der Subdiakone größer als der Manipel der Priester (fano) hergestellt wird, denn wo größere Verfehlungen sind, da wird eine größere Frucht der Buße gefordert. Bei den Diakonen wird der Gebrauch der Dalmatik und der Stola hinzugefügt und zu bestimmten Zeiten der der Kasel.
8 – Ankleiden der Altardiener
In der Dalmatik sollen sie lernen, heilig und fromm zu leben und die Begehrlichkeit des Fleisches abzutöten, Gott und den Nächsten zu lieben, die Liebesgebote, die es einstmals und danach gab, d. h. unter dem Gesetz und im Evangelium, zu beachten oder den verborgenen Sinn des Erhabenen zu spüren. Daher werden sie nur an Festtagen gebraucht, weil die Jünger das Erhabene nicht verstanden haben, erst als der Herr verherrlicht worden war. Bei den Fransen (fímbriae) des Manipels auf der linken Seite und bei der Stola über der linken Schulter soll er lernen, sich den Lasten des aktiven Lebens zu unterziehen, Witwen und Waisen mit Stephanus zu dienen. Darin aber, dass an den Lenden die Stola gegürtet wird, soll er lernen, dass er eingeladen wird, bei den Kämpfen gegen die Leidenschaften tapfer und schlagfertig zu sein. In der Kasel lerne er ein Verkünder zu sein, der in der Liebe glüht und das Leben der Kontemplation erstrebt. Bisweilen gürtet er sich und legt sich die auf den Schultern gedoppelte Kasel um, wenn er das Amt der Predigt, des Gebets, der Lesung und der Meditation unterbricht und den Nächsten in ihrer Not hilft und wegen der doppelten Zuwendung die Mühe für die Brüder auf sich nimmt. Sie wird nach rechts gedreht, da sich alles auf das höchste Gut bezieht, und so verkörpert er Maria, wenn er die Kasel anlegt, und wenn er sich in seinem Dienst gürtet, die Martha. Jetzt wollen wir noch schnell dazu übergehen, mit diesen Dienern den Bischof anzukleiden – wir im Wort, jene im Dienst. Du Priester des höchsten Gottes, du Stellvertreter Jesu Christi, sieh zu, was du sagst, was du tust, was um dich herum geschieht, und erkenne die Geheimnisse, die dies bedeuten!a Zuerst singst du die Psalmen: Wie liebenswert ist Deine Wohnung (Ps 84,2). Darin hältst du dich an die Korachiter, d. h. die Kahlen, also die Diener Christi, die auf Kalvaria kahl geworden sind, die sich mit unermesslichem Verlangen nach dem nicht von Menschenhand errichteten Haus (2 Kor 5,1) sehnen, für das du betest und darauf a Vgl. Missale Romanum, Praeparatio ad missam pro opportunitate sacerdotis facienda mit den Psalmen und Gebeten (bis S. 193).
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demütig beharrst mit den Worten: Lieber an der Schwelle stehen (Ps 84,11) usw.; Einst hast Du, Herr, Dein Land begnadet (Ps 85,2). In dieser Barmherzigkeit bittest du, es möge das Heil gezeigt werden, d. h. für den unsichtbar gezeigten Christus sagst du Dank und zeigst den Korachitern, es müsse Dank gesagt werden. Durch Ihn hat Gottvater die Fähigkeit zu ihr zurückzukehren vorgesehen, als Er unsere Gefangenschaft abwandte, die Schuld erließ, seinen Zorn besänftigte und seiner Güte Raum gab. Wende Dein Ohr mir zu, Herr (Ps 86,1) usw. Dabei betet Christus für die Seinen, für die Er, um uns das Vorgenannte zuzuwenden, auf Erden geboren, am Marterpfahl gekreuzigt, dessen Gebet unsere Einrichtung wurde. Unser Gebet aber ist die Bitte um Beseitigung der Sünden: Seine Gründung (Ps 87,2). Dabei empfiehlt er dieses Haus vielfältig, damit du die Korachiter einlädst. Wie wenn du sagst: “Ihr Korachiter, nehmt euch ein Beispiel an mir. Ich eile in das Land der Ruhe zu kommen (Hebr 4,1), und um einzutreten bete ich und zeige Demut. Beeilt auch ihr euch, auch ihr könnt dort eintreten, denn der Vater hat euch durch den Sohn befreit, und der Sohn hat zum Vater gebetet; und ihr müsst zu Ihm hineilen, denn dort ist ewige Freude, von der vor Zeiten gesagt wurde, sie sei herrlich.” Darauf zu dir zurückkehrend sagst du: Ich liebe den Herrn (Ps 116,1) usw., sobald du versprichst, den Kelch des Herrn zu nehmen und das Opfer des Lobes darzubringen. Aber weil du dich für unwürdig hältst, denn niemand in sterblichem Leib ist ohne Sünde, folgt die Bußbitte, wenn du sagst: Aus der Tiefe rufe ich (Ps 130,1), wo du wie Jona im Bauch des großen Fischs zu Ihm rufst: Bei Dir ist Vergebung, Barmherzigkeit und Erlösung in Fülle (ebd. 130,4.7). Deshalb musst du Bitten und Gebete, die deinem Dienstamt entsprechen, beifügen, wie: ‘Die Ohren Deiner Güte’a usw. “Nach diesen Worten lege die alltägliche Kleidung ab und zieh die reinen und heiligen Gewänder an, um den alten Menschen auszuziehen mit seinen Taten und den neuen, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist (Eph 4,23–24), anzulegen. Der alte Mensch ist Adam; dessen Alter sind die Laster und Sünden. Der a
Sacramentarium Gelasianum 188, 1.
8 – Ankleiden der Altardiener
neue Mensch ist Christus, dessen Neuheit die Tugenden und guten Werke sind. Dann kämme dein Haupthaar, um zu lernen, die Sitten deines Verstandes zu ordnen”a oder die überflüssigen Gedanken auszuschalten. Dann wasch, wenn du willst, Hände und Gesicht mit Wasser, damit du die fleischlichen und schmutzigen Handlungen des Verstandes mit den Tränen der Reue ablösen kannst und zur Schar der Unschuldigen gehörst, die tapfer sagen: Verschaff mir Recht, o Herr, denn ich (Ps 26,1) usw., und danach: Ich wasche meine Hände in Unschuld; ich umschreite, Herr, Deinen Altar (Ps 26,6). Und danach trockne dich mit dem Handtuch ab und wisse, dass du nach den Tränen der Zerknirschung die Sünden auch durch Wiedergutmachung beseitigen musst. Das Leinentuch wird, wie wir zuvor sagten, durch Arbeit zum Weißsein gebracht, ebenso ein Reumütiger durch Wiedergutmachung zu immerwährender Herrlichkeit. Und der Schmuck an den Haaren, im Gesicht und an den Händen ist keine Ergötzlichkeit der Lust, sondern ist als Vorbild den Priestern des Gesetzes vom Herrn eingeprägt. Diese wuschen sich im Bronzebecken, das aus Spiegeln der Frauen gefertigt war, d. h. in der Heiligen Schrift, die das ansehnliche Leben der Heiligen enthält. In dem waschen wir unser Leben, wenn wir uns mit den Vorbildern der Heiligen vom Makel der Sünde reinigen und die Haare der Gedanken zurückhalten, und wir werden zur Schönheit der Tugenden neugestaltet werden. Danach wirst du von Dienern mit den Sandalen bekleidet, damit du eingedenk bist der Menschwerdung des Herrn und nach dem Beispiel der Apostel beschuht, zur Bereitung des Friedens des Evangeliums schreitest. Daher musst du dich beim Schmuck der Schuhe erinnern: Wie kostbar sind die Füße derer, die eine frohe Botschaft bringen (vgl. Jer 52,7). Diese Schuhe sind keine Ehrung, sondern eine Last, nicht zum Ausruhen, sondern um den Weg der Verkündigung zu gehen. Beharre also auf der Verkündigung, sie sei gelegen oder ungelegen. Weise zurecht, tadele, ermahne in geduldiger Belehrung (2 Tim 4,2). Ahme das Beispiel derer nach, a
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 199.
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deren Gewänder du trägst. Doch damit der Geist des Vaters durch dich spricht und dir die Weisheit des Wortes gibt, wie Er sie den Aposteln gab, sprich, während du die Sandalen anziehst, den Hymnus ‘Veni, creator Spíritus – Komm, Schöpfer Geist’,a ‘Veni, sancte Spíritus – Komm, Heiliger Geist’ b und die Orationen vom Heiligen Geist: ‘Deus qui corda – Gott, du hast die Herzen der Gläubigen’; ‘Adsit – Die Kraft des Heiligen Geistes, Herr’; ‘Mentes nostras – Der Tröster erneuere unsere Herzen’ und ‘Praesta, quaésumus – Gib, wir bitten, allmächtiger Gott, dass der Heilige Geist’. Danach schütze mit dem reinen Schultertuch (amictus) dein Haupt, den Mantel und die Schultern, schnüre deine Brust und deine Kehle, damit du, was du mit den Sinnen annimmst, welcher Last du dich unterziehst, was du denkst, was du sagst, den Glauben an den Mittler nicht verletzt, sondern alles für die Hoffnung auf den Himmel ohne Makel auf den Herrn beziehst, in der Furcht vor Strafe, in der Sehnsucht nach Herrlichkeit. Wenn also in dein Herz verschrobene Gedanken einziehen, dann spüre es das Schultertuch, das weiße Gewand, damit es bei der Hoffnung auf die ewige Seligkeit eingedenk der Keuschheit und Reinheit durch keine Berührung mit einer Fliege verdorben wird, sodass Er ein reines Herz, einen beständigen Geist (Ps 51,12) gibt, im Innern erneuert. Wenn etwa einmal ein zu züchtigender Gedanke sich einschleicht, dann schnüre die Enge des leinenen Schultertuchs noch enger zusammen und bewahre deine Zunge vor Bösem (Ps 34,14), damit sie deinem Mund Schutz und deinen Lippen Beistand gewährt. Immer werde Brust und Hals des Priesters vom Schultertuch umhüllt, immer sei sein Herz sauber und seine Sprache züchtig. Denn durch schlimme Gedanken und Lügen wird die Seele verdorben und treibt Unzucht vor dem Herrn. Danach zieh die knöchellange Albe (poderis) an, damit du in dir die beständige Reinheit und Keuschheit des Leibes sowie die auf die Feinde ausgedehnte Liebe hast und die Freiheit der als Kinder Angenommenen erkennst, mit der uns der Sohn befreit a b
Hymne des Hrabanus Maurus, AH 50, 193. 2. Alleluia und dann auch Sequenz für Pfingsten, AH 54, 234.
8 – Ankleiden der Altardiener
hat (vgl. Röm 8). Danach gürte die Lenden und lerne, dass du den Drang zur Üppigkeit zügeln musst. Beachtenswert ist: Du musst Brust und Hals sanft, die Lenden aber kräftig gürten, denn Bewegungen des Herzens liegen nicht in deiner Gewalt. Elija schloss eher den Himmel als sein Herz zu, weil er meinte, er sei allein als Prophet des Herrn übriggeblieben, während noch siebentausend Männer übrig waren, deren Knie sich vor dem Baal nicht gebeugt hatten (vgl. 1 Kön 18,22; 19,18). Die Zunge steckt im Feuchten und Nassen und wird leicht schlüpfrig. Der Apostelfürst verleugnete auf das Wort der Magd seinen Meister. In seinen Nieren darf der Bruder sich nicht täuschen. Gott lässt keinen Spott mit sich treiben (Gal 6,7). Sage nicht, eine Sünde des Fleisches sei lässlich, gleichsam eine nötiges Zugeständnis an die Natur. Sag nicht, ein Haustier sei nicht zu zähmen, sondern straffe die Lenden, züchtige deinen Leib, unterwirf ihn (vgl. 1 Kor 9,27). Damit du die Angriffe der Üppigkeit wirksamer zügeln kannst, soll ein doppelter Manipel (subcinctórium) vom Gürtel herabhängen, d. h. Fasten und Gebet. Mit diesen Waffen wird ein Ansturm der Begierde und der Geist der Unzucht vertrieben. Daher sagt der Herr: Diese Art kann nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden (Mk 9,28). Darauf lege die Stola um den Hals als Zeichen des Gehorsams, dass du dem Evangelium des Gekreuzigten gehorchst. Danach zieh die scharlachrote Tunika an, d. h. den Wandel im Himmel, und darüber die Dalmatik, d. h. die heilige Frömmigkeit oder die Abtötung des Fleisches oder die Überhöhung des Verstandes. Danach die Handschuhe, damit du dem eitlen Ruhm absagst, entsprechend dem Wort: Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen (Mt 6,1). Bisweilen jedoch zieh die Handschuhe aus, um deinen Nächsten zu guter Arbeit einzuladen entsprechend dem Wort: So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen (Mt 5,16). Deshalb zieh die Handschuhe an, um die Reinheit deiner Werke zu schützen. Halte also deine Hände
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ab von unreiner Berührung, nicht nur von Diebstahl und Raub, sondern halte sie fern von jeder Bestechung, damit, wenn du zum Altar Christi hinzutrittst, Er nicht zu dir sagt: Halte mich nicht fest (Joh 20,17). Deine Stimme ist zwar Jakobs Stimme, deine Hände aber sind Esaus Hände (Gen 27,22). Dazu lege den Ring an, um den Bräutigam mehr zu lieben als dich, dem du Treue bewahren willst, die Braut wie dich, der du die Geheimnisse offenbaren willst und die Freiheit verkünden, zu der dich der wahre Bräutigam befreit hat, dessen Stellvertreter du bist. Außerdem lege die Kasel an, das Hochzeitsgewand, durch das du die Liebe verstehst; hättest du sie nicht, wärst du dröhnendes Erz und eine lärmende Pauke (1 Kor 13,1), es würde dir die Hochzeit genommen und du würdest in die äußerste Finsternis geworfen (vgl. Mt 22,13). Du wirst sie auf dem Arm anheben und verdreifachen wie durch die Liebe zum Werk für alle, also Leiter, Jungfrauen und Enthaltsame. Niemals darf ein Priester seinen Dienst ohne Kasel ausüben,a weil es für ihn immer ein Zierde ist, im Band der Nächstenliebe zu bleiben. Doch weil wir alle uns verfehlen in vielen Dingen ( Jak 3,2) und niemand lange ohne Fehlhandlungen lebt, deswegen nimm auf den linken Unterarm den Amikt. Dann kannst du, der du wegen der Gebrechlichkeit oder aus Unachtsamkeit sündigst, in der Buße dahinlebst und die Sünden mit Tränen abwischst, mit den Gehenden gehen und weinen und den Samen der Aussaat tragen. Danach lege das Pallium um, damit sichtbar wird, dass du ein Nachfolger Jesu Christi bist, der unsere Schmerzen auf sich geladen hat (Jes 53,4). Und du, zum Abschaum der Welt geworden (1 Kor 4,13), verachtet in der Welt, gekreuzigt für die Welt, trägst die Lasten der Untergebenen, denen du die Beispiele der Knechtschaft und Demut vortragen sollst. Schließlich nimm die Mitra und wisse die fünf Sinne vor den Verlockungen der Welt zu schützen. Die Gebote der beiden Testamente bewahre, erfülle die beiden Gebote der Liebe, damit du die ewige Krone zu erlangen verdienst. Doch die übrigen a
Gratianus, CIC, D.1 c.42 de cons.
8 – Ankleiden der Altardiener
Priester und Kleriker bedecken allgemein mit keinem Schmuck ihr Haupt, höchstens an Festtagen, ansonsten sollen sie am ganzen Leib ausgerüstet sein, weil wir noch nicht die volle Freude haben. Wir freuen uns ja nicht an den Dingen der Gegenwart, sondern an der Hoffnung der Zukunft, oder weil wir dorthin streben, dass wir Gott in unverhülltem Blick schauen. Wenn du mit diesen Gewändern geschmückt bist, dann nimm unbesorgt den Stab, d. h. die Autorität der Lehre. So wie ja die Verkündigung dessen verschmäht wird, dessen Lebensweise man verachtet, so wird die Lehre dessen ernst genommen und von den Hörern angenommen, dessen Leben mit so vielen Tugenden erlöst wird. Danach tritt auf den Teppich, da du das Irdische zu verachten und das Himmlische zu lieben lernst. Und sieh, während du all diese Gewänder anlegst oder von deinen Dienern angelegt bekommst, helfen dir die geistlichen Engel, dass du die Gewänder anlegst. Du bist ja ein Stellvertreter Jesu Christi, dem damals die Engel dienten, dem jetzt aber alles dient. Und sieh die bemerkenswerte Ordnung: Zunächst lege du den alten Menschen ab mit seinen Werken und Gedanken; dann wasche dich und kleide dich an. Ziehe aber die Reinheit des Geistes, des Herzens, der Stimme und des Leibes an. Damit sie nicht verschwinden, fügst du die Furcht, das Fasten und das Gebet hinzu. Damit sie in dir Frucht bringen, fügst du noch das himmlische Zwiegespräch hinzu, die heilige Frömmigkeit, damit sie in anderen Frucht bringen, d. h. damit du die anderen anlockst, machst du die Werke und Geheimnisse offenbar. Doch wenn du deinen Leib dahingibst, damit er brenne, nützte es dir nichts, wenn du die Liebe nicht hast. Deshalb liebst du Gott mehr als dich und deinen Nächsten wie dich selbst, die übrigen weniger. Doch: Wer Pech anrührt, dem klebt es an der Hand (Sir 13,1), und wer ganz rein ist, braucht sich nur noch die Füße zu waschen ( Joh 13,10). Meine Seele muss schon allzu lange wohnen (Ps 120,6), deshalb trauerst du. Doch weil der Tod durch die Fenster einsteigt ( Jer 9,20), schützest du die fünf Sinne und bewachst sie; doch weil du Hirte bist, dem gesagt wird: Weide meine Schafe
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( Joh 21,17), nimmst du den Stab, auf den du dich stützt und mit dem du Schafe zurechtweist. Dann legt der Kantor seine Gewänder an, also das Pluviale (cappa), das auch für die anderen Grade geeignet ist. Daher ist es ohne Bedeutung, welchem Grad der Kantor angehört, durch den er nach einigen heilig zu leben weiß. Er kröne sich mit der Mütze (pilleus), damit er weiß, Gott, der das Haupt ist, mit Lob zu erheben oder für das Lob die Krone zu erlangen. Er führt nach einigen die Gewohnheiten als Tafeln in der Hand, um nicht nur mit der Stimme, sondern auch durch die Tat zu loben. Wenn du mit der Stimme singst: Frange esurienti – Teile dein Brot an die Hungrigen (Jes 58,7), dann singt die Hand mit der Stimme, sodass du selbst das Brot austeilst. Es sind diese Tafeln aber aus Knochen und bezeichnen die Liebe Gottes und des Nächsten oder die Beharrlichkeit der guten Werke. Nach anderen kann er dies mit dem Stab zeichenhaft andeuten, um die anderen mit der Stimme zu mittönendem Lob aufzurufen, er kümmere sich darum, durch Werke zum Gesang der Engel einzuladen.
Buch III Die Messe
Vorwort “Der Bischof tritt aus der Sakristei, von den Altardienern und mit ihnen in die Gewänder gekleidet, um in der Öffentlichkeit die Messfeier zu zelebrieren.”a Darüber wollen wir etwas von uns aus berichten, obwohl wir dazu nicht fähig genug sind. Doch weil unsere Befähigung von Gott stammt (2 Kor 3,5), werfen wir unseren Anker auf Ihn als Urheber und beginnen. “Der Sekretär des Heils, der Wächter, der Schlüssel Davids ( Jes 22,22), der öffnet, sodass niemand schließt, und der schließt, sodass niemand mehr öffnen kann (Offb 3,7), Er führe uns in das Weinhaus, in das Heiligtum der Versöhnung, damit wir darin die Versöhnung begehen, in der die beiden Cherubin, d. h. die beiden Testamente, einander zugekehrt stehen und sich gegenseitig anblicken.”b 1. Name, Einrichtung und Teile der Messe “Der Name ‘Messe, Hochamt’ ist manchmal ein besonderer Begriff, manchmal ein allgemeiner: Der besondere kennzeichnet Christus, der vom Vater in diese Welt gesandt (missus) wurde. a b
Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 7. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 17.
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Ebenso kennzeichnet er den Engel, der gesandt wird, damit durch seine Hände das Opferlamm auf den Altar des Herrn gebracht wird. Der allgemeine wird gesetzt, weil mitunter die Messe vom Introitus bis zum Offertorium ‘Hochamt’ genannt wird, dies ist die Katechumenenmesse. Mitunter wird nur der Teil Hochamt genannt, der vom Beginn der Opfermesse bis zum ‘Ite missa est’ geht, und dies ist richtiger, weil da das Opferlamm gesandt wird. Mitunter jener Teil, der schweigend gelesen wird, vielleicht deshalb, weil dann die Katechumenen hinausgeschickt wurden. Mitunter nur jene Worte, durch die Brot und Wein geopfert werden, d. h. verwandelt in Fleisch und Blut. Gebräuchlicher aber wird Hochamt für die ganze Messe verwendet, d. h. vom Introitus bis zum ‘Ite missa est’ oder ‘Benedicamus Dómino – Lasset uns den Herrn preisen’ zusammengefasst. Und dies aus vier Gründen: Weil der Zelebrant vom Volk zu Gott gesandt wird, um Fürsprache einzulegen. Weil der Engel von Gott zum Volk gesandt wird, um es anzuhören. Weil in diesem Dienst aus dem Schoß des Vaters die Sendung Christi, der die Welt retten soll, dargestellt wird, d. h. die Menschwerdung, und auch die Sendung Christi von der Welt, um den Vater zu versöhnen, also die Passion. Daher wird geschlossen: ‘Ite missa est – Geht, es ist Sendung’. Einige sagen, die Messe werde nach der Entlassung benannt, weil das Volk nach der Zelebration des Hochamts entlassen wird.”a “Der Herr Jesus, der Priester nach der Ordnung Melchisedeks (Ps 110,1), hat die Messe eingerichtet, als er Brot und Wein in seinen Leib und sein Blut verwandelte”b und sagte: Das ist mein Leib. Das ist mein Blut (Mt 26,26.28). Seht: “der Herr hat die Messe eingerichtet, d. h. diese Worte eingeführt und ihnen substanzielle Kraft verliehen, indem Er Brot und Wein in seinen Leib und sein Blut gewandelt, d. h. verwandelt hat. Er hat die Messe eingerichtet und den Grund der Einrichtung beigefügt, als Er befahl, dieses zum Gedenken an Ihn zu tun, und sagte: Tut dies zu meinem Gedächtnis (Lk 22,19). a b
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 2. Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 86.
1 – Teile der Messe
Obgleich die Apostel diese Messe erweitert haben, als sie anordneten, über Brot und Wein nicht nur die Worte zu verwenden, die der Herr gesprochen hatte, sondern auch das ‘Gebet des Herrn’ hinzufügten; und obgleich dann deren Nachfolger, die den Schmuck des Hauses geliebt haben (Ps 26,8 Vg.), verschiedentlich zu verschiedenen Zeiten Verschiedenes hinzugefügt haben,”a “bezogen sie die Einrichtung und die Zusätze doch stets auf den wahren Bischof,”b der ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen ist mit seinem eigenen Blut (Hebr 9,12). Bei den einzelnen Stellen aber und bei dem, was in der Messe gesprochen, gesungen oder durch Gebärden vorgestellt wird, ist einiges eine Vergegenwärtigung von Vergangenem, einiges eine Schilderung von Gegenwärtigem, einiges eine Vorausschau auf Künftiges. “Nach einigen wird das Amt der Messe in vier Teile gegliedert: Flehen bis zur Sekreta; Gebet bis zum Paternoster, dessen vier Teile sind: Sekreta, Präfation, Kanon, Gebet des Herrn; Anliegen bis zur Kommunion; Danksagung bis zum Schluss.”c “Nach anderen in sieben Teilen”d: Der 1. beginnt mit dem Einzug, der 2. ab der Epistel, der 3. ab dem Evangelium, der 4. ab dem Offertorium, der 5. mit der Herrichtung am Altar, der 6. ab den Segenswünschen des Bischofs, der 7. ab dem Friedenskuss. “Im 1. Teil wird die Sendung Christi dargestellt,”e im 2. das Frohlocken der Kirche, im 3. die Verkündigung Christi und der Apostel, im 4. die Hingabe der Zuhörer, im 5. das Leiden Christi, im 6. sein Hinabsteigen zu den Toten, im 7. seine Auferstehung. Dieser letzten Gliederung folgend wollen wir alles durchgehen. Das Hochamt also, das von der Prozession bis zur Lesung geht, heißt Einzug, weil er uns Christi Ankunft im Fleische vor Augen führt, dann seinen Wandel auf Erden im Leib, bis er zum Thron des Vaters aufsteigt. Dies wollen wir dem sorgsamen Leser in den einzelnen Teilen des Hochamts darlegen. Robertus Paululus, De caeremoniis 2, 11. Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 21. c Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 34b. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 3. e Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 3. a
b
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2. Der erste Teil der Messe
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a. Der Einzug Der Herr schickte einen Boten zu den Völkern (Obd 1,1). “Diese Botschaft stellte Moses im Voraus dar, als er nach Ägypten herabstieg und von den Alten und dem Volk empfangen wird: Er sammelt die Zerstreuten, bändigt Ägypten durch Zeichen, befreit die vom Tyrannen Unterdrückten aus der harten Knechtschaft und führt sie aus Ägypten in das Gelobte Land. So kommt Christus in diese Welt und wird von den Engeln und Hirten empfangen, verschiedene Bauteile fügt er in einem Glauben zusammen, überwältigt die Welt durch Wunder, befreit die vom Teufel Bedrängten, führt sie aus der Unterwelt in die Heimat des Paradieses. Diese Botschaft, die die Propheten gepriesen, die Weisen gelehrt haben, führt uns die Prozession des Bischofs vor Augen, der die Figur Christi wahrnimmt. Der Bischof tritt ja im Ornat”a aus der Sakristei zum Tempel ein, weil Christus als der Schönste von allen Menschen (Ps 45,3) vom Thron des Vaters und aus dem Schoß der Jungfrau wie ein Bräutigam aus seinem Gemach hervortritt (Ps 19,6) und in die Welt hineinkommt. Die Prozessionsordnung ist nach dem Brauch einiger die folgende: Unter dem Klang der Glocken und dem harmonischen Läuten schreiten sieben Akolythen mit Leuchtern voran. Denen folgen sieben Subdiakone mit Plenarienb, nach ihnen sieben Diakone, sodann begleiten zwölf Prioren, ihnen folgen drei Akolythen mit Weihrauchfässern, danach ein Subdiakon mit dem Evangeliar. Nun wird der Bischof von einem Diakon und einem Priester geleitet, während die Menge des Volkes ihn betend begleitet. Die tönenden Glocken stellen die Propheten dar und verkünden sinnfällig die Ankunft Christi. “Die sieben Akolythen sind alle die,”c die als Licht der Erkenntnis den Gläubigen die siebenfältige Gnade des Heiligen Geistes gebracht Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 3. Hier: Reliquiare. c Vgl. Amalarius Metensis, Expositionis missae fragmenta 1, 13. a
b
2a – Der Einzug
haben. Die sieben Subdiakone mit den Plenarien sind die, die durch diese Gnade die ganze Fülle Gottes, die in Christus wirklich wohnt (Kol 2,9), gelehrt haben. Die sieben Diakone sind alle die, die insgesamt diese Gnade haben, also die geistliche, als Verständnis des Evangeliums von Christus. Die zwölf Prioren waren alle die, die im Glauben an die Dreifaltigkeit oder die Werke der drei und vier Tugenden geglänzt haben. Die drei Akolythen, die die Weihrauchfässer tragen, verkörpern die drei Magier, die ihre Gaben Christus darbrachten. Der eine Subdiakon, der das Evangeliar trägt, stellt das Gesetz dar. Deshalb geht er vorweg und trägt das Evangeliar, weil das Gesetz der Ankunft Christi vorausging und in sich das Sakrament des Evangeliums von der Passion enthält. Weil dieses im Buch des Gesetzes dunkel war, bevor das Lamm die sieben Siegel öffnete, trägt er das Evangeliar geschlossen. “Das Evangeliar wird aber vor dem Bischof getragen, weil durch die Lehre des Evangeliums der Weg zum Leben Christi vorbereitet wird. Der Bischof, der von zweien gefahren oder geleitet wird, ist Christus, der von den beiden Testamenten durch die Propheten und Apostel der Welt verkündigt wird. Der Diakon zur Rechten ist ja der Verkünder des Evangeliums, in dem Himmlisches versprochen wird. “Der Priester und der Subdiakon zur Linken, sind der prophetische Herold und der Gesetzgeber, die das Irdische als Buchstaben versprachen. Weil der Gesetzgeber vor den Propheten vorausging, geht der Subdiakon vor dem Priester voran”a; “die Menge begleitet den Hohenpriester zum Tempel, und das Volk der Gläubigen folgt Christus zum Himmel.”b “Beachte: In dem Geleit des Bischofs, mit dem er gleichsam im Wagen fährt, kommen die zehn Grade vor, also Ostiarier, Lektoren, Exorzisten, Akolythen, Subdiakone, Diakone, Priester, Sänger sowie Laien und Frauen, weil die Wagen Gottes zahlreich sind” c, zehn Tausend (Ps 68,18). “‘Tausend’ heißt Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 28. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 5; Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis 3, 5, 1. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 6. a
b
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Mitralis III – Die Messe
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es, um deren Vollzähligkeit zu betonen.”a Aber die Diakone, Subdiakone und Akolythen führt er besonders ausgewählt, entsprechend dem Wort: Hört: Ich sende Propheten, Weise und Schriftgelehrte zu euch (Mt 23,34). “Die Propheten sind die Diakone, die im Evangelium das künftige Leben ankündigen”b, die Weisen sind die Subdiakone, die weise die Geräte zurechtstellen, die Schriftgelehrten sind die Akolythen, die mit der Schrift die Herzen der Gläubigen entzünden. Doch auch diese Ordnung des Geleits ist in unseren Predigten zu beachten. Denn Akolythen, Subdiakone und Diakone sind alle Verkünder, die vor dem Antlitz Jesu Christi dem Herrn den Weg bereiten. Der Akolyth geht also mit Thymian Weihrauch voraus, weil man zuerst notwendigerweise Christi Menschsein verkünden muss. Daher sagt der Apostel: Ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten (1 Kor 2,2). “Es folgen die Kandelaber, damit leuchtet auf dem Fundament vor den Menschen das Licht der Verkünder, die diese in Händen halten, während sie im Handeln das erfüllen, was sie in der Predigt verkünden. Es folgt der Subdiakon mit dem Evangeliar, weil wir den erleuchteten Zuhörern unter den Vollkommenen Weisheit zusprechen. Im Evangelium ist ja Vollkommenheit enthalten.”c Wie an der Stelle: Wenn du vollkommen sein willst, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen (Mt 19,21). Und in all diesem wird die Kraft der Zahl vom Stoff der Verkündigung beachtet. Wenn nämlich nur ein einziger Akolyth, Subdiakon und Diakon da ist, werden sie den Verkündigern entsprechend zeigen, dass es das eine Gebot der Liebe gibt. Daher: Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst (Gal 5,14). Wenn es von jedem Grad zwei gibt, stellen sie die Verkünder dar, die die beiden Liebesgebote und die beiden Testamente verkünden. Daher: Abraham hatte Vgl. Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 34. Vgl. Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 34. c Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 34; vgl. Liber Q uare, Additiones 23a; Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber o fficialis 3, 7. a
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2a – Der Einzug
zwei Söhne, einen von der Sklavin, den andern von der Freien (Gal 4,22). Wenn es drei wären, stellen sie jene dar, die verkünden, dass die Schrift aus dem Gesetz, den Propheten und den Psalmen besteht. Wenn es vier wären, wären sie die Quadriga Aminadabs (vgl. Hld 6,11) und die vier Lebewesen, die von Ezechiel gesehen wurden (vgl. Ez 1,6). Wenn es fünf wären, würden sie denen entsprechen, die die fünfteilige Passion Christi verkünden. Wären es sechs, würden sie denen entsprechen, die die Heiden zu den Werken der Barmherzigkeit einladen. “Wären es sieben, würden sie denen entsprechen, die die Heiden über die Gaben der siebenfältigen Gnade informieren.”a Dies alles und hierüber müssen die Prediger ihre Untergebenen belehren, zu denen der Stellvertreter Jesu Christi und Christus selbst in die Öffentlichkeit geleitet wird und in die Mitte der jugendlichen Paukenschläger. – Die Sänger und zwei Chöre beginnen das Frohlocken und singen den Introitus entsprechend dem Kirchenjahr mit Vers und ‘Gloria Patri’, den sie an festfreien Tagen zweimal, an Festtagen dreimal wiederholen. In der ältesten Zeit wurden also Epistel und Evangelium vor der Opferung gelesen, und das Offizium begann mit der Lesung. Diese Sitte wird noch an Karsamstag und Pfingsten beibehalten. “Doch Papst Cölestin führte die Sitte ein, dass die Psalmen zum Einzug gesungen werden.”b “Gregor verfasste, um die größere Freude über Christi Ankunft darzustellen, Tropen und Antiphonen zum Introitus, nach denen zu den Psalmen gesungen werden sollte.”c Daher wird der erste Vers jenes Psalms mit dem ‘Gloria Patri’ gesungen, der besonders gut zum Tag passt und der einst zum Introitus vollständig mit dem ‘Gloria Patri’ gesungen wurde. So kommt es, dass der Introitus zumeist aus dem Psalter genommen wird oder weil der Psalter im tieferen Teil geprägt wird und im oberen seinen Klang wiedergibt. Daher beginnen wir die Messe Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 36. Sicardus, Cronica zum Jahr 410; Liber Pontificalis, I 45. – Papst Cölestin (422-432). c Robertus Paululus, De caeremoniis 2, 11; Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 87. a
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mit dem Psalter, weil wir darin über das Wirken der Passion, die weiter unten geprägt wird, zur höheren Süße der Auferstehung eilen. “Wahrlich hat das Konzil von Nizäa das ‘Gloria Patri’ gebracht,”a “und Papst Damasusb hat befohlen, es in der Messe singen zu lassen.”c “Die Sänger, die den eintreffenden Bischof mit dem ‘Gloria Patri’ empfangen, sind die Engel, die Christus bei dessen Ankunft mit Gloria in Altissimis – Verherrlicht ist Gott in der Höhe (Lk 2,14) empfangen haben. Beide Chöre, die die Loblieder gemeinsam singen, sind die beiden Völker, das jüdische und das heidnische, die dem kommenden Christus mit Lobgesängen entgegen gehen. Der Introitus ist das Loblied der Kirche aus den Juden.”d Deshalb besteht er aus drei Teilen: der Antiphon, dem Vers und dem ‘Gloria Patri’ wegen der drei Ränge der Gläubigen, die es in der hebräischen Sprache gab, nämlich dem der Patriarchen, dem der Propheten und dem der Apostel. Die Antiphon ist der Lobgesang der Patriarchen, der Vers der der Propheten, das ‘Gloria Patri’ der der Apostel. Die Wiederholung der Antiphon ist Übereinstimmung und Bestätigung der Verkündigung, gleichsam lange bevor ein Patriarch sie mit Gebärden gestaltete, ein Prophet vorhersagte und ein Apostel im Evangelium ausgesprochen hat. Um diesen Wandel zu betonen, werden feierliche Tropen eingefügt. ‘Tropos’ griechisch, lateinisch ‘Conuersio – Wandel’. Dies sind wechselnde Lobgesänge zum Introitus. Inzwischen, während diese vom Chor gesungen werden, betritt der Bischof den Altarraum. Deshalb heißt dieser erste Gesang ‘Introitus’. “Und er verneigt sich vor dem Altar, spricht mit der Antiphon den Psalm: Judica – Verschaff mir Recht, o Gott, und führe meine Sache (Ps 43,1). Dabei bittet er, von den Bösen getrennt zu werden”e, damit er nicht in Bedrängnis untergeht, und jauchzt, weil er aus Sehnsucht eintreten wird zum unsichtbaren Altar, nachdem er zum sichtbaren Altar eingetreten ist. Danach im a Sicardus, Cronica zum Jahr 368; Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 87. b Papst Damasus I. (366-384). c Robertus Paululus, De caeremoniis 2, 11. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 6. e Bernoldus, Micrologus 23.
2a – Der Einzug
Vertrauen auf jene Tröstung: Ich bekenne Dir meine Sünden. Und Du hast mir die Schuld vergeben (Ps 32,5). Damit er ohne Makel eintrete, bekennt er die einzelnen Arten der Sünden, also, ‘er habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken’, und sagt mit dem Apostel: Wir alle verfehlen uns in vielen Dingen (Jak 3,2). Nicht aber führt er die Arten im einzelnen auf wie Mord, Ehebruch, um das Gewissen der Zuhörer nicht zu verletzen. “Dann betet der Bischof für die Umstehenden und erfleht ihnen Nachlass der Sünden. Er ist der Christus, der aus der Verborgenheit des Vaters in die Welt gekommen war, als die von den Vätern vorgebrachten Seufzer sich vervielfältigten. Er ging, als Er aus dem Schoß der Jungfrau hervorgegangen war, nach Jerusalem, um für uns zu leiden und neigte sich bis zum Tod.”a Er überließ Gott seine Sache gegen ein unheiliges und verschlagenes Volk und “machte dem Vater ein preisendes Bekenntnis” b, indem Er sagte: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast (Mt 11,25). Auch hat Er den Vater für sie angerufen. Er selbst hat auch uns Nachlass gewährt und mit seinem Leib unsere Sünden getragen. – “Danach küsst der Bischof das Evangeliar,”c “dann die Diener an seiner Seite, rechts und links: Christus ist ja gekommen und hat gelitten, um durch den Glauben, den das Evangelium lehrt, die Kirche – von der Er zuvor sagte: Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich (Hld 1,1) – Gott dem Vater zu versöhnen und zwei Bauteile in einem Glauben zu verschmelzen und Frieden verkündend denen, die von fern, und denen, die aus der Nähe kommen, von Nord und Süd, durch ein Band des Friedens zu vereinen (Eph 4,3).”d Nach einigen bietet er den Friedenskuss auch den Kantoren, die hinter ihm stehen, indem er das Wort erfüllt: Frieden hinterlasse ich euch. Meinen Frieden gebe ich euch ( Joh 14,27). Er gibt den Anwesenden, Er hinterlässt den Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 7. Bernoldus, Micrologus 23. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 7. d Liber Quare, Additiones 23b. a
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Abwesenden. Zu beachten ist: Vor dem Kuss wird nicht ‘Gloria Patri’ gesungen, denn der Glaube an die Dreifaltigkeit wurde nicht zuvor klar, als der sich neigte und uns versöhnte und befahl, es solle die Dreifaltigkeit von den Aposteln verkündet werden. Daher, nachdem der Kuss gegeben wurde, gibt der Bischof dem Kantor ein Zeichen, dass er ‘Gloria – Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Wie es war im Anfang’ singen lassen soll. Seht, was der Kantor verkündet: Die Herzen der Väter sollen sich den Söhnen zuwenden. Abraham sah drei und verehrte einen, so sollen auch wir, seine Söhne, an die in der Einheit glauben. Nach dem Friedenskuss beten die Diakone mit dem Bischof, indem sie gleichsam sagen: Herr lehre uns beten (Lk 11,1). “Und wenn er nach der Oration an den Altar tritt, küsst er ihn in der Mitte.”a “Danach küsst er das Evangeliar und bezeichnet sich mit dem Kreuzzeichen, als ob er sagt: ‘Bis hierher bin ich gekommen, um Stellvertreter des Gekreuzigten zu sein, der in die Welt gekommen ist, um für unseren Frieden am Altar des Kreuzes zu hängen und mitten in der Liebe (Hld 3,10 Vg.) zu stehen. Ich schäme mich nicht, das Evangelium des Gekreuzigten zu verkünden (Röm 1,16), der gekommen ist, um uns den Frieden zu verkünden.’ Und: ‘Nimm durch den Altar die Juden an, durch das Evangelium die Heidenvölker, die an das Evangelium glauben.”b Beiden hat Gott Frieden gegeben, da Er der Eckstein ist. Ebenso pflegen nach einigen je zwei Diakone gegenüber die Seiten des Altars zu küssen, weil der Herr je zwei zum Predigen geschickt hat, denen Er sagte: Wenn ihr in ein Haus kommt, dann sagt: Friede diesem Hause (Mt 10,12). Wie jene zu Christus zurückkehrten, so kehren die Diakone zum Bischof zurück. “Er inzensiertc den Altar in Vertretung des Engels, der in der Offenbarung mit goldener Weihrauchpfanne beim Altar gestanden hatte. Daher: Ein Engel trat mit einer goldenen Weihrauchpfanne an den Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 34. Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 7. c Beräucherung mit brennendem Weihrauch. Die Körner stammen von verschiedenen Harzen und Kräutern. a
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2b – Kyrie und Gloria
Altar, und aus seiner Hand stieg der Weihrauch zum Anblick Gottes empor (Offb 8,3.4).”a Christus, der Engel des großen Ratschlusses, hat dem Herrn ja am Altar des Kreuzes zum lieblichen Wohlgeruch mit dem Feuer des Heiligen Geistes ganz seinen unbefleckten Leib geopfert. Der Rauch der Kräuter sind die Gebete der Heiligen, die durch die Glut der Liebe aus der Passion des Herrn verbreitet sind und zu Gottvater emporsteigen und uns zur Krone der Ewigkeit voraus ziehen. Deswegen schwenkt er das Fass in Form des Kreuzes und des Kreises. Wenn er einmal zum Kreuz inzensiert, erinnert er an die einzigartige Passion, wenn er einmal im Kreis schwenkt, an die Erstattung des einen Denars, wenn aber dreimal, sowohl an das Wirken der Dreifaltigkeit in der Passion als auch die Verherrlichung der drei Ränge. Deshalb spricht er beim Inzensieren: Dirigatur – Wie ein Rauchopfer steige mein Gebet vor Dir auf, Herr; als Abendopfer gelte vor Dir, wenn ich meine Hände erhebe (Ps 141,2).
b. Kyrie und Gloria “Während des Inzensierens werden auch Gebete von der Kirche gesungen, also ‘Kyrie eleison’, die der wahre Weihrauch sind, über die es heißt: Ihnen wurde viel Weihrauch gegeben (Offb 8,3).”b ‘Kyrie eleison’ ist griechisch, weil Papst Silvester es von den Griechen übernommen hat. Und Gregor hat befohlen, es in der Messe von den Klerikern singen zu lassen, während es einst vom Volk gesungen wurde. Beachte: “Die Messe wird in drei Sprachen gefeiert: Hebräisch wegen des Gesetzes, Griechisch wegen der Weisheit und Lateinisch wegen der Herrschaft; oder weil die Inschrift, als Jesus am Kreuz hing, hebräisch, griechisch und lateinisch abgefasst war ( Joh 19,20).”c Hebräisch sind Halleluja, Amen, Sabaoth und Hosanna. Griechisch Kyrie eleison, Hymas, das übrige ist Lateinisch. ‘Kyrie eleison’ wird übersetzt: ‘Herr, erbarme Dich’; Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 29. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 29. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 92; vgl. Robertus Paululus, De caeremoniis 2,12. a
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itunter wird angefügt: ‘hymas’, was mit ‘unser’ interpretiert m wird. Der Sinn von ‘Kyrie eleison hymas’ ist: Die himmlische Kraft erbarme sich unser. Christe eleison: der Du uns durch Dein Blut erlöst hast, Kyrie eleison: der Du zur Gleichheit mit dem Vater zurückgekehrt bist. So als ob er sagen will: ‘Der Du Mensch und Gott bist, erbarme Dich unser. Die Kirche feiert den Herrn dreifach, wegen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Sie feiert auch Christus dreifach und erneut den Herrn, denn Er ist Mensch und Gott, durch den man zum Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist kommt. Diese Dreizahl wird an anderer Stelle weiter unten erklärt werden.”a Die Kirche verwendet das ‘Erbarme Dich’ neunmal, weil sie durch das Erbarmen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes bittet, den Rängen der Engel angegliedert zu werden. Sie schaut auf das Vergangene. Damit uns wegen des Aufbaus der Melodien keine törichte Täuschung niederdrückt, sagen wir: Kyrie eleison. Die Gläubigen kamen durch den Dienst der Sänger, d. h. der Verkünder, zusammen zum Gotteslob. Damit sich keine Anmaßung einschleicht, sagen wir: Kyrie eleison. Wir sind unnütze Knechte, wir haben nur unsere Schuldigkeit getan (Lk 17,10). Damit uns wegen der Komposition der Melodien keine törichte Täuschung niederdrückt, sagen wir: Kyrie eleison. Zum folgenden: Der Zelebrant wird nun für das Volk beten. Damit durch sein Gebet die sterbenden Fliegen (Koh 10,1) verjagt werden, “damit sein Sinn erheitert wird, dass er würdig mit Gott spricht. Falls er nicht mit dem Herzen betet, dass der Herr nicht im Zorn ergrimmt, sondern sich erbarmt, schicken wir vor der Oration das Kyrie eleison voraus. In gleicher Weise wird es vor dem Gebet des Herrn im Stundengebet, wie in der Matutin und der Vesper vorausgeschickt.”b Es stellt das Lob der ‘Kirche aus den Heiden’ dar, sie hat ihren Ursprung von den Griechen genommen. Danach stimmt, während der Chor schweigt, “allein der Zelebrant mit lauter Stimme das ‘Gloria – Ehre sei Gott in der a b
Siehe S. 279 u. 283. Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 35.
2b – Kyrie und Gloria
Höhe’ an, nach Osten gewandt, dies nimmt das Volk in frohem Singen auf.”a Denn als tiefes Schweigen das All umfing (Weish 18,14), da spross Treue aus der Erde hervor (Ps 85,12) und entfloh den Schlupfwinkeln des Gesetzes. Sie allein gab den Menschen guten Willens Frieden mit Gott und den Engeln und stellte die Herrlichkeit der Engel wieder her. “Daher lässt das Volk nach dem Beispiel der Engel voll Freude die Lobgesänge für Christus, der selbst die Wahrheit ist, laut erschallen.” b Doch bei der Geburt Christi selbst geschah weder Friede noch Wiederversöhnung noch Wiederherstellung der Engel, vielmehr ist es eine Vorwegnahme, denn als Christus geboren war, wurde schon die Kerze angezündet, durch die die ewige Weisheit die verloren gegangene Drachme wiederfinden wird (vgl. Lk 15,8). Aber zu recht wird an dieser Stelle gesungen, “weswegen der Bischof gleich auf die rechte Seite des Altars hinübergeht und den Übergang Jesu Christi vom Tod zum Leben sinnfällig macht. Ein Übergang, durch den Er die Seelen der Heiligen mit den Scharen der Engel verband. Daher geschah das ‘Gloria – Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen’ (Lk 2,13), weil unter diesem Herrn das Himmlische mit dem Irdischen verknüpft wird.”c “Deshalb beginnt der Priester allein, weil bei Christi Geburt ein einzelner Engel diesen Hymnus begonnen hat und dann die Heerscharen des Himmels jubelnd einstimmten. Am Anfang aber wendet sich der Priester nach Osten,”d weil der Engel von Osten nach Bethlehem kam; oder weil wir den Herrn nach Osten gewandt zu verehren pflegen. Beachte: Dies allein ist der ‘Hymnus der Engel’, also das ‘Gloria – Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen, die guten Willens sind’. “Und dies noch ehe es in der Messe gesprochen wurde. Doch Hilariuse fügte ‘Laudamus a Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 93; Ders., Sacramentarium 37. b Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, I: Expositionis missae fragmenta 1, 3. c Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 8, 3. d Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 93. e Hilarius von Poitiers († 367).
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te – Wir loben Dich’ und das Übrige, was folgt, hinzu.”a Und zu recht nahm er das Lob dazu, damit sich zeige, dass der Hymnus ein Lobgesang ist. Dies lässt sich bei der Lesung des Evangeliums erwägen, wo es heißt: Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Ehre sei Gott in der Höhe (Lk 2,13-14). Und einige geben das Ganze wieder, was Hilarius in der Messe zu singen einführte. “Es gibt einige, die sagen, Telesphorusb habe nur in der Nacht von Weihnachten in der von ihm eingeführten Nachtmesse den Hymnus singen”c und an die Worte des Engels anfügen lassen, “Symmachusd aber hat dann hinzugefügt, er solle auch an Festtagen gesungen werden.”e Und einige sagen, er solle nur in der Messe um die 3. Stunde gesungen werden, weil damals der Heilige Geist auf die Apostel herabgestiegen ist und sie mit Herrlichkeit und Jauchzen erfüllt hat. Doch in der Nacht des Herrn muss er gesungen werden, denn da wurde er zum ersten Mal gehört, und an den Samstagen vor Ostern und Pfingsten, weil dann den Getauften die verlorene Herrlichkeit zurückgegeben wird.
c. Das Tagesgebet “Nach Ende des Hymnus geht der Zelebrant auf die rechte Seite und wendet sich zum Volk: ‘Dóminus uobiscum – Der Herr sei mit euch’ oder ‘Pax vobis – ‘Der Friede sei mit euch.’ Dieser Gruß ‘Der Herr sei mit euch’ ist aus dem Buch Ruth genommen.”f “Dort liest man, dass Booz den Schnittern seines Ackers sagt: Der Herr sei mit euch! (Rut 2,4) Noch besser wird es aus dem Buch der Chronik genommen. Dort sagte der Priester a Robertus Paululus, De ceremoniis 2, 11; Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 87; Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 36b. b 7. Papst nach Petrus (etwa 125-136) Die Nachricht selbst stammt aus dem Liber Piontificalis I 9. c Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 21. d Papst Symmachus (498-514). e Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 87: Sicardus, Cronica zum Jahr 498; Liber Piontificalis I 53. f Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 36c; Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 38.
2c – Das Tagesgebet
zu Asa und dem Volk, das er bei sich zur Schlacht versammelt hatte: Hört mich an, Asa und ihr alle von Juda und Benjamin! Der Herr ist mit euch, wenn ihr gewillt seid seinen Willen zu tun! (2 Chr 15,2 Vg.). Auch grüßte der Engel den Gideon und sagte: Der Herr sei mit dir! (Ri 6,12)a “Und dieser Gruß gehört den einfachen Priestern. Der andere aber, also ‘Pax vobis’, der aus dem Evangelium genommen ist, steht den Bischöfen zu,”b “denn sie sind besonders Stellvertreter Jesu Christi, der nach der Auferstehung den Aposteln gegenüber diesen Gruß verwandt hat.”c Diese Urkunde des Friedens zwischen Engeln und Menschen hat Er durch seinen Tod besiegelt, als Er von den Toten aufstand und diese Urkunde des Friedens veröffentlichte, indem Er sagte: ‘Friede sei mit euch.’ Dieses Wort hat auch der Hausverwalter Joseph seinen Brüdern gegenüber gebraucht. Zum andern ist das Neue Testament würdiger als das Alte. Nun antwortet das Volk: ‘Et cum spiritu tuo – Und mit deinem Geiste’. Das Volk betet, der Herr möge beim Geist des Priesters sein, der ihn im Geist und mit dem Verstand beten lasse. Unter ‘Verstand’ verstehen wir auch das Wort ‘Geist’. Es betet nur mit dem Mund, wer nur die Wörter ausspricht. Es betet mit dem Mund und dem Geist, wer die Worte verkündet und die Bedeutung bedenkt. Es betet mit dem Mund, dem Geist und dem Verstand, wer die Worte vorträgt, bedenkt und zu Gott und dem Himmel vorträgt. “Und dies ist die Antwort, die aus dem Apostel genommen ist,”d also dem 2. Brief an Timotheus, wo es heißt: Der Herr Jesus Christus sei mit deinem Geist (2 Tim 4,22). Aus diesem wechselseitigen Grüßen ergibt sich: Zelebrant und Volk sollen in frommer Liebe einander zugetan sein. Und sieh: Wenn der Chor dem Zelebranten antwortet: ‘Und mit deinem Geiste’, sagt der Priester niemals zum Volk: ‘Der Herr sei mit dir’, wie der Engel zu Gideon, sondern ‘mit euch’. Daher Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 7. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 36c. c Liber Quare, Additiones 23c. d Robertus Paululus, De caeremoniis 2, 11. a
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hat Papst Sotera bestimmt, keiner solle die Messe zelebrieren, wenn nicht ein Dritter anwesend ist. – Nun wendet der Zele brant sich dem Altar zu und erhebt beim Beten die Hände nach dem Vorbild des Moses oder des am Kreuz hängenden Heilands. Aber er lädt die andern zum Beten ein mit den Worten: ‘Oremus – Lasset uns beten!’ Er sammelt die ganze Kirche um sich und wie ein Syndikus der Universitas spricht er für die Vielen. Dies stammt aus der Antike. Die Alten fuhren nach dem Vorausschicken des ‘Lasset uns beten’ gemeinsam mit dem Gebet fort. Er betet aber auf der rechten Altarseite, weil Christus vom Tod zum Leben ging; dadurch führt Er uns aus der Verbannung in die Heimat zurück. “Darum stehen einige der Diakone hinter dem Bischof als Beter, die Ihm bis zum Tod folgen und mit Ihm zum ewigen Leben hinübergehen würden.”b Der größte Teil bleibt auf der rechten Seite, der kleinere auf der linken, denn die Kirche erbittet beides: den zeitlichen und den ewigen Segen. Wie dort, wollen wir mit den zeitlichen Gütern umgehen, dass wir die ewigen nicht verlieren. Diese Oration bezeichnet den Segen, mit dem Er die Jünger gesegnet hat, als Er zum Himmel aufstieg. “Beachte: ‘Orátio’ kommt von ‘orare – beten’, weil die Güter des Leibes und der Seele, die gegenwärtigen und künftigen, ‘erbeten’ werden. Es betet der Priester ja für die Guten, dass sie da sein mögen, für die Bösen, dass sie fernbleiben. Es heißt auch ‘collecta’, weil unter ihr das Volk ‘versammelt’ wird und die Bitten des Volkes in einer Bitte ‘gesammelt’ werden, damit sie durch den Priester zum Herrn gebracht werden.”c “Eigentlich wird ‘Kollekta’ genannt, was bei Prozessionen über eine ‘versammelte’ Menge gelesen wird, bei den Stadttoren, an Wegkreuzungen oder vor den Kirchentüren.”d “Es soll nur eine Oration gesprochen werden wie nur eine Epistel und ein Evangelium”e wegen der Einheit des Glaubens, denn ein Gott, ein Papst Soter (etwa 166-175). – Gratianus, CIC, D.1 c.61 de cons. Gratianus, CIC, D.1 c.59 de cons. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 94, vgl. noch Bernoldus, Micrologus 3. d Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 37a. e Bernoldus, Micrologus 4. a
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2c – Das Tagesgebet
Glaube, eine Taufe (Eph 4,5). “Doch nach den Einrichtungen der Väter werden mitunter drei, fünf oder sieben Gebete gesprochen. Ich sage nicht, dass außer diesen Zahlen etwa eine andere zu tadeln sei, sondern dass sie außerordentlich ist. Drei werden wegen der Heiligen Dreifaltigkeit gesprochen, oder weil Christus dreimal gebetet hat: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber (Mt 26,39). Fünf werden wegen des fünffachen Leidens des Herrn gesprochen, das in den fünf Wunden sichtbar wird. Sieben wegen der sieben Bitten im Gebet des Herrn. Über deren Zahl hinauszugehen wäre vermessen wegen der sieben Gaben des Heiligen Geistes.”a Paarweise sollen sie nicht gesprochen werden, denn ‘Gott freut sich an ungleicher Zahl.’b Doch dass zwei gesprochen werden, wenn ein Fest auf einen Sonntag fällt, “erlaubt die Römische Autorität, die zwei Orationen in der zweiten Weihnachtsmesse eingeführt hat”c und am Allerheiligenfest, wie auch vier am Gedenktag der Unschuldigen Kinder. Was auch immer gesprochen wird, stets wird die erste und letzte mit der gebührenden Schlussformel beendet. Die Orationen werden zum großen Teil an den Vater gerichtet und durch den Sohn im Heiligen Geist geschlossen, wenn der Zelebrant sagt: ‘O Vater, erhöre durch Deinen Sohn, der dies will und kann, – Er will, weil Er lebt, Er kann, weil Er herrscht.’ Er lebt, sag ich, und herrscht mit Dir in der Einheit des Heiligen Geistes; er lebt und herrscht nicht wie ein Tyrann im Geist der Bosheit, sondern lebt und herrscht als Gott im Geist der Güte. Und zu Recht wird jede Oration ‘durch den Sohn’ beendet, weil niemand zum Vater kommt, außer durch Ihn, und weil Er sagte: Alles, um was ihr in meinem Namen bittet, werde ich tun ( Joh 14,13). Er ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen (1 Tim 2,5), durch den wir vom Vater die Wohltat erbitten, wie wir durch das Mittel eines Kristalls von der weit entfernten Sonne das Feuer für eine Speise vom Himmel entlehnen. “Die Formel für die Orationsschlüsse ist: Wenn sich die Rede an den Vater wendet und weder Sohn noch Heiliger a Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 37c; vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 116. b Vergilius, Ecloga 8, 75. c Bernoldus, Micrologus 4.
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Geist erwähnt werden, schließt man: ‘Per Dóminum – Durch unsern Herrn Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir lebt und herrscht, in der Einheit des Heiligen Geistes, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.’ Wenn aber der Sohn genannt wird: ‘Per eundem – Durch Ihn, unsern Herrn’ usw. oder: ‘Qui tecum – Der mit Dir lebt und herrscht’ usw., oder: ‘Dóminum nostrum – Durch unsern Herrn’, wie bei der Oration: ‘Deus qui – Gott, der Du des ewigen Heils’ oder ‘Jesus Christus’ oder wie an Gründonnerstag ‘Ipse tibi – Er selber mache Dir genehm’. Wenn aber dort der Heilige Geist erwähnt ist, wird hinzugefügt: ‘In unitate – In der Einheit eben dieses Heiligen Geistes, Gott’ usw. Und wenn die Oration an den Sohn gerichtet ist, schließt man: ‘Qui uiuis – Der Du lebst und herrschst mit dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes Gott’ usw., oder ‘Qui cum Patre – Der Du mit dem Vater lebst’ usw. Wenn aber die Oration an die Dreifaltigkeit gerichtet ist, wird ohne Nennung der Personen geschlossen: ‘Qui uiuis – Der Du lebst und herrschst, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit’ wie in ‘Pláceat tibi – Es möge Dir, Heilige Dreifaltigkeit, gefallen, die Gabe meiner Knechtschaft’ und ‘Súscipe sancta Trínitas – Nimm an, Heilige Dreifaltigkeit, diese Gabe’. Oder der Beter richtet seine Rede auf sich oder das Volk und sagt: ‘Quod ipse praestare – Dies möge Er gnädig gewähren.’”a Und so wird auch bei Weihegebeten geschlossen, in denen die Rede an das Volk gerichtet ist. “Gefragt wird nach den Orationen im Advent, so: ‘Éxcita – Herr, wir bitten Dich, wecke auf Deine Macht und komm’. – Lösung: Es gibt drei Ankünfte. Die erste im Fleisch, die zweite im Sinn, die dritte in der Herrlichkeit. Hier handelt es sich um die zweite Ankunft, denn die Rede richtet sich an den Vater und den Sohn;”b der Sohn sagt ja: ‘Ich und der Vater, wir werden zu denen kommen, die meine Gebote halten.’ Und es wird dabei um die erste Ankunft oder eher die dritte Ankunft gebetet. Die vor dem Herrn vorhergehenden Väter haben den Vater gebeten, Er möge den Sohn schicken, oder den Sohn, Er a Bernoldus, Micrologus 6; Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 54.. b Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 54.
2c – Das Tagesgebet
solle kommen, um sie zu erlösen. Die Zeitgenossen aber bitten den Vater, Er möge den Sohn schicken, oder den Sohn, Er möge als Sohn kommen zu richten und alles berichtigen. Deshalb schließt fast jede Oration im Advent: ‘Der Du mit’ oder ‘Der Du lebst’. Und die Rede ist auch an die Dreifaltigkeit gerichtet. “Es wird auch gefragt nach der Oration ‘Fidélium – Gott, Du Schöpfer aller Gläubigen’ usw. Erlöser im eigentlichen Sinn ist doch Christus. – Ich antworte: Die Rede geht an den Vater. Die ganze Dreifaltigkeit ist Gott, Schöpfer und Erlöser aller.”a Denn ‘Gott, allmächtiger, barmherziger, ewiger und ständiger’. Obwohl dies auf das Wesentliche zielende Begriffe sind, werden sie doch öfter persönlich in den Orationen an den Vater gerichtet. Gefragt wird auch, worin die Rede an das Haupt der Kirche gerichtet wird, wenn man sich erinnert: Christus ist das Haupt der Kirche (Eph 5,23). – Ich antworte: Ähnlich wird dort die Rede an den Vater gerichtet. Haupt der Kirche ist ja die ganze Dreifaltigkeit. “In Exorzismus-Gebeten heißt es: ‘Durch ihn, der kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten und die Welt durch Feuer’ usw. Sobald das der Teufel hört, flieht er in Furcht vor dem Gericht des Feuers.”b So wollten einige, dies müsse in den Gebeten für die Verstorbenen ebenso gesagt werden, doch der Brauch widerspricht dem. ‘Von Ewigkeit zu Ewigkeit’, heißt es, denn sie folgen ihm nach. Wenn andere nämlich sterben, folgt anderes. – Auf die Oration antwortet das Volk mit: ‘Amen’.”c “Dies ist Hebräisch, lateinisch nach Hieronymus: ‘Fiat’ – Es geschehe’, nach Aquilad ‘getreulich’,”e nach einigen ‘wahrhaftig’, wie im Evangelium: Wahrlich, ich sage euch (Mt 5,26). Auch Christus heißt ‘Amen’ wie in der Offenbarung: So spricht Amenf, d. i. Christus, der getreue Zeuge (Offb 2,13), doch Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 54. Bernoldus, Micrologus 7. c Bernoldus, Micrologus 7. d Hrabanus Maurus, Expositio in Matthaeum, 2, 6, 13. – Aquila (2. Jh. n. Chr.) übersetzte das Alte Testament ins Griechische. e Hieronymus, Commentarii in epistolam ad Galatas 1, 1, 4. f Die Vulgata hat vielmehr: Antipas. a
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in den Orationen nimmt man bei ‘fiat’ als ob es heißt: Wahrlich, es geschehe uns, was du erbittest.’ Danach setzt sich der Bischof und stellt Christi Auffahrt und seinen Sitz zur Rechten des Vaters dar. Mit ihm setzen sich auch einige, unter denen wir Christi Glieder verstehen, die schon im Frieden ruhen. Über sie sagt der Apostel: Er hat uns mit Christus einen Platz im Himmel gegeben (Eph 2,6). Und: Diejenigen werden auf den zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten (Mt 19,28). Unter denen, die stehen, verstehen wir Christi Glieder, die noch im Streite sind: Der Herr, der nun im hohen Himmel thront, beschützt seine Stadt (Ps 127,1). Und sein Stellvertreter, der an etwas erhöhter Stelle sitzt, schaut auf sein Volk, so wie der Winzer seinen Weinberg beobachtet, um einem jeden zu vergelten, wie es seine Taten verdienen (Mt 16,27). “Sobald der Bischof sitzt, werden die Leuchter von ihren Plätzen genommen in einer Reihe vom Ersten bis zum Altar.”a Es ist dies bei einigen Kirchen Brauch, bei dem beachtet wird, dass wir aus Christi Fülle alle empfangen (Joh 1,16) in der Einheit des Geistes, doch in der Vielfalt der Gnaden. Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist (1 Kor 12,4). “Der Geist geht von einem Leuchter, d. h. von Christus, bis zum Altar, d. h. abwechselnd von den Herzen der Erwählten”b und variiert in den Gliedern die Gnadengaben. Bedenke: Die Akolythen haben die Leuchter auf die Erde gestellt, weil sie nach vollbrachtem Dienst der Verkündigung in Demut anerkennen, dass sie Staub und Asche sind, wie Abraham sagte: Ich habe es nun einmal unternommen, mit meinem Herrn zu reden, obwohl ich Staub und Asche bin (Gen 18,27). Die Zahl der Leuchter geht nicht über sieben hinaus, weil diese die ganze Kirche mit siebenfacher Gnade erleuchten. Und anders am Beginn dieses Abschnitts. Denn Christi Hervorgehen ist ein Weggehen vom Vater. Sein Neigen ist Entäußerung: Er neigte den Himmel
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Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 36. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 8.
2c – Das Tagesgebet
und fuhr herab (Ps 18,10), da Er sich entäußerte und wie ein Sklave wurde (Phil 2,7). “Der Introitus der alten Väter zeigt das Verlangen nach der Ankunft des Herrn, der Psalmvers die Weissagungen, die Wiederholung die Seufzer, ‘Gloria Patri – Ehre sei dem Vater’ die Lobgesänge, ‘Kyrie eleison’ deren dafür vervielfältigte Bittrufe, dass die Gnade der Dreifaltigkeit sie mit den Scharen der Engel neunmal vereine.”a ‘Glória in excelsis – Ehre sei Gott in der Höhe’ ist, wie wir zuvor sagten”b, der Hymnus der Engel bei Christi Geburt. Die Lobgesänge und der Wechselgesang des Chores ist das Frohlocken der Hirten. Begrüßung und Oration stehen für uns als das heilsame Wirken Christi. Das ganze Leben des Herrn und jede seiner Handlungen waren Gebet für uns. Er ist der Weihrauch, der aus der Hand des Engels zum Antlitz des Herrn emporsteigt (Offb 8,3-4). Als Er auf Erden lebte, wie der Apostel sagt, hat Er Gebete und Bitten vor Gott gebracht; er wurde erhört (Hebr 5,7) wegen seiner Gottesfurcht. “Der Zelebrant betet also wie Christus für uns gebetet sowie zu beten gemahnt und gelehrt hat.”c Daher betet er auf der rechten Seite des Altars, wie Christus die Juden gelehrt hat, zu denen Er vom Vater gesandt war. Daher: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt (Mt 15,24). Darum einer: “Die rechte Seite kennzeichnet die Juden, die linke die Heiden.”d
Und so war bislang alles in Gesang und Handlungen. Daher hat sich der Brauch verfestigt, dass man bis zur Lesung in der Kirche nicht sitzt, denn das fortschreitende Hochamt wird der Freude über die Ankunft Christi und sein Wirken zugewiesen. Deswegen heißt es in der Römischen Ordnung, dass der Bischof nicht sitzen soll, bevor nach der ersten Oration ‘Amen’ gesagt ist. Der Bischof stellt ja Christus bei seinem Kommen Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 7. Siehe S. 207. c Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 7. d Hildebertus lavardinensis, Versus de mysterio missae 1192C und 1194A. a
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und Handeln dar. Die übrigen aber verkörpern diejenigen, die vorausgingen, Ihn begleiteten und Ihm begegneten. Wer also Christus begleiten oder Christus bei seinem Kommen empfangen will, sei nicht träge, sondern nehme Christus bei seiner Ankunft auf, er singe mit den Propheten, die Christus verkündigten, bete mit Anna und Simeon, die Christus ersehnten, jauchze mit den Engeln und Hirten zur Begrüßung des Neugeborenen. Und er folge dem Herrn mit den Kindern, die Hosanna dem Sohn Davids (Mt 21,9) rufen, er weine mit Maria, die sagt: Herr, wärest du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben (Joh 11,21), und bete mit der Frau aus Kanaan: Herr, erbarme Dich meiner, meine Tochter wird von einem Dämon gequält (Mt 15,22). 3. Der zweite Teil der Messe – Die Epistel
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Zion hört es und freut sich (Ps 97,8). Sobald der Zelebrant sitzt, rezitiert der Lektor die Lesung, das Volk sitzt ringsum, der Chor singt danach die Gesänge. “Bei drei Gelegenheiten sitzt der Zelebrant in der Messe: wenn die Epistel gelesen wird, wenn das Graduale und wenn das Halleluja gesungen wird, weil der Herr, wie es heißt, sich drei Tage lang im Tempel gesetzt hat.”a Und der Zelebrant sitzt einmal, d. h. zusammenhängend. Während er sitzt, wird das durchgeführt, denn, da Christus zur Rechten des Vaters sitzt, verkündet der Prediger die Schrift, und das Volk schenkt ihm Gehör. “Beachte: ‘Lesung’ kommt von ‘légere – lesen’, sie muss gelesen werden, nicht gesungen.”b “’Epistel’ kommt von ‘epi’ ‘über’ und ‘stola’ gleich ‘Sendung’,”c denn so wie die Prophezeiungen über das Gesetz hinausgehen, so gehen die Episteln über das Evangelium der Messe hinaus. Daher werden nicht nur die Briefe, sondern auch die Prophezeiungen anstelle der Briefe gelesen. Beide Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II. Liber officialis 3, 10, 1. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 96; vgl. Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 6, 19, 9. c Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 6, 8, 17-18. a
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3 – Die Epistel
sind die zerrissenen Kleider des Jeremia (vgl. Jer 38,12); beide sind Wirte zum Versorgen (vgl. Lk 10,35), beide Überschreitungen der Gesetze, jene des Alten, diese des Neuen Testaments. Die Epistel ist also eine Stellvertreterin des Gesetzes und der Propheten vor dem hl. Evangelium und übt den Dienst des Herolds aus. “Das Gesetz ging ja dem Evangelium vorauf, wie der Herold dem Richter, wie die Furcht der Liebe, der Anfang der Vollendung, das tätige dem betrachtenden Leben. Obwohl für die Episteln oft etwas aus Schriften der Apostel genommen wird, steht es doch immer auf gleicher Stufe, ob aus dem Gesetz oder dem Heroldsdienst der Propheten genommen wird. Stets stellt sie den Vorlauf dar, offenbart das sittliche Verhalten und das tätige Leben und ist so weit von der Majestät des Evangeliums entfernt, wie das tätige Leben von dem betrachtenden Leben, der Knecht vom Herrn, der Herold vom Richter, der Bote von dem, der ihn gesandt hat. Wenn also die Epistel gelesen wird, sitzen wir ohne Unrecht zu begehen. Doch wenn wir das Evangelium hören, stehen wir ehrfürchtig mit vor dem Herrn gesenktem Gesicht.”a Der Brauch des Sitzens stammt aus dem Alten Testament, wie man in Esra liest (vgl. Esra 10,9). Einige bleiben stehen bei den Briefen des Paulus, weil er seine Verkündigung ‘Evangelium’ nannte (vgl. 1 Thess 1,5). “Und die Epistel bezeichnet geistlich die Predigt von Johannes dem Täufer, dem Vorläufer des Herrn,”b oder die Lehre der 72 Jünger, denen Er sagte: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter (Lk 10,2). Und ein Leser bezeichnet jeden Schreiber als gelehrt, der aus seinem reichen Vorrat Neues und Altes hervorholt (Mt 13,52). Daher trägt er Lesungen aus beiden Testamenten vor oder kennzeichnet Christus, der den Codex des Jesaja öffnete und vorlas: Der Geist des Herrn ruht auf mir (Lk 4,18; Jes 61,1). – Beachte: “Es ist nur einem Priester gestattet, die Messe zu zelebrieren, nur dem Diakon das Evangelium zu lesen, und so darf nur der die Epistel lesen, der im Grad des Subdiakons steht.”c “Sein Amt ist es, auf dem linken Arm den mit Fransen a Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 32; vgl. Amalarius Metensis, Liber officialis 3, 11, 5. b Amalarius Metensis, Expositionis Missae Fragmenta 2, 14, 2-3. c Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 2, 11, 4-5.
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g eschmückten Manipel zu tragen.”a Denn wenn entsprechend dem Bußruf von Johannes dem Täufer hier der Herold und sein Zuhörer schon die Axt des Gerichts, die an die Wurzel des Baumes gelegt ist (Mt 3,10; Lk 3,9), fürchtet und würdige Früchte der Umkehr hervorbringt (Mt 3,8 Vg.), wird er mit der Beharrlichkeit guter Werke die Garben der Gerechtigkeit davontragen. Darüber im Psalm: Sie kommen wieder mit Jubel und bringen ihre Garben ein (Ps 126,6). Die Fransen des Manipels und jedes anderen heiligen Kleidungsstücks zeigen, da sie der letzte Teil des Gewandes sind, die Beharrlichkeit und die Vollendung der guten Werke. “Nach der Epistel trägt der Chor die Gesänge Graduale”b, Traktus, Halleluja mit Versen, Jubilus und Sequenzen vor. Der Gebrauch der Gesänge, wie man in Esra liest (vgl. Neh 12,27), hat seinen Ursprung im Alten Testament genommen. “Am brosius, Gelasiusc und Gregorius haben Graduale, Traktus und Halleluja komponiert und geboten, sie sollten in der Messe gesungen werden, Hieronymus aber sagt, das Halleluja solle in der Messe gesungen werden; der Traktus stamme aus der Kirche von Jerusalem”d. Notker, Abt von St. Gallen, hat als Erster zu den Neumen des Halleluja Sequenzen komponiert, und Papst Nikolause hat zugelassen, dass sie in der Messe gesungen werden. “Doch auch Hermann der Lahme, der Erfinder des Astrolabiums, hat ‘Rex omnípotens – Allmächtiger König, am heutigen Tag’ und ‘Sancti Spíritus – Die Gnade des Heiligen Geistes sei mit uns’ geschaffen.”f “Und das ‘Graduale’ heißt von den Stufen her, auf denen es gesungen wird, oder weil man es stufenweise singt. Deshalb heißt es auch Responsorium, weil es auf die Verkündigung antwortet, oder weil der Chor auf die Vorsänger antwortet oder weil er auf den Vers antwortet. ‘Vers’ kommt von
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 33. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 38c. c Papst Gelasius (492-496). d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 88; Gregorius Magnus, Registrum epistularum 9, 26. e Papst Nikolaus II. (1058-1062). f Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 38f. a
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3 – Die Epistel
‘wenden’, weil er sich auf das Responsorium bezieht.”a ‘Traktus’ von ‘ziehen’, weil er in einem Zug gesungen wird, wo ein Vers auf den anderen folgt. Halleluja, Laudate Deum – Lobet den Herrn, ‘allelu’ gleich ‘lobet’, ‘ia’b ist einer der zehn Namen des Herrn. “Nach dem Vers wiederholen wir das Halleluja und verwenden dabei die Neumen des Jubilus.”c “Es besteht aber ein Unterschied zwischen ‘Neume’ (fem.) und ‘Pneuma’ (neutr.). Neume ist der Jubilus, Pneuma ist der Heilige Geist. Die Sequenz wird vorgetragen, sie folgt der Neume des Jubilus, und sie heißt ‘Sequenz’, hier und beim Evangelium.”d Wir nennen sie auch ‘Prosa’, d. h. ‘die Lange’. Wie wir durch die Epistel die Verkündigung des Johannes verstanden haben, so erkennen wir durch das Graduale die Verkündigung der Apostel und durch das Halleluja im Ruf und der Verkündigung die Freude. Einige aber verstehen unter der Lesung das Alte Testament und unter dem Gesang das Neue. So wie das Neue milder ist als das Alte und der Gesang sanfter ist als Lesung. Richtigerweise begleiten die Gesänge die Epistel, denn die Verkündigung der Prediger ist der Freude der Kirche gefolgt, Gotteslob und Heroldsrufe über die Bekehrung der Gläubigen. Denn unter dem Graduale wird die Bekehrung von den Juden angenommen, unter dem Vers die Bekehrung der Heiden verstanden, unter dem Halleluja die Freude beider im Glauben dargestellt. Die Sequenz zeigt sich als Gesang des Sieges. Daher wird der Beifall der Sieger in den Neumen nachgeahmt. Dieses Jauchzen hat die Paukenschlägerin Mirjam vorausgenommen, die den Sieg nach der Befreiung des Volkes rezitierte: Singt dem Herrn ein Lied (Ex 15,21). Mit ihr jubelte auch das Volk. Moralisch verstanden aber “singen wir auch heute das Graduale, wenn wir im Jammer der Buße Mühe haben und versuchen, mit wachsender Kraft dahinzuschreiten (Ps 84,8). Dieser Gesang gehört zur Bußklage und zur Mühe der Arbeiter.”e a Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 96; vgl. Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 7. b Gekürzt aus Jahwe. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 96. d Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 38d. e Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 34.
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So ist er sehr schwer, weil der Brauch es nicht erreicht mit erhabenen Stimmen diesen vorzutragen. “Daher kommt es auch, dass er an den Pfingsttagen aus dem Hochamt beseitigt wird, weil dann der glückliche Zustand der Kirche im Reich und in der Ruhe dargestellt wird.”a Daher auch, dass der Kantor ähnlich denen, die im Tal der Tränen dennoch Kraft finden in ihrem Herzen (vgl. Ps 84,6 Vg.), und der das Klagen der Buße, die Stufe der Demut und den Beginn des Aufstiegs an der Stelle anerkennt, da er eine Stufe tiefer steht als der, der das Halleluja singt. Daher auch, dass auf den Stufen gesungen wird und von den Stufen abgeleitet wird, denn die Büßer und Tätigen steigen auf in den Stufen der Tugenden, wenn sie das, was sie hören, in die Tat umsetzen. In der Lesung werden die Hörer auf die Weide geführt, “doch im Gesang werden die Herzen gleichsam mit dem Pflug der Reue mitgerissen.”b “Die Musik hat ja, wie Boethius sagt, eine natürliche Kraft, die Herzen umzustimmen.”c “Wir singen den Traktus, denn wir arbeiten auf diesem Weg.”d Über den Traktus werden wir weiter unten mehr sagen, hier erfährst du nur den Unterschied von Responsorium und Traktus, der wie zwischen Taube und Turteltaube ist. “Das Responsorium ähnelt der Taube, die im Schwarm fliegt und seufzt. Sie kennzeichnet das Seufzen des aktiven Lebens.”e Der Traktus wird mit der Turteltaube verglichen, die einzeln fliegt und seufzt. Deshalb kündet ihr Seufzen das Kontemplative. Wenn wir zum Vater im Verborgenen beten, opfern wir eine Turteltaube, wie Moses, der allein den Berg bestieg (Ex 24,2). Wenn wir aber singen: Kommt, lasst uns niederfallen, uns vor Ihm verneigen, vor Gott (Ps 95,6), tragen wir Tauben auf den Altar. Halleluja singen wir, weil wir auf diesem Weg zum Lob der Engel eilen. Verse, weil wir voller Mühen so gehen, kehren wir eilend zu Gott zurück. Wenn wir die Verse singen, wenden wir uns daher nach Osten. Beachte: “Das Robertus Paululus, De ceremoniis ecclesiasticis 1, 34. Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 82. c Boethius, Institutio musicae 1, 1. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 96. e Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 7. a
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3 – Die Epistel
alleluja, zunächst allgemein gesagt, stellt die Freude der H gegenwärtigen Kontemplation dar, doch dann in der Wiederholung bezeichnet es die ewige Freude und das Gastmahl der Engel wie auch der seligen Seelen.”a Darum behält es auch seinen fremden hebräischen Namen in der Liturgie, weil die Freude dort in der Fremde aus diesem Leben pilgert und wir vor Gott zu Pilgern werden. “Das Halleluja wird also passend nach dem Graduale gesungen, denn nach dem Tätigsein folgt die Betrachtung, nach der Trauer der Buße der Gesang der Freude, nach dem Strom des Aufschubs die Größe des Trostes.”b Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden (Mt 5,4), und: Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten (Ps 126,5). Angemessen jubeln wir auch ähnlich, dass der Geist dorthin entrückt werde, wo die Frommen frohlocken in festlichem Glanz und auf ihren Lagern jauchzen (Ps 149,5). Diese Freude kann nicht mit Worten ausgedrückt werden, aber auch nicht verheimlicht, wegen der Größe kann sie nicht ausgedrückt, wegen der Liebe nicht verheimlicht werden. “Die Sequenz singen wir im Jubilus, denn wir werden Gott in unsäglicher Freude schauen.”c “Daher hat sie ungewöhnliche und lobgetränkte Worte, denn diese Freude ist für die Menschen unbekannt wie das Heim aller Fröhlichen (Ps 87,7 Vg.). Einige Kirchen singen die Sequenzen aber ohne Text, weil die Bedeutung der Wörter dort nicht notwendig sei, wo die Herzen aller offen sind, wenn alle das Buch des Lebens schauen, und weil Worte nicht ausreichen, um dies auszudrücken.”d Daher das Wort: Was die Zunge hervorbringen kann, das bereitest Du vor als Gabe für die Märtyrer. Wer kann erzählen, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist (1 Kor 2,9). Darum sagt der Apostel, dass er wahrnahm, was ein Mensch nicht aussprechen kann (2 Kor 12,4). Da nun auf das Halleluja der Jubilus folgt, ist keine Sequenz nötig, und umgekehrt auch nicht. Und von denen, die dies singen, sind die einen die Kantoren, die Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 35. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 35. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 96. d Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 7. a
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mit lauter Stimme die Gesänge im Chor erschallen lassen. Sie sind die Leiter der Kirche, die Gott loben und die anderen mit Wort und Beispiel zum Loben einladen. “Die anderen sind die Knaben, die das Graduale auf den Stufen singen.”a Sie sind die aktiven, die Reinen, die mit wachsender Kraft dahinschreiten (Ps 84,8) auf den Stufen der Nächstenliebe. Wenn sie das Graduale beginnen, laden sie die anderen zur Reue ein. Wenn sie dann die Verse singen, kehren sie zu sich zurück und achten auf ihre Gedanken. Wenn sie die Wiederholung des Graduale beginnen, wissen sie, dass sie den guten Kampf gekämpft und den Lauf vollendet haben (2 Tim 4,7). Wer im ersten Teil seine Stimme nicht zu hoch ansetzt, kann danach den Vers gut singen: Wenn einer einen Turm bauen will, denke er zunächst an die Mittel (Lk 14,28). Bei der Wiederholung brauchen sie dies nicht zu fürchten und können die Stimme zuversichtlich in die Höhe führen. Die anderen sind vollkommene Männer, die das Halleluja oder den Traktus von ihren Pulten singen. Sie sind die Kontemplativen, die ihren Leib in Zucht halten, ihren Sinn erheben, deren Heimat im Himmel ist (Phil 3,20). Das ist nichts für Menschen, sondern für Engel. “Die Sequenz singen aber nicht die Solisten, sondern der Chor jubelt gemeinsam,”b denn der ewige, unsagbare Jubel ist gemeinsam für Engel und Menschen. 4. Der dritte Teil der Messe – Evangelium und Credo
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Den Beschluss des Herrn will ich kundtun: Er wurde eingesetzt auf Zion, seinem heiligen Berg (Ps 2,7.6). Hier wird die Verkündigung Christi und der Apostel offenbar: Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg, er begann zu reden und lehrte sie (Mt 5,1.2). “Diese Verkündigung hat Moses zuvor dargestellt, als er auf den Berg hinaufstieg, die Schrifttafeln empfing und dem Volk die Gebote a Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 38c; vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 96. b Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 77.
4 – Evangelium und Credo
vortrug.”a Diese stellen auch wir dar, wenn der Diakon vom Bischof den Segen erbittet und der ihn segnet. Nur der Diakon und keiner aus einem anderen Rang darf das Evangelium vortragen, denn ‘Diakon’ wird ja mit ‘Diener’ interpretiert. Christus aber war Diener, als Er das Evangelium verkündete. Daher: Ich bin nicht gekommen, um mich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen (Mt 20,28). “Dem Diakon sagt der Bischof beim Segen: ‘Dóminus sit – Der Herr sei in deinem Herzen und auf deinen Lippen.’”b Der Diakon soll also danach streben, dass sein Herz mit den Lippen übereinstimmt, damit das Gebet des Priesters nicht unfruchtbar sei. Deshalb wird er durch die Hand des Priesters mit dem Kreuzzeichen gestärkt, als wenn er ihm sagen wollte: ‘Wenn du verkündest, vergiss nicht das Leiden des Herrn.’ “Diakon ist ein von den Aposteln stammender Grad, den der Herr gesegnet hat, als Er ihm den Heiligen Geist gab und zum Verkündigen in alle Welt sandte. Diesen Segen erhielt der Subdiakon nicht, denn den Gesetzgeber und die Propheten schickte der unsichtbare Gott. Die Apostel und Evangelisten machte der sichtbar Gewordene, Er schickte sie sichtbar und lehrte sie.”c “Der Diakon nimmt das Evangeliar vom Altar. Die Apostel haben ja das Evangelium vom Altar genommen, als sie das Leiden des Herrn verkündeten und die Frohe Botschaft brachten. Und der Altar, auf dem vom Beginn an bis jetzt das Evangeliar lag, ist Jerusalem, von dem sie das Gesetz des Evangeliums aufnahmen, denn von Zion kommt die Weisung des Herrn und aus Jerusalem sein Wort ( Jes 2,3). Daher gab sich Gott nur in Juda zu erkennen (Ps 76,2), und sein Name ist gewaltig auf der ganzen Erde (Ps 8,2). Und der Altar bezeichnet die Juden, von denen das Reich Gottes übertragen und einem Volk gegeben wird, das seine Frucht bringt. Der Diakon trägt das Evangeliar auf dem linken Arm, denn die Linke stellt das gegenwärtige Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 19. Amalarius Metensis, Expositionis Missae Fragmenta 2, 16, 3. c Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 36. a
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Leben dar.”a In dem muss das Evangelium verkündet werden. Denn in der Zukunft wird Erkenntnis vergehen (1 Kor 13,8), d. h. dann ist keine professorale Gelehrsamkeit mehr nötig. “Dem Diakon geht der Subdiakon mit einem Kissen voraus, weil zu allem, was als Evangelium gelesen wird, das Gesetz das passende Zeugnis ablegt.” b Und das Kissen ist Sanftheit und Milde der Gebote Gottes, von der der Prophet sagt: Gott, in Deiner Güte versorgst Du den Armen (Ps 68,11). Und an anderer Stelle: Wie köstlich ist für meinen Gaumen Deine Verheißung (Ps 119,103). Sobald das Evangelium gelesen ist, wird das Evangeliar auf dem Kissen weggetragen, denn die Kirche hat, sobald sie Ihn nur hörte, gehorcht (2 Sam 22,45) und das Wort sanft im Herzen aufgenommen. Mir stockte der Atem. Wie mein Geliebter gesagt hat (Hld 5,6 Vg.). “Zwei Akolythen gehen mit Kandelabern und Kerzen voraus,”c einer mit dem Weihrauchfass. “Das sind Moses und Elija, bei denen der Herr wie die Sonne auf dem Berg hervorstrahlte,”d oder die Apostel, die der Herr zu je zweien zum Verkündigen schickte. Mitunter, wie an den Tagen ohne Fest, geht nur ein Akolyth mit einer Kerze vorweg. Dies ist Johannes der Täufer, der eine Leuchte des Wortes war. Er ging der ersten Ankunft Christi voran. Also können zwei Enoch und Elija bedeuten die der zweiten Ankunft vorausgehen wie zwei Leuchter, zwei Gebote, zwei Lichter, Gesetz und Propheten (vgl. Mal 3,23). Wenn das Evangelium gelesen wird, werden sie (nach einigen) auf dem Estrich abgestellt, weil der Schatten des Gesetzes und die Rätsel der Prophezeiungen durch das Licht des Evangeliums auch von den Niedrigen verstanden werden. Sobald das Evangelium vorgelesen ist, werden sie sofort gelöscht, denn durch die Lehre des Evangeliums sind Gesetz und Prophezeiungen völlig in der Schrift aufgegangen. Und weil die Wahrheit des Evangeliums erkannt wird, vergeht alle Erkenntnis (1 Kor 13,8). “Jener trägt das Weihrauchfass und lockt durch den süßen Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 18, 6. Liber Quare, Additiones 23d; Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 36. c Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 84. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 21. a
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4 – Evangelium und Credo
eruch der Passion aus dem Feuer der Verkündigung hervor. G Unter dem Rauch des Inzens wird die gute Meinung des Predigers bezeichnet,”a der Lebensduft, der Leben verheißen soll (2 Kor 2,16). Er duftet wie das Feld, das der Herr gesegnet hat (Gen 27,27 Vg.). “Das Weihrauchfass geht dem Evangelium voraus,” b denn der gute Ruf der Werke muss der Lehre der Worte vorausgehen. Daher: Jesus begann zu handeln und zu lehren (Apg 1,1). “Der Diakon steigt von der Ostseite auf den Ambo (anológium), d. h. den Ort, der für die Verkündigung von erhöhter Stelle bestimmt ist, und wendet sich nach Osten, grüßt zuerst das Volk und sagt: ‘Dóminus uobiscum – Der Herr sei mit euch’ (Rut 2,4).”c Ihm antwortet das Volk: ‘Et cum spíritu tuo – Und mit deinem Geiste.’ Christus ist ja von Bethlehem, das im Osten liegt, nach Jerusalem gekommen. Daher heißt es: Gott kommt von Osten her (Hab 3,3 Vg.). “Dass der Diakon einen Schritt mehr nach oben steigt, bedeutet, dass der Verkünder auf dem Berg der Tugenden stehen muss, entsprechend dem Wort: Steig auf einen hohen Berg ( Jes 40,9).”d Und weil Christus auf dem hohen Berg predigte, weil er sagte: Was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern (Mt 10,27), oder weil er erhabene Gebote gab. “Dadurch aber, dass das Evangelium auf höherer Stufe als die Epistel gelesen wird, wird deutlich, dass die Lehre der Apostel würdiger ist als die des Gesetzes, und das Evangelium hervorragender als die Briefe der Apostel.”e “Dass er nach Osten gewendet das Evangelium liest, ist, weil der Bräutigam am Mittag lagert (Hld 1,7) und in der Kirche in Gottesliebe glüht, oder weil auf dieser Seite die Männer zu stehen pflegen, denen Geistliches ausgesät werden muss. Unter den Männern wird Geistliches verstanden und von Osten her der Heilige Geist empfangen. Einige aber, wie es fast in allen Kirchen alter Brauch ist, wenden sich nach Norden, wo die Frauen sind, die Leibliches darstellen, und der Norden stellt die Ungläubigen dar. Leiblichen aber und Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 83. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 21. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 23. d Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 36. e Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 7. a
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Ungläubigen muss das Evangelium verkündet werden, damit sie sich zu Christus bekehren.”a Und dass der Diakon von Osten kommt, bedeutet, dass der Sohn Gottes durch das Wirken des Heiligen Geistes Fleisch angenommen hat. “Nach Norden die Rede zu richten, bedeutet, den Heiden das Heil bringen, da sie sich von der Hitze der Sonne abgewandt hatten, um die geheimen Mysterien zu enthüllen. Und es wird nach Norden gelesen, weil von Norden her sich das Unheil ergießt (Jer 1,14), dem soll der Glaube des Evangeliums entgegen gesetzt werden, entsprechend: Leistet Widerstand in der Kraft des Glaubens (1 Petr 5,9). Dort ist der frostige Norden, dort ist der Teufel, der durch das Wehen der Versuchungen die Herzen der Menschen zu Eis werden und erkalten lässt, weg von der Liebe Gottes. Deshalb wird ihm gesagt: Nordwind, erwache (Hld 4,16), d. h. verschwinde!”b “Wenn aber das Evangelium vom Altar gelesen werden soll, werde es auf der linken Seite gelesen.”c Denn von jetzt an gibt es den Übergang von rechts nach links. Darin wird der Übergang der Apostel betont, die von den Juden zu den Heiden übergingen, da jene das Wort Gottes verschmähten. Als die Wolle Gideons trocken blieb, benetzte Tau den Boden, und Er, der zuvor gesagt hatte: Geht nicht zu den Heiden (Mt 10,5) dann aber: Geht hinaus in die ganze Welt (Mk 16,15) hinzufügte, begrüßt nun, weil er das Evangelium verkünden will, zuerst das Volk, während er seit dem Aufnehmen des Codex vom Altar nichts auf dem Weg gesprochen hatte. So ist es, dass die Apostel auf dem Weg niemanden grüßten, sondern immer, wenn sie ein Haus zum Verkündigen betraten, die Bewohner zunächst nach dem Gebot des Herrn grüßten: Friede sei diesem Hause (Lk 10,5). Und diesen Gruß gibt der Diakon an die Zuhörer weiter, die aufmerksam für das Wort des Herrn sind; daher wendet er sich an sie. “Das Volk, das auf ihn aufmerksam gemacht worden ist und sich von Herzen wohlwollend Gott und mit den Blicken dem Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 22. Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 7; vgl. Bernoldus, Micrologus 7. c Bernoldus, Micrologus 9. a
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4 – Evangelium und Credo
Diakon zuwendet, sagt: ‘Et cum spíritu tuo – Und mit deinem Geiste.’ Es betet das Volk, der Herr möge beim Geist des Verkünders sein, Er lasse ihn recht verkünden und auf Gott beziehen. Dann fügt der Diakon hinzu: ‘Aus dem hl. Evangelium’ und macht die Zuhörer bereitwillig zum Lernen.”a Nicht dass die Würde des Evangeliums sich herablässt und den Regeln der Redner unterworfen wird, sondern weil die Weisheit das, was in den Menschen an Redegabe steckt, in ihrer Kirche zur Vollendung bringt. “‘Evangelium’ heißt in Antonomasieb ‘gute Nachricht’, von ‘eu’, was ‘gut’, und ‘angelus’, was ‘Bote’ heißt.”c Es verkündet ja das Leben nach dem Tod, die Ruhe nach den Mühen, die Herrschaft nach der Knechtschaft, und von ‘euan’ und ‘gelos’, wie einige sagen, doch das hat denselben Sinn. Obgleich auch andere Schriften Gutes vermelden, so hat doch diese, die der Herr mit eigenem Mund verkündet hat, sich den Namen Evangelium verdient. “Die Evangelien werden in doppelter Form eingeleitet: ‘Inítium – Beginn des hl. Evangeliums’, wie bei den Anfängen der Evangelisten,”d oder durch: ‘Sequéntia – Aus dem hl. Evangelium’. Es heißt ‘Sequéntia’, weil es auf den Beginn oder Früheres folgt. Es antwortet das Volk: ‘Glória tibi Dómine’ – ‘Ehre sei Dir, o Herr’. Beim Evangelium handelt es sich um die Ehre Gottes und die von uns, also dass Er den Teufel besiegt und als Sieger zur Ehre Gottes aufsteigt, dass Er uns erlöst und uns noch Größeres versprochen hat. “Wenn wir die Nennung des Evangeliums hören, wenden wir uns nach Osten”e und rufen: ‘Glória – Ehre sei Dir, o Herr.’ Als ob wir sagen: ‘Was im Evangelium verkündet wird, glauben auch wir und hoffen, es möge uns nützen, es möge für uns eintreten und ohne Ende dauern.’ Daher: Nicht uns, o Herr, bring zu Ehren, sondern Deinen Namen (Ps 115,1). Dort steckt ‘Ehre’ drin für jetzt und künftig. “So ehrt auch das Volk Gott, der sein Heilswort zu uns gesandt Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 36. Unter Antonomasie versteht man die rhetorische Figur der Umschreibung. c Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 6, 2, 43. d Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 39a. e Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 18, 7. a
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hat und seinem Volk Erlösung geschaffen (Lk 1,68), entsprechend dem, was in der Apostelgeschichte gesagt wird: Sie priesen Gott (Apg 11,18).”a Wenn dies gesprochen wird, “bezeichnen sich Hörer wie Vortragender mit dem Daumen zunächst auf der Stirn, dann auf dem Mund und dann auf der Brust mit dem Kreuzzeichen. Auf die Stirn wird das Kreuzzeichen gesetzt, weil in der Stirn der Sitz der Scham und Sittsamkeit ist. Daher nennen wir die schamlosen Menschen ‘brutal’, gleichermaßen ‘stirnlos’. Dadurch also, dass wir auf die Stirn das Kreuzzeichen setzen, zeigen wir, dass wir uns unseres gekreuzigten Herrn nicht schämen, was uns von Juden und Heiden vorgeworfen wird. Daher der Apostel: Wir verkünden Christus, unsern Herrn, als den Gekreuzigten; für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit (1 Kor 1,23). Wir brauchen nicht zu erröten, denn wer sich des in diese Welt gekommenen Sohnes schämt, dessen wird sich der Menschensohn vor dem Vater und den Engeln im Gericht schämen (vgl. Lk 9,26). Dann machen wir das Kreuzzeichen auf den Mund und auf der Brust, wir zeigen, dass wir den gekreuzigten Herrn mit dem Mund bekennen und im Herzen glauben. Mit dem Herzen wird an die Gerechtigkeit geglaubt, und das Bekenntnis führt zum Heil (vgl. Röm 10,1-4). Deshalb wird unter dem Kreuzzeichen auf der Brust der Glaube, und bei dem auf dem Mund das Bekenntnis, beim Zeichen auf der Stirn das Handeln verstanden, als ob einer sagt: Ich bezeichne mich auf der Stirn, dem Mund und der Brust, weil ich mich des Kreuzes Christi nicht schäme, sondern ihn verkünde und Ihm glaube.”b “Es wird gefragt, wie wir uns bekreuzigen sollen, also von links nach rechts oder umgekehrt. Einige wollen, man solle sich von links nach rechts bezeichnen. Aus dieser Autorität: ‘Ausgegangen vom Vater, hinabgestiegen bis in die Unterwelt, zurückgekehrt zum Thron Gottes’c; Christus ist ja vom Vater in die Welt gekommen, von dort zur Unterwelt, von da zum Thron Gottes. Wer sich also bekreuzigt, beginnt oben, was den Vater Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 36. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 39d. c Hymnus des Ambrosius Intende (AH 50, 13). a
b
4 – Evangelium und Credo
b ezeichnet. Dann steigt er herunter, was die Welt bedeutet. Er wechselt von der linken zur rechten Seite; links bedeutet die Unterwelt, rechts der Himmel. Christus aber steigt von der Unterwelt in die Höhe des Himmels. Andere machen das Kreuzzeichen von rechts nach links, denn Christus kam von der Rechten des Vaters und vernichtete am Kreuz den Teufel, der links ist.”a Und der Erfolg des Kreuzes bezieht sich auf uns: Gott neigte den Himmel und fuhr herab (Ps 18,10), um uns zu lehren zuerst das Reich Gottes zu suchen. Wenn wir das erreicht haben, werden uns die weltlichen Dinge dazugegeben. Und seht: Das ist der Übergang von rechts nach links. Er steigt auch herab, um uns von der Erde zum Himmel zu erheben, und seht: das ist der Übergang von links nach rechts. Und diese genannten drei Stellen bezeichnen wir mit dem Daumen, und schließlich berühren wir die drei Stellen mit drei Fingern, denn wir beziehen unsern ganzen Glauben, das Bekenntnis, die Kühnheit und unser Handeln auf den einen und dreifaltigen Gott. “Danach inzensiert der Diakon das Buch,”b bekreuzigt sich, küsst das Buch zum Zeichen, als wollte er sagen: ‘Dies ist das Buch Gottes. Dies ist das Buch des Gekreuzigten. Dies ist das Buch des Friedensstifters.’ Einige bekreuzigen zuerst das Buch, danach sich, und zwar auf Stirn und Brust, gleichsam als Überhöhung beider. Dann beginnt der Diakon das Evangelium. Es hat eine dreifache Einleitung: Entweder: ‘Beginn des Evangeliums’, wie Im Anfang war das Wort (Joh 1,1). Ebenso Der Stammbaum Jesu Christi (Mt 1,1). Und zur Kennzeichnung bestimmter Zeiten, etwa: “Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius (Lk 3,1) usw. Und: ‘In jener Zeit’, womit allerdings die Verwirrung der Zeit deutlich wird; es bedeutet: In jener Zeit, d. h. der Gnade, von der es heißt: Zur Zeit der Gnade erhöre ich dich (2 Kor 6,2). Beachte: Propheten, Episteln und Evangelien beginnen oder schließen mit diesen Formeln oder Anreden, die dabei öfter wiederholt werden. Bei Propheten werden ja die Klauseln am a b
Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 39e. Bernoldus, Micrologus 9.
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häufigsten wiederholt, z. B.: ‘In jenen Tagen’ und: ‘So spricht der allmächtige Herr’. Bei den Paulus-Briefen wird oft die Formel gesetzt: ‘Brüder’ – ‘In Christus Jesus unserm Herrn’, bei den Briefen des Jakobus und Petrus wird oft die Formel ‘Liebste Brüder’ gesetzt. Bei den Evangelien findet sich öfter das Wort: ‘In jener Zeit’. Mitunter werden die Evangelien historisch gelesen: Die Hirten sagten zu einander (Lk 2,15); Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome (Mk 16,1). Mitunter nach der Allegorie: Jesus kam in ein Dorf (Lk 10,38). Darin wird gesprochen über Maria und Martha, die Schwestern des Lazarus. Weil sie die beiden Lebensweisen verkörpern, das Kontemplative und das Aktive, wird dies an Mariä Himmelfahrt gelesen. In Maria gibt es die Vollendung der beiden Lebensweisen. Mitunter nach der Person, wie am Fest des hl. Apostels Thomas heißt es: Thomas, einer der Zwölf (Joh 20,24). Mitunter wie am Fest Heilig Kreuz: In jener Zeit lebte ein Pharisäer (ebd. 3,1). Wegen dieser Klausel: Wie Moses die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden (ebd. 3,14; vgl. Num 21,9). In diesem Wort wird ja die Passion erzählt, und mit dem Kreuz wird die Erhöhung des Leibes symbolisiert. Mitunter ganz nach einem Ereignis, wie jenes: Als acht Tage vorüber waren (Lk 2,21). “Wenn das Evangelium gelesen wird, soll mit höchster Aufmerksamkeit zugehört werden; keiner soll sitzen. Dies hat Papst Anastasiusa angeordnet. Auch Stöcke sollen aus den Händen und Hüte von den Köpfen der Männer genommen werden.”b Da uns zu sitzen verboten ist, dürfen wir auch nicht liegen oder uns anlehnen, außer im Notfall. Aufrechte müssen ja stehen. Es sitzen die Faulen, es liegen die Schlafenden, die Schwachen lehnen sich an, die starken Faustkämpfer stehen. Um also zu zeigen, dass wir zur Verteidigung des Evangeliums starke Faustkämpfer Jesu Christi sind, müssen wir stehen, solange das Evangelium gelesen wird, aufrecht im Bewusstsein, dass wir nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen haben, sondern gegen die a b
Gratianus, CIC, D.1 c.68 de conc.. – Papst Anastasius I. (399-401). Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 39h.
4 – Evangelium und Credo
Fürsten und Gewalten (Eph 6,12). Und damit jegliches Anlehnen vermieden wird, “sollen auch die Stöcke abgelegt werden, nicht nur bei den übrigen, sondern auch bei den Kantoren.”a “Im Gesetz wurde befohlen, dass alle, die vom Lamm essen, Stöcke in den Händen halten sollten.”b Diese werden bei den Kantoren dargestellt, die in der Messe Stöcke halten und darstellen: Wer nach Hause strebt, hat das Essen des himmlischen Lammes und die Stöcke gegen die Feinde nötig, d. h. die Sätze der Schrift gegen die Dämonen. Allgemein verstehen wir unter den Stöcken die Befolgung des Gesetzes, geistlich unter den Stöcken der Kantoren die Sätze der Schrift oder die Lehren der Prediger. Durch das Verkündigen des Evangeliums legen wir also die Befolgung des Gesetzes nieder, und in Zukunft, wenn wir die Wahrheit des Evangeliums begreifen, verstummt die Zungenrede (1 Kor 13,8) der Gelehrten, denn die Erkenntnis vergeht (ebd.). Und wir legen die Stöcke ab, damit es nicht so scheint, dass wir die Juden nachahmen, die mit einem Stock auf das Haupt Christi schlugen (Mk 15,19). Und den Stock ablegen heißt, wegen der Vollkommenheit des Evangeliums kein Unrecht zu bestrafen, sondern dem Herrn die Rache zu überlassen. Daher: Mein ist die Rache. Ich werde vergelten (Röm 12,19). Und nicht auf Fürsten oder weltliche Unterstützung vertrauen, denn: Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch (Koh 12,8). Dazu ist keine menschliche Hilfe nötig, wenn wir Christus gegenwärtig haben und auf seine Stimme hören. “Aus ähnlichen Gründen werden die Hüte von den Köpfen der Männer abgelegt, damit wir anders als die Juden aussehen, die das Haupt Christi mit einer Dornenkrone bedeckt haben. Auch weil die gegenwärtige Verkündigung des Evangeliums die Schleier des Gesetzes beseitigt hat und die künftige Aneignung der Wahrheit des Evangeliums die Schuppen von unsern Augen nimmt (Apg 9,18). Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht (1 Kor 13,12). Und wir entblößen den Kopf als Zeichen, dass wir das Wort Gottes aufmerksam hören müssen. Ich sagte a b
Gratianus, CIC, D.1 c.68 de cons. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 39 l.
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deshalb ‘der Männer’, weil die Frauen nicht mit entblößtem Kopf hören sollen, wegen der Scham über den verbotenen Apfel. Ganz gleich ob es sich um eine Jungfrau, eine Mutter oder sonst eine Frau handelt, sie soll irgendein Tuch auf den Kopf tun, wenn sie keinen Schleier hat. Mag eine Jungfrau mit ihren Haaren ausgelassen sein, so darf sie doch so nicht beten, wenn sie ihr Haupthaar nicht bedeckt hat als Zeichen der Scham über die Erbsünde und aus Demut und Ehrfurcht vor dem Priester. “Nach dem Vorlesen des Evangeliums sage ein jeder: ‘Benedictus – Gesegnet sei Er, der da kommt im Namen des Herrn’ (Mt 23,39) oder ‘Deo grátias – Dank sei Gott’, wie wir nach den anderen Lesungen sagen. Es ist ja angemessen zu preisen und Dank zu sagen, Dem, der kommt, uns mit dieser Lehre zu retten. Noch besser ist es, ‘Amen’ zu sagen,”a gleichsam: ‘Das ist wahr, was gesagt wurde.’ Dies geht gegen die Ketzereien und den Aberglauben von einigen, die, wenn das Evangelium gelesen wird, widersprechen: ‘Das ist falsch.’ Oder ‘Amen’, gleichsam: ‘Uns geschehe, was der Herr im Evangelium verspricht.’ “Jeder muss sich nach dem Evangelium mit dem Kreuzzeichen gegen den Teufel stärken, der nach dem Lesen des Evangeliums sofort List anwendet, damit sich das Wort des Evangeliums nicht in uns festsetzt.”b Wir stärken uns also durch das Kreuzzeichen, damit er [der Teufel] nicht diesen Glauben an die Passion raubt, die Hoffnung des Versprechens des Evangeliums uns aus dem Herzen, das Bekenntnis aus dem Mund, die Kühnheit aus der Stirn oder dem Handeln raubt und durch das Unkraut der Ketzerei nicht den Samen der rechten Verkündigung vernichtet. Der Diakon aber bekreuzigt sich zunächst, inzensiert das Buch und küsst es. Er sagt Gott Dank, der uns zu beten lehrt und den Frieden gegeben hat. Danach überreicht er dem Bischof den Weihrauch und das Evangeliar zum Kuss. Die Apostel sind ja nach der Verkündigung zu Christus zurückgekehrt, nicht um sich, sondern um Ihm Dank zu sagen für die Wunder und die Entfaltung der Verkündigung, a b
Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 39g. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 39g.
4 – Evangelium und Credo
Ihm, der uns zu beten gelehrt und den Frieden gegeben hat. “Danach hält der Bischof eine Predigt an das Volk.”a Andernorts predigt er auch vor dem Evangelium, vielleicht aus schlechter Gewohnheit der Laien, die weggehen nach dem Singen des Evangeliums. Und er predigt zuvor und nachher angemessen, denn er kann dem Volk eine Einführung ins Evangelium geben. Zuvor predigt er, damit sie beim Vorlesen begieriger zuhören, weil sie es dann verstehen. Nachher predigt er, damit sie das Vorgelesene verstehend im Gedächtnis behalten. Theologisch richtiger ist aber die Predigt danach, “denn Christus hat, nachdem er sich durch die Apostel dem Volk vorgestellt hatte, selbst durch sein eigenes Wort den Leuten gepredigt. Daher predigt der Bischof, was auch Christus gelehrt hat, d. h. Buße und dergleichen.”b Nach der Predigt singen die Geistlichen: Credo –, Ich glaube an den einen Gott’, denn was der Diakon liest, der Bischof predigt, das zu glauben bekräftigt gläubig das Volk. Das ist rechte Ordnung: Wohin der König ruft, dahin eilen die Soldaten. Doch nicht in jeder Messe ist das Credo zu singen, sondern nur an den Festen derer, die im Symbolum irgendwie erwähnt werden oder was anscheinend irgendwie zitiert wird, also Weihnachten, Beschneidung, Erscheinung des Herrn, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, Allerheiligenfest und an den Festen der einzelnen Apostel, auch an allen Festen der seligen Jungfrau, an Verklärung des Herrn, an den Festen des Heiligen Kreuzes, an allen Sonntagen, dem Dreifaltigkeitsfest, bei der Kirchweihe, nicht aber an anderen Tagen. Besonders aber zu Ostern und Pfingsten gehört es sich, denn das neue Geschlecht gibt voller Jauchzen das wieder, was es im Katechismus gelernt hat. Zweifel bestehen beim Fest Johannes des Täufers. Einige sagen, es sei an seinem Festtag zu singen, weil bei seiner Geburt die Geburt Christi erwähnt wurde, und weil im Symbolum eine Erwähnung der Propheten geschieht. Er aber war mehr als ein Prophet (Mt 11,9). Andere sagen anderes. Zweifel herrscht auch über die Feste der a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 25. Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 25.
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Kirchenpatrone; bei einigen gibt es den Brauch, es am Festtag selbst nicht auszulassen, doch in der Oktav, wenn es sie gibt, zu unterdrücken. – Es handelt sich hier um das Glaubensbekenntnis der Synode von Konstantinopel. “Die Kirche benutzt derzeit vier Symbola: und zwar das Symbolum des Athanasius ‘Quicumque uult’ – Wer erlöst sein will’,”a das er gegen die arianischen Ketzer verfasste, ferner das Symbolum des Hilarius, das er im Buch Über die Synodenb verfasste, aus dem auf Synoden ganz oder teilweise gelesen wird, ferner das Apostolische Symbolum,c also ‘Ich glaube an Gott, den Vater’; ferner das Symbolum der Synode von Konstantinopel, das diese Synode verfasste,”d doch Papst Damasus verfügte, dass dieses in der Messe gesungen wird. Wenn es gesungen wird, knien wir nieder bei der Stelle ‘Et homo factus est – Und ist Mensch geworden’, denn wir verehren Christus den Mensch Gewordenen und für uns Gekreuzigten. Während dieses Symbolum gesungen wird, wird das Evangeliar vom Subdiakon mit Weihrauch zurückgetragen und aufgeschlagen den Einzelnen zum Kuss gereicht. Von dem wurde es zuvor geschlossen getragen, denn die Apostel haben das Wort Christi in alle Welt getragen und waren Lebenssaft, der Leben verheißt (2 Kor 2,16) und verkündeten ewigen Frieden. Und der Glaube des Evangeliums, der vorher im Gesetz geschlossen war, ist nun offenbar. Es wird aber besonders den Geistlichen gereicht, gleichsam als ob gesagt würde: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu erkennen (Lk 8,10). – “Sobald das Glaubensbekenntnis gesungen ist, macht jeder das Kreuzzeichen, denn der Text stammt aus dem Evangelium. Es ist in Kurzfassung das Wort, das der Herr auf die Erde brachte und das, wie es andernorts heißt, auf die Söhne Gottes kam (vgl. Röm 9,8). Grundsätzlich müssen wir bei allen Worten aus dem Evangelium das Kreuzzeichen machen, wie am Schluss von Siehe S. 327. Hilarius Pictaviensis, De synodis 61 (PL 10, col. 522); Symbolum Clemens Trinitas, Text: H. Denzinger-A. Schönmetzer, Enchiridion symbolorum, definitiorum et declarationum, Freiburg31 1963, 73-74. c Siehe S. 508. d Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 40e. a
b
5 – Die Opferung
Gloria – Ehre sei Gott in der Höhe, ‘Credo – Ich glaube an den einen Gott’, Sanctus – Heilig, heilig, heilig, ‘Pater noster – Vater unser’ und am Ende [der Horen]: Benedictus – Gepriesen sei der Herr (Lk 1,68), Magnificat – Meine Seele preist (Lk 1,46), Nunc dimittis – Nun lässt Du Herr (Lk 2,29), weil wir uns, wie wir weiter oben sagten,a am Ende von Evangelienstellen zu bekreuzigen haben. In gleicher Weise wie beim Evangelium müssen wir stehend zuhören.”b “Wenn das Symbolum gesungen ist oder auch wenn es noch gesungen wird, singt das Volk mitunter: ‘Kyrie eleison’,”c denn nachdem Christus und die Apostel das Volk gelehrt hatten, haben diese nach Aufnahme des Glaubens Gott Lobgesänge dargebracht, die vielleicht die überaus süße Melodie des Symbolums darstellt. Und mehr noch, damit nicht der Vorwurf kommt: Wir haben gesungen, und ihr habt nicht getanzt (Mt 11,17; Lk 7,32), zeigt der Zuhörer des Evangeliums wachen Sinnes und mit froher und bewegter Stimme, wie gut er die Lehre des Evangeliums bewahrt hat. 5. Der vierte Teil der Messe – Die Opferung Du hast Freude, o Herr, an rechten Opfern, an Brandopfern und Ganzopfern, dann opfert man Stiere auf Deinem Altar (Ps 51,21). Der vierte Teil des Hochamts heißt Offertorium oder ‘Opferung’. Er beginnt mit ‘Dóminus uobiscum.”d Es ist Brauch, wenn wir neu zu Arbeitern eintreten, sie zu begrüßen. So nach einigen, wenn wir von einer Werkstatt in eine andere gehen, schicken wir einen Gruß voraus. So wollen einige, dass der 2. Teil des Hochamts mit dem Gruß bei der Kollekta beginnt, der 3. beim Evangelium, der 4. hier e, der 5. mit dem Gruß bei der Präfation, der 6. mit dem Friedensgruß, der 7. mit dem Schlussgruß. “Die Einrichtung dieses Liturgieteils hat ihren Ursprung von Moses und von Christus genommen. Denn als Moses vom Berg Siehe S. 232. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 40d. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 19. d Amalarius Metensis, Liber officialis 3, 19, 9. e D. h. mit der Opferung. a
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erunterstieg, das Volk grüßte und ansprach, begegnete ihm h das Volk und brachte Gaben dar (Ex 34,32.35). So begegnete die Menge Christus mit Blumen, als Er vom Berg herunterstieg und die Menge nach guter Sitte in alter Tradition (wie man glaubt) begrüßte und für sie betete.”a So begrüßt der Bischof das Volk mit: ‘Dóminus uobiscum – Der Herr sei mit euch’ und betet, es möge in dem soeben offen bekannten Glauben fest verharren. Und wenn das Volk auf den Gruß mit ‘Et cum spíritu tuo – Und mit deinem Geiste’ antwortet, “lädt der Priester das Volk sofort zum Beten ein: ‘Oremus – Lasset uns beten’. Hier folgt bei den Griechen ein Gebet, bei uns kommt zuvor die Kollekten-Sammlung des Volkes und der Gesang der Opfernden,”b gleichsam als ob das Volk sagt: ‘Das Credo und den Glauben, den ich bekannt habe, zeige ich froh durch die Hingabe einer Spende.’ Beachte: “Nach dem Gesetz opferte das Volk mitunter von seinen Tieren, so vom Vieh ein männliches und ein weibliches Kalb, von den Herden ein Lamm und einen Bock, ein Schaf und eine Ziege, von den Vögeln eine Turteltaube und eine Taube. Es hieß Opfertier (hostia), weil es am Tor (óstium) des Bundeszeltes abgegeben wurde,”c oder Weiheopfer, weil das Tier gebunden wurde. Die Heiden aber nannten das Opfertier nach dem Wort für ‘Feinde besiegen (uíncere)’ und das Weiheopfer (uictima) nach den ‘besiegten Feinden (uicti hostes)’. Mitunter wird aus trockenem Stoff, wie Semmeln, Brot und Weihrauch gegeben und heißt ‘Übergabe’. Mitunter [opferte man] Flüssiges wie Wein und Öl; dann hieß es Trankopfer oder Gussspende. Obgleich sich dies alles allegorisch auf Christus bezieht, sind es doch für uns Zeichen der gegenwärtigen Gerechtigkeit. Denn einen Bock spenden ist mannhaft Gerechtigkeit üben. Ein Schaf spenden ist das hochmütige Fleisch dem Herrn opfern. Ein Lamm und ein Schaf opfern ist unschuldig sein und sich einfach des Bösen enthalten. Ein Schaf und einen Bock opfern ist demütig die Sünden bereuen. In der Turteltaube bringen wir die Keuschheit dar, in der Taube die Einfachheit, in der Semmel die Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 26. Ps. Alcuinus, De divinis officiis liber 40. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 26. a
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5 – Die Opferung
Weisheit, im Brot die Nächstenliebe oder die Gotteserkenntnis, im Weihrauch das Gebet, im Öl die Barmherzigkeit, im Wein die Zucht der Gerechtigkeit. “Das Volk opferte aus sieben Gründen: das gesetzliche und das freiwillige Opfer für die Sünde, für die Danksagung, Geschenke, Gelübde und Ganzopfer.”a Das gesetzliche Opfer sind Zehnte, Erstlingsgaben oder das, was das Gesetz zu opfern befahl. Das freiwillige, was aus eigenem Antrieb geopfert wird. Wegen der Sünde, was dargebracht wurde wegen einer Übertretung eines Gebotes des Gesetzes. Wegen der Danksagung wie für den Triumph eines Sieges. Geschenk ist, was zum Schmuck des Tempels dargebracht wurde. Gelübde, was bei Gefahren wegen Krankheit oder Krieg [versprochen wurde]; Ganzopfer, d. h. ganzer Brand: ‘holon’ wird ja mit ‘ganz’, ‘cauma’ mit ‘Brand’ übersetzt. Geopfert wurde, indem auf dem Altar ein ganzes Lamm oder ein ganzer Bock verbrannt wurde. Dies heißt im Chronikbuch: die führenden Männer brachten als Gelübde und aus eigenem Antrieb als Sündopfer für das Königshaus, für das Heiligtum und für Juda Tiere herbei (2 Chr 29,20.21). “Der Ritus der Synagoge ist übergegangen in die Liturgie der Kirche, und die Opfer des fleischlichen Volkes wurden zur Befolgung durch das geistliche, christliche Volk gewandelt. So wie jenes Volk dem Moses nach dessen Abstieg vom Berg verschiedene Gaben zur Herrichtung des Bundeszeltes darbrachte,” b so bietet es dem Bischof, der von der Kanzel steigt, verschiedene Gaben dar; der eine gibt Gold, ein anderer Silber, wieder ein anderer etwas aus seinem Besitz. “Wer Gold opfert, ahmt die Magier nach, die dem Herrn Gold darbrachten; wer Silber opfert, folgt denen, die Geld in die Schatzkammer brachten; wer anderes opfert, wird denen zugezählt, die durch Paulus und Barnabas den Armen in Jerusalem die notwendigen Dinge hinüberschickten (vgl. Röm 15,26).”c “Es wird auch das Gesetzesopfer a Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 85; vgl. Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 19, 17. b Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 26. Gratianus, CIC, D.1 c. 69 de cons. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 27.
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dargebracht in Zehnt und Erstlingsgaben; das freiwillige Opfer in Abgaben aus eigenem Antrieb wegen der Sünden, wenn sie Buße tun; aus Dankbarkeit, wenn sie für eine erwiesene Gnade etwas darbringen. Gaben, wenn sie etwas für den Kirchbau oder für Geräte spenden, Gelübde, die sie in Gefahren gelobt haben, lösen sie ein, Ganzopfer bieten die dar, welche die Welt verlassen und ihre Habe den Armen verteilen.”a Wie die Alten auf das Gebot des Gesetzes zu bestimmten Festlichkeiten nach Jerusalem zusammenkamen und Opfer darbrachten, also an Pascha, Pfingsten und zum Laubhüttenfest, so sind wir gehalten, durch die Einrichtung der heiligen Väter unsern Mitteln entsprechend an Weihnachten, Ostern, Pfingsten und zum Fest Allerheiligen zu spenden, damit die Priester daraus ihren Lebensunterhalt haben. Sie müssen ja die Spenden zum Gebrauch der Priester, der Armen und für anderes verwenden, was zum Sakrament des Altares gehört. Außerdem müssen [die Leute] für den Kauf der Osterkerze spenden, was die Gallikanische Kirche tut. Auch müssen sie gemeindeweise Kollekten durchführen zum Kauf von Leuchten. Ansonsten, wie einige sagen, sind sie nicht weiter verpflichtet, sondern mögen freiwillig ihre Spenden geben. Was aber irgendwo etwa für eine Beerdigung verkauft wird, und was es an Schenkungen zum Glockenläuten gibt, ist Sünde, wie einige sagen, denn es könnten die Sakramente der Kirche dabei verkauft werden. “Zuerst sollen die Männer opfern, die als tapfere für Christus Zeugnis geben, also die Märtyrer, die in der Urkirche für das harte Opferlamm Christi ihr Leben gelassen haben. Danach die Frauen, die die Schwächeren darstellen, also die Bekenner, die in der Friedenszeit dem Herrn das Opfer des Lobes dargebracht haben.” b – Während so vom Volk geopfert wird, wird die Offerenda oder das Offertorium von den Geistlichen gesungen, um die Heiterkeit der Opfernden darzustellen. Denn Gott liebt einen fröhlichen Geber (2 Kor 9,7). Auch im Gedenken an die Fröhlichkeit des Volkes der Israeliten, das die Gaben zum a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 30. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 28.
6a – Die Opfermesse
Bau des Bundeszeltes und des Tempels des Salomo darbrachte. “Und um an die Lob- und Preisgesänge der Kinder zu erinnern, die mit Psalmen und Blumen Christus entgegengingen,”a als Er vom Ölberg herabkam und dem Kreuzesopfer entgegenging. Und besser: “Um das Rufen der Frauen zu bezeichnen, d. h. der Kirche, von der es in der Offenbarung heißt: Mit der Sonne, also Christus, den sie in der Taufe angezogen hatte, bekleidet, der Mond war unter ihren Füßen, d. h. alles Bewegliche mit den Füßen tretend, und einen Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt, d. h. den Chor der zwölf Apostel in seinem Beginn tragend. Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen (Offb 12,1-2). Den Schrei dieser Schwangeren ahmt das Offertorium mit seinem ernsten und erhabenen Gesang nach. Es ist durch ausladende Melodien und mit Versen bereichert, mit einem langen Jubilus, der nicht genügend ausdrücken kann, worauf er zeichenhaft hinweist.” b “Nach Entgegennahme der Kollekten mahnt der Zelebrant, der nach einigen bis dahin zu predigen unterlassen hat, auch wenn er hier rechtens predigt, das Volk, sich der künftigen Opferhandlung würdig zu zeigen.”c 6. Der fünfte Teil der Messe
a. Die Opfermesse Christus ist ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen (Hebr 9,12). “Wenn der Zelebrant an den Altar herantritt, um die Opferhandlung vorzubereiten, wäscht er sich zunächst die Hände, denn der Herr hat, bevor Er Jerusalem um zu leiden betrat, aus Liebe für uns Tränen vergossen, wie bei der Erweckung des Lazarus deutlich wurde.”d Doch auch die früheren Priester wuschen sich vor dem Opfer im Becken, was die Reinheit des Handelns und Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 19, 10. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 2. c Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 120r. d Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 19, 22-23. a
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unsere Tränen darstellte. Danach opfern auch die Altardiener, die die gläubigen Faustkämpfer symbolisieren, die unter dem Antichrist verschiedene Folterqualen als lebendiges Ganzopfer für Christus darbieten. “Doch am Altar wird zunächst das Altartuch ausgebreitet,”a damit so, wie es von irdischer Feuchtigkeit gereinigt in seinem Glanz erstrahlt, so der Sinn der Opfernden von fleischlicher Begierde gereinigt wird und vor Gott in Schlichtheit glänzt. Einige aber opfern zunächst und verteilen es auf dem Altar und nehmen danach die Kollekte der Leute an, die sie dann mit dem Brot des Gotteswortes sättigen. Doch dies ist meiner Meinung nach eine sehr späte Ordnung, die eher auf Trägheit und Unwissenheit als auf gereinigter Erkenntnis beruht. Richtig ist die Ordnung, dass zunächst das Wort Gottes gehört, danach erläutert, drittens geglaubt, viertens der Ausführung zugewiesen wird. Denn der Glaube gründet in der Botschaft (Röm 10,17), und der Glaube wird in der Liebe wirksam (Gal 5,6). “Die Altardiener bringen Brot, Wein und Wasser herbei.”b Dies ist ja die irdische und materielle Substanz dieses Opfers. Anderes ist göttlich, d. h. das Wort, über das wir weiter unten sprechen werden.”c Brot und Wein opferte Melchisedek, opferte auch Christus seinen Jüngern beim Abendmahl; doch dort in der Gestalt des Leibes, hier in der Substanz der Wahrheit. Er gab ja seinen eigenen Leib, den Er von der Jungfrau genommen hatte, in den, wie wir glauben, das Brot verwandelt wird. Dieses Sakrament wird aus Brot bereitet, weil Christus sich als Brot bezeichnet: Ich bin das Brot des Lebens; es kommt vom Himmel herab (Joh 6,35.38). Dazu heißt es: Da aßen die Menschen das Engelbrot (Ps 78,25). “Denn wie das Brot aus vielen Körnern besteht, so der personale Leib Christi aus vielen Gliedern, und allgemein aus vielen Erwählten, das ist die Kirche.”d “Das Korn wird mit vielen Dreschschlägen aus den Ähren herausgeschlagen, getrocknet und zwischen zwei Mühlsteinen zermahlen; dadurch zu Mehl geworden, wird es mit Wasser genetzt und geknetet. Dann wird der Brotlaib in den Hildebertus Lavardinensis, Liber expositionis missae PL, 171, 1159AB. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 31. c Siehe S. 260-263. d Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 84. a
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6a – Die Opfermesse
Backofen geschoben, in der Hitze wandelt er sich gebacken und wird weiß.”a “So sind die Glieder Christi oder Christus: Ein edles Korn: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt (Joh 12,24) usw., – also: aus der Truhe, d. h. aus der Gemeinschaft der Apostel, mit Schwertern und Knüppeln (Mt 26,47) getrennt, durch Schmähungen ausgedörrt, von Juden und Heiden gleichsam mit zwei Steinen geschunden, vom Verbrecher Barabbas wie durch ein Sieb getrennt, mit dem eigenen Blut besprengt, ans Kreuz geheftet, durch das Feuer der Passion erhitzt – wird Er zum Weißsein der Unsterblichkeit gewandelt. Auch die Erwählten – aus der Truhe des alten Lebens mit der Geißel der Predigt herausgerissen, in der Buße getrocknet, durch die Lehre der beiden Gesetze gedroschen, von den Ungläubigen getrennt gesiebt, mit dem Wasser der Taufe benetzt und durch das Band der Liebe zusammengefügt, im Glutofen der Trübsal gebacken – werden mit dem Weißsein der Unschuld erfüllt und zum Bild Gottes neu geformt.”b “Dieses Sakrament wird deswegen aus Wein gestaltet, weil Christus sich als Weinstock bezeichnet hat: Ich bin der wahre Weinstock (Joh 15,1). Und weil, wie der Wein aus vielen Beeren gewonnen wird, so im besonderen Leib Christi aus vielen Gliedern und allgemein die Kirche aus vielen Gläubigen. Die Beere wird in der Kelter durch zwei Hölzer als Presse zerquetscht und zu Wein geläutert. So wurden die Glieder Christi oder Christus selbst, aus dessen Seite Blut floss, durch die beiden Hölzer des Kreuzes gepresst. Auch werden die Gläubigen in der Trübsal, in den Bedrückungen der Welt getreten, vergießen ihr Blut für Christus und werden ihm in der Passion einverleibt.”c “Dieses Sakrament wird, wie Papst Alexander verfügt hat,d mit Wasser gemacht, weil Wasser aus der Seite Jesu floss und weil viel Wasser die vielen Völker sind. Dass Wasser mit Wein vermischt wird, wird so verstanden, dass das Volk durch Christi Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 31. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 32. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 33; vgl. Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 84. d Gratianus, CIC, D.2 c.1 de cons. a
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Mitralis III – Die Messe
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Blut erlöst wird, und weil es erlöst ist durch das Blut der Passion und das Wasser der Taufe.”a Ob eines ohne das andere verwandelt wird und in was das Wasser verwandelt wird? Wenn sie verwandelt werden, wie geht das? Doch bei den tiefschürfenden Theologen, die die Mühe des Forschens antreibt, werden wir derzeit alleingelassen, obwohl wir über diese und andere Fragen in Dekreten und bei theologischen Disputationen sorgfältige Untersuchungen angestellt haben. Wir wissen aber, dass das Volk nicht ohne das Blut errettet wird, und dieses Mysterium nur wegen des Volkes geschieht. Dieses Brot geht sakramental über in den Leib, und der Wein über in Sein Blut, weil das Osterlamm, für uns getötet, unseren Leib vom Tode erlöst hat. Und als Er sein Blut für uns vergoss, hat Er seine Seele eingesetzt und unsere Seele, die im Blut wohnt, von den Schulden heraus entsühnt. Beachte: Obgleich es zwei Stoffe sind, sind es dennoch keine zwei Opfer. Die Einheit des Wortes bewirkt die Einheit des Opfers. Dies ist ja der Überwurf, mit dem die Söhne Noah zudeckten und durch den die Christen die Trunkenheit Christi, d.h. seine Passion, mit dem Opfer bedecken. “Ob dieses Brot aus ungesäuertem oder gesäuertem Teig genommen werden muss, ist die Frage wegen der Ungebühr der Griechen. Sie sagen ja: Die Selige Jungfrau war schwanger vom Heiligen Geist, zu Recht also bezeichnen wir durch den Sauerteig die Menschwerdung des Herrn wegen des Schwellens des Leibes der Jungfrau. – Dem antworte ich: Wir opfern nicht den Schoß der Jungfrau beim Opfermahl und glauben nicht, dass zum Verwandeln der Schoß nötig ist, sondern der Glaube und Gottes Wort. Wer mit den Händen wirkt und das Wort spricht, aber nicht glaubt, ist ein Esel, der die Ohren zur Leier spitzt, doch den Wohllaut des Liedes nicht wahrnimmt. Wer daher das sichtbare Brot isst und das unsichtbare durch Nicht-Glauben vertreibt, tötet Christus, weil er das Leben vom Lebenspender trennt und gewissermaßen den toten Leib des Opfers zerfleischt. Daher: a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 34.
6a – Die Opfermesse
Er macht sich schuldig am Leib und Blut des Herrn (1 Kor 11,27). Dies ist das geistliche Leben, das so im Opfer ohne beseeltes Leben ist, so wie das Licht der Sonne sich uns ohne Wärme im Leib des Mondes darstellt. Ebenfalls sagt der Grieche: ‘Ungesäuertes darbringen ist: sich wie ein Jude verhalten. Wenn du also als Lateiner dieses sinnbildhaft beobachten willst, dann verhalte dich auch sonst als Jude, bei der Beschneidung und bei den Opfern.’ – Ich antworte: Das ungesäuerte Brot bedeutet, dass wir mit dem ungesäuerten Brot der Aufrichtigkeit und Wahrheit feiern (1 Kor 5,8). Nicht jedoch ist diese zeichenhafte Bedeutung bei der so notwendigen Sache zu verwerfen. Wir haben ja nicht alle zeichenhaften Bräuche des Gesetzes verworfen, sondern feiern sie auch jetzt tatsächlich, damit deren Bedeutungen, gelegen oder ungelegen, unseren Sinnen deutlich werden. Denn wir verwenden Tempel, Altar, Kandelaber, Weihrauchpfanne, Öl, Ostervollmond und dergleichen; dennoch glauben wir nicht, dass wir uns wie Juden verhalten. Dass also ungesäuertes Brot zu verwenden ist, hält der Lateiner für richtig, damit der Herr das Gesetz erfüllte und das Ungesäuerte segnete, es brach und es den Jüngern reichte und sagte: Tut dies zu meinem Gedächtnis (Mt 26,26; Lk 22,19; 1 Kor 11,24). Nach dem Gesetz durfte aber kein gesäuertes Brot dargebracht werden. Entsprechend: Du sollst nicht über gesäuertem Brot opfern (Ex 23,18), dem Brot meines Schlachtopfers, und andernorts: Ihr sollt sieben Tage ungesäuertes Brot essen (Ex 12,15; Deut 16,3). Und Paulus: Lasst uns also das Fest nicht mit dem alten Sauerteig feiern, sondern mit den ungesäuerten Broten der Aufrichtigkeit und Wahrheit (1 Kor 5,8). Wie zwischen Christus, der Seinen Leib aus dem sündigen Stoff ohne Sünde annahm, wie das Ungesäuerte aus dem Gesäuerten, und dem christlichen Volk, das durch das Wasser dargestellt wird, soll es keine Bosheit oder Schlechtigkeit geben, so wie im ungesäuerten Brot, das nur aus Getreide und Wasser gefertigt ist.”a “Das Brot wird in der Form eines Denars gebildet, einmal weil Christus als Brot des Lebens (Joh 6,35) für Denare verraten a
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 22.
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wurde, dann weil Er als wahrer Denar den Arbeitern im Weinberg als Lohn gegeben werden soll. Auf dieses Brot wird oft Bild und Name des Kaisers geschrieben; denn durch dieses Brot werden wir in sein eigenes Bild verwandelt (2 Kor 3,18), und unsere Namen im Buch des Lebens verzeichnet (Offb 20,15).”a Es soll dieses Brot von Geistlichen geformt und gebacken werden, wie es auf den Tisch gesetzt werden soll nach dem Vorbild der Brote, die ‘Schaubrote’ (vgl. Ex 25,30) und geistlich genannt wurden. “Und obgleich Christus die Gläubigen durch seinen Tod ein für allemal erlöst hat, so wiederholt dennoch die Kirche täglich notwendigerweise dieses Sakrament aus drei Gründen: Damit die Arbeiter im Weinberg täglich erfrischt werden, damit die Neugetauften dadurch in die Gemeinde aufgenommen werden, damit das Gedächtnis des Leidens Christi täglich den Sinnen der Gläubigen zur Nachahmung eingeprägt wird. Deshalb heißt es ‘tägliches Brot’: Wie einst seine Gegenwart im Fleisch, das sterben könnte, nötig war, so ist auch heute seine Gegenwart notwendig im Sakrament, damit es gegessen werden kann, denn es heißt: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch (Joh 6,53). – Es müssen die Altardiener in folgender Ordnung opfern:”b Zuerst betritt der Zelebrant, gewaschen und angetan mit den heiligen Gewändern, das Heiligtum und steigt zum geweihten Altar heran. Er ist Christus, der in den großen ausgestatteten Raum (Lk 22,12) eintritt, um mit seinen Jüngern zu speisen und ihnen seinen Leib zu übergeben. Und sieh: “Papst Zachariasc hat aus Ehrfurcht vor dem Sakrament eingeführt, dass keiner zum Altar herantreten darf mit einem Stock, keiner mit verhülltem Kopf und keiner die Messe zelebrieren darf ohne geweihte priesterliche Gewänder und nur an geweihtem Altar.”d Danach richtet der Diakon auf dem Altar das Korporale zurecht. Der Subdiakon aber trägt den Kelch in der Linken, die Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 35. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 36. c Papst Zacharias (741-752). d Zacharias papa, Epistulae 13; Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 44eb. a
b
6a – Die Opfermesse
Patene in der Rechten und darauf das Korporale. Einer der Kantoren stellt die Oblate mit dem Fanon-Tuch und Wein im Kännchen bereit, ein anderer reicht Wasser zum Mischen mit dem Wein. Schließlich gießt der Archidiakon Wasser in den Kelch und reicht ihn dem Bischof. Dies ist der Brauch einiger Kirchen. “Der Subdiakon ist Christus, der Kelch die Passion, die Patene das Kreuz,”a die Linke das gegenwärtige Leben, die Rechte das künftige, das Korporale die Kirche. Der eine Kantor symbolisiert das jüdische Volk, der andere die Heiden, “das Kännchen die Frömmigkeit, die Oblate den Leib, der Wein das Blut, das Wasser die Kirche, der Archidiakon Christus, der Bischof Gottvater.”b Also trägt der Subdiakon den Kelch in der Linken, denn Christus trinkt aus dem Bach am Weg (Ps 110,7), d. h. Er ertrug das Leiden im gegenwärtigen Leben. Die Patene in der Rechten, denn durch das Kreuz gelangte Er zur Herrlichkeit. Deswegen hat Ihn Gott erhöht (Phil 2,9). Obendrauf das Korporale, denn die Kirche hört nicht auf, seine Passion nachzuvollziehen. Das Korporale wird ja mit viel Mühe weiß gemacht, und die Kirche muss durch viele Drangsale (Apg 14,22), um Christus gleichgeformt zu werden. “Der Subdiakon ist unser Christus, der die Patene mit dem Kelch in den Händen hielt, als Er das Kreuz im Leiden trug (vgl. Joh 19,17). Der erste Kantor bringt die Oblaten im Fanon-Tuch und den Wein im Kännchen, denn die Kirche hat von den Juden in der Hingabe der Sinne den Glauben der Passion angenommen. Sieh: Die Hostien werden nicht mit bloßen Händen gebracht, sondern mit einem weißgebleichten Tuch, denn der Leib Christi wird nur würdig von denen genommen, die ihr Fleisch mit ihren Leidenschaften und Begierden gekreuzigt haben (Gal 5,24). Der andere Kantor bringt das Wasser, und der Diakon mischt es mit dem Wein und reicht es dem Bischof. Das ist das Heidentum, das ihre Vielzahl dargebracht hat,”c die Christus in seinem Leiden Gottvater dargebracht hat. Unsere Ordnung aber ist, dass der Subdiakon den Kelch sowie die Patene mit Brot und Wein dem Diakon reicht. Der Diakon gibt die Hostie in die Hände des Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 37. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 38. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 37-38. a
b
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Zelebranten und, was bei den Sorgsameren geschieht, er ordnet alles auf dem Altar. Das Gesetz, das der Subdiakon verkörpert, hat ja dieses Opfer unseres Heils zuvor nur in Melchisedek verkörpert. Doch durch die Übergabe des Evangeliums, das der Diakon verkörpert, gelangte es auf den Altar der Kirche, d. h. zu einem feierlichen Ritus. Dass nur der Bischof das Wasser mit Wein mischt, bedeutet, dass nur Christus die Völker mit seinem Blut erlöst hat. Dass der Zelebrant die Oblate auf dem Altar niederlegt, genau auf dem Kreuz, das bei der Altarweihe mit Chrisam geweiht wurde, ist hier Christus, der sich mit seinem Leib an das Kreuz heften ließ. Dass der Diakon den Kelch mit Wein und Wasser auf die rechte Seite stellt, bedeutet, dass das Evangelium lehrt, aus der rechten Seite Christi sei Blut und Wasser herausgeflossen. Dass der Diakon das Korporale auseinanderfaltet, bedeutet, dass das Evangelium Christus oder den Leib Christi, vielmehr sein ganzes Menschsein voll beschreibt. Das Korporale symbolisiert ja den Leib Christi, denn, wie das Korporale aus reinem Leinen gefertigt und mit viel Arbeit zum Weißsein gebracht wird, ging der Leib Christi aus dem Schoß der Jungfrau nach viel Trübsal hinüber in die Herrlichkeit der Auferstehung. Und es symbolisiert die Trübsal des Leibes, seine Reinheit und Herrlichkeit, oder Christus selbst, denn wie das Korporale gefaltet wird, dass weder sein Anfang noch sein Ende sichtbar ist, so hat Seine Gottheit weder Anfang noch Ende. Und wie die Oblate zum Korporale gelegt und auf dem Altar liegt, so wird das mit der Gottheit verbundene Fleisch ans Kreuz geheftet. Und es symbolisiert das Grabtuch, in das, wie wir lesen, der Leib des Herrn gewickelt wurde. “Deshalb hat [Papst] Silvester bestimmt, das Opfer des Altars solle auf einem Leinentuch zelebriert werden. Wer aber zwei Korporalien verwendet, erinnert an die beiden Leinentücher, in die Joseph den mit wohlriechenden Salben versehenen Leichnam Jesu wickelte.”a Und um eins vermehrt, das vielfältige Menschsein Christi durch dessen vielfältige Mühe. a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 89.
6a – Die Opfermesse
“Wenn der Zelebrant das Opfer inzensiert, bittet er, sein Gebet möge wegen des Leidens des Herrn zu den Ohren der Gottheit als süßer Wohlgeruch emporsteigen. Und er symbolisiert, dass Christus für uns als süßer Wohlgeruch dem Vater geopfert wurde.”a Und damit erinnert er daran, dass der Hohepriester dem Herrn bei seinem Einzug in das Offenbarungszelt Thymian-Räucherwerk dargebracht hat. Und der Herr hat verboten, dass es für profane Zwecke verwendet wird (vgl. Ex 30,38). Wenn daher geweihter Weihrauch auf dem Altar dargebracht wurde und man Weihrauch an das Volk weitergab, war anderer Weihrauch ohne Segnung zu nehmen und den Leuten anzubieten. So wird auch in der Kirche dem Bräutigam und der Braut nicht von dem Wohlgeruch des gesegneten Weihrauchs gegeben. – “Dann verneigt sich der Zelebrant vor dem Altar, betet und sagt: ‘Súscipe – Nimm an’ b usw. Christus hat ja nach der Spendung des Sakraments beim Abendmahl sich zu den Füßen der Jünger geneigt und zum Vater gebetet. Danach wendet sich [der Zelebrant] zum Volk und sagt: ‘Orate fratres – Betet, Brüder’, weil Christus die Apostel zu beten gemahnt hat.”c Der Zelebrant aber mahnt zu beten, dass ‘dem Herrn das Opfer gefalle’. Deshalb müssen wir uns jetzt den Gebeten und Psalmen zuwenden. “Einige sagen: Bevor der Zelebrant ‘Orate’ sagt, soll er sich umdrehen und leise sagen: ‘Dóminus uobiscum – Der Herr sei mit euch’. Und sie sagen, dass das Umdrehen jene private Erscheinung bedeutet, in der der Herr nach seiner Auferstehung der Maria aus Magdala erschien.”d Danach rezitiert der Zelebrant die Sekreta, das Gabengebet, über die Oblate, weil Christus auf dem Ölberg weiter von den Aposteln getrennt gleichsam abwesend betete: Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber (Mt 26,39). Es betet der Zelebrant für die Annahme des Opferlammes, das zu geben er das Volk zuvor gemahnt hatte. Es bezeichnet und erinnert dieses Schweigen an das verborgene Opfer bei den Opfern der Väter wie bei Abel, Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 39. Siehe S. 212. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 39. d Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 44b. a
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Isaak und beim Osterlamm, beim roten Kalb, dem in die Wüste geschickten Bock. Und es bezeichnet das Versteck Jesu Christi vor der Passion. Unser Herr bewegte sich von nun an nicht mehr öffentlich unter den Juden, da sie Ihn töten wollten, sondern zog sich in die Gegend nahe der Wüste zurück, an einen Ort namens Efraim (Joh 11,54); dort hat Er bildlich dargestellt, dass Er zu Fuß in das Gebiet der Heiden gehen werde, die das Evangelium verbreiten würden. Ebenso hielt Er sich in Jerusalem verborgen. Daher wurde das Lamm, das am 14. des Monats geopfert werden sollte, vom 10. des Monats ab eingeschlossen gehütet. Es betet also der Zelebrant in diesem Schweigen und bereitet das heilige Opfer vor, denn unser Herr bedachte das heilbringende Sakrament in seinem Versteck. Weil aber beim kommenden Osterfest der Herr offen auftrat, besonders den Lazarus erweckte, deshalb erhebt der Zelebrant seine Stimme und schließt laut das Stillgebet: ‘Per ómnia saécula saeculorum – von Ewigkeit zu Ewigkeit’, worauf die Leute antworten mögen: ‘Amen’, was übersetzt heißt: ‘So sei es’. Dieses Wort benutzte der Herr bei Erschaffung der Welt, als Er sagte: Es werde Licht (Gen 1,3). So wie wenn das Volk sagt: “Ich bekenne, dass mit diesem Wort, mit dem die Welt erschaffen wurde, sie auch wieder neu geschaffen wurde.”
b. Die Präfation 179
Hier beginnt nach einigen der fünfte Teil des Hochamts. Darin wird uns jene Zeit ins Gedächtnis gerufen, als Christus im Abendmahlssaal das große Lager bestieg. Dort sagte Er Gott Dank. Dort sang Er nach Johannes den Hymnus. Also nehmen wir durch ‘Dóminus uobiscum – Der Herr sei mit euch’ das Gebet entgegen, das Er für seine Jünger schuf. Mit ‘Sursum corda – Empor die Herzen’ wiederholen wir den Aufstieg zum Abendmahlssaal. Und mit ‘Dóminus vobiscum’ wünschen wir den Himmelskönig herbei, der uns so verwandeln möge, dass wir dieses Abendmahl würdig begehen, in dem wir die Herzen erheben über seinem Haupt, um zusammen mit der Frau aus einem Alabastergefäß echtes kostbares Nardenöl ausgiessen zu können
6b – Die Präfation
(vgl. Mk 14,3), d. h. die Gottheit des Sohnes mit der Salbe des katholischen Bekenntnisses bekennen. Denn durch ‘Sursum corda’ erheben wir uns zum Bekenntnis der Gottheit des Sohnes. Cyprian sagt, dass wir deshalb ‘Sursum corda’ sagen, “damit alles leibliche Verständnis verschwinde und der Sinn allein darauf gerichtet sei, dass gebetet werde.”a Die Brust möge für den Feind geschlossen sein und allein für Gott offenstehen, und Er möge nicht zulassen, dass der Feind Gottes während der Zeit des Gebetes herankommt. Und durch ‘Sursum corda’ flehen wir den Dienst der Engel an, die unsere Bitten aufnehmen und zu Gott tragen mögen. Wir erheben uns zu den Harmonien der Engel und singen daher mit lieblicher Stimme. Mit ‘Gratias agamus – Lasset uns danken’ rufen wir den Dank Christi herbei und laden das Volk ein, Gott dem Vater durch den Sohn zu danken; durch den wir losgekauft und zum Loben mit den Engeln zugelassen werden. Dann folgt die Präfation, d. h. der Vorspruch des folgenden Kanons und die Vorbereitung, die unsere Sinne auf das Mysterium Christi einstimmt. Am Beginn dieser Präfation steht im Sakramentar in der Schreibweise die Form der Buchstaben UD b, U verweist auf Christi Menschsein, D auf seine Gottheit. Sie wird auf der einen Seite geöffnet, auf der anderen geschlossen, weil Christi Menschsein von der Mutter sichtbar ist, vom Heiligen Geist [Seine Gottheit] unsichtbar bleibt, Ich bin es nicht wert, Ihm seine Schuhe aufzuschnüren (Joh 1,27). Jener Buchstabe D wird mit einem Kreis umgeben, weil die Gottheit ewig und ohne Anfang und Ende ist. Die Spitze des Kreuzes in der Mitte ist Christi Passion. Deshalb wird diese Figur an den Beginn der Präfation des Herrn gesetzt, weil durch das Mysterium der Einheit und der Passion des Herrn die Menschen mit den Engeln in Frieden leben und das Menschliche mit dem Göttlichen im Loblied auf den Erlöser vereinigt wird. In allen Präfationen kommen die Menschen und die Engel im gemeinsamen Loblied auf den König a Caelius Cyprianus episcopus Carthaginensis, De Dóminica oratione 31; Gratianus, CIC, D.1 c.70 de cons. – Cyprian † 258. b Gesetzt entsprechend den Eingangsworten aller Präfationen: Uere dignum – In Wahrheit würdig.
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zusammen. Daher singen sie mit lauter und fröhlicher Stimme, denn sie stellen die Loblieder der Engel dar. Beachte: Gelasiusa hat die Präfationen in ausgefeilter Sprache abgefasst, doch während es einst unzählige Präfationen gab, bestimmte er, dass nur neun gesungen werden, also von Weihnachten, Erscheinung des Herrn, Fasten, Kreuz oder Passion, von der Auferstehung, Himmelfahrt, Ankunft des Heiligen Geistes, Dreifaltigkeit, von den Aposteln. Urbanb aber fügte noch eine zehnte von der hl. Maria hinzu. Es gibt noch eine elfte, die ‘gewöhnliche’. Bei der folgen Einschübe nach ‘aequum et salutare – billig und heilsam’: ‘aeterne Deus – ewiger Gott’, bei einer anderen nach ‘Dóminum nostrum – unseren Herrn’. Bei allen Präfationen richtet sich die Rede an den Vater, dem die Würde als höchste Stelle oder höchste Gewalt zugesprochen wird wegen der Autorität, die ‘die Engel loben’, bei deren Nennung die Erzengel mit verstanden werden, ‘die Herrschaften beten sie an, die Mächte verehren sie zitternd’, ‘die Himmel’, d. h. die Kräfte des Himmels, ‘jubeln, die Seraphim’ unter denen wir auch die Cherubim verstehen, ‘feiern sie jubelnd im Chor’. Beachte: Wie Hieronymus sagt,c sind Seraph und Cherub Singular masculinum, der Plural lautet ‘Cherubin’, nicht weil den Dienern Gottes ein Geschlecht zu eigen wäre, sondern weil den Substantiven nach der Eigenart unserer Sprachen verschiedene Genera zugeteilt werden. Der Gebrauch der Griechen schreibt im Neutrum ein ‘n’ ‘Cherubin und Seraphin’. ‘Mit ihnen lass, so flehen wir, auch uns einstimmen und voll Ehrfurcht bekennen: Heilig, heilig, heilig’. Es wird dreimal wiederholt, denn es wird die Dreifaltigkeit gelobt. ‘Herr, Gott’ einmal und im Singular, weil die Einheit verehrt wird. ‘Sabaoth’, d. h. die Mächte und Gewalten, die für die Wohltaten dem Schöpfer Dank sagen: ‘Erfüllt sind Himmel und Erde von Deiner Herrlichkeit’, die Himmel real, die Erde in der Hoffnung, dann aber in voller Realität, wenn sich das erfüllt: Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden (Mt 6,10). Vgl. Sicardus, Cronica zum Jahr 475. Papst Urban II. (1088-1095). – Gratianus, CIC, D.1. c. 71 de cons. c Vgl. Hieronymus, Epistolae 18B, 1. a
b
6b – Die Präfation
Soweit der Hymnus der Engel, der aus Jesaja genommen ist, der die Seraphin rufen lässt: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere. Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt ( Jes 6,3). Er sah die Zeit der Herrlichkeit voraus, in der Zeit des Gesetzes gab Gott sich zu erkennen in Juda (Ps 76,2), doch in der Zeit der Herrlichkeit kommen die von Osten und Westen und sitzen mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tisch (Mt 8,11). ‘Hosanna in der Höhe, Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, Hosanna in der Höhe’ (Mt 21,9). Dies ist aus dem Evangelium genommen. Wenn es gesungen wird, schlagen wir das Kreuzzeichen. Denn auch hier verkörpern wir den frohen Ruf der Kinder, die dem Herrn mit Blumen entgegengehen, und wir sagen Christus Dank für das Geschenk unserer Erlösung, denn Er hat durch das Kreuz triumphiert und uns triumphieren lassen. Und es ist der Hymnus der Menschen, die Christi Menschsein verehren, sich über die Erlösung des Menschengeschlechts freuen und sagen: ‘Hosanna’ gleich ‘hosi anna’, d. h. ‘Rette, ich bitte Dich’. “‘Anna’ ist ja auf hebräisch eine Interjektion des Bittenden.”a Doch wenn ‘Hosianna’ vollständig ist, warum sagen wir ‘Hosanna’? – Ich antworte: Entweder haben wir es aus Unkenntnis verkürzt oder wissentlich als Synalöpheb gekürzt, wie wir es bei Versen tun. ‘Rette’, sag ich, ‘o Herr, der Du im Himmel wohnst’. Dass das ‘Hosanna’ wiederholt wird, hat seinen Grund darin, dass wir mit Leib und Seele unter die Engel gerechnet werden. Diesen Hymnus hat Papst Sixtusc in der Messe singen lassen. Sieh: Bei dem gemeinsamen Gesang der Engel und Menschen benutzen wir mitunter die Orgel und oft Musikinstrumente. Dies ist von David und Salomo genommen, die beim Gottesdienst Hymnen einführten, die Orgel und andere Musikinstrumente erschallen und Loblieder vom Volk ertönen ließen. Doch da das Herz bedeutsamer ist als der Leib, bekennen wir Gott frömmer mit dem Herzen als mit dem Leib. Unsere Kantoren sind uns Tuba und Psalterium, Zither und Pauke, der Chor Saiten und Hieronymus, Epistolae 20, 5. Verschmelzung zweier Buchstaben. c Sicardus, Cronica zum Jahr 120. Dort Papst Sixtus I. (etwa 115-125) zugeschrieben. Eher passend: Sixtus II. (257-258). a
b
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Orgel. Unsere Sänger schließlich sind die ‘klingenden Zimbeln’, wie am Ende des Psalters genügend dargestellt wird. Dazu wird bald mit Gebärden, bald mit Worten das Leiden Christi vergegenwärtigt. Denn der Diakon und der Subdiakon gehen im Rücken des Bischofs, wodurch die Flucht der Apostel verdeutlicht wird, die bei Christi Leiden flüchteten. Wenn aber einige stehen und hinter dem Altar auf den Bischof schauen, stellen sie die Frauen dar, die dabeistanden und von weitem seine Passion sahen (vgl. Mt 27,55). Alle aber, die hinten stehen und dem Bischof ins Gesicht schauen, verneigen sich vor der göttlichen Majestät und verehren die Fleischwerdung des Herrn, die eingeführt wurde durch den Gesang der Engel und Menschen. Der Chor der Engel sagt ja: ‘Heilig, heilig, heilig, Herr Gott Zebaoth’ und führt die göttliche Majestät ein. Der Chor der Menschen sagt: ‘Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn’, und macht die Ankunft im Fleisch sinnfällig. Und die Verneigung macht die Trauer der Apostel deutlich, die sie beim Tod Christi hatten und die nicht wagten, sich aufzurichten und zu bekennen, dass sie Seine Jünger sind. Deswegen stehen sie geneigten Hauptes, bis es heißt ‘Erlöse uns von dem Bösen.’ Christus sagt ihnen: Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht (Ps 127,2), d. h. vor der Auferstehung um sich wegen Christus zu rühmen, durch die wir von aller Trübsal befreit werden. Daher ist diese Bitte die siebente, und die Zahl sieben ist die des Vollkommenseins.
c. Der Messkanon Danach küsst der Zelebrant die Füße der Majestät und bezeichnet sich auf der Stirn mit dem Kreuzzeichen, verneigt sich und sagt: ‘Te ígitur – Dich, gütiger Vater’, er bekennt so, dass er voller Ehrfurcht an das Geheimnis des Kreuzes herantritt. In einigen Handschriften ist die Majestät des Vaters und das Kreuz des Gekreuzigten sogar gemalt, so dass wir gleichsam gegenwärtig Den sehen, den wir anrufen, und die vergegenwärtigte Passion den Augen des Herzens mitgeteilt wird. In einigen aber nur der zweite Teila. Und einige der Zelebranten a
Also nur eine Darstellung des Kreuzes Christi.
6c – Der Messkanon
küssen zunächst die Füße der Majestät und dann nach der Ordnung des Kanons die des Gekreuzigten; einige zuerst die des Gekreuzigten und danach die der Majestät, denn man kommt durch den Sohn zum Vater. ‘Kanon’ griechisch heißt lateinisch ‘regula’, übersetzt ‘Regel’, denn durch sie geschieht die Wandlung des Sakraments regelhaft. Sie heißt auch Handlung (actio), weil darin unsere Sache mit Gott gehandelt wird. Sie wird aus vielen Gründen unter Schweigen durchgeführt: Erstens weil Gott nicht auf den Ruf des Mundes, sondern des Herzens achtet. Daher sagte Er zu Moses: Was schreist du zu mir? (Ex 14,15), obgleich dieser schwieg. Wenn wir nämlich mit Gott in Gedanken sprechen, ist keine hallige Stimme nötig. Darum sagt der Herr: Du aber geh in deine Kammer, dann bete zu deinem Vater (Mt 6,6). Und der Prophet: Auf eurem Lager werdet stille (Ps 4,5). So verdiente der betende Zöllner gehört zu werden, was der lauttönende Pharisäer nicht erreichen konnte. Wir bringen doch Wörter hervor, damit wir nicht meinen, nicht zu wissen, was wir bitten oder beabsichtigen sollen. Ein zweiter Grund ist: Bei einem langen Vortrag werden wir müde, und damit er das Volk nicht zu beten hindert, das dann zu beten gehalten ist, wie wir oben sagten. Und dass die Worte dieses so bedeutsamen Geheimnisses durch den täglichen Gebrauch nicht wertlos und von den Laien nicht gekannt werden, die sie sonst an unpassenden Stellen missbrauchen würden. So liest man von Hirten, dass sie an einem Tag Brot und Wein auf einen Stein stellten und diese Worte sprachen; plötzlich wurde das Brot in den Leib und der Wein in das Blut verwandelt; diese hat dann als göttliche Rache ein Feuer vom Himmel vernichtet. Daher wurde unter Bann mit einem Synodal-Dekreta geboten, dass jeder den Kanon mit heiligen Gewändern und nur aus dem Buch auf dem Altar und beim Heiligen Opfer sprechen darf. Und um deutlich zu machen, dass der menschliche Verstand solch ein Mysterium nicht voll erfassen kann, wird der Kanon leise gesprochen. Und dadurch wird dargestellt, dass einst der Hohepriester unter tiefstem Schweigen das Allerheiligste als a
Vgl. Gratianus, CIC, D.1 c.42 de cons.
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größtes Geheimnis betrat. Ferner wird der Kanon still vollführt, weil die Opferung dem Zelebranten allein zusteht. Der Zelebrant sagt also: ‘Te ígitur’. Beachte: Der Kanon beginnt mit einem ‘Tau’, das die Form des Kreuzes hat. Daher soll dabei im Messbuch der Gekreuzigte gemalt werden, damit die Passion, dessen Zeichen dem Zelebranten vor Augen liegt, sich auch den Augen des Herzens des Zelebranten einprägt, der den Vater als gegenwärtig anspricht und sagt: ‘Dich’. Und der Zelebrant neigt sich bis auf den Altar, denn hier beginnt das Mysterium des Leidens Christi, der dem Vater gehorsam war und sich auf den Altar des Kreuzes geneigt hat. Und seht: Der Hohepriester ging nur einmal im Jahr ins Allerheiligste hinein (Hebr 9,7), seht: Christus ging ein für allemal hinein und hat die ewige Erlösung gefunden. “Gütiger Vater, d. h. der Du den Sinn klärst. Der Vater wird ‘clemens’ genannt, gleichsam ‘clara mens’.”a Der Sinn aber wird klar, wenn er Gott als gütig spürt. So kommt es, dass dieses Sakrament nicht ohne ein Kerzenlicht zelebriert werden darf. Das Licht macht den Heiligen Geist sinnfällig, der dieses Sakrament segnet, der die würdig Teilnehmenden erleuchtet. Das Licht bezeichnet die Fröhlichkeit, und dieses Sakrament schenkt uns ewige Freude. Dann: bitten wir, hier küsst er den Altar in der Ehrfurcht vor der Passion, segne diese Gaben. Auf die drei Kreuzzeichen, die hier vorkommen, und die anderen folgenden wollen wir hier gemeinsam eingehen: “Kreuze, die vier Winkel haben, machen wir über das Opfer, weil Christus, als Er am Kreuz hing, die vier Zonen der Welt erlöste. Und dem ordnen wir sechs Stellen zu, die Vollkommenheit eines Sechsseiters, der dem Leib Christi zugeschrieben wird wie einem festen und vollkommenen. Auch weil durch sein Leiden die Welt erlöst wurde, die nach sechs Tagen vollendet”b und für sechs Zeitalter bestimmt war. Beachte: Bei fast jeder Stelle werden in ungerader Zahl Kreuzzeichen verteilt, dass der Leib Christi einer bleibt und nicht zerteilt wird. Wir machen nämlich drei Kreuze und a Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia III: Canonis missae interpretatio 22. – Etymologen weisen auf den Zusammenhang mit ‘hold’ hin. b Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 48.
6c – Der Messkanon
d rücken damit den Glauben an die hl. Dreifaltigkeit aus, oder fünf, und bezeichnen damit die Passion Christi in den fünf Teilen. “Bei der ersten Stelle machen wir drei Kreuze, wenn wir sagen: diese Gaben, diese Geschenke, diese heiligen Opfergaben. Dabei denken wir an die Zeit vor dem Gesetz, die in drei Abschnitte eingeteilt wird: also von Adam bis Noah, von dort bis Abraham, dann weiter bis Moses. In diesen Zeitaltern haben Gerechte Christus in ihren Opfern vorgebildet wie Abel im Lamm, Melchisedek in Brot und Wein, Abraham im Sohn. – Bei der zweiten Stelle machen wir fünf Kreuze und sagen: als gesegnetes, rechtes und Dir wohlfälliges Opfer, Dein Leib und Dein Blut. Wenn wir die Zeit des Gesetzes ausdrücken, die in den fünf Büchern Moses und in den einzelnen Büchern dargestellt wird, wird Christi Leiden betont.”a Und dass mit fünf Personen regiert wurde, also Richter, König, Fürst, Prophet und Hoherpriester. In deren Händen wird Christus ähnlich gemacht. Denn was ist Josua, der durch Hinterhalt den König des Ortes Ai besiegte (Jos 8,19), wenn nicht Christus, der in Schwäche den Hochmut des Teufels überwindet? Was ist David in der Höhle, wenn nicht Christus im Grab? Was ist Serubbabel (vgl. Hagg 1,14), der in der Verwirrung Geborene, wenn nicht Christus, der im Fleisch geboren ist? Was ist Elija, der im Bach Kerit sitzt (vgl. 1 Kön 17,5), wenn nicht der Herr, der aus dem Bach des Leidens in Kalvaria trinkt (Ps 110,7)? Was ist Jesus, angetan mit dem purpurroten Mantel (Mt 27,28), wenn nicht Christus, der die Fremdgeborene zur Gattin machte?b – “Bei der dritten Stelle nehmen wir Brot und Wein in die Hände, wir machen zwei Kreuzzeichen, eines über das Brot, das andere über den Kelch”c und sagen: Er nahm am Abend usw., wo wir die Zeit des Abendmahls und die Zeit der Gnade erneuern. Bei den beiden werden die Mauern im Schlussstein (vgl. Eph 2,20) verbunden. Und die Frohlockende (vgl. Ps 19,6) wird mit doppelter Substanz gekreuzigt. – “Bei der vierten Stelle machen wir Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 50-51. Vgl. Esra 10, wo die Ehen mit Fremdgeborenen getrennt werden. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 52. a
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fünf Kreuzzeichen und sagen: ein reines Opfer, ein heiliges Opfer, ein makelloses Opfer, das heilige Brot des ewigen Lebens und der Kelch des immerwährenden Heiles. Dabei machen wir sinnfällig, dass Christus im Fleisch fünf Wunden erlitt und fünf Zeitalter erlöste. – Bei der fünften Stelle machen wir drei Kreuzzeichen und sagen: Du heiligst, belebst und segnest sie. Dort vergegenwärtigen wir die Urkirche, die den Glauben an die Dreifaltigkeit empfangen hat. – An der sechsten Stelle machen wir fünf Kreuzzeichen über der Hostie und vier über dem Kelch und sagen: durch Ihn und mit Ihm und in Ihm ist Dir Gott, allmächtiger Vater, und ein fünftes an der Seite vom Kelch und sagen: in der Einheit des Heiligen Geistes. Bei dieser Formel stellen wir die Art der Passion des Herrn heraus, der vier Wunden an Händen und Füßen erlitt und eine fünfte an der Seite.”a “Aus dem zuvor Gesagten geht klar hervor, dass wir 23 Kreuzzeichen machen, die mit drei Fingern gemacht werden wegen des Glaubens an die Dreifaltigkeit. Wenn man diese Zahl mal drei nimmt, ergibt es 69. Wenn man die drei Kreuzzeichen hinzuzählt, die wir mit einem Teil der Hostie über dem Kelch machen, und sagen: Pax Dómini – Der Friede des Herrn sei allezeit mit euch, ergibt es 72. Das sind die 72 Sprachen, die wegen des Hochmuts aufgeteilt wurden, nun durch Christi Demut vereinigt, durch seine Passion gerettet, durch seinen Leib und sein Blut verbunden sind.”b “Dem Augustinus scheint es, es könne reichen, wenn man nur ein Kreuz über dem Brot und dem Wein macht, denn der Herr wurde nur einmal gekreuzigt.”c – Doch kehren wir zum Text zurück! “Diese Gaben, in Bezug auf das Brot, in dem Mehl und Wasser stecken, diese Geschenke, in Bezug auf den Wein, in dem Wein und Wasser sind, diese heiligen Opfergaben, in Bezug auf beides. makellosen d. h. ohne Flecken, wie das Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 53-55. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 57. c Aurelius Augustinus, In evangelium Ioannis Tractatus 10, 5-7; vgl. Amalarius Metensis Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 24, 7. a
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makellose Opferlamm; dies bezeichnet Christus,”a der ohne Makel und Runzel ist. Und diese drei Wörter bedenken wir mit drei Kreuzen, denn wir sagen dem dreieinen Gott Dank, der uns den Kelch des Heiles zur Annahme und zum Anrufen des Namens des Herrn, der uns eine Gabe gewährt und unsere Gaben zum Opfer annimmt. “Diese Opfergaben sind ja die Gaben und Geschenke; es sind ‘Gaben’, denn sie wurden uns von Ihm gegeben, damit wir etwas zum Leben haben; ‘Geschenke’, weil sie Ihm von uns dargeboten werden, damit Ihm Lob abgestattet werde.”b ‘Gabe’ ist ja, was von einem Oberen gegeben wird, ‘Geschenk’ von einem Unteren. ‘Opfer’ ist das, was geopfert wird. Und nach Augustinus: “Wir bieten Gaben dar, wenn wir uns selbst Ihm geben, Geschenke, wenn wir seiner Wohltaten eingedenk sind, makellose Opfergaben, wenn wir Ihm Demut und Lob darbringen.”c “Vor allem bringen wir sie Dir dar. Sieh: Das Gebet des Kanons gliedert sich in fünf Teile. Jedes schließt: Durch Christus unsern Herrn,”d weil durch das fünffache Leiden Christi das Gebet der Gläubigen erhört wird. Zuerst opfern wir: für die katholische Kirche. Und siehe: Der Hohepriester des Gesetzes, der hineinging in das Allerheiligste, betete. Siehe: Christus, der vor dem Leiden betete, Er möge verherrlicht und seine Jünger gerettet werden, tritt auch für uns täglich ein. So gießt auch der Zelebrant Fürbitten für sich und die ganze Kirche aus, die aus den Führenden und den Untergebenen besteht. Darum betet er für die Führenden: mit Deinem Diener, unserem Papst N. – wenn einige hinzufügen: unseren Bischof und den König, so ist das eine neue Überlieferung – und allen, die Sorge tragen für den rechten katholischen und apostolischen Glauben. Hier werden die Schismatiker und Ketzer, die keine Rechtgläubigen, d. h. nicht rechten Glaubens sind, nicht katholisch, d. h. universal, sind, nicht a
88.
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 103; Sacramentarium
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 6. Die Stelle habe ich nicht gefunden. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 56. b c
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e inbezogen. Danach wird für die Niederen hinzugefügt: Gedenke, Herr, Deiner Dienerinnen und Diener, deren Glauben und Hingabe Du kennst. Daher werden die Katechumenen, die die Sakramente des Glaubens noch nicht empfangen haben, hier am Anfang des Kanons ausgeschlossen. “Es heißt ja in der Schrift: Kein anderer darf davon essen, denn es ist heilig (Ex 29,33; vgl. Lev 22,10). Wir nehmen aber alle zum Mahl des Lammes auf, die mit unserem Haus verbunden sind, jeden Teilhaber im Glauben, vom Fürsten bis zum kleinen Mann, vom Apostel bis zum Zöllner.”a Für sie bringen wir dieses Lobopfer dar’ in der Tat, und sie selbst opfern es in Hingabe. Für sich ist Erklärung, d. h. Interpretation dessen, was jetzt folgt: damit ihre Seele gerettet und ihre Hoffnung auf Heil und Wohlfahrt gesichert werde. “In Gemeinschaft beschließt im Gebet die Erwähnung der Heiligen Jungfrau, der Apostel und Märtyrer ein, zunächst einmal, wie der Hohepriester des Gesetzes, der auf seinen Gewändern die Namen der Patriarchen trug, so auch Christus, der im Sinn und im Tun die Namen seiner Schafe kennt,”b dann auch um durch deren Gebete und Verdienste die Hilfe des göttlichen Schutzes uns zu gewähren. “Die Heilige Mutter Gottes wird in diesem Opfer deshalb erwähnt, weil das wahre Opfer aus ihrem jungfräulichen Schoß hervorgegangen ist. Deswegen auch die Apostel, denn sie haben das Leiden Christi durch das Zeugnis des Wortes und ihres Blutes bestätigt. Denn Petrus, Andreas und Philippus wurden gekreuzigt, Paulus, Jakobus, Matthäus und Bartholomäus enthauptet, Jakobus, Simon, Thaddäus getötet, Johannes mit Gift gequält, Thomas [mit einer Lanze] durchbohrt. Darum fügen wir auch die Märtyrer hinzu, weil die Leiden Christi durch deren Qualen bekräftigt werden. Von denen waren einige Päpste wie Linus, einige Bischöfe wie Cyprianus von Karthago, einige Diakone wie Laurentius, einige Ratsherren wie Chrysogonus, Johannes und Paulus, einige Ärzte wie Cosmas und a b
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 6. Stephanus Augustodunensis, Tractatus de sacramento altaris 18.
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Damianus. Denn alle Ränge und Grade haben für die Passion Christi Zeugnis abgelegt.”a Gewiss sind hier Bekenner nicht zu nennen, denn im eigentlichen Sinn sind nur Märtyrer Zeugen. Einige aber fügen hier die Namen ihrer Patrone ein. Nimm gnädig an die Opfergaben Deiner Diener. In diesem zweiten Gebet betet der Zelebrant für sich und seine Helfer, dass der Herr diese Opfergabe huldvoll annehme. Mit diesem Demonstrativpronomen stellt er sie dem Herrn dar. “Leite unsere Tage. Dies hat Gregor hinzugefügt,”b damit sich keiner hier sicher fühlt, sondern wer zu stehen scheint, gebe acht, dass er nicht fällt (1 Kor 10,12). “diese Opfergabe. Hier nähert sich der Zelebrant der Wandlung des Leibes des Herrn, wenn er sagt: diese Opfergabe, d. h. die irdische Materie, die bestimmt ist zum Leib Deines Sohnes, Dich bitten wir in allem, d. h. mit allem Denken, allem Leben, allem Verstand, mach diese Gabe reich gesegnet, d. h. fülle sie mit heiligem Geist, Dir gehörig, d. h. Deiner Gottheit zugehörig, vollgültig, d. h. in der Wahrheit, dass sie zum Heil gereicht, mache sie fest, recht, in unserem Glauben, wohlgefällig in unserer Hingabe.”c Siehe auf Abigail, die Frau des Toren Nabal, die verhinderte, dass David Blut vergoss und seine eigene Hand beschmutzte. David pries sie und sagte: Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, und gepriesen sei deine Klugheit, und gepriesen seist du, weil du mich gehindert hast, Blutschuld auf mich zu laden und mir selbst zu helfen (1 Sam 25,33). Sie ist die Kirche, einst die Frau des Teufels, die durch die Gabe dieses Opfers Christus zuvorkam, die im Todeskampf war, um Frieden bat, damit er sich nicht rächt und mit ihrem Mann in der ewigen Verdammnis zugrunde geht.”d Diese Opfergabe und das Gebet Davids bewirkt, reich gesegnet, da er dessen Rede segnet, Dir gehörig, da es durch keine Gabe zerstört wird, vollgültig, da es durch kein Wort der Zurückweisung verletzt wird. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 104-105. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 21. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 105. d Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 7. a
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‘Am Vorabend’, also am Tag vor seinem Leiden, nahm Er das Brot, segnete es, brach es, gab es seinen Jüngern und sprach: Nehmet und esset alle davon (vgl. 1 Kor 11,24). “Mit tragischen Gebärden drücken wir das aus, was der Buchstabe zum Klingen bringt. Das ist mein Leib’ (ebd.). Einige sagen, Er segnete in einem uns verborgenen Segen, in einem anderen als ‘Das ist mein Leib’, was wir jetzt verwenden. Andere sagen, dass Er in selbiger Segnung segnete. Daher ändern sie: Er segnete, indem er sagte: ‘Das ist mein Leib, und danach brach Er das Brot, gab es seinen Jüngern und sprach: Nehmet und esset’. Dies ist die Prägung der Worte, und es ist ja nicht einzusehen, dass, wer aus der Hand des Herrn den Leib empfangen hat, sich selbst bedient, vielmehr: Er, der sich geopfert hat, Er hat auch bedient.”a Ob Er aber, als Er segnete, das Kreuzzeichen gemacht hat, wissen nur die, die dabei anwesend waren. Besonders da das Zeichen des heiligen Kreuzes noch nicht aufgerichtet war. Und wie es andernorts bei den fünf Broten heißt: ‘Er segnete’, d. h. Er goss die Gnade der Vermehrung ein, so glauben wir, müsse es verstanden werden als ‘Er segnete’, d. h. Er gab die Gnade der Transsubstantiation, dass das Brot in den Leib verwandelt würde, und durch den Heiligen Geist erfüllte Er ihn, zeigte ihn als erfüllt und brach ihn. Damit zeigte Er, Er müsse sich dem Tod unterwerfen. “Schau auf die Stellung dieser Wörter: Das ist mein Leib. Das Brot wird durch göttliche Fügung in den Leib verwandelt, die göttliche materielle Substanz dieses Opfers ist das Wort, das zum Element hinzutritt und das Sakrament bewirkt; so wird das Wort mit dem Leib vereint und bewirkt den Menschen Christus,”b ja: Staunenswert ist Gott in seinem Wirken (Ps 139,14). Noch staunenswerter ist, alles aus nichts zu erschaffen als Geschaffenes in anderes Geschaffenes zu verwandeln. Denn täglich wird das Wasser durch die Natur als Lehrmeisterin durch Feuer in Dampf verwandelt, und der Mensch wandelt warmen Wein in kalten Essig. Wir sagen aber nicht, dass wir dieses a b
Vgl. Petrus Damiani, Expositio canonis missae 3. Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 88.
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mit menschlicher Vernunft beweisen wollen. Bis dahin reicht die Logik nicht, die Mathematik erforscht es nicht, die Physik scheitert dabei. Der Sinn hält das erste Gebiet, die Vorstellung das zweite, die Vernunft das dritte. Dabei waren es jene Frauen gewöhnt Spiele zu machen, doch der Glaube ist erhabener als sie, die kein Verdienst haben, da die menschliche Vernunft Auskunft gibt. Keiner kann darüber disputieren, es fehlen die Argumente, wo der Glaube in Frage steht. Man möge demütig fragen, was ohne Gefahr nicht diskutiert wird, man glaube fest, was ohne Belohnung nicht wankt. Die Erkenntnis geht über den Glauben hinaus, in dem die Heiligen nicht mehr nur rätselhafte Umrisse sehen, sondern von Angesicht zu Angesicht schauen (1 Kor 13,12). “Er nahm diesen erhabenen Kelch, den im Mysterium, nicht den in Metall;”a den nach dem Sinnbild, aber einen anderen im Material. Denn dieser und jener, den Christus in Händen hielt, bezeichnet jetzt und damals die Trunkenheit, d. h. die Passion des Herrn. Sieh: Unser David schien für König Achisch verrückt zu sein (vgl. 1 Sam 21,15). Der mit den Händen auftritt, da er Brot und Wein hält, sagt: Das ist mein Leib. – Das ist mein Blut. Aus dessen Mund läuft Speichel, wer glaubt, kindliches Reden zu hören: Wenn ihr mein Fleisch nicht esst und mein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch (Joh 6,53). Als Er am Kreuz hing, trommelte Er und kritzelte an das Tor, das verschlossen war, (ebd. 21,14) an die Herzen der Juden. Dass der Zelebrant das Brot erhebt, bedeutet, dass diese Speise erhabener als andere ist. Ähnlich auch beim Trank: ‘Er sagte Dank wegen unseres Heils, die wir nicht durch Verdienste, sondern durch die Gnade gerechtfertigt sind. Das ‘Benedixit’, das ausgesetzt wurde, nimm nicht auseinander. Nehmet hin und trinkt. O selige Trunkenheit! – Heilsame Sättigung! Je reicher und würdiger sie eingenommen wird, umso reicher lässt Er sich herbei, unserem Sinnen Nüchternheit zu schenken. Judas trinkt, doch es löscht nicht den Durst des ewigen Feuers, denn er hat das Mysterium Jesu Christi unwürdig genommen. Sieh: Weil jeder der Jünger den Kelch genommen hat, hat der Herr also jedem a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 106.
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den Kelch gereicht. Darum stellt der Zelebrant hier den Kelch nieder, aber er verlässt ihn nicht und sagt: Dies ist der Kelch meines Blutes (Lk 22,20), d. h. er enthält das Blut oder symbolisiert die Passion des Blutes. Und sieh: Passion heißt, der Kelch wird in einem heißen Trank und mit Maßen eingenommen. Der Herr ist treu; Er wird nicht zulassen, dass wir über unsere Kraft hinaus versucht werden (1 Kor 10,13). des Neuen und ewigen Bundes. Höre, Confirmator: Die Heilige Schrift wird ‘Bund’ (testamentum) genannt, wie die Bezeugung des letzten Willens eines Sterbenden, denn sie enthält die uns versprochenen Vermächtnisse und Bürgschaften. Das Alte Testament versprach uns Zeitliches wie: Ich gebe euch ein Land, in dem Milch und Honig fließen (Lev 20,24), doch im Neuen hat uns Christus durch sein Blut und seinen Tod das ewige Leben als Erbschaft hinterlassen. ‘Neues Testament’ heißt es, weil neues Blut für unsere Erlösung vergossen wird. Einst wurde das Blut von unverständigen Tieren vergossen, nicht das eines unschuldigen Menschen. Ewig heißt es, weil es nicht in ein anderes Testament geändert werden wird, so wie das Alte in das Neue geändert wurde, Geheimnis des Glaubens, denn es wird etwas Anderes gesehen und etwas Anderes verstanden. Man sieht den Stoff des Brotes und des Weins, doch man glaubt an den Leib und das Blut Christi. ‘Mysterium’ griechisch, lateinisch ‘secretum’, übersetzt ‘Geheimnis’. Es wird uns geboten zu glauben, wir wagen nicht zu disputieren. das für euch Apostel und für viele wirksam vergossen wird, nicht für alle. Es könnte zwar für alle wirksam werden, aber es wurde nur für die Erwählten wirksam, die der Leib Christi sind. Was in der Taufe von der Erbschuld gereinigt ist, wird durch das Blut von der Strafe befreit, und dies ist der Nutzen dieses Sakraments, dass es mit seiner Hilfe für den Leib möglich werden wird, von der Erde in den Himmel aufzusteigen. Denn niemand ist in den Himmel aufgestiegen außer dem Menschensohn (Joh 3,13), dem als Haupt die Glieder des Leibes verknüpft werden. Alle, die im Glauben an dieses Sakrament Söhne Gottes werden und damit zu einem Leib, mit denen steigt das Haupt mit den Gliedern zum Himmel auf. “Die Absicht dieses Werkes aber erklärt die Wahrheit selbst im Wort: Tut dies, sooft ihr es tut, zu meinem
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Gedächtnis (Lk 22,19; 1 Kor 11,24)”a zu meinem Gedächtnis, der ich Mühen für euch getragen habe, dem Kreuz unterworfen, auferstanden, in den Himmel aufgefahren bin. Von jetzt an werden zwei Finger [vom Zelebranten] zusammengehalten aus Ehrfurcht vor dem Sakrament oder als Zeichen, dass der Zweite zum Ersten hinzutritt, d. h. der Sohn dem Vater gehorsam ist. Darum folgt mit der Stimme des Zelebranten und des Volkes eingedenk des heilbringenden Leidens, der Auferstehung und der Himmelfahrt. “Diese drei erwähnt die Kirche besonders, weil das erste unsere Liebe schmerzt, das zweite den Glauben stärkt, das dritte die Hoffnung mit Freude erfüllt.”b von Deinen Geschenken und Gaben. Geschenke sind in der Sache ewig, Gaben in der Wirksamkeit zeitlich. Wir bringen sie dar als ein reines Opfer, d. h. den Leib, ein heiliges Opfer, d. h. das Blut, ein makelloses Opfer in Bezug auf beides. Und ‘reines Opfer’, d. h. von andern Opfern getrennt, ‘ein heiliges Opfer, d. h. heiligmachend, ein ‘makelloses Opfer’, d. h. von Makeln gereinigt. Mystisch gesehen opfern wir ‘ein reines Opfer, ein heiliges Opfer, ein makelloses Opfer’ wenn wir das Opfer darbringen aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben (1 Tim 1,5). Es folgt: “das heilige Brot des ewigen Lebens. Das ist Christus, durch den wir endgültig gespeist werden und ewig gesättigt,”c den Kelch des immerwährenden Heiles. Durch dessen Schmecken werden wir für immer das Heil erlangen. “Die fünf Kreuzzeichen bei diesen Worten sind fünf Zeichen für den Geliebten, fünf Geißelhiebe die Höhlen im lebendigen Felsen, in denen die reine Taube nistet.”d (vgl. Jes 14,23 Vg.) Blicke versöhnt, wenn gebetet wird für die zu verwandelnde Hostie, die Er verwandelt hat und dem Vater verwandelt darbringen wird. So betet der Zelebrant jetzt für die Annahme‘ wie Er einst die Opfer der Alten angenommen hat und vor das Angesicht der göttlichen Majestät emportrage, Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 10. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 12. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 106. d Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 12. a
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damit durch Dessen Fürsprache beim Vater und durch die Teilnahme wir mit allem Gnadensegen des Himmels erfüllt werden “wie Du einst mit Wohlgefallen aufgenommen hast, das ist eine Sache der Ähnlichkeit, nicht der gleichen Menge. Viel angenehmer ist dieses Opfer bei Gott als die Gaben Abels, Abrahams und Melchisedeks, denn es wiegt weit mehr die Sache als der Schatten, die Wahrheit mehr als die Gestalt. Diese Ähnlichkeit erstreben wir mehr als die Menge der Annahme. Wir sind dem Abel ähnlich, wenn wir recht opfern und recht unterscheiden. Weil Kain das nicht tat, sündigte er. Er hat dem Gott recht dargebracht, dem es gebührte, aber er hat schlecht geteilt, weil er Gott sein Herz entzog und bei sich behielt. Abel aber unterstellte sich Gott. Deswegen hat der Herr auf Abel und seine Gaben geschaut. Wir sind auch Abraham ähnlich, da wir Gott den Sohn Isaak, d. h. den Frohen, unsern Willen anbieten und froh gehorchen. Auch Melchisedek werden wir ähnlich, da wir ohne menschliche Verstandesbeweise fest glauben, dass wir unter der Gestalt von Brot und Wein Fleisch und Blut Jesu Christi empfangen. Deswegen wollen wir mit Abel richtig unterscheiden, froh mit Abraham, geistlich mit Melchisedek uns als Opfer der Unschuld, des Gehorsams und der Gerechtigkeit darbringen, den geistigen Hochmut des Widders ablegen, die Wildheit des Stiers ausziehen, die Lüsternheit des Bocks vernichten. Entsprechend dem Wort: Fette Tiere bringe ich Dir als Brandopfer dar zusammen mit dem Rauch von Widdern; ich richte Dir Rinder und Böcke zu (Ps 66,15). So wird Gott unser Opfer wie einst die Gaben Abels, wie das Opfer Abrahams und das Opfer und die makellose Gabe Melchisedeks annehmen.”a Dies, sage ich, bezieht sich moralisch auf uns, aber allegorisch schaut es auf Christus entsprechend dem Wort Deines gerechten Dieners Abel. Er symbolisiert sich in dem Lamm, das er darbrachte, und in sich, da er dreißig Jahre alt war, als er unschuldig starb, als das makellose Opferlamm Christus. unseres Patriarchen Abraham. Dieser Patriarch und Führer der Väter ist Gottvater. Wie Abraham den Isaak a
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 13.
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darbrachte, doch einen Widder opferte, so hat Er seinen eingeborenen Sohn für uns hingegeben, bei dessen geopfertem Leib die Gottheit unverletzt blieb. Man liest, Melchisedek sei ohne Vater und Mutter gewesen und habe mit Brot und Wein geopfert. Unter ihm wird zu Recht der Sohn Gottes verstanden, der König von Salem, der König der Gerechtigkeit, der die Gerechten gerecht belohnt und die Ungerechten gerecht bestraft, der ohne Mutter im Himmel und ohne Vater auf Erden ist, der in Gestalt von Brot und Wein sich den Jüngern darbot. – Beachte: “Papst Leoa fügte im Kanon die Worte ein: das heilige Opfer, die makellose Opfergabe.”b “Unter der folgenden Verneigung des Zelebranten wird der Tod Christi verstanden, der unter den zuvor genannten Opfern gestaltet und dargestellt wurde, denn Christus neigte das Haupt und gab seinen Geist auf (Joh 19,30).”c Und sieh: Nach einigen wäscht sich der Diakon während des Kanons die Hände, um anzudeuten, dass Pilatus sich wusch, um kund zu tun, er sei unschuldig an dessen Blut. Denn unsere schmutzigen Werke werden durch Christi Leiden rein, und nur ein Reiner kann zum Empfang der Sakramente des Glaubens kommen. “Dein heiliger Engel trage diese Opfergabe zu Deinem himmlischen Altar. Dieser ist der Engel des großen Ratschlusses. Jener ‘Ratgeber’ (vgl. Jes 9,5), auf dessen Rat hin der Vater die Welt erschaffen und neu geschaffen hat. Der himmlische Altar im Anblick Gottes ist der gekreuzigte Christus, der zur Rechten des Vaters sitzt. Daher trägt der Engel diese Opfergaben zum himmlischen Altar, im Angesicht Gottes. Wenn Er seine Narben zeigt, tritt Er für uns ein beim Vater (Röm 8,34), für uns, die diese Sakramente zu sich nehmen.”d Dass irgendwo gesagt wird, ‘Lass dies emportragen zum Vereinigen mit dem Leib Christi’, das wird so verstanden: Lass das Symbolisierte, d.h. die streitende Kirche, sich mit der triumphierenden vereinigen. Und: Die Trennung ist, dass die Sache von ihrer Gestalt getrennt wird. Wir Leo I., Papst (440-461). – Liber Pontificalis, I 47. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 21. c Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 25, 6. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 106. a
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bitten also, das Rätsel des Wanderers möge getilgt werden und uns, die wir verstehen, der Leib in eigener Gestalt enthüllt werden. Lass uns alle. “Dass hier der Zelebrant den Altar dreimal küsst, macht er aus Dankbarkeit gegenüber der Dreifaltigkeit, die durch das Leiden des Herrn sich das menschliche Geschlecht versöhnt hat (vgl. 2 Kor 5,18). Leib und Blut. Einige machen hier zwei Kreuzzeichen, weil der Held der doppelten Substanz gekreuzigt wird. Einige unterlassen es.”a empfangen haben nach der Urkirche oder im Sakrament und tatsächlich oder nur tatsächlich. Entsprechend: “Glaub, und du hast gegessen.”b mit allem Gnadensegen macht der Zelebrant das Kreuzzeichen, um den Segen zu erhalten und mit himmlischer Freude erfüllt zu werden. “Gedenke auch, Herr, Deiner Diener und Dienerinnen. Hier betet die Kirche für die Verstorbenen, die in Christus ruhen, dass ihnen diese Sakramente nützen mögen. Hier kann man die gewünschten Namen einsetzen, nur nicht am Sonntag, wie einige sagen, denn man glaubt, dass die Seelen dann in Beobachtung des Sonntags Ruhe haben.”c Und passend wird hier das Gedenken derer eingefügt, die im Herrn sterben (Offb 14,13). Beendet ist ja das Andenken an den Tod des Herrn, es folgt unser Tod. Christus ging voraus, und wir folgen seinen Spuren. “Auch uns Sündern. Hier beten wir für die Büßer und unterbrechen die Stille mit halblauter Stimme.”d Wir schlagen an die Brust und erinnern uns an das Bekenntnis des Schächers und seine Bitte: Herr, denke an mich, wenn Du in Dein Reich kommst, und an das Versprechen des barmherzigen Gottes: Heute noch wirst du bei mir im Paradies sein (Lk 23, 42-43). Das Schlagen an die Brust ist ein Zeichen der Buße und Trauer. Einige beziehen diese Erhebung auf den Hauptmann, mit Johannes. “Einige verstehen darunter Johannes den Täufer, einige Markus, der auch Johannes genannt wurde. Sieh: Hier Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 24, 6. Gratianus, CIC, D.2 c.47 de cons.; Aurelius Augustinus, In Joannis evangelium Tractatus 25, 12. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 107. d Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 14. a
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werden nun acht Männer und sieben Frauen aufgezählt, denn hier werden durch dieses Opfer die sieben Gnaden des Heiligen Geistes und die acht Seligkeiten in uns verbunden. Ebenso ist die Verschiedenheit der Geschlechter und Grade enthalten. Denn von den Evangelisten und Bischöfen ist es Johannes, der auch Markus hieß, der Bischof von Alexandrien war, von den Diakonen der Erzmärtyrer Stephanus, von den Aposteln Matthias, von den siebzig Jüngern Barnabas, von den Patriarchen Ignatiusa, von den Päpsten Alexander, von den Priestern Marcellinus, von den Exorzisten Petrus, von den verheirateten Frauen sind es Felizitas und Perpetua, von den Jungfrauen Agatha und all die übrigen, denn alle haben dieses Sakrament mit ihrem Blut bestätigt.”b Die doppelte Erwähnung der Heiligen erinnert an das ‘lógion’ und ‘Ephod’c, auf dem der Hohepriester die Namen der Erzväter trug. “Durch Ihn erschaffst Du immerfort diese guten Gaben, damit es sie gibt, heiligst sie, dass sie Dir gegeben werden, gibst ihnen Leben durch Beseelen, segnest, dass sie nützlich sind,”d spendest, dass sie Nutzen bringen. Hier macht der Zelebrant drei Kreuzzeichen, denn die Passion des Herrn ist zu Ende. “Daher wird folgerichtig das Korporale-Velum weggenommen, denn der Vorhang im Tempel riss entzwei, von oben bis unten (Mt 27,51) und alles was vor der Passion verschlossen war,”e ist nun offenbar. Als Er von dem Essig genommen hatte, sprach Er: Es ist vollbracht (Joh 19,30). “Dann werden erneut über den aufgedeckten Kelch mit der Hostie drei Kreuzzeichen gemacht mit den Worten: Durch Ihn und mit Ihm und in Ihm, und es wird so an den Hauptmann erinnert, der gesagt hatte: Wahrhaftig, das war Gottes Sohn (Mk 15,39).”f Denn er sah die Wunder, die in der Passion durch diesen Sohn, der das Opfer war, enthüllt worden waren. Er erkannte den Vater und verstand den Heiligen Geist. “Die beiden Kreuze, die Ignatius, Bischof von Antiochien († etwa 107). Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 107-108. c Brustschmuck (rationale). d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 108. e Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 15. f Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 15. a
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jetzt mit der Hostie an der Seite des Kelches gemacht werden”a mit den Worten: wird Dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes vergegenwärtigen Blut und Wasser, die aus der Seite des Leidenden flossen. Und sie bezeichnen den für die beiden Völker Gekreuzigten. Und all dieses beim Haupt Vollbrachte übertragen sie zum Nutzen auf die Glieder. Daher wird mehrmals gesagt: alles Gute’. Den geistlichen Leib zeigt der Zelebrant mehrmals wegen der Vielzahl der Glieder und sagt gleichsam:, Durch Christus erschaffst Du uns’. Einige setzen hinzu: tust Du Wunder, und dieses Wunderwirken ist allen gemeinsam durch die Erschaffung, durch die Gnade wird der einzelne und irdische Mensch himmlisch. heiligst in der Taufe, belebst im Wort als der Speise des Lebens, segnest durch Vermehrung der Gnade, spendest sie uns nach dem Tod als ewiges Leben. Durch Ihn, der uns erschafft, mit Ihm, der uns neu erschafft, und in Ihm, der uns zur Herrlichkeit auferweckt, wird Dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Herrlichkeit und Ehre. Dabei berühren wir mit der Hostie den Kelch und erinnern daran, dass aus dem Leiden des Herrn die Erlösung der Welt geworden ist. Da es vier Zonen der Welt gibt, berühren einige die vier Seiten des Kelches. Von Ewigkeit zu Ewigkeit. “Bis hierher war Kanon, d. h. die Regel, an der man nichts hinzufügen oder wegnehmen darf an Hingabe, vielmehr in Anmaßung.”b Diese Schlussformel, also ‘von Ewigkeit zu Ewigkeit’ wird mit lauter Stimme vorgetragen, weil der Herr seinen Geist mit lauter Stimme verkündet hat, und weil der Hauptmann gerufen hat: Wahrlich, das war Gottes Sohn (Mt 19,54). Dann weil die Frauen weinend den Herrn beklagten; auch damit vor Augen geführt wird, dass der Hohepriester hinausging, um seine Kleider zu waschen. Das bedeutet, öffentlich für die Völker zu beten, damit das Volk, das das Ende des Kanons bemerkt, antwortet: ‘Amen’. Es bestätigt, was der Zelebrant gemacht hat, und erreicht, um was er betet. Wenn der Zelebrant spricht: ‘Von Ewigkeit zu Ewigkeit’, erhebt der Diakon den Kelch, nach a b
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 15. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 108.
6d – Das Gebet des Herrn
einigen bedeckt er mit dem Manipel einen Teil und setzt ihn dann auf den Altar, mit dem Korporale bedeckt er Hostie und Kelch, er symbolisiert den Joseph von Arimathäa, der den Leichnam des Herrn vom Kreuz nahm, das Gesicht mit einem Leinentuch bedeckte und ihn in weißes Leinen wickelte, ihn in ein Grab legte und das Grab mit einem Stein verschloss (vgl. Joh 19,38-42; Mt 27,57-61; Mk 15,42-47; Lk 23,51-53). “Der Zelebrant, der die Hostie erhebt, verweist auf Nikodemus, und diese Erhebung des Kelchs ist zeichenhaft die Abnahme vom Kreuz, das Absetzen aber das Niederlegen im Grab.”a Der Diakon, der die Schulter des Zelebranten küsst, erinnert daran, dass Joseph den Leichnam beim Niederlegen geküsst hat, was von einigen in Skulpturen dargestellt wird. Und er zeigt, dass wir den Herrn nicht sehen können, nur in einen Spiegel schauen, in rätselhaften Umrissen (vgl. 1 Kor 13,12). Der Zelebrant küsst die Hostie und zeigt, dass Nikodemus dasselbe tat wie Joseph, oder besser: Durch das Leiden des Herrn ist unsere Wiederversöhnung geschehen.
d. Das Gebet des Herrn ‘Oremus – Lasset uns beten’. Von dieser Stelle an müssen wir ausgestreckt liegend beten bis zum Ende des Vaterunser an den festfreien Tagen, an Festtagen aber stehend. ‘Durch heilbringende Anordnung gemahnt’ usw. Die drei folgenden Abschnitte, also ‘Durch heilbringende’, ‘Vater unser’, ‘Erlöse uns’, symbolisieren die drei Tage der Grabesruhe des Herrn. Deshalb verwenden wir sie an Karfreitag. “Es handelt sich um die Einleitung oder Hinführung zum Gebet des Herrn.”b ‘Anordnung’ und ‘göttliche Belehrung’ besagt, dass der Herr sie eingerichtet und den Aposteln so zu beten gelehrt hat. ‘Vater unser’. Der hl. Gregor hat eingeführt, dass das Gebet des Herrn in der Messe gesprochen wird; er sagt, “es sei unangemessen, wenn über der Eucharistie ein Gebet gesprochen würde, das ein Schulmann komponiert hat, und das Gebet ausgelassen a b
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 15. Robertus Paululus, De caeremoniis 2, 39.
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würde, das der Herr selbst gesprochen hat und die Apostel zu sprechen gewohnt waren.”a Dies hat er von den Griechen übernommen, doch er wollte sich von diesen darin unterscheiden: Während es bei den Griechen vom ganzen Volk gesprochen wird, wird es bei uns nur vom Zelebranten gesungen. Dieses Gebet wird mit lauter Stimme gesungen, damit die, die an der Kommunion teilnehmen wollen, sich die Beleidigungen vergeben (wie es dort gesagt wird), um nicht unwürdig an den Tisch des Herrn zu treten. Deswegen wird es auch nicht leise gesprochen, denn es stammt aus dem Evangelium. Wobei eingeworfen wird, dass der Herr über das Beten sagt: Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu, dann bete zu deinem Gott (Mt 6,6). Doch Er spricht nicht von einem verschlossenem Haus, sondern von der Abgeschiedenheit des Herzens, d. h. wir sollen unsere Brust im mystischen Glauben für schlechte Gedanken verschließen und mit geschlossenen Lippen reinen Herzens mit Gott sprechen. “Der Vater der Alten wurde ‘Herr’ genannt, gleichsam über Sklaven, jetzt aber in der Gnade.”b “‘Vater’, ein Wort der Freiheit und von großem Vertrauen.”c Was könnte Er seinen Söhnen verweigern, die hartnäckig und würdig bitten? Was hat Er nicht als Vater gegeben, als Er die unnützen Knechte aus dem Reich warf, den Söhnen die Erbschaft übergab, sie mit dem Brot der Engel und dem Fleisch des gemästeten Widders sättigte. ‘Unser’, was gemeinsam für alle gilt. Keiner sagt: ‘Mein Vater’, was allein Christus zukommt, der von der Natur her Sohn ist, wir aber durch die Gnade der Adoption. Da werde also kein Edelmann stolz, da wir alle Söhne dieses Vaters sind. “‘Der Du bist im Himmel’, d. h. im Verborgenen, in den Engeln, den Heiligen, in Geistern durch Gnade. ‘Geheiligt werde Dein Name’.”d Sieben Bitten sind in diesem Gebet enthalten, von denen wir gehört haben, dass die Apostel sie über dem Sakrament als einziges gesprochen haben. Gregorius Magnus, Registrum epistularum 9, 26. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 109. c Robertus Paululus, De caeremoniis 2, 38. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 109. a
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6d – Das Gebet des Herrn
Die erste Bitte lautet: ‘Geheiligt werde Dein Name’. Dieser Name, der nach unserer Bitte geheiligt werden möge, ist der Vater, auf den bezogen wir Söhne Gottes heißen; es möge was wir bitten in uns geheiligt werden, damit wir durch die Heiligung dem Vater nacheifern und der Name des Vaters bei den Söhnen in Sitten und Leben gezeigt wird. Also ist mit solchen Sitten zu leben, dass wir Söhne Gottes und Brüder Christi sein können, denn Sohn ist nicht, wer durch seinen Willen entartet und wer nicht durch den Glauben auf Ihn hinzielt. Und geheiligt werden, d. h. in uns gestärkt werden, heißt, dass Er nicht aufhört unser Vater zu sein und wir nicht seine Söhne. Denn in der Taufe werden wir geheiligt, werden bei dem verharren, worin wir zu sein begonnen haben. Und ‘geheiligt werde Dein Name’ ist wie: Das Heilige werde in uns bekannt, damit wir nicht glauben, es gäbe etwas Heiligeres. Ähnlich ist: Gott möge in uns verherrlicht und gepriesen werden. Die zweite Bitte: ‘Dein Reich komme’, d. h. zu Dir komme die Kirche, in der Du regierst, von der es heißt: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Netz, das man im Meer wirft (Mt 13,47). Und zu uns komme das Versprechen des Himmelreichs, das Du uns gegeben hast: Nehmt das Reich in Besitz, das für euch bestimmt ist (Mt 25,34). Und: ‘Dein Reich komme’. Das Reich Gottes gibt es immer, aber es möge zu uns kommen, d. h. es möge offenbar werden, dass Du in den Heiligen herrschst und die Heiligen in Dir, sodass wir nicht im Unklaren bleiben, dass der Herr kommt, um zu richten. Die dritte Bitte ist: ‘Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden’. Der Wille Gottes geschieht immer, doch wir bitten, die Freiheit unseres Willens und Handelns möge mit dem göttlichen Willen übereinstimmen, wie bei den Engeln, so bei den Menschen, wie bei den Gerechten, so bei den Sündern, wie in Christus, so in der Kirche, wie im Sinn, so im Leib. Wie der Geist und das Herz ein geistiger Mensch ist, sein Herz und sein Leib jauchzen Ihm zu, dem lebendigen Gott (Ps 84,3), der nicht für sich, sondern für dich lebt. Und der Wille ist die Befolgung der Gebote. Diese drei Bitten werden in der Zukunft vollendeter,
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doch inzwischen beten wir unsererseits, sie mögen später in uns vollendeter erfüllt werden. ‘Unser Brot’. Die folgenden vier Bitten sind Schutz für das gegenwärtige Leben. Doch unser Brot kann gemeinsam sein ‘unser tägliches Brot’ oder in der Gemeinschaft, eine andere Fassung: ‘zu unserer Substanz’ oder ‘besonderes’. “‘Supersubstantialis’ lateinisch ist griechisch ‘epioúsion’, ‘segolla’ hebräisch.”a Unser Brot, Gott ist uns Zuflucht und Stärke (Ps 46,2), die wir täglich brauchen. Der über allen Substanzen ist, den bitten wir, Er möge uns gegeben werden, weil wir in ihm leben. Und unser Brot ist das Wort Gottes oder Gottes Gebote, die wir täglich brauchen, denn der Mensch lebt nicht nur vom Brot, sondern von allem, was der Mund des Herrn spricht (Deut 8,3; Mt 4,4), den wir bitten, es möge uns gegeben werden, denn in Ihm werden wir gesättigt. Und unser Brot ist der Leib Christi, der unser Menschsein besitzt, wir, die wir es täglich brauchen, auch die wir täglich sündigen. Darüber: Das Brot, das ich euch geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt (Joh 6,51), das uns, wie wir bitten, gegeben werden möge, weil wir damit neu geschaffen werden. Also sind wir zwar in Sünden verstrickt, doch wir bitten, wir möchten mit himmlischer Nahrung versehen werden. ‘Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern’. ‘Schuld’ nennt Er unsere Sünden, Beleidigungen, durch die wir Gott beleidigen, und daher leben wir als Schuldige und Schuldiger, die wir bitten, es möge uns erlassen werden, sodass wir frei in die Heimat zurückkehren können, doch unter folgender Verabredung und Bedingung: ‘Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern’, d. h. die uns beleidigen und die uns beleidigt haben. Daher müssen sie auch uns Genugtuung leisten. Anders gibt es keine Frucht des Gebets, denn der Herr sagt: Wenn ihr den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater auch nicht vergeben (Mt 6,15). ‘Und führe uns nicht in Versuchung’ des Teufels. Gott versucht, um auf die Probe zu stellen, und es versucht der a
Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 47a.
6d – Das Gebet des Herrn
Mensch, um zu lernen; es versucht der Teufel, um zu täuschen. Doch führt etwa Gott in solche Täuschung? – Nein. Aber Er zieht sich zurück und gestattet die Versuchung. Doch ist etwa die Versuchung nützlich für den Siegeskranz? – Ja, denn wo größerer Kampf ist, dort ist eine größere Siegeskrone. Wir bitten also, Er möge uns nicht in Versuchung führen, d. h. Er möge uns in der Versuchung nicht verlassen und nicht zulassen, dass wir besiegt werden und unterliegen. ‘Sondern erlöse uns’. Sieh: In allen Bitten, die uns berühren, betet einer für alle, wie ‘gib uns’, ‘erlasse uns’, ‘führe uns nicht’, ‘erlöse uns’, denn der Gott des Friedens und der Eintracht wollte, dass einer für alle betet, wie Er in sich allein alle trägt, dass wir den Herrn aus einem Munde wie die drei Jünglinge im Feuerofen preisen. Es folgt: ‘von dem Bösen’, von der Schuld, von der zeitlichen und ewigen Strafe. Danach ist nichts weiter zu fürchten, und um nichts weiter muss man beten: Seht, die siebente Bitte ist das Ende unseres Gebets und das Ende unserer Verfolgung. Und sieh: Während diese sieben Bitten gesprochen werden, stehen die Diakone geneigt und erwarten die Kommunion. Dabei stellen sie die Apostel dar, die nach dem Tod des Herrn sieben Wochen lang die Firmung des Heiligen Geistes erwartet haben. Die Subdiakone aber schweigen, denn die Frauen hielten am Sabbat die Ruhe ein (vgl. Lk 23,56), denn es war der siebte Tag. Es folgt der Embolismus, d. h. der Zusatz. Er fügt der letzten Bitte eine Wiederholung und Erweiterung hinzu. Dort heißt es: ‘Erlöse uns von allem Übel’. Hinzugefügt wird, von welchem Übel: ‘sei es vergangen, gegenwärtig oder zukünftig’. Und er stellt einen Übergang zum Gebet dar, in dem die Kirche demütig um die Gabe des Friedens bittet. Er wird im Ambrosianischen Ritus laut gebetet, im Römischen still. Und kurzes Schweigen berücksichtigt den Samstag, an dem der Herr im Grabe ruhte. Ähnlich wird das Gebet des Herrn mit seinen sieben Bitten als Symbol dieses siebten Tages gesetzt, an dem die Apostel im Gebet waren, um von allem Bösen erlöst zu werden. ‘Erlöse uns’. Seht die Wiederholung und Erweiterung der letzten Bitte: ‘auf die Fürsprache der seligen’. Seht den Übergang, in dem zur Erlangung der Gnade des Friedens die Mutter Salomos, des friedfertigen
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Mannes, der Friedensbote Michael und der Herold Johannes der Täufera sowie drei Apostel als Zeugen des Friedens gefordert werden. Mehr Apostel werden hier nicht aufgezählt, denn auf der Aussage von drei Zeugen darf eine Sache Recht bekommen (Deut 19,15; Mt 18,16). Der Schluss des Embolismus wird nicht mit: ‘Per Dóminum – Durch unsern Herrn’ beendet. Es ist ja bei Präfationen und Embolismen Brauch, das Gebet fortzuführen mit ‘Gib Frieden’. – “Hier wird dem Zelebranten die Patene gereicht. Über diesen Brauch gibt es verschiedene Gewohnheiten: Andernorts hält sie der Akolythh und der Subdiakon, jener eingewickelt, dieser aber unbedeckt. Heilige Geräte dürfen ja nur von geweihten Klerikern angefasst werden. Doch bei uns beobachtet dies ein Subdiakon vom ‘Te igitur’ bis jetzt, da es vom Vater heißt: Er symbolisiert die Herzen derjenigen Frauen (die der Subdiakon verkörpert), die in der Weite der Nächstenliebe, in der Hingabe an Christus bereit waren, als sie kamen, um mit wohlriechenden Salben den Leichnam Christi zu salben.”b Dadurch also, dass der Subdiakon dem Diakon die Patene reicht, wird daran erinnert, dass die Frauen weithin an die Auferstehung Christi glaubten und sie den Aposteln verkündeten, die schließlich dem Herrn die Weite ihres Glaubens darboten. Und unter dem Subdiakon verstehe Nikodemus, der auch weithin glaubte und dem Erlöser seine Ergebenheit zeigte. Gib, sage ich, Frieden der Brust, ‘dass wir von Sünden allzeit freibleiben’. Es schadet ja Beunruhigung den Kranken. Seht: Es wird ganz deutlich offengelegt, von welchem Übel wir erlöst zu werden bitten. – Sieh: Der Zelebrant macht bei den letzten beiden Klauseln über sich mit der geküssten Patene ein Kreuzzeichen, denn er verkündet durch das Kreuz dieses Opfer und seinen Wohlgeruch allen Frieden im Himmel und auf Erden. Er bricht die Hostie, denn der Herr nahm während des Mahls das Brot, sprach den Lobpreis und brach das Brot (Mt 26,26). Dies und jenes Brotbrechen symbolisiert das Brechen des Leibes am Kreuz oder das Brotbrechen, an dem Er nach der Auferstehung a Erweiterungen des Embolismus um weitere Namen waren regional üblich. Vgl. Ebner S. 425-428. b Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 30, 3.
7 – Segnungen des Bischofs
erkannt wurde, oder die Verschiedenheit des Leibes Christi, d. h. als Er umherzog, ruhte und sich setzte. Über die drei Teile werden wir weiter unten handeln.a Der Papst bricht die Hostie nicht, sondern beißt einen Teil ab und gibt das Übrige in den Kelch, denn Christus hat der Unterwelt einen Biss erteilt und die von dort Mitgenommenen ins Paradies geschickt. Mit lauter Stimme schließt der Zelebrant: ‘Von Ewigkeit zu Ewigkeit’, danach antwortet das Volk in dem Wunsch nach Frieden mit ‘Amen’. Das Heben der Stimme, das hier folgt, deutet die gute Nachricht von der Auferstehung des Herrn an, durch die wir ewige Heiterkeit und Klarheit empfangen werden. 7. Der sechste Teil der Messe – Die Segnungen des
Bischofs
Die Witwe Zions will ich reichlich segnen (Ps 132,15 Vg.). Durch den Tod und im Tod des Herrn empfing die gläubige Seele Segen, zu dem im Totenamt der Diakon das Volk einlädt, sich zu demütigen. Der Bischof segnet das Volk in dreifachem Segen, beim vierten spricht er: ‘Das möge Er gewähren’, und bekräftigt es. Beim fünften Segen schließt er den Segen des Allmächtigen ein. Diese Segnungen hat Jakob vorgebildet, als er sterbend seine Söhne segnete. “Moses stattete vor dem Tod die Söhne Israels mit reichem Segen aus. So erwies Christus im Tod seinen Jüngern den Segen der Ansprache und zeigte, dass Er auch am Ende die liebte, die Er schon zuvor geliebt hatte. So stieg Er in die Unterwelt hinab, segnete die im Finstern saßen, als Er sie hinausführte, zum Himmelssaal des Vaters einführte und ihnen den ewigen Frieden verschaffte. Dies verkörpert der Bischof, wenn er nach fünffacher Darstellung des Todes dem Volk fünfmal Segen spendet: ‘Sein Friede sei allezeit mit euch’. Fünfmal aber segnet er, weil Gott zuerst die Menschen gesegnet hat mit dem Wort: Seid fruchtbar und vermehrt euch (Gen 1,28). Zweitens sagte Er dasselbe nach der Sintflut. Drittens segnete Er, als Er den Patriarchen Segen versprach durch die a
Siehe S. 279.
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Sendung Christi und in den Richtern, Königen, Fürsten, Propheten und Hohenpriestern versinnbildlichte. Zum vierten Mal segnete Er, als Er seinen Sohn schickte, der beim Hinabund Hinaufsteigen segnete und den Segen durch den Heiligen Geist bekräftigte. Zum fünften Mal segnete Er mit dem Wort: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid (Mt 25,34).”a Einige sagen nicht ohne Grund mit Nachdruck, dieser Ritus gehöre nicht zu den sieben Teilen der Messe, weil die Römische Kirche diese Segnungen weder erfunden noch in Gebrauch genommen hat. Wer sie aber erfunden hat, hat sie zu Recht an diese Stelle gesetzt, wo Christus, wie man glaubt, zu den Toten hinabgestiegen ist, also gleich nach der Auferstehung, als Er den aus dem Gefängnis Erlösten den ewigen Segen erteilte. 8. Der siebente Teil der Messe
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a. Die Kommunionfeier Mit Brot will ich seine Armen sättigen (Ps 132,15). Wenn der Bischof sich zum Opfer zurückwendet und die Stimmung des Volkes sieht, wie es ihm mit ‘Amen’ antwortet, spricht er die Friedenserwartung an: ‘Und Sein Friede sei allezeit mit euch.’ Ein Zelebrant aber sagt hier: ‘Der Friede des Herrn sei allezeit mit euch’. Er bittet um den Frieden, der alles Verstehen übersteigt (Phil 4,7). Beachte: Der Diakon, der das Korporale weglegt und den Kelch hält, verkörpert den Engel, der den Stein und das Grabtuch beseitigte und das leere Grab bewachte. “Und während das der Zelebrant oder Bischof sagt, macht er drei Kreuze über dem Kelch mit dem kleinsten Stück der Hostie und senkt es in den Kelch, weil dann, als im Himmel und auf Erden alle Frieden erhalten hatten, die Seele Jesu Christi in den Leib zurückgekehrt ist. Einige tun das, bevor sie ‘Pax Dómini’ sagen, was nicht ohne Mysterium ist,”b denn durch die Auferstehung wurde offenbar, a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 60. Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 31, 1.
8a – Die Kommunionfeier
dass den Menschen guten Willens der Friede gegeben wurde. “Ihm antwortet das Volk entsprechend: ‘Und mit deinem Geiste’,”a und wünscht frohen Herzens, dass durch die Barmherzigkeit des Lammes uns jener Friede geschenkt und von uns der Leib des Friedensstifters würdig genossen wird. Es singt: ‘Agnus Dei – Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde der Welt; erbarme Dich unser’, und dann: ‘Gib uns Deinen Frieden’. Um Buße zur Vergebung der Sünden zu geben und Frieden mit Gott, Menschen und Engeln zu machen, hat Er dies alles getan. Es wird daher ‘Erbarme Dich unser’ und ‘Gib uns Deinen Frieden’ gesungen, was Papst Sergius befahl, bei der Kommunion von Klerus und Volk singen zu lassen.b Christus heißt das ‘Lamm’ wegen seiner Unschuld oder von ‘agnon’, was ‘fromm’ bedeutet, denn Er hat uns allein aus Frömmigkeit erlöst, oder von ‘erkennen’, weil Er am Kreuz im Gehorsam den Vater erkannte, die Mutter erkannte und sie dem keuschen Johannes empfahl, das Menschengeschlecht erkannte beim Erlösen. Wir bitten daher, jener Unschuldige, der uns durch sein Leiden erlöst hat, möge sich unser erbarmen, die wir sein Leiden verkörpern, und der gelitten hat, um Frieden zu bringen, der als Friedenskönig uns Frieden bringt. Er ist ja das Lamm, das in der Vorherbestimmung vom Beginn der Welt geopfert wurde. Er ist das Paschalamm, durch das das Volk aus der Knechtschaft der Ägypter befreit wurde. ‘Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme Dich unser’. Dies ist aus dem Evangelium genommen (Joh 1,29). Dass es dreimal gesungen wird, stammt aus der obigen dreifachen Notiz. Und es wird dreimal gesungen, weil der Leib Christi dreifach verstanden wird: “Wandelnd auf Erden, ruhend im Grabe, thronend im Himmel.”c ‘Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme Dich unser’. Sieh: Zweimal wird ‘Erbarme Dich’ gesungen, beim dritten Mal: ‘Gib uns Deinen Frieden’, was aus dem Alten Testament stammt, wo sich eine ähnliche Formulierung findet. Die Klagenden riefen ja: Hab Mitleid mit Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 90. Sicardus, Cronica zum Jahr 677; Liber Pontificalis I 86. – Sergius Papst 687-701. c Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Liber officialis 3, 35, 1. a
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Deinem Volk, und danach sagten sie: und überlass Dein Erbe nicht der Schande (Joel 2,17). “Zu Recht wird zweimal ‘Erbarme Dich’ und einmal ‘Gib uns Deinen Frieden’ gerufen, weil wir in diesem doppelten Leben, also in der Aktion und der Kontemplation das Erbarmen nötig haben. Im anderen Leben aber wird uns der ewige Frieden gewährt werden. Am Gründonnerstag wird nach einigen dreimal ‘Erbarme Dich unser’ gesungen, in der Messe für die Verstorbenen ‘Gib ihnen die ewige Ruhe’, und es muss eingeschoben und gemischt mit einem Gebet sein.”a Nach der Mischung von Leib und Blut, unter der wir uns die Auferstehung des Herrn vorstellen, erteilt der Zelebrant dem Volk den Friedensgruß. Den hat Josua vorgebildet, der nach Überwindung der Feinde das Land besetzte, das er nach dem Los verteilte und in Frieden besaß. So der auferstehende Christus, der nach Überwindung des Teufels den Menschen Frieden und Gaben schenkte. Diese Auferstehung und die Taten des Auferstehenden repräsentiert der Bischof, wenn er den dritten Teil der Hostie mit dem Blut mischt und in den Kelch tut, weil die Seele Christi zum Leib zurückgekehrt ist. “Danach entbietet der Zelebrant, wie Papst Innozenz geboten hat, dem Volk den Friedenskuss,”b weil der Auferstandene dem Menschengeschlecht den Frieden gegeben hat. Um den Friedensgruß zu geben, nimmt er den Friedenskuss nach einigen von der Eucharistie, nach anderen vom Grab, vom Altar oder vom Buch und teilt ihn nach einigen dem Subdiakon, Diakon oder Kantor, nach anderen dem Archipresbyter weiter. Da der auf der linken Seite gestanden hat, tritt er nun zur Rechten des Bischofs, um den Gruß anzunehmen. Durch ihn wird das Heidenvolk symbolisiert, das das erste im Glauben war, das erste im Frieden, das von der linken Seite des Unglaubens auf die rechte des Glaubens und der Ewigkeit überging. Durch ihn geht der Friedensgruß weiter zum Volk, zuerst zu den Männern, danach zu den Frauen, denn der Mann ist das Haupt der Frau (vgl. 1 Kor Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 48d. Sicardus, Cronica zum Jahr 398; Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 90; Innocentius I., Epistulae et decreta 25, 1. – Papst Innozenz I. (401-417). a
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11,3; Eph 5,23). Doch Männer und Frauen küssen sich wegen der Zügellosigkeit, deretwegen sie ja getrennt sind, mit keinem leiblichen Kuss, auch entsprechend ihrer getrennten Verteilung. Von diesen Leuten werden Küsse ausgetauscht, die durch keinen Kitzel der Lust genährt sind. Das Volk aber küsst sich aus drei Gründen gegenseitig: Erstens weil es sich freut, dass es die Gnade seines Herrn und die Eintracht mit den Engeln durch Seinen Tod verdient hat. Zweitens weil wir als Söhne Gottvaters und der Mutter Kirche Brüder in Christus sind und daher von dem einen Brot als Erbe gesättigt werden. Drittens weil im Kuss Fleisch mit Fleisch und Geist mit Geist verbunden wird und wir, die wir durch die Geschlechterfolge seit Adam verbunden sind, nun auch durch das Band der Liebe verknüpft werden. Wer also einen küsst, den er hasst, ahmt den Kuss des Verräters Judas nach. Nach dem Kuss wird die Kommunion eingenommen, so als ob man sagt: In der Einheit ist nicht, wer nicht Teilhaber an Seinem Leib ist. Der Zelebrant kommuniziert als Erster, er nimmt den Leib vom Altar ohne Zutun eines anderen, denn Christus wird die Wiederherstellung unserer Leiber ohne Zutun eines anderen durchführen. Das Blut aber nimmt er aus der Hand des Diakons, denn für die Erlösung der Seelen bedient Er sich der Menschen. In der Kommunion nimmt der Stellvertreter Jesu Christi sich einen Teil. Als Er das Brot brach für seine Jünger in Emmaus, behielt Er sich einen Teil und verteilte die anderen Teile dem Lukas und Kleophas. So teilt der Zelebrant dem Diakon und Subdiakon. Und danach aß Er ein Stück gebratenen Fisch und süßen Honig (Lk 24,42 Vg.) und gab das Übrige den Jüngern. Nachdem Diakon und Subdiakon kommuniziert haben, treten die Brüder heran, damit auch sie einen Teil der Kommunion empfangen. Sieh: Die Hostie wird in drei Stücke geteilt, so wie einst nach dem Gesetz das Schaubrot gestückelt angeboten wurde: “eines wird vom Hohenpriester genommen, eines mitunter in eine Büchse auf dem Altar für die Kranken als Wegzehrung zurückgelegt, das dritte Stück in den Kelch getan. Das erste ist der mystische Leib, d. h. die auf der Erde wandernde Kirche: Das zweite ist ebenso mystisch, es schläft nämlich bis zum Tag des Gerichts im Grabe. Das dritte ist die personale
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Wiederaufnahme in Herrlichkeit; oder es symbolisiert mit dem Blut vermischt die auf Erden streitende Kirche.”a Andere aber meinen die im Reinigungsort sind oder im Himmel triumphieren. Und das Brechen in drei Teile weist hin auf das Lamm der Heiligen Dreifaltigkeit, und das ins Blut getauchte Teil deutet auf die Person des Sohnes. Doch obgleich die Hostie oder der Leib Christi im Sakrament so gebrochen und an die vielen verteilt wird, bleibt dennoch Christus ganz und unversehrt im Himmel und wird von den einzelnen ganz und unversehrt im Sakrament genossen; Er wird nur geistlich zu einer Speise für den Leib. Seine Kraft sättigt den inneren Menschen, der gesättigt den äußeren froh macht. Sieh: Obgleich der Leib ganz genossen wird, heißt es dennoch, dass er nur zum Nutzen genommen wird, denn die Sache wird bestimmt nach dem, was man sieht oder von dem gesprochen wird. “Einige sagen, man müsse sich nach dem Genuss des Opfers des Ausspeiens enthalten.”b “Und in der Tat muss das Opfer mit großer Ehrfurcht eingenommen und mit umsichtiger Sorgsamkeit bedacht werden. Doch der geisterfüllte Mensch urteilt über alles, ihn aber vermag niemand zu beurteilen (1 Kor 2,15). Für die Reinen ist alles rein (Tit 1,15). Speichel ist ja etwas Natürliches, der ohne Sünde entsteht. Das Entstehen des Speichels nutzt der Gesundheit. Gewiss darf man das für die Gesundheit tun, was Jesus zu unserm Heil getan hat. Denn der Herr spuckte auf die Erde, dann strich Er den Speichel dem Blinden auf die Augen (Joh 9,6). Wer sich in Acht nimmt, beim Spucken nicht Brot und Wein auszuspucken, möge sich auch hüten, ein Wort von dem, was der Herr gesprochen hat, aus seinem Herzen zu tilgen und fallen zu lassen,”c denn es ist Geist und Leben (Joh 6,63). Auch ich unterlasse es nicht zu spucken, wenn der Schleim überhand nimmt, denn ich vertraue im Herrn darauf, dass Fleisch und Blut in die geistliche Mahlzeit der Seele und des Leibes übergehen. Und ich untersuche nicht, ob mit dem Überflüssigen Speise Bernoldus, Micrologus 17. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 119e. c Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia II: Epistulae ad Guntardum 1, 3-4. a
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austritt oder durch das Innere abfließt. Doch in frommer Treue, falls etwas von dem Lamm übrig ist, lasse ich das nach dem Gesetz dem Feuer zum Verbrennen (vgl. Ex 12,10), d. h. überlasse es dem Heiligen Geist. Danach kommuniziert das Volk, denn Christus hat nicht allein mit den wenigen Aposteln gespeist, sondern vor seiner Himmelfahrt auch mit vielen Jüngern. Ein jeder gehe selten oder täglich zur Kommunion, so wie es ihm am besten vorkommt. Denn Zachäus nahm Ihn freudig auf in sein Haus (Lk 19,6). Der Hauptmann sagte: Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach (Mt 8,8). Die Gebete, die wir um Frieden zu geben und zu kommunizieren, sprechen, legen wir hier nicht dar, weil sie keine Darlegungen benötigen und von anderen mehr oder wenige andere verwendet werden. Währenddessen wird die Communio gesungen, die die fröhliche und wechselseitige Aussprache der Apostel wegen der Auferstehung symbolisiert, beispielsweise: Surrexit – Der Herr ist wirklich auferstanden (Lk 24,34) und was sie erzählten, wie sie Ihn erkannt hatten, als er das Brot brach (ebd. 24,35), und dass wir mit den Gerechten teilhaben an der Gnade Gottes. Die Communio ist Danksagung, entsprechend dem Wort: Edent paúperes – Die Armen sollen essen und sich sättigen, sie sollen den Herrn preisen (Ps 22,27). Es folgt der Gruß: ‘Dóminus vobiscum’. Wer behauptet, die Segnungen seien nicht der sechste Teil der Liturgie, setzt diesen vernünftigerweise als letzten. Denn dieser Gruß symbolisiert jenen Segen, mit dem der Herr vor seiner Himmelfahrt die Jünger segnete. “Es folgt ein Gebet, das ‘Postcommunio’ genannt wird. Darin betet der Zelebrant für die, die an der Kommunion mit der Eucharistie teilgenommen haben.”a Es muss einziges oder so viele an Zahl sein, wie es Tagesgebete (collectae) gegeben hat. Es bezeichnet das Gebet unseres Hauptes, d. h. unseres Herrn Jesus Christus, der beim Vater täglich für uns eintritt. Dass der Zele brant auf die rechte Seite tritt, kennzeichnet Christus, wenn Er am Ende der Welt zu den Juden zurückkehrt, denn wenn die Heiden in voller Zahl das Heil erlangt haben, wird ganz Israel sich a
Bernoldus, Micrologus 19.
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zum Herrn bekennen (Röm 11,25). Es folgt ein letzter Gruß ‘Dóminus vobiscum’. Er verweist auf das ewige Heil. “Beachte: Der Zelebrant begrüßt in der Messe siebenmal das Volk, weil das Geheimnis der Messe sich auf die sieben Gaben des Heiligen Geistes bezieht. Unter dem ersten Gruß wird der Geist der Weisheit verstanden, weil die Weisheit in diese Welt gekommen ist, um uns zu erlösen. Im zweiten der Geist der Einsicht, weil Er ja gepredigt hat, um uns zu lehren. Im dritten der Geist des Rates, Er hat sich ja auf geheimen Rat Gottes dem Leiden zugewandt, um uns zu retten. Im vierten der Geist der Stärke, weil Er sterbend am Kreuz den Teufel besiegt hat, um uns zu befreien. Im fünften der Geist der Erkenntnis, denn als Er auferstanden war, grüßte Er die Jünger und öffnete ihre Sinne, um uns zu unterrichten. Im sechsten der Geist der Frömmigkeit, weil Er nur durch die Frömmigkeit die menschliche Natur über die Sterne erhoben hat, um uns zu erhöhen. Im siebten der Geist der Gottesfurcht, weil die Engel beben,”a wenn Er zum Gericht kommt, um uns zu verherrlichen. Doch nur bei fünf Grüßen wendet sich der Zelebrant zum Volk. Zuerst grüßt er beim Tagesgebet, dann vor dem Evangelium, drittens vor dem Offertorium, viertens vor der Wandlung, fünftens vor dem Friedensgruß, sechstens nach der Kommunion, siebtens nach dem Abschluss, d. h. dem letzten Gebet. Bei dem Gruß vor der Wandlung wendet er sich nicht zum Volk, denn keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes (Lk 9,62). Bei dem vor dem Friedensgruß wendet er sich ebenfalls nicht um, denn er hält die Hostie in seinen Händen. Bei den übrigen aber wendet er sich zum Volk, denn die wir grüßen, denen zeigen wir unser Gesicht. Fünfmal wendet er sich zum Volk, weil man liest, Er sei fünfmal nach der Auferstehung erschienen.
b. Die Entlassung Es folgt der Abschluss ‘Ite missa est – Gehet hin, es ist Sendung’. Die Messe endet dreifach: An Hochfesten, wenn ‘Te Deum laudamus – Großer Gott, wir loben Dich’ gesungen wird und ‘Gloria – Ehre a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 84.
8b – Die Entlassung
sei Gott in der Höhe’, dann endet sie mit ‘Ite missa est’. Es hat den Sinn: Geht Christus nach und folgt Ihm. Man setzt sich nicht, sondern eilt der Heimat entgegen, denn die Messe ist das Opfer zur Versöhnung mit Gottvater, durch den die Tore der Unterwelt zerbrochen wurden. O, würde sich doch unser Sinn, wenn wir das hören, dorthin wenden, wohin das Opferlamm geht, denn wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler (Mt 24,28; Lk 17,37)! Dort sind wir mit der Sehnsucht. Dann erwartet uns der von allen Völkern Ersehnte (Hagg 2,7 Vg.) mit seinem Schatz, der so für uns beim Vater bittet. Ich will, wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein (Joh 12,26). Und ‘Ite missa est’ heißt: Das Lamm ist geschlachtet und der Eingang zum Paradies geöffnet, folgt Ihm. Tötet unser Fleisch mit seinen Leidenschafen und Begierden (Gal 5,24). Und weil sich die Rede an die Anwesenden richtet, deshalb wendet der Zelebrant oder der Diakon, wenn er dies sagt, sein Gesicht zum Volk. “Ihm antwortet das Volk: ‘Deo grátias – Dank sei Gott’. Dieses ist von dem genommen, was das Volk, als es die Erlaubnis erhalten hatte und mit Genehmigung des Pharao aus Ägypten wegzog, dankerfüllt Gott sagte. Ferner von dem, was es, als es von Kyros nach erlangter Erlaubnis aus der babylonischen Gefangenschaft nach Jerusalem heimkehrte, Gott an Dank sagte.”a So sagen auch wir für die empfangenen Wohltaten unserer Erlösung Dank dem Erlöser, der zum Vater aufstieg und täglich für uns beim Vater Fürsprache einlegt. Daher sagten die Apostel nach der Himmelfahrt bei der Predigt: Danket Gott (1 Thess 2,13; 5,17). Sie kehrten nach Jerusalem zurück und priesen Gott (Lk 24,52.53). So werden auch wir nach Empfang des Segens zur Heimat gehen, wo wir immer voll Dankbarkeit bleiben werden. “In der ersten Messe an Weihnachten soll aber nach einigen nicht gesagt werden: ‘Ite missa est’, damit das Volk nicht glaubt, es habe die Erlaubnis, wo es doch zur zweiten Messe gehalten werden soll.”b “An anderen Tagen schließt die Messe mit: ‘Benedicamus Dómino – Lasst uns den Herrn preisen’. Dies ist a Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 49d: Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 111. b Bernoldus, Micrologus 34; Gratianus, CIC, D.1 c.65 de cons.
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vom Apostel genommen”a oder aus den Psalmen oder aus dem Hymnus der drei Jünglinge, wo es heißt, Wir preisen den Vater und den Sohn (vgl. Dan 3,52-53). “In der Messe für die Verstorbenen wird nach der Gewohnheit geschlossen mit: ‘Requiescant in pace – Sie mögen ruhen in Frieden’. Dies sind die Gebete oder grüßenden Rufe. Wenn der Abschluss mit ‘Benedicamus Dómino’ oder ‘Requiescant in pace’ erfolgt, wendet der Zelebrant oder Diakon sein Gesicht nach Osten und seinen Sinn zum Herrn.”b Der Segen des Zelebranten nach der Messe symbolisiert den Segen, den Christus nach der Auferstehung seinen Jüngern oder den der Heilige Geist am Pfingsttag den Gläubigen gab, oder mit dem die verherrlichte Kirche das Gemach des Bräutigams betreten wird. Genommen sind diese Segnungen am Schluss aus altem Brauch. Denn der Patriarch Jakob segnete am Ende seines Lebens die Söhne. Auch Moses segnete das Volk vor seinem Tod, ebenfalls der Herr seine Jünger vor der Himmelfahrt. Daher suchen wir, wenn wir uns trennen, begleitenden und schützenden Segen. Und sie werden von dem genommen, dass der Herr auf dem Berg Garizim befahl, Segen zu spenden auf die Beobachter des Gesetzes, so wie umgekehrt die Verfluchungen in Ebal gegen die Übertreter (vgl. Deut 27,13; Jos 8,33). Daher nehmen wir von jenen Segnungen die Segnungen und die Exkommunikationen aus den Verfluchungen. “Das Konzil von Toledoc befahl, der Hymnus der drei Jünglinge solle nach der Messe gesungen werden, und belegte die Nichtbefolger mit dem Anathem.”d Wir sprechen ihn deshalb, weil wir Gott für alle Wohltaten danken müssen, Ihn, den wir in alle Ewigkeit loben werden. Wir verteilen nach der Messe gesegnetes Herrenbrot anstelle der hl. Kommunion. “In der Urkirche gingen alle Teilnehmer der Messe zur Kommunion, weil alle Apostel aus dem Kelch tranken, wie der Herr sagte: Trinket alle daraus (vgl. 1 Kor 11,29). Sie brachten ein großes Brot dar. Dies behalten die Griechen noch heute bei, genug für alle. Aber Amalarius Metensis, Liber officialis 4, 45, 5. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 49e. c 4. Synode im Jahr 633. – Vgl. Gratianus, CIC, D.1 c.54 de cons. d Bernoldus, Micrologus 22. a
b
9 – Kurze Zusammenfassung
nachdem die Kirche an Zahl gewachsen, doch an Heiligkeit wegen der fleischlich Gesonnenen geringer geworden war, wurde festgesetzt, sie sollten nur an Sonntagen zur Kommunion gehen. Doch weil später die Liebe bei vielen erkaltete (Mt 24,12), weswegen die Teilnehmer an der Kommunion sich das Gericht zuzogen, wurde eingerichtet, dass man dreimal im Jahr kommunizieren sollte: zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten und man sollte wenigstens einmal würdig kommunizieren.a Gegenüber diesem Abweichen von der ursprünglichen Einrichtung gibt es einen dreifachen Vorteil: 1. den Friedenskuss; deswegen wird er in der Gallikanischen Kirche in jeder Messe gegeben, nur nicht in Totenmessen, 2. das gesegnete Brot, das ‘Eulogie’ heißt. Weil es in der Fastenzeit wegen der Abstinenz nicht gegeben werden darf, wurde das 3. Mittel eingeführt: Das Gebet über das Volk, das eingeleitet wird: ‘Inclinate – Verneiget euer Haupt vor Gott’.”b “Wenn dies alles richtig vollzogen ist, kehren der Zelebrant und die anderen an ihre Plätze zurück.“c Auf dem Altar bleibt das Korporale zurück, und der Zelebrant, der zu seinem Platz zurückkehrt, ist Christus, der nach Erfüllung seines Auftrags in die Herrlichkeit des Vaters aufsteigt. Auch die Gläubigen kehren zurück, da sie befreit von dem Exil ihres Kerkers zur Freiheit in der Herrlichkeit (vgl. Röm 8,21) herausgeführt werden. Das Korporale auf dem Altar ist die Reinheit der Keuschheit im Zelebranten oder in der Kirche in Christus. 9. Kurze Zusammenfassung über die Messe Du, Herr, hast meine Sache geführt (Klgl 3,58). “Für niemanden gibt es einen Zweifel, dass die Messe die Darstellung eines Kampfes ist, der den Konflikt bei einem Kampf und den Triumph des Sieges darstellt.”d Sie stellt uns einen dreifachen Kampf dar: einen darstellenden, einen doppelt dargestellten, Gratianus, CIC, D.2 c.16 de cons. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 111; vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 48g. c Bernoldus, Micrologus 20. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 72. a
b
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den einen beim Haupt, den anderen bei den Gliedern. “Darstellend war, als Moses die Amalekiter niederrang, Josua sieben Völker besiegte,”a David den Goliath, Saul die Philister überwand. Dargestellt beim Haupt ist, “dass Christus mit dem Teufel kämpfte, ihn unterwarf und die Unterwelt ausplünderte.”b Dargestellt in den Gliedern ist, dass wir nicht nur von der Welt, sondern vom Fleisch und vom Teufel angegriffen werden. Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt (Eph 6,12). Der Priester, der die Messe zelebriert, soll aus dem, was er tut, und dem, was um ihn herum geschieht, kurz und rasch im Kopf Eindrücke haben, die vorgefallen, und Sinnbilder, die im Kopf vollendet sind, sowie was in uns an Sitte vollständig verbessert werden muss. Etwa: “Wenn wir eine Prozession mit Kreuzen, Reliquien, Büchern, Kerzen und Weihrauch machen, sollen wir uns an Moses erinnern, der mit Zeichen und Wahrzeichen das Volk aus Ägypten durch die Wüste ins Gelobte Land führte. Dort war das Volk bewaffnet, hier aber ist der Klerus in heiligen Gewändern. Dort die Bundeslade, hier der Reliquienschrein. Dort die Tafeln des Bundes vom Berg Sinai, hier das Evangeliar vom Altar. Dort die Feuersäule, hier die brennende Kerze. Dort der Stab, hier das Königszepter oder der Bischofsstab. Dort Moses und Aaron, hier der König und der Bischof oder der Bischof, der beide verkörpert: im Stab den König, in der Mitra den Bischof. Wir feiern auch Josua, der um Jericho herumzog, es einstürzen ließ und wo das Volk die Herrschaft errang.”c “Dort der Klang der Trompeten, hier das Geläut der Glocken.”d “Wir feiern David und Salomon, die die Bundeslade des Herrn mit Hymnen und Gesängen zurückbrachten und im Tempel aufstellten. Denken wir auch an Jesus Christus, der aus dem Schoß des Vaters in die Welt kam, aus der Krippe in den Tempel,”e von Bethanien nach Jerusalem, von Jerusalem auf Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 44. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 44. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 68. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 70. e Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 71. a
b
9 – Kurze Zusammenfassung
den Kalvarienberg! Wir wünschen, von der Welt zur Heimat zurückzukehren, gleichsam “von einer Kirche in die andere, von der streitenden zur triumphierenden. Wir folgen dem Kreuz, d. h. den Spuren des Gekreuzigten, und wir kreuzigen die Leidenschaften und Begierden (Gal 5,24). Wir folgen den Spuren der Heiligen, den Geboten der Evangelien. Angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit, dem Gürtel der Enthaltsamkeit, dem Schild des Glaubens, dem Helm des ewigen Heils (Eph 6,14.16-17). Daher bekleidet sich der Zelebrant zum Kampf gegen die Geister der Bosheit mit himmlischen heiligen Gewändern, gleichsam als Waffen. Er nimmt die Sandalen statt Beinschienen, damit kein Staub an den Füßen bleibt, das Schultertuch statt des Lederpanzers, die Albe statt des Panzers, das Zingulum statt des Bogens, das Subzingulum statt des Köchers. Die Stola statt der Lanze, den Manipel statt der Keule, die Kasel statt des Schildes, das Buch statt des Schwertes. So gewaffnet geht er voran zum Altar, kündigt durch das Sündenbekenntnis dem Teufel auf,”a klagt sich an, weil der Weise am Anfang seiner Rede Ankläger seiner selbst (vgl. Spr 18,17 Vg.) ist. Durch Gebete und Gesänge reizt er den Teufel, wenn er die Kasel über der Schulter faltet, das Schwert gegen den Feind bereithält. Wenn die Epistel mit der Stimme des Herolds gelesen wird, werden [gleichsam] Erlasse des Kaisers gegeben. “Der Kantor ist der Trompeter, die Vorsänger, die den Chor führen, die Herzöge, die das Heer für die Schlacht richten.”b Wenn sie angreifen, kommen ihnen die anderen zu Hilfe. Der Gesang der Sequenz ist der Beifall auf den Sieg. Wenn das Evangelium gelesen wird, wird der Feind verwundet oder das zerstreute Heer nach dem Sieg vereint. Wenn der Bischof predigt, hält der Kaiser eine Lobrede auf die Sieger. Die Kollektengaben sind die Siegesbeute, die unter den Siegern geteilt wird. Der Offertoriumsgesang der Triumph, der für den Kaiser veranstaltet wird. “Doch da das Volk wieder in die Sorglosigkeit zurückfällt, steht der Philister gegen Israel auf. Darum wird der Zweikampf von a Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 32; vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 82. b Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 74.
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oliath gegen David angezeigt.”a Dies ist die träge Seele oder das G Menschengeschlecht, gegen das der Teufel Krieg führt, doch von Christus, der für uns streitet, wird er besiegt. Er ist ja der wahre David, tapfer und von schöner Gestalt, der vom Vater zum Kampf geschickt wird. Er hütete die Schafe, er besiegte Bären und Löwen; er trug den Stab gegen die Philister, als Er das Kreuz gegen den Teufel in den Händen hielt. “Außerdem ahmt die Messe gewissermaßen ein Gericht nach. Der Kanon wird ‘Rechtsstreit’ genannt, die Klage ist die Sache, die öffentlich vor den Richtern verhandelt wird. In der Messe wird ja unsere Sache vor Gott als Richter verhandelt. Das Oratorium ist der Gerichtssaal, Gott der Richter, der Teufel der Ankläger, der Zelebrant der Anwalt oder Verteidiger. Hier ist er Moses, der die Sache des Volkes vor den Herrn bringt. Unter seinem Schutz wird die Lüge des Anklägers widerlegt; unsere Unschuld wird bewiesen und vollzogen oder der Zorn des Richters besänftigt und durch sein Erbarmen die Schuld erlassen.”b – “Auch stellt sich die Messe dem Volk als Gestaltung einer Tragödie dar. Unser Tragöde erinnert ja, wenn er: ‘Betet!’ sagt, an Christus, der die Apostel zu beten ermahnte. Durch das Stillgebet wird Christus bezeichnet, der wie ein stummes Lamm zur Schlachtbank ging. Das Ausbreiten der Arme ist das Ausspannen Christi am Kreuz. Die Stille des Kanon ist das Schweigen der Passion. Der Friedenskuss die Freude über die Auferstehung.”c Kurz zusammenfassend schließen wir: “Das, was zelebriert wird in der Messliturgie bis zum Stillgebet, schaut auf das, was über Christus gelesen wird und seine Werke bis zum Palmsonntag. Denn der Introitus schaut auf die Schar der alten Propheten, ‘Kyrie eleison’ auf diejenigen, die bei Christi Ankunft dabei waren. ‘Gloria’ aber auf den Gesang der Engel. Begrüßung und Tagesgebet auf den Heilsplan des Erlösers, der gekommen ist, um uns zu erlösen. Die Epistel schaut auf die Predigt des Johannes, das Graduale auf die Berufung der Apostel, Halleluja auf die Freude ihrer Herzen, das Evangelium auf die Predigt des Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 78. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 80. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 83. a
b
9 – Kurze Zusammenfassung
Herrn,”a Credo auf die Bekehrung des Volkes, das Offertorium auf die Frömmigkeit dieses Volkes. “Was nun folgt, berücksichtigt das, was wir über Christus bis zu seiner Himmelfahrt lesen.”b Denn das Brot symbolisiert den Leib, der Wein das Blut; ebenso der Kelch den Leib, denn der Wein im Kelch ist das Blut in seinem Leib, das Korporale die Reinheit des Leibes, die Patene die Breite des Glaubens und der Liebe. Oder anders, wie in diesen Versen enthalten: “Der Altar des Kreuzes, der Kelch des Grabes und die Patene des Steines, Den Dienst des Schultertuches hat das weiße Leinentuch.”c
Das Wasser bedeutet das Volk, so wie das Wasser im Wein, so wird die Kirche mit Christus verbunden. Das Stillgebet ist der Kreuzespfahl Christi. Das zurückgesetzte Stehen der Subdiakone und Diakone symbolisiert die Flucht der Jünger. Die Verneigung des Zelebranten ist der Tod Christi. Schließlich von ‘Te igitur’ bis zu ‘Nobis quoque peccatoribus’ schauen einige auf das Gebet, das der Herr auf dem Berg gab, einige auf die Passion, der Er sich am Kreuz unterzog. “Von diesem ‘Nobis’ bis zum Vermischen von Leib und Blut gehört es zur Grablegung. Daher ist die Erhebung des Kelches vom Altar die Abnahme des Leichnams vom Kreuz und entsprechend das Niedersetzen auf den Altar das Bergen im Grab. Die Vermischung aber gehört zur Auferstehung, das Brechen der Hostie zu jenem Brechen, das der Herr in Emmaus vollzog,”d der Gruß zu dem, was Er den Aposteln sagte: Friede sei mit euch (Lk 24,36); der letzte Gruß ist die begleitende Segnung der Apostel bei der Himmelfahrt des Herrn oder die ewige Begrüßung. Wisse: Einst haben die Apostel nicht mit solchem Aufwand und nicht so feierlich die a
Prol.
b
Prol.
Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia III: Eclogae de officio missae Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia III: Eclogae de officio missae
c Hildebertus Lavardinensis, Versus de mysterio missae 1194A; vgl. Walther I, 1389. d Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia III: Eclogae de officio missae Prol.
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Messe gesungen, sondern lediglich Epistel und Evangelium zuvor gelesen und allein zu den Worten des Herrn mit dem ‘Gebet des Herrn’ konsekriert. Doch die hl. Erzväter und Päpste haben die Feierlichkeiten, die wir geschildert haben, hinzugefügt. “Jetzt ist es nicht unnütz zu fragen, zu welcher Stunde und wie oft die Messe zelebriert werden soll. Zu drei Stunden ist die Messe regelgerecht zu zelebrieren: zur 3., 6. und 9. Stunde. Zur 3. Stunde wie es Telesphorusa eingerichtet und Gregor gebilligt hat, denn zu diesem Zeitpunkt wurde damals der Herr, da Er auch von den Soldaten gegeißelt wurde, durch die Rufe der Juden: Kreuzige, kreuzige ihn! (Joh 19,6) gekreuzigt. Die 6. Stunde, weil Er da geopfert und an den Händen gekreuzigt wurde. Die 9. Stunde, weil Er da seinen Geist aufgab. In der 3. Stunde wird an Festtagen gesungen, in der 6. an den festfreien Tagen, in der 9. Stunde in der Fastenzeit. Doch an den Quatember-Samstagen wird sehr spät zelebriert wegen der heiligen Weihen, die zum Sonntag gehören. Auch an den Samstagen vor Ostern und Pfingsten wird sehr spät gesungen, was aus dem Segen der Osterkerze zu entnehmen ist, wo es heißt: ‘Haec nox – Diese Nacht’”b und aus dem Tagesgebet, wo es heißt: ‘Deus qui – Gott, Du hast diese hochheilige Nacht’ und weil der Herr in jener Nacht auferstanden ist, oder wegen des Besuchs der Frauen am Grab des Herrn. “An Weihnachten aber wird die erste Messe in der Nacht gesungen. Dass eine Messe am frühen Morgen gesungen wird, stammt aus der Gewohnheit, nicht einer Anordnung, sondern wegen der Notwendigkeit.”c Papst Leod kam im Morgengrauen zur Messe, ich weiß nicht, ob aus einer Notwendigkeit, bewusst oder allein in Ausübung der päpstlichen Gewalt. Und die aus Not vor der 3. Stunde kommen oder nach der 9. Stunde aus Liebe zu Gott opfern, damit ihnen der Tag nicht ohne Messopfer vergehe, können wohl entschuldigt werden mit den Jüngern, die Ähren abrissen (Mt 12,1) an Samstagen und mit David, der Schaubrote Decretum Gratiani, CIC, D.1 c.48 de cons. Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 92; vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 50a. c Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 50b; Robertus Paululus, De ceremoniis ecclesiasticis 3, 5. d Papst Leo I., d. Gr. (440-461). a
b
9 – Kurze Zusammenfassung
aß (1 Sam 21,7). Und nach der 9. Stunde ist [eine Messe] wegen der Essgier strikt zu vermeiden, auch weil wir das Gedächtnis der Passion, des Todes und des Begräbnisses, der Auferstehung und der Himmelfahrt begehen. Deshalb wird zu verschiedenen Stunden gesungen, weil in der 3. Stunde gegeißelt, in der 6. geopfert, in der 9. gestorben, nach der 9. Stunde bestattet wird. Er steht am Morgen auf, steigt in den Himmel empor. “Die Messe soll von einem Priester einmal am Tag zelebriert werden, denn Christus wollte einmal für uns geopfert werden.”a Wenn jedoch die Not zwingt und sich an einem Tag zwei Feste begegnen, können zwei oder drei (wie einige versichern) zelebriert werden, wie es erlaubter Weise an Weihnachten geschieht, oder bei der dreifachen Passion Christi. Er hat ja gelitten unter den Worten der Schmäher, unter den Händen der Prügelnden, unter den Nägeln der ihn ans Kreuz Heftenden. Er ist auch durch die Taten der Patriarchen geopfert worden, durch die Worte der Propheten dahingegeben, vom Vater und Ihm selbst in der Tat geopfert. Man liest aber, Papst Leo habe oft siebenmal, mitunter neunmal an einem Tag die Messe zelebriert. Wie es also einem Priester erlaubt ist, die Messe mehrmals zu feiern, so einem frommen Laien, mehrmals am Tage zu kommunizieren. Beides ist aber nicht anzustreben, denn Vertrautheit gebiert Missachtung, und die Missachtung das Gericht für den Kommunizierenden. Maßhalten aber und Frömmigkeit bringt Gnade, die die Eucharistie in der Wirkung schenkt, wie die Etymologie des Begriffs zeigt.
a
Decretum Gratiani, CIC, D.1 c.53 de cons.
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Buch IV
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Das Stundengebet der Kirche
Vorwort “Denen, die das Bemühen um Ämter umtreibt, ist es förderlich zu erforschen, was ‘Amt’(officium) heißt und warum es so genannt wird. ‘Amt’ ist nach Isidora das angemessene Handeln eines jeden entsprechend den Gesetzen und Sitten der Stadt oder den Einrichtungen seines Standes. Anders sind ja die Einrichtungen der Mönche als die der Kanoniker. ‘Offizium’ heißt, wie Hieronymus sagt, gleichsam ‘effícium’, denn jeder muss sein Amt effizient durchführen. Und es muss das durchgeführt werden, was allen nützt und keinem schadet. Es sind aber einige Aufgaben das ganze Jahr über allgemein zu befolgen, wie die Matutin und die sieben Gebetsstunden. Einige sind besonders entsprechend der Verschiedenheit der Zeiten, einige entsprechend der Abfolge der Hochfeste. Man singt anderes in der Fastenzeit, anderes im Advent, anderes zu Ostern oder zu Weihnachten.”b “Zuerst wollen wir das Allgemeine behandeln. Allgemein sagen wir ja, dass nur das psalliert werden darf, was vom Obersten Bischof, dem Papst, kanonisiert ist. In der Urkirche sangen die einzelnen Gemeinden nach ihrem Gutdünken Verschiedenes. Doch sie beachteten dabei das Glaubensbekenntnis und das Gebet des Herrn. Später, als die a b
vgl. Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 6, 19, 1. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 18a.
1 – Nachthoren an Wochentagen
Ketzereien ins Kraut schossen, bat Kaiser Theodosius, der die Ketzereien auslöschen wollte, Papst Damasus, er möchte einen katholischen Mann für die Ordnung der liturgischen Aufgaben der Kirche bestimmen. Dieser betraute also den Presbyter Hieronymus damit, der in den drei Sprachen Hebräisch, Griechisch und Lateinisch bewandert war und in Rom unter sieben Päpsten gelebt hatte. Nun aber hielt er sich in Bethlehem mit Paula und Eustochium auf. Er ordnete daher die Psalmen neu, die Episteln und Evangelien und zum größten Teil die Nacht- und Tagämter, abgesehen von ihrem Gesang.”a “Dieses Werk kanonisierte Papst Damasus und befahl, es in allen Kirchen zu befolgen. Gelasius und Gregorius fügten die Gebete und Gesänge hinzu und passten die Episteln und Evangelien an. Diese Ämter wollen wir also behandeln und mit den Nachtgottesdiensten beginnen, sodass wir vom Dunkel zum Licht fortschreiten”b und nicht umgekehrt. 1. Die Nachtgottesdienste an Wochentagen Um Mitternacht stehe ich auf, um Dich zu preisen (Ps 119,62). In der Nacht aufzustehen, wach zu bleiben, Gott zu loben, zu beten und anzubeten, dem fehlt es nicht an Vorbildern und Gründen. David sagt ja: Schon beim Morgengrauen komme ich und flehe (Ps 119,147), und weiter: Meine Augen eilen den Nachtwachen voraus (ebd. 119,148). Andere Textfassung: ‘in der Frühe’, was dasselbe ist, wie Augustinus sagt: “Die zeitige Stunde nannten ja die Alten ‘die geeignete’, von der Zeit her oder von der rechten Zeit genommene Vokabel nach ihrer Bedeutung, die die Historiker ‘in jener Zeit’ nennen, gleich ‘in dieser Zeit’. Daher nennen sie Ungewitter eine ungeeignete Zeit. Ebenso ist ‘Unreife’ unzeitig, also nicht geeignet.”c Diese Nachtstunde ist für Tätigkeiten nicht geeignet. “Der Herr verbrachte die ganze Nacht im Gebet (Lk 6,12), und Paulus und Silas im Kerker sangen Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 19. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 20a. c Aurelius Augustinus, Enarrationes in psalmos 118; Ders., Sermones dubii 29, 3; Amalarius Metensis, Liber officialis 4, 9, 17–19. a
b
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Mitralis IV – Das Stundengebet der Kirche
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um Mitternacht Loblieder.”a Und es hat seinen Grund, dass der Herr die Ägypter im Schlaf erschlug und die Hebräer wachend befreit hat, wie wir lesen. “Denn um Mitternacht und Sonntagnacht wurde Christus geboren, den die Engel mit dem Gesang des ‘Gloria’ lobten und die Hirten wachend anbeteten. Ebenso wurde Er für uns des Nachts ergriffen. Ferner hat Er um Sonntagmitternacht die Unterwelt angegriffen.”b Und wie Samson, von den Fremdlingen bedrängt, “gegen Mitternacht die Tore der Unterwelt herausriss, so erstand Er von den Toten. Denn so kommt Er dann zum Gericht wie der Würgeengel in Ägypten.”c Daher: Mitten in der Nacht hörte man Rufe (Mt 25,6). Deswegen stehen wir zu den Nachtwachen auf, damit wir, wenn Er zurückkommt von der Hochzeit, zu den Rechten der Freiheit gelangen. So begehen wir im Schatten die Nachtwachen der Engel. Darüber werden wir unten reden.d Und durch das Wachen bei Nacht vermeiden wir die Nachstellungen des Teufels. Aus diesem Grund stehen wir nachts auf und “eilen zum Dienst, wenn wir die Glocken hören. Als Soldaten des höchsten Königs kommen wir zur Königshalle zusammen und betreten sie, verneigen uns vor dem Altar, denn wir verehren gleichsam als Soldaten den König. Wir sind ja Soldaten des Königs, dem wir stets im Kampf des geistlichen Kriegsdienstes zur Seite stehen müssen.”e “Bei der Verneigung vor dem Altar sprechen wir ein Gebet und sagen das dreifachef ‘Vater unser’.”g An den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist richten wir unsere Rede. Wenn wir zum Vater sprechen, stellen wir uns dem Herrn, mitten vor dem Altar in dem Willen des Herzens und des Körpers stehend, wegen der Macht des Vaters und unserer Beharrlichkeit. Wenn wir mit dem Sohn sprechen, wenden wir uns zur linken Seite des Altars wegen Christi Selbstentäußerung und der Beleidigung durch unser Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 16. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 15. c Rupertus Tuitiensis, Liber de divinis officiis 1, 18. d Siehe S. 301. e Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 1. f Vor den Horen werden gleich nacheinander Pater noster, Ave Maria und das Credo still gebetet. g Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 30. a
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1 – Nachthoren an Wochentagen
Versagen. Wenn wir zum Heiligen Geist sprechen, gehen wir hinüber auf die rechte Altarseite wegen Dessen Güte und infolge unseres Erlangens der Gnade. Inzwischen läutet die zweite Glocke. Die erste Glocke, die ‘Glöckchen’ heißt, kennzeichnet Paulus, der hart predigt, die zweite ist Barnabas, der sein Gefährte war. Wenn wir dagegen die dritte anschlagen, erkennen wir, dass die Apostel sich den Heiden zuwandten, weil die Juden das Wort Gottes zurückwiesen. Sie belehrten die Heiden im Glauben an die Dreifaltigkeit und weihten sie in die Kenntnis der vier Evangelien ein. Daher schlagen einige die Glocke viermal an. Einige haben dazu eigene Gebete, die sie zum Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist senden. Nach dem dreifachen Gebet beginnen wir die Gradualpsalmen. Diese 15 Psalmen sind bedingt durch die 15 Stufen Salomos, auf denen man zum Tempel des Herrn hinaufstieg. Und bei 15 anderen Stufen schien es dem Ezechiel, er steige zur Stadt Gottes hinauf (vgl. Ez 40,22). Die Zahl 15 besteht aus 7 und 8. Wir singen also 15 Psalmen und zeigen damit, dass wir die Anweisungen beider Testamente einhalten müssen. Bei den ersten fünf verwenden wir das ‘Gloria Patri’ nicht, wenn wir für die Verstorbenen beten, denn wir haben mit den fünf Sinnen des Leibes Sünden begangen, die wir nicht Gott, sondern uns selbst anrechnen müssen, und wir beten, dass uns deswegen nicht das Leben versagt, sondern mit Gottes Barmherzigkeit die ewige Ruhe gewährt wird. Bei den folgenden zehn Psalmen erflehen wir uns und unsern Nächsten Gottes Erbarmen und fügen das ‘Gloria Patri’ hinzu, denn weil wir aus den Ketten der Sünde erlöst werden, weil wir Dich, Gott, von ganzem Herzen suchen, weil wir deinen ganzen Dekalog, die zehn Gebote, befolgen, deswegen: Nicht uns, o Herr, bring zu Ehren, nicht uns, sondern Deinem Namen, in Deiner Huld (Ps. 115,1), bringen wir sie dar. Danach erbitten wir vom König die Erlaubnis zu sprechen, damit wir Ihm sein Lob verkünden, und sagen: Dómine, lábia – Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund Dein Lob verkünde (Ps 51,17). Als wir in der Nacht schlafen gegangen sind, haben wir Mund und Brust mit dem Zeichen des Kreuzes
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gleichsam mit dem Siegel des Herrn bestärkt, und deswegen fordern wir jetzt von Ihm, Er möge das Siegel von unsern Lippen nehmen. Doch warum sagt der Mensch zu Gott: ‘Herr, öffne meine Lippen’? Gott sagt doch dem Menschen: Tu deinen Mund auf; ich will ihn füllen (Ps 81,11). – Es wird geantwortet: Hier wird der freie Wille betont, dort erweist er sich ohne Gnade als schwach. Deshalb: Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der wachsam ist, zu helfen (Ps 127,1). Deshalb erflehen wir die göttliche Hilfe: ‘Deus – O Gott, komm mir zu Hilfe. Herr, eile mir zu helfen’. Und sieh: Während die Nacht der Sünde regiert, haben die geschlossenen Lippen kein Lob Gottes hervorgebracht, jetzt ist der Sünder aufgestanden, doch weil das Gotteslob im Mund des Frevlers schlecht klingt (Sir 15,9), bittet er, Gott möge seinen Mund öffnen, und damit er vollkommener loben kann, fleht er die göttliche Hilfe an. “Beachte: Die Würde aller Gebetsstunden ist in Ehren zu halten, da wir Anfang und Schluss auf Gott richten. Denn am Anfang rufen wir Gott um Hilfe an, am Schluss sagen wir Gott Dank.”a Wenn wir die Erlaubnis zum Sprechen erlangt und die Hilfe des Königs erfleht haben, dass wir das Wohlwollen des Königs erhaschen, beginnen wir mit dem zuvor genannten Lob und sagen: ‘Gloria Patri – Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.’ Diesen Versikel hat Hieronymus erfunden und eingeführt, dass er am Schluss der Psalmen gesprochen wird.b Und weil einige zu faul sind, zum Lobgesang auf den König oder zum Dienst zusammenzukommen, deshalb beginnt, so wie der Herold geschickt wird, in der ganzen Stadt die Soldaten aufzubieten, der Kantor das Invitatorium und lädt die Brüder ein, indem er hinzufügt: ‘Venite – Kommt!’ Beachte: Den Invitatorien wird eine einfache Melodie vorausgeschickt und danach wird sie erweitert, denn die Kirche lobt Gott und betet zunächst zurückgezogen, wie ‘bei geschlossenen Türen’ für sich, dann öffentlich wegen der anderen, um die Nächsten mit der Glut a b
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 9. Ps Hieronymus, Epistula ad Damasum (col. 294D–295A).
1 – Nachthoren an Wochentagen
zu entzünden. – Dass wir den Hymnus gemeinsam singen, nehmen wir als Zeichen, dass alle Soldaten nach dem Invitatorium zum Lobpreis des Königs zusammengekommen sind nach dem Wort: Zion hörte es und freut sich (Ps 97,8). “Der ‘Hymnus’ ist Gotteslob mit Gesang,”a den wir stehend singen, um mit der Streckung des Körpers zu zeigen, dass wir unseren Sinn auf Gott richten. Wenn der Geist nicht mit der Zunge im Gleichklang steht, ist es sicher, dass die Worte als irgendwie lähmend Gott nicht gefallen. Danach beginnen wir die Nokturn. “Sieh: ‘nocturna, -nae’ bezeichnet die Stunde, ‘nocturni, -norum’ stehen für das Offizium. Oder ‘nocturna, -nae’ für die Sammlung der Psalmen vor den Lesungen, ‘nocturni, -norum’ für die Psalmen, Lesungen, Responsorien; ‘nocturnae, -narum’ für die Zeiten. An den festfreien Tagen pflegen wir eine Nokturn zu feiern, an den Festtagen selbst aber deren drei.”b An den festfreien Tagen erinnern wir an die Knechtschaft unseres Exils, an den Festtagen aber an unsere Befreiung. Während wir zuvor Kinder des Zorns (Eph 2,3) waren und später Kinder der Gnade, feiern wir zunächst das Offizium des Vortages, danach aber das Offizium des Festtages, sodass wir vom Zorn zur Gnade, von der Nacht zum Tag, aus der Knechtschaft zur Freiheit gehen können. Von wem einer besiegt wird, dessen Knecht wird er. Der Teufel hat das Menschengeschlecht besiegt und harter Knechtschaft unterworfen. Damit wir also von dieser Knechtschaft befreit werden, mühen wir uns in den Nachtstunden mit den Gottesdiensten ab. Wir beklagen, dass sich unsere Knechtschaft über sechs Zeitalter erstreckt, deswegen feiern wir in sechs Nächten der Woche regelmäßig dieses Offizium. Darin singen wir zwölf Psalmen mit sechs Antiphonen, drei Lesungen und ebenso viele Responsorien. Einst wurden die Psalmen in verschiedener Art gesungen, einige sangen 50, andere mehr, andere weniger. Daher kamen die Väter überein, die Zahl festzulegen, und durch Offenbarung des Engels wurde die Zahl auf zwölf festgelegt. “Der Nacht schreiben wir zwölf Stunden zu, für jede Stunde singen wir Gott einen Psalm, damit wir aus a b
Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 6, 19, 17. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 20c.
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der Finsternis der Sinne und der Pest, die im Finstern schleicht, (vgl. Ps 91,6) in der Finsternis durch Gottes Erbarmen zum Licht der Ewigkeit gelangen. Und es gibt zwölf Monate im Jahr, in denen wir dem Teufel oder der Welt dienen. Es gibt zwölf Apostel, durch deren Lehre wir befreit werden. Also singen wir zwölf Psalmen, um aus der Knechtschaft durch die Lehre der Apostel mit der Freiheit beschenkt zu werden.”a Sieh: ‘Psalm’ wurde die Modulation durch Gesang mit zehn Tonstufen genannt, nach ‘psallim’, was ‘Lautenspiel’ heißt. Jetzt aber ist ‘Psalm’ das Lob Gottes, was ein gutes Wirken darstellt. Wenn wir sie singen, müssen wir stehen, um zu zeigen, dass wir zum Ausführen eines guten Werkes in eigener Sache und in der unserer Brüder bereit sind. Die Psalmen stellen wir zusammen und zeigen, dass unsere Loblieder und unser Arbeiten nicht ohne Liebe sein können, die in der Liebe Gottes und des Nächsten besteht. Wir beschließen nach dem Brauch der Gallikanischen Kirche zwei Psalmen mit einem ‘Gloria Patri’, weil unsere Loblieder dann zur Ehre der Dreifaltigkeit angenommen werden sollen, wenn sie unter dem Band der Liebe stehen. “Der Chor singt die Psalmen alternierend. ‘Chor’ hat seinen Namen von ‘Kranz’ (chorea oder corona) oder von ‘concórdiab ‘Eintracht’ genommen. Einst sang man, indem man einträchtig in Form eines Kranzes um den Altar stand.”c “Doch Flavianus und Theodorus führten das abwechselnde Psallieren ein. Die beiden Chöre der Psalmensänger weisen also zeichenhaft auf die Engel und die Geister der Gerechten, die in gleichsam abwechselndem Willen den Herrn loben”d und sich gegenseitig zu guten Werken ermuntern. Die sechs Antiphonen sind die sechs Zeitalter, in denen die guten Werke sowie die Liebe Gottes und des Nächsten notwendig sind. Und die sechs Antiphonen sind die sechs Werke der Barmherzigkeit. Diese sind: dem Hungernden zu essen geben; dem Dürstenden zu trinken; dem Nackten Kleidung; den Obdachlosen aufnehmen; Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 47. Vgl. Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 1, 19, 5. c Amalarius Metensis, Liber officialis 4, 7, 10. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 1, 140. a
b
1 – Nachthoren an Wochentagen
den Kranken besuchen; den Gefangenen loskaufen (vgl. Mt 25,35-39). Wenn wir das befolgen, werden wir aus der Finsternis dieser Nacht oder des Todes zum wahren Licht und ewigen Leben gelangen. Und durch die Antiphonen findet man Liebe und Hingabe des Herzens. Alterniert wird deshalb, weil zur Liebe zumindest zwei gehören. Und Psalmen werden alternierend unter einer Antiphon gesungen, d. h. die Lasten werden unter dem einen Band der Liebe getragen. Zum Beispiel: Einer liest, einer sät, zur Zeit der Ernte gibt der Leser dem Sämann die Lehre, der Sämann dem Leser ein Brot. Die Einheit in Harmonie und Einteilung in geordneter Eintracht steht für die Einheit einer wohlgeordneten Stadt, sodass der AugenTaube sie im Blick hat und der Ohren-Blinde sie versteht. So kommt es auch, dass die Antiphonen unter die Psalmen gemischt werden, denn der Glaube wirkt durch die Liebe. “Deswegen heißt ‘Antiphon’ ‘zurückkehrende Stimme’, gleichsam ‘Gegenstimme’ von ‘anti’ und ‘phonos’,”a denn ein Psalm wird durch den Gesang der Antiphon intoniert, und diese bewirkt, dass sie vom Feuer der Liebe angezeigt wird. Die Antiphon ist eine Melodie, die zur Kräftigung der Gemüter in das Gotteslob eingefügt wird. Und nichts kräftigt die Gemüter mehr als die Liebe weg von dem Ungestüm der Laster. Nichts lädt sie mehr zum Lobpreis des Himmels ein. Diesen Gesang hörte Ignatius von Antiochienb als Chor der Engel im Himmel alternierend. Deshalb lehrte er seine Kirche abwechselnd zu singen, und von ihm übernahm die Kirche die Form des Alternierens. Die Antiphon vor dem Psalm wird von einem Sänger begonnen und von allen fortgeführt, denn Gott hat uns zuerst geliebt, und wir müssen auf seine Liebe antworten. Ebenso wird die Antiphon vor dem Psalm begonnen und nach dem Psalm vollständig wiederholt, denn dann gefallen Gott unsere Lobgesänge oder unsere Werke, wenn das in Hingabe Begonnene in der Fülle der Liebe beendet wird, oder weil die Liebe hier beginnt und künftig vollendet wird. Die Schlussneume kennzeichnet a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 17. Ignatios, Patriarch, † etwa 117.
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die unaussprechliche Freude der Gerechten, in der Liebe oder Predigt, in der Hingabe des Herzens, der Weite des Glaubens, dem Ausführen der Werke, der Aufrichtung der Hoffnung, der Erweiterung der Liebe. “Wir lesen drei Lesungen, denn der Herr hat drei Nachtwachen eingerichtet, indem Er sagte: Wenn er in der ersten kommt oder erst in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet sie wach – selig sind sie (Lk 12,38). Diese drei Nachtwachen bezeichnen die Lebensalter: Kindheit, Jugend und Alter;”a in diesen sind wir gehalten, Gott durch gutes Wachen zu loben, damit wir nicht vom Teufel verführt werden. “Und durch die drei Lesungen stellen wir die Lehren der Erwählten der drei Zeiten dar. In diese eingefügt, singen wir drei Responsorien. Wir erkennen alles an, was die Erwählten in den drei Zeiten gelehrt haben und was wir in den drei Zeitaltern tun. Auf Gott beziehen wir die Dreifaltigkeit, und die Dreifaltigkeit verherrlichen wir in Glaube, Hoffnung und Liebe.”b “Deshalb werden die Responsorien vom ‘Antworten’ her benannt, denn sie machen deutlich, dass wir den heiligen Ermahnungen Gottes, in dem, was wir in den Lesungen vortragen, mit Taten antworten müssen, damit wir nicht den auf dem Marktplatz spielenden Knaben ähnlich sind, die sagen: Wir haben für euch gesungen, und ihr habt nicht getanzt, wir haben Klagelieder gesungen, und ihr habt euch nicht an die Brust geschlagen (Mt 11,17). Daher antworten die Responsorien dem Stoff der Lesungen, wenn wir Trauriges mit Traurigem und Frohes mit Frohem beantworten; z. B. wenn der Lektor wie Johannes nichts isst und trinkt, Buße predigt oder Klage über das Leiden des Herrn äußert, dann klagen auch wir im Responsorium, und wenn der Lektor gleich dem Sohn uns mit Essen und Trinken die Freude des Reiches vor Augen führt, psallieren wir ebenso im Responsorium.”c Doch mitunter ist es anders. Beachte: Wenn wir mit den Stimmen in Melodien singen, stellen wir mitunter ein Klagelied dar, mitunter stellen wir Freude dar. Die tiefen, mittleren und hohen Stimmen bezeichnen die drei Ränge menschlicher Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 50. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 17. c Rupertus Tuitiensis, Liber de divinis officiis 1, 15. a
b
2 – Nachthoren an Festtagen
ebensführung, d. h. der Verheirateten, Enthaltsamen und der L Jungfrauen, die mit dreißigfacher, sechzigfacher und hundertfacher Ernte belohnt werden. Und entsprechend den drei Bücherna Salomos: der Anfänger, der Fortschreitenden und der Vollkommenen. Und das Responsorium heißt so, weil dem das Responsorium singenden Chor gegenüber ein Vorsänger in einem Vers antwortet, sodass das Responsorium wiederholt wird oder zumindest ein Teil. Dabei wird die Frage geklärt über den Vers im 2. Ton, der auf C endet, während der 2. Ton sonst stets auf D schließt. Wir sagen, dort ist nicht das Ende, sondern erst nach der Wiederholung des Responsoriums. “Diesen Gesang hat als erster Ambrosius komponiert und von ihm hat ihn die ganze Kirche übernommen.”b Dies alles schließen und beendigen wir mit dem ‘Gloria Patri’, weil wir alles auf den Glauben und die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit beziehen. Und sieh: Nachdem einer das Responsorium begonnen hat, setzt ihn der Chor einträchtig fort. Dies zeigt, was der Apostel sagt: Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter uns (1 Kor 1,10).
2. Der Nachtgottesdienst an Festtagen Wenn der Herr in der ersten kommt oder erst in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet die Diener wach – selig sind sie (Lk 12,38). Bei den Hochfesten wie an den Sonntagen und anderen Festtagen gliedern wir das Nachtoffizium durch drei Nokturnen. Wir ahmen dabei die Wachen des himmlischen Jerusalem, der starken Stadt, die wie eine Burg gebaut (Ps 122,3) und durch die Wachtposten der Engel bewahrt wird, nach, die sich je dreimal drei aufteilen, da sie je dreimal drei der Dreifaltigkeit zujubeln. So zelebrieren auch wir, die wir dorthin streben, wohin wir nach ihrem Namen ‘Jerusalem’ genannt werden, weil wir ihren a Möglicherweise sind die alttestamentlichen Bücher Sprichwörter, Hoheslied und Koheleth gemeint. Vgl. Buch V, Einleitung, dort werden die Bücher Weisheit und Jesus Sirach apokryph genannt.. b Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 17.
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S chatten haben, am Sonntag drei Nokturnen. An diesem Tag haben wir die Gemeinschaft der Engel verdient und ahmen die drei umgestalteten Nachtwachen der Urkirche nach, die dreimal in der Nacht aufstanden, um den Herrn zu preisen und nach Ende der drei Nokturnen in den drei Stunden am Morgen unter Glockengeläut ‘Te Deum – Großer Gott, wir loben Dich’ und Loblieder zu singen. Diese Gewohnheit stammte aus den drei Nachtwachen einer belagerten Stadt, wo man sich durch die drei Nachtwachen vor den Nachstellungen der Feinde schützte. Unsere Stadt, d. h. die Kirche, bestürmt der Teufel und stellt ihr nach, besonders in der Nacht. Die Nacht ist ja für die Sünden geeignet, deshalb ist es für uns angemessen, besonders in der Nacht aufmerksam zu wachen, damit wir die Nachstellungen des verborgenen Feindes vermeiden können. Aber später, als die Liebe erkaltete, wurden die Menschen zu faul, um nachts so oft aufzustehen. Daher wurde bestimmt, dass man um Mitternacht aufstehen und die drei Nokturnen gleich hintereinander singen solle. Die drei Nokturnen erinnern an den Dienst der Kirche, die im Lager des Herrn Dienst getan hat und es jetzt noch tut. Jede Zeit hat drei Abschnitte. “Die Zeit vor dem Gesetz wird eingeteilt von Adam bis Noah, von Noah bis Abraham und von Abraham bis Moses. Im ersten Abschnitt wachten Abel, Enos, Enoch und Lamech. Daran wird in vier Psalmen erinnert: Selig der Mann, singt Abel, er ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist und der zur rechten Zeit seine Frucht der Gerechtigkeit bringt (Ps 1,1-3), wenn er zur Bewahrung der Gerechtigkeit sich niederlegt. Warum toben die Heiden? (Ps 2,1) singt Enos, der dem Herrn in Furcht diente, da er den Namen des Herrn anrief. Herr, wie zahlreich sind sie (Ps 3,2) singt Enoch, den der Herr aufnahm, als Er ihn ins Paradies versetzte. Herr, strafe mich nicht in Deinem Zorn (Ps 6,2) singt Lamech, den der Herr erhörte, als Er ihm einen solchen Sohn gab, der das Menschengeschlecht vor Gottes Zorn in der Arche bewahrte.”a Diese vier Psalmen sind es, die nach der Gewohnheit einiger a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 2 und 20.
2 – Nachthoren an Festtagen
unter einem ‘Gloria Patri’ gesungen werden, wie sie auch mit nur einer Antiphon beschlossen werden. Denn jene Väter blühten in vier Tugenden, verehrten die Dreifaltigkeit und brachten Loblieder dar. “Im zweiten Abschnitt der ersten Zeit wachten Noah, Sem, Heber und Terach, was die folgenden Psalmen erkennen lassen: Herr, mein Gott (Ps 7,2) singt Noah, den der Herr in jener Generation als Gerechten fand und ihn deshalb vor der Verfolgung der Sintflut retten ließ. Herr, unser Herrscher (Ps 8,2) singt Sem, den der Herr mit Ruhm und Ehre krönte, als ihn der Segen des Vaters über seine Brüder erhob. Ich will Dich preisen (Ps 9,2) singt Heber, der die Wundertaten Gottes erzählte, als er die Burg der Giganten zerstörte. Beim Herrn finde ich Zuflucht (Ps 11,1) singt Therach, der in Ur in Chaldäa lebte und auf Gott vertraute, dessen Teil des Kelches Feuer und Schwefel war.”a Auch diese vier Psalmen werden unter einem ‘Gloria Patri’ und der Antiphon beschlossen aus oben genanntem Grund. “Im dritten Abschnitt der ersten Zeit wachten Abraham, Isaak, Jakob und Joseph, was die folgenden Psalmen erklären: Hilf doch, o Herr (Ps 12,2) singt Abraham, dem der Herr half. In dessen Zeit fehlte ein Heiliger, denn die Welt diente den Götzen. Wie lange noch (Ps 13,2) singt Isaak, den der Herr beim Opfer beobachtete. Die Toren sagen (Ps 14,1) singt Jakob, dessen Hoffnung der Herr war. Daher heißt es dort: Es jauchzte Jakob und es freute sich Israel.”b “Herr, wer darf Gast sein (Ps 15,1) singt Joseph, der ohne Makel war, da er sich dem Ehebruch verweigerte. Auch diese vier Psalmen werden in gleicher Weise unter einem ‘Gloria Patri’ und einer Antiphon geschlossen.”c Durch diese zwölf Psalmen empfehlen wir dem Gedächtnis die Zahl der Patriarchen, die den Glauben an die Dreifaltigkeit durch die Ausübung der vier Tugenden besaßen. Deshalb werden unter drei ‘Gloria Patri’ die je vier Psalmen zusammengefasst und nicht ein Psalm von den folgenden getrennt, denn, wie Augustinus sagt: “Wer eine Tugend hat, besitzt alle.”d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 3. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 4 und 22. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 4. d Aurelius Augustinus, Epistula 167. a
b
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Nach den Psalmen “folgt der Versikel, denn es gehört sich, dass einer, der zerrüttet ist, sich der Ruhe zuwendet. Wer also beim Psalmensingen gestanden hat, mag jetzt zur Lesung sitzen. Der ‘Versikel’ heißt wegen ‘wenden’ so, weil der Chor sich nach Osten wendet und weil er sich von den Psalmen nun der Lesung zuwendet.”a Von Knaben wird er gesungen, damit wir wissen, dass unsere Dienste Gott gefallen, wenn sie in Unschuld geschehen. Sieh: Der Versikel ist ein lauter Ruf als Mahnruf des Herzens, damit wir nicht nach begonnener Tat faul werden. Er ruft uns mitunter zum Gebet auf, damit nicht die Fliegen den Duft der Salbe zunichte machen (Koh 10,1 Vg.), mitunter zur Lesung, damit wir nicht infolge der Sicherheit des Sitzens erlahmen. Bekannt ist ja: Wir sitzen bei der Lesung, das Sitzen gehört zur Sicherheit, Sicherheit gebiert Nachlässigkeit. Mitunter schaut der Versikel auf den Hymnus, dass wir für die Lobgesänge auf Christus wachsam und gespannt sind. Deshalb steht der Versikel vor dem Gebet, der Lesung, dem Hymnus, wie ‘Magnificat’ und ‘Benedictus’. Bei diesem Offizium gehen die Versikel den Lesungen voraus, in anderen folgen sie. An dieser Vielfalt erfreut sich ein geschäftiger Sinn, wenn auf das Gebet die Lesung folgt und auf die Lesung das Gebet. Der erste Versikel: In der Nacht denke ich (Ps 119,55) und der zweite: Um Mitternacht (ebd. 119,62) bezeichnen den Stand der Zeit, d. h. der Nachtzeit, und wenn auch die Mitte genannt wird, was ist der Unterschied zwischen dem Ersten und dem Letzten? Obgleich wir in der Zwischenzeit nicht aufgestanden sind, müssen wir nicht der Lüge bezichtigt werden. Doch einige wollen nicht als Schlaftrunkene lügen und ändern den Versikel und sagen: Du lässt meine Leuchte erstrahlen (Ps 18,29). Der dritte Versikel: Erhebe Dich, Herr, in Deiner Macht (Ps 21,14) hält den Stand des Offiziums fest und verspricht einen Gesang der Tugendkräfte, die zum Neuen Testament gehören. Unter dem Gebet des Herrn, das still gesprochen wird, wird der Geheime Rat des Königs verstanden, damit wir ein Beispiel vorsätzlicher Ähnlichkeit geben. Dieses Gebet wird deshalb a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 5.
2 – Nachthoren an Festtagen
hier gesprochen, damit darin die Versuchungen des Teufels ausgedrückt werden. Wenn nämlich der Teufel spürt, dass wir das lesen wollen, was zur Unterrichtung über die Sitten oder in denen dabei die Siege der Heiligen enthalten sind, dann bekämpft er uns umso mehr. Daher kräftigen wir uns durch das Gebet des Herrn, dass wir nicht der Versuchung unterliegen. Und da dieses Gebet schweigend gesprochen wird, damit es umso aufmerksamer wahrgenommen wird, oder weil wir mit Gott sprechen, wird der letzte Teil laut gesprochen, d. h. Und führe uns nicht in Versuchung (Mt 6,13; Lk 11,4). So soll offenbar werden, wozu dieses Gebet gesprochen wird, d. h. damit der Lektor nicht durch eine betrügerische Versuchung hingerissen wird und der Zuhörer um das Verständnis und den Nutzen der Lesung betrogen wird. Und wir gelangen durch die Gebete betend zum Herrn der Ernte, dass Er Arbeiter für seine Ernte aussende (Lk 10,2), und: Er öffne unser Herz für sein Gesetz und für Seine Gebote (2 Makk 1,4), dass die Saat des Wortes Gottes, das wir hören werden, weder die Vögel fressen noch die Dornen ersticken noch auf Felsen heranwächst, wo es an Feuchtigkeit fehlt (vgl. Lk 8,4-18). Der Versikel nach dem Gebet ist die Aufforderung nach dem Rat. Bedenke: Der folgende Versikel ist stets ein Ankündiger, nur nicht vor dem Evangelium, wo es heißt: ‘Exaudi Christe – Christus, höre uns’. Einige verkündigen gar keinen Versikel. “Der Wechsel der Lektoren ist die Aufeinanderfolge der Gesandten. Wenn sie sagen: ‘Iube Domne benedícere – Gib den Segen, Herr’, bitten sie um die Erlaubnis fortzufahren und erhalten die Erlaubnis unter dem Segen. Dabei wird deutlich, dass keiner in der Kirche vorlesen darf, dem nicht die Erlaubnis erteilt wurde, keiner predigen, der nicht gesandt wurde: Wie soll jemand verkündigen, wenn er nicht gesandt ist (Röm 10,15). Die Lesung ist Ausführung der erteilten Sendung. ‘Tu autem Dómine – Du aber, Herr’ ist die Rückgabe dieses Auftrags.”a “Dabei ist es Tatsache, dass Erbarmen erfleht wird und dieses Amt der Sendung oder Verkündigung nicht a Rupertus Tuitiensis, Liber de divinis officiis 1, 12; vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 5.
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ohne den Staub einer gewissen Schuld vollzogen werden kann. Daher Augustinus: “Das Wort der Verkündigung wird mit größerer Sicherheit gehört als gesprochen.”a Der Verkünder wandelt nämlich auf der Erde. Es ist schwierig für ihn, der auf der Erde wandelt, seine Füße nicht mit Staub zu beschmutzen, und wenn er merkt, dass er gut verkündigt, nicht mit Stolz erfüllt zu werden.”b “Dass wir aber ‘Deo gratias – Dank sei Gott’ sagen, bezieht sich nicht auf die vorherigen Bitten des Lektors, sondern auf die voraus gegangene Lesung. Wir sagen ja Dank, dass Er sich herabgelassen hat, das Brot seiner Lehre für uns zu brechen, damit wir nicht vor Hunger, das Wort des Herrn zu hören, zugrunde gehen. Denn auf die Lesungen, an deren Ende nicht mit ‘Tu autem Dómine’ geschlossen wird, d. h. beim Kapitel der anderen Teile des Offiziums, in denen das Wort Gottes ausgeteilt wird, wird nach der Gewohnheit mit ‘Deo gratias’ geantwortet.”c Beachte: Wie es in der Kirche zwei Ränge gibt, die Weisen und die Ungebildeten, so gibt es zwei Arten von Lesungen. Bei den Lesungen in der Messe werden die Weisen unterrichtet. Bei denen in der Nacht werden die Ungebildeten erzogen. Also werden sie auch mit Kommentaren bedacht. Beachte ferner: Es gibt vier Formeln am Schluss der Lesungen. Entweder wird mit ‘Tu autem Dómine – Du aber, Herr’ geschlossen oder, wenn aus den Propheten vorgelesen wird, ‘Haec dicit Dóminus – So spricht der Herr: Bekehrt euch zu mir, dann werdet ihr gerettet werden’ oder bei den Klageliedern des Jeremia : ‘Jerusalem, Jerusalem, bekehre dich zum Herrn, deinem Gott’. Und einfach so ohne Schlussformel wie beim Totenoffizium. Einige verwenden auch hier eine besondere Schlussformel, oder sie ziehen die Lesungen und Predigten jener Väter vor, die Responsorien bezeichnen deren Leben, durch die auf die Predigt geantwortet wird. “Die Zeit des Gesetzes wird von Moses bis David unterteilt, von David bis zum Auszug aus Babylon und vom Auszug aus Aurelius Augustinus, Enarrationies in psalmos 50, 13. Rupertus Tuitiensis, Liber de divinis officiis 1, 13. c Rupertus Tuitiensis, Liber de divinis officiis 1, 14. a
b
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Babylon bis zu Christus.”a “Im ersten Abschnitt dieser Zeit wachten die Hohenpriester wie Aaron, solange er lehrte; im zweiten die Richter wie Gideon, wenn er zu Gericht saß; im dritten die Könige wie Salomo, da er das Volk regierte.”b Dies wird in folgenden Psalmen deutlich: Behüte mich (Ps 16,1) drückt die Hohenpriester aus, für die der Herr ein Teil der Erbschaft und des Kelches war. Höre, Herr, meine gerechte Sache (Ps 17,1) kennzeichnet die Richter, deren Gericht aus dem Antlitz des Allmächtigen hervorging. Ich will Dich rühmen, Herr (Ps 18,2) bezeichnet die Könige, die der Herr über die Völker setzte. Zu diesen drei Psalmen wird das ‘Gloria Patri’ und eine Antiphon gesetzt, denn die genannten drei Ränge haben die Dreifaltigkeit angebetet und in Lobgesängen gepriesen. Die folgenden Lesungen sind deren Predigten, die Responsorien sind die Handlungen und Danksagungen. Die Zeit der Gnade wird eingeteilt in die Zeit der Verkündigung durch die Apostel, die Zeit der Verfolgung und die Zeit des Friedens. Im ersten Abschnitt wachten die Apostel, im zweiten die Märtyrer, im dritten die Bekenner: Das wird an den folgenden Psalmen deutlich, denn Die Himmel rühmen die Herrlichkeit (Ps 19,2) drückt die Apostel aus, denn ihre Kunde geht bis zu den Enden der Erde (ebd. 19,5). Der Herr erhöre dich (Ps 20,2) erklärt die Märtyrer, denn der Herr beschützte sie am Tage der Not (ebd.). An Deiner Macht, Herr (Ps 21,2) kennzeichnet die Bekenner, die nicht betrogen wurden um den Wunsch ihrer Lippen. “Die Zeit des Friedens begann mit König Konstantin, der sich in der Kraft Gottes über das Heil Christi freute und heftig jauchzte, als er das Konzil von Nizäa einberief. In der ersten Stunde dieser Zeit wurde Paulus zitiert, der sagt: Dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren, einzigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit. Amen (1 Tim 1,17). In der zweiten Laurentius, der sagt: “Ich danke Dir, Herr, denn Du hast mich für würdig gefunden, in Deine Tore einzutreten.” In der dritten a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 7. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 8–9.
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Stunde Gregor, der mit seiner Musik das göttliche Offizium zum Klingen gebracht hat. Und wir beachten die erste Wache dieser Nacht, wenn wir verkündigen, die zweite, wenn wir die Anfechtungen in Geduld ertragen, die dritte, wenn wir der Betrachtung obliegen.”a Aber weil das Ende der Freude Gram ist (Spr 14,13), deswegen berühren die letzten Verse des letzten Psalms besonders die Zeiten des Antichrists, der das Feuer im Ofen zur Zeit seines Gerichts sein wird (vgl. Ps 21,10). Ihn wird der Herr verwirren, und das Feuer wird ihn mit seinen Komplizen verschlingen. Danach werden die Erwählten ewig singen und in der Kraft des Herrn jauchzen. Zu diesen einzelnen Psalmen, es sind drei, wird ein ‘Gloria Patri’ und eine Antiphon gegeben, weil die Christen im Glauben und in der Hoffnung blühen, in der Liebe die Dreifaltigkeit verehren und die Majestät mit Lobliedern erheben. Die Lesungen sind die Lehrstunden der Gläubigen, die Responsorien das Leben, das der Lehre entsprechen muss. Dies alles wird Sonntag Nacht gesungen, weil alle oben Genannten in der Auferstehung Christi gerettet werden. Und sieh: In der dritten Nachtwache wird das Evangelium rezitiert, weil es in dieser Zeit der Gnade verkündigt wurde. Daher täuscht hier die Etymologie des Responsoriums. Denn die Responsorien antworten nicht auf die Historien der Evangelien-Lesungen, auch nicht darauf, dass im Sommer von der Dreifaltigkeit gesungen wird. Ebenso ist es auch an den Vigilien der Heiligen, an denen die Responsorien nicht verändert werden, obgleich die Lesungen wegen der Vigil wechseln. “Ebenfalls muss man wissen, dass in der 3. Nokturn der Vigil die Antiphon Halleluja wiederholt wird.”b “Auch singen wir an den Hochfesten der Heiligen drei Nokturnen oder Vigilien und in jeder drei Psalmen, drei Versikel, drei Lesungen und drei Responsorien. Aus diesen ergeben sich neun Psalmen, neun Versikel, neun Lesungen und neun Responsorien. Dreizahl und Neunzahl machen dies in allem deutlich. Dies alles feiern wir, um zu zeigen, dass die Heiligen durch den Glauben an die Dreifaltigkeit den neun Rängen der Engel beigeordnet sind”c Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 11–14. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 14. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 22. a
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und dass wir durch diese Offizien so sehr der Dreifaltigkeit gefallen wollen, dass wir diesen Rängen beigeordnet werden können. Und drei Psalmen, drei Versikel, drei Lesungen, drei Responsorien in drei Nokturnen sind 36. Die feiern wir, damit wir durch den Glauben an die Dreifaltigkeit, durch die Befolgung der zehn Gebote und die Leistung der sechs Werke der Barmherzigkeit es verdienen, zusammen mit den Heiligen im Himmel gekrönt zu werden. Und durch die drei Nokturnen an den Sonntagen wie an den Geburtstagen der Heiligen, die zur gegenwärtigen Gnade gehören, empfangen wir drei Nachtwachen nach der Lehre des Evangeliums: Wenn Er in der ersten kommt oder erst in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet sie wach – selig sind sie (Lk 12,38). Die Vielfalt der Lesungen verweist auf die Vielfalt der Prediger, die es in der Zeit der Gnade gibt, wie die geringe Zahl an den Vortagen die Kargheit in der Zeit des Gesetzes zeigt. Wie ja der Hahn in der tiefen Nacht seltener seinen Ruf von sich zu geben pflegt, doch häufiger, wenn die Freude des Tages sich nähert, so gab es vor der Menschwerdung des Herrn, als das Volk im Dunkeln lebte (Jes 9,1), nur wenige Herolde und kaum Arbeiter. Doch in der Fülle der Zeit (Gal 4,4) und am Tag der Rettung (2 Kor 6,2) hat jeder Zahn sein Gegenstück, keinem fehlt es (Hld 4,2). Doch dass wir zu Ostern nur drei Lesungen gebrauchen, hat einen anderen Grund, über den wir unten sprechen werden.a Der Hymnus, den Augustinus und Ambrosiusb geschaffen haben, d. h. ‘Te Deum – Großer Gott, wir loben Dich’, der allem oben Genannten folgt und mit lauter Stimme gesungen wird, symbolisiert die Freude der Frau über die Drachme, die sie wiedergefunden hat, als sie das Licht entzündet hatte. Daher werden auch nach einigen dann die Lichter entzündet. Der Zweck dabei ist: An allen Tagen und bei allem, was folgt, wird höher angestimmt und dann die Glocken geläutet, dies verweist auf das Zusammenrufen der Nachbarn und deren Glückwünsche wegen der wiedergefundenen Drachme. Und der besagte Hymnus steht für die künftige Freude und Fröhlichkeit, die die Kirche wieder a b
Siehe S. 615. Hincmarus Remensis, De praedestinatione Dei et libera voluntate 29.
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erlangen wird, wenn sie sich von den Mühen ausruht (Offb 14,13) am Tag des kommenden Gerichts. 3. Die sieben kanonischen Stundengebete
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Siebenmal am Tag singe ich Dein Lob (Ps 119,164). Das Volk, das aus Babylon zurückgekehrt war, lobte Gott nach der Lehre des Esra viermal in der Nacht und viermal bei Tage. “Viermal in der Nacht, d. h. Vesper, Komplet, Nokturn und Matutin, viermal bei Tage, d. h. Prim, Terz, Sext und Non.”a So singen auch wir viermal, um dem Herrn unseren Leib darzubringen. Andererseits preisen wir achtmal den Herrn, um zur Achtzahl zu kommen. Doch der Prophet sagt, der Herr sei zu loben: Um Mitternacht stehe ich auf, um Dich zu preisen (Ps 119,62) und: Siebenmal am Tag singe ich Dein Lob (ebd. 119,164). Seinem Ansehen und seinem Mysterium folgen wir in diesem Werk. Also wird das Tagesoffizium in sieben kanonische Stunden eingeteilt, d. h. Laudes der Matutin, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet. “Siebenmal am Tag sprechen wir daher Gott Lobgesänge wegen der sieben Zeitalter oder wegen der Lebensalter der Menschen, wegen der siebenförmigen Gnade des Heiligen Geistes oder wegen der sieben Mysterien Jesu Christi. Jeder einzelne Tag steht für die ganze Zeit eines Zeitalters, denn er wird durch sieben Einschnitte gegliedert: Das Lob in der Matutin am frühen Morgen steht für jene Zeit im Gedächtnis, in der die Stammeltern im Paradies Gott gelobt haben; die Prim für jene Zeit, in der Abel Gott gelobt hat, die Terz Noah, die Sext Abraham, die Non die Propheten; in der Vesper wird auf die Apostel hingewiesen, in der Komplet auf die letzten Gerechten.”b “Der Tag verkörpert auch das Leben jedes Menschen, das in sieben Altersstufen unterschieden wird. Also in der Matutin die Kindheit, in der Prim das Knabenalter, in der Terz das Heranwachsen, in der Sext die Jugend, in der Non das Alter, in der a b
Robertus Paululus, De ceremoniis ecclesiasticis 2, 1. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 53.
3 – Die sieben Horen
Vesper das Greisenalter, in der Komplet das Lebensende.”a Also siebenmal, d. h. immer, denn wenn wir siebenmal am Tag dem Herrn Lobgesänge darbringen, verweisen wir auf die Zeitalter des Kosmos und das ganze Menschenleben, auf die Bezüge zu Gott. “Wie der hl. Nikolaus, als er am Mittwoch und Freitag nicht an der Brust der Mutter sog und seine Kindheit auf den Herrn hinwendete.”b Und siebenmal loben wir den Herrn, wenn wir für alle uns von Gott zuteil gewordenen Wohltaten unsere Abgaben und Dankgeschenke darbringen. Denn die Siebenzahl ist die Zahl des Vollkommenseins. Auch preisen wir siebenmal am Tag den Herrn, weil wir durch die siebenfältige Gnade des Heiligen Geistes aus der Finsternis der Laster und der Knechtschaft des Teufels, die das nächtliche Offizium verkörpert, zur Sonne der Gerechtigkeit hervorgehen und zur Freiheit erlöst werden, die das Tagesoffizium verkörpert. Über die sieben Mysterien Jesu Christi, die Er uns im Fleisch gezeigt hat, werden wir gleich weiter unten sprechen.c Sie liefern uns die Gründe, siebenmal den Herrn zu preisen. Keiner möge es wagen, diese sieben Stundengebete zu übergehen, es sei denn er wolle vor dem Heiligen Geist undankbar und vor dem Anblick des Herrn als Nichtsnutz erscheinen, denn wir lesen ja, dass die Apostel diese Stunden befolgt haben. Daher: Petrus und Johannes gingen um die neunte Stunde zum Gebet in den Tempel hinauf (Apg 3,1). Ferner wollte Petrus um die sechste Stunde essen und stieg zum Beten auf das Dach hinauf (ebd. 10,9). Da wir also siebenmal am Tag den Herrn preisen müssen und der Tag 12 Stunden hat, müssen wir die sieben irgendwie auf die fünf aufteilen. Unter der Prim die 1. und 2. Stunde, unter der Terz die 3., 4. und 5. Stunde, unter der Sext die 6., 7. und 8. Stunde, unter der Non die 9. und 10. Stunde, unter der Vesper die 11. Stunde, unter der Komplet die 12. Stunde. Warum wir aber in diesen Stunden des Tages eher als in anderen das Offizium feiern, diesen Grund gilt es zu finden. “‘Matutin’ heißt so von Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 54. Iacobus de Voragine, Legenda aurea, de Beato Nicolao; vgl. Petrus Comestor, Sermones 4. c Siehe die folgenden Absätze bis zum Ende des Kapitels. a
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‘mane’ ‘morgens’,”a und ‘mane’ von den ‘Manen’. Manen sind nach den Heiden unterweltliche Götter, von denen sie sagen, sie hielten während der ganzen Nacht den Tag fest eingeschlossen und entließen ihn erst morgens auf die Erde. Daher bedeutet ‘mane’ auch ‘gut’, weil nichts besser in diesem Leben erscheint als das Licht. Deshalb wird das morgendliche Lob gleichsam für das uns von Gott gegebene Licht gesungen: Gott, der uns aus der Finsternis des Irrtums auf den Weg der Wahrheit zurückgeführt hat. Ebenso preisen wir zu dieser Zeit den Herrn, weil Er in dieser Stunde die Welt erschaffen hat und alle Morgensterne (Ijob 38,7), d. h. die Engel, die gleich in süßer Harmonie ihren Schöpfer bejubelten. Wir ahmen in dieser Stunde mit Singen die nach, die wir auch Abendsterne nennen können, weil wir Christus als unserer Abendsonne folgen, um durch Ihn in der Auferstehung, sozusagen am Aufgang der Sonne, zu den Morgensternen zu gelangen. Ferner hat in dieser Stunde der Herr sein Volk durch das Meer geführt und die Ägypter im Meer vertilgt, wie man in Exodus liest. Zu dieser Stunde sagen wir also Gott Dank, der uns durch die Taufgnade aus der Herrschaft des Pharao befreit hat, um uns in das Land der Verheißung zu führen. “Ebenso wollen einige, dass in dieser Stunde die Gerechten vom Todesschlaf erwachen, die aus der Nacht der Welt zum Licht des Paradieses gelangen. Und in dieser Stunde wie in den anderen folgen wir den Mysterien Jesu Christi, der unter dieser Nacht verstanden wird: am Morgen verspottet und voll Erbarmen für Petrus; in der 1. Stunde an die Heiden ausgeliefert, in der 3. gegeißelt und durch Spott gequält, in der 6. ans Kreuz geschlagen, und dann kam Finsternis über die ganze Erde, in der 9. gestorben, da wurde der Schächer erlöst, der Vorhang des Tempels zerriss, Seine Seite wurde durchbohrt; in der 11. Stunde wurde Er vom Kreuz abgenommen, in der 12. bestattet.”b,,Ebenso hat Er in der Nacht die Unterwelt ausgeplündert, am Morgen stand Er auf, in der 1. Stunde erschien Er der Maria, in der 3. begegnete Er den beiden a b
Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 6, 19, 3. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 55.
3 – Die sieben Horen
Frauen, die vom Grab heimkehrten, in der 6. dem Jakobus, in der 9. Petrus, am Abend erklärte Er den beiden Wanderern nach Emmaus die Schrift, speiste mit ihnen und offenbarte sich ihnen beim Brotbrechen. Zur Zeit der Komplet sagte Er den Aposteln: Der Friede sei mit euch (Lk 24,36) und speiste mit ihnen.”a “Als Petrus die ganze Nacht mit Fischen zugebracht hatte, stand Christus am Morgen am Ufer und füllte das Netz mit Fischen. In der 1. Stunde speiste Er mit sieben Jüngern und sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen? (Joh 21,5). Und Er vertraute dem Petrus seine Schafe an. In der 3. stieg der Heilige Geist auf die Apostel herab. In der 6. ließ Er sich am Himmelfahrtstag mit den Jüngern nieder. In der 9. stieg Er vor ihren Augen zum Himmel auf. In der Vesperzeit, am Abend der Welt kommt Er um zu retten. Am Ende wird Er zum Richten kommen, der auch am Abend vor dem Leiden das Abendmahl gehalten hatte, die Füße gewaschen und ihnen Seinen Leib gegeben hatte. Zur Zeit der Komplet hatte Er in Gethsemane für sie gebetet.”b Wegen dieser Mysterien, die wir über Jesus Christus für diese Stunden in der Heiligen Schrift gefunden haben, beobachten wir diese und keine anderen kanonischen Horen: d. h. Laudes in der Matutin, damit wir mit Petrus zu den Tränen flüchten und mit dem Herrn auferstehen. Die Prim, damit wir das Reich Gottes als erstes suchen und Ihm die Erstlinge unserer Arbeit geben, Ihm, der den Heiden überliefert wurde, gelitten hat wegen unserer Verfehlungen und auferweckt wurde wegen unserer Gerechtmachung (Röm 4,25), damit Er für uns als Sonne der Gerechtigkeit aufgeht und wir gerechtfertigt und mit siebenfältiger Gnade verbunden, mit Ihm in lieblichem und ewigem Gastmahl speisen werden. Die Terz, dass wir die Leidensgeduld des gegeißelten Christus nachahmen und im Heiligen Geist getauft werden. Die Sext, dass Er uns als von der Erde Erhöhter an sich zieht und aus der einbrechenden Finsternis auf der Erde emporhebt. Die Non, dass wir der Welt sterben, mit dem Schächer erlöst werden. Mit enthülltem Angesicht spiegeln wir dann a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 56. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 57.
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die Herrlichkeit Gottes wider (2 Kor 3,18), durch sein Blut erlöst und im Wasser der Taufe reingewaschen, schließlich über die Sterne erhoben. Die Vesper, dass wir das Abendopfer des Gesetzes feiern, das das neue Opfer vorgebildet hatte und am Abend eingesetzt wurde, damit wir mit Christus begraben und durch sein Testament zu Erben eingesetzt werden, durch sein Beispiel an Demut durch das Füße waschen und mit dem Band der Liebe durch das neue Gebot und durch das eingeflößte Feuer der Liebe entbrannt werden zur Gastfreundschaft für die Armen und erleuchtet zur Erkenntnis der Schrift. Die Komplet, dass in uns Frucht trage sein Schweiß, das Gebet, die Ruhe und sein friedfertiger Gruß. 4. Das Morgenlob an den Wochentagen – Die Laudes
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Morgen für Morgen spreche ich das Urteil über die Frevler im Land (Ps 101,8). Die Zeit vor der Nokturn kennzeichnet unser Leben in Sünden. Das Offizium der Nokturn ist die Knechtschaft unseres Exils, das Morgenlob Unterstützung der Buße, durch die wir zur Freude des Lichtes und der Freiheit hinstreben. Deshalb sprechen wir als ersten Psalm in der Matutin der Wochentage: Gott, sei mir gnädig (Ps 51,3). Diesen Psalm brauchten die bekehrten Juden recht oft, und nun gebraucht ihn die Kirche recht oft, weil er zur Buße aufruft, durch die die Auferstehung vom Tod der Seele geschieht. Wie ja in der Sonntagsmatutin gesungen wird: Der Herr ist König (Ps 93,1) für die Auferstehung Christi vom Tod des Leibes, so an den Wochentagen: Gott, sei mit gnädig (Ps 51,3) für die Auferstehung der Gläubigen, die vom Seelentod aus der Finsternis zum Licht hervorgehen. Deshalb findet sich im zweiten Psalm, der an den einzelnen Tagen gewechselt wird, die Erwähnung von Morgen und Licht: wie in Höre meine Worte: Am Morgen hörst Du mein Rufen (Ps 5,2.4); in Verschaff mir Recht: Sende Dein Licht (Ps 43,1.3); in Dir gebührt Lobgesang: Du erfreust das Ende des Morgens und des Abends (Ps 65,2.9 Vg.); in Herr, Du warst unsere Zuflucht: Am Morgen grünt
4 – Die Laudes an Wochentagen
es und blüht (Ps 90,1.6); in Herr, höre mein Gebet: Lass mich Deine Huld erfahren am frühen Morgen (Ps 143,1.8); in Wie schön ist es, dem Herrn zu danken: Am Morgen Deine Huld zu verkünden (Ps 92,2.3). Diese Psalmen sind nicht unbegründet in den Laudes vorgesehen, damit in ihnen die Ordnung christlichen Lebenswandels gezeigt werden kann. Denn: Höre meine Worte, ist der Ruf der Urkirche, die zur Erbschaft des Herrn gerufen ist; Verschaff mir Recht, ist der Ruf dessen, der zu den Heiden geht; Dir gebührt wird für die gesungen, die in der Figur des Heidentums den Glauben annimmt. Du warst unsere Zuflucht ist die Stimme Judäas, das zur Vernunft gelangt ist; Herr, höre, die Stimme dessen, der gegen die Verfolgung durch den Antichrist betet; Wie schön ist es die Stimme der Kirche, die im Herrn ruht. Aus den Eingangsversen und den Sätzen dieser Psalmen möge dies ein kluger Leser entnehmen. Weil durch die Liebe der Nachlass der Sünden und der Erwerb des Himmelreichs erfolgt, deshalb folgen die beiden Psalmen Gott, Du mein Gott (Ps 63,2) und Gott sei uns gnädig (Ps 67,2), in denen es um Gottes- und Nächstenliebe geht. Im ersten um die Gottesliebe, dort heißt es: Meine Seele dürstet nach Dir (Ps 63,2). Im zweiten um Nächstenliebe, dort heißt es: Dass wir unter allen Völkern Dein Heil erkennen (Ps 67,3). Deshalb werden sie unter einem ‘Gloria Patri’ gesungen, denn Gottes- und Nächstenliebe gesellen sich zu einander, sodass im christlichen Bekenntnis die eine nicht ohne die andere bestehen kann. Und deswegen werden sie mit einem ‘Gloria Patri’ gesungen, weil in ihnen die eine Person Christi verehrt wird. Und sie werden unter einem ‘Gloria Patri’ zusammengefasst, weil in ihnen Glaube und Handeln verstanden werden: Glaube ohne Werke ist tot (Jak 2,26). Durch diese beiden erreichen wir Freiheit und Herrlichkeit. Und weil das Erweisen des Handelns ein Beweis der Liebe ist, werden die sechs Siegesgesänge in den sechs Wochentagen gesungen, unter denen man die sechs Werke der Barmherzigkeit versteht. Am Montag singen wir mit Jesaja: Ich danke Dir, Herr (Jes 12,1); denn wie er das ungläubige Volk besiegte, so haben wir die Laster überwunden. Am Dienstag freuen wir uns mit Hiskija und sagen: Ich sagte (Jes 38,10), denn so wie er
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dem Tod seines Leibes, so sind wir dem Tod der Seele entgangen, deswegen fügt er hinzu: Nur der Lebende dankt Dir (ebd. 38,19). Am Mittwoch sagen wir mit Hanna: Mein Herz ist voll Freude (1 Sam 2,1), denn wie sie über die Nebenbuhlerin siegte, so haben wir über unser Fleisch gesiegt. Am Donnerstag sagen wir: Ich singe dem Herrn (Ex 15,1) fröhlich mit dem Volk Israel, denn wie es durch Moses den Ägyptern entkam, so sind wir durch Christus dem Teufel und den Dämonen entflohen. Am Freitag sagen wir: Herr, ich hörte die Kunde (Hab 3,2) und preisen Ihn mit Habakuk, denn wie jener Babylon entging, so wir der Verwirrung unserer Sünden. Am Samstag freuen wir uns mit Moses: Hört zu (Deut 32,1), denn wie jenes Volk nach Besiegung der Feinde das Gelobte Land betrat, so werden wir nach Überwindung der Laster die versprochene Vergebung, Freiheit und Freude erlangen. Die Psalmen können auch an die Entfaltung in der Zeit der Gnade angepasst werden. Denn der Montag erinnert an die Zeit, in der zum ersten Mal das Kreuzeszeichen errichtet wird, damit nach den Worten des vorangehenden Psalms ‘Höre, meine Worte (Ps 5,2) und des folgenden Gesanges ‘Ich danke Dir, Herr’ der Buchstabe feststeht, wenn es heißt: Macht Seine Taten unter den Völkern bekannt (Jes 12,1.4). Der Dienstag bezeichnet die Zeit, in der die Kaiser die Kirche verfolgten. Deshalb sagt sie voller Klage: Verschaff mir Recht, o Gott (Ps 43,1), danach wird das Canticum des Hiskija gelesen, der an einer Schwäche seines Leibes erkrankt war (vgl. Jes 38,10-20). Der Mittwoch erinnert an die Zeit, als die Kirche über die Feinde erhöht wurde. Deshalb jauchzt sie mit jenen, die aus Babylon befreit wurden, und sagt: Dir gebührt Lobgesang (Ps 65,2) und singt mit Hanna, die aus dem Streit mit der Pennina befreit wurde (vgl. 1 Sam 2,1-11). Der Donnerstag erinnert an die Zeit, in der das Volk des Moses zum Glauben fand. Deswegen singt man den Psalm, der den Namen ‘Gebet des Moses’ trägt (vgl. Ex 15,1-19), und sein Canticum wird hinzugefügt. Am Freitag wird das Leiden des Erlösers gefeiert. Deshalb wird der Psalm gesungen, der den Titel trägt: Psalm Davids, als ihn sein Sohn Absalom verfolgte (Ps 142,1 Vg.), das ist Judas. Deshalb heißt es in dem Canticum: Hörner in seinen Händen
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(Hab 3,4 Vg.). Der Samstag wird zum Gedächtnis der Erwählten gefeiert, die es am Ende der Welt geben wird. Dies ergibt sich aus dem Titel des Psalms, d. h. der Psalm des Canticums am Samstag und aus dem Canticum, das den Söhnen Israels nach der Mühe der Wanderung gegeben wurde (vgl. Deut 32,1-43). Und sie werden den sechs Zeitaltern angepasst. Denn am zweiten Tag trennte der Herr Wasser von Wasser (Gen 1,6). – Im 2. Zeitalter ereignete sich die Sintflut, was ebenso die Taufe symbolisiert. Von Christus liest man ja, dass Er an einem [Montag], dem zweiten Tag der Woche getauft wurde. Deshalb wird am Montag zu Recht das Canticum von der Taufe gelesen, wo es heißt: Ihr werdet Wasser schöpfen voll Freude aus den Quellen des Heils (vgl. Jes 12,3), wo die Gläubigen von den Ungläubigen getrennt werden. – Im 3. Zeitalter wird Isaak vom Tode befreit. Deshalb wird am Dienstag das Canticum des Hiskija gelesen (Jes 38,10-20), dem der Herr fünfzehn zusätzliche Lebensjahre schenkte (ebd. 38,5). So möge Er auch uns, die wir im Glauben an die Dreifaltigkeit bleiben, durch die Befolgung der Zehn Gebote des Dekalogs und den Glauben an die fünffache Passion des Herrn den Tod wegnehmen und das ewige Leben schenken.– Im 4. Zeitalter wurde Hanna verschmäht, und deswegen wird an diesem Mittwoch das Canticum der Hanna gelesen; so ist die Kirche durch die vier Evangelien erwählt und die Synagoge verschmäht worden. – Im 5. Zeitalter wurde das Volk aus der babylonischen Gefangenschaft befreit. Deshalb liest man am Donnerstag das Canticum des Moses über die Befreiung des Volkes aus den Händen des Pharao. – Im 6. Zeitalter wurde der Herr gekreuzigt. Deshalb wird am Freitag das Canticum über seine Passion gelesen, wo es heißt: Hörner in seinen Händen (Hab 3,4 Vg.). – Am Sabbat ruhte der Herr, nachdem Er sein ganzes Werk vollbracht hatte, und Er ruhte im Grabe. “Deshalb wird am Samstag das Canticum gelesen, das den Söhnen Israels nach der Mühe der Wanderung gegeben wurde, als sie in das Gelobte Land eintraten.”a Und sieh den Unterschied zwischen Psalm und Canticum: Der Psalm zeigt das Werk, das Canticum das Lob wegen des a
Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis 4, 17, 1.
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Werkes. Daher wird hinzugefügt: Lobet den Herrn vom Himmel her (Ps 148,1). Drei Psalmen sind es, in denen wir an den Triumph über die Welt, das Fleisch und den Teufel erinnern. Und dass solche Freiheit und Herrlichkeit an uns offenbar werden soll (Röm 8,18), solange wir auf dem Weg sind, dafür sind uns Lehre und Tröstung nötig. Deshalb fügt der Priester in der Person des Herrn das Kapitel an: Seid wachsam! (1 Kor 16,13) oder Die Nacht ist vorgerückt (Röm 13,12), worin er uns mahnt, im Glauben zu verharren und die Waffen des Lichts anzulegen (ebd.), und uns mit dem Versprechen der Herrlichkeit tröstet. ‘Kapitel’ heißt es deshalb, weil es aus den Hauptstücken der Briefe genommen wird. Obgleich es eine Lesung ist, wird es gleichwohl ohne ‘Iube Dómine’ und ohne priesterlichen Segen gelesen, denn es ist das Privileg des Priesters, dieses zu lesen, und Leiter der Kirche brauchen keine Erlaubnis zu erbitten, sondern erteilen sie. Er sagt auch nicht: ‘Tu autem’, denn der Priester ist so vollkommen, dass er den Einflüsterungen des Teufels nicht leicht erliegt. – Aber andernorts wird es von den Niederen verkündet. Beachte: Im Nachtoffizium halten wir uns in reicherem Maße als im Tagesoffizium für die Lesungen frei, denn wir passen unsere Ohren ihnen leichter an. Beachte weiter: “Bei diesen Lesungen wird der Autor nicht vermeldet”a wie bei den Lesungen der Messe, weil die Aufmerksamen im Offizium ohnehin bei der Lesung den Autor kennen. In der Messe aber kommen die Laien zusammen, denen der Autor unbekannt ist. Das wird aber mitunter in der Matutin voraus geschickt. ‘Ein Sermo von dem und dem’, das geschieht zur Vorsicht, weil zu fürchten ist, dass ein irrender Autor in die Mitte gestellt wird, und weil oft aus der Lesung der Autor nicht erkannt wird. – Dann folgt der Hymnus, durch den die Freude, die wir wegen der Freiheit haben, vorgestellt wird. Doch damit wir nicht undankbar erscheinen über die Wohltat, bekennen wir die Wohltat mit dem Versikel: ‘Repleti – Sättige uns am Morgen’ (Ps 90,14). Danach statten wir unserem Befreier Dank ab und brechen zu seinem Lob mit lauter Stimme aus: “Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels (Lk 1,68). Warum? Weil Er uns im a
Robertus Paululus, De ceremoniis ecclesiasticis 2, 3.
4 – Die Laudes an Wochentagen
Elend besucht hat, gerettet, aus der Hand unserer Feinde befreit, mit der Erfahrung des Heils zur Vergebung der Sünden durch die barmherzige Liebe beschenkt, hat Er uns erleuchtet und auf den Weg des Friedens gewiesen (ebd. 1,68).”a Sieh: In drei Horen sprechen wir dreimal Kapitel aus den Evangelien. Am Morgen wird das ‘Benedictus’ (Lk 1,68) gesungen, weil dort das wahre Licht angekündigt wird. In der Vesper das ‘Magnificat’, denn am Ende der Welt, wie es dort heißt, stürzt Er die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen (Lk 1,52). In der Komplet: ‘Nun lässt Du, Herr’ (Lk 2,29), denn nach dem Gericht werden die Heiligen im Frieden herrschen. Die Antiphon kennzeichnet die Hingabe, die wir beim Lob des Erlösers haben müssen. ‘Dóminus uobiscum – Der Herr sei mit euch’, Meister und Jünger beten für einander und begrüßen sich gegenseitig. Das hat den Sinn: ‘Der Herr möge Lob entgegennehmen und mit dem Lohn des Lebens vergelten.’ ‘Et cum spíritu tuo – Und mit deinem Geiste’, d. h. ‘Du mögest für uns beten. Die Gebete möge der Herr nur annehmen, wenn sie aus gutem Herzen hervorgehen. Er selbst, ohne den es nichts Gutes gibt, sei mit deinem Geiste.’ Der Priester aber, der überzeugt ist, dass seine Güte nicht hinreichend ist, füge hinzu: ‘Oremus – Lasset uns beten’, als ob er sagen will: ‘Betet mit mir, damit wir das, was wir fordern, möglichst bald erlangen.’ Das Gebet, das er spricht, behandelt die Sündenvergebung, die der Herr versprochen hat. ‘Amen’, d. h. ‘Das geschehe, was du erbeten hast.’ Wieder spricht er das ‘Dóminus uobiscum’. Es ist der erneuerte Gruß, ein liebevolles Gebet, dass sie mit der erlangten Gnade stark bleiben mögen. Schließlich beendet er: ‘Benedicamus Dómino – Singet Lob und Preis’. ‘Deo gratias – Dank sei Gott dem Herrn’. Dadurch wird darauf verwiesen, dass wir bis zum Ende des Lebens Gott danken und für seine Wohltaten preisen müssen. ‘Benedicamus’ wird von Knaben gesungen, um zu zeigen, dass wir nur durch die Unschuld wie kleine Kinder Gott würdig loben können. Und um anzuzeigen, dass unser Lob ‘kindlich’ ist, d. h. unzureichend, denn wenn wir mit Gott sprechen, stama
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 53.
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melnd, so gut wir können, verkünden wir, loben wir, gleichwohl unzureichend, denn die Überlegenheit Gottes übersteigt unser Sprechen und Erkennen: Der Mensch tritt hinzu an ein hohes Herz, und Gott wird erhöht (Ps 64,7 Vg.). – Dann folgen die Fürbitten bei den Heiligen, da wir in unserem Leben, gleichsam auf schlüpfrigem Grund von den Dämonen angegriffen werden und daher immer die Hilfe der Heiligen brauchen. 5. Das Morgenlob an Festtagen – Die Laudes
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Ich denke an Dich auf nächtlichem Lager und sinne über Dich nach (Ps 63,7). Die Zeit vor der Nokturn kennzeichnet die Zeit des Todes vor dem Gesetz, in der alle für ein Lob Gottes stumm waren. Die Zeit der Nokturn bezeichnet die Zeit des Gesetzes, das Moses gegeben hat. Die Zeit des Morgenlobs bezeichnet die Zeit der Gnade von der Auferstehung bis zum Ende der Welt. In dieser Zeit sind wir gehalten, Gott zu loben für die Güter der Natur, die Er uns zu schaffen übergeben hat; aus den Gütern der Gnade, die Er uns in dieser Stunde seiner Auferstehung gegeben hat; aus den Gütern der Herrlichkeit, die Er uns in der Stunde unserer Auferstehung geben wird. Deshalb ist dieses ganze Offizium voll des Lobens. Zu diesen Laudes ruft der Priester die Zuhörer durch den Versikel auf und erfleht dann die göttliche Hilfe. Danach eifert der Chor dieser Hilfe nach und preist Gott in der höchsten Dreifaltigkeit. Danach beginnen wir – ausgenommen in der Fastenzeit – mit dem Psalm: Der Herr ist König (Ps 93,1). “Es sind acht Psalmen, denn es gibt acht Ränge von Erwählten, die durch das Wasser der Taufe gerettet wurden, wie es acht Seelen waren in der Arche, im Wasser der Sintflut. Denn der 1. Rang ist die Kirche der Urzeita, die zur Zeit des jüdischen Volkes lebte, der 2. der Übergang zur Heidenkirche, der 3. das gläubige Heidenvolk, der 4. die Juden, die zur Einsicht kommen, der 5. die vom Antichrist Bedrängten, der 6., 7. und 8. Rang werden nach dem Antichrist die sich über Christus Freuenden sein. Sie sind drei, wie es heißt, a
Kirche ab Adam. Vgl. oben S. 97 Anm. a.
5 – Die Laudes an Festtagen
weil sie aus Asien, Afrika und Europa gesammelt werden. Diese werden alle gemeinsam den Herrn loben. Deshalb werden die drei Psalmen unter einer Antiphon und einem ‘Gloria Patri’ gesungen. Bei all diesen Psalmen zeigen wir den Schatten des Gesetzes und die Wahrheit der Gnade.”a Den Schatten, weil der Herr über das Volk nach der Befreiung aus Ägypten herrschte, ihm ein Gesetz gab und es im Bundeszelt mit Hoheit bekleidete. Die Wahrheit, weil nach der Rettung Seines Volkes Christus von dem Tod auferstand, als König herrschte und sich mit der Hoheit der Unsterblichkeit bekleidete (Ps 93,1). Daher hat die Urkirche die Laudes erhoben und gesagt: Der Herr ist König (ebd.). Zu Recht wird dieser Psalm in den Laudes gesungen, denn er enthält das Lob Christi und sieben Stellen mit Lob, wie außer ihm im Psalm Jauchzt (Ps 100,1) gezeigt wird. Hier zeigen wir den Schatten, denn das Volk Gottes hat die Tore, d. h. das Gelobte Land, betreten, dem Herrn zugejubelt und ihm gedient. Das heidnische Volk hat die Wahrheit, den Gauben angenommen, alles Land jubelt Christus zu, und das Heidenvolk dient in Fröhlichkeit. Gott, Du mein Gott (Ps 63,2). Dieser Psalm zeigt den Schatten der Könige Salomo und der anderen, die im Herrn frohlocken. Er wird fortgesetzt mit: Gott sei uns gnädig (Ps 67,2) ohne ‘Gloria Patri’ dazwischen, denn das Königreich Juda und das Königreich Israel werden in dem einen Gesetz zusammengehalten. Er zeigt auch die Zeit der Gnade, in der nach Beendigung der Verfolgung die Heidenkirche im Herrn meditierte und der Mund der Ketzer verstummte. Dieser Psalm wird ja in der Person des Heidentums gesungen. Daher hat er den Titel: Psalm Davids, als er sich in der Wüste Juda aufhielt (Ps 63,1). Unter ‘Juda’ wird das Heidentum verstanden, dem ‘Gott sei uns gnädig’ mit einem ‘Gloria Patri’ verbunden wird, weil das jüdische Volk ihm in dem einen Glauben verbunden sein wird. “Gepriesen (vgl. Dan 3,57-88) erinnert an die Zeit, in der Nebukadnezar die drei Jünglinge in den Feuerofen versetzte und an jene Zeit, in welcher der Antichrist die drei a
Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 3.
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Söhne Noahs in den Ofen der Anfechtung brachte.”a Deshalb wird ohne Halleluja und ‘Gloria Patri’ gesungen, denn damals wurde alles Lob der Kirche unterdrückt. Und deswegen ohne ‘Gloria Patri’, weil wir darin die Dreifaltigkeit verehren, indem wir sagen: Lasst uns den Vater und den Sohn mit dem Heiligen Geist preisen. Und sieh: Dieser Hymnus hat drei Abschnitte: Im ersten werden die oberen Geschöpfe zum Lob des Schöpfers eingeladen, d. h. die über dem Himmel, im Himmel und in der Luft sind. Im zweiten werden die Geschöpfe der Erde eingeladen und was sich im Wasser bewegt. Im dritten werden die Menschen, die Geister und die Seelen eingeladen, dass wir mit jeder Kreatur den Herrn preisen. Denn so, wie die drei Jünglinge dem Nebukadnezar und dem Feuerofen entkommen sind, so sind wir dem Teufel und dem Brand der Hölle entkommen. Und gut trifft sich dieses Canticum am Sonntag und an jedem Feiertag, denn am ersten Tag hat Gott alles erschaffen und danach durch seine Auferstehung erneuert. Deshalb wird am Sonntag und an den Festtagen, die die Auferstehung des Herrn nachahmen, dieses Canticum gelesen, in dem die Geschöpfe Gottes zum Lob des Schöpfers eingeladen werden. Einige sagen, in diesem Canticum werde uns die Passion Christi ins Gedächtnis zurückgerufen, denn Nebukadnezar ist der Teufel, die Diener die Juden, der Feuerofen der Altar des Kreuzes, die drei Jünglinge Christus, in dem dreierlei offenbar ist: die Gottheit, das Fleisch und die Seele. Daraus kommen die drei Mysterien: der Geist, das Blut und das Wasser (1 Joh 5,8). Lobet den Herrn vom Himmel her (Ps 148,1). Jenes kündigt die Zeit des Schattens an, in der das Volk aus Babylon zurückkehrte und den Tempel aufbaute, und diese Zeit der Gnade, in der nach Überwindung des Antichrists die gesamte Kirche Gott loben wird. Deswegen werden drei Psalmen unter einem ‘Gloria Patri’ gesungen, denn Christen, Heiden und Juden, oder Noah, Hiob und Daniel, oder die Versammelten aus den drei Teilen des Erdkreises, Asien, Afrika und Europa, werden in dem einen a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 53.
5 – Die Laudes an Festtagen
Glauben, einem Lob und der Kraft einer Geduld zusammenkommen. Und weil wir Ihn in diesem Lobpreis erheben, der der dreifaltige und der Eine ist. Das Kapitel ist entsprechend dem vergangenen Schatten die Predigt des Esra. Der Hymnus die Lobpreisung des Volkes über die Rückkehr und die Einweihung des Tempels. Und das Kapitel ist das Versprechen des Engels, als er dem Zacharias einen Sohn versprach, und der Hymnus das Danken für Christi Geburt und Auferstehung. Und das Kapitel ist die Ermahnung der Jetzigen, im Kampf nicht nachzulassen, das Jauchzen der Kirche wegen des Sieges über den Antichrist, oder das Kapitel ist der letzte Posaunenschall (1 Kor 15,52) und der Hymnus ewiger Lobgesang. Durch den folgenden Vers, d. h. Der Herr ist König (Ps 93,1), wird daran erinnert, dass nach der Auferstehung Christus alle Macht gegeben wurde im Himmel und auf der Erde (Mt 28,18), durch sie regiert Er gegenwärtig die Kirche und Er wird die triumphierende Kirche in Ewigkeit regieren. Die Gewohnheit, diesen Vers in allen Horen zu sprechen, hat sich ergeben aus der Bundeslade. Als sie im Bundeszelt abgesetzt wurde, wurde von ihr gesagt: Lass Dich nieder, Herr, bei der großen Zahl der Söhne Israels (Num 10,36). Daher sprechen wir den Vers betend, dass Er sich bei uns niederlasse und unsere Sinne sich zum Herrn niederlassen. Daher hat Er von der Niederlassung seinen Namen erhalten. Hier wird in den Nokturnen vor der Lesung gesagt, der Geist möge zum Hören des Wortes des Herrn angeregt werden. Damit in der Zwischenzeit zwischen den Horen die Lehre des Herrn nicht unbeachtet bleibt, wird in den anderen Horen nach der Lesung durch das Canticum [des Zacharias] ‘Benedictus – Gepriesen’ (Lk 1,68), das beim Aufleuchten des Tages gesungen wird, die erste Ankunft Christi als Zeichen gesetzt. Darin: Er hat Sein Volk besucht, Ihm Erlösung geschaffen und alle erleuchtet, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes (ebd. 1,79). Und die zweite Ankunft, in der Er die Kirche, die lange Zeit in der Finsternis dieser Welt gesessen hat, nach den Psalmen, den Lesungen, dem Hymnus, dem Versikel und der Antiphon, d. h. nach den guten Werken, der Lehre, den Lobgesängen,
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der Bekehrung und Hingabe des Verstandes, mit der ewigen Klarheit erleuchten wird, wenn wir dem Herrn furchtlos in Heiligkeit und Gerechtigkeit alle Tage unseres Lebens dienen (Lk 1,73-74). – Inzwischen wird der Altar inzensiert. Der Weihrauch ist das Herz, das Feuer die Liebe, das Brennen das Gebet, das dabei zum Herrn aufsteigt und durch das Wort des Evangeliums unser Herz mit dem Feuer der Liebe entzünden wird und zum Glauben der Passion erweitert. Daher spricht der inzensierende Priester: Wie mein Rauchopfer, o Herr, steige mein Gebet vor Dir auf (Ps 141,2). Und passend folgt diese Inzensierung nach den Psalmen und der Lesung, denn wer gut handelt und andere lehrt, schafft guten Wohlgeruch und gibt den anderen ein Beispiel, gut zu handeln. Das Gebet ist jener letzte Segen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid (Mt 25,34). ‘Singet Lob und Preis’ ist der unsagbare Lobpreis am Schluss. Deshalb jubeln wir oft, wenn wir mit Worten entlassen sind, mit Neumen. Beachte: Diese Loblieder gibt es an den Sonntagen, den Tagen der Osterzeit und der Heiligenfeste, denn sie stellen die Freuden über die Auferstehung Christi und unsere Auferstehung dar, die die Heiligen durch den Glauben an die Auferstehung schon als Freude empfangen und noch reicher in doppelter Stolaa erreichen werden. 6. Die Prim
a. Allgemeines
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Der Hausvater ging früh am Morgen aus dem Haus, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben (Mt 20,1). “Nun wollen wir über die Prim und die übrigen Horen sprechen, in denen wir den Hirten und den Arbeitern nachfolgen. a Während bisher ‘Stola’ speziell als liturgisches Gewand (wie orarium) gebraucht wurde, wird jetzt das aus dem Griechischen stammende und in die Septuaginta und Vulgata eingegangene Wort ‘stola’ in der übertragenen Bedeutung eines schmückenden Gewandes verwendet, variiert mit ‘Stola der Unschuld, der Fröhlichkeit, des Gehorsams, der Unsterblichkeit’. Siehe auch S. 150, “erste Stola” S. 168.
6a – Die Prim
Denn auch in diesen Horen wirbt der Hausvater Arbeiter für seinen Weinberg. Deshalb wird die Psalmodie aus diesen Horen und nicht von anderen genommen und hier gefeiert. Der Priester ist ja der Hirte der Schafe, die Herde das Volk, die Weide Gottes Gebote. Die vielen wilden Tiere sind Feinde der Herde. Daher also: Wie ein brüllender Löwe geht er umher und sucht, wen er verschlingen kann (1 Petr 5,8). Daher tötet der Drache die vom Wege Abgewichenen durch Gift, der Wolf raubt, der Bär überfällt. Und deswegen sagt der Hirte, der die Sorge für die Schafe hat: Deus, in adiutorium – O Gott, komm mir zu Hilfe (Ps 70,2).”a Und beachte: Dieser Versikel wird in allen Horen an den Anfang gestellt. Er ist aus dem Alten Testament genommen. Die Bundeslade wurde ja täglich von Feinden umlagert. Moses sprach also, als sie erhoben und getragen wurde: Steh auf, Herr, dann zerstreuen sich Deine Feinde, dann fliehen Deine Gegner vor Dir (Num 10,35). So erleidet auch die Kirche drinnen und draußen Verfolgung. Deshalb flehen wir die göttliche Hilfe an und sprechen: O Gott, komm mir zu Hilfe. Ebenso wird in allen Horen begonnen mit: ‘Ehre sei dem Vater’, damit die Dreifaltigkeit geehrt wird, ohne die wir nichts vermögen. “Die Schafe rufen also den höchsten Hirten an, ehren Ihn und flehen entsprechend im Hymnus: “Dass Er vor Schaden uns bewahr, Wenn über Tag uns droht Gefahr.”b
“Es folgen fünf Psalmen, damit sie die fünf Sinne der Arbeiter den Tag über stärken.”c Und drei Psalmen werden unter drei ‘Gloria Patri’ zusammengefasst, weil die Dreifaltigkeit in unseren Werken verherrlicht wird, “wenn wir sagen: Gott, durch Deinen Namen (Ps 54,3), machen sie sich auf den Weg, und weil Fremde aufgestanden sind, bitten sie, dass Er in seiner a Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 60; vgl. Amalarius Metensis, Liber officialis 4, 2, 1.9. b Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 61; vgl. Hymnus Iam lucis orto sidere (AH 50, 20). c Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 3.
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Kraft die Feinde zerschlage und die Schafe aus aller Trübsal errette,”a wie Er David vor den Zifitern gerettet hat. “David hat ja diesen Psalm gesungen, als ihn die Zifiter an Saul ausliefen wollten. ‘Zifiter’ wird mit ‘die Blühenden’ interpretiert. Sie sind Glieder des Teufels, die uns mit ihrem Gedeihen verführen. Da uns der Teufel damit vielfach nachstellt, singen wir, um seine Schläue zu vermeiden, diesen Psalm in der Morgendämmerung.” b “In: Wohl denen ohne Tadel (Ps 119,1) und den folgenden acht Psalmen werden den Schafen die Weiden vorgestellt, wie das Gesetz des Herrn, Gebete, Rechtfertigungen und Zeugnisse.”c In diesem Psalm geht es um die Sitten, weil es angemessen ist, dass, wen Gott aus Ketten und Kerker befreit, dieser Gott mit guten Sitten und mit aller Hingabe beisteht. An den Sonntagen aber, besonders von Septuagesima bis Ostern sprechen wir neun Psalmen, damit wir mit den neun Rängen der Engel bei der Freude über die Auferstehung die Dreifaltigkeit loben können. In den ersten: Mein Gott, mein Gott (Ps 22,2) und in den folgenden fünf wird über die Passion Christi gesungen, weil Christus durch das Verdienst der fünffachen Passion zur Herrlichkeit der Auferstehung gelangte. Das erhoffen wir auch für uns, wenn wir ihn nachahmen wollen. Die vier weiteren [Psalmen] zeigen, dass wir durch die Lehre der vier Evangelien Gott in den vier Teilen der Welt loben müssen. In: Gott, in Deinem Namen (Ps 54,3) bitten wir um Vermeidung des Irrtums. In: Danket dem Herrn (Ps 118,1) ermahnen wir zum Bekenntnis des Lobes. In: Selig (Ps 119,1) zum Durchführen des Lobens. In: Tu Deinem Knecht (Ps 119,17) zum Meditieren über die Gebote. Doch weil der Glaube das Fundament der Gebote ist und der Sieg, der die Welt besiegt hat (1 Joh 5,4), das Übrige ohne Glauben betrügt, der Arbeiter ohne Glauben umsonst den Weinberg pflegt und der Hirt ohne Glauben umsonst den Schafstall bewacht, deshalb folgt hier das Glaubensbekenntnis. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 61. Robertus Paululus, De ceremoniis ecclesiasticis 2, 1. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 62. a
b
6b – Symbolum des Athanasius
b. Das Glaubensbekenntnis des Athanasius ‘Quicumque vult – Wer da selig werden will’ (Symb. Ath. 1). Das hat Athanasius, Bischof von Alexandrien, auf Bitten des Kaisers Theodosiusa zum Ausmerzen des kraftlosen Unglaubens der Häretiker und zur Verbreitung des katholischen Glaubens herausgegeben. Und die Kirche hat bestimmt, es solle an den einzelnen Tagen in der Prim gesungen werden, denn damals kam das Volk hier besonders in der Kirche zusammen. Und der Glaube ist die Grundlage des Heils. Einige aber lassen sie an den Tagen aus, an denen sie während der Messe ‘Credo in unum Deum – Ich glaube an den einen Gott’ singen. Doch eher ist das auf Unachtsamkeit und Trägheit als auf Begründung zu beziehen, denn in ‘Quicumque vult’ wird über den Glauben eher von Seelenhirten doziert, und im ‘Credo – Ich glaube an den einen Gott’ bekennt jeder seinen Glauben als quasi Gebildeter. Athanasius aber beschreibt in seinem Symbolum die beiden hauptsächlichen Teile des Glaubens, d. h. die Dreifaltigkeit und die Fleischwerdung des Wortes. “Doch er schickt etwas über den freien Willen des Menschen voraus, wenn er sagt: ‘Wer da selig werden will’ (ebd. 1). Keiner glaubt ja, wenn er nicht will, während der Mensch das Übrige nicht gegen seinen Willen glauben könnte, kann er es nur willentlich.”b ‘Vor allem ist es nötig, den katholischen Glauben fest zu halten’ (ebd. 1). “Dieser ist ja das Fundament alles Guten.”c “Dieser bittet um Beachtung angesichts des zweifelhaften Ausgangs eines Kampfes.”d
Aber weil der Begriff ‘Glauben’ Verwirrung stiften konnte, grenzt er ein und sagt: ‘katholisch’ (ebd. 3), dies wird “wegen der Vorschriften der universalen Regeln, wie Boethius sagt, als das Ansehen der christlichen Religion verstanden, dann auch, weil sich der Kult auf fast alle Gebiete der Erde verbreitet a Oströmischer Kaiser 408–450. – Das lateinische Symbolum stammt wohl aus Südfrankreich. b Bruno Herbipolensis, Commentarius in Orationem Dóminicam, Symbolum Apostolorum et Fidem Athanasii col. 561C. c Alcuinus abbas Turonensis, De fide sanctae Trinitatis 1, 1. d Prudentius, Psychomachia 21.
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hat und ‘katholisch’ gleich ‘universal’ genannt wird.”a “Denn ‘katholisch’ griechisch heißt lateinisch ‘universal’.”b Nicht jedweder Glaube macht ja einen Christen aus. Denn wie man allgemein begreifen kann, ist ‘Glaube’ die Annahme der Richtigkeit einer Sache mit der Zustimmung des Verstandes. Anders ist die Vorstellung vom Sichtbaren, anders vom Unsichtbaren. Wieder anders ist die Vorstellung von solchem Unsichtbaren, das sich der Verstand vorstellen kann, anders von dem, was über den Verstand hinausgeht, wie: Gott ist einer und dreifach, Fleisch geworden, von der Jungfrau geboren, hat gelitten, und ähnliches. Die ersten zwei bilden kein Verdienst, denn der menschliche Verstand steht als Versuchsfeld offen. Die dritte macht einen nur dann zum Christen, ‘wenn er sich selbst den Glauben bewahrt’ für sich als Erwachsener und Kundiger, oder durch einen anderen, wenn er nicht besonders erkenntnisfähig ist, nicht ‘unversehrt’, nicht ohne Berührung mit ketzerischer Verworfenheit, nicht ‘unverletzt’, ohne Verletzung durch ein Schisma, ‘dann wird er ohne Zweifel in Ewigkeit verlorengehen’ (ebd. 2). Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen (Hebr 11,6). Und wo kein Grund vorhanden ist und keine Wirkung, da ist der Glaube der Grund für menschliches Heil. Wo der also fehlt, kann es kein Heil geben. ‘Katholischer Glaube aber ist: Wir verehren den einen Gott in der Dreifaltigkeit und die Dreifaltigkeit in der Einheit, ohne Vermischung der Personen und ohne Trennung der Wesenheit (Symb. Ath. 3. 4). Zuerst werden wir über die Einheit, danach über die Sonderheit der Personen sprechen. Eine Form der Einheit ist die integrale, die aus Teilen besteht wie der Leib. Die andere ist die formale, die aus der Form die Herkunft zieht wie ein Standbild. Wieder eine andere ist die der Natur, wie: Ich und du, wir sind eins. Eine weitere des Willens, wie: Damit sie eins sind mit uns (Joh 17,11). Eine andere ist ursprünglich, einzig, eine der Alleinheit oder Einfachheit. ‘Ursprünglich’, weil Boethius, Quomodo Trinitas unus Deus 1. Bruno Herbipolensis, Commentarius in Orationem Dóminicam, Symbolum Apostolorum et Fidem Athanasii (PL, 142, 561C). a
b
6b – Symbolum des Athanasius
zuerst, einzig oder eine der Alleinheit, weil allein. Es findet sich ja nichts, was sowohl mehreres ist als auch eines allein ist, außer der Dreieinigkeit (Symb. Ath. 6). Einfach ist sie, weil sie nicht in Teile auseinanderfällt und kein Teil eine Besonderheit einnimmt. Und um diese Einheit zu zeigen, muss man sie verstehen nach der Einfachheit. Athanasius fügt hinzu: ‘Wie der Vater ist, so ist der Sohn, so der Heilige Geist’ (ebd. 7). d. h. was vom Vater wesentlich gesagt wird, wird ebenso vom Sohn und vom Heiligen Geist gesagt. Und er fügt als Beispiele sechs Begriffe hinzu: ‘ungeschaffen, unermesslich, ewig, allmächtig, Gott und Herr’ (ebd. 8-12). Was von den einzelnen Personen gesagt wird, gilt für alle nicht in der Mehrzahl, sondern einzeln und als Ganzes, z. B.: ‘der ungeschaffene Vater, der ungeschaffene Sohn, der ungeschaffene Heilige Geist’ (ebd. 8) ‘nicht jedoch drei ungeschaffene, sondern ein Ungeschaffener’ (ebd. 12). Und so gilt es bei den übrigen Begriffen. Und sieh: Einiges ist negativ, anderes ist positiv von Gott gesagt, wie ‘ungeschaffen’, d. h. nicht geschaffen, ‘unermesslich’ (ebd. 9), d. h. ohne Maß, ‘ewig’, ohne Anfang und Ende. ‘Allmächtig’ heißt Er, nicht weil Er machen kann, was Er will, sondern weil Er das machen kann, von dem Er will, dass es geschieht. Und ‘allmächtig’ (ebd. 13), d. h. grundsätzlich mächtig. Es gibt ja drei Mächte: “erstens Gott, zweitens der Engel, drittens der Mensch. Und allmächtig nach dem Grund, d. h. woher alle Macht stammt, so wie man sagt: Alles Gute hat seinen Grund. Gott ist der eigentliche Name des Schöpfers; zu seinem Kult gehört die Göttlichkeit, die sich aus dem griechischen ‘Theos’ ergibt.”a Und sieh: Mitunter wird Er persönlich angenommen, wie: Gott zeugte Gott, d. h. der Vater den Sohn, und beide sind Gott. “Herr ist Er, wie Augustinus sagt, nicht der Natur, sondern der Macht,” b und hier wird von seiner Herrschaft gesprochen, denn Sein Name heißt Herr (Ps 68,5). Entsprechend dem, was über das Herrschen gesagt wird, ist es ein Hinweis auf die Beziehung: ‘Denn wie uns die katholische Wahrheit zwingt, a Bruno Herbipolensis, Commentarius in Orationem Dóminicam, Symbolum Apostolorum et Fidem Athanasii (PL, 142, 561C). b Aurelius Augustinus, Contra Faustum 26, 2.
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jede Person einzeln für sich als Gott und als Herr zu bekennen, so verbietet es der katholischen Glaube, von drei Göttern oder Herren zu sprechen.’ (Symb. Ath. 19.20). So als ob einer sagt, sie seien wesentlich nicht verschieden, sondern sie würden einzeln zu allem und als Ganzes so bezeichnet. Und beachte, was christliche Wahrheit ist. Um sie besser zu verstehen, schau auf die philosophische Wahrheit. Philosophische Wahrheit ist die Natur oder die Erkenntnis einer Sache, wie: Menschsein ist die Wahrheit über den Menschen hinsichtlich dessen, was der Mensch wahrhaftig ist. Doch christliche Wahrheit versteht Gott ohne Quantität als groß, ohne Qualität als gut, ohne Zeit als ewig, ohne Ort als überall ganz, ohne Sitz als überall gegenwärtig, ohne Veränderung als alles veränderlich machend. Ebenso sagt die philosophische Wahrheit: Wenn der Vater groß ist und der Sohn groß, sind Vater und Sohn Große. Doch christliche Wahrheit ist, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist nicht drei Große sind, sondern jeder jeden einzelnen groß nennt und alle drei einen Großen. “Und dies ist eine der universalen Regeln, nach denen, wie wir mit Boethius sagen, der christliche Glaube benannt wird.”a Über die Sonderheit der Personen sagt Athanasius: ‘Anders ist ja die Person des Vaters, anders die des Sohnes, anders die des Heiligen Geistes.’(ebd. 19) ‘Person’ heißt in der Grammatik alles, worüber in einer Rede gehandelt wird, in der Dichtung heißt sie auch ‘Maske, Rolle’, wie der Erfinder einer ehrenvollen Person. Sie heißt auch ‘Lage’ oder ‘Los’ wie: Gott schaut nicht auf die Person (Gal 2,6), d. h. Er achtet nicht darauf, zu welcher Lage oder zu welchem Los er gehört. “Nach Boethius ist Person die individuelle Natur einer vernunftbegabten Wesenheit. Diese Definition scheint in der Theologie keinen Platz zu haben, wo Natur das Eine ist, also das Wesen der drei Personen.”b In der Theologie ist Person rein äußerlich mit einer Eigenheit verknüpft. Denn von den Formen her verknüpft man etwas wie Menschsein mit dem Menschen, die Länge von zwei Ellen mit der Elle, Weißsein mit Weiß. Anderes sind Umstände, die a b
Boethius, Quomodo Trinitas unus Deus 1. Boethius, De persona et duabus naturis contra Eutychen et Nestorium 3.
6b – Symbolum des Athanasius
nicht zum Wesen gehören, sondern äußerlich sind, wie behelmt, gepanzert, Vater, Sohn, rechts, links. Diese Begriffe sind nicht Eigenheiten, sondern werden nur Eigenheiten genannt, weil sie von den Sachen her gesondert gesehen werden. Was nämlich bei David eine Eigenheit war, solange Absalom lebte, das hörte er auf zu sein, als sein Sohn starb. Und was für mich drinnen ist, ist für dich rechts, was bei mir aufhört drinnen zu sein, bleibt für dich links. Personale Eigenheiten, wie Vatersein, Sohnschaft oder Hervorgehen sind keine Eigenschaften, die in der göttlichen Wesenheit oder in den Personen beruhen, sondern sind Beziehungen, wie Vaterschaft eine Beziehung von Vater zu Sohn ist, Sohnschaft eine Beziehung vom Sohn zum Vater, Hervorgehen eine Beziehung des Geistes mit beiden. So ist Vater sein, Sohn sein, Heiliger Geist sein nicht anderes Sein, sondern ist ‘zu anderem sein’. Daher sagt Augustinus: “Dass Er Vater ist, ist nichts anderes als dass Er es nicht ist aus dem Vergleich Vater zu sein. Er ist von göttlicher Wesenheit, was Er ist.”a Dies nach einigen. Denn nach anderen ist das Vater sein im Vater, und Er ist Vater, und so über die anderen. Daher ‘in den Personen die Sonderheit, im Wesen die Einheit’.b ‘Der Vater wurde von niemandem gemacht, nicht geschaffen, nicht gezeugt.’ (Symb. Ath. 21) Da das von niemandem sonst gesagt wird, wird seine Macht verdeutlicht. Der Unterschied zwischen ‘gemacht’ und ‘geschaffen’ ist der, wie bei ‘machen’ und ‘schaffen’. Denn ‘machen’ ist etwas aus vorhandener Materie produzieren, ‘schaffen’ aber aus dem Nichts heraus. Sieh: Das Wirken Gottes ist vierfach: Eines ist ewig, drei sind zeitlich. Ewig ist, wie Er den Sohn vor aller Zeit gezeugt hat, nach diesem Wirken heißt Er Vater oder Erzeuger. Das erste zeitliche Wirken ist: Aus dem Nichts schuf er den Urstoff oder das Chaos, d.h. die ungeordnete Materie der Elemente, nach diesem Wirken heißt Er Schöpfer. Das zweite zeitliche Wirken ist, wie Er durch sein Werk der sechs Tage die Materie ordnete, danach heißt Er Gründer oder Baumeister. Das dritte zeitliche Wirken ist, wie Er a b
Vgl. Aurelius Augustinus, Enarrationes in psalmos 68, 15. Missale Romanum, Präfation von der hl. Dreifaltigkeit.
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die geschaffenen Arten durch Fortpflanzung erhält; dafür heißt Er Sämann und Gestalter. ‘Der Sohn stammt allein vom Vater, nicht gemacht oder geschaffen, sondern gezeugt’ (ebd. 22)., Der Heilige Geist wurde von Vater und Sohn nicht gemacht, nicht geschaffen, nicht gezeugt, sondern er ging hervor’ (ebd. 23). Den Unterschied zwischen Erzeugung des Sohnes und dem Hervorgehen des Geistes zu beschreiben reicht die menschliche Stimme nicht aus, außer dass der Sohn so aus dem Vater hervorging, dass Er Sohn war; der Geist aber ging nicht so hervor, dass Er Sohn genannt werden könnte. ‘Einer ist also Vater, es gibt nicht drei Väter, einer ist der Sohn, nicht drei Söhne, einer Heiliger Geist, nicht drei Heilige Geister’ (ebd. 24). Sieh: Die Zahlwörter eins, zwei, drei sind nicht positiv, sondern exklusiv von Gott gesagt. Wenn nämlich gesagt wird ‘ein Gott’, so wird nichts über Gott gesagt, sondern nur eine Vielzahl von Göttern ausgeschlossen, ebenso wenn ‘ein Vater, ein Sohn, ein Heiliger Geist als drei Personen’ gesagt wird, dann wird dort kein Plural gesetzt, sondern nur das Alleinsein ausgeschlossen. Daher Augustinus: “Wer sagt: ‘Gott in drei Personen’, will nicht die Verschiedenheit, er will auch nicht die Alleinheit.”a ‘In dieser Dreifaltigkeit gibt es kein früher oder später, kein größer oder kleiner’ (ebd. 25). Die Autorität bei der Macht wird jedoch dem Vater zugeschrieben, der in nichts einen Vorrang hat. ‘Sondern alle drei Personen sind sich gleich ewig’ (ebd. 26). Also keine an Zeit früher, ‘und gleich ewig, also keine geringer’. Dabei wird Arius angeschaut, der das Dogma ausgab, der Sohn sei geringer als der Vater. ‘Sodass durch alles, wie oben schon gesagt wurde,b ‘die Einheit in der Dreifaltigkeit und die Dreifaltigkeit in der Einheit zu verehren ist’ (ebd. 27). ‘Wer also selig werden will, denke so über die Dreifaltigkeit’ (ebd. 28). Seht die Grundregel und die Zusammenfassung des Vorangegangenen! Wir verehren also in der Dreifaltigkeit die Einheit und umgekehrt, wenn wir sagen, glauben und anbeten, dass die drei eins sind und umgekehrt. ‘Doch nötig ist zum ewigen Heil, dass wir auch die Fleischwerdung unseres Herrn a b
Vgl. Aurelius Augustinus, De Trinitate 7, 4. Siehe oben S. 228 Abs. 2 Ende.
6b – Symbolum des Athanasius
Jesus Christus aufrichtig glauben’ (ebd. 29). Hier handelt es sich um die Fleischwerdung des Wortes. Wie ja zum Heil der Glaube an die Göttlichkeit gefordert wird, so auch der an Sein Menschsein. Denn ohne den Glauben an den Mittler konnte niemand gerettet werden. Es gab ja drei Gesetze: das Gesetz der Natur, das Gesetz der Schrift, das Gesetz der Gnade. Das Gesetz der Natur besteht in Vernunft und Willen; in beidem erschlaffte der Mensch, denn sowohl sein Verstand wurde blind in der Betrachtung des Guten, und es verschwand auch sein Wille bei der Lust nach dem Guten. Das Gesetz der Schrift gab Rat, aber nicht Hilfe, es vermahnte die Neigung, aber es bewegte nicht, es nahm keine Sünden fort, sondern vermehrte sie durch Verbote. Denn: “Wir stürzen uns auf das Verbotene, und lechzen nach Untersagtem.”a
Und der Apostel: Das Gesetz ist hinzugekommen, sodass die Sünde mächtiger wurde (Röm 5,20). Das Gesetz der Gnade war notwendig, das im Glauben an die Menschwerdung besteht, die jene zwei Gesetze zur Wirksamkeit brachte. Denn ohne die Salbe der Gnade trieft das Auge, das der Natur wie das der Schrift. Deswegen spie die Weisheit auf die Erde und bestrich die Augen des von Geburt an Blinden. Es ist Christus, der, wie der Apostel sagt, für uns zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung geworden ist (1 Kor 1,30). Weisheit ist Er für uns, indem Er Verstand gibt, Gerechtigkeit, indem Er uns aus der Hand des Feindes befreit, Heiligung, indem Er die Sünden nachlässt, Erlösung, indem Er für uns leidet. Dies ist Gottes Kraft und Gottes Weisheit, die ihr Haus gebaut hat (Spr 9,1) im Schoß und aus dem Schoß der Jungfrau und uns sieben Säulen behauen hat (ebd.), also die Weisheit des Unsichtbaren, den Verstand des Sichtbaren, die Erkenntnis der guten Sitten, die Frömmigkeit des Erbarmens, den Rat zur Hilfe, die Kraft zum Befreien, die Furcht des Herrn keusch zu lieben. Durch diese Tugenden wurde die Seele Christi von der a
Ovidius, Amores 3, 4, 17.
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Stunde der Schöpfung und der Menschwerdung überreich geschmückt, sodass sie in nichts noch Fortschritte machen könnte. Wenn es nämlich heißt: Er nahm zu an Weisheit und Alter (Lk 2,52), müssen wir darunter ‘Jesus Christus’ verstehen. Es sind zwei Begriffe mit nicht gleicher Bedeutung. Denn ‘Jesus’ ist der Name der Person, wie ‘Petrus’; ‘Christus’ aber ist der Name des Mysteriums, wie Hoherpriester und Prophet. Diese Begriffe wurden nicht mit Buchstaben, sondern mit Kürzeln geschrieben, damit die Qualität der Schrift die Qualität der Natur deutlich mache, damit so wie die göttliche Natur unbegreiflich ist, so der Name, der um sie zu kennzeichnen gesetzt und mit halbvollen Buchstaben geschrieben wird. Die Natur der Geschöpfe wird mitunter erfasst und daher deren Namen durch Vollbuchstaben geschrieben. Und wir sind es nicht wert, solcher Person die Schuhe aufzuschnüren (vgl. Joh 1,27). ‘Er ist Gott mit der Wesenheit des Vaters’ (Symb. Ath. 31), d. h. aus der Wesenheit des Vaters, d. h. aus dem Vater in der Wesenheit, sodass die Erzeugung auf die Person bezogen wird, nicht auf das Wesen, das nicht erzeugt und nicht gezeugt wird. ‘Gezeugt vor aller Zeit’ (ebd.). Dies ist uneigentlich gesagt, denn ‘vor’ ist eigentlich ein Begriff der Zeit. Zeit aber gab es nicht vor der Welt, sondern sie begann mit der Welt. Daher wird umschrieben: Zeit ist Bewegung und der Übergang der sich wandelnden Dinge. Wenn daher einer fragt, ob Gott vor der Welt war, so ist die Frage falsch gestellt. Denn der Schöpfer geht dem Geschöpf nicht in der Länge der Zeit voraus, die Er zuvor bezeichnet, doch in der Einfachheit der Natur. ‘Als Mensch wurde Er aus der Wesenheit der Mutter in der Zeit geboren’ (ebd.). Entsprechend dem Vordersatz nimmt Er Wesenheit, Materie, Kraft und Teilhabe an. Die Wesenheit als vor aller Zeit Gezeugter ist die Wesenheit des Vaters. Die Materie als in der Welt Geborener aus der Wesenheit der Mutter. Die Kraft als vom Heiligen Geist Empfangener. Die Teile als aus vernunftbegabter Seele und menschlichem Leib bestehend, ebenso aus dem Vorangegangenen wie von Vater, Mutter und Heiligem Geist. ‘Vollkommener Gott, vollkommener Mensch
6b – Symbolum des Athanasius
mit vernunftbegabter Seele und menschlichem Leib’, (ebd. 32) ‘eines Wesens mit dem Vater hinsichtlich der Gottheit, unter dem Vater hinsichtlich seines Menschseins’ (ebd. 33). ‘Obgleich Er Gott und Mensch ist, ist Er doch nicht zwei, sondern der eine Christus’ (ebd. 34), ‘einer aber nicht durch eine Vermischung der Wesenheit der Göttlichkeit im Fleisch, sondern durch Annahme des Menschseins in Gott’ (ebd. 35). Und beachte die beiden Arten von Verknüpfung: durch Hinzutreten und durch Angleichung. Was die Grammatiker über die Präpositionen lehren und sagen: Jene wird durch Hinzutreten verbunden, die in diesem Hinzutreten zur Angleichung von nichts übergeht, jene aber wird durch Angleichung verbunden, aus der auch im Wortlaut, dem es hinzugefügt wird, ein Wortlaut gebildet wird. Ein Beispiel für beides: Der Tor sagt in seinem Herzen (Ps 14,1; 53,2). Ebenso ist es in der Natur der Dinge. Sachen werden durch Hinzutreten verbunden, wenn aus ihnen nichts geschaffen wird, aus dem die Komponenten ausgesagt werden. So z. B.: Abraham wurde seinen Vätern zugesellt. Dadurch wird eine Gruppe geschaffen, von der nichts Beigeselltes ausgesagt wird. Dinge werden aber durch Komposition auf zweierlei Weise verbunden: durch Vermischung und ohne Vermischung. Durch die Komposition, wenn eine Sache verwandelt wird oder zu etwas anderem verschmilzt wie Wein und Wasser. Denn das Eine wächst über sich hinaus, das andere verschwindet. Ohne Vermischung, wenn aus verschiedenen Wesenheiten etwas so zusammenkommt, dass die Eigenheiten der Komponenten und deren Naturen in dem Kompositum benannt werden, wie: Der Mensch besteht aus Geist und Körper. Und gut heißt es, der Mensch ist gerecht wegen seiner Seele, und der Mensch ist weiß wegen seines Körpers. Und es heißt, der Mensch ist vernunftbegabt wegen seiner Seele und der Mensch ist leiblich wegen seines Körpers. Diese Verbindung von Gottheit und Menschsein geschieht, wie einige meinen, durch Zusammenfügen ohne Vermischung, denn Christus ist Gott und Mensch, wo es weder Vermischung noch Verwandlung gibt. Daher kann gut gesagt werden: ‘Nicht durch eine Verwandlung der Gottheit ins Fleisch, sondern die Aufnah-
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me des Menschseins in Gott’ (Symb. Ath. 35). Eine Verwandlung ändert die Wesenheit, die Aufnahme erhöht sie. Nach anderen ist die Art der Menschwerdung nicht als Zusammensetzung zu nehmen, sondern hinsichtlich der Beschaffenheit. Wenn es also heißt: Gott ist Mensch, Gott wurde Mensch, Gott begann Mensch zu sein, wird die Beschaffenheit verkündet, denn Er wurde ja nicht etwas oder begann nicht etwas zu sein. Man muss es so verstehen, dass Er etwas Menschliches wurde und den Menschen annahm oder besser, das, was Menschliches ist. Daraus folgt: ‘Ganz und gar Einer, nicht durch eine Vermischung der Wesenheit, sondern in der Einheit der Person’ (ebd. 36). Man setzt die Präposition ‘in’ nicht um die Zusammensetzung, sondern um die Einfachheit der Person zu benennen, wie Er ja zuvor einfach war, so danach; seine menschliche Natur hat Er nicht angenommen aus dem Sein jener Person oder mit dem ‘Wort’ eine Person, sondern Er ist in der Einheit einer Person, d. h. Er vermehrt nicht die Zahl oder Quantität der Person. Einige lassen ‘in’ fort und sagen: ‘Durch die Einheit der Person. Wieder andere sagen, diese Person Christus bestehe aus Gott und Mensch, d. h. aus Seele und Leib, und somit aus drei Wesenheiten, nicht jedoch ein quasi Ganzes aus Teilen. Wenn also gesagt wird, Gott ist Mensch, wird die Natur, d. h. das Menschsein betont. ‘Denn wie die vernunftbegabte Seele und der Leib einen Menschen ergeben, so ergeben Gott und Mensch einen Christus’ (ebd. 37) Man muss anscheinend sagen: Die vernunftbegabte Seele und der Leib sind ein Mensch. Wie die der Einzelheit unterstellte Sache den Singular des Wortes erfordert, wie Sicard schreibt, so erfordert der Plural der unterstellten Sachen den Plural, wie ‘Petrus und Paulus gingen hinauf zum Tempel’. Der Singular wird statt des Plural gesetzt. Und sieh: Dieser Vergleich ist kein vollgültiger Beitrag für das Gezeigte. Denn Leib und Seele sind konstitutive Teile des Menschen, und bei Zerstörung eines von ihnen erfolgt die Zerstörung des Ganzen. Nicht aber so bei Christus, dem Gott und Menschen. Denn zuvor war Er Gott, bevor Er als Gott Mensch wurde, und deshalb wurde der Mensch nicht als
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konstitutiver Teil der Person aufgenommen. Diese Gleichung ist mehr eine Zurückweisung als eine Feststellung. So wie Seele und Leib nicht mehrere Menschen sind, so sind Gott und Mensch nicht mehrere Christusse. ‘Er hat um unseres Heils willen gelitten’ (ebd. 38) wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt (Jes 53,7). Er ist der Hohepriester, als Er im Altertum nach dem Gesetz des Gefangenen starb, wurden die Freien entlassen und kehrten auf ihren Erbbesitz zurück. Der Tod Christi hat das Schwert Gottes vor dem Paradies beseitigt. Er ist die eherne Schlange; wenn einer zu ihr aufblickte, wurde er vor den Schlangenbissen gerettet. ‘Er stieg hinab zur Unterwelt (Symb. Ath. 38), dem entsprechend: Schon zähle ich zu denen, die ins Grab hinabsteigen (Ps 88,5). ‘Am dritten Tag stand Er von den Toten auf’ (Symb. Ath. 38). Daher Hosea: Nach zwei Tagen gibt Er uns das Leben, am dritten Tag richtet Er uns wieder auf (Hos 6,2). ‘Er fuhr auf zum Himmel’ (Symb. Ath. 39). Entsprechend: Christus stieg hinauf zur Höhe (Eph 4,8). Es gibt drei Himmel: die Luft, in der Vögel fliegen; das Firmament, wo die Sterne funkeln; die Sphären, wo die Engel Gott loben. ‘Er sitzt zur Rechten des Allmächtigen, Gott Vaters’ (Symb. Ath. 39). Daher der Vater zum Sohn: Setze Dich mir zur Rechten (Ps 110,1). Mit dem Begriff ‘Rechte’ wird nicht ein Sitzort oder die Umschreibung der Göttlichkeit bezeichnet, sondern die Seligkeit höchsten Glücks. In diesen Sphären, in dieses Glück ist der Mensch aufgenommen als der Leiter der ganzen Würde der Engel. ‘Von dort wird Er kommen zu richten die Lebenden und die Toten’ (Symb. Ath. 39). ‘Bei seiner Ankunft werden alle Menschen auferstehen mit ihren Leibern und über ihre Taten Rechenschaft ablegen’ (ebd. 40). Diese Rechenschaft geschieht nicht durch das Formulieren von Worten, sondern durch Bezeugung des Gewissens. Zum Gedenken nämlich an unsere zurückgerufenen Taten, gute und schlechte, wird einem jeden offenbar, ob er würdig ist der Liebe oder des Hasses, zum Leben oder zur Todesstrafe. ‘Wer Gutes getan hat, wird zum ewigen Leben eingehen’ (ebd. 41). Jeder, der dort sein wird, wird schließlich die ganze Vollkommenheit an Leib und Seele besitzen.
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Es sind sieben Punkte, aus denen die ganze Vollkommenheit besteht: Drei betreffen die Seele: Erkenntnis, Gerechtigkeit, Freude; für den menschlichen Verstand sind es drei Naturkräfte, wie die Philosophen sagen: Fähigkeit zur Vernunft, zum Begehren, und zum Zürnen. Davon haben zwei als Einzelnes in diesem Stand der Armseligkeit an sich den Besitz und den Entzug. Bei der Vernunft sind es Erkenntnis und Unkenntnis, beim Begehren Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, beim Zürnen Freude und Trauer. Doch im Stand der Herrlichkeit wird unser Verstand erfüllt mit Weisheit, das Begehren mit Gerechtigkeit, das Zürnen aber mit Freude. Die Seele wird also eine Seele mit vollkommener Erkenntnis, Gerechtigkeit und Freude sein, weil jede Kraft dort ohne Hindernis und Widrigkeit sein wird. Vier Punkte betreffen den Leib: Unsterblichkeit, Unfähigkeit zu Leiden, Beweglichkeit und Schönheit. Der Leib aber wird, wie der Apostel sagt, ein geistlicher sein, nicht von körperlicher Wesenheit, die die Wahrheit verliert, sondern wie der Geist, der keine Speise nötig hat. Er wird unsterblich sein, denn er stirbt nicht mehr, der Tod hat keine Macht mehr über ihn (Röm 6,9). Er wird unfähig zum Leiden sein, denn kein Leiden wird ihn mehr belästigen. Wir drücken uns stärker aus und sagen: Im Stand der Erschaffung konnte der Mensch sündigen, er konnte auch nicht sündigen, er konnte leiden oder sterben, er konnte nicht leiden und nicht sterben. Im Stand der Verderbnis kann er sündigen, nicht sündigen kann er nicht, er kann leiden und sterben; er kann nicht nicht-leiden und nicht nicht-sterben; nicht sündigen kann er nicht. Verstehe das so: nicht ohne Sünde sein können, d. h. ohne Grund zur Sünde; den Grund nennen wir Begehrlichkeit oder nicht lange ohne Sünde sein können. Im Stand der Verherrlichung wird er die Kraft haben, nicht zu sündigen, nicht sündigen zu können, nicht leiden und nicht sterben zu können, und nicht das Vermögen haben zu leiden und zu sterben. Deshalb wird der Leib unsterblich und nicht leidensfähig sein. Er wird auch beweglich sein, denn auch die Geschwindigkeit der Erkenntnis von allem wird ihn begleiten. Er wird auch von höherer Schönheit sein, denn Er wird wie die Sonne leuchten im Reich des
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Vaters (Mt 13,43). Der Mensch wird sich also in beiden Teilen entkleiden von der Schmach (Ps 109,29 Vg.) und sich bekleiden mit der Stola doppelter Herrlichkeit. ‘Wer also Böses getan hat in das ewige Feuer’ (Symb. Ath. 41). Neun Arten von Pein müssen die Elenden in der Hölle erdulden, weil sie wegen ihrer Taten nicht verdienen, den neun Rängen der Engel zugeordnet zu werden. Erstens das unlöschbare Feuer. Selbst wenn das Meer hineinflutete, würde es nicht gelöscht. – Die zweite Pein ist das unerträglich kalte Wasser. Selbst wenn ein feuriger Berg hineinstürzte, er würde zu Eis erstarren. Zu diesen beiden heißt es: Dürre und Hitze raffen die Schneewasser weg (Ijob 24,19). – Die dritte Pein ist der unsterbliche Wurm. Dazu: Der Wurm in ihnen wird nicht sterben, und das Feuer in ihnen niemals erlöschen (Jes 66,24). – Die vierte Pein ist die äußerste Finsternis. Darüber im Evangelium: Die werden hinausgeworfen in die äußerste Finsternis, dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen (Mt 8,12). – Die fünfte Pein ist der eitrige und unaufhörliche Gestank. Über den Johannes: Der Teufel wurde in den See von Schwefel geworfen (Offb 20,10). – Die sechste Pein ist die Verwirrung der Sünder, weil ihnen allen das im Dunkeln Verborgene (1 Kor 4,5) offenbart wird. Daher Johannes: Die Bücher werden aufgeschlagen (Offb 20,12). – Die siebente Pein ist der schreckliche Anblick der Dämonen. Darum Hiob: Schrecken gehen über ihn hin (Ijob 20,25). – Die achte Pein ist die entsprechend der Verbrechen erfolgende Art der Geißelhiebe. Daher Johannes: Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken (Offb 20,13). – Die neunte Pein ist das erbärmliche Geschrei der Weinenden und Jammernden, denn alle Völker der Erde werden jammern und klagen über sich (Offb 1,7). Angemessen ist es ja, dass, wer im Feuer der Begehrlichkeit gebrannt hat, dort unter Tränen brennt, wer unter dem Frost der Bosheit erstarrt, wer mit den Zähnen dort knirscht; wen der Neid verzehrt hat, soll sich nicht am Licht erfreuen, wer in der Schwelgerei vor Gestank ranzig war, der mag den Gestank schnuppern; wer es verachtete, seine Sünden aufzudecken, der soll sie jetzt aufdecken; wer Gott nicht sehen wollte, mag jetzt die Dämonen sehen; wer seine
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Glieder in den Dienst der Schlechtigkeit gestellt hat, mag jetzt die Vergeltung für alle Bosheit erhalten; wer sich nicht mit den Fröhlichen freuen wollte, der weine jetzt mit den Weinenden (vgl. Röm 12,15). ‘Dies ist der katholische Glaube; wer ihn nicht aufrichtig und fest glaubt, kann nicht gerettet werden’ (Symb. Ath. 42). Der Glaube heißt die Tugendkraft, mit der man glaubt, und dies im eigentlichen Sinne. Er heißt auch ‘Erfolg’ oder ‘Akt des Glaubens’, d. h. an Ihn glauben, und dies uneigentlich. Er heißt auch die Sache, die man glaubt, und dies ebenso uneigentlich. Zuerst gibt es die Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Zweitens: Dein Glaube hat dich gesund gemacht (Lk 7,50), das ist der Akt, nicht die Tugend, doch der Akt wird als Verdienst angerechnet. Drittens: ‘Dies ist der katholische Glaube.’ (Symb. Ath. 42)
c. Der weitere Ablauf der Prim Im Kapitel der Prim tröstet der Hirt die Schafe und der Hausvater die Arbeiter, sie sollten in der Hitze und Mühe nicht verzagen, als ob er sagt: ‘Wirkt mannhaft im Namen des Herrn.’ Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden (Röm 10,13). Sie sagen daher eifrig Dank und bekennen mit Paulus Christus als Sohn des lebendigen Gottes und rufen Ihn an: Christus, Sohn des lebendigen Gottes (Joh 11,27), erbarme Dich unser. Einige sprechen weder das Kapitel noch das Responsorium breve, denn in der Prim verstehen sie das Wirken des Hirten, der zuerst arbeiten muss, damit er die anderen in den andern Horen zum Arbeiten ermuntern kann. “Also sagt man nach den Psalmen sofort: Steh auf, Christus, und hilf uns! (Ps 44,27), und wendet sich nach Osten. Deshalb wird der Versikel gesprochen, und der hat den Sinn: ‘Steh auf, d. h. lass uns aufstehen’, wie es bei Moses verstanden wurde, dessen Stelle er einnimmt: Lass Dich nieder, Herr, bei den zehntausend mal Tausenden Israels (Num 10,36), d. h. lass uns zurückkehren.”a a Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis 4, 6, 12; vgl. Robertus Paululus, De ceremoniis ecclesiasticis 2, 2.
6c – Der weitere Ablauf der Prim
“Die jetzt folgenden Fürbitten, also ‘Kyrie eleison’, werden dreimal gesprochen, um die überströmenden Gedanken zu beschneiden, um Erbarmen zu erzeugen wegen der umherirrenden Schafe und der ermüdeten Arbeiter; um Hilfe gegen die Versuchungen zu fordern, damit wir den Vater im ‘Gebet des Herrn’ mit größerer Sicherheit anrufen können. Es wird aber dreimal ‘Kyrie eleison’, dreimal ‘Christe eleison’ und erneut dreimal ‘Kyrie eleison’ gesprochen oder bei jedem einzelnen jeweils einmal wegen der drei Zustände der Gottheit. ‘Drei Zustände’ sage ich unsertwegen, nicht wegen Gott, bei dem es keine Veränderung und keine Verfinsterung gibt (Jak 1,17). Der erste war vor der Geburt, bei der Er als der dreifaltige und eine Herr bezeichnet wurde, denn Sein Name ist Herr (Ps 68,5 Vg.). Der zweite im Menschsein, deswegen wird Er als Christus angerufen, obgleich Er der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (Joh 14,6), dennoch eine Person, und Er ist so eine Person, die nicht von der Wesenheit Dreifaltigkeit getrennt wird. Der dritte ist in der Verherrlichung, wo der dreifaltige und eine klarer erkannt und verehrt und mit ‘Herr’ angeredet wird. Das Gebet des Herrn wird jeweils leise gesprochen, denn in ihm sprechen wir Gott an, der nicht nur Worte, sondern auch auf Herz und Nieren prüft (Ps 7,10),”a und damit wir es mit größerer Sorge umfassen, erbitten wir in diesem Gebet sieben Dinge, damit wir von sieben Lastern befreit werden, mit sieben Gaben beschenkt, die Verherrlichung der sieben Seligkeiten erlangen. Der Schluss wird laut gesprochen und von allen bekräftigt. Durch zwei weitere Versikel: ‘Lass meine Seele leben’, und ‘Ich bin verirrt wie ein Schaf, das in die Irre ging’ (Ps 119,175-176), wird über die verirrten Schafe geklärt, d. h. es wird den Büßern mitgeteilt, dass sie durch den Hirten in den Schafstall geführt werden. Doch weil der Weg der Rückkehr unser Glaube ist, der wie ein Schild der Wanderer gegen die Nachstellungen der Feinde ist, deshalb wird das Apostolische Glaubensbekenntnis eingefügt, also ‘Ich glaube an Gott, den Vater’, über das wir in dem Abschnitt über die Skrutinien a
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 61.
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mit Gottes Hilfe handeln werden.a “Es folgt das ‘Confíteor – Ich bekenne’, denn durch das Sündenbekenntnis werden die lässlichen Sünden vergeben,”b ohne die das gegenwärtige Leben von den Schafen und Arbeitern nicht fortgeführt werden kann. Die Fürbitten werden für den Sprecher, den Arbeiter, die Hirten, die Könige, für das Volk, für die Lebenden und Verstorbenen gesprochen. Gott, sei mir gnädig (Ps 51,3) für die Büßer und das Gebet für die Umstehenden wird vielfach gesprochen, denn wegen solcher Früchte wird der Staub von den Füßen der Arbeiter geschüttelt, die Schafe von vergifteten Weiden entfernt und die Büßer mit Gott versöhnt. Aus diesem Grund werden die sieben Bußpsalmen und in der Fastenzeit auch die Litaneien gesungen. Beachte: Der Priester, der zuerst hingestreckt betete und jetzt aufsteht und stehend betet, symbolisiert den höchsten Hausvater, Christus, der, als Er sich auf Erden aufhielt, zuerst für die Sünder betete, und später, als Er auferstand und zum Himmel auffuhr, trat Er für uns ein (vgl. Röm 8,34), weil Er auf unser Heil schaut. Deshalb geht dem ein Gruß voraus und folgt ihm. Denn als der Herr auferstand, grüßte Er seine Jünger und sprach: Der Friede sei mit euch (Lk 24,36), und nach dem Eintreten wird Er grüßen, weil Er ihnen das ewige Leben schenken wird. ‘Benedicamus Dómino – Dem Herrn sei Ehr’ und Preis’ symbolisiert den Segen, mit dem Christus seine Jünger nach der Auferstehung gegrüßt hat. Daher sagten sie Dank. Und es ist das Schlusslob, das in der Herrlichkeit mit dem Danksagen erfolgen wird. “Schließlich pflegen die Hirten ihre Herden auf andere Weiden zu führen und dem Futter Salz beizufügen, damit es besser schmeckt, so führt der Obere die Brüder zum Kapitel, wo er ihnen statt des Salzfutters die Beispiele der Heiligen im Martyrologium vorsetzt mit dem Versikel; Pretiosa – Kostbar ist in den Augen des Herrn das Sterben seiner Frommen (Ps 116,15), und sie werden zur Geduld eingeladen”c, und durch das Gebet: ‘Sancta Maria – Heilige Maria’ usw. wird auch die Hilfe der Heiligen erbeten. “Danach bittet der Hirt, weil je nach Siehe S. 503. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 61. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 61. a
b
7 – Terz, Sext und Non
der Verschiedenheit der Feinde die Verschiedenheit der Orte begegnet, dreimal die göttliche Hilfe gegen die Nachstellungen des Teufels, des Fleisches und der Welt, wenn er dreimal sagt: ‘Deus in adiutorium – Gott, komm uns zu Hilfe’.”a Darauf beten alle zusammen und erbitten das Erbarmen und sprechen: ‘Kyrie eleison’ und Erlöse uns von dem Bösen. Sie sprechen das ‘Vaterunser’ und bitten um gute Ausrichtung der Taten, wenn sie sprechen: ‘Réspice – Schau, Herr, auf Deine Knechte’. Dann fordert der Hirt gleichsam für sich und für seine Schafe, sie aufmerksam zu lenken, im Gesetz des Herrn zu heiligen und zu schützen: ‘Dírige – Lass Dich herbei zu lenken, zu heiligen und zu leiten’. Schließlich werden alle mit dem Futter einer Lesung und einer Predigt gesättigt, besonders die im Kloster leben, die zu jeder Stunde im Dienst Gottes stehen und stets begierig sind, mit dem Futter der Heiligen Schrift gesättigt zu werden. Sie mit dem Offizium und dem Ordo zu behandeln heißt mit der nächsten Weide und dem Futter für die Schafe zu sorgen. Es folgt: ‘Adiutorium nostrum – Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn’ sagen sie und ‘Benedícite – Preiset’, dann wird den Schafen erlaubt, auf die Weide, und den Arbeitern zur Pflege des Weinbergs zu gehen, damit sie am Abend der Welt den Denar als Lohn erhalten können. 7. Die Terz, Sext und Non “Daniel kniete dreimal am Tag nieder und betete (Dan 6,11). So liest man in seinem Buch. Unter diesen drei Horen versteht man nach Hieronymus Terz, Sext und Non. Nach Daniel bekannte sich Esra zusammen mit dem Volk viermal am Tag zum Herrn, d. h. nach Beda in der ersten, dritten, sechsten und neunten Stunde.”b In der Zeit der Gnade wollte Petrus in der sechsten Stunde zum Gebet essen und stieg in den Speisesaal. In der neunten Stunde gingen Petrus und Johannes zum Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 61. Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis 4, 3, 1 und 3. – beda, In Esdram. iii 28. a
b
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Tempel. Deshalb werden die Terz, Sext und Non nach der Autorität der Alten mit feierlichem Offizium geschmückt. Daher flehen wir in diesen drei Horen in gewohnter Weise zunächst die göttliche Hilfe an, was bei jedem guten Werk zu machen ist. Dann wird die Dreifaltigkeit gepriesen, Gott im Hymnus gelobt. Danach wird mit je drei Psalmen gesungen, denn die Dreifaltigkeit wird in unseren Werken verehrt. Ebenso singen wir in der Prim, Terz, Sext und Non einen achtfachen Psalter, denn dann wollen wir die Herde gut weiden und den Weinberg pflegen, wenn wir auf die acht Seligkeiten schauen, die wir verbinden, wenn wir die beiden Gebote der Liebe beachten. Und sieh: Wir machen elf Verbindungen zum Verbessern der Elfzahl unserer Gesetzesübertretung. Und damit wir für jede Tagesstunde, in der wir sündigen, einen [Psalm] dem Herrn des Gesetzes und einen doppelten dem Herrn der Liebe darbieten, also für die 1. Stunde Selig (Ps 119,1), für die 2. Tu Deinem Knecht, für die 3. Weise mir den Weg, für die 4. Denk an das Wort, für die 5. Du hast Gutes erwiesen, für die 6. Nach Deiner Hilfe, für die 7. Wie lieb ist mir, für die 8. Zwiespältige, für die 9. Deine Vorschriften, für die 10. Erlöse mich, für die 11. Fürsten (ebd. 119,17.33.49.65. 81.97.113.129.145.161). Und es ist bemerkenswert: In jeder Achtzahl wird etwas vom Gesetz des Herrn in Erinnerung gerufen, denn durch jenes wird der Weinberg gepflegt und der Denar der Ewigkeit erworben. Wieder werden in vier Stunden zu den Psalmen zwölf ‘Gloria Patri’ gesungen, sodass wir für jede Stunde, in der wir uns verfehlen, die Herrlichkeit Gottes wegen des Erlassens der Sünden betonen. Aber in den drei Stunden der Terz, Sext und Non wird der dreifache Stand der Kämpfer, der Pilger und der Ermatteten erkannt. In der Terz sagen die Kämpfer: Dann kann ich dem, der mich schmäht, erwidern (Ps 119,42), in der Sext fügen die Pilger hinzu: Ich sinne über sie den ganzen Tag (ebd. 119,97). In der Non sagen die Ermatteten: Mich trafen Not und Bedrängnis (ebd. 119,143). Durch die Antiphonen drücken wir die Nächstenliebe aus, mit der wir die Psalmen schließen, wenn wir durch die Liebe unsere Werke dem Herrn empfehlen, entsprechend dem Wort:
7 – Terz, Sext und Non
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe (1 Kor 16,14). Das Kapitel ist des guten Hirten Ermunterung zum Arbeiten. Das Responsum die heitere Antwort der Arbeiter. Der Vers zeigt, dass wir unsere Sinne auf den Herrn richten, Er ist die Frucht guter Arbeit. Das Gebet ist die Empfehlung des Hirten an die Arbeiter. ‘Singet Lob und Preis’ und ‘Dank sei Gott’ ist die Danksagung der Arbeiter an den Hirten. “Dieser Ritus wird von denen genommen, die nach Esra die Maurerarbeiten verrichteten. Andere aber verteidigten die Arbeiter mit ihren Waffen.”a So singen auch wir jetzt in diesen Horen. Der Psalm symbolisiert die Arbeit derer, die der Anführer durch die Lesung belehrt und durch das Gebet bestärkt. Und er wird genommen von der dreifachen Art der Musiker. Musik entsteht ja durch das Fingerzupfen beim Psalter oder ähnlichem, beim Gesang mit der Stimme, oder beim Blasen im Klang des Horns. Bei der ersten Art heißt es: Lobt ihn mit Harfe und Zither (Ps 150,3), bei der zweiten: Singt Ihm ein neues Lied (Ps 33,3), bei der dritten: Lobt Ihn mit dem Schall der Hörner (Ps 150,3). Wenn wir Psalmen vortragen, gehen wir der ersten Art Musik nach; wenn wir lesen, üben wir die zweite aus; wenn wir singen, erfreuen wir uns an der dritten Art, bis wir uns so sehr erheben, dass wir im Responsorium zur Herrlichkeit der Dreifaltigkeit gelangen. Und eher wird das vom Apostel genommen, der sagt: Lasst euch vom Heiligen Geist erfüllen, lasst in eurer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen (Eph 5,18.19). Die Psalmen gehören zur Arbeit, die Hymnen zum Loben, die Cantica zum Jauchzen der Engel. Daher wird durch sie die Herrlichkeit weitergeführt, denn nirgendwo wird Gott solche Verherrlichung zuteil, wie im Kreis der Heiligen und der Engel. Auch in diesen Horen werden an den Wochentagen die Fürbitten eingefügt, die an den Festtagen vernünftigerweise fortfallen. An den Wochentagen beweinen wir ja unseren Pilgerweg. Deswegen gebrauchen wir die Beschwörungen, Gebete und Forderungen für uns und alle insgesamt. Wie: Ich sagte: Herr, sei mir gnädig (Ps 41,5) usw. Doch an den Festtagen bedenken wir unsere und des Herrn Auferstehung. Und weil wir hier keine Stadt haben, die bestehen a
Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis 4, 3, 9.
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bleibt (Hebr 13,14), suchen wir das künftige, das himmlische Jerusalem, wo es keinen Ort des Elends gibt. Und deshalb wird für die Elenden nicht das Erbarmen Gottes angefleht. 8. Der Vesper-Gottesdienst
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Das Abendgebet steige zu Dir empor, Herr.a Auch hier, wie wir bei den anderen Horen zuvor gesagt haben, erflehen wir die göttliche Hilfe und schreiben die Herrlichkeit der Dreifaltigkeit zu. Danach singen wir fünf Psalmen wegen der fünf Wunden Christi, der sich für uns als Opfer dargebracht hat am Abend der Welt. “Was die Patriarchen vor dem Gesetz, die Propheten unter dem Gesetz im Voraus dargestellt haben, das haben sie mit dem Herrn als Abendopfer dargeboten.” b Und wir singen fünf Psalmen, damit uns die Sünden der fünf Sinne erlassen werden. Aus demselben Grunde schlagen wir mit den fünf Fingern an die Brust. “Diese Stunde lädt ja ein zum Weinen über die von der Sonne der Gerechtigkeit Getöteten.”c Und fünfmal psalmodieren wir, weil wir für die Mühe der Sinne eine Belohnung erwarten. Denn in dieser Stunde schließt der Tag und somit das Ende der Arbeiten und es folgt der Beginn des Lohns. Die Psalmen werden nach dem Stoff des Tages gesungen, wie in der Sonntagnacht, in der Christus den Löwen durch die Auferstehung besiegte. Gesungen wird: Gelobt sei der Herr, der mein Gott ist (Ps 144,1), ein Psalm, der den Sieg Davids über Goliath enthält. Die übrigen Psalmen bringen Lobgesänge. Sieh: Die Offizien von Vesper und Matutin werden von den anderen Horen an Zahl der Psalmen übertroffen, weil sie bei der Aufteilung in die sechs Arbeiten am Abend und Morgen nur erwähnt werden. Und im Alten Gesetz wird das Alter des Offiziums der Matutin und der Vesper empfohlen. Die Antiphon ist der Gesang des Herzens, die Kraft der Liebe. Sie wird bei den
Breviarium Rom., Versikel nach dem Hymnus am Samstag. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 62. c Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis 4, 7, 3. a
b
8 – Der Vesper-Gottesdienst
Psalmen gesungen, damit die Werke unseres Körpers in Liebe geschehen. Es folgt das Kapitel mit dem Hausvater, durch das er die Arbeiter auffordert, aufzustehen für den kommenden Herrn. ‘Dank sei Gott’ ist der Ruf der Begrüßung der Arbeiter. Im Kapitel, das auf die Psalmen folgt, kommt die Güte des künftigen Tages näher. Denn die Darlegung der Strafen oder das Offenbarwerden der Belohnungen begleitet die Werke. In den Kapiteln teilen wir ja die Offizien und bezeichnen durch das Vergangene die Mühen, durch das Folgende den Lohn. Deswegen besteht das Vergangene aus den Psalmen, das Folgende aus den Hymnen und Gesängen. Und durch das Vorangegangene bezeichnen wir die gegenwärtige Nacht, in der wir viel arbeiten; durch das Folgende nehmen wir den Tag des künftigen Jauchzens an, denn die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe (Röm 13,12). Vor der ruhmvollen Nacht ging seit Erschaffung der Welt der Tag vor der Nacht einher und zeigte an, dass der Mensch aus dem Tag des Paradieses herabgefallen war in die Nacht der Hölle. Doch in der Nacht der Auferstehung, die jeweils dem Tag gemeinsam ist, geschah die Umwandlung, dass die Nacht dem Tag vorausgeht und anzeigt, dass wir durch die Auferstehung Christi nach dem Tod des Fleisches aus der Tiefe der finsteren Nacht zur Klarheit des ewigen Lichtes gehen werden. Das ist der Grund, weswegen wir in der Vesper das Offizium des folgenden Tages beginnen, weil der Vesper-Gottesdienst das erste Offizium nach dem Brauch des Esra in der viergeteilten Nacht ist. “Der VesperGottesdienst heißt so nach dem Abendstern, der am Beginn der Nacht aufgeht.”a Deshalb müsste jetzt dieses Offizium gefeiert werden nach dieser Gewohnheit. Nach dem Kapitel fügen einige ein Responsorium ein, damit auf die Ermunterung des Hausvaters die Fröhlichkeit der Arbeiter antwortet. Und sie sagen, dies müsse in allen Horen so gemacht werden, außer in den Laudes der Matutin, wo es überflüssig erscheinen würde, sich an Responsorien zu erfreuen, da das nächtliche Schlafen ja fortgesetzt würde. Andere fügen einen mit dem Kapitel a
Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines 6, 19, 2.
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verbundenen Versikel hinzu, denn wie das Responsorium das Canticum des Zacharias ausschließt, so auch der Hymnus das Canticum der Seligen Jungfrau Maria. [Der Hymnus,] der folgt, ist die Ausübung der Arbeiter in ihrem Geschäft. Der Versikel ist die stellvertretende Übung dieser Arbeiter oder deren Ermunterung. Und der Hymnus ist der Siegesgesang, der Versikel das Klopfen an die Pforte der Herrlichkeit. Und sieh: Der Versikel muss den Stand der Zeit oder des Offiziums anzeigen. Den Stand der Zeit bildet der Versikel der Prim: Steh auf, Christus, und hilf uns (Ps 44,27). Wenn es heißt: Hilf uns, wird an den Anfang der Tat erinnert. Ebenso beim Versikel der Terz: Du wurdest mir Hilfe. Verstoß mich nicht (Ps 27,9). Wenn es heißt: ‘Verstoß mich nicht’ wird an den Stand des Kampfes erinnert. Ebenso im Versikel der Sext: Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen, er lässt mich lagern auf grünen Auen (Ps 23,1-2), bezeichnet wird der vollkommene Stand und der der Vollkommenheit. Im Versikel der Non: Sprich mich frei von Schuld, Herr. Behüte Deinen Knecht auch vor vermessenen Menschen (Ps 19,13.14) wird der Stand der erkaltenden Liebe gezeigt. Auch den Stand der Zeit bieten die Versikel, die in der Passions- und Osterzeit gesungen werden. Aber die Versikel des Vesper-Gottesdienstes deuten den Stand des Offiziums an, wie ‘Abendgebet’ usw. und ‘Aufsteige mein Gebet’ usw. Aus diesen Worten ergibt sich, dass es sich um ein Abendgebet handelt. “Das Canticum der heiligen Maria, also das Magníficat (Lk 1,46), wiederholen wir aus drei Gründen in der Vesper: um die Menschwerdung des Herrn zu überdenken, um das Handeln der Jungfrau zu bedenken und ihre Fürsprache durch Gebete zu verdienen, um ihren Beispielen an Keuschheit und Demut zu folgen.”a ‘Magnificat’ aber in der Vesper, weil die Jungfrau den Herrn am Abend der Welt getragen hat. “Dieses Canticum ist das Jauchzen der Arbeiter, deren Geist im Herrn jubelt, weil Er Großes an ihnen getan hat, der Mächtige, dessen Erbarmen in Ewigkeit a
Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis 4, 7, 24.
9 – Kollationen und Komplet
sein wird.”a Um dieses Jauchzen darzustellen, werden in der Vesper Kerzen angezündet. Und besonders für dieses Canticum werden sie angezündet, weil es Evangelium ist. Und damit wir in der Schar der Jungfrauen und fünf Klugen mit den Lampen guter Taten, dem Duft der Salben, der hl. Jungfrau entgegen eilen, treten wir mit ihr ein in die Freuden unseres Herrn. Und weil keine Mühen in den Lampen strahlen, die nicht in Liebe gebildet sind, deswegen wird das Canticum geschlossen mit einer Antiphon. “Inzwischen wird vom Priester, der die Rolle Aarons hält, der Altar in der Weise inzensiert,”b die wir beim ‘Benedictus’ beschrieben haben.c Die Fürbitten werden auch an den Wochentagen hinzugefügt und an den Festtagen ausgelassen aus den Gründen, die wir oben bei den anderen Horen genannt haben. Das Gebet ‘A cunctis – Vor allen Gefahren’ ist der letzte Segen des Herrn an die Arbeiter. Dass Gebete am Schluss gesprochen werden, stammt aus der Apostelgeschichte. Als die Apostel sich trennten, kniete [Paulus] nieder und betete mit ihnen allen (Apg 20,36). Diese Schlussgebete heißen ‘collectae’, was aus dem Buch Levitikus (vgl. Lev 23,36) genommen ist, wo die Festversammlung am letzten Tag des Gesetzesfestes ‘collecta’ genannt wird, weil dort die Einsammlung der Früchte erfolgte. Diese stellte die künftige Einsammlung unserer Taten dar, wenn es heißt: Seht, Alle ihre Sünden stehen vor ihnen (Sir 17,20). Und sie heißen deshalb ‘collectae’, wie ich in der Abhandlung über die Messe sagte.d ‘Singet Lob und Preis’ ist das Lob und unaussprechliche Jauchzen. ‘Gott sei Dank’ ist die Danksagung für den vollendeten [Tages-]Lauf. 9. Kollationen und Komplet In Frieden leg ich mich nieder und schlafe (Ps 4,9). Die Zusammenkunft (collátio) nahm ihren Anfang von den hl. Vätern, die am Abend zusammenzukommen pflegten, aus Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 62. Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis 4, 55. c Siehe S. 324. d Siehe. S. 210. a
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der Heiligen Schrift zusammentrugen nach dem Vorbild der Arbeiter, die zur Erholung einander Geschichten erzählten. Deswegen lesen wir die Lebensbeschreibungen der Väter und Ähnliches, was vielleicht eher der Ergötzung als der Last dient in unseren Zusammenkünften, und befragen erlaubterweise Leute, die gebildeter sind als wir, was uns Unklares begegnet ist. ‘Komplet’ heißt so, weil unsere Arbeiten hier vollendet werden, doch auch der tägliche Gebrauch von Speise und Trank und gemeinsamer Unterhaltung. Daher ist es Brauch, dass die Mönche nach der Komplet das Tor ihres Mundes verschließen und damit auf das Ende dieses gegenwärtigen Lebens verweisen. Wenn dabei die Zahl der Erwählten erfüllt ist, wird der Herr seinen Heiligen die Freude erfüllen. Daher hält der Herr Gericht bis an die Grenzen der Erde (1 Sam 2,10). Mit: Richte uns wieder auf, Gott unser Retter (Ps 85,5) beginnen wir betend, dass Er uns vor dem Bösen bekehre und seinen Zorn von uns abwende. Und weil Verdienste nicht hinreichen, fordern wir seine Hilfe an: Gott, komm uns zu Hilfe (Ps 70,2). “Wir sprechen vier Psalmen, weil wir den Leib, der aus den vier Elementen besteht und im Tod aufgelöst wird, dem Herrn empfehlen. Die ersten drei Psalmen sprechen vom Tod oder dem Leiden des Herrn. Deswegen gebrauchen wir sie bei der Komplet unseres Lebens. Wenn ich rufe (Ps 4,2) singen wir, sowie: In Frieden leg ich mich nieder,”a d. h. in unveränderlichem Frieden, und wir wollen schlafen (ebd. 70,9), Herr, ich suche Zuflucht bei Dir (Ps 30,1) fügen wir hinzu, damit wir mit Christus unseren Geist in die Hände des Vaters empfehlen. Daher empfangen wir in diesem Vers das Ende des Psalms, den der Herr beim letzten Atemzug am Kreuz sprach. Es ist der 6. Vers, weil Christus im 6. Zeitalter starb. Auch wir möchten so schlafen, dass die Glieder ruhen und das Herz zum Herrn wach ist, wie Sein Leib im Grab ruhte und die Gottheit wach war. Wer im Schutz des Höchsten wohnt, im Schatten des Allmächtigen (Ps 91,1), fügen wir hinzu, damit wir von den vier Versuchungen a
Robertus Paululus, De ceremoniis ecclesiasticis 2, 7.
9 – Kollationen und Komplet
befreit werden, d. h. vor dem Schrecken der Nacht, vor dem Pfeil, der am Tag dahinfliegt, vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die wütet am Mittag (ebd. 91,5-6), d. h. vor dem dahereilenden Dämon. Die erste Versuchung ist leicht und verborgen, die zweite leicht und offenbar, die dritte schwer und verborgen, die vierte schwer und offenbar. An der vierten Stelle: Wohlan, nun preiset den Herrn (Ps 134,1) beenden wir die Psalmen, damit wir nach dem Tode im Haus des Herrn vom Herrn gepriesen werden und wir den Herrn preisen. Im Hymnus, dem Kapitel und dem Versikel erbitten wir den Sieg über die nächtlichen Phantastereien, und wie der Augapfel behütet (Ps 17,8) zu werden, bitten wir, oder um den Sieg über die List des Teufels, des Fleisches und der Welt. Oder wir fordern wegen der oben genannten vier Überlegungen, dass wir in Christus, der den Tod, die Welt und den Teufel besiegte, den Triumph erlangen. Hier also zeigt der Versikel Behüte uns, Herr, wie den Augapfel (Ps 17,8) den Stand der Zeit und des Offiziums, d. h. den Schutz des Erlösers gegenüber den Gefahren der Nacht.”a “Und beachte: Gemäß einigen geht das Kapitel dem Hymnus in diesem Offizium voraus wie in der Vesper und den anderen Horen, sodass der Hymnus das Evangelium, das hier gesprochen wird, fortsetzt. Nach anderen geht der Hymnus dem Kapitel voraus, was durch die Apostrophéb zu den anderen Horen steht. Denn in den anderen Horen geht der Hymnus dem Psalm voraus.”c Hier der Psalm dem Hymnus, damit erfüllt wird, was sich in den Titeln der Psalmen findet, der Psalm des Canticums und das Canticum des Psalms. Wieder geht das Kapitel dem Hymnus voran und der Hymnus dem Kapitel, dem Beispiel des Guten folgt das des Redners. In dessen Mund kommt einmal das Loben vor der Ermunterung, ein andermal die Ermunterung vor dem Loben. Auch ist folgendes bemerkenswert: Obwohl es die sieben Teile der obigen Horen gibt, d. h. Psalmvers mit ‘Gloria Patri’, Hymnus, Psalm und Lesung, Gesang, Fürbitten und Gebet, in dreien, d. h. in den Laudes der Matutin, in Vesper und Honorius Augustodunensis, Gemma animae 2, 64. Rhetorische Figur: Zuwendung an abwesende Personen und Sachen. c Robertus Paululus, De ceremoniis ecclesiasticis 2, 8. a
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Komplet wird ein achter Bestandteil hinzugefügt: und zwar das Canticum aus dem Evangelium. Denn diese drei Horen gehören zur Oktave, d. h. zur Auferstehung des Herrn, der am Morgen auferstand. Am Abend offenbarte Er sich den Jüngern, in der Komplet sagte Er den Jüngern: Der Friede sei mit euch (Lk 24,36). Deswegen folgt in diesen drei Horen der Hymnus, d. h. das Beispiel der Fröhlichkeit den Psalmen, damit die Gnade dem Evangelium folgt. Das Evangelium dieses Offiziums ist das Canticum des Simeon, also: Nunc dimittis - Nun lässt Du, Herr (Lk 2,29). In diesem bitten wir um den ewigen Frieden, damit, wie Simeon es wünschte, nachdem er Christus gesehen hatte, so auch wir nach dem Licht des Glaubens zur Herrlichkeit des Glanzes gelangen, wo ewiger Friede ist. Auch fügen wir die Fürbitten und das Gebet des Herrn an, damit wir vor den Feinden, die uns in der Finsternis nachstellen, mit einem Fuß des Lebens gestärkt werden. Und sieh: In der Prim und in der Komplet lassen wir das Apostolische Glaubensbekenntnis nicht aus, weil wir alle unsere Werke beginnen und beenden in Seinem Namen, an den wir glauben. Ebenso fügen wir bei beiden das Sündenbekenntnis und die Antiphon ‘Miserere – Erbarme Dich meiner, o Gott’ (Ps 51,3) dazu, sodass wir alles, was wir in der Nacht gesündigt haben oder am Tag sündigen, durch das Bekenntnis und die Reue abwaschen und dabei erfüllen: Bekennt einander eure Sünden und betet für einander, damit ihr geheilt werdet (Jak 5,16). Wir berücksichtigen auch, dass einst der Hohepriester Mehl im Wert von einem As am Tag seines Wechsels anbot, die eine Hälfte morgens, die andere nach dem Mittag. Unser Opfer ist ein zerknirschter Geist (Ps 51,19). Ebenso bringen wir Gott beides nach dem Vorbild der Erstlingsfrüchte und Zehnten dar. Sie werden nicht bei eintreffenden Festen geändert, außer bei den Festen Christi, der Gott ist (wie einige für die Osterzeit sagen) und bei der seligen Jungfrau, um zu bekräftigen, dass Er Sohn Gottes und Sohn eines Menschen ist. Die Fürbitten bezeugen die Demut, die immer am Anfang nötig ist. Um sie zu kennzeichnen wird der Dienst mit demütiger Stimme begonnen. Und deshalb werden die Fürbitten ans Ende gesetzt. Das letzte Gebet ist der letz-
10 – Das monastische Offizium
te Segen ‘Benedicamus Dómino – Singet Lob und Preis’ – ‘Deo gratias – Dank sei Gott dem Herrn’ ist die letzte und unsagbare Danksagung für den vollendeten [Tages-]Lauf. Schließlich ist bei den Offizien nicht zu vernachlässigen, dass, wie einige sagen, das Nachtoffizium die Zeit von Adam bis Noah wiedergibt, die Matutin die von Noah bis Abraham, die Prim die von Abraham bis Moses, die Terz die Zeit von Moses bis David, die Sext die von David bis zur Ankunft Christi, die Non die von der ersten bis zur zweiten Ankunft, wenn der Herr wiederkommt, um zu richten. Unter der Vesper verstehen wir den Sabbat der Seelen, an dem sie ausruhen von ihren Mühen (Offb 14,13). Bei der Komplet jene Zeit der großen Feier, in der die Erwählten kommen, um das Reich zu empfangen, und die Freude der Heiligen vollendet wird. Es wird die Trauer verschwinden und ewiger Friede nachfolgen, in der der Bräutigam der Braut Schlaf und unwandelbare Ruhe gibt. 10. Das monastische Offizium Juda, feiere deine Feste, erfülle deine Gelübde (Nah 2,1). Nahum spricht die Bekenner an und befiehlt ihnen, ihre Gelübde zu erfüllen, die sie freiwillig geschworen haben. Schwören ist eine Sache des freien Willens, sie zu erfüllen dann eine Notwendigkeit. Gelübde ist eine Festlegung des Geistes, die mit der Erwägung des Herzens bekräftigt wurde. Das monastische Gelübde hat zur Folge: Gehorsam, Keuschheit, Habit als Kleidung, Abschwören des Eigentums, Fasten, Schweigen und das Offizium nach der Klosterregel, über das wir, unter Beiseitelassen des Übrigen, hier sprechen wollen. “Der hl. Benedikt hat ein anderes Offizium als das kanonische angeordnet; es wurde von der Kirche nicht zurückgewiesen, sondern vom hl. Gregor bekräftigt, der sagt: ‘Der heilige Mann konnte nicht anders lehren als er lebte.’a Der spricht einmal: ‘Deus in adiutorium – Herr, eile mir zu Hilfe’ (Ps 70,2), und danach dreimal: ‘Dómine, labia mea – Herr, öffne mir die Lippen’ a
Gregorius Magnus, Dialogi 2,36.
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(Ps 51,17)a aus Ehrfurcht vor der Dreieinigkeit und Dreifaltigkeit. Danach den Psalm: Herr, wie zahlreich (Ps 3,2). Weil man vom Schlaf aufsteht, spricht er dann hier: Ich schlief, und ich wache wieder auf (ebd. 3,6). Dann durch das Invitatorium und ‘Venite – Kommt’ (Ps 95,1) lädt er ein, zur Kirche zu kommen. Deswegen folgt der Ambrosianische Lobgesang.”b Über die Hymnen haben wir oben gehandelt.c Hier glauben wir hinzufügen zu sollen, dass auch die alten Väter wie David und die drei Jünglinge im Feuerofen Hymnen gesungen haben. Doch auch vom Herrn selbst und den Aposteln haben wir ein Beispiel (vgl. Mt. 26,30). Weil der hl. Ambrosius bekanntlich mit diesen geglänzt hat, heißen sie Ambrosianisch, entweder weil sie von ihm selbst gedichtet und komponiert wurden oder weil sie in seiner Zeit begannen, in der Kirche festlich verbreitet zu werden. Zu diesen sechs Psalmen mit ihren Antiphonen fügte [Benedikt] auch vier Lesungen mit ebenso vielen Responsorien in der 1. Nokturn und ebenso viele in der 2. hinzu. Die Sechszahl bezeichnet das aktive Leben, in dem es uns zukommt, die sechs Werke der Barmherzigkeit auszuüben, wenn wir zur Vollkommenheit des kontemplativen Lebens gelangen wollen, die die Vierzahl der Lesungen und Responsorien durch die vier Evangelien bezeichnet, oder durch die Achtzahl beider wegen der acht Seligkeiten dargestellt wird. In der 3. Nokturn wollte der Mann dieses verehrungswürdigen Lebens, dass drei Cantica zum Lob der Dreifaltigkeit gesungen werden, von der wir glauben und hoffen, dass uns die Vollkommenheit beider Leben gegeben wird. Dass das Halleluja, das himmlische Canticum, gesungen wird, erinnert daran, dass zum Lob der Dreifaltigkeit nicht das Lob der menschlichen Stimme hinreicht, oder dass wir durch das Lob der Dreifaltigkeit zum Lobgesang der himmlischen Freude gelangen werden. Danach erinnern die folgenden vier Lesungen aus dem Evangelium daran, dass die Lobredner der Dreifaltigkeit durch die Lehre der Evangelien mit den vier Tugenden ausgezeichnet,
Vgl. Benedicti abbatis Regula monachorum 18. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 23. c Siehe S. 217 und S. 348. a
b
10 – Das monastische Offizium
gestärkt und erzogen sind. Unter den folgenden vier Responsorien wird die Heiterkeit der Lobsänger verstanden. Und sieh: Die Kanoniker folgen der Neunerregel, die Mönche aber der Zwölferregel an Lesungen. Die Neunzahl ist ja ein Viereck, d. h. auf jeder Seite ein Quadrat, und es passt für die Prediger, deren Wort und Werk übereinstimmend abgewogen werden sollte. Das Zwölfeck besteht aber aus ungleichen Seiten, weil dreimal vier oder viermal drei zwölf ergibt. Und es steht den Mönchen zu, nach dem Vorbild Jakobs mit Gott zu kämpfen und mit dem einen Fuß zu hinken, weil sie weniger arbeiten und mehr meditieren. “Wieder symbolisiert das Viereck seine Festigkeit dieses hl. Ordens in den Quadrigen des Aminadab (Hld 6,12 Vg.). Vierfach ist ja der Sinn der Heiligen Schrift: historisch, allegorisch, tropologisch und anagogisch.”a In denen meditiert der hl. Orden vor den übrigen. Doch damit diejenigen, die dies betreiben, sich nichts Gutes zuschreiben, sondern alles Gott anheimgeben, nennen sie sich ‘unnütze Knechte’, und fügen ‘Te Deum – Großer Gott, wir loben Dich’ hinzu. Danach wird das Evangelium gelesen, das den Denar, d. h. das ewige Leben, bezeichnet, der denen, die würdig loben, am Ende gegeben wird. Daher wird feierlich und mit Ehrerbietung gesungen. Darauf folgt ‘Amen’, d. h. ‘Es geschehe uns so’, wie wir aus dem Evangelium glauben und hoffen. Unter dem Hymnus, der am Schluss gesungen wird, also ‘Te decet – Dir gebührt Lob’”b, wird der letzte Jauchzer verstanden, wenn nach Empfang des Denars die Frommen im Herrn jauchzen sollen (Ps 149,5). Deshalb wird mit großer Freude gesungen und der Hymnus vorgetragen. Denn, wie wir sagten, der Hymnus ist Lob Gottes mit Gesang.”c Bei den Laudes der Matutin singen sie fast dieselben und ebenso viele Psalmen, Hymnen und Cantica an Wochentagen und Festen, wie wir oben dargelegt haben.”d Und der hl. Benedikt hat sie in derselben Bedeutung eingeführt. Nur mit folgender Änderung: Er wollte zunächst, dass ‘Deus misereatur – Gott sei Ps. Hugo de S. Victore, Speculum de mysteriis ecclesiae 3. AH 43, 10. c Siehe S. 208. d Siehe S. 320. a
b
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uns gnädig’ (Ps 67,2) auf einem Ton ohne Antiphon rezitiert wird, und die Matutinen gesungen werden, wenn die Finsternis der Nacht zerfällt im Dämmerlicht. Hier aber heißt es: Er lasse sein Angesicht über uns leuchten (Ps 67,2). Und weil dieses Offizium zur Auferstehung des Herrn gehört, durch die wir Barmherzigkeit und Segen empfangen haben, folgt: Gott, sei mir gnädig nach Deinem reichen Erbarmen (Ps 51,3). Der 50. Psalma des Jubiläums ruft die Sündenvergebung ins Gedächtnis, einmal wegen der Zahl der Psalmen, dann wegen der Buße, die in sich Demut enthält. Dann hat der monastische Ordo eine Sonderheit, dass er wegen der Einfältigen und Verschmitzten das Gebet des Herrn in den Matutinen und Vespern spricht. Es gibt die einen, die es nicht auswendig lernen oder vergessen. Die anderen führen den Stachel des Hasses im Herzen, hassen den Bruder und wollen nicht sagen: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern (Mt 6,12). Dies zu sagen werden sie ja öffentlich gezwungen, damit sie von diesem Laster gereinigt werden, und dies in der Morgenfrühe, d. h. am Ende der Nacht, und am Abend, d. h. am Ende des Tages, sodass keiner Nacht und Tag ohne Versöhnung mit dem Bruder vergehen lässt. In den anderen Horen, sagt Benedikt, spricht man es nicht mit Stimme, denn oft geschieht es, dass ein Bruder dem anderen zürnt und durch eine Aufwallung des Zorns bewegt wird. Obgleich dieser seine Sinne nicht sofort im Zaum hat, ist doch auf Gnade zu hoffen, weil es ja genügt, dass die Sonne nicht über dem Zorn untergeht (Eph 4,26). Die Dreizahl der Psalmen in Prim, Terz, Sext, Non und Komplet stellt den Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit dar, auf die die täglichen Arbeiten zu beziehen sind. Die Vierzahl in der Vesper schickt uns zur oberen Quadratur, zur Vierzahl der Kardinaltugenden. Zu diesen gleichsam ‘Türangeln’ ist es gut, wenn wir ihnen unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Und beachte: Es ist nicht ohne tiefere Bedeutung, dass die Mönche sich mit ganzem Körper von Osten nach Westen drehen, und damit bezeugen, dass Gott überall anzubeten ist, gleichsam überall anwesend. Und eher: dass wir gehalten sind, a
Der 50. Psalm nach der Zählung der Vulgata, nach der Septuaginta der 51.
10 – Das monastische Offizium
mit vernünftiger Bewegung vom Ort unserer Geburt bis zum Untergang im Tode Ihm zu folgen, wie sich das Firmament natürlich von Ost nach West dreht. Dies bezeichnet auch die Kirche jenseits der Alpen: Wenn es heißt: ‘Gloria Patri’, beugt sie sich nach Osten, und wenn sie anfügt: ‘Sicut erat’, wendet sie sich nach Westen. Es ist dies eine besondere Form der Hingabe. Jener Meister bestimmt ja auch, es solle in dem Offizium Hingabe gezeigt werden. Wenn wir nämlich glauben, Gott sei überall anwesend, dann glauben wir das besonders, wenn wir bei der heiligen Handlung mit Leib und Geist dabei sind. Aber wir zweifeln auch nicht an der Gegenwart der Engel. Dienet also, liebe Brüder, dem Herrn in Furcht, und küsst ihn mit Beben (Ps 2,11). Dienet mit Psalmen, Lesungen und Gebeten, jauchzt Ihm zu mit Hymnen und Jubel. Bei der Furcht wird hinzugesetzt: ‘mit Beben’, damit der Dienst nicht nachlässig sei und das Jauchzen nicht erlahmend. Wenn die Psalmen mit Melodie gesungen werden, werden die Herzen leichter zur Reue gebeugt werden, als diejenigen, die durch Worte nicht zur Reue kommen, aber durch die Köstlichkeit der Melodieführung beeindruckt werden. Durch den Gesang wird, wie wir durch Versuche erfahren haben, das schwache Herz brennender zur Sehnsucht nach Hingabe und Frömmigkeit bewogen. Wenn sie vorgetragen werden, steckt in den Lesungen gewiss ein nicht geringes Auferbauen der Zuhörer. Wenn daher Psalmen gesungen werden, mögen alle singen, wenn gebetet wird, mögen alle beten, doch wenn vorgelesen wird, mögen alle schweigen und zuhören. Wenn einer dazukommt, möge er mit geneigtem Kopf Gott verehren, seine Stirn bekreuzigen, sein Ohr der Lesung öffnen, dass ihm nicht unter dem Deckmantel des Gebets die Frucht der Lesung entgeht, die vorgetragen wird. Denn die Lesung wird er nicht immer haben, Gelegenheit zum Beten ist immer zur Hand. Bei Gebeten sei er fromm. Wenn er bei einem weltlichen Fürsten, der ein Wurm und Asche ist, mit halblauter Stimme spricht, mit wie viel mehr Hingabe ist dem Herrn eine Bitte vorzutragen, der der Schöpfer von allem ist. Er sei kurz und knapp, denn bei vielem Reden bleibt die Sünde nicht aus (Spr 19,19). Daher sagt der Herr: Beim Beten sollt ihr nicht plappern (Mt 6,7). Deswegen
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ist es auch Brauch bei den Griechen, oft, aber kurz zu beten. Und beachte: Bei einem Einzelgebet müssen wir solange hingestreckt liegen, bis wir unsere mannigfachen Gedanken unterdrücken, wie Gregor sagt: “Im Konvent aber ist kurz zu beten, und auf ein gegebenes Zeichen steht man vom Gebet auf.”a Und sieh: Wenn der Priester ein Gebet mit lauter Stimme spricht, müssen nicht alle mitbeten, sondern jenes Gebet im Herzen bedenken, dass sie auf die Worte mit ‘Amen’ antworten können. Bedenke auch: Die Brüder müssen solange hingestreckt liegen, bis gesagt wird: ‘In der Einheit des Heiligen Geistes, Gott.’ Ausgenommen in der Komplet, in der sie liegen bleiben, bis es heißt: ‘Der Segen Gottes des allmächtigen Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes’. Dann richten wir uns auf und sagen ‘Amen’. Das Gebet sei außerdem rein, aus der Reinheit des Herzens hervorgehend, zur Zerknirschtheit der Tränen hinführend, vom Bewässern oben und unten. Denn, wie Gregor sagt: “wahrhaftig beten heißt, bittere Seufzer der Reue und nicht wohlgesetzte Worte zu tönen.”b So auch der Beharrliche, denn: Wer bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet (Mt 24,13). Es sei auch in Übereinstimmung mit seinen Taten, damit der Schnabel der Taube bis zur Achsel reicht. In den Hymnen aber jauchze er, da es Lob Gottes mit Gesang ist. Denn wenn es nur Lob, aber nicht Gotteslob ist, ist es kein Hymnus, wenn es aber Lob und Gotteslob ist, doch nicht gesungen, ist es dennoch eigentlich kein Hymnus, obgleich man in weiterer Bedeutung sagt: Nach dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg (Mt 26,30). Jauchzt Gott zu mit lautem Jubel (Ps 47,2). So jedoch, dass der Stimme die Sinne entsprechen. Das ist im Übrigen so zu verstehen, dass wir im Geiste singen, im Herzen singen, weise dem Herrn singen, d. h. mit Herz und Mund. Denn wir wollen, dass unsere Stimmen wie auch der Sinn und die Worte den Menschen und Gott gefallen. Amen.
a b
Benedicti abbatis Regula monachorum 20, 5. Gregorius Magnus, Moralia in Iob 33, 23, 43.
Sicard von Cremona Mitralis Der Gottesdienst der Kirche
CORPVS CHRISTIANORVM IN TRANSLATION
9
CORPVS CHRISTIANORVM Continuatio Mediaeualis 228
SICARDI CREMONENSIs EPISCOPI MITRALIS DE OFFICIIS
cura et studio
Gábor Sarbak Lorenz WEINRICH
TURNHOUT
FHG
Sicard Von Cremona Mitralis Der Gottesdienst Der Kirche B. Das Kirchenjahr Indices
Einleitung, Übersetzung und Anmerkungen von Lorenz WEINRICH
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F
© 2011, Brepols Publishers n.v., Turnhout, Belgium All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted, in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording, or otherwise, without the prior permission of the publisher.
D/2011/0095/27 ISBN 978-2-503-54216-4 (two volumes) Printed in the E.U. on acid-free paper.
Teil B Das Kirchenjahr
Vorweg eine Einleitung Die Vielfalt der Bücher und die Verschiedenheit der Zeiten Nach Durchgang des Allgemeinen wollen wir nun das Besondere zur Übereinstimmung und Verschiedenheit der Offizien behandeln. Aber weil wegen der Mannigfaltigkeit im Kirchenjahr die Einigkeit aus der Vielzahl an Büchern und der Verschiedenheit der Offizien entsteht, wollen wir einiges Nützliche über die Vielzahl der Bücher und die Verschiedenheit der Zeiten des Kirchenjahrs vorausschicken.
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a. Die Bücher der Kirche Da also “das kirchliche Offizium aus Lesung und Gesang besteht, gibt es zwei Arten von Büchern in der Kirche. Denn eines sind die Lektionare, anderes die Kantualien.”a “Lektionare sind Bibliothek (Bibel), Passionale, Legendar, Homiliar, Predigtbuch, Epistolar, Evangeliar, Orationale, Hymnar und Ordo. Die ‘Bibel’ heißt so nach ‘biblos’b, also ‘Buch’ oder ‘Bibel’, weil früher in Bibliotheken abgeschrieben wurde, und ‘theca’, was ‘Ablage’ heißt und gleichlautend mit ‘Schrank’ ist, wo die Bücher abgelegt werden, und in großen Folianten, die Altes und Neues Testament enthalten. Das Alte Testament enthält drei Teile, Geschichte, Prophetie und Hagiographie. Die Geschichte besteht aus 21 Büchern, also dem Pentateuch oder der Thora, d. h. dem Gesetz. Die fünf Bücher Mose sind: Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium. Über diesen schwören die Juden wie wir über den Evangelien, gleichsam jenem höchsten Heiligtum bei ihnen, diesen bei uns. Dem Pentateuch werden zwei Bücher beigefügt: Josua und Richter, es heißt dann Heptateuch. Danach folgen das Buch Ruth und die a b
Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 58. Bast der Papyrusstaude.
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vier Teile der Königsbücher. Dann folgen die beiden Bücher der Chronik, zwei Bücher Esra, zwei Bücher der Makkabäer, das Buch Tobit, Judith und Esther. Es sind diese 21, die gelehrt haben, der Dekalog, [die zehn Gebote,] seien mit Leib und Verstand in der Einheit des Glaubens zu befolgen. Propheten sind es 16: Jesaja, Jeremia, Daniel, Ezechiel und die zwölf Kleinen Propheten. Es sind 16, denn sie lehren, die zehn Gebote seien durch die sechs Werke der Barmherzigkeit zu vollenden. Es folgen die Hagiographen, also das Buch der Psalmen, Hiob, drei Bücher Salomos, d. h. Sprichwörter, Kohelet, Hoheslied; die Bücher der Weisheit und Jesus Sirach. Das sind sieben, denn sie lehren, das ewige Leben müsse durch die Gaben des Heiligen Geistes erworben werden. Apokryph aber heißen die Bücher Tobit, Makkabäer, Philo, also: Liebt Gerechtigkeit (Weish 1,1) und Jesus Sohn des Sirach: Alle Weisheit stammt vom Herrn, unserm Gott (Sir 1,1), es heißt auch Ecclesiasticus. Diese vier Apokryphen hat die Kirche nicht offiziell anerkannt, weil sie deren Autoren nicht kennt. Denn zwei tragen zwar den Titel der Bücher Salomos, auch glauben wir, dass andere die beiden Bücher Esra [und Nehemia] abgefasst haben als Esra, der den von den Babyloniern verbrannten Tempela wiederhergestellt hat. Es folgen die Bücher des Neuen Testaments, d. h. die vier Evangelien, die 14 Briefe des Paulus, Offenbarung, sieben kanonische Briefe, Apostelgeschichte.” b Diese Bücher der beiden Testamente sind 72 gegenüber den 72 Sprachen der Hochmütigenc, sodass 72 Sprachen dem Herrn zugewandt werden können. Das Passsionar enthält die Leidensgeschichten der Märtyrer, das Legendar das Leben der Bekenner, das Homiliar Auslegungen der Evangelien; das Predigtbuch enthält die Winter- und SommerPredigten, Epistolar und Evangeliar sind Auszüge aus der Heiligen Schrift; das Kollektar ist das Buch mit den KollektenGebetend, wie das Hymnar das Buch der Hymnen und der Ordo das Buch mit den Exorzismen, das Benediktionale mit den Sicard schreibt: bibliothecam. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 60. c Möglicherweise Anspielung an den Turmbau zu Babel. d Kollekten sind die ‘zusammengefassten’ Gebete der Messe, nicht die Geldsammlungen. a
b
Einleitung
Segnungen. “Gesangbücher gibt es drei: Antiphonar, Graduale und Tropar. Das Antiphonar hat seinen Namen erhalten von den würdigsten, also den Antiphonen, obgleich auch Versikel und Responsorien dort stehen. “In der Tripartita Historia liest man, dass der hl. Ignatius gehört hat, wie die Engel Antiphonen singen. Deshalb hat er die Antiphonen mit den Psalmen im Chor eingerichtet, sie sollten wie ‘choreae’ [Reigen] gesungen werden.”a Und deshalb “heißen sie Antiphonen, weil sie wie die Responsorien auf die Historia, so die Antiphonen auf die Psalmen antworten.” b “Der hl. Gregor hat die Stücke des Antiphonars verteilt und zusammengestellt.”c “Das Graduale heißt nach den Stufen, auf denen man an Festtagen die Stufen am Ambo emporsteigt und dort singt. An den gewöhnlichen Tagen wird vor den Altarstufen gesungen. Tropar oder Tropanar ist das Buch, in dem die Tropen, das Kyrie mit den Prosen und die Sequenzen enthalten sind. ‘Tropos’ bedeutet ‘Zuwendung’, denn es wird dem Introitus zugewendet. So heißt auch ‘Tróphium’ der ‘Gürtel’, der sich von einem Ende zum anderen wendet.”d
b. Die Zeiten des Kirchenjahrs “Die Verschiedenheit der Zeiten ergibt sich aus den verschiedenen Zuständen der menschlichen Existenz. Wie ja das Sonnenjahr mit vier Jahreszeiten dahin gleitet – dem Winter, in dem die Saat im Boden liegt, dem Frühling, in dem die Saat aufgeht und in Ähren emporwächst, dem Sommer, in dem die Ernte weiß wird und mit der Sichel geschnitten wird, dem Herbst, in dem die Körner vom Spelt getrennt werden, der Spelt verbrannt und das Korn in den Scheunen aufbewahrt wird – so auch das große Jahr des gegenwärtigen Lebens, das vom Anbeginn der Welt bis zum Ende der Zeiten in viergeteilter Abfolge gemessen wird. Das a Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 58d; Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus, Historia Tripartita 10, 9 b Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 2, 21. c Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 58; Iohannes Diaconus, Vita Gregorii papae 1, 18. d Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 59.
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erste Zeitalter von Adam bis Moses war die Abwendung, in der alle abtrünnig wurden vom Gottesdienst, wo sie verdorben waren und keiner Gutes tat, auch nicht ein einziger (Ps 14,3). Sie beteten das Geschöpf an und verehrten es anstelle des Schöpfers (Röm 1,25). Das zweite Zeitalter von Moses bis Christus war der Rückruf, in der sie durch das Gesetz und die Propheten zurückgerufen wurden und belehrt über die Ankunft Christi, das Vermeiden der Sünde und die Liebe des einen Gottes. Das dritte Zeitalter von der Geburt des Herrn bis zur Himmelfahrt war das der Wiederversöhnung, in der das Göttliche mit dem Menschlichen wieder versöhnt wurde, denn es kam die Herrlichkeit Gottes in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade (Lk 2,14). Das vierte Zeitalter von der Himmelfahrt des Herrn bis zum Ende der Welt ist das unserer Pilgerschaft.”a Das erste wird mit der Nacht verglichen, das zweite mit dem Morgen, das dritte mit dem Mittag, das vierte mit dem Abend. So tritt der Mensch in die Sünde ein, durch die Taufe wird er vom Irrweg zurückgerufen. Er schreitet in dem Werk fort, doch verlässt er es und endet im Tod. “Diese Zeitalter des großen Jahres sieht die Kirche in der Mannigfaltigkeit und nutzt die löbliche Mannigfaltigkeit der Offizien. Denn im Advent erinnert sie an die Zeit des Rückrufs,”b “ab Septuagesima bis zur Osteroktav an die Zeit des Irrweges, von den Ostertagen bis zur Oktav von Pfingsten an die Zeit der Wiederversöhnung, von der Oktav von Pfingsten bis zum Advent ist die Zeit der Pilgerschaft.”c Wegen der Abfassung der Bücher schreiten wir in dieser kunstvollen Ordnung voran und teilen die vier Zeitalter beim Offizium in vier Teile. In dieser Zeit beginnt ja die Kirche das Offizium mit dem geistlichen Kriegsdienst, denn die Anspielung auf den Rückruf trägt zur Schau, wie wir sagten, in der sie die Sache beibehält, aber nicht der Ordnung folgt. Es war ja nicht angebracht, mit der Zeit der Irrwege zu beginnen, die sich danach sehnte, den Irrtum zu vermeiden und den Arzt zu finden. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 55. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 55 ra. c Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 56. a
b
Buch V Die Zeit vom Advent bis Erscheinung des Herrn
1. Erster Sonntag in der Adventszeit
a. Die erste Ankunft Wenn ich in die Weite schaue, dann sehe ich die kommende Macht Gottes.a Wir feiern die Ankunft des Herrn aus doppeltem Grund: Die Ankunft des Herrn ist ja eine doppelte: Die erste war in Niedrigkeit, die zweite wird in der Macht und Herrlichkeit sein. “’Ankommen’, d. h. der Herr kommt zu uns, Er, der überall ist in der unsichtbaren Gegenwart der Majestät, die sich dann, wenn Er angenommen hat, was sichtbar ist, sichtbar den Augen unseres Fleisches zeigt. Dies ist damals geschehen, als das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat (Joh 1,14). Und das wird dann geschehen, wenn wir den Menschensohn auf einer Wolke des Himmels kommen sehen (Lk 21,27).”b “Deshalb heißt die Zeit, die der Geburt des Herrn vorausgeht, ‘Advent’, denn in ihr erinnern wir uns teils an das, was zuerst war, wie: Seht die Jungfrau wird empfangen (Jes 7,14), teils, was danach, wie: Da kam Er mit den Wolken des Himmels (Dan 7,13)”c, teils, was auf beide Ankünfte anscheinend Bezug nimmt: Der Himmel freue sich, und die Erde frohlocke (Ps 96,11). Bei dem aber, 1. Nokturn, 1. Responsorium Aspiciens. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 1. c Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 1.
a
b
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was zur ersten Ankunft gehört, sind die Hochzeitsgesänge der Jungfrau anders, anders die des Brautboten, des Engels Gabriel, anders die Verkündigung des Vorläufers, anders das Rauschen des einher schreitenden Erlösers, anders das Jauchzen der bekehrten Heidenschar. Denn der Brautbote hat verkündet, die Jungfrau hat empfangen, der Vorläufer hat mit seinem Finger gezeigt, der Erlöser ist gekommen, die Heidenschar hat zum Glauben gefunden. Was aber zu dieser oder jener Ankunft gehört, mag der aufmerksame Leser in den liturgischen Büchern finden. In einigen, wie im Lektionar und dem Evangeliar, werden fünf Wochen notiert wegen der fünf Zeitalter der vorausgegangenen Welt, in denen das Loblied des kommenden Erlösers vorausging und in denen es Erwählte gab, die an die Ankunft des Herrn glaubten, auf sie hofften und sie liebten. “In einigen Büchern wie dem Antiphonar und dem Graduale werden vier Wochen genannt wegen des Gesetzes, wegen der Psalmen, der Prophetien und der Bücher der Heiden, in all denen die Ankunft des Herrn vorausgesagt wurde.”a Und der Lektor mahnt, um Christus aufzunehmen, das durch die fünf Sinne verschmähte Heim des Leibes zu reinigen. Der Kantor ermuntert, das Heim, das aus den vier Elementen der Materie zusammengesetzt ist, zu reinigen. Und der Lektor mahnt, die Aktiven durch die Ankunft Christi vom Land des Adlers herbeizubringen. Daher bei Jeremia : Der Herr hat das Geschlecht des Hauses Israel aus dem Nordland heraufgeführt ( Jer 23,8), d. h. aus den Sünden. Dies sind die fünftausend Männer, die Gott gefolgt sind und mit den fünf Broten gespeist wurden, von denen das Evangelium spricht. Der Kantor aber ruft zu höherem Lebenswandel auf und erfreut die Kontemplativen, die mit den vier Quadrigen Aminadabs fahren. Dies sind die viertausend Männer, die mit sieben Broten erquickt wurden, d. h. mit siebenfältiger Gnade. Wegen des Abstands rechne ich, es habe beim Eingang des Bundeszeltes fünf, doch vor dem Allerheiligsten vier Säulen gegeben. Denn die Anfänger werden durch die Rute des Gesetzes gezüchtigt, die Vollkoma
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 1.
1a – Erster Sonntag im Advent
menen durch die Gnade gestärkt. “Zum Darstellen der Freude der Sinne gibt es eine Erneuerung der Gesänge. Zu denen sagt der Versikel in der Vesper: Rorate – Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst den Gerechten regnen! Die Erde tue sich auf und bringe den Heiland hervor ( Jes 45,8-9). Es sind ja die Himmel, die die Besonderheiten der Menschwerdung Christi tauen, wie: Das Wort ist Fleisch geworden ( Joh 1,14).”a Die Wolken, die Gewichtigeres regnen wie: Joseph war verlobt mit Maria. Zu denen sagt der Versikel der Matutin: ‘Vox – Eine Stimme ruft in der Wüste. Bahnt für den Herrn einen Weg. Baut in der Steppe eine ebene Straße für unsern Gott’ ( Jes 40,3). Den Weg bereiten ist Buße tun und predigen, Straßen eben machen ist die Ratschläge nach den Geboten beachten. “Häufig werden im Advent drei Wochen durchgeführt wegen der drei Zeitalter vor dem Gesetz, unter dem Gesetz,” b unter der Gnade. Über deren Entwicklung werden wir weiter unten ausführlich sprechen.c “Der Anfang des Advents ist stets an einem Sonntag zu feiern, nicht vor dem 27. November und nicht nach dem 3. Dezember. Doch in diese sieben Tage fällt immer ein Sonntag, dort wird dann Advent des Herrn gefeiert.”d Jetzt aber wollen wir auf das Offizium der Nacht und des Tages schauen. Seht der Name des Herrn kommt aus der Ferne (Jes 30,27), und sein Glanz erfüllt den Erdkreis. Dies wird von Jesaja auf die zweite Ankunft bezogen, lässt sich aber auch für die erste verstehen. Seht, die hinweisende Sprache verweist auf die Kürze der Zeit. ‘Der Name des Herrn’ ist der Sohn des Vaters selbst. Daher: Nicht uns, o Herr, bring zu Ehren, sondern Deinen Namen (Ps 115,1). Er kommt ‘aus der Ferne’, denn vom Himmel auf die Erde, aus dem Schoß des Vaters in den Leib der Jungfrau. Sein Glanz, d. h. die Lehre, oder sein Ruf erfüllt den Erdkreis, denn Er duftet von besten Salben, Er fließt wie ausgegossenes Salböl, von dessen Wohlgeruch das ganze Haus erfüllt wird. Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis Prol. p. 11. Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis Prol. p. 13. c Siehe S. 373. d Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis Prol. p. 8. a
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Mitralis V – kirchenjahr bis epiphanie
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Hört, ihr Völker, das Wort des Herrn, verkündet es auf den fernsten Inseln und sagt: Seht, unser Erlöser wird kommen ( Jer 31,10), fürchtet euch nicht. Jeremia lädt die Heidenvölker, die bekehrt werden sollen, ein zum Glauben an den Mittler, denn es gibt nichts anderes, in dem wir gerettet werden könnten. Diesen Mittler nennt er ‘Wort’, denn wie aus dem Wort des Geistes die Absicht erklärt wird, so wird durch den Sohn der Vater erkannt. Er ist das Wort, in dem und durch das alles geschaffen wurde. Darüber sagt der Psalmist: Mein Herz fließt über von froher Kunde (Ps 45,2). Es wird aber das Wort wie der Verstand des Menschen erleuchtet und wird wie göttlicher Kult angezeigt; es fließt über, wie Gott Mensch geworden ist. Hört das Wort des Herrn, durch den die Himmel geschaffen wurden (Ps 33,6), und verkündet es bis an die Grenzen der Erde, denn es werden sich alle Grenzen der Erde an den Herrn erinnern und sich zu Ihm bekennen, und sagt: Seht, unser Erlöser wird kommen, Er kommt gleichsam zu uns, denn der Herr wird seine Heilstat verkünden, im Angesicht der Heiden wird Er seine Gerechtigkeit erzählen (Ps 22,32). Fürchtet euch also nicht, sondern blickt auf zu Ihm, so wird euer Gesicht leuchten, und ihr braucht nicht zu erröten (Ps 34,6). Sagt der Tochter Zion: Sieh her: Jetzt kommt dein König ( Jes 62,11) zu dir, der Sanftmütige, um dich zu retten. An die Mauerwächter, die Wachen, die die Stadt schützen, die Wächter der Tochter Zion richtet Jesaja sein Wort, d. h. an die Lehrer der Kirche, sie sollen der Tochter Zion sagen: Siehe dein König kommt als Sanfter, d. h. sie sollen den Glaubenden und nach Gott Schauenden zuerst die Ankunft des Erlösers verkünden, der voll Sanftmut zur Erlösung kommt. Die Wüste und das trockene Land sollen sich freuen, die Steppe soll prächtig blühen wie eine Lilie (Jes 35,1-2). Jesaja prophezeit die Bekehrung der Heidenschaft, die es vor der Ankunft des Erlösers als von Gott Verlassene auf dem Wege ohne Christus gab, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (Joh 14,6), Einsamkeit ohne Gesetz, ohne Lehrer. Aber durch die Ankunft und danach wird sie im Kopf sich freuen und im Leib jauchzen, im Wohlgeruch guter Meinung wie eine Lilie blühen. Daher: Wie
1a – Erster Sonntag im Advent
eine Lilie unter Disteln so ist meine Freundin unter den Mädchen (Hld 2,2). Mitten in einer verdorbenen und verwirrten Generation (Phil 2,15) verbleibt die Kirche rot vom Märtyrerblut, weiß in den Bekennern, blühend in den Jungfrauen, strahlend in den Kirchenlehrern. Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn steht als Höchster der Berge ( Jes 2,2). Über die Führerschaft Christi sagt Jesaja: Am Ende der Tage, über diese der Jakob: Ich verkünde euch, was euch begegnet in künftigen Tagen, (Gen 49,1) in einer Zeit der Fülle, in der Fülle der Zeit, im letzten Zeitalter. ‘Den Berg des Hauses des Herrn’, der das Haupt der Kirche Gottes ist, den sah Daniel gleichsam, als ob sich ohne Zutun von Menschenhand ein Stein löste (Dan 2,34) und zu einem großen Berg auswuchs, vorbereitet, von Gott vorherbestimmt, dem Menschen entsprechend allein durch die Gnade auserwählt, wird Er auf dem höchsten Berg stehen, d. h. über allen, und Er schützt sie, indem Er sie aus der Fülle der Quelle benetzt. Das sind die Engel und alle Heiligen, wo Berge Jerusalem rings umgeben (Ps 125,2). Der Engel Gabriel sprach zu Maria: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes (Lk 1,28.42). Lukas setzte den Namen des Engels, damit er aus der Deutung des Namens das aufzeigen könnte, was gekommen war, um zu dienen. ‘Gabriel’ heißt ‘Kraft Gottes’, weil er den verkündet, der kam, um den Teufel zu vertreiben. Er sprach zu Maria, dem Meeresstern, die den in der Welt Unsicheren das Licht geboren hat, und zur Herrin des Meeres, die den Herrn der ganzen Welt getragen hat: Sei gegrüßt, du Begnadete. Durch Eva trat der Tod in die Welt, durch dich Heil und Leben. Darum ist das Grußwort ‘Ave’ zu Recht die Umkehrung des Namens Eva. Durch jene wurde die Gnade ausgeleert, du aber bist die dreifach Begnadete, denn du hast dem Herrn das Geschenk deiner Jungfrauschaft dargeboten; im Anblick und im Gespräch mit dem Engel hat du es verdient, dich zu erfreuen, denn du hast der Welt den Urheber aller Gnade gegeben. Denn der Herr ist mit dir, in deinem Herzen durch die Liebe, in deinem Schoß durch die Fleischwerdung, in
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Mitralis V – kirchenjahr bis epiphanie
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deiner Hilfe durch die Sammlung der Tugenden. Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, denn du bist ohne Beispiel in Mutterstand und Jungfrau, bist Mutter, Gottesgebärerin. Gesegnet ist die Frucht deines Leibes, von dem der Prophet vorausgesagt hat: Einen Spross aus deinem Geschlecht will ich setzen auf deinen Thron (Ps 132,11). Maria sagte wohl: “Was soll dieser Gruß? Denn meine Seele ist verwirrt, auch weil ich den König gebären werde, der die Kammer meiner Jungfräulichkeit nicht verletzen wird.” Aus Lukas stammt die Antwort der hl. Maria, die verwirrt ist nach Art einer Jungfrau beim Anblick eines Mannes und nach Art der menschlichen Zerbrechlichkeit angesichts der Erscheinung des Engels und des ungewöhnlichen Grußes, und sich über die neue Art der Empfängnis wundert. Deshalb antwortet sie: Wie soll das geschehen? (Lk 1,34). ‘Ecce – Seht, kommen wird der Herr,’a von dem Johannes vorausgesagt hatte, Er werde mit Herrlichkeit kommen. Dies ist aus Matthäus genommen. Johannes sagt ja über Christus, wie man bei Matthäus liest: Der nach mir kommt, ist stärker als ich (Mt 3,11). Obgleich Christus schon in die Welt gekommen war, predigt er, dieser werde kommen, weil Er kommen wird zu verkünden und zu taufen. Daher folgt: Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen (ebd.), mit dem Geist der Heiligung jetzt, und mit Feuer der Reinigung dereinst. Er sollte auch kommen in Herrlichkeit, um dann zu richten, denn der Vater hat das Gericht ganz dem Sohn übertragen ( Joh 5,22). Darum: Schon hält Er die Schaufel in der Hand (Mt 3,12), d. h. das Gericht in Vollmacht. ‘Unseren Herrn und ‘Erlöser erwarten wir’ (vgl. Phil 3,20), der unserm Leib Heil bringt und in uns seinen Glanz bestärkt. Der Apostel spricht hier zu den Philippern in der Person der alten und neuen Väter: Die alten Väter haben ja den Messias als Retter erwartet. Auch wir erwarten Ihn als Richter und beide als Heiland. Jene zum Heil der Seelen, wir zur Gesundheit des Leibes. ‘Heil’ ist im eigentlichen Sinn eine Sache der Seele, ‘Gesundheit’ eine des Leibes. Jetzt ist die Zeit des Heiles, die a
3. Antiphon der Laudes.
1b – Das 1. Responsorium
die Alten erwartet haben. Daher sagt der Apostel: Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade (2 Kor 6,2). Künftig wird es die Zeit der Gesundheit geben, die wir erwarten, wenn dieses sterbliche Geschlecht die Unsterblichkeit anlegt, dieses vergängliche die Unvergänglichkeit. Wenn der Erlöser unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes (Phil 3,21). Beides wird für beide gesetzt. Daher: Er gibt Heil unserem Leib und bestärkt in uns seine Herrlichkeit. In der ersten Ankunft hat Er in uns den Glanz der Lehre und Gnade bekräftigt, in der zukünftigen wird Er den Glanz Seiner Herrlichkeit bekräftigen. Die Steine, die auf dem Wege liegen, räumt weg, denn unser Herr wird mit seinem Heil kommen! Für die Ähnlichkeit der Leiber bereitet Er uns ein Heilmittel für die Seele; solange in unserem Leib schädliche Säfte sind, ist es unsinnig, die Speisen zu erweitern. Denn je mehr du die nicht reinen Leiber mit Nahrung versorgst, desto mehr schadest du ihnen. Wenn du einen Pfeil in der Wunde hast, “brauchst du kein Panzerhemd mehr anzuziehen.”a Und ganz gleich was du hineingießt, sauber ist ein Gefäß nur, das die Reinheit erreicht. Und in eine Seele, die auf Böses sinnt, kehrt die Weisheit nicht ein, noch wohnt sie in einem Leib, der sich der Sünde hingibt (Weish 1,4). Doch das Verschwinden des Lasters verschafft der Tugend den Eintritt. Also werft die Steine von der Straße, die Härte der Laster aus der Weite eures Herzens! Wenn sie euren Werken im Wege sind, beseitigt sie, lasst nicht Stein auf Stein (Lk 19,44), denn unser Herr, unser Arzt, kommt mit der Heilung! Also: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe (Mt 3,2).
b. Das 1. Responsorium “Wenn ich in die Weite blicke, siehe, da sehe ich Gottes Macht kommen und die Wolke, die die ganze Erde bedeckt.’b Dieses Responsorium stammt nicht von Gregor, sondern wurde von einem Mönch zusammengesetzt und kompiliert. Die a b
Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 55. 1. Nokturn, 1. Responsorium Aspiciens.
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übrigen Responsorien wurden von Gregor zusammengestellt”a Darum soll es nur deshalb hier vorangestellt werden, weil es der Gebrauch der Kirche so stark gemacht hat. “Gesungen wird dieses Responsorium in der Person des Johannes des Täufers” b oder der Braut, die sagt: ‘Wenn ich in die Weite blicke’, d. h. von der Erde zum Himmel, ‘da sehe ich Gottes Macht kommen’, wenngleich eigentlich im Vater die Macht, im Sohn die Weisheit und im Heiligen Geist die Güte bezeichnet wird. Hier jedoch nimm die Macht des Gottessohnes an, denn Ihm ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde (Mt 28,18). Er ist der Herr, mächtig im Kampf ! (Ps 24,8) Von Ihm sagt der Prophet: Gürte, du Held, dein Schwert um die Hüfte (Ps 45,4). Er kam, als er sich sichtbar zeigte ‘und die Wolke die ganze Welt bedeckte.’ Diese Wolke ist Gottes Erbarmen, Abkühlung gewährt sie gegen die Hitze der Laster. In diese Wolke ist Moses eingetreten, als er aufstieg, um das Gesetz zu empfangen. Petrus hat sie verstanden, als er in der leuchtenden Wolke den Herrn, Moses und Elija sah und sprach: Ich werde hier drei Hütten bauen (Mt 17,4). Diese Wolke erschien nach der Einweihung im Tempel. Diese führte das Volk in die Wüste und schützte es vor dem Feuer. Diese ist die Kraft des Allerhöchsten, die die Jungfrau überschattete, sie bedeckte die ganze Erde, denn die Erde ist erfüllt von der Huld des Herrn (Ps 33,5), der seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute (Mt 5,45). Und er nennt die Wolke Unglauben und Unwissenheit. Es kannte ja der Mensch Gott nicht, er wusste nicht, dass er selbst, seine Heimat, sein Begehren Sünde war. Diese Wolke bedeckte die ganze Erde, denn alle sind sie abtrünnig und verdorben, keiner tut Gutes (Ps 14,3) und vom Kopf bis Fuß ist kein heiler Fleck (Jes 1,6). “‘Geht Ihm entgegen und sagt: Verkünde uns, ob Du es bist, der im Volk Israel herrschen wird.’ Gleiches sagte Johannes seinen Jüngern: Ebnet den Weg für den Herrn ( Joh 1,23). Und durch seine Jünger fragte er Christus: Bist Du es, der da kommen soll, a b
Vgl. Iohannes Diaconus, Vita Gregorii papae I, 18. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 1.
1b – Das 1. Responsorium
oder müssen wir auf einen anderen warten? (Mt 11,3)”a Und es sind das die Worte der Braut, die zu den Mädchen sagt: Geht dem Bräutigam entgegen! (Mt 25,6) Der Weg Gottes zu uns ist Glaube und Erbarmen, unser Weg zu Ihm ist die Liebe. Beides hat der Prophet im Sinn: Vollkommen ist Gottes Weg (Ps 13,31), d. h. der Glaube. Er hat meinen Weg fleckenlos gemacht, d. h. die Liebe. Geht also auf dem Weg der Liebe und sagt: Verkünde uns! usw. ‘Verkünde uns durch die Schrift, durch die ewige Offenbarung, mehr und mehr durch Deine Anwesenheit, ob Du der Messias bist, der im Gesetz versprochen wurde und der im Volk Israel herrschen wird,’ das Du auf Deinen Anblick vorbereitet hast, damit man Dir sagt: O Gott, erlöse Israel aus all seinen Nöten (Ps 25,25). Und weil Gesetz, Psalmodie und Prophetie diese Ankunft des Erlösers voraus verkündeten, oder besser: weil die Väter vor dem Gesetz diese Ankunft voraussahen, die Väter unter dem Gesetz danach verlangten, die Väter der Gnade sie gepredigt haben, deshalb folgen die nächsten drei Verse des Responsoriums, unter denen man die Väter der drei Zeitalter versteht. “Es sagt also der Täufer oder die Kirche: Ihr Väter vor dem Gesetz: Ihr Erdgeborenen und ihr Leute aus dem Volk und ihr vom Adel, Reiche und Arme zusammen (Ps 49,3), ‘Geht Ihm entgegen!’ usw.”b ‘Erdgeborene’ nennt er die Bösen, die auf Seiten Adams aus Erde geformt sind, die dem Irdischen folgen, ‘Leute aus dem Volk’ nennt er die Guten, die auf der Seite des Knechtes Adam sind, des aus Erde Geformten, die Irdischem folgen. ‘Die Reichen’ fügt er dazu, die er Erdenkinder genannt hatte, die ‘Armen’, die Menschenkinder. Ihr alle also, d. h. all ihr Erdenkinder, ihr durch Bosheit Reichen und ihr Menschenkinder, ihr geistig Armen, die ihr zugleich zusammen seid, in einem Schafstall für Lamm und Bock, in einem Netz als gute und schlechte Fische, in einem Mutterschoß wie Jakob und Esau, in einer Arche wie Sem, Ham und Japhet, an einem Ort wie Korn und Spreu! ‘Geht Ihm entgegen’, damit ihr Bösen mit dem Einstieg beginnt, ihr Guten, damit ihr im Fortschreiten 8, 5.
a
Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, III: De ordine antiphonarii
b
Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis Prol. p. 13.
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eiterkommt. – “Auch ihr Väter unter dem Gesetz, sagt: Du w Hirte Israels, höre, der du Joseph weidest wir eine Herde (Ps 80,2), verkünde uns’ usw. ‘Du weidest Israel’, das jüdische Volk, das durch die Lehre des Gesetzes Gott sieht, du weidest mit wachsender Kraft (Ps 84,8), du führst wie das unschuldige Schaf; ‘Joseph’”a, das Heidenvolk vermehrt durch abgetötetes Getreide. ‘Höre’, gieße über uns das Licht der Frömmigkeit aus, ‘und verkünde uns’ usw. – Auch ihr Väter unter der Gnade sagt: Ihr Tore, hebt euch nach oben, hebt euch ihr uralten Pforten, denn es kommt, der (Ps 24,7.9) du über das Volk herrschen sollst. O ihr Fürsten und Mächte dieser Welt, und ihr Nattern, ihr Schlangenbrut! (Mt 23,33) beseitigt die Pforten des Todes, die Laster, durch die der Teufel in die Herzen eintritt. O ihr ewigen Pforten, ihr Tugenden, die zur Ewigkeit führen, erhebt euch gegen die Laster, und durch euch wird eintreten und in euch wohnen der König der Herrlichkeit, der über das Volk Israel herrschen wird’. “Und beachte: Auf den dritten Vers wird nicht mit ‘Verkünde uns’ geantwortet, weil die Väter des Neuen Testaments sicher sind hinsichtlich der Ankunft Christi. Die Väter der Gnade sind in Gewissheit über den Einzug des Königs der Herrlichkeit. Doch weil der Glaube an die Menschwerdung ohne den Glauben an die heiligste Dreifaltigkeit nicht hinreichte, hinreicht noch hinreichen wird, wird fortgefahren mit ‘Gloria Patri – Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist’. Und weil Er in Niedrigkeit kam und in Macht und Herrlichkeit kommen wird, deswegen wird das Responsorium erneut wiederholt.”b Bei der Wiederholung aber nimm die Wolke beim Wort: Er wird in den Wolken des Himmels kommen. Wie eine Wolke Ihn aufnahm, so sind rings um Ihn her Wolken und Dunkel (Ps 97,2). – Noch kurz: Die drei Verse mit einem ‘Gloria Patri’ stellen dar, dass die Väter Gott als den dreifaltigen und einen verstanden haben. Darum sah Abraham drei, und verehrte den Einen (vgl. Gen 18,2-3). a b
Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis Prol. p. 14. Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 1.
1c – Das 2. und 3. Responsorium
c. Das 2. und 3. Responsorium ‘Ich schaute im Anblick der Nacht, und siehe, in den Wolken des Himmels kam der Menschensohn. Ihm wurden Herrschaft und Würde gegeben, und alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen’ (Dan 7,13-14).a Daniel, glühend vor himmlischer Sehnsucht, weswegen er ‘du von Gott geliebter Mann’ (Dan 10,11) zu Recht genannt wurde, erhielt vom Engel die Erkenntnis, öffnete mit diesen Worten den unergründlichen Reichtum des seit Jahrhunderten verborgenen Mysteriums, d. h. das Mysterium der Fleischwerdung des Wortes, das im Anfang beim Vater war, und sprach: ‘Ich schaute im Anblick der Nacht.’ Dreifach ist die Vision: in der Nacht; am Tage; im Licht; in der Nacht vor der Gnade, bei Tage unter der Gnade, im Licht in der Herrlichkeit. In der Nacht sahen die Patriarchen und Propheten, unsere Väter waren alle unter der Wolke (1 Kor 10,1). Denn der Arm des Herrn – wem wurde er offenbar? ( Jes 53,1). Verhüllt war das Gesicht des Moses, der Vorhang hing in der Mitte des Tempels. Daher schaute Daniel im Anblick der Nacht. Am Tag schauten die Apostel, denen die Güte und Menschenliebe unseres Retters erschien (Tit 3,4). Vor diesen erschien Emanuel auf der Erde und hielt sich unter den Menschen auf (Bar 3,38), d. h. Gott mit uns, mit uns in Form der Teilhabe, in der Ähnlichkeit und Zugehörigkeit zum Fleisch der Sünde. Im Lichte werden die Söhne Gottes Ihn von Angesicht zu Angesicht sehen, wenn seine Schuhriemen gelöst werden, wenn es nach Sacharja weder Tag noch Nacht, sondern nur Licht gibt (Sach 14,6-7), denn der Wechsel von Nacht und Tag wird verschwinden, und dann gibt es nur ständiges Licht. Diese Sonderung von Visionen bestätigt die Wahrheit im Evangelium, wenn sie sagt: Abraham jubelte, weil er meinen Tag sehen sollte. Er sah ihn und freute sich ( Joh 8,56). Ferner: Viele Könige und Propheten wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen (Lk 10,24). Ergänze: wie ihr es seht. Jene sahen ja in der Nacht, ihr aber bei Tage. Jene im Abbild, ihr a
1. Nokturn, 2. Responsorium Aspiciebam.
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in Wahrheit. Und ‘siehe: in den Wolken des Himmels kam der Menschensohn.’ Wolke des Himmels, Fleisch des Wortes, nicht vom Himmel weggezogen, sondern himmlisch, denn durch das Wirken des Heiligen Geistes nahm Er Gestalt an. Darüber Jesaja: Der Herr fährt auf einer leichten Wolke daher ( Jes 19,1). ‘Wolke’ ist es, denn sie bringt Kühlung gegen die Hitze der Laster. ‘Leicht’, weil sie frei von Schuld ist. In dieser Wolke kam der Menschensohn, wie in Daniel enthalten ist, bis zum Alten der Tage, d. h. zur Gleichheit mit dem Vater. Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein (Phil 2,6). ‘Ihm wurden Herrschaft und Würde gegeben’, d. h. Ihm wurde der Name verliehen, der größer ist als alle Namen (Phil 2,9), der Ihm seit Ewigkeit gegeben, aber erst in der Zeit offenbar wurde. Und es heißt, eine Sache geschieht dann, wenn sie offenbar wird. Daher: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde (Mt 28,18). ‘Und alle Völker, Nationen und Sprachen müssen Ihm dienen.’ Denn wie Jesaja sagt: Vor mir wird jedes Knie sich beugen und jede Zunge wird beim Herrn schwören ( Jes 45,23). Seine Macht ist ewige Macht, sie wird Ihm nicht genommen, und sein Reich geht niemals unter (Dan 7,14). ‘Der Engel des Herrn wurde zur Jungfrau Maria gesandt. Sie war mit einem Mann namens Joseph verlobt’ (Lk 1,26-27).a Mit diesen Worten gestaltete Lukas den Ablauf der Verkündigung. Von einer Verlobten wollte der Erlöser geboren werden, damit durch einen Mann die Ordnung des Stammbaums geknüpft wurde, damit die Mutter nicht als Ehebrecherin gesteinigt würde und die Jungfrau den Trost eines Mannes und Zeugen ihrer Reinheit hätte und der Teufel das Mysterium der Menschwerdung nicht verstehen könnte.
d. Das 4. Responsorium Sei gegrüßt, Maria, du Begnadete (Lk 1,28).b Mit diesen Worten gestaltete Lukas die Art der Empfängnis und fügte hinzu: Der Heilige Geist wird über dich kommen, a b
1. Nokturn, 3. Responsorium Missus est angelus Dómini. 2. Nokturn, 4. Responsorium Ave Maria gratia plena.
1d – Das 4. Responsorium
und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten (ebd. 1,35). ‘Überkommen’ sage ich, dich schützen, dich von allem Schmutz reinigen, und dann ‘die Kraft des Höchsten’, d. h. das Wort Gottes, wird dich überschatten und aus dir Fleisch annehmen. Der Schatten pflegt vom Licht zu entstehen, wenn ein Körper dazwischentritt. Die Seele der Jungfrau reichte nicht aus, die Fülle der Gottheit zu fassen. Deshalb überschattete die Kraft die Jungfrau, schuf einen Schatten, als das unfassbare göttliche Licht in ihr einen menschlichen Leib empfing. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden (ebd. 1,35). Wir, die wir in Sünden empfangen wurden, sind von Natur aus Söhne des Zorns, können jedoch durch die Gnade geheiligt werden. Aber Christus, der ohne den Zehnten zu entrichten, nicht aus den Lenden Abrahams, nicht aus dem Samen eines Mannes empfangen wurde, (vgl. Hebr 7,9.10) wird wahrlich heilig geboren und Sohn Gottes genannt. “Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? (Lk 1,34) Die Jungfrau hatte sicher gelesen: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen (Jes 7,14). Sie zweifelte also nicht, sie werde als Jungfrau gebären. Sie wusste ja, dass die Prophetie erfüllt werden musste, doch weil sie nicht gelesen hatte, wie es geschehen würde, und nicht gehört hatte, wie es erfüllt würde, fragte sie. Dies ist ja jenes Geheimnis, das seit ewigen Zeiten verborgen war (Kol 1,26), von den Propheten nicht verkündet, vom Engel zurückgehalten, gleichsam: Wie werde ich schwanger, die ich mir vorgenommen habe, immer Jungfrau zu bleiben? Als Frage – da gibt es zwei Worte, oder aus Bewunderung – da gibt es ein Wort. Beachte die Ordnung der Liturgie: Im 1. Responsorium wird die Gottheit verehrt, im 2. das Menschsein geehrt, im 3. und 4. gezeigt, wie die Gottheit Fleisch annimmt. Diese Menschwerdung wird durch den Apostel bestätigt, der sagt: Wir erwarten den Erlöser (Phil 3,20), durch die Propheten bestärkt, die sagen: ‘Hört auf das Wort des Herrn!’ (Jes 1,10)a‘ Seht, die Jungfrau wird empfangen (Jes 7,14).b ‘Seht, es kommen Tage.’c Durch das Gesetz wird bewiesen, was Moses sagt: Aber bitte, Herr, sende, welchen 3. Nokturn, 8. Responsorium Audite verbum Dómini. 3. Nokturn, 7. Responsorium Ecce virgo concípiet. c 3. Nokturn, 9. Responsorium Ecce dies véniunt. a
b
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Du senden willst! (Ex 4,13 Vg.). Und weil der kam, deswegen freue sich der Himmel, und die Erde frohlocke (Ps 96,11).
e. Das 5. und 7. Responsorium
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“Wir erwarten den Erlöser (Phil 3,20).a Dieses Wort des Apostels schaut besonders auf die zweite Ankunft. ‘Hört auf das Wort des Herrn’,”b darauf haben wir weiter oben hingewiesen.c Wir werden ja an Hinweisen vorbeigehen, doch an nicht Hingewiesenem werden wir, wenn uns darin eine Unklarheit begegnet, nicht vorübergehen. Seht, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und sie wird Ihm den Namen geben: Wunderbarer Ratgeber, starker Gott (Jes 7,14; 9,6). Die Juden sagen, das Wort ‘uirgo’ sei hier keine Bezeichnung ihrer Unberührtheit, sondern des Alters, d. h. ‘Mädchen’. Doch demnach würde das kein Vorzeichen sein und auch würde es das Verständnis des Jesaja nicht erklären. Als nämlich Achas verzweifelte an der Befreiung der Stadt und seines Volkes, sagte der Herr durch Jesaja: Erbitte dir vom Herrn aus der Unterwelt oder von dem oben aus der Höhe ein Zeichen (ebd. 7,11). Gleichsam: Willst du, dass sich die Erde spaltet oder dass sich der Himmel öffnet? Moses nahm das Zeichen von der Erde, als er Zeichen aussandte und Vorzeichen mitten im Land der Ägypter, gegen den Pharao und seine Knechte: Frösche, Stechmücken und dergleichen (Ex 8), auch vom Himmel wie Hagel und Finsternis von drei Tagen Dauer. Saul aus der Tiefe der Unterwelt, als er Samuel heraufsteigen ließ (vgl. 1 Sam 28,5-15). Hiskia vom Himmel, als die Sonne zehn Stufen rückwärts ging und er antwortete: Ich will um nichts bitten und den Herrn nicht auf die Probe stellen (vgl. 2 Kön 20,4-11; Jes 7,12), da hörte er: Seht – gewissermaßen: ich zeige euch – die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären (Jes 7,14). Das Wort ist Fleisch geworden (Joh 1,14) als Zeichen unserer Befreiung und Erlösung. ‘Und sein Name wird sein’ usw. Über die Namen für Christus werden wir weiter unten sprechen.d 2. Nokturn, 5. Responsorium Salvatorem exspectamus. Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 1. c Siehe S. 368. d Siehe S. 427. a
b
1f – Das 9. Responsorium
‘Auf dem Thron Davids und über sein Reich wird Er in Ewigkeit herrschen,’a d. h. über die Niedrigen, wie es David war, denn die Niedrigen sind Christi Thron, der sagt: Auf wem lässt sich der Geist des Herrn nieder? (Jes 11,2), wenn nicht auf einem Niedrigen und Ruhigen? Diese sind das Reich Christi, das Er Gott und seinem Vater geben wird. ‘Aber bitte, Herr, sende doch, welchen Du senden willst (Ex 4,13), und sieh die Not Deines Volkes: Wie Du gesagt hast, komm und befreie uns!’b Vom Aufgang und Niedergang der Sonne, von Norden und dem Meer im Süden (Ps 107,3 Vg.). Als der Herr zu Moses gesagt hatte: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen. Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen. Ich sende dich: Und geh jetzt und führe die Söhne Israels aus Ägypten heraus (Ex 3,7.10), da sagte Moses: Aber bitte, Herr, sende, welchen Du senden willst! (Ex 4,13 Vg.), d. h. Deinen Sohn, um Dein Volk zu befreien. Sieh die Not Deines Volkes, wie es in Ägypten, d. h. in der Welt, vom Pharao, d. h. vom Teufel, im Schmutz der Üppigkeit, in den Winkeln der Gier bedrückt wird. Wie Du gesagt hast: Ich bin herabgestiegen, um zu befreien; und ‘Komm und befreie uns’, die wir wohnen vom Aufgang und Niedergang der Sonne, von Norden und dem Meer (Ps 107,3 Vg.), d. h. im Süden. Und ganz von der zweiten Ankunft: Schick Deinen Sohn zum Richten, sieh darauf, Dich zu erbarmen, so komm uns zu befreien vom Aufgang der Sonne, usw., denn sie werden vom Aufgang und vom Niedergang kommen, von Norden und Süden, die mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tisch sitzen werden (Mt 8,11 Vg.).
f. Das 9. Responsorium Seht es kommen Tage – Spruch des Herrn – da werde ich für David einen gerechten Spross erwecken. Er wird als König herrschen und weise handeln, für Recht und Gerechtigkeit wird Er sorgen im Land (Jer 23,5).c 7. Responsorium Super sólium David. 2. Nocturn, 6. Responsorium Óbsecro Dómine. c 3. Nokturn, 9. Responsorium Ecce dies veniunt.
a
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Und das ist sein Name, mit dem sie ihn benennen werden: Unser gerechter Herr. In jenen Tagen wird Juda gerettet werden, und Israel wird voll Vertrauen wohnen. Dies sagt Jeremia, was für die erste und zweite Ankunft teilweise angenommen wird. Macht die erschlafften Hände wieder stark, und die wankenden Knie wieder fest. Fürchtet euch nicht, sagt der Herr, denn ich komme, das Joch eurer Knechtschaft zu zerbrechen ( Jes 35,3-4). ‘Seht: der Herr unser Herrscher kommt mit Macht.’ Jesaja ermuntert: Herz und Leib sollen Ihm zujauchzen, Ihm, dem lebendigen Gott (Ps 84,3). Er sagt: Stärkt im Glauben eure Hände, die von allen Arbeiten erschlafft sind und von allen Lasten der Sünden ermüdet, stärkt sie im Glauben, kräftigt voller Hoffnung eure Knie, die durch verschiedenen Götzenkult schwach und hinkend geworden sind. Und ihr Kleingläubigen, werdet stark in der Liebe. Fürchtet euch nicht vor den Nachstellungen des Teufels, den Widrigkeiten der Welt, vor denen, die den Leib töten, sondern fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele ins Verderben der Hölle stürzen kann (Mt 10,28), d. h. den Herrn aller Herren, der mit Macht kommen wird, um das Joch unserer Gefangenschaft zu zerbrechen. Der Himmel freue sich, die Erde frohlocke (Ps 96,11). ‘Himmel’, das sind die oberen Sphären, die Verkünder, die die Herrlichkeit Gottes rühmen (Ps 19,2), und die Engel. ‘Erde’ sind die Niederen oder Irdischen, die Hörer, die berieselt werden von den Regengüssen des Himmels. Freut euch, ihr Berge, denn unser Gott wird kommen und sich seiner Armen erbarmen (Jes 49,13). Die Gerechtigkeit blühe auf in seinen Tagen und großer Friede (Ps 72,7). ‘Berge’, das sind jene, auf die Zion gegründet ist, auf die der Bräutigam springt. Alle werden zum Loben eingeladen, denn Er kommt voller Umsicht mit den Armen. ‘Arme’ nennt er die Heiden ohne das Gesetz. Er kommt auch mit Gerechtigkeit und der Fülle des Friedens. Und sieh: Dieses Responsorium ist aus Jesaja, und der Vers aus dem Propheten, was du im Antiphonar findest, wie es aus verschiedenen Stellen kompiliert ist. Jerusalem, hebe deine Augen und sieh (Gen 13,14) die Macht des Königs. Seht, der Erlöser kommt (Jes 62,11), dich aus dem Joch zu befreien. Blick auf
1g – Das Offizium
und schau (ebd. 49,18) den kraftvollen König. Jesaja ermuntert die Kirche oder die Seele, die Augen des Verstandes zu erheben, um mit eigener Erkenntnis den kraftvollen König zu sehen, der kommt, um sie aus den Ketten der Sünde, der Schuld und des Teufels zu lösen. ‘Die Berge sollen die Lieblichkeit tönen, und die Hügel Gerechtigkeit, denn das Licht der Welt, der Herr, kommt mit Macht. Von Zion wird das Gesetz ausgehen, und das Wort des Herrn von Jerusalem.’a Dies ist aus Jesaja genommen, der Groß und Klein zur Befolgung von Freude und Gerechtigkeit einlädt, wie der Herr entsprechend in Jerusalem befiehlt, sie zu beachten. Und die Kirche der Urzeitb lehrte und befolgte, was Zion durch Spekulation und Jerusalem durch Schau des Friedens war.
g. Das Offizium “Die Laudes der Matutin singen von beiden Ankünften. Von der ersten: ‘An jenem Tag, wenn nach dem Propheten Joel die Berge, die Apostel, Süße der Verkündigung verströmen und die Hügel, also die Lehrer, von Milch und Honig der Lehre überfließen (Joel 3,18) für die Kleinen und die Großen.’c Dann erfreut sich nach Sacharja (vgl. Sach 1,17) Zion, d. h. die Kirche aus den Juden, und jauchzt Jerusalem, d. h. die Kirche aus den Heiden.”d Dann kommen nach Jesaja alle, d. h. aus jedem Geschlecht, die nach Heil und Erkenntnis Dürstenden zum Wasser (vgl. Jes 55,1) der Taufe und der Lehre. Von der zweiten Ankunft: ‘Seht, der Herr wird kommen und alle Heiligen mit ihm.’e Henoch sagte, wie Judas bestätigt: Seht, der Herr kommt mit seinen heiligen Tausenden, um über alle Gericht zu halten (Jud 14-15). ‘Seht, ein großer Prophet wird kommen, und er wird Jerusalem erneuern.’f Mit ihm gibt er ein neues Gesetz und erlässt neue Vorschriften. Dies und die Responsa mit Versikeln, die in den Horen gesungen Dienstag der 1. Woche, 2. Responsorium Erumpant montes. Gemeint ist die Kirche ab Adam. Siehe S. 97 Anm. a. c 1. Antiphon In illa die. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 1. e 3. Antiphon Ecce Dóminus. f 5. Antiphon Ecce veniet. a
b
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erden, und einige Antiphonen an den Wochentagen werden w aus den Prophetenbüchern, einige auch aus dem Evangelium gesammelt. Von denen haben wir einige oben ausgelegt, andere können wir wegen ihrer Anschaulichkeit dem Leser zur Auslegung überlassen. “Das Tagesoffizium am 1. Adventssonntag stellt die erste Ankunft des Erlösers dar.a Jenes können wir nicht gänzlich übergehen, vor allem, weil dieses “das heilige Evangelium vor allen anderen ist, die bei der Messliturgie gesprochen werden. Wie ja das Haupt die übrigen Glieder übertrifft und ihm die übrigen Glieder des Leibes dienen, so überragt das Evangelium die ganze Messliturgie, und alles, was dort gesungen und gelesen wird, stimmt in der gedanklichen Begründung damit überein. Z. B. wird am 1. Adventssonntag als Evangelium gelesen: Als der Herr sich Jerusalem näherte, schickte Er zwei von seinen Jüngern voraus, damit sie eine angebundene Eselin losbinden und zu Ihm bringen sollten (Mt 21,1-2)”b, und damit Er auf der Losgebundenen sanft sitzend, sie nach Jerusalem zurückbrächte. Und jene Schlussformel: Gesegnet sei Er, der kommt im Namen des Herrn (ebd. 21,9). Jenes Vorkommnis, das hier beschrieben wird, “passt gut in die Zeit. Der Herr ist ja gekommen, d. h. zu uns im Fleisch gekommen, um die Eselin, d. h. das Menschengeschlecht, das vom Teufel durch die Bande der Sünden gefesselt war, barmherzig zu lösen. Gelöst wollte Er ruhen und es in das himmlische Jerusalem, auf seinen Wegen durch den Ritt des Heiles zurückführen, weil es in die Gefangenschaft geführt worden war.”c Doch weil Er es nur zurückführt, wenn es sein Herz zum Herrn emporhebt, singt es im Introitus: Ad te leuaui – Zu Dir erhebe ich meine Seele, mein Gott (Ps 25,1). Es ist die Stimme des Menschengeschlechts, des alten Menschen, der durch die Erbsünde und die Fesseln der Götzenverehrung gebunden, in seine himmlische Heimat zurückkehren will, so als ob er sagt: In der Zeit meiner Abkehr habe ich meine Hände erhoben und mein Herz zu den Werken meiner Hände in Holz und Stein: Du bist mein Gott (Ps 31,15). “Jetzt Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 2. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 37. c Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 1, 37. a
b
1g – Das Offizium
aber in der Zeit meiner Gesundung und Erneuerung: Zu Dir erhebe ich meine Seele, denn Du bist wirklich mein Gott,”a deshalb vertraue ich auf Dich, ja lass mich nicht scheitern, lass meine Feinde nicht triumphieren (Ps 25,1-2), d. h. die Dämonen in den Schlupfwinkeln der Sünden sollen mich nicht länger gebunden halten und mich nicht zugrunde richten. Und so wird es sein: Denn niemand, der auf Dich hofft, wird zuschanden (ebd. 25,3).”b Und weil ich zu Dir meine Seele erhoben habe, um zu Dir zu kommen: Zeige mir, Herr, Deine Wege, lehre mich Deine Pfade! (ebd. 25,4), d. h. Deine Gebote und Ratschläge. Und weil man häufig vom Wege abkommt, lehrt Paulus in der Epistel, welche Wege zu benutzen sind und welche nicht. Er zeigt: Ihr wisst, die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf (Röm 13,11). Der Weg ist: vom Schlaf aufzustehen, die Waffen des Lichts anzulegen, ehrenhaft zu wandeln. Die Abwege sind: in der Nacht träge zu sein, Werke der Finsternis zu tun, sich an Essgelagen und Ähnlichem zu erfreuen. Die Epistel schließt: Legt an den Herrn Jesus Christus (ebd. 13,14), wie wenn Er zur Eselin sagte: ‘Nimm als Reiter den König Zions!’ Doch weil die nicht will und nicht läuft, sondern sich der Herr erbarmt, deswegen wird im Halleluja angefügt: Erweise, Herr, uns Deine Huld (Ps 85,8). Graduale und Offertorium wiederholen den Introitus, es gibt daher die Wiederholung: Wer zu stehen scheint, der gebe acht, dass er nicht fällt (1 Kor 10,12). Wohl dem Menschen, der stets Gott fürchtet. Schaut den Menschen, der seine Seele zu Gott erhoben (Spr 28,14), die Wege des Herrn gelernt hat, aus dem Schlaf erwacht ist und wie die Eselin den Reiter annimmt. Doch es kann sein, dass die Seele zum Irdischen abfällt, die Wege nicht beachtet, der Schlaf sich in seinem Kopf festsetzt und der verstörte Reiter sein Gefährt wechseln will. Deswegen wiederholt das Graduale: Alle, die Dich usw. und Deine Wege usw., und beharrt im Offertorium: Ad te leuaui – Zu Dir erhebe ich und fügt hinzu: Führe mich in Deiner Treue (Ps 25,1.5).c Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 55. Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 2. c 1. Offertoriums-Vers Dírige, Offertoriale, 1. a
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Die Communio: Dóminus dabit benignitatem – Der Herr spendet dann Segen (Ps 85,13). Der heutige Sänger tröstet sich, d. h. das Menschengeschlecht, wenn er durch den Mund des Propheten erkennt, dass aus der Güte des Heiligen Geistes ‘unser Land’, d. h. die selige Jungfrau empfängt, seinen Ertrag gibt (ebd.), d. h. Gott und Mensch, durch den es aus den Fesseln der Sünde gelöst und in die Heimat zurückgeführt wird. Die Gebete schauen ganz eindeutig auf die erste Ankunft. “Und angemessen ist die Statio bei St. Peter. Er ist ja der Erste der Apostel, die zum Lösen der Eselin gesandt wurden. Sein Gefährte in Rom war Paulus, damit so, wie in Jerusalem jene zwei zum Lösen des angebundenen Tieres geschickt wurden, so diese nach Rom, damit sie von der Hauptstadt der Welt aus für den von Sünden Gelösten den Triumphwagen Jesu Christi bildeten.”a – Und “beachte: Die Stationen hat Gregor eingerichtet.”b In den zwanzig Homilien zum Evangelium hat er sich an verschiedenen Stellen erklärt. Während der Magen die einen müde macht, hat er anderen anvertraut, sie sollten verkündet werden. – “Einige Kirchen lesen als Evangelium: Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne und Mond (Lk 21,25),”c was zur zweiten Ankunft unseres Erlösers gehört. In ihm heißt es: Denn eure Erlösung ist nahe (ebd. 21,28). Dem ist die Epistel angepasst, in der es heißt: Jetzt ist das Heil uns näher (Röm 13,11). Und weil Dein Reich nahe ist, Herr, deshalb: Zu Dir erhebe ich meine Seele (Ps 25,1), singt der Kantor, der alte Mensch oder Johannes der Täufer, wie einige sagen, meine Seele, mein Gott (Ps 25,1). Daher: Zeige mir Deine Wege. Erweise, Herr, uns Deine Huld (Ps 85,8). Und gleichsam über seine Treue vergewissert, schließt sie: Der Herr spendet dann seinen Segen, d. h. gute Stimmung, und unser Land, d. h. das Fleisch, gibt Ertrag, d. h. gute Werke. Die Gebete können auch passend auf die zweite Ankunft bezogen werden. Am Mittwoch und Freitag werden die Evangelien von der Kleidung und der Predigt des Johannes des Täufers gelesen; diese Predigt schaut zum Teil auf die zweite Ankunft. Und dort: Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 2. Iohannes Diaconus, Vita Gregorii papae 1, 18. c Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 2. a
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1h – Allgemeines zur Adventszeit
Ihr Nattern, ihr Schlangenbrut! Wer hat euch beigebracht, vor dem kommenden Zorn zu fliehen? (Mt 23,33). Ebenso: Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt (Mt 3,10; Lk 3,9). Ferner: Schon hält er die Schaufel in der Hand (Lk 3,17; 1 Thess 5,18). Dem ist die Epistel angepasst. Sagt Dank!, wo es um den Glauben der Thessalonicher geht und um das kommende Gericht. Zum Teil schaut sie auf die erste Ankunft, ‘Es kommt einer, der ist stärker als ich.’a Daraus stammt die morgendliche Antiphon, wie: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich. Ich bin es nicht wert, d. h. nicht hinreichend, um Ihm die Schuhe aufzuschnüren (Mk 1,7), d. h. das Geheimnis der Menschwerdung aufzudecken.
h. Allgemeines zur Adventszeit Hier müssen wir einige allgemeine Bemerkungen über die ganze Adventszeit anfügen, wie jene, dass “Jesaja den ganzen Advent über ganz gelesen wird,”b weil er die erste und die zweite Ankunft nicht nur prophezeit, sondern auch die Ankunft des Erlösers verkündigt. Nur muss der Leser bei dem, was zu Weihnachten gelesen wird, hin und her springen: Volk der Heiden, Einst hat Er (Jes 8,23), Tröstet euch (Jes 40,1), Wach auf (Jes 52,1), und was an Erscheinung des Herrn gelesen wird: Auf, werde Licht (Jes 60,1). Denn sie beziehen sich auf den geborenen Christus, die übrigen aber auf den, der geboren werden wird. Beim Fasten an den Quatembertagen und in der Vigil wird nicht aus Jesaja gelesen, denn diese Tage haben eigene Lektionen und Offiziumsformulare. “Ebenso werden den ganzen Advent über die Freudengesänge unterdrückt, so ‘Te Deum – Großer Gott, wir loben Dich’, ‘Gloria – Ehre sei Gott in der Höhe’, ‘Ite missa est – Geht, es ist Sendung’, denn die Gerechten wurden vor Christi Ankunft in der Trauer des Infernos gehalten, auch “damit die Gnade des Neuen Testaments als vortrefflicher gegenüber dem Alten wahrgenommen wird.”c Und ‘Te Deum’ wird deshalb unterdrückt, damit es am Festtag mit umso größerer Freude wieder aufgenommen a Breviarium Romanum, am Mittwoch nach dem 1. Adventssonntag Magníficat -Antiphon: Véniet fórtior me. b Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 62. c Liber Quare 142.
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wird. Denn was selten ist, ist kostbarer. Daher bei Samuel: Worte des Herrn waren kostbar (1 Sam 3,1), weil sie selten sind; und weil Er noch nicht anwesend war, den wir erwarten. Auf den Anwesenden richtet sich das Wort: ‘Ehre sei Gott in der Höhe’ und wird aus ähnlichen Gründen ausgelassen. Und aus einem dritten Grund: Damit es neu an dem Tag gesungen wird, an dem es von den Engeln seinen Ursprung nahm. ‘Ite missa est’ wird deshalb fortgelassen, damit das Volk, das sonst ständig so belehrt wird, nicht entlassen wird.”a Und Achtung! Einige behaupten einfach, dass diese drei Stücke in einer Art Wechselseitigkeit zusammengehören, zwar nicht ständig, doch zumeist. Denn an Petri Stuhlfeier wird, auch wenn sie in der Fastenzeit liegt, nach einigen doch ‘Te Deum’ gesungen, nach anderen nicht. Diesen Gesang verwenden wir ja zur Inthronisierung von Bischöfen an ihrem Bischofsitz. An diesem Tag wurde Petrus auf die Kathedra in Antiochien inthronisiert. Außerdem werden ‘Gloria’ und ‘Ite’ an Gründonnerstag gesungen, wenn der Bischof anwesend ist und die Weihe der hl. Öle zelebriert. Doch ‘Te Deum’ wird ausgelassen. Außerdem wird ‘Gloria’ in der Mitternachtsmesse von Weihnachten gesungen, doch wird bis zur dritten Messe nach einigen nicht ‘Ite missa est’ gesungen, damit das Volk weiß, dass es noch die dritte Messe hören soll. ‘Halleluja’ aber wird im Advent nicht ausgelassen wegen der starken Hoffnung der Alten auf Christi Menschwerdung und unsere Gewissheit der künftigen Herrlichkeit. “Auch sind während der ganzen Adventszeit die Gewänder der Freude abgelegt. Der Subdiakon benutzt nicht die Tunika, und der Diakon nicht die Dalmatik, denn das Gesetz, das der Subdiakon darstellt, hatte vor der Menschwerdung des Herrn nicht den Schmuck, und die Berühmtheit des Evangeliums, die der Diakon darstellt, war noch nicht erschienen. Und es war noch nicht derjenige gekommen, der uns die Gewänder der Unschuld und Unsterblichkeit anziehen sollte.”b Und damit wir sie am Festtag umso begieriger anlegen, weil alles Seltene teuer ist. Es wird aber als priesterliches Gewand die Kasel genommen, nicht a b
Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 64. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 1.
1h – Allgemeines zur Adventszeit
um darin zu lesen oder zu ministrieren, sondern wer Lesungen vorträgt oder ministriert, legt sie ab, um zu bekennen, dass sie kein für ihn eigenes Gewand ist, doch um sie aus Ehrfurcht vor einem Fest als angemessen zu nehmen,”a oder zur Zurschaustellung der Liebe. Deshalb legt der Diakon, der das Evangelium vorträgt, sie gefaltet auf die Schulter, denn für den Verkünder ist es wegen der Liebe vor sich und den Nächsten gebührend, dessen Last zu tragen, seine Lenden zu gürten, für seine Leute brennende Leuchter in Händen zu halten. Und es stammt von den alten Hohenpriestern, die, bevor sie opferten, die Spitzen der Gürtel auf die linke Schulter schlugen. Ebenso fallen nach einigen während des ganzen Advents die Horen zur seligen Jungfrau weg, weil das ganze Offizium in dieser Zeit schon zu ihrem Lob gehört. “Ebenfalls werden die besonderen Anrufungen der Heiligen ausgelassen, wie einige sagen, und zwar bei den Orationen der Messe wie bei der Vesper und den übrigen Horen, denn an den einzelnen Tagen gibt es das allgemeine Gedächtnis der Heiligen durch die Antiphon ‘Ecce Dóminus – Seht, der Herr wird kommen und alle seine Heiligen mit Ihm’ und die Oration: ‘Unser Gewissen’ usw., die immer in der Matutin und der Vesper zu sprechen ist nach ‘Benedicamus Dómino – Singt dem Herrn Lob und Preis’, nach einigen davor. Aber Achtung, wenn es heißt: ‘Conscientes – Wir bitten Dich, Herr, reinige unser Gewissen durch Deinen Besuch, damit unser Herr Jesus Christus, wenn Er mit allen Heiligen kommt, bei uns eine Wohnung findet, die für ihn bereitet ist.’ Dies gehört zur Ankunft in Herrlichkeit und passt zur Antiphon. Doch wenn du ‘mit allen Heiligen’ streichst, gehört es zur Ankunft des Geistes. Es ist dann ja die Ankunft im Fleisch, im Geist, in der Herrlichkeit.”b “Beachte auch: Vom 1. Sonntag in der Adventszeit bis Erscheinung des Herrn dürfen keine Trauungen gefeiert werden. Ja, auch muss sich der Mann vom Bett seiner Ehefrau fernhalten, es sei denn es werde eine Pflicht erfordert; denn er soll in der Adventszeit für das Gebet frei sein und für heilige Feiern mit iha b
Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 2. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 64.
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ren Wochentagen.”a Einigen macht es Schwierigkeiten, dass wir sagen: ‘bis Erscheinung des Herrn’, weil sie Zweifel haben, ob das Verbot auf die Oktav ausgedehnt wird. Einige sagen, es “würde ausgedehnt, wenn nicht der Herr die Hochzeit mit seiner Anwesenheit und einem Wunder geschmückt hätte.”b Vernünftiger ist es, wenn es ausgedehnt wird, wie das Offizium von der Verwandlung des Wassers in Wein auf den Sonntag verschoben wird, der in die Oktav von Erscheinung des Herrn fällt. Ähnlich steht es mit dem Verbotsgrund über die drei Wochen vor Geburt von Johannes dem Täufer, d. h. damit sie freier für das Gebet sind. Die Kirche hatte ja außer der großen Fastenzeit zwei weitere eingerichtet, eine vor Weihnachten, die andere von der Geburt des Johannes des Täufers, in denen man sich freihalten sollte für Gebete, Fasten und Almosen. Aber wegen der Gebrechlichkeit der Menschen wurden diese beiden zusammengelegt. Ebenso wurde jene auf die drei Wochen des Advent und die drei Tage vor Geburt des Johannes des Täufers aufgeteilt. Deshalb haben wir nur drei Wochen Adventszeit, wenn nicht aus obengenanntem Grund eine Erweiterung stattfindet, in der man sich für Fasten, Almosen und Gebet ohne Unterbrechung freihalten soll und deshalb keine Trauungen stattfinden. So wird der Advent zum Teil in Kummer gefeiert, wenn wir fasten, denn wir besitzen noch nicht, was wir für die zweite Ankunft erhoffen. Zum Teil in Freude, wenn wir sagen ‘Halleluja’, denn durch die erste Ankunft sind wir über das, was wir für die zweite erhoffen, sichergestellt. Daher wird für unseren und der Alten Aufschub gefastet. Gejubelt wird wie in der Pfingstwoche wegen der Gewissheit der künftigen Seligkeit. 2. Zweiter Sonntag im Advent ‘Jerusalem, dein Heil kommt schnell.’c Diese Historia der zweiten Woche wird teils von den Büchern der Propheten, teils von den Evangelienbüchern eingenommen. Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 65. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 65 e. c 2. Sonntag im Advent, 1. Responsorium Ierusalem, cito véniet. a
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2 – Zweiter Sonntag im Advent
“Dabei werden die Responsorien und Antiphonen teilweise zu beiden Ankünften gesetzt.”a Es dürfte genügen, dieses hier gesagt zu haben. Es dürfte ja genügen, dass zur 1. Historia den Lesern eine Form der Erklärung gegeben wurde, da es eine sehr ausgedehnte und voll Überdruss gespickte Arbeit wäre, für alles sich die Mühe der Erklärung zu machen. Bemerkenswert ist, dass der Gesang in den einzelnen Wochen wegen der Freude der vorwärts Strebenden erneuert wird, die von Tugend zu Tugend voranschreiten, um den Gott der Götter in Zion zu sehen (vgl. Ps 84,8). Das Offizium am Tage kennzeichnet die Ankunft des Erlösers. Dabei liest man das Evangelium: Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne und Mond (Lk 21,25). Nach Nennung dieser Zeichen, die der Ankunft in Herrlichkeit vorausgehen werden, wird angeführt: Dann wird man den Menschensohn auf einer Wolke des Himmels kommen sehen (ebd. 21,27). Darauf folgt ein Trost für das wandernde Volk, die wandernde Mutter, den in der Abwesenheit des Vaters umherschweifenden Sohn, den er noch nie gesehen hat, also für die Anfänger: Wenn das beginnt, erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung ist nahe (ebd. 21,28). Und dann: Nahe ist das Reich Gottes.’ Wer weint, weil sein Fremdlingsein (vgl. Ps 120,5) im Elend verlängert wird, dem sagt die Mutter voll Erbarmen aufmunternd und tröstend: “Singt die prophetische Posaune im Introitus: ‘Populus Sion – Volk von Zion, siehe der Herr wird kommen, die Völker zu erlösen. Machtvoll erhebt der Herr seine Stimme (vgl. Jes 30,30). Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid (Mt 25,34). “Doch weil Trost ohne Gebet kein Trost für das Gemüt ist,”b sondern ein Anzeichen für geschickten Verrat, folgt daher: Du Hirte Israels höre, der Du Joseph weidest wie ein Herde (Ps 80,2), und “die Oration fügt hinzu: ‘Éxcita – Herr, wecke unsere Herzen auf!’”c Zu diesem Trost passt die folgende Epistel: Alles, was einst geschrieben worden ist (Röm 15,4), die uns zu Geduld und Trost aus der Heiligen Schrift einlädt, damit wir dadurch freudige Hoffnung haben auf das, was die alten Väter versprochen Vgl. Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis 1, 6. Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 3. c Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 65. a
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haben, d. h. auf das Heil der Heidenvölker und die Freude und die Fröhlichkeit der Heiligen. Das Graduale: Ex Sion – Vom Zion her, der Krone der Schönheit (Ps 50,2), singt davon, dass Er sichtbar kommen wird, dessen Schönheit vom Zion stammt, d. h. das Heil kommt von den Juden (Joh 4,22). Jenen Heiligen verkündet Er, die auf der rechten Seite stehen sollen, dass sie das Neue Testament auf den alten Opfern gegründet haben. Der Sohn, der den mütterlichen Trost vernommen hat, freut sich auf die Ankunft des Vaters, auf das Heil seines Volkes, auf die Fröhlichkeit des Gefährten und sagt im Halleluja: Laetatus sum – Ich freute mich, als man mir sagte: Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern. Schon stehen wir an deinen Toren, Jerusalem (Ps 122,12). Danach gestärkt durch das Evangelium, wo es heißt: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen (Mt 24,35), fügt man im Offertorium voller Sicherheit hinzu: Deus tu conuersus – Herr, wende Dich zu uns und Du belebst uns neu (Ps 85,7 Vg.). Die Communio Jerúsalem – Steh auf, Jerusalem (Bar 5,5) beschließt die Summe dieses Offiziums, die ermuntert hat, die Pilgerin Jerusalem, d. h. die gegenwärtige Kirche, möge geduldig das Exil dieses Lebens ertragen, in Geduld aufstehen, aufgestanden in die Höhe blicken, um im Stehen die Herrlichkeit zu sehen, die ihr vom Herrn entgegenkommt. Aufstehen und stehenbleiben, d. h. das wird im Evangelium gesagt mit: ‘Erhebt eure Häupter! (vgl. Lk 21,28), das ist es, womit die Oration, die Postcommunio, schließt: ‘das Irdische verachten und das Himmlische lieben’. “Daher ist an diesem Tag die Statio [zum hl. Kreuz] in Jerusalema angebracht, wohin das ganze Offizium schaut um sein Herz zu erheitern.”b Und weil das Halleluja singt: Stantes erant – Schon stehen wir in deinen Toren, Jerusalem (Ps 122,2), sprechen einige das Evangelium: Als Johannes im Gefängnis hörte (Mt 11,2), was auch zur zweiten Ankunft schaut, da Johannes fragt: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten? (ebd. 11,3). Ihm antwortet Jesus: Seht, ich bin gekommen um freizumachen, und a b
Die römische Kirche Santa Croce in Gerusalemme. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 3.
3a – Das Offizium der Woche
ich werde wiederkommen um zu erlösen, was ihr an Zeichen vermuten könnt, denn Blinde sehen’ usw.(ebd. 11,5). Am Mittwoch, Freitag und Samstag werden die Evangelien vom Zeugnis Christi über Johannes und vom Zeugnis des Johannes über Christus und seine Ankunft gelesen, wovon auch die Epistel: Wartet geduldig (Jak 5,7) spricht. 3. Dritter Sonntag im Advent
a. Das Offizium der Woche ‘Seht, der Herr wird erscheinen’.a In dieser Historia, die teilweise aus der Prophetie, teilweise aus dem Evangelium zusammengestellt ist, beziehen sich Antiphonen und Responsorien gemeinsam auf die beiden Ankünfte. “Das Tagesoffizium aber bezieht sich auf die Freude der Verkünder, welche die anderen über die Ankunft des Herrn belehren. Deshalb wird das Evangelium vom berühmten Prediger Johannes dem Täufer gelesen: Die Juden schickten (Joh 1,10). Als er das hörte, wies er mit dem Finger auf den Herrn und verkündigte, Er werde kommen. Von ihm sagte der Herr, dieser sei kein Mann in feiner Kleidung, und nannte ihn mit prophetischer Stimme wegen seines Amtes und seiner Verdienste einen Boten. Er sagte: Seht, Ich sende meinen Boten vor mir her (Mt 11,10). Wer würde nicht vor Scham erröten und weinen, der durch das Amt als Prediger die Benennung als Bote verdient? (vgl. Mal 3,1) Gaudete – Freut euch, singt vielmehr der Apostel im Introitus, eure Güte werde allen Menschen bekannt (ebd. 4,4).”b “Wenn sie ihre Augen verschließen und das Licht vor ihnen nicht sehen wollen, sorgt euch um nichts. Der Herr ist nahe, der euer Licht auch denen entgegenhält, die nicht sehen wollen, nur bringt eure Bitten mit Dank vor Gott! (ebd. 4,6) Jener eine wird Zeuge sein, er wird ja alle Verleumder überwinden, die Gefangenschaft Jakobs beseitigen, euch mit Frieden erfüllen, der alle Vorstellungen a b
3. Adventsonntag, 1. Nokturn, 1. Responsorium Ecce apparebit Dóminus. Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 4.
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übertrifft. “Nach Anhören der Tröstung über die Ankunft des Herrn betet der Leiter der Kirche in der Oration: ‘Neige Dein Ohr’, ‘dass Er die Finsternis, die wir erleiden, in dem, was man bei uns für falsch hält, durch seine Einkehr erleuchte.’ Und er ermuntert die Untergebenen in der Epistel: So soll man uns betrachten (1 Kor 4,1)”a, dass sie über ihre Meister nur Gutes denken und nicht vor der Zeit verurteilen. Und wenn die Einflüsterer übler Nachrede nicht aufhören zu verurteilen, tröstet er sich und sagt: Mir macht es allerdings nichts aus, wenn ihr oder ein menschliches Gericht mich zur Verantwortung zieht (1 Kor 4,3). “Aber weil die Last der Verleumder schwer ist, fordert er in Graduale und Halleluja, dass Er, der auf den Kerubim thront, d. h. der die Fülle der Erkenntnis hat, seine gewaltige Macht aufbietet, kommt, sich einsetzt, das im Dunkeln Verborgene ans Licht bringt und die Absichten der Herzen aufdeckt, die Gefangenschaft seines Volkes abwendet und seine Schuld vergibt (vgl. Ps 85,2-5 Vg.). Weil dies ohne Zweifel zukünftig ist, gebraucht der Zelebrant im Offertorium zur Sicherheit das Präteritum statt des Futurs, indem er sagt: Benedixisti – Einst hast Du, Herr, Dein Land gesegnet (Ps 85,2). Die Communio: Dícite pusillánimes – Sagt den Verzagten (Jes 35,4),”b ist der Schluss dieses ganzen Offiziums; die Zelebranten ermuntern die Kleingläubigen wegen des schlechten Rufs, trotz Verleumdung wegen der Gewissensbisse ihres Herzens und der Hingabe ihres Geistes doch Mut zu fassen in die Ankunft des Heils, das danach in der Komplet gefordert wird. – “Zu diesem Offizium passt nach der Einrichtung der Leiter der Kirche die Statio zu St. Peter, der den Prinzipat der Leiter hatte.”c
b. Die Quatembertage “Am Mittwochd dieser dritten Woche der Winterzeit ist Fasten angesetzt. Gegenüber den übrigen Tagen dieser Woche sind der Mittwoch und der Freitag fürs Fasten bestimmt, weil sie durch das Gedenken an das Leiden des Herrn vor den anderen ausgeRupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 4. Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 4. c Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 6. d Vgl. Sicardus, Cronica zum Jahr 310. a
b
3b – Die Quatembertage
zeichnet sind. Denn am Mittwoch wurde der Herr von Judas verkauft und am Freitag von den Juden ans Kreuz geschlagen. So kommt es, dass diese Tage in einzelnen Wochen eigene Lesungen als Evangelien und Episteln haben. Deshalb sind die Fasten der Quatembertage an diesen Tagen eingerichtet, dazu ein weiterer Tag, der Samstag, der Tag der Grabesruhe des Herrn und der Trauer der Apostel. Deshalb haben die Fasten der Quatember ihren Beginn vom Gesetz her: Da verwandelte Sacharja für das Haus Juda und Jerusalem das Fasten des 4., 5., 6., 7. und 10. Monats in Festtage des Jubels und der Freude. “Diese Fasten richteten sie in jenen Monaten ein wegen verschiedener Plagen, die in jenen Zeiten geschahen, wie Hieronymus zu Sacharja sagt.”a Es ist dies nicht ohne Mysterium. So wie es die vier Elemente des Leibes gibt, vier Jahreszeiten, die aus je drei Monaten bestehen, so fasten wir viermal im Jahr an drei Tagen. Die drei Tage beziehen wir auf drei Monate und bieten dem Herrn in jedem Monat einen Tag zu heilsamem Handel an, damit Er uns ein ruhiges Leben gewährt, die vier Elemente des Leibes schützt und das Fasten die Leidenschaften des Leibes unterdrückt und kasteit. Oder wir fasten dreimal vier Tage, um dem Herrn die Erstlingsgaben der Tage darzubieten. Dieses Winterfasten ist bekannter als das der anderen Jahreszeiten, es hat auch das vollere Offizium, das zur Ankunft des Erlösers gehört. Denn wenn dem Fleisch durch das Fasten zugesetzt wird, soll sich die Seele an den Zeugnissen der Erlösung aus der heiligen Lesung oder dem heiligen Gesang der Kirche erfreuen. So gehört es also zur Ankunft des Erlösers, wie es zu seinem Tempel gehören sollte, zum Heiligtum des Heiligen Geistes die selige Jungfrau, (meine ich) in der Gott sich herabließ, neun Monate zu wohnen und Mensch wurde. Denn im Evangelium: Der Engel Gabriel wurde gesandt (Lk 1,26) wird die Botschaft des Dieners rezitiert, die Zustimmung der Jungfrau und die Menschwerdung des Herrn, die zuvor mit den Trompetenklängen der Propheten verkündet worden war. Daher singt der Prophet im Introitus: Rorate – Tauet, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, regnet den Gerechten (Jes 45,8). ‘Tauet’ heißt a
Hieronymus, Commentarii in Zachariam 2.
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es da und ‘regnet’, denn das Wort steigt herab in die Halle der gläubigen Jungfrau, wie Regen auf die Wolle der Schafe niedersteigt. ‘Himmel’ sagt er und ‘Wolke, Engel und Propheten’, die die Herrlichkeit Gottes rühmen (Ps 19,2). Bei der Lesung aus dem Propheten: Am Ende der Tage (Jes 2,2) handelt es sich um den Berg des Herrn, der aus einem kleinen Stein zum Berg anwuchs, der über das Haus Jakobs herrschen wird. Daher wird zu Recht im Graduale angefügt: Tollite – Hebt euch! Der König der Herrlichkeit will eintreten (Ps 24,9) und: Wer darf hinaufziehn zum Berg des Herrn? (ebd. 24,3) Bei der Lesung der Epistel: Der Herr sprach zu Ahas: Erbitte dir ein Zeichen vom Herrn (Jes 7,10), handelt es sich offenkundig um die selige Jungfrau. Dem antwortet man richtig im Graduale: Prope est Dóminus – Der Herr ist nahe allen, die Ihn anrufen (Ps 145,18), wie wenn er sagte: ‘Bitte, denn Er ist nahe.’ Und damit kein Zweifel sich einschleicht, folgt im Offertorium: Confortámini – Habt Mut! (Jes 35,4). Ein anderes Offertorium nach einigen: Aue Maria – Sei gegrüßt, Maria (Lk 1,18) und die Communio: Ecce Virgo – Seht, die Jungfrau (Sach 14,2) sind aus dem Evangelium genommen. Deswegen ist die heutige Statio zu Recht in der Kirche der hl. Maria.”a Am Freitag wird das Evangelium gelesen: Maria machte sich auf (Lk 1,39 Vg.) und die Lesung der Epistel: Es wächst ein Reis empor (Jes 11,1), das offensichtlich von der Ankunft des Herrn und der seligen Jungfrau verstanden wird, die nahe war, da sie auch in der unbefleckten Jungfrau stattfand. “Deshalb singt die Kirche im Introitus: Prope est – Nun bist du nahe, Herr (Ps 119,151) und Wohl denen (ebd. 119,1). Graduale: Ostende – Erweise Herr uns Deine Huld (Ps 85,8) und Offertorium: Deus tu – Wende Dich uns zu (ebd. 85,7 Vg.) oder nach anderen: Audi Israel – Höre, Israel (Deut 6,4) schauen sie auf die erste Ankunft. Denn von Dem die Himmel erzählten, d. h. die Apostel predigten, um bei der zweiten Ankunft mit dem Herrn zu richten, “ist heute die Statio bei den hl. Aposteln,”b über die im Gesang der Jungfrau gesprochen und von der heute im Evangelium zitiert wird: Er Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 6. – Gemeint ist die Kirche Santa Maria maggiore in Rom. b Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 7. – Gemeint ist die Kirche Santi Apostoli in Rom. a
3c – Die Weihen
stürzt die Mächtigen vom Thron, d. h. die stolzen Schriftgelehrten und Pharisäer, Er erhöht die Niedrigen (Lk 1,52) d. h. die Apostel, und in der Communio: Ecce Dóminus – Seht der Herr wird kommen und alle Heiligen mit Ihm (Sach 14,5 Vg.).”a “Der folgende Samstag und die anderen Samstage der Quatember heißen ‘Samstage der 12 Lesungen’, obgleich nur sechs gelesen werden. Dies ist von der alten Gewohnheit der Römer übernommen. Denn als in der römischen Kirche Griechen und Römer gemischt waren, wurden die einzelnen Lesungen in beiden Sprachen vorgetragen, weil die in der einen Sprache vorgetragenen ja von den Leuten der anderen Sprache nicht verstanden wurden.”b Nun aber konnte die Gesamtheit beider Völker es verstehen. Es heißt, dass dieses noch in der orientalischen Kirche so gehalten wird. “Da nun jede zweimal gelesen wird, ergibt die verdoppelte Zahl sechs nun zwölf wegen der Anzahl an Lesungen, nicht wegen der Verschiedenheit dieser Lesungen oder Stücke.”c Aber da am Mittwoch zwei Lesungen und am Samstag sechs gelesen werden, warum wird der Freitag in der Armut nur einer Lesung belassen? Es wäre doch leicht, die Zahl neun in Dreiergruppen auf die drei Tage zu verteilen. – Aber dies ist nicht ohne Grund so.
c. Die Weihen “Für die Quatember-Samstage ist ja festgesetzt, dass hier die Weihen erteilt werden. Es werden die geweiht, die am Mittwoch zuvor erwählt worden sind.”d Die Weihekandidaten werden aber am Mittwoch erwählt, weil am Mittwoch durch David und Salomo die Leviten zum Tempeldienst verteilt wurden (vgl. 1 Kön 8,4). Die Erwählten sind zum Inhalt der beiden Testamente zu prüfen. Deshalb werden zwei Lesungen vorgetragen; die erste mit schwächerer Melodie, die das Erste Testament kennzeichnet, weil es Irdisches versprach: Ich werde euch ein Land geben, in dem Milch und Honig fließen (Lev 20,24). Daher beugen wir die Knie Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 7. Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 8. c Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 9. d Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 3. a
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bis zur Erde. Die zweite in aufsteigender Melodie, sie bezeichnet das Zweite, das Neue Testament, welches Neues, Himmlisches, Ewiges und Erhabenes verspricht, wie: Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich (Mt 5,3). Aber mögen auch beide Testamente oberflächlich gesehen zwei verschiedene Sachen zu versprechen scheinen, so versprechen sie doch beide im Sinn jenes Eine, von dem es heißt: Nur eines erbitte ich vom Herrn, danach verlangt mich: im Haus des Herrn zu wohnen alle Tage meines Lebens (Ps 27,4). Deswegen wird am Freitag, an dem wir geschaffen wurden, nur eine Lesung gelesen und mit kräftigem Akzent gesungen. Aber weil man zu diesem Einen nur durch die Werke der Barmherzigkeit gelangt, “werden am Samstag sechs Lesungen vorgetragen und am Mittwoch zwei Lesungen, denn im 4. Zeitalter sollen Gesetz und Propheten bewahrt werden.”a Einmal beugen wir die Knie, denn im Gesetz und den Propheten ist ein Gott zu verehren. “Am Freitag wird eine Lesung rezitiert, weil im 6. Zeitalter das Gesetz und die Prophetien in der Einheit des Evangeliums erfüllt werden, sobald es heißt: ‘Flectamus genua – Beuget die Knie’,”b weil Christus als dem Gesetzgeber gehuldigt wird. Und da am Mittwoch aus genannten Gründen zwei Lesungen vorgetragen werden, müssten am Freitag wegen der Beendigung des Fastens drei rezitiert werden und am Samstag vier. Aber zwei werden vom Freitag auf den Samstag verschoben. Und während am Samstag sechs vorgetragen werden, bleibt nur eine für den Freitag. Sechs werden am Samstag rezitiert, damit für die Weihekandidaten der Reichtum des hl. Offiziums, das sie vortragen werden, bestehen bleibt. Sie werden auch zum Fasten aufgefordert und ‘Rekruten zum heiligen Dienst’ genannt. Bei den Weihen werden vier als die ersten vier Grade bezeichnet, denn nach den einzelnen Gebeten folgen die einzelnen Weihen. Wenn die jeweils erteilt sind, folgt jeweils eine Lesung mit einem Responsorium, als wenn es hieße: ‘Die Kirche betet für euch Weihekandidaten. Diese Weihen werden euch erteilt zum Lesen und a b
Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 134. Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 134.
3c – Die Weihen
Psalmen-Singen! Geht also zum Lesen und Singen! Aber seht zu, dass ihr mit dem Herzen das glaubt, was ihr mit dem Munde vorlest und singt, und was ihr im Herzen glaubt, mit euren Werken beweist! Seht zu, dass ihr stark seid in den vier Tugenden, damit ihr zu den vier Rängen der Gott Lobenden gehören könnt, denen der Psalmist sagt: Haus Israel, preise den Herrn! Haus Aaron, preise den Herrn! Haus Levi, preise den Herrn! Alle, die ihr den Herrn fürchtet, preist den Herrn! (Ps 135,19-20)’ Woher auch immer die vier zuvor genannten Lesungen und Responsorien kommen und die fünfte Lesung: Der Engel des Herrn stieg hinab (Dan 3,49), mit dem Gebet zuvor und dem folgenden Hymnus wird sie weder an diesem Samstag noch am Samstag der anderen Quatember geändert, sondern stets an fünfter Stelle gelesen, und alle fünf gehören zum Fasten. Wie ja den vom babylonischen König in den Feuerofen geworfenen Jünglingen die Gnade des Himmels zu Hilfe kam und mitten im Feuerofen so ein taufrischer Wind wehte, so befreit die Beharrlichkeit des Fastens und der Gebete die vom König der Verwirrung, dem Teufel, Niedergestreckten. Diese Art von Dämonen wird nur durch Gebete und Fasten vertrieben. Die Befreiten aber sind gehalten, den Herrn zu loben, mit Gesängen hoch zu preisen, damit sie nicht undankbar gegenüber den Wohltaten erscheinen. Und sie gehören zum Sakrament der folgenden hl. Weihen. Denn weil Töpferware nach der Brennhitze des Ofens eingeschätzt wird (Sir 27,5), und weil der Apostel sagt: Sie soll man vorher prüfen, dann sollen sie ihren Dienst ausüben (1 Tim 3,10), wird den hl. Weihen die Prophetie des Feuerofens vorausgeschickt, denn wie die Jünglinge im Feuerofen, so werden die Weihekandidaten für die heiligen Ämter im Ofen der Trübsal erprobt. Daher folgen jetzt die Segnungen, denn nach der Erprobung erfolgt die Krönung. Dazu gehört dann das folgende Gebet: ‘Gott, Du hast den drei Jünglingen das Feuer mild gemacht’. Danach wird der Rang des Subdiakons verliehen, damit dem neuen Subdiakon die Epistel anvertraut wird. Zu den Gebeten bei den Prophetien beugen wir die Knie, zur Epistel jedoch nicht. Einige machen zu Ángelus Dómini (Dan 3,49) nie eine
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niebeuge, damit es nicht so scheint, als ob wir die Statue des K Nebukadnezar anbeten. Darauf wird der Rang des Diakons verliehen, damit dem neuen Diakon das Evangelium zugewiesen wird. “Dann werden die Priester geweiht, damit die Neulinge mit dem Weihespender zum Altar treten,”a dort bleiben und Kreuzzeichen mit dem Kreuz schlagen. Einige aber spenden zwischen der Lesung ‘Der Engel des Herrn’ und der Epistel die hl. Weihen, damit sie nach der Weihe den Neugeweihten Epistel und Evangelium nach dem Beispiel des Guten Hirten vortragen, der seinen Sohn sendet und ihn lehrt, was und wie er handeln soll. Durch die Epistel werden sie gemahnt, den Segen zu bewahren, den sie empfangen haben. Durch das Evangelium wird ihnen gesagt: Geht zu allen Völkern und lehrt sie (Mt 28,19). Einige erteilen nach Zuteilung des Subdiakonats vor der Epistel in besagter Weise sofort danach den Diakonat und das Priestertum. Wenn sie dieses erhalten haben, brechen sie in den jubelnden Ruf aus: Lobet den Herrn! (Ps 148,1), weil sie nun besonders zum Loben eingeladen sind. Diese Weihen werden besonders um das Evangelium herum erteilt, weil Moses und Aaron die Leviten zum Dienst am Bundeszelt geweiht haben und Christus die 72 Jünger geweiht und zum Predigen ausgesandt hat. “Bemerkenswert ist auch: “Die Weihen werden besonders in den vier Jahreszeiten erteilt, die die Erstlingstage sind, sodass die Weihekandidaten wissen, dass sie die Ersten der Kirche sind,”b und sich mit den vier Tugenden schmücken müssen und unter den vier Evangelien gemahnt werden, Christus und der Kirche zu dienen: Im Frühjahr, dass sie mit den Tugenden blühen, im Sommer, dass sie in der Liebe glühen, im Herbst, dass sie die Früchte ihrer guten Taten ernten, im Winter, dass sie das in den Scheunen Gesammelte aufbewahren und sich dessen im Herrn erfreuen.”c Auch in der vierzigtägigen Fastenzeit sollen sie die Laster im Fasten kraftlos machen und im Fasten sterben vor den Fastenden und Nüchternen, damit sie die Apostel nachahmen. Diese haben, als sie Paulus und Barnabas aussandten, den Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 134. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 96. c Vgl. Berno, De officio missae 7. a
b
3c – Die Weihen
Heiden das Evangelium zu verkünden, und Presbyter für die Gemeinden einsetzten, gefastet, gebetet und ihnen die Hände aufgelegt (Apg 13,3). Sie haben diese dem Herrn empfohlen, an den sie glaubten, dass sie einsehen, mit welcher Hingabe der Gebenden und Nehmenden das Sakrament dieses Segens erteilt werden sollte. Dies wird am Samstag gefeiert, weil der Herr diesen Samstag vor den übrigen geheiligt hat. Dadurch verstehen wir, dass die Neugeweihten sich nicht nur von knechtlicher Arbeit, sondern sich auch von Lastern fernhalten müssen. – Heute jedoch kann dies auf den Sonntag verschoben werden, obgleich es weiterhin am Samstag geschehen soll. Daher kann an dem Abend, von dem der Sonntag seinen Anfang nimmt, die Weihe gefeiert und bis zum Morgen des Sonntags ausgedehnt werden, jedoch unter Fortsetzung des Fastens. Und passend werden an diesem Tag die Geheimnisse der Priesterweihe vollzogen, wobei der Segen an Gnaden gegeben wird.a An diesem Tag, dem Sonntag, ist der Herr auferstanden und hat (wie es heißt) die Apostel angehaucht und gesagt: Empfangt den Heiligen Geist. Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben (Joh 20,22-23). So kam der versprochene Heilige Geist zu ihnen. Daher legen wir zu Recht die priesterliche Segnung auf diesen Tag, damit wir mit dem auferstandenen Herrn als neue Menschen leben (Röm 6,4) und mit den Aposteln fröhlich singen können: ‘Veni Sancte Spíritus – Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen Deiner Gläubigen’, d. h. der neu Geweihten. Was am Samstag in der mittleren Wocheb und am Karsamstag gefeiert wird, berücksichtigt so, wie es sich im Kanon findet, die Weihe an jenen Tagen der Durchführung und das Offizium, dass sie wie die Neugetauften zur Taufe, so zu diesem Sakrament des Weihegastmals gerufen werden. Diese Betrachtung der Feier des zuvor genannten Tages ist entsprechend den hl. Weihen durchzuführen. Die niederen Weihen sind an den Hohen Feiertagen von den Bischöfen zu spenden. Zum Subdiakonat und über die genannten Tage hinaus dürfen, abgesehen vom Römischen Bischof, nur Bischöfe erheben. Deshalb werden die schottischen Bischöfe beschuldigt, die a b
Es ist wohl der Primizsegen gemeint. Am Samstag nach Laetare bzw. am Tag vor dem Passionsonntag Judica.
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die Untergebenen bei den Kirchweihen zu den hl. Weihen erhoben haben. “Solche Weihen hat als Erster und Leiter Petrus eingerichtet, dem nach Christus das höchste Bischofsamt übertragen wurde. Deshalb wird an diesem Samstag wie an den übrigen Tagen der Quatember die Statio angemessen beim hl. Petrus gefeiert.”a
d. Zusammenfassung der Messfeiern
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Nun wollen wir zur Summa Offícii zurückkehren, weil sie auf beide Ankünfte schaut, wie aus den Lesungen – ausgenommen die fünfte – und aus den vorausgehenden Responsorien deutlich wird. Dies wird auch klar bei der 6. Epistel: Wir bitten euch (2 Thess 2,1), in der es um den Sohn der Bosheit geht, den der Herr durch den Glanz seiner Ankunft zunichte machen wird. Der Traktus begleitet die Epistel, dass sich kein Geweihter zum Hochmut erheben darf, sondern eher zum Seufzer über sich und die anderen niedergedrückt wird. Zum Advent aber gehört das Evangelium: Im 15. Jahr (Lk 3,1), wo es heißt: Alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt (ebd. 3,6). Dass das Offertorium Éxcita – Juble laut, Tochter Zion, jauchze über den König (Sach 9,9) zum Advent gehört, ist keinem zweifelhaft, es ist auch folgendes nicht mit Schweigen zu übergehen: Dieser Samstag geht immer der Vigil des Herrn voraus, denn beide Tage haben ihr Offizium, und der Samstag ist vom Advent, die Vigil keineswegs. Doch die Vigil von Weihnachten gehört zu der Zeit der Freude, die aus der Ordnung Gregors hervorgeht, der als letzte Advents-Antiphonen zum Evangelium die folgenden festsetzte: Completi – Erfüllt waren die Tage (Lk 2,22) und Ecce – Seht, alles ist erfüllt. Da nun der Advent zumindest regulär 21 Tage hat, d. h. drei volle Wochen, abgesehen von der Weihnachtsvigil, und da er immer am Sonntag beginnt, muss er bis auf vier Wochen verlängert werden, wenn Weihnachten auf einen Sonntag fällt. Wenn es auf einen Montag oder einen Samstag fällt wegen des Quatemberfastens oder wegen der Vigil, wirst du fasten und am Sonntag der Via Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 10; Le Liber Pontificalis I, 1. – Also die Basilika San Pietro in Vaticano.
4 – Vierter Sonntag im Advent
gil das Offizium feiern, das Halleluja singt man wegen des Advents und wegen des Sonntags. Und beachte: Wir haben die Väter so verstanden, dass wegen der drei Zeitalter drei Wochen Advent sind. Die ersten waren vor dem Gesetz; wie das in die Erde geworfene Korn war es von der Frucht entfernt, so rufen die von Gott Entfernten im Introitus Ad te leuaui – Zu Dir erhebe ich (Ps 25,1). Die zweiten waren unter dem Gesetz, durch die Lehre des Glaubens gebildet, und daher gingen sie näher an das Licht heran, sie, die Populus Sion – Volk vom Zion (Jes 30,19) genannt werden. Die dritten waren die Propheten, besonders jene, die die Geburt wie Simeon fanden. Denen wird, weil der Retter nahe ist, im Introitus gesagt: Gaudete – Freut euch (Phil 4,4). Einige sagen, im Offizium des 1. Adventssonntags handelt es sich um die Berufung der Juden, im 2. aber um die Berufung der Heiden, daher heißt es dann: Um die Heiden zu retten, am 3. um die Berufung beider Völker. Daher heißt es hier: Freut euch, ja, freut euch! und gesungen wird am 1. Sonntag in der Person des Johannes, am 2. in der Person der Propheten, am 3. in der Person der Apostel, am folgenden 4. in der Person der Kirchenlehrer, die wieder über die Berufung der Heiden sprechen, und in der gesammelten Gnade der Ermahnenden hartnäckig bleiben sollen, damit sie von der Gnade der Hoffnung zur Herrlichkeit des Schauens gelangen. 4. Vierter Sonntag im Advent Auf dem Zion stoßt in das Horn (Joel 2,1).a In dieser Historia des 4. Sonntags wird das Gemeinsame teils aus den Propheten, teils aus dem Evangelium zusammengestellt, zu beiden Ankünften gesungen und besonders die Berufung der Heiden durch Christi Ankunft wird erklärt, wo es in der Person der Apostel und der Kirchenlehrer heißt: Stoßt in das Horn, Ruft die Heiden! Im Graduale aber: Prope est – Der Herr ist nahe (Ps 145,18). “Über diesen Sonntag hieß in alter Zeit: ‘Der a
1. Nokturn, 1. Responsorium Canite tuba in Sion, uocate Gentes.
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Sonntag fällt aus.’”a Denn das Offizium hatte kein Messproprium, sondern entlieh Fremdes, so Rorate – Tauet (Jes 45,8) wegen der Weihen des Vortages, mit denen der Papst beschäftigt war. “Es kam ja im Dezember öfter vor, dass die Weihen vom Papst selbst vollzogen wurden.”b Und siehe, weil die Zahl, nämlich 21 Tage, überschritten wurde, deshalb sollte der Tag nicht bei den Adventssonntagen mitgezählt, sondern richtiger ‘vakant’ genannt werden. Und auch, weil die Statio dieses Tages keinem Heiligen zugeteilt war, wie man liest. Und zu Recht wird heute das Evangelium gelesen: Die Juden sandten (Joh 1,19). Darin sagt Johannes: Ich bin es nicht wert, Ihm die Schuhe aufzuschnüren (ebd. 1,27). Wenn es also dem Johannes, im Verhältnis zu dem es unter den Menschen keinen größeren gegeben hat (Mt 11,11), nicht ausreichte, das Geheimnis der Menschwerdung Christi zu offenbaren, doch wen kümmerte sein Geschick? (Jes 53,8) Wie also nahm das Wort Fleisch an, wie wird der Lebendigmacher belebt, wie wird das Alpha empfangen, welchem Heiligen wird dieses Geheimnis geglaubt, dass bei ihm in der Statio das Offizium gefeiert werden könnte? Ja, wenn die Offizien recht betrachtet werden, scheinen sie mit den Tugenden und Verdiensten jener Heiligen überein zu stimmen, denen die Statio-Feiern zugewiesen werden. So wird beim hl. Petrus, der [als Fürst] die Gewalt zu binden und zu lösen hat, die Statio gefeiert, da die Lösung der Eselin uns im Evangelium erklärt wird, so werden die Prüfungen und die Taufbewerber bezeichnet und so wird zum Taufprediger der Heiden Zuflucht genommen. Dieser Sonntag bleibt deswegen frei, nicht weil sein Offizium nicht authentisch wäre oder er kein eigenes Offizium hätte, sondern weil er von der ordentlichen Verteilung der Statio zu Recht ausgenommen ist. Er hat ja Stoff, der für keinen Heiligen nachvollziehbar ist, doch für alle reichlich genug bietet, der aber allein durch den Heiligen Geist verwaltet wird, der im Raum des jungfräulichen Schoßes allein der Mittlere war, allein eingeweiht und einziger Verantwortlicher des himmlischen Hochzeitsmaha b
Petrus Comestor, Allegoriae in vetus testamentum 7, 20. Bernoldus, Micrologus 24.
4 – Vierter Sonntag im Advent
les. In diesem Schoß sah die Heidenschaft, würde die Gottheit beschuhta sein. Im Introitus ruft sie nach einigen Jüngeren: Memento nostri – Denk an uns, Herr, aus Liebe zu Deinem Volk (Ps 106,4), d. h. im Sohn, an dem Du allein von den Tausenden des Volkes, das von Anbeginn der Welt Deines war, Dein Wohlgefallen hattest. Darum wird in der Epistel den anderen zugerufen: Freuet euch! Doch im Hinblick auf den jungfräulichen Schoß singt sie im Graduale, der Herr sei nahe und seine Ankunft bald. Das Halleluja ‘Veni Dómine – Komm Herr’ und das Offertorium Confortámini – Habt Mut ( Jes 35,4) und die Communio Ecce Virgo – Seht, die Jungfrau ( Jes 7,14) sind bekannt, in denen sehnt sie sich, tröstet und umschließt den Grund für den Trost. Und sieh: “Die kommende Woche wird zu Recht Vorbereitung auf Weihnachten genannt und in ihr die Historia Clama in fortitúdine – Erheb deine Stimme mit Macht (Jes 40,9) gesungen,”b die sich nicht, wie Einfältige vermuten, auf die Quatember, sondern auf das kommende Weihnachtsfest bezieht. Daher wird sie “in den sechs Laudes der Matutinen gesungen, denn während der sechs bisherigen Zeitalter bis zur Ankunft haben sie sich vorbereitet, und wir werden durch die sechs Werke der Barmherzigkeit auf die zweite Ankunft vorbereitet.”c Doch an die ferialen Antiphonen, die am Fest des hl. Thomas aufgezeichnet sind, haben wir uns gewöhnt, sie sind am 8. Tag zuvor zu singen. Und es ist angemessen, die Gesänge vor dem demnächst kommenden Weihnachtsfest zu erneuern, denn wie das Herz der Untergebenen durch mehrere und weitere neue Botschaften mehr und mehr bewegt wird, den Oberen zum Bewirten aufzunehmen, so werden wir durch die Neuaufnahme der Gesänge mehr angeregt, dem kommenden Herrn eine würdige Wohnung zu bereiten. Der ganze Advent kann als Vorbereitung bezeichnet werden. Da liest man am Anfang: Lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts (Röm 13,12). Dies alles sind Zeichen der Vorbereitung. “In dieser Woche werden die sieben Antiphonen im 2. Ton gesungen, eine jede der Reihe Vgl. Joh 1,27 und S. 418. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 4. Breviarium Romanum, Feria 4 Quat. Temp. Responsorium 1. c Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 4. a
b
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nach an jeweils einem Tag bis Weihnachten. Sie sind deswegen im 2. Ton, weil sie auf Christus gerichtet sind, der der Held der zweifachen Wesenheit ist. Es sind sieben, denn darin ruht der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit und der Geist der Gottesfurcht (Jes 11,2). Durch diese sieben Gaben hat Er uns die Gnade seiner Menschwerdung zukommen lassen. Er ist ja die ‘Sapientia – Weisheit’, durch die der Vater alles geschaffen hat, der im Geist der Weisheit gekommen ist, uns den Weg der Klugheit zu lehren. Er ist der ‘Adonai – Herr’, der seinen Namen dem Moses gezeigt, ihm das Gesetz auf dem Sinai gegeben hat, der gekommen ist, uns im Geist der Einsicht zu erlösen. Er ist die ‘Radix Iesse – Wurzel Jesse’, die am Stamm des Kreuzes zum Zeichen für die Völker stand, der im Geist des Rates gekommen ist, uns zu befreien. Er ist ‘Clauis David – Schlüssel Davids’. Wenn Er öffnet, kann niemand die Keller des Paradieses und der Unterwelt schließen, wenn Er schließt, kann niemand sie öffnen (Jes 22,22), Er, der im Geist der Stärke kommt, um uns aus den Verliesen der Unterwelt herauszuführen. Er ist ‘Óriens sol iustítiae – die Sonne der Gerechtigkeit im Osten’, die im Geist der Erkenntnis kommt, uns zu erleuchten. Er ist ‘Rex géntium – der König der Heidenvölker’, ‘Lapis angularis – der Eckstein’, der kommt, uns im Geist der Frömmigkeit zu retten. Er ist ‘Emanuel – Gott mit uns’, der durch den Geist der Gottesfurcht gekommen ist, uns zu retten, und uns die Gnade seiner Liebe gab. Alle diese Antiphonen beginnen mit ‘O’,”a das eher als Bewunderung denn als Anrede zu verstehen ist. Und es sind deshalb sieben, weil sie zur Bezeichnung der alten Väter gesungen werden, die als Gruppe von sieben Dienern die Ankunft des Herrn erwarteten. Daher heißt es bei allen: ‘Veni – Komm’. Gesungen werden sie in der Vesper, denn der Herr kam am Abend der Welt. Es ist Elija, der spät am Abend Fleisch und am Morgen Brot isst (vgl. 1 Kön 17,8-16). ‘Dóminus – Herr’, d. h. unser Herr, der in dem letzten Zeitalter der Welt Fleisch annahm, in der Morgenfrühe auferstand und zum Brot der Engel überging. “Wenn nach
a
Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 63.
5 – Vigil von Weihnachten
einigen neun Antiphonen gesungen werden, wird eine Antiphon für die Jungfrau Maria,”a die empfangen hat, hinzugefügt, eine weitere für den Engelb, der bei Maria eintrat. Wenn es zwölf sind, werden die zwölf Prophetenc ausgedrückt, die Christi Ankunft vorhergesagt haben, die die Apostel durch ihr Zeugnis bekräftigt haben, wonach die zwölf Stämme und aus ihnen je zwölf Tausend Bezeichnete gerettet werden (vgl. Offb 7,4). 5. Vigil von Weihnachten Heute sollt ihr wissen: Der Herr wird kommen, und morgen werdet ihr die Herrlichkeit des Herrn schauen (vgl. Ex 16,6-7).d Dieser Tag heißt Vigil von Weihnachten. “Vigilien begannen bei den Hirten. Nach alter Sitte wurden bei besonderen Festen zwei Nachtgottesdienste gefeiert, einer am Beginn der Nacht vom Bischof mit seinen Kaplänen ohne das Invitatorium ‘Venite – Kommt!’ (vgl. Ps 75), der andere um Mitternacht, so wie es heute noch von manchen an Hochfesten beobachtet wird. Und das Volk, das zum Fest gekommen war, wachte die ganze Nacht über mit Lobgesängen. Aber nachdem Betrüger diese lobwürdige Einrichtung zum Gespött gemacht hatten und sich mit hässlichen Liedern, Tänzen und Gelagen der Ausschweifung hingegeben hatten, wurden die Vigilien untersagt, doch die Tage, die für das Fasten vorgesehen waren, behielten die Bezeichnung ‘Vigilien’ bei.”e Unter den Vigilien des Herrn ist die bedeutendste und besondere die, die ein eigenes Nacht- und Tagesoffizium hat mit: ‘Venite. Hodie scietis – Kommt, heute sollt ihr wissen: Der Herr wird kommen, und morgen werdet ihr Seine Herrlichkeit schauen.’ Dies ist aus Exodus mit kleinen Änderungen genommen. Denn als der Herr den Söhnen Israels sagte: Seht, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen, sagten Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 63. Antiphon O Virgo. Antiphon O Gabriel. c Antiphonen O Jerusalem, O mundi Dóminus, Rex pacifice. d Introitus der Vigilmesse. e Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 11; Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 6. a
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Moses und Aaron zu ihnen: Heute Abend sollt ihr erfahren, dass der Herr euch aus Ägypten geführt hat, und morgen werdet ihr Seine Herrlichkeit schauen (Ex 16,6-7). Am Abend also fiel die Wachtel und am Morgen das Manna auf das Lager herab. Die Wachtel war das Fleisch Christi, das Manna das Abbild des Wortes Gottes, des lebendigen Brotes, das vom Himmel herabsteigt. Am Abend nahmen wir das Fleisch, am Morgen das Wort, da am Ende der Weltzeit das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat (Joh 1,14). Das Ende der Weltzeit, obgleich es wahrscheinlicher als Abend bezeichnet werden sollte, wird doch auch ‘Morgen’ genannt, weil uns die Zeit der Gnade, die Sonne der Gerechtigkeit aufgeleuchtet ist und ein neuer Morgen, neue Erkenntnis des Lichts, das Neue Testament den Glaubenden wiederhergestellt hat. Deshalb werdet ihr heute den Herrn kommen sehen, und morgen werdet ihr Seine Herrlichkeit schauen, d. h. in der Zeit der Gnade werdet ihr das Fleisch gewordene Wort als Erfahrung kennenlernen. Wie jenen gesagt wurde, sie sollten sich auf das Essen am Morgen vorbereiten, so wird auch uns gesagt, wir sollten uns auf das Essen des Leibes des Herrn vorbereiten. Und es wird denen, die bei der Geburt des Erlösers dabei waren und das wahre Manna zu essen gewürdigt wurden, geistlich zugesprochen. Und dieser kurze Schlusssatz gehört zu Recht einerseits zu Weihnachten, andererseits zu Ostern, so ‘Hodie – Heute’, d. h. das lebendige Brot, das vom Himmel herabsteigt ‘und morgen’, d. h. in diesem Leben, ‘werdet ihr wissen, dass der Herr kommt’, d. h. in der Herrlichkeit der Auferstehung werdet ihr nicht nur seine menschliche, sondern auch seine göttliche Herrlichkeit sehen. “Zu den Laudes: Juda und Jerusalem, fürchtet euch nicht. Morgen sollt ihr ausrücken, und der Herr wird mit euch sein (2 Chr 20,17). Dieses häufige und ganz bekannte Wort göttlichen Trostes führt uns zum Buch der Chronik, als sich unter der Herrschaft Joschafats die Söhne Amons und Moab mit den Bewohnern des Berglandes Seir gegen Juda zusammengeschart hatten. Es kam ganz Juda nach Jerusalem und zum Tempel des Herrn, um vor Seinem Angesicht zu beten. Und als sie mit Frau-
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en, Kindern und Söhnen vor dem Herrn standen, rief Johasiel, der Sohn des Benaja, ein Levit, im Geist des Herrn aus der Mitte der Versammlung zum Herrn: O Juda und Jerusalem, fürchtet euch nicht. Morgen sollt ihr ausrücken, und der Herr wird mit euch sein. ‘Amon’ wird als ‘das unruhige Volk’ gedeutet. ‘Moab’ ‘vom Vater’, ‘Seir’ ‘struppig’.”a Dies sind die Laster, die den Menschen verwirren und verhärten als vom Teufel ausgehend, die zu unserem Einzug versammelt waren. Da war keiner, der geholfen hätte, bis der Samariter im Fleisch kam, der den Verwundeten verband und dem Wirt übergab (vgl. Lk. 10,30-45). Zu denen also, die vor der Geburt des Herrn in der Gewalt des Teufels und in den Höhlen des Inferno festgehalten waren, richtete sich das Wort: O Juda und Jerusalem, d. h. ihr Bekenner und nach Frieden Dürstenden, fürchtet euch nicht. Morgen, d. h. bald, sollt ihr ausrücken, und der Herr wird mit euch sein, ähnlich: Er wird bei euch wohnen. Moralisch gesehen: O ihr Aktiven, denen das Bekenntnis der Sünden nötig ist, und ihr Kontemplativen, denen stets eine Vision des Friedens Leitbild ist, fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten (Mt 10,28). Morgen, d. h. in Bälde, werdet ihr den Leib dieses Todes verlassen, und der Herr wird mit euch sein. Also strebt danach, aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein. Aus diesen beiden Sätzen: Heute wisst ihr, dass der Herr kommen wird und Juda und Jerusalem, fürchtet euch nicht, wird das Übrige des Nachtgottesdienstes gewoben. Dabei wisse: Ganz gleich, auf welchen Wochentag die Vigil des Herrn trifft, es werden die Wochentagspsalmen mit den Antiphonen und dem Canticum genommen. Doch wenn sie auf den Sonntag trifft, werden die sechs Responsorien aus dem Formular ‘Canite – Blast in die Hörner’b und drei von der Vigil mit den Laudes vorgetragen. Auch wird nach der Gewohnheit von einigen heute bis zur Oktav von Erscheinung des Herrn das Glaubensbekenntnis des Athanasius fortgelassen. “Das Anliegen des Tagesoffiziums soll sein, nicht nur zu zeigen, dass Christus geboren wurde, sondern auch von a b
Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 12. Also das Formular des 4. Adventssonntags.
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wem und warum Er geboren ist, wie es geschah. Geboren ist Er, wie Paulus (vgl. Röm 1,1.3) in der Epistel sagt und im Evangelium: Maria war verlobt mit Josef aus dem Stamm Davids (Mt 1,18). Heute wird die Verlobung Marias gelesen, damit man weiß, dass sie mit einem anderen, d. h. Josef, verlobt war, und wieder von einem anderen, d. h. vom Heiligen Geist, empfangen hatte. Geboren wurde Er, um sein Volk zu retten und das Unrecht auf der Erde zu vertilgen. Heute in der Hoffnung durch die Sakramente der Gnade, morgen tatsächlich durch die Offenbarung der Herrlichkeit. Dies wird offen gesagt im Introitus und im Graduale: ‘Hódie scietis – Heute sollt ihr wissen’ und im Halleluja ‘Crastina die – Morgen’. Einige nehmen das Halleluja ‘Ave Maria’ – Sei gegrüßt, Maria’. Das Halleluja wird jedoch nur am Sonntag gesungen, weil es wegen der Befolgung des Fastens an Vigiltagen entfällt. Doch es wird wegen der Auferstehung des Herrn nicht ausgelassen. Dasselbe wird in der Communio offenbart Reuelábitur – Dann offenbart sich (Jes 40,5). Weil Seine Fleischwerdung aber die zukünftige Zerstreuung der Juden bedeutete, deshalb wird im Graduale der Vers hinzugefügt: Du Hirte Israels höre (Ps 80,2), in dem für sie gebetet wird. Wie Er ist, zeigt der Psalmvers, der beim Introitus gesungen wird, d. h. Dem Herrn gehört die Erde (Ps 24,1). Das wird auch im Offertorium aufgegriffen: Hebt euch, ihr Tore (ebd. 24,7).”a Und sieh: Die Vigil hat auch ein eigenes Tagesgebet. Deshalb muss es am Abend in der Vesper gesprochen werden, was in jeder Vigil nach einigen grundsätzlich zu beachten ist: Wenn es in einer Messe ein eigenes Tagesgebet gibt, wird dieses auch in der Vesper gesprochen. Wenn sie kein eigenes Tagesgebet hat, soll in der Vesper das Tagesgebet des folgenden Festes gesprochen werden. “In der Vesper der Vigil von Weihnachten werden folgende Psalmen gesungen: Lobet, ihr Knechte (Ps 113,1); Lobet den Herrn, alle Völker (Ps 117,1); Lobe den Herrn, meine Seele (Ps 146,1); Gut ist es, unserem Gott zu singen (Ps 147,1); Jerusalem, preise den Herrn (ebd. 147,12).”b So nach einigen, denn wir a b
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 13. Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 68.
6a – Weihnachten
erden in denen zum Loben eingeladen. Nach anderen: Lobet, w ihr Knechte, den Herrn (Ps 113,1); Wer auf den Herrn vertraut (Ps 125,1); Als der Herr das Los (Ps 126,1); Denk an David (Ps 132,1); Gelobt sei der Herr, mein Gott (Ps 144,1). Und zu Recht, denn der erste Psalm lädt die Frommen ein, Gott ständig zu loben und zu verkünden. Der zweite mahnt, auf Gott zu vertrauen. In den drei folgenden wird der Grund genannt, warum wir inständig Gott loben und bekennen sollen, d. h. weil Er unsere Gefangenschaft gewendet und Großes an uns getan hat (Ps 126,1.3), denn Er hat sein Versprechen erfüllt, als Er die Frucht des Schoßes Davids auf seinen Thron setzte, denn Er neigte den Himmel und stieg herab (vgl. Ps 144,5). Er streckte seine Hände aus der Höhe herab und riss uns heraus aus gewaltigen Wassern, aus der Hand der Fremden (vgl. ebd. 144,7).
6. Weihnachten a. Allgemeines Ein Sohn ist uns geboren (Jes 9,5).a Gott wollte am Ende des Jahres geboren werden, um zu zeigen, Er werde im letzten Zeitalter der Welt kommen. “Am Freitag empfangen, wurde Er am Sonntag geboren, am Freitag gekreuzigt, am Sonntag auferstanden, wie einer, der den geformten Menschen am Freitag verloren hatte, ihn am Freitag befreite, und der am Sonntag gesagt hatte: Es werde Licht (Gen 1,3), kam Er am Sonntag, um uns als das aufstrahlende Licht aus der Höhe zu besuchen (Lk 1,78).”b Und diese Regel wird durch den Mächtigen bewiesen, denn wenn du zurück läufst, findest du den, der fünf Teile jenes Jahres begleitet. Auch wurde Er in der Nacht geboren, nach dem Wort: Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da kam Dein allmächtiges Wort vom Himmel (Weish 18,14-15). So kommt es, dass wir um Mitternacht aufstehen, um die Geburt zu verkünden, weil wir glauben, a b
Introitus der 3. Weihnachtsmesse. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 19.
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dass zu diesem Zeitpunkt die Jungfrau geboren hat, die Engel den Hirten erschienen sind und den Knaben mit Wiegenliedern, also solchen Gesängen, die Ammen den Kindern singen: Gloria – Ehre sei Gott in der Höhe (Lk 2,14) gesungen haben. Doch es fehlt nicht an tieferer Bedeutung. Er wurde ja in der Nacht geboren, um ein Zeichen zu setzen, dass Er heimlich unter dem Fleisch verborgen ist. Und um kund zu tun, dass Er komme, um unsere Nacht zu erleuchten, denn über denen, die im Land der Finsternis wohnen, ist ein helles Licht aufgestrahlt (Jes 9,2). “Daher wurde wegen dieser Geburt der Tag verlängert, weil die an Ihn glauben zum Licht der Ewigkeit gerufen werden. So werden diese Gottesdienste angemessen in der Nacht gefeiert.”a “Und nach alter Sitte werden der Geburt des Herrn zwei Nachtgottesdienste zugeschrieben. Einer mit den Antiphonen ‘Dóminus – Der Herr sprach zu mir’; ‘Tamquam – Wie der Bräutigam’; ‘Diffusa est – Anmut ist ausgegossen’ und die Responsorien ‘Hódie nobis – Heute ist uns der König geboren’ mit den anderen gesungen, der andere, in dem die Antiphonen ‘Dóminus – Der Herr sprach zu mir’; ‘In sole – In der Sonne setzte Er sein Zelt’; ‘Eleuámini – Hebt euch, ihr Tore’, und die Responsorien ‘Ecce agnus Dei — Seht das Lamm Gottes’.”b Doch das lassen wir noch für die Oktav.
b. Das Nachtoffizium Jetzt wollen wir zunächst auf das Invitatorium schauen: ‘Venite – Kommt, Christus ist für uns geboren, kommt, wir wollen Ihn anbeten’. “Dies wird in der Person der Engel gesungen, von denen die Hirten, oder besser: das ganze Volk eingeladen wird, den neugeborenen Herrn anzubeten.”c Auch wir sind also zu diesem Jubeln eingeladen, wir singen voll Freude drei Psalmen. Im ersten handelt es sich um die ewige und unaussprechliche Zeugung Christi, im zweiten um Christi Menschwerdung, im dritten um das Lob von Bräutigam und Braut. “In drei Lesungen wird Er Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 7. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 7. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 6. a
b
6b – Das Nachtoffizium
durch die Orakel Jesajas bezeugt, der nicht so sehr prophetisch als verkündend die Menschwerdung Christi beschrieben hat. In drei Responsorien jubeln wir mit den Engeln, die uns alles im Himmel und auf Erden durch diese Geburt Christi Erneuerte darstellen. Im ersten Responsorium, in dem ‘sich die Heerscharen der Engel freuen’, wird die Erneuerung der Himmelsbewohner besungen, im zweiten, wo es heißt: ‘Wahrer Friede steigt herab’, wird die geheilte Wiederherstellung der Erdbewohner gesungen, im dritten, wo ‘Friede herabsteigt’, wird gesagt, dass die Befreiung in unser Land eingetreten ist, zu den Bewohnern im Schatten des Todes. Und weil dieses die ganze Dreifaltigkeit bewirkt, wird nach einigen bei jedem einzelnen, oder nach anderen erst nach allen drei zusammen das ‘Gloria Patri’ angefügt.”a “Weil aber das ganze Werk der Welt unsagbar durch das Wort Gottes geschaffen wird, wird im Werk der Welt jubiliert. Ebenso weil unsagbar über die Jungfrau geglaubt wird, wird gesagt: Sie tritt aus ihrem Gemach hervor wie ein Bräutigam (Ps 19,6). Deswegen tönt es in der Melodie. Ebenso da Er als dem Vater und dem Geist unsagbar gleich verkündet wird, deswegen wird der Jubilus ‘Gloria Patri’ gejauchzt. Und weil Er Alpha und Omega ist, wird auf [den Lauten] A und O moduliert.”b In der 2. Nokturn lesen wir die Lektionen aus den Erklärungen [der Kirchenväter] und singen voller Freude mit den Hirten, und wir erinnern an deren Frömmigkeit, dass sie nach Bethlehem geeilt sind und Christus in der Krippe gefunden haben. In der 3. Nokturn wird als erste die Antiphon ‘Ipse uocabit me – Er hat mich angerufen’, die in der 6. Kirchentonart steht, und an siebenter Stelle den Psalm einführt ‘Von den Taten Deiner Huld, Herr, will ich ewig singen (Ps 89,2), denn die Barmherzigkeit dessen wird besungen, der von der siebenförmigen Gnade erfüllt, den zu erlösen kommt, der am 6. Tag erschaffen und dann gefallen war. In dieser Nokturn wird bei den Antiphonen das ‘Halleluja’ öfter verwendet, denn im 3. Zeitalter, d. h. a b
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 7. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 8-9.
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dem Zeitalter der Gnade, kam Freude in die Welt. Wir lesen hier auch Evangelien, zwei beschäftigen sich mit der Geburt in der Zeit. In dem dritten wird der Held der doppelten Wesenheit erklärt (vgl. Joh 1,1-14). Beachte: In den drei Nokturnen teilen wir die Lesungen auf, damit wir die Väter der drei Zeitalter als solche verstehen, die den neun Rängen der Engel beigesellt werden sollen. “Daher wird in den ersten beiden das Halleluja fortgelassen,”a weil die Väter noch nicht jenen zugesellt waren, sondern in den Höhlen des Infernos schmachteten. Doch in der 3. wird es oft gebraucht, denn die Väter unseres Zeitalters gehen hinüber und werden den Engeln sofort beigesellt. Die drei in der 1. Nokturn sind die drei Väter des 1. Zeitalters: Abraham, Isaak und Jakob, die drei in der 2.: der Gesetzgeber, der Psalmist und der Prophet, die drei der 3.: Menschen aus den drei Teilen des Erdkreises oder die Urkirche, die Kirche der Heiden und die letzte bekehrte Kirche der Restlichen, die alle durch gutes Wirken, die Lehre des Evangeliums und den Glauben an die heilige Dreifaltigkeit zur Schar der Gemeinschaft der Engel gelangen. “Gebärende Mütter kommen zu Besuch und bringen Mutter und Sohn ihre Gaben. Dies ahmen wir in den Responsorien der drei Nokturnen nach, indem wir bald Christus, bald die Jungfrau grüßen. Und gleichsam bringen wir beiden Gaben dar,”b beiden spenden wir Beifall. Und sieh: In der 1. Nokturn werden die Propheten, in der 2. die Kirchenlehrer, in der 3. die Evangelisten gelesen, denn hinsichtlich der Fleischwerdung Christi ging die Prophetie vorauf, die ein Erklärer wie ein Hirte, weil sie dunkel war, erklärte und der Evangelist zum Leuchten brachte. Ferner beachte: “Vor den Nokturnen werden nach einigen drei Tücher auf dem Altar niedergelegt und bei jeder Nokturn eines weggenommen. Das erste Tuch ist schwarz für das Zeitalter vor dem Gesetz, das zweite grau für das Zeitalter des Gesetzes, das dritte dunkelrot für das Zeitalter der Gnade. Sobald das dritte weggenommen ist, werden die Kerzen der Kirche voller entzündet.”c Danach wird das Evangelium des Matthäus: Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis 1, 6. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 9. c Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 69. a
b
6b – Das Nachtoffizium
Der Stammbaum Jesu Christi (Mt 1,1) gesungen. Jakob sah in der Nacht im Traum die Leiter, und sich auf den Herrn stützend, stiegen auf ihr die Engel auf und nieder (Gen 28,12). Was ist die Jakobsleiter anderes als der Stammbaum Christi? Sie stützt der Herr, wenn Er durch Josef auf der letzten Stufe steht. Die Engel, die auf- und niedersteigen, sind alles Erwählte, die sich früher gedemütigt haben im Glauben an die Menschwerdung Christi und danach erhoben werden, seine Herrlichkeit zu sehen. Denn der Menschgewordene Gott liegt zuerst in der Wiege und wird im Wasser des Jordan getauft, danach strahlt Er durch himmlische Wunder. Durch das Erste lehrt Er uns sich zu demütigen nach dem Beispiel seiner Niedrigkeit, durch das Zweite erhebt Er uns Niedrige, damit wir die Herrlichkeit seiner Gottheit verstehen. Beides also, Aufsteigen und Niedersteigen, scheinen Matthäus und Lukas anzuzeigen, wenn sie Christi Stammbaum beschreiben, der eine durch Absteigen, der andere aber durch Aufsteigen. Und “Matthäus zählt auf durch Absteigen, denn er beschreibt die Menschheit Christi, durch die Er zu uns herabsteigt.”a Lukas berichtet über das Aufsteigen, weil Er bei der Taufe beginnt und bis zu Gott aufsteigt, wobei er die Wirkung der Taufe zeigt, denn Getaufte werden Söhne Gottes. Er sah in der Nacht im Traum die Leiter. Deshalb lesen wir den Stammbaum mitten in der Nacht, nicht in leiblichem Schlaf, sondern in himmlischer Betrachtung schlafend. Entsprechend dem Wort: Ich schlief, doch mein Herz war wach (Hld 5,2). Und sieh: Dieser Stammbaum beginnt bei David und Abraham und schließt mit Josef. An diese drei wurden Versprechungen gegeben. Abraham wurde ja gesagt: Segnen sollen sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde (Gen 22,18). Dieses Versprechen kennzeichnet den Menschen. Zu David: Einen Spross aus deinem Geschlecht will ich setzen auf meinen Thron (Ps 132,11). Dieses Versprechen kennzeichnet den Menschen und König. Zu Josef: Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben, denn Er wird sein Volk von seinen Sündern erlösen (Mt 1,21). Dieses Versprechen verkündet den Menschen a
Aurelius Augustinus, Sermones dubii 51, 8, 12.
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und Gott! Und wie man durch 42 Aufenthalte zum Jordan kommt und von dort ins Gelobte Land, so kommt man durch 42 Väter zur Jungfrau und Mutter des Erlösers. In die Mitte aber stellte der Evangelist die Dirne Rahab und die Moabiterin Ruth und erkannte an, dass Christus nicht nur zu den Juden, sondern auch zu den Heiden gekommen war, was der Prophet vorausgesagt hatte: Leute aus Rahab und Babel zähle ich zu denen, die mich kennen (Ps 87,4), d. h. aus der Weite der zerstreuten Heiden, ‘Rahab’ heißt ja ‘Breite’, ‘Babel’ ‘Verwirrung’. Als Jakob vom Schlaf erwachte, brach er in das Bekenntnis aus: Wirklich, der Herr ist an diesem Ort (Gen 28,16). Und wenn wir den Stammbaum gesungen haben, brechen in den Jubel zu Gott aus und rufen: ‘Te Deum – Großer Gott, wir loben Dich’. Dabei jauchzen wir auch wegen der verlorenen Drachme, die die Frau wiedergefunden hat, als sie ein Licht entzündete (vgl. Lk 15,8). Jakob stand vom Schlaf auf, stellte den Stein als Steinmal auf und goss Öl darauf (Gen 28,18). Und wenn wir den Stammbaum und das Bekenntnis des Lobes gesungen haben, feiern wir das Festhochamt. Dort errichten wir den Eckstein und gießen das Öl des Bekenntnisses und der Hingabe darauf aus. Nach dem Gesang der Communio fügen wir die Laudes der Matutin an, bevor mit dem letzten Gebet geschlossen wird. Dazu gehören vier Psalmen um den jetzigen Stand darzustellen. Im ersten Psalm: Der Herr ist König (Ps 93,1) preisen wir den Schmuck und die Schönheit des Königs. Im zweiten dann: Jauchzt vor dem Herrn (Ps 100,1) laden wir uns gegenseitig ein zum Loben. Im dritten dürsten wir gleichsam in der Wüste Idumäa und sagen: Gott, Du mein Gott (Ps 63,2), im vierten erbitten wir den Regen des Erbarmens und sagen: Gott, sei uns gnädig (Ps 67,2). Dann ermahnen wir alle Geschöpfe, Gott zu loben, und singen: Preist den Herrn (Dan 3,57). Die drei Psalmen, die folgen, also: Lobet den Herrn vom Himmel her (Ps 148,1), Singet dem Herrn (Ps 149,1), Lobet Gott in Seinem Heiligtum (Ps 150,1), gehören zum künftigen Status. In dem werden wir zusammen mit den Engeln Gott ohne Unterlass loben. Mit diesen Psalmen führt die Kirche gleichsam einen Reigen an, wenn sie dem Bräutigam und ihrem
6c – Die Weihnachtsmessen
Befreier in den Laudes der Matutin zusingt, die der Priester mit dem Gebet aus der Messe beendet. Obgleich diese Besonderheit wegen des Schmucks des Festes geschieht, geht die Messe den Laudes voraus in der Weise, dass zuerst jene ewige Zeugung im Himmel vorausging, von der die Messe spricht, als etwas geschaffen wurde, was Gott loben konnte. Ein einziges Gebet beendet Laudes und Messe, weil die Fleischwerdung Christi mit Loben auf Ihn zu beziehen ist, von dem der ewige Stammbaum sich herleitet. Und “diese erste Messe wird nicht mit ‘Ite missa est’ beschlossen, sondern mit ‘Benedicamus Dómino – Lasset uns den Herrn preisen’, damit das Volk nicht vom Gottesdienst verabschiedet wird.”a Einige aber beginnen nach Ende der Nokturnen sofort: ‘Te Deum – Großer Gott, wir loben Dich’ und stellen dabei die Stunde dar, in der Christus geboren wurde. Dann fügen sie die Messe mit ‘Gloria – Ehre sei Gott in der Höhe’ hinzu und stellen die Freude der Engel dar. Dann fügen sie den Stammbaum hinzu und stellen die Freude der Menschheit dar. Doch unsere Kirche feiert die Messe nach den neun Responsorien. Nach deren Ende “folgt das Evangelium ‘Der Stammbaum’ und nach dem Evangelium ‘Te Deum’;”b denn der Stammbaum der Gottheit ging dem Stammbaum des Menschseins voraus; deren Kenntnis war für uns Stoff zum Loben.
c. Die Weihnachtsmessen Wir wollen jetzt die Weihnachtsmessen verfolgen. “Drei Messen werden am Weihnachtstag entsprechend der Einführung des Papstes Telesphorus gefeiert.c Er wollte, dass eine Messe in der Nacht zelebriert wird, um zu zeigen, dass es derselbe ist, der in der Nacht geboren und der auf dem Altar geopfert wird, und auch zur Erinnerung an die Engel, die in jener Nacht den Hymnus der Engel gesungen haben: ‘Gloria – Ehre sei Gott in der Höhe’.”d Der Urheber der Weihnachtsliturgie wollte, dass am Morgen ein zweite Messe gefeiert wird, damit der Einzug des neuen Lichts in Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis 1, 16. Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis 1, 16; 21. c Papst 125-136. – Gratianus, CIC, D.1 c.48 de cons. d Gratianus, CIC, D.1 c.48 de cons. a
b
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die Welt gezeigt wird. Und weil der Vater Ihn vom Beginn seiner Empfängnis geheiligt hat, deswegen wird das Opfer am Beginn des Lichtes dargeboten oder wegen des Besuchs der Hirten an der Krippe des Herrn, in der sie das Kind fanden. Darum werden täglich die Seelen der Heiligen erfrischt. Dann wird in der 3. Stunde noch die dritte Messe zelebriert, damit die Messordnung gebührend gewahrt wird. “Diese drei Messen symbolisieren die drei Zeitalter.”a Es steht ja fest, dass die drei Zeitalter der Welt durch diese einzige Geburt gerettet werden. Durch die Messe, die in der Nacht gesungen wird, wird die Zeit vor dem Gesetz angenommen als verstrickt in die Finsternis der Unwissenheit. Deshalb wird in der Nacht gesungen und gesprochen: Das Volk der Heiden, das im Dunkel lebt (Jes 9,1). Durch die Messe, die im Morgengrauen gesungen wird, wird die Zeit des Gesetzes ausgedrückt, in der das Licht des Glaubens der Welt durch die Heilige Schrift leuchtet: Lux fulgebit – Es strahlt ein helles Licht auf (ebd. 9,2). Durch die Messe, die am Tage zur 3. Stunde zelebriert wird, wird der Tag des Heiles und die Zeit der Gnade bezeichnet, in der Christus geboren wird. Deshalb wird am Tage gesungen und gesprochen: Puer natus – Uns ist ein Kind geboren (ebd. 9,5). d. h. was in Levitikus gesagt wird: Ihr werdet noch von der alten Ernte zu essen haben und das Alte hinausschaffen müssen (Lev 26,10). Dieses Alte ist das Naturgesetz, das Alte das Gesetz des Moses, das Neue das Gesetz des Evangeliums. Das Naturgesetz lehrte Gott verstehen. Daher spricht die erste Messe von der ewigen Zeugung. Das mosaische Gesetz versprach, der Herr werde geboren werden. Daher heißt es in der zweiten Messe: Es strahlt ein helles Licht auf (Jes 9,2) und verkündet im Evangelium die Geburt. So heißt es dann in der dritten Messe: Uns ist ein Kind geboren. Daher wurde als Gedicht abgefasst: “Was an Weihnachten die hochheiligen Messen bezeichnen oder warum sie gefeiert werden, halte fest: In der Nacht die 1., beim Morgenlicht die 2., im Licht die letzte: Unter Noah, beim Tempel, unter Christus geschahen Opfer. Nacht, Morgen, Tag; Schatten, Sinnbild, Gott.”b a b
Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis 1, 7. Walther II, 9015.
6d – Die erste Weihnachtsmesse
Die erste Messe gehört zum Stammbaum, der dem Verborgenen, d. h. der Wesenheit des Vaters gehört, die vom Vater stammt ohne eine Mutter. Deshalb wird in der Nacht gesungen: Wer wird von seinem Stammbaum erzählen? (Jes 53,8 Vg.). Und weil die Menschen, die vor dem Gesetz lebten, seine Herkunft überhaupt nicht kannten, deshalb wird in der Messe gesungen: ‘Hodie – Heute’ und: Noch vor dem Morgenstern habe ich Dich gezeugt (Ps 110,3). Die zweite Messe gehört der Erzeugung, die im Schoß der Jungfrau geschieht, die von der Mutter doch ohne Vater geschieht. Deshalb wird in der Morgenfrühe gesungen, weil die Menschen des Gesetzes davon nur eine vage Kenntnis hatten. Deshalb wird hier gesungen: Lux fulgebit – Ein Licht erstrahlt uns heute, denn geboren ist uns der Herr (vgl. Jes 9,1.5). Die dritte Messe gehört zu beidem. Was aus dem Evangelium stammt, wo es heißt: Im Anfang war das Wort (Joh 1,1), wird als das Ewige bezeichnet; wo es heißt: Und das Wort ist Fleisch geworden (ebd. 1,14), wird die Geburt in der Zeit angesprochen, deshalb wird am Tage gesungen, weil die Menschen der Gnade durch die Geburt in der Zeit die Gottheit voller erkannt haben, denn durch die Kenntnis des Sohnes gelangt man zum Vater.
d. Die erste Weihnachtsmesse “Die Liturgie der ersten Messe erinnert in fast allen Teilen an die Zeugung im Himmel, wie der Introitus: Dóminus dixit – Der Herr sprach zu mir: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt (Ps 2,7), d. h. ewig gezeugt. “Denn ‘heute’ wie der hl. Augustinus erklärt, weil es zeichenhaft die Gegenwart bedeutet und es in der Ewigkeit nichts Vergangenes gibt, gleichsam als ob es zu sein aufhört und nichts künftig ist, gleichsam als ob es noch nicht ist, sondern nur Gegenwart. Denn alles, was ewig ist, ist ständig. Deshalb wird dort im Himmel angenommen: Heute habe ich dich gezeugt.”a Ebenso wird in Graduale, Halleluja und Communio gesungen und wiederholt, was im Introitus vorausgeschickt wird.”b Doch wie passen diese Glieder zu ihrem a b
Aurelius Augustinus, Enarrationes in psalmos 2, 6. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 20.
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Haupt, d. h. zum Evangelium, das der Geburt aus der Jungfrau folgte? Aber auch “wenn dort gesagt wird: Maria gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen (Lk 2,7), wird das dem vorherigen Stoff angepasst, denn den ‘Erstgeborenen’ beziehen wir nicht auf Maria, sondern verstehen: ‘den zuerst Geborenen’, d. h. vor jedem Geschöpf.”a Und weil die Gottheit hier in Schuhen zu uns kam, erkennen wir diese Schuhe als Gottheit. Darum wird in Gebeten, Lesungen, Evangelium und Offertorium offen der Geburt von der Jungfrau gedacht. Daher sagen einige, die Absicht der ganzen Liturgie könne auf diese Geburt in der Zeit bezogen werden, weil ‘Heute’, d. h. an diesem Tag, ‘vor dem Morgenstern’, d.h. vor dem Stern am Morgen, habe ich dich gezeugt, d. h. habe ich deine Geburt durchgeführt. Und dass es im Evangelium heißt: Maria gebar ihren Sohn, d. h. den Erstgeborenen, d. h. nach und vor keinem anderen.
e. Die zweite Weihnachtsmesse
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“Die Liturgie der zweiten Messe stimmt ganz überein mit den Worten der Hirten, die zu einander sagten, wie es im Evangelium heißt: Kommt, wir gehen nach Bethlehem, um das Ereignis zu sehen, das der Herr uns verkünden ließ (Lk 2,15). Voll Jubel sagen sie im Introitus: Lux fulgebit – Ein Licht erstrahlt uns (Jes 9,1).”b “Doch ein halbgarer Philologe sagt hier: Warum sagen sie nicht: ‘Ein Licht leuchtet, ein Stern war aus Jakob aufgegangen’?. Passender aber heißt es: Ein Licht erstrahlt, denn der Himmel rötet sich in der Frühe, glänzt in der 3. Stunde, erhitzt in der 6. Stunde und wärmt am Abend.”c Und man sagt: Das Licht leuchtet in der Person des Gesetzes, das den alten Vätern die Geburt in der Zeit versprochen hat, und es wird “hinzugefügt: Der Herr ist König, bekleidet mit Hoheit (Ps 93,1). Diese Hoheit, mit der ihn seine Mutter gekrönt hat, das ist das Menschsein, der Schmuck des Erbarmens, der Stirnreif der Frömmigkeit, die Schönheit der Liebe.”d Und man fügt im Graduale hinzu: Benedictus – Gesegnet Hieronymus, De perpetua virginitate beatae Mariae 10. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 21. c Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 69. d Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 21. a
b
6f – Die dritte Weihnachtsmesse
sei, der kommt (Ps 118,26) und im Halleluja Dóminus regnauit – Der Herr ist König (Ps 93,1). Und wer Er ist und was Er ist, fügt man im Offertorium hinzu: Deus enim – Gott hat den Erdkreis fest gegründet (ebd.). “Und weil die erste Mutter von den Hebräern stammt, deshalb sagen die Erstlinge, d. h. die Hirten in der Communio zu ihnen: Exsulta – Juble laut, Tochter Zion (Sach 9,9). Nach den Hebräern heißt ‘Tochter Zion’ ‘Kirche’, denn in Zion, d. h. Jerusalem stand der Tempel und das Allerheiligste. – In beiden Messen müsste die Statio zur hl. Maria sein, denn aus ihrem Schoß kam das Heil zu uns. Doch kam eine Begründung dazwischen, dass man zur hl. Anastasia gehen soll, die am heutigen Tage durch ihr Martyrium zum Herrn ging.”a Deshalb wird in der zweiten Messe auch eine zweite Oration von der hl. Anastasia gesprochen.
f. Die dritte Weihnachtsmesse Die Liturgie der dritten Messe lässt die Wunder des Wortes Gottes erschallen: ‘Im Anfang war,’ und beginnt Fleisch anzunehmen, wie im Evangelium gelesen wird. Dieses Wort ist der Knabe, der nach dem Propheten uns geboren ist (Jes 9,6), wie wir im Introitus singen. Es ist das neue Lied, von dem der Prophet spricht: Singet dem Herrn ein neues Lied (Ps 98,1). Und Jeremia : Denn etwas Neues erschafft der Herr im Land (Jer 31,22). Das ist jener Arm des Herrn, den nach der prophetischen Lesung dieses Tages der Herr vor den Augen der Heiden offenbart (vgl. Jes 52,10). Dies ist die Rede, die gemäß der Lesung aus dem Apostel der Vater in seinem Sohn gehalten hat, der viele Male einst zu den Vätern durch die Propheten gesprochen hat (Hebr 1,1). Beachte: Sowohl in der Vigil wie in den drei Messen des heutigen Festes werden zwei Lesungen ohne Zwischengesang gelesen, die erste aus dem Propheten Jesaja, die zweite aus dem Apostel, weil Christus für die beiden Völker geboren wird, die in einem Raum zusammenzuführen sind. Und auf der Basis der Propheten ist die Säule der Apostel errichtet. Und die tätig und betrachtend Lebenden werden durch diese Geburt in a
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 21.
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e inem einzigen Glauben gerettet. Und durch die Propheten und Apostel und besonders durch das Erste und das Zweite, ja beide Testamente wird Seine Geburt einträchtig verkündet. Es sind die zwei Cherubim, die die Sühneplatte bedecken und sich auf der Sühneplatte von Angesicht zu Angesicht anschauen. Durch die Sühneplatte wird der Mensch gewordene Herr dargestellt, von dem Johannes sagt: Er ist die Sühne für unsere Sünden (1 Joh 2,2). Da sie also nicht von einander abweichen, sondern das Geheimnis der Fleischwerdung einträchtig erzählen, jenes als Prophetie, dieses bestätigend, richten sie den Blick ihrer Aufmerksamkeit auf die Sühneplatte und schauen sich gegenseitig an. Auch ist jenes Wort heilsträchtig, mit dem sofort im Graduale folgt: Viderunt – Sie sahen (Ps 98,3). Dies ist das große Licht, das herabsteigt in den Schoß der Jungfrau: das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt (Joh 1,9). “Und beachte: Die Neumen des Gesanges, die im ‘Kyrie’ und Halleluja etwa auf die Laute E und A”a als Jubilus gesungen werden, damit wir durch diese Vokale die geistliche Freude ausdrücken, die uns durch die Geburt der Jungfrau wiedergegeben wurde, ist die Umkehrung dieses Namens ‘Eva’, den der Engel gebraucht hat: Aue Maria. ‘Ave’ ist ja ein Wort der Freude, Eva eines der Trauer, die die trauenden Menschen ausdrücken, E und A. Hier ist schließlich jener reiche und mächtige König, dem im Offertorium gesagt wird: Tui sunt – Dein ist der Himmel, dein auch die Erde (Ps 89,12). Tu humiliasti – Du hast die Stolzen gedemütigt (ebd. 89,11 Vg.).b Doch hat Er sich nicht heute gedemütigt, als Er sagte, Er könne nicht Vater oder Mutter nennen? Ich antworte: Er hat sich begründet erniedrigt. Bei dem ‘Nenne seinen Namen zum Rauben, sei hurtig zum Plündern (Jes 8,3 Vg.). In der Communio wird über den, der das Heil ist, geschlossen: Viderunt – Alle Engel der Erde sahen das Heil (Ps 98,3). – Weil der hl. Petrus vor den übrigen sah und bekannte, was ihm der
a b
Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 69. Beginn des Responsums und des 3. Verses des Offertoriums. Offertoriale, 10.
7 – Die Weihnachtsoktav
ater offenbarte, der im Himmel ist, deswegen ist die Statio V beim hl. Petrus.a Auch ist nicht mit Schweigen zu übergehen, dass wir von heute an bis zur Oktav von Erscheinung des Herr immer bei Prim, Terz, Sext und Non das Responsorium breve und seinen Antwortvers mit Halleluja vortragen, um die ganze Freude darzustellen, die durch die Zeit der Gnade gekommen ist. Auch in der Vesper von Weihnachten werden sie an den einzelnen Tagen zuvor ganz gesungen. Danach wird das ‘Magnificat’ mit Antiphon und Oration vom folgenden Fest des hl. Stephanus und den anderen Heiligen gesungen. Einige aber sprechen die 2. Vesper ganz, einige allerdings nur Antiphon und Oration. Es ist ein Privileg dieser Vespern, dass, während die übrigen Offizien wegen des anstehenden Festes geändert werden, diese Vespern unverändert bleiben. Und es ist in diesen einmalig, weil der Herr in der Vesperzeit kam, d. h. in dem letzten Zeitalter der Welt, um die Reste des Menschengeschlechts zu retten. 7. Die Weihnachtsoktav Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus (Lk 2,21). “Am Tag von Weihnachten kommen zwei Feste zusammen, das der Gebärenden und des Neugeborenen, d. h. der Mutter und des Sohnes,”b doch wegen der Feier des Sohnes können wir die Mutter nicht voll feiern. Wir haben ihre Feier daher der Oktav vorbehalten und machen damit klar, wenn wir Christus in diesem Leben fromm dienen wollen, werden wir uns über das Rühmen der Kirche, die von Maria dargestellt wird, in der Oktav freuen, d. h. im künftigen Leben. Deshalb ist das Nachtoffizium zum großen Teil der gebärenden Jungfrau gewidmet. “Daher werden auch zwei Messen zelebriert, die eine von der Mutter: Vultum tuum – Deine Gunst (Ps 45,13), die andere von dem a b
Also in der Petersbasilika in Rom. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 71.
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Sohn: Puer natus – Ein Kind ist uns geboren.”a Wenn einer die eine auslassen will, dann möge er nicht jene auslassen, die auf die Jungfrau schaut, um die Oration zu sprechen: ‘Deus, qui salutis – Gott, Du hast durch die Jungfrau die Güter des ewigen Heils geschenkt’ und singen Halleluja: ‘Post partum – Nach der Geburt bist du Jungfrau geblieben’, gleichwohl wird dies nicht von allen beobachtet. Die Oration aber ‘Deus qui’ ist von Beschneidung bis Erscheinung des Herrn und von der Oktav von Erscheinung bis Mariä Reinigung zu sprechen. An diesem Tag nun wird die dreifache Feier mitgeteilt, d. h. Oktav, Beschneidung und Namensgebung, wie man im Evangelium liest: Als acht Tage vorüber waren (Lk 2,21). Für diese drei gibt es das Gedenken. Als erste Feier wird die Oktav bezeichnet, d. h. die am achten Tag. Und weil die übrigen Tage der Oktav mit Namen geziert werden, deswegen mag die Rede umso fruchtbarer fließen. “Der achte Tag sei zu feiern, äußert Levitikus und sagt: Am achten Tag habt ihr heilige Versammlung (Lev 23,35). Die Oktaven werden aus verschiedenen und besonderen Gründen gefeiert, z. B. die Oktav von Weihnachten, um den Grund des ersten Tages zu betonen. Am Tag von Weihnachten feiern wir die Ankunft Christi bei uns. In der Oktav feiern wir die Ankunft der Menschen bei Christus. Er selbst kam zu uns, damit wir zu Ihm gehen. Und dies wird in den Antiphonen offen ausgesprochen. Dort heißt es: ‘Génuit – Die Mutter hat den König geboren’.b Dann: ‘O admirábile commércium – O bewunderungswürdiger Handel.’c Unter dem Begriff ‘Handel’ muss verstanden werden, dass etwas gegeben und etwas anderes angenommen wird. Christus hat uns seine Gottheit gegeben und dafür unser Menschsein angenommen. Dass Er gegeben hat, wird an Weihnachten gefeiert; dass Er angenommen hat, in der Oktav.”d Die mit dem Haupt verbundenen Glieder freuen sich an gegenwärtigem Festtag. So auch in den anderen Antiphonen. Bei jenen handelt es Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 71. Sonntag in der Oktav, 2. Antiphon. c Fest der Beschneidung, 1. Vesper, 1. Antiphon und Vigil von Epiphanie, 1. Antiphon. d Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 71. a
b
7 – Die Weihnachtsoktav
sich um die Geburt, in diesen um die Verbindung der Glieder, die durch die Geburt geschah. Jene Antiphon ‘Mirábile mystérium – Das wunderbare Geheimnis des Menschen’ erklärt heute die Aufnahme des Menschseins, wenn es heißt: ‘Die Naturen werden erneuert’. Seht, ein neuer Wandel in den Naturen! ‘Gott wird Mensch und der Mensch Gott.’ So jedoch: Was Er war, blieb Er, und was Er nicht war, nahm Er an. Er erlitt keine Vermischung,a die Sabellius in eins setzt, keine Trennung, die Arius aufteilte. “Aus ähnlichem Grund wird die Oktav von Erscheinung des Herrn gefeiert, denn an Erscheinung wird gesungen, dass der Herr getauft wurde; in der Oktav wird begründet, warum Er getauft wurde, d. h. damit wir getauft werden, damit wir von den Sünden durch das Bad gereinigt werden, was in den Antiphonen erklärt wird:”b ‘Veterem hominem – Den alten Menschen.’ Hier wird gefragt, warum die Oktav der Passion nicht in derselben Weise gefeiert wird? So wie Christus, der die Sonne der Gerechtigkeit ist, nicht seinetwegen geboren wurde, sondern damit Er als Licht für unseren Verstand erscheine, die wir in der Finsternis waren. So wie Er auch nicht seinetwegen getauft wurde, sondern damit Er unsere Sünden abwäscht, so starb Er auch nicht seinetwegen, sondern damit wir nicht in Sünden sterben, darum befreite Er uns vom Tode. – Ich antworte: Das vergangene Fest der Freude verdunkelt und zerstört das Andenken an die Trauer. Doch mag es auch einen Grund geben, warum dies geschieht, so wird doch nicht immer in ähnlichen Fällen gefordert, warum das geschieht, denn Er wurde auch fleischlich beschnitten, damit wir geistlich beschnitten werden. Er fastete, damit wir fasten; Er wusch die Füße, damit wir gewaschen werden. Nicht jedoch feiern wir die Oktav dieser oder ähnlicher Ereignisse, werden doch die Oktav von Heiligen wie Stephan und anderer aus anderen Gründen gefeiert. An den Festtagenc dieser erinnern wir an die Aufnahme ihrer Seelen, in der Oktav an die Auferstehung Fest der Beschneidung, Laudes, Antiphon zum Benedictus. Vgl. Liber Quare 152. c Sicard schreibt: in natalitiis, weil der Todestag als der Tag der himmlischen Geburt gilt. a
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ihrer Leiber. Daher heißt es bei den Titeln der Psalmen: ‘für die Oktav’. “Und beachte: Die Oktav einiger Heiliger wird gefeiert, damit das Geheimnis nicht verborgen bleibt, nicht jedoch aller, damit es nicht wertlos wird, auch weil wir ohnehin nicht alle Feste aller Heiligen feiern könnten, um wie viel weniger deren Oktaven. Die Osteroktav hat wiederum einen anderen Grund, da es ein Mysterium der Zahl Acht ist, ist es eine Oktav der acht Seligkeiten, die in dieser feierlichen Oktav wahrgenommen werden. Wieder einen anderen Grund hat die Pfingstoktav, die gefeiert wird, um die Vollendung der Werke des Heiligen Geistes zu erklären.”a “Es gibt also eine allgemeine Regel für alle Oktaven, dass der achte Tag zum Haupt zurückkehrt, was Augustinus für die Seligkeiten erklärt.”b Der erste Tag ist auch der achte, d. h. ein Tag des Herrn. Deshalb ist, wie es heißt, die Auferstehung des Herrn an einem achten Tag, d. h. am Sonntag, geschehen. Deshalb wird die Bedeutung der Oktaven beachtet, damit wir zum ersten Stand der Unschuld zurückkehren. In Erinnerung an die Unschuld wurde am achten Tag die Beschneidung gefeiert, damit der beschnittene Verstand von jeder fleischlichen Berührung frei bleibe. Über die Beschneidung und Namensgebung soll nun die Rede sein. Zu Recht wird am Oktavtag der Beschneidung und des Namens, d. h. ‘Jesus’, die Feier der Namensgebung begangen, denn wie sich zu Weihnachten zeigt, wie Christus zu uns gekommen ist, um uns zu retten, d. h. durch die Fleischwerdung, so wird am Oktavtag gezeigt, wie wir zu Ihm kommen werden, um von Ihm erlöst zu werden, d. h. durch die Beschneidung. Über die Beschneidung muss man wissen, dass “der Herr sie dem Abraham als Zeichen des Gehorsams und der Gerechtigkeit, des Glaubens und der Unterscheidung dieses Volkes befohlen hat. Sie geschah am 8. Tag mit einem Steinmesser am Glied der Ausschweifung, an dem der Stammvater die Scheu vor dem Ungehorsam spürte a b
Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 71. Aurelius Augustinus, De sermone Dómini in monte 3, 10.
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und symbolisierte, dass am 8. Tag der Gnade durch den Glauben an Christus alle Verdorbenheit der Sünde gänzlich beseitigt wird.”a Darum feiern dieses Fest die Subdiakone, die Jungen und die Starken, um zu zeigen, dass es in der Oktav der Auferstehenden kein schwaches Lebensalter gibt, keine Zeit der Alten, keine Greisenzeit, keine ohnmächtige Kindheit. Alle gehen wir hin zum vollkommenen Menschen (Eph 4,13), da das Vergängliche die Unvergänglichkeit und das Verderbliche das Unverderbliche anlegt. Dessen Wirkung war die Beseitigung der Erbsünde. Warum wollte nun Christus, der das makellose Lamm war, ohne Makel und Runzel, der keine Sünde begangen hat und in dessen Mund kein trügerisches Wort war (1 Petr 2,22), warum, frage ich, wollte Er beschnitten werden, an dem nichts war, was beschnitten werden musste? – Ich antworte: Wie Er im Tempel dargestellt, wie Er getauft werden wollte, wie Er mit den Jüngern von dem Osterlamm essen wollte, so wollte Er, dass Er am Leib beschnitten werde – nicht seinetwegen, sondern unsertwegen. Damit die Juden nicht an Ihm Ärgernis nähmen und sagen könnten, er sei nicht der im Gesetz versprochene Messias, denn Er lebe nicht nach dem Gesetz, sagte Er später von sich: Ich bin nicht gekommen, um das Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen (Mt 5,17). Wegen der Anspielung: Die fleischliche Beschneidung spielt an auf die gegenwärtige geistliche Beschneidung, die aus der Gnade kommt, und die künftige, die in der Herrlichkeit bestehen wird. Er gab uns kein Beispiel der fleischlichen Beschneidung, gleichsam: Wenn ihr euch beschneiden lasst, wird Christus euch nichts nützen (Gal 5,2), doch Er hat uns geistlich eingeladen zu geistlicher Beschneidung, d. h. zur Erneuerung des Lebens. Dazu lädt uns der Geist durch Jeremia ein, wenn er sagt: Nehmt Neuland unter den Pflug (Jer 4,3). Und nicht ohne verborgenen Grund trifft die Feier dieser Erneuerung mit dem Neujahr der Heiden zusammen, denn wir werden das neue Jahr mit kräftigen Wunschvorstellungen und guten Vorsätzen feiern, sobald wir mit Geist und Verstand erneuert sind. Schließlich wurde die a Aurelius Augustinus, Enarrationes in psalmos 6, 2; Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 7, 13.
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fleischliche Beschneidung durch die Einrichtung der folgenden Taufe ausgewechselt wegen der Ehrenhaftigkeit und besonders wegen der Nützlichkeit. Weil es ehrenvoller ist, mit Wasser gewaschen als am Körper verstümmelt zu werden, wegen des Nutzens, weil es gemeinschaftsdienlicher ist, denn beschnitten wurden nur die Männer, getauft werden Männer und Frauen. Auch ist es wirkungsvoller, weil die Beschneidung nur von der Erbsünde befreit, die Taufe aber auch von jeder Sünde reinigt und den Zugang zum Paradies öffnet. Zu den Namen Christi muss man wissen: Einige werden von Christus vergleichsweise oder in etwa vergleichsweise verwendet, wie Hirte, Bräutigam, Mittler, einige nicht vergleichsweise, wie Mensch. Einige werden von Christus übertragen gesagt, wie Lamm, Schaf, Kalb, Schlange, Bock, Löwe, Wurm. Ebenso einige, die mit einer Einrichtung verbunden sind oder durch Vorrang oder Vorrecht Ihm zu eigen sind, wie “‘Christus’, was griechisch ist, hebräisch ‘Messias’, lateinisch ‘unctus’, [übersetzt ‘der Gesalbte’] heißt.”a Gott ist Anmut, ausgegossen vor allen Menschen (Ps 45,3). Dieses Wort ist hingegossenes Salböl. Deswegen liebten ihn die Mädchen (Hld 1,2). Das Wort ‘Christus’ wird, weil es griechisch ist, in griechischer Abkürzung XPC geschrieben. Denn X setzen die Griechen für chi, P für r, C aber für s. Wenn man es mit ‘s’ schreibt, dann wird mit lateinischer Endung aufgehört. Wenn es also in Großbuchstaben geschrieben wird, dann mit Aspiration ‘ihs’. ‘Jesus’ aber ist der eigentliche Name der Person, der ihm vom Engel am Tag der Empfängnis und von den Menschen am Tag der Beschneidung beigelegt wurde. Es bedeutet ‘Jesus’ hebräisch, ‘soter’ griechisch, lateinisch ‘saluator’, [übersetzt ‘Erlöser’]. Daher sagte der Engel zu Josef: Ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn Er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen (Mt 1,21). Diesen Namen schrieb der Philosoph Porphyrios, der im Griechischen und Lateinischen bewandert war, griechisch mit ‘H’, das bei den Griechen wie ein langes ‘I’ klingt. Daher überliefert einer ‘Gisus’, die Lateiner aber mit langem ‘e’. Richtiger scheint es, IHC in der griechischen Abkürzung zu schreiben als mit der lateinischen a
Vgl. Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae siue origines VII, 2, 2.
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Aspiration IHS. Genannt wird Er auch Alpha und Omega, d. h. Anfang und Ende (Offb 1,8). “Angesprochen wird Er auch mit ‘Emanuel’, übersetzt: ‘Gott mit uns’.”a ‘Mit uns’ ist Er wegen der Gegenwart der Majestät, durch die Teilhabe am Menschsein, durch das Band der Liebe, durch die Erfüllung der Wahrheit. Er wird auch ‘Weg, Wahrheit und Leben’ (Joh 14,6) genannt; ‘Weg’ im Beispiel oder im Gebot, ‘Wahrheit’ im Versprechen, ‘Leben’ in der Belohnung. Über diese Namen findest du ausführlich in der Sequenz ‘Alma chorus Sabaoth’b, d. h. ‘Gott der Heere (Jes 5,9), Adonai (Ex 6,3 Vg.), d.h. der Herr, Athánatos, d. h. der Unsterbliche, ‘Kýrios’, d. h. Herr, Theòs, d. h. Gott, Pantokrator, d. h. gebietender und vollkommener Vater, Homoúsion, d. h. eines Wesens. Dies sind Namen Gottes, nicht nur der Person Christi. Nach Jesaja ist Christus auch: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens (Jes 9,5). ‘Wunderbar’ in der Menschwerdung, was gibt es wunderbareres als: Das Wort ist Fleisch geworden (Joh 1,14). ‘Ratgeber’ bei der vollen Erkenntnis der Dinge. Er ist ja der Engel des großen Ratschlusses, in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis Gottes verborgen sind (Kol 2,3). Ihm steht jedes Herz offen und spricht jeder Wille. ‘Gott’ bei der Erschaffung der Dinge, Er ist ja der Knabe, der die Sterne geschaffen hat. Ja, Alles ist durch Ihn geworden, und ohne Ihn wurde nichts, was geworden ist (Joh 1,3). Stark, im Ordnen der Dinge. Dies ist ja die Weisheit, die ihre Kraft machtvoll entfaltet von einem Ende zum andern (Weish 8,1). Er wägt alles nach Gewicht, Anzahl und Maß, der Vater der Ewigkeit bei der Belohnung der Verdienste. Er ist der Hausvater, der die Abrechnung setzt mit seinen Dienern und dem, der treu gewirtschaftet hatte, wird Er sagen: Nimm teil an der Freude deines Herrn (Mt 25,21). Friedensfürst wird Er genannt, weil Er Mittler zwischen Gott und den Menschen oder zwischen den Menschen und Engeln war. Und der jenen Frieden bringt, der alles Verstehen übersteigt (Phil 4,7), dessen Friede kein Ende hat (Jes 9,6). Christus wird auch mit dem unaussprechlichen Namen a b
Vgl. Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines VII, 2, 10. AH 53, 87.
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Tetragrammatona belegt, d. h. den vier Buchstaben Ioth, He, Vau, Heth, die bei uns i, e, u und he entsprechen. Es ist also der Name Iahwe, was unaussprechbar genannt wird, weil man es nicht aussprechen darf, denn man kann Gott nicht mit diesem Namen ansprechen, nur in Notfällen. Auch weil man das Wort nicht hinreichend erklären kann. Die Erklärung Ioth ‘Anfang’, H ‘Er’, Vau ‘Leiden’, Heth ‘Leben’. Danach bedeutet also ‘Jahwe’ ‘Anfang dieses Leidens Leben’. Gleichsam: Er ist der Anfang des Leidenslebens. Der Genitiv steht nach Sitte der Griechen statt des Ablativs, ‘des Leidens’ statt ‘im Leiden’, d. h. durch das Leiden. Wie aber unser Leben von seinem Tod abhängt, können wir nicht hinreichend durchschauen. “Wenn wir gesagt haben, die Heidenschaft feiere heute Neujahr, verstehe das auf die Römer bezogen. Die Araber beginnen das Jahr nämlich nach der Sommersonnenwende. Bei den Hebräern wird das Jahr im März begonnen. Unter Jahr verstehe man das gebräuchliche. “Das Sonnenjahr ist die Wanderung der Sonne einmal durch den Tierkreis.”b Daraus ergibt sich: vier Jahre lang wird ein viertel Tag gesammelt, der im vierten Jahr einen Schalttag entstehen lässt. Das Mondjahr ist ein zwölfmaliger Durchgang des Mondes durch den Tierkreis. Es wird daher vom Sonnenjahr um 11 Tage übertroffen, mit je dreien wird ein Zusatzmonat gebildet. Ein Normaljahr ist heute eines, das nach der Gewohnheit der Menschen seinen Anfang nimmt. Das Neue Jahr nimmt bei jedem Wochentag seinen Anfang. Das natürliche Jahr gibt es, wenn der Mond die Sonne bedeckt und die Sonne eine Sonnenfinsternis erlebt. Das große Jahr ist, wenn alle Sterne an ihren Stand und ihre Ordnung zurückkehren. Bei den Griechen ist das Jahr ‘Olympiade’ benannt nach den olympischen Spielen, die nach jeweils vier Jahren durchgeführt wurden. Bei den Römern gab es das Lustrum im Abstand von fünf Jahren. Es wurde Lustrum genannt, weil man nach Zahlung des Zinses opferte und die Stadt säuberte.”c Es gibt bei ihnen das Jahr der a Bezeichnung für den aus 4 Buchstaben bestehenden Eigennamen Gottes 3 LThK IX Sp. 1358. b Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines V, 36, 1. c Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines VI, 17, 25-28.
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Indiktion, das dreimal fünf Jahre umfasst. Bei den Hebräern gibt es das Jubeljahr, d. h. der Vergebung, das nach Vollendung von sieben Jahreswochena gefeiert wird. Es ist bei den christlichen Pilgern das Jahr des Segens und der Gnade. In dem kam Christus und erlöste uns allein durch seine Güte. Es gibt bei den christlichen Pilgern das Jahr der Ewigkeit und Herrlichkeit, in dem die Frommen in festlichem Glanz frohlocken (Ps 149,5) ohne Ende. Das Sonnenjahr hat vier Jahreszeiten, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, und die Naturforscher teilten das Jahr in 12 Monate ein. Monat ist die Zeit, in der der Mond einmal den Tierkreis durchläuft. “Die Heiden haben den Monaten Namen gegeben, teils nach Göttern, teils nach Gründen, einigen haben sie Zahlen gegeben.”b “Januar also nannten sie nach einem Götzen, auch in der Sache nach einem Götzen, weil sie ihn nach dem doppelgesichtigen Janus benannten. An dessen erstem Tag feierten sie die Janusfeiern. Und ganz nach der Sache wird der Januar benannt, weil die Tore des Jahres und sein Beginn gesetzt sind. Der Februar heißt nach einem Götzen, nach Fébruus, d. h. Pluto, oder nach einer Sache, d. h. nach Fieber oder nach Sühnen, weil an seinem ersten Tag die Stadt eine Sühnefeier veranstaltete. März nannte man zu Ehren des Romulus so, den man für einen Sohn des Mars hielt, und somit nach einem Götzen. Denn in der Sache sagt man: nach den Männern, weil damals die Männchen andere Tiere suchten. April heißt gleichsam der Öffner (aperítia), weil dann die Saat sich öffnet und in Blüten steht, somit wird er nach einer Sache benannt. Von einem Götzen Afros heißt er, das ist Venus, gleichsam der Afrikanische. Mai nach Maja, der Mutter des Merkur. Juni nach der Juno. Aber glaubhafter ‘Mai’ von den Älteren (maiores), ‘Juni’ von den Jüngeren (iuniores) genannt, denn was die Älteren im Mai anordneten, führten die Jüngeren im Juni aus. Juli nach Julius Cäsar. August nach Octavianus Augustus. Denn zunächst hieß der Juli ‘Fünfter’, und der August hieß ‘Sechster’. September, Oktober, November, a b
1-11.
Oder Wochenjahren, also nach 49 Jahren. Vgl. Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines V, 33,
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ezember erhielten nach den Zahlen und dem Regen des Klimas D ihre Bezeichnung.”a Die Monate wurden in Kalenden, Nonen und Iden eingeteilt. Kalenden heißen nach ‘kultivieren’ (cólere), weil die am Anfang des Monats kultiviert wurden. Oder besser nach ‘kalo’, was ‘gut’ heißt. Und wisse: Bei den Ägyptern wurden die Monatsanfänge zuvor verkündet, deshalb heißt es ‘am 10. Tag vor den Kalenden’ und so findet man die übrigen. Die Nonen heißen nach den neun Tagen, und die Iden nach der Einteilung des Monats. Die Monate beinhalten vier Wochen. Hébdoma ‘Woche’ heißt so nach ‘hébdoas’, was sieben Tage bedeutet, weil mit dem Verlauf von sieben Tagen gerechnet wird. Der Tag ist ein Zeitraum von 24 Stunden, seine beiden Teile sind Tag und Nacht. Tag ist die Anwesenheit der Sonne über der Erde. Seine drei Teile sind Morgen, Mittag und Abend. “Ihre Nacht ist die Abwesenheit der Sonne über der Erde. Seine sieben Teile sind: Dämmerung, gleichsam ‘unklar’, was ungewiss heißt, ‘Abend’ heißt nach dem Aufgang des Abendsterns, nach dem die Zeit heißt. ‘Stille Zeit’, da alles schweigt. ‘Unzeit’, d. h. unpassend, da es nicht passend ist, irgendetwas zu tun. ‘Zeit des Hahnenschreis’ nach dem Schrei des Hahns. ‘Matutin’ nach dem Morgenstern oder ‘morgens’. ‘Vor Sonnenaufgang’ nach dem Licht, d. h. Morgengrauen . Die aber sagen, es seien vier Abschnitte, fassen Dämmerung und Abend und ‘Stille Zeit’ zusammen und verstehen Matutin beim Morgengrauen. Diese vier Teile heißen auch Nachtwachen, was von den Hirten”b oder den Nachtwächtern in den Städten genommen ist. Diese Teile nennt der Herr im Evangelium mit anderen Namen, also: ‘spät, mitten in der Nacht, beim Hahnenschrei’ oder ‘am Morgen’. “Die Heiden haben den Wochentagen nach den Planeten Namen gegeben, den ersten Tag nannten sie nach der Sonne, die die führende und Herrscherin aller Sterne ist, wie dieser Tag der erste von allen ist. Den zweiten nach dem Mond, den dritten nach Mars, den vierten nach Merkur, den fünften nach Jupiter, den sechsten nach der Venus, den siebten nach Saturn, und 14.
a
Vgl. Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines V, 33, 12-
b
Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines V, 31, 1.
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t eilten den einzelnen Planeten einzelne Stunden zu. Je nachdem welcher Planet nach 24 Stunden erscheint, dieser Planet beansprucht für sich den Namen dieses Tages. Es ist also die Ordnung der Planeten Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond, auf die die Naturforscher die Namen der Tage bezogen haben, weil sie wollten, dass von den einzelnen Planeten etwas im Menschen stecke, wie von Saturn die Langsamkeit, vom Jupiter das Maß, vom Mars das Ungestüm, von der Sonne der Geist, von Venus die Begierde, von Merkur die Redegabe, vom Mond der Leib. Bei den Hebräern heißen die Tage: 1. Tag des Sabbat, 2. des Sabbat, 3. des Sabbat, 4. des Sabbat, 5. des Sabbat, 6. des Sabbat, Sabbat. Der Sinn des ‘Ersten des Sabbat’ ist: Dies ist der erste Tag nach dem Sabbat, und so fort.”a Wir aber nennen die Wochentage ‘feriae’, weil feiern (feriari), gleichsam sprechen (fari) bedeutet. Bei der Erschaffung der Welt sagte der Herr zu den einzelnen Tagen: Es werde Licht (Gen 1,3). Oder weil ‘feiern’ heißt: für etwas frei sein, und es ist von den Heiden abgeleitet, die die Festtage ‘feriae’ nannten. Wir aber nennen alle Wochentage ‘feriae’. Denn wir zelebrieren an den einzelnen Tagen feierliche Messen, wir sind ja gehalten täglich das Sündigen zu lassen. Der Tag, an dem der Herr auferstanden ist, heißt Tag des Herrn. Er heißt auch ‘feria prima’, weil die ‘feria’ zu begehen ist, d.h. von Sünden frei zu sein. Und der Sabbat wurde einst als freier Tag gehalten. “Deshalb heißt der Sonntag prima feria, d. h. erster Tag der feria, wie erster Tag nach dem Sabbat. Den Namen ‘Sabbat’ aus der hebräischen Ordnung hat die christliche Religion bewahrt.” b Beachte: Es gibt Sternentage, an denen sich die Sterne bewegen und die Menschen von der Navigation ausgeschlossen werden. Es gibt Kriegstage, über die es im Buch der Könige heißt: Zu der Zeit, in der die Könige in den Krieg ziehen (2 Sam 11,1). Es gibt Schalttage, die, wie wir wissen, bei den zwölf Monaten übrig bleiben. Es gibt Hundstage, in denen [das Sternbild] Hund die Erde verbrennt. Es gibt Sonnenwendtage, an denen die Sonne a b
Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines V, 30, 5-10. Aurelius Augustinus, Enarrationes in psalmos 6, 2.
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stillzustehen scheint. Es gilt der Tag der Tagundnachtgleichen, an denen Tag und Nacht gleich lang sind. Fasti, an denen man Gericht spricht. Nefasti mit dem Gegenteil sind Festtage, d. h. Festlichkeiten, wie Aschermittwoch. Profesti, gleichsam Tage fern von Festen, wie die Wochentage. Es gibt schlechte Tage, weswegen der Apostel sagt: Nutzt die Zeit, denn diese Tage sind böse (Eph 5,16), weil an diesen die Menschen mehr als sonst Anfechtungen erleiden. Andererseits gibt es gute Tage. Ägyptische Tage, an denen, wie man glaubt, der Ägypter geschlagen wurde. Deren Beobachtung wurde von den Ägyptern erfunden. Es gibt auch einen Tag des Heils, an dem der Herr kam, um uns zu erlösen. Es gibt den Tag des Gerichts oder den Tag des Herrn, an dem Er kommen wird zu richten. Die Tage, in denen wir leben, sind unsere Tage, weil wir in ihnen nach unserer freien Entscheidung streiten. Doch der Tag des Gerichts ist nicht unser Tag, sondern der Tag des Herrn, denn Er wird uns nach seinem Gutdünken Lohn zuteilen. Für die Guten wird es ein Tag der Freude sein, für die Bösen aber ein Tag der Not und Bedrängnis (Zef 1,15). Der Tag hat vierundzwanzig Stunden, die Stunde vier Punkte. Diese sind voll der Geheimnisse. Wir feiern dann das Fest des zweigesichtigen Janus, wenn wir die begangenen Sünden beklagen und uns vor künftigen hüten. Wenn wir die früheren vergessen, richten wir uns mit dem Apostel nach dem aus, was vor uns liegt (vgl. Phil 3,13). Das allgemeine Jahr ist Christus, dessen Glieder die vier Jahreszeiten sind, also die vier Evangelisten. Die zwölf Monate sind die zwölf Apostel. Alle Wochen haben die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Jeder Tag kommt durch den Glauben an die Dreifaltigkeit zu den acht Seligkeiten, die Stunden strahlen immer in den vier [Kardinal]Tugenden. Durch das Jahr nehmen wir die ganze Zeit unseres Lebens, durch die vier Jahreszeiten die vier Stadien der streitenden Kirche, also das Stadium des Friedens, der Verfolgung durch Tyrannen, der Verworfenheit der Ketzer, der scheinbaren Vertrautheit. Dies sind die vier Pferde, also das weiße, feuerrote, schwarze und fahle (vgl. Offb 6,2-7), über die Johannes in der Offenbarung spricht. Jeder Stand enthält drei
8 – Sonntag in der Weihnachtsoktav
Dimensionen von sieben erwählten Fackeln, die loderten, d. h. Anfang, Mitte und Ende. Er enthält auch Tag und Nacht, d. h. Glück und Unglück. In beiden gab es zwölf Propheten und zwölf Apostel und alle Gelehrten des Alten und Neuen Testaments, also vierundzwanzig. Und weil sie den Glauben an die heilige Dreifaltigkeit in den vier Zonen der Welt verkünden sollen, und weil sie die sechs Werke der Barmherzigkeit des viergeteilten Evangeliums verwirklichen und in all diesen Punkten der vier Tugenden glänzen. Das Jahr ist der Kriegsdienst des Menschen auf der Erde (Ijob 7,1). Vier Jahreszeiten, vier Zeitalter, Kindheit, Jugend, Manneszeit, Greisenalter, und vier Tugenden, in denen wir der heiligen Dreifaltigkeit dienen, in [weiteren] drei Tugenden glänzen, in den sieben Gaben müssen wir reiche Frucht tragen in Glück und Unglück, damit wir durch die Vierzahl der Tugenden zur Zehnzahl der Werke, durch die Dreizahl der Tugenden zur Achtzahl der Seligkeiten gelangen. 8. Der Sonntag in der Oktav von Weihnachten Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da kam Dein allmächtiges Wort vom königlichen Thron herab (Weish 18,14-15). Es gibt drei Schweigen: vor dem Gesetz, unter dem Gesetz, in der Herrlichkeit. Das erste war die Unwissenheit in der Mattigkeit, das zweite die Verzweiflung bei der Pflege, das dritte die Annahme der Heilung. Der Mensch vor dem Gesetz kannte seine Krankheit nicht, daher schwieg er und suchte kein Heilmittel; dies ist das erste Schweigen. Als aber das Gesetz hinzutrat (Röm 5,20), erkannte der Sieche seine Krankheit und suchte durch die Werke des Gesetzes geheilt zu werden. Doch er erkannte, keiner könne durch das Gesetz gerecht gemacht werden, und vom tagtäglichen Rufen ermattet, verzweifelte er an der Rettung und schwieg erneut. Und es schwieg nicht allein der Mensch, sondern auch alles, d. h. die Menschen, die Engel und die Elemente, die zuvor über die künftige Geburt Christi durch Worte und
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durch Anzeichen Zeugnis gegeben hatten. Es ist dies das zweite Schweigen, als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war (Weish 18,14). Nacht wird dreifach verstanden: der Teufel, der Ablauf des gegenwärtigen Lebens und die Sünde. Auch gibt es drei Wege: der erste zum Himmel, der zweite zum Inferno, der dritte ist die Rennbahn dieses Lebens. Der mittlere Weg ist das Menschengeschlecht oder der menschliche Geist, der mittlere zwischen dem Geist, der stirbt und mit Fleisch umhüllt ist, und dem Geist, der nicht stirbt und nicht mit Fleisch umhüllt ist. Der Teufel besaß das ganze Menschengeschlecht und zog es auf seinem Weg zum Abgrund ins Verderben. Das gegenwärtige Leben ist Nacht, deren erster Weg vom Nichtsein zum Sein durch die Zeugung führt. Der letzte Weg führt vom Sein zum Nichtsein durch Verderbnis. Der mittlere vom irgendwie Sein zum Anderssein durch Änderung. Der Lauf dieses Lebens ist ja, dass wir durch Geburt eintreten, es lebend durchlaufen und es im Tod verlassen. Bei diesem Lauf hat diese Nacht den mittleren Weg, da der Tod alle, die er auf der Bahn dieses Lebens findet, zur Unterwelt herabzieht. Auch die Nacht der Sünde hatte, da sie mit der Erbsünde begann und durch die gegenwärtige Zeit lief, wobei die Verletzung des natürlichen und geschriebenen Gesetzes folgte und die Sünde zu höchster Steigerung gelangt war, die Mitte des Weges zurückgelegt, als der Tod von Adam bis Moses herrschte (Röm 5,14) und auch bis zur Ankunft des Herrn andauerte. Als also alle Hoffnung, das Heil wieder zu erlangen, verloren gegangen war und die Nacht alles an sich gerissen hatte, da wurde das allmächtige Wort zur Befreiung geschickt, damit die Gabe der göttlichen Gnade weiter empfohlen wird. Der Diener Gottes, Moses, sprach viele Worte, hielt viele ohnmächtige Reden, die das, was sie versprachen, nicht bewirken konnten. Doch das eine und einzige Wort ist das des Vaters, denn eines hat Gott gesagt (Ps 62,12) und Er selbst ist allmächtig, der nicht nur sprach, und sogleich geschah es, Er gebot, und alles, was Er wollte, war da (Ps 33,9). Hier kam das Wort. Doch woher kam es? Von wo? Vom königlichen Thron, von der Zustimmung des Vaters, von der Gleichheit der Herrlichkeit zum Fleisch, zum Kreuz, zum Tod, vom Licht des Himmels zur Finsternis des Inferno.
8 – Sonntag in der Weihnachtsoktav
Als Er so kam, wurde das Schweigen gebrochen, denn Er sprach Frieden, gab Gnade, stellte die Barmherzigkeit vor und versprach Verzeihung. Da begannen die Siechen zum Arzt zu eilen, in der Reinheit des Glaubens und im Bekenntnis der Wahrheit mit lautem Rufen ein Heilmittel zu fordern. Nun spricht dieses Wort, während es täglich bei den Seinen das Versprochene bewirkt. Der noch Kranke fordert, dass er durch die Gnade Gesundung erhält. Doch wenn die volle Gesundung gekommen ist, gibt es nichts, was gefordert werden könnte. Entsprechend dem Wort: ‘An jenem Tage werdet ihr den Vater um nichts bitten’, und dann gibt es das dritte Schweigen der Vollendung. Dieses Offizium ist die Stimme der Urkirche, in dem sie an die Geburt des Herrn erinnert, deren Frucht sie in der Epistel verkündet: Solange (Gal 4,1), denn wir sind aus der Knechtschaft zur Annahme an Kindes Statt übergegangen. Und Ihn empfiehlt sie entsprechend der Weisheit, wie im Evangelium: Sein Vater Josef, wo es heißt: Der Knabe wuchs heran, und seine Weisheit nahm zu, und Er fand Gnade bei Gott und den Menschen (Lk 2,40). Hinsichtlich der Macht wie im Halleluja: Dóminus regnauit – Der Herr ist König (Ps 93,1 Vg.) und im Offertorium: Deus firmauit – Der Herr hat den Erdkreis fest gegründet (ebd. 93,2) nach der Schönheit wie im Graduale: Speciosus forma – Du bist der Schönste (Ps 45,3). In der Communio aber: Tolle púerum– Nimm das Kind (Mt 2,20) wird die Flucht erzählt, wo der Herr nach Ägypten hinabstieg. Und mystisch schaut Er auf die Annahme der Heidenschaft, denn der Herr ging von Judäa zu den Heiden hinüber, um sie als Erben an Kindes Statt anzunehmen. Und beachte: “Wenn Weihnachten oder das Fest des hl. Stephanus, des hl. Johannes oder der Unschuldigen Kinder auf den Sonntag fällt, wird dieses Offizium erst am Sonntag nach der Weihachtsoktav gesungen.”a Daher: “Wenn der Sonntag in die Oktaven der Heiligen fällt, wird dieses Offizium vom Sonntag gesungen, und es wird das Gedächtnis von dessen Oktav angefügt.”b Daher sagen einige, wie das Offizium von a b
Bernoldus, Micrologus 37. Bernoldus, Micrologus 38.
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Weihnachten die Freude der Heiden ist, die das Heil Gottes gesehen haben, so ist das heutige Offizium ein Preislied der am Ende der Welt heimgerufenen Juden. Es soll ja der wilde Ölbaum nicht gegen die Zweige des guten Ölbaums gepriesen werden. Nicht soll sich der jüngere Bruder gegen seinen älteren empören, sondern beim Gastmahl den Vater bitten, hinauszugehen und den Heimkehrer mit sanften Ermahnungen einzuführen, denn der zuerst zu Fall gekommen war (Lk 2,24), soll zur Auferstehung in Israel gesetzt werden, wie es im Evangelium heißt. Dann wird erfüllt werden, was der Apostel in der Epistel sagt: Gott sandte seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit Er die freikaufe, die unter dem Gesetz standen (Gal 4,4-5). Damals ein Kind, das den Elementen ausgeliefert war, d. h. in dem wörtlichen Sinn, wird Er Erbe und den Thron des Reiches erlangen. Aber jetzt ist der Herr in Ägypten, d. h. bei den Heiden, die einst unter dem Pharao, d. h. dem Teufel, dienten. Doch dann kehrt Er durch den Glauben aus Ägypten in das Land Israel zurück, d. h. zu den Juden, da deren Reste dereinst gerettet werden. Von dieser Rückkehr handelt das Evangelium: Als Herodes gestorben war (Mt 2,19), das in der Vigil von Erscheinung des Herrn gelesen wird. Dieses Offizium wird bis auf das Evangelium von der zweiten Weihnachtsmesse ‘in der Frühe’ genommen: Lux fulgebit – Ein Licht erstrahlt (Jes 9,2), denn an Epiphanie, der wahrnehmbaren, ruhmvollen Erscheinung des Herrn, an der der Herr, so wie Er ist, erscheinen wird, werden die Heiligen in Gott strahlen, und Gott wird in ihnen erstrahlen. – Für diesen Vigiltag wird gefragt, ob da gefastet werden soll. Es scheint so, denn das Offizium ist angepasst, und das Halleluja wird im Offizium ausgelassen, falls es nicht Sonntag ist. 9. Erscheinung des Herrn ‘Diesen Tag, der durch drei Wunder geschmückt ist, feiern wir: Heute hat der Stern die Magier zur Krippe geführt.’a a
Erscheinung des Herrn, 2. Vesper, Antiphon zum Magnificat.
9 – Erscheinung des Herrn
Als Jesus zu Bethlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter zur Zeit des Königs Herodes aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern im Osten aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen (Mt 2,1-2). “Der König Zoroaster hat die Kunst der Magier erfunden. Aus seinem Samen stammt Bileam,”a der über Christus sagte: Ein Stern geht in Jakob auf, ein Zepter erhebt sich in Israel (Num 24,17). Aus dessen Nachkommenschaft stammten diese drei Magier, die dem Herrn mit ihren Gaben huldigten: Mit Gold, Weihrauch und Myrrhe kamen sie. “Die Magier heißen Mathematiker, d.h. Sterndeuter. Die drei waren die ersten der Heiden, von denen der Herr verehrt werden wollte: von den drei Erdteilen Asien, Afrika und Europa” b und von den drei Söhnen Noahs. So wollte Er, sollten die Heiden bekehrt werden, “die die drei Geschenke überbrachten: im Gold glaubten sie an den König, im Weihrauch an Gott, in der Myrrhe an den Tod.”c Und unter den drei Geschenken verstehen wir die Physik, die Ethik und die Logik oder die Historie, die Tropologie und Allegorie, oder die Erkenntnis des Glaubens, das Gebet und gute Werke. Sie kamen aber unter der Führung des Sterns am zwölften Tag nach Weihnachten. Damit den Heiden ein Zeichen gegeben würde zum Glauben an Christus, dass sie durch die zwölf Apostel angezogen würden, bekräftigte Er ihre Verkündigung (Mk 16,20). Doch wenn sie an Weihnachten den Stern sahen, wie konnten sie so schnell aus so weit entlegenen Gegenden kommen? Einige antworten, dass sie ihn schon vor Weihnachten sahen. Andere, dass sie auf Dromedaren kamen. “Das Dromedar ist kleiner als das Kamel, doch schneller.”d Es läuft an einem Tag so viel wie ein Pferd an drei Tagen. Deshalb heißt es so nach ‘dromos’, was ‘Lauf ’ und ‘ares’, was ‘Kraft’ bedeutet. Nach dem Stern wird gefragt, wo er verblieb nach Beendigung seines Amtes? Einige antworten, er fiel in eine Grube, und noch andere, er erscheine Vgl. Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines IX, 2, 43. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 19. c Ps.-Alcuinus, De divinis officiis liber 5. d Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines XII, 1, 36. a
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nur Jungfrauen. Andere Antwort: Er löste sich wieder in seine frühere Materie auf. Im Hinblick auf dieses Wunder heißt dieses Fest “‘Epiphanie –Erscheinung’ nach ‘epi’, was ‘oben’ und ‘phanos’, was ‘Erscheinung’ bedeutet.”a Heute wurde Christus, als Er etwa 30 Jahre alt war (Lk 3,23), von Johannes im Jordan getauft aus drei Gründen: um alle Verpflichtungen des Gesetzes zu erfüllen, um das Wirken des Johannes zu bestätigen, um dem Wasser die Kraft der Erneuerung zu verleihen. Deshalb wollte Er im dreißigsten Jahr getauft werden und dann predigen, denn ein Prediger muss stark und in sich rein sein, um dann dieses den anderen zu verkünden. Dieses Alter ist für einen Prediger angemessen. Im Jordan wird Er getauft als Zeichen der Demut, von Johannes als Zeichen der Gnade Gottes. ‘Jordan’ heißt ‘Abstieg’. ‘Johannes’ wird mit ‘Gottes Gnade’ gedeutet, denn denen, die sich in der Taufe demütigen, wird Gottes Gnade zuteil. Bei dieser Taufe erschien die Dreifaltigkeit: der Vater in der Stimme, der Sohn im Fleisch, der Geist in Gestalt einer Taube. “Deshalb wird diese Feier nach diesem Wunder Theophanie genannt, von ‘theos’, was ‘Gott’ ist. Heute, nach dem Ablauf eines Jahres, verwandelt der Herr Wasser in Wein bei der Hochzeitsfeier des Speisemeisters.”b “Entsprechend diesem Wunder wird diese Feier ‘die von Bethphanien’ genannt, von ‘bet’, was ‘Haus’ bedeutet.”c “Beda sagt in seiner Erläuterung zu Lukas, der Herr habe am selben Tag nach Jahresablauf sein viertes Wunder begangen, d. h. die Brotvermehrung. Danach heißt das Fest ‘Phagiphania’ von ‘phagin’, was ‘essen’ heißt.”d Doch nach dieser nicht authentischen Deutung feiert die Kirche kein Fest. Wegen der drei ersten Wunder wird gefragt, welches Wunder vorzuziehen sei? “Die Griechen sagen, die Taufe sei den anderen vorzuziehen, weswegen sie das Sakrament der Taufe an diesem Tag mit größerer Teilnehmerzahl und besonders feierlich Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines VI, 18, 6. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 18. c Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 73. d Petrus Comestor, Historia Scholastica, In Evangelia 37, Additio 1. a
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begehen.”a Ihnen widerspricht die Römische Kirche in ihren Kanones. Neben dem ein oder anderen Grund war es auch die Taufe, denn wir alle sind auf Christus getauft, auf seinen Tod, nicht auf seine Taufe sind wir getauft: Wir wurden mit Ihm begraben durch die Taufe auf den Tod (Röm 6,4). Nachdem Er dann von den Toten auferstanden war, gab Er den Aposteln die Macht und den Wortlaut zu taufen, indem Er sagte: Geht und lehrt alle Völker, tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes (Mt 28,19). “Obwohl Er sie vor seinem Leiden hätte unterrichten können, wollte Er nicht, dass man glaubt, die Gnade der Wiedergeburt habe ausschließlich in seiner Auferstehung ihren Anfang genommen, und die Kraft zur Wiedergeburt im Wasser sei aus seiner Seite herausgeflossen.” b Hervorragt also besonders, dass Ihm von den heidnischen Magiern gehuldigt wurde, dass Er in den Herzen der Heidenvölker eine große Menge geistlicher Freuden erzeugt. Als Er sie also aufnahm, schuf Er unseren Frieden, Er vereinigte die beiden Teile (Eph 2,14). Was ist bei einem himmlischen Wunder vollständiger, als dass nicht die Lehre der Schrift, eines Menschen oder eines Engels, sondern allein das Orakel des Heiligen Geistes die Magier durch einen Stern gelehrt hat? Was ist würdiger als das Lehramt des Himmels, was als mit Gold den König, mit Weihrauch den Herrn und mit Myrrhe den Sterblichen zu bekennen? Aus diesen drei Wundern dieses Tages, besonders aus dem ersten, wird das Offizium zusammengefügt, das nächtliche wie das bei Tage. Das nächtliche weicht am Beginn vom Gewohnten ab. Man singt nicht: Venite – Kommt lasst uns jauchzen vor dem Herrn (Ps 95,1). Einmal weil die Könige zur Verehrung des Herrn kommen, auch ohne Einladung. Daher wird sofort nach Dómine lábia – Herr, öffne meine Lippen (Ps 51,17), wie unvorhergesehen, gesagt: Afferte – Bringt dar dem Herrn Lob und Ehre (Ps 29,1). Nach unserer Gewohnheit wird die Antiphon gesungen, die das Wichtigste des folgenden Offiziums enthält, also: ‘Tribus miráculis – Mit drei Wundern’.c “Wir singen auch Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis I 24. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis I 24. c 2. Vesper, Antiphon zum Magnificat. a
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weder Venite noch Invitatorium, damit es nicht so scheint, als ob wir Herodes nachahmen.”a Der hat ja die Hohenpriester und Schriftgelehrten eingeladen und befragt, wo Christus geboren werden sollte. Den Magiern aber sagte er: Wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige (Mt 2,8). Dies sagte er, nicht um Christus zu huldigen, sondern um ihn zu töten. Aus demselben Grund geben wir an den drei Tagen vor Ostern keinen Friedenskuss, damit wir nicht dem Verräter Judas ähnlich erscheinen. Dann auch weil für die Sext die Antiphon wegen der Heiden vorbehalten ist, die im 6. Zeitalter zum Glauben an Christus gekommen sind, oder um zu bezeichnen, dass Christus, wozu der Psalm einlädt, in der Fülle der Zeiten gekommen ist. Die Sechszahl bezeichnet ja die Vollkommenheit. Zu bemerken ist: Bei den Antiphonen der 1. Nokturn wird kein Halleluja gesungen, denn sie werden zum alten Stand gerechnet. Die 1. Nokturn berührt die Zeit des Naturgesetzes, in der Abraham den Widder opferte. In dieser Zeit lud man sich zum Psallieren und dem Herrn Huldigen ein. Die 2. Nokturn berührt die Zeit des mosaischen Gesetzes, in der die Propheten die Völker voraussahen, die zum Huldigen des Herrn kommen. Die 3. Nokturn aber gehört zum Neuen Testament, das seinen Anfang in der Taufe hat. Deswegen hat sie in der Mitte die Antiphon: Flúminis ímpetus – Die Wasser eines Stromes mit dem Psalm: Gott ist uns (Ps 46,5.1), und diese Ordnung der Psalmen ist später und ungewöhnlich, die zu Recht den siebenten Platz hält, denn der gehört zum siebenförmigen Geist der Gnade, die auch der Macht der Taufe zugewiesen ist. Auch die folgenden Antiphonen mit ihren Psalmen zeigen auf das Neue Testament, und diese drei Psalmen zeigen ja die Haltung der Völker gegenüber der Predigt der Apostel, den Sturz der Götzen und die Bekehrung der Gläubigen. Dies sagen wir hinsichtlich der Gewohnheit einiger. “Wir gebrauchen nämlich Flúminis ímpetus mit ihrem Psalm in der 1. Nokturn und Venite in der 3.”b und bewahren damit die richtige, natürliche und gewohnte Ordnung der Psalmen. Das passt auch, weil die Heidenvölker in der Zeit der Gnade zum Glauben a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 19. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 73.
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gekommen sind. Und sieh: Der Aufstieg sollte in den Antiphonen betrachtet werden. Er enthält ja als erste Zusammenfassung die Priester, als zweite die Könige, in der dritten gelangt man zu den Engeln. “In der 3. Nokturn wird das Halleluja oftmals gebraucht, denn in dem 3. Zeitalter freut sich die erlöste Kirche.”a Nach der 3. Nokturn folgt das Evangelium von der Taufe und dem Stammbaum Christi (Lk 3,23-28). “Und sieh: Es werden zwei Evangelien vom Stammbaum Christi in der Nacht gelesen: eines an Weihnachten, das andere heute, denn beide Male geschah die Geburt Christi in der Nacht, d. h. im Dunkeln, und nicht verstanden von den Sinnen der Früheren. Eine ist im Fleisch, die andere geistlich. In der fleischlichen steigen wir berechnend herab, und sie gebar wird als fleischlich gesetzt und die zeitliche Abfolge ausgedrückt. Im geistlichen steigen wir auf, und gesetzt wird ‘der war’ und hinzugefügt: ‘Sohn’, damit die geistliche Annahme an Kindes Statt betont wird.”b Weshalb “Matthäus abwärts und Lukas aufwärts steigt, haben wir oben dargelegt.”c Und Lukas zählt deshalb im Aufsteigen auf, weil es das Eigene der Priester ist, dass sie das Volk vom Nieder sten zur Spitze führen. Nach dem Verlesen des Evangeliums lassen wir das ‘Te Deum – Großer Gott, wir loben Dich’ voll Freude über die Abstammung Christi laut erschallen. Das Tagesoffizium aber gehört ganz zu dem, wovon wir sagten, es sei das erste, besondere und hauptsächliche Geheimnis, d. h. hinsichtlich der Erstlingsgaben der Heiden und der Geschenke der Magier. Die heilige Kirche, die aus den Heiden erwählt wurde, singt voll Freude über den Beginn ihrer Berufung Gott ein Loblied und ein huldvolles Preislied für ihr Heil: ‘Ecce aduenit – Seht, der Herr ist gekommen (vgl. Jes 3,1; Mal 3,1; 1 Chron 29,12), was aus Jesaja genommen ist, doch es findet sich dort nicht wörtlich. Es war ja den Sängern erlaubt, nach dem Beispiel der Bienen, die aus verschiedenen Blüten eine einheitliche Süße des Honigs erzeugen, aus verschiedenen Stellen der Schrift einen Gesang der Freude für Gott zu komponieren. Willkommener ist ja die Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 73. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 74. c Siehe S. 413. – Aurelius Augustinus, Sermones dubii, de concordia Mattthaei et Lucae 8, 12. a
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Mischung des Guten. Seht: In die Öffentlichkeit ist der Herr in Natur, der Herrscher in Wirkung gekommen, Er kam zu uns, d. h. Er nahm Fleisch an, oder, um auf den heutigen Tag anzuspielen, Er kam zu uns, d.h. der im Fleisch verborgen war, erschien durch viele Zeichen wie durch den Stern und die Geschenke, dass Er Gott ist. Durch das Wort des Vaters und den Geist in der Taube sollen die übrigen Dinge offenkundig sein. Und beachte: Es ist Brauch, an diesen Tagen das Osterfest des Jahres zu verkündena mit den Worten: “Liebe Brüder, eure Liebe soll wissen: Wie wir uns über die Geburt, das Wirken der Barmherzigkeit Christi, gefreut haben: an dem und dem Tag sollen wir das Osterfest unseres Herrn feiern.”b Deshalb wird es verkündet, weil es nicht wie andere Festtage gefeiert wird. Andere Feste folgen Jahr für Jahr an feststehenden Tagen und folgen Sonne und Sternen. Die Sonne vertritt den Typus Christi, der die Sonne der Gerechtigkeit (Mal 4,2) ist, die Sterne bezeichnen die Heiligen nach dem Wort des Apostels: Die Gestirne unterscheiden sich durch ihren Glanz (1 Kor 15,41). So wie also Sonne und Sterne entsprechend unseren Blicken unveränderlich sind, so werden Christi Geburt und die Festtage der Heiligen unverrückbar gefeiert. Aber die Osterfeier folgt nach dem Auftrag des Herrn dem Mond, wie weiter unten erklärt wird.c Der Mond aber nimmt nach unserm Blick ab und zu, wie man immer wieder sieht. Entsprechend fällt Ostern in den einzelnen Jahren nicht auf denselben Tag. Denn heute ist es die Epakte 14. “Im folgenden Jahr nach Hinzufügen der Zahl 11 wird die Epakte 25 betragen, im 3. Jahr nach erneuter Erhöhung um die Zahl 11 und dem Abzug von 30, [also einem Monat,] entsteht nun die Epakte 6.”d Außerdem wird Ostern nur an einem Sonntag gefeiert. Aber was in diesem Jahr Sonntag ist, wird im folgenden Jahr Montag genannt, und deshalb schwankt der Feiertag, und dieser Wechsel führt zu einem Wechsel bei Septuagesima, Quadragesima, Christi Himmelfahrt und Pfingsten. Es müssen ja immer eine bestimmte Anzahl Tage, nie mehr oder gar weniger, sein, wie wir Gratianus, CIC, D.3 c.25 de cons. Pontificale Romanum, Verkündigung der beweglichen Festtage zu Epiphanie. c Siehe Buch VI, 15a, S. 305. d Isidorus Episcopus Hispalensis, Etymologiae sive origines VI, 17, 32. a
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bei Septuagesima und Ostern, zwischen Ostern und Himmelfahrt, zwischen Ostern und Pfingsten zeigen werden. Deshalb wird notwendigerweise dieser Festtagstermin verkündet, damit wir wissen, in welcher Frist wir nach dem Festtag von Erscheinung die Historia: Dómine, ne in ira – Herr, strafe mich nicht in Deinem Zorn (Ps 6,2)a singen, und wann wir Septuagesima beginnen müssen. Am Sonntag innerhalb der Oktav sind die Lesungen vom Sonntag, zum Benedictus (Lk 1,68) wird die Antiphon Fili – Kind! (Lk 2,48), zum Magníficat (Lk 1,46) die Antiphon: Puer – Der Knabe (vgl. Lk. 2,43), der Introitus: In excelso – Da wurden Throne (Dan 7,9), die Epistel: Ich ermahne euch (Röm 12,1), das Evangelium: Als Jesus zwölf Jahre alt war (Lk 2,42), die Oration: ‘Berücksichtige die Wünsche’ genommen. Danach folgt das Gedächtnis von Erscheinung des Herrn. Die übrigen Horen werden vom Fest Epiphanie gesprochen. Deren Sinn und Fortgang werden wir unten erläutern.b “In der Oktav von Erscheinung wird über die Taufe, also das zweite Wunder von Erscheinung, gejubelt. Wie in der Antiphon Véterem hóminem – Legt den alten Menschen ab (Eph 4,22) und den übrigen, die folgen, die aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt wurden. Deshalb ist im Wortlaut die Eigenheit der Sprache erhalten geblieben, sodass sie im 7. Ton stehen, denn sie gehören zur Taufe, wo die siebenfache Gnade des Heiligen Geistes wirkt. Es sind acht für die richtige Oktav, zu der der Täufer durch das Mysterium und das Verdienst der Taufe führt.”c Das Offizium zur Oktav weicht ab, weil es die Vertretung der Beschneidung hält, die am 8. Tag gefeiert wird. An diesem Tag wird das Invitatorium gesungen, weil durch die Predigt der Apostel die Menschen zur Taufe eingeladen sind. Das dritte Wunder, d. h. die Verwandlung des Wassers in Wein, wird auf den Sonntag verschoben, der auf die Oktav folgt. So kommt es zu dem Entscheid, dass es vor Ende der Oktav nicht erlaubt ist, das Sakrament der Ehe zu feiern, doch dieses von jetzt an selbstverständlich erlaubt ist. 1. Responsorium jeweils an den Sonntagen nach Erscheinung. Siehe S. 444. c Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis 1, 17. a
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10. Die Offizien nach der Oktav von Erscheinung Herr, strafe mich nicht in Deinem Zorn, und züchtige mich nicht in Deinem Grimm (Ps 6,2; 38,2).a Diese Historia ist in den Antiphonen wie den Responsorien an den Sonntagen und Wochentagen von den Psalmen aufgenommen worden, die wir in der Oktav von Erscheinung des Herrn bis Septuagesima verwenden. Denn bei den vorausgehenden Feiertagen sind wir zu weltlicher Freude abgeglitten und haben Gastmähler und lockere Gesänge hingenommen, deswegen verwenden wir nun Psalmen, die zur Buße einladen, in Responsorien, Antiphonen und rezitieren “die Briefe des Paulus, die irgendwie die Buße lehren.”b Daher setzen wir am ersten Tag nach der Oktav Episteln und Wochentagsfeiern. Und weil nach dem Gesetz die Prophetie folgte, so auf das Evangelium die Apostolischen Schriften. Weil wir uns dieser Buße wegen der Hoffnung auf die ewigen Freuden unterziehen, jubeln wir die Psalmen und singen das Halleluja. Das wiederholen wir im letzten Teil des Offiziums bei der Vesper, denn die würdig büßen, gehen aus diesem Leben zur Ruhe über, empfangen auch die ungeheure ewige Freude der Engel. Doch darüber werden wir unten ausführlicher sprechen.c Die Tages-Offizien haben einen anderen Gesichtspunkt. Sie gehören zur Erscheinung des Herrn, d. h. zur Öffentlichwerdung der Gottheit. Wie ja vom Weihnachtstag bis Epiphanie in den Offizien das Menschsein des Erlösers erschien, so leuchtet in den folgenden drei Sonntagen im Offizium Seine Gottheit hervor. Denn am 1. Sonntag wird das Evangelium: Als Jesus zwölf Jahre alt geworden war, gelesen, in dem es heißt: Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört? (Lk 42,49) Er erklärt öffentlich, dass Er jener Gott ist, dem zwölftausend Engel dienen. Deshalb singt man: ‘In excelso throno – Auf erhabenem Thron’, wo es heißt, dass Ihm die Scharen der Engel huldigen. Im Graduale loben sie, im Halleluja und Offertorium laden sie die Erde ein mit den Worten: Jubilate Deo – Jauchzt 1. Responsorium, Matutin am 2. Sonntag nach Erscheinung. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 62. c Siehe S. 454. a
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vor dem Herrn, alle Länder der Erde (Ps 100,1). Aber weil das Lob des Erlösers von den Lippen des Sünders nicht gut klingt, mahnt der Apostel in der Epistel die Heiligkeit des Lebens an und beschwört sie. Die Communio singt aus dem Evangelium. Am 2. Sonntag aber wird das Evangelium gelesen, in dem es heißt, dass der Herr, eingeladen zu einer Hochzeit, Wasser in Wein verwandelt hat, was ein großes Zeichen seiner Gottheit war. Gott allein kann die Natur verwandeln und unseren dem Verderben ausgesetzten Leib in die Herrlichkeit wiederherstellen. Deshalb soll alle Welt Ihn anbeten und sein Lob singen (Ps 66,4), jubeln, bekennen und die Engel einladen zum Loben, wie es im Introitus, im Graduale, im Halleluja, im Offertorium erscheint. Die Communio singt aus dem Evangelium. Am 3. Sonntag wird als Evangelium gelesen: Als Jesus von dem Berg herabstieg (Mt 8,1). Darin heißt es: Ich will – Werde rein! (ebd. 8,3) Er zeigt hier die Güte und Macht seiner Gottheit. Daher lädt der geheilte Aussätzige wie ein Herold Engel und Menschen ein, Gott anzubeten und sagt im Introitus: Adorate Dóminum– Betet den Herrn an (Ps 97,7 Vg.) und im Graduale: Timebunt – Dann fürchten die Völker (Ps 102,16), und den Grund gibt er im Halleluja und im Offertorium an: Déxtera Dómini – Die Rechte des Herrn (Ps 118,16). Die Communio singt aus dem Evangelium. Seht, wie einleuchtend in den drei Sonntagsoffizien die Gottheit erscheint; es sind drei Sonntage, weil der Herr drei Jahre gepredigt und in Wundern seine Gottheit offenbart hat. Diese drei Offizien lassen uns Christi für uns geleistete Wohltaten erkennen, um unsere Herzen zu erfreuen. Darum singen wir in den Offertorien: Jubilate – Jauchzt vor Gott (Ps 66,1). Man muss ja jauchzen, dass uns Gott aus den Höhlen des Inferno herausführt und aus dem tiefsten Inferno befreit. Und weil am Anfang dieser drei Jahre, d. h. sofort nach der Taufe, nach der Versuchung die Engel herbeigeeilt sind und Ihm gedient haben, wird gleich nach Erscheinung des Herrn vom Sonntag, der vor der Oktav begegnet, im Introitus gesungen: ‘In excelso throno’. Und das Evangelium wird gelesen: Als Jesus zwölf Jahre alt geworden war (Lk 2,42). Und gut passt es, dass jenes
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nach dem 12. Tag nach Weihnachten am nächstgelegenen Sonntag das gelesen wird, was sich bekanntlich nach zwölf Jahren begeben hat. Und wenn es nötig sein sollte, würde es am folgenden Sonntag wiederholt. Unsere Gewohnheit ist jedoch, wenn sich die Frist bis Septuagesima verlängert, wird am Sonntag in der Oktav von Epiphanie nur von der Erscheinung des Herrn gelesen. Wenn aber Epiphanie am Sonntag nach der Oktav liegt, wird das Sonntagsoffizium verschoben. Und weil Er im zweiten Jahr noch offenkundiger durch Wunder geglänzt hat, wird am 2. Sonntag die Epistel gelesen, in der die Gnadengaben beschrieben werden und das Evangelium vom Anfang der Zeichen des Herrn rezitiert wird. Das passt auch zu dem Grund, dass gelesen wird, das Wunder sei im zweiten Jahr der Taufe vollzogen worden. Denn die Umwandlung wird so dargestellt: Die Schrift wird in den Geist, das Land in den Himmel, das Vergängliche ins Unvergängliche verwandelt. Deshalb wird im Introitus jubiliert: Omnis terra – Alle Welt bete Dich an (Ps 66,4). “Es heißt jedoch, dass Kaiser Augustus zum Ruhm des Römischen Reiches den Befehl erließ, dass aus den einzelnen Städten des Erdkreises jeweils einer nach Rom kommen solle, der nur etwas Erde bringen solle, soviel er in der Faust fassen könne, damit dadurch feststünde, dass alle Menschen Untertanen des Römischen Reiches seien. So geschah es dann. Und aus der Erde entstand ein Hügel, über dem später eine Kirche gebaut wurde, die an diesem Sonntag die Weihe erhielt. Deshalb wird bei dieser Weihe gesungen: Omnis terra – Alle Welt bete Dich an (Ps 66,4),”a auch weil Er uns im dritten Jahr durch sein Leiden erlöst hat, durch das Er beide Völker aus dem ewigen Siechtum erlöst hat. Deshalb liest man das Evangelium von den geheilten Kranken und Aussätzigen. Deshalb kommt es in den Gesängen zu einer Verdoppelung der Wörter, wie: Zion hört es und freut sich, Judas Töchter jubeln (Ps 97,8) und im Graduale: Timebunt – Es fürchten die Völker den Namen des Herrn und alle Könige (Ps 102,16) und im Halleluja und im Offertorium: Déxtera Dómini – Die Rechte des Herrn (Ps 118,16). Durch die Sorge für beide Völker wurde die Zahl der Engel vermehrt. Deshalb wird im Introitus zum Loben eingeladen, wenn es heißt: Adorate – Betet an a
Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 76.
10 – Offizien nach der Epiphanieoktav
(Ps 7,7 Vg.). Doch weil der modrige Saft nicht geheilt wird, außer die Aufwallung des Hochmuts wird abgelegt, deshalb liest man in der Epistel, dass wir nach dem Beispiel des geduldigen und nicht zurückschlagenden Christus nicht Böses mit Bösem vergelten dürfen. Einige fügen einen 4. Sonntag und auch ein viertes Evangelium hinzu: Als Christus in das Boot stieg, brach auf dem See ein gewaltiger Sturm los. Er aber schlief, und wurde von den Seinen geweckt (vgl. Mt 8,23-24). Nach Einigen bestieg Christus im vierten Jahr nach der Taufe das Kreuz, und der Teufel erregte die Menge der Juden, Christus aber schlief den Schlaf des Todes und stand am dritten Tag zum Nutzen der Seinen vom Tode auf. Man sollte nicht schweigend die Meinung derer übergehen, die die ganze Frist, d. h. von Weihnachten bis Mariä Reinigung, der Kindheit Christi zurechnen. Deshalb müssen sie nicht, wie sie sagen, das Gedächtnis der Heiligen vorziehen, besonders das vom Kreuz, damit ihnen nicht vorgeworfen wird: Du sollst das Zicklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen (Ex 23,19; Deut 14,21). Deshalb wird in den Nachtwachen aus dem Neuen Testament wegen des gegenwärtigen Lebens des Menschen Christus gelesen, auf das diese Tage verweisen. Auch der große Herold der heiligen neuen Botschaft, Paulus, gelangt in die Hand der Vorleser, er, der im alten Gesetz neue Gnade brachte, das Gesetz der Heiligen niederdrückte und das Gesetz des Glaubens mit der Palme der Gerechtigkeit erhöhte. Es gibt gleichsam diese 40-Tagefrist Christi, bestehend aus den zwei vollkommenen Zahlen: der doppelten 6 und 28. Die verdoppelte 6 bedeutet das vollkommene Menschsein des Leibes und der Seele, die Einheit des größeren Vollkommenen, die Einheit der Gottheit. Wie also zwölf Tage lang über die Erscheinung des Menschseins gejubelt wird, so am 28. über die Erscheinung der Gottheit. Diese 40 Tage feiern wir in Freude, denn die Fleischwerdung war eine Freude für Engel und Menschen. Nach diesen 40 Tagen folgt Hypopante, d. h. die Darstellung des Herrn, durch die wir zu unserer Darstellung vor Gott und dem Vater aufgerufen werden. 40 Tage zeigen die Kirchen diesen Status. Sobald wir uns um die vier Teile der Welt kümmern, um den Dekalog zu erfüllen, d. h. gerecht und fromm in dieser Welt leben, während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten: auf das Erscheinen der
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Herrlichkeit unseres großen Gottes (Tit 2,12-13). Bei dieser Darstellung wird uns der Herr in Herrlichkeit erscheinen. Deshalb wird in diesen Tagen der Vers gesungen: Der Herr baut Zion wieder auf und erscheint in all Seiner Herrlichkeit (Ps 102,17). Daher wird auch um Hypopante herum zu Recht der Introitus Adorate – Betet an (Ps 96,7 Vg.) gesungen, denn dann wird uns der Chor der Engel vor Augen stehen, um den Herrn anzubeten. 11. Hypopante – Darstellung im Tempel
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Als die Tage der Reinigung Marias erfüllt waren (Lk 2,21 Vg.) usw. “Es gab im Gesetz zwei Vorschriften, die eine auf die Gebärende, die andere auf das Kind bezogen.”a Auf die Gebärende: Wenn die Mutter einen Knaben gebar, musste sie 40 Tage als Unreine dem Gang zum Tempel fernbleiben, denn es heißt, die Geburt eines Knaben sei, in Unreinheit empfangen, 40 Tage unsauber. Doch wenn sie ein Mädchen gebar, sollte die doppelte Frist gelten. “Denn das Monatsblut, das die Geburt begleitet, sei solange unrein, dass, wie Solínus sagt, durch die Berührung Früchte verdorren und Kräuter absterben.”b Doch warum wird die Frist bei einem Mädchen verdoppelt? Die Lösung: Weil die Verfluchung des Geschlechts der Frauen eine doppelte ist. Sie hatte ja die Verfluchung wie Adam und obendrein: Unter Schmerzen gebierst du Kinder (Gen 3,16). Und wie die Erfahrung der Ärzte sagt, Mädchen bleiben die doppelte Zeit wie Jungen hässlich. Nachdem die Zeit der Reinigung beendet war, opferte die Mutter bei der Geburt eine Taube und eine Turteltaube für die Sünde, denn für den Sohn oder die Tochter opferte sie ein einjähriges Lamm als Brandopfer. Und wer kein Lamm aufbringen konnte, opferte zwei Turteltauben und zwei junge Tauben. Die eine als Brandopfer für den Sohn, die andere für die Sünde. Es zeigte an, ob sie eine schwere oder gebrechliche Arbeit vollbrachte, dafür opferte sie ein Lamm, d. h. den Reichtum eines untadeligen Lebens, oder Taube und Turteltaube, a b
Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 71. C. Iulius Solinus, Collectanea rerum memorabilium I, 54-55.
11 – Hypopante – Darstellung im Tempel
d. h. Einfalt und Keuschheit oder Aktion und Kontemplation, immer aber für die Sünden der beiden Getauften die Reue. Hier müssen wir die Jungfrau beobachten, die es nicht nötig hatte, sich zu reinigen, auch musste der Sohn nicht geheiligt werden, doch es sollte nicht so aussehen, als ob Er das Gesetz auflösen wolle. Also ist die heutige Feier eine doppelte der Gebärenden und des Kindes, d. h. der Mutter und des Sohnes. Im Hinblick auf die Mutter heißt sie ‘Reinigung’, im Hinblick auf den Sohn ‘Hypopante’, was ‘Begegnung’ bedeutet, denn, wie man im heutigen Evangelium liest, begegnete Simeon dem Herrn, als Er von seinen Eltern im Tempel vorgestellt wurde. Ja, nach Maleachi kam der Herr und Herrscher in den Tempel (vgl. Mal 3,1), denn Simeon, ein gerechter und frommer Mann, hatte vom Heiligen Geist die Antwort erhalten, er werde den Tod nicht schauen, ehe er Christus den Herrn gesehen habe (Lk 2,25-26). So nahm er Ihn in seine Arme und sagte: Nun lässt Du, Herr, Deinen Diener in Frieden scheiden (ebd. 2,29). Doch auch Anna, die hinzutrat, pries den Herrn und erwartete die Erlösung Israels (ebd. 2,38). Deshalb wird wegen der Königin, wegen des Königs, wegen Anna und Simeon in Prophetie und im Evangelium das Nacht- und Tages-Offizium gefeiert. “Doch es ist nicht mit Schweigen zu übergehen, dass wir an diesem Tag eine feierliche Prozession mit Kerzen veranstalten, gleichsam mit Anna und Simeon sichtbar dem Herrn entgegengehen. In den Händen das Licht zu halten, heißt mit Simeon zu bekennen und zu glauben: Christus ist vor dem Anblick der Völker ein Licht, das die Heiden erleuchtet und das Er vor allen Völkern bereitet hat (ebd. 2,31-32), und das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt (Joh 1,9). Wir, die wir Ihn nicht mit Simeon tragen können, wir tragen doch ein sichtbares und Ihm angemessenes Zeichen in den Händen. Durch das Wachs nehmen wir ja das Menschsein Christi an. So wie ja die Bienen das Wachs mit dem Honig in jungfräulicher Arbeit herstellen, das durch kein Verlangen gelöst und durch kein Begatten vermischt wird, so hat die selige Jungfrau Christus als Gott und Mensch in ihrem unversehrten Schoß geboren.”a Durch die Leuchter wird die a
Vgl. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 25.
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Sterblichkeit, durch das Feuer seine Gottheit ausgedrückt. Einige verstehen unter dem Leuchter die Gottheit und unter der Flamme des Feuers die Gaben des Heiligen Geistes, die vor den anderen Teilnehmern entflammt wurden. “Wir tragen also nach den 40 Tagen in der Figur Christi die Kerzen in den Händen am Fest der Jungfrau. Wie mit den fünf klugen Jungfrauen können wir die Lampen der guten Werke anzünden, dem Bräutigam Christus unsere Garben tragend (vgl. Ps 126,6), entgegen gehen, durch die selige Jungfrau die himmlische Stadt zur Hochzeit betreten”a und im himmlischen Tempel nach 40-tägiger Buße und Beachtung des Dekalogs und der Lehre des Evangeliums uns durch die Barmherzigkeit Christi gereinigt darbieten. Die Sänger, die von den Schranken bei der Prozession singen: Responsum accepit – Ihm war offenbart worden (Lk 2,26), bezeichnen die Propheten, und sie verkünden die Geburt des Herrn und seine Barmherzigkeit. Die Melodie der Antwortenden ist die Freude derer, die das Erbarmen Gottes empfangen. Wir halten also die Kerzen in den Händen und sagen: Suscépimus – Über Deine Huld, o Gott (Ps 48,10). Auch die Frauen ahmen die selige Jungfrau dabei nach, wenn sie 40 Tage nach der Geburt die Kirche betreten, und darauf verweisen, dass sie nach diesem Leben in das ewige Leben eintreten werden, wenn sie die Jungfrau nachgeahmt haben.”b Beachte: “Die Heiden säuberten an diesem Monatsanfang die Mauern der Stadt Rom und weihten sie dem Fébruus, d. h. dem Pluto.”c Diese Reinigung hat Papst Sergiusd in die heutige Prozession umgewandelt. Und beachte: Mariä Reinigung hat keine Oktav, weil es einen Ritus des alten Gesetzes zeigt und nicht zum Neuen Testament gehört. Es stellt aber bildlich dar, dass wir uns an dem 40. Tag unseres Lebens durch die 40-tägige Buße so reinigen wollen, dass wir in dem himmlischen Heiligtum einen Platz erhalten können.
Vgl. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 24. Vgl. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 81; Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 24. c Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 81. d Sergius, Papst 686-701. – liber pontificalis, I 86. a
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Buch VI Die Zeit von Septuagesima bis Ostern
Vorwort In umgekehrter Ordnung werden uns von der Kirche Irrtum und Irrweg des Menschengeschlechts vor Augen geführt, mit dem, zu beginnen nicht passte, wie wir oben festgestellt haben.a Nach dem ersten Teil dieser besonderen Abhandlung, in dem wir über den Rückruf gehandelt haben, lässt nun die Pflicht der Naturordnung das Herz schlagen und das Ohr juckt, dieses auszuführen. Daher bemüht sich der Arzt, uns zurückzurufen. Deswegen ist es in diesem zweiten Teil der besonderen Abhandlung der Mühe wert, sich den Irrweg des Menschengeschlechts vor Augen zu halten. 1. Der Sonntag in der Septuagesima
a. Die Zeit der siebzig Tage Mich umfingen Fesseln des Todes (Ps 18,5).b “Dieser Sonntag Septuagesima heißt so, weil hier die Zeit der 70 Tage ihren Beginn hat; diese Tage beginnen heute und enden am Samstag der Osterwoche. Diese Septuagesima ist eine Zeit a b
Siehe Einleitung vor Buch V, S. 364. Introitus von Septuagesima: Circumdederunt me.
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der Erinnerung an die Vergangenheit und ein Verweis auf die Gegenwart. Sie erinnert an die Zeit der 70 Jahre, in denen Israel in der babylonischen Gefangenschaft lebte.”a Man liest ja, dass Nebukadnezar, der König von Babylon, Jerusalem mit einem Kriegsheer zerstörte, das Volk in die Gefangenschaft führte und ihm 70 Jahre lang mit harter Arbeit zusetzte. Daher Jeremia : Sie werden dem König von Babel siebzig Jahre lang dienen (Jer 25,11).”b Doch nach sechzig Jahren unterwarf “Kyros, der auch Christus hieß, das Reich Babylon und gab dem Volk die Erlaubnis zurückzukehren. Ein Teil kehrte mit Serubbabel in die Heimat zurück und baute unter großer Freude den Tempel in Jerusalem wieder auf, ein Teil aber blieb in der Gefangenschaft bis zum Ablauf der siebzig Jahre. Nach deren Ende kehrten sie unter Darius und Artaxerxes glücklich zurück und hatten dann eine doppelte Freude. Mystisch ist Nebukadnezar der Teufel, Babylon die Welt, Jerusalem das Paradies. Nebukadnezar hat das Volk aus Jerusalem nach Babylon in die Gefangenschaft geführt, wie der Teufel das Menschengeschlecht aus dem Paradies in die Verwirrung und Verbannung dieser Welt verführte, wo es siebzig Jahre litt.”c Und weil dieses Leben im Siebentagerhythmus dahinfließt, wird es von siebentausend Jahren eingeschlossen. “Vom Beginn der Welt bis zur Himmelfahrt des Herrn rechnen wir sechstausend Jahre, die Zeit, die danach folgt bis zum Ende der Welt, betrachten wir als das siebente Jahrtausend,”d doch dessen Ende kennt Gott allein. Seht, wir zählen zwei 70 Jahre: das eine historisch, das andere mystisch, beide in den siebzig Tagen, die die Kirche feiert und darstellt. Die historischen Jahre rufen in Erinnerung, die mystischen sind zeichenhaft und verweisend. Wie einst ja die Söhne Israels in der Gefangenschaft ihre Harfen niederlegten und sagten: Wie könnten wir singen die Lieder des Herrn, fern, auf fremder Erde (Ps 137,4), dazu Jeremia : Verstummen lasse ich Jubelruf und Freudenruf, den Ruf des Bräutigams und den der Braut (Jer 7,34), Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 37. Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 4, 3. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 38. d Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 38. a
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1a – Die Zeit der siebzig Tage
so dürfen auch wir uns im gegenwärtigen Leben nicht freuen, sondern müssen trauern. “Dies stellen wir in dieser Zeit dar, wenn wir die Zeichen der Freude in Gesängen, Gewändern und Speisen ablegen. In den Gesängen wie dem Halleluja.”a Der Grund dafür ist, dass das Halleluja nicht irgendein Lobspruch ist, sondern jene Herrlichkeit bezeichnet, über die es im Psalm heißt: Wach auf, meine Seele, wach auf, Harfe und Saitenspiel. Ich will das Morgenrot wecken (Ps 57,9). Die Herrlichkeit des Vaters ist der Sohn, der die Harfe unseres Menschseins angenommen hat, das Er in der Passion zerbrochen, doch durch die Auferstehung in die Harfe wiederhergestellt hat. Die wollten die Propheten sehen, und sahen sie nicht. Auch von uns ist der Bräutigam weggegangen und entschwunden. “Wenn wir den Stand der noch nicht erlösten Kirche bedenken und unseren irdischen Aufenthalt beklagen, legen wir zu Recht das Halleluja beiseite. Einige beerdigen es am Samstag in der Sext, andere in der Non, wieder andere in der Vesper, einige in der Matutin, einige in der Prim des Sonntags. Diese Verschiedenheit kommt von dem verschieden berechneten Tagesbeginn. Einige beginnen ja den Tag am Mittag, andere in der 9. Stunde, andere am Abend, um Mitternacht oder in der Morgenfrühe.”b Die Kirche aber beginnt den Tag mit der Vesper, denn: Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe (Röm 13,12). Deswegen wird das Halleluja richtiger auf die Vesper gelegt. Und dies hat Papst Alexander II.c festgelegt, dass dessen Verdopplung auf das Ende der vorauf gehenden Bußzeit bezogen werden soll, der das Lob der Engel folgen wird, wie wir oben gesagt haben.c Und dessen Absetzung soll auf die Trauer der nun folgenden Zeit bezogen werden. Daher setzen einige Kirchen das Halleluja mit großem Jubel ab, einige aber unter Seufzen und Stöhnen. Jene stellen die künftige Heimholung dar, diese den Hinauswurf aus dem Paradies, so wiederholen wir die Entlassung des Halleluja, wie wir denjenigen, die uns verlassen, Hals und Mund, Stirn und Augen küssen. “Statt des Halleluja benutzt die Kirche am Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 85. Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 77. c Siehe S. 444. a
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Beginn der Horen den Ruf: ‘Laus tibi – Lob sei Dir, Herr, König der ewigen Herrlichkeit’, was nicht gleichwertig ist. Jenes ist ja ein Ruf der Engel, dieses ein Ruf der Menschen, jenes hebräisch und damit würdiger, dieses lateinisch und somit weniger würdig. Bei den Antiphonen und dem Responsorium breve [der Sext] benutzen wir: ‘In aeternum – In Ewigkeit’. In der Messe singen wir statt des Halleluja den Traktus.”a Es gibt kein Ersatzwort innerhalb der hebräischen Sprache, die, wie “Hieronymus über Jesaja sagt, reicher als die griechische Sprache ist,”b noch gibt es das [‘Laus tibi’] im Griechischen, das reicher als Latein ist, ja für das Halleluja wird das in allem ärmere Latein eingetauscht, um ein Zeichen für die Armut unseres jetzigen Lebens zu setzen. “Auch lassen wir bei den Gesängen die Freude beiseite, wie das ‘Te Deum’, ausgenommen nach einigen, dass es an Petri Stuhlfeier gesungen wird, denn es ist der Hymnus derer, die inthronisiert werden, und an dem Tag wurde Petrus in Antiochien auf den Bischofsstuhl eingesetzt. Ebenso lassen wir bei den Gesängen die Freude beiseite wie das ‘Gloria’, ausgenommen an Gründonnerstag, wenn der Bischof anwesend ist und die Messe zelebriert, aus Ehrfurcht vor dem Öl. Und zu Recht verschweigen wir ‘Te Deum’ und ‘Gloria’,”c weil wir uns zu Recht als Sünder darstellen, und im Mund des Sünders klingen die Loblieder des Heilands nicht gut. Und, wie wir sagten, wird der Status der noch nicht durch Christus erlösten Kirche dargestellt. Aber diese Gesänge gehören besonders zu Christus. Und sieh: Der Gesang der Kirche ist ein dreifacher: einer der Trauer, wie in dieser Zeit, der zweite einer der Freude wie zu Ostern, der dritte einer der erlangten Herrlichkeit wie zu Pfingsten. “Bei den Gewändern lassen wir die Freude beiseite, denn wie jene die Hochzeitsgewänder abgelegt haben, so auch wir die Dalmatiken und Subdiakons-Tuniken, die Festgewänder sind.”d Ebenso müssen wir in dieser Zeit die üblichen Trauergewänder anlegen. Auch stellen wir beim Essen Trauer dar, weil wir uns Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 79. Hieronymus, Commentarii in Esaiam Prol. c Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 64 u. 79. d Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 3, 2. a
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1a – Die Zeit der siebzig Tage
mit Fasten abhärmen, und weil wir Erlesenes nicht verwenden. “Sacharja zeigt ja, es müsse gefastet werden, wenn er sagt: Ihr habt gefastet, und das siebzig Jahre lang, aber habt ihr für mich so streng gefastet? (Sach 7,5). Deswegen heiligen die Griechen ihr Fasten die nächste Woche hindurch.”a Wir wollen also uns zurückhalten vor der Freundschaft mit der Welt. Doch wie jene im sechzigsten Jahr durch Kyros aus der babylonischen Gefangenschaft befreit wurden, so wurden wir im 6. Zeitalter durch Christus von der Knechtschaft des Teufels erlöst. Uns wurde die Stola der Unschuldb durch das Vergeben in der Taufe wiedergegeben. Deshalb singen wir an Karsamstag [in der PaschaNacht] ein Halleluja, schon in der Hoffnung auf die ewige Ruhe und voll Jubel über die Wiedergewinnung der Heimat. Und wie ein Teil mit Serubbabel nach Hause zurückkam, ein Teil aber in der Gefangenschaft blieb, so stand ein Teil der Gläubigen mit Christus auf, ein Teil blieb in der Tröstung der Erwartung, ein Teil der Lebenden erlangte die Gnade des Glaubens, ein anderer Teil verharrte im Unglauben. Aber obwohl auch jene, die nach Jerusalem zurückkehrten, Freuden hatten, entbehrten sie doch im Vergleich mit Frauen, Kindern, Gefährten und für die Zurüstung und Besorgungen nichts, so mühen auch wir uns in der gegenwärtigen Kirche und seufzen. Wir haben Besorgungen für den Leib, deswegen singen wir statt des Halleluja den Traktus am Samstag und in der Woche das Graduale. Als das 70. Jahr vollendet war, kehrten alle zurück und verdoppelten die Freude, deswegen verdoppeln auch wir am Samstag vor dem Weißen Sonntag das Halleluja und zeigen an, dass nach der Zeit unserer Verbannung die Gefangenschaft beendet und die Stola verdoppelt wird. Mystisch gesehen wird jeder im Paradies durch das Wasser der Taufe wiedergeboren, nach der Taufe aber durch die Sünden in Babel gefangen gehalten. Wenn er sich in den sieben Tagen wandelt und die Woche in der Trauer der Buße verbringt, kann er am Tag der Auferstehung voll Freude ins himmlische Jerusalem zurückkehren. a b
Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis I, 2, 3. Siehe S. 324 Anm. a .
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Und sieh: Das Halleluja wird am Samstag ins Abseits gestellt, am [Oster-]Samstag wieder aufgenommen, an diesem Samstag verdoppelt, weil wir in der Sünde Adams, der in großer Ruhe war, die Freude verloren, aber mit den Seelen in der Ruhe sie wiedererlangen und in der Auferstehung schließlich in den Leibern verdoppelt werden. Es ist auch bemerkenswert, dass die Septuagesima in Trauer beginnt und in Freude endet, womit sie auf die Buße verweist. Dies ist ja das Wesen der Bußpsalmen. Ebenso hat sie einen Teil in Trauer, einen Teil in halber Freude. Denn die mit Buße dahinscheiden, empfangen die Seligkeit der Seelen oder zumindest die sichere Erwartung im Ort der Reinigung. Ebenfalls stellen wir während der sechzig Tage die Witwenschaft der Kirche dar, d. h. bis zum Mittwoch der Karwoche, danach die drei Tage der Tötung unseres Fleisches bis zum hl. Osterfest, dann von den Tagen danach die Werke der Barmherzigkeit. Wenn wir sie nach der Taufe verrichten, erlangen wir am Sabbat die Ruhe und die doppelte Stola der Fröhlichkeit. Außerdem “beginnt die Septuagesima am Sonntag und endet am Samstag, weil unsere Gefangenschaft im Haus des Paradieses begann und bis zur künftigen Ruhe dauern wird. Denn durch die Sünde sind wir von unserem Herrn abgewichen, aber dank seiner Barmherzigkeit werden wir zur Ruhe zurückkehren. Andererseits beginnt sie im Februar nach Sacharja,”a der im elften Monat Schebat spricht: Im zweiten Jahr des Darius erging das Wort des Herrn (Sach 1,1). ‘Schebat’ wird in unserer Sprache mit ‘Stecken/ Stab’ übersetzt, es klingt nach Strenge und Tadel. Denn in dieser Zeit der Septuagesima müssen wir uns wegen unserer Sünden, deretwegen wir vom Teufel gefangen gehalten werden, züchtigen und bessern. Sie ist auf zehn Wochen ausgedehnt, denn durch den Dekalog gelangt man zur Freude. “Deshalb, weil wir die Zeit der Septuagesima als Zeit des Abweichens und der Schuld bezeichnen und unsere jetzige Gefangenschaft betonen, beginnen wir also mit Genesis und lesen dann bis zum Palmsonntag den Heptateuchb und Ruth. Dabei wird der Irrtum, das Abweichen, a b
Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 1. Die fünf Bücher Mose mit den Büchern Josua und Richter.
1b – Sonntag Septuagesima
und die Vertreibung des Menschengeschlechts bekannt gemacht. Deswegen singen wir weinend, weinen singend, ja wir gehen der alten Geschichte nach, in der das Elend des alten Lebens wie die Vertreibung Adams, die Sintflut Noahs”a und der Auszug Abrahams erzählt wird.
b. Der Sonntag Septuagesima “In den Laudes der Matutin wird ‘Deus regnauit – Der Herr ist König’ (Ps 93,1) ausgelassen, denn es ist ein Psalm der Freude und bringt sie besonders gut zum Ausdruck, stattdessen singen wir: Miserere mei – Gott, sei mir gnädig (Ps 51,3) und Confitémini – Danket dem Herrn (Ps 118,1), denn durch Buße gelangt man zum Bekenntnis des Lobes und durch Furcht zur Hoffnung.”b Der erste Psalm prägt uns Furcht ein wegen der Strafe für unsere Sünden, aber weil nach der Zerknirschtheit die Zuversicht wächst, dass wir zu Gott hintreten können, loben wir Gott und sagen zueinander: Danket dem Herrn. Zu diesem beiden, d. h. Furcht und Hoffnung, sagt Moses: Man darf nicht die Handmühle oder den oberen Mühlstein als Pfand nehmen (Deut 24,6), d. h. Furcht und Hoffnung von dem Sünder, der Schuldner ist. In der Prim aber wird gesungen: Deus Deus meus – Gott, Du mein Gott (Ps 63,2) mit den folgenden Versen: Deus regnauit – Der Herr ist König (Ps 93,1), damit nichts aus dem Psalter ausgelassen wird, wenn man ihn in der Woche ganz liest. Denn einst wurde der Psalter an den einzelnen Tagen ganz gelesen. Aus diesem Grund wird auch Confitémini – Danket dem Herrn (Ps 118,1) gesungen, schon damit die Knaben belehrt werden und an Psalmsonntag den Herrn bekennen können. Dieser Psalm gehört wesentlich zu jenem Tag wegen des Verses: Ach, Herr, gib doch Gelingen. Gesegnet sei Er, der kommt im Namen des Herrn (ebd. 118,25-26). “Dass in der Messe gesungen wird: Circumdederunt – Mich umfingen Fesseln des Todes (Ps 18,5), ist die Stimme der Kirche a b
Iohannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis 56. Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 38.
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der Urzeita, die im Erzmärtyrer und Vorsänger Abel weint, dessen Blut von der Erde zum Herrn schrie, der seinen Mund auftat und ihn aus der Hand seines Bruders Kain aufnahm. Daher ist die Statio beim hl. Laurentius,b dessen kostbarer Tod in der neuen und unerhörten Art des Leidens zum Himmel schrie und in der ganzen Welt gehört wurde. Darum ist er auch in der Römischen Kirche vor den übrigen Märtyrern anerkannt.”c Er ist die Stimme des seufzenden Menschengeschlechts, das Freude und Fröhlichkeit verloren und Sorgen und Schmerz gefunden hat. “Der müde Mann ging ja von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber, wurde ausgeplündert, verwundet, halbtot zurückgelassen.”d – Aus dem Glück des Paradieses, vom Anblick seines Schöpfers verstoßen, sagte er weinend: ‘Mich umfingen Fesseln des Todes’. Doch er empfing die göttliche Botschaft von der Wiedererlangung des Heils, als der Herr zur Schlange sagte: Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinem Nachwuchs und ihrem Nachwuchs. Du triffst sie an der Ferse, sie trifft dich am Kopf (Gen 3,15). Mit diesen Worten wird ja der Sieg des Heilands versprochen. Da Er ja Nachwuchs der Frau ist, übt Er Feindschaft gegen die Schlange insoweit aus, als Er ihren Kopf zertritt, ihre Geräte zerstört und ihr alle Macht nimmt. Deshalb fügt er an: In meiner Not rief ich zum Herrn, und aus seinem Heiligtum hörte Er mein Rufen (Ps 18,7). Nach der Art der Propheten wird wegen der übergroßen Gewissheit das Präteritum statt des Futurs gesetzt. Deshalb verspricht er dem Heiland seine Liebe und fügt an: Ich will Dich rühmen (ebd. 18,2). “Doch weil der Weg von Adam bis Christi Geburt sehr lang war, werden die 72 Generationen im Evangelium aufgezählt. Deshalb liest man die Epistel von der langen Rennbahn: Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion laufen?”e (1 Kor 9,24). Dort werden wir zum Wettkampf eingeladen, denn: Wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen Hier wird die Kirche ab Adam gerechnet. Siehe S. 97 Anm. a. Kirche San Lorenzo fuori le mura in Rom. c Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 4, 6. d Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 4, 6. e Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 4, 6. a
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1b – Sonntag Septuagesima
die Fürsten und Gewalten (Eph 6,12). Und wir werden an die soldatische Zucht gemahnt, d. h. alles abzulegen, was den Kampf behindert, damit wir als Sieger den Siegespreis erlangen und mit dem Siegeskranz gekrönt werden. Und weil dieses Stadion sechs Lebensalter entfernt ist und die, die morgens angeworben wurden und die Last und Hitze ertragen hatten, murrten, denn die als letzte eingetreten waren, hatten zuerst den Lohn empfangen. Deswegen wird das Evangelium von den sechs Lebensaltern und den Murrenden gelesen. Getröstet aber werden die Langmütigen in der Hoffnung und sagen im Graduale: Adiutor – So wird der Herr (Ps 9,10). Und wenn er sich in dem Abgrund seiner Untaten erkennt, ruft er in Nachfolge des Jonas, seufzt und betet “im Traktus De profundis – Aus der Tiefe (Ps 130,1). Und beachte: Fast alle authentischen Traktus sind mit tiefen Noten komponiert und alle verweisen auf das Weinen und die Trauer der Heiligen in diesem Leben, ob im aktiven oder im beschaulichen, die im tränenreichen Gesang und der Tiefe der Stimmen leben. Daher heißt der Traktus so wegen der Schwere, in einem Zug gesungen”a oder weil die Heiligen seufzen und stöhnen und die Töne aus der Tiefe der Brust holen. Mögen sie sich mitunter freuen über das Geschenk der schon erlangten Gnade oder die Hoffnung auf das Erlangen der künftigen Herrlichkeit. Daher brechen sie mitunter in Melodien und Worte der Freude aus, bleiben aber im Tal der Tränen, besonders wenn die Kirche unseren Aufenthalt darstellt, vergießen Tränen an den Strömen von Babel (Ps 137,1) wegen ihrer und der anderen Vergehen, wenn sie sehen, dass die einen in der Nähe des Stromes Babels besprengt werden, andere schon untergetaucht, durch das reißende Sturzwasser nach unten gespült werden. Aber weil das gegenwärtige Klagen mitunter für früheres Wasser, mitunter für späteres geschieht, d.h. für die Verzögerung der himmlischen Seligkeit – darum: Weh mir, dass sich mein Fremdsein verlängert hat (Ps 120,5) wegen der Makel dieses Lebens, daher: Mit Tränen mische ich meinen Trank (Ps 102,10). Obwohl der Traktus tiefe Töne hat, drückt er doch a
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 4, 6.
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in den Worten mitunter Freude aus wie in: Laudate – Lobe den Herrn (Ps 146,1), mitunter die Trauer sinnfällig macht wie: De profundis – Aus der Tiefe (Ps 130,1). Der Traktus wird in einem Zug gesungen und tönt lieblich in den Ohren, und er verweist darauf, dass wir mit dem Apostel in Langmut und Süßigkeit ausharren müssen. Im Offertorium Bonum est – Wie schön ist es (Ps 92,2) preist und lobt der den Herrn, der bald matt ist, aber die Erlösung erwartet, bald wird er verwirrt und staunt, dass die Guten sich abmühen und die Bösen in Blüte stehen; dann fügt er [als Vers 1] hinzu: Quam magnificata – Wie groß sind Deine Werke (ebd. 92,6). Bald sagt er den Untergang der Sünder voraus und die Erhöhung der Guten durch das Einhorn, den kommenden Gesalbten. “Die Communio Illúmina – Dein Antlitz leuchte (Ps 31,17) ist die Stimme des ausgeplünderten Knechts in der Herrlichkeit des Angesichts Gottes, der aus der Finsternis heraus betet, dass die Mauer der Feindschaft eingerissen wird, damit er nicht durch den Glanz der wahren Sonne angestrahlt zugrunde geht.”a Und alles Klagen im Offizium verweist darauf, dass wir Schuldner Seiner Liebe sein müssen, d. h. durch Klagen und Demut zum Leiden des Herrn gelangen werden. 2. Der Sonntag in der Sexagesima Wach auf! Warum schläfst Du, Herr? Erwache, verstoß nicht für immer (Ps 44,24). Dieser Sonntag Sexagesima heißt so, weil hier der Beginn der sechzig Tage liegt, die heute beginnen und am Mittwoch der Karwoche schließen. Da wird gesungen: Venite – Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid (Mt 25,34). Die Zahl sechzig verweist auf die Witwenschaft, weil Er die Kammer der Enthaltsamkeit betritt wie der dreißigste die Ehe, weil Er mit zärtlichen Fingern küsst. “Diese Sexagesima bezeichnet die Zeit des Witwenstandes der Kirche, d. h. als sie verwitwet war durch den Tod, d. h. den Fall des Stammvaters, und durch die Abwesenheit des Bräutigams, der für die Sünder abwesend ist durch die Gnade a
Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 4, 6.
2 – Sonntag Sexagesima
und für die Pilger durch die Gegenwart des Menschseins.”a Mag Christus auch jetzt bei uns sein in seiner Gottheit, entsprechend dem Wort: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt (Mt 28,20), so ist Er doch abwesend, weil Er in die Fremde gegangen ist. Sexagesima heißt ‘sechs mal zehn’. “Als Heilmittel und zur Festigung wurden der Kirche nämlich für die Gegenwart sechs Werke der Barmherzigkeit und die zehn Gebote des Dekalogs gegeben, damit sie sich in jenen übt und bei der Beachtung des Bräutigams sich das Verdienst erwirbt, dass die Tür geöffnet wird. Wer dies beachtet, wird es verdienen zu hören: Kommt her, die ihr gesegnet seid (Mt 25,34), was am letzten Tag der Sexagesima gesungen wird”b und “die Zahl sechs in ihren Teilen zusammengerechnet vollständig ist. Der Denar ist zeichenhaft der Lohn für die Mühen. Wenn einer durch den Denar, d.h. die Vollendung der Arbeit, Lohn sucht, wird er an besagtem Mittwoch das versprochene Reich erlangen.”c Das nächtliche Offizium dieses Tages ist dasselbe, wie das an Septuagesima als Historia vom Fall des ersten Menschen gesungene wird, durch den die Kirche verwitwet wurde und auf Pilgerschaft ist. Im Tages-Offizium aber beweint die Kirche die Verbannung, fleht Gott um Befreiung an und sagt: Wach auf! Warum schläfst Du, Herr? (Ps 44,24). “Sie spricht voll Zweifel, denn die Sünden trennen zwischen Gott und Mensch. Denn: “In den Staub gedrückt ist unsere Seele, und unser Leib liegt am Boden, doch steh auf und rette uns (ebd. 44,26.27) wegen Deines Namens,”d nicht wegen unserer Verdienste. Du hast Dich ja herbeigelassen, uns zu retten, wir sind nicht würdig, Dich zu empfangen.”e Art und Wirkung dieser Befreiung werden im Tages-Offizium ausgedrückt: – die Art, weil sie durch Ihn zu machen war, der wie ein Sklave wurde (Phil 2,7) und ausging, um seinen Samen auszusäen (Lk 8,5), wie man im Evangelium liest. Und weil Er durch Ackerleute, d. h. die Apostel, säen wollte, Er, der deren Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 39. Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis 1, 99. c Liber Quare 2c. d Aurelius Augustinus, Enarrationes in psalmos 43, 25. e Amalarius Metensis, Opera liturgica omnia, II: Liber officialis I, 2, 3. a
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e inzigartiges auserwähltes Werkzeug (Apg 9,15) war, der Sämann, der mehr als die anderen säte, durch den die Heiden die Gnade kennenlernten. Deswegen ist die Statio beim hl. Paulusa. Daher wird er im Tagesgebet kommemoriert, wo es heißt: ‘Gott, Du siehst, wir gewinnen aus keinem unserer Werke Kraft.’ Wir haben uns ja unter der Sünde verkauft, und in uns fehlt die Kraft, uns zu lösen. Deshalb bitten wir, der Herr möge sich herbeilassen, uns zu lösen. Darum werden auch die Mühen und Gefahren des Paulus in der Epistel aufgezählt: Ihr lasst euch die Narren ja gern gefallen (2 Kor 11,19). Und beachte: Es werden oft die Offizien nach der Statio gestaltet wie heute, denn die Statio ist ja beim hl. Paulus. Es geht also im Tagesgebet und bei der Epistel um die Mühen des Paulus. Ebenso werden im Hinblick auf die Statio die Märtyrer Kosmas und Damian am Donnerstag und die Susanne am Samstag vor Fastenzeitmitteb erwähnt. Andererseits drückt Paulus, der Glaubenskämpfer, das Maß zum Entkommen aus und bestärkt in der Epistel, wir sollten die närrischen Herren verachten, die uns in die Sklaverei führen und die uns verschlingen. – Die Wirkung wird in Graduale und Traktus ausgedrückt, denn das Aussäen des Wortes Gottes war für die einen Lebensduft, der Leben verheißt, für andere Todesgeruch, der Tod bringt (2 Kor 2,16). Einige sind wie Staub und Spreu vor dem Wind (Ps 83,14). Einige erkennen den Namen des Herrn und sind zur Buße gebracht, zu der sie fliehen können vor dem Bogen (Ps 60,6), d. h. vor dem Gericht, und als Erwählte befreit werden. Nach dem Durchpflügen der Erde wird die Saat ausgebracht, wie es im Evangelium folgt. Und beachte: An Septuagesima wird der Weinberg gerichtet, und an Sexagesima der Acker besät. Das Offertorium Pérfice – Mach sicher meinen Schritt (Ps 17,5) stimmt mit dem Evangelium überein. Zu fürchten ist, dass die Saat des Wortes Gottes auf den Weg fällt und den Vögeln zum Fraß dient, d. h. von den unreinen Geistern aufgepickt oder von den Sorgen und dem Reichtum dieser Welt erstickt oder ohne Feuchtigkeit, d. h. die Fruchtbarkeit der Liebe, in uns verdorrt, sodass wir unsere a b
Also in San Paolo fuori le mura in Rom. Der 4. Fastensonntag.
3 – Sonntag Quinquagesima
Schritte nicht sicher lenken können. Lasst uns also einzeln und in Gemeinschaft beten, Gott möge unsere Schritte lenken, seine Huld über uns wunderbar erweisen, die Saat wie den Augapfel behüten, dass sie nicht von Dornen erstickt wird: Birg sie im Schatten Deiner Flügel (Ps 17,8), dass sie nicht in der Sonnenhitze verdorre, errette vor den Ruchlosen, dass sie nicht aus unseren Herzen fortgetragen werde, sodass die gute Erde Frucht ansetzt und in Geduld Frucht bringt und sagt: Ich aber will in Gerechtigkeit Dein Angesicht schauen (Ps 17,15). Und so wird in der Communio gesungen: Introibo – Ich will zum Altar Gottes treten (Ps 43,4). Da wir Erde sind, werden wir nicht in die Scheunen des Himmels aufsteigen, wenn wir nicht vom Wort Gottes getragen werden. Aber durch Ihn werden wir unterstützt, wenn wir die Garben der Gerechtigkeit tragen, und wenn Gott uns unsere Jugend erfreut in der Kraft ewigen Frühlings.
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3. Der Sonntag in der Quinquagesima Sei mir ein schützender Fels, ein feste Burg, die mich rettet. (Ps 31,3) “Dieser Sonntag heißt Quinquagesima, weil er den Anfang setzt für die fünfzig Tage, sie beginnen heute und enden am hl. Ostertag.”a So wie die dreimalige Rückkehr jenes Volkes war, die erste unter Serubbabel, die zweite und dritte unter Esra, so war es angemessen, dass wir unsere Sünden beweinten, wegen der Sünden die Barmherzigkeit anflehten, drei Schlüsse setzten, d.h. am Samstag, am Mittwoch und zu Ostern, um triumphierend zur Herrlichkeit zurückzukehren. Diese 50 Tage verweisen also auf die Zeit der Vergebung. Das 50. Jahr hieß ja im alten Gesetz das Jubiläumsjahr, es war das Jahr der Vergebung und Buße, und der 50. Psalm Gott, sei mir gnädig (Ps 51,2) ist der Psalm der Vergebung und Buße, und wir verwenden ihn besonders in dieser Zeit. Und “fünfzig heißt ‘fünf mal zehn’, und enthält in sich sieben vollständige Wochen.”b “Die Zahl fünf verweist auf die fünf Wunden Christi und auf die fünf Kräfte des menschlichen a b
Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 40. Praepositinus, Tractatus de officiis ecclesiasticis 1, 100.
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Mitralis VI – Kirchenjahr, Septuagesima bis Ostern
S innes, wie der Denar auf die zehn Gebote des Dekalogs, und die Zahl 7 auf die siebenfache Gnade des Heiligen Geistes.”a Wenn wir also fest an die Passion des Herrn geglaubt haben und durch das äußere Einhalten den Dekalog im Heiligen Geist vervollständigen, werden wir vom Herrn Vergebung erlangen und zur seligen und ruhmvollen Auferstehung gelangen. Und wir verharren fünfzig Tage in Buße, damit wir in den folgenden fünfzig Tagen, d. h. von Ostern bis Pfingsten, die wir in Fröhlichkeit verbringen werden, nicht Fehler begehen, sondern es uns verdienen, am Pfingsttag die Gnade des Heiligen Geistes zu empfangen. An diesem Tag Quinquagesima wird das Nacht-Offizium über die Sintflut gelesen und gesungen, denn sie verweist auf die Buße. Wie die Sintflut sich ja auf dreimal fünfzig Tage erstreckte, so wird die Buße für Gedanken, Worte und Werke eingeführt. Man muss festhalten, dass zunächst über die Strafe der Sintflut, danach über den Gehorsam Abrahams gesungen wird und schließlich in Antiphonen aus dem Evangelium über den Blinden, der wieder sehend wurde. Denn wer den Schmutz der Sünden durch die Buße abwäscht und den Geboten Gottes gehorcht, darf sich freuen, von Christus erleuchtet zu werden. Das Tages-Offizium aber nimmt den Blinden, d. h. das Menschengeschlecht, als Grundlage. Denn im Evangelium liest man: Als Jesus in die Nähe von Jericho kam, saß ein Blinder an der Straße und bettelte. Da rief er: ‘Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!’ obgleich die Leute ärgerlich wurden. Der Herr sagte ihm: ‘Du sollst wieder sehen. Dein Glaube hat dir geholfen’ (Lk 18,35-42). Dieser Blinde ist das Menschengeschlecht, das einst Gott nicht kannte und nicht wusste, dass es selbst, der Heimatboden und die Begehrlichkeit Sünde ist. Obgleich es von den Scharen der unsichtbaren Feinde bedrängt wurde, kam es doch der Ankunft der Erleuchtung durch Den zuvor, auf Den es hoffte, und bittet im Introitus um Schutz, Zuflucht, Führung auf dem Weg, Heil und Befreiung und sagt: Esto mihi – Sei mir ein schützender Fels und eine feste Burg (Ps 31,4). Das zurückkehrende Volk gebrauchte Klagen, Flucht und Gebete. a Pontificale Romanum, Le Pontifical Romain au Moyen Age, I Le Pontifical Romain du XIIe siècle 32, 8.
3 – Sonntag Quinquagesima
So wollen auch wir durch die Buße zurückkehren und klagend sagen: Circumdederunt – Mich umgeben (Ps 18,5) und: Exsurge – Wach auf ! (Ps 44,24). Dann aber fliehen wir und beten: Sei mir ein schützender Fels und eine feste Burg (Ps 31,4). Sobald wir erkennen, dass wir auf Pilgerfahrt sind und an Septuagesima klagten, an Sexagesima zweifelten, nun vertrauen wir auf den Schutz. Die Epistel stimmt dem Evangelium nicht nur mit dem Wort zu, wo es heißt: Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse (1 Kor 13,12), sondern sie zeigt den besseren Weg, d. h. die Liebe. Sie ist es, durch die der heilbringende Glaube wirkt, sie ist das Auge des Herzens, das jedem fehlt, der blind ist, in der Finsternis wandelt und nicht weiß, wohin er gehen soll. Denn als der Herr begann, das Menschengeschlecht zu erleuchten, da salbte Er es zunächst mit dieser Salbe und sagte: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben (Mt 22,37). In dieser Epistel stehen die nötigen Denkmäler unseres Dienstes, Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei (1 Kor 13,13). “Im Graduale statten wir dem Triumphator des Heeres unseren Dank ab in der sicheren Hoffnung auf den Triumph und sagen: Tu es Deus – Du allein bist der Gott, der Wunder tut (Ps 77,15).”a Und weil es zwei Völker des Menschengeschlechts gibt, und beide durch Christus erleuchtet und Teilhaber seines Triumphes sind, deshalb heißt es: Du hast mit starkem Arm Dein Volk erlöst (ebd. 77,16). Und hinzugefügt wird: Erlöst hast Du die Kinder Israels und Josephs (ebd.). Deshalb werden im Traktus alle Lande zum Loblied des Erleuchters und Triumphators eingeladen, wenn es heißt: Iubilate – Jauchzt vor dem Herrn (Ps 100,1), so als ob Er sagt: Accédite – Blickt auf zu Ihm, so wird euer Gesicht leuchten (Ps 34,6). Seruite – Dient dem Herrn, Er hat uns geschaffen (Ps 100,2) – nicht dem, dem wir uns verkauft haben. Deshalb verdoppelt der Blinde im Evangelium seine Bitte und sagt: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! (Lk 18,39). Darum verdoppelt er auch im Offertorium den Dank über die Erleuchtung und sagt: Benedictus – Gepriesen seist Du, Herr. Gepriesen seist Du, Herr (Ps 119,12). Und mit anderen Worten fordert er viel stärker a
Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 3.
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Mitralis VI – Kirchenjahr, Septuagesima bis Ostern
d oppelt erleuchtet zu werden: Doce – Lehre mich Deine Gesetze. Lehre mich Deine Gesetze (ebd.). Zweimal sagt er ‘Deine Gesetze’ wegen des Weges der Zeugnisse für Wahrheit und Gebote. “Aber weil es nicht genug ist, auf den Weg gekommen zu sein und die Erleuchtung der Erkenntnis erlangt zu haben, wenn wir nicht den Werken des Fleisches abschwören, werden wir durch das Beispiel derer abgeschreckt, von denen wir in der Communio sprechen: Manducauerunt – Da aßen alle (Ps 78,29). Und da im großen Leib dieses Blinden der Fürst Petrus erleuchtet wurde, als der Sohn Gottes ihn ansprach: Selig bist du, Simon Bar-Iona, denn Fleisch und Blut (Mt 16,17), wird ihm angemessen diese Statio zugewiesen.”a – Und beachte: Die Folge der Evangelien ist sinnvoll geordnet: An Septuagesima kümmern wir uns um den Weinberg, an Sexagesima verteilen wir den Samen, an Quinquagesima sammeln wir in dem sehend gewordenen Blinden die Frucht des Lichtes ein.
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4. Der Beginn des Fastens – Aschermittwoch
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Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen. Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider (Joel 2,12-13). Dieser Tag heißt auch ‘Haupt des Fastens’. “An diesem Mittwoch beginnt das vierzigtägige Fasten, ausgenommen sind ja die sechs Sonntage, so bleiben 36b Tage mit Fasten.”c Daher betonte der hl. “Gregor die 36 Tage für uns als Tage der Abstinenz.”d Damals waren wohl noch nicht jene vier Tage hinzugefügt, die nötig sind für ein vierzigtägiges Fasten. Und zu Recht beginnen wir am Mittwoch und setzen 36 Tage in Abstinenz fort. Man liest, dass Salomo im vierten Jahr dem Herrn den Tempel erbaute. Deshalb beginnt unser Fasten am Mittwoch, damit wir zu Ostern Tempel des Herrn sein können. Und wir beginnen deshalb am Mittwoch zu fasten, weil wir gelernt haben, dass Rupertus Tuitiensis, Liber de diuinis officiis 4, 6. Alle Handschriften schreiben XXXVI statt XXXIV. c Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 41. d Le Liber Pontificalis I, 51, 3; 45, 1. a
b
4 – Fastenzeit – Aschermittwoch
Christus an diesem Tag sein Fasten begonnen hat, da Er sich an einem Mittwoch taufen ließ und an diesem Tauftag das Fasten begann. Und weil die Zahl vier stark ist wegen der vollkommenen Gleichzahl der Seiten. Den vierten Platz in der Zahl der Tugenden hält die Tapferkeit und der Name ‘stark’ ist der vierte bei den Namen Christi. Deshalb werden an diesem Mittwoch die Taufbewerber und die Weihekandidaten aufgerufen. “Und wie man liest, wurde sechsundvierzig Jahre am Tempel gebaut (Joh 2,20), so wird das Fasten an sechsundvierzig Tagen in Abstinenz durchgeführt.”a Es heißt daher im Evangelium: Sechsundvierzig Jahre wurde am Tempel gebaut. Und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten? (ebd.) Wenn jemand sagt, vom ersten Jahr des Kyros, in dem der Bau des Tempels begonnen wurde, bis zum sechsten Jahr des Darius, in dem er, wie man bei Esra liest, vollendet wurde, “möge er wissen, dass nach Josephusb in 46 Jahren etwas ganz Großartiges vollendet wurde. Man glaubt auch, dass der Tempel des Leibes Christi in 46 Jahren erbaut wurde, denn die Jungfrau war zwölf Jahre alt, als sie den Erstgeborenen gebar, der nach einigen im 34. Jahr den Kelch des Todes trank.”c “Daher passt der Name ‘Adam’, der aus vier Buchstaben besteht, zu Recht zu ihm. Die Buchstaben seines Namens, deren Leib aus den vier Elementen besteht, ist nicht unverdient aus den vier Zonen der Welt genommen, also: Anatolé, was Osten ist, Dysis, was der Westen ist, Arkos, was der Norden ist, Mesembría, was der Süden ist;d diese stehen in der alphabetischen Ordnung in derselben Zahl. Denn A ist im Griechischen die Zahl 1, D gleich 4, ebenso A 1, M 40, was zusammen 46 macht. Deswegen befolgen wir 46 Tage Abstinenz, die wir leiblich in den vier Zonen der Welt vom Urvater versprengt werden, mögen wir von jener Zahl betroffen dem Leib des zweiten Adam gleichgestaltet werden und dann verdienen, Ihn am hl. Osterfest würdig zu empfangen.”e Und weil das ungeborene Kind 46 Tage Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 41. Flavius Josephus, Antiquitates XV 380-402. c Honorius Augustodunensis, Sacramentarium 4. d Die Vokabeln der Himmelsrichtungen wie in der Septuaginta. e Honorius Augustodunensis, Gemma animae 3, 42; Liber Quare 5b. a
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Mitralis VI – Kirchenjahr, Septuagesima bis Ostern
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ungestalt im Mutterschoß liegt,a deswegen halten wir uns so viele Tage für Fasten und Beten frei, um unseren ungestaltenen Leib wieder dem Herrn anzugleichen. Wir waren ja bis jetzt auf Pilgerschaft, jetzt beginnen wir den Kampf mit heiligem Fasten. Daher im Tagesgebet: ‘Herr, lass uns den christlichen Kriegsdienst mit heiligem Fasten beginnen.’ Und weil das Fasten der Quadragesima heute gemäß der kirchlichen Einsetzung seinen Anfang nimmt, deswegen gebrauchen wir oftmals im Nacht- und im Tages-Offizium Gesang und Lesung vom Fasten. Dies kann man aus der Epistel Kehrt um (Joel 2,12) und dem Evangelium Wenn ihr fastet (Mt 6,16) besonders ablesen. Doch Fasten ist ohne Zerknirschung des Herzens, ohne Sündenbekenntnis, Tränenfluss, Almosenspenden, Nachtwachen und Gebet unfruchtbar. Dies alles ist Frucht der Buße. Dies alles ist Waffenrüstung unseres Kampfes. Deswegen wird einiges davon in die Nacht- und Tages-Offizien eingeflochten. Wie im Introitus Misereris – Du hast mit allen Erbarmen (Weish 11,23) und im Graduale Miserere mei – Sei mir gnädig (Ps 57,2) und im Traktus Dómine – Herr, handele (Ps 103,10). Und beachte: Diesen Traktus gebrauchen wir bis zur Karwoche am Montag, Mittwoch und Freitag, damit wir an den Tagen, die strengerem Fasten zugeteilt sind, der begonnenen Buße eingedenk das Gebet mit Fasten vereinigen. Das Offertorium Exaltabo te – Ich will Dich rühmen (Ps 30,2) ist die Danksagung für den erlangten Nachlass der Sünden. Die Communio Qui meditatur – Wer Freude hat (Ps 1,2) ist Ermunterung der anderen zur Betrachtung des Gesetzes. Und dazu passt das Evangelium. Denn Betrachten des Gesetzes ist Sammeln von Schätzen im Himmel (vgl. Mt 6,20). Diese Messe sollte um die 9. Stunde gesungen werden, und dann folgt bald die Vesper wie [weiter] in der Quadragesima. In dieser Messe wie an allen Sonntagen und sonst bis Karfreitag ist in der Präfation zu sprechen: ‘Durch das Fasten des Leibes’. Einige aber brauchen die ‘gewöhnliche’ Präfation an den Sonntagen, weil diese vom strengen Fasten ausgenommen sind. a
Vgl. Plinius, Naturalis historia 7, 5, 41.
4 – Fastenzeit – Aschermittwoch
Nicht mit Schweigen darf übergangen werden, dass jener Samariter den Schmerz erkannte und sagte: Circumdederunt me – Mich umfingen (Ps 18,5), und deshalb seufzte er Gebete: Exsurge – Wach auf ! (Ps 44,24) und Esto mihi – Sei mir (Ps 31,3), weil er sah, er könne nicht geheilt werden ohne den Heilumschlag der Buße. Heute zieht er als Medizin des Heiles die Asche und die Rauheit des härenen Gewandes an, denn Asche und härenes Gewand sind die Waffen der Büßer. “Heute streuen wir auch Asche auf das Haupt und bringen wieder ins Gedächtnis, dass Adam gesagt wurde: Du bist Staub, zum Staub musst du zurück (Gen 3,19).”a Dies bekennen wir durch unsere Haltung, denn wir sind keine Götter, kommen auch nicht vom Himmel, dass wir etwa Götter sein wollten, sondern Menschen und haben unseren Ursprung aus der Erde. Wir rufen Hiobs Asche ins Gedächtnis zurück. Heute kleiden wir uns in Ziegenhaar, nehmen den Gürtel des Stammvaters, rufen uns die Buße der Bewohner von Ninive ins Gedächtnis und nehmen das Gewand des Johannes. Heute entblößen wir unsere Füße, was die Nacktheit des Adam darstellen und bezeichnen soll, weil wir den Ornat der Gnade brauchen. “Heute machen wir eine Prozession und zeigen, dass wir auf dem Weg in die Heimat streben. Doch weil wir wissen, dass sich uns die Feinde in den Weg stellen werden, stützen wir uns auf die Waffen der Tugenden beim Kampf gegen die bösen Geister (Eph 6,12).”b Heute erinnern wir uns auch unserer Vertreibung aus dem Paradies, indem wir Sünder aus der Kirche hinauswerfen und den Ausgestoßenen eine siebenjährige Buße oder Anderes nach der Schwere ihrer Verfehlungen aufbürden, weil das Menschengeschlecht infolge Adams Fall durch das Gericht Gottes zu dieser Verbannung von siebentausend Jahren verurteilt ist. Auch Mirjam, die Aussätzige, war sieben Tage aus dem Lager ausgesperrt. Die Verbannung zeigen wir ebenfalls an, weil Kain, der offensichtl