Mir troumt hînaht ein troum: Untersuchung zur Erzählweise von Träumen in mittelhochdeutscher Epik [1 ed.] 9783737005333, 9783847105336, 9783847005339

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Mir troumt hînaht ein troum: Untersuchung zur Erzählweise von Träumen in mittelhochdeutscher Epik [1 ed.]
 9783737005333, 9783847105336, 9783847005339

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Schriften der Wiener Germanistik

Band 4

Herausgegeben von Konstanze Fliedl, Eva Horn, Roland Innerhofer, Matthias Meyer, Stephan Müller, Annegret Pelz und Michael Rohrwasser

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

Benjamin van Well

Mir troumt h„naht ein troum Untersuchung zur Erzählweise von Träumen in mittelhochdeutscher Epik

Mit einer Abbildung

V& R unipress Vienna University Press

®

MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0533-6 ISBN 978-3-8470-0533-9 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0533-3 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 2015 Ó 2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Die Träume Kaiser Karls, in: Pfaffe Konrad: Rolandslied. Regensburg/Hessen-Thüringen (?). Handschrift, Ende 12. Jh. Cod. Pal. germ. 112. Seite 14v. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ cpg112/0084. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, 96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Für Lingshan und Meihan

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II.

Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Forschungsdefizite und Forschungsdiskussion . . . . . . . . . . .

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IV.

Methodik . . . . . . . . . . . . . . . IV.1 Figurenlogische Orientierung IV.2 Progressionsorientierung . . IV.3 Aussageorientierung . . . . .

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V.

Aufbau der einzelnen Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Analyseteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.1 Antikenroman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.1.1 Der Traum der Olympias im Alexanderroman des Pfaffen Lambrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Text: Der Alexanderroman des Pfaffen Lambrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Traum der Olympias . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Figurenlogische Orientierung und Traumvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Progressionsorientierung . . . . . . . . . . . . 6. Aussageorientierung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Drachenauge . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Greifenauge . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

VI.1.2 Alexanders Traum im Alexanderroman des Pfaffen Lambrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Traum Alexanders . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Progressionsorientierung und figurenlogische Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Traumvorstellung und Aussageorientierung . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.2 Brautwerbungsdichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.2.1 Der Falkentraum König Konstantins im König Rother 1. Der Text: König Rother . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Traum König Konstantins . . . . . . . . . . . 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Progressionsorientierung und figurenlogische Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Traumvorstellung und Aussageorientierung . . . . 6. Traumbild und Aussageorientierung . . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.2.2 König Sinolds Todestraum im Orendel . . . . . . . . 1. Der Text: Orendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Traum König Sinolds . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Figurenlogische Orientierung und Progressionsorientierung . . . . . . . . . . . . . . 5. Aussageorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Raumsemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Adler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Rabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.3 Chanson de geste: Die Träume Karls im Rolandslied des Pfaffen Konrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Text: Das Rolandslied des Pfaffen Konrad . . . 2. Die Träume Karls . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Figurenlogische Orientierung . . . . . . . . . . . . 5. Traumvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Aussageorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Raumsemantik und atmosphärische Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Karls erster Traum . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Karls zweiter Traum . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

6.4 Karls dritter Traum . . . . . . . . . . . . 6.5 Karls vierter Traum . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . VI.4 Heldendichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.4.1 Die Träume Kriemhilds und Uotes im Nibelungenlied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Text: Das Nibelungenlied . . . . . . . . . . 2. Die Träume Kriemhilds und Uotes . . . . . . . 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Figurenlogische Orientierung oder Progressionsorientierung? . . . . . . . . . . . 5. Traumvorstellung: Determinierter Untergang . 6. Traumbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Aussageorientierung . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . VI.4.2 Helches Drachentraum in der Rabenschlacht . . . 1. Der Text: Die Rabenschlacht . . . . . . . . . . 2. Helches Traum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Figurenlogische Orientierung und Progressionsorientierung . . . . . . . . . . . . 5. Aussageorientierung . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . VI.4.3 Herbrants Adler-Traum im Wolfdietrich D . . . . 1. Der Text: Wolfdietrich D . . . . . . . . . . . . . 2. Herbrants Traum . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Figurenlogische Orientierung und Progressionsorientierung . . . . . . . . . . . . 5. Traumvorstellung und Aussageorientierung . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . VI.4.4 Sidrats Löwentraumerzählung im Wolfdietrich D . 1. Einbettung des Traums in den Wolfdietrich D . 2. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Figurenlogische Orientierung und Progressionsorientierung . . . . . . . . . . . . 4. Traumvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Aussageorientierung . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

VI.5 Artusepik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.5.1 Der Traum der Herzeloyde im Parzival Wolframs von Eschenbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Text: Wolframs von Eschenbach Parzival . . . 2. Herzeloydes Traum . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Figurenlogische Orientierung und Progressionsorientierung . . . . . . . . . . . . . . 5. Traumvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Aussageorientierung und Traumbilder . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.5.2 Iweins Traummonolog in Hartmanns von Aue Iwein . 1. Der Text: Hartmanns von Aue Iwein . . . . . . . . 2. Iweins Traummonolog . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Traumvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Figurenlogische Orientierung, Progressionsorientierung und Aussageorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung und Reflexion . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Typen des literarischen Traums . . . . . . . . . . . 1.1 Typen des mantischen Traums . . . . . . . . 1.1.1 Unheils- und Untergangsträume . . . . . . . 1.1.2 Politische Träume und Traumbefehle . . . . . 1.1.3 Strategisch erfundene Träume . . . . . . . . 1.2 Protopsychologische Träume und Träume avant la lettre . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Traum und Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Traum und Symbol . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Raumsemantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anwesenheit und Abwesenheit des Traumempfängers im Raum . . . . . . . . . . . . . 6. Zur Plausibilität von Traum und Figurenverhalten am Beispiel von Unheilsträumen . . . . . . . . . . 7. Traum und Handlungsprogression . . . . . . . . . 8. Traumempfänger : Wer träumt? . . . . . . . . . . .

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Inhalt

VIII. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . VIII.1 Primärliteratur . . . . . . . . . . . VIII.2 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . VIII.3 Lexika mit Abkürzungsverzeichnis VIII.4 Wörterbücher . . . . . . . . . . . .

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Danksagung

Das vorliegende Buch wurde im Juni 2015 vom Fachbereich für Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Es stellt eine überarbeitete und erweiterte Fassung meiner Studie zur Erzählweise von Träumen in mittelhochdeutscher Dichtung dar. Die Idee für diese Arbeit geht auf ein Seminar zum Rolandslied des Pfaffen Konrad zurück, das der leider früh verstorbene Prof. Dr. Christoph März im Wintersemester 2003/2004 leitete. In einer Sitzung ging es um die Träume Kaiser Karls. Seither haben mich literarische Träume fasziniert und ich beschloss, mich mit diesem Motiv eingehender zu beschäftigen. Von der Anmeldung der Dissertation im Jahr 2009 bis zur Verteidigung vergingen fast sechs Jahre. Insbesondere mein zweijähriges Referendariat zwang mich mehrfach dazu, meine Arbeit an der Dissertation abzubrechen. Mein anschließender Umzug nach Peking schränkte die Literatursuche zunächst ein. Dennoch liegt die Arbeit nun vor, und das ist vielen Menschen zu verdanken. Bedanken möchte ich mich zuallererst bei Frau Prof. Dr. Elke Koch, die mich in langen Gesprächen in ihrem FU-Büro, am Telefon, über Skype und E-Mail unermüdlich beraten und hervorragend betreut hat. Ebenso gilt mein großer Dank meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Matthias Meyer von der Universität Wien, der mich von Anfang an mitberaten, mir viele wichtige Hinweise gegeben und mir Prof. Dr. Elke Koch als Betreuerin vermittelt hat. Mein Dank gilt insbesondere auch Maribel Zarco und Marc Helbach, die den gewaltigen Aufwand auf sich genommen haben, mir die wichtigen Aufsätze und Monographien einzuscannen und zuzuschicken, mir die Bibliothek sozusagen nach Hause gebracht haben, sodass ich ohne Einschränkungen an meiner Dissertation im Ausland schreiben konnte. Ich bedanke mich zudem bei Dr. Ulrich Eschborn, Selma Sagˇman und Ursula Moureau-Martini, die meine Arbeit Korrektur gelesen haben. Für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung meiner Arbeit danke ich meiner Mutter Sibylle van Well und meiner Großmutter Sabine van Well. Meiner Frau Liu Lingshan und meinen Schwiegereltern Song Minyi und Liu Jiansheng danke ich für ihre geduldige und liebevolle Unterstützung in allen Lebenssituationen in China und dafür, dass sie mir stets den Rücken

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Danksagung

freigehalten haben, sodass ich auch neben dem Beruf genug Zeit hatte zu schreiben. Gewidmet ist die Arbeit meiner Frau Lingshan und meiner Tochter Meihan. Benjamin van Well Peking im August 2015

I.

Einleitung

Der Traum stellte als menschlich universelles Phänomen schon immer ein Faszinosum dar, und so beschäftigte man sich kulturübergreifend mit diesem Phänomen über die Jahrtausende hinweg. Schon immer gab der Traum den Menschen Rätsel auf, sein Zustandekommen wurde unterschiedlich erklärt. Man deutete ihn etwa mantisch. Er eröffne, so glaubte man, den Zugang zu einer anderen Welt, zum Jenseits. Man sprach ihm prophetische Bedeutung zu, sah in ihm überirdische Botschaften, Nachrichten höherer Wesen, numinoser Mächte, der Götter bzw. des christlichen Gottes, von Engeln, vom Teufel, von Dämonen, von Verstorbenen, von Heiligen, die mit der vom Körper losgelösten Seele des Schlafenden in Kontakt treten. Auch Planetenkonstellationen hätten Einfluss auf Träume, glaubte man. Ebenso führte man den Traum aber auch seit der Antike auf natürliche Vorgänge zurück, auf Körperliches wie Seelisches, er entstehe im Zusammenhang mit Tageserlebnissen, Verdauungsprozessen, dem Mischungsverhältnis der Körpersäfte oder auch Weinkonsum. Die Auseinandersetzung mit Träumen dokumentiert sich in Traumbüchern, traumtheoretischen Schriften und in der Dichtung. Älteste Traumbücher lassen sich schon für die altägyptische Zeit (2. Jt. v. Chr.) belegen. Über die Jahrtausende hinweg setzte man sich im Rahmen solcher Schriften intensiv mit der Deutung von Träumen und Traumsymbolen auseinander. Artemidors (2. Jh. n. Chr.) Oneirocritica stellten hier einen Höhepunkt dar. In den Jahrhunderten danach entstanden dann die byzantinischen Traumbücher. Besonders populär war das Somniale Danielis, das auch im Abendland rezipiert wurde.1 Vor allem in der griechischen Antike begannen zahlreiche Philosophen aber auch Ärzte, Traumtheorien und Traumquellenmodelle zu entwickeln. Breite Wirkung hatte dabei vor allem das Klassifikationsschema des Poseidonis von Apameia (135–51/50 v. Chr.). Später wurden solche Modelle von römischen 1 Vgl. zur Traumbuchtradition etwa Grub, Jutta: Die Sprache(n) der Träume. Traumbücher und Traumdeutungspraxis im Mittelalter. In: L’immaginario nelle letterature germaniche del medioevo. Hrsg. von Adele Cipolla. Milano 1995, S. 135–174.

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Einleitung

Philosophen übernommen, weiter ausdifferenziert, auch in christlicher Zeit weitergeführt und immer wieder neu durchdacht und modifiziert, so etwa von Tertullianus, Augustinus oder Macrobius. Traditionslinien lassen sich bis ins Mittelalter und in die frühe Neuzeit verfolgen.2 Träume bilden ein weltliterarisches Motiv. In den ältesten Dichtungen der Menschheitsgeschichte, etwa im Gilgamesch-Epos (ca. 15. Jh. v. Chr.) oder in Homers Ilias und Odyssee (Ende des 8. Jhs. v. Chr.), finden sich Traumerzählungen, ebenso in der Bibel. Der Traum wurde in Dichtungen verschiedener Jahrhunderte immer wieder als literarisches Motiv aufgegriffen. Besonders populär und gattungsübergreifend weit verbreitet ist er in der mittelhochdeutschen Dichtung. In dieser Arbeit geht es um die Auseinandersetzung mit Träumen in der erzählenden Dichtung des Mittelalters. Betrachtet werden Traumerzählungen aus verschiedenen epischen Gattungen3 des Früh-, Hoch- und Spätmittelalters. Solche Träume stellen eine Literarisierung zeitgenössischer Traumvorstellungen dar,4 die sich über die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte entwickelt haben. Sie sind in diesem Sinne etwas Gemachtes, etwas Literarisches. Daher sollen sie hier auch von ihrer Erzählweise her betrachtet werden. Studien zum Traummotiv in der mittelhochdeutschen Dichtung haben sich bisher vor allem auf die Untersuchung von Einzelaspekten der Erzählweise beschränkt, auf Teilbereiche, die für das Verständnis dieses Motivs relevant sind. Etwa auf Zusammenhänge zwischen Traumtheorie und Traumerzählung.5 Oder 2 Eine ausführliche chronologische Übersicht über Traumtheorien und verschiedene Einflusslinien seit der Antike bietet Wittmer-Busch, Maria Elisabeth: Zur Bedeutung von Schlaf und Traum im Mittelalter. Krems 1990. 3 Das Mittelalter kennt natürlich keine Gattungspeotik. Schulz folgend kann man aber Gattungen als »Modelle bzw. Konzepte literarischen Bedeutungsaufbaus« verstehen, die »aus den gegebenen Objekten rekonstruiert werden können, und zwar gewöhnlich aus mehreren Texten, denen so etwas wie eine sich verfestigende oder bereits vorausgesetzte gemeinsame Grundordnung abgelesen werden kann.« Schulz, Armin: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Berlin, Boston 2012, S. 120. 4 Ich spreche hier allgemein von Traumvorstellungen, weil Traumerzählungen ganz verschiedenes Vorstellungsmaterial zugrunde liegen kann, etwa traumtheoretische Aspekte, aber nicht unbedingt eine komplett ausgeformte Theorie, zudem volkstümlicher Aberglauben und Traumdeutung. Letztere kann sich aus verschiedenen Quellen speisen. Anders als Speckenbach würde ich diese »Traditionsstränge« nicht streng voneinander trennen. Speckenbach, Klaus: Kontexte mittelalterlicher Träume: Traumtheorie – fiktionale Träume – Traumbücher. In: Lingua Germanica. Studien zur deutschen Philologie. Jochen Splett zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Eva Schmitsdorf/Nina Hartl/Barbara Meurer. Münster/New York/München/Berlin 1998, S. 298–316, hier : S. 298. Ich werde in Kapitel III noch nähern erläutern, warum ich diese Trennung in ihrem Absolutheitsanspruch nicht für überzeugend halte. 5 Vgl. dazu Fischer, Steven R.: The Dream in the Middle High German Epic. Introduction to the Dream as a Literary Device to the Younger Contemporaries of Gottfried and Wolfram. Australien and New Zeland Studies in German Language and Literature. Bern/Frankfurt a. M./Las

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Einleitung

auf das Verhältnis zwischen Traum und literarischer Figur.6 Diese Studie möchte dagegen größere Zusammenhänge der Erzählweise erfassen, verschiedene Möglichkeiten des methodischen Zugriffs zusammenführen und damit einen Beitrag leisten zum besseren Verständnis mittelalterlichen Erzählens mit besonderem Blick auf das Traummotiv. In dieser Studie geht es um die Frage nach der Konstruktionsweise, der Komposition von Traumerzählungen, um ihre Gemachtheit, ihre Funktionsweise innerhalb einer Erzählung. Es werden, auf der Grundlage eines Gerüsts basaler Kriterien, Erzählmuster erfasst und untersucht und ermittelt, woraus diese hervorgehen, wovon sie abhängen und wie sie für die Erzählung gestaltet sind. Im Rahmen der Untersuchung der Erzählweise sollen dann neue Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie sich der literarische Traum gegenüber Traumvorstellungen verhält und in welcher Relation er zur jeweiligen literarischen Gattung steht, in der er auftaucht, wie zu dem spezifischen Text, in den er als Motiv eingefügt ist. *

Gegenstand der Untersuchung ist der Traum als literarisches Motiv in der erzählenden Dichtung des Mittelalters. Betrachtet wird also der fiktive Traum, der, wie schon Speckenbach betont, »nicht wirklich geträumt, sondern mit einer bestimmten literarischen Absicht erfunden ist.«7 Allerdings muss er, auch darauf macht Speckenbach aufmerksam, »bis zu einem gewissen Grad den persönlich gemachten Traumerfahrungen [der Hörer oder Leser] entsprechen«, damit er »akzeptiert« werden kann.8 Der reale wie der fiktive Traum kann im Sinne solcher Parallelen im Anschluss an Strauch/Meier definiert werden als »Erleben während des Schlafes […].«9 Der fiktive Traum als fiktionsinternes Phänomen ist, im

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Vegas 1978. Haag, Guntram: Traum und Traumdeutung in der mittelhochdeutschen Literatur. Theoretische Grundlagen und Fallstudien. Stuttgart/Tübingen 2003. Vgl. Fuchs-Jolie, Stephan: Bedeutungssuggestion und Phantastik der Träume im ›ProsaLancelot‹. In: Das Wunderbare in der arthurischen Literatur. Probleme und Perspektiven. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel. Tübingen 2003, S. 313–340. Philipowski, Katharina: Wer hat Herzeloydes Drachentraum geträumt? ›Tr˜ren, zorn, haz, scham‹ und ›n„t‹ zwischen Emotionspsychologie und Narratologie. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Berlin 2006, S. 251–274. Speckenbach, Klaus: Der Traum als bildhafte Rede. In: Uf der m–ze pfat. FS für Werner Hoffmann zum 60. Geburtstag (=GAG 555). Hrsg. von Waltraud Fritsch-Rößler/Liselotte Homering. Göppingen 1991, S. 421–442, hier: S. 421. Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 421. Strauch, Inge / Meier, Barbara: Den Träumen auf der Spur. Ergebnisse der experimentellen Traumforschung. Bern 1992. 2. vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage 2004.

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Einleitung

Unterschied zum realen, das fiktive »Erlebnis« einer literarischen Figur in einer erzählten Welt. Diese Definition bietet den Vorteil, dass sie so allgemein gehalten ist, dass mit ihr sowohl mantische als auch nicht mantische Träume berücksichtigt werden können, und dass sich der mantische Traum somit, wie schon Walde feststellt, von der »Wachvision«10 abgrenzen lässt. Der mantische Traum und die Vision dagegen lassen sich im Mittelalter nicht so klar voneinander unterscheiden. Bagliani/Stabile etwa stellen fest, dass die »gleiche Quelle ihren Bericht Traum oder Vision nennen kann.«11 So beschreibt die Mediävistik den mantischen Traum auch als eine »Unterart der Vision«12. Die komplizierte Begriffsdiskussion soll hier nicht neu geführt werden. Für die Auswahl der Texte dieser Studie sei aber auf das Schlaferlebnis als zentrales Kriterium verwiesen. Wie schon bei Haag ist auch hier relevant, dass »in Form von Wahrnehmungen im Schlaf unzweideutig auf einen Traum« hingewiesen wird bzw. dass das »Wortfeld[…] Traum«13 oder sl–f in der jeweiligen Erzählung enthalten ist. Zur Beziehung zwischen Schlaf und Traum haben antike Philosophen und später christliche Theologen über die Jahrhunderte verschiedene Theorien aufgestellt. Die Forschung hat sich mit diesen Theorien eingehen beschäftigt.14 Was 10 Walde, Christine: Traum und Traumdeutung in der griechisch-römischen Antike oder vom Zwang, Träume zu deuten. In: Traum und Vision in der Vormoderne. Traditionen, Diskussionen, Perspektiven. Hrsg. von Annette Gerok-Reiter/Christine Walde. Berlin 2012, S. 21–44, hier : 22. Bagliani/Stabile verweisen in diesem Zusammenhang auf Beispiele aus der bildenden Kunst des Mittelalters: Beim »Traum hat der Träumende die Augen geschlossen; er liegt auf der Seite und stützt mit der Hand sein Haupt. In einer Vision dagegen liegt der Schauende – die Augen weit geöffnet – ausgestreckt auf dem Rücken.« Bagliani, Agostino Paravicini/Stabile, Giorgio: Einleitung, in: Träume im Mittelalter. Ikonologische Studien. Hrsg. v. Bagliani, Agostino Paravicini/Stabile, Giorgio. Stuttgart 1989, S. 7. 11 Bagliani/Stabile, Einleitung, S. 7. Vgl. dazu auch die Ausführungen von Dinzelbacher, der hier auf Beispiele aus der mittellateinischen Literatur verweist, in denen die Terminologien visio und somnium vermischt werden: in visione somnii oder sompni visione. Dinzelbacher, Peter : Vision und Visionsliteratur im Mittelalter. Monographien zur Geschichte des Mittelalters. In Verbindung mit Friedrich Prinz hrsg. von Karl Bosl. Band 23. Stuttgart 1981, S. 50. 12 Vgl. dazu Bagliani/Stabile, Einleitung, S. 7. Schmitz, Wilhelm: Traum und Vision in der erzählenden Dichtung des Mittelalters. Forschungen zur Deutschen Sprache und Dichtung. 5. Münster, Aschendorff 1934, S. 1. Haubrichs, Wolfgang: Offenbarung und Allegorese. Formen und Funktionen von Vision und Traum in frühen Legenden. In: Formen und Funktionen der Allegorie. Hrsg. von Walter Haug. Symposium Wolfenbüttel 1978. Stuttgart 1979, S. 243–264, hier : S. 243. Dinzelbacher, Vision, S. 29ff. 13 Haag, Traumdeutung, S. 25–26. 14 Vgl. zur Bedeutung des Schlafs in Antike und Mittelalter v. a. Ricklin, Thomas: Der Traum in der Philosophie im 12. Jahrhundert. Traumtheorien zwischen Constaninus Africanus und Aristoteles. Leiden/Boston/Köln 1998, S. 27–28, 42. Wittmer-Busch, Schlaf und Traum, S. 96–98, 115–118, 144–148. Alt, Peter-Andr¦: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. München 2002, S. 33, 36. Slenczka, Notger : Träume zwischen Gott und Teufel, in: Traum und Vision in der Vormoderne. Traditionen,

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ein mittelalterlicher Dichter, der wohl eher jenseits der Studierstuben der Theoretiker agierte,15 unter sl–f verstanden hat, lässt sich nur implizit aus den fiktiven Traumerzählungen selbst erschließen. Schlafen ist in jedem Falle die Voraussetzung für das Empfangen des mantischen oder nicht mantischen Traums. Der Blick des Schlafenden wendet sich entweder nach außen. Er (seine Seele?)16 tritt in eine metaphysische Parallelwelt ein, die mit ihren Botschaften von außen auf ihn einwirkt.17 Oder aber der Blick wendet sich nach innen und Bilder der Tagewelt tauchen im Traum wieder auf. Grammatisch wird der Übergang vom Wachen zum sl–fen und troimen häufig mit einer Konjunktivkonstruktion markiert.18 Angedeutet wird damit wohl eine künftige oder auch nur mögliche Realität bzw. eine andere Art Realität.19

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Diskussionen, Perspektiven. Hrsg. von Annette Gerok-Reiter/Christine Walde. Berlin 2012, S. 133–160, hier : S. 141ff. Vgl. Speckenbach, Kontexte, S. 298. Schulz, Erzähltheorie, S. 24, weist allgemein darauf hin, dass »der Grad der Vernetzung zwischen gelehrtem Wissen und volkssprachlicher Literatur äußerst schwierig und nur im Einzefall zu bestimmen [ist].« Dennoch meine ich, dass die Möglichkeit einer Beeinflussung nicht vollkommen ausgeschlossen werden sollte. Die Vorstellung, dass die Seele den Körper während des Schlafes verlässt, findet sich schon in der ägyptischen Antike und wurde später von griechischen Traumtheoretikern übernommen. Vgl. Engelhardt, Dietrich von: Traum im Wandel – Geschichte und Kultur. In: Schlaf und Traum. Neurobiologie, Psychologie und Therapie. Hrsg. von Michael H. Wiegand/Flora von Spreti/Hans Förstl. Stuttgart 2006, S. 7ff. Auch in der römischen Antike und im Mittelalter blieb diese Vorstellung präsent, dass sich die Seele vom Körper, der wie leblos zurückbleibt, lösen und mit dem Transzendenten in Kontakt treten kann. Vgl. Ricklin, Traum in der Philosophie, S. 42. Wittmer-Busch, Schlaf und Traum, S. 96. Das wird bei Traumerzählungen auch grammatisch markiert. In heutigem Sprachgebrauch heißt es: »Ich/Er träumte«. Das Subjekt steht also im Vordergrund. Das weist darauf hin, dass der Traum allein aus dem Träumenden selbst kommt. In mittelalterlichen Texten heißt es hingegen mir ist gidroumet (Orendel, E, XXIII / Vv. 9–10) oder dú troumte im (Rolandslied, 3030) oder Ir troumte (Rabenschlacht, 123). Der Träumende erscheint im Rahmen dieser Dativkonstruktion als Empfänger des Traums. Darin kommt offenkundig die Vorstellung zum Ausdruck, dass der Träumende den Traum nicht selbst produziert, sondern dass der Traum von außen kommt, von einem Sender an ihn herangetragen wird. Vgl. dazu auch Brackertz, Kommentar zu Achmets Traumbuch, S. 235, Kommentar 41. Vgl. etwa nu troumte im aber alsú, / wie er wære in porta Cesaris (Rolandslied, V. 3031f.); in [Karl] d˜chte, wie er ze Ache wære / unt ain bere vor im læge (3068f.). [N]u troumte im aber alsú, / wie er ze P–r„s wære (Karl, 3676f.). In disen húhen Þren troumte Kriemhilde wie si züge einen valken (Nibelungenlied, Str. 13, 1). [M]ir ist getroumet h„nte von angestl„her nút, / wie allez das gefügele in diesem lande wære tút (Str. 1509, 3–4). Ir [Helche] troumte, wie ein wilder trach wære / gevlogen also balde / durch ir chemenaten dach (Rabenschlacht, Str. 123ff.). [M]ir troumt h„naht ein troum, […] wie daz ein adelar kæme, underz gevider er uns nam (Wolfdietrich D, IX, Str. 57, 1ff.). Mir getroumet wie er ein lewen bræht an den burcgraben. (VIII, Str. 256f.). Karl etwa wird ja nie wirklich von einem Bären (Rolandslied, V. 3068ff.) angegriffen und es wird auch kein Drache in die Kemenate Helches eindringen (Rabenschlacht, Str. 123–126).

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Ziel der Studie ist es, zur Erzählweise von Träumen gattungsübergreifende wie gattungs- oder textspezifische Befunde zu liefern. Daher wurden für diese Studie vierzehn Traumerzählungen aus verschiedenen epischen Gattungen ausgewählt: der Alexanderroman des Pfaffen Lambrecht (Antikenroman), Orendel und der König Rother (Brautwerbungsdichtung), das Rolandslied des Pfaffen Konrad (Chanson de geste), das Nibelungenlied, die Rabenschlacht und der Wolfdietrich D (Heldendichtung), Wolframs von Eschenbach Parzival und Hartmanns von Aue Iwein (Artusdichtung). Dass es innerhalb dieser Ordnung auch Gattungsmischungen gibt, wird im Rahmen der Einzelanalysen berücksichtigt. Mein methodischer Ansatz lässt sich nur auf eine Auswahl an epischen Texten anwenden, eine erschöpfende Analyse aller mittelhochdeutschen Traumerzählungen erscheint mir nicht möglich, da deren Zahl zu groß ist. So hat bereits Fischer im Rahmen seiner Studie 63 Traumerzählungen ausfindig gemacht.20 Und er berücksichtigt dabei nicht einmal alle. Die Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank21 etwa findet für troum, unter Berücksichtigung der verschiedenen grammatischen Formen und Schreibweisen des Wortes, 611 Belege in 108 Werken, wobei der Begriff in ganz unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen verwendet wird. Eine Gesamtanalyse würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Zudem schließe ich für diese Studie auch Texte aus, deren Erzählweise bereits genügend erforscht wurde.22 Dass die hier getroffene Auswahl repräsentativ ist, soll nicht a priori behauptet werden. Es geht darum, am Beispiel der vierzehn Traumerzählungen verschiedene Möglichkeiten der Erzählweise aufzuzeigen, die sich in den unterschiedlichen erzählenden Gattungen ausprägen. Ob sich Prinzipien der Erzählweise gattungsübergreifend, gattungs- oder auch textspezifisch wiederho20 Fischer, The Dream, S. 151. 21 http://mhdbdb.sbg.ac.at/. 22 Das gilt etwa für den Prosa-Lancelot. Klinger hat hier bereits wesentliche Aspekte der Erzählweise herausgearbeitet. Sicherlich ließe sich ihr methodischer Ansatz im Rahmen einer weiteren Studie zum Prosa-Lancelot noch stärker ausdifferenzieren und systematisieren, aber das würde m. E. keine wesentlich neuen Erkenntnisse zeitigen. Klinger, Judith: Die Poetik der Träume. Zum Erzählen von und mit Traum-Bildern im Prosa-Lancelot. Der mittelhochdeutsche Roman im europäischen Kontext. Hrsg. von Christoph Huber/Klaus Ridder. Tübingen 2007, S. 211–234, hier : S. 211. Auch Fuchs-Jolie, Bedeutungssuggestion, liefert zum Prosa-Lancelot bereits wesentliche Befunde. Ich gehe aber dennoch auf einige Träume aus dem Prosa-Lancelot am Rande dieser Studie ein, v. a. weil sich der Vergleich der Galahot-Träume mit dem Traum der Herzeloyde in atmosphärischer Hinsicht loht. Zudem erscheint mir ein Vergleich des Lancelot-Traums mit dem Traummonolog im Iwein aufschlussreich.

Einleitung

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len, überprüfe ich, wenn ich im Fazit die Befunde meiner Studie abschließend zusammenfasse, Traumerzählungen, die in dieser Studie behandelt werden, miteinander vergleiche. Dies kann aber auch schon vorher im Rahmen der Zusammenfassung einzelner Kapitel geschehen.

II.

Forschungsstand

Zur Auseinandersetzung mit der Bedeutung literarischer Träume in der mittelhochdeutschen Literatur wurden vier Dissertationen geschrieben.23 Die erste stammt von Emil Benez¦24, der untersucht, wie das Traummotiv in der mittelhochdeutschen Literatur bis 1250 verwertet wurde. Er stellt eine große Anzahl an Textbeispielen aus Epik und Lyrik zusammen, die er in seiner Studie jeweils kurz kommentiert.25 Dabei weist er u. a. auf allgemeine Funktionen von Traumerzählungen hin, etwa dass sie Neugierde wecken oder Stimmung schaffen sollen.26 Wilhelm Schmitz fragt nach formaler Gestaltung und kompositorischer Bedeutung von Traum und Vision in verschiedenen Jahrhunderten und versucht dabei Entwicklungslinien aufzuzeigen.27 Für das 9./10. Jahrhundert spricht er von »mythisch-magische[r]« Traumauffassung beeinflusst von »germanische[n] und antike[n] Anschauungen«28, wobei der Traum als »Warnungsmittel«29 diene. Mit der Hinwendung zur »biblischen und frühchristlichen Auffassung«30 in der Legendendichtung des 11./12. Jahrhunderts bekomme er eine »heilsgeschichtliche Erlebnisdimension« (z. B. Annolied)31, sei göttliche Wil-

23 Daneben gibt es noch eine Habilitationsschrift von Dinzelbacher, Vision, die diese Thematik auch berücksichtigt. Dinzelbacher aber setzt sich vor allem mit dem Phänomen der Vision auseinander, wobei Träume, wie oben erwähnt, als Unterart der Vision verstanden werden. Dinzelbacher berücksichtigt, anders als das in dieser Studie gemacht wird, Traum und Vision »ohne Differenz« (S. 59). Auf Träume aus der mittelhochdeutschen Dichtung wird eher am Rande eingegangen, in erster Linie geht es um Visionsliteratur mit Wahrheitsanspruch. Dinzelbachers Erkenntnisse werden im Rahmen dieser Studie auch berücksichtigt, an dieser Stelle aber nicht genauer dargestellt, weil sein Schwerpunkt ein anderer ist. 24 Benez¦, Emil: Das Traummotiv in der altdeutschen Dichtung bis 1250. Jena 1896, S. 2. 25 Ebd., S. 11. 26 Ebd., S. 54. 27 Schmitz, Traum und Vision, S. 1–2. 28 Ebd., S. 5. 29 Ebd., S. 6. 30 Ebd., S. 15. 31 Ebd., S. 19.

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Forschungsstand

lensverkündung,32 sporne den Helden an,33 fordere ihn zur Handlung auf.34 In der weltlichen Dichtung des 12./13. Jahrhunderts diene er dann verstärkt dem »Ausdruck der psychischen Situation«35 einer Figur (z. B. Didos Traum im Eneas) sowie der »psychologischen Handlungsmotivierung«36. In der Heldenepik dagegen behalte er »magische Gültigkeit«37 bei. Die spät- und nachhöfische Dichtung des 13. Jahrhunderts verarbeite nur noch die vorangegangenen Motive.38 Steven R. Fischer versucht den breiten Einfluss der Traumtheorie des Macrobius auf mittelhochdeutsche Traumerzählungen nachzuweisen.39 Seine Methode ist die Typologisierung: Er ordnet in das fünfteilige Traumklassifikationsschema des Macrobius40 alle mittelhochdeutschen Traumerzählungen ein, die er in seiner Studie behandelt.41 Zudem verweist er auf die unterschiedlichen epischen Funktionen des Traums, etwa darauf, dass dieser die Erzählung interessanter mache, Spannung erhöhe, Handlung erzeuge, epische Figuren charakterisiere, eine bestimmte Weltsicht bestätige, verborgene Emotionen zum Ausdruck bringe usw.42 Guntram Haags Arbeit baut auf einer Abgrenzung zu Fischer auf, dessen Typologisierung er als monoperspektivisch zurückweist. Haag nimmt die Literarisierung einer »Vielfalt unterschiedlicher Anschauungen«43 an und bezieht bei seiner Auseinandersetzung mit literarischen Traumerzählungen aus epischen und lyrischen Texten mittelalterliche Traumbücher44 ebenso ein wie Losbücher, Lunare, physiologische Traumbücher, Traumtheorien von Gregor dem Großen,45 Augustinus,46 Johannes von Salisbury,47 Aristoteles48 u. a. Neben diesen vier Dissertationen finden sich zahlreiche Aufsätze zu dieser Thematik. Klaus Speckenbach setzt sich mit der »Traumallegorie«49, der »bild32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

Ebd., S. 30. Ebd., S. 19. Ebd., S. 41–42. Ebd., S. 61. Ebd., S. 62. Ebd., S. 83. Ebd., S. 86ff. Fischer, The Dream, S. 11f. Sowie S. 19ff. Vgl. zu dem Klassifikationsschema ausführlich ebd., S. 21f. Ebd., S. 37–150. Ebd., S. 156. Haag, Traum und Traumdeutung, S. 42. Ebd., S. 44–45. Fischer, The Dream, S. 49, FN 165 sowie S. 52f. Haag, Traum und Traumdeutung, S. 51f. Ebd., S. 55f. Ebd., S. 61. Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 421.

Forschungsstand

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haften Rede«50 mittelhochdeutscher Traumerzählungen auseinander und stellt am Beispiel zahlreicher Traumerzählungen Überlegungen zu Möglichkeiten ihrer Enträtselung an. Albrecht Classen beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit der »narrativen Funktion des Traumes in mittelhochdeutscher Literatur«.51 Dabei untersucht er, »was für ein Licht der Traum auf die Träumenden wirft, wie diese auf diese Erscheinung reagieren und welche Dimensionen sich für den Träumenden durch den Traum öffnen.«52 Der Traum verweise auf die Ebene des »Unterbewußtseins«53, er biete Möglichkeiten zur »Selbsterkenntnis«54 und in diesem Zusammenhang Möglichkeiten, das eigene »Schicksal in förderlicher Weise zu beeinflussen«55. Classen versucht, das an einer Reihe populärer mittelhochdeutscher Traumerzählungen zu zeigen. In einem weiteren Aufsatz setzt sich Speckenbach mit drei Traditionssträngen des mittelalterlichen Traumphänomens auseinander56 und stellt dabei die These auf, dass Traum und Traumdeutung im Mittelalter »kein einheitliches Phänomen«57 seien. Mit Traumtheorien, deren Traditionslinien Speckenbach von der Antike bis ins Mittelalter nachzeichnet, setzten sich vor allem die Gelehrten auseinander.58 Die zumeist allegorisch verrätselten literarischen Träume erfüllten, wie Speckenbach an Traumerzählungen aus dem Nibelungenlied, Veldekes Eneas, Wernhers Helmbrecht und Gottfrieds Tristan nachzuweisen versucht,59 zumeist erzähltechnische und dramaturgische Funktionen.60 Die Traumbücher schließlich als dritte Traditionslinie richteten sich an die Laien und »dienen häufiger der lebenspraktischen Beratung […].«61 Barbara Haupt untersucht, was literarische Träume über die »psychische Befindlichkeit«62 vor allem weiblicher Figuren aussagen und versucht in diesem Zusammenhang zu ergründen, inwieweit sie über ein historisches Menschenbild Auskunft geben können.63 Im Rahmen ihrer Analyse der Träume Didos (Hein50 Ebd., S. 442. 51 Classen, Albrecht: Die narrative Funktion des Traumes in mittelhochdeutscher Literatur. In: Mediaevistik 5. 1992, S. 11–37. 52 Ebd., S. 11. 53 Ebd., S. 21. 54 Ebd., S. 11. 55 Ebd. 56 Speckenbach, Kontexte, S. 298. 57 Ebd., S. 316. 58 Ebd., S. 298ff. 59 Ebd., S. 305ff. 60 Ebd., S. 316. 61 Ebd. 62 Haupt, Barbara: Die Träume der Frauen in epischen Texten des Hochmittelalters, in: Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000. S. 164. 63 Ebd., S. 165.

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Forschungsstand

richs von Veldeke Eneas), Herzeloydes (Wolframs Parzival), Kriemhilds (Nibelungenlied) und (einziges männliches Beispiel) Karls (Rolandslied des Pfaffen Konrad) kommt sie zu dem Schluss, dass Träume der Darstellung »psychosomatische[r] Befindlichkeit[en]«64 von Figuren dienten, »menschliche Emotionen«65 offenbarten, auf »Wünsche, Hoffnungen, Ängste und Leid« verwiesen und »auf den Umgang mit derartigen Erfahrungen.«66 Stephan Fuchs-Jolie setzt sich mit »Bedeutungssuggestion und Phantastik der Träume im ›Prosa-Lancelot‹«67 auseinander. Träume dienten der »Reflexion über die psychische Verfasstheit der Figur«68, ermöglichten Blicke in den Innenraum von Figuren,69 seien zu verstehen als »verdichtete Symbolisationen eines […] Unterbewussten«70, die »düstere Grundierung von Ängsten und Unsicherheiten«71. Helmut Brall-Tuchel72 interpretiert den Traum der Herzeloyde als »Verinnerlichung des religiösen Fühlens […].«73 Herzeloyde werde »konsequent in die Spuren und in die Bildwelten der Heilsgeschichte [gestellt].«74 Zugleich aber sieht er auch Bezüge zur »Terra mater-Vorstellung« und damit zur »sündige[n] Mutter«75. Hans-Jürgen Bachorski unterzieht u. a. Herzeloydes Traum einer psychoanalytischen Deutung76, interpretiert ihn als Tagesrest, d. h. als Produkt von Tageserlebnissen. Er gehe hervor aus ihrer Liebe zu Gahmuret, ihren Sehnsüchten,77 Wünschen, Sorgen, Ängsten78 und sei zudem Verdrängung sexueller Affekte.79 Für Kriemhilds Falkentraum (Nibelungenlied) dagegen nimmt Bachorski rein proleptische Funktion an.80 64 65 66 67 68 69 70 71 72

73 74 75 76 77 78 79

Ebd., S. 165. Ebd., S. 170. Ebd. Fuchs-Jolie, Bedeutungssuggestion, S. 313. Ebd., S. 337. Ebd., S. 330. Ebd. Ebd. Brall-Tuchel, Helmut: Wahrnehmung im Affekt. Zur Bildsprache des Schreckens in Wolframs ›Parzival‹, in: Wahrnehmung im ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach. Actas do Colûnique Internacional 15 e 16 Novembro de 2002. Hrsg. von John Greenfield. Porto 2004, S. 67–104. Ebd., S. 87. Ebd., S. 83. Ebd., S. 87. Bachorski, Hans-Jürgen: Träume, die überhaupt niemals geträumt. Zur Deutung von Träumen in der mittelalterlichen Literatur. In: Weltbilder des mittelalterlichen Menschen. Hrsg. von Heinz-Dieter Heimann u. a. Berlin 2007. S. 15–52, hier: S. 31. Ebd., S. 32. Ebd. Ebd., S. 40.

Forschungsstand

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Katharina Philipowski diskutiert mit Bezug zum Drachentraum der Herzeloyde die Unterschiede zwischen Emotionen und deren literarischer Repräsentation,81 die Frage nach der Konstruiertheit und »Codierung«82 von Emotionen in künstlerischer Darstellung83. Sie stellt die These auf, Figuren würden immer nur einem Profil folgen,84 nicht emotionalen oder psychischen Dimensionen85. Ihre Darstellung richtet sich vor allem gegen die oben skizzierten Ansätze von Brall-Tuchel und Bachroski. Judith Klinger beschreibt am Beispiel des Prosa-Lancelot die Funktion der Träume für die Handlungsprogression,86 inwiefern sie Figurenverhalten und Handlungsabläufe motivieren, wie Träume Erzählungen organisieren oder umgekehrt von Erzählungen organisiert werden,87 der Verknüpfung von Handlungssträngen dienten,88 auch »selbstreflexives Potential«89 hätten.

80 81 82 83 84 85 86 87 88 89

Ebd., S. 19. Philipowski, Drachentraum, S. 253. Ebd., S. 252. Ebd., S. 251. Ebd., S. 266. Ebd., S. 272. Klinger, Poetik der Träume, S. 211. Ebd., S. 220. Ebd., S. 225. Ebd., S. 211.

III.

Forschungsdefizite und Forschungsdiskussion

Entwickelt wurden bis heute eine ganze Reihe unterschiedlicher methodischer Zugänge zur Traumerzählung. Die Erzählweise literarischer Träume spielt dabei in einigen der hier skizzierten Forschungsbeiträge eine Rolle. Fischer und Haag etwa wählen einen traumtheoretischen Zugang. Die Überlegungen Fuchs-Jolies und Philipowskis beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Figur, Traum und Handlung. Speckenbach setzt sich mit der Bedeutungsproduktion von Traumsymbolik auseinander. Betrachtet werden damit allerdings immer nur Teilbereiche der Erzählweise. Ansätze zu einer systematischeren Untersuchung finden sich allenfalls bei Klinger, jedoch auf einen einzigen Text bezogen. Damit werden keine gattungsübergreifenden Befunde geliefert. Über Ansätze, die sich nur auf Teilbereiche beziehen, lassen sich die verschiedenen Facetten mittelalterlicher Erzählweise von Träumen in unterschiedlichen erzählenden Gattungen nicht systematisch erschließen. Die Einzelbefunde liefern kein zusammenhängendes Bild und bleiben mit Blick auf die Erzählweise oftmals defizitär. Ich werde dieses Problem im Folgenden genauer darlegen. Fischer und Haag: Traumtheoretischer Zugang Fischers Studie ist auf die Untersuchung traumtheoretischer Aspekte fixiert, die sich in mittelhochdeutschen Traumerzählungen angeblich abbilden.90 Ein Zugang zur Erzählweise über Traumtheorie oder -vorstellung kann aufschlussreich sein, da einer Traumerzählung bestimmte Vorstellungen zugrunde liegen, die literarisiert werden und somit für die Erzählweise relevant sein können. Den90 Schon Schmitz hat nach Traumtypen geordnet, aber noch jenseits einer konkreten traumtheoretischen Basis. Er ordnet die Träume in seiner Studie chronologisch an, innerhalb dieser Ordnung auch teilweise (aber sehr) grob nach Gattungen: geistliche Dichtung, weltliche Dichtung, Heldenepik, wobei Gattungsmischung noch keine Rolle spielt. Die Erzählweise von Träumen selbst wird eher allgemein beschrieben, aber nicht systematisch auf gattungsübergreifende, gattungs- oder textspezifische Muster untersucht. In der Hinsicht ist Schmitz differenzierungsbedürftig.

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Forschungsdefizite und Forschungsdiskussion

noch ist der Zugang allein über diese Ebene defizitär. So liefert Fischer zwar eine große Anzahl an Befunden zur narrativen Funktion von Traumerzählungen. Bezeichnend ist dabei allerdings, dass er gattungsübergreifend mit nur geringen Abweichungen immer zu den gleichen Ergebnissen kommt. Für die vorhöfische Dichtung stellt er fest: »[I]t identifies unknown figures or situations, justifies or generates a course of action, unifies as a structural element, resolves conflicts, reveals divine favouritism, hidden senitments, fears, or guilt, characterizes figures, and can provide as well an interesting and effective transition […].«91

Zur höfischen Dichtung merkt er an: »The dream in the courtly epic functions similarly to that in the precourtly, in that it is employed to communicate a divine message, reveal devine favouritism, provide evidence for a cult, justify and generate a course of action, characterize a figure, and provide a transition.«92

Und zur heroischen Dichtung schließlich heißt es: »[T]he dream is nonetheless employed as well to characterize and introduce an epic figure, reveal thematic information and inner sentiments […]. Resolve a conflict, and validate a claim.«93

Dass Fischers Befunde gattungs- und textübergreifend nahezu immer gleich aussehen, liegt nicht daran, dass es hier keine Unterschiede geben würde, sondern dass Fischer keine basalen Kriterien zur Beschreibung von Erzählmustern entwickelt und literarische Träume nicht explizit von ihrer Erzählweise her betrachtet. Er typologisiert alle Träume nach dem Macrobius-Raster jenseits gattungsübergreifender, gattungs- oder textspezifischer Überlegungen94, geht über sein Schema auch kaum hinaus, setzt etwa gattungsspezifische Erzählweise nicht explizit in Relation zur Traumerzählung, zur Reaktion von Figuren auf ihre Träume und zur Handlungsprogression. Auch die Bedeutung des Traums für die gattungsspezifische Erzählweise oder Aussageorientierung bleibt meistens unscharf, wird nirgends systematisch beschrieben. Die Beschreibung eines literarischen Traums allein über die Ebene mittelalterlicher Traumtheorie, -vorstellung oder -typologie erfasst jedenfalls kaum die verschiedenen Facetten, die dieses Motiv hinsichtlich seiner Erzählweise gattungsübergreifend wie gattungs- oder auch textspezifisch ausprägen kann. 91 92 93 94

Fischer, The Dream, S. 37. Ebd., S. 83. Ebd., S. 132. Ebd., S. 9–10, ordnet die Texte auch nicht immer explizit nach Gattungen, sondern nach den Kategorien »vorhöfisch«, »höfisch« und »heldenepisch«. Unter diesen Überschriften werden dann mitunter ganz verschiedene erzählende Gattungen zusammengefasst.

Forschungsdefizite und Forschungsdiskussion

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Auch Haag wählt einen traumtheoretischen Ansatz als Zugang zur Traumerzählung, geht aber über Fischers Macrobius-Raster hinaus. Das ist auch sinnvoll, da die Anwendung dieses Typologisierungsmodells auf sämtliche Traumerzählungen, wie die Forschung festgestellt hat, sehr zweifelhaft ist, auch in terminologischer Hinsicht.95 Mit seinem methodischen Ansatz des »analytische[n] Pluralismus«96 vermag er eine Vielfalt an Einflüssen auf die Gestaltung literarischer Träume durch zeitgenössische Traumvorstellungen und -theorien nachzuweisen.97 Haags Ansatz ist eine deutliche Verbesserung gegenüber Fischers und diesem 95 Speckenbach, Kontexte, S. 301, etwa stellt das Schema in Frage: »Die kirchlichen Gelehrten […] taten sich mit einer einheitlichen Traumlehre schwer.« So »werden die verschiedenen antiken Vorstellungen rezipiert und oft ganz unvermittelt nebeneinandergestellt«. Er geht noch weiter und schreibt: »In deutscher Dichtung fehlt jeder Bezug zu Macrobius, und man muß zweifeln, ob den volkssprachigen Dichtern um 1200 mehr als sein Name bekannt gewesen ist«. Speckenbach, Klaus: Form, Funktion und Bedeutung der Träume im LancelotGral-Zyklus. In: I sogni nel medioevo. Hrsg. von Tullio Gregory. Rom 1985, S. 317–355, hier : S. 322. Auf dieser Basis argumentiert auch Haag, Traum und Traumdeutung, S. 27f., der den Versuch Fischers, das Modell auf jede mittelalterliche Traumerzählung anzuwenden, am schärfsten angreift. Unter den Dichtern nennt immerhin Chr¦tien Macrobe namentlich in seinem Erec (Vv. 6736–43). Zitiert nach: Chr¦tien de Troyes: Erec und Enide. Übersetzt und eingeleitet von Ingrid Kasten. München 1979 (Klassische Texte des Romanischen Mittelalters 17). Ob er aber eine genauere Kenntnis dieser Traumtheorie hatte, bleibt offen. Dass es Fischer tatsächlich gelingt, jeden Traum in seiner Studie in das Macrobius-Raster einzuordnen, liegt wohl eher an dem Modell selbst, eine Kenntnis dieser Theorie von Seiten der Dichter ist damit aber nicht bewiesen. Auch die Terminologie, die Fischer von Macrobius zur Beschreibung der Träume übernimmt, ist sehr problematisch. Nach Macrobius, der sich wohl an Artemidor orientiert hat (vgl. zur Traumtypologie des Artemidor Walde, Traum und Traumdeutung, S. 37), gibt es fünf Traumkategorien, drei verweisen auf mantische und zwei auf nicht mantische Träume: visio, somnium, oraculum, visum und insomnium. Nach Macrobius bezeichnet visio einen unverschlüsselten Traum, eine präzise Zukunftsschau, die aufgrund ihrer Klarheit keiner Interpretation bedürfe, die mit dem Vorhergesagten vollkommen übereinstimme; somnium meint dagegen einen symbolisch verschlüsselten und daher interpretierbedürftigen Traum; orculum meint, dass eine Person, ein Dämon oder ein göttliches Wesen dem Träumenden erscheine oder auch nur eine Stimme zu hören sei, die offenbare, was zu tun oder zu vermeiden sei; visum und insomnium schließlich bezeichnen nicht mantische, natürliche Leibreizträume. Vgl. dazu zusammenfassend Fischer, S. 21ff. Kruger, Steven F.: Dreaming in the Middle Ages. Cambridge studies in medieval literature 14. New York 1992, S. 21ff. Oftmals wurden im Mittelalter aber solche Begriffe terminologisch nicht so streng voneinander unterschieden, wie Fischer das in Orientierung an Macrobius tut, sondern mitunter einfach synonym verwendet. So stellt bereits Dinzelbacher, Vision, S. 46, fest, dass im Mittelalter unter visio allgemein die »Konfrontation mit dem Außerirdischen« gemeint sein konnte und der Begriff oft synonym zu somnium verwendet wurde (vgl. auch Dinzelbacher, S. 8). Die Begriffe somnium und visio wurden »von der Mehrzahl der [mittellateinischen] Autoren fast austauschbar gebraucht.« Dinzelbacher, S. 48. Vgl. auch Haag, S. 29. Somit setzt Fischer in seiner Studie eine einheitliche Terminologie für die Traumdeutung voraus, die es so im Mittelalter nicht gegeben hat. 96 Haag, Traum und Traumdeutung, S. 203. 97 Ebd., S. 46ff.

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Forschungsdefizite und Forschungsdiskussion

insofern auch vorzuziehen. Trotzdem betrachtet auch er Traumerzählungen nicht explizit von ihrer Erzählweise her, sondern vor allem von ihrem traumtheoretischen Gehalt. Dabei spielt die Erzählweise in Einzelfällen zwar auch eine Rolle, aber sie wird nicht systematisch untersucht. In diesem Punkt geht Haag nicht über Fischer hinaus. Seine Studie liefert letztlich auch keine Befunde, die jenseits der Einzelanalysen Fragen zur Erzählweise beantworten würden, sondern mündet lediglich in einer neun Seiten umfassenden Aneinanderreihung von weiteren Fragestellungen, die sich für ihn im Rahmen seiner Studie ergeben haben.98 Zumindest eine dieser Fragen bezieht sich dann genauer auf die Erzählweise von Träumen im gattungsspezifischen Kontext: »Gewinnt eine Traumszene in der Epik spezifische gattungsfunktionale Kontur, indem man ihre Verortung im narrativen Schema mit derjenigen von Traumpassagen in Kontexten desselben Gattungsbereichs vergleicht?«99 Beantwortet wird die Frage nicht explizit, für die Brautwerbungsdichtung wird gattungsspezifische Kontur zumindest vermutet.100 Eine solche Frage kann in Auseinandersetzung mit der Erzählweise von Träumen produktiv genutzt werden. Fuchs-Jolie, Philipowski: Traum, Figurenreaktion und Handlungsprogression Einige Studien beschäftigen sich mit dem Verhältnis zwischen Traum, literarischer Figur und Erzählweise. Fuchs-Jolie etwa geht auf das Verhältnis zwischen Traum, Figurenreaktion und Handlungsprogression ein.101 Träume würden in 98 99 100 101

Vgl. ebd., S. 203–212. Ebd., S. 205. Ebd., S. 109f. Auch Classen, Narrative Funktion, geht in diese Richtung. Allerdings sind die Befunde, die er liefert, etwa, dass der Traum der Figur die Möglichkeit eröffne, das eigene Schicksal in positiver Weise zu beeinflussen, sehr fragwürdig, weil er gerade die gattungs- und traumspezifischen Aspekte wie mögliche Determinationsmuster für Figurenreaktion und Handlungsprogression völlig ignoriert. So sind Träume für ihn, ganz gleich ob prognostisch oder nicht, die »Sprache des Unterbewußten« (S. 21). Figuren, die in Untergangserzählungen dem Unheil zum Opfer fielen, würden, so meint Classen, einfach nicht »angemessen […] träumen« (S. 21), das »unbewußt Wahrgenommene geistig […] [nicht] durchdringen« (S. 22) und seien damit selbst schuld an ihrem Unglück. Classens Deutung des Figurenverhaltens im Zusammenhang mit Träumen ist weder an gattungsspezifische Erzählweise noch an mittelalterliche Traumvorstellungen zurückgebunden. Zentrale Fragen der Erzählweise werden daher auch gar nicht zur Disposition gestellt, etwa ob der im Traum angekündigte Untergang einer oder mehrerer Figuren vielleicht mit gattungsspezifischer Erzählweise zusammenhängt, auch jenseits des »Interesses« einer Figur, ob Figurenpassivität möglicherweise mit traumspezifischen Vorstellungen in einem Zusammenhang steht. Daher stellt sich bei diesem Aufsatz grundsätzlich die Frage, ob er ernst genommen werden kann und den Ansprüchen an seriöse Forschung genügt. Das wird noch im Rahmen der Untersuchung näher geprüft. Aufgrund seiner offenkundigen signifikanten Defizite kann er dieser Studie jedenfalls keine methodischen Impulse geben.

Forschungsdefizite und Forschungsdiskussion

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Dienst genommen, um Handlung zu realisieren.102 Sie würden am »Funktionieren der Handlung [mitwirken]«103. Der Traum sei oftmals Anlass für die Figur zu handeln. Dabei würden Figuren auch an der »Verweisstruktur des Textes«104 mitarbeiten und zur Bedeutungssuggestion beitragen. Das sind wichtige Befunde, die auch die Erzählweise von Träumen betreffen. Sie werden bei Fuchs-Jolie nicht gattungsübergreifend diskutiert, da die Untersuchung dem Prosa-Lancelot gilt. Somit ist noch über Fuchs-Jolies Erkenntnisse hinaus das Verhältnis zwischen Traum, Figurenreaktion, Handlungsprogression, Bedeutungsproduktion und ihre Abhängigkeit von Traumvorstellung sowie gattungs- oder textspezifischer Erzählweise zu klären. Fuchs-Jolies vorwiegend figurenpsychologische Argumentation lässt sich auch nicht auf alle mittelalterlichen Erzählungen gleichermaßen produktiv anwenden. Philipowski argumentiert, anders als Fuchs-Jolie, anti-psychologisch. Figuren, so meint sie, würden immer nur einem »Profil entsprechend«105 handeln – nicht nur bezüglich ihrer Reaktionen auf Träume. Das Verhalten von Figuren leite sich aus der »erzählte[n] Handlung«106 ab und nicht aus einer »emotionalen oder psychischen«107 Dimension. Was daraus hervorgehe, sei »höfische Stilisierung und Idealisierung«108 literarischer Figuren und ihres Verhaltens. Philipowskis Profil-Begriff bleibt allerdings vage, offenkundig geht es in Richtung einer Motivierung von hinten, im Gegensatz zu Fuchs-Jolie, der für Figuren im Prosa-Lancelot offenbar Motivierung von vorn annimmt. Behauptet wird anscheinend die Dominanz der Handlung in Bezug auf ihr Resultat, die das Figurenverhalten determiniere – und dies ist wohl auch für die Ebene der Bedeutungsproduktion relevant. Allerdings fiele bereits die Kriemhild-Figur aus einem solchen Profil-Konzept heraus, weil sie sich, wie etwa Barbara Haupt feststellt, als Reaktion auf ihren Falkentraum »(zunächst) der höfischen Rolle der Frau als Minnedame sowie dem höfischen Minnekonzept von ›liebe und leit‹« und damit ihrem handlungskonformen Profil verweigert.109 Ähnliches würde für 102 103 104 105 106

Fuchs-Jolie, Bedeutungssuggestion, S. 325. Ebd. Ebd., S. 323. Philipowski, Drachentraum, S. 266. Ebd., S. 272. Ähnlich argumentiert schon Jan-Dirk Müller, der mit Blick auf das Nibelungenlied meint, dass »Reaktionen, die wir Affekten zuschreiben würden, […] Funktionen der Handlungskonstellationen [sind], innerhalb derer sich die Figuren bewegen, und was man als deren Charakter herausgearbeitet hat, ist nichts als eine nachträgliche Bündelung jener Funktionen.« Zwar seien »[p]sychische Antriebe […] durchaus zu erkennen […]«, doch diese »gründen nicht in dem Kern eines Selbst, sondern sind Konstellationen und Ordnungen, in denen die jeweilige Figur steht.« Müller, Jan-Dirk: Spielregeln des Untergangs. Die Welt des Nibelungenliedes. Tübingen 1998, S. 204. 107 Ebd., S. 272. 108 Ebd., S. 261. 109 Haupt, Träume der Frauen, S. 170.

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Helche (Rabenschlacht) gelten, die sich aufgrund ihres Drachentraums vorerst gegen die Reise ihrer Kinder ausspricht. Eine Bewegung gegen die Handlungsrichtung – und mag sie nur kurzzeitig sein – lässt sich nicht mit Profil-Konzepten erklären. Philipowskis Profil-Konzept, wenn man es als Hinweis auf eine Motivierung von hinten versteht, ist zwar nicht in jedem Falle abwegig, aber in seinem Absolutheitsanspruch nicht haltbar und auch insgesamt zu einseitig, um Figurenreaktion infolge von Träumen und Handlungsprogression für alle erzählenden Dichtungen des Mittelalters zu erklären. Speckenbach: Traumsymbolik und Bedeutungsproduktion Mit einem weiteren Teilbereich der Erzählweise von Träumen beschäftigt sich Speckenbach. Er setzt sich mit dem Feld der »Deutungsintention der jeweiligen Traumsprache«110 auseinander, mit der Frage nach der Bedeutungsproduktion von Traumerzählungen. Literarische Träume würden »mit einer bestimmten literarischen Absicht erfunden«111. Dabei böten »Zahlen-, Orts- oder Namensangaben […] oftmals den Ansatz bei der Enträtselung einer Traumallegorie«, ebenso »Wappenzeichen«, die Parallelanordnung der Ereignisse,112 sich aufeinander beziehende Träume,113 »bildhaftes Sprechen«114 sowie Metaphern.115 Zudem sei bei »der Deutung […] abgesehen von der Berücksichtigung des Kontextes stets die Intention der ganzen Dichtung zu beachten.«116 Probleme ergäben sich bezüglich der moralischen oder religiösen Wertung der Träume, das gelte insbesondere bei der Ambivalenz von Symbolen. Speckenbach führt hier das Drachenbild aus dem Herzeloyde-Traum als Beispiel an.117 Traumtheorien böten »keine geeigneten Ansätze zur Interpretation dichterischer Träume«118, auch der Relevanz von Traumbüchern steht Speckenbach skeptisch gegenüber, verweist hier auf deren späte volkssprachige Übersetzung.119 Speckenbach nennt wesentliche Möglichkeiten des methodischen Zugriffs auf die Bedeutungsebene von Traumerzählungen über Symbolik. Sehr wichtig erscheint dabei vor allem seine Forderung nach der Beachtung der Intention einer Dichtung als Ganzes. Denn eine Traumerzählung ist immer in einen bestimmten Kontext eingebunden, den man nicht ignorieren kann. Welche Bedeutung gat110 111 112 113 114 115 116 117 118 119

Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 421. Ebd. Ebd., S. 428. Ebd. Ebd., S. 431. Ebd., S. 432. Ebd., S. 434. Ebd., S. 428f. Ebd., S. 442. Ebd., S. 439–440.

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tungsspezifische Aspekte hierbei spielen, wird allerdings nicht diskutiert. Auch geht Speckenbach über die allegorische Lesart nicht hinaus.120 Andere Ebenen, die mit der Erzählweise zusammenhängen, spielen in seinen Überlegungen zur Bedeutungsproduktion keine wesentliche Rolle. Gegen Speckenbachs Traumbuchskepsis lässt sich außerdem einwenden, dass frühe lateinische und altenglische Übersetzungen von Traumbüchern in der Forschung nachgewiesen wurden.121 Im Anschluss daran meint Haag, dass »eine gewollte Vertextung in deutscher Literatur möglich ist, da ja hierfür insoweit kein volkssprachlicher Bezugstext der ›Somniale Danielis‹-Tradition vorausgesetzt werden

120 Das wird ihm insbesondere von Bachorski, Träume, S. 30, vorgeworfen. Mit dem Aspekt symbolischer Verschlüsselung der Träume setzen sich für die Antike auseinander : Alt, Schlaf der Vernunft, S. 21, 29, 42–44, 53. Engelhardt, Traum im Wandel, S. 7ff. Hopfner, T.: »Traumdeutung«, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Band 6. Stuttgart 1937, S. 2233–2245, hier: S. 2242. Ricklin, Traum in der Philosophie, S. 214, 222ff. Wittmer-Busch, Schlaf und Traum, S. 101, 135, 141. Weber, Georg: Kaiser, Träume und Visionen in Prinzipat und Spätantike. Stuttgart 2000, S. 40. Für das Früh- und Hochmittelalter finden sich hier folgende Studien: Träume im Mittelalter. Ikonologische Studien. Hrsg. v. Bagliani, Agostino Paravicini/Stabile, Giorgio. Stuttgart 1989, S. 8ff. Haag, Traum und Traumdeutung, S. 49. Speckenbach, Kontexte, S. 299 und 302. 121 Lauer, Traum, LexMA, Bd. 8, S. 962–964, hier : S. 962, hat herausgearbeitet, dass mit dem ›Liber Thesauri occulti‹ des Pascalis Romanus bereits um 1165 Teile von Artemidors Oneirocritica in lateinischer Übersetzung vorlagen. Vgl. dazu auch Speckenbach, Klaus: »Traumbücher«, in: Enzyklopädie Medizingeschichte. Hrsg. von Wener E. Grabek. Berlin 2005, S. 1411–1415, hier: S. 1412. Und Oberhelmann stellt fest, dass um 1176 eine lateinische Übersetzung des Oneirocriticon von Achmet ibn Sirin durch Leo Tuscus vorlag. Oberhelmann, Steven M.: Dreambooks in Byzantium. Six Oneirocritica in Translation, with Commentary and Introduction. Aldershot 2008, S. 23. Oliver Duntze verweist zudem darauf, dass das Somniale Danielis in lateinischer Fassung »seit dem 9. Jahrhundert belegt« ist. Duntze, Oliver : Ein Verleger sucht sein Publikum. Die Strassburger Offizin des Matthias Hupfuff 1497/98–1520. München 2007, S. 130. Speckenbach/Palmer selbst verweisen auf eine altenglische Version des Traumbuchs aus dem 11. Jh. Vgl. Palmer, Nigel F./Speckenbach, Klaus: Träume und Kräuter. Studien zur Petroneller »Circa instans«-Handschrift und zu den deutschen Traumbüchern des Mittelalters. Köln 1990, S. 128f. So auch Brackertz, in: Die Volks-Traumbücher des byzantinischen Mittelalters. Übersetzt und herausgegeben von Karl Brackertz. München 1993, S. 215. Vgl. dazu auch Kruger, Dreaming, S. 10. Vielleicht kann auch das ausdrückliche Verbot der Verwendung des Somniale Danielis durch das Decretum Gratiani (um 1140) als Hinweis darauf verstanden werden, dass dieses Traumbuch im lateinischen Mittelalter nicht gänzlich unbekannt war : Qui … per Pitagoricam nigromantiam egrotantium uitam uel mortem, uel prospera uel aduersa futura inquirunt, siue qui adtendunt somnialia scripta, etfalso in Danielis nomine intitulata, et sortes, que dicuntur sanctorum Apostolorum, et auguria auium … sciant, se fidem Christianam et baptismum prevaricasse, et paganum, et apostatam, id est retro abeuntem et Dei inimicum, iram Dei grauiter in eternum incurrisse, nisi ecclesiastica penitencia emendatus Deo reconcilietur. Zitiert nach Gratian. Decretum. Kritische Ausgabe von Emil Friedberg. Leipzig 1879–1881 (= Corpus iuris canonici, 1). Repr. Graz 1959. Teil 2, Frage 7, Kapitel 16. Vgl. zu dem Verbot Kruger, Dreaming, S. 13. Slenczka, Träume zwischen Gott und Teufel, S. 137.

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muss, als Latein verstanden und der Inhalt lateinischer Schriften weitervermittelt wurde.«122

Horst weist zudem darauf hin, dass »die Symbole sich auch auf mündlichem Wege verbreiten konnten.«123 Traumbücher sollten daher als Möglichkeit des methodischen Zugriffs nicht ausgeschlossen werden. Ebenso wenig traumtheoretische Schriften. So diskutiert Haag hier, wie bereits erwähnt, eine Vielfalt an Einflüssen auf die Gestaltung literarischer Träume.124 Klinger: Systematische Betrachtung verschiedener Ebenen der Erzählweise Klinger schließlich geht systematischer an die Erzählweise heran und bringt verschiedene Möglichkeiten des methodischen Zugriffs in eine Zusammenschau. Träume, so führt sie aus, stünden in einem Verhältnis zu drei Ebenen: Erstens würden sie »das Verhalten der Subjekte«125 und zweitens »Handlungsabläufe motivieren«126, die »Motivationsstrukturen im Roman [generieren], indem sie Steuerungsfunktionen übernehmen«127 und »entscheidende Wendungen motivieren […]«128, sie seien in diesem Sinne relevant für den »Fortgang der erzählten Handlung«129. Und drittens leiste der Traum einen wesentlichen Beitrag zur »Bedeutungsproduktion«130 einer Erzählung. Das sind wesentliche Kategorien, die sich auf die Erzählweise beziehen. Der Zusammenhang der Ebenen aber bleibt vage, was freilich dem eingeschränkten Rahmen der Textsorte Aufsatz geschuldet ist. So wäre hier weiter zu fragen, wo die Grenze zwischen dem Subjektverhalten und dem Fortschreiten der Handlung zu ziehen ist, ob das eine das andere immer bedingt, ob eine Ebene über die andere dominiert oder ob man auch von einer Unabhängigkeit der Ebenen sprechen kann. Zu präzisieren wäre hier auch der Motivierungsbegriff, den Klinger nicht näher definiert.131 Darüber hinaus ist auch nach der Bedeutung von Motivierungslücken zu fragen. Auch ist über Klinger Ansatz hinausgehend zu überlegen, wie die Bedeutungsproduktion, die jenseits der objektiven Ordnung der fiktiven Welt ansetzt, hier einzuordnen ist. Die Bedeutung von Traumtheorien 122 Haag, Traum und Traumdeutung, S. 44. 123 Horst, Simone: Merlin und die völva. Weissagungen im Altnordischen. München 2010, S. 84. 124 Haag, Traum und Traumdeutung, S. 46ff. 125 Klinger, Poetik der Träume, S. 211. 126 Ebd. 127 Ebd., S. 233. 128 Ebd., S. 211. 129 Ebd. 130 Ebd., S. 212. 131 Vgl. zum Motivierungsbegriff Jannidis, Fotis: Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie. Berlin/New York 2004, S. 221ff.

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oder -vorstellungen für die Erzählweise wird nur am Rande erwähnt.132 Das ist freilich auch ein weiteres sehr komplexes Feld. Die Betrachtung bezieht sich zudem, wie bei Fuchs-Jolie, auf den Prosa-Lancelot. Auch hier ist noch weiter nach gattungsübergreifenden Perspektiven zu fragen.

132 Vgl. Klinger, Poetik der Träume, S. 220–221.

IV.

Methodik

Diese Arbeit möchte über die Betrachtung von Teilbereichen der Erzählweise literarischer Träume hinausgehen und eine breitere Perspektive auf dieses Feld eröffnen. Daher sollen hier wesentliche methodische Zugänge zur Erzählweise in einen Zusammenhang gebracht, ein Gerüst basaler Kriterien zur systematischen Erfassung der Erzählweise literarischer Träume entwickelt werden, das die verschiedenen oben skizzierten Zugänge berücksichtigt und stärker ausdifferenziert. Damit sollen Erzählmuster präziser beschreibbar gemacht werden. Die Kriterien zur Analyse der Erzählweise werde ich im Folgenden vorstellen, es sind 1. figurenlogische Orientierung, 2. Progressionsorientierung und 3. Aussageorientierung.

IV.1 Figurenlogische Orientierung Der Begriff figurenlogische Orientierung lässt sich über die Motivierung von vorn133 beschreiben. Eine Figurenreaktion ist dann figurenlogisch orientiert, wenn sie »in einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang« eingebettet wird134, d. h. aus der »kausale[n] Sinnstruktur« einer Erzählung genetisch hervorgeht135, sich »empirisch-kausal«136 erklären lässt, also begründet wird oder zumindest zu 133 Vgl. Jannidis, Figur, S. 223. Jannidis bezieht sich hinsichtlich der Terminologien Motivierung von vorn/hinten auf Lugowski, Clemens: Die Form der Individualität im Roman. Frankfurt a.M. [1932] 1994, S. 13ff. Die Motivierung gewinnt für diese Studie, wie sich auch im Folgenden zeigen wird, besonderes Gewicht, weil sie eine entscheidende systematisierende Kategorie ist. So können Sinnzusammenhänge über Motivierungsebenen aufgeschlüsselt werden. Der Traum kann als kompositorisch motiviertes Konstruktionsmoment fungieren. Das muss natürlich nicht immer zutreffen. Dennoch kann diese Kategorie für die Auseinandersetzung mit der Erzählweise sehr aufschlussreich sein. 134 Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. 8. Auflage. München 2009, S. 111. 135 Jannidis, Figur, S. 223. 136 Martinez/Scheffel, Erzähltheorie, S. 111.

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Methodik

erwarten ist. Das geschieht etwa dann, wenn der Text schon früh oder aber auch erst kurz zuvor Informationen vorbereitet, die dann später Figurenreaktionen kausal(-psychologisch) nachvollziehbar machen. Dass etwa die Hunnenkönigen Helche (Rabenschlacht) auf den Reisewunsch ihrer Kinder mit Angst reagiert und zunächst versucht, sie von ihrem Vorhaben abzuhalten, wird durch ihren Alptraum, der den Tod der Kinder vorhersagt, figurenlogisch motiviert: Sie will verhindern, was der Traum ankündigt, weil sie ihre Kinder nicht verlieren will. Allerdings muss die Motivierung einer Handlung oder Reaktion auch nicht immer »explizit ausgesprochen«137 werden, da, im Sinne der folk psychology138, davon ausgegangen werden kann, dass diese mitunter ganz selbstverständlich »von Leser[n] ergänzt [wird]«139. Dass Helche auf einen Alptraum mit Angst 137 Ebd., S. 112. 138 Folk psychology (Alltagspsychologie) bezeichnet nach Jannidis, Figur, S. 193, das Phänomen, dass »Menschen im Alltag anderen Menschen psychische Zustände zuschreiben, daß sie menschliches Verhalten mit Bezug auf psychische Zustände erklären und auch Vorhersagen machen, bei denen sie sich auf Annahmen über psychische Zustände verlassen.« Demnach gibt es »verschiedene Typen von Menschen«, die neben »kurzfristigen inneren Zuständen […] über langfristigere Merkmale [verfügen].« Genauso schreiben wir auch literarischen Figuren Eigenschaften oder psychische Zustände zu (S. 193 und 253.) Zwar haben literarische Figuren keine Psyche und kein Unterbewusstsein, weil sie etwas künstlich Gemachtes sind. So definiert sie Margolin als »nonactual individuals«. Margolin, Uri: Individuals in Narrative Worlds: An Ontological Perspective, in: Poetics Today 11. (1990), S. 844. Meyer bezeichnet sie als »Gebilde rein aus Worten«. Meyer, Matthias: Blicke ins Innere. Form und Funktion der Darstellung des Selbst literarischer Charaktere in epischen Texten des 12. und 13. Jahrhunderts. Masch. Berlin 2004, S. 33. Jannidis, S. 170, bezeichnet sie ähnlich als »sprachlich erzeugte […] Gebilde«. Sie sind außerdem fragmentarisch. Vgl. Meyer, S. 43, Philipowski, Drachentraum, S. 264. Sie bestehen also, so Jannidis, Figur, S. 156, nur »aus den Merkmalen, die [ihnen] vom Text direkt oder indirekt zugeschrieben werden«. Doch bestehen, wie Meyer, S. 56, plausibel darlegt, auch »prinzipielle[…] Ähnlichkeiten zwischen literarischen und lebensweltlichen Charakteren […]«, etwa über die mimetische Komponente. So setze »eine Beschäftigung mit literarischen Charakteren eine Vorstellung vom Funktionieren realer Charaktere sowohl beim Autor als auch beim Publikum voraus […]«. Wir nehmen literarische Figuren im Rahmen lektürebedingter Illusionsbildung als reale Menschen wahr. Vgl. zur Diskussion über die lektürebedingte Illusionsbildung allgemein Martinez/Scheffel, Erzähltheorie, S. 21. So auch Schulz, Erzähltheorie, S. 8: »Literarische Figuren erwecken ganz selbstverständlich den Anschein, reale Menschen zu sein. Was uns die Texte nicht über sie erzählen, vor allem über ihr Innenleben, ergänzen wir spontan aus unserem eigenen Erfahrungsschatz, aus unseren eigenen Gefühlen und Gedanken, wenn wir uns vorstellen in der gleichen Situation zu sein.« Uns werden »Ensembles von Zeichen [vorgestellt], aus denen unsere Einbilungskraft die Vorstellung von Menschen erzeugt.« Ebd., S. 11. Literarische Figuren haben somit zwar keine reale Psyche, können aber eine repräsentierte Psyche haben, repräsentierte Ängste, ein repräsentiertes Unterbewusstsein. Zwar dürfe man dabei, so Lienert, »[p]sychologische Plausibilität […] bei mittelalterlichen Personenkonzeptionen nicht erwarten.« Dennoch werde sie immer wieder versucht, wie Lienert etwa am Beispiel der Rabenschlacht nachzuweisen versucht. Lienert, Elisabeth: Die ›historische‹ Dietrichepik. Untersuchungen zu ›Dietrichs Flucht‹, ›Rabenschlacht‹ und ›Alpharts Tod‹. Berlin/New York 2010, S. 148. 139 Jannidis, Figur, S. 226.

Progressionsorientierung

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reagiert, ist auch ohne weitere Informationsvergabe nachvollziehbar, weil Menschen auf Alpträume generell mit Angst reagieren. Der Traum kann somit, aus figurenlogisch orientierter Perspektive betrachtet, ein Element sein, dass eine Figur zu einer kausal nachvollziehbaren (psychologischen) Reaktion motiviert.140

IV.2 Progressionsorientierung Der Begriff Progressionsorientierung setzt auf der Ebene der Handlung an. Progressionsorientierung schließt damit figurenlogische Orientierung nicht grundsätzlich aus, weil auch figurenlogisch orientierte Reaktionen Handlungsprogression erzeugen können.141 Figurenlogische Orientierung geht aber nicht immer mit einer Handlungsprogression einher. So kann eine Figur auf einen Unheil verkündenden Traum figurenlogisch nachvollziehbar reagieren, mit Angst, Tränen und Warnungen etwa. Doch muss der Traum deshalb nicht unbedingt eine progressive Funktion bezüglich des weiteren Handlungsverlaufs der Erzählung erfüllen. Progressionsorientierung muss nicht immer mit figurenlogischer Orientierung einhergehen, d. h. eine Figur kann auch einer von hinten motivierten Handlungsprogression folgen, etwa dann, wenn sie »ohne Begründung, vielleicht gegen alle sonstigen Erwartungen, die man aufgrund des Textes bilden konnte, Handlungen ausführt, die wiederum wichtig sind für den 140 Ich orientiere mich bei der Beschreibung des Figurenverhaltens, der Figurenreaktionen und -handlungen an dem Begriff der folk psychology. Die Emotionsforschung bietet zwar auch Erklärungsmodelle für Figurenverhalten, öffnet aber ein weiteres eigenes Feld der Auseinandersetzung mit diesem Aspekt, das hier nur am Rande berücksichtigt werden kann. Die Forschungslage hierzu ist inzwischen sehr breit, die Diskussion kompliziert. Einen Überblick zu dieser Thematik gibt Eming, Jutta: Emotionen als Gegenstand mediävistischer Literaturwissenschaft. In: Journal of Literary Theory 1 (2007), S. 251–273. 141 Das Verhältnis zwischen Figur und Handlung wird seit der Antike diskutiert. Jannidis, Figur, S. 221, stellt dazu fest: »Die Diskussion über das Verhältnis von Figur und Handlung hat sich wiederholt auf die Frage konzentriert, welcher Aspekt den anderen determiniere. Auf der Seite derjenigen, die der Handlung die dominierende Funktion zusprachen, konnte man sich immerhin auf Aristoteles berufen, den Ahnherren der europäischen PoetikDiskussion.« Letztlich ist aber die Frage nach der Dominanz einer der beiden Kategorien schwer zu entscheiden, da Figur und Handlung in einem untrennbaren, interdependenten Verhältnis stehen: Ohne Figur keine Handlung und ohne Handlung keine Figur. Die Figur spielt eine zentrale Rolle bezüglich der Zustandsveränderungen und damit der Handlungsprogression. Handlungsfähigkeit ist ein zentrales Figurenmerkmal. So definiert z. B. Barthes sinnvollerweise den »Protagonisten durch seine Partizipation an einer Sphäre von Handlungen«. Barthes, Roland: Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen. In: R.B. Das semiologische Abenteuer. Frankfurt am Main [1966] 1988, S. 102–143, hier : S. 123.

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Methodik

gesamten Handlungsnexus.«142 Die Figur handelt so, weil dies notwendig ist für die Handlungsprogression. Ihr Handeln kann, muss dabei aber nicht unbedingt empirisch-kausal nachvollziehbar sein.143 Auch bei der final motivierten Handlungsprogression verhält sich die Figur nach diesem Muster : Hierbei folgt sie einem »Konzept wie ›Vorsehung‹ oder ›Providenz‹«144, denn die »Handlung final motivierter Texte findet vor dem mythischen Sinnhorizont einer Welt statt, die von einer numinosen Instanz beherrscht wird. Der Handlungsverlauf ist hier von Beginn an festgelegt.«145 Die Figur verhält sich im Sinne dieser Festlegung.146 Daneben können aber auch Motivierungslücken eine handlungsprogressive Funktion erfüllen. Das wäre etwa dann der Fall, wenn z. B. ein Unheilstraum erzählt, aber später nie wieder erwähnt wird, wenn also einfach jeder Bezug zu diesem Traum aus der fiktiven Welt der Erzählung verschwindet und der Rezipient dabei auch nie erfährt, warum der Traum im Folgenden unerwähnt bleibt. Das heißt: Das Verschwinden des Traums wird weder handlungslogisch erklärt (etwa die Figuren vergaßen den Traum irgendwann), noch figurenlogisch-kausalpsychologisch (etwa die Figuren hatten eine Amnesie, weil… und deshalb vergaßen sie den Traum o. ä.). Der Traum verschwindet, weil ein solcher, produktionsästhetisch gesprochen, die Handlungsprogression stören würde. Ich gehe auf diesen Aspekt im Zusammenhang mit dem Nibelungenlied genauer ein.

IV.3 Aussageorientierung Die Aussageorientierung betrifft die Sinnebene der Erzählung, die Ebene also, auf der es um die Vermittlung einer Idee geht, um Bedeutungsproduktion. Im Unterschied zur figurenlogischen Orientierung oder zur Progressionsorientierung betrifft diese Ebene nicht mehr die objektive Ordnung der fiktiven Welt der Erzählung. Figuren, die aussagelogisch auf ihren Traum reagieren, fungieren hier als »Ideenträger«147. Eine Verbindung zu den Ebenen der figurenlogischen Orientierung und der Progressionsorientierung kann produktionsästhetisch zwar gegeben sein, da eine Figur durch eine figurenlogisch nachvollziehbare 142 Jannidis, Figur, S. 222–223. 143 Folk psychology wäre demnach bei reiner Handlungsorientierung eine Kategorie, die ins Leere laufen würde. 144 Jannidis, Figur, S. 223. 145 Martinez/Scheffel, Erzähltheorie, S. 111. 146 Schulz, Erzähltheorie, S. 297, hat diese Erzählweise sehr treffend formuliert: »Die (finale) Determination des Geschehens ›von hinten‹ dominiert über die (kausale) Motivation ›von vorn‹ […]. Der Prozeß ist irrelevant, allein das Ergebnis zählt.« 147 Jannidis, Figur, S. 229.

Aussageorientierung

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Handlung, die sich progressiv auf den weiteren Verlauf einer Erzählung auswirkt, Ideen vermitteln kann. Trotzdem wechselt hier die Betrachtungsebene, denn Sinn kann auch jenseits einer figurenlogischen Orientierung oder Progressionsorientierung produziert werden. So kann die Reaktion auf einen Traum figurenlogisch nachvollziehbar sein (z. B. Angst oder der Versuch ein durch Traumprophetie angekündigtes Unheil abzuwenden). Doch dass die Figur den Traum empfängt, hat keinerlei handlungsprogressive Bedeutung. Angekündigtes Unheil ereignet sich einfach, unabhängig davon, ob die Figur von diesem künftigen Unheil in Kenntnis gesetzt wird. Für die Figur selbst macht es also gar keinen Sinn, dass sie den Traum empfangen hat. Auf objektiver Ebene ist der Traum also völlig irrelevant, er ist weder figuren- noch handlungslogisch bedeutsam. Ein vollkommen auf die objektive Ordnung fixierter Leser müsste sich hier fragen, warum der Traum überhaupt erzählt wird – und er würde darauf keine Antwort finden. Erst auf der Bedeutungsebene, jenseits der objektiven Ordnung der fiktiven Welt, lässt sich die Frage sinnvoll beantworten, warum der Traum empfangen und erzählt wird, etwa weil hier ein bestimmtes Weltbild, eine bestimmte Idee, eine Ideologie kommuniziert werden soll. Die Aussageorientierung betrifft damit auch nicht mehr nur die Figur als Ideenträger in ihrer Reaktion auf den Traum, sondern schon den Traum selbst: Denn dieser trägt bereits eine Idee, er ist ein aussageorientiertes Element, das, in die fiktive Welt der Erzählung einbrechend, eine Bedeutung, einen Sinn produziert. Beschreiben lässt sich die Ebene der Aussagelogik mit dem Begriff der kompositorisch-thematischen Motivierung148, hier werden die »Tatsachen der narrativen Welt […] allein durch ihre Funktion im intentionalen Zusammenhang des gesamten Werks motiviert«149. Somit wäre der Traum eine Tatsache in der narrativen Welt, seine Funktion intentional, denn sein Einbrechen in die fiktive Welt der Erzählung ist aus dieser Perspektive nur im Sinne der Bedeutungsproduktion motiviert. Während der Traum also auf der objektiven Ebene der Erzählung ein motivierendes Element sein kann, ein Motivator für Figurenreaktion und Handlungsprogression, wäre er auf der Sinnebene etwas aussagelogisch Motiviertes. Das heißt: Er wird nicht nur erzählt, damit Figuren darauf handlungsprogressiv oder einfach nur emotional reagieren, sondern auch, um Sinn zu produzieren.

148 Ebd., S. 225. 149 Ebd., S. 223.

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Methodik

Weitere Analysekriterien Zu den genannten treten weitere Analysekriterien, etwa Fragen nach der Bedeutung der Raumsemantik150 von Traumwelten, die auch aussageorientiert sein kann, der Rolle von Selbstkonzepten151 oder der Psychoanalyse152 für Figurenmotivierung. Auch die atmosphärische Orientierung literarischer Träume stellt ein weiteres wichtiges Kriterium der Analyse dar, weil dieses auch bedeutsam für die Aussageorientierung eines literarischen Traums sein kann. Die meisten dieser Kriterien lassen sich nicht sinnvoll auf alle Traumerzählungen anwenden und werden daher nur in Hinblick auf einzelne Texte berücksichtigt. Sie bilden daher auch keine eigenen Unterkapitel. Zumindest aber das Kriterium der atmosphärischen Orientierung ist für mehrere Traumerzählungen relevant und wird daher im Folgenden kurz gesondert systematisiert. *

Dass Träume Atmosphäre haben, wird wohl jeder bestätigen: Träume wirken auf uns, versetzen uns in Panik, in Angst und Schrecken, in Trauer oder in Freude. Diese emotionalen Reaktionen sind offenkundig auf Atmosphären zurückzuführen, die in Traumwelten vorherrschen. Und solche Atmosphären lassen sich auch mit fiktiven Traumerzählungen erzeugen. Um hier die Betrachtungsebene der atmosphärischen Orientierung für die Untersuchung fassbar zu machen, gilt es, den Begriff Atmosphäre über das vage allgemeinsprachliche Verständnis hinaus zu definieren.153 Ich beziehe mich in meinen Ausführungen im Folgenden v. a. auf Spinner, der zu den Wenigen gehört, die den Begriff Atmosphäre zum Gegenstand literaturtheoretischer Betrachtung154 gemacht haben.155 Ferner greife ich auf Über150 Hier orientiere ich mich allgemein an Martinez/Scheffel, Erzähltheorie. 151 Dieses Feld spielt in dieser Studie allein für Hartmanns Iwein eine Rolle. Hier orientiere ich mich vor allem an Meyer, Blicke ins Innere. 152 Die Psychoanalyse findet etwa bei Bachorski, Träume, Anwendung auf den Traum der Herzeloyde, allgemein zur Diskussion des Begriffs Eming, Jutta: Mediävistik und Psychoanalyse, in: Codierung von Emotionen im Mittelalter. Hrsg. von Stephan C. Jaeger/ Ingrid Kasten. Berlin/New York 2003, S. 31–44. 153 Auf das Problem, dass der Begriff Atmosphäre alltagssprachlich oftmals »diffus« erscheint, macht u. a. Spinner aufmerksam. Spinner, Kaspar: Atmosphäre als ästhetischer Begriff. In: Theorien der Literatur. Grundlagen und Perspektiven. Band V. Hrsg. von Günter Butzer / Hubert Zapf. Tübingen 2011, S. 201. Ähnlich meint auch Rauh: »Sicher ist es ein Grundproblem nicht nur im Bereich der Ästhetik, dass der Atmosphärebegriff andere Konnotationen und Denotationen erhält und in anderen Sprachspielen auftaucht.« Rauh, Andreas: Die besondere Atmosphäre. Ästhetische Feldforschungen. Bielefeld 2012, S. 14. 154 Spinner, Atmosphäre, S. 201, verweist darauf, dass man diesen Begriff in der Literaturwissenschaft so gut wie gar nicht vorfindet. So ist auch die atmosphärische Orientierung

Aussageorientierung

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legungen Böhme zurück, dessen grundlegenden philosophisch-ästhetischen Studien zum Atmosphäre-Begriff sich, wie Spinner zeigt, auch auf literarische Texte anwenden lassen. Die Überlegungen, die ich im Weiteren skizzieren werde, versuche ich dann auf den literarischen Traum zu übertragen. Spinner definiert Atmosphäre als etwas körperlich Spürbares,156 als etwas, das uns »unsichtbar«157 umgibt. In diesem Sinne meint Spinner, dass Atmosphäre »an die Kategorie des Raumes gebunden [ist]«158, dass sie den Raum erfülle.159 Der Raum ist damit offenkundig für die Analyse atmosphärischer Orientierung wesentlich. Der literarische Traum bildet in der Regel eine Traumwelt ab und damit auch einen Raum. Die Umwelt, die den Raum der Traumwelt ausfüllt, kann über ihre Gestaltung Atmosphäre schaffen. Um die atmosphärische Ori-

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von Träumen bisher nie systematisch untersucht worden. Neben Spinner beschäftigt sich mit diesem Begriff allgemein Theilen, diskutiert ihn aber nur am Rande. Theilen, Ines: White Hum – literarische Synästhesie in der zeitgenössischen Literatur. Berlin 2008. Studien zum Begriff der Atmosphäre finden sich v. a. in der Philosophie und Ästhetik. Die grundlegenden Arbeiten stammen dabei von Gernot Böhme. Zu nennen sind hier u. a. Böhme, Gernot: Anmutungen. Über das Atmosphärische. Osterfildern vor Stuttgart 1998. Ders.: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre. München 2001. Ders.: Atmosphäre als Grundbegriff einer neuen Ästhetik. In: Einfühlung und phänomenologische Reduktion. Grundlagentexte zu Architektur, Design und Kunst. Reihe Ästhetik und Kulturphilosophie. Hrsg. von Thomas Friedrich/Jörg H. Gleiter. Band 5. 2007, S. 287–310. Ders.: Für eine ökologische Naturästhetik. Frankfurt am Main 1989, S. 152. In diesem Zusammenhang wird der Begriff auch in der Architektur diskutiert, etwa von Hofmann, Susanne: Atmosphäre als Entwurfsstrategie. Berlin 2013. Aber auch die Kunstpädagogik beschäftigt sich mit diesem Begriff, so etwa Rauh, Die besondere Atmosphäre. Obgleich die Studien aus verschiedenen Disziplinen stammen, können sie natürlich, wie sich v. a. an den Überlegungen Böhmes zeigt, auch der literaturwissenschaftlichen Diskussion über Atmosphäre wichtige Impulse geben. Spinner diskutiert den Begriff an Beispielen aus Goethes Werken. Er bezieht sich hierbei auf die verschiedenen literarischen Gattungen, auf die Lyrik (Wanderers Nachtlied), die Dramatik (Faust) und die Epik (Die Leiden des jungen Werthers). Da atmosphärische Orientierung nicht an eine bestimmte literarische Epoche gebunden ist, lassen sich diese Überlegungen auch auf mittelalterliche Texte anwenden. Vgl. Spinner, Atmosphäre, S. 210. Er spricht in diesem Zusammenhang auch von »Leiblichkeit« (S. 203.) Das Spürbare der Atmosphäre betont schon Benjamin, Walter : Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1.2, Frankfurt a. M. 1974, S. 440. Benjamin spricht hier von »Aura«. Böhme beschreibt Atmosphäre in diesem Sinne als etwas Subjekthaftes. Atmosphären »gehören zu Subjekten, insofern sie in leiblicher Anwesenheit durch Menschen gespürt werden und dieses Spüren zugleich ein leibliches Sich-Befinden der Subjekte im Raum ist.« Böhme, Atmosphäre als Grundbegriff, S. 298. Spinner, Atmosphäre, S. 203–204. Ebd., S. 203. Spinner, S. 208, spricht auch von »Raumatmosphäre«. Ebd., S. 203. So meint Spinner auch: »Ohne Raum […] kann es kein Atmosphäre geben.« (Ebd.) Ähnlich argumentiert auch Böhme, Atmosphäre als Grundbergriff, S. 288, Atmosphäre sei etwas, das »gewissermaßen nebelhaft den Raum mit einem Gefühlston« erfülle. Hofmann, Atmosphäre als Entwurfsstrategie, S. 43, bezeichnet Atmosphäre als »ein Wesenselement des Raumes«.

46

Methodik

entierung einer Traumerzählung greifbar zu machen, wäre also zu untersuchen, wie der Raum gestaltet ist, was ihn füllt, ob z. B. eine Landschaft abgebildet wird und wie diese gestaltet ist, ob es Natur gibt, Naturphänomene, Naturkatastrophen oder auch Geräusche wie Donner oder Sturm. Des Weiteren führt Spinner im Anschluss an Böhme aus, dass ein »korresponsives Verhältnis von Umwelt und Subjekt«160 bestehe. Der Raum strahlt offenkundig eine atmosphärische Wirkung auf das Subjekt aus. Die Atmosphäre wird vom Subjekt erfahren, wird von ihm gefühlt, sinnlich wahrgenommen,161 und es reagiert auf die Erfahrung mit Stimmung, die Böhme als den »subjektive[n] Pol der Atmosphäre«162 bezeichnet, d. h. die subjektive Stimmung hängt mit der Raumatmosphäre zusammen.163 Böhme beschreibt Atmosphären in diesem Sinne auch als »ergreifende Gefühlsmächte, räumliche Träger von Stimmungen«, sie seien »Mächte, die erregend in die menschliche Leiblichkeit eingreifen«164, sie seien das, »was in leiblicher Anwesenheit bei Menschen und Dingen bzw. in Räumen erfahren wird.«165 Das Subjekt, d. h. in unserem Falle der Traumempfänger, kann selbst Teil des Raumes der Traumwelt sein oder auch nur in einer Zuschauerperspektive verharren. Der Traumempfänger nimmt die Umwelt wahr. Aber abgesehen von der Umwelt, und hier ist Spinner zu ergänzen, füllen den Raum auch Objekte, etwa Menschen, Tiere, Fabelwesen, Gegenstände. Das Subjekt kann auf diese ebenfalls mit Stimmung reagieren, oder auch umgekehrt können Objekte auf das Subjekt reagieren. Aus der Reaktion, aus Handlungen oder Emotionen des Subjekts während eines Traums oder auch im Anschluss an einen Traum oder im Zusammenhang mit einer Traumerzählung durch das Subjekt – in diesem Falle wären auch die fiktionsinternen Zuhörer zu beachten –, lässt sich direkt oder indirekt eine Stimmung ableiten, die fiktionsintern auf die Atmosphäre der Traumwelt schließen lässt. Atmosphäre existiert innerhalb erzählter Welten, sie kann auf literarische Figuren wirken, doch auch auf den Rezipienten einer Erzählung. Sie entstehe, so 160 Ebd., S. 207. Vgl. auch Böhme, Anmutungen, S. 8. Böhme, Atmosphäre als Grundbegriff, S. 288, spricht zudem von einem »eigentümlichen Zwischenstatus von Atmosphären zwischen Subjekt und Objekt«. Und: »Die Atmosphäre ist die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen. Sie ist die Wirklichkeit des Wahrgenommenen als Sphäre seiner Anwesenheit und die Wirklichkeit des Wahrnehmenden, insofern er, die Atmosphäre spürend, in bestimmter Weise leiblich anwesend ist.« (S. 298.) 161 Ebd., S. 214. 162 Böhme, Aisthetik, S. 46. 163 Spinner, Atmosphäre, S. 208. Spinner macht in diesem Zusammenhang auch darauf aufmerksam, dass der Begriff Stimmung dem der Atmosphäre durchaus nahesteht. Doch Stimmung sei letztlich stärker »subjektbezogen« (S. 205). 164 Böhme, Atmosphäre als Grundbegriff, S. 294. 165 Ebd., S. 295.

Aussageorientierung

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Spinner, zwischen den Wörtern.166 Sie evoziere eine »existentielle menschliche Erfahrung«.167 Dadurch könne sich der Rezipient in die »Subjektposition […] hineinversetzen.«168 Ähnlich meint Theilen, dass der Rezipient »in eine Stimmung mit dieser evozierten Atmosphäre mitschwingenden Stimmung [einer Erzählung] geraten«169 könne. Der literarische Traum wirkt sich in diesem Sinne nicht nur fiktionsintern atmosphärisch auf Figuren aus, sondern kann auch fiktionsextern auf den Rezipienten wirken. Atmosphäre schaffen ist sicherlich auch ein wesentliches Ziel des Erzählens. Generell mag jeder Mensch auf literarisch erzeugte Atmosphäre individuell anders reagieren. Aber aus der jeweiligen Traumerzählung lässt sich m. E. auch schließen, welche atmosphärische Wirkung jeweils intendiert ist. Für die atmosphärische Orientierung literarischer Träume erscheint mir außerdem auch die Stimme bedeutsam zu sein, d. h. ob der Traum von einem heterodiegetischen170 oder einem intradiegetischen Erzähler erzählt wird, ob der Rezipient direkt am Traumerlebnis teilhat oder ob der Traum nachträglich durch eine Figur erzählt wird und damit die Wirkung in ihrer Unmittelbarkeit verloren geht. Dann gibt es aber auch die Möglichkeit atmosphärischer Affizierung einer Figur durch den Traum, die durch die Figur besonders intensiv vermittelt wird.

166 Spinner, Atmosphäre, S. 203. Theilen, White Hum, S. 58, meint, Atmosphären könnten »von Texten erzeugt werden […].« Böhme spricht auch von der Gegenwärtigkeit der Atmosphäre im Kunstwerk. Böhme, Naturästhetik, S. 152. Böhme, Atmosphäre als Grundbegriff, S. 298, ist zudem der Auffassung, »daß es dem Künstler genaugenommen nicht darum geht, einem Ding, sei es einem Marmorblock oder einer Leinwand, bestimmte Eigenschaften zu geben – soundso geformt und farbig zu sein –, sondern es in bestimmter Weise aus sich heraustreten zu lassen und dadurch die Anwesenheit von etwas spürbar werden zu lassen.« 167 Spinner, Atmosphäre, S. 205. 168 Ebd. 169 Theilen, White Hum, S. 213. Spinner, Atmosphäre, S. 209, meint: »Oft bleibt als intensive Lektüreerinnerung ein atmosphärischer Eindruck, der auch dann Bestand hat, wenn Einzelheiten der Handlung nicht mehr erinnert werden.« 170 Hinsichtlich dieser Terminologie folge ich Genette in Ergänzung von Schulz. Genette erklärt den heterodiegetischen Erzähler wie folgt: »[D]er Erzähler erzählt eine fremde Geschichte, an der er nicht teilhat und in der er also auch keine Figur als ›Ich‹ bezeichnet«. Genette, G¦rard: Die Erzählung. 2. Auflage. München 1998, S. 175–181. Dazu ergänzt Schulz, Erzähltheorie, S. 368, für mittelalterliches Erzählen in Anlehung an Genette: »In dieser Terminologie ist der Erzähler des höfischen Romans wie auch des Heldenepos ein heterodiegetischer Erzähler, der allerdings nicht unbedingt kategorisch außerhalb der dargestellten Welt steht (extradiegetisch), weil er für die Ereignisse seiner Erzählung grundsätzlich Relevanz für seine eigene Lebenswelt und diejenige seines Publikums behauptet: sei es als exemplarische Wahrheit, sei es als faktische. Mittelalterliche Texte verwischen also nicht nur die Grenze, die wir zwischen Erzähler und Autor setzen, sondern auch diejenige zwischen der Lebenswelt und der Welt der Erzählung.«

V.

Aufbau der einzelnen Kapitel

Die Kapitel mit den Einzelanalysen sind wie folgt strukturiert: Die Texte sind nach Gattungen geordnet und innerhalb dieser Ordnung weitestgehend chronologisch.171 Zunächst wird die Dichtung als Ganzes kurz vorgestellt, dabei gebe ich, zum besseren Textverständnis, einen knappen Überblick über die Handlung. Anschließend stelle ich die Traumerzählung vor, ordne sie in den Handlungskonnex ein und erläutere allgemein, worauf sie sich proleptisch oder analeptisch oder anderweitig bezieht, was aus ihr hervorgeht, auf welche Ereignisse sie folgt oder was auf sie folgt etc. Dann skizziere ich den Forschungsstand zu der jeweiligen Traumerzählung und leite daraus konkrete Fragen zur Erzählweise dieses literarischen Traums ab, die dann den folgenden Untersuchungsgang tragen werden. Anschließend werden Figurenreaktion(en) und/oder -handlung(en) sowie Handlungsprogression auf der Grundlage der oben entwickelten Methodik beschrieben, also Überlegungen zu den Ebenen der figurenlogischen Orientierung und der Progressionsorientierung angestellt und, sofern das möglich ist, werde ich versuchen zu zeigen, welche Traumvorstellung hier vermutlich literarisiert wurde und in welcher Relation sie zu den Ebenen der Figurenreaktion, der Handlungsprogression sowie der Ebene der Bedeutungsproduktion steht. Dann gehe ich expliziter auf die Ebene der Aussageorientierung ein, versuche zu zeigen, welchen Sinn die Traumerzählung produziert. Abschließend fasse ich die Ergebnisse der Untersuchung in einem kurzen Fazit zusammen, werde aber auch darüber hinaus, mit Blick auf strukturähnliche Traumerzählungen, gattungsübergreifende, gattungsspezifische und textspezifische Muster reflektieren. Weitere Analysekriterien können, wie bereits erwähnt, zum Tragen kommen.

171 Bei meinem Kapitel zu den Artusromanen (S. 148ff.) mache ich eine Ausnahme aus inhaltlichen Gründen. Iweins Traummonolog weicht vom traditionellen Muster prophetischer Träume ab, dem Traumtypus also, der diese Untersuchung beherrscht. Die Abweichung unterscheidet ihn auch noch vom Parzival, der m. E. auf halbem Weg zwischen heldenepischem Muster und Tagesrestträumen steht.

50

Aufbau der einzelnen Kapitel

*

Für das Feld der Traumtheorie und -vorstellung orientiere ich mich vor allem an den Ausführungen von Guntram Haag172, Maria Elisabeth Wittmer-Busch173 , Gregor Weber174 und Peter-Andr¦ Alt175. Bei der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Bedeutung von Symbolen, die sich in den meisten hier diskutierten Traumerzählungen finden und für die Ebene der Aussageorientierung eine gewichtige Rolle spielen, greife ich auf Traumbücher des byzantinischen Mittelalters zurück176, ergänzend dazu auf einschlägige Nachschlagewerke zur Symbolbedeutung, dabei in erster Linie auf Georg Scheibelreiter177 und Manfred Lurker178. Bei der Auseinandersetzung mit Symbolik ist dabei vor allem zu beachten, dass diese nicht nur eine Vielfalt an Bedeutungsdimensionen aufweist, sondern in der Regel auch ambivalent ist. Sie kann etwa auf positive wie negative Wesenszüge von Figuren verweisen, d. h. Symbole lassen sich kontextabhängig ad bonam oder ad malam partem auslegen. Wird beispielsweise in der Kreuz172 173 174 175

Haag, Traum und Traumdeutung. Wittmer-Busch, Schlaf und Traum. Weber, Kaiser, Träume und Visionen. Alt, Schlaf der Vernunft. Alt spart das Mittelalter in seiner Studien zu den Träumen aus, er liefert aber eine sehr kompakte Übersicht über die Traumtheorien der Antike. 176 Hier verwende ich die folgenden Ausgaben: Die Volks-Traumbücher des byzantinischen Mittelalters. Übersetzt und herausgegeben von Karl Brackertz. München 1993. Das Traumbuch des Achmet ben Sirin. Übersetzt und erläutert von Karl Brackertz. München 1986. Artemidorus von Daldis: Traumkunst. Übersetzt von Friedrich S. Krauss. Neu bearbeitet und mit Nachwort versehen von Gerhard Löwe. Einleitung von Fritz Jürß. Leipzig 1991. 177 Scheibelreiter, Georg: Tiernamen und Wappenwesen. Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung. Band XXIV. Wien/Köln/Graz 1976. 178 Lurker, Manfred: Adler und Schlange. Tiersymbolik im Glauben und Weltbild der Völker. Tübingen 1983. Außerdem greife ich zurück auf die folgenden Nachschlagewerke: Lexikon des Mittelalters. Hrsg. v. Bautier, Robert-Henri. München, Zürich 1983. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg. von Bächtold-Stäubli. De Gruyter 1930. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Hrsg. von Heinrich Beck u. a. Zweite, völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. Berlin, New York 2006. Biedermann, Hans: Knaurs Lexikon der Symbole. München 1989. Lexikon der Tiersymbolik. Mythologie, Religion, Psychologie. Hrsg. v. Bauer, Wolfgang. München 2003. Dittrich, Lothar und Siegried: Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14. – 17. Jahrhunderts. Petersberg 2004. Neues Lexikon christlicher Symbole. Innsbruck, Wien 1991. Lexikon der Symbole. Bilder und Zeichen der christlichen Kunst. 4. Auflage. Düsseldorf, Köln 1976. Sachwörterbuch der Mediävistik. Hrsg. von Dinzelbacher, Peter. Stuttgart 1992. Lexikon für Theologie und Kirche. Begründet von Buchberger, Michael. Hrsg. von Kasper, Walter u. a. Band 6. Dritte, völlig neu bearbeitete Auflage. Freiburg, Basel, Rom, Wien 1997. Wörterbuch der Symbole. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter hrsg. von Lurker, Manfred. Fünfte, durchgesehene und erweiterte Auflage. Stuttgart 1991.

Aufbau der einzelnen Kapitel

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zugsdichtung ein Löwe als Symbol auf einen Heiden bezogen, kann er eine ganz andere Bedeutung haben als wenn er auf einen Christen bezogen wird. Ist die Erzählung selbst auf Ambivalenz angelegt, dann kann es sein, dass sich die Symbolik in manchen Fällen nicht einfach nach einer Seite hin auflösen lässt, sondern auch ambivalent bleibt. Bei der Auseinandersetzung mit Symbolen ist also immer der Kontext der Erzählung zu beachten.

VI.

Analyseteil

VI.1 Antikenroman VI.1.1 Der Traum der Olympias im Alexanderroman des Pfaffen Lambrecht 1.

Der Text: Der Alexanderroman des Pfaffen Lambrecht

Der Alexanderroman179 des wohl aus Trier stammenden clericus Lambrecht wird der Gattung des Antikenromans zugeordnet.180 Es ist der älteste der deutschen Alexanderromane181. Seine Vorlagen waren die um 1100 vorliegende volkssprachige Alexanderdichtung des Alberic von PisanÅon sowie eine »wohl interpolierte Fassung der ›Historia de preliis‹ und Curtius Rufus.«182 Von dem Alexanderroman existieren zwei voneinander divergierende Fassungen, der Vorauer (um 1150/60) und der Straßburger Alexander (um 1185?).183 Der Vorauer Alexander erzählt von dem Leben und von den Taten Alexanders des Großen, von seiner Abstammung von Philipp von Makedonien und Olympias, von Alexanders Geburt, seinen Jugendtaten, seiner ritterlichen Ausbildung, von seinem erfolgreichen Ritt auf dem wilden Pferd Bucephalsus, was dem 15jährigen die künftige Herrschaft verheißt. Erzählt wird von den frühen Heldentaten Alexanders, von der Ablehnung persischer Zinsforderungen, dem ersten Perserkrieg, der Eroberung und Verwüstung Karthagos und anderer Städte, dem Angriff auf Tyrus, der Stadt des Perserkönigs Darius, schließlich von der Schlacht gegen Darius nach der Überquerung des Euphrat und von der Enthauptung des Perserkönigs durch Alexander. 179 Ich zitierte im Folgenden nach: Pfaffe Lambrecht: Alexanderroman. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Elisabeth Lienert. Stuttgart 2007. 180 Vgl. dazu allgemein Lienert, Elisabeth: Deutsche Antikenromane des Mittelalters. Berlin 2001, S. 33. 181 Ebd., S. 30. 182 Ebd. 183 Zur Datierung vgl. ebd.

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Analyseteil

Der Straßburger Alexander weist bis zur ersten Schlacht gegen die Perser narrativ keine wesentlichen Unterschiede zum Vorauer auf. Darius aber wird nicht von Alexander enthauptet und der Perserkrieg erfährt eine Fortsetzung. Zwischendurch kehrt Alexander aufgrund der Erkrankung seiner Mutter um und besiegt auf dem Heimweg in Arabien den Satrapen des Darius. Die Mutter gesundet beim Anblick des Sohnes. Alexander kehrt zurück nach Persien, besiegt unterwegs zahlreiche Städte des Darius und die Spartaner unter König Xerxes. Auf dem Weg zur persischen Hauptstadt begibt er sich aufgrund einer Traumerscheinung als sein eigener Bote an den Hof des Perserkönigs, wird erkannt, kann jedoch fliehen. Bei der Entscheidungsschlacht am Str–ge muss Darius sich geschlagen geben und fliehen. Er verbündet sich mit Porus von Indien, wird dann aber von seinen eigenen Leuten ermordet. Alexander bestraft die Mörder, heiratet Roxane, die Tochter des Darius, und übernimmt die Herrschaft in Persien. Dann dringt er nach Indien vor und schlägt Porus. Daran schließt sich Alexanders Orientreise bis ans Ende der Welt an, bis zum Paradies, wo ihm ein geheimnisvoller Stein übergeben wird, den ein Jude später im Sinne einer Vanitas-Botschaft auslegt. Nach zwölfjähriger Friedensherrschaft stirbt Alexander. Die erste Traumerzählung, die ich im Weiteren analysieren werde, findet sich nahezu identisch in beiden Fassungen, die zweite nur im Straßburger. Ich zitiere daher im Folgenden den Straßburger Alexander, auf den Vorauer beziehe ich mich nur vergleichend.184

2.

Der Traum der Olympias

Der erste Traum aus Lambrechts Alexanderroman ist der Traum der Olympias, der Mutter des künftigen Herrschers und Welteroberers. Erzählt wird von den Traumbildern in einem Zusammenhang mit Alexanders Erscheinungsbild, hier in Bezug auf die Verschiedenfarbigkeit seiner Augen. Der Traum steht am Anfang der Erzählung. Alexander ist noch nicht geboren, die Traumbilder erscheinen Olympias während ihrer Schwangerschaft: Ein ouge was ime [Alexander] weiden, get–n n–h einen trachen. Daz quam von den sachen: Dú in s„n m˜ter bestunt ze tragene, dú qu–me ir freisl„che bilide ingagene, daz was ein michil wunder.

184 Die Straßburger Fassung wird im Folgenden mit S abgekürzt, die Vorauer mit V.

Antikenroman

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Swarz was ime daz ander, n–h einem gr„fen get–n. (S 158–163).185

Die Königin träumt offenkundig von Drachen und Greifen, und das Erscheinungsbild des Helden bekommt infolge des Traums eine animalische Prägung.186 3.

Forschungsstand

Diskutiert wurde in der Forschung die Vorstellung, die dieser Traumerzählung zugrunde liegt: Die Mutter hat einen Alptraum, sieht wohl Drachen und Greifen. Die Traumbilder gehen in die Gestalt des ungeborenen Kindes über. Darin sieht die Forschung eine typische protonaturwissenschaftliche Erklärung für das Entstehen von Missbildung.187 Alexanders Erscheinungsbild wäre damit gebunden an die angstbesetzte Reaktion der Mutter auf die Traumbilder. Kontroversen herrschen bezüglich der Frage nach der Bedeutung des durch den Traum veränderten Erscheinungsbildes des Helden. Mackert sieht für den Alexander Lambrechts eine »Entsymbolisierung der tierähnlichen Züge«. Dadurch, dass die Tierhaftigkeit des Makedoniers mit der Traumerzählung im Rahmen protonaturwissenschaftlicher Vorstellungen auf »äußere Ursachen« zurückgeführt werde, werde das Aussehen des künftigen Königs »real vorstellbarer und gewöhnlicher«, provoziere beim Publikum »kein Symbolverständnis mehr, sondern lenkt die Vorstellung ganz auf das äußere Erscheinungsbild«. Mackert versucht in diesem Zusammenhang nachzuweisen, dass die »feierliche Alexanderverherrlichung getilgt, Entrückung ins Sakrale oder Übermenschli-

185 Vgl. V 135–139 in ähnlichem Wortlaut. Lienert übersetzt das mhd. Substantiv bilide sinnvollerweise mit »Traumbilder«. In ihrem Kommentar, S. 562, spricht sie auch von »Traumgesichte[n]«. 186 In Konrads Vorlage ist ebenfalls von der Verschiedenfarbigkeit der Augen des Helden die Rede, allerdings wird nicht der Traum als Erklärungsmodell herangezogen. Bei Konrad wird gegenüber Alberic auch der Falke durch einen Greifen ersetzt: l’un uyl ab glauc cum de dragon / et l’laltre neyr cum de falcon […]. (Str. IX, V. 63–64). Übersetzung: »[D]as Auge war bläulich wie das eines Drachen und das andere schwarz wie das eines Falken […].« Alberics Alexanderfragment. Neuausgabe und Kommentar von Günter Mölk/Günter Holtus. ZfrPh 115 (1999), S. 582–625, hier : S. 619. Ebenso in der lateinischen Fassung: »das eine [Auge] war dem anderen nicht gleich, sondern eins schwarz und blaugrau das andere«. Übersetzung zitiert nach: Das Buch von Alexander, dem edlen und weisen König von Makedonien. Mit den Miniaturen der Leipziger Handschrift. Aus dem Lateinischen übersetzt von Wolfgang Kirsch, nach: Historia Alexandri Magni. Historia Preliis. Rezension I2 (Orosius-Rezension), nach dem Text von Alfons Hilka. Leipzig 1991, S. 17. 187 Vgl. Lienert, Kommentar, S. 562. Mackert, Christoph: Die Alexandergeschichte in der Version des ›Pfaffen‹ Lambrecht. Die frühmittelhochdeutsche Bearbeitung der Alexanderdichtung des Alberich von Bisinzo und die Anfänge weltlicher Schriftepik in der deutschen Sprache. München 1999, S. 130–131.

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Analyseteil

che zurückgenommen« werde. Ziel sei stattdessen eine »gemäßigtere Idealisierung.«188 Lienert dagegen sieht gerade in den Augen ein »Signum«189 von Alexanders Außergewöhnlichkeit. Und Seemann stellt in ihrer ausführlichen Symbolanalyse die These auf, die tierischen Züge des Helden hätten »Verweisfunktion«190 hinsichtlich seines ›Charakters‹, bezüglich seines künftigen Handelns und der »kommende[n] Entwicklung«191 der Erzählung. Somit käme dem Erscheinungsbild des Helden progredierende Bedeutung zu. Auch Friedrich sieht in der Erscheinung Hinweise auf zentrale Eigenschaften des Helden und damit Bedeutung für die Sinnebene.192 An die Forschungslage anknüpfend werde ich im Folgenden versuchen, den Zusammenhang zwischen Traum, Figurenreaktion und Erscheinungsbild des Helden zu konkretisieren. Ferner werde ich Überlegungen zu der oben aufgeworfenen Frage anstellen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Erscheinungsbild des Helden und seinem Verhalten und damit zur Handlungsprogression. Zudem wird diskutiert werden, welche Bedeutung Drachen- und Greifenauge für die Ebene der Aussageorientierung haben könnten. Die Ebenen der Figurenorientierung und Traumvorstellung sind hier sehr eng miteinander verknüpft, daher werden sie im Folgenden zusammen abgehandelt.

4.

Figurenlogische Orientierung und Traumvorstellung

Olympias hat während ihrer Schwangerschaft einen Alptraum, freisl„che bilide sieht sie, ihr erscheint Furchtbares, Wildes im Schlaf, Fabelwesen. Wie sie darauf reagiert, erfahren wir nicht, aber wir dürfen wohl bei schrecklichen, Furcht erregenden Traumbildern auch, ganz figurenorientiert, ein Erschrecken der Königin annehmen. Als Folge des Alptraums und dem damit verbundenen Erschrecken verändert sich die Gestalt des noch ungeborenen Helden. Alexander wird durch den Traum quasi neu erschaffen, die Figur in ihrem Erscheinungsbild auf dieser Grundlage konzipiert. Ein blaues Drachen- und ein schwarzes Greifenauge hat er nun infolge der Traumbilder. Über die Traumquelle erfahren wir nichts. 188 Mackert, Alexandergeschichte, S. 131. 189 Lienert, Einführung zum Alexanderroman des Pfaffen Lambrecht, S. 22. 190 Seemann, Veronika-Rosa: Der wunderl„che Alexander. Die Funktion der Tiersymbolik in der Beschreibung des Aussehens Alexanders des Grossen in Lambrechts Alexanderlied. Vorauspublikation des Referats zur Tagung Spinnenfuß und Krötenbauch – Teratologie und Symbolik der Mischwesen von der Antike bis ins 21. Jahrhundert vom 7. Oktober 2005, S. 7. 191 Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 7. 192 Friedrich, Udo: Menschentiere und Tiermenschen. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter. Göttingen 2009, S. 311–312.

Antikenroman

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Der Traum verursacht die Reaktion der Mutter, die Reaktion die Veränderung der Gestalt des Helden. Vor dem Hintergrund des mittelalterlichen protonaturwissenschaftlichen Traumverständnisses ist das plausibel. Bien weist darauf hin, dass es bereits in der griechischen und römischen Antike die Vorstellung gibt, dass die visuelle Phantasie der Mutter »im Augenblick der Empfängnis eine Gestaltungskraft auf das gezeugte Kind« habe.193 Somit habe die »bildliche Phantasie«, die »seelische Affektion« der Frau einen schädlichen Einfluss auf die Leibesfrucht.194 Alexanders animalisches Erscheinungsbild wird schon im lateinischen Alexanderroman (4. Jh. n. Chr.) in dieser Weise erklärt. Alexanders eigentlicher Vater sei der zauberkundige Nectanebus, der Olympias in Schlangengestalt erschienen sei.195 So stellt Friedrich fest: »Auch weil Olympias im Akt der Zeugung das Bild des tierähnlichen Geliebten [Nectanebus in Schlangengestalt] wahrnimmt, kann der Embryo die entsprechende göttlich-animalische Prägung erhalten.«196 Die Vorstellung vom »Versehen der Schwangeren« blieb auch im europäischen Mittelalter weit verbreitet197 und wurde im Volksglauben mit der Traumdeutungspraxis verknüpft. So wurde im Mittelalter kindliche Missbildung198 u. a. als »körperliche Manifestation der mütterlichen Einbildungskraft« 193 Bien, G. Christian: Erklärungen zur Entstehung von Missbildungen im physiologischen und medizinischen Schrifttum der Antike. Tübingen 1997, S. 82. Diese Vorstellung vom »Versehen der Mutter« findet sich, wie Bien, S. 83, darlegt, schon bei Empedokles (495 v. Chr.). Außerdem verweist er, S. 84, auf den griechischen Arzt Soranos von Ephesos (um 100 n. Chr.), der auch in Rom tätig war und dessen lateinische Schriften dem Mittelalter erhalten blieben. Dieser schreibt in seiner »Gynäkologie«, dass eine Frau, wenn sie einen Affen während des Geschlechtsverkehrs sehe, auch ein Kind zu Welt bringe, das ein affenartiges Aussehen habe. 194 Ebd., S. 84. 195 Nectanebus erzählt Olympias, der Gott Ammon (bei den Griechen als Zeus-Ammon verehrt) werde ihr in Drachengestalt erscheinen. In der Historia Alexandri Magni heißt es: »Um die erste Nachtwache nahm Nektanebus durch zauberische Beschwörungen die Gestalt eines Drachen an. Zischend bewegte er sich zum Gemach der Olympias, betrat es, stieg in ihr Bett, küßte sie und wohnte ihr bei. […] Also ward Olympias betrogen, da sie einem Menschen beiwohnte und glaubte, er sei ein Gott.« Übersetzung: Kirsch, Alexander, S. 10– 11. 196 Friedrich, Menschentiere, S. 80. 197 Vgl. Bien, Missbildungen, S. 82. 198 Für Alexander kann durchaus von Missbildung gesprochen werden: Der Begriff »Missgeburt« leitet sich ab von ahd. missa-, vgl. dazu das ahd. Adjektiv missi* »verschieden, fehlerhaft, unterschiedlich, vertauscht, wechselseitig«. Köbler, Gerhard: Althochdeutsches Wörterbuch. 6. Auflage. 2014. http://www.koeblergerhard.de/ahd/ahd_m.html. Abgerufen am 24. 1. 2015. In den Monstertaxonomien Isidors von Sevilla (7. Jh.), die das gesamte Mittelalter hindurch beibehalten wurden, finden sich unter den zwölf Kategorien des Monströsen auch die Tiergeburt und das Mischwesen. Vgl. Toggweiler, Michael: Kleine Phänomenologie der Monster. Arbeitsblatt Nr. 42. Hrsg. von Kobi, Madlen. Bern 2008.

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Analyseteil

interpretiert.199 Der Anblick eines »furchteinflößenden Tier[es]« konnte nach mittelalterlicher Vorstellung, wie Enke herausgearbeitet hat, Missbildungen beim noch ungeborenen Kind bewirken.200 Der Volksglaube führte Miss- und Fehlgeburten u. a. auf Alpträume als Ursache zurück.201 Lienert spricht bezüglich der Missbildungen Alexanders, verursacht durch den Alptraum der Olympias, von einem »typisch mittelalterlichen Erklärungsmodell insbesondere für kindliche Missbildungen«202. Ebenso Mackert: Das Erscheinungsbild des Helden werde »nach der Art mittelalterlich-volkstümlicher Naturkunde mit einem pränatalen Vorfall erklärt«. Es erfolge eine »naturkundliche Begründung für das außergewöhnliche Phänomen Drachenauge«203. 5.

Progressionsorientierung

Der Traum wird später nie wieder erwähnt, er wird nie gedeutet. Eine Handlungsprogression lässt sich zunächst einmal nicht direkt aus dem Traum und der sich daran anschließenden Erzählung ableiten. Doch mit dem Traum wird das Erscheinungsbild des Helden begründet, es wird kreiert, die Figur wird in der Gestalt erschaffen, in der sie später agiert. Folgt man der These Stocks, dann korrespondiert das äußere Erscheinungsbild des Helden mit dem Inneren, mit dem Wesen, dem ›Charakter‹ der Figur.204 Der Traum würde demzufolge nicht

199 200 201

202 203 204

Leicht korrigierte Fassung 2013, S. 30–31. Vgl. dazu auch Williams, David 1996: Deformed Discourse. The Function of the Monster in Medieval Art and Literature. Exeter : University of Exeter Press, S. 107. Womöglich ist hier mit Blick auf Alexander der Bezug zur Tiergeburt einleuchtend, insbesondere aufgrund der zahlreichen tierischen Züge des Helden. Diese korrespondieren mit dem Mischwesenhaften des Makedoniers: Abgesehen von dem Greifen- und dem Drachenauge hat er den Blick eines Wolfes (sú sach er alse der wolf deit, V 123 / S 147), seine Körperbehaarung ist Str˜b unde rút […], / n–h eineme vische get–n (V 126–127 / S 150–151) und sein Haar schließlich ist crisp als eines wilden lewen locke (V 130 / S 154). Friedrich, Menschentiere, S. 81, stellt fest: »Alexanders Aussehen trägt die Züge magischer Vermittlung.« Vgl. zu den Erklärungsansätzen der »Wundergeburten« Enke, Ulrike: »Mißgeburt«, in: Enzyklopädie Medizingeschichte. Hrsg. von Werner E. Gerabek/Bernhard D. Haag/Wolfgang Wegner. Berlin 2005, S. 997–999, hier : S. 997. Ebd. Vgl. Alp (Alptraum), HWdA, S. 281–306, hier : S. 296. Schreckgestalten und furchterregende Tiere sind dabei typische, kennzeichnende Erscheinungen innerhalb von Alpträumen. Die Schlange (eine weitere Identifizierbarkeit mit dem Drachen liegt nahe) gehört dabei zu den typischen Schreckgestalten. Ebd. Lienert, Kommentar, S. 562. Mackert, Alexandergeschichte, S. 130–131. Vgl. dazu Stock, Markus: Figur. Zu einem Kernproblem historischer Narratologie. In: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven. Hg. von Harald Haferland/Matthias Meyer. Berlin/New York 2010, S. 187–203, hier : S. 192. Auf diesen Aspekt weist auch Schulz, Erzähltheorie, S. 41, hin: »Wahnehmung im sozialen Umfeld basiert auf der Grundannahme, daß das sichtbare Äußere einer Person, ihre soziale Oberfläche, verstanden als

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nur die Gestalt des Helden erklären, sondern auch sein Verhalten. Man kann es so formulieren: Der Traum verändert den Helden und der Held verändert die Welt.205 Dann hätte der Traum handlungsprogressive Bedeutung. Die Veränderung der Welt folgt dabei dem translatio-imperii-Konzept206 : Alexander realisiert, wie Cölln darlegt, die »entscheidende Wende von der zweiten zur dritten Phase der Heilsgeschichte«207, führt die Menschheit in das griechische Weltreich, welches das Persische ablöst.

6.

Aussageorientierung

Das Erscheinungsbild Alexanders ist in jedem Falle sehr auffällig. Und Mackerts These von der »Entsymbolisierung«208, die einleitend skizziert wurde, ist nicht plausibel. Denn warum dann überhaupt die Erwähnung tierähnlicher Züge?

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Einheit von Kleidung, Haut und Haar, untrennbar mit ihrem Inneren, ihrem ›Kern‹ oder ihrem ›wahren Wesen‹ verbunden ist […].« Zu den Einschränkungen dieser Vorstellung vgl. ebd., S. 79ff. Der Drache steht für Macht, für Herrschaft, kündigt die Geburt eines großen Herrschers an. Vgl. dazu Hartmann, Heiko: Gahmuret und Herzeloyde. Kommentar zum zweiten Buch des Parzival Wolframs von Eschenbach. Band 2. Herne 2000, S. 300–301. Vgl. zu diesem Aspekt auch den Daniel-Traum, der im Vorauer erzählt wird (eine Anspielung auf Dn 8,3–7 und 20f.). Die Erzählung lautet: N˜ vernement, waz ich iu hie zele: / Fur dem chunige in dem sale / d– vant er boten Darios, / aines geweltigen chuniges, / der den zins von s„nem fater Philippus wolde enf–n, / wander Dario was undert–n. / Diz was Darios, ter in Danigel stÞt, / der mit dem chriechiscen chunige streit. / Diz was, den Daniel sl–finde gesach, / in einem troume, d– er lach, / d– sah er fehten ainen boc unt ainen wider. / Daz bezeichent die zwÞne chunige sider. / Daz Philippus den zins galt / in Darios gewalt / dannen uber manegen tach, / daz was tem sune ungemach. / Darius wart umbe den selben zins erslagen, / daz ich iu sal w–re sagen (V 467–484). Gerade diese Textpassage ist ein deutlicher Verweis auf Alexanders heilsgeschichtliche Funktion. Der Kampf des Widders gegen den Ziegenbock steht für die Vernichtung des Perserkönigs Darius durch Alexander. Dabei symbolisiert der Widder den König von Medien und Persien, der Ziegenbock steht für den griechischen König. Der Erzähler folgt hier dem translatio-imperii-Konzept, womit er das Werk in eine politisch-geschichtsphilosophische Dimension hebt. Vgl. dazu Friedrich, Menschentiere, S. 312. Cölln, Jan: Der Heide als Vorbild für christliche Weltherrschaft: Zur geistlichen Funktionalisierung Alexanders in Lambrechts Dichtung, in: Internationalität nationaler Literaturen. Hrsg. von Udo Schöning u. a. Göttingen 2000, S. 86–101, hier: S. 97. Lienert, Kommentar, S. 599, liest die Enthauptung des Darius in der Vorauer Fassung als »heilsgeschichtliche Implikation« und »Zielpunkt« des Vorauer Alexanders (S. 579). Kugler weist darauf hin, dass das »geschichtstheologische Schema der vier Weltreiche« in das Werk eingearbeitet ist (also 1. Babylonier, 2. Meder/Perser, 3. Griechen, 4. Römisches Imperium und Römisch deutsches Kaiserreich, eingebettet in sechs oder sieben Weltzeitalter : 1. Adam bis Noah, 2. bis Abraham, 3. bis David, 4. bis zur babylonischen Gefangenschaft, 5. bis Jesus Christus, 6. bis zum Weltende, 7. bis zur Ankunft Gottes). Kugler, Hartmut: Der Alexanderroman und die literarische Universalgeographie. Internationalität nationaler Literaturen. Hrsg. von Udo Schöning. Göttingen 2000, S. 102–120, hier : S. 102. Mackert, Alexandergeschichte, S. 131.

60

Analyseteil

Wozu die Erwähnung von Drache und Greif und anderer Tiere wie Wolf, Meeresgeschöpf und Löwe209 ? Die hätte Lambrecht auch tilgen können, wenn er vorgehabt hätte, den Helden real vorstellbar und gewöhnlich zu machen.210 Gerade dieses Erscheinungsbild aber ist ungewöhnlich. Der Begriff »Missbildung« fiel bereits im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Traumvorstellung. Alexanders hybride Gestalt lässt sich mit diesem Begriff beschreiben. Und im Mittelalter wurden, wie Enke darlegt, mythische Erklärungsmodelle für Missbildungen herangezogen. Missgeburten wurden »als von Gott geschicktes Wunder- oder auf die Zukunft gerichtetes Vorzeichen […] interpretiert […]«211. Sie wurden, wie Toggweiler herausgearbeitet hat, als »Warnzeichen gelesen, die Ereignisse apokalyptischen Ausmaßes ankündigten«212, man meinte, sie seien von Gott »absichtlich bewirkte Naturerscheinungen, die auf kommendes Unheil hinwiesen«213. Ihnen wurde »eschatologische Bedeutung«214 zugesprochen. Deutet sich in Alexanders Gestalt also bereits seine heilsgeschichtliche Funktion an, die Rolle, die er im weiteren Verlauf der Erzählung spielen wird? Zahlreiche partikulare Eigenschaften Alexanders werden mit den Tierbildern bereits angedeutet und im weiteren Verlauf des Romans konkretisiert. Friedrich etwa spricht bezüglich der Tiermetaphern vom »Affektpotential des Heros«215 : Alexander sei das »stärkste Tier« in seinem Heer. Das Animalische akzentuiere die »Gewaltdynamik des Welteroberers, die alle Widerstände […] überwindet«216. Sie sei »Chiffre für die Durchsetzungsfähigkeit.«217 Der zorn218, die »af209 Das Löwenhafte in der Gestalt Alexanders geht möglicherweise auf eine für Philipp II. überlieferte Traumerzählung zurück, die wohl noch zu Lebzeiten Alexanders bekannt gemacht wurde. Demnach träumte der König von Makedonien angeblich nach seiner Hochzeitsnacht, er habe Olympias ein Löwen-Siegel auf den Körper gedrückt. Der Löwe ist dabei ein Herrschaftssymbol. Vgl. dazu genauer: Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 143–144. Möglicherweise ist der Verweis auf das Löwenhafte Alexanders ein Überbleibsel dieser Traumerzählung. 210 Vgl. Mackert, Alexandergeschichte, S. 131. 211 Enke, Mißgeburt, S. 997. 212 Gebhard, Gunther/Geisler, Oliver/Schröter, Steffen: Einleitung, in: Von Monstern und Menschen. Begegnungen der anderen Art in kulturwissenschaftlicher Perspektive. Hrsg. von Gunther Gebhard/Oliver Geisler/ Steffen Schröter. Bielefeld 2006, S. 9–30, hier : S. 17– 18. 213 Toggweiler, Phänomenologie der Monster, S. 10. 214 Gebhard/Geisler/Schröter, Von Monstern und Menschen, S. 17–18. 215 Friedrich, Menschentiere, S. 311. 216 Ebd., S. 312. 217 Ebd. 218 Der Begriff zorn wird mehrfach zur Beschreibung der Gemütsregungen Alexanders verwendet, vgl. u. a. S 498, 545, 581, 880, 885, 1365, 1729, 2343, 2346, 4404, 5739, 5745 u. a. Auch in V 490, 734 etc. Ebenso wird n„de (»Hass«) als Begriff herangezogen, vgl. u. a. S 768, 924. Nach S 1062ff. erscheint der Begriff seltener, nach Lienert, Kommentar, S. 590, weil Alexander »mittlerweilen gelernt hat, seinen zorn zu mäßigen«.

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fektgeleitete, unkontrollierte Aggressivität«219, ist dabei Alexanders ständiger Leiteffekt – Friedrich spricht hier von ira bestialis, einem animalischen Zorn.220 Das Aussehen verweise auf Alexanders Rolle als »furor heroicus […], der sich immer wieder in Zornesausbrüchen artikuliert«221. Der Zorn gilt bereits seit der Antike als das »Hauptlaster des Makedonenkönigs«222, allerdings ist hier für das Mittelalter zu differenzieren: Der Begriff bezeichnet, wie Lienert darlegt, kontextabhängig entweder ira, also »eine der sieben Todsünden«, oder aber den furor, die »Kampfeswut, als positive Kriegerqualität«223. Im folgenden Kapitel wird analysiert, was der Traum direkt bewirkt: das Drachen- und Greifenauge. 6.1 Drachenauge Die Traumbilder manifestieren sich in der Gestalt des Helden. Hier ist zunächst das Drachenauge zu betrachten. Dieses verweist womöglich auf das künftige Unheil, das Alexander über die Welt bringt. Schon die Geburt des künftigen Weltherrschers wird begleitet von apokalyptischen Ereignissen: Di erde irbibete ubir al, der donre wart vil grúz, ein starkiz weder nider gúz, der himel verwandelúte sih, und di sunne vertunkelúte sih (S 131–136).224

Der Drache ließe sich in diesem Zusammenhang auf den Drachen der Apokalypse (Apk. 6, 12ff.) beziehen.225 Gewählt wird mit dem Drachen ein Sinnbild des Chaos und »dämonische[r] Grausamkeit«226. Der Drache steht im Mittelalter, in seiner negativen Bedeutung, für »Tod […], Drangsale und Plagen aller Art«227,

219 Lienert, Kommentar, S. 580. 220 Vgl. Friedrich, Menschentiere, S. 311. Wobei man auch einräumen muss, dass Alexander mit seinem zorn recht gezielt umzugehen vermag. Bezüglich der Hochzeitsszene seines Vaters ist er zunächst kontrolliert und verliert die Kontrolle erst im Schlag gegen Lysias (V 408 / S 487ff.), also genau im richtigen Moment und damit sehr zielgerichtet. Sein Zornverhalten als Herrscher und Krieger wirkt in diesem Sinne eher kontrolliert und inszeniert. 221 Friedrich, Menschentiere, S. 306. 222 Lienert, Kommentar, S. 570. 223 Lienert, Antikenromane, S. 33, stellt zudem fest, dass die »negative Wertung« im Vorauer Alexander deutlich dominiert. 224 Vgl. dazu auch V 108–112. 225 Vgl. zu diesem alten Motiv auch den Traum der Herzeloyde, auf den ich im Rahmen dieser Studie im Parzival-Kapitel noch genauer eingehen werde. Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 20, sieht darin eine heilsgeschichtlich anmutende Szene: Erdbeben und Sonnenfinsternis erinnern an die Naturereignisse beim Tode Christi (Mt. 27, 51, Mt. 24, 29 und Lc. 23, 44). 226 Sand, Drache, LexMA, S. 1341. 227 Scheibelreiter, Tiernamen, S. 92.

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Analyseteil

für die »Verkörperung negativer Prinzipien«: Er ist ein Geschöpf, das »Angst und Schrecken verbreitet«228. Im Alexanderroman Lambrechts verweist er vermutlich auf die zügellose Gewalt des Makedoniers, auf seine Rücksichtslosigkeit, seine Brutalität, seine Skrupellosigkeit, den Schrecken, den er verbreitet, die Gräuel und das Elend, das er über die Menschheit bringt. Oftmals wird zur Wesensbeschreibung Alexanders der Begriff freisl„che229 verwendet (vgl. u. a. S 847, 1362, 1433, 1885, 2140 u. a.) – derselbe Begriff, mit dem zuvor auch die Traum-Bilder Olympias’ beschrieben wurden (vgl. S 158ff.). Der Begriff beschreibt in diesem Kontext, wie Seemann darlegt, alles »Entsetzliche, Wilde, Schreckenerregende und Gefahrund Verderbenbringende.«230 Der freisl„che Traum erschafft einen freisl„chen Herrscher. Alexander hat analog zu seinem Erscheinungsbild ein grausames Wesen. In der Strassburger Fassung zeigt sich, wie Lienert feststellt, eine »grundsätzliche Distanzierung des Erzählers von der Grausamkeit des Krieges – und von Alexanders Kriegsgewalt«231. So stellt auch Haupt fest: »Allerdings ist nicht zu übersehen, daß Lamprecht auch die negativen Aspekte von Kampf und Krieg schonungslos hervorhebt«232. So heißt es im Zusammenhang mit der Eroberung von Tyrus ganz direkt: Alexander tet in [den Bewohnern von Tyrus] unreht (S 879). Die Stadt legt er in Schutt und Asche: Zestúret lach dú Tyrus (S 950). Vom Massensterben und vom Leid zeigt er sich unberührt (vgl. V 919–921 / S 845– 847).233 Alexander zeige hier, so Lienert, ein »archaisches Kriegerethos aggressiver Selbstbehauptung«234 (vgl. v. a. V 947ff. / S 887). Ihm fehle es an jeglicher »rationaler Kontrolle«235 (vgl. v. a. V 990 / S 943). Mackert spricht von einem »haßerfüllten Vernichtungswillen«236. Mit Blick auf die Blendung und Hinrich228 Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 14. 229 Interessant ist auch die Parallele, die Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 22, zwischen dem menschenfressenden Pferd Bucival und Alexander sieht: Das Pferd sei eine »Spiegelung« Alexanders. Auffällig ist, dass auch hier der Begriff freisl„che zur Beschreibung des Tieres (V. 333, 338, 340, 344, 352) herangezogen wird. 230 Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 28. 231 Lienert, Antikenromane, S. 26. Schon in der Vorauer Fassung erscheint Alexander als gewalttätiger Zerstörer des Heiligen Landes (vgl. V 677–690), wie Lienert, S. 23, feststellt, »ganz und gar nicht als nachahmenswert«. 232 Haupt, Barbara: Altiu mære aus alten z„ten. Historische Erinnerung im Spannungsfeld von Oralität und Literarität. Zu Lamprechts ›Alexander‹, in: Kunst und Erinnerung. Memoriale Konzepte in der Erzählliteratur des Mittelalters. Studien zur Literatur und Gesellschaft des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Ulrich Ernst/Klaus Ridder. Ordo Band 8. Köln 2003, S. 53–84, hier : S. 63–64. 233 Vgl. Lienert, Kommentar, S. 584. 234 Ebd., S. 585. 235 Ebd., S. 586. 236 Mackert, Alexandergeschichte, S. 285. Zum Versuch einer Relativierung und Entlastung des Helden entgegen der breiten Forschungsmeinung vgl. Buschmann, Danielle: Die Tyrus-

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tung der 3000 mächtigsten Bürger von Tyrus (S 937–941) – als Rache für Alexanders drei hingerichtete Boten – spricht Seemann von »Skrupellosigkeit«237, Mühlherr von »völlige[r] Absenz von Empathie«238. Bisweilen erscheint der Makedonier als Schlächter, insbesondere nach der Schlacht um Theben: Si [Alexander und seine Männer] sl˜gen w„b unde man / und branten sie al in eine gl˜t (S 1830–1831). Die Stadt lässt er vernichten (vgl. S 1833–1841). Die fliehenden Perser metzelt er nach der Schlacht gegen Darius brutal nieder : Man mach noh h˜te weinen den mort, der d– gescach. Alexander reit in alliz n–h und sl˜ch sie nider alsein vÞ. (S 2889–2893).

Deutlich wird das maßlose Leid zur Geltung gebracht, das Alexanders blutiges Gemetzel über die Menschen bringt: Di jungen an der str–zen, d– si ze spile s–zen, di weineten vil sÞre ir m–gen unde ir hÞren. Die kint an den wagen, sú si weinen s–gen und also manz in gezalde, sie weineten alse di alde und lebeten –ne wunne (S 2918–2926).

Sogar m–ne unde di sunne, di verwandelúten ir lieht, und ne wolden sch„nen nieht und ne wolden niet besehen den mort, der d– was geschÞn (S 2927–2931).

In der Strassburger Fassung wird Alexander letztlich auch noch Wider got […] sculdih (S 6475), als er versucht, das Paradies zu erobern. In diesem Aufbegehren gegen Gott schließlich wird der diabolische Zug im Wesen Alexanders unterEpisode in den französischen und deutschen Alexanderromanen des 12. Jahrhunderts. Herrschaft, Ideologie & Geschichtskonzeption in Alexanderdichtungen des Mittelalters. Hrsg. von Mölk, Ulrich. Göttingen 2002, S. 162–176. 237 Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 29. 238 Mühlherr, Anna: Zwischen Augenfälligkeit und hermeneutischem Appell. Zu Dingen im ›Straßburger Alexander‹, in: Dichtung und Didaxe. Lehrhaftes Sprechen in der deutschen Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Henrike Lähneman/Sandra Linden. Berlin 2009, S. 11– 26, hier : S. 19.

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strichen, das der Drache als Teufelssymbol, als Feind Gottes239 zum Ausdruck bringt. Doch bleibt die Alexander-Figur ambivalent. So weist Seemann darauf hin, dass der Drache auch für die »kriegerischen Eigenschaften des Recken« steht, auf Alexanders Qualitäten als Kämpfer verweist.240 Die Analyse der Verse S 849– 854241 spricht womöglich für diese These: Alexander trägt einen in wurmes bl˜te (S 850) gehärteten Brustpanzer. Dieser bringt das mit dem Drachenauge gegebene Symbol erneut zur Sprache, unterstreicht in diesem Zusammenhang die Qualitäten des Kriegers Alexander, insbesondere deshalb, weil es in einen heroischen Kontext gesetzt wird: Gegeben sei hier, so Lienert, eine »Reminiszenz an die heimische Heldensage«242, man könne Bezüge zu Siegfried sehen.243 Laut Mackert werde damit der »Typus des heroischen Individualhelden [antizipiert], der losgelöst von der Gemeinschaft in der exorbitanten Tat die eigene virtus beweist«244. So meint Cölln, Alexander erscheine auf dem Schlachtfeld wie ein »germanischer Held«245. Die beiden folgenden Verse aber haben der Forschung Rätsel aufgegeben: S„n brunie was hurn„n vil vast. / Er hete manige grúze list (S 854–855). Das Er in S 855 stellt ein grammatikalisches Problem dar, weil nicht eindeutig ist, auf wen es sich hier bezieht. Lienert meint, dass die »Beziehung auf wurm keinen Sinn« ergebe. Somit müsse sich das Personalpronomen auf Alexander beziehen.246 Ein Bezug zu leblosen Gegenständen macht in der Tat keinen Sinn. Womöglich ist diese Uneindeutigkeit aber intendiert. Er kann sich semantisch auf das Substantiv wurm oder auf Alexander beziehen – oder aber auf beide zugleich. 239 Petzoldt, Leander : Einführung in die Sagenforschung. 3. Auflage. Konstanz 2002, S. 130. Engemann/Binding, Drache, LexMA, S. 1339–1346, hier : S. 1339–1340. 240 Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 15. Seemann führt hier zahlreiche Verweise aus anderen mittelhochdeutschen Texten an, in denen der Drache als Bild für die Kampfeskraft des Kriegers verwendet wird, so u. a. in Konrads Trojanerkrieg (V. 25350) und Wolframs Willehalm (V. 409,18). Zudem begründet sie ihre These mit dem Verweis auf die blaue Farbe des Auges – Drachenaugen seien normalerweise rot, Alexanders Augen jedoch blau. Das stehe für den charaktervollen, zuverlässigen, beherzten Menschen. Bachorski, Träume, S. 34, interpretiert auch das Drachenbild im Parzival u. a. als Hinweis auf die Qualitäten des Helden als Krieger. 241 Vgl. auch V 922–925. 242 Lienert, Kommentar, S. 584. Haupt, Altiu mære, S. 64, spricht von einer »Affinität des Alexanderstoffes zur heldenepischen Überlieferung«. Vgl. zu diesem Aspekt auch Haupt, S. 61ff. 243 Das Nibelungenlied ist in dieser Form zwar später niedergeschrieben worden als der Alexanderroman Lambrechts. Doch der Stoff ist älter als die Niederschrift und dürfte schon vorher im Mittelalter weitverbreitet gewesen sein. 244 Mackert, Alexandergeschichte, S. 292. 245 Cölln, Heide als Vorbild, S. 97. Im Sinne germanischer Heldensagen lassen sich auch die Verse in S 1378–1396 deuten. 246 Lienert, Kommentar, S. 584.

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Man könnte hier auch von einer Verschmelzung von wurm und Alexander ausgehen, denn die Eigenschaften des Drachen, sprich: die Stärke des heroischen Helden, werden durch den Drachen-Brustpanzer (bruni) erneut aufgerufen und verweisen auf dessen Träger. Alexander verschmilzt in diesem Sinne mit seinem Brustpanzer, dieser wird gleichsam ein Teil von ihm – so wie Siegfrieds Hornhaut Teil des Nibelungenhelden ist. Aus der scheinbaren Uneindeutigkeit ergibt sich in diesem Sinne eine rhetorische Strategie: die Konstruktion eines tertium comparationis, in dem Alexander und der Drache ihre Gemeinsamkeit finden. Schon das Drachenbild kann man als ambivalent deuten. Ambivalenz kommt aber auch explizit dadurch zustande, dass der Held zwei Augenfarben hat. Lienert sieht in den verschiedenfarbigen Augen »auszeichnende (wiewohl etwas sinistere) Stigmata«, die auf Alexanders Ambiguität verweisen.247 Seemann bringt das auf die Formel »Äußerlich: Mischwesen = innerlich: Mischcharakter«248. 6.2 Greifenauge Wie nun ist der Greif im Verhältnis zu dem Drachen zu verstehen? Der Greif hat ebenfalls ambivalente Bedeutung. Nach Roßkopf steht der Greif für ein »Königtum, das sich im habsüchtigen Streben nach […] Glanz und Macht erschöpft […]«249. Zugleich steht er für Hoffart, Stolz und Überheblichkeit.250 Alexanders rücksichtsloses Streben nach Macht, sein »unersättliche[r] Machthunger«251 wird deutlich zur Darstellung gebracht, ubermuotechtheit (vgl. etwa V 714) und húhm˜t (S 1149, 1800, 6166) – das sind jene Schlüsselbegriffe der geistlichen Alexanderkritik252 (vgl. V 6614). Die bereits oben erwähnte Episode der Strassburger Fassung, in der der Makedonier versucht, das Paradies zu erobern (vgl. S 6475ff.), thematisiert Alexanders »maßlose Besitzgier«253, seine giricheit (S 6683, 7163, S 6325), bringt seine Überheblichkeit, die superbia,

247 Lienert, Antikenromane, S. 22. 248 Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 30. 249 Roßkopf, Rudolf: Der Traum der Herzeloyde und der Rote Ritter. Erwägungen über die Bedeutung des staufisch-welfischen Thronstreites für Wolframs »Parzival«. Göppingen 1972, S. 25–28. 250 Scheibelreiter, Tiernamen, S. 98. Steinmeyer, Karl-Josef: Untersuchungen zur allegorischen Bedeutung der Träume im altfranzösischen Rolandslied. München 1963, S. 91. 251 Lienert, Kommentar, S. 631. 252 Ehlert, Trude: Deutschsprachige Alexanderdichtung des Mittelalters. Zum Verhältnis von Literatur und Geschichte. Bern/Frankfurt am Main 1989 (Europäische Hochschulschriften I,1174), S. 43–45. 253 Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 27.

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seinen »hochfahrenden Sinn«254, seine Hoffart zum Ausdruck. Mühlherr spricht von »bedenkenlose[r] Aneignungsenergie«255. Das Greifenauge256 kann aber auch als Verweis auf den göttlichen Heilsplan verstanden werden. Denn der Greif, ein Mischwesen aus Löwe und Adler, ist auch ein Christussymbol. Dazu wurde er, so Seemann, wegen seiner »göttlichmenschlichen Doppelnatur«, wegen seiner »Vollkommenheit, die sich in der Summierung der positiven Anlagen von Löwe und Adler manifestiert.«257 Der Greif ist zudem Sinnbild für Erneuerung.258 Und Erneuerer ist auch Alexander, der der Weltherrschaft der Perser ein Ende setzt und im Sinne der christlichen Heilsgeschichte ein neues Zeitalter, das dritte Weltreich einleitet. Das wäre eine Lesart im Sinne der Deutung Cöllns, der den Alexanderromans als »bibelepische Dichtung«259 bezeichnet, als »heilgeschichtliche Allegorie«260. Die Dichtung spiegele die »heilsgeschichtlichen Ideen des 12. Jahrhunderts wider«261. Entstanden um 1150 zwischen dem 2. und 3. Kreuzzug262 bewege sich die Alexanderdichtung, so Kugler, im Rahmen des »eschatologischen Denken[s]«263. Mit dem Iter ad Paradisum erfährt der Straßburger Alexander am Ende noch eine »heilsgeschichtliche Ergänzung«264. Mit dem Weg Alexanders ins Paradies 254 Ebd., S. 27. 255 Mühlherr, Augenfälligkeit, S. 19. Mühlherr, S. 26, meint, Alexander sei ein »egomanisch nur sich selbst und seine Aneignungs- und Machtinteressen verfolgender und nur sich selbst sehender Durchmarschierer«. 256 Bei Alberic ist, wie oben bereits erwähnt, die Rede von einem falcon – hieraus macht Lambrecht einen gr„fen. Er steigert somit das Adelssymbol zu einem Christussymbol und verstärkt damit den heilsgeschichtlichen Bezug. 257 Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 16. 258 Vgl. Der altdeutsche Physiologus. Hrsg. von Maurer, F. Tübingen 1967, S. 8. 259 Cölln, Heide als Vorbild, S. 98. Der Erzähler, so Cölln, S. 97, habe sich »von biblischen Autoritäten leiten lassen.« 260 Ebd., S. 97. 261 Ebd., S. 98. 262 Haupt, Altiu mære, S. 67, weist darauf hin, dass »Alexanders Eroberung des Mittelmeerraums und des vorderen Orients […] so dargestellt [wird], daß Namen von Ländern und Städten genannt werden, die zur Zeit der Pilgerreisen und Kreuzzüge ins Heilige Land von einiger Aktualität waren«. 263 Kugler, Der Alexanderroman, S. 119. Eine Gegenposition zu der heilsgeschichtlichen Deutung formuliert Haupt, Altiu mære, S. 60, die meint, mit »Alexanders Heidentum wird ganz bewußt eine heilsgeschichtliche Dimension ausgeklammert und der profan-weltgeschichtliche Charakter betont«. Das aber überzeugt schon deshalb nicht, weil der Zusammenhang zwischen Welt- und Heilsgeschichte zu eng ist. Es kann nicht, wie Haupt meint, »nur um die Abfolge der Weltreiche« gehen, weil dieser Abfolge gerade eine heilsgeschichtliche Dimension zukommt, die sich schwerlich ausblenden lässt. Haupt formuliert das selbst, wenn sie anmerkt, dass Alexander »nicht aus der Heilsgeschichte heraus[falle]«, denn »alle Geschichte, auch die weltliche Geschichte, ist nach der christlichen Auffassung des Mittelalters final ausgerichtet […]«. 264 Friedrich, Menschentiere, S. 312.

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deutet sich (positiv gewendet) der ersehnte Endzustand an. Der Endzustand ist aber mit Alexander noch nicht erreicht, lediglich ein Zwischenschritt, eine Etappe. Die Botschaft an die christlichen Herrscher ist folglich, dem Vorbild Alexanders zu folgen265 und den Heilsplan Gottes zu vollenden. Darin dürfte auch der zentrale Appell des Erzählers an seine Adressaten bestehen. Cölln stellt mit Blick auf die Bekehrung Alexanders zur m–ze (S 6497, 7263) und die folgende zwölfjährige (unhistorische) Friedensherrschaft fest: »Der Straßburger Schluss stellt das Exempel vom heidnischen Herrscher Alexander unter die Moral christlicher Ethik«266. Alexander wird bekehrt von seinen früheren Lastern. Alexander, so Lienert, müsse »lernen, die selbst dem mächtigsten Herrscher vor Gott gesetzten Grenzen zu respektieren.«267 So stehen am Ende, in einem Zusammenhang mit der »gerechte[n] Herrschaft«268 (vgl. S 6815), Affektkontrolle und das Einhalten des rechten Maßes.

7.

Zusammenfassung

Olympias hat einen Alptraum, sieht freisl„che bilide, offenkundig Drachen und Greifen. Ein Erschrecken dürfen wir als figurenorientierte Reaktion auf den Traum voraussetzen. Infolge der Traumbilder und des Erschreckens der Mutter verändert sich das Erscheinungsbild des Helden: Alexander hat nun ein blaues Drachen- und ein schwarzes Greifenauge. Man könnte dem Traum handlungsprogressive Bedeutung zusprechen, denn der Traum verändert den Helden und der Held verändert später die Welt. Die enge Verknüpfung mit der Ebene der Aussageorientierung liegt auf der Hand: Der Held ist missgestaltet und in der Missbildung sah das Mittelalter gottgesandte Wunderzeichen von eschatologischer Bedeutung. Das könnte als Hinweis auf Alexanders heilsgeschichtliche Rolle verstanden werden, die er im Rahmen der Erzählung als Wegbereiter des dritten Weltreiches spielt. Mackerts Entsymbolisierungsthese leuchtet nicht ein, denn welchen Sinn hat sonst die Erwähnung der animalischen Züge des Helden? Die Tiermetaphern verweisen auf die alles überwältigende Kraft und Gewalt Alexanders, seine Durchsetzungsfähigkeit, Aggression, seinen animalischen Zorn, auch im Sinne seiner Qualitäten als Krieger. Die Figur erscheint so ambivalent wie die Farben ihrer Augen. Der Drache erinnert an die Apokalypse, ist Symbol für Chaos, 265 Haupt, Altiu mære, S. 56, merkt an: »Alexander der Eroberer, der überdies noch Klugheit besitzt, ist für ein feudaladliges Publikum, das sich in einer intensiven Phase der Territorialisierung befindet, eine hervorragende Identifikationsfigur.« 266 Cölln, Heide als Vorbild, S. 202. Vgl. dazu auch Mühlherr, Augenfälligkeit, S. 24. 267 Lienert, Antikenromane, S. 46. Vgl. dazu auch Mühlherr, Dinge im ›Straßburger Alexander‹, S. 17. 268 Lienert, Kommentar, S. 610.

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Analyseteil

Grausamkeit, das Dämonische, steht für Tod, für Plagen, für das Böse, das Furchterregende schlechthin, verweist auf Alexanders zügellose Gewalt, seine Rücksichtslosigkeit, Brutalität und Skrupellosigkeit, auf sein freisl„ches Wesen, auf seine Grausamkeit während seiner Eroberungszüge, auch, als Teufelssymbol, auf sein Aufbegehren gegen Gott. Ebenso steht er für Alexanders Qualitäten als Krieger, seine virtus, seine Heldenhaftigkeit. Das Greifenauge ist als Hinweis auf Alexanders Gier zu lesen, sein unersättliches Streben nach Macht und könnte zudem für seinen Stolz, seine Überheblichkeit und seinen húhm˜t stehen. Zugleich verweist der Greif als Christussymbol auf Alexanders heilsgeschichtliche Funktion, auf seine Bedeutung als Erneuerer im Sinne des eschatologischen Gedankens der Dichtung.

VI.1.2 Alexanders Traum im Alexanderroman des Pfaffen Lambrecht 1.

Der Traum Alexanders

Am Vorabend der Schlacht gegen Darius hat Alexander einen Traum: Twerhes ubir di naht dú troumete Alexandro, wie ein man ginge vor ime st–n in allen dem gebÞre, alser s„n vater wÞre. […] D– er [Alexander] an s„nem bette lach, in dem troume er ime zú sprah: »Alexander, liebe sune, durh dih bin ih here comen. Ih wil dir l–zen sch„n, daz ih ein gewaldich got bin. Ih wil dir s„n bereite zú d„ner arbeite. Dir ne mac nieman gescaden, di w„l ih dir holt herze tragen. T˜ du den r–t m„n: Du salt selbe bote s„n hin zú Dario.« (S 2527–2562).

Alexander erzählt seinen Männern von dem Traum, diese raten ihm, dem Befehl des Traum-Philipp zu folgen. Alexander begibt sich daraufhin als sein eigener Bote an den Hof des Perserkönigs, wird erkannt, kann aber noch rechtzeitig fliehen.

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2.

69

Forschungsstand

Dass sich Alexander dem Traum folgend an Darius’ Hof begibt, sieht Fischer figurenorientiert begründet: »because his own men advise him to obey the dream, he sets off soon afterwards as his own messenger to Darius’ camp.«269 Aber ist Alexanders Entscheidung, sich ins Zentrum der Gefahr zu begeben, damit nachvollziehbar begründet? Schmitz gibt zu bedenken, dass es »unerfindlich [ist], welche dichterische Absicht diesem Traumauftrag […] zugrunde liegt.« Denn damit, so meint er mit Blick auf die Ebene der Handlungsprogression, richte der Held nichts aus, es gehe nichts daraus hervor.270 Der Besuch bei Darius bringt dem Helden nichts. Schmitz argumentiert aussageorientiert, dass vielleicht der »Mut des Welteroberers« erneut dargestellt werden solle,271 räumt aber auch ein, dass dies eigentlich schon zu Genüge geschehen sei.272 Lienert sieht mit Blick auf S 2666–91 in Alexanders Verhalten am Hof der Perser eine »Provokation«, in deren Rahmen die »Freigebigkeit am makedonischen Hof über die am persischen Hof« gestellt werde. Alexander stelle »Darius’ Ebenbürtigkeit als Gastgeber in Frage«273. Solche Provokationen spielen häufiger eine Rolle in dem Verhältnis beider Herrscher.274 Schmitz wiederum vermutet, Lambrecht habe sich einfach an seine Vorlage gehalten.275 Doch gerade mit Blick auf die Vorlage stellt die Forschung Abweichungen fest.276 Bei Lambrecht tritt Philipp in Alexanders Traum auf, in den antiken Vorlagen dagegen Merkur/Ammon. Schmitz sieht als Grund dafür die Diskussion über die »fragwürdige Geburt Alexanders«277. Der Dichter sei mit dieser Ansicht »befehdet«278. Doch führt Schmitz nicht näher aus, warum der Dichter dies als problematisch ansieht. Auf der Grundlage des Forschungsstands werde ich im Folgenden eine Reihe von Fragen diskutieren, vor allem wie plausibel es ist, dass Alexander dem Traumbefehl überhaupt folgt, ob das von handlungsprogressiver Bedeutung ist und welchen Sinn der Traum eventuell über diese Ebenen hinaus produziert.

269 270 271 272 273 274 275 276 277 278

Fischer, The Dream, S. 43. Schmitz, Traum und Vision, S. 52. Ebd. Ebd. Lienert, Kommentar, S. 607. Vgl. dazu Lienert, Antikenroman, S. 38. Schmitz, Traum und Vision, S. 52. Ebd., S. 50f. Fischer, The Dream, S. 43. Lienert, Kommentar, S. 606–607. Ebd., S. 51. Ebd.

70 3.

Analyseteil

Progressionsorientierung und figurenlogische Orientierung

Handlungsprogressive Funktion erfüllt der Traum nur hinsichtlich der kurzen Episode, die auf ihn folgt: Alexander erzählt seinen Männern von dem Traum (S 2564), sie raten ihm dazu, dem Befehl des Traum-Philipp zu folgen (S 2565–67). Daraufhin bricht er zu Darius auf (S 2568ff.) und es kommt zur direkten Begegnung mit dem Perserkönig (S 2592). Der Traumbefehl findet sich als Traumtyp auch in anderen Erzählungen des Mittelalters, etwa in Heinrichs von Veldeke Eneas (80, 40ff.), aber auch gattungssübergreifend, so in der Brautwerbungsdichtung, z. B. im Oswald279, oder, im Zusammenhang mit der Kreuzzugsthematik, im Orendel.280 In allen Fällen hat er handlungsprogressive Bedeutung, weil er für die Figur ein Ziel formuliert, das diese dann auch erreicht. Textspezifisch variiert die Reichweite der Konsequenz solcher Befehle. So ist Eneas’ Handeln infolge des Traums von welthistorischer Bedeutung.281 Dagegen geht aus dem Traumbefehl im Alexanderroman, wie schon Schmitz feststellt, nichts hervor. Dass Alexander dem Befehl folgt, bringt ihm weder Vor- noch Nachteile und hat keinen Einfluss auf das Geschehen, welches an die kurze Episode anschließt. Warum Alexander dem Traumbefehl nachkommt, wird auch nicht plausibilisiert. Er wird zwar durch den Traum-Philipp und seine Männer dazu aufgefordert, an den Hof des Perserkönigs zu gehen, aber die Traumerscheinung begründet nicht, warum das sinnvoll sein sollte, ebenso wenig begründen das Alexanders Männer. Es wird kein nachvollziehbares Argument geliefert. Auch von Alexanders Seite findet sich keine Äußerung, kein Gedankenbericht, aus dem hervorginge, warum er der Anweisung des Traum-Philipp und dem Rat seiner Männer folgt, warum er sich und seine Herrschaft in Gefahr bringt. Letztlich wird er erkannt und kann nur knapp entfliehen (S 2700ff.). Genützt hat ihm der Besuch nichts. Er hat keinen erkennbaren Vorteil für sich oder seine Herrschaft daraus gezogen. Vielmehr hat er seine Herrschaft damit gefährdet. Warum wird der Traum dann erzählt? Sicherlich geht es, wie Schmitz ver279 Oswald wird durch einen göttlichen Auftrag zur Brautwerbung aufgefordert: [D]u muot varen über mere / mit eineme kreftigen here / n–ch einer heidnischer küniginne, / die solt du über mere bringen, / du muost in die heidenschaft kÞren / unde kristlúchen glouben mÞren: / nim dir ein heidnische künig„n, / daz ist Gotes wille unde der lieben muoter s„n […]. (Oswald, Vv. 63–70). Der Münchner Oswald. Text u. Abhandlung. Hrsg. von Georg Baesecke. Germanist. Abhandlungen, 28. Heft. Breslau 1907. 280 Königin Br„de erzählt den Heidenkämpfern Orendel und Ise: Mir ist gidrúmde h„naht, / […] / daz graf stúnde […], / in der heiden giwalt. (E, XXI / Vv. 2, 1–4). Natürlich muss das Heilige Grab zurückerobert werden und der Traum motiviert die Helden zur Fahrt nach Jerusalem. Die Aufforderung kommt hier nur implizit zur Geltung. Das Muster wird textspezifisch variiert. In jedem Falle erfüllt der Traum handlungsprogressive Funktion. 281 Vgl. dazu auch Lienert, Antikenroman, S. 82.

Antikenroman

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mutet, auf der Ebene der Aussageorientierung um die Darstellung von Mut. Dabei dürfte auch Provokation, wie Lienert meint, eine Rolle spielen. Die Provokation allerdings resultiert aus dem Besuch Alexanders am Perserhof. Aber der Traum-Philipp fordert sie nicht, sie ergibt sich spontan aus Alexanders Begegnung mit Darius. Ebenso wenig wird von Alexander gefordert, dass er eine Mutprobe bestehen soll. Schmitz gibt mit dem Verweis auf die Abstammung Alexanders einen wesentlichen Hinweis bezüglich der Aussageorientierung der Erzählung. Dieser Ansatz stellt keinen Bezug zu den oben diskutierten Ebenen der Figuren- und Handlungsorientierung her, sondern behauptet, dass sich der Sinn der Erzählung rein immanent aus dem Traum selbst ableitet und nicht aus dem, was auf ihn folgt. Diesen Ansatz werde ich im Folgenden überprüfen. 4.

Traumvorstellung und Aussageorientierung

In den lateinischen Vorlagen erscheint dem Makedonier statt Philipp Merkur oder der Gott Ammon282 in Gestalt Merkurs im Traum, spricht ihn mit »fili Alexander«283 an. Die Traumerzählung war ursprünglich wohl politisch motiviert. Im Altertum wurde vielen Herrschern eine göttliche Abstammung angedichtet, ein »göttlicher Nimbus«284 kreiert, um ihre Herrschaft zu legitimieren, so auch für Alexander den Großen.285 Vergöttlichung scheint auch noch in Lambrechts Version durch, deutet sich 282 Vgl. zur Gleichsetzung des ägyptischen Gottes Ammon mit Zeus/Jupiter Steinmann, Marc: Alexander der Große und die »nackten Weisen« Indiens. Der fiktive Briefwechsel zwischen Alexander und dem Brahmanenkönig Dindimus. Diss. Berlin 2012, S. 8, FN 27. 283 Historia de preliis, zitiert nach: Lamprechts Alexander. Hrsg. und erklärt von Kinzel, Karl. Halle a. S. 1884, S. 214–215. Vgl. dazu auch Schmitz, Traum und Vision, S. 50. Die Traumerzählung in der Übersetzung von Kirsch lautet: »In der gleichen Nacht erschien nun Alexander der Gott Ammon in Gestalt des Merkur […] und sprach zu ihm: ›Alexander, mein Sohn, wenn du der Hilfe bedarfst, bin ich bereit, dir es zu sagen […]. Ich will, daß du meine Gestalt annimmst und selbst dorthin [zu Darius] gehst, wenn es auch gefahrvoll ist, daß ein König als Bote geht. Doch erschrick nicht, denn ein Gott steht dir zur Seite, und du wirst nicht in Gefahr kommen.« Kirsch, Alexander, S. 84. Ursprünglich sollte diese Passage auf den göttlichen Schutz verweisen, den Alexander genießt. 284 Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 143. Vgl. auch ders., S. 134–173, mit zahlreichen antiken Beispielen. 285 So stellt Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 136, mit Blick auf antike Überlieferungen fest, dass »öfters im Traum Geschlechtsverkehr mit einem Gott statt[fand], der sich […] mit der Sterblichen verband.« Im Sinne dieser Tradition wurde auch Alexanders Geburt erklärt. Bei Tertullianus, der auf ältere Quellen zurückgreift, wird berichtet, Alexanders Mutter habe noch vor der Hochzeitsnacht geträumt, ein »Blitzstrahl sei unter Donner in ihren Leib eingedrungen«. Anschließend sei Philipp II. vom delphischen Orakel dazu geraten worden, den Gott Ammon in besonderer Weise zu verehren. Diese Traumerzählung könnte wohl noch vor Alexanders Tod, während der Diskussion über seine Abstammung, entstanden sein. Weber, S. 143.

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Analyseteil

aber nur in der Figurenrede des Traum-Philipp an, der sich selbst als gewaldich got (S 2555) bezeichnet, wobei der heterodiegetische Erzähler dies von vornherein als der leien spot (S 2535) zurückweist und Philipps Fähigkeiten mit (schwarzer) Magie erklärt: Vil manichfalder liste, / Philippus vil wiste (S 2546– 47).286 Fischer meint, es gehe dabei um eine Anpassung der Erzählung an das christliche Weltbild, um die Tilgung heidnischer Götter.287 Das mag auf diesen Alexanderroman zutreffen, ist aber, so allgemein formuliert, als undifferenziert zu betrachten, da auch in mittelalterlichen Erzählungen heidnische Götter durchaus in Erscheinung treten.288 In Lambrechts Alexander hat sich aber, und das ist hier, meine ich, die Hauptsache, die Aussageorientierung verschoben: Der Traum ist nicht mehr politisch motiviert, es geht nicht mehr um die göttliche Abstammung Alexanders, aber doch noch um genealogische Fragen und Legitimierung. Dass Philipp anstelle Ammons/Merkurs erscheint und Alexander mit sun anspricht, hat seinen Grund in dem viel diskutierten Problem der angeblich illegitimen Abstammung des Makedoniers.289 Diese soll hier getilgt werden. Der Erzähler be-

286 Magie wird zwar durch den heterodiegetischen Erzähler als Teufelswerk verurteilt. Schmitz, Traum und Vision, 52, aber weist zu Recht darauf hin, dass Philipp selbst nicht direkt negativ beurteilt wird: Eine »wirkliche Stellungnahme zu der Erscheinung bleibt ungeklärt.« 287 Fischer, The Dream, S. 44. 288 Antike Götter werden in mittelalterlichen Erzählungen im Sinne des Euhemerismus reduziert, d. h., sie werden in mittelalterlichen Dichtungen erklärt als »Menschen von besonderer Kraft und Fähigkeit«. Lienert, Antikenromane, S. 16. Sie werden vermenschlicht, der antike Götterglaube wird als mythische Überhöhung historischer Persönlichkeiten ins Göttliche erklärt und Göttersagen als übertriebene Fabeln mit historischem Kern. Die Götter erscheinen »menschlich-allzumenschlich«, wie Lienert, S. 86, etwa mit Blick auf die Götter im Eneas-Roman Heinrichs von Veldeke feststellt. Zu antiken Göttern im mittelalterlichen Alexanderroman vgl. auch Schlechtweg-Jahn, Ralf: Natur- und Kulturbilder zwischen Epochenumbruch und Umbesetzung, in: Gedächtnis und kultureller Wandel. Erinnerndes Schreiben. Perspektiven und Kontroversen. Hrsg. von Judith Klinger/Gerhard Wolf. Tübingen 2009, S. 167–186, hier: S. 181. 289 Als Vater Alexanders wird der Magier und Astronom Nectanebus genannt, der in Gestalt Ammons in Erscheinung tritt. Vgl. dazu Lienert, Kommentar, 607. Friedrich, Menschentiere, S. 80. Slanicˇka, Simona: Bastarde als Grenzgänger, Kreuzfahrer und Eroberer. Von der mittelalterlichen Alexanderrezeption bis zu Juan de Austria. In: WERKSTATTGeschichte / Heft 51 (2009) – Klartext Verlag, Essen, S. 5–21, hier : S. 9f. Spuren der illegitimen Abstammung des Helden bleiben auch bei Lambrecht lebendig. Hinweis darauf ist die IrisHeterochronmanie Alexanders, von der im vorangegangenen Kapitel bereits die Rede war. Das Drachenbild verweist auf Nectanebus, der Olympias in Schlangengestalt erschienen war. Vgl. dazu als Primärquelle Julius Valerius I, 10. Lienert, Kommentar, S. 562. Lienert, Einführung zum Alexanderroman des Pfaffen Lambrecht, FN 42, S. 22, meint, hier seien noch »Spuren der Nectanebus-Sage […] unterschwellig präsent«. Zu Nectanebus als »Inkarnation des Sonnengottes Ammon« vgl. Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 18.

Antikenroman

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steht von Anfang an darauf, dass Alexander rehte kunicslahte (S 88) ist, betont dessen legitime Abstammung290 und weist jeden Zweifel daran vehement zurück: Noch sprechint manige lugenÞre, daz er [Alexander] eines gouchelÞres sun wÞre, […] Sie ligent alse búse zagen, alle, di is ie ged–hten (S 83–87).

Alexander darf aus der Sicht dieses Erzählers kein Bastard sein. Lambrecht jedenfalls ist hier seiner altfranzösischen Vorlage gefolgt, Alberic hat das auch als Problem angesehen.291 Die Forschung bringt das Problem auf den Punkt: Uneheliche Kinder waren »Konstruktionsmuster für Illegitimität«292, galten als »große Schande, besonders in den höchsten Kreisen«293. Es stellte sich die »erbrechtliche […] Frage«294, es gab Probleme hinsichtlich der »Regulierung […] von Erbansprüchen.«295 So war »Legitimität der Abstammung […] für den Feudaladel von zentraler Bedeutung.«296 Und: »[N]ur als rechtmässiger Sohn Philipps kann Alexander das Geschlecht weiterführen«297. 290 Vgl. dazu auch Haupt, Altiu mære, S. 54–55. 291 Bei Alberic heißt es: Discunt alquant estrobatour / quel reys filz d’encantatour. / Mentent, fallon losengetour ; / mal’en credreyz nec un de lour, / qu’anz fud de ling de’enperatour / et filz al rey Macedonor. / Philipus ab ses pare non, […]. / Et prist moylier du vos say dir / qual pot sub cel genzor jausir […]. Olimpias, donna gentil, / du Alexandre genuit. IV, 27-VI, 45. Übers. Mölk/Holtus, Alberics Alexanderfragment, S. 618: »[…] Es sagen einige Verwirrer, daß der König Sohn eines Zauberers gewesen sei. Sie lügen, die bösen Verleumder ; nicht einem von ihnen sollt ihr glauben! Er stammte vielmehr aus kaiserlichem Geschlecht und war der Sohn des Königs von Makedonien. […] Philipp hieß sein Vater […]. Und er heiratete eine Frau, über die ich Euch zu berichten weiß: […] Olympias, eine adlige Dame, mit der er Alexander zeugte.« Mölk merkt dazu an: »Es ist bemerkenswert, daß Alberic gegen seine Hauptquelle (Julius Valerius) […] die legitime Geburt Alexanders hervorhebt, und zwar mit scharfer Polemik gegen Andersdenkende.« Mölk/Holtus, S. 610. 292 Slanicˇka, Bastarde, S. 5, schreibt dazu: »In einem viel breiteren historischen und kulturellen Spektrum verkörpern sie paradigmatisch Konzepte von Illegitimität: deren Zuschreibung wie Bewältigung, Unordnung beziehungsweise das Infragestellen gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen, Unreinheit im Sinne von Uneindeutigkeit, Vermischung von Kategorien und Hybridität.« Slanicˇka relativiert das Problem der Illegitimität aber auch im Rahmen ihrer Studie. Speziell zu Alexander als Bastard vgl. S. 9–12. http://www.werks tattgeschichte.de/werkstatt_site/archiv/WG51_005–021_SLANICKA_GRENZGAEN GER.pdf. 293 Speckner, Hubert: Dichtung und Wahrheit im Mittelalter. Wien 1995, S. 164. 294 Hemmie, Dagmar M.H.: Ungeordnete Zucht. Prostitution im Hanseraum (12.–16. Jh.). Köln 2007, S. 208. 295 Meier, Frank: Mit Kind und Kegel. Kindheit und Familie im Wandel der Geschichte. Ostfildern 2006, S. 7. 296 Lienert, Kommentar RS, S. 562. 297 Seemann, Der wunderl„che Alexander, S. 19. Vgl. dazu auch Ehlert, Der Alexanderroman, S. 20.

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Analyseteil

Alexander ist Weltherrscher, Verwirklicher des göttlichen Heilsplans,298 befördert die »Weltgeschichte […] vom persischen ins griechische Herrschaftsstadium […]«299, leitet die »entscheidende Wende von der zweiten zur dritten Phase der Heilsgeschichte […]« ein,300 fungiert als »unwissende[r] Vollstrecker des göttlichen Planes«301 und erscheint damit als Vorbild des mittelalterlichchristlichen miles dei302, als »Exempel […], an dem ein christlicher Herrscher seinen göttlichen Auftrag abzulesen hat«303. In ihm konkretisieren sich die eschatologischen Sehnsüchte der Menschheit: die Gewinnung der Welt und deren »Rückgabe an Gott«304. Dieser Alexander ist als Bastard nicht denkbar. Zumindest nicht aus der Perspektive dieses Erzählers.305 Gerade diese Legitimierung des Helden hat dann Konsequenzen hinsichtlich der atmosphärischen Orientierung des Traums. Der Traum Alexanders von seinem Vater erscheint geradezu als ein misslungenes Beispiel für die atmo298 Vgl. Friedrich, Menschentiere, S. 312. Cölln, Heide als Vorbild, S. 97–98. Kugler, Der Alexanderroman, S. 119. 299 Kugler, Der Alexanderroman, S. 102. 300 Cölln, Heide als Vorbild, S. 97. 301 Ebd., S. 97. Unwissend, weil ihm »jedes Bewußtsein für die religiöse Dimension seines Handelns [fehlt].« (S. 96.) 302 Alexander erscheint »als instrumentum Dei, [als] Werkzeug im Rahmen von Gottes Heilsplan.« Lienert, Einführung zum Alexanderroman des Pfaffen Lambrecht, S. 24. 303 Cölln, Heide als Vorbild, S. 98. Womöglich transportiert der Text in diesem Sinne auch die Mentalität eines Kriegeradels. Lienert schreibt dazu: »Positiv gezeichnet ist Alexander vor allem als Kämpfer, Heerführer und Herrscher : Er kämpft heldenhaft an vorderster Front in der Schlacht, zeichnet sich in Zweikämpfen aus und versteht es, sein Heer zu führen und mitzureißen; gerade die kämpferische Potenz und das Kriegsglück des Helden entsprechen durchaus kriegeradligen Idealen.« Lienert, Antikenromane, S. 45–46. Alexander – da stimme ich Lienert, Antikenromane, S. 46, zu – ist dem »mittelalterlichen Herrscherideal angenähert«. 304 De Boor/Glier/Newald: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter, Zerfall und Neubeginn: 1250– 1350. Band 3, Teil 1. Teil 2. Reimpaargedichte, Drama, Prosa. Michigan 1987, S. 223–224. Vgl. dazu etwa auch die Eschatologischen Spiele seit 1160/70. Ebd., S. 224. In der translatio imperii-Idee kommen die eschatologischen Sehnsüchte des Mittelalters zum Ausdruck, die Lehre von den »letzten Dingen«, die Vorstellung vom Untergang der alten und der »Schaffung einer neuen Welt«. 305 In den Alexanderromanen nach Lambrecht dagegen verweist die Abstammung Alexanders von Ammon auf seine Außergewöhnlichkeit. Bei Rudolf von Ems (Alexander I und II, wohl zwischen 1235–1254 entstanden) stammt Alexander vom zauberkundigen Nectanebus ab. Lienert meint dazu: »Alexanders illegitime Abstammung schadet ihm nicht, sondern fungiert als Signum des Außerordentlichen«. Lienert, Antikenromane, S. 56. Auch im Basler Alexander (um 1270?) sei die eheliche Geburt »als Voraussetzung der Legitimität des Herrschers […] abgelöst durch die ungewöhnliche Abkunft als Signum des außerordentlichen Helden.« Lienert, Antikenromane, S. 47. Und auch bei Ulrich von Etzenbach (wohl um 1284) sowie in der letzten gereimten Alexandererzählung, dem Großen oder Wernigeroder Alexander (Ende 14. Jh.) und in Johann Hartliebs Alexander (um 1454) stammt Alexander von Nectanebus ab.

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Antikenroman

sphärische Funktion eines literarischen Traums. In der lateinischen Vorlage begegnet Alexander mit Ammon/Merkur immerhin noch einem echten Gott, der ihm seinen Schutz verheißt und sich darüber hinaus noch als sein Vater bezeichnet. Die göttliche Aura, die den Helden damit umgibt, die allein für antike Rezipienten durch den Namen Ammon/Merkur erzeugt worden sein dürfte, geht bei Lambrecht vollends verloren. Der Umstand, dass jetzt Philipp erscheint, der sich selbst als gewaldich got bezeichnet, dürfte wohl vor allem für Irritation gesorgt haben.

5.

Zusammenfassung

Dass Alexander als sein eigener Bote an Darius’ Hof erscheint, wird mit dem Auftrag des Traum-Philipp und dem Rat der Männer nicht nachvollziehbar begründet. Alexander selbst äußert sich nicht dazu, plausibilisiert diesen Schritt auch selbst nicht. Letztlich bringt er damit nur sich selbst und seine Herrschaft in Gefahr. Der Traum hat zwar handlungsprogressive Funktion hinsichtlich der auf ihn folgenden Episode, doch daraus geht für den weiteren Verlauf der Handlung nichts hervor. Auf der Ebene der Aussageorientierung wird der Mut des Helden dargestellt, auch geht es um Provokation, wobei diese nicht durch den Traum gefordert wird, sondern sich nur aus der Situation selbst ergibt. Bedeutsamer ist, dass bei Lambrecht Philipp in Alexanders Traum erscheint, und nicht, wie in der lateinischen Vorlage, Ammon/Merkur/Nectanebus. Entscheidend ist hier die viel diskutierte Frage der Abstammung Alexanders. Dem Erzähler geht es um die Tilgung möglicher Illegitimität. Der Verwirklicher des göttlichen Heilsplans ist für Lambrechts Erzähler, ebenso wie für den Alberics, als Bastard nicht denkbar. *

Die beiden Träume aus dem Alexanderroman sind deutlich auf den Helden bezogen, beide beziehen sich auf die Geburt Alexanders, beide dienen dabei der Figurenkonzeption. Der erste Traum erschafft den Helden in Gestalt und Wesen und plausibilisiert in diesem Zusammenhang a priori sein künftiges heldenhaftes wie grausames Verhalten als Welteroberer. Der andere Traum legitimiert ihn genealogisch im Sinne dieser Rolle. Der Hinweis auf den Drachen im ersten Traum ist dabei ein Überbleibsel der Nectanebus-Sage, in welcher der zauberkundige Nectanebus Olympias im Akt der Zeugung in Schlangengestalt erscheint. Bei Lambrecht wird Nectanebus aus der erzählten Welt getilgt, der Drache in den Traum verbannt, das Phänomen Drachenauge naturwissen-

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Analyseteil

schaftlich erklärt. Und mit dem Auftritt Philipps wird die legitime Abstammung zusätzlich klar gestellt.

VI.2 Brautwerbungsdichtung VI.2.1 Der Falkentraum König Konstantins im König Rother 1.

Der Text: König Rother

Der König Rother306, von der Forschung zumeist auf die Zeit um 1150/60307 datiert, wird der Gattung der sog. Brautwerbungsdichtung zugeordnet.308 Erzählt wird, wie der weströmische König Rother um die Hand der Tochter des oströmischen Herrschers Konstantin anhält. Er schickt zunächst Boten, die jedoch von dem bösen Brautvater gefangen genommen werden. Anschließend reist Rother selbst mit seinem Gefolge an den Hof Konstantins, um seine Boten zu befreien. Jedoch stellt er sich dort unter dem Decknamen Dietrich vor. Am Hof Konstantins findet er durch seine Freigebigkeit viele Anhänger, wovon auch die Königstochter hört. Es kommt zu einer heimlichen Begegnung zwischen den beiden, bei der sie ihre Liebe zu Rother bekennt und er sich als weströmischer Herrscher zu erkennen gibt. Die Königstochter flieht mit Zustimmung der Mutter gemeinsam mit Rother nach Westrom. Konstantin aber veranlasst die Rückentführung seiner Tochter. Und so bricht Rother erneut nach Konstanti306 Ich zitiere im Folgenden nach: König Rother. Mittelhochdeutscher Text und neuhochdeutsche Übersetzung von Peter K. Stein. Hrsg. v. Ingrid Bennewitz unter Mitarbeit von Beatrix Koll und Ruth Weichselbaumer. Stuttgart 2000. 307 Diese Datierung ist nicht unumstritten. In der Forschung wird der Rother neuerdings auch um 1170 datiert. Vgl. dazu Schmitz, Silvia: War umbe ich die rede han ir hauen. Erzählen im König Rother. Situationen des Erzählens. Aspekte narrativer Praxis im Mittelalter. Hrsg. von Ludger Lieb/Stephan Müller. Berlin 2002, S. 167–190, hier: S. 167. Schröder datiert das Werk auf das Jahr 1165, das Jahr der Heiligsprechung Karls des Großen. Schröder, Walter Johannes: »König Rother. Gehalt und Struktur«, in: Spielmannsepik. Hrsg. von Walter Johannes Schröder. Darmstadt 1977, S. 323–350, hier : S. 321. Ich gehe darauf im weiteren Verlauf der Analyse noch genauer ein. Bumke vermutet, der Rother sei um 1160/70 niedergeschrieben worden. Bumke, Joachim: Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter. 4. aktualisierte Auflage. München 2000, S. 76. So auch Fischer, Hubertus: Gewalt und ihre Alternative. Erzähltes politisches Handeln im »König Rother«, in: Gewalt und ihre Legitimation im Mittelalter. Hrsg. von Günther Mensching. Symposium des Philosophischen Seminars der Universität Hannover vom 26.–28. Februar 2002. Contradictio. Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte. Band 1, S. 204–236, hier : S. 204. Zur Datierungsfrage vgl. auch Kerth, Thomas: King Rother and his Bride: Quest and CounterQuests. Rochester 2010, S. 1ff. 308 Vgl. zu dem Begriff »Brautwerbungsepik«, auch »Brautwerbungsdichtung« oder »Brautwerbungserzählung« Bowden, Sarah: Bridal-Quest Epics in Medieval Germany. A Revisionary Approach. London 2012, S. 1ff.

Brautwerbungsdichtung

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nopel auf, um seine Braut zurückzuführen, erfährt aber, dass der babylonische Heidenkönig Ymelot Konstantinopel eingenommen hat und die Königstochter mit seinem Sohn Basilitum verheiraten möchte. Rother gelingt es, den Heiden zu besiegen und die Königstochter wieder nach Rom zurückzuführen. Der gemeinsame Sohn Pippin, der spätere Vater Karls des Großen, wird am Tag der Heimkehr geboren. 2.

Der Traum König Konstantins

Der von den Heiden unterworfene oströmische Herrscher Konstantin erzählt seiner Tochter, die gegen ihren Willen mit Basilitum, dem Sohn Ymelots, vermählt werden soll, von einem hoffnungsvoll anmutenden Traum, der auf ihre Rettung durch König Rother schließen lässt: Do sprach Constantin: »Nu swic tochter min! mir troumite nochte von der – des saltu wol gelovbin mir –, we ein valke quame gevlogin von Rome unde vorte dich widir over mere.« (Vv. 3852–3856).

Der valke verweist auf König Rother. Der Traum nimmt die Befreiung der byzantinischen Prinzessin aus den Händen der Heiden und ihre Rückführung nach rome durch den weströmischen Herrscher vorweg. 3.

Forschungsstand

Die Forschung spricht dem Traum handlungsprogressive Funktion zu. Schmitz und Fischer beschreiben ihn als Auslöser einer Kettenreaktion309 : Die Traumerzählung lenkt das Gespräch auf Rother. Die Heiden sagen, sie würden ihn im Meer ertränken, käme er zurück (V. 3862ff.). Das provoziert die Königin zu einer Verteidigungsrede für den weströmischen Herrscher (V. 3869ff.). Unmittelbar im Anschluss daran drückt Rother, der sich unter dem Tisch versteckt, der Prinzessin einen Ring in die Hand, in den sein Name eingraviert ist (V. 3876ff.) – die Rede könnte ihn dazu motiviert haben. Die Prinzessin lacht, weil sie nun weiß, dass Rother anwesend ist (V. 3881ff.). So werden die Heiden auf Rother aufmerksam (V. 3906ff.). Konstantin schätzt, dass er nicht fliehen, sondern sich 309 Vgl. Schmitz, Traum und Vision, S. 49. Fischer, The Dream, S. 73. Auch Freienhofer geht am Rande auf diesen Mechanismus ein. Freienhofer, Evamaria: Tabuisierung von Zorn als Herrscherhandeln im König Rother, in: Kasten, Ingrid [Hrsg.]: Machtvolle Gefühle. Berlin/ New York 2010, S. 87–106, hier: S. 100.

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Analyseteil

stellen wird (V. 3926f.), verweist auf Rothers ere (V. 3923). Das motiviert den weströmischen König und seine Begleiter dazu, sich zu zeigen (V. 3933f.). Ich werde diese Annahme später noch genauer hinterfragen und den Gedanken präzisieren. Allgemein wird in der Forschung die Auffassung vertreten, dass die Traumerzählung gerade nicht zu Konstantin passe, weil er Rother hasst, sich für dessen Hinrichtung einsetzt. Schon Benez¦ meint: »Wenn nur dieser tröstende Zuspruch nicht so merkwürdig gerade im Munde des Vaters klänge, der am eifrigsten die neue Heirat [zwischen seiner Tochter und dem Heiden Basilitum] betreibt und dem am wenigsten an einer nochmaligen Entführung durch Rother liegen kann […].«310

Ähnlich Schmitz: »Merkwürdig aber ist, daß gerade Konstantin diese Prophezeiung durch den Traum erfährt und daß gerade er ihn seiner Tochter erzählt, nachdem der Dichter von ihr sagte: unde qualite ir l„b (3842). […] man hat den Eindruck, Konstantin wolle seine Tochter mit der Traumerzählung trösten, ihr die Wiedervereinigung mit Rother in Aussicht stellen, während er sich doch mit aller Kraft gegen das Zustandekommen der neuen Ehe einsetzt.«311

Dies sei »nicht miteinander vereinbar«312, schreibt Schmitz. Er vermutet daher einen »Mangel an Kompositionsgeschick«313. Schon Benez¦ argumentiert in eine ähnliche Richtung: »Wenn die Mutter […] in dieser Weise ihrer Tochter Hoffnung machte, so würden wir das eher begreifen.«314 Stein zieht daran anknüpfend »eine ›falsche‹ Zuordnung der direkten Rede zu Konstantin statt zu seiner Frau (die dann mit dieser Traumerzählung ihre Tochter beruhigen würde)« in Betracht.315 Schmitz möchte dagegen eine figurenorientierte Lesart nicht ganz ausschließen, überlegt, ob Konstantin seine Tochter vielleicht versucht »aufzuheitern, während er in Wirklichkeit die Überzeugung seiner Gäste teilt: queme 310 311 312 313 314 315

Benez¦, Traummotiv, S. 36–37. Schmitz, Traum und Vision, S. 48. Ebd. Ebd. Benez¦, Traummotiv, S. 36–37. Stein, Kommentar, S. 452. Auch Gellinek sieht einen kompositorischen Mangel und vermutet: »Wahrscheinlich ist dieser Falkentraum an diese Stelle, wo er eigentlich nicht hinpaßt, durch einen Irrtum in der Übertragung gerückt […].« Damit wird allerdings nicht geklärt, warum Konstantin den Traum erzählt. Und wohin der Falkentraum angeblich besser passen könnte, erklärt Gellinek auch nicht. Gellinek, Christian: König Rother. Studie zur literarischen Deutung. Berlin/München/Bern 1968, S. 62. Schon Schmitz, Traum und Vision, S. 49f.) und Fischer, The Dream, S. 73, verweisen auf die proleptische Funktion, die der Traum im Rahmen der Erzählung erfüllt.

Brautwerbungsdichtung

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Rother, / er wurde irtrenkit in deme mere (Vv. 3864–65)?«316 Fischer meint, im Anschluss an Schmitz, der Vater erfinde den Traum »to fool the daughter.«317 Er versuche, sie zu trösten.318 Dementsprechend klassifiziert er den Traum als »fictitious alien somnium«319. Auch Dinzelbacher spricht von einem »erfundenen Traum«320. Haag greift das auf, argumentiert aber psychologisch und schließt nicht aus, dass es sich um einen prophetischen Traums handeln könnte: In der Traumerzählung sieht er die »spontane Wiedergabe eines authentischen Erlebens […], mit dessen Bedeutung die Tochter – ohne akute Rücksicht auf die eigenen Interessen [Konstantins] – getröstet werden soll.«321 Ganz anders argumentiert Stein: »Konstantins Traumerzählung muß – der Logik der Erzählung zufolge – wohl als Einschüchterungsversuch des Vaters gegenüber seiner Tochter verstanden werden.«322 Stein ignoriert damit allerdings die Semantik der Hoffnung, die in der Traumerzählung mitschwingt und nicht zur Einschüchterung taugt. Zimmermann dagegen meint, Konstantin beziehe den Falken nicht auf Rother, sondern auf Basilitum: »Es ist nicht davon auszugehen, daß Constantin mit einer erneuten Eroberung und Rückentführung der Frau durch Rother rechnet […]. Zudem findet sich kein Hinweis darauf, daß er die Eheschließung mit dem Heidenkönig in Frage stellt oder im Prinzip für falsch hält. Stattdessen könnte er seinen Traum als Möglichkeit einer Eroberung Roms durch die Heiden deuten, wodurch es in die Herrschaft Ymelots und Basilitums integriert würde und somit auch die Rückkehr der Frau dorthin zuließe, ohne daß Constantin sie dadurch als Ehefrau Rothers ansehen müsste.«323

Doch der Falke passt in seinem Symbolgehalt nicht zu Basilitum. Und dass das Bild von den anwesenden Heiden direkt auf Rother bezogen wird, weist bereits Fischer mit Bezug auf V. 3855ff. nach.324 Kaum berücksichtigt wurde in der Forschung die Ebene der Aussageorientierung. Lediglich Schmitz vermutet, »der Traum [soll] eine Mahnung an ihn [Konstantin] sein, seine Tochter freiwillig ihrem rechtmäßigen Gatten zurückzugeben.«325 316 317 318 319 320 321 322 323 324 325

Schmitz, Traum und Vision, S. 48. Fischer, The Dream, S. 72. Ebd., 73. Ebd., S. 72. Dinzelbacher, Vision, S. 63, FN 231. Schmitz, Traum und Vision, S. 48, klassifiziert den Traum zunächst als prophetisch, ist sich jedoch nicht ganz sicher. Haag, Traum und Traumdeutung , S. 106. Stein, Kommentar, S. 452. Zimmermann, Rita: Herrschaft und Ehe. Die Logik der Brautwerbung im König Rother. Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris, Wien 1993, S. 188. Fischer, The Dream, S. 72. Schmitz, Traum und Vision, S. 49.

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Hauptproblem in der oben diskutierten Forschungsdiskussion ist die Schwierigkeit der Zuordnung der direkten Rede zu Konstantin, das sich über die Ebene der Handlungsorientierung nicht lösen lässt. Umstritten bleibt auch, ob diese Zuordnung wirklich figurenorientiert erklärbar ist. Somit wird im Folgenden, über die Frage nach der handlungsprogressiven Bedeutung des Traum hinaus, diskutiert, wie der Traum und sein Erzähler einzuschätzen sind, zudem in welcher Relation die Erzählung dabei zur Aussageorientierung, die die Forschung nahezu völlig vernachlässigt hat, stehen könnte. 4.

Progressionsorientierung und figurenlogische Orientierung

Der These Fischers und Schmitz’ kann zugestimmt werden. Auch ich sehe hier eine Kettenreaktion im Zusammenhang mit der Traumerzählung Konstantins. Allerdings könnte man diese noch weiter fassen: Rother liefert sich selbst aus, gerät in Gefangenschaft, soll hingerichtet werden. Er wünscht, dass dies im Wald geschehe (V. 3977f). Dort aber lagert sein Heer, das ihm dann im rechten Moment zur Hilfe eilt (V. 4125ff.). Die Heiden werden besiegt (V. 4292) und Rother kann die Prinzessin heimführen (V. 4757ff.). Die Kettenreaktion reicht also noch deutlich weiter, fast bis zum Ende der Erzählung. Für die Handlungsprogression ist dabei offenbar allein wichtig, dass der Traum erzählt wird, unerheblich erscheint dagegen zunächst einmal, wer ihn erzählt. Ob Konstantin, seine Gattin, die Tochter oder irgendein Heide – jeder hätte den Traum erzählen können, das hätte dieselbe Kettenreaktion ausgelöst. Dennoch: Konstantin erzählt ihn und dieser Umstand hat die Forschung irritiert. Wie sind die verschiedenen Erklärungsversuche einzuschätzen, die hierzu geliefert wurden? Man könnte tatsächlich meinen, Konstantin erzähle den Traum, um seine Tochter zu trösten. Dass der Traum erfunden ist, erscheint mir weniger überzeugend, da er prophetischen Charakter hat: Die Vorhersage jedenfalls trifft ein. Haags These einer spontanen Erzählung ohne Rücksicht auf persönliche Interessen ist nicht abwegig. Konstantins Traumerzählung und sein Verhältnis zu Rother stehen auch nicht unbedingt in einem Widerspruch zueinander. Unter heidnischer Herrschaft will Konstantin nicht stehen, so lässt er sich, als die Heiden zum ersten Mal Konstantinopel angreifen, von Rother/Dietrich helfen (V. 2601ff.). Es wäre also aus seiner Sicht nicht abwegig, ein weiteres Mal auf Hilfe zu hoffen. Dass er sich dann aber den Heiden gegenüber loyal zeigt, ist auch nicht verwunderlich. Er loste […] sinen lif (V. 3810), indem er seine Tochter Basilitum gibt (V. 3811), sie ist »Tauschgut für das eigene Leben«326, wie Fischer feststellt. Dass er als christlicher Herrscher dem mächtigsten Feind der Chris326 Fischer, Gewalt, S. 229.

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tenheit seine Tochter gibt, ist zwar problematisch, weil es ein Verrat am Christentum ist. Aber der Schritt ist trotzdem nachvollziehbar. Konstantin hat keine andere Wahl, nur so kann er sich selbst retten. Im Saal tritt Rother später nur mit ein paar Begleitern auf und ist aus Konstantins eingeschränkter Perspektive kein Machtgarant. Er weiß ja nicht, dass Rother mit seinem Heer angerückt ist. Er schließt sich den Hinrichtungsplänen der Heiden an, schlägt sich damit auf die Seite des (vermeintlich) Mächtigeren, der ihm seine Macht erhält. Das steht nicht im Widerspruch zu seiner Hoffnung auf eine Befreiung Ostroms durch Rother. Man könnte also über einen an der folk psychology orientierten Erklärungsansatz die Widersprüche auflösen, die die Forschung hier gesehen hat. Eine weitere Möglichkeit, die Erzählung aus Konstantins Mund zu erklären, sehe ich in der Aussageorientierung des Traums. Angekündigt wird eine politische Zustandsveränderung, die sich im weiteren Verlauf der Handlung realisiert: die Verbindung eines weströmischen Herrschers mit einer oströmischen Prinzessin und damit die Veränderung des politischen Verhältnisses zwischen Ost- und Westrom. Und gerade aus dieser aussageorientierten Perspektive heraus ist es bemerkenswert, dass dieser Gedanke durch den oströmischen Herrscher verbalisiert wird. 5.

Traumvorstellung und Aussageorientierung

Der Falkentraum ist ein Legitimationstraum327: Er transportiert den Gedanken einer Herrschaftsablösung, legitimiert eine weströmische Herrschaft über Byzanz.328 Er zeigt zwar eine Nähe zur politischen Propaganda329, vermittelt aber 327 Solche Legitimationsträume haben eine lange Tradition. Zu solchen Träumen in der Antike vgl. sehr ausführlich mit zahlreichen Beispielen Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 174–244. Für das Mittelalter vgl. etwa die lateinische Chronik des Fredegars um 658. Hier bezieht sich die Traumerzählung auf den Untergang der Merowinger : Chronicarum Fredegarii scholastici libri IV cum continuationibus. Hrsg. von Bruno Krusch, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 2, Hannover 1888. Buch III c. 12, S. 97, 10–26. Oder auch den durch einen Traum angekündigten Tod Heinrichs III. (1017-1056). Vgl. dazu Otloh von St. Emmeram: Liber visionum, ed. Paul Gerhard Schmidt. Weimar 1989. (MGH Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 13), Visio 15, S. 86–88. 328 Vgl. dazu auch Kerth, King Rother, S. X. Haug, Walter : Das Geständnis. Liebe und Risiko in Rede und Schrift, in: Gespräche, Boten, Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter. Hrsg. von Horst Wenzel. Berlin 1997, S. 23–44, hier : S. 28. Fischer, Gewalt, S. 210. 329 Die Verwendung des Begriffs »Propaganda« im Bezug auf Antike und Mittelalter wurde kontrovers diskutiert. Heiduk verweist in seinem Bericht zur Tagung Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter auf eine Äußerung von Birgit Stunt, die einräume, dass es im Mittelalter »den Begriff der Propaganda noch nicht gegeben [hat], aber deren Techniken zu herrschaftlich gesteuerten Kommunikationssituationen«. Dies erlaube die »anachronistische

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Analyseteil

viel mehr noch ein weströmisches Selbstverständnis und bestätigt es im Rahmen dieser Traumerzählung. Darauf ist die Aussageorientierung fixiert. Diese kommt schon durch die Raumsemantik der Traumwelt zum Ausdruck: rome verweist auf den Herrschaftsraum des weströmischen Königs. Der Falke, der Rother symbolisiert, fliegt von Rom nach Konstantinopel und wieder zurück über das mere (Mittelmeer), überquert das Herrschaftsgebiet eines gesamtrömischen Kaisers. Auf seinem Rückflug nimmt er die oströmische Prinzessin mit, die den oströmischen Herrschaftsraum repräsentiert und damit den Bereich, der durch die Heirat mit dem weströmischen zusammengeführt werden soll. Die Bewegung nach Westrom versinnbildlicht somit den Übergang des oströmischen Kaisertums auf einen weströmischen Herrscher. Implizit bildet sich auch im Sinne der Aussageorientierung in der Traumwelt des Brautwerbungsepos das ab, was Schulz als »Sujet des Brautwerbungsschemas« bezeichnet, nämlich eine »bipolare Raumstruktur«.330 Diese Bipolarität, der Gegensatz zwischen Ost- und Westrom, wird im Traum vorgeführt und zugleich durch den Flug des Falken sinnbildlich überwunden. Schröder nimmt vor dem Hintergrund an, dass der König Rother nach 1165 entstanden sei, in jenem Jahr, in dem Karl der Große heilig gesprochen wurde.331 Kaiser Friedrich I. Barbarossa (1122–1190) berief sich in genealogischer Manier332 auf Karl und widersprach damit dem Anspruch Byzanz’ auf die Herrschaft über die gesamte Christenheit.333 Das war eine Provokation für Byzanz. Mit der Kaiserkrönung Karls des Großen war, wie Schulze feststellt, ein »Doppelkaisertum«334 entstanden. Nach weströmischem Verständnis, so Mohr,

330 331 332 333

334

Verwendung« dieses Begriffs. Heiduk, Matthias: Tagungsbericht. Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter. Herbsttagung des Konstanzer Arbeitskreises für Mittelalterliche Geschichte e.V. vom 7. bis 10. Oktober 2008 auf der Insel Reichenau, S. 4. http://www.kon stanzer-arbeitskreis.de/information/tagungsberichte/Tagungsbericht10–08.pdf Abgerufen am 11. 3.2012. Vgl. dazu auch Propaganda – Selbstdarstellung – Repräsentation im römischen Kaiserreich des 1. Jh. n. Chr. (Historia Einzelschrift 164). Hrsg. von G. Weber/H. Zimmermann. Stuttgart 2003. Schulz, Erzähltheorie, S. 193. Vgl. Schröder, König Rother, S. 321. Friedrich I. sah die Staufer als Verwandte der Salier und diese wiederum als Verwandte der Karolinger an. Die Bedingungen der Kaiserkrönung wurden 1153 im Vertrag von Konstanz festgelegt, in dem Barbarossa u. a. versprach, dem Papst die Herrschaft über Rom wieder zu ermöglichen und sich den Ansprüchen des oströmischen Kaisers auf Herrschaft in Italien zu widersetzen. Bei der Vertreibung der Byzantiner aus dem italienischen Herrschaftsgebiet wollte der Papst wiederum Friedrich I. unterstützen. Allerdings hielt sich Friedrich I. nach seiner Kaiserkrönung 1155 durch Hadrian IV. nicht an die Abmachungen des Vertrags von Konstanz. Schulze, Monika: Eherechtsdiskurse. Studien zu König Rother, Partonopier und Meliur, Arabel, Der guote GÞrhart, Der Ring. (Germanistisch Romanische Monatsschrift) Heidelberg 2005, S. 28.

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hatte »das westliche Kaisertum Karls das östliche ersetzt.«335 Byzanz aber »betrachtete […] das Krönungszeremoniell Karls des Großen als Ausdruck von Arroganz eines als barbarisch empfundenen Königs sowie als Usurpation.«336 Zudem konnte es nach oströmischem Verständnis »nur ein Reich geben, nicht aber zwei gleichrangige Reiche nebeneinander.«337 Der oströmische Kaiser sah sich selbst als Kaiser der Römer an.338 Es folgten diplomatische Verwicklungen um die »Nachfolge des antiken imperium romanum«339. Schon 812 beanspruchte Byzanz »als Weltkaisertum den römischen Kaisertitel, und bis zum Untergang des Reiches läßt es das westliche Kaisertum lediglich als partikulares Titularkaisertum gelten, als zweitrangige Kaiser also«340. Konflikte zwischen Ost- und Westrom gab es seither immer wieder.341 Über die Jahrhunderte entstand so ein oströmisches Feindbild im Westen. Böswald verweist auf ein Zitat des französischen Chronisten Odo von Deuil (1110–1162), der meinte, der byzantinische Kaiser werfe den christlichen Glauben nieder und versuche, »das Heidentum zu stärken.«342 Daran anschließend argumentiert Schulze, dass die »Rotherdichtung […] in der Figur des […] Basilius Konstantin das über Jahrhunderte transportierte pejorative Byzanzbild des Westens [verarbeite].«343 Die Rotherdichtung reflektiere »zeitpolitische Vorgaben«344.

335 Mohr, Andreas: Das Wissen über die Anderen. Zur Darstellung fremder Völker in den fränkischen Quellen der Karolingerzeit (= Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit; Bd. 7), Münster : Waxmann 2005, S. 237. 336 Ebd., S. 236. 337 Ebd., S. 237. 338 Ebd., S. 239. 339 Ebd., S. 231. 340 Schulze, Eherechtsdiskurse, S. 28. 341 Bereits zu Beginn des 9. Jahrhunderts »kam es im Gebiet der Adria zu einem bewaffneten Konflikt zwischen dem fränkischen Reich und Byzanz. Die Franken versuchten seit den 90er Jahren des 8. Jahrhundert eine fränkische Oberhoheit über die Gebiete Venetiens und Teile Dalmatiens zu errichten, die […] formell zum Terrain des byzantinischen Reiches gehörten […]«. Mohr, Wissen, S. 213. Auch später flammten immer wieder Konflikte auf. So erwog beispielsweise Kaiser Otto II. im Jahr 981 »einen Bruch mit Byzanz, […] indem er Süditalien der ottonischen Herrschaft zu unterwerfen versuchte. Seine Titulatur als Romanorum imperator (Kaiser der Römer) verdeutlicht mit dem Zusatz ›der Römer‹ einen gegen Byzanz gerichteten Akzent.« Herbers, Klaus/Neuhaus, Helmut: Das Heilige Römische Reich: Schauplätze einer tausendjährigen Geschichte. Köln 2005, S. 51. Der Versuch Ottos, Einfluss auf Süditalien auszuüben, führte zu weiteren Konflikten, denn »Byzanz beargwöhnte nicht nur das westliche Kaisertum, sondern besaß zudem traditionelle Rechte in Süditalien.« (S. 49.) 342 Übersetzung von Böswald, Hans-Alfred: Studien zur Kreuzzugsgeschichtsschreibung des Odo von Deuil. Dissertation. München 1958, S. 116. 343 Schulze, Eherechtsdiskurse, S. 28. 344 Ebd. Vgl. dazu auch Kerth, King Rother, S. 63ff.

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So ist Konstantin, wie Urbanek feststellt, »kraß negativ gezeichnet«345, im Politischen wie familiär Privaten schwächlich346, er vertrete den »negativen […] Typus eines Kaisers«347. Von seinen Ratgebern wird er kritisiert, weil er Rothers Boten in den Kerker geworfen hat: ›herre, dir ist uvele geschen an den boten walgetan die du hast gevangin lan […] du hast den valant getan!‹ (Vv. 880–890).

Auch die Gattin bezeichnet die Entscheidung als tump (V. 1065), rät ihm mehrfach dazu, die Gefangenen freizugeben (V. 1175ff., 1803f.).348 Konstantin erscheint als schwacher Regent, wie Fischer feststellt, und das nach innen wie nach außen.349 Nur mit Rothers Hilfe kann Ostrom vor den Heiden gerettet werden, ohne ihn ist es verloren (vgl. V. 3804ff.). Wenn Konstantin, so Schulze, mit den »Heiden paktiert, indem er ihnen seine Tochter […] überläßt, scheint dies Odos Verdikt zu transportieren, daß die Byzantiner keine wirklichen Christen seien, sondern unzuverlässig und verräterisch.«350 Schulze betont die »fortschreitende Destruktion des östlichen Protagonisten, [die] als Folge seiner Unfähigkeit, situationsangemessen zu reagieren, inszeniert [sei].«351 Nach der Befreiung Konstantinopels von den Heiden durch Rother bezeichnet Konstantin die Rückentführung der Tochter als kindisch (wie grozer kintheit it gewelt, V. 4516), sich selbst als boslich (V. 4522). Die Königin wirft ihm Gottlosigkeit vor (V. 4551). Schließlich übergibt er Rother seine Tochter persönlich (V. 4615ff.), wieder um sich zu retten (V. 4570). Die Aussageorientierung liegt auf der Hand: Ein solcher Kaiser muss abgelöst und durch einen guten Herrscher ersetzt werden. Es bedarf einer politischen Zustandsveränderung, um die Christenheit vor dem Heidentum zu retten. Mit Rother wird ein idealer Gegenherrscher entworfen.352 Der Traumfalke versinnbildlicht diese Idealität.

345 Urbanek, Ferdinand: Rother und Imperator Rubeus (Barbarossa) – Typus und Realität im Epos von König Rother. In: Stauferzeit: Geschichte, Literatur, Kunst. Hrsg. von Rüdiger Krohn/Bernd Thum/Peter Wapnewski. Stuttgart 1979, S. 132–143, hier: S. 131. 346 Ebd., S. 131. 347 Ebd., S. 132. 348 Zur Kritik der Königin an ihrem Gatten Konstantin vgl. auch Schmitz, Erzählen im König Rother, S. 181. 349 Fischer, Gewalt, S. 227. 350 Schulze, Eherechtsdiskurse, S. 31. 351 Ebd., S. 51. Zur Destruktion der Konstantin-Figur vgl. auch Fischer, Gewalt, S. 224ff. 352 Vgl. dazu auch Kerth, King Rother, S. X.

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6.

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Traumbild und Aussageorientierung

Adel Im Traumfalken wird ein positives, idealtypisches, fürstenspiegelhaftes Gegenbild zu Konstantin entworfen. Falke und Falkenjagd waren im Mittelalter Attribut des Adligen, in staufischer Zeit »Kennzeichen von Ritterlichkeit und Vornehmheit per se […]«353, Gleichnis für den »hohen Adel«354, Sinnbild genealogischer Vorzüge. In der Dichtung taucht der Falke in der Bedeutung her, »Herr, Herrscher, Gebieter, Adliger, Fürst«355 auf. Auch im Rother steht er für Fürstenglanz (vgl. dazu u. a. Vv. 298–302 sowie Vv. 4939–4942)356. Ihm wurde, wie Reiser herausgearbeitet hat, eine »königsgleiche Stellung unter den Raubvögeln«357 zugesprochen, in seiner Gestalt das Majestätische,358 in seiner Fähigkeit zu einem hohen Flug, wie Ermes-Körber nachweist, der »hohe adlige Stand des Königs«359 gesehen. In der Traumerzählung versinnbildlicht er Rothers hohen Adel. Der weströmische Herrscher ist kunic (V. 2)360, der aller heriste man (V. 10), hat viele Vasallen: ime [Rother] dientin andere heren: / zwene unde sibinzih kuninge (Vv. 5–7). Das wird auch an Konstantins Hof erkannt. So sagt der griechische Herrscher zu Rother : din geverde daz ist groz, / du bist ir aller obergenoz! (V. 981). Die Königin vermutet ihrerseits: weiz got, her mach wol edile sin! (V. 1464). Sie erkennt die große Macht Rothers: Rother der ist riche / und mac wol gewalt han (V. 1470–1471). Benez¦ meint, das Tier verweise auf den »Falken von Rom«361, wohl in Anlehnung an den Gedanken, dass der Falke »symbolkundlich 353 Nordmeyer, G.: Zur Auffassung des Kürenbergerfalken. Germanic Review, Bd. 18, Nr. 3. New York 1943, S. 213–223, hier: S. 222. 354 Ermes-Körber, Antonia Gertruda: Zwei Künste, beflügelt von einem Ideal. Eine Untersuchung des Falkenmotivs in der Lyrik, Epik und Minneallegorie des 12.–14. Jahrhunderts, Amsterdam 1995, S. 14. 355 Vgl. Ebd. 356 So heißt es im Rother: scal unde vedirspil / des ist in minis herren hove vil. / ros und iuncvrowen / unde ander ritaris gezowe, / des vlizit sich min herre (Vv. 298–302). Später findet sich der Falke in ähnlicher Bedeutung. Hier taucht der Greifvogel als Mischwesen aus Drache und Sperber (capelune) auf dem Schildwappen des Königs Asprian auf und steht damit als Symbol für das adlige Herrscherhaus des Riesen: er [Asprian] vorte an sime schilde / ein tier, sam iz spilde / zu deme golde erlich, / eime capelune geliche (Vv. 4939– 4942). Die Betonung liegt also innerhalb der genannten Textstellen auf den Aspekten Adel und höfische Welt. 357 Reiser, Irmgard: Falkenmotive in der deutschen Lyrik und verwandten Gattungen vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. Würzburg 1963, S. 19. 358 Ebd. 359 Ermes-Körber, Zwei Künste, S. 101. 360 Zumeist wird er als kunic riche bezeichnet, so in den Versen 293, 600, 712 und in ähnlicher Form auch in den Versen 3456, 3512, 3664, 3702, 4180, 4482, 4641, 4933, 4997, 5071. 361 Benez¦, Traummotiv, S. 36. So auch Fischer, The Dream, S. 72.

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eine ähnliche Rolle wie der Adler«362 spielt, der Kaisersymbol war. Gedanklich läuft die Erzählung auf eine gesamtrömische Herrschaft hinaus. Tugenden Der Falke war im Mittelalter zudem ein Tugendsymbol. Die Falknerei wurde als Mittel des Erwerbs von Tugenden angesehen und galt, wie Reiser anmerkt, als ein »Erziehungsmittel ersten Ranges«, als Mittel zur Selbstzucht, mit dem das Persönlichkeitsideal, die seelische, geistige und körperliche Vollkommenheit eines höfischen Ritters, geformt werden konnte.363 Die Ausübung der Falknerei wurde, wie Wapnewski feststellt, als eine Kunst angesehen, die »erziehen soll«364. So sei das Kapitel über den idealen Falkner im Buch Friedrichs II. »im Grunde eines über den idealen Menschen, eine Tugendlehre und ein Katalog der Vollkommenheit.«365 Die Falknerei wurde somit in einen Bezug zur ritterlichen Tugendlehre gesetzt.366 Zerling weist darauf hin, dass der Falke zu einem Symbol für höfische Tugenden wurde, zu einem »Sinnbild anspruchsvoll höfischer Lebenskunst«367, Reiser spricht von einem »Gleichnis für [den] Adel der Gesinnung«368, einem »sinnbildliche[n] Träger höchst[er] Werte«369. Der gezüchtete Jagdfalke stehe, so Reiser, für den »vollkommen erzogenen, mit allen höfischen Tugenden vertrauten Ritter, de[n] Fürsten«370, für »edle Gesinnung«371, nach Ermes-Körber für »höfische[…] Wertvorstellungen […].«372 362 Biedermann, Falke, S. 132–133, hier : S. 132. Man könnte einwenden, dass dem Adler eine ranghöhere Bedeutung zugesprochen wurde: Er steht in der Hierarchie über dem Falken, wurde zum »Symbol des Trägers der Reichsgewalt, zum stehenden Symbol für den deutschen Kaiser.« Reiser, Falkenmotive, S. 84. Nach dem Traumbuch Achmets symbolisiert der Falke die »ranghöchste Person nach dem Kaiser.« Achmet, S. 222, Nr. 285. Ziel der Erzählung ist aber freilich, den Gedanken einer gesamtrömischen Herrschaft unter einem weströmischen Kaiser zu transportieren. Das wird hier noch nicht erreichen, aber durch die Heirat mit der Prinzessin zumindest angedeutet – immerhin wird Rother in diesem Sinne auch einmal als keyser (V. 3106) bezeichnet. 363 Reiser, Falkenmotive, S. 42. 364 So Kaiser Friedrich II. im Prolog seines Falkenbuches. Vgl. Wapnewski, Peter : Waz ist minne. Studien zur Mittelhochdeutschen Lyrik. München 1975, S. 40–41. 365 Wapnewski, Waz ist minne, S. 41. 366 Hinsichtlich des Begriffs »ritterliches Tugendsystem« ist einzuwenden, was bereits Bumke feststellt: »Der Begriff ›ritterliches Tugendsystem‹ stammt von Gustav Ehrismann. Er ist insofern mißverständlich, als es eine Systematik nie gegeben hat. Die höfische Tugendlehre ist fast nur in poetischer Form vorgetragen worden […]« Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. Band 1. München 1986, S. 416. Deswegen spreche ich hier im Anschluss an Bumke von ritterlicher Tugendlehre. 367 Zerling, Falke, LexTiersymbolik, S. 91–93, hier : S. 93. 368 Reiser, Falkenmotive, S. 66. 369 Ebd., S. 92. 370 Ebd., S. 50. 371 Ebd., S. 51.

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Rother wird dementsprechend in der Forschung als »idealer Regent«373 und vorbildlicher Lehensmann beschrieben,374 der »nur gute […] Eigenschaften«375 hat. Zu seinen Tugenden zählt die m–ze, das »›Maßhalten‹«, die »(sittlichen) ›Mäßigung‹«376. Rothers Mannen fürchten nach der Entführung der Prinzessin Rotheres zorn (V. 3272), der König aber reagiert selbstbeherrscht und erklärt Lupold, dem Überbringer der Nachricht: gehave dich wole […]! warumbe quelis du den lif ? […] vorchtes du minen zorn, so were din dienest ovele verlorn, daz du mir dicke hast getan (Vv. 3332–3341).377

Die milte bezeichnet Gellinek als Rothers »persönliche Tugend«378. Gold verteilt er großzügig: sie waren deme kuninge alle holt, daz machete silber unde golt, daz er in kunicliche gap (Vv. 146–148).

Auf diese Tugend der milte wird auch im weiteren Verlauf der Erzählung immer wieder hingewiesen. So zeigt sich Rother als freigebig, unterstützt die Armen: selve her iz in wol gebot, her bottin vlizeliche ir not […] wol entfengen sie die armen (Vv. 1299–1303). Ermes-Körber, Zwei Künste, S. 14. Schröder, König Rother, S. 328. Zimmermann, Herrschaft und Ehe, S. 5. Vgl. auch Schröder, König Rother, S. 342. Schröder, König Rother, S. 330. Krohn, M–ze, SWMediävistik, S. 513. Ehrismann übersetzt den Begriff mit »Dämpfung der Leidenschaften«, »Selbstbeherrschung«. Ehrismann, Gustav : »Die höfische Morallehre«, in: Ritterliches Tugendsystem. Hrsg. von Eifler, Günter. Darmstadt 1970, S. 85–92, hier : S. 86. Gerwing/Koch bezeichnen m–ze als Streben nach der »rechten Mitte«. Gerwing/Koch, Mäßigkeit, LexMA, S. 371–372, hier : S. 371. 377 Freienhofer, Tabuisierung, S. 87, spricht in diesem Zusammenhang von einer »Tabuisierung von Zorn als Herrscherhandeln«. Zorn wird von Rother selbst »als Sünde markiert«. Er selbst sei »nicht Träger« dieser Emotion (S. 103). Trotzdem spiele diese Emotion eine wesentliche Rolle. Weiter spricht sie, S. 101, von einer »Auslagerung der Emotion auf die Riesen«, die Vasallen Rothers. 378 Gellinek, König Rother, S. 89. Vgl. dazu auch Woelker, E.M.: Menschengestaltung in vorhöfischen Epen des 12. Jahrhunderts. Berlin 1940 (Germanische Studien 221), S. 157. Schröder, König Rother, S. 328. Zimmermann, Herrschaft und Ehe, S. 77. Meves, Uwe: Studien zu König Rother, Herzog Ernst und Grauer Rock (Orendel). Frankfurt am Main 1976, S. 49.

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Er bewirtet und beschenkt fremde Ritter (Vv. 1330–1350).379 Auf diese Weise gewinnt er am Hof des oströmischen Herrschers sechstausend Mann als Anhänger (vgl. Vv. 1380f.), Konstantins eigene Vasallen gehen zu Rother über.380 Seine Großzügigkeit, so stellt Fischer fest, führt zu einem »enormen Machtgewinn und schwächt zugleich denjenigen, der sich ihrer notorisch enthält.«381 In der triuwe sieht Zimmermann Rothers Haupttugend.382 Er tritt aktiv für seine Männer ein: Als seine Leute von der Brautwerbung nicht heimkehren, heißt es: Her wranc sine hende / unde gedachte in manigin ende (Vv. 438–439). Dann fasst er den Plan, nach Konstantinopel aufzubrechen, um sie zu befreien (V. 608ff.). Er sorgt sich um seine Gefolgsleute, hält ihnen auch in größter Not die Treue383 und bürgt für deren Freilassung mit dem eigenen Leben (V. 2407f.). Auch die Þre, die Tugend der ritterlichen Tapferkeit384, die »Kardinaltugend des ritterlichen Mannes«385, ist eine Eigenschaft Rothers.386 Er begibt sich allein in die von Ymelot besetzte Festung Konstantins, um seine Frau zu retten, verbirgt sich nicht vor seinen Feinden, stellt sich ihnen, obgleich es ihn das Leben kosten könnte.387 Er entspricht der Einschätzung Konstantins: wolder aber here vore gan, / daz were ime ere getan (Vv. 3922–3923). Rother ist der herre […] vile g˜t (Vv. 174, 5115), der helit got (V. 783), ein tugendhafter Mann (Vv. 1918, 1933, 2223, 2273, 3790), der aller turiste man (V. 4079), ein idealtypischer Herrscher : klug, besonnen, treu, überlegen. Hier wird ein Fürstenspiegel entworfen. Im Falkenbild werden alle diese positiven Eigenschaften versinnbildlicht. Rother verkörpert all das, was Constantin nicht ist, wird ihm diametral entgegengesetzt. Monika Schulze sieht daher im Rother die »Botschaft einer Suprematie des Westens bzw. der Hegemonie der lateinischen Christenheit« gegeben.388 So auch Schröder, der in der Gegenüberstellung der beiden Herrscher »das abendländische, auf christlicher Basis ruhende Herrscherideal und die orientalische Despotie«389 repräsentiert sieht. Die Traumerzählung entwirft ein ideales Ge379 So hilft er etwa dem verarmten Grafen Arnold aus dessen Not: man sal en dusint marc geven / unde itwaz geven mere (Vv. 1446–1447). 380 Vgl. dazu auch Schröder, König Rother, S. 328 381 Fischer, Gewalt, S. 220. 382 Vgl. dazu auch Zimmermann, Herrschaft und Ehe, S. 77. 383 Vgl. Schröder, König Rother, S. 328. Meves, Studien, S. 49–50. 384 Vgl. Ehrismann, Gustav : »Grundlagen des ritterlichen Tugendsystems«, in: Ritterliches Tugendsystem. Hrsg. von Eifler, Günter. Darmstadt 1970, S. 85–92, hier: S. 72. 385 Ehrismann, Gustav : »Die höfische Morallehre«, in: Ritterliches Tugendsystem. Hrsg. von Eifler, Günter. Darmstadt 1970, S. 85–92, hier : S. 86. 386 Vgl. dazu auch Gellinek, König Rother, S. 89. 387 Dinzelbacher/Riedlsperger weisen darauf hin, dass die Þre den »Rückzug auch in militärisch aussichtsloser Situation verbot«. Dinzelbacher/Riedlsperger, Ehre, SWMediävistik, S. 197–198, S. 197. 388 Schulze, Eherechtsdiskurse, S. 27. 389 Schröder, Walter Johannes: Spielmannsepik. 2., verb. Aufl. Stuttgart 1967, S. 306. Vgl. dazu

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genbild zum oströmischen Herrscher. Zugleich verweist der Traum auf die Möglichkeit einer politischen Lösung für die Konflikte zwischen Ost- und Westrom: die Heirat eines weströmischen Herrschers mit einer oströmischen Prinzessin. Minne Der Falke ist ein Minne-Symbol. Er versinnbildliche, so Reiser, den »um die Kaisertochter werbenden und von dieser wiedergeliebten Rother.«390 Die minne zwischen Rother und der Kaisertochter kommt exemplarisch im Rahmen der Kemenatenszene zur Darstellung.391 Hier heißt es: also der eine inne was, der ander vor der turin was, vante die magit so vil virnam, daz sie den tuginthaftin man von aller slachte sinne in iren herzen begunde minne (Vv. 1915–1920).

Es verlangt sie danach, ihn zu sehen (vgl. V. 1934). Beim ersten direkten Zusammentreffen mit der Prinzessin bekennt sie ihre Liebe zu Rother : ich wil ouch immer magit gan, / mer ne werde der helit lossam! (Vv. 2231–2232).392 In dieser Szene kommt es zur Beschuhung der Prinzessin durch Rother (V. 2199). Fromm sieht in dem Schuh ein Symbol der »Hingabe«393, spricht von einer »vibrierenden Spannung, die über der Handlung liegt«, hier scheine die »alte erotisch-sexuelle Symbolbedeutung des Schuhs wirksam zu werden«394. Die erotisch konnotierte Beziehung zwischen Rother und der Kaisertochter wird durch den Falken damit in einen, wie Reiser es formuliert, »erotischen Bezug«395 gesetzt. Doch ist diese minne mehr als reine Leidenschaft und erotische Beziehung. Transportiert wird ein politischer Gedanke: Aus der erotischen Vereinigung wird eine politische, diese minne führt Ost- und Westrom zusammen.396 Die

390 391 392 393 394 395 396

auch Freienhofer, Tabuisierung, S. 88. Fischer, Gewalt, S. 225, bezeichnet Konstantin als »Tyrannen«, weil er »mit der Todesstrafe die Gefolgschaft erzwingt«. Reiser, Falkenmotive, S. 119–120. So auch Haag, Traum und Traumdeutung, S. 92. Vgl. dazu ausführlich Fromm, Hans: Die Erzählkunst des ›Rother‹-Epikers, in: Spielmannsepik. Hrsg. von Walter Johannes Schröder. Darmstadt 1977, S. 351–396, hier: S. 368– 369. Vgl. dazu auch Vries, Jan de: Die Schuhepisode im König Rother, in: Spielmannsepik. Hrsg. von Walter Johannes Schröder. Darmstadt 1977, S. 397–412, hier : S. 398. Fromm, Erzählkunst, S. 363. Fromm, Erzählkunst, S. 384. Ebd., S. 381. So auch Haug, Geständnis, S. 35. Reiser, Falkenmotive, S. 119–120. Vgl. zum Politischen dieser Minne auch Haug, Geständnis, S. 29.

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Kemenatenszene veranschaulicht einen Rechtsakt. Schulze spricht von einem »rechtsrelevante[n] Gestus«397. Der Schuh sei ein »Ehepfand«398. Schulze betont dabei die Initiative, die stets von der Prinzessin ausgeht.399 Sie lässt nach Rother schicken (1930ff.), fordert ihn zur Beschuhung auf: die [Schuhe] saltu mir zien an! (V. 2194). Rother antwortet mit vile gerne (V. 2195f.). Sie versichert, dass sie mit Rother nach Westrom flüchten wolle (vgl. Vv. 2282–2283). Damit wird auf den Konsens zwischen Rother und der Prinzessin verwiesen. Der König entführt die Prinzessin später mit ihrer Einwilligung und mit der der Mutter (V. 2919f.). Die Ehe ist damit, nach weströmischem Verständnis, rechtmäßig geschlossen.400 Diese Verbindung ist Ausdruck einer politischen Wunschvorstellung. Die Traumerzählung propagiert dieses weströmische Heiratsprojekt als Herrschaftsprogramm. Schulze weist darauf hin, dass dies die »realen Verhältnisse zwischen Byzanz und dem Westen« konterkariere, denn hier »bietet sich die Prinzessin, eine echte Porphyrogenita, dem westlichen Protagonisten geradezu an; realiter bemüht sich der Westen […] seit Jahrhunderten um eine purpurgeborene Kaisertochter, bekommt aber keine.«401 Ohnesorg fasst die byzantinische Position zusammen: »Eine legitim geborene Tochter des römischen Kaisers und Stellvertreters Christi auf Erden war ebenso wie die kaiserliche Spezialkrone […] Reservat der Byzantiner und wurde nicht an Barbaren überlassen.«402 Konstantin wird im Sinne dieser Aussageorientierung instrumentalisiert, wenn er im Rahmen seiner Traumerzählung ein idealtypisches Gegenbild zu sich selbst kommuniziert, wenn er einen Traum erzählt, der die Vereinigung von Ostund Westrom unter der Ägide Rothers und seiner Nachkommen403 vorausdeutet und selbst das politische Wunschdenken der Franken verbalisiert. Der Antagonist wird für die Aussageorientierung in Dienst genommen. Aus dem Mund des Gegners bekommt diese Erzählung ein ganz anderes Gewicht. Die Erzählung wirkt wie eine Selbstdestruktion, eine Bestätigung der Gegenseite. Das ist of397 Schulz, Eherechtsdiskurse, S. 39. So bereits Jungbauer, Schuh, HWdA, S. 1292–1353, hier : S. 1326ff. Vgl. dazu auch Wandhoff, Heiko: Der epische Blick. Eine mediengeschichtliche Studie zur höfischen Literatur. Berlin 1996, S. 229. 398 Ebd., S. 38. So schon Fromm, Erzählkunst, S. 384. 399 Ebd., S. 43. 400 Zur Diskussion über die Rechtmäßigkeit dieser Ehe vgl. Schulz, Eherechtsdiskurse, S. 45– 47. 401 Schulz, Eherechtsdiskurse, S. 43–44. 402 Ohnesorg, Werner : Die Heirat Kaiser Ottos II. mit der Byzantinerin Theophano (972). In: Braunschweigerisches Jahrbuch 54 (1973), S. 24–60, hier: S. 32. 403 Die (unhistorische) Genealogie macht es eindeutig: Rother und die griechische Prinzessin sind die Eltern von Pippin, dem Vater Karls des Großen (V. 3483f. und 4764). Damit werden die weströmischen Herrscher in Nachfolge Karls als legitime gesamtrömische Herrscher gesehen. So auch Haug, Geständnis, S. 35: »[I]m Kind realisiert sich personell die politische Verbindung der Machtsphären«.

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fenkundig der Grund, weshalb Konstantin den Traum erzählt und kein anderer. Bemerkenswert ist dabei auch, dass die handlungsprogressive Kettenreaktion, die sich letztlich zugunsten Rothers auswirkt, ebenfalls durch Konstantins Erzählung ausgelöst wird. 7.

Zusammenfassung

Die Traumerzählung Konstantins löst eine Kettenreaktion aus, die von der Gefangennahme Rothers bis zur Befreiung Ostroms und der Rückführung der Prinzessin nach Westrom reicht. Dabei erscheint es aus handlungsprogressiver Perspektive unerheblich, dass Konstantin Traumerzähler ist. Jeder andere hätte den Traum mit der gleichen Wirkung erzählen können. Doch aus figurenorientierter Perspektive hat dieser Umstand die Forschung irritiert. Konstantin tröstet seine Tochter mit einer Erzählung, die den Gegner Rother in ein positives Licht rückt. Dass sich der Herrscher im Sinne des Machterhalts auf die Seite des aus seiner Perspektive mächtigeren Heidenkönigs schlägt, erscheint nicht unbedingt widersprüchlich und im Sinne der folk psychology durchaus begründbar. Er hofft auf eine Befreiung durch Rother, aber als dieser mit nur wenigen Begleitern auftaucht, garantiert er nicht den Erhalt von Position und Leben. Eine weitere Möglichkeit, die Erzählung aus Konstantins Mund zu erklären, bietet die aussageorientierte Ebene. Der Falkentraum ist ein Legitimationstraum, kündigt in prophetischen Bildern eine politische Zustandsveränderung an, die Ablösung des oströmischen durch den weströmischen Regenten. Er transportiert und bestätigt ein weströmisches Selbstverständnis und entwickelt ein idealtypisches Gegenbild zum despotischen byzantinischen Herrscher. Das Falkenbild versinnbildlicht Rothers hohen Adel, seine Tugenden. Zugleich ist er Minnesymbol, verweist auf eine politische Minne, eine weströmische Wunschvorstellung: die Heirat eines weströmischen Kaisers mit einer byzantinischen Prinzessin. Der oströmische Herrscher wird hier instrumentalisiert, diese Wunschvorstellung selbst zu verbalisieren, die Position des politischen Gegners auszusprechen. Selbstdestruktion im Sinne der Aussageorientierung ist der Grund dafür, dass Konstantin den Traum erzählt und keine andere Figur. Vor dem Hintergrund dieser Aussageorientierung passt die Traumerzählung durchaus zu Konstantin. In diesem Sinne halte ich auch die Annahme, es handle sich bierbei um einen Textfehler, für wenig überzeugend. Als nächstes wende ich mich dem Orendel zu, welcher dem Rother gattungsmäßig nahesteht. Das soll auch zum Anlass genommen werden, die Träume, die sich in den beiden Erzählungen finden, miteinander zu vergleichen.

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VI.2.2 König Sinolds Todestraum im Orendel 1.

Der Text: Orendel

Das Versepos Orendel404 wird von der Forschung zumeist auf die Zeit um 1190 datiert. Die älteste bekannte Fassung stammt allerdings aus dem Jahr 1477.405 Der Text lässt sich gattungsmäßig nur schwer zuordnen: Curschmann spricht von einem »Spielmännische[n] Legenden- und Abenteuerroman«406, Schulze von einer »Kreuzzugsdichtung«407, Müller-Römheld bezeichnen ihn als »Reliquienlegende«408, Biesterfeld als »Brautwerbungsepik«409. Am ehesten kann man wohl von einer Mischung aus Kreuzzugs- und Brautwerbungsdichtung sprechen, die sich dann schnell auf die Kreuzfahrerthematik festlegt.410 Orendel, der Sohn des Königs von Trier, will Bride, die Königin von Jerusalem, ehelichen. Auf dem Weg dorthin sinken seine 72 Schiffe, allein Orendel überlebt. Er strandet und wird von dem Fischer Ise aufgenommen. Im Bauch 404 Ich zitiere im Folgenden hauptsächlich nach: Orendel und Br„de. Eine R˜ne des Deutschen Heidenthums, umgedichtet im zwölften Jahrhundert zu einem befreiten Jerusalem. Hrsg. von Ettmüller, Ludwig. Zürich 1858. Neben dieser Ausgabe ziehe ich vergleichend heran: Orendel (Der Graue Rock). Faksimileausgabe der Vers- und Prosafassung nach den Drucken von 1512. Hrsg. von Ludwig Denecke. Stuttgart 1972. Und: Der ungenähte graue Rock Christi: Wie König Orendel von Trier ihn erwirbt, darin Frau Breiden und das heilige Grab gewinnt, und ihn nach Trier bringt. Altdeutsches Gedicht, aus der einzigen Handschrift mit Vergleichung des alten Drucks. Hrsg. von Friedrich von der Hagen. Berlin 1844. Zitate aus der Ausgabe Ettmüllers kennzeichne ich im Folgenden mit E, Zitate aus der Ausgabe Deneckes mit D. 405 Die älteste handschriftliche Version ist 1870 in Straßburg verbrannt, aber »durch den Abdruck v. D. HAGENS und eine Abschrift CH.M. ENGELHARDTS (Berlin, mgq 817a) erhalten«. Darüber hinaus existieren noch Vers- und Prosafassungen aus dem Jahr 1512. Vgl. dazu Curschmann, Michael: »Orendel« (»Der Graue Rock«), in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hrg. von Kurt Ruh (federführend bis Band VIII) zusammen mit Gundolf Keil, Werner Schröder, Burghart Wachinger (federführend ab Band IX) und Franz Josef Worstbrock, Band I–XIV, Berlin und New York 1978–2008, Neudruck (Band I–XI) 2010. Band 7, S. 43–48, hier: S. 43. Zur Datierung des Orendel um 1190 vgl. Biesterfeldt, Corinna: Moniage – Der Rückzug aus der Welt als Erzählschluß. Untersuchungen zu »Kaiserchronik«, »König Rother«, »Orendel«, »Barlaam und Josaphat«, »ProsaLancelot«. Stuttgart 2004, S. 64. Eine Übersicht zur Datierungsdiskussion gibt Bowden, Bridal-Quest Epics, S. 139ff. 406 Curschmann, Orendel, Verfasserlexikon, S. 43. So auch Ott, Norbert H.: »Orendel«. In: Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Band. 9. Hrsg. von Walter Killy. Gütersloh/München 1991, S. 9–10, hier: S. 9. 407 Schulze, Kreuzzugsdichtung, LexMA, S. 1519–1525, hier: S. 1522. So schon Wetzlaff-Eggebert, Friedrich-Wilhelm: Kreuzzugsdichtung im Mittelalter. Studien zur ihrer Geschichte und dichterischen Wirklichkeit. Berlin 1960. 408 Müller-Römheld, Walter : Formen und Bedeutung genealogischen Denkens in der deutschen Dichtung bis um 1200. Frankfurt am Main 1958, S. 71. 409 Biesterfeldt, Moniage, S. 66. 410 Vgl. ebd., S. 67.

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eines gefangenen Wales finden sie einen grauen Rock. Dieser ungenähte Rock Christi macht Orendel stark und schützt ihn besser als jede Rüstung. Er bricht auf nach Jerusalem und besteht zahlreiche Kämpfe gegen Heiden, wodurch Königin Bride auf ihn aufmerksam wird, die ihn als Königskind erkennt. Orendel wird König von Jerusalem. Immer wieder schützt er nun das Heilige Grab und Jerusalem vor Angriffen der Heiden und christianisiert die Welt. Dabei hilft ihm der Fischer Ise, der ihm als Ratgeber dient. Am Ende werden die Seelen Orendels, Brides und Ises von Engeln ins Himmelsreich geführt. 2.

Der Traum König Sinolds

In einer der zahlreichen Kriegs- und Abenteuerepisoden des Orendel wird erzählt, wie Bride in die Gefangenschaft des Heidenkönigs Sinold411 gerät, der sie ehelichen will. Orendel und Ise brechen auf, um die Braut zu befreien. Kurze Zeit vor der Ankunft der Helden erzählt der Heidenkönig seinem Diener Achille von einem unheilvollen Traum: mir ist gidroumet h„naht, fur w–r ich daz sagen mach iz qu–men giflogen ubir mere ein raven ind ein adelare, Die br–chen mir m„n burch nider – ich ne konde niet dar wider, van obene unz ze grunde si ne mir gibrochen wurde (E, XXIII / Vv. 9–10).

Die Traumerzählung ist prophetisch412 : König Orendel und sein Vasall, der zum Herzog ernannte Fischer Ise, fahren über das Meer, um Königin Bride aus den Händen Sinolds zu befreien. Der Adler steht für König Orendel, der Rabe für Ise, der in der Realität der fiktiven Welt die Burg zerstört: 411 In der Ausgabe von der Hagens und Deneckes heißt er Minold. 412 Vgl. Fischer, The Dream, S. 79. Die Traumerzählung trägt analeptische und proleptische Elemente in sich. Vgl. dazu auch Schmitz, Traum und Vision, S. 36. Zum Zeitpunkt des Traums (h„naht) sind die beiden Helden bereits an der Burg des Heidenkönigs angelangt. Bei einer Reise von hundert Meilen über das Meer (E, XXII / V. 12ff.) und einem siebentätigen Fußmarsch durch die Wüste Babylon (E, XXII / V. 19,2) dürfte die Reichweite des analeptischen Anteils wohl mehrere Wochen betragen. Das Niederreißen der Burg und – bei von der Hagen – auch die Enthauptung Sinolds, geschehen innerhalb der nächsten Tage: Sinold verschanzt sich, als er Orendel und Ise erkennt, in einem Turm (E, XXIII / V. 33f.), die 72 heidnischen Könige von Babylon erfahren davon und belagern die Burg (E, XXIII / V. 35f.), die Gefolgsleute Orendels eilen auf Geheiß der heiligen Maria zur Hilfe, reisen sieben Tage durch die Wüste Babylon (E, XXIII / V. 42ff.), die Kämpfe dauern vier Tage (E, XXIII / V. 44ff.), dann stellt Ise König Sinold (E, XXIII / V. 52), enthauptet ihn (E, XXIII / V. 55, 1–2), brennt die Burg nieder (E, XXIII / Vv. 57–58). Die Reichweite des Traums in die Zukunft beträgt also ca. 11 Tage (erzählte Zeit).

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Ise die w„gant nam einen brant an die hant. Dú die burch allu bran, ˜ph húven sich die hÞren san (E, XXIII. / Vv. 57, 3–4–58, 1–2).

In der Textausgabe von der Hagens heißt es außerdem noch: der rap biß mir mein haupt ab (H, V. 3540ff.)413. Später wird Sinold von Ise enthauptet: Ise sin swert ˜ph húf, / daz houvet hi ime ave slúch (E, XXIII. / V. 55, 1–2). 3.

Forschungsstand

Der Traum König Sinolds im Orendel wurde in der Forschung kaum berücksichtigt.414 Fischer klassifiziert ihn als »alien somnium«415 und betont seine religiöse Dimension.416 Ansonsten beschäftigt er sich mit dem Symbolgehalt von Adler und Rabe. Den Raben als »fortus bellator« bezieht er auf Ise, den Adler als Sinnbild der Macht und Königssymbol auf Orendel.417 Eine differenziertere Auseinandersetzung mit den Figuren und den ihnen zugeordneten Symboltieren erfolgt dabei nicht, ebenso wenig mit der Ebene der Handlungs- und Aussageorientierung. Gefragt wird im Weiteren nach der Relation zwischen der Reaktion Sinolds auf seinen Traum und der Handlungsprogression, danach, ob hier überhaupt ein relevanter Zusammenhang besteht, und wie dabei die Ebene der Aussageorientierung einzuschätzen ist. 4.

Figurenlogische Orientierung und Progressionsorientierung

Als Reaktion auf den Traum trifft Sinold Sicherheitsvorkehrungen, verlangt von Achille: die burch du mir in fride halt (E, XXIII / V. 8, 3). Er will die Prophetie 413 Hagen, Friedrich von der [Hrsg.]: Der ungenähte graue Rock Christi: Wie König Orendel von Trier ihn erwirbt, darin Frau Breiden und das heilige Grab gewinnt, und ihn nach Trier bringt. Altdeutsches Gedicht, aus der einzigen Handschrift mit Vergleichung des alten Drucks. Berlin 1844. Auch in der Denecke-Ausgabe kommt der Satz nicht vor: »Mir ist getraummet heint die nacht / für war ich das sagen mag / Es kem über múr geflogen her / Ein rap vnd auch ein adler / Die brechen mir mein burg nider / Das ich nymmer kan gemachen wider.« (D, Vv. 3416–3421). 414 Benez¦, Traummotiv, S. 36, bezieht sich auf den Traum, liefert aber nur eine Inhaltsangabe. Schmitz, Traum und Vision, S. 36–37, interessiert sich in erster Linie für die angeblich germanischen Ursprünge der Traumerzählung, die sich aber schwerlich nachweisen lassen. Fischer, The Dream, S. 79–81, handelt ihn kurz ab. Haag, Traum und Traumdeutung, S. 106, weist am Rande auf den Traum hin, geht aber nicht spezifischer auf ihn ein. 415 Fischer, The Dream, S. 79. So schon Schmitz, Traum und Vision, S. 36. 416 Ebd., S. 81, nimmt für den Traum einen germanischen Vorläufer an. Schmitz, Traum und Vision, S. 36–37, spricht von Volkstümlichkeit. 417 Ebd., S. 80.

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abwenden, sich selbst schützen. Das erscheint im Sinne der folk psychology figurenorientiert. Da Achille mit Ise verwandt ist, gelangen die beiden Christen trotzdem in die Burg des Heiden. Der Wissensvorsprung Sinolds infolge des Traums spielt für den Handlungsverlauf keine Rolle. Sinold stirbt, wie es der Traum ankündigt. Sein Versuch, das drohende Unheil abzuwenden, bleibt ohne Erfolg. Der Traum hat fiktionsintern keine handlungsprogressive Funktion, er kündigt nur den weiteren Verlauf der Handlung an. Sinolds Reaktion darauf wirkt sich aber nicht auf den Handlungsverlauf selbst aus. Doch warum wird er dann erzählt? Möglicherweise gibt die Ebene der Aussageorientierung Aufschluss darüber.

5.

Aussageorientierung

Der mantische Traum verkündet den Sieg zweier Christen über einen mächtigen Heidenkönig und damit über einen großen Teil der heidnischen Welt. Eine Quelle wird nicht genannt, aber der Traum zeigt eine Nähe zu gottgesandten Todesträumen,418 vermittelt einen eschatologischen Gedanken: die Vernichtung des Heidentums auf Erden und die Ausbreitung des Christentums im Sinne der Heilsgeschichte. In ihm zeichnet sich der göttliche Wille ab, göttliche Prädestination.419 Empfänger des Traums ist der Heide selbst, ein Antagonist also. Weber verweist darauf, dass Gott »nach biblischem und frühchristlichem Verständnis auch ›fremden‹ Herrschern« Träume schicken konnte, etwa »Kaisern, die Christen verfolgen – aber nur, um diese zu einem Werkzeug seines Heilsplans zu machen, oder um an ihnen seine Superiorität zu demonstrieren.«420 Ich meine, dass man das auch hier beobachten kann: An Sinold wird die Superiorität des christlichen Gottes demonstriert. Der Heide verkündet durch seine Todestraumerzählung den eigenen Untergang, den unaufhaltsamen göttlichen Willen im Sinne der Heilsgeschichte, der anschließend an ihm demonstriert wird. Er wird selbst, gegen seinen Willen, zum Sprachrohr Gottes, zum Werkzeug göttlicher Allmacht. Der gesamte Orendel ist im Sinne dieser Aussageorientierung zu verstehen. Die »Kreuzfahrerthematik«421 ist der zentrale Gedanke dieser Dichtung. Der 418 Todesträume haben eine lange Tradition. Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 417–492, gibt zahlreiche Beispiele für Todesträume in der Antike. Mittelalterliche Beispiele nennt Wittmer-Busch, Schlaf und Traum, S. 129. In der mittelhochdeutschen Dichtung gibt es viele Todesträume, vgl. etwa die Träume Kriemhilds von Siegfried (Nibelungenlied), Karls Traum vom Tod Rolands (Rolandslied) oder den Traum der Herzeloyde (Parzival). 419 Ich gehe auf den Begriff im Kapitel zu den Träumen Karls im Rolandslied (VI.3, 5.) noch genauer ein. 420 Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 91, FN 234. 421 Biesterfeldt, Moniage, S. 67.

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Orendel ist, wie Schulze darlegt, vor allem eine »Kreuzzugsdichtung«422. Die Brautwerbung, die ursprünglich »handlungsauslösend«423 ist – Orendel will um die Hand Brides, der Königin von Jerusalem, anhalten –, wird anschließend nicht mehr erwähnt.424 Die Bitte Orendels an seinen Vater HÞre, des w–re n˜ wol z„t, / daz ir g–vet mir ein w„f (E, I. / V. 9, 1–2), spielt später keine entscheidende Rolle mehr. Das w„f ist nur noch insofern interessant, als dass es in einem Zusammenhang mit dem Heiligen Grab und der Stadt Jerusalem steht (vgl. E, I, 15,3). Aus der Brautwerbungsmotivierung wird eine radikale Kreuzfahrermotivierung. So wird die Brautwerbung zunächst »unmittelbar mit dem Dienst für den Herrn und sein Hl. Grab identifiziert«, dem sich Orendel, nach den Worten seines Vaters, »mit Leib und Seele ergeben soll«425. Schließlich wird das Doppelmotiv von Braut- und Jerusalemfahrt, wie Müller feststellt, »zugunsten der letzteren entschieden.«426 Auf der Grundlage dieses zentralen Themas muss auch die Traumerzählung Sinolds gelesen werden. 5.1 Raumsemantik Die Aussageorientierung kommt schon in der Raumsemantik der Traumerzählung zur Geltung. Der Raum ist zweigeteilt: Sinold steht als Heide für das Böse. Der Herrschaftsraum dieses Königs ist Montewal bei der Wüste Babylon, dem gottfeindlichen Zentrum, Ort der Sünde, diametraler Gegensatz zur heiligen Stadt Jerusalem, deren König Orendel später wird (vgl. E, XII. / 41, 1–4). Adler und Rabe repräsentieren die christliche Welt, wenden sich, ausgehend von Trier über Akkon, gegen den babylonischen Raum. Resultat der Bewegung ist die Zerstörung der Burg, die Vernichtung ihres Herrschers, die Beseitigung seiner Herrschaft und die Eingliederung des Herrschaftsbereichs in die christliche Welt. 5.2 Adler Ein angreifender Adler kündigt nach Artemidor »Bedrohung von Seiten eines mächtigen Mannes«427 an. Der Traumadler verweist auf Orendel, der Sinold bedroht und ihn als Repräsentanten des Heidentums vernichtet. Orendel ist mächtig, als König und Krieger, denn Gott ist stets mit ihm. 422 Schulze, Kreuzzugsdichtung, LexMA, S. 1522. 423 Müller, Maria E.: Jungfräulichkeit in Versepen des 12. und 13. Jahrhunderts. Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur. Hrsg. von Joachim Bumke u. a. München 1995, S. 146. 424 Biesterfeldt, Moniage, S. 67. 425 Müller, Jungfräulichkeit, S. 143. In der Ausgabe Deneckes wird die Kreuzzugsmotivierung von Beginn an noch stärker betont: Du solltest dein leib vnd auch dein sele / Opfern vnserm herren dem heiligen grab (D, Vv. 185–186). 426 Ebd., S. 143. 427 Artemidorus, Traumkunst, Kapitel 20, S. 131.

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Nach Achmets Traumbuch verweist der Adler auf »die Person des Königs […]«428, was der königlichen Position Orendels entspricht. Der Adler galt seit dem Altertum als »König der Vögel«429, nahm schon im alten Rom eine bedeutende Stellung im Kaiserkult ein.430 Er war seit der Antike »Zeichen römischer Weltherrschaft«431 und »Symbol der Macht«432, auch im Mittelalter »Symbol der Könige und Kaiser«433 und des Herrschertums.434 Orendel ist der Sohn des Königs von Trier, sein Vater Herr uber zwelif kunichr„che (E, I. / V. 2,4). Auf seiner Reise nach Jerusalem begleiten ihn 72 Schiffe. Es sind ihm aht kun„ge edel inde r„ch (E, II. / V. 4, 3) und deren 8000 stolze riddar (E, III. / V. 4, 2) unterstellt. Der Adler ist zudem, wie Steger am Beispiel mittelalterlicher Malerei nachweist, ein Insignium König Davids,435 Hinweis auf die David-rex-Tradition, auf die sich im Orendel zahlreiche Anspielungen finden, etwa mit dem Verweis auf das bereits erwähnte Jerusalemkönigtum, ein Königtum, das auf den Davidsthron zurückgeführt wurde und daher ein besonders hohes Ansehen hatte.436 Orendel werden eine ganze Reihe typischer, aus der mediävalen Bildkunst bekannter signa König Davids zugeordnet. Er erhält Davides swert437 (E, XII. / V. 13, 2–4), wird – wie David – König von Jerusalem: Doch salt d˜ m„n hÞre sin (sprach daz scúne maged„n), ein kunich vile hÞr uber die burch ze JÞrsalÞm (E, XII. / V. 41, 1–4).

Er trägt eine krúne438, die kunich Dav„d / drúch ze sinre húchgez„t (E, XII. / Vv. 45, 2–4). Somit wird der Königssohn, wie Müller-Römheld feststellt, »in eine ty-

428 429 430 431 432 433 434 435

Traumbuch des Achmet, Nr. 284, S. 221. Lucchesi-Palli, Adler, LexMA, S. 153–154, hier: S. 153. Scheibelreiter, Tiernamen, S. 87. Kron, Adler, LexMA, S. 154. Belgrader, Adler, SWMediävistik, S. 7. Peuckert, Adler, HWdA, S. 174–189, hier : S. 176. Kron, Adler, S. 154. Steger verweist in diesem Zusammenhang auf ein David-Bild aus dem 8. Jahrhundert, Abtei St. Augustin Canterbury, sowie auf eins, das um die erste Hälfte des 12. Jh. entstanden ist, wahrscheinlich in England, Region d’Est oder Gellone. Vgl. zu den Beschreibungen dieser Bilder Steger, Hugo: David – Rex et Propheta. König David als vorbildliche Verkörperung des Herrschers und Dichters im Mittelalter, nach Bilddarstellungen des achten bis zwölften Jahrhunderts. Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft. Hrsg. von Siegfried Beyschlag u. a. Bd. VI. Nürnberg 1961, S. 155–157 sowie S. 227–228. 436 Riley-Smith, König, Königtum, LexMA, S. 1298–1324, hier : S. 1323. 437 Zur Bedeutung des Schwertes als »Macht-, Herrschaftssymbol« vgl. Kocher, Schwert, LexMA, S. 1644–1646, hier : S. 1644. 438 »Die biblischen Schriften schildern David […] mit der Krone.« Vgl. Steger, David, S. 8.

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pologische Beziehung«439 zu David gesetzt, der »David-rex-Tradition assimiliert«440. König David weist typologisch auf die Annäherung an Christus hin, wurde »als ›Vorläufer‹ Christi gedeutet«441. Durch diese imitatio David regis442 wird Orendel mit dem »idealen Typus des christlichen Herrschers«443 gleichgesetzt, bis in göttliche Sphären erhöht.444 Orendels Christusnähe ist stets präsent. Der Adler, Orendels Symboltier, ist, wie Lurker betont, Christussymbol: Dieser Vogel wurde »für würdig erachtet, Symbolgestalt Gottes bzw. Christi zu sein«445. Gottesnähe kommt zudem mit der Präsenz des grauen Rocks zur Geltung, durch häufige Legendenwunder, die den Königssohn befähigen, seine arbeit für Gott erfolgreich zu bewältigen.446 Der gr–we roc (E, V. / V. 9, 1) ist sichtbares Zeichen für Gottesnähe, als Kleidungsstück Christi die Berührung mit dem Göttlichen selbst447, ein Hinweis darauf, dass Orendel Gott auf Erden vertritt, in dessen Auftrag handelt. Durch ihn ist der Königssohn mit göttlichen Kräften gesegnet. Die Reliquie macht ihn, wie Tonnelat feststellt, zum »Siegfried des Heiligen Landes«448, macht ihn unbesiegbar, unverwundbar.449 So kann er die Þre Gottes und des Heiligen Grabes verteidigen, als »irdische Mittlergestalt« zwischen Himmel und Erde wirken,450 »das Gottesreich auf Erden […] verbreiten […]«451, einen »schonungslose[n] Vertilgungskrieg«452 gegen die Heiden führen. Und wenn der gr–we roc allein den Sieg nicht garantiert, sich Schwierigkeiten ergeben oder der Königssohn etwas benötigt, setzt der Himmel »für seinen

439 440 441 442 443 444 445 446 447 448 449 450 451 452

»Vom 9. Jahrhundert an tritt das David-rex-et-propheta-Bild – was die Krone betrifft – vollständig in die Herrscherbildformel ein« (ebd., S. 23). Müller-Römheld, Formen und Bedeutung, S. 71. Müller, Jungfräulichkeit, S. 146. Vgl. dazu auch Bowden, Bridal-Quest Epics, S. 151f. Kellett, Rachel E.: Single Combat and Warfare in German Literature of the High Middle Ages. Stricker’s Karl der Große and Daniel von dem Blühenden Tal. London 2008, S. 90. Lanczkowski, David, SWMediävistik, S. 159–160, hier : S. 160. Vgl. zu solchen Davidsvergleichen und -anspielungen Steger, David, S. 126–128. Steger, David, S. 132. Vgl. ebd. Lurker, Adler und Schlage, S. 153. Vgl. zu den Legendenwundern im Orendel Wetzlaff-Eggebert, Kreuzzugsdichtung, S. 103f. Zu Reliquien als »Vergegenwärtigung der Heiligen auf Erden« vgl. Angenendt, Reliquie, LexMA, S. 702–704, hier : S. 702. Zur Bedeutung des Grauen Rocks in der Erzählung vgl. sehr ausführlich Bowden, Bridal-Quest Epics, S. 138ff. Tonnelat, Ernest: König Orendel und Christi nahtloses Gewand, in: Spielmannsepik. Hrsg. von Walter Johannes Schröder. Darmstadt 1977 (= WdF 385), S. 145–1967 [im französischen Original erschienen 1927], S. 155. Zum Reliquienglauben vgl. Belgrader, Reliquie, SWMediävistik, S. 694–695, hier : S. 694. Biesterfeldt, Moniage, S. 70. Ebd. Ettmüller, zitiert nach: Müller, Jungfräulichkeit, S. 145.

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Erwählten […] pünktlich die Wundermaschinerie in Gang«453. Das direkte Eingreifen höherer Mächte wird dann stereotyp eingeleitet mit den Worten Do erbarmedez die fr„e, die kunigin sante Marie; sie sprach ›sun die gúde, hilph Orendel ˜z núde […]‹.454

5.3 Rabe Bei Artemidor erscheint der Rabe als Todessymbol455, nach Achmet steht er für »Unheil«456, nach mittelalterlicher Vorstellung verweist er auf Verlust.457 Sinold bringt er den Tod. Der Heide verliert sein Leben, seine Herrschaft wird beseitigt. Der Rabe versinnbildlicht Eigenschaften Ises: Dem Mittelalter gilt er als weiser Ratgeber458, als intelligenter459, kluger Vogel,460 der »wegen seiner Gelehrigkeit geschätzt [wird]«461. Ise ist seinem Sinnbild entsprechend der »kundige[…] Ratgeber und Vertraute«462 Orendels. Auch der Rabe tritt als Insignium König Davids in Erscheinung,463 wodurch wieder der Bezug zur David-rexTradition hergestellt wird. Ises Weisheit wird auffallend häufig betont: w„se – als Reimwort auf Ise – »ist von Anfang an begleitendes Epitheton«464. Weisheit steht zudem in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Alter, der »notwendige[n] Vorausset453 Tonnelat, König Orendel, S. 151. Vgl. zum Eingreifen göttlicher Mächte in das Kampfgeschehen auch Kellett, Single Combat, S. 80. 454 Vgl. E, III. / Vv. 11, 1–4; VI. / Vv. 4, 3–4; V. / Vv 23, 3–4; VII. / Vv. 28, 3; XIII. / Vv 38, 3–4; XVIII. / Vv. 24, 3–4. So wird Orendel während des Sturms durch das Eingreifen der Gottesmutter Maria gerettet (E, III. / Vv. 11, 1–4), der Erzengel Gabriel hilft dem mittellosen Königssohn mit Geld aus (E, V./Vv. 37, 4), durch göttliche Mächte wird er aus einem Kerker befreit (E, VI. / Vv. 4, 3–4). Christus sendet Orendel für das Turnier gegen die Heiden zwÞn guld„n scú (E, VII. / Vv. 28, 3). Im Kampf gegen den Heiden Paligan wird der Jerusalemkönig von einem Engel unterstützt (E, XIII. / Vv. 38, 3–4), ebenso im Kampf gegen den Heidenkönig Durjan (E, XVIII. / Vv. 24, 3–4). 455 Artemidorus, Traumkunst, Kapitel 32, S. 244. 456 Traumbuch des Achmet, Nr. 290, S. 245. 457 Peuckert, Rabe, HWdA, S. 427–457, hier : S. 447. 458 Ebd., S. 443. 459 Hünemörder, Rabe, LexMA, S. 381–382. 460 Peuckert, Rabe, HWdA, S. 430. 461 Biedermann, Rabe, S. 351–353, hier: S. 351. 462 Biesterfeldt, Moniage, S. 70. 463 So auf einem fränkischen Bild aus dem 10./11. Jahrhundert. Vgl. dazu Steger, David, S. 101 und 209. 464 Biesterfeldt, Moniage, S. 79. So heißt es über den Fischer formelhaft Ise, / ein visc–r hÞr ind w„se: E, V. / V. 4, 1–2; 15, 1–2; XIV. / Vv. 1, 1–2; 2, 4; 4, 1–2; 8, 1–2; 16, 1–2; XV / V. 8, 3–4. Später heißt es dann Ise, / ein herzoge hÞr ind w„se. E, XIX / V. 34, 3–4; XX / V. 12, 3–4; 15, 3– 4; XXII / V. 28, 3–4.

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zung«465 für einen Ratgeber : Alter garantiert Lebenserfahrung. So meint Müller, dass die »Alten den Rat repräsentieren«466. Dem Raben wurde im Mittelalter »Langlebigkeit«467 nachgesagt. Auch Ises Alter wird betont, er ist mÞr dan sivenzich j–r (E, V. / V. 6,2),468 ist gr„se (E, XV. / V. 10, 2). Mit dem Rabensymbol wird die consilium-Funktion Ises dargestellt. Der Begriff consilium bezeichnet den Rat, den »Beistand durch Ratschlag, für den Vasallen auch [die] Pflicht, an der Rechtsprechung am Hof seines Herren mitzuwirken«469. Ohne Beratung ist, wie Müller betont, »politisches Handeln defizitär«470. So agiert Ise, als er von der Entführung Brides erfährt, »dezidiert als Ratgeber«471, mahnt Orendel zur Ruhe, veranlasst die sofortige Heerfahrt: die rede l–t beliven! nu gÞt helide zieren an die gúden kiele (E, XXII / Vv. 11, 2–4).

Später gibt er dem Heer den Befehl, sich an geeigneter Stelle zu verbergen: ir sult hie bel„ven / wir múzen alders eine g–n (E, XXII / Vv. 17, 2), führt das entscheidende Gespräch mit Achille, der das Tor zur Burg des Heidenkönigs Sinold, in der Bride gefangen gehalten wird, bewacht. Hierbei zeigt sich Ise seinem Symboltier entsprechend als ein gewandter Redner.472 Er stellt Achille zunächst auf die Probe, um herausfinden, auf wessen Seite dieser steht. Aus der Reaktion Achilles, seiner Warnung an Ise und Orendel vor den Heiden – ir hÞren, swiget stille! (E, XXII / V. 31, 2) –, lässt sich schließen, dass dem Torwächter vertraut werden kann.473 Durch Achille gelangen sie in die Burg. Ise ist der »hilfreiche Fischer«474, der den gestrandeten Helden aus der Not rettet: hi [Orendel] hiez in an die galÞ g–n (E, IV. / V. 21, 3–4). Er nimmt den nackeden (E, V./V. 12, 1), mittellosen Orendel auf, wird später in der Rolle des Herzogs Orendels Gefährte. Auch hierauf lässt sich das Rabensymbol beziehen. 465 Biesterfeldt, Moniage, S. 79. 466 Müller, Jan-Dirk: Ratgeber und Wissende in heroischer Epik. In: Frühmittelhochdeutsche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster. 27. Band. Hrsg. von Hagen Keller/Joachim Wollasch. Berlin/New York 1993, S. 124–146, hier : S. 132. 467 Hünemörder, Rabe, LexMA, S. 381–382. Er könne über 100 Jahre alt werden. Knortz, Karl: Die Vögel in Geschichte, Sage und Brauch. München 1913, S. 94. 468 In Deneckes Ausgabe heißt es, Ise sei 72 Jahre alt (D 27, v. 566). Die Prosafassung steigert das zu 100 Jahren (P 13, 32). 469 Kasten, Auxilium et consilium, SWMediävistik, S. 69. 470 Müller, Ratgeber und Wissende, S. 128. 471 Biesterfeldt, Moniage, S. 81. 472 Zur Eigenschaft des Raben als gewandter Redner vgl. Krohn, Rabe, SWMediävistik, S. 667. 473 Hinzu kommt, dass Ise Achille als seinen Onkel identifiziert: nu kusse mich an minen munt, / d„ner swester Elsen sun! (E, XXII / Vv. 35, 3–4). 474 Biesterfeldt, Moniage, S. 79.

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Denn der Rabe wird bisweilen in der Rolle des »hilfreiche[n] Gefährten« gesehen.475 Er hilft seefahrenden Helden, den richtigen Weg zu finden,476 hilft in verschiedenen Legenden Heiligen, Propheten und Einsiedlern (Benedikt, Meinrad von Einsiedeln, Oswald, dem Propheten Elias sowie Antonius und Paulus), indem er ihnen »Brot und Fleisch in die Wüste [bringt]«477. Zudem nimmt die Ise-Figur auch die auxilium-Funktion wahr, die »Schutzund Gewährungspflicht des Lehnsherrn bzw. für den Vasallen (in der Regel) Kriegsdienst zu Pferde.«478 Der Rabe ist ein Raubvogel, der in Gefangenschaft »zum Jagdvogel […] abgerichtet werden [konnte].«479 Zudem hielt er sich »naturgemäß auf Schlachtfeldern […] auf«480, wurde daher als »Tier des Schlachtfeldes«481 angesehen, der die Krieger in den Kampf geleitet.482 In diesem Zusammenhang ist der Rabe auch in der Wappenkunst seit dem Mittelalter vertreten483 und wurde dem Heer »in der Fahne […] vorangetragen«484. Auch Ise steht in einem Zusammenhang mit dem Schlachtfeld, ist kriegerisch, zeichnet sich durch »Tat- und Kampfeskraft«485 aus. Er führt ein Heer in die Schlacht und lässt, gerade zum Herzog ernannt, sogleich eine Heerfahrt durchführen (E, XVI, / V. 1, 1), hilft Orendel, Sinold zu stellen, erschlägt den Türwächter, schließlich auch Sinold (E, XXIII. / Vv. 55, 1–4) und brennt die Burg nieder (E, XXIII. / Vv. 57, 4f.). Bei seinen Handlungen ist Ise, der Orendel bei dessen Heidenkämpfen tatkräftig im »Zeichen des Kreuzes«486 unterstützt sowie als Ratgeber und Vertrauter seines Königs fungiert, religiös motiviert. Das zentrale Ziel der beiden Heidenkämpfer, und das kommt auch in den Traumbildern zur Geltung, ist die gewaltsame Bekehrung der Heiden zum Christentum, bis sich am Ende eine »befriedete christliche Welt«487 zwischen Orient und Okzident ausbreitet. Orendel und Ise repräsentieren das Christentum, sind milites Christi, »die personificierte Idee der Kreuzzüge«488, in Sinnen 475 476 477 478 479 480 481 482 483 484 485 486 487 488

Rumpf, Rabe, LexMA, S. 381–382. Ebd., S. 443. Biedermann, Rabe, S. 351–352. Kasten, Auxilium et consilium, SWMediävistik, S. 69. Hünemörder, Rabe, LexMA, S. 381. Dittrich, Rabe, LexTiersymbole, S. 375–379, hier : S. 376. Peuckert, Rabe, HWdA, S. 435. Ebd. Biedermann, Falke, S. 352. Peuckert, Rabe, HWdA, S. 435. Vgl. auch Steger, David, S. 101. Lurker, Adler und Schlage, S. 123–124. Biesterfeldt, Moniage, S. 81. Müller, Jungfräulichkeit, S. 147. Vollmann-Profe, Gisela: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Bd. II/2. Vom hohen zum späten Mittelalter. Teil 2. Wandlungen und Neuansätze im 13. Jahrhundert (1220/30–1280/90). Königsstein/Ts. 1986, S. 222. Ettmüller, zitiert nach: Müller, Jungfräulichkeit, S. 145.

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und Trachten stets »religiös motiviert«489, Ungläubigen gegenüber »grundsätzlich unduldsam«490. Sie taufen oder erschlagen für die Ausbreitung der christlichen Religion.491 Ihr Handeln ist arbeit für die Þre Gottes, wobei auxilium et consilium als ideales politisches Herrschaftsprinzip als Voraussetzung für den erfolgreichen Heidenkampf erscheint. Die Kreuzfahrer-Dichtung zielt auf eine große Zustandsveränderung ab, auf eine, im Sinne des göttlichen Heilsplans, Christianisierung der Welt. Der Tod Sinolds steht dabei repräsentativ für den Niedergang des Heidentums auf Erden im Sinne eines eschatologischen Verständnisses. Sinold verkündet als Erzähler des Traums den göttlichen Willen im Sinne der Heilsgeschichte, wird selbst zum Sprachrohr Gottes und der Kreuzzugsideologie, wird vom Erzähler in Dienst genommen. Der Traum ist als Drohung gegen die Bekehrungsresistenten zu verstehen und fordert die Beseitigung all jener, die wie Sinold die Taufe verweigern. Der Traum ist Kreuzzugspropaganda.492 6.

Zusammenfassung

Sinold versucht, sich als Reaktion auf den Traum zu schützen. Das ist figurenorientiert, hat aber keine Bedeutung für den weiteren Verlauf der Handlung. Die Aussageorientierung erscheint hier wesentlich. Der prophetische Traum verkündet den Sieg der Christen über einen Teil der heidnischen Welt, kann im Sinne gottgesandter Todesträume gelesen werden, vermittelt mit der Vernichtung des Heidentums einen heilsgeschichtlichen Gedanken, verweist auf göttliche Prädestination. Am heidnischen Traumempfänger wird die göttliche Superiorität demonstriert. Der Heide verkündet den eigenen Untergang, wird zum Sprachrohr und Werkzeug Gottes im Sinne dieser Kreuzzugsdichtung. Die Bewegung innerhalb der Traumwelt richtet sich gegen die heidnische Welt, läuft auf deren Vernichtung hinaus. Der Adler steht für Orendel, ist Königssymbol, Sinnbild der Macht. Er spielt auf die David-rex-Tradition an, die imitatio David regis und damit auf die Gottesnähe des Helden, die durch den gr–wen roc und zahlreiche Legendenwunder stets präsent bleibt, den Helden

489 Müller, Jungfräulichkeit, S. 143 und Plate, Bernward: Orendel – König von Jerusalem. Kreuzfahrerbewußtsein (Epos des 12. Jhs.) und Leidenstheologie (Prosa von 1512), in: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte. Hrsg. von Rainer Gruenter. Bd. 82. Heidelberg 1988, S. 168–210, hier : S. 187ff. 490 Ebd., S. 143. 491 Ebd., S. 147. Wetzlaff-Eggebert, Kreuzzugsdichtung, S. 104f. Tonnelat, König Orendel, S. 156. 492 Kellett, Single Combat, S. 90, spricht von einem »Holy War ethos«. Vgl. dazu auch WetzlaffEggebert, Kreuzzugsdichtung, S. 104.

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unbesiegbar macht, sodass er die Ausbreitung des Christentums auf Erden erfolgreich vorantreiben kann. Der Rabe verweist für Sinold auf Unheil, Verlust und Tod. Er steht für Ise, für dessen Funktion als weiser Ratgeber, als Helfer, Vertrauter und Beschützer Orendels, für das consilium et auxilium als Voraussetzung für den erfolgreichen Heidenkampf, für die Ausbreitung des Christentums. Der Traum ist Kreuzzugspropaganda, eine Drohung gegen Bekehrungsresistente, und fordert die radikale Bekämpfung des Heidentums. Zwischen den Träumen im Orendel und im Rother lassen sich einige Parallelen feststellen. In beiden Erzählungen wird der Traum von einem Antagonisten empfangen und erzählt, dem die Überlegenheit des Gegners vor Augen geführt wird. In beiden Erzählungen wird die Braut entführt und muss aus der Hand eines Antagonisten gerettet werden, wobei die Rettungsaktion für beide Träume eine Rolle spielt, allerdings nur im Rother zur Hauptsache wird. Solche Parallelen ergeben sich vor allem aus dem Brautwerbungskontext, den beide Erzählungen aufweisen. Es ergeben sich aber auch klare Differenzen, weil dieser Kontext in beiden Erzählungen jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt ist bzw. ein anderer zur Hauptsache wird. Im Rother dominiert das politisch konnotierte Brautwerbungsmuster, der Gegensatz zwischen West- und Ostrom, im Orendel die Kreuzzugsthematik. So ist der Antagonist im Rother der böse oströmische Brautvater und die Traumerzählung steht in einem Zusammenhang mit seiner Deklassierung bzw. der Aufwertung des Gegenherrschers im Sinne der Aussageorientierung der Dichtung. Im Orendel dagegen ist der Antagonist der böse Heidenkönig, der im Sinne der Heilsgeschichte von den Christen überwunden werden muss. Im Sinne der Aussageorientierung ist die Rettungsaktion in Konstantins Traumerzählung die Hauptsache, weil sie in einem Kontext mit der Verbindung zwischen Ost- und Westrom durch eine Heirat mit der oströmischen Braut steht. Für Sinolds Traum spielt die Rettung der Braut zwar auch eine Rolle, immerhin motiviert sie die Helden, in den Herrschaftsbereich Sinolds einzudringen und ihn zu töten, aber in der Traumerzählung selbst wird die Rettung nicht thematisiert, vielmehr geht es, der Kreuzzugsthematik entsprechend, um die Beseitigung des Heiden und seiner Herrschaft. Hinsichtlich der Kreuzzugsthematik stehen die Träume im Rolandslied des Pfaffen Konrad, die ich im Folgenden untersuchen werde, dem Sinold-Traum nahe. Auch hier bietet sich ein Vergleich an.

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VI.3 Chanson de geste: Die Träume Karls im Rolandslied des Pfaffen Konrad 1.

Der Text: Das Rolandslied des Pfaffen Konrad

Das Rolandslied493 des Pfaffen Konrad, wohl um 1170 (oder früher?)494 verfasst, gehört zur Gattung der Chanson de geste. Konrads Vorlage war die Chanson de Roland, entstanden um 1100.495 Das Rolandslied erzählt, wie Kaiser Karl die Heiden in Spanien unterwirft. Nur Sarraguz wird noch von König Marsilie gehalten. Dieser fürchtet die Niederlage. Im Rahmen einer List spielt er dem Kaiser Bekehrungswillen vor. Genel˜n wird auf Vorschlag Rolands, seines Stiefsohnes, gegen seinen Willen als Bote zu Marsilie geschickt. Aus Rache verbündet er sich mit den Heiden, mit dem Ziel, Roland zu töten. Wieder zurück schlägt er Roland als Statthalter in Spanien vor. Dem Plan gemäß zieht das kaiserliche Heer ab und die Heiden greifen das zurückgebliebene Heer Rolands mit einer Übermacht an und vernichten es bis auf den letzten Mann. Roland stirbt mit seinen Mitstreitern den Märtyrertod. Mit Heidenkönig Palig–n fordert anschließend ein noch mächtigerer Heide die Franken heraus. Die Schlacht endet mit dem Sieg Karls im Zweikampf über Palig–n. Die Heiden werden getauft. Genel˜n wird der Prozess gemacht, der sich im Gottesurteil, d. h. im Rahmen eines Zweikampfes zwischen Binabel (Genel˜ns Vertreter) und Tierrich (dem Vertreter der Anklägerseite) entscheidet. Genel˜n und seine Anhänger werden nach der Niederlage Binabels hingerichtet.

2.

Die Träume Karls

Roland ist bereits als Statthalter in Spanien vorgeschlagen worden. In der folgenden Nacht plagen den Kaiser mehrere Träume. Die erste Traumerzählung lautet: dú troumte im [Karl] vil gewis, wie er wære in porta Cesaris, mit ime hÞrren gnouge, wie er ain scaft in der hant trüege, Genel˜n n–ch ime sliche 493 Zitiert wird im Folgenden nach: Das Rolandslied des Pfaffen Konrad. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Dieter Kartschoke. Stuttgart 1992. 494 Zur Datierung vgl. Kartschoke, Kommentar, S. 790–791. 495 Die Datierungsfrage ist umstritten. Vgl. dazu Nellmann, Eberhard: »Pfaffe Konrad«, in: Verfasserlexikon, Band 5, S. 115–131. Zur Datierung vgl. auch Kartschoke, Kommentar, S. 781.

Chanson de geste: Die Träume Karls im Rolandslied des Pfaffen Konrad

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unde den scaft ainhalp begriffe unt wolt im in ˜z der hant zücken. der scaft braste ze stücke, der kaiser ain tail behabete, Genel˜n verzagete. s„niu stücke war er widere. diu fuoren gegen dem himele in die lüfte vil húch, daz im daz ouge enzúch, daz sie ne sach niemen. die lüfte sie enphiengen. die berge alle der von erkracheten. der kaiser unsamfte erwachete. (Vv. 3030–3047)

Die Forschung ist sich einig darüber, dass dieser erste Traum auf den Verrat Genel˜ns verweist, der sich ab V. 1895ff. erstmals im Gespräch mit Blanscandiz andeutet und in der Unterredung mit Marsilie konkretisiert (V. 2223ff.), dass er außerdem vorausdeutet auf die Vernichtung des Heeres Rolands sowie Rolands Tod (V. 6918ff.) und damit auf die Konsequenzen des Verrats Genel˜ns und den Angriff der Heiden.496 Der Kaiser schreckt aus diesem ersten Traum auf, spricht seine Gebete und schläft anschließend wieder ein. Er träumt ein weiteres Mal: in [Karl] d˜chte, wie er ze Ache wære unt ain bere vor im læge mit zwain keten gebunden. s– ze den stunden der bere in vaste ane sach, die keten er bÞde zerbrach. an lief in der bere. die fürsten wolten in were. der kaiser en macht sich s„n nicht erhaln. er geweltigút im den arm. da flaisc er ime allez abe brach, daz bain er gar nacket sach. von den sachen der kaiser begonde aber wachen. (Vv. 3068–3081)

496 Vgl. zu dieser Deutung Schmitz, Traum und Vision, S. 21. Fischer, The Dream, S. 46–47. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 24. Geith, Karl-Ernst: Die Träume im Rolandslied des Pfaffen Konrad und in Strickers Karl. In: Träume im Mittelalter. Ikonologische Studien. Hrsg. von Agostino Paravicini Bagliani/Giorgio Stabile. Stuttgart 1989, S. 227–240, hier : S. 228.

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Analyseteil

Dass der Traum auf Genel˜ns Verrat vorausweise und damit auf die Schlacht, der Roland zum Opfer fällt, ist eine allgemein anerkannte Auffassung.497 Geith meint zudem, dass sich die Traumbilder auf die »Gefangennahme Geneluns (Vv. 6114– 18) und das Gericht gegen ihn in Aachen […]« bezögen (V. 8959ff.).498 Ähnlich beschreibt es Fischer, der hier eine Ankündigung des Untergangs Genel˜ns sieht.499 Wiederum schreckt der Kaiser aus seinem Traum hervor und spricht sein Gebet. Der dritte Traum ist nur in Strickers Karl überliefert.500 Hier heißt es: Zer dritten stunt entslief er [Karl] dú. nu troumte im aber alsú, wie er ze P–r„s wære und deheiner fröude enbære, wie die juncherren sungen, wie si spilten unde sprungen, wie si slüegen unde stæchen und der sper viel zerbræchen. dú des der keiser warte, dú quame ein liebarte von Spanje geloufen dar. der nam des keisers guote war und wolte in erbizzen h–n. daz begunde got underst–n, der s„n beschermære was. dú quam von dem palas ein rude starc unde grúz, den liebarden er ane schúz 497 So Schmitz, Traum und Vision, S. 24. Fischer, The Dream, S. 51. Geith, Träume im Rolandslied, S. 232. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 37. 498 Geith, Träume im Rolandslied, S. 232. So auch schon zuvor zum Traum in der ChdR von W. Tavernier : Zur Vorgeschichte des Rolandsliedes. Berlin 1903, S. 66. W. Tavernier: Beiträge zur Rolandforschung IV, in: ZFSL. Band 42. 1914, S. 64. Karl Heisig: Die Geschichtsmetaphysik des Rolandsliedes und ihre Vorgeschichte. In: ZrPh. Band 55. 1935, S. 37. Diese Sichtweise ist allerdings nicht unumstritten: Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 37ff. sieht allein einen Bezug zur Schlacht bei Ronceveaux. Fischer, The Dream, S. 50f., widerspricht dieser Deutung. 499 Fischer, The Dream, S. 51. 500 Aufgrund eines Blattverlustes ergibt sich eine Lücke im Rolandslied des Pfaffen Konrad. Kartschoke führt dazu aus: »Die folgende Lücke ist durch Verlust des inneren Doppelblattes einer Lage von ursprünglich vier Doppelblättern (Quarternio) entstanden. Wenn auf den fehlenden vier Seiten sich keine Illustration fand, ist mit einem Verlust von etwa 150 Versen zu rechnen […]. Der Inhalt der Lücke läßt sich aus der Umarbeitung durch den Stricker 3649–3822 erschließen.« Kartschoke, Kommentar, S. 691. Und Geith, Träume im Rolandslied, S. 237, meint dazu: »Die genaue Übereinstimmung in den beiden ersten Träumen zwischen RL und Karl ist auch ein Indiz dafür, daß der dritte Traum vom Stricker so wiedergegeben wurde, wie er ihn in seiner Vorlage vorgefunden hat.«

Chanson de geste: Die Träume Karls im Rolandslied des Pfaffen Konrad

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unt zeiget im sú starken haz, daz er des keisers vergaz. dú wurdens alle des enein, si wolten schouwen an in zwein, wederr den sige næme und den andern überquæme. dú vaht der liebart und der hunt unverzaget unz an die stunt, daz die fürsten wurden zw„felhaft. do erzeigte der rude s„ne kraft: den liebarten erbeiz er tút. Karl erwachete aber dur nút […]. (Strickers Karl, Vv. 3675–3705).

Dieser Traum verweist offenkundig auf die Racheschlacht und ist, wie Geith glaubt, eine Vorausdeutung auf »den Gerichtskampf zwischen Binabel und Tierrich«501 (vgl. Vv. 8921–8983). Den vierten Traum empfängt der Kaiser nach der Vernichtung des Heeres Rolands. Von Palig–ns Angriffsplänen weiß Karl noch nicht: er [Karl] resach in dem troume wunderl„che gotes tougen. in d˜cht, daz der himel stount ˜f get–n, unt fiur dar ˜z scolte varen, allen vier ende in die werlt sich scolten tailen. daz liut begunde wuofen unt wainen. dar n–ch kúmen donerslege unt winte, si zezarten in die schilte. n–ch diu kúmen lewen unt beren, daz si sich nicht entr˜ten erweren. daz gew–fen si in abe zarten. dar n–ch kúmen lÞbarten, die muoten si vil lange. dar n–ch kúmen slangen hart egesl„chen. dar nach kúmen gr„fen, die muoten si vil sÞre. di d˜cht, er scolte wider kÞre. ain starker lewe kom dú dar. er straich vaste durch die scar. dem kaiser wolte er gerne schaden. ˜f huob er den arm, er sluoc im ain slac, daz er tút vor s„nen füezen gelac. dar n–ch kúmen fraisl„che beren. 501 Geith, Träume im Rolandslied, S. 232.

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Analyseteil

si begunden menniscl„chen reden. den kaiser si vorderúten, er gæbe in widere ir túten, si scolten si ir jungen wider bringen. in d˜cht, er wære ze Karlingen. ˜f den hof kom ain tier gevaren, michel unt fraissam. sine machtenz im alle nicht erweren. an den kaiser begunde ez geren. der kaiser entsaz daz. ain rüde fuor ab dem palas, der was starc unt Þrlich. daz tier warf er unter sich, ze túde er ez erbaiz. der heilige engel, gotwaiz, den kaiser wol bewarte, daz im nicht nescadete neweder gote noch goukelære. die toume w–ren seltsæne. (Vv. 7084–7127)

Nach Fischer deutet der vierte Traum voraus auf den Kampf zwischen den Heeren Karls und Palig–ns (Vv. 7985–8570)502, ferner verweise er auf den Gerichtskampf in Aachen und den Sieg Tierrichs über Binabel (Vv. 8921–8983)503.

3.

Forschungsstand

Die Ebenen der figurenlogischen Orientierung, der Progressions- und Aussageorientierung sowie traumtheoretische Aspekte wurden in der Forschung diskutiert. Die Frage nach der figurenlogischen Orientierung, genauer : die Passivität des Kaisers im Anschluss an seine Träume, hat der Forschung die größten Schwierigkeiten bereitet. So merkt schon Schmitz bezüglich der ersten beiden Träume an: »Bemerkenswert ist, daß Karl nicht etwa die diesem Traumereignis naheliegende Schlußfolgerung zieht, sich überhaupt nicht um eine konkrete Deutung des Traums müht.«504 Der Kaiser unternehme »nichts Wirkungsvolles gegen die Zurücklassung Rolands […].«505 In diesem Zusammenhang verweist Schmitz auch darauf, dass die Träume »für den Verlauf der Handlung bedeutungslos […]«506 seien und betont damit deren Irrelevanz für die Handlungsprogression. 502 503 504 505 506

Fischer, The Dream, S. 54f. Ebenso Schmitz, Traum und Vision, S. 26. Ebd., S. 57f. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 120ff. Schmitz, Traum und Vision, S. 24. Ebd., S. 25. Ebd.

Chanson de geste: Die Träume Karls im Rolandslied des Pfaffen Konrad

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Auch Haag stellt fest, dass Karl seine Träume »im Verzicht auf Deuten oder Umsetzen in praktisches Handeln nahezu ignoriert«507. Und: »Eine fiktionsinterne Reaktion bleibt ganz aus.«508 Nicht einig ist sich die Forschung bezüglich der Frage, wie sich die Passivität erklären lässt. Schmitz führt aus, Karl sehe »in dem ihm bevorstehenden Geschick, das ihm die Träume enthüllen, eine Strafe für seine Sünden und nimmt es daher reumütig hin.«509 Fischer hingegen vertritt die Auffassung, Karl verstehe die Träume nicht und daraus resultiere ein »tragic error«510. Classen äußert sich zwar nur indirekt zum Rolandslied, vertritt aber allgemein die Grundthese, dass die träumenden Figuren »der Tragödie vorzubeugen« nicht im Stande seien, denn sie seien »blind und taub den Wahrnehmungen gegenüber«511. Überlegungen zur traumtheoretischen Ebene bleiben in der Forschung bisher allgemein und tragen bezüglich der Klärung der Frage nach der Passivität des Kaisers wenig bei: Schmitz schreibt hierzu, die Träume hätten »göttlichen Ursprung«, später ist er dann aber der Auffassung, »böse Geister«512 hätten die Träume verursacht und Gott habe diese nur zugelassen.513 Er zitiert dabei aus dem Lucidarius, in dem diese Theorie teuflischer Träume formuliert wird.514 Die Dämonen wollten Karl »mutlos«515 machen – ob Schmitz damit meint, die Passivität des Kaisers sei auch dadurch verursacht, bleibt aber offen. Dass im Rolandslied im Zusammenhang mit den Träumen Karls nirgends die Rede von bösen Geistern ist, stört Schmitz offenkundig nicht. Fischer bezeichnet Karls Träume, dem Klassifikationsschema des Macrobius’ gemäß, als somnia516, womit mantische, symbolisch verrätselte und deswegen interpretationsbedürftige Träume gemeint sind.517 Erkenntnisse für Figurenreaktion und Handlungsprogression werden daraus aber nicht abgeleitet, lediglich ein Klassifikationsschema abgearbeitet, das, wie einleitend bereits erwähnt, in seinem Absolutheitsanspruch sehr fragwürdig ist. Geith schließlich stellt die These auf, die Träume offenbarten »den Willen Gottes«518. Aber auch er leitet aus dieser Überlegung keine weiteren Schlussfolgerungen für die Erzählweise ab. 507 508 509 510 511 512 513 514 515 516 517 518

Haag, Traum und Traumdeutung, S. 35. Ebd., S. 35, FN 117. Schmitz, Traum und Vision, S. 28, bezieht sich hier auf die Verse 3049ff., 3082 und 7451ff. Fischer, The Dream, S. 48. Classen, Narrative Funktion, S. 30. Schmitz, Traum und Vision, S. 28. Ebd., S. 27. Ebd., S. 29, bezieht sich hier auf Buch III, S. 65. Ebd., S. 28. Fischer, The Dream, S. 46f. Vgl. zu dem Klassifikationsschema des Marcobius’ Fischer, The Dream, S. 21f. sowie S. 159. Geith, Träume im Rolandslied, S. 228.

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Analyseteil

Am breitesten diskutiert wurde die mit der Aussageorientierung in Zusammenhang stehende Frage nach der Bedeutung der Traumallegorien, z. B. bestimmter Tiere als Versinnbildlichung der Heiden oder Christen, etwa von Schmitz519, vor allem aber von Steinmeyer520 und Fischer521, am Rande auch von Speckenbach522, zuletzt von Geith523. Schmitz leitet aus seinen Überlegungen dann einen allgemeinen Bezug zur Heilsgeschichte ab,524 ebenso Fischer525. Steinmeyer verweist auf den Kreuzzugsgedanken.526 Traumtheoretische Aspekte werden bezüglich der aussagelogischen Orientierung allerdings nicht berücksichtigt. Die Forschung hat somit verschiedene für diese Studie relevante Aspekte der Figurenreaktion, Handlungsprogression und Bedeutungsproduktion sowie traumtheoretische Fragen in Teilen berücksichtigt, aber kaum aufeinander bezogen. Sie stehen mehr oder weniger lose nebeneinander, die Bedeutung von Traumvorstellungen für die Erzählweise bleibt vage. Ich gehe im Folgenden daher zunächst auf das Problem der Passivität Karls im Anschluss an seine Träume ein. Zu prüfen gilt dabei, wie sich diese erklären lässt, ob eine figurenlogisch orientierte Perspektive in Anwendung auf diesen Text 519 Schmitz, Traum und Vision, S. 19–30. 520 Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, untersucht hier die Traumerzählungen in der ChdR, allerdings sind seine Forschungsergebnisse zur Allegorie auch für das Rolandslied aufschlussreich, da die Bedeutung der Traumbilder in beiden Erzählungen weitestgehend »dieselbe bleibt«, wie schon Geith, Träume im Rolandslied, S. 232ff., feststellt. Insgesamt gibt es nur graduelle Unterschiede zwischen den Träumen in den beiden Texten: Die zwei Träume in der ChdR werden im Rolandslied auf drei aufgeteilt. Im Rolandlied wacht Karl nach jedem Traum auf und betet vor und nach jedem Traum. In der ChdR heißt es dagegen: Carles se dort, qu’il ne s’esveillet mie. (ChdR, V. 724) Übersetzung: »Karl schläft so tief, daß er nicht wach wird.« Zitiert wird auch im Folgenden nach: Das altfranzösische Rolandslied. Zweisprachig. Übersetzt und Kommentiert von Wolf Steinsieck. Nachwort von Egbert Kaiser. Stuttgart 1999. Im Rolandslied (Traum 1) nähert sich Genel˜n dem Kaiser heimlich. In der ChdR heißt es lediglich: Guenes li quenes l’ad sur lui saise (V. 721). Übersetzung: »Graf Ganelon hat sie [die Lanze] ihm entrissen.« In der ChdR ist nicht die Rede davon, dass die Erde bebt. Im Rolandslied träumt Karl (Traum 2), dass er von einem Bären drohend angeschaut wird, der sich von den Ketten losreißt und ihn angreift. In der ChdR wird Karl nicht drohend angesehen und es ist ein Eber, der ihn angreift: El destre braz li morst uns vers si mals (ChdR, V. 727). Übersetzung: »Ein wilder Eber biß ihn in den rechten Arm.« Der Sieg des Hundes über den Leoparden (Traum 3) wird im Rolandslied vorweggenommen. In der ChdR bleibt der Ausgang des Kampfes offen: Ireement se cumbat al lepart. […] Il ne sevent liquels d’els la veintrat. (ChdR, Vv. 733–735). Übersetzung: »Wütend kämpft er mit dem Leoparden. […] Aber sie [die Franken] wissen nicht, wer von ihnen sie [die Schlacht] gewinnen wird.« 521 Fischer, The Dream, S. 45–60. 522 Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 432. 523 Geith, Träume im Rolandslied, S. 227–240. 524 Schmitz, Traum und Vision, S. 29. 525 Fischer, The Dream, S. 60. 526 Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 142.

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überhaupt funktional ist, ferner welche Rolle möglicherweise Traumtheorien oder -vorstellungen für diese Passivität spielen könnten. Auch gilt es dabei nach der Bedeutung der Progressionsorientierung zu fragen, ob die Figur vielleicht einfach nur im Sinne der Handlungsprogression funktioniert. Oder ob sie (auch) aussagelogisch orientiert ist, als Ideenträger fungiert und welche Idee sie möglicherweise vermittelt. Hier wäre dann auch zu fragen, welche Ideen die Träume des Kaisers selbst bereits in sich tragen, welchen Sinn, welche Bedeutung sie produzieren.

4.

Figurenlogische Orientierung

Versteht der Kaiser seine Träume nicht und bleibt er deshalb passiv? Aus seinem ersten Traum wacht der Kaiser unsamfte (V. 3047) auf, d. h. er ist »verstört«527. Er fällt zur Erde und betet, versteht den Traum als göttlichen zorn (V. 3050), als Strafe für seine manigen sünden (V. 3052). Er bittet Gott: l– daz liut nicht entgelten (V. 3053). So hat Karl verstanden, dass der Traum großes Unheil ankündigt, von dem seine Gefolgsleute betroffen sein werden. Im Anschluss an den nur in Strickers Karl überlieferten dritten Traum heißt es: Die troume t–ten im sú wÞ, / daz er niht wolte sl–fen mÞ (Karl, V. 3735). Ob er die Träume direkt auf Roland bezieht, geht daraus nicht unmittelbar hervor. Am Tag nach seinem Traumerlebnis allerdings verurteilt Karl Genel˜n verbal, der (erneut) vorschlägt, Roland als Statthalter in Spanien zurückzulassen, und dass obgleich Genel˜ns Verrat noch gar nicht offen zu Tage getreten ist. Er nennt ihn einen v–lantes man (V. 3101) und meint: ain übel gaist ist mit dir (V. 3104). Zudem sagt er : du getrüebest allez ræmische r„che. / von dir scol michel übel komen (V. 3108).528 Kartschoke kommentiert diese heftige Anklage mit den Worten: »Die Unversöhnlichkeit widerspricht dem geistlichen Ideal, das der Kaiser in jeder Phase seines Handelns darstellt.«529 Allerdings versucht er diese Unversöhnlichkeit nicht zu erklären. Beim Abschied von Roland heißt es: der kaiser wainte vil sÞre (V. 3216). Womöglich wird hier die Trauer um Roland (V. 7502ff.) und das Heer bereits vorweggenommen.530 Aus den Textstellen geht hervor, dass der Kaiser verstanden hat, dass die 527 So die Übersetzung von Kartschoke, RL, V. 3074. 528 Ähnlich ist der Wortlaut schon in der ChdR: Vos estes vifs diables. / El cors vos est entree mortel rage. (Vv. 746–747) Übersetzung von Steinsieck: »Ihr seid der Leibhaftige. / Tödliche Wut ist in Euch gefahren.« 529 Kartschoke, Kommentar, S. 696. 530 Auch in der ChdR weint der Kaiser: Ne poet muer que des oilz ne plurt. (V. 773). Übersetzung von Steinsieck: »Er kann sich der Tränen nicht erwehren.« Vgl. zur Vorwegnahme der Trauer auch die Reaktion Helches auf den Reisewunsch ihrer Kinder im Zusammenhang mit ihrem Drachentraum (Str. 161, 1–2ff.).

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Analyseteil

Träume Unheil ankündigen und dass er Genel˜n als Stifter des drohenden Unheils wahrnimmt, ferner dass er in diesem Zusammenhang Angst um Roland und dessen Heer hat. Seine Unversöhnlichkeit gegenüber Genel˜n ist figurenlogisch orientiert, ebenso seine Trauer beim Abschied von Roland. Nach seinem Erwachen aus dem vierten Traum heißt es: Karl begonde harte wainen (V. 7446) und mante got s„ner gn–den (V. 7449). Auch den vierten Traum versteht der Kaiser als Strafe für seine Sünden (V. 7455). Seinen Gefolgsleuten gegenüber bezieht er sich auf diesen Traum: ›es ist ienoch unn–ch unser grúz ungemach laider gelendet. […] sw– ez hie noch s„ verborgen ich sach h„nacht in m„nem troume wunterl„che tougen. hart entsaz ich ez mir.‹ (Vv. 7451–7460).

Wenngleich auch hier keine Deutung der Traumbilder erfolgt, wird doch deutlich, dass der Kaiser begriffen hat, dass weiteres Unheil angekündigt wird. Ogirs traumskeptische Äußerung ne ruoche du, hÞrre, umbe die troume […] (V. 7463) genügt dann, den Kaiser seine Befürchtungen vergessen zu lassen. Ich würde Fischer wie Classen531 widersprechen: Karl versteht seine Träume zumindest in ihren wesentlichen Botschaften. Trotzdem: Er reagiert auf seine Träume nicht mit Handlung. Er lässt Roland nach Spanien ziehen und trifft auch keine besonderen Vorkehrungen, um dem durch den vierten Traum angekündigten Angriff Palig–ns zu begegnen, im Gegenteil: Er bereitet den Abzug seines Heeres vor (vgl. V. 7623f.). Dann erfolgt kurze Zeit später eine Kriegserklärung von Seiten Palig–ns (vgl. V. 7625ff.). Karl stellt dann sein Heer nicht aufgrund des Traums, sondern aufgrund der Kriegserklärung auf (vgl. V. 7779ff.). Die Handlung kann sich entfalten, weil Karl passiv bleibt. Aber ist seine Passivität figurenlogisch oder rein progressionsorientiert? 5.

Traumvorstellung

Steinmeyer erklärt bezüglich des ersten Traums, dass der Hörer aufgrund seines Vorwissens den Verrat Genel˜ns sofort erkenne, dass Karl »auf den geplanten Überfall aufmerksam gemacht werden soll.«532 Wie er darauf reagieren soll, bleibt aber offen. Classen meint, dass der Protagonist, welcher »den Trauminhalt

531 Fischer, The Dream, S. 48. Classen, Narrative Funktion, S. 39. 532 Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 24.

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zu deuten versteht, dazu fähig [ist], […] Unglück abzuwenden.«533 Meiner Ansicht nach soll Karl gar nicht dazu aufgefordert werden, das Unheil abzuwenden. Die Vorstellung, die diesen Traumerzählungen zugrunde liegt, gibt darüber möglicherweise Aufschluss. Karls Träume sind prophetisch, allegorisch-verschlüsselte mantische Träume.534 Für Schmitz’ Überlegungen, »böse Geister«535 seien die Quelle der Träume, gibt es keine Belege im Text. Auch ist seine Argumentation inkonsequent, weil er zuvor noch den »göttlichen Ursprung« der Träume annimmt. Der Bezug zur christlichen Gottheit ist hingegen naheliegend, da die Träume immer unmittelbar im Anschluss an die Gebete Karls auftreten.536 So heißt es vor dem ersten Traum: Der kaiser s„n gebet / vil dicke hin ze gote tet (Vv. 3020–3021), vor dem zweiten Traum: Dú er got vil tiure ane rief, / der kaiser ander stunt enslief (Vv. 3066–3067). Das gilt auch für den in Strickers Karl überlieferten dritten Traum (vgl. Karl, V. 3650ff.). Und auch vor dem vierten Traum heißt es: der kaiser s„n gebet sprach (V. 7075), verbunden mit dem konkreten Hinweis auf Gott als Quelle: dú eroffenút im m„n trecht„n waz im künftic scolde s„n. er [Karl] resach in dem troume wunderl„che gotes tougen (Vv. 7082–7085).537

Geith macht in diesem Zusammenhang auf eine Illustration aus der Heidelberger Handschrift538 im Anschluss an V. 7082 aufmerksam (siehe Abbildung 1). Er meint, dass hier womöglich die Situation dargestellt sei, »aus der heraus das Träumen erfolgt.«539 In der französischen Vorlage – das sei hier am Rande erwähnt – tritt der Erzengel Gabriel als Traumbote in Erscheinung.540

533 Classen, Narrative Funktion, S. 11. 534 Geith, Träume im Rolandslied, S. 228. Nach Fischer, The Dream, der sich an dem Klassifikationsmodell des Macrobius orientiert, ist es ein somnium. Zur Kritik an Fischers Macrobius-Fixierung vgl. v. a. Haag, Traum und Traumdeutung, S. 26ff. 535 Schmitz, Traum und Vision, S. 28. 536 Auch Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 436–437, spricht hier von einer »Beglaubigung«, durch welche die »göttliche Herkunft von Karls Träumen gesichert [wird].« 537 Auch Fischer, The Dream, S. 53, nimmt mit Hinweis auf diese Textpassage eine göttliche Quelle der Träume an. 538 Fol. 98r, Zeichnung 32, Heidelberger Handschrift, pal. germ. (P). http://digi.ub.uni-hei delberg.de/diglit/cpg112/0197. Abgerufen am 19. 2. 2015. 539 Geith, Träume im Rolandslied, S. 235. 540 Seint Gabriel li ad Deus enveiet: / L’empereür li cumandet a guarder. / Li angeles est tute noit a sun chef. / Par avisiun li ad anunciet / D’une bataille ki encuntre lui ert […]. Übersetzung von Steinsieck: »Gott hat ihm den heiligen Gabriel geschickt: / Er befiehlt ihm, den Kaiser zu bewachen. / Der Engel bleibt die ganze Nacht neben seinem Haupt. / Im Traum hat er ihm eine Schlacht angekündigt, / Die gegen ihn geschlagen werden wird. (vgl. ChdR, V. 2526). Vgl. dazu auch Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 78ff. Wittmer-Busch, Schlaf und

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Analyseteil

Soll der Kaiser also durch seine göttlichen Träume gewarnt und zum Handeln aufgefordert werden? So verstanden wäre Karls Passivität nicht mehr figurenlogisch, sondern rein progressionsorientiert: Er darf Roland nicht von seiner Reise nach Spanien abhalten, weil sich damit die vorgesehene Erzählung nicht entfalten könnte. Allerdings gibt eine Passage aus Strickers Karl Anlass, das zu überdenken. Der Kaiser sagt hier im Anschluss an den dritten Traum: herre got ich weiz wol, ezn mac nieman noch ensol niht getoun wider dir (Karl, Vv. 3713–3715).

Nichts könne dem Willen des Herrn standhalten (vgl. Karl, V. 3725). Demnach würde Karl die Träume nicht als Warnung verstehen, sondern als göttlichen Willen541, dem nichts entgegengesetzt werden kann – und das würde auch seine Passivität erklären: Karl selbst sieht für sich keinen Handlungsspielraum, somit Traum, S. 117, macht außerdem darauf aufmerksam, dass Gott nach christlicher Tradition im Traum oftmals »durch Engel mit den Menschen [spricht]«. 541 Vgl. zu dieser These auch Geith, Träume im Rolandslied, S. 228. Schmitz, Traum und Vision, S. 27, meint dagegen, es handle sich »nicht um Willensäußerungen Gottes«. Trotzdem meint er, Karl interpretiere die Träume als Ankündigungen göttlicher Strafen. Das ist inkonsequent argumentiert, es sei denn, Schmitz setzt voraus, dass Karl seine Träume falsch versteht. Allerdings argumentiert Schmitz nie in diese Richtung.

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folgt er dem von Gott vorgezeichneten Weg. Er wäre dann einfach dem göttlichen Willen vollkommen ergeben.542 Die Vorstellung von der Unabwendbarkeit des Schicksals steht in einer langen Tradition: Weber weist etwa darauf hin, dass die Unausweichlichkeit des Schicksals schon in der Frühantike, u. a. bei Herodot (490/480 – um 424 v. Chr.), betont wurde543 und dass nach antiker, vor allem stoischer Auffassung »keine Möglichkeit bestand, dem Schicksal, zumal dem Tod, zu entgehen.«544 Mit Blick auf die Träume im Rolandslied spielt die Vorstellung der christlichen Prädestination eine gewichtige Rolle, der damalige Glaube an göttliche Vorsehung und Vorherbestimmung, die Idee, dass Gott das Schicksal aller Menschen von Beginn an vorherbestimmt hat. Hödl und Laarmann545 führen zum Prädestinationsbegriff Folgendes aus: Origines (185 – um 254), Johannes Chrysostomos (349 oder 344–407) sowie Cyrill von Alexandrien (um 375/380–444) meinten im Zusammenhang mit ihren Kommentaren zu Röm. 1,4, dass »Gottes universaler Heilswille dem menschlichen Wollen vor und über ist«546. Im Anschluss an Augustinus von Hippo (345– 430 n. Chr.), dem Autor von De gratia et libero arbitrio und De correptione et gratia (um 427), wurde Prädestination im Mittelalter als »wesenhaftes Handeln Gottes verstanden«547. Im Prädestinationsstreit kamen die Theologen der karolingischen Bildungsreform zu dem Schluss, dass »Wissen und Wollen […] mit Gottes Wesen identisch [sind] und darum als solches ein und dasselbe.«548 Auch Hinkmar von Reims (um 800/810–882) vertrat in Mansi XV, 563 die Auffassung, dass »Vorherwissen und -bestimmen Gottes in der Prädestination […] derselbe Akt Gottes [sei].«549 Der Mensch könne somit, selbst wenn er wollte, sein vorbestimmtes Schicksal nicht ändern – selbst dann nicht, wenn er durch einen prophetischen Traum Einblick in die Zukunft hat. Man könnte also für das Rolandslied annehmen, dass der Traum Wissen und Willen Gottes offenbart und sich Karl in seiner Passivität dem göttlichen Willen unterordnet. Classens These, es würden sich mit dem Traum verschiedene Möglichkeiten anbieten, man müsse nur auf seine Träume hören und könne alles 542 Schmitz, Traum und Vision, S. 28, argumentiert hier m. E. widersprüchlich, wenn er auf der einen Seite meint, Karls Passivität sei »keine fatalistische Ergebenheit«, aber gleichzeitig die Auffassung vertritt, er interpretiere das, was die Träume ankündigen, als göttliche Strafe für sein sündhaftes Verhalten und nehme das alles in Reue hin (S. 28). Gerade das wäre ja fatalistisch im Sinne eines christlichen Weltverständnisses. 543 Vgl. dazu Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 425. 544 Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 423. 545 Hödl/Laarmann, Prädestination, LexMA, S. 142–146. 546 Ebd., S. 142. 547 Ebd. 548 Ebd. 549 Ebd.

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Analyseteil

zum Guten wenden,550 halte ich hier für völlig verfehlt. Bei Classen wird die mittelalterliche Vorstellung von göttlicher Providenz einfach ausgeblendet. Die ersten beiden Träume Karls im Rolandslied zeigen die eine Zukunft, einen unabwendbaren Verlauf, allein abhängig vom göttlichen Willen und damit nicht vom Menschen beeinflussbar, das Ergebnis steht fest. Man könnte allenfalls sagen, dass der Figur Spielräume gegeben sind, in denen sie sich bewegen kann, in denen sie die Freiheit hat, den Versuch zu unternehmen, der Prophetie entgegenzuwirken551 – das Ergebnis ändert sich dadurch aber nicht. Karls Passivität ist im Sinne einer finalen Motivierung zu verstehen.552 Dennoch ist Karls Handeln figurenlogisch orientiert mit dem Hinweis auf die göttliche Prädestination, mit der er seine Passivität begründet. Damit drängt sich aber auch die Frage auf, welchen Sinn der Verrat am Christentum durch Genel˜n, der Tod Rolands, der Angriff der Heiden auf die Christen, das Niederringen der Heiden überhaupt hat, all das also, was sich in den Träumen abbildet und sich dann in der Realität der fiktiven Welt ereignet. Denn ob Karl nun träumt oder nicht, spielt für den Handlungsverlauf selbst keine Rolle. Ich versuche, diese Frage auf einer Ebene jenseits der objektiven Ordnung der erzählten Welt zu beantworten. Ich wende mich im Folgenden der Ebene der aussagelogischen Orientierung der Erzählung zu.

6.

Aussageorientierung

6.1 Raumsemantik und atmosphärische Orientierung Ein erster Zugang zu einer Sinnproduktion der Traumerzählungen lässt sich über die Raumsemantik herstellen, d. h. über die Räume, die in den Traumwelten abgebildet werden und über die Bewegungen, die sich innerhalb dieser Räume vollziehen. In den Traumwelten richten sich alle Bewegungen gegen Karl und gegen die christliche Welt, die er repräsentiert. Die erste Bewegung geht von dem mit den Heiden verbündeten Verräter Genel˜n aus, der Karls Speer zerbricht. Dann, im zweiten Traum, geht sie von einem Bären aus, der den Arm des Kaisers zerfleischt. Im dritten von einem liebarte[n] und im vierten Traum, der mit einem Ortswechsel in zwei Teile zerfällt, zunächst von Naturerscheinungen, gefolgt von lewen, beren, lÞbarten, 550 Classen, Narrative Funktion, S. 31. 551 Die »Vereinbarkeit des Vorherwissens, der Vorherbestimmung und der Gnade Gottes mit dem freien Willen« wurde als Problem diskutiert. Vgl. Anselm v. Canterbury : Über die Vereinbarkeit des Vorherwissens, der Vorherbestimmung und der Gnade Gottes mit dem freien Willen. Op. II, S. 243–288. 552 Und zwar in dem Sinne, wie der Begriff von Martinez/Scheffel, Erzähltheorie, S. 111, verwendet wird.

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slangen und gr„fen und einem großen lewen, den Karl erschlägt, und schließlich von einem schrecklichen Tier. Abgesehen vom ersten Traum, der mit porta Cesaris553 (V. 3031) noch auf den heidnischen Raum verweist, finden die Ereignisse in Zentren der christlichen Welt statt, zunächst in Aachen (Ache), dann, ausgehend vom heidnischen Spanje, in P–r„s, und schließlich am hof zu Karlingen. In der Realität der fiktiven Welt der Erzählung findet die Racheschlacht, auf die wohl der vierte Traum verweist, nicht in der christlichen, sondern ebenfalls in der heidnischen Welt statt. Geith meint, dass dies »gewisse Schwierigkeiten« bereite.554 Die Heiden erreichen Paris und Aachen nie, aber es sind deren potentielle Angriffsziele. So verkündet bereits Marsilie in seinem Zornesausbruch: ich zerstære Paris (V. 5703). Und der Bote Palig–ns kündigt dem Kaiser an: unt fliuhestu hinnen, / er suochet dich zuo den Karlingen (Vv. 7643–7644). Malprimes rät seinem Vater Palig–n: Paris scoltu stæren, / Ache zefüeren (V. 7229–7230). Insofern sind die Träume zwar prophetisch, aber sie zeigen auch Vorhaben an, zeigen, was die Heiden tun würden, wenn sich ihnen niemand entgegenstellte. Damit wird auf die potentielle Bedrohung für die christliche Welt durch die Heiden verwiesen, die es aufzuhalten gilt. Die Bewegung gegen die christliche Welt ruft Angst hervor. Hier geht es um einen Appell, um einen Aufruf zum Kampf gegen die heidnische Bedrohung. Das ist Kreuzzugspropaganda. Wenn sich Karl später der heidnischen Bedrohung entgegenstellt, dann handelt er im Sinne dieses Appells, der aussagelogischen Orientierung. Somit wird er zum Träger der Idee, die bereits in den Traumbildern angelegt ist. Im Zusammenhang mit der Raumsemantik lässt sich auch die atmosphärische Orientierung der Träume konkretisieren. Die Unheilsträume betreffen hier mit Karl eine sympathietragende Figur.555 Dass Karl als eine Hauptnebenfigur die Träume empfängt, und nicht etwa Roland, hat seinen Grund vermutlich in 553 Porta Cesaris ist ein Pass in den Pyrenäen (vgl. dazu Kartschoke, Kommentar zu V. 3031, S. 691). Die Schlacht, in welcher der historische Graf Roland (um 736–778) fiel, fand am 15. August 778 in den spanischen Pyrenäen am Col de Ronceveaux statt, einem sehr engen Pass, der zwischen hohen Bergen verläuft. 554 Geith, Träume im Rolandslied, S. 232. 555 Hier lohnt sich der Vergleich mit dem Sinold-Traum im Orendel. Dieser bietet im Gegensatz zu den Träumen Karls wenig Atmosphärisches. Ein wesentlicher Grund dafür liegt bei der Sinold-Figur selbst. Zwar erzeugt der Traum bei ihr offenkundig ein Gefühl der Angst, die darin zum Ausdruck kommt, dass der Heide seine Burg besser schützen will. Doch der Rezipient wird dieses Gefühl mit Sinold kaum teilen, obwohl das Bildrepertoire mit den angreifenden Tieren, die die Burg des Heiden niederreißen und ihn enthaupten, durchaus das Potential dazu hätte, ein Gefühl der Bedrohung zu erzeugen. Das wird hier aber, anders als im Rolandslied, nicht angestrebt: Als Antagonist gehört Sinold nicht zur sympathietragenden Partei und erzeugt somit auch keine Empathie. Der Untergang des Heidenkönigs könnte für einen christlichen Rezipienten eher ein Gefühl der Überlegenheit und der Selbstbestätigung gezeitigt haben, ähnlich wie im König Rother.

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der größeren emotionalen Betroffenheit des Kaisers angesichts des vorausgedeuteten Todes Rolands. Die Inszenierung emotionaler Betroffenheit funktioniert für Karl, weil er Angst um seinen Neffen hat. Roland dagegen will als Märtyrer sterben. Hier ist also nicht jener zum Leiden prädestiniert, der sterben wird, weil das Sterben ja gerade sein Ziel ist. Hier leidet der, der den Verlust tragen wird und diesen fürchtet. Für Roland fehlt die Emotion der Angst, sie passt nicht zu dem kompromisslosen Kreuzritter. Angstträume könnten Roland daher auch, anders als Karl, nicht in Furcht und Schrecken versetzten. Mit Roland als Traumempfänger wäre somit auch die atmosphärische Orientierung deutlich reduziert: Gerade die Emotionen des Kaisers, seine Angst, sein Leid, sein Klagen verstärken die Atmosphäre des Schreckens. Karl weckt mit seinen fast väterlichen Gefühlen zu Roland Empathie. Hier wird eine Atmosphäre der Angst erzeugt und sie wird in den Träumen gerade dadurch intensiviert, dass die Bedrohung, das Schreckliche sich nicht nur an gefahrvollen Orten im Feindesland ereignet, nicht nur an Gebirgspässen wie porta Cesaris (erster Traum), sondern auch an vermeintlich sicheren Orten wie Ache (zweiter Traum), P–r„s (dritter Traum) oder Karlingen (vierter Traum). Das Schreckliche ist, etwa in Gestalt des Bären, im Inneren des christlichen Machtzentrums schon präsent, oder es bricht in Gestalt des liebarte[n] von Spanje (dritter Traum) von außen unvermittelt in eine Atmosphäre höfischer fröude ein (Karl, V. 3678). Erzeugt werden soll damit offenkundig das Gefühl, dass man sich nirgendwo sicher fühlen kann. Schon im ersten Traum ist Karl zwar umringt von seinen Vertrauten, den hÞrren (V. 3032). Doch das hindert Genel˜n nicht daran, in diesen, den Kaiser schützenden Kreis einzubrechen und den scaft Karls zu zerstören. Gezeigt wird ein Kaiser, ein Schutzherr der Christenheit, der hilflos erscheint, sich gegen die Attacken Genel˜ns, des beren und des liebarte[n] nicht zu wehren vermag, den das Entsetzen packt (der kaiser entsaz daz, V. 7118). Jener, der schützen soll, vermag sich selbst nicht zu schützen, wird selbst in Angst und Schrecken versetzt. Im vierten Traum wirkt Karl sogar mutlos, droht zu verzagen, glaubt beim Anblick des feindlichen aus schrecklichen Tieren bestehenden Heeres, er scolte wider kÞren (V. 7101). Aber auch seine Gefolgsleute wirken mutlos, erscheinen im dritten Traum zw„felhaft (V. 3701) beim Anblick des Kampfes zwischen dem rude[n] und dem schrecklichen Tier, sie wirken hilflos, so heißt es im vierten Traum, dass sie sich nicht entr˜ten erweren (V. 7093) und dass die wilden Tiere, die ihnen in der Traumwelt entgegentreten, ihnen die gew–fen herunterreißen (V. 7094). Die Träume schaffen eine Atmosphäre der Bedrohung, eingeleitet durch Genel˜ns Angriff auf Karls Speer. Dies wird im zweiten Traum intensiviert durch den bösen Blick des beren, der den Kaiser vaste ansieht, gesteigert durch den Schreckmoment, als der Bär sich plötzlich von den keten losreißt und den Kaiser

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attackiert. Eine Atmosphäre des Schreckens wird geschaffen, wenn der Kaiser daz bain […] gar nacket sach (V. 3079). Diese Wahrnehmung der Zerstörung des eigenen Körpers im Traum findet sich, noch drastischer allerdings, später auch im Parzival, im Traum der Herzeloyde. Aufgeboten wird in den Träumen Karls ein Bildrepertoire des Schreckens: Apokalyptische Naturphänomene, erkrachende Berge (V. 3046), Feuerregen (V. 7087), donerslege, Stürme (V. 7090) und schreckliche Tiere wie lewen, beren, lÞbarten, slangen und gr„fen (V. 7092ff.) bilden eine Kulisse der Bedrohung. Dennoch bieten die Träume auch eine hoffnungsvolle Perspektive: Der rüde rettet Karl vor dem liebarte[n] (Karl, V. 3703), der Kaiser erschlägt eigenhändig den großen starken Löwen in seinem vierten Traum (V. 7107) und auch das schreckliche Tier wird überwunden (V. 7122), der heilige engel verspricht Schutz (V. 7123). 6.2 Karls erster Traum Der scaft, den der Traum-Genel˜n zerbricht, wird von der Forschung einheitlich auf Roland bezogen.556 Die Lanze ist als Herrschaftssymbol bereits seit dem 8. Jh. gut bezeugt.557 Sie gehört zu den »Hoheitszeichen« im Mittelalter,558 zu den »königlich-kaiserlichen Insignien«559, verkörpert »als Königszeichen öffentliche Gewalt und Herrschaft«560. Die Fahne ist Investitursymbol, deren Übergabe »Übertragung von Herrschaft«561 bedeutet. Mit dem Fahnenlehen durch Karl (vgl. Vv. 3115, 3135, 3181) wird Roland König über Yspanie (V. 3150). Er führt mit den zwelf nútgestallen (V. 3193)562 und zwainzec t˜sent mannen (V. 3194), die sich unter seiner Fahne sammeln (vgl. V. 3246), eine große Heeresmacht des Kaisers an. Das Zerbrechen eines Stabes deuten mittelalterliche Traumbücher als unheilvolles Omen. So heißt es etwa bei Astrampsychos: »Ein zerbrochener Stab nimmt kein gutes Ende.«563 Das Zerbrechen der Lanze kündigt den Verlust des von Roland angeführten Heeres an, das bildlich in stücke gebrochen wird. So sagt etwa der Heide

556 Schmitz, Traum und Vision, S. 23–24. Fischer, The Dream, S. 46–47. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 27ff. Geith, Träume im Rolandslied, S. 229. 557 Pohl, Sakralkönigtum, ReallexGermAlt, S. 251–253, hier : S. 253. 558 Sellert, Wolfgang: Recht und Gerechtigkeit in der Kunst. Göttingen 1993, S. 77. 559 Ebd., S. 77. 560 Ebd., S. 86. 561 Ebd., S. 86. Vgl. dazu auch den Sachsenspiegel, dessen deutsche Fassung (entstanden zwischen 1220–1235) auf eine lateinische Vorlage unbekannten Datums zurückgeht: Die keiser l„et […] al weltl„che vanlÞn l„et her mit vanen. Ldr. III Art. 60 § 1. 562 Eigentlich sind es 11 Kampfgefährten, die er anführt, da er selbst einer der 12 ist. 563 Astrampsychos, Traumdeutung Nr. 34. Brackertz, Volks-Traumbücher, S. 12. Ebenso bei Nikephoros, Nr. 123.

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Margariz zum Ende der Schlacht gegenüber Marsilie: ir spiezen sint gar zerbrochen (V. 5661). Der andere Teil des Heeres bleibt dem Kaiser erhalten: der kaiser ain tail behabete (V. 3038). Die Lanzenstücke, welche von Genel˜n in den Himmel geworfen werden und dort verschwinden, stehen wohl für die Seelen der gefallenen milites Christi,564 deren Eintritt ins Himmelsreich gewiss ist. So weiß der Erzähler zu berichten, dass die gefallenen Christen sich kouften daz gotes r„che (V. 3449), dass sie ze dem parad„se sint gevarn (V. 4658), dass sie mit engelsange (V. 4946) empfangen wurden und dass sich erfröuten elliu himelische menige, daz sú manc heiliger martære gevolgút s„nem schephære (Vv. 5792–5794).565

Darüber hinaus bestätigt auch ein Engel Karl den Eintritt der Gefallenen ins Himmelsreich: unt alle, die hie belegen sint, diene haizent nicht der werlte kint sunter süne des oberesten hÞrren (Vv. 7008–7010).

Geith schenkt dabei der Roland-Figur besondere Aufmerksamkeit: Dieses Bild stehe für »das Aufnehmen der Seele Rolands in das Paradies«566. Dass dann die berge alle der von erkrachten (V. 3046), könnte eine proleptische Anspielung auf die apokalyptische Sterbeszene Rolands sein: Nachdem Roland gestorben ist, kom ain michel ertb„be, / doner unt himelzaichen (V. 6927ff.). Kartschoke weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das »Sterben des Märtyrers […] von Wunderzeichen begleitet [wird], die denen beim Tode Christi ähneln […] und an das Jüngste Gericht gemahnen.«567 Rolands Tod ist ein Märtyrer-Tod. Er will auch als Märtyrer sterben, weil ihm damit der Eintritt ins Himmelreich in Aussicht steht. In diesem Sinne verweigert er das Hornsignal (V. 3870ff.) und sagt zu seinen Gefolgsleuten: die haiden sint vor gote vertailet. sú werdent aber mit bluote gerainet die hÞren gotes marterære (Vv. 3879–3881). 564 Bei Konrad bezeichnet als die w–ren gotes dienestman (V. 4101), gotes herten (V. 4279), die w–ren gotes kemphen (V. 4436), die w–ren gotes strangen (V. 4637), die w–ren gotes recken (V. 5127), die heilige[n] martære (V. 5793), die w–ren gotes degene (V. 5799), m„nes trecht„nes helde (V. 6224), das heilige inges„de (V. 6451). 565 Heilsgewissheit wird ferner betont in V. 4981, 5130–5132, 5136, 5772–5773, 5960–5961. Und in Bezug auf einzelne Figuren: Olivier (V. 6521ff.), Turpin (V. 6765), Roland (6920ff.). 566 Geith, Träume im Rolandslied, S. 229. 567 Kartschoke, Kommentar, S, 728. Kartschoke führt in diesem Zusammenhang die folgenden biblischen Textstellen an: Mt. 27,45,50ff., Mk. 15,33,38; Lk. 23,44ff.

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Er wolle in Gottes dieneste sterben (V. 3887), want er im daz himelr„che ze lúne gibet (V. 3888). Diesem guten Beispiel Rolands soll auch der Gotteskrieger im Rahmen der Kreuzzüge folgen. Diese aussagelogische Orientierung, der Kreuzzugsgedanke, entfaltet sich erst im Anschluss an den Traum, ist aber doch in der Traumerzählung bereits angelegt. Kreuzzugsgedanke und Märtyrer-Tod stehen dem mit den teuflischen Heiden verbündeten Genel˜n gegenüber. Geith verweist darauf, dass durch den Hinweis, dass »Genelun sich Karl heimlich nähert (V. 3034), seine falsche Natur hervorgehoben [wird].«568 Das ist eine Zutat des Pfaffen Konrad gegenüber seiner französischen Vorlage. Damit greift die Traumerzählung auf, was auch zuvor mehrfach betont wurde. So heißt es etwa, nachdem Genel˜n die Botschaft der Heiden überbracht und damit seinen Verrat in die Tat umgesetzt hat: trüebe was ime s„n muot mit lachenten ougen. s„nes herzen touge newesse nieman innen (Vv. 2854–2857).

Auch im Rahmen der darauf folgenden Beratung, in welcher Genel˜n Roland als Statthalter für Spanien vorschlägt, ist von Genel˜ns Hinterlistigkeit die Rede: Genel˜n mit listen / in den r–t er sich gemiste (Vv. 2929–2930). Der Traum offenbart die Differenz zwischen außen und innen, wie sie im Rahmen des Verrats bereits ausgesprochen wird: Genel˜n was michel unde lussam, er muose s„ne nat˜re beg–n. michels boumes schæne machet dicke hæne. er dunket ˜zen grüene, sú ist er innen dürre. sú man in nider meizet, sú ist er wurmbeizec. er ist innen v˜l unde übel get–n. daz bezeichnete den man, der ˜zen wole redet unde valsches in deme herzen phleget. er dunket ˜zen vol, s„n muot ist innen hol. (Vv. 1960–1973).

Hingewiesen wird damit auf die Verschlagenheit, die Hinterlist des Judas-Gleichen Genel˜n (Vv. 1925ff.). Geith fügt hinzu, dass die Erde »als Folge von Geneluns Handeln bebt«569. Tatsächlich bezieht sich semantisch das Präpositio568 Geith, Träume im Rolandslied, S. 232. 569 Ebd.

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naladverb der von (nhd. »davon«) auf die Holzsplitter, welche von Genel˜n in die Luft geworfen werden, d. h. das erkrachen ist offenkundig Folge des Werfens der Lanzensplitter durch Genel˜n. Somit kann es auch als Ausdruck des göttlichen Zorns über Genel˜ns Verrat an den Christen verstanden werden. Verräter am Kreuzzugsgedanken sind Judas gleich und der göttliche Zorn richtet sich gegen sie. Das ist eine weitere aussagelogische Orientierung der Traumerzählung. Sie mutet wie eine Drohung an, die auf jede Kraft abzielt, die den Kreuzzugsgedanken gefährdet. Somit wird Einmütigkeit im Kampf gegen die Heiden gefordert. 6.3 Karls zweiter Traum In der Traumwelt verliert der Kaiser seinen (rechten) arm570 durch den Angriff des Bären. Die Forschung bezieht den Bären vor allem auf Genel˜n571, Steinmeyer auf Marsilie572, der arm wird auf Roland bezogen.573 Roland fällt Genel˜ns Rache zum Opfer, der Verlust des rechten Arms steht, wie es Speckenbach formuliert, als »konkretisierte Metapher«574 für den Verlust Rolands, der von Karl als dessen zesewe hant (V. 2974 sowie V. 7517) bezeichnet wird. Das Traumbild vom Verlust der Hand wird in Achmets Traumbuch entsprechend gedeutet: »Die Hand bedeutet den besten und treuesten Knecht. Träumt der Kaiser, seine Hand sei abgeschlagen, erfroren und verbrannt, wird er seinen besten und treuesten Knecht verlieren.«575 Der Bezug zu Genel˜n liegt nahe, weil Roland seinem Verrat zum Opfer fällt, zudem liegt der Bär (zunächst) angekettet in Aachen und Genel˜n wird später an diesem Ort in Ketten gelegt (Vv. 6114–6117). In der christlichen Symbolik gilt der Bär, wie Scheibelreiter herausgearbeitet hat, als »Verkörperung des Teufels selbst«576, als Sinnbild Satans, im Mittelalter wurde er völlig verteufelt.577 Er wurde, wie Kock ausführt, zum »Zeichen des Bösen«578. Genel˜n wird im Rahmen seines Verrats mit dem Teufel in einen Zusammenhang gebracht: der tiuvel gab ime den sin (V. 1979, ebenso V. 2365). Karl bezeichnet ihn als v–lantes man (V. 3101), der Erzähler als Judas (V. 1925). Er erscheint als Verräter an der Christenheit, als jemand, dem die Hölle gewiss ist (vgl. V. 2400), der ein finsteres Herz hat (vgl. V. 2854ff.). Allerdings reißt sich Genel˜n in Aachen nicht von den 570 571 572 573 574 575 576 577 578

Vgl. dazu auch die ChdR, V. 727. Fischer, The Dream, S. 50. Geith, Träume im Rolandslied, S. 232. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 37. Schmitz, Traum und Vision, S. 24. Fischer, The Dream, S. 50. Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 432. Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 432. Traumbuch des Achmet, Nr. 73, S. 59. Scheibelreiter, Tiernamen, S. 91. Vgl. ebd., S. 98. Kock, Bär, LexMA, S. 1432.

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Ketten los,579 auch der Gerichtskampf zwischen Binabel und Tierrich (Vv. 8959ff.) führt nicht zu seiner Befreiung. Der Bezug zu den Ketten lässt sich besser erklären, wenn man den Bären auf Marsilie bezieht, dessen Angriff Roland zum Opfer fällt.580 Zunächst soll allgemein zum Symbolgehalt festgestellt werden: Auch zu Marsilie passt der Bär als Versinnbildlichung des Teufels, dem Mittelalter galt er zudem als Heidensymbol.581 Nach Achmet steht er für einen mächtigen Feind.582 Scheibelreiter führt aus, dass dem Bären außerdem »Wildheit und Grausamkeit«583 sowie »Jähzorn«584 als typische Eigenschaften zugesprochen wurden, nach Artemidor symbolisiert er Menschen mit »gewalttätige[m], grimmige[m]«585 Charakter. Das entspricht dem aufbrausenden, jähzornigen Marsilie (vgl. u. a. Vv. 2051ff., 2105, 2172, 5207, 5481, 5695ff., 5713ff.), der den christlichen Glauben grundsätzlich ablehnt.586 Der angekettete Bär steht allegorisch für eine von den Heiden ausgehende Gefahr, die nur scheinbar gebannt ist. Sie täuschen lediglich vor, dass sie zum Christentum übertreten wollen, legen sich die Ketten, um im Bilde zu bleiben, scheinbar selbst an. Der Verrat Genel˜ns bietet ihnen dann einen willkommenen Anlass, sich von diesen vermeintlich festen Ketten loszureißen und die Nachhut des Kaisers unter Roland zu überwältigen. Durch seinen Verrat entfesselt Genel˜n die Gewalt der (teuflischen) Heiden und verursacht damit Rolands Tod. Somit ist ein Bezug sowohl zu Genel˜n als auch zu Marsilie (und seinen Heiden) gegeben. 579 Ein solches Motiv findet sich allerdings in Strickers Karl. Auch hier träumt der Kaiser von einem Bären, der sich von den Ketten losreißt und ihn attackiert (3636ff.). Später kann Genel˜n (anders als im Rolandslied) im Rahmen der allgemeinen Verwirrung durch den Tod Alitas und mit Hilfe seiner m–gen tatsächlich entkommen: dú man die frouwen sterben sach, / dú quam daz her alsú gar / geriten und geloufen dar / daz Genel˜n bleip unbehuot. / dú tet er alse ein man tuot, / der dem túde entrinnen will. / d– was ouch s„ner m–gen vil, / die in gerne heten br–ht. (Vv. 11287–11295). Er wird gesucht, schließlich auch gefunden (V. 11517ff.), gefangen genommen (V. 11592) und vor den Kaiser gebracht (V.11608ff.). Erst im Anschluss an diese Fluchtepisode erfolgt der Gerichtstag zu Aachen (V. 11660ff.). Möglicherweise wurde diese Episode vom Stricker unter Berücksichtigung dieser vorangegangenen zweiten Traumerzählung ergänzt. Zitiert nach: Karl der Große von dem Stricker. Hrsg. von Karl Bartsch. Quedlinburg/Leipzig 1887. 580 Vgl. dazu Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 37. 581 Vgl. ebd., S. 88. In der ChdR ist die Rede von einem Eber, welcher den Kaiser verletzt. Als Symbole stehen sich Eber und Bär schon bei Artemidor, Traumkunst, Kapitel 56, S. 256, sehr nahe. Auch dem Mittelalter gilt der Eber als »Symbol der Wildheit des Jähzorns und der Verstocktheit gegenüber den guten Lehren«. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 45. 582 Traumbuch des Achmet, Nr. 272, S. 215. Nikephoros, Nr. 25, S. 27. Germanos, Nr. 16, S. 65. 583 Scheibelreiter, Tiernamen, S. 98. 584 Ebd. 585 Artemidor, Traumkunst, Kapitel 56, S. 256. 586 Vgl. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 46.

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Die aussagelogische Orientierung des ersten Traums wird hier erneut aufgegriffen, die Darstellung aber intensiviert: Es geht um die Negativdarstellung der Heiden bzw. des mit den Heiden verbündeten Verräters. Es wird deutlich, dass die Christen den Heiden nicht trauen können, denn sie stehen mit dem Teufel im Bunde. Man muss sie militärisch überwinden, sie unterwerfen oder vernichten. Verhandlungen bringen nichts als Unheil, davor wird hier eindeutig gewarnt. Der Bär ist ein Angst erzeugendes Bild, das im Sinne der Kreuzzugsidee das Gefühl einer Bedrohung zeitigen soll. Die Notwendigkeit, dieser Bedrohung entgegenzuwirken, wird damit unterstrichen. 6.4 Karls dritter Traum In dem dritten Traum setzt sich die Negativzeichnung der Heiden fort. Der liebarte könnte für Marsilie stehen.587 Nach Artemidors Traumdeutung steht er für »verschlagene […] Menschen«588, nach Achmet für einen »unversöhnlichen«, »mächtigen, listigen und furchterregenden Feind«589. Er erscheint als »blutdürstiger Angreifer, als Heide«590, als falsch,591 verräterisch, heuchlerisch, ketzerisch.592 Im Sinne dieses Bildes ist die Marsilie-Figur konzipiert: als verschlagener und hinterlistiger Heide (vgl. die Charakterisierung Marsilies durch Roland ab V. 912ff. sowie durch den Erzähler, V. 2309), der sich zu verstellen weiß, der heimlich arglistige Angriffspläne gegen die Christenheit schmiedet (vgl. v. a. Vv. 2416ff. und 2585ff.), der das Christentum konsequent ablehnt (vgl. Vv. 417–420), seinen Bekehrungswillen nur heuchelt – und dies auch nicht zum ersten Mal (vgl. die Ausführungen Rolands, Vv. 1141–1153). Der Hund (ein rude starc unde grúz) steht offenkundig für Roland (und sein Heer). Dem Mittelalter gilt er in seiner positiven Bedeutung, und diese kommt 587 Geith, Träume im Rolandslied, S. 232. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 37ff., bezieht den Leoparden auf den Kalifen. W.G. van Emden bezieht den Leoparden für die ChdR auf den Gerichtskampf in Aachen. W.G. van Emden: Another look at Charlemagne’s dreams in the Chanson de Roland, in: French Studies, 28, 1974, S. 257–271. 588 Artemidor, Traumkunst, Kapitel 56, S. 257. Der Leopard ist schon in der Bibel negativ besetzt: »[E]in Leopard lauert an ihren Städten: jeder, der aus ihnen hinausgeht, wird zerrissen.« (Jer. 5,6). Auch in den Visionen des Propheten Daniel erscheinen leopardenähnliche Schreckgestalten: »und siehe, ein anderes [Tier], wie ein Leopard: das hatte vier Vogelflügel auf seinem Rücken. Und das Tier hatte vier Köpfe, und Herrschaft wurde ihm gegeben.« (Daniel, 7,6). 589 Traumbuch des Achmet, Nr. 270, S. 213. 590 Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 89. 591 Im Mittelalter sagte man dem Leoparden große Wandlungsfähigkeit nach: Er könne, so glaubte man, durch das Wechseln seiner Flecken sein Aussehen nach Belieben ändern. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 49, führt hierzu aus: »Von der Antike übernimmt das Mittelalter den Glauben an das wechselnde Äußere des Leoparden, verbindet ihn mit der Auffassung vom hinterlistigen Charakter des Tieres und erhält so ein Symbol für den Sünder, dessen Seele vom Makel der Sünde gefleckt ist wie das Fell des Leoparden […].« 592 Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 48–49.

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ihm in diesem Kontext zu, als ein »als Sinnbild der Treue, der Wachsamkeit und des Gehorsams«593, als »hilfreiches Tier«594, »Sinnbild der Ergebenheit«595, als »›miles Dei‹ in der theologischen Literatur«596, als »Symbol der Glaubenstreue«, als »Herrschaftssymbol«597, zudem ist er »Symbol für den Statthalter des Königs«598, was Rolands Stellung als Karls Statthalter in Spanien entspräche. Wie Hund und Leopard treffen auch Roland und Marsilie im Kampf direkt aufeinander (V. 6280ff.). Der Heide verliert dabei seinen rechten Arm (vgl. Vv. 6306 und 6323), wird aber nicht erschlagen. Der Leopard könnte daher auch für das gesamte heidnische Heer stehen – zumal die Heiden vor den Christen wie vor den hunden (V. 6315) fliehen. Das heidnische Heer geht, wie der Leopard, vollkommen zugrunde (Vv. 7336–7337). Geith meint, Leopard und Windhund könnten auch für Binabel und Tierrich stehen.599 Die aussagelogische Orientierung der vorangegangenen Träume setzt sich hier fort: Hund und Leopard stehen einander in einer Gut-Böse-Opposition gegenüber, Gottestreue gegen Hinterlistigkeit, milites Christi gegen Heiden. Aggressoren sind die Heiden, die als bedrohlich erscheinen, zugleich aber als überwindbar. Auch das steht in einem Zusammenhang mit dem Prädestinationsgedanken: die Christen überwinden die Heiden, weil Gott mit ihnen ist. Im Gegensatz zur ChdR wird im Rolandslied auch immer der Kampfausgang vorweggenommen und damit die heilsgeschichtliche Idee im Sinne der aussagelogischen Orientierung noch stärker betont. Der Angriff des Leoparden auf Paris verstärkt erneut den Eindruck heidnischer Bedrohung. Darauf ist schon im Zusammenhang mit der Raumsemantik verwiesen worden: Die Heiden würden die Zentren der christlichen Welt zerstören, wenn sie könnten, und daher müssen sich ihnen die Christen entgegenstellen. Diesem Appell kommt Karl nach, wenn er sich den Heiden im Kampf entgegenstellt. Er geht als gutes Vorbild voran, das es nachzuahmen gilt. Dabei ist der christliche Herrscher auf die Treue seiner Untertanen angewiesen: Der Hund rettet Karl. Ein erfolgreicher Kreuzzug erfordert Einmütigkeit, Verräter müssen beseitigt werden. Auch der Sieg der Christen über die Heiden wird in den allegorischen Bildern vorweggenommen: Der Hund besiegt den Leoparden. Das ist eine Zutat Konrads gegenüber dem ChdR. Geith meint dazu: »Es entspricht dies seiner [des Rolandslieds] auch sonst zu beobachtenden Tendenz, die christliche Seite eindeutig als die richtige und von Gott unterstützte Partei 593 594 595 596 597 598 599

Ebd., S. 55. Neu, Hund, SWMediävistik, S. 372. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 57. Ebd. J‚zai, Hunde, LexMA, S. 213–214, hier : S. 214. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 59. Geith, Träume im Rolandslied, S. 229.

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darzustellen.«600 Am Ende wird das Reich Gottes verwirklicht, wie es die Heilsgeschichte vorsieht. 6.5 Karls vierter Traum Der vierte Traum setzt mit bedrohlichen, apokalyptischen601 Naturerscheinungen ein. Nach Artemidor verheißt ein Sturm »Gefahren und Verlust«, ein Donner deutet das »Unerwartete, Überrumpelungen und Nachstellungen an […]«602, Feuer verweist auf »heranrückende Feinde« – insbesondere solches, welches vom Himmel falle, bedeute »größte Gefahr«603. Nach Achmet steht Feuer für Krieg,604 das Somniale Danielis deutet den Donner als »Vorzeichen für einen bevorstehenden Kampf«605. Auf die Naturerscheinungen folgen wilde Tiere. Dies verweise nach dem Somniale Danielis auf eine drohende Niederlage: »Sieht man wilde Tiere oder begegnet man ihnen, werden Feinde einem hart zusetzen.«606 Die Bären begunden menniscl„chen reden. Nikephoros kommentiert: »Wilde Tiere, die wie Menschen sprechen, kündigen Bedrängnis an«607. Ob sich das Löwenheer (n–ch diu kúmen lewen, V. 7092) einem Heer der Heiden zuordnen lässt, muss offen bleiben. Eine exakte Zuordnung der lewen sowie der weiteren Symboltiere und Naturerscheinungen aus der Traumerzählung zu konkreten Heeren oder Heerführern ist nicht möglich, da eine klare Zahlensymmetrie fehlt.608 600 601 602 603 604 605 606 607 608

Geith, Träume im Rolandslied, S. 232. Vgl. dazu ausführlich Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 82. Artemidor, Traumkunst, Kapitel 8, S. 104ff. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 85. Artemidor, Traumkunst, Kapitel 9, S. 105f. Traumbuch des Achmet, Nr. 158, S. 122f. Vgl. dazu ausführlicher Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 84. Traumbuch des Propheten Daniel, Nr. 218, S. 107. Nikephoros Nr. 121, S. 37. So auch im Traumbuch des Propheten Daniel, Nr. 224, S. 107. Der Hinweis auf Daniel in der Löwengrube, den die Bestien aufgrund des göttlichen Beistandes niene zefuorten (V. 8182), erfolgt genau an dem Punkt, an dem die Christen die Heiden anrücken sehen (V. 8178ff.). Doch jeder Versuch einer Zuordnung scheitert an der oben erwähnten fehlenden Symmetrie: Die lewen, beren, lÞbarten, slangen, gr„fen lassen sich eben schon rein zahlenmäßig nicht den genannten Heeren des Palig–n zuordnen: Mit dem Heer des Malprimes (vgl. Vv. 8031–8039), des Valpontenrút (vgl. V. 8040), den dr„zec t˜sent von Meres (V. 8043), den Heeren von Nobiles und Rosse, Plais und Teclavosse (vgl. V. 8048), Sordis und Sorbes, Ermines und Demples, Joricúp, Walgies, Mores und Paligea (vgl. Vv. 8049–8055) kommt man auf die Zahl 10. Es sind aber nur fünf Tiere. Selbst dann, wenn man den apokalyptischen Feuerregen (vgl. V. 7087) sowie donerslege unt winte (V. 7090) dazurechnete, käme man immer noch lediglich auf die Zahl acht. Außerdem kommen noch weitere zehen scar Palig–ns hinzu (V. 8057), was die Möglichkeit einer Zuordnung noch weiter einschränkt. Auch aus den Schlachtszenen lässt sich dahingehend nichts Konkretes ableiten. Hier werden anfangs nur die christlichen Helden genannt: So wird uns Gottfried im Kampf präsentiert (V. 8187ff.), anschließend Jocerans (V. 8217ff.), dann Richard der Alte (V. 8239ff.), Antel (V. 8255ff.), Herzog Naimes von Baiern und Ansgis (V. 8285ff.). Die Heiden werden zumeist auf namenlose Objekte der Vernichtung reduziert. Mit Malprimes

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Mit den Bildern von lewen, beren, lÞbarten, slangen und gr„fen soll offenkundig eine Atmosphäre des Schreckens erzeugen werden. Alle diese Tiere lassen sich in ihrer negativen Symbolbedeutung dem Antichristen zuordnen.609 Der Greif ist Sinnbild der »Wildheit und Übermut von Christenverfolgern […]«610 und »significatio des Teufels«611. Die Heiden sind entsprechend tiuvel (V. 4991), tiuveles geverten (V. 859), tiuveles h„gen (V. 4440), werden in Bezug zur helle gesetzt (vgl. Vv. 871, 4581, 4655, 4921, 5859, 5974, 8195), beten heidnische Götter (Vv. 4683, 6313, 7049, 7332, 8136ff.) und damit den Teufel an, sind verworcht (V. 3465), vert–n (V. 3513). Zugleich ist der Greif »Sinnbild von Hoffart«612, des »Stolzes und der Überheblichkeit […]«613. Die Heiden werden in Korrespondenz dazu als vermezzen (Vv. 294, 380, 642, 4378, 4425, 5237, 7641) bezeichnet, húchvart (Vv. 288, 3468) und übermuot (Vv. 4604, 4611, 4743) wird ihnen zugesprochen.614 Auch die Schlange ist ein »Symbol des Ketzers, des Gottlosen und des Dieners des Teufels«615, ein »Sinnbild des boshaften Menschen«616. Der große Löwe (ain starker lewe, V. 7103) schließlich steht wohl für König Palig–n: Sowohl das Geschöpf aus Karls Traum (vgl. V. 7105fff.) als auch der heidnische König (vgl. V. 8560ff.) werden von Karl im Zweikampf erschlagen. Als Königssymbol lässt er sich dem mächtigen Palig–n, dem obersten aller Heiden, Herr über zwÞne unt vierzec küninge (V. 7305), zuordnen.617 Der admir–te (V. 7298) tritt zudem als gefährlichster Gegner Karls auf (vgl. Vv. 8454–8455), bringt ihn in Lebensgefahr (vgl. Vv. 8531ff.), daher wird wohl das Bild des Löwen gewählt, denn der Löwe galt dem Mittelalter als das »stärkste und kühnste unter den Tieren«618. Er steht

609 610 611 612 613 614 615 616 617 618

(V. 8325ff.) erscheint der erste namhafte Heide. Dann kommt nur noch Amhoch (V. 8403ff.) und dann erfolgt bereits der Zweikampf zwischen Karl und Palig–n (V. 8439ff.). Hier sind es also sieben Schlachtphasen und ein Zweikampf, wobei der Löwe für Palig–n steht, den Karl in seinem Traum erschlägt. Somit ist auch hier eine Zuordnung kaum sinnvoll – zumal den heidnischen Gegnern die durch die Symboltiere zugewiesenen Charakterzüge insgesamt sicherlich problemlos zugeordnet werden können. Eine spezielle Zuordnung zu einzelnen Heeren gelingt aber nicht. Die Bären, die mit Menschenzungen sprechen und ihre Toten zurückfordern, finden in der Schlachtszene ebenfalls keine Entsprechung. Die Traumerzählungen mögen insgesamt mit ihren allegorischen Bildern und ihrer bedrohlichen Atmosphäre mehr Spannung erzeugen als die stereotyp-additiven Schlachtszenen. Vgl. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 100ff. Hünemörder, Greif, LexMA, S. 1694. Roßkopf, Traum der Herzeloyde, S. 31. Scheibelreiter, Tiernamen, S. 98. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 91. Vgl. zu dieser Bedeutungsdimension auch mein Kapitel zur Figurenzeichnung Alexanders (Kapitel VI. 1, 6.2). Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 89. Ebd., S. 89. So auch die Deutung von Fischer, The Dream, S. 56 und Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 94. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 95.

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Analyseteil

in seiner negativen Bedeutung für »Gewalttätigkeit, Wildheit und Grausamkeit«619. Das korrespondiert mit Palig–ns Eigenschaften: Er ist fraissam und egesl„ch (Vv. 8004–8005). Auch ist der Löwe »Symbolisierung des Satans«620. Damit passt er zu Palig–n, dem Feind der Christen schlechthin, der Königin Brechmunda verspricht: die christen ich vertr„be (V. 7398), der seine Götzen Tervagant, Machmeten und Apollo (Vv. 8134–8137, 8495) anruft. Auch hier setzt sich die Negativzeichnung der Heiden fort, die heidnische Drohkulisse wird weiter ausgebaut. Das schreckliche Tier, das im zweiten Teil dieser Traumerzählung in Erscheinung tritt und gegen den der Hund kämpft, ist nicht mehr dem Schlachtgeschehen zuzuordnen, sondern dem Gericht in Aachen, dem Kampf zwischen Tierrich und Binabel.621 Das schreckliche Tier verweist auf Binabel, der den Verräter Genel˜n verteidigt. Seine physischen Merkmale sind analog zu dem schrecklichen Tier konzipiert. Das Tier erscheint als groß (michel), ebenso Binabel (vgl. V. 8786), der zudem als starc (V. 8873) beschrieben und mit Goliath (vgl. V. 8849) verglichen wird. Der Sieg Tierrichs (V. 8982ff.) wird in der Traumerzählung in allegorischen Bildern vorausgedeutet: daz tier warf er [der Hund] unter sich, / ze túde er ez erbaiz. Die Binabel-Figur erscheint deswegen als schreckliches Tier (fraissam), weil er mit Genel˜n das Prinzip des Bösen verteidigt. Tierrich jedenfalls merkt zu Binabel an: der tiuvel hat dich gevangen (V. 8968) und kündigt ihm die helle an (Vv. 8971–8972). Auch der Erzähler sieht in diesem Sinne all jene auf der Seite des Verrats, die Genel˜n zu schützen versuchen (Vv. 8996–8998). Gott selbst greift in den Kampf ein, damit Tierrich siegen kann: der elliu dinc wol kan aine gezechen, der wolt es anderes scaffen. (Vv. 8926–8928).

Anschließend werden Genel˜n und seine Anhänger hingerichtet. Dahinter steht der Gedanke einer Reinigung – die Welt wird vom Bösen, vom Teuflischen, vom Verrat gereinigt. Die private Fehde erfolgt auf Kosten der Christenheit und gefährdet den Kreuzzugsgedanken und die christliche Welt. Solche Kräfte müssen gemäß dem Text beseitigt werden. Auch hier wird der Gedanke der Prädestination wieder aufgegriffen: Der Sieg der Christen über die heidnischen Gegner wird in allegorischen Bildern vorweggenommen.

619 Scheibelreiter, Tiernamen, S. 98. 620 Ebd. 621 So auch Fischer, The Dream, S. 57f. Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 120ff.

Chanson de geste: Die Träume Karls im Rolandslied des Pfaffen Konrad

7.

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Zusammenfassung

Karl versteht die Kernbotschaften seiner Träume, die den göttlichen Willen offenbaren. Seine Passivität ist figurenlogisch orientiert und verweist auf den Prädestinationsgedanken, der den Vorstellungshintergrund der Traumerzählungen im Rolandslied bildet. Zugleich ist sein Verhalten progressionsorientiert, weil er dem Handlungsparadigma gemäß passiv bleiben muss, damit sich die Handlung entfalten kann. Eine Konsequenz der Passivität ist der aussageorientierte Märtyrertod Rolands im Sinne einer Kreuzzugspropaganda,622 die sich in der gesamten Erzählung entfaltet. Mit der Raumsemantik wird auf die Bedrohung der christlichen Welt durch die Heiden verwiesen und damit auf die Notwendigkeit, dieser entgegenzuwirken. Diese Aussage geht Hand in Hand mit atmosphärisch motivierten angstbesetzten Alptraumbildern von wilden Tieren und apokalyptischen Naturerscheinungen. Bei all ihrer Schrecklichkeit wird aber auch die Überwindbarkeit der Heiden im Sinne des heilsgeschichtlich besetzten Prädestinationsgedankens betont. So wird der Sieg der Christen in allegorischen Traumbildern im Sinne der final motivierten Handlung vorweggenommen. Als Heidenkämpfer sind Roland, Karl und ihre Heere Vorbilder, Ideenträger innerhalb der Traumwelten und in der Realität der fiktiven Welt, ihrem Beispiel sollen die milites Christi nacheifern.623 Der Sieg Karls und die Christianisierung der ganzen Welt stehen am Ende des Rolandslieds im Sinne des eschatologischen Grundgedankens dieser Erzählung. Die christliche Welt wird dabei von Heiden und Verrätern gereinigt. Gattungsspezifisch ergeben sich Parallelen zwischen den Träumen im Rolandslied und im Orendel, vor allem über die Kreuzzugsthematik. Die Träume in beiden Erzählungen sind Unheilsträume. Allerdings wird dieser im Orendel, anders als im Rolandslied, vom Antagonisten empfangen und auf ihn bezogen. Sinolds Traum könnte man auch als Untergangstraum bezeichnen, der Heide geht tatsächlich unter. Dass er als Bekehrungsresistenter direkt zur Hölle fährt, liegt auf der Hand. Roland dagegen stirbt einen Märtyrertod, Erlösung ist ihm gewiss. Auch im Rolandslied wird der Untergang allein auf den heidnischen Gegner bezogen (vgl. Sinold im Orendel). So werden auch Niederlage und Tod der Heiden im dritten und vierten Traum prophezeit.

622 Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 141, spricht hier von einer »Verherrlichung des Kreuzzugsgedankens«. 623 Ähnlich Schmitz, Traum und Vision, S. 29, der die Christen als »Werkzeuge in Gottes Hand, Verwirklicher der Pläne und Absichten Gottes« bezeichnet. Vgl. dazu auch Fischer, The Dream, S. 60.

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Analyseteil

VI.4 Heldendichtung VI.4.1 Die Träume Kriemhilds und Uotes im Nibelungenlied 1.

Der Text: Das Nibelungenlied

Das Nibelungenlied624, anonym überliefert, niedergeschrieben um 1200625, gilt, wie Schulze anmerkt, als eines der »Hauptwerke[…] der höfischen Literaturperiode«626 und stellt als »Verschriftlichung mündlicher Dichtungstradition«627 eine »eigene[…] Gattung der Heldenepik«628 dar. Das Nibelungenlied erzählt, wie der Königssohn Siegfried von Xanten am Hof der Burgunden um die Königstochter Kriemhild wirbt. Dafür muss er ihrem Bruder König Gunther helfen, die übermenschlich starke Brünhild zu gewinnen. Im Wettkampf, der Voraussetzung dafür ist, siegt er, Brünhild täuschend, stellvertretend für Gunther. In der Brautnacht, in der sie sich der minne Gunthers verweigert, handelt Siegfried erneut an Gunthers Stelle. Brünhild wird ein weiteres Mal getäuscht. Zudem bleibt ihr im Rahmen des Betrugs Siegfrieds wahre gesellschaftliche Position verborgen. Hier keimt das Unheil heran. Als Siegfried und Kriemhild nach zehn Jahren zurück an den Hof der Burgunden kehren, kommt es zum Vergleich der beiden Männer durch Brünhild und Kriemhild, dies eskaliert zum Frauenstreit und führt zu einer tiefen Kränkung Brünhilds, die Rache fordert. Siegfried fällt infolgedessen einem Mordkomplott zum Opfer, wird von Hagen, dem wichtigsten Vasall König Gunthers, hinterrücks erschlagen. Nach dreizehnjähriger Trauer sieht Kriemhild in einer Hochzeit mit dem Hunnenkönig Etzel die Möglichkeit zur Rache an ihren Verwandten. Als neue Hunnenkönigin lädt sie ihre Verwandten ins Hunnenland ein. Mit den Burgunden wird ein Streit provoziert, der dann zur Auslöschung des Burgundengeschlechts führt, gipfelnd und endend in der Erschlagung Hagens durch Kriemhild und in der Tötung Kriemhilds.

624 Ich zitiere im Folgenden nach: Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor ins Neuhochdeutsche Übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse. Stuttgart 2002. 625 Schulze, Ursula: Das Nibelungenlied. Stuttgart 1997, S. 122. 626 Ebd., S. 11. 627 Ebd., S. 19. 628 Ebd. Zur Gattungsdiskussion (Epos oder Roman) vgl. ebd., S. 104ff.

Heldendichtung

2.

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Die Träume Kriemhilds und Uotes

Vier prophetische Träume werden im Nibelungenlied erzählt und nehmen drohendes Unheil immer wieder vorweg. Der erste Traum findet sich bereits ganz am Anfang der Erzählung: In disen húhen Þren trûumte Kriemh†ldÀ wie si züge einen valken, starc, scûen’ und w†ldÀ, den ir zwÞne arn erkrummen. Daz si daz muoste sehen, ir erkfflnde in dirre werlde leider n†mm¦r gescehen. (Str. 13, 1–4)

Der Traum weist auf die Ermordung Siegfrieds im Odenwald voraus, die sich viele Jahre später ereignet. Er verweist auf Hagen, der den Mord plant und ausführt, und König Gunther, der ihn geschehen lässt. Bezug genommen wird im Rahmen dieser Prolepse vor allem auf Str. 981, 1–3: D– der herre S„frit ob dem brunnen tranc, er [Hagen] schúz in durch das kriuze, daz von der wunden spranc daz bluot im von dem herzen vaste an Hagenen w–t.

Str. 19 nimmt dazu noch ergänzend Bezug auf den Untergang der Burgunden, der sich etwa vier Jahrzehnte später ereignet:629 Der [edel man] was der selbe valke, den si in ir troume sach, den ir besciet ir muoter. wie sÞre si daz rach an ir næhsten m–gen, die in sluogen sint! durch s„n eines sterben starb vil maneger muoter kint.

Die nächsten beiden Träume erzählt Kriemhild Siegfried kurz vor seinem Jagdausflug in den Odenwald, wo der Mord später ausgeführt wird. Beide Träume beziehen sich auf dasselbe Ereignis wie der Falkentraum und sind ihm entsprechend motivisch sehr ähnlich: Si sprach zuo dem recken: »l–t iuwer jagen s„n. mir troumte h„nte leide, wie iuch zwei wildiu sw„n jageten über heide, d– wurden bloumen rút (Str. 921, 2–3).

Und: mir troumte h„nte leide, wie ob dir zetal vielen zwÞne berge: ine ges‚ch dich nimmer mÞ (Str. 924, 2–3).

629 Ebd., S. 93: »Die Geschichte erstreckt sich über mehr als 50 Jahre.« Grosse, Kommentar, S. 874, weist aber darauf hin, dass der »reale Zeitverlauf keine Rolle [spielt]«. So stellt er mit Bezug auf Str. 1462 fest: »So müßte Hagen bei Beginn der Fahrt zu den Hunnen 80 Jahre alt sein, und Kriemhild würde mit 50 ein zweites Mal Mutter.«

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Analyseteil

*

Die vierte Traumerzählung wird von Uote, der Mutter Kriemhilds, erzählt, kurz vor der Reise ins Hunnenland und einige Wochen630 vor dem Untergang der Burgunden am Hof Etzels. Sie richtet sich an die Burgunden: ›ir soldet hie bel„ben, helde guote. mir ist getroumet h„nte von angestl„cher nút, wie allez das gefügele in diesem lande wære tút.‹ (Str. 1509, 2–4).

Diese Traumerzählung deutet im Bild der toten Vögel den Untergang der Burgunden am Hof Etzels voraus. 3.

Forschungsstand

Die Forschung geht auf alle Ebenen der Erzählweise dieser vier prophetischen Träume ein. Die Diskussion ist kontrovers und entzündet sich an einer Feststellung, die bereits Schmitz formuliert: »Sie [die Träume] lösen keine Handlung aus«, hätten keinen »bestimmenden Einfluß auf den Gang der Handlung«631. Zu diesem Ergebnis kommt auch Müller.632 Vor diesem Hintergrund der Irrelevanz der Träume für die Handlungsprogression wurde immer wieder diskutiert, wie man die Reaktionen der Figuren auf ihre Träume einschätzen soll. Kriemhild etwa reagiert auf die Traumdeutung ihrer Mutter mit dem Gelöbnis, sie wolle keinen Mann ehelichen. Doch dieses spielt später »keine Rolle« mehr.633 So auch Grosse: »Von Str. 46 an ist von Kriemhilds Männerfeindlichkeit und ihrem thesenhaften Verhalten nicht mehr die Rede.«634 Müller argumentiert hier vorsichtig figurenorientiert: »Der Traum scheint von den Akteuren schlicht vergessen zu werden.«635 Classens Argumentation ist 630 Zwölf Tage dauert die Reise der Burgunden an die Donau. Nachdem sie den Fluss überquert haben, reiten sie bis in die Nacht hinein (Str. 1600). Nachdem sie angegriffen worden sind, reiten sie bis zum Morgen (Str. 1624). Dann treffen sie in Passau ein und verweilen dort einen ganzen Tag (Str. 1630). Anschließend treffen sie im Hause Rüdigers ein und bleiben dort drei Tage bis sie weiter zur Etzelburg reiten. Wie lange sie für den letzten Abschnitt ihrer Reise brauchen, wird nicht erzählt. Nachdem sich der »Handlungszeitraum des Epos von Beginn an bis hierher über Jahrzehnte erstreckt hat, vollzieht sich die tödliche Schlußauseinandersetzung am Hunnenhof innerhalb von drei Tagen«. Grosse, Kommentar zu Str. 1718, S. 891. 631 Schmitz, Traum und Vision, S. 85. 632 Müller, Spielregeln, S. 109. 633 Ebd., S. 109, FN 18. 634 Grosse, Kommentar zu Str. 15, S. 734. 635 Müller, Spielregeln, S. 108–109.

Heldendichtung

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tiefenpsychologisch ausgerichtet: Kriemhild setze das »unbewußt Vorgewußte nicht angemessen in die Realität [um]«636, reagiere »nicht angemessen auf den Traum«637 . Stattdessen schließe sie die Augen, benutze nicht ihren Verstand, wolle sich »nicht mit den Trauminhalten in ihrer allumfassenden Sinnträchtigkeit auseinandersetzen […].«638 Sie höre »nur auf ihre Mutter«, bedenke nicht »die Komplexität des zu interpretierenden Bildes und verliert somit ihre zukünftige Handlungsfähigkeit.«639 Sie bedenke »nur das erotische Symbol [d. h. den Falken], nicht jedoch die anderen Figuren [d. h. die beiden Adler] und deren Zusammenspiel.«640 Wie eine »angemessene Reaktion« Kriemhilds auf ihren Traum aussehen sollte, erläutert Classen nicht, auch nicht, weshalb sich die Figuren angeblich nicht mit ihren Traumbildern auseinandersetzen wollen und lieber nicht nachdenken. Auch die Einschätzung der beiden an Siegfried gerichteten Traumerzählungen ist umstritten. Fischer meint, Kriemhild habe ihre Träume erfunden und warne Siegfried mit dieser Erzählung vor Hagen und Gunther.641 Speckenbach, der mantische Träume annimmt, meint, Kriemhild erzähle sie, weil sie ein »schlechtes Gewissen wegen ihrer Vertrauensseligkeit« zu Hagen habe.642 Kriemhild erkenne »aus der ganzen Situation […] die akute Lebensgefahr für Siegfried. Und sie ahnt, daß sie selbst ungewollt Hagen die Ausführung seines Planes ermöglicht hat (Str. 920).«643 Classen hingegen vertritt die These, Kriemhild verstehe ihre Träume nicht, dringe »keineswegs tiefer in die Traumaussage vor, vermag nur wahrzunehmen, daß ›zwei wildiu sw„n‹ (Str. 921, 2) ihrem Mann das Leben zu nehmen drohen.«644 Ähnlich tiefenpsychologisch argumentiert auch Gephard, die meint, dass Kriemhild auf »bewußter Ebene […] die Einsicht und Mittel [fehlen], ihre Angst zu konkretisieren und gegenüber Siegfried zu artikulieren.« Doch »das Eberpaar in den Träumen […] als Hagen und Gunther zu erkennen und zu benennen, ist ihr nicht möglich. Ihr bleibt nur die Sprache der Träume selbst als die Sprache des Unbewußten«645.

636 637 638 639 640 641 642 643 644 645

Classen, Narrative Funktion, S. 28. Ebd., S. 29. Ebd., S. 28. Ebd., S. 29. Ebd., S. 28. Fischer, The Dream, S. 138. Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 423. Speckenbach, Kontexte, S. 307. Classen, Narrative Funktion, S. 29. Gephard, Irmgard: Der Zorn der Nibelungen. Rivalität und Rache im »Nibelungenlied«. Köln, Weimar 2005, S. 86.

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Analyseteil

Unklar bleibt, was Gephard hier mit »Einsichten und Mittel« meint. Ebenso unklar ist, was prophetische Träume mit dem Unterbewusstsein zu tun haben sollen. Denn diese kommen von außen und entstehen nicht im Inneren. Bezüglich der Reaktionen Siegfrieds stellt Schmitz lediglich fest, dass Siegfried die Traumwarnungen zurückweise.646 Auch Grosse meint, dass »Siegfried […] auf den ersten Teil von Kriemhilds Warnung, den Ebertraum, nicht ein [geht]«647, dass er ihren »Worten mit Arglosigkeit […]«648 begegne. Die Frage nach dem Warum stellen weder Grosse noch Schmitz. Fischer meint, Siegfried verstehe die Warnung nicht.649 Classen argumentiert, Siegfried mache den Fehler, »die metaphysische Botschaft nicht ernst zu nehmen und somit seine eigene Existenz bloß im Licht der monokausalen, eindimensionalen Realität zu erblicken.«650 Wie man sich eine mehrdimensionale Perspektive für Siegfried vorstellen soll bzw. welche Voraussetzungen dies erfordern würde, lässt der Autor offen. Müller sieht das Problem im Vertrauen Siegfrieds zu seinen m–gen (Str. 923, 2).651 Speckenbach ist anderer Auffassung: »Der heroischen Haltung der Helden im ›Nibelungenlied‹ entspricht es, dass Siegfried die Warnungen der Träume nicht beachtet«652. Warum er aber auf die Traumerzählungen mit keinem Wort eingeht, bleibt unbeantwortet. Bezüglich des Vogeltraums Uotes ist vor allem Hagens schroffe Zurückweisung in den Blick geraten. Benez¦ deutet diese als »Zeugnis reckenhaften Trotzes alter Sagenhelden«653. Auch Schmitz meint, diese Abweisung »könnte der Ausdruck eines gesteigerten Kraft- und Ehrbewusstseins sein […].«654 Dies sei aber keine fatalistische Haltung, für Hagen sei der Traum reine Illusion.655 Bachorski dagegen vetritt die Meinung, Hagen stelle »mit seiner trotzigen Replik […] nicht den Wahrheitsgehalt des Traumes in Frage«, sondern insistiere »auf der ritterlichen Þre, die es erfordert, trotz der düsteren Auspizien unbeirrt zu handeln«656. Ähnlich interpretiert es Grosse: »Hagen hält die Beachtung von Träumen für nicht vereinbar mit der ritterlichen Ehre.«657 Ebenso argumentiert auch Spe-

646 647 648 649 650 651 652 653 654 655 656 657

Schmitz, Traum und Vision, S. 83–84. Grosse, Kommentar zu Str. 923, S. 826. Ebd. Fischer, The Dream, S. 137. Classen, Narrative Funktion, S. 28. Müller, Spielregeln, S. 155. Speckenbach, Kontexte, S. 307. Benez¦, Traummotiv, S. 2. Schmitz, Traum und Vision, S. 84. Ebd., S. 84. Bachorski, Träume, S. 19. Grosse, Kommentar zu Str. 1510, S. 878.

Heldendichtung

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ckenbach.658 Aber warum reagiert, außer Hagen, sonst keiner der Anwesenden auf die Traumerzählung? Die Wirkungslosigkeit der Träume und Traumerzählungen wird unterschiedlich mit der Vorstellung begründet, die ihnen angeblich zugrunde liegt. So meint Schmitz, dass in Kriemhilds Falkentraum »noch die magische Gültigkeit und Verbindlichkeit der Traumsymbole [lebt], seinen Sinn empfängt er aus der alten ursprünglichen Vorstellungswelt schicksalhafter Bestimmung jeglichen Lebens und Tuns«659. Krasser meint, dass im »Nibelungenlied […] Träume antiken und germanischen Vorbildern nachgeahmt werden«660. Sie verweist in diesem Zusammenhang wie Schmitz auf die Relevanz des angeblichen »Schicksals- und Unsterblichkeitsglaubens«661 der Germanen. Fischer klassifiziert den Falkentraum Kriemhilds und den Traum Uotes als alien somnium662, spricht ihnen okkult-heidnischen Charakter663 zu, sieht, wie Schmitz und Krasser, germanische Einflüsse664, die Literarisierung volkstümlicher Vorstellungen,665 die Darstellung schicksalhafter Offenbarungen.666 Classen verortet alle Träume Kriemhilds in ihrem Unterbewusstsein und begründet ihr Scheitern tiefenpsychologisch.667 Bachorski sieht dagegen wenig Psychologie in Kriemhilds Träumen. Diese seien in »Inhalt und Bildlichkeit […] kaum motiviert durch Tagesreste »668. Das Traummaterial gehe nicht aus dem »Erleben der Figur« hervor.669 Auch er betont die Vorstellung von Schicksalhaftigkeit: Niemand könne »der Gültigkeit seines im Traum geschauten Schicksals […] entrinnen«670. Bezüglich der Aussageorientierung heißt es bei Klinger, es gehe um das »unermeßliche Leid der Träumerin«671, das mit den Traumbildern zum Ausdruck gebracht werde. Speckenbach spricht von einer »schicksalbestimmenden Minne für Kriemhild und Siegfried«672. Grosse meint, dass das Nibelungenlied »die un658 659 660 661 662 663 664 665 666 667 668 669 670 671 672

Speckenbach, Kontexte, S. 307. Schmitz, Traum und Vision, S. 83. Krasser, Traum, SWMediävistik, S. 832–833, hier : S. 833. Ebd., S. 832. Fischer, The Dream, S. 134. Ebd., S. 136. Ebd., S. 134. Vgl. ebd., S. 135. Vgl. ebd., S. 134. Classen, Narrative Funktion, S. 28. Bachorski, Träume, S. 19. Das Zustandekommen von Träumen wurde im Mittelalter oft mit Tageserlebnissen erklärt. Den Begriff »Tagesrest« selbst hat es im Mittelalter allerdings noch nicht gegeben. Vgl. dazu Dinzelbacher, Vision, S. 40. Bachorski, Träume, S. 32. Ebd., S. 17. Klinger, Poetik der Träume, S. 169. Speckenbach, Kontexte, S. 305.

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Analyseteil

auflösliche Verbindung von Liebe und Leid […] thematisiert«673. Dieses »zentrale Gegensatzpaar im Minnesang«674 umspanne den »gesamten Handlungsbogen«675. Die Forschung hat damit zentrale Aspekte der Erzählweise diskutiert. Die Einschätzung der Figurenreaktionen bleibt dabei aber z. T. unentschlossen, schwammig, insgesamt umstritten, ebenso die Frage nach der Vorstellung, die den Traumerzählungen zugrunde liegt und deren Bedeutung für die Handlungsprogression. Die Vernetzung der Ebenen der Erzählweise bleibt in der Forschung vage. Als Antwort auf diese Defizite der Forschung stelle ich im Folgenden Überlegungen zur Einschätzung der Reaktion Kriemhilds auf ihren Falkentraum an, etwa zu ihrem Entschluss, keinen Mann mehr ehelichen zu wollen, und dazu, warum sie später davon abweicht. Es stellt sich die Frage, ob das figurenlogisch oder vielleicht nur progressionsorientiert ist. In diesem Sinne werden auch Siegfrieds Reaktionen auf Kriemhilds Traumerzählungen hinterfragt, ebenso die Hagens auf Uotes Vogeltraumerzählung. Bezüglich des Scheiterns Kriemhilds und Uotes frage ich, welche Vorstellungen den Träumen im Nibelungenlied zugrunde liegen und welchen Sinn sie eventuell produzieren.

4.

Figurenlogische Orientierung oder Progressionsorientierung?

Kriemhild erzählt den Falkentraum ihrer Mutter Uote, die ihn deutet: der valke, den du ziuhest, daz ist ein edel man. / in welle got behüeten, du muost in sciere verlorn h–n (Str. 14, 3–4). Kriemhilds Reaktion auf die Traumdeutung liegt dann im Entschluss, der minne zu entsagen: –ne recken m†nne sú wil ich immer s„n […] / daz ich von mannes minne sol gewinnen nimmer nút (Str. 15, 2–4). Der Erzähler unterstreicht dieses Vorhaben noch einmal: Kriemhild in ir muote sich minne gar bewac (Str. 18, 1). Kriemhilds Reaktion auf den Traum und die Traumdeutung der Mutter ist bis dahin also figurenlogisch orientiert: Kriemhild will das drohende Unheil vermeiden. Ihr Entschluss, auf mannes minne zu verzichten, ist im Sinne der folk psychology völlig nachvollziehbar: Ohne minne kein leit. Der Erzähler »entkräftet« ihr Vorhaben dann aber sofort, wie schon Schulze feststellt,676 und wirft die Kriemhild-Figur damit in die Bahn der Handlungsprogression zurück: s„t wart si mit Þren eins vil küenen recken w„p (Str. 18, 4). Nach figurenlogischer Orientierung sucht man hier vergeblich: Der Falkentraum wird weder vergessen noch erinnert. Er hat keine tiefenpsychologische 673 674 675 676

Grosse, Kommentar zu Str. 14–17, S. 733–734. Ebd., Kommentar zu Str. 17, 3, S. 734. Ebd., Kommentar zu Str. 17, S. 734. Schulze, Nibelungenlied, S. 122.

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Heldendichtung

Bedeutung, wie Classen meint, spielt für die Gedankenwelt, für Reflexionsprozesse der Figuren nach Str. 46 keine Rolle mehr. Er verschwindet einfach aus der Welt des Nibelungenliedes, genauso wie der Entschluss Kriemhilds, der Ehe zu entsagen. Dieses Verschwinden ist unmotiviert, eine Motivierungslücke im Sinne der Progressionsorientierung: Die Erinnerung an den Traum und Kriemhilds Entschluss würden die Handlungsprogression stören, deshalb fallen sie weg. Die minne ist Voraussetzung für das leit und damit von zentraler handlungsprogressiver Bedeutung.677 *

Den zweiten und dritten Traum, beide verweisen auf das gleiche Unheil wie schon der Falkentraum, erzählt Kriemhild im Zusammenhang mit ihrer Erinnerung an den Geheimnisverrat an Hagen: Sie hat ihm von Siegfrieds verwundbarer Stelle zwischen den Schulterblättern erzählt (Str. 902) und erinnert sich nun daran: Do ged–htes’ an diu mære (sine tûrst’ ir niht gesagen), / diu si d– Hagene sagete (Str. 920, 1–2). Schulze meint, die Träume seien an die Ängste Kriemhilds gekoppelt, die »aus der Preisgabe von Siegfrieds verwundbarer Stelle an Hagen und aus dem Streit mit Brünhild resultiert.«678 Es gibt einen Zusammenhang. Denn Kriemhild ergänzt die erste Traumwarnung durch den Hinweis auf ihre Furcht vor dem haz Gekränkter (Str. 922) und erzählt noch den Traum von den zwei Bergen. Man könnte hierin eine figurenlogische Orientierung 677 In diesem Sinne halte ich auch die These von Ernst, Traum und Traumgesicht, S. 149, für abwegig, wenn er meint: »Auch das Element der ›selffulfilling prophecy‹ wird ausgenutzt, etwa wenn Kriemhild aus Sorge um ihren Gatten – die sich bereits vorausdeutend im Falkentraum manifestierte – Hagen Siegfrieds verwundbare Stelle verrät und eben dadurch seinen Tod und die Erfüllung des Traumgeschehens herbeiführt.« Der Falkentraum wird im Zusammenhang mit dem Geheimnisverrat nicht erwähnt, es werden auch später keinerlei Bezüge mehr zu diesem Traum hergestellt. Und ob Kriemhild ihre beiden anderen Träume, die sie später Siegfried erzählt, um ihn zu warnen, vor oder nach dem Geheimnisverrat an Hagen empfangen hat, geht aus der Erzählung nicht hervor. Das Element der ›selffulfilling prophecy‹ diskutiert m. E. allenfalls Boethius in einer traumtheoretischen Schrift. So heißt es in De somniis: Alia autem sunt somnia, quae sunt causa futurorum. Boethius von Dacien: De somniss. In: Boethii Daci Opera. Band II, Teil 1: Opuscula: De aeternitate mundi, De summo bono, De somnii. Hrsg. von Niels Jorgen Green-Pedersen. Koppenhagen 1976 (Corpus philosophorum Danicorum medii aevi VI/2), S. 379–391, hier : S. 385. Boethius meint also, dass Träume auch die Ursache künftiger Dinge sein können. Kurz/Seit führen zu dieser Textpassage aus, dass »eigene Handlungen […] vorbereiten, was sich dann in den Träumen des künftig Handelnden manifestiert.« Kurz, Susanne / Seit, Stefan: Die Einschätzung von Träumen und Traumdeutung im lateinisch-christlichen Mittelalter und im sunnitischen Islam. In: Traum und Vision in der Vormoderne. Traditionen, Diskussionen, Perspektiven. Hrsg. von Annette Gerok-Reiter/Christine Walde. Berlin 2012, S. 91–130, hier : S. 110. 678 Ebd., S. 125–126.

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Analyseteil

erkennen: Kriemhild hat Angst, vielleicht wegen des Verrats, und möchte Siegfried von dem Jagdausflug abhalten. Ob Kriemhild durch ihre Träume »hellsichtig im Blick auf die Vergangenheit und die Zukunft […]«679 wird, wie Schulze meint, ob sie die Traumbilder im Einzelnen versteht, die Eber und Berge mit Hagen und Gunther zu identifizieren vermag oder ob ihr das unverständlich bleibt, lässt sich allerdings nicht beantworten, da der Traum nicht gedeutet wird. Die Frage danach erscheint mir auch irrelevant, denn Kriemhild weiß schon genug, aber sagt zu wenig. Problematisch bleibt allein, dass sie die Träume anstelle des Geheimnisverrats erzählt und damit eine effektive Möglichkeit der Warnung durch eine ineffektive ersetzt.680 Begründet wird das Schweigen hinsichtlich des Geheimnisverrats lediglich mit sine torst’ ir niht gesagen (Str. 920,1). Woraus ihre Furcht hervorgeht, ist zwar nicht ganz klar. Allerdings hatte sie Hagen gegenüber gesagt, Siegfried habe sie wegen des Frauenstreites zerblouwen (Str. 894, 2), Siegfried äußerte sich zuvor entsprechend (vgl. Str. 862, 1–2). Somit könnte man annehmen, dass sie Angst vor (erneuter) Strafe hat. Das Schweigen wäre somit zumindest ansatzweise figurenlogisch orientiert. Ihre Warnung an Siegfried richtet sich gegen die Progression. Ihr Schweigen erscheint dagegen eher schwach motiviert, immerhin geht es hier um Siegfrieds Leben, und das weiß Kriemhild auch. Aber es ist Voraussetzung dafür, dass sich die Handlung entfalten kann, also handlungsorientiert. Und wie steht es mit Siegfried? Der geht zwar auf die Befürchtungen Kriemhilds ein, versucht sie zu beruhigen, meint ine w¦iz hie niht, der liute, die mir iht hazzen tragen (Str. 923, 2). Auf die Traumbilder geht er dagegen mit keinem Wort ein. Dass Siegfried trotz der Warnungen aufbricht, begründet Müller, figurenlogisch orientiert, mit Siegfrieds Vertrauen zu seinen m–gen (Str. 923, 2), das sich »aus dem Verhältnis [ergibt], in das er mit seiner Heirat eingetreten ist.«681 Ebenso Schulze: »[E]r vertraut auf die rechtlich gestifteten Beziehungen und auf das Verhältnis von Verdienst und Lohn«682. Speckenbach dagegen verweist auf die Grundhaltung des Heroen – das wäre dann die gleiche Haltung, wie die Hagens hinsichtlich des Uote-Traums, auf die ich später noch genauer eingehen werde.683 Alle diese Argumente sind überzeugend und machen plausibel, warum Siegfried sich nicht aufhalten lässt. Das Ignorieren der Traumbilder erscheint dagegen progressionsorientiert. Es wird nicht weiter begründet, warum Siegfried auf diese nicht eingeht, diese nicht hinterfragt oder zu deuten versucht. 679 680 681 682 683

Ebd. Vgl. dazu auch ebd. Müller, Spielregeln, S. 155. Schulze, Nibelungenlied, S. 126. Speckenbach, Kontexte, S. 307.

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Heldendichtung

*

Auf die vierte Traumerzählung, die Erzählung Uotes, die die Burgunden vor ihrer Reise ins Hunnenland warnt und sie von ihrer Reise abhalten möchte, reagiert nur Hagen. Er begegnet der Traumprophetie mit schroffer Ablehnung: »Swer sich an troume wendet«, sprach dú Hagene, »der enw¦iz der rehten mære nicht ze sagene, wenn’ ez im Þren vollecl„chen stÞ […].« (Str. 1510, 1–3)

Diese Reaktion hat eine Vorgeschichte. Zuvor war Hagen der einzige, neben Küchenmeister Rumold (Str. 1466), der den Burgunden von einer Reise ins Hunnenland abgeraten hatte. Er erinnerte an den Mord an Siegfried (Str. 1459, 3) und verwies auf eine mögliche rache Kriemhilds (Str. 1461). Gernot warf Hagen in diesem Zusammenhang Furcht vor : s„t ir von schulden fürhtet d– den tút (Str. 1462, 2) und stellte damit Hagens Þre infrage. Hagen reagierte daraufhin mit zorn: »ine wil, daz ir iemen füeret ˜f den wegen, der getürre r„ten mit iu ze hove baz. s„t ir niht welt erwinden, ich sol iu wol erzeigen daz.« (Str. 1464, 1–3)

Hagen spricht sich nun nicht mehr gegen die Reise ins Hunnenland aus. Er betont, dass er keine vorhte habe (Str. 1513, 1). Sein Ehrgefühl motiviert ihn.684 Explizit verweist der Erzähler dabei noch einmal auf die Rolle GÞrnúts: Er [Hagen] hetez widerr–ten [d. h. von der Reise abgeraten], wan daz GÞrnút / mit ungefuoge im alsú missebút (Str. 1512, 1–2). Hagens Verhalten erscheint damit figurenlogisch orientiert. Der Feigheitsvorwurf bricht im Sinne der Handlungsprogression ein. Somit ist auch Schmitz’ These, Hagens Haltung sei nicht fatalistisch, er sehe in den Träumen reine Illusion, zu widersprechen.685 Traumskeptisch ist eher die Haltung Ogirs im Rolandslied, vor allem aber die Iweins im Rahmen seines Traummonologs, auf den ich später noch genauer eingehen werde. Für Hagen spielt Traumskepsis dagegen gar keine Rolle. Hagens Haltung ist gerade fatalistisch: Der Traum unterstreicht seine Befürchtungen. Somit hat er keinen Anlass, sie für Illusion zu halten. Schulze meint sogar, Hagen wolle nun »den Beweis der Richtigkeit [seiner Einschätzung der Gefahr] antreten […].«686 Die fatalistische Haltung kristallisiert sich dann später auf dem Weg ins Hunnenland immer stärker heraus, worauf später noch genauer eingegangen werden wird. Was aber auffällt, ist, 684 Vgl. dazu auch Grosse, Kommentar, S. 878. 685 Schmitz, Traum und Vision, S. 84. 686 Schulze, Nibelungenlied, S. 127.

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Analyseteil

dass, außer Hagen, niemand sonst auf die Traumerzählung reagiert, geradezu so, als ob im Moment der Antwort nur noch Hagen anwesend sei, um die Traumwarnung zurückzuweisen, so, als ob alle anderen Figuren im Sinne der Handlungsprogression abwesend wären, damit der Fortgang der Handlung, der Weg in den Untergang garantiert ist. Doch welche Bedeutung hat die Traumvorstellung für das Figurenverhalten, das in letzter Konsequenz, ob figurenlogisch oder progressionsorientiert, immer in den Untergang führt? Ich werde versuchen, das im Folgenden zu klären.

5.

Traumvorstellung: Determinierter Untergang

Die vier Träume sind prophetisch, symbolisch verschlüsselt, mantisch, eine Traumquelle wird nicht genannt.687 Der Falkentraum kann nicht aus Tagesresten hervorgehen, weil Kriemhild Siegfried noch nicht kennt.688 Psychologisch ist allenfalls ansatzweise die Reaktion auf den Traum, die aus Angst hervorgeht. Das gleiche gilt für die beiden Träume, die Kriemhild Siegfried erzählt. So spricht Schulze hier mit dem Hinweis auf Kriemhilds Angst von einem »Ansatz zur Psychologisierung«689. Aber auch für diese Träume spielen Tagesreste keine Rolle, ihr Charakter bleibt prophetisch: d– wurden bluomen rút (Str. 921, 3), heißt es in Kriemhilds Erzählung, und nachdem Hagen Siegfried den Speer in den Rücken gerammt hat: Die bloumen allenthalben von bluote wurden naz (Str. 998, 1). So stellt Grosse fest: »Dieser Traum erfüllt sich.«690 Auch Bachorski sieht hier kein »spezifische[s] Bewusstsein«691 der Figuren repräsentiert. Bezüglich der Träume Kriemhilds von einer »Sprache des Unterbewußten«692 zu sprechen, wie das Gephard und Classen tun693, ist verfehlt und schlicht in den Text hineinphantasiert. Dass den Träumen im Nibelungenlied ein germanischer Schicksalsglaube zugrunde liege, wie die ältere Forschung annahm,694 lässt sich nicht beweisen. Haferland spricht zu Recht von den »Unwägbarkeiten eines germanischen Schicksalsglaubens«695. Und Simek hat allgemein herausgearbeitet, dass ein 687 Vgl. dagegen Dinzelbacher, Vision, S. 41, zum Traum als Ausdruck einer magischen, dem Menschen innewohnende Kraft, S. 41. 688 Vgl. dazu Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 422. 689 Schulze, Nibelungenlied, S. 125. 690 Grosse, Kommentar zu Str. 921, S. 826. Das spräche auch gegen die These von Fischer, The Dream, S. 138, der meint, Kriemhild habe die Träume erfunden. 691 Bachorski, Träume, S. 19. 692 Gephard, Zorn, S. 86. 693 Classen, Narrative Funktion, S. 28. 694 Schmitz, Traum und Vision, S. 86, Fischer, The Dream, S. 134f., Krasser, Traum, S. 832. 695 Haferland, Harald: Mündlichkeit, Gedächtnis und Medialität. Heldendichtung im deutschen Mittelalter. Göttingen 2004, S. 80.

Heldendichtung

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»spezifischer germanischer Glaube an ein unpersönliches Schicksal nicht ausreichend zu belegen ist und alle Aspekte des germanischen Schicksalsglaubens sich von antikem oder christlichem Gedankengut beeinflußt zeigen.«696 Müller lehnt in diesem Sinne den Gedanken an eine »Schicksalsmetaphysik« oder »Überbleibsel einer archaisch-germanischen Religiosität« ab. Es gäbe hier keine »düsteren Mächte, an denen menschliches Wollen und Planen zuschanden würde.«697 Trotzdem zeichnet sich in den Träumen ein Mechanismus ab, der die Figuren mit sich reißt. Schulze spricht von einer »Zwanghaftigkeit des Geschehens«698, einem »unaufhaltbaren Untergang«699, einem »Untergangsmechanismus«700, einer »Untergangsdetermination«701, Ernst von einem »unheilvollen Element«702, Grosse von der »Unvermeidbarkeit des Untergangs«703, Speckenbach von einem »unaufhaltsamen Gefälle«704, Müller von einem »Sog, der sich jeder Kontrolle entzieht und, unbeeinträchtigt von allen Ablenkungsversuchen, alles verschlingt […]«705. Demgegenüber sind die Figuren machtlos.706 Der Handlungsverlauf ist determiniert, final707 auf den Untergang ausgerichtet. Die Vor-

696 Simek, Schicksal, LexMA, S. 1453–1454, hier: S. 1454. Schon der Begriff »germanisch« ist für die Traumerzählungen problematisch, denn bis in eine sog. germanisch-archaische Vorzeit lassen sie sich nicht zurückverfolgen. Wenn Emil Ploß den Falkentraum für den ältesten der drei prophetischen Träume Kriemhilds hält, ist das reine Spekulation. Ploß, Emil: Byzantinische Traumsymbolik in Kriemhilds Falkentraum. In: GRM 39 (1958), 218– 226, hier : S. 225. Außerdem ist Kriemhilds Falkentraum bereits deutlich angelehnt an den Donauländischen Minnesang. So meint auch Fischer, The Dream, S. 135: »Kriemhild’s falcon dream cannot be ascribed to any one specific source.« Bezüge zum Eber-Traum Kriemhilds finden sich, wie Reichert feststellt, bereits im 11. Jh. auf »gewebte[n] Bildstreifen von der Insel Gotland«. Hier sieht man »eine Figur, die als Sigurd interpretiert wird, […] mit einem Eber (der ihn tötet?)«. Reichert, Hermann: Die Nibelungensage im mittelalterlichen Skandinavien. In: Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos. Hrsg. von Joachim Heinzle/Klaus Klein/Ute Obhof. Wiesbaden 2003, S. 29–83, hier: S. 35. Weiter lässt er sich aber nicht zurückverfolgen. Müller, Spielregeln, S. 69, spricht bezüglich des Nibelungenliedes von der »Unmöglichkeit, in die Nähe eines Archetyps zu gelangen«. Das gilt auch für die Traumerzählungen, sofern sie überhaupt einen Archetyp haben. 697 Müller, Spielregeln, S. 447–448. 698 Schulze, Nibelungenlied, S. 127–128. 699 Ebd., S. 123. 700 Ebd., S. 264. 701 Ebd., S. 255. 702 Ernst, Traum, ReallexGermAlt, S. 144–149, hier : S. 148. 703 Grosse, Kommentar zu Str. 1579, 3, S. 882. 704 Speckenbach, Kontexte, S. 304. 705 Müller, Spielregeln, S. 447–448. 706 Vgl. dazu auch Fischer, The Dream, S. 136. 707 Martinez/Scheffel, Erzähltheorie, S. 111, verwenden den Begriff Finalität nur im Sinne göttlicher Providenz. Mir erscheint es dagegen sinnvoller, den Begriff weiter zu fassen. Um das Geschehen im Nibelungenlied zu beschreiben, verwende ich Finalität allgemein im

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ausdeutungen halten, wie Schulze feststellt, diese »Determination zum Untergang präsent«708. Eine »angemessene Reaktion« auf die Träume, wie Classen sie von Kriemhild fordert,709 kann es gar nicht geben. Die Figuren handeln zwar kurzfristig gegen die Progressionsorientierung, wenn sie ihre Umwelt warnen. Sie sind dazu im Rahmen ihrer Handlungsfreiheit in der Lage, aber das kann keinen Erfolg zeitigen, weil das Ergebnis bereits feststeht. Alle werden immer wieder in die Bahn der Handlungsprogression zurückgedrängt, werden, bildlich gesprochen, von einem Sog verschlungen. Das Gleiche gilt für Siegfried, von dem Classen meint, ein Denken in mehrdimensionalen Ebenen könnte ihn retten.710 Das geht völlig an der Vorstellungswelt vorbei, die sich in den Träumen im Nibelungenlied abbildet. Diese Welt bietet keine Alternative. Die Figuren bewegen sich, ob figurenlogisch orientiert oder nicht, immer im Rahmen eines Paradigmas, das in den Träumen und anderen zahlreichen Vorausdeutungen erkennbar wird: Der Falkentraum verschwindet aus dem Nibelungenlied, Kriemhild erzählt Siegfried unverständliche Träume, aber nicht vom Geheimnisverrat. Hagen wird von Giselher in seiner Þre gekränkt und läuft mit dem Sog. Die Burgunden reisen ins Land der Hunnen, trotz der Traumwarnung Uotes, trotz der Prophezeiung der Wasserfrauen (vgl. Str. 1542): ez muoz alsú wesen, / das †uw¦r deheiner kan d– niht genesen, eine Prophezeiung, die Hagen auch den anderen mitteilt (vgl. Str. 1589). Sie reisen weiter, trotz Hagens eindeutiger Worte: wir enkomen nimmer widere in der Burgonden lant (Str. 1587, 4), trotz der Warnungen Eckewarts (vgl. Str. 1635): doch riuwet mich vil sÞre zen Hiunen iuwer vart, und Dietrichs (vgl. Str. 1726): sol leben diu vrouwe Kriemhilt, noch mac schaden ergÞn. Auch dass man offenkundig nur mit dem einen schif über den Rhein zurückkommen kann, das Hagen ze stucken schlägt (Str. 1581, 3), ist rein progressionsorientiert: Ein anderes Schiff existiert in diesem Moment in der Welt des Nibelungenlieds nicht. Haferlands These, die Figuren »wissen noch nicht, was ihnen bevorsteht, aber es steht ihnen unverrückbar bevor«711, würde ich daher, zumindest mit Blick auf die oben gegebenen Beispiele, nicht vollkommen zustimmen, denn oftmals wissen oder ahnen die Figuren durchaus, was ihnen bevorsteht – und trotzdem ereignet sich alles unaufhaltsam. Und wenn Eifler meint, dass sich das Geschehen im Nibelungenlied »durchweg aus zielgerichteten Entscheidungen der agierenden Personen« ableite, die dann »Konsequenzen [zeitigen], an die die

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Sinne einer Zielgerichtetheit, auch jenseits göttlicher Providenz. Diese spielt m. E. im Nibelungenlied keine Rolle. Schulze, Nibelungenlied, S. 94. Classen, Narrative Funktion, S. 28. Ebd. Haferland, Mündlichkeit, Gedächtnis und Medialität, S. 77.

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Handelnden bei der Verfolgung ihrer Ziele nicht gedacht hatten«712, dann ist seine Perspektive einseitig figurenlogisch orientiert. Er bedenkt die verschiedenen Ebenen der Erzählweise nicht.

6.

Traumbilder

In der Falkentraumerzählung zeichnet sich, vor allem mit Ergänzung um Str. 19, der Untergangsmechanismus ab, der für das gesamte Handlungsparadigma und das Figurenverhalten bestimmend bleibt. Dabei sind die Begriffe minne, triuwe, leit und rache für die weitere Erzählung von entscheidender Bedeutung. Das Falkenbild bringt die minne zwischen Kriemhild und Siegfried zur Anschauung. Der Falke ist, wie schon im König Rother, Sinnbild für den Geliebten713, ein »erotisch besetzte[s] Symboltier«714. Es steht hier für Siegfried und versinnbildlicht das Verhältnis zwischen ihm und Kriemhild. Auf Bezüge zum donauländischen Minnesang wird oftmals hingewiesen.715 Die Siegfried-Figur ist im Sinne des Falkenbildes an den minne-Begriff gebunden. Begriffe des Minnesangs werden aufgerufen, um das Verhältnis zwischen ihm und Kriemhild zu beschreiben.716 Kriemhild erwidert seine Liebe von Beginn an (vgl. Str. 132), schon ihre Frage nach dem Besten in der Schlacht gegen Liudger und Liudegast (vgl. Str. 226) zielt, wie Grosse feststellt, »indirekt auf Siegfried.«717 Bereits hier gelten Kriemhilds Gefühle »zuerst Siegfried, dem Fremden, und dann den Verwandten.«718 Erste Konturen einer totalen minne werden sichtbar, die im Verlauf der Erzählung in eine totale triuwe-Bindung an Siegfried aufgeht.719 Siegfried wird Kriemhilds vriedel (Str. 2372,3), Liebhaber und Ehemann in einem, was später, 712 Eifler, Günter : Das Nibelungenlied und der Sagenstoff – Überlegungen zur Authentizität der Dichtung, in: Mimesis – Repräsentation – Imagination. Hrsg. von Jörg Schönert/Ulrike Zeuch. Berlin 2004, S. 97–116, hier : S. 114. 713 Vgl. Zerling, Falke, LexTiersymbolik, S. 91–93, hier: S. 93. Krohn, Falke, SWMediävistik, S. 236. 714 Krohn, Falke, S. 236. 715 So meint etwa Schulze, Nibelungenlied, S. 101: »In beiden Texten bezeichnet der Falke den Geliebten, den die Frau zunächst an sich bindet und den sie dann verliert.« 716 Etwa Morgenrút, trüebe wolken, nút, herze, minnecl„che und herl„che (Str. 281 1–3), rúsenrútiu varwe vil minnecl„chen scein (Str. 282,2), tumbe[r] w–n. Vgl. zu den Minnebildern Grosse, Kommentar, S. 767. Müller, Spielregeln, S. 165–166. Bulang, Tobias: Visualisierung als Strategie literarischer Problembehandlung. Beobachtungen zu Nibelungenlied, Kudrun und Prosa-Lancelot: in: Wenzel, Horst / Jaeger, C. Stephen: Visualisierungsstrategien in mittelalterlichen Bildern und Texten. Berlin 2006, S. 188–212, hier : S. 190f. Schulze, Nibelungenlied, S. 118f. 717 Grosse, Kommentar, S. 763. 718 Ebd., S. 764. 719 Vgl. dazu auch Müller, Spielregeln, S. 165–166.

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wie Müller feststellt, ihre triuwe »zur Ungeheuerlichkeit«720 pervertiert. Diese Ehe zwischen Siegfried und Kriemhild ist keine konventionelle, normgerechte Feudalehe mehr. Der Falke, der die minne versinnbildlicht, wird getötet. Was bleibt ist leit: Mit Siegfrieds Tod wandelt sich die totale minne in großes leit (Str. 1007ff.), das seinen Ausdruck in Kriemhilds unmæzl„che[r] klage findet und dann in einer rache721 mündet (Str. 1105, 4), die so maßlos ist wie Kriemhilds Trauer um Siegfried. Eifler stellt fest, dass die Rache das »einzige Ziel« ist, das »in ihrem Leben von Belang ist.«722 Ihr leit verschwindet nicht. Ihre Brüder wollen sie im materiellen Sinne ergetzen. So sagen sie zu Kriemhild: wir wellen dichs ergetzen, die w„le wir geleben (Str. 1049,3). Sie kann aber nicht ergetzt werden, auch nicht durch die Heirat mit Etzel, weil ihre minne, wie Müller ausführt, »nicht an Siegfrieds Position gebunden und deshalb nicht durch die Wiederherstellung dieser Position zu ersetzen [ist]«723. Müller spricht vor diesem Hintergrund von einer radikal individualisierten triuwe, die alle kollektiven sozialen Bindungen zerstöre,724 ebenso Schulze, die darauf hinweist, dass hier »die innere Bindung an den […] verlorenen Ehemann die Verpflichtungen gegenüber der angestammten Familie außer Kraft setzt.«725 Daraus hat Müller die Aussage abgeleitet, dass sich eine triuwe in »Einschränkung auf einen einzelnen Menschen als desaströs [erweist]«726. Damit wird auch das Thema Liebe in der Ehe problematisiert,727 sie erweist sich hier als überaus gefährlich. *

Die anderen beiden Träume greifen das gleiche Muster des Falkentraums wieder auf, auch hier geht es um den Mord an Siegfried, um den Verlust des Geliebten. Allerdings erscheint Siegfried nicht mehr als Falke, sondern als er selbst. Speckenbach meint, »die verschiedenen Traumbilder für Hagen und Gunther [tragen] kaum zur Erhellung bei«, ihre Wahl sei willkürlich.728 Ich meine dageMüller, Spielregeln, S. 165. Vgl. dazu auch Grosse, Kommentar, S. 837 sowie 843. Eifler, Nibelungenlied, S. 113. Müller, Spielregeln, S. 99. Ebd., S. 101. Schulze, Nibelungenlied, S. 222. Müller, Spielregeln, S. 168. Im Mittelalter spielte allerdings »Liebe in der Ehe keine Rolle«. Wenn sie doch vorkam, rief dies wohl »eher Verwunderung hervor«. Für den »Minnetheoretiker Andreas Capellanus (De amore)« waren »Ehe und Liebe unvereinbar.« Aker, Ehe, SWBMediävistik, S. 196. 728 Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 423.

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gen, die Bilder verweisen auf spezifische Eigenschaften der Figuren. Der Adler galt, in seiner negativen Bedeutung, als »gefährlicher Jäger«729 und Hagen erscheint als Jäger, dessen Jagdbeute Siegfried, der Falke, ist. Aufgrund seines »als arrogant empfundenen Gesichtsausdruck[s]« versinnbildlicht der Adler außerdem die Hoffart.730 Hagen wird, diesem Bild entsprechend, oftmals als der übermüete bezeichnet, mehrfach im Sinne des »rücksichtslosen Triumph[es]« und der »Gleichgültigkeit gegenüber dem leit anderer«731. Im Umgang mit Siegfrieds Leiche (Str. 1003, 1f.) etwa bedeutet der Begriff, wie Müller zeigt, »verbrecherische Verwegenheit«732. Bereits Siegmund warnt seinen Sohn vor Hagen: Ob es ‚nder niemen wære wan Hagene der degen, der kan mit übermüete der húhverte pflegen, daz ich des sÞre fürhte, ez müg’ uns werden leit, ob wir werben wellen die vil hÞrl„chen meit (Str. 54, 1–4).

Müller stellt hier die Nähe zur übermuot und zur negativ besetzten húchvart fest.733 Ferner steht der Adler für Raubgier.734 In Hagens Goldgier liegt ein Hauptmotiv für den Mord, das mit dem Traum-Adler symbolisiert wird. Hagen nimmt oft Bezug auf den Goldschatz, meint: hey sold er [der Nibelungenhort] komen immer in der Burgonden lant! (Str. 774, 4). Nach Siegfrieds Tod ist er weiter auf den Schatz fixiert, tut alles dafür, dass der Hort nach Worms gebracht wird (vgl. Str. 1107), nimmt ihn Kriemhild später weg. Er bemächtigt sich der Schlüssel (vgl. Str. 1132) und erklärt, der Hort sold’ in [also Hagen selbst] niezen (Str. 1137, 4).735 Der Eber steht für »Angriffslust, Jagd und Kriegsführung«736, galt dem Mittelalter als »ungeheuer starkes, […] destruktives Lebewesen«737, steht nach 729 Dittrich, Adler, LexTiersymbole, S. 18–22, hier: S. 18. 730 Ebd. Vgl. dazu auch Scheibelreiter, Tiernamen, S. 90. Biedermann, Adler, S. 15–18, hier : S. 16. 731 Müller, Spielregeln, S. 121. 732 Ebd., S. 240. 733 Ebd. 734 Dittrich, Adler, LexTiersymbole, S. 18. Vgl. dazu auch Scheibelreiter, Tiernamen, S. 90. Biedermann, Adler, S. 16. 735 In diesem Sinne widerspreche ich auch Haug, der meint, es gebe »keinen rational einsichtigen Grund und schon gar keine Notwendigkeit für diesen Mord.« Haug, Walter : Positivierung von Negativität. Letzte kleine Schriften. Tübingen 2008. Mertens formuliert es bedachter : Siegfrieds Tod sei ein »vorbestimmter Tod«, die Motivationen für den Mord seien »nicht von letzter Stringenz«. Mertens, Hagens Wissen – Siegfrieds Tod, S. 65. Er verweist damit auf den Aspekt determinierter Handlung, der sich auch in den Träumen abbildet. Trotzdem motiviert Hagens Gier nach dem Gold den Mord an Siegfried weit von vorn und ist damit figurenlogisch orientiert, zugleich aber auch progressionsorientiert. 736 Beck, Eber, ReallexGermAlt, S. 328–336, hier : 335. 737 Schmidt, Eber, ReallexGermAlt, S. 328–336, hier: S. 330.

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Analyseteil

Artemidor für den »gewalttätigen, grimmigen und ungeselligen« Menschen.738 Die Hagen-Figur ist diesem Eber-Bild entsprechend düster und archaisch739 gezeichnet, ist grimmic740, griul„ch741, gremel„ch742, sein Anblick Furcht erregend. So sagt etwa Brünhild beim Anblick Hagens: Der dritte der gesellen, der ist sú gremel„ch, […] von swinden s„nen blicken, der er sú viel getuot. er ist in s„nen sinnen, ich wæne, gr†mm¦ gemuot (Str. 413, 1–4).

Auch auf die Markgräfin im Hause Rüdigers wirkt er vorhtl„ch (Str. 1665, 4).743 Als sie ihn küssen muss, wird sie bleich unde rút (Str. 1666, 2). An Etzels Hof wird er entsprechend von den Hunnen wahrgenommen: eisl„ch [war] s„n gesihene (Str. 1734, 4).744 Ein Gefolgsmann Kriemhilds erklärt König Etzel: er ist ein grimmer man (Str. 1753, 3). Hildebrand bezeichnet ihn als tiuvel (Str. 2311, 4). Versinnbildlicht werden mit den Tiersymbolen offenkundig Eigenschaften, die die Hagen-Figur als Mörder Siegfrieds im Sinne der Handlungsprogression des ersten Teils des Nibelungenliedes haben muss. Er muss kaltblütig sein, schrecklich, gewalttätig, goldgierig. Er ist einer, der leit verursacht. Der andere der beiden Adler bzw. Eber verweist auf Gunther. Nach Artemidor (2. Jh. n. Chr.) kündigt ein »angreifender Adler […] Bedrohung von seiten eines mächtigen Mannes an«745. Damit verweist das Adler-Bild auf die königliche Stellung Gunthers, auf sein Königtum, das allerdings durch Hagen gelenkt wird.746 Hagen treibt, wie Grosse feststellt, »Gunther zum Handeln an«747, »der man bestimmt, der herr folgt«748 (vgl. Str. 882,2). Ob in dem Eber- und Adler-Bild eine negative Wertung des durch Hagen gelenkten Königtums mitschwingt, ist allerdings fraglich. Man könnte sagen, Hagen ist gierig, der Mord an Siegfried wird vom Erzähler scharf verurteilt,749 738 Artemidorus, Traumkunst, S. 256. 739 Vgl. dazu auch Schulze, Nibelungenlied, S. 128. 740 Der Begriff grimmec findet sich neben dem Substantiv grimme u. a. in den Str. 993, 1, 1040, 4, 1281, 1, 1500,4, 1605, 4, 1798, 3, 2022, 4, 2198, 1, 2368, 1; das Adjektiv ist im Sinne von »wild, rau, gewalttätig, heftig« zu verstehen. 741 Dieses Adjektiv findet sich einmal (Str. 2034, 4), es hat mit »grausig, grässlich, schrecklich, Furcht erregend, grausam« eine ähnliche Bedeutung wie grimmec. 742 gemel„ch (Str. 413, 1) bedeutet »grimmig, zornig, schlimm, schrecklich«. 743 »furchtbar, entsetzlich«. 744 eisl„ch bedeutet »furchtbar, Furcht erregend, schrecklich, schauerlich«. 745 Artemidor, Traumkunst, Kapitel 20, S. 131. 746 Vgl. Schröder, Walter Johannes: Das Nibelungenlied. Halle 1954, S. 89. 747 Grosse, Kommentar, S. 822. 748 Ebd., S. 820. 749 Hagen und Gunther werden als übel (Str. 876, 1), untriuwe (Str. 876, 2), bæse (Str. 978, 4) bezeichnet. Es sei der schwerste Verrat, der jemals begangen worden sei (vgl. Str. 906, 915, 4). Vgl. zu dieser »sehr negativ[en]« Wertung des Mordes an Siegfried auch Mertens, Volker : Hagens Wissen – Siegfrieds Tod. Zu Hagens Erzählung von Jungsiegfrieds Aben-

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147

aber das Königtum selbst bleibt, wie Müller feststellt, erfolgreich, solange der König auf Hagen hört, also »bis sich der Herrschaftsverband zu Etzel aufmacht.«750 Und dies geschieht dann gegen den Rat des Vasallen. Auch Schulze stellt fest, dass die Intrige zwar verurteilt wird, das Nibelungenlied sie aber zugleich »als herrschendes Prinzip [konstatiert].«751 Der Uote-Traum schließlich verweist mit dem Bild der toten Vögel auf den Untergang der Burgunden insgesamt, auf das Ende, auf der Nibelunge nút, den totalen Stillstand (Str. 2379, 4). Die Vögel stehen für die erschlagenen Burgunden. Doch welche Aussage lässt sich aus diesem und den vorangegangenen Träumen und der Untergangserzählung insgesamt ableiten?

7.

Aussageorientierung

Eine heilsgeschichtliche Dimension wie im Rolandslied findet sich hier nicht. Der Untergang folgt nicht dem Prinzip der göttlichen Prädestination, es wird kein eschatologisches Weltbild kommuniziert. Es ergibt sich keine »erbauliche Perspektive«752, der Gegensatz zwischen Heiden und Christen spielt keine Rolle,753 ebenso wenig der Erlösungsgedanke. Das gilt für die religiöse Ebene insgesamt. Den Bezug, den etwa Rudolf Kreis zum Kreuzzugsgedanken754 herstellen will, sehe ich nicht. Dergleichen wird hier nie thematisiert. Die Heiden werden nicht, wie etwa im Rolandslied oder im Orendel, verteufelt. Kriemhild heiratet mit Etzel sogar einen Heiden. Und das erscheint weitestgehend unproblematisch.755 Es gibt auch kein eindeutiges Gut und Böse. Kriemhild ist zu Beginn positiv gezeichnet, zum Ende hin aber die v–landinne (Str. 1748, 4 und 2371, 4), der Meuchelmörder Hagen dagegen der aller beste degen (Str. 2374).756

750 751 752 753 754

755 756

teuern, in: Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Harald Haferland/Matthias Meyer. München 1996, S. 59–69, hier : S. 65. Auch Schulze, Nibelungenlied, S. 217, weist darauf hin, dass der Verrat an Siegfried mit einer »sonst nirgends vorkommenden Häufung abwertender Bemerkungen« verurteilt wird. Müller, Spielregeln, S. 181. Schulze, Nibelungenlied, S. 223. Müller, Spielregeln, S. 439. Vgl. dazu ebd., S. 198–199. Kreis, Rudolf: Wer schrieb das Nibelungenlied? Ein Täterprofil. Würzburg, Königshausen 2002, S. 11f. Kreis versucht ferner, an Textstellen einen Bezug zum »damals hochaktuelle[n] politische[n] Problem der Judenverfolgung« nachzuweisen (S. 16), wenngleich er selbst feststellt, dass es im Nibelungenlied »keinen einzigen antijüdischen Satz« gibt (S. 33). Antisemitismus wird im Nibelungenlied nie thematisiert. Das Problem einer Heirat zwischen einem Heiden und einer Christin wird nur am Rande thematisiert (vgl. Str. 1145; 1248; 1261; 1395) und spielt dann später auch keine wesentliche Rolle mehr. Vgl. dazu auch Müller, Spielregeln, S. 450.

148

Analyseteil

Lienert spricht von »nibelungischem Pessimismus«757. Aber was geht aus der »pessimistischen Perspektive«758, die auch Schulze betont und die eng an die Untergangsthematik gebunden ist, als Idee hervor? Müller meint, eine Gesamtinterpretation des Nibelungenlieds müsse scheitern.759 Es lasse sich dem Epos »keine leitende Idee abgewinnen«760. Der »Versuch einer Sinngebung [bleibt] brüchig«761. Eine eindeutige Aussage lässt sich aus dem determinierten Untergang wohl tatsächlich nicht ableiten. Ein Vanitas-Gedanke, eine »Analogie zur Topik der Vergänglichkeit alles Irdischen«762, wie ihn Schulze annimmt, wäre einleuchtend, wenn der Text das zur Sprache bringen würde. Aber da bleibt die Erzählung uneindeutig.763 Lienert, die von einer »Gewalteskalation« spricht, einem »gegenseitigen Sich-Hochschaukeln von Gewalt und Gegengewalt«764, führt aus: »Das ›Nibelungenlied‹ erzählt eine ungewollte und unkontrollierbare Eskalation von Gewalt; ein Held nach dem anderen wird unweigerlich – ob durch eigenes Zutun […] oder gegen seinen Willen – in den Untergang hineingerissen, und zwar nach wiederkehrenden ›Spielregeln‹, in erster Linie das auf Rache und Gegenrache ausgerichtete Handeln (fast) jedes Einzelnen (einschließlich Kriemhilds), eine mit Todesbereitschaft einhergehende Ehrversessenheit (vor allem Wolfharts und Hagens), aber auch grundsätzlich auf wechselseitige Verpflichtungen (triuwe) hin ausgerichtete Bindung der Helden aneinander, der Vasallen an ihre Könige und umgekehrt, die es verbietet, Einzelne zu isolieren, und alle in den Strudel von Gewalt und Gegengewalt hineinzieht. Heroisches Handeln, das nur an der Kriegerehre ausgerichtet ist, unkontrollierte Rache, aber auch Regeln des Personenverbandes, die Gewaltgemeinschaften konstituieren, führen zwangsläufig zur Vernichtung und reißen eine ganze Welt in die Katastrophe.«765

Man könnte auch etwas präziser sagen, dass die Traumbilder auf den Gedanken verweisen, dass minne, triuwe, leit und rache nahe beieinander liegen können, dass Liebe in der Ehe gefährlich sein kann und dass individualisierte triuwe ganze Herrschaftsverbände zu zerstören vermag.766 Das sind möglicherweise wesentliche Aussagen, die sich aus den Traumerzählungen und der Erzählung insgesamt ableiten lassen. 757 758 759 760 761 762 763 764 765 766

Lienert, Dietrichepik, S. 182. Schulze, Nibelungenlied, S. 255. Müller, Spielregeln, S. 435. Ebd. Ebd., S. 439. Schulze, Nibelungenlied, S. 255. Das stellt Schulze, Nibelungenlied, S. 255, selbst fest. Lienert, Dietrichepik, S. 251. Ebd., S. 250. Vgl. zum minne-leit-Komplex Klinger, Poetik der Träume, S. 169. Speckenbach, Kontexte, S. 305. Grosse, Kommentar zu Str. 14–17, S. 733–734. Schulze, Nibelungenlied, S. 255.

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Auf diesen Gedanken verweist auch die atmosphärische Orientierung der Träume Kriemhilds. Der Falkentraum etwa vermittelt, mit dem Bild der zwÞne arn, die den valken Kriemhilds erkrummen, eine Atmosphäre der Aggression, der Gewalt, der Brutalität. Er erzeugt bei der Traumempfängerin eine Angst vor Verlust und Leid. Der Traum führt somit ein in die düstere Grundstimmung des Nibelungenliedes, in eine Stimmung des Untergangs.767 Die düstere Grundstimmung bleibt erhalten durch die häufigen in die Erzählung eingestreuten Vorausdeutungen.768 Die beiden Traumerzählungen Kriemhilds dürften für den Rezipienten in ihrer atmosphärischen Wirkung gegenüber dem Falkentraum noch deutlich stärker sein, deutlich affektiver, da diese intradiegetischen Erzählungen von der Erzählerin als Warnung verwendet werden, um Siegfried von der Reise abzuhalten und damit unmittelbar an ihre Angst um Siegfried gekoppelt sind. Die Träume im Zusammenhang mit dem Geheimnisverrat versetzen die Königin in eine Stimmung der Furcht und böser Vorahnungen. Die Empathie des Rezipienten kann auch deswegen viel stärker angesprochen werden, weil Siegfried inzwischen vorgestellt wurde und die emotionale Beziehung Kriemhilds zu ihm, ihrem vriedel, bereits bekannt ist. Zudem steht die Jagd nun unmittelbar bevor. Zwischen den Traumerzählungen Kriemhilds und Siegfrieds bevorstehendem Tod liegen jetzt nicht mehr Jahre, sondern nur noch Stunden: Die Zeit läuft ab, und darüber wird die Atmosphäre der Bedrohung im Zusammenhang mit den Traumerzählungen intensiviert, die Dramatik der Situation gesteigert. Die Atmosphäre der Aggression erscheint im Bild der zwei wildiu sw„n, die Siegfried jageten, gegenüber dem Falkentraum noch verstärkt, da diese Tiere als besonders gewalttätig gelten und ihnen, anders als den Adlern, nichts Edles mehr anhaftet. Der Raum der Traumwelt, der Ort, an dem die Jagd auf Siegfried ihr blutiges Ende findet (d– wurden bloumen rút), ist eine heide, ein unbestimmter Ort in der Wildnis, ein Ort der Bedrohung, jenseits der schützenden höfischen Welt. In der zweiten Traumerzählung Kriemhilds brechen dann in einem Tal Naturgewalten, zwÞne berge, über Siegfried ein: Das Bild einer gefahrvollen Wildnis wird hier noch verstärkt. Kriemhilds Verharren in der Zuschauerperspektive vermittelt in allen Träumen ein Gefühl der Hilflosigkeit.

767 Reduziert ist allerdings für den Rezipienten, trotz der unmittelbaren Präsentation des Traumgeschehens durch das heterodiegetischen Erzählen, noch die empathische Komponente, da Kriemhild als Figur gerade erst eingeführt und Siegfried (der valke) noch nicht als er selbst in Erscheinung getreten ist. Kriemhilds Angst währt hier auch nur kurze Zeit, dann verschwindet diese Emotion, ebenso wie der Falkentraum, aus der Welt des Nibelungenliedes. 768 Vgl. zur Vorausdeutungstechnik im Nibelungenlied Schulze, Nibelungenlied, S. 120–131.

150 8.

Analyseteil

Zusammenfassung

Der Falkentraum zeitigt eine figurenlogisch orientierte Reaktion. Kriemhild will der minne entsagen, um leit zu vermeiden. Der Bezug zum Traum fehlt später – eine progressionsorientierte Motivierungslücke. Dass Kriemhild Siegfried ihre beiden Träume erzählt, ist m. E. figurenlogisch orientiert: Sie will ihn warnen, ihn von dem Jagdausflug abhalten, weil sie aufgrund des Geheimnisverrats und ihrer Träume um Siegfrieds Leben fürchtet. Dass sie den Geheimnisverrat nicht mitteilt, ist dagegen nur schwach mit ihrer Angst motiviert, in jedem Falle im Sinne der Handlungsprogression. Dass Siegfried trotz der Warnung aufbricht, erklärt sich, im Anschluss an Müller, figurenlogisch mit seinem Vertrauen zu seinen m–gen und heroischem Selbstverständnis. Aber dass er auf die Traumbilder nicht eingeht, ist progressionsorientiert. Hagen weist Uotes Warnung schroff zurück, weil zuvor seine Þre von Giselher in Frage gestellt wurde. Giselher dient mit seinem Feigheitsvorwurf der Handlungsprogression. Die Träume sind prophetisch, nicht durch Tagesreste motiviert. In ihnen zeichnet sich ein Untergangsmechanismus ab, ein Sog, der alles unaufhaltsam verschlingt, der den Handlungsverlauf determiniert. Dementsprechend handlungskonform verhalten sich die Figuren, zumindest in letzter Konsequenz, denn zumindest zeitweise versuchen sie gegen die Handlungsprogression zu laufen. Doch immer in dem Moment, indem die Erzählebenen in Konflikt geraten, werden die Figuren in die Bahn der Handlungsprogression zurückgeworfen. Der Traum verweist mit dem Falkenbild auf die minne zwischen Kriemhild und Siegfried, wobei diese mit triuwe verbunden ist. Der Tod des Falken bzw. Siegfrieds, der Verlust der minne also, erzeugt Kriemhilds leit. Dieses wird, wie mit Str. 19 ergänzend zum Traum vorausgedeutet, gewissermaßen zum Motor der rache und führt den Untergang der Burgunden herbei. Die anderen Träume greifen diesen Gedanken erneut auf. Die Traumbilder zeichnen ein negatives Bild von Hagen und Gunther. Hagen erzeugt leit im Sinne der Progressionsorientierung. Das Bild des Adlers verweist auf Hagens Gier. Der Mord an Siegfried wird verurteilt, ohne dass dabei das Königtum selbst infrage gestellt würde. Auch erscheint Hagen nicht durchgehend negativ gezeichnet, ebenso wenig, wie Kriemhild durchweg in positivem Licht erscheint. Die Träume verweisen im Kontext der gesamten Erzählung auf den problematischen Zusammenhang von minne, triuwe, leit und rache, darauf, dass Liebe in der Ehe gefährlich ist und individualisierte triuwe desaströs sein kann. Der Traum Helches in der Rabenschlacht, dem ich mich als nächstes zuwenden werde, weist einige Ähnlichkeiten zu den Träumen im Nibelungenlied auf, die sich über die Gattungsspezifik erklären lassen. Ich werde im Rahmen der

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151

folgenden Analyse den Helche-Traum und die Träume im Nibelungenlied vergleichend betrachten.

VI.4.2 Helches Drachentraum in der Rabenschlacht 1.

Der Text: Die Rabenschlacht

Die Rabenschlacht769, aus dem letzten Viertel des 13. Jhs.770, wird der Gattung der Heldenepik771 zugeordnet, speziell der historischen Dietrichepik.772 Sie schließt an Dietrichs Flucht773 an und erzählt von einem weiteren erfolglosen Versuch Dietrichs von Bern, sein Reich im Kampf gegen Ermanarich wiederzugewinnen. Parallel dazu wird vom Tod der Kinder des hunnischen Herrscherpaares Etzel und Helche sowie vom Tod von Dietrichs Bruder erzählt. Alle drei begleiten den Berner auf seinem Heereszug nach Raben.

2.

Helches Traum

Die Traumerzählung nimmt die Geschichte vom Tod der Helche-Kinder vorweg. Erzählt wird, wie die Hunnenkönigin träumt, dass ihre Söhne, Orte und Scharphe, von einem Drachen entführt und von einem Greifen getötet werden: Ir [Helche] troumte, wie ein wilder trach wære gevlogen also balde durch ir chemenaten dach und na ir mit gewalde, daz siz mit ir ougen sach, owe, ir liebe sune beide. Er furt si hin ouf eine breite heide. Si heit in ir gaume, waz den chinden geschach. Si sach in dem troume, daz si der grife zerbrach (Str. 123–126). 769 Zitiert wird im Folgenden nach: Rabenschlacht. Textgeschichtliche Ausgabe. Texte und Studien zur mittelhochdeutschen Heldenepik. Hrsg. von Elisabeth Lienert. Tübingen 2005. 770 Zur Datierung vgl. Lienert, Dietrichepik, S. 9. Zur Überlieferung vgl. ebd., S. 77ff. 771 Zur Gattungsdiskussion vgl. Mecklenburg, Michael: Parodie und Pathos. Heldensagenrezeption in der historischen Dietrichepik. Forschungen zur Geschichte der Älteren Deutschen Literatur. Band 27. Hrsg. von Joachim Bumke/Thomas Cramer/Klaus Grubmüller/ Gert Kaiser/Horst Wenzel. München 2002, S. 55f. Lienert, Dietrichepik, S. 173ff. und 190f. 772 Vgl. Lienert, Dietrichepik. 773 Dietrichs Flucht. Textgeschichtliche Ausgabe. Texte und Studien zur mittelhochdeutschen Heldenepik. Hrsg. von Elisabeth Lienert. Tübingen 2003.

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Analyseteil

Daran schließt sich ein Kommentar des Erzählers an, der den Traum erläutert: Der troum, der seite ir mære, als iz ouch sit ergie, do si dem Bernære ir liebeu chint ze helfe lie. Owe der jungen chunige here! Die gesach si leider lebende nimmer mere (Str. 126, 1–6).

Am folgenden Tag äußern die Kinder den Wunsch, mit dem Kriegszug Dietrichs von Bern mitziehen zu dürfen. Nach anfänglichem Widerstand gibt Helche trotz der Prophetie und aller damit verbundenen Befürchtungen dem Reisewunsch der Kinder und deren Fürsprecher Dietrich schließlich nach und lässt sie ziehen. Die Traumprophetie erfüllt sich. Die Kinder Helches, ebenso Diether, der jüngere Bruder Dietrichs, der in der Traumerzählung keine Erwähnung findet,774 werden auf einer breiten heide775 getötet: Owe, da gelagen ouf der heide / (nu sint si tot) vrún Helchen sune beide (Str. 439, 5–6). Erschlagen werden sie von Witege, einem ehemaligen Gefolgsmann Dietrichs, einem Verräter, der sich den Feinden des Berners anschloss.776 Mehrfach versucht er, dem Kampf mit den Kindern auszuweichen, sie zu beschwichtigen (vgl. z. B. Str. 425) – aber er wird von den Kindern immer wieder angegriffen (Gegen Witegen si do randen, Str. 390, 5) und somit gezwungen, sich zu wehren. Aus Notwehr erschlägt er zuerst Scharphe777, dann Orte778 und dann Dietrichs Bruder779. 3.

Forschungsstand

In der Forschung wurde vor allem die Reaktion Helches auf ihren Traum untersucht sowie ihr weiteres Verhalten hinsichtlich des Reisewunsches ihrer 774 Er muss offenkundig auch sterben, damit später eine Versöhnung zwischen Dietrich und Helche im gemeinsamen Leid ermöglicht werden kann. Vgl. dazu auch Lienert, Dietrichepik, S. 210. Ähnlich Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 103 und 125. 775 Der Ort des Todes ist eher unbestimmt. Er liegt irgendwo jenseits von Bern bei Raben, wobei sich die breite heide offenkundig flächendeckend zwischen Bern und Raben erstreckt, jedenfalls führt ein unrehtez phat die Kinder in Richtung Raben uber die breiten heide (Str. 352, 4–353, 3). Auch in weiteren Vorausdeutungen wird Bezug auf diesen unbestimmten Ort genommen, z. B. Si ligent noch ze Raben ouf der heide (Str. 319, 6). Oder : owe, ja mein ich zu dem leide, / da si erslagen wrden ouf der heide (Str. 365, 5–6). Der Kampf gegen Witege findet dort statt (vgl. Str. 395, 6; 426, 5). 776 Er schloss sich Ermanarich an. Raben, welches ihm Dietrich von Berner anvertraut hatte, übergab er dem tyrannischen römischen König: Raben habt ir wider verlorn, / daz hat Witege hin geben (DF, V. 7695). 777 Tot z˜ dem lande / schoz Scharphe nider sicherlich (Str. 408, 3). 778 Er [Witege] sl˜ch in [Orte] durch daz houbet, daz er tot lach (Str. 436, 6). 779 Da mit starp der edele chunich here (Str. 458, 6).

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Kinder. Benez¦ zeigt sich irritiert: Die Hunnenkönigin lässt Rüdiger zwar im Anschluss an ihr Erwachen holen, doch »den Traum führt sie merkwürdigerweise nicht an.«780 Auch Fischer findet das sonderbar : »Helche has Bloedelin fetch Rüdeger, yet neither relates the dream nor requests an interpretation once he arrives.«781 Ebenso Mecklenburg: »Nun möchte man annehmen, dass Helche hier auf den Traum reagiert, durch den ihr, wie durch den Erzähler angedeutet, der Tod ihrer Söhne vorhergesagt wurde […]. Doch anders als Kriemhilds Träume im ›Nibelungenlied‹ wird dieser Traum nie wieder aufgegriffen, Helche bezieht sich nicht darauf […]. Das Motiv bleibt blind […].«782

So meint auch Lienert: »Als die Königin nach dem Unheilstraum Rüdiger rufen lässt, eilt er sofort zu ihr ; doch ein Gespräch folgt nicht«783. Und: »Das Erzählmuster […] läuft ins Leere; was Helche Rüdiger mitteilen will (der Drachentraum?), wird nicht erzählt.«784 Auch die Frage nach späteren Bezügen zum Traum wird diskutiert. Mecklenburg weist darauf hin, dass der Traum nicht Gegenstand von Helches Argumentation gegen die Reise wird.785 Fischer versucht, das figurenorientiert zu erklären, spricht von einer »unheeded prophecy«786, meint, »the dream has apparently been forgotten.«787 Mecklenburg dagegen glaubt, dass der Traum »einfach fallengelassen wird, denn es gibt nichts, was der Warnung entgegenzuhalten wäre.«788 Er sieht hier offenkundig eine Motivierungslücke, wie sie im Rahmen dieser Arbeit am Beispiel des Falkentraums der Kriemhild schon thematisiert wurde. Die Königin lässt, wie Wisniewski meint, ihre Kinder ziehen, »obwohl ein Traum sie warnt«789. Schon Benez¦ verweist darauf, dass die Reise letztlich »mit Erlaubnis der Helche«790 geschehe und versucht, dies figurenorientiert mit dem »stürmische[n] Verlangen« der Söhne zu erklären.791 Fischer sieht, jenseits seiner These vom Vergessen des Traums, eine Dominanz der Handlungsorientierung, verweist auf die Traumvorstellung, wenn er von einem »inescapable fate«792 spricht. 780 781 782 783 784 785 786 787 788 789 790 791 792

Benez¦, Traummotiv, S. 35. Fischer, The Dream, S. 146. Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 93. Lienert, Dietrichepik, S. 209. Lienert, Anmerkung zu Str. 128,5–131,6, S. 31. Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 93. Fischer, The Dream, S. 147. Ebd. Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 97. Wisniewski, Roswitha: Mittelalterliche Dietrich-Dichtung. Stuttgart 1986, S. 141. Benez¦, Traummotiv, S. 35. Ebd., S. 35. So auch Lienert, Dietrichepik, S. 8. Fischer, The Dream, S. 147.

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Analyseteil

Bezüglich der Symbolik merkt Fischer an: Der Drache als Königssymbol stehe für Dietrich, der die Kinder in seinem Heereszug mitnimmt,793 der Greif für Witege, der die Kinder tötet.794 Firestone und Wisniewski sehen die Aussageorientierung der Erzählung allgemein in der Schuld der Erwachsenen gegenüber unberechenbaren Kindern.795 Wisniewski deutet den Traum dabei als Warnung, wirft Helche vor, dass sie ihre Kinder trotz der Warnung ziehen lässt.796 In Auseinandersetzung mit diesen Diskussionen soll im Folgenden das Verhältnis Helches zu ihrem Traum genauer untersucht werden. Betrachtet werden soll dabei vor allem die vieldiskutierte Reaktion der Königin auf ihren Traum. Zu klären ist, wie diese Reaktion zu verstehen ist, in welcher Relation Traum und Reaktion zur Handlung stehen und auch zu späteren Phasen der Erzählung. Dabei soll, wie bereits angekündigt, das Nibelungenlied in seiner Grundthematik für die Ausgangsüberlegungen zum Helche-Traum zum Vergleich herangezogen werden. 4.

Figurenlogische Orientierung und Progressionsorientierung

Im Leid sieht Lienert allgemein, ähnlich wie für das Nibelungenlied, das »Leitthema der ›Rabenschlacht‹«797. Das spielt eine gewichtige Rolle. Die meisten der oben zitierten Forscher verweisen auf diesen Aspekt.798 Dennoch ist der Traum Helches bisher kaum explizit unter diesem Gesichtspunkt genauer betrachtet worden. Dabei steht das Leid in einem engen Zusammenhang mit dem Traum selbst: Er deutet es nicht nur voraus, er erzeugt es bereits: Vor leide si erwahte, / ouz dem slaffe unsamfte si schrahte (Str. 125, 5–6). Dass Helche anschließend Rüdiger holen lässt, wirkt zunächst wie die Einleitung eines figurenorientierten Erzählmusters: Man erwartet, dass sie ihm nun von dem Unheilstraum erzählen und sich von ihm beraten lassen wird, sicherlich um das angekündigte Leid abzuwenden. Dass das Erzählmuster dann nicht ausgeführt wird, irritiert den Rezipienten natürlich, ist aber der Handlungsprogression geschuldet, denn es würde der finalen Handlungsorientierung im Weg stehen, weil Helche mit Rüdiger einen weisen Ratgeber und womöglich auch Gegner der Reise gewinnen 793 Ebd., S. 146. 794 Ebd. 795 Vgl. Firestone, Ruth H.: Queen Helche the Good: Model for Noblewomen. In: Women as protagonists and poets in the german middle ages. An anthology of feminist approaches to middle high german literature. Hrsg. von Albrecht Classen. Göppingen 1991, S. 117–145, hier : S. 139. Wisniewski, Dietrich-Dichtung, S. 139ff. 796 Wisniewski, Dietrich-Dichtung, S. 141. 797 Lienert, Dietrichepik, S. 149. So auch Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 60. 798 Benez¦, Traummotiv, S. 35. Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 60. Lienert, Dietrichepik, S. 149. Fischer, Dream, S. 147, spricht von »tragedy«. Wisniewski, Dietrich-Dichtung, S. 141, verweist auf die »Schmerzensausbrüche[…]« der Figuren.

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würde. Warum das Erzählmuster überhaupt angelegt wird, bleibt allerdings unklar. Wie weit Helche die Traumbilder versteht, geht nicht explizit aus der Erzählung hervor. Eine Traumdeutung erfolgt nicht. Aber der Wunsch der HelcheKinder, Dietrich nach Bern begleiten zu dürfen, löst große Sorgen und Ängste bei ihr aus: Vrú Helche trúrichlichen / diu chint ane sach (Str. 161, 1–2). Sie reagiert auf den Wunsch mit trourigem m˜te (Str. 167, 3), zeigt körperliche Reaktionen, die für alle sichtbar werden: Ir trubten iriu ougen (Str. 167, 5). So fragt Etzel, der später hinzukommt: wer hat iu leides iht getan? (Str. 168, 4). Sie äußert Befürchtungen: chumt ez danne in den strit, / owe, so wirt iwer vergezzen, / so sit ir tot (Str. 164, 3–6).799 Oder : Owe, ja furht ich der stunde, / ich geseh si nimmer me mit gesunde (Str. 170, 5–6). Ihre Befürchtungen kann man in einem Zusammenhang mit ihrem Traum sehen, da sie das Bild vom Tod der Kinder aufruft (so sit ir tot), wenn sie sich gegen die Reise ausspricht. Vergessen hat sie diesen, anders als Fischer meint, offenkundig nicht, wenngleich er auch nie wieder erwähnt wird. In ihrer Angst und in ihrem Leid bleibt er präsent. Der Traum leitet das Leid-Motiv ein, der Auszugswunsch der Kinder erinnert daran, nimmt es wieder auf und intensiviert es noch. Kropik sieht in der Trauer der Königin m. E. zu Recht eine Vorwegnahme ihres künftigen Leids.800 Ebenso Mecklenburg, der in Helches Weinen »ein vorgezogenes Ausagieren der Emotionen [sieht], die sie empfinden wird, wenn eintreten sollte, was sie ganz ohne Traumgesicht nur aufgrund logischer Schlüsse befürchtet.«801 Die ganze folgende Handlung ist dann auch im Sinne dieser Leidthematik determiniert. Fiktionsintern hat der Traum keine Bedeutung für die Handlungsprogression. Aber auf erzähltechnischer Ebene hat er, wie die Träume im Nibelungenlied, zentrale Bedeutung für die Gestaltung des Handlungsverlaufs. Die Traumbilder skizzieren ein Determinationsmuster, einen Mechanismus, eine Bewegung, an deren Ende der Tod der Kinder steht. Der Traum deutet das Ergebnis der Handlung voraus und legt es damit unabänderlich fest. Das Geschehen folgt unausweichlich einem finalen Prinzip,802 einem Sog, wie im Nibelungenlied, nur in kleinerer Dimension.803 Der Handlungsverlauf ist mit der 799 Vgl. zur Sentimentalität in der Rabenschlacht v. a. Mecklenburg, Parodie und Pathos. Vgl. dazu auch Lienert, Dietrichepik, S. 22. 800 Kropik, Cordula: Reflexionen des Geschichtlichen. Zur literarischen Konstituierung mittelhochdeutscher Heldenepik. Heidelberg 2008. (Jenaer germanistische Forschungen N. F. 24), S. 247f. 801 Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 93. 802 Auch hier verwende ich den Begriff »Finalität« jenseits göttlicher Providenz, anders also als Martinez/Scheffel, Erzähltheorie, S. 111f. 803 Schon Lienert, Anmerkung zu Str. 123,6–125,4, weist hier auf die »Unheilsträumen im NL« hin. Die Forschung sieht auch zahlreiche weitere, vor allem motivische Bezüge zu anderen

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Analyseteil

Traumerzählung vom Ergebnis her determiniert. Damit wird ein bestimmter Rahmen vorgegeben, bestimmte Erzählmuster werden gefordert, und die Figuren verhalten sich dementsprechend. Sie bewegen sich in dem festgelegten Rahmen und werden gewissermaßen in Dienst genommen, die Handlung in die vorgegebene Richtung zu treiben, auf das festgeschriebene Ergebnis, das große Leid, hin, das der Traum vorausdeutet.804 Zwar haben Figuren auch gewisse Freiheiten, einen gewissen Bewegungsradius innerhalb des vorgegebenen Rahmens, aber dass sie scheitern müssen, steht nach der Traumerzählung fest. Auch Helche unternimmt anfangs, wie Kriemhild, noch den Versuch, das Leid zu verhindern. So spricht sie sich, ganz figurenorientiert, zunächst vehement gegen die Reise aus, verweist auf Ermriches Traumerzählungen. Fischer, The Dream, S. 146, sieht, wie Lienert, Anmerkung zu Str. 125,4, S. 30, motivische Bezüge zur Kudrun (Str. 55–58), in der auch eine Entführung durch einen Greifen erfolgt. Lienert verweist in ihrer Anmerkung zu V. 123,6–125,4, S. 30, ferner auf den Traum der Herzeloyde und die Drache/Greif-Konstellation. Diese findet sich als Motiv aber auch schon im Alexanderroman Lambrechts im Traum der Olympias (Straßburger Alexander, Vv. 158–163). Ich gehe auf diesen Aspekt im Rahmen des Parzival-Kapitels (VI.5.1, 6.) noch genauer ein. Eine heilsgeschichtliche Dimension liegt der Traumerzählung dabei aber offenkundig nicht zugrunde, wenngleich es innerhalb des Epos’ durchaus christliche Motive gibt, die vereinzelt aufgerufen werden. Lienert verweist darauf in ihrer Anmerkung, S. 68, u. a. auf Str. 504,6–505,6; 508,6; 511,3, 892,3–894,3. Vgl. dazu auch Lienert, Dietrichepik, S. 224ff. Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 434, vermutet eine Beeinflussung durch »die germanische Sage«, ebenso Fischer, S. 146. Zum historischen Kern der Erzählung, dem Tod des Attila-Sohnes Ellac während der Schlacht bei Nedano 454, vgl. Lienert, Dietrichepik, S. 17. Vgl. dazu auch Wisniewski, Dietrich-Dichtung, S. 141. Zu älteren Anspielungen auf den Tod Diethers und der Helche-Kinder in der mittelhochdeutschen Dichtung vgl. Lienert, S. 45f. und 67, die hier auf das Eckenlied verweist. Zur Verwendung des Motivs in späteren Zeugnissen vgl. Lienert, S. 55ff. 804 Etzel etwa ist nachgiebig (vgl. dazu auch Wisniewski, Dietrich-Dichtung, S. 141.). Er gibt, figurenorientiert begründet, dem intensiven Bitten seiner Kinder, der Fürsprache Dietrichs und der Zustimmung Helches nach. Firestone, Queen Helche, S. 139, problematisiert es dennoch mit Bezug auf Str. 183: »Also against his better judgment Etzel allows them to go«. Dietrichs Verhalten ist rein handlungsorientiert. Auch Lienert, Dietrichepik, S. 220, meint, es sei »nicht plausibel, nur final motiviert.« Er nimmt die Kinder mit auf eine gefährliche Reise in ein Kriegsgebiet, er möchte das auch explizit tun. Warum er das tut, bleibt aber völlig unklar. Auch weiß er um die tumpheit der Kinder. Vgl. dazu etwa die Mahnungen Dietrichs an den Aufpasser Elsan: Die chint sint tump, so habt ir bezer sinne! (Str. 302, 6). Auch Elsan, der Aufpasser, gibt dem Bitten der Kinder im Sinne der Handlungsorientierung nach (vgl. Str. 349, 6). Die Kinder schließlich werden, wie Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 97, feststellt, von »simple[r] Neugierde« geleitet. Es ist zunächst Neugierde auf die Stadt Bern: Wir sæhen et harte gerne, / […] die g˜te stat ze Berne (Str. 158, 5–6). Neugierde treibt sie dazu an, die Stadt zu verlassen: Wir wolden schowen gerne / ditz bou so herlich / die stat hie ze Berne (Str. 342, 1–3). Bei der Begegnung mit Witege spielt dann Selbstüberschätzung eine wesentliche Rolle (vgl. etwa Str. 384, 1–5). Witege selbst versucht einzulenken, zu beschwichtigen: Neina, chunich riche, / nu laze dinen zorn (Str. 418, 1–2). Doch er wird durch die Angriffe der Kinder dazu gezwungen, sich zu wehren und muss sie in diesem Zusammenhang erschlagen. Vgl. dazu auch Lienert, Dietrichepik, S. 8. Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 96.

Heldendichtung

157

unstæte (Str. 163), versucht den Kindern ihr Vorhaben auszureden: ir sult die reise lazen (Str. 161, 6), Ez chumt iu niht ze g˜te (Str. 162,1), Slehtes ouz dem m˜te / so sult ir dise reise lan (Str. 162, 3–4), ez stet niht wol in romischen richen (Str. 162, 6), Nu beleibet hie heime / und volget miner ræte (Str. 163,6). Aber dann gibt Helche plötzlich nach und sagt zu Etzel: Las albalde riten, sit sis niht rat wellent han, und besende bi disen ziten beidiu mage unde man, und bevilch du, chunich riche, diu lieben chint dem herren Dietriche (Str. 182, 1–6).

Die Frage, warum sie nachgibt, ließe sich jenseits der Handlungsorientierung mit einer mit dem Traum verbundenen fatalistischen Haltung der Königin erklären, die sehr an die Haltung Karls erinnert, wenn dieser seinen Neffen trotz des Unheilstraums nach Spanien ziehen lässt – allein mit dem Unterschied, dass in der Rabenschlacht, im Gegensatz zum Rolandslied, die religiöse Begründung, d. h. der Bezug zur göttlichen Prädestination, fehlt.805 Der Traum kommuniziert mit dem Determinationsmuster, das er vorgibt, eine fatalistische Vorstellung von der Unausweichlichkeit des Unheils. Helches nachgiebiges Verhalten könnte in diesem Sinne, ähnlich wie bei Karl, mit einer fatalistischen Traumauffassung erklärt werden, der Vorstellung also von der Unausweichlichkeit des Unheils und damit des Leids, das sich dann im Ergebnis auch bestätigt. Der Traum wäre damit gerade nicht, wie Wisniewski und Mecklenburg meinen,806 als Warnung zu verstehen: Die Figur wird über ihr künftiges Leid informiert, sie wird aber nicht gewarnt. Helche würde in diesem Sinne davon ausgehen, dass sich die Todesprophetie auf die eine oder andere Weise ohnehin erfüllt, der Tod der Kinder und damit das Leid unabwendbar sind.807

805 Helches Fatalismus ähnelt in diesem Punkt gattungsspezifisch eher dem Fatalismus Hagens im Zusammenhang mit dem Uote-Traum, noch konkreter mit seiner Haltung nach dem Gespräch mit den Wasserfrauen (Nibelungenlied, Str. 1542f.). 806 Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 97. Wisniewski, Dietrich-Dichtung, S. 141. 807 So halte ich auch die Darlegungen von Speckenbach, Kontexte mittelalterlicher Träume, S. 304, für nicht ganz zutreffend, wenn er meint: »Aus unterschiedlichen Gründen wollen sie [die Figuren] auch oftmals die Träume nicht beachten, so daß die Handlung ein unaufhaltsames Gefälle erhält. Trotz der verfügbaren Prognostik ist der Mensch meist nicht in der Lage, sinnvolle Konsequenzen aus ihr zu ziehen.« Es lassen sich keine sinnvollen Konsequenzen ziehen, da sich das, was der Traum ankündigt, gar nicht abwenden lässt. Das macht den Traum ja gerade prophetisch.

158 5.

Analyseteil

Aussageorientierung

Wie für die Erzählung insgesamt spielt das Thema Leid eine zentrale Rolle, so auch für den Traum Helches, ähnlich wie für Kriemhild im Nibelungenlied. Der Akzent wird in der Forschung im Umgang mit dieser Leid-Thematik unterschiedlich gesetzt. Wisniewski und Firestone setzen den Schwerpunkt auf das Thema Schuld. So meint Firestone: »[T]he boys will die because Helche allowed them to go on a military campaign with Dietrich«808. Auch Wisniewiski sieht eine wesentliche Schuld bei Helche, da sie ihre Kinder trotz des (angeblichen) Warntraums ziehen lässt.809 Allgemein bezeichnet sie die Rabenschlacht vor diesem Hintergrund als »ein hochmittelalterliches Genrestück über das Fehlverhalten von Erwachsenen«810, als »Warnung vor Leichtsinn, Unberechenbarkeit und Tollkühnheit von Kindern.«811 Das geht aber kaum so plausibel auf. Zunächst, weil der Traum, wie oben bereits dargelegt, Helche nicht warnt, sondern sie nur über das Unausweichliche informiert. Eine Warnung impliziert die Aussicht auf eine Alternative. Dann aber wäre der Traum nicht mehr prophetisch, sondern würde nur eine mögliche Zukunft zeigen. Die Zwangsläufigkeit des Geschehens in der Rabenschlacht, ebenso wie im Nibelungenlied, widerspricht dem allerdings vollkommen: Hier wird kein möglicher künftiger Verlauf gezeigt, sondern ein unabänderlicher. Helches Fatalismus im Zusammenhang mit ihrem Traum lässt es fraglich erscheinen, ob ihr überhaupt ein Vorwurf gemacht werden kann, ob hier einfache Schuldkategorien, wie sie von Wisniewski oder Firestone entwickelt werden, angemessen sind.812 Wenn der Traum ein ohnehin unabwendbares Unheil ankündigt, dann stellt sich auch für alle anderen Figuren die Frage, wie sinnvoll es ist, hier mit einem Schuld-Begriff zu arbeiten, zumal diesem bei Wisniewski und Firestone offenbar ein neuzeitliches Verständnis zugrunde liegt. Die Schuld der verschiedenen Figuren ist in der Forschung nicht ohne Grund generell sehr umstritten.813 808 809 810 811

Firestone, Queen Helche, S. 139. Wisniewski, Dietrich-Dichtung, S. 141. Ebd., S. 142. Ebd., S. 141. Auch Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 59, spricht von »didaktischen Absichten«. 812 Etzel spricht Helche zwar schuldig: alrest ich an dir grozen unsin schowe (Str. 1110,5ff.) und: Swaz ich nu leides han, vrouwe, daz chumt von iwern schulden (Str. 1113, 6). Vgl. vor allem zur Problematisierung dieser Anklage Etzels gegen Helche, Lienert, Dietrichepik, S. 148. Allerdings weiß Etzel auch nichts von dem prophetischen Unheilstraum Helches. 813 Sicherlich kann man, wie Wisniewski, Dietrich-Dichtung, S. 139, argumentieren, Dietrich treffe der Vorwurf, »Sicherheitsversprechen gegeben zu haben, die in einem Krieg nicht eingehalten werden können.« Der Traum-Drache könnte als Sinnbild der Schuld des Berners gedeutet werden. Vgl. zur Schlange bzw. zum Drachen als Symbol von Schuld/Sünde Engemann, Sünde, Sündenfall, LexMA, S. 321. Allerdings dringt er nicht, wie der Traum-

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Das Leid steht hier m. E. eher in einem Zusammenhang mit einer am Nibelungenlied orientierten pessimistischen Perspektive.814 So sieht auch Mecklenburg die »›Rabenschlacht‹ […] als Weiterführung einer Tradition der Darstellung des Untergangs, einer literarischen Tradition, deren Bezugsgröße das drache, gewaltsam in die Kemenate ein und entführt die Kinder. Dennoch: Dietrich wird von Etzel angeklagt: Dietrich hat si verraten beide (Str. 1114, 6). Und Helche verflucht ihn: Daz in [Dietrich] darumb got schende! (Str. 1068, 6) und Ich chlage sicherlichen, / daz er [Dietrich] mir ie wart bechant (Str. 1069, 3–4). Auch hat er, anders als Helche, keinen Unheilstraum. Aber auch jenseits dessen ist es fragwürdig, ob man hier von Schuld sprechen kann. Lienert etwa meint: »[I]m späteren Verlauf ist dem Berner kein Versagen vorzuwerfen (er trifft geeignete Vorsorge, indem er die Jungen in Bern zurücklässt und, im Einklang mit den Ratgebern, mit Elsan […], einen […] Aufpasser bestellt […]).« Lienert, Dietrichepik, S. 220. Und Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 125, weist darauf hin, dass Dietrich »selbst sich als unschuldig ansieht«. Später geht es dann um den Beleg dieser unschulde (Str. 1023, 3) vor dem Herrscherpaar. Vgl. dazu auch Lienert, Dietrichepik, S. 210 sowie 179–180. So sagt Rüdiger : Vil unschuldich ist der Bernære (Str. 1115, 6), überzeugt Helche auch davon (Str. 1073–1100), ebenso Etzel (vgl. Str. 1137). Beide entlasten Dietrich, Helche bereut ihre Verwünschungen (Str. 1089–1091). Vgl. dazu auch Lienert, Dietrichepik, S. 181 und 213. Und am Ende, so merkt Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 99, an, trage Dietrich mit Helche und Etzel, aufgrund auch des Todes seines Bruders Diether, »gemeinsam ein Leid, für das so recht niemand mehr verantwortlich ist.« Dennoch heißt es dann am Ende der Erzählung: Sie vergaben im [Dietrich] seine schulde […] (Str. 1139, 3). Haug hat es deshalb auf die Formel vom »schuldig-schuldlose[n] Berner« gebracht. Haug, Walter: Hyperbolik und Zeremonialität. Zu Struktur und Welt von ›Dietrichs Flucht‹ und ›Rabenschlacht‹. In: Deutsche Heldenepik in Tirol. König Laurin und Dietrich von Bern in der Dichtung des Mittelalters. Hrsg. von Erich Kühebacher. Bozen 1979, S. 116–134, hier : S. 131. Für die anderen Figuren erscheint die Diskussion der Schuldfrage weitaus weniger relevant. Witege handelt aus Notwehr. Etzel steht ohnehin, wie Lienert, Dietrichepik, S. 214, feststellt, unter dem »nahezu unbegrenzt[en]« Einfluss Helches. Und Elsan, der dann zum Hauptschuldigen erklärt (vgl. dazu auch Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 104.) und von Dietrich eigenhändig hingerichtet wird (vgl. dazu die Erzählung Rüdigers, Str. 1118,4– 1119,4), ist nur eine Nebenfigur. 814 Mecklenburg, Parodie und Pathos, S. 97, spricht in Bezug auf die Tötung der Kinder durch Witege von »tragische[r] Unausweichlichkeit«. Gschwantler etwa liest das Epos »im Sinne von Boethius als tragoedia«. Dies sei da gegeben, »wo der Mensch nur Elend und Jammer, nur die Willkür Fortunas sieht, und das Walten Gottes, einen heilsgeschichtlichen Sinn nicht erkennen kann.« Gschwantler, Otto: Heldensage als Tragoedia. Zu einem Brief des Domschulmeisters Meinhard an Bischof Gunther von Bamberg, in: 2. Pöchlarner Heldengespräche. Die historische Dietrichsepik. Hrsg. von Klaus Zatloukal. Wien 1992, S. 39– 67, hier : S. 64. Boethius Ausführungen zum tragoedia-Begriff finden sich in der Consolatio Philosophiae und diese lag dem Mittelalter bereits in einer (allerdings nicht weit verbreiteten) althochdeutschen Übersetzung aus dem 11. Jh. vor: Uu‚z ch‚rúnt tragoedie˛ –ne fortunam fflnd˜rlicho stúrenta g˜ollich†u riche, d‚z si neh¦ines mÞr ne sihet t‚nne ‚nderes? Zitiert nach: Althochdeutsches Lesebuch. Enthaltend die Übersetzung der consolatio philosophiae des Boethius. Zum Schul- und Universitätsgebrauch. Hrsg. und mit spracherläuternden Anmerkungen versehen von E.G. Graff. Berlin 1837. Miklautsch verweist in diesem Zusammenhang auf die »optimistischere Grundstimmung« der WolfdietrichDichtungen. Miklautsch, Lydia: Montierte Texte – hybride Helden. Zur Poetik der Wolfdietrich-Dichtung. Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte. Hrsg. von Osterkamp, Ernst / Röcke, Werner. Berlin, New York 2005, S. 21.

160

Analyseteil

›Nibelungenlied‹ ist […].«815 Auch Kropik spricht hier von einer »›nibelungischen Atmosphäre‹«816, verweist auf die »Grundstimmung unheilvoller Fatalität« und »schicksalhafter Zwanghaftigkeit«817. Das Bild vom Drachen/Greifen versinnbildlicht womöglich über die Zuordnung zu konkreten Figuren hinaus jenen Untergangsmechanismus, jenen Sog, dem die Kinder zum Opfer fallen, eine Zwangsläufigkeit des Geschehens, eine Determination zum Untergang, wie sie sich schon im Nibelungenlied abbildet. Es ist ein Weg zum Leid. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, noch einmal genauer zu untersuchen, wie der Traum eigentlich gemacht ist, wie er für die Leidthematik der Rabenschlacht gestaltet ist und in welchem Verhältnis er dabei zu Traumerzählungen aus dem Nibelungenlied, aber auch zu Träumen aus anderen Erzählungen steht. Der Parzival etwa, der später noch betrachtet werden soll, steht diesem Traum motivisch sehr nahe. Der Unheilstraum dient der Inszenierung des Leids in nibelungischer Tradition. Er löst es erstmals für Helche aus, und zwar durch die Bilder des Unheilvollen, die, wie schon im Nibelungenlied, von außen an die Figur herantreten. Er folgt hierin einem ganz traditionellen Muster prophetischer Unheilsträume. Er kommt also nicht aus der Figur selbst und gewährt auch keinen Blick in das Innere der Figur. Der Traum ist nicht Ausdruck, sondern nur Ursache von Leid. Und was Helche während des Traums empfindet, was sie fühlt, erfahren wir nicht direkt. Die Inszenierung von Leid beginnt nach dem Erwachen und wird auch erst, wie oben gezeigt, im Gespräch mit den Kindern richtig entfaltet. Die Fabelwesen sind auch nicht physisch auf Helche selbst bezogen, sondern nur auf ihre Kinder. Das rezipierte Bild erzeugt Leid, gezeigt wird aber kein selbst erfahrener physischer Schmerz, wie etwa bei Herzeloyde im Parzival oder bei Karl im Rolandslied. Helche rezipiert die Traumbilder lediglich. Ihre Anwesenheit in der Traumwelt bleibt sehr vage, sie verharrt während des ganzen Traums, wie schon Kriemhild und Uote, stets in einer Zuschauerperspektive, einer Position, die ihre Hilflosigkeit vorausdeutet, ihre Unfähigkeit, das Unheil abzuwenden. Sie vermag nicht einzugreifen. Ein wilder trach bricht im Rahmen dieser heterodiegetischen Erzählung, ähnlich wie im Rolandslied der Bär und der Leopard, unvermittelt in die scheinbar sichere höfische Welt ein, dazu noch durch ir chemenaten dach, in den privaten Lebensbereich der Königin. Eine Atmosphäre der Bedrohung wird geschaffen, ein Gefühl, dass es offenkundig keinen sicheren Ort gibt, keinen Ort, der Schutz gegen das Unheil bietet. Das wilde Fabelwesen bringt die Kinder an 815 Ebd., S. 82. 816 Kropik, Reflexionen, S. 271. 817 Ebd., S. 283.

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einen unbestimmten Ort jenseits der höfischen Welt ouf eine breite heid,818 wo sie der grife (der Drache?)819 zerbrach. Erzeugt wird im Bild des Zerreißens der Kinder durch ein grausames Fabelwesen eine Atmosphäre des Schreckens. Ebenso wie Kriemhild und Karl erscheint auch Helche hilflos, kann nicht eingreifen, es nicht verhindern, dem Unheil nicht entgegenwirken. Ihre fatalistische Haltung später ist mit dem Leid eng verknüpft, denn damit resigniert sie vor dem Unheilvollen, versucht es, anders Kriemhild, gar nicht mehr abzuwenden. Der Traum also dient der Inszenierung von Leid, folgt dabei aber einem sehr traditionellen Muster. Es ist ein Leid, das von außen kommt, nicht von innen.

6.

Zusammenfassung

Helches prophetischer Traum verkündet mit dem Tod der Kinder, wie schon die Träume im Nibelungenlied, künftiges Leid. Er erzeugt, wie bei Kriemhild, Leid bei der Figur, das aber erst nach dem Erwachen zur Geltung kommt und sich dann bei dem Gespräch mit den Kindern voll entfaltet, wenn Helche mit deutlich sichtbaren Ängsten, Sorgen und Schmerzen auf den Reisewunsch reagiert. Der Traum, wenngleich er nicht mehr erwähnt wird, steht offenkundig in einem Zusammenhang mit diesen Todesahnungen. Der Traum warnt die Helche-Figur aber nicht, er informiert sie lediglich über ein unabwendbares Unheil. Während der Traum fiktionsintern keinen Einfluss auf die Handlungsprogression hat, determiniert er auf erzähltechnischer Ebene den weiteren Handlungsverlauf. Alle Figuren, inklusive Helche, werden in Dienst genommen, die Handlung zu realisieren, führen das Leid, gegen eigene Inten818 Auch Siegfried wird auf einer heide getötet. Vgl. NL, Str. 921, 3. 819 Fischer, Dream, S. 146, geht von einer Identität von Drache und Greif aus. Lienert, Kommentar zu V. 125,4, S. 30, dagegen meint: »Der Drache erscheint unmotiviert als Greif.« Die Verwendung des bestimmten Artikels bei der Nennung des Greifen – der grife –, nachdem die Nennung des Drachen noch unter Verwendung des unbestimmten Artikels erfolgte – ein trach –, könnte darauf hinweisen, dass der Autor den Greifen auf den Drachen bezieht. Auch im Grimmschen Wörterbuch heißt es in Bezug auf diese Textstelle: »vereinzelt werden drache und greif gleichgesetzt«. »Greif«, in: Grimm, Jacob / Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bearbeitet von Hübner, Arthur und Neumann, Hans. Band 4, I. Abteilung 6. Teil. Leipzig 1935, S. 5–11, hier: S. 8. Beide Fabeltiere werden symbolgeschichtlich in einen engen Zusammenhang gestellt. So neigen, laut Mode, bereits die griechischen Greifendarstellungen zu einer »raubtierähnlichen Bildung des Kopfes und nähern sich damit den Drachenformen, ebenso einige ältere italienische Bildwerke«. Häufig kam es daher in Bezug auf den Greifen zu einer »Anlehnung an die Drachenform«. Im orientalischen Kulturkreis verschmelzen der »Schlangendrachen und der Vogelgreif […] zu einer Gruppe«. So lassen sich einige Greifentypen auch »als Drachen bezeichnen«. Im Basilisken fallen ältere Drachen- und Greifenbilder zusammen. Mode, Heinz: Fabeltiere und Dämonen. Die phantastische Welt der Mischwesen. Leipzig 1973, S. 134.

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Analyseteil

tionen, herbei. Nach anfänglichem Widerstand nimmt die Hunnenkönigin dann auch eine fatalistische Haltung ein, die sich mit einer entsprechenden Traumvorstellung figurenorientiert erklären lässt. Ihr Verhalten ähnelt dem Karls im Rolandslied, wenngleich eine religiöse Begründung fehlt. Von einer Schuld Helches zu sprechen, erscheint weniger plausibel, weil sie im Rahmen ihrer fatalistischen Haltung davon ausgehen muss, dass sich das Unheil ohnehin nicht abwehren lässt. Der Traum dient der Inszenierung von Leid im Rahmen einer am Nibelungenlied orientierten pessimistischen Perspektive. Es ist ein Traum, der dem traditionellen Muster prophetischer Träume folgt, wie man sie aus dem Nibelungenlied kennt: Der Traum und somit das Leid treten von außen an die Figur heran, gelitten wird im Anschluss an den Traum. Eine Innenperspektive wird nicht abgebildet. Der Rezipient sieht nur, was Helche sieht, aber nicht, was im Inneren der Figur vor sich geht. Der Traum ist auch nicht auf die Figur selbst bezogen. Ihre Anwesenheit in der Traumwelt bleibt vage, sie selbst verharrt in einer Zuschauerposition, die ihre spätere Hilflosigkeit vorwegnimmt. *

Die Untersuchung hat gezeigt, dass es zahlreiche Parallelen hinsichtlich der Erzählweise von Träumen im Nibelungenlied und in der Rabenschlacht gibt. Das Nibelungenlied lässt sich als heroische Untergangserzählung bezeichnen, da die gesamte Handlung einem Prinzip der Untergangsdetermination folgt. Dementsprechend sind die Träume, die sich im Nibelungenlied finden, gattungsspezifisch Unheilsträume. Uotes Traum könnte man auch darüber hinaus als Untergangstraum bezeichnen, weil er auf das Ende der Erzählung hinweist, auf den Moment, in dem alle Burgunden erschlagen sind, einen Moment des Stillstandes, der Bewegungslosigkeit. Die Rabenschlacht steht diesem Prinzip der Untergangserzählung nahe. Damit lassen sich auch die verschiedenen Parallelen hinsichtlich der Erzählweise der Träume erklären. Die Dimension des Untergangs ist hier deutlich kleiner. Das Geschlecht des Hunnenkönigs stirbt jedoch aus. Auch hier folgt die Erzählung dem Determinationsprinzip, das in den Traumbildern vorweggenommen wird. Solche Determinationsprinzipien in der Erzählstruktur sowie Unheilsträume sind allerdings nicht auf heroische Untergangserzählungen beschränkt, sondern finden sich gattungsübergreifend. Das hat sich hier schon bei der Untersuchung anderer Erzählungen gezeigt: So finden sich Unheilsträume auch in der Kreuzzugsepik. Karl (Rolandslied, Karl) etwa empfängt prophetische Unheilsträume. Aber gattungsspezifisch stehen diese Träume in einem heilsgeschichtlichen Kontext, der im Nibelungenlied und in der Rabenschlacht fehlt: Für Ro-

Heldendichtung

163

land bedeutet das Unheil zugleich den Märtyrertod und ist daher mit Erlösung verbunden – darauf verweisen etwa die Lanzensplitter, die in den Himmel fliegen. Hier handelt es sich also nicht um einen nibelungischen Untergang. Untergänge werden in der Kreuzzugsdichtung allein auf die heidnischen Gegner bezogen. Aber auch im Antikenroman findet sich dieser Traumtyp. Im Trojanerkrieg Konrads von Würzburg z. B. wird im Fackeltraum der Hecuba der Untergang Trojas im Zusammenhang mit der Geburt des Paris angekündigt.820 Das Motiv wird hier in ähnlicher Weise genutzt, wie in der heroischen Untergangsdichtung. Der Traum determiniert die Handlung, legt das Ende fest, auf das die Handlung dann zusteuert.

VI.4.3 Herbrants Adler-Traum im Wolfdietrich D 1.

Der Text: Wolfdietrich D

Der Wolfdietrich D821, wohl noch vor 1250822 entstanden, wird von der Forschung zumeist der Heldenepik zugeordnet, ist aber, wie etwa Miklautsch nachweist, ein Gattungshybrid.823 Erzählt wird, wie Wolfdietrich, der Sohn des Königs von Konstantinopel824, von seinen Brüdern um sein Erbe gebracht wird, wobei seine 820 [U]nd dú si [Hecuba] swanger worden was, / dú viel ˜f si der sorgen soum, / wande ir kom ein leider troum / in ir sl–fe nahtes für. / daz schœne w„p von húher kür / bescheidenl„che d˜hte, / daz von ir herzen l˜hte / ein vackel, des geloubent mir, / diu gewahsen wære ˜z ir / und alsú vaste wære enzunt, / daz si Troye unz an den grunt / mit ir fiure brande, / noch in des r„ches lande / liez eine stütze niht best–n. (Trojanerkrieg, Vv. 351–364). Zitiert nach: Konrad von Würzburg: Der Trojanische Krieg. Hrsg. A. von Keller, Stuttgart 1858/Amsterdam 1965. 821 Ich zitiere nach: Ortnit und die Wolfdietriche. Nach Müllenhoffs Vorarbeit (Deutsches Heldenbuch 4. Teil, 2. Band). Hrsg. von Amelung, Arthus /Jaenicke, Oskar. Berlin 1873. 822 Düwel, Klaus: »Wolfdietrich«, in: Lexikon der Weltliteratur. Band II. Hauptwerke der Weltliteratur in Charakteristiken und Kurzinterpretationen. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter hrsg. von Wilpert, Gero von. Dritte, neubearbeitete Auflage. Stuttgart 1993, S. 1470. 823 Miklautsch, Montierte Texte – hybride Helden, S. 18ff., spricht hier von einer »Gattungsmischung«, sieht verschiedene Erzählmodelle gegeben, vom Epos über den Roman bis zur Legendendichtung. Diese lösen einander ab. Zudem sieht sie Elemente der Brautwerbungshandlung und Parallelen zur Dietrichdichtung. So auch Schulz, Erzähltheorie, S. 89: »Die Wolfdietrich-Figur agiert nicht allein im heroischen und im legendarischen Register, sondern auch in demjenigen des höfischen Romans«. 824 Der im Rother diskutierte Konkurrenzgedanke zwischen Byzanz und dem weströmischen Reich spielt hier auch eine Rolle. Der Bezug zwischen Wolfdietrich und Konstantinopel lässt sich wie folgt erklären: Die Sage hat offenkundig merowingisch-fränkische Wurzeln. Vgl. Brinker-von der Heyde, Hugdietrich, ReallexGermAlt, S. 198. Voorwiden, Franken, in: ReallexGermAlt, S. 384, spricht von einer möglichen »Umlokalisierung einer frk. Heldensage nach Konstantinopel«, vielleicht, weil man den Merowingerkönig Chlodwig als

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Analyseteil

Dienstmannen in Gefangenschaft geraten. Nach vielen Abenteuern erreicht der Held das Lampartenland, vermag dort durch Drachenkämpfe Frau und Krone des verstorbenen Königs Ortnit zu erlangen und kann in seiner Funktion als neuer Herrscher seine Brüder überwinden, seine Dienstleute befreien und sein rechtmäßiges Erbe zurückerobern. 2.

Herbrants Traum

Herbrant, ein in Gefangenschaft sitzender Dienstmann Wolfdietrichs, erzählt seinen Mitgefangenen: Dú sprach Herbrant der küene: ›mir troumt h„naht ein troum, des suln wir armen diener haben guoten goum, wie daz ein adelar kæme, underz gevider er uns nam: er hete den zwein künegen n–ch den tút get–n (D, IX, Str. 57, 1–4).

Wolfdietrich steht bereits vor den Gefängnismauern, hört die Traumerzählung mit und macht kurze Zeit später auf sich aufmerksam. Die Möglichkeit seiner Anwesenheit motiviert, trotz anfänglicher Zweifel, die Männer zum Gebet (D, IX, Str. 80). Christus löst daraufhin ihre Fesseln (D, IX, Str. 81). Die Dienstleute werden befreit. Es kommt zu Kampfhandlungen (D, IX, Str. 93ff.), Wolfdietrich verteidigt die wiedergewonnene Freiheit seiner Männer. Seine Brüder, die zwei künege Bouge und Wahsmuot, werden, dem Traum entsprechend, n–ch (»beinahe, fast«) erschlagen, von Hache bezwungen (D, IX, Str. 142–144) und gevangen abgeführt (D, IX, Str. 146, 1). Wolfdietrich erlangt anschließend die ihm zustehende Herrschaft.

Äquivalent Kaiser Konstantins des Großen ansah. Auch Gregor von Tours nannte Chlodwig einen »neuen Konstantin« (ebd.). So wurde auch die Residenz des Merowingerkönigs Konstantinopel genannt, ohne dass diese etwas mit der Hauptstadt des oströmischen Kaiserreiches zu tun hatte (ebd.) Möglicherweise geht der Wolfdietrich auf eine fränkische Stammessage zurück. Hugedietrich, Sohn des griechischen Königs Antzius, könnte auf Theuderich I. (Hugo Theodoricus) (484–533) verweisen (der älteste und wohl uneheliche (!) Sohn Chlodwigs) oder aber er verweist auf Chlodwig selbst. Theudebert (gest. 495/500– 547/548), sein Sohn, würde dann auf Wolfdietrich verweisen (ebd.) bzw. mit dem historischen Theuderich kontaminiert sein – zumindest hinsichtlich der angeblich unehelichen Abstammung. Der Konflikt zwischen Ost- und Westrom spielt im Wolfdietrich eine Rolle. Jedenfalls muss man feststellen, dass Wolfdietrich als weströmischer Herrscher in Ostrom einfällt – im Westen wird er ja als Kaiser anerkannt, im Osten aber nicht, hier muss er sich sein Erbe erst erkämpfen. Im Finale des Wolfdietrich D wird in diesem Sinne auch ein Kampf weströmischer Ritter unter Wolfdietrichs Führung gegen Konstantinopel dargestellt (vgl. D, IX, 98f.). Die Kriechen erscheinen als die Feinde, gegen die der Held sich mit seinen Gefolgsleuten und dem weströmischen Heer durchsetzen muss (vgl. D, IX, 130ff.).

Heldendichtung

3.

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Forschungsstand

In der Forschung wird vorwiegend das dem Traum zugrunde liegende Verständnis diskutiert. Die ältere Forschung ist sich über den mantischen Charakter des Traums einig. Benez¦ meint: »Es geschieht, was durch den nicht mißzuverstehenden Traum angezeigt war.«825 Fischer klassifiziert ihn seinem Macrobius-Schema entsprechend als somnium.826 Neu dagegen ist Haags Position, der zunächst darauf hinweist, dass »fiktionsintern […] keine Vorentscheidung für einen Typus fällt, sondern zwei Einschätzungen einander gleichberechtigt gegenüberstehen.«827 Zwar stellt schon Fischer fest, dass Hache den Traum, im Gegensatz zu Herbrant, als insomnium auffasst, als »waking memories of Wolfdietrichs past protection.«828 Doch Haag fragt, ob der Traum »übersinnlich[…]« sei oder ein »psychologisch erklärbares Ergebnis eines klagenden Rückblicks auf bessere Tage«829. Er äußert Zweifel an dem prophetischen Charakter, argumentiert damit, dass sich die »Traumaussagen […] nur teilweise«830 bewahrheiteten. So befreie nicht Wolfdietrich (der Adler) seine Mannen, sondern Christus (D, IX, Str. 80,1–81,2).831 Außerdem höre Wolfdietrich das Gespräch zwischen Herbrant und Hache mit. Das unterhöhle zusätzlich den mantischen Charakter des Traumes, denn, so Haag, wenn »der Träger vermeintlich vorhergesagter Handlungen die Vorhersage mithört, lässt sich nicht entscheiden, ob er den Inhalt der Vorhersage auch ohne ihre Kenntnis so zu realisieren versucht hätte oder nicht.«832 Damit vermutet Haag, figurenund handlungsorientiert argumentierend, Wolfdietrich gehe erst als Reaktion auf die Gehörte Traumerzählung zur Befreiungsaktion über. Haag kommt zu dem Schluss, dass der Herbrant-Traum zeige, »dass Analyse psychischer Befindlichkeit und Prägung eines Menschen durch Rekonstruktion verschlüsselter Trauminhalte möglich ist.«833 Damit zeichneten sich »Vorformen der Psychoanalyse […] ab«834. Haag sieht in Herbrants Traum einen »unverhüllten Wunschtraum«835. Der Traum gehe aus einem Wunsch Herbrants nach Befreiung durch Wolfdietrich hervor. Dass der Held als Adler erscheine, könne Ergebnis einer »Entstellung des latenten Trauminhalts […] durch Symbolisie825 826 827 828 829 830 831 832 833 834 835

Benez¦, Traummotiv, S. 36. Fischer, The Dream, S. 148. Haag, Traum und Traumdeutung, S. 68. Fischer, The Dream, S. 148. Haag, Traum und Traumdeutung, S. 68. Ebd. Ebd. Ebd., S. 69. Ebd., S. 70. Ebd. Ebd., S. 71 und 72, bezieht sich auf Freud, Sigmund: Die Traumdeutung (1900), zitiert nach: Mischerlich u. a., Bd. 2, 2. Auflage. 1972, S. 142.

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Analyseteil

rung« sein.836 Das Adler-Symbol auf Wolfdietrichs Schild (vgl. D, IX, Str. 39, 1–3) biete ein entsprechendes »Assoziationsfeld«837. Mehr als die Feststellung, dass sich der Adler, wie Fischer meint, als Königssymbol auf Wolfdietrich beziehe,838 findet sich zur Aussageorientierung der Erzählung in der Forschung nicht. Haags These wirft eine Reihe von Fragen auf, etwa, wie die Befreiungsaktion hier einzuschätzen ist, ob sie eine figurenorientierte Reaktion des Helden auf die Traumerzählung ist und ob hier tatsächlich eine Relation zwischen Figurenreaktion und Handlungsprogression besteht. Vor dem Hintergrund der psychoanalytischen Lesart stellt sich die Frage, welcher Traumtyp hier überhaupt vorliegt. 4.

Figurenlogische Orientierung und Progressionsorientierung

Die nút der Dienstmannen ist groß (D, IX, Str. 48, 2), sie klagen aufgrund ihrer Gefangenschaft, Herbrant ist der tr˜recliche (D, IX, Str. 55, 1), ist verzweifelt, leidet, betont die swære der Situation (D, IX, Str. 55, 4). Seine Traumerzählung soll den Männern und ihm selbst Hoffnung machen. Die Reaktion auf die Traumerzählung ist die Traumdeutung Haches. Er bezieht den Adler auf unsern herren Wolfdietrich (D, IX, Str. 58, 2), interpretiert ihn aber, wie schon Fischer und Haag feststellen, nicht als mantisch, sondern deutet ihn als Erinnerungsrest (vgl. D, IX, Str. 58, 2). Das ist vor dem Hintergrund zeitgenössischer Traumskepsis eine plausible Reaktion. Ich werde darauf im Zusammenhang mit dem Traummonolog Iweins noch genauer eingehen. Hache macht die Traumerzählung daher auch keine Hoffnung, sondern ist Anlass zur weiteren Klage.839 Das Klagen motiviert Wolfdietrich dazu, auf sich aufmerksam zu machen D, (IX, Str. 59). Doch motiviert die gehörte Traumerzählung Wolfdietrich zur Befreiungsaktion? Der Held ist ja gerade wegen seiner Männer nach Konstantinopel gezogen (D, IX, Str. 25, 4ff.). Die Befreiung ist also, mit oder ohne Traumerzählung, bereits sein Ziel. Somit stellt sich die Frage, wie produktiv diese These für die Ebene der Aussageorientierung ist. 5.

Traumvorstellung und Aussageorientierung

Durch die Befreiungsaktion wird die triuwe des Helden zu seinen Gefolgsleuten thematisiert, ähnlich wie schon im König Rother. Nach Haags Meinung aber be836 837 838 839

Ebd. Ebd. bezieht sich hier auf Freud, Traumdeutung, S. 515. Ebd., S. 148. Vgl. dazu ebd., S. 72.

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nötigt Wolfdietrich erst die Traumerzählung als Impuls, um zur Befreiungsaktion überzugehen und damit den triuwe-Erweis erbringen zu können. Das würde die triuwe Wolfdietrichs allerdings reduzieren. Ähnliches ist der Fall, wenn man die Traumerzählung als zusätzlichen Impuls versteht, die den Helden in seinem Vorhaben erst bestätigen muss. Das würde der triuwe ihre Bedingungslosigkeit nehmen. Im Wolfdietrich aber geht es stets um eine fürstenspiegelartige Idealisierung des Helden und die Exponierung seiner triuwe. So stellt etwa Miklautsch fest, dass der Held stets »als besorgter und treusorgender Dienstherr profiliert«840 werde. Immer wieder heißt es formelhaft: n–ch s„nen dienstliuten wart im alse wÞ: vil dick want er s„n hende […] do bevalch er gote vom himele s„n einlif dienestman (D, V, Str. 52, 2–4).

Oder : s„n klage was sú bitter umb s„ne eilf dienstman (D, V, Str. 60, 2; 220, 4). Oder: ach […], soll ich immer werden frú / daz ich erlæse m„n einlif dienestman (D, VII, Str. 16, 2–3). Als er gegen den Heidenkönig Belian im Messerkampf antritt, sagt er: muoz ich von dem heiden den l„p verlorn h–n, / so ber–te got zen Kriechen m„n einlif dienstman (D, VI, Str. 133).841 Der Frau König Marsili–ns, eines Gastgebers, begründet er seinen Abschied mit den Worten: ich wil benamen schouwen die dienstliute m„n, / Die ich in grúzen næten h–n hinder mir gel–n. (D, VII, Str. 110– 111). Eine Reduzierung der triuwe als Herrscherqualität Wolfdietrichs passt nicht zu dem Bild, welches von dieser Figur gezeichnet wird. Dieser Held braucht keinen zusätzlichen Impuls für die Befreiungsaktion. Nichts im Text weist auch nur ansatzweise auf eine solche Einschränkung hin. Unterstellt man eine innerpsychische Entstehungsweise des Traums, bedeutet dies, dass Herbrant Wolfdietrich als triuwen Dienstherren wahrnimmt. Das wäre dann auch die Wahrnehmung Haches, wenn er den Adler als Wolfdietrich deutet. Diese Zuordnung der triuwe zu Wolfdietrich würde den Helden in seiner Idealität als Herrscher bestätigen. Ordnet man den Traum dagegen der Mantik zu, so würde die Idealität durch eine höhere Ebene von außen kommuniziert. Die Deutung Haches würde auch in diesem Falle auf eine positive Wahrnehmung des Helden verweisen. Beide Lesarten wären, mit Blick auf den triuwe-Aspekt, letztlich plausibel. Nur Haags Argumente gegen die Mantik sind nicht überzeugend. Haag meint, 840 Miklautsch, Montierte Texte – hybride Helden, S. 133. 841 Vgl. dazu auch D, VI, Str. 3–4; 139, 3–4; 182, 3–4; 8, 3–4; D, VIII, Str. 102, 4; 119, 4.

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gegen die Mantik und damit für die Möglichkeit einer innerpsychischen Quelle des Traums spreche, dass sich der Traum nicht in jeder Hinsicht erfülle. Der Adler, der für Wolfdietrich stehe, führe die Befreiungsaktion in der Traumwelt durch. In der Realität der fiktiven Welt der Erzählung ist es hingegen Christus, der die Fesseln der Dienstleute löst. Allerdings folgt Haag der Deutung Haches kritiklos und beachtet nicht die Möglichkeit von Ambiguität. Das Adler-Bild muss nicht nur auf Wolfdietrich bezogen werden, genauso gut ließe es sich, wie bereits im Orendel-Kapitel dargelegt, auch auf Christus beziehen. So weist etwa Scheibelreiter darauf hin, dass der Adler »in den meisten Fällen […] Christus selbst«842 verkörpere. Christus bewirkt die Befreiung aktiv, löst die Fesseln (D, IX, Str. 81). Wolfdietrich hilft dabei, diese Freiheit zu verteidigen (vgl. D, IX, Str. 93ff.). Damit erfüllt sich der Traum in jeder Hinsicht. Außerdem ergibt sich eine doppelte Möglichkeit der Zuordnung des Adler-Bildes, die zudem noch eine Annäherung der Wolfdietrich-Figur an Christus ermöglicht. Haag liefert kein haltbares Argument gegen Mantik. Benez¦ verweist zu Recht auf das »geistliche Gepräge«843 der Erzählung. Das Geschehen hat eine Nähe zum Christlich-Metaphysischen. Herbrant hat einen Befreiungstraum und wird kurz darauf, zusammen mit den anderen Dienstmannen, gerettet. Die Rettung selbst wird durch eine höhere Macht, durch Christus, bewirkt. Alles, was der Traum ankündigt, geschieht. Ich meine, dass nur die prophetisch-symbolische Lesart plausibel ist. Haags These von den »Vorformen der Psychoanalyse«844 findet aber immerhin einen nachvollziehbaren Anknüpfungspunkt: der prophetische Traum Herbrants wird von Hache als insomnium interpretiert, also als natürlicher, d. h. nicht mantischer Traum. Hier wird Haags psychoanalytisches Vokabular845 wirksam: Hache übersetzt den Trauminhalt Adler in Wolfdietrich.846 Voraussetzung für diese von Hache angenommene Wolfdietrich-Adler-Assoziation847 sei der Adler auf dem Schild des Helden (D, IX, Str. 39, 1–3) sowie auf dem banier schæne (D, IX, Str. 3), 842 843 844 845

Scheibelreiter, Tiernamen, S. 89. Ebenso Lurker, Adler und Schlage, S. 153. Benez¦, Traummotiv, S. 35. Haag, Traum und Traumdeutung, S. 70. Die Psychoanalyse ist als methodischer Zugriff in der Mediävistik sehr umstritten. Die Diskussion über die Validität des psychoanalytischen Zugriffs auf mittelalterliche Texte ist sehr kompliziert und kann hier nicht neu geführt werden. Vgl. zu den Kontroversen und Diskussionen zum Feld der Psychoanalyse zusammenfassend Eming, Mediävistik und Psychoanalyse. Bezüglich des Traums steht Speckenbach, Kontexte, S. 298–316, der Methode ablehnend gegenüber. Vgl. auch Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 421. Ebenfalls ablehnend: Fischer, The Dream, S. 12. Bachorski, Träume, dagegen wendet sie auf den Herzeloyde-Traum an. 846 Haag, Traum und Traumdeutung, S. 70. 847 Ebd., S. 71.

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den Herbrant wie Hache aus vergangenen Tagen kennen.848 Den Traum versteht Haag im Anschluss daran als »unverhüllten Wunschtraum«849 : Herbrant träume von seiner Befreiung, weil er sich wünsche, befreit zu werden.850 Haag präzisierend kann man also sagen: Haches insomnium-Deutung legt nahe, dass man im Mittelalter davon ausging, dass eine Person auch in einem nicht mantischen Traum in Gestalt eines Symbols in Erscheinung treten kann, dass Assoziationsfelder dies beeinflussen können, die aus Tagesresten hervorgehen.851 Und: Wünsche können Wunschträume erzeugen.852 Die Vorstellung eines Prozesses von der Wahrnehmung eines Bildes in einem bestimmten Kontext bis hin zur Assoziationsbildung im Traum deutet sich also in Haches Traumdeutung an. Ob es in diesem Zusammenhang auch so etwas wie eine Vorstellung von unterbewussten Prozessen bei der Assoziationsbildung im Traum gab, darüber sagt die sehr kurze Bemerkung Haches allerdings nichts aus. Darüber ließe sich nur spekulieren. Für die Aussageorientierung lässt sich zunächst feststellen, dass Hache, da er eine innerpsychische Entstehungsweise des Traums annimmt, meint, Wolfdietrich werde von Herbrant als Adler gesehen, mit allen Eigenschaften freilich, die der Adler versinnbildlicht. Die Deutung des Bildes sagt dann aber vielmehr etwas über die Wahrnehmung des Deuters selbst aus, als über die des Traumempfängers, da der Traum mantisch ist, das Sinnbild also von außen an den Träumenden herangetragen wird und nicht aus seinem Inneren kommt. Herbrant selbst sieht in dem Adler ein Bild der Hoffnung auf Befreiung. Ob er ihn als Wolfdietrich versteht, bleibt dagegen offen. *

Was wird im Adler-Bild verdichtet?853 Der Adler findet sich auf dem Wappen des Helden und im Mittelalter galten Wappen, wie Kalckhoff herausgearbeitet hat, 848 Vgl. ebd., S. 67. 849 Ebd., S. 72. Zur Wunschtraumtheorie in der Psychoanalyse vgl. Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. GW II/III. 1900a, S. 127–136. 850 Ebd., S. 73. 851 Vgl. dazu das Iwein-Kapitel (VI.2, 4) in dieser Studie. 852 Vgl. zum Mittelalter Wittmer-Busch, Schlaf und Traum, S. 127: Träume, so glaubte man, würden »aus Wünschen und Tageserlebnissen gebildet« und damit auch als reine »Seelenprodukte« angesehen. Vgl. dazu auch Speckenbach, Kontexte, S. 302. Haupt, Träume der Frauen, S. 165, interpretiert den Traum Didos von Eneas (V. 1415–1425) als »erotischen Wunschtraum«. Sosna sieht in Iweins angeblichem Traumleben ein Wunschleben. Sosna, Anette: Fiktionale Identität im höfischen Roman um 1200: Erec, Iwein, Parzival, Tristan. Stuttgart 2003, S. 130. Walde, Traum und Traumdeutung, S. 42, verweist auf die Wunschtraumtheorie des Artemidor. 853 Zum Begriff der »Verdichtung« in der Mediävistik vgl. Bachorski, Träume, S. 36. Kragel,

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als »persönliche Erkennungszeichen«854. Sie repräsentierten ihre Träger,855 machten, wie Hartmann darlegt, eine »Aussage über die Selbsteinschätzung und das ›Wesen‹ des wappenführenden Adeligen«856. In der mittelhochdeutschen Literatur dienen sie u. a. der »punktuellen ›Charakterisierung‹ einzelner Figuren«, visualisieren deren Eigenschaften, sind »Symbol und Wesensausdruck« ihrer Träger.857 So besteht laut Zips eine »tiefverwurzelte Beziehung zwischen Mensch und Sinnbild«858. Wappen sind demnach keine »zufällig gewählten Attribute, sondern an die Figuren gezielt vergebene Ausweise«859. So lässt sich das Adler-Bild in mehrfacher Hinsicht auf den Helden beziehen. Der Adler etwa jagt Schlangen/Drachen.860 Dem Symbolbild entsprechend ist Wolfdietrich erfolgreicher Drachenkämpfer861, befreit Westrom von dem Übel. Der Drachenkampf des Helden kann dabei sinnbildlich als Heidenkampf verstanden werden, denn, wie die Symbolforschung allgemein darlegt, steht der Drache im Mittelalter für »gottfeindliche Kräfte«862, den »Widersacher Gottes«863. Seit Konstantin I. steht er »in imperialer Symbolik für […] das Heidentum«864, ist »Symbol für die Verfolger der Kirchen«865 und bedeutet als Attribut bei Heiligen das überwundene Heidentum.866

854 855 856

857 858 859 860 861

862 863 864

Florian: Alterität als Modell. In: Wie anders war das Mittelalter? Fragen an das Konzept der Alterität. Hrsg. von Manuel Braun. Göttingen 2013, S. 95–126, v. a. S. 111. Kalckhoff, Wappen, SWMediävistik, S. 893–895. Ebd. S. 894. Hartmann, Heiko: Grundformen literarischer Heraldik im Mittelalter am Beispiel der ›Krone‹ Heinrich von Türlin, in: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Zeitschrift des Mediävistenverbandes. Band 11. Heft 2. Wappen als Zeichen. Mittelalterliche Heraldik aus kommunikations- und zeichentheoretischer Perspektive. Hrsg. von Wolfgang Achnitz. München 2006, S. 28–52, hier : S. 44. Ebd. Zips, Manfred: Das Wappenwesen in der mittelhochdeutschen Epik bis 1250. Diss. Wien 1966, S. 347. [Unveröffentlichte Dissertation, zitiert nach: Hartmann, Grundformen, S. 31.]. Hartmann, Grundformen, S. 44. Lurker, Adler und Schlange, S. 39. Miklautsch, Montierte Texte – hybride Helden, S. 59, verweist in diesem Zusammenhang auf »Parallelen zum Ritterheiligen und Drachenkämpfer Georg«. Der Held trägt während der Drachenkämpfe das hemde des Ritterheiligen (D, VI, Str. 36, 2). Georg ist Wolfdietrichs Taufpate: du [St. Jerge] hüeb mich ˜z der toufe (D, VI, Str. 182) und damit »symbolischer Vater in geistlicher Hinsicht.« Kraß, Andreas: Der bastardisierte Ritter. Zur Dekonstruktion höfischer Identität im Großen Wolfdietrich. In: Ordnung und Unordnung in der Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Wolfgang Harms/Stephen C. Jaeger/Horst Wenzel in Verbindung mit Kathrin Stegbauer. Stuttgart 2003, S. 165–178, hier: S. 172. Das rote crucelin (D, V, Str. 149, 3f.), das Wolfdietrich seit seiner Geburt zwischen den Schulterblättern trägt, verweist wohl auf das Symbol des Ritterheiligen: ein rotes Kreuz auf weißem Grund. Später tritt der Held in den »Georgsorden« ein. Miklautsch, S. 59. Vgl. dazu D, X, Str. 11. Engemann/Binding, Drache, LexMA, S. 1339–1346, hier : S. 1339–1340. Ebd. Ebd.

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So wie der das Christentum repräsentierende Adler seinen »satanischen Widersacher«, den teuflischen Drachen,867 bekämpft, so erscheint Wolfdietrich als großer Heidenkämpfer. Er verkörpert, wie die Forschung darlegt, das Christentum mit seiner »massige[n] Frömmigkeit«868, seinem »kindlich unbegrenzte[n] Gottvertrauen«869, seiner »grobschlächtige[n] Kreuzzugsideologie«870, erscheint als »Idealbild des miles christianus«871 und somit als gottesfürchtiger Krieger,872 durch dessen Kämpfe die göttliche Ordnung immer wieder hergestellt wird.873 Der Adler steht für Kraft874, Stärke875, Heldenhaftigkeit876 und den Sieg877 über das Heidentum. Entsprechend ist Wolfdietrich »in jeder Altersstufe auf der Höhe seiner Perfektion«878, erscheint als »heroische[r], furchtlose[r] Kämpfer«879, ist dabei ausgestattet mit »übermenschliche[n] Kräfte[n]«880, erweist sich, wie Miklautsch darlegt, als »autonome[r] singuläre[r] Held, der in der Lage ist, sich und die Welt im Alleingang zu retten.«881 Immer wieder betont werden seine Stärke882 und manheit883, sein muot884 und seine Kühnheit885. Eine endlose Siegesserie gegen das Heidentum zieht sich durch den Wolfdietrich. Bereits im Alter von fünfzehn Jahren kämpft der Held in der Schlacht gegen den Heidenkönig Olfan von Babilon. Durch seine Hand fallen manege heidnische man (D, III, Str. 29, 4). Der helt tötet auf dem Weg zum 865 Steinmeyer, Allegorische Bedeutung, S. 90. 866 Engemann/Binding 1986, S. 1344–1345. Zu Sant Jerge vgl. D, VI, Str. 36, 1; 178, 4; 182, 1; VII, Str. 1, 4; 7, 4. 867 Lurker, Adler und Schlage, S. 39. 868 »Wolfdietrich«, in: Geschichte der Deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Dritter Band / Erster Teilband. Die Deutsche Literatur im späten Mittelalter. Begründet von De Boor, Helmut/Newald, Richard. Neubearbeitet von Janota, Johannes. 5. Auflage. München 1997, S. 161–163, hier : S. 162. 869 Kraß, Der bastardisierte Ritter, S. 173. 870 Heinzle, Joachim: »Wolfdietrich«, in: Literaturlexion. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hrsg. von Killy, Walter. Band 12. Gütersloh, München 1992, S. 399–401, hier : S. 400. 871 Kraß, Der bastardisierte Ritter, S. 178. 872 Miklautsch, Montierte Texte – hybride Helden, S. 173. 873 Ebd. 874 Elbern, Adler, LexTheologie, S. 147–148, hier: S. 147. 875 Ebd. 876 Biedermann, Adler, S. 16. 877 Dittrich, Adler, LexTiersymbole, S. 18. 878 Miklautsch, Montierte Texte – hybride Helden, S. 115. 879 Ebd., S. 187. 880 Baecker, Linde: Die Sage von Wolfdietrich und das Gedicht Wolfdietrich A. In: ZfdA 92 (1963), S. 32–82, hier : S. 38. 881 Miklautsch, Montierte Texte – hybride Helden, S. 186. 882 Stark: D, V, Str. 92, 1; 92, 3 usw. 883 D, VII, Str. 31, 2; VIII, Str. 244, 3 usw. 884 D, VI, Str. 235, 1; VII, Str. 57, 1 usw. 885 Küene: D, V, Str. 54, 1; 89, 1; 132, 2; 163, 1; 182, 4; VI, Str. 7, 2 usw.

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Analyseteil

Heiligen Grab zwölf ihn angreifende Heiden: Wolfdietrich der küene den oberen sic gewan (D, V, Str. 26, 2), tritt als »heldenepischer Riesenvernichter«886 in Erscheinung (D, V, Str. 56, 4–69, 4), besteht einen Kampf gegen sibenzic Heiden auf dem Meer (D, V, Str. 83, 1ff.) und verteidigt das Heilige Grab gegen heidnische Bedrohung (D, V, Str. 108ff.), wobei hier »Wolfdietrichs Fähigkeiten als Kreuzritter akzentuiert [werden]«887. Er bezwingt gemeinsam mit nur vierzic bruodern (D, V, Str. 126, 2) ein Heer von hundert t˜sent heiden (D, V, Str. 123, 2–138). Eine weitere Heidenarmee besiegt er vor Jerusalem (D, V, Str. 144, 3–161, 4). Im Kampf gegen Treferis (D, V, Str. 171ff.) erschlägt er eigenhändig fünf hundert man (D, V, Str. 188, 3). Heidenkönig Beli–n bezwingt er im Messerkampf: Er warf imz dritte mezzer […] / mitten durch s„n herze (D, VI, Str. 176, 1–2), besiegt anschließend dessen driu hundert heiden (D, VI, Str. 191, 3) usw. Der Adler ist Symbol der Könige und Kaiser,888 verweist, wie schon in Sinolds Adler-Traum im Orendel oder der Falke im König Rother, auf Wolfdietrichs vornehme Herkunft, seine Berufenheit zum Herrscher. Wolfdietrich verkörpert in diesem Sinne stereotyp-fürstenspiegelartig alle idealtypischen Eigenschaften eines Herrschers, ist tugentl„ch889, húchgeborn890, edel891 , frum892, keiserl„ch893, milte894, guot895 und kluoc896. Er steht damit in deutlichem Kontrast zu seinen Brüdern. Dem Angriff der Babylonier können die Christen kaum widerstehen (D, III, Str. 26, 2), allein der junge Wolfdietrich vermag die Schlacht zu wenden (D, III, Str. 28ff., vor allem Str. 38f.). Als Ortnit von dem König Hugendietrich hört, der ihm noch nicht Untertan ist, verkündet er : mir müezen die dr„ künege [Wolfdietrich und seine Brüder] ouch werden untert–n (D, III, Str. 49, 2). Er sendet Boten, die zinsen von dem oströmischen Herrscher verlangen (D, III, Str. 56). Wolfdietrichs Brüder haben Angst und raten dem Vater, die zinsen zu zahlen (D, III, Str. 58f.). Allein Wolfdietrich lässt sich nicht einschüchtern, lehnt

886 Miklautsch, Montierte Texte – hybride Helden, S. 157. 887 Ebd. 888 Vgl. dazu ausführlicher Dittrich, Adler, LexTiersymbole, S. 18–22, hier: S. 17. LucchesiPalli, Adler, LexMA, S. 153–154, hier : S. 153. Scheibelreiter, Tiernamen, S. 87. Kron, Adler, LexMA, S. 153–154, hier : S. 154. Belgrader, Adler, SWMediävistik, S. 7. Peuckert, Adler, HWdA, S. 174–189, hier : S. 176. Schramm, P.E.: Herrschaftszeichen und Staatssymbolik, I– III, Schriften der Monumenta Germaniae historica 13 (1954–1956), S. 897. 889 D, V, Str. 46, 1; 72, 2; 74, 1; 85, 1; 118, 2; 139, 4; 192, 1; 203, 3; 220, 1; VI, Str. 68, 4; 139, 1. 890 D, V, Str. 61, 1; 63, 3; 190, 4. 891 D, V, Str. 77, 3; 82, 4; 85, 3; 86, 1; 99, 4; 102, 1; 103, 2; 114, 4; 116, 2; 120, 2; 124, 1; 126, 1; 128, 3; 133, 4; 137, 2. 892 D, V, Str. 165, 3. 893 D, VI, Str. 65, 4; VII , Str. 96, 1. 894 D, VI, Str. 188, 1; 226, 2; VII, Str. 69, 2. 895 D, VI, Str. 22, 1; 224, 4. 896 D, VII, Str. 117, 2.

Heldendichtung

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die Zahlung von zinsen ab, scheut nicht die Auseinandersetzung mit dem anderen Herrscher (D, III, Str. 60f.), den er dann später auch ersetzt. Der Adler verweist als Christussymbol897 auf die Gottesnähe des Helden. Gott selbst bestätigt ihn nach seinem Sieg über die Drachen in der Rolle als Nachfolger Ortnits auf dem weströmischen Thron. So teilt ein Engel dem Helden mit: Wolfdietrich, daz gesmide sol dir erloubet sin; / gedenke Otnides sÞle durch die tugent din (D, VIII, Str. 150).898 Wolfdietrich erscheint somit als »gottgewollter Herrscher«899. 6.

Zusammenfassung

Herbrant erzählt einen hoffnungsvollen Traum, den er selbst für mantisch hält und der auch mantisch ist. Sein Traumdeuter Hache interpretiert ihn dagegen als insomnium, als Erinnerungsrest. Wolfdietrich hört die Erzählung mit. Haag meint, sie könne ihn zur späteren Befreiungsaktion motiviert haben, somit hätte die Traumerzählung handlungsprogressive Funktion. Allerdings widerspricht das dem triuwe-Begriff im Wolfdietrich: Die triuwe des Helden ist bedingungslos und braucht keinen zusätzlichen Impuls. Haags Argument, der Traum erfülle sich nicht in jeder Hinsicht, ist nicht haltbar, da der Adler nicht nur für Wolfdietrich stehen muss, sondern auch auf Christus verweisen kann, der die Befreiung dann bewirkt. Es ist ein prophetisch-symbolischer Traum. Trotzdem ist Haags These von den »Vorformen der Psychoanalyse« bemerkenswert, da Hache den Traum als insomnium versteht. Festzuhalten bleibt: Eine Person kann in einem nicht prophetischen Traum in Symbolgestalt erscheinen, durch Tagesreste entstehende Assoziationsfelder können diese Wahrnehmung beeinflussen. Wünsche können außerdem Wunschträume erzeugen. Über unterbewusste Prozesse lässt sich dagegen nichts sagen. Die Wahrnehmung Wolfdietrichs als Adler wird vom Traumdeuter angenommen und Herbrant unterstellt, zugleich wird diese Wahrnehmung mantisch vermittelt. Der Adler repräsentiert seinen Träger. Dessen ›Charakter‹ verweist offenbar auf die Drachen- und damit sinnbildlich auf die Heidenkämpfe Wolfdietrichs. Der Drache verweist auf den Teufel und das Heidentum, der Adler auf Christus, zugleich auf Wolfdietrich als großen Heidenkämpfer. Der Adler deutet auf seine Kraft hin, zudem, als Symbol der Könige und Kaiser, auf Wolfdietrichs Berufenheit zum Herrscher. Er steht stereotyp-fürstenspiegelartig für alle ide897 Scheibelreiter, Tiernamen, S. 89. Ebenso Lurker, Adler und Schlage, S. 153. 898 Entsprechend wird auch auf den Beistand Gottes immer wieder hingewiesen: Got mit sinem gwalte was im stæte bi (D, VI / 229, 1), Daz begunde erbarmen unsern herren Crist, / er kam ze helfen dem armen (D, VI / 239, 1–4). Zudem heißt es in einer Prophezeiung über Wolfdietrich, dass dieser an dem alter die krúne ob allen künegen han soll (D, VI / 93, 4). 899 Miklautsch, Montierte Texte – hybride Helden, S. 192.

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Analyseteil

altypischen Eigenschaften eines Herrschers, verweist als Christussymbol auch auf die Gottesnähe des Helden und die Gottgewolltheit seiner Herrschaft. Wie im König Rother der Falke ist hier der Adler ein vollkommen positiv konnotiertes Herrschersymbol, unter dem West- und Ostrom unter einem weströmischen Herrscher vereint werden. Eine weitere Traumerzählung aus dem Wolfdietrich D, Sidrats Löwentraumerzählung, bietet sich in diesem Zusammenhang zum Vergleich an, da sich hinsichtlich der Traumsymbolik auffällige Parallelen zum Adlertraum Herbrants ergeben.

VI.4.4 Sidrats Löwentraumerzählung im Wolfdietrich D 1.

Einbettung des Traums in den Wolfdietrich D

Die Traumerzählung Sidrats hat eine Vorgeschichte: König Ortnit, Sidrats Gemahl, wird im Kampf mit Drachen, die sein Herrschaftsgebiet bedrohen, getötet (vgl. dazu D, Str. VII, 212–215). Wolfdietrich erschlägt die beiden Drachen. Dabei helfen ihm – in zwei aufeinander folgenden Episoden – zwei Löwen, von denen einer stirbt (vgl. D, VIII, Str. 105, 2) und der andere, schwer verwundet, überlebt. Als Bezwinger der beiden Drachen ist der Held, so verspricht es ihm Sidrat, rechtmäßiger Nachfolger Ortnits (vgl. D, VIII, Str. 150). Wolfdietrich kehrt nach seinem Drachenkampf zurück, bringt seinen verwundeten Löwen zum Graben der Burg Sidrats, um anschließend wieder umzukehren und einen weiteren Drachen zu bezwingen. Von dem Burgwächter erfährt Sidrat, dass der Löwe am Burggraben liegt und zu dem Drachenkämpfer gehört (D, VIII, Str. 252). Sie verlangt daraufhin vom Priester, die Messe möge früher gesungen werden – ein Ablenkungsmanöver, damit sie den verwundeten Löwen unbemerkt in die Burg bringen lassen kann (vgl. D, VIII, Str. 253, 4ff.). Das Vorhaben scheitert und bringt die Soldaten des Burggrafen auf den Plan. Nun erzählt sie dem Burggrafen und dessen Gefolge den Löwen-Traum: mich muote ein troum sú starke do ich an m„m bette lac, (er irrt mich an dem sl–fe, ich w–nde, ez wære tac) Von dem ritter der die würme sol erslagen haben. mir getroumet wie er ein lewen bræht an den burcgraben. gÞnt mit mir durch den wunder, müge ez w–r ges„n (D, VIII, Str. 256–257).

Tatsächlich entdecken der Burggraf und sein Gefolge den Löwen am Burggraben. Der Graf will das Tier sogleich töten lassen, was Sidrat aber verhindern kann (D, VIII, Str. 259ff.). Der Held gelangt später zu Sidrat in die Burg. Der Graf erfährt davon und beschuldigt Wolfdietrich, er habe Ortnit ermordet. Dass der Held

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dessen Kleidung trägt, die er im Rahmen des Drachenkampfes erworben hat, wird als Beweis dafür angesehen (D, VIII, Str. 278f.).900 Gemeinsam mit seinem Löwen muss Wolfdietrich gegen den Burggrafen und sein Gefolge kämpfen (D, VIII, Str. 285f.), wobei der Löwe getötet wird (D, VIII, Str. 288). Sidrat kann schlichten und schlägt vor, man solle die erschlagenen Drachen suchen (VIII, Str. 297, 1–4). Diese werden auch gefunden. Das reicht aber immer noch nicht aus, weil Wolfdietrich scheinbar kein Erbe hat und damit zunächst nicht die Zustimmung des Gefolges bekommt: suln wir dem herren dienen umb daz würmel„n? / er h–t weder eigen noch erbe: wie möhte er unser herre s„n? (VIII, Str. 301, 3–4). Erst als Sidrat Gott um ein Wunder bittet, greift eine würmin an (D, VIII, Str. 303, 2). Nachdem Wolfdietrich diesen Drachen auch noch überwunden hat, wird er als neuer Herrscher anerkannt (D, VIII, Str. 317f.). Ortnits sterbliche Überreste werden bestattet (D, VIII, Str. 326), Wolfdietrich darf Sidrat heiraten und Kriuze unde krúne in Empfang nehmen (VIII, Str. 338, 1). Schließlich erzählt der Held auch von seinem verlorenen Erbe (D, IX, Str. 16). Sidrat erkennt erst jetzt, dass sie Wolfdietrich, den rechtmäßigen oströmischen Thronerben, geheiratet hat (D, IX, Str. 17). 2.

Forschungsstand

Diskutiert wurde diese Traumerzählung hauptsächlich von Haag, der die Wirkungsabsicht des »erfundenen Traum[s]«901 hinterfragt: Für Haag ist der Löwe »Symbol von Herrschaft«902, durch den »Wolfdietrich seinen Herrschaftsanspruch [an Sidrats Seite] präzisieren [kann].«903 Die »Übergabe des Löwen« verstehe Sidrat als entsprechendes wortzeichen (D, VIII, Str. 209, 2).904 Allerdings könne sie, weil ihre Machtposition nach Ortnits Tod geschwächt sei (vgl. D, VIII, Str. 12, 1f. und 13,4–14,4), dies nicht offen aussprechen.905 Auch die Bedeutung des Löwen könne sie »nicht offen legen«906. Dadurch dass sie der Traumerzählung eine mantische Quelle zuordne, überhöhe sie die »Löwenpräsenz ins Übersinnliche«907 und vermittle damit eine Symbolik, die ihr und Wolfdietrich förderlich sei.908 900 Die Anklage wirkt nicht wirklich plausibel, da Ortnit bereits seit 4 Jahren vermisst wird (vgl. D, VII, Str. 215) und alle meinen, die Drachen hätten ihn verschleppt (D, VII, Str. 212–213). 901 Haag, Traum und Traumdeutung, S. 75. So auch Fischer, The Dream, S. 147. 902 Ebd., S. 77. 903 Ebd., S. 78. 904 Ebd. 905 Ebd., S. 78–79. 906 Ebd., S. 79. 907 Ebd., S. 82. 908 Ebd., S. 83.

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Analyseteil

Neben der Frage nach der Figurenorientierung und der handlungsprogressiven Bedeutung des Traums werde ich mich im Folgenden insbesondere mit der Aussageorientierung dieser Traumerzählung auseinandersetzten, mit der Frage danach, welchen Sinn das Löwenbild produziert. Dabei möchte ich zum einen versuchen zu präzisieren, was bei Haag gemeint sein könnte, wenn er am Rande davon spricht, dass die Traumerzählung eine für Wolfdietrich und Sidrat förderliche Symbolik kommuniziere. Dabei geht es also zunächst um die Intention der erzählenden Figur. Zum anderen möchte ich auch darüber hinaus nach dem Gehalt des Löwenbildes fragen, warum es überhaupt in dieser Erzählung aufgegriffen wird, also welche Bedeutung es auch jenseits der Intention der Traumerzählerin erfüllt. In diesem Zusammenhang werde ich auch noch einmal vergleichend zurückkommen auf den oben bereits analysierten Adler-Traum Herbrants. 3.

Figurenlogische Orientierung und Progressionsorientierung

Sidrat erzählt den Traum, um damit eine Wirkung zu erzielen: Sie möchte, dass der Löwe in die Burg gebracht wird.909 Tatsächlich lenkt die Erzählung auch die Aufmerksamkeit der anderen Figuren auf das Tier. Alle gehen aufgrund der Erzählung zum Burggraben, um sich von der Präsenz des Löwen zu überzeugen: dú giengen junge und alte mit der keiser„n (D, VIII, Str. 257, 4). Die Erzählung hat also handlungsprogressive Bedeutung für diese Episode. Das Verhalten der fiktionsinternen Traumrezipienten lässt sich im Sinne der folk psychology mit Neugierde erklären: Der Burggraf und sein Gefolge wollen offenbar wissen, ob die Geschichte wirklich stimmt, wollen den Gehalt der Traumerzählung überprüfen. Allerdings sollen dann die Hunde auf das Tier gehetzt werden: dú wolten sie die hunde ˜f den lewen gehetzet h–n (D, VIII, Str. 259, 1). Die Löwentraumerzählung allein reicht also nicht aus, um das Tier zu retten. Sidrat muss erst Drohungen910 aussprechen, um den Löwen unversehrt in die Burg zu schaffen: swer mir hetzet daz tier m„n, des friunt wirde ich nimmer biz an daz ende s„n (D, VIII, Str. 259, 3f.). 4.

Traumvorstellung

Den Traum hat Sidrat erfunden. Er hat einen analeptischen Bezugspunkt, weil die Traumerzählung ihr Material aus der Vergangenheit bezieht. Der Zustand, den Sidrat in ihrer Traumerzählung beschreibt, ist bereits vor der Traumer909 So bereits Fischer, The Dream, S. 147. Haag, Traum und Traumdeutung, S. 76. 910 Vgl. dazu auch Haag, Traum und Traumdeutung, S. 85.

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zählung gegeben und er ist es auch noch nach der Traumerzählung, nämlich zu dem Zeitpunkt, zudem Sidrat den Grafen und das Gefolge zum Burggraben führt. Er ist also statisch, und das ist die Voraussetzung dafür, dass der Traum mantisch erscheinen kann. Sidrat verfügt gegenüber den anderen Figuren über einen Wissensvorsprung. Sidrat versucht, wie schon Haag feststellt, »prophetische Begabung [zu] suggerieren«911. Damit steht sie in einer langen Tradition.912 Auch im hohen Mittelalter war es, wie Wittmer-Busch herausgearbeitet hat, nicht unüblich, »nicht nur selbst auf Traumanweisungen zu achten, sondern sich mit solchen Botschaften an seine Mitmenschen zu wenden, um deren Verhalten in die gewünschte Richtung zu lenken.«913 Das tut Sidrat mit dieser Traumerzählung auch. Was sie dabei offenkundig anstrebt, ist eine politische Zustandsveränderung, zumindest versucht sie, diese einzuleiten, sie vorzubereiten: Wolfdietrich soll als neuer Herrscher legitimiert, der Weg dorthin soll ihm geebnet werden. Das Ganze wird durch ein vermeintlich prophetisches Traumbild eingerahmt. Die Legitimität Wolfdietrichs wird damit scheinbar über eine höhere, eine mantische Ebene kommuniziert. Das verleiht ihr einen entsprechenden Nachdruck.

5.

Aussageorientierung

Die Traumerzählung, wenngleich durch Sidrat erfunden, vermittelt die Wahrheit und ist auch in diesem Sinne motiviert: In ihr spiegelt sich die wahre Begebenheit, der wirkliche Drachenkampf wider, denn es gibt auch Betrüger wie den Herzog Gerw–rt (D, VIII, Str. 160f.), den untriuwen, dem es nur um die krún geht 911 Haag, Traum und Traumdeutung, S. 82. 912 Schon Artemidor (2. Jh. n. Chr.) warnt, wie Hopfner, Traumdeutung, S. 2242, herausgearbeitet hat, vor »Lug und Trug« in der Traumdeutung. Haag zitiert zudem Erzbischof Basilius von Cäsarea (4. Jh.): »Die nämlich Abgötter, Träume und Vorausbedeutungen bejahen und Weissagungen von Dämonen Beachtung schenken, […] halten die Wahrheit für nichts. […] Was die Zukunft betrifft, sagen sie oft schon Geschehenes vorher, […] sie verkündigen es wie etwas, das sein wird.« Ein solcher Traumerfinder sei »einer, der den Ruhm aus dem Anschein, ein Prophet zu sein, durch Betrug zu erjagen sucht.« Comm. In Isaiam VIII 218 (zu Jes. 8,19–22), Übersetzung: Haag, Traum und Traumdeutung, S. 82, FN 291. Die Strategie Sidrats entspricht diesem von Basilius beschriebenen Problem, allerdings positiv gewendet. Jedenfalls waren auch dem Mittelalter solche strategisch erfundenen Träume nicht unbekannt. Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 114, etwa weist auf ein Zitat von Kaiser Leo VI. (886–912) hin: »[Träume] zu erfinden und die Soldaten zu überreden, damit sie deinen Träumen, die den Sieg ankündigen, glauben, ist besonders zum Zeitpunkt des Krieges nützlich und notwendig.« Solche kriegstaktischen Traumerzählungen vor Schlachten sind seit der Antike keine Seltenheit. Weber (S. 252ff.) führt dazu mehrere Beispiele an. 913 Wittmer-Busch, Schlaf und Traum, S. 121.

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Analyseteil

(D, VIII, Str. 168). Dieser schlägt dem bereits toten Drachen den Kopf ab (D, VIII, Str. 164), um sich als Drachentöter darzustellen, und befiehlt seinen Dienstmannen, den wahren Bezwinger der Ungeheuer zu ermorden (D, VIII, Str. 167 sowie 180). Der Löwe ist somit ein der Traumerzählung immanentes Wahrheitszeichen mit Verweischarakter. Er verweist auf den echten Drachentöter, der mit dem Tier in einem direkten Verhältnis steht. In den Wunden des Löwen (vgl. u. a. D, VIII, Str. 261, 1) spiegelt sich die wirklich vollbrachte Heldentat, der wahre Drachenkampf wider. Somit deutet der Löwe auf den wahren Helden hin, den rechtmäßigen Nachfolger Ortnits, den zum Herrscher berufenen Wolfdietrich. Denn jener Held, der mit dem Löwen in ein Verhältnis gebracht wird, soll ja die wurme […] erslagen haben und steht somit in einem unlösbaren Verhältnis zu dem Löwen. Und das trifft nur auf Wolfdietrich zu, der auch im Kampf gegen den Burggrafen, der ihn beschuldigt, Ortnits Mörder zu sein (D, VIII, Str. 278f.), von dem Löwen verteidigt wird (D, VIII, Str. 285f.). Für Sidrat ist die Überwindung der Drachen Voraussetzung für die Herrschaft an ihrer Seite. So sagt sie: sleht er mir die würme, ich gibe im die hant / Garten unde Berne und allez daz ich h–n (D, VIII, Str. 28, 2–3). Er erfüllt ihre Bedingungen für die Herrschaft.914 Nun will sie ihm diesen Weg ebnen. Es ist eine strategische Traumerzählung,915 die Sidrat zum Zwecke der Legitimierung Wolfdietrichs erzählt.916 Sidrat will Wolfdietrichs Legitimität als Herrscher betonen.917 914 Auch die Rhetorik der Erzählung bereitet Wolfdietrichs Status als gesamtrömischer Kaiser vor, wenn er beispielsweise der keiserl„che Krieche (D, VI, Str. 65, 4) genannt wird. Schließlich ist Wolfdietrich durch Erbfolge zum Herrscher prädestiniert. Zwar wurde er um sein Erbe von seinen Brüdern betrogen, aber der Thron steht ihm rechtmäßig zu. Von einem Zwerg erfährt Wolfdietrich, dass seine Brüder die Macht, d. h. seine Herrschaft, in Konstantinopel übernommen und seine Dienstmannen gefangen genommen haben: ez sint die bruoder beide, die dir vor behaben / Kunstnopel und daz lant daz dir d„n vater geben h–t / lant und d„n erbe und die guoten stat. / So h–nt sie dir gevangen d„ne dienstman (D, VII, Str. 13–14, 1). 915 Vgl. Haag, Traum und Traumdeutung, S. 75. 916 Die Nähe zum Typ des Legitimationstraums, wie er für den König Rother in dieser Studie bereits diskutiert wurde, ist augenfällig. 917 Dieser Legitimierung des fremden Helden entspricht dem handlungsorientierten Figurenprofil Sidrats: Sie kann nur Wolfdietrich als Nachfolger Ortnits akzeptieren, denn er ist der stärkste Mann. Er hat Ortnit sogar in einem Zweikampf in einer früheren (in D nicht auserzählten) Begegnung besiegt und er hat die Drachen überwunden, an denen Ortnit gescheitert ist. Dass es einen Kampf zwischen Wolfdietrich und Ortnit gegeben hat, wird nur in einer kurzen intradiegetischen Erzählung erwähnt, wobei Wolfdietrich als Sieger genannt wird (D, VIII, Str. 27). In der Version B Str. 366ff. wird von einem Kampf zwischen den beiden erzählt. Wolfdietrich erweist sich in diesem Kampf als der überlegene Mann (vgl. B, II, Str. 372f.). Ortnit wird nach seiner Niederlage gegen Wolfdietrich sein geselle (B,

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Der Löwe steht aber offenkundig nicht nur für den realen Löwen, der Wolfdietrich begleitet, sondern auch als Symbol für seine Bezugsperson, den künftigen Herrscher des Lampartenlandes, ähnlich wie der Adler aus Herbrants Traum. Und dies geht bereits über Sidrats Intention hinaus. Der Held trägt an seinem (anderen?) schilte einen lewen von golde rút (D, VIII, Str. 82, 3). Das Löwenwappen wird, wie das Adlerwappen, von dem im Zusammenhang mit dem Herbrant-Traum bereits die Rede war, auf Wolfdietrich bezogen. Hier finden der Held und der reale Löwe ihre Gemeinsamkeit, wodurch ein Vergleich zwischen ihnen ermöglicht wird, auf den die Traumerzählung hinweist. So spricht der Held vor dem Drachenkampf zunächst seinen Schild-Löwen mit den Worten geselle lewe an und fordert ihn dazu auf, dinem gesellen, dem realen Löwen, zu helfen (D, VIII, Str. 97, 3–4). Wolfdietrich ist es, der diese an den Wappenlöwen gestellte Forderung dann selbst erfüllt. Er wird zum Helfer des Tieres. Zudem bezeichnet er auch sich selbst im Folgenden als geselle des Löwen: sú wolte ich mit str„te aber d„n geselle s„n (D, VIII, Str. 95, 4).918 Die Rede an den Wappenlöwen richtet der Held wohl eigentlich an sich selbst. Im Folgenden wird die Wolfdietrich-Figur dann auch dem realen Löwen angenähert. So sagt der Held zu diesem: hærstu ez, lewe wilde, hilf ich dir niht ˜z nút, / ich gefüer dich nimmer mÞre an m„nem schilte rút (D, VIII, Str. 86, 3–4). Hierbei wird auf semantischer Ebene die Unterscheidung von realem und symbolischem Löwen aufgehoben: die Personalpronomen dir und dich werden unterschiedslos gleichzeitig auf den realen Löwen und den Wappenlöwen angewendet. Der Löwe auf dem Schild wird auf diese Weise mit dem realen Löwen identifiziert, spiegelt sich in ihm wider, erscheint als dessen Abbild. Steht der Wappenlöwe also symbolisch für Wolfdietrich und ist zugleich ein Abbild des realen Löwen, dann verschwimmt in diesem tertium comparationis auch die Grenze zwischen dem Helden und dem realen Raubtier. Der Drachenkampf als sinnbildliche Anspielung auf den Heidenkampf Wolfdietrichs wurde bereits oben ausführlich analysiert. Der Löwe ist in seiner positiven Bedeutung wie der Adler vor allem als Christussymbol,919 als Sinnbild II, Str. 379). Zum Aspekt der Freundschaft zwischen Ortnit und Wolfdietrich vgl. Miklautsch, Montierte Texte – hybride Helden, S. 144ff. 918 Gleiches gilt im Übrigen für den zweiten Löwen, auch hier heißt es geselle lewe (D, VIII, Str. 233, 3; 242, 1; 245, 4; 263, 3; 282, 2; 283, 3; 289, 2). 919 Drei spezielle Eigenschaften des Löwen beziehen sich nach dem Physiologus auf Christus: »Das Verwischen seiner Spuren mit dem Schwanz bedeutet das Verstecken der Göttlichkeit Jesu in der Inkarnation«. Vgl. Trageser, Löwe, SWMediävistik, S. 493. Im Physiologus heißt es, dass auch Christus seine Spuren, seine Göttlichkeit, verwischt habe: So teta unser trotin, to er an der uuerilte mit menischon uuas, ze diu, daz ter fient nihet uerstunde, daz er gotes sun uuare. Althochdeutscher Physiologus (= Älterer Physiologus), in: Wilhelm, Denkmäler dt. Prosa, S. 4–20. Elektronischer Text hergestellt (und lemmatisiert) in der Trierer Ar-

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Analyseteil

der Macht Gottes,920 als »Zeichen der Überwindung des Bösen«921 dem Drachen diametral entgegengesetzt. Er steht für die »Abwehr der Dämonen und überhaupt böser Einflüsse«922. Vor dem feurigen Löwen – der göttlichen Liebe – erschrickt der Teufel.923 So wie der Held den Löwen schützt – Tier, du gerst m„ner hilfe, die will ich dir niht versagen (D, VIII, Str. 86, 1) –, so schützt er auch das Christentum. Wie der Adler so versinnbildlicht auch der Löwe die Qualitäten Wolfdietrichs als Krieger. So gilt der Löwe schon der alttestamentarischen Welt als »Held der Tiere«924, steht im Mittelalter, wie die Symbolforschung herausgearbeitet hat, für »furchterregende Stärke«925, für »unbändige Kraft«926, »ungezähmte Wildheit«927, »Angriffsmut«928, »Kriegstugenden«929, »kriegsmut«930 und »Tapferkeit«931 und wird als »Vorbild des heroischen Menschen«932 gesehen, als »Sinnbild aller, dem Menschen machtvoll […] innermenschlichen […] Kräfte«933. Wie der Adler so ist auch der Löwe »Symbol hoher Mächtigkeit«934, versinnbildlicht »herrschaftliche Macht«935. Im Traumbuch Achmets heißt es: »Der Löwe bedeutet die Person des Kaisers.«936 Als princeps omnium bestiarium937, als

920 921 922 923 924 925 926 927

928 929 930 931 932 933 934 935 936

beitsstelle für das Mittelhochdeutsche Wörterbuch. Export aus der MWB-Datenbank am 02. 11. 2009, S. 1. Zudem wird »das Schlafen mit offenen Augen [als] das Fortleben der göttlichen Natur Jesu auch im menschlichen Tod am Kreuz« gedeutet. Vgl. Trageser, Löwe, SWMediävistik, S. 493–495, hier: S. 493. Des Weiteren wird »die Belebung der totgeborenen Jungen durch dreifaches Anhauchen/-brüllen des Vaters [als] die Auferstehung Christi oder die Erlösung der Menschen durch Jesu Kreuztod gedeutet (vgl. den Todesschrei Jesu Mt. 27, 46)«. Vgl. Trageser, S. 493. Im Physiologus heißt es dazu: So diu leuin birit, so ist daz leuinchelin tot, so beuuard su iz unzin an den tritten tag. Tene so chumit ter fater unde blaset ez ana, so uuirdit ez erchihit. So uuahta der alemahtigo fater sinen einbornin sun uone demo tode an deme triten tage. Althochdeutscher Physiologus, S. 1. Forstner/Becker, Löwe, LexChristliche Symbole, S. 197–204, hier: S. 199–200. Liebl, Löwe, LexMA, S. 2141–2142, hier : S. 2141. Heinz-Mohr, Löwe, LexSymbole, S. 190–193, hier : S. 190. Forstner/Becker, Löwe, S. 202. Frevel, Löwe, LexTheologie, S. 1069–1070, hier : S. 1069. Heinz-Mohr, Löwe, S. 190. Ebd., S. 191. Ebd. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Wolfdietrich mehrfach als wilde (D, V, Str. 132, 4; D, VI, Str. 24, 4; 174, 1) bezeichnet wird – ebenso wie die beiden ihm beistehenden Löwen (D, VIII, Str. 83, 4; 84, 4; 85, 1; 86, 3; 88, 1; 94, 1; 95, 1; 97, 1; 226, 4; 227, 2; 228, 1; 236, 4.). Lurker, Löwe, WBSymbole, S. 443. Biedermann, Löwe, S. 275. »Löwe«, in: Deutsches Wörterbuch von Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm. Bearbeitet von Hübner, Arthur und Neumann, Hans. Band 12. Leipzig 1935, S. 1216. Trageser, Löwe, SWMediävistik, S. 493–495, hier : S. 493. Biedermann, Löwe, S. 274. Trageser, Löwe, S. 493. Forstner/Becker, Löwe, S. 197. Ebd., S. 199 Traumbuch des Achmet, Nr. 267, S. 210.

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»König der Tiere«938, wurde der Löwe zu einem »königliche[n] Zeichen«939. Entsprechend erscheint er in der Heraldik »oft in der Verbindung mit Herrschenden«940. So trugen viele Königs- und Fürstengeschlechter das Löwenwappen.941 Die Korrespondenz zwischen dem Adler aus dem Herbrant-Traum und dem Löwen aus Sidrats Traumerzählung ist dabei signifikant: Beide werden im Sinne der Aussageorientierung auf Wolfdietrich bezogen, beiden wurde auch, wie Lurker feststellt, eine »vergleichbare Stellung zugesprochen«942. Adler und Löwe sind »ihrem inneren Wesen nach verwandt, beide sind Raubtiere, beide sind Symbol der Herrschaft.«943 So meint Lurker, dass »das eine Tier in seiner Wertigkeit gegen das andere ausgetauscht werden [kann].«944 Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die »partielle Gleichwertigkeit von Löwe und Adler diese beiden Tiere […] zu einem Mischwesen verschmelzen [ließ]«945. Miklautsch stellt fest: »Strategie des Textes ist es, die Exemplarität und Vorbildhaftigkeit des Helden immer wieder neu zu betonen, was einhergeht mit der völligen Entfernung negativer Elemente aus der Figur.«946 Die Idealität des Helden und die Gottgewolltheit seiner Herrschaft werden also auch hier, ebenso wie in Herbrants Adler-Traum, betont.

Lurker, Löwe, S. 443. Ebd. Biedermann, Löwe, S. 275. Filip, Löwe, LexMA, 2141–2142. Ebd. Lurker, Adler und Schlage, S. 120. Ebd., S. 121. Ebd. Lurker verweist etwa darauf, dass das hebräische Wort ar˜ Adler bedeutet und übersetzt »Löwe des Himmels« heißt. 945 Ebd., S. 130. 946 Miklautsch, Montierte Texte – hybride Helden, S. 19. Sie bezeichnet Wolfdietrich daher auch als »krisenlose[n] Held[en]«. Eine Gegenposition dazu vertritt Haag, Traum und Traumdeutung, S. 77, der in der Gefangennahme Wolfdietrichs durch die Drachen eine »Identitätskrise« des Helden dargestellt sieht. Schulz, Erzähltheorie, S. 89–90, sieht zwar nicht direkt eine Krise dargestellt, betont aber zu Recht, dass die Erzählung als Ganzes die Deplaziertheit Wolfdietrichs vor Augen führt: »Gezeigt werden soll, daß der exzeptionelle Held, der von seinem Erbe verstoßen worden ist, nirgendwo so recht ›dazugehört‹«. So verhalte der Held sich in der »höfischen Welt unpassend, indem er dort mit archaischem Benehmen […] auftritt; aber auch in der mythisch-archaischen Welt jenseits des Höfischen erscheint er merkwürdig deplaciert, wenn er ihren Vertretern als formvollendeter […] charmant plaudernder Elegant entgegentritt […]. Überall ist er ein Fremdkörper […]. Kosequent durchgeführt und vorgeführt erscheint so die unfassende Desintegration des Helden.« Tatsächlich erscheint dies auch erst dann überwunden, wenn Wolfdietrich zum Herrscher über West- und dann noch über Ostrom wird. 937 938 939 940 941 942 943 944

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Zusammenfassung

Sidrats Traumerzählung ist erfunden. Die Erzählerin kann damit prophetische Begabung vortäuschen, weil sie einen Wissensvorsprung gegenüber den intradiegetischen Hörern ihrer Erzählung hat. Sie weiß bereits, dass der Löwe am Burggraben liegt. Die Erzählerin des Traums steht damit in einer alten auf die Antike zurückgehenden Tradition strategisch erfundener Traumerzählungen, deren Funktion zumeist politischer oder kriegsstrategischer Natur war. Sidrat strebt eine politische Zustandsveränderung mit ihrer Erzählung an. Sie verfolgt das Ziel, Wolfdietrich als künftigen Herrscher des weströmischen Reiches zu legitimieren, ihm den Weg auf den vakanten Thron Ortnits zu ebnen. Kriterium ihrer Entscheidung ist der erfolgreiche Drachenkampf des Helden. Wolfdietrich hat gezeigt, dass er das Reich schützen kann – was Ortnit nicht vermochte. Wolfdietrich ist also, wie Miklautsch feststellt, der »›bessere‹ Held«947. Der Löwe aus der Traumerzählung trägt zur Zeichnung der WolfdietrichFigur, zu seinem Profil als idealtypischem Herrscher, bei. Als Christussymbol verweist der Löwe auf die Funktion Wolfdietrichs als Heidenkämpfer, als Herrscher, der die Christenheit schützt und sie erweitert. Der Löwe steht für die Kraft des Helden, die ihn zum Herrscher prädestiniert – nur der Stärkste darf herrschen, denn nur der Stärkste kann die Christenheit verteidigen, kann sich als Schutzherr des Christentums bewähren. Der Löwe verweist als Herrschaftssymbol auf die Erwähltheit Wolfdietrichs zum gesamtrömischen Kaiser, der er am Ende auch wird. Es ist ein aussagelogisches Profil, das mit dieser Traumerzählung konstruiert wird. Die Traumerzählung hat v. a. Bedeutung für die Sidrat-Figur. Mit ihr kommt ein Brautwerbungsmuster ins Spiel, das sich zu den anderen Gattungen gesellt, die im Wolfdietrich D gemischt werden.948 Die Position der Braut ist schwach, sie hat kaum Handlungsspielraum. Durch den Traum gewinnt sie ein wenig an Einfluss auf ihre Umwelt. Die Traumerzählung bietet ihr die Möglichkeit, die eigene Handlungskompetenz zu erweitern. Ein ähnliches Muster findet sich auch in der Brautwerbungsdichtung Salman und Morolf. Hier versucht die Braut ihrer Hinrichtung mit Hilfe einer offenkundig erfundenen Traumerzählung zu entgehen.949 Auch hier stärkt die Traumerzählung die Handlungskompetenz der Figur. 947 Ebd., S. 19. 948 Vgl. dazu ebd., S. 18ff. 949 Dú sprach die frouwen [Salme] wolget–n / ›Salm–n, ich wil dir sagen einen droum: / mir troumte h„nt in diser nacht / daz ich an d„nem arme entslief / und mir sú liebe nie beschach. / ZwÞn valken flugen mir ˜f die hant. / der troum der ist mir wol erkant: / daz ist ein sune lobel„ch, / der sol n–ch dir besitzen, / d„n vil w„tez kunigr„ch.‹ (Salman und Morolf, Vv. 534–

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Die Träume im Wolfdietrich vermitteln beide, ähnlich wie die Traumerzählung im König Rother, eine positive politische Perspektive. Hier gesellt sich also neben die Brautwerbungsthematik auch eine politische. In den Träumen geht es jeweils um die Idealisierung eines Herrschers, der seinen weströmischen Herrschaftsbereich mit dem oströmischen verbindet. Somit ergeben sich hier Parallelen durch die politische Thematik beider Erzählungen. Auch die Symbolik funktioniert entsprechend: Wie der Falke im Rother so sind auch Adler und Löwe im Wolfdietrich vollkommen positiv konnotierte Herrschersymbole, unter denen West- und Ostrom vereint werden. Die Bilder, die sich kontextabhängig nur ad bonam partem verstehen lassen, verweisen auf Idealität und Überlegenheit weströmischer Herrschaft. Der Kreuzzugsthematik entsprechend, die ebenfalls im Wolfdietrich zur Geltung kommt, stehen die Symbole auch für die kriegerischen Qualitäten des Helden. Auf erzähltechnischer Ebene fällt auf, dass sich die Träume im Wolfdietrich, wie im Orendel, in der Realität der fiktiven Welt relativ schnell auflösen. Diese Ähnlichkeit hängt mit der episodischen Erzählweise beider Texte zusammen: Was geschieht, ist nur für eine Episode relevant, jedoch nicht darüber hinaus. Das gilt auch für die Träume. Diese lösen sich in ihrem Symbolgehalt noch innerhalb der Episode auf, in der sie erzählt werden, haben aber keine Bedeutung für die jeweils nächste Episode. Dieser Erzählweise entsprechend, sind die Spannungsphasen, die mit der Traumerzählung geschaffen werden, immer relativ kurz, anders als im Nibelungenlied oder in der Rabenschlacht, in denen der Bogen deutlich weiter gespannt wird. Festzuhalten bleibt jedoch, dass beide Erzählungen eine Aussage vermitteln, die sich ganz beliebig aus jeder Episode des Wolfdietrich ableiten lässt: die Idealität des Helden. Die Träume müssten vor diesem Hintergrund eigentlich nicht erzählt werden. Auch in atmosphärischer Hinsicht bleiben sie blass. Für die Handlungsführung kann auf sie verzichtet werden. Es stellt sich damit die Frage, warum sie überhaupt erzählt werden. Sind sie womöglich Gattungsinventar, wie in den Islandsagas?950 Dagegen ließe sich natürlich einwenden, dass der Traum in der mittelhochdeutschen Dichtung zwar gattungsübergreifend häufig vorkommt, aber kein Merkmal einer bestimmten Gattung ist. Allerdings 541.). Zitiert nach: Salman und Morolf (mhd./nhd.), Originaltext nach Friedrich Vogt (durchgesehen und verbessert). Prosaübersetzung von Wolfgang Spiewok und Astrid Guillaume, mit Bildern aus dem Straßburger Druckes von 1499. (WODAN 60) Greifswald 1996. Zur Diskussion über den Traum vgl. Schmitz, Traum und Vision, S. 47f., Fischer, The Dream, S. 74ff. und Haag, Traum und Traumdeutung, S. 86ff. 950 In jeder Isländersaga kommen im Durchschnitt drei bis vier Träume vor. Vgl. dazu Hallberg, Peter : Die isländische Saga. Bad Homburg, Berlin, Zürich 1965, S. 94. Schmid, Hans Ulrich: Gudrun, Gisli, Gunnar … Träume(r) in altisländischer Literatur. In: Traum und Vision in der Vormoderne. Traditionen, Diskussionen, Perspektiven. Hrsg. von Annette Gerok-Reiter/Christine Walde. Berlin 2012. S. 161–174, hier : S. 162.

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ist der Wolfdietrich auch ein Gattungshybrid. Daher könnte man vielleicht sagen: Da der Traum als Motiv gattungsübergreifend vorkommt, erscheint er auch im Wolfdietrich, der die verschiedenen Gattungen mischt. Mit anderen Worten: Die Träume werden erzählt, weil sie zum Inventar des Wolfdietrich als Gattungsmischung gehören.

VI.5 Artusepik VI.5.1 Der Traum der Herzeloyde im Parzival Wolframs von Eschenbach 1.

Der Text: Wolframs von Eschenbach Parzival

Wolframs von Eschenbach (um 1160/80 – um/nach 1220) Parzival951, wohl aus dem ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts952, ist ein der Artusepik angehörender höfischer Versroman, Mertens spricht auch von einem »arthurischen Gralsroman«953. Er erzählt zunächst von Parzivals Eltern: Der landlose Ritter Gahmuret von Anschauwe gerät während seiner Abenteuerfahrten ins Morgenland, befreit dort die von Feinden bedrängte Heidenkönigin Belakane von Zazamanc und heiratet sie. Durch Abenteuerlust getrieben, verlässt er sie heimlich. Belakane, bereits schwanger, bringt später den gemeinsamen Sohn Feirefiz zu Welt. Durch ritterliche Tüchtigkeit erlangt der Held anschließend die Hand der verwitweten Königin Herzeloyde und deren Herrschaft. Wiederum durch Abenteuerlust gedrängt, verlässt er Herzeloyde mehrfach und verliert dabei schließlich sein Leben. Die Königin bringt kurz darauf den gemeinsamen Sohn Parzival zur Welt und zieht ihn, fern der gefahrvollen ritterschaft, in der Einöde von Soltane auf. Dem Knaben begegnen eines Tages Ritter in glänzender Rüstung. Er hält sie alle für Gott, weil sie, der Gottesbeschreibung seiner Mutter entsprechend, hell sind wie der Tag. In seinem Drang nach Ritterschaft verlässt er seine Mutter, die infolgedessen stirbt, ohne dass er dies mitbekommt. Auf seinem Weg zum Artushof tötet der tumbe Knabe den Ritter Ither aus Verlangen nach dessen glänzender roter Rüstung. Vom Artushof aus führt ihn sein Weg zu Gurnemanz, bei dem er seine ritterliche Ausbildung nachholt. 951 Ich zitiere im Folgenden nach: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Band 1 und 2. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung und Nachwort von Wolfgang Spiewok. Stuttgart 2010. 952 Zur Datierung vgl. Mertens, Volker : Der deutsche Artusroman. Stuttgart 1998, S. 101–102. 953 Mertens, Artusroman, S. 101 und 105. Mertens verweist zudem auf Elemente der Chanson de geste, des Liebes- und Reiseromans u. a.

Artusepik

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Anschließend befreit er Condwiramurs, die Königin des Landes Brobarz, und gewinnt ihre Hand. Seine Abenteuerlust aber treibt ihn weiter an und führt ihn bis zur Gralsburg Munsalwäsche. Hier begegnet er Gralskönig Anfortas, versäumt es aber, den an einer schweren Verwundung Leidenden durch die Mitleidsfrage zu erlösen. Auf seinem weiteren Weg gelangt er erneut zu Artus. Hier wird er von der Gralsbotin Kundri für sein Frageversagen auf der Gralsburg verflucht. Zugleich wird Artusritter Gawan eines heimtückischen Mordes bezichtigt und zu einem Zweikampf herausgefordert, der in vierzig Tagen stattfinden soll. Der nun mit Gott hadernde Parzival bricht zur Gralssuche auf, parallel dazu macht sich Gawan auf den Weg nach Ascalun, wo der Zweikampf stattfinden soll. Des Weiteren wird nun vor allem von den ritterlichen Bewährungsproben Gawans erzählt, der schließlich selbst zur Gralssuche verpflichtet wird. Parzival trifft unterdessen auf den Einsiedler Trevrizent, den Bruder Anfortas’, der ihn über den Gral belehrt und mit Gott versöhnt. Von ihm erfährt er auch von dem Tod seiner Mutter. Nach einem Zweikampf mit Gawein, der sich aufgrund eines Missverständnisses ergibt, das aber aufgeklärt werden kann, begegnet Parzival seinem Halbbruder Feirefiz. Während des Zweikampfs zerspringt Parzivals Schwert. Durch die Unterbrechung können sich die beiden als Brüder erkennen. Sie reiten gemeinsam zum Artushof, an dem auch Kundri erscheint und sie zur Gralsburg führt. Hier kann Parzival die Mitleidsfrage nachholen, Anfortas erlösen und zum Gralskönig erhoben werden. Weiter wird von den Söhnen Parzivals und Condwiramurs berichtet und vom Übertritt Feirefiz’ zum Christentum aus Liebe zur Gralsträgerin Repanse de Schoye, der Schwester des Anfortas.

2.

Herzeloydes Traum

Der Traum der Herzeloyde wird erzählt, kurz bevor die Botschaft vom Tod Gahmurets überbracht wird: Diu vrouwe umb einen mitten tac eins angestl„chen sl–fes pflac. ir kom ein vorhtl„cher schric. si d˜hte wie ein sternen blic si gein den lüften vuorte, d– si mit creften ruorte manc viur„n donerstr–le. die vlugen al zem–le gein ir : dú sungelt und sanc von gänstern ir zöpfe lanc. mit crache gap der doner duz:

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Analyseteil

brinnende zäher was s„n guz. ir l„p si d– n–ch vant, dú zucte ein gr„fe ir zeswen hant: daz wart ir verkÞrt hie mite. si d˜hte wunderl„cher site, wie si wære eins wurmes amme, der s„t zervuorte ir wamme, und wie ein trache ir brüste süge, und daz der g–hes von ir vlüge, sú daz si in nimmer mÞr gesach. daz herze er ir ˜z dem l„be brach: die vorhte muosen ir ougen sehen. ez ist selten w„be mÞr geschehen in sl–fe kumber dem gel„ch (Vv. 103, 25–104, 19).

Die Forschung ist sich weitestgehend einig darüber, dass der Traum den Tod Gahmurets vorausdeutet, der direkt nach dem Erwachen Herzeloydes verkündet wird (105, 1ff.),954 ferner die Geburt Parzivals (V. 112,5),955 die sich 14 Tage später ereignet, und auf seinen Aufbruch vielleicht 14 Jahre später (V. 128,13)956 verweist, sowie auf den Tod Herzeloydes infolge des Verlassenwerdens.957

954 Vgl. Deinert, Wilhelm: Ritter und Kosmos im Parzival. Eine Untersuchung der Sternkunde Wolframs von Eschenbach. München 1960 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, 2), S. 8. Hesse, Hans-Rudolf: Herzeloides Traum, in: GRM, 43 (1962), S. 306–309, hier : S. 309. Hatto, Arthur T.: Herzeloyde’s Dragon-Dream, in: German Life and Letters 22 [1968/69] S. 16–31, hier : S. 16. Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 79. Speckenbach, Klaus: Von den troimen. Über den Traum in Theorie und Dichtung, in: »Sagen mit sinne.« FS für Marie-Luise Dittrich zum 65. Geburtstag (GAG 180). Hrsg. von Helmut Rücker/Kurt Otto Seidel. Göppingen 1976, S. 169–204, hier : S. 185. Nellmann, Eberhard: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann. Übertragen von Dieter Kühn. 1 (Bibliothek des Mittelalters 8) 1994, S. 510. Fischer, The Dream, S. 119. Skeptisch dagegen Roßkopf, Traum der Herzeloyde, S. 8ff. 955 Vgl. etwa Hartmann, Heiko: Gahmuret und Herzeloyde, S. 301. Müllneritsch, Helga: Letale Mutterliebe: Szenen einer Mutter-Kind-Beziehung. In: Concilium medii aevi 13 (2010), S. 19–44, hier: S. 20 und 26. 956 Parzival ist bei seinem Aufbruch vielleicht 14 Jahre alt, jedenfalls wird er bei seiner ersten Begegnung mit den Rittern junchÞrre (V. 122,15) genannt, das würde laut Sassenhausen auf ungefähr dieses Alter verweisen. Vgl. dazu Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach »Parzival« als Entwicklungsroman. Köln 2007, S. 135. 957 Vgl. dazu Baisch, Martin: »Die Bedeutung der Varianz«, in: Kulturen des Manuskriptzeitalters: Ergebnisse der amerikanisch-deutschen Arbeitstagung an der Georg-AugustUniversität Göttingen vom 17. bis 20. Oktober 2002. Hrsg. von Arthur Groos/Hans-Jochen Schiewer. Göttingen 2004, S. 11–39, hier : S. 23. Ebenso Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach. 8., völlig neu bearbeitete Auflage, Weimar 2004, S. 52.

Artusepik

3.

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Forschungsstand

Der Traum der Herzeloyde wird in der Forschung breit und kontrovers diskutiert. Alle Ebenen der Erzählweise werden dabei in der einen oder anderen Weise berücksichtigt. Die Frage, ob Herzeloyde den Traum versteht, wird unterschiedlich bewertet. Brall-Tuchel etwa spricht von Hellsichtigkeit.958 Worin diese genau besteht und ob das von Bedeutung für Figurenreaktion und Handlungsprogression ist, lässt er allerdings offen. Classen meint, Herzeloyde begreife nicht die »tiefergehende Bedeutung des Traumes«, wehre sich »bloß dagegen«, bemühe sich, »die Erinnerung daran so schnell wie möglich abzuschütteln«959. Herzeloyde würde das »unbewußt Wahrgenommene« nicht »geistig […] durchdringen«960. Deswegen gelinge es ihr nicht, »das Übel an der Wurzel zu packen«961. Doch wie Herzeloyde das »Übel« an der Wurzel packen sollte und was dieses Übel eigentlich sein soll, bleibt völlig unklar, ebenso, warum sie die Erinnerung an den Traum angeblich abschütteln möchte. Auch unklar ist, weshalb Classen glaubt, dass Herzeloyde sich gegen die Erinnerung wehrt, da im Parzival keine Hinweise darauf zu finden sind. Schmitz meint, der Traum habe »keinen Einfluß auf die Entwicklung der Handlung«, löse also keine Handlung aus.962 So argumentiert auch Fischer : »[T] he dream itself generates nothing. […] it is simply an anticipatory digression«963. Haupt dagegen verweist auf die Angst, die der Traum auslöse964 und behauptet, Herzeloyde arbeite durch ihren Rückzug nach Soltane der Logik der Traumprognose entgegen.965 Die Frage, welche Auffassung dem Traum zugrunde liegt, wird intensiv diskutiert und sehr unterschiedlich bewertet. Roßkopf spricht von einer »Traumvision«966. So sieht es auch Fischer, der jede andere Lesart ablehnt: »Herzeloyde’s 958 Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 88. 959 Classen, Narrative Funktion, S. 21. 960 Ebd., S. 22. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang, dass Unterbewusstsein, Fortuna und Gott für Classen offenkundig das gleiche sind (S. 21). Wo er da einen Zusammenhang sieht, bleibt völlig unklar. Der Aufsatz wirkt auch insgesamt so undifferenziert, dass kein wissenschaftlicher Wert der Ausführungen zu erkennen ist. Es entsteht der Eindruck, dass es dem Autor an grundlegender Sachkenntnis mangelt. 961 Ebd., S. 21. 962 Schmitz, Traum und Vision, S. 76. 963 Fischer, The Dream, S. 122. 964 Haupt, Träume der Frauen, S. 166. 965 Ebd., S. 168. 966 Roßkopf, Traum der Herzeloyde, S. 3. Dinzelbacher, Vision, S. 42, sieht eine Nähe zwischen Traumvision und ekstatischer Vision: In beiden Fällen kommt es zu einem »Austritt der Seele« aus dem Körper. Für die Traumvision aber erfolge dies, anders als bei einer ekstatischen Vision, im Zustand des Schlafes. Speckenbach dagegen unterscheidet zwischen allegorischen Träumen, die der Auslegung bedürfen, und der Traumvision, bei der der Traumempfänger normalerweise »eine Aufforderung oder Unterweisung durch Gott oder

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Analyseteil

dream has nothing to do with previous thoughts«967. Der Traum sei mantisch, ein somnium.968 Auch Baisch spricht dem Traum »prophetische Qualitäten« zu.969 Doch bereits Schmitz sieht in Herzeloydes Traum mehr, nämlich auch die Darstellung eines »innermenschliche[n], psychische[n] Phänomens«970, spricht von einem »natürliche[n] Zustandekommen« des Traums, einer der Ahnung nahe stehenden »Zukunftsschau«971. Der Traum leuchte in »seelische Bezirke« hinein, habe seine Ursache in der Schwangerschaft Herzeloydes.972 Schmitz meint aber auch, Wolfram habe sich der »magischen Wirkkraft […] des Traummotivs« nicht ganz verschließen können,973 spricht von Mantik, wobei der Traum aber »nicht göttlichen Ursprungs«974 sei. Konkreter wird er dabei aber nicht. Brall-Tuchel spricht von einer »religiös inspirierte[n] […] Vision«975, zugleich aber auch von »Selbstwahrnehmung«976. Bachorski liest den Traum psychoanalytisch.977 Er gehe aus Tagesresten hervor,978 sei Resultat von Herzeloydes »Traumarbeit«979, motiviert durch ihre Angst wegen Gahmurets Abwesenheit980, ihr »sehnsüchtiges Warten« auf ihn, ihren Wunsch nach seiner Nähe981. Er offenbare zudem gewalttätige sexuelle »affektive Phantasien«982, bezogen auf den

967 968 969 970 971 972 973 974 975

976 977 978 979 980 981 982

einen Toten« erhalte. Speckenbach, Klaus: Die Galahot-Träume im Prosa-Lancelot und ihre Rolle bei der Zyklusbildung, in: Wolfram-Studien. Hrsg. von Werner Schröder. Band 9. Berlin 1986, S. 119–133, hier: S. 119. Nach dieser Definition wäre Herzeloydes Traum eher ein allegorischer Traum. Über die (göttliche?) Quelle des Traums wird zudem nichts gesagt. Fischer, The Dream, S. 116. Ebd. Baisch, Varianz, S. 23. Schmitz, Traum und Vision, S. 82. Ebd., S. 55. Ebd., S. 80. Ebd., S. 75. Ebd., S. 80. Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 76. Einer Diskussion über Terminologien wie Vision, Traum oder Traumvision entzieht sich Brall-Tuchel: »Die Frage, ob Herzeloyde nun einen verschlüsselten Traum oder eine unverschlüsselte Vision hat, verliert in Anbetracht der epischen Ereignisse und dieser klar erkennbaren Rückbindung an die religiös-kulturelle Überlieferung in Text und Bild an Belang.« (S. 77). Dass der Zustand des Schlafes gegeben und der Trauminhalt verschlüsselt ist, dürfte allerdings außer Frage stehen. Und dass die epischen Ereignisse die Frage nach der Terminologie bedeutungslos werden lassen, ist nicht nachvollziehbar. Zur Diskussion über einen religiösen Gehalt der Traumbilder vgl. u. a. Mertens, Artusroman, S. 113. Ebd., S. 87. Bachorski, Träume, S. 31. Ebd., S. 33. Ebd., S. 41. Ebd., S. 33. Ebd., S. 32. Ebd., S. 36.

Artusepik

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Ehemann und das ungeborene Kind zugleich,983 wobei eine positive wie negative Wahrnehmung in dem Drachenbild figuriert und nur im Traum zugelassen werde.984 Die Aussageorientierung wird breit und sehr kontrovers diskutiert. Roßkopf meint, der Traum verweise auf Herzeloydes »Abfall von jener Form eines gottgefälligen, selbstlosen und auf Dienst ausgerichteten Regierens«985, sie sei »gegenüber dem Gralsepitaphium […]« untreu geworden und schaue nun »das Gericht Gottes über ihr sündhaftes Leben«986. Fischer verweist dagegen auf die Bedeutung der triuwe Herzeloydes.987 Ähnlich legt es Brall-Tuchel aus, der hier die Darstellung »ehelicher Treuebeziehung« gegeben sieht, die »religiöse Weihe weltlich-diesseitiger Daseinsvollzüge.«988 Bachorski glaubt, in der negativen Sicht auf Gahmuret und Parzival, die der Traum mit dem Drachenbild zulasse,989 werde die Möglichkeit einer Überwindung »eine[r] stabile[n] ideologische[n] Systemgrenze«990 thematisiert. Classen stellt die These auf, der Traum verweise auf einen gesellschaftlichen Wertewandel,991 gemahne die Menschen daran, »sinnvoll ihr Leben zu bewältigen und zugleich nach den höchst möglichen Idealen zu streben – hier nach der Neubegründung der Gralsgesellschaft.«992 Wo Classen diese Intention in der Traumerzählung sieht, woraus er sie ableitet, bleibt allerdings unklar. Im Anschluss an die Forschungsdiskussion wird im Folgenden u. a. untersucht, wie Herzeloydes Verhalten im Anschluss an ihren Traum einzuschätzen ist, ob es mit dem Traum in einem Zusammenhang steht, ob also eine Relation zwischen Traum und Handlungsprogression besteht. Relevant erscheint dabei auch die Frage, um welchen Traumtyp es sich hierbei überhaupt handelt, ob der Traum mantisch oder psychologisch zu lesen ist und welche Bedeutung er vor dem Hintergrund dieser Lesarten produzieren könnte. Der Traum der Herzeloyde ist in der Forschung sehr kontrovers diskutiert worden. Im Folgenden soll es daher auch um die Frage gehen, worauf die Besonderheit dieses Traums beruht.

983 984 985 986 987 988 989 990 991 992

Ebd., S. 33. Ebd., S. 34. Roßkopf, Traum der Herzeloyde, S. 28. Ebd., S. 29. Fischer, The Dream, S. 119. Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 77. Ebd., S. 36. Ebd. Classen, Narrative Funktion, S. 21. Ebd., S. 23.

190 4.

Analyseteil

Figurenlogische Orientierung und Progressionsorientierung

Auf den Traum reagiert die Königin während des Schlafes mit Angst (V. 103, 26), mit kumber (104, 19) – doch reagiert sie auf ihn auch später noch? Über ihr Traumverständnis lässt sich wenig sagen. Herzeloyde deutet den Traum nicht bzw. nicht in direkter Rede. Gedeutet wird der Traum von Trevrizent, der von ihm weiß (doch woher?). So sagt er zu Parzival: du wære daz tier daz si d– souc, unt der trache der von ir d– vlouc. ez widervour in sl–fe ir gar, Þ daz diu süeze dich gebar (Vv. 476, 27–30).

Sagt diese Deutung etwas über das Traumverständnis Herzeloydes aus und damit über den Zusammenhang zwischen späteren Handlungen und dem Traum?993 Das mhd. Verb widervarn bedeutet »zuteil werden.«994 Das Pronomen ez bezieht sich auf die vorher genannte Information, dass der Drache für Parzival stehe. Trevrizent würde demnach wohl behaupten, Herzeloyde habe das Drachenbild so verstanden, wie er es deutet. Wie zuverlässig er als Erzähler ist, bleibt allerdings offen.995 993 Traumdeutung fällt in der Versdichtung insgesamt sehr schmal aus. Einer allegorischen Traumdeutung werden keine der hier in dieser Studie behandelten Traumerzählungen unterzogen. Speckenbach weist daraufhin, dass das »Allegorisieren von Träumen mit Hilfe der Verfahren der Bibelexegese schon früher in Dichtungen, etwa in der ›Chanson de Roland‹, verwendet worden [ist]. Der prophetische, in einer Bildsprache verschlüsselte, mantische Traum bietet sich diesem Vorgehen an; dennoch fehlen zunächst Auslegungen in Form von Allegoresen, erst im ›Prosa-Lancelot‹ werden solche greifbar.« Speckenbach, Klaus: Handlungs- und Traumallegorese in der »Gral-Queste«, in: Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel 1978. Hrsg. von Walter Haug. Stuttgart 1979, S. 219– 242, hier : S. 225. Tatsächlich spielt dann im Prosa-Lancelot Traumdeutung eine gewichtige Rolle. So zeigt Klinger, dass fünfzehn der »insgesamt sechzehn verschlüsselten oder mantischen Träume« einer »teils umfangreichen Deutung unterzogen werden« (Klinger, S. 221.). Vgl. hier v. a. die ausführliche Deutung der Galahot-Träume durch zehn weise pfaffen. Lancelot. Nach der Heidelberger Pergamenthandschrift Pal. germ. 147. Hrsg. von Reinhold Kluge, I–III, Berlin 1948–1974, 499, 20ff. Ich kürze im Folgenden ab mit ›Kluge‹. 994 Vgl. Köbler, Gerhard: Althochdeutsches Wörterbuch. 6. Auflage. 2014. Abgerufen unter : http://www.koeblergerhard.de. 995 Bachorski, Träume, S. 30, etwa führt aus: »Allerdings überzeugt Trevrizents Auslegung nicht unbedingt. Denn es bleibt nicht nur völlig unklar, woher er überhaupt um den Inhalt dieses Traumes weiß, sondern es ist auch schwer nachzuvollziehen, warum seine Interpretation verbindlich für die merkwürdigen Traumbilder der Herzeloyde sein soll.« Trevrizent ist als Erzähler nicht immer zuverlässig. So erzählt er Parzival, jene Engel, die neutral geblieben seien, als Luzifer gegen Gott aufbegehrte, seien zur Strafe auf die Erde geschickt worden, um dort den Gral zu hüten (vgl. V. 471, 15f). Später erklärt er, dass jene Engel für immer verdammt seien (vgl. Vv. 798, 1–22). Schmitz meint, seine Autorität sei »dadurch erschüttert […], dass er sich selbst der Lüge bezichtigt.« Schmitz, Michaela: Der Schluss des Parzival Wolframs von Eschenbach. Kommentar zum 16. Buch. Berlin 2012, S. 23.

Artusepik

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Feststeht nur: In der Bewegung des Drachen fort von ihr sind Verlassenwerden und Verlust versinnbildlicht. Und Herzeloyde will genau das verhindern: den Verlust. Davor hat sie größte Angst. So schützt sie Parzival vor den Gefahren der Welt (V. 117, 14f.), barg in vor ritterschaft (V. 112, 19) und gebút […] allen an den l„p, / daz si immer ritters wurden l˜t (Vv. 117, 22–23). Sie will sich auch selbst vor weiterem leit bewahren, denn ›wan vriesche daz m„ns herzen trut, welh ritters leben wære, daz wurde mir vil swære. nu habt iuch an der witze craft, und helt in alle ritterschaft‹ (Vv. 117, 24–28).

Ihr Verhalten ist figurenorientiert: Sie will Unheil, leit und Verlust abwenden, also das, was der Traum ankündigt. Ängste treiben sie an. Gahmuret starb in Ausübung der Ritterschaft. Das soll Parzival nicht widerfahren, ihn will sie nicht verlieren. Gerade aber das Verhalten Herzeloydes begünstigt die Erfüllung der Traumprophetie.996 Sie bewegt sich gegen ihre Intention in der Bahn der Handlungsprogression. Weil sie Parzival nicht verlieren will, wie sie Gahmuret verloren hat, zieht sie ihn jenseits der Ritterschaft auf, und damit in »totaler Unkenntnis aller Dinge«997. Parzival wächst fern der Gesellschaft auf, deshalb versteht er die Zivilisation und ihre Werte, ihre Konventionen, ihre Regeln nicht.998 So verstößt er gegen ihre Grundsätze. Ebenso wenig kann er einen Begriff von Transzendenz entwickeln.999 Herzeloydes Erziehung in der Einöde hat eine fatale Weltunerfahrenheit zur Folge. Parzival verharrt in tumpheit und

996 Vgl. dazu auch Gottzmann, Carola L.: Deutsche Artusdichtung. Band 1. Rittertum, Minne, Ehe und Herrschertum. Die Artusepik der hochhöfischen Zeit. Frankfurt a. M. 1986, S. 213. 997 Bumke, Joachim: Die Blutstropfen im Schnee. Über Wahrnehmung und Erkenntnis im »Parzival« Wolframs von Eschenbach. 2001, S. 77. Maier-Eroms, ›Heldentum‹ und ›Weiblichkeit‹, S. 173, spricht hier von einem »Erziehungsfehler«, Shahar von einem »frühe[n] literarische[n] Beispiel von ›Antipädagogik‹«. Shahar, Sulamith: Kindheit im Mittelalter. Deutsch von Barbara Brumm. München 1991, S. 195. 998 Vgl. dazu auch Müllneritsch, Letale Mutterliebe, S. 34. 999 So missversteht Parzival die religiösen Ausführungen seiner Mutter (V. 119, 18ff.): Als er den vier Rittern begegnet, hält er sie alle für Gott, weil sie ihm, im Sinne der Erklärung der Mutter, liehter denne der tac (V. 119, 19f.) erscheinen: en hete sú liehtes niht erkant. (V. 122, 1). Da Parzival »gottfern« aufwächst, hat er keinen Begriff von Transzendenz, und somit können Herzeloydes Worte von ihm, wie Gottzmann, Artusdichtung, S. 214, feststellt, nur »rein immanent verstanden werden.« Parzival identifiziere infolgedessen, so Mertens, Artusroman, S. 115, »Gott und weltliche Ritterschaft«. Er ordnet das Rittertum sogar über religiöse Werte. So erzählt er seiner Mutter: ich sach vier man / noch liehter danne got get–n. (Vv. 126, 9–10). Das Problem ergebe sich, so Mertens, Artusroman, S. 115, aus einer »nicht reflektierten falschen Weltordnung«.

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Analyseteil

richtet infolgedessen großen Schaden an.1000 Herzeloydes Verhalten ist figurenorientiert und zugleich relevant für die Handlungsprogression. Aber ob das Verhalten in einem direkten Zusammenhang mit dem Traum steht, durch diesen bedingt ist, ist damit immer noch nicht geklärt. Haupt ist der Auffassung, Herzeloyde arbeite »der Traumprognose und weiterer Leiderfahrung entgegen, indem sie sich in die Eremitage zurückzieht und ihren Sohn mit aller Kraft von der ›ritterschaft‹ fernzuhalten sucht.«1001 Sie betont in diesem Zusammenhang die »unmittelbare Angst, die der Traum auslöst«1002. Gerade diese Feststellung erscheint mir wichtig zu sein. Ich werde auf diese Angst im Zusammenhang mit der Diskussion über die Traumauffassung im Parzival noch genauer zu sprechen kommen und fragen, ob die durch den Traum erzeugte Angst in einem Zusammenhang mit Herzeloydes Verhalten steht.

1000 Parzival ist ein tærscher knabe (V. 138, 9), ein knappe an witzen laz (V. 144, 11), tumpheit ist das stehende Epitheton des jungen Parzival, vgl. Vv. 124, 16; 126, 19; 142, 13; 155, 19; 161, 6; 161, 17; 161, 1; 167, 11. Zur tumpheit als Grund für die Tötung Ithers vgl. V. 744, 18. Auch Parzival führt diese Tat später auf seine tumpheit zurück: ich [was] an den den witzen toup (V. 475, 6). Die tumpheit des Helden wird breit diskutiert. Retzer sieht das Problem in Parzivals »Geistesverfassung«. Retzer, Maike: Mythische Strukturen in Wolframs von Eschenbach Parzival. München 2006, S. 62. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 147, spricht von einem Mangel an »Verstand und Verständnis«, außerdem von einer »Wahrnehmungsschwäche« (Bumke, Blutstropfen, S. 77), Mertens, Artusroman, S. 116, von »unbeabsichtigter Rücksichtslosigkeit«. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 104f., fügt hinzu, Parzival könne nur »Analogie-Schlüsse« ziehen, die aber »immer falsch« seien. Ebenso Gottzmann, Artusdichtung, S. 214. Mertens, Artusroman, S. 115, spricht ähnlich von einem »Missverständnis-Schema«. Soeffner meint, Parzival nehme immer alles wortwörtlich. Soeffner, Hans-Georg: Symbolkonkurrenzen und kommunikative Leerstellen im Parzival: Ein Prototyp auf der Suche nach seinem Standort, in: Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Peter Strohschneider. Berlin 2009, S. 161–182, hier: 174ff. Yeandle meint: Parzivals »eingeschränkte [r] Lebenshorizont[…]« führe zu »Fehleinschätzungen und tumben Missverständnissen.« Yeandle, David: Redebericht, Redeeinleitung, direkte und indirekte Rede als Mittel der Charakterisierung in der Soltane-Episode im III. Buch des ›Parzival‹, in: Mittelhochdeutsch. Beiträge zur Überlieferung, Sprache und Literatur. Hrsg. von Ralf Plate/Martin Schubert. Berlin/Boston 2011, S. 94–117, hier : S. 117. Zur Diskussion über Parzivals tumpheit vgl. außerdem Renggli, Franz: Selbstzerstörung aus Verlassenheit. Die Pest als Ausbruch einer Massenpsychose im Mittelalter. Zur Geschichte der frühen Mutter-KindBeziehung, Hamburg 1992, S. 180. Gottzmann, Artusdichtung, S. 228. Müllneritsch, Letale Mutterliebe, S. 39f. 1001 Haupt, Träume der Frauen, S. 168. 1002 Ebd., S. 166.

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Traumvorstellung

Offenkundig liegt der Traumerzählung eine sehr traditionelle Vorstellung zugrunde. Herzeloydes Seele wird, gemäß mittelalterlicher Vorstellungen,1003 losgelöst vom Körper,1004 ins Weltall gerissen (wie ein sternen blic / si gein den lüften vuorte, Vv. 103, 28–29),1005 kommt offenbar mit Metaphysischem, das hier aber bei aller religiöser Konnotation1006 unbenannt bleibt, in Kontakt und schaut künftige Ereignisse.1007 Der Traum ist somit auf den ersten Blick mantisch, prophetisch,1008 erfüllt sich in Gahmurets Tod, im Verlassenwerden durch Parzival, in Herzeloydes Tod. Der Handlungsverlauf erscheint determiniert. Der Traum zeigt, wie schon in anderen in dieser Studie behandelten Traumerzählungen, keine mögliche Zukunft an, wie Classen meint.1009 Diese steht fest und kann nicht abgewendet werden. Der Versuch, gegen sie zu arbeiten, begünstigt nur die Erfüllung der Prophetie. Mit Parzival, der Gahmuretes art (V. 179, 24) geerbt hat, wiederholt sich die Bewegung fort von Herzeloyde, wird in prophetischen Traumbildern, in der 1003 Die Forschung hat vielfach die Bedeutung nachgewiesen, die der Seele für die Zukunftsschau in Antike und Mittelalter zugesprochen wurde. Sie könne sich aufgrund ihrer (relativen) Unkörperlichkeit im Schlaf vom menschlichen Körper lösen, sich von ihm absondern, von ihm losgerissen werden und in diesem Zustand in Parallelwelten mit metaphysischen Kräften, mit dem Göttlichen in Kontakt treten, was ihr die Zukunftsschau ermögliche. Vgl. zur altägyptischen Vorstellung von Seele und Traum: Engelhardt, Traum im Wandel, S. 7ff. Wittmer-Busch, Schlaf und Traum, S. 175. Jacobi, Traumbücher, S. 3573ff. Zu altgriechischen Theorien Alt, Schlaf der Vernunft, S. 33, 42, 50. Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 37. Zu spätantiken-frühchristlichen Theorien Wittmer-Busch, S. 96. Zu spätantiken und mittelalterlichen Vorstellungen Ricklin, Traum in der Philosophie, S. 96–97 und 222. Zum Frühmittelalter Schmitt, Jean-Claude: Bildhaftes Denken. Die Darstellung biblischer Träume in mittelalterlichen Handschriften. In: Träume im Mittelalter. Ikonologische Studien. Hrsg. von Agostino Paravicini Bagliani/Giorgio Stabile. Stuttgart 1989, S. 9–41, hier : S. 11. Zum Hochmittelalter Wittmer-Busch, S. 117 und 133– 134. Speckenbach, Kontexte, S. 299. 1004 Vgl. dazu auch Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 77. 1005 Vgl. dazu Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 73–74, FN 13, in Auseinandersetzung mit Deinert, Ritter und Kosmos, S. 6. Dass die Seele ins All fortgerissen wird, ist eine Vorstellung, die an die Traumtheorie Philos von Alexandria (2. Jh. v. Chr.) erinnert. Vgl. zu der Theorie Speckenbach, Kontexte, S. 299. Der Begriff »Traumvision«, wie ihn Roßkopf, S. 3, verwendet, wäre für den Herzeloyde-Traum also nicht abwegig, da auch hier die Seele den Körper während des Schlafes verlässt und die spirituelle Schau in diesem Zusammenhang ermöglicht wird (vgl. Dinzelbacher, S. 42). 1006 Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 76, spricht bezüglich des Traums von »religiös inspirierte[r] Apokalypse«. 1007 Die religiöse Konnotation der Bilder wird in der Forschung oft erwähnt. Vgl. etwa Deinert, Ritter und Kosmos, S. 8ff. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 52. Baisch, Varianz, S. 23. Mertens, Artusroman, S. 113. Maier-Eroms, ›Heldentum‹ und ›Weiblichkeit‹, 173. 1008 So auch Roßkopf, Traum der Herzeloyde, S. 3. Fischer, The Dream, S. 116. Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. Baisch, Varianz, S. 23. 1009 Classen, Narrative Funktion, S. 21.

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Bewegung des Drachen, vorweggenommen. Trotzdem erscheint die Handlungsprogression auch an die Figur zurückgebunden, deren Handeln zur Erfüllung der Prophetie beiträgt. Das ist viel differenzierter gestaltet als im Nibelungenlied, in dem Figurenhandlungen oftmals handlungsorientiert erscheinen. Trotzdem folgt die Traumvorstellung in diesem Punkt noch dem traditionellen Muster prophetischer Träume. In einer rein mantischen Lesart, wie Fischer und Roßkopf sie bevorzugen, erschöpft es sich aber keineswegs.1010 Schon Schmitz sieht einen Mittelweg zwischen mantischer und psychologischer Lesart.1011 Ähnlich begreift auch Brall-Tuchel Herzeloydes Traum als »innengesteuerte Selbstwahrnehmung«1012, gelenkt aber von »höherer Regie«1013. Gemäß Bachorski macht sich der Erzähler »im Traum Herzeloydes zum Verstärker für […] die psychische Verfassung einer seiner Figuren«1014. Schmitz erklärt das Zustandekommen der Traum-Bilder psychologischphysiologisch mit Herzeloydes Schwangerschaft,1015 wobei in der Darstellung aber unklar bleibt, warum Herzeloyde eine Drachengeburt imaginiert. BrallTuchel sieht einen Hinweis auf die »Sorgen und Ängste einer Gattin und Mutter«1016. Er führt diesen Aspekt aber nicht weiter aus. Die religiöse Prägung der Bilder erklärt er als »Verinnerlichung des religiösen Fühlens«1017. Bachorski sieht Einflüsse von Tagesresten1018 gegeben und ist der Meinung, in dem Traum komme die »tiefe Sehnsucht nach Gahmuret ebenso wie die […] Angst wegen seiner Abwesenheit« zum Ausdruck.1019 In Rahmen seiner psySo auch Bachorski, Träume, S. 29. Schmitz, Traum und Vision, S. 75–82. Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 87. Ebd., S. 88. Bachorski, Träume, S. 41. Vgl. Schmitz, Traum und Vision, S. 80. Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 77. Ebd., S. 87. Diese Verinnerlichung, wenn man davon sprechen mag, ist stark von Ängsten geprägt. Hinsichtlich solcher angstbesetzter Bilder ließe sich auf Dinzelbacher verweisen, der sich im Rahmen seiner Studie zur Angst im Mittelalter mit »[a]ngsterzeugende[n] Phantasien« auseinandersetzt, welche durch die Kirche als »Mittel sozialer Disziplinierung« erregt wurden. Dinzelbacher, Peter : Angst im Mittelalter. Teufels-, Todes- und Gotteserfahrung: Mentalitätsgeschichte und Ikonographie. Parderborn 1996, S. 251. Er verweist dabei auf die im 12. Jahrhundert »wachsende[…] Präsenz des Dämonischen« (S. 93), vor allem in der Romanik, und darauf, dass sich der Mensch in Kirchen umgeben sah von »dämonenwimmelnde[n] Strafszenen« (S. 90), einem »Gewirr von Monstren« (S. 87). Sicherlich ist nicht auszuschließen, dass Menschen, davon beeinflusst, auch entsprechend geträumt haben. Dinzelbacher gibt hier eine Reihe von Beispielen aus der Visionsliteratur, die mit solchen Bildern korrespondieren (S. 83–86). Womöglich lässt sich hinsichtlich des Alptraums und seiner Bilderwelt des Schreckens auf einen lebensweltlichen Bezug schließen, als Verinnerlichung angstbesetzter Bilder. 1018 Bachorski, Träume, S. 31ff. 1019 Ebd., S. 33.

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choanalytischen Lesart1020 sieht er in dem Drachen-Bild Eigenschaften Gahmurets und Parzivals verdichtet, beide Figuren würden gleichgesetzt.1021 Damit werde die im Wachzustand gegebene »allein positive Besetzung von Gahmuret und Parzival« durchbrochen.1022 Auch diese Lesart ist nicht abwegig. Der sich fortbewegende Drache etwa ließe sich, im Sinne der Argumentation Bachorskis, auf Gahmuret beziehen, der die Königin insgesamt achtzehnmal verlässt (vgl. V. 101,14) und sich in seinem Drang nach ritterlicher Bewährung1023 stets in gefährliche Situationen begibt. Das könnte sie tatsächlich als problematisch empfinden. Daraus können Ängste hervorgehen und damit auch ein kritisches, ja sogar negatives Bild des geliebten Ehemannes. Wie sich die Sache hier verhält, ob sich hier Bewusstes oder Unbewusstes abzeichnet, lässt sich allerdings schwer entscheiden. Die erste auf Gahmuret bezogene Äußerung, die man als kritisch verstehen könnte, erfolgt in der Tat erst nach Traum und Todesbotschaft, hier klagt die Königin: den [Gahmuret] nam mir s„n vrechiu ger (V. 109, 23).1024 Aber das sagt letztlich wenig über die Vorstellung von unbewussten Prozessen aus. Die Anwendung des Negativbildes auf Parzival setzt voraus, dass Parzival von Herzeloyde schon vor seiner Geburt1025 als Reinkarnation1026 (V. 109, 25f.) seines Vaters wahrgenommen wird. Das ist zwar nicht auszuschließen. Immerhin könnte Herzeloyde befürchten, ein Kind zu gebären, das dem Vater in seinem Verhalten folgt, was wiederum mit Befürchtungen und Ängsten verbunden wäre. Handlungsorientiert ist dabei aber, dass sie bereits vor der Geburt des Kindes weiß, dass sie einen Jungen gebären wird (vgl. V. 109, 21ff.), der dann überhaupt erst zur Reinkarnation seines Vaters werden kann. Die Mittelweg-These erscheint insgesamt überzeugend. Betont wird dabei in der Forschung vor allem die Angst Herzeloydes. Im Anschluss an die Angst1020 Classens psychoanalytische Lesart des Herzeloyde-Traums (S. 21–22) kann man dagegen nicht ernst nehmen, da er hierzu keinen methodischen Ansatz entwickelt. 1021 Bachorski, Träume, S. 33. 1022 Ebd., S. 36. 1023 Zu Gahmuret heißt es hier : daz er niht ritterschefte vant, / des was s„n vröude sorgen pfant (Vv. 54, 19–20). Zu Gahmurets Drang nach ritterlicher Bewährung vgl. Mertens, Artusroman, S. 109. Kratz, Parzival, S. 205. Friedrich, Udo: Erzählen vom Tod im Parzival. Zum Verhältnis von epischem und romanhaften Erinnern im Mittelalter, in: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven. Hrsg. von Harald Haferland und Matthias Meyer, Berlin/New York 2010, S. 385–414, hier : S. 396. Müllneritsch, Letale Mutterliebe, S. 27. Schotte, Manuela: Christen, Heiden und der Gral. Die Heidendarstellung als Instrument der Rezeptionslenkung in den mittelhochdeutschen Gralsromanen des 13. Jahrhunderts. Münster (Westfalen) 2005, S. 66ff. 1024 Vgl. dazu auch Bachorski, Träume, S. 36. Müllneritsch, Letale Mutterliebe, S. 27. 1025 Erst ab V. 109, 2ff. ist überhaupt die Rede von der Schwangerschaft. 1026 Vgl. dazu Maier-Eroms, ›Heldentum‹ und ›Weiblichkeit‹, S. 8. Mertens, Artusroman, S. 114. Müllneritsch, Letale Mutterliebe, S. 28.

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These meine ich, dass der Tod Gahmurets und der Traum Herzeloydes zusammenwirken, beides erzeugt Angst und diese ist dann relevant für ihr Verhalten. Man kann also von einer doppelten Motivierung der Figur sprechen. Hinzu kommt ein Zusammenfallen von Traumvorstellungen: Mantisch gelesen erzeugt der Traum Ängste, weil er das Verlassenwerden Herzeloydes durch Parzival in prophetischen Bildern vorwegnimmt. Als Tagesrest verstanden, auch jenseits psychoanalytischer Lesarten, verweist er auf die Ängste der Träumerin, von dem noch ungeborenen Sohn verlassen zu werden.

6.

Aussageorientierung und Traumbilder

Ich werde hier zunächst Aspekte der Aussageorientierung vorstellen, die die Parzival-Forschung entwickelt hat und dann prüfen, wie sinnvoll es erscheint, diesen Traum auf eine Sinnebene festzulegen. Die Forschung hat in dem Traum vor allem eine Darstellung von Herzeloydes triuwe gesehen,1027 zunächst zu Gahmuret, welcher der Königin durch Ipomidún genommen wird, dargestellt in dem Greifen1028, der Herzeloydes Hand zucte1029. Der Verlust erzeuge Herzeloydes leit. Ihre Witwenklage, so Greenfiled, beginne bereits im Schlaf. In der Größe des leits1030 komme die Größe ihrer triuwe zu Gahmuret zum Ausdruck.1031 Auch andere Traumbilder werden auf diese triuwe bezogen. So sieht etwa Fischer in 1027 Fischer, The Dream, S. 119. Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 77. Haupt, Träume der Frauen, S. 168, spricht von der »Liebe zu ihrem Mann und ihrer Sohnesliebe.« Allgemein zur Bedeutung der triuwe als »Schlüsselbegriff des ethischen Konzepts von Wolframs Roman« vgl. Baisch, Varianz, S. 32. Schmid, Elisabeth: Studien zum Problem der ethischen Totalität in Wolframs Parzival. Erlangen 1976 (Erlanger Studien 6), S. 185f. Greenfield, John: ›wande ich wil Gahmureten klagn‹ (Parzival, 111,13): ›Überlegungen zu Herzeloyde als Witwe‹, in: Revista da Faculdade de Letras. L†nguas e Literaturas, Vol. XVIII (2001), S. 287–302, hier: S. 300. 1028 Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 80. Hagen, Paul: Der Gral, Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte 85. Straßburg 1900, S. 72: »Ich glaube also, dass das Traumgesicht Herzeloydens, dass ein Greif mit seinen Klauen ihren rechten Arm packt, auf den Tod ihres Gatten sich bezieht.« Fischer, The Dream, S. 119. Nellmann, Kommentar, S. 510. Speckenbach, Von den troimen, S. 185. Brall-Tuchel, S. 80, weist zudem darauf hin, dass auch das Rolandslied, der Willehalm und der Jüngere Titurel dieses Bild »im Zusammenhang mit dem Verlust nahestehender Menschen verwenden«. Bachorski, Träume, S. 34, FN 68, bietet auch eine andere Lesart des Greifen an, nach der dieser mit dem Drachen identisch ist. 1029 Nellmann, Kommentar, S. 177, übersetzt mit »›riss ab‹, ›raubte‹«. Vgl. dazu auch den Verlust des Arms Karls (RL, V. 3077f.) 1030 Zur Thematisierung des Leids in der Traumerzählung vgl. Speckenbach, Von den troimen, S. 182. Ebenso Haupt, Träume der Frauen, S. 166. Herzeloyde klagt später exzessiv über den Verlust Gahmurets, geht an dem Verlust fast zugrunde, ringt mit dem túde (V. 109,15), äußert programmatisch: ich wil Gahmureten klagn (V. 111,13). Vgl. dazu Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 73. Maier-Eroms, ›Heldentum‹ und ›Weiblichkeit‹, S. 7. 1031 Vgl. Greenfield, Herzeloyde als Witwe, S. 298.

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den brinnende[n] zäher[n] (V. 104,6) ein »symbol of exceptional triuwe«, einen Hinweis auf Herzeloydes »loyaly to the deceased Gahmuret.«1032 Auch auf Parzival wurde diese triuwe bezogen.1033 Hartmann sieht im Herausreißen des Herzens durch den Drachen eine Vorausdeutung auf »Herzeloydes Tod aus j–mer […] (Vv. 128,17–22)« als Folge eines gebrochenen Herzens.1034 Die Traumerzählung wird in der Forschung aber auch religiös im Sinne der Gottes-triuwe gedeutet. Brall-Tuchel etwa sieht Bezüge zur Offenbarung 121035, Anklänge an die Mulier amicta sole, die im Mittelalter auf »Maria als Gottesgebärerin bezogen wurde«1036, und den großen roten Drachen der ›Apokalypse‹.1037 Herzelyode werde, so Brall-Tuchel, »konsequent in die Spuren und in die Bildwelten der Heilsgeschichte [gestellt].«1038 Durch einen sternen blic1039 in die 1032 Fischer, The Dream, S. 119. Ähnlich Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 78. 1033 Greenfield, Herzeloyde als Witwe, S. 290, verweist darauf, dass Herzeloyde nur aus Mutterliebe zu Parzival überlebt (vgl. 111, 7). Ihr Rückzug nach Soltane wird in der Forschung auch als Reaktion auf den Traum im Sinne der triuwe zu Parzival gelesen: Herzeloyde möchte ihn vor Unheil bewahren, ihn schützen. Yeandle, Redebericht, S. 97, sieht in Herzeloyde, mit Hinweis auf Vv. 117, 25–28, eine »besorgte Mutter«, die sich für »die Sicherheit Parzivals« selbst aufopfert (S. 114). 1034 Hartmann, Gahmuret und Herzeloyde, S. 302. So auch Meier-Eroms 2007, S. 173, die meint, Herzeloyde werde Opfer ihrer »maßlose[n] Liebe zu Parziv–l«. So stirbt Herzeloyde auch einen vil getriul„che[n] tút (V. 128,23), einen triuwe-Tod. Greenfield, Herzeloyde als Witwe, S. 300, spricht gar von einem »heiligen Tod«, sie erscheine als »Vorbild der triuwe«. 1035 Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 75. Ähnlich schon mit Verweis auf das 12. Buch der Apokalypse Deinert, Ritter und Kosmos, S. 8ff. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 52. Baisch, Varianz, S. 23. Mertens, Artusroman, S. 113. Maier-Eroms, ›Heldentum‹ und ›Weiblichkeit‹, 173. Dagegen spricht sich aus: Singer, Samuel, ZfdA 27 (1901), S. 30–36. Kratz, Parzival, S. 205f. Skeptisch gegenüber der religiösen Bedeutung, Roßkopf, Traum der Herzeloyde, S. 7. 1036 Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 52. Bezüge zur Gottesmutter sieht bereits Ehrismann, Gustav : Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. 2. Teil, 2. Abschnitt, 1. Hälfte. München 1927, S. 263. Schmitz, Traum und Vision, S. 79–80. Mertens, Artusroman, S. 113. 1037 Vgl. u. a. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 52. Baisch, Varianz, S. 23. Mertens, Artusroman, S. 113. Deinert, Ritter und Kosmos, S. 8ff. Ebenso Maier-Eroms, ›Heldentum‹ und ›Weiblichkeit‹, S. 173: »[A]ufgrund der Anklänge an die Apokalypse in ihrem Traum werden Bilder der Maria lactans, der Mater dolorosa sowie der Braut und Mutter Jesu evoziert.« Die semantischen Parallelen sind hervorzuheben. So heißt es in der Bibel: »Und es erschien ein großes Zeichen im Himmel: ein Weib, mit der Sonne bekleidet […]. Und sie war schwanger und schrie in Kindesnöten und hatte große Qual zur Geburt.« Zitiert nach: http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/offenbarung/12/#1. Zugriff: 9. 2. 2015. Auch Herzeloydes Qualen bei der Geburt werden betont, sie gebiert einen Sohn, der sölher lide was / daz si vil k˜me dran genas (Vv. 112, 7–8). Zudem verweist der Traum ebenfalls auf die Qualen bei der Geburt: der [Drache] s„t zervuorte ir wamme (V. 104, 12). 1038 Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 83. 1039 Zur kontroversen Diskussion über die Bedeutung des Kompositums sternen blic vgl. Hartmann, Gahmuret und Herzeloyde, S. 292–293. Deinert, Ritter und Kosmos, S. 4f., FN 3. Speckenbach, Von den troimen, S. 185f. Roßkopf, Traum der Herzeloyde, S. 41. Fischer, The Dream, S. 118.

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lüften getragen erscheine sie, so Deinert, wie das Weib der Apokalypse, in der Sphäre des Himmels.1040 Herzeloyde werde damit zur Gottesmutter stilisiert.1041 Ferner werden in der Forschung in diesem Zusammenhang Bezüge zwischen Parzival und Jesus herausgearbeitet.1042 Allerdings wird der triuwe-Begriff auch sehr kontrovers diskutiert. Eindeutig fassen lässt er sich nicht.1043 Es wird durchaus nicht übersehen, dass die heilsgeschichtliche Implikation des Traums verkehrt ist, dass Herzeloyde kein JesusKind gebiert, sondern den apokalyptischen Drachen selbst. In diesem Zusammenhang gibt es auch gegensätzliche Auffassungen über die Schuldfrage sowohl in Bezug auf Parzival1044 als auch in Bezug auf Herzeloyde1045. Brall-Tuchel etwa 1040 Deinert, Ritter und Kosmos, S. 6. Vgl. dazu auch Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 73–74, FN 13. 1041 So schon Ehrismann, Geschichte, S. 263. Schmitz, Traum und Vision, S. 79–80. Shahar, Kindheit im Mittelalter, S. 72. Yeandle, Redebericht, S. 114, meint mit Verweis auf Vv. 128, 13–129, 4, Herzeloyde werde als eine »Art Heilige dargestellt«. Ihr Rückzug nach Soltane erscheine religiös motiviert. Der Erzähler spricht hier von diemout und von triuwe zu Gott (vgl. V. 116, 29), sie gibt drei Königreiche um des himeles ruom (V. 116, 24) auf. Der Rückzug wird als triuwe zu Gott verstanden, im Sinne einer imitatio christi. Vgl. Mertens, Artusroman, S. 114. Greenfield, Herzeloyde als Witwe, S. 300. 1042 Zur Jesus-Analogie vgl. Retzer, Mythische Strukturen, S. 57. Maier-Eroms, ›Heldentum‹ und ›Weiblichkeit‹, S. 24. Brinker-von der Heyde verweist etwa auf Parzivals Lichtkörper, seinen liehten glast (Vv. 186,4–6), der den Glanz der Sonne übertrifft, als Hinweis auf Transzendenz und Heiligkeit (S. 99). Gleiches stellt sie zuvor für Herzeloyde fest (S. 96). Brinker-von der Heyde, Claudia: lieht, sch„n, glast und glanz in Wolframs von Eschenbach Parzival. In: Licht, Glanz, Blendung. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Lichts. Hrsg. von Christina Lechtermann/Haiko Wandhoff. (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge 18). Bern, Berlin u. a. 2008. S. 91–104, hier : S. 98. Danach könnte man Herzeloydes triuwe zu Parzival als Analogie zur Gottes-triuwe lesen, zumal es, mit Blick auf das Ende der Erzählung, die triuwe zum künftigen Gralskönig ist. Auch sie selbst vergleicht sich mit der Gottesmutter, als sie Parzival stillt (vgl. V. 113, 18f.). Vgl. dazu Kellner, Beate: »Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen in Wolframs von Eschenbach ›Parzival‹«, in: Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. I. Konzeptionelle Grundfragen und Fallstudien (Heiden, Barbaren, Juden). Hrsg. von Ludger Grenzmann/Thomas Haye/Nikolaus Henkel/Thomas Kaufmann. Berlin, New York 2009, S. 23–50, hier: S. 33f. 1043 So wird etwa der Rückzug nach Soltane in der Forschung auch kritisch gesehen. Lewis bezeichnet das Verhalten der Königin als »selbstisch«. Lewis, Gertrude: Die unheilige Herzeloyde. Ein ikonoklastischer Versuch. In: JEGP 74 (1975), S. 465–485, hier : S. 485. Außerdem bringt sie den Sohn um dessen Herrschaft, sie habe Parzival, so der Erzähler, an künecl„cher vuore betrogen, V. 118, 2. Mertens, Artusroman, S. 114, spricht hier von einem »leicht kritischen Akzent«. Yeandle, Redebericht, S. 115, macht auch darauf aufmerksam, dass die Kritik an Herzeloyde »nicht zu direkt und offen« durch den Erzähler, sondern »vorwiegend durch die direkte Rede« erfolgt. 1044 Mit dem rúten ritter Parzival ist offenbar eine Anspielung auf den großen roten Drachen der Offenbarung gegeben. Zur Diskussion über verschiedene Aspekte der Schuld Parzivals vgl. zusammenfassend Fleury, Leiden lesen, S. 111ff. Auch: Mertens, Artusroman, S. 115, 128, 135, 141. Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 435. Gottzmann, Artusdichtung, S. 217, 220. 1045 Yeandle, Redebericht, S. 100, 104. Roßkopf, Traum der Herzeloyde, S. 83–88.

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bezieht das Bild der Schlangen säugenden Herzeloyde auf die Terra Mater und damit auf die »sündige Mutter«1046. Roßkopf sieht hier die Korrespondenz zwischen Herzeloyde-Drache und Eva-Schlange.1047 Die negative Sicht auf den Drachen und damit auf Parzival ist aber auch eingeschränkt,1048 weil das Drachenbild ambivalent erscheint.1049 So räumt etwa Speckenbach ein, dass der »Ausgang der Dichtung mit der Erhebung Parzivals zum Gralskönig eine ausschließlich negative Sicht des Drachen«1050 verbiete. Fischer spricht von einer »dual divine-satanic nature«1051. Hartmann sieht in dem Drachen ein »ambivalentes Symbol«, das »Macht und Herrschaft« versinnbildliche und »die Geburt eines Königs«1052 ankündige. Eine ganz andere Lesart bietet Bachorski an. Er sieht im Rahmen seiner psychoanalytischen Deutung in den Traumbildern Hinweise auf unbewusste erotische Wünsche1053 und sexuelle Gewaltphantasien Herzeloydes,1054 etwa im Aufreißen der wamme oder in Herzeloydes »Himmelfahrt«, in der er eine »orgiastische[…] Dimension«1055 zu erkennen meint. Damit werde, so sein Fazit, das Überschreiten »eine[r] stabile[n] ideologische[n] Systemgrenze«1056 thematisiert. Diese sehr spezielle Lesart setzt jedoch voraus, dass man die Traumbilder 1046 Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 87. So auch Hartmann, Gahmuret und Herzeloyde, S. 301. 1047 Roßkopf, Traum der Herzeloyde, S. 83–88. Allerdings basieren Roßkopfs Schlussfolgerungen auf exzessiven Wort- und Symbolanalysen, durch welche der Blick für das große Ganze völlig verloren geht. Nicht mehr nachvollziehbar erscheint seine Argumentation spätestens, wenn er behauptet, der Greif, der Herzeloyde eigentlich attackiert, beziehe sich auf sie selbst und sei eine Versinnbildlichung ihrer Gier nach Minne (S. 69.), ein Hinweis darauf, dass sie Belakane den Mann raube (S. 77.), »rücksichtslos das Band einer Ehe« zerstöre (S. 73) – dabei verlässt Gahmuret Belakane aus ritterlichem Tatendrang und begründet das dann noch sehr zweifelhaft mit dem Glaubensunterschied (vgl. V. 55, 12ff.). Vgl. zu diesem Aspekt etwa Mertens, Artusroman, S. 109. Gottzmann, Artusdichtung, S. 206. Kellner, Wahrnehmung und Deutung, S. 31. Zur Kritik an Roßkopfs Thesen vgl. Hartmann, Gahmuret und Herzeloyde, S. 301. Ebenso Bachorski, Träume, S. 31, der Roßkopfs Darstellung als »moralinsauer« bezeichnet. 1048 Vgl. etwa Haupt, Träume der Frauen, S. 167. 1049 Zur positiven Deutung des Drachenbildes vgl. etwa Hatto, Herzeloyde’s Dragon-Dream, S. 18ff. Ambivalent erscheint er bei Bachorski, Träume, S. 34, der den Drachen auf der einen Seite als Sinnbild positiv besetzter adliger Eigenschaften versteht, als Hinweis auf »Stärke und Kampfeskraft, die das tertium comparationis zwischen dem Raubtier und dem adligen Heroen bilden«. Und auf der anderen Seite ist er ein »Schreckensbild«. 1050 Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 435. Ebenso Hartmann, Gahmuret und Herzeloyde, S. 300–301. 1051 Fischer, The Dream, S. 121. 1052 Hartmann, Gahmuret und Herzeloyde, S. 300–301. Vgl. dazu auch Mertens, Artusroman, S. 113. 1053 So Bachorski, Träume, S. 38, in Anlehnung an Freuds Wunschtraumtheorie. 1054 Bachorski, Träume, S. 33. 1055 Ebd., S. 39. 1056 Ebd., S. 36.

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tatsächlich als »Angstbeben artikulierte[…] sexuelle[…] Affekte und libidinöse […] Empfindungen«1057 begreift, als eine »Angstlust oder Lustangst«1058. Lust sehe ich hier, anders als Bachorski, nicht, nur Bilder der Furcht, des Schreckens, des Entsetzens. Eine sexuelle Konnotiertheit von wamme und brüste[n] ist hier m. E. nicht zu erkennen. *

Der Traum – das wird schon an diesem kurzen Forschungsabriss deutlich – produziert ein Übermaß an Bedeutung, das sich nicht fassen lässt. M.E. kann der Traum nicht auf eine eindeutige Aussageorientierung gebracht werden. Das zeigen schon die Kontroversen um den triuwe-Begriff, der in den Text hineininterpretiert wird, weil er für den Parzival als Ganzes bedeutsam ist, explizit ausgesprochen wird diese Idee in der Traumerzählung aber nicht. Problematisch ist auch die Diskussion über heilsgeschichtliche Implikationen, weil diese letztlich verkehrt werden. Hinzukommt noch die Ambivalenz des Drachenbildes.1059 Haupt verweist zu Recht auf die »Mehrdeutigkeit der Traumbilder«1060. Schmitz spricht nicht ohne Grund davon, dass die Wolframsche Narratologie auf »Widersprüchlichkeit geradezu angelegt«1061 sei. Hinzukomme ein »Überschuss […] an Sinnpotential«1062, den man dem Parzival als Ganzes attestieren müsse. Mertens spricht von einer »›Polyphonie‹ der Sinngebung«1063. Das Gleiche gilt auch für den Herzeloyde-Traum, weil er eben Teil dieses sehr komplexen Romans ist, und vielleicht spielt Wolfram gerade mit dieser Komplexität. So erscheint Herzeloyde, wie oben gezeigt, nach der einen Lesart als Heilige, als triuwe-Vorbild, nach der anderen als Sünderin und Egoistin, und Parzival wird hier zum Jesus-Kind und da zum teuflischen Drachen und Unheilsbringer. Für jede dieser Deutungen findet man Argumente im Text, aber auf keine Position lässt er sich festlegen. Das hängt natürlich eng zusammen mit dem »dichtungstheoretischen Konzept«1064 Wolframs. Dieser interessiert sich, wie Bumke darlegt, für den par1057 Ebd., S. 41. 1058 Ebd., S. 39. 1059 Vgl. dazu auch Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 435. Haupt, Träume der Frauen, S. 168. Auch die Identität zwischen trache und wurm ist umstritten. Schmitz, Traum und Vision, S. 79, nimmt eine solche Identität an. Ebenso Fischer, The Dream, S. 119. Anders BrallTuchel, Wahrnehmung, S. 81ff. 1060 Haupt, Träume der Frauen, S. 168. 1061 Schmitz, Der Schluss des Parzival, S. 28. 1062 Ebd., S. 31. 1063 Mertens, Artusroman, S. 105. 1064 Schuler-Lang, Larissa: Wildes Erzählen, Erzählen vom Wilden: ›Parzival‹, ›Busant‹ und ›Wolfdietrich D‹. Literatur – Theorie – Geschichte. Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik. Band 7. Hrsg. von Udo Friedrich, Bruno Quast, Monika

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rierten Menschen, den Elsterfarbenen, den »schwarz-weiß-Gemischten«, den Zweideutigen, der »zugleich ›beschimpft und gefeiert‹ (gesmæhet unde gezieret, 1,3) wird.«1065 So ist für Wolfram, wie auch Schuler-Lang feststellt, nicht der »eindeutig gute oder schlechte Mensch […] literarisch interessant, sondern es geht ihm um den, der beides in sich vereint, dessen Schicksal sowohl in Richtung Himmel als auch in Richtung Hölle offen ist.«1066 Wolframs Figurenkonzeption ist auf Ambivalenz und Heterogenität hin angelegt.1067 Hinzu kommt das »wilde Erzählen«1068 Wolframs, eine Art des Erzählens, bei dem sich der sin, die guote lÞre, wie Schuler-Lang im Rahmen ihrer Untersuchung zeigt, dem Rezipienten nicht direkt erschließt, so dass es, wie schon Wolframs Zeitgenosse Gottfried Straßburg kritisch anmerkte, der glúse (Tristan, V. 4687f.), also der Ausdeutung, bedürfe.1069 Ich versuche vor diesem Hintergrund im Folgenden auch keine weitere Sinndimension hinzuzufügen, sondern frage danach, was diesen Traum, was seine Erzählweise an sich so besonders, so ungewöhnlich macht, warum er die Forschung so intensiv beschäftigt hat, so kontrovers diskutiert und gedeutet wurde. *

Ungewöhnlich ist der Umgang Wolframs mit der Traumtradition. Dabei folgt er hinsichtlich seiner Bildlichkeit zunächst tradierten, altbekannten Mustern symbolischer Träume. Das Drache-Greif-Motiv etwa findet sich schon im Traum

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Schausten. Konstanz 2012, S. 53. Zwar fehlt ein konkretes poetologisches Programm. Doch es findt sich, wie Schuler-Lang, S. 53, zeigt, eine »Reihe über den ganzen Text verteilter poetologischer Aussagen«. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 42. Schuler-Lang, Wildes Erzählen, S. 58. Vgl. ebd. Zum heterogenen Figurenkonzept Wolframs vgl. auch Tr„nca, Beatrice: Parrieren und undersn„den. Wolframs Poetik des Heterogenen. Frankfurter Beiträge zur Germanistik. Band 46. Heidelberg 2008. Schuler-Lang, Wildes Erzählen, S. 36. So bezeichnete Gottfried Wolfram in seinem Tristan kritisch als vindære wilder mære / der mære wilderære (V. 4663f.). Zitiert nach Gottfried von Straßburg: Tristan. Band 1. Mhd./Nhd. Hrsg., übers. und mit einem Nachwort versehen von Rüdiger Krohn. Stuttgart 2006. Schuler-Lang, Wildes Erzählen, S. 42. Rudolf von Ems dagegen verwendet (wie auch andere Dichter) in seinem Alexander (V. 3135f.) den Begriff wilde auf Wolfram bezogen im positiven Sinne. Rudolf von Ems: Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts. 2 Bände. Hrsg. von Victor Junk. Darmstadt 1970. (Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1928–1929). Jedenfalls schließt der »Prolog-Sprecher […] die Gruppe der tumben aus seinem Rezipientenkreis aus, weil sie für diese sein Konzept der Ambivalenz und Dynamik so unfassbar wie ein hakenschlagender Hase erscheinen muss.« (SchullerLang, S. 58.) Sein Publikum sind die w„sen, denn nur diese können der Dynamik des Erzählens folgen, die wie ein schellec hase »gegenläufige Bewegungen« vollführt (ebd., S. 59).

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der Olympias im Alexanderroman des Pfaffen Lambrecht (Straßburger Alexander, Vv. 158–163)1070, später in der Rabenschlacht im Helche-Traum (RS Vv. 123–126) – die Konstellation selbst ist nicht neu, sie hat antike Wurzeln.1071 Interessant aber ist dann die Abweichung von der traditionellen Erzählweise, und diese besteht vor allem in der Steigerung des Figurenbezugs. So stellt etwa Haupt fest: »In seiner Gesamtheit ist der Traum […] zweifellos auf die Träumerin hin konzipiert«1072. Auch Speckenbach betont Herzeloydes Position im »Mittelpunkt«1073. Die Figur ist nicht mehr auf eine reine Beobachterrolle reduziert, wie das etwa bei Helche in der Rabenschlacht, bei Kriemhild oder Uote im Nibelungenlied oder Konstantin im König Rother der Fall ist. Herzeloyde träumt von sich selbst, der Traum betrifft die Figur, die zum Fixpunkt allen Geschehens wird. Bachorski spricht sogar im Anschluss an Freud von einem »absolut egoistischen« Traum der Königin.1074 Herzeloyde wird von einem sternen blic in die lüfte gerissen, von Blitz und Donner schwer erschüttert, feurige Tränen regnen auf sie nieder. Später zucte ein Greif an ihrer Hand, reißt diese, folgt man der Übersetzung Nellmanns, sogar ab.1075 Dann bricht noch ein Drache gewaltsam aus ihrem Körper heraus, zerreißt ihr die wamme und reißt ihr das Herz aus der Brust. Das sind überaus drastische Bilder, die eine Atmosphäre des Schreckens, der Angst, der Furcht, des Leids, des Schmerzes erzeugen, und Herzeloyde erlebt den Horror an ihrem eigenen Körper, der hierbei verstümmelt, ja zerstört wird. 1070 Darauf macht auch Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 52, aufmerksam. So aber auch schon Lucae, Karl: Über den Traum der Herzeloyde im Parzival, in: ZfdP, 9 (1878), S. 129– 135, hier: S. 129ff. 1071 Hesse, Herzeloidens Traum, S. 306–309, etwa sieht Bezüge zum Traum der Klytemnestra. Zum Motiv der Drachenträume bei Schwangeren vgl. Hatto, Herzeloyde’s Dragon-Dream, S. 18ff. Das Traummotiv der Drachengeburt findet sich auch im Prosa-Lancelot. Mordred erfährt von einem Einsiedler, dass er der inzestgezeugte Sohn Königs Artus ist und das Artusreich zerstören wird. In diesem Zusammenhang erzählt der Einsiedler von einem Traum des Königs Artus, den er in diesem Sinne deutet: »Und desselben nachts als er dich gewanne da kam im fur in dem slaff das ußer synem lib ging ein trach, der im all syn lant verbrant und im all syn volck erdrott. Und als er sin lant underbrecht und sin lut getöt hatt, da lieff er yn ane, er wolt yne zurrißen und auch zum tot bringen. Aber er weert sich sere das er den trachen zu tot schlug, und er was doch so sere vergifft das er des sterben must.« Kluge II, 599, 18–24. Vgl. auch Prosa-Lancelot III. Lancelot und der Gral I. Nach der Heidelberger Handschrift Cod. Pal. germ 147, hrsg. von Reinhold Kluge, ergänzt durch die Handschrift Ms. allem 8017–8020 der BibliothÀque de l’Arsenal Paris. Übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Hans-Hugo Steinhoff, S. 274–276 [im Folgenden kürze ich ab mit Steinhoff.] Der Vorgang der Drachengeburt wird hier, anders als im Herzeloyde-Traum, nicht weiter geschildert. Die atmosphärische Orientierung ist im unheilvollen Bild des bedrohlichen, Feuer speienden, alles verwüstenden Drachen dennoch intensiv. 1072 Haupt, Träume der Frauen, S. 168. 1073 Speckenbach, Von den troimen, S. 187. 1074 Bachorski, Träume, S. 32. 1075 Nellmann, Übersetzung, S. 177.

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Die Forschung weist auf die starke Affektivität dieser Bilder hin. Brall-Tuchel etwa meint, Herzeloyde werde in einen »affektiven Ausnahmezustand«1076 versetzt. Bachorski sieht hier »Verletzungen, körperlichen Schmerz, Trauer […] imaginiert.«1077 Es sei eine Darstellung von »seelische[m] Schmerz«1078. Es seien Bilder des Jammers.1079 Haupt spricht von Gewaltakten, die die Königin in passiver Anschauung erfahre.1080 Sie sei dem »Anblick des Fürchterlichen [hilflos] ausgeliefert«1081. Einen derart stark ausgeprägten drastisch-affektiven Figurenbezug weist keiner der anderen Träume auf, die in dieser Studie behandelt werden. Der motivisch ähnliche Olympias-Traum etwa bleibt unspezifisch, über den Figurenbezug lässt sich kaum mehr sagen, als dass die Bilder freisl„ch sind. Einem »Affektsturm«1082, wie Herzeloyde, ist Olympias, die als Figur insgesamt völlig blass bleibt, nicht ausgeliefert. Ebenso wenig wird das Erleben des Königs Sinold im Orendel geschildert. Dem Heiden wird im Traum der Kopf von einem Raben abgebissen, doch wie er das erlebt, wie er das empfindet, erfahren wir nicht.1083 Die Träume Karls schließlich sind, wie die anderen in dieser Studie behandelten (außer die im Iwein), für die Erzählung funktionalisierte Symbolaggregate. Im Rolandslied geht es um Atmosphäre, Spannung, Vorausdeutung, aber nicht explizit um die Figur selbst. Karl hat sie in erster Linie aufgrund seiner Funktion als Herrscher, die Träume sind vor allem an seine Position gebunden.1084 Die Träume im Rolandslied sind, wie auch im Nibelungenlied, nie Ausdruck der Ängste der Figuren. Sie erzeugen sie lediglich, sie bieten aber keine Innenschau. Der Herzeloyde-Traum überschreitet das Übliche solcher Karls- oder Nibelungenlied-Träume.1085 1076 1077 1078 1079 1080 1081 1082 1083

Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 75. Bachorski, Träume, S. 35. Ebd., S. 36. Ebd., S. 39. Haupt, Träume der Frauen, S. 167. Ebd., S. 168. Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 78. Ebd., S. 78, sieht die Begabung zur »affektiven und kognitiven Wahrnehmung« vor allem beim »weiblichen Romanpersonal« Wolframs. 1084 Vgl. dazu auch Träume im Mittelalter. Ikonologische Studien. Hrsg. v. Bagliani, Agostino Paravicini/Stabile, Giorgio. Stuttgart 1989, S. 8. 1085 Allenfalls die Galahot-Träume im Prosa-Lancelot weisen einen ähnlich drastisch-affektiven Figurenbezug auf. Die Prosa mit ihrer gegenüber dem Vers offeneren, freieren Form ermöglicht ein, wie Fuchs-Jolie, Bedeutungssuggestion, S. 330, es treffend formuliert, geradezu drehbuchartiges Erzählen und eröffnet damit auch Möglichkeiten eines intensiveren Ausgestaltens von Atmosphäre. Das zeigt sich besonders eindrucksvoll am Beispiel der Galahot-Träume: Dem Helden, den eine tiefe Freundschaft mit Lancelot verbindet, träumt, wie er mit anderen Rittern zusammen im Saal des Königs Artus sitzt, und er sah wo ein freischlicher serpant uß der konigin kamern gefarn qwam und het ein guldin cron off sym heupt; er kam durch alle jhen ritter zu Galahot und warff so vil flammen uß sim munde

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Im Parzival hängt vielmehr an der Figur selbst. Das zeigt sich etwa an den apokalyptischen Bildern, die zum Teil dieser Angstmaschinerie werden. Apokalyptische Bilder finden sich zwar auch in Karls Träumen, etwa mit dem Feuerregen-Motiv : in d˜cht, daz der himel stount ˜f get–n, / unt fiur dar ˜z scolte varen (RL Vv. 7086–7087). Aber hier wird die ganze Welt erschüttert, im Herzeloyde-Traum dagegen nur die Figur, hier werden die apokalyptischen Bilder individuiert, sie werden auf die Figur bezogen, auf sie zentriert, auf ihr Leid. Es ist gewissermaßen ein persönlicher Weltuntergang.1086 Das ist eine ganz andere Perspektivierung, eine ganz andere Funktionalisierung des traditionellen Musters, der Sprache der Traumsymbole. Die Schreckensbilder verlagern sich im Herzeloyde-Traum nach innen. Es ist also nicht abwegig, wie Brall-Tuchel, hier von »innengesteuerte[r] Selbstwahrnehmung«1087 zu sprechen. Begriffe wie angestl„ch, vorhtl„ch, vorhte, kumber sind alle auf die Figur bezogen, auf ihre Wahrnehmung. Bachorski spricht hier zu Recht von einer »enormen Furcht«1088. Das Feuer, das vom Himmel regnet, sind Tränen, Zeichen von Trauer und Schmerz einer Figur. Hier zeigt sich ein protopsychologisches Erzählen: Wolfram beginnt die Figur mit einem Innenleben auszustatten. Protopsychologisch bleibt das Erzählen aber trotzdem, weil hier traditionelle Traumvorstellungen nebenher präsent sind und nicht einfach, wie etwa im Iwein, völlig aufgegeben werden. Somit ist es unpräzise, den Traum direkt als »psychologisch« zu bezeichnen, wie Schmitz das off yn das er aller verbrinnen wonde. In seinen drastischen Bildern kommt der darauffolgende zweite Traum dem Herzeloyde-Traum in atmosphärischer Hinsicht besonders nahe. Galahot träumt nun, das sin buch offgerißen were und das er all sin gederm in synem buch sehe ligen: yn ducht wie er zwey hercz in sim buch sehe, die beide glich groß werden und glich lang. Das ein sprang ußer sim buch und wart wol als groß als ein lebart, es lieff zuhant zu walde zu andern tiern, und verlose es also. Da ducht yn wie das ander hercz dorret in sim libe und darnach sin lip aller, si das er zuhant dot lag ee ers selbe icht wfflste. (Kluge I 483,8–13). Eine Atmosphäre des Schreckens wird hier über die Perspektive der Figur auf sich selbst hergestellt. Schon Fuchs-Jolie, Bedeutungssuggestion, S. 329, bemerkt, dass der Träumer »sich nicht distanziert von außen [sieht], als eine Figur unter anderen, sondern er sieht seinen aufgerissenen Leib mit eigenen Augen, indem er gleichsam an sich herunterblickt und in schockierender Ausführlichkeit zuerst seine Gedärme wahrnimmt und dann die zwei Herzen, auf denen der Blick verweilt.« Die Wahrnehmung der Zerstörung des eigenen Körpers wird durch das Erzählen in Prosa besonders plastisch, das Schreckliche besonders detailliert beschrieben. Das verstärkt die atmosphärische Wirkung der Traumbilder. Dennoch bringt diese Erzählung, anders als für Herzeloyde, nicht das Entsetzen der Figur während des Traumerlebnisses zur Geltung. Im Parzival wird dieses durch das zabeln und wuofen (104, 27) der Königin sogar nach außen hin sichtbar. 1086 Vgl. dazu auch Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 77: »Schicksalsfragen der Menschheit werden im epischen Prozeß als Schicksalsfragen von Menschen begriffen.« Geistliche hätten in der Erzählung wohl eine »Profanierung religiöser Weltdeutung« gesehen. 1087 Brall-Tuchel, Wahrnehmung, S. 87. 1088 Bachorski, Träume, S. 40.

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tut.1089 Damit trägt er nicht der Tatsache Rechnung, dass auch alte Muster weiter bestehen bleiben. Dieses Erzählen Wolframs ist bemerkenswert, insbesondere vor dem Hintergrund der Behauptung Philipowskis, dass »[…] der Traum […] im Mittelalter zumeist nicht als ein subjektives Erleben verstanden [wird], sondern als eine exklusive Erfahrung und Schau objektiver Wahrheiten.«1090 Dass der Herzeloyde-Traum mantisch ist und objektive Wahrheiten vermittelt, wenngleich sich die Symbole nicht in jedem Punkt eindeutig entschlüsseln lassen, darüber herrscht Einigkeit. Zugleich ist dieser Traum aber auch ein subjektives Erleben Herzeloydes. Ihre Angst wird versinnbildlicht, der Traum wird zum Ausdruck ihrer Angst und ihres Leids1091, führt diese Emotionen in ganz plastischen Bildern vor Augen. Leid ist zwar auch das Thema des Nibelungenliedes und der Rabenschlacht. Leid wird dort aber lediglich proleptisch vorweggenommen, die Figuren leiden, wenn sie erwachen, weil ihnen leit durch den Traum prophezeit wurde. Aber der Traum ist nie Ausdruck von Leid, ist nie ins Innere der Figur verlagert. Der Schrecken kommt im Nibelungenlied, in der Rabenschlacht oder im Rolandslied immer von außen. Im Herzeloyde-Traum dagegen kommt er von innen, bricht im Bild des Drachen aus der Figur selbst heraus.1092 Der Herzeloyde-Traum wird in geradezu übertriebener Weise auf die Figur bezogen, bläst sie quasi auf, wodurch sie sehr plastisch erscheint. Herzeloyde spielt für die Erzählung insgesamt aber eigentlich keine überragende, d. h. nach ihrem Tod keine weiter tragende Rolle mehr. Doch der Traum wird stets wachgehalten, bleibt präsent, auch in späteren Phasen der Erzählung. Semantische Bezüge werden nicht nur in der Szene hergestellt, in der sie Parzival säugt:

1089 Schmitz, Traum und Vision, S. 82. 1090 Philipowski, Der allegorische Traum, S. 247. 1091 Vgl. zum Aspekt des Leids Speckenbach, Von den troimen, S. 182. Haupt, Träume der Frauen, S. 166. 1092 Ebenfalls protopsychologisch wird in der Forschung für die Galahot-Träume argumentiert. So meint etwa Speckenbach, Galahot-Träume, S. 122, die Träume seien Ausdruck der Angst Galahots, »den geliebten Freund an die Königin zu verlieren«, sie seien also »Ausdruck von Galahots Psyche«, zugleich seien sie aber auch »prognostischer Natur« (S. 131.), sie verdeutlichten »den Zustand seiner Psyche und seine Bestimmtheit zum Tode.« (S. 133.) Speckenbach vertritt hier für die Galahot-Träume zu Recht eine Mittelwegthese, die er aber für den Herzeloyde-Traum nicht in Betracht zieht. Vgl. Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 435–437. Fuchs-Jolie, Bedeutungssuggestion, S. 330, argumentiert ebenfalls im Sinne der Mittelwegthese. Er sieht hier einen Versuch gegeben, den Traum »nicht nur als Vorwegnahme einer negativen Zukunft zu inszenieren, sondern als jenen Moment des Schreckens, wenn man im Angsttraum einen Blick in die Abgründe, in die selbstzerstörerischen Kräfte, in die buchstäblich blutige Zerrissenheit des eigenen Innenraums tun.«

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selbe was s„n amme diu in truoc in ir wamme: an ir brüste si in zúch (Vv. 113, 9–12).

Auch über den Tod der Herzeloyde hinaus wird auf den Traum wieder Bezug genommen. Hier sind Gehalte, die noch weit über die Angst, den Verlust, das Leid, das Herzeloyde empfindet, hinausgehen: Der Traum bezieht sich mit der Fluchtbewegung des Drachen nicht nur analeptisch zurück auf Gahmuret, nicht nur proleptisch auf Parzivals Verlassen der Mutter und ihren Tod infolgedessen, er taucht auch später wieder auf, etwa wenn Orilus Parzival mit einem wilden trachen (V. 137, 19) vergleicht.1093 Ein sehr konkreter Bezug wird dann im Rahmen des Parzival-Traums auf der Gralsburg hergestellt, der, allerdings konkrete Bilder aussparend, direkt auf diesen Bezug nimmt: ir boten künftigiu leit sanden im in sl–fe dar, sú daz der junge wol gevar s„ner mouter troum gar widerwac (Vv. 245, 4–7).

Durch die Vergegenwärtigung des Traums der Herzeloyde wird auch das Leid Parzivals intensiviert zum Ausdruck gebracht. Sassenhausen etwa meint, der Traum sei zu verstehen als »Illustration des Aufruhrs, der in Parzivals Seele herrscht«1094. Er verweist aber auch auf künftiges Leid des Helden und erinnert in diesem Zusammenhang zugleich an das Herzeloydes.1095 Er wird auch später wieder aufgerufen, wenn Leid thematisiert wird: s„t gap vroun Herzeloyden troum / siufzebæren herzeroum. (Vv. 337, 11–12). Es wird wieder auf ihn Bezug genommen in der Traumdeutung Trevrizents (Vv. 476, 27–30), dem, wie es Ohly treffend formuliert, »werkimmanente[n] Binnengedächtnis«1096 des Parzival. Er bleibt präsent. Aber auch, so meine ich, über den Parzival hinaus: Der Herzeloyde-Traum erfüllt offenkundig auch eine meta-narrative, d. h. intertextuelle Funktion. So übernimmt der Helche-Traum die Drache/Greif-Motivik des Herzeloyde-Traums. Das Motiv-Zitat ruft das Leid Herzeloydes in Erinnerung und intensiviert darüber in atmosphärische Hinsicht das Leid Helches. Unbewusste Antriebe spielen für Herzeloydes Traum m. E. noch keine Rolle, 1093 Vgl. dazu auch Bachorski, Träume, S. 36, FN 76. Der Kampf zwischen Orilus und Parzival wird mit einem Drachenkampf verglichen (262, 1ff.), wobei hier aber Parzival zum Drachenkämpfer wird. 1094 Sassenhausen, ›Parzival‹ als Entwicklungsroman, S. 273. 1095 Vgl. dazu auch Sassenhausen, ›Parzival‹ als Entwicklungsroman, S. 273ff. 1096 Ohly, Friedrich: Bemerkungen eines Philologen zur Memoria. In: Momoria. Der zeitgeschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedankens im Mittelalter. Hrsg. Karl Schmid/ Joachim Wollsch. München 1984, S. 9–68, hier: S. 54.

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er ist noch immer expressiv, aber dennoch auch Teil einer Figurenpsychologie. Dieser Traum steht gewissermaßen auf halber Strecke zwischen den traditionellen heldenepischen Träumen nibelungischer Provenienz einerseits, denn das alte traditionelle Muster der symbolischen Traumerzählung ist im Parzival noch präsent, und dem Iwein andererseits, der sich jenseits des traditionellen Musters mantisch-symbolischer Träume positioniert, quasi am anderen Ende des Spektrums. Ich werde darauf im letzten Kapitel dieser Studie noch genauer zu sprechen kommen. Gerade der Mittelweg, den dieser Traum geht, der Mittelweg zwischen dem traditionellen symbolisch-mantischen Traum und der Verlagerung der Bilder der Angst und des Schreckens nach innen, macht diesen Traum für die Forschung so interessant, so reizvoll, führt zu kontroversen Diskussionen, macht ihn zum Spielfeld für allegorische, für psychologische und sogar psychoanalytische Lesarten. Und jede Lesart hat ihre Berechtigung. Aber gerade aufgrund der polyphonen Sinngebung dieser Traumerzählung erscheint etwa Fischers Klassifizierung des Traums als somnium ebenso einseitig wie Speckenbachs Klammern an eine rein allegorische Deutung.1097 Das wird diesem Traum in der Komplexität seiner Bilder, in seinem stark ausgeprägten affektiven Figurenbezug nicht gerecht. Auch seine bleibende Präsenz in der Erzählung, die Erinnerung an ihn, bindet ihn stark in den komplexen Gang der Erzählung insgesamt ein. Auch das Spiel mit der Mehrdeutigkeit von Symbolen, mit trache, wurm und grife, macht es unmöglich, Eindeutigkeit herzustellen. Hinzukommen die komplexen intertextuellen Bezüge, die sich über die Bilder herstellen. Einmal werden die Figuren mit Verweis auf den Traum positiv gewertet, dann wieder negativ. Einmal ist Herzeloyde die Gottesmutter und triuwe-Vorbild, dann wieder ist sie egoistisch, eine Sünderin. Einmal ist Parzival das Jesus-Kind, dann wieder ist er der apokalyptische Drache und es wird die Schwere seiner Schuld betont. Doch am Ende ist er dann der Grals-König. Der Traum der Herzeloyde funktioniert somit gerade nicht, wie andere Träume, aussagelogisch in dem Sinne, dass er eine Aussage trifft, die über Oppositionen wie gut-böse etc. Eindeutigkeit herstellt. Wolframs Erzählweise insgesamt entzieht sich programmatisch der Eindeutigkeit von Sinngebung. 7.

Zusammenfassung

Herzeloydes Traum verweist auf Gahmurets Tod, Parzivals Geburt, das Verlassenwerden der Königin durch Parzival und ihren Tod infolgedessen. Wie weit Herzeloyde den Traum versteht, bleibt unklar. Dass sie aber zu verhindern 1097 Speckenbach, Bildhafte Rede, S. 435–437.

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versucht, dass Parzival sie verlässt, kann als figurenorientierte Reaktion auf den Traum und Gahmurets Tod zugleich verstanden werden. Der Traum erzeugt Ängste und diese können, im Zusammenhang mit Gahmurets Tod, als Ursache für ihr Verhalten gesehen werden. Sie erzieht Parzival zur tumpheit, was wesentlich dazu führt, dass sich die Prophetie gegen ihre Intention erfüllt. Der Traum hat in diesem Sinne handlungsprogressive Bedeutung. Die Einschätzung der Traumvorstellung fällt in der Forschung kontrovers aus. Der Traum erscheint mantisch, der Handlungsverlauf, trotz der Kausalität der Figurenhandlung, determiniert. Eine rein mantische Lesart aber wäre zu einseitig. Auch Tagesreste können hier zur Erklärung der Entstehung von Traumbildern herangezogen werden, etwa mit der Schwangerschaft, der Sehnsucht nach dem fernen Ehemann, mit den Sorgen um ihn, den Ängsten vor Verlust, zugleich mit der negativen Wahrnehmung seiner Person aufgrund des ständigen Verlassenwerdens, der Angst, der Sohn könne das Verhalten fortsetzen. Ob sich in dem Traum unbewusste Prozesse abbilden, lässt sich nicht klären. Die Bilder erzeugen Ängste, sind zugleich auch Ausdruck der Ängste Herzeloydes und Darstellung ihres Leids. Und die Ängste, ebenso wie der Tod Gahmurets, haben einen Einfluss auf Herzeloydes weiteres Verhalten, das zwar gegen die Traumprophetie gerichtet ist, aber doch ihre Erfüllung mitbedingt. Der Traum lässt sich auf keine eindeutige Sinnebene bringen. Herzeloydes triuwe zu Gahmuret wird in den Text hineingedeutet, etwa mit Hinweis auf die Greifen-Szene oder die brinnende[n] zäher (V. 104,6). Die triuwe zu Parzival wurde im Herausreißen des Herzens durch den Drachen als Hinweis auf das gebrochene Herz der verlassenen Mutter gesehen. Ebenso Gottes-triuwe, Bezüge zur Offenbarung 12, zur Mulier amicta sole, Hinweise auf die Heilsgeschichte, die Stilisierung Herzeloydes zur Gottesmutter. Doch wird der triuwe-Begriff kontrovers diskutiert, heilsgeschichtliche Implikationen erscheinen ins Gegenteil verkehrt, Herzeloyde gebiert einen apokalyptischen Drachen. So wurde auch die Schuldfrage für Parzival und Herzeloyde diskutiert, in Herzeloyde die Terra Mater gesehen, die Sünderin. Auch der Drache erscheint ambivalent, einerseits satanisch, doch andererseits kann er als Königssymbol verstanden werden. Auch psychoanalytisch wird der Traum gedeutet, als Hinweis auf unbewusste erotische Wünsche. Der Traum weist, wie der Parzival insgesamt, ein Übermaß an Sinnpotenzial auf, die Erzählweise ist auf Widersprüchlichkeit angelegt. So erscheint es nicht möglich, ihn auf eine klare Aussageorientierung zu bringen, was auch so gewollt ist. Der Traum entzieht sich programmatisch jeder Eindeutigkeit. Ich habe deshalb versucht zu zeigen, was diesen Traum in seiner Erzählweise an sich so besonders macht, was ihn von üblichen traditionellen Traumerzählungen unterscheidet, warum er zum Gegenstand kontroverser Diskussionen wurde. Dabei habe ich gezeigt, dass der Traum zunächst eine ganz traditionelle

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Bildlichkeit aufweist, tradierten, altbekannten Mustern symbolischer Träume folgt, aber von der traditionellen Erzählweise durch eine signifikante Steigerung des Figurenbezugs abweicht, die sich in keinem anderen der symbolischen Träume findet. Dieser Traum ist ganz anders perspektiviert, ist stark auf die Figur hin konzipiert. Sie wird ins Zentrum gestellt, aus einer reinen Beobachterrolle herausgehoben. Die drastisch-affektiven Schreckensbilder versinnbildlichen Angst, Furcht, Leid, Trauer und Schmerz der Träumerin. Der Traum erzeugt nicht nur Ängste bei Herzeloyde, er ist auch Ausdruck der Ängste der Figur, überschreitet das Übliche traditioneller Träume: vielmehr hängt an der Figur. Die apokalyptischen Bilder sind individuiert, gestaltet ist ein persönlicher Weltuntergang. Die Schreckensbilder sind nach innen verlagert, doch zugleich werden traditionelle Muster beibehalten: ein protopsychologisches Erzählen. Der extreme Figurenbezug trägt dazu bei, dass die Figur sehr plastisch erscheint. Doch der Traum transportiert sich auch weiter, über Herzeloydes Tod hinaus, findet etwa Erwähnung im Parzival-Traum auf der Gralsburg und in der Traumdeutung Trevrizents. Somit ist er in den sehr komplexen Gang der Handlung eingebunden. Eindeutigkeit wird hier nicht hergestellt. Dieser Traum steht gewissermaßen auf halber Strecke zwischen den traditionellen heldenepischen Träumen und dem Iwein. Das macht ihn für die Forschung so reizvoll und hat zu sehr unterschiedlichen Deutungen und kontroversen Diskussionen geführt.

VI.5.2 Iweins Traummonolog in Hartmanns von Aue Iwein 1.

Der Text: Hartmanns von Aue Iwein

Der Iwein1098 Hartmanns von Aue (gest. um 1210/1220), entstanden wohl um 1200,1099 wird der Artusepik zugeordnet. Mertens spricht von einem »klassische [n] Artusroman«1100. Hartmanns Vorlage war der Yvain (um 1185/86)1101 Chr¦tiens des Troyes (gest. um 1190). Artusritter Kalogrenant erzählt während des Pfingstfestes von einer zehn Jahre zurückliegenden aventiure-Fahrt, die ihn durch den Wald von Breziljan 1098 Ich zitierte im Folgenden nach: Hartmann von Aue: Gregorius. Der Arme Heinrich. Iwein. Hrsg. und übers. von Volker Mertens. Frankfurt am Main 2008. Auf Varianten in verschiedenen Handschriften macht Mertens aufmerksam, ich verweise auf diese, sofern sie für die Analyse relevant erscheinen. 1099 Zur Datierung vgl. Mertens, Artusroman, S. 50. 1100 Mertens, Artusroman, S. 63ff. 1101 Zur Datierung vgl. Mertens, Kommentar, S. 951.

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geführt hatte. Hier sei er zu einer geheimnisvollen magischen Quelle gelangt. Durch Begießen ihres Steines sei ein schreckliches Unwetter ausgelöst worden. Der Quellenherr sei daraufhin erschienen und habe ihn im Kampf besiegt. Ritter Iwein fasst nun, nachdem er die Erzählung gehört hat, den Plan, zu der Quelle zu reiten und seinen Verwandten Kalogrenant zu rächen. An der Quelle angelangt begießt er ihren Stein ebenfalls mit Wasser, löst das Unwetter aus, der Quellenherr erscheint. Iwein kann den Kampf für sich entscheiden, der tödlich verletzte Gegner flieht. Iwein verfolgt ihn bis in die Burg, kann sie dann aber nicht mehr verlassen. Hier begegnet er Lunete, die ihm helfen möchte zu entkommen. Als er aber, durch einen Zauberring unsichtbar, die schöne Burgherrin Laudine sieht, möchte er sie unbedingt heiraten. Lunete hilft ihm dabei, Laudine zu gewinnen und Landesherr zu werden. Der Hochzeit Iweins beiwohnend, rät Artusritter Gawein seinem Freund zum Erhalt seiner Ehre das Turnieren nicht zu vernachlässigen. Iwein erbittet sich bei Laudine Urlaub auf ein Jahr. Während des Turnierens versäumt er jedoch die Jahresfrist. Er wird im Auftrag Laudines von Lunete verflucht, ihm wird Treulosigkeit vorgeworfen. Iwein verfällt daraufhin in einen Zustand des Wahnsinns und lebt längere Zeit in einem Wald. Eines Tages wird er schlafend von drei Damen der Gräfin von Narison entdeckt und mit einer Zaubersalbe von seinem Wahnsinn befreit. Er hilft der Gräfin, kämpft gegen den sie bedrängenden Grafen Aliers. Auf seiner weiteren aventiure-Fahrt wird ein Löwe, dem er im Kampf gegen einen Drachen zur Seite steht, sein Gefährte. Iwein wird zum Löwenritter. Er steht auch noch weiteren Hilfebedürftigen bei: Er bewahrt Lunete vor dem Scheiterhaufen, kämpft für einen Burgherren, einen Schwager Gaweins, gegen einen Riesen und setzt sich im Erbstreit für eine der Töchter vom Schwarzen Dorn ein. Am Ende kehrt er zur magischen Quelle zurück, begießt diese erneut und kann Laudine zurückgewinnen. 2.

Iweins Traummonolog

Iweins Monolog liegt nichts ›tatsächlich‹ Geträumtes zugrunde. Die Figur denkt zwar, dass sie einen Traum erzählt, der Monolog ist als Traumerzählung konzipiert und dient dabei als Erklärungsmuster für eine Differenz, aber der Rezipient weiß, dass es kein Traum ist. Und damit ergibt sich ein entscheidender Unterschied zu den anderen Träumen, die in dieser Studie behandelt werden. Hier wird auf einer anderen Ebene operiert. Der Text arbeitet mit einer gespaltenen Perspektive. Das ist gerade für die Ebene der Aussageorientierung relevant, weil diese auf der Kommunikationsebene zwischen Autor und Rezipient liegt und über das, was die Figur sieht und deren Welt ausmacht, hinausgeht. Hier sieht der Rezipient die Figur aus einer anderen Perspektive: Der

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Traum wird erzählt, um in die Figur zu schauen. Das ist ein radikaler Unterschied zum traditionellen Modell literarischer Träume. Das Analyseraster trägt diesem Unterschied Rechnung, besonders auf der Ebene der Aussageorientierung. An das Erwachen aus dem Wahnsinn, von dem ihn die Zaubersalbe befreit hat, schließt sich Iweins Traummonolog an: ›bist˜z £wein, ode wer? h–n ich gesl–fen unze her? w–fen, herre, w–fen! sold ich danne iemer sl–fen! mir h–t m„n troum gegeben ein vil r„terl„chez leben. ouw„ waz ich Þren pflac die w„le ich sl–fende lac! mir h–t getroumet michel tugent: ich hete geburt unde jugent, ich was schœne unde r„ch disem l„be vil ungel„ch, ich was hövsch unde w„s unde het mit manheit pr„s an r„terschefte bejagt, h–t mir m„n troum niht missesagt. ich bejagte swes ich gerte mit sper und mit swerte: mir ervaht m„n eines hant ein küneginne und ein r„chez lant, alsú daz ichs pflac, sú mir n˜ troumte, unmanigen tac, unz daz mich der künec Art˜s von ir vuorte ze h˜s. m„n geselle was her G–wein, als mir in m„nem troume schein. si gap mir urloup ein j–r (missesag ich niht, sú ist ez w–r)1102 dú beleip ich langer –ne nút, unz si mir ir hulde widerbút: die was ich ungerne –ne. in allem disem w–ne sú bin ich erwachet. mich het m„n troum gemachet zeinem r„chen herren. nu waz möhte mir gewerren, wær ich in disen Þren tút? 1102 Mertens, Kommentar, S. 1022, verweist hier auf die Variante in ADEJ: diz ist allez niht war.

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er effet sich –ne nút, swer sich an troume kÞret: der ist wol gunÞret. Troum, wie wunderlich d˜ bist! d˜ machest r„che in kurzer vrist einen alsú swachen man der nie n–ch Þren muot gewan: swenner danne erwachet, sú h–st˜ in gemachet zeime túren als ich. zew–re doch versihe ich mich, swie swarz ich ein geb˜re s„, wær ich r„terschefte b„, wær ich gew–fent unde geriten, ich kunde n–ch r„terl„chen siten alsú wol geb–ren sú die ie r„ter w–ren.’ Alsus was er s„n selbes gast, daz im des sinnes gebrast: und ob er ie r„ter wart […].‹ er sprach: ›mich h–t gelÞret m„n troum: des s„ er gÞret, mac ich ze harnesche komen. m„n troum h–t mir m„n reht benomen: swie gar ich ein geb˜re bin, mir turnieret al m„n sin. m„n herze ist dem l„be ungel„ch: m„n l„p ist arm, daz herze r„ch. wie stÞt ez sus umbe m„n leben?1103 ode wer h–t mir gegeben einen l„p sus unget–nen? (Vv. 3509–3579).

Iwein erinnert sich an seine Vergangenheit, hält diese aber für einen Traum. Er erinnert sich an sein vil r„terl„chez leben (V. 3514), seine hohe geburt (V. 3518), daran, dass er mit manheit pr„s / an r„terschefte bejaget (Vv. 3521–3522) hat, dabei viel Þre erlangte (V. 3515, ebenso 3545), dass er eine küneginne unde ein r„ches lant (V. 3528) errang, aber nur unmanigen tac (V. 3530) bei ihr blieb, da er König Artus zum Turnieren folgte, dass er die Jahresfrist, die Laudine ihm setzte (urloup ein j–r, V. 3535), versäumte (do beleip ich langer –ne nút, V. 3537). Er erinnert sich an den Verlust der hulde Laudines (V. 3538), an die Ursache seiner Krise, die ihn in den Wahnsinn stürzte, wobei er sich an den Zeitabschnitt des 1103 Mertens, Kommentar, S. 1023, merkt zu V. 3577 an: »Nur Bbz, alle anderen Handschriften haben ist mir getroumet min leben.«

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Wahnsinns selbst offenkundig nicht mehr erinnert. Die Traumerzählung ist eine Redundanz,1104 eine repititive Analepse1105, verweist zurück auf den Lebensweg des Helden bis kurz vor Ausbruch des Wahnsinns. 3.

Forschungsstand

Mantisches wird für den Traummonolog Iweins weitestgehend von der Forschung negiert.1106 Iweins Erzählung gehe nicht aus einer wirklichen Traumerfahrung hervor, Quelle sei seine Erinnerung.1107 Benez¦, Schmitz und Fischer bezeichnen den Traummonolog als psychologisch,1108 wobei sich diese Beurteilung offenkundig auf die Annahme einer immanenten Quelle der Inhalte des Traummonologs bezieht. Für Schmitz ist Iweins Erwachen eine »psychische Wiedergeburt«1109 nach der Krise, dem Verlust der hulde Laudines (V. 3538), die ihn in den Wahn gestürzt hatte. Der Held hat Zweifel an seiner Identität mit dem Traum-Iwein: ist mir getroumet m„n leben? (V. 3577).1110 Dieser Zweifel hat, folgt man Schmitz’ Darstellung, handlungsprogressive Funktion: Nur die anfänglich »erhebliche Unvollkommenheit seiner geistigen Verfassung«1111 ermögliche die »Rückkehr neuer Lebens- und Ritterfreude« und die Wiedergewinnung Laudines.1112 Wie figurenorientiert Iweins Reaktion ist, d. h. sein Zweifel gegenüber dem vermeintlichen Traum und seiner Identität mit dem Traum-Iwein, wurde kontrovers diskutiert. Schmitz meint, der Text gebe keine Hinweise darauf, wann »das Ende der psychischen Wiedergenesung«1113 erreicht sei, wann sich Iwein mit dem Traum-Iwein vollkommen identifiziere. Er spricht von einem »Mangel 1104 Vgl. zur Terminologie Martinez/Scheffel, Erzähltheorie, S. 45. 1105 Vgl. zur Terminologie Genette, Die Erzählung, S. 36. 1106 Dagegen meint Fischer, The Dream, S. 108, es könne sich auch um visio, oraculum oder somnium handeln. Das wirkt allerdings inkonsequent, weil er zugleich darauf hinweist, dass der Traum (auch in der fiktiven Welt der Erzählung) nicht wirklich geträumt worden sei. 1107 Benez¦, Traummotiv, S. 8. Schmitz, Traum und Vision, S. 65. Fischer, The Dream, S. 108. Classen, Narrative Funktion, S. 30. 1108 Ebd., S. 7–8. Schmitz, Traum und Vision, S. 63 und 67. Fischer, The Dream, S. 108. 1109 Schmitz, Traum und Vision, S. 68. 1110 Vgl. zu dieser Textpassage noch einmal FN 1103. Wirnt von Grafenberg zitiert in seinem Wigalois dieses Leben-als-Traum-Motiv. Nach einem Drachenkampf aus der Bewusstlosigkeit erwachend, sagt der Held: allez min leben ist ein troum. / Ich bin gesetzet an disen boum / rehte als ich wilde si (V. 5808–5810). Allerdings ist dies, wie schon Mertens feststellt, ein reines »Motivzitat«. Hier geht es, anders als im Iwein, nicht um eine Existenzkrise und »Wertorientierung« oder um ein »Sinndefizit in Gwigalois’ Selbstverständnis«. Dieser Held bleibt krisenfrei. Mertens, Artusroman, S. 182. 1111 Schmitz, Traum und Vision, S. 67. 1112 Ebd., S. 69. 1113 Ebd., S. 68.

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an Schilderung«1114. Blank führt lediglich an, Iweins »wahnbedingte […] Identitätskrise«1115 sei mit dem Entdecken der höfischen Kleidung überwunden.1116 Wird fiktionsintern also überhaupt plausibel gemacht, warum Iwein nicht wieder wahnsinnig wird? Mertens verweist auf die Aussage des Erzählers. Nachdem Iwein die ritterliche Kleidung angezogen hat, heißt es: dú wart er [Iwein] einem r„ter gel„ch. (V. 3596). Die Kleidung diene als »Mittel der Identifikationskonstitution«1117. Mertens stellt aber auch fest, dass offen bleibe, »ob die Verwandlung nur äußerlich ist oder auch seine [Iweins] innere Zweifel dadurch beseitigt [werden], daß die Diskrepanz zwischen Außen und Innen aufgehoben ist.«1118 Ähnlich Speckenbach: »Ob Iwein nach der Heilung [durch die Zaubersalbe] soweit wieder zu sich selbst gefunden hat, kann nicht eindeutig gesagt werden.«1119 Trotzdem ist Mertens der Auffassung, es gebe »keine Identitätsprobleme mehr.«1120 Ungeklärt bleibt damit aber, warum der Rückfall in den Wahnsinn ausbleibt. Auch Haubrichs legt dar : »Es fehlt ihm [Iwein] Eines, damit er sein Selbstverständnis wiedergewinnt […]. Es fehlt ihm die Kleidung des Hofes […].«1121 Zu Iwein in der neuen Kleidung schreibt er : »Genug des Wahnsinns. Er ist erlöst, der Held – oder?«1122 Offenkundig ist das doch nicht so ganz klar. Fischer geht dagegen von zwei Phasen des Erwachens aus: Die Zaubersalbe bewirke nur ein körperliches Erwachen, bringe Iwein das Bewusstsein zurück,1123 doch sei der Held dann noch immer »an ill man.«1124 Das wahre Erwachen und damit die psychische Heilung1125 erfolge erst mit der Rückkehr zur Laudinen-Quelle (V. 3930ff.).1126 Auf die Bedeutung der Quellenszene weist auch Speckenbach hin: »Mit dem Erkennen der Örtlichkeit weiß er schlagartig, daß 1114 Ebd. So schon Benez¦, Traummotiv, S. 9. 1115 Blank, Walter : Der Melancholiker als Romanheld. Zum deutschen ›Prosa-Lancelot‹, Hartmanns ›Iwein‹ und Wolframs ›Parzival‹, in: Ist mir getroumet m„n leben? Vom Träumen und vom Anderssein. Festschrift für Karl-Ernst Geith zum 65. Geburtstag. Hrsg. von A. Schnyder/C. Bartholemy-Teusch/B. Fleith/R. Wetzel. Göppingen 1998, S. 1–20. 1116 Ebd., S. 10. 1117 Mertens, Kommentar, S. 1023. 1118 Ebd. 1119 Speckenbach, Klaus: in: R„ter – geselle – herre. Überlegungen zu Iweins Identität, in: Erkennen und Erinnern in Kunst und Literatur. Hrsg. von Wolfgang Frühwald. Tübingen 1998, S. 115–146, hier : S. 126. 1120 Mertens, Artusroman, S. 1024. 1121 Haubrichs, Wolfgang: Erzählter Wahnsinn. Zur Narration der Irrationalität in Chr¦tiens ›Yvain‹ und Hartmanns ›Iwein‹, in: Mittelhochdeutsch. Beiträge zur Überlieferung, Sprache und Literatur. R. Plate/M. Schubert. Berlin/Boston 2011, S. 55–65, hier : S. 65. 1122 Ebd. 1123 Fischer, The Dream, S. 106. 1124 Ebd., S. 105. 1125 Ebd., S. 106. 1126 Ebd.

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sein angeblicher Traum eine Erinnerung an sein konkretes Leben gewesen ist.«1127 Tatsächlich gibt er sich auch erst im Anschluss daran, im Gespräch mit Lunete, »zum ersten Mal nach dem Waldleben […] mit seinem Namen zu erkennen: ich binz der £wein der arme (V. 4213).«1128 Dass Iwein nicht wieder wahnsinnig wird, erklärt Fischer figurenorientiert mit der neuen Identität des Helden als Löwenritter.1129 Allerdings führt er nicht weiter aus, weshalb ihn diese schützt. Meyer geht von einer Dreiteilung in ein »Körperliches«, »Soziales« und »Privates Selbst« Iweins aus.1130 An der Laudinen-Quelle angekommen, seien sein Körperliches und Soziales Selbst bereits wieder hergestellt, daher sei er so weit stabilisiert, dass er nicht erneut in den Wahnsinn zurückfalle.1131 Zudem sei für Iwein eine »Ich-Dissoziation«1132 festzustellen, die zunächst Distanz zum beschädigten Selbst schaffe. Zur Aussageorientierung meint Fischer, die Traumillusion »has guided Iwein to his proper social role, to the immediate psychic acceptance of his courtly obligation«1133, zu »social reponsibility.«1134 Wehrli sieht in Iweins Erwachen einen »entscheidende[n] Vorgang, im Verlauf jenes – wie auch immer zu sehenden – sældes wec, den der Artusroman darstellt […].«1135 Iwein müsse sich sich nun »selber als der erweisen […], der er ist.«1136 Es gehe um die »Selbstwerdung«1137 des Helden. In diesem Zusammenhang verweist Wehrli mit Hinweis auf Ohly1138 auf die heilsgeschichtliche Struktur des Iwein. Iweins Wahnsinn wird als »eine Art Passion oder Höllenfahrt […]« gedeutet, »die der Auferstehung vorangehen« müsse, und diese komme in Iweins Erwachen zum Ausdruck.1139 Nach seinem Erwachen erscheine Iwein dann als »Erlösergestalt«1140. Blank sieht im Traummonolog und mit Blick auf die vorangegangene Er1127 1128 1129 1130

1131 1132 1133 1134 1135 1136 1137 1138 1139 1140

Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 127. Ebd., S. 128. In der Ausgabe von Mertens: ich bin ez £wein der arme (V. 4213). Fischer, The Dream, S. 106. Meyer, Blicke ins Innere, S. 102. Meyer, S. 62, bezieht sich hier auf Überlegungen von James, William: The Principles of Psychology. Bd. 1–3. Cambridge, Mass./London 1981 (The Works of William James). Hier : Bd. 1, S. 279–379. Sowie Modell, Arnold H.: The Private Self. Cambridge, London 1993. Ebd., S. 203. Ebd., S. 195–196. Fischer, The Dream, S. 107. Ebd., S. 105. Wehrli, Max: Iweins Erwachen, in: Hartmann von Aue. Hrsg. von Hugo Kuhn/Christoph Cormeau. Darmstadt 1973, S. 491–510, hier : S. 493. Ebd., S. 492–493. Ebd., S. 496. Ohly, Walter : Die heilsgeschichtliche Struktur der Epen Hartmanns von Aue. Berlin 1958. Wehrli, Iweins Erwachen, S. 495. Ebd., S. 493–494.

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zählung einen Hinweis auf die »Kollision von höfischer Liebe und heldischer Ehre, von Minne und Aventiure.«1141 Nach dem Erwachen zeige sich eine »Neuorientierung« des Helden hin zu erbermde und helfe,1142 zugleich gehe es dabei um »Artuskritik«1143 : Iwein rette, wo der Artushof versage.1144 Classen sieht in dem Traummonolog ein »Ausdrucksmittel […] für die zweite Seinsebene«, für das »Wilde[…]« als »Kontrastpunkt zur scheinbar geordneten, zivilisierten Hofgesellschaft«1145. Da sich der Traummonolog aber nicht auf die Zeit des Wahnsinns bezieht, an die sich Iwein gar nicht erinnert, bleibt unverständlich, was der Traummonolog mit den beiden Seinsebenen zu tun haben soll. Hahn konzentriert sich auf das Traummotiv, das auf die Scheinhaftigkeit des ersten aventiure-Wegs verweise.1146 Das werde mit dem zweiten aventiure-Weg überwunden. Ähnlich argumentiert Mertens.1147 Untersuchen werde ich im Anschluss an diese Forschungspositionen, ob, im Hinblick auf Iweins Distanz zum Traum-Iwein, neben einer handlungsorientierten auch eine figurenorientierte Lesart plausibel erscheint. In diesem Zusammenhang werde ich untersuchen, bis zu welchem Punkt Iwein sein Leben noch für einen Traum hält und warum. Dabei werde ich insbesondere Meyers Selbststruktur-These, die versucht ein figurenorientiertes Erklärungsmodell zu liefern, hier auf Plausibilität hin überprüfen. In diesem Zusammenhang werde ich auch den Begriff Dissoziation für die Betrachtung der Iwein-Figur noch weiter präzisieren. Schließlich werde ich mich mit der Frage nach der Bedeutung des Leben-als-Traum-Topos für die Ebene der Aussageorientierung auseinandersetzen, aber auch darüber hinaus klären, was diesen Traum an sich so besonders macht.

4.

Traumvorstellung

Traumvorstellung und Figurenhandlung sind hier stark aufeinander bezogen. Das liegt daran, dass dieser Traummonolog vollkommen auf die Figur bezogen ist, völlig von ihr abhängt. Der Figurenbezug ist hier verabsolutiert, völlig individuiert. Das hebt ihn auch ab, von jedem anderen Traum, der in dieser Studie behandelt wurde. Quelle des Traummonologs sind Tagesreste, heute von der Psychoanalyse 1141 1142 1143 1144 1145 1146

Blank, Melancholiker, S. 13. Ebd., S. 13. Ebd. Ebd., S. 14. Classen, Narrative Funktion, S. 30. Hahn, Ingrid: »güete« und »wizzen«. Zur Problematik von Identität und Bewusstsein im ›Iwein‹ Hartmanns von Aue, in: PBB 107 (1985), S. 190–217, hier: S. 213. 1147 Mertens, Kommentar, S. 1022.

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definiert als »Tageserlebnisse, die im Traum weiterverarbeitet werden und als Traumerreger eine maßgebliche Rolle spielen.«1148 Der Traummonolog Iweins steht dieser Definition nicht fern: Der Ritter erzählt seine eigene Geschichte, ihre Quelle sind Erinnerungen, Wahrnehmungen, Bilder, Eindrücke aus seiner Vergangenheit, seiner früheren Existenz, seinem Alltag vor dem Wahnsinn. Der Monolog verweist auf den früheren Lebensstil des Ritters. Das mutet modern an, aber dass man träume, was einen tagsüber beschäftigt hat, was man erlebt und gedacht hat, wurde als Traumauffassung, wie die Forschung nachgewiesen hat, schon seit der Antike vertreten.1149 Bis ins Mittelalter galt der Traum vielen Theoretikern auch als selbstreferentielles Produkt von Wahrnehmungsresten, Erinnerungen, Gedanken, Emotionen, Eindrücken des Tages.1150 Daher hat die Forschung Iweins Traum allgemein eine psychologische Qualität zugesprochen: Erkannt wird die immanente Quelle der Bilder aus Iweins Traummonolog. Iwein aber reagiert mit Zweifel,1151 sieht seine Erinnerungen als Trugbild eines Traums an, meint: swer sich an troume kÞret, / der ist wol gunÞret (Vv. 3547– 3548). Der Traum mache den Menschen zum túren (V. 3555), gaukle ihm etwas vor, lasse den swachen man an Þre denken (Vv. 3551–3552), mache r„che in kurzer vrist / einen alsú swachen man (Vv. 3550–3551), schenke ihm ein vil r„terl„chez leben (V. 3514). Traumskeptisch waren auch schon die antiken Traumtheoretiker.1152 Skepsis wird zudem schon in der Bibel geäußert, auf die

1148 Mertens, Wolfgang: Traum und Traumdeutung. 3., aktualisierte Auflage. München 2003, S. 62. 1149 Vgl. dazu allgemein Ernst, Traum, S. 148. Alt, Schlaf der Vernunft, S. 21. Lauer, Traum, S. 962. Zintzen, Traumdeutung, S. 930–931. Hopfner, Traumdeutung, S. 2248. WittmerBusch, Schlaf und Traum, S. 100. Speckenbach, Kontexte, S. 299, verweist hier auf die Traumtheorie des Aristoteles. Ebenso Alt, Schlaf der Vernunft, S. 37–38. Alt macht zudem auf Lukrez (S. 38), Cicero (S. 53), Artemidorus (S. 42), Tertullianus (S. 52) und Augustinus (S. 49) aufmerksam, die sich bezüglich der Tagesreste-Theorie direkt oder indirekt durch Aristoteles beeinflusst zeigen. Wittmer-Busch, S. 97–98, verweist in diesem Zusammenhang auf die Traumtheorien des Kirchenvaters Hieronymus (ca. 347–420). Ricklin, Traum in der Philosophie, S. 122, und Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 40, weisen auf die Theorie des Macrobius hin. 1150 Weber, Kaiser, Träume und Visionen, S. 36, FN 52. Vgl. zu entsprechenden Theorien des Frühmittelalters und Einflusslinien Wittmer-Busch, Schlaf und Traum, S. 105, 106, 115, 127. Für das Hochmittelalter, S. 115, 116, 118, 131, 142. Vgl. dazu auch Dinzelbacher, Vision, S. 40. 1151 Vgl. dazu auch Fischer, The Dream, S. 104. Gottzmann, Artusdichtung, S. 131. Meyer, Blicke ins Innere, S. 196. 1152 Vgl. dazu Kamphausen, Hans Joachim: Traum und Poesie in der lateinischen Poesie der Karolingerzeit. Bern 1975, S. 12. Ernst, Traum, S. 147. Hermes, Laura: Traum und Traumdeutung in der Antike. Düsseldorf 1996, S. 11.

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sich, wie Wittmer-Busch herausgearbeitet hat, Traumtheoretiker des frühen und hohen Mittelalters beziehen.1153 Eine traumskeptische Reaktion ist also nichts Ungewöhnliches.1154 Ungewöhnlich aber erscheint die Skepsis Iweins gegenüber der Realität der gesamten eigenen Existenz. Diese ist offenkundig zunächst handlungsorientiert. Die Erinnerung an das eigene Versagen, die Verfehlung, den damit verbundenen Verlust der hulde Laudines,1155 das Trauma also, stellt eine Gefahr für den Helden dar. Die Krise wird formuliert: die [hulde] was ich ungern –ne (V. 3539). Die Schuld liegt bei Iwein selbst: do beleip ich langer –ne nút (V. 3537). Die Schuld ist unerträglich, verursachte seinen Wahnsinn. Cormeau/Störmer weisen darauf hin, dass Iweins »Identität in die Krise [geraten ist], durch eine Realität, der er

1153 Vgl. dazu Wittmer-Busch, Schlaf und Traum, S. 108–115. 1154 Vgl. etwa die skeptische Reaktion Ogirs auf Karls Traumerzählung (RL, V. 7463). 1155 Die Motive Traum, Wahnsinn und minne stehen auch im Prosa-Lancelot in einem Zusammenhang. Allerdings ergeben sich Unterschiede zum Roman Hartmanns. Im Iwein wird der minne-Verlust zur Ursache des Wahnsinns, der Traummonolog ist später Teil des Heilungsprozesses. Im Prosa-Lancelot wird der Traum dagegen zur Ursache des Wahnsinns. Das Motiv wird hier also variiert: Die zauberkundige Morgane verabreicht Lancelot in ihrer Eifersucht einen Kräutertrank. Durch diesen wird ein Traum künstlich erzeugt, welcher im Rahmen einer weiteren Inszenierung den Helden um den Verstand bringt. So träumt Lancelot, er finde seine Geliebte Ginover in einem pavilun in den Armen eines fremden Ritters. In seinem Zorn greift er nach einem Schwert, das in dem pavilun hing so yn ducht (Kluge I 594,9). Er will den fremden Ritter erschlagen, doch Ginover wendet sich an ihn und sagt ihm, der andere Ritter sei nun ihr Geliebter, Lancelot solle verschwinden und nie mehr wiederkommen. Der Held erwacht aus seinem Traum und findet sich wieder in einem pavilun by ein schönen bette, und das schwert, da mit er den ritter solt han geslagen, fande er in siner hende albare. Da wonde er furware das ers [die Beischlafszene] mit den augen gesehen hett (Kluge I 594,4f.). Lancelot verfällt daraufhin dem Wahnsinn: Alda wart sin ruw groß und großer, das er sere krancken begund an dem libe, und das heubt begund iteln vonwachen und von vasten (Kluge I 596,30f.). Halbnackt rennt er davon (Kluge I 596,36–597,1). Vom Wahnsinn geheilt wird er von der Frau vom See, seiner Ziehmutter (Kluge I 598,20ff.). In der gesamten Erzählung erkrankt er insgesamt dreimal an der Tobsucht. Die Ursache des Wahnsinns ist dabei stets der eingebildete oder tatsächliche Verlust der Hulde Ginovers oder der Umstand, nicht mehr in ihrer Nähe sein zu können. So verfällt Lancelot aufgrund der Trennung von Ginover im Zusammenhang mit dem Schottenkrieg zum ersten Mal dem Wahnsinn: Das heubt begunde im ytel zu werden, beiden von gedencken und von ruwen und von dem das er der spise nit n˜czet (Kluge I 466, 25–27). Geheilt wird Lancelot, wie Iwein, durch eine Zaubersalbe, von seiner Ziehmutter (Kluge I 470, 6f.). Auch er kann sich an die Zeit des Wahnsinns nicht erinnern, meint lediglich: ich wonde aber das mirs getreumet were (Kluge I 471, 36–472,1). Ein weiteres Mal verfällt er dem Wahnsinn: Ginover wird getäuscht, fühlt sich von Lancelot betrogen, sagt zu ihm: ›Ach diep und verreter, wie darstu solch bubery in miner kamer triben? Fluh bald von hinnen, und gesehe ich dich nymer me komen an die ende da ich bin, du solts nit gut haben!‹ (Kluge II 781, 9–11). Lancelot rennt darauf fort, zerkratzt sich das Gesicht, klagt, trinkt nicht, isst nicht, bis er schließlich syn sinne verlor (Kluge II 781,15–782,8).

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(noch) nicht gewachsen ist.«1156 Iweins Skepsis (dazn ist allez nicht w–r, V. 3536)1157 bildet eine Schutzfunktion. Es wird Distanz geschaffen zur unerträglichen Schuld und damit verhindert, dass der Held sofort im Anschluss an seine Heilung durch die Salbe (Vv. 3475ff.) wieder in den Wahnsinn abgleitet. Denn mit einem wahnsinnigen Iwein kann die Geschichte nicht weitererzählt werden.1158 Doch lässt sich diese Ich-Distanz auch figurenorientiert erklären? Meyer beschreibt Iweins Zustand nach dem Erwachen mit dem Begriff »Ich-Dissoziation«1159 : bist˜z £wein, ode wer? / h–n ich gesl–fen unz her? (V. 3509f.), fragt sich der Held. Ich greife diesen Gedanken im Folgenden auf und versuche ihn in klinischer Hinsicht zu präzisieren. Tatsächlich lassen sich für Iweins Verhalten Merkmale feststellen, die die heutige Psychologie als Dissoziation definieren würde.1160 Mertens verwendet diesen Begriff nicht, stellt aber fest, dass Iwein »erwachend sein bisheriges Leben

1156 Cormeau, Christoph/Störmer, Wilhelm: Hartmann von Aue. Epoche – Werk – Wirkung. 3., aktualisierte Auflage. München 2007, S. 210. 1157 Vgl. zu dieser Variante noch einmal FN 1102. 1158 Ähnlich argumentiert schon Benez¦, Traummotiv, S. 8. Vgl. auch Schmitz, Traum und Vision, S. 69. 1159 Meyer, Blicke ins Innere, S. 195–196. 1160 Zu Hartmanns Lebzeiten gab es weder Psychologie als Wissenschaft noch den Begriff Dissoziation, aber Trauma und Dissoziation gab es als Phänomene, die beschrieben werden konnten. Meyer, Blicke ins Innere, S. 77, weist zu Recht darauf hin, dass das »Selbst und seine Störungen und Schädigungen keine psychischen Ausprägungen einer bestimmten Epoche« sind. Nach damaliger Auffassung führt die »emotionale Erschütterung« Iweins durch Laudines »Schmährede«, so Blank, Melancholiker, S. 9, mit Verweis auf Chr¦tien (V. 3005), bei Iwein zu einer Melancholie. Nach der zeitgenössischen Temperamentslehre steigt Iwein die »schwarze Galle zum Gehirn auf[…]«, verdunkle den Verstand, entfremde ihn von der Wirklichkeit (S. 11). Infolge dessen verliere er sein »IchBewußtsein«: daz er s„n selbes vergaz (V. 3091). Der Affekt steigert sich zur tobesuht (V. 3231ff.), zur Wut, Raserei, Schwermut, zum Wahnsinn, zur hirnsühte (V. 3427). Schulz, Erzähltheorie, S. 37, verweist in diesem Zusammenhang auf die melancholia leonida, die »löwenhafte Melancholie«, die man heute als »bipolare Störung« beschreiben würde. Sie ist ein »Kennzeichen besonders ausgezeichneter Helden, die zwischen Lähmung und überwältigender Tatkraft hin- und herwechseln.« Das Löwenhafte verweise dabei auf das Manische – ein Hinweis darauf sei Iweins Löwe. Ich sehe hier eine Nähe zum Phänomen der Ich-Dissoziation. Beim Phänomen der dissoziativen Fugue etwa »verlassen [Betroffene] plötzlich ihre Umgebung und halten sich eine Zeit lang woanders auf.« Hoffmann, Olaf/Hochapfel, Frank R.: Neurotische Störungen und Psychosomatische Medizin. Mit einer Einführung in die Psychodiagnostik und Psychotherapie. Hrsg. von Annegret Eckhardt-Henn u. a. 8. Auflage, Stuttgart 2009, S. 176. Das tut auch Iwein, wenn er sich in die Wildnis zurückzieht. Bei einer dissoziativen Amnesie werden »Informationen zur eigenen Person und Vergangenheit […] nicht erinnert«, das kann sich auch auf selektive Ereignisse beziehen (S. 176). Iwein erinnert sich nach seinem Erwachen nicht mehr an den Zeitabschnitt, den er als Wahnsinniger im Wald verbracht hat. Auch Kern, Weltflucht, S. 392, spricht hier von einer »Amnesie«.

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wie einen Roman«1161 erlebe und dabei zu einer »›Figur zweiter Ordnung‹ in der Reflexion über seine Geschichte«1162 werde. Die Nähe zum Phänomen der »Depersonalisation«, definiert als »Bruch des Identitätsgefühls«1163, ist auffällig. Der Betroffene, so Hoffmann/Hochapfel, »erlebt sich als nicht er selbst«, sondern als »gedoppelt«1164. Das kann geschehen, wenn sich der Betroffene, wie dies auch bei Iwein der Fall ist, an sein Trauma, hier das Pflichtversäumnis, die schwere Schuld, noch erinnern kann. Als Reaktion darauf steige der Betroffene aus und betrachte »alles von außen«1165, gewinne so den Eindruck, er habe nicht selbst agiert, sondern nur beobachtet. Das geschieht, weil das traumatische Erlebnis nicht in die Selbststruktur integrierbar ist.1166 Die Ich-Dissoziation ist also eine »Überlebensstrategie«1167. Der »unversehrte[…] Selbstanteil [kann] neben dem traumatisch geschädigten weiterexistieren […].«1168 Auf dieser Grundlage ließe sich hier figurenorientiert erklären, warum Iwein nach seinem Erwachen nicht erneut in den Wahnsinn abgleitet. Das Identitätsproblem wird dann zunächst nur scheinbar überwunden. Meyers These von einer Dreiteilung1169 des Selbst Iweins illustriert das sehr anschaulich. Der Wahn, so Meyer, sei »Ausdruck seines [Iweins] zerstörten Sozialen und Privaten Selbst, einzig die körperliche Identität bleibt bewahrt.«1170 Die Salbe hole Iwein aus diesem Zustand zurück. Mit der vorgefundenen Kleidung ziehe sich Iwein das »seiner Erinnerung gemäße Soziale Selbst selbst an.«1171 Die Damen bestätigen dann Iweins »Soziale[s] Selbst als Ritter […].«1172 Das Private Selbst erlange er erst im weiteren Verlauf der Geschichte zurück.1173 Die Identifikation mit dem Traum-Iwein erstreckt sich zunächst nur auf das Körperliche und Soziale Selbst, vorerst aber nicht auf das Private. Hierzu vertrete ich, Meyer präzisierend, die Auffassung: Das Private Selbst lagert auf1161 1162 1163 1164 1165 1166

1167 1168 1169 1170 1171 1172 1173

Mertens, Kommentar, S. 1022. Ebd. Hoffmann/Hochapfel, Neurotische Störungen, S. 181. Ebd., S. 178. Ebd., S. 191. Vgl. ebd. Ackerman/Ridder : »Die Psychoanalyse nennt ein Erlebnis traumatisch, das so intensiv ist, dass eine psychische Verarbeitung unmöglich erscheint.« Ackermann, Christine/Ridder, Klaus: »Trauer – Trauma – Melancholie. Zum Willehalm Wolframs von Eschenbach«, in: Trauer. Hrsg. von Wolfram Mauser/Joachim Pfeiffer. Würzburg 2003, S. 83–107, hier : S. 90. Hoffmann/Hochapfel, Neurotische Störungen, S. 191. http://lexikon.stangl.eu/872/dissoziation/. Meyer, Blicke ins Innere, S. 62. Ebd., S. 102. Ebd., S. 197. Haubrichs, Erzählter Wahnsinn, S. 57, spricht mit Blick auf das Zerreißen der Kleidung beim Abgleiten in den Wahnsinn entsprechend von dem »sozialen Tod« Iweins. Ebd. Ebd.

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grund der Ich-Dissoziation zunächst auf einer Ebene zwischen Traum und Realität, es bleibt für den Helden in der Schwebe, liegt sozusagen brach, wird weder bejaht noch verneint. Sein Selbst-Bild bleibt unvollständig. Eine vollständige Identifizierung Iweins mit dem Traum-Iwein erfolgt, wie bereits Fischer1174 feststellt, erst, als er zur Laudinen-Quelle zurückkehrt: dú wart s„n herze des ermant wie er s„n Þre und s„n lant hete verlorn und s„n w„p (Vv. 3933–3936).

Hier wird er mit der Krise konfrontiert, mit seinem Privaten Selbst, verfällt fast noch einmal dem Wahnsinn: von j–mer wart im als wÞ, daz er vil n–ch al Þ von s„nen sinnen was komen (Vv. 3937–3939).

Doch an diesem Punkt ist sein Selbst bereits soweit stabilisiert, dass Iwein die Krise ertragen kann. So argumentiert Meyer: »Iweins Rückfall [ist] nur ein partieller, denn der Verlust von Þre, lant, w„p ist durch die Progression des Textes bereits partiell kompensiert: Er hat neue Þre erworben und dabei lant und w„p ausgeschlagen, um seiner ersten, aufgekündigten Ehe treu zu bleiben.«1175

Der Held kann trotz des geschädigten Selbstanteils weiter agieren, weil er auf sich selbst blickt wie auf einen anderen. Er identifiziert auf dieser Meta-Ebene sein Fehlverhalten, das dann im zweiten Teil des Iwein korrigiert wird. So kann er das Trauma des Ehrverlusts überwinden. Damit hat der Traumonolog auch Bedeutung für die Handlungsprogression. Für Iwein wird hierdurch eine Perspektive sichtbar, die zuvor außerhalb seiner eigenen Rolle lag,1176 sie gibt dem Helden, so Hahn, die Möglichkeit, über sein »vergangenes Verhalten«1177 zu reflektieren, sein »bisheriges Leben in allen wichtigen Situationen zu rekapitulieren«1178.

1174 So auch Fischer, The Dream, S. 106. 1175 Meyer, Blicke ins Innere, S. 203. Warum er Laudine treu bleibt, indem er das Ehe-Angebot der Dame von Narison ausschlägt (V. 3821f.), wird zwar nicht erklärt, es gibt dazu auch keinen Gedankenbericht. Doch das Verhalten erklärt sich mit der Uneindeutigkeit von Iweins Privatem Selbst, dem Zweifel des Helden. Dementsprechend bleibt sein Verhalten unverfänglich. 1176 Vgl. zu diesem Triangulierungsphänomen auch Luckmann, Thomas: Persönliche Identität, soziale Rolle und Rollendistanz, in: Identität: Poetik und Hermeneutik. Bd. VIII. Hrsg. von O. Marquard/K. Stierle. München 1979, S. 293–313, hier: S. 311. 1177 Gottzmann, Artusdichtung, S. 131. 1178 Hahn, »güete« und »wizzen«, S. 214.

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Figurenlogische Orientierung, Progressionsorientierung und Aussageorientierung

Im der Rahmen der Rekapitulation des bisherigen Lebenswegs kommt auch die Verfehlung zur Sprache. Iwein erinnert sich: König Artus vuorte [mich] ze h˜s (V. 3532). In diesem Zusammenhang nahm er urloup (V. 3535), versäumte die Jahresfrist (dú beleip ich langer) und verlor infolgedessen die hulde Laudines. Auch weiß Iwein, dass er länger –ne nút fortblieb, dass also »rechtsgültige[…] Hintergründe« fehlten, die seine Abwesenheit hätten rechtfertigen können.1179 Iwein stellt also durchaus selbstkritisch fest, dass er die Frist, die ihm Laudine setzte, nicht aus einem zwingenden Grund heraus überschritten hat. Seine Abwesenheit war ungerechtfertigt. Er wurde nicht durch Þhaftiu nút (vgl. dazu Iweins Schwur Vv. 2929–2934), d. h. »höhere Gewalt«, etwa siechtuom vancnüsse ode der tút (V. 2934), gehindert.1180 Warum er ohne zwingenden Grund länger fortblieb und was der Artushof damit zu tun hat, wird im Rahmen des Monologs nicht explizit reflektiert, geht aber implizit aus der bisherigen Erzählung hervor. Iwein wurde, wie Mertens feststellt, durch die »›Ritterfreuden‹ am Artushof« absorbiert (vgl. V. 3051).1181 Er hatte »anscheinend das ganze Jahr über weder an Laudine noch an seine Herrscherpflichten gedacht […].«1182 Die vreuden der ritterschefte (Vv. 3522–3523, 3558), der Waffenruhm, das Turnieren, nach dem es den Ritter auch jetzt noch, nach seinem Erwachen, verlangt (mir turnieret al m„n sin, V. 3574), wird zwar nirgends vom Erzähler abgewertet, auch im Traummonolog wird das Turnieren an sich nicht negativ beurteilt.1183 Problematisch erscheint jedoch die Verabsolutierung dieser Lebensform, dass Iwein, wie Mertens feststellt, verrittert,1184 seine Verpflichtungen darüber vergisst, in den vreuden vollkommen aufgeht, dass er jenseits dieser vreuden nichts mehr wahrnimmt, ihnen alles unterordnet, auch Frau und Herrschaft. Gerade das führt letztlich auch zu seinem Versäumnis, dazu, dass er länger fortbleibt. Er hat die Prioritäten falsch gesetzt. Iweins Schuld besteht dann, wie Mertens darlegt, in der »Vernachlässigung des Landesschutzes« (Vv. 3157–3162), im »Mißbrauch der Ehe (kebsen v. 3171f.)«1185. Von Lunete werden ihm entsprechend untriuwe (VV. 3122, 3183,

1179 1180 1181 1182 1183 1184 1185

Mertens, Kommentar, S. 1022. Ebd. Ebd., S. 1016. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Mertens, Volker : Laudine. Soziale Problematik im ›Iwein‹ Hartmanns von Aue. Berlin 1978, S. 42.

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3186) und meineide (V. 3185) vorgeworfen, er wird als verr–tære (V. 3118) bezeichnet. Iweins Rittertum ist, rückblickend zumindest, von Anfang an defizitär.1186 Das Problem, das dann später im Verlust der hulde eskaliert, ist schon im ersten aventiure-Weg angelegt, weil sich hier bereits alles, was der Ritter tut, in reinem Selbstzweck1187 erschöpft. Iweins Lebensform entspricht der Definition Kalogrenants1188 : Von dem Artus-Ritter werde erwartet, dass er n–ch –ventiure reit1189 (V. 372), im bewusst gesuchten str„t1190 (Vv. 531–532) seinen l„p w–gen will (V. 551), kein zagen (V. 563) kennt1191, Þre (V. 789) und werdekeit erwerbe.1192 Der Sieg im Kampf bringe dem Ritter Þre, lop, sælde und pr„s (Vv. 534, 756)1193, eine Niederlage dagegen Ehrverlust (V. 766), laster (Vv. 693, 757, 790, 1007), leit (V. 1007), schaden (V. 636) und schame (V. 756). Ein Ritter ist nach dieser Vorstellung ˜f des andern [Ritters] schaden aus (V. 1009).1194 Diese Definition an sich erscheint noch gar nicht mal so problematisch, allerdings ist nach diesem Verständnis allein der Sieg relevant, nicht der Kontext, in dem er errungen wird. Es geht nur darum, dass der Ritter siegt, nicht wofür er siegt. So erkennt Iwein nach der Erzählung Kalogrenants sofort die Chance zur persönlichen Ehrgewinnung (vgl. V. 947).1195 Und darum geht es ihm hier in der Hauptsache. Wenn Iwein später den bereits besiegten, tödlich verwundeten Ascalon –ne zuht1196 jagt und noch auf ihn einschlägt (V. 1106), dann nur, um beweisen zu können, dass er die –ventiure-Tat wirklich vollbracht hat.1197 1186 Mertens, Artusroman, S. 70, stellt allerdings auch zu Recht fest, dass Iweins Handeln, seine »absolute Vorbildlichkeit« als Ritter, zuvor vom Erzähler nirgends der Kritik preisgegeben wurde. Das problematische Verhalten des Helden wird nirgends explizit ausgesprochen. Mertens räumt aber auch ein, dass sich »Hinweise im Roman« finden. 1187 Gottzmann, Artusdichtung, S. 113–116. 1188 Meyer, Blicke ins Innere, S. 34, FN 80, weist in diesem Zusammen zu Recht darauf hin, dass sich »Kalogrenant […] im Iwein damit herum[schlägt], daß sein Publikum, insbesondere Iwein selbst, die von ihm erzählte Geschichte falsch versteht.« Kalogrenant kommuniziert in seiner Erzählung etwas, das Iwein offenkundig als Werte interpretiert und als wesentlichen Bestandteil seiner Lebensform, allerdings ohne dass Kalogrenant dieses Verständnis (noch) teilen würde. 1189 Vgl. dazu auch Mertens, Artusroman, S. 65. Gottzmann, Artusdichtung, S. 109. 1190 Vgl. Gottzmann, Artusdichtung, S. 108, S. 111. 1191 Vgl. dazu auch Mertens, Artusroman, S. 65. 1192 Vgl. dazu auch Gottzmann, Artusdichtung, S. 108 und 125. 1193 Vgl. dazu auch Gottzmann, Artusdichtung, S. 109. Sieverding, Der ritterliche Kampf, S. 84. 1194 Gottzmann, S. 112, spricht hier von einer »Demontage« des Gegners. 1195 Vgl. Sieverding, Der ritterliche Kampf, S. 89. 1196 Iwein lässt es in diesem Sinne am ethischen Wert der erbermde fehlen, kennt kein Erbarmen, kein Mitleid. In der Forschung wird das Verhalten vorwiegend negativ gewertet: Jaeger meint, es fehle dem Helden an höfischer Rücksichtnahme. Jaeger, Stephen C.: Die Entstehung höfischer Kultur. Vom höfischen Bischof zum höfischen Ritter. Übers. von Hellwig-Wagnitz, Sabine. Berlin 2001, S. 329. Vgl. dazu auch Mertens, Kommentar, S. 994. Karner spricht sogar von einem »Verstoß gegen moralisch-ethische Gebote der Mensch-

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Natürlich kann man einwenden, dass diese Lebensform Iwein das Laudinenreich verschafft. Darauf verweist er auch selbst im Rahmen seines Traummonologs: mir ervaht m„n eins hant / eine küneginne unde ein r„chez lant (Vv. 3527–3528). Später aber erweist sie sich für Iwein als Landesherrn als problematisch. Der Ritter folgt dieser Lebensform auch weiterhin, nimmt seine politischen Verpflichtungen nicht wahr, kämpft nicht für den Erhalt des Laudinen-Reiches, sondern, wie zuvor, nur für die Selbstwerterhöhung. Er beschäftigt sich während seiner Abwesenheit unermüdlich mit turnierens pfl–ge (V. 3043), dem Erlangen von Þren (V. 3046) und pr„s (V. 3047). Doch Þre, werdekeit, lop, sælde und pr„s sind bei Iwein inhaltsleere Begriffe, da nur der Sieg wichtig erscheint, nicht der Kontext, in dem gesiegt wird. Der Held kämpft nur für sich selbst. Sein ganzes Handeln, seine ganze Energie erschöpft sich in Selbstbezogenheit. So ist Iweins Frage ist mir getroumet m„n leben? (V. 3577) ein Hinweis auf die Nichtigkeit seiner bisherigen Existenz, seines bisherigen Handelns. Sein Leben ist so sinnentleert, wie die abstrakten Begriffe, die Vorstellung von Þre und wedekeit, die Iweins Handeln leiten. Diese Begriffe sind so substanzlos wie Traumbilder, die mit dem Erwachen einfach vergehen, sich sozusagen in Luft auflösen. Aufgegriffen wird damit ein Traummotiv, das im Kern auf asiatisch-orientalische Vorstellungen zurückgeht,1198 im Buddhismus allgemein vertreten lichkeit sowie der Ritterlichkeit«. Iwein sei ein »ruhmsüchtiger, unreifer und gewissenloser sowie rücksichtsloser Haudegen«, ein »unhöfischer Totschläger«. Karner, Daniela: Täuschung in Gottes Namen. Fallstudien zur poetischen Unterlaufung von Gottesurteilen in Hartmanns von Aue »Iwein«, Gottfrieds von Straßburg »Tristan«, Des Strickers »Das heiße Eisen« und Konrads von Würzburg »Engelhard«. Mediävistik zwischen Forschung, Lehre und Öffentlichkeit. Hrsg. von Wernfried Hofmeister. Band 5. Frankfurt am Main 2010, S. 50. Dahingegen meint Mertens, Artusroman, S. 70, zu Recht, dass bis zur Heirat mit Laudine nur der Erfolg des Helden zähle und Iweins Verhalten zuvor nie direkt problematisiert werde. Bei der Beurteilung des Begriffs –ne zuht ist er zurückhaltender. In der Forschung wird der Begriff kontrovers diskutiert, bedeuten kann er »ohne Anstand, ohne jede Rücksicht«. Henning, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Tübingen 2007, S. 493. Mertens, Kommentar, S. 994, verweist in seinem Kommentar auf Cramer, der es mit »Regel und Rücksicht vergessend« (Cramer) übersetzt. Mertens, Artusroman, S. 83, übersetzt es neutraler mit »ohne sich zurückzuhalten, ungestüm«. Vgl. zur nicht negativen Beurteilung des Begriffs auch P. Salmon: ffne zuht. Hartmann’s von Aue Criticism of Iwein, MLR 69 (1974), S. 551–561. 1197 Er braucht einen Beweis, überlegt, ob er in [Ascalon] / niht erslüege oder vienge, / daz ez im danne ergienge / als im her Keij„ gehiez, / der neimens ungespottet liez (Vv. 1062–1066). Weiterhin fragt er sich selbst, waz im s„n arbeit töhte, / sú er mit niemen möhte / erziugen diese geschiht. / (wan d– ne was der liute niht): / sú spræche er im an s„ne Þre (Vv. 1067– 1071). Keies Spottreden stellen dabei eine »zusätzliche Motivation« dar (Mertens, Kommentar, S. 989.), er verfolgt ihn als »Beweis der […] angezweifelten Tüchtigkeit« (Mertens, Artusroman, S. 70.) Ähnlich Gottzmann, Artusdichtung, S. 117, die meint, Iwein fürchte Keies Spott. 1198 Der erste, bei dem sich dieses Leben-als-Traum-Motiv findet, dürfte der chinesische

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wurde1199 und ins europäische Mittelalter, wie Mertens darlegt, »im Rahmen der Buddha-Legende (Baarlam und Josaphat)«1200 gelangte. Anders als in der buddhistischen Lehre wird in der christlich bearbeiteten Heiligen-Legende von Baarlam und Josaphat das Leben aber nicht direkt als Traum aufgefasst. Das Leben erscheint durch den Vergleich vielmehr so nichtig wie ein Traum, wie ein Schatten, wie eine Vision des Schlafes.1201 Es ist eine Dichter-Philosoph Zhuangzi (365–290 v. Chr.) sein. Vgl. Dschuang Dsi: Südliches Blütenland. Übersetzung von Wilhelm, Richard. Düsseldorf, Köln 1969, S. 52. Bauer, Wolfgang: Geschichte der chinesischen Philosophie: Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus. München 2001, S. 195. Zhou, Jianming: Erzählstrategie in der Traumdarstellung der deutschen Romantik und der chinesischen Ming- und Qing-Dynastie. Eine literarischkulturelle Untersuchung. Göttingen 2006. 1199 In der indischen Mahayana-Lehre aus dem 2. Jh. n. Chr. heißt es in V. 52: »Wie im Traum Objekt, Sinnesorgane und Erkennen unwahr sind, ebenso sind sie es auch im Wachen. […]. Wie durch Zaubertrug geschaffene Lebewesen wahrgenommen zu werden scheinen, in Wahrheit aber nicht wirklich sind, so sind die […] Gegebenheiten beschaffen, gleich einem Zaubertrug und gleich einem Traum. […]. Der ganze Verlauf des Daseins gleicht einem Traum.« Zitiert nach: Frauwallner, Erich: Die Philosophie des Buddhismus. 3., durchgesehene Auflage. Berlin 1969, S. 164. 1200 Hartmann könnte die lateinische Fassung der Legende gekannt haben. Mertens, Kommentar, S. 1021. Quelle der Buddha-Legende waren, wie Cordoni herausgearbeitet hat, das ›Lalita-vistara‹ (3. Jh. n. Chr.), das ›Buddha-carita‹ des Asvaghosa (2. Jh. n. Chr.), sowie die ›Vorgeburtsgeschichten‹ oder ›J–taka‹ (3. Jh. v. Chr.). Cordoni, Cosntanza: Barlaam und Josephat in der europäischen Literatur des Mittelalters. Wien 2010, S. 19. Im 4. Jh. gelangte der Stoff in den Iran und wurde ins Mittelpersische übersetzt. Im 8. Jh. lag eine arabische Übersetzung vor, das nicht überlieferte ›Bilawhar wa Budasaf‹ (S. 88). Im 9./10. Jahrhundert wurde der Stoff ins Georgische übersetzt, hier wurde es bereits zu einer christlichen Heiligenlegende, der Barlaam-und-Josephat-Legende. Um das Jahr 1000 lag eine altgriechische Übersetzung vor. Daraus leiten sich zwei lateinische Handschriften ab, eine aus dem Jahr 1048, die andere aus dem 12. Jh. Letztere hat sich in Westeuropa weitverbreitet. Cordoni liefert eine breite Übersicht über die Überlieferungsgeschichte der Legende, vgl. Cordoni, S. 17–91. Die christliche Bearbeitung des Stoffes gehörte laut Vashalomidze zu den »meistgelesenen und meistübersetzten Texten des europäischen Hochund Spätmittelalters.« Vashalomidze, Sophia G.: Die georgische Baarlam und Joasaph Legende: Ein mittelalterlicher »Bestseller«? XXX. Deutscher Orientalistentag. Freiburg 24.–28. September 2007. Ausgewählte Vorträge. Hrsg. im Auftrag der DMG von Rainer Brunner u. a. Online-Publikation, Februar 2008, S. 2–3. http://orient.ruf.uni-freiburg.de/ dotpub/vashalomidze.pdf. S. 2. Vgl. dazu auch Cordoni, S. 19ff. Mertens, Kommentar, S. 1021. Das Motiv vom Leben als Traum findet sich auch in einem Gedicht Walthers von der Vogelweide (um 1170 – um 1230), in dem es, in fast wörtlicher Entsprechung zum Iwein, heißt: ist mir m„n leben getroumet, oder ist ez w–r? Walthers ›Elegie‹, L. 124, 2. Wer dabei wen womöglich beeinflusst hat – die Ähnlichkeit der Formulierung legt eine Beeinflussung nahe –, lässt sich nicht endgültig klären. Mertens meint, dass die Übereinstimmung entweder darauf deuten könne, dass »Walther hier Hartmann zitiert oder daß die A-Version [des Iwein] unter dem Einfluß Walthers später geändert wurde.« Mertens, Kommentar, S. 1023. 1201 Ich zitierte als Beispiel im Folgenden die zweite lateinische Übersetzung der BarlaamLegende, überliefert in mehr als 90 Handschriften: Sicut puluis a turbine, set cum ad alios reuentilata fuerit aut fumus percurrens et quasi sompnum seducens et umbra que non tenetur neque desperabilis est illis, cum absens non tenetur nec presens dum est fida constat

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Vanitas-Thematik, die Hartmann hier aufgreift: Iweins bisherige Lebensführung ist so nichtig wie ein Traum, weil sie sich im Selbstzweck erschöpft, weil sie, wie Sieverding darlegt, ethisch leer ist1202, weil ihr keine ethische Verpflichtung zugrunde liegt. Hahn spricht in diesem Sinne vom »Scheincharakter des ersten Aventiurewegs, den Iwein durch das Traummotiv signalisiert.«1203 Ebenso argumentiert Mertens, der meint, Hartmann charakterisiere mit dem Traummotiv den »mangelnden Realitätsbezug von Iweins früherer Existenz, die Flüchtigkeit des Gewinns von Ehre und Liebe.«1204 Gesellschaftliche Anerkennung, die aus Waffenruhm als reinem Selbstzweck hervorgeht, nur den Sieg an sich als Wert ansieht, ist, wie ein Traum, Lug und Trug, reines Gaukelwerk, weil daraus nichts Relevantes, nichts Höheres hervorgeht. Kern sieht im Iwein daher auch eine »Anklage gegen die vana gloria mundi […]«1205. Die Erzählung problematisiert ein ethisch leeres Rittertum, das Ehrgewinn als reinen Selbstzweck begreift.1206 Wie weit Iwein direkt nach seinem Erwachen diese Problematik begreift, bleibt offen. Der Held sehnt sich jedenfalls nach seiner früheren Existenz zurück, meint im Rahmen seines Traummonologs: sold ich danne iemer sl–fen! (V. 3512). Das erscheint vor dem Hintergrund seiner Verfehlung zunächst problematisch. Denn eine bloße Rückkehr ins alte Leben wäre wie eine Flucht in den Traum, nicht mehr wert, als ein ewiger Schlaf. Es wäre gewissermaßen eine tote Existenz, ebenso leer, so scheinbar und nichtig, wie das Leben Iweins während des Wahnsinns im Wald, in dem sich m. E. die Bedeutungslosigkeit der früheren Existenz widerspiegelt. Diese sinnentleerte Existenz ist zum Traum geworden, weil sie, wie ein Traum, wertlos, gegenstandslos und trügerisch war, reiner w–n (V. 3540). Mertens bezeichnet den Iwein des ersten Teils mit einiger Berechtigung als »Märchenheld[en]«, der seine »Märchenprinzessin« gewinnt.1207 Das Märchenleben aber läuft ins Leere, ebenso wie ein ewiger Traum. Der Traummonolog ermöglicht dem Helden jedenfalls ein Nachdenken über das frühere Leben, die Krise, Verfehlungen, den Verlust der hulde Laudines. Zu

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habentibus. Capitulum XV. Hystoria Barlae et Iosaphat Jos¦. Bibl. Nacional Napoles VIII.B.10. Nueva Roma vol 5. Hrsg. von Mart†nez G‚uquez. Madrid 1997, S. 70. Vgl. Sieverding, Der ritterliche Kampf, S. 84. Vgl. dazu auch Gottzmann, Artusdichtung, S. 113–116. Hahn, »güete« und »wizzen«, S. 213. Mertens, Kommentar, S. 1022. Kern, Weltflucht, S. 392. Blank, Melancholiker, S. 13, behauptet darüber hinaus ein Versagen des Artushofes, sieht hier eine Kritik an arthurischen Wertvorstellungen. Die Erwähnung von künec Art˜s, der Iwein vuorte ze h˜s (Vv. 3531–3532) und G–wein[s] (V. 3533) in Iweins Traummonolog kann als Hinweis darauf gelesen werden. Mertens, Artusroman, S. 70. Schon Wehrli, Iweins Erwachen, S. 500, bezeichnet Iwein als »Märchenheld«.

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Recht stellt Mertens fest, dass sich dann der »Lernprozess […] aus Iweins Verhalten erschließen [lässt].«1208 Iwein erwacht somit nicht nur aus dem Wahnsinn, er erwacht zugleich auch aus seiner früheren Existenzform. Allerdings erst nach und nach. Jedenfalls flüchtet er sich nicht in den Traum zurück. Vielmehr überwindet er seine frühere Lebensform, korrigiert sein früheres Verhalten im weiteren Verlauf der Geschichte.1209 Goheen bezeichnet Iweins Traummonolog daher auch als »Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart«, durch welche sich der Held »seine[r] Kräfte und Fähigkeiten zum ritterlichen Kampf« in neuer Form bewusst werde.1210 Iweins Traumleben kann dann wieder zum realen Leben werden, aber unter der Bedingung, dass der Held seine Kräfte anders einsetzt. Die Forschung ist sich einig darüber, dass Iwein von nun an ein ethisches »sozial motivierte[s]«1211 Rittertum verkörpert, ein, wie Meyer es nennt, »Rittertum der Empathie«1212, der »aktive[n] Hilfe«1213, dass ihn erbarmen1214 antreibt, dass er, wie Mertens anmerkt, zu einer neuen –ventiure-Definition findend »für Frieden und Recht«1215, für schutzbedürftige, leidende Frauen kämpft, die alle auf Laudine verweisen.1216 Ähnlich beschreibt es auch Schulz: »[D]as Ehrversessene und Selbstzweckhafte der Initialaventiure tritt […] im Verlauf des Romans deutlich hinter dem Kampf als Mittel der Ordnungsstiftung zurück.«1217 Nicht mehr der Sieg als solcher ist jetzt entscheidend, sondern der Kontext, in dem er errungen wird. Wenn Iwein etwa für die jüngere Schwarzdorn-Tochter kämpft, so tut er es aus einer »sozial-ethisch begründete[n] Kampfesauffassung« heraus, anders als Gawein, dem hier, wie Mertens meint, immerhin der Vorwurf gemacht werden könne, »daß er sich nicht gut genug informieren läßt« und den

1208 Mertens, Kommentar, S. 1025. 1209 Wehrli, Iweins Erwachen, S. 496, spricht in diesem Zusammenhang vom »Erwachen des Menschen aus Blindheit, Traum und Torheit […]: Selbstentfremdung, Sich-selbst-zurFrage-werden, Zu-sich-selber-Kommen«. 1210 Goheen, Jutta: ›Bistuz Iwein, ode wer‹? Hartmanns letztes Epos als Spätwerk. ABÄG 7 (1974), S. 47–83, hier : S. 64f. Ähnlich Wehrli, Iweins Erwachen, S. 493: »Die Szenenfolge ist zentral: Sie ist das Gelenk zwischen den zwei typischen Phasen des Chretienschen Artusromans, zwischen dem raschen Aufstieg des Helden zum Glück, das sich als krisenhaft und unecht erweist, und einer zweiten, eigentlichen Abenteuerfahrt, in der es das Glück erst zu erwerben gilt, um es zu besitzen.« 1211 Mertens, Kommentar, S. 1035. 1212 Meyer, Blicke ins Innere, S. 199. 1213 Ebd., S. 202. 1214 Ebd., S. 212. 1215 Mertens, Kommentar, S. 1025–1026. So auch schon in Mertens, Laudine, S. 42 und 55. 1216 Mertens, Laudine, S. 42, 55 und 56. 1217 Schulz, Erzähltheorie, S. 279.

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Analyseteil

letztlich ein »unreflektierte[r] Hilfemechanismus […] auf die Seite des Unrechts führt.«1218 Das neue Rittertum wird während des ganzen zweiten aventiure-Wegs thematisiert. Für die Dame von Narison ist er Verteidiger ihres Landes1219 (vgl. Vv. 3750–3758). Sein früheres Verhalten –ne zuht korrigierend wird Graf Aliers, anders als Ascalon, verschont (vgl. Vv. 3771–3779).1220 Trotz Zeitnot versäumt er die Fristen nicht (vgl. z. B. den Harpin-Kampf, V. 4870ff.), schafft es, Lunete (V. 5175ff.) und später der jüngeren Schwarzdorn-Tochter (vgl. V. 6867ff.) noch rechtzeitig zu helfen. Er zeigt triuwe als Herrschertugend,1221 zeigt allen hilfebedürftigen Frauen gegenüber Zuverlässigkeit, Beständigkeit, überwindet die Nichtigkeit seiner früheren Lebensform, die in dem Leben-als-Traum-Topos allegorisiert ist. Iweins Weg, so Wehrli, sei »der Weg der Demut, ja Selbstaufopferung für andere, welchen der wiedererweckte Held geht […], in humilitas und caritas«1222, gezeigt werde »ein allgegenwärtiges Prinzip christlich-religiöser Ethik«1223. In der Tat erscheint Iwein als Retter der hilfebedürftigen Damen als Erlösergestalt, allerdings, und da ist Wehrli auch zuzustimmen, geht es darum, »einen christlichen, aber weltlichen Heilsweg zu zeichnen.«1224 Das Ansehen

1218 Mertens, Kommentar, S. 1036–1037. Mertens weist allerdings auch darauf hin, dass ein Ritter eine Rechtshilfe nicht ablehnen durfte. 1219 Vgl. dazu Mertens, Kommentar, S. 1024–1025. 1220 In der Verfolgung Aliers’ wiederholt sich vermutlich auf der Ebene der Sinnstruktur die Verfolgung Ascalons – allerdings lässt Iwein den Verwundeten Grafen am Leben (vgl. Vv. 3771–3779). Mertens, Kommentar, S. 1025, vertritt, mit Einschränkungen allerdings, die Auffassung, dass diese Passage »in bezug auf das Quellenabenteuer verstanden werden kann.« M.E. kann man darin eine Korrektur des früheren Verhaltens des Helden sehen. Gottzmann, Artusdichtung, S. 132, sieht dies eindeutig gegeben und betont: »Dieses zuchtvolle Verhalten läßt wenigstens partiell sein [Iweins] Vergehen gegenüber Ascalon als getilgt erscheinen.« Auch gegenüber einem Riesen lässt er Gnade walten: dú liez er in durch got leben (V. 6794). So auch Meyer, Blicke ins Innere, S. 200: »Diese Rettung erfolgt in einer völlig unkommentierten, verkürzten positiven Parallele zum Kampf gegen Askalon […].« 1221 Vgl. dazu auch Mertens, Kommentar, S. 1035. 1222 Wehrli, Iweins Erwachen, S. 500. 1223 Ebd., S. 501. Wehrli, S. 494, verweist im Rahmen seiner These zur heilsgeschichtlichen Struktur im Iwein auf den Löwen, den Begleiter und Helfer des Helden: »[V]ieles deutet darauf hin, daß er [der Löwe] unter anderem als Christussymbol gemeint ist. Im Übrigen sind Treue, Gerechtigkeit […] und vor allem Erbarmung die Tugenden Iweins, die im Löwen Gestalt gewinnen.« Wehrli sieht in dem Löwen Iweins »Alter ego« (S. 505). Das Motiv des Löwenritters wird auch im Wolfdietrich D aufgegriffen und banalisiert. 1224 Wehrli, Iweins Erwachen, S. 497. So sei Iwein »keineswegs eine Allegorie Christi.« (S. 501). In der Tat ist Iweins Weg auch keine imitatio christi. Hierin unterscheidet sich der Iwein deutlich von der Stofftradition der Barlaam-und-Josephat-Legende. Der Königssohn Josephat wird von Barlaam zum Christentum bekehrt, er folgt ihm in die Wüste, wo die beiden als Einsiedler bis zu ihrem Tode leben. Der Weg von Barlaam und Josephat ist eindeutig eine imitatio christi. Beide Texte verwenden zwar den Traum als Vanitas-Motiv.

Artusepik

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Iweins jedenfalls ist nun Folge persönlicher, ethischer, sozial-christlicher Qualität. Der Ritter, darin könnte man die Aussageorientierung der Erzählung insgesamt sehen, soll seine Kräfte sinnvoll, und d. h. für die Hilfebedürftigen, einsetzen, gesellschaftliche Verantwortung zeigen,1225 sozial-christlich handeln, erbarmen1226 soll ihn antreiben, Empathie, er soll für Frieden kämpfen, für Recht, soll die Schwachen beschützen, soll helfen, triuwe als Herrschertugend zeigen, zuverlässig und beständig sein. 6.

Zusammenfassung und Reflexion

Die Zusammenfassung zu diesem Kapitel will und kann sich nicht in einem reinen Destillat der Ergebnisse erschöpfen, die die Analyse geliefert hat, nicht in der Feststellung allein, dass er mit dem Leben-als-Traum-Motiv einen VanitasGedanken vermittelt. Diese Zusammenfassung will auch eine Reflexion über das sein, was im Rahmen dieser Untersuchung sehr augenfällig geworden ist, nämlich dass dieser Traummonolog ungewöhnlich ist, dass er völlig aus dem Rahmen traditioneller Traumerzählungen herausfällt, sich abhebt von alldem, was vorher in dieser Studie behandelt wurde. Ungewöhnlich war bereits der Herzeloyde-Traum, den ich hier, entgegen der sonstigen Chronologie der Texte, vor den Iwein gestellt hatte. Der Traummonolog Iweins hebt sich auch von dem Herzeloyde-Traum ab. Natürlich nicht, was die Komplexität seiner Bilder angeht, aber : Während der Traum im Parzival noch mit traditionellen Bildern arbeitet, überwindet dieser Traummonolog das Konventionelle völlig. Mit diesem Traummonolog sind wir am anderen Ende des Spektrums von Traumerzählungen in der mittelhochdeutschen Literatur angelangt, befinden uns jenseits des heldenepischen Musters. Hier ist nichts mehr expressiv, der Traummonolog kommt ganz ohne jede Symbolik aus. Er speist sich allein aus Tagesresten, aus Lebensbildern, aus Erinnerungen, aus Ereignissen der Vergangenheit der Figur. Er bezieht sich fern jeder Metaphysik allein noch auf die Figur, ist ganz individuiert, ganz auf die Lebenswelt des Helden bezogen, ganz auf seine Existenz, d. h. auf seinen persönlichen Konflikt, seine Krise. Der Traum wird nicht von außen bestimmt. Alles, was die Figur erzählt, kommt aus ihr selbst, aus ihrem Inneren. Dieser Traummonolog deutet einen Denkprozess an, einen Lernprozess, eine Reflexion. Hier gestaltet sich aus der Distanz zum Ich heraus ein Nachdenken über Schuld, Verfehlung, die eigene Existenzform. Es wird mit dem TraummoIm Iwein aber geht es um eine weltliche auf das Rittertum bezogene Problematik, in der Baarlam-und-Josephat-Legende dagegen um einen geistlichen Heilsweg. 1225 Fischer, The Dream, S. 105. 1226 Meyer, Blicke ins Innere, S. 212. Blank, Melancholiker, S. 13.

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Analyseteil

nolog ein Wunsch formuliert, eine Sehnsucht nach der ritterlichen Existenz, verbunden mit einem Wunsch nach einem ewigen Schlaf, weil dieser scheinbar ein solches Leben ermöglicht. Darin deutet sich eine Flucht in den Traum an, eine Weltflucht, der Wunsch, zurückzukehren in eine Scheinexistenz, die dann aber auch problematisiert wird, vor allem in dem Leben-als-Traum-Motiv, dem Hinweis auf ein ethisch leeres Rittertum. Iwein kehrt dann auch nicht zurück in diese Scheinexistenz, sondern überwindet sie. In der Distanz zum eigenen Ich deutet sich zugleich ein Nachdenken über das menschliche Dasein an, über seelische Zustände und Krankheiten. Parallelen zur Dissonanz, zu Triangulierungsvorgängen werden sichtbar und sind allesamt auf den Traum bezogen. Das ist ein psychologischer Traum, psychologisch avant la lettre. Der Wahnsinn wird zum Sinnbild einer toten Existenz, parallelisiert im Leben-als-Traum-Motiv. Das Leben wird zum Traum und später wieder zum Leben, aber zu einem neuen Leben. Dieser Traummonolog deutet eine Auseinandersetzung mit dem Menschen selbst an, mit seiner Seele, seinen Zuständen, seinen Konflikten und Traumata. Keine andere Traumerzählung in dieser Studie ist derart figurenbezogen. Das macht diesen Traum so ungewöhnlich, für die Analyse so reizvoll. Das alles hat auch einen ungemein starken Einfluss auf die Erzählweise. Abgesehen vom Herzeloyde-Traum weist auch kein anderer Traum so komplexe Bezüge zur Figuren- und Handlungsebene auf. Über Traumskepsis und IchDistanz wird die Figur in einem stabilen Zustand gehalten, kann weiter agieren, die Ebene der Figurenorientierung geht mit der Ebene der Handlungsprogression zusammen. Die Reflexion gibt der Figur einen neuen Impuls, der den weiteren Handlungsverlauf prägt. Im Iwein zeigt sich damit, dass das Träumen nicht allein die Funktion eines Ideologie-Vehikels qua Symbolik oder eines Kohärenz-Generators qua Prolepse erfüllt, sondern dass der Traum auch produktiv gemacht wurde für die Literarisierung eines individuellen Selbstverhältnisses. Allerdings wird diese Möglichkeit selten genutzt. Und auch Wolfram kehrt ja teilweise zum alten Modell zurück. Vielleicht hat das atmosphärische Gründe: Der Traummonolog Iweins ist eine repetitive Analepse, der Rezipient hört oder liest, was er schon weiß. Atmosphärische Orientierung besitzt ein solcher Traummonolog, im Gegensatz etwa zum Traum der Herzeloyde, nicht. Aussage- und Reflexionsmoment funktionieren hier über die geteilte Perspektive, die darin besteht, dass der Held glaubt, geträumt zu haben, aber dass es eben kein echter Traum ist. Der Traum wird hier als Reflexionsmodus eingesetzt. Iweins Handeln im Anschluss an seinen Traummonolog ist zwar kohärent zu der Vorstellung, einen Traum gehabt zu haben. Dennoch hat allein der Reflexionsmoment Bedeutung für sein Handeln. Träume, die eine Innenperspektive bieten, kommen zwar seltener vor, finden

Artusepik

231

sich aber doch gattungsübergreifend. Der Traum Didos von Eneas etwa ist ein Beispiel für einen erotischen Wunschtraum im Antikenroman: ir [Dido] getroumde von ir gaste: si d˜hte daz ez w–re §nÞas der m–re. sie dwanc ez [ir deckelachen] an ir munt z˜ vil manger stunt. grúz wunder si machete. dú si dú intwachete, ein w„le hete sie gemach, unze daz sie gesach, daz der hÞre §nÞas d– b„ ir niene was. dú was ir aber vile wÞ noch wirs danne Þ […]. (Eneas, Vv. 1415–1425).

Barbara Haupt sieht darin einen Ausdruck »psychosomatische[r] Befindlichkeit«1227 der Dido. Voß verweist hier auf die auf Ovid zurückgehende »Liebespsychologie«, die Darstellung intensiven »Liebesschmerz[es]« im Traum, der »Liebestrance«1228. Er sieht hier zu Recht Parallelen zu Traummotiven der Minnelyrik, in der der Traum häufig Täuschung ist und der Darstellung einer »Diskrepanz zwischen Glückbegehren und Leiderfahrung« dient,1229 der »Demontage von Glücksillusion«1230. Der Dido-Traum erscheint in diesem Sinne eher gattungsfremd. Auch ein Traum Kriemhilds bewegt sich jenseits des traditionellen mantischen Musters. Dieser Traum bringt Kriemhilds Sehnsucht nach ihrem Bruder Giselher zum Ausdruck: ir troumte, daz ir gienge vil dicke an der hant G„selher ir bruoder ; sie kuste’n z’aller stunt vil ofte in senftem sl–fe […] (NL, Str. 1393, 2–4).

Diese beiden Beispiele zeigen, dass Träume, die eine Innenperspektive zur Darstellung bringen, gattungsübergreifend durchaus vorkommen, allerdings gewinnen sie kein mit dem Iwein vergleichbares kompositorisches Gewicht. Die Innovation des Figurenentwurfs im Iwein erscheint allerdings episodisch 1227 Haupt, Träume der Frauen, S. 165. So auch schon Schmitz, Traum und Vision, S. 61. 1228 Voß, Rudolf: Traum, Vision, Imagination – Konstruktionen innerer Wahrnehmung in der deutschen Lyrik der klassisch-höfischen Perdiode. In: Traum und Vision in der Vormoderne. Traditionen, Diskussionen, Perspektiven. Hrsg. von Annette Gerok-Reiter/Christine Walde. Berlin 2012, S. 175–195, hier: S. 181. 1229 Ebd., S. 180. 1230 Ebd., S. 191, führt hier als Beispiel ein Gedicht Walthers von der Vogelweide, Dú der sumer komen was, an.

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Analyseteil

begrenzt. Die Darstellung von Innerlichkeit erreicht im Traummonolog ihren Höhepunkt, danach wird dann wieder das Handeln gegenüber dem Fühlen priorisiert. Das psychologische Erzählen des Traums überbaut nicht den ganzen Text. Es wird, anders als im Parzival, später nicht mehr an den Traummonolog erinnert.

VII. Fazit

Ziel der Studie ist es, die literarische Konstruktionsweise von Traumerzählungen zu untersuchen, Erzählmuster zu ermitteln, zu zeigen, wie literarische Träume gestaltet sind, wie sie innerhalb einer Erzählung »funktionieren«. In diesem Zusammenhang sollte, mit besonderem Blick auf das Traummotiv, zu einem besseren Verständnis mittelalterlicher Erzählweise beigetragen werden. Dafür sollten über die Analyse spezifischer Erzählmuster hinaus Erkenntnisse darüber gewonnen werden, in welcher Relation der Traum zu Traumtheorien bzw. -vorstellungen, zur literarischen Gattung und zur spezifischen Erzählung steht. Im Rahmen der Studie wird deutlich, dass verschiedene Traumvorstellungen gattungsübergreifend vorkommen, dabei aber gattungsspezifisch unterschiedlich funktionalisiert, variiert und aktualisiert werden und sich textspezifisch ganz eigene Erzählmuster herausbilden können. Die Traumvorstellung steht in Relation zur gattungsspezifischen Erzählweise, wird ihr entsprechend ausgewählt und funktionalisiert. Sie hat dabei aber auch gattungsübergreifend Einfluss auf die Erzählweise. So können prophetische Träume den Verlauf einer Handlung determinieren, Erzählmuster festlegen, wobei dies textspezifisch unterschiedlich gestaltet sein kann. Sie können auch Einfluss auf Figurenreaktionen haben, wobei diese textspezifisch sehr unterschiedlich ausfallen können. Träume können in diesem Sinne fiktionsintern handlungsprogressive Funktion erfüllen. Ebenso können sie, etwa über traumspezifische Symbole, Figuren zeichnen, Figurenmotivierung plausibilisieren, sie können Bedeutung produzieren und damit einen Beitrag leisten zur Aussageorientierung einer Erzählung. Für letzteres kann auch die Raumsemantik eine wesentliche Rolle spielen. Ich werde diese Befunde in der folgenden Schlussbetrachtung noch einmal systematisiert darlegen. Im Sinne einer besseren Übersicht versehe ich die einzelnen Analyseergebnisse mit Überschriften.

234 1.

Fazit

Typen des literarischen Traums

1.1 Typen des mantischen Traums Die Relation zwischen Traumerzählung und Traumvorstellung wird besonders deutlich mit Blick auf den mantischen Traum. Dieser taucht in allen erzählenden Gattungen auf. Der prophetische Traum ist dabei gattungsübergreifend der populärste. Er bezieht seine Hauptlegitimation aus seiner proleptischen Funktion, daraus also, dass er vorausdeutet, was noch kommen wird, daraus, dass er eine Situationsveränderung ankündigt, den Handlungsverlauf bis zu einem bestimmten Punkt festlegt, vorstrukturiert, auf ein (Teil-)Ziel der Handlung hindeutet. Was der prophetische Traum vorausdeutet, geschieht in der Realität der fiktiven Welt in der Regel auch so, wie in den Traumbildern angedeutet. Allerdings können hier textspezifisch auch eigene Erzählmuster ausgebildet werden. So können sich unter die Zukunftsbilder auch Bilder aus der Gedankenwelt der Antagonisten mischen (Rolandslied). Der prophetische Traum lässt sich in mehrere Typen untergliedern, die auch gattungsübergreifend anzutreffen sind: Unheils- und Untergangsträume, Träume mit hoffnungsvollem Inhalt, Traumbefehle und pseudoprophetische, d. h. strategisch erfundene Traumerzählungen, die Prophetie vortäuschen, aber genauso erzählt werden wie mantische Träume und sich auch erfüllen können, etwa weil die Figur ein entsprechendes Vorwissen jenseits jeder Mantik hat. 1.1.1 Unheils- und Untergangsträume Unheil kann (muss aber nicht) mit einem Untergang einhergehen, und die Dimension des Unheils kann textspezifisch variieren. Es können ganze Herrschaftsverbände untergehen oder einzelne Personen sterben. Eine heroische Untergangserzählung (Nibelungenlied) ist in ihren Erzählmustern gattungsspezifisch vom Prinzip der Determination beherrscht. Wird in eine solche Erzählung ein Traummotiv eingebunden, dann liegt diesem auch eine Traumvorstellung zugrunde, die mit der Erzählweise korrespondiert. Deswegen sind hier in der Regel Unheils- oder Untergangsträume anzutreffen, in denen sich ebenfalls eine Determination abzeichnet, diese vorwegnimmt. Es wird also auf eine Traumvorstellung zurückgegriffen, die in Relation zum gattungsspezifischen Erzählmuster steht. So meine ich, dass nicht unbedingt vormoderne Traumtheorien die Entwürfe literarischer Träume bestimmen, sondern dass viel eher eine Selektion von Traumkonzepten vorliegt, welche dann dementsprechend funktionalisiert werden. Die Erzählweise fordert den Traumtyp (vgl. dazu auch den noch folgenden Abschnitt 2. Traum und Gattung). Allerdings gibt der Traum selbst auch ein Determinationsmuster vor, das dann in jedem Falle eingehalten werden muss. Unheils- und Untergangsträume finden sich gattungsübergreifend, weil Un-

Fazit

235

heil oder Untergang ja auch für andere Gattungen relevant sein können. Der Traum der Hecuba in Konrads von Würzburg Trojanerkrieg ist ein Beispiel für einen Untergangstraum im Antikenroman. Im heilsgeschichtlich perspektivierten Alexanderroman, im Traum des Propheten Daniel, ist die Untergangsdimension auf die Ebene der Weltreiche gehoben. Vom Untergang betroffen ist der Antagonist. In der Kreuzzugsepik ist das ähnlich gestaltet. Der Untergang kann auch hier auf den Gegner bezogen sein. Beispiele dafür sind Träume im Orendel, im Rolandslied bzw. im Karl. Unheil kann auch das christliche Personal treffen, aber dieses erlebt keinen nibelungischen Untergang, sondern den Märtyrertod, an den sich die Erlösung anschließt. Für christliches Personal gibt es somit Unheilsaber keine Untergangsträume. Die Traumvorstellung wird hier im Sinne der Erzählweise der Kreuzzugsdichtung, d. h. im Sinne der heilsgeschichtlichen Aussageorientierung aktualisiert. In der heroischen Untergangsdichtung herrscht dagegen eher eine pessimistische Grundstimmung vor, die auch der Traum vermittelt. Eine klare Aussageorientierung lässt sich daraus nicht immer ableiten. Auch der Artusroman kennt den Unheilstraum, wenngleich es zu kurz greifen würde, etwa den Herzeloyde-Traum auf diesen Begriff zu reduzieren. Dennoch trägt er solche Elemente in sich. Hier allerdings wird das Motiv viel stärker individualisiert und ist auf die einzelne Figur bezogen. Das ist der Erzählweise geschuldet: Der höfische Roman entdeckt mehr Innerlichkeit, zeichnet seine Figuren plastischer, stattet sie mit einer Innenwelt aus. Dementsprechend wird auch das Motiv des Unheilstraums hier auf eine Person bezogen. Die atmosphärische Orientierung ist besonders in Unheilsträumen intensiv gestaltet, was mit dem Traumtyp zusammenhängt. Unheilsträume vermitteln eine Atmosphäre des Schreckens. Das Unheilvolle bricht z. B. unmittelbar in eine Atmosphäre höfischer Freude ein, in eine scheinbar sichere höfische Welt, manchmal sogar in den privaten Lebensbereich des Traumempfängers, der hilfloser Zuschauer ist. Erzeugt wird damit das Gefühl von Schutzlosigkeit. Die Träume bieten ein Bildrepertoire des Schreckens auf, es ereignen sich Naturkatastrophen, es erscheinen schreckliche Tiere und Fabelwesen. Gezeichnet werden Bilder der Angst, des Entsetzens, der Aggression und Gewalt. 1.1.2 Politische Träume und Traumbefehle Der prophetische Traum in politischen Erzählungen determiniert ebenfalls den Handlungsverlauf, und das heißt, er legt die Erzählung auf ein angestrebtes politisches Ziel fest. Der gattungsspezifischen Aussageorientierung solcher Erzählungen entsprechend vermitteln Träume eine hoffnungsvolle politische Zukunftsperspektive, gebunden an einen Herrscher, der idealtypisch-fürstenspiegelartig gezeichnet ist und diese Perspektive realisiert. Der prophetische

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Fazit

Traum steht in Relation zur Erzählweise, die jene positive Perspektive evoziert (König Rother, Wolfdietrich). Der Traumbefehl schließlich gibt dem Helden direkt ein Handlungsziel vor, das dieser dann umsetzen soll. Hier wird der Handlungsverlauf durch eine klare Anweisung festgelegt. Der festgelegte Weg kann gattungsspezifisch an die Aussageorientierung gebunden sein. Er erfolgt im Sinne der Handlungsprogression, gibt der Handlung einen entscheidenden Anstoß. Er taucht gattungsübergreifend auf und wird je nach Erzählweise aktualisiert. So findet sich der Traumbefehl im Antikenroman, etwa im Traum Alexanders von seinem Vater Philipp (Alexanderroman) oder, sehr ähnlich, in dem Traum des Eneas, ebenfalls von seinem (bereits verstorbenen) Vater Anchisis (Eneas). Hier kann er sich textspezifisch unterscheiden hinsichtlich der Reichweite seiner Konsequenz (etwa kurze Handlungsphase oder weltpolitische Relevanz). Der Traumbefehl lässt sich aber auch in anderen Gattungen wie der Brautwerbungsdichtung nachweisen, so ist er im Oswald gattungsspezifisch mit der göttlichen Aufforderung zur Brautwerbung verbunden. Auch in der Kreuzzugsepik findet sich der Traum mit Aufforderungscharakter, hier natürlich im Sinne der Kreuzzugsthematik (vgl. Br„des Tramerzählung im Orendel). 1.1.3 Strategisch erfundene Träume Im Rahmen einer strategisch erfundenen Traumerzählung täuscht die Figur prophetische Begabung vor, um ein bestimmtes Verhalten bei anderen Figuren zu erreichen, sie zu einer Handlung zu motivieren. Der Glaube an prophetische Träume wird hier instrumentalisiert, es wird mit diesem Motiv fiktionsintern gespielt (Wolfdietrich, Salman und Morolf). Ein erfundener Traum, der prophetische Begabung vortäuscht, bietet hier Figuren mit geringem Einfluss die Möglichkeit, die eigene Handlungskompetenz zu erweitern. Die Braut in der Brautwerbungsdichtung hat in der Regel wenig Handlungskompetenz. Die Figur kann ihre Position durch die Traumerzählung stärken. Daher ist möglicherweise dieser Typ hier anzutreffen. 1.2 Protopsychologische Träume und Träume avant la lettre Fast alle der hier besprochenen Träume folgen dem traditionellen Muster,1231 sind mantisch, haben eine metaphysische Quelle, etwa die christliche Gottheit. Oftmals erfahren wir aber nichts über die Herkunft des Traums, nur so viel, dass er von außen an die Figur herantritt und einen Blick in Zukunft, Gegenwart oder Vergangenheit eröffnet, geheime Gedanken anderer (feindlicher) Figuren of1231 Auch die 28 Träume im Prosa-Lancelot erweisen sich letztlich alle als »wahrheitshaltig« (Klinger, S. 222.), unterscheiden sich in diesem Punkt also nicht von den Träumen in Versepen.

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fenbart (Rolandslied). Ein solcher Traum kann Leid erzeugen, ist dabei aber nicht Ausdruck von Leid (vgl. etwa den Helche-Traum oder die Träume Kriemhilds). Träume können aber auch von diesem traditionellen Muster abweichen, können aus der Figur selbst kommen, an sie gebunden sein, aus Tagesresten hervorgehen, sie können einen Blick ins Innere der Figur ermöglichen, Ausdruck von Emotionen sein, von Ängsten, Furcht, Sehnsüchten, Wünschen. Besonders eindrucksvoll ist dabei der Traum der Herzeloyde, in dem ein protopsychologisches Erzählen zur Geltung kommt. Er hat mantische Elemente, kann aber zugleich mit Sorgen, mit Ängsten vor Verlust, mit Sehnsüchten der Träumerin erklärt werden, bietet eine Innenperspektive. Auch die Träume im ProsaLancelot bringen mitunter psychische Zustände von Figuren zur Geltung, die Ebene des Prognostischen aber verlassen sie nicht, das Erzählen bleibt letztlich protopsychologisch. Noch stärker wird der Figurenbezug im Iwein gesteigert. Der Traummonolog verzichtet vollkommen auf Mantisches, speist sich allein aus Tagesresten, Erinnerungen, Lebensbildern, ist auf die Lebenswelt Iweins bezogen, auf seinen Konflikt, seine Verfehlung und seinen Wunsch, in diese frühere Existenz zurückzukehren. Der Traum, von dem der Rezipient weiß, dass er keiner ist, wird zum Reflexionsmodus, das Motiv wird produktiv gemacht für die literarische Darstellung eines individuellen Selbstverhältnisses. Es ist ein Traum, der zugleich Ich-Distanz ermöglicht, eine Nähe zur Dissoziation zeigt. Das ist psychologisches Erzählen avant la lettre. Solche Traumtypen treten seltener auf als die mantischen, aber finden sich auch gattungsübergreifend. Der Traum Didos von Eneas oder der Traum Kriemhilds von ihrem Bruder Giselher sind Beispiele dafür.

2.

Traum und Gattung

Der Traum erscheint als eigener Kosmos1232, in dem sich in verdichteter Form gattungsspezifische Strukturen abbilden. Die charakteristische Erzählweise literarischer Gattungen und das Traumerzählen stehen damit in einem engen Verhältnis. Literarische Träume sind vor allem bestimmt durch literarische Faktoren. Damit wohnt ihnen ein spezifisch literarisches Potential inne. So bilden Traumerzählungen in der Kreuzzugsepik eschatologische Erzählstrukturen ab: Heidenkampf – Überwindung des Heidentums – christliche (Welt-)Herrschaft. In episodisch erzählter Kreuzzugsdichtung wiederholt sich 1232 Fuchs-Jolie, Bedeutungssuggetion, S. 318, spricht von einem »romaneske[n] Mikrokosmos«.

238

Fazit

dieses Muster immer wieder. Und das kommt auch in den Traumerzählungen zur Geltung, in denen dieses Muster aufgegriffen wird. Im Antikenroman ist der Traum, gemäß der Gattung, auf die Vorstellung der Weltreiche bezogen (so wird die Begegnung zwischen Alexander und Darius, die im Alexanderroman durch den Philipp-Traum motiviert wird, zur Gegenüberstellung des zweiten und dritten Weltreiches durch ihre Repräsentanten). In Brautwerbungsepen beziehen sich Träume auf das Brautwerbungsschema, etwa auf die Motivierung zur Brautwerbung durch göttliche Eingebung (diese kann auch durch den Traum selbst erfolgen), oder der Traum führt das Ergebnis der Brautwerbung vor Augen: die erfolgreiche Heimführung der Braut. Thema des Traums ist der Gattung gemäß die Sicherung der Dynastie des Brautwerbers, dabei kann in der Traumwelt auch die minne als Voraussetzung der Verbindung zwischen den Brautleuten thematisiert werden. Der Raum der Traumwelt bildet gattungsspezifisch eine bipolare Raumstruktur ab. Zwischen den beiden Herrschaftsbereichen liegt ein Meer, das überquert werden muss.1233 Träume in der Heldenepik bilden Determinationsmuster ab, die das gattungsspezifische Erzählen bestimmen, sie verweisen z. B. auf den Untergang oder auf Teiletappen hin zum Untergang. In episodisch erzählten Texten nehmen Traumerzählungen die jeweils folgende Episode vorweg. In der Artusepik liegt der Fokus des Traums stärker auf der Figur, auf ihrem Konflikt, der Traum gewährt daher mitunter Einblicke ins Innere der Figur und macht sie damit zum Träger einer kulturellen Selbstverständigung. In ihm können sich aber auch strukturelle Muster abbilden. Im Iwein etwa bezieht sich der Traummonolog des Helden auf den ersten aventiure-Weg. Der Monolog selbst liegt auf der Mittelachse zwischen dem ersten und zweiten aventiure-Weg. Gattungsmuster können sich auch mischen. Traumerzählungen in Gattungshybriden weisen entsprechend hybride Merkmale auf. So können sich hier Brautwerbungselemente, eschatologische Merkmale, politische Motive u. ä. durchmischen. In dem geträumten göttlichen Auftrag zur Brautwerbung im Oswald z. B. ist das Brautwerbungsschema mit dem Kreuzzugsgedanken kombiniert.1234

3.

Traum und Symbol

Träume in der Dichtung sind oftmals Symbolaggregate – und zwar gattungsübergreifend. Das hängt offenkundig sehr eng am Phänomen des Traums selbst. 1233 Vgl. zu den gattungsspezifischen Elementen zusammenfassend Schulz, Erzähltheorie, S. 193ff. 1234 Durch die Hybridisierung kann es zu Abweichungen vom brautwerbungstypischen genealogischen Imperativ kommen. Vgl. dazu Schulz, Erzähltheorie, S. 363f.

Fazit

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Reale Träume können symbolischen Gehalt aufweisen,1235 in diesem Sinne werden sie in der Dichtung wohl nachgeahmt. Neben diesen allgemeinmenschlichen Traumerfahrungen spielt die Jahrhunderte alte Tradition der Auseinandersetzung mit Traumsymbolik, etwa im Volksglauben, in Traumbüchern, traumtheoretischen Schriften oder in der Dichtung, eine wesentliche Rolle. Symbolik ist also etwas Traumspezifisches. Sie wird auf die Erzählung angewendet, auf sie abgestimmt, im Sinne der Erzählung funktionalisiert und lädt sie dabei gattungsübergreifend mit Sinnbezügen auf, produziert Bedeutung und dient somit der Aussageorientierung der Erzählung, in die sie eingebunden ist. Die Bedeutung eines Symbols kann sehr vielschichtig sein und lässt sich nur aus dem Kontext der jeweiligen Erzählung erschließen. Symbole können gattungsübergreifend in Träumen erscheinen, sind dann aber von ihrer Sinndimension her gattungsspezifisch ganz unterschiedlich aufgeladen. Symbolbedeutung kann gattungs- wie textspezifisch stark variieren. Symbolik ist grundsätzlich ambivalent. Ihre Bedeutung erschließt zwar sich in der Regel aus dem Kontext der Erzählung. Ist eine Erzählung allerdings selbst auf Ambivalenz hin ausgerichtet (Parzival), dann können auch die Symbole ambivalent bleiben und nicht eindeutig erschlossen werden. Das ist offenbar gewollt und Teil der Erzählweise. Damit wird auch das Sinnpotential des Traums in seiner Relation zur Erzählung gesteigert. Es ist ein Spiel mit Ambiguität, das sich nicht auf eine bestimmte Gattung wie den Artusroman beschränkt (vgl. z. B. den Alexanderroman). Symbole sind auf Figuren bezogen, dienen gattungsübergreifend der Figurenzeichnung, verdichten und veranschaulichen deren positive, negative oder ambivalente Eigenschaften und damit auch ihre Funktion innerhalb der Erzählung. Motivierung kann über die Symbolik erklärt werden. Die Figur kann z. B. als Missetäter oder Heilsbringer konzipiert sein und wird dann dementsprechend handeln. In der Symbolik können also bestimmte Eigenschaften vorweggenommen werden und a priori eine (Teil-)Erklärung liefern für die spätere Tat oder für das Verhalten der Figur. Symbole können auch, gattungsübergreifend, ganze Gruppen von Figuren in ihren Eigenschaften zusammenfassen, etwa, ganz stereotyp, Heiden und Christen in der Kreuzzugsdichtung (Rolandslied, Karl) oder ein ganzes Herrschergeschlecht (vgl. Uotes Vogeltraum im Nibelungenlied). Dargestellt sind dann meistens größere Zusammenhänge, Zustandsveränderungen von großer Tragweite, Ereignisse, von denen viele Menschen, ganze Herrschaftsbereiche oder die ganze christliche und heidnische Welt betroffen sind. Vorausgedeutet 1235 Vgl. dazu Thomä, Helmut / Kächele, Horst: Lehrbuch der psychoanalytischen Therapie. Band 1: Grundlagen. 3., überarbeitete und akutalisierte Auflage. Heidelberg 2006, S. 160f.

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Fazit

wird auf große Bewegungen innerhalb der erzählten Welt, auf Krieg, auf das Aufeinandertreffen von Heeren (Rolandslied, Karl). Symbolische Träume unterscheiden sich gattungsmäßig hinsichtlich ihres Gehalts, denn dieser entspricht der Thematik der Erzählung bzw. der damit verbundenen jeweiligen Aussageorientierung. Symbolik in Kreuzzugsdichtung ist im Sinne der christlichen Weltanschauung, die sie vermittelt, heilsgeschichtlich-ideologisch aufgeladen und die Bilder normalerweise eindeutig positiv oder negativ konnotiert. Das muss in der Heldendichtung nicht unbedingt der Fall sein. Hier kann die religiöse Konnotation der Bilder auch fehlen (Nibelungenlied, Rabenschlacht). Es gibt aber auch Träume, die völlig ohne Symbolik auskommen. Traumbefehle, wie sie gattungsübergreifend vorkommen, verzichten im Sinne der Erzählweise, die durch den Befehl eingeleitet werden soll, auf jegliche Symbolik. Formuliert wird hier eine klare Handlungsanweisung, symbolische Verschlüsselung wäre hier überflüssig, weil die Anweisung direkt verstanden und umgesetzt werden soll. Symbolik verschlüsselt gattungsübergreifend den Traum. Wie sie im Rahmen der Erzählung aufgelöst wird und wann dies geschieht, kann gattungsspezifisch variieren. In Texten mit episodischer Erzählweise (Orendel, Wolfdietrich) erschließt sich die Bedeutung der Traumsymbolik normalerweise schnell und problemlos. Das ist der Erzählweise geschuldet, die fortwährend durch aventiure-Reihung bestimmt ist. Der Traum ist dementsprechend in der Regel auch nur Teil einer relativ kurzen Episode und nur für diese relevant, darüber hinaus spielt er keine Rolle mehr. Daher erfolgt auch seine Auflösung noch innerhalb dieser Episode. Weit gespannte Bezüge werden normalerweise nicht hergestellt. Der Erzählweise entsprechend liegen Traumerzählung und Auflösung dicht beieinander. Hier besteht also eine Relation zur Erzählweise. Heroische Untergangserzählungen (Nibelungenlied, Rabenschlacht) dagegen spannen den Bogen deutlich weiter. Der Untergang prägt in der Regel weite Teile der Erzählung oder die Erzählung insgesamt. Somit kann hier Symbolik auch über weite Strecken präsent bleiben und ihre Bedeutung erschließt sich dem Rezipienten im Sinne dieser Erzählweise erst nach und nach. Neugierde und damit verbundene Spannung werden somit über längere Phasen der Erzählung aufrechterhalten, das Rätsel löst sich erst im Laufe der Erzählung auf. Aber auch in anderen Gattungen kann der Bogen weit gespannt sein. Im Trojanerkrieg Konrads von Würzburg etwa steht, ähnlich wie im Nibelungenlied, die symbolisch verschlüsselte Ankündigung des Untergangs Trojas im Traum der Hecuba am Anfang der Erzählung. Hier ist der Bogen vom Anfang bis zum geplanten, aber von Konrad nie vollendeten, Schluss gespannt. Allerdings bedeutet ein weitgespannter Bogen nicht immer, dass die Symbolik bis zum Ende rätselhaft bleibt. Uotes Vogeltraum dürfte sich, ebenso wie Hecubas Fackel-

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Fazit

traum, auch ohne Kenntnis des Endes erschließen lassen.1236 Spannung bleibt aber dennoch aufrechterhalten, weil sich ja immer noch die Frage stellt, wie es zum Untergang kommen wird. Gattungsübergreifend wird das oben beschriebene Muster variiert. Im König Rother etwa setzt der Auflösungsprozess relativ schnell ein, ähnlich wie im Wolfdietrich, gleich im Anschluss an die Traumerzählung Konstantins. Vollkommen aufgelöst aber wird das Bild erst zum Ende hin.

4.

Raumsemantik

Die meisten Träume weisen auch eine Raumsemantik auf. Das ist ein traumspezifisches Phänomen, das darauf zurückzuführen ist, dass wir räumlich träumen, dass sich in unseren Träumen eine räumliche Welt abbildet, in der wir uns bewegen, in die wir aus verschiedenen Perspektiven hineinschauen und in der Personen agieren oder Gegenstände und Symbole angesiedelt sind oder sich bewegen.1237 In der Dichtung leistet die Bewegung von Symbolen und Figuren innerhalb eines Raums in Traumerzählungen gattungsübergreifend oft einen Beitrag zur Sinnproduktion. Raumsemantik wird im Sinne der Aussageorientierung einer Erzählung funktionalisiert. In der Kreuzzugsdichtung vollzieht sich z. B. als Bedrohungsszenario heidnische Bewegung gegen den christlichen Raum oder, im Sinne einer Aufforderung zum Kampf bzw. zur Gegenwehr, Bewegung der Christen gegen den heidnischen Raum. Bewegung gegen etwas oder jemanden lässt sich gattungsübergreifend beobachten, so z. B. in der Heldenepik (Kriemhilds Träume), aber auch in der Kreuzzugsdichtung (Rolandslied). Es kann auch ein Raum gestaltet sein, in dem Stillstand herrscht. In Uotes Vogeltraum bewegt sich nichts mehr, weil alle tot sind. Das entspricht gattungsspezifisch dem Resultat der Untergangserzählung. Bewegung kann auch auf Transformation hinweisen, beispielsweise in politischen Traumerzählungen: Der Übergang der Herrschaft von einem König zu einem anderen (Rother, Alexanderroman). 1236 Zumal der Traum von Priamus gedeutet wird: Diz ist ein schedel„chiu fruht. / m„n lant möht allez mit genuht / von im zerstœret werden. / ob dirre knabe ˜f erden / gewüehse z’einem manne, / sú würde Troye danne / von s„ner schulde wüeste. / Þ daz er leben müeste / mir ze schedelicher nút, / Þ tæt ich selber im den tút, / dur daz ich sorgen würde entladen. (Vv. 391–402). Auch Kriemhilds Falkentraum wird ja gedeutet, aber hier bleibt offen, wer die Adler sein werden. Zudem dürften bestimmte literarische Stoffe im Mittelalter zur Allgemeinbildung gehört haben. 1237 Reale Träume haben ja mit ihren räumlichen und zeitlichen Kategorien letztlich auch insgesamt sehr ähnliche Merkmale wie Erzählungen. Vgl. zu diesem Phänomen auch Benedetti, Gaetano: Symbol, Traum, Psychose. Unter Mitarbeit von Bernhard-Hegglin, Alice. Göttingen 2006, S. 32.

242 5.

Fazit

Anwesenheit und Abwesenheit des Traumempfängers im Raum

Die träumende Figur selbst kann gattungsübergreifend im Raum in Erscheinung treten, sich dort bewegen, agieren und handeln. Die Figur, die den Traum empfängt, muss allerdings nicht immer im Raum anwesend sein. Oftmals beschreibt der Traum eher einen Blick von außen auf das Geschehen, welches sich im Traum vollzieht. Diese Abwesenheit der träumenden Figur findet sich gattungsübergreifend oftmals in Unheilsträumen. Das entspricht der auf Determination angelegten Erzählweise: Die Figur ist hilflos, sie kann dem Unheil nicht entgehen, ihm nicht entrinnen, es nicht abwenden. Die Hilflosigkeit kommt dadurch zur Geltung, dass die Figur in einer Zuschauerperspektive verharrt. Sie selbst vermag im Traum aufgrund ihrer Außenposition, ihrer Abwesenheit, nicht zu agieren. Ebenso wenig vermag sie es dann später in der Realität der fiktiven Welt.

6.

Zur Plausibilität von Traum und Figurenverhalten am Beispiel von Unheilsträumen

Figuren reagieren normalerweise auf ihre Träume, einfach deshalb, weil sie realen Menschen bis zu einem gewissen Grad nachempfunden sind. Menschen reagieren ja auch mitunter auf ihre Träume, natürlich nur auf besondere, vielleicht erschreckende. Sie reagieren darauf mit Angst, denken darüber nach, schreiben sie auf, berichten anderen davon, lassen sie deuten, halten sie vielleicht für mantisch oder natürlich, für psychologisch bedeutsam. Das wird ein Rezipient auch von einer literarischen Figur erwarten. Träume können Figurenreaktionen daher beeinflussen. Aber die Reaktion der Figur kann für die Handlungsprogression völlig bedeutungslos sein. Das kann mit dem Traumtyp zusammenhängen. Das Unheil oder der Untergang etwa, den ein Traum ankündigt, steht fest, und zwar unumstößlich. Die Figur kann sich gegen das Unheil wenden, wird aber scheitern. Oder sie kann eine fatalistische Haltung einnehmen und dem Unheil freien Lauf lassen. Ob die Figur ihre Träume empfängt oder nicht, spielt für den Verlauf der Handlung keine Rolle. Es hat keine Bedeutung, ob die Figur ihren Traum beachtet oder nicht. Unheilsträume sind in diesem Sinne auch kein Mittel der Warnung. Die Figuren werden durch den Traum nur informiert. Denn eine Aussicht, das Unheil abzuwenden, besteht nicht. Fiktionsintern dagegen kann ein solcher Traum von den Figuren natürlich als Warnung verstanden werden, sie können im Rahmen von Traumerzählungen andere Figuren warnen. Selbst dann aber, wenn Figuren auf ihre Träume reagieren, zeitigt das letztlich keine Konsequenzen. Figurenreaktionen in Folge des Traums müssen aber doch auf diese Erzählweise abgestimmt sein. Textspezifisch kann das Problem des Wissens einer Figur

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Fazit

über eine unheilvolle Zukunft dann ganz unterschiedlich gelöst werden. Im Rahmen der Studie wurde ein Repertoire an möglichen Verhaltensmustern aufgezeigt. Die Figur kann in fatalistischer Passivität verharren oder sie ist, wenn sie versucht, das Unheil abzuwenden, in ihrem Handlungsradius soweit eingeschränkt, dass sie zwangsläufig scheitert. Die anderen Figuren etwa können die Traumerzählung ignorieren, sie anzweifeln, dem Traum seinen mantischen Charakter absprechen, die Handlungskompetenz der Figur kann gering sein oder die Figur nutzt ihre Handlungskompetenz nicht, gibt sie aufgrund einer fatalistischen Haltung (Helche, Hagen) oder mit Hinweis auf die göttliche Prädestination (Karl) auf, bleibt also passiv, oder sie überträgt, wie etwa Sinold (Orendel), ihre Kompetenz auf einen Verbündeten des Feindes, oder das Unheil erfüllt sich, gerade weil die Handlungskompetenz genutzt wird (Herzeloyde). Es kann auch eine Motivierungslücke auftreten und der Unheilstraum verschwindet mit samt den Bedenken der Figur aus der erzählten Welt (Nibelungenlied). Wie plausibel Figurenreaktionen im Verhältnis zur Handlungsprogression gestaltet sind, variiert textspezifisch. Oftmals wirken Figurenreaktionen infolge von Träumen aber eher wie ein mimetischer Rest. Träume können aber auch bedeutsam für die Handlungsprogression sein. 7.

Traum und Handlungsprogression

In der mittelhochdeutschen Dichtung gibt es gattungsübergreifend mehrere Beispiele dafür, wie metaphysische Träume sich auf Figurenreaktionen auswirken und dadurch Einfluss auf die Handlungsprogression nehmen. Diese Zusammenhänge können textspezifisch mehr oder weniger stark miteinander verbunden sein. Das haben die Einzelanalysen gezeigt. Die Traumerzählung kann eine handlungsbestimmende Kettenreaktion auslösen (König Rother), sie kann von handlungsprogressiver Bedeutung sein (Alexander). Traumbefehle erfüllen fiktionsintern explizit eine handlungsprogressive Funktion. Sie fordern Figuren direkt oder indirekt zu Handlungen auf, geben der Handlung einen (manchmal entscheidenden) Anstoß, einen Impuls, eine Richtung, setzen sie in Bewegung, können eine Situationsveränderung motivieren, Figurenhandlung plausibilisieren, ein Erzählmuster einleiten und festlegen. Sie bestimmen das Erzählmuster, indem sie ein Ziel für den Helden formulieren, das dieser dann erreichen soll. Die narrativen Möglichkeiten, die mit dieser Traumvorstellung verbunden sind, werden auf Gattung, Thematik und Aussageorientierung der Erzählung hin abgestimmt. Ähnlich funktionieren strategisch erfundene Traumerzählungen: Hier will der intradiegetische Traumerzähler ein bestimmtes Verhalten bei anderen Figuren erreichen, sie zu einer Handlung motivieren. Auch dieser Traum hat handlungsprogressive Funktion. Wie weit der Einfluss durch eine erfundene

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Fazit

Traumerzählung reicht, die prophetische Begabung vortäuscht, kann textspezifisch variieren. Mittelhochdeutsche Dichtung kennt textspezifisch auch noch andere Möglichkeiten, das Traummotiv im Sinne der Handlungsprogression zu funktionalisieren, auch jenseits des metaphysischen oder pseudometaphysischen Musters. Iweins Traummonolog hat handlungsprogressive Funktion, leitet den zweiten aventiure-Weg des Helden ein. Der Impuls erfolgt hier nicht über die mantische Ebene eines Traumbefehls, sondern über die Reflexion. Die Figur erkennt die Notwendigkeit zum Handeln selbst. 8.

Traumempfänger: Wer träumt?

Der Heidenkönig Sinold (Orendel) hat kein individuelles Profil, er träumt allein als Repräsentant des Heidentums und als eine Figur, die Antipathie erzeugt. Ähnlich verhält es sich mit Konstantin, der zwar ein christlicher Herrscher ist, aber auf der falschen Seite steht. Karl empfängt seine Träume als Repräsentant des Christentums, zugleich aber auch als besorgter, führsorglicher Onkel Rolands, als jemand, der Empathie erzeugt. Männer und Frauen träumen gattungsübergreifend tendenziell unterschiedlich. Männer etwa empfangen eher politische Träume, die auf weitreichende Zustandsveränderungen verweisen. Karls Träume etwa sind religiöspolitisch auf das Schicksal der gesamten christlichen und heidnischen Welt bezogen. Zur selben Kategorie gehört der Traum Sinolds, der vom Untergang seiner heidnischen Herrschaft träumt. Konstantin träumt von der Vermählung zwischen seiner Tochter und dem weströmischen Herrscher Rother und damit von einer politischen Verbindung zwischen Ost- und Westrom unter weströmischer Herrschaft. Herbrant träumt von der Befreiung durch Wolfdietrich und damit auch implizit von der Rückkehr des politischen Einflusses Wolfdietrichs in Ostrom. Alexander handelt im Sinne seines Traums und sucht die Begegnung mit Perserkönig Darius, seinem politischen Rivalen. Ähnlich ist es bei Eneas, der, dem Traumbefehl seines Vaters folgend, zum Romgründer wird. Das weibliche Figurenpersonal hat dagegen gattungsübergreifend vor allem familiäre Träume. Mütter haben Angstträume, die sich auf ihre Kinder beziehen. So träumt Helche vom Tod ihrer beiden Söhne Orte und Scharphe. Herzeloydes Traum bezieht sich auf Parzival und den Tod Gahmurets. Kriemhilds Träume handeln von dem geliebten Ehemann. Uotes Traum steht zwischen dem Politischen und Familiären: Sie spricht mit ihrer Traumerzählung eine politische Warnung an die Burgunden aus, zugleich ist der Traum aber insofern familiär, als dass sich die Warnung an ihre Verwandten richtet, unter ihnen ihre Söhne Gunther, Genot und Giselher. Auch Hecubas Traum nimmt hier eine Zwischenposition ein, bezogen ist er auf ihren noch ungeborenen Sohn Paris, der als

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brennende Fackel aus ihrem Bauch wächst, zugleich verkündet der Traum den Untergang Trojas. Olympias’ Traum ist ein Sonderfall, doch auch dieser bezieht sich auf ihren noch ungeborenen Sohn Alexander. Die Traumerzählung Salmes prophezeit die Geburt des gemeinsamen Sohns und Thronerben, hat also auch familiäre wie politische Dimension. Sidrat versucht mit ihrer Traumerzählung, Wolfdietrich den Weg auf den weströmischen Thron zu ebnen, der Traum hat damit auch eine familiär-dynastische Dimension. *

Am Schluss meiner Überlegungen zur Erzählweise literarischer Träume bleibt festzuhalten: Für den vormodernen Menschen bedeutete Träumen oftmals das Vordringen in die Tiefen eines rätselhaften Kosmos jenseits unserer Welt. Die Auseinandersetzung mit Träumen war für ihn verbunden mit der Suche nach Bedeutung, nach einer höheren Wahrheit in größeren, welthistorischen, politischen oder religiös-eschatologischen Zusammenhängen, so auch in der Dichtung des Mittelalters. Doch das Spektrum des Traumverständnisses reicht weiter. Der Traum konnte auch schon für den mittelalterlichen Menschen einen Blick in das Innere einer Seele eröffnen, eine Erkenntnis über den Einzelnen vermitteln. So führen auch literarische Träume mitunter in die (repräsentierte) Psyche einer Figur hinein. In mittelalterlicher Dichtung werden nicht bloß rein fiktive Traumwelten erschaffen, der Traum ist nicht immer nur Ausdruck eines allegorischen oder symbolischen Denkens. Es wird auch ein epochenübergreifendes Phänomen verarbeitet, das Auskunft über Emotionen, Hoffnungen, Ängste und Wünsche des mittelalterlichen Menschen selbst gibt. Gerade eine weitere Erforschung solcher Träume kann es uns ermöglichen, den mittelalterlichen Menschen in seinem Denken und Fühlen besser zu verstehen. In diesem Sinne will diese Studie auch einen Impuls geben, am anderen Ende des Spektrums weiterzuforschen.

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VIII.4 Wörterbücher Henning, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Tübingen 2007. Köbler, Gerhard: Althochdeutsches Wörterbuch. 6. Auflage. 2014. http://www.koeblerge rhard.de/ahd/ahd_m.html. Deutsches Wörterbuch von Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm. Bearbeitet von Arthur Hübner/ Hans Neumann. Band 12. Leipzig 1935.