Militärische Organisationskultur im Nationalsozialismus: Das Reserve-Polizeibataillon 61 und der Zweite Weltkrieg in Osteuropa [1 ed.] 9783666317378, 9783525317372

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Militärische Organisationskultur im Nationalsozialismus: Das Reserve-Polizeibataillon 61 und der Zweite Weltkrieg in Osteuropa [1 ed.]
 9783666317378, 9783525317372

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Jan Hendrik Issinger

Militärische Organisationskultur im Nationalsozialismus Das Reserve-Polizeibataillon 61 und der Zweite Weltkrieg in Osteuropa

Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Herausgegeben von Thomas Lindenberger und Clemens Vollnhals Band 69

Vandenhoeck & Ruprecht

Jan Hendrik Issinger

Militärische Organisationskultur im Nationalsozialismus Das Reserve-Polizeibataillon 61 und der Zweite Weltkrieg in Osteuropa

Vandenhoeck & Ruprecht

Das vorliegende Buch ist die geringfügig überarbeitete Fassung der im WS 2018/2019 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg eingereichten Dissertation.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Kompaniechef Erich Mehr sowie der Spieß Ernst Brunst mit weiteren Mitgliedern des Reserve-Polizeibataillons 61 bei einer Feier in Warschau 1942. Staatsarchiv Hamburg (StAHH 213-12-72 Nr. 35) Satz: Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Dresden

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0971 ISBN 978-3-666-31737-8

Inhalt Danksagung

7

I.

Einleitung

9

II.

Grundlagen der Studie

11

1. 2. 3. 4.

11 26 30

Forschungslage Verortung und Aufbau Theoretisches Grundgerüst Quellenbasis und theoretisch-methodischer Quellenzugang 4.1 Quellen bis 1945 4.2 Quellen nach 1945 III. Das Reserve-Polizeibataillon 61 1. 2. 3. 4. 5.

Kommandeure, Adjutanten und der Stab Kompaniechefs und ihre Unterstützer Gliederung und Ausrüstung Rekrutierung und Personalbestand Ausbildung und Leistungsfähigkeit

IV. Kriegseinsatz – Räume, Situationen, Wahrnehmungen 1. 2. 3. 3.1 3.2 4. 5.

Polen 1939–1940 Zwischenspiel 1940–1941 Warschau 1942 Einsatz in der Stadt und die Bewachung des Ghettos Innerhalb des Ghettos Russland 1942–1944 Epilog: Über das Ende hinaus

38 39 53 85 87 101 125 128 155 167 167 238 245 245 290 333 380

6 V.

Inhalt

Handlungsleitende Einflüsse

389

1. 2.

389

3. 4. 5. 6. 7.

Die gierige Organisation und das Vertrauen Die Organisation des Alltags, die Freiwilligkeit und der fehlende Zwang Die Fassade der Legalität, Legitimität und die Dehumanisierung Die Unterminierung von Regeln und die flexible Rechtsauslegung Die Risse in der Gemeinschaft, Sanktionen und die psychische Belastung Die Sozialisation, das Soldatentum und die Gier nach Orden Die Gier der Polizisten und der Wunsch nach einem angenehmen Alltag

408 430 457 476 507 535

VI. Fazit – Gewalt zwischen Situation, Sozialisation und Organisation

557

VII. Anhang

585

1. Karten 2. Abkürzungsverzeichnis 3. Quellenverzeichnis 3.1 Archivalische Quellen (national) 3.2 Archivalische Quellen (international) 3.3 Gedruckte Quellen 4. Literaturverzeichnis 4.1 Forschungsarbeiten 4.2 Webseiten 5. Personenverzeichnis

585 593 597 597 604 607 614 614 635 637

Danksagung An erster Stelle gilt mein Dank meinem Doktorvater Dietmar Neutatz. Er hat mit mir quasi die akademische Katze im Sack von Münster nach Freiburg geholt und mir überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, mein Forschungsprojekt umzusetzen. Als stets ansprechbarer und konstruktiver Doktorvater hat er mich nicht nur bei meiner Forschungsarbeit beraten, sondern auch nach dem Auslaufen meiner Mitarbeiterstelle bei der Bewerbung um verschiedene Stipendien und Stellen unterstützt, die mich nach Jerusalem, zurück nach Freiburg, Warschau, Posen und Dresden geführt haben. Sylvia Paletschek hat dankenswerterweise als Zweitgutachterin in meinem Promotionsverfahren fungiert und war mehrfach eine wichtige Ansprechpartnerin. Giesela Riescher übernahm kurzfristig das dritte Gutachten, wofür ich auch ihr sehr danke. Darüber hinaus hatte ich das Privileg, meine Arbeit im nationalen und internationalen Rahmen diskutieren zu dürfen. Besonders werden mir dabei die Royal Military Academy Sandhurst und die Forschungs- und Gedenkstätte Yad Vashem sowie die Münsteraner Villa ten Hompel in Erinnerung bleiben. Viel wichtiger als Orte sind jedoch die Forschenden, die ich traf und die mir immer wieder enorm wichtigen Input für meine Arbeit gegeben haben. Leider kann ich hier nur einem kleinen von ihnen Bruchteil persönlich danken. Hans-Ulrich Thamer brachte mich als mein Mentor während des Studiums überhaupt erst zur Organisations- und Täterforschung. Wenn wir uns später begegnet sind, stand er mir stets mit zielführenden Ratschlägen und einem ungemein positiven Zuspruch zur Seite. Ebenso konnte ich mich während meiner häufigen Aufenthalte in Münster mehrfach mit Thomas Großbölting kurzschließen. Meine vorherige Hilfskrafttätigkeit an seinem damaligen Lehrstuhl hatte mich außerdem bereits zuvor mit Informalität und Organisationskultur als Untersuchungsgegenstände in Kontakt gebracht. Mit Hans Mommsen durfte ich zu Beginn meiner Promotionszeit ein ungemein fesselndes Gespräch über die kumulative Radikalisierung führen. Seiner Forderung nach einer Verzahnung von Individuum und Struktur entspricht hoffentlich auch meine Arbeit. Stefan Kühl hat mich nicht nur ohne zu zögern in seine organisationssoziologische Forschungsgruppe in Bielefeld aufgenommen, sondern hat durch seine Arbeiten und den persönlichen Austausch stark zur interdisziplinären Ausrichtung meiner Forschung beigetragen. Mit Alf Lüdtke konnte ich mich nicht nur im Rahmen der Kolloquien zur Polizeigeschichte mehrmals über den Alltag und die Lebenswirklichkeit von Polizisten im Zweiten Weltkrieg austauschen, ebenso bestärkte er mich darin, bereits bekannte Quellen stärker gegen den Strich zu lesen. Dan Michmann nahm mich nicht nur geradezu familiär in Yad ­Vashem auf, sondern half mir auch zusammen mit Yehuda Bauer, die Perspektive der osteuropäischen Geschädigten des Reserve-Polizeibataillons 61 und hierbei insbesondere die Dynamiken im Warschauer Ghetto besser zu

8

Danksagung

verstehen. Dies hat mit dazu beigetragen, auch die Perspektive der Opfer und Bystander auf die Dortmunder Polizeieinheit in meine Analyse einzubinden. Als empirisch arbeitender Historiker schulde ich aber insbesondere auch all den zahlreichen Archiven, Sammlungen, Gedenkstätten und Ermittlungsbehörden Dank, die mir meist sehr weitreichenden Zugang zu teilweise noch gesperrten Beständen gewährt haben und so meine Forschung erst ermöglichten. Stellvertretend für weit mehr Personen möchte ich dementsprechend Eliot Nidam Orvieto, Doris Kock und Christoph Spieker danken. Auch bei der Fertigstellung der vorliegenden Studie habe ich sehr dankenswerte Hilfe erhalten. Lukas Grawe und Christina Missweit haben die gesamte ursprüngliche Dissertation gegengelesen. Ebenso haben Niklas L. Schramm und Anja Lochte größere Textteile überprüft. Gabriel Sternheim schulde ich Dank für seine engagierte Unterstützung im Umgang mit hebräischem und Martin Farber im Umgang mit polnischem Quellenmaterial. Axel Riekeberg las das Manuskript vor der Abgabe an den Herausgeber nochmals gegen. Sie alle haben mich darüber hinaus mit wertvollem Rat aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln unterstützt. Eine besondere und nicht allein mir geltende Ehre ist es entsprechend, dass meine Dissertationsschrift vor ihrer Drucklegung mit dem Monika-Glettler-Preis der Philosophische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität ausgezeichnet wurde. Thomas Lindenberger und Clemens Vollnhals danke ich für die unkomplizierte Aufnahme in die Schriftenreihe des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Dessen Mitarbeitern bin ich für die Vorbereitung des Druckmanuskripts in den herausfordernden Zeiten der Covid-19-Pandemie dankbar und möchte hier besonders Ute Terletzki und Sebastian Rab hervorheben. Meine Familie, Freunde, Kollegen und Schüler haben mir schließlich in den letzten Jahren gezeigt, dass sich das eigentliche Leben außerhalb akademischer Elfenbeintürme abspielt. Insbesondere Sophie und Jonathan Lochte verdanke ich diese Erkenntnis. Bereits lange vor meinem Studienbeginn hat mich auch mein verstorbener Patenonkel Thomas Diembach durch seine Art als Mensch und Historiker maßgeblich geprägt. Zu gerne hätte ich mit ihm diese Arbeit diskutiert. Gleiches gilt für meinen Vater, zu dem ich nicht immer ein einfaches Verhältnis gehabt habe, der mich aber letztlich immer unterstützt hat und mit dem ich nun nach all den Jahren doch noch Beruf und Berufung teile. Auch er konnte die Fertigstellung meiner Dissertation nicht mehr erleben. Der größte Dank gilt am Ende meiner Mutter Mechthild. Sie hat mich mein ganzes Leben immer und überall unterstützt und sich für mich bedingungslos eingesetzt. Ich bin mir sicher, dass diese Arbeit ohne sie niemals hätte entstehen können. Ihr ist diese Publikation gewidmet. Wolfsburg im Sommer 2021

Jan Hendrik Issinger

„Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“ Georg Büchner, Woyzeck – Kapitel 5

I. Einleitung 1954, mehrere Männer im fortgeschrittenen Alter sitzen auf den hölzernen Bänken des Dortmunder Landgerichts. Einige verdecken ihre Gesichter mit Ordnern. Sie möchten nicht erkannt werden, denn sie sind Angeklagte in einem Mordprozess. Gegenstand des Verfahrens ist nicht eine einzelne Tötung, sondern die Teilhabe der Männer an einem der größten Verbrechen überhaupt: dem Holocaust. Das Gericht befasst sich dieses Mal jedoch nur mit einer Reihe von Tötungen in Warschau 1942. Die Angeklagten, die während des Zweiten Weltkrieges alle Mitglieder des Reserve-Polizeibataillons 61 waren, hatten dort das Ghetto bewacht und dessen Insassen zahlreiche Male drangsaliert und getötet. Die zahllosen weiteren Gewalthandlungen der Polizisten in Osteuropa zwischen 1939 und 1945 blieben dabei nahezu unerwähnt.1 Dann spricht der vorsitzende Richter sein Urteil. Trotz einer eigentlich erdrückenden Beweislast werden „sämtliche Angeklagten durch Urteil des Schwurgerichts in Dortmund vom 31.3.1954 freigesprochen“, und zwar bis auf eine Person alle „wegen erwiesener Unschuld“.2 Sie hatten sich erfolgreich auf einen Befehlsnotstand als Beweggrund ihres Handelns berufen, obwohl die behauptete Gefahr für ihr Leib und Leben reine Fiktion war. Während die Westdeutsche Presse hierauf nicht weiter einging, fasste eine Überschrift der ostdeutschen „Neuen Volkszeitung“, bei allen Einflüssen des Kalten Krieges, durchaus nachvollziehbar zusammen: „Skandalöses Urteil im Ghettoprozess“.3

1 Für die beschriebene Situation sowie eine entsprechende Fotografie vgl. o.  V., Monsterprozeß um Mord im Getto von Warschau. Zwanzig Angeklagte bestreiten jede Straftat. Schwurgericht verhandelt sechs Tage. In: Westfälische Rundschau vom 23.3.1954. Aus Gründen der Einfachheit wird im Folgenden das Reserve-Polizeibataillon 61 stets nur als Bataillon 61 bezeichnet. 2 Bericht Staatsanwalt Dr. Nachtweh an den Bundesinnenminister 2.4.1954 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1490, Bl. 57). 3 O. V., Mord auf Befehl ist trotzdem Mord. Freisprüche für alle Angeklagten im Zeichen des geplanten EVG. In: Neue Volkszeitung vom 1.4.1954. Für eine Sammlung an Pressestimmen zu dem Prozess vgl. LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1489. Für die juristische Aufarbeitung der Handlungen des Bataillons 61 vgl. Stefan Klemp, Freispruch für das „Mord-Bataillon“. Die NS-Ordnungspolizei und die Nachkriegsjustiz, Münster 1998, S. 71–122. Exemplarisch Für die Behauptung des Notstandes vgl. Schreiben des Rechtsanwalts Fritz Köster i. V. [in Vertretung] des Angeklagten Kobitzki an das Landgericht Dortmund vom 10.3.1954 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1488, Bl. 121); Schreiben des Rechtsanwalts Hallenbach i. V. der Angeklagten Sinn und Schumacher an das Landgericht Dortmund vom 24.11.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1488, Bl. 49).

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Einleitung

Dies ist nicht der Anfang, sondern das vorläufige Ende der hier im Folgenden untersuchten Geschichte des Bataillons 61 und seiner Mitglieder. Dabei befasst sich die vorliegende Arbeit im Rahmen einer Mikrostudie dezidiert nicht mit der fehlgeschlagenen Aufarbeitung der ausgeübten Gewalt, sondern mit der Frage nach deren Ursprüngen und Rationalen innerhalb der Polizeieinheit. Es geht darum, wie – bedingt durch die militärische Organisationskultur des Verbandes – „normal“ wirkende Männer, die nicht als „Vertreter des Bösen“ oder als „Dämonen in schwarzer Uniform“4 erschienen, bereit waren, Gewalt im Sinne der NS-Führung auszuüben. Warum waren ideologisch unauffällige Männer ohne größere Probleme willens, an der „Niederhaltung der Bevölkerung“ im okkupierten Osteuropa und an der Übernahme von „Henkersarbeiten“5 teilzuhaben? Dies ist von besonderer Relevanz, denn ohne solche Akteure wäre die „Logistik des Massenmordes“ nicht umsetzbar gewesen. „Die Polizeibataillone spielten insbesondere bei Massenerschießungen, Ghettoräumungen und Deportationstransporten eine wichtigere Rolle als die Einsatzgruppen.“6

Für die Akzeptanz des Notstandes durch die Richter vgl. Urteil und Urteilsbegründung 10 Ks 1/53 vom 31.3.1954 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1491, Bl. 154r). Für die Rechtskraft des Urteils vgl. Ablehnung der Revision durch den 4. Strafsenat des BGH [Bundesgerichtshofs] vom 21.9.1955 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1492, Bl. 10). 4 Bernd Hüppauf, Was treibt den Täter? Täterforschung: Ein neues Wort und das Erkenntnisinteresse, das es ausspricht. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 23.7.2002. 5 Stefan Klemp, „Nicht ermittelt“. Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz. Ein Handbuch, 2. Auflage, Essen 2011, S. 79. 6 Ebd., S. 78. Zur Umsetzbarkeit des Holocaust aufgrund von Polizeibataillonen vgl. Christian Gerlach, Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrussland 1941 bis 1944, Hamburg 1999, S. 550. Noch 1999 hielt hingegen Friedrich Wilhelm über Ordnungspolizeiverbände fest, dass ihre Aufgaben „rein militärischer Art“ gewesen seien. Vgl. Friedrich Wilhelm, Die Polizei im NS-Staat. Die Geschichte ihrer Organisation im Überblick, 2. Auflage, Paderborn 1999, S. 163.

II.

Grundlagen der Studie

1.

Forschungslage

Forschungsarbeiten zur Besatzung Osteuropas im Zweiten Weltkrieg, die sich mit der Ausübung von Gewalt gegen lokale Bevölkerungsgruppen befassen, sind nahezu omnipräsent und werden teilweise auch massenmedial wahrgenommen. Gleiches gilt allgemein auch für Studien zu kriegerischen Gewaltdynamiken. Zwar mit unterschiedlichen Konjunkturen, aber doch stetig wurden dabei seit 1945 die Rationale für die Verhaltensweisen deutscher Akteure untersucht. Entsprechend soll hier erst gar nicht der Anschein erweckt werden, als ließen sich diese Arbeiten umfassend darstellen und abschließend einschätzen. Für einen annäherungsweisen Überblick sei vielmehr auf spezialisierte Werke wie die von Dan Stone herausgegebene „Historiography of the Holocaust“1 oder die fortlaufende Bibliografie der „Holocaust und Genocide Studies“2 verwiesen. Einige Untersuchungen sind jedoch von besonderer Bedeutung für die vorliegende Studie. Diese Arbeiten untersuchen zum einen die generellen Situationen, die in den Einsatzräumen der Dortmunder Polizeieinheit vorherrschten, und befassen sich zum anderen mit bestimmten Gewaltphänomenen und Einsatzmustern. Für den ersten Einsatzraum der Polizeieinheit von 1939 bis 1940, der zunächst als Militärbezirk Posen, später als Reichsgau Posen und schließlich ab 1940 als Reichsgau Wartheland bezeichnet wurde, liegt seit 2006 eine Studie von Michael Alberti zur „Verfolgung und Vernichtung der Juden“3 in diesem Gebiet vor. Zwar wird das Bataillon 61 in dieser Studie nur am Rande erwähnt, doch stellt die Arbeit das nationalsozialistische „Experimentierfeld“4 in Westpolen, wie Jost Dülffer korrekt feststellt, als „bislang unübertroffene Zusammenfassung“5 dar. Für die vorliegende Studie ist dabei insbesondere

1

2 3 4 5

Dan Stone (Hg.), The Historiography of the Holocaust, Basingstoke 2004. Vgl. auch überblicksartig Ulrich Herbert, Holocaust-Forschung in Deutschland: Geschichte und Perspektiven einer schwierigen Disziplin. In: Frank Bajohr/Andrea Löw (Hg.), Der Holocaust. Ergebnisse und neue Fragen der Forschung, Frankfurt a. M. 2015, S. 31–82. Für in einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommene Publikationen zur Gewalt im Zweiten Weltkrieg vgl. etwa Timothy Snyder, Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin 1933–1945, München 2011; ders., Black Earth. Der Holocaust und warum er sich wiederholen kann, München 2015. Recently Published Works in Holocaust and Genocide Studies. In: Holocaust and Genocide studies, 34 (2020) 1, S. 127–177. Vgl. ferner auch die vorangegangenen Ausgaben und Jahrgänge. Michael Alberti, Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939–1945, Wiesbaden 2006. Ebd., S. 33. Vgl. auch schon zuvor ders., „Exerzierplatz des Nationalsozialismus“. Der Reichsgau Wartheland 1939–1941. In: Klaus-Michael Mallmann/Bogdan Musial (Hg.), Genesis des Genozids. Polen 1939–1941, Darmstadt 2004, S. 111–126. Jost Dülffer, Rezension zu: Michael Alberti, Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939–1945. Wiesbaden 2006. In: H-Soz-Kult vom 20.9.2007 (https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-10556; 25.8.2020). Michael Wildt

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Grundlagen der Studie

die von Alberti geschilderte Frühphase der Militärverwaltung sowie die beginnende Phase der Zivilverwaltung von Relevanz. Gleiches gilt auch für die Untersuchung der beginnenden Bevölkerungsverschiebungen. Darüber hinaus führt der Autor schließlich auch die organisatorischen und personellen Verantwortlichkeiten im okkupierten polnischen Territorium aus. Die damit verbundene Erläuterung der Politik und Handlungslogik zeigt dann das ständige Wechselspiel zwischen strategischen Planungen in Berlin und Initiativen aus der Peripherie, an deren Umsetzung Einheiten wie das Bataillon 61 mitwirkten. Insbesondere zu der durch den deutschen Polizeiapparat ausgeübten regio­ nalen Repression und Gewalt lassen sich für den Bereich des „Warthegaus“ zwei ältere Studien von Stanisław Nawrocki heranziehen, die auch die hier untersuchte Polizeieinheit erwähnen. Ferner ist auch die neuere Arbeit von Maria Rutowska zur zwangsweisen Umsiedlung von Teilen der polnischen Bevölkerung für die vorliegende Studie aussagekräftig, da Deportationen eine der Haupttätigkeiten des Bataillons 61 waren. Insbesondere über die mit diesen volkstumspolitischen Maßen verbundene Gewalt informieren auch die Arbeiten von Alexa Stiller. Für die Gewalt jenseits von Umsiedlungen zeigt vor allem die von Jochen Böhler veröffentlichte Studie zur Gewalt beim Kriegsauftakt 1939 deutlich, dass der Polenfeldzug keinesfalls ein „europäischer Normalkrieg“6 war. Vielmehr war auch schon in der ersten Besatzungsphase massive Gewalt, meist aus fingierten Gründen, durch deutsche Kräfte alltäglich. Während deren Verhalten in Westpolen lange Zeit kaum erforscht wurde, waren die gewaltsamen Handlungen von Vertretern des NS-Regimes in Warschau bereits zu Kriegszeiten Gegenstand stetiger Beobachtungen. Insbesondere das dortige Ghetto, das ab 1942 durch das Bataillon 61 bewacht wurde,

schätzt die Studie zwar als sprachlich spröde ein, steht aber ihrer Grundaussage wie Dülffer sehr positiv gegenüber. Vgl. Michael Wildt, Rezension zu: Michael Alberti, Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939–1945, Wiesbaden 2006. In: FAZ vom 3.12.2007. 6 Hans-Ulrich Wehler, Der Nationalsozialismus. Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen, 1919–1945, München 2009, S. 160. Für Böhlers Studie vgl. Jochen Böhler, Der Überfall. Deutschlands Krieg gegen Polen, Frankfurt a. M. 2009. Für Stillers Dissertation vgl. Alexa Stiller, Völkische Politik. Praktiken der Exklusion und Inklusion in polnischen, französischen und slowenischen Annexionsgebieten 1939–1945, Göttingen 2019. Vgl. ferner auch dies., Gewalt und Alltag der Volkstumspolitik. Der Apparat des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums und andere gesellschaftliche Akteure der veralltäglichten Gewalt. In: Jochen Böhler/Stephan Lehnstaedt (Hg.), Gewalt und Alltag im besetzten Polen 1939–1945, Osnabrück 2012, S. 45–66. Ihr Aufsatz macht besonders klar, in welch starkem Maße „Volksdeutsche“ mit den Hauptakteuren deutscher Gewalt kooperierten. Für die vorliegende Studie konnte dieser aus Quellengründen nur am Rande einbezogen werden. Vgl. Maria Rutowska, Wysiedlenia ludności polskiej z Kraju Warty do Generalnego Gubernatorstwa. 1939–1941, Posen 2003; Stanisław Nawrocki, Terror policyjny w „Kraju Warty“ 1939–1945, Posen 1973; ders., Policja hitlerowska w tzw. Kraju Warty 1939–1945, Posen 1970. Darüber hinaus hinterließ Nawrocki dem Warschauer Staatsarchiv eine wichtige Dokumentensammlung. Vgl. APP 4807 Sammlung Nawrocki.

Forschungslage

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war und ist bis heute Gegenstand einer nahezu unbegrenzten Menge an Publikationen, die in ihrer Qualität stark variieren. Die sicherlich wichtigste und für die vorliegende Studie instruktivste Arbeit ist dabei eine seit 2001 in polnischer und 2009 in englischer Sprache erschienene Veröffentlichung von Barbara Engelking und Jacek Leociak.7 Auch wenn die Studie stark ereignisgeschichtlich ausgerichtet ist, so bietet sie doch umfassende Informationen zu allen Teilaspekten der Geschichte des Warschauer Ghettos. Insbesondere die geografischen und räumlichen Hinweise zu den Verhältnissen im Ghetto des Jahres 1942 stellen dabei wichtige Informationen zur Verfügung, die sich auf den Einsatz des Bataillons 61 beziehen lassen. Gleiches gilt auch für die in der Studie enthaltenen Chronologien, Tabellen und Statistiken. Entsprechend ist die Monografie vor allem als umfassendes Nachschlagewerk zum Warschauer Ghetto nutzbar. Eine knappe Darstellung der wichtigsten Geschehnisse in und um das abgesperrte Stadtgebiet liefert hingegen eine 2013 von Andrea Löw und Oliver Roth vorgelegte Publikation. Zwar stützt sich die Schrift vor allem auf Sekundärliteratur, stellt jedoch die generellen Verhältnisse in Warschau akkurat und kompakt dar. Für die genauere Gestaltung des Besatzeralltags in Warschau lassen sich zusätzlich die entsprechenden Abschnitte in Stephan Lehnstaedts Dissertationsschrift heranziehen.8 Für den Einsatzraum des Bataillons 61 in Russland ab Oktober 1942 lassen sich hingegen, von älteren operationsgeschichtlichen Arbeiten abgesehen, nur wenige relevante Studien heranziehen. Erst seit 2012 liegt eine umfassende Arbeit zum rückwärtigen Heeresgebiet Nord vor. Die von Jürgen Killian veröffentlichte Studie erlaubt dabei durch ihre äußerst präzise Belegstruktur einen schnellen Abgleich von allgemeinen Quellenmaterialien mit den speziell

7 Vgl. Barbara Engelking/Leociak Jacek, Getto warszawskie. Przewodnik po nieistniejącym mieście: mapy, 2. Auflage, Warschau 2013. Für die erste Auflage vgl. dies., Getto warszawskie. Przewodnik po nieistniejącym mieście: mapy, Warschau 2001. Für die englische Version vgl. dies., The Warsaw Ghetto. A Guide to the Perished City, New Haven 2009. Für die Rezension der englischen Ausgabe vgl. Stephan Lehnstaedt, Rezension zu: Barbara Engelking/Jacek Leociak, The Warsaw Ghetto. A Guide to the Perished City, New Haven/London 2009. In: H-Soz-Kult vom 16.11.2009 (https://www.hsozkult. de/publicationreview/id/reb-12025; 25.8.2020). Für zeitgenössische Beobachtungen aus dem Ghetto vgl. die Zusammenstellungen in Shimon Huberband, Kiddush Hashem. Jewish religious and cultural life in Poland during the Holocaust, Hoboken 1987; Joseph Kermish, To Live with Honor, to Die with Honor. Documents from the Warsaw Ghetto Underground Archives, Jerusalem 1999. 8 Vgl. Stephan Lehnstaedt, Okkupation im Osten. Besatzeralltag in Warschau und Minsk 1939–1944, München 2010; Andrea Löw/Markus Roth, Das Warschauer Getto. Alltag und Widerstand im Angesicht der Vernichtung, München 2013. Insbesondere zu sexuellen Beziehungen in Kriegszeiten vgl. Maren Röger, Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945, Frankfurt a. M. 2015. Zur Kriminalität im Ghetto vgl. Svenja Bethke, Tanz auf Messers Schneide. Kriminalität und Recht in den Ghettos Warschau, Litzmannstadt und Wilna, Hamburg 2015. Allgemein zur mit der Besatzung Polens einhergehenden Gewalt vgl. die Aufsätze in: Böhler/Lehnstaedt (Hg.), Gewalt und Alltag im besetzten Polen 1939–1945, Osnabrück 2012.

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Grundlagen der Studie

zum Russlandeinsatz des Bataillons 61 für die vorliegende Studie recherchierten Archivalien. Darüber hinaus erläutert Kilian aus Perspektive der Besatzer übergeordnete Entscheidungen und Prozesse im Operationsgebiet der 281. und 285. Sicherungs-Division, denen die Dortmunder Polizeieinheit jeweils zeitweise angehörte.9 Mit tatsächlichen Partisanen kam das Bataillon 61 dabei kaum in Kontakt. Stattdessen führten die Polizisten zahlreiche Vergeltungsaktionen gegen die lokale Bevölkerung aus. Diesen Prozess des Nichtergreifens tatsächlicher Kombattanten und stellvertretender Gewalt hat Alexander Hill 2004 bereits als typisch für den Partisanenkrieg im russischen Nordwesten beschrieben. Unter Nutzung sowohl deutscher als auch sowjetischer Quellen schafft der Autor es aufzuzeigen, dass die deutsche Führung weit stärker von militärischen Zielen geleitet und weniger ideologisiert war, als dies in der bisherigen Forschung angenommen wurde.10 Gleichzeitig führt Hill auch die hohe Anzahl an Frustrationsverbrechen gegen Zivilisten in Gebieten mit intensiver Partisanenaktivität aus. In Hinsicht auf das Wechselspiel der Gewalt erläutert er, wie Partisanen zum einen das Hinterland der Heeresgruppe Nord destabilisierten und wie die deutschen Verbände zum anderen durch Terrormaßnamen die Unterstützung der Partisanen durch die Zivilbevölkerung zumindest für längere Zeit stark reduzieren konnten. In der Quintessenz skizziert Hill also, wie sich die regionale Gewaltspirale vor allem als Ergebnis militärisch-strategischer Überlegungen entwickelte und wie wenig sie Ergebnis einer ideologischen Kriegsführung war. Dies wirft zumindest im Fall des Nordwestens Russlands „ein vollkommen neues Licht auf den Partisanenkrieg“,11 das auch für die Einsätze des Bataillons 61 mehr als erhellend ist.

    9 Vgl. Jürgen Kilian, Wehrmacht und Besatzungsherrschaft im russischen Nordwesten 1941–1944. Praxis und Alltag im Militärverwaltungsgebiet der Heeresgruppe Nord, Paderborn 2012. Für ausführliche Kritik an dieser Studie vgl. Olaf Mertelsmann: Rezension zu: Jürgen Kilian, Wehrmacht und Besatzungsherrschaft im russischen Nordwesten 1941–1944. Praxis und Alltag im Militärverwaltungsgebiet der Heeresgruppe Nord, Paderborn. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 36 (2015) 4, S. 682–684. Insbesondere zum Einsatz der Polizei im Rückraum der russischen Front vgl. Jürgen Kilian, Das Zusammenwirken deutscher Polizeiformationen im „Osteinsatz“ am Beispiel des rückwärtigen Gebietes der Heeresgruppe Nord. In: Wolfgang Schulte (Hg.), Die Polizei im NS-Staat. Beiträge eines internationalen Symposiums an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, Frankfurt a. M. 2009, S. 305–335. Einen etwas überstrapazierten Vergleich des dortigen Partisanenkriegs mit der Bekämpfung von „Indianern“ in den USA des 19. Jahrhunderts bietet Edward B. Westermann, Hitler’s Ostkrieg and the Indian Wars. Comparing Genocide and Conquest, Norman 2016. 10 Vgl. Alexander Hill, The war behind the Eastern Front. The Soviet partisan movement in North-West Russia, 1941–1944, London 2007. 11 Alexander Brakel, Rezension zu: Alexander Hill, The War Behind the Eastern Front. The Soviet Partisan Movement in North-West Russia, 1941–44, London 2004. In: H-Soz-Kult vom 19.9.2005 (https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-7638; 25.8.2020).

Forschungslage

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Neben Studien zu regionalen Aspekten des Zweiten Weltkrieges und der mit ihm einhergehenden Gewalt erschienen seit den Nürnberger Prozessen zahlreiche Studien, die sich mit der Analyse direkt Gewalt ausübender Personen befassten. Sie waren dabei einer sich ständig verändernden Deutung unterworfen. Suchte man anfangs nach vermeintlich „teuflischen SS-Schergen“,12 die man als „pathologische und kriminelle Fälle“13 ansah, rückten schon bald die „kleinen Rädchen“ und „Schreibtischtäter“14 im Vernichtungsprozess in den Fokus der Forschung. In den 1990er-Jahren kam es dann zu einer konkreten Konzentration auf die untere Riege der Direkttäter. Hierunter fielen auch die zahlreichen Angehörigen von militärisch aufgebauten Verbänden, die außerhalb des Reichsgebietes agiert hatten.15 Bei allem Interesse für den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus standen dabei Verbände der Deutschen Ordnungspolizei, trotz ihres signifikanten Beitrags zur Gewalt in Osteuropa, lange nicht im Fokus von Forschung und Öffentlichkeit. Lediglich in polnischer Sprache erschienen kleinere Veröffentlichungen, etwa 1975 zur „Banditenbekämpfung der Ordnungspolizei“.16 Hinzu kam 1982 eine kleinere Dokumentensammlung zum Einsatz der uniformierten Polizei im Generalgouvernement von 1939 bis 1942. Diese Arbeiten stützen sich jedoch auf sehr fragmentarische Quellenbestände und wurden, insbesondere in Deutschland, nicht weiter rezipiert. Einen ganz anderen, bewusst manipulativen Charakter hatten hingegen Publikationen, wie sie beispielsweise 1975 vom ehemaligen Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) Münster über die „Ordnungspolizei im Kriegseinsatz“17 veröffentlicht wurden. Wie schon in einem 12 Gunnar Bettendorf, Das Reserve-Polizeibataillon 111 im Osteinsatz. In: Hannoversche Geschichtsblätter, 62 (2008) 1, S. 91–165, hier 93. 13 Jan Kiepe, Das Reservepolizeibataillon 101 vor Gericht. NS-Täter in Selbst- und Fremddarstellungen, Hamburg 2007, S. 53. 14 Klaus-Michael Mallmann/Gerhard Paul, Sozialisation, Milieu und Gewalt. Fortschritte und Probleme der neueren Täterforschung. In: dies. (Hg.), Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, 2. Auflage, Darmstadt 2011, S. 1–32, hier 4. 15 Zum Überblick vgl. Gerhard Paul, Von Psychopathen, Technokraten des Terrors und „ganz gewöhnlichen“ Deutschen. Die Täter der Shoah im Spiegel der Forschung. In: ders. (Hg.), Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?, Göttingen 2002, S. 13–90. Eine Übersicht zur Täterforschung bietet auch Frank Bajohr, Täterforschung: Ertrag, Probleme und Perspektiven eines Forschungsansatzes. In: ders./Löw (Hg.), Der Holocaust, S. 167–185. 16 Wojciech Zyśko, Z dziejów ruchu oporu na Lubelszczyźnie. Stan akcji zwalczania ruchu oporu w dystrykcie lubelskim i zbrodniczy charakter tej akcji w świetle meldunków sytuacyjnych Ordnungspolizei, 1943–1944. In: Zeszyty Majdanka, (1975) 8, S. 225–259. 17 Georg Ortenburg/Bernhard H. Lankenau, Die Ordnungspolizei im Kriegseinsatz 1939/1945. In: Zeitschrift für Heereskunde, 39 (1975) 262, S. 202–208. Vgl. auch schon die früheren Veröffentlichungen von Bernhard H. Lankenau, in denen der frühere Kompaniechef des Bataillons 61, Hans Georg Kärgel, publizierte. Bernhard H. Lankenau (Hg.), Polizei im Einsatz während des Krieges 1939–1945 in Rheinland-Westfalen, Bremen 1957. Für die polnischen Arbeiten vgl. Stanisław Biernacki/ Blandyna Meissner/ Jan Mikulski, Policija porządkowa w Generalnej Guberni: Wybór dokumentów. Cz. 1. Lata 1939–1942. In: Biuletyn Głownej komisje badania zbrodni przeciwk narodowi polskiemu, 31 (1982) 1, S. 128–288. Schon deutlich früher erschien: Waldemar Tuszyński,

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von ihm in den 1950er-Jahren herausgegebenen Band wurden die Einsätze der Ordnungspolizei während des Zweiten Weltkrieges absolut beschönigend dargestellt.18 Erst 1984 legte Norbert Müller in Ostdeutschland einen im Rahmen der damaligen Möglichkeiten als wissenschaftlich anzusehenden Aufsatz zur Ordnungspolizei vor. In Westdeutschland war es 1990 Heiner Lichtenstein, der sich erstmals offen mit der uniformierten Polizei und der von ihr ausgeübten Gewalt befasste. Im folgenden Jahr publizierte Ludwig Eiber dann mit seiner Untersuchung des Reserve-Polizeibataillons 105 einen ersten auf eine einzelne Polizeieinheit konzentrierten Aufsatz. Eine umfassendere wissenschaftliche und auch öffentliche Wirkung erreichte jedoch erst Christopher Browning mit einer 1992 publizierten Monografie. Seine Pionierstudie „Ordinary Men. Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland“19 wirkt bis heute schulbildend. Schwerpunktmäßig versuchte der amerikanische Historiker erstmals die Zusammensetzung der Akteursgruppe sowie deren Motivation anhand vorherrschender Gruppendynamiken zu beschreiben. Zahlreiche weitere Studien erschienen in dieser Tradition und konzentrierten sich primär auf die Binnenbeziehungen in Ordnungspolizeieinheiten. Hierbei blieben aber weitere strukturelle Charakteristika der Verbände als Organisationen weitestgehend unbeachtet.20

Akcje kolejowe na Lubelszczyźnie od 1 stycznia do 30 czerwca 1944 r. w świetle meldunków Ordnungspolizei. In: Najnowsze dzieje Polski Seria 2, 8 (1964) 1, S. 159–184. Die Publikation stützte sich jedoch lediglich auf das Aktenmaterial der NS-Ordnungspolizei zu Bahnüberfällen. 18 Vgl. Lankenau, Polizei (1957); ders., Dem Gedenken an die Gefallenen und Luftkriegstoten (1939–1945), Herford 1980. Zu Lankenaus Person vgl. Christoph Spieker, Traditionsarbeit. Eine biografische Studie über Prägung, Verantwortung und Wirkung des Polizeioffiziers Heinrich Bernhard Lankenau 1891–1983, Essen 2015. 19 Christopher R. Browning, Ordinary Men. Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland, New York 1992. Im Folgenden nutzt die vorliegende Arbeit aber die deutsche Version. Vgl. ders., Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, 2. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1994. Für die vorangegangenen Studien vgl. Ludwig Eiber, „… ein bißchen die Wahrheit“. Briefe eines Bremer Kaufmanns von seinem Einsatz beim Reserve-Polizeibataillon 105 in d. Sowjetunion 1941. In: Neunzehnhundertneunundneunzig, 6 (1991) 1, S. 58–83; Heiner Lichtenstein, Himmlers grüne Helfer. Die Schutz- und Ordnungspolizei im Dritten Reich, Köln 1990; Norbert Müller, Zum Charakter und zum Kriegseinsatz der faschistischen Ordnungspolizei. In: Militärgeschichte, 23 (1984) 4, S. 515–520. Vgl. auch den schon 1986 im Magazin „Der Spiegel“ erschienen Text über die Massenmorde des Polizeibataillons 322: Alfred Aedtner, An Ort und Stelle erschossen. In: Der Spiegel vom 27.10.1986, S. 76–99. 20 Vgl. exemplarisch Konrad Kwiet, Auftakt zum Holocaust. Ein Polizeibataillon im Osteinsatz. In: Hellmuth Auerbach/Wolfgang Benz/Hans Buchheim/Hans Mommsen (Hg.), Der Nationalsozialismus. Studien zur Ideologie und Herrschaft, Frankfurt a. M. 1993, S. 191–208; Andrej Angrick/Martina Voigt/Silke Ammerschubert/Peter Klein, „Da hätte man schon ein Tagebuch führen müssen“. Das Polizeibataillon 322 und die Judenmorde im Bereich der Heeresgruppe Mitte während des Sommers und Herbstes 1941. In: Helge Grabitz/Klaus Bästlein/Johannes Tuchel (Hg.), Die Normalität des Verbrechens. Bilanz und Perspektiven der Forschung zu den nationalsozialistischen Ge-

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Im Jahr 1996 legte dann Daniel Jonah Goldhagen mit seiner mehr als umstrittenen und heute wissenschaftlich als widerlegt geltenden Studie quasi den Gegenentwurf zu Brownings Arbeit vor. Goldhagen sah es, unter massiver Überdehnung der von ihm genutzten Quellen, als erwiesen an, dass die deutsche Gewalt in Osteuropa und der Holocaust insgesamt durch einen tief verwurzelten „eliminatorischen Antisemitismus“21 bedingt waren. Wenngleich diese These bestenfalls populärwissenschaftlichen Charakter besaß, befeuerte sie doch den weiteren wissenschaftlichen Diskurs um die Interpretation deutscher Ordnungspolizeiverbände im Zweiten Weltkrieg. waltverbrechen. Festschrift für Wolfgang Scheffler zum 65. Geburtstag, Berlin 1994, S. 325–385; Edward B. Westermann, „Friend and helper“. German uniformed police operations in Poland and the General Government, 1939–1941. In: Journal of Military History, 58 (1994) 4, S. 643–661; Winfried Nachtwei, „Ganz normale Männer“. Die Verwicklung von Polizeibataillonen aus dem Rheinland und Westfalen in den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg. In: Alfons Kenkmann (Hg.), Villa ten Hompel. Sitz der Ordnungspolizei im Dritten Reich: Vom „Tatort Schreibtisch“ zur Erinnerungsstätte?, Münster 1996, S. 54–77; Alexander Primavesi, Die Ordnungspolizei als Bewachungsmannschaft von jüdischen Ghettos. In: Peter Nitschke (Hg.), Die deutsche Polizei und ihre Geschichte. Beiträge zu einem distanzierten Verhältnis, Hilden 1996, S. 168–173; Jürgen Matthäus, What About the „Ordinary Men“? The German Order Police and the Holocaust in the Occupied Soviet Union. In: Holocaust and Genocide studies, 10 (1996) 2, S. 134–150; Andreas Determann, Wegbegleiter in den Tod. Zur Funktion der Ordnungspolizei bei den Deportationen jüdischer Bürger „in den Osten“. In: Kenkmann (Hg.), Villa ten Hompel, S. 28–44; Wolfgang Kopitzsch, Hamburger Polizeibataillone im Zweiten Weltkrieg. In: Angelika Ebbinghaus/Karsten Linne (Hg.), Kein abgeschlossenes Kapitel. Hamburg im „Dritten Reich“, Hamburg 1997, S. 293–318; Klaus-Michael Mallmann, Vom Fußvolk der „Endlösung“. Ordnungspolizei, Ostkrieg und Judenmord. In: Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte, 26 (1997) 1, S. 355–391. 21 Daniel Jonah Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust (Neuauflage der Taschenbuchversion von 1998), Berlin 2012, S. 10. Für die ursprüngliche Ausgabe von Goldhagens Werk vgl. ders., Hitler’s willing executioners. Ordinary Germans and the Holocaust, New York 1996. Für weitere Forschungsarbeiten, auf die auch Goldhagens Publikation direkt und indirekt Einfluss hatte, sowohl durch Abgrenzung als auch durch das Aufgreifen seiner Perspektive vgl. Klemp, Freispruch; Herbert Zechmeister, Das Polizeibataillon 322 aus Wien Kagran. Österreichische Polizisten und der Vernichtungskrieg im Osten, Klagenfurt 1998; Christoph Spieker, Von der Germanisierung zur Repression. Funktion und Politik der deutschen Ordnungspolizei in den Niederlanden 1943. In: Norbert Fasse/Johannes Houwink ten Cate/Horst Lademacher (Hg.), Nationalsozialistische Herrschaft und Besatzungszeit. Historische Erfahrung und Verarbeitung aus niederländischer und deutscher Sicht, Münster 2000, S. 179–190; Heiner Lichtenstein, Ein Lügengewirr. Der Wuppertaler Prozeß gegen Angehörige des Polizeibataillons 309. In: Harald Buhlan/Werner Jung (Hg.), Wessen Freund und wessen Helfer? Die Kölner Polizei im Nationalsozialismus, Köln 2000, S. 619–632; sowie die folgenden Aufsätze in demselben Sammelband: Stefan Klemp, Kölner Polizeibataillone in Osteuropa. Die Polizeibataillone 69, 309, 319 und die Polizeireservekompanie Köln, S. 277–298; ders./Herbert Reinke, Kölner Polizeibataillone in den Niederlanden während des Zweiten Weltkrieges, S. 263–276. Zudem Alfons Kenkmann/Christoph Spieker, Die nationalsozialistische Ordnungspolizei als Konstrukt zwischen Wunschbild und Weltanschauung. In: dies. (Hg.), Im Auftrag. Polizei, Verwaltung und Verantwortung: Begleitband zur gleichnamigen Dauerausstellung – Geschichtsort Villa ten Hompel, Essen 2001, S. 17–37; sowie die folgenden Aufsätze im selben Band: Michael Okroy, „Man will unserem Batl. was tun …“. Der

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Der nächste wirkliche Schritt in der Erforschung deutscher Polizeibataillone im Zweiten Weltkrieg erfolgte erst im Jahr 2005. Stefan Klemp legte ein umfangreiches Handbuch zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Ordnungspolizisten vor. Auch wenn sich die Publikation auf Ermittlungen deutscher Behörden beschränkt und Archivbestände und Strafverfahren im Ausland ausklammert, hat sie doch weitere Recherchen zu Polizeibataillonen erleichtert. Die Veröffentlichung listet staatsanwaltschaftliche Aktenzeichen und Archivsignaturen in bisher vollständigster Form auf und macht so erkennbar, zu welchen Verbänden potenziell umfangreiche deutschsprachige Ermittlungsunterlagen bestehen. Der eigentliche Textkorpus und die darin vorkommenden Analysen sind in der Publikation durch eine einseitige Interpretation und deutliche Empörung geprägt, „die im sprachlichen Stil von Klemp deutlich wird“.22 Dies schmälert die Nutzbarkeit der Publikation als Gesamtdarstellung Wuppertaler Bialystok-Prozeß 1967/68 und die Ermittlungen gegen Angehörige des Polizeibataillons 309, S. 301–317; Stefan Klemp, „50 Kommunisten aufgehängt, 350 Häuser niedergebrannt“. Der Einsatz des Reserve-Polizei-Bataillons 64 auf dem Balkan 1941–1943, S. 200–224; Moritz F. Lück, Partisanenbekämpfung durch SS und Polizei in Weißruthenien 1943. Die Kampfgruppe von Gottberg, S. 225–248. Zudem Wolfgang Kopitzsch, Bandenbekämpfung, Geiselerschießungen, Umsiedlungen, Endlösung. Hamburger Polizeibataillone im Zweiten Weltkrieg. Vortrag am 26. Januar 2001 in der Verwaltungsfachhochschule Altenholz. In: Förderverein Freundeskreis zur Unterstützung der Polizei Schleswig-Holstein e. V. (Hg.), Täter und Opfer unter dem Hakenkreuz, Kiel 2001, S. 247–273; Jürgen Matthäus, Die Beteiligung der Ordnungspolizei am Holo­ caust. In: Wolf Kaiser (Hg.), Täter im Vernichtungskrieg. Der Überfall auf die Sowjetunion und der Völkermord an den Juden, Berlin 2002, S. 166–185; ders., An vorderster Front. Voraussetzungen für die Beteiligung der Ordnungspolizei an der Shoah. In: Paul (Hg.), Die Täter der Shoah, S. 137–166; Jürgen Pohl, Polizisten vor Gericht. Der Einsatz des Recklinghäuser Polizeibataillons 316 in Weißrussland 1941. In: Vestische Zeitschrift, 99 (2002) 1, S. 363–402; Heiko Lange/Stephan Linck, Ein Hamburger Polizeibataillon im Osteinsatz. Anmerkungen zu einer neu entdeckten Quelle. In: Rolf Schwarz (Hg.), Kritische Annäherungen an den Nationalsozialismus in Norddeutschland. Festschrift für Gerhard Hoch zum 80. Geburtstag am 21. März 2003, Kiel 2003, S. 166–183; Edward B. Westermann, Shaping the police soldier as an instrument for annihilation. In: Alan E. Steinweis/Daniel E. Rogers (Hg.), The impact of Nazism. New perspectives on the Third Reich and its legacy, Lincoln (Nebraska) 2003, S. 129–150; Klaus-Michael Mallmann, „… Mißgeburten, die nicht auf diese Welt gehören“. Die deutsche Ordnungspolizei in Polen 1939–1941. In: ders./Musial (Hg.), Genesis des Genozids, S. 71–89; Martin Hölzl, Buer und Belzec. Die Polizeibataillone 65 und 316 und der Mord an Juden während des Zweiten Weltkrieges. In: Stefan Goch (Hg.), Städtische Gesellschaft und Polizei. Beiträge zur Sozialgeschichte der Polizei in Gelsenkirchen, Essen 2005, S. 260–285; Jürgen Pohl/ Michael Mielek, Das Reserve-Polizeibataillon 65 aus Recklinghausen im Zweiten Weltkrieg. Geschichte und Justiz. In: Vestische Zeitschrift, 100 (2005) 2004/05, S. 363–384; Martin Hölzl, Walter Nord – Polizeisoldat und Weltanschauungskrieger. In: Mallmann/ Paul (Hg.), Karrieren der Gewalt, S. 166–175. 22 Carsten Dams, Rezension zu: Stefan Klemp, „Nicht ermittelt“. Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz. Ein Handbuch. Münster 2005. In: H-Soz-Kult vom 12.5.2005 (https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-6951; 25.8.2020). Für die eigentliche Publikation vgl. Stefan Klemp, „Nicht ermittelt“. Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz. Ein Handbuch, Essen 2005 (2. Auflage 2011). Im Folgenden wird aber die Auflage von 2011 genutzt.

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zur Geschichte der Ordnungspolizei, da für „Alternativerklärungen oder zusätzliche Motive wenig Raum“23 bleibt. Für die Verwendbarkeit als Handbuch und Nachschlagewerk gilt dies jedoch weniger.24 In den Folgejahren erschienen weitere Studien zu verschiedenen Polizeieinheiten, wobei der Fokus meist auf Einsätzen in Osteuropa lag. Einzelne Veröffentlichungen untersuchten aber auch die Verwendung von uniformierten Polizeiverbänden in Westeuropa, wodurch wichtige Vergleichsfolien entstanden. Insgesamt zeigte sich dabei die vor allem durch deutsche Wissenschaftler geprägte Forschung zu Polizeibataillonen offen für interdisziplinäre Ansätze. Neben Historikern legten auch Juristen, Psychologen und Soziologen einschlägige Studien zu Ordnungspolizeiverbänden vor. Zu den meist rezipierten Arbeiten gehören dabei sicher Harald Welzers sozialpsychologische Veröffentlichung25

23 Andreas Hilger, Rezension zu: Stefan Klemp, „Nicht ermittelt“. Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz. Ein Handbuch, Essen 2005. In: sehepunkte vom 15.6.2006 (http://www.sehepunkte.de/2006/06/8499.html; 25.8.2020). 24 Die für die Untersuchung von einzelnen Polizeieinheiten momentan einschlägigsten Studien von Historikern sind Edward B. Westermann, Hitler’s police battalions. Enforcing racial war in the East, Lawrence 2005; ders., Ideology and organizational culture. Creating the police soldier. In: Dagmar Herzog (Hg.), The Holocaust in international perspective, Evanston Illinois 2006, S. 129–141; Wolfgang Curilla, Die deutsche Ordnungspolizei und der Holocaust im Baltikum und in Weißrussland. 1941–1944, Paderborn 2006; ders., Der Judenmord in Polen und die Deutsche Ordnungspolizei 1939–1945, Paderborn 2011; Andreas Mix, Organisatoren und Praktiker der Gewalt. Die SS- und Polizeiführer im Distrikt Warschau. In: Timm C. Richter (Hg.), Krieg und Verbrechen. Situation und Intention: Fallbeispiele, München 2006, S. 123–134; Karl Schneider, Zwischen allen Stühlen. Der Bremer Kaufmann Hans Hespe im Reserve-­Polizeibataillon 105, Bremen 2007; ders., „Auswärts eingesetzt“. Bremer Polizeibataillone und der Holocaust, Essen 2011; Kiepe, Reservepolizeibataillon 101; Torsten Schäfer, „Jedenfalls habe ich auch mitgeschossen“. Das NSG-Verfahren gegen Johann Josef Kuhr und andere ehemalige Angehörige des Polizeibataillons 306, der Polizeireiterabteilung 2 und der SD-Dienststelle von Pinsk beim Landgericht Frankfurt am Main 1962–1973. Eine textanalytische Fallstudie zur Mentalitätsgeschichte, Hamburg 2007; Bettendorf, Reserve-Polizeibataillon 111; Leonid Rein, Das 322. Polizeibataillon und der Mord an den weißrussischen Juden. In: Schulte (Hg.), Die Polizei im NS-Staat, S. 219–237; Kilian, Zusammenwirken; Frank Dobert, „Vorläufig ist alles noch harmlos“. Das Jenaer Polizeibataillon 311 im 2. Weltkrieg – Eine Spurensuche. In: Polizei und Geschichte, (2010) 2, 38–69; Florin Dierl, Das Hauptamt Ordnungspolizei 1936 bis 1945. Führungsspitze und die Befehlshaber in den Wehrkreisen. In: Kenkmann/Spieker (Hg.), Im Auftrag, S. 159–175; Klaus Dönecke/Hermann Spix, Das Reserve-Polizeibataillon 67 und die „Aktion Zamoćś“. Ein Recherchebericht. In: Medaon, 7 (2013) 13, S. 1–8; Stefan Klemp, „Daluege geht sehr energisch vor“. Das Massaker von Lidice, der Einsatz der Ordnungspolizei im „Protektorat Böhmen und Mähren“ und die Ermittlungen gegen die Täter. Recherchen für die Gedenkstätten in NRW im Vorfeld des 70. Jahrestages der Mordaktion in Lidice am 10. Juni 1942, Münster 2011; Bastian Fleermann, Deportiert von Düsseldorf in das Ghetto von Minsk. Der Transportbericht des Schutzpolizisten Wilhelm Meurin vom Herbst 1941. In: Düsseldorfer Jahrbuch, 83 (2013) 1, S. 261–295; Ian Rich, Holocaust perpetrators of the German police battalions. The mass murder of Jewish civilians, 1940–1942, London 2018. 25 Die Publikation wird in der vorliegenden Studie in der Auflage von 2009 genutzt. Vgl. Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden,

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und Stefan Kühls soziologische Monografie zu Polizeibataillonen als „normale Organisationen“.26 Trotz verschiedener Studien zu Polizeieinheiten aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen sind viele Bataillone noch weitgehend unerforscht geblieben oder wurden nur oberflächlich betrachtet. Brownings Pionierstudie und die Kontroverse um Goldhagens „Willige Vollstrecker“27 führte zwar vermehrt zu Publikationen. Diese befassten sich jedoch dann vor allem intensiv mit dem Bataillon 101. Darüber hinaus fällt auf, dass vor allem deutsch- und englischsprachige Historiker den internationalen Diskurs um die Erforschung von Polizeibataillonen bestimmen. Hingegen gibt es keine erkennbare aktuelle polnische oder russische Forschung zu diesen Einheiten, die über eine bloße Reproduktion bereits bekannter Forschungsergebnisse hinausgeht. Dies ist umso erstaunlicher, da sich in beiden Ländern signifikante Archivbestände zur Erforschung deutscher Polizeibataillone befinden, denen sich die bisherige Forschung weitestgehend verschlossen hat.28 Dies gilt auch für das Bataillon 61. Zunächst wurde die Polizeieinheit durch die Geschichtsforschung bestenfalls kursorisch erwähnt. So wurde der Verband 1990 in der knappen Gesamtdarstellung zur Ordnungspolizei von Lichtenstein, ebenso wie später in den Arbeiten von Browning und Goldhagen, zwar benannt, aber nicht untersucht. Gleiches gilt auch für die knappen Aufsätze von Uwe Bitzel und Winfried Nachtweih. Die fehlende Forschung zum Bataillon 61 hing dabei aber auch letztlich damit zusammen, dass neben einem selbstrecht-

4. Auflage, Frankfurt a. M. 2009. Zur Rezension der Monografie vgl. Tobias Bütow, Rezension zu: Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt a. M. 2005. In: H-Soz-Kult vom 28.2.2006 (https://www.hsozkult. de/publicationreview/id/reb-7683; 25.8.2020). 26 Stefan Kühl, Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust, Berlin 2014. Zur Einschätzung dieser Publikation aus Historikersicht vgl. Armin Nolzen, Rezension zu: Stefan Kühl, Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust, Frankfurt a. M. 2014. In: H-Soz-Kult vom 4.8.2016 (https://www.hsozkult.de/publication review/id/reb-22444; 25.8.2020). Vgl. auch die schon zuvor von Kühl vorgebrachten Überlegungen zu Zwangsorganisationen in: Stefan Kühl, Zwangsorganisationen. In: Apelt/Tacke (Hg.), Handbuch Organisationstypen, S. 345–358. Zu Klemps Handbuch vgl. Klemp, „Nicht ermittelt“ (2011). 27 Goldhagen, Vollstrecker. Vgl. Zudem Browning, Ganz normale Männer. Für die Debatte um Goldhagen vgl. Norbert Frei, Goldhagen, die Deutschen und die Historiker. Über die Repräsentation des Holocaust im Zeitalter der Visualisierung. In: Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945, München 2003, S. 114–138; Michael Schneider, Die „Goldhagen-Debatte“. Ein Historikerstreit in der Mediengesellschaft, Bonn 1997. Die bis 2016 kontinuierlich geführten und mittlerweile eingestellten Jahresberichte für Deutsche Geschichte enthalten für die gesamte NS-Ordnungspolizei seit 1957 nur knapp 80 verschiedene Einträge. Wenn man die Suche auf konkrete Publikationen zu einzelnen Polizeibataillonen konzentriert, verringert sich diese Zahl nochmals erheblich. 28 Nawrocki war der letzte polnische Wissenschaftler, der das Bataillon 61 ausführlicher erwähnte. Vgl. Nawrocki, Terror.

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fertigenden Aufsatz zur Einsatzgeschichte der Polizeieinheit, die der ehemalige Chef der 3. Kompanie in den 1950er-Jahren verfasst hatte, lediglich die Urteilsbegründung des Dortmunder Ghettoprozesses von 1953/54 als Quelle genutzt werden konnte. Die nur darauf aufbauenden Studien können somit nicht als wissenschaftliche Analysen im eigentlichen Sinn gelten.29 Erst später konnte Klemp auch auf weitere Ermittlungsunterlagen gegen ehemalige Mitglieder des Bataillons 61 im damaligen Staatsarchiv Münster zugreifen. Ergebnis seiner dortigen Recherchen war 1998 die erste ausschließlich mit dem Bataillon 61 befasste Publikation. Für sein Werk „Freispruch für das Mordbataillon“30 blieben jedoch immer noch ein Großteil der im Bundesarchiv aufbewahrten Unterlagen mit Bezug zum Bataillon 61 unberücksichtigt. Auch wurden die Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Chef der Warschauer Sicherheitspolizei, wobei auch Mitglieder des Bataillons 61 verhört wurden, nicht genutzt. Gleiches gilt schließlich auch für die bei der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) und im Bundesarchiv-Militärarchiv aufbewahrten Unterlagen mit Bezug zum Bataillon 61 sowie die in Münster aufbewahrten Ermittlungsunterlagen gegen den ehemaligen Ghettokommissar Heinz Auerswald. Außerdem wurden keine Ermittlungsunterlagen oder weiterführenden Archivalien verwendet, die außerhalb von Deutschland aufbewahrt werden.31 Analytisch ist die Studie monokausal ausgerichtet. So wird in ihrer Einleitung festgestellt, dass „Goldhagens Theorie von den willigen Vollstreckern richtig“ sei.32 Durch diesen 1998 bereits wissenschaftlich diskreditierten und quellenmäßig nicht haltbaren Ansatz ist auch die weitere Gestaltung von Klemps Arbeit geprägt. So verstellen stark wertende Formulierungen wie beispielsweise „mordend und brandschatzend“,33 „Mörderbande“, „Bestien“34 oder „Supernazi“,35 so richtig sie auf der Ebene des emotionalen Empfindens seien mögen, eine

29 Für die genannten Publikationen vgl. Lichtenstein, Helfer; Uwe Bitzel, Zur Geschichte der Dortmunder Polizei während der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. In: Beiträge zur Geschichte Dortmunds u. der Grafschaft Mark, 81/82 (1990/91), S. 235–277; Browning, Ordinary Men; Goldhagen, Executioners; Nachtwei, Männer. Klemp, Freispruch, S. 12, erwähnt auch, dass Alexander Primavesi kurz vor seinem Tod an einer Veröffentlichung über das Bataillon 61 gearbeitet habe, die aber nicht mehr auffindbar sei. Für den Text des ehemaligen Chefs der 3. Kompanie sowie einen ähnlichen Text des ehemaligen Münsteraner BdO vgl. Hans Kärgel, Einsatz des Reserve-Polizei-Bataillons 61. In: Lankenau (Hg.), Polizei im Einsatz während des Krieges 1939–1945 in Rheinland-Westfalen, S. 211–214; Lankenau, Gedenken (1980); ­Ortenburg/Lankenau, Ordnungspolizei (1975). 30 Klemp, Freispruch. 31 Für die von Klemp genutzten Archivalien vgl. ebd., S. 122. 32 Ebd., S. 13. 33 Ebd., S. 9. 34 Ebd., S. 110. 35 Ebd., S. 111.

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möglichst rationale Analyse. Abseits der so bedingten analytischen Unschärfe sind auch Teile der Geschichte des Bataillons 61 in der Monografie verkürzt dargestellt. Beispielsweise ist schon die Beschreibung des Personalbestandes vor allem auf einige Einzelpersonen konzentriert. Auch Fragen der Rekrutierung und Ausbildung der Polizisten, insbesondere der Reservisten, werden nur kursorisch behandelt oder bleiben im Fall der wichtigen Notdienstverordnung außen vor. Aufgrund der fragmentarischen Quellenbasis ist schließlich auch die Darstellung der Einsätze des Bataillons 61 lückenhaft. So fehlt z. B. eine Schilderung von Teilen der Einsätze in den Jahren 1939/40. Bei der Schilderung der Verwendung der Polizeieinheit in Warschau 1942 prägt sich die ausschließliche Nutzung von Täterquellen schließlich dahingehend aus, dass auf die lokalen Dynamiken und Wahrnehmungen der deutschen Gewalt nicht eingegangen wird. Insbesondere der Einsatz des Bataillons 61 in der Sowjetunion ab Ende 1942 bleibt bei Klemp auf der reinen Reproduktion eines Nachkriegsaufsatzes eines Kompaniechefs der Einheit beschränkt, der nicht selbst in Russland eingesetzt war.36 Die zweite Hälfte der Publikation konzentriert sich dann fast nur noch auf die Aufarbeitung der Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Mitglieder des Bataillons 61. Der Text zeigt mit einem erheblichen Maß an Verstimmung das Versagen der Nachkriegsjustiz auf, wobei auch Deutungen zu den Verhaltensweisen der Polizisten eingestreut werden. Die Studie, die Klemp selbst als das Ergebnis von „journalistischen Arbeiten“, die zu einem Buch „verarbeitet wurden“,37 bezeichnet, besitzt entsprechend nur eine begrenzte Aussagekraft darüber, was die Gewaltausübung des Bataillons 61 bedingte. Der nächste Beitrag zur Geschichte des Bataillons 61 erfolgte erst 2004 durch eine biografische Skizze zu Walter Nord, dem zeitweisen Chef der 1. Kompanie. Für den Sammelband „Karrieren der Gewalt“38 beschrieb Martin Hölzl das Leben des Offiziers. Zwar wurde hierbei nur knapp in die Polizeikarriere dieses Schlüsselakteurs eingeführt, die wichtigsten Kernaspekte seines Lebensweges wurden jedoch korrekt aufgearbeitet. Dies war nicht zuletzt deshalb möglich, da erstmals im Bereich der hier untersuchten Polizeieinheit neben anderen Archivalien auch Entnazifizierungsunterlagen herangezogen wurden. 2005 veröffentlichte dann Klemp sein schon erwähntes Handbuch zu Ermittlungsverfahren gegen Polizeibataillone. In diesem findet sich auch eine knappe Zusammenfassung über die Einsätze des Bataillons 61. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine gekürzte Reproduktion einiger Aspekte der Monografie „Freispruch für das Mordbataillon“.39 36 Dies erstaunt, da Klemp selbst die Glaubwürdigkeit des Textes stark anzweifelt. Vgl. ebd., S. 12. 37 Klemp, „Nicht ermittelt“, S. 16. 38 Mallmann/Paul (Hg.), Karrieren der Gewalt. 39 Klemp, Freispruch. Für die Zusammenfassung der Einsätze vgl. ders., „Nicht ermittelt“, S. 137–141. Ebd., S. 142–145, befasst sich dann in knapper Form mit den Ermittlungen gegen die Einheit. Für Hölzls Publikation vgl. Hölzl, Walter Nord.

Forschungslage

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2011 veröffentlichte Wolfgang Curilla eine Gesamtdarstellung zur Rolle der Ordnungspolizei beim „Judenmord in Polen“.40 In der handbuchartigen Monografie wird der Einsatz des Bataillons 61 im Jahr 1939/40 nur sehr knapp dargestellt. Dabei ist die Tendenz erkennbar, dass Aussagen in deutschen Ermittlungsverfahren als direktes und kaum zu kontextualisierendes Abbild einer vergangenen Wirklichkeit angesehen werden. Hingegen werden polnische Überlieferungen nicht rezipiert. Die Darstellung des Einsatzes des Bataillons 61 in Warschau ist entsprechend eine Reproduktion der Ergebnisse die Klemp 1998 präsentierte und die Curilla um einige von der Staatsanwaltschaft Hamburg gesammelte Aussagen ergänzt. Analytisch ist es dabei nicht Absicht des Buches, „eine eigene Theorie dafür vorzulegen, weshalb die Ordnungspolizisten sich in ihrer großen Mehrzahl an den Massenmorden beteiligten“.41 Auch wenn die Monografie nicht unbedingt innovativ ist, so wurde sie doch akkurat erarbeitet. Dies kann man von einem weiteren Beitrag zur Geschichte des Bataillons 61 nicht behaupten, der ebenfalls 2011 erschien. Massimo Aricos „Encyclopedia of the German Police Battalions“42 hält sich im Bereich der Dortmunder Polizeieinheit zunächst nahezu komplett an die Ergebnisse von Klemp. Wo Arico dies nicht macht, erfindet er einfach Sachverhalte. In weniger extremer Weise hat sich 2013 auch Uwe Färber mit einer sehr kurzen Ausarbeitung zum Bataillon 61 hervorgetan, die er im „Forum der Wehrmacht“43 online zur Verfügung stellt. Sein Text ist letztlich eine in Teilen fehlerhafte Abschrift eines Textes aus dem Deutschen Soldatenjahrbuch des Jahres 1983.44

40 Curilla, Judenmord. 41 Ebd., S. 885. Für seinen Umgang mit Aussagen aus Ermittlungsverfahren vgl. z. B. ebd., S. 42. Dort wird dem Nachkriegsnarrativ ehemaliger Bataillonsangehöriger gefolgt. Für Curillas Ausführungen zum Bataillon 61, die sich stark an denen von Klemp orientieren vgl. ebd., S. 566–585. Für Ingo Looses Einschätzung, man müsse Curillas Studie aus „methodischen und empirischen Gründen als Sackgasse“ bezeichnen, vgl. Ingo Loose, Rezension zu: Wolfgang Curilla, Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei 1939–1945, Paderborn 2011. In: sehepunkte vom 15.6.2013 (http://www.sehe punkte.de/2013/06/23549.html; 25.8.2020). 42 Massimo Arico, Ordnungspolizei Vol. 1. Encyclopedia of the German Police Battalions, September 1939–July 1942, Stockholm 2011. Beispielsweise zur angeblichen existierenden Feldpost des Bataillons 61 vgl. ebd., S. 183, Anm. 22–24. Es soll sich um Feldpost des Polizisten Ernst Bein handeln. Laut dem Archiv der Villa ten Hompel, das den Nachlass von Bein verwahrt, existierten solche Dokumente jedoch nicht. Für Aricos weitere Arbeiten zur deutschen Polizei vgl. Massimo Arico, Ordnungspolizei. Ideological war and genocide on the East front 1941–1942, Stockholm 2012. 43 http://www.wehrmacht-forum.de/index.php?thread/2212-reserve-polizei-bataillon-61/; 25.8.2020. 44 Für den abgeschriebenen Orginaltext vgl. Hans Kärgel, Geschichte des Reserve-PolizeiBataillons 61. In: Deutsches Soldatenjahrbuch, (1983), S. 429 f. Diese Publikation ist wiederum nur ein Nachdruck von ders., Einsatz (1957).

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Grundlagen der Studie

Ebenfalls im Jahr 2013 publizierte Klemp seine Studie „Vernichtung. Die Deutsche Ordnungspolizei und der Judenmord im Warschauer Ghetto 1940–43“.45 Im Fall des Bataillons 61 orientiert er sich darin meist eng an seinen 1998 publizierten Ergebnissen. Problematischerweise verzichtet der Autor auf eine Quellenkritik, obwohl die von ihm genutzten Archivalien um Unterlagen der BStU, des Bundesarchivs und des Staatsarchivs Hamburg ergänzt wurden. Dabei stützt sich Klemps Untersuchung, bis auf eine einzelne Aussage eines Ghettoinsassen, rein auf Täteraussagen der Nachkriegszeit. Die gesamte polnische Überlieferung aus der Zeit des Ghettos wird hingegen nicht berücksichtigt. Durch die Konzentration auf Aussagen bleibt beispielsweise die Darstellung der Dienstverpflichtung von Polizisten unvollständig. Darüber hinaus ist die von Klemp genutzte Sekundärliteratur teilweise problematisch. Neben durchaus gängiger Forschungsliteratur greift er auch auf weniger wissenschaftliche Formate zurück. So leitet er beispielsweise aus einem zweiseitigen Spiegelartikel über psychologische Störungen von Kindern die Charakteristika einer psychopathischen Persönlichkeit für seine Studie ab.46 Analytisch schränkt sich Klemp dabei dadurch ein, dass er sich bei der Untersuchung der Bataillonsangehörigen auf deren vermeintlichen pathologischen Wesenseigenschaften konzentriert. Wolfgang Schulte sieht die psychologische Krankhaftigkeit der breiten Masse der Ordnungspolizisten mehr als nur als zweifelhaft an. Die psychologische Beeinträchtigung der Gewaltakteure sei „vor allem empirisch nicht belegbar“. Entsprechend vergebe Klemp, wie schon bei seiner 1998 publizierten Monografie, „die Chance zu einem umfassenderen Verständnis der Handlungsantriebe der damaligen Täter“.47 In theoretischer Hinsicht weit weniger monokausale Arbeiten über das Bataillon 61 erschienen 2015 im von Kühl und Alexander Gruber herausgegebenen Sammelband „Soziologische Analysen des Holocaust“.48 In dem für diesen von Gruber selbst verfassten Aufsatz geht es dabei um die organisationssoziolo­ gische Sicht auf freiwillige Meldungen zu Tötungsaufgaben. Martin Weißmann

45 Stefan Klemp, Vernichtung. Die deutsche Ordnungspolizei und der Judenmord im Warschauer Ghetto 1940–43, Münster 2013. 46 Vgl. ebd., S. 39, Anm. 79. Nochmals zit. auf S. 40, Anm. 86. Für Klemps knappe Betrachtung der Dienstpflicht vgl. ebd., S. 54. Durch Klemps Verzicht auf polnische Archivalien wird beispielsweise das Frankensteinphänomen im Warschauer Ghetto nur auf drei Textseiten aus rein deutscher Sicht behandelt. Dennoch erkennt er korrekt die selbst bei Wikipedia falsch eingetragene Zuordnung von Josef Blösche als „Frankenstein“. Vgl. ebd., S. 32. Ausführlich zu „Frankensteins“ Person vgl. Jan H. Issinger, Frankenstein w getcie warszawskim. Historia i legenda. In: Zagłada Żydów. Studia i materiały, 12 (2016) 1, S. 187–208, hier insbesondere 193–205. 47 Wolfgang Schulte, Rezension zu: Stefan Klemp, Vernichtung. Die deutsche Ordnungspolizei und der Judenmord im Warschauer Ghetto 1940–43, Münster 2013. In: Historische Zeitschrift, 299 (2014) 1, S. 260–262, hier 262. 48 Alexander Gruber/Stefan Kühl (Hg.), Soziologische Analysen des Holocaust. Jenseits der Debatte über „ganz normale Männer“ und „ganz normale Deutsche“, Wiesbaden 2015.

Forschungslage

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hingegen untersucht in der gleichen Perspektive die „Produktion, Funktion und Ersetzbarkeit sozialer und psychischer Dehumanisierung“.49 Beide Arbeiten bieten interessante soziologische Interpretationen für Prozesse in Organisationen. Die Texte stützen sich jedoch nur begrenzt auf die für das Bataillon 61 verfügbaren Quellen.50 Der Autor der vorliegenden Studie hat sich ebenfalls, wie schon die Verfasser der bisher besprochenen Literatur, mit Teilaspekten der Einsätze des Bataillons 61 in kürzeren Aufsätzen auseinandergesetzt. In dem Sammelbandartikel „Männlichkeit, Vertrauen und Gewalt“51 wurden 2016 vor allem das Männlichkeitsverständnis der Polizisten der Dortmunder Polizeieinheit, die Notwenigkeit von Vertrauensstrukturen für deren Funktionieren sowie Gewaltbereitschaft fördernde koloniale Denkmuster von Akteuren diskutiert. Dabei blieb jedoch die Aussagekraft zum einen durch den begrenzten Umfang des Textes und zum anderen durch die Reduzierung des Quellenmaterials primär auf die Unterlagen des Landesarchivs in Münster begrenzt. Ähnlich verhält es sich mit dem im gleichen Jahr publizierten Aufsatz über das Frankensteinphänomen im Warschauer Ghetto. In diesem werden zwar neben den meist üblichen Täterquellen auch im umfangreichen Maße Wahrnehmungen aus der Opferperspektive eingebunden. Hierbei war es jedoch nicht möglich, die umfassenden Schilderungen über die Zustände im Ghetto und insbesondere über den Polizisten „Frankenstein“ einzubinden, die im geheimen Ringelblum-Archiv den Krieg überdauerten und heute im Warschauer Jüdischen Historischen Institut zur Verfügung stehen.52 Dennoch klärt der Aufsatz, dass „Frankenstein“ ein Polizist des Bataillons 61 war und wie er dort überhaupt zu dem „Monster“ werden konnte, als das er wahrgenommen wurde. Darüber hinaus liefert die Studie differenzierte Überlegungen, welche juristischen und weiteren Quellen für die Untersuchung von „Frankenstein“ und der hier untersuchten Polizeieinheit nutzbar sind. Einen Versuch, sich mit der in dieser vorherrschenden komplexen Dynamik an verschiedenen handlungsleitenden Einflüssen auseinanderzusetzen, liefert die 2020 erschienene englischsprachige Publikation „Options, Constraints and

49 Martin Weißmann, Organisierte Entmenschlichung. Zur Produktion, Funktion und Ersetzbarkeit sozialer und psychischer Dehumanisierung in Genoziden. In: Gruber/Kühl (Hg.), Soziologische Analysen des Holocaust, S. 79–129. Für Grubers Text vgl. Alexander Gruber, „… zunächst wurde nach Freiwilligen gesucht“. Soziologische Erklärungsansätze zur freiwilligen Beteiligung von Ordnungspolizisten an der „Endlösung“. In: ders./Kühl (Hg.), Soziologische Analysen des Holocaust, S. 29–55. 50 Bei der Quellenbasis der Aufsätze handelt es sich nur um die Akten des Bestandes LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486 und Nr. 1487. 51 Jan H. Issinger, Männlichkeit, Vertrauen und Gewalt. Deutsche Ordnungspolizisten als Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg. In Matthias Barełkowski/Claudia Kraft/Isabel Röskau-Rydel (Hg.), Zwischen Geschlecht und Nation. Interdependenzen und Interaktionen in der multiethnischen Gesellschaft Polens im 19. und 20. Jahrhundert, Osnabrück 2016, S. 223–236. 52 Vgl. ders., Frankenstein, S. 188–193.

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Grundlagen der Studie

Concealments“.53 Die Studie stützt sich primär auf die im nordrhein-westfälischen Landesarchiv verwahrten staatsanwaltschaftlichen Verhörprotokolle und ergänzenden Unterlagen aus Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Mitglieder des Bataillons 61. Dessen umfassende wissenschaftliche Analyse, die sich nicht nur auf einzelne Analysestränge stützt, sondern multiperspektivisch und ergebnisoffen vorgeht und dabei sämtliche verfügbaren Quellen mit Bezug zu der Polizeieinheit nutzt, fehlt entsprechend bislang noch. 2.

Verortung und Aufbau

Hier setzt die vorliegende Studie an. Zunächst werden in einem knappen einführenden Teil der Ursprung und die Transformation der Ordnungspolizei und ihrer geschlossenen Verbände hin zu einem bewaffneten Herrschaftsträger des NS-Regimes erläutert. Diese Schilderung ist dabei von elementarer Bedeutung, da in ihr ausgeführt wird, warum Polizeibataillone grundsätzlich eine militärische Organisationskultur aufwiesen und warum ihre Mitglieder ein militärisches Selbstverständnis entwickelten. Darüber hinaus führt dieser erste Abschnitt auch aus, welche Formen von Einsatzerfahrungen die im Bataillon 61 eingesetzten Berufspolizisten mit geschlossenen Verbänden bereits vor Beginn des Zweiten Weltkrieges sammelten. Das nächste Kapitel befasst sich dann mit der Aufschlüsselung der personellen Zusammensetzung des 1939 aufgestellten Bataillons 61. Die, bisweilen skurril wirkenden, Schlüsselakteure der Einheit, die großen Einfluss auf die Gestaltung der Organisationskultur und Handlungsweisen des Verbandes besaßen, werden außerdem in kurzen biografischen Skizzen vorgestellt. Neben einer statistischen Untersuchung, etwa zu Altersstruktur und zur Nähe bzw. Distanz der Akteure zum NS-Regime, werden in diesem Kapitel auch die Maßnahmen zu Rekrutierung und Ausbildung von Polizeireservisten erläutert. Die rechtlichen Grundlagen zur Rekrutierung dieser Personengruppe, die im Kriegsverlauf einen immer größeren Anteil des Bataillons 61 stellte, wird dabei erstmalig in wissenschaftlicher Form aufgearbeitet. Die Untersuchung der „Notdienstpflicht“ ist von besonderer Bedeutung, da sie ein Dienstverhältnis zwischen Staat und Akteur schuf, das nicht auf der allgemeinen Wehrpflicht von 1935 basierte. Insbesondere die aus den Regelungen zum „Notdienst“ hervorgehenden umfassenden Freiräume und Entzugsmöglichkeiten sowie das starke Element der Freiwilligkeit im Fall von auswärtigen Einsätzen sind von grundlegender Bedeutung für die weiteren Abschnitte der vorliegenden Studie. Generell erlaubt es bereits der heterogene Personalbestand des Bataillons 61 abzusehen, dass es „keinen einheitlichen Tätertypus gab und vielmehr eine Fülle sehr unterschiedlicher Motive und Dispositionen die Einzelnen dazu bewog, sich den kriminellen Zumutungen des Regimes zu fügen, ja sie schließlich aktiv um53 Ders., Options, Constraints and Concealments. Group culture in an ordinary German Reserve Police Battalion, Münster 2020.

Verortung und Aufbau

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zusetzen“. Folglich konzentrieren sich die weiteren Kapitel darauf, nicht einen einzelnen Erklärungsansatz für die Gewalt des Bataillons 61 zu liefern, sondern das u. a. durch Hans Mommsen geforderte „Verständnis von Individuum und Struktur im Nationalsozialismus“54 in multiperspektivischer Weise zu erweitern. Hierzu werden zunächst chronologisch die Einsätze des Bataillons 61 von 1939 bis zu seiner Auflösung 1944 untersucht. Ebenso wird, jedoch in deutlich knapperer Form, betrachtet, was für Aufgaben die Einheit während ihrer Rückverlegung ins Ruhrgebiet 1940/41 wahrnahm. Um die Einsätze in Osteuropa besser nachvollziehen zu können, finden sich im Anhang der Studie Karten, die eine räumliche Einordnung erleichtern sollen. Die einzelnen Einsätze des Verbandes sind dabei für die vorliegende Studie von besonderer Bedeutung, da sie, bis auf das letzte Kriegsjahr, den kompletten von Hans-Ulrich Wehler als „Vernichtungsphase“55 bezeichneten Zeitraum der nationalsozialistischen Herrschaft umfassen. Hinzu kommt, dass sich anhand der Einsatzgeschichte vor Augen führen lässt, dass die Mitglieder des Bataillons 61 nahezu die ganze Bandbreite an „typischen“ Gewalthandlungen ausübten, die deutsche Militärverbände in den okkupierten Regionen Europas praktizierten. Das Kapitel ist jedoch nicht als rein nacherzählendes Narrativ ausgelegt. Vielmehr werden die Formen der Gewaltausübung in ihrer situativen und räumlichen Einbettung erläutert. Hierzu werden nicht nur die Quellen deutscher Provenienz einbezogen. Soweit dies die Überlieferung zulässt, wird auch auf Berichte der polnischen, jüdischen und im beschränkteren Maße sowjetischen Bevölkerung Bezug genommen, um so in einem gewissen Maß erstmals die Opfer­perspektive in die Täterforschung einzubinden. Erst nach dieser chronologischen Untersuchung der Einsätze des Bataillons 61 erfolgt in den anschließenden Kapiteln eine strukturell ausgerichtete Analyse verschiedener Faktorenbündel, die neben den situativen und räumlichen Begebenheiten Einfluss auf die Akteure der Polizeieinheit besaßen. Zunächst untersucht die vorliegende Studie dazu den Charakter des Bataillons 61 als gierige, also vereinnahmende Organisation, die möglichst umfassend Zugriff auf ihre Mitglieder erreichen wollte, ohne sich jedoch den Methoden einer totalen Institution bedienen zu können. Statt auf Zwang zur Erfüllung von Zielen zurückzugreifen, setzte man in dem untersuchten Polizeiverband im weitreichenden Maße auf die Ressource Vertrauen. Welchen Stellenwert diese besaß und mit welchen Maßnahmen sie erzeugt wurde, ist folglich ebenfalls ein Element des ersten Teilkapitels.56 54 Hans Mommsen, Die Grenzen der Biografie. Prozesse und Entscheidungen: Ein Sammelband über die „Täter der Shoah“ wirft die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Struktur im Nationalsozialismus auf. In: Frankfurter Rundschau vom 26.11.2002. 55 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte Band 4. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten. 1914–1949, München 2003, S. 712. 56 Grundlegend zu gierigen Organisationen, die in der deutschen Variante auch als gierige Institutionen bezeichnet werden, vgl. Lewis A. Coser, Gierige Institutionen. Soziologische Studien über totales Engagement, Berlin 2015.

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Grundlagen der Studie

Im anschließenden Abschnitt wird dann evaluiert, wie die Polizeieinheit im Alltag sowohl formell, aber auch insbesondere jenseits offizieller Dienstwege funktionierte. Dabei geht es besonders um die Form, mit der interpersonal quasi ausgehandelt wurde, was ein Bataillonsangehöriger tun durfte, musste und konnte. Hieran wird dann gezeigt, wie einzelne Akteure über ihre regulären Kompetenzen hinaus Einfluss auf den Alltag der Einheit nehmen konnten. Grundannahme ist hierbei, dass gerade die großen Entscheidungs- und Handlungsspielräume innerhalb des polykratischen und durch Vertrauensstrukturen geprägten Bataillons 61 gewalttätige Handlungen beförderten. Um dies zu unterstreichen, wird gesondert hervorgehoben, im wie großen Maße Gewalt in der Einheit auf Konsens und nicht auf Zwang basierte. Dies wird speziell an den umfangreichen Möglichkeiten der Polizisten verdeutlicht, sich der Mitwirkung an Gewalthandlungen zu entziehen oder erst gar nicht für solche in Betracht gezogen zu werden. Das darauffolgende Teilkapitel setzt sich dann mit den Mechanismen auseinander, über die eine Fassade der Legalität und Legitimität für die Gewalt des Bataillons 61 konstruiert wurde. Hierbei geht es auch darum, wie durch diese Schauseite gewalttätige Handlungen für Akteure akzeptabel erscheinen konnten oder wie ihnen zumindest eine gewisse Rechtfertigungsstrategie geboten wurde. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Evaluation der in der Einheit angestrebten Geheimhaltungsmaßnahmen. Gleiches gilt auch für die Rolle der Kriminalisierung und Dehumanisierung der Opfer durch Bataillonsmitglieder. Neben stereotypen Vorannahmen der Polizisten geht es dabei auch darum, wie sich Vorurteile durch Einsatzumstände zu einer Gewalt bedingenden und sich selbst erfüllenden Prophezeiung entwickeln konnten. Grundannahme ist dabei, dass nicht allein eine straffreie Gewaltausübung genügte, um Polizisten zu dieser zu veranlassen. Darüber hinaus und hiermit befasst sich der nachfolgende Abschnitt der Dissertationsschrift, brachen die meisten Handlungen der Männer des Bataillons 61 ohnehin klar mit bestehenden Gesetzen. Das Teilkapitel untersucht deswegen, wie die Unterwanderung des im Nationalsozialismus formell gültigen Rechts in der Polizeieinheit konkret vorbereitet und in einem längeren Prozess als Teil der Organisationskultur des Bataillons 61 implementiert wurde. Die gewollt herbeigeführte Erosion der Folgebereitschaft von offiziellen Regeln wird dabei auch im Kontext der Rechtsauslegung im Nationalsozialismus sowie vor dem Hintergrund der unterschiedlichen regionalen Einsatzorte untersucht. Während diese ersten Teilkapitel vor allem darauf konzentriert sind zu zeigen, wie sich die Polizisten miteinander arrangierten und sich Gewalt als Konsensprojekt innerhalb der Organisationkultur etablierte, befasst sich der nächste Abschnitt mit den Zerwürfnissen innerhalb des Polizeiverbandes. Hierbei geht es vor allem um den gruppenintern ausgeübten Druck sowie das Spannungsverhältnis von Freiwilligkeit und Zwang, an Gewalt zu partizipieren. Ebenso wird untersucht, inwiefern sich die Einsätze in Osteuropa als psychisch belastend für die Polizisten herausstellten. Dabei wird auch gezeigt, wie funktional die im Ba-

Verortung und Aufbau

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taillon 61 betriebene gegenseitige Schikane, trotz gewisser Reibungs- und Effizienzverluste, für die „gierige Institution“57 war. Die These ist hierbei, dass durch den vorherrschenden Druck zumindest eine gewisse Folgebereitschaft auch im Bereich von als illegitim wahrgenommenen Handlungen erreicht wurde, da die Polizisten bereits kleineren Unannehmlichkeiten auf Kosten der lokalen Bevölkerung ausweichen wollten. Eben jener Opportunismus ist dann auch Gegenstand des anschließenden Teilkapitels. In diesem wird erörtert, inwiefern das Streben der Polizisten nach einem angenehmen Alltag mit ihrem militaristisch geprägten Weltbild korrespondierte. Im Kern geht es dabei um die soziokulturellen Hintergründe, unter deren Einfluss gewaltaffine Handlungsmuster für die Männer akzeptabel erschienen. Eine besondere Rolle kommt dabei der Untersuchung der „Gier“ der Polizisten nach militärischer Anerkennung zu. Dazu wird nicht nur untersucht, weswegen die Männer Orden und Auszeichnungen erhalten wollten, sondern auch, wie dies überhaupt für eigentlich illegale Handlungen, die in keiner Weise den Vergabekriterien entsprachen, möglich wurde. Im Zentrum steht dabei der Mechanismus des opportunistisch geprägten Tauschs in Form eines Entgegenkommens, etwa in Hinsicht auf die Gewaltausübung, gegen ein anderes, beispielsweise die Ausgabe von unverdienten Ehrenzeichen. Während beim Streben der Männer nach militärischer Anerkennung neben rein opportunistischen Gedanken ihre Sozialisation von hoher Bedeutung war, konzentriert sich das abschließende Teilkapitel auf primär opportunistisch geprägte Bestrebungen. Hierbei geht es darum, welches Gewicht durch Vertrauensstrukturen bedingte, tauschbasierte Anreize im Bataillon 61 besaßen. Es geht zum einen erneut um die individuelle Gier der Polizisten, aber auch darum, wie diese von Schlüsselakteuren der „gierigen Organisation“58 instrumentalisiert wurde, um die Gewaltbereitschaft in der Polizeieinheit zu fördern. Im Anschluss an die Aufschlüsselung des Bataillons 61 in Hinsicht auf sein Personal und dessen Ausbildung, der Vorstellung und Analyse der Einsätze und der Verhaltensmuster der Polizisten sowie der multifaktoriellen Analyse der tiefergehenden Beweggründe für diese, schließt die vorliegende Arbeit mit einem zusammenfassenden Kapitel ab. In diesem werden zunächst noch einmal die wichtigsten Ergebnisse in kondensierter Form präsentiert und ihre wechselseitige Vernetzung durch Vertrauensstrukturen hervorgehoben. Anschließend wird evaluiert, welche Aspekte im Bataillon 61 letztlich besonders handlungsleitend für die durch die Einheit ausgeübte Gewalt erscheinen.

57 Ebd. 58 Ders., Greedy Organizations. In: European Journal of Sociology/Archives Européennes de Sociologie/Europäisches Archiv für Soziologie, 8 (1967) 2, S. 195–215.

30 3.

Grundlagen der Studie

Theoretisches Grundgerüst

Wie schon die Gliederung der vorliegenden Arbeit verdeutlicht, ist sie als eine Studie aus dem Bereich der modernen Kulturgeschichte von Krieg und Gewalt konzipiert. Eine Militärgeschichte, die sich primär als Operationsgeschichte versteht, in der es also überspitzt formuliert nur darum geht, aufzuschlüsseln, welcher Panzer wann und wo über welchen Hügel fuhr und wie sich dies auf den Kriegsverlauf auswirkte, ist nicht beabsichtigt. Stattdessen kommt ein Ansatz der gegenwärtig populären „weichen“ Militärgeschichte zum Tragen, der sich mit dem Verstehen und Nachvollziehen kultureller und situativer Handlungs­ rationale von Militärangehörigen befasst und dazu auch auf Nachbardisziplinen der Geschichtswissenschaft zugreift.59 Entsprechend werden auch die Verhaltensweisen der nachfolgend untersuchten Polizisten des Bataillons 61 als Ergebnis der historisch-kulturellen Praxis und nicht etwa als Folge einer unveränderlichen pathologischen Wesenseigenschaft aufgefasst. Grundannahme ist stattdessen, dass die Männer eigenständige Akteure waren, die sich eingebettet in eine durch Vertrauensstrukturen geprägte Organisation aus den verschiedensten Rationalen zur Ausübung von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in Osteuropa entschieden. Die grundsätzliche Interpretation stützt sich dabei auf das relativ enge Gewaltverständnis von Heinrich Popitz. Für diesen ist Gewalt „kein bloßer Betriebsunfall sozialer Beziehungen“ oder eine „Randerscheinung sozialer Ordnungen“ bzw. „ein Extremfall“. Vielmehr handele es sich um eine ständig präsente „Option menschlichen Handelns“ die auch die „Struktur sozialen Zusammenlebens“ mitbestimme.60 Das Bataillon 61 stellte eine Schnittstelle „von intentionalem Vernichtungswillen und strukturellen Bedingungen“ dar.61 Neben einem kulturgeschichtlichen Zugriff auf die Formen der Gewaltausübung durch die untersuchten Akteure

59 Vgl. Peter Burke, What is cultural history?, 2. Auflage, Cambridge 2008, S. 106 f. Ebenso für den kulturgeschichtlichen Forschungsansatz vgl. Alessandro Arcangeli, Cultural history. A concise introduction, London 2012. Einen guten Überblick zur Militärgeschichte bietet Jörg Echternkamp, Militärgeschichte. Version: 1.0. In: docupedia-Zeitgeschichte vom 12.7.2013 (https://docupedia.de/zg/Militaergeschichte; 25.8.2020). 60 Heinrich Popitz, Phänomene der Macht, Tübingen 1986, S. 76 und 82 f. Für ein ähnliches, enges Gewaltverständnis vgl. Trutz von Trotha, Zur Soziologie der Gewalt. In: ders. (Hg.), Soziologie der Gewalt, S. 9–56. Zusätzlich wird in der vorliegenden Studie auch die Dimension psychologischer Gewalt mit in das grundlegende Gewaltverständnis einbezogen. Für das weit gefasste Konzept struktureller Gewalt vgl. Johan Galtung, Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung, Reinbek b. Hamburg 1975, insbesondere S. 9 und 13, sowie die Problematisierung des Ansatzes z. B. bei: Michael Riekenberg, Auf dem Holzweg? Über Johan Galtungs Begriff der „strukturellen Gewalt“. In: Zeithistorische Forschungen, 5 (2008) 1, S. 172–177. Für die psychologische Dimension von körperlicher Gewalt vgl. Thomas Lindenberger/Alf Lüdtke, Physische Gewalt – eine Kontinuität der Moderne. In: dies. (Hg.), Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt am Main 1995, S. 7–38, hier 22 f. 61 Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002, S. 23.

Theoretisches Grundgerüst

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betrachtete die vorliegende Studie entsprechend auch, welche Rolle Prozesse und Rituale innerhalb der Organisation für die Gewaltausübung einnahmen. Für die Untersuchung der Organisation wird sich dabei nicht auf das klassische Bürokratiemodell von Max Weber, sondern auf das Wechselspiel der formalen und informellen Dimension von Organisationen konzentriert, wie es maßgeblich durch Niklas Luhmann beschrieben worden ist.62 Dieses, für das Funktionieren jeder Organisation elementare Wechselspiel der offiziellen Regeln und Strukturen mit den im Alltag einer Organisation etablierten, tatsächlich durchaus abweichenden Praktiken, wurde 2014 erstmals im Ansatz durch den Bielefelder Soziologen Kühl am Beispiel des Hamburger Polizeibataillons 101 operationalisiert. Auch wenn Kühl die in dem Verband auftretenden vertrauensbasierten Interaktionen ausklammert, stellt seine Studie vor allem in theoretischer Hinsicht einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung von NS-Polizeieinheiten dar. Seiner Deutung, dieser gewaltausübenden Verbände als „ganz normale Organisationen“,63 schließt sich die vorliegende Studie jedoch nicht an. Polizeibataillone waren eben keine gewöhnlichen und völlig alltägliche Organisationen, wie etwa die von Kühl sinnbildlich angeführte „Eiscreme“64 produzierende Institution. Dass es sich bei der im Folgenden untersuchten Dortmunder Polizeieinheit um eine „Organisation mit Gewaltlizenz“65 handelte, die im besonderen Maße als eine gierige Organisation verstanden werden sollte, muss in alle weiteren Überlegungen einfließen. Die Polizisten besaßen im besonderen Maße die bei Popitz ausgeführte Tötungsmacht, welche die Organisation ihnen strukturell erst verfüg- und nutzbar machte.66 62 Vgl. Niklas Luhmann, Soziales System, Gesellschaft, Organisation, 3. Auflage, Opladen 1993, insbesondere S. 335–390. Für Webers Bürokratiemodell vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Auflage, Tübingen 2009, S. 551; Jörg Bogumil/Werner Jann, Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland. Einführung in die Verwaltungswissenschaft, Wiesbaden 2005, S. 114 f. Zu Weber und Luhmann vgl. auch Hans-Ulrich Derlien/Doris Böhme/Markus Heindl, Bürokratietheorie. Einführung in eine Theorie der Verwaltung, Wiesbaden 2011, S. 83–101; Manfred Rühl, Organisationskommunikation von Max Weber zu Niklas Luhmann. Wie interdisziplinäre Theoriebildung gelingen kann, Wiesbaden 2015, S. 9–11 sowie 19–24. 63 Kühl, Ganz normale Organisationen. 64 Ebd., S. 326. 65 Rainer Prätorius, Die Polizei als Organisation mit Gewaltlizenz. In: Kriminalistik, 55 (2001) 2, S. 117–120, hier 117. Vgl. auch exemplarisch: Sylvia M. Wilz, Die Polizei als Organisation. In: Maja Apelt/Veronika Tacke (Hg.), Handbuch Organisationstypen, Wiesbaden 2012, S. 113–131, hier 113; Jan P. Reemtsma, Organisationen mit Gewalt­ lizenz. Ein zivilisatorisches Grundproblem. In: Martin Herrnkind (Hg.), Die Polizei als Organisation mit Gewaltlizenz. Möglichkeiten und Grenzen der Kontrolle, Münster 2003, S. 7–24, hier 8. Insbesondere Römer führt auch den besonderen qualitativen Unterschied in den Handlungen von bewaffneten und nicht bewaffneten Organisationen aus. Vgl. Felix Römer, Kameraden. Die Wehrmacht von innen, Bonn 2012, S. 141. 66 Vgl. Popitz, Phänomene, S. 68–106. Für Polizeibataillone als ganz besondere, waffentragende Organisationen vgl. insbesondere Armin Nolzen, Ganz normale Organisationen. Was die NS-Forschung von Stefan Kühl lernen sollte. In: Berliner Colloquien zur Zeitgeschichte. Beilage zum Mittelweg 36, 25 (2016) 6, S. 97–104, hier 101. Vgl. ferner auch

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Grundlagen der Studie

Darüber hinaus konzentriert sich die vorliegende Arbeit nicht nur auf die organisationssoziologische Perspektive der Gewaltproduktion. Neben den Abläufen innerhalb der Polizeieinheit fokussiert sich die Studie auch auf situative Faktoren sowie die Relevanz sozialer Dispositionen für die Gewaltausübung. Erst hierdurch werden formelle und informelle Dynamiken der Gewalt innerhalb des Polizeibataillons wirklich aufdeck- und analysierbar. Die Organisation wird dabei in historischer Perspektive als Rahmen verstanden, in dem sich die verschiedenen Faktoren, die die Handlungen der Polizisten nachhaltig beeinflussten, bündelten. Die Faktoren, so die Grundannahme, wurden wiederum durch vertikale und horizontale Vertrauensstrukturen bedingt und zugleich miteinander verzahnt.67 Grundlegend sind dabei die u. a. von Ute Frevert vorgetragenen Überlegungen zur historischen Dimension von Vertrauen sowie ihr Plädoyer für den heuristischen Nutzen des Vertrauensmodells. Ebenso finden sich auch schon in Luhmanns Organisationssoziologie wichtige Überlegungen zum Komplex des Vertrauens in Organisationen. Zwar sieht er dieses als „riskante Vorleistung“68 an, da es sich bei dessen Etablierung nicht um einen absolut verlässlichen und institutionalisierten Prozess handelt. Jedoch sind für Luhmann Vertrauensbeziehungen von besonderer Bedeutung, um die Komplexität von Entscheidungsoptionen in Organisationen zu reduzieren. Für Barbara Misztal ist das Vertrauen zwischen Individuen schließlich darüber hinaus als strukturelle, ge-

zu den Organisationseigenschaften des Militärs und der Polizei Maja Apelt, Das Militär als Organisation. In: dies./Tacke (Hg.), Handbuch Organisationstypen, S. 133–148; Wilz, Polizei. 67 Exemplarisch für die Kritik an Kühl vgl. Wolfgang Knöbl, Motive aggressiver Handlungen versus situiertes Gewalthandeln. „Gewalt“ und die Problematik des interdisziplinären Dialogs. In: Gerald Hartung/Matthias Herrgen (Hg.), Interdisziplinäre Anthropologie. Jahrbuch, 2 (2014). Gewalt und Aggression, Wiesbaden 2014, S. 71–77. Exemplarisch für die insbesondere auf situative Elemente konzentrierte Forschung vgl. Jörg Baberowski, Räume der Gewalt, 4. Auflage, Frankfurt a. M. 2017. 68 Jörg Jelinski, Prozesse des Entstehens und des Verlustes von Vertrauen aus attributionstheoretischer Sicht. Eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses von Netzwerkerfahrungen in Geschäftsbeziehungen, München 2014, S. 10. Ebenso für weitere Überlegungen zur Sozialpsychologie des Vertrauens vgl. ebd., S. 14. Allgemein zu Vertrauen als Untersuchungsgegenstand von Historikern vgl. den Sammelband Ute Frevert (Hg), Vertrauen. Historische Annäherungen, Göttingen 2003. Vgl. insbesondere den darin enthaltenen Aufsatz von Thomas Kühne, Vertrauen und Kameradschaft. Soziales Kapital im „Endkampf“ der Wehrmacht, S. 245–278, der sich mit Militäreinheiten befasst; und die einführenden Überlegungen von Ute Frevert, Vertrauen. Eine historische Spurensuche, S. 7–66. Eine historische Spurensuche. Vgl. ferner auch Jörg Baberowski/ Ute Frevert/Thomas Risse/Jakob Tanner/Thomas Welskopp/Ann-Kathrin Kaufhold (Hg.), Was ist Vertrauen? Ein interdisziplinäres Gespräch, Frankfurt a. M. 2014; Barbara Misztal, Trust in Modern Societies. The Search for the Bases of Social Order, Cambridge (Massachusetts) 1996, S. 65–95. Vgl. ferner Jan P. Reemtsma, Gewalt und Vertrauen. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne, Hamburg 2008; Thomas Kühne, Belonging and genocide. Hitler’s community 1918–1945, New Haven 2010.

Theoretisches Grundgerüst

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radezu habituelle, Gewohnheit eine stark performative Praxis. Insbesondere in Hinsicht auf die, oftmals durch das im Nationalsozialismus bestehende Recht, nicht gedeckten Handlungen des Bataillons 61 ist darüber hinaus auch das von Gesa Ziemer nicht nur für illegale Praktiken erarbeitete Konzept der Komplizenschaft relevant. Der damit einhergehende Regelbruch und die gemeinsame Mittäterschaft sind dabei für sie weniger Resultat dauerhafter Freundschaften. Vielmehr handelt es sich ihr zufolge um projektbasierte, schnelle und durchaus temporäre Allianzen.69 Vertrauen und insbesondere das von Ziemer entwickelte Konzept ist dabei nicht nur für die zwischenmenschlichen Dynamiken innerhalb des Bataillons 61 relevant. Sie besitzen im erheblichen Maße auch Einfluss auf die Etablierung und Ausformung der besonders im Alltag handlungsleitenden und meist informell geprägten Organisationskultur. Mit dieser ist begrifflich in der vorliegenden Arbeit entsprechend weniger gemeint, was Edward Wester­mann über sie in seinem Aufsatz „Ideology and organizational culture“70 bereits festgehalten hat. Sicher sind die von ihm beschriebenen Aspekte der Entwicklung von Polizeiverbänden ein wichtiges Element. Jedoch fehlt bei Westermann eine konkrete Untersuchung der durch Akteure geprägten weiteren Entwicklung und Ausprägung der in einem konkreten Verband tatsächlich herrschenden militärischen Kultur. Grundgedanke ist dabei, dass sich im Bataillon 61, so wie es Rafael Behr für die Polizei der Bundesrepublik Deutschland beschrieben hat, neben der offiziell von oben vorgegebenen Polizeikultur auch eine eigenständige, durch die lokalen Polizeipraktiker ausgestaltete „Cop ­Culture“71 ausprägte. Diese hat eine gewisse Schnittmenge mit der offiziellen Kultur, wie sie von Westermann beschrieben wurde, ist mit ihr aber eben längst nicht deckungsgleich. Somit ist für die vorliegende Studie, neben der formalen Ebene, auch die im Luhmann’schen Organisationsverständnis präsente informelle Dimension menschlicher Zusammenschlüsse von herausgehobener Bedeutung, um die Organisationskultur des Bataillons 61 zu erschließen. Dabei wird jedoch nicht so weit gegangen, wie es etwa Darío Rodríguez Mansilla macht, für den die Begriffe Informalität und Organisationskultur gleichbedeutend sind. Vielmehr meint Organisationskultur in der vorliegenden Studie die Gesamtheit etablierter oder noch in Erprobung befindlicher Strukturen und Praktiken, die durch die

69 Ausführlich hierzu vgl. Gesa Ziemer, Komplizenschaft. Neue Perspektiven auf Kollektivität, Bielefeld 2013, S. 17–62. Zur strafrechtlichen Dimension vgl. insbesondere die Definition ebd., S. 23, sowie die Überlegungen ebd., S. 21–32. Für Misztals Verständnis von Vertrauen vgl. Misztal, Trust, S. 102–120. 70 Westermann, Ideology. Vgl. auch schon zuvor ders., Police battalions. 71 Rafael Behr, Cop Culture. Der Alltag des Gewaltmonopols. Männlichkeit, Handlungsmuster und Kultur in der Polizei, Opladen 2000; ders., Polizeikultur. Routinen – Rituale – Reflexionen. Bausteine zu einer Theorie der Praxis der Polizei, Wiesbaden 2006.

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Grundlagen der Studie

Akteure des Bataillons 61 geformt wurden und welche die Polizisten wiederum in ihrem Handeln beeinflussten.72 Dies wird dabei nicht als chaotische Anarchie interpretiert, wie sie etwa Snyder für das gesamte NS-Regime zu erkennen glaubt. Ganz im Gegenteil wird davon ausgegangen, dass auch alles jenseits der formellen Ebene im Bataillon 61 nur zugelassen wurde, da die Informalität sehr wohl einen regelhaften und strukturschaffenden Charakter besaß, der zur effizienten Umsetzung der Ziele der NS- und Bataillonsführung beitrug. Darüber hinaus hätte das Erreichen wirklich anarchischer Zustände die Rolle der Funktionsträger der Polizeieinheit überflüssig gemacht und konnte so überhaupt nicht in deren Interesse liegen.73 Die solchen Akteuren unterstellten Mannschaftsdienstgrade charakterisierte Browning als „ordinary men“.74 In der deutschsprachigen Version wird sogar so weit gegangen, sie als „ganz normale Männer“75 zu bezeichnen. Diese Zuschreibung, wenn auch weitgehend zutreffend und durch den Erfolg von Brownings Studie weit verbreitet, überspannt die allgemeine Erklärungskraft des Terminus der „Normalität“ doch deutlich. Zum einem handelt es sich um einen relativ amorphen Begriff, wenn er, wie es oftmals der Fall ist, nicht klar abgegrenzt wird. Darüber hinaus handelt es sich beim Aspekt der „Normalität“ meist um einen ahistorischen Terminus. Seine Interpretation, ebenso wie etwa im Fall der Begriffe „Moral“ und „Anstand“, ist im starken Maße durch unsere heutige Lebenswirklichkeit geprägt. Somit ist der heutige Begriff nicht deckungsgleich mit dem beispielsweise in den 1930er- und 1940er-Jahren vorherrschenden Deutungsmustern, was als „normal“ anzusehen war. Folglich wird der Begriff der „Normalität“ zwar auch in der vorliegenden Studie genutzt, jedoch nicht zur Interpretation von Charaktereigenschaften, sondern im Sinne einer statistischen Durchschnittlichkeit.76 72 Für das Begriffsverständnis von Rodríguez vgl. Darío Rodríguez Mansilla, Gestion Organizacional. Elementos para su estudio, Santiago de Chile 1991, insbesondere S. 140 f. Zur formellen Ebene von Organisationskultur in der NS-Sicherheitspolizei, wobei die Studie jedoch über eine Skizze nicht hinausging, vgl. Melanie Becker, Organisationskultur der Sicherheitspolizei im Nationalsozialismus. In: Alf Lüdtke/Herbert Reinke/ Michael Sturm (Hg.), Polizei, Gewalt und Staat im 20. Jahrhundert, Wiesbaden 2011, S. 249–278. Grundlegend zum Funktionieren von Organisationskultur vgl. Sonja A. Sackmann, Das Zusammenspiel des Informellen und Formellen aus organisationskultureller Perspektive. In: Victoria v. Groddeck/Sylvia Wilz (Hg.), Formalität und Informalität in Organisationen, Wiesbaden 2015, S. 123–144. Für ein ähnliches, als „Einheitskulturen“ beschriebenes, Konzept vgl. Römer, Kameraden, S. 194–204. 73 Gleiches galt logischerweise auch für höhere NS-Eliten. Für die hingegen irrige Annahme, dass NS-Regime sei an Anarchie interessiert gewesen, vgl. Snyder, Black Earth. 74 Browning, Ordinary Men. 75 Ders., Ganz normale Männer. 76 Zur Problematik des Normalitätsbegriffs vgl. Rolf Pohl, „Normal“ oder „pathologisch“? Eine Kritik am Normalitätsbegriff der neueren Täterforschung. In: ders./Joachim Perels (Hg.), Normalität der NS-Täter?, Eine kritische Auseinandersetzung, Hannover 2011, S. 9–45, und Hans-Heinrich Nolte, Nazi-Mörder – „ganz normale Männer“? In: Pohl/ Perels (Hg.), Normalität der NS-Täter?, S. 63–81; ders., Ganz normale Massenmörder? Zum Normalitätsbegriff in der neueren NS-Täterforschung. In: Markus Brunner (Hg.),

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Auch der generelle Sprachgebrauch der vorliegenden Studie ist auf weitestgehende Neutralität und eine damit verbundene Vermeidung analytischer Verzerrungen ausgerichtet. Bewusst werden deshalb die in der Holocaustforschung zwar mittlerweile kritisierten, aber dennoch weiterhin häufig genutzten, Kategorien von „Täter, Opfer und Zuschauer“77 nicht genutzt. Zwar erlauben diese von Raul Hilberg relativ kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführten Begriffe, eine gewisse Hilfestellung bei der Einordnung von Akteuren. Jedoch bietet diese Trias nur eine Kategorisierung, die der Komplexität an Handlungsmustern nicht gerecht wird. Die Grenzen der Kategorien lassen sich empirisch längst nicht so scharf ziehen, wie es die Begriffe suggerieren. In einer tatsächlich quellenbasierten und nicht rein makrogeschichtlich ausgelegten Perspektive sorgen sie so nur für Unklarheit. Hinzu kommt, dass insbesondere der Terminus des „Täters“ bereits in sich eine implizite Wertung enthält. Eine solche, ebenso wie die bereits im Abschnitt zum Forschungsstand kritisierte emotionale Schreibweise mancher Publikationen, schließt eine Analyse sine ira et studio und damit auch eine historisierte Sicht auf die Gewalt im Zweiten Weltkrieg und insbesondere auf den Holocaust praktisch aus. Mit dem neutralen Sprachgebrauch der vorliegenden Studie ist aber in keiner Weise eine Abwertung der Leiden der Opfer oder eine Entschuldigung der Täter beabsichtigt. Die Arbeit folgt stattdessen dem Grundgedanken, dass ein Historiker quasi die Rolle eines neutralen Ermittlers und nicht die eines wertenden Richters einnehmen sollte. Die oftmals mehr als nur brutalen Gewalttaten des Bataillons 61, wie sie in den entsprechenden Abschnitten dieser Studie vorgestellt werden, sprechen ohnehin für sich selbst.78 Das dabei naheliegenderweise wahrgenommene „Böse“, sofern es so etwas überhaupt in konkreter Form gibt, wird in der vorliegenden Dissertation anders aufgefasst, als es Hannah Arendt bei ihren Beobachtungen über Adolf Eichmann getan hat. Nach außen hin mag die oftmals rohe Gewalt der Dortmunder Polizisten so erscheinen, als handele es sich um die „Banalität des Bösen“.79 Volksgemeinschaft, Täterschaft und Antisemitismus. Beiträge zur psychoanalytischen Sozialpsychologie des Nationalsozialismus und seiner Nachwirkungen, Gießen 2011, S. 19–56. 77 Raul Hilberg, Täter, Opfer, Zuschauer. Die Vernichtung der Juden 1933–1945, 4. Auflage, Frankfurt a. M. 1996. Der letzte Begriff des Titels ist dabei eine unzureichende Übersetzung des englischen Originalbegriffs. Vgl. ders., Perpetrators, victims, bystanders. The Jewish catastrophe 1933–1945, New York 1992. 78 Exemplarisch für die Forderung der Historisierung des Nationalsozialismus, wie sie für andere Bereiche der Geschichte üblich ist, vgl. Hans-Ulrich Thamer, Vom Tabubruch zur Historisierung. Die Auseinandersetzung um die Wehrmachtsausstellung. In: Sabrow/ Jessen/Große Kracht (Hg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte, S. 171–188; Kühl, Ganz normale Organisationen, S. 38, empfiehlt, den Begriff des „Töters“ statt dem des „Täters“ zu nutzen. Problematisch ist hieran jedoch, dass nicht nur der Begriff sperrig ist. Vielmehr gilt es zu beachten, dass es längst nicht nur zu Tötungen im Osteuropa des Zweiten Weltkrieges kam. Die Bandbreite an Gewalthandlungen war deutlich größer. 79 Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 14. Auflage, München 2013.

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Tatsächlich entspringen die Verhaltensweisen jedoch einer nahezu unendlich komplexen und weit verzweigten Vermengung von Faktoren. Timothy Williams hat dies, wenn auch unter anderen Gesichtspunkten als in der vorliegenden Studie, treffend als „Complexity of Evil“80 beschrieben. Um der analytisch niemals vollständig greifbaren Komplexität menschlicher Entscheidungen in Organisationen nahezukommen, werden entsprechend in der vorliegenden Studie mehrere Analysemuster verwoben. Nur unter Betrachtung der verknüpften kulturellen Grundlagen und Prozesse innerhalb einer Gruppe von Gewaltakteuren sowie deren Verhältnis zu ihren Opfern lässt sich der Blick auf die lokale Verfolgung mit den Strukturen der nationalsozialistischen Herrschaft in Beziehung setzen. Ebenso lässt sich erst hierdurch der Gefahr eines Rückfalls in simple intentionalistische oder strukturalistische Erklärungsmuster effektiv begegnen. Bewusst wurde deswegen eine überschaubare Referenzgruppe, die besonders markante und umfangreiche archivalische Spuren hinterlassen hat, gewählt. Ziel ist es, möglichst den Handlungsrationalen der einzelnen Akteure näherzukommen. Dem Grundsatz „quod non est in actis, non est in mundo“ folgend, lassen sich erst hierdurch insbesondere informelle Strukturen durch den Abgleich mit ihren formalen Gegenstücken adäquat erkennen, statt rein theoretische Annahmen zu bleiben.81 Besonders aufgrund dieser Ausrichtung der vorliegenden Studie auf Prozesse innerhalb des Bataillons 61 muss auch genau darauf geachtet werden, nicht hinter Erklärungsmuster der älteren Geschichtsforschung zurückzufallen. Ein überholtes Geschichtsbild, mit dem Akteure als letztlich willenlose Objekte der Befehlskette gesehen werden, ist nicht Ziel der Studie. Es geht entsprechend nicht nur um die Täter der ersten, „zweiten und dritten Handlungsebene“.82 Auch die unteren Mannschaftsdienstgrade werden in der vorliegenden Studie als eigenständige Akteure der Organisation betrachtet. Die kombinierte Motiv-

80 Timothy Williams, The Complexity of Evil. A Multi-Faceted Approach to Genocide Perpetration. In: Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung, 3 (2014) 1, S. 71–98. 81 Wie die bisherige Arbeit an der vorliegenden Studie gezeigt hat, existiert über das Bataillon 61 mit seinen ca. 500 Mitgliedern so viel Material, dass es sich gerade noch durch einen einzelnen Forscher bearbeiten lässt. Die Untersuchung eines größeren Verbandes durch eine Einzelperson würde dazu führen, dass der einzelne Akteur analytisch in der Masse verloren ginge. Vgl. etwa die entsprechende Problematik bei Christoph Rass, „Menschenmaterial“. Deutsche Soldaten an der Ostfront: Innenansichten einer Infanteriedivision, 1939–1945, Paderborn 2003, sowie die entsprechende Kritik bei Michael Prollius, Rezension zu: Christoph Rass, „Menschenmaterial“. Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939–1945, Paderborn 2003. In: H-Soz-Kult vom 6.8.2003 (https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-4188; 25.8.2020). 82 Wolfgang Benz, Holocaustforschung. In: ders./Angelika Königseder (Hg.), Judenfeindschaft als Paradigma. Studien zur Vorurteilsforschung, Berlin 2002, S. 115–121, hier 121. Das Abgehen von der reinen Betrachtung der ersten Reihe der Täter war wichtig, doch müssen nicht nur die nachrangig verantwortlichen Kommandeure, sondern auch die einfachen Täter konsequent untersucht werden.

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lage dieser Männer „bestimmte, was man tat – und wie man es tat“.83 Dabei konzentriert sich die Studie deutlich weniger auf die Dimension der ideologischen Handlungsrationale, als es in der bisherigen Forschung zum Bataillon 61 der Fall war. Grund hierfür ist letztlich die Quellenlage, aus der sich die ideologischen Prägungen der Polizisten nur sehr bedingt und dann wenig begründet ableiten lassen. Auch soll der Faktor der Ideologie in der vorliegenden Studie nicht als simplifizierendes Erklärungsmuster für tatsächlich anders gelagerte Zusammenhänge herangezogen werden.84 Die ideologische Dimension menschlichen Handelns in der vorliegenden Untersuchung gänzlich außer Acht zu lassen, wäre jedoch ebenso ein Fehler. Insbesondere wenn die durch den Nationalsozialismus geprägten Schlüsselakteure der Einheit untersucht werden, die archivalische Spuren hinterlassen haben, die ihre Weltanschauung beleuchten, muss dies in alle weiteren Überlegungen einfließen. Für den weit größeren Teil der nach Aktenlage ideologisch unauffällig erscheinenden einfachen Polizisten wird stattdessen auf das Konzept eines allgemeinen Opportunismus zurückgegriffen. Mit ihrer Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern sowie der fehlenden weltanschaulichen Überzeugung bei der Ausübung von Gewalt und dem oftmals bestehenden Wissen um das Unrecht der eigenen Handlungen, stellen die zahlreichen Opportunisten gerade einen Gegenpol zu ideologisch geprägten Tätern dar. Alle theoretischen Überlegungen der vorliegenden Studie müssen sich jedoch der Quellenverfügbarkeit als elementarer Voraussetzung beugen. Grundsätzlich besteht für Historiker das Problem, dass sie nicht etwa wie Psychologen die von ihnen untersuchten Personen befragen können. Auch primär soziologische Ansätze, bei denen zunächst eine umfassende Theorie aufgestellt wird, in die dann passende empirische Befunde implementiert werden oder bei der die Theorie von der Empirie völlig entkoppelt bleibt, kann nicht Ziel einer historischen Studie sein.85 Dies heißt jedoch nicht, dass sich nicht durchaus Ideen und Ansätze von geschichtswissenschaftlichen Nachbardisziplinen aufgreifen lassen, sofern das „Vetorecht der Quelle“86 fortbesteht. Dies bedeutet zugleich, dass ein Historiker 83 Alf Lüdtke, Fehlgreifen in der Wahl der Mittel. Optionen im Alltag militärischen Handelns. In: Mittelweg 36, (2003) 12, S. 61–75, hier 75. 84 Für solche simplifizierenden Ansätze vgl. Klemp, Freispruch; ders., Vernichtung; Goldhagen, Vollstrecker. Diese Studien ignorieren, dass sich Ideologien ohnehin nur als Element der sozialen Praxis erkennen lassen. 85 Für solche entkoppelte Studien vgl. Matthias Herbers, Organisationen im Krieg. Die Justizverwaltung im Oberlandesgerichtsbezirk Köln 1939–1945, Tübingen 2012; Sven Jüngerkes, Deutsche Besatzungsverwaltung in Lettland 1941–1945. Eine Kommunikations- und Kulturgeschichte nationalsozialistischer Organisationen, Konstanz 2010; Bernhard Lorentz, Industrieelite und Wirtschaftspolitik 1928–1950. Heinrich Dräger und das Drägerwerk, Paderborn 2001; Christian Rohrer, Nationalsozialistische Macht in Ostpreußen, München 2006. 86 Reinhart Koselleck, Standortbindung und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historiographischen Erschließung der geschichtlichen Welt. In: Wolfgang Mommsen/Jörn Rüsen/ Reinhart Koselleck (Hg.), Objektivität und Parteilichkeit in der Geschichtswissenschaft, München 1977, S. 17–46, hier 45.

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Grundlagen der Studie

im Normalfall eben keine definitiven Ergebnisse produzieren kann. Es kann keine reine Realgeschichte geben. Will man versuchen, wie Leopold von Ranke „zu zeigen, wie es wirklich gewesen ist“, so wird man sich gerade im Bereich der Täterforschung auf dogmatische Interpretationen einlassen müssen, wie sie etwa bei Goldhagen und Klemp zu finden sind. Eine quellengebundene Geschichtswissenschaft muss sich hingegen auf das Aufdecken von Plausibilitätsstrukturen und einem vertieften Verständnis historischer Zusammenhänge konzentrieren. Somit muss sich jede theoretische und methodische Überlegung eines Historikers letztlich an der empirischen quellenbasierten Anwendbarkeit messen lassen. 4.

Quellenbasis und theoretisch-methodischer Quellenzugang

Für eine Analyse der Organisationskultur einer Reserve-Polizeieinheit lassen sich nicht nur die seit Brownings Pionierarbeit schon fast traditionell üblichen archivierten Ermittlungsunterlagen deutscher Staatsanwaltschaften als Quellenbasis nutzen. Auch wenn diese eine der wichtigsten Grundlagen für die vorliegende Studie ausmachen, so wird zusätzlich auch, neben zeitgenössischen deutschen und osteuropäischen Überlieferungen, auf juristisches Ermittlungsmaterial polnischer Provenienz sowie nach dem Krieg entstandene Dokumente aus Opfer- und Täterperspektive zurückgegriffen. Es gilt hierbei, was Hilberg schon für die Holocaustforschung allgemein festgestellt hat: Es gibt keine unwichtigen oder marginalen Quellen.87 Dies gilt umso mehr, wenn man dem im vorherigen Abschnitt skizzierten multiperspektivischen Analyseansatz folgen will. Damit geht jedoch für den Historiker die, wenn auch mittlerweile scheinbar unpopuläre Pflicht einher, zuvor zu untersuchen, wie sich die verschiedenen Quellentypen für eine geschichtswissenschaftliche Analyse nutzen lassen, worin ihre Potenziale und besonderen Herausforderungen bestehen und wie sie sich effektiv zusammenführen lassen. Im Folgenden werden deshalb insbesondere jene Überlieferungen näher besprochen, die durch die bisherige Forschung nur sporadisch auf ihre analytische Nutzbarkeit hin untersucht worden sind. Erst eine genaue Quellenkritik ermöglicht es, die mit der Organisationskultur des Bataillons 61 verknüpften Handlungen der Dortmunder Polizisten zu analysieren, statt sie nur zu beschreiben. Hierzu gibt es, im Fall der untersuchten Einheit, wie für die NS-Geschichte allgemein, kaum noch völlig unbekannte Quellen. Somit ist es sicher korrekt, dass für die heutige Forschung vor allem „die sorgfältige Auswertung der seit Langem verfügbaren Bestände“88 und deren

87 Vgl. Raul Hilberg, Die Quellen des Holocaust. Entschlüsseln und interpretieren, Frankfurt a. M. 2002, S. 219. 88 Jost Dülffer, Rezension zu: Klaus-Michael Mallmann/Gerhard Paul (Hg.), Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung, 51 (2002), S. 265–266, hier 266.

Quellenbasis und -zugang

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Reinterpretation von höchster Bedeutung sind und einen signifikanten Erkenntnisfortschritt versprechen. Wo es jedoch möglich ist, bieten bisher nicht oder kaum genutzte Materialien die Chance, die bestehenden Erkenntnisse noch zu erweitern. Insbesondere kommt die vorliegende Arbeit dabei auch der häufiger werdenden Forderung nach, dass auch deutsche Forscher osteuropäische Quellenbestände einbinden sollten. Auch wenn diese in der vorliegenden Arbeit rein quantitativ nicht an die deutschen Archivalien heranreichen, so geben sie doch zu zahlreichen im Folgenden analysierten Zusammenhängen pointiert Auskunft und ermöglichen es damit, Lücken in der deutschen Überlieferung zu schließen.89 4.1

Quellen bis 1945

Wie für sämtliche, in offensichtlich rechtswidrige Handlungen verwickelte, polizeiliche und militärische Organisationen des NS-Regimes, so lässt sich auch für die deutsche Ordnungspolizei feststellen, dass sie spätestens ab 1944 gezielt belastendes Aktenmaterial zu vernichten begann. Dies gilt auch im Fall des hier untersuchten Polizeibataillons. So sagte nach dem Krieg ein Schreiber der Einheit aus, er habe sehr genaue Akten zu Exekutionen der Einheit im „Warthegau“ 1939/40 angefertigt. Laut ihm „entstand über jedes Standgerichtsverfahren ein kleiner Aktenband. Die einzelnen Vorgänge wurden in einem Leitzordner zusammengefasst.“ So sei genau nachvollziehbar gewesen, „in welchen Fällen das Standgericht des Bataillons in Tätigkeit getreten“ sei.90 Ein anderer Mann gab zu Protokoll, dass jeder Schusswaffengebrauch in Warschau in den „Wachbüchern“91 der Einheit verzeichnet worden sei. Solch für die Geschichtswissenschaft potenziell bedeutsame Unterlagen, wie etwa zahlreiche interne Dienstanweisungen, sind nicht oder nur vereinzelt erhalten.92 89 Exemplarisch für die Forderung, osteuropäische Quellen einzubinden, vgl. Timothy Snyder, Commemorative Causality. In: Modernism/Modernity, 20 (2013) 1, S. 77–93. 90 Aussage Heinrich Zumplasse vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 50). Exemplarisch zur Aktenvernichtung durch die Ordnungspolizei vgl. Vernichtungsaktion vom 10.7.1944 (BA R 20 Nr. 49, Bl. 1). Zur Aktenvernichtung vgl. den entsprechenden Erlass von Goebbels aus dem Jahr 1945 in Hilberg, Quellen, S. 22, Anm. 17. Vgl. auch Martin Hölzl, Grüner Rock und weiße Weste. Adolf von Bomhard und die Legende von der sauberen Ordnungspolizei. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 50 (2002) 1, S. 22–43, hier 24 f. Nicht unter Verschluss liegende Unterlagen wurden oftmals bereits beim Rückzug aus Osteuropa routinemäßig vernichtet. Vgl. Hilberg, Quellen, S. 22. 91 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 110r). Nur sehr wenige solcher Schusswaffengebrauchsmeldungen aus Warschau sind der Vernichtung entgangen. Vgl. etwa Schlussbericht zu I.K.D. 418/42 Warschau vom 11.2.1942 (BA R 9355 ZM 886 A.3, Bl. 2). Wachbücher des Bataillons 61 sind hingegen nicht erhalten geblieben. 92 Exemplarisch für die Feststellung des Fehlens von Akten und sonstigen Unterlagen aufgrund der deutschen Aktenvernichtung vgl. Bericht des Sicherheitsamtes in Gostyń 25.3.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 124). Vgl. ebenso auch Bericht des Sicherheitsamtes in Konin vom 20.3.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 155 f.). Für die weitergehende Beseitigung von Spuren durch das Verbrennen von Leichen vgl. Aussage Jan Kaczmarek

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Grundlagen der Studie

Gleiches gilt oftmals auch für die der Einheit übergeordneten Stellen. So fehlen etwa entsprechende Aufzeichnungen von Feldkommandanturen, unter deren Kommando das Bataillon 61 zeitweise in Russland stand. Ebenso fehlen die Verwaltungsunterlagen der Einheit, die in Dortmund bzw. ab 1942 im neuen Heimatstandort Saarbrücken bestanden haben müssen. Ob nun solche Unterlagen durch Absicht vernichtet wurden oder im Untergang des NS-Regimes verloren gingen, sei an dieser Stelle dahingestellt.93 Trotz einer problematischen Überlieferungsgeschichte befinden sich insbesondere in deutschen und polnischen Archiven dennoch zahlreiche Bestände, die einen Bezug zum Bataillon 61 haben. Beispielsweise Dienstanweisungen, Befehlsblätter der Ordnungspolizei, Ordensvorschläge mit ihren Begründungstexten, Vorschläge zu bevorzugten Beförderungen sowie Akten der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und der Schutzstaffel (SS) beleuchten nicht nur die Individuen der Einheit, sondern auch deren Struktur, Funktionsweise und Tätigkeitsbereiche. Jedes Archiv für sich liefert dabei nur eine fragmentarische Übersicht über die Einsätze des Bataillons sowie dessen organisatorisches Umfeld und die Einbindung seiner Akteure. Erst durch die Kombination der unterschiedlichen Provenienzen lassen sich zahlreiche Überlieferungslücken schließen.94 Die umfangreichsten Bestände hierzu verwahren die verschiedenen Standorte des Bundesarchivs. Zwar schrieb dieses noch 1965 der Staatsanwaltschaft Hamburg: „In das Bundesarchiv sind nur vereinzelt Akten von Polizeieinheiten gelangt, über Angehörige der Polizei-Bataillone 41, 61 und 68 ist daraus nichts festzustellen.“95 Jedoch ist dies nur oberflächlich betrachtet korrekt. Das Archiv

vom 9.11.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 121). Allgemein zur Sonderaktion 1005, durch die Spuren von Verbrechen beseitigt werden sollten, vgl. Jens Hoffmann, „Das kann man nicht erzählen“. „Aktion 1005“ – Wie die Nazis die Spuren ihrer Massenmorde in Osteuropa beseitigten, 3. Auflage, Hamburg 2013. 93 Im Landesarchiv des Saarlandes befinden sich in der Akte: Polizeireserve, Besoldung Sept. [September] 1941–Sept. 1943 (LAS BHdOP Nr. 46) keinerlei Hinweise auf das Bataillon 61. Die Handakten des BdO in LAS BHdOP Nr. 21 reichen nur bis Mai 1941. Sie enden damit vor der Zuordnung von Saarbrücken als neuem Heimatstandort des Bataillons 61 im Juli 1942. Auch im Bundesarchiv ist im Bestand BA R 70 Lothringen Nr. 40 nichts zum Bataillon 61 zu finden. Lediglich im Landesarchiv NRW finden sich im Bestand der Regierung Arnsberg marginale Hinweise auf die Einheit. Vgl. exemplarisch die Akten LAV NRW, W, B 406 Nr. 14950, Nr. 15207 und Nr. 29428. Im Bundesarchiv liegen lediglich für die Feldkommandantur in Idriza Informationen zu einem Schwesterverband des Bataillons 61 vor, das dort im Bahnschutz eingesetzt war. Vgl. Feldkommandantur (V) 247 Idriza – Innerer Dienstbetrieb 2. Nov. 1942–14. Sept. 1943 (BA-MA N 13 Nr. 5, unpag.). Generell zur Quellenverlustproblematik vgl. Hilberg, Quellen, S. 21 f. 94 Generell zur Quellenkritik von solchen archivalischen Unterlagen aus der Zeit des Nationalsozialismus vgl. ebd. 95 Schreiben des Bundesarchivs an die Staatsanwaltschaft Hamburg vom 12.10.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 46, Bl. 20898).

Quellenbasis und -zugang

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ist nicht nach einzelnen Einheiten sortiert, gleichwohl befinden sich wichtige und weitgehende Informationen zum Bataillon 61 verteilt in den Archivalien verschiedener Bestände. Darüber hinaus enthält das Bundesarchiv zahlreiche Unterlagen, welche das ostdeutsche Ministerium für Staatssicherheit bis 1989 gesammelt hat und die seit 2004 aus den Beständen der BStU an das Bundesarchiv überführt wurden.96 Aufgrund der „Aktenförmigkeit ihrer Amtsführung“97 haben die Ordnungspolizei als Dachorganisation sowie die zur ihr gehörenden Polizeibataillone Teile des internen Schriftverkehrs überliefert. Hierbei handelt es sich vor allem um zentral vorgegebene Richtlinien zur „Formalstruktur“,98 etwa in Form von Verordnungen, Richtlinien und Vorschriften. Auch wenn, wie Kühl zu Recht anmerkt, sich an diese Vorgaben in der Praxis nicht zwingend gehalten wurde, geben sie doch die formal vorgesehene Ausgestaltung der Bataillone aus Sicht des Regimes wieder. Neben dem direkten Einblick in manche Themenfelder erlauben diese Unterlagen auch Rückschlüsse über den Alltag der in Osteuropa eingesetzten Polizeieinheiten. Verordnungen und Befehle etwa weisen oftmals auf ein Problem hin, das erst durch nachträgliche Formalisierungen reguliert werden sollte. Ohne häufige (sexuelle) Kontakte von Ordnungspolizisten zur lokalen Bevölkerung etwa, wären Befehle zum Unterlassen solcher, „besonderes Missfallen“99 hervorrufender Handlungen nicht nötig gewesen. Neben solchen zentral an das Bataillon 61 herangetragenen Steuerungsbestrebungen sind regulierende lokale Anordnungen überliefert, etwa durch die direkt übergeordneten Kommandanten der Ordnungspolizei (KdO). Insbesondere mit den sogenannten Tagesbefehlen, die nicht konkrete Einsätze betrafen, sondern die mit der Ausgestaltung des Einheitsalltags befasst waren, hatten höher gestellte Offiziere einen wichtigen Einfluss auf die Organisationskultur und Handlungsoptionen innerhalb der Dortmunder Polizeieinheit.100

    96 Exemplarisch für einen solchen Bestand vgl. BA R 70 Sowjetunion Nr. 49 und BA R 70 Sowjetunion Nr. 150. Anhand der aufgebrachten Stempelung lässt sich erkennen, dass es sich bei diesen Akten um Kopien aus einem mittlerweile aufgelösten sowjetischen Sonderarchiv bzw. dem zentralen Staatsarchiv handelt. Die Unterlagen sind alle deutlich mit kyrillischen Notizen versehen. Für ähnliche Markierungen vgl. Vorschlagsliste für Auszeichnung vom 10.1.1940 (BA R 601 Nr. 2415, unpag.); Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 11).     97 Kühl, Ganz normale Organisationen, S. 337. Dort unter Verweis auf Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 1976, S. 552.     98 Kühl, Ganz normale Organisationen, S. 336.     99 Schreiben des RFSS [Reichsführers SS] an den Reichsstatthalter im Warthegau vom 21.2.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 5). Für die formale Ausgestaltung der Organisation, die sich aus Vorgaben und Verordnungen etc. erkennen lässt, vgl. Kühl, Ganz normale Organisationen, S. 336–338. 100 Für die Rolle von Tagesbefehlen vgl. ebd., S. 337.

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Grundlagen der Studie

Außer Unterlagen mit dem Ziel, den Alltag von Polizeieinheiten zu strukturieren oder zu gestalten, existieren auch Überlieferungen, die im sonstigen alltäglichen Dienst anfielen. Hierzu zählen u. a. medizinische Unterlagen oder interne Ermittlungen und Beurteilungen. Auch diese Quellen liefern aufgrund ihres internen Charakters weitreichende Informationen über Mitglieder des Bataillons 61. Dennoch wohnt auch diesen Schriftstücken eine gewisse Verzerrung inne. So sind etwa dienstliche Zeugnisse oder Vorschläge für Orden und Ehrenzeichen sowie allgemeine Stellungnahmen sprachlich auf den diktatorischen Kontext zugeschnitten, in dem sie entstanden. Eine positive weltanschauliche Beurteilung einer Person durch Vorgesetzte etwa ist keineswegs ein zwingendes Indiz dafür, dass der Polizist auch tatsächlich im Sinne der NS-Ideologie indoktriniert war, sondern kann auch schlicht auf eine gewisse Kooperationsbereitschaft hinweisen. Entsprechend gilt, erst wenn die Quellen jeweils im Einzelfall überprüft worden sind und ihre Verfremdung abgewogen wurde, lassen sie sich wirklich einschätzen und dadurch analytisch nutzen. Eine besondere Stellung haben dabei die in das Bundesarchiv übergegangenen Unterlagen des ehemaligen Berlin Document Centers (BDC). Ergänzt mit Materialien des ehemaligen Staatsarchives der DDR sowie des NS-Archivs des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR enthalten sie die personenbezogenen Bestände und Sammlungen der NSDAP und ihrer Gliederungen. Zu Recht können diese als „unersetzlicher Fundus für Personal-, SS- und Parteiakten von Ordnungspolizisten“101 und somit als wichtiger Quellentypus zur Erforschung des Bataillons 61 gelten. Zunächst einmal bieten die SS-Führerpersonalakten und die entsprechenden Unterlagen für Mannschaften und Unterführer statistischen Aufschluss über diejenigen Mitglieder der Polizeieinheit, die gleichzeitig auch Mitglieder der NSDAP, SS oder ähnlicher Organisationen waren. Über die Feststellung der Mitgliedschaft hinaus sind die überlieferten Unterlagen von höchst unterschiedlicher Aussagekraft. In einigen Fällen beleuchten sie den parteilich-ideologischen Werdegang von Polizisten. So etwa bei Absolventen von Junkerschulen, wie es zahlreiche der jüngeren Offiziere der Einheit waren. In seltenen Fällen sind auch parteiinterne Ermittlungen des Partei­ gerichts zu finden, so etwa im Fall eines späteren Offiziers des Bataillons 61, der eine Schlägerei mit einem Führer der Sturmabteilung (SA) begonnen hatte. Auch zeichnen die überlieferten Personalunterlagen vereinzelt die NS-Netzwerke nach, in die insbesondere die Offiziere der Einheit eingebunden waren. So lässt sich etwa die Freundschaft und Kooperation mit Entscheidungsträgern des Regimes jenseits offizieller Dienstwege ablesen. In einigen Unterlagen des Heiratsamtes des Rasse- und Siedlungshauptamtes haben sich außerdem handgeschriebene Lebensläufe verschiedener Akteu-

101 Klemp, „Nicht ermittelt“, S. 23. Für das NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) vgl. BA R 9355. Dieser Bestand soll in näherer Zeit komplett aufgelöst werden, um ihn anderen Beständen, wie etwa BA R 601 Präsidialkanzlei, zuzuordnen.

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re erhalten. Die Texte sind zwar auf den typischen NS-Duktus zugeschnitten, berichten aber doch meist akkurat über den bisherigen Lebensweg sowie über das Selbstverständnis der Verfasser. Ebenso überliefert sind dort Verzeichnisse über Orden- und Ehrenzeichen, Berufe und Konfessionen der späteren Eheleute. Darüber hinaus finden sich ebendort ärztliche Untersuchungsbögen über die geistige und körperliche Gesundheit der angehenden Ehepaare. Meist geben die ergänzten ehemaligen BDC-Unterlagen im Falle des Bataillons 61 keinen direkten Aufschluss über Beteiligungen an Gewalthandlungen. Ausnahmen hiervon sind nur die teilweise enthaltenen Vorschläge für Auszeichnungen, in denen Gewaltanwendungen offen thematisiert werden. Die Quellen eignen sich so vielmehr zur Schärfung des Bildes der Akteure innerhalb des Bataillons 61 als zur Rekonstruktion seiner Handlungen. Ein besonderer Vorteil des Materials ist dabei, dass es sich um interne Unterlagen handelt, die nie dazu gedacht waren, einem breiteren Nutzerkreis zugänglich zu sein. Aufgrund der den Akten zugedachten Funktion für das NS-Regime sind diese zwar nicht geschönt, jedoch im typischen NS-Sprachstil verfasst. Anders als die BDC-Unterlagen, sind die offiziellen Kriegstagebücher des Bataillons 61, wie für die meisten vergleichbaren Einheiten, nicht mehr erhalten. Ihre Spur verliert sich Anfang Juli 1944 mit der Auflösung des Polizeiregiments 9, dessen erstes Bataillon die Dortmunder Polizeieinheit stellte. Im Auftrag des Chefs der Ordnungspolizei hieß es schlicht: „Die Kriegstagebücher sind abzuschließen und mir vorzulegen.“102 Als interne Unterlagen dokumentierten sie nicht nur chronologisch die Tätigkeiten des Verbandes, sondern enthielten auch diverse Einschätzungen zur allgemeinen Lage, vermerkten besondere Vorkommnisse und beinhalteten regelmäßige Berichte an höhere Dienststellen und von untergeordneten Teileinheiten.103 Das Kommandoamt der Ordnungspolizei und die in ihr bestehende Gruppe für Kriegsgeschichte vernichteten diese Unterlagen gegen Kriegsende, wohl wissend um ihre Brisanz. Man war sich insbesondere nach dem Krieg sicher, dass dies mit dafür sorgte, den strafrechtlichen Verfolgungsdruck gegen ehemalige Mitglieder von Polizeieinheiten zu reduzieren. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass Handlungen, die bereits nach NS-Strafrecht illegal waren und sich insbesondere aus dem Eigenantrieb einzelner Akteure ereigneten, meist ohnehin nicht offiziell höheren Stellen bekannt gemacht wurden. Folglich wurden derartige Handlungen auch äußerst selten in Kriegstagebüchern festgehalten. Aus

102 Auflösung des SS-Pol. Reg. [SS-Polizei-Regiment] 9 vom 9.6.1944 (BA R 19 Nr. 329, Bl. 67r). Für die allgemeine Regelung zur Abgabe von abgeschlossenen Kriegstagebüchern vgl. Bestimmungen für die Führung von Kriegstagebüchern und Tätigkeitsberichten vom 4.7.1940 (APP 299 Nr. 1218, Bl. 338). Ein seltenes Beispiel für ein erhaltenes Kriegstagebuch ist das des Reserve-Polizeibataillons 322. Zur Geschichte dieser Einheit vgl. Angrick/Voigt/Ammerschubert/Klein, Polizeibataillon 322. 103 Generell zu Kriegstagebüchern als Quelle der Holocaustforschung in sehr knapper Form vgl. Hilberg, Quellen, S. 48.

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diesen lassen sich jedoch offizielle Gewalthandlungen, die heute durchaus als Kriegsverbrechen klassifiziert sind, von militärischen Verbänden gut ablesen.104 Im Fall des Bataillons 61 hätten sich an einem vollständigen Kriegstagebuch insbesondere die diversen Einzeleinsätze 1939/40, wie Deportationen und standrechtliche Erschießungen, genauer nachvollziehen lassen. Gleiches gilt sicher auch für die neben der Bewachung des Warschauer Ghettos 1942 durchgeführten Deportationen und Massenhinrichtungen. Zumindest für den Russlandeinsatz des Bataillons 61 als erstes Bataillon des Polizeiregiments 9 im rückwärtigen Heeresgebiet Nord von 1942 bis 1944 lässt sich das Problem des fehlenden Kriegstagebuches kompensieren. Die Kriegstagebücher der 281. und der 285. Sicherungs-Division, denen die Dortmunder Einheit wechselnd unterstellt war, gehören zu den am vollständigsten überlieferten Exemplaren ihrer Art. In diesen und in den Unterlagen der ihnen übergeordneten Formationen lässt sich ablesen, wann, wo und mit welchen Methoden sowie mit welchem Erfolg das Bataillon 61 sowohl in der Partisanenbekämpfung als auch gegen die russische Zivilbevölkerung eingesetzt war. Ferner finden sich in den Kriegstagebüchern Aufzeichnungen, wie die deutsche Kriegspartei die lokale Situation beurteilte, in der sich auch die Polizisten befanden. Trotz der Präzision der Berichte über die Dortmunder Polizeieinheit bleiben jedoch auch Lücken. Phasenweise „verschwinden“ Teileinheiten des Bataillons in den Berichten. Meist fehlen Züge und seltener ganze Kompanien, wenn sie etwa zum stationären Bahnschutz eingesetzt wurden und sich keine Kampfhandlungen oder offizielle Vergeltungsaktionen gegen die Zivilbevölkerung ereigneten. Da auch Aufzeichnungen von verantwortlichen Orts- und Feldkommandanturen für diese Zeiten fehlen, lassen sich diese nicht genau rekonstruieren. Die verschiedenen Teile der Kriegstagebücher liefern dennoch einen guten Überblick darüber, was das Bataillon 61 im Nordwesten der Sowjetunion tat. Dabei ist es jedoch bedeutsam, sich nicht nur auf die Kriegstagebücher selbst, 104 Für die Regelung, was in ein Kriegstagebuch aufgenommen werden sollte, vgl. Bestimmungen für die Führung von Kriegstagebüchern und Tätigkeitsberichten vom 12.11.1941 (BA R 20 Nr. 54, Bl. 2 f.); Bestimmungen für die Führung von Kriegstagebüchern und Tätigkeitsberichten vom 4.7.1940 (APP 299 Nr. 1218, Bl. 338); RFSS betr. [betreffend]: Führung von Kriegstagebüchern und Tätigkeitsberichten vom 12.7.1940 (APP 299. Nr. 1218, Bl. 5). Dort wird festgehalten, zu viele Kriegstagebücher würden sich „meist auf die nüchterne Schilderung der sachlichen Aufzählung der dienstlichen Ereignisse beschränken. Diese Art der Einsatzschilderung ist nicht geeignet, dem wirklichen Ablauf der Ereignisse mit all ihren besonderen Einflüssen, Umständen und Stimmungen für die Geschichtsschreibung und die sonstige Auswertung festzuhalten.“ Zur Illegalität der Handlungsmuster von NS-Polizeieinheiten nach NS-Strafrecht vgl. Nolte, Nazi-Mörder, S. 81. Entsprechend verwundert es auch kaum, dass kein inoffizielles, also privates Kriegstagebuch eines Einheitsmitgliedes bekannt ist. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, dass sich ein solches Schriftstück noch in Privatbesitz befindet. Zur Gruppe für Kriegsgeschichte der Ordnungspolizei vgl. Jürgen Huck, Ausweichstellen und Aktenschicksal des Hauptamtes Ordnungspolizei im 2. Weltkrieg. In: Hans-Joachim Neufeldt/Jürgen Huck/Georg Tessin (Hg.), Zur Geschichte der Ordnungspolizei 1936–1945, Koblenz 1957, S. 119–144, insbesondere 142 f.

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sondern auch auf deren zahlreichen Supplementbände zu beziehen. Oftmals enthalten diese weitere, geschichtswissenschaftlich wertvolle Informationen, die nicht in das eigentliche Kriegstagebuch aufgenommen wurden. Gemeinsam mit ihren Anhängen zeigen die Kriegstagebücher, welche Bedrohungslagen und Anstrengungen auf die Akteure einwirkten und wie sie auf diese als Kompensationsmechanismus meist mit Gewalt reagierten. Dennoch müssen auch diese Ergebnisse um weitere Materialien ergänzt werden, da die Schilderungen in Kriegstagebüchern meist „nicht geeignet“ sind, „dem wirklichen Ablauf der Ereignisse mit all ihren besonderen Einflüssen, Umständen und Stimmungen für die Geschichtsschreibung und die sonstige Auswertung festzuhalten“.105 Durchaus problematisch ist, dass sich auch nach Kriegsende weitere Aktenverluste bis in die 1990er-Jahre hinein ereigneten. Ab 1989 hätten etwa Personalakten vorschriftsgemäß von staatlichen Stellen nach dem Tod von letzten Versorgungsempfängern sowie einer kurzen Aufbewahrungsfrist an die zuständigen Landes- und Staatsarchive abgegeben werden müssen. In der Praxis geschah dies meist nur schleppend und scheint oftmals mehr zufällig als zielgerichtet durchgeführt worden zu sein. Teilweise resultierte dies nicht unbedingt aus Vorsatz. Im Falle der Personalakten und ähnlichen Materialien von Mitgliedern von NS-Polizeieinheiten ist es jedoch wiederholt feststellbar, dass ganze Bestände an Unterlagen von polizeilichen Organisationseinheiten einbehalten oder sogar als verloren angegeben wurden. Ein gängiges Narrativ war dabei die Behauptung, Unterlagen seien nach dem Umzug eines Polizei­ reviers nicht mehr auffindbar.106 105 Führung von Kriegstagebüchern und Tätigkeitsberichten vom 12.7.1940 (APP 299 Nr. 1218, Bl. 5). Nur im äußerst begrenzten Maße lassen sich die Einsatzunterlagen des Bataillons 61 durch vom britischen Militär abgefangene Funksprüche ergänzen. Man war in London über die Einsätze der deutschen Polizei bereits in der frühen Phase des Krieges gut informiert. Einer der Männer des Bataillons 61 etwa gab an, er habe im britischen Radio schon 1940 von den Taten des Dortmunder Polizeibataillons gehört. Vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 27). Das deutsche Oberkommando schränkte jedoch Funksprüche mit sensiblen Informationen, etwa über Tötungshandlungen, bald massiv ein. Vgl. German Police Decodes vom 13.9.1941 (TNAL HW 16 Nr. 45, unpag.). Darüber hinaus war das Bataillon 61 lange in Gebieten mit funktionierenden Telefonverbindungen eingesetzt, was Funksprüche überflüssig machte. 106 Vgl. Andreas Eichmüller, Keine Generalamnestie. Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik, München 2012, S. 374. Hinzu kommen Unterlagen, die von den zuständigen Stellen überhaupt nicht aufbewahrt wurden. Generell zur Quellenverlustproblematik vgl. Hilberg, Quellen, S. 21 f. Neben Aktenverlusten ist auch der Weg relevanter Materialien in deutsche Archive teilweise dubios. So war ausgerechnet der ehemalige Chef des Kommandoamtes der Ordnungspolizei, General von Bomhard, in beratender Funktion bei der Zusammenstellung des Bestandes Hauptamt Ordnungspolizei im Bundesarchiv (BA R 19) zuständig. Auch für das Bataillon 61 bedeutsame Unterlagen soll er im Privatbesitz gehabt haben, wie der ehemalige BdO Posen in einem Verhör nahelegte. Vgl. Aussage Oskar Knofe vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 72). Unter den von Bomhard an das Bundesarchiv übergebenen Akten finden sich aber keinerlei Informationen zum Bataillon 61. Vgl. hierzu BA R 19 Nr. 282 und Nr. 283.

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Dies gilt auch für das Bataillon 61. Bei den zuständigen Dienststellen liegen derartige Unterlagen heute nicht mehr vor. Für Polizeieinheiten aus dem Raum Dortmund besteht jedoch mit der sogenannten Sammlung Primavesi seit 1998 teilweiser Ersatz. Alexander Primavesi, der selbst Polizist in Dortmund gewesen war und für den Aufbau eines Polizeiarchivs organisationsintern Zugang erhalten hatte, sicherte dort eine größere Menge an Personalunterlagen. Hinzu kamen weitere höchst relevante Dokumente, u. a. zum Bataillon 61. Die Nutzung dieser Materialien ist jedoch problematisch. So sind die Dokumente meist ohne Kennzeichnung ihren Originalprovenienzen entrissen worden. Die daneben enthaltenen Kopien aus diversen, nicht immer nachvollziehbaren Archiven sind stark unvollständig und enthalten keine Herkunftsangaben. So ist die Sammlung zwar mit den besten Absichten erstellt worden und ermöglicht es, einige Lücken der Überlieferung zu schließen. Allerdings sind die Unterlagen letztlich eklektisch zusammengestellt.107 Eine ähnliche Provenienz-Problematik findet sich auch bei den Kopien von Archivmaterialien, die sich bei den Ermittlungsunterlagen westdeutscher Staatsanwaltschaften befinden. Insbesondere im Fall der Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Mitglieder des Bataillons 61 finden sich oftmals zahlreiche wichtige Kopien zeitgenössischer Dokumente. Es handelt sich dabei meist um staatliches Schriftgut des NS-Regimes, wie etwa die erwähnten Personalunterlagen und staatliche Anordnungen. Insbesondere im Bestand zum Verfahren gegen den Warschauer Ghettokommissar, Auerswald, finden sich darüber hinaus zahlreiche Dokumente der Besatzungsverwaltung sowie Berichte des Warschauer Judenrates. Deren Dokumentation der Ghettoverhältnisse beurteilte der Erste Stabsoffizier (Ia) beim Warschauer KdO später korrekt als im besonderen Maße aussagekräftig und unvoreingenommen.108

107 Für die Untersuchung vieler anderer Polizeieinheiten besteht noch nicht einmal eine solche Sammlung, die Aufschluss geben könnte. In knapper Form zum thematisierten Bestand und seiner Überlieferungsgeschichte vgl. Wilfried Reininghaus, Der Bestand „Polizeipräsidium Dortmund, Sammlung Primavesi“ im Staatsarchiv Münster. Westfälische Forschungen, 48 (1998) 1, S. 623–626. Für den Primavesi-Bestand vgl. LAV, W, K 702a. Insbesondere zu Personalbögen und Personalakten ehemaliger Mitglieder des Bataillons 61 vgl. LAV NRW, W, K 702a Nr. 269 und Nr. 283. 108 Vgl. Aussage Richard von Coelln vom 8.7.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 178). Zum Auerswald-Prozess vgl. LAV NRW Q 234 Nr. 2260, Nr. 2263, Nr. 2271, Nr. 2275, Nr. 2282–2284 und Nr. 2297. Das gegen Auerswald bei der Staatsanwaltschaft Dortmund eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen der Beteiligung an den NS-Verbrechen im besetzten Polen wurde später mit dem Tod von Auerswald eingestellt. Nicht alle in den zugehörigen Akten befindlichen Unterlagen in Kopie lassen sich heute noch im Original in Osteuropa einsehen. Auf Nachfrage wurde dem Verfasser der vorliegenden Studie u. a. mitgeteilt, dass Archivalien zwischen Jüdischem Historischen Institut Warschau und staatlichen Archiven zirkuliert seien und es unklar sei, wo sie heute lagerten. In einigen Fällen lassen sie sich heute jedoch auffinden. Vgl. etwa die Monatsberichte des jüdischen Ordnungsdienstes in Warschau im Bestand APW 482 Nr. 18 sowie die Berichte über die Tätigkeit des Judenrates in Warschau im Bestand AŻIH 221 Nr. 2.

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Zahlreiche weitere Kopien archivalischer Unterlagen und teilweise auch aus ihrer Ursprungsprovenienz entrissenen Originale finden sich in den Beständen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Die für strafrechtliche Ermittlungen nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengestellten Unterlagen werden heute von der BStU verwahrt. Da die in Ostdeutschland zentral geführten Ermittlungen gegen NS-Polizisten nicht nur auf das eigene Hoheitsgebiet beschränkt waren, finden sich in den Unterlagen der Staatssicherheit Angaben, die auch für die Analyse des Dortmunder Bataillons 61 relevant sind. Neben Akten ostdeutscher Provenienz wurden durch die Ermittler der DDR Unterlagen „auf geheimdienstlichem Wege aus westlichen Archiven und Behörden beschafft“.109 Einen besonderen Wert besitzen die Bestände des ehemaligen MfS dadurch, dass deren Ermittler Zugriff auf osteuropäische Archive hatten und einen weitgehenden Austausch mit entsprechenden Ermittlungsbehörden und Archiven in anderen sozialistischen Staaten unterhielten.110 Dabei scheint die Suche des MfS nach Informationen über das Bataillon 61 auf einen Fehler zurückzuführen zu sein. Die ostdeutschen Ermittler waren besonders bemüht, ehemalige Mitglieder von Polizeibataillonen innerhalb der DDR festzusetzten. In einer Anfrage an sowjetische Ermittler lässt sich erkennen, dass man in Ostdeutschland davon ausging, dass das Berliner Polizeibataillon 6 das erste Bataillon des 9. Polizeiregiments gewesen war. Tatsächlich hatte jedoch das Bataillon 61 diese Funktion inne. Bedingt durch den Fehler bat das MfS in der Sowjetunion auch um Recherchen nach den Einsatzdokumenten der

109 Findbuch (LAV NRW, W, C 33), S. 3. Erstaunlich ist, dass das MfS auch in Nordamerika Unterlagen in Kopie erlangte, welche die DDR-Ermittler in der BRD nicht im Original einsehen konnten. Exemplarisch für Kopien aus dem US-National Records Archive vgl. BStU MfS HA IX 22265, Bl. 23. Die Unterlagen der BStU mit NS-Provenienz werden dort nur verwahrt, soweit sie noch nicht an das Bundesarchiv abgegeben wurden. Im Fall des Bataillons 61 wurden beispielsweise auch Unterlagen an das LAV Münster sowie an das in Potsdam gelegene Brandenburgische Landeshauptarchiv zurückgegeben, um die Zerstörung von Ursprungsprovenienzen aufzuheben. Obwohl für das MfS nicht belastend, vernichtete dieses 1989/90 teilweise Unterlagen mit NS-Provenienz. Exemplarisch für solche zerrissenen Dokumente vgl. BStU MfS HA IX/11 23914, Bl. 1–20. Die Akte scheint aber mehr zufällig als gezielt vernichtet worden zu sein. 110 Für die Recherchen des MfS zu Mitgliedern des Bataillons 61 in Osteuropa, beispielsweise in Riga und Vilnius, vgl. Liste der in Riga ausgewerteten Bestände vom 29.6.1988 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 12, Bl. 154–159); Liste der Angehörigen des Pol.-Rgt. 16, o. D. (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 12, Bl. 193–198). Die Archivalien basieren auf den Wehrstammkarten im Archiv in Vilnius. Exemplarisch für die so gewonnenen Erkenntnisse zu einem ehemaligen Offizier des Bataillons 61 vgl. Wehrstammkarte Werner Ackermann, o. D. (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 16, Bl. 22–24). Vor allem die Volksrepublik Polen und die Sowjetunion gaben Unterlagen an westdeutsche Ermittler teilweise nur sporadisch heraus oder verweigerten den Zugriff auf relevante Archive komplett. Auch das MfS erwog sehr genau, was an BRD-Ermittler weitergeleitet wurde, und entschied teilweise, Informationen nicht zu übergeben. Vgl. Information zur Anfrage Nr. 663/70 vom 27.8.1970 (BStU MfS HA IX/11 RHE 102/70, Bl. 94).

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Dortmunder Polizeieinheit in Form der „Kriegstagebücher“ des „I., II. und III. Bataillons des SS-Pol.Rgt. 9“.111 Zwar erhielten die Strafverfolger der DDR derartige Unterlagen nicht, jedoch machen die überreichten Unterlagen klar, dass auch die sowjetischen Ermittler nach einzelnen Akteuren des Bataillons 61 suchten. So finden sich mehrere Mitglieder auf einer Liste über nicht ergriffene Kriegsverbrecher, die man dem MfS übermittelte. Dessen spätere Anfragen waren dann auch dezidiert mit dem „Pol. Batl. 61 (I-9) bis Jan. [Januar] 1944“112 befasst. Man forderte die „Durchführung von Archivrecherchen zur Feststellung von Kriegstagebüchern mit dazugehörigen Anlagen sowie Tätigkeitsberichten und Ereignismeldungen“,113 wozu man auch die Unterstützung durch ostdeutsche Experten anbot. Anhand der zahlreichen Anfragen in der Sowjetunion, die auch das Bataillon 61 direkt oder indirekt zum Gegenstand hatten, wird deutlich, dass es neben den weitergegebenen Dokumenten keine anderen Archivalien mit Bezug zu der Dortmunder Polizeieinheit in heutigen russischen Archiven gibt. Kopien von Unterlagen aus polnischen Archiven, die Aussagen über die hier untersuchte Einheit zulassen, finden sich hingegen sehr viel seltener in den Unterlagen der Staatssicherheit. Dies liegt offenbar darin begründet, dass das MfS bemüht war, nicht doppelt zu bereits laufenden polnischen Verfahren zu ermitteln.114

111 Anlage 3 zur Anfrage der Hauptabteilung Untersuchung des MfS vom 1.12.1986 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 2, Bl. 411). Auch in anderen Anfragen war das Polizeiregiment mit Rotstift als besonders gesuchte Einheit markiert worden. Für die Verwechslung der Bataillone 61 und 6 vgl. Auskunft betr.: 9. Polizeiregiment (Schutz-Polizei-Ausbildungsbataillon) vom 15.2.1967(BStU MfS HA IX/11 AB 59, Bl. 1). 112 Schreiben des MfS an das Komitee für Staatssicherheit der UdSSR [Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken] z. H. [zu Händen] Unterabteilungsleiter Generalmajor Barkow vom 7.3.1988 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 12, Bl. 81). Für die Kriegsverbrecherliste vgl. Auswertung von Informationen bzgl. Nazi- und Kriegsverbrecher vom 26.3.1975 (BStU MfS HA IX/11 RHE 4/74 SU, Band 1a, Bl. 40–44). Für die russischsprachigen Ursprungslisten vgl. ebd. Bl. 6–39 sowie Bl. 54 f. Für die Unterlagen, die die Ermittler erhielten, vgl. BStU MfS HA IX/11 AB 217, Bl. 2–30. Hier finden sich Verweise auf die Kriegstagebücher diverser Einheiten, die im Partisanenkrieg im Norden Russlands eingesetzt wurden. Dabei wird nur das II./9. explizit erwähnt, jedoch nicht das Bataillon 61, das als I./9. eingesetzt wurde. Lediglich die Existenz des I./9. bis 1944 lässt sich nachweisen. Vgl. Neuaufteilung der Polizeikräfte im Raume Wilna-Land vom 18.5.1944 (BStU MfS HA XX 5398, Bl. 65). Nur das Kriegstagebuch des Polizeiregiments 16, in das die Reste des Polizeiregiments 9 nach dessen Zerschlagung durch die Rote Armee übergegangen waren, ist erhalten. Vgl. Kriegstagebuch Polizeiregiment 16 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 6, Bl. 2–128). 113 Schreiben des MfS an das Komitee für Staatssicherheit der UdSSR z. H. Unterabteilungsleiter Generalmajor Barkow vom 7.3.1988 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85, Band 12, Bl. 72.) 114 Aus diesen übernahm das MfS jedoch Ermittlungsergebnisse. Exemplarisch hierzu vgl. BStU MfS HA IX/11 ZM 884 A.10. Die Archivalie ist eine Kopie der polnischen Ermittlungen gegen das Bataillon 61. Für das Original vgl. AIPN BU 231/3 t. 14. Die Akte enthält nur in geringem Umfang Material aus der Kriegszeit und basiert vor allem auf Nachkriegsverhören polnischer Staatsbürger. Bei den Befragungen in Polen wurden Ermittler durchaus vor Ort durch Fachexperten des MfS unterstützt. Exemplarisch hierzu

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Anhand von in polnischen Archiven gelagerten Quellen mit Bezug zum Bataillon 61 zeigt sich, dass insbesondere die Bestände zu Dienststellen der Ordnungspolizei in Polen und Russland im Bundesarchiv teilweise lückenhaft sind. Eine besondere Bedeutung für die Analyse der Organisationskultur der Dortmunder Polizeieinheit nimmt dabei die im Posener Staatsarchiv befindliche Sammlung von Nawrocki ein. Dieser sammelte, ähnlich wie Alexander Primavesi, Unterlagen zum Einsatz der NS-Polizei insbesondere in den westpolnischen Gebieten. Jedoch ist die von Nawrocki angefertigte Sammlung, bedingt durch seinen Hintergrund als Archivar und Geschichtswissenschaftler, deutlich professioneller gestaltet. Innerhalb des Posener Staatsarchivs finden sich darüber hinaus zahlreiche weitere Akten mit direktem Bezug zu der Dortmunder Polizeieinheit, die in deutschen Archiven nicht vorhanden sind. Auch wenn in den polnischen Archiven ebenfalls kriegsbedingte Verluste bestehen, so sind die dortigen Archivalien doch unerlässlich zur Komplettierung der Informationen über das Bataillon 61.115 Innerhalb der polnischen Archivlandschaft nimmt das Jüdische Historische Institut Warschau eine besondere Rolle für die Erforschung der Geschichte des Bataillons 61 ein. Auch wenn die deutsche Forschung über die Dortmunder Polizeieinheit die Bestände des ŻIH bisher komplett ignorierte, so finden sich hier neben deutschen und polnischen Unterlagen aus der Okkupationszeit auch die Überreste des geheimen Warschauer Ghetto-Archivs. Zwischen 1940 und 1943 wurden unter Leitung von Emanuel Ringelblum diverse Texte und Zeugnisse, meist in polnischer oder jiddischer Sprache, über den Ghettoalltag aus der Perspektive der Insassen, gesammelt.116

vgl. Aussage Anna Kacprzak vom 11.7.1967 (BStU MfS HA IX 2536, Bl. 154). Generell sind die Unterlagen des MfS als sehr vollständig anzusehen, da es für sowjetische Ermittler keinen Grund gab, dem MfS Informationen vorzuenthalten. 115 Neben dem Staatsarchiv Posen (APP) gilt dies ebenso für das Staatsarchiv in Warschau (APW), für das Warschauer Archiv für neuere Akten (AAN) sowie für das Archiv des West-Institutes in Posen (IZP). Teilweise sind aber in Polen Unterlagen nicht mehr auffindbar, die dort noch in den 1960er-Jahren von deutschen Staatsanwälten und Archivaren kopiert worden sind. Hingegen für die teilweise lückenhaften Kopien in Deutschland vgl. etwa die Kopien aus dem Posener West-Institut in: BA R 75 Nr. 14; oder BA R 70 Polen Nr. 308, 385, 388, 401–404, 408, 409, 411 mit Kopien aus dem APP. 116 Zum Ringelblum-Archiv vgl. Kassow, Samuel: Ringelblums Vermächtnis. Das geheime Archiv des Warschauer Ghettos, Reinbek bei Hamburg 2010, sowie Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 659 f. Teilweise wurde das Quellenmaterial schwer beschädigt, als es, um es vor den deutschen Besatzern in Warschau zu verstecken, vergraben wurde. Als verloren gelten die Aufzeichnungen für die Zeit ab 1943, als das Bataillon 61 aber schon nicht mehr in Polen eingesetzt war. Der Lesbarkeit halber sind alle Zitate aus polnischen Quellen in der vorliegenden Studie ins Deutsche übersetzt worden. Seit einigen Jahren besteht ein groß angelegtes Editionsprojekt für die Unterlagen des Ringelblum-Archivs. Jedoch sehen sich die Bände der Edition von Experten durchaus einer gewissen Kritik ausgesetzt. Die Zitation der von Ringelblum gesammelten Unterlagen in der vorliegenden Studie erfolgt deshalb nach der aktuell gültigen Archivsignatur, wie sie sich auch im Findbuch des United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) findet. Die Archivalien sind dabei unterteilt in den Katalog zum ARG I und den Katalog zum ­ARG II. Die

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Diese Schriftstücke geben auch offen Auskunft über Handlungsmuster der als Wachen eingesetzten Ordnungspolizisten. Dabei bestehen in der Nutzung dieser Quellen bestimmte Herausforderungen. Oftmals sind etwa Informationen über das Verhalten der deutschen Besatzer nicht offensichtlich bestimmten Einheiten oder gar Einzelpersonen zuzuordnen. Teilweise sind Schilderungen auch schlicht verzerrt oder falsch. So hält ein Schriftstück etwa unzutreffender Weise fest, dass Feldpolizisten im Ghetto agiert hätten. Um einer solchen Fehldeutung in den Texten zu begegnen und Mitglieder der Ordnungspolizei bzw. Männer des Bataillons 61 zu identifizieren, sind bestimmte Merkmale heranzuziehen, die klarmachen, dass es sich bei beschriebenen Akteuren nicht um Männer des Sicherheitsdienstes (SD) oder der SS handelte.117 Eine Differenzierungsmöglichkeit liegt dabei in den Beschreibungen der Opfer bereits selbst verborgen. In einigen Fällen lässt sich etwa durch die Schilderung der Uniformfarbe oder die Position von Hoheitsabzeichen darauf schließen, dass es sich bei den beschriebenen Akteuren um deutsche Polizisten gehandelt haben muss. Auch die Erwähnung von Aufgaben, wie das Wache­stehen von Akteuren an den Ghettogrenzen oder Einlasskontrollen, machen klar, dass sich ein Text mit Ordnungspolizisten befasst, da nur diese auf deutscher Seite solche Aufgaben versahen. In vielen Texten lassen sich Ordnungspolizisten darüber hinaus dadurch erkennen, dass sie im Polnischen, terminologisch nicht ganz korrekt, als „Zandarm“ also als Gendarmen beschrieben werden. Damit sind offensichtlich uniformierte Schutzpolizisten, wie die Männer des Bataillons 61, gemeint. Mitglieder der tatsächlichen Gendarmerie versahen keinen Dienst am Ghetto.118 Der wichtigste Aspekt, der eine Zuordnung von Handlungen direkt zum Bataillon 61 ermöglicht, ist jedoch die Datierung der jeweiligen Schriftstücke. Bereits während der Entstehung des Untergrundarchivs wurden Berichte durch Mitarbeiter von Ringelblum und teilweise sogar durch die Autoren selbst mit einer Datierung versehen. Andere Texte ließen sich nachträglich mehr oder weniger datieren, etwa durch Angaben zum Autor oder durch den Inhalt des jeweiligen Dokuments. In Kombination mit anderen Unterlagen, die das Bataillon 61 als einzige deutsche Wachmannschaft am Ghetto in einem bestimmten

alten Originalsignaturen von Ringelblum sowie auch die des USHMM können über das publizierte Findbuch erschlossen werden. Für dieses vgl. Robert M. Shapiro/Tadeusz Epsztein, The Warsaw Ghetto Oyneg Shabes-Ringelblum Archive. Catalog and guide, Bloomington (Indiana) 2009. 117 Für die fälschliche Zuordnung der Feldpolizei als Ghettowachen vgl. Notizen über den Schmuggel im Warschauer Ghetto vom13.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 639, Bl. 3). Sofern es nicht anders angegeben wird, handelt es sich bei den Archivalien des RingelblumArchivs um Schriftstücke, die anonym verfasst wurden oder deren Autor sich nicht mehr feststellen lässt. Entsprechend wird im Folgenden der Einfachheit halber auf einen gesonderten Vermerk verzichtet. 118 Die zutreffendere polnische Bezeichnung für die Ghettowachen wäre „Policjant“ nicht „Zandarm“.

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Zeitraum ausweisen, lassen sich Handlungen konkret den Mitgliedern der Dortmunder Polizeieinheit zuordnen. Unter Beachtung dieser Aspekte erscheinen die deutschen Akteure in der Beschreibung durch die Insassen des Warschauer Ghettos folglich weit weniger amorph, als dies die bisherige Forschung angenommen hat. Vielmehr erlaubt es die Opferperspektive, wenn man die aus ihr beschriebenen Sachverhalte dekonstruiert, die etablierten und routinemäßig ablaufenden Verhaltensweisen der Polizisten des Bataillons 61 genauer zu untersuchen. Richtig ist dabei sicher, dass die Ghettoinsassen logischerweise nur begrenzte Einsicht in organisationsinterne Prozesse der wachhabenden Polizeieinheit hatten. Über andere Aspekte, bei denen sie in direktem Kontakt mit ihren Bewachern kamen, waren die Insassen hingegen detailliert informiert. Hierunter fällt die ansonsten aus deutschen Quellen kaum rekonstruierbare, aber offensichtlich massive Verwicklung der Dortmunder Polizisten in den umfangreichen Schmuggel und Schwarzhandel in und am Warschauer Ghetto. Gleiches gilt auch für die Kooperation zwischen deutschen und polnischen Polizisten sowie dem jüdischen Ordnungsdienst, insbesondere wenn Gewalt gegen die Ghettoinsassen ausgeübt wurde. Innerhalb der Berichte des Ringelblum-Archivs werden dabei besonders jene gewalttätigen Handlungsmuster hervorgehoben, die selbst für die angespannte und aufgeladene Situation im Ghetto ungewöhnlich waren. Dies ist insofern von besonderer Relevanz für die vorliegende Studie, da die Texte Taten schildern, die von deutscher Seite schon zu Kriegszeiten tabuisiert waren. Die Schilderung exzessiver Gewalt gegen Frauen und Kinder oder von Sexualdelikten hätte allen gängigen „Sagbarkeitsregeln“119 widersprochen. Somit ist man in der Untersuchung solcher Teilaspekte im Verhalten der Dortmunder Polizisten an die Perspektive der Opfer gebunden. Erst durch ihre Verflechtung mit deutschen Unterlagen aus der Kriegszeit lässt sich so insbesondere die Einsatzphase des Bataillons 61 in Warschau zuverlässiger analysieren.120 Nicht nur in Archiven, sondern auch in zahlreichen Sammlungen haben sich wichtige Druckschriften für die Analyse des Bataillons 61 erhalten. Zahlreiche Ausbildungsvorschriften sowie Ratgeber für die verschiedenen Dienste innerhalb der deutschen Polizei machen deutlich, welche Organisationskultur die Führung zu schaffen beabsichtigte und wie sie so auch einen Einfluss auf die tatsächliche „group culture“121 vor Ort besaß. Obwohl die Texte in formaler

119 Annette Weinke, Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. Transnationale Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert, Göttingen 2016, S. 10. Grundlegend zum Prinzip der Sagbarkeit vgl. Willibald Steinmetz, Das Sagbare und das Machbare. Zum Wandel politischer Handlungsspielräume. England 1780–1867, Stuttgart 1993, S. 19. 120 Für diesen Zugang vgl. Issinger, Frankenstein, S. 188–193. 121 Ders., Options, S. 4. Große Druckschriftenbestände befinden sich etwa in der Villa ten Hompel in Münster, der polizeihistorischen Sammlung der Deutschen Hochschule der Polizei in Hiltrup, in der historischen Sammlung des Berliner Polizeipräsidenten, den Druckschriftenbeständen des Bundesarchivs, der Staatsbibliothek Berlin und in der Bibliothek der Topografie des Terrors in Berlin.

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Perspektive verfasst sind, stoßen sie teilweise auch deutlich in den Bereich vor, wie Handlungsspielräume von Ordnungspolizisten informell gestaltet und genutzt werden sollten. Neben solchen Quellen sind insbesondere auch die an Mitglieder der Polizei gerichteten Propagandaschriften relevant. Zwar heroisieren sie das in ihnen beschriebene Verhalten stark und beschönigen insbesondere Gewaltausbrüche mit einer codierten Sprache, doch beleuchten die Texte so auch nach Durchbrechen der Codierung wichtige Aspekte des alltäglichen Polizeidienstes in Osteuropa. Dies ist jedoch nur über den Abgleich mit weiteren Quellen möglich, durch die sich die anonymisierten Berichte, etwa in der Zeitschrift „Die Deutsche Polizei“, dem Bataillon 61 zuordnen lassen. So findet sich hierin ein Bericht über den Einsatz der 3. Kompanie zur „Säuberung“ der Umgebung der polnischen Ortschaft Punitz von „Banditen“, ohne dass die Polizeieinheit namentlich erwähnt wird. In ähnlicher Form äußerte sich auch in der gleichen Zeitschrift einer der dem Bataillon 61 zugeordneten Verwaltungsbeamten über die Verhältnisse im Warschauer Ghetto sowie über die Einstellung der Einheitsmitglieder zur Ghettobevölkerung. Unterstützt wurden die jeweiligen Berichte dabei durch abgedruckte Lichtbildaufnahmen.122 Weitere Fotografien, die Tätigkeiten des Bataillons 61 dokumentieren, existieren heute nur noch im begrenzten Maße. Sie wurden systematisch schon während des Krieges vernichtet, da sie „vielfach eine beredete Sprache sprachen“.123 Fotobestände kleineren Umfangs finden sich dennoch u. a. in den Ermittlungsunterlagen von Staatsanwaltschaften sowie in Archiven und Sammlungen. An den dort aufbewahrten Aufnahmen lassen sich z. B. Rituale und Gruppenbildungsprozesse der untersuchten Polizeieinheit ebenso wie deren Alltag genauer nachvollziehen.124 122 Für den Aufsatz des Verwaltungsbeamten vgl. Petersen, Die Arbeit der Verwaltung eines Polizeibataillons in Polen. In: Die Deutsche Polizei, 8 (1940) 2, S. 23 f. Für die Schilderung des Einsatzes in Punitz vgl. o. V., Aus dem Kriegstagebuch einer Kompanie in Polen. In: Die Deutsche Polizei, 7 (1939) 23, S. 728–730. Ort, Datum und die im Text geschilderten Einsatzumstände machen klar, dass eine Teileinheit des Bataillons 61 beschrieben wird. 123 Schreiben des Chefs des Kommandoamtes Adolf von Bomhard an Klofanda, hier zit. nach Kühl, Ganz normale Organisationen, S. 335. Vgl. auch Christoph Spieker, Polizeibilder unter SS-Runen. Die Film- und Bildstelle der Ordnungspolizei. In: Sabine Mecking/Stefan Schröder/Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Kontrapunkt. Vergangenheitsdiskurse und Gegenwartsverständnis. Festschrift für Wolfgang Jacobmeyer zum 65. Geburtstag, Essen 2005, S. 83–98. Für die Anordnung, im Bataillon 61 unentwickelte Fotografien zu zerstören, vgl. Aussage Hans Delisch vom 27.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5805). Für die dennoch angefertigten Fotografien vgl. Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 137). Für das private Fotoalbum eines Kompanieangehörigen vgl. Fotoalbum eines Angehörigen des Polizeibataillons 61 (VtH Dep. Nr. 40 Privatbesitz). Zur Verwendung von Fotografien als Quellen zur Erforschung von Polizeibataillonen, mit jeweils weiterführender Literatur, vgl. Kühl, Ganz normale Organisationen, S. 343 f.; Judith Levin/Daniel Uziel, Ordinary Men, Extraordinary Photos. In: Yad Vashem Studies, 26 (1998) 1, S. 265–293. 124 Einige solcher Fotografien des Bataillons 61 finden sich heute in den Akten LAV NRW, W, K 702a Nr. 286–292. Bei den Fotografien polnischer Herkunft handelt es sich meist

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Quellen nach 1945

Trotz der Verluste an zeitgenössischen Überlieferungen erzeugen die aus der Zeit bis zum Kriegsende stammenden Materialien ein zwar fragmentarisches, aber dennoch aufschlussreiches Bild des Bataillons 61 und seiner Akteure. Erst in der Zusammenschau mit Quellen, die in der Nachkriegszeit entstanden, lässt sich die Einheit jedoch genauer analysieren. Bereits in den späten 1940erund frühen 1950er-Jahren entstanden infolge der sogenannten Entnazifizierung Unterlagen, die auch als Quellen zur Untersuchung des Bataillons 61 eingesetzt werden können. Seit den 1990er-Jahren hat die Geschichtsforschung erfolgreich diesen Quellentyp zu nutzen begonnen. Warum sich die bisherige Forschung zu der Dortmunder Polizeieinheit nicht wirklich mit den Entnazifizierungsunterlagen ehemaliger Bataillonsmitglieder befasst hat, erschließt sich somit nicht direkt.125 Sicher ist es richtig, dass die eigentlichen Aussagen in Entnazifizierungs­ unterlagen nur unter äußerster Vorsicht zu nutzen sind. Meist interpretiert man sie besser als Teil einer konstruierten Legende denn als Wiedergabe der Vergangenheit. Die Dokumente über Mitglieder des Bataillons 61 sind dennoch als wichtige und aussagekräftige Quellengattung zur Analyse der Einheit anzusehen. Logischerweise erschließen sie in keiner Weise gewalttätige Handlungen

um versteckt angefertigte Fotografien von Exekutionen und anderen Gewalthandlungen. Für die Erwähnung solcher Fotografien vgl. Aussage Zdzislaw-Józef Kantorski vom 22.4.1970 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 25). Teilweise sind bei den deutschen Staatsanwaltschaften wichtige Fotografien verloren gegangen, so etwa in StAHH 213-12-72 Nr. 33. Dem Verfasser der vorliegenden Studie wurde durch das Staatsarchiv Hamburg mitgeteilt, solche Verluste seien relativ häufig vorgekommen, was erklärt, warum immer wieder Fotografien, die in Vernehmungen erwähnt sind, in den heutigen Aktenbeständen nicht mehr vorliegen. Im Fall des Bataillons 61 wurden etwa durch ehemalige Einheitsmitglieder bei verschiedenen Staatsanwaltschaften Bilder abgegeben, die heute nicht mehr auffindbar sind. Vgl. Brief von Anton Sippel vom 28.2.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.); Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 105r). Beide Male wird auf einen Polizeirat Meisner verwiesen, der die Fotografien erhalten haben soll. Gewinnbringend wäre sicher auch eine Einbindung von Feldpostbriefen in die vorliegende Untersuchung. Für das Bataillon 61 konnten entsprechende Schriftstücke jedoch nicht aufgefunden werden. Es ist zu vermuten, dass spätestens im Zuge der umfangreichen Prozesse gegen die Einheit derartige Schriftstücke durch die Familien der Beschuldigten entsorgt wurden. Zur Nutzbarkeit von Feldpost als Quelle zur Erforschung der NS-Geschichte vgl. grundlegend Klaus Latzel, Feldpostbriefe. Überlegungen zur Aussagekraft einer Quelle. In: Hartmann/Hürter/Jureit (Hg.), Verbrechen der Wehrmacht, S. 171–181. 125 Eine Ausnahme ist Hauptmann Nord, dessen Entnazifizierung knapp erwähnt wird in Hölzl, Walter Nord, S. 171. Für die Nutzung des Quellentypus vgl. Jürgen Finger/ Sven Keller/Andreas Wirsching, Einleitung. In: dies. (Hg.), Vom Recht zur Geschichte. Akten aus NS-Prozessen als Quellen der Zeitgeschichte, Göttingen 2009, S. 9–26, hier 19. Dort ist auch erwähnt, dass für den Quellentypus bisher kaum methodische Überlegungen bestehen. Für weitere Forschungsliteratur zu Entnazifizierungsakten vgl. ebd., S. 24.

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der Ordnungspolizisten in Osteuropa in direkter Form. Niemand belastete sich vor den zuständigen Kommissionen selbst. Schließlich entstand der größte Teil der Entnazifizierungsunterlagen deshalb, weil Personen sich um eine Einstellung oder den Verbleib im öffentlichen Dienst bzw. im Beamtenstatus bemühten. Dies galt insbesondere für die zahlreichen Mitglieder der hier untersuchten Einheit, die nach dem Krieg häufig noch, oder bereits wieder, im Polizeidienst standen. Die Akten ermöglichen aber eine genauere statistische Einschätzung des Personalbestandes der Polizeieinheit, als dies allein durch die NSDAP- und SS-Karteien im Bundesarchiv möglich wäre, da viele Männer nicht in diesen Organisationen Mitglied waren. Folglich erweitern Entnazifizierungsunterlagen die Genauigkeit der Statistik beispielsweise in Hinblick auf Konfession, Alter, Bildungsstand, Karriereweg, Familienhintergrund sowie Geburts- und Wohnort der Bataillonsmitglieder. Hierdurch federn die Unterlagen bis zu einem gewissen Maße das Problem fehlender Personalakten ab. Darüber hinaus gibt das Quellenmaterial insbesondere Auskunft über Tätigkeiten und Mitgliedschaften, die den Männern als offenbar unbelastet erschienen. So zeigen die Akten etwa eine relativ hohe Mitgliedschaftsrate in der für die NS-Polizei durchaus karriererelevanten Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), was sich ansonsten kaum schlüssig nachweisen lässt. In ebenfalls offener Form wurde meist die Mitgliedschaft in und der Einsatz mit militärisch strukturierten Polizeiverbänden thematisiert.126 Erwähnt werden dabei auch Auszeichnungen und Ehrenzeichen unter Angabe der Handlungen, für die sie verliehen wurden. Darunter sind oftmals auch Orden wie etwa das Bandenkampfabzeichen angegeben, die nach heutigen Maßstäben klar genozidale Praktiken belohnten. Ihre freiwillige Auflistung vor der Kommission macht zum einen das Fortbestehen militärischer Ideale über das Kriegsende hinaus offensichtlich. Zum anderen zeigt sich in den Äußerungen der Männer ein noch immer vorhandener vehementer Antibolschewismus als Teil einer positiv interpretierten Leistungsfähigkeit. Darüber hinaus offenbart das gegenseitige Auftreten von Entlastungs- und Leumundszeugen, wie die Ressource Vertrauen über das Bestehen von NS-Regime und Polizeieinheit hinaus Persistenz innerhalb von Subgruppen des Bataillons 61 besaß. Gegen Mitglieder der Einheit wurde außerdem verhältnismäßig ausführlich im Zuge von Strafverfahren ermittelt. Zwar wurden durch die Ermittlungsergebnisse keine Gerichtsurteile erreicht, jedoch zahlreiche Aspekte des Einsatzes des Bataillons 61 aufgearbeitet. Generell kann man die Ermittlungsakten also „als sehr aussagekräftig“127 für die Analyse der Organisationskultur der Dort-

126 In einigen Fällen wurde die Mitgliedschaft im Bataillon 61 jedoch verschwiegen. Über die Gründe lässt sich nur mutmaßen. Erst durch weitere Archivalien konnten folglich die entsprechenden Entnazifizierungsakten dieser Personen identifiziert werden. 127 Klemp, „Nicht ermittelt“, S. 18.

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munder Polizeieinheit ansehen. Die Unterlagen stellen die quantitativ wichtigste Quellengruppe der vorliegenden Studie dar. Für eine multiperspektivische Analyse ist dabei eine solide Diskussion der geschichtswissenschaftlichen Nutzbarkeit der zur Verfügung stehenden juristischen Unterlagen unverzichtbar. Ohne ein solches Vorgehen kann man nur zu verzerrten Ergebnissen über die Organisationskultur des Bataillons 61 sowie der Handlungen seiner Mitglieder kommen.128 Zunächst ist es korrekt, dass insbesondere westdeutsche Ermittlungsverfahren gegen Polizeibataillone meist „wenig engagiert und erfolglos“129 geführt wurden. Im Fall des Bataillons 61 erkannten die Ermittler dies sogar selbst, wenn sie in Anbetracht im Sande verlaufender Ermittlungen zukünftige Verhöre als wenig aussichtsreich einschätzten. Die Ermittler fassten zusammen, ein weiteres Vorgehen stünde „aus fachlicher Sicht betrachtet, unter einem unglücklichen Stern“.130 Insbesondere Klemp hat durchaus zu Recht das seines Erachtens skandalöse Versagen der Dortmunder und Münsteraner Staatsanwaltschaften bei den Ermittlungen gegen das Bataillon 61 hervorgehoben. Fruchtbarer für die vorliegende Studie über Organisationskultur und Gewaltdynamiken der Polizeieinheit scheint es jedoch zu hinterfragen, welchen Erkenntnisgewinn die Ermittlungsmaterialien als historische Quellen bieten können. Wie Curilla für seine Studie über die Beteiligung der Polizei am Holocaust in Weißrussland

128 Allgemein zu Gerichts- und Ermittlungsunterlagen als Quellen der Geschichtswissenschaft vgl. Jürgen Finger, Zeithistorische Quellenkunde von Strafprozessakten. In: ders./Keller/Wirsching (Hg.), Vom Recht zur Geschichte, S. 97–113. Es gilt jedoch zu beachten, dass jedes Ermittlungsverfahren eine hohe Spezifität aufweist, sodass allgemeine Studien nur bedingt zur Einschätzung der Ermittlungen gegen das Bataillon 61 beitragen können. 129 Klemp, „Nicht ermittelt“, S. 18. In der BRD wurden kaum, in Österreich überhaupt keine Verurteilungen erreicht. In der DDR und Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) hingegen kam es zu zahlreichen Verurteilungen. Zu Ermittlungen in der westlichen Besatzungszone vgl. Edith Raim, Der Wiederaufbau der Justiz in Westdeutschland und die Ahndung von NS-Verbrechen in der Besatzungszeit 1945–1949. In: Finger/Keller/ Wirsching (Hg.) Vom Recht zur Geschichte, S. 52–62. Im gleichen Band vgl. zu Ermittlungen in Österreich Claudia Kuretsidis-Haider, Die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen durch die österreichische Justiz, S. 74–83; zu Ermittlungen in der DDR und SBZ Annette Weinke, Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Diskussion und Perspektiven, S. 63–73. Die zurzeit vollständigste Auswertung, was für deutsche Prozesse in Hinsicht auf NS-Polizeibataillone wann und wo geführt wurden, bietet Klemp, „Nicht ermittelt“. Osteuropäische Ermittlungsverfahren bleiben dort jedoch ausgeblendet. Die Belangung von Straftätern wurde auch durch die Regelung erschwert, dass deutsche Gerichte Fälle, die rechtskräftig von alliierten Tribunalen erledigt waren, nicht wieder aufgreifen durften. In der Praxis der Rechtsprechung gegen NS-Gewalttäter in der Bundesrepublik hatte dies oft zur Folge, dass in der Besatzungszeit verurteilte und dann amnestierte Täter als Zeugen auftraten und nicht mehr belangt werden konnten. Dies galt selbst, wenn neues Beweismaterial auftauchte, das Zeugen viel stärker belastete als die eigentlichen Angeklagten. 130 Bericht der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 27.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 16).

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festgestellt hat, gilt auch für die vorliegende Studie: „Es handelt sich […] nicht um eine juristische Arbeit, sodass nicht jeweils die Frage erörtert wird, ob die Ergebnisse, etwa Freisprüche oder Einstellungen zu Recht erfolgten.“131 Vielmehr muss zunächst geklärt werden, welche relevanten Unterlagen bestehen, um dann in einem zweiten Schritt deren analytische Aussagekraft zu erörtern. Das erste Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder eines Reserve-Polizeibataillons in Nordrhein-Westfalen und der Bundesrepublik überhaupt wurde durch die Staatsanwaltschaft Dortmund, nach entsprechenden Vorermittlungen, mit Verhören von ehemaligen Mitgliedern des Bataillons 61 im Frühjahr 1952 begonnen. Die Ermittlungen konzentrierten sich auf Tötungshandlungen und Beihilfe zum Mord im Warschauer Ghetto 1942. Im Fokus der Aufmerksamkeit standen dabei besonders die Mitglieder der scheinbar besonders häufig in Verbrechen involvierten 1. Kompanie. Als Zeugen wurden ausschließlich ehemalige Mitglieder der deutschen Besatzungskräfte gehört. Offiziell ging man davon aus, dass man sich von Aussagen von Personen, „die zur Tatzeit Insassen des Warschauer Ghettos gewesen sind“,132 aus verschiedenen Gründen „keinen Erfolg versprechen“ dürfe. Schwerer wog aber wohl, dass ein Anhören dieser Personen politisch nicht opportun schien. Man sah in möglichen Opferberichten die Gefahr, dass durch diese die „Öffentlichkeit auf die lange zurückliegenden Vorgänge in Warschau in einer Weise aufmerksam gemacht werde, die den Erfolg nicht zu rechtfertigen vermöge“.133 Das spätere Hauptverfahren endete symptomatisch für die weiteren Bemühungen der westdeutschen Justiz. Alle 20 Angeklagten wurden 1954 freigesprochen. Von herausragender Bedeutung insbesondere für nachfolgende Strafverfahren war, dass in diesem Prozess quasi der Mythos vom Befehlsnotstand für Polizisten durch die Vernommenen aufgestellt und durch die Ermittlungspersonen bis hin zu den Richtern akzeptiert wurde. Dies geschah, obwohl man innerhalb der Staatsanwaltschaft mehrere Männer bereits „als überführt anzusehen“134 glaubte. Die Praxis, sich auf einen nicht näher beschriebenen 131 Curilla, Ordnungspolizei, S. 18. 132 Bericht OStA [Oberstaatsanwalt] Brey an den Innenminister NRW vom 18.7.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1490, Bl. 17). Die genannten Daten beziehen sich jeweils auf die ersten Verhöre. Sicherlich wurde jedoch schon zuvor mit Vorermittlungen etc. begonnen. 133 Ebd., Bl. 18. 134 Aktennotiz der StA Do [Staatsanwaltschaft Dortmund], o. D. (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1492, Bl. 194r). Für die Einstellung vgl. Antrag der Staatsanwaltschaft auf Freispruch aus Mangel an Beweisen vom 29.3.1954 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1488, Bl. 163r); Urteil und Urteilsbegründung Strafsache gegen Brunst u. a. [und andere] 10 Ks 1/53 vom 31.3.1954 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1491, Bl. 154r). Klemp geht davon aus, dass in den Verfahren gegen das Bataillon 61 quasi der Befehlsnotstand erfunden wurde. Vgl. Klemp, „Nicht ermittelt“, S. 18. Zur Definition des Befehlsnotstands vgl. BGH 1 StR 791/51 vom 14. Oktober 1952; BGH StR 760/52 vom 28. Mai 1953. Vgl. auch die Ausführungen in: Bericht OStA Brey an den Innenminister NRW 15.8.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1490, Bl. 34 f.). Zur Festigung des Befehlsnotstandsmythos im öffentlichen Bewusstsein vgl. Bericht Adolf von Bomhards betr.: Höherer Befehl und Zwangslage, o. D. [vermutlich 1961] (BA R 19 Nr. 281, Bl. 101–111).

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„Notstand berufen“135 zu können, wurde vom zuständigen Generalstaatsanwalt zwar moniert, aber nicht unterbunden. Geradezu ritualisiert hängten die Vernommenen die Floskel vom Zwang zur Partizipation an Gewalt an ihre Aussagen an.136 Ab Ende 1959 ermittelte die Staatsanwaltschaft Münster gegen zahlreiche Mitglieder des Bataillons 61. Man befasste sich mit Erschießungen und Deportationen, die die Einheit in den Jahren 1939 und 1940 im westlichen Polen ausgeführt hatte. Hierbei wurde auch auf Verhöre der „polnischen Hauptkommission für die Erforschung von Hitler-Verbrechen in Polen“137 zurückgegriffen. Diese befasste sich primär anhand von Aussagen der lokalen Bevölkerung mit den Handlungen der Polizeieinheit. Die Auswahl der polnischen Ermittlungsmaterialien durch die deutschen Strafverfolger war dabei zwar selektiv, aber erstmals wurde für Ermittlungen gegen die Dortmunder Polizeieinheit auf Aussagen aus der Opferperspektive zurückgegriffen. Dennoch endete das Ermittlungsverfahren mit einer Einstellung, da sich die Staatsanwälte nicht im Stande sahen, den Beschuldigten strafbare Handlungen, die nicht vermeintlich durch Gesetze oder einen übergesetzlichen Notstand gedeckt waren, nachzuweisen.138 Ebenfalls unter Hinzuziehung polnischer Ermittlungsunterlagen untersuchte die 1960 eingerichtete Schwerpunktstaatsanwaltschaft Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen die Handlungen des Bataillons 61. Insbesondere befasste man sich mit

135 Schreiben des Rechtsanwalts Hallenbach an das Landgericht Dortmund vom 24.11.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1488, Bl. 121). 136 Vgl. exemplarisch Aussage Heinrich Weber vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 93r). Zum Befehlsnotstand sowie zur Kritik an diesem vgl. Generalstaatsanwalt Hamm Dr. Kesseböhmer an OStA [Oberstaatsanwaltschaft] Dortmund vom 12.2.1955 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1490, Bl. 90r). Dort wird klar ausgeführt, dass ein Befehlsnotstand „für die hier in Betracht kommende Zeit – Sommer 1942 – nicht schlechthin angenommen werden“ könne. Zugleich sah Kesseböhmer aber eine Revision als aussichtslos an. Vgl. ebd., Bl. 90. 137 Im Polnischen: Główna Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce. 138 Bei den Akten der Staatsanwaltschaft Münster ist nicht immer klar erkennbar, wo die erste Verwendung einer Aussage stattfand bzw. welche Akte originale Aussagen und welche Kopien enthält. Beispielsweise in der Akte zur Ermittlungssache gegen Erich Mockler wegen Tötung bzw. Beihilfe (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 210), die dezidiert gegen Mockler gerichtet ist, fehlt ausgerechnet dessen Aussage komplett und ist auch sonst in den übrigen Unterlagen nicht auffindbar. Gleiches gilt beispielsweise für die fehlende Aussage von Wenzel in der Ermittlungssache gegen Heinrich Wenzel wegen Tötung bzw. Beihilfe (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 207). Die eigentliche Aussage findet sich erst bei Heinrich Wenzel vom 11.4.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 944, unpag.). Deswegen bezieht sich die vorliegende Arbeit im Fall der Münsteraner Ermittlungen immer auf die jeweiligen Aussagen aus der Akte mit der niedrigsten Ordnungsnummer. Eine Ausnahme wurde dort gemacht, wo Aussagen an anderer Stelle paginiert vorliegen und so für den Leser leichter nachvollziehbar sind.

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einem Mitglied der 2. Kompanie und den ihm zur Last gelegten Tötungshandlungen in Posen und Warschau während des Krieges. Den Anstoß hierzu hatte ein Brief des Ex-Stiefvaters des Hauptverdächtigen gegeben, in dem dieser als „Massenmörder“139 beschuldigt wurde. Das Schreiben war bereits im Oktober 1959, also gut ein Jahr vor Gründung der Zentralstelle Dortmund, an den dortigen Oberstaatsanwalt versandt worden. Wie in den vorherigen Verfahren erfolgte ein Großteil der Aussagen, auf die sich die Ermittlungen stützten, durch ehemalige Mitglieder der Polizeieinheit. Das Ermittlungsverfahren wurde in der Folge nicht nur eingestellt, sondern endete mit einem Verfahren gegen den Ex-Schwiegervater wegen angeblich falscher Beschuldigungen. Nahezu zeitgleich begannen die ersten Verhöre der Staatsanwaltschaft Hamburg im Verfahren gegen den ehemaligen Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (KdS) Warschau. Zwar bezog sich dieses Verfahren nicht direkt auf das Bataillon 61, doch berührte ein zu behandelnder Tatkomplex das Warschauer Ghetto insbesondere im Jahr 1942. Ab 1960 befragten Ermittler zum einen ehemalige höhere Funktionsträger und Wachen über die Verhältnisse im Warschauer Ghetto. Hierunter war etwa der Ex-KdO Warschau, dem das Bataillon 61 administrativ unterstanden hatte. Zum anderen wurden für das Ermittlungsverfahren und den späteren Prozess im großen Maße auch Zeugen aus der Gruppe der Opfer des Besatzungsregimes befragt. In Kooperation u. a. mit polnischen, französischen und israelischen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften sowie unter der Mitwirkung deutscher Konsulatsbeamter etwa in Australien und Lateinamerika konnten zahlreiche Informationen, die auch Aufschluss über Handlungen und Akteure des Bataillons 61 geben, gewonnen werden.140

139 Brief von Emil Kosburg an die Staatsanwaltschaft vom 22.10.1959 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 1). Allgemein für die Staatsanwaltschaft Zentralstelle Dortmund vgl. Katrin Stoll, Die Herstellung der Wahrheit. Strafverfahren gegen ehemalige Angehörige der Sicherheitspolizei für den Bezirk Bialystok, Berlin 2012, S. 8, Anm. 23. 140 Der an den Verfasser der vorliegenden Studie herangetragene Vorschlag, auch die Archivalien des Bundesarchivs in Ludwigsburg mit einzubeziehen, ist für die Analyse des Bataillons 61 wenig aussichtsreich. Dort finden sich lediglich Kopien der Ermittlungsverfahren der Dortmunder, Münsteraner und Hamburger Ermittler. Auf dieses Problem macht bereits Klemp, „Nicht ermittelt“, S. 22, konkret aufmerksam. Relevant an den Ludwigsburger Beständen ist jedoch, dass in diesen auch die Anfragen ausländischer Ermittlungsbehörden aufbewahrt werden. Beispielsweise für die Kopie eines polnischen Beschwerdeschreibens über mangelnde Kooperation deutscher Ermittler vgl. Schreiben der polnischen Ermittlungsbehörde 26.2.1973 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 127, Bl. 70). Für das erwähnte Verfahren gegen den ehemaligen Chef der Warschauer Sicherheitspolizei vgl. Jacek A. Młynarczyk, Vom Massenmörder zum Lebensversicherer. Dr. Ludwig Hahn und die Mühlen der deutschen Justiz. In: Andrej Angrick/Klaus-Michael Mallmann (Hg.), Die Gestapo nach 1945. Karrieren, Konflikte, Konstruktionen. Wolfgang Scheffler zum Gedenken, Darmstadt 2009, S. 136–150. Neben den Unterlagen im Hamburger Staatsarchiv bestehen Teilkopien von diesen Ermittlungsunterlagen in den Archiven von Yad Vashem.

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Neben den Überlieferungen deutscher Ermittlungsverfahren nutzt die vorliegende Studie auch jenes schon erwähnte und in Auszügen auch von deutschen Strafverfolgern rezipierte juristische Quellenmaterial polnischer Provenienz. Diese Unterlagen sind heute in den elf Archiven des „Instytut Pamięci Narodowej“141 (IPN) zusammengeführt. Infolge der Ermittlungen der ehemaligen polnischen Hauptkommission für die Erforschung von Hitler-Verbrechen gegen Angehörige des Bataillons 61 entstanden überwiegend Zeugenaussagen von Bewohnern jener Regionen und Städte, die während des Zweiten Weltkrieges in Kontakt mit der Polizeieinheit kamen. Dabei konzentrierten sich die polnischen Ermittler im besonderen Maße auf die Handlungen der Polizeieinheit 1939/40. Dies lässt sich auf zwei Gründe zurückführen. Zum einen wegen des Berichts des deutschen Ermittlers Friedrich Kehler über das Bataillon 61, der über die britische Besatzungsbehörde an die zuständige polnische Stelle weitergereicht wurde. Da der Bericht, in dessen Folge man auch in Polen Ermittlungen gegen die Dortmunder Polizisten anstellte, nahezu nur auf den genannten Zeitraum konzentriert war, blieben auch die daran anknüpfenden Ermittlungen auf die geschilderten Sachverhalte ausgerichtet.142 Zum anderen bestand in Polen nur ein äußerst geringes Interesse daran, Tathergänge aufzudecken, bei denen Polen mit den deutschen Besatzern kollaboriert hatten. Insbesondere während des Einsatzes der Dortmunder Polizei­ einheit am Warschauer Ghetto hatte diese intensiv mit der polnischen Polizei kooperiert, wobei diese selbst massiv in Verbrechen involviert war. Entsprechend waren polnische Ermittlungen hierzu politisch unerwünscht.143

141 In deutscher Übersetzung: Institut für Nationales Gedenken. Es unterteilt sich in elf Einzelstandorte sowie sieben weitere Büros. 142 Vgl. Bericht des Polizei Oberleutnants Kehler, Dortmund, Gegenstand: Polizeibataillon 61 vom 29.11.1945 (AIPN GK 184 Nr. 397, Bl. 7–10); Zusammenfassung des Berichts des Polizei Oberleutnants Kehler über den Kriegseinsatz des Polizeibataillons 61 im Krieg 1939–1945 durch die brit. Besatzungsbehörde vom 29.11.1945 (AIPN GK 184 Nr. 397, Bl. 13 f.). Die weitergegebene Version endet mit dem Einsatz der Einheit 1939/40 und ist damit stark unvollständig. 143 Für den Schriftwechsel zwischen den polnischen Staatsanwälten und den Mitarbeitern der Zentralstelle in Ludwigsburg vgl. Anfrage der Warschauer Staatsanwaltschaft vom 27.8.2009 (BA-L B 162 Nr. 27784, Bl. 64). Vgl. auch die laufenden Ermittlungsunterlagen in IPN S 30-12-Zn Band II. Eine dort einsortierte Anfrage zeigt, dass ein letzter Bearbeitungsvorgang zum Bataillon 61 am 5.1.2015 erfolgt ist. Erstaunlich ist dabei der noch heute stark fragmentarische Wissenstand zum Bataillon 61 in der Ermittlungsbehörde. Laut der aktuellen Website des IPN (http://ipn.gov.pl/kszpnp/sledztwa/oddzialowakomisja-w-poznaniu/sledztwa-w-biegu; 25.8.2020) suchen die Ermittler etwa nach einem „Capt. Dederke“ als Chef des Bataillons 61. Tatsächlich war der Bataillonskommandeur jedoch kein Hauptmann, sondern Major und hieß Friedrich Dederky. Seine Todesanzeige aus dem Zweiten Weltkrieg ist sogar online einsehbar. Bereits das MfS äußerte sich skeptisch über den Wissensstand der polnischen Ermittler in Hinsicht auf NS-Verbrechen. Vgl. Aktenvermerk, o. D. (BStU MfS HA IX/11 RHE 5/69 VRP Band 2, Bl. 77). Allgemein zur Nutzbarkeit polnischer Ermittlungsunterlagen als Quellen vgl. Dieter Pohl, Sowjetische und polnische Strafverfahren wegen NS-Verbrechen – Quellen für Historiker? In: Finger/Keller/Wirsching (Hg.), Vom Recht zur Geschichte,

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Es liegen also umfangreiche Aussagen zu den Handlungen des Bataillons 61 vor. Gewissermaßen die Gretchenfrage des empirisch arbeitenden Historikers ist nun einzuschätzen, was sich analytisch aus den Verhörprotokollen von Opferund Täterseite ziehen lässt und wo Grenzen der Quellen liegen. Die bisherige Forschung, die sich mit dem hier untersuchten Bataillon befasst hat, tat dies bestenfalls kursorisch. In Klemps Studie „Freispruch für das Mordbataillon“ erfahren die im Staatsarchiv Münster aufbewahrten Unterlagen in quellen­kritischer Hinsicht nur eine knappe Betrachtung. Es wird dabei nicht problematisiert, worin Grenzen und Potenziale der Quellen bestehen.144 In Klemps Schrift über „Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz“ wird im Fall des Bataillons 61 hierüber nicht hinausgegangen. Als Handbuch, das ein Wann und Wo auflistet, bleibt die Annahme, dass Aussagende „im Grunde die Wahrheit sagten“,145 von einer Quellenkritik losgelöst. Curillas Studie zum S. 132–141. Innerhalb des IPN besteht darüber hinaus die aktuell noch aktive „Hauptkommission zur Strafverfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk“. In deren noch laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zum Reserve-Polizeibataillon 61 konnte ebenfalls, im Rahmen einer Ausnahmeregelung, für die vorliegende Studie Einsicht genommen werden. Hierfür dankt der Autor dieser Studie allen beteiligten Stellen. 144 Korrekt ist jedoch Klemps Ansicht, man müsse die Unterlagen der verschiedenen Verfahren kombinieren. Genau genommen geht er jedoch nicht weit genug, da man neben den juristischen Unterlagen weitere zeitgenössische Unterlagen heranziehen muss. Vgl. Klemp, Freispruch, S. 14. Für das nicht mehr zeitgemäße, alleinige gegeneinander Abwägen von juristischen Quellen vgl. Ruth B. Birn/Volker Riess, Revising the Holocaust, 40 (1997) 1, S. 195–215, hier 196 f. Für Klemps Überlegungen zur Quellennutzbarkeit vgl. Klemp, Freispruch, S. 12 sowie 15 f. Auch im Standardwerk zur Quellenkritik holocaustbezogener Unterlagen von Hilberg wird ähnlich wie bei Klemp davon ausgegangen, dass Gerichtsquellen im Fall von Tätern direkt ausführen, „was in diesen Männern vorgegangen“ sei. Vgl. Hilberg, Quellen, S. 241. Hingegen wird von anderen Wissenschaftlern der Quellenwert von Täteraussagen weitestgehend negiert. Vgl. Dan Michman, Täteraussagen und Geschichtswissenschaft. Der Fall Dieter Wisliceny und der Entscheidungsprozeß zur „Endlösung“. In: Jürgen Matthäus/Klaus-Michael Mallmann (Hg.), Deutsche, Juden, Völkermord. Der Holocaust als Geschichte und Gegenwart, Darmstadt 2006, S. 205– 219, hier 207. Zur grundsätzlichen methodischen Überlegung, wie man juristische Aussagen nutzen kann und welche Problematiken sie aufweisen, vgl. Kiepe, Reservepolizeibataillon 101; insbesondere Finger, Quellenkunde; ders./Sven Keller, Täter und Opfer. Gedanken zu Quellenkritik und Aussagekontext. In: dies./Wirsching (Hg.), Vom Recht zur Geschichte, S. 114–131. Die strukturell besten Überlegungen zu dieser Thematik finden sich bei Ahlrich Meyer, Täter im Verhör. Die „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich 1940–1944, Darmstadt 2005, S. 299–355. Jedoch muss hierbei bedacht werden, dass sich jedes Ermittlungsverfahren entsprechend der großen Handlungsspielräume von Polizei und Staatsanwaltschaft ganz unterschiedlich ausprägte. 145 Klemp, „Nicht ermittelt“ (2011)“, S. 24. In der ersten Auflage wird hier zusätzlich noch sehr viel freier mit dem Begriff der „Wahrheit“ umgegangen, als wäre es im Sinne Rankes möglich, aus Quellen die Wirklichkeit abzulesen. Dies wurde für die zweite Auflage gestrichen. Vgl. ders., „Nicht ermittelt“ (2005), S. 18; ders., „Nicht ermittelt“ (2011), S. 24 f. Die Grundannahme, einige Vernehmungen seien unglaubwürdig, während andere vermeintlich die Wahrheit wiedergäben, ist aber weiterhin Grundlage der zweiten Auflage. Vgl. ebd. Für die von Klemp ignorierten maßgeblichen Studien zur Quellennutzung vgl. Meyer, Täter; sowie den Sammelband Finger/Keller/Wirsching (Hg.), Vom Recht zur Geschichte. Darin insbesondere die Aufsätze: dies., Einleitung; Finger, Quellenkunde; Finger/Keller, Täter; Pohl, Strafverfahren.

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„Judenmord in Polen“146 befasst sich auf einigen Seiten ebenfalls mit dem Bataillon 61. Hierbei wird jedoch das juristische Quellenmaterial gewissermaßen als direktes Abbild der Realität verwendet. In der 2013 von Klemp publizierten Monografie „Vernichtung. Die Ordnungspolizei und das Warschauer Ghetto“147 wird in einem Kapitel auf den Einsatz des Bataillons 61 in Warschau eingegangen. Quellenkritische Überlegungen, was anhand der verfügbaren Materialien untersucht werden kann und was nicht, finden sich jedoch nicht. Die Frage muss also sein, welche Inhalte von juristischen Quellen sich nutzen lassen und worin deren analytisches Potenzial besteht. Grundsätzlich geht die vorliegende Studie davon aus, dass die Vernehmungen von Zeugen in justiziellen Ermittlungsverfahren der Nachkriegszeit „als eigenständige historische Quelle für die Erforschung des Genozids an den Juden ernst zu nehmen sind“.148 Dabei muss klar sein, dass sie nicht „wie authentische Wiedergaben des Gesagten behandelt“149 werden dürfen. Gleichzeitig lässt sich aber ihr empirischer Wert nicht pauschal in Abrede stellen. Gerade im Fall des Bataillons 61 liefern die Ermittlungen gegen die Einheitsmitglieder einen großen Quellenfundus, durch den überhaupt erst historische Sachverhalte in voller Breite ausgeleuchtet werden können, was wiederum eine umfassende multiperspektivische Analyse erlaubt. Unter Anwendung einer entsprechenden Quellenkritik sind diese juristischen Schriftstücke nicht weniger aussagekräftig, als dies etwa andere häufig von der Geschichtswissenschaft genutzte Erlebnisberichte oder Selbstzeugnisse sind.150 Beim Umgang mit den Verhörprotokollen müssen stets deren generellen Eigenheiten bedacht werden. Die Texte bilden üblicherweise die wirkliche Verhörsituation nur verknappt ab. Die archivierten Schriftstücke weisen vereinzelt darauf hin, dass vor der schriftlich fixierten Vernehmung der jeweilige Sachverhalt mit dem Aussagenden besprochen wurde. So vermerkte beispielsweise einer der ermittelnden Kriminalkommissare, er habe vor Beginn des eigentlichen Verhörs die Gegenstände des Ermittlungsverfahrens „eingehend mit ihm [dem

146 Curilla, Judenmord. Erst am Ende der Monografie wird sehr knapp versucht, Motive von Akteuren aus den Quellen zu erkennen. Vgl. ebd., S. 875–895. 147 Klemp, Vernichtung. 148 Meyer, Täter, S. 299. 149 Michael Wildt, Differierende Wahrheiten. Historiker und Staatsanwälte als Ermittler von NS-Verbrechen. In: Norbert Frei/Michael Stolleis/Dirk van Laak (Hg.), Geschichte vor Gericht. Historiker, Richter und die Suche nach Gerechtigkeit, München 2000, S. 46–59, hier 54. 150 Vgl. hierzu die Einschätzung des ehemaligen Leiters der Zentralstelle Ludwigsburg in Adalbert Rückerl, Staatsanwaltschaftliche Ermittlung der NS-Verbrechen. Schwierigkeiten und Ergebnisse. In: Jürgen Weber/Peter Steinbach (Hg.), Vergangenheitsbewältigung durch Strafverfahren? NS-Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S. 71–82, hier 72. Zur grundsätzlichen Diskussion dieses Sachverhaltes vgl. Wolfgang Scheffler, NS-Prozesse als Geschichtsquelle. Bedeutung und Grenzen ihrer Auswertbarkeit durch den Historiker. In: ders./Werner, Bergmann (Hg.), Lerntag über den Holocaust als Thema im Geschichtsunterricht und in der politischen Bildung, Berlin 1988, S. 13–27, hier 21.

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Befragten] durchgesprochen“.151 Einer der Aussagenden hielt fest, er habe sich erst auf „Vorhalt des Vernehmungsbeamten, welcher […] einen entsprechenden Hinweis gab“,152 äußern können. Worüber jedoch genau in solchen Fällen gesprochen wurde, ist nicht aufgezeichnet worden. Ebenfalls ist nur selten angegeben, welche exakten Fragen die Ermittler den Verhörten stellten. Es ist also nur schwer beurteilbar, wie der Inhalt der Verhörprotokolle durch Strafverfolger beeinflusst wurde. Hinzu kommt, dass zum Teil außerhalb des offiziellen Protokolls Anmerkungen gemacht worden sind, die nur selten direkt verschriftlicht wurden. So soll etwa ein Zeuge „außerhalb seiner Aussage“ festgehalten haben, die Anordnung eines Vorgesetzten zum Waffengebrauch sei eine „versteckte Aufforderung“153 gewesen. Meist sind hingegen jedoch nur die eigentlichen Aussagen verschriftlicht worden. Dies erfolgte in den frühen Ermittlungen der 1950er-Jahre zunächst auf Basis von Stenografien. In späteren Ermittlungsverfahren wurden dann auch Tonbandmitschnitte verschriftlicht.154 Daneben prägten sich je nach Engagement und Fähigkeit der Ermittler Aufzeichnungen in Umfang und analytischer Qualität unterschiedlich aus. In jedem Fall wurden die Verhöre auf einen bestimmten Sachverhalt ausgerichtet, der die Strafverfolger juristisch interessierte. Hierbei wurden Aspekte, die man als strafrechtlich irrelevant ansah, durchaus verkürzt oder gar nicht in das Protokoll aufgenommen. Dabei kam der juristische Grundsatz zum Tragen, dass die Strafverfolgung nur zu konkreten Einzeltaten durchgeführt werden durfte. Etwa rein auf Verhältnisse jenseits des Tatgegenstandes ausgerichtete Aussagen waren so für die Ermittler weniger bedeutsam. Was für eine spätere historische Analyse

151 Vermerk des KK [Kriminalkommissar] Löblein vom 27.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 144). 152 Aussage Fritz Urban vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 143). 153 Zusammenfassung des Ermittlungsstands durch KK Löblein vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 195). Exemplarisch zur Beeinflussung von Aussagen vgl. Aussage Ludwig Rybczak vom 10.7.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). Ein Verteidiger monierte in einem anderen Verfahren, man habe Druck auf seinen Mandanten ausgeübt und ihm Worte vorgegeben. Vgl. Brief des Rechtsanwalt Schulze Marmeling vom 18.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 195–196r). Hierbei scheint es sich jedoch eher um eine unbegründete Entlastungsstrategie gehandelt zu haben, wird doch die Behauptung durch den Mandanten selbst an anderer Stelle widerlegt. Vgl. Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 200). Das von seinem Rechtsanwalt beschriebene Vorgehen passt eher zu rechtsstaatlich problematischen Verhörweisen, wie sie in der Sowjetunion und Polen eingesetzt wurden. Vgl. den entsprechenden Abschnitt weiter unten in diesem Kapitel, der sich mit den Verhören in polnischen Ermittlungsverfahren befasst. Zur Nutzbarkeit polnischer Justizquellen vgl. Pohl, Strafverfahren. 154 Auch bei diesen konnte es zu Ungenauigkeiten in der Verschriftlichung kommen. Vgl. Aussage Sam Henry Hoffenberg vom 3.11.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3869). Dort ist vermerkt, das Tonband habe versagt, weswegen die folgenden Seiten nur noch ein Gedächtnisprotokoll seien. Die durch den Verfasser der vorliegenden Studie stichprobenartig überprüften Stenografien wurden jedoch korrekt transkribiert.

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der Gesamtzusammenhänge eines Polizeieinsatzes von Interesse gewesen wäre, „konnte für die einzelnen Untersuchungen unter Umständen recht belanglos sein“.155 Dennoch wurden oftmals auch Hinweise durch die Ermittler aufgenommen, die auf weitere Zusammenhänge jenseits des untersuchten Tatvorgangs hinwiesen. Diese wurden dann wiederum in weiteren Ermittlungsverfahren aufgegriffen oder bildeten für diese sogar erst den Anstoß. So nutzten die Münsteraner Ermittler auch Vernehmungsprotokolle des Dortmunder Ghettoprozesses, die auf Tatzusammenhänge im „Warthegau“ 1939/40 hinwiesen.156 Eine weitere Herausforderung, die mit der Nutzung justizieller Quellen der Nachkriegszeit einhergeht, resultiert aus der großen zeitlichen Distanz zu den in ihnen untersuchten Handlungen. Die Verhöre fanden mindestens neun Jahre nach den thematisierten Taten statt. Somit finden sich hier abseits jeder bewussten oder methodischen Verfälschung auch Verzerrungen, die daraus resultierten, dass die Aussagenden schlicht nicht mehr alle Einzelheiten und Handlungsmuster der Polizeieinheit rekapitulieren konnten. Pauschale Aussagen wie, man habe „praktisch alles, was sich auf die damaligen Einsätze bezog, vergessen“,157 sind aber kritisch und meist als reine Schutzbehauptungen zu bewerten. Andere Aussagen, in denen Zeugen lediglich zu bedenken gaben, sie könnten sich „nicht mehr mit Sicherheit“158 an alle Aspekte erinnern, scheinen hingegen glaubwürdiger. Dass nicht jede Unrichtigkeit in Aussagen vorsätzlich vorgetragen wurde, lässt sich u. a. daran ablesen, dass auch strafrechtlich unerhebliche Aspekte durchaus fehlerhaft wiedergegeben wurden. So wurde etwa in einer Aussage Oskar Knofe, BdO Posen und Vorgesetzter des Bataillons 61 im „Warthegau“, kurzerhand als Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) dargestellt. Ein anderes Einheitsmitglied titulierte den Chef der 2. Kompanie als Verantwortlichen der 4. Kompanie. In solchen Fällen werden Sachverhalte verfälscht dargestellt, für die es keinerlei Grund zur Verschleierung gab. In seltenen Fällen verschärften die Aussagenden ihre eigene Situation sogar noch, wenn sie beispielsweise Einsatzzeiten, offensichtlich unbewusst, falsch angaben. Einer der Männer etwa führte an, dass die Polizeieinheit in Warschau nicht 1942, sondern 1943 zu

155 Helge Grabitz/Wolfgang Scheffler, Einleitung. In: Helge Grabitz/Justizbehörde Hamburg (Hg.), Täter und Gehilfen des Endlösungswahns. Hamburger Verfahren wegen NS-Gewaltverbrechen 1946–1996, Hamburg 1999, S. 9–26, hier 22. Ebenso vgl. Bettendorf, Reserve-Polizeibataillon 111, S. 96. Zum Expertentum von Ermittlern in NS-Strafsachen ebenso wie zu ihrem teilweise fehlenden Fachwissen vgl. Eichmüller, Generalamnestie, S. 354–369. 156 Ein Beispiel für einen Querverweis zu laufenden Verfahren zwischen StA MS [Münster] und StA DoZS [Dortmund Zentralstelle] findet sich z. B. in: Aussage Heinrich Wenzel vom 11.4.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 944, unpag.); Bericht der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 27.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl 15 f); Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 61). 157 Aussage Hans Lenski vom 26.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 53). 158 Aussage Ernst Hennefeld vom 22.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 165). Dort bezogen auf die Dauer von Einsätzen.

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Erschießungen eingesetzt worden sei. Damit verlegte er die Einsatzzeit in eben jenen Zeitraum in dem die deutschen Besatzungskräfte mit aller Härte den Warschauer Ghettoaufstand niederschlugen.159 Generell lassen sich solchen Ungenauigkeiten, ob bewusst oder unbewusst vorgetragen, durch ergänzende Quellenmaterialien relativ leicht ausgleichen. Der Aspekt der Verzerrung von Erinnerungen ist hingegen, wenn überhaupt, nur erschwert aufzudecken. In der Retrospektive der Zeugen verschmolzen teilweise mehrere Ereignisse oder Einzelgeschehnisse wurden zu mehreren Handlungen erklärt. Wie die Neurowissenschaft nachgewiesen hat, haben menschliche Erinnerungen nicht den Charakter auf einer Festplatte gesicherter Dateien. Vielmehr funktioniert der Prozess des Erinnerns als Verknüpfungsprozess in einer gegebenen Situation. Somit hängen Aussagen stark mit der Sachlage zusammen, in der sie gemacht werden, denn Zeugen passen sich jeweils neu an ihre Umwelt an.160 Die Vernehmungsprotokolle sind auf diese Art eine bereits gefilterte und veränderte Quelle. Sie spiegeln zugespitzt formuliert „grundsätzlich nur einen Teil des tatsächlich Gesagten wider“,161 was wiederum nur ein Teil der historischen Geschehnisse beleuchtet. Schon hieran wird klar, dass es unerlässlich ist, die unterschiedlichen Ermittlungsergebnisse zueinander in Beziehung zu setzten und gegeneinander abzuwägen. Ferner müssen sie durch weitere zeitgenössische Materialien ergänzt werden. Dies ist umso bedeutsamer, wenn man nicht nur die Verzerrung der juristischen Quellen, die quasi von außen bedingt wurde, betrachtet. Auch die bewusste und unbewusste Verfälschung der Aussagen durch Tatverdächtige und Opfer, die ihren eigenen Aussagelogiken folgten, muss für die spätere Analyse bedacht werden.

159 Vgl. Aussage Hans Delisch vom 27.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5805). Ein anderes Einheitsmitglied hingegen meinte, man sei schon Ende 1940 in Warschau eingesetzt worden. Vgl. Aussage Bartholomäus Neumann vom 20.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 150). In diesem Zeitraum lag die Einheit jedoch noch nachweislich im Raum Dortmund. Für die falsche Zuordnung des Kompaniechefs vgl. Aussage Siegmund Wörmer vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 204, Bl. 40). Für die Fehleinschätzung von Knofe als HSSPF vgl. Aussage Heinrich Zumplasse vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 50). Der tatsächliche HSSPF war Karl Heinrich Wilhelm Koppe. Zu diesem vgl. Szymon Datner, Wilhelm Koppe – nieukarany zbrodniarz hitlerowski, Warschau 1963. Zu Knofe vgl. Alberti, Verfolgung, S. 75 f. 160 Grundsätzlich zum Erinnern und dessen Funktionsweisen vgl. Johannes Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004, sowie die darauf bezogenen Bemerkungen bei Meyer, Täter, S. 300, Anm. 6. Exemplarisch zum Phänomen des Verschmelzens aus Opfersicht vgl. Aussage Israel Spiegelstein vom 13.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1808). 161 Kiepe, Reservepolizeibataillon 101, S. 18. Für grundsätzliche Überlegungen zur Nutzung von juristischen Ermittlungsunterlagen als Quellen vgl. Finger, Quellenkunde; ders./Keller, Täter. Vgl. auch Stoll, Herstellung, S. 16–22 und 36–44; Meyer, Täter, S. 299–358.

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Als Tatverdächtige und Zeugen in Strafverfahren sagten zahlreiche ehemalige Mitglieder des Bataillons 61 sowie der deutschen Besatzungsmacht in den bereits erwähnten Ermittlungsverfahren aus. Ihre Aussagen lassen sich grob in zwei Hauptgruppen fassen. Ein Teil der Männer sperrte sich in den Vernehmungen vehement gegen die Möglichkeit, offen zu sprechen. Einige führten einen angeblich erlitten Gedächtnisverlust an oder sie gaben an, man fühle sich „nicht verpflichtet, überhaupt über die damaligen unerfreulichen Dinge Auskunft zu geben“.162 Einige verweigerten auch schlicht die Aussage, um sich selbst nicht zu belasten.163 Der andere Teil der Aussagenden äußerte sich hingegen umfangreich. Wo belastende Aussagen gemacht wurden, entsprachen diese mehr oder weniger der erlebten bzw. erinnerten Wirklichkeit. Der Abgleich der Vernehmungen verschiedener Beschuldigter miteinander, unter Hinzuziehung ergänzender Unterlagen, lässt den Schluss zu, dass oftmals korrekt ausgesagt wurde. Hierbei gilt es jedoch, auf Nuancen innerhalb der Vernehmungsprotokolle zu achten. Ausgesagt wurde etwa nur wenig detailliert über von Akteuren selbst ausgeübte Gewalt innerhalb der Mauern des Warschauer Ghettos oder bei Deportationen. Andere Verhörte hingegen machten durchaus weiterführende Aussagen, wenngleich sie für ihre Kollegen, sofern diese zum eigenen Vertrauensnetzwerk im Bataillon 61 gehört hatten, belastende Details meist aussparten oder beschönigten. So wurde etwa in einer Aussage über Tötungen symptomatisch festgehalten: „Natürlich weiß ich, dass solche vorgekommen sind, und es sind mir auch Einzelfälle bekannt. Ich bin jedoch nicht in der Lage, die Personen,

162 Aussage Wilhelm Rung vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 44). Ein beliebtes Narrativ war die Behauptung, man habe durch Misshandlungen in russischer Kriegsgefangenschaft das Gedächtnis verloren. Exemplarisch hierzu vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 237r); Aussage Alfred Albrecht vom 5.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 67). Ein anderes Narrativ war der Gedächtnisverlust durch einen unverschuldeten Unfall. Vgl. Aussage Theodor Pohle 30.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 57r). Dort wird ein schwerer Sturz 1948 angeführt. Im Fall der in Polen geführten Ermittlungen war verständlicherweise keiner der ehemaligen Männer des Bataillons 61 bereit, sich der dort tatsächlich bestehenden Gefahr einer Verurteilung auszusetzen. Entsprechend finden sich in osteuropäischen Verhören nahezu keine Aussagen aus Perspektive des Bataillons 61. Die Ausnahme bildet die einzelne Aussage eines Manns der Polizeieinheit, der in russischer Kriegsgefangenschaft verhört wurde. Vgl. Aussage Anton Anker vom 24.9.1947 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 8, Bl. 2). Hingegen findet sich in deutschen Archiven eine umfangreiche Quellenbasis aus deutscher Perspektive. Nach dem Ablaufen der rechtlichen Sperrfristen in den nächsten Jahren werden die Archivalien der Öffentlichkeit frei zugänglich sein. Während der Recherche für die vorliegenden Studie mussten jedoch für zahlreiche Bestände noch Sondergenehmigungen eingeholt werden. Für deren meist unkomplizierte und schnelle Bewilligung schuldet der Autor dieser Studie allen Archiven und Behörden Dank. 163 Exemplarisch hierzu vgl. Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 108r).

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die geschossen haben, zu benennen.“164 Ein weiterer Zeuge äußerte sich ähnlich. Ihm sei „zwar bekannt geworden, dass Juden erschossen worden sind, doch“ er sei „außerstande, hierzu Namen zu benennen oder sonstige Hinweise“165 zu geben. Folgerichtig hielt etwa die Staatsanwaltschaft Hamburg fest, dass die meisten der Vernommenen „entweder als Posten oder als Wachhabende an der Bewachung des Ghettos beteiligt“ waren. Aber „Einzelfälle von Judentötungen wurden von keinem der Zeugen näher bezeichnet, insbesondere betonten alle, nie etwas mit der Gestapo zu tun gehabt zu haben“.166 Darüber hinaus werden auch Sachverhalte in den Aussagen logischerweise kaum offen erwähnt, die die sogenannten niederen Beweggründe und somit das Vorliegen von rechtlichen Mordkriterien erfüllt hätten. Hierunter fällt etwa die Begründung des eigenen Handelns mit Aspekten der NS-Ideologie.167 Die Rolle unbeliebter Kameraden oder missliebiger Vorgesetzter, die entweder nicht zum eigenen Vertrauensnetzwerk gehört hatten oder bereits verstorben waren, wurde hingegen durchaus dramatisiert. Hierdurch wurde dann u. a. versucht, die eigene Rolle in den meist gewaltsamen Aktionen der Einheit zu relativeren und herunterzuspielen. Es kam zu einer Form der „wahrheitswidrigen Selbstverkleinerung“,168 wie sie auch für andere belastete Personengruppen nach dem Krieg üblich war. Bei derartigen Darstellungen muss darüber hinaus stets bedacht werden, dass die Verhörten neben rechtlichen Bedenken auch den Versuch unternahmen, bei den Schilderungen „ihr Selbstbild als integere Persönlichkeit“169 aufrechtzuhalten.

164 Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5826). 165 Aussage Erich Tiemann vom 5.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5848). 166 Bericht der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 10.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5802). Dieser Bericht bringt das Quellenproblem auf den Punkt und zeigt, warum Ermittlungen defizitär blieben, solange nach Einzeltaten gesucht wurde. 167 Vgl. Paragraf 211 Strafgesetzbuch (StGB). Der sich mit Mord befassende Paragraf enthält bis heute eine Regelung, die selbst aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt. Niedere Beweggründe sind noch immer Voraussetzung für eine Verurteilung wegen Mordes. Zu diesen Beweggründen, die folglich in Aussagen meist umgangen wurden, zählen u. a. Antisemitismus und Rassenhass. Vgl. hierzu Katrin Stoll, Hitler’s unwilling Executioners? The Representation of the Holocaust through the Bielefeld Białystok Trial of 1965–1967. In: David Bankier/Dan Michman (Hg.), Holocaust and Justice. Representation and Historiography of the Holocaust in Post-War Trials, Jerusalem 2010, S. 159–193, hier 167. 168 Helmut Müller-Enbergs/Armin Wagner, Zehn Biographien der Epoche. In: dies. (Hg.), Spione und Nachrichtenhändler. Geheimdienst-Karrieren in Deutschland 1939–1989, Berlin 2016, S. 7–37, hier 17. 169 Welzer, Täter (2009), S. 29. In ähnlicher Form vgl. Jan P. Reemtsma, „Ehrenvoller Auftrag! Ehrenvoller Auftrag!“ Ansprache zum Gedenken an den 9. November 1938. In: Mittelweg 36, 22 (2013) 6, S. 72–81, hier 80. Speziell für militärische Verbände vgl. Römer, Kameraden, S. 101, 104 sowie 139.

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So wurden offensichtlich nicht nur Handlungen, die juristisch noch nicht verjährt waren, tabuisiert. Auch jene Handlungsmuster, die aus gesellschaftlichen Gründen in der Nachkriegszeit keine Akzeptanz finden konnten, wurden beschönigt oder ganz verschwiegen. Zu den markantesten Beispielen zählt dabei etwa Gewalt gegen Frauen und Kinder sowie Formen sexueller Gewalt. Entsprechend finden sich in Aussagen etwa nur Formulierungen, wie, es sei bei Vergeltungsaktionen „keiner Frau oder einem Kinde ein Leid getan“170 worden. Nicht nur gegenüber Ermittlern, auch innerhalb der eigenen Familie, wurde als illegitim wahrgenommene Gewalt nicht thematisiert. So scheint es plausibel, was die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ) 1954 über ein Mitglied des Bataillons 61 berichtete, dass dieser seiner Frau das „grausige Geschehen ganz verschwiegen“171 haben soll. Hingegen blieben andere Sachverhalte im juristischen Raum offen thematisierbar. Hierzu zählten etwa zum einen unverbindlich erscheinende Zusammenhänge über das alltägliche Leben in der Polizeieinheit, die aber analytisch besonders Aufschluss über das Funktionieren der Truppe geben. Zum anderen fiel in den 1950er- und 1960er-Jahren Alltagsgewalt in den Bereich des Sagbaren, die heute in einen anderen Interpretationskontext fällt. Eine größere Akzeptanz und Alltäglichkeit von Gewalt zeigen sich etwa daran, dass eine Ohrfeige damals noch zum Spektrum legitimer Problemlösungen gehörte. Folglich berichteten die Aussagenden unbeschwert über derartige Taten. Auch scheint ein großes Maß an Handlungen für die Aussagenden im Bereich des Sagbaren gelegen zu haben, solange sie mit einem vehement antibolschewistischen Ziel verbunden werden konnten. Ähnlich offen wurde sich über Gewalt als Teil einer angeblichen Verbrechensbekämpfung geäußert. Offensichtlich erwarteten die Aussagenden hierbei Akzeptanz durch die Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft. Zu den mitgeteilten Sachverhalten zählen dann etwa auch die als „Bandenbekämpfung“ betitelten Gewalthandlungen während des Polen- und Russlandfeldzuges oder die angebliche Bekämpfung entflohener Häftlinge im „Warthegau“ 1939.172 Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts wurden insbesondere jene Handlungen erwähnt, die noch nicht in ihrer vollen Tragweite bekannt bzw. in

170 Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 74r). Die Tabuisierung galt, obwohl Körperverletzungen, Beleidigungen, Diebstähle etc., die zu Kriegszeiten begangen worden waren, zum Zeitpunkt der Ermittlungen bereits verjährt waren. Das Verschweigen dieser Aspekte steht im krassen Widerspruch zu zahlreichen Opferaussagen, die besonders hervorheben, wie brutal die Polizisten etwa mit Kindern im Warschauer Ghetto umgingen und wie oft sich Sexualstraftaten durch Polizisten ereigneten. 171 O. V., Schwurgericht hört heute letzten Zeugen. Generalarbeitsführer soll wissen, dass Befehlsverweigerung den Tod bedeutete. In: WAZ vom 29.3.1954. 172 Exemplarisch für das breite Spektrum an sagbaren Aspekten vgl. Entnazifizierungsakte Kärgel, Hans Georg Erich vom 2.9.1947 (LAV NRW, R, NW 1047-1449, Anl. 1); Aus­ sage Richard von Coelln vom 3.8.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 50, Bl. 22994).

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der Öffentlichkeit noch nicht als Verbrechen konnotiert waren. Wo man Handlungsmuster vorgeblich als Teil legaler Kriegshandlungen betiteln konnte, sahen die Aussagenden diese oftmals als unverfänglich an. So urteilte etwa das Rote Kreuz über die Taten eines Mitgliedes des Bataillons 61 in einem Rechtsgutachten: „Evakuierungen und Partisaneneinsätze“ seien als „innerhalb der Kriegsbräuche liegend nicht strafbar.“173 Um sich in diesem Bereich verorten zu können, wurden von Aussagenden dann auch Sachverhalte bewusst verfälschend dargestellt. Hierunter fällt etwa die Behauptung, man habe Osteuropäer zum Arbeitseinsatz ins Reichsgebiet verbracht, wobei es sich de facto um nichts anderes als Deportationen zur Zwangsarbeit handelte. Dieser Aspekt war jedoch zum Zeitpunkt der Aussagen in der BRD noch nicht öffentlich problematisiert worden. Hingegen sind die Deportationen von Juden in das Vernichtungslager Treblinka, an denen sich auch das Bataillon 61 aktiv beteiligte, in Aussagen nahezu komplett ausgespart.174 Zur relativen Offenheit vieler Aussagen trug auch der nach dem Krieg konstruierte Mythos der „sauberen“ Ordnungspolizei bei. Bereits während der Nürnberger Prozesse war die uniformierte Polizei, anders als die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und der SD, nicht zur verbrecherischen Organisation erklärt worden. Nicht zuletzt der ehemalige Chef des Kommandoamtes der Ordnungspolizei (OrPo) schaffte es durch seine aktive Geschichtspolitik, „allen Angehörigen der Schutzpolizei einen wertvollen Dienst“ zu erweisen, da es „aller Anstrengungen bedurfte, um zu erreichen, dass die Ordnungspolizei nicht als verbrecherisch erklärt wurde“.175 Die juristische wie moralische Schuld für die begangenen Gewalthandlungen schrieb man dem SS-Apparat zu.

173 Deutsches Rotes Kreuz Rechtsschutzstelle, Zusatzblatt zur Handakte Gurk, Heinrich vom 1.8.1906 (BA-K B 305 Nr. 34099, Bl. 4). Ebenfalls bedingt durch den Ost-WestKonflikt sprachen Ermittler Belastungszeugen schon bei dem Verdacht, Kommunist zu sein, jede Glaubwürdigkeit ab. Vgl. Vermerk der Polizei über Anton Sippel vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 45). 174 Zur Bewachung von Deportationszügen durch Ordnungspolizisten vgl. Stefan Klemp, „I Would Have Liked to Travel Once on Such a Transport“. German Policemen as Guards on Deportation Trains from Italy to Auschwitz. In: Yad Vashem Studies, 41 (2013) 1, S. 99–127. Allgemein zu Zwangsarbeitern vgl. Ulrich Herbert, Zwangsarbeit im „Dritten Reich“. Ein Überblick. In: Klaus Barwig/Günter Saathoff/Nicole Weyde (Hg.), Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte, Baden-Baden 1998, S. 17–32. 175 Schreiben von Paul Riege an Adolf von Bomhard vom 4.11.1952 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 1228, Bl. 872). Zu von Bomhards Bemühungen, den Befehlsnotstandsmythos weiter zu festigen, vgl. Bericht Adolf von Bomhards betr.: Höherer Befehl und Zwangslage, o. D. [vermutlich 1961] (BA R 19 Nr. 281, Bl. 101–111). Insbesondere für von Bomhards Äußerungen während der Nürnberger Prozesse vgl. Eidesstattlichen Erklärung von Adolf von Bomhard, o. D. [vor oder am 13.7.1946] (StAHH 213-12-590 Nr. 2, Bl. 957– 966). Für den auch lange nach dem Zweiten Weltkrieg intakten Mythos der „sauberen“ Polizei vgl. Martin Hölzl, Legenden mit Langzeitwirkung. Die deutsche Polizei und ihre NS-Vergangenheit. In: Deutsche Hochschule der Polizei Münster/Florian Dierl/Mariana Hausleitner/Martin Hölzl/Andreas Mix (Hg.), Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat, Dresden 2011, S. 90–101.

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Für die uniformierte Polizei nahm Adolf von Bomhard hingegen selbst gegenüber dem Bundeskanzler in Anspruch, dass Schutzpolizisten im Nationalsozialismus „bis 1945 sauber geblieben“ seien und keinerlei unrechten Dienst geleistet hätten. Die uniformierte Polizei sei eine Organisation, die „auch unter Himmler immer auf dem Boden des Gesetzes geblieben ist“.176 Er forderte Konrad Adenauer gegenüber entsprechend die „Wiedereinstellung der beruflich geschulten, unschuldig verdrängten Polizeibeamten“.177 In Westfalen war in ähnlicher, wenn auch lokaler Form der ehemalige BdO im Wehrkreis VI, Heinrich Bernhard Lankenau, tätig. Somit war es den Mitgliedern des Bataillons 61 möglich, über zahlreiche Handlungen aus der Kriegszeit zu sprechen, ohne eine Form der moralischen und öffentlichen Schuld für sich zu erzeugen.178 In juristischer Hinsicht wurden die Ermittlungen selbst durch Teile des Justizapparates gelähmt und verzerrt. „So sehr eilt die Sache mit dem Polizeibataillon ja nicht“,179 schrieb der Oberstaatsanwalt an seinen Kollegen im Zusammenhang der Ermittlungen in den 1960er-Jahren und machte damit klar, dass weitere Recherchen gegen das Bataillon 61 nicht erwünscht waren. Neben solchen Anweisungen von „oben“ kam es aber zum Teil auch zu einer Solidarisierung von ermittelnden Polizisten mit ihren ehemaligen oder damals noch immer im Polizeidienst befindlichen Kameraden. Für die Aussagenden verkörperte der jeweilige Verhörführer der Polizei und später der Staatsanwaltschaft gewissermaßen das Publikum, an dessen antizipierte Weltsicht Inhalte der gemachten Aussagen angepasst wurden. So problematisch dies für die juristische Beweisführung war, so vorteilhaft ist es für die geschichtswissenschaftliche Analyse. Vor Personen mit ähnlichem Erfahrungs- und Deutungshorizont, die kein besonderes Interesse an der Strafverfolgung ehemaliger Kameraden hatten, wurden meist relativ weitgehende Angaben gemacht. Teilweise scheint es hierbei sogar so, als hätten die Aussagen für die Mitglieder der Polizeieinheit die Funktion gehabt, ihr Verhalten zu Kriegszeiten im Rahmen einer mehr oder weniger anerkennenden Beziehung zu den Ermittlern für sich selbst mental zu verarbeiten. So wurde in den Protokollen historisch aussagekräftiges Material produziert, dass aber keine entsprechende juristische Verwendung fand.180 176 Brief Adolf von Bomhards an Bundeskanzler Konrad Adenauer vom 1.9.1950 (VtH ED Bomhard, Bl. 2). 177 Ebd., Bl. 1. 178 Zum Konzept moralischer Schuld vgl. Maria-Sibylla Lotter, Scham, Schuld, Verantwortung. Über die kulturellen Grundlagen der Moral, Berlin 2012, S. 123–128. Zu Lankenau vgl. Christoph Spieker, Traditionsarbeit. Eine biografische Studie über Prägung, Verantwortung und Wirkung des Polizeioffiziers Heinrich Bernhard Lankenau 1891–1983, Essen 2015. Für Lankenaus Publikation vgl. Heinrich Bernhard Lankenau, Manuskript „Gedenken an die Luftkriegstoten 1939–1945“ (VtH Dep. Nr. 36, unpag.). 179 Schreiben von Knippenberg an Nikolaus vom 27.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe a, unpag.). 180 Zur Verarbeitung von Traumata durch anerkennende Beziehungen vgl. Anna Riegler, Anerkennende Beziehung in der Sozialen Arbeit. Ein Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit

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Unter Beachtung dieser Faktoren geben so besonders die Aufzeichnungen der frühen polizeilichen Vernehmungen „aufschlussreiche Einblicke in die Gedankenwelt der Polizisten“,181 oder genauer genommen in den Teil, den man nach 1945 als offen kommunizierbar ansah. Die im frühen Stadium von Ermittlungen gemachten Angaben sind hierbei generell präziser und genauer als zeitlich später gemachte Aussagen. Die frühen Protokolle zeigen vielleicht nicht direkt die Gedankenwelt der Akteure, aber doch die Bereitwilligkeit, mit der vielfach Gewaltoptionen wahrgenommen wurden. Je länger jedoch gegen die Ordnungspolizisten ermittelt wurde, desto mehr realisierten sie ihre Lage. Gleiches gilt auch für deren Kameraden, gegen die juristisch nicht vorgegangen wurde, die aber als Zeugen auftraten. Im Laufe der Ermittlungen veränderten sie ihre Aussagen oder schränkten diese auf ein absolutes Minimum ein. Symptomatisch ist dabei die Feststellung, man „habe diesen“ bei Polizei und Staatsanwaltschaft gemachten „Angaben nichts hinzuzufügen“. Auch sei man „nicht bereit“, sich „noch einmal, und zwar jetzt durch einen Richter, vernehmen zu lassen“.182 Schon bei den Vernehmungen durch die Untersuchungsrichter waren Aussagen kalkuliert und zum Teil durch Kameraden manipuliert. „Gewisse Absprachen sind gewiss erfolgt“, resümierte einer der Ermittler der Kriminalpolizei. Zwischen den Bataillonsangehörigen bestand „ein starkes Solidaritätsgefühl“ sowie „eine erhebliche Aversion“183 gegen die Ermittlungen. Die Verhörten sprachen bereits im ersten Ermittlungsverfahren offen aus, dass verschiedene Angeschuldigte einzeln oder gemeinsam und mit unterschiedlichen Mitteln Einfluss auf sie genommen hatten. Möglich war dies, da die Staatsanwaltschaft es vorerst unterließ, Haftbefehle gegen die Hauptangeklagten zu beantragen. Als Resultat wurde dann im eigentlichen Hauptverfahren im breiten Maße vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht oder direkt und nachweislich gelogen.184 zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Wiesbaden 2016, S. 258. Dort jedoch auf Opfer bezogen. Allgemein zur Aussagepsychologie in Strafverfahren vgl. Gabriele Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, 2. Auflage, Heidelberg 2012. 181 Klemp, Freispruch, S. 12. 182 Aussage Fritz Urban vom 13.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 219, Bl. 31r). 183 Zusammenfassung des Ermittlungsstands durch KK Löblein vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 196). Der Ermittler hoffte deswegen eventuell noch außerhalb von Dortmund Bataillonsmitglieder zu finden, die nicht manipuliert worden waren. 184 Vgl. Aussage Artur Michels vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 190r). Dort wird besonders deutlich, dass der Zeuge durch einen der Angeklagten aufgesucht und manipuliert wurde. Solche Manipulationen setzten sich selbst im Gerichtssaal noch fort, wie die ostdeutsche Presse berichtete. Vgl. o. V., Angeklagte aus der Haft entlassen. Wird der Dortmunder Gettoprozeß den Tod von Hunderten Juden ungesühnt lassen? In: Westfälische Rundschau vom 29.3.1954. Für die Beeinflussung von Zeugen vgl. exemplarisch die erwähnte Einschüchterung von Zeugen in Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 128r f.) sowie durch gemeinsamen Alkoholkonsum von Zeugen und Beschuldigten in Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 234). Für das Herunterspielen von Anschuldigungen vgl. Aussage Theodor Pohle vom 14.12.1951 (LAV NRW, W, Q

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Eine besondere Bedeutung kommt entsprechend jenen frühen Verhören zu, die durchgeführt wurden, bevor sich die Einheitsmitglieder untereinander absprechen und so Verhörergebnisse manipulieren konnten. Im Falle der Täteraussagen ist somit insbesondere der Einschätzung von Wolfgang Scheffler zuzustimmen, dass der historische Quellenwert von Vernehmungen generell höher anzusetzen ist als etwa der von Aussagen in einem Hauptverfahren. Dies erkannten im Übrigen auch schon die Ermittler im ersten Verfahren gegen ehemalige Mitglieder des Bataillons 61 als sie berichteten: „Das Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Schwurgericht ergab teilweise ein wesentlich anderes Bild als das Ergebnis der gerichtlichen Voruntersuchung, auf das sich die Anklage gestützt hat, weil verschiedene Zeugen ihre früheren belastenden Angaben trotz Vorhalt erheblich einschränkten oder sogar widerriefen.“185 Den Ermittlern war diese generelle Problematik bewusst, sie waren jedoch an eine grundsätzliche Regelung des deutschen Strafrechts gebunden: Urteile in einem gerichtlichen Hauptverfahren dürfen sich nur auf die dort verhandelten Aussagen und Beweise stützen. Zwar führten die im Vorverfahren getätigte Aussagen im Fall des Bataillons 61 erst zur Eröffnung des Hauptverfahrens, das die Gefahr einer Verurteilung der nun Angeklagten barg. Jedoch führten die weitreichenden Aussagen während der Vorermittlungen zu keinem Schuldspruch, solange sie im eigentlichen Prozess widerrufen bzw. nicht wiederholt wurden. Somit konnten die Mitglieder der hier untersuchten Polizeieinheit viele Aspekte ihres Einsatzes in Polen und Russland weitgehend „gefahrlos“ thematisieren, solange sie davon ausgehen konnten, dass es im eigentlichen Hauptverfahren keine konkreten Beweise gegen sie geben würde. Diese für

223 Nr. 1486, Bl. 176r). Für die Beeinflussung durch Briefe vgl. Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 186r). Exemplarisch für die späten Haftbefehle im ersten Ermittlungsverfahren vgl. Haftbefehl gegen Ernst Brunst vom 9.9.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1492, Bl. 195). Zuvor war der Mann lediglich vom Dienst in der Polizei entbunden worden. Vgl. Vermerk der Staatsanwaltschaft Dortmund (Kannig) vom 28.6.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 91). Im Nachgang des Prozesses wurde der Oberstaatsanwalt durch den Justizminister von NRW kritisch befragt, wie es zu den beschriebenen Manipulationen kommen konnte. Vgl. Schreiben des NRW Justizminister an OStA Dortmund vom 24.4.1954 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1490, Bl. 70). 185 Bericht Staatsanwalt Dr. Nachtweh an den Bundesinnenminister vom 2.4.1954 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1490, Bl. 57r). Exemplarisch für eine radikal abgeänderte Aussage vgl. Aussage Fritz Urban vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 219, Bl. 33–34); Erich Mockler vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 129r f.). Für die nachträgliche Abmilderung einer Aussage vgl. Brief von Hans Delisch an Polizeidirektor Kannig vom 6.6.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 89). Grundlegend für den höheren Quellenwert von Vernehmungen im Vergleich zu Aussagen in Hauptverfahren vgl. Wolfgang Scheffler, Der Beitrag der Zeitgeschichte zur Erforschung der NS-Verbrechen – Versäumnisse, Schwierigkeiten, Aufgaben. In: Weber/Steinbach (Hg.), Vergangenheitsbewältigung durch Strafverfahren?, S. 114–133, hier 118 f.; ders., NS-Prozesse, S. 18 und 24.

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juristische Ermittlungen fatale Tatsache birgt jedoch in geschichtswissenschaftlicher Hinsicht einen großen Vorteil. Die frühen Aussagen der ehemals im Bataillon 61 eingesetzten Personen, auch wenn deren Inhalt später widerrufen wurden, liefern wichtige Informationen insbesondere zur Organisationskultur und Handlungsmuster der Einheit.186 Die Protokolle sind besonders aussagekräftig und meist sogar die einzigen verfügbaren Quellen, wenn es um interne informelle Abläufe und ungeschriebene Regeln innerhalb der Polizeieinheit geht. Dennoch muss man nochmals anhand der Spezifika der einzelnen Ermittlungsverfahren genauer hinterfragen, warum Täterzeugen offen aussagen sollten. Wieso handelte es sich, neben der Wirkung der beschriebenen Faktoren, in den einzelnen Ermittlungen gegen das Bataillon 61 nicht wie in anderen Fällen um eine „Sammlung von Falschaus­ sagen“?187 Insbesondere die Überlieferung der ab 1951 geführten Dortmunder Ermittlungen geben hierüber Aufschluss. Die beschuldigten Männer der Dortmunder Polizeieinheit waren sich zwar möglicherweise des Unrechts ihrer Taten bewusst. Anfangs unbewusst waren sie sich aber wohl der Möglichkeit, auch juristisch belangt zu werden. Folgerichtig hielten die Ermittler über eines der am schwersten belasteten Einheitsmitglieder fest, dieses ginge davon aus, „dass sich das Verfahren nicht gegen ihn richtet und nicht die Absicht besteht, ein Verfahren gegen ihn einzuleiten“. Dies habe dazu geführt, „dass er unbefangen und ohne Zurückhaltung aussagte“.188 Auch andere Bataillonsangehörige hatten eine ähnliche Sichtweise. So hielt etwa ein Polizist gegenüber den Ermittlern selbstbewusst fest, er sei sich „einer strafbaren Handlung nicht im Entferntesten bewusst“.189 Ein anderer meinte, dass „die Bewachung des Gettos in Warschau einen völlig harmlosen Charakter hatte und das dort nicht das Geringste vorgefallen“190 sei. Solche aus heutiger Sicht verwunderlichen Äußerungen sind zum einen darauf zurückzuführen, dass die Ermittlungen der Dortmunder Staatsanwaltschaft gegen das Bataillon 61 die ersten Ermittlungen ihrer Art in Westdeutschland waren. Zum anderen sind die Aussagen dadurch beeinflusst, dass die Verhörten, wie schon erwähnt, durch die medial kommunizierten Sagbarkeitsregeln nicht mit einer öffentlichen oder juristischen Schuldzuschreibung rechneten.

186 Für das Plädoyer, die Aussagen von Tätern als Quellen ernst zu nehmen, vgl. u. a. Michman, Täteraussagen, S. 206 f. Generell zur Aussagekraft von deutschen Gerichtsmaterialien als Geschichtsquellen vgl. Kiepe, Reservepolizeibataillon 101, S. 18 f.; Katrin Stoll, Die „Räumung“ des Białystoker Ghettos in den Aussagen von „Täter-Zeugen“. In: Schulte (Hg.), Die Polizei im NS-Staat, S. 263–304, 17 f. 187 Klemp, Freispruch, S. 15. Klemp spielt hierbei vor allem auf die Ermittlungen gegen das Polizeibataillon 67 an. Aussagen von Männern des Bataillons 61 halten jedoch der Überprüfung mit anderen Archivalien meist stand. 188 Zusammenfassung der Ermittlungsbehörde o. D. (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 88). 189 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 110). 190 Aussage Wilhelm Boris vom 16.3.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 265).

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Zwar gab es auch schon vor dem ersten Prozess gegen ehemalige Mitglieder des Bataillons 61 verschiedene Strafverfahren gegen niederrangige Mitglieder des NS-Regimes. Jedoch waren diese Prozesse im öffentlichen Bewusstsein so gut wie nicht präsent. Schuldige für die Verbrechen in der Zeit des National­ sozialismus wurden in der westdeutschen Gesellschaft der frühen 1950er-Jahre noch nahezu ausschließlich in der Gruppe der höheren NS-Eliten vermutet. Ein Paradigmenwechsel in dieser Wahrnehmung vollzog sich, nicht zuletzt aufgrund medialer Berichterstattung, erst mit dem Ulmer Einsatzgruppen-Prozess 1958, dem Eichmannprozess in Jerusalem 1961 und schließlich den Frankfurter Auschwitzprozessen ab 1963. Darüber hinaus dürfte sich ein Großteil der Polizisten bereits als entlastet betrachtet haben, hatten sie doch zuvor ihre Entnazifizierung meist problemlos überstanden. Viele waren sogar immer noch oder bereits wieder im Polizeidienst tätig.191 Insbesondere in den frühen polizeilichen Verhören sagten die Mitglieder des Bataillons 61 offen und detailliert aus. Ein Mann gestand beispielsweise sogar, dass er „auch ein einziges Mal geschossen habe“.192 Ebenso hält das Verhörprotokoll eines weiteren Manns fest, er sei aktiv an einer Erschießung „beteiligt gewesen“.193 Später wurden solche Aussagen dann in Hinsicht auf die Teilhabe an strafbaren Handlungen stark eingeschränkt, als klar wurde, dass es tatsächlich zu einer Anklage kommen würde. Weiterhin unbenommen von dieser Einschränkung blieb die große Bandbreite an Handlungsmustern, die den Bataillonsangehörigen unverdächtig erschienen oder einfach anderen, bevorzugt verstorbenen, Personen zugeschrieben wurden. Einer der Beschuldigten brachte es selbst auf den Punkt, wenn er festhielt, „Tote kann man gut belasten“.194 So soll etwa einer der Männer eine Tötung vor seinem Kameraden mit den Worten begründet haben: „Der Jude sei frech geworden und er habe daraufhin von der

191 Für die mediale Komponente vgl. Eichmüller, Generalamnestie, S. 191–193. Relevant ist dies insbesondere, da noch kein NS-Bewusstsein in der deutschen Gesellschaft durch Auschwitz-, Einsatzgruppen- und Eichmannprozess bestand, als das Bataillon 61 vor Gericht kam. Vgl. ferner Arendt, Eichmann. Die englischsprachige Erstausgabe erschien erst 1963, also lange nach dem Dortmunder Ghettoprozess. Vgl. auch Devin O. Pendas, Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht, München 2013. Zur Wahrnehmung der NS-Vergangenheit in der Bevölkerung vgl. Jörg Osterloh/Clemens Vollnhals (Hg.), NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit. Besatzungszeit, frühe Bundesrepublik und DDR, Göttingen 2011. 192 Aussage Theodor Pohle vom 30.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 58). Vgl. exemplarisch hierfür auch die weitgehende Äußerung des späteren Hauptangeklagten in Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 52). 193 Aussage Otto Kobitzki vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 43). Etwas weniger deutlich, aber immer noch relativ klar sind andere Aussagen, die festhalten, man „glaube“ nicht, Menschen getötet zu haben. Exemplarisch vgl. Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 142r); Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 240). Statt eine vage Formulierung zu wählen, hätte eine Tötung im Verhör auch schlicht verneint werden können. 194 Aussage Franz Bayer vom 24.9.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 175r–176).

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Schusswaffe Gebrauch machen müssen.“195 Aus solchen Aussagen lassen sich die Funktionsweisen der Einheit, deren Zusammenhalt sowie die sozialen Nahbeziehungen der Männer genauer einschätzen. Bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Münster in den späten 1950erund der Staatsanwaltschaft Zentralstelle Dortmund zu Beginn der 1960er-Jahre waren sich die Aussagenden bereits bewusst, dass aufgrund ihrer Handlungen Strafverfahren angestrengt werden konnten. Ebenso hatten sie jedoch schon im Dortmunder Ghettoprozess erlebt, dass man sich bequem auf den Befehlsnotstandsmythos zurückziehen konnte, da dieser von Staatsanwälten wie Richtern zur Entlastung akzeptiert wurde. Darüber hinaus hatten die Verhörten die Erfahrung gemacht, dass offene Äußerungen in Ermittlungsverfahren keine Verurteilung bedingten, solange man belastende Aussagen in einem Hauptverfahren nicht wiederholte. Unter dem Eindruck, dass Verfahren gegen das Bataillon 61 also quasi im Sande verliefen, schienen weitere Aussagen über die Tätigkeit der Einheit weitgehend unbedenklich, da man die „Gefahr einer Strafverfolgung“196 nicht mehr sah. Im Falle der Ermittlungen zum Hamburger Prozess gegen den ehemaligen Chef der Warschauer Sicherheitspolizei ist darüber hinaus davon auszugehen, dass die Männer des Bataillons 61 ihre Handlungen nicht als Gegenstand der Ermittlungen ansahen. Das Verfahren richtete sich schließlich gegen die Sicherheitspolizei. Außerdem hatten einige der Verhörten bereits selbst für ihre Taten im Bataillon 61 vor Gericht gestanden und waren freigesprochen worden. Ferner richteten die Hamburger Staatsanwälte, wie schon ihre Dortmunder und Münsteraner Kollegen, ihre Anstrengungen auf einzelne Täter und konkret nachweisbare Straftaten aus. Somit sahen es die Polizisten offenbar als relativ sicher an auszusagen, solange sie sich nicht selbst direkt belasteten. In ihren Verhören hat es sogar den Anschein, dass die Männer bevorzugt über besonders „böse“ Akteure sprachen, um sich selbst von diesen abzugrenzen sowie die eigene Schuld mental und juristisch abzuwälzen. Besonders wertvoll sind dabei erneut Protokolle, die über scheinbar nicht strafbare Umstände berichten. Neben den Aussagen ehemaliger Mitglieder des deutschen Okkupations­ regimes wurden in Vorbereitung verschiedener Ermittlungsverfahren auch Aussagen lokaler Bevölkerungsgruppen gesammelt, die mit dem Bataillon 61 in Kontakt gekommen waren. Anders als etwa im Vorverfahren des Dortmunder Ghettoprozesses wurde die Bedeutung von Opferaussagen später durch die Hamburger Staatsanwaltschaft nicht mehr a priori als gering eingeschätzt.

195 Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 117r). 196 Aussage August Oestreich vom 9.8.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 177). Dass für sie de facto keine Gefahr einer Verurteilung bestand, zeigt letztlich auch die marginale Verurteilungsquote von Ordnungspolizisten in der Bundesrepublik. Vgl. Klemp, „Nicht ermittelt“, S. 18.

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Tatsächlich waren diese Aussagen aber in rein juristischer Perspektive gegen Mitglieder der Besatzungsmacht wenig verwendbar.197 Durch die massenhaft und alltäglich ausgeübte deutsche Gewalt konnten Zeugen meist keine exakten Täter, Tatorte und Tatzeiten benennen. Ein Zeuge hielt etwa fest, „dass die Vorfälle, bei denen sich Erschießungen ereigneten, einander so sehr ähnelten, dass eine besondere Schilderung der Vorfälle nicht möglich“ sei.198 Ein weiterer Zeuge gab zu Protokoll, es sei ihm „unmöglich, bei den oben erwähnten Einzeltötungen die jeweils genauen Tatumstände nach Ort, Zeit und Entfernungsabstand von meinem Beobachtungsplatz aus anzugeben“. Dafür sei er „in einer zu großen Anzahl von Fällen Zeuge solcher Tötungen gewesen“.199 Auch gehörte es schlicht zur Überlebensstrategie der Ghettoinsassen, sich von den Deutschen möglichst fern zu halten. Folglich konnten sich Zeugen häufig „an keine Namen oder Gesichter von Deutschen erinnern“,200 da man „immer versucht habe, allen Deutschen auszuweichen“.201 Hinzu kam auch die seit den untersuchten Zusammenhängen verstrichene Zeitspanne. Israel Gutmann, später leitender Historiker von Yad Vashem, brachte es gegenüber den Ermittlungsbehörden 1962 als Zeuge auf den Punkt. Er hielt fest, er könne „im Übrigen nach so vielen Jahren“ die deutschen Akteure, mit denen er zusammengetroffen sei, „nicht mehr hinsichtlich ihrer Personalbeschreibung bestimmen“.202 Wo dennoch Beschreibungen von Ereignissen durch Opferzeugen präsentiert werden, tendieren ihre Aussagen in einigen Fällen dazu, Sachverhalte zu vermengen. Für die Ermittlungsbehörden machten diese Umstände die Zeugen juristisch unbrauchbar. Aus historischer Perspektive sind ihre Aussagen jedoch wertvoll, da durch sie Aspekte aufgriffen werden, die von den Polizisten in ihren Aussagen tabuisiert wurden. Sicher haben die Aussagen der Opferseite dabei das gleiche Verknappungsproblem, das auch den Täteraussagen in juristischen Protokollen inhärent ist. Sie erlauben aber in anderer Hinsicht einen deutlichen Erkenntnisgewinn. Die Aussagen sind nicht durch juristische Abwägungen und Absicherungsversuche geprägt. Stattdessen wirkten jedoch teilweise Traumatisierungen blockierend auf die Aussagen.203 197 Zur Begründung des fehlenden Interesses an Opferaussagen durch den leitenden Oberstaatsanwalt vgl. Bericht OStA Brey an den Innenminister NRW vom 18.6.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1490, Bl. 17). Einzig ein polnisches Ermittlungsverfahren griff auf Aussagen von Opfern der Dortmunder Polizeieinheit zurück. Eine teilweise Abschrift dieses Verfahrens findet sich in: LAV NRW, W, Q 234 Nr. 129. Generell zur Problematik, Opferquellen zu verwenden, vgl. Klemp, „Nicht ermittelt“, S. 25; Bettendorf, Reserve-Polizeibataillon 111, S. 96. 198 Aussage Israel Spiegelstein vom 13.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1808). 199 Aussage Simon Friedman vom 17.6.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 32, Bl. 14917). 200 Aussage Airem Bard vom 27.8.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 23, Bl. 10239). Ebenso vgl. Aussage Josef Boniovka vom 2.11.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 17, Bl. 7771). 201 Aussage Airem Bard vom 27.8.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 23, Bl. 10239). 202 Aussage Israel Gutmann vom 23.9.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 18, Bl. 8033). 203 Vgl. Christian Schneider, Trauma und Zeugenschaft. Probleme des erinnernden Umgangs mit Gewaltgeschichte. In: Michael Elm/Gottfried Kössler (Hg.), Zeugenschaft des Holocaust. Zwischen Trauma, Tradierung und Ermittlung, Frankfurt a. M. 2007,

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So brach etwa einer der Befragten vor den Hamburger Ermittlern weinend zusammen und ließ protokollieren: „Ich kann nicht mehr, es ist zu viel für mich. Ich habe schon wegen der heutigen Vernehmung mehrere Nächte nicht schlafen können. Die seelische Belastung, besonders durch die Gegenüberstellung, war so schwerwiegend, dass ich jetzt nicht mehr in der Lage bin, der weiteren Vernehmung zu folgen.“204 Sein jetziger Zustand sei „einfach eine Folge davon, dass die furchtbaren Erlebnisse der damaligen Zeit wieder aufgefrischt worden“205 seien. Ein weiterer Zeuge brach trotz Drängens der Verhörspezialisten seine Vernehmung ab. Für ihn stand fest, dass „ihm sein Gesundheitszustand nicht gestatte, sich nochmals in die für ihn schreckliche Zeit zurückzuversetzen und neuen Aufregungen auszusetzen“. Entsprechend erklärte er, dass er „jetzt und künftig an Vernehmungen wegen Tötungshandlungen nicht mitwirken“206 könne. Ein anderer Zeuge klärte die Ermittler auf, er sei „bestrebt, diese ganzen Erlebnisse zu vergessen“, und er wünsche nur noch, sich an die „Morde nicht mehr erinnern“ und sie in sein „Gedächtnis zurückrufen“ zu müssen. Er wolle und könne entsprechend „nicht mehr dazu beitragen, eine Einzelperson eines Mordes zu überführen“.207 Andere Zeugen lehnten es aus noch immer bestehender Angst ab, für eine Aussage nach Deutschland zu kommen. Eine Zeugin etwa begründete ihren Entschluss damit, sie „habe noch Jahre lang nach dem Kriege unter diesen Erlebnissen gelitten und nachts häufig aufgeschrien“.208 Sie erklärte sich erst nach längerer Überzeugungsarbeit bereit, vor der israelischen Polizeibehörde auszusagen. Hinzu kommt, dass einige Zeugen ihre Aussagen stark an den antizipierten Erwartungshorizont ihres Publikums anpassten. Einige dramatisierten dabei Verhältnisse, während andere sie zu beschönigen versuchten. Letzteres galt insbesondere für jene Personen, die etwa als Teil des jüdischen Ordnungsdienstes oder in sonstiger Form mit den Deutschen kollaboriert hatten. Ebenso wenig, wie ein Mitglied des Bataillons 61 seine Aussagen in den Ermittlungen

S. 157–175; Ilka Quindeau, Trauma und Geschichte. Interpretationen autobiographischer Erzählungen von Überlebenden des Holocaust, Frankfurt a. M. 1995. Am Beispiel traumatisierter Kinder im Holocaust vgl. auch Sharon Kangisser Cohen, The Silence of Hidden Child Survivors of the Holocaust. In: Yad Vashem Studies, 33 (2005) 1, S. 171–202. 204 Aussage Benjamin Gruszka vom 11.12.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 26, Bl. 11726). In ähnlicher Form vgl. Aussage Anna Kacprzak vom 11.7.1967 (BStU MfS HA IX 2536, Bl. 154). Weitere Zeugen äußerten sich ähnlich, jedoch war die Mehrzahl an Aussagenden in der Lage, sich trotz der erlebten Schrecken zu äußern. Andere potenzielle Zeugen hatten schlicht nicht das Bedürfnis, an den Ermittlungen teilzuhaben. 205 Aussage Benjamin Gruszka vom 11.12.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 26, Bl. 11727). 206 Aussage Hermann Rudnianski vom 9.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5950). 207 Aussage Stefan Szczupak vom 15.3.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 1, Bl. 522r). 208 Aussage Irena Rojek vom 17.1.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 27, Bl. 12374). Exemplarisch in ähnlicher Form vgl. Aussage Henrik Wolski vom 27.5.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 49, Bl. 22584).

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per se verfälschte, sagte ein Belastungszeuge in jeder Hinsicht korrekt aus. Zu divers waren auch deren Handlungen, als dass auf eine Überprüfung von Plausibilitäten anhand des Abgleichs mit weiteren Quellen verzichtet werden könnte.209 Darüber hinaus variiert der Detailreichtum der Opferaussagen, je nachdem wie offen die jeweiligen Ermittler ihre Fragen stellten bzw. wie stark sie die Vernehmungsergebnisse durch Vorgaben beeinflussten. Insbesondere einige Teile der polnischen Ermittlungsunterlagen können als Folge daraus nicht durchweg als ergebnisoffen gestaltet gelten. Ähnliche und teilweise identische Formulierungen bei verschiedenen Zeugenvernehmungen weisen auf eine bewusste Manipulation hin. So wiederholt sich beispielsweise folgende Aussage mehrfach mit dem exakt gleichen Wortlaut: „Die Angehörigen des Polizeibataillons 61 waren äußerst brutal, sie verfügten über Befugnisse des Prokurators und haben alle Exekutionen aus eigener Initiative durchgeführt.“210 Weit schwerwiegender als solch verhältnismäßig leicht erkennbare Verfälschungen ist jedoch, dass vor allem im Fall des Hamburger Verfahrens Aussagen in verschiedenen Sprachen an diversen Orten unter Mitwirkung von sachunkundigen Konsulatsangestellten und ausländischen Ermittlungsbehörden aufgenommen wurden. Die in deutschen Archiven vorliegenden Übersetzungen und Transkripte sind darüber hinaus teilweise terminologisch, aufgrund unpräziser Übersetzungen, fehlerhaft. So wurde beispielsweise an einer Stelle das Wort „Offizier“ einfach mit „SS-Führer“211 übersetzt, obwohl die Bedeutungen der Begriffe durchaus verschieden sind und somit andere Akteure suggerieren. In anderen Aussagen verschwimmen durch die Übersetzung die Tatbeteiligungen bestimmter Besatzungskräfte oder es werden sogar neue konstruiert. So wurde etwa die Originalformulierung „il était gendarme“ in der deutschen Übersetzung mit „er war Feldpolizist“212 falsch wiedergegeben. Dies suggeriert also eine völlig andere Gruppe an Akteuren, denn der Aussagende sprach eigentlich über Gendarmen und meinte damit, ebenfalls terminologisch unscharf, Mitglieder der Ordnungspolizei.213 Auch wo keine Fehlübersetzungen vorliegen, verwendeten Opferzeugen öfter unpräzise Begrifflichkeiten aufgrund nicht bestehender Kenntnisse über die deutschen Besatzungskräfte. So werden die Bewacher des Ghettos, wie auch schon für die Unterlagen des Ringelblum-Archivs erwähnt, mit dem ­volkstümlichen

209 Für die Opferzeugenproblematik vgl. Eichmüller, Generalamnestie, S. 381–383. Vgl. auch schon die Überlegungen weiter oben in diesem Kapitel zur Anpassung von Täteraussagen an ihr Publikum. 210 Aussage Franciszek Wiemann vom 23.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 172). Exemplarisch für die identische Formulierung vgl. Aussage Leon Kaszyński vom 26.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 176). 211 Aussage Sabina Sandzer vom 14.6.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 45, Bl. 20795). 212 Aussage Jacob Rudnianski vom 4.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5954). 213 U. a. deswegen war die Aussage damit für die deutschen Ermittler nicht mehr nutzbar. Sie suchten nach konkreten Tatbeteiligungen von Ordnungspolizisten.

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Grundlagen der Studie

Begriff für Polizisten etikettiert. Die Ghettoinsassen nannte „sie ‚Gendarmen‘, es waren jedoch Schutzpolizisten“.214 Kurzfristig problematisch ist dies vor allem, wo die Fehleinschätzung der Opfer noch weiter geht. So hielt ein Zeuge fest: „Am Ghettoeingang standen uniformierte Deutsche, die ein Blechschild an einer Kette auf der Brust trugen. Ich weiß nicht mehr, ob es sich um SS-Leute oder Polizeiangehörige gehandelt hat. Von diesen wurde gesagt, dass sie auch Juden erschossen hätten.“215 Die hier beschriebene Feldgendarmerie stellte dort 1942 aber keine Bewachungskräfte. Ebenso wenig wurde die Wehrmacht zu Bewachung des Ghettos eingesetzt wie ein weiterer Insasse nahelegte.216 Ähnlich verzerrt äußerte sich etwa auch ein Zeuge über Tötungen im „Warthegau“. Er meinte, sich sicher zu sein, dass Todesurteile eines Polizeistandgerichts, an dem das Bataillon 61 mitwirkte, von der „deutschen Feldgendarmerie“ vollstreckt wurden, die „Wehrmachtsuniformen“217 getragen hätte. Generell lässt sich aber solchen problematischen Aussagen, auch wenn sie nicht nur auf sprachlichen Ungenauigkeiten oder Übersetzungsfehlern beruhen, begegnen, indem man sie mit Quellen aus der Zeit bis 1945 abgleicht. Aus diesen lässt sich dann erkennen, dass die Zeugen trotz einer fehlerhaften Etikettierung der Akteure letztlich über das Bataillon 61 sprachen, da bestimmte Tätigkeiten zu bestimmten Zeitpunkten nur von der hier untersuchten Einheit ausgeübt wurden. Besonders deutlich lässt sich erkennen, dass über Ordnungspolizisten gesprochen wurde, wenn die Aussagenden die deutschen Akteure äußerlich genauer beschrieben. So hielt eine Zeugin fest, die Deutschen im Warschauer Ghetto hätten eine „grüne Uniform“218 getragen. In Anbetracht der Tatsache,

214 Aussage Aron Back vom 24.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3718). Für die Erwägung, es könnten „Polizisten oder Gendarmen“ gewesen sein, vgl. Aussage Mordacha Markusfeld vom 18.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3680). Generell zur problematischen Beschreibung von deutschen Polizeikräften durch Opferzeugen vgl. Curilla, Judenmord, S. 11. Dort wird eine kritische Nutzung des Quellenmaterials angemahnt, die jedoch nicht zu weit gehen solle, denn die Beamten der Schutzpolizei seien von der Bevölkerung gemeinhin als Gendarmen bezeichnet worden. Vgl. auch Władysław Bartoszewski, Das Todesringen um Warschau 1939–1944, Krakau 1969, S. 337. 215 Aussage Josef Giverc vom 18.10.1961(StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3668). Ebenso zur angeblichen Bewachung durch Feldgendarmerie und Wehrmacht vgl. Aussage Sam German vom 9.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 7, Bl. 3514). Diese Einschätzung wird mit der Aussage von Sam Henry Hoffenberg vom 3.11.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3864) widerlegt. Zur noch immer kaum erforschten Feldgendarmerie vgl. Christian Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg. Front und militärisches Hinterland 1941/42, 2. Auflage, München 2010, S. 41. 216 Vgl. Aussage Sam German vom 9.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3516). 217 Aussage Waclaw-Marian Skowronski vom 20.4.1970 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 37). 218 Aussage Ghana Berenblut vom 5.1.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 38, Bl. 17390). Eine grüne Uniform wird auch in etlichen weiteren Aussagen erwähnt vgl. exemplarisch Aussage Samuel Silberstein vom 27.3.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9168); Aussage Jacob Rudnianski vom 4.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5961); Aussage David Boruchwicz vom 31.8.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 1, Bl. 581). Dass es sich bei den Männern in

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dass 1942 nur das Bataillon 61 als deutsche Wachmannschaft des Ghettos eine solche Uniformierung aufwies, macht deutlich, über welche Akteure sich Ghettoinsassen äußerten. Somit können die von der Ghettobevölkerung beschrieben Handlungsmuster relativ sicher der Dortmunder Polizeieinheit zugeordnet werden. Gleiches gilt auch für die Schilderung über deutsche Akteure im Jahr 1939/40 im „Warthegau“.219 In einigen Fällen differenzierten die Zeugen sogar sehr genau. Zwar wurden auch hier die Polizisten meist als Gendarmen bezeichnet, jedoch wurden weitere Aspekte teils sehr präzise beschrieben. Ein Zeuge etwa führte korrekt aus: „Die Gendarmen unterschieden sich in der Uniform sehr deutlich von SS und SD. Und zwar war ihre Uniform grünlicher mit braunem Kragen.“220 An anderen Aussagen lässt sich deutlich ablesen, dass nicht alle beschriebenen Merkmale immer der Ordnungspolizei zuzuschreiben sind. So habe ein Zeuge einen gewalttätigen Deutschen „nur in Uniform gesehen. Die Uniform hatte eine graugrüne Farbe. Er trug lange Stiefel und eine Schirmmütze mit einem schwarzen Band auf dem vorn ein Totenkopf angebracht war.“221 Noch deutlicher wurde ein anderer Ghettoinsasse, der über die Zuordnung eines Gewaltakteurs sprach und angab, dessen Uniform von der anderer Gruppierungen unterscheiden zu können, da „diese Leute, obwohl sie sonst dieselbe Uniform wie die SS trugen, auf dem Ärmel in der Höhe des Unterarms ein viereckiges Abzeichen trugen, welches schwarz war mit der Inschrift SD“.222 In der Zusammenschau und unter Abwägung der ihnen innewohnenden Schwierigkeiten ergeben die Opferaussagen, auch wenn sie für die Analyse des Bataillons 61 quantitativ weniger umfangreich als die Täteraussagen sind, doch ein signifikantes Bild von der Polizeieinheit und seinen Akteuren. Die ­Protokolle

grüner Uniform um Personen handelte, die sich lediglich unbefugt zum Ghetto begeben hatten, ist nahezu auszuschließen, da die Uniform den regulären Wachen und Posten zugeschrieben wurde. 219 Vgl. exemplarisch Aussage Fancisek Jangas vom 27.4.1970 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 33); Aussage Jan Mikolajczyk vom 27.10.1971 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 136–138). Vgl. auch die bereits ausgeführten Überlegungen zur Benennung der Farbe von Uniformen in Texten des Ringelblum-Archivs weiter oben in diesem Kapitel. 220 Aussage Mordka Josek Salve vom 21.4.964 (StAHH 213-12-70 Nr. 29, Bl. 13262). Hierbei ist der Untergrund des Kragenspiegels gemeint. Der eigentliche Kragenspiegel wurde von einem weiteren Zeugen korrekt als grün beschrieben. Vgl. Aussage Julian Daszewski vom 20.1.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 27, Bl. 12413). Über die Farbe der Uniform unterschied Israel Spiegelstein etwa auch einen besonderen Ordnungspolizisten von anderen gewalttätigen Akteuren. Vgl. Aussage Israel Spiegelstein vom 13.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1808). Allgemein zur Differenzierung, die Uniformen der Polizisten seien „grünlicher“ als die der Wehrmacht und des SD gewesen, vgl. Aussage Benjamin Gruszka vom 11.12.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 26, Bl. 11721). 221 Aussage Julian Daszewski vom 20.1.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 27, Bl. 12413). Die Aussage bezieht sich auf Heinrich Klaustermeyer, der dort aber als Klostermeyer angegeben wird. 222 Aussage Aron Back vom 24.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3721).

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zeigen eine ansonsten selten beschriebene Facette der Opfer-Täter-Interaktion und die damit verbundenen Handlungsfreiräume der Männer des Bataillons 61. Ferner sind anhand solcher Aussagen auch Rückschlüsse möglich, wie sich die Organisationskultur der Dortmunder Polizeieinheit nach außen präsentierte. Hierbei zeigt sich insbesondere, welche Drohkulisse die deutschen Polizisten aufbauten und wie sie Angst als Teil ihrer lokalen Herrschaft einsetzten. Um sich aber effektiv mit der Organisationskultur des Bataillons 61 auseinander setzen zu können, müssen die juristischen Quellen aus Opfer- und Tätersicht kombiniert werden. Die Herausforderung ist dabei, die verschiedenen, teilweise widersprüchlichen Aussagen in eine kohärente Ordnung zu bringen. Erst das Zusammenführen der bestehenden Ermittlungsverfahren gegen und über die Männer des Bataillons 61, unter Abwägungen der genannten Probleme, lässt ein zur wissenschaftlichen Analyse geeignetes Gesamtbild der Organisationskultur der Einheit entstehen. Insbesondere plädiert die vorliegende Arbeit dabei dafür, in den Verhörprotokollen nicht nur die Schilderung vergangener Begebenheiten zu sehen. Vielmehr handelt es sich bei den erwähnten Zusammenhängen und Strukturen um Aspekte, die für die Aussagenden zurzeit der Stellungnahme herausgehobene Bedeutung hatten. Die Wirkmacht gewisser Strukturen, die für die Aussagenden juristisch unverfänglich waren, lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass sie auch in den 1960er-Jahren noch besondere Präsenz in den Zeugenaussagen hatten. Obwohl das so entstehende Bild relativ komplett erscheinen mag, reicht es nicht aus, juristische Quellen gegeneinander allein in einem komparatistischen Verfahren abzugleichen und aus dem Ergebnis auf historische Sachverhalte zu schließen. Wie schon erwähnt, lässt sich vielmehr erst durch die Kombination mit anderen Quellenbeständen das Verhalten der hier untersuchten Männer sowie die Strukturen in die sie eingebettet waren freier von Verzerrungen analysieren.223 Eine Ergänzung der aus juristischer Provenienz gewonnenen Ergebnisse kann durch Selbstzeugnisse von Tatbeteiligten im Fall des Bataillons 61 nur bedingt geleistet werden. Gerade Einsätze der Ordnungspolizeieinheit, wie etwa die Details der Bewachung des Wachschauer Ghettos 1942, wurden aufgrund ihrer gewalttätigen und strafrechtlichen Relevanz kaum durch die Männer selbst aufgearbeitet oder nach dem Krieg auch nur in schriftlicher Form festgehalten. Eine Ausnahme hiervon ist die erstmals 1957 von Hans Georg Kärgel veröffentlichte Schrift über den „Einsatz des Reserve-Polizeibataillon 61“.224 Der Aufsatz ist sehr kurz und hat einen stark apologetischen Charakter. An dem Text lässt 223 Besonders zum Problem der strittigen Aussageglaubwürdigkeit vgl. grundlegend Browning, Ganz normale Männer, S. 14. Für ein komparatistisches Vorgehen vgl. Birn/ Riess, Holocaust, S. 196 f. Dessen Problematik erläutert Meyer, Täter, S. 445. Ebenso zum Zusammenführen verschiedener relevanter Bestände und Provenienzen vgl. Curilla, Ordnungspolizei, S. 18–20. 224 Kärgel, Einsatz (1957). Der Text wurde noch öfter veröffentlicht. Vgl. zuletzt ders., Geschichte (1983).

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sich somit, u. a. aufgrund der im Archiv des Geschichtsorts Villa ten Hompel archivierten Skriptfassungen, zwar das demonstrative Selbstverständnis des opportunistischen Polizeioffiziers nach dem Krieg ablesen, zu einer Klärung der Handlungsrationale im Bataillon 61 trägt der Aufsatz aber nicht bei. Die Publi­ kation beschönigt nicht nur den Einsatz, sondern stellt ihn verfälschend dar. Korrekt wiedergegeben ist nahezu nur die Formalstruktur der Polizeieinheit. Dies macht den Bericht kaum für die Analyse des Bataillons 61 nutzbar.225 Anders gelagert ist der Fall der von Otto Nahlmann verfassten Erinnerungen über seinen Dienst in der Ordnungspolizei. Er erarbeitete ein Manuskript, das nie publiziert wurde und sich heute in der Sammlung Primavesi im Landesarchiv Münster befindet. Seine undatierte Abfassung setzt sich detailliert und bisweilen sehr kritisch mit diversen Einzelheiten seines Dienstes im Bataillon 61 auseinander. Hierbei werden gewalttätige Aktionen von Kameraden gegen vermeintliche Juden ebenso wie alltägliche Aspekte des Lebens in Osteuropa aufgegriffen. Für eine analytische Nutzung besonders fruchtbar sind dabei die Passagen, in denen sich der Autor mit Aspekten eher beiläufig befasst und die ihm als Teil der Organisationskultur als selbstverständlich erschienen.226 Hierunter fällt etwa die Ausgrenzung von nicht aus dem Ruhrgebiet stammenden Kameraden oder die Persistenz von bereits während der Ausbildung geschlossener Vertrauensstrukturen. Trotz eines kritischen Grundtenors ist Nahlmanns Text mit dem gebotenen Abstand zu betrachten. Sich selbst stilisiert der Autor zum unbeteiligten Opfer der NS-Okkupationspolitik. Aus seinen Personalunterlagen geht jedoch hervor, dass er sich um eine Rückkehr in den Polizeidienst bemühte. Hierbei äußerte er, der Dienst im Bataillon 61 sei für ihn mit Stolz einhergegangen und ohne Zwang geschehen. Somit unterliegen Nahlmans Erinnerungen den typischen „sprachlichen und visuellen Sagbarkeitsregeln“227 der westdeutschen Nachkriegszeit. Die zunächst naheliegende Möglichkeit, die Informationen zum Bataillon 61 durch Zeitzeugenaussagen von Einheitsmitgliedern zu stützen, entfällt für die Dortmunder Einheit nicht

225 Dennoch hat Klemp diesen Text ganz offensichtlich als einzige Quelle zum Russlandeinsatz des Bataillons 61 genutzt. Vgl. Klemp, Freispruch, S. 64–67. Für die Entwürfe von Kärgel vgl. die Manuskripte in VtH Dep. Nr. 36 Lankenau, die sonst oftmals als fehlend moniert werden. Vgl. Jan E. Schulte/Clemens Vollnhals, Einführung: NS-Täterforschung. Karrieren zwischen Diktatur und Demokratie. In: Totalitarismus und Demokratie, 7 (2010) 2, S. 179–181, hier 180. 226 Otto Nahlmann war ein Polizeireservist der 2. Kompanie des Bataillons 61, der 1940 eingezogen wurde. Für seine Erinnerungen vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 1–22. Sehr knapp erwähnt wird sein Text u. a. bei Lehnstaedt, Okkupation, S. 103. 227 Annette Weinke, „Bleiben die Mörder unter uns?“. Öffentliche Reaktionen auf die Gründung und Tätigkeit der Zentralen Stelle Ludwigsburg. In: Osterloh/Vollnhals (Hg.), NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit, S. 263–282, hier 27. Nahlmann brachte 1946 seinen Stolz auch zum Ausdruck, um bessere Chancen bei der angestrebten Wiedereinstellung zu haben. Vgl. Brief von Otto Nahlmann an das Kommando der Schutzpolizei Dortmund vom 21.9.1946 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.).

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Grundlagen der Studie

nur wegen dieser Regeln komplett. Alle Angehörigen der Einheit sind inzwischen verstorben.228 Auch nach dem Krieg aufgezeichnete Erinnerungen aus Opfersicht sind nicht unbegrenzt zur Analyse der Organisationskultur des Bataillons 61 einsetzbar. Transkribierte Oral-History-Interviews, wie sie etwa in Yad Vashem und dem ŻIH archiviert sind, oder publizierte Memoiren beleuchten mehr die nach dem Krieg akzeptierte Interpretation der Okkupationssituation als deren tatsächliche Dynamiken. Stärker als etwa in den zu Kriegszeiten angefertigten Berichten der Ghettoinsassen erscheinen die Deutschen als amorphe und negativ konnotierte Masse. Die Berichte sind darüber hinaus, wie schon Hilberg korrekt angemerkt hat, stark auf bestimmte Zusammenhänge konzentriert, die kaum mit der deutschen Ordnungspolizei verbunden sind. Meist dominieren Narrative über Konzentrationslager (KZ), Zwangsarbeit und Widerstand. Aber auch das Leben vor dem Krieg sowie die frühe Besatzungszeit werden meist relativ umfangreich beschrieben.229 Dabei, hierauf hat ebenfalls Hilberg hingewiesen, sind diese Aufzeichnungen kaum repräsentativ für die tatsächliche Perspektive zu Kriegszeiten. Die Interviewten richteten ihre Berichte an den zum Zeitpunkt des Gesprächs gängigen Geschichtsnarrativen aus bzw. sprachen das an, was sie glaubten, das man von ihnen erwartete. Hinzu kommt, dass ähnlich wie bei juristischen Verhören

228 Zu beachten ist hierbei auch, dass Interviewergebnisse, obwohl freiwillig geäußert, meist in einem noch stärkeren Maße überformt sind, als dies bei Verhörprotokollen der Fall ist. Für ein einzelnes mit einem Mitglied des Bataillon 61 geführtes Interview vgl. Klemp, Freispruch, S. 8. Für den umfangreichen Einsatz von Interviews zur Erforschung der Luxemburger Mitglieder des Bataillons 101 vgl. Paul Dostert, Die Luxemburger im Reserve-Polizei-Bataillon 101 und der Judenmord in Polen. In: Hémecht, 52 (2000) 1, S. 81–99. Der Aufsatz hatte jedoch so gut wie keinen Einfluss auf die weitere Forschung und blieb der einzige seiner Art zu Ordnungspolizeiverbänden. Allgemein zu Oral-History-Interviews vgl. Gabriele Rosenthal, Vom Krieg erzählen, von den Verbrechen schweigen. In: Hannes Heer/Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944, Hamburg 1995, S. 51–66; und schon zuvor dies., Kollektives Schweigen zu den Naziverbrechen. Bedingungen der Institutionalisierung einer Abwehrhaltung. In: Psychosozial, 15 (1992) 51, S. 22–33. Für die Überformung von Interviews vgl. insbesondere auch Römer, Kameraden, S. 87. 229 Vgl. etwa Zeitzeugenbericht Jack Oran (YVA O.3 Nr. 8181); Zeitzeugenbericht Zophia Shulman (YVA O.3 Nr. 12171). Schon Hilberg nennt als wichtigste Erinnerungen KZ, Vernichtungslager, Flucht und vor allem Widerstand. Vgl. Raul Hilberg, Unerbetene Erinnerung. Der Weg eines Holocaust-Forschers, Frankfurt a. M. 1994, hier S. 115 f. Vgl. ferner Kühl, Ganz normale Organisationen, S. 346. Allgemein zu den Grenzen dieser Quellengattung für die Genozidforschung vgl. Samuel Totten, First Person Accounts of Genocidal Acts. In: Israel Charny (Hg.), Genocide. A Critical Bibliographic Review, London 1988, S. 321–362. Zu den „Testimonies“ bzw. Zeitzeugenberichten, wie sie sich neben den Yad-Vashem-Beständen O.3, O.33 und O.62 etwa auch im ŻIH-Bestand Nr. 301 befinden, vgl. Lawrence Langer, Holocaust Testimonies. The Ruins of Memory, New Haven 1991. Da man sich bei den in Yad Vashem aufbewahrten „Testimonies“ sowohl auf die Video- und Audioaufzeichnungen der Gespräche als auch auf deren Abschriften bezieht, werden bei deren Zitation üblicherweise keine Seitenzahlen angegeben. Der Autor dieser Studie dankt Dan Michmann für diesen Hinweis.

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durch den Interviewführer durchaus, ob aus mangelnder Schulung, politischer Ansicht oder anderen Gründen, in den Gesprächsverlauf eingegriffen wurde und Ergebnisse so mitgelenkt und gesteuert wurden.230 Entsprechend befasst sich von der für die vorliegende Studie eingesehenen großen Anzahl an Zeitzeugenberichten nur eine marginale Menge an Erinnerungen überhaupt direkt mit der deutschen uniformierten Polizei in Osteuropa. Teilweise enthalten die Berichte aber dennoch Hinweise darauf, wie sich die deutschen Besatzer generell verhielten, wie Opfer entmenschlicht wurden und welche großen Handlungsspielräume den deutschen Akteuren offenstanden. Viel präsenter sind hingegen, neben den bereits genannten Aspekten, die Handlungsmuster von vermeintlichen Kollaborateuren. Eine prominente Rolle nimmt dabei insbesondere der jüdische Ordnungsdienst im Warschauer Ghetto ein. Wo deutsche Akteure im gleichen Raum erwähnt werden, erscheinen sie in der Tendenz eher als relativ amorphe Masse.231 Andersherum bestand aber auch in der Gruppe der NS-Opfer durchaus das Bedürfnis, die eigene Rolle während des Holocaust zu entfremden. Dies wird besonders deutlich an den Erinnerungen von Männern des jüdischen Ordnungsdienstes. Sie versuchten, sich häufig schriftlich nach dem Krieg für ihren Dienst zu rechtfertigen und ihre Kollaboration zu relativieren. So nehmen Opferberichte zwar eine ganz andere Perspektive ein als die Selbstzeugnisse aus Täterperspektive, leiden jedoch ebenso unter nicht zu vernachlässigender narrativer Unzuverlässigkeit. Im Fall des Bataillons 61 können solche Texte also

230 Exemplarisch vgl. Zeitzeugenbericht Alexander Jakobsen, o. D. (AŻHI 301 Nr. 3004, Bl. 3). Die Mitschrift hält fest, wie Interviewführer durchaus Einfluss auf die Berichte nahmen. Im Fall von Jacobsen wurde extra festgehalten, dass kaum durch Fragen eingegriffen wurde. Dies weist auf eine sonst abweichende Praxis hin. Vgl. Zeitzeugenbericht Sarah Lajbowicz von 1945 (AŻHI 301 Nr. 3630). Auch in den ebenfalls behandelten Yad Vashem „Testimonies“ ist auffällig, dass die Interviewführer den Zeitzeugen oft ins Wort fielen und das Gespräch auf bestimmte Themenfelder lenkten. Insbesondere zu diesem Problem vgl. Israel Gutman, The Jews of Warsaw, 1939–1943. Ghetto, underground, revolt, Bloomington (Indiana) 1989, S. XIII–XVIII. 231 Vgl. etwa Zeitzeugenbericht Jurek Erner (AŻHI 301 Nr. 259, Bl. 3). Er hielt fest, wie sehr der Schmuggel im Ghetto von den jeweils diensthabenden Wachen abhing. Die Schmuggler erkannten unterschiedliche deutsche Charaktere durchaus, hielten deren Beschreibung nach dem Krieg aber oftmals für wenig bedeutsam. Für die eher marginale Erinnerung an die uniformierte Polizei vgl. Zeitzeugenbericht Eizik Fleischer (YVA O.3 Nr. 2150); Serka (Sharf) Sapir und Blima (Sapir) Vulf gemeinsamer Zeitzeugen­ bericht (YVA O.3 Nr. 3237), Zeitzeugenbericht Menachem Maksymilian Dul (YVA O.3 Nr. 3302), Zeitzeugenbericht Tola Puterman (YVA O.3 Nr. 672); Zeitzeugenbericht ‑Marian Szatkowski (YVA O.3 Nr. 1818); Zeitzeugenbericht Henryk Pikielny (YVA O.3 Nr. 6653). Diese Aufzeichnungen haben jedoch alle nicht die Polizei und das Warschauer Ghetto zum Gegenstand. Lediglich drei Aufzeichnungen weisen diesen Kontext auf. Vgl. Zeitzeugenbericht Dawid Efrojmowicz Efrati (YVA O.3 Nr. 6880); Zeitzeugen­ bericht Mordechai Eichel Alon (YVA O.3 Nr. 12787). Zeitzeugenbericht Simkha Sieradzki (YVA O.3 Nr. 10357); befasst sich zwar mit „der grünen Polizei“, jedoch nicht im Kontext der hier untersuchten Einheit oder des Warschauer Ghettos.

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nur sehr bedingt dazu beitragen, Umstände und Handlungen der deutschen Okkupationskräfte nachvollziehbar zu machen.232 Zusammenfassend bleibt für den hier vorgestellten Quellenkorpus festzuhalten, dass er mit seinen verschiedenen Charakteristika eine Analyse der Dortmunder Polizeieinheit und den Handlungen ihrer Mitglieder ermöglicht. Gerade aufgrund der Eigenheiten und teilweise weitgehenden Verfälschungen der Überlieferungen ist es aber mitnichten so, dass die Quellen „eine deutliche Sprache“233 sprechen. Sie liefern geschichtswissenschaftlich gesehen nicht ein kohärentes Gesamtbild, sondern ein in Teilen fehlerhaftes und kleinteiliges Mosaik. Somit muss klar sein, dass die Quellenbasis Grenzen der Analyse bedingt. Anhand der verfügbaren Materialien ist nicht immer eine vollständige Rekonstruktion der tagtäglichen Geschehnisse möglich. Sehr wohl erlauben die zusammengeführten Quellen jedoch, und hierauf ist die vorliegende Studie konzentriert, sich der Organisationskultur des Bataillons 61 und der mit ihr verbundenen Gewaltphänomene anzunähern.234

232 Zu einer solchen Opferperspektive mit Rechtfertigungsdruck vgl. Stanisław Adler, In the Warsaw Ghetto. 1940–1943, Jerusalem 1982. Der Autor war Polizist im Warschauer Ghetto und beschrieb in seinen Memoiren die Situation des jüdischen Ordnungsdienstes als „zwischen den Stühlen“, da dessen Männer sowohl von den Deutschen als auch den Ghettoinsassen verachtet wurden. Er versuchte sich selbst in seiner Darstellung in ein besonders positives Licht zu setzen. 1946 tötete er sich selbst. Ebenso problematisch ist auch die Nutzung von nach dem Krieg erschienenen autobiografischen Werken von Opfern des NS-Regimes. Zwar sind diese Texte leicht zugänglich und wurden auch in der Forschung zum Bataillon 61 illustrativ verwendet. Jedoch ist die analytische Aussagekraft solcher Selbstzeugnisse für die vorliegende Studie stark begrenzt. Selbstzeugnisse sind insbesondere durch die Nachkriegsperspektive der Autoren sowie deren Selbstdarstellung verzerrt. Exemplarisch hierzu vgl. Mary Berg, The diary of Mary Berg. Growing up in the Warsaw Ghetto, Oxford 2007. Generell zur Problematik der Holocaust-Autobiografik vgl. Heidi Keller, Zwischen Autobiographie und Fiktion. Jüdische Holocaust-Literatur und die Identitätsproblematik anhand des „Roman eines Schicksallosen“ von Imre Kertész, München 2014. Vgl. hierzu auch in prinzipiell ähnlicher Form die Überlegungen zu den Selbstzeugnissen der Täter weiter vorn in diesem Kapitel. 233 Klemp, Freispruch, S. 7. 234 Aufgrund nicht vollständig rekonstruierbarer Abläufe scheidet eine rein situative Analyse, wie Jörg Baberowski sie betreibt, aus. Vgl. Baberowski, Räume. Für die deutliche Kritik an dieser Studie vgl. Ulrike Jureit, Rezension zu: Jörg Baberowski, Räume der Gewalt. Frankfurt a. M. 2015. In: H-Soz-Kult vom 29.3.2016 (https://www.hsozkult.de/ publicationreview/id/reb-23480; 25.8.2020). Exemplarisch für das Zusammenführen von Quellenbeständen vgl. das auf einen Einzelakteur konzentrierte Vorgehen in: Issinger, Frankenstein; sowie die auf deutsche Ermittlungsunterlagen ausgerichtete Studie von ders., Options.

III.

Das Reserve-Polizeibataillon 61

Vor allem als Teil der Marschgruppe „Scheer“ nahmen bereits 1938 zahlreiche Funktionsträger des späteren Bataillons 61 bis Ende März 1938 am „Anschluss“ Österreichs teil. Den Einsatz beurteilte man als Erfolg. Es hieß: „Die Ordnungspolizei hat bewiesen, dass sie nicht nur ihre polizeilichen Aufgaben zu lösen versteht, sondern dass ihre Männer auch gute Soldaten sind.“1 Auch beim Einmarsch in das Sudetenland im Herbst 1938 nahmen Polizisten teil, unter denen sich erneut spätere Schlüsselakteure des Bataillons 61 befanden. So war beispielsweise beim „Befehlshaber der Ordnungspolizei ‚Nordmähren‘“2 als Führer der 12. Polizeihundertschaft im III. Bataillon Hauptmann Kärgel eingesetzt, der später die 3. Kompanie des Bataillons 61 befehligte. Auch verschiedene andere Berufspolizisten, die später in der Dortmunder Polizeieinheit eingesetzt wurden, befanden sich bei der Okkupation des Sudetenlandes bis Dezember 1938 wieder im Einsatz.3 1

2 3

O. V., Im Angesicht der Ewigen Wache! Anerkennung für den Einsatz in Österreich. In: Die Deutsche Polizei, 6 (1938) 9, S. 282–283, hier 283. Für die vom „Anschluss“ betroffenen Österreicher, die später im Bataillon 61 dienten, vgl. Akte Anton Thurner (BA R 9355 ZB II 822 A.2); Akte Michael Stockreiter/Stoxreiter (BA R 9361 PK M 47); Akte Siegfried Cufer (BA R 9361 RS A 5383). Für die aktive Teilnahme von späteren Mitgliedern des Bataillons 61 am „Anschluss“ vgl. Vorschlagsliste Nr. 50 für die Verleihung der Medaille zur Erinnerung an den 13. März 1938 vom 10.3.1939 (BA R 601 Nr. 2403, passim). Manche der dort genannten Personen gehörten nicht zum Bataillon III. Exemplarisch für weitere Verwendungen späterer Männer der Dortmunder Polizeieinheit beim Einmarsch vgl. Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 41); Entnazifizierungsakte Jagusch, Adolf vom 22.7.1949 (LAV NRW, R, NW 1038-3116, Bl. 8); Entnazifizierungsakte Rybczak, Ludwig, o. D. [nach 1945] (LAV NRW, R, NW 1039-R-2710, Bl. 11); Akte Walter Nord (BA R 9361 PK I 335, Bl. 2976); Entnazifizierungsakte Ambrosius, Franz vom 8.8.1947 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-23, Bl. 11); Entnazifizierungsakte Haneklaus, Alfred vom 23.8.1947 (LAV NRW, R, NW 1045–AD-1275, Bl. 4); Dortmunder Spruchgerichtsurteil Nord, Walter vom 3.2.1948 (BA-K Z 42 III 1569, Bl. 123); Entnazifizierungsakte Tillmann, Friedrich vom 27.4.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2380, Bl. 11). Letzterer gab jedoch an, er sei abweichend von März bis Mai 1938 in Österreich eingesetzt gewesen. Namentliche Stellenbesetzung der Offiziere und Verwaltungsbeamten in den Sudetendeutschen Gebieten, o. D. [November oder Dezember 1938] (BA R 19 Nr. 210, Bl. 98). Exemplarisch für weitere Offiziere vgl. ebd., Bl. 94r. Beispielhaft für weitere im Sudetenland eingesetzte, spätere Mitglieder des Bataillon 61 vgl. Entnazifizierungsakte Ambrosius, Franz vom 8.8.1947 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-23, Bl. 11); Entnazifizierungsakte Bender, Edmund vom 17.12.1947 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-121, Bl. 11). Auch der spätere Verwaltungsbeamte des Bataillons 61 Petersen war dort schon als Kassenverwalter in Troppau im Einsatz. Vgl. Namentliche Stellenbesetzung der Offiziere und Verwaltungsbeamten in den Sudetendeutschen Gebieten, o. D. [November oder Dezember 1938] (BA R 19 Nr. 210, Bl. 98r). Für die Anordnungen zum Rückmarsch der Polizei aus dem Sudetenland Anfang und Mitte Dezember 1938 vgl. Schnellbrief Befehl Nr. 7 vom 1.12.1938 (BStU MfS HA IX/11 AB 1407 Band 2, Bl. 38); Schnellbrief vom 5.12.1938 (BStU MfS HA IX/11 AB 1407 Band 2, Bl. 46). Für Beförderungsvorschläge aufgrund der Teilnahme am Einsatz im Sudetenland vgl. Namentliche Liste C vom 4.3.1939 (BA R 19 Nr. 210, Bl. 81 f.); Namentliche Liste A vom 4.3.1939 (ebd.); Namentliche Liste B vom 4.3.1939 (ebd.).

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Das Reserve-Polizeibataillon 61

Ebenso bei der mit der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren einhergehenden „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ im März 1938 setzte die Führung wieder Polizeibataillone ein. In ihnen wurden ebenfalls wieder Männer verwandt, die im Zweiten Weltkrieg im Bataillon 61 dienten. Teile der späteren 3. Kompanie seien u. a. bei „Pilsen, Prag und Klatau“ eingesetzt gewesen, wo sie „Besatzungsaufgaben durchgeführt“ hätten.4 1939 wurde dann das Bataillon 61 aufgestellt. Es umfasste zunächst vier Kompanien und wurde später auf drei reduziert. Als militärisch strukturierte Einheit war der Polizeiverband in „Aufbau und in der Befehlsdurchführung der Wehrmacht im vollen Umfang gleichgestellt“.5 Er war „militärisch ausgerüstet und zusammengestellt“6 und war so von seiner formellen Charakteristik in Hinsicht auf Befehlshierarchie und Struktur, als kleinste taktische Einheit, vergleichbaren Truppen von Wehrmacht und Waffen-SS recht ähnlich. Befehligt wurde der Dortmunder Verband als typisches Polizeibataillon mit ca. 450 Polizisten in Mannschaftsdienstgraden und 90 Unterführern durch einen Kommandierenden Offizier sowie zwölf weitere Polizeioffiziere.7

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Aussage Edmund Sauerbier vom 19.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 208). Diese Aussage passt zu verschiedenen Fotografien von diesen Einsätzen. Vgl. die Lichtbilder in LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943. Für den Einsatz der Hundertschaften aus Dortmund vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 3). Vgl. ebenso Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (ebd., Bl. 10); Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 41); Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 15 f.). Für den Einsatzzeitraum vom 13.3. bis zum 20.8.1939 vgl. Entnazifizierungsakte Sobiray, Fritz vom 3.10.1946 (LAV NRW, R, NW 1039-S-1019, Bl. 11). Für den Einsatzzeitraum vom 15.3. bis zum 21.7.1939 vgl. Entnazifizierungsakte Siewecke, Hans vom 2.10.1946 (LAV NRW, R, NW 1039-S-1016, Bl. 11). Für den Einsatzzeitraum vom 29.4. bis zum 17.7.1939 vgl. Akte Walter Nord (BA R 9361 PK I 335, Bl. 1210). Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 81r). Ebenso zu den Unterstellungsverhältnissen des Bataillons 61 vgl. Aussage Joseph Figiel vom 21.11.1952 (ebd., Bl. 83r); Feststellungen zur Sache in der Urteilsbegründung, o. D. [ca. 31.3.1954] (ebd., Bl. 184). Zur allgemeinen organisatorischen Einbindung von Polizeiverbänden in Osteuropa vgl. Erlass des Führers über die polizeiliche Sicherung der neubesetzten Ostgebiete vom 17. Juli 1941. In: Führer-Erlasse 1939–1945. Edition sämtlicher überlieferter, nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkrieges schriftlich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik und Militärverwaltung. Zusammengestellt und eingeleitet von Martin Moll, Hamburg 2011, S. 188 f. Für die Reduzierung des Bataillons 61 auf drei Kompanien vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 16). Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 23). Der britische Geheimdienst ging anhand abgefangener Funksprüche hingegen von zehn Offizieren aus, wobei jedoch der Bataillonskommandeur und dessen Adjutant nicht mitgezählt wurden. Hinzu seien 443 „Privates“, also Mannschaftsdienstgrade und 90 „NCOs“ (Non Commissioned Officers), also Unteroffiziere gekommen. Vgl. German Police Decodes Appreciation vom 1.10.1940 (TNAL HW 16 Nr. 1, unpag.). Ebenso weitestgehend korrekt zur generellen Zusammensetzung des Bataillons 61 in Hinsicht auf dessen Struktur vgl. Urteil und Urteilsbegründung 10 Ks 1/53 vom 31.3.1954 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1491, Bl. 141–144). Vgl. auch Kommandierender Gen. [General] d.

Kommandeure, Adjutanten und der Stab

1.

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Kommandeure, Adjutanten und der Stab

Bei den Bataillonskommandeuren handelte es sich ausschließlich, so auch in der hier untersuchten Einheit, um Berufspolizisten mit langjähriger Dienst­ erfahrung in der Führung von Verbänden und Dienststellen mittlerer Größe. Sie bekleideten normalerweise den Dienstrang eines Majors oder Oberstleutnants. Aufgrund des erforderlichen Dienstalters handelte es sich bei den Bataillonschefs meist um Männer jenseits des 50. Lebensjahres. Im Bataillon 61 waren dies zunächst der spätere Oberstleutnant Major Friedrich Dederky sowie der ihm im Oktober 1942 nachfolgende Major Richard Perling.8 Der am 27. April 1892 in Halle an der Saale geborene Dederky stammte aus einer Großfamilie, hatte 1910 das Gymnasium nach der Ober­sekunda verlassen und eine kaufmännische Lehre absolviert.9 Der verheiratete Vater eines Sohnes diente von 1914 bis 1919 im kaiserlichen Heer, zuletzt im Rang eines Leutnants der Reserve als Flugzeugführer und Beobachter. In dieser Zeit erhielt er neben dem Verwundetenabzeichen auch das Eiserne Kreuz 1. und 2. Klasse (EK I./II.) verliehen. Anschließend war er vom 24. Juni bis zum 6. Juli 1919 als Freikorpsmitglied beim „Grenzschutz Ost“ aktiv und wurde danach in die Reichswehr übernommen. Aus dieser schied er jedoch im Januar 1920 aus und wurde im Mai in den Polizeidienst eingestellt. Am 22. Mai erfolgte die Ernennung zum Polizeileutnant. Am 1. Januar 1923 erfolgte die Beförderung zum Oberleutnant und am 1. April 1927 die Ernennung zum Hauptmann.10

Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen vom 10.10.42 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 21). Dort wird festgehalten, dass 466 Mann und 14 Offiziere des I./9. eintrafen.     8 Vgl. Kärgel, Einsatz (1957), S. 211; Aussage Heinrich Marach vom 29.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5813). Zu Perling vgl. Vermerk der Staatsanwaltschaft über festgestellte Mitglieder des RPB [Reserve-Polizeibataillons] 61 vom 31.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 38).     9 Für Dederkys Familiengröße vgl. Akte Friedrich Dederky (BA R 9361 RS A 5431, Bl. 3006). Für seine Schulausbildung vgl. Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 183). Für seinen Sohn und seine Frau vgl. ebd., Bl. 4; Akte Friedrich Dederky (BA R 9361 RS A 5431, Bl. 3004). Seine Obersekundarreife ist nicht mit dem Abitur zu verwechseln, sondern entspräche einem Abschluss nach der heutigen Jahrgangsstufe 11. Vgl. Masashi Urabe, Funktion und Geschichte des deutschen Schulzeugnisses, Bad Heilbrunn 2009, S. 59. Für Dederkys Berufsausbildung vgl. Akte Friedrich Dederky (BA R 9361 SSO 138, Bl. 1251). Für sein Arbeitszeugnis zu Beginn des Ersten Weltkrieges vgl. Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 16). 10 Für Dederkys Beförderungen und den Eintritt in die Polizei vgl. Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (ebd., Bl. 163 und 100). Für seinen Dienst in der Reichswehr und dem „Grenzschutz Ost“ vgl. Akte Friedrich Dederky (BA R 9361 SSO 138, Bl. 1252); Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 133). Für Dederkys Dienst im kaiserlichen Heer, insbesondere bei der Fliegertruppe, vgl. Akte Friedrich Dederky (BA R 9361 SSO 138, Bl. 1252). Zu seiner positiven fliegerischen Leistungsbewertung für 1918 und sein abschließendes Dienstzeugnis vgl. Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 17 f.).

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Nach Auflösung der Vereinigung deutscher Polizeioffiziere trat Dederky dem nationalsozialistischen Kameradschaftsbund Deutscher Polizeibeamter bei. Ebenso gehörte er ab dem 1. Mai 1933 der NSDAP an und wurde später noch Mitglied der SS und des Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK). Am 9. November 1935 wurde Dederky zum Major befördert und trat am 1. Oktober in die NSV ein. Nach dem Bruch der Polizei mit den christlichen Kirchen 1937 trat der Offizier aus der evangelischen Kirche aus und bezeichnete sich nun als „gottgläubig“. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde er schwerpunktmäßig mit der Polizistenausbildung betreut und war ab 1938 Abschnittskommandeur der Polizei in Dortmund. Kurz vor Beginn des Polenfeldzuges wurde ihm der Befehl über das neugeschaffene Bataillon 61 übertragen.11 1940 erhielt er das Kriegsverdienstkreuz (KVK) mit Schwertern sowie die Medaille für Deutsche Volkstumspflege verliehen. Am 2. Februar 1942 wurde Dederky zum Oberstleutnant befördert. Die Bewertung seiner dienstlichen Tätigkeit beim Bataillon 61 klingt zunächst positiv. So seien viele „Erfolge“ der Einheit auf sein „persönliches Beispiel zurückzuführen“ gewesen, denn er habe den „Einsatz der Kompanien fast immer persönlich geleitet“.12 Besonders habe er sich volkstumspolitisch verdient gemacht. Seine Einheit wurde generell gelobt, sie sei „in Ordnung, die Disziplin ganz ausgezeichnet“. Trotz der „recht schwierigen dienstlichen Verhältnisse“ sei der Offizier „bei den Kameraden sowie bei seinen Untergebenen beliebt“.13 Dennoch lässt sich über ihn festhalten, dass er in seiner persönlichen Leistungsfähigkeit bestenfalls eingeschränkt war. Eine Beurteilung hielt über ihn fest, er überrage „in keiner Beziehung den Durchschnitt“, dennoch sei er in der Polizei „zur Beförderung zum nächst höheren Dienstgrad geeignet“.14 Insbesondere in sportlicher Hinsicht war er unterdurchschnittlich veranlagt und neigte zu „Korpulenz“.15 Darüber hinaus schätz-

11 Zum Kirchenaustritt vgl. Akte Friedrich Dederky (BA R 9361 SSO 138, Bl. 1251) und Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 178). Zum Bruch der NS-Polizei mit den christlichen Kirchen vgl. Michael Arnemann, „Sind Sie in erster Linie katholisch oder deutsch?“. Kirche und Polizei im NS-Staat. Zwischen Gleichschaltung und Selbstbehauptung. In: Schulte (Hg.), Die Polizei im NS-Staat, S. 621–653. Für Dederkys NS-Mitgliedschaften vgl. Akte Friedrich Dederky (BA R 9361 PK B 248, Bl. 1944). Dort wird festgehalten, dass der NSDAP-Eintritt im April 1933 erfolgte. Hingegen hält die Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 153) den NSDAP-Eintritt für den 1. Mai 1933 und den Beitritt zum NSFK am 31.7.1933 fest. Für Dederkys Ernennung zum Major sowie für seinen Eintritt in die NSV und in den nationalsozialistischen Kameradschaftsbund der Polizei vgl. ebd., Bl. 163. 12 Ebd., Bl. 147. Für die Beförderung zum Oberstleutnant sowie seine übrige Karriere und seine Auszeichnungen vgl. ebd., Bl. 203. 13 Ebd., Bl. 147. Solche Bewertungen passen zu den Beurteilungen über Dederky aus Friedenszeiten, die, bis auf eine Phase bei der Berliner Luftpolizei 1927/28, positiv ausfielen. Vgl. ebd., Bl. 90 f. Für schon zuvor aufgetretene Probleme vgl. ebd., Bl. 48 f. 14 Ebd., Bl. 143. 15 Ebd., Bl. 82. Für die Bewertung seiner körperlichen und sportlichen Fähigkeiten vgl. ebd., Bl. 26–29.

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te man Dederky als einen Offizier ein, der sich durch seine lange Reviertätigkeit vom Truppendienst entfremdet hatte. Auch sein „liebenswürdiges Auftreten“16 war indirekt als Mangel an „Härte“ in der Einheitsführung angesehen worden. Viel wichtiger für den Dienst in Heinrich Himmlers SS-Apparat war aber wohl, dass man über Dederky schon am 1. August 1937 urteilte, er sei „von der nationalsozialistischen Weltanschauung restlos durchdrungen“ und verstehe „es vortrefflich, seinen Untergebenen dieses Gedankengut zu übermitteln“.17 Am 27. April 1942 heiratete Dederky, da seine erste Frau im Januar 1941 verstorben war, erneut. Am 5. Oktober 1942 wurde er vom Bataillon 61 abgezogen und kam zur Polizeiverwaltung Dortmund zurück. Hier blieb er mindestens bis Mitte 1943 und wurde u. a. als „stellvertretender Kommandeur der Schutzpolizei Dortmund“ eingesetzt.18 Danach wurde er am 4. September 1943 zu einem Taktiklehrgang abgestellt. Am 20. Januar 1944 wurde er zum SS-Polizeiregiment 14 abgeordnet, wo er die Position des Regimentskommandeurs übernahm und nach zwei Monaten fiel.19 Neuer Kommandeur des Bataillons 61 wurde am 6. Oktober 1942 Perling. Die Versetzung des Majors zu der Polizeieinheit ist insofern bemerkenswert, da das dortige Kommando für ihn kein Karriereschritt war, sondern eine Strafe. Perling wurde am 15. April 1894 im masurischen Monczen geboren. Von 1912 bis 1918 diente er als Soldat in der kaiserlichen Armee, zuletzt als Waffenmeister. Am 28. November 1919 trat er dann in den Dienst der Hamburger Schutzpolizei ein. Bei einer politischen Überprüfung aufgrund seiner Mitgliedschaft

16 Ebd., Bl. 119r. Für die Einschätzung seiner Wesensart vgl. ebd., Bl. 116–129a. 17 Ebd., Bl. 129. Ein kleiner Makel dürfte dabei für den Polizeioffizier gewesen sein, dass einer seiner Onkel zumindest zeitweise wegen Diebstahls und krimineller Umtriebe in „Sicherheitsverwahrung“ saß. Für Dederkys Onkel Vgl. Akte Friedrich Dederky (BA R 9361 RS A 5431, Bl. 3004). 18 Bericht über das Ausführen von drei Arrestanten vom 20.6.1943 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 105, Bl. 85). Das Dokument wurde von Dederky als stellvertretendem Kommandeur abgezeichnet. Für seine Abkommandierung vom Bataillon 61 vgl. Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 157). Für Dederkys zweite Ehe mit einer 20 Jahre jüngeren Frau vgl. Akte Friedrich Dederky (BA R 9361 SSO 138, Bl. 1251). Für seine erste Ehe und seine verstorbene Frau vgl. Akte Friedrich Dederky (BA R 9361 RS A 5431 Bl. 3004). Für beide Ehen vgl. Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 197 und Bl. 210). 19 Er starb am 23.3.1944 in Laz bei Rudolfswerth im heutigen Slowenien. Sein Grab befindet sich in Celje. Für seinen Tod und seine Beisetzung vgl. Karte Nr. 9677 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 126); Befehlsblatt des Chefs der Ordnungspolizei Jg. [Jahrgang] 1 Nr. 16 vom 22.4.1944 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.), S. 132. Am 10. Juni 1944 beförderte man ihn postum zum Oberst der Schutzpolizei. Vgl. Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 2 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 150, Bl. 228). Seine zweite Ehefrau erhielt nach dem Krieg die Pension einer Obristenwitwe, ohne dass jemals Dederkys Tätigkeit zu Kriegszeiten hinterfragt worden wäre. Vgl. ebd., Bl. 144. Zur Abordnung Dederkys an das SS-Pol-Rgt. [SS-Polizeiregiment] 14 vgl. Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 160). Zur Übernahme des Regiments als Kommandeur vgl. ebd., Bl. 227. Für den Taktiklehrgang 1943 vgl. ebd. Bl. 223.

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in der Deutschnationalen Volkspartei von 1919 bis 1924 wurde er als politisch tragbar eingeschätzt und am 26. März 1925 zum Leutnant der Polizei ernannt. Am 30. September 1926 wurde er dann zum Oberleutnant und am 29. November 1932 zum Hauptmann befördert. Am 14. März 1939 wurde Perling zum Major ernannt.20 Statt sich besonders auszuzeichnen, ließ sich der in Hamburg-Farmsen lebende Offizier eine schwere disziplinarische Verfehlung zu Schulden kommen. Laut Bericht vom 20. November 1939 wurde der Major aufgegriffen, „als er im angetrunkenen Zustande ein Kraftfahrzeug führte“. Statt sich den daraus resultierenden Konsequenzen zu stellen, versuchte Perling die Polizisten, die ihn anhielten, „zu einem Glase Bier einzuladen.“21 Für den Bestechungsversuch sollte er aus dem aktiven Dienst entfernt werden. Aus Kulanz und statt direkt ein formelles Verfahren anzustoßen, wollte man ihm „die Möglichkeit geben, von sich aus in den Ruhestand zu treten“.22 Als sich aber das Hauptamt der Ordnungspolizei einschaltete, begann eine Verschleierungsaktion. Man hielt fest, dass man von Perlings Verhalten „offiziell Kenntnis genommen habe, jedoch angesichts der heutigen Zeitverhältnisse die Verfehlung für nicht allzu schwerwiegend halte“. Die Hamburger Polizei „möge die Angelegenheit selbst regeln und den Offizier ernstlich belehren“. Perling sollte im Dienst bleiben, da „der Vorfall nur den beteiligten Streifenbeamten der motorisierten Verkehrsbereitschaft unmittelbar zur Kenntnis gekommen und die Öffentlichkeit nicht berührt worden“ sei.23 Statt entlassen zu werden, wurde Perling später sogar zum Kommandeur des Polizeibataillons 51 ernannt. Sein Regimentskommandeur beurteilte den Major dort nicht besonders vorteilhaft. Ihm fehle „der nötige Überblick und vor allen Dingen die taktische Schulung, die ein Stabs­ offizier, der hier im Generalgouvernement eingesetzt wird, mitbringen muss“. Es hieß ferner, er sei auch nicht „in der Lage, sein Offizierskorps anzuleiten und zu fördern“.24 Während eines Einsatzes im Distrikt Radom zeigte sich darüber hinaus erneut Perlings problematische Affinität zum Fahren unter Alkoholeinfluss. Am 10. Mai 1940 rammte der Bataillonskommandeur bei einer Dienstfahrt in einer Kurve einen Baum und verursachte einen erheblichen Sach- und Personenschaden. Perling hatte betrunken Gas und Bremse verwechselt, wie sein Fahrer resümierte. Eigentlich hätte dieser das Fahrzeug lenken müssen, wurde aber von sei-

20 Vgl. Akte Richard Perling geb. 15.4.1894 (BA R 9355 ZB I 1935, Bl. 1, 112 und 115). Für Perlings Kommandoübernahme vgl. Entnazifizierungsakte Verrieth, Gerhard vom 22.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2461, Bl. 4); Aussage August Kreulich vom 18.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 54). 21 Akte Richard Perling geb. [geboren] 15.4.1894 (BA R 9355 ZB I 1935, Bl. 2). 22 Ebd., Bl. 2r. 23 Ebd. 24 Ebd., Bl. 127. Für das Kommando über das Polizeibataillon 51 vgl. COs [Commanding Officers] of Police Battalions, o. D. (TNAL HW 16 Nr. 44 unpag.)

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nem kommandierenden Offizier davon abgehalten. Der Major habe versucht, sich aus der Affäre zu ziehen, indem er sich noch am Unfallort mit den Worten: „Wenn Sie das nicht auf sich nehmen, so muss ich mich erschießen“25 an seinen Fahrer wendete und seine Dienstwaffe lud. Auch im Krankenhaus habe der Offizier den Fahrer nochmals eindringlich und manipulativ aufgefordert, die Verantwortung zu übernehmen. Diesmal gelang es Perling jedoch nicht, sein Verhalten zu vertuschen. Stattdessen forderte sein Vorgesetzter eine schnellstmögliche Ablösung und übergab die Angelegenheit dem SS- und Polizeigericht. Am 13. Mai 1940 wurde dem Offizier besonders zur Last gelegt, dass „sein persönliches Verhalten bei diesem Unfall erneut unter Beweis“ gestellt habe, dass „er nicht die notwendigen Charaktereigenschaften besitzt, die die einfachsten Voraussetzungen für das Inne­ haben einer Führerstellung bedeuten“. Schwer wiege dabei, dass er versucht habe, die Angelegenheit zu verschleiern. Sein Verhalten müsse man „als völlig charakterlos und eines Offiziers absolut unwürdig bezeichnen“.26 Entsprechend wurde Perling bereits am 16. Mai vom Bataillon 51 abgezogen. Der im Generalgouvernement zuständige HSSPF wunderte sich noch, warum der bei seinen Männern beliebte Major auf einmal abberufen wurde. Erst später stellte sich heraus, dass Perling über die Gründe seiner Versetzung schlicht gelogen hatte.27 Am 14. November 1940 hob Perlings ehemaliger Regimentskommandeur hervor, dass der Major ein Wiederholungstäter sei. Erst 1939 habe er „schärfste Missbilligung und ernste Belehrung erfahren“, da er „im stark betrunkenen Zustand ein Kraftfahrzeug gesteuert hat“. Auch der damalige Bestechungsversuch durch Perling wurde aufgriffen. Entsprechend könne nun „nicht davon gesprochen werden, dass seine Schuld bei dem jetzt zur Beurteilung stehenden Kraftfahrzeug-Unfall gering sei“. Besonders kritisiert wurde auch der „Versuch einen Untergebenen unter der Drohung, sich selbst zu erschießen, zu bewegen, die Schuld auf sich zu nehmen“. Dies „stelle „einen schweren Verstoß gegen die nationalsozialistische Auffassung des Verhältnisses zwischen Führer und Gefolgsmann dar“.28 Am 7. November 1941 erging das Feldurteil gegen Perling, das sieben Monate Haft vorsah. Wohl aufgrund des großen Bedarfs an Offizieren in der Polizei ließ sich Himmler, u. a. durch den BdO Stettin, beeinflussen und bestätigte zwar am 30. März 1942 das Urteil, ordnete jedoch zugleich eine Abmilderung an. Der Major erhielt sechs Wochen Arrest. Der Rest der Strafe wurde „unter Überstellung des Perling zu einer Fronteinheit bis zur Beendigung des Kriegszustandes

25 Akte Richard Perling geb. 15.4.1894 (BA R 9355 ZB I 1935, Bl. 11). Für den abgehaltenen Fahrer vgl. ebd., Bl. 17. Für den Unfall vgl. ebd., Bl. 7. 26 Ebd., Bl. 14. 27 Für die Verwunderung des Höheren SS- und Polizeiführers vgl. ebd., Bl. 22. Für die Versetzung von Perling zur Polizeiverwaltung in Stettin vgl. ebd., Bl. 16. 28 Ebd., Bl. 31.

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ausgesetzt“.29 Zunächst plante man hierzu noch, den Offizier in den Ruhestand zu versetzen, „da er als Major a. D. [außer Dienst] als SS-Mann eingesetzt werden“30 konnte, statt als Stabsoffizier verwendet zu werden. Diese Pläne wurden aber offensichtlich verworfen, denn Perling übernahm am 6. Oktober das Kommando über das Bataillon 61 in Russland. In dieser Einheit entwickelte er, wie bereits zuvor im Bataillon 51, zu seinen Untergebenen ein gutes Verhältnis. Man zeichnete ihn ferner für seinen Dienst mit dem EK II. und dem KVK I. aus. Die Bitte des BdO Stettin, Perling wieder zurückzubeordern, wurde jedoch am 2. Juni 1943 abgelehnt. Offenbar gelang es dem Major aber, sich im Laufe des Jahres 1943 zu rehabilitieren. Er wurde immerhin neben dem Kommando über das Bataillon 61 auch als stellvertretender Regimentskommandeur eingesetzt. 1944 wurde er sogar für eine Beförderung zum Oberstleutnant vorgeschlagen.31 In der Führung des Bataillons 61 fanden Perling und Dederky Unterstützung durch Offiziere, Unteroffiziere sowie spezialisierte Mannschaftsdienstgrade. Dieser Stab wurde zunächst von Mitgliedern des Kommandos der Ordnungspolizei in Dortmund gebildet, erfuhr im Laufe des Krieges jedoch durch Beförderungen und Versetzungen verschiedene personelle Veränderungen. Sein Umfang und seine Zusammensetzung entsprachen dabei beim Bataillon 61 den geltenden Vorschriften. Vier bis fünf Offiziere standen im Idealfall für die umfangreichen Führungsaufgaben zur Verfügung, im Kriegsverlauf reduzierte sich diese Zahl bei der Dortmunder Polizeieinheit jedoch. Eine herausgehobene Position unter diesen Führern nahm der Adjutant des Bataillonskommandeurs ein.32

29 Ebd., Bl. 79. Für die Fürsprache durch den BdO in Stettin, der Perling schon seit über 20 Jahren kannte, vgl. ebd., Bl. 63. Für das Urteil vgl. ebd., Bl. 66. 30 Ebd., Bl. 90. Für die ursprüngliche Planung im April 1942, eine Versetzung in den Ruhestand anzustreben, vgl. ebd., Bl. 84. 31 Für das Ablehnungsschreiben vgl. ebd., Bl. 100. Für den Beförderungsvorschlag vgl. ebd., Bl. 113. Für Perlings Verwendung als stellvertretender Regimentskommandeur vgl. Auswertungskarten des MfS (BStU MfS HA IX/11 21355, Bl. 74). Für die Einschätzung, Perling mache einen „guten Eindruck“ vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Besprechungsnotizen vom 23.11.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8, Bl. 2). Joseph Figiel erwähnte nach dem Krieg, auch Perling sei noch abgelöst und durch einen Major Krause ersetzt worden. Vgl. Aussage Joseph Figiel vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 7). Dies lässt sich jedoch nicht nachweisen. Für die Eisernen Kreuze von Perling vgl. Akte Richard Perling geb. 15.4.1894 (BA R 9355 ZB I 1935, Bl. 101). 32 Für die untereinander leicht abweichenden Zahlen zur planmäßigen Stärke von Stäben und der genauen Aufgliederung nach Dienstposten vgl. Stärke und Ausrüstungsnachweise für Polizeitruppeneinheiten vom 13.1.1943 (BA R 19 Nr. 144, Bl. 22–25); Fritz Göhler/Hanns Wirth, Schutzpolizei im Kampfeinsatz. Handbuch der Taktik des Polizeibataillons, Berlin 1942, S. 11 und 17. Vgl. auch die Beschreibung des Stabes im Bataillon 61 in Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 26). Für die anfängliche Rekrutierung des Stabes aus Dortmunder Polizisten vgl. Kärgel, Einsatz (1957), S. 211.

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Quasi als persönlicher Assistent war es seine Pflicht, den Kommandeur in allen militärischen Fragen von Führung und Ausbildung zu unterstützen. Dabei war es u. a. Aufgabe des Adjutanten, die Arbeit des Kommandeurs im Alltagsgeschäft mit unterschriftsreifen Vorlagen, etwa für Beförderungen und Dienstpläne, zu strukturieren. Ebenso hatte er Befehle an die Kompanien weiterzugeben und auf deren Ausführung zu achten sowie wiederum Meldungen schriftlich dokumentiert an den Kommandeur weiterzugeben. Darüber hinaus hatte der Adjutant dem Einheitsführer täglich über die wichtigsten Neuigkeiten zu berichten. Entsprechend war der Adjutant der Schlüsselakteur des Stabes. Aufgrund seiner besonderen Einflussmöglichkeiten auf den Kommandeur wählten diese ihre Adjutanten meist persönlich aus den ihnen zur Verfügung stehenden Offizieren aus.33 Ab September 1939 wurde diese vertrauensvolle Dienststellung im Bataillon 61 mit Oberleutnant Hans Krehnke besetzt. Als Sohn eines Wirtschafters wurde er am 10. November 1909 in Biedenkopf an der Lahn geboren. Er hatte seine Verlobte Erika Hoffmann-Zlotnik, da das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS sie als zu korpulent und durch asiatische Einflüsse geprägt ansah, „auf eigene Verantwortung“34 geheiratet und war Vater eines Sohns. Seine Schulbildung erhielt Krehnke zunächst an einer Volksschule und besuchte ab 1921 das Reformgymnasium in Biedenkopf, wo er das Abitur erlangte. Von 1930 bis 1935 arbeitete er für das dortige Landratsamt zunächst als Volontär und später als Verwaltungsbeamter. Im Februar 1933 wurde Krehnke NSDAP- und SS-Mitglied und trat angeblich in eine SS-Totenkopfstandarte als Teil einer „Schützenkompanie“ ein.35 Vom April 1936 bis zum April 1937 absolvierte er die SS-Junkerschule in Braunschweig. Nach dem Besuch dieser Ausbildungsstätte erhielt Krehnke im SS-Übungslager Dachau eine Fortbildung zum Zugführer und wurde ­anschließend ab dem 1. Mai 1937 als Leutnant der Schutzpolizei in Dortmund

33 Anschließend wurden sie üblicherweise lediglich durch höhergestellte ­Befehlshaber bestätigt. Für die Aufgaben von Adjutanten vgl. im 2.Weltkrieg noch immer zutreffend Hans Scheel, Der Adjutanten-Dienst im Frieden und im Felde, Berlin 1870; A. Dieckmann, Der praktische Dienst des Bataillons- und Regiments-Adjutanten bei der Infanterie. Nebst Anhang: der Dienst der Spielleute, Berlin 1866. 34 Hans Krehnke Lebenslauf (BA R 9361 RS D 264, unpag.). Für Krehnkes Geburtsdatum und Ort vgl. auch Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 4); Aussage Hans Krehnke vom 29.4.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 85). In einigen weiteren Unterlagen findet sich auch der 10.9.1910 als Geburtsdatum. Vgl. Akte Hans Krehnke (BA R 9361 SM/SS 1). Für seinen familiären Hintergrund vgl. Hans Krehnke Lebenslauf (BA R 9361 RS D 264, unpag.). Für Krehnkes Dienst als Adjutant ab 1939 vgl. Aussage KarlHeinz Lütgemeier vom 13.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 62); Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 16); Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 4). Vgl. ferner auch Kärgel, Einsatz (1957), S. 211. 35 Hans Krehnke Lebenslauf (BA R 9361 RS D 264, unpag.). Für Krehnkes erlernten Beruf und für seinen SS-Dienst von 1935/36 vgl. Akte Hans Krehnke (BA R 9361 SSO 211, Bl. 340 und 343).

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eingesetzt. Mit seiner Besoldung scheint Krehnke dabei so unzufrieden gewesen zu sein, dass er sich über diese schriftlich beschwerte. Am 6. November 1937 teilte ihm die SS-Personalkanzlei mit, dass sich seine monetäre Entlohnung leider nicht ändern ließe und dass dies nicht nur Krehnke allein beträfe. Nach einer sechsmonatigen Zeit als Zugführer in Dortmund wurde er Adjutant eines Abschnittkommandeurs der Polizei. Im Juli 1938 wurde Krehnke zum Polizeioffizier auf Lebenszeit ernannt. In seiner nächsten Verwendung wurde er bis zum Kriegsbeginn u. a. „mit dem Pol.-Batl. III, Einsatzgruppe 1 im Protektorat Böhmen und Mähren (Standort Klattau) eingesetzt“.36 Bei Kriegsbeginn kam er dann als Adjutant zum Dortmunder Bataillon 61. Krehnke war hierüber offensichtlich nicht wirklich begeistert und hielt in seinem Lebenslauf fest, er „musste“37 zu der Polizeieinheit. In dieser wurde er dann am 9. November 1939 zum Oberleutnant befördert. Während der Umstrukturierung des Bataillons 1940 übernahm er vertretungsweise eine der Kompanien, bevor er von der Einheit wegversetzt wurde. Zuvor wurde er aber noch am 1. Oktober für das KVK vorgeschlagen. Seine nächste Dienststelle wurde die Schutzpolizei in Posen. Im Anschluss daran diente er beim Wachbataillon „Nordwest“ der Waffen-SS. Dort vermerkte man am 30. März 1943, Krehnke sei „bedrückt, dass er noch keine Gelegenheit hatte sich an der Front zu bewähren“.38

36 Fernschreiben an Oberstleutnant Grolman, betr. Ehrenangelegenheit Ltn.d.Sch. [Leutnant der Schutzpolizei] Krehnke/SA-Obersturmbannführer Lappe vom 27.5.1939 (BA R 9361 SSO 211, Bl. 350). Vgl. auch Akte Hans Krehnke, Schreiben von Grolmann an Gruppenführer Woyrsch vom 18.1.1940 (ebd., Bl. 349). Abweichend dazu schreibt Krehnke in Hans Krehnke Lebenslauf (BA R 9361 RS D 264, unpag.), er sei Teil der 5. Hundertschaft gewesen. Für seine Lebenszeitanstellung vgl. Vermerk des Reichsinnenministeriums vom 21.7.1938, (BA R 9355 ZB I 1114 A.2, Bl. 16 f.). Für das Antwortschreiben in der Besoldungsangelegenheit vgl. Auskunft über Besoldung von der SS-Personalkanzlei an Leutnant Krehnke vom 6.11.1937 (BA R 9361 SSO 211, Bl. 332). Für seine Junkerschulzeit vgl. Hans Krehnke Lebenslauf (BA R 9361 RS D 264, unpag.); Erstellung der Wehrunterlagen für ehem. SS-Junker vom 15. Juli 1938 (BA R 9355 ZA I 7109 A.14, Bl. 1 f.). Für Krehnkes Abordnung nach Dortmund vgl. Gesuch von Hans Krehnke an den RFSS vom 13.1.1940 (BA R 9361 SSO 211, Bl. 303). Bereits Ende April war er zum Untersturmführer und Leutnant befördert worden. Vgl. Vermerk des Reichsund Preußischen Innenministeriums vom 29.4.1937 (BA R 9355 ZB I 1114 A.2, Bl. 2r); Hans Krehnke Lebenslauf (BA R 9361 RS D 264, unpag.). Für den Zugführerlehrgang in Dachau vgl. Personalnachweis für Führer der Waffen-SS vom 4.11.1942 (BA R 9361 SSO 211, Bl. 343). 37 Gesuch von Hans Krehnke an den RFSS vom 13.1.1940 (ebd., Bl. 303). Für seine Beförderung vgl. ebd. Andere Unterlagen halten fest, er sei schon bei Kriegsbeginn Oberleutnant gewesen. Vgl. Bekanntmachung des Reichsminister des Inneren vom 25.8.1939 (BA R 9355 ZB I 1114 A.2, Bl. 8). Krehnke selbst gab jedoch ebenfalls den September als Monat der Beförderung an. Vgl. Hans Krehnke Lebenslauf (BA R 9361 RS D 264, unpag.). 38 Akte Hans Krehnke (BA R 9361 SSO 211, Bl. 293). Für den Vorschlag zum KVK vgl. Vorschlagsliste für Auszeichnung vom 10.1.1940 (BA R 601 Nr. 2415, unpag.). Ansonsten besaß Krehnke nur das SA-Sportabzeichen sowie den Führerschein der Klassen II und III. Vgl. Hans Krehnke Lebenslauf (BA R 9361 RS D 264, unpag.). Für die vorübergehende Führung einer Kompanie sowie die Versetzung weg vom Bataillon 61 vgl. Aussage Hans Krehnke vom 29.4.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 85r).

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Um Krehnkes Charakter näher zu beleuchten, bietet sich ein von ihm selbst angestoßenes SS-Ehrenverfahren zur Betrachtung an. Im Sommer 1938 schlug der SA-Obersturmbannführer Heinz Lappe dem Polizeioffizier in der Dortmunder Gaststätte Bols ins Gesicht, da dieser sich abschätzig über den Dienstrang des Stabsoffiziers geäußert haben soll. Der SA-Führer hielt fest, Krehnke sei betrunken und unverschämt gewesen und habe versucht, ihn zu schlagen. Der Polizist stellte sich als unschuldig dar und sah sich selbst als beleidigte Partei an, da sein Polizeioffiziersrang nicht akzeptiert worden sei. Er leitete einen Bericht weiter und ein Ehrenverfahren begann. Schon nach kurzer Zeit resümierte man in der SS über die Angelegenheit, sie sei „keineswegs schön, denn mit welchem Recht pöbelt Krehnke SA-Führer an“. Krehnke war offensichtlich nicht Herr der Geister, die er rief. Höher gestellte Offiziere befürchteten für Krehnke sogar, dass der „Reichsführer-SS ihn aus der SS entlässt“.39 Den höheren Stellen war das Verfahren von Beginn an zuwider und man wollte die Angelegenheit möglichst verdeckt abwickeln. Durch die Verwendung von Krehnke im Protektorat Böhmen und Mähren und den anschließenden Kriegsausbruch verzögerte sich das ganze Ehrenverfahren erheblich und wurde nach mehreren Jahren ergebnislos eingestellt.40 Krehnke sah sich jedoch weiterhin als Benachteiligter des von ihm selbst angestoßenen Verfahrens an. Er meinte, er sei nur deswegen verzögert befördert worden und verlangte eine Anpassung seines Rangdienstalters als Oberleutnant. Dabei erhielt Krehnke Unterstützung durch einen hochrangigen angeheirateten Verwandten, der in der Volksdeutschen Mittelstelle in Posen eingesetzt und darüber hinaus mit dem Chef der Ordnungspolizei bekannt war. In einem Schreiben an diesen legte der Vetter dar, er wolle vermeiden, dass Krehnke „der Vorwurf gemacht werden könnte, den Dienstweg umgangen zu haben“. Dennoch wurde dann direkt darum gebeten, „die Angelegenheit in irgendeiner Form noch einmal zu überprüfen und zum Abschluss zu bringen“.41 Als dieses

39 Gruppenführer Woyrsch Schreiben an Major Grolmann betr. Ehrenangelegenheit Ltn.d.Sch.Krehnke/SA-Obersturmbannführer Lappe 21.5.1939 (BA R 9361 SSO 211, Bl. 358). Für den Bericht über die Vorgänge des Ehrenverfahrens vgl. Bericht an den RFSS betr.: Tätliche Auseinandersetzung d. Lt. [Leutnant] der Schutzpolizei Krehnke vom 30.7.1938 (ebd., Bl. 383). Für die Schlägerei vgl. Meldung von Krehnke in Dortmund vom 5.7.1938 (ebd., Bl. 323). Da die Polizei keine eigene Ehrenordnung besaß, wurde das SS-Gericht im SS-Hauptamt eingeschaltet. 40 Für das Ende des Verfahrens, an dem sich sowohl Krehnke als auch Lappe, der mittlerweile zum Standartenführer aufgestiegen war, zu einer gütlichen Einigung bereit­ erklärten vgl. Akte Hans Krehnke (ebd., Bl. 300). Für die Verschleierungs- und Abwicklungsbemühungen der SS vgl. Schreiben von Obergruppenführer Woyrsch an Oberst Grolmann vom 2.2.1940 (ebd., Bl. 348). 41 Schreiben Hoffmeyers von der Volksdeutschen Mittelstelle Posen an den Chef der Ordnungspolizei vom 4.7.1941 (BA R 9355 ZB I 1114 A.2, Bl. 78). Für die Bemühungen um sein Rangdienstalter vgl. Gesuch des Oltn.d.Sch. [Oberleutnant der Schutzpolizei] u. SS-Obersturmführer Hans Krehnke 13.1.1940 (ebd., Bl. 45 f.). Für weitere Gesuche von Krehnke vgl. ebd., Bl. 64–67; Akte Hans Krehnke (BA R 9361 SSO 211, Bl. 304 f.).

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Schreiben bekannt wurde, zeigte sich die zuständige Stelle empört über dieses hoch manipulative Vorgehen. Krehnkes Verhalten zeige nicht nur, dass er als Offizier charakterlich völlig ungeeignet sei, sondern er verkenne auch, dass er erst „den unliebsamen Zwischenfall verursacht“42 habe, der seine Beförderung verzögerte. Darüber hinaus kam auch ans Licht, dass Krehnke versucht hatte, „mit allen Mitteln, von der Polizei wegzukommen. So habe er sich über das Ergänzungsamt der Waffen-SS in Posen Sofort-Einberufungsbefehle verschafft.“43 Dies war ein weiterer klarer Regelbruch. Dass die Verbesserung seines Rangdienstalters abgelehnt wurde, verwundert ebenso wenig wie der Vermerk, er habe sich als „Offizier der Schutzpolizei völlig unmöglich benommen“ und sein Verhalten beweise „ferner eine unverschämte Kritik an den Maßnahmen seiner höchsten Vorgesetzten“.44 Insbesondere der für Krehnke zuständige Kommandeur der Schutzpolizei Posen monierte, dass sich der Oberleutnant ohne eine Abmeldung entfernt hatte. Erst am Bahnhof war er auf dem Weg zur Waffen-SS festgesetzt und zurückgebracht worden. Damit habe er „einen bedenklichen Mangel an Disziplin und Reife gezeigt“.45 Auch der zuständige Regierungspräsident verurteilte Krehnkes Verhalten scharf. Mit der Einbeziehung seines Vetters habe er „zweifelsohne versucht, durch Vermittlung einer einflussreichen Persönlichkeit nochmals“ die bereits vom Reichsführer-SS „abgelehnte Verbesserung seines Rangdienstalters unter Umgehung des Dienstweges aufzurollen.“ Es sei „eine disziplinarische Ahndung erforderlich“.46 Der HSSPF „Warthegau“ nahm Krehnke jedoch in Schutz. Ob dabei eine Rolle spielte, dass er mit dessen Vetter im Alltagsbetrieb in der Volksdeutschen Mittelstelle zu tun hatte, muss als ungeklärt gelten. In einem Schreiben an den Reichsführer-SS vom 15. Oktober 1941 hielt Wilhelm Koppe fest, Krehnke habe zwar „objektiv gesehen einen Ungehorsam begangen“. Man sollte jedoch beachten, dass der Offizier sich bedrängt gefühlt habe. „Das Empfinden, ungerecht behandelt zu sein, hat er niemals unterdrücken können und hat ihn schließlich zu der wohl unüberlegten Tat veranlasst“.47 Entscheidend sei, dass

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Für Ambrosius vgl. Akte Franz Ambrosius (BA R 9361 RS A 72). Zur Volksdeutschen Mittelstelle vgl. Valdis O. Lumans, Himmler‘s auxiliaries. The Volksdeutsche Mittelstelle and the German national minorities of Europe, 1933–1945, Chapel Hill 1993. Stellungnahme Oberst v. Grolman betr.: Schreiben von Hoffmeyer 4.7.1941 vom 22.7.1941 (BA R 9355 ZB I 1114 A.2 , Bl. 80r). Ebd., Bl. 80. Ein Generalleutnant der Waffen-SS hatte sich um Krehnkes Versetzung bemüht. Vgl. Schreiben des RFSS betr.: SS-Obersturmführer Hans Krehnke vom 18.8.1941 (ebd., Bl. 108). Stellungnahme Oberst v. Grolman betr.: Schreiben von Hoffmeyer 4.7.1941 vom 22.7.1941 (ebd., Bl. 80r). Schreiben des Kommandeurs der Schutzpolizei an den BdO Posen vom 29.9.1941 (BA R 9355 ZB I 1114 A.2, Bl. 106r). Ebd., Bl. 106. HSSPF Posen an den RFSS betr.: Oberleutnant der Schutzpolizei Krehnke, Polizeiverwaltung Posen vom 14.10.1941 (ebd., Bl. 107).

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„er nicht die Absicht hatte sich persönliche Vorteile zu beschaffen, sondern nur bestrebt war, an die Front zu kommen“.48 Dies war eine klare Unwahrheit aber tatsächlich wurde Krehnke nicht bestraft. Stattdessen wurde er am 15. Januar 1942 zum Hauptmann befördert und später auch noch, wie von ihm gewünscht, zur Waffen-SS versetzt.49 Nicht nur diese Vorgänge, sondern auch seine dienstlichen Beurteilungen bestärken die Einschätzung, dass der Offizier eine problematische Persönlichkeit war. Bereits in der Junkerschule attestierte man Krehnke zwar eine generell „nationalsozialistische Einstellung“, jedoch wurden auch ganz erhebliche Mängel an ihm beobachtet. Sein dortiges Zeugnis hielt fest: „Sobald er aber weiß, dass er beobachtet wird, zeigt er Befangenheit, die sich oft bis zur Verwirrung steigert. Seine Leistungen erreichten bei mäßiger Begabung gerade den Durchschnitt. Krehnke hätte aufgrund seiner Vorbildung – Abiturient – mehr leisten müssen. Seine Lehrer hatten oftmals den Eindruck, dass er schläfrig und damit willenlos ist. Ich habe den Eindruck, dass Krehnke eine besinnliche Natur ist, der bei einer mäßigen Begabung schwerer etwas in sich aufnimmt und damit den Eindruck der Schläfrigkeit erweckt.“50

In gleicher Weise schätzte man ihn auch in einer weiteren Beurteilung ein. Er habe einen „gewissen ‚Willen zur Macht‘, der sich in der Neigung zum Organisieren und Befehlen ausdrückt“, jedoch sei er als „Mensch von schwerblütigem und tieferem Wesen. Keine oberflächliche Natur. Ist etwas kritisch veranlagt. Besitzt so gut wie keine Phantasie. Sinnen- und Genussfreude ist vorhanden.“51 Im NS-Jargon bedeute dies also, dass man Krehnke als undynamischen Zögerer und Zauderer mit einem gewissen Hang zum Lebemann ansah. Diese durchwachsenen Einschätzungen zur Persönlichkeit von Krehnke passen schließlich auch zur Sicht des Kommandeurs des Bataillons 61 auf seinen Adjutanten. Dieser sei „ein junger Offizier, der noch viel lernen muss“. Zumindest sei er „im Allgemeinen willig“ gewesen.52 Ein durchaus vernichtendes Urteil für eine Person in einer solchen Vertrauensstellung. In der Funktion des Adjutanten folgte Krehnke 1942 der am 19. Februar 1914 im ostpreußischen Schuggern geborene Oberleutnant Alfred Albrecht nach. Er war zuvor Zugführer in der 3. Kompanie. Im Sommer 1942 verließ er nach seiner Beförderung zum Hauptmann die Dortmunder Polizeieinheit. Als Adjutant übernahm für ihn der am 21. August 1908 in Gelsenkirchen geborene Joseph Figiel. Zuvor hatte er den 1. Zug der 1. Kompanie geführt. Er bekleidete die Position des Adjutanten bis März 1943. Sein Nachfolger wurde der Kunstmaler und Reserveoffizier Rudolf Werner Ackermann. Geboren am 30. Oktober 1908 48 Ebd., Bl. 107r. 49 Vgl. Akte Hans Krehnke (BA R 9361 SSO 211, Bl. 293). Für die Beförderung vgl. Personalnachweis für Führer der Waffen-SS vom 4.11.1942 (ebd., Bl. 343). 50 Zeugnis der SS-Junkerschule für Hans Krehnke vom 31.1.1937 (ebd., Bl. 340). 51 Hans Krehnke Beurteilung 52. Süd, o. D. (ebd., Bl. 342). 52 Dienstliche Beurteilung von Hans Krehnke durch Major Friedrich Dederky, o. D. (ebd., Bl. 301).

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in Wuppertal gehörte dieser bereits seit dem Frühjahr 1941 als Zugführer des 1. Zuges der 2. Kompanie zum Bataillon 61 und blieb dort bis 1944 Adjutant. Da Ackermann neben Kunst an der Preußischen Höheren Fachschule Wuppertal auch Musik studiert hatte und gerne sang, bezeichneten seine Untergebenen ihn auch als „der singende Pinsel“.53 Nach dem Krieg wurde Ackermann als Künstler populär, erhielt zahlreiche Preise, wurde Ehrenmitglied verschiedener wissenschaftlicher Akademien und unterrichtete als Kunstprofessor.54 Unter den hier vorgestellten Mitgliedern der Führungsspitze des Bataillons 61 finden sich mit dem rüpelhaften Adjutanten Krehnke und dem alkoholaffinen Kommandeur Perling erstaunliche Fälle. Beide zeigten Bestrebungen, Abläufe zu manipulieren und die Unfähigkeit, eigene Fehler einzugestehen bzw. deren Konsequenzen zu ertragen. Außerdem richteten sie ihr Handeln primär auf ihren eigenen Vorteil aus. Hierzu versuchten sie auch, teils erfolgreich, Personen als ihre Fürsprecher einzusetzen. Außerdem waren Krehnkes, Perlings und auch Dederkys Fähigkeiten im Bereich der Führung und Organisation von militärischen Verbänden nicht besonders ausgeprägt. Dies unterstreicht neben entsprechenden Beurteilungsnotizen auch die Tatsache, dass keiner der Offiziere es geschafft hatte, in einer regulären Militäreinheit von SS, Wehrmacht oder zuvor der Reichswehr dauerhaft Fuß zu fassen. Dies galt auch für die weiteren Adjutanten der Einheit. Insgesamt erscheint die Führung des Bataillons 61 für komplexere Aufgaben wenig geeignet gewesen zu sein. Für den Einsatz in Himmlers Terrorapparat reichten ihre Fähigkeiten jedoch aus.

53 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 15. Zu Figiel vgl. Aussage Josef Figiel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 185); Aussage Joseph Figiel vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 7). Ferner zu seiner Person vgl. Akte Josef Figiel (BA R 9361 SSO 206); Akte Josef Figiel (BA R 9355 ZB I 1014 A.9); Lebenslauf Joseph Figiel (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 136). Zu Albrecht vgl. Aussage Alfred Albrecht vom 5.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 65); Aussage Joseph Figiel vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 7). Ebenso zu seiner Person vgl. Akte Alfred Albrecht (BA R 9361 RS A 42), sowie Akte Alfred Albrecht (BA R 9361 SSO 5); Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442). Vgl. ferner Aussage Alfred Albrecht vom 31.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 169). 54 Allgemein zu Ackermann vgl. Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 19.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5860); Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 80); Vorschlagsliste Nr. 1 für die Verleihung des Eisernen Kreuzes 1. Kl. beim SS-Pol.Rgt. 16 vom 10.7.1944 (BStU MfS HA XX 5398, Bl. 76). Noch im Juni 1944 wurde Ackermann befohlen, eine Vergeltungsaktion gegen Partisanen durchzuführen. Vgl. das russische Verhörprotokoll: Aussage N. N. vom 1.3.1949 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 38, Bl. 116). Ackermann selbst behauptete hingegen, das Bataillon 61 1943 wieder verlassen zu haben. Vgl. Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 25.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 51). Insbesondere zu seinem erfolgreichen Nachkriegsleben als renommierter Künstler vgl. Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, Band 1 A – Alanson, München 1992, S. 256 f.

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Weitere Unterstützung erfuhr die Bataillonsführung im Stab durch 12 bis 14 Unterführer, sofern diese Sollstärke tatsächlich erreicht wurde. Unter ihnen befand sich auch der geschäftsführende Hauptwachtmeister des Bataillons, der meist als Bataillonsspieß bezeichnet wurde. Nach dem jeweiligen Bataillonsadjutanten war er der wichtigste Organisator des Alltags in der Polizeieinheit. Wer diese Funktion während der ersten Einsatzphase der Dortmunder Polizeieinheit innehatte, lässt sich anhand der verfügbaren Quellen nicht mehr klären. Ab April 1941 übernahm der am 17. April 1910 in Ohrsen geborene August Oestreich, der zuvor einen Zug der 4. Kompanie geführt hatte, die Aufgaben des geschäftsführenden Hauptwachtmeisters. 1943 löste ihn wiederum Franz Thamm, der zuvor als Spieß der 2. Kompanie gedient hatte, in dieser Dienststellung ab, als Oestreich sich für eine Offizierslaufbahn qualifiziert hatte.55 Zwar hatten alle Mitglieder des Stabes primär administrative Aufgaben durchzuführen, jedoch gab es für jedes Bataillon auch noch bis zu sechs spezialisierte Verwaltungsbeamte. Im Bataillon 61 wurde diese Zahl jedoch durch Personalabgaben schon im ersten Einsatz nicht erreicht, sodass ein Unterführer der Dortmunder Polizeieinheit korrekt resümierte, man habe über „4 oder 5 Verwaltungsbeamte“56 verfügt. Ihre Aufgabe war es, mit ihrer Expertise die

55 Vgl. Aussage August Oestreich vom 25.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 229, Bl. 59). Zu Oestreich als Spieß vgl. Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 11); Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 262); Aussage August Oestreich vom 18.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5859); Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (ebd., Bl. 5825). Zu Oestreichs Lebensdaten vgl. Aussage August Oestreich vom 25.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 229, Bl. 72). Zur Offiziersqualifikation vgl. Aussage Erich Mockler vom 19.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 55). Zu Thamm als Spieß vgl. Aussage Franz Thamm vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 106); Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 52). Ebenso für die Besetzung des Postens des Bataillonsspießes vgl. Vermerk der Staatsanwaltschaft über festgestellte Mitglieder des RPB 61 vom 31.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 38). 56 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 16). Für die Besetzung von Bataillonen mit sechs Verwaltungsbeamten vgl. Albert Buchmann/ Fritz Freitag, Polizeitruppenführung im Rahmen des verstärkten Bataillons. Band 1 Formale Taktik, Lübeck 1942, S. 39; Stärke und Ausrüstungsnachweise für Polizeitruppeneinheiten vom 13.1.1943 (BA R 19 Nr. 144, Bl. 22). Hingegen nennt Göhler/Wirth, Schutzpolizei (1942), S. 11 nur fünf Beamte. Für fehlende Verwaltungsmitglieder im Bataillon 61 vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 26.10.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 1). Dies gilt auch für die weiteren Tagesanordnungen auf die in der vorliegenden Studie verwiesen wird. Für die Abgabe eines Verwaltungsbeamten des Bataillons 61 an das Polizeipräsidium in Posen vgl. Bericht des Befehlshabers der Ordnungspolizei beim Chef der Zivilverwaltung beim Militärbefehlshaber Posen an den RFSS vom 19.10.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 49). Dort wird auch nur noch von vier Beamten pro Bataillon gesprochen. Zur Rolle der Verwaltungsmitarbeiter speziell im Bataillon 61 vgl. Petersen, Arbeit (1940), S. 23 f. Zur allgemeinen Aufgabe der Verwaltungsmitarbeiter vgl. Süßmann: Gedanken über Zusammenarbeit zwischen Polizeiführer und Verwaltungsbeamten bei auswärtigem Einsatz. In: Die Polizei. Älteste Fachzeitschrift für das gesamte Polizeiwesen im Deutschen Reich mit dem „Archiv für Polizeirecht“, 30 (1933) 1, S. 6–9.

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­ ataillonsführung in Fragen etwa zu Sold, Proviant und Quartier zu unterstütB zen. Vorgeschlagen war, dass Beamte ein Bataillon im Einsatz betreuen sollten, welches sie schon an dessen Heimatstandort verwaltet hatten oder das sie schon aus vorherigen auswärtigen Einsätzen kannten.57 Im Fall der hier untersuchten Polizeieinheit kamen die spezialisierten Beamten dementsprechend von der Polizeiverwaltung Dortmund und hatten mindestens in einem Fall an den Operationen der Vorgängerformationen des Bataillons 61 in Böhmen und Mähren teilgenommen. Es handelte sich hierbei um den Zahlmeister, Inspektor Petersen, welcher „häufig mit Peters verwechselt wurde“.58 Letzterer war aber als Oberinspektor Leiter der gesamten Verwaltung des Bataillons. Neben den Offizieren, Unterführern und spezialisierten Beamten waren dem Bataillonsstab auch etwa 13 Polizisten in verschiedenen Mannschaftsdienstgraden für unterstützende Tätigkeiten zugeteilt. Die vor allem als Schreiber eingesetzten Männer waren dabei primär für die Bearbeitung des internen und externen Schriftverkehrs der Polizeieinheit zuständig. Hierdurch hatten sie besondere Einsicht in die meisten Vorgänge innerhalb der Einheit.59 Außer den Personen, die im Stab direkt zur Führung der Einheit eingesetzt waren, verfügte das Bataillon 61 auch über medizinisches Personal etwa in Zugstärke. Geführt wurde es von einem approbierten Sanitätsoffizier. Der Bataillonsarzt war zuerst der Wiener Stabsarzt Dr. Ferster. Er wurde der Einheit bei Kriegsbeginn von der Polizeiverwaltung Recklinghausen zugewiesen. Später sei er an einer Blinddarmentzündung verstorben. Auf ihn folgte Oberstabsarzt Dr. Brodmann, der aus Chemnitz stammte. Als einziger Arzt der Einheit stellte

57 Vgl. Schreiben an Min.Dir. [Ministerialdirektor] Bracht, Min.Dir. Bader und Min.Rat [Ministerialrat] Meineke vom 19.3.1941 (BA R 19 Nr. 102, Bl. 20). 58 Aussage Karl Schmitz vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 31). Für Petersens Einsatzerfahrung vgl. Vorschlagsliste Nr. 50 für die Verleihung der Medaille zur Erinnerung an den 13. März 1938, 10.3.1939 (BA R 601 Nr. 2403, Bl. 15). Für Hubert Peters als Leiter der Verwaltung im Bataillon 61 vgl. exemplarisch die Aussagen verschiedener Funktionsunteroffiziere der Einheit: Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 41); Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (ebd., Bl. 26); Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 4). Hingegen beschrieb sich Peters selbst als Untergebenen von Petersen. Vgl. Aussage Hubert Peters vom 3.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 228, Bl. 68). Peters verblieb nach eigener Auskunft mindestens bis 1943 beim Bataillon, was jedoch auf eine Leitungsfunktion hinweist. Vgl. Entnazifizierungsakte Peters, Hubert Petrus vom 23.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1045–AD-1179, Bl. 4). Für Friedrich Hagemeier als weiteres Mitglied der Verwaltung vom 24.11.1941 bis zum 20.4.1943 vgl. Liste RPB 61, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 195, Bl. 32). 59 Entsprechend konnte eine solche Position durchaus einer Karriere förderlich sein. So war es etwa bei Emil Martin der Fall, der später zum Unterführer befördert wurde. Vgl. Aussage Heinrich Zumplasse vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 49). Für die genauere Besetzung einiger Schreiberstellen vgl. Aussage Karl Schmitz vom 4.2.1960 (ebd., Bl. 26); Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 31). Allgemein zur Rolle von Stabsmitgliedern im Mannschaftsdienstgrad vgl. Stärke und Ausrüstungsnachweise für Polizeitruppeneinheiten vom 13.1.1943 (BA R 19 Nr. 144, Bl. 18–21); Göhler/Wirth, Schutzpolizei (1942), S. 17.

Kompaniechefs und ihre Unterstützer

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der jeweilige Sanitätsoffizier in medizinischen Angelegenheiten den maßgeblichen Ansprechpartner des Bataillonskommandeurs dar und war dessen „hygienischer Berater.“60 An medizinischem Fachpersonal verfügte der Polizeiverband darüber hinaus noch über vier Sanitäter, von denen anfangs jeder eine Kompanie betreute. Mit einem 19 Mann starken Fernmeldezug wurde 1941 noch eine weitere Einheit zur Unterstützung der Führung des Bataillons 61 aufgestellt.61 2.

Kompaniechefs und ihre Unterstützer

Die weitaus meisten Polizisten des Bataillons 61 waren nicht im Stab eingesetzt, sondern dienten in zunächst vier Kompanien. Dort wurden sie von Berufspolizeioffizieren im Rang eines Oberleutnants oder Hauptmanns befehligt, die als Kompaniechefs die direkten Disziplinarvorgesetzten der Polizisten waren. Insgesamt führten diese Offiziere in der Regel vier bis fünf jüngere Offiziere, 25 Unterführer und in etwa 116 bis 120 Polizisten in Mannschaftsdienstgraden. Auch im Bataillon 61 hatten die 1. bis 3. Kompanie diesen Umfang. Die 4. Kompanie hingegen dürfte sich als schwere Kompanie nur aus einem Kompanieführer, zwei Offizieren, 20 Unterführern und 75 Polizisten in Mannschaftsdienstgraden zusammengesetzt haben.62 In der alltäglichen Führung ihrer Einheit stützten sich die Kompaniechefs auf den meist diensterfahrenen, Spieß genannten, geschäftsführenden

60 Buchmann/Freitag, Polizeitruppenführung (1942), S. 39. Für weitere Zusatzaufgaben des Arztes des Bataillons 61 in Posen als Vertreter des leitenden Polizeiarztes vgl. Tages­ anordnung des BdO Posen vom 2.3.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347), Bl. 45. Zu Dr. Brod­ mann und Dr. Ferster vgl. Aussage Heinrich Pölka vom 27.9.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 52, Bl. 23412), Krankenakte Fritz Hollweg geb. 13.8.1914 (BA R 19 Nr. 2407, Bl. 15); Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 1r); Kärgel, Einsatz (1957), S. 211. Abweichend bezeichnete Riewald den Arzt als „Dr. Förster“. Vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 4). Zum Tod des Arztes vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 16). Für die Sanitäter der Einheit vgl. Aussage Emil Schütz vom 3.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 22). Für einen weiteren Sanitäter, der neben Schütz von 1941 bis 1943 im Bataillon 61 Dienst versah, vgl. Entnazifizierungsakte Homringhaus, Adolf Ludwig Christian vom 26.4.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-918, Bl. 4). 61 Zu dessen Aufgaben und Personalstärke vgl. Göhler/Wirth, Schutzpolizei (1942), S. 11. Abweichend waren 1943 als Stärke einer solchen Einheit fünf Unterführer und 14 Männer im Mannschaftsdienstgrad vorgesehen. Vgl. Stärke und Ausrüstungsnachweise für Polizeitruppeneinheiten vom 13.1.1943 (BA R 19 Nr. 144, Bl. 18–21). Für den Nachrichtenzug und seine Aufstellung im Bataillon 61 vgl. Kärgel, Einsatz (1957), S. 212. In diesem war u. a. Wilhelm Plöger eingesetzt. Vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941, (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 11). 62 Für eine weitestgehend korrekte Auflistung der Offiziere und Unteroffiziere der 1. bis 3. Kompanie des Bataillons 61 im Jahr 1942 vgl. Aktenvermerk der StA Münster vom 9.4.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 56–59).

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Hauptwachtmeister sowie wenige weitere „Funktionswachtmeister“.63 Zusätzlich waren auch einige Mannschaftsdienstgrade als Schreiber tätig. In den Kompanien hatten insbesondere herausgehobene Unterführer somit mehr Einfluss auf die Gestaltung der dienstlichen Abläufe als etwa im Stab. Der generelle Einfluss der Unterführer verstärkte sich noch nach der Umgliederung der Dortmunder Polizeieinheit 1941. Wie für alle Polizeibataillone sollte nun gelten, dass nur noch ein Offizier als Kompaniechef und zwei weitere Offiziere als Zugführer verwendet werden sollten. Als weitere Verantwortliche sollten stattdessen Polizeimeister oder Wachtmeister, die sogar Reservisten sein durften, Verwendung finden.64 Die 1. Kompanie wurde 1939 beim Ausrücken der Dortmunder Polizeieinheit von Hauptmann Nord geführt. Er wurde am 5. März 1904 in Elberfeld als Sohn eines Eisenbahnoberinspektors geboren und zog später, bedingt durch eine Versetzung des Vaters, nach Köln. Dort besuchte der spätere Kompaniechef zunächst die Volksschule und erreichte später am Realgymnasium Köln-­ Lilienthal die Obersekundarreife. Nach dem Krieg hübschte Nord diesen Abschluss in seinem Lebenslauf zum Abitur auf. Nach einem erneuten Umzug der Familie, diesmal nach Bonn, begann Nord dort ein Studium. Er absolvierte vier praktische Vorsemester eines Ingenieurstudiengangs in den Fächern Chemie und Physik, ehe er 1925 durch die eingetretene Arbeitslosigkeit seines Vaters diese Ausbildung abbrechen musste.65 63 Aussage Josef Figiel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 187). Für die Begrifflichkeit und deren Konnotation vgl. Auszug aus den Richtlinien für die Führung und Ausbildung der Ausbildungs-Bataillone von Generalleutnant Mülverstedt, o. D. (BA R 19 Nr. 308, Bl. 204). Für die planmäßige Zusammensetzung einer regulären Kompanie Vgl. Göhler/Wirth, Schutzpolizei (1942), S. 11; Stärke und Ausrüstungsnachweise für Polizeitruppeneinheiten vom 13.1.1943 (BA R 19 Nr. 144, Bl. 27–30). Für die planmäßige Zusammensetzung einer schweren Polizeikompanie vgl. ebd., Bl. 18–21. Eine schwere Kompanie war vor allem für die Feuerunterstützung der anderen Kompanien, etwa durch Granatwerfer, zuständig. Zur Zusammensetzung der 1. bis 3. Kompanie des Bataillons 61 vgl. Bericht des Polizei Oberleutnants Kehler, Dortmund, Gegenstand: Polizeibataillon 61 vom 29.11.1945 (AIPN GK 184 Nr. 397, Bl. 15 f.). 64 Vgl. Umgliederung von Res. Pol.-Bat. vom 26.4.1941 (BA R 19 Nr. 304 Band 1/2, Bl. 174r). Die durch die Umgliederung frei gewordenen Männer sollten den Heimatdienststellen für neue Aufgaben zur Verfügung gestellt werden. 65 Für Nords Geburtsort und Geburtsjahr sowie seine Konfession vgl. Entnazifizierungsakte Nord, Walter vom 9.4.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-17401, Bl. 1). Für Nords Eltern vgl. darüber hinaus Aussage Walter Nord vom16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 1). Ebenso für den Umzug nach Köln und seine schulische und akademische Ausbildung vgl. Lebenslauf des Majors d. Schutzpolizei a. D. Walter Nord vom 27.6.1953 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). Ferner für seine tatsächlich nur bis zur Obersekunda reichende Schulbildung vgl. Akte Walter Nord (BA R 9361 PK I 335, Bl. 1208); Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976). Für sein Studium vgl. ebd. und Akte Walter Nord (BA R 9361 PK I 335, Bl. 1208). Ebenso für sein Studium und dessen Abbruch vgl. Lebenslauf des Majors d. Schutzpolizei a. D. Walter Nord vom 27.6.1953 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). Für Nord als Chef der 1. Kompanie vgl. Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 26); Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 2); Kärgel, Einsatz (1957), S. 211. Vgl. auch Aussage Ernst ­Brunst vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 37).

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Stattdessen trat Nord in die preußische Schutzpolizei ein, da er diesen Beruf „aus innerer Überzeugung erstrebenswert gefunden“66 haben will. Am 25. Mai 1925 kam er zur Polizeischule Münster, die er angeblich so erfolgreich durchlief, dass er als „Beamter mit der Aussicht auf beschleunigte Beförderung zum Polizeioffizier geführt“67 worden sei. 1926 wurde Nord dann zunächst im Bergischen Land eingesetzt. Als Wachtmeister diente er in Remscheid und Barmen in verschiedenen Positionen, u. a. in Polizeihundertschaften und wurde dann nach Abzug der belgischen Besatzer nach Aachen versetzt. Von dort versetzte man Nord 1929 nach Spandau zu einem Sportlehrgang und dann zur Höheren Polizeischule Eiche in Potsdam. Was äußerlich wie ein Karriereschritt wirkte, lag eigentlich darin begründet, dass Nord in Aachen im Ehescheidungsprozess seines vorgesetzten Majors „eine unliebsame Rolle gespielt“68 hatte. Ab 1930 diente Nord als Zugführer und Ausbilder sowie als Lehrer in Polizeifächern in Berlin Friedrichshain, das von den Unruhen und Straßenkämpfen gezeichnet war. 1932 heiratete Nord und kam 1933 zum Landespolizeiregiment Berlin. Im selben Jahr beförderte man ihn zum Leutnant und 1934 zum Oberleutnant. Den Dienst betitelte Nord nach dem Krieg als Dienst in der Reichswehr. In genau diese wurde er, trotz deren Ausweitung zur Wehrmacht 1935, aber nicht übernommen. Nord trat im selben Jahr „zur Schutzpolizei zurück“69

66 Entnazifizierungsakte Nord, Walter vom 9.4.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-17401, Bl. 4). Für das Eintrittsdatum gibt es unterschiedliche Angaben. Für den 1.4.1925 spricht Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976). Hingegen für den 1.5.1925 als Eintrittsdatum vgl. Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 1r); für den 4.5.1925 vgl. Akte Walter Nord (BA R 9361 PK I 335, Bl. 1210). 67 Lebenslauf des Majors d. Schutzpolizei a. D. Walter Nord vom 27.6.1953 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). 68 Akte Walter Nord (BA R 9355 ZB I 1787, Bl. 3). Diese Information fehlt bei Hölzl, Walter Nord. Für den Sportlehrgang und die Versetzung nach Eiche ohne Erwähnung der Scheidung vgl. Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976); Lebenslauf des Majors d. Schutzpolizei a. D. Walter Nord vom 27.6.1953 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). Für den Dienst in Remscheid, Barmen und Aachen vgl. ebd. und Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976). 69 Ebd. Für die Beförderung zum Leutnant am 30.8.1933 spricht Akte Walter Nord (BA R 9355 ZB I 1787, Bl. 1). Hingegen nennt Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976) den 20.1.1933 als Beförderungsdatum. In Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 1r). behauptet Nord sogar, er sei bereits am 11.11.1932 zum Offizier ernannt worden. Für die Beförderung zum Oberleutnant vgl. Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976); Lebenslauf des Majors d. Schutzpolizei a. D. Walter Nord vom 27.6.1953 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). Für den Dienst im Landespolizeiregiment Berlin vgl. Akte Walter Nord (BA R 9361 PK I 335, Bl. 1208); Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976). Für Nords Behauptung, es habe sich um Dienst in der Reichswehr gehandelt, vgl. Personalbogen Walter Nord geb. 5.3.1904, o. D. (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 1, Bl. 1). Für die Versetzung nach Dortmund im August 1935 sowie für seinen Dienst als Zugführer und Ausbilder vgl. Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976); Lebenslauf des Majors d. Schutzpolizei a. D. Walter Nord vom 27.6.1953 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). Für die Hochzeit und den Dienst in Berlin vgl. Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976).

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und wurde im August nach Dortmund versetzt. Zuvor musste sich Nord im April im Polizeikrankenhaus wegen chronischer Bronchitis, Gastritis und dem Verdacht auf eine Gallenblasenentzündung behandeln lassen, nahm seinen Dienst aber bald wieder auf und gab am 1. Juni 1935 an, beschwerdefrei zu sein. In seiner Krankenakte wurde aber ein erhöhter Alkoholkonsum registriert. Nach dem Krieg sagten ihm seine Untergebenen nach, er habe „fürchterlich“70 viel getrunken. Wie viele seiner Berufsgenossen trat Nord 1936 aus der evangelischen Kirche aus.71 Im darauffolgenden Jahr wurde Nord zum Hauptmann befördert und diente erstmals als Hundertschaftsführer. Als solcher „nahm er auch an dem Einmarsch in Österreich und in das Protektorat Böhmen und Mähren teil“.72 Bei letzterem Einsatz war er als Kompaniechef dem Bataillon „Steinhausen“ zugeordnet. Seine Einsatzerfahrung in auswärts eingesetzten, geschlossenen Polizeiverbänden, ebenso wie die dort eingeübten Praktiken konnte Nord ab 1939 als Kommandeur der 1. Kompanie des Bataillons 61 einbringen. Neben seinen Aufgaben als Kompaniechef gab Nord an, dass er darüber hinaus in seiner Rolle als Gerichtsoffizier auch die Leitung von verschiedenen „Polizei-Standgerichten“73 in Vertretung des Bataillonskommandeurs übernommen habe. In der Polizeiführung schätzte man Nord als brauchbaren Offizier ein. Der BdO Münster wendete sich an sein Pendant in Posen und bat schon im November 1939 darum, die Abordnung von Hauptmann Nord vom Bataillon 61 im Austausch für einen anderen Offizier zu beenden. Nord „habe auf dem Gebiete der Ausbildung besondere Erfahrungen“. Entsprechend werde er „für die Führung der aufzustellenden Ausbildungskompanie hier dringend gebraucht“.74

70 Aussage Julius Schneider vom 29.1.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 3). Zum Vorwurf des Alkoholismus vgl. auch Ermittlungsbericht der Dortmunder Polizei vom 15.5.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). Für den Krankenhausaufenthalt und sein Krankheitsbild vgl. Krankenakte 608 Walter Nord geb. 5.3.1904 (BA R 19 Nr. 2755). 71 Vgl. Hölzl, Walter Nord, S. 167. Zum generellen Bruch der NS-Polizei mit den christlichen Kirchen vgl. Arnemann, Kirche und Polizei, S. 621–653. 72 Dortmunder Spruchgerichts Urteil Nord, Walter vom 3.2.1948 (BA-K Z 42 III 1569, Bl. 123). Ebenso vgl. Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976); Entnazifizierungsakte Nord, Walter vom 9.4.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-17401, Bl. 6); Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 1). Für die Einsatzdauer in Österreich vgl. Akte Walter Nord (BA R 9361 PK I 335, Bl. 1208). Für die Einsatzdauer in Tschechien vgl. ebd., Bl. 1210. Für die Beförderung zum Hundertschaftsführer vgl. Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 1r). 73 Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976). Diese Tätigkeit verschwieg er nach dem Krieg. Vgl. Lebenslauf des Majors d. Schutzpolizei a. D. Walter Nord vom 27.6.1953 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). Für Nords Dienst in Böhmen und Mähren vgl. ebd.; Walter Nord Lebenslauf, o. D. (BA RS E 340, Bl. 2976); Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 19). 74 Aufstellung von Ausbildungsbataillonen vom 15.11.1939 (LAV NRW, W, B 406 Nr. 15207, Bl. 33). Vgl. auch Hölzl, Walter Nord, S. 169.

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Dem wurde aber nicht zugestimmt. Man wollte Nord lieber weiter mit dem Bataillon 61 einsetzen, denn der „ständige Einsatz des Bataillon unter sehr schwierigen Verhältnissen (Razzien, Evakuierungen, Standgerichte usw.) und auch die Durchführung der Ausbildung der 4 000 Mann Hilfspolizei erfordere ältere erfahrene Offiziere.“75 Innerhalb der Dortmunder Polizeieinheit wurde Nord belobigt. Am 10. Januar 1940 schlug ihn sein Bataillonskommandeur für das KVK II mit Schwertern vor. Dederky begründete dies damit, im „Kampf gegen polnische Banden und Heckenschützen“ habe Nord „in jeder Weise seine Kompanie zum Erfolg geführt“. Dieser sei allein „seiner vorbildlichen Haltung“ zuzuschreiben. In Anbetracht der Einsatzrealität des Bataillons 61 bedeutete dies, dass der Major mit dem „Schneid“ und „Draufgängertum“76 Nords eigentlich dessen hartes Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung lobte. Während Nord seit 1936 der NSV angehörte, trat er am 1. Oktober 1940 in die NSDAP ein. Im Januar 1941 wurde Nord dann als Kompaniechef zum Bataillon 316 versetzt, also zu jener Truppe, für die ihn der BdO Münster schon 1939 vorgesehen hatte. Mit seiner neuen Einheit nahm Nord weiterhin an den Gewalthandlungen des Ostkrieges hinter den Fronten teil. Nachdem er 1942 den Majorslehrgang bestand, führte er ein Polizeibataillon unter hohen Verlusten u. a. an der Stalingradfront, wurde im Sommer 1943, mittlerweile SS-Mitglied, Ausbilder im Elsass und geriet schließlich 1945 in den Niederlanden in britische Gefangenschaft.77 Durch das NS-Regime wurde Nord offensichtlich wertgeschätzt. So zeichnete man ihn schon vor seinem Aufstieg zum Major „für besondere Tapferkeit vor dem Feinde“78 mehrfach aus. Für die „Schlacht um Bialystok“ erhielt er

75 Anfrage betr. Austausch eines für die Ausbildung besonders geeigneten Offiziers vom 22.12.1939 (ebd., Bl. 57). Vgl. auch: Hölzl, Walter Nord, S. 169. 76 Vorschlagsliste für Auszeichnung vom 10.1.1940 (BA ZM 1456 A.2). Hier zitiert nach ebd., S.168. Insbesondere für die nicht existente Bedrohung durch Partisanen in Polen 1939/40 siehe Kapitel IV.1. 77 Vgl. Lebenslauf des Majors d. Schutzpolizei a. D. Walter Nord vom 27.6.1953 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.); Akte Walter Nord (BA R 9355 ZB I 1787, Bl. 14). Zum 11.1.1941 wurde Nord Kompaniechef im Bataillon 316. Als Ersatz kam von der PV [Polizeiverwaltung] Dortmund Oberleutnant Moerth zum Bataillon 61. Für den weiteren Einsatz von Nord ebenso wie zu seinem Nachkriegsleben vgl. Hölzl, Walter Nord, S. 169–171. Für die Übernahme der 1. Kompanie im Bataillon 316 sowie deren Zusammensetzung vgl. Lebenslauf des Majors d. Schutzpolizei a. D. Walter Nord vom 27.6.1953 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). Für die NSDAP-Zugehörigkeit von Nord vgl. Akte Walter Nord (BA R 9355 ZB I 1787, Bl. 23). Ebenso vgl. Personalbogen Walter Nord geb. 5.3.1904, o. D. (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 1, Bl. 1); Entnazifizierungsakte Nord, Walter vom 9.4.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-17401, Bl. 4); Akte Walter Nord (BA R 9361 PK I 335, Bl. 1208). 78 Vermerk des Kommandoamtes September 1942 (BA ZA ZM 474 A.12). Hier zit. nach Hölzl, Walter Nord, S. 170.

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das EK II. und für die „Schlacht um Moskau“79 das EK I. Trotz der hohen Verluste seines Bataillons resümierten Vorgesetzte am 6. Juli 1943, Nord habe sich „besonders hervorgetan und als Bataillonsführer bewährt“.80 Von seinen Untergebenen wurde er aber, wegen seiner unüberlegten Art, die seine Männer in Russland mit ihrem Blut bezahlten, negativ eingeschätzt. Auch Nords Alkoholismus und sein Terrorisieren von Untergebenen wurde von Ihnen kritisiert. So soll er etwa auf den Boden geschossen haben, um die Männer seiner Kompanie im Bataillon 316 zu erschrecken.81 Im Vergleich zu seinem Nachfolger als Chef der 1. Kompanie des Bataillons 61, der auch als Gerichtsoffizier fungierte, muss Nord jedoch geradezu als gemäßigter Charakter gelten. Erich Mehr war zuvor Führer des 1. Zuges der aufgelösten 4. Kompanie gewesen. Er kann als „weltanschaulich besonders gefestigter Kämpfer“82 kategorisiert werden und war einer der wenigen Männer des Bataillons 61, die tatsächlich als pathologische Täter anzusehen sind. Als Kompaniechef nahm er nicht nur an diversen Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung teil, sondern förderte aktiv Gewalthandlungen seiner Untergebenen. Für sich selbst nahm er in Anspruch, der „Judenfeind Nr. 1“83 zu sein. Darin sah er sogar eine höhere Sendung, wenn er resümierte, Adolf Hitler habe prophezeit, die „Juden müssen ausgerottet werden, und [Mehr] werde dafür sorgen, dass die Juden ausgerottet werden“.84 Er tötete nicht nur, sondern misshandelte mehrfach wegen kleinerer Delikte festgesetzte Personen auf das Brutalste. Besonders im Warschauer Ghetto zeigte er ganz offen seine Gewalt- und Alkoholaffinität. Er soll sich im betrunkenen Zustand regelrecht „wie ein Tier“85 verhalten und „Schaum vor dem Mund“86 gehabt haben. Als Sohn eines Expedienten wurde Mehr am 30. April 1912 im südwestfälischen Hagen geboren. Nach dem Besuch der katholischen Volksschule wurde er bis zur Untertertia im Albrecht-Dürer-Realgymnasium beschult und erlernte

79 Entnazifizierungsakte Nord, Walter vom 9.4.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-17401, Bl. 3). Ebenso für die Eisernen Kreuze vgl. Akte Walter Nord (BA R 9361 PK I 335, Bl. 1210). Eine Auflistung weiter Auszeichnungen liefert: Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 72). 80 Akte Walter Nord (BA R 9355 ZB I 1787, Bl. 30). 81 Exemplarisch für die Einschätzung durch seine Untergebenen vgl. Aussage Julius Schneider vom 29.1.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 3). 82 René Rohrkamp, „Weltanschaulich gefestigte Kämpfer“. Die Soldaten der Waffen-SS 1933–1945. Organisation – Personal – Sozialstrukturen, Paderborn 2010, S. 14. Für Mehrs Verwendung als Zugführer vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 44). 83 Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 36). 84 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 50). Es handelte sich wohl um eine Anspielung auf Hitlers bekannte Reichstagsrede vom 30.1.1939. 85 Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 233r). Für brutale Misshandlungen durch Mehr vgl. Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42). 86 Aussage Joseph Figiel vom 2.3.1951 (ebd., Bl. 71).

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danach von 1926 bis 1929 das Handwerk des Klempners und Installateurs. Bis zur „Machtübernahme“87 der NSDAP sei er danach meist erwerbslos gewesen und habe in der Zwischenzeit in einer chemischen Fabrik bei Wittenberg gearbeitet. Bereits mit 14 Jahren begann sich Mehr politisch zu engagieren, was ihn „in Konflikt mit Schule und Elternhaus“.brachte. Vom 1. Mai 1926 bis zum 15. Mai 1928 war er Mitglied im Wehrverband „Wehrwolf“. Vom 1. Juni 1928 bis zum 30. Oktober 1931 gehörte der spätere Kompaniechef der Hitlerjugend (HJ) an, die er in Hagen selbst mitbegründet hatte und in der er bis zum Propagandawart und „Reichsredner“88 aufstieg. Sofort mit Erreichen der Volljährigkeit trat er am 1. Mai 1930 in die ­NSDAP über und wurde Mitglied der SA. Am 15. November 1931 kam noch die Mitgliedschaft in der SS hinzu. Bereits 1930 musste Mehr sein Elternhaus dauerhaft verlassen, da sein Vater ihm „die nationalsozialistische Betätigung untersagte“.89 Eine neue Heimat fand der spätere Kompaniechef im Nationalsozialismus. Er wurde u. a. von der Gauleitung in Halle-Merseburg als Gauredner bestätigt. Beim Amtsgericht Wittenberg soll er zweimal für sein gewalttätiges politisches Engagement verurteilt worden sein und „im März 1931 in Pratau bei Wittenberg“ wurde er im Dienst der Partei „schwer verwundet“. Mehr war Träger des goldenen HJ-Abzeichens, des goldenen Parteiabzeichens, der SS-Sig­rune und erhielt den SS-Julleuchter verliehen. Für sich nahm er in Anspruch, dass er sich als „SS-Führer und Nationalsozialist“ immer und „jederzeit bedingungslos für den Führer einsetzen“ werde.90

87 Lebenslauf Erich Mehr vom 7.3.193(?) [Jahreszahl unlesbar durch Brandschaden] (BA R 9361 SSO 305, Bl. 879) – nicht einmal der eingefleischte Nationalsozialist Mehr nutzte den Begriff der „Machtergreifung“ in seinem Lebenslauf. Für die weiteren genannten Lebensdaten und Stationen vgl. ebd.; Lebenslauf Erich Mehr, o. D. (BA R 9361 RS D 5427, Bl. 566). Für Mehrs katholische Erziehung und seine daraus resultierende Kirchenfeindschaft vgl. Bericht von Friedrich Kehler an die brit. [britische] Besatzungs­ behörde vom 29.11.1945 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 13). 88 Erich Mehr Lebenslauf vom 7.3.193(?) (BA R 9361 SSO 305, Bl. 879). Es handelte sich um die höchste der fünf Rednerstufen des NS-Systems. Vgl. Reichsorganisationsleiter der NSDAP (Hg.), Das Organisationsbuch der NSDAP, 4. Auflage, München 1940, S. 299. Allgemein für Mehrs Mitgliedschaft im Wehrwolf und in der HJ vgl. ebd.; Lebenslauf Erich Mehr, o. D. (BA R 9361 RS D 5427, Bl. 566 sowie 834). Zum Wehrwolf vgl. Dietrolf Berg, Der Wehrwolf 1923–1933. Vom Wehrverband zur nationalpolitischen Bewegung, Toppenstedt 2008; Kurt Finker, Wehrwolf. Bund deutscher Männer und Frontkrieger. In: Dieter Fricke (Hg.), 1830–1945. Die bürgerlichen Parteien in Deutschland, Berlin 1968, S. 835–840. Bei Klemp wird Mehrs Wehrverbandszugehörigkeit fälschlicherweise als Mitgliedschaft in einem Freikorps bezeichnet. Vgl. Klemp, Freispruch, S. 23; ders., Vernichtung, S. 100. 89 Lebenslauf Erich Mehr vom 7.3.193(?) (BA R 9361 SSO 305, Bl. 879). Für Mehrs NSDAP-, SA- und SS-Mitgliedschaft sowie auch für den Bruch mit seinem Elternhaus vgl. ebd.; Lebenslauf Erich Mehr, o. D. (BA R 9361 RS D 5427, Bl. 566). 90 Lebenslauf Erich Mehr vom 7.3.193(?) (BA R 9361 SSO 305, Bl. 879). Ebenso vgl. Lebenslauf Erich Mehr, o. D. (BA R 9361 RS D 5427, Bl. 566).

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Aufgrund der Patronage durch den stellvertretenden Leiter des Gaus Westfalen-Süd, Heinrich Vetter, der auch Bürgermeister von Hagen war, habe es Mehr dann erreicht, in den Polizeidienst zu gelangen und für die Offizierslaufbahn vorgeschlagen zu werden. Anfang April 1933 trat Mehr als Anwärter der Polizeischule der Landespolizei bei und kam danach als Wachtmeister zur Schutzpolizei. 1935 wurde er zum Oberwachtmeister und 1936 zum Revier­ oberwachtmeister bzw. Oberjunker befördert. Im Zeitraum von April 1933 bis November 1937 ruhte dabei Mehrs SS-Mitgliedschaft aufgrund gesetzlicher Bestimmungen. Am 1. September 1938 wurde Mehr zum Leutnant ernannt. Seine Einsatzorte im Außen- und Innendienst waren Burg bei Magdeburg, Berlin und Hagen, bevor er zur Polizeiverwaltung Recklinghausen kam. Von dort aus wurde er u. a. zur Annexion Tschechiens abgeordnet. Dabei lernte er die Vorgehensweise des NS-Regimes bei der Okkupation Osteuropas kennen. Zu Kriegsbeginn kam Mehr dann zur 4. Kompanie des Bataillons 61, wo er den 1. Zug leitete. Ebenfalls 1939 heiratete er die Stenotypistin Charlotte Thurau.91 Bereits am 9. November 1939 stieg Mehr zum Oberleutnant auf. Da er analog auch zum Obersturmführer befördert wurde, verlangte Mehr in einem Schreiben an die 19. SS-Standarte energisch eine entsprechende Ernennungsurkunde. Hierbei hielt er sich jedoch in keiner Weise an den vorgegebenen Ablauf. Es wurde festgehalten, Mehr sei „zu belehren, dass er in Zukunft den Dienstweg einzuhalten“ habe.92 Das Umgehen von Dienstwegen und Vorschriften blieb typisch für den Offizier, der 1941 Chef der 1. Kompanie und im Januar 1942 zum Hauptmann befördert wurde. So log er offensiv in Ordensvorschlägen und stiftete seine Männer zu illegalen eigenmächtigen Gewalttaten an, die er auch selbst oftmals beging. Außerdem sorgte er auf inoffiziellen Wegen dafür, dass seine Kompanie einige eigenständige Exekutionen durchführen konnte. Daneben forderte Mehr seine Untergebenen nachdrücklich zum Kirchenaustritt auf, wie er ihn auch selbst vollzogen hatte. Er tat dies, obwohl der Reichsführer-SS angeordnet hatte, sich nicht in Glaubensfragen von Polizeiangehörigen einzumischen.93

91 Vgl. Lebenslauf Erich Mehr vom 7.3.193(?) (BA R 9361 SSO 305, Bl. 879); Lebenslauf Erich Mehr, o. D. (BA R 9361 RS D 5427, Bl. 566). Ebenso vgl. Beförderung von Erich Mehr zum Untersturmführer mit Wirkung zum 30.1.1939 (BA R 9361 SSO 305, Bl. 868). Für seine Hochzeit und seine Frau vgl. Klemp, Vernichtung, S. 101, Anm. 232. Für den Vorschlag zur Offizierslaufbahn vgl. Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 39). Für die Karriereschritte von 1933 bis 1936 vgl. Lebenslauf Erich Mehr vom 7.3.193(?) (BA R 9361 SSO 305, Bl. 879); Lebenslauf Erich Mehr, o. D. (BA R 9361 RS D 5427, Bl. 566). 92 Schreiben von Erich Mehr an die 19. SS-Standarte betr.: Beförderungsurkunden vom 27.11.1940 (BA R 9361 SSO 305, Bl. 867). Für die Beförderung zum Oberleutnant vgl. Akte Erich Mehr (ebd., Bl. 838). 93 Für Himmlers Anordnung, sich nicht in das religiöse Leben von Polizisten einzumischen, vgl. Schreiben betr.: Bekenntnis der Angehörigen der uniformierten Ordnungspolizei zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und Teilnahme an deren Veranstaltungen vom 13.6.1938 (R 19 Nr. 311, Bl. 3). Für Mehrs Forderung des Kirchenaustritts seiner Untergebenen vgl. Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223

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Wie problematisch diese Verhaltensweisen in Kombination mit seiner Gewalt­affinität waren, zeigt sich beim Blick auf Mehrs gesamte Karriere. Zwar war er sportlich und leistungsfähig, wie ihm eine ärztliche Untersuchung attestierte, für die der Offizier allerdings seinen Alkoholismus verschwieg und seinen Konsum stattdessen als „ganz mäßig“94 beschrieb. Ferner erkannte man auch seine „rednerische Betätigung“95 an. Aber trotz seiner sehr niedrigen SSund NSDAP-Nummer sowie seiner Verdienste als „Alter Kämpfer“ war er bis Kriegsbeginn nur bis zum Leutnant aufgestiegen. Mehr galt als „sehr von sich eingenommen und duldete grundsätzlich gegen die von ihm getroffenen Anordnungen keinen Widerspruch“. Darüber hinaus sei er „brutal und rücksichtslos“ vorgegangen und in seinem Handeln durch „Willkürlichkeit“96 geprägt gewesen. Dies unterstreicht, dass er für höhere militärische Führungsaufgaben ungeeignet war. Fanatismus konnte auch im Nationalsozialismus nicht vorhandene Fähigkeiten völlig kompensieren und so wurde Mehr in einer Einheit eingesetzt, die primär durch Terror die osteuropäische Bevölkerung niederhalten sollte. Am 15. November 1943 machte Mehr, inzwischen mit dem Bataillon 61 in Russland eingesetzt, dann den Versuch, in die angesehene Waffen-SS zu wechseln. In seinem Versetzungsgesuch an das SS-Personalamt resümierte er, dass er sich seit Kriegsausbruch bewährt habe. Er sei „hauptsächlich im Objektschutz und zuletzt im Bandenkampf eingesetzt“ gewesen und als „alter SS-Mann“ sei es schon lange sein Wunsch, „bei einer Fronteinheit der Waffen-SS eingesetzt zu werden“. Er „wäre glücklich“, wenn er nun durch seine „Meldung eine bei den Abwehrkämpfen des vergangenen Winters aufgetretene Lücke ausfüllen könnte“.97 Ob es Mehr geschafft hätte, in eine prestigeträchtigere Einheit versetzt zu werden, bleibt unklar. Bei einem von ihm persönlich geführten Angriff verstarb er am 15. Januar 1944 durch das Feuer russischer Partisanen. Als linientreuer Offizier wurde er postum zum Major der Schutzpolizei und zum Sturmbannführer der SS befördert.98

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Nr. 1486, Bl. 39). Für die Ankündigung von Mehr, Ordensvorschläge zu manipulieren, vgl. Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 61). Für Mehrs Beförderung zum Hauptmann vgl. Akte Erich Mehr (BA R 9361 SSO 305, Bl. 853). Für seine Hauptmannsurkunde vom 3.1.1942 vgl. Beförderungsurkunde vom 30.1.1942 (ebd., Bl. 855). Allgemeiner Untersuchungsbefund Erich Mehr, o. D. (BA R 9361 RS D 5427 Bl. 574). Ärztliche Beurteilung Erich Mehr, o. D. (ebd., Bl. 572). Aussage Joseph Figiel vom 2.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 71). Zum von Mehr ausgeübten Druck siehe ausführlich Kapitel V.5. Für Mehrs niedrige SS- und NSDAP-Nummer vgl. Akte Erich Mehr (BA R 9361 SSO 305, Bl. 872). Bei einigen Männern, die zu Mehrs Vertrauensnetzwerk gehörten und die er entsprechend gut behandelte, war er jedoch recht beliebt. Vgl. Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 162r). Gesuch des Hauptsturmführers Erich Mehr um Übernahme in die Waffen-SS vom 15.11.1943 (BA R 9361 SSO 305, Bl. 851). Für seine postume Beförderung zum Sturmbannführer und zum Major der Schutzpolizei vgl. Akte Erich Mehr (ebd., Bl. 839 und 841). Für sein Todesdatum vgl. Todesanzeige Erich Mehr vom 14.2.1944 (ebd., Bl. 844). Für die Umstände des Todes vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 239r). Klippert gab jedoch fälschlicherweise an, dieser Angriff habe noch 1943 stattgefunden. Wer Mehr

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Sowohl Nord als auch anfangs Mehr stand in organisatorischen Angelegenheiten Gerhard Riewald als Spieß zur Seite. Dieser wurde am 24. Juni 1899 geboren und war am 20. August 1920 in Münster als Polizeianwärter zur Schutzpolizei gekommen. Bereits seit 1925 diente er bei der Dortmunder Polizei, wo er 1934 als Spieß bei einer Revierhauptmannschaft, die später als Hundertschaft bezeichnet wurde, Verwendung fand. Mit der Umstrukturierung der Dortmunder Polizeieinheit veränderte sich auch die Besetzung des geschäftsführenden Hauptwachtmeisters der 1. Kompanie. Schon zuvor wurde Riewald „verschiedentlich vertreten, insbesondere durch den damaligen Waffenwart Brunst“.99 1940 schied Riewald dann als Spieß aus und der am 16. Dezember 1910 geborene Ernst ­Brunst übernahm offiziell die Position des maßgeblichen Unterführers.100 Zu Kriegsbeginn führte Oberleutnant Heinrich Bernhard Fockenbrock die 2. Kompanie. Am 16. April 1916 in Münster als Sohn eines Kaufmanns geboren, besuchte er nach der Volks- die Mittelschule bis zur Untertertia und besuchte dann vom 1. April bis zum 1. Oktober 1930 eine private Handelsschule. Im Anschluss daran erfolgte bis zum 30. September 1933 eine kaufmännische Lehre. Bereits am 3. März desselben Jahres war er in die SS-Standarte Westfalen-Nord eingetreten, der auch Mehr und der spätere Chef der 3. Kompanie des Bataillons 61, Kärgel, angehörten. Ab Oktober 1933 war Fockenbrock dort als Stabsscharführer und ab dem 15. Dezember als Adjutant in die Verwaltung der Stan­ darte eingebunden. Am 30. September 1934 wechselte er in die neu geschaffene SS-Verfügungstruppe zum 1. Bataillon der SS-Standarte „Germania“, wurde militärisch ausgebildet und am 20. April 1935 zum Unterscharführer ernannt.101

als Kompaniechef nachfolgte, ist nicht abschließend zu klären. Lediglich im: Antrag auf Verleihung des Infanterie-Sturmabzeichens vom 25.5.1944 (BStU MfS HA IX/11 21355, Bl. 96) wird Hauptmann Mathias Willms, aus dem I./9. erwähnt. Es könnte sich bei ihm in der Auflösungssituation der Front aber auch um den Ia des Regiments gehandelt haben.     99 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 4). Für Riewalds Karrierestationen vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 46). Zu Riewalds Lebensdaten vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 8); Vorschlagsliste Medaille für dt. [deutsche] Volkstumspflege vom 23.12.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.); Vorschlagsliste Nr. 50 für die Verleihung der Medaille zur Erinnerung an den 13. März 1938 vom 10.3.1939 (BA R 601 Nr. 2403, Bl. 3). 100 Vgl. Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5825); Aussage Heinrich Marach vom 29.3.1962 (ebd., Bl. 5813); Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 149); Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 163); Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 61); Aussage Anton Lange vom 26.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 31); Aussage Anton Lange vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 28); Aussage Adolf Homrighausen vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 39); Aussage Karl Schmitz vom 4.2.1960 (ebd., Bl. 31); Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (ebd., Bl. 4); Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 41). 101 Für den Eintritt in die Standarte und die Tätigkeit als Stabsscharführer vgl. Lebenslauf Heinrich Fockenbrock, o. D. (BA R 9361 RS B 417, Bl. 17). Für die Tätigkeit als Adjutant vgl. Akte Heinrich Fockenbrock (BA R 9361 SSO 213, Bl. 1531). Für den SS-Eintritt

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Am 1. April 1936 wurde Fockenbrock dann an die Junkerschule Tölz abgeordnet. Anschließend absolvierte er, mittlerweile Standartenjunker, vom 1. Februar 1937 bis zum 20. April 1937 den Zugführerlehrgang im SS-Übungslager Dachau, wurde danach zum Untersturmführer ernannt und erhielt den „SS-Führerdegen“.102 Zum 1. Mai 1937 wurde er als Leutnant der Schutzpolizei nach Dortmund abgeordnet, besuchte zunächst einen Einweisungslehrgang und trat der NSDAP sowie wenig später der NSV bei. Vom 11. März bis zum 8. Mai 1938 war er als Zugführer der Dortmunder Schutzpolizei bei der Annexion Österreichs eingesetzt. Ebenso wurde er vom 15. Dezember 1938 bis zum 1. September 1939 im Sudetenland verwendet. In dieser Zeit stieg er am 30. Januar 1939 zum Oberleutnant auf und war vom 1. April bis zum 10. Mai als Kompanielehrgangsleiter zu einer Ausbildungskompanie in Zwittau abgestellt. Bei Kriegsbeginn wurde Fockenbrock zum Chef der 2. Kompanie im Bataillon 61 ernannt. Während seines ersten Kriegseinsatzes heiratete der aus der Kirche ausgetretene, „gottgläubige“ Polizeioffizier am 27. März 1940 und wurde am 20. März 1941 Vater einer Tochter.103 Seine Vorgesetzten sahen in ihm einen Führer, der eine potenziell große Karriere vor sich hatte. Schon in der Junkerschule sowie in frühen Beurteilungen hieß es über ihn: „Sehr selbstsicher. Guter Kamerad. Ordentlicher, einwandfreier Charakter.“104 Seine Führung galt als „sehr gut“ und auch wenn er manchmal noch etwas schwerfällig agiere, sah man ihn als „zum SS-Führer voll geeignet“. Außerdem lobte man seinen „gesunden Menschenverstand“.105 Positiv gesehen wurde auch, dass der Offizier „ziemlich ungesellig“ und „unleidenschaftlich“106

vgl. Personalbogen Heinrich Bernhard Fockenbrock geb. 16.4.1916, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). Ebenso zum SS-Dienst vgl. Akte Heinrich Fockenbrock (BA R 9361 SSO 213, Bl. 1478). Für Fockenbrocks Herkunft, Famile und Schulbildung vgl. Personalbogen Heinrich Bernhard Fockenbrock geb. 16.4.1916, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.); Lebenslauf Heinrich Fockenbrock, o. D. (BA R 9361 RS B 417, Bl. 17); Personal-Nachweis für Führer der Waffen-SS, o. D. (BA R 9361 SSO 213, Bl. 1531). Möglicherweise war auch Siegmund Wörmer kurzzeitig Chef der 2. Kompanie vgl. Entnazifizierungsakte Wörmer, Siegmund vom 29.5.1947 (LAV NRW, R, NW 1105–2760, Bl. 9); Liste RPB 61, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 195, Bl. 129). Generell zur Stellenbesetzung des Kompaniechefs der 2. Kompanie vgl. Kärgel, Einsatz (1957), S. 211; Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 23); Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 42). 102 Akte Heinrich Fockenbrock (BA R 9361 SSO 213, Bl. 1532). Für die Beförderung zum Untersturmführer und den Zugführerlehrgang vgl. ebd., Bl. 1481. Für die Junkerschulaufnahme am 1.4.1936 vgl. Aufnahmeschein der Junkerschule Tölz vom 25.4.1936 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.); Vereidigungsurkunde vom 9.11.1936 (ebd., unpag.). 103 Vgl. Personalbogen Heinrich Bernhard Fockenbrock geb. 16.4.1916, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.); Personal-Nachweis für Führer der Waffen-SS, o. D. (BA R 9361 SSO 213, Bl. 1531). Zu seiner Ehefrau vgl. Akte Heinrich Fockenbrock (BA R 9361 213, Bl. 1514). Für den Einsatz in Polen vgl. ebd., Bl. 1515, 1481 und 1482. 104 Ebd., Bl. 1506. 105 Ebd., Bl. 1508. 106 Ebd., Bl. 1509.

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gewesen sein soll. Im NS-Jargon bedeute dies, dass er nicht übermäßig trank und verhältnismäßig rational handelte. Auch der Kommandeur des Bataillons 61 führte über seinen Untergebenen aus, dieser sei als „Kamerad beliebt“ und träte „fürsorglich für seine Männer ein“, habe ein schnelles Auffassungsvermögen und sei „zäh, zielbewusst und hart“. Der Major urteilte, Fockenbrock sei „großen Anforderungen gewachsen“.107 Mit seinen 1,83 Metern Körpergröße, blonden Haaren, blauen Augen und seiner Sportlichkeit erfüllte er auch die körperlichen Ideale des Nationalsozialismus. Dederky urteilte, der Kompaniechef verstehe es, „seinen Männern das nationalsozialistische Gedankengut zweckmäßig und überzeugend zu vermitteln“. Diese Feststellung ging dabei klar über die in Beurteilungen standardmäßig verwendeten Formulierungen hinaus. Seinen ideologischen Standpunkt habe der Kompaniechef insbesondere durch „sein energisches Vorgehen gegen polnische und jüdische Banden und Verbrecher“ bewiesen.108 Der seit dem 30. Januar 1940 im Hauptmannsrang stehende Offizier, der u. a. mit dem KVK II. und der Medaille für Volkstumspflege ausgezeichnet worden war, galt entsprechend als voll „zur Beförderung geeignet“.109 Offenbar war Fockenbrock auch bemüht, sich organisatorisch in das NS-­ Regime einzubringen. So regte der Offizier 1939 gegenüber der SS-Personalkanzlei an, ob man nicht die Kommunikation der SS-Führung zu den in der Polizei dienenden SS-Führern verbessern könnte. Da die „aus den SS-Junkerschulen hervorgegangenen SS-Führer in der Polizei meist nur in Form von Gerüchten im Kameradenkreis von den neuesten wichtigen Gesetzen und Befehlen der SS Kenntnis erhalten“ würden, halte er es für angebracht, die SS-Führer im Polizeidienst „durch direkten Befehl über wichtige Neuigkeiten zu unterrichten“.110 Ergänzend fragte er nach, ob es nicht eine periodische Denkschrift der SS für Polizeioffiziere gäbe, bzw. ob man nicht eine solche schaffen könne. „Der lange Dienstweg bis zum RFSS würde“ dabei seines „Erachtens nicht fruchtbringend wirken, da es ja meistens Dinge sind, die nur die Belange der Schutzstaffel in der Polizei berühren“.111 Eine Affinität zu informellen Regelungen schien bei Fockenbrock auch im Okkupationseinsatz in Osteuropa durch. So forderte er beispielsweise seine Untergebenen bei einer Deportationsaktion 1939 über den offiziellen Rahmen hinaus zu Gewalttätigkeiten auf. Außerdem war er am gleichen Ort für eine nicht angeordnete Exekution und das Niederbrennen eines ganzen Stadtvier-

107 Ebd., Bl. 1515. Fockenbrock war Inhaber verschiedener Reitsportabzeichen sowie des Grund- und Prüfscheins der DLRG [Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft]. Für seine Sportabzeichen vgl. Personalbogen Heinrich Bernhard Fockenbrock geb. 16.4.1916, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). 108 Akte Heinrich Fockenbrock (BA R 9361 213, Bl. 1515). 109 Ebd., Bl. 1514. Für seine Medaillen und Orden vgl. Personalbogen Heinrich Bernhard Fockenbrock geb. 16.4.1916, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). 110 Akte Heinrich Fockenbrock (BA R 9361 213, Bl. 1496). 111 Ebd., Bl. 1497.

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tels verantwortlich. Dieses Verhalten jenseits offizieller Regeln, bei dem Krehnke sein Komplize gewesen sein soll, habe zwar wegen der „Unrechtmäßigkeit dieser Tat“112 zu Kritik von Nord geführt, wurde aber nie offiziell bestraft. Im Gegenteil, auf höherer Ebene schätzte man Fockenbrock nicht nur, sondern unterstützte ihn auch auf informelle Weise. So setzte sich ein SS-Standartenführer am 27. November 1939 beim Chef des SS-Ergänzungsamtes für die Karriere des Kompaniechefs ein. Dieser habe „den Wunsch, bei einem Totenkopf-Bataillon oder in die Verfügungstruppe eingestellt zu werden“. Da dort ein Mangel an Offizieren herrsche, schlug sein Fürsprecher vor, „Fockenbrock, der augenblicklich bei der Schutzpolizei eine Polizei-Kompanie führt, mindestens in gleicher Eigenschaft bei“ einem SS-­ Totenkopfverband einzusetzen. Sein Vorgehen begründete der Standartenführer damit, dass „es für die Polizei-Offiziere immer schwierig“ sei, „derartige Wünsche auf dem Dienstweg zu äußern“.113 Diese Patronage zeigte jedoch nicht direkt ihre gewünschte Wirkung, Fockenbrock blieb vorerst beim Bataillon 61. Im Juni 1940 kehrte er mit diesem ins Ruhrgebiet zurück. Am 18. November wurde er zum Hauptamt der Ordnungspolizei abgeordnet, um sich dort zunächst auf einen Spanischkurs und anschließend auf eine Kolonialausbildung vorzubereiten. Vom 1. März bis zum 27. April 1941 befehligte der Offizier nochmals die 2. Kompanie, ehe er zur Kolonialausbildung in Tivioli bei Rom abgeordnet wurde. Nach weiteren Karrierestationen absolvierte Fockenbrock 1943 einen Bataillonsführerlehrgang, den er als „gut geeignet“114 bestand. Auf eigenen Wunsch erfolgte dann ein Fronteinsatz. In einer vorherigen Beurteilung vom 15. Oktober 1944 wurde festgehalten, dem Hauptsturmführer fehle nach seiner „langen Stabstätigkeit“ schlicht „die notwendige Fronterfahrung“.115 Versetzt wurde er dennoch und nach weniger als einer Woche starb Heinrich Fockenbrock am 21. Oktober 1944 infolge einer Verwundung. Postum wurde er zum Sturmbannführer ernannt.116 In den Dienstgeschäften im Bataillon 61 wurde er durch seinen, am 18. April 1897 geborenen, Spieß Thamm unterstützt. Dieser stieg später bis zum Bataillonsspieß auf und der am 9. Januar 1912 in Münster geborene Hans Baumkötter folgte ihm 1943 in der 2. Kompanie nach. Der später in Gelsenkirchen 112 Aussage Gerhard Riewald vom 15.5.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-17401, Anlage 8), S. 1. 113 Schreiben an den Chef des SS-Ergänzungsamtes Brigadeführer Berger vom 27.11.1939 (BA R 9361 213, Bl. 1492). Der Standartenführer kannte Fockenbrock aus der 19. SSStan­darte. An gleicher Stelle wird auch ein namentlich nicht genannter SS-Unterführer beim Bataillon 61 erwähnt, für den Berger um das Gleiche bittet. 114 Beurteilung Batl.Führerlehrgang vom 28.8.1943 (BA R 9361 SSO 213, Bl. 1511). Für die Stationen von Fockenbrocks Karriere im Jahr 1940–42 vgl. Akte Heinrich Fockenbrock (ebd., Bl. 1482 f.). 115 Beurteilungsnotiz vom 15.10.1944 (ebd., Bl. 1525). Für seine Frontversetzung vgl. Aussage Erich Tiemann vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 19); Akte Heinrich Fockenbrock (BA R 9361 SSO 213, Bl. 1483). 116 Vgl. Schreiben an Friederike Fockenbrock vom 8.12.1944 (ebd., Bl. 1487).

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ansässige Unterführer wurde bei Kriegsbeginn zunächst als Zugführer in der 2. Kompanie eingesetzt, bevor er zum Spieß ernannt wurde. 1944 geriet er in russische Kriegsgefangenschaft.117 Die Nachfolge von Fockenbrock auf dem Posten des Kompaniechefs trat 1941 Oberleutnant Julius Wannemacher an, der zuvor den 1. Zug der 1. Kompanie unter Nord geführt hatte. Der bald danach zum Hauptmann beförderte Offizier führte die Kompanie auch noch während des Russlandeinsatzes des Bataillons 61. Ob und wann er abgelöst wurde, lässt sich nicht mehr feststellen. Mindestens bis zum 5. August 1943 war er jedoch der Chef der 2. Kompanie.118 Wannemacher wurde am 25. März 1912 in Kaiserslautern geboren. Im Vergleich zu den anderen Kompanieführern und Offizieren des Bataillons war er in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. So erklärte er sich – entgegen dem Trend in der Deutschen Polizei nach 1936/37 – nicht als „gottgläubig“ und blieb Mitglied der katholischen Kirche. Auch blieb er bis in die Nachkriegszeit hinein ledig. Obwohl er Berufspolizist war, ist ihm nicht nachzuweisen, dass er Mitglied der NSDAP, SA oder SS wurde oder eine SS-Junkerschule besuchte. Jedoch blieb auch Wannemacher nicht völlig frei von der Mitgliedschaft in NS-Organisationen. Am 1. November 1933 wurde er Mitglied im Nationalsozia­listischen Kraftfahrer Korps (NSKK).119

117 Vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 52); Aussage Hans Baumkötter vom 31.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 184); Aussage Erich Mockler vom 19.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 55). Ferner vgl. Vermerk der Staatsanwaltschaft Münster über festgestellte Mitglieder des RPB 61 vom 31.8.1959 (ebd., Bl. 38); Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 42). Für Baumkötters Lebensdaten vgl. Entnazifizierungsakte Baumkötter, Hans vom 30.12.1949 (LAV NRW, R, NW 1091–15213, Bl. 1); Aussage Hans Baumkötter vom 20.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 33). 118 Vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 12. Für den Nachweis des Kommandos vgl. Auszug aus den besonderen Anordnungen Nr. 228 vom 5.8.1943 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 263, unpag.). Das Dokument wurde vom Chef der 2. Kompanie Wannemacher gegengezeichnet. Für Wannemacher als Kompaniechef und Zugführer vgl. Aussage Erich Tiemann vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 19); Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 5); Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (ebd., Bl. 25). 119 Vgl. Entnazifizierungsakte Wannemacher, Julius vom 10.7.1947 (BHStA Spruchkammer München IV/2739, Karton 1906 Bl. 3 und 8). Deswegen wurde er als „Mitläufer“ der Kategorie IV und nicht als „Unbelasteter“ der Kategorie V entnazifiziert. Der Sühnebescheid belief sich auf 100 Reichsmark oder 10 Tage Arbeitsleistungen. Seine heute nicht mehr erhaltene Personalakte soll angeblich keine NSDAP-Mitgliedschaft enthalten haben. Vgl. ebd., Bl. 3. Ebenso finden sich weder im BA noch bei der BStU Akten zu Wannemacher, die eine NSDAP-, SA- oder SS-Mitgliedschaft nachweisen. Der Ermittler Kehler sagte ihm Ende 1945 dennoch eine SS-Mitgliedschaft nach. Vgl. Bericht des Polizei Oberleutnants Kehler, Dortmund, Gegenstand: Polizeibataillon 61 vom 29.11.1945 (AIPN GK 184 Nr. 397, Bl. 15.). Zum Junggesellentum von Wannemacher vgl. Entnazifizierungsakte Wannemacher, Julius vom 10.7.1947 (BHStA Spruchkammer München IV/2739, Karton 1906 Bl. 2).

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Nach seiner Schul- und Ausbildungszeit verließ er 1936 Kaiserslautern und lebte in München. Naheliegenderweise besuchte er dort die Bayerische Polizeischule in Fürstenfeldbruck. 1938 zog er nach Dortmund, wo er bis 1944 seinen Wohnsitz hatte. Am 22. August 1938 wurde der Polizist zur Dortmunder Schutzpolizei versetzt, wo man ihn im Dezember zum Leutnant ernannte. Ebendort wurde er dann bei Aufstellung des Bataillons 61 der 1. Kompanie als Zugführer des 1. Zuges zugeteilt. Ab dem 6. September 1939 „befand er sich mit kurzer Unterbrechung im auswärtigen Einsatz“.120 Im Dezember 1939 wurde der inzwischen zum Oberleutnant beförderte Offizier zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. Nachdem Wannemacher im April 1941 das Kommando über die 2. Kompanie übernahm, war er bereits ab dem 4. Juni kurzzeitig mit einer motorisierten Sicherheits- und Hilfsdiensteinheit aus Dortmund in Belgien und Nordfrankreich eingesetzt. Spätestens beim erneuten Ausrücken des Bataillons 61 Ende des Jahres 1941 war Wannemacher jedoch zurück bei der 2. Kompanie und wurde am 30. Januar 1942 zum Hauptmann befördert.121 Nach dem Krieg wurde über Wannemacher festgehalten, er sei in Dortmund politisch „nicht in Erscheinung getreten“.122 Er selbst meinte, er habe aufgrund seiner fehlenden Verbindung zur NSDAP und SS dienstliche Nachteile gehabt. Dennoch war auch er mit Orden belohnt worden und auch seine Untergebenen waren im Alltagskontakt weit über das legale Maß hinaus gewalttätig gegen die Zivilbevölkerung Osteuropas vorgegangen. Trotzdem sah ihn die Staatsanwaltschaft Dortmund 1960 als korrekten, weil unpolitischen Offizier an.123 Hierbei gilt es jedoch zu bedenken, dass sich einige Zeugen für ihn aussprachen, um ihren Kameraden und Vorgesetzten nach dem Krieg zu entlasten. Verknappt sagten sie aus, Wannemacher sei ein „zwar strenger, aber äußerst

120 Stellungnahme des Chefs der Stadtpolizei Dortmund vom 18.6.1947 (ebd., Bl. 3). Für die Versetzung nach Dortmund und seine Beförderungen zum Leutnant und Oberleutnant vgl. ebd., Bl. 3r. Für die Versetzung und die Beförderung vgl. Akte Julius Wannemacher (BA R 9355 ZB I 3690, Rückseite des Deckblatts und Bl. 1); Stellungnahme des Chefs der Stadtpolizei Dortmund vom 18.6.1947 (BHStA Spruchkammer München IV/2739, Karton 1906 Bl. 3). Für die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit vgl. Akte Julius Wannemacher (BA R 9355 ZB I 3690, Bl. 5 f). 121 Vgl. Stellungnahme des Chefs der Stadtpolizei Dortmund vom 18.6.1947 (BHStA Spruchkammer München IV/2739, Karton 1906 Bl. 3r). Für den Westeinsatz vgl. Akte Julius Wannemacher (BA R 9355 ZB I 3690, Bl. 7). Es handelte sich dabei um einen Einsatz mit der motorisierten Sicherheits- und Hilfsdienstabteilung 23 mit Heimatstandort Dortmund. 122 Stellungnahme des Chefs der Stadtpolizei Dortmund vom 18.6.1947 (BHStA Spruchkammer München IV/2739, Karton 1906 Bl. 3). 123 Vgl. Bericht der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 27.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 16). Für die Auszeichnungen des Offiziers vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 2). Eingereicht wurde der Vorschlag durch den stellvertretenden Bataillonskommandeur Kärgel. Für Wannemachers angebliche Benachteiligung vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 29).

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korrekter Offizier“124 gewesen, „der keinerlei Eigenmächtigkeiten beging und von anderen duldete“.125 Er sei „als Mensch seinen Untergebenen gegenüber hin und wieder außerordentlich hart“ gewesen.126 Solche Aussagen weisen unterschwellig auf bestimmte Wesenszüge des Offiziers hin, die sich als die eines „Kontrollsüchtigen“ subsumieren lassen. Sehr präzise beschreibt dies der Bericht eines Angehörigen der 2. Kompanie. „Hauptmann Wannemacher: Bei bloßer Nennung dieses Namens bekam schon in der Heimat jeder Polizist eine Gänsehaut.“ In dessen Kompanie sei „alles aber auch die geringste Kleinigkeit, nur vom Chef angeordnet und befohlen“ worden. So durfte man etwa „nicht eher in der Küche zur Verpflegung angemeldet werden, bis der Chef das befahl“.127 Darüber hinaus soll der Kompaniechef seine Untergebenen stark unter Druck gesetzt haben. So ließ er Neuankömmlinge in seinem Dienstzimmer strammstehen, wandte ihnen den Rücken zu und drehte sich dann nach zehn Minuten plötzlich mit den Worten: „Stille stehen könnt ihr alle nicht“, um. Anschließend kritisierte er, dass die neuen Mitglieder seiner Kompanie bereits höhere Mannschaftsdienstgrade innehatten. In seiner Rolle des alles Kontrollierenden gefiel er sich offenbar, wenn er zum Wegtreten der neuen Polizisten gesagt haben soll: „Ihr werdet ja schon von dem Ruf der zweiten Kompanie gehört haben, auch von mir haben Sie bestimmt gehört, aber das stört mich nicht, ich tue nie das, was andere tun, grundsätzlich.“ Auch der Alltag in der 2. Kompanie soll entsprechend stets durch Kontrollen und Drohungen des Kompaniechefs geprägt gewesen sein. Sinngemäß soll morgens seine erste Aussage „Ich sperr Sie ein“ und abends seine letzte „Ich bring Sie vor das SS- und Polizeigericht!“128 gelautet haben. Die 3. Kompanie wurde von Kriegsbeginn bis zum Herbst 1942 durch den am 16. Oktober 1902 in Köln geboren Kärgel geführt. Als dienstältester Hauptmann war er zugleich der stellvertretende Bataillonskommandeur. Bis zur Quinta besuchte er in Breslau, wohin sein Vater als Kriminalkommissar versetzt worden war, u. a. das renommierte Elisabeth-Gymnasium. Am 1. April 1915 schickte man Kärgel dann auf die Kadettenanstalt im nahegelegenen Wahlstatt. Hier war neben Paul von Hindenburg auch schon der spätere „Rote Baron“ Manfred von Richthofen ausgebildet worden. Ostern 1918 wechselte Kärgel zur Preußischen Hauptkadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde, die damals die angesehenste militärische Ausbildungsstätte in Deutschland war.129

124 Aussage Karl Schmitz vom 28.7.1961 (ebd., Bl. 145). 125 Aussage Ewald Körner vom 1.6.1960 (ebd., Bl. 21). 126 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (ebd., Bl. 10). 127 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 12. 128 Ebd., S. 13. 129 Vgl. Hans Kärgel Datenblatt, o. D. (BA R 9361 SSO 147, Bl. 480). Für seine Lebens­ daten, seinen Vater und seine Schulbildung vgl. Hans Kärgel Lebenslauf vom 24.6.1940 (ebd., Bl. 486); Entnazifizierungsakte Kärgel, Hans Georg Erich vom 2.9.1947 (LAV NRW, R, NW 1047-1449, Bl. 2). Zum Besuch der Kadettenanstalten vgl. Vermerk des Reichsministeriums des Inneren betr.: Hans Kärgel vom 1.8.1942 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 35). Für seine Rolle als stellvertretender Kommandeur vgl. Aussage Hans

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Die dortigen Absolventen stiegen oftmals im Militär in hohe Ränge auf. Während es das Ziel der Anstalt war, dass Absolventen im Anschluss ihre Ausbildung als Fähnrich oder sogar als Leutnant in Heer und Marine übernommen wurden, trat Kärgel Anfang April 1920 als einfacher Soldat in das 16. Infanterieregiment ein. Ob dies durch seine Leistungen bedingt war oder eine Folge des Friedens von Versailles darstellte – die Kadettenanstalt musste im Mai 1920 schließen und die Reichswehr war massiv begrenzt worden – sei dahingestellt. Bereits Ende August 1923 schied er als Oberschütze aus der Armee aus und trat am 14. September 1923 zunächst als „Polizeiunterwachtmeister“130 in die preußische Schutzpolizei ein. Anders als viele andere Polizisten hatte Kärgel keinen Beruf erlernt. Vom 4. April bis zum 4. Juli 1929 nahm er am Lehrgang der Polizeischule für Leibesübungen teil und besuchte im Anschluss bis zum 31. März 1930 den Anwärterlehrgang an der höheren Polizeischule Eiche. Nach bestandener Offiziersprüfung 1930 dauerte es bis Oktober 1931, ehe er zum Leutnant befördert wurde.131 Nach dem Besuch eines Luftschutzlehrgangs vom 20. bis zum 24. Februar 1932 trat er, da dies nun für preußische Beamte legal geworden war, am 1. Oktober 1932 in die NSDAP ein. Im gleichen Jahr wurde er auch Mitglied der NSV. Sein Plan zum Parteieintritt bestand schon seit 1929. Darauf hatte der Polizist jedoch auf Anraten von Joseph Goebbels, der mit Kärgels Bruder bekannt war, zunächst verzichtet, um insgeheim für die Nationalsozialisten wirken zu können, statt eine Entlassung zu riskieren. Es hieß, der Offizier habe die „Bewegung unterstützt“, in dem er „laufend für die Leipziger SA“ verschiedene „Ausrüstungsgegenstände, wie Polizeihandschuhe usw. und auch zwei den

Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 27). Zum Wechsel von Wahlstatt nach Lichterfelde vgl. Vorschlag zur Ernennung von Hans Kärgel zum Major der SchuPo 1942, o. D. (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 34). Allgemein zu Kärgels Person vgl. Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 222, Bl. 14). 130 Vorschlag zur Ernennung von Hans Kärgel zum Major der SchuPo 1942, o. D. (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 34). Vgl. ebenso Akte Hans Kärgel (BA R 9361 RS C 5243, Bl. 840); Vermerk des Reichsministeriums des Inneren betr.: Hans Kärgel vom 1.8.1942 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 35). Für seinen Militärdienst ab 1.4.1920 vgl. Hans Kärgel Lebenslauf vom 24.6.1940 (BA R 9361 SSO 147, Bl. 486); Akte Hans Kärgel (BA R 9361 RS C 5243, Bl. 840). Vgl. ebenso mit dem abweichenden Eintrittsdatum 12.4.1920 Vorschlag zur Ernennung von Hans Kärgel zum Major der SchuPo 1942, o. D. (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 34); Vermerk des Reichsministeriums des Inneren betr.: Hans Kärgel vom 1.8.1942 (ebd., Bl. 35). 131 Für die Beförderung zum Leutnant am 28.10.1931 vgl. Vorschlag zur Ernennung von Hans Kärgel zum Major der SchuPo 1942, o. D. (ebd., Bl. 34); Vermerk des Reichs­ ministeriums des Inneren betr.: Hans Kärgel vom 1.8.1942 (ebd., Bl. 35). Sowie mit dem 1.10.1931 als Beförderungsdatum vgl. Hans Kärgel Lebenslauf vom 24.6.1940 (BA R 9361 SSO 147, Bl. 486). Für die Lehrgänge vgl. Vorschlag zur Ernennung von Hans Kärgel zum Major der SchuPo 1942, o. D. (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 34). Für die Offiziersprüfung vgl. Entnazifizierungsakte Kärgel, Hans Georg Erich vom 2.9.1947 (LAV NRW, R, NW 1047-1449, Bl. 3).

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­ ommunisten abgenommene Revolver“132 aus Polizeibeständen besorgte. AuK ßerdem habe Kärgel auch mit der Berliner SA kooperiert. Nach dem Krieg negierte er seine Nähe zum Nationalsozialismus aber gänzlich.133 Ohne eine entsprechende Gesinnung hätte der Polizist auch am 27. Februar 1933 nicht in eine Verwendung bei der Berliner Landespolizei kommen können. Man teilte ihn der in Berlin-Kreuzberg stationierten Abteilung zur besonderen Verwendung „Wecke“ zu. Die Einheit war dezidiert mit der Absicht zusammengestellt worden, eine regimetreue Polizeieinheit unter Hermann Görings Kontrolle zu schaffen. Nach eben diesem wurde die zwischenzeitlich vergrößerte Einheit dann Anfang 1934 auch benannt. Am 30. Juni 1934 war es, neben der Leibstandarte-SS, die Landespolizeigruppe „General Göring“, die zahlreiche hochrangige SA-Mitglieder im Zuge des vermeintlichen „Röhm-Putsches“ liquidierte. Kärgel nahm hieran jedoch nicht mehr teil.134 Bereits vom 2. Januar bis zum 29. März 1934 kam er als Ausbilder zur Polizeischule Brandenburg. Danach erfolgte im April 1934 die Versetzung von der Landespolizeigruppe „General Göring“ zur 3. Kompanie der Landespolizei­ abteilung „Striegau“ in Schlesien. Kurz darauf stieg Kärgel zum Oberleutnant auf. Am 22. Juli 1935 wurde er der Polizeiverwaltung Recklinghausen zugeteilt. Am 20. April 1937 wurde er dort zum Hauptmann befördert und vom 3. bis zum 5. Mai zu einem weltanschaulichen Schulungslehrgang nach Berlin beordert. Vom 13. März 1938 bis zum 27. April 1938 war er dann in Österreich im Einsatz. Spätestens ab Mai 1938 war der Hauptmann „Hundertschaftsführer in Gelsenkirchen-Buer“.135 Im gleichen Jahr heiratete der seit 1937 aus der Kirche

132 Schreiben von Kurt Kärgel an den Generalleutnant der Landespolizei Daluege vom 26.2.1936 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 17r). Kurt Kärgel leitete laut dem Schreiben zu diesem Zeitpunkt die Leipziger SA. Ab 1932 leitete er die „Beamtenbetriebsgemeinschaft-West“ in Berlin. Für den Rat von Goebbels vgl. ebd. Für den NSDAPund NSV-Eintritt vgl. Hans Kärgel Lebenslauf vom 24.6.1940 (BA R 9361 SSO 147, Bl. 487); Hans Kärgel Datenblatt, o. D. (ebd., Bl. 480); Vermerk des Reichsministeriums des Inneren betr.: Hans Kärgel vom 1.8.1942 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 35). Für den Luftschutzlehrgang vgl. Vorschlag zur Ernennung von Hans Kärgel zum Major der SchuPo 1942, o. D. (ebd., Bl. 34). 133 Vgl. Stellungnahme zur Entnazifizierung von Hans Kärgel vom 27.5.1949 (LAV NRW, R, NW 1037-BIV-3770, Bl. 1 f.). 134 Für Kärgels Dienst vgl. Akte Hans Kärgel (BA R 9361 RS C 5243, Bl. 840); Hans Kärgel Lebenslauf 24.6.1940 (BA R 9361 SSO 147, Bl. 487). 135 Akte Hans Kärgel (ebd., Bl. 493). Vgl. ebd. auch für den Österreicheinsatz. Für den Lehrgang vgl. Vorschlag zur Ernennung von Hans Kärgel zum Major der SchuPo 1942, o. D. (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 34). Für die Beförderung zum Hauptmann vgl. Aktenvermerk des Reichs- und Preußischen Innenministeriums vom 20.4.1937 (ebd., Bl. 22); Vermerk des Reichsministeriums des Inneren betr.: Hans Kärgel vom 1.8.1942 (ebd., Bl. 35). Für die Abordnung nach Recklinghausen vgl. Anordnung des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren vom 22.7.1935 (ebd., Bl. 15r) Für seine Beförderung zum Oberleutnant vgl. Vorschlag zur Ernennung von Hans Kärgel zum Major der SchuPo 1942, o. D. (ebd., Bl. 34); Vermerk des Reichsministeriums des Inneren betr.: Hans Kärgel vom 1.8.1942 (ebd., Bl. 35). Kärgel selbst meinte, er sei schon am 1.4.1934 Leutnant geworden. Vgl. Hans Kärgel Lebenslauf vom 24.6.1940 (BA R 9361 SSO 147,

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ausgetretene Offizier. Im Dezember 1939 und 1942 wurden seine Söhne geboren. Ende 1938 war er als Führer der 12. Hundertschaft „Ordrau“ im nordmährischen Annexionsgebiet eingesetzt. Am 31. Januar 1939 stellte er einen Antrag um Aufnahme in die SS und zum September 1939 übernahm der Hauptmann die 3. Kompanie des Bataillons 61.136 Insgesamt erscheint Kärgel in seiner Dienstzeit bis 1945 vor allem als beschwerdefreudig. Obwohl für Offiziere der preußischen Schutzpolizei Versetzungen normal waren, sperrte er sich 1931 vehement gegen eine solche. Eigentlich sollte er ab dem 1. Dezember seinen Dienst in Bochum leisten. Direkt mit der Anordnung wurde jedoch auch archiviert, dass diese nicht sofort weitergeleitet werden sollte, da der Polizist schon hatte erkennen lassen, gegen den Bescheid Widerspruch einlegen zu wollen. Tatsächlich argumentierte der Offizier, er könne nicht umziehen, da er sich um seine Eltern kümmern müsse. Obwohl sein Widerspruch abgelehnt wurde, ließ er dennoch nicht locker. Ausnahmsweise, da sein Vater Kriminalpolizeirat gewesen war, wurde Kärgel doch noch die Rückversetzung nach Berlin zu Weihnachten 1931 bewilligt.137 Nach weniger als zwei Jahren im Oberleutnantsrang schien er 1936 des Wartens auf die nächste Beförderung überdrüssig zu sein. Dass die normale Zeit bis zur Beförderung längst nicht verstrichen war, kümmerte ihn und seinen Bruder nicht. Am 26. Februar 1936 schrieb Kurt Kärgel, SA-Standartenführer und Generaldirektor der Stadtwerke in Leipzig, direkt an den Chef der Ordnungs­polizei. Er fragte nach, wie es sein könne, dass sein Bruder noch immer nur Oberleutnant sei, habe sich dieser doch für die NS-Bewegung eingesetzt. Außerdem sei Kärgel, sobald dies für Polizisten legal möglich wurde, in die NSDAP eingetreten und habe für den Nationalsozialismus Opfer in Kauf genommen.138 So habe er seinem Bruder keine Briefe schreiben können, da man Kärgel bespitzelt hätte. Auch habe dieser „über seine Arbeit für die NSDAP vor der Bl. 487). Für den Dienst bei der Landespolizeiabteilung Strigau vgl. Bericht des Befehlshabers der Landespolizei vom 16.4.1935 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 13). Für den Dienst bei der Landespolizeigruppe Göring vgl. ebd. Für seine Ausbildertätigkeit in Brandenburg vgl. Abordnungsbefehl 5.1.1934 (ebd., Bl. 11). 136 Für seine SS-Mitgliedschaft und den entsprechenden Antrag vgl. Hans Kärgel Datenblatt, o. D. (BA R 9361 SSO 147, Bl. 480 und 482). Er durfte offiziell am 1. Juni 1940 eintreten und gehörte zur gleichen SS-Stammabteilung wie die Kompanieführer Fockenbrock und Mehr. Für den Hundertschaftseinsatz vgl. Namentliche Stellenbesetzung der Offiziere und Verwaltungsbeamten in den Sudetendeutschen Gebieten, o. D. [November oder Dezember 1938] (BA R 19 Nr. 210, Bl. 98). Für die Hochzeit vgl. Hans Kärgel Datenblatt, o. D. (BA R 9361 SSO 147, Bl. 480 und 487). Für seine „Gottgläubigkeit“ vgl. ebd., Bl. 482. Für die Söhne vgl. Hans Kärgel Lebenslauf vom 24.6.1940 (ebd., Bl. 487); Schreiben an das Kommando der Schutzpolizei Recklinghausen vom 30.12.1942 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 39). 137 Vgl. Aktenvermerk vom 10.12.1931 (ebd., Bl. 8). Für Kärgels Begründung vgl. Schreiben betr.: Gesuch des Polizeileutnants Kärgel vom 24.11.1931 (ebd., Bl. 7). Für die Anordnung der Versetzung und den Aktenvermerk vgl. Vermerk des Innenministeriums vom 21.11.1931 (ebd., Bl. 3). 138 Vgl. Schreiben von Kurt Kärgel an den Generalleutnant der Landespolizei Daluege vom 26.2.1936 (ebd., Bl. 17 f.).

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Machtübernahme“ schweigen müssen, um seine Anstellung nicht zu riskieren. Für die Gesinnung des Polizisten spräche ferner, dass „er einer der ersten Offiziere“ gewesen sei, „die in das Regiment Göring übernommen wurden“. Dies sei ein Nachweis für einen „einwandfreien Nationalsozialisten“.139 Dass sein Bruder die Landespolizeigruppe „General Göring“ bereits nach kurzer Zeit wieder verlassen musste, verschwieg der Generaldirektor geflissentlich. Um dem fordernden Brief Nachdruck zu verleihen, unterstrich Kurt Kärgel seine eigene Verbindung zu wichtigen Nationalsozialisten. Zum einen erwähnte er seine politische Betätigung für die NS-Bewegung sowie sein goldenes Partei­ abzeichen, zum anderen merkte er seine Bekanntschaft mit Goebbels an.140 Trotz der Patronage eines intensiv vernetzten „Zwischenhändlers“, die in anderen Fällen als Regelverstoß durchaus Sanktionen nach sich zog, scheiterte Hans Krägels Vorhaben, bevorzugt befördert zu werden. In einem Aktenvermerk des Reichsinnenministeriums werden die Gründe hierfür deutlich. „Nach der letzten Beurteilung der Landespolizei vom 1.4.1935 neigt Kärgel zur Kritik und musste am 8.4.1935 aus diesem Grunde mit einem Verweis bestraft werden. Ferner bedarf sein außerdienstliches Verhalten noch der Aufsicht.“ Sein Einsatz für die NSDAP könne tatsächlich eine Beförderung ermöglichen, aber „im Hinblick auf die letzte einschränkende Beurteilung, insbesondere auf die Bestrafung mit einem Verweis, ist hiervon abzusehen“. Etwas abgemildert wurde dies für den Entwurf des Antwortschreibens an Kurt Kärgel formuliert. Man teilte ihm mit, dass „die politischen Verdienste [seines] Bruders bekannt sind und voll gewürdigt werden. Eine bevorzugte Beförderung zum Hauptmann der Schutzpolizei ist z. Zt. [zur Zeit] aufgrund des Dienstalters als Oberleutnant jedoch noch nicht vertretbar.“141 Ein erfolgreicher Versuch, sich in seiner Karriere unterstützen zu lassen, gelang Kärgel erst 1941. Am 28. Mai wandte sich sein Bataillonskommandeur an den BdO Münster und schlug eine bevorzugte Beförderung zum Major vor. Obwohl der Offizier schon 38,5 Jahre alt sei und sich im Polenfeldzug bewiesen habe, läge dessen letzte Beförderung zum Hauptmann schon über vier Jahre zurück. Der Bataillonskommandeur rechtfertigte seinen Vorschlag damit, dass Kärgel schon seit 1932 NSDAP-Mitglied war, weswegen ein solches Prozedere für einen „Alten Kämpfer“ möglich sei. Zu dessen besonderen Leistungen zähle, dass er am 12. September 1939 mit seinen Männern erfolgreich „die Wälder in der Gegend von Punitz von polnischen Banden gesäubert“ habe.142 Außerdem wurde eine „Säuberungsaktion im Raume nordostwärts Posen“ gemeinsam mit dem 148. Infanterieregiment am 15. September 1939 angegeben. Dabei habe die 3. Kompanie „allein 62 polnische Heckenschützen gefan139 Ebd., Bl. 18. 140 Vgl. ebd., Bl. 17 f. 141 Interner Vermerk der Abt. [Abteilung] III im RI [Reichsinnenministerium] zu Kärgels Brief und Entwurf eines Antwortschreibens vom 4.3.1936 (ebd., Bl. 19). 142 Schreiben betr.: Bevorzugte Beförderung zum Major der Schutzpolizei, von Major Dederky an den BdO Münster vom 28.5.1941 (ebd., Bl. 27).

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gen“ ­genommen. Außerdem habe „Kärgel eine erhebliche Anzahl polnischer Waffen sicherstellen können“. Insbesondere hob Dederky hervor, sein Untergebener habe „mit seiner Kompanie die Bekämpfung von polnischen Banden, Evakuierungen und Exekutionen von Polen zu“ seiner „vollsten Zufriedenheit durchgeführt“.143 Für die engagierte Gewaltausübung gegen die polnische Zivilbevölkerung war der Hauptmann bereits mit dem KVK II. sowie der Medaille für Volkstumspflege ausgezeichnet worden. Der Bataillonskommandeur gab in seinem Beförderungsvorschlag an, er habe Kärgel nun auch noch für das EK II. vorgeschlagen.144 Anders als Kärgels Bruder war der Bataillonskommandeur mit seinen Bestrebungen erfolgreich. Da er sich direkt an den vorgesetzten BdO wendete und nicht informell zahlreiche Dienststellen überging, akzeptierte man im Reichs­ innenministerium seinen Vorschlag am 21. Juli 1941. Dieser Vorgang unterstreicht nachdrücklich Kärgels Opportunismus, da er nach dem Krieg behauptete, ihm seien als NS-Gegner Steine in den Karriereweg gelegt und er sei immer verspätet befördert worden. Vom 9. Februar bis zum 7. März 1942 wurde der Kompanieführer zum taktischen Offizierslehrgang in Ede im niederländischen Geldern abgestellt. Vom 9. März bis zum 2. April desselben Jahres besuchte er den 6. Fortbildungslehrgang für Hauptleute an der Polizeioffiziersschule Köpenick, den er „mit Erfolg“145 abschloss. Nachdem Kärgel fachlich qualifiziert war, erfolgte am 20. Oktober 1942 die Beförderung zum Major und er übernahm als Kommandeur ein Polizeibataillon in den Niederlanden.146

143 Ebd., Bl. 28. Für die angeblich gemachten 1 000 Gefangenen vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2441, unpag.); Schreiben betr.: Bevorzugte Beförderung zum Major der Schutzpolizei, von Major Dederky an den BdO Münster vom 28.5.1941 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 249, Bl. 147). 144 Vgl. Schreiben betr.: Bevorzugte Beförderung zum Major der Schutzpolizei, von Major Dederky an den BdO Münster vom 28.5.1941 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 28). Für das später tatsächlich verliehene EK II. vgl. Vermerk des Reichsministeriums des Inneren betr.: Hans Kärgel vom 1.8.1942 (ebd., Bl. 35). Für das KVK vgl. Vorschlagsliste für Auszeichnung vom 10.1.1940 (BA R 601 Nr. 2415, unpag.). Für seine Orden die er nach dem Krieg noch völlig offen angab vgl. Entnazifizierungsakte Kärgel, Hans Georg Erich vom 2.9.1947 (LAV NRW, R, NW 1047-1449, Anlage 1). Erst in den 1950er-Jahren erwähnte er die Medaille für Volkstumspflege nicht mehr. 145 Vermerk des Reichsministeriums des Inneren betr.: Hans Kärgel vom 1.8.1942 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 35). Für beide Fortbildungen vgl. Vorschlag zur Ernennung von Hans Kärgel zum Major der SchuPo 1942, o. D. (ebd., Bl. 34). Für Kärgels Nachkriegsbehauptungen vgl. Entnazifizierungsakte Kärgel Hans Georg Erich vom 2.9.1947 (LAV NRW, R, NW 1047-1449, Bl. 3 f.). Für die zu Kriegszeiten akzeptierte vorzeitige Beförderung vgl. Schreiben betr.: Bevorzugte Beförderung zum Major der Schutzpolizei, von Major Dederky an den BdO Münster vom 28.5.1941 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 25). 146 Nach dem Krieg behauptete Kärgel schon im August oder September 1942 vom Bataillon 61 wegversetzt worden zu sein. Vgl. Entnazifizierungsakte Kärgel, Hans Georg Erich vom 2.9.1947 (LAV NRW, R, NW 1047-1449, Bl. 11); Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 222, Bl. 14).

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Das Reserve-Polizeibataillon 61

Anders als über Kärgel, der die Organisationskultur des Bataillons 61 maßgeblich mitprägte, ist über seinen Nachfolger nur wenig bekannt. Bedingt ist dies u. a. dadurch, dass für Hauptmann Andreas Krebl weder eine SS- noch ­NSDAP-Mitgliedschaft nachweisbar ist, also wenig Akten über ihn vorliegen. Darüber hinaus fiel der Chef der 3. Kompanie bereits nach relativ kurzer Zeit am 11. Januar 1943 in Russland. Gesichert ist, dass er am 12. Mai 1913 in München geboren wurde und vor seiner Abordnung zum Bataillon 61 dem Kommando der Schutzpolizei in Wilhelmshaven angehörte.147 Über seinen Charakter lässt sich nur spekulieren, jedoch scheint ihm der Kriegsdienst körperlich zugesetzt zu haben. Schon als Oberleutnant wurde er am 8. Juli 1940 mit Verdacht auf Gastritis in das Polizeikrankenhaus Berlin eingeliefert und zum Monatsende wieder entlassen. Während seiner Behandlung gab er an, seit 1938 immer wieder Magenbeschwerden zu haben und man vermutete bei ihm einen „Ulcus duodeni“. Neben anderen Faktoren nimmt man an, dass psychosomatische Einflüsse, wie Stress und Angst, starke Auswirkung auf dieses Krankheitsbild haben. Krebl schien also den Anforderungen an einen Offizier im Krieg nicht unbedingt gewachsen. Seine Erkrankung verschlimmerte sich auch möglicherweise durch seinen Lebenswandel, über den er selbst festhielt, er „trinke hin und wieder mal einen“.148 Kurz nachdem er im Oktober 1942 das Kommando über die 3. Kompanie des Bataillons 61 übernahm, verlobte er sich am 1. November 1942 mit Dorothea Körner, die er im Juni 1941 kennengelernt hatte. Obwohl Krebl nicht nachweislich zur SS gehörte, wurden beide durch das Rasse- und Siedlungshauptamt als erbgesundheitlich für die Ehe geeignet eingeschätzt und schon am 12. November 1942 erfolgte eine Ferntrauung. Keine zwei Monate später fiel er.149 Wer Krebls Nachfolger als Kompaniechef wurde, lässt sich nicht mehr klären. Spieß der 3. Kompanie soll durchgängig der am 10. August 1908 in Recklinghausen geborene Johann Mennekes gewesen sein, bis sich dieser für eine ­Offizierskarriere qualifizierte. Seit dem 3. Juli 1944 gilt er als im Raum

147 Für seinen Geburtsort und sein Geburtsjahr sowie die Zugehörigkeit zur Schupo Wilhelmshaven vgl. Krankenakte Andreas Krebl geb. 12.5.1913 (BA R 19 Nr. 2551, Bl. 1). Für sein Todesdatum und den Dienst als Chef der 3. Kompanie des Bataillons 61 bzw. des I./9. vgl. Akte Andreas Krebl (BA R 9361 RS D 258, Bl. 1234–1236). Ebenso, nur dass sich der Aussagende nicht konkret an den Namen Krebl erinnern konnte, vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 54). 148 Krankenakte Andreas Krebl geb. 12.5.1913 (BA R 19 Nr. 2551, Bl. 1). Zum Krankheitsbild Ulcus duodeni vgl. Ulrich Lauer, Leber und Gastrointestinaltrakt. Fallorientierte Einführung in die klinische Medizin, Stuttgart 2009, S. 81 f. 149 Für seinen Tod vgl. die online verfügbare Gebetserinnerung für Krebl: http://www. relicchest.com/cgi-bin/Print_Item.asp?122; 25.8.2020; Kapitel IV.4. Für seine Verlobung und Ehe vgl. Akte Andreas Krebl (BA R 9361 RS D 258, Bl. 1234 und 1236). Zur Einschätzung seiner Erbgesundheit und fehlender SS-Mitgliedschaft vgl. Bescheinigung vom 15.6.1942 (ebd., Bl. 1243). Die Bewertung durch das Rasse- und Siedlungshauptamt weist aber deutlich auf eine SS-Mitgliedschaft hin.

Kompaniechefs und ihre Unterstützer

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Borissow vermisst. Die Aufgaben des geschäftsführenden Hauptwachtmeisters übernahm 1941 Wilhelm Dreisbach. Er wurde am 18. Dezember 1912 in Gelsenkirchen geboren. Vor dem Krieg gehörte der Polizist zu einer Schutzpolizeiausbildungshundertschaft in Recklinghausen und wurde ab 1939 im Bataillon 61 zunächst als Zugwachtmeister der 3. Kompanie eingesetzt.150 Über die 4. Kompanie der Polizeieinheit liegen mit Abstand die wenigsten Informationen vor, da schon am 26. April 1941 angeordnet wurde, sie aufzulösen. Einige Männer bezeichneten die Einheit als Maschinengewehr-Kompanie (MG-Kompanie), was auf deren Eigenschaft als schwere Kompanie hinweist. Zu Beginn des Krieges sei diese durch Oberleutnant Walter Sommer geführt worden, „der später degradiert wurde und gefallen ist“.151 Ab Dezember 1939 übernahm Oberleutnant Karl-Heinz Lütgemeier den Posten des Kompaniechefs. Der am 19. August 1913 in Bielefeld geborene Offizier kam im Oktober 1936 als Offiziersanwärter zur Schutzpolizei Dortmund und war im Bataillon 61 zunächst als Zugführer in der 2. Kompanie eingesetzt worden.152 Spieß der 4. Kompanie war Karl Basner. Er wurde am 31. Januar 1903 im westpreußischen Grievenhof geboren, wurde 1920 nach Abgrenzung von Polen Reichsbürger und gehörte seit 1926 zur preußischen Schutzpolizei. Ab 1938 diente er in Hannover, bevor er 1939 zum Bataillon 61 kam. Nach Auflösung der 4. Kompanie blieb er zunächst bei der Dortmunder Polizeieinheit und ließ sich später in das „Hilfswilligen“-Ausbildungslager Trawniki versetzen. Für den 150 Zur Besetzung des Postens des Spießes der 3. Kompanie vgl. Aussage Alfred Albrecht vom 5.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 65); Aussage Hans Kärgel vom 5.9.1959 (ebd., Bl. 63); Aussage Hans Lenski vom 26.11.1959 (ebd., Bl. 54). Zu Mennekes Lebensdaten vgl. Akte Johann Mennekes (BA R 9361 SSO 380 Bl. 681); Krankenakte Johann Mennekes geb. 10.8.1908 (BA R 19 Nr. 954, Bl. 2–9). Zu Dreisbachs Lebensdaten vgl. Aussage Wilhelm Dreisbach vom 15.12.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 236); Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 6). Als Krebls Nachfolger rückte, möglicherweise aufgrund der immer weiter zugespitzten Personallage an der Ostfront und dem kaum vorhandenen Personalersatz, einer der Offiziere des Bataillons 61 nach, oder die Einheit erhielt einen neuen Kompaniechef zugewiesen. 151 Aussage Hubert Peters vom 3.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 228, Bl. 68). Ebenso vgl. Aussage Edmund Sauerbier vom 25.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 182); Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 5). Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 4) an den Chef der 4. Kompanie Oberleutnant Sommer. Die Namensgleichheit von Sommer mit einem der gegen das Bataillon 61 ermittelnden Staatsanwälte scheint jedoch nur Zufall gewesen zu sein. Für die Umstrukturierungsanordnung vgl. Umgliederung von Res. Pol.-Bat. vom 26.4.1941 (BA R 19 Nr. 304 Band 1/2, Bl. 174). Vgl. auch Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 16); Kärgel, Einsatz (1957), S. 212. Exemplarisch für die Bezeichnung der 4. Kompanie als MG-Kompanie vgl. Aussage Erich Schumacher vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 148). 152 Vgl. Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 57); Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 13.12.1960 (ebd., Bl. 62). Zu Lütgemeiers Lebensdaten vgl. ebd. und Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 2).

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Das Reserve-Polizeibataillon 61

Zeitraum von Juni bis Anfang August 1942 wurde dem Bataillon 61 de facto erneut eine 4. Kompanie zugewiesen, wohl um für personelle Unterstützung bei Deportationsmaßnahmen in Warschau zu sorgen. Diese Polizeikompanie „Frankfurt Oder“ war eine „schwere Kompanie unter selbstständiger Leitung eines Hauptmannes“.153 Insgesamt waren die Kompaniechefs des Bataillons 61 meist langjährige Polizeipraktiker, die ihr berufliches Fortkommen ihrer Willfährigkeit gegenüber dem NS-Regime und ihrer Kontakte zu dessen Vertretern zu verdanken hatten. Die tatsächlichen Fähigkeiten der Polizisten spielten dabei nur eine untergeordnete Rolle. Insbesondere die Offiziere Mehr, Fockenbrock und Kärgel erfuhren erhebliche Patronage durch hochrangige Mitglieder der NSDAP und SS. Die tatsächlich eher geringe Qualifikation auch aller weiteren hier vorgestellten Offiziere zeigt sich insbesondere daran, dass sie bis zum Kriegsbeginn nur bis zum Leutnant oder Hauptmann aufstiegen. Außerdem war zuvor keiner von ihnen in der Lage, sich dienstlich innerhalb der regulären Armee oder in der SS dauerhaft zu etablieren. Dies galt selbst für diejenigen Kompanieführer, die herausgehobene Ausbildungsstätten wie die preußische Hauptkadettenanstalt oder eine Junkerschule besucht hatten. Ein Nachweis ihrer mangelnden militärischen Qualitäten ist die Tatsache, dass die Kompaniechefs relativ häufig fielen, wenn sie entweder in Fronteinheiten versetzt wurden oder mit dem Bataillon 61 nicht mehr primär gegen Zivilisten eingesetzt waren. Auch erfuhren ihre Truppenteile dann unverhältnismäßig hohe Verluste, die aus taktischem Unvermögen der Anführer resultierten. Darüber hinaus waren einige von ihnen körperlich wenig belastbar, wie die Erkrankungen von Nord und Krebl nahelegen. Hinzu kam bei den meisten Offizieren, die im Bataillon 61 eine Teileinheit führten, noch eine Neigung zum Alkoholis-

153 Aussage Heinrich Krolopp vom 28.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5810). Die Personalien dieses Offiziers sind jedoch nicht mehr feststellbar. Für die temporäre Führung der Einheit als 4. Kompanie des Bataillons 61 vgl. Res.-Pol.-Btl. 61 Batl.-Sonderbefehl Nr. 8 vom 29.6.1942 (BLHA Rep. Nr. 161, ZB 0275, A.14, Bl. 288). Exemplarisch für die Einsatzzeiten beim Bataillon 61 anhand der Einträge in den Dienstpässen der Männer vgl. Polizeiausweis Adam Albin geb. 20.7.1907 (BLHA Rep. Nr. 161, ZA VI 0674, A.01.); Polizeiausweis Erich Witt geb. 12.1.1906 (BLHA Rep. Nr. 161, ZA VI 0674, A.02.). Für Basners Karriere in Trawniki vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2411, Bl. 4). Einige Quellen berichten auch von Basner als späterem Spieß der 4. Kompanie. Für Basners Zuordnung zur 3. Kompanie vgl. Aussage Karl Schmitz vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 31); Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (ebd., Bl. 5). Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 42). Zu Basners Lebensdaten vgl. Akte Karl Basner (BA R 9361 RS A 250, Bl. 56 f.). Für Krehnke als temporären Kompaniechef vgl. Kärgel, Einsatz (1957), S. 211. Evtl. übernahm auch Siegmund Wörmer vorübergehend die Leitung der 4. Kompanie, vgl. Beurteilung des Oberleutnants Wörmer vom 20.2.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 283, Bl. 18); Entnazifizierungsakte Wörmer, Siegmund vom 29.5.1947 (LAV NRW, R, NW 1105-2760, Bl. 9).

Gliederung und Ausrüstung

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mus. Anders als die Bataillonskommandeure galten die Kompaniechefs bei ihren Untergebenen weit seltener als freundliche Charaktere. Stattdessen wurden insbesondere Wannemacher, Mehr und Nord von ihren Männern als hart und aggressiv wahrgenommen. Außerdem zeigten alle Kompaniechefs eine generelle Bereitschaft, zu eigenen Zwecken Regeln zu umgehen oder zu unterwandern. Selbst unter der weitesten Auslegung konnten sie den Standard, ein Kompaniechef müsse „der untadeligste Mann in seiner Einheit sein“,154 nicht erfüllen. Die Kompanieführer der Dortmunder Polizeieinheit waren zwar innerhalb ihrer Einheiten die am besten ausgebildeten und geschulten Akteure mit der größten Einsatzerfahrung. Für das Niederhalten der osteuropäischen Bevölkerung wurden sie im Zweiten Weltkrieg oftmals ausgezeichnet. In militärischer Hinsicht waren sie aber im Vergleich zu dienstgradgleichen Führern in Wehrmacht und Waffen-SS nur zweite bis dritte Wahl. 3.

Gliederung und Ausrüstung

Die ersten drei Kompanien des Bataillons 61 unterteilten sich in je vier Züge. Jeder Zug hatte eine Stärke von ca. 30 Mann. Den 1. und 2. Zug einer Kompanie führte üblicherweise ein Offizier im Leutnantsrang. Diese Führer waren zum einen Teil Berufspolizisten und zum anderen Reserveoffiziere. Die Leitung des 3. und 4. Zuges übernahmen für gewöhnlich die dienstältesten Hauptwachtmeister der Kompanie, die nicht die Dienststellung des Spießes innehatten. Jeder Zug war wiederum in drei bis vier zehn Mann starke Gruppen unterteilt. Diese wurden von jüngeren Hauptwachtmeistern oder auch einfachen Wachtmeistern geführt.155 Während ihrer zumeist nicht auf direkte Kämpfe ausgerichteten Einsätze, wurden die Männer aber nicht nur in Form von Zügen oder Gruppen eingesetzt, sondern auch zu Wachmannschaften und Patrouillen eingeteilt. So stellte die Dortmunder Polizeieinheit 1939 etwa eine Wache am Posener Rathaus, um die Geiseln der deutschen Besatzungsmacht zu bewachen. Ebenso waren die Polizisten mit verschiedenen Streifen in der Stadt und deren Umland betraut. In Warschau waren 1942 zwei Wachen innerhalb des Ghettos sowie zahlreiche Posten an dessen Grenzen zu besetzen. Die beiden Wachposten innerhalb

154 Hans Ellenbeck, Der Kompaniechef, Leipzig 1940, S. 14. 155 Für die Mannschaftsstärken der Teileinheiten vgl. Aussage Fritz Urban vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 219, Bl. 11); Aussage Hans Delisch vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 88); Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (ebd., Bl. 66). Oftmals zählten die Männer der 1. Kompanie ihren MG-Zug nicht mit, weswegen in den Akten meist nur von drei Zügen die Rede ist. Vgl. Aussage Heinrich Weber vom 2.1.1953 (ebd., Bl. 92). Offiziell zur Mannschaftsstärke und Gliederung von Zügen vgl. Aufstellung einer Res.-Pol.Komp. [Reserve-Polizeikompanie] in Potsdam vom 25.1.1942 (BLHA Rep. Nr. 161, ZB 0275, A.14, Bl. 285).

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Das Reserve-Polizeibataillon 61

der Ghettogrenzen umfassten an der Bonifraterska-Straße zwei Wachhabende, denen 15 Mann unterstellt waren, während an der Leszno-Straße zwei Wachhabende und 24 Mann stationiert waren. Ihre primäre Aufgabe war es, die Geschehnisse an den Zugängen des Ghettos zu kontrollieren.156 Neben den stationären Wachen führten die drei Kompanien auch zahlreiche Patrouillen durch. Die zwei bis drei Mann starken „Pendelposten“157 wurden an der äußeren Begrenzung des Ghettos durchgeführt. Sie waren dazu gedacht, „jeden Verkehr zwischen Insassen des Ghettos mit der Außenwelt“ zu verhindern. Bei der Bewachung des Ghettos wechselten sich die drei Kompanien des Bataillons 61 ab. „Die Gesamtstärke der Ghettowache betrug ca. 80 Mann“,158 die übrigen Polizisten der ca. 150 Mann starken Kompanien waren währenddessen zum Reservedienst eingeteilt, gingen Spezialtätigkeiten nach oder versahen Wachdienst in anderen Teilen der Stadt. Zum Wachdienst wurden Gruppenführer als Wachhabende eingesetzt, wobei die jüngeren Gruppenführer schwerpunktmäßig für die kleineren Wachen am Rand und abseits des Ghettos eingesetzt wurden. Kontrolliert wurden die Wachhabenden dabei durch die Zugführer, die sich wiederum dem Kompaniechef zu verantworten hatten, der dem Bataillonskommandeur über den Adjutanten als Mittlerinstanz Bericht erstattete.159 Während viele Infanterieeinheiten der Wehrmacht bei Beginn des Polenfeldzuges 1939 noch nicht über Kraftfahrzeuge verfügten, handelte es sich bei der hier untersuchten Polizeieinheit um ein motorisiertes Bataillon. Seine Fahrstaffel, die für die schnelle Verlegbarkeit der Einheit verantwortlich zeichnete, war zu gleichen Teilen von der Polizei in Dortmund und Recklinghausen mit polizei­eigenen oder eingezogenen Fahrzeugen und Kraftfahrern aufgestellt worden. Die Einheit umfasste planmäßig ca. 56 Mann. Hinzu kamen einige Meldefahrer, die für den Stab der Einheit zur Verfügung standen. Geleitet wurde 156 Vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 119r). Für den Posten in der Lezno- bzw. Gerichtsstraße findet sich auch die Bezeichnung Nordwache. Vgl. Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 107). Für die Wache Klosterstraße bzw. Bonifraterska-Straße findet sich dort auch die Bezeichnung Hauptwache. Zu den zwei Wachen innerhalb des Ghettos vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 50r). Zu den Wachen am Rand des Ghettos vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 52r). Es wurden angeblich acht Eingänge des Ghettos bewacht, hinzu kamen Streifen an der Umzäunung. Tatsächlich gab es aber mehr bewachte Eingänge in das Ghetto als von den Männern ausgesagt. Für einen solchen Zugang an dem deutsche und polnische Polizisten gemeinsam mit dem jüdischen Ordnungsdienst Wache standen vgl. GFH Foto 15/07464P. 157 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 119r). 158 Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 27r f.). Zum Wachturnus des Bataillons 61 vgl. Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 1486, Bl. 62). 159 Vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 212r). Besonders zur Verwendung der jüngeren Gruppenführer vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (ebd., Bl. 237r). Für ein exemplarisches Beispiel vgl. Aussage Ewald Roth vom 8.12.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 216). Ewald Roth war in Warschau Wachhabender und später in Russland Gruppenführer in der 2. Kompanie.

Gliederung und Ausrüstung

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die für Transportaufgaben zuständige Teileinheit durch Oberleutnant Schorn sowie durch Polizeiobermeister Harpe. Bereits im Februar 1941 erfolgte die Auflösung der Kraftfahrstaffel. Ihre Fahrzeuge und motorisierten Melder wurden abgegeben. Lediglich zwei Mann wurden nicht zu ihren Heimatstandorten zurückversetzt, da sie „zur Erledigung der laufenden Dienstgeschäfte noch benötigt“ wurden.160 Erst im Russlandeinsatz ab Oktober 1942 bestand dann im Polizeiregiment 9 für das Bataillon 61 wieder eine Kraftfahrstaffel unter dem Offizier Friedrich Steiner.161 Während die anfängliche Ausstattung mit Fahrzeugen noch einen relativ guten Ausrüstungsstandard der Dortmunder Polizeieinheit suggerieren kann, so widerlegt dessen übriges Material dies schnell. Beispielsweise war ab 1941 vorgesehen, jede der Kompanien des Bataillons 61 mit je 12 Maschinenpistolen auszustatten. Hierbei handelte es sich jedoch um veraltete Modelle und Beute­ bestände. Darüber hinaus verfügten die Polizeieinheiten in der Regel über relativ geringe Munitionsvorräte. Dies war bereits 1938 bei der Vorläufereinheit des Bataillons 61 bemängelt worden. Auch fehlten der Dortmunder Polizeieinheit Ausrüstungsgegenstände, die für eine effiziente Kampfführung in Polizeibataillonen eigentlich vorgesehen waren, wie etwa Infanteriegeschütze oder geschützte Fahrzeuge. Selbst bei der Verwendung der Einheit in Russland 1943 verwendete das Bataillon 61 noch die für Sicherungsverbände typisch zusammengestückelten Waffenbestände. Die Männer waren etwa mit tschechischen Karabinern und Maschinenpistolen wie der MP 18 ausgestattet, die ihren Spitznamen ‚Grabenfeger‘ noch aus dem Ersten Weltkrieg hatte.162

160 Vgl. Schreiben betr.: Auflösung der K.-Sta. [Kraftfahrstaffel] des Res.-Pol.Batl. 61 vom 4.3.1941 (LAV NRW, W, B 406 Nr. 15207, Bl. 322). Für die personelle Zusammensetzung der Staffel vgl. Aussage Heinrich Linnemann vom 8.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 193). Dort dienten u. a. auch Kurt Bröker von September 1939 bis Juni 1940 sowie Arthur Musal der später im Bataillon 316 diente. Vgl. Aussage Kurt Bröker vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 30); Entnazifizierungsakte Musal, Artur vom 10.6.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1561, Bl. 4). Für weitere Kraftfahrer des Bataillons vgl. Entnazifizierungsakte Tillman, Friedrich vom 27.4.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2380, Bl. 4); Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 26). Für Fotografien der Kraftfahrstaffel vgl. VtH Dep. Nr. 19 Krevert. Für die Motorisierung und die Aufstellung der Kraftfahrstaffel vgl. Kärgel, Einsatz (1957), S. 211. Für die Personalstärke einer solchen Staffel vgl. Stärke und Ausrüstungsnachweise für Polizeitruppeneinheiten vom 13.1.1943 (BA R 19 Nr. 144, Bl. 18–21 sowie 27–30). Laut Göhler/Wirth, Schutzpolizei (1942), S. 11 umfasste eine solche Staffel evtl. jedoch auch nur 34 Mann. 161 Vgl. Auswertungskarten des MfS (BStU MfS HA IX/11 21355, Bl. 65). 162 Zur Bewaffnung in Russland vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ib Nr. 4 Allgemeine Serie der 285. Sicherungs-Division: Waffen- und Gerätverluste I./Pol.9 während Unterstellung unter 281. SD [Sicherungs-Division] vom 30.3.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 37 Anl. 37a). Ferner vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division: Fernschreiben über Gefechtsstärke und Bewaffnung vom 21.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 10 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3). Zur vorgesehenen Bewaffnung 1941vgl. Umgliederung von Res. Pol.-Bat. vom 26.4.1941 (BA R 19 Nr. 304 Band 1/2, Bl. 175). Für den schon 1938 bemängelten Aspekt der zugeteilten Munitionsmenge vgl.

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Das Reserve-Polizeibataillon 61

Rekrutierung und Personalbestand

Ebenso wie die Ausrüstung war auch der Personalbestand der Einheit nicht besonders elitär. Die Hälfte des Bataillons 61 wurde bei Kriegsbeginn „aus aktiven Polizeibeamten gebildet, bei der weiteren Hälfte handelte es sich um gezogene unausgebildete Reservisten (Gastwirte, Kaufleute, Handwerker)“.163 Im Kriegsverlauf erhöhte sich die Zahl der Reservisten binnen kurzer Zeit aber so schnell, dass ein Einheitsmitglied nach dem Krieg korrekt resümierte, die Einheit habe bei den Mannschaftsdienstgraden vorwiegend aus Reservisten bestanden.164 Zwar war es der Ordnungspolizei 1939 gelungen, 20 000 „jüngere“ Männer für den Dienst in der uniformierten Polizei zugeteilt zu bekommen. Jedoch wurden diese fast ohne Ausnahme nicht in Reserve-Polizeibataillonen eingesetzt. Bis zum zweiten Einsatz des Bataillons 61 hatte sich die Personallage in solchen Polizeiformationen so drastisch verschärft, dass Himmler in einem Erlass festhielt: „Der Bedarf an Kräften im Osten zwingt dazu, alle irgendwie verfügbaren Polizei-Reservisten nunmehr zum Dienst heranzuziehen.“ Der „Aufruf von Polizei-Reservisten“165 zur Kompensation der „zum Heeresdienst einberufenen zahlreichen aktiven Polizeioffiziere, -unterführer und -männer“166 war dabei eine Entscheidung, die nicht erst 1939 getroffen wurde. Spätestens seit 1936 plante das NS-Regime für einen Mobilmachungsfall, auch Einheiten der uniformierten Polizei zu verwenden. Dabei war klar, dass sich in dieser Situation der Bedarf an Mannschaftsdienstgraden nicht allein durch die aktiven Männer der Polizei decken lassen würde. Diese waren schon vor allem als Offiziere und Unterführer eingeplant. Da Polizeieinheiten nur zur Sicherung und Beherrschung von eroberten Gebieten und weniger für direkte Kämpfe vorgesehen waren, stellte sich darüber hinaus die Frage, welche Männer in den Bataillonen eingesetzt werden konnten, die nicht bereits für das eigentliche Militär vorgesehen waren. Erfahrungsbericht des BdO „Nordmähren“ vom 14.12.1938 (BStU MfS HA IX/11 AB 1407 Band 2, Bl. 58). Für die eigentlich vorgesehenen Fahrzeuge und Geschütze vgl. Göhler/Wirth, Schutzpolizei (1942), S. 11. Möglicherweise erhielt das Bataillon 61 jedoch für den Russlandeinsatz Ende 1942 zumindest eine von Hans Kärgel als PAK-Zug [Panzerabwehrkanonen-Zug] bezeichnete Einheit. Vgl. Kärgel, Einsatz (1957), S. 212. 163 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 3). Ebenso vgl. Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (ebd., Bl. 10). 164 Vgl. Aussage August Kleine 3.9.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 209, Bl. 27). 165 Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung (RMBliV) 1941, S. 2080. Ebenso vgl. Ausarbeitung „Ordnungspolizei des NS-Staates“ von Heinz Nentwig vom 30.3.1978 (BStU MfS HA IX/11 AB 1407 Band 1, Bl. 62). Ferner vgl. Kurt Bader, Aufbau und Gliederung der Ordnungspolizei, Berlin 1943, S. 4. Für die Zuteilung von 20 000 Wehrpflichtigen vgl. Schreiben des Chef des SS-Ergänzungsamtes an SS-Gruppenführer Karl Wolff vom 2.11.1939 (BA NS 19 Nr. 218, unpag.). Diese Männer kamen dann vor allem zu den Bataillonen mit 300er Nummern. 166 Otto Klemm, Die Einsatzbesoldung (Aktiven-) Besoldung der Polizei-Reservisten. Erläuterungen zum 1. Durchführungserlaß vom 17.11.1942 und zu den grundlegenden Bestimmungen (mit praktischen Beispielen, Sachverzeichnis und Gesetzestexten), Berlin 1943, S. 9.

Rekrutierung und Personalbestand

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Nur ungediente Männer fortgeschrittenen Alters kamen hierzu im Wettstreit um das „Menschenmaterial“167 mit Waffen-SS und Wehrmacht für die uniformierte Polizei überhaupt infrage. Um auf dieses zugreifen zu können, knüpfte man an die seit 1935 bestehende „Luftschutzdienstpflicht“,168 für die bereits einige Männer in ihrer „Freizeit vormilitärisch ausgebildet“169 wurden, an. 1936, vorerst noch als geheime Reichssache, wurde dann der sogenannte Verstärkte Polizeischutz, als direktes Ergänzungspersonal der Polizei geschaffen. Wirklich formalisiert wurde diese Regelung, die noch auf den Einsatz im Reichsgebiet beschränkt war, am 15. Oktober 1938 mit der „Notdienstverordnung“.170 Dabei scheint es sich in einigen Fällen von Mitgliedern des Bataillons 61 um eine nachträgliche Formalisierung gehandelt zu haben, da sie bereits zuvor der Polizei zugeteilt wurden. Die meisten späteren Mitglieder der hier untersuchten Dortmunder Polizeieinheit aber wurden der Truppe 1939 zugewiesen und ab dem 1. September 1939 sukzessive eingezogen.171 Durch bei den Arbeitsämtern aufgestellte Listen hatten die staatlichen Polizeiverwaltungen Zugriff auf mögliche Kandidaten für den Verstärkten Polizeischutz. Die eigentliche „Heranziehung zum Notdienst erfolgte durch schriftliche Anforderung.“172 Dabei wurde festgehalten, dass man „zur Dienstleistung im Verstärkten Polizeischutz herangezogen“173 werden sollte, auf Basis der 167 O. V., SS und Polizei (1937), S. 330. 168 Reichsgesetzblatt (RGBl), (1935) I, S. 769. 169 Aussage Erich Bauer vom 4.6.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6126). 170 RGBl, (1938) I, S. 1441. Vgl. auch die erste Durchführungsverordnung zur Notdienstverordnung. Ebd., S. 1775; die dazu grundlegenden Ausführungen bei Ernst Pabst, Notdienstverordnung. Dritte Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 15. Oktober 1938, Berlin 1940. Für die Schaffung des VPS [Verstärkten Polizeischutzes] ab 1936 vgl. Ausarbeitung „Ordnungspolizei des NS-Staates“ von Heinz Nentwig vom 30.3.1978 (BStU MfS HA IX/11 AB 1407 Band 1, Bl. 60). 171 Vgl. exemplarisch Aussage Hermann Kreienkamp vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 119); Aussage Ernst Hennefeld vom 17.11.1959 (ebd., Bl. 122). Die Zuteilung der Reservisten erfolgte teilweise bereits bevor die Notdienstverordnung erlassen wurde. So wurde z. B. Josef Keisewitt am 25.9.1938 verpflichtet vgl. Personal­bogen Josef Keisewitt geb. 13.9.1903, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). Auch Bartholomäus Neumann meinte, bereits 1938 verpflichtet worden zu sein. Vgl. Aussage Bartholomäus Neumann vom 8.5.1962 (STAHH StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5885). Vermutlich wurden sie dann erst mit Kriegsbeginn offiziell eingezogen. 172 Richard Münzer, Der Notdienst. In: Die Deutsche Polizei, 8 (1940) 19, S. 318–323, hier 320. Exemplarisch vgl. Vordruck: Heranziehungsbescheid zur „Polizeireserve – Luftschutzpolizei“ laut Notdienstverordnung, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 307). Ursprünglich ebenso als braune Karte enthalten in LAV NRW, W, K 702a Nr. 308. Für die Listen der Arbeitsämter vgl. Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei (Hg.), Abfindung der Polizei-Reservisten (einschließl. der Angehörigen der Luftschutzpolizei), Berlin 1943, S. 11. Dort lässt sich auch erkennen, dass neben der Polizei etwa auch Landräte und Oberbürgermeister Personen zum Notdienst einziehen konnten. 173 An Wilhelm Spenner verschickte polizeiliche Verfügung vom 24.11.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 275, unpag.). Vgl. auch die Notdienstverordnung in: RGBl, (1939) I, S. 1441; die Durchführungsverordnung zur Notdienstverordnung vom 15.9.1939 in: ebd., S. 1775.

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Notdienstverordnung und deren erster Durchführungsverordnung. Erst ab November 1939 wurden Männer, die auf diese Weise eingezogen wurden, dann offiziell als „Polizeireservisten“ bezeichnet.174 Dass man diese Männer auch im auswärtigen Einsatz verwendete, bedeute eine stillschweigende Umwidmung der Ursprungsverordnung, die klar zum Heimatschutz konzipiert war. Eigentlich sollte der Notdienst „die Bekämpfung öffentlicher Notstände sowie die Vorbereitung ihrer Bekämpfung“175 bezwecken. Und tatsächlich herrschte noch 1940 bei einigen Reservisten, die für das Bataillon 61 vorgesehen waren, Verwunderung vor, denn laut ihrer „Bescheinigung waren [sie] zur Luftschutzdienstübung eingezogen worden“.176 Von einer Verwendung im auswärtigen Einsatz sei zunächst nicht die Rede gewesen. Dass ein solcher jedoch möglich war, lag darin begründet, dass der „allgemeine Inhalt des Notdienstverhältnisses […] nur in wenigen grundsätzlichen Einzelheiten gesetzlich geregelt“177 war und somit eine gewisse Grauzone darstellte. Hinzu kam kurz nach Kriegsbeginn eine zumindest teilweise nachträgliche Formalisierung der bereits üblichen auswärtigen Verwendung.178 Nach dem Krieg war es eine populäre und entlastende Behauptung, als Reservist sei man „damals zur Polizei ebenso eingezogen“ worden, „wie andere zur Wehrmacht“.179 Sicher ist es richtig, dass die Notdienstverordnung eines der fünf Dienstpflichtgesetze war. Insbesondere stellte der Notdienst „in vieler Beziehung eine Parallele zum Wehrdienst dar“.180 Die Rechtsverhältnisse „zum langfristigen Notdienst ohne Begründung arbeitsrechtlicher Beziehungen [waren] ähnlich geregelt worden wie die der zur Wehrmacht Einberufenen“.181 Unterschiedlich gehandhabt wurde jedoch der zur Einhaltung der Dienstpflichten eingesetzte Zwang. Bei einer Kriegsdienstverweigerung, etwa in der Wehrmacht, waren rigide Strafen wegen „Wehrkraftzersetzung“ bis hin zur Todesstrafe möglich. Unter diese Kriegsdienstpflicht fielen im Bataillon 61 vor allem die Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaftsdienstgrade, die als aktive Polizeibeamte dienten. Wer sich hingegen dem Dienst als Polizeireservist unrechtmäßig zu entziehen versuchte, hatte mit einer Geld- oder Haftstrafe zu rechnen. Darüber hinaus stand Notdienstverpflichteten die Möglichkeit einer Beschwer-

174 Schreiben an die Reichsstatthalter betr.: Verstärkter Polizeischutz vom 17.11.1939 (BA R 19 Nr. 306, Bl. 25r). 175 Klemm, Einsatzbesoldung (1943), S. 9. 176 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 2. 177 Münzer, Notdienst (1940), S. 320. 178 Vgl. Schnellbrief betr.: Verstärkung der Polizei durch ungediente Wehrpflichtige vom 19.10.1939 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 35 f.). 179 Brief des Anwaltes von Hans Delisch vom 5.10.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 223). 180 Klemm, Einsatzbesoldung (1943), S. 9. Für die Dienstpflichtgesetze neben der Notdienstverordnung vgl. das Wehrgesetz vom 21.5.1935. In: RGBl, (1935) I, S. 609; das Luftschutzgesetz vom 26.6.1935. In: ebd., S. 827; das Reichsarbeitsdienstgesetz vom 9.9.1939. In: ebd., S. 1747; die Dienstpflichtverordnung vom 13.2.1939. In: ebd., S. 206. 181 Münzer, Notdienst (1940), S. 323.

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de gegen ihre Dienstverpflichtung zu und es gab verschiedene Möglichkeiten, vom Notdienst befreit zu werden.182 Grundsätzlich konnten sowohl Frauen als auch Männer vom 15. bis zum 70. Lebensjahr zur Notdienstleistung herangezogen werden. Hierdurch schien theoretisch zunächst eine deutlich größere Gruppe von Personen verpflichtbar zu sein, als dies auf Basis des Wehrgesetzes möglich war. Jedoch handelt es sich bei den genannten Altersgrenzen um die Regelung für den Dienst innerhalb des Reichsgebietes, der nicht permanent erfolgen sollte. Gerade für den dauerhaften auswärtigen Einsatz bestand hingegen eine andere Altersregelung. Bedingt durch den Kräftemangel der Polizei wurde zwar das zulässige Höchst­ alter für Polizeireservisten im auswärtigen Einsatz mehrfach, bis schließlich zum 51. Lebensjahr, erhöht. Hierbei wurde jedoch betont, dass die Männer im Reservedienst nur „im auswärtigen Einsatz und in geschlossenen Einheiten Verwendung finden können, soweit sich diese freiwillig hierzu melden“.183 Umgekehrt bedeutete die Verpflichtung zum Reserve-Polizeidienst für Bataillonsangehörige, die sich im wehrfähigen Alter befanden, dass sie nicht mehr für eine gefährlichere Frontverwendung in der Wehrmacht infrage kamen. Es galt die Regelung: „Wehrpflichtige, die sich beim verstärkten Polizeischutz befinden, sind nicht zur Musterung heranzuziehen.“184 Ebenso galt: „Alle von der Polizei bereits für die Polizeireserve ausgebildeten Wehrpflichtigen sind uk [unabkömmlich] zu stellen.“185 Auch aktive Berufspolizisten wurden ebenso wie die Reservisten des Bataillons 61 für ihren Polizeidienst vom Militärdienst zurückgestellt.186 182 Vgl. Pabst, Notdienstverordnung (1940), S. 14. 183 Schreiben betr.: Höchstalter für Pol.-Reservisten zur Verwendung im auswärtigen Einsatz vom 3.10.1941 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 260, unpag.) Hervorhebung im Original. Für das Höchstalter von Reservisten vgl. ebd.; Schreiben betr.: Höchstalter für Pol.-Reservisten zur Verwendung im auswärtigen Einsatz vom 2.7.1941 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 266, unpag.). Dieses lag zunächst bei 45 Jahren und wurde dann auf 51 Jahre erhöht. Während des ersten Einsatzes des Bataillons 61 bestand noch kein Maximalalter, sodass sogar noch ältere Reservisten eingesetzt wurden. Zur Regelung, wer zum Notdienst herangezogen werden konnte vgl. Münzer, Notdienst (1940), S. 302; Pabst, Notdienstverordnung (1940), S. 14. Für Geld- oder Haftstrafen von Verweigerern vgl. Münzer, Notdienst (1940), S. 321. 184 Musterung der Geburtsjahrgänge 1908/09 im Altreich in der Ostmark, im Sudetengau, im Memelland und im Gebiet der bisherigen Freien Stadt Danzig vom 27.1.1940 (BA R 19 Nr. 306, Bl. 63). Dies war möglich, da die Wehrmacht nicht sofort alle Jahrgänge bei Kriegsbeginn einzog und so auch Männer in der Altersgruppe bis zu 35 Jahren in der Polizei zum Notdienst verpflichtet werden konnten, wenn sie noch nicht anderweitig verwendet waren. 185 Anlage: Sonderbestimmungen für die Polizei vom 7.2.1941 (BA R 19 Nr. 306, Bl. 179). Die Uk-Stellung stellte im Zweiten Weltkrieg eine vorübergehende, widerrufbare Entlassung oder Nichteinziehung zum Militärdienst dar. Sie wurde für Personen geschaffen, die wichtige Funktionen in Verwaltung, Kriegswirtschaft und Reichsverteidigung im Heimatgebiet innehatten. Zur Uk-Stellung vgl. Rudolf Absolon, Die Wehrmacht im Dritten Reich. 5. Februar 1938 bis 31. August 1939, Boppard am Rhein 1979, S. 370 und 375. 186 Exemplarisch hierzu vgl. Entnazifizierungsakte Frieling, Walter vom 29.4.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-579, Bl. 5).

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Das Reserve-Polizeibataillon 61

Wer waren nun die Männer des Bataillons 61? Statistische Feststellungen über einzelne Kompanien oder gar Züge zu treffen, ist problematisch, da Männer zwischen verschiedenen Teileinheiten hin und her wechselten. So diente Hans Delisch eine Zeit lang in der 1. Kompanie und wechselte dann in die 2. Kompanie. Edmund Sauerbier hingegen wechselte von der 4. in die 3. Kompanie. Ebenso wurden auch immer wieder sowohl Berufs- als auch Reserve-Polizisten „zu ihren Heimatstandorten zurückversetzt und durch andere ersetzt“.187 Die neu ankommenden Ersatzmänner wurden dann auf die bestehenden Teil­ einheiten verteilt. Ebenfalls statistisch problematisch ist, dass nicht alle Männer der Polizeieinheit im gleichen Maße archivalische Spuren hinterließen. Auch wenn man so den „Durchschnittspolizisten“ des Bataillons 61 nicht völlig rekonstruieren kann, lassen sich doch einige Merkmale feststellen, die man als typisch für Angehörige der hier untersuchten Einheit ansehen kann.188 Die regionale Herkunft der Einheitsmitglieder war bedingt durch die Aufstellung aus Kräften der Kommandos der Schutzpolizei Dortmund und Recklinghausen sowie durch die Zuordnung von Dortmund als Heimatstandort im Wehrkreis VI. Entsprechend stammte der größte Teil der Mannschaftsdienstgrade und Unterführer aus dem Ruhrgebiet und Westfalen. Eine Ausnahme hiervon bildete das Personal der 3. Kompanie, dass sich bei Kriegsbeginn „zu etwa 50 [Prozent] aus Österreichern“189 zusammengesetzt haben soll. Diese

187 Aussage Heinrich Lorey vom 13.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 34). Für die Abstellung eines Ersatzmanns zum Bataillon 61 vgl. Abordnung des PS [Mitglied des Polizeisonderdienstes] Rudolf Wagner von der PV Dortmund zum I./Pol.9 vom 12.3.1943 (BA R 19 Nr. 106, Bl. 143). Gleichzeitig wurde der Mann, den er ersetzen sollte, nach Dortmund zurückbeordert. Exemplarisch für die Versetzung von neun weiteren Mitgliedern der Polizeieinheit vgl. Sonderbefehl Nr. 26 vom 17.8.1941 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). Für die Abordnung von 33 Ersatzmännern vgl. Austausch von aktiven Pol.-Wachtmeistern (SB) [Sammelbegriff] beim Pol.-Batl. 61 in Buer-Resse vom 24.7.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 283, unpag.). Für die Versetzung eines der Verwaltungsbeamten vgl. Aussage Hubert Peters vom 3.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 228, Bl. 68). Für den Wechsel von Personal zwischen den Kompanien des Bataillons 61 vgl. Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 197r); Aussage Edmund Sauerbier vom 25.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 182); Aussage Franz Klippert vom 4.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 223, Bl. 33); Aussage Heinrich Lorey vom 13.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 34). 188 Für Verteilung der Polizisten auf die Kompanien vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 12. Die gesamte statistische Aufschlüsselung des Personalbestandes des Bataillons 61 in der vorliegenden Studie stützt sich auf sämtliche im Literaturverzeichnis aufgelisteten Akten. Damit wird den Grundprinzipien der empirischen Sozialforschung gefolgt, denen zufolge man eine ca. 500 Personen große Gruppe auswerten muss, um statistische Validität zu erreichen. Vgl. Elke Esser/Paul Hill/Rainer Schnell, Methoden der empirischen Sozialforschung, 9. Auflage, München 2011, S. 257–311. 189 Aussage Helmut Joachim vom 27.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 226). Nur zu einigen dieser Männer ließen sich weiterführende Unterlagen finden. Zu Erich Sternat, der im heutigen Maribor geboren wurde, vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2411, Bl. 3). Zu Anton Thurner vgl. Akte Anton Thurner (BA R 9355 ZB II 822 A.2).

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Männer wurden aber bereits am 18. Februar 1940 zum Bataillon 316 versetzt. Zudem stammte das Personal der Polizeikompanie „Frankfurt Oder“, die 1942 für gut zwei Monate dem Bataillon 61 zugewiesen war, aus Brandenburg und Mitteldeutschland. Im Fall des Offizierskorps der Dortmunder Polizeieinheit lässt sich kein besonderer regionaler Schwerpunkt erkennen, da diese Männer der Einheit nach dienstlichen Notwendigkeiten zugewiesen wurden.190 Auch einige der Mannschaftsdienstgrade und Unterführer des Bataillons 61 stammten ursprünglich nicht aus dem typischen Rekrutierungsraum der Einheit. So war einer der Männer etwa in Straßburg geboren. Ebenso stammten weitere vereinzelte Männer nicht gebürtig aus dem direkten Einzugsgebiet des Bataillons, sondern waren in dieses zugewandert. Andere Polizisten, unter ihnen auch einige maßgebliche Unterführer, stammten ursprünglich aus den östlichen Gebieten des Deutschen Reichs. So etwa die Zugwachtmeister Friedrich Fietz aus Oberschlesien und Wilhelm Schumann aus dem Pommerschen Flederborn sowie Spieß Basner aus dem westpreußischen Grievenhof.191 Besonders relevant für den Einsatz des Bataillons 61 in Osteuropa war, dass einige Männer selbst aus den später okkupierten Regionen stammten. So kam der Reservist Franz Bayer gebürtig aus Rindles im Sudetenland. Dort hatte er 1924 seinen Wehrdienst in der tschechoslowakischen Armee geleistet und war später ausgewiesen worden. Otto Kobitzki war aus Bromberg, das später von der deutschen Kriegspropaganda wegen des „Blutsonntages“ verklärt wurde, ins Ruhrgebiet gekommen. Michael Janczak schließlich war in Hirschteich, dem heutigen Przygodzice, geboren worden. Damit stammte er unmittelbar aus jener Gegend, die das Bataillon 61 während ihres ersten Poleneinsatzes von vermeintlichen Banditen „säuberte“.192

Zu Zugwachtmeister Siegfried Cufer aus Fieberbrunn vgl. Akte Siegfried Cufer (BA R 9361 RS A 5383, Bl. 878 f.). Zu Michael Stoxreiter vgl. die nicht ganz korrekt betitelte Akte Michael Stockreiter (BA R 9361 PK M 47). Zur Aufstellung des Bataillons 61 im Wehrkreis VI vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 16); Krankenakte Fritz Hollweg geb. 13.8.1914 (BA R 19 Nr. 2407, Bl. 15). 190 Für die Kompanie „Frankfurt Oder“ vgl. die Polizeidienstpässe in BLHA Rep. Nr. 161, ZA VI 0674, A.01 und A. 02. Für die Versetzung der Österreicher vgl. Akte Siegfried Cufer (BA R 9361 RS A 5383, Bl. 890). Ebenso vgl. Abordnungsübersicht (BStU MfS HA IX/11 ZM 1641 A.2, Bl. 1–15). 191 Vgl. Akte Karl Basner (BA R 9361 RS A 250, Bl 56). Für die Herkunft von Wilhelm Schumann vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2411, Bl. 3). Für Fietz vgl. Aussage Friedrich Fietz vom 4.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 11, Bl. 4787). Für den in Straßburg geborenen Felsberger vgl. Akte Georg Felsberger geb. 25.10.1913 (BA R 19 Nr. 2220). 192 Vgl. Aussage Michael Janczak vom 28.3.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 40, Bl. 18087). Für Kobitzki vgl. Aussage Otto Kobitzki vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 42). Für den „Blutsonntag“ vgl. Włodzimierz Jastrzębski, Der Bromberger Blutsonntag, Posen 1990; Markus Krzoska, Der „Bromberger Blutsonntag“ 1939. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ), 60 (2012) 2, S. 237–248. Für Bayer vgl. Aussage Franz Bayer vom 25.5.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486), Bl. 78. Insbesondere für seinen Wehrdienst vgl. Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (ebd., Bl. 142).

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Betrachtet man die Altersstruktur der Dortmunder Polizeieinheit, so ist auffällig, dass die Mannschaftsdienstgrade im Schnitt 1905 geboren wurden. Dieser Durchschnittswert blieb auch im Kriegsverlauf und trotz der beschrieben Personalfluktuation relativ konstant. Dies bedeutet, dass das Bataillon tenden­ ziell immer älter wurde. Der Altersdurchschnitt der Einheit schwankte nur 1939 kurzfristig, als zunächst die ältesten Reservisten nach Hause gesandt wurden. Er stabilisierte sich aber, als wenig später auch jüngere Bataillonsmitglieder, etwa zu Unterführerlehrgängen, abgezogen wurden. Das relativ hohe Alter der Polizeireservisten war dabei eine direkte Folge der Rekrutierung durch die Notdienstverordnung. Die Nachkriegseinschätzung von Bataillonsangehörigen, die davon ausgingen, die Polizisten seien etwa 30 bis 40 Jahre alt gewesen, traf also weitestgehend für die Jahre 1940 und 1941 zu.193 Dieser Altersdurchschnitt war dabei auch typisch für vergleichbare Polizeiverbände. Dies zeigt sich etwa daran, dass auch die Polizeikompanie „Frankfurt Oder“ nahezu das gleiche Durchschnittsalter aufwies, wie das eigentliche Bataillon 61. Darüber hinaus passt das Ergebnis für die Dortmunder Polizeieinheit zur internen Statistik der Ordnungspolizei. In dieser ging man 1942 davon aus, dass 70 Prozent des Personals über 35 Jahre alt war. Das Durchschnittsalter sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Bataillon 61 teilweise auch erhebliche Altersunterschiede zwischen den Polizisten gab. So war 1939 beispielsweise Wilhelm Fiebig im Alter von 50 Jahren ebenso im Einsatz wie Heinrich Lorey, der erst 21 Jahre alt war und „der zweitjüngste des Bataillons“194 gewesen sein will. Anders als die Polizisten mit Mannschaftsdienstgrad im Bataillon 61, sind dessen Unteroffiziere und Offiziere in ihrer Altersstatistik weniger eindeutig fassbar. Die jüngeren Unteroffiziere wurden im Schnitt 1915 geboren. Nahezu genau diesen Durchschnitt erfüllen die im Folgenden exemplarisch vorgestellten Polizisten Heinrich Marach und Franz Klippert. Letzterer wurde am 16. Ja-

193 Vgl. exemplarisch die Einschätzung in der Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 56r); Aussage Bartholomäus Neumann vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 190r). Bezieht man sich nicht wie in der vorliegenden Studie auf alle Daten, sondern nur auf die Auswertung der Staatsanwaltschaft, so muss man zu 1909 als durchschnittlichem Geburtsjahr kommen. Vgl. Zusammenfassung der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 7.6.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 102–120). Für die Abordnung jüngerer Polizisten vgl. Aussage Heinrich Oelmann vom 10.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 226, Bl. 28); Aussage Heinrich Nehrkorn vom 10.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 225, Bl. 24). Für das Heimsenden der ältesten Reservisten, vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 4). 194 Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 212). Für einen älteren Polizisten vgl. Aussage Wilhelm Fiebig vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 230r). Er war 1939 schon 50 Jahre alt. Für die interne Altersstatistik der Ordnungspolizei vgl. Stand der Polizeireserve am 15.1.1942 (BA R 19 Nr. 336, unpag.). Dort wird von folgender Altersstruktur ausgegangen: unter 35 Jahre: 42 595 Mann = 36,2 %, 36–40 Jahre: 42 879 Mann = 36,48 %, 41–45 Jahre: 10 640 Mann = 9,05 %, über 50: 21 413 Mann = 18,21 %.

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nuar 1915 in Gelsenkirchen-Buer geboren, katholisch getauft und wuchs mit 11 Geschwistern auf. Der Sohn eines Schneidermeisters besuchte für acht Jahre die Volksschule und absolvierte anschließend eine Lehre als Schuhmacher. Von 1934 bis 1935 leistete er seinen Reichsarbeitsdienst und gehörte anschließend von 1935 bis 1937 der Wehrmacht an. Nach seiner dortigen Entlassung wurde er Mitglied der SA und arbeitete zunächst im Hydrierwerk Buer-Scholven bis er sich erfolgreich bei der Schutzpolizei in Recklinghausen bewarb. Er verließ die SA wie für Polizeibeamte vorgeschrieben und am 1. Januar 1939 trat er seinen Dienst als aktiver Polizeiwachtmeister an. Mit Aufstellung des Bataillons 61 wurde er zu diesem, zunächst noch als einfacher Polizist, versetzt. Er diente anfangs in der 4. Kompanie. Am 8. Juni 1940 heiratete er Ani Schlüting, die ihm bis 1951 vier Kinder gebar. 1941 wurde Klippert dann Gruppenführer in der 1. Kompanie. Im gleichen Jahr wurde er, angeblich auf Wunsch seines neuen Kompaniechefs Mehr, Mitglied der NSDAP. Den ebenfalls von seinem Hauptmann gewünschten Kirchenaustritt habe Klippert jedoch nicht vollzogen, da er geglaubt habe, dass dies seine religiös eingestellte Ehefrau nicht akzeptiert hätte. 1942 wurde er Mitglied der NSV.195 Zum Unterführer aufgestiegen übernahm er 1942 die Aufgabe des Wachhabenden an kleineren Posten in Warschau sowie als stellvertretender Wachhabender an den beiden großen Ghettowachen. Darüber hinaus nahm Klippert an Massenexekutionen seiner Einheit in leitender Funktion teil und führte eine solche, als die Schützen zu nervös waren und schlecht schossen, persönlich weiter fort. Neben seinem offiziellen Dienst als Unteroffizier nahm Klippert auch an „Zivilstreifen“ durch das Ghetto teil, angeblich um Schmuggler festzusetzen. Es handelte sich bei diesen Touren um nichts anderes, als eigenmächtige Ausflüge zum Töten von Ghettoinsassen. Auch im Wachdienst soll sich Klippert häufig als gewalttätig gezeigt haben.196

195 Hierzu, ebenso wie für seinen Dienst sowie den NSDAP-Beitritt, vgl. Aussage Franz Klippert vom 4.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 223, Bl. 33). Abweichend davon behauptete er, in Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 237), direkt zur 1. Kompanie gekommen zu sein. Da die 1. Kompanie jedoch aus Männern der Polizei Dortmund gebildet wurde, ist dies sehr unwahrscheinlich. Bei Klemp, Freispruch, S. 28 wird nur eine Zugehörigkeit zur 1. Kompanie erwähnt, ohne die genannten Aspekte zu erwägen. Für Klipperts allgemeine Lebensdaten vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 236 f.). Für seine Lebensdaten sowie seine SA- und NSV-Mitgliedschaft vgl. Entnazifizierungsakte Klippert, Franz vom 24.8.1948 (LAV NRW, R, NW 1039-K-2976, Bl. 1 und 6). 196 Für seine häufige Gewaltanwendung auch als Wachposten vgl. Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 103r); Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 125r). Zur Teilnahme an „Zivilstreifen“ vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (ebd., Bl. 238); Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 139); Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 163r). Zur Exekutionsleitung vgl. Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 67). Zur Fortführung der Exekution vgl. Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 182). Zu Klipperts Dienst als Wachhabender vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (ebd., Bl. 237).

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Ein Kamerad urteilte über ihn, Klippert sei kein übler Charakter gewesen und sein Verhalten sei „aus der allgemeinen damaligen Moral bei der Kompanie zu erklären“ gewesen.197 Jedoch schien Klippert sein Verhalten ganz offenbar zu gefallen. Bei der Rückkehr von einer Ghettotour soll er bemerkt haben, er und seine Begleiter „hätten einen Vorschuss auf die Seligkeit genommen“.198 Auch soll er sich an einem Wettbewerb um die meisten Tötungen in der 1. Kompanie beteiligt haben. Sein Verhalten brachte ihm dann entsprechend auch folgende Einschätzung ein: „Klippert war ein Raudi.“199 Gegen Ende des Einsatzes des Bataillons 61 in Warschau wurde er durch Schüsse aus dem Ghetto verletzt. Von wem diese abgefeuert wurden, ist unklar, doch scheint es mehr als wahrscheinlich, dass es sich um einen Fall von Eigenbeschuss handelte. In dem im Auflösungszustand befindlichen Ghetto wurde immer häufiger durch Deutsche und ihre „Hilfswilligen“ von der Schusswaffe Gebrauch gemacht. Klippert kam in der Folge für 14 Tage in ein Lazarett und erhielt dort vor dem Ausrücken seiner Einheit nach Russland Besuch von seiner Frau. Im Russlandeinsatz will er bei dem Angriff dabei gewesen sein, der zum Tod von Hauptmann Mehr führte. An der russischen Front hat Klippert sowohl das Sturmabzeichen als auch das EK II. erhalten und kam 1945 in russische Gefangenschaft.200 Ebenso wie Klippert zählte auch Marach zum Typus des jungen Unterführers. Er wurde am 27. März 1914 in Hohenhameln im Kreis Peine als Sohn eines Lokomotivführers geboren und katholisch getauft. Zunächst besuchte er für fünf Jahre eine Volksschule und anschließend vier weitere Jahre eine Mittelschule. An seine Schulzeit schloss sich eine Lehre zum Autoschlosser in Hildesheim an. Danach war er 1933 kurz arbeitslos und verdingte sich dann bei verschiedenen Baufirmen. Im gleichen Jahr trat er in die SA ein, die er 1934 wieder verlassen haben will, um in die Reichswehr einzutreten. Dort fand er Verwendung bei der Artillerie und bei der Luftwaffe. 1939 schied er aus der mittlerweile zur Wehrmacht umbenannten Organisation als Reservist aus und kam zur Schutzpolizei, bei der er sich erfolgreich beworben hatte.201 Ab Mai 1939 gehörte er zur Dortmunder Polizei und erhielt vorübergehend ein Training in Oberhausen. Seine eigentliche Ausbildung erhielt er jedoch in

197 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (ebd., Bl. 217r). 198 Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 125r). 199 Aussage Erich Schumacher vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 184r). Für die Teilnahme an dem Wettbewerb vgl. Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (ebd., Bl. 217). 200 Vgl. Entnazifizierungsakte Klippert, Franz vom 24.8.1948 (LAV NRW, R, NW 1039K-2976, Bl. 5). Für seine Ehrenzeichen vgl. ebd. Er wurde nach dem Krieg der Entnazifizierungskategorie V zugeordnet. Für den Angriff, bei dem Mehr fiel, vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 239r). Für Klipperts Verwundung und den Besuch seiner Frau vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (ebd., Bl. 239). 201 Vgl. Entnazifizierungsakte Marach, Heinrich vom 25.4.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1412, Bl. 1 und Appendix der Akte); Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 149 f.).

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der 1. Polizeihundertschaft in Dortmund und somit beim Nukleus der späteren 1. Kompanie des Bataillons 61. Mit dieser Einheit war er dann auch schon in Österreich eingesetzt, bevor das Bataillon im September 1939 formell aufgestellt und nach Polen entsandt wurde. Dort wurde er im gleichen Jahr zum stellvertretenden Kammerverwalter der 1. Kompanie und rückte 1940 auf den Posten des Leiters der Waffen- und Bekleidungskammer auf, als sein Vorgänger Brunst zum Spieß berufen wurde. Damit gehörte Marach schon früh „zu den Funktionsinhabern der Kompanie“,202 die „nicht zu den normalen Wachen eingeteilt“203 wurden. Dennoch brachte er sich in die Gewalt des Bataillons ein. So gestand er an verschiedenen Exekutionen, wenn auch angeblich nur unterstützend, mitgewirkt zu haben. In Posen sei er in das Abbrennen „einer Laubenkolonie von Asozialen“,204 wie es die 2. Kompanie auch in Leslau, dem heutigen Włocławek, durchführte, involviert gewesen. Neben seiner Beteiligung an Gewalthandlungen im Dienst, partizipierte Marach an solchen oftmals auch außerdienstlich. Obwohl man über ihn aussagte, er sei „ein weicher Mensch“205 gewesen, habe er doch zu denjenigen gehört, die häufig an den illegalen Touren ins Ghetto teilnahmen. Wie kam es also, dass jemand, dem man „nicht zutrauen möchte, dass er von der Schusswaffe freiwillig Gebrauch gemacht hätte“,206 sich so verhielt? Ein Mitglied des Bataillons begründete dies relativ schlüssig anhand von Marachs opportunistischem Charakter. Für den Unterführer habe gegolten, „wenn ein Vorgesetzter zugegen war, spielte er den Mutigen.“207 Auch schien Marach, eigentlich ein „ängstlicher Mann“,208 es zu genießen, Macht über andere Personen zu haben. So soll er „Juden, die auf der von ihm geführten Waffenkammer beschäftigt waren, misshandelt und getreten haben“. Als „großer Feigling“ und „Großmaul“209 verdingte er sich beim Russlandeinsatz der Dortmunder Polizei-

202 Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 163). 203 Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 214). Für Marachs Tätigkeit als stellvertretender Kammerverwalter vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 20). Zu seiner Tätigkeit als Kammerverwalter vgl. Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 149). Für seinen Einsatz in Österreich und Polen vgl. Entnazifizierungsakte Marach, Heinrich vom 25.4.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1412, Appendix der Akte). Zu seiner Polizeiausbildung in Dortmund vgl. Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 149). Zu seiner Ausbildung in Oberhausen vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 16). 204 Aussage Heinrich Marach, o. D. (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 205, Bl. 23). In ähnlicher Form vgl. Aussage Hans Baumkötter vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 57). 205 Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 139r). 206 Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 182r). Zur häufigen Beteiligung von Marach an Touren ins Ghetto vgl. Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 139). 207 Aussage Bartholomäus Neumann vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 191r). 208 Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 182r). 209 Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 128r).

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einheit in seiner Rolle als Zugwachtmeister, vor allem als Leiter des Lazaretts des Bataillons, bis die Einheit 1944 aufgelöst wurde. Im selben Jahr brachte seine Frau Elisabeth Voigt ihr einziges Kind zur Welt. Bis zum Zusammenbruch der nördlichen Ostfront diente Marach nach Auflösung des Bataillons 61 im Polizeiregiment 16. Für seine Einsätze wurde er neben dem KVK II. auch mit dem Infanteriesturmabzeichen und dem EK II. ausgezeichnet.210 Ein repräsentativer Vertreter, der um 1910 geborenen etwas älteren Unterführer, war mit Brunst auch einer der wichtigsten Organisatoren innerhalb des Bataillons 61. Der verheiratete Polizist wurde am 16. Dezember 1910 in Bochum als Sohn eines Schlossermeisters geboren und evangelisch getauft. 1916 fiel sein Vater Albert im Ersten Weltkrieg. Im darauffolgenden Jahr begann sein Sohn die Volksschule zu besuchen, die er 1925 verließ. Im Anschluss an seine Schulzeit absolvierte Brunst bis 1928 bei der Bochumer Firma Elspermann eine Lehre zum Bürogehilfen. Da seine Familie „finanziell in Bedrängnis geriet“,211 will er parallel dazu seit seinem 15. Lebensjahr für eine Zeche im gleichen Ort gearbeitet haben.212 Während des Abschlusses seiner Berufsausbildung verstarb 1928 seine Mutter Christine. Im gleichen Jahr trat Brunst dann mit 18 Jahren in den Polizeidienst ein und kam zur Polizeischule in Münster. Hier machte er im April 1930 seinen Abschluss. Von 1931 bis Januar 1934 diente er als Polizeiwachtmeister bei der Polizeiverwaltung Gelsenkirchen, wo er auch die Polizeiberufsschule besuchte. Im Februar desselben Jahres folgte dann sein Übertritt zur Landes­ polizei in Iserlohn, die er im August 1935, ohne zur Wehrmacht überzutreten, wieder verließ. Nach dem Krieg behauptete Brunst in unglaubwürdiger Weise, er habe auf die Übernahme in die prestigeträchtige Armee verzichtet. Stattdessen folgte nun seine Verwendung bei der Dortmunder Polizei als Oberwachtmeister. 1936 brachte seine Frau Klara in Dortmund ihr erstes Kind zur Welt und am 1. Januar 1937 trat Brunst ebendort in die NSV ein. Im gleichen Jahr wurde er, mittlerweile zum Revieroberwachtmeister befördert, erstmals Hauptmann Nord unterstellt.213

210 Für seine Auszeichnungen vgl. Entnazifizierungsakte Marach, Heinrich vom 25.4.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1412, Appendix Bl. 5). Für seine Frau und die Geburt des Kindes vgl. Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 149). Für seine Dienstzeit beim Bataillon 61 von 1939 bis April 1944 vgl. Entnazifizierungsakte Marach, Heinrich vom 25.4.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1412, Bl. 4). Für seine Verwendung als Leiter des Lazaretts vgl. Datenblätter ehemaliger Angehöriger RPB 61, o. D. (BStU MfS HA IX/11 RHE 4/74 SU, Band 2a, Bl. 12). 211 Ernst Brunst Datenblatt vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 134). 212 Vgl. Personalbogen Ernst Brunst geb. 16.12.1910, o. D. (ebd., Bl. 75); Ernst Brunst Datenblatt vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 134 f.). 213 Vgl. Entnazifizierungsunterlagen Ernst Brunst vom 6.1.1947 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.); Ernst Brunst Datenblatt vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 134). Für den Tod der Mutter und den Eintritt in die Polizei vgl. ebd.

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Unter diesem diente Brunst ab März 1938 in der 1. Dortmunder Polizeihundertschaft. Mit der Einheit war er vom 11. bis zum 24. März 1938 als Teil der Marschgruppe „Scheer“ in Österreich eingesetzt. Wie schon in der Dortmunder Polizeihundertschaft übernahm Brunst auch bei der Aufstellung des Bataillons 61 die Rolle des Waffen- und Gerätewarts, nun in der 1. Kompanie. Im Zuge der Neuorganisierung der Dortmunder Polizeieinheit 1940 stieg er im August unter dem neuen Kompaniechef Mehr auf den Posten des Spießes in der gleichen Kompanie auf und wurde zum Hauptwachtmeister befördert. Durch seine Dienststellung besaß Brunst nun weitreichende Entscheidungskompetenzen und Einflussmöglichkeiten auf die Männer der Kompanie.214 Von seinem Wesen her war Brunst jemand, der Sinnesfreuden in Form von Alkohol und Nahrungsmitteln nicht abgeneigt war. Ein Untergebener brachte es später auf den Punkt, man habe gewusst, dass Brunst „außerordentlich bequem war und im Übrigen kaum geeignete Zivilkleidung für diesen großen und starken Menschen verfügbar“ war.215 In seinem einheitsinternen Verhalten soll Brunst dem klassischen Typ des preußischen Radfahrers entsprochen haben. Er „war nicht der Mann, der Vorgesetzten nachhaltig seinen Willen entgegengesetzt hätte“. Nach oben, insbesondere im Kontakt mit Vorgesetzten, „buckelte“ er, während er nach unten „trat“. Gegenüber unliebsamen Untergebenen verhielt er sich herrisch und „sehr arrogant“.216 Er galt als eine der „Kriechernaturen“217 des Bataillons. Dennoch wurde auch erkannt, dass es für Brunst nahelag, antizipierten höheren Wünschen zu entsprechen, denn „sonst hätte er seine Stellung nicht halten können“.218 Generell scheint Brunst eine solche Anpassung aber nicht schwergefallen zu sein, da seine Handlungen zum Ausdruck gebracht haben sollen, dass er dem Kompaniechef Mehr „an Nationalsozialistischer Einstellung in nichts nachstand“.219 So nahm etwa auch Brunst öfter an Touren zur Tötung von Ghettoinsassen teil. Seinen opportunistischen Charakter belegt, wie er sich hingegen nach dem Krieg darzustellen versuchte. So stilisierte er sich selbst, da er nicht

214 Vgl. Entnazifizierungsunterlagen Ernst Brunst vom 6.1.1947 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). Ebenso vgl. Ernst Brunst Datenblatt vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 134). Für den Einsatz mit der Marschgruppe vgl. Vorschlagsliste Nr. 50 für die Verleihung der Medaille zur Erinnerung an den 13. März 1938 vom 10.3.1939 (BA R 601 Nr. 2403, Bl. 4). Brunst selbst gab die Einsatzzeit in Österreich vom 15. bis zum 29. März 1938 an. Vgl. Entnazifizierungsunterlagen Ernst Brunst vom 6.1.1947 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). 215 Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 214). 216 Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (ebd., Bl. 263r). 217 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 50r). 218 Aussage Erich Schumacher vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 185). 219 Aussage Franz Thamm vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 106). Für Brunsts Nichtmitgliedschaft in der NSDAP vgl. Vorschlagsliste Nr. 50 für die Verleihung der Medaille zur Erinnerung an den 13. März 1938 vom 10.3.1939 (BA R 601 Nr. 2403, Bl. 5). Für die Äußerung von Brunst, er sei nie NSDAP-Mitglied gewesen, vgl. Aussage Ernst Brunst, o. D. (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 76).

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Mitglied der NSDAP gewesen war, zum ehemaligen Jungsozialisten und Mitglied „der Arbeiter-Sportbewegung“. Auch will er dem „Schrader-Verband“ angehört haben. Jedoch wurde schnell bekannt, dass er in Wahrheit von 1931 bis 1933 „dem rechtsstehenden Murche-Verband“220 zugehörig war. Im Mai 1943, als das Bataillon bereits in Russland eingesetzt war, wurde Brunst schließlich zum Polizeimeister befördert und im Januar 1944 wurde er verwundet. Infolgedessen kam er bis zum Ende des Krieges nach Dortmund zurück, wo er bis Dezember 1945 in einer Schreibstube Verwendung fand.221 Der letzte hier exemplarisch Vorgestellte Unterführer, Thamm, gehörte zur Gruppe der vor 1900 geborenen Bataillonsangehörigen. Er war zunächst Spieß der 2. Kompanie und stieg später zum geschäftsführenden Hauptwachtmeister des gesamten Bataillons auf. Thamm wurde am 18. April 1897 im ostpreußischen Gronitten im Kreis Allenstein geboren und katholisch getauft. Von 1903 bis 1911 besuchte er die Volksschule und übte danach einen unbekannten Beruf aus. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er im kaiserlichen Heer und wurde mit dem EK II. ausgezeichnet. Am 1. Februar 1924 kam er zur preußischen Schutzpolizei in Dortmund und besuchte nach seiner Grundausbildung von 1926 bis 1929 die Polizeiberufsschule.222 1935 trat Thamm in die NSV ein. 1937 folgte der NSDAP-Eintritt, denn er sah sich aus dienstlichen Notwendigkeiten „gezwungen, der Partei beizutreten“.223 1938 wurde Thamm „Spieß der 2. Übergangshundertschaft in Dortmund am Markt“,224 mit der er u. a. in Österreich eingesetzt wurde. 1939 wurde der Unterführer dann unter Nord in der Tschechoslowakei eingesetzt. Im Sommer des gleichen Jahres führte Thamm die Schulung und Ausbildung in seiner Hundertschaft weiter, ehe diese im September 1939 in das neu aufgestellte Bataillon 61 überführt wurde.225 Auch hier übernahm Thamm die Position des geschäftsführenden Hauptwachtmeisters, diesmal in der 2. Kompanie unter Fockenbrock. Als Wannemacher neuer Kompaniechef wurde, erhielt Thamm das Vertrauen ausgesprochen

220 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 57). 221 Vgl. Entnazifizierungsunterlagen Ernst Brunst vom 6.1.1947 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). Ebenso vgl. ebd. für die ihm verliehenen Orden. Er war Träger des EK II., des KVK II mit Schwertern sowie des Infanterie-Sturmabzeichens. 222 Für seine Lebensdaten vgl. Entnazifizierungsakte Thamm, Franz vom 20.9.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2410, Bl. 1–5); Aussage Franz Thamm vom 3.8.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 149); Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 41); Auswertungskartei des MfS, o. D. (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 32, Bl. 66). 223 Antrag von Franz Thamm um Entlassungsaufhebung vom 20.9.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2410, Bl. 19). Vgl. ebd. auch für seine Mitgliedschaft in den anderen NS-Organisationen wie dem Reichsluftschutzbund, seinen Polizeidienst bis 1929 und seine Kriegsauszeichnungen. Im Zweiten Weltkrieg kam zu seinem EK II. noch die Bandschnalle zum EK II. hinzu sowie das KVK II. und das EK I. 224 Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 41). 225 Vgl. ebd.

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und blieb in seiner Dienststellung. 1943 stieg er zum Bataillonsspieß auf. Dort, wie schon zuvor auf Kompanieebene, will er seine Rolle defensiver interpretiert haben, als dies etwa Brunst getan haben soll. Für Thamm habe etwa festgestanden, „dass es gar nicht zu seinem Aufgabenbereich als Hauptwachtmeister gehörte, Einfluss auf die Kompanieangehörigen zu nehmen“.226 Eine ungleichmäßige Altersverteilung lässt sich, in noch extremerer Form als bei den Unterführern, für die Offiziere des Bataillons 61 feststellen. Zum einen gab es die Bataillonskommandeure, die allein schon aufgrund ihrer Diensterfahrung deutlich vor 1900 geboren waren. Zum anderen gab es die bei Kriegsbeginn gerade erst seit Kurzem fertig ausgebildeten jüngeren Offiziere, die nach ihrer Schulzeit nur die Junkerschule besucht hatten. In der Mitte des Altersspektrums lagen bei den Offizieren die Kompaniechefs, die im Schnitt 1910 geboren wurden. Jedoch ist dieser Wert verzerrt, da etwa Fockenbrock 1916 zur Welt kam, während 1902 das Geburtsjahr von Kärgel war.227 Ganz überwiegend waren die Männer des Bataillons 61, egal ob Offiziere, Unterführer oder Mannschaftsdienstgrade, verheiratet und hatten 1939 bereits Kinder oder wurden während des Krieges Vater. Dies passt auch zur allgemeinen Statistik, die die Ordnungspolizei nur für ihre Offiziere erhob. In dieser wurde davon ausgegangen, dass 77 Prozent der Berufs- und 88 Prozent der Reserveoffiziere verheiratet waren. Die religiösen Bekenntnisse der Männer, sofern sie nicht aus der Kirche ausgetreten waren, wie es bei den meisten Offizieren der Einheit der Fall war, verteilten sich in etwa hälftig auf Protestantismus und Katholizismus.228 In der Regel hatten die Polizisten acht Jahre die Volksschule besucht und anschließend eine Lehre absolviert. Nur vereinzelt hatten die Mannschaftsdienstgrade und Unteroffiziere eine höhere Schulbildung erfahren. Wenn sie eine solche besaßen, dann meist ohne länger das Gymnasium besucht oder das Abitur erreicht zu haben. Dies galt auch für einige der Offiziere der Dortmunder Polizeieinheit, obwohl für deren Laufbahn eigentlich das Reifezeugnis Voraussetzung war. Daran wurde trotz des großen Personalbedarfs im Nationalsozialismus formell „grundsätzlich festgehalten, um das allgemeine Bildungsniveau nicht zu senken“. In der täglichen Praxis war es bei der Polizei aber üblich, 226 Schreiben RA [Rechtsanwalt] Dissel an den Entnazifizierungsauschuss Dortmund vom 5.8.1947 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2410, Bl. 7). Für seine Zuordnung zur 2. Kompanie und den Aufstieg zum Bataillonsspieß vgl. ebd., Bl. 4. 227 Vgl. für die Kompaniechefs Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 27). 228 Dies ist in Anbetracht des Einzugsgebietes des Bataillons 61 wenig überraschend. In Westfalen dominierten Katholiken und im Ruhrgebiet Protestanten. Dies führte zu einer in etwa hälftigen Aufteilung der Religionszugehörigkeit in der Polizeieinheit. Für die offizielle Statistik der Ordnungspolizei vgl. Schematische Darstellung über die Zusammensetzung des Offz.Korps [Offizierskorps] der Schutzpolizei und Gendarmerie vom 15.1.1942 (BA R 19 Nr. 336, unpag.). Insbesondere bei Berufspolizisten wurden Hochzeiten durch den Staat gefördert. Vgl. o. V., Förderung der Eheschließungen. Ehestandsdarlehen. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 2 (1934) 9, S. 326 f.

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„nach eigenem Ermessen Ausnahmen zu geben, war sie doch an irgendwelche gesetzliche Bestimmungen nur ganz allgemein gebunden“. Hinzu kam, dass Himmler der Ordnungspolizei nur „in großer Zahl Nichtabiturienten zur Verfügung“ stellte.229 Dies spiegelte sich auch in der allgemeinen Statistik zum Offizierskorps der Schutzpolizei und Gendarmerie wider. Von den aktiven Offizieren hatten 1941 nur 36 Prozent und von den Reserveoffizieren nur 31 Prozent das Abitur. Dies entspricht in etwa auch der Verteilung im Bataillon 61.230 Mehr oder minder akademisch ausgebildete Personen waren in der Dortmunder Polizeieinheit selten. So gehörte während des Einsatzes in Posen der Volksschullehrer Tobias Dittmann zum Bataillon 61. Der spätere Chef der 1. Kompanie, Nord, hatte neben seinem „Oberstufenabschluss“ ein „Chemiestudium mit kleineren Matrikeln“ vorzuweisen.231 Dass er einen Abschluss erlangte, ist jedoch nicht zu erkennen. Figiel schließlich hatte viereinhalb Jahre an einer Maschinenbauschule in Neuwied verbracht, musste sein Studium aber wegen der Wirtschaftslage abbrechen. Lediglich der Reserveoffizier Ackermann hatte, wie bereits erwähnt, ein erfolgreiches Kunststudium absolviert.232 Diejenigen Männer der Dortmunder Polizeieinheit, die keine aktiven Polizisten waren, verteilten sich schwerpunktmäßig auf die Berufsgruppen der Kaufleute, Mittelständler und Arbeiter. Dies passte zur generellen Verteilung von Berufsgruppen in der Polizeireserve. Die schwerpunktmäßige Verteilung von deren Mitgliedern auf freie Berufe war dabei eine Folge der Notdienstverordnung. Durch sie wurden, anknüpfend an die vorangegangenen Regelungen, vor allem Personen einberufen, von denen man annahm, dass ihre Abwesenheit von zu Hause für sie ohne wirtschaftlichen Schaden sein würde. Darüber hinaus war es bei ihren Berufen wenig wahrscheinlich, dass die Arbeitsämter ihr Veto in Form einer Uk-Stellung gegen die Einberufung einlegen würden. Entsprechend waren etwa im Bataillon 61 mit einem Maschinisten und einem Eisenbahner nur sehr wenige potenziell kriegswichtige Arbeiter eingesetzt.233 229 Schreiben Adolf von Bomhards an den Niedersächsischen Minister des Inneren betr.: Einstellung von Polizeioffz.Anwärtern [Polizeioffiziersanwärtern] vom 18.6.1955 (BA R 19 Nr. 281, Bl. 59). 230 Vgl. Schematische Darstellung über die Zusammensetzung des Offz.Korps der Schutzpolizei und Gendarmerie vom 15.1.1942 (BA R 19 Nr. 336, unpag.). Geplant war die Zahl 1942 auf 42 % zu erhöhen. Vergleichbare Statistiken für Mannschaften und Unterführer liegen heute nicht mehr vor. 231 Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 1r). Für Dittmann vgl. Bericht zur Entnazifizierung von Tobias Dittmann vom 27.1.1949 (LAV NRW, R, NW 1097-4037). 232 Für Figiel vgl. Aussage Joseph Figiel vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 82). 233 Vgl. Aussage Albert Grünheit vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 167); Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 165). Für die Berufsgruppen im Bataillon 61 vgl. relativ zutreffend Entnazifizierungsakte Linnemann, Heinrich vom 27.10.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1347, unpag.); Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 1. Für die generelle Verteilung von Berufsgruppen in der Polizeireserve vgl. Entwurf für die Rundfunkansprache Dalueges

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Einige der Bataillonsmitglieder hatten vor ihrer Dienstzeit schwierige Zeiten im Zuge der Weltwirtschaftskrise erlebt. Zwar waren mehrere Bataillonsangehörige zwischenzeitlich arbeitslos und einige mussten ihre Karrierewege abändern, doch hatten sich die beruflichen Turbulenzen für die meisten von ihnen 1932 oder 1933 gelegt. So waren sie in der Mehrzahl Personen, die „soweit ersichtlich, einen geordneten zivilen Lebenswandel geführt hatten“.234 Nur eine absolute Minderheit der Polizisten waren mehr oder weniger gescheiterte Existenzen, die immer wieder arbeitslos wurden und mit der Gesellschaft der Weimarer Republik nicht zurechtkamen. In Anbetracht ihres sozialen und wirtschaftlichen Hintergrundes ist es zunächst naheliegend, für die Mitglieder des Bataillons 61 eine hohe Mitgliedschaftsquote in der NSDAP und ihrer Gliederungen anzunehmen. Auch wenn die NSDAP eine Massenpartei war, blieb sie doch im Kern eine „Volkspartei des Protestes mit Mittelstandsbauch“.235 Generell sind bei der statistischen Auswertung der Partei- und SS-Zugehörigkeit einige Schwankungen zu bedenken. So wurde etwa Bayer 1933 NSDAP-­ Mitglied, 1934 jedoch wieder ausgeschlossen, da ihm ein deutscher Pass fehlte. Ein weiteres Bataillonsmitglied wurde ausgeschlossen, da er seine Mitgliedsbeiträge nicht bezahlte. Andere Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit waren bereits NSDAP-Mitglied gewesen, dann aber wieder ausgetreten. Einige von ihnen stellten einen Antrag auf Wiederaufnahme, dessen Bearbeitung sich ebenso wie ein erstmaliges Eintrittsgesuch oftmals lange hinzog. Die meisten Mitglieder von NS-Organisationen im Bataillon 61 waren diesen bereits vor Kriegsbeginn beigetreten, einige Männer traten hingegen erst im Kriegsverlauf bei. Die hier im Folgenden aufgeführte Auswertung stellt entsprechend einen so nie erreichten Höchstwert auf Basis aller verfügbaren Daten dar.236 zum „Tag der Deutschen Polizei“ vom 15.3.1941 (BA R 19 Nr. 382, Bl. 5); die entsprechende Statistik zum beruflichen Hintergrund von Reserveoffizieren der Polizei in: Die Reserve-Offiziere der Ordnungspolizei (BA R 19 Nr. 336, unpag.). Für die Regelung der Uk-Stellung vgl. Heranziehung zum VPS vom 21.11.1939 (BA R 19 Nr. 306, Bl. 28). Die beste Chance auf eine Zurückstellung war eine Arbeitsstelle im Gesundheitswesen oder in kriegswichtigen Betrieben. Generell zum Einspruchsrecht der Arbeitsämter gegen die Heranziehung zum längerfristigen Notdienst vgl. Münzer, Notdienst (1940), S. 320. 234 Feststellungen zur Sache in der Urteilsbegründung, o. D. [ca. 31.3.1954] (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1488, Bl. 209). Exemplarisch zu beruflichen Problemen vgl. Entnazifizierungsakte Jagusch, Adolf vom 22.7.1949 (LAV NRW, R, NW 1038-3116, Bl. 4); Entnazifizierungsakte Ferling, Wilhelm vom 20.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-532, Bl. 4); Akte Heinrich Nehrkorn (BA R 9361 RS E 235, Bl. 1591). 235 Jürgen Falter, Hitlers Wähler, München 1991, S. 13. Ebenso vgl. Wolfram Pyta, Die Weimarer Republik, Wiesbaden 2004, S. 107 f. 236 Exemplarisch für eine beantragte Wiederaufnahme in die NSDAP vgl. Akte Hans Kurth (BA R 9361 PK G 402, Bl. 1832). Er beantragte die Wiederaufnahme im September 1941. Sie wurde aber erst im Dezember 1942 bewilligt. Für den Parteiausschluss wegen nicht bezahlter Beiträge vgl. Ausschlussantrag der NSDAP bzgl. Walter Frieling vom 15.3.1937 (BA R 9361 OPG D 011, Bl. 2204). Für Bayers Ausschluss wegen seiner fehlenden deutschen Staatsbürgerschaft vgl. Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 142).

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Diese legen nahe, dass 28,8 Prozent der Bataillonsangehörigen in der NSDAP, 8,2 Prozent in der SS, 6,45 Prozent in der SA und 28 Prozent in der NSV Mitglied waren. Die Zugehörigkeit zu diesen NS-Organisationen liegt damit weit über dem Durchschnitt der Reichsbevölkerung. Insgesamt waren beispielsweise nie mehr als 15 Prozent der Bevölkerung Mitglieder der NSDAP. Ein noch extremeres Bild liefern die Offiziere im Bataillon 61. Von ihnen gehörten 69 Prozent der NSDAP an und 77 Prozent waren Mitglied der SS. Bezieht man auch NSV und NSKK in diese Statistik ein, so gehörten alle Offiziere der Einheit einer NS-Organisation an. Damit lagen sie über den für Führer der Ordnungspolizei 1942 statistisch erhobenen Durchschnittswerten. Die Organisation sah die aktiven Offiziere reichsweit als zu 53 Prozent und die Reserveoffiziere zu 55 Prozent als NSDAP-Mitglieder an. Ebenso hätten 30 Prozent der aktiven und 7 Prozent der Reserveoffiziere der SS angehört.237 Gerade die sehr hohe NS-Mitgliedschaftsrate der Mannschaftsdienstgrade des Bataillons 61 ist erklärungsbedürftig. Nicht zu allen Einheitsmitgliedern liegen heute exakte Daten und Unterlagen vor. Entsprechend sind insbesondere Mitglieder in NS-Organisationen in dieser Statistik stark überrepräsentiert. Wer dort Mitglied war, hinterließ mehr archivalische Spuren, die sich prosopografisch nutzen lassen, etwa in Form von Parteiunterlagen. Gleichzeitig sind Mitglieder von Parteien in Statistiken von Gesamtbevölkerungen immer unterrepräsentiert, da in übergreifende Auswertungen viele Personen mit eingerechnet werden, die keine Parteimitglieder sein konnten. Im Fall der NSDAP waren dies etwa Minderjährige oder Personen die nach NS-Kriterien nicht als „Arier“ galten. Deshalb sind berufstätige Männer meist überdurchschnittlich häufig Mitglieder in Parteiorganisationen, wenn man sie der Gesamtbevölkerung gegenüberstellt. Bezieht man dies mit ein, so scheinen die Männer des Bataillons 61 immer noch leicht überdurchschnittlich häufig Mitglied von NS-Organisationen gewesen zu sein. Eine Zugehörigkeit kann man aber nicht zwingend mit einer Ideologisierung gleichsetzen. Gerade in Himmlers Machtbereich gab es die große

237 Vgl. Schematische Darstellung über die Zusammensetzung des Offz.Korps der Schutzpolizei und Gendarmerie vom 15.1.1942 (BA R 19 Nr. 336, unpag.). Für die Thematik der NSDAP-Mitgliedschaften vgl. insbesondere die Überlegungen bei Wolfgang Benz, Wie wurde man Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder, Frankfurt a. M. 2009. Für die Quote an NSDAP-Mitgliedern in der Bevölkerung vgl. auch Hans-Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt. Deutschland 1933–1945, Berlin 1986, S. 174. In manchen Berufen war eine hohe Mitgliedschaftsrate typisch. So habe etwa Anfang 1945 der Anteil der NSDAP-Mitglieder unter der hohen Ministerialbürokratie (ab Ministerialrats-Rang) 86 % betragen. Vgl. Michael Schwartz, Funktionäre mit Vergangenheit. Das Gründungspräsidium des Bundesverbandes der Vertriebenen und das „Dritte Reich“, München 2013, S. 522. Nur zwei Personen im Bataillon 61 gehörten zum NSKK. Die Zugehörigkeit zur SA fällt in der Dortmunder Polizeieinheit relativ niedrig aus, da insbesondere nach 1934 Personen aus der SA austraten. Mindestens acht spätere Mitglieder des Bataillons 61 traten aus, eine weitere Person wurde ausgeschlossen.

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Bestrebung der „Verklammerung der Polizei des Staates mit der Schutzstaffel der Partei“.238 Mit „der Zugehörigkeit zu einem SS-Polizei-Verband war keine SS-Mitgliedschaft“239 automatisch verbunden. Sie wurde jedoch bei Polizisten stark gefördert. Ebenso wurde dies auch für andere NS-Organisationen praktiziert. Bei der SS wurden insbesondere die Eintrittskriterien extra für Polizisten abgesenkt, „da die scharfen Aufnahmevoraussetzungen während des Krieges überhaupt nicht erfüllt werden konnten“.240 Schon 1938 musste darüber hinaus die Ablehnung eines Bewerbers aus der Polizei zur besonderen Genehmigung dem SS-Hauptamt vorgelegt werden.241 Die Mitgliedschaft in NS-Organisationen konnte darüber hinaus aus opportunistischer Sicht durchaus karriererelevant sein. So schrieb der Kommandeur der Schutzpolizei Dortmund schon 1935 an die ihm unterstellten Polizisten, er erwarte, „dass sämtliche [ihm] unterstellten Offiziere, Meister und Wachtmeister (SB) der Schutzpolizei dieser für einen Beamten des nationalsozialistischen Staates selbstverständlichen Pflicht nachkommen und, soweit nicht bereits geschehen, unverzüglich der N.S.V. als Mitglieder beitreten“.242 Wer hierzu nicht bereit wäre, sei zu melden. Dass dies, obwohl es kein offizieller Zwang war, durchaus wirkte, zeigt eine kurze Zeit später verfasste Vollzugsmeldung des Ib der Dortmunder Polizei. Er schrieb: „Sämtliche Offiziere, Meister und Wachtmeister […] sind Mitglied der N.S.V.“243 Auch nach dem Einsatz verschiedener späterer Mitglieder des Bataillons 61 bei der Besetzung des Sudetenlandes zeigte sich, dass niemand ohne NSV-Mitgliedschaft für eine bevorzugte Beförderung vorgeschlagen wurde.244 Direkten Zwang zur Mitgliedschaft in NS-Organisationen hat es aber nicht gegeben. Eine solche bedeutete aber durchaus Vorteile. Wenn somit die NS-Mitgliedschaftsrate im Bataillon 61 keinen direkten Aufschluss über ideologische Einstellungen gibt, so sollte man die Mitgliedschaft aber mindestens als stillschweigende Zustimmung zur allgemeinen NS-Politik interpretieren. Durch deren Akzeptanz versuchte sich manches Einheitsmitglied „Liebkind“245 mit dem Regime zu machen. Anders als allein die Rate an Mitgliedern in NS-Organisatio­ nen, sind im Fall der hier untersuchten Einheit andere Fakten zu Mitgliedern

238 Theodor Maunz, Gestalt und Recht der Polizei, Hamburg 1943, S. 29. Dieser Prozess hatte aber auch 1943 noch keinen Abschluss gefunden. Vgl. ebd., S. 30. 239 Aussage Adolf von Bomhard vom 13.7.1946 (StAHH 213-12-590 Nr. 2, Bl. 959). 240 Entnazifizierungsakte Linnemann, Heinrich vom 27.10.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1347, unpag.). Zur Förderung der SS-Aufnahme von Polizisten vgl. Aufnahme von Angehörigen der uniformierten Ordnungspolizei in die Schutzstaffel der NSDAP vom 4.3.1938 (BA R 19 Nr. 11, Bl. 46). 241 Vgl. Entscheidung über die Aufnahme von Angehörigen der uniformierten Ordnungspolizei in die Schutzstaffel der NSDAP vom 10.8.1938 (ebd., Bl. 62r). 242 Schreiben betr.: Mitgliedschaft in der N.S.V. vom 19.10.1935 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 328, unpag.). 243 Antwortschreiben betr.: Mitgliedschaft in der N.S.V. vom 6.11.1935 (ebd., unpag.). 244 Vgl. Namentliche Liste C vom 4.3.1939 (BA R 19 Nr. 210, Bl. 81 f.). 245 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 39).

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des Bataillons 61 aussagekräftiger. Mindestens sechs der Polizisten waren „Alte Kämpfer“ der NS-Bewegung ebenso wie mehrere der Kompaniechefs. Sie kann man als besonders mit der NS-Ideologie verbunden ansehen, insbesondere, wenn der Parteibeitritt eines Berufspolizisten in Preußen vor 1932 und damit gesetzeswidrig erfolgte. Darüber hinaus hatten mindestens vier der jüngeren Offiziere nachweislich SS-Junkerschulen besucht. Die tatsächliche Zahl dürfte noch höher liegen, denn schon 1937 stand für Himmler fest, dass der Nachschub an Offizieren in Zukunft „ausschließlich aus den Führerschulen der SS kommen werde“.246 Ohne eine entsprechende ideologische Haltung konnten auch die späteren Polizeioffiziere dort nicht aufgenommen werden. In Anknüpfung an die hohe Mitgliedschaftsrate von Angehörigen des Bataillons 61 in NS-Organisationen sowie aufgrund ihrer gewalttätigen Handlungen ist für die hier untersuchten Polizisten oftmals ein besonders pathologisches Wesen angenommen worden. Tatsächlich zeigten einige Polizisten des Bataillons dahingehende Auffälligkeiten bzw. wurden ihnen diese nach dem Krieg zugeschrieben. Drei Personen wurden hierbei immer wieder erwähnt: Otto Helmer, Bayer und Walter-Hermann Lapschieß. Diese „feuerten sich gegenseitig in der Erschießung der Juden an“. Helmer habe sich für jeden Getöteten „im Schaft des Stiefels einen Strich“ gemacht, Bayer und Lapschieß hatten ein Buch, wo sie sich wie Jäger Aufzeichnungen machten. Jeder habe „die höhere Zahl von Erschießungen haben“247 wollen. Es seien entsprechend „immer wieder die drei genannten Kompanieangehörige“ gewesen, die „Schusswaffengebrauchsmeldungen vorlegten“.248 Auch seien sie diejenigen gewesen, die sich häufig zu illegalen nächtlichen ‚Zivilstreifen‘ im Warschauer Ghetto mit Tötungsabsicht zusammenfanden.249 Über den aus Bottrop stammenden Lapschieß ist heute, außer durch sein wenig aussagekräftiges Wehrstammbuch, so gut wie nichts mehr festzustellen. Er war seit dem 20. Januar 1940 Polizeireservist und fiel an einem unbekannten Datum und Ort in Russland. Seine Handlungen wurden nach dem Krieg nicht ausführlich beschrieben. Stattdessen fügten Aussagende oftmals seinen Namen als weiteren Intensivtäter an, wenn über Helmer und Bayer gesprochen wurde.

246 O. V., SS und Polizei (1937), S. 329 f., S. 330. Exemplarisch für vor 1932 in die NSDAP eingetretene Polizisten vgl. Liste RPB 61, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 195, Bl. 6). Er soll schon am 1.12.1931 NSDAP-Mitglied geworden sein. Albrecht trat am 1.11.1932 bei. Vgl. Akte Alfred Albrecht (BA R 9361 SSO 5, Bl. 2786). 247 Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 44r). 248 Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 127r). 249 Vgl. Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 162r). Exemplarisch für die Identifizierung der Dreiergruppe als besondere Intensivtäter vgl. Aussage Ludwig Junker vom 6.3.1951 (ebd., Bl. 69); Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 162r); Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 180r); Aussage Erich Schumacher vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 183); Aussage Heinrich Krolopp vom 23.11.1951 (ebd., Bl. 115r); Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48); Aussage Heinrich Weber vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 92r).

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Bayer dürfte wohl von allen Mitgliedern des Bataillons 61 am bekanntesten sein. Eine gewisse Öffentlichkeit erlangte er vor wenigen Jahren nicht durch seinen Dienst in der Polizeieinheit, der so gut wie unbekannt ist, sondern durch einen seiner Enkel. In der Fernsehdokumentation „Das Geheimnis meiner Familie“ fand der bekannte Schauspieler Armin Rohde sichtlich schockiert heraus, was für eine Person sein Großvater gewesen war.250 Bayer wurde am 31. Mai 1902 im sudetischen Rindles geboren. Gemeinsam mit seiner Frau Maria hatte der katholisch getaufte Bayer acht Kinder, die zwischen 1924 und 1939 geboren wurden und in seinem einfachen, „fast ärmlichen Haushalt“ aufwuchsen.251 Ein weiteres Kind soll aus einer inzestuösen missbräuchlichen Beziehung zu einer seiner Töchter hervorgegangen sein. Bayer war im Vergleich zu anderen Mannschaftsdienstgraden im Bataillon 61 relativ ungebildet. Er hatte nur kurz die Volksschule besucht. Seinen Aussagen in Nachkriegsermittlungsverfahren fielen durch eine derbe Sprache auf. Darüber hinaus hatte er einen deutlichen Sprachfehler. In seinen Vernehmungen macht er einige äußerst erstaunliche verhörtaktische Fehler. So gestand er quasi den Einsatz seiner Dienstwaffe, wenn er sagte: „Sollte ich, was ich nicht ausschließen will, gelegentlich von der Schusswaffe Gebrauch gemacht haben, so habe ich sicherlich einen Grund dazu gehabt. Es liegt mir nicht und widerstrebt meiner inneren Einstellung, willkürlich auf andere Menschen zu schießen.“252 1911 siedelte Bayers Familie nach Gladbeck über. Dort arbeitete dieser zunächst als Jungbergmann und später als einfacher Arbeiter in der Landwirtschaft. Ab 1918 war er wieder auf einer Zeche tätig. 1924 leistete er für ein Jahr seinen Militärdienst in der tschechischen Armee und war dann von 1925 bis 1927 wieder Bergmann. Danach verlor er häufig seinen Arbeitsplatz. 1933 nahm er an antijüdischen Kundgebungen teil und wurde am 15. Mai 1933

250 „Das Geheimnis meiner Familie“, Staffel 1, Episode 2, Das Erste, 7.4.2008. Vgl. auch darauf Bezug nehmend Antje Hildebrandt, Armin Rohde und die Suche nach dem NaziOpa. In: Welt vom 8.4.2008 (https://www.welt.de/fernsehen/article1880163/ArminRohde-und-die-Suche-nach-dem-Nazi-Opa.html; 25.8.2020). Bei einem Talkshowauftritt sowie im Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 14.3.2014 brachte Rohde die Thematik nochmals zur Sprache. Vgl. Birgit Aßmann, Bewegende Beichte bei „Markus Lanz“. Armin Rohde: „Mein Großvater war eine Bestie.“ In: t-online vom 23.4.2015 (https://www.t-online.de/unterhaltung/tv/id_73751218/armin-rohde-bei-markuslanz-mit-bewegendem-auftritt; 25.8.2020); Hilmer Klute, Interview mit Armin Rohde. In: Süddeutsche Zeitung Magazin, (2014) 11 (https://sz-magazin.sueddeutsche.de/ maenner/armin-rohde-80292; 17.3.2021). 251 Stellungnahme des 13. Polizeireviers in Gladbeck zu Franz Bayer vom 14.10.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1492, Bl. 81). Für seinen Geburtsort und Familienhintergrund vgl. Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 141); Aussage Franz Bayer vom 25.5.1951 (ebd., Bl. 78). Für den Inzest mit seiner Tochter vgl. Aßmann, Bewegende Beichte. 252 Aussage Franz Bayer vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 34r). Für seinen Sprachfehler vgl. Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 81). Für seine Schulbildung vgl. Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (ebd., Bl. 142).

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Mitglied der NSDAP und SA. 1934 misshandelte Bayer politische Gegner der Nationalsozialisten und wurde aus allen NS-Parteigliederungen ausgeschlossen, da er keine deutsche Staatsbürgerschaft besaß.253 Am 1. Januar 1940 wurde er zur Polizeireserve einberufen und gehörte ab August 1940 zur 1. Kompanie des Bataillons 61. Bayer wies einen allgemein guten Gesundheitszustand auf, lediglich seine Zähne wurden als relativ schlecht angesehen. Er galt als „ein großer vierschrötiger Mann“, der „in der Kompanie nicht allzu beliebt war“.254 Insbesondere während des Einsatzes in Warschau zeigte er sich als besonders gewalttätige Person, die willkürlich tötete. Wie schon erwähnt, führte Bayer ein Notizbuch über von ihm ausgeführte Tötungen am und im Warschauer Ghetto. Es soll mindestens 42 Einträge gehabt haben. Entsprechend trug er in der Kompanie den Spitznamen „Schützenkönig“.255 Bayers durch Zivilkleidung getarnte Ausflüge ins Ghetto, um dort zu töten, seien öfter Gesprächsgegenstand innerhalb der Polizeieinheit gewesen.256 Auch während seines offiziellen Dienstes sei er an möglichst vielen Tötungen interessiert gewesen. So habe Bayer als Pendelposten „mit dem Gewehr im Anschlag an einer Haustür“257 gelauert und wartete nur darauf, dass jemand der Ghettobegrenzung zu nahekam. Daraufhin habe er sofort und ohne vorherigen Aufruf geschossen. Töten im und am Warschauer Ghetto sah Bayer offenbar als Leistung an, denn es gehörten, so formulierte er selbst, „eiserne Nerven dazu, den Anblick zu ertragen“, der „im Getto geboten wurde“.258 Aufgrund dieser 253 Für die NSDAP- und SA-Mitgliedschaft vgl. Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (ebd., Bl. 142). Für die Teilnahme an einer antijüdischen Kundgebung vgl. ebd., Bl. 141; Strafregisterauszug Franz Bayer vom 2.9.1953 (ebd., Bl. 13). Er wurde 1948 zu fünf Monaten Haft verurteilt, jedoch schon im gleichen Jahr begnadigt. Zu seiner Verurteilung vgl. Schreiben des Oberstaatsanwalts Albrecht an den NRW Justizminister betr. Ermittlungsverfahren gegen Franz Bayer wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom 28.7.1948 (LAV NRW, R, NW 871 Nr. 8963, Bl. 12). Für die Misshandlung politischer Gegner, für die er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit 1949 zu neun Monaten Haft verurteilt wurde, vgl. ebd.; Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 141). Für Bayers Militärdienst und seine Arbeitslosigkeit vgl. ebd., Bl. 142. 254 Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 181r). Für Bayers retrospektiv betrachteten Gesundheitszustand im Zweiten Weltkrieg vgl. Psychiatrisches Gutachten über Franz Bayer vom 9.10.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1488, Bl. 8). Für seine Einberufung und Abordnung zum Bataillon 61 vgl. Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 142). 255 Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 165). In Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 232) wird der Spitzname jedoch einer anderen Person in der 2. Kompanie zugeordnet. Für eine willkürliche Tötung durch Bayer vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 165). Zu den im Notizbuch festgehaltenen Tötungen vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 121). Lapschieß habe für sich 40 Tötungen notiert gehabt. 256 Vgl. Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 110). 257 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 120). Dieses Verhalten wurde bereits in den 1950er-Jahren öffentlich publik. Vgl. o. V., Unbestimmte Aussagen im Getto-Prozeß. Verteidiger der Hauptangeklagten beantragen Haftentlassung. In: Westfälische Rundschau vom 26.3.1954. 258 Aussage Franz Bayer vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 34r).

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Abgebrühtheit wurde Bayer auch als Fangschütze bei Massenexekutionen eingesetzt. Die Staatsanwaltschaft resümierte über ihn: „Er tötet aus Mordlust und niedrigen Beweggründen und auf heimtückische Weise.“259 Aber Bayer beendete nicht nur Leben, er misshandelte auch Ghettoinsassen, darunter auch Kinder, sodass ihn die „Neue Volkszeitung“ im Zuge des Ghettoprozesses zutreffend auch als „notorischen Schläger“ betitelte.260 Aufgrund seines Verhaltens habe man ihn in der Polizeieinheit „für geistig zurückgeblieben gehalten“.261 Neben seiner Gewaltaffinität gegenüber Wehrlosen zeigte sich bei ihm im Februar 1942 ein weiterer Wesenszug. Unter Berufung auf einen Führererlass ließ sich Bayer wegen seiner „zahlreichen Kinderschar“ vom „Einsatz in Warschau in die Heimat“ versetzen.262 Der Grund hierfür war aber nicht die Sorge um seine Familie. Vielmehr soll es sich um einen einfachen Fall von Feigheit gehandelt haben. Denn Bayer habe sich „gerade zu einem Zeitpunkt in die Heimat“ beordern lassen, als es unrichtigerweise hieß, dass das Bataillon 61 „nach Russland zum Einsatz verlegt werden sollte“.263 Bayer wurde versetzt und als Polizist in Gladbeck und Bottrop verwendet. Hier konnte er sein gewohnt gewalttätiges Verhalten nicht völlig ablegen, sodass er „in seiner Eigenschaft als Polizeibeamter einen Zusammenstoß mit einem Zivilisten hatte, der ein disziplinares Nachspiel hatte“.264 Über das Warschauer Ghetto und seine Einschätzung der dort zwangsweise untergebrachten Menschen sowie deren Lebenssituation berichtete Bayer in einem Vortrag 1943 im Gladbecker Gymnasium. Er vertrat dabei Ansichten, die den berichtenden Zeugen Wendelin vorm Walde dazu brachten, vorzeitig zu gehen.265 259 Übersicht der Zeugen, Angeklagte und Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 15.8.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1491, Bl. 132r). Für den Einsatz als Fangschütze vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 121r). 260 O. V., Mord auf Befehl ist trotzdem Mord. Freisprüche für alle Angeklagten im Zeichen des geplanten EVG. In: Neue Volkszeitung vom 1.4.1954. Exemplarisch für einen Fall von Gewalt gegen Kinder vgl. Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 21 f.). 261 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 200). 262 Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (ebd., Bl. 142). Ein in der Polizeiverwaltung Bottrop eingesetzter Polizist bestätigte dies. Vgl. Brief von Wendelin vorm Walde vom 1.11.1951 (ebd., Bl. 145). Für den Erlass, der schon im November 1941 inoffiziell Anwendung bei der Polizei analog zur Wehrmacht fand, vgl. Schreiben betr.: Zurückziehung von Angehörigen der Schutzpolizei und der Gendarmerie aus den zum Kampfeinsatz heran­ gezogenen Pol. Einheiten vom 28.4.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 266, unpag.). Für das Original der Wehrmacht vgl. Oberkommando des Heeres (Hg.), Heeres-Verordnungsblatt Nr. 768 vom 11.11.1941, 23. Jahrgang, Teil B. 263 Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 166r). 264 Aussage Walter Nitschke vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 231). Für die Verwendung in Bottrop vgl. ebd. Für die Verwendung in Gladbeck vgl. Aussage Johann Tierholt vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 230). 265 Vgl. Aussage Wendelin vorm Walde vom 24.1.1952 (ebd., Bl. 235). Zur Annahme in der bisherigen Forschung, dass der Vortrag im als Lazarett genutzten Bottroper Marienhospital erfolgte, vgl. Klemp, Freispruch, S. 27, Anm. 41; ders., Vernichtung, S. 106, Anm. 251.

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Helmer, der Mann, der der „Frankenstein“ des Warschauer Ghettos war, wurde am 23. Februar 1902 in Allenbach nordöstlich von Siegen geboren. Er war mit der 1906 in Gelsenkirchen geborenen Sybille Klanten verheiratet und seit dem 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP und der NSV. Im Bataillon 61 war er Reserve-Polizeiwachtmeister und wie Lapschieß und Bayer gehörte er zur 1. Kompanie. Am 18. November 1943 wurde Helmer verwundet und diente noch nach der Auflösung des Bataillons 61 im ersten Bataillon des Polizeiregiments 16, ehe er ab dem 14. Juli 1944 als verschollen geführt wurde. Seine Kameraden wollen ihn „Kanten-Otto“266 genannt haben, weil er mit seinem Verhalten oftmals angeeckt sei. Andere Bataillonsangehörige begründeten den Spitznamen auch damit, dass Helmer einen „groben Gang“ und ein ebenso „grobes Wesen“267 aufgewiesen habe. In der Rolle des gewaltausübenden „Frankenstein“ gefiel er sich offenbar. So habe Helmer sich „wiederholt gebrüstet, dass er Juden erschossen hätte“.268 Und manchem Bataillonsmitglied schien, „dass ihm die Schießerei Freude bereitete“.269 In geradezu zynischer Doppeldeutigkeit soll Helmer etwa gesagt haben, „er hätte mal wieder jemanden getroffen“.270 Am liebsten sei es ihm gewesen, „bei Nachtzeit zur Ghettowache eingeteilt“ zu werden, und er sei „mit Vorliebe an solchen Punkten eingesetzt“ worden, „wo er reichlicher von der Schusswaffe Gebrauch machen konnte“.271 Hierdurch war ihm eine höhere Abschussquote sicher. Dies war für ihn von Bedeutung, denn er habe sich mit Bayer und Lapschieß im Wettkampf um die meisten Tötungen befunden. Ebenso habe man gewusst, „dass er mit einem Angehörigen der 3. Kompanie“ in einem „Wettbewerb stand, und dass beide sich bemühten, möglichst viele ‚Abschussergebnisse‘ für sich zu buchen“.272 Hierbei war Helmer offenbar erfolgreich, da er, was im Bataillon 61 „allgemein bekannt war, die meisten Erschießungen durchgeführt“ habe.273 266 Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 183r). Für Helmers Kompaniezugehörigkeit vgl. Aussage Erich Mockler vom 12.10.1965 (StAHH 21312-70 Nr. 47, Bl. 21600). Für alle weiteren Angaben zu Helmers Person vgl. Akte Otto Helmer (BA R 9361 PK E 119, Bl. 806); Auskunft der Kriminalabteilung Dortmund vom 4.5.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 74). Nur bezüglich des Geburtsdatums nahm die Kriminalpolizei 1951 abweichend an, Helmer sei am 18.3.1908 geboren worden. Für Helmers Dienst in Russland vgl. Auswertungskartei des MfS, o. D. (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 25, Bl. 667). Für sein Verschwinden vgl. Auskunft der Kriminalabteilung Dortmund vom 4.5.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 74). Marach will Helmer im Winter 1943/44 noch einmal verwundet im Lazarett von Idriza angetroffen haben. Vgl. Aussage Heinrich Marach vom 12.10.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21599). Zu „Frankenstein“ siehe auch Kapitel IV.3; Issinger, Frankenstein. 267 Aussage Bartholomäus Neumann vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 191). 268 Ebd. 269 Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 212r). 270 Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 107r). 271 Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 118). 272 Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 181r). Vgl. ebd. auch für den Wettbewerb mit Bayer und Lapschieß. 273 Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (ebd., Bl. 72).

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Als Hauptmann Mehr es seiner Kompanie ermöglichte, für eine Massenexekution Opfer persönlich vorzuschlagen, habe Helmer zu den Männern gehört, die tatsächlich Menschen hierfür benennen wollten. Auch habe er sich, verbotenerweise und offenbar als Andenken an eine Großexekution, vor einem Massengrab fotografieren lassen. Sein offenbar vorhandenes Gefühl der Höher­ wertigkeit gegenüber der osteuropäischen Bevölkerung bringt ein Helmer zugeschriebenes Zitat auf den Punkt. Nach dem Grund einer Tötung gefragt soll er geantwortet haben: „Der Jude sei frech geworden und er habe daraufhin von der Schusswaffe Gebrauch machen müssen.“274 Obwohl er selbst massiv in den Schmuggel am Ghetto involviert war, tötete Helmer auch seine Geschäftspartner ebenso wie die Mitglieder des jüdischen Ordnungsdienstes, die das Bataillon 61 in der Kontrolle des Ghettos unterstützten. Wenn das Narrativ der Ghettobevölkerung über die Tötung der Schmugglerin Sala durch „Frankenstein“ korrekt ist, so entledigte sich Helmer damit eigenhändig nicht nur einer einflussreichen Schmugglerin, sondern auch einer Frau, zu der er eine sexuelle Beziehung unterhalten hatte.275 Die Intensität und Häufigkeit von Helmers Gewaltanwendung sowie sein sonstiges Verhalten ließen ihn in den Augen seiner Kameraden als psychisch gestört erscheinen. Auch habe er „stark dem Alkohol zugesprochen und soll auch im betrunkenem Zustand auf Juden geschossen haben“.276 Laut Aussage seines vorgesetzten Spießes legte Helmer in der Kompanie „öfter Waffengebrauchsmeldungen vor und dabei sind dann immer Juden erschossen worden“.277 Sein Verhalten soll bei einigen Kameraden die Einschätzung bedingt haben, „dass er primitiv und brutal war“278 und entsprechend „daher auch sehr brutal veranlagt“279 gewesen sei. Aus dieser Erkenntnis sei ein gewisser Widerstand gegen Helmers Verwendung als Ghettowache entstanden. Der für ihn zuständige Führer des 2. Zuges der 1. Kompanie, August Kreulich, soll sich beim Spieß dafür verwandt haben, Helmer vom Wachdienst abzuziehen. Obwohl dies auch dem Wunsch anderer Kompanieangehöriger entsprochen habe, u. a. will einer der Schreiber versucht haben, Helmer aus dem Wachplan zu streichen, wurde das Ansinnen durch die Kompanieführung abgelehnt.280

274 Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 117r). Das Foto vor einem Massengrab ist erwähnt im Brief von Anton Sippel an Polizeioberrat Meisner vom 28.2.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). Sippel will entsprechende Fotos eingesandt haben. Sie sind jedoch heute nicht mehr auffindbar. Für Helmers Willen, Opfer zu benennen vgl. Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 118r). 275 Vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 231r). 276 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 50r). 277 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 52r). 278 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (ebd., Bl. 198). 279 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 50r). 280 Vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 53). Für den Versuch des Schreibers, Helmer von der Liste zu streichen, vgl. Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42). Für die Ablehnung von Helmers Verhalten in der Polizeieinheit vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 59). Für Kreulichs Versuch, eine ­Einteilung von

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Das Reserve-Polizeibataillon 61

Die persönliche Ablehnung seiner Kameraden hatte für Helmer aufgrund der Rückendeckung durch seinen Kompaniechef keine Konsequenzen. Dieser sorgte sogar dafür, dass sein Untergebener vom Bataillonskommandeur belobigt wurde, „weil er viele Getto-Insassen erschossen“ hatte.281 Auch sei Helmer dafür, „dass er bei jeder Gelegenheit von der Schusswaffe Gebrauch machte“ als Belohnung „mit dem Kriegsverdienstkreuz ausgezeichnet worden“. Der Spieß der 1. Kompanie habe die Tötungen durch Helmer in geradezu ritueller Form als Erfolge kommuniziert, denn er habe sie „vor der angetretenen Kompanie bekannt gegeben“.282 Mit seinen Tötungen war Helmer jedoch keinesfalls ­allein. Zwar wurde nach dem Krieg über den Verschollenen naheliegenderweise widerspruchslos festgehalten, dass er „weitaus der Schlimmste war“.283 Jedoch gab es weitere Akteure, „die Helmer in nichts nachstanden“.284 Mehrere Bataillonsangehörige hätten sich ebenfalls mit Abschüssen gerühmt. Ob Helmer somit wirklich besonders gestört oder gar unzurechnungsfähig war, muss ungeklärt bleiben. Sein Kompaniekamerad Bayer scheint, obwohl ebenso gewalttätig und als pathologisch angesehen, zumindest im medizinischen Sinne nicht wahnsinnig bzw. unzurechnungsfähig gewesen zu sein.285 Zunächst ist es einfach, sich der Einschätzung, Bayer sei „geistig nicht ganz klar“286 gewesen, anzuschließen. Jedoch ist sie nicht belegbar. Im Gegenteil: Ein psychiatrisches Gutachten hielt über ihn fest, bei ihm fänden sich für „­Wahnideen, Dämmerzustände kein Anhalt“. Der Psychiater Dr. Sturm ging sogar, obwohl medizinische Gutachter mit retrospektiven Einschätzungen meist zurückhaltend umgehen, davon aus, Bayer sei in den Jahren 1940 bis 1942 mit großer Sicherheit „voll zurechnungsfähig gewesen“. Korrekt resümierte der untersuchende Mediziner schließlich auch, dass Bayer mit einer psychologischen Störung selbst zu Kriegszeiten überhaupt nicht „polizeidiensttauglich“287 gewesen wäre. Tatsächlich war die Ordnungspolizei auch für ihre Reserve-Polizeibataillone darauf konzentriert, geistig zum Dienst ungeeignete Personen nicht heranzuziehen. So sollten etwa Hilfsschüler nur für die Polizeireserve eingezogen werden, wenn „durch eine Eignungsprüfung auf ihr sogenanntes Lebenswissen festgestellt worden ist,

Helmer zur Wache zu verhindern, vgl. Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 127r); Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 38r); Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 39r). Vgl. auch die Stellungnahme von Kreulich selbst in: Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 50r). Für Kreulichs Beliebtheit vgl. Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42r). 281 Aussage Josef Figiel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 186r). 282 Aussage Otto Kobitzki vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 122). 283 Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 231r). 284 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 109). 285 Für das sich Rühmen mit Abschüssen vgl. Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 107r). 286 Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 163). 287 Psychiatrisches Gutachten über Franz Bayer vom 9.10.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1488, Bl. 11).

Rekrutierung und Personalbestand

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dass sie in der Polizeireserve Verwendung finden können, ohne das Ansehen der Polizei zu schädigen“.288 Dabei wurde besonderer Wert darauf gelegt, dass insbesondere derjenige nicht in der Polizei eingesetzt werden sollte, der „als geistig schwachsinnig anzusehen ist“.289 Im Bataillon 61 wurde im August 1940 ein Mann durch den Bataillonsarzt als „nicht truppendiensttauglich und daher für den anstrengenden Dienst“ als nicht geeignet eingestuft und zurückgestellt. Zugrunde lag die Diagnose „Psycho­ pathie“.290 Generell wurden solche Personen aus der Polizeieinheit entfernt. Dies geschah aber mit Sicherheit nicht, um der Bevölkerung der okkupierten Gebiete persönlich entgegenzukommen. Plausibler erscheint vielmehr, dass es darum ging, zum einen die interne Steuerbarkeit der Truppe und zum anderen nach außen deren Erscheinung als geordnete und damit auch legitim agierende Organisation zu bewahren. So erklärt sich auch, warum einzelne Akteure des Bataillons 61 aus der Gruppe der pathologischen Täter, wie Mehr, im Dienst bleiben konnten. Sie waren aus Sicht der Führung hinreichend funktional für die Rollen, die der Dortmunder Polizeieinheit zugedacht waren. Eine Ausmusterung von Mitgliedern des Bataillons 61 erfolgte meist entsprechend auf Basis mangelnder körperlicher Voraussetzungen. Vorgeschrieben war, dienstuntaugliche Personen unter Beigabe einer ärztlichen Bescheinigung an die Heimatdienststelle zurückzuschicken. So wurden etwa „bereits wenige Wochen nach dem Einmarsch in Posen […] die älteren Angehörigen des Bataillons durch junge Männer ausgetauscht“.291 Hierzu begleitete sie extra ein hochrangiger Unterführer zurück nach Dortmund. Auch später wurden körperlich nicht belastbare Personen ausgemustert. Eine solche Praxis setzte sich auch noch mindestens bis 1943 fort, als ein Bataillonsmitglied wegen zu hohen Blutdrucks und eines schwachen Herzens zurück nach Dortmund versetzt wurde. Auch Mitglieder der Einheit, die verwundet wurden, kehrten nicht unbedingt

288 Vereidigung von Polizeireservisten vom 1.4.1940 (BA R 19 Nr. 306, Bl. 82). 289 Einstellung von Hilfsschülern in die Polizeireserve vom 11.4.1940 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 109). 290 Untersuchung der Pol.-Wachtmeister der Reserve des Pol.-Batl. 61 auf Truppendiensttauglichkeit vom 16.8.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). Weitere Männer wurden zeitgleich wegen anderer körperlicher Gebrechen ausgemustert. 291 Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 41). Ebenso vgl. Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 73). Auch diese „jüngeren“ Männer waren bereits zwischen 1902 und 1908 geboren. Vgl. Schnellbrief betr.: Pol.-Batl. 61 vom 5.8.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 283, unpag.); Verzeichnis über abgeordnete Ergänzungskräfte vom 7.8.1940 (ebd.). Für die Anordnung, ältere Männer, die nicht den Anforderungen genügten, zurückzuschicken, vgl. Polizeireservisten im ehemaligen Polen und im Protektorat vom 7.12.1939 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 67 f.). Insbesondere wurde so auch Personen, wegen der im Falle einer Auswechselung entstehenden Kosten, gar nicht erst nach Osteuropa in Marsch gesetzt. Vgl. Ersatzgestellung für im auswärtigen Einsatz befindliche Polizei-Reservisten vom 25.4.1940 (ebd., Bl. 94). Für die Sozialversicherung und freie Heilfürsorge für Pol.-Reservisten vgl. RMBliV 1940, S. 1160.

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Das Reserve-Polizeibataillon 61

zu ihrer Einheit zurück. Nun sollte man diese Selektion im Fall des Bataillons 61 nicht überbewerten. Insbesondere die Reservisten erfüllten bei Weitem nicht die von Werner Best formulierten Idealanforderungen für den Polizeidienst.292 Spätestens ab 1942 galt vielmehr: „Der ständig wachsende auswärtige Einsatz der Ordnungspolizei macht es erforderlich, dass nicht nur Polizeiangehörige, die voll polizeidiensttauglich im Sinne der PDV [Polizeidienstvorschrift] 12 sind, zu diesem herangezogen werden, sondern auch Männer, die diesen hohen körperlichen Anforderungen nicht ganz entsprechen.“293 Zumindest für die Dauer des Krieges sollte, wer zumindest im weitesten Sinne kriegsverwendungsfähig war, freiwillig zur Polizei treten können. Der ärztliche Beurteilungsspielraum, mit welcher Art von körperlichen Gebrechen man noch als kriegsverwendungsfähig bzw. als eingeschränkt kriegsverwendungsfähig eingeordnet werden konnte, war dabei weit gefasst. So dienten durch Mangel beim „Rohstoff Mensch“294 im Bataillon 61 etwa Männer wie Anton Lange und Heinrich Nehrkorn die durch die Wehrmacht nicht eingezogen waren.295 Mangelnde körperliche Tauglichkeit, nicht zuletzt bedingt durch das hohe Durchschnittsalter von Reserve-Polizisten, rief oftmals den Widerspruch von Bataillonskommandeuren hervor. So wurde „wiederholt von den auswärts eingesetzten und zum großen Teil im Fronteinsatz befindlichen Polizei-Bataillo­ nen Klage geführt, dass ihnen von den Heimatdienststellen häufig Ersatz zugewiesen“ worden sei, der „gesundheitlich und körperlich in keiner Weise den

292 Vgl. Werner Best, Die deutsche Polizei, Darmstadt 1940, S. 67. Er nennt als Anforderung ein Alter zwischen 20 und 25 Jahren, eine Größe von mindestens 1,70 Meter und abgeleisteten Wehrdienst. Für das Nichtzurückkehren von Polizisten zu ihrer Stammeinheit nach einer Verwundung vgl. Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 12). Hierbei spielte allerdings auch eine Rolle, dass die Dortmunder Polizeieinheit zum Zeitpunkt seiner Genesung schon fast aufgerieben war. Für die Versetzung wegen zu hohen Blutdrucks und eines Herzfehlers vgl. Entnazifizierungsakte Weber, Heinrich vom 23.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2526, Bl. 4). So wurde beispielsweise der Ersatzmann Rudolf Berdychowski als untauglich wieder zurück geschickt. Er sollte eigentlich Bayer ersetzen. Vgl. Aussage Rudolf Berdychowski vom 25.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 242). 293 RMBliV 1942, S. 1894. 294 O. V., Sichert das Großdeutsche Reich! In: Chef der Ordnungspolizei, Amt Weltanschauliche Erziehung, Gruppe A (Hg.), Politischer Informationsdienst vom 20.10.1940, Folge 2, unpag. Für die Möglichkeit eigentlich untauglicher Männer zur Polizei zu kommen vgl. Nicht polizeidiensttaugliche Pol.Freiwillige der Geburtsjahrgänge 1905–1912 vom 29.4.1942 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 294). Für die ohnehin weitgefasste Regelung, wer polizeidiensttauglich war, vgl. Auszug aus der ärztlichen Anweisung zur Beurteilung der Kriegsbrauchbarkeit. Fehlertabelle. Anhaltspunkte zur Beurteilung der Tauglichkeit, o. D. [1940] (ebd., Bl. 167–172). Selbst nur garnisons- und heimatverwendungsfähige Männer sollten zur Polizei kommen können. 295 Vgl. Entnazifizierungsakte Lange, Anton vom 14.8.1947 (LAV NRW, R, NW 1094Polizei-447, Bl. 4), der am 2.3.1893 geboren wurde; Entnazifizierungsakte Nehrkorn, Heinrich vom 10.8.1946 (LAV NRW, R, NW 1094-Polizei-1990, Bl. 4) der am 1.2.1886 geboren wurde.

Ausbildung und Leistungsfähigkeit

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gestellten Anforderungen“ entspräche „und bestenfalls im Wachdienst oder Innendienst Verwendung finden“296 konnte. Schon 1940 forderte auch der Kommandeur des Bataillons 61 dazu passend die Stellung „jüngerer, geeigneter Ersatzmänner“,297 die er aber kaum erhielt. Bei der Aufstellung der dem Bataillon 61 zeitweise als 4. Kompanie zugewiesenen Einheit, wurde sogar noch einmal ausdrücklich befohlen, es seien „nur solche Männer in Marsch zu setzten, die den zu stellenden Anforderungen voll“ entsprächen.298 Ein deutlicher Hinweis auf eine ansonsten abweichende Praxis. 5.

Ausbildung und Leistungsfähigkeit

Das generell hohe Durchschnittsalter und damit implizit auch die mangelnde körperliche Leistungsfähigkeit von Reserve-Polizisten, wurde auch in Ausbildungsschriften aufgegriffen. Man redete dem Leser hier jedoch ein, das relativ hohe Alter sei für die von der Polizei ausgeübten Besatzungsaufgaben durchaus vorteilhaft. So sei bei „der personellen Zusammenstellung der Kompanien […] im Hinblick auf die von der Schutzpolizei zu lösenden Befriedungsaktionen eine überlegte Auswahl“ zu treffen. Es wurde geurteilt, ein „Polizeibataillon aus nur jungen, eben der militärischen Ausbildung entwachsenen Soldaten mag für den Kampfeinsatz der Schutzpolizei sehr geeignet sein, für Befriedungsaufgaben genügt es nicht“.299 Insbesondere sei auch die Lebenserfahrung der Reservisten wichtig. Dabei wurde jedoch so getan, als seien die älteren Reservisten voll körperlich und militärisch leistungsfähig. Schon die tatsächliche Grundausbildung der späteren Polizisten des Bataillons 61 zeugt vom Gegenteil. In der militarisierten deutschen Polizei orientierte sich die Ausbildung für geschlossene Verbände an Prinzipien des Militärs. Man kopierte dabei in weiten Strecken die Vorschriften der Wehrmacht und resümierte entsprechend: „Die in Arbeit befindliche eigene Vorschrift über Führung und Einsatz von Polizeitruppen kann im Allgemeinen gegenüber“300 bestehenden Wehrmachtsvorschriften nichts grundsätzlich Neues festhalten. Entsprechend werde sich die Polizei an diesen orientieren. Die Ausbildung der Mannschaftsdienstgrade im Bataillon 61, egal ob diese in einer separaten Ausbildungstruppe oder bei der Einheit selbst erfolgte, zielte nicht primär auf das vertiefte Vermitteln militärischer und

296 Ersatzgestellung für eingesetzte Polizei-Einheiten vom 7.4.1942 (DHPol 5.4 Nr. 55,2, unpag.). 297 Schreiben an das Kommando der Schutzpolizei Dortmund vom 19.8.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 283, unpag.). 298 Einrichtung der Ersatzleitstelle Frankfurt/Oder vom 7.4.1942 (BA R 19 Nr. 305, Bl. 48r). 299 Göhler/Wirth, Schutzpolizei (1942), S. 160. 300 Buchmann/Freitag, Polizeitruppenführung (1942), S. 30.

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Das Reserve-Polizeibataillon 61

polizeilicher Fachkompetenzen ab. Dafür war die Ausbildung zu Kriegszeiten aufgrund des hohen Personalbedarfs zu stark verknappt worden.301 Daher war vor allem geplant, Reservisten primär „unter Anleitung aktiver Polizeiwachtmeister“302 einzusetzen, wozu keine besonders genaue Ausbildung nötig sei. Neben allgemeinen Floskeln über die Erziehung von Polizisten zu Härte und Kämpfertum hielt man eindeutig fest, das „wesentlichste Ziel der Ausbildung“ sei es, die Männer der Polizeibataillone im „polizeilichen Gefechtsdienst“ auszubilden. Niemals dürfe dabei „formale Ausbildung Selbstzweck sein“!303 Sie sollte „nur in dem zur Förderung der Ordnung und Manneszucht sowie zum Zusammenschweißen der Einheit notwendigen Umfang“304 betrieben werden. „Kenntnis von Einzelheiten“ sollte „nur da verlangt werden, wo dies unbedingt nötig“ sei.305 Im Zuge des Krieges gegen die Sowjetunion wurden die Ausbildungsstandards dann noch weiter reduziert. Es hieß, es gäbe für „Formalismus keinen Raum mehr“, einzig „das rein Kriegerische und Kämpferische“306 sei in den Vordergrund zu stellen. Statt überlegten Aktionen wurde die „Erziehung zum Schnellschuss und zum Hüftschuss“ gefordert.307 Betrachtet man die Berichte und Aussagen ehemaliger Mitglieder der hier untersuchten Einheit, so scheinen diese tatsächlich nur rudimentär auf ihre Rolle als Polizeisoldaten vorbereitet worden zu sein. Teilweise erhielten sie eine sechsmonatige Ausbildung. In anderen Fällen fiel die Vorbereitung auf den Dienst noch deutlich kürzer aus. Einige Polizisten sollen sogar fast völlig unausgebildet zu der Einheit gekommen sein, so etwa als kurz nach dem Einmarsch in Polen

301 Vgl. Ausbildung während des Krieges vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 26). Ein Teil der Männer wurde unmittelbar vor dem Krieg in den späteren Einheitsteilen ausgebildet, während spätere Ersatzmänner ihre Einsatzvorbereitung in Ausbildungseinheiten erhielten, die noch in der Heimat stationiert blieben. Für die Ausbildung dort vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 2–8; Aussage Anton Drywa vom 9.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5855). Der Umfang einer sogenannten Ausbildungs-Kompanie betrug in der Regel 108 Mann ohne Unterführer. Vgl. Stärke der Ausbildungs-Bataillone und -Kompanien vom 6.12.1939 (BA R 19 Nr. 304 Band 1/2, Bl. 44r). 1940/41 erfolgte die nochmalige Ausbildung einer größeren Zahl von Ersatzmännern durch das Bataillon 61 im Ruhrgebiet. Für die Orientierung von Vorschriften der Polizei an denen der Wehrmacht vgl. Buchmann/Freitag, Polizei­ truppenführung (1942), S. 30. Vgl. auch die in der Ordnungspolizei verwendeten Ausbildungsschriften: Ludwig Queckbörner, Die Rekrutenausbildung (Infanterie). Ausbildungsplan und Ausbildungspraxis für alle, die Soldaten ausbilden, Berlin 1940; Paul Mahlmann, Die Planübung. Lehrbuch zu Planübungen und „Kriegsspiel“. Ein taktisches Lehr- und Lernbuch, Berlin 1942. Für die ab dem 1. Juni 1937 gültige Vorschrift zur praktischen Ausbildung vgl. o. V., Vorschrift für die Waffen- und Schießausbildung der Ordnungspolizei, Berlin 1940. 302 Ausbildung während des Krieges vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 26r). 303 Richtlinien für die Ausbildung der Polizei Bataillone vom 23.1.1940 (ebd., Bl. 23r). 304 Ebd., Bl. 23. 305 Ebd., Bl. 24. 306 Richtlinien für die Gefechtsausbildung der geschlossenen Einheiten der Ordnungspolizei für den Osten vom 16.1.1942 (ebd., Bl. 120r). 307 Ebd., Bl. 122.

Ausbildung und Leistungsfähigkeit

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eine Kohorte nicht mehr dienstfähiger besonders alter Männer ausgetauscht werden musste. Im Allgemeinen scheint sich im Fall der Mitglieder des Bataillons 61 jedoch meist an die vorgesehene Ausbildungsdauer von drei bis sechs Monaten gehalten worden zu sein. Dennoch musste nicht nur für die gänzlich Unausgebildeten an den jeweiligen Einsatzorten eine stetige „militärische Weiterbildung“ erfolgen.308 Generell erfolgte jede Form von Ausbildung im Bataillon 61 jeweils in den einzelnen Kompanien. Durchgeführt wurde sie hauptsächlich von den Kompaniechefs und ihren Untergebenen. Den Bataillonskommandeuren war die allgemeine Überwachung der Ausbildung anvertraut und sie hatten „Anregungen zu geben“309 und nur gegebenenfalls einzugreifen. Es galt maßgeblich, dass „der Selbstständigkeit und Initiative der Kompanie-Führer der nötige Spielraum zu lassen“ sei.310 Lediglich von Zeit zu Zeit war angeordnet, das Bataillon zu gemeinsamen Übungen zusammenzuziehen. Trotz des Gefechtsdienstes als Schwerpunkt in der Ausbildung ließen sich gerade die ungedienten Reservisten nicht wirklich zu Polizeisoldaten formen, wie die desaströse Leistung des Bataillons 61 an der russischen Front 1944 nachdrücklich unterstreicht.311 Vielmehr hatte die Ausbildung den Zweck, Mitglieder der „weißen Jahrgänge“, an die Welt des Militärs und somit auch an die jeweilige Organisations­ kultur eines Polizeibataillons zu gewöhnen. Zu Kriegsbeginn überwog bei den

308 Aussage Julius Wannemacher vom 15.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 53). Exemplarisch für die sechsmonatige Ausbildung vgl. Aussage Wilhelm Grunwald vom 18.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 35). Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 124); Aussage Wilhelm Ködding vom 22.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 100r). Für eine „Kurzausbildung“ vgl. Aussage Erich Tiemann vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 19); Aussage Heinrich Wenzel vom 20.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 35). Für eine fast gar nicht durchgeführte Ausbildung vgl. Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 41). Für die eigentlich regulär vorgesehene Ausbildungszeit von drei bis sechs Monaten vgl. Ausbildung der geschlossenen Formationen der Ordnungspolizei und der Pol.Reservisten des Einzeldienstes vom 20.12.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 97–101r). 309 Richtlinien für die Ausbildung der Polizei Bataillone vom 23.1.1940 (ebd., Bl. 24). Für die Ausbildung durch die Kompanien vgl. Aussage Johann Overkemping vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 104). Die Kompaniechefs waren dabei auch für die weltanschauliche Erziehung zuständig. Vgl. Richtlinien für die Ausbildung der Polizei Bataillone vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 24). Im: Erfahrungsbericht über die Ausbildung der 1. Polizei-Hundertschaft vom 13.10.1938 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 21) heißt es, die weltanschauliche Schulung erfolgte zum Teil auch durch den „Mittelschullehrer Krug“. 310 Richtlinien für die Ausbildung der Polizei Bataillone vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 24). Dennoch mischten sich auch andere Offiziere in die Ausbildung ein. Vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 3. 311 Für die Anordnung gemeinsamer Übungen vgl. Schreiben an den Regierungspräsidenten in Arnsberg, Düsseldorf, Münster; Herrn Polizeipräsidenten in Recklinghausen, Bochum, Dortmund, Essen, Oberhausen, Duisburg betr.: Verwendung der im Heimatgebiet vorhandenen Pol.-Batl. Vom 6.12.1940 (LAV NRW, W, B 406 Nr. 15207, Bl. 263r).

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Das Reserve-Polizeibataillon 61

späteren Polizisten wie bei vielen Deutschen zunächst eine grundsätzliche Kriegsskepsis. Es gab kein „Augusterlebnis“ und für die ungedienten Männer war der eigentliche Krieg relativ fern. Spätestens mit der Einführung von Lebensmittelkarten wurde der Kriegszustand jedoch auch für sie Teil des Alltags. Mit ihrem Einberufungsbescheid zum Notdienst fanden sie sich dann relativ plötzlich in einer anderen Lebenswirklichkeit wieder. Nahlmann beschreibt in seinem Erlebnisbericht, wie er sich bei einem Polizeirevier einfinden musste, wie seine Wehrverhältnisse festgestellt wurden und nachdem er durch einen Polizeiarzt untersucht worden war, seinen Dienst zunächst bei einer Ausbildungseinheit anzutreten hatte.312 Bedingt durch die lokale Rekrutierung der Einheit traf er dort bereits zu Beginn auf einige Bekannte aus seinem Zivilleben, was ihm den Einstieg erleichterte. Die Situation und Organisation, in der er sich befand, war ihm dennoch relativ fremd. Er „hatte noch nie vorher eine militärische Organisation oder Einrichtung so aus der Nähe gesehen“.313 Entsprechend versagte er gemeinsam mit den übrigen neuen Reservisten bereits bei der ersten einfachen Aufgabe. Beim Aufstellung nehmen und der dazu gehörigen „Kopfwendung“ vor dem Kompaniechef blamierte sich die Einheit und zog sich direkt den Zorn eines Unterführers zu, der die Männer nicht ohne drohenden Unterton abtreten ließ und festhielt: „Die Kopfwendung bringe ich euch schon noch bei, dann werden die Köpfe nur so fliegen.“314 Auch bei anderen Gelegenheiten stellten die Reservisten unter Beweis, dass sie noch nicht mit den Eigenheiten militärischer Organisationen vertraut waren. So soll etwa fälschlicherweise einem Straßenbahner, der nur zu Besuch in die Kaserne kam, sofort die vollständige Anwesenheit der Truppe gemeldet worden sein. Man hatte ihn fälschlicherweise für einen Offizier gehalten. Auch an die allgemeinen Lebensumstände in einer Militäreinheit mussten sich die Reservisten erst gewöhnen. So hebt Nahlmanns Bericht hervor, wie ungewohnt es für ihn gewesen sei, in einem Saal zu schlafen, indem „etwa 100 Betten aufgestellt“ waren.315 Erschwerend sei noch hinzugekommen, dass die „Betten aus rohen Brettern gezimmert mit Strohsäcken ausgestattet“ gewesen seien. Der Militärdienst, der für die ungedienten Männer aufgrund ihrer Sozialisation grundsätzlich positiv konnotiert war, brachte sie zunächst aus ihrer Komfortzone heraus.316 Umso dankbarer war Nahlmann, als er einen weiteren Bekannten aus der zivilen Welt traf, der schon seit zwei Wochen eingezogen war und den Neuankömmlingen quasi die unausgesprochenen Spielregeln des militärischen Zusam-

312 Vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 1. 313 Ebd., S. 2. 314 Ebd., S. 1. 315 Ebd., S. 2. Für das Missverständnis mit dem Eisenbahner vgl. ebd. 316 Vgl. Kapitel V.6.

Ausbildung und Leistungsfähigkeit

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menlebens erklären konnte. Hierdurch ließ sich das alltägliche Leben während der Ausbildung angenehmer gestalten. Die Männer „erhielten von ihm gleich Aufklärung“, nicht nur über den normalen Dienst, sondern auch vor welchen Ausbildern man sich in Acht nehmen musste. Parallel dazu lässt sich erkennen, dass sich die Reservisten schon ab dem gemeinsamen „Bettenbauen“,317 obwohl man noch bunte, nicht militärische Laken verwendete, als eine Einheit wahrzunehmen begannen. Sie waren laut Nahlmann nun die zweite Hundertschaft. Vertieft wurde dieser Zusammenhalt dann während der weiteren Ausbildung. Vormittags stand für die Reservisten die körperliche Ausbildung auf „dem sogenannten SA-Sportplatz“ im Vordergrund. Nachmittags erfolgte dann theoretischer Unterricht und um fünf Uhr soll Dienstschluss gewesen sein. „Um 10 Uhr abends war Zapfenstreich, da musste oder vielmehr sollte alles in den Betten liegen.“318 Womit Nahlmann andeutete, dass man schon ganz zu Beginn der Ausbildung damit begann, gemeinschaftlich Regeln zu übertreten. Dies wurde dadurch unterstützt, dass die Männer auch ihre Freizeit gemeinsam verbrachten und sich annäherten, wenn auch nicht ohne sich abfällig über die Bevorzugung des ein oder anderen Hundertschaftsmitgliedes zu äußern.319 Nach einiger Zeit lebten sich die Reservisten ein und auch Aspekte der formellen Ausbildung konnten umgesetzt werden. Das Marschieren etwa begann zu funktionieren und so „kriegten wir unsere ersten Kriegswochen rum“,320 urteilte Nahlmann. Als besonders anstrengend und fordernd nahmen die ungedienten älteren Männer aber die bereits erwähnte körperliche Ausbildung wahr. Über diese bemerkte Nahlmann: „Ich war einer der jüngsten […], aber wenn wir nach Dienstschluss nach Hause gingen, so mussten wir uns an der Straßenbahn hochziehen.“ Der Ausbilder „machte uns fertig. Mir taten nur die älteren Leute leid, denn wir hatten mehrere 50-Jährige im Lehrgang.“321 Auch in späteren Ausbildungsabschnitten habe sich ein solcher Drill fortgesetzt. So habe man in den schlammigen Wiesen von Dortmund-Deusen rumrobben müssen, wobei es die Ausbilder auch noch erfreut habe, wenn die Einheit verdreckt durch Dortmund zurückmarschierte.322 Auch wenn Reservisten diesen Aspekt der Ausbildung als besonders fordernd wahrnahmen, so war er doch de facto bereits für sie in schonender Weise ausgerichtet. Die Intensität der Ausbildung wurde so reduziert, dass sie gerade noch zum oben erwähnten „Zusammenschweißen“ ausreichte.323 Die Polizei war sich sehr bewusst, mit was für Rekruten sie kriegsbedingt zu operieren hatte. In einer

317 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 2. 318 Ebd. 319 Vgl. ebd. 320 Ebd. 321 Ebd., S. 4. 322 Vgl. ebd., S. 5. 323 Richtlinien für die Ausbildung der Polizei Bataillone vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 23).

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Druckschrift heißt es hierzu im Unterpunkt zur „Betreuung älterer Leute“,324 für diese sei der Dienst ohnehin schon „entsagungsvoller als für ihre jungen Kameraden, die gerade von der Schulbank kommen“.325 Schon lange vor dem Krieg war sich die Polizei bewusst: „Übungen, die sich für den Körper eines 27-Jährigen günstig auswirken, vermögen einen 50-Jährigen ungeübten Wachtmeister (SB) zu schädigen. Diese Erkenntnis zwingt gerade auf diesem Ausbildungsgebiet den leitenden Vorgesetzten zu besonders sorgfältiger Vorbereitung.“326 Auch sei es wichtig, dass „ausreichend für Erholung und Auffrischung gesorgt werde“ und man die Rekruten möglichst „ohne Überforderung“ ausbilde.327 Tatsächlich soll in der Dortmunder Polizeieinheit mindestens ein Ausbilder gerügt worden sein, „weil er zu straff gegen die alten Beamten war“.328 Er hatte sie zu stark überfordert. Im Alter der Reservisten sah die Ordnungspolizei jedoch nicht nur aus körperlichen Gründen potenzielle Probleme. Der Einsatz von Mannschaftsdienstgraden, „die an Lebensjahren älter sind als ihre Unterführer und Führer“,329 bedingte eine Umkehr der im Zivilleben üblichen Hierarchien. Gerade deshalb sei es besonders wichtig, dass „der Offizier sich den Aufgaben der Menschenführung mit Hingabe widmet, seine Pflichten der Betreuung gewissenhaft erfüllt und alle Möglichkeiten wahrnimmt, mit seinen Leuten ein festes Vertrauensverhältnis herzustellen“.330 Ein Entgegenkommen gegenüber ihren Männern schien so für die Offiziere besonders wichtig, da sich andernfalls Spannungen verschärfen konnte. So beäugte etwa Nahlmann missgünstig, dass junge Berufspolizisten im Berufsleben etablierte und vor allem lebenserfahrene Reservisten ausbilden und führen sollten.331 Folglich wurde im Bataillon 61 einem Vorgesetzten dann vertraut, wenn „er bei allen Dienstobliegenheiten stets Rücksicht auf das Alter seiner Untergebenen nahm und auch das kameradschaftliche Verhältnis zwischen ihm und [den] älteren Männern besonders gut war“. Dies schloss dann auch ein, dass der

324 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 29. Zur ebenfalls in der Wehrmacht bekannten Problematik der mangelhaften „Qualität des Menschenmaterials“ vgl. Armeeoberkommando 16, Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 1–3 vom 10.7.1943 (BA-MA RH 20-16 Nr. 296, Bl. 20). 325 Ebd., S. 30. 326 Ausbildungsvorschrift für den Einzeldienst vom 1.3.1937 (DHPol 5.9.2 Nr. 1, Bl. 4). Zur Einschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit älterer Polizisten vgl. Müller, Polizeiärztliche Erfahrungen bei der Untersuchung der über 45 Jahre alten Beamten auf Tauglichkeit für Körperschulung und Sportleistungsprüfung. In: Reichs- und Preußisches Ministerium des Innern (Hg.), Vorträge und Arbeiten aus dem Gebiete des Polizeisanitätswesens, S. 188–194. 327 Richtlinien für die Ausbildung der Polizei Bataillone vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 23r). 328 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 52). 329 Abschrift zu einer Anlage Nr. 2 vom 5.12.1939 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 204r). 330 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 11. 331 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 3.

Ausbildung und Leistungsfähigkeit

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Vorgesetzte die Reservisten „stets entsprechend ihrer körperlichen Fähigkeiten richtig einzusetzen“ wusste.332 Vielen Offizieren war es so wie Oberleutnant Wörmer möglich, trotz „des großen Altersunterschiedes seiner Untergebenen“, sie in relativ „kurzer Zeit zu einem einsatzbereiten Zug“333 zu formen. Dies galt, zumindest wenn man die Maßstäbe der Ordnungspolizei anlegte. Trotz der entschärften Ausbildung und dem Absenken der körperlichen Anforderungen erschien die Ausbildung für die Männer bald monoton. Man wartete auf eine Abwechslung vom stetig gleichen Ausbildungsdienst. Gleichzeitig strebte man aber auch nach einer möglichst angenehmen Tätigkeit. Dennoch resümierte Nahlmann über seine knappe und nicht unbedingt positiv wahrgenommene Ausbildung, es sei eine Zeit gewesen, in der man „Kameraden kennenlernte, die wirklich Kameraden waren“.334 Diese generelle Erfahrung bewirkte im späteren Einsatz tatsächlich ein Stück weit die Bindung der Männer aneinander. Insbesondere im Bereich illegaler Handlungen waren jedoch Formen vertrauensbedingter Komplizenschaft weit relevanter. Die Prägung durch kameradschaftlichen Zusammenhalt sowie das generelle Kennenlernen formeller und informeller Abläufe durch ungediente Reservisten war hierzu aber ein wichtiger Grundstein. Erst von diesem ausgehend ließen sich bestehende Vertrauensstrukturen ausdehnen und schließlich durch die Männer operationalisieren.335 Anders als für die Reservisten der Einheit könnte man annehmen, ihre Führer und Unteroffiziere seien weit besser ausgebildet und leistungsfähiger gewesen. Insbesondere letztere blieben meist länger in der gleichen Truppen­ einheit als ihre Vorgesetzten und Untergeben. Schon vor dem Krieg resümierte man über die Unterführer, die „Brauchbarkeit und Schlagkraft der Polizei“ seien „wesentlich bestimmt durch die Qualitäten“ dieser Männer. Ohne sie sei eine effiziente „Führung unmöglich“.336 Insbesondere die Männer, die aus den

332 Entnazifizierungsakte Linnemann, Heinrich vom 27.10.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1347, unpag.). 333 Beurteilung des Oberleutnants Wörmer vom 20.2.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 283, Bl. 18). 334 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 3. Für die Monotonie des Dienstes vgl. ebd., S. 6 und 8. Zur eigentlich vorgesehenen, intensiveren körperlichen Ausbildung in der Polizei vgl. Erich Stöwe, Die Körperschulung in der Polizei. In: Kehrl (Hg.), Jahrbuch der deutschen Polizei 1936, S. 74–81. 335 Für das Prinzip der Kameradschaft vgl. grundsätzlich Thomas Kühne, Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen 2006. Für die Begrifflichkeit vgl. insbesondere ebd., S. 9–24. Vgl. auch Römer, Kameraden, S. 158–204. 336 Alfons Illinger, Der Unterführer in der Polizeiverwendung, Lübeck 1938, S. 3. Exemplarisch für die langen Verweilzeiten von Unterführern in ihren Stammeinheiten vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 212r). Lorey war von 1939–1944 im Bataillon 61 eingesetzt. Ebenso vgl. Aussage Erich Mockler vom 19.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 55). Auch einige Reservisten blieben lange bei der Einheit. So etwa Anton Sippel, der dort von 1941–1944 seinen Dienst leistete. Vgl. Aussage Anton vom Sippel 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 103r).

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Mannschaftsdienstgraden aufstiegen, durchliefen zunächst dieselbe Ausbildung wie ihre späteren Untergeben. Wie den Reservisten wurde auch den angehenden Unterführern durch anstrengenden Drill „das Leben zur Hölle“ gemacht.337 Ihre Ausbildung sei aber besonders streng gewesen und habe eine Stunde pro Tag länger gedauert. Neben dem standardmäßigen Training wurden zusätzliche Inhalte vermittelt. Hierzu zählte etwa die Schulung in den Bereichen taktische Grundbegriffe, Gelände- und Kartenkunde und die Führung von Gruppen „in allen kriegsmäßigen Lagen“.338 Für besonders geeignete Kandidaten wurde auch eine Schulung als Zugführer oder als dessen Stellvertreter vorgesehen.339 Kriegsbedingt bestand ein Mangel an Unteroffizieren. Schon 1940 hielt die Polizei fest, „mit der Abgabe von etwa 6 000 aktiven Polizeiwachtmeistern (SB) der Jahrgänge 1915 und jünger, die bisher zum größten Teil als Unterführer verwendet werden, an die Wehrmacht“ sei zu rechnen. Entsprechend sollte der „eintretende Bedarf an Unterführern durch ausgebildete Polizeireservisten gedeckt werden“.340 Dies war auch im Fall des Bataillons 61 so. Diese Männer wurden, zumindest in ihrer Selbstwahrnehmung, von den aktiven Berufspolizisten aber nicht völlig akzeptiert. Auch nahmen sich die Unterführer, die aus der Polizeireserve stammten, nicht direkt als Inhaber einer Funktionsstelle wahr. Insbesondere in der Ausbildung war ihnen ihre Rolle und die damit verbundenen Spielregeln innerhalb einer militärischen Organisation noch sichtlich fremd. In seinem Bericht schildert Nahlmann dies in exemplarischer Form: „Erst wurden wir mal hergenommen und ausgebildet, dann durften wir auch mal vor die Front und kommandieren. Oh weh, war das ein komisches Gefühl, die Kameraden zu kommandieren, mit denen man Schulter an Schulter in Reih und Glied stand.“341 Auch nach der sechs- bis siebenwöchigen Fortbildung zum Unterführer fühlte sich Nahlmann als nicht wirklich kompetent.342 Ein großer Teil der Unterführer des Bataillons 61 stammte jedoch aus den Reihen der Berufspolizisten, die bereits vor Kriegsbeginn sorgfältiger ausgebildet worden waren. Meist hatten sie zumindest ihren Wehrdienst in der Wehrmacht geleistet und dort bereits Erfahrungen mit der formalen und informellen Seite einer militärischen Organisation gesammelt. Jedoch waren diese Männer, da sie oftmals in der tatsächlichen Armee nicht Fuß fassen konnten und deswegen zur Schutzpolizei wechselten, nicht unbedingt als Elite anzusehen. In ei-

337 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 7. 338 Richtlinien für die Ausbildung der Polizei Bataillone vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 23r). Für die angeblich strengere Ausbildung von Unterführern vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 7. 339 Vgl. Richtlinien für die Ausbildung der Polizei Bataillone vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 23r). 340 Schnellbrief betr.: Unterführer der Polizeireservisten vom 28.5.1940 (BA R 19 Nr. 266, Bl. 33). 341 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 6. 342 Vgl. ebd., S. 7.

Ausbildung und Leistungsfähigkeit

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nem Bericht über die Ausbildung der 1. Hundertschaft, die später den Kern der 1. Kompanie des Bataillons 61 bildete, wurde insbesondere der Fitnesszustand ehemaliger Wehrmachtsangehöriger, die nun zur Einheit gehörten, bemängelt. Andere Männer entschlossen sich lediglich der Polizei beizutreten, um nicht arbeitslos zu sein, was ebenfalls nicht unbedingt für ihre Qualitäten spricht.343 Zahlreiche Berufspolizisten des späteren Bataillons 61 waren bis 1938 ausgebildet worden. Sie stellten damit eine Ausbildungskohorte dar, die die personellen Abgaben an die Wehrmacht von 1935/36 schnell kompensieren sollte. Über die aus der Aufstellung der Wehrmacht resultierende Personallage resümierte Himmler als Chef der Polizei, sie habe sich für die Polizei „nicht übertrieben gut ausgewirkt, denn es bedeutete ein Ausbluten“.344 Dies sei sowohl bei Mannschaften, Unterführern und Offizieren spürbar gewesen. Nur in wenigen Fällen waren langjährige Polizisten der Landespolizei nicht in die Wehrmacht überführt worden. Im Bataillon 61 traf dies auf Kreulich zu, der seit 1928 in der Polizei diente. Dennoch reichte das Niveau der verfügbaren Unterführer in der Polizei zumindest zur Anleitung ihrer Untergebenen im Sinne der NS-Führung. Insbesondere bei Einsätzen von verschiedenen Polizeiformationen im Sudetenland, Österreich sowie in Böhmen erlangte das spätere Stammpersonal des Bataillons 61 ein grundsätzliches Verständnis über die Abläufe innerhalb einer militärischen Einheit als Besatzungsmacht.345 An diesen Einsätzen hatten auch einige der späteren Offiziere der Dortmunder Polizeieinheit teilgenommen. Die jüngeren Führer, die wie für die Polizei üblich „grundsätzlich aus dem SS-Führernachwuchs entnommen“346 wurden und somit aus den SS-Junkerschulen hervorgingen, besaßen hingegen geringere oder keine Einsatzerfahrung. Durch ihren Ausbildungshintergrund, könnte man dennoch annehmen, dass diese Offiziere im Bataillon 61 tatsächlich besonders gut auf ihre Aufgaben vorbereitet gewesen wären. Um an einer Junkerschule aufgenommen zu werden, musste man freiwillig ein gesondertes Gesuch stellen. Die Ausbildung dauerte dort vor Kriegsbeginn zehn Monate, bevor sie auf vier Monate verkürzt wurde. Jedoch erhielten Polizeieinheiten tendenziell die schlechtesten Absolventen, „weil die soldatisch Besten zur Waffen-SS treten mussten. Die

343 Für den bemängelten Fitnesszustand vgl. Erfahrungsbericht über die Ausbildung der 1. Polizei-Hundertschaft vom 13.10.1938 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 20). 344 Rede Himmlers auf der Tagung der Befehlshaber der Kriegsmarine in Weimar vom 16.12.1943 (AIFZ, RF-SS, MA 313 Nr. 1, Bl. 3209). 345 Vgl. Erfahrungsbericht über die Ausbildung der 1. Polizei-Hundertschaft vom 13.10.1938 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 19). In ähnlicher Form vgl. Erfahrungsbericht über die Ausbildung der Ordnungspolizei vom 17.10.1938 (ebd., Bl. 18–21 und 22 f.). Für den Verbleib von Kreulich bei der Landespolizei vgl. Entnazifizierungsakte Kreulich, August vom 1.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1234, Bl. 4). 346 Best, Polizei (1940), S. 69. Zum Offiziersnachwuchs durch die Junkerschulen vgl. Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Inneren (Hg.), Willst du zur Polizei?, 3. Auflage, Berlin 1941, S. 20.

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Entscheidung, welche Junker zur Schutzpolizei treten sollten, wurde erst nach der Abschlussprüfung auf den Junkerschulen getroffen.“347 An ihre Zeit in der Kaderschmiede schloss sich eine Polizeiausbildung im Schnellverfahren an. Unmittelbar nach dem Abschluss wurden die Absolventen zur Offiziersschule der Ordnungspolizei in Berlin-Köpenick kommandiert, wo sie einen polizeilichen „Nachholungslehrgang zu absolvieren hatten“.348 Die Polizei-Offiziersausbildung wurde durch die vom „Krieg bedingten derzeitigen Verhältnisse“349 reduziert und die allgemeinen Anforderungen gesenkt. Die Ausbildung sah vor, den jeweiligen Offizier zu einem fähigen „Führer und Organisator“350 zu machen. Insbesondere ab 1942 sollte auch eine tiefer­ gehende taktische Ausbildung durchgeführt werden, was auf bestehende Mängel hinweist. Auch während der Einsätze sollte die Ausbildung der Offiziere vervollständigt werden. Insbesondere die Kommandeure sollten „den notwendigen Einfluss auf die taktischen Anschauungen ihres Offizierskorps“ nehmen. Wie für alle übrigen Polizisten sollte bei den Offizieren nicht die formale Ausbildung, sondern die „Tatkraft im Vordergrund stehen“.351 Die eigentlich für eine Offizierslaufbahn nötigen Kriterien erfüllten dabei nur relativ wenige der späteren Offiziere des Bataillons 61 vollständig. Insbesondere das offiziell verlangte Abiturzeugnis konnten sie meist nicht vorweisen. Zwar war die Polizei bemüht „Abiturienten, die militärisch gedient hatten, als Offiziersanwärter der Schutzpol. zu gewinnen“. Dies war jedoch „ein glatter Fehlschlag, denn es meldeten sich fast nur Offiziersanwärter des Heeres, die dort die Offiziersprüfung nicht bestanden hatten“.352 Zu diesen Männern gehörte in der

347 Schreiben Adolf von Bomhards an den Niedersächsischen Minister des Inneren betr.: Einstellung von Polizeioffz.Anwärtern vom 18.6.1955 (BA R 19 Nr. 281, Bl. 60). Exem­ plarisch für ein Aufnahmegesuch eines späteren Mitgliedes des Bataillons 61 vgl. Schreiben an die SS-Junkerschule Tölz betr.: Einberufung von SS-Führeranwärtern vom 1.10.1937 (BA R 9361 SSO 5, Bl. 6139). Generell Für Junkerschulen und die dortige Ausbildung dort vgl. Bernd Wegner, Hitlers politische Soldaten: Die Waffen-SS 1933– 1945. Leitbild, Struktur und Funktion einer nationalsozialistischen Elite, 8. Auflage, Paderborn 2009, S. 149–171. 348 Schreiben Adolf von Bomhards an den Niedersächsischen Minister des Inneren betr.: Einstellung von Polizeioffz.Anwärtern vom 18.6.1955 (BA R 19 Nr. 281, Bl. 60). 349 Ausbildung während des Krieges vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 26). Für die Regelung vor der Reduzierung der Ausbildungsinhalte vgl. RMBliV 1939, S. 2239. 350 Offiziersausbildung während des Krieges vom 27.3.1942 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 140r). Generell zur für die Offiziersausbildung vorgesehene Literatur vgl. ebd., Bl. 143. Allgemein zur Offiziersausbildung der NS-Polizei vgl. Sven Deppisch, Täter auf der Schulbank. Die Offiziersausbildung der Ordnungspolizei und der Holocaust, Baden-Baden 2017. 351 Richtlinien für die Ausbildung der Polizei Bataillone vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 23r). Für die taktische Ausbildung ab 1942 vgl. Offiziersausbildung während des Krieges vom 27.3.1942 (ebd., Bl. 140). 352 Schreiben Adolf von Bomhards an den Niedersächsischen Minister des Inneren betr.: Einstellung von Polizeioffz.Anwärtern vom 18.6.1955 (BA R 19 Nr. 281, Bl. 57). In ähnlicher Form vgl. Rede Himmlers auf der Tagung der Befehlshaber der Kriegsmarine in Weimar vom 16.12.1943 (AIFZ, RF-SS, MA 313 Nr. 1, Bl. 3212). Dort heißt es, man

Ausbildung und Leistungsfähigkeit

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Dortmunder Polizeieinheit etwa Albrecht, der als Mitglied der Landespolizei 1935 die „Überführung in die Wehrmacht“353 mitgemacht hatte und 1937 als Offiziersanwärter zur Polizei zurückkam. Anschließend wurde er von Oktober 1937 bis August 1938 in der Junkerschule Tölz ausgebildet. Selbst Offiziere mit großen Leistungsmängeln besaßen ein ausgeprägtes Elite- und K ­ arrieredenken. Sie im Dienst der Polizei zu halten, gestaltete sich daher schwierig. Zum Ausdruck kam dies etwa in der Tatsache, dass man im Regierungsbezirk Arnsberg, aus dem auch das Bataillon 61 stammte, 1940 die freiwillige Meldung von Polizeioffizieren zur prestigeträchtigen Wehrmacht und insbesondere zur Waffen-SS verbot. Dennoch versuchten sich Führer der Dortmunder Polizeieinheit weiterhin illegalerweise zur Waffen-SS einberufen zu lassen und hatten damit sogar teilweise Erfolg.354 Generell zeigt sich bei den jüngeren Offizieren des Bataillons 61 das gleiche Problem der „Entprofessionalisierung“,355 das auch für die Unterführer und die Führungsspitze der Einheit feststellbar ist. Männer, die für die Wehrmacht nicht ausreichend leistungsfähig waren, aber einen starken „Drang nach vorne“ hatten,356 dienten sich der weniger prestigeträchtigen, aber wenigstens noch militärisch aufgebauten Ordnungspolizei an. Das wirklich leistungsfähige Personal blieb ihr jedoch verwehrt. Somit befand sich die Polizei in einer ­„Strukturkrise“,357 lange bevor eine solche bedingt durch den Kriegsverlauf auch in Wehrmacht und Waffen-SS eintrat.358

habe nur die besten Offiziersanwärter gewollt, aber mit Kriegsbeginn habe man sich den Notwendigkeiten fügen müssen. Für die wenigen Offiziere des Bataillons 61 mit Abitur vgl. Entnazifizierungsakte Wörmer, Siegmund vom 29.5.1947 (LAV NRW, R, NW 11052760, Bl. 2); Akte Walter Brauns (BA R 9361 RS A 5165, Bl. 73). Für Karl-Heinz Lütgemeier, der die Offizierskriterien tatsächlich erfüllte und Karriere machte, vgl. Entnazifizierungsakte Lütgemeier, Karl-Heinz vom 29.4.1948 (LAV NRW, R, NW 1000-22534, Bl. 2–4); Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 2); Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 56r). Für die Entprofessio­nalisierung vgl. Petter, Massengesellschaft. 353 Akte Alfred Albrecht (BA R 9361 SSO 5, Bl. 6091). 354 Für das Verbot in Arnsberg vgl. Schreiben des Regierungspräsidenten in Arnsberg vom 31.1.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 87). 355 Petter, Massengesellschaft, S. 360. 356 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 5. 357 Wegner, Soldaten, S. 263–293. 358 Vgl. Vortrag über den Kräfte- und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei im Jahre 1941. Dienstbesprechung der Befehlshaber und Inspekteure vom 1. bis 4. Februar 1942 (BA R 19 Nr. 336, Bl. 2). Zum Problem der Personalabgaben 1935/36 an die Wehrmacht heißt es dort: „Lücken an besten Offizieren und Männern konnten in den Jahren vor dem Kriege weder zahlen- noch wertmäßig ersetzt werden.“

IV.

Kriegseinsatz – Räume, Situationen, Wahrnehmungen

1.

Polen 1939–1940

Unmittelbar mit Beginn des deutschen Überfalls auf Polen wurde in Dortmund das Bataillon 61 aufgestellt. Dies war schon seit längerer Zeit vorgesehen, wobei die Einheit anfangs noch unter der Bezeichnung „Pol.Btl. I/4 der Polizeigruppe 4 z.b.V“.1 eingeplant war, ehe die Truppe bei Kriegsbeginn als Bataillon 61 bezeichnet wurde. Dessen „Unterbringung erfolgte für einen Tag im Unterkunftsgebäude der 1. Hundertschaft in Dortmund Nordstraße 12“.2 Am 5. September 1939 wurden die Kompanien durch Reservisten als Ergänzung der Berufspolizisten auf die geplante Sollstärke gebracht. Nachdem Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg erklärt hatten und der deutsch-polnische Krieg damit zu einem umfassenden europäischen Konflikt geworden war, vermerkte der Chef der Ordnungspolizei Kurt Daluege am gleichen Tag, dass nun in Anbetracht der angespannten Personallage polizeilicher Truppenverbände „nichts weiter übrig [bliebe,] als wie [sic] mit den zum Teil nur unfertig ausgebildeten“3 Reservisten zu operieren. Das Bataillon 61 war dabei für den Einsatz im Westen Polens vorgesehen. Es hieß, insbesondere „aus dem alten posenschen Gebiet“ sei „gemeldet worden, dass dort der Einsatz von Polizeiformationen dringend notwendig ist“.4 Sie

1

2 3

4

Curilla, Judenmord, S. 566. Vgl. auch Hans-Joachim Neufeldt/Jürgen Huck/Georg Tessin (Hg.), Zur Geschichte der Ordnungspolizei 1936–1945, Koblenz 1957, S. 33, 97 und 631. Exemplarisch zur Aufstellung der Einheit bei Kriegsbeginn vgl. Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 1); Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 39). Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 23). Erst in Schwiebus seien die Kompanien des Bataillons zusammengeführt worden. Vgl. ebd., Bl. 27. Vermerk des Chefs der Ordnungspolizei vom 5.9.1939 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 1). Dort hält Daluege fest, die Bekämpfung von „Banden“ sei eine Hauptaufgabe der Ordnungspolizei. Für das Eintreffen der Reservisten beim Bataillon 61 vgl. o. V., Kriegstagebuch (1939), S. 728. Bei Kriegsbeginn waren nur 12 Polizeibataillone nach Polen entsandt worden. Bis Ende September 1939 waren es schon „21 Polizeibataillone und 2 berittene Abteilungen“. Kräfteeinsatz und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei seit Beginn des Krieges vom 20.8.1940 (BA R 19 Nr. 97, Bl. 4). Ebenso vgl. Einsatzgruppen in Polen. Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, Selbstschutz und andere Formationen in der Zeit vom 1. September 1939 bis Frühjahr 1940, Band 2 vom 20.5.1963 (BStU MfS HA XX 5590, Bl. 128). Im Herbst 1939 erhielt jedes Armeeoberkommando einen BdO mit mehren Bataillonen Ordnungspolizei zugewiesen, die den Rückraum sowohl sichern als auch „säubern“ sollten. Vermerk des Chefs der Ordnungspolizei vom 5.9.1939 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 2). Zu den Franktireurs im Ersten Weltkrieg vgl. Ulrich Keller/Gerd Krumeich, Schuldfragen. Belgischer Untergrundkrieg und deutsche Vergeltung im August 1914, Paderborn 2017; Gunter Spraul, Der Franktireurkrieg 1914. Untersuchungen zum Verfall einer Wissenschaft und zum Umgang mit nationalen Mythen, Berlin 2016.

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Kriegseinsatz

sollten als „Banden“ bezeichnete Partisanen bekämpfen. Vor allem der Generalstabschef des Heeres, Franz Halder, hatte sich für einen solchen Einsatz stark gemacht. Ebenso wie er überbewerteten, oftmals auf Basis ihrer Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, weite Teile der Armeeführung die Bedrohungslage in Polen deutlich. Dass sich auch hinter den Frontlinien polnische Soldaten befanden, resultierte aus der auf Geschwindigkeit ausgelegten, äußerst erfolgreichen deutschen Kriegsführung, die die Existenz „überrollter und versprengter Truppenteile im Rücken der Front geradezu provozierte“.5 Dass es sich dabei von polnischer Seite nicht um einen Bruch des Kriegsrechts handelte, wurde übersehen bzw. ignorierte man diesen Fakt absichtlich. Die deutsche Führung ebenso wie die einfachen Soldaten und Polizisten vor Ort waren im Laufe des Polenfeldzuges von einer „wachsenden Freischärlerpsychose“ erfasst.6 Folglich beschloss man unter Anwendung massiver Gewalt, die Räume hinter der kämpfenden Truppe durch umfangreichere Verbände zu sichern. Erstaunlicherweise wurde bisweilen selbst in der Geschichtswissenschaft „in Verkennung der Quellenlage und des Forschungsstandes postuliert, es habe Anfang September 1939 vielleicht doch noch eine polnische Partisanenbewegung gegeben“.7 Insbesondere für den Raum, in dem das Bataillon 61 von 1939 bis 1940 eingesetzt wurde, trifft dies definitiv nicht zu. Allein schon die geografische Beschaffenheit der Region macht klar, dass es dort „nicht einmal die einfachsten Grundbedingungen für irgendeine Form eines organisierten Widerstandes gab“. Es handelte sich um eine „Region ohne Partisanen“.8 Stattdessen diente der Besatzungsmacht dort jede Situation „als willkommener Vorwand,

5 Jochen Böhler/Klaus-Michael Mallmann/Jürgen Matthäus, Einsatzgruppen in Polen. Darstellung und Dokumentation, Darmstadt 2008, S. 18 f. 6 Ebd., S. 18. Vgl. ebenso Jochen Böhler, Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939, Frankfurt a. M. 2006, S. 109; Hans Umbreit, Deutsche Militärverwaltungen 1938/39. Die militärische Besetzung der Tschechoslowakei und Polens, Stuttgart 1977, S. 152. 7 Böhler, Überfall, S. 220. 8 Shmuel Krakovski, Das Todeslager Chełmno, Kulmhof. Der Beginn der „Endlösung“, Göttingen 2007, S. 96. Hier sogar noch auf das Jahr 1942 bezogen, als im Zentrum und Osten Polens bereits Partisanen häufiger aktiv waren. Ebenso für das Fehlen jeder Partisanenbewegung insbesondere im Westen Polens 1939/40 vgl. Bernhard Kuschey, Die Ausnahme des Überlebens. Ernst und Hilde Federn. Eine biografische Studie und eine Analyse der Binnenstrukturen des Konzentrationslagers, Gießen 2003, S. 495. Allgemein zum Fehlen von Partisanen 1939 bzw. deren militärischer Irrelevanz vgl. Wolfgang Jacobmeyer, Die polnische Widerstandsbewegung im Generalgouvernement und ihre Beurteilung durch deutsche Dienststellen. In: VfZ, 25 (1977) 4, S. 658–681, hier 661; Böhler, Auftakt, S. 58. Ebd. wird auch erläutert, dass sich Partisanenverbände erst im Winter 1939/40 bildeten, dann aber nicht im Westen Polens operierten. Nur ein einziger handlungsfähiger Partisanenverband unter Führung von Major Henryk Dobrzanski bestand im Raum Lublin von Ende 1939 bis Mai 1940. Vgl. Wolfgang Jacobmeyer, Henryk Dobrzanski („Hubal“). Ein biografischer Beitrag zu den Anfängen der polnischen Résistance im Zweiten Weltkrieg. In: VfZ, 20 (1972) 1, S. 63–74, hier 64. Hierbei habe es sich aber um eine „Ausnahmeerscheinung“ gehandelt. Vgl. ebd., S. 74.

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um weitere Repressionen und Vergeltungsaktionen gegenüber der polnischen Bevölkerung einzuleiten“.9 Dabei richtete sich die deutsche Gewalt sowohl gegen Zivilisten als auch gegen versprengte reguläre Soldaten. Entsprechend wird in den Quellen zur Geschichte des Bataillons 61 mit der Begrifflichkeit der Partisanen- bzw. Bandenbekämpfung eine „verharmlosende Bezeichnung verwendet, die sich als Tarnbegriff für das Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung im Osten durchgesetzt hatte“.10 Als erste Teileinheit des Bataillons 61 erhielt die 3. Kompanie am 10. September den Auftrag für einen aktiven Einsatz im polnischen Gebiet. Es hieß: „Banden, die in den Wäldern um Punitz ihr Unwesen treiben, sind aufzustöbern und zu vernichten. Am 11. hat die Kompanie die Stadt Posen zu erreichen, wohin inzwischen das Bataillon vorgerückt sein“ werde. Mit den am 9. September eingetroffenen Kraftfahrern und Fahrzeugen, es soll sich um „Postomnibusse“11 gehandelt haben, auf deren Verdecken man Maschinengewehre montierte, rückte die Einheit vor. Zunächst erreichten die Polizisten in südlicher Richtung das damals deutsche Fraustadt, ehe sie die Grenze überschritten und in Lissa/ Leszno ankamen. Von dort aus vollzog man den Vormarsch auf Punitz/Poniec. Um den Weg dorthin sicher zu finden, zwangsverpflichtete man, unter Androhung ihrer Tötung, zwei lokale Polen als Führer.12 Um 22 Uhr des 11. Septembers 1939 erreichte die Kompanie ihr Ziel. Was dort nun im Folgenden geschah, ist nicht abschließend zu klären. In der offiziellen Zeitschrift der Ordnungspolizei bedauerte ein anonymer Berichterstatter, dass man trotz der guten Kooperation mit dem lokalen Selbstschutz keine Kombattanten vor die „Flinte bekommen“ habe, „da die Banden von Polenweibern“ sicher „noch in der Nacht gewarnt“ worden seien und „das Weite gesucht“ hätten.13 In verschiedenen zu Kriegszeiten nicht öffentlich zugänglichen Quellen

    9 Maria Rutowska, Nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen gegenüber der polnischen Zivilbevölkerung in den eingegliederten polnischen Gebieten. In: Jacek A. Młynarczyk (Hg.), Polen unter deutscher und sowjetischer Besatzung 1939–1945, Osnabrück 2009, S. 197–216, hier 201. Für die deutsche Gewalt gegen jede Person, die nicht als regulärer Soldat in offener Feldschlacht auftrat vgl. Böhler, Auftakt, S. 72 und 75, sowie Dieter Pohl, Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjetunion 1941–1944, 2. Auflage, München 2009, S. 52. 10 Gerhard Sälter, Phantome des Kalten Krieges. Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes „Rote Kapelle“, Berlin 2016, S. 306. Insbesondere der Bandenbegriff wurde bereits im Herbst 1939 umgedeutet. So waren „Banditen“ nun angeblich weniger politisch als kriminell motiviert. Vgl. Lars Jockheck, Propaganda im Generalgouvernement. Die NS-Besatzungspresse für Deutsche und Polen 1939–1945, Osnabrück 2006, S. 222. Dies geschah wohl, um insbesondere für die deutsche Polizei ein Legitimationsmuster zu schaffen. 11 O. V., Kriegstagebuch (1939), S. 728. Für die Ankunft der Kraftfahrer vgl. Aussage Kurt Bröker vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 30). Für die Busse vgl. die entsprechenden Fotografien in: VtH Dep. Nr. 19 Krevert. 12 Vgl. o. V., Kriegstagebuch (1939), S. 728. 13 Für den Vormarsch und den Einsatz bei Punitz vgl. ebd.

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wird der Einsatz jedoch anders und als gewalttätig dargestellt. So hieß es, „die Wälder in der Gegend von Punitz“ seien „von polnischen Banden gesäubert“ worden.14 Über die vermeintliche Leistung des Oberleutnants Albrecht während dieser Aktion hieß es an anderer Stelle: Bei der Ankunft fuhr er mit den „Fahrzeugen in Punitz ein und kam gerade rechtzeitig genug, die Deutschen, die sich ins Rathaus zurückgezogen hatten, aus ihrer bedrängten Lage zu erlösen. Die polnischen Banden zogen sich darauf in die umliegenden Wälder von Punitz zurück.“ Erst die „Durchstreifung der Wälder“ mit einem „Sonderauftrag“ hätte dazu geführt, dass die Umgebung „als gesäubert“15 angesehen werden konnte. Dieser für das NS-Regime typische Sprachgebrauch weist auf die Gewaltanwendung gegen Nichtkombattanten hin. Nach dem Ende der Aktion rückte die 3. Kompanie am 12. September in Posen ein, wo sie angeblich als erste deutsche Einheit gemeinsam mit dem Wehrmachtsbefehlshaber eingetroffen sein soll. Der Vormarsch der übrigen Kompanien per Bus und Lkw aus Neu Bentschen/Zbąszynek habe sich verzögert und lediglich der Adjutant des Bataillons sei bereits vor Ort gewesen, um dem „General der Polizei Pfeffer-Wildenbruch“16 diese Verzögerung zu melden. Nach dem Eintreffen des restlichen Bataillons bezog die Einheit ihr Quartier in der ehemaligen preußischen Fußartillerie-Kaserne in Solatsch/Sołacz. Der „äußerlich schöne Bau“ missfiel den Polizisten zutiefst, was man den allgemeinen Verhältnissen in Polen und dem Wesen seiner Einwohner zuschrieb. In der Unterkunft seien bei „Dreck und Gestank“ die „Wanzen und Läuse schwadronenweise über Betten, Tische und Fußböden“ gelaufen. In der ersten Nacht zogen die Männer „es deshalb vor, in den Fahrzeugen zu übernachten“.17 Bevor das Gebäude nutzbar gewesen sei, habe man es mit Gas ausräuchern müssen. Danach habe die Einheit die Kaserne renoviert. Man wollte sich Unterkunftsmöglichkeiten schaffen, die „ein Maß von Wohnlichkeit“ aufwiesen, „das sich nach Lage der Umstände erreichen“ ließ. „Die notwendigen Bettgestelle in einfacher Form wurden in Auftrag gegeben. Einige Handwerker aus den Kom-

14 Schreiben betr.: Bevorzugte Beförderung zum Major der Schutzpolizei, von Major Dederky an den BdO Münster vom 28.5.1941 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 27). In ähnlicher Form vgl. Vorschlagsliste für Auszeichnung vom 10.1.1940 (BA R 601 Nr. 2415, unpag.). 15 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 2). 16 Aussage Hans Krehnke vom 29.4.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 85r). Für die Ankunft als erste Einheit vgl. Kärgel, Einsatz (1957), S. 212. Exemplarisch für die Omnibusnutzung der Kompanien zum Vormarsch vgl. Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 10). Für die 1. Kompanie vgl. Aussage Heinrich Marach, o. D. (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942 Bl. 170a); Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 27); Aussage Heinrich Zumplasse vom 2.2.1960 (ebd., Bl. 49). 17 Vgl. o. V., Kriegstagebuch (1939), S. 728. Für das Image des „dreckigen“ Polens vgl. Böhler, Auftakt, S. 43–45. Für eine provisorische Unterkunft des Bataillons 61 vgl. die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 288.

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panien zimmerten und hämmerten. Der notwendige Bilderschmuck wurde vom Kameradschaftsbund Deutscher Polizeibeamter zur Verfügung gestellt.“18 Bereits am 4. November 1939 mussten die Dortmunder Polizisten die Unterkunft aber wieder verlassen, da das Gebäude für Einheiten der Wehrmacht benötigt wurde. Von der Kaserne kamen die Polizisten nun in das Priester-Seminar auf der Posener Dominsel.19 Nicht nur in Fragen der Unterkunft, sondern auch in weiteren offiziellen Dienstangelegenheiten unterstand das Bataillon 61 dem BdO Posen, Knofe. Während des Polenfeldzuges unterstand er ebenso wie das Bataillon 61 nominell dem Chef der Zivilverwaltung im Militärbezirk Posen, Arthur Greiser. Dieser unterstand wiederum dem Wehrmachtsbefehlshaber. Bei den Einsätzen unter Verantwortung der Wehrmacht trugen die Dortmunder Polizisten gelbe Armbinden, um sie als Kombattanten zu kennzeichnen. Für Operationen seien die Kompanien jeweils im „Einsatzfall dem jeweiligen Kommandeur des jeweiligen Wehrmachtstruppenteils unterstellt“ worden, mit dem dann die angeordneten „Aufgaben wahrzunehmen“ waren.20 Bis Ende Oktober 1939 unterstand das Bataillon 61 so offiziell der Wehrmacht, ehe die Kontrolle auf die Zivilverwaltung überging.21

18 Petersen, Arbeit (1940), S. 24. Auch zur Begasung vgl. Blausäuredurchgasung mittels Zyklon vom 10.11.1939 (IZP Dok I Nr. 902, Bl. 259). 19 Vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 8.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). Zum Wechsel der Unterkunft vgl. Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 11); Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (ebd., Bl. 16); Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 16); Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (ebd., Bl. 42). 20 Aussage Hans Kärgel vom 5.9.1959 (ebd., Bl. 61). Für die gelben Armbinden vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (ebd., Bl. 17); Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 57); Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 19); Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 2). Abweichend von einer weißen Armbinde spricht Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 5). In Aussage Hans Kärgel vom 5.9.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 61) heißt es, der Befehlshaber in Posen sei Generalleutnant Max von Schenkendorff gewesen. Tatsächlich hatte jedoch General Alfred von Vollard-Bockel­berg diese Funktion bis zum 25.10.1939 inne. Allgemein zur Militärverwaltung in Posen vgl. Richtlinien für die Einrichtung einer Militärverwaltung im besetzten Ostgebiet vom 8.9.1939 (IZP Dok I Nr. 856, Bl. 4–9). Zu Knofe vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 23.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 65) und Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (ebd., Bl. 5). Insbesondere für Knofes Lebenslauf vgl. Aussage Oskar Knofe vom 19.10.1960 (ebd., Bl. 71). 21 Für den Wechsel der Unterstellung am 31.10.1939 vgl. Aussage Heinrich Linnemann vom 10.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 71); Aussage Heinrich Zumplasse vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 50); Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (ebd., Bl. 68). Zu den Verwaltungszonen des „Warthe­ gaus“ vgl. Karte „Gau Wartheland“ (BA R 75 Nr. 7, Bl. 17).

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Auch nachdem die Militärverwaltung im Posener Gebiet endete, blieb das generelle Unterstellungsverhältnis der Dortmunder Polizeieinheit relativ konstant. Lediglich der Wehrmachtskommandeur entfiel und Greiser stieg zum Gauleiter und Reichsstatthalter auf. Die massive Unklarheit der Befehlswege oberhalb des Bataillons 61 lag darin begründet, dass sowohl Greiser als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums als auch der ihm eigentlich unterstellte HSSPF „Warthegau“ für „volkstumspolitische Aufgaben“ verantwortlich zeichneten. Als ausführendes Organ der daraus resultierenden Aktionen wurde die Dortmunder Polizeieinheit eingesetzt. Weiter verkompliziert wurden die Befehlswege dadurch, dass der dem Bataillon 61 vorgesetzte BdO in polizeilichen Dingen dem HSSPF unterstand. Es handelte sich hierbei um „Einsätze, welche für den ganzen Warthegau angeordnete Razzien oder massenhafte Aussiedlungen sein konnten“.22 Der Generalleutnant der Ordnungspolizei Herbert Becker urteilte nach dem Krieg, diese zusätzliche Unterstellung sei eine Herausforderung gewesen, denn die HSSPF „zapften gewissermaßen ständig die Befehlszüge dadurch an, dass sie ihrerseits Einsatzanweisungen gaben“.23 Ebenso konnte das Hauptamt Ordnungspolizei in Berlin auf den BdO und die ihm unterstellten Truppenverbände Einfluss nehmen. Gleiches galt für lokale Kräfte der Gendarmerie, Schutz- und Sicherheitspolizei, die um Unterstützung durch geschlossene Polizeiverbände der Ordnungspolizei bitten konnten. In der Einsatzrealität des Bataillons 61 sei „es mehrfach vorgekommen, dass Anrufe von Gendarmeriestationen kamen, mit welchen Waffenfunde angezeigt wurden“.24 Hierdurch wurde die Polizeieinheit zum Eingreifen aufgefordert. Entsprechend kann man so in Anbetracht der verschiedenen Wege, über die ein Einsatz des Dortmunder Verbandes ausgelöst werden konnte, dem Urteil des

22 Sachverständigengutachten Zbigniew Janowicz vom 23.12.1948 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe c, Bl. 28). Insbesondere zur Rechtsstellung des BdO im Warthegau vgl. ebd. Bl. 26–29; RGBl., (1939) I, S. 2133. Für den HSSPF Koppe vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 18.10.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 1). Zu einer weiteren Verkomplizierung der Zuständigkeiten bei „Volkstumsfragen“ vgl. Reichsminister des Inneren betr.: Durchführung des Führererlasses zur Festigung deutschen Volkstums vom 7.10.1939 (APP 299 Nr. 3, Bl. 16). Für das Wegfallen des Wehrmachtskommandeurs und Arthur Greiser vgl. Einsatzgruppen in Polen. Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, Selbstschutz und andere Formationen in der Zeit vom 1. September 1939 bis Frühjahr 1940. Band 2 vom 20.5.1963 (BStU MfS HA XX 5590, Bl. 143 f.). 23 Aussage Herbert Paul Becker vom 23.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3700). 24 Aussage Ernst Brunst vom 12.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 205 f.). Für die Regelung, dass Unterstützung durch Ordnungspolizeieinheiten erbeten, aber nicht befohlen werden konnte, vgl. Kommandeursbesprechung am 15.1.1940 beim Befehlshaber der Ordnungspolizei Posen (BA R 70 Polen Nr. 201, Bl. 8). Für die Regelung, wie Polizeibataillone anzufordern waren, vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 26.10.1939 (APP 299 Nr. 1233, Bl. 39).

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BdO Posen zustimmen. Er gab nach dem Krieg in einem Verhör zu Protokoll: „Die Befehlsverhältnisse waren allerdings etwas verworren.“25 Erschwerend kam hierbei hinzu, dass der Kommandeur des Bataillons 61 nicht unbedingt Willens war, sich dem BdO in allen Belangen unterzuordnen. Der Bataillonsadjutant Krehnke erinnerte sich, Knofe sei „in Erscheinung“ getreten und habe geglaubt, „Befehle geben zu können“, die die Einheit aufgrund ihrer „Unterstellung nicht befolgen“ durfte. Deswegen sei es „zu Auseinandersetzungen zwischen Oberst Knove [sic]“ und dem Bataillonskommandeur gekommen. „Als eine Art Kompromiss wurde schließlich die Befehlserteilung“ so geregelt, dass Befehle durch den BdO an die Polizeieinheit lediglich weiter „geleitet wurden, ohne dass sich“ aber „etwas an dem Unterstellungsverhältnis geändert“ hätte.26 Während etwa das Polizeibataillon 103 direkt dem Polizeipräsidenten in Posen unterstellt war, operierte das Bataillon 61 weitgehend autark. Als „selbstständiges Bataillon unter dem Bataillons-Kommandeur Major Dederky“ war die Einheit „keinem höheren Truppenverband angegliedert oder unterstellt“.27 Sein Kommandeur soll entsprechend „einem Regimentskommandeur“28 gleichgestanden haben. Damit nahm die Dortmunder Einheit eine Vorreiterrolle ein. 1942 urteilten Ausbildungsvorschriften: „Das Polizeibataillon kämpft oder befriedet beinahe regelmäßig als selbständiger Verband.“29 Ebenso hieß es: „Nach den bisherigen Erfahrungen, insbesondere aus dem Feldzuge in Polen, werden Polizeibataillone in den meisten Fällen taktisch selbstständig zur Lösung von Aufträgen in größeren Räumen und auf längere Zeit eingesetzt.“30 Innerhalb der polykratischen Kommandostruktur der Polizei in Polen besaß das Bataillon 61 so einen relativ großen Handlungsspielraum, den es im Einsatz 1939/40 vor allem mit dem lokalen BdO aushandelte. Höhere Stellen befahlen kaum direkt, sondern gaben eher eine allgemeine Zielsetzung vor. So hielt man etwa exemplarisch über den Chef der gesamten Ordnungspolizei fest, er habe „nur generelle Anweisungen, niemals aber direkte konkrete Einsatzbefehle“

25 Aussage Oskar Knofe vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 71). Für die Einschätzung der Befehlswege als „verwirrendes Netz von Kompetenzen“ vgl. Klemp, Freispruch, S. 32. Schon zuvor wurde dies auch festgehalten im Sachverständigengutachten Zbigniew Janowicz vom 23.12.1948 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe c, Bl. 23). Zum ständigen Kompetenzstreit in der Polizei aus Sicht eines ehemaligen Polizeigenerals vgl. Aussage Herbert Paul Becker vom 23.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3701). 26 Aussage Hans Krehnke vom 29.4.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 85r). 27 Aussage Oskar Knofe vom 17.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 248, Bl. 92). Für die Zuordnung des Bataillons 103 zum Polizeipräsidenten in Posen vgl. Bericht des Befehlshabers der Ordnungspolizei beim Chef der Zivilverwaltung beim Militärbefehlshaber Posen an den RFSS vom 19.10.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 50). 28 Aussage Hans Krehnke vom 29.4.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 86r). 29 Göhler/Wirth, Schutzpolizei (1942), S. 9. 30 Buchmann/Freitag, Polizeitruppenführung (1942), S. 31.

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gegeben. Diese seien „Sache des BdO“ gewesen.31 Nachkriegsbehauptungen wie ein „Befehl kam immer von oben“,32 sind vor diesem Hintergrund kaum haltbar. Eingebunden in verworrene Befehlswege operierten die vier Kompanien des Bataillons 61, die bereits separat nach Posen vorgerückt waren, meist nicht als gesamter Verband. Die Kompanien nahmen als einzeln operierende Einheiten vor allem im Raum des ehemals preußischen Regierungsbezirks Posen verschiedenste Aufgaben wahr. Über ihre vermeintlich „rein polizeilichen Aufgaben“33 gaben die Polizisten nach dem Krieg relativ offen Auskunft. So waren sie etwa zur Unterstützung der Wehrmacht mit der Sicherung kriegswichtiger Objekte wie „z. B. Brücken, Bahnhöfe, Elektrizitätswerke, Wasserwerke“ beauftragt.34 Darüber hinaus hatten die Dortmunder Polizisten die Einhaltung der für die polnische Zivilbevölkerung bestehenden Sperrstunde zu überwachen. So seien in Posen „an 2 Tagen allein 161 Polen wegen Überschreitung der Sperrstunde festgenommen“ worden.35 Wer die Sperrstunde überschritt, sollte laut Anordnung des BdO Posen nicht nur über Nacht festgesetzt werden, sondern auch noch den nachfolgenden Tag bei Wasser und Brot in einer Zelle verbringen.36 Bei der weiteren Behandlung der Arretierten hatten die Dortmunder Polizisten einen erheblichen Ermessensspielraum. Wenn „Polen wegen der Übertretung der Sperrstunde aufgegriffen“ wurden, „so war die Behandlung unterschiedlich“. Manch eine Person sei, wenn „sie eine triftige Begründung“, wohl in Form von Bestechungsgeld, vorweisen konnte, „von den Streifen nach Hause geschickt“ worden. „Andernfalls wurden sie zunächst mit zur Wache genom-

31 Aussage Herbert Paul Becker vom 23.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3669). Als ehemaliger BdO Krakau war Becker mit den Strukturen der Ordnungspolizei gut vertraut. 32 Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 19). Dort auf den HSSPF bezogen. 33 Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (ebd., Bl. 25). Für die separate Anreise und die separaten Operationen der Kompanien vgl. Aussage August Kleine vom 3.9.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 209, Bl. 27). 34 Aussage Heinrich Lorey vom 4.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 53). Ebenfalls zur Objektbewachung vgl. Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 42); Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 1); Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 16). Für die „Verkehrsüberwachung“ als eine zusätzliche Aufgaben vgl. Lagebericht Stand 31.5.1940 vom 15.6.1940 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 31). 35 Lagebericht Stand 25.1.1940 vom 28.1.1940 (ebd., Bl. 20). Ebenso zu Sperrstunden und Streifendienst vgl. Aussage Heinrich Marach, o. D. (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 170a). Zur Verlängerung der Sperrstunde einiger Lokale auf 21 Uhr vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 29.10.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). 36 Vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 4.10.1939 (ebd., Bl. 2). Diese Regelung galt jedoch nur für Polen und wenig verwunderlich wurde bemängelt, dass der Zapfenstreich von Polizisten selbst „noch ungenügend befolgt“ würde. Vgl. Kommandantur-Befehl Nr. 11 des Kommandanten von Posen vom 22.9.1939 (APP 298 Nr. 37, Bl. 7).

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men“, wo man ihre Personalien überprüft habe. Manche Personen, z. B. „leichte Mädchen, wurden auch wohl die Nacht über festgehalten und hatten am nächsten Tage vor ihrer Entlassung zunächst die Wachstuben zu säubern“.37 Folgt man den verschiedenen Nachkriegsermittlungen, so scheinen darüber hinaus auch vereinzelt Polen, die die Sperrstunde überschritten hatten, erschossen worden zu sein.38 Neben ihrem Streifendienst zur Überwachung der Sperrstunde oblag Teileinheiten des Bataillons 61 bis Ende Oktober 1939 die Bewachung von Geiseln, die die Besatzungsmacht unter der lokalen Bevölkerung genommen hatten. So erinnerte sich der Offizier Lütgemeier, dass er als „Dauerwachhabender im Posener Rathaus“ verwendet wurde. Dort seien er und seine Männer mit der „Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in der Innenstadt“ sowie „der Bewachung von etwa 40 bis 50 Geiseln“39 betraut gewesen. Um die Bevölkerung zu kontrollieren, wurden bevorzugt exponierte Mitglieder „aus Kreisen der polnischen Intelligenz“ festgehalten.40 Angeblich erhielt die Rathauswache aber etwa vom Militärbefehlshaber auch „des Öfteren den Auftrag, polnische Geheimorganisationen, die sich bereits zu bilden begannen, auszuheben“.41 Tatsächlich muss es sich um ein anderweitiges Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung gehandelt haben. Nicht „einmal die Sicherheitspolizei konnte Beweise dafür finden, dass irgendwelche Geheimorganisationen tatsächlich“42 in dieser frühen Phase gegen die Deutschen 37 Aussage Heinrich Lorey vom 4.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 53 f.). 38 Vgl. Zusammenfassung des Ermittlungsstands durch KK Löblein vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 193). Für die polnische Vernehmung, auf die sich dabei vermutlich gestützt wurde, vgl. Aussage Stanislaw Jezeflinski vom 15.9.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 229). Dort wird von drei Polen gesprochen, die auf diese Weise im November 1939 bei Kramsk getötet wurden. 39 Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 57r). Einer der einfachen Polizisten, die dort Dienst taten, war Urban. Vgl. Aussage Fritz Urban vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 143). Zur Übertragung der Wache auf andere Einheiten und für die Durchführung an einem neuen Ort ab dem 28.10.1939 vgl. Kommando der Schupo betr.: Verlegung der Geiselwache vom alten Rathaus zur Rosenstraße 17 (Privat Schule) vom 27.10.1939 (APP 4807 Nr. 190, unpag.). 40 Karl-Heinz Lütgemeier vom 13.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 61). Exem­ plarisch zur Überlegung, wer als Geisel infrage kam, vgl. Schreiben an die Ortskommandantur Ostrowo vom 25.10.1939 (IZP Dok I Nr. 902, Bl. 109); Liste der als Geiseln geeigneten Personen vom 13.10.1939 (ebd., Bl. 118–124). Grundsätzlich zu der Frage, wen die Nationalsozialisten als Mitglieder der polnischen Intelligenz ansahen, vgl. Umbreit, Militärverwaltungen, S. 147. 41 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 2). Generell zum polnischen Widerstand vgl. Wolfgang Jacobmeyer, Heimat und Exil. Die Anfänge der polnischen Untergrundbewegung im Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1973. Vgl. insbesondere ebd., S. 28, für deren Entstehungszusammenhänge. 42 Umbreit, Militärverwaltungen, S. 149. Insbesondere zur Widerstandsbewegung im Raum Posen, die bis 1941 kaum relevant war, vgl. Aleksandra Pietrowicz, Die Widerstandsbewegung in den eingegliederten polnischen Gebieten 1939–1945. In: Młynarczyk

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vorgehen wollten bzw. konnten. Dafür hatte nach dem schnellen Vormarsch der Wehrmacht schlicht die Vorbereitungszeit gefehlt. Stattdessen etablierten die Besatzer unter Vorwänden ein auf Terror basierendes Herrschaftssystem. Entsprechend erinnerte sich der BdO Posen, Knofe, nach dem Krieg, dass die ihm unterstellten Polizeieinheiten mehrfach Geiseln exekutiert hätten. Ob sich daran auch das Bataillon 61 beteiligt hatte, wollte er nicht mehr wissen. Das Bataillonsmitglied Hans Siewecke räumte jedoch genau dies ein.43 Am 19. Dezember 1939 hob der BdO Posen die Geiselnahme-Praxis auf und legte fest, dass die ihm unterstehenden Verbände nur noch bei Notständen Geiseln nehmen dürfen. Dass die deutschen Besatzer weiterhin Geiseln aus geringfügigen Gründen genommen hatten, zeigte sich exemplarisch 1940, kurz nachdem das Bataillon 61 den „Warthegau“ wieder verlassen hatte. Nicht aus kriegsrelevanten Gründen, sondern weil angeblich mit Steinen nach einem „volksdeutschen“ Motorradfahrer geworfen wurde, ordnete die Gestapo in Kosten/Kościan an, zehn Geiseln für die Dauer von drei Wochen zu nehmen. Auch wurden offenbar Geiseln teilweise deutlich länger festgehalten, als man es ihnen zu Beginn ihrer Haft eröffnet hatte.44 Eine weitere Aufgabe der Dortmunder Polizeieinheit schilderte der Chef der 3. Kompanie nach dem Krieg wie folgt: „Als die deutsche Truppe in Polen einmarschierte, waren von den polnischen Behörden die Strafanstalten geöffnet worden. Die polnischen Verbrecher trieben sich noch in den Wäldern umher. Das Polizeibataillon hatte die Aufgabe im Zusammenwirken mit der Wehrmacht, die Wälder zu durchkämmen und die Gefangenen wiederaufzu-

(Hg.), Polen unter deutscher und sowjetischer Besatzung 1939–1945, S. 427–451, hier 434–435. Allgemein zur polnischen Untergrundbewegung, die nicht auf Anschläge ausgerichtet war, vgl. Horst Rohde, Hitlers erster „Blitzkrieg“ und seine Auswirkungen auf Nordosteuropa. In: Klaus Maier/Horst Rohde/Bernd Stegemann/Hans Umbreit (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 2. Die Errichtung der Hegemonie auf dem europäischen Kontinent, Stuttgart 1979, S. 79–150, hier 148. Für die fehlende Vorbereitungszeit, um Sabotageakte auszuführen, vgl. Włodzimierz Borodziej, Terror und Politik. Die deutsche Polizei und die polnische Widerstandsbewegung im Generalgouvernement 1939–1944, Mainz 1999, S. 169. 43 Vgl. Aussage Hans Siewecke vom 30.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 56). Ebenso vgl. Aussage Wladyslaw Kaniewski vom 6.2.1973 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 128). Dort wird beschrieben, wie bei Kaniewskis Entlassung aus 15-tägiger Geiselhaft 20 Personen erschossen worden seien. Für Knofes Darstellung vgl. Aussage Oskar Knofe vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 73). Für die Anordnung der Wehrmacht vgl. Stellv. Gen.Kdr. XVI. A. K. [Stellvertretende Generalkommandantur des XVI. Armeekorps] betr.: Festnahme von Geiseln vom 28.10.1939 (APP 298 Nr. 33, Bl. 21). 44 Vgl. Beschwerde über Geiselhaft vom 2.3.1940 (APP 1238 Nr. 41, Bl. 46). Zur Geiselnahme in Kosten vgl. Gestapo Außendienststelle Kosten betr.: Steinwürfe auf einen Motorradfahrer in Lubin vom 4.7.1940 (APP 456 Nr. 19, Bl. 1.). Zur Aufhebung der Geiselnahme-Praxis vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 19.12.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363 Bl. 2).

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greifen.“45 Tatsächlich ließ die deutsche Polizei zu Kriegsbeginn verlauten, dass die polnischen Behörden „bei ihrem Abzug die Strafanstalten öffneten“.46 Daran anknüpfend urteilte der Kriegsberichterstatter Helmuth Koschorke, in den Wäldern hätten die „von den polnischen Behörden freigelassenen Schwerverbrecher ihr Unwesen“ getrieben. Dieser „Abschaum der Menschheit“47 habe dann eine mühsame Bekämpfung nötig gemacht und die Sicherheitslage in Polen destabilisiert.48 Das Festsetzen von gefährlichen Strafgefangenen klingt zunächst nach einem durchaus legitimen Einsatzmuster für eine Polizeieinheit. Problematisch ist daran jedoch, dass es sich für den „Warthegau“ 1939/40 um ein von deutscher Seite erfundenes Narrativ handelt. Es finden sich weder in polnischen noch in deutschen Archiven Belege dafür, dass Gefängnisse systematisch geöffnet worden wären. Sicher mag es vereinzelt vorgekommen sein, wie es im Chaos von Kriegssituationen typisch ist, dass beim Zurückweichen der polnischen Verwaltung einzelne Straftäter aus den Strafanstalten fliehen konnten. Massenhaft umherziehende, marodierende Sträflinge waren jedoch eine Erfindung. Wolfgang Jacobmeyer bezeichnet diese als Teil einer Rechtfertigungsstrategie, die „durch Schauermärchen aufgeputzt“ war.49 Bei den wenigen widerständigen Polen habe es sich „nicht um Zuchthäusler“ gehandelt.50 Klar macht dies die Aussage von Siewecke, der seinen Dienst beim Bataillon 61 versah. Er hielt eindeutig fest, dass die „Durchkämmung der Wälder im Raume von Posen nach freigelassenen Strafgefangenen“51 ohne jedes Ergebnis verlaufen sei.

45 Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1 2. Teil Mappe b, Bl. 2). 46 O. V., Polizeibataillone im Bandenkrieg. In: Die Deutsche Polizei, 7 (1939) 19, S. 657– 660, hier 659. 47 Helmuth Koschorke, Polizei greift ein! Kriegsberichte aus Ost, West und Nord, Berlin 1941, S. 29. Ebenso vgl. Kräfteeinsatz und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei seit Beginn des Krieges vom 20.8.1940 (BA R 19 Nr. 97, Bl. 4); Denkschrift: Die Deutsche Ordnungspolizei, o. D. (BA R 19 Nr. 394, Bl. 27). Für das Nachkriegsnarrativ der Bekämpfung angeblicher Verbrecher vgl. Paul Riege, Aus meinem Leben, Buxtehude 1975, S. 25. 48 Für die angebliche Öffnung der Gefängnisse vgl. Bogdan Musial, Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939–1944, Wiesbaden 1999, S. 14. Dort aber ohne jeden Quellenbeleg. 49 Jacobmeyer, Henryk Dobrzanski, S. 63. Insbesondere Bruno Streckenbach, als erster Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im Generalgouvernement, gab dieses Narrativ für die Propaganda bereits im November 1939 vor. Vgl. Lars Jockheck, „Banditen“ – „Terroristen“ – „Agenten“ – „Opfer“. Der polnische Widerstand und die Heimatarmee in der Presse-Propaganda des „Generalgouvernements“. In: Bernhard Chiari (Hg.) Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg, Oldenburg 2003, S. 431–471, hier 446 f. 50 Jacobmeyer, Henryk Dobrzanski, S. 63. 51 Aussage Hans Siewecke vom 30.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 221, Bl. 24). Für lediglich einen einzelnen, geflohenen Strafgefangenen, der wieder festgesetzt wurde, vgl. Tätigkeitsbericht des Polizeipräsidenten vom 20.10.1939 (APP 298 Nr. 17, Bl. 22).

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Welchen tatsächlichen Zweck die vermeintlichen Einsätze des Bataillons 61 gegen „Strafgefangene“ gehabt haben könnten, beleuchten die Ermittlungs­ ergebnisse des polnischen Sicherheitsamtes in Samter/Szamotuły. In dessen Unterlagen wurde 1948 festgehalten, dass im dortigen Gefängnis im November 1939, aufgrund einer angeblich deutschfeindlichen Einstellung, 200 Insassen erschossen worden seien. Bringt man dies in Verbindung mit der großen Zahl an Toten sowie den wenigen im „Warthegau“ verfügbaren großen Polizeieinheiten, die einen solchen Einsatz logistisch umsetzen konnten, so erscheint es mehr als plausibel, dass das Bataillon 61 die Exekution ausführte.52 Eine weitere von den Dortmunder Polizisten nach dem Krieg angeführte Aufgabe war die „Bandenbekämpfung“. So habe man das Bataillon 61 im „Warthe­ gau“ „in der Hauptsache zu dem Zweck eingesetzt, wie Wälder nach Partisanen zu durchkämmen“.53 In der Propaganda zu Kriegszeiten hieß es über diese Tätigkeit: „Auch im Posener Gebiet hielten nach dem weiteren Vorrücken der deutschen Truppen polnische Banden die Zeit für gekommen, wurden jedoch von den dort eingesetzten Polizeibataillonen bald eines Besseren belehrt.“54 Verschiedene Angehörige des Bataillons 61 wurden dafür später mit dem KVK ausgezeichnet. In den dazu führenden Vorschlägen hieß es beispielsweise, Baumkötter sei „mit seinem Zuge gegen Heckenschützenbanden in der weiteren Umgebung von Posen“ mehrfach eingesetzt gewesen. „Die erfolgreiche Vernichtung mehrerer Banden und die Freimachung wichtiger Nachschubstraßen“55 habe dabei einen wichtigen Verdienst dargestellt. Über einen weiteren Polizisten hieß es: „Im Kampf mit polnischen Banden und Heckenschützen zeigte er neben Tapferkeit Umsicht und Gewandtheit.“56 Auch Offiziere wurden in gleicher Form belobigt. So hieß es über Fockenbrock, Chef der 2. Kompanie, er habe sich „an der Niederkämpfung von Heckenschützenbanden hervorragend beteiligt“. Ihm und seiner Einheit sei es zu verdanken gewesen, dass, wo sie eingesetzt waren, „kein Pole mehr die rückwärtigen Verbindungen zu stören wagte“.57 Ebenso sei etwa auch der Chef der 1. Kompanie, Nord, dafür verantwortlich gewesen, dass mehrere „Franktireur-Banden unschädlich“58 gemacht wurden. Tatsächlich waren jedoch Gruppen aus

52 Vgl. Bericht des Sicherheitsamtes in Szamotuły vom 13.3.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 58). Die polnischen Ermittler ordneten diese Tötungen dem Bataillon 61 zu. 53 Aussage Alfred Albrecht vom 5.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 65). Allgemein zur „Bandenbekämpfung“ vgl. Philip W. Blood, Hitler’s bandit hunters. The SS and the Nazi occupation of Europe, Washington D.C. 2006. 54 O. V., Polizeibataillone (1939), S. 657 f. 55 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2411, Bl. 2). 56 Vorschlag für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes vom 8.10.1941 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 138). 57 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 2). 58 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 2).

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„abgesprengten polnischen Soldaten“,59 die sich mit geflohenen Strafgefangenen verbündeten, weitestgehend Fiktion. Wie erläutert gab es im „Warthegau“ 1939/40 keine nennenswerten partisanenartig organisierten Gruppen, die im größeren Umfang bekämpft werden konnten. Die angeblichen Einsätze des Bataillons 61 „gegen polnische Heckenschützenbanden“, die vermeintlich „Nachschubkolonnen“ und „die rückwärtigen Verbindungen gefährdeten“,60 waren tatsächlich nicht mehr als gewalttätige Repressionen gegen Teile der lokalen Zivilbevölkerung. Die in einen militärischen Kontext gerückten Handlungen des Dortmunder Bataillons ermöglichten zum einen eine Auszeichnung der Bataillonsangehörigen mit militärischen Ehrenzeichen und boten zum anderen einen idealen Tarnmantel für die oftmals illegale Mitwirkung der Polizeikräfte am „Muster­ gau Wartheland“. Für diesen hielt der BdO programmatisch gegenüber den ihm unterstellten Kommandeuren, darunter Major Dederky vom Bataillon 61, fest: „Holen Sie alles heraus, was in Ihnen steckt, auch wir sind im Angriff.“61 Gegen wen sich dieser, von fiktiven Partisanen und ebenso imaginierten flüchtigen Schwerverbrechern abgesehen, richten sollte, war dabei relativ klar. Es galt nicht nur für die Sicherheitspolizei und den SD, sondern auch für die uniformierte Polizei, polnische „Rädelsführer und Hintermänner festzustellen und unschädlich zu machen“.62 Für deren vermeintlich „verübten Schandtaten und grauenhaften Morde“ wurde deswegen von der „Sicherheitspolizei eine entsprechende Anzahl sogenannter unsicherer Polen […] herausgesucht und von der Sicherheitspolizei in Zusammenarbeit mit der Schutzpolizei der gerechten Strafe zugeführt“.63 Die Personengruppe, gegen die die Besatzungsmacht vorzugehen gedachte, war dabei sehr weit gefasst. Zu ihr zählten „polnische Ärzte, Lehrer, Fabrikbesitzer und Geistliche“64 sowie die Mitglieder einer großen Zahl als „deutsch­ feindlich“ eingeschätzter Organisationen, zu der u. a. auch die katholische Aktion, der polnische Westverband und die Pfadfinder zählten. Kurz gefasst lässt sich festhalten, dass somit durch das Bataillon 61 Personen entfernt werden sollten, die potenziell aufgrund ihrer angeblich „nationalpolnischen Einstellung“ die deutsche Hegemonie bedrohten. Gleiches galt auch für Menschen,

59 Aussage Hans Sieweke vom 30.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 228). Zur Auswirkung dieser imaginierten Feinde auf deutsche Militärverbände 1939 vgl. Böhler, Auftakt, S. 159 f. 60 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 2). Dort bezogen auf die 4. Kompanie des Bataillons 61. 61 Kommandeursbesprechung des BdO vom 2.12.1939 (APP 4807 Nr. 190, unpag). 62 O. V., Polizeibataillone (1939), S. 659. 63 Bericht des Befehlshabers der Ordnungspolizei beim Chef der Zivilverwaltung beim Militärbefehlshaber Posen an den RFSS vom 19.10.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 50). 64 Einzelbericht der Schutzpolizeiabteilung Konin vom 5.7.1940 (APP 455 Nr. 36, Bl. 36).

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die in der deutschen Planung schlicht den für „Volkgenossen“ vorgesehen Siedlungsraum blockierten und damit „eine Gefahr für die Durchsetzung und Festi­ gung des Deutschtums“ darstellten. Dazu zählten auch „alle Juden“,65 die im „Warthegau“ ansässig waren. Um zu wissen, gegen wen man vorzugehen hatte, waren bereits im Vorfeld der einzelnen Aktionen Listen aufgestellt worden, die zukünftige Zielpersonen kategorisierten und verzeichneten. Sie sollten „so gut wie möglich unschädlich gemacht werden“.66 Ausgeführt wurde dies durch das Bataillon 61 neben der erläuterten „Bandenbekämpfung“ auch durch zwei weitere Haupttätigkeitsfelder: Deportationen und Exekutionen. Ziel war „die Säuberung und Sicherung des Bereiches […] mit allen Konsequenzen“.67 Zu Beginn des Einsatzes der Dortmunder Polizeieinheit hätten dessen Männer angeblich noch keine eigenständigen Deportationen durchgeführt. Stattdessen habe man „nur bei Absperrungen mitgewirkt, äußere Absperrungen, wenn bestimmte Viertel von der Militärverwaltung bzw. dem Gauleiter Greiser geräumt wurden“.68 Ob dies korrekt ist, lässt sich nicht mehr abschließend prüfen. Eingestanden wurde jedoch nach dem Krieg, dass u. a. die 1. Kompanie unter Nord „an Abtransporten solcher Zivilisten an die Eisenbahn mitgewirkt hat. Das Bataillon befahl, wie viel Begleitmannschaften zu stellen waren und der Hauptwachtmeister“69 der jeweiligen Kompanie habe die Kräfte zum Einsatz eingeteilt. Die einzelnen Bahntransporte, die meist von sechs Männern und einem Unterführer des Bataillons 61 bewacht wurden, umfassten üblicherweise eine große Anzahl an abzuschiebenden Personen. So führten die Polizisten bei-

65 Abschiebung von Juden und Polen aus dem Reichsgau Wartheland vom 12.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 198 [Anhang], Bl. 12.) Ebenso vgl. Erfahrungsbericht über die Umsiedlung von Juden und Polen aus dem Reichsgau Wartheland vom 26.1.1940 (IZP Dok I Nr. 398, Bl. 2). Für die als „deutschfeindlich“ eingeschätzten Organisationen vgl. Zusammenstellung der deutschfeindlichen polnischen Organisationen vom 3.1.1940 (ebd., Bl. 15). Ebenso vgl. Liste: Vereine, deren Mitglieder für die Abschiebung unbedingt in Frage kommen, o. D. (AAN 1335 Nr. 125, Bl. 36). Insgesamt umfassten die Listen erheblich mehr Organisationen als in der vorliegenden Studie exemplarisch genannt werden. Für die Exekution aufgrund der Zugehörigkeit von Personen zu den Pfadfindern vgl. Aussage Ignacy Pikusa vom 11.11.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 224). Exemplarisch für die Festsetzung eines Schulleiters und des Leiters der polnischen Post vgl. Aussage Stefan Trzaski vom 16.7.1948 (ebd., Bl. 161). 66 Vermerk über eine Amtschefbesprechung zu den Aufgaben der Sicherheitspolizei im besetzten Teil Polens vom 7.9.1939 (BA R 58 Nr. 825, unpag.). Exemplarisch für die Listen vgl. Listen mit als deutschfeindlich eingeschätzten Personen (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 67–70); Meldung betr.: Poln. [Polnische] Geistliche vom 29.12.1939 (IZP Dok I Nr. 445, Bl. 3). Allgemein für die Fahndungslisten vgl. Umbreit, Militärverwaltungen, S.  148. 67 Abschiebung von Juden und Polen aus dem Reichsgau Wartheland vom 12.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 198 (Anhang), Bl. 13). 68 Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 1). 69 Ebd.

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spielsweise am 30. Oktober 1939 „einen Bahntransport mit 1 500 polnischen Verbrechern“ durch.70 Ebenso führten Männer der Polizeieinheit angeblich am 7. Dezember einen weiteren „Evakuierungstransport von 1 200 Polen (asoziale Elemente)“ aus.71 Spätestens mit der „Einrichtung der Zivilverwaltung setzten Evakuierungen“72 der polnischen Bevölkerung auch durch das Bataillon 61 ein. Anfang Dezember 1939 bestimmte Himmler dazu seinen HSSPF „Warthegau“, den „SS-Gruppenführer Koppe, zum allein verantwortlichen Parteigenossen für die Durchführung aller dieser Maßnahmen im Warthegau“.73 Die konkreten „Evakuierungen“ wurden laut dem BdO Knofe aber von ihm den Einsatzkräften vorgegeben. Die Mitwirkung an und Durchführung von Deporta­tionen erstreckte sich bei den verschiedenen Kompanien des Bataillons 61 nicht nur auf das Posener Stadtgebiet. So erinnerten sich etwa Mitglieder der 2. Kompanie, dass ihr Einsatzraum „nicht in der Stadt Posen, sondern auf dem Lande“74 gelegen habe. Dort habe die Teileinheit des Bataillons die „Bauern­schaft zu räumen“ gehabt.75 Zielgruppe der Deportationen waren aber längst nicht nur Landwirte. Vielmehr richteten sich die Aktionen gegen die gesamte Bandbreite an Personen, die von den Nationalsozialisten als potenziell problematisch für die deutsche Herrschaftsausübung eingeschätzt wurde. Korrekt gab etwa das Bataillonsmitglied Ewald Körner nach dem Krieg zu Protokoll, ihm sei „bekannt, dass alle Juden aus Posen ausgewiesen wurden. Die Evakuierungen betrafen also in erster Linie die jüdische Bevölkerung.“76 Hinzu kamen die vermeintlich „deutschenfeindliche polnische Intelligenz, politisch belastete Polen (Angehörige der chauvinistischen politischen Parteien und Verbände), asoziale und kriminelle

70 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 8). Diese Archivalie enthält kyrillische Notizen, die den Begründungstext auf Russisch zusammenfassen. 71 Ebd., Bl. 9. Für die Schwierigkeit der Reichsbahn die Deportationszahlen zu bewältigen vgl. Erfahrungsbericht über die Umsiedlung von Juden und Polen aus dem Reichsgau Wartheland vom 26.1.1940 (IZP Dok I Nr. 398, Bl. 5). 72 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 20). 73 Rundschreiben des Gauleiters Greiser an alle Parteidienststellen, Staatsdienste und Landräte vom 4.12.1939 (BA R 75 Nr. 3b, Bl. 15). 74 Aussage Hans Baumkötter vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 55). Ebenso vgl. Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 44) Für die Anordnung der Evakuierung durch den BdO vgl. Aussage Oskar Knofe vom 17.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 248, Bl. 93). 75 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 12). Ebenso vgl. Aussage Hans Baumkötter vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 52). Ausführlich zur Vorgehensweise bei Deportationen im ländlichen Raum vgl. Verhaltensmerkblatt für Evakuierungstrupps beim bäuerlichen Einsatz, o. D. [vermutlich 1.11.1940] (IZP Dok I Nr. 413, Bl. 3–6). 76 Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 16). Ebenso für die Deportation von „Juden“ und Polen vgl. Aussage Franz Klippert vom 29.10.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 89).

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Elemente“.77 Es hieß, deren Deportation sei zunächst in „den Monaten November und Dezember 1939 sowie in den Monaten Januar und Februar 1940“78 unter der Ägide des HSSPF vorzunehmen. In Hinsicht auf etwaige Sinti und Roma der Region traf der BdO darüber hinaus folgende Anordnung: „Zigeuner dürfen nur ostwärts wandern, ein Abwandern nach Westen ist unbedingt zu verhindern.“79 Die „Umsiedlung“ sollte dabei möglichst wirtschaftliche Bedürfnisse berücksichtigen. Gemeint war damit, dass möglichst keine Probleme in der Versorgungslage im „Warthegau“ entstehen sollten, etwa aufgrund der zu frühen Deportation von noch nicht ersetzbaren Apothekern. Man wollte zuerst diejenigen Bevölkerungsgruppen entfernen, die als reine Kostenfaktoren gesehen wurden. Entsprechend unterschied man in der Planung die Zahl der insgesamt abzuschiebenden Personen und die Zahl der vordringlich abzuschiebenden Personen. Insgesamt plante man die Abschiebung von „200 000 Polen und 100 000 Juden“.80 Zunächst war aber vorrangig geplant, in einer „Erstaktion“ in „den Landkreisen alle Juden, außerdem aus den kleinsten Kreisen mindestens 2 000 Polen, aus den größeren eine entsprechend höhere Zahl“,81 abzuschieben.

77 Stellungnahme zur Behandlung angeblich Volksdeutscher im Rahmen der im Reichsgau Wartheland durchgeführten Evakuierungen vom 20.4.1940 (BA R 75 Nr. 2, Bl. 5). Ebenso für „abzuschiebende“ Personen vgl. Bericht des HSSPF Warthe an das RSHA [Reichssicherheitshauptamt] betr.: Abschiebung von Juden und Polen aus dem Warthe­ gau. Erfahrungen aus dem bisherigen Ablauf der Aktion und Planung für die zukünftigen Transporte vom 18.12.1939 (BA R 75 Nr. 3b, Bl. 5). Insbesondere bei Mitgliedern der polnischen „Intelligenz“ musste noch nicht einmal eine Deutschfeindlichkeit nachgewiesen werden, um sie abzuschieben. Vgl. Abschiebung von Juden und Polen aus dem Reichsgau Wartheland vom 12.11.1939 (AŻIH 233 Nr. 36, Bl. 2). 78 Anordnung 1/II des RFSS als Reichskommissar zur Festigung des deutschen Volkstums vom 30.10.1939 (BA R 75 Nr. 3b, Bl. 5). Vgl. auch ebd. für die Deportationen, deren Zielgruppen und die verantwortlichen Organisatoren. 79 Tagesanordnung des BdO Posen vom 13.11. 1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). 80 Abschiebung von Juden und Polen aus dem Reichsgau „Wartheland“ vom 12.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 198 [Anhang], Bl. 12). In ähnlicher Form vgl. Erfahrungsbericht über die Umsiedlung von Juden und Polen aus dem Reichsgau „Wartheland“ vom 26.1.1940 (IZP Dok I Nr. 398, Bl. 1); Vermerk zur Besprechung vom 30.1.1940 (AŻIH 233 Nr. 12, Bl. 2–7). Zum Berücksichtigen wirtschaftlicher Bedürfnisse bei Deportationen vgl. Abschiebung von Juden und Polen aus dem Reichsgau Wartheland vom 12.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 198 [Anhang], Bl. 14). Zum Belassen von „Handelsjuden“ in ihren Wohnungen vgl. Schnellbrief an die Chefs aller Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei betr.: Judenfrage im besetzten Gebiet vom 21.9.1939 (AAN 1335 Nr. 125, Bl. 4). 81 Abschiebung von Juden und Polen aus dem Reichsgau Wartheland vom 12.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 198 [Anhang], Bl. 12). Ebenso vgl. Bericht des HSSPF Warthe an das RSHA betr.: Abschiebung von Juden und Polen aus dem Warthegau. Erfahrungen aus dem bisherigen Ablauf der Aktion und Planung für die zukünftigen Transporte vom 18.12.1939 (BA R 75 Nr. 3b, Bl. 1). Dort heißt es, „aus den 41 Stadt- und Landkreisen des Warthegaues [sei] mindestens je ein Zug abgefertigt worden“. Insgesamt habe es sich in 80 Transporten um über 80 000 Polen und „Juden“ gehandelt, die man ins Generalgouvernement verbrachte.

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Im starken Maße wirkte an diesen Deportationen auch die Dortmunder Polizeieinheit mit. Nach dem Krieg erinnerte sich das Bataillonsmitglied Baumkötter, es habe sich um eine „Riesenaktion“82 gehandelt. Die Einheit wurde kompanieweise im „Warthegau“ zu zahlreichen „Evakuierungen“ eingesetzt.83 Folgt man dem Vorschlagstext für die Verleihung der Medaille für deutsche Volkstumspflege, die zahlreiche Mitglieder der Einheit als Belohnung für ihre „Volkstumsarbeit“ erhielten, so kann man Baumkötter durchaus zustimmen. Dort ist festgehalten, dass das Bataillon 61 während seiner Zeit im „Warthe­ gau“ „77 750 Juden und Polen evakuiert“84 haben soll. Bei den Deportationen wurden zunächst die zu räumenden Stadtviertel, Dörfer oder kleinen Siedlungen, die den Kompanien zuvor durch die Zivilverwaltung zugeteilt worden waren, umstellt. Dann eröffnete man der Bevölkerung, dass sie umgehend ihre Heimat zu verlassen hatte. Innerstädtisch gingen die Dortmunder Polizisten zunächst gegen Viertel mit „sehr gut eingerichteten Wohnungen“ vor, „wo die polnische Intelligenz wohnte“.85 Durchgeführt wurden die „Räumungen“ bevorzugt nachts, wohl um die für die polnische Bevölkerung bestehende Ausgangssperre zu nutzen. „Die Betroffenen wurden mit einer geringen Zeitfrist zum Packen der notwendigen Sachen vertraut gemacht und nach Ablauf aus den Häusern geholt.“86

82 Aussage Hans Baumkötter vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 56). 83 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 12). 84 Vorschlag zur Medaille für deutsche Volkspflege 3. Stufe, o. D. (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 130). Für die gleiche Zahl auf Basis von Verhören vgl. Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 95). Marach führte aus, die Deportationen seien im März schon beendet gewesen. Vgl. Aussage Heinrich Marach, o. D. (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942 Bl. 170a). Damit hätte das Bataillon nur am 1. Nahplan und am Zwischenplan aber nicht mehr am 3. Nahplan mitgewirkt. Vgl. Abschlussbericht über die Aussiedlungen im Rahmen der Ansetzung des Wolhynien-, Galizien- und Cholmerdeutschen (2. Nahplan) im Reichsgau Wartheland 1940, o. D. (BA R 75 Nr. 6, Bl. 2–11). Dort wurde als Daten und Deportiertenzahlen festgehalten: „1. Nahplan (1.12.–17.12.39): 87 883, Zwischenplan (10.2.–15.3.40): 40 128, 2.Nahplan (15.3.40–20.1.41): 133 506 und insgesamt 231 517 Personen.“ Für die Belobigung des Bataillons 61 für die Deportationen vgl. Anerkennung für besonders tatkräftigen Einsatz bei der Umsiedlung volksdeutscher Rückwanderer vom 12.4.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 92). 85 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 39). Für die Umstellung und Eröffnung des Räumungsbefehls aus polnischer Perspektive vgl. Aussage Zenon Babiak vom 20.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 125). Für den nahe­zu identischen Wortlaut vgl. Aussage Czesław Krzyżeniak vom 20.6.1948 (ebd., Bl. 126). Für Listen der Zivilverwaltung, wer deportiert werden sollte, vgl. Aussage Heinrich Marach, o. D. (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942 Bl. 170a). 86 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 12). Für die abendliche Räumung vgl. Polizeiliche Grundsätze für die Räumung vom 16.11.1939 (IZP Dok I Nr. 419, Bl. 1). Die Räumung bei Nacht ist auch erwähnt aus polnischer Perspektive. Vgl. Aussage Zenon Babiak vom 20.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 125). In nahezu identischer Form vgl. Aussage Czesław Krzyżeniak vom 20.6.1948 (ebd., Bl. 126).

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Wie lange genau die Einwohner Zeit hatten, um sich auf ihre Deportation vorzubereiten, unterscheidet sich in einzelnen Schilderungen deutlich. Die berichtete Zeitspanne reichte von 10 bis 15 Minuten über 1 bis 1,5 Stunden bis hin zu 2 bis 3 Stunden. Bei der eigentlichen „Räumung“ war es dann Befehl, dass eine „Evakuierung niemals von einem Beamten allein vorgenommen werden“ durfte, da „stets mit Widerstand gerechnet werden“ müsse. Die Sicherheit der Beamten erfordere „je nach Verhältnissen starken Einsatz, der so bemessen sein muss, dass auch unter allen Umständen die Staatsautorität gewährt“ werde.87 Damit forderte der BdO Knofe indirekt ein rabiates Vorgehen gegen die Zivil­ bevölkerung, das die Dortmunder Polizisten auch praktizierten. Während der Deportationsaktionen waren die lokalen polnischen Eliten, beispielsweise Bürgermeister, dafür zuständig, dass die Deportierten nur wenig Gepäck mitnahmen. Jeder Person stand nur ein Koffer Gepäck sowie 200 Złoty an Bargeld zu. Besonders scharf war die Regelung bei vermeintlich jüdischen Einwohnern. In ihrem Fall durfte die Bargeldsumme 50 Złoty pro Person nicht überschreiten. Ein „Merkblatt für die Durchführung der Evakuierung von Juden und Polen“ schärfte den Polizisten genau ein, dass den Deportierten keine „Wertpapiere, Wertsachen, Gold und Silbersachen“ zu belassen seien. „Bei Juden“ sei „die Anzahl an mitzunehmenden Gegenständen erheblich einzuschränken.“88 Weiterhin wurde auch vorgeschrieben, dass Personen, die sich als „Volksdeutsche“ oder Ausländer ausweisen konnten, nicht zu behelligen waren.89 Mit der Binnendifferenzierung der polnischen Bevölkerung und der Umsetzung offizieller Deportationslisten taten sich die Polizisten jedoch offenbar schwer, weswegen sich Koppe genötigt sah, die mangelhafte Durchführung von Deportationen zu rügen. So verhalte „sich eine größere Zahl von Polizeibeamten nach

87 Tagesanordnung des BdO Posen vom 16.12.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 3). Für die Zeit, die den Einwohnern gewährt wurde, um sich auf eine Deportation vorzubereiten, vgl. für 10 bis 15 Minuten: Aussage Marta Nowak vom 24.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 135). Für 20 Minuten vgl. Aussage Jan Mikolajczyk vom 27.10.1971 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 137). Für 1 bis 2 Stunden vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 20); Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 16). Für 2 bis 3 Stunden vgl. Aussage Hans Baumkötter vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 55). 88 Merkblatt für die Durchführung der Evakuierung von Juden und Polen vom 22.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 198 [Anhang], Bl. 44). Für das Maximum von 50 Złoty vgl. Polizeiliche Grundsätze für die Räumung vom 16.11.1939 (IZP Dok I Nr. 419, Bl. 2). Für weitere Regelungen was durch deportierte Personen mitgenommen werden durfte vgl. Abschiebung von Juden und Polen aus dem Reichsgau „Wartheland“ vom 12.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 198 [Anhang], Bl. 15). 89 Für das Ignorieren von Volksdeutschen und Ausländern, die keine Polen waren, vgl. Polizeiliche Grundsätze für die Räumung vom 16.11.1939 (IZP Dok I Nr. 419, Bl. 3). Insbesondere für die Regelung, Personen mit Verwandtschaft in den USA nicht zu behelligen, vgl. Aktenvermerk für SS-Hauptsturmführer Höppner betr.: Unterredung zwischen SS-Hauptsturmführer Eichmann und Untersturmführer Seidl am 5.6.40 in Posen vom 6.6.1940 (BA R 75 Nr. 20, Bl. 130).

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wie vor außerordentlich stur und leert die freizumachenden Wohnungen von allen Personen“,90 ohne den entsprechenden Vorgaben zu folgen. Tatsächlich bestätigte dies auch ein Mitglied des Bataillons 61. Der Mann gab nach dem Krieg an, dass die Polizisten oftmals mit den „Ausgewiesenen nicht viel Federlesens machten, sondern diese Leute einfach aus der Wohnung herauszerrten“.91 Für diejenigen Teile der polnischen Bevölkerung, die nicht deportiert werden sollten, hatte der HSSPF schon 1939 „jeden Wohnungswechsel und jede Abwanderung innerhalb des Reichsgaues ‚Wartheland‘“ verboten.92 Zur „Verhinderung der illegalen Abwanderung von Polen und Juden“93 wurden auf den größeren Straßen Polizeistreifen eingesetzt. Wer sich dort unerlaubt aufhielt und aufgegriffen wurde, dessen Ausweis sollte eingezogen und die Person an ein Polizeigefängnis überstellt werden. Ebenso sollten später diejenigen Deportierten, die in den „Warthegau“ zurückzukehren versuchten, festgesetzt werden.94 Die Deportierten wurden in das Generalgouvernement gebracht. In den Nachkriegsaussagen der Dortmunder Polizisten variieren die Zielorte, wobei am zutreffendsten noch die Region Galizien sowie die Gegend um Warschau gewesen sein dürfte. Manche Polizisten konnten oder wollten sich nach dem Krieg nicht mehr exakt erinnern und gaben sinngemäß nur an, man habe die Menschen nach Zentralpolen gebracht, „woher sie nach dem Ersten Weltkrieg gekommen waren“.95 Diejenigen Polen, die von den Deutschen als Juden klassifiziert worden waren, kamen zunächst in Sammellager, um von dort „aus abtransportiert zu werden“.96 „Die Unterbringung in den Lagern war derart, dass vom Korpsarzt der Ausbruch einer Seuche“97 befürchtet wurde. Anschließend

90 Schreiben des HSSPF an den Polizeipräsidenten in Posen vom 22.1.1940 (APP 4807 Nr. 203, unpag.). 91 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 21). 92 Abwanderungs- und Umzugsverbot für Polen und Juden vom 13.11.1939 (APP 299 Nr. 1233, Bl. 18). 93 Schreiben des Polizeipräsidenten an das Kommando d. Schutzpolizei vom 12.11.1939 (ebd., Bl. 71). 94 Vgl. Der Reg.Präs [Regierungspräsident] betr.: Rücksendung von evakuierten Polen vom 17.1.1940 (APP 4807 Nr. 190, unpag.). 95 Aussage Heinrich Lorey vom 6.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 48r). Für die Zielregionen Galizien und das Gebiet um Warschau vgl. Bericht von Friedrich Kehler an die brit. Besatzungsbehörde vom 29.11.1945 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 11); Aussage Franz Klippert vom 29.10.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 89). 96 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 20). Zur Kategorisierung vgl. Vordruck: Eidesstattliche Versicherung, o. D. (AŻIH 221 Nr. 1, Bl. 3) In deutscher und polnischer Sprache wird dort erklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Person als Jude galt. 97 General Petzel, Genst. d. H. [Generalstab des Heeres] Abt. z. b. V. (O Qu IV): Innere Lage im Warthegau vom 2.12.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 296). Zur Lebenssituation von Deportierten im Osten vgl. die Fotografien GFH 22050/13067P und 13068P.

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erfolgte die Überstellung in die Region südlich von Warschau und Lublin. Dort sollte, vor der 1939/40 noch nicht abgeschlossenen Entscheidung, die europäischen Juden zu vernichten, ein „Judenreservat“98 eingerichtet werden. Einige Polen wurden auch zur Zwangsarbeit in das Kerngebiet des Deutschen Reichs deportiert. Ein Mitglied des Bataillons 61 erinnerte sich nach dem Krieg, dass man auch einen Transport von seiner Meinung nach „arbeitswilligen Polen zusammengestellt und ins Altreich durchgeführt“ habe.99 Die tatsächlichen Verhältnisse fasste das Hauptamt Ordnungspolizei hingegen 1940 offen zusammen, wenn es hieß, „zur Erfassung von arbeitsscheuen Polen zur Arbeitsvermittlung ins Altreich“100 seien Polizeibataillone verwandt worden. Der polnische Zeuge Marceli Kupsik berichtete beispielsweise, wie er zwangsweise nach Hamburg gebracht worden sei, um dort in der Landwirtschaft zu arbeiten.101 Unmittelbar nach der „Leerung“ des „Warthegaus“ von vermeintlich störenden Teilen der polnischen Bevölkerung wurde auch mit dem „rassischen Sortieren“102 der Region fortgefahren. Die „leerstehenden Wohnungen in Posen und Umgebung wurden von Baltendeutschen besetzt“.103 Allein durch das Bataillon 61 seien „10 000 Balten- und Wolhyniendeutsche“104 angesiedelt worden. Die Aufgabe der Polizeieinheit im Frühjahr 1940 war dabei ein nicht näher definierter „Begleitschutz“.105 Insgesamt ging der BdO Knofe davon aus, dass etwa

    98 Bundesarchiv/Institut für Zeitgeschichte/Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Freiburg (Hg.), Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Band 3. Deutsches Reich und Protektorat September 1939–September 1941. Bearb. von Andrea Löw, München 2012, S. 146, Dokument 39. Ferner vgl. Barbara Schwindt, Das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek. Funktionswandel im Kontext der „Endlösung“, Würzburg 2005, S. 52. Das „Reservat“ sollte ein Arbeitskräftereservoir darstellen. Für die angestrebte Zielregion der Deportationen vgl. Abschiebung von Juden und Polen aus dem Reichsgau Wartheland vom 12.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 198 [Anhang], Bl. 12). Für die Konzentration von Juden an bestimmten Punkten mit guter Bahnanbindung vgl. Schnellbrief an die Chefs aller Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei betr.: Judenfrage im besetzten Gebiet vom 21.9.1939 (AAN 1335 Nr. 125, Bl. 2).     99 Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 24). 100 Lagebericht Stand 31.5.1940 vom 15.6.1940 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 31). 101 Vgl. Aussage Marceli Kupsik vom 25.4.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 190). Dort jedoch bezogen auf den August 1940. 102 Issinger, Männlichkeit, S. 225. 103 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 21). 104 Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 95). Allgemein zu Ansiedlungsmaßnahmen durch das Bataillon 61 vgl. Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 17); Aussage Heinrich Lorey vom 6.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 48r); Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1 2. Teil Mappe b, Bl. 1). 105 Aussage Hans Kärgel vom 5.9.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 62). Kärgel bezog sich dabei insbesondere auf die von ihm geführte 3. Kompanie. Vgl. auch Vorschlag für Volkstumsmedaille vom 23.12.1940 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 131); Karte Reichsgau Wartheland der Planungsbehörde des Reichsstatthalters, o. D. (IZP Dok I Nr. 655, Bl. 5).

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25 000 Personen anzusiedeln seien. Es sei auch die Aufgabe der Polizei, dazu beizutragen, die „Flüchtlinge schnell in Wohnung und Nahrung zu bringen“. Von den Städten aus sollte man unter den Angesiedelten zunächst die „behelfsmäßige Eingliederung in den Wirtschaftsprozess“ fördern.106 Mit der Ansiedlung gingen auch gewisse Befürchtungen einher. So antizipierte der Landrat in Wongrowitz und Kreisleiter der NSDAP, dass beim Eintreffen der Russlanddeutschen und wegen des Vertreibens zahlreicher Polen die verbliebenen polnischen Einwohner „aufsässig werden“ könnten.107 Auch das Hauptamt Ordnungspolizei verzeichnete, dass die „Evakuierungen“ „größere Unruhe in die polnische Bevölkerung getragen“ hätten.108 Dem Reichsführer-SS gegenüber berichtete der HSSPF „Warthegau“ darüber hinaus, die Deportationen würden bei Teilen der Wehrmacht auf Ablehnung stoßen.109 Am prägnantesten formulierte dies der Befehlshaber Ost, Johannes Blaskowitz: „Eine ganz besonders und stetig wachsende Beunruhigung des Landes bringt die Umsiedlung mit sich. Es liegt auf der Hand, dass die darbende und um ihre Existenz und ihr Leben ringende Bevölkerung nur mit größter Sorge die völlig mittellos, über Nacht aus ihren Häusern gerissenen, sozusagen nackt und hungernd bei ihr unterkriechenden Massen der Umgesiedelten betrachten muss. Dass diese Gefühle durch die zahlreichen verhungerten, toten Kinder jedes Transportes und die Waggons voller erfrorener Menschen zu maßlosem Hass gesteigert werden, ist nur zu erklärlich. Die Ansicht, man könne das polnische Volk mit Terror einschüchtern und am Boden halten, wird sich bestimmt als falsch erweisen.“110

Die Zivilverwaltung reduzierte den Terror jedoch keinesfalls. Die Maßnahmen, die stattdessen praktiziert wurden, lassen sich aus den vom Landrat Heinz Müller-Hoppenworth präsentierten Lösungsansatz für die oben dargestellte Befürchtung exemplarisch ablesen. Er ging davon aus, in Anbetracht der bevorstehenden Probleme müsse er gegenüber der Bevölkerung einfach nur „hart durchgreifen“.111 Zum Aufbauen und Aufrechterhalten des konstanten Drucks, um die polnische Bevölkerung zu kontrollieren, dienten auch Exekutionen. In zahlreichen Fällen führten Teile des Bataillons 61 solche Aktionen in weitgehender Eigenständigkeit aus, sowohl anfangs unter der militärischen als auch später unter der zivilen Verwaltung. Als vermeintlich rechtskräftiger Grund für die Beseitigung

106 Tagesanordnung des BdO Posen vom 6.10.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). 107 Bericht des Landrats Müller-Hoppenworth vom 10.10.1939 (APP 298 Nr. 24, Bl. 16). 108 Lagebericht Stand 25.1.1940 vom 28.1.1940 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 20). 109 Vgl. Bericht des HSSPF an das RSHA betr.: Abschiebung von Juden und Polen aus dem Warthegau. Erfahrungen aus dem bisherigen Ablauf der Aktion und Planung für die zukünftigen Transporte vom 18.12.1939 (BA R 75 Nr. 3b, Bl. 4). 110 Denkschrift des Oberbefehlshaber Ost zur Militärpolitischen Lage vom 6.2.1940 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 291). Es handelt sich hierbei um eine Abschrift für die Unterlagen der Staatsanwaltschaft Münster. 111 Bericht des Landrats Müller-Hoppenworth vom 10.10.1939 (APP 298 Nr. 24, Bl. 16).

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der wie oben erläuterten „störenden“ Teile der Bevölkerung, waren den Tötungen verschiedene Formen von Standgerichtsverfahren vorgeschaltet. Diesen wiederum gingen meist Durchsuchungen nach Waffen, Munition und sonstiger militärischer Ausrüstung voraus. Am 12. September 1939 wurde laut drittem Verordnungsblatt für die besetzten Gebiete in Polen grundsätzlich der Besitz von Waffen für die polnische Bevölkerung illegal. Es hieß, wer „entgegen vorstehender Verordnungen Schusswaffen, Munition, Handgranaten, Sprengmittel oder sonstiges Kriegs­gerät in Besitzt hat, wird mit dem Tode bestraft“. Weiterhin wurde festgehalten: „Wer im besetzten polnischen Gebiet Gewalttaten irgendwelcher Art gegen die deutsche Wehrmacht oder ihre Angehörige begeht, wird mit dem Tode bestraft.“112 Die Strafe sollte sofort durch Standgerichte beschlossen und mit einer anschließenden Exekution umgesetzt werden. Diese sollte der Bevölkerung u. a. durch Plakate im jeweiligen Fall bekannt gegeben werden. Der Landrat im direkt nordöstlich der Stadt Posen gelegenen Kreis Wongrowitz vermerkte in einem Bericht vom 15. Oktober 1939, durch die Wehrmacht sei an die Polen ein Aufruf ergangen, „sämtliche Schuss-, Hieb-, Stich- und Schlag- und sonstige Waffen an die Truppenkommandos, Polizei- und Gendarmeriekommandos oder den deutschen Zivilbehörden abzuliefern. Wer nach Bekanntgabe des Aufrufs noch Waffen bei sich führe oder besitze, werde als Freischärler erschossen.“113 Am 19. Oktober berichtete der Posener BdO Knofe dem Reichsführer-SS, dass er für die ihm unterstehenden Polizisten als beabsichtigte „Tätigkeit in der nächsten Zeit“ vor allem „Waffendurchsuchung und Festnahmen von Polen“ vorsehe.114 Als Begründung für diese Maßnahmen verkündete Knofe am 23. Oktober seinen Untergebenen, unter ihnen die Männer des Bataillons 61, der HSSPF habe „Waffendurchsuchungen mit allen verfügbaren Kräften und zu jeder Zeit“ angeordnet. Nötig seien diese, da angeblich aus Lageberichten klar hervorginge, dass „von polnischer Seite immer noch auf Deutsche geschossen“ werde.115 Tatsächlich handelte es sich hierbei meist um Eigenbeschuss unerfahrener deutscher Truppen.116

112 Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 63). Es handelt sich um eine Abschrift aus dem „Verordnungsblatt für die besetzten Gebiete in Polen Nr. 3“ mit der dort abgedruckten „Verordnung über Waffenbesitz vom 12. 9. 1939“. 113 Bericht des Landrats Müller-Hoppenworth vom 15.10.1939 (APP 298 Nr. 24, Bl. 1). Für die Weitergabe der Anordnung u. a. an die Polizeibataillone durch den Bdo vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 28.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2 f.). 114 Bericht des Befehlshabers der Ordnungspolizei beim Chef der Zivilverwaltung beim Militärbefehlshaber Posen an den RFSS vom 19.10.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 52). 115 Anordnung des BdO betr.: Waffendurchsuchungen vom 23.10.1939 (APP 1008 Nr. 2, Bl. 25). 116 Für dieses Phänomen, insbesondere am Beispiel von Wehrmachtseinheiten, vgl. Böhler, Auftakt, S. 68 und 73.

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Die verschiedenen Kompanien der Dortmunder Polizeieinheit wurden ab Oktober 1939 häufig an unterschiedlichen Orten zur Durchsuchung ganzer Straßenzüge eingesetzt, um Waffen aufzufinden. Die „Waffendurchsuchungen, Festnahmen von Gräueltätern usw.“ waren „laufend mit allen Mitteln durchzuführen“.117 Dabei wurden nicht nur einzelne Personen, sondern teilweise auch größere Gruppen festgesetzt. So sollen etwa bei „einer angesetzten Razzia in kleinen Orten, ausgeführt von 2 Kompanien des Polizeibataillon 61 und der motorisierten Gendarmerie-Hauptmannschaft Posen […] insgesamt 46 Personen festgenommen“118 worden sein. Dies weist bereits daraufhin, dass es bei den Einsätzen weniger um das tatsächliche Auffinden von Waffen ging als um das Festsetzen unerwünschter Bevölkerungsteile. Planmäßig orientierte sich die Durchführung von Durchsuchungen am eingeübten Prozedere, das als „Einsatz gegen eine Verbrecherbande in einem Ortsteil“119 in den Ausbildungsschriften der deutschen Polizei beschrieben wurde. Dort heißt es: „In einem Haus, das Schwerverbrechern als Unterschlupf dient, ist alles verdächtig oder mehr oder weniger gefährlich.“120 Entsprechend hatten alle Angetroffenen die Hände zu erheben und sich mit dem Gesicht zur Wand zustellen. Dann sollte die Durchsuchung des Gebäudes systematisch von unten nach oben unter ständigem Feuerschutz durchgeführt werden. Wer sich von den Bewohnern widersetzte, sollte selbst bei Einsätzen im Reichsgebiet erschossen werden. Für den Fall, dass Polizisten beschossen würden, sollte rigoros mit Handgranaten gegen besetzte Räume vorgegangen werden.121 Unter Ausklammerung dieser Gewaltoption schildert man in der Zeitschrift „Die Deutsche Polizei“ den typischen Ablauf einer Durchsuchung nach Waffen im besetzten Polen, wie sie das Bataillon 61 regelmäßig durchführte: „Bevor die Durchsuchungen beginnen, wird die Ortschaft außen und innen hermetisch abgesperrt. Niemand darf während der Aktion den Ort verlassen, und auch der Verkehr beschränkt sich auf die Waffenabgabe. Durch den Gemeindevorsteher wird die Bevölkerung mündlich aufgefordert, sämtliche Waffen in kürzester Zeit abzugeben, die auch festgesetzt ist. Nach dieser Frist wird erst mit den Durchsuchungen der Gehöfte, Wohnhäuser und Scheunen begonnen.“122

117 Tagesanordnung des BdO Posen vom 26.10.1939 (APP 299 Nr. 1233, Bl. 39). Zur Durchsuchung ganzer Straßenzüge vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 6). 118 Bericht des Befehlshabers der Ordnungspolizei beim Chef der Zivilverwaltung beim Militärbefehlshaber Posen an den RFSS vom 19.10.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 50). 119 Alfons Illinger, Der Unterführer in der Polizeiverwendung. Neu bearbeitet von Major der Gendarmerie Lagerbauer und Hauptmann der Gendarmerie Balletshofer, 6. Auflage, Lübeck 1942, S. 121–127. Vgl. im Unterschied dazu die Schilderung genuin polizeilicher Durchsuchungen ebd., S. 100–109. 120 Ebd., S. 126. 121 Vgl. ebd., S. 127. 122 V. J. Schuster, Skizzen aus Polen. In: Die Deutsche Polizei, 7 (1939) 20, S. 669–674, hier 673. Dort bezogen auf einen Einsatz in Radom.

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Ganz ähnlich schilderte der Zeuge Jan Kaczmarek nach dem Krieg eine Durchsuchung in seinem Elternhaus, die sehr wahrscheinlich von der Dortmunder Polizeieinheit im Dezember 1939 durchgeführt wurde. Er erinnerte sich, dass „drei Deutsche mit einem Kommandanten kamen und eine Durchsuchung durchführten. Während die Durchsuchung durchgeführt wurde, standen die Mutter und die Kinder von Gewehren bedroht auf dem Hof und mein Vater musste mit den Soldaten herumgehen, die die Durchsuchung durchführten. Als die Durchsuchung dann in der Wohnung durchgeführt wurde, wurde mein Vater mit Gewehren bedroht und die Mutter musste mit den Soldaten herumgehen.“123 Wurden bei solchen Kontrollen „Waffen gefunden, gab es aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen nur die Todesstrafe“,124 wie ein Offizier des Bataillons 61 nach dem Krieg zu Protokoll gab. Zuvor musste aber noch ein Standgericht einberufen werden. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass ein solches ausdrücklich nicht zusammentreten sollte, wenn bei einer Durchsuchung alte, verrostete oder nicht mehr funktionsfähige Waffen gefunden wurden. Ebenso waren polizeiliche Standgerichte nicht zuständig, wenn „der Beschuldigte sonst nicht in der Lage war, von der Waffe Gebrauch zu machen, die Besitzverhältnisse nicht klar sind usw.“.125 Im Fall des Bataillons 61 scheint diese Regelung durchaus ignoriert worden zu sein, wie verschiedene polnische Zeugenaussagen nahelegen. Die Zeugen beschrieben etwa, dass ein Einwohner von Friedrichsgrätz/Grodziec wegen des Besitzes eines alten, nicht funktionierenden Revolvers erschossen wurde.126 Im erwähnten Fall der Familie Kaczmarek „wurden eine Gasmaske und Blechgeschirr gefunden“, die der Familienvater „aus dem Ersten Weltkrieg mitgebracht hatte. Außerdem wurden zwischen dem alten Eisenzeug zwei Patronen in einem neuen Schächtelchen gefunden. Wie diese Patronen dorthin gelangt waren“, konnte niemand sagen. Offenbar hatten die Polizisten dem Mann die Munition untergeschoben. In der Folge ist er „nicht mehr nach Hause zurückgekehrt, er war verhaftet worden“. Seine Familie erreichte nach einiger Zeit nur die Nachricht, dass er „erschossen worden sein soll“.127 Ebenso erinnerte sich Wladyslawa Stazek daran, dass „am Samstag vor dem 8. Dezember einige Deutsche kamen“, die von einem „Volksdeutschen“ unterstützt wurden. „Sie führten eine Durchsuchung durch, wobei sie nach

123 Aussage Jan Kaczmarek vom 27.10.1971 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl.  120 f.). 124 Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 31). 125 Tagesanordnung des BdO Posen vom 13.6.1940 (APP 1008 Nr. 3, Bl. 91). In ähnlicher Form vgl. Anordnungen des Kommandeurs der Gendarmerie Nr. 19 vom 11.12.1939 (APP 1016 Nr. 4, Bl. 22). 126 Aussage Stefan Trzaski vom 16.7.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 161). Damit übereinstimmend vgl. Aussage Tadeusz Malatyński vom 16.7.1948 (ebd., Bl. 164). 127 Aussage Jan Kaczmarek vom 27.10.1971 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 121).

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Waffen suchten.“ Neben anderen Gegenständen führte ein Zeuge aus, „fanden sie in irgendeiner neuen Schachtel zwei Patronen für eine Kleinkaliberwaffe. Da ich mich nicht erinnere, dass zu Hause eine solche Waffe gewesen wäre und aufgrund dessen, dass die Schachtel neu war, entstand der Verdacht, dass die Schachtel mit den Patronen von denjenigen untergeschoben wurde, die die Durchsuchung durchführten.“128 Ihr Vater habe sich daraufhin beim nächsten Polizeiposten melden müssen und kehrte von diesem nicht mehr zurück. Dass in vielen Fällen Durchsuchungsergebnisse manipuliert wurden, zeigt eine eher beiläufige Bemerkung im Jahresbericht der Gendarmerie im „Warthe­ gau“. Dort heißt es: „Häufige Durchsuchungen nach versteckten Waffen fanden ohne nennenswerte Ergebnisse statt.“129 Dennoch bedingten solche Durch­ suchungen beim Bataillon 61 Standgerichte und diese wiederum Exekutionen. Dies weist darauf hin, dass es bei den Gerichtsprozessen nicht primär um das Ahnden von tatsächlichem Waffenbesitz ging. Vielmehr handelte es sich um lokale Maßnahmen, die Teil der deutschen Herrschaftsstrategie waren. Dazu passt, dass nicht nur von der Dortmunder Polizeieinheit selbst durchgeführte Waffendurchsuchungen zu Standgerichten führten. Teilweise wurden auf Anzeigen von „Volksdeutschen“ oder auf Anforderung von lokalen NS-Funktionären hin Prozesse durch das Bataillon 61 durchgeführt.130 Nach dem Krieg brachten verschiedene Mitglieder der Einheit, wohl um Exe­ kutionen und vorangegangene Standgerichte zu legitimieren, zum Ausdruck, diese seien von den maßgeblichen Entscheidungsträger der Wehrmacht angeordnet worden, nachdem es wiederholt zu polnischen Überfällen gekommen sei. Vielmehr handelte es sich bei den Standgerichten jedoch um ein Zugeständnis, dass man seitens der Wehrmacht gegenüber der Polizei und damit Himmlers SS-Apparat machte. Quasi im Gegenzug für die von der Ordnungspolizei gestellten Sicherungskräfte erhielten diese die Befugnisse, Standgerichte durchzuführen, wodurch sie verstärkt Terror in Polen ausüben konnten.131 Der BdO sah sich am 15. Juni 1940 veranlasst, „nochmals die einschlägigen Erlasse über Polizeistandgerichte in Erinnerung“ zu bringen. „Den Vorsitzenden

128 Aussage Wladyslawa Stazek vom 11.3.1972 (ebd., Bl. 140). Für das Unterschieben von Waffen vgl. auch die weiter unten in diesem Kapitel beschriebenen Vorgänge in Kalisch am 18.10.1939. 129 Jahresbericht über den Wiederaufbau der Gendarmerie für die Zeit 1.7.1940–31.12.1941 (APP 1008 Nr. 7, Bl. 21). 130 Exemplarisch für das Anfordern der Einheit vgl. Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 57). 131 Exemplarisch zu den verschiedenen Personen, die die Standgerichte angeordnet haben sollen, vgl. für „General von Falkenhausen“ Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 72r). Hingegen für „General von Schenkendorff“ vgl. Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 222, Bl. 16). Allgemein für den „Wehrmachtsbefehlshaber im rückwärtigen Operationsgebiet“ vgl. Aus­ sage Heinrich Zumplasse vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 50).

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der Polizeistandgerichte – und nur diesen allein“ seien „alle Anzeigen über Besitz von Schusswaffen und Munition, Handgranaten, Sprengmittel und sonstigem Kriegsgerät zuzuleiten“. Die Vorsitzenden würden dann „entscheiden, ob das Verfahren vor dem Polizeistandgericht“ stattfinden „oder ob die Anzeige an das zuständige Kriegsgericht weitergeleitet“132 werden sollte. Die Zuständigkeit dieses Sondergerichts beim Militärbefehlshaber Posen sollte sich beispielsweise auf vermeintliche Verbrechen gegen „Volksdeutsche“ sowie Brandstiftungen erstrecken. Hinzu kamen „alle sonstigen Verbrechen, soweit sie sich gegen die im Aufbau befindliche Staatsmacht im besetzten polnischen Gebiet“ richteten.133 Die Zuständigkeit der polizeilichen Standgerichte hingegen war beschränkt „auf die Aburteilung von verbotenem Waffen- und Munitionsbesitz“.134 Der Angehörige des Bataillons 61, Heinrich Zumplasse, sagte nach dem Krieg aus, diese Zuständigkeit sei auch im Verlauf des Einsatzes konstant geblieben. Ihm sei unbekannt, dass „die Zuständigkeit der Polizeistandgerichte später auch auf Sabotage erweitert worden“ wäre.135 Bei den Standgerichten der Dortmunder Polizeieinheit wurde aber offenbar genau über diese Zuständigkeit oftmals hinausgegangen. Ohne sich der Brisanz ihrer Aussagen bewusst zu sein, sagten verschiedene Bataillonsmitglieder aus, das Bataillon sei auch bei feindlichem „Verhalten gegenüber den einmarschierten Truppen“136 sowie „Repressalien gegenüber deutschen Soldaten und Polizeibeamten“137 wegen „Plünderns, Angriff auf die Wehrmacht usw.“138 und wegen „begangener Gräueltaten an Deutschen“139 tätig geworden.

132 Tagesanordnung des BdO Posen vom 13.6.1940 (APP 1008 Nr. 3, Bl. 91). Ebenso vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 15.6.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 14). 133 Regelung zwischen Sondergericht und den übrigen bürgerlichen Strafgerichten im Bereich des Militärbefehlshabers von Posen vom 5.10.1939 (APP 298 Nr. 31, Bl. 14). 134 Verordnung vom 21.9.1939 zur Ergänzung der Verordnung über Waffenbesitz vom 12.9.1939. In: Verordnungsblatt für die besetzten Gebiete in Polen Nr. 4. Als Kopie in: Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 65). Bestätigt wird diese Zuständigkeit u. a. in der Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 57). 135 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 140). 136 Bericht des Polizeirats Friedrich Kehler über die Entnazifizierung von Walter Nord vom 10.7.1950 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 46). 137 Aussage Hans Baumkötter vom 20.11.1959 (ebd., Bl. 33). 138 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (ebd., Bl. 5). 139 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (ebd., Bl. 12). Korrekt beschrieben ist die eigentliche Zuständigkeit eines Militärgerichts bei solchen Fällen in der Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (ebd., Bl. 25). Dies ist von herausgehobener Bedeutung, da hierdurch an den Aussagen der Polizisten klar wird, dass sie sich nicht an die offiziellen Regeln für Standgerichte, die nur bei Waffenbesitz tätig werden sollten, hielten. Entsprechend hätten solche Aussagen auch in den 1950er-Jahren eine Verurteilung wegen Mordes gerechtfertigt.

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Im Fall des Bataillons 61 war „Major Dederky als Führer eines selbstständigen Bataillons, insoweit einem Regimentskommandeur gleichstehend“,140 als Vorsitzender eines Standgerichts für den „Warthegau“ bestellt. Der Offizier leitete die Prozesse jedoch nicht in jedem Fall selbst, sondern wurde durchaus von seinen Kompanieführern vertreten. Insbesondere die beiden dienstälteren Hauptleute Nord und Kärgel hätten dies übernommen. Hinzu kamen zwei bis drei Beisitzer, die aus dem Kreis der Offiziere des Bataillons 61 stammten, sowie ein Dolmetscher und ein Protokollant. Idealtypisch galt bei den Stand­ gerichtsprozessen, dass der Angeklagte „dem zuständigen Kommandeur vorgeführt und von einem Standgericht abgeurteilt“ wurde.141 Dabei habe der Angeklagte die Möglichkeit erhalten, sich zu rechtfertigen. Bei den Prozessen des Bataillons 61 galt dabei aber: „Verteidiger wurden […] den Beschuldigten nicht gestellt.“142 Darüber hinaus dauerten die Verhandlungen unter der Ägide der Dortmunder Polizeieinheit meist nur zehn bis 20 Minuten. Diese Geschwindigkeit zeigt sich auch daran, dass teilweise mehrere solcher Prozesse an verschiedenen Standorten am gleichen Tag durch das Bataillon 61 durchgeführt wurden. Darüber hinaus handelte es sich oftmals nicht um Verhandlungen mit einzelnen Angeklagten. Folgt man den Aussagen von Bataillonsangehörigen, waren es meist fünf bis sechs oder zehn bis 15 Angeklagte. Lütgemeier gab nach dem Krieg sogar zu Protokoll, er habe auch einen Prozess beigewohnt, in dem „auf der Anklagebank etwa rund 40 Personen“ saßen.143

140 Aussage Hans Kärgel vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 249, Bl. 89r). Für die Regelung des Vorsitzes und die Möglichkeit, dass auch ein Bataillonskommandeur den Vorsitz übernehmen konnte vgl. Verordnung vom 21.9.1939 zur Ergänzung der Verordnung über Waffenbesitz vom 12.9.1939. In: Verordnungsblatt für die besetzten Gebiete in Polen Nr. 4. Als Kopie in: Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 65). 141 Schuster, Skizzen (1939), S. 672. Für die Zusammensetzung des Gerichts unter Leitung von Dederky und seinen Stellvertretern vgl. Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 1). Nur für die Beisitzer vgl. Aussage Hans Krehnke vom 29.4.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 87). Für den Vorsitz durch Nord und Kärgel vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 206, Bl. 34). Bestätigt wird dies in der Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 2). Für die allgemeine Stellvertretertätigkeit der Kompaniechefs vgl. Aussage Heinrich Linnemann vom 8.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 194). 142 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (ebd., Bl. 139). Für die Rechtfertigungsmöglichkeit vgl. Schuster, Skizzen (1939), S. 672. Grundsätzlich zum Ablauf von Standgerichtsverfahren vgl. Maximilian Becker, Mitstreiter im Volkstumskampf. Deutsche Justiz in den eingegliederten Ostgebieten 1939–1945, München 2014, S. 147. 143 Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 57r). Exemplarisch für 10 bis15 Angeklagte sowie für mehrere Standgerichte am selben Tag vgl. Aussage Hans Baumkötter vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 56). Für fünf bis sechs Angeklagte vgl. Aussage Heinrich Linnemann vom 10.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 71). Für Prozesse an verschiedensten Orten vgl. Aussage Hans Baumkötter vom 20.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 33a). Für die ca.

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Wie viele solcher Schnellverfahren das Bataillon 61 durchführte, ist heute nicht mehr abschließend festzustellen. Sicher ist nur, dass die von Zumplasse eingestandene Zahl der „10 bis 15 Fälle“144 bei Weitem zu niedrig ist. Wahrscheinlicher ist hingegen die Anzahl von 45 Exekutionen, die die Dortmunder Staatsanwaltschaft in ihren Unterlagen zum Zeugen Heinrich Linnemann vermerkte. Standgerichtsverfahren nach vorangegangenen Durchsuchungen waren eine der Haupttätigkeiten der Dortmunder Polizeieinheit in dessen erster Einsatzphase in Polen. Die Aussage eines Bataillonsangehörigen versuchte davon abzulenken: „Mit der Aufhebung der Unterstellung [unter die Wehrmacht] hörten auch die Verfahren auf.“145 Richtig ist, als sich „herausstellte, dass es gar keine einheimischen Partisanen gab, gegen die man hätte vorgehen müssen, gingen die Wehrmachtserschießungen schlagartig zurück“.146 Jedoch wuchs zeitgleich das Maß an eigenständigen Exekutionen durch Polizei und SS stark an. So ist auch die Aussage des Polizisten schlichtweg nicht korrekt. Die Praxis der polizeilichen Standgerichte endete im „Warthegau“ vielmehr erst im Juli 1940, also zu einer Zeit, als das Bataillon 61 schon wieder in das Ruhrgebiet zurückgekehrt war.147 Wohl um die dünne Fassade der Rechtmäßigkeit eindeutig fingierter Prozesse zumindest ansatzweise aufrechtzuerhalten, führten die Polizisten des Bataillons 61 nach dem Krieg weitere Einzelheiten der Prozesse an. So seien Beweismittel, etwa angeblich aufgefundene Waffen, „auf dem Gerichtstisch vorgelegt worden“.148 Auch der formalisierte Ablauf der Verfahren wurde nach dem Krieg als Argument für die Rechtmäßigkeit der Prozesse angeführt. So erinnerte sich einer der Schreiber der Polizeieinheit daran, dass er „im Auftrage von Major Dederky ein Formular entworfen“ habe, „welches bei jedem Standgerichts-

20-minütige Dauer von Standgerichten vgl. Aussage Jan Mikolajczyk vom 27.10.1971 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 137). Abweichend spricht Nord unrealistischerweise von einer Dauer von bis zu sechs Stunden. Vgl. Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 2). 144 Aussage Heinrich Zumplasse vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 50); Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 68). Vgl. ebd. auch für die 45 Standgerichte, die Linnemann erwähnt haben soll. 145 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 139). 146 Böhler, Überfall, S. 214. Ebenso im fast identischen Wortlaut vgl. ders./Mallmann/Matthäus, Einsatzgruppen, S. 87. 147 Vgl. Anordnungen des Kommandeurs der Gendarmerie Nr. 11 vom 8.7.1940 (APP 1016 Nr. 4, Bl. 62). Dort wird ausgeführt, durch Einführung des deutschen Strafrechts sei nun nicht mehr das Standgericht der Ordnungspolizei zuständig, sondern die „ordentlichen Gerichte“. Riewald, ehemals Spieß der 1. Kompanie, gab jedoch an, dass auch unter der Zivilverwaltung Standgerichte und Exekutionen ausgeführt wurden. Vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 5). 148 Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 2).

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verfahren auszufüllen war. Das Formular umfasste mehrere Seiten. Zunächst wurde der Gang des Ermittlungsverfahrens in großen Zügen festgehalten, die nächste Seite befasste sich mit dem Gerichtsverfahren. Kam es zu einer Verurteilung, folgten weitere Ausführungen über die Vollstreckung.“149 Laut dem Chef der 1. Kompanie wurden dann auch die Urteile „schriftlich ausgefertigt auf einem Formular“.150 Ebenfalls wurde versucht, die vermeintliche Rechtmäßigkeit durch die Erwähnung vereinzelter Freisprüche zu unterstreichen. So sei beispielsweise „ein Pole, und zwar in Hohensalza, freigesprochen“ worden, da er „im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite gekämpft und das EK I erhalten“ hatte.151 Auch wenn solche Situationen vereinzelt vorgekommen sein mögen, in der weit überwiegenden Mehrheit der Fälle wurde am Ende eines Standgerichts ein Todesurteil ausgesprochen. „Die Verurteilten wurden ausnahmslos erschossen.“152 Die Exekutionen habe „Major Dederky wohl zugleich vollstrecken lassen“.153 Ob alle Erschießungen, die das Bataillon 61 im Westen Polens ausführte, tatsächlich nur „aufgrund von Urteilen“154 wie auch immer gearteter Standgerichtsverfahren zurückgingen, ist strittig und wenig wahrscheinlich. So monierte schon ein Bericht der Wehrmacht, die Auswahl der exekutierten Personen sei „völlig verschieden und oft unverständlich, die Ausführung vielfach unwürdig“ gewesen.155 Ebenso ist die Anzahl an durchgeführten Exekutionen des Bataillons 61 nicht abschließend feststellbar. Das polnische Sicherheitsamt in Gnesen/Gniezno urteilte nach dem Krieg, es sei eine „enorme Anzahl“ gewesen, die „schwierig abzuschätzen sei“.156 In seinem Ermittlungsbericht von Ende November 1945 urteilte der deutsche Ermittler Kehler, es seien über 100 Erschießungen mit je bis

149 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 138). 150 Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 2). 151 Aussage Gerhard Riewald vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 206, Bl. 34). Ein weiterer angeblicher Freispruch ist erwähnt in: Aussage Heinrich Lorey vom 6.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 48). 152 Aussage Heinrich Nehrkorn vom 20.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 215). 153 Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 2). Dies widerspricht deutlich den Aussagen des BdO, der von der Notwendigkeit sprach, Todesurteile an anderer Stelle bestätigen zu lassen. Vgl. Aussage Oskar Knofe vom 17.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 248, Bl. 92r). Auch Nord selbst sprach davon, dass Urteile „nachgeprüft“ und durch „General Falkenhausen“ bestätigt werden mussten. Vgl. Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 2). 154 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 5). 155 General Petzel, Genst. d. H. Abt. z. b. V. (O Qu IV): Innere Lage im Warthegau vom 2.12.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 296). 156 Bericht des Sicherheitsamtes in Gniezno vom 25.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 163).

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zu 20 Erschossenen gewesen. Marach sprach nach dem Krieg sogar davon, es habe mehrfach auch Exekutionen von je 30 Menschen gegeben.157 Standrechtliche Erschießungen gehörten für die Kompanien der Dortmunder Polizeieinheit so sehr zum Alltag, dass die Anzahl der Tötungen im Nach­ hinein nur noch grob beschrieben werden konnte. Es finden sich Aussagen wie, es „waren jedoch gewiss mehrere“158 Exekutionen oder Erschießungen kamen „wiederholt vor“.159 Dabei waren die Exekutionen des Bataillons 61 keine Ausnahmeerscheinung. Vielmehr handelte es sich um eine typische Aufgabe von Ordnungs- und Sicherheitspolizeieinheiten. Ein Wehrmachtsgeneral urteilte schon Anfang Dezember 1939: „Fast in allen größeren Orten fanden durch die erwähnten Organisationen öffentliche Erschießungen statt.“160 Eben diese Öffentlichkeit traf nicht auf alle Erschießungen zu, die das Bataillon 61 ausführte. Der Chef der 1. Kompanie meinte, dass Exekutionen „im Allgemeinen nicht in der Öffentlichkeit stattfanden“.161 Hingegen äußerten sich andere an Hinrichtungen beteiligte Bataillonsangehörige, dass Erschießungen „öffentlich auf dem Marktplatz“162 durchgeführt wurden. Beispiele für solche Exekutionen finden sich auch auf einigen deutschen und versteckt angefertigten polnischen Fotografien. Bei der Schilderung der öffentlichen Tötungen erwähnten Karl Schmitz und Ewald Roth sogar, es habe „zur Abschreckung“163 der Bevölkerung einen Zwang für diese gegeben, „an diesem Schauspiel“ teilzunehmen.164 Für die verschiedenen Exekutionen wurden im Laufe der Einsatzzeit im „Warthe­gau“ nicht nur die 1. Kompanie herangezogen, gegen die nach dem Krieg besonders intensiv ermittelt wurde. Die anderen Teileinheiten des Bataillons 61 wurden ebenso eingesetzt. Dabei war für gewöhnlich jeweils eine Kompanie für die eigenständige Durchführung einer größeren Erschießungsaktion verantwortlich. Während ein Zug die Umgebung absperrte und absicherte, führte ein Zug

157 Aussage Heinrich Marach, o. D. (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 170a). Ein anderer Bataillonsangehöriger ging von jeweils acht Exekutierten aus. Vgl. Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 12). Für Kehlers Bericht vgl. Bericht des Polizei Oberleutnants Kehler, Dortmund, Gegenstand: Polizeibataillon 61 vom 29.11.1945 (AIPN GK 184 Nr. 397, Bl. 15 f.). 158 Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 24). 159 Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 43). 160 General Petzel, Genst. d. H. Abt. z. b. V. (O Qu IV): Innere Lage im Warthegau vom 2.12.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 296). 161 Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (ebd., Bl. 76). Vgl. dazu die offiziellen Anordnungen die Fotografien verboten. Exemplarisch vgl. Geheimverfügungen Abt. VII der 285. Sicherungs-Division vom 11.12.1941 (BA-MA RH 26-285 Nr. 44, Bl. 6). 162 Aussage Heinrich Becker vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 208, Bl. 40r). Ebenso zur Öffentlichkeit von Exekutionen vgl. Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 12). 163 Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (ebd., Bl. 25). 164 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (ebd., Bl. 12).

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die eigentliche Tötung aus und eine weitere Teileinheit lag in Reserve. Kleinere Einsätze führten aber auch einzelne Züge eigenständig aus. Die Nachkriegs­ argumentation von Polizisten des Bataillons 61, man habe bei Tötungsaktionen „nur abgesperrt“, ist unzutreffend, da die Exekutionseinsätze zur psychischen Entlastung der Schützen „umschichtig durchgeführt“ wurden.165 Die öffentlich durchgeführten Exekutionen hatten dabei den Anschein einer militärischen Hinrichtung. Ein Pelton feuerte auf Befehl eines Offiziers auf die zu exekutierenden Personen. Drei Schützen waren dabei für einen zu tötenden Menschen eingesetzt. Die im Verborgenen durchgeführten Exekutionen entsprachen hingegen einem Prinzip, das es erlaubte, mehr Menschen in kürzerer Zeit zu töten. Wie die Ergebnisse einer polnischen Exhumierungskommission aus dem Jahr 1946 belegen, wiesen beispielsweise bei Kalisch/Kalisz aufgefundene Körper Einschussstellen im Genickbereich auf. Nach dem Ende von Tötungsaktionen soll beim Bataillon 61 dann eine „Niederschrift über die Exekution […] von dem Führer des Exekutionskommandos unterschrieben“166 und der Vorgang damit formell abgeschlossen worden sein. Es kam teilweise vor, „dass das Bataillon bzw. Einheiten des Bataillons auch zu Vollstreckungen abgeordnet worden sind, bei denen es sich um Urteile anderer Standgerichte handelte“.167 Hierzu zählten Tötungen als „Folge von Urteilen von Wehrmachtsgerichten“168 ebenso wie die Unterstützung von Prozessen der Sicherheitspolizei und des SD. Generell wurde das Bataillon 61 eingesetzt, um

165 Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (ebd., Bl. 24). Im Original lautet die Formulierung „umsichtig“, es handelt sich jedoch um einen eindeutigen Transkriptionsfehler im Protokoll. Ebenso zur Arbeitsteilung vgl. Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (ebd., Bl. 19). Für die Behauptung eines Zugführers und späteren Kompaniechefs nur Absperraufgaben übernommen zu haben vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 23.5.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 41). Zum Einsatz der verschiedenen Kompanien bei Exekutionen vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 17); Aussage Ewald Körner vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 22); Zusammenfassung des Ermittlungsstands durch KK Löblein vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 194). Dort wird auch erwähnt, dass neben dem Bataillon 61 auch ein Hamburger Bataillon Exeku­tionen im Raum Posen ausführte. 166 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 138). Für die Einteilung von drei Schützen für ein Opfer einer öffentlichen Exekution vgl. Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 12). Für die Tötungsart bei verdeckten Exekutionen vgl. Exhumierungsbericht vom 8.4.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 113). Für die exemplarische Beschreibung des Gesamtablaufs einer Exekution vgl. Aussage Zdzislaw-Józef Kantorski vom 22.4.1970 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 24). Vgl. auch die Fotografien in: VtH Dep. Nr. 40 Privatbesitz, Fotoalbum eines Angehörigen des Polizeibataillons 61. Dort sind die verschiedenen Stadien einer Exekution durch das Bataillon 61 auf einem unbekannten Marktplatz dokumentiert. 167 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 140). 168 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 19).

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die notwendige Mannschaftsstärke für Großaktionen aufzubringen. So berichtete ein Offizier, man habe für die Wehrmacht Exekutionen übernommen, da seiner „Erinnerung nach seinerzeit im Raume Posen kaum einsatzfähige Einheiten“169 der Armee lagen. Bei ihren zahlreichen Einsätzen operierten die Teileinheiten der Dortmunder Polizeieinheit nicht immer allein. So kooperierte das Bataillon 61 mit der lokalen, im Revierdienst tätigen deutschen Schutzpolizei. Etwa für Deportationen wurden „Bataillonsangehörige zu den Polizeirevieren in Posen beordert. Dort wurden sie von den Revierführern einzelnen Schutzpolizeibeamten zugeteilt. Diese hatten eine Liste, in welcher die auszusiedelnden Polen verzeichnet waren.“170 Während die Männer des Bataillons im städtischen Raum zur Unterstützung der dortigen Schutzpolizei „Amts- oder Vollzugshilfe“171 leisteten, waren die Dortmunder Polizisten im ländlichen Raum „selbst die eigentlichen Träger“172 solcher Aktionen, wobei sie wiederum von der lokalen Gendarmerie unterstützt wurden. Ebenso wurde auch verschiedentlich mit dem NSKK kooperiert. „Zur Unterstützung der Ordnungspolizei stellte das NSKK als Hilfspolizei 16 Kompanien, die in größeren Städten die Verkehrsregelung übernahmen.“173 Schon in Friedenszeiten hatten solche Verbände so mit der Polizei zusammengewirkt. Die Zusammenarbeit im okkupierten polnischen Gebiet beschränkte sich aber keinesfalls nur auf verkehrspolizeiliche Tätigkeiten. Auch bei Deportationen, Durchsuchungen und Exekutionen unterstützte die paramilitärische Unterorganisation der NSDAP die Ordnungspolizei. Weitere Unterstützung erhielt die uniformierte Polizei im „Warthegau“ von den als „Volksdeutsche“ kategorisierten Bewohnern Polens, die sich freiwillig zur Hilfspolizei meldeten. Ihre Einheiten waren jeweils „der örtlichen oder räumlich nächsten Ordnungspolizei zu unterstellen“ und bei dieser „geschlossen unterzubringen.“174 Anders als der

169 Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 30). Für die Durchführung von Tötungen im Auftrag der Sicherheitspolizei und des SD vgl. Aussage Hans Baumkötter vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 56). 170 Aussage Heinrich Lorey vom 4.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 53). 171 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 20). In der Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 1486, Bl. 61) heißt es dazu, die Zivilverwaltung hätte die Listen für Evakuierungen aufgestellt und dann das Bataillon 61 für die Umsetzung angefordert. Örtliche Revierbeamte hätten dabei die ortsfremde Polizeieinheit angeleitet. 172 Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 95). 173 Denkschrift: Die Deutsche Ordnungspolizei, o. D. (BA R 19 Nr. 394, Bl. 27). Ebenso vgl. Der Kräfteeinsatz und der Kriegseinsatz der Ordnungspolizei seit Beginn seit Beginn des Krieges vom 20.8.1940 (BA R 19 Nr. 395, Bl. 5). 174 Schreiben an die Landräte der Provinz Posen betr.: Hilfspolizei vom 18.9.1939 (APP 1235 Nr. 58, Bl. 1). Für deren Ausbildung vgl. Richtlinien für die Aufstellung einer Hilfspolizei für die besetzten Gebiete im Osten vom 20.9.1939 (APP 1008 Nr. 1, Bl. 1–13). Neben der Hilfspolizei existierte noch der stationäre Volksdeutsche Selbstschutz. Vgl.

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Volksdeutsche Selbstschutz sollte die Hilfspolizei auch außerhalb ihrer Heimatstandorte eingesetzt werden. In die Ausbildung ihrer Unterstützungskräfte waren in Posen auch die Männer der Dortmunder Polizeieinheit involviert. „Dederky hatte die Oberaufsicht über diese Ausbildung der Volksdeutschen.“175 Wilhelm van Buer erinnerte sich, dass er hierzu so wie auch andere Polizisten „aus dem eigentlichen Kompaniebetrieb“ herausgenommen worden sei. Er habe eine „besondere Tätigkeit mit der Ausbildung der Volksdeutschen“ ausgeübt.176 Am 15. November 1939 wurde die „Hilfspolizei-Ausbildungs-Abteilung Posen“ dann „dem Kommando der Schutzpolizei Posen unterstellt.“ Die zur Ausbildung der „Volksdeutschen“ „vom Bataillon 61 abgeordneten Ausbilder“ verblieben aber „zunächst bei der Ausbildungsabteilung“.177 Mit der Rückkehr des Dortmunder Polizeibataillons in das Ruhrgebiet 1940 wurden am 6. Juni dauerhaft „61 Unterführer der Polizeibataillone 61 und 101 zum Hilfspolizei-Ausbildungsbataillon abgeordnet“.178 Sie verblieben bei dieser Einheit bis Februar 1942. Nicht nur als Teil von offiziellen Verbänden beteiligten sich „Volksdeutsche“ an Gewalthandlungen gegen die lokale Bevölkerung im „Warthegau“. So wurden auch „Übergriffe von Volksdeutschen gegen Polen gemeldet, die zumeist auf persönliche Gründe zurückzuführen“179 gewesen seien. Ebenso sollen in zahlreichen Fällen „Volksdeutsche“ ohne die Anwendung von direkter Gewalt

Vorläufige Richtlinien für die Organisation des Selbstschutzes in Polen vom 7.10.1939 (ebd., Bl. 14 f.). Für die Kooperation der Ordnungspolizei mit dem NSKK vgl. Aussage Richard Ziemdorf vom 25.4.1953 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 56); Denkschrift: Die Deutsche Ordnungspolizei, o. D. (BA R 19 Nr. 394, Bl. 29); Brösicke, Polizei und NSKK. Zusammenarbeit bei Verkehrskontrollen. Gemeinsamer Kampf gegen die Verkehrssünder. In: Polizeiarchiv, 15 (1936) 11, S. 296–298. Zum noch immer fast unerforschten NSKK vgl. Dorothee Hochstetter, Motorisierung und „Volksgemeinschaft“. Das Nationalsozialistische Kraftfahrkorps (NSKK) 1931–1945, München 2005; dies., „Nur eine Art ADAC“? Das Nationalsozialistische Kraftfahrkorps (NSKK). In: Stephanie Becker/Christoph Studt (Hg.), „Und sie werden nicht mehr frei sein ihr ganzes Leben“. Funktion und Stellenwert der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände im „Dritten Reich“, Berlin 2012, S. 141–158; Franz W. Seidler, Das Nationalsozialistische Kraftfahrkorps und die Organisation Todt im Zweiten Weltkrieg. Die Entwicklung des NSKK bis 1939. In: VfZ, 32 (1984) 4, S. 625–636. 175 Aussage Alfred Albrecht vom 5.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 67). Zur Aufstellung und insbesondere zur Verwendung der Hilfspolizei außerhalb des Heimatstandortes vgl. Richtlinien für die Aufstellung einer Hilfspolizei für die besetzten Gebiete im Osten vom 20.9.1939 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 29). 176 Aussage Wilhelm van Buer vom 1.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 6). 177 Tagesanordnung des BdO Posen vom 15.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 1). 178 Tätigkeitsbericht des Hilfspolizei-Ausbildungs-Bataillons Posen 6.6.1940–28.2.1941 (APP 1008 Nr. 5, Bl. 1 f.). Die Einheit wurde am 28.2.1942 aufgelöst und ihre Unterführer kamen teils zur Schutzpolizei Posen und zum Teil zu ihren alten Einheiten zurück. Unter diesen war auch das Bataillon 61. 179 Lagebericht Stand 25.1.1940 vom 28.1.1940 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 20). Hier bezogen auf die Region um Kalisch.

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dafür verantwortlich gewesen sein, beispielsweise Mitglieder der polnischen „Intelligenz“ an das Bataillon 61 gemeldet zu haben.180 Die Kollaboration mit der Dortmunder Polizeieinheit erstreckte sich durchaus auch auf Mitglieder der lokalen Bevölkerung, die von den Nationalsozialisten als Polen kategorisiert wurden. Insbesondere die polnische Polizei habe sich „willig und diensteifrig gezeigt“.181 Ein Zeuge beschrieb nach dem Krieg exemplarisch, die Vorkriegspolizisten hätten in seinem Dorf den deutschen Polizeiverbänden gezeigt, wer verhaftet werden sollte. Auch polnische Zivilisten stützten die deutsche Durchherrschung des „Warthegaus“. Dies geschah teilweise offenbar aus opportunistischen Gründen. So beschrieb das Bataillonsmitglied Zumplasse nach dem Krieg einen Fall, der ihm besonders in Erinnerung geblieben war: „Seinerzeit hatte ein Pole angezeigt, dass auf dem Hof seiner Mutter Waffen vergraben lägen. Hauptmann Nord wurde mit den Ermittlungen beauftragt. Im Zuge der Ermittlungen wurden zwar die Waffen an der angegebenen Stelle gefunden, es konnte aber auch festgestellt werden, dass der Anzeigende sie selbst dort vergraben hatte.“182 Dass solche Fälle tatsächlich vorkamen, zeigen verschiedene polnische Aussagen und Dokumente. Markant ist etwa ein 1940 in gebrochenem Deutsch verfasstes Schreiben eines anonymen Denunzianten an die Polizei in Posen. In diesem wurde darum gebeten, einen angeblich deutschfeindlichen Bewohner aus Kalisch zu entfernen. In einem anderen Fall beschrieb die polnische Zeugin Janina Jarus nach dem Krieg wie Zygmunt Grabarczyk ihren Bruder wegen Waffenbesitzes zur Anzeige gebracht hätte, obwohl dieser erst von dem Erstgenannten eine Waffe erhalten habe. Nicht übersehen werden sollte jedoch, dass es von deutscher Seite gegenüber der lokalen Bevölkerung einen deutlichen Kollaborationszwang gab. Ein Offizier des Bataillons 61 beschrieb den Nachkriegsermittlern, dass die Polen verpflichtet gewesen seien, jeden versprengten polnischen Soldaten und entflohenen Häftling zu melden, ansonsten hätten Standgerichtsverfahren gedroht. Tatsächlich gestand ein weiterer Polizist ein,

180 Etwa für die Deportation der Bevölkerung von Niesłusz wegen eines „Volksdeutschen“ vgl. Aussage Zenon Babiak vom 20.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 125). Im nahezu im gleichen Wortlaut vgl. Aussage Czesław Krzyżeniak vom 20.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 126). Für den Fall des Pfarrers Pawlowski vgl. Aussage Fancisek Jangas vom 27.4.1970 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 34). Ebenfalls für einen nicht namentlich genannten Pfarrer den „Volksdeutsche“ verrieten vgl. Aussage Waclaw-Marian Skowronski vom 20.4.1970 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 38). 181 Lagebericht Stand 25.1.1940 vom 28.1.1940 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 18). Zum von deutscher Seite erwarteten Antisemitismus, vor allem in der ländlichen polnischen Bevölkerung, vgl. Auszug aus dem Aufsatz „Die Wirtschaftliche Rolle der Juden in Polen“ von Heinz Peter Seraphin 1938 (AAN 1335 Nr. 125, Bl. 9). 182 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 140). Der Sohn soll hierfür erschossen worden sein. Vgl. ebd., Bl. 141. Für die Kollaboration der polnischen „blauen Polizei“ vgl. Aussage Hipolit Kowalski vom 6.2.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 34).

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dass es im „Warthegau“ Exekutionen gegeben habe, weil Teile der Bevölkerung „nicht verhindert“ hätten, „dass bei dem Zurückweichen des polnischen Heeres vor den deutschen Truppen und der Freilassung von Zuchthäuslern Verbrechen an Volksdeutschen begangen worden“ seien.183 Durch die deutsche Aktenvernichtung und die Verschleierungspolitik gegen Kriegsende und bis lange in die Nachkriegszeit hinein muss man annehmen, dass längst nicht mehr alle Einsätze des Dortmunder Bataillons und ihrer Kooperationspartner mit genauem Datum oder Einsatzort belegt werden können. Sicher ist jedoch, dass alle Kompanien mehr oder weniger die gleichen Aufgaben wahrnahmen und ständig zum Einsatz kamen. Eine gewisse Anzahl dieser Einsätze lässt sich, neben dem eingangs bereits erläuterten Einsatzes bei Punitz am 12. September 1939, jedoch relativ genau beschreiben. Dies betrifft vor allem jene Aktionen, die öffentlich sichtbar waren. Hinzu kommen jene gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Maßnahmen, die von den Besatzern im typischen NS-Jargon als Teil einer „Aufstands- und Bandenbekämpfung“ deklariert wurden. Tatsächlich handelte es sich aber immer um grundlose Gewaltakte gegen die Einwohner des „Warthegaus“.184 Vom 13. auf den 14. September soll es Oberwachtmeister Wilhelm Palka als Führer einer drei Mann starken Streife der 2. Kompanie gelungen sein, „polnische Banden, die in der näheren Umgebung von Posen ihr Unwesen trieben, zu vernichten“. Die Personen, die er östlich von Posen antraf, hätten „sich am Bahnkörper zu schaffen“ gemacht.185 Die Polen seien zwar geflohen, doch habe man deren Werkzeug sicherstellen können. Zeitgleich sei es Oberwachtmeister Gustav Zacharzewski ebenfalls mit Männern der 2. Kompanie gelungen, eine weitere „bewaffnete Bande“ in der Umgebung von Posen zu stellen, die versucht haben soll, eine mit Getreide gefüllte Scheune abzubrennen. Die „Bande“ sei verjagt worden und es sei gelungen, zwei Personen zu verhaften. Ebenso am 14. September habe die Bataillonsführung die 4. Kompanie unter Sommer „gegen das Dorf Brodnika eingesetzt, in dem sich eine

183 Aussage Hermann Oelmann vom 19.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 214). Für die Verpflichtung von Polen, u. a. versprengte Soldaten zu melden, vgl. Aussage Alfred Albrecht vom 10.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 250, Bl. 65r). Für das angebliche Verhalten von Grabarczyk vgl. Aussage Janina Jarus vom 5.7.1973 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 114). Sie gab an, ihr Bruder sei in der Folge exekutiert worden. Exemplarisch für ein anonymes Schreiben eines Denunzianten vgl. Brief an das Kommando der Schutzpolizei Posen vom 23.4.1940 (APP 1025 Nr. 4, Bl. 13). 184 Exemplarisch Für die ähnlichen Aufgaben aller Kompanien des Bataillons 61 und deren häufigen Einsätze vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 15.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 53), und Aussage Heinrich Nehrkorn vom 20.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 215). Für die Ankündigung ständiger Einsätze vgl. Tagesbefehl des Polizeipräsidenten vom 5.12.1939 (APP 299 Nr. 1233, Bl. 64). 185 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 3).

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Insurgentenbande“ befunden haben soll. Es sei gelungen, „die Bande, die sich zäh verteidigte, zu vernichten“.186 Am gleichen Tag führte der Zugwachtmeister der 3. Kompanie, Erich Sternat, angeblich seine Einheit „in einem Waldstück südlich Moschin“ gegen polnisches Militär. Dabei soll es gelungen sein, an der Vormarschstraße eine verminte „Baumsperre“187 zu überwinden und ein Maschinengewehrnest niederzukämpfen. Im gleichen Raum soll sich auch die 4. Kompanie im Einsatz befunden haben, deren Spähtrupps unter Führung von Bernhard Issel und Sauerbier einen feindlichen Spähtrupp überraschen und festsetzen konnten. Was mit den festgesetzten vermeintlichen polnischen Kombattanten im Weiteren geschah, ist nicht dokumentiert.188 In der Nacht vom 14. auf den 15. September stieß unterdessen die 3. Kompanie im Anmarsch zu einer „Säuberungsaktion in der Gegend von Wierzonka“ angeblich „auf eine von Polen gesprengte Brücke“. Da der Weitermarsch nicht möglich gewesen sei, habe man einen Spähtrupp unter Mennekes zur Auffindung eines alternativen Weges entsandt. Diese Einheit sei beim „Durchschreiten eines Waldes von einer polnischen Bande beschossen“ worden. Es sei jedoch gelungen, die „Bande“ zu vertreiben, eine geeignete Furt zu finden, um dann mit Balken aus einem nahe liegenden Gehöft einen Übergang über den Fluss zu bauen. Dadurch habe es die 3. Kompanie rechtzeitig über den Strom geschafft, um einen Kessel um die „polnischen Banden, die sich im Waldgebiet um Wierzonka“ aufgehalten haben, zu schließen. Die „Banden“ konnten anschließend „unschädlich gemacht werden“.189 In einem Waldstück in unmittelbarer Nähe soll es dabei zu einem Angriff auf den 2. Zug der 3. Kompanie unter Schumann gekommen sein, wobei die Polizisten „aus dem Rücken Feuer“ erhalten hätten. Als Schumann bemerkt habe, „wie mehrere Polen den Überraschungsmoment ausnutzten“, um „in Richtung auf einen Waldsee“ zu entkommen, sei er sofort aufgesprungen. Einige Wachtmeister hätten es ihm gleichgetan und „im harten Wettlauf“ sei es ihm durch „mutigen persönlichen Einsatz“ gelungen, „den Polen den Weg abzuschneiden“. Obwohl die Polen sich daraufhin ergeben hätten, sei es ihm gelungen, die „Bande zu fassen und zu vernichten“.190 Die Festgesetzten wurden also direkt 186 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 4). Brodnika ist die deutsche Schreibung des polnischen Ortes Brodnica. 187 Ebd., Bl. 3. Ebenfalls als wichtige Unterstützer dieser Mission wurde Zugwachtmeister Bernhard Howein genannt. Vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 8). 188 Vgl. ebd., Bl. 9 f. 189 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2411, Bl. 2). Vgl. auch den verherrlichenden Bericht in: o. V., Kriegstagebuch (1939), S. 728–730. Ferner vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 7). 190 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2411, Bl. 3).

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von Schumann und seine Untergebenen getötet. Etwas weniger hart wird das Vorgehen von van Buer im gleichen Waldstück geschildert. Ihm sei es gelungen, „eine polnische Bande, die sich im Schilf eines Sees versteckt hatte, aufzuspüren und durch restlosen Einsatz seiner Person, in dem er die Flüchtenden in den See hinein verfolgte, zu Gefangenen zu machen“.191 Währenddessen operierte der 3. Zug der 3. Kompanie unter Paul Heinrich am 15. und eventuell auch am 16. September etwa 10 Kilometer nordöstlich von Wierzonka, um die „Ortschaften Terostowko und Steszewice von polnischen Banden zu säubern“. An beiden Orten sei es gelungen, diese „zu umstellen, ohne von den darin befindlichen Banden bemerkt zu werden“. Dies lag darin begründet, dass es dort keine Kombattanten gab. Ebenfalls habe Heinrich es vollbracht, mit „Stoßtrupps in die Orte“ vorzudringen und „die überraschten Banden, bevor sie mit der Waffe Widerstand leisten konnten, zu überrumpeln“. Ohne jeden eigenen Verlust habe man „gefährliche polnische Banden unschädlich“192 machen können. Man bezeichnete die „restlose Säuberung der Ortschaft Terestowko“ ebenso wie das gleiche Prozedere in Steszewice als „besonderes Verdienst“.193 Dies bedeutet nichts anderes, als dass ein signifikanter Anteil der wehrlosen Dorfbevölkerung getötet wurde.194 Die Maßnahmen der gesamten 3. Kompanie im Raum Wierzonka-Steszewice ordneten sich dabei in ein größeres Unternehmen des 148. Infanterieregiments ein, das die Teileinheit des Bataillons 61 bei einer „Säuberungsaktion im Raume nordostwärts Posen“ zu unterstützten hatte. Die gemeinsam operierenden Verbände sollen am 15. September 114 Gefangene gemacht haben, wovon „allein 62 polnische Heckenschützen“ von der 3. Kompanie festgesetzt worden seien. Dies weist auf ein besonders hartes Durchgreifen der Kompanie hin. Mit ziemlicher Sicherheit wurden die festgenommenen Personen, wie bei der Ergreifung von „Heckenschützen“ üblich, umgehend liquidiert. Außerdem habe der Kompaniechef dabei mit seinen Männern „eine erhebliche Anzahl polnischer Waffen sicherstellen können“.195 Im Nachhinein habe der Bataillonskommandeur versucht, für diese „Leistungen“ seiner Männer Eiserne Kreuze zu beantragen,

191 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 6). 192 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2411, Bl. 3). Terestowko ist das polnische Turostówko, Steszewice das polnische Stęszewice. 193 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 8). Ebenso zum Einsatz in Stęszewice vgl. ebd., Bl. 7. 194 Nach dem Krieg wurde dieser Einsatz komplett geleugnet. Vgl. Aussage Fritz Urban vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 219, Bl. 3). 195 Schreiben betr.: Bevorzugte Beförderung zum Major der Schutzpolizei, von Major Dederky an den BdO Münster 28.5.1941 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 27). Ebenso als Kopie in: LAV NRW, W, Q 225 Nr. 249. Vgl. Für einen nahezu gleichen Inhalt vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2411, Bl. 2).

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wobei aber höhere Stellen „ihn durchschauen“196 konnten, die tatsächliche Natur der Gewalthandlungen verstanden und den Antrag ablehnten. Eingeschritten wurde gegen das Verhalten des Dortmunder Bataillons jedoch nicht. Auch am 16. September 1939 operierte die 3. Kompanie unter Hauptmann Kärgel gemeinsam mit dem 148. Infanterieregiment. Die offizielle Aufgabe der Polizeieinheit soll es nun gewesen sein, „ostwärts von Posen und Schwersenz vor der vordersten Infanterielinie eine Sperre zum Auffangen polnischer Soldaten und Reservisten“ zu errichten. Außerdem sollte, weiter entfernt, „in der Gegend von Gostyn ein Gefangenenlager“197 errichtet werden. Angeblich sollen von der 3. Kompanie 1 000 Gefangene an das Infanterieregiment übergeben worden sein. Zugleich ist auch erwähnt, dass die Operation unter Kärgels Leitung mit der „Vernichtung“ von „Banden“ und der „Befriedung des Gebietes“ einherging.198 Insbesondere ostwärts von Schwersenz/Swarzędz sei das von der Einheit aufgestellte „Schnellkommando stets rechtzeitig zur Stelle“ gewesen, „sodass der Widerstand meist in Kürze gebrochen“199 werden konnte. Dies weist mehr als deutlich auf erneute und massive Gewalthandlungen hin. Ebenfalls ab dem 16. September operierte auch die 4. Kompanie des Bataillons gemeinsam mit einem Wehrmachtsregiment. Die Polizeieinheit hatte den Auftrag, zurückflutenden polnischen Soldaten in der Zeit vom 16. bis zum 20.  September 1939 mit einer Auffangaktion den Weg zu verstellen. Hierbei war insbesondere Oberleutnant Mehr mit dem von ihm geführten Zug erfolgreich, der bei „Wreschen die Sperre zu legen“ hatte. Es sei dadurch gelungen, „mehrere hundert polnische Soldaten“ festzusetzen und der Wehrmacht zu übergeben. Da die 4. Kompanie anders als das Infanterieregiment „motorisiert war, wurde sie stets an die Brennpunkte geworfen“, wobei es gelungen sei, die polnische „Soldateska immer rechtzeitig abzufangen“. Bei Kostschin/Kostrzyn, 21 Kilometer östlich von Posen, stieß am 16. September ebenfalls ein Zug der 4.  Kompanie unter Hauptwachtmeister Basner angeblich auf „eine 50 Mann starke Bande, die aus polnischen Militärs und Freischärlern bestand“,200 die die Verbindungs- und Nachschublinien gestört hätten. Obwohl in Unterzahl, sei es Männern wie Heinrich Ludwig gelungen, den Feind hinzuhalten, bis durch weitere Teile der 4. Kompanie dessen „Unschäd-

196 Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 94). 197 Schreiben betr.: Bevorzugte Beförderung zum Major der Schutzpolizei, von Major Dederky an den BdO Münster vom 28.5.1941 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 27). Gostyn ist die deutsche Schreibung des Ortes Gostyń. 198 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2441, unpag.); Schreiben betr.: Bevorzugte Beförderung zum Major der Schutzpolizei, von Major Dederky an den BdO Münster vom 28.5.1941 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 27). 199 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 3). 200 Ebd., Bl. 4. Wreschen ist der deutsche Name des Ortes Września.

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lichmachung“201 am 17. September erreicht werden konnte, wobei sich Wilhelm Birchler besonders ausgezeichnet haben soll. Dies weist darauf hin, dass die erwähnten 50 Personen getötet wurden. Im unmittelbaren Anschluss daran soll eine Gruppe der 4. Kompanie um Oberwachtmeister Wilhelm Körber damit beauftragt gewesen sein, „1 500 Gefangene von Kostschin nach Posen zu überführen“. Es handelte sich vermutlich um die von der 4. Kompanie gemeinsam mit dem 142. Infanterieregiment arretierten Personen. „Beim Durchmarsch durch ein Waldgelände“ soll „ein Teil der Gefangenen Widerstand“ geleistet haben, „um unter Ausnutzung der Dämmerung in der allgemeinen Verwirrung zu fliehen“. Der Versuch sei jedoch erfolglos geblieben. „Mehrere Gefangene wurden auf der Stelle erschossen.“202 Vom 16. bis zum 20. September soll der Spieß der 1. Kompanie, Riewald, als verantwortlicher Wachhabender der Wachmannschaft, die das Bataillon 61 am Posener Bahnhof stellte, eingesetzt worden sein. Hierbei sei es häufig zu Ausschreitungen gekommen. Im Vorgehen gegen die Bevölkerung wurde die Wachmannschaft auch durch einen Zug der gleichen Kompanie unter Oberleutnant Walter Brauns unterstützt. Über das gemeinsame Wirken hieß es: „Die Polen versuchten ständig, besonders nachts, die Waggons zu plündern, und es kam häufig zu Schießereien mit ihnen.“203 Dies bedeutete nichts anderes, als dass dort auf nach Nahrungs- und Verbrauchsmitteln suchende, unterversorgte Zivilisten geschossen wurde. Am 17. September hatte der Zugwachtmeister der Kraftfahrstaffel, Kurt Bröker, bei Stenchewo/Stęszew mit einer vermeintlichen „Bande“ Kontakt, die ihn an der Überbringung einer Meldung an die 2. Kompanie zu hindern versucht haben soll. Der Unterführer habe die Situation jedoch dadurch vorbildlich gelöst, dass er diese Personen mit seinem Kraftrad einfach überfuhr. Die 2. Kompanie, die Bröker erreichen wollte, lag ebenfalls im Raum Stenchewo und führte hier eine nicht näher bestimmbare Aufgabe aus. Nur für den Zug unter Leutnant Karl Heinz Stein lässt sich nachvollziehen, dass dort am 17. September eine „Heckenschützenbande“ gefangen genommen wurde, „noch bevor diese Widerstand leisten konnte“. Direkt danach sei mit „der Vernichtung dieser Bande“ dann „sofort die Befriedung der ganzen Umgebung von Stenchewo“204 eingetreten. Stein und seine Männer hatten also die Festgenommenen getötet. Am gleichen Tag wurden durch eine deutsche Polizeieinheit, unterstützt durch Gendarmerie und Geheime Staatspolizei, 21 Personen in Schroda/Środa verhaftet und erschossen.

201 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 8 f.). 202 Ebd., Bl. 9. 203 Ebd., Bl. 2. Für die häufigen Ausschreitungen vgl. ebd., Bl. 4. 204 Ebd., Bl. 3. Für Kurt Bökers Aktion vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2411, Bl. 4).

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Zuvor sollen die Verhafteten noch dazu gezwungen worden sein, ihre eigenen Gräber auszuheben.205 Am 20. September soll Wörmer mit dem von ihm geführten Zug der 2. Kompanie dafür verantwortlich gewesen sein, „in Lassek eine bewaffnete polnische Heckenschützenbande, die die rückwärtigen Verbindungen zur Wehrmacht auf’s [sic] Höchste gefährdete, zu vernichten“.206 Gelungen sei dies, indem ein Hinterhalt gegen die „Heckenschützen“ gelegt wurde, die sich in einem Gehöft versteckt gehalten hätten. In Anbetracht der tatsächlichen Verhältnisse im „Warthegau“ handelte es sich bei der Aktion aber wohl vielmehr um eine repressive, mit tödlicher Gewalt verbundene Maßnahme gegen die Bewohner des Gehöfts. In der Nacht vom 22. zum 23. September soll es dem stellvertretenden Zugführer der 1. Kompanie, Heinrich Becker, mit seinen Männern gelungen sein, „bei der Durchsuchung der Laubenkolonie nördlich Wilda in Posen“ mehrere Personen festzusetzen. Er habe „gegen 23 Uhr 5 wehrpflichtige Polen in Zivil“ aufgegriffen, die einer „Bande“ angehört haben sollen. Damit hätte Becker die „Grundlage für die Unschädlichmachung der Bande gelegt“.207 Dies weist auf die unmittelbare Tötung der Personen mehr als deutlich hin. Während des Monats September soll sich der Waffen- und Bekleidungswart der 1. Kompanie Brunst dadurch ausgezeichnet haben, dass es ihm gelang, bei Posen „einem umfangreichen Waffenlager auf die Spur“208 zu kommen. Ein genaues Datum wurde hierbei jedoch nicht angegeben. Vermutlich im gleichen, ebenfalls nicht exakt belegten Zeitraum soll Dreisbach als Teil der 3. Kompanie maßgeblich daran beteiligt gewesen sein, dass „eine polnische Bande im Dorf Dabrowka unschädlich gemacht werden konnte“.209 Ebenso soll sich dort Fritz Urban durch Mut hervorgetan haben, wodurch es angeblich „gelang, eine gefährliche Bande zu vernichten“.210 Folgt man einem Nachkriegsermittlungsbericht, so wurde noch im September 1939 ein Teil des Bataillons 61 zumindest zeitweise in Gnesen stationiert. Hierbei handelte es sich jedoch mit Sicherheit nicht nur, wie in dem Bericht erwähnt, um Aufgaben im „Objektschutz“.211 205 Dass der Einsatz durch Teile des Bataillons 61 durchgeführt wurde, ist wahrscheinlich, lässt sich jedoch, auch wenn die polnischen Ermittlungsbehörden dies annahmen, nicht abschließend durch die verfügbaren Unterlagen belegen. Vgl. Aussage Leon Reszkowski vom 15.3.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 210 f.). 206 Vorschlag für Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 283, Bl. 22a). Ebenso vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 3). 207 Ebd., Bl. 5. Ebenso vgl. ebd., Bl. 11. Wilda ist heute der südlichste Teil von Posen und der kleinste der fünf Stadtbezirke. 208 Ebd., Bl. 4. 209 Ebd., Bl. 6. 210 Ebd., Bl. 7. 211 Bericht des Polizei Oberleutnants Kehler, Dortmund, Gegenstand: Polizeibataillon 61 vom 29.11.1945 (AIPN GK 184 Nr. 397, Bl. 16). Ebenso zur Ankunft im September vgl. Aussage Jozef Drella vom 6.7.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 182). Ihr Quartier bezogen die Polizisten laut der Ergebnisse polnischer Ermittler in der Chrobregostraße. Vgl. Bericht des Sicherheitsamtes in Gniezno 25.6.1948 (ebd., Bl. 162).

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In zahlreichen gewaltsamen Aktionen, der polnische Zeuge Michał Woźniak beschrieb deren Anzahl als „schrecklich hoch“,212 sollen die Mitglieder der Polizeieinheit laut verschiedener Aussagen brutal gegen Juden und Polen, mit Exekutionen und Deportationen vorgegangen sein. Während die Juden an nicht näher definierte „ausgewählte Orte“213 gebracht worden seien, hätten die Polizisten die Polen in das Generalgouvernement verbracht. Mit Gewalt ausgeführte Verhaftungen hätten laut Marta Nowak sofort innerhalb von 15 bis 20  Minuten nach Eintreffen des Bataillons 61 in Gnesen begonnen und sollen sich über mehrere Tage hinweg fortgesetzt haben. 300 Personen seien so während der ersten Verhaftungswelle festgenommen worden. Die Polizisten hätten für diese Operationen meist die Nachtstunden genutzt. Nach den jeweils mehrere Stunden dauernden Verhaftungen seien die festgesetzten Personen in das Gefängnis von Gnesen gebracht worden, wo die Polizisten sie bei Vernehmungen brutal misshandelt haben sollen.214 Laut der Aussagen verschiedener Zeugen führte die Dortmunder Polizeieinheit während ihrer Stationierung in Gnesen auch Standgerichtsverfahren gegen die teilweise bereits arretierte Bevölkerung durch. Auf die lokale Bevölkerung sollen die Prozesse und deren Begleitumstände wie völlige Willkür gewirkt haben. Des Weiteren gab der Zeuge Stefan Hoffmann an, dass zusätzliche Prozesse durch ein Sondergericht aus Posen und Hohensalza/Inowrocław an zwei bis drei Tagen pro Woche durchgeführt worden seien. Die Hälfte der Angeklagten soll dabei zum Tode und die andere Hälfte zu Haftstrafen verurteilt worden sein. Als letztere Personengruppe jedoch im Gefängnis angekommen sei, hätten

212 Aussage Michał Woźniak vom 23.6.1948 (ebd., Bl. 171). Im fast gleichen Wortlaut vgl. Aussage Franciszek Wiemann vom 23.6.1948 (ebd., Bl. 172). Nicht korrekt ist die durchgängige Annahme der polnischen Ermittler sowie einiger polnischer Zeugen, dass das Bataillon 61 aus Bayern stammte. 213 Aussage Nitka Antoni, o. D. (ebd., Bl. 164). Zum Packen sollen die Menschen nur zehn Minuten Zeit gehabt haben. Ebenso zur Brutalität vgl. Aussage Michał Woźniak vom 23.6.1948 (ebd., Bl. 171). Ebenso im fast gleichen Wortlaut vgl. Aussage Franciszek Wiemann vom 23.6.1948 (ebd., Bl. 172); Aussage Wojciech Stempak vom 20.6.1948 (ebd., Bl. 174); Aussage Leon Kaszyński vom 26.6.1948 (ebd., Bl. 176). Dort ist auch erwähnt, dass schon Anfang September drei Polen in Piekary erschossen worden seien. 214 Vgl. Aussage Henryk Wasielewski vom 6.7.1948 (ebd., Bl. 183). In ähnlicher Form vgl. Aussage Marta Nowak vom 24.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 135); Aussage Michał Woźniak vom 23.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 171). Im fast gleichen Wortlaut vgl. Aussage Franciszek Wiemann vom 23.6.1948 (ebd., Bl.  172). Für die nächtliche Durchführung der Verhaftungen vgl. Aussage Wacław Kelles vom 23.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 132 f.); Aussage Michał Woźniak vom 23.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 171). Im fast gleichen Wortlaut vgl. Aussage Franciszek Wiemann vom 23.6.1948 (ebd., Bl. 172). Für die sofort mit Eintreffen des Bataillons 61 einsetzende Verhaftungswelle vgl. Aussage Marta Nowak vom 24.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 135).

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die Polizisten des Bataillons 61 eine Abänderung der Haft- zu Todesstrafen gefordert. Das Gericht habe dem zugestimmt.215 Die Tötungen sollen von der Dortmunder Polizeieinheit vorgenommen worden sein. Deren Exekutionskommandos waren im Raum Gnesen bereits an anderen Orten in Aktion getreten. So beschrieb Wacław Kelles, schon einen Tag nachdem das Bataillon 61 in die Stadt gekommen sei, dass drei Personen in Piekary bei Gnesen hingerichtet wurden, weil sie an der Verteidigung der Stadt Gnesen teilgenommen hätten. Ebenso sei der Priester Zabłocki aus Gnesen verhaftet und getötet worden. In Kletzko/Kłecko seien 20 Polen auf dem Markt durch das Bataillon 61 erschossen worden. In Gnesen habe Nowak beobachtet, wie mehrfach bis zu zehn Personen mit einem Lastkraftwagen in den örtlichen Wald transportiert und nie wieder gesehen wurden. Das Sicherheitsamt in Gnesen sah es nach dem Krieg als erwiesen an, dass diese Personen erhängt oder erschossen wurden.216 Die Tötung von Personen in und um Gnesen erstreckte sich aber nicht nur auf Personen, die durch ein wie auch immer geartetes juristisches Verfahren zum Tode verurteilt worden waren. Die polnischen Ermittlungsbehörden stellten nach dem Krieg fest, dass die Dortmunder Polizeieinheit für die Tötung von Patienten des psychiatrischen Krankenhauses vor Ort verantwortlich war. Zeugen hatten zum Ausdruck gebracht, 200 Personen mit geistigen Behinderungen seien von Männern des Bataillons 61 in den schon erwähnten Wald gebracht und dann getötet worden. Auch nordöstlich von Gnesen führten Teile der Dortmunder Polizeieinheit Tötungen aus. So meinte der Spieß der 1.  Kompanie, ohne dass er ein Datum des Einsatzes anführte, er habe ein Standgerichtsverfahren „noch in Erinnerung, wo ein Pole, und zwar in Hohensalza, freigesprochen wurde“.217 Ohne dass Riewald es explizit ausführte, scheinen aber weitere Angeklagte erschossen worden zu sein. 215 Vgl. Aussage Stefan Hoffmann vom 1.7.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 178). Eine ähnliche Ausdehnung von Urteilen soll es auch später in Ostrowo/Ostrów durch das Bataillon 61 gegeben haben. Das Einfordern von Exekutionen praktizierte das Bataillon 61 auch später im Warschauer Ghetto. Vgl. Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5828). Exemplarisch für die Wahrnehmung als Willkür vgl. Aussage Jan Kujawski vom 1.7.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 180); Aussage Stefan Hoffmann vom 1.7.1948 (ebd., Bl. 178); Aussage Marta Nowak vom 24.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 135). 216 Vgl. Bericht des Sicherheitsamtes in Gniezno vom 25.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 162). Für den LKW-Transport vgl. Aussage Marta Nowak vom 24.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 135). Ferner für die Exekutionen im Wald und für die Geschehnisse in Piekary und Kletzko vgl. Aussage Wacław Kelles vom 23.6.1948 (ebd., Bl. 132 f.). Ebenso für die Tötungen in dem Waldgebiet vgl. Aussage Walery Woźniak vom 26.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 177). 217 Aussage Gerhard Riewald vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 206, Bl. 34). Für die Tötung der Psychiatriepatienten vgl. Aussage Jan Kujawski vom 1.7.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 180); Aussage Walery Woźniak vom 26.6.1948 (ebd., Bl. 177); Bericht des Sicherheitsamtes in Gniezno vom 25.6.1948 (ebd., Bl. 163). Zum Krankenmord in Polen von 1939 bis 1945 vgl. die Aufsätze in: Zdisław Jaroszewski (Hg.), Zagłada chorych psychicznie w Polsce 1939–1945, Warschau 1993.

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Am 10. Oktober übernahmen Teile des Bataillons 61 ab 13 Uhr verschiedene zusätzliche Wachen innerhalb des Posener Stadtgebietes. An jedem Wachposten wurde ein Unterführer als verantwortlicher Wachhabender sowie weitere Männer im Mannschaftsdienstgrad eingesetzt. Als Standortwache setze man 13 von ihnen ein. Als „Wache beim Reichsminister Frank“218 waren neun Schutzmänner vorgesehen. Zur Überwachung der lokalen Pontonbrücke und der Ulanenkaserne wurden je sechs weitere Polizisten herangezogen. Vier Bataillonsangehörige wurden zur Bewachung Gefangener abgeordnet und jeweils drei Polizisten übernahmen die Sicherung der Kaserne in der Zichenstraße und des Hotels Monopol. Sechs weitere Personen, ebenfalls angeleitet von einem Unterführer, sollten schließlich noch ein „Überfallkommando“ bilden.219 Am 11. Oktober sei es Oberleutnant „Mehr gelungen, durch geschicktes Vernehmen von 2 Gefangenen einer polnischen Geheimorganisation“ Informationen zu erlangen. Dies bedeutet nichts anderes, als dass der Offizier Zivilisten folterte, wie er es auch bei späteren Einsätzen praktizierte. Hierdurch habe er angeblich erfahren, das auf einem Gut in Gulten/Gułtowy Waffen versteckt gehalten wurden. Umgehend habe sich der Oberleutnant mit dem von ihm geführten Zug der 4. Kompanie dorthin begeben und setzte angeblich noch in derselben Nacht weitere Personen fest. Durch Mehrs „draufgängerisches Verhalten“ habe er diese „so eingeschüchtert, dass sie die Waffen streckten“.220 Naheliegenderweise folgten danach ein Schauprozess und eine Exekution wegen Waffenbesitzes. Am 12. Oktober wurden in Otteraue/Otorowo zehn Polen exekutiert, da sie eine polnische Flagge aufgehängt hatten. Ob die Tötung durch das Bataillon 61 erfolgte, ist nicht zu klären, jedoch sahen die polnischen Ermittlungsbehörden den Fall als wahrscheinlich genug an, um ihn in die Ermittlungen gegen die Dortmunder Polizeieinheit aufzunehmen. In der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober agierten Teile des Bataillons 61 im Raum südwestlich von Posen. Mit herausgezogenen Kräften der Polizeieinheit und unterstützt von der Gendarmerie des Bezirks „Posen-Land“ sowie zwei Wehrmachtskompanien führte Major Dederky eine großflächige Durchsuchung in der Gegend zwischen Dopiewo und Stenchewo durch. Ergebnisse der Operation sind nicht überliefert.221

218 Sonderbefehl des Kommandos der Schutzpolizei Posen vom 9.10.1939 (APP 4807 Nr. 212, unpag). 219 Ebd. 220 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 3). Ebenso soll der Polizist Körber einen wichtigen Beitrag zum Aufdecken des Waffenlagers geleistet haben. Vgl. ebd., Bl. 9. Erich Mehr habe ferner auch aufgedeckt, wie stark polnisch unterwandert die Polizeibehörde in Posen gewesen sei. Vgl. ebd., Bl. 3. Welche Maßnahmen deswegen ergriffen wurden, geht aus dem Dokument jedoch nicht hervor. 221 Chef der ORPO an RFSS betr.: Berichterstattung vom 14.10.1939 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 14). Für die Geschehnisse in Otorowo vgl. Bericht des Sicherheitsamtes in Szamotuły vom 13.3.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 58).

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In einem Bericht des BdO Knofe an den Reichsführer-SS heißt es: „Am 18.10.1939 ist in Kalisch ein Pfarrer standrechtlich“222 erschossen worden. Es handelte sich um Roman Pawlowski aus der Pfarrei von Chocz. Der Tötung war eine nächtliche Durchsuchungsaktion vorangegangen, die das Bataillon 61 gemeinsam mit Kräften des NSKK durchgeführt haben soll. Schon zuvor sei das Haus von Deutschen, die „grau-grüne Uniformen“223 trugen, anderthalb Stunden ergebnislos durchsucht worden. Nach zwei oder drei Tagen seien die Deutschen zurückgekehrt und hätten die Pfarrei nochmals im Scheinwerferlicht ihrer Kraftfahrzeuge durchsucht. Dabei sei sichtbar gewesen, dass „die Deutschen Pfarrer Pawlowski herumschubsten und schlugen“.224 Anschließend hätte man den Priester nur mit einer Hose und einem weißen Hemd bekleidet abgeführt. Pawlowski, der „allgemein beliebt und geschätzt“ war, soll nicht nur der „Gemeindepfarrer von Chocz“, sondern zugleich auch „Domherr und Militärpfarrer der polnischen Armee“, gewesen sein. Er sei auch „überzeugter Demokrat und polnischer Patriot“ gewesen, „was er sowohl in der Kirche als auch im Privatleben stets zum Ausdruck“225 gebracht habe. Dies allein dürfte bereits ausgereicht haben, um ihn nach NS-Maßstäben als Element der deutschfeindlichen „Intelligenz“ zu klassifizieren. Ein weiterer Aspekt machte es noch klarer, warum der Priester in das Visier der deutschen Besatzungskräfte geriet. Bei einem Schulstreit zwischen Polen und Deutschen in Józefów, die 1935 beantragt haben sollen, dass der Schulunterricht des Ortes nur noch in Deutsch stattfinden sollte, hätte die polnische Bevölkerung den Pfarrer um Unterstützung gebeten. Pawlowski habe sich daraufhin stark für die polnische Bevölkerung eingesetzt, sodass ein zwischenzeitlich zugunsten der Deutschen ergangenes Gerichtsurteil 1938 revidiert worden sei. Als der Fall vor einem Warschauer Appellationsgericht verhandelt werden sollte, habe Pawlowski sogar zum Ausdruck gebracht, „er habe dort einen Bruder bei der Staatsanwaltschaft, der helfen werde, eine günstige Entscheidung zu erreichen“.226 Entsprechend wurden von der Polizeieinheit Maßnahmen ergriffen, um die Verurteilung und spätere Exekution des Priesters sicherzustellen. Offensichtlich wurden ihm belastende Beweisstücke untergeschoben, denn am Tag nach

222 Bericht des Befehlshabers der Ordnungspolizei beim Chef der Zivilverwaltung beim Militärbefehlshaber Posen an den RFSS vom 19.10.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 50). 223 Aussage Fancisek Jangas vom 27.4.1970 (ebd., Bl. 33). Für die Rolle von Pawlowski als Gemeindepfarrer in Chocz vgl. ebd., Bl. 31. Für die Kooperation der Polizei mit dem NSKK bei der nächtlichen Aktion in Kalisch gegen Pawlowski vgl. Aussage Richard Ziemdorf vom 25.4.1953 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 55). 224 Aussage Fancisek Jangas vom 27.4.1970 (ebd., Bl. 33). 225 Ebd., Bl. 31. 226 Ebd., Bl. 32. Für den Schulstreit und Pawlowskis Rolle in diesem vgl. Aussage Józef Szymezak vom 25.4.1970 (ebd., Bl. 27 f.).

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der Verhaftung seien erneut Deutsche gekommen und erst dann sei in einem Schreibtisch des Pfarrers „eine Prise Pulver in einen Lappen eingewickelt“ gefunden worden. Seine Haushälterin habe hiergegen protestiert, da so etwas bei den vorherigen Durchsuchungen weder gefunden worden sei noch existiert hätte. Man habe ihr aber befohlen „zu schweigen“.227 Insgesamt habe die lokale Bevölkerung den behaupteten Waffenbesitz nie geglaubt. Zwar soll der Priester als Jäger Gewehr und Pistole besessen haben, doch hätte er diese beim Einmarsch der Deutschen in die Warthe geworfen. Dabei soll er bereits geäußert haben, dass „die Deutschen ihm in diesem Zusammenhang Schwierigkeiten machen könnten, da die Ortsbevölkerung gewusst habe, dass er Waffen besitze und die Behörde“228 nicht glauben werde, er hätte die illegalen Gegenstände weggeworfen. Tatsächlich scheinen im Fall von Pawlowski „Volksdeutsche“ belastende Informationen an die zuständigen Stellen weitergeleitet zu haben. Dem Zeugen Józef Szymezak soll seine Frau berichtet haben, dass ein „deutscher Nachbarsjunge schon drei Tage vor der Verhaftung […] mitgeteilt habe, dass Pfarrer Pawlowski verhaftet werde“.229 Die belastenden Informationen wurden auch zur äußeren Legitimation des Schauprozesses genutzt, den die Polizeiführung als Standgericht wegen Munitionsbesitzes bezeichnete. Der Prozess unter der Leitung von Major Dederky soll im Stabsgebäude einer Kaserne stattgefunden haben und endete, wie zu erwarten, mit einem Todesurteil. Nach dem Krieg sagte Riewald in Verkennung der Tatsachen aus: „Dieses Urteil ging in Ordnung.“230 Die Bevölkerung sei vor illegalem Waffenbesitz gewarnt gewesen. Mit verschiedenen Aushängen wurde nach dem Prozess angekündigt, dass der Pfarrer Pawlowski wegen Munitionsbesitzes am 18. Oktober 1939 um 10:30 Uhr öffentlich exekutiert werde.231 Unmittelbar vor der Vollstreckung ereignete sich auf der Anreise zu der Hinrichtung noch ein kurioses Ereignis. An diesem zeigt sich, dass die deutlichen Handlungsspielräume der Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit nicht nur einseitig in Richtung von Gewalttaten bestanden. Der als Leiter des Erschießungskommandos bestimmte Offizier, Wannemacher, behauptete nach dem Krieg, dass er „für den Delinquenten, ohne hierzu befugt zu sein, noch einen

227 Aussage Fancisek Jangas vom 27.4.1970 (ebd., Bl. 34). 228 Ebd., Bl. 32. Zum Unglauben der Bevölkerung an den Waffenbesitz vgl. ebd., Bl. 35. 229 Aussage Józef Szymezak vom 25.4.1970 (ebd., Bl. 28). 230 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 6). Für den Verhandlungsort vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 19). Für eine stark beschönigte Schilderung vgl. Bericht des Befehlshabers der Ordnungspolizei beim Chef der Zivilverwaltung beim Militärbefehlshaber Posen an den RFSS vom 19.10.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 50). Ebenso vgl. Aussage Heinrich Marach, o. D. (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 205, Bl. 23). 231 Vgl. die Fotografie der entsprechenden Bekanntmachung in: LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b.

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älteren Geistlichen vom Altar einer Kirche, wo er die Messe las, weggeholt habe, um ihm die Gelegenheit zur Beichte und Kommunion zu geben“. Um „diese besondere Vergünstigung nicht höheren Ortes bekannt werden zu lassen“, habe der Offizier nur einen ihm „besonders zuverlässig erscheinenden Mann zur Begleitung des Delinquenten in ein abseits der Straße gelegenes Dorf mitgenommen“.232 Der Rest seines Zuges habe im Bus warten müssen. Dass es sich hierbei nicht nur um ein entlastendes Narrativ handelte, belegt eine bereits einen Monat zuvor getätigte Aussage eines Mitglieds der Teileinheit. Marach führte aus, dass es sich beim Verhalten des Offiziers um „ein außerordentliches Entgegenkommen des Leutnant Wannemachers“ gehandelt habe, „der auch die vorübergehende Abwesenheit mit dem Delinquenten mit der Durchführung einer Pause motivierte“.233 Danach fuhr die Einheit weiter und führte anschließend die Exekution aus. Sieben Schützen unter Leitung Wannemachers erschossen den Priester öffentlich auf dem Marktplatz von Kalisch. Im Anschluss an die Exekution sei von der 1. Kompanie „sehr scharf gegen die dortigen Juden vorgegangen“ worden. Danach „wurden alle in einem Lager zusammengefasst und zu allen Arbeiten herangezogen“.234 Offenbar geschah dies auf Basis einer zuvor vorbereiteten „Sonderliste für die Evakuierung“.235 Eventuell wurden in Kalisch auch noch weitere Personen erschossen, da Marach unklar von weiteren „Einzelerschießungen“236 in seiner Aussage sprach. Dazu passend wurde nach dem Krieg von polnischen Ermittlern ein Massengrab mit 19 Leichen in einem Waldstück zehn Kilometer nordwestlich von Kalisch entdeckt. Am 19. Oktober und auch danach sollen auch weitere Verhaftungen und Exekutionen wegen angeblichen Waffenbesitzes im Kreis Jarotschin/Jarocin durchgeführt worden sein. Naheliegenderweise waren auch dort Teile des Bataillons 61 involviert.237 Am 19. Oktober seien in Schroda die „29 einflussreichsten Personen verhaftet und am nächsten Tag auf dem Marktplatz erschossen“ worden.238 Der dort im Einzeldienst eingesetzte deutsche Polizist, Walter Donnewitz, führte in einem Brief an seine in der Heimat stationierten Kameraden aus, man habe

232 Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 69). 233 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 19 f.) 234 Aussage Richard Ziemdorf vom 25.4.1953 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 55). Für die Exekution auf dem Marktplatz vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 20); Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 69). Vgl. auch die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b. 235 Aussage Karl Schmitz vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 32). 236 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 20). 237 Für das Massengrab, ebenso wie für die weiteren Tötungen im Kreis Jarotschin, vgl. Bericht des Sicherheitsamtes in Jarocin vom 22.3.1948 (AIPN BU 231 Nr. 3, Bl. 129). Dort heißt es: „Im Jedlecki Wald wurde ein Massengrab entdeckt, in dem die Leichen von Juden aus Kalisch gefunden wurden (9 Männer, 7 Frauen, 2 Kinder bis 14 Jahre alt). 238 Aussage Leon Roszkowski vom 15.3.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 107 f.).

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„schon sehr schwere Tage hinter“ sich. Am 20. Oktober 1939 gerade an seinem „Geburtstage, da wurden auf dem Marktplatz 30 Polen öffentlich erschossen. Die Durchführung der Vorarbeiten lag in [seiner] Hand. Nur die Erschießung selbst wurde von einer Abteilung Schutzpolizei aus Posen vorgenommen.“239 Es handelte sich erneut um den von Wannemacher geführten 1. Zug der 1. Kompanie des Bataillons 61. Der Waffenwart der Kompanie, der sich von den Geschehnissen abgewandt haben will, sagte nach dem Krieg aus, er habe zuvor „noch beobachtet, wie 10 Polen mit erhobenen Händen aus dem Gerichtsgebäude bzw. dem Bürgermeisteramt herausgeführt wurden. Diese 10 Polen“ seien als Erste getötet worden. Danach seien „weitere Erschießungen vorgenommen worden“,240 was man aus zahlreichen Schüssen habe folgern können. Die Personen waren hierfür vor Sandsäcke gestellt und dann füsiliert worden. Donnewitz erläuterte, danach hätte der Bürgermeister an alle Beteiligten ein Lob ausgesprochen, „weil alles vorzüglich geklappt hat“.241 Laut Aussage eines polnischen Strafgefangenen in Schroda mussten die Insassen des lokalen Gefängnisses nach den Tötungen „die Leichen auf die Autos laden und beerdigen“. Auch der Zeuge selbst „wurde zu dieser Arbeit gezwungen“. Den „Volksdeutschen“ des Ortes hingegen sei der Besitz der Exekutierten, „Mäntel, Hüte, Pelze etc. […] von der Polizei geschenkt“ worden.242 Aus der Aussage von Waffenwart Brunst lässt sich darüber hinaus noch erkennen, dass „im Laufe des Tages auch noch an einem anderen Ort Exekutionen“243 der 1. Kompanie stattgefunden haben sollen. Genauer führte dies Marach aus, der angab, dass der 2. Zug der 1. Kompanie in der Nähe von Schroda 30 Personen erschossen habe. Ebenso habe der 3. Zug am gleichen Abend 30 Menschen getötet.244 Am 20. Oktober erschossen wahrscheinlich Männer einer der genannten Teileinheiten der 1. Kompanie 17 Polen auf dem Marktplatz von Książ. Die Polizeieinheit soll nur für die Durchführung der Exekutionen dort gewesen

239 Brief von Walter Donnewitz an seine Kameraden in der Heimat vom 6.10.1939 (BStU MfS HA IX/11 RHE 44/74 DDR, Bl. 28). 240 Aussage Ernst Brunst vom 12.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 205). Für die Zuordnung zu Wannemachers Zug vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 18). Wannemacher bestätigte dies ebenfalls. Vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 69). 241 Brief von Walter Donnewitz an seine Kameraden in der Heimat vom 6.10.1939 (BStU MfS HA IX/11 RHE 44/74 DDR, Bl. 28). Für die Erschießung und die Erwähnung der Sandsäcke vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 18). 242 Aussage Leon Roszkowski vom 15.3.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 107 f.). 243 Aussage Ernst Brunst vom 12.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 205). 244 Vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 18). Neben der Exekution in Schroda war für den Dezember 1939 vorgesehen, zahlreiche Personen von dort abzuschieben. Vgl. Berichterstattung über die Zahl der abzuschiebenden Juden und Polen vom 12.12.1939 (BA R 75 Nr. 19, Bl. 4).

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sein und sei danach direkt wieder abgefahren. Ein anderer Zug der 1. Kompanie war vermutlich in Kurnik/Kórnik direkt westlich von Schroda aktiv. Hier wurden ebenfalls am 20. Oktober 14 Polen durch eine deutsche Einheit auf dem Marktplatz erschossen. Hinzu kam eine weitere kranke Person direkt auf dem örtlichen Friedhof. Als Grund für die Exekutionen sei feindliches Verhalten von Polen gegenüber Deutschen vor dem Krieg genannt worden. Die Auswahl der Getöteten soll durch eine Liste stattgefunden haben, die ein „volksdeutscher“ SS-Mann und der deutsche Oberbürgermeister vorbereitet hatten.245 Das erwähnte Schreiben von Donnewitz, in dem er von der Exekution in Schroda berichtete, schloss mit den Worten: „In Schrimm soll es nicht so schön geklappt haben.“ Über die offensichtlich brisanten Details wolle er aber lieber nur „mündlich mehr erzählen“.246 Dass dort am 20. Oktober etwas Besonderes vorgefallen sein musste, wird auch dadurch belegt, dass Mitglieder des Bataillons 61 bemüht waren, ihre Handlungen in Schrimm/Śrem aus ihren Erzählungen gegenüber allen Ermittlern herauszuhalten. Während mit anderen Exekutionen offener umgegangen wurde, hieß es etwa bei Zumplasse, dass man Schrimm lediglich auf dem Vormarsch nach Posen durchquert habe. Bröker erinnerte sich nur an ein dortiges „Sumpfgebiet, in dem die Fahrzeuge schlecht vorwärts[gekommen]“247 seien. Das mag zutreffen, jedoch führten Teile des Bataillons 61 an diesem Ort am 20. Oktober auch eine Erschießungsaktion aus. Ein Mitglied der 1. Kompanie sprach unter Bezug auf die Exekution in Schroda davon, dass sich „solche Exekutionen in einem Orte, der möglicherweise Schrimm oder ähnlich hieß“,248 fortgesetzt hätten. Die dortige Tötung soll aber durch eine andere Kompanie des Bataillons 61 durchgeführt worden sein. Tatsächlich bejahte Linnemann auf Nachfrage, „Schrimm“ sei ihm als einer der „Einsatzorte der Kompanie in Erinnerung“.249 245 Vgl. Auflistung von am 20.10.1939 in Kurnik erschossenen Personen, o. D. [ca. 1948] (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 82). Für die Exekution in Książ vgl. Auflistung von am 20.10.1939 in Książ erschossenen Personen, o. D. [ca. 1948] (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 83). Hier ist die Rede von einer unbekannten SS-Einheit. Für die Zuordnung der Exekution zum Bataillon 61 vgl. Ermittlungsbericht von Friedrich Kehler vom 29.5.1945 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 129, Bl. 3); Schreiben der główna komisja badania zbrodni niemieckich w polsce vom 21.11.1947 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 12). Zur unklaren Opferzahl vgl. Mitteilung des Gendarmeriepostens Tiefenbach an das Standesamt Tiefenbach über 10 erschossene Personen am 20.10.1939 vom 12.4.1941 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 71 f.). Hingegen werden an anderer Stelle 17 Personen genannt. Vgl. Auflistung von am 20.10.1939 in Książ erschossenen Personen, o. D. [ca. 1948] (ebd., Bl. 83). 246 Brief von Walter Donnewitz an seine Kameraden in der Heimat vom 6.10.1939 (BStU MfS HA IX/11 RHE 44/74 DDR, Bl. 28). 247 Aussage Kurt Bröker vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 30). Für Zumplasses Ausführungen vgl. Aussage Heinrich Zumplasse vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 50). Ein anderer Polizist gab hingegen nur schlechte Wegeverhältnisse in Verbindung mit der Stadt an. Vgl. Aussage Friedrich Tillmann vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 29). 248 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 19). 249 Aussage Heinrich Linnemann vom 10.2.1960 (ebd., Bl. 71).

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Aus einer von polnischen Ermittlern erstellten Liste geht hervor, ohne explizit die 3. Kompanie der Dortmunder Polizeieinheit zu nennen, dass in Schrimm am 20. Oktober 19 Polen auf dem Marktplatz erschossen wurden. Begründet hätte die deutsche Einheit, die in den Unterlagen als Teil der SS aufgeführt ist, die Tötungen mit dem feindlichen Vorkriegsverhalten der lokalen Bevölkerung gegenüber „Volksdeutschen“. Die tatsächliche Anzahl an Exekutierten dürfte sogar noch höher gelegen habe. Selbst das beteiligte Bataillonsmitglied Urban gestand nach dem Krieg ein, es habe sich eher um 20 bis 30 getötete Einwohner gehandelt. Ferner führte er auch aus, auf welch fragwürdige Weise die Exekution zustande gekommen sei. So sollen zu der getöteten „Personengruppe Geiseln“ gehört haben. Urban habe „erkennen können, dass auch ein Pfarrer in seiner Amtstracht und auch mehrere Intellektuelle zu den Hingerichteten gehörten“. Sie seien „deshalb erschossen worden, weil man der wirklichen Täter damals nicht habhaft werden konnte“.250 Darüber hinaus berichtete aber auch Urban nichts über die Besonderheit der Aktion in Schrimm, die Donnewitz als so exzeptionell angedeutet hatte. Ebenfalls am 20. Oktober 1939 führte eine andere Teileinheit des Bataillons 61 eine Exekution von 15 Personen auf dem Marktplatz von Moschin/Mosina öffentlich aus. Der Tötung soll ein Polizeistandgericht vorausgegangen sein, an dem sowohl der deutsche Oberbürgermeister als auch der Gemeindevorsteher teilnahmen. Die Abriegelung der darauffolgenden Erschießung, an der auch zwei „volksdeutsche“ Polizisten teilgenommen haben sollen, hätte eine Militäreinheit übernommen. Wie schon zuvor, sollen bei Ankunft der Dortmunder Polizeieinheit bereits Listen vorgelegen haben, die ausführten, gegen wen die Aktion zu richten war. In Moschin soll es sich um besonders wohlhabende Einwohner gehandelt haben. Direkt nach der Exekution habe die Polizeieinheit die Stadt wieder verlassen. Zuvor mussten die Zuschauer noch die Leichen begraben.251 Am 21. Oktober kamen laut einer polnischen Aussage deutsche Polizisten, die die Bevölkerung als Soldaten fehlinterpretierte, nach Gostyn/Gostyń, um ein Standgericht und Exekutionen durchzuführen. Ziel war dabei, diejenige

250 Aussage Fritz Urban vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 219, Bl. 11). Für die polnischen Unterlagen zu der Exekution in Schrimm vgl. Auflistung von am 20.10. und 8.11.1939 in Śrem und Zbrudzewo erschossenen Personen, o. D. [ca. 1948] (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 78). Zbrudzewo ist der polnische Name von Oberau. 251 Vgl. Mitteilung an den Gendarmerie-Kreis in Schrimm betr.: Wichtige Ereignisse beim Gendarmerieposten Moschin zur Eintragung in das KTB [Kriegstagebuch] vom 23.11.1942 (ebd., Bl. 74). Schon zuvor waren in Moschin zahlreiche Polen festgenommen worden, von denen zwei getötet wurden, während die anderen Haftstrafen erhalten haben sollen. Im September und Oktober 1939 erfolgten außerdem Deportationen. Am 13.12.1939 waren es 36 Familien mit insgesamt 125 Personen. Am 10.3.1940 folgten weitere zehn Familien mit insgesamt 45 Personen. Für die polnischen Ermittlungsergebnisse zu den Geschehnissen in Moschin vgl. Auflistung von am 20.10.1939 in Mosina erschossenen Personen, o. D. [ca. 1948] (ebd., Bl. 74). Dort wird abweichend von 17 getöteten Personen ausgegangen.

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Bevölkerung der Stadt und des Umlands zu beseitigen, die als deutschfeindlich eingestuft worden sei. Die dazu nötigen Listen hätte die lokale Gendarmerie in Zusammenarbeit mit „Volksdeutschen“ bereits zuvor ausgearbeitet. Die Exekution von 30 Polen soll öffentlich gewesen sein. Zusehen konnten polnische Bürger, die volljährig waren. Sie wurden aber nach der Tötung gezwungen, die Erschossenen zu begraben oder die Leichen auf die Fahrzeuge der Polizeieinheit zu laden. Dass es sich um einen Verband der Ordnungspolizei handelte, legt der Vermerk des Sicherheitsamtes in Gostyn nahe, aus dem hervorgeht, dass sich in der Ortschaft keine Kräfte des SD oder der Gestapo befunden hätten. Bringt man dies mit der nötigen Personalstärke für den Einsatz sowie dem räumlichen Operationsschwerpunkt des Bataillons 61 in Einklang, so ist es mehr als wahrscheinlich, dass ein Teil der Polizeieinheit die Exekution in Gostyn ausführte.252 Ebenfalls am 21. Oktober führte eine Gruppe von angeblich 20 Polizisten, geführt von einem Offizier, eine Exekution in Leszno aus. Die unbekannte deutsche Einheit sei in Posen stationiert gewesen und mit einem „roten Bus“ angereist.253 Dies weist insgesamt mehr als deutlich auf das Bataillon 61 hin, dessen Stationierungsort Posen war und das Fahrzeuge wie das beschriebene Exemplar seit September 1939 nutzte. Am 22. Oktober führte eine Gruppe der 4. Kompanie einen Gefangenentransport durch. Insbesondere soll sich hierbei Fritz Sobiray ausgezeichnet haben. Angeblich begleitete er „3 000 Gefangene, von denen der weitaus größte Teil aus polnischen Schwerverbrechern bestand, vom Warthelager“ zur Stadt Posen. „Beim Durchmarsch durch die Posener Vorstadt“ hätten die Gefangenen versucht, „den Transport zu sprengen. Da [es] in den engen Straßen mit Rücksicht auf die Bevölkerung und die Kameraden […] nicht möglich war, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen,“ habe „Sobiray durch höchsten körperlichen Einsatz“ dazu beigetragen, dass „der Weitertransport durchgeführt werden konnte und eine Panik im Keim erstickt wurde“.254 Am 23. Oktober kam es zu einer Massenerschießung in Kosten/Kościan, wie sie dort auch schon am 2. Oktober stattgefunden haben soll. Polnische Ermittler

252 Vgl. Bericht des Sicherheitsamtes in Gostyń vom 25.3.1948 (ebd., Bl. 124). Angeblich sei eine weitere Exekution von 15 Personen am gleichen Tag, durch die gleiche Einheit, im über 100 km entfernten Kröben/Krobia durchgeführt worden. Diese Tat lässt sich jedoch nicht schlüssig auf das Bataillon 61 beziehen, da die Distanz zwischen den Exekutionsorten zu groß ist. Für die polnische Zeugenaussage vgl. Aussage N. N. [Name nicht lesbar] vom 15.3.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 74). 253 Aussage Julianna Kabat vom 19.3.1948 (ebd., Bl. 63). 254 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 10). Ebenso vgl. ebd., Bl. 8. Mit dem Warthelager ist ein 16 km nördlich von Posen gelegener ehemaliger preußischer Truppenübungsplatz gemeint. Zur Exekution in Lissa vgl. Aussage Wiktoria Günter vom 19.3.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 215); Aussage Antonina Lukowska vom 19.3.1948 (ebd., Bl. 216); Aussage Antonina Lukowska vom 19.3.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 64). Ferner vgl. Bericht des Sicherheitsamtes in Leszno vom 30.7.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 185); Bericht des Sicherheitsamtes in Leszno vom 25.4.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 119).

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rechneten diese Tötungen dem Bataillon 61 zu. Genauere Informationen sind jedoch bis auf eine Liste der Getöteten nicht überliefert. Zahlreiche polnische Personen wurden wegen verschiedenster angeblicher Delikte ab September 1939 von der deutschen Besatzungsmacht im Gefängnis von Samter/Szamotuły inhaftiert. Am 7. November seien 200 der Gefängnisinsassen von deutschen Truppen im zehn Kilometer nordöstlich von Posen gelegenen Wald von Kublitz/ Kobylnica erschossen worden. Unter den Getöteten soll sich auch der Sohn von Ignacy Pikusa befunden haben. Es wurde angenommen, dass seine Zugehörigkeit zum Pfadfinderverband bereits ein ausreichendes Maß an vermeintlicher Deutschenfeindlichkeit darstellte, um getötet zu werden. Bezieht man die benötigte Mannschaftsstärke für eine solche Massenexekution sowie den Ort der Tötungen mit ein, so kommt vor allem das Bataillon 61 für diese infrage, da es in diesem Raum einen seiner Operationsschwerpunkte besaß.255 Die gesamte Aktion dauerte nach Kaczmareks Aussage drei Tage. An den ersten beiden Tagen hätten jeweils zwei Lastkraftwagen die Polen in den Wald transportiert. Am dritten Tag sollen zwei Mal jeweils drei Lastkraftwagen Opfer herangebracht haben. Ebenso erinnerte sich auch der Zeuge Drabik Walenty an die Fahrzeuge. Noch nach zwei Wochen habe Kaczmarek die Spuren der Exekution und die Gräber im Wald gesehen. Im Rahmen einer Großaktion hätten die Deutschen 1944 sogar versucht, die Leichen in dem Waldstück zu verbrennen, um Spuren zu beseitigen. Wie in Kobylnica seien durch eine deutsche Einheit ebenfalls im November 200 Polen im 30 Kilometer westlich von Posen gelegenen Wald von Bythin/Bytyń erschossen worden. Die später Getöteten habe man zuvor aus Posen herangebracht. Erneut lassen Einsatzumfang, -art und -ort darauf schließen, dass die Tötungen durch das Bataillon 61 ausgeführt wurden.256

255 Vgl. Aussage Ignacy Pikusa vom 11.11.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 119); Aussage Drabik Walenty vom 5.11.1948 (ebd., Bl. 107); Aussage Auflistung der im Landkreis Szamotuły/Szamotulski erschossenen Personen vom 13.3.1948 (ebd., Bl. 85). Exemplarisch für die Inhaftierung im Gefängnis von Samter vgl. Aussage Maria Krysztoniak vom 9.11.1948 (ebd., Bl. 111). Sie sagte aus, ihr Mann habe während der ersten Tage des Krieges einem polnischen Soldaten geholfen, einen deutschen Flieger zu transportieren, dessen Flugzeug abgeschossen wurde, und sei dafür ins Gefängnis gekommen. Für die Gewalt in Kosten vgl. Auflistung der am 2. und 23.10.1939 Erschossenen in Kościan, o. D. [ca. 1948] (ebd., Bl. 60). Am 7.11.1939 wurden von dort auch zahlreiche Personen deportiert. Vgl. Auflistung von am 7.11.1939 aus Kościan abgeschobenen Personen, o. D. [ca. 1948] (ebd., Bl. 61). 256 Vgl. Auflistung der im Landkreis Szamotuły/Szamotulski erschossenen Personen vom 13.3.1948 (ebd., Bl. 85). Zur Spurenbeseitigung vgl. Aussage Jan Kaczmarek vom 9.11.1948 (ebd., Bl. 121); Aussage Drabik Walenty vom 5.11.1948 (ebd., Bl. 107). Zur Sonderaktion 1005, in deren Rahmen solche Exhumierungen und Verbrennungen von deutscher Seite systematisch durchgeführt wurden, vgl. Andrej Angrick, ­Operation 1005. The Nazi Regime’s Attempt to Erase Traces of Mass Murder. In: Thomas Lutz/David Silberklang/Piotr Trojański/Juliane Wetzel/Miriam Bistrović/Andrej Angrick (Hg.), Killing sites. Research and remembrance, Berlin 2015, S. 47–61.

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Am 8. November führte eine deutsche Einheit eine Erschießung von 12 Polen in Oberau drei Kilometer nördlich von Schrimm durch. Ob es sich dabei um eine Exekution durch das Bataillon 61 handelte, ist nicht abschließend zu klären, die polnischen Ermittlungsbehörden nahmen dies nach dem Krieg jedoch an. Ebenfalls im November ereignete sich eine Massenerschießung in Konin, wo schon seit September Deportationen durchgeführt worden seien sollen. Am 10. oder 11. November, der für die Datierung maßgebliche Augenzeuge Władysław Dziobczyński war sich hierüber 1948 nicht mehr ganz sicher, soll es zu einer Erschießung auf dem jüdischen Friedhof in der Nähe des Stadtparks durch eine militärische Polizeieinheit gekommen sein.257 In Anbetracht der Umstände ist es naheliegend, dass es sich dabei um einen Teil des Bataillons 61 handelte. Die späteren Exekutierten sollen mit sechs Lastkraftwagen aus dem lokalen Gefängnis zum Friedhof gebracht worden sein. Der Gärtner Jan Bakowski, der im Stadtpark arbeitete, hörte 44 Schüsse und führte aus, es seien auch danach weitere einzelne Tötungen vorgekommen. Dziobczyński erläuterte über den Ablauf der Massenexekution, dass die Opfer direkt vor einem Graben durch Schüsse in den Hinterkopf getötet worden seien. Unter den getöteten Menschen sollen sich auch eine Mutter mit zwei Kindern befunden haben. Maria Dławichowska führte aus, nach dieser Erschießung sei es noch zur öffentlichen Exekution einzelner Geiseln gekommen.258 Am 6. Dezember belobigte der BdO in seiner Tagesanordnung die „Polizeireservisten Horn, Seliger und Lorenz der 1. Kompanie“ des Bataillons 61. Sie hätten es durch „geschickte Ermittlungsarbeit ermöglicht, einer weitverzweigten Falschmünzerbande das Handwerk zu legen“. Durch eine Großaktion sei „die Sicherstellung erheblicher Mengen Falschgeldes sowie von Falschmünzergerätschaften“ erreicht worden. Ebenso sei es dabei zur „Festnahme zahlreicher Verbrecher“ gekommen.259 An welchem Ort sich dies ereignete wurde jedoch nicht ausgeführt. Am 8. Dezember erfolgte um 15:30 Uhr die Erschießung von 30 Personen in einem Waldstück des Gola Walds bei Gostyn, genauer genommen in einer Kiesgrube, aller Wahrscheinlichkeit nach durch eine Kompanie des Bataillons 61. Sechs der Getöteten seien laut einer Zeugenaussage zuvor von „volksdeutschen“ Einwohner Waffen untergeschoben worden. Danach habe man die späteren Exekutierten den lokalen Behörden gemeldet.

257 Vgl. Aussage Władysław Dziobczyński vom 12.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 235). Für die Exekution in Zbrudzewo vgl. Auflistung von am 20.10 und 8.11.1939 in Schrimm und Zbrudzewo erschossenen Personen, o. D. [ca. 1948] (ebd., Bl. 78). 258 Vgl. Aussage Maria Dławichowska vom 19.6.1948 (ebd., Bl. 234). Für die Art der Exekution sowie für den Lkw-Transport vgl. Aussage Władysław Dziobczyński vom 12.6.1948 (ebd., Bl. 235). Für die Aussage des Gärtners vgl. Aussage Jan Bakowski vom 12.6.1948 (ebd., Bl. 233). Vgl. ebd. auch für den Gesamtablauf. 259 Tagesanordnung des BdO Posen vom 6.12.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2).

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Andere seien beim Versuch, Waffen abzugeben, arretiert und bis zum 8. Dezember festgehalten worden. Unter diesen Personen sollen sich auch die Väter der Familien Kaczmarek und Stazek befunden haben. Eine weitere Person, der Lehrer ­Wawszack, sei von einem uniformierten Deutschen, der von zwei Zivilisten begleitet wurde, zur Exekution gebracht worden. Die Herkunft und Ankunft der übrigen später Getöteten sind nicht belegt.260 Die sechs Festgenommenen „wurden mit einem roten bzw. halbroten Auto (es war ein solcher Autobus, wie ihn die SS-Leute benutzten) gebracht. Im Autobus saßen Personen in grüner Uniform.“ Darüber hinaus, „hatten diese Soldaten gelbe Armbinden mit schwarzer Aufschrift“. Diese Beschreibung passt exakt zu den Fahrzeugen, die die Kompanien des Bataillons 61 seit ihrem Einmarsch in Polen nutzten. Die Uniformfarbe passte nur zu einer Ordnungspolizeieinheit und auch die Armbinde weist darauf hin, dass es sich um Polizisten handelte, die damit als zur Wehrmacht gehörig gekennzeichnet wurden, wie es für das Bataillon 61 belegt ist. Der Standgerichtsprozess in Gostyn, der der Exekution in dem Waldstück vorangegangen sein soll, „dauerte etwa 20 Minuten“.261 Das Todesurteil sei mit der Vergeltung für angeblich in der Region getötete Deutsche begründet worden. Sollte dies zutreffen, hätte das nur für Waffenbesitz zuständige Polizeistandgericht seine Kompetenz weit überschritten. Das eigentlich bemerkenswerte an der Exekution war jedoch, dass sich unter den Getöteten mit dem 30 Jahre alten Eisenbahnarbeiter Stanislaus Adamski eine Person befand, die in Castrop westlich von Dortmund geboren war. Mit dem „Ruhrpolen“ exekutierten die Polizisten also potenziell jemanden aus ihrer eigenen Nachbarschaft.262 Einen weiteren Einsatz führte währenddessen die 2. Kompanie des Bataillons 61, laut einer polnischen Zeugenaussage am 8. Dezember, in Leslau/ Włocławek aus. Mehrfach zuvor soll die 2. Kompanie bereits dort im Einsatz gewesen sein, um Durchsuchungen nach Waffen durchzuführen. Auf Befehl der Zivilverwaltung sollten nun Teile der Bevölkerung deportiert werden. Um die entsprechenden Personen zu identifizieren, habe es „eine Sonderliste für

260 Vgl. Aussage Feliks Kaczmarek vom 15.1.1972 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 117). Für die sechs Personen denen Waffen untergeschoben wurden vgl. Aussage Edmund Jaczynski vom 17.9.1971 (ebd., Bl. 111); Aussage Jan Kaczmarek vom 27.10.1971 (ebd., Bl. 121). Für die Uhrzeit der Exekution und die Opfer vgl. Sterbeurkunde Vincent Glinkowski wohnhaft in Siemowo im Standesamt für den Dorfbezirk Gostyn Nr. 96 vom 28.12.1939 (ebd., Bl. 148); Sterbeurkunde Zygmunt Grabarczyk aus Siedlec, Standesamt in Pepowo im Kreis Gostyn, Nr. 5 1940 vom 15.1.1940 (ebd., Bl. 150). 261 Aussage Jan Mikolajczyk vom 27.10.1971 (ebd., Bl. 137). 262 Für den Tod von Adamski vgl. Standesamt der Stadt und Gemeinde Borek Wielkopolski, Kreis Gosytn, Nr. 66 vom 23.12.1939 (ebd., Bl. 146). Für die Urteilsbegründung vgl. Aussage Wladyslawa Stazek vom 11.3.1972 (ebd., Bl. 141).

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die Evakuierung“ gegeben.263 Da an Kräften vor Ort „nur Gendarmerie“264 sowie Sicherheitspolizei vorhanden gewesen sein sollen, sei die 2. Kompanie des Bataillons 61 hierzu herangezogen worden. Insgesamt habe der Einsatz zwei ganze Tage gedauert, was auf den großen Umfang der Aktion hinweist. Gerichtet war der Einsatz dabei aller Wahrscheinlichkeit nach gegen den strukturschwachen Vorort Grzywno.265 Für die Anreise habe man die Einheit auf ihre typischen „Omnibusse verladen und ohne Angabe von Gründen nach Leslau transportiert“. Erst dort sei „durch den Kompanieführer Fockenbrock die Einweisung vorgenommen“ worden.266 Dabei soll er Härte gefordert und klargemacht haben, „bei Widerstand solle von der Waffe Gebrauch gemacht werden“.267 Für die lokale Bevölkerung, gegen die vorgegangen wurde, hatten die Mitglieder des Bataillons 61 ebenso wie der BdO auch nach dem Krieg nur Verachtung übrig. Der nicht an der Aktion beteiligte Chef der 1. Kompanie äußerte, Leslau sei „die Verbindungsstelle für Spionage zwischen Warschau und Posen“ gewesen. Darüber hinaus hätte sich in Leslau „das Verbrechertum gesammelt, welches die Polen aus den Zuchthäusern entlassen hatten“.268 Der BdO Posen brachte die Sichtweise der Polizei auf das Stadtviertel in wenigen Worten auf den Punkt: „Die Siedlung war ein Schlupfwinkel für Asoziale und Kriminelle.“269 Auch in den Aussagen der Polizisten des Bataillons 61 hieß es, der Einsatz habe in einem Stadtviertel aus „Behelfshütten“ stattgefunden, in denen „nur Gesindel wohn-

263 Aussage Karl Schmitz vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 32). Dafür, dass die Anordnung angeblich durch die Zivilverwaltung erging, vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 22). Für den mehrfachen Einsatz in Włocławek vgl. Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 58r). In der Aussage Stanisław Swieckowski vom 5.2.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 42) ist erwähnt, dass erste Deportationen in Włocławek ab dem 1.12.1939 stattfanden. Für die Datierung und die Umstände des Einsatzes vgl. ebd. Ungenauer und nur vom Dezember sprechen die deutschen Beteiligten. Vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 22). Marach ging dabei davon aus, dass die 2. Kompanie durch die 1. Kompanie in Leslau unterstützt wurde. Für den Dezember 1939 als Einsatzzeit der Dortmunder Polizeieinheit vgl. Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (ebd., Bl. 43). An anderer Stelle wird ausgeführt, der Einsatz habe im Winter 1940 stattgefunden. Vgl. Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 13). 264 Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 75r). 265 Vgl. Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 43). Für die Geschichte von Leslau, insbesondere unter deutscher Besatzung, vgl. Jan Sziling, Z dziejów Włocławka w latach okupacji niemieckiej (1939–1945). In: Jacek Staszewski (Hg.), Włocławek. Dzieje miasta, Włocławek 2001, S. 367–429. 266 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 13). 267 Aussage Franz Thamm vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 132). 268 Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 4r). 269 Aussage Oskar Knofe vom 17.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 248, Bl. 92r).

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te“.270 Ein anderer Mann nannte das Gebiet „ein Laubengelände, in welchem sich asoziales und verbrecherisches Gesindel aufhielt“.271 Mit dieser Geisteshaltung begannen die Männer der 2. Kompanie die Räumung des Vororts Grzywno. Im ganzen Stadtviertel seien die Truppen des „Mord-Bataillons“272 verteilt gewesen. Die polnischen Vorkriegspolizisten hätten ihnen dabei gezeigt, wer festzusetzen gewesen sei. Wie üblich wurde den Betroffenen nur „eine kurze Zeitspanne eingeräumt, um sich mit dem notwendigen Reisegepäck zu versehen“.273 Die Festgenommenen wurden zu einem Sammelplatz gebracht, von wo aus sie weiter nach „Kongresspolen abtransportiert“274 werden sollten. Eine erste Gruppe soll abweichend bereits mit einem Seil am Hals aneinander gebunden ins Gefängnis nach Włocławek abgeführt worden sein. Dann „wurde das gesamte Viertel damals geräumt und die Männer von den Frauen und Kindern getrennt“. Da unter „den Männern, die festgenommen wurden“, auch „Erschießungen stattgefunden haben“, ließ dies die Situation eskalieren. „Bei Fluchtversuchen soll eine Reihe der Männer erschossen worden sein.“275 Im durch „wildes Hineinfeuern“276 bedingten Chaos, kam es naheliegenderweise zum gegenseitigen Beschuss der Polizisten, wie ihn Böhler auch für unerfahrene Wehrmachtseinheiten im Jahr 1939 belegt hat.277 Daraufhin wurde in härtester Weise durchgegriffen. Es hieß, alle „Asozialen seien erschossen worden“.278 Ausnahmslos die „gesamte Bevölkerung des fraglichen Viertels“279 sei getötet worden. Die dortigen Gebäude wurden

270 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 13). 271 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 22). 272 Aussage Bolesław Zwolinski vom 6.2.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 46). 273 Aussage Ewald Roth vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 131). Für die Kollaboration der polnischen Vorkriegspolizei vgl. Aussage Tomasz Maciejewaki vom 6.2.1948 (ebd., Bl. 38); Aussage Bolesław Zwolinski vom 6.2.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 46). 274 Aussage Franz Thamm vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 132). Für den Sammelplatz vgl. Aussage Tomasz Maciejewakivom 6.2.1948 (ebd., Bl. 38). 275 Aussage Ewald Körner vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 216, Bl. 51). Für die ins Gefängnis geführte Gruppe vgl. Aussage Tomasz Maciejewaki vom 6.2.1948 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 38). Die Personen seien später vor der Stadt erschossen worden. 276 Bericht von Friedrich Kehler an die brit. [britische] Besatzungsbehörde vom 29.11.1945 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 12). 277 Für den Beschuss des Bataillons 61, ohne dass von Eigenbeschuss die Rede ist, vgl. Bericht des Polizeirats Friedrich Kehler über die Entnazifizierung von Walter Nord vom 10.7.1950 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 47). Allgemein zu Eigenbeschuss und dessen Folgen vgl. Böhler, Auftakt, S. 68 und 73. Für den Faktor mangelnder militärischer Erfahrung vgl. ebd., S. 61 und 73. 278 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 6). 279 Zusammenfassung des Ermittlungsstands durch KK Löblein vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 187).

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„anschließend in Brand gesteckt“,280 sodass „das gesamte Viertel abgebrannt“ sei.281 Dies war eine Praxis zur Verschleierung und Spurenbeseitigung, die auch für andere Einheiten der Ordnungspolizei nach völlig chaotischen Massentötungen belegt ist. Welches Ausmaß an Schrecken die Geschehnisse erzeugten, belegt nicht zuletzt, dass selbst unter den Polizisten, die sich bereits zuvor bei einigen Aktionen bewährt hatten, zahlreiche „seelisch und körperlich völlig herunter waren und auch nichts mehr essen konnten“.282 Riewald berichtete nach dem Krieg, diese Massentötungen der 2.  Kompanie unter Führung ihres verantwortlichen Offiziers habe sich durchaus herumgesprochen und allgemein „habe man die Handlungsweise des Oberleutnant Fockenbrock abgelehnt und verurteilt“.283 Die tatsächliche Sichtweise, insbesondere der dem Bataillon 61 vorgesetzten Stellen, spiegelte sich aber in einer nach dem Krieg getätigten Aussage des Posener BdO. Obwohl Knofe sich 1960 mit Leichtigkeit von den Geschehnissen moralisch hätte distanzieren können, führte er als Problem des Massakers stattdessen etwas anderes aus. In seinen Augen war nicht die Tötung der Zivilisten das Hauptproblem, sondern dass sich herausgestellt hätte, dass „es unzweckmäßig gewesen war, die Siedlung abzubrennen, weil ungeheure Mengen Diebesgut“ verbrannten. Außerdem hätte später „die Bevölkerung auf dem Gelände zahlreiches vergrabenes Gut ausgebuddelt und sich angeeignet“.284 Hieran zeigt sich, dass Fockenbrock mit seinen Männern ohne Befehl und in Übertretung von geltenden Einsatzregeln agierte. Offenbar versuchte der Offizier durch die bereits erläuterte Aufforderung, rabiat bei Widerstand zu reagieren und dadurch, dass er der sich entfaltenden Gewalt freien Lauf ließ, seine eigene weltanschauliche Agenda umzusetzen. Der ihm ehemals unterstellte Spieß erkannte dies relativ klar an, wenn er ausführte, dass Fockenbrock, der „von der SS kam und auch im Warthegau recht guten Kontakt mit SS- bzw. SD-Leuten hatte“, womöglich im Austausch mit diesen „die Anregung zum Abbrennen der Häuser“285 bekommen habe. Riewalds angeschlossene Behauptung, dass die Aktion in Grzywno „insbesondere den heftigen Widerspruch der alten aktiven

280 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 13). Für das Abbrennen von Gebäuden als typische Vergeltungsmaßnahme vgl. Böhler, Auftakt, S. 62. 281 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 6). Ebenso für das Abbrennen des Stadtteils vgl. Aussage Kazimierz Ruozanski vom 7.2.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 50). 282 Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 20). Zum ähnlichen Abbrennen von Ostrów Mazowiecki im November 1940 vgl. Curilla, Judenmord, S. 93 f. und 539–543. 283 Zusammenfassung des Ermittlungsstands durch KK Löblein vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 187). Ebenso vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 6). 284 Aussage Oskar Knofe vom 17.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 248, Bl. 92r). 285 Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 44).

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Polizeioffiziere hervorgerufen habe“,286 erscheint vor allem als entschuldigendes Narrativ. Auch wenn dies nach dem Krieg gern behauptet wurde, scheinen die Geschehnisse in Grzywno bei der NS-Führung und bei den Vorgesetzten von Fockenbrock keinen größeren Protest bedingt zu haben. Im Gegenteil, der Kompaniechef erhielt weiterhin durchweg gute Beurteilungen und setzte seine Karriere fort.287 Das Räumen von „asozialen Vierteln“ führten auch andere Teileinheiten des Bataillons 61 an weiteren Orten durch. So räumte etwa die 1. Kompanie ein solches Gebiet in einem Vorort von Posen, wobei es sich um die schon erwähnte „Laubenkolonie“288 in Posen handelte. Die Beteiligten äußerten, die dortige Räumung sei „nicht identisch mit dem ähnlich liegenden Fall in Leslau“.289 Aber auch in dem Stadtviertel von Posen soll es „ganz einfache Unterkünfte, weit primitiver als etwa deutsche Schrebergärten“, gegeben haben. Dort hätten „sich Asoziale und Verbrecher angesammelt“. Deswegen habe man das Viertel „geräumt und alle Insassen, Männer, Frauen und Kinder, wurden mittels Sammeltransports weggeschafft“.290 Die „Asos“ seien „in das Sammellager der Zwangsevakuierten gebracht“ worden.291 Zum Abschluss „der Räumung wurde die Laubenkolonie“ von der „Kompanie abgebrannt“.292 Am 11. Dezember wurde Friedrich Donis belobigt, da es ihm gemeinsam mit der ihm unterstellten Gruppe um die Polizisten Boczek, Reese, Möse und Klein gelungen sei, 12 Schwerverbrecher festzusetzen. Wo dies geschehen sein soll, belegt das verfügbare Quellenmaterial jedoch nicht. Ebenfalls im Winter 1939 sollen laut Aussage des Chefs der 3. Kompanie „einige Absperreinsätze in Verbindung mit Wehrmachtseinheiten durch das gesamte Bataillon 61 im Stadtgebiet Posen“ durchgeführt worden sein. „Es erfolgten hierbei Hausdurchsuchungen bei der Bevölkerung nach Waffen.“293 Ob sich daran Sanktionen gegen die Zivilbevölkerung anschlossen, wurde jedoch nicht mitgeteilt. Angeblich zur Jahreswende 1939/40 wurde die 2. Kompanie des Bataillons 61 nach Ostrowo/Ostrów beordert, um an einem SS-Gerichtsverfahren ­mitzuwirken. 286 Zusammenfassung des Ermittlungsstands durch KK Löblein vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 196). 287 Siehe Kapitel III.2. Auch nachdem das Bataillon 61 seine Operationen im „Warthegau“ fast abgeschlossen hatte, ging das NS-Regime gegen Leslaus Bevölkerung mit anderen Einheiten hart vor. So hieß es im Mai 1940: „Geschlossene Einheiten sind nach Leslau und nach Chocen zur Bekämpfung des Bandenunwesens abgeordnet worden.“ Vgl. Lagebericht Stand 31.5.1940 vom 15.6.1940 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 31). 288 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 5). 289 Aussage Heinrich Marach, o. D. (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 205, Bl. 23). 290 Aussage Hans Baumkötter vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 57). 291 Aussage Heinrich Marach vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 130). 292 Aussage Hans Baumkötter vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 57). 293 Aussage Hans Kärgel vom 5.9.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 62). Für den Einsatz von Donis Gruppe vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 5).

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Grund der Verhandlungen soll die Vergeltung für vermeintliche Gräueltaten an Deutschen gewesen sein. Der Prozess ohne Verteidiger habe zehn Minuten gedauert und fünf bis sechs Einwohner, darunter auch der ehemalige polnische Bürgermeister, seien zum Tode verurteilt worden. Körner meinte, er habe damals trotz seiner „Jugend das Gefühl gehabt, hier geschähe Unrecht“.294 Dennoch wurde die Exekution ausgeführt und auch Körner verweigerte sich nicht. Besonders in Erinnerung blieb das Prozedere dabei auch deshalb, da Major Dederky das Todesurteil gegen einen Mann wegen angeblichen Waffenbesitzes auf dessen gesamte Familie ausgedehnt haben soll. Die eigentliche Erschießung leitete dann der Offizier Lütgemeier auf dem Marktplatz. Danach wurden die Leichen „auf einen Wagen geladen und abtransportiert“.295 Die Hinrichtung scheint jedoch nicht der letzte Einsatz des Bataillons 61 bei Ostrowo gewesen zu sein. Zumplasse führte zwar nach dem Krieg aus: „Von einem Eisenbahnunglück bei Ostrowo im März 1940“ sei ihm nichts bekannt. Er wüsste „auch nicht, dass im Zusammenhang mit diesem Bahnunglück, bei dem Sabotage vermutet wurde, Bataillonsangehörige“296 eingesetzt worden seien. Der BdO Knofe, der dem Bataillon 61 übergeordnet war, gab jedoch zu Protokoll, Major Dederky hätte ihn einmal aus Ostrowo angerufen, weil dort der SD Personen festgesetzt hatte, die einen Munitionszug gesprengt hatten. Dederky habe das dortige Standgericht aber nicht geleitet. Offenbar fragte der Bataillons­ kommandeur um die Zustimmung seines Befehlshabers an, Todesurteile ausführen zu dürfen, auch wenn dieser dies in seiner Aussage ausklammerte.297 Wohl einen der letzten größeren Einsätze erlebten Männer der Dortmunder Polizeieinheit bei einem Katastropheneinsatz im April 1940. „Infolge des plötzlichen Tauwetters traten riesige Überschwemmungen auf. Die 4. Kompanie war wochenlang mit Kähnen eingesetzt, um Menschen und Vieh vor dem Tode des Ertrinkens zu retten.“298 So wurde etwa ein Teil der 4. Kompanie am 6. April zur Evakuierung des Klosters Lond/Ląd eingesetzt. Die Bedrohlichkeit

294 Aussage Ewald Körner vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 216, Bl. 52). Für die geschilderten Rahmenbedingungen Vgl. Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 17). Die Staatsanwaltschaft ging hingegen von sieben Opfern aus. Vgl. Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 72). Ferner vgl. Aussage Hans Baumkötter vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 57). 295 Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 18). Für die Leitung der Exekution vgl. Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 58). Für die Ausdehnung der Todesstrafe vgl. Aussage Ewald Körner vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 22); Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 81). Für Fälle in denen es zu einer Ausweitung von Urteilen kam, etwa zu Sippenhaft für ganze Familien, vgl. Aussage Janina Jarus vom 5.7.1973 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 114). 296 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 142). 297 Aussage Oskar Knofe vom 17.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 248, Bl. 92r). 298 Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 42).

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des Hochwassers wurde sogar vom britischen Geheimdienst zu Kriegszeiten als besondere Herausforderung der deutschen Kräfte im Westen Polens vermerkt. Der Hochwassereinsatz war in Anbetracht aller Operationen des Bataillons 61 im Westen Polens aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem höchsten persönlichen Risiko für die einzelnen Polizisten verbunden.299 Trotz des von ihnen nach dem Krieg stets konstatierten Bedrohungsszenarios waren die übrigen Einsätze für die einzelnen Bataillonsangehörigen kaum gefährlich. Auch für sie galt, dass ihre Gewalt „mit dem bloßen Sicherheitsbedürfnis der Besatzungsmacht nicht zu erklären ist“.300 So führte etwa ein Lagebericht für die gesamte Ordnungspolizei im „Warthegau“ im Unterpunkt „Verluste oder Unfälle“ im Januar 1940 aus, lediglich ein Polizeihauptwachtmeister „wurde durch Dienstunfall verletzt (Bruch des rechten Daumens)“.301 Erst unmittelbar vor Ende des ersten Poleneinsatzes des Bataillons 61 führte die Gesamtstatistik der Polizei für Ende Mai 1940 aus, dass ein Offizier tödlich verunglückt, ein Polizeiwachtmeister von Verbrechern erschossen und ein Gendarmeriemeister durch Selbstmord verstorben war. Ferner habe es auch neun Unfälle ohne tödlichen Ausgang gegeben. Wie für das gesamte eroberte polnische Territorium, so lässt sich auch für den Einsatzraum des Bataillons 61 urteilen, dass „die Gefahr für die deutsche Besatzungsmacht gering“ war.302 Die größte Gefahr schienen die Männer des Bataillons 61 für sich selbst durch fahrlässiges Verhalten gewesen zu sein. Damit standen sie im „Warthegau“ nicht allein. Der BdO musste sich 1939/40 mehrfach damit befassen, dass sich „innerhalb der Ordnungspolizei Unfälle durch unvorsichtigen Umgang mit Schusswaffen“ ereigneten.303 Durch die Fahrlässigkeit war auch die lokale Bevölkerung mitbedroht. So sei es „mehrfach vorgekommen, dass Reichs- und Volksdeutsche während der Nachtzeit ohne sichtbaren Grund Schüsse abgegeben haben“. Vielfach seien diese Leute angetrunken gewesen. Die Polizei habe dann „pflichtgemäß angenommen“, dass „es sich um einen Überfall seitens 299 Für den Einsatz beim Kloster Lond vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 10). Der Befehl hierzu soll durch den BdO ergangen sein. Vgl. Aussage Oskar Knofe vom 17.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 248, Bl. 93). Für die Einschätzung des Hochwasser durch den britischen Geheimdienstes vgl. Summary of German Police Activities No. 2, Period 9/3 to 23/3/40 (TNAL HW 16 Nr. 3, unpag.). Die beigefügte Lagekarte der Hochwassergebiete zeigt deutlich, dass insbesondere die Region um Posen stark betroffen war. Schwerpunkte des Hochwassers lagen bei Schrimm, Kolo/Koło, Konin, Lond und Peisern/Pyzdry. 300 Umbreit, Militärverwaltungen, S. 153. 301 Lagebericht Stand 25.1.1940 vom 28.1.1940 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 20). 302 Jacobmeyer, Widerstandsbewegung, S. 674. Für die erwähnte Statistik vgl. Lagebericht Stand 31.5.1940 vom 15.6.1940 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 32). 303 Tagesanordnung des BdO Posen vom 3.1.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 87). Für den Verlust von Waffen vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 20.1.1940 (ebd., Bl. 82). Für das Liegenlassen einer Waffe in einem Lokal vgl. Bestrafungen innerhalb der Schutzpolizei Posen vom 4.4.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 12). Für Fälle von Schusswaffengebrauch unter Alkoholeinfluss vgl. ebd., Bl. 11.

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der Polen“ gehandelt habe. „Schon häufig“ seien „durch die Abgabe eines unüberlegten Schusses in einem noch nicht in jeder Hinsicht befriedeten Gebiet Straßenkämpfe entstanden“.304 Auf diese Weise erzeugte man quasi die viel beschworenen „Banditen“, die von Polizeikräften „vernichtet“ wurden. Auch für das Dortmunder Bataillon ist mindestens ein solcher Fall bei Samter durch einen polnischen Zeugen belegt und auch die erläuterte Räumung in Leslau eskalierte vermutlich aufgrund von Eigenbeschuss.305 Wie teilweise bereits für die einzelnen Einsätze dargestellt, wurden die offiziellen Aktionen der Dortmunder Polizeieinheit oftmals durch eigenmächtige Gewalt der Polizisten begleitet. So ereigneten sich etwa abseits von Deportationen und sonstigen Großaktionen von Polizeieinheiten immer wieder nicht angeordnete Tötungen, die man meist als „Erschießung auf der Flucht“ oder dergleichen legitimierte. Formeller Grundsatz für die Polizei war, dass nur „bei tätlichem Widerstand […] von der Schusswaffe Gebrauch zu machen“ war. Es galt: „Auf flüchtende Personen darf nicht geschossen werden.“306 Dass die Tötungen von „Flüchtenden“ in ihrer weit überwiegenden Mehrheit illegal waren und dennoch von vorgesetzten Offizieren der Schützen gedeckt wurden, belegt beispielsweise eine Tagesanordnung des BdO Posen. Er monierte: „Immer wieder werden in Lageberichten Meldungen über Erschießungen auf der Flucht […] erstattet, ohne dass der Name des Erschossenen, der Grund der Erschießung und vom wem die Erschießung vorgenommen wurde, angegeben ist.“307 Noch deutlich häufiger als zu tödlichen eigenmächtigen Gewaltanwendung kam es durch Männer des Bataillons 61 zu körperlichen Misshandlungen, die ebenfalls nach 1939/40 geltenden Recht klar illegal waren. Umso nachvollziehbarer ist, warum die Mitglieder der Polizeieinheit nach dem Krieg immer wieder unterstrichen, es sei etwa bei Deportationen „in keinem Falle zu Repressalien gegenüber den zu evakuierenden Personen gekommen“.308 Zu Gewalttätigkeiten sei es nicht gekommen, da die Offiziere „den größten Wert auf eine saubere Durchführung der Aktionen“309 gelegt hätten. Die Realität sah jedoch anders 304 Anordnung des Kommandeurs der Gendarmerie Nr. 23 vom 30.12.1939 (IZP Dok I Nr. 446, Bl. 41). Für das Problem der Luft-und Nervositätsschüsse vgl. Böhler, Auftakt, S. 61 und 74, dort insbesondere Anm. 295. 305 Vgl. Auflistung der im Landkreis Szamotuły/Szamotulski erschossenen Personen vom 13.3.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 85). 306 Merkblatt für die Evakuierung von polnischen Hofbesitzern, Januar 1941 (BA R 75 Nr. 3, Bl. 9). Exemplarisch für eine Erschießung „auf der Flucht“ vgl. Lagebericht Stand 31.5.1940 vom 15.6.1940 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 31). Ebenso vgl. Bericht des Schutzpolizei-Kommandos Krotoschin vom 20.9.1939 (APP 457 Nr. 24, Bl. 4 und 6). Für die Verwicklung des Bataillons 61 in „Tötungen auf der Flucht“ vgl. Aussage Tadeusz Malatyński vom 16.7.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 237). 307 Aussage Tagesanordnung des BdO Posen vom 2.2.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 69). Die Anordnung verweist auch darauf, dass dies schon in einer Tagesanordnung vom 10.12.1939 geregelt worden sei. Vgl. auch die ähnlichen Beschwerden, die bei Umbreit, Militärverwaltungen, S. 154 erwähnt werden. 308 Aussage Hans Baumkötter vom 20.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 33). 309 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (ebd., Bl. 6). Ebenso vgl. Aussage Hans Baumkötter vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 56).

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aus. Marach formulierte es sehr zurückhaltend, wenn er nach dem Krieg über die erfolgten Deportationen zu Protokoll gab, man sei mit der lokalen Bevölkerung „nicht immer sanft umgesprungen“.310 In einer anderen Aussage deckte er den tatsächlichen Charakter der „Umsiedlungen“ klarer auf. Bei diesen hätten sich „fürchterliche Szenen abgespielt“.311 Denn je „nach Veranlagung der für diese Aktion eingesetzten Beamten wickelte sich die Evakuierung ab, das heißt human oder brutal“.312 Körner gab in ähnlicher Weise zu Protokoll: „Geradezu zart“ wurde die polnische Bevölkerung nicht behandelt. Es wurden „Schläge mit der Hand ausgeteilt“, obwohl von den Offizieren „keinesfalls der Befehl erteilt worden [war], mit Brutalität gegen diese Leute vorzugehen“.313 Auch in Aussagen der polnischen Bevölkerung spiegelt sich die direkte und indirekte Gewalt der deutschen Polizisten deutlich wider. Stanisław Bocheński etwa beschrieb, dass wegen der relativ willkürlichen Vorgehensweise der Polizisten Familien zerrissen wurden. Die hilflosen Kinder seien auf der Straße zurückgelassen worden und in der Kälte des Winters erfroren. Zenon Babiak schilderte exemplarisch, dass bei einer Deportationsaktion zahlreiche Personen geschlagen und einige sogar erschossen wurden.314 Auch jenseits von Deportationsaktionen scheint der alltägliche Kontakt zwischen den Männern des Bataillons 61 und der lokalen Bevölkerung durch Gewalt geprägt gewesen zu sein. Hinzu kamen oftmals Beleidigungen, die zwischen Polizisten und der Bevölkerung im Reichsgebiet zu scharfen Sanktionen geführt hätten. So berichtete Edmund Jaczynski, dass sein Bruder bei einer Durchsuchung beschimpft und geschlagen worden sei. Ebenso wurden Verhaftungen nicht nur grob durchgeführt, sondern meist klar gewalttätig. Zahlreiche Personen wurden auch einfach ohne jeden erkennbaren Grund auf offener Straße geschlagen.315 Die von den deutschen Polizisten nach dem Krieg nur allzu häufig ausgeklammerte Gewalt gegen Frauen und Kinder – stilisierte man sich doch besonders gern gerade als deren Beschützer – hatte offenbar beim Bataillon 61 Alltagscharakter. Bocheński beschrieb, wie seine Frau in einem Polizeiverhör brutal geschlagen worden sei. Beim polnischen Sicherheitsamt in Gnesen wurde nach dem Krieg ein Fall aktenkundig, bei dem ein 17-jähriger Junge durch das

310 Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 96). 311 Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 1486, Bl. 61). 312 Aussage Heinrich Marach, o. D. (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942 Bl. 170a). 313 Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 16). 314 Vgl. Aussage Zenon Babiak vom 20.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 125); Aussage Stanisław Bocheński vom 1.7.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 239). 315 Exemplarisch für eine brutale Verhaftung vgl. Aussage Michał Woźniak vom 23.6.1948 (ebd., Bl. 171). Für die Gewalt während der erwähnten Durchsuchung vgl. Aussage Edmund Jaczynski vom 17.9.1971 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 111). Sein Bruder Leon wurde später exekutiert. Für grundlose mehrfache Gewalt vgl. Aussage Wojciech Stempak vom 20.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 174); Aussage Walery Woźniak vom 26.6.1948 (ebd., Bl. 177).

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Bataillon 61 „grün und blau geprügelt“316 worden sein soll, weil er es gewagt hatte, Obst von einem Baum am Straßenrand zu pflücken. Einen besonders schockierenden Fall schilderte schließlich Emilia Kaczynska. Als ihre Mutter festgenommen wurde, sei man nicht nur gegen diese mit dem Gewehrkolben vorgegangen. Als Emilia und ihr Bruder Edmund ihrer Mutter nachliefen, habe man die beiden „sehr stark geschlagen“. Das meiste habe dabei der Junge „abbekommen. Er wurde auch auf den Kopf geschlagen. Aufgrund dieser Schläge hat er heute ein Kopfleiden und ist nicht normal.“317 Die unregulierte Gewalt gegen Zivilisten war dabei bereits nach kurzer Zeit ein festes Ritual der Dortmunder Polizeieinheit. So wurde nach dem Krieg über das übliche Vorgehen bei der Entlassung festgesetzter Personen im Verlauf einer „Razzia“ berichtet: „Bei der Entlassung dieser Personen wurden diese aus dem Wachlokal herausgejagt, wobei diese an einer an dem Ausgang aufgestellten Reihe von Polizeiangehörigen vorbeilaufen mussten. Hierbei wurden diese [sic] von den einzelnen Polizeiangehörigen in verschiedener Form geschlagen, wobei es sich teilweise um Fausthiebe oder um Schläge mit der Koppel handelte.“318 Wohl zu Recht urteilte Franciszek Szymoniak, mit der Bevölkerung im „Warthegau“ seien die Angehörigen des Bataillons 61 „schlimmer als mit den Tieren umgegangen“.319 Der anfangs für die Führung der Polizeikräfte im Westen von Polen verantwortliche Befehlshaber der Wehrmacht sah dies vor allem aufgrund eines möglichen Imageschadens als problematisch an. Er mahnte schon am 15. Oktober 1939 an, es sei mit dem „Ansehen der bewaffneten Macht des Reiches […] nicht vereinbar, wenn Rohheitsdelikte, Trunkenheit oder irgendwelche Übergriffe vorkommen“.320 Auch der direkt dem Bataillon 61 übergeordnete BdO sah sich, trotz seiner eigenen, ohne Zweifel radikalen Ansichten genötigt, am 19. Dezember 1939 folgende Tagesanordnung auszugeben: „Es sind mir Beschwerden darüber vorgetragen worden, dass SS- und Polizeiangehörige Reitpeitschen mit sich führen und verschiedentlich in Städten und auf Landstraßen Polen öffentlich verprügelt haben. Solche Handlungen schädigen das Ansehen der SS und der Polizei, der andere Mittel zur Verfügung stehen.“ Des Weiteren verbot Knofe „strengstens allen Angehörigen der SS und der Polizei das Mitführen von Reitpeitschen“. Er fügte ferner hinzu er „werde jeden, der hiergegen verstößt, ohne Ansehen der Person exemplarisch bestrafen“.321

316 Bericht des Sicherheitsamtes in Gniezno vom 25.6.1948 (ebd., Bl. 163). Für die Schläge in einem Verhör vgl. Aussage Stanisław Bocheński vom 1.7.1948 (ebd., Bl. 239). 317 Aussage Emilia Kaczynska vom 8.6.1972 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 124). 318 Aussage Richard Ziemdorf vom 25.4.1953 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 56). Zum Phänomen der unregulierten Gewalt gegen Zivilisten in Polen 1939 vgl. Pohl, Herrschaft, S. 56. 319 Aussage Franciszek Szymoniak vom 1.7.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 181). 320 Geheimbefehl des Militärbefehlshabers von Posen vom 15.10.1939 (APP 298 Nr. 32, Bl. 5). 321 Tagesanordnung des BdO Posen vom 19.12.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363 Bl. 1).

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Nicht nur wegen ihrer Gewalt, sondern auch aufgrund ihres Alkoholkonsums fielen Polizisten im Raum Posen unangenehm auf. So urteilte man im „Warthegau“, es sei „in allen Lokalen, die eine sogenannte Theke“ hatten, besonders auffällig gewesen, dass „die Beamten der Schutzpolizei diese Theken geradezu belagerten“.322 Der Polizeipräsident in Posen echauffierte sich ferner, dass „immer bei einem Teil der Beamten der Schutzpolizei eine außerordentlich schlechte Disziplin auf der Straße und in öffentlichen Lokalen, sowohl in Bezug auf die Grußpflicht als auch auf das allgemeine Benehmen festzustellen“ sei.323 Die Männer des Bataillons 61 sahen vor allem ihre gewaltbezogenen Regelübertretungen, fast so wie das öffentliche Rauchverbot, an das sich ebenfalls niemand hielt, offenbar nur als Lappalie an. Eine Nachkriegsaussage eines Kooperationspartners des Bataillons bringt dies klar zum Ausdruck. Der NSKKMann Richard Ziemdorf sagte ganz frei, er habe doch „nur einen polnischen Jungen im Alter von 16 bis 17 Jahren durch einen Schlag mit der Faust gezüchtigt“. Besonders bemerkenswert schien ihm daran nur zu sein, dass ihm „von diesem Schlag [der] Daumen noch lange schmerzte“. Ebenso sei es „vielleicht möglich“, dass er „auch einzelnen anderen der betroffenen Juden einen Schlag versetzt habe“.324 In der Schilderung der lokalen Bevölkerung hat es den Anschein, dass die Dortmunder Bataillonsmitglieder ihre gewalttätigen Handlungen durchaus genossen. So hätten die Polizisten beispielsweise die Tochter von Leon Kaszyński auf dem sonntäglichen Kirchgang schikaniert und dies auch noch mit Fotografien dokumentiert. Auch sollen sich die Deutschen „als Herren der Situa­ tion“325 sowie als „Götter über Leben und Tod“326 der Polen bezeichnet haben. Entsprechend hätten die Polizisten der Dortmunder Polizeieinheit Personen aus Deportationskolonnen herausgeholt, um sie zu misshandeln und zu töten. Ebenso sollen die Mitglieder des Bataillons 61 Insassen aus dem Gefängnis von Gnesen geholt haben, um diese einzeln zu misshandeln, bis sie von „Blut überströmt“ waren.327 Anschließend seien die Personen nachts erschossen worden. 322 Straßen- und Wirtshausstreifen der Schutzpolizei vom 18.5.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 15). 323 Polizeipräsident an das Kommando der Schupo vom 25.4.1940 (ebd., Bl. 14). 324 Aussage Richard Ziemdorf vom 25.4.1953 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 55). Zum wiederholt übertretenen Rauchverbot vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 11.3.1940 (APP 1008 Nr. 3, Bl. 61). 325 Bericht des Sicherheitsamtes in Gniezno vom 25.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 163). Für die Erwähnung von Fotografien als Schikane beim Kirchgang vgl. Aussage Leon Kaszyński vom 26.6.1948 (ebd., Bl. 176). 326 Aussage Michał Woźniak vom 23.6.1948 (ebd., Bl. 171). Ganz ähnlich sollen die sich die Männer des Bataillons 61 auch 1942 in Warschau bezeichnet haben vgl. Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 216r). 327 Bericht des Sicherheitsamtes in Gniezno vom 25.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 162 f.). Für die Folter im Gnesener Gefängnis sowie für das Herausholen und Misshandeln von Personen aus Deportationskolonnen vgl. ebd., Bl. 163. Ebenso für die Gewalt in der Haftanstalt vgl. Aussage Marta Nowak vom 24.6.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 135).

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Erstaunlicherweise scheinen die im „Warthegau“ agierenden Kräfte nur bedingt zwischen „Polen“, „Juden“ und „Volksdeutschen“ differenziert zu haben. So beanstandete der BdO Knofe, die seiner Meinung nach „an vielen Stellen gleichartige Behandlung von Deutschen“328 bei Großaktionen im Vergleich zu nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörenden Personen. Bei den offiziellen Einsätzen des Bataillons 61 bot sich dessen Polizisten stets auch eine ganze Bandbreite an nicht gewalttätigen, aber ebenso illegalen Handlungen an. Auch diese wurden von vorgesetzten Offizieren nicht sanktioniert. So hieß es in einem Bericht des Generals Walter Pestel: „Verhaftungen waren fast immer von Plünderungen begleitet. In den Städten wurden Evakuierungen durchgeführt, bei denen wahllos Häuserblocks geräumt wurden. […] Auch hier waren Plünderungen ständige Nebenerscheinungen.“329 Ebenso urteilte der Befehlshaber Ost, General Blaskowitz, dass sich bei „jeder polizeilichen Durchsuchung und Beschlagnahme“ als „ständige Begleiterscheinung“ klare „Ansätze von Raub und Plünderung durch die an der Aktion beteiligten Polizeipersonen“ zeigten.330 Dies kollidierte nach dem Krieg mit dem Image der sauberen deutschen Polizei. Entsprechend hoben die Männer des Bataillons 61 in ihren Aussagen hervor, das Raub und Diebstahl in ihrer Einheit eine absolute Ausnahme gewesen seien, wozu sie damit verbundene Strafen hervorhoben. So sei ein Polizist der 2. Kompanie der „von Leutnant Wannemacher dabei erwischt wurde, als er aus einer geräumten Wohnung ein Taschentuch oder ein Oberhemd mitgenommen hatte“ umgehend „zur Meldung gebracht und durch ein SS- und Polizeigericht erheblich bestraft“ worden.331 Ob dies wirklich zutraf, ist mehr als fraglich. Wannemacher äußerte, obwohl er sich damit in ein positives Licht hätte rücken können: „Dass ein Angehöriger der Kompanie wegen Plünderns von mir zur Meldung gebracht wurde, weiß ich nicht mehr.“332 Generell galt, strenge Strafen für Raub gab es so gut wie nie. Für die Posener Schutzpolizei ist etwa festgehalten worden, dass ein Polizist in einem ähnlich gelagerten Fall lediglich „ernstlich verwarnt“ wurde, da er im Verdacht stand, „Beutestücke nach Hause geschickt zu haben“.333 Raub und Diebstahl durch Mitglieder von Polizeieinheiten waren dabei bereits zu Kriegsbeginn ein häufig auftretendes Phänomen. Der auch für das Bataillon 61 verantwortliche Militärbefehlshaber hielt schon Mitte Oktober 1939 in einem Geheimbefehl fest: „Bedauerliche Vorfälle der letzten Zeit“ gäben ihm „Veranlassung, die Truppenbefehlshaber aller Grade, die Befehlshaber der Polizeikräfte aller Art […] zu ersuchen auf schärfste Wahrung von Zucht und

328 Tagesanordnung des BdO Posen vom 20.1.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 81). 329 General Petzel, Genst. d. H. Abt. z. b. V. (O Qu IV): Innere Lage im Warthegau vom 2.12.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 296). 330 Denkschrift des Oberbefehlshaber Ost zur Militärpolitischen Lage vom 6.2.1940 (ebd., Bl. 290). 331 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 6). 332 Aussage Julius Wannemacher vom 23.5.1960 (ebd., Bl. 66). 333 Bestrafungen innerhalb der Schutzpolizei Posen vom 4.4.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 13).

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strengste Aufrechterhaltung der Disziplin bei den ihnen unterstellten Verbänden zu sorgen. Mit dem Ansehen der bewaffneten Macht“ sei „es nicht vereinbar, wenn Plünderungen“ weiter aufträten, da sonst das Prestige „des Deutschen Reiches auf das schwerste geschädigt“ würde.334 Der Dienst im Bataillon 61 bot die Möglichkeit, Wertgegenstände und Geld ohne größeres Risiko zu stehlen. So sollte etwa laut der Aussage von Marach der Besitz von „evakuierten“ Polen und Juden in Tüten verpackt und von einzelnen Polizisten auf den örtlichen Polizeirevieren hinterlegt werden. Der polnische Zeuge Zbigniew Wojdyński will dabei auch beobachtet haben, wie teilweise der Besitz deportierter Personen von den Ordnungspolizisten an neu angesiedelte „Volksdeutsche“ verschenkt worden sei. Ebenso sei es auch „offenbar gang und gäbe“ gewesen, dass „beschlagnahmte Waren jeder Art in den Polizei- und SS-Verbänden verteilt oder gegen eine geringe Anerkennungsgebühr verkauft“ wurden.335 Dabei war aber auch die offizielle Praxis der Konfiszierung von Besitztümern durch Einheiten wie das Bataillon 61 eine rechtliche Grauzone. Ende 1939 wurde Polizeiverbänden „ausdrücklich jede weitere Beschlagnahme“ untersagt. Falls Besitz einzuziehen sei, solle dies „im Bedarfsfalle auf den ordentlichen Weg über die Treuhandstelle in Posen“336 vollzogen werden. Dass dieser Weg keinesfalls eingehalten wurde, zeigt ein u. a. an das Bataillon 61 gerichtete Schreiben des Posener Polizeipräsidenten. Er mahnte an, dass „alle Polizeibeamten, die sich im Besitz von Möbeln und Hausgeräten aus polnischer und jüdischer Hand“ befänden, schon zuvor „dienstlich verpflichtet“ gewesen seien, diese Gegenstände „in genauen Verzeichnissen zu melden“.337 Auf den Punkt gebracht wurde die auch durch das Bataillon 61 fortgesetzt betriebene Raub- und Diebstahlspraxis 1940 vom Oberbefehlshaber Ost. Er hielt über den häufigen Raub fest: Es ist „natürlich nicht verwunderlich, dass der Einzelne jede Gelegenheit benutzt, um sich selbst zu bereichern. Er kann dieses ja auch jetzt

334 Geheimbefehl des Militärbefehlshabers von Posen vom 15.10.1939 (APP 298 Nr. 32, Bl. 5). 335 Denkschrift des Oberbefehlshaber Ost zur Militärpolitischen Lage vom 6.2.1940 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 290). Für die polnische Aussage vgl. Aussage Zbigniew Wojdyński vom 20.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 258). Für die Vorschrift, polnischen Besitz auf Polizeirevieren zu hinterlegen, vgl. Aussage Heinrich Marach, o. D. (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942 Bl. 170a). 336 Runderlass betr.: a) Haupttreuhandstelle Ost b) Erfassung aller polnischen und jüdischen Vermögensgegenstände, die sich im Besitz von Dienststellen oder ihren Angestellten befinden vom 14.12.1939 (APP 299 Nr. 3, Bl. 8). 337 Polizeipräsident betr.: Erfassung der Wohnungseinrichtungsgegenstände aus früherem polnischem oder jüdischem Besitz im Stadtbezirk Posen vom 12.4.1940 (APP 299 Nr. 1233, Bl. 60). Auf dem Verteiler steht neben dem Bataillon 61 auch das Bataillon 103. In ähnlicher Form vgl. Verwertung des Mobiliars aus polnischem und jüdischem Besitz durch die Gemeinden (Amtskommissare) vom 20.1.1939 (IZP Dok I Nr. 738, Bl. 4).

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ohne jede Gefahr, denn wenn die Gesamtheit stiehlt, braucht der einzelne Dieb so leicht keine Strafe zu befürchten.“338 Die relative Freiheit der einzelnen Akteure des Bataillons 61 führte während des Einsatzes der Einheit im „Warthegau“ auch dazu, dass sich die Männer in sexueller Hinsicht gegenüber der Bevölkerung übergriffig verhielten. Nach dem Krieg war dies ein Aspekt, der in den gängigen Narrativen völlig ausgeklammert wurde. Sexuelle Gewalt wurde von der Rote Armee, nicht aber von deutschen Truppen ausgeübt, so zumindest das Deutungsmuster der westdeutschen Nachkriegszeit. Auch Opfer sexueller Gewalt schwiegen oftmals. Im Unterschied dazu hielt der Militärbefehlshaber in Posen schon Mitte Oktober 1939 intern fest: „Bedauerliche Vorfälle der letzten Zeit“ hätten es nötig gemacht, die „strengste Aufrechterhaltung der Disziplin“ anzumahnen. Es sei inakzeptabel, wenn es weiterhin zu „Sittlichkeitsverbrechen, […] Anbiederungen mit der polnischen Bevölkerung“ käme, oder wenn sich „irgendwelche Übergriffe“ ereigneten.339 Deswegen wurde scharfes Durchgreifen und ein Informieren der Männer über geltende Regelungen gefordert. Bei einer Kommandeursbesprechung Mitte Januar 1940, zu der auch Major Dederky vom Bataillon 61 geladen war, thematisierte der BdO auch nochmals den „Umgang mit Polinnen“. „Verschiedene Vorfälle“ würden „zeigen, dass gegenüber Polen und insbesondere Polinnen nicht die nötige Zurückhaltung geübt wird.“ Deswegen hieß es, alle „Beamten sind nochmals eingehend zu belehren“.340 Zurückhaltend waren die Dortmunder Polizisten aber keinesfalls. Wie auch später während der Einsätze in Warschau und im Norden Russlands fotografierten die Polizisten bevorzugt junge unverheiratete Frauen. Aber auch noch nach dem Abrücken des Bataillons 61 urteilte das SS- und Polizeigericht für den Raum Posen, es würden sich noch immer versuchte Vergewaltigungen und Verführungen Minderjähriger ereignen. Die fortgesetzten „Ausschreitungen wegen Alkoholgenusses, vereinzelt auch auf dem Gebiet des Geschlechtslebens“, führten an anderer Stelle zu der Einschätzung, dass besser „im Osten nur charakterfeste Gendarmen zu verwenden“ seien.341 Eine solche „Charakterfestigkeit“ nach NS-Maßstäben zeigten Polizisten im „Warthegau“ aber kaum. Neben erzwungenen sexuellen Kontakten pfleg-

338 Denkschrift des Oberbefehlshaber Ost zur Militärpolitischen Lage vom 6.2.1940 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 290). 339 Geheimbefehl des Militärbefehlshabers von Posen vom 15.10.1939 (APP 298 Nr. 32, Bl. 5). 340 Kommandeursbesprechung am vom 15.1.1940 beim Befehlshaber der Ordnungs­polizei Posen (BA R 70 Polen Nr. 201, Bl. 11). 341 Jahresbericht über den Wiederaufbau der Gendarmerie für die Zeit 1.7.1940–31.12.1941 (APP 1008 Nr. 7, Bl. 31). Für das Fotografieren von Frauen vgl. Bericht des Sicherheitsamtes in Gniezno vom 25.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 163). Für die fortgesetzten Sexualdelikte nach dem Abrücken des Bataillons 61 vgl. Schreiben betr.: SS- und Polizeigerichtsbarkeit des HSSPF Posen vom 10.10.1940 (BA R 70 Polen Nr. 198, Bl. 36).

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ten einige Polizisten in Posen auch „Kriegsbeziehungen“342 zu einheimischen Frauen, die von der deutschen Polizei ebenso wie sexuelle Gewalt als illegitim beurteilt wurden. Entsprechend wurde durch den BdO Knofe schon am 10. November 1939 „erneut darauf aufmerksam gemacht, dass der unbedingte Abstand zu polnischer Bevölkerung gewahrt“ bleiben müsse. Deswegen galt: „Unterhaltungen mit polnischen Frauen auf der Straße und in Lokalen sind zu unterlassen.“343 Hierüber sei jeder Polizist erneut zu belehren. Aber selbst Ende Februar 1940 beschwerte sich Himmler noch persönlich beim Reichsstatthalter des „Warthegaus“, dass immer wieder uniformierte Deutsche mit Polinnen anbändeln würden.344 Polinnen konnten für einen solchen Umgang hart, etwa mit der zwangsweisen Zuteilung zu einem Bordell, bestraft werden. Hingegen wurden die Mitglieder von Polizeieinheiten kaum bestraft. Für das Bataillon 61 sind aus den noch verfügbaren Unterlagen keinerlei Strafen in dieser Hinsicht erkennbar. Selbst wenn Strafen ausgesprochen wurden, waren diese in Anbetracht der Kriegssituation mehr als mild. Einem Mann der Schutzpolizei Posen wurde etwa nur eine Verwarnung ausgesprochen und ein weiterer erhielt drei Tage Arrest, weil er einen „verbotenen und verwerflichen Umgang mit einer Polin unterhielt“.345 Sowohl einvernehmliche als auch erzwungene sexuelle Kontakte zwischen Polizisten und einheimischen Frauen scheinen trotz Strafandrohung häufig vorgekommen zu sein. Entsprechend musste extra angeordnet werden, dass bei „der großen Zahl der im Warthegau vorkommenden Geschlechtskrankheiten“ und „zur Erhaltung der Einsatzfähigkeit der unterstellten Polizeiformationen“ jeder „an einer Geschlechtskrankheit leidende Polizeibeamte“ dazu „gesetzlich verpflichtet“ sei, „sich in ärztliche Behandlung zu begeben“.346 Ferner befahl der Reichsführer-SS nach dem Ende des Einsatzes des Bataillons 61 allen BdO eine Reihe an Maßnahmen. So sollten diese „den Angehörigen der uniformierten Ordnungspolizei“ das „Betreten der besonders eingerichteten Bordelle“ nicht verbieten. Ferner sollten „Körperschutzpackungen“ zum „Selbstkostenpreis an die Polizeimänner abgegeben werden“. Ebenso müssten „Belehrungen über die Verhütung von Geschlechtskrankheiten“ stetig „durch die Polizeiärzte“347 abgehalten werden.

342 Röger, Kriegsbeziehungen. 343 Tagesanordnung des BdO Posen vom 10.11. 1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). 344 Vgl. Schreiben des RFSS an den Reichsstatthalter im Warthegau vom 21.2.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 5). 345 Bestrafungen innerhalb der Schutzpolizei Posen vom 4.4.1940 (ebd., Bl. 11). Für die zwangsweise Bordelleinweisung vgl. Reichstatthalter an den HSSPF betr.: Umgang der deutschen Bevölkerung des Reichsgaues mit Polen vom 25.9.1940 (ebd., Bl. 24). 346 Tagesanordnung des BdO Posen vom 5.2.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 62). 347 Schreiben des RFFSS an alle BdOs vom 8.6.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 21).

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Wohl wegen seiner primär gewalttätigen und destruktiven Einsätze 1939/40, sowie den damit verbundenen Begleitumständen, wurde das Bataillon 61 von der British Broadcasting Corporation (BBC) mit dem Beinamen „Mordbataillon“348 versehen. Hiervon nahmen auch einige seiner Mitglieder beim Hören des „Feindsenders“ Notiz. Auch wenn laut Wehrmachtsgeneral Blaskowitz jene Taten, welche „die Auslandssender bisher gebracht“ hätten, „nur ein winziger Bruchteil von dem“ gewesen seien, „was in Wirklichkeit geschehen“349 war, so macht dies doch klar, an welcher Herrschaftspraxis die Dortmunder Einheit Teil hatte. Es ging um die Beherrschung des eroberten Raums durch Angst und Terror. Damit folgte man einer bereits erprobten Strategie. Wie bei „allen bisherigen Einsätzen: Ostmark, Sudetenland, Böhmen und Mähren und Polen, waren gemäß Sonderbefehl des Führers besondere polizeiliche Einsatzgruppen (Sicherheitspolizei und Ordnungspolizei) mit den vorrückenden, in Polen mit den kämpfenden Truppen vorgegangen“ und hätten „heftige Schläge gegen die reichsfeindlichen Elemente in der Welt aus dem Lager von Emigration, Freimaurerei, Judentum und politisch-kirchlichem Gegnertum sowie der 2. und 3. Internationale geführt“.350 Die lokale Bevölkerung sollte „in irgendeiner Form heruntergedrückt werden“.351 Insbesondere im Raum Posen urteilte man, sobald die Polen die Grenzen des legalen Handlungsspielraums der deutschen Besatzungskräfte erkennen würden, dürfte es „notwendig sein, durch einzelne exemplarische Strafen den Polen die tatsächliche Lage klar zu machen“.352 Hierzu passend sollen die Mitglieder des Bataillons 61 beispielsweise nach der schon erwähnten Exekution in Gostyn diejenigen Polen, die für ihre erschossenen Mitbürger Gräber ausheben mussten, mit den Worten eingeschüchtert habe: „Dasselbe erwartet auch euch.“353 In manchen Fällen fanden Exekutionen durch das Bataillon 61, trotz eigentlich anders lautender Befehle, nicht im Verborgenen statt. Man habe Tötungen „wahrscheinlich aus Abschreckungsgründen teilweise öffentlich durchgeführt“.354 Weitere Polizisten führten nach dem Krieg diesen

348 Aussage Heinrich Wenzel vom 20.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 35). Vgl. ebenso Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (ebd., Bl. 20); Aussage Heinrich Wenzel vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 27). 349 Denkschrift des Oberbefehlshaber Ost zur Militärpolitischen Lage vom 6.2.1940 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 287). 350 Abschrift eines an den RFSS überreichten Aktenvermerks von Heydrich vom 2.7.1940 (BA R 19 Nr. 395, Bl. 153). 351 Vermerk über eine Amtschefbesprechung Heydrichs zu den Aufgaben der Sicherheitspolizei im besetzten Teil Polens vom 7.9.1939 (BA R 58 Nr. 825, unpag.). 352 Lagebericht des Reg.Präs. Posen 16.1.1940–15.2.1940 (APP 299 Nr. 1828, Bl. 91). 353 Aussage Wladyslawa Stazek vom 11.3.1972 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 142). 354 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (ebd., Bl. 140). Exemplarisch für die Verwunderung von Angehörigen des Bataillons 61 über öffentliche Exekutionen vgl. Aus­ sage Heinrich Becker vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 208, Bl. 40r).

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Sachverhalt aus, der auch auf einigen Fotografien belegt ist. Die Polizeieinheit erschoss auf den Marktplätzen verschiedener Orte „zur Abschreckung“ Menschen.355 Bei einer nach einem Standgericht durchgeführten Erschießung, sei „ein katholischer Priester, der in dem Verfahren angeklagt, aber freigesprochen war, zugegen“ gewesen. Er sollte dort „selbst einen Eindruck davon bekommen, wohin seine Verhetzung der polnischen Bevölkerung geführt“ habe.356 In der offiziellen Zeitschrift der deutschen Polizei rühmten sich die Männer des Bataillons 61 sogar, von der Bevölkerung Polens als bedrohlicher wahrgenommen worden zu werden als die Wehrmacht. So habe es im „Warthegau“ unter der polnischen Bevölkerung geheißen: „Vogel auf der Brust sein [sic] gefährlich, Vogel auf Arm sein [sic] sehr gefährlich.“357 Dass das gewalttätige Verhalten von Polizeieinheiten Wirkung zeigte, belegen einige exemplarische Einschätzungen aus den Kreisen der ehemals preußischen Provinz Posen. In Kostschin/Kostrzyn urteilte man schon Anfang Oktober 1939 über den Erfolg von Exekutionen, „dass die Bevölkerung den Ernst der Lage verstanden hat und verängstigt ist“.358 Auch die „Erschießung der 16 Geiseln in Schmiegel und Kosten […] hat nach den bisher gemachten Beobachtungen ihren Eindruck auf die polnische Bevölkerung nicht verfehlt“. Diese habe „jetzt offensichtlich Angst und glaubt vielleicht, dass nunmehr der Anfang“359 größerer Vergeltungsaktionen bevorstehe. Im Bereich des Landrats von Lissa urteilte man Ende des gleichen Monats, durch Erschießungen herrsche dort nun „vollkommene Ruhe“.360 Kurz nach Ende des Einsatzes des Bataillons 61 urteilte man beim Posener Kommando der Schutzpolizei: „Die polnische Bevölkerung hält sich infolge des ständig ausgeübten Druckes sehr zurück und ist in Äußerungen sehr vorsichtig.“361 Bei der Wehrmacht erkannte man an, dass der „Warthegau“ eigentlich schon Ende 1939 befriedet war. Dieser Erfolg sei aber nicht durch einen Stimmungswechsel der Polen, „sondern in der Erkenntnis der Hoffnungslosigkeit einer

355 Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 25). Ebenso vgl. Aussage Heinrich Becker vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 208, Bl. 40r). 356 Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 58). Lütgemeier behauptete jedoch auch, die eigentliche Exekution hätte der SD durchgeführt. 357 O. V., Kriegstagebuch (1939), S. 730. Die Ordnungspolizei trug ein Hoheitsabzeichen in Form eines Adlers auf dem Ärmel ihrer Uniform, während ein ähnlicher Adler auf der rechten Brustseite von Wehrmachtsuniformen angebracht war. 358 Bericht des Landrats Liese vom 9.10.1939 (APP 298 Nr. 9, Bl. 34). 359 Bericht des Landrats Liese vom 5.10.1939 (ebd., Bl. 29). Schmiegel ist der deutsche Name des polnischen Ortes Śmigiel. 360 Bericht des Landrats Leonhardt vom 30.10.1939 (ebd., Bl. 29). 361 Kommando der Schutzpolizei: Lage- und Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 1.7.1940 bis 31.12.1941 vom 23.1.1942 (APP 1008 Nr. 7, Bl. 41).

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Auflehnung“ bedingt gewesen. Um diese Wahrnehmung für die Bevölkerung präsent zu halten, sei die „militärische Besetzung des Landes in der jetzigen Form“ fortzuführen. Es hieß: Die „zivilen Verwaltungsstellen sind dazu mit den vorhandenen Polizeikräften völlig außerstande“.362 Dies bezog sich auf den Einzeldienst der Polizei und unterstrich die Notwendigkeit, im „Warthegau“ militärisch organisierte Polizeiformationen wie das Bataillon 61 einzusetzen. Dessen Terror musste konstant fortgeführt werden. Innerhalb der SS war man sich bewusst, worin das Problem einer Herrschaftstechnik aus staatlichem und eigenmächtigem Terror mitbegründet lag. Reinhard Heydrich vermerkte in einer an Himmler überreichten Akte, dass „die Weisungen, nach denen der polizeiliche Einsatz handelte, außerordentlich radikal waren (z. B. Liquidierungsbefehl für zahlreiche polnische Führungskreise, der in die Tausende ging)“, weswegen „den gesamten führenden Heeresbefehlsstellen und selbstverständlich auch ihren Stabsmitgliedern dieser Befehl nicht erteilt werden konnte“. Die Folge sei gewesen, dass „nach außen hin das Handeln der Polizei und SS als willkürliche, brutale Eigenmächtigkeit in Erscheinung trat“.363 Entsprechend urteilten Teile der Wehrmacht, „eine zwar bewusst strenge Behandlung der Bevölkerung“ sei akzeptabel, solange diese in einer „für die deutschen Bevölkerungsteile und die Truppe tragbaren verständlichen Form erfolgen“ würde. Dies sei eine Voraussetzung für „echte staatliche Autorität“.364 Die anstehende „große Aufbauarbeit auf allen Gebieten“ werde aber „nicht gefördert durch das“ gewalttätige „Eingreifen von SS-Formationen, die mit volkspolitischen Sonderaufträgen eingesetzt sind“.365 Die Gewalt durch Polizeiverbände brachte dabei insbesondere Generaloberst Blaskowitz als Oberbefehlshaber Ost prägnant zur Sprache. Er urteilte: „Die sich gerade in letzter Zeit anhäufenden Gewalttaten der polizeilichen Kräfte“366 seien nicht zielführend. Für den General schien es, „abwegig, einige 10 000 Juden und Polen, so wie es augenblicklich geschieht, abzuschlachten“, denn damit würde „angesichts der Masse der Bevölkerung weder

362 General Petzel, Genst. d. H. Abt. z. b. V. (O Qu IV): Innere Lage im Warthegau vom 2.12.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 296). 363 Abschrift eines an den RFSS überreichten Aktenvermerks von Heydrich vom 2.7.1940 (BA R 19 Nr. 395, Bl. 154). Für die bereits vor dem 3.9.1939 innerhalb der SS erfolgte Planung, unter dem Vorwand der Partisanen- und Aufstandsbekämpfung Teile der polnischen Bevölkerung zu liquidieren, vgl. Hans-Jürgen Bömelburg, Die deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939 bis 1945. In: Chiari (Hg.), Die polnische Heimatarmee, S. 51–86, hier 59; Helmut Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen. Die Truppe des Weltanschauungskrieges 1938–1942, Frankfurt a. M. 1981, S. 76–79. 364 General Petzel, Genst. d. H. Abt. z. b. V. (O Qu IV): Innere Lage im Warthegau vom 2.12.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 295). 365 Ebd., Bl. 296. 366 Denkschrift des Oberbefehlshaber Ost zur Militärpolitischen Lage vom 6.2.1940 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 288 f.).

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die polnische Staatsidee totgeschlagen noch die Juden beseitigt“. Statt die deutsche Besatzungsherrschaft zu festigen, bringe dies „Schaden mit sich, kompliziert die Probleme“ und mache „sie viel gefährlicher, als sie bei überlegtem und zielbewusstem Handeln gewesen wären“.367 Der General hielt fest: Es bestehe „kein Zweifel, dass die polnische Bevölkerung, die alle diese Verbrechen wehrlos mit ansehen muss oder durch sie selbst betroffen und zur Verzweiflung getrieben, jede Aufruhr- und Rachebewegung fanatisch unterstützen wird. Weite Kreise, die niemals an einen Aufstand gedacht haben, werden jede Möglichkeit hierzu ausnützen.“368 Bemerkenswerterweise beschrieb der Befehlshaber damit eine Problemkonstellation, mit dem sich das Bataillon 61 bei seinem Einsatz in Russland von 1942 bis 1944 tatsächlich zu befassen hatte. Für das polnische Territorium im Jahr 1940 urteilte Blaskowitz, solle man nun keinen Aufstand forcieren, um „im großen Stil die Polen zu dezimieren“, dies sehe er als „sehr leichtfertig“ an. Denn im Fall eines Aufstands könne es nötig werden, dass „für die Niederkämpfung unter Umständen schwer entbehrliche Verstärkungen aus dem Westen herangezogen werden“ müssten.369 Nicht nur aus pragmatischer Sicht prangerte der General das Verhalten von Polizeieinheiten wie dem Bataillon 61 an. Auch würden sie „einen ganz unbegreiflichen Mangel menschlichen und sittlichen Empfindens“ zeigen, „sodass man geradezu von Vertierung sprechen“ könne. Dies sei der „schlimmste Schaden“, welcher „dem deutschen Volkskörper aus den augenblicklichen Zuständen erwachsen“ könnte.370 Blaskowitz befürchtete, dass sich „die maßlose Verrohung und sittliche Verkommenheit“ bei „wertvollem deutschen Menschenmaterial wie eine Seuche ausbreiten“ würde.371 In erstaunlicher Klarheit führte er aus: „Wenn hohe Amtspersonen der SS und Polizei Gewalttaten verlangen und sie in der Öffentlichkeit belobigen, dann regiert in kürzester Zeit nur noch der Gewalttätige. Überraschend schnell finden sich Gleichgesinnte und charakterlich Angekränkelte zusammen, um, wie es in Polen der Fall ist, ihre tierischen und pathologischen Instinkte auszutoben. Es besteht kaum noch Möglichkeit, sie im Zaum zu halten, denn sie müssen sich mit Recht von Amtswegen autorisiert und zu jeder Grausamkeit berechtigt fühlen.“372

Der Befehlshaber Ost brachte seine Sichtweise auf diese Entwicklung in einer berühmt gewordenen Formulierung auf den Punkt: „Die Einstellung der Truppe zu SS und Polizei schwankt zwischen Abscheu und Hass. Jeder Soldat fühlt sich angewidert.“373

367 Ebd., Bl. 287. 368 Ebd., Bl. 290. 369 Ebd., Bl. 291. 370 Ebd., Bl. 288. 371 Ebd. 372 Ebd. 373 Ebd., Bl. 289 f.

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Kriegseinsatz

So korrekt diese Empfindung für den christlich geprägten General gewesen sein mag, darf aber nicht unterschlagen werden, dass auch große Teile der Wehrmacht in Polen massiv in das NS-Terrorregime eingebunden waren. Gemeinsam mit Einheiten wie dem Bataillon 61 führten sie seit dem 1. September einen Vernichtungskrieg hinter den Frontlinien und trugen somit zu Destabilisierung und moralischem Verfall wie angeprangert bei. Dass die Kritik von Blaskowitz eben nicht dem Konsens in der Wehrmacht entsprach, zeigte sich auch daran, dass sich an der Besatzungsherrschaft durch Terror weder in Polen noch später in Russland etwas änderte. Hitler selbst beurteilte die Einstellung seines Generals als kindisch und zog ihn im Mai 1940 aus Polen ab. Im Folgemonat verließ auch das Bataillon 61 den „Warthegau“.374 2.

Zwischenspiel 1940–1941

Am 6. Juni 1940 endete der erste Osteinsatz des Bataillons 61 offiziell und am Tag darauf erfolgte „der Rückmarsch per Eisenbahn nach Gelsenkirchen Buer“.375 Diese Auswechselung hätte eigentlich schon eher ausgeführt werden sollen.Aufgrund des Mangels an einsatzfähigem Personal im „Warthegau“ konnte aber die „Ablösung der Polizeibataillone, die anfangs nach vierteljährl. Einsatz vorgesehen war“,376 im Dezember 1939 noch nicht stattfinden. Lediglich einige Männer, wie etwa Wörmer, wurden bereits im Januar 1940 zurückbeordert, um die weitere Ausbildung des Bataillons 61 an dessen Heimatstandort vorzubereiten. Zuvor hatte man schon im Dezember 1939, nach

374 Zur Abkommandierung von Blaskowitz vgl. Hans-Erich Volkmann, Zur Verantwortlichkeit der Wehrmacht. In: Rolf-Dieter Müller/Hans-Erich Volkmann (Hg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999, S. 1195–1222, hier 1203. Zwar wurde der General nicht bestraft, aber auch nicht mehr zum Feldmarschall befördert. Später kommandierte er die 9. Armee in Frankreich. In knapper Form zu Blaskowitz vgl. Peter Lieb, Konventioneller Krieg oder NS-Weltanschauungskrieg? Kriegführung und Partisanenbekämpfung in Frankreich 1943/44, München 2007, S. 86 f. Zum weitgehenden Ausbleiben von Protesten der größten Teile der deutschen Generalität vgl. Pohl, Herrschaft, S. 53 f.; Alexander B. Rossino, Hitler strikes Poland. Blitzkrieg, ideology, and atro­city, Lawrence 2003, S. 126 f. Zur Wirkung des intensiven Terrors im Westen Polens vgl. Jacobmeyer, Widerstandsbewegung, S. 660; Martin Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, München 1965, S. 41–51. 375 Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 41). Zum Ende des Einsatzes am 6.6.1939 vgl. Lagebericht Stand 31.5.1940 vom 15.6.1940 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 31); Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 57); Personalbogen Otto Hermann Hömberg geb. 14.10.1908, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 283, unpag.). Ebenso, nur ohne Nennung eines konkreten Datums, vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 23.5.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 41); Aussage Hans Kärgel vom 5.9.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 61); Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 13). Vgl. ferner Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 1486, Bl. 62). 376 Tagesanordnung des BdO Posen vom 10.12.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2).

Zwischenspiel 1940–1941

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Ende der Unterstellung der Polizeieinheit unter die Wehrmacht, die ältesten Polizeireservisten, die dem Dienst in der mobilen Polizeieinheit körperlich nicht gewachsen waren, nach Dortmund zurückgeschickt. Bei Rückkehr der gesamten Einheit ins Ruhrgebiet wurden „neue Kräfte für ausgeschiedene Reservisten eingezogen“.377 Administrativ wurden die ersten drei Kompanien im Reichsgebiet den Polizeiverwaltungen in Bochum, Dortmund und Recklinghausen zugeteilt. Der Stab und die 4. Kompanie wurden zusätzlich der Polizeiverwaltung in Bochum zugewiesen und aufgrund fehlender Unterbringungsmöglichkeiten ordnete man die Kraftfahrstaffel mit ihren Fahrzeugen ebenfalls Recklinghausen zu. Die tatsächliche Unterbringung der Polizisten erfolgte in den Standorten Recklinghausen, Gelsenkirchen und Buer. Dort standen die Kompanien „für den örtlichen Einsatz zur Verfügung“.378 Die Männer des Bataillons 61 sollten die Polizeireservekompanien der Polizeiverwaltungen ablösen bzw. entlasten, damit deren Männer, insbesondere die über 45-Jährigen, beurlaubt oder entlassen werden konnten.379 Damit versahen die Bataillonsangehörigen nach ihrem ersten Osteinsatz einen Dienst, den man tatsächlich mit den „typischen“ Aufgaben uniformierter Polizei assoziiert. Die Polizisten wurden beispielsweise Polizeirevieren zugewiesen und liefen Streife. Offenbar taten sich die Männer schwer, ihr im „Warthegau“ eingeübtes rabiates Verhalten abzulegen, obgleich sie nun primär mit Mitgliedern der eigenen „Volksgemeinschaft“ interagierten. Entsprechend

377 Lebenslauf Walter Nord, o. D. [ca. 1948] (LAV NRW, R, NW 1097-17401, Anlage 2), S. 2. Ebenso exemplarisch für die Auffrischung des Personals vgl. Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 19); Aussage Wilhelm Grunwald vom 18.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 35). Auch weitere Männer wurden vom Dienst freigestellt vgl. Aussage Heinrich Becker vom 3.8.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 193). Für Wörmer vgl. Aussage Siegmund Wörmer vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 204, Bl. 40). Für das Heimschicken der älteren Männer im Dezember 1939 vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 5). 378 Schreiben an den Regierungspräsidenten in Arnsberg, Düsseldorf, Münster; Herrn Polizeipräsidenten in Recklinghausen, Bochum, Dortmund, Essen, Oberhausen, Duisburg betr. Verwendung der im Heimatgebiet vorhandenen Pol.-Batl. Vom 6.12.1940 (LAV NRW, W, B 406 Nr. 15207, Bl. 263). Für die tatsächliche Unterbringung der Teileinheiten vgl. Aussage Wilhelm van Buer vom 1.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 5); Location of Policebattalions, o. D. [nach 4.1940] (TNAL HW 16 Nr. 1, unpag.). Exemplarisch für Buer-Reese als Stationierungsort vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 119). Für die administrative Zuteilung vgl. Schreiben des Höheren SS- und Polizeiführers (HSSPF) an den Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) vom 6.12.1940 (NLA OS Rep 430 Dez 201 Akz 16B, 65 Nr. 166 Band 3, Bl. 28). Vgl. ebenso Schreiben an den Regierungspräsidenten in Arnsberg, Düsseldorf, Münster; Herrn Polizeipräsidenten in Recklinghausen, Bochum, Dortmund, Essen, Oberhausen, Duisburg betr. Verwendung der im Heimatgebiet vorhandenen Pol.-Batl. vom 6.12.1940 (LAV NRW, W, B 406 Nr. 15207, Bl. 263r). 379 Vgl. ebd., Bl. 264.

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monierte etwa der zuständige Kommandeur der Schutzpolizei Recklinghausen das Verhalten der Bataillonsangehörigen in der Öffentlichkeit. Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt der Männer des Bataillons 61 waren „Luftschutzaufgaben“,380 für die sie dem BdO zur Verfügung standen. So nahmen sie beispielsweise in Buer-Resse an der Entrümplung von Häusern teil. Ebenso wurde „in Buer-Scholven das Scheinwerk einer Fabrik“381 von Männern der Polizeieinheit aufgebaut. Durch den intensivierten Luftkrieg kamen die Polizisten auch direkt mit dessen Auswirkungen in Berührung. Schon bei der Anreise aus Polen geriet die Einheit beim „Ausladen in Gelsenkirchen […] zum ersten Mal in Fliegeralarm, aber es [ging] gut, obwohl in unmittelbarer Nähe ein Eisenwerk getroffen“ wurde.382 Auch im Raum Dortmund kam es zu deutlichen Kriegsschäden. Für den 8.  November urteilte ein Bericht: „Die Bombenabwürfe waren erheblich.“383 Getroffen wurden neben Dortmund, Bottrop und Recklinghausen auch Buer-­ Scholven. Am 11. November kam es zu neuerlichen Bombenabwürfen und am 13. November wurde Münster getroffen. Häufige Fliegeralarme schufen ein Klima beständiger Bedrohung, das sich noch verschärfte, da die Polizisten auch bei alliierten Luftangriffen zur Absicherung der bombardierten Orte eingesetzt wurden. So wurden etwa Männer der 2. Kompanie, „nachdem Münster einen Bombenangriff erlebt hatte, zwecks Bewachung von irgendwelchen Objekten in Münster eingesetzt“.384 An ebensolchen Einsätzen sollen die Polizisten auch noch an anderen Orten teilgenommen haben.385 380 Aussage Hans Kärgel vom 5.9.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 62). Für die Bemängelung des Verhaltens der Polizisten durch den Kommandeur der Schutzpolizei in Recklinghausen vgl. Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 144). An anderer Stelle wird angedeutet, dass ein Mann der 2. Kompanie 1941 für ein unklares Vergehen im Zusammenhang von Disziplinlosigkeit mit Frontbewährung bestraft wurde. Vgl. Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 82). Allgemein gab es auch immer wieder Klagen darüber, dass „Angehörige der Polizei den Volksgenossen gegenüber nicht den richtigen Ton“ fanden. Vgl. Erlass des Chefs der Ordnungspolizei vom 7.10.1939 (NLA HA 122a Nr. 2630, Bl. 422). Für die Zuordnung der Polizisten zu Revieren vgl. Aussage Albert Grünheit vom 4.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5835). 381 Aussage Wilhelm van Buer vom 1.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 5). Es handelte sich um die Hydrierwerke Scholven, einen reinen Rüstungsbetrieb zur Treibstoffherstellung. Für den Entrümplungseinsatz vgl. ebd. 382 Kärgel, Einsatz (1957), S. 212. 383 Meldungen der Luftangriffe auf das Reichsgebiet vom 8.11.1940 (BA R 19 Nr. 803, Bl. 19r). Für Kriegsschäden im Raum Dortmund vgl. die Fotografien in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 288. 384 Aussage Erich Tiemann vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 19). Für die Bombardierung Münsters vgl. Meldungen der Luftangriffe auf das Reichsgebiet vom 11.11.1940 und Meldungen der Luftangriffe auf das Reichsgebiet vom 13.11.1940 (BA R 19 Nr. 803, Bl. 30 und 32). 385 Vgl. Aussage Wilhelm van Buer vom 1.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 5). Teilweise hätten die Männer Blindgänger zu bewachen gehabt, auch während diese entschärft wurden. Hierbei sollen die Polizisten in tödlicher Nähe gestanden haben. Vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 10.

Zwischenspiel 1940–1941

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Ab Mitte Dezember 1940 sollte das Bataillon 61 zu einer umfassenden Einsatzvorbereitung zusammengezogen werden. Am 17. Dezember wurde deshalb beantragt, zwecks „besserer Zufassung des Bataillons“ die noch „in Recklinghausen liegende 3. Kompanie nach Dortmund“ zu verlegen. Ebenso sollten die zur Einheit gehörenden „Nachrichtengruppen, die zurzeit auf die einzelnen Kompanien verteilt sind, geschlossen nach Dortmund“386 verlegt werden. Der Ausbildungsplan sah den Zeitraum von Januar bis Mitte Oktober 1941 vor und enthielt verschiedene Übungsabschnitte. Bis Ende März plante man ein, in der Gegend südlich von Unna die Vorpostenaufstellung, Angriffe nach Bereitstellung, Begegnungsgefechte, Verteidigungsaufgaben und hinhaltenden Widerstand zu trainieren. Bis Mitte April waren danach im Sauerland das Einüben von Kolonnenfahrt bei Tag und Nacht vorgesehen. Im Mai sollten die Männer wieder südlich von Unna auf Verfolgungs- und Rückzugsgefechte sowie auf die Aufstellung von Vorposten bei Nacht vorbereitet werden. Im Juni war die Übung von Angriff und Verteidigung bei Nacht vorgesehen. Im Folgemonat standen Angriff und Verteidigung in Waldgebieten auf dem Lehrplan. Im August sollten noch Angriffe über und die Verteidigung von Flussabschnitten hinzukommen. Zum Abschluss sollte im September und Oktober eine Ausbildung der Männer im Straßenkampf sowie im Absperren und Durchsuchen von Ortschaften erfolgen. Man bereitete die Polizisten offensichtlich auf einen Einsatz vor, in dem es galt: „Front überall, Feind ringsum.“387 Während diese Einsatzvorbereitung umgesetzt wurde, war möglicherweise ein Teil der bereits einsatzerfahrenen Polizisten unter Oberleutnant Wannemacher zu einem Einsatz in Westeuropa abkommandiert. Über den Offizier hieß es am 4. Juni 1941, er befände sich in „Belgien und Nordfrankreich“388 mit

386 Anlage zum Schreiben des Polizeipräsidenten an den Regierungspräsidenten in Arnsberg vom 17.12.1940, Plan für Ausbildung im RPB 61 (LAV NRW, W, B 406 Nr. 15207, Bl. 270). 387 Merkblatt für die Ausbildung der geschlossenen Polizeieinheiten im Polizeikampf. Hg. vom Chef der Ordnungspolizei 1941 (DHPol 5.9.4 Nr. 5, Bl. 6). Für den konkreten Ausbildungsplan des Bataillons 61 vgl. Anlage zum Schreiben des Polizeipräsidenten an den Regierungspräsidenten in Arnsberg vom 17.12.1940, Plan für Ausbildung im RPB 61 (LAV NRW, W, B 406 Nr. 15207, Bl. 269). Auch für die im Folgenden beschriebenen Ausbildungsteile vgl. Friedrich Altrichter, Die kampfbereite Kompanie. Praktische Anleitung für die Gefechtsausbildung, 4. Auflage, Berlin 1940; Artur Boltze, Gefechtsübungen der Schützenkompanie. Eine Anleitung für ihre Anlage mit Beispielen und praktischen Hinweisen für die Ausbildung, Berlin 1940. 388 Akte Julius Wannemacher (BA R 9355 ZB I 3690, Bl. 6). Klemp schlussfolgert auf Basis von anderem Material und auch anhand der im LAV vorliegenden Fotografien (LAV NRW, W, K 702a), es habe einen Westeinsatz gegeben. Vgl. Klemp, Freispruch, S. 41, Anm. 85. Zu Sicherheits- und Hilfsdienstabteilungen allgemein vgl. Ralf B. Herden, Roter Hahn und Rotes Kreuz. Chronik der Geschichte des Feuerlösch- und Rettungswesens, von den Syphonari der römischen Kaiser über die dienenden Brüder der Hospitaliter-Ritterorden bis zu Feuerwehren und Katastrophenschutz, Sanitäts- und Samariterdiensten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Norderstedt 2005, S. 251.

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der motorisierten Sicherheits- und Hilfsdienstabteilung 23 aus Dortmund im Einsatz. Währenddessen wurde das Bataillon 61 umstrukturiert. Die 4. Kompanie entfiel und die übrigen Kompanien wurden mit den freiwerdenden Männern und zusätzlichen Reservisten aufgefüllt. Auch die Konstellation der Führungsoffiziere änderte sich während der Stationierung im Ruhrgebiet. Außerdem wechselte die gesamte Polizeieinheit im Juni seinen Standort nach Dortmund-Wellinghofen. Von hier aus wurde die Einheit Ende 1941 wieder, nachdem sie im November eine Abschiedsparade erhalten hatte, zum Einsatz nach Osteuropa beordert.389 Auf Basis der zuvor durchgeführten Einsatzvorbereitung lässt sich annehmen, dass der Polizeiverband in der Sowjetunion Verwendung in der Partisanenbekämpfung finden sollte. Darauf weist auch die Auflösung der 4. Kompanie und die damit verbundene Zuordnung von MG-Zügen zu den einzelnen Kompanien hin. Gleiches gilt für die Aufstellung eines Nachrichtenzuges, der die Aufgabe gehabt hätte, die Übertragung von Befehlen und Informationen zur effizienten Gefechtsführung sicherzustellen. Zu einem Kampfeinsatz kam es jedoch vorerst nicht. Wie der Chef der 3. Kompanie nach dem Krieg schilderte, wurde das Bataillon 61 „ursprünglich zur Verwendung im Kaukasusgebiet vorgesehen“, aber es wurde „auf der Fahrt dorthin in Tschenstochau angehalten“.390 Auf Basis abgefangener Funksprüche der Ordnungspolizei schlussfolgerte der britische Geheimdienst schon während des Krieges, dass im November ein Vorkommando der Dortmunder Polizeieinheit dort eintraf und im Dezember das restliche Bataillon 61 folgte. Dies passt zu den Aussagen von Bataillonsangehörigen, die angaben, in den letzten Tagen des Novembers dort angekommen zu sein.391

389 Für die Parade vgl. die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 287. Zum Standortwechsel vgl. Aussage Walter Brewes vom 11.11.1948 (BStU MfS Magdeburg Ast. 1184/48, Bl. 6). Für die Umstrukturierung der Einheit vgl. Feststellungen zur Sache in der Urteilsbegründung, o. D. [ca. 31.3.1954] (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1488, Bl. 183); Kärgel, Einsatz (1957), S. 212. Generell zur Struktur und Stellenbesetzung des Bataillons 61 siehe Kapitel III.3. 390 Ebd., S. 212. Für den Nachrichtenzug und dessen Aufstellung im Bataillon 61 vgl. ebd. Zur Bedeutung eines Nachrichtenzuges für die Kampfführung vgl. Buchmann/Freitag, Polizeitruppenführung (1942), S. 47 f. Für die Umstrukturierung der Kompanien vgl. Umgliederung von Res. Pol.-Bat. 26.4.1941 (BA R 19 Nr. 304 Band 1/2, Bl. 174) und Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 16) sowie Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 9). Tschenstochau ist der deutsche Name von Częstochowa. 391 Für die britische Auswertung vgl. Location of Police Battalions, o. D. [nach 1.1942] (TNAL HW 16 Nr. 1, unpag.). Exemplarisch für die Ankunft Ende November vgl. Aussage Joseph Figiel vom 25.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 190); Aussage Walter Brewes vom 11.11.1948 (BStU MfS Magdeburg Ast. 1184/48, Bl. 6), Aussage Hans Kärgel vom 5.9.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 62); Aus­sage August Oestreich vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 29).

Zwischenspiel 1940–1941

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Von Tschenstochau aus wurden die einzelnen Kompanien für die nächsten zwei bis vier Wochen zu weiteren Einsatzorten verlegt. Die 1. Kompanie stationierte man in Tomaszów Mazowiecki. Die 2. Kompanie bezog ihr Quartier in „Petrikau“392 bzw. in „Petrikow“.393 In Anbetracht der tatsächlichen Lage dieser Orte im heutigen Weißrussland bzw. in der Ukraine kommt jedoch nur das ähnlich ausgesprochene Piotrków Trybunalski, mit seiner Lage zwischen Tomaszów und Tschenstochau, als Einsatzort der Kompanie infrage. Genauso verhält es sich mit dem ebenfalls als Einsatzort genanntem „Radom“.394 Gemeint war dabei mit Sicherheit der Ort Radomsko. Das eigentliche Radom lag immerhin gut 120 Kilometer vom tatsächlichen Einsatzraum der 2.  Kompanie entfernt. Wo genau die 3. Kompanie stationiert wurde, ist nicht exakt bestimmbar. Es scheint jedoch plausibel, dass sie in Tschenstochau verblieb und somit ein größerer Abschnitt des strategisch wichtigen Transportweges von Kattowitz/Katowice nach Warschau im Einflussbereich des Bataillons 61 lag.395 Was genau für Einsätze die Dortmunder Polizisten an ihren Stationierungs­ orten südwestlich von Warschau durchführten, lässt sich nicht genau klären. Laut der undurchsichtigen Beschreibung von Bataillonsangehörigen hatten sie „verschiedene Objekte zu bewachen“.396 Über den „sogenannten Objektschutz“ seien ihnen aber „Einzelheiten […] nicht mehr in Erinnerung“.397 Worum es sich tatsächlich gehandelt haben könnte, teilte der Ermittler Kehler im November 1945 der britischen Besatzungsbehörde mit. Er brachte vor, bei den Einsätzen des Bataillons 61 habe es sich 1941 um „Partisanenbekämpfung“ gehandelt.398 Worauf sich aber seine Annahme stützte, teilte er nicht mit. Die polnische Kriminalpolizei in Tschenstochau sah sich nach dem Krieg außerstande, einzelne Täter der Polizeieinheit zu identifizieren, ging ­jedoch davon

392 Aussage Erich Tiemann vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 19). Für die Stationierung der 1. Kompanie vgl. Aussage Heinrich Marach vom 12.10.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21598); Aussage Hermann Kreienkamp vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 120). Ebenso vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 20.8.1959 (ebd., Bl. 28); Aussage Johann Overkemping vom 10.11.1959 (ebd., Bl. 104). 393 Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 25.8.1959 (ebd., Bl. 51). 394 Aussage Erich Tiemann vom 20.8.1959 (ebd., Bl. 19). 395 Für die Unterbringung der 3. Kompanie in Tschenstochau vgl. Aussage Joseph Figiel vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 17r). Exemplarisch für eine Aussage, in der zwar die Stationierungsorte der 1. und 2. Kompanie genannt werden, aber die Stationierung der 3. Kompanie nicht benannt wird, vgl. Aussage August Kreulich vom 18.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 53). 396 Aussage Erich Tiemann vom 20.8.1959 (ebd., Bl. 19). Ebenso vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 18.8.1959 (ebd., Bl. 24). 397 Aussage Joseph Figiel vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 17r). 398 Bericht von Friedrich Kehler an die brit. Besatzungsbehörde vom 29.11.1945 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 12).

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aus, dass das Bataillon 61 in den Wäldern der Region 50 bis 100 Polen erschossen hatte.399 Erst in späteren deutschen Ermittlungsverfahren führten Mitglieder der Polizeieinheit aus, dass sie auch noch nach ihrer Einsatzzeit im „Warthe­gau“ 1939/40 Standgerichtsverfahren durchgeführt hätten. Ein Offizier sprach sogar davon, man sei weiterhin zu „Exekutionen“ und zur „Partisanenbekämpfung“400 eingesetzt worden. Im Generalgouvernement erfolgte das Anwachsen der Partisanenbewegung „und damit die Bereitstellung militärisch-offensiver Verbände“401 aber erst Mitte 1942. Das Vorgehen der Polizeieinheit bedeutete also erneut nichts anderes als ein systematisches Anwenden von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, um diese durch Terror zu kontrollieren. Statt nach diesen Einsätzen nach Russland verlegt zu werden, wurde die Dortmunder Polizeieinheit Anfang Januar 1942 nach Warschau beordert, um u. a. das dortige Ghetto zu bewachen. Das zuvor dort eingesetzte Polizeibataillon 308 aus Duisburg war wegen „Schweinereien“402 abgelöst worden und man benötigte eine neue Wacheinheit. Der Befehl, diesen Dienst zu übernehmen, soll durch den HSSPF Friedrich-Wilhelm Krüger an das Bataillon 61 ergangen sein. Nach und nach wurden die Kompanien ab Mitte Dezember in die größte Stadt Polens verlegt. Erst in „Warschau kamen alle Kompanien wieder zusammen“.403 Als auch das Nachkommando vor Ort eintraf, war das Bataillon im Januar 1942 wieder ein vollständig geschlossener Verband.404

399 Vgl. Bericht der Kriminalpolizei in Częstochowa von Stefan Małecki vom 19.12.1947 (AIPN GK 171 Nr. 11, Bl. 7). Vgl. auch Bericht des Distriktrichters in Częstochowa 5.6.1948 (ebd., Bl. 19). Dort wird ebenfalls nichts Genaues über das Bataillon 61 mitgeteilt, aber von einer Mitwirkung der Einheit bei Gewalttaten bei Holstin/­Olsztyn in der Nähe von Tschenstochau im Jahr 1940 ausgegangen. 400 Aussage Julius Wannemacher vom 24.10.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 205). Ebenso für weiterhin durchgeführte Standgerichte vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 6.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 51). 401 Jacobmeyer, Widerstandsbewegung, S. 677. Für die Einschätzung des Wehrkreiskommandos GG, dass eine Partisanenproblematik erst im zweiten Halbjahr 1942 entstand, vgl. ebd. 402 Klemp, Freispruch, S. 42. Anfang 1942 ging man im Bataillon 61 aber offenbar noch davon aus, bald nach Russland weitergeschickt zu werden. Vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 13. 403 Aussage Erich Tiemann vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 19). Für die Order des HSSPF vgl. Aussage Hans Kärgel vom 5.9.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 62). Exemplarisch für die Verlegung im Dezember vgl. Aussage August Oestreich vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 29). Für die Verlegung am 2.1.1942 vgl. Aussage Heinrich Marach vom 12.10.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21598). Allgemein für eine Verlegung im Winter vgl. Aussage Joseph Figiel vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 17r). 404 Für das Nachkommando vgl. Aussage August Kreulich vom 18.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 53); Aussage Johann Vorkämping vom 25.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 244r). Für das Vorauskommando, das schon an Silvester 1941 in Warschau eingetroffen sei, vgl. Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 180).

Warschau 1942

3.

Warschau 1942

3.1

Einsatz in der Stadt und die Bewachung des Ghettos

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Wie schon bei ihrem Einsatz 1939/40 waren auch während der Stationierung der Dortmunder Polizeieinheit in Warschau deren übergeordnete Kommandostrukturen durch eine deutliche Polykratie gekennzeichnet. Die Befehlsverhältnisse zwischen dem Generalgouverneur Hans Frank, dem SSPF und den Befehlshabern der Ordnungs- und Sicherheitspolizei waren, wie es der ehemalige Warschauer Stadthauptmann, Wilhelm Leist, nach dem Krieg formulierte also „außerordentlich unübersichtlich und unklar und durcheinander. Der Gouverneur glaubte, dass ihm der SS- und Polizeiführer unterstünde. Der SS- und Polizeiführer jedoch glaubte sich wieder seinem Vorgesetzten in Krakau verantwortlich.“405 Ähnlich war es bei der Stellung der Befehlshaber der Ordnungs- und Sicherheitspolizei. Als der für Warschau zuständige SSPF, Arpand Wigand, diese Zuständigkeiten genauer regeln wollte, sei er durch den HSSPF Krüger in Krakau angewiesen worden, dies nicht weiter zu betreiben, da man „die Zuständigkeiten lieber in einem Schwebezustand“406 belassen wollte. „Das Eigenleben, das die Polizei im GG führte“, sei geprägt gewesen von Himmlers Willen, „enge Verbindungen zwischen der Polizei- und Zivilverwaltung zu vermeiden“.407 Genau genommen unterstanden die den einzelnen Polizeibataillonen vorgesetzten KdOs sowohl dem BdO als auch dem SS- und Polizeiführer (SSPF) des jeweiligen Distrikts. Insbesondere das Verhältnis Letzterer „zu diesen Kommandeuren“ sei angeblich „genauso labil und ungeregelt“ gewesen wie wiederum die Stellung des jeweiligen SSPF zum Generalgouverneur. Dieser habe die uniformierte Polizei offiziell „nur um etwas bitten können“. Es hätte jedoch „der Grundsatz kameradschaftlicher Zusammenarbeit“ bestanden.408 Deswegen sei 405 Aussage Ludwig Wilhelm Leist vom 12.6.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6213). Für die polykratischen Verhältnisse vgl. Befehlsverhältnisse im GG, Zusammenfassung der Aussage von Bruno Streckenbach (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1265); Einsatzgruppen in Polen. Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, Selbstschutz und andere Formationen in der Zeit vom 1. September 1939 bis Frühjahr 1940. Band 2 vom 20.5.1963 (BStU MfS HA XX 5590, Bl. 143, 144 und 146). Als ehemaliger SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS hatte Streckenbach umfassende Kenntnisse der Kommandostrukturen. Zu Streckenbachs Person vgl. Michael Wildt, Der Hamburger Gestapochef Bruno Streckenbach. In: Frank Bajohr/Joachim Szodrzynski (Hg.), Hamburg in der NSZeit. Ergebnisse neuerer Forschungen, Hamburg 1995, S. 93–123. In sehr verknappter Form für den Einsatz des Bataillons 61 in Warschau vgl. Klemp, Freispruch, S. 42–63 und 69 f.; ders., Vernichtung, S. 90–135. Ferner vgl. Curilla, Judenmord, S. 568–585. 406 Aussage Arpand Wigand vom 11.10.1971 (BA-L B 162 Nr. 19318, Bl. 979). 407 Ebd., Bl. 973. 408 Ebd., Bl. 979. Grundsätzlich für die Unterordnungsverhältnisse anhand eines Schaubildes vgl. Einsatzgruppen in Polen. Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, Selbstschutz und andere Formationen in der Zeit vom 1. September 1939 bis Frühjahr 1940. Band 2 vom 20.5.1963 (BStU MfS HA XX 5590, Bl. 146).

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möglichst auf Wünsche eingegangen worden, auch wenn die Kommandeure und Befehlshaber der Ordnungspolizei formell dem HSSPF Krüger unterstanden hätten. Sicherlich beschönigte Wigand damit die realen Verhältnisse, gab es doch massive Auseinandersetzungen und deutlich unterschiedliche Auffassungen zwischen Generalgouverneur und Polizeiführung über die Zuständigkeiten und Befehlswege. Frank stand den Einflussmöglichkeiten der Hauptämter der Polizei und damit Himmlers Macht über die dem Generalgouverneur unterstehenden Exekutivorgane äußerst kritisch gegenüber. Frank soll prägnant zu Ausdruck gebracht haben: „Berlin hat hier überhaupt nichts zu sagen und ich verbiete [sic] es mir, dass hier Dienststellen sich auf Befehle berufen, die aus Berlin kommen.“409 Das Problem im Generalgouvernement war, dass es neben Franks Stellvertreter Josef Bühler „einen zweiten Staatssekretär für das Sicherheits­wesen, nämlich den Höheren SS- und Polizeiführer“, gab. Durch dessen gleichzeitige Einbindung in die aus Berlin kommenden Befehlsstrukturen hatte Krüger „viel mehr Macht und Einfluss als Bühler“410 und lehnte sich sogar gegen Frank auf. Entsprechend ist es durchaus korrekt, dass spätestens ab 1942 auch „die Behandlung der jüdischen Bevölkerung im GG mehr und mehr alleinige Domäne der Polizei“ wurde.411 Unterhalb der Ebene der SSPF sowie der BdO waren die Befehlswege klarer gestaltet. In der grundlegenden Anordnung hieß es: „Jedem der vier Dis­ trikte des Generalgouvernements wird ein Polizeiregiment zugewiesen. Der Regimentskommandeur ist gleichzeitig Kommandeur der Ordnungspolizei des Distriktes.“412 Der „Kommandeur der Ordnungspolizei in Warschau war während der gesamten Zeit der Stationierung [des] Bataillons (Bataillon 61) der Oberstleutnant Petsch“.413 Maßgeblich unterstützt wurde er von seinem Ia,

409 Schreiben des KdO Lublin an Daluege betr.: Polizei, SS und Verwaltung vom 5.3.1940 (BA R 19 Nr. 405, Bl. 11). 410 Aussage Lothar Alfred Josef Weirauch vom 15.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 6081). Als ehemals hochrangiger Ministerialbeamter besaß Weirauch umfassende Kenntnisse der Befehlsstrukturen. Für seine Biografie vgl. Leide, Henry: NS-­Verbrecher und Staatssicherheit. Die Geheime Vergangenheitspolitik Der DDR, 3. Auflage, Göttingen 2011, S. 284–292. Für die Rolle des HSSPF und den als seine Berater fungierenden BdOs vgl. Befehlsverhältnisse im GG, Zusammenfassung der Aussage von Bruno Streckenbach (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1264). 411 Auszug aus dem Manuskript von Hanns von Krannhals, Die Judenvernichtung im Generalgouvernement und die „Wehrmacht“, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2263, Bl. 129). 412 Organisation der Ordnungspolizei im Generalgouvernement vom 1.11.1939 (BA R 19 Nr. 405, Bl. 1). Für die Stellung der KdOs vgl. RMBliV 1941, S. 1720. Für die Schaffung eines SSPF in jedem Distrikt vgl. Befehlsverhältnisse im GG, Zusammenfassung der Aussage von Bruno Streckenbach (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1264). Für die grafische Darstellung der Warschauer Befehlsverhältnisse vgl. Skizze von Richard von Coelln [sic], o. D. (StAHH 213-12-70 Nr. 51, Bl. 23179 f.). Dort sind jedoch die einzelnen Bataillone der Polizei nicht angeführt. 413 Aussage Joseph Figiel vom 24.7.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 16, Bl. 6886).

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Major Richard von Cölln. Für den Einsatzzeitraum der Dortmunder Polizeieinheit resümierte Joachim Petsch, es habe „in Warschau wahrscheinlich 3 Polizeibataillone“414 gegeben, während sein Stabschef davon ausging, dass „dem Kommandeur 2 Polizeibataillone, welche in Warschau stationiert waren“, unterstanden hätten. Diese habe man „im Alltagssprachgebrauch“ als „Regiment Warschau“415 bezeichnet, wobei er sich nach dem Krieg nicht sicher war, ob dies eine offizielle Bezeichnung darstellte. Gegen die Einbindung der Polizeibataillone in eine offizielle Regimentsstruktur spricht, dass entgegen der üblichen Regimentsorganisation „die einzelnen Bataillone ihre Angelegenheiten selbstständig“416 erledigt hätten. Figiel, der Adjutant des Kommandeurs des Bataillons 61, formulierte es ganz klar: „Ein Polizeiregiment Warschau hat es nicht gegeben.“417 In einer früheren Aussage hatte er erläutert, dass der KdO im Fall des Bataillons 61 in „der Zeit in Warschau eine Zwischenstelle nach Art eines Regiment­stabes“ darstellte.418 Auch Figiels Nachfolger als Adjutant führte nach dem Krieg aus, dass seiner Erinnerung nach „dem Bataillon nicht ein Regimentsstab vorgesetzt war, sondern der Kommandeur der Schutzpolizei in Warschau, der seinerseits seine Befehle vom höheren SS- und Polizeiführer“419 erhalten habe. Wohl wegen der weitgehenden Eigenständigkeit der Dortmunder Polizeieinheit nahm man den übergeordneten Kommandeur vor allem als Mittlerinstanz wahr, an welche Meldungen zu erstatten waren und die für administrative Angelegenheiten verantwortlich zeichnete. Als Kommandobehörde wurde die

414 Aussage Joachim Petsch vom 21.3.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 20, Bl. 8995). Petsch war schon seit dem 11.1.1941 in Warschau. Zunächst war er dort mit der Errichtung des Schupo-Kommandos betraut. In Bezug auf das Ghetto erklärte er sich bereit, Schlupfwinkel durch Tretminen zu versperren. Vgl. Aktenvermerk der Abteilung Umsiedlung vom 14.1.1941 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2283, Bl. 270). Als BdO war Petsch ab Juni 1941 Nachfolger von Max Montua. Vgl. Aussage Richard von Coelln [sic] vom 3.8.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 50, Bl. 22989). Von Cölln führte nach dem Krieg aus, dass er und Petsch nur bis Juni 1942 in Warschau eingesetzt worden seien. Vgl. Aussage Richard von Coelln 8.7.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 173). Zu Major von Cölln vgl. Aussage Joseph Figiel vom 24.7.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 16, Bl. 6886). 415 Aussage Richard von Coelln [sic] vom 3.8.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 50, Bl. 22989). Auch der Chef der 3. Kompanie des Bataillons 61 sprach von einem „Polizeiregiment Warschau“. Vgl. Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 27r). 416 Aussage Richard von Coelln [sic] vom 3.8.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 50, Bl. 22990). 417 Aussage Joseph Figiel vom 24.7.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 16, Bl. 6887). 418 Aussage Joseph Figiel vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 7r). In nahezu gleicher Form vgl. Aussage Joseph Figiel vom 24.7.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 16, Bl. 6887); Aussage Joseph Figiel vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 83r). 419 Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 21.11.1952 (ebd., Bl. 81r). Ackermann meinte jedoch mit Sicherheit den Kommandeur der Ordnungspolizei und nicht den der Schutzpolizei.

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Dienststelle von Oberstleutnant Petsch aber nur eingeschränkt betrachtet, da er „seinerseits für polizeiliche Einsatzfragen oder ganz allgemein für die polizeiliche Tätigkeit dem höheren SS- und Polizeiführer“ unterstanden habe. In politischen Fragen habe er „seine Weisungen vom SD in Warschau“ erhalten und „wirtschaftlich und personell“ sei er „dem Befehlshaber der Ordnungspolizei in Krakau“420 zugewiesen gewesen. Auch wenn der KdO Warschau das Bataillon 61 nicht operativ als Teil eines Polizeiregiments führte, so hatte er doch laut der Aussage des Warschauer Ghettokommissars Auerswald die Dienstaufsicht über die Wachmannschaft des Ghettos. Dies ist insofern für den Einsatz des Bataillons 61 von Bedeutung, da laut dem SSPF Warschau, zwischen ihm „und den Kommandeuren der OrPo und SiPo seit Ende 1941/Anfang 1942 klar“ gewesen sei, „wie das Ghetto-Problem eines Tages gelöst werden würde und welches Schicksal den Juden bevorstand“.421 Der Ia des Warschauer KdO brachte hierzu passend zum Ausdruck: „Ich hatte damals den Eindruck, dass ein System in der Behandlung der Juden im Ghetto lag und dass die Absicht bestand, sie auf alle mögliche Weise aus der Welt zu schaffen.“422 Unter diesem Vorzeichen begann Anfang 1942 der Einsatz der Dortmunder Polizeieinheit in der größten Stadt Polens. Warschau wurde dabei von den Polizisten des Bataillons 61 von Beginn an negativ wahrgenommen. Die Stadt galt ihnen als groß und völlig überfüllt. Der als Ersatzmann zu der Polizeieinheit beorderte Reservist Nahlmann berichtete exemplarisch über seinen „ersten Eindruck“ bei der Ankunft am Warschauer Bahnhof: Die Bahnsteige wirkten „sehr klein und eng und verschmutzt, vorn die Riesen-Bahnhofshalle sehr modern gehalten und riesig groß“. Alles sei überfüllt gewesen und „über unzählige Treppen wurden“ die Polizisten „von unfreundlichen polnischen Eisenbahnern bis zur Straße hinausgeleitet“. Dort habe sich dasselbe Bild „von dem Gewoge der Menschen“ geboten. „Kleine, sehr zerlumpte Jungen und ältere Männer stürzten sich gleich“423 auf das Gepäck. Dabei hätten diese Bewohner Warschaus sofort begonnen, um Brot zu betteln. Auch die Fahrt zur Unterkunft des Bataillons schien Nahlmanns Eindruck von der Stadt zu bestätigen. „Im Anhängerwagen, der nur für Polen war“, sei

420 Aussage Joseph Figiel vom 21.11.1952 (ebd., Bl. 84). Für die zu erstattenden Meldungen vgl. ebd., Bl. 83r. Ebenso für die Unterstellungsverhältnisse des KdOs vgl. Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 21.11.1952 (ebd., Bl. 81r). 421 Aussage Arpand Wigand vom 11.10.1971 (BA-L B 162 Nr. 19318, Bl. 989). Um dies zu verdeutlichen, sei Himmler selbst im Winter 1941/42 zu Gast gewesen. Vgl. Aussage Arpand Wigand vom 18.6.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 146). Zur dienstlichen Aufsicht des KdO über die Ghettowachen vgl. Aussage Heinz Auerswald vom 12.9.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2259, Bl. 75). 422 Aussage Richard von Coelln [sic] vom 8.7.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 178). 423 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 11.

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es so voll gewesen, dass „die Leute an den Trittbrettern wie die Weintrauben hingen“, während der Bereich für deutsche Fahrgäste fast leer gewesen sei. Die Gebäude Warschaus wirkten auf den Reservisten „doch ziemlich zerstört und zerschossen“.424 Überall habe es Bettler und Straßenmusiker gegeben. Dass diese Umstände in Warschau erst als Folge des deutschen Angriffskrieges gegen Polen entstanden waren, nahm weder Nahlmann noch irgendein anderes Bataillonsmitglied wahr. Viele von ihnen hielten sich zum ersten Mal in einer Metropole auf und setzten offenbar die chaotische Situation mit Eigenschaften der Einwohner gleich.425 Die Unterkunft der Polizeieinheit wurde anders als die übrige Stadt eher positiv betrachtet. In der bisherigen Geschichtsforschung wurde die Aussage eines Bataillonsmitglieds übernommen, die Unterkunft habe sich in der „sogenannten Akademitzka, einem früheren Wohngebäude jüdischer Studenten“, befunden.426 Dies ist nicht korrekt, bei der Bataillonsunterkunft handelte es sich vielmehr um ein allgemeines Wohnheim für Studenten im Stadtteil Ochota. Das jüdische Studentenwohnheim hingegen lag in der Sierakowskiego-­Straße in einem völlig anderen Stadtteil und lässt sich anhand der vom Bataillon 61 überlieferten Fotografien definitiv als Unterkunft der Polizeieinheit ausschließen. Bei dem fotografisch dokumentierten Gebäude handelt es sich ohne Zweifel um den von 1922 bis 1930 erbauten Dom Studencki Akademik in der Akademicka-Straße in unmittelbarer Nähe des Narutowicza-Platzes. Somit ist auch die Annahme zurückzuweisen, das Lager des Bataillons 61 habe sich in der Krakauer Vorstadt Warschaus befunden. Nicht zuletzt ist dies auch klar daran zu erkennen, dass einige Ersatzmänner der Dortmunder Polizeieinheit die damalige Straßenbahnlinie sieben vom Bahnhof zu ihrer Unterkunft nahmen.427 Innerhalb des Wohnkomplexes waren die einzelnen Kompanien des Bataillons auf verschiedene Etagen voneinander getrennt untergebracht. Das Gebäude, das der Reservist Otto Nahlmann als „imposanten Bau“ beschrieb, war „etwa 9 Stockwerke hoch und sollte 2 000 Zimmer“ haben. Es sei schwierig gewesen, sich

424 Ebd. 425 Zu diesem Image der schmutzigen „polnischen Wirtschaft“ vgl. Hubert ­Orłowski, „Polnische Wirtschaft“. Zum deutschen Polendiskurs der Neuzeit, Wiesbaden 1996, S. 319–347. Für Nahlmanns Beschreibung vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 19. 426 Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 264). 427 Für die Straßenbahnfahrt vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 11. Für das angebliche Lager in der Krakauer Vorstadt vgl. Lehnstaedt, Okkupation, S. 50, Anm. 98. Für den großen Platz vor dem Wohnheim, auf dem Märkte abgehalten wurden, vgl. Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 66). Für das Unterkunftsgebäude vgl. die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 292. Für die Einschätzung, es habe sich um ein Universitätsgebäude gehandelt, vgl. Aussage Anton Lange vom 23.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 114).

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„zurechtzufinden in den riesigen, langen Gängen“.428 Aufgrund der Größe des Gebäudes wurde dort nicht nur das Bataillon 61 einquartiert. So hielt etwa der KdO Petsch fest, in dem Gebäude hätten sich stets ein bis zwei Bataillone befunden und auch der Polizist Hermann Kreienkamp erinnerte sich nach dem Krieg daran, dass weitere Einheiten dort untergebracht gewesen seien.429 Die Ausstattung der Unterkunft war deutlich komfortabler als etwa die Lager, die das Bataillon 61 während seines ersten Einsatzes 1939/40 bezogen hatte. Zwar habe es in Warschau, laut dem Bataillonsadjutanten, zunächst Beanstandungen darüber gegeben, in welchem Zustand das Bataillon 308 die Räumlichkeiten zurückgelassen hatte, jedoch wurden diese Probleme schnell behoben. Als Nahlmann im Mai 1942 in Warschau eintraf, fand er eine ordentliche und moderne Unterkunft vor. Jeweils zwei Personen teilten sich ein Zimmer, das über Metallbetten und richtige Matratzen verfügte. Jede Stube besaß darüber hinaus einen Tisch mit Stühlen sowie ein Waschbecken mit kaltem und warmem Wasser. Neben den Versorgungsräumen wie einer Kantine und den Waffenkammern richteten sich die Männer auch Aufenthalts- und Gemeinschaftsräume ein. Am besten dokumentiert ist dabei die „Krochmalnabar“430 der 1. Kompanie. Benannt war die Bar nach einer Ghettostraße, in der besonders viele Menschen verhungerten. Die Teileinheit des Bataillons 61 soll die Räumlichkeiten ausgiebig genutzt haben, um dort ihre Tötungen bei großen Mengen Alkohol zu feiern.431 Von ihrer Unterkunft aus wurden die zu verschiedenen Diensten eingeteilten Bataillonsangehörigen „mit Fahrzeugen zur Wache gefahren“.432 Dabei war die Hauptaufgabe der Polizeieinheit die Abriegelung des Warschauer Ghettos. Auch wenn das Bataillon 61 „keine revierpolizeiliche Tätigkeit ausgeübt“433

428 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 12. Für die Unterteilung nach Stockwerken vgl. Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 81); Aussage August ­Oestreich vom 16.3.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 264). 429 Vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 18.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 24); Aussage Joachim Petsch vom 21.3.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 20, Bl. 8996). 430 Aussage Heinrich Krolopp vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 43). Ausführlich zu der Bar und den darin vollzogenen Ritualen siehe Kapitel V.1. Für die Beanstandung des Unterkunftszustandes Anfang 1942 vgl. Aussage Joseph Figiel vom 24.7.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 16, Bl. 6886). Für Nahlmanns Beschreibung der Unterkunft vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 13. 431 Zu der Bar vgl. Aussage Heinrich Krolopp vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 43); Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 38); Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 104r). Ebenso für die Gestaltung der Bar vgl. Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 39r); Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 50r). Für die Bar und die dortigen Feiern vgl. auch die Foto­grafie: StAHH 21312-72 Nr. 35 Foto Nr. 5, und die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486. 432 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 12.11.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21604). 433 Aussage Joseph Figiel vom 24.7.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 16, Bl. 6887).

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habe, so war es doch für verschiedene weitere Aufgaben im Warschauer Stadtgebiet zuständig. So sollen einige Männer pro Kompanie den Auftrag gehabt haben, „kriegswichtige Objekte in Warschau zu bewachen“,434 zu denen etwa „Benzin-Lager, Getreide-Lager, die Bank, und außerdem 3 Bezirkswachen“435 gezählt haben sollen. Auch hätten die rudimentär ausgebildeten Reservisten der Dortmunder Polizeieinheit den Dienstbetrieb auf einem polnischen Polizei­ revier in der Nowy-Swiat-Straße kontrolliert und am Streifendienst mitgewirkt. Jeweils nach 24 Stunden Dienst seien dann Männer einer der anderen Kompanien des Bataillons 61 zur Ablösung angetreten.436 Nahlmann hielt über seinen Dienst auf der Warschauer „Schloßbrücke“ und der „Poniatowskibrücke“437 fest, es sei zum einen der Auftrag der Polizisten gewesen, die Brücke vor Sabotage zu schützen, und zum anderen, den Kohlezugang zum Elektrizitätswerk sicherzustellen. Darüber hinaus habe man auch auf Schmuggler auf Zügen und Schiffen achten sollen. Hierzu seien zwei Posten auf und zwei unter der Brücke eingesetzt worden. Generell habe sich dieser Dienst meist monoton gestaltet, ehe nach zwei Stunden der Posten gewechselt wurde und die Männer zwei Stunden frei hatten.438 Wenig ereignisreich soll meist auch der Wachdienst in der „Bank Polski“ verlaufen sein. Dort sollen die Männer des Bataillons 61 dafür verantwortlich gewesen sein, am Tage Ruhe und Sicherheit aufrechtzuerhalten und den Verkehr in der Schalterhalle zu überwachen. Nachts sei es Aufgabe der Wachposten gewesen, durch das leere Gebäude zu patrouillieren. Dabei seien die Männer von ihren Vorgesetzten „laufend kontrolliert“ worden, wozu auch Offiziere der Einheit erschienen. Insbesondere die Kontrollen durch Reserve-Leutnant Ackermann, der im Zivilberuf Maler und ein Musikliebhaber gewesen sei, habe dabei ein gewisses Maß an Abwechslung geboten. „Der singende Pinsel“,439 wie seine Männer ihn nannten, soll die Polizisten dazu aufgefordert haben, im Gebäude Lieder anzustimmen. Nur selten hätten sich im stationären Objektschutzdienst Besonderheiten ergeben. So erinnerte sich Nahlmann daran, dass er einmal an einem Geldtransport von 60 Millionen Złoty mitgewirkt habe. In einem anderen Fall sei er beim Bewachen der „Poniatowski-Brücke“ während der ab 22 Uhr geltenden Ausgangssperre auf deutsche Eisenbahner getroffen. Diese sollen „total betrunken

434 Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 165). Wenzel ging von ca. 25 Mann aus, die hierfür abgestellt wurden. 435 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 52r). Brunst ging von 15 solcher Posten aus. In ähnlicher Form vgl. Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 39r). 436 Zur Wachablösung, zum Streifendienst und dem polnischen Polizeirevier vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 19. 437 Ebd., S. 17. 438 Für den Brückendienst vgl. ebd. Für die Wachablösung nach zwei Stunden vgl. ebd., S. 18. 439 Ebd., S. 14. Die Bankwache wird auch sehr knapp erwähnt bei Lehnstaedt, Okkupation, S. 103.

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mit polnischen Mädchen in einer Droschke“440 über die Brücke gefahren sein, wobei sie den Kutscher gezwungen hätten, sie zu fahren. Erst unter Androhung des Schusswaffengebrauchs hätte die Brückenwache die Mitglieder der Reichsbahn anhalten können. Am gleichen Ort will Nahlmann auch beobachtet haben, wie eine Gruppe deutscher Polizisten mit einem „Überfallwagen“441 polnische Frauen jagte und bestahl. Die Frauen seien geschlagen worden, doch habe man nicht eingegriffen, da sich alles zu schnell ereignet habe. Bei den Streifendiensten der Dortmunder Polizisten hätten sich generell häufiger Zusammenstöße mit alkoholisierten Deutschen ereignet. So habe man etwa ein Mitglied der Zivilverwaltung aus einer Straßenbahn holen müssen, da er sowohl deutsche als auch polnische Fahrgäste belästigte. Als der Mann daraufhin die Polizisten bedrohte und begann handgreiflich zu werden, seien diese einfach weggegangen, da ihnen bewusst gewesen sei, dass „die deutschen Zivilverwaltungsbehörden in Warschau allmächtig waren und eine Beschwerde […] nur Unannehmlichkeiten“ bereitet hätte. Als „interessanteste Tätigkeit“442 beim Streifendienst beschrieb Nahlmann die Überprüfung der Ausgangssperre im Rotlichtviertel. Hier sei es häufig vorgekommen, dass reiche Deutsche, die „Warschau bei Nacht“ erleben wollten, die Ausgangsregelungen überhaupt nicht beachteten und gern die vorgesehenen Strafen zahlten. Teilweise sei es vorgekommen, dass den Polizisten „Lebemänner 100 oder mehr Złoty gaben oder gleich eine ganzen Strafblock kauften“.443 Aufgrund der Ausgangssperre mussten ab 22 Uhr „alle Vergnügungslokale schließen, nur die ‚Adria‘ nicht, weil es nur für deutsche Gäste bestimmt“ gewesen sei. In dem Lokal, das bis um ein Uhr nachts geöffnet bleiben durfte, habe „jeden Abend ein Polizeibeamter ab 10 Uhr“ Posten beziehen müssen, um „die polnische Geschäftsleitung und das polnische Bedienungspersonal sowie die auftretenden Künstler vor den Auswüchsen der Deutschen zu schützen“. Wie sehr dies nötig war, habe Nahlmann selbst als dortiger Wachposten erlebt. In der Mitte des Lokals habe es eine glatte Bühne in runder Form gegeben. Auf dieser Tanzfläche seien „die künstlerischen Darbietungen, die aus Nackttänzen bestanden“, erfolgt. Einmal habe der Bataillonsangehörige dort „einen total betrunkenen Flak-Leutnant herunter[holen]“ müssen, der „versuchte sich ebenfalls neben einem gerade tanzenden nackten Mädchen tänzerisch darzubieten“.444 Neben der Überwachung der Ausgangssperre und wichtiger städtischer Objekte erinnerten sich einige Männer des Bataillons 61 nach dem Krieg daran, „in der Schmuggelbekämpfung eingesetzt“445 worden zu sein. Die Polizisten hätten den Eindruck gehabt, dass „fast ganz Warschau nur vom Schmuggel und 440 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 18. Für den Geldtransport vgl. ebd., S. 14. 441 Ebd., S. 18. 442 Ebd., S. 21. 443 Ebd., S. 22. 444 Ebd. 445 Aussage Erich Sinn vom 8.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5882).

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Schwarzmarkt lebte“.446 Diesem Treiben sei aber kaum beizukommen gewesen. Zwar habe man etwa versucht, Schmuggler aus den in Warschau ankommenden Zügen abzufangen, die ortskundigen Gegenspieler der Polizisten seien jedoch nahezu immer in der verwinkelten Stadt entkommen. Deswegen wären die Polizisten dann schwerpunktmäßig auch eher auf den lokalen Märkten eingesetzt worden. Dort habe man „die feinsten Lebensmittel und besten Wodka kaufen“ können. Ebenfalls seien die Märkte „auch ein günstiger Umschlagplatz für die aus den Ghettos geschmuggelten Waren“447 gewesen. Die auf den Märkten durchgeführten zweistündigen Streifen seien die „beste Einnahme-Quelle für die Polizei“ gewesen. Da kaum ein Händler seine Waren korrekt deklariert habe, sei es den Polizisten möglich gewesen, nach ihrem eigenen „Ermessen 1,3,- 5,- oder noch mehr Złoty“448 an Strafen zu verhängen. Nahlmann war der Meinung, dass gerade wegen solcher Einnahmequellen der Schwarzmarkt „von den deutschen Behörden geduldet, wenn nicht sogar begünstigt“ wurde.449 Davon profitierten auch die Polizisten des Bataillons 61 erheblich. Die Händler hätten daran, ob die Polizisten ihren Helm oder nur ein Schiffchen trugen, erkennen können, ob diese im Dienst oder potenzielle Kunden waren. Die Bataillonsmitglieder hätten jedoch keinesfalls die immens hohen Schwarzmarktpreise gezahlt, sondern lediglich die amtlich vorgeschriebenen Preise. Da etwa der offizielle Preis für ein Kilogramm Schweinefleisch bei 3,5 Złoty gelegen habe, man aber auf dem Schwarzmarkt 100 Złoty hierfür verlangen konnte, seien die an Waren interessierten Polizisten geradezu gefürchtet worden. Sie konnten die Händler schnell ruinieren. Aus der Ausnutzung ihrer Machtposition gegenüber den Händlern habe auch resultiert, „warum so wenig von den Kompanieangehörigen an dem gemeinschaftlichen Mittagessen teilnahmen“.450 Die meisten Polizisten hätten sich stets Essen „aus der Stadt von ihren Wachen und Posten mitgebracht“.451 Diese Mühe machten sich die höheren Offiziere der Einheit laut Anton Sippel erst gar nicht. Wenn etwa der Chef der 1. Kompanie oder der Bataillonskommandeur „den Wunsch hatten, etwas Besonderes zu essen, und auf dem vor unserer Unterkunft befindlichen großen Platz Markt war“, habe man antreten müssen, um „das ‚Gewünschte‘ den Ausstellern auf dem Markt“ wegzunehmen.452 Auch wenn die Bataillonsangehörigen andere Dinge benötigten, eigneten sie sich diese einfach an. So stahlen etwa Männer der 1. Kompanie im 446 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 18. 447 Ebd., S. 18. Ebenso vgl. Mietek Ejchels Memoiren von 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 12). Für das Entkommen der Flüchtigen in der verwinkelten Stadt vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 21f. 448 Ebd., S. 20. 449 Ebd., S. 18. 450 Ebd., S. 20. Für die täglichen Rationen vgl. Schnellbrief betr.: Verpflegungs- und Rationssätze für die Polizei 9.5.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 308, unpag.); Portionssätze für Fleisch und Brot vom 14.1.1942 (APW 482 Nr. 7, Bl. 38 f.). 451 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 15. 452 Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 66).

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Januar 1942 aus einem polnischen Magazin Brennmaterialien für ihren Posten. Als sich darüber bei der Wache beschwert wurde, sollen die Polizisten den vorstelligen Polen nur rüde mitgeteilt haben, sie mögen sich „wegscheren“.453 Als eine damit befasste Beschwerde an den zuständigen Kompaniechef, Mehr, weitergeleitet wurde, teilte dieser nur mit, das Holz sei sicher von einem polnischen Polizisten entwendet worden und seine Männer seien unschuldig. Das ruppige Verhalten der Bataillonsangehörigen sei darüber hinaus in Ordnung gewesen, denn harte Formulierungen seien „einem aufdringlichem Polen gegenüber immer am Platze“.454 Im Kontakt mit der polnischen Bevölkerung gingen die Mitglieder des Bataillons 61 wie schon bei ihrem Einsatz 1939/40 nicht nur verbal rabiat um. Der Frau des Leiters der erwähnten Warschauer Bank etwa soll von einem Polizisten hart ins Gesicht geschlagen worden sein, nur weil sie kaum Deutsch verstanden habe. Auch trat in Warschau wie schon beim Einsatz 1939/40 erneut zum Vorschein, dass die Männer des Bataillons 61 entweder nicht Willens oder nicht in der Lage waren, zwischen der als „polnisch“ und der als „volksdeutsch“ kategorisierten Bevölkerung zu differenzieren. So habe etwa ein Bataillonsmitglied einen jungen „volksdeutschen“ Mann nach der Sperrstunde mit einem polnischen Mädchen erwischt. „Als der junge Mann sich bei Horbach entschuldigen wollte“,455 habe dieser dem jungen Mann ins Gesicht geschlagen. Weniger angesehene Teile der Bevölkerung wurden offenbar noch deutlich schärfer behandelt, auch wenn dies in den verfügbaren Quellen immer nur angedeutet wird. Exemplarisch führte etwa Nahlmann über den Umgang mit Prostituierten aus, die oftmals aufgrund ihrer „Geschäftszeit“ die Sperrstunde überschritten hätten: „Ach, war das ein Treiben. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Abschnitt Mitte und Abschnitt Süd hatten einen Streifenwagen zur Verfügung. Mit diesen Wagen wurde auf die Mädchen regelrecht Jagd gemacht.“456 Wenn sie verhaftet wurden, habe man sie, wie es Lorey schon für den Umgang des Bataillons 61 mit Prostituierten in Posen angedeutet hatte, auf einem Polizei­posten festgehalten, bevor man sie nach Zahlung einer Strafe von zehn Złoty entlassen habe. Was in der Zwischenzeit passierte, deutete Nahlmann nur an. Er hielt fest: „Viele, viele Unschuldige mussten sich unsere ‚Behandlung‘ gefallen lassen. Denn diese Mädchen wurden ja nicht mit Glacéhandschuhen angefasst.“457

453 Bericht des Asid-Serum Instituts Warschau vom 21.1.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2283, Bl. 271). 454 Schreiben der 1. Kompanie/61 vom 29.1.1942 (ebd., Bl. 272). 455 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 21. Für die Frau des Bankdirektors vgl. ebd., S. 14. 456 Ebd., S. 21. 457 Ebd. Für Loreys Ausführungen vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 4.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 53 f.).

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Wie schon während des ersten Einsatzes der Dortmunder Polizeieinheit im „Warthegau“, so waren auch 1942 einige Mitglieder des Bataillons 61 zur Ausbildung von Unterstützungskräften abgestellt. Während 1939/40 „Volksdeutsche“ polizeilich geschult wurden, seien nun einige Polizisten „als Ausbilder zu einer fremdvölkischen Einheit“458 außerhalb von Warschau abgestellt worden. Solche osteuropäischen Truppen bezeichneten die Polizisten oftmals als „Hiwis“,459 „Askaris“,460 „Letten“461 oder „Ukrainer“.462 Nachdem sich der Unteroffizier Janczak freiwillig gemeldet hatte, sei er „zusammen mit etwa 5 bis 6 Mann“ des Bataillons 61 zunächst offiziell „zur Dienststelle SS- und Polizeiführer Lublin versetzt“ worden.463 Unter den Entsandten sollen die Oberwachtmeister Fietz und Grimm sowie der Hauptwachtmeister Basner gewesen sein. Anschließend seien die Männer „im Juni 1942 von Warschau nach Trawniki“ gekommen. Im dortigen Ausbildungslager der SS hätten „sich etwa 1 000 Hilfswillige“ befunden, die in „etwa 8 Kompanien“464 eingeteilt waren. Während Basner als Chef einer dieser Einheiten eingesetzt worden sei, hätten die übrigen Polizisten Verwendung in Unterführerpositionen gefunden.465 Neben der Ausbildung der osteuropäischen „Hilfskräfte“ führten die abgestellten Polizisten mit diesen auch verschiedene Einsätze durch. So kehrten sie beispielsweise 1943 nach Warschau zurück. Nachdem dort die großen Deportationen abgeschlossen waren und das eigentliche Bataillon 61 schon längst in Russland eingesetzt wurde, sollen hier die Trawniki-Kräfte unterstützt durch Gendarmerie und Schutzpolizei den Auftrag ausgeführt haben, „versteckte Juden aufzuspüren und zum Sammelplatz zu bringen“.466 Insgesamt seien „etwa 2 000 Juden verladen“ worden. In diesem Zusammenhang wurde vom Polizisten Janczak nach dem Krieg in auffälliger Weise besonders betont, es sei niemals der Befehl ausgegeben worden, „kranke und gebrechliche Juden an

458 Aussage Johann Overkemping vom 26.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5866). In ähnlicher Form vgl. Aussage Ernst Brunst vom 5.4.1962 (ebd., Bl. 5841); Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (ebd., Bl. 5826). 459 Aussage Siegfried Nemitz vom 7.12.1971 (BA-L B 162 Nr. 19319, Bl. 1295). 460 Aussage Sam Henry Hoffenberg vom 3.11.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3868). 461 Aussage Ludwig Wilhelm Leist vom 12.6.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6214). 462 Aussage Michael Janczak vom 28.3.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 40, Bl. 18091). 463 Aussage Michael Janczak vom 2.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 11, Bl. 4778). 464 Ebd., Bl. 4782. Allgemein für die freiwilligen Männer des Bataillons 61 vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 9.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5851). Aussage Johann Overkemping vom 26.4.1962 (ebd., Bl. 5866) spricht von einem Freiwilligen mit dem Namen „Vietz“. Ebenso vgl. Aussage Ernst Brunst vom 5.4.1962 (ebd., Bl. 5841); Aussage Michael Janczak vom 2.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 11, Bl. 4778). 465 Vgl. ebd., Bl. 4783. Ein Hauptwachtmeister als Kompaniechef scheint ungewöhnlich, doch waren besonders herausgehobene Positionen von deutschen Akteuren in Einheiten mit „Hilfswilligen“ durchaus üblich. Grundsätzlich zu den auch als „Trawnikis“ bezeichneten Hilfswilligen vgl. Angelika Benz, Handlanger der SS. Die Rolle der Trawniki-Männer im Holocaust, Berlin 2015. 466 Aussage Michael Janczak vom 28.3.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 40, Bl. 18091).

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Ort und Stelle zu erschießen“.467 Dennoch seien vereinzelt Schüsse gefallen. Unter den Insassen des Ghettos hieß es hingegen, dass ein „Kommando von Tötungsspezialisten aus Lublin gekommen sei. Diese hausten fürchterlich im Ghetto. Wahllos wurden Menschen auf der Straße abgeknallt, verhaftet und verschleppt.“468 In jedem Fall wurden mindestens zwei ehemalige Unterführer des Bataillons 61 für ihren Einsatz in Warschau mit den Trawniki-Kräften für Auszeichnungen vorgeschlagen. Über die Polizisten Janczak und Fietz hieß es jeweils im typischen NS-Duktus, sie hätten „insbesondere bei den Warschauer Aktionen eine Haltung, die als vorbildlich anzusehen ist“,469 gezeigt. Der eigentliche Hauptauftrag der Dortmunder Polizeieinheit in Warschau 1942 war jedoch nicht die Ausbildung von „Hilfswilligen“ oder die verschiedenen Wach- und Kontrollaufgaben im weiteren Stadtgebiet. Vielmehr war die Tätigkeit der Polizisten von Beginn ihres Einsatzes an auf das Warschauer Ghetto konzentriert. Dieses war bereits im Oktober 1940 entstanden, als von den deutschen Besatzern angeordnet wurde, dass sich in einem Teil des inneren Stadtgebietes von Warschau alle ortsansässigen Personen anzusiedeln hätten, die als Juden betrachtet wurden. Gleichzeitig wurde befohlen, dass alle Polen, die nicht als jüdisch klassifiziert wurden, das Gebiet verlassen sollten. Zu den Insassen, die schon zuvor in dem designierten Ghettogebiet gelebt hatten, kamen knapp 140 000 Personen hinzu. Für die Benutzung der dortigen Wohnungen sollen die neuen Bewohner verpflichtet gewesen sein, Miete an die „arischen“ Besitzer zu zahlen.470 Insgesamt befanden sich mit gut 400 000 Menschen etwas weniger als ein Drittel der Warschauer Gesamtbevölkerung in einem nur rund drei Quadrat­ kilometer umfassenden Raum. Am 16. November 1940 erfolgte die offizielle Abrieglung des Ghettos. Weitere Insassen wurden in der Folgezeit dorthin deportiert. Hierzu zählten etwa Juden aus verschieden Orten des besetzten polnischen Staatsgebietes sowie Deutsche aus dem Reichsgebiet, die als Juden oder „Zigeuner“ kategorisiertet worden waren. Im März 1941 erreichte das Ghetto mit ca. 460 000 Menschen seine größte offizielle Insassenzahl. Unter der Be-

467 Ebd., Bl. 18089. Für andere Einsätze außerhalb Warschaus vgl. ebd., Bl. 18088. 468 Aussage Artur Mendryzcki vom 25.8.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 2, Bl. 813). 469 Stellungnahme zur Auszeichnung von Michael Janczak, o. D. [nach 18.6.1942] (ebd., Bl. 1161). 470 Zur Lage und dem Umfang des Ghettos vgl. Altstadt Karte Warschau mit Ghetto, o. D. (AŻIH 245 Nr. 124). Für einen Abdruck der „Anordnung über die Bildung eines jüdischen Wohnbezirks 2.10.1940“ vgl. Mitteilungsblatt für den jüdischen Wohnbezirk in Warschau Nr. 1 vom 1.2.1942 (AŻIH ARG I Nr. 182, Bl. 5). Zur verpflichtenden Übersiedlung in das Stadtgebiet bis zum 31.10.1940 vgl. Szymon Huberband, Studie „Ghetto und Exekutionen“ nach 12.1941 [und vor dem 18.8.1942] (AŻIH ARG I Nr. 583). Zit. nach der englischen Version in: Kiddush Huberband, Hashem (1987), S. 150. Zur Schließung des Ghettos am 20.11.1940 vgl. ebd. Für die Mietzahlungen vgl. Zeitzeugenbericht Anna Lewkowicz vom 12.7.1946 (AŻIH 301 Nr. 1558, Bl. 1).

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völkerung habe es jedoch Spekulationen gegeben, es könnte sich durch illegal ins Ghetto geflüchtete Menschen auch um 750 000 Bewohner gehandelt haben. Letztere Zahl macht, wenn sie auch zu hoch gegriffen ist, eine Wahrnehmung der Ghettoinsassen deutlich. Das Ghetto war zu jedem Zeitpunkt, auch weil es immer weiter verkleinert wurde, dramatisch überfüllt. Eine Statistik geht davon aus, dass Anfang 1942 ca. 135 000 Menschen pro Quadratkilometer im Ghetto der Stadt lebten.471 In verschiedener Form wurde die enorme Bevölkerungsdichte des Warschauer Ghettos von dessen Insassen während und nach dem Krieg hervorgehoben. Der Grundtenor war dabei stets gleich. Es „war kein Platz für all die“ Insassen und dadurch, dass das Ghetto in „Warschau so voll von Juden war, war das Elend bald unsagbar“.472 Beispielsweise hätten „vielleicht 100 Juden“ gemeinsam „ein altes zweistöckiges Haus“473 behausen müssen. Auch vonseiten der deutschen Besatzer sei durchaus erkannt worden, welch desaströse Situation sich entwickelte. So hieß es, die „Lebensbedingungen im Ghetto waren unerträglich schwer, sie wohnten zusammengepfercht“.474 Die Enge erschwerte dabei nicht nur das alltägliche Zusammenleben. Vielmehr war sie potenziell tödlich, denn sie führte „zu Schmutz und Krankheit“.475 „Es entstanden Seuchen“, an denen „20 000–30 000 Menschen“476 gestorben seien. Ansteckende Infektionskrankheiten breiteten sich rasant aus und blieben bis zum Ende des

471 Für die Bevölkerungsdichte des Warschauer Ghettos vgl. Der Jüdische Wohnbezirk in Warschau (Zahlen und Tatsachen) Warschau im Juni 1942 (AŻIH 221 Nr. 3, Bl.  2). Für die statistische Aufschlüsselung der Warschauer Ghettoinsassen nach Geschlecht, Alter, Berufen usw. vgl. ebd., Bl. 3. Auf 100 Männer kamen 134 Frauen. Altersmäßig waren 24 % der Insassen unter 15 Jahre alt, 68 % waren 15–59 Jahre alt und 8 % waren 60 Jahre und älter. Für das räumliche Schrumpfen des Ghettos ab 1941 vgl. Szymon Huberband, Studie „Ghetto und Exekutionen“ nach 12.1941 [und vor dem 18.8.1942] (AŻIH ARG I Nr. 583). Zit. nach der englischen Version in: Huberband, Kiddush Hashem (1987), S. 151. Für die genannte Insassenzahlen vgl. Zeitzeugenbericht Israel Wladimir Blumenfeldt (YVA O.33 Nr. 23). In: Jewish News: A Bulletin Issued Periodically From The Jewish Central Informa­tion Office. Number 3. Wiener Library Publications 20.2.1942 (WL 68 Nr. 1628, Bl. 11) ist sogar von 800 000 Insassen die Rede, während dort auch die offizielle Zahl von 400 000 Insassen bestätigt wird. Im Zweimonatsbericht des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für die Monate August und September 1942 vom 15.10.1942 (AŻIH 233 Nr. 111, Bl. 7) wird die Gesamtzahl von deutscher Seite auf 540 000 Insassen geschätzt. 472 Eyewitness account by Aron Bard, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1117, Bl. 1). Ebenso exemplarisch für die Enge im Ghetto vgl. Zeitzeugenbericht Israel Wladimir Blumenfeldt (YVA O.33 Nr. 23). 473 Aussage Airem Bard vom 27.8.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 23, Bl. 10237). 474 Aussage Kurt Rink vom 2.3.1948 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 56, Band 13, Bl. 15). 475 Anonymes Tagebuch vom 6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 521, Bl. 5). 476 Aussage Artur Mendryzcki, 25.8.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 2, Bl. 809). Er nennt jedoch auch den Hunger als Grund. Vgl. dazu auch den Abschnitt weiter unten in diesem Kapitel.

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Ghettos ein virulentes Problem. Weder gab es ausreichend Medikamente noch annähernd genug medizinische Einrichtungen und Personal zur Therapie der Erkrankten.477 Deutsche Maßnahmen blieben neben der Abriegelung des Stadtbezirks vor allem auf die Anordnung beschränkt, verstärkt Müll im Ghetto zu beseitigen. Dies hatte jedoch kaum eine effektive Wirkung. Auch Quarantäneregelungen konnten Krankheiten nicht eindämmen, sondern bedeuteten nur zusätzliche Gefahren für die Angehörigen von Erkrankten. Wenn eine ansteckende Seuche in einer Hausgemeinschaft ausbrach, kamen die Kranken nach Möglichkeit in ein Krankenhaus und die restlichen Anwohner brachte man für zwei Wochen unversorgt in Quarantäne, wo sie für gewöhnlich verhungerten. Der ostdeutsche Beobachter Friedrich Karl Kaul bemerkte in seinem internen Bericht über den Hamburger Prozess gegen den ehemaligen Chef der Warschauer Sicherheitspolizei, dass der Eindruck bestehe, die Deutschen hätten Epidemien regelrecht als Waffe eingesetzt, um die Bevölkerung zu dezimieren.478 Die Verbreitung von Krankheiten wurde auch dadurch signifikant befördert, dass den Insassen nicht einmal das minimal nötige Maß an Nahrung und sonstigen Versorgungsgütern zugestanden wurde. Selbst „für Geld konnte man z. B. kein Brot kaufen, man bekam ein winziges Stück ungenießbares Brot für die Woche zugewiesen“. Die Insassen hätten „eine Art Korn, aus dem [man] einen dicken Brei“ kochte, gegessen sowie „auch manchmal Pferdeblut und

477 Vgl. Zusammenfassung für die deutschen Behörden über das Krankenhaus Cyste bezüglich Typhusepidemien, o. D. (AŻIH 221 Nr. 42, Bl. 1–3). Der Text enthält die eindeutige Warnung, dass die Massenansiedlung Epidemien bewirken werde. Insbesondere würden sich Wohnverhältnisse und Hygienesituation im Ghetto kata­strophal auswirken. Meist wird weder in den Quellen noch der geschichtswissenschaftlichen Literatur zwischen Typhus und Fleckfieber differenziert. Die Erkrankungen sind jedoch nicht identisch. Für die Krankheitsbilder vgl. Jürgen Lohmeyer, Systeminfektionen. In: Wolfgang Kiehl/Norbert Mielke/Martin Suttorp/Burghard Stück (Hg.), Infektionskrankheiten. Verstehen, erkennen, behandeln, Stuttgart 2004, S. 454–507, hier 485 f. 478 Dies war jedoch auch für die Besatzungsmacht durchaus riskant. Für den Fall eines Übergreifens der Epidemie hätten die Deutschen 1942 kaum über passende Medi­ kamente im Verkehrsknotenpunkt Warschau verfügt. Die von Gerhard Domagk entwickelten Sulfonamide waren nur begrenzt verfügbar und Zugang zu Penicillin besaß das Deutsche Reich durch die Kriegssituation nicht. Für Kauls Einschätzung vgl. Berichte des durch die DDR entsandten Beobachter Prof. Dr. Kaul (BStU MfS HA IX/11 RHE V 17/65 Band 8, Bl. 419). Für den nicht unproblematischen Kaul, der u. a. später die Kooperation von Terroristen der Roten Armee Fraktion mit der DDR-Staatssicherheit organisierte, vgl. Annette Rosskopf, Zum Leben und Wirken des Rechtsanwalts Friedrich Karl Kaul (1906–1981). In: Bästlein/Rosskopf/Werkentin (Hg.), Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte der DDR, S. 4–33. Für die Auswirkung der Quarantäne vgl. Mietek Ejchels Memoiren von 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 7). Für die Maßnahmen zur Müllbeseitigung vgl. Bericht des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für den Monat März 1942 vom 13.4.1942 (AŻIH 233 Nr. 111, Bl. 6).

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Pferde­f leisch“.479 Wie verzweifelt die Lage war, zeigte sich auch daran, dass die Ghettoinsassen „eine gemeinsame Jagd auf Hunde, Katzen und sogar Ratten“ organisiert haben sollen. Es hieß, diese „vierbeinigen Tiere werden gefangen, erschlagen und zum gemeinsamen Gebrauch gekocht. Man sagt sogar, dass diese Art von Ware weiterverkauft würde.“480 Hanna Birnfeld schilderte nach dem Krieg, dass ihre Familienmitglieder anfangs Glück hatten: Sie „bekamen oft Lebensmittelpakete, die […] eine amerikanische Nichte via Portugal schickte“. Außerdem habe man oft Pakete erhalten, „die eine arische Freundin, die mit ihrem Wagen ins Ghetto kommen konnte“ auslieferte.481 Birnfeld machte dabei klar, dass weniger privilegierte Personen, „die keine Freunde oder Verwandte hatten, verhungerten“.482 Jedoch endeten auch die beschriebenen Optionen, Unterstützung zu erhalten, relativ bald, als das Ghetto immer schärfer abgeschirmt wurde. So hielt Ludwig Bronislaw Borkowski passend fest: „Als der Krieg mit den Russen anfing, wurde die Lage der Juden noch schlimmer.“483 Als schließlich das Deutsche Reich den USA den Krieg erklärte, wurden auch dem American Jewish Joint Distribution Committee (JDC) weitere Hilfeleistungen unmöglich.484 Der Schmuggel blieb trotz Lebensgefahr für die Ausführenden die einzige Option, das Ghetto zu versorgen. Es handelte sich jedoch um einen sinnbildlichen Tropfen auf einen heißen Stein. Menschen waren gezwungen, im Unrat nach Nahrung zu wühlen. Wie desaströs die Lage im Ghetto gewesen sein muss, zeigt dabei nicht zuletzt ein Fall, der im Februar 1942 dokumentiert wurde. Eine Mutter begann den Leichnam ihres gerade verstorbenen Kindes zu verzehren. Auch war es „eine tägliche Erscheinung im Ghetto, dass man morgens auf den Straßen Tote liegen sah. Das waren Leute, die zum Teil an Entkräftung oder Krankheit oder Kälte gestorben waren, aber auch Leute, die man gewaltsam getötet hatte.“ Generell galt: „Menschen starben vor Hunger und Elend wie die

479 Eyewitness account by Ludwig Bronislaw Borkowski, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1100, Bl. 3). Für das Verhungern der Menschen und den Mangel an Brenn­material im Winter vgl. Mietek Ejchels Memoiren von 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 5). Für die hohen Preise von Nahrung im Ghetto vgl. ebd., Bl. 8. Ebenso für den Nahrungsmangel vgl. Report „Die Hölle der polnischen Juden unter der deutschen Besatzung“ vom 6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 45, Bl. 11). Für die wenigen zugeteilten Lebensmittelkarten mit minimaler Kalorienversorgung vgl. Lebensmittelkarte für Juden im General Gouvernement (AŻIH 221 Nr. 36, unpag.). 480 Bericht „Varshe, an ekskursie tsu yidn velkhe dernern zikh mit hint, kets un shtshures“ [Warschau, eine Exkursion zu Juden, die sich von Hunden Katzen und Ratten ernähren] nach 4.7.1941 (AŻIH ARG I Nr. 499, Bl. 3). 481 Eyewitness account by Hanna Birnfeld, o. D. [ca. 1957] (WL P.III.H. Nr. 531, Bl. 2). 482 Ebd., Bl. 3. 483 Eyewitness account by Ludwig Bronislaw Borkowski, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1100, Bl. 3). 484 Für das Ende der Unterstützung durch das JDC vgl. Zeitzeugenbericht Israel Wladimir Blumenfeldt (YVA O.33 Nr. 23).

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Fliegen.“485 Nach Todesfällen seien die Leichen auf der Straße liegen geblieben und erst „am nächsten Morgen von den Leichentransportwagen der Firma Pinkert zum Friedhof gebracht“ worden.486 Teilweise sollen so viele Menschen gestorben sein, dass die Leichenwagen mit der Beseitigung der sterblichen Überreste nicht mehr nachkamen. So wurde etwa allein für den März 1942 vom Judenrat dokumentiert, dass es 4 951 Begräbnisse gegeben habe.487 Vor dem Hintergrund solcher Zustände verwundert es kaum, dass das zwangsweise Wohngebiet als die „Hölle der polnischen Juden unter der deutschen Besatzung“488 bezeichnet wurde. „Die Schaffung einer Existenz in Warschau war einfach unmöglich.“489 Unter den Kindern des Ghettos soll sogar die Angst bestanden haben, zu Seife verarbeitet zu werden. Auch vonseiten der deutschen Besatzer wurde eingestanden, dass die Lage im Ghetto etwa „vom Ende des Jahres 1941 an besonders schlimm“ wurde.490 Was in Warschau geschah, war dabei kein Geheimnis. So lässt sich beispielsweise in der „Neuen Züricher Zeitung“ vom 28. Dezember 1942 ein Artikel finden, der alle Eigenheiten des Ghettos wie Seuchen, Hunger, Gewalt, Deportationen und die zahlreichen Todesfälle bereits klar benennt. Schon zuvor hatte Anfang 1942 die Zeitschrift des Jewish Central Information Office geurteilt, das Warschauer Ghetto sei die praktische Umsetzung der nationalsozialistischen Rassentheorie. Im gleichen Medium urteilte man wenig später, die Insassen des

485 Eyewitness account by Aron Bard, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1117, Bl. 1). Vgl. in ähnlicher Form Zeitzeugenbericht Jurek Erner (AŻIH 301 Nr. 259, Bl. 6). Für den Kannibalismus vgl. Bericht „Kanibalizm-fal oyf Krokhmalne 13“ [Ein Kannibalismusfall in der Krochmalna 13] nach 19.2.1942 (AŻIH ARG I Nr. 511a, Bl. 2 und 5). Ebenso zum vermutlich gleichen Fall von Kannibalismus vgl. Bericht des Gruppenführers des jüdischen Ordnungsdiensts D. Szwizgold nach 19.2.1942 (AŻIH ARG I Nr. 511b). Ebenso für seltene Kannibalismusfälle vgl. Aussage Marcel Reich-Ranicki vom 5.10.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2259, Bl. 14). Für das Ende der Unterstützung der Ghettoinsassen durch den JDC vgl. Zeitzeugenbericht Israel Wladimir Blumenfeldt (YVA O.33 Nr. 23). 486 Aussage Sam Henry Hoffenberg vom 3.11.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3865). 487 Vgl. 63. Bericht des Obmanns des Judenrates in Warschau für den Monat März 1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2284, Bl. 10). Auch in den übrigen Monaten lagen die Zahlen stets zwischen 3 100 und 4 700 Todesfällen. Für die Todeszahlen lassen sich verschiedenste Statistiken heranziehen. Exemplarisch für den Einsatzzeitraum des Bataillons 61 vgl. die verschiedenen Berichte des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für die Monate Januar bis September in: AŻIH 233 Nr. 111. Vgl. auch die verschiedenen monatlichen Berichte des Obmanns des Judenrates in Warschau für das Jahr 1942. Als vollständige Kopie enthalten in: LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2284. Für die überforderten Bestatter vgl. Mietek Ejchels Memoiren von 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 6). 488 Report „Die Hölle der polnischen Juden unter der deutschen Besatzung“ vom 6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 45, Bl. 1). 489 Aussage Artur Mendryzcki vom 25.8.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 2, Bl. 808). 490 Aussage Gerhard Stabenow vom 1.7.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 165). Zur Angst zu Seife verarbeitet zu werden vgl. Zeitzeugenbericht Ryszard Weidmann vom 31.10.1945 (AŻIH 301 Nr. 1116, Bl. 1).

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Ghettos würden schlimmer als die ohnehin schon schlecht gestellten Kriegsgefangenen behandelt. Den Menschen im Ghetto habe man jedes Menschenrecht und jede Möglichkeit der Kommunikation mit der Außenwelt genommen.491 Geradezu als surreale Gegenwelt zum Elend des Ghettos bestanden dort aber auch extrem seltene, schöne und geradezu angenehme Orte. Diese standen aber nicht jedem Insassen offen. Miriam Eisenberg schilderte nach dem Krieg ihre Arbeit in einem Garten hinter der Kirche der Geburt der heiligen Jungfrau Maria in der Lezno-Straße, wo sich die Elite der jüdischen Gemeinde getroffen habe. Eisenberg beschrieb, dass es dort „grün, voller Blumen und Frieden“ gewesen sei. Die dortige Atmosphäre habe sich so sehr von der Realität auf den Straßen unterschieden, „dass es abstoßend war“.492 Abgeschirmt wurde die Warschauer „Hölle“493 mithilfe einer Mauer, die den „jüdischen Wohnbezirk“ vom „arischen“ Teil der Stadt trennen sollte und von den Insassen selbst bezahlt werden musste. Bereits im Sommer 1940 sei beobachtet worden, dass in der Marszałkowska-Straße mit dem Bau einer festen Begrenzung begonnen wurde. Man habe „die Mauer täglich wachsen“ sehen.494 Um die ca. vier Meter hohe Mauer schwerer überwindbar zu machen, seien auf ihr Glasscherben angebracht worden. Generell handelte es sich bei der Ghettobegrenzung aber keinesfalls um eine durchgängige Mauer. In der maßgeblichen Handreichung der deutschen Ghettowachen hieß es: „Die Grenzen des jüdischen Wohnbezirkes verlaufen fast überall auf der Straßenmitte parallel zu den Häuserfronten und zwar so, dass die Straßen zu beiden Seiten der Grenzen

491 Für Warschau als praktische Umsetzung der NS-Rassentheorie vgl. Jewish News: A Bulletin Issued Periodically From The Jewish Central Information Office. Number 3. Wiener Library Publications vom 20.2.1942 (WL Nr. 1628, Bl. 12). Für die Behandlung der Juden, schlechter als Kriegsgefangene, vgl. Jewish News: A Bulletin Issued Periodically From The Jewish Central Information Office. Number 6. Wiener Library Publications vom 28.4.1942 (ebd., Bl. 33). Die behauptete, völlige Abschirmung von Nachrichten ist nicht korrekt. Jedoch war die Kommunikation mit der Außenwelt erschwert. Für den Schweizer Zeitungsartikel vgl. o. V., Das Warschauer Ghetto. In: Neue Züricher Zeitung vom 28.12.1942. 492 Zeitzeugenbericht Miriam Eisenberg (geb. Silberzweig Sarnecki) (YVA O.3 Nr. 2196). Für weitere Orte im Ghetto, die als relativ angenehm angesehen wurden, insbesondere im wohlhabenderen kleinen Ghetto, vgl. Andrea Löw/Markus Roth, Das Warschauer Getto. Alltag und Widerstand im Angesicht der Vernichtung, München 2013, S. 96. Ferner vgl. Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 654. 493 Report „Die Hölle der polnischen Juden unter der deutschen Besatzung“ vom 6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 45, Bl. 1). 494 Eyewitness account by Aron Bard, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1117, Bl. 1). Für den Beginn des Mauerbaus im Sommer 1940 vgl. Szymon Huberband, Studie „Ghetto und Exekutionen“ nach 12.1941 [und vor dem 18.8.1942] (AŻIH ARG I Nr. 583). Zit. nach der englischen Version in: Huberband, Kiddush Hashem (1987), S. 150. Für das Finanzieren der Mauer durch die Ghettoinsassen, wobei auch die anfänglichen Grenzen des Ghettos geregelt wurden, vgl. Schreiben an den Obmann des Judenrats betr.: Bau der Ghettogrenzen vom 7.11.1941 (AŻIH 233 Nr. 108, Bl. 41). Für verschiedene Rechnungen über den Bau der Ghettomauer vgl. auch APW 482 Nr. 23.

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befahrbar sind. Am nördlichen Teil des Ghettos wird die Grenze von einer Ziegelmauer gebildet, während der südliche Teil (südlich der Eisengrubenstraße) größtenteils von einem Stacheldrahtzaun begrenzt wird.“495 Solche schnell zu errichtenden Begrenzungen waren schon deshalb notwendig, da sich der Zuschnitt des Ghettos mehrfach veränderte. „Nach und nach wurden die Grenzen des Ghettos enger und enger gemacht, die Wohnungsbedingungen wurden immer schlimmer.“496 Auch versuchten die deutschen Behörden, die Grenzen des Ghettos zu begradigen, um es so besser kontrollierbar zu machen. Gleiches galt auch für die 1942 reduzierte, aber immer noch große Zahl an Zugängen und Toren zum Ghetto. Die Lezno-Straße teilte schließlich das abgesperrte Gebiet in zwei Hälften. „Es gab in Warschau zwei Ghettos, ein kleines, moderneres, in dem reichere Juden wohnten […] und ein großes armseliges Ghetto, das vom anderen durch eine Art von Torbogen getrennt war.“497 Auch wenn die Deutschen versuchten, Lücken in der Ghettobegrenzung zu

495 Kurze Instruktionen für die Posten der Ghettowachen in Warschau, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 245). Obwohl dieses Dokument durch westdeutsche Ermittler im ŻIH kopiert wurde, liegt das Originaldokument heute im Warschauer Staatsarchiv. Vgl. Kurze Instruktionen für die Posten der Ghettowachen in Warschau, o. D. (APW 482 Nr. 131, Bl. 2–5) .Wie die Unterlagen dorthin gelangt sind, ist nicht mehr nachvollziehbar. In: LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2297, Bl. 60–64, ist zusätzlich auch eine Kopie der Anweisungen aus dem AIPN zu finden. Für die Situation an der Ghettogrenze vgl. auch die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 286. Für die Glasscherben auf der Mauer vgl. Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 104). Für die Höhe der Mauer vgl. Zeitzeugenbericht Israel Wladimir Blumenfeldt (YVA O.33 Nr. 23); Aussage Artur Mendryzcki vom 25.8.1960 (StAHH 21312-70 Nr. 2, Bl. 808). Für die genaue Gestaltung der Stacheldrahtzäune vgl. Schreiben der Draht- und Eisenwarenfabrik Smoleński betr.: Stacheldraht vom 17.9.1941 (APW 482 Nr. 24, Bl. 16). Ebenso für den Stacheldrahtzaun vgl. Aussage Sam German vom 9.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 7, Bl. 3514). 496 Eyewitness account by Aron Bard, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1117, Bl. 2). Für die deutsche Perspektive vgl. Niederschrift über die Besprechung beim SS- und Polizeiführer am 24.2.1942 betr.: Ghettomauer vom 26.2.1942 (APW 482 Nr. 22, Bl. 127). 497 Eyewitness account by Hanna Birnfeld, o. D. [ca. 1957] (WL P.III.H. Nr. 531, Bl.  2). Ebenso vgl. Zeitzeugenbericht Israel Wladimir Blumenfeldt (YVA O.33 Nr. 23). Vgl. auch die Fotografien GFH 1/06745p und GFH 68/07470P. Für die verschiedenen, stetig veränderten Ghettozugänge vgl. die verschiedenen Ausgaben der „Gazetta Zydowska“, über die die Ghettoeingänge den Insassen mitgeteilt wurden. In Teilkopie enthalten in: LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2263, Bl. 51–55. Für die Diskussion der Veränderung der Zugänge vgl. Niederschrift über die Besprechung beim SS- und Polizeiführer am 24.2.1942 vom 26.2.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 266). Sowie die maßgebliche Dienstanweisung für die Wachen des Ghettos, in der ebenfalls eine Erläuterung der Grenzen enthalten ist: Kurze Instruktionen für die Posten der Ghettowachen in Warschau, o. D. (ebd., Bl. 245). Für die Grenzen des Ghettos mit genauen Angaben von Straßennamen vgl. Mitteilungsblatt für den jüdischen Wohnbezirk in Warschau Nr. 1 vom 1.2.1942 (AŻIH ARG I Nr. 182, Bl. 2).

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schließen und sogar mit der Exekution von Anwohnern drohten, wenn Löcher nicht verschlossen wurden, blieben diese inoffiziellen Durchlässe doch stets Teil der Ghettogrenze.498 Das Chaos und Elend des Ghettos wurde nicht nur durch die Ghettobegrenzung vom restlichen Warschau abgeschirmt, sondern auch von Überwachungskräfte. Die Aussage des Ghettoinsassen Sam Henry Hoffenberg macht klar, dass hierfür die „deutsche Polizei“ verantwortlich war. Auf Nachfrage des Ermittlers: „War es SS?“, konkretisierte er: „Nein, es war Ordnungspolizei.“499 Auch seitens der deutschen Besatzer wurde nach dem Krieg zu Protokoll gegeben, der „Kommandeur der Ordnungspolizei in Warschau“ habe „ein Kommando abgestellt, das die Aufgabe hatte, das Ghetto in Warschau von außen zu bewachen“.500 „Die Bewachung des Ghettos besorgte von Anfang an deutsche Polizei, von der einige Einheiten in Warschau stationiert waren.“501 Anfang 1942 wurde dies die Hauptaufgabe des Bataillons 61. Hierbei wurde die Überwachung des Gebietes aber nicht ausschließlich von Dortmunder Polizisten geleistet. „An den Ghetto-Eingängen machten außerdem polnische Polizisten Dienst und Angehörige des jüdischen Ordnungsdienstes.“502 Schon wenige Tage nach der Schließung des Ghettos sei klar geworden, „dass die jüdischen Polizisten eine Hilfsrolle für die deutschen Gendarmen spielen sollten. Sie standen mit diesen auf Posten und fungierten u. a. als Übersetzer auch für die polnischen Polizisten, die dort ebenfalls Dienst taten. Die meisten jüdischen Polizisten konnten zumindest etwas Deutsch.“503 Daneben waren die Männer des jüdischen Ordnungsdiensts aber vor allem, neben den relativ geringen Kräften der deutschen Sicherheitspolizei, für die Kontrolle des Ghettoinneren verantwortlich. Hierzu sollen sich 2 000 Mitglieder des jüdischen Ordnungsdienstes auf insgesamt sechs Revieren innerhalb des abgesperrten Stadtgebietes befunden haben. Bezahlt wurden diese Männer dabei kaum. Wenn überhaupt

498 Exemplarisch für solche Drohungen vgl. Tagebuchfragment Abraham Lewin 15.5.– 5.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 431, Bl. 68). Für das durchgängige Fortbestehen von Lücken und Löchern in der Mauer vgl. ebd., Bl. 25. 499 Aussage Sam Henry Hoffenberg vom 3.11.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3864). 500 Aussage Hermann Höfele vom 21.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 7, Bl. 3475). 501 Aussage Max Georg Bischof vom 28.1.1963 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2261, Bl. 6). 502 Aussage Walter Frieling vom 3.6.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 130). Vgl. auch GFH Foto 15/07464P. 503 Zeitzeugenbericht Stanislaw Gombinski alias Jan Mawult (YVA O.33 Nr. 2010). Ferner vgl. Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 199. Für die Dolmetscher­tätigkeit vgl. Aussage David Landau vom 19.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 11, Bl. 4857 f.). Für die grundlegende Aufgabenzuschreibung des Ordnungsdienstes vgl. Organisationsvorschriften für den jüdischen Ordnungsdienst, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 233–239). Für den Ordnungsdienst allgemein vgl. Katarzyna Person, Policjanci. Wizerunek Żydowskiej Służby Porządkowej w getcie warszawskim, Warschau 2018; Aldona Podolska, Służba Porządkowa w getcie warszawskim w latach 1940–1943, Warschau 1996.

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sei eine Besoldung nur unregelmäßig erfolgt und habe sich dann nur auf 50 bis 80 Złoty pro Monat erstreckt.504 Deutlich besser gestellt sei hingegen die polnische Polizei gewesen, die aufgrund ihrer Uniformen auch als „blaue Polizei“ bezeichnet wurde. Deren Mitglieder hätten immerhin 300 Złoty im Monat erhalten, was jedoch immer noch so wenig gewesen sei, dass man sie damit geradezu in die Bestechlichkeit trieb. Bereits vor der Errichtung des Ghettos hätten „böse Polen“505 und insbesondere deren „blaue Polizei“ dazu beigetragen, Juden in Warschau zu erkennen und festzusetzen. Die Deutschen allein seien nicht in der Lage gewesen, Juden zu identifizieren. Am Ghetto unterstützte die polnische Polizei die deutsche Ordnungspolizei in der äußeren Bewachung der Ghettomauer. Hierbei sollen die polnischen Kräfte eine Kopfprämie für bei Flucht oder Schmuggel festgesetzte Ghettoinsassen erhalten haben. Eine besondere Gefahr ging dabei auch deshalb von der „blauen Polizei“ aus, da sie anders als Mitglieder des jüdischen Ordnungsdienstes auch Schusswaffen getragen haben sollen, von denen sie auch durchaus Gebrauch gemacht hätten.506 Eine weitere Akteursgruppe, die u. a. das Bataillons 61 mit Beginn der großen Deportationswelle im Sommer 1942 unterstützte, waren auch die im SS-Zwangsarbeitslager Trawniki ausgebildeten osteuropäischen Hilfstruppen. Von den Ghettoinsassen wurde beobachtet, dass sich ab dem Sommer „auf der Straße fremdvölkische Hilfstruppen, Ukrainer, Letten und Litauer“ befunden

504 Vgl. Bericht „Neuigkeiten, gesammelt in einem Gespräch mit einem Funktionär des Ordnungsdienstes“ vom 2.5.1942 (AŻIH ARG I Nr. 413, Bl. 5). Für die Anzahl an OD-Männern sowie für die sechs Reviere vgl. Der Jüdische Wohnbezirk in Warschau (Zahlen und Tatsachen) Juni 1942 (AŻIH 221 Nr. 3, Bl. 7). Für die Auflistung der Wachposten des Ordnungsdienstes an den Toren und im Ghetto vgl. Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 217 für die permanenten und S. 218 für die temporären Posten. 505 Mietek Ejchels Memoiren von 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 1). 506 Exemplarisch für den angeblichen Schusswaffengebrauch der „blauen Polizei“ an der Ecke Wielka- und Pańska-Straße vgl. Tagebuchfragment Daniel Fligelman 28.5.– 22.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 411, Bl. 6). Pohl führt jedoch an, eine Bewaffnung mit Gummiknüppeln sei bei der polnischen Polizei eher die Regel gewesen. Vgl. Dieter Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941–1944. Organisation und Durchführung eines staatlichen Massenverbrechens, 2. Auflage, München 1997, S. 278. Für den Wachdienst der „blauen Polizei“ an der Mauer vgl. Zeitzeugenbericht Jakub Michlewicz, o. D. (AŻIH 301 Nr. 1800, Bl. 2). Zur Bezahlung der „blauen Polizei“ vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 21. Allgemein zur „blauen Polizei“ vgl. Adam Hempel, Pogrobowcy klęski. Rzecz o policji „granatowej“ w Generalnym Gubernatorstwie 1939–1945, Warschau 1990; ders., Policja granatowa w okupacyjnym systemie administracyjnym Generalnego Gubernatorstwa 1939–1945, Warschau 1987; Jan Grabowski, Hunt for the Jews. Betrayal and murder in German-occupied Poland, Bloomington/Indiana 2013, S. 101–120.

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hätten, die „unter der Führung deutscher SS-Leute“ standen.507 In der Kooperation mit dem Bataillon 61 übernahmen die osteuropäischen Hilfstruppen vor allem jenen Teil der täglichen Aufgaben, die man deutschen Polizisten nicht dauerhaft zumuten wollte. Sicherlich übten die „Hilfswilligen“ dabei auch aus eigenem Antrieb Gewalt aus. So schilderte etwa die Ghettoinsassin Ada Rems kurz nach dem Krieg, die „Ukrainer“508 hätten gestohlen und Menschen verprügelt. Deren Darstellung als Verkörperung des „Bösen“, vor allem in den Narrativen deutscher Akteure, scheint jedoch in Anbetracht deren eigener Gewalttätigkeit meist als überzogen. Der ehemalige KdO Warschau führte beispielsweise noch 1963 über die Warschauer „Hilfswilligen“ stereotyp aus: „Es war ein übler Sauhaufen.“509 Dass es sich hierbei vor allem um ein mentales Abwälzen eigener Schuld handelte, wie es auch Mitglieder des Bataillons 61 im und nach dem Krieg betrieben, war so offensichtlich, dass selbst die Ghettoinsassen dies wahrnahmen. Arnold Apfelfeld urteilte pointiert über seine Bewacher: „Um sich von der Last ihrer Schande zu befreien, hätte man die Verantwortung auf die Ukrainer abgewälzt, in dem man behauptet hätte, die Verbrechen wären von Ukrainern ohne deutsche Mitwirkung ausgeführt worden.“510 Die Führung für die äußere Bewachung des Ghettos und auch bei zahlreichen Tötungsaktionen, an denen auch „Hilfswillige“ teilnahmen, lag jedoch stets bei Einheiten wie dem Bataillon 61.511

507 Aussage Mordacha Markusfeld vom 18.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3681). Ebenso für den Beginn des Auftretens von Hilfstruppen im Sommer 1942 vgl. Zeitzeugenbericht Israel Wladimir Blumenfeldt (YVA O.33 Nr. 23). Diese, von deutscher Seite euphemistisch als „Hilfswillige“ bezeichneten Akteure, bewegten sich in einem Spannungsfeld von Zwang und Freiwilligkeit, das in der bisherigen Geschichtsforschung noch nicht bearbeitet wurde. Die osteuropäischen „Hilfswilligen“ und „Trawnikis“ hatten die Wahl, sich Himmlers SS-Apparat anzudienen oder weiterhin Kriegsgefangene der Wehrmacht mit einer Überlebenschance von gut 50 % zu bleiben. Zu den SS-Hilfstruppen vgl. Sergei Kudryashov, Ordinary Collaborators. The Case of the Travniki Guards. In: Ljubica Erickson/John Erickson (Hg.), Russia. War, peace and diplomacy. Essays in honour of John Erickson, London 2005, S. 226–239; Mark Edele, Stalin’s Defectors. How Red Army Soldiers became Hitler’s Collaborators, 1941–1945, Oxford 2017; Christopher Hale, Hitler’s foreign executioners. Europe’s dirty secret, London 2011. 508 Zeitzeugenbericht Ada Rems vom 21.11.1945 (AŻIH 301 Nr. 1221, Bl. 1). Andere Personen, z. B. aus dem Bataillon 61, sprachen auch von „Letten“. Vgl. Aussage Walter Frieling vom 3.6.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 133). Für die Unterstützung der Polizei durch „Hilfswillige“ bei der Ghettoräumung vgl. Eyewitness account by Ludwig Bronislaw Borkowski, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1100, Bl. 3). Für die von Himmler erkannte Problematik psychisch belastender Tätigkeiten vgl. Geheimer SS-Befehl an alle Höheren SS- und Polizeiführer, SS- und Polizeiführer sowie zur Verteilung an alle Dienststellen im Osten vom 12.12.1941 (LVVA P 83-1 Nr. 80, Bl. 5). 509 Aussage Joachim Petsch vom 21.3.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 20, Bl. 8996). 510 Zeitzeugenbericht Arnold Apfelfeld, o. D. (AŻIH 301 Nr. 4855, Bl. 1). Für ein Beispiel des Abwälzens von Schuld auf „Hilfswillige“ vgl. Aussage Oskar Wahl vom 2.4.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 3). 511 Vgl. Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 72).

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Für die Mitglieder der Polizeieinheit bedingten die desaströsen Verhältnisse im Ghetto, wie sie dessen Insassen wahrnahmen. Dabei vermengten sich die neuen Eindrücke der Polizisten sicherlich auch mit schon vor der Kommandierung nach Warschau bestehenden Vorurteilen. In der Zusammenschau der zahlreichen Verhöre der Nachkriegszeit und weiterer Überlieferungen lässt sich erkennen, dass die überwiegende Mehrheit der Männer der Dortmunder Polizeieinheit die Ghettoinsassen sowie deren Lebensumstände stereotyp negativ ansah und so sehr verachtete, dass dies nicht einmal in strafrechtlich relevanten Aussagen ganz ausgeklammert werden konnte. Gerhard Stabenow, der 1942 beim Warschauer SD eingesetzt war, brachte eine solche Sichtweise exemplarisch auf den Punkt, wenn er berichtete, es habe die „Tendenz“ bestanden, das „als minderwertig betrachtete Judentum“512 sich selbst zu überlassen. Noch deutlicher sprach es Ludwig Junker aus dem Bataillon 61 aus: „Man sah die Juden als eine Art Insekten an, deren Vernichtung wünschenswert war.“513 Insgesamt betrachteten die Männer der Dortmunder Polizeieinheit das Ghetto als einen chaotisch überfüllten, verdreckten und verseuchten Raum, in dem geltende moralische und juristische Normen nur noch begrenzt Gültigkeit besaßen. Entsprechend sah man auch die Ghettoinsassen an. Sie hätten „sehr verhungert“ ausgesehen, „hatten wenig Kleidung an und machten einen heruntergekommenen Eindruck“.514 Man betrachtete sie u. a. wegen der ihnen zugeschriebenen Rolle als potenzielle Krankheitsüberträger sowie der omnipräsenten Alltagskriminalität als gefährliche Gestalten. Der zum Überleben notwendige Schmuggel erweckte schließlich den Eindruck einer deutlichen Kriminalitätsaffinität der zwangsweisen Ghettobevölkerung. Dass die negativen Umstände und charakterlichen Zuschreibungen der Insassen aus dem Stau an Problemen resultierten, die die deutschen Besatzer selbst geschaffen hatten, konnten oder wollten die Bataillonsangehörigen nicht sehen.515

512 Aussage Gerhard Stabenow vom 1.7.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 165). Für eine negative Sicht auf Juden, wie sie auch den Polizisten des Bataillons 61 zugänglich gemacht wurde, vgl. Karl Grundmann, Angaben über den Distrikt Warschau. In: Max Du Prel (Hg.), Das Deutsche Generalgouvernement Polen. Ein Überblick über Gebiet, Gestaltung und Geschichte, Würzburg 1942, S. 329–360, hier insbesondere 348 f. Ausführlich zur Kriminalisierung der Opfer des Bataillons 61 siehe Kapitel V.3. 513 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 216r). 514 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 53r). 515 Zur Überfüllung des Ghettos und die dortige Seuchengefahr vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 15. Polizisten ohne Impfung durften deswegen nicht im Ghetto eingesetzt werden. Für die negative Sicht auf die Insassen des Ghettos vgl. auch den im Mai 1942 gefilmten „Ghettofilm“ unter: https://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/geheimsache-ghettofilm/ 157498/der-film; 25.8.2020. Für die Alltagskriminalität im Ghetto in Form von Raub und Diebstahl vgl. Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039). Vgl. ferner Bethke, Kriminalität und Recht.

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Für ihre vereinfachte Sichtweise spricht auch, dass nur in einem absoluten Minimum der Aussagen von Angehörigen des Bataillons 61 eine ansatzweise differenzierte Sicht auf die Ghettoinsassen erkennbar ist. So meinte Karl Schellenberger etwa, dass sich die Bevölkerung des gesperrten Stadtgebietes „aus polnischen, deutschen, österreichischen Juden und Zigeunern“516 zusammengesetzt habe. Die ansonsten meist stereotype Sicht auf die Ghettoinsassen ist erstaunlich, da ein großer Teil der zwangsweisen Bevölkerung des abgesperrten Warschauer Stadtgebietes überhaupt nicht dem gängigen Negativimage der „Ostjuden“ entsprach.517 Neben den weitestgehend säkularen Juden befanden sich im Ghetto auch zahlreiche Personen, bei denen „es sich um getaufte Juden handelte, die also christlicher Konfession waren und lediglich wegen ihrer jüdischen Abstammung mit nach Warschau abtransportiert worden waren“.518 Hinzu kam auch, dass ab 1942 sukzessive angebliche Juden aus dem Reichsgebiet in das Warschauer Ghetto deportiert wurden. Hierunter waren auch Menschen aus dem unmittelbaren Heimatgebiet des Bataillons 61. So wurde etwa der Gelsenkirchener Hermann Voosen im Januar 1942 zusammen mit Menschen aus Recklinghausen, Dorsten und Dortmund nach Warschau deportiert. Manche der dort eingesperrten deutschsprachigen Menschen, wie etwa der österreichische „Volljude“519 Leon Landau, hatten im Ersten Weltkrieg für die Mittelmächte gekämpft. Als diese Juden in die Todeslager gebracht wurden, sollen sie zu ihrer Deportation, auf die sie ruhig in Reih und Glied warteten, ihre Frontkämpferabzeichen und Eisernen Kreuze getragen haben. Ihre Disziplin habe selbst die übrigen Ghettoinsassen verwundert und die Deutschen aus der Masse hervorstechen

516 Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 59). 517 Vgl. Dan Michman, Angst vor den „Ostjuden“. Die Entstehung der Ghettos während des Holocaust, Frankfurt a. M. 2011. 518 Aussage Haßler vom 8.6.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6201). 519 Aussage Leon Landau vom 26.4.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 22, Bl. 9777). Für den ähnlichen Fall von Heinz Samuel vgl. Johanna Rosenthal, Hermann Voosen und Heinz Samuel gemeinsamer Zeitzeugenbericht (YVA O.33 Nr. 3080). Schon im Dezember 1941 war Heinz Samuel aus Krefeld deportiert worden. Für die Verbringung deutscher Juden in das Ghetto vgl. Bericht des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für den Monat April 1942 vom 12.5.1942 (AŻIH 233 Nr. 111, Bl. 6). Dort heißt es, im April 1942 seien erstmalig 3 872 Juden aus dem Reich im Ghetto angekommen. Ebenso vgl. Bericht des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für den Monat Mai 1942 vom 15.6.1942 (AŻIH 233 Nr. 111, Bl. 5). Dort ist von „Zigeunern“ sowie 600 Juden die Rede. Für die zahlreichen deutschen „Zigeuner“ im Ghetto vgl. Anonymes Tagebuch vom 6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 521, Bl. 6). Allgemein zur Situation der deutschen Juden im Warschauer Ghetto vgl. Bericht „Unter Flüchtlingen aus Deutschland“ nach 4.1942 (AŻIH ARG I Nr. 516). Für exemplarische Nachkriegsberichte deutscher Ghettoinsassen vgl. z. B. Zeitzeugenbericht Israel Wladimir Blumenfeldt (YVA O.33 Nr. 23); Zeitzeugenbericht Nomi Wassermann (YVA O.33 Nr. 115). Für die Deportationserfahrung eines deutschen Juden vgl. Aussage Robert Levi vom 20.1.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 27, Bl. 12401 f.).

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lassen. In manchen Fällen berichtete die zwangsweise Ghettobevölkerung darüber, dass die Wache stehenden Polizisten doch einen Unterschied zwischen „deutschen“ und allen anderen Ghettoinsassen gemacht hätten. So habe ein Polizist der Ghettowache zu einem Mitglied des jüdischen Ordnungsdienstes gesagt: „Schau dir mal diese Juden aus dem Reich an, das ist doch ganz was anderes, wie eure schmutzige Saujuden hier.“ Dann habe der Polizist angeordnet: „Diese Juden sollst du mir gut behandeln.“520 Die erwähnten Bewachungsaufgaben am Ghetto seien, laut den Mitgliedern des Bataillons 61, „in ständigem Wechsel der Kompanien“521 durchgeführt worden. Es hieß: „Zur Ghettobewachung wurde das gesamte Bataillon herangezogen und zwar im Turnus von je einem Tage eine Kompanie.“522 Für den 24-stündigen Dienst seien jeweils etwa 80 Mann eingeteilt worden, wobei auch innerhalb der Kompanien mehr oder weniger alle „Kompanieangehörigen, in regelmäßigen Abständen abkommandiert worden“ seien.523 Folgt man den Beobachtungen der Ghettoinsassen, so habe sich dieser Dienst meist in je zwei Stunden Wache gefolgt von zwei Stunden in Reserve unterteilt. Darüber hinaus wurde geäußert, dass bestimmte Bewacher nur an jedem dritten Tag vor Ort waren. Dazu passend sagte der Bataillonsangehörige Wilhelm Heuwinkel nach dem Krieg aus, dass auf jeden Tag, an dem Wache gehalten wurde, 48 Stunden Freizeit folgten.524

520 Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405,

Bl. 19). Für die bei der Deportation diszipliniert angetretenen deutschen Juden mit Frontkämpferabzeichen vgl. Michał Grynberg, Words to outlive us. Eyewitness accounts from the Warsaw ghetto, New York 2002, S. 112. Ebenso wird dies erwähnt bei Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 713 f. 521 Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 231). Ebenso vgl. Aussage Arthur Michels vom 9.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5887); Aussage Artur Michels vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 189); Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 107). Ferner vgl. Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 11). 522 Aussage Franz Thamm vom 28.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5808). Ebenso insbesondere mit Bezug zur 1. Kompanie vgl. Aussage Franz Chwieja vom 25.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 241r); Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 62). Für die gleiche Praxis in der 2. und 3. Kompanie vgl. Aussage Franz Thamm vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 106). 523 Aussage Wilhelm Ködding vom 22.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 100r). Für die 80 Mann starke Wachmannschaft vgl. Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (ebd., Bl. 27r). Für die abweichende Angabe von nur 61 Personen vgl. Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486ebd., Bl. 103r). Für die 24-stündige Dauer des Wachdienstes vgl. Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5826). 524 Vgl. Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 12.11.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21603). Für die Beobachtung von „Frankenstein“ als Wache an jedem dritten Tag vgl. Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 24). Für die zwei Stunden Dienst und die zwei Stunden Reserve aus Perspektive der Ghettoinsassen vgl. Notizen über den Schmuggel im Warschauer Ghetto vom 13.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 639, Bl. 3).

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In unmittelbarer Nähe des Ghettos habe das Bataillon 61, wie es in zahlreichen Aussagen erwähnt ist, zwei größere Wachposten unterhalten. Diese Posten, die als „Hauptwache“ und „Nordwache“525 bezeichnet wurden und sich in der „Gerichtsstraße“ und „Klosterstraße“526 befunden hätten, sollen je nach Zeugenaussage 15 bis 25 Männer umfasst haben, die von zwei wachhabenden Unterführern geleitet wurden. Daneben soll es auch kleinere Wachposten an den zahlreichen Zugängen zum Ghetto gegeben haben. Diese Wachen hätten meist nur aus einer „Bude, welche in unmittelbarer Nähe des Ghettotors stand und zum Schutz gegen Witterungseinflüsse“527 aufgestellt war, bestanden. Wladyslaw Maslanko berichtete, die „Tore des Ghettos und sämtliche Übergangspunkte“ seien „von der deutschen Ordnungspolizei besetzt“ gewesen.528 Das Bataillonsmitglied Heinrich Wenzel beschrieb, es hätten „bei Tage an jedem Tor Doppelposten“ gestanden, „während der Nacht jedoch nur Einzelposten“.529

525 Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 107). 526 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 119r). Es handelte sich um die Lezno-Straße und die Bonifraterska-Straße. Für die Angabe, die Wache sei ca. 200 Meter vom Ghetto entfernt gewesen, vgl. Aussage Michael Janczak vom 28.3.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 40, Bl. 18087). Ebenso für die beiden Wachposten vgl. Aussage Franz Chwieja vom 25.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 242); Aussage Ewald Roth vom 8.12.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 216); Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5826). An anderer Stelle wird von vier Hauptwachen ausgegangen. Vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 59) 527 Aussage Otto Kopitzki vom 5.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5844). Darüber hinaus soll es kleine Arrestlokale für festgesetzte Personen gegeben haben. Vgl. Niederschrift über die Besprechung beim SS- und Polizeiführer am 24.2.1942 betr.: Ghetto­ mauer vom 26.2.1942 (APW 482 Nr. 22, Bl. 128). Exemplarisch für die Personalstärke der Wachposten vgl. Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 103r); Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 107); Aussage Franz Chwieja vom 25.1.1952 (ebd., Bl. 242). Für die Verwendung von Gruppenführern als Wachhabende vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 214). Vgl. auch Aussage Ewald Körner vom 12.10.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21605). Dort wird berichtet, ein Oberwachtmeister habe zehn Mann geführt. 528 Aussage Mieczyslaw Maslanko vom 21.10.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2276, Bl. 84). Allgemein für die Erwähnung diverser anderer kleiner Posten vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 50r); Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 52r); Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 180); Aussage Michael Janczak vom 2.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 11, Bl. 4781). Nur von sechs bis sieben Posten, was deutlich zu wenige sein dürften, vgl. Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (ebd., Bl. 263). 529 Aussage Heinrich Wenzel vom 9.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5851). Ebenso für die Erwähnung von Doppelposten vgl. Aussage Franz Chwieja vom 25.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 242). Unterstützt wurden die deutschen Wachen von der polnischen Polizei und dem jüdischen Ordnungsdienst. Für diesen vgl. Person, Policjanci. Exemplarisch zu diesen Kooperationen vgl. Mietek Ejchels Memoiren von 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 9); Aussage August Oestreich 16.3.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 263); Aussage Jacob Celnik vom 17.2.1972 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2276, Bl. 1371). Dort heißt es weitergehend, während der Umsiedlungsaktion ab Sommer 1942 sei noch die Sicherheitspolizei als Partner hinzugekommen.

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Für manche Zugänge war auch vorgesehen, dass der dort platzierte Posten nachts „nach Schließung des Tores als patrouillierender Posten einen etwa 300 Meter langen Abschnitt der Ghettomauer überwachen“ sollte.530 Auch tagsüber seien „entlang der Ghettomauer Pendelstreifen gestellt“ worden.531 Solche „Streifposten“ seien „zumeist Einzelposten“532 gewesen „wobei das Augenmerk der Streifen auf besonders gefährdete Stellen gerichtet“533 gewesen sei. Hierzu zählte laut Aussage eines Ghettoinsassen auch „die äußere Bewachung der Friedhofsmauer“.534 Ein anderer merkte an, dass die Polizisten ihre Streifen nicht nur zu Fuß ausführten, sondern auch auf ein Motorrad zurückgriffen.535 Zweck der Bewachung des Ghettos durch die Dortmunder Polizeieinheit war zunächst ganz banal, „das unberechtigte Verlassen und Betreten des Ghettos über die Mauer zu unterbinden“.536 Ebenso zentral war es, „den Waren- und Lebensmittelschmuggel zwischen Ghettoinsassen und Polen“537 zu verhindern. Entsprechend sei es auch der Auftrag der Ghettowache gewesen, zu prüfen, „ob die Juden, die in Arbeitskolonnen hereinkamen, keine Lebensmittel, wie Kartoffeln usw., mitbrachten. Auch durften die ‚Juden‘ beim Ausrücken kein Geld oder dergleichen mitnehmen.“538 Wenn ein Schmuggler erwischt worden sei, „so wurde er dem Wachhabenden vorgeführt, der darüber entschied, was mit der betreffenden Person weiter geschehen sollte“.539 Grundsätzliche Anweisungen zur praktischen Bewachung des Ghettos erhielten die Polizisten durch eine als „Kurze Instruktionen für die Posten der Ghetto-

530 Niederschrift über die Besprechung beim SS- und Polizeiführer am 24.2.1942 vom 26.2.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 266). 531 Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 180). Ebenso vgl. Aussage Michael Janczak vom 2.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 11, Bl. 4781) und Aussage Hans Kärgel 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 27r). 532 Aussage Franz Chwieja vom 25.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 242). 533 Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 107r). 534 Aussage Leon Landau vom 26.4.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 22, Bl. 9777). 535 Vgl. Zeitzeugenbericht Jakub Michlewicz, o. D. (AŻIH 301 Nr. 1800, Bl. 2). Ebenso aus deutscher Perspektive vgl. Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 163r). Ferner für die Motorisierung der Ghettowache vgl. Kurze Instruktionen für die Posten der Ghettowachen in Warschau, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 245). Dafür, dass insbesondere die Streifen der Polizei ein Verlassen des Ghettos massiv erschwerten, vgl. Mietek Ejchels Memoiren von 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 9). 536 Aussage Michael Janczak vom 28.3.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 40, Bl. 18087). 537 Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 27r). Ebenso vgl. Aussage Franz Klippert vom 3.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5876). 538 Aussage Heinrich Wenzel vom 9.4.1962 (ebd., Bl. 5851). 539 Aussage Arthur Michels vom 9.5.1962 (ebd., Bl. 5887). In einigen Fällen habe auch die Sicherheitspolizei an solchen Kontrollen unterstützend mitgewirkt. Vgl. Aussage Otto Kopitzki vom 5.4.1962 (ebd., Bl. 5844). Ferner vgl. Aussage Erich Tiemann vom 5.4.1962, ebd., Bl. 5848). Dort heißt es lediglich, man habe die Beamten der Sicherheitspolizei nur „gesehen“.

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wachen“540 betitelte Schrift. Als besonders vom Schmuggel betroffene Punkte wurde der „Zugang zum polnischen Burggericht und dem deutschen Lazarett Ecke Elektoralna- und Bialastraße“ sowie „der Zugang zum evangelischen Krankenhaus an der Przejazdstraße“ beschrieben.541 Es wurde gewarnt, dass häufig von „Juden“ versucht würde, „durch das Burggericht das Ghetto [zu] verlassen und Arier auf demselben Weg das Ghetto“542 betreten wollten. Auch war die „Ecke Eisen- und Gerichtsstraße“ besonders zu bewachen, da sich in deren Nähe „arische Betriebe“,543 ein Krankenhaus und das Arbeitsamt befanden. Besondere Aufmerksamkeit der Wachen sollte auch den verschiedenen Straßenbahnen zuteilwerden, die das Ghetto passierten. Es wurde angeordnet, „Stichproben auf in der Straßenbahn verstecktes Schmuggelgut zu machen“. Gleiches wurde auch für andere Fahrzeuge sowie insbesondere für die Transportmittel der Müllabfuhr angeordnet. Für die das Ghetto verlassenden und zurückkehrenden Arbeitskolonnen wurde angeordnet, die „Anzahl der Arbeiter häufig nachprüfen“544 zu lassen. Des Weiteren wurden noch zahlreiche Stellen des Ghettos vermerkt, die aufgrund ihrer Unübersichtlichkeit besonders intensiv von Schmugglern genutzt würden und „schärfstes Durchgreifen erforderlich“ machten. Generell galt: „Schmuggelversuche sind zu unterbinden, Schmuggler in Haft zu nehmen.“545 Von den „einzelnen Posten“ wurde „ein hohes Maß an Umsicht, Besonnenheit und Unbestechlichkeit, notfalls aber auch Entschlossenheit und Rücksichtslosigkeit verlangt“.546 Insbesondere das letzte Merkmal zeigten die Wachkräfte des Bataillons 61 offenbar sehr deutlich. Wie bedrohlich die Ghettoinsassen sie deswegen wahrnahmen, lässt sich nicht zuletzt an den Spitznamen erkennen, mit denen sie einige Wachen versahen. So habe es etwa einen Mann gegeben, der „den Spitznamen ‚Zack-Zack‘ hatte, weil er mit einer Stahlrute willkürlich um sich schlug und dabei ‚Zack-Zack‘ rief“.547 „Der Taubenzüchter“548 hingegen sei ein Mann gewesen, der bevorzugt von hohen Gebäuden in das Ghetto geschossen habe. Neben diesen Spitznamen gab es für verschiedene Akteure aufgrund ihrer Handlungen

540 Kurze Instruktionen für die Posten der Ghettowachen in Warschau, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 245–249). Vermutlich handelt es sich bei diesem Schriftstück um die „Die Dienstanweisung für die Ghettobewachung“, die bei der Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 72) erwähnt wird. 541 Kurze Instruktionen für die Posten der Ghettowachen in Warschau, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 245). 542 Ebd., Bl. 248. 543 Ebd., Bl. 246. 544 Ebd., Bl. 247. 545 Ebd., Bl. 248. 546 Ebd., Bl. 245. 547 Aussage Simon Friedman vom 17.6.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 32, Bl. 14917). 548 Zeitzeugenbericht Jerzy Rosenberg Ros (YVA O.3 Nr. 3440). Ferner vgl. Engelking/ Leociak, Warsaw Ghetto, S. 245 f. Als Taubenzüchter wurden während des Ghetto­ aufstandes auch deutsche Hecken- und Scharfschützen bezeichnet.

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noch Bezeichnungen wie „der Schießer“,549 „der Töter“,550 „der Abartige (Perverse)“551 und der „Engel des Todes“.552 Über den „blutigen Zander“ wurde festgehalten: „Sein Beiname ‚blutiger‘ drückte schon aus, wessen Sorte Mensch“553 er gewesen sei. In anderen Fällen richteten sich Spitznamen auch nach dem Erscheinungsbild der beschriebenen Personen. So hätten die Insassen des abgesperrten Stadtgebietes einen ihrer gewalttätigen Bewacher wegen seiner Haarfarbe „der rote Mörder“554 genannt. Ein anderer Wachposten habe üblicherweise nicht geschossen. Er habe gesagt, „jede Kugel sei […] zu schade. Stattdessen erschlug er seine Opfer mit einer Holzlatte.“ Wegen seines Aussehens wurde er als der „alte Mann“555 betitelt. Einem Offizier sei „wegen seines schmalen, spitzen Gesichts der Beinamen Bocian“,556 also „Storch“, verliehen worden. In einigen Fällen wurden Spitznamen von der populären Kultur der 1930er- und 1940er-Jahre beeinflusst. Ein Deutscher sei etwa von der Ghettobevölkerung, wohl in Anlehnung an den Massenmörder Peter Kürten, als „Vampir von Düsseldorf“557 bezeichnet worden. Einen anderen habe man „Dr. Mabuse“ genannt, „weil er den Gang dieser Person aus dem Film hatte. Es war ein wiegender, schwerfälliger Gang.“558 Auch der Spitzname der wohl bekanntesten deutschen Figur im Warschauer Ghetto, die in zahlreichen Quellen Erwähnung findet und deren Identität lange ungeklärt war, lehnte sich an eine filmische Vorlage an. So habe es „einen sehr berühmt gewordenen Film ‚Dr. Yekle [sic] und Frankenstein‘“ gegeben.559 Ein Mitglied der deutschen Ghettowache sei „‚Frankenstein‘ in Anspielung auf die ‚Frankenstein‘-Filme genannt worden, um seine Rücksichtslosigkeit, Brutalität

549 Aussage Jakob Gora vom 23.6.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 4, Bl. 2414). Gemeint ist dort Heinrich Klaustermeyer. 550 Aussage Maurice Markus vom 21.3.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9122). Gemeint ist ein angeblich 1,9 Meter großer Polizeioberleutnant. 551 Aussage Irena Rojek vom 14.5.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 5, Bl. 2770). Gemeint ist „Klostermeyer“ und somit vermutlich eigentlich Klaustermeyer. 552 Aussage Jack Bacall vom 8.2.1967 (StAHH 213-12-70 Nr. 49, Bl. 24550). Gemeint ist ein SS-Mann namens Müller. Bei Eugene Bergman, Survival artist. A memoir of the Holocaust, Jefferson 2009, S. 66, wird dieser Spitzname jedoch auch für „Frankenstein“ verwendet. 553 Aussage Artur Mendryzcki vom 25.8.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 2, Bl. 811). Gemeint ist eine unbekannte Person. 554 Aussage Sam German vom 9.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 7, Bl. 3516). 555 Aussage Simon Friedman vom 17.6.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 32, Bl. 14917). Das Alter dürfte auf einen der Reservisten des Bataillons 61 hinweisen. Zur Altersstruktur der Einheit siehe Kapitel III.4. 556 Aussage Sabina Sandzer vom 14.6.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 45, Bl. 20795. 557 Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 60). 558 Aussage Abram Sandomir vom 6.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1795). Gemeint ist eine unbekannte Person. 559 Aussage Sam Henry Hoffenberg vom 3.11.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3868).

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und Grausamkeit zu kennzeichnen“.560 Er sei den Insassen „wie das gleichnamige Monstrum aus dem Film“ vorgekommen.561 Man hätte folglich „diese Person mit dem Film-Monster Frankenstein in Verbindung“ gebracht.562 Insbesondere der im Kontext der Bewachung des Warschauer Ghettos beschriebene „Frankenstein“ war mit aller Wahrscheinlichkeit ein Mitglied des Bataillons 61. Es handelte sich um den Reservisten Helmer und nicht wie oftmals, auch in der einschlägigen Forschungsliteratur angenommen, um den SD-Mann Blösche. In einigen Fällen scheint es jedoch auch so zu sein, dass „Frankenstein“ geradezu ein stellvertretendes Sinnbild des „Bösen“ für unbekannte, aber brutale Polizisten des Bataillons 61 war, die das Ghetto bewachten.563 Übergriffe der deutschen Bewacher auf die Ghettoinsassen waren in einem solchen Maß Normalität und so wenig negativ konnotiert, dass sie auch nach 1945 oftmals von den Mitgliedern der Dortmunder Polizeieinheit zur Sprache gebracht wurden. So sagten verschiedene Personen aus, dass man sich in der Einheit „an Juden vergriffen“564 habe oder dass „Juden geschlagen worden sind“.565 Es sei bekannt gewesen, dass einige „Leute sehr krass gegen Juden vorgingen“,566 wobei es mehrere Personen gegeben habe, die „Helmer, in nichts nachstanden“.567 Schon „wegen der Übergriffe in dem Juden-Ghetto“ sei den Polizisten die Warschauer Zeit auch nach dem Krieg „lebhaft in Erinnerung“ geblieben.568 Gleiches galt auch für die Insassen des bewachten Stadtgebietes. Sie nahmen etwa Ohrfeigen von deutschen Wachmänner schon gar nicht mehr als Schläge wahr, da sie sich ständig ereigneten. Viele Juden seien sogar schlicht

560 Aussage Stefan Dudezak vom 28.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 6069). Für die besonders bekannten Frankenstein-Filme mit Boris Karloff, die bis heute das Frankenstein-Image prägen, vgl. Bergman, Survival artist, 2009, S. 66, sowie den Film „Frankenstein“ von Regisseur James Whale aus dem Jahr 1931. 561 Aussage Menasze Tencer vom 22.4.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9185). 562 Aussage Israel Rotblit vom 7.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5893). 563 Noch immer nehmen auch Historiker an, der SD-Mann Blösche sei „Frankenstein“ gewesen. Ausführlich ist dieser Ansatz widerlegt bei Issinger, Frankenstein. Ebendort findet sich auch die ausführliche Evaluation der erwähnten Forschungsliteratur zu „Frankenstein“. Blösche und „Frankenstein“ wurden durchaus zeitgleich gesehen. Außerdem kam Blösche erst im Sommer 1942 nach Warschau, als „Frankenstein“ schon oft gesehen worden war. Dass „Frankenstein“ Helmer aus dem Bataillon 61 sein könnte, hat auch Klemp schon anhand einer einzelnen Aussage vermutet. Jedoch wurde diese Vermutung von ihm nicht analytisch weiter nachvollzogen oder empirisch überprüft. Vgl. Klemp, Vernichtung, S. 29–32. 564 Aussage Wilhelm Rung 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 125r). Auch bevor das Bataillon 61 nach Warschau kam, waren dort Misshandlungen ein tägliches Phänomen. Vgl. Bericht „Die Schließung des Ghettos“ nach 11.1940 (AŻIH ARG I Nr. 485, Bl. 5–7). 565 Brief von Hans Delisch an Polizeidirektor Kannig vom 6.6.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 89r). 566 Aussage Hans Delisch vom 27.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5804). 567 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 109). 568 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 38).

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„zu Tode geschlagen“ worden.569 Über die gewaltausübenden Akteure urteilte Borkowski: Man „hatte das Gefühl, ihre grausamen Handlungen waren die beste Unterhaltung, die sie zu der Zeit in Polen finden konnten“.570 Beispielsweise habe ein Polizist, der sich selbst als „Vorsteher des Lebens und des Todes“571 bezeichnete, Ghettoinsassen hin und her gescheucht, die eine Straße überqueren wollten. Hierbei habe er wild mit einer Reitgerte gestikuliert. Auch in anderen Fällen hätten die Wachen die jüdische Bevölkerung gehetzt. Manchmal hätten sich die Deutschen nicht nur darauf beschränkt, sondern die Ghettoinsassen auch gezwungen, in Regenpfützen herumzuspringen. In einem anderen Fall habe sich ein Polizist „selbst ein bisschen Spaß erlaubt und mehrmals in die Luft geschossen“,572 während im Eingangsbereich des Arbeitsamtes eine lange Schlange Ghettoinsassen wartete und davon terrorisiert wurde. Elijahu Rosenberg hielt fest, dass, wenn die Wachen der Polizei orthodoxe Juden aufgriffen, diesen oftmals nicht nur die Hüte weggenommen wurden, sondern man ihnen auch die Bärte und Schläfenlocken abschnitt. Josef Handelsman berichtete, dabei sei es häufig vorgekommen, dass deutsche Wachen auch „in die Gesichter der Juden hineinschnitten und den Menschen schwere Verletzungen beibrachten“. Er war sich sicher, dass „etliche der verletzten Juden an diesen Verletzungen gestorben sind“.573 Ein besonderes Vergnügen der Deutschen sei auch gewesen, Juden dazu zu zwingen, sich gegenseitig zu schlagen. Beurteilten die Wachen die Schläge als nicht heftig genug, hätten sie auch selbst auf die Ghettoinsassen eingeprügelt.574 Offenbar führten die Männer der Dortmunder Polizeieinheit hierzu Peitschen bzw. Gerten mit, wie sie es schon 1939/40 getan hatten. Samuel Silberstein urteilte, von den Deutschen habe jeder „eine Peitsche, sozusagen als ‚Spielzeug‘“,575 getragen. Der Bataillonsangehörige Erich Tiemann gestand nach dem

569 Eyewitness account by Ludwig Bronislaw Borkowski, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1100, Bl. 3). Dafür, dass etwa Ohrfeigen schon als völlig alltäglich gesehen wurden, vgl. Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039). 570 Eyewitness account by Ludwig Bronislaw Borkowski, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1100, Bl. 1). 571 Wojdysławski Erinnerungen, Skizzen und Reflexionen nach 8.1.1942 (AŻIH ARG I Nr. 471, Bl. 23). 572 Jechiel Górny tägliche Notizen 4.–7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 414, Bl. 17). Ebd., Bl. 23, beschreibt, dass insbesondere „Frankenstein“ gern in die Luft geschossen habe. Für den Zwang in Regenpfützen zu springen vgl. Bericht „Neuigkeiten, gesammelt in einem Gespräch mit einem Funktionär des Ordnungsdienstes“ vom 2.5.1942 (AŻIH ARG I Nr. 413, Bl. 3). 573 Aussage Josef Handelsman vom 2.7.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 31, Bl. 14595). Ebenso vgl. Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039). Zu einer Misshandlung an Pessach, bei der Juden geschlagen wurden und sich im Schlamm wälzen mussten sowie ihre Bärte abgeschnitten wurden, vgl. Bericht „A tsekholemoyd Peysekh“ [eines Tages während Pessach] nach 3.5.1941 (AŻIH ARG I Nr. 495, Bl. 2 f.). 574 Vgl. Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039). 575 Aussage Samuel Silberstein vom 27.3.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9168).

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Krieg ein, dass „die Hundepeitschen dazu da waren, um die Juden damit zu schlagen“.576 Verschiedene Insassen des Ghettos hielten fest, dass „das Schlagen mit der Peitsche üblich war“.577 Selbst der Vorsitzende des Judenrates sei damit geschlagen worden. In einem Fall habe man sogar beobachtet, wie eine Wache „einen jungen Mann und seine Freundin zu Tode peitschte“.578 Besonders betroffen von verschiedensten Misshandlungen durch die Männer des Bataillons 61 waren diejenigen Ghettoinsassen, die täglich das Stadtgebiet in Arbeitskolonnen verließen und abends zurückkehrten. Schon Kleinigkeiten konnten dabei massive Gewaltmaßnahmen durch die Polizisten bedingen. So hatten die Arbeiter, wenn sie das Wachpersonal passierten, zum Gruß die Mütze abzuziehen und sich leicht zu verbeugen. Jedoch sei es vorgekommen, dass die Wache dann „mit der Faust oder Peitsche schlug, weil er sich angeblich beleidigt fühlte, dass ein Jude ihn grüßte“. Hierbei habe es sich um ein Dilemma gehandelt, denn zog „man die Mütze aber nicht, so wurde gleichfalls geschlagen und gefragt: ‚Warum grüßt du nicht, du Hund?‘“579 Folgt man dem Bericht von Rosenberg, erscheint es so, dass die deutschen Bewacher dabei das Monopol auf die Misshandlung der Ghettoinsassen haben wollten. Rosenberg berichtete, als auch die polnischen Polizisten versucht hätten, zurückkehrende Arbeiter zu schlagen, seien die deutschen Polizisten eingeschritten. „Die Deutschen wollten dies nicht zulassen, da sie die Ansicht vertraten, dass nur sie und nicht die polnischen Schweine, wie sie sich ausdrückten, das Recht hätten, ihre Juden zu schlagen.“580 Neben den Personen, die die Tore des Ghettos passieren mussten, waren insbesondere Menschen Misshandlungen ausgesetzt, die von den Männern der Dortmunder Polizeieinheit als Schmuggler aufgegriffen oder auch nur als solche verdächtigt wurden. Adam Grünbaum berichtete über die Durchsuchung an den Ghettoeingängen: „Wenn etwas gefunden wurde, kam es ständig zu

576 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 38). Tiemann gab dabei zweifelhafterweise an, die Peitschen nie im Einsatz gesehen oder gar selbst genutzt zu haben. 577 Aussage Leon Tyszka vom 13.3.1972 (BA-L B 162 Nr. 19320, Bl. 1333). 578 Eyewitness account by Hanna Birnfeld, o. D. [ca. 1957] (WL P.III.H. Nr. 531, Bl. 3). 579 Aussage Abram Sandomir vom 6.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1794). Für dieses Dilemma sowie die erwähnte Gewalt vgl. auch: Eyewitness account by Aron Bard, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1117, Bl. 3). Für die Grußpflicht vgl. Mietek Ejchels Memoiren von 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 4). Für Beispiele von Misshandlungen von Juden auf dem Weg zur Arbeit vgl. Eyewitness account by Ludwig Bronislaw Borkowski, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1100, Bl. 4); Aussage Hermann Artmann vom 12.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 10, Bl. 4756); Eyewitness account by Aron Bard, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1117, Bl. 2). Auch auf den Arbeitsstellen waren die Ghettoinsassen ständigen Misshandlungen ausgesetzt. Vgl. Aussage Bronislaw Marczak vom 6.6.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 4, Bl. 2472); Zeitzeugenbericht Zophia Shulman (YVA O.3 Nr. 12171). 580 Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039).

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Misshandlungen und Schlägen.“581 Offenbar hetzten die Wachen auch, wie Rubin Rudolf Steckman berichtete, „trainierte Hunde“582 auf die Ghettoinsassen. Gleiches wurde auch über ein Mitglied des Bataillons 61 berichtet. Es hieß, Heuwinkel habe „seinen Hund wiederholt auf Gefangene gehetzt“.583 Einige Personen, die von den Polizisten misshandelt wurden, mussten dies über längere Zeiträume ertragen. So erinnerte sich Mordechai Eichel Alon daran, dass er für das Schmuggeln zwei Tage auf einer „Polizeistation“,584 womit er wohl einen der beiden großen Wachposten der Ghettowache meinte, festgehalten und misshandelt worden sei. Dass es sich hierbei um regelrechte Folter handeln konnte, berichteten selbst die Männer des Bataillons 61. Wie üblich sparten sie ihre eigene Beteiligung aus und beschrieben die Verhaltensweise des Chefs der 1. Kompanie, der zum Zeitpunkt der Aussage nicht mehr am Leben war: „Auf der Ghettowache in Warschau und zwar in der Gerichtsstraße“ habe Hauptmann Mehr in einem fünf mal fünf Meter großem Raum Ghettoinsassen gefoltert. Die Misshandelten seien Personen gewesen, „die sich kleine Delikte“, wie etwa den „Schmuggel von Lebensmitteln usw.“, hatten zuschulden kommen lassen. Über den Offizier hieß es dabei: Der „Schaum stand ihm vor dem Mund und [er] ging dann mit dem Seitengewehr auf die Leute los, schlug mit dem Seitengewehr auf die Opfer ein, bis die Leute entsetzlich aussahen“.585 Von den Ghettoinsassen sind auch verschiedene Fälle überliefert worden, in denen die deutschen Wachen polnische Schmuggler festgesetzt und solange gefoltert haben sollen, bis diese ihre Routen und Komplizen verrieten.586 Die Gewalt der deutschen Polizisten richtete sich dabei keineswegs nur gegen erwachsene Personen. Auch misshandelten die Wachen Minderjährige, die die Hauptlast der Lebensmittelversorgung des Ghettos durch Schmuggel trugen. So habe ein Polizist eine Gruppe schmuggelnder Kinder festgesetzt und dadurch schikaniert, dass er sie der Größe nach Aufstellung nehmen ließ. Danach hätten die Kinder lange im Kreis marschieren müssen. Wer von ihnen versuchte zu fliehen, sei gefangen und verprügelt worden. In einem anderen Fall soll ein Polizist an der Ecke der Karmelicka- und Leszno-Straße einen gerade einmal zehnjäh-

581 Aussage Adam Grünbaum vom 3.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 7, Bl. 3548). Für die Misshandlung eines Verdächtigen vgl. Studie „Schmuggel“ vom 7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 635, Bl. 13). 582 Zeitzeugenbericht Rubin Rudolf Steckman (YVA O.62 Nr. 186). 583 Aussage Emil Kosburg vom 7.12.1959 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 5). 584 Zeitzeugenbericht Mordechai Eichel Alon (YVA O.3 Nr. 12787). 585 Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 42). Auch anderen Akteure außerhalb des Bataillons 61 wurden regelrechte Folterkammern zugeschrieben. Vgl. Aussage Janina Latowicz, o. D. (StAHH 213-12-70 Nr. 40, Bl. 18057). 586 Anschließend seien die Personen getötet worden. Vgl. Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 49); ebenso Anonymes Tagebuch vom 6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 521, Bl. 3).

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rigen Jungen mit dem Gewehrkolben heftig gegen den Kopf geschlagen haben, nachdem er das Kind mit drei Pfund Kartoffeln erwischt hatte. Rosenberg berichtete, es sei immer häufiger vorgekommen, „dass ein Gendarm, wenn er ein Kind auf der arischen Seite ertappte, dieses in den Kanal warf, wo es elendig zu Grunde ging“.587 Als Augenzeuge beschrieb Chaskiel Holbank exemplarisch: „Im Mai oder Juni beobachtete ich folgenden Vorgang: Etwa 20 bis 30 Kinder im Alter zwischen 6 und 10 Jahren hatten die Genehmigung erhalten, das Ghetto für 2 Stunden zu verlassen und in die Stadt zum Kauf von Lebensmitteln zu gehen. Sie waren nach Ablauf der Zeit noch nicht zurück und wurden von der polnischen Polizei aufgegriffen. Die Polizei brachte sie zum Ghetto zurück. Als die Kinder zurückkamen, stand Frankenstein beim Ghetto-Eingang. Er öffnete einen in der Nalewki-Straße befindlichen Deckel zur Kanalisation und warf nacheinander alle Kinder in den Schacht der Kanalisation.“588

Neben solchen Handlungen übten die Polizisten, wie schon während ihres ersten Einsatzes im „Warthegau“ und wie während ihrer Wachen im sonstigen Warschau, sexuelle Gewalt aus. So sollen die Polizisten beispielsweise ein 17-jähriges Mädchen, das sie außerhalb des Ghettos festgesetzt hatten, solange vergewaltigt haben, bis sie kaum noch bei Bewusstsein war. Danach habe man sie ins Gefängnis gebracht. Dass in der Polizei ein deutliches Problem mit den von ihren Mitgliedern begangenen Sexualstraftaten bestand, lässt sich daran erkennen, dass Himmler besonders darauf hinwies, dass „Angehörige der Polizei, die gegen Zucht und Sitte verstoßen“, mit „Nachsicht in Zukunft nicht mehr rechnen“ sollten.589 Man sah sich gezwungen, „nochmals eindeutig“ darauf zu verweisen: „Der Geschlechtsverkehr eines Angehörigen der SS oder Polizei mit einer Polin“ werde „grundsätzlich als militärischer Ungehorsam gerichtlich

587 Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039). Für die Schläge mit dem Gewehrkolben gegen den Jungen, der Kartoffel schmuggelte, vgl. Szejnkinder „Fun mayn tog-bukh” [aus meinem Tagebuch] 4.–7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 461, Bl. 10). Für einen ähnlichen Misshandlungsfall eines Kindes vgl. Jechiel Górny tägliche Notizen 4.–7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 414, Bl. 13). Für das Aufstellen der Kinder der Größe nach und das Im-Kreis-laufen-Lassen vgl. Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 22). 588 Aussage Chaskiel Holbank vom 27.1.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 37, Bl. 17276 f.). Ein ganz ähnlicher Fall wurde schon während des Krieges dokumentiert. Vgl. Jewish News: A Bulletin Issued Periodically From The Jewish Central Information Office. Number 6. Wiener Library Publications vom 28.4.1942 (WL Nr. 1628, Bl. 76). Dort heißt es, ein „Nazi-Polizist“ hätte an der Okopowa-Straße 30 jüdische Kinder ertränkt, die aus dem Ghetto fliehen wollten. 589 Würdiges Verhalten von Angehörigen der Polizei in der Kriegszeit vom 13.11.1941 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 267). Ebenso vgl. Schutz der weiblichen Jugend vom 6.4.1942 (BA NS 7 Nr. 4, S. 79). Dort wird nochmals verboten, unmündige Mädchen zu verführen, wobei die Regelung eher auf das Reichsgebiet bezogen war. Für die Vergewaltigung der erwähnten 17-Jährigen im Ghetto vgl. Bericht über das Schicksal der Baja Keselberg nach 10.4.1942 (AŻIH ARG I Nr. 514, Bl. 19). Für den Fall einer späteren Vergewaltigung während der Räumung des Ghettos, bei der mehrere Deutsche eine Frau aus einem Keller zogen, vergewaltigten und dann erschossen, vgl. Aussage Janina Latowicz (StAHH 213-12-70 Nr. 40, Bl. 18061).

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bestraft“.590 Für Vergewaltigungsfälle sollte sogar die Todesstrafe ausgesprochen werden. Trotzdem blieb gerade im unkontrollierten Ghettobereich sexuelle Gewalt ein Alltagsphänomen.591 Als absolut willkürliches Verhalten der Polizisten muss auch die weit überwiegende Mehrheit der Fälle gelten, in denen auf Insassen des Ghettos geschossen wurde. Bis 1941 galt: „Das Herauskommen aus und das Hineinkommen ins Warschauer Ghetto für Juden war […] mit verschiedenen Schwierigkeiten verbunden, aber nicht mit Lebensgefahr.“592 Dies änderte sich grundlegend Anfang November 1941. Von nun an hieß es: „Juden, die den ihnen zugewiesen Wohnbezirk unbefugt verlassen, werden mit dem Tode bestraft. Die Aburteilung erfolgt durch die Sondergerichte.“593 Begründet wurde dies mit der vermeintlich

590 Rechtserziehung betr.: Geschlechtsverkehr mit andersrassiger Bevölkerung vom 1.11.1942 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 71). Ebenso vgl. Geschlechtsverkehr von Angehörigen der SS und Polizei mit andersrassigen Frauen vom 20.1.1942 (BA NS 7 Nr. 4, Bl. 41). Dort heißt es, nur der Verkehr mit andersrassigen Prostituierten sei akzeptabel. Ferner vgl. Einrichtung eines Bordells in Warschau für SS und Polizei vom 21.2.1941 (APW 482 Nr. 162, Bl. 1); Richtlinien für die Einrichtung und Führung eines Bordells vom 21.2.1941 (APW 482 Nr. 162 Bl. 2); Bericht des 5. Kommissariat der KriPo Warschau vom 18.1.1943 (APW 482 Nr. 162, Bl. 9 f.). 591 Für die Todesstrafe bei Vergewaltigungen vgl. Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I, Heft 2, Oktober 1940. Hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 63). Von jüdischen Frauen, die festgesetzt wurden, hätten die Polen laut Huberband erwartet, sich sexuell zu unterwerfen. Vgl. Szymon Huberband, Studie „Ghetto und Exekutionen“ nach 12.1941 [und vor dem 18.8.1942] (AŻIH ARG I Nr. 583). Zit. nach der englischen Version in: Huberband, Kiddush Hashem (1987), S. 151. Auch Heinrich Klostermeyer habe die Ghettobevölkerung deswegen als „der Abartige (Perverse)“ bezeichnet. Vgl. Aussage Irena Rojek vom 14.5.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 5, Bl. 2770). Für zwei Schilderungen von Vergewaltigungen durch Kloster­ meyer vgl. ebd., Bl. 2769. Für einen weiteren Fall, an dem auch Mitglieder des Bataillons 61 beteiligt gewesen seien könnten, vgl. Aussage Janina Latowicz, o. D. (StAHH 213-1270 Nr. 40, Bl. 18061). 592 Notizen über das Verlassen und Betreten des Warschauer Ghettos nach 11.1941 (AŻIH ARG I Nr. 638, Bl. 1). Für Geld- und Haftstrafen, im Fall von Versuchen das Ghetto zu verlassen, vgl. Aufruf an die Bevölkerung des Distrikts Warschau vom 17.7.1941 (AŻIH 241 Nr. 264, unpag.). Begründet werden die Strafen dort mit der vermeintlichen Seuchengefahr. Nur für Haftstrafen vgl. Szymon Huberband, Studie „Ghetto und Exekutionen“ nach 12.1941 [und vor dem 18.8.1942] (AŻIH ARG I Nr. 583). Zit. nach der englischen Version in: Huberband, Kiddush Hashem (1987), S. 151. Für die Empfehlung, Geld- und Prügelstrafen zu nutzen, vgl. Die Fleckfieber-Epidemie im Warschauer Judenviertel, Vorschläge zu ihrer Bekämpfung vom 7.7.1941 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2263, Bl. 75). 593 Unbefugtes Verlassen des jüdischen Wohnbezirkes durch Juden vom 10.11.1941 (APW 482 Nr. 40, Bl. 17). Ebenso vgl. Bekanntmachung betr.: Todesstrafe für unbefugtes Verlassen der jüdischen Wohnbezirke vom 10.11.1942 (AŻIH 241 Nr. 262, unpag.). Erlassen wurde das Verbot angeblich schon am 5.11.1941. Für die Androhung der Todesstrafe für Personen, die Juden bei einer Flucht aus dem Ghetto unterstützten, vgl. Bekanntmachung: Todesstrafe für Unterstützung von Juden, die die jüdischen Wohnbezirke unbefugt verlassen haben vom 5.9.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 347, unpag.). Für das Sondergericht als zuständige Stelle vgl. Aussage Karl Michael Mohr vom 28.1.1963 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2260, Bl. 38). Für das mit den verschiedenen zuständigen

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von den Ghettoinsassen ausgehenden Fleckfiebergefahr. Durch die Gerichte seien innerhalb von jeweils wenigen Minuten Urteile gefällt worden. Während in den Jahren 1939 und 1940 nur 36 Todesurteile gegen Juden ausgesprochen wurden, stieg diese Zahl bald drastisch an. Im Mai 1942 kam es zu 187 sowie im Juni und Juli 253 Todesurteilen. Teilweise wurden Ghettoinsassen aber auch weiterhin zu Geld- und Haftstrafen verurteilt.594 Dies zeigt, es war nicht die Aufgabe des Bataillons 61, quasi in Form von Selbstjustiz flüchtige Personen oder Schmuggler zu töten. Grundsätzlich war vorgeschrieben: „Die von der deutschen Polizei festgenommen Juden sind unter Angabe von Namen, Dienstgrad und Dienststelle der festnehmenden deutschen Polizeibeamten und kurzer schriftlicher Äußerung desselben, dem zuständigen poln. Kommissariat zu übergeben.“595 Ferner wurde sowohl vonseiten des Bataillons 61 als auch durch Insassen des Ghettos berichtet, dass an den Ghettogrenzen festgesetzte Personen zunächst zu einem Wachposten gebracht werden sollten, wo der Wachhabende über das weitere Vorgehen zu entscheiden hatte.596 Der Einsatz von Schusswaffen war den Wachen nur unter speziellen Umständen gestattet. So galt für die Polizisten, dass sie „gegen Juden, die unberechtigterweise außerhalb der Judenwohngebiete angetroffen werden, mit der Waffe“597 vorgehen durften. Auch bei „Ausbruchsversuchen aus dem Ghetto“

Stellen verbundene organisatorische Chaos bei der Bestrafung von Juden vgl. Strafverfahren gegen Juden in Warschau vom 27.9.1941 (APW 482 Nr. 40, Bl. 7). 594 Für exemplarische Strafen, wie etwa 50 Tage Haft oder ersatzweise 250 Złoty Strafzahlung, vgl. Strafsache beim Deutschen Gericht Warschau gegen Eta Gulbas vom 29.5.1942 (AŻIH ARG I Nr. 188, Bl. 3 f.). Gegen Kinder sollte ebenfalls Haft u. a. in Kinderheimen verhängt werden. Alle Personen älter als 14 Jahre kamen in das allgemeine Gefängnis in der Gęsia-Straße vgl. Schreiben des KdO Warschau vom 10.11.1941 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 130). Für die im Juni und Juli ausgesprochenen Todesurteile vgl. Zweimonatsbericht des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für die Monate Juni und Juli 1942 vom 15.8.1942 (AŻIH 233 Nr. 111, Bl. 27). Für die Todesurteile im Mai 1942 sowie für die Zahlen in den Jahre 1939 und 1940 vgl. Bericht des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für den Monat Mai 1942 vom 15.6.1942 (AŻIH 233 Nr. 111, Bl. 17). Für die kurze Dauer der Verhandlungen des Gerichts vgl. Szymon Huberband, Studie „Ghetto und Exekutionen“ nach 12.1941 [und vor dem 18.8.1942] (AŻIH ARG I Nr. 583). Zit. nach der englischen Version in: Huberband, Kiddush Hashem (1987), S. 152. 595 Unbefugtes Verlassen des jüdischen Wohnbezirkes durch Juden vom 10.11.1941 (APW 482 Nr. 40, Bl. 17). 596 Vgl. Aussage Arthur Michels vom 9.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5887); Aussage Walter Frieling vom 3.6.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 130). Für die Perspektive der Ghettoinsassen vgl. Szymon Huberband, Studie „Ghetto und Exekutionen“ nach 12.1941 [und vor dem 18.8.1942] (AŻIH ARG I Nr. 583). Zit. nach der englischen Version in: Huberband, Kiddush Hashem (1987), S. 152. 597 Unbefugtes Verlassen des jüdischen Wohnbezirks vom 29.11.1941 (APW 482 Nr. 40, Bl. 18). Ebenso vgl. Abschrift aus dem Kommandanturbefehl Nr. 200 vom 29.11.1941 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 131).

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stand es jedem Bataillonsmitglied frei, „auch gegen Frauen und Jugendliche von der Schusswaffe Gebrauch zu machen“.598 Hierbei handelte es sich jedoch eher um ein erweitertes Notwehrrecht und nicht um die Pflicht zu eigenmächtigen Tötungen. Dazu passend führte das Bataillonsmitglied Kreienkamp nach dem Krieg aus, dass nur auf Personen gefeuert werden durfte, die nicht der Aufforderung nachkamen, stehen zu bleiben. Dass geschossen werden musste, behauptete er hingegen nicht, obwohl dies eine ideale Entlastungsstrategie gewesen wäre.599 Dass man jedoch in den übergeordneten Dienststellen des Bataillons 61 einem willkürlichen Schusswaffengebrauch gegenüber aufgeschlossen war, zeigen die Dienstanweisungen für die Ghettowachen. In diesen wird sogar ausgeführt, welche Teile der Ghettogrenze sich besonders für den Einsatz der Dienstwaffe eigneten. Dass die Männer des Bataillons 61 dieser mehr oder weniger versteckten Aufforderung nachkamen, bestätigten sie verschiedentlich selbst. Es sei oft „bekannt geworden“, dass „Juden erschossen worden sind“.600 Über die 1. Kompanie wurde beispielsweise ausgesagt: „Es waren in der Kompanie verschiedene Männer dafür bekannt, dass sie willkürlich von der Schusswaffe Gebrauch machten.“601 Der Adjutant des Bataillonskommandeurs resümierte, er wisse aus seinen „monatlichen Berichten, dass viele GhettoInsassen durch die 1. Kompanie erschossen worden sind“.602 Solche Tötungen waren jedoch nicht nur auf diese Teileinheit des Bataillons 61 beschränkt. So war weiteren Angehörigen der Einheit „selbstverständlich auch bekannt, dass auch von den anderen Kompanien Juden erschossen wurden“.603 Dabei hätten „diese Schießereien nichts mit den Dienstvorschriften zu tun“604 gehabt. Die Männer hätten „ohne Beachtung der Schießvorschrift auf Insassen des Warschauer Ghettos geschossen“.605

598 Schreiben des KdO Warschau vom 10.11.1941 (ebd., Bl. 130). 599 Vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 27.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5868). 600 Aussage Otto Kopitzki vom 5.4.1962 (ebd., Bl. 5844). Ebenso für Tötungen und die gleichzeitige Behauptung, trotz der Kenntnis von Einzelfällen keine Namen von Schützen nennen zu können, vgl. Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (ebd., Bl. 5826). Für die Dienstanweisungen der Ghettowache vgl. Kurze Instruktionen für die Posten der Ghettowachen in Warschau, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 248). Ausführlich zur so mitbedingten Regelerosion im Bataillon 61 siehe Kapitel V.4. 601 Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 165). Genannt werden dort insbesondere Helmer und Bayer. 602 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 187). 603 Aussage Heinrich Marach vom 12.10.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21599). In ähnlicher Form vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 53). 604 Aussage Heinrich Krolopp vom 23.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 115r). 605 Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 101r).

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Wie häufig es zu solchen Vorfällen kam, ist nur bedingt abschätzbar, wurde doch angeblich „bei jeder Kleinigkeit von der Schusswaffe Gebrauch gemacht“.606 Der Spieß der 1. Kompanie gab an, er habe „fast täglich die Meldung von 2–3 erschossenen Juden entgegengenommen“. Er ging davon aus, dass durch die von ihm betreute Einheit „200 Juden erschossen worden“607 seien, während sich das Bataillon 61 in Warschau befand. Diese Zahl dürfte insofern zu niedrig liegen, als dass es sich nur um die Fälle von Schusswaffenanwendungen handelte, in denen die Polizisten bereit waren, über diese Rechenschaft abzulegen. Rechnet man nur diese Zahl auf die übrigen zwei Kompanien hoch, so erhält man ein absolutes Minimum von 600 Tötungen in neun Einsatzmonaten. In Anbetracht der weiter unten in diese Kapitel erläuterten Tötungen als sportliche Betätigung ist aber auch die Zahl von etwa 1 500 durch das Bataillon 61 getöteten Ghettoinsassen durchaus möglich.608 Zu der hohen Anzahl an getöteten Personen passen auch die Berichte aus dem Ghetto. Hoffenberg, der nah an der Ghettogrenze wohnte, habe „Schießereien sehr häufig gehört“. Weiterhin sagte er aus, dass „von der Ordnungspolizei am Ghettotor häufig auf Juden geschossen [wurde], z. B. wenn diese dem Tor zu nahe kamen oder wenn z. B. ein jüdischer Ordnungsdienstangehöriger verdächtigt wurde, dass er beim Schmuggel geholfen hatte“.609 Israel Spiegelstein erläuterte, Tötungen seien so häufig gewesen, dass „die Vorfälle, bei denen sich Erschießungen ereigneten, einander so sehr ähnelten, dass eine besondere Schilderung der Vorfälle nicht möglich“ sei.610 An konkrete Tötungen erinnerten sich die Ghettoinsassen vor allem dann, wenn besonders markante deutsche Akteure involviert waren. So hieß es, eine „große Anzahl von Juden“ sei von einem Ordnungspolizisten erschossen worden, der „zur äußeren Bewachung des Ghettos gehörte“.611 Möglicherweise handelte es sich hierbei um den Polizisten „Frankenstein“, dessen häufiges Schießen auch durch andere Ghettoinsassen beschrieben wurde. So sei es etwa im Doctors’ Emergency Service des Ghettos bekannt gewesen, dass, wenn „Frankenstein (ein deutscher Gendarm) Wache hatte“, man „mindestens ein

606 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 103r). 607 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 55r). Für ähnlich häufige Meldungen vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 213). 608 Vgl. auch die weiter unten in diesem Kapitel erläuterten Tötungen als Sport, bei dem allein der 1. Kompanie 500 Tötungen zugeschrieben wurden. Hierin sind noch nicht die ebenfalls weiter unten in diesem Kapitel aufgeführten Massenexekutionen einberechnet. Für die Zahl von 1 500 möglichen Tötungen vgl. Klemp, „Nicht ermittelt“, S. 145. 609 Aussage Sam Henry Hoffenberg vom 3.11.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3868). 610 Aussage Israel Spiegelstein vom 13.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1808). 611 Aussage Sam German vom 9.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 7, Bl. 3516). Im Original wird nicht direkt von einem Polizisten, sondern einem Wehrmachtsangehörigen gesprochen. Zur klaren Fehldeutung von Polizisten als Wehrmachtssoldaten siehe auch Kapitel II.4.2.

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bis zweimal aus der Gegend alarmiert wurde, wo er Wache stand“. Wenn denn ein Anruf kam, sei es klar gewesen, dass „es nur um Totenschein und Leichenschau“612 gehen konnte. Auch Stefan Dudezak hielt fest, dass „Frankenstein“ „täglich an dem von ihm bewachten Eingang zum Ghetto zahllose Tötungen vorgenommen“ habe.613 Von solchen Taten waren, ähnlich den bereits geschilderten Misshandlungen, insbesondere aufgegriffene Schmuggler betroffen. So galt für die Dortmunder Polizisten allgemein, was über ihren exponierten Vertreter „Frankenstein“ bei dessen Wachtätigkeit von den Ghettoinsassen beschrieben wurde. Er habe, „wenn er irgendwelche Schmuggelgegenstände entdeckte, […] die Betreffenden sofort niedergeschossen“. Selbst seine Kameraden äußerten, Helmer bzw. „Frankenstein“ habe „sofort ohne einen Anruf“614 auf Schmuggler geschossen. Auch Kinder waren von tödlicher Gewalt der Ghettowachen nicht ausgenommen. „Kinder, die versuchten, über die Mauer zu klettern, um durch Betteln etwas zu essen zu erhalten, wurden erschossen.“615 Andere, die versuchten mit Nahrung, meist nur wenige Pfund Kartoffeln, durch die Zugänge des Ghettos zu gelangen, wurden ebenfalls von den Polizisten getötet. Dem Zeugen Lolek Weinryb war sogar „erinnerlich, dass ein Gendarm namens Frankenstein im Ghetto […] 8–10 Kinder im Alter von 7–13 Jahren“616 auf einmal festgesetzt und wegen Schmuggels getötet habe. Einige Kinder reagierten entsprechend panisch auf die deutschen Polizisten. So sei ein Junge durch ein Loch der Ghettomauer gekrochen, um Nahrung für seine Familie zu suchen. Als er dieses halb durchquert hatte, soll er einen deutschen Polizisten gesehen haben. Der Junge hätte begonnen zu weinen und zu strampeln, doch seine eigene Mutter habe ihn weitergeschoben, da von der Nahrungssuche des Kindes das Leben der Familie abhing. Eben aufgrund solcher fatalen Umstände reagierten andere Kinder durchaus apathisch auf die deutschen Wachen. Ein Mädchen, das beim Schmuggeln außerhalb des Ghettos von einem Polizisten aufgegriffen worden sei, soll gesagt haben: „Was kannst du mir schon tun? Schießen? Schieße! Ich habe nichts mehr zu verlieren. Es ist alles egal.“617

612 Zeitzeugenbericht Jerzy Rosenberg (YVA O.3 Nr. 3440). Ferner vgl. Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 246. 613 Aussage Stefan Dudezak vom 28.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 6069). 614 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 109). 615 Eyewitness account by Aron Bard, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1117, Bl. 3). 616 Aussage Lolek Weinryb vom 18.3.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 28, Bl. 12782). Für einen ganz ähnlichen Fall vgl. Aussage Ely Fein vom 15.12.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 37, Bl. 16739). Für eine Tötung, beim Versuch mit wenigen Pfund Kartoffeln ins Ghetto zu gelangen, vgl. Anonymes Tagebuch vom 6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 521, Bl. 6). 617 Tagebuchfragment Abraham Lewin vom 8.4.1942 (YIVO RG 225 HWC 31.11, Bl. 3). Für den durch die Mauer geschobenen Jungen vgl. Wojdysławski, Erinnerungen, Skizzen und Reflexionen nach 8.1.1942 (AŻIH ARG I Nr. 471, Bl. 23). Was mit dem Jungen daraufhin geschah, ist nicht geklärt. Das Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 23) beschreibt jedoch einen Fall, in dem ein Junge in der gleichen Situation erschossen wurde.

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Als sie begann, sich daraufhin durch ein Loch in der Mauer zurück ins Ghetto zu zwängen, habe der Wachmann sie erschossen. Die Schmuggler, gleich welchen Alters, versuchten sich vor dieser omnipräsenten tödlichen Gefahr zu schützen, indem sie sich gegenseitig unterstützten. Etwa „beim Klettern auf die Mauer hielten die Komplizen immer Ausschau, ob sich nicht von irgendeiner Seite ein polnischer Polizist oder ein Deutscher näherte“. Gerade aufgrund der unübersichtlichen Grenzen des Ghettos war dies aber nur bedingt möglich. So sah ein unbekannt gebliebener Zeuge, wie „ein polnischer Jüngling, vielleicht 20 Jahre alt“, über die Mauer zu klettern versuchte. Er habe „sich schon zur Hälfte über die Mauer gelehnt und wollte sich umschauen, ob er nun sicher hinüber könnte oder sich zurückziehen musste. Genau in diesem Moment traf ihn ein gezielter Schuss und der Junge fiel sofort auf den Boden, zuckte noch einen Moment und starb. Der Schuss kam von einem deutschen Gendarm, der gerade am Ausgang Tłomackie-Straße – Leszno-Straße Dienst hatte.“618 Nicht nur beim Überschreiten der Ghettomauer stellten die Wachen eine tödliche Bedrohung dar. Auch wenn Arbeitskommandos in das Ghetto zurückkehrten und illegalerweise Nahrung bei sich trugen, bestand für sie die große Gefahr, getötet zu werden. Insbesondere war dies der Fall, wenn Männer wie der „Totenengel“, der „bei dem geringsten Anlass gleich schoss“, auf Wache standen. Entsprechend hätten die Arbeiter, wenn sie diesen Polizisten am Tor sahen, „nach Möglichkeit alle Nahrungsmittel, die [sie] […] ins Ghetto mitbringen wollten“, weggeworfen. Danach hätten die Ghettoinsassen „in einer Doppelreihe antreten“ müssen. Der Polizist, so ein Augenzeuge, „suchte dann einen Mann unserer Gruppe heraus, befahl ihm, sich bis auf die Haut auszuziehen. Dann musste ein jüdischer Polizist die Kleider ausschütteln. Dabei fiel etwas heraus, ich glaube, es war ein kleines Stück Brot. Daraufhin befahl der ‚Totenengel‘ dem Juden, sich umzudrehen, und tötete ihn durch Genickschuss mit seiner Pistole vor unseren Augen.“619 Oftmals benötigten die Angehörigen des Bataillons 61 noch nicht einmal einen solchen Grund, um zu töten. So hieß es: „In unserem Bataillon befand sich ein Polizeiangehöriger, von dem man allgemein erzählte, dass er willkürlich und aus reinem Übermut auf Juden schoss.“620 Auch vonseiten der Ghettoinsassen erkannte man, dass Menschen „getötet oder schwer verletzt wurden, ohne dass

618 Seiten aus einem Tagebuch nach 1.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 520, Bl. 1). In ähnlicher Form vgl. Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 46). Dort wird auch ein regelrechtes Warnsignalsystem der Schmuggler erwähnt. 619 Aussage Hermann Artmann vom 12.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 10, Bl. 4756). In einer Fußnote der Vernehmungsmitschrift ist angeführt, dass der Zeuge angab, der „Toten­engel“ sei auch „Frankenstein“ genannt worden. Für eine weitere Tötung zurückkehrender Arbeiter durch „Frankenstein“ vgl. Aussage Jacob Rudnianski vom 4.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5963). 620 Aussage Michael Janczak vom 2.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 11, Bl. 4781).

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notwendiger Weise irgendeine Art von Verbrechen“621 vorliegen musste. So wurden von den deutschen Polizisten etwa „auch tagsüber, wenn man auf der Straße sein durfte“, also keine Ausgangssperre herrschte, „häufig Juden aus Mutwillen erschossen“. Abram Sandomir habe selbst mehrfach gesehen, dass „vor dem Ghetto an der Umzäunung Deutsche standen und von dort aus auf Juden in den Straßen schossen“.622 Auch ein Mitglied des Bataillons 61 brachte Ähnliches zur Sprache, wenn er festhielt: „Teilweise wurde auf alles, was sich an den in der Mauernähe befindlichen Fenstern zeigte, rücksichtslos geschossen.“623 Ein weiteres Beispiel für die willkürliche Gewalt deutscher Polizisten am Ghetto ist der Fall eines Rikschafahrers, der ohne jeden Grund von „Frankenstein“ nach einem Gespräch erschossen worden sein soll. In einem anderen Fall hätten die deutschen Wachen einen Mann gezwungen, ein Loch in der Ghettomauer zu reparieren. Als ein weiterer Polizist von der anderen Seite der Mauer gesehen habe, wie sich der Mann an der Begrenzung zu schaffen machte, habe er ihn ohne Nachfrage oder Vorwarnung erschossen. Ähnlich soll es auch einem jüdischen Passanten im Ghetto ergangen sein. Daniel Fligelman vermerkte hierzu in seinem Tagebuch: „Ein Gendarm, der auf der arischen Seite Dienst tat, hielt den Juden an, richtete seinen Karabiner auf ihn und führte mit ihm ein Gespräch über ein Thema, das unbekannt blieb. […] Plötzlich hatte der Gendarm genug von diesem Gespräch, schoss und streckte seinen Gesprächspartner auf der Stelle tot nieder.“624 Ebenso dokumentierte Rachela Auerbach einen Vorfall, in dem ein achtjähriger Junge und ein Bettler von einem Polizisten angehalten worden seien. Beiden sei nach einer Kontrolle gesagt worden, sie könnten gehen. Dem Bettler habe man jedoch in den Rücken geschossen. Um die Leiche zu beseitigen, habe der Polizist ein Mitglied des jüdischen Ordnungsdienstes gerufen. Diesem gegenüber sei der Deutsche dann wieder sehr freundlich und zuvorkommend gewesen und habe sogar noch eine „Gute Nacht“ gewünscht.625 Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Mitglieder des jüdischen Ordnungsdienstes von willkürlicher und tödlicher Gewalt bedroht waren. Gegenüber zwei Ordnungsdienstmännern soll der Polizist „Frankenstein“ an der Pańska-Straße bemerkt haben: „Einen von euch möchte ich aber heute tot-

621 Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 24). 622 Aussage Abram Sandomir vom 6.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1795). 623 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 104r). 624 Tagebuchfragment Daniel Fligelman 28.5.–22.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 411, Bl. 9). Zur Tötung bei der Reparatur der Mauer vgl. Tagebuchfragment Abraham Lewin vom 5.1942 (AŻIH ARG II Nr. 251b, Bl. 2). Für die Tötung des Rikschafahrers vgl. Tagebuchfragment Abraham Lewin 27.6.1942–10.7.1942 (YIVO RG 225 HWC 32.6, Bl. 2). 625 Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 50).

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schlagen. Sagt mal, welcher soll es denn sein?“626 Die Männer hätten gedacht, er meine dies nicht ernst. Wenig später habe der Deutsche jedoch den Ordnungsdienstmann Hertz antreten lassen. „Frankenstein“ habe ihm befohlen, stillzustehen und zu salutieren. Dann sei dem Ghettoinsassen in den Bauch geschossen worden. Da er nicht sofort starb, sei der Polizist nach einem Moment langsam zurückgegangen, habe den Kopf des Verletzten angehoben und ihm in den Mund geschossen. Über die Tötung soll sich „Frankenstein“ gegenüber einem weiteren jüdischen Wachmann mit den Worten geäußert haben: „Ihr Kollege hat heute bei mir Pech gehabt.“ Daraufhin habe der Ordnungsdienstmann gefragt: „Wieso denn Herr Wachtmeister?“ Man habe ihm geantwortet: „Na, den habe ich totschlagen müssen.“627 Dann soll der Angehörige des Bataillons 61 ausgeführt haben, er hätte dies getan, da Hertz angeblich beim Schmuggeln erwischt worden sei. Dies scheint kein Einzelfall gewesen zu sein. So habe „an einem Samstagmorgen“, also am Sabbat, „Frankenstein, weil er offenbar keinen anderen Juden erwischt hatte, an dem Einlasstor an der Ecke Zelasna-Straße den Angehörigen des jüdischen Ordnungsdienstes erschossen, der zusammen mit ihm dort auf Posten stand“.628 In manchen Fällen ereigneten sich auf diesen Wachen auch Tötungen, da deutsche Polizisten sich offenbar nicht die Mühe machen wollten, festgesetzte Personen, denen kein Vergehen nachgewiesen wurde, zurück zu einem Ghettoeingang zu bringen. So berichtete etwa das Mitglied des Bataillons 61 Wilhelm Grunwald: „Ich befand mich an einem Winterabend – es lag noch Schnee – auf Wache am Ghetto, als Bayer mit einem Juden, den er beim Schmuggeln festgenommen hatte, zum Wachlokal ging, das etwa 75 Meter vom Ghettoeingang entfernt lag. Ich selbst stand am Ghettoeingang auf Posten und sah Bayer zusammen mit dem festgenommenen Juden in Richtung zum Wachlokal in der Dunkelheit verschwinden. Einige Zeit darauf hörte ich einen Schuss und sah dann später auf dem Weg zur Wache den Juden tot im Schnee liegen. […] Auf der Wache erfuhr ich dann, dass Bayer mit dem Juden im Wachlokal erschienen war und seine Personalien hatte feststellen lassen. Er sollte dann, wie das allgemein üblich war, den Juden wieder ins Ghetto zurückbringen und muss ihn dann auf diesem Rückweg erschossen haben.“629

In anderen Situationen setzten die deutschen Polizisten Tötungen offensichtlich auch als Machtdemonstration ein. So habe Grünbaum „mehrfach gesehen, dass die Ghettowachen“ an den Zugängen des gesperrten Stadtgebietes „die Leiche eines Juden, der vorher erschossen worden war, auf einen Stuhl gesetzt hatten zur Abschreckung“.630

626 Ebd., Bl. 35. 627 Ebd., Bl. 34. Für den Bauchschuss vgl. ebd., Bl. 15. 628 Aussage Leo Miller vom 24.10.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 2, Bl. 1015). 629 Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 165). 630 Aussage Adam Grünbaum vom 3.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 7, Bl. 3548).

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Wie sehr die Dortmunder Polizisten nicht nur für solche Handlungen die Regeln des Schusswaffengebrauchs übertraten, zeigt sich auch daran, dass sie regelrecht auf die Möglichkeit lauerten, einen Ghettoinsassen zu töten. Über das Bataillonsmitglied Bayer berichtete ein Kamerad, er habe gesehen wie dieser, während er zur Streife an der Ghettogrenze eingeteilt war, „mit dem Gewehr im Anschlag an einer Haustür stand“ und nur darauf gewartet hätte, dass jemand zu nah an den Zaun kam. Dann habe er ohne Warnung geschossen.631 Ganz Ähnliches wurde auch von verschiedenen Ghettoinsassen beschrieben. So erläuterte Bronislaw Marczak, er habe gesehen, wie „Frankenstein“ „sich dicht an die Mauer gesetzt oder gestellt“ hatte, „sodass man ihn nicht sofort sah“. Ein 12-jähriger Junge habe den Polizisten nicht bemerkt und sei von diesem „mit einem Maschinengewehr ohne vorherigen Anruf oder eine Warnung“632 niedergeschossen worden. Auch Szolek Szafran berichtete, es sei allgemein bekannt gewesen, dass ein „Polizeiangehöriger“ sich „frühmorgens an den verschiedenen Stellen in der Nähe der Ghettomauer, und zwar in Hauseingängen, versteckte und darauf wartete, dass Polen von außen her die Ghettomauer überkletterten, um den Juden Lebensmittel zu verkaufen.“633 Dann habe der Polizist, den Szafran als „Frankenstein“ bezeichnete, geschossen. Offenbar sahen Teile der Wachmannschaften das Töten auch als eine Form der wettkampfartigen Jagd oder des Sports an. Michael Zylberg beschrieb, „Frankenstein“ habe, „wenn er einen Juden erschossen hatte, das auf dem Bürgersteig mit Kreide“ notiert.634 Jeden Tag hätte er die Endsumme verbessert. Ein Mitglied des Bataillons 61 berichtete, dass der Kamerad, den man im Ghetto als „Frankenstein“ kannte, auch „alle paar Tage zur Unterkunft“ gekommen sei. Dort brüstete sich dieser „damit, wieder einen Juden erschossen zu haben“.635 Ebenso hätten sich aber auch weitere Personen mit solchen Taten gerühmt. Ihre „Erfolge“ sollen die Polizisten der 1. Kompanie des Bataillons dadurch dokumentiert haben, dass sie Striche an der Tür ihrer Kompaniebar anbrachten, „die die Zahl der am Ghetto erschossenen Juden anzeigte, ähnlich wie an dem Leitwerk“636 von Jagdflugzeugen markierte Abschüsse. 631 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 120). 632 Aussage Bronislaw Marczak vom 6.6.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 4, Bl. 2471). 633 Aussage Szolek Szafran vom 13.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1813). 634 Aussage Michael Zylberg vom 5.5.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 47). Für die Erwähnung, dass ein Polizist des Bataillons 61 auch solche Kreidemarkierungen an seiner Zimmertür angebracht habe, vgl. Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 37). Für die Einschätzung, zwei Polizisten hätten Tötungen als Sport gesehen, vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 50). 635 Aussage Michael Janczak vom 28.3.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 40, Bl. 18093). 636 Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 72r). Exemplarisch für die Behauptung, einige Männer des Bataillons 61 hätten sich mit Tötungen gerühmt, vgl. Aussage Joseph Figiel vom 24.7.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 16, Bl. 6890); Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 162); Aussage Bartholomäus Neumann vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 191). Ferner vgl. Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 107r).

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Bis zu 500 solcher Striche sollen sich an der Tür befunden haben. Alle „Schießerfolge der Ghettowachen“637 seien schließlich in der Kompaniebar gefeiert worden und dies sei ständig passiert. Neben den Strichen für jeden Getöteten, habe man auch eine schriftliche Liste darüber angefertigt. Folgt man der Aussage des Spießes der Einheit, so war es ein Dokument in „Schreibmaschinenblattgröße, mit den Namen der Beamten darauf verzeichnet, die die Juden abgeschossen“638 hatten. Sippel berichte, in der 1. Kompanie habe es 20–25 besonders aktive Schützen gegeben.639 Einige Männer sollen auch privat über ihre Abschüsse Buch geführt haben. „Lapschieß, Klippert und Helmer sollen [in]einem Wettbewerb miteinander gestanden haben und darauf bedacht gewesen sein, möglichst viele Ghettoinsassen ‚umzulegen‘ und in dieser Hinsicht die Spitze zu erreichen.“640 Deswegen hätten sie sich nicht nur gegenseitig angespornt, sondern ihre Tötungen auch besonders dokumentiert. Helmer soll sich „im Schaft des Stiefels einen Strich“641 eingeritzt haben während Bayer und Lapschieß ein Büchlein gehabt hätten, in dem sie wie Jäger ihre „Abschüsse“ verzeichneten. Aus dem Bericht eines Ghettoinsassen geht hervor, dass auch Helmer bzw. „Frankenstein“ ein Tagebuch besessen haben soll, in dem er seine Taten notierte. Folgt man der Aussage des Bataillonsmitglieds Adalbert Roschkowski, so sollen Lapschieß und Bayer mindestens 40 bzw. 42 Tötungen erreicht haben. Helmer habe sie, wie ein anderer Polizist berichtete, sogar noch übertroffen. Es sei ­allgemein bekannt gewesen, dass er „die meisten Erschießungen durchgeführt“642 habe, aber auch

637 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 110r). Exemplarisch für die Strichzahlen vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 44r). Von 400 Strichen auf Basis der ausgewerteten Aussagen ging die Staatsanwaltschaft Dortmund aus. Vgl. Zusammenfassung der Ermittlungsbehörde; o. D. (ebd., Bl. 83r). Für nur ca. 150 Striche, was deutlich zu wenige sein dürften, vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 51); Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 63). 638 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 55r). Ebenso für die Liste vgl. Aussage Walter Frieling vom 3.6.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 131). Er gab an, „Frankenstein“ sei auf dieser häufig vermerkt gewesen. 639 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 104r). Für die ständigen Feiern im Bataillon 61 vgl. Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 66). Vgl. auch die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486 sowie StAHH 213-12-72 Nr. 35 Foto Nr. 5. 640 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (ebd., Bl. 217). 641 Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 44r). 642 Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (ebd., Bl. 72). Ebenso nennt beispielsweise auch: Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 186r) Helmer als besonders aktiven Schützen. Für Roschkowskis Einschätzung vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 121). Zu „Frankensteins“ Tagebuch vgl. Aussage Jacob Rudnianski vom 4.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5963). Der Zeuge äußerte auch, „Frankenstein“ habe nach einer Tötung die Familie des Opfers besucht, um sein „zynisches Beileid“ zu bekunden.

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diverse andere regelmäßige Schützen wurden nach dem Krieg durch ihre Kameraden benannt.643 Auch wenn die Tötungen durch die Männer der 1. Kompanie am besten dokumentiert sind, war es „selbstverständlich auch bekannt, dass auch von den anderen Kompanien Juden erschossen wurden“.644 Ob in den anderen Teileinheiten des Bataillons 61 ähnliche Rituale der Aufzeichnung von Tötungen bestanden, ist unklar. Es ist jedoch wahrscheinlich. So habe etwa Helmer „mit einem Angehörigen der 3. Kompanie“, der Burkhard hieß, „im Wettbewerb“ darum gestanden, „möglichst viele ‚Abschussergebnisse‘ für sich zu buchen“.645 In der 2. Kompanie soll es schließlich einen Polizisten gegeben haben, der einheitsintern den bezeichnenden Spitznamen „Schützenkönig“ trug, „weil er häufig im Ghetto erschossen haben soll“.646 Dass es oftmals die Schützen selbst waren, die den medizinischen Notdienst des Ghettos riefen, um einen Totenschein zu erhalten, weist daraufhin, dass die Polizisten vor allem an einem Nachweis ihres „Abschusses“ interessiert waren.647 Auf die Insassen des Ghettos machte es dabei den Eindruck, dass den Ghetto­ wachen Gewalttaten sehr zusagten. Etwa der „Polizist, der Frankenstein genannt wurde, in Wirklichkeit aber anders“ hieß, soll „regelrecht Freude daran, Menschen zu erschießen“ gehabt haben. Er habe gesagt, „dass er nicht frühstücken könnte, [bevor] er einen Juden erschossen“ habe.648 Auf den ersten Blick mag dies übertrieben klingen, doch schilderten auch Mitglieder des Bataillons 61, dass sich ihre Kollegen ähnlich geäußert hätten. Beim Chef der 1. Kompanie, Mehr, habe jede Erschießung große Freude ausgelöst. Als der Polizist Klippert mit einer Gruppe aus dem Ghetto zurückkehrte, habe dieser bemerkt, „sie hätten einen Vorschuss auf die Seligkeit genommen“.649

643 Exemplarisch vgl. Aussage Erich Schumacher vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 183); Aussage Wilhelm Ködding vom 22.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 102r). Dort heißt es, Föcker und Klippert hätten gern geschossen. In der Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 125r) werden Helmer, Vöcker, Klippert, Marach und Sobirei als häufige Schützen genannt. 644 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 53). In ähnlicher Form vgl. Aussage Heinrich Marach vom 12.10.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21599). 645 Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 181r). 646 Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 232). Abweichend heißt es anderer Stelle, man habe Bayer aus der 1. Kompanie als Schützenkönig bezeichnet. Vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 165). Eine Verwendung des Spitznamens für mehrere Personen scheint jedoch durchaus möglich. 647 Für das Rufen des Notdienstes durch Wachen vgl. Zeitzeugenbericht Jerzy Rosenberg Ros Jerzy (YVA O.3 Nr. 3440). Ferner vgl. Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 245. 648 Aussage Michael Piorowicz vom 28.5.1973 (StAHH 213-12-70 Nr. 58, Bl. 27074). Dies wurde jedoch auch anderen deutschen Akteuren in Warschau nachgesagt. 649 Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 125r). Für Mehrs Freude vgl. Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 47r).

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Auch soll beispielsweise Helmer doppeldeutig gescherzt haben, „er hätte mal wieder jemanden getroffen“.650 Aus solchen Äußerungen habe man in der Einheit gefolgert, dass wieder getötet worden war. Vonseiten der Ghettoinsassen wurde geschildert, auch der schon erwähnte „rote Mörder“ habe mit Freude Jagd auf die Juden des Ghettos gemacht. Was für diese tödlicher Ernst war, sei für ihn „eine Art Fangspiel“651 zum persönlichen Vergnügen gewesen. Auch zahlreiche Deutsche, die nicht zur Ghettowache gehörten, hätten eben deswegen das Ghetto immer wieder betreten. Für sie sei dies wie ein „Ausflug in einen menschlichen Zoo“652 gewesen, in dem man jeden wie „Freiwild behandelt“ habe.653 Nicht nur um Ghettoinsassen zum persönlichen Vergnügen zu töten, wurde auf diese Jagd gemacht. So griffen die Deutschen willkürlich Personen auf, um diese zu allerlei Zwangsarbeiten heranzuziehen. So erinnerte sich etwa Airem Bard, dass er „zu gelegentlichen Zwangsarbeiten von der Straße weg oder im Haus herangezogen“ wurde.654 Im Bataillon 61 wurden Juden etwa in der Verpflegungs- und Bekleidungskammer eingesetzt. Darüber hinaus habe es in der Polizeieinheit einige jüdische Putzfrauen gegeben. Die jüdischen Arbeiter sollen dabei von einigen Polizisten „misshandelt und getreten“655 worden sein. Während diese körperliche Gewalt nach dem Krieg geleugnet wurde, gestand Marach offen ein, dass er die Putzfrauen beleidigt habe. Er sah darin offenbar kein größeres Problem.656 Obwohl die willkürliche Heranziehung von Ghettoinsassen zu allerlei Arbeiten eigentlich verboten war, wurde die Praxis keinesfalls beendet. Auf Rosenberg machte es den Eindruck, dass die Deutschen „eben nicht auf ihr Vergnügen verzichten“ wollten,657 Juden zu fangen und zur Arbeit zu zwingen. Sandomir

650 Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 107r). 651 Aussage Sam German vom 9.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 7, Bl. 3516). 652 Zeitzeugenbericht Jerzy Rosenberg Ros Jerzy (YVA O.3 Nr. 3440). Ferner vgl. Engelking/ Leociak, Warsaw Ghetto, S. 247. 653 Aussage Kalmann Jankowsky vom 25.8.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1771). Auch nicht zum Bataillon 61 gehörende Akteure machten Jagd auf Juden. Exemplarisch vgl. Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 6). 654 Aussage Airem Bard vom 27.8.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 23, Bl. 10237). Für weitere Fälle, in denen Ghettoinsassen zu Arbeiten herangezogen wurden, vgl. Zeitzeugenbericht Harry Hershel Pekar Pokorski (YVA O.3 Nr. 5238); Eyewitness account by Ludwig Bronislaw Borkowski, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1100, Bl. 1). An anderer Stelle wird jedoch auch ausgeführt, dass Zwangsarbeit Ghetto­insassen durchaus die Möglichkeit zur Versorgung der eigenen Familie durch Schmuggel bot. Vgl. Zeitzeugenbericht Józef Himelblau vom 19.1.1948 (AŻIH 301 Nr. 3615, Bl. 1). 655 Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 128r). Für die 13 zum Bataillon 61 abgestellten jüdischen Zwangsarbeiter vgl. Klemp, Vernichtung, S. 114. 656 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 152r). 657 Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039). Insbesondere seien Juden, die sich im Gebet befanden, bevorzugt eingefangen worden.

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äußerte, er habe selbst gesehen, dass von den Deutschen „insbesondere hübsche gutaussehende jüdische Frauen und Mädchen ausgesucht und für niedrige Arbeiten eingeteilt“ wurden.658 Als der Judenrat der deutschen Ghettoverwaltung anbot, mehr Arbeiter zu Verfügung zu stellen, um die „wilde“ Praxis des Einfangens einzudämmen, soll die Antwort gelautet haben: „Das ist unmöglich. Wir können den Soldaten das Vergnügen nicht nehmen, die Leute selbst zu fangen.“659 3.2

Innerhalb des Ghettos

Für ihre „Jagderfolge“ waren die Männer der Dortmunder Polizeieinheit bereit, bestehende Einsatzregeln nicht nur im Bereich der Schusswaffengebrauchsanweisungen zu übertreten. Sie betraten auch das Innere des Ghettos, obwohl dies nicht zu ihren Befugnissen zählte. So führte der SSPF Warschau, nach dem Krieg aus: „Die Absperrung des Ghettos gegenüber dem arischen Teil Warschaus war Angelegenheit der Ordnungspolizei, die Aufrechterhaltung der Ordnung im Ghetto dagegen [war] Sache der Sicherheitspolizei.“660 Das offizielle Verbot, das abgeschottete Stadtgebiet zu betreten, wurde auch bereitwillig von Mitgliedern des Bataillons 61 zu Protokoll gegeben. Ihnen diente dies zur vermeintlichen Unterstützung des Arguments, dass man nicht im Inneren des Ghettos getötet habe. Entsprechend gaben die Zeugen verschiedener Ermittlungsverfahren wieder: „Es war den Beamten verboten, sich innerhalb des Ghettos zu bewegen.“661 Wer dennoch „das Ghetto betrat, tat dies als Polizist verbotswidrig“.662 Jede Zuwiderhandlung gegen das Verbot sei ein „Willkürakt“663 gewesen. Am prägnantesten formulierte es der Spieß der 1. Kompanie des Bataillons 61. Er hielt fest, „dass sich die durch die Polizei zu stellende Ghettowache ausschließlich auf die um das Ghetto herumliegende Umzäunung begrenzte“.664 Nach dem Willen des SSPF Warschau sollte gerade durch die Dortmunder Polizeieinheit streng kontrolliert werden, dass niemand, auch keine uniformier-

658 Aussage Abram Sandomir vom 6.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1796). Er nennt u. a. das Säubern von Toiletten, wobei eine Frau in einem Fall gezwungen worden sei, sich mit Kot zu beschmieren. 659 Eyewitness account by Aron Bard, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1117, Bl. 2). 660 Aussage Arpand Wigand vom 11.10.1971 (BA-L B 162 Nr. 19318, Bl. 977). 661 Aussage Joseph Figiel vom 24.7.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 16, Bl. 6889). Ferner exemplarisch vgl. Aussage Erich Schumacher vom 8.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5879); Aussage Franz Thamm vom 28.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5808). 662 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 50). 663 Aussage Heinrich Krolopp vom 23.11.1951 (ebd., Bl. 116). 664 Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 135). Ebenso zum Verbot, das Ghetto zu betreten, vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 120r); Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 108).

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ten Personen, „ohne Passierschein das Ghetto“ betraten.665 Auch sollte dies für jedes Fahrzeug gelten. So war „der Posten der Ghetto-Wache berechtigt und verpflichtet, eine Kontrolle der Ausweispapiere und des Wageninhaltes vorzunehmen“.666 Eine genaue Liste, wer das Stadtgebiet betreten durfte, sei „dem Bataillon 61 zugestellt worden und hängt am Eingang selbst zur besseren Orientierung der Posten aus“.667 Die Männer wussten also genau, dass sie nicht zu den befugten Personen gehörten. Die Strafen für illegales Eindringen in das abgesperrte Stadtgebiet sollen für Polizisten von Disziplinarstrafen bis hin zu einem Verfahren vor einem SS- und Polizeigericht gereicht haben. Kurz vor dem Eintreffen des Dortmunder Bataillons in Warschau hatte man die Entscheidung getroffen, dass für „unbefugtes Betreten des jüdischen Wohnbezirks“ das Strafmaß noch empfindlicher ausfallen sollte. Es hieß: „Möglichst weitgehend müsste Haft verhängt werden.“668 Ausnahmen vom Verbot, das Ghetto zu betreten, sollen im Fall des Bataillons 61 nur bestanden haben, wenn Offiziere und Funktionsunteroffiziere das Ghetto durchqueren mussten, um zu den zu kontrollierenden Wachposten zu gelangen. Eine weitere Ausnahme sei gewesen, wenn Polizisten damit beauftragt waren, die Innenseite der Ghettomauer auf „Schmuggelnester“669 zu überprüfen. Auch durften die Ordnungspolizisten offenbar das Ghetto betreten, wenn sie als Amtshilfe für die Sicherheitspolizei und den SD angefordert wurden. Dies war jedoch beim Bataillon 61 ein absoluter Ausnahmefall. So berichtete Kreienkamp, er habe nur einmal mit seinem Spieß tagsüber „eine Streife in Uniform ins Ghetto unternommen“. Sie hätten dort „anhand einer angegebenen Adresse Ghettoinsassen festnehmen“670 sollen, was jedoch nicht gelungen sei. Junker

665 Niederschrift über die Besprechung beim SS- und Polizeiführer am 24.2.1942 betr.: Ghettomauer 26.2.1942 (APW 482 Nr. 22, Bl. 126). 666 Ebd., Bl. 127. Ebenso vgl. Kurze Instruktionen für die Posten der Ghettowachen in Warschau, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282 Bl. 246). Für die Kontrolle von Särgen vgl. Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 38). 667 Niederschrift über die Besprechung beim SS- und Polizeiführer am 24.2.1942 betr.: Ghettomauer vom 26.2.1942 (APW 482 Nr. 22, Bl. 127). 668 Strafverfolgung von Juden vom 5.11.1941 (APW 482 Nr. 40, Bl. 12). Nur am Rand wurde dort die erwähnte Bestrafung von Nicht-Juden erörtert. Für drohende Disziplinarmaßnahmen vgl. Aussage Karl Schmitz vom 28.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 145). Für das SS- und Polizeigericht vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 24.10.1961 (ebd., Bl. 206). 669 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 53r). Für das Sonderrecht der Offiziere, das Ghetto zu durchqueren, vgl. Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 36). 670 Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 232r). Ansonsten sei das Betreten des Ghettos verboten gewesen. Für die Zuständigkeit von SD und Sicherheitspolizei, deren Dienststelle im Ghetto in der Zelasna-Straße 103 lag, vgl. Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 10). Der Zeuge Wiesel legt nahe, dass auch die Ordnungspolizei zum Absperren bei großen Aktionen ins Ghetto geholt wurde. Vgl. Aussage Wilhelm Wiesel vom 4.7.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14,

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führte aus, es sei „hin und wieder“671 vorgekommen, dass die Männer des Bataillons 61 ins Ghetto mussten, um festgesetzte Personen in das dortige Gefängnis zu überführen. Auch wenn kein offizieller Auftrag oder die beschriebenen sonstigen Umstände vorlagen, ließ sich das grundsätzliche Verbot, das Ghetto zu betreten, durch die Männer des Bataillons 61 leicht umgehen. Zum einen waren es die Polizisten selbst, die das Verbot kontrollieren und durchsetzen sollten. Zum anderen sei es in Warschau möglich gewesen, „ohne weiteres eine Genehmigung von irgendwoher“672 zu bekommen, um das gesperrte Stadtgebiet zu betreten. Besonders leicht dürfte dies in Polizeiverbänden gewesen sein, denn neben dem KdS und dem SD erhielten auch „die Kommandos der Schutzpolizei und der Ordnungspolizei“ schlichtweg „Blankopassierausweise“.673 In Übertretung der geltenden Einsatzregeln unternahmen die Männer der Dortmunder Polizeieinheit regelrechte Touren in und durch das Ghetto, um dort zu töten. Verschiedene Mitglieder des Bataillons 61 gestanden nach dem Krieg ein, dass sie das Ghetto aus angeblicher dienstlicher Veranlassungen betreten hätten. Tötungen klammerten sie für sich selbst aus juristischen Gründen immer aus. Jedoch beschrieben sie derartige Taten für andere Einheitsmitglieder. So sei es „allgemein beim Bataillon bekannt“ gewesen, dass etwa Hauptmann „Mehr das Ghetto betrat und darin herumgeschossen hat“.674 Die häufigen Fahrten, an denen sich auch diverse andere Mitglieder des Bataillons beteiligten, hätten „nur den Zweck haben“ können, „Ghettoinsassen zu schikanieren bzw. zu töten“.675 Die Streifzüge sollen „keineswegs polizeilichen Aufgaben“ gedient haben, „sondern waren reine Willkürakte“.676

Bl. 6280). Teilweise scheinen auch Mitglieder der Ordnungspolizei den SD im Ghetto beim Umstellen von Gebäuden unterstützt zu haben, wie ein Ghettoinsasse beobachtet haben will. Vgl. Aussage Sam Henry Hoffenberg vom 3.11.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3903). Laut Aussage eines SD-Manns unterstützte der SD die Ordnungspolizei auch an den Ghettozugängen. Vgl. Aussage Hans Bäcker vom 1.5.1971 (BA-L B 162 Nr. 19315, Bl. 521). Mitglieder des Bataillons 61 leugneten jedoch jede Kooperation mit dem SD. Exemplarisch vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 29.3.1962 (StAHH 21312-70 Nr. 13, Bl. 5818). 671 Aussage Ludwig Junker vom 3.4.1962 (ebd., Bl. 5833). Hierbei ist vermutlich das Gefängnis in der Gęsia-Straße 24 gemeint. 672 Aussage Werner Seliger vom 9.9.1971 (BA-L B 162 Nr. 19318, Bl. 950). 673 Niederschrift über die Besprechung beim SS- und Polizeiführer am 24.2.1942 vom 26.2.1942 (APW 482 Nr. 22, Bl. 126). 674 Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 36). Exem­ plarisch für Eingeständnisse das Ghetto betreten zu haben vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 54); Aussage Heinrich Marach vom 12.10.1965 (StAHH 21312-70 Nr. 47, Bl. 21599); Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 80r). Exemplarisch für die Nennung zahlreicher Bataillonsangehöriger, die im Ghetto aktiv waren, vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 9.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5852). 675 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 110). 676 Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 108).

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Aufseiten der Ghettoinsassen notierte Auerbach 1942 in ihrem Tagebuch über den Polizisten „Frankenstein“, dass dieser nicht nur an den Ein- und Ausgängen des Ghettos gejagt habe, sondern oft in das Innere des Ghettos vordrang. Dabei stellte er offenbar keine Ausnahme dar. So soll es „laufend kleine Aktionen im Warschauer Ghetto“ gegeben haben, „die vom Wachpersonal auf eigene Faust veranstaltet wurden“.677 Nahezu täglich seien Personen in das Ghetto gekommen, um „in den Straßen mutwillig auf Juden“678 zu schießen. Die Deutschen hätten „in die Fenster und auf Balkone von der Straße aus geschossen“ und auch vor „ruhig auf der Straße gehenden Menschen“679 nicht Halt gemacht. Entsprechend seien in das im Ghetto gelegene Stawki-Krankenhaus „häufig Menschen gebracht [worden], die angeschossen waren“.680 Gleiches habe auch für das Hospital in der Lezno-Straße gegolten. Der Arzt Stefan Jerzy hielt fest: „Ich operierte und behandelte viele durch Schusswunden Verletzte und schwer Verprügelte. Die überwiegende Zahl der Angeschossenen starb an den erlittenen Verwundungen.“681 Ebenso berichteten andere Personen davon, dass es neben direkten Tötungen im Ghetto auch zu zahlreichen Misshandlungen kam. Erneut sollen die Deutschen dabei „lange Peitschen“682 eingesetzt haben. Auch habe sich „Frankenstein“ wieder besonders hervorgetan. So berichtete Menasze Tencer: „An einem Tage im Sommer 42 kam Frankenstein […] und zwang meinen Nachbarn, aus einer Flasche Spiritus, von denen er einige im Geschäft (das sich in der Wohnung befand) gefunden hatte, zu trinken. Mein unglücklicher Nachbar starb unter schrecklichen Schmerzen.“683 Ebenfalls erstreckte sich die

677 Aussage Samuel Topelson vom 15.9.1971 (BA-L B 162 Nr. 19318, Bl. 1006). Für Auerbachs Tagebuchnotiz vgl. Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 24). Zu Auerbachs Person vgl. Boaz Cohen, Rachel Auerbach, Yad Vashem and Israeli Holocaust Memory. In: Polin: Studies in Polish Jewry, (2008) 20, S. 121–197. 678 Aussage Abram Sandomir vom 6.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1795). Noch bevor die großen Deportationen im Sommer 1942 begannen, will dies in ähnlicher Form etwa auch Handelsman beobachtet haben. Vgl. Aussage Josef Handelsman vom 2.7.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 31, Bl. 14595). Ebenso vgl. Aussage Majloch Gajstman vom 24.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3706). Ferner für ständig in das Ghetto eindringende Deutsche vgl. Zeitzeugenbericht Józef Himelblau vom 19.1.1948 (AŻIH 301 Nr. 3615, Bl. 2). Dort ist auch erwähnt, dass später häufig Ukrainer eingedrungen seien. 679 Aussage Aleksander Pacho vom 21.7.1969 (BA-L B 162 Nr. 19314, Bl. 216). 680 Ebd. 681 Aussage Stefan Jerzy vom 7.8.1969 (BA-L B 162 Nr. 19314, Bl. 227). 682 Zeitzeugenbericht Ada Rems vom 21.11.1945 (AŻIH 301 Nr. 1221, Bl. 2). Für einen Zeugen der anführte, häufig misshandelt worden zu sein, vgl. Aussage Josef Wiener vom 25.7.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 2, Bl. 829). Allgemein zu Misshandlungen im Ghetto vgl. Aussage Lolek Weinryb vom 18.3.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 28, Bl. 12782); Aussage Max Georg Bischof vom 28.1.1963 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2261, Bl. 9). 683 Aussage Menasze Tencer vom 22.4.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9185).

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Gewalt, wie schon an den Ghettogrenzen, auch auf Kinder. Ein Augenzeuge will mehrfach gesehen haben, dass die Deutschen festgesetzte Kinder „mit dem Kopf gegen die Wand“ stießen, „bis sie tot hinfielen“.684 Innerhalb der Ghettogrenzen bewegten sich die Dortmunder Polizisten auf verschiedene Art. In einigen Fällen liefen die Bataillonsangehörigen zu Fuß durch das abgesperrte Stadtgebiet. So sei es etwa in der Polizeieinheit bekannt gewesen, dass Hauptmann Mehr seine Männer, wie es beschönigend hieß, „mit zu den Postenkontrollen nahm“. Hierbei seien „auch hin und wieder Juden erschossen worden“.685 Auch vonseiten der Ghettoinsassen wurde berichtet, „dass die Täter durch das Ghetto gingen und die Juden auf der Straße ohne irgendeinen ersichtlichen Grund niederschossen“.686 So vermerkte ein unbekannter Tagebuchschreiber, er habe gesehen, „wie plötzlich ein Deutscher in der Ciepła[-Straße] auftauchte und ohne Ursache auf die Passanten zu schießen begann, wobei sechs von ihnen auf der Stelle tot waren“.687 Insbesondere auf dem verwinkelten und schwierig einzusehenden jüdischen Friedhof attackierten die Polizisten verschiedentlich Juden, die dort versuchten, Waren zu schmuggeln. Wladek Frajmann beschrieb nach dem Krieg beispielsweise, wie er „Frankenstein“ beobachtet habe, als dieser dort auf ein junges Mädchen schoss und sie dabei schwer verletzte. „Aus der Art dieser Verletzung“ habe Frajmann erkannt, dass „es sich um ein Dumdum-Geschoss gehandelt hatte“.688 In besser zugänglichen Teilen des Ghettos setzten die Polizisten verschiedene Fahrzeuge ein, um sich potenziellen Opfern zu nähern. Ein Arzt einer Ghettoklinik erinnerte sich, er habe gehört, dass „sehr häufig Fälle vorkamen, wobei durch die Straßen des Ghettos fahrende Deutsche in die Fenster oder auf Vorübergehende schossen“.689 Spiegelstein sagte aus, die Polizisten seien „manchmal in einem offenen Kübelwagen, manchmal auf Fahrrädern, manchmal auf einer sogenannten Rikscha“690 ins Ghetto gekommen, um zu töten. Bei letzterem Vehikel war ein Ghettoinsasse gezwungen, die Männer zu fahren, während diese vom Sitzbrett aus geschossen haben sollen. „Frankenstein“ hingegen

684 Eyewitness account by Hanna Birnfeld, o. D. [ca. 1957] (WL P.III.H. Nr. 531, Bl. 3). Für einen Fall, in dem zwei Jungen „nur“ getreten worden seien, vgl. Tagebuchfragment Abraham Lewin 15.5.–5.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 431, Bl. 12). Für einen Fall, in dem „Frankenstein“ ein Kind zerrissen habe, vgl. Aussage Menasze Tencer vom 22.4.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9185). 685 Aussage Heinrich Wenzel vom 9.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5852). 686 Aussage Josef Boniovka vom 2.11.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 17, Bl. 7772). 687 Anonymes Tagebuch vom 6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 521, Bl. 1). 688 Aussage Wladek Frajmann vom 18.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3650). Man habe allgemein gewusst, dass „Frankenstein“ nur mit dieser Munition schoss. Diese Munition war damals bereits durch die Haager Landkriegskonvention als besonders grausam geächtet. Vgl. RGBl, (1901) I, S. 478. 689 Aussage Stanislaw Rutkowski vom 15.6.1969 (BA-L B 162 Nr. 19314, Bl. 213). 690 Aussage Israel Spiegelstein vom 13.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1809).

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wurde nachgesagt, dass er „auf einem Fahrrad durch das Ghetto zu fahren“691 pflegte, wobei er mit seiner Pistole schoss. Eine dramatische Beobachtung vermerkte Fligelman in seinem Tagebuch. Er will gesehen haben, wie Polizisten mit einem Lastkraftwagen durch das Ghetto fuhren. Dabei hätte plötzlich „einer von ihnen aus einem quer zum Lenkrad gehaltenen automatischen Karabiner einige Schüsse“692 abgegeben und einen Jungen getroffen, der gerade einen Korb mit Backwaren trug. Auch wenn von Fahrzeugen, die die Polizisten u. a. zu ihren Wachposten transportierten, nicht geschossen wurde, seien aus diesen während der Fahrt oftmals Schläge gegen Passanten ausgeteilt worden. In einem anderen Fall hätten deutsche Polizisten, laut den Notizen von Jechiel Górny, ein Motorrad genutzt. Von diesem aus sollen sie einen Schmuggler und ein Mitglied des jüdischen Ordnungsdienstes erschossen haben. Ähnliches wurde auch über „Frankenstein“ berichtet, der in mindestens zehn Fällen von einem Motorrad aus auf der Karmelitzka- und Leszno-Straße getötet haben soll. Marach gab zu Protokoll, er habe seinen Kompaniechef „bei einer Rundfahrt in einem Seitenwagen-Krad begleiten“ müssen.693 Als dabei „Hauptmann Mehr einen Ghettoinsassen anrief, der sich an der Ghettoeinfriedung“694 aufgehalten habe und dieser floh, habe „Mehr mit seiner Maschinenpistole“695 geschossen und die Person getötet. Am häufigsten setzten die Dortmunder Polizisten jedoch offenbar einen dem Bataillon 61 zur Verfügung stehenden Kübelwagen ein, um auf die Insassen des Ghettos Jagd zu machen. Wilhelm Rung habe in der Bar der 1. Kompanie gehört, wie Männer aufgefordert wurden, sich bereit zu machen. Ein Kamerad habe ihm gesagt, dass die Polizisten nun „wieder ins Ghetto fahren und dort wieder herumschießen würden“.696 Hauptmann Mehr habe immer zwei weitere Polizisten auf solche Fahrten mitgenommen, urteilte der Spieß der 1. Kompanie. Sowohl Anton Drywa als auch Erich Mockler meinten, nicht nur Hauptmann Mehr, sondern auch der ihn begleitende Spieß hätten hierzu Maschinenpistolen mitgenommen. Vom Wagen aus hätten sie „rücksichtslos, ohne Aufforderung

691 Aussage Ghana Berenblut vom 5.1.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 38, Bl. 17390). Für das Schießen aus einer Rikscha vgl. Aussage Israel Spiegelstein vom 13.4.1961 (StAHH 21312-70 Nr. 3, Bl. 1810). 692 Tagebuchfragment Daniel Fligelman 28.5.–22.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 411, Bl. 3). 693 Aussage Heinrich Marach vom 29.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5814). Für Gornys Aufzeichnungen vgl. Jechiel Górny tägliche Notizen 4.–7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 414, Bl. 12). Für „Frankenstein“ und seine Verwendung eines Motorrads vgl. Aussage Samuel Silberstein vom 27.3.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9168). Für Schläge aus Polizeifahrzeugen vgl. Zeitzeugenbericht Jerzy Rosenberg Ros Jerzy (YVA O.3 Nr. 3440). Ferner vgl. Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 246 694 Aussage Heinrich Marach vom 12.10.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21598). Auch andere Akteure, die nicht zum Bataillon 61 gehörten, unternahmen Fahrten mit einem Motorrad, um Ghettoinsassen zu töten, so etwa Heinrich Klaustermeyer. Vgl. Aussage Stanislaw Adler vom 10.3.1948 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2259, Bl. 55). 695 Aussage Heinrich Marach vom 12.10.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21598). 696 Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 125r).

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stehen zu bleiben […] von der Schusswaffe Gebrauch“ gemacht.697 Insbesondere hätten die Männer auf „Fenster, die noch beleuchtet waren, wo sich eine Person sehen ließ, rücksichtslos“ gefeuert.698 Die Praxis, mit einer Maschinenpistole bewaffnet in einem Wagen durch das Ghetto zu fahren, soll sich dabei nicht nur auf Mehr und die von ihm ausgesuchten Männer erstreckt haben.699 Dazu passend will der Ghettoinsasse Samuel Lubowski mehrfach Zeuge gewesen sein, wie aus einem Wagen „mit dem Kennzeichen – Pol – auf die Bevölkerung des Ghettos geschossen wurde“.700 Auch aus anderen Quellen wurde berichtet, wie ein Polizeifahrzeug „mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit“ durch das Ghetto gerast sei. Seine Passagiere hätten dabei auf „Fenster und Haustüren“,701 aber auch Passanten geschossen. Auch Daniel Fiegel vermerkte in seinem Tagebuch, dass Deutsche aus einem Auto „mithilfe von Maschinengewehren Juden zu erschießen“ versuchten.702 Bei diesem Vorgehen hätten die Deutschen durchaus auch auf Mitglieder des jüdischen Ordnungsdienstes geschossen, die eigentlich mit den Dortmunder Polizisten kooperierten.703 Die meisten Touren in das Ghetto und der damit häufig verbundene Einsatz von Schusswaffen durch die Dortmunder Polizisten sollen sich „in der Dämmerung oder eingetretener Dunkelheit“704 sowie „in den frühen Morgenstunden“705 ereignet haben. Es sei „vor allem die Rede davon“ gewesen, dass die nächtlichen Ausflüge dazu dienten, „Juden, die nach der Sperrstunde auf der Straße angetroffen wurden“,706 zu töten. Man habe sie „auf der Straße überraschen und erschießen“ wollen.707 Vonseiten der Ghettoinsassen sei bekannt gewesen, dass, wenn man „während der Sperrstunde auf die Straße“ ging, „ohne weiteres

697 Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 62). Für die Aussagen der Polizisten vgl. Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 47r); Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48). Für die übliche Mitnahme von zwei Polizisten vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 54). 698 Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 44). 699 Vgl. Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 125r). 700 Aussage Samuel Lubowski vom 18.11.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 2, Bl. 1107). Solche Kennzeichen trugen nur Fahrzeuge der Polizei. 701 Bericht: Die Liquidierung des jüdischen Warschaus vom 15.11.1942 (AŻIH ARG II Nr. 300, Bl. 12). 702 Tagebuchfragment Daniel Fligelman 28.5.–22.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 411, Bl. 6). 703 Vgl. Jechiel Górny tägliche Notizen 4.–7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 414, Bl. 33). 704 Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 29). Für die nachts intensivierte Gewalt aus Sicht der Ghettoinsassen vgl. Aussage Marcel Reich-­ Ranicki vom 5.10.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2259, Bl. 14). 705 Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 102r). 706 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (ebd., Bl. 217). Auch vonseiten der Ghettoinsassen wurde berichtet, dass nachts ein häufiges Ausrücken des jüdischen Rettungsdienstes wegen der deutschen Patrouillen nötig war. Vgl. Zeitzeugenbericht Jerzy Rosenberg Ros (YVA O.3 Nr. 3440). 707 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 110). Ebenso vgl. Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 139).

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erschossen“ wurde, „wenn einer von den Wachmannschaften dies zu sehen bekam“.708 Trotz der Gefahr durch einen „zufällig vorbeikommenden Deutschen erschossen zu werden“,709 hätte man sich nur bedingt an die Ausgangssperre gehalten. Der Willkür der Bewacher sei man ohnehin ausgeliefert gewesen. So habe etwa ein Mitglied der Ghettowache seine Uhr vorgestellt und diese dann zwei Ghettoinsassen als Begründung gezeigt, bevor er sie erschoss.710 Um ihren „Jagderfolg“ zu erhöhen, nutzten die Männer der Dortmunder Polizeieinheit nicht nur die Dunkelheit. Sie tarnten sich regelrecht mit Zivilkleidung. Der Bataillonsangehörige Marach beschrieb nach dem Krieg, es habe sich dabei meist um eine „Schlosserkombination“ gehandelt. Diese habe „aus einem durchgehenden, Jacke und Hose verbindenden schwarzen Stoffgewand“ bestanden, wie es „auch von Zivilschlossern getragen zu werden pflegte“. Als Kopfbedeckung sei meist eine „Schlägermütze“711 gewählt worden. Von Mitgliedern des Bataillons 61 wurde eine solche Tarnung nach dem Krieg oftmals eingestanden, jedoch führten sie meist beschönigend an, es habe sich um ein Element offizieller Zivilstreifen zur Schmuggelbekämpfung gehandelt. Man habe versucht zu eruieren, „auf welchen unterirdischen Wegen sich die GhettoInsassen mit der Außenwelt in Verbindung setzten“.712 Dies gehörte aber überhaupt nicht zum offiziellen Aufgabenbereich der Ordnungspolizei und auch vom SD seien solche Streifen nie angefordert worden. Die verantwortlichen Offiziere der Dortmunder Polizeieinheit seien „von sich aus nicht befugt“ gewesen, „derartige Zivilstreifen ins Ghetto zu schicken“. Dennoch habe man sich über den bestehenden „Befehl hinweggesetzt“.713 Einige Männer des Bataillons 61 erläuterten die Absicht, die hinter der Entsendung

708 Aussage Abram Sandomir vom 6.4.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1795). Jedoch sei auch der Aufenthalt bei Tag auf der Straße potenziell tödlich gewesen. Vgl. Aussage Henryk Fenigstein vom 13.5.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9654). 709 Jechiel Górny tägliche Notizen 4.–7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 414, Bl. 30). 710 Vgl. Jechiel Górny tägliche Notizen 4.–7.1942 (YIVO RG 225 HWC 32.5, Bl. 48). Für das Ignorieren der Ausgangssperre, was Górny beobachtete, vgl. ebd., Bl. 30. 711 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 150). Ebenso für die Zivilkleidung vgl. Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (ebd., Bl. 218). Sippel sprach hingegen von „Halbzivil“. Vgl. Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 104r). 712 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 187). Allgemein für getarnte „Zivilstreifen“ vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 166); Aussage Wilhelm Ködding vom 22.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 102); Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 162r). Dort heißt es u. a. Klippert, Föcker, Marach, Helmer und Bayer seien häufig zu „Zivilstreifen“ aufgebrochen. An den Touren hätten sowohl Offiziere, Unterführer als auch Mannschaften teilgenommen. Vgl. Aussage Artur Michels vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 189r). Für die besonders häufigen Teilnehmer solcher Touren vgl. Aussage Ludwig Junker vom 6.3.1951 (ebd., Bl. 69). 713 Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 29r). Kärgel bezog dies nur auf die 1. Kompanie, doch kamen offensichtlich auch Streifen anderer Teileinheiten des Bataillons 61 zustande. Dafür, dass der SD nie Streifen beim Bataillon

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von getarnten Gruppen in das Ghetto stand, ganz offen: „Zweck dieser Zivilstreifen sollte wohl sein, die Ghettoinsassen nicht durch das Auftauchen von Uniformen zu warnen und damit den Streifen Gelegenheit zu geben, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.“714 Die Touren „konnten nur dazu bestimmt sein, Juden zu überraschen und zu töten“.715 Ein Zeuge will gehört haben, wie der Chef der 1. Kompanie anriet, dass seine Polizisten „ohne Anruf und ohne weiteres schießen sollten“.716 Dies sei insofern umgesetzt worden, als in „Räuberzivil blindlings auf die Lager-Insassen im Ghetto“717 geschossen wurde. Auch vonseiten der Ghettobevölkerung ist das getarnte Töten durch ihre deutschen Bewacher wahrgenommen worden. So schilderte etwa ein anonymer Bericht aus dem Sommer 1942, dass sich die Deutschen als „arische“ Schmuggler ausgegeben hätten, die so taten, als würden sie in Säcken ihre Ware transportieren. Als sich dann aber Personen näherten, seien aus den Säcken Maschinenpistolen hervorgeholt worden und das Töten hätte begonnen. In einer anderen Darstellung heißt es: „An den Mauern erscheinen Gendarmen in Zivilkleidung und mit jüdischen Binden, und wenn sie jemanden auf Wache an der Mauer finden, töten sie ihn sofort.“718 Betrachtet man die vom Warschauer Judenrat geführte Statistik über „Unfälle“ im Ghetto, so wird das Ausmaß dieser Taten deutlich. Die Staatsanwaltschaft Dortmund stellte zu diesen Berichten korrekt fest: „Sie enthalten nur die Vorkommnisse, über die berichtet werden durfte und konnte.“ Jedoch in einer Form, aus der „man vieles herauslesen kann“. So gelte etwa: „Manche Dinge werden umschrieben.“ Beispielsweise würden „tödliche Unfälle auf der Straße“ genauso wie „Unfälle durch Schusswunden“ auf Tötungen hinweisen, ohne dass explizit als Todesursache eine „Schussverletzung“719 angegeben wurde.

61 anforderte, vgl. Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 264r). Kärgel sagte unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus, der SD habe die Dortmunder Polizeieinheit doch ganz vereinzelt angefordert. Vgl. Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 29r). 714 Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 213). 715 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (ebd., Bl. 218). 716 Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 162r). 717 Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 66). Für einen exemplarischen Fall vgl. Aussage Heinrich Marach vom 12.10.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21599). Dort heißt es: „Ein Polizeiangehöriger namens Körber rief einen Polen an, der mit einem Sack über die Ghettomauer klettern wollte […] dann schoss Körber und verletzte den Polen tödlich.“ 718 Bericht über die Stimmung im Ghetto vom 13.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 522, Bl. 1). Für den ersten Bericht vgl. Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 6). Im Original ist die Rede von Maschinengewehren. Es muss sich aber logischerweise aufgrund von deren Größe um Maschinenpistolen gehandelt haben. 719 16. Auswertung der Berichte des Obmanns des Judenrates vom 1.1.1942–18.3.1943 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2284, Bl. 545).

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Der Judenrat hielt fest, im Februar 1942 seien „265 Unfälle notiert worden, darunter 252 Todesunfälle auf der Straße, bei denen die Todesursache nicht festgestellt werden konnte“.720 Für den Folgemonat zählte man „309 Unfälle“, wovon „290 Todesunfälle auf der Straße“721 nicht geklärt worden seien. Im April 1942 betrug die Zahl „239 Todesfälle auf den Straßen“, bei welchen die Ursache nicht ermittelt worden sei. Gesondert führte man nun aber auch noch „81 Unfälle infolge [von] Schusswunden“ auf.722 Im Mai zählte man „107 Todesunfälle auf der Straße“, die ungeklärt blieben und offiziell „54 Unfälle infolge [von] Schusswunden“.723 Im letzten Bericht vor Beginn der großen Deportationen wurde für den Monat Juni festgehalten, es hätten sich „59 Todesunfälle“, die unklar seien, ereignet, während es „90 Unfälle infolge [von] Schusswunden“724 gegeben habe. Auch wenn Mitglieder des Bataillons 61 nicht für alle diese „Unfälle“ verantwortlich waren, so war ihr Anteil unbestreitbar, sowohl durch Tötungen als Ghettowachposten als auch während illegaler Aufenthalte im Ghetto. Das enorme Ausmaß der Gewalt durch Polizisten zeigt sich auch daran, dass bei den Ghettoinsassen sogar das Gerücht aufgekommen sei, selbst die deutsche Obrigkeit wolle das Verhalten von „Frankenstein“, der geradezu ein ikonischer Stellvertreter für die übrigen Polizisten war, nicht mehr tolerieren und er solle abgelöst werden. Tatsächlich könnte es solche Bestrebungen zumindest auf Kompanieebene im Bataillon 61 gegeben haben. So soll sich der Unteroffizier Kreulich erfolglos dafür eingesetzt haben, Helmer nicht mehr zur Wache einzuteilen.725 720 62. Bericht des Obmanns des Judenrates in Warschau für den Monat Februar 1942 (ebd., Bl. 4). Insgesamt hätten 4 618 Begräbnisse stattgefunden. Vgl. ebd., Bl. 6. 721 63. Bericht des Obmanns des Judenrates in Warschau für den Monat März 1942 (ebd., Bl. 8). Insgesamt hätten 4 951 Begräbnisse stattgefunden. Vgl. ebd., Bl. 10. 722 64. Bericht des Obmanns des Judenrates in Warschau für den Monat April 1942 (ebd., Bl. 5). 723 65. Bericht des Obmanns des Judenrates in Warschau für den Monat Mai 1942 (ebd., Bl. 5). Bei insgesamt 3 636 Begräbnissen stieg die Zahl unnatürlicher Tode also an. Vgl. ebd., Bl. 7. 724 66. Bericht des Obmanns des Judenrates in Warschau für den Monat Juni 1942 (ebd., Bl. 5). Es sollen insgesamt 3 356 Begräbnisse stattgefunden haben. Vgl. ebd., Bl. 8. Dort heißt es ferner: Für Juli und August seien keine „Unfallstatistiken angefertigt worden“. „Infolge der andauernden Umsiedlungsaktion konnte die Leitung des Ordnungsdienstes ihren Bericht nicht fristgemäß zustellen.“ Vgl. 67. Bericht des Obmanns des Judenrates in Warschau für den Monat Juli 1942 (ebd., Bl. 3). 725 Auch kam es dazu, dass sich der Vorsitzende des Judenrats, Adam Czerniaków, bei den deutschen Behörden wenig erfolgreich über willkürliche Tötungen beschwerte. Für die Beschwerde über Ghettoschießereien, die durch Czerniaków in seinem Tagebuch festgehalten wurde. Vgl. Czerniaków Tagebuch für die Jahre 41/42, 15.6.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2286, unpag.), S. 40. Für das Gerücht, „Frankenstein“ solle nicht länger toleriert werden, vgl. Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 24). Für Kreulichs Bemühungen vgl. Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 38r). Siehe dazu ausführlicher Kapitel V.5. Für Tötungen durch andere Einheiten vgl. Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 104). Exemplarisch zum Verhalten des SD aus Perspektive der Ghettoinsassen vgl. Aussage Alexander Dytman vom 8.8.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 1, Bl. 528).

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Ein weiterer Grund für die hohe Todesrate im Ghetto waren von deutschen Kräften immer wieder durchgeführte offizielle Exekutionen, die für einen Versuch, das Ghetto zu verlassen, ausgesprochen werden konnten. Ob das Bataillon 61 an solchen Exekutionen teilnahm, die eher kleinen Umfang hatten, ist nicht zu klären. Sicher ist jedoch, dass die Dortmunder Polizeieinheit 1942 mindestens eine Massenexekution ausführte. Der hierzu führende Vorfall ist unterschiedlich geschildert worden. Während einer ihrer Touren durch das Ghetto in Zivilkleidung soll „angeblich ein Polizeibeamter“726 angegriffen worden sein. In einem anderen Fall wurde behauptet, „einige Unterführer“ seien, als sie „sich im Ghetto aufgehalten hatten, von Juden angegriffen“ worden.727 Die extremste Behauptung war sicherlich, dass der Polizist Sobirei im Ghetto angeschossen worden sei. In anderen Darstellungen heißt es plausibler, der Grund „sei ein ziemlich belangloser Zwischenfall“ gewesen.728 So könnte eine „Anpöbelei eines Polizisten im Ghetto“729 Auslöser der Exekution gewesen sein. Im Bereich des Möglichen liegt aber auch, dass ein Mitglied der 1. Kompanie im Ghetto lediglich gestürzt war.730 Am wahrscheinlichsten ist die von Kreulich 1962 bei der Staatsanwaltschaft Hamburg vorgetragene Variante: „Hauptmann Mehr hatte wieder einmal einen Mann in Zivil ins Ghetto geschickt. Dieser Mann ergriff sich aus einem mir nicht bekannten Grunde einen Juden und hielt diesem seine Pistole auf die Brust. Der Jude wehrte sich dagegen, zumal er ja auch in dem ihn Bedrohenden keinen Polizisten erkennen konnte. Diese Zurwehrsetzung des Juden hat Mehr derart erbost, dass er alles in Bewegung gesetzt hat, um Vergeltung zu erlangen.“731

Hierzu passend notierte der Ghettoinsasse Górny schon für den 13. Juni 1942 in seinen täglichen Notizen, dass ein jüdischer Pförtner einen deutschen Polizisten eine „Browning“,732 also eine Pistole, aus der Hand geschlagen habe, um zu fliehen und so einer Tötung zu entgehen.

726 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 51). Ebenso für einen angeblichen Angriff vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 44). Exemplarisch zu einer Hinrichtung für das Verlassen des Ghettos vgl. Bekanntmachung über Erschießung von acht Personen vom 17.11.1941 (AŻIH ARG I Nr. 184). 727 Aussage Arthur Michels vom 9.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5888). 728 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 188). Für angeblich gefallene Schüsse vgl. Aussage Artur Michels vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 190). 729 Aussage Adalbert Roschkowski vom 29.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5818). 730 Vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 51). 731 Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5828). 732 Jechiel Górny tägliche Notizen 4.–7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 414, Bl. 27). Vermutlich wurde die Marke der Waffe inkorrekt benannt, da die Deutschen keine Waffen der US-Marke Browning verwendeten.

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In dazu passender Weise meinte sich das Bataillonsmitglied Wenzel zu erinnern, dass der Polizist Sobirei von einem Schlag im Ghetto „einige Kratzer an der Hand davongetragen“ habe.733 Auch einige weitere Männer des Bataillons 61 gingen davon aus, dass sich „ein offensichtlich von deutscher Seite provozierter Vorfall“734 zugetragen hatte. Entsprechend sei die später durchgeführte Exekution zum Schein „als Vergeltungsmaßnahme aufgezogen“ worden.735 In jedem Fall habe der Chef der 1. Kompanie zuvor angekündigt, dass „der Kompanie für diesen Vorfall Genugtuung gegeben werde“.736 Wie deren Bewilligung angeblich erreicht wurde, war innerhalb des Bataillons 61 Gegenstand von Spekulationen. Es hieß u. a.: „Vermutlich hat [Mehr] sich von höheren Orts die Genehmigung dazu geholt bzw. erhalten.“737 Ergebnis war, dass der Hauptmann „die Erschießung von 110 Juden“ anordnete.738 Aus der Perspektive der Ghettoinsassen wurde berichtet, dass die Exekution nördlich „vor der Stadt in Babice“739 stattgefunden habe. Die Bataillonsangehörigen sprachen nach dem Krieg ungenau davon, dass die Exekution im Sommer stattgefunden habe. Abraham Lewin hingegen hielt in seinem Tagebuch fest, dass er am 2. Juli 1942 im Ghetto einen Aushang gesehen habe, der festhielt, dass an diesem Tag 100 Ghettoinsassen sowie zehn Männer des jüdischen Ordnungsdienstes erschossen worden seien. Als Begründung habe der Kommissar des Warschauer Ghettos, Auerswald, angegeben, dass es sich um Vergeltung für den Ungehorsam der Ghettoinsassen gegenüber der Deutschen Polizei handelte. Außerdem sei die Exekution eine Bestrafung des jüdischen Ordnungsdienstes gewesen, der sich u. a. Bestechungsversuche hätte zu Schulden kommen lassen. Ferner habe es geheißen: „Falls sich solche Fälle der Opposition gegenüber der deutschen Polizei in der Zukunft wiederholen, so werden sich auch die Vergeltungsaktionen wiederholen.“740 Lewin bemerkte,

733 Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 14r). 734 Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 128r). Ebenso von einem „angezettelten Vorfall“ spricht Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 63). 735 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (ebd., Bl. 200). 736 Hermann Kreienkamp vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 32r). 737 Aussage Hermann Kreienkamp vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 120). 738 Ebd. 739 Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 7). Ebenso für die Exekution vgl. Bundesarchiv/Institut für Zeitgeschichte/Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Freiburg (Hg.), Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Band 9, Polen: Generalgouvernement August 1941–1945. Bearbeitet von Klaus-Peter Friedrich, München 2014, S. 326, Dokument 90. 740 Tagebuchfragment Abraham Lewin 27.6.1942–10.7.1942 (YIVO RG 225 HWC 32.6, Bl. 10). Gleiches berichtet auch Aussage Mieczyslaw Maslanko vom 21.10.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2276, Bl. 84). Ebenso datieren weitere Aufzeichnungen aus Perspektive der Ghettoinsassen die Exekution auf den 2.7.1942. Vgl. Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 58).

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dies sei die erste Exekution so großen Umfangs gewesen, die die Deutschen in einer „solch direkten und extrem zynischen Weise“741 kommuniziert hätten. Die Auswahl der jüdischen Ordnungsdienstmänner für die Exekution wurde dabei offenbar den Mitgliedern der 1. Kompanie angeboten. So hieß es, dass „jeder Kompanie-Angehörige ein oder mehrere Todesurteile gegen ,Juden‘ aussprechen konnte. Daraufhin konnte jeder zur Schreibstube gehen und dort irgendwelche“742 Personen nennen. Auch habe der Spieß herumgefragt, „ob nicht ein Polizist Namen oder Dienstnummern von jüdischen Polizisten wisse, „die sich nicht ordentlich benommen hätten“.743 Tatsächlich scheint eine Liste der zu tötenden Ordnungsdienstmänner angefertigt worden zu sein, da vonseiten der Ghettoinsassen dokumentiert wurde, dass sich „einige Milizionäre mit den angegebenen Nummern nicht stellten“. Daraufhin hätten die Deutschen „Angehörige des Ordnungsdienstes, die sie zufällig auf den Straßen“744 antrafen, festgesetzt und zum Tötungsort verbracht. Neben den Ordnungsdienstmännern seien am Vortag der Exekution durch Hauptmann Mehr unter Gefängnisinsassen weitere Personen zur Hinrichtung ausgewählt worden. Dabei soll ihn sein Kompanieschreiber Adolf Priebe begleitet und unterstützt haben. Um welches Gefängnis es sich dabei handelte, ist nicht exakt zu klären. Es könnte das Pawiak-Gefängnis oder das Ghettogefängnis in der Gęsia-Straße gewesen sein. Für Letzteres spricht, dass es sich ausschließlich um Juden gehandelt haben soll, die zur Exekution bestimmt wurden. Die Auswahl sei dabei „rein willkürlich“ erfolgt und habe nicht etwa auf dem „Delikt, dass zur Inhaftierung des Betreffenden geführt hatte“,745 basiert. Aus

741 Tagebuchfragment Abraham Lewin 27.6.1942–10.7.1942 (YIVO RG 225 HWC 32.6, Bl. 10). Einen ähnlichen Aushang will auch ein Mitglied des Bataillons 61 gesehen haben. Vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 51). Für das Plakat vgl. auch die Erwähnung im Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 5). 742 Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 44). Ebenso vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 166r); Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 121r). 743 Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 118r). Ebenso vgl. Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 55r). An anderer Stelle heißt es hingegen, die Aufforderung, Namen zu nennen, sei nur im kleinen Kreis erfolgt. Vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 233r). 744 Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 6). Dass es eine solche Liste gab, findet sich auch in der Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 55). 745 Aussage Hans Delisch vom 27.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5805). Ebenso für die aus dem Gefängnis geholten Opfer vgl. Aussage Otto Kopitzki vom 5.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5845); Aussage Franz Thamm vom 3.8.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 151); Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 166r). Für die Begleitung des Hauptmanns durch den Schreiber Priebe vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 51). Für das Ghettogefängnis in der Gęsia-Straße 24 vgl. Brief nach 15.12.1941 (AŻIH ARG I Nr. 550). Obwohl die Haftan-

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Perspektive der Ghettoinsassen wurde dazu passend berichtet, es seien zwei Deutsche ins Gefängnis gekommen. Einer „von ihnen verkündete, er sei Ghetto-­ Offizier“. Dieses „Erscheinen der Deutschen im Gefängnis“ habe niemanden gewundert, denn dies sei „praktisch täglich“ vorgekommen, etwa um „die Zellen anzuschauen, um die Häftlinge anzuschauen, die hier hauptsächlich einsaßen, weil sie sich auf der ‚anderen Seite‘ aufgehalten oder sich dorthin begeben hatten oder weil sie kleinen Schmuggel betrieben hatten“.746 Der Fall, in dem die Personen für die Exekution ausgewählt wurden, sei jedoch insofern besonders gewesen, da die beiden „Deutschen mit einer bescheidenen und seltsamen Bitte“ bei der Verwaltung vorstellig geworden seien. Sie hätten „unter den weiblichen Häftlingen einige auswählen“ wollen. Daraufhin hätten sie „sich die Zellen und das Menschenmaterial zeigen“ lassen, wie die „Käufer im Warenhaus“.747 Dabei seien zwei der inhaftierten „jungen Damen“ besonders hübsch und nach ihrem Geschmack gewesen. „Angeregt durch die Qualität des ‚Materials‘“ hätten die Deutschen daraufhin noch weitere ausgesucht. Die Anzahl der selektierten Frauen schwankt dabei in verschiedenen Varianten zwischen weiteren „sieben Jungfrauen“748 oder zehn bis hin zu insgesamt 20. Unter diesen Frauen soll sich auch die 20-jährige und besonders attraktive Frau Orlikówna befunden haben, an die man sich besonders erinnerte, da sie eine gebrochene Hand gehabt habe.749

stalt auf maximal 300 Insassen ausgerichtet war, sollen dort laut deutschen Unterlagen im Sommer 1942 1 482 Personen eingesessen haben. Vgl. Bericht des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für den Monat April 1942 vom 12.5.1942 (AŻIH 233 Nr. 111, Bl. 6). Für die beiden genannten Gefängnisse vgl. Regina Domańska, Pawiak – więzienie Gestapo. Kronika 1939–1944, Warschau 1978; Lehnstaedt, Okkupation, S. 94; Löw/Roth, Warschauer Getto, S. 49. 746 Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 1). Die Insassen des Gefängnisses befanden sich dort vor allem wegen Lappalien. So befand sich etwa Grünbaum dort, weil er einen SS-Mann nicht durch Abziehen der Mütze gegrüßt hatte. Vgl. Aussage Adam Grünbaum vom 3.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 7, Bl. 3547). Spiegelstein gab an, in das Gefängnis verbracht worden zu sein, da er als Mitglied des jüdischen Ordnungsdienstes in einem Fall von Schmuggel am Ghettotor nicht eingegriffen hatte. Vgl. Aussage Israel Spiegelstein vom 3.6.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 43, Bl. 20033). Generell für Haftstrafen aufgrund von kleinen Vergehen vgl. Michał Suryc „Erinnerungen an das Pawiakgefängnis, die Geschichte eines Juden, Bürger der UDSSR“ nach 1.9.1941 (AŻIH ARG I Nr. 458 Warschauer Ghetto). Hingegen seien Personen, die im großen Stil schmuggelten und deutsche „Geschäftspartner“ hatten, nicht in das Gefängnis gekommen. Vgl. Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 1). 747 Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 3). 748 Ebd., Bl. 5. Für zehn bis hin zu 20 weiblichen Opfern vgl. Tagebuchfragment Abraham Lewin 27.6.1942–10.7.1942 (YIVO RG 225 HWC 32.6, Bl. 10). 749 Vgl. Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 7). Ebenso nur ohne Nennung ihres Namens vgl. Tagebuchfragment Abraham Lewin 27.6.1942–10.7.1942 (YIVO RG 225 HWC 32.6, Bl. 10).

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Auch aufseiten des Bataillons 61 wurde nach dem Krieg berichtet, dass in dem Gefängnis „besonders die Frauen ausgesucht worden“ seien. Hauptmann Mehr sagte man nach, er habe gegenüber seinem Schreiber zum Ausdruck gebracht, er hoffe, dass man ihnen zur Exekution „morgen nicht so schäbige Weiber“,750 wohl in Abweichung von der Auswahl, vorsetzen möge. Neben den Frauen hätten die Polizisten darüber hinaus weitere männliche Personen für die Exekution gefordert. Insgesamt seien es etwa 100 gewesen, über die die Deutschen verlangt hätten, „ein Verzeichnis mit den Namen der Ausgewählten anzufertigen“.751 Am frühen Morgen des 2. Juli 1942 seien die Gefangenen von deutschen Polizisten sowie ukrainischen „Hilfswilligen“ auf „große, grüne Lastwagen“ verladen worden. Dies sei geschehen mit „einer irgendwie unerhört bestialischen Eile“. Man habe das „Gepolter der Körper“ hören können, „die einer nach dem anderen hineingeworfen wurden.“ Frau Orlikówna habe vor Schmerzen aufgestöhnt, als sie auf ihre gebrochene Hand stürzte. Es wurde befohlen, sie solle liegen bleiben, und „mit dem Kolben hinderte“ eine der Wachen die „Verurteilten daran, der Liegenden zu helfen“.752 Dass es sich bei den deutschen Polizisten auch um Männer des Bataillons 61 handelte, führte Franz Schulte nach dem Krieg aus. Zwar klammerte er die gewaltsame Verladung aus, doch berichtete er, der 4. Zug der 1. Kompanie sowie „ukrainische Wachmannschaften“753 hätten das Abholen der Personen für die Exekution übernommen. Die Verladenen sollen laut Wenzel bei Ihrer Ankunft am Exekutionsort einen „völlig gefassten und arglosen Eindruck“ gemacht haben. Sie seien „nicht auf eine Erschießung gefasst“ gewesen.754 Sippel urteilte, die Ghettoinsassen hätten „nichts von dem, was ihnen bevorstand“, gewusst.755 Auch vonseiten der Ghettoinsassen wurde geschildert, dass die Ausgewählten trotz der gewalttätigen Behandlung keine genaue Kenntnis hatten, was mit ihnen geschehen würde. „Die Frauen machten sich das nicht bewusst.“ Die Männer hingegen hätten „eine Vorahnung“ gehabt. Eine der Wachen soll auf die Frage eines der später Exekutierten: „Soll ich meine Mütze mitnehmen?“ geantwortet haben: „Wozu, du wirst doch erschossen.“756

750 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 51). Ebenso für die Erwähnung, dass sich unter den Exekutierten auch Frauen befanden vgl. Aussage Hans Delisch vom 27.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5805). 751 Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 5). 752 Ebd., Bl. 7. 753 Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 56). Diese „Hilfswilligen“ sollen das Bataillon 61 auch bei der eigentlichen Exekution unterstützt haben. 754 Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (ebd., Bl. 15r). 755 Aussage Anton Sippel vom 21.10.1952 (ebd., Bl. 41). 756 Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 7).

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Die Männer der 1. Kompanie, die die Erschießungen ausführten, seien am Morgen der Exekution „ungewöhnlich früh geweckt“757 worden. Nachdem sie vollständig angetreten waren, seien sie zum Ort der Erschießung gefahren. Entgegen dem Nachkriegsmythos einiger Polizisten, von dieser Aufgabe überrascht und überrumpelt worden zu sein, war den Polizisten klar, was für eine Tätigkeit nach ihrer Ankunft erfolgen würde. Im Zuge eines Appells habe der Spieß der 1. Kompanie verkündet, dass eine Massenexekution anstünde, bei der man „jüdische Verbrecher zu erschießen“ habe.758 Zwar unterscheiden sich die Aussagen von Bataillonsangehörigen hinsichtlich der Datierung, wann ihnen mitgeteilt wurde, dass am 2. Juli 1942 kein normaler Dienst stattfinden würde, jedoch wurde die generelle Information nicht bestritten. Bezeichnenderweise und passend zum dubiosen Vorfall, der zu der Exekution führte, gab Wenzel zusätzlich noch dezidiert an, dass den Männern dabei nicht eröffnet worden sei, von welcher höheren Stelle der Befehl erging. Heinrich Weber meinte auch, es sei nicht mitgeteilt worden, um welches Verbrechen es sich handelte, das bestraft werden sollte, und überhaupt habe er sich „darüber gewundert, dass Polizeiangehörige zur Erschießung von Verbrechern herangezogen wurden“.759 Der eigentliche Ablauf der Exekution unterschied sich wenig von den Erschießungen größerer Personengruppen, wie sie Teileinheiten des Bataillons 61 schon beim Einsatz 1939/40 ausgeführt hatten. Am Waldrand von Babice, westlich von Warschau, soll durch den Waffenwart der Einheit die Munition ausgegeben worden sein. Daran anschließend habe man die ausgewählten Ghetto­ insassen in Gruppen nacheinander in den Wald geführt, wo man sie an einer Grube Aufstellung nehmen ließ. Ein Zug der 1. Kompanie habe die eigentliche Exekution ausgeführt. „Es mussten jeweils 10 Mann mit dem Rücken zum Schießkommando an der Grube Aufstellung nehmen, sie fielen nach Abgabe der Salve vorn über in die Grube.“760 Hierbei hätten „jeweils zwei Schießende auf ein Opfer zu schießen“ gehabt.761 Hinzu seien noch Polizisten gekommen, die als „Fangschütze“762 eingesetzt waren. Währenddessen habe ein weiterer Zug 757 Aussage Karl Schellenberger vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 90r). 758 Aussage Heinrich Weber vom 2.1.1953 (ebd., Bl. 92r). 759 Ebd. Ebenso vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (ebd., Bl. 15). Für die Mitteilung beim Mittagsappell am Tag vor der Exekution vgl. ebd. Bl. 14r; Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 118r). Für die Ankündigung der Exekution bereits am Vortag vgl. Aussage Arthur Michels vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 67r). 760 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 153r). Ebenso zur Exekution in Gruppen von zehn Personen an einer Grube auf einer Waldlichtung durch ein Peloton vgl. Aussage Anton Sippel vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 41). Für die Munitionsausgabe vgl. Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 150); Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 65). 761 Aussage Theodor Pohle vom 30.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 58). 762 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 121r). Dort bezogen auf den Polizisten Bayer.

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die Umgebung abgesperrt und ein dritter Zug habe schon die nächste Gruppe an Opfern herangeführt. Nach der Tötung einer Gruppe von Ghettoinsassen habe das Schießkommando abtreten dürfen und ein anderer Zug soll dessen Aufgabe übernommen haben. Auf diese Weise sei nach und nach „die gesamte 1. Kompanie an dieser Exekution beteiligt gewesen“.763 Der Ablauf soll dabei keineswegs planmäßig gewesen sein. Schon nach der ersten Salve seien die noch nicht erschossenen Ghettoinsassen unruhig geworden. Aber auch für die Schützen habe gegolten, dass alle „außerordentlich nervös waren“.764 Entsprechend wurde berichtet, dass die Erschießung in Salven „nicht geklappt“765 habe, weil viele Männer „so schlecht geschossen“ hätten.766 Hierüber sei Hauptmann Mehr „in furchtbare Aufregung geraten“.767 Er habe daraufhin nach einiger Zeit angeordnet, die Tötungsmethode zu wechseln. Die „an der Grube stehenden Delinquenten“ seien nun „aus nächster Entfernung mit Pistolen“ erschossen worden, wobei „Genickschüsse abgegeben worden seien“.768 Wer diese Tötungen ausführte, lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Ein Mitglied der Dortmunder Polizeieinheit behauptete, es seien „ukrainische Polizisten“ hierzu herangezogen worden. Andere Aussagen brachten vor, die Zugführer der 1. Kompanie oder Berufspolizisten hätten die weiteren Tötungen übernommen. Am plausibelsten scheint jedoch die Behauptung, dass „freiwillige Angehörige der Kompanie“769 in einem Akt der Eigenselektion die Exekution zu Ende führten. Die Dortmunder Staatsanwaltschaft führte in Zusammen-

763 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (ebd., Bl. 153r). Für das Rotationsprinzip vgl. Aussage Otto Kobitzki vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 43); Aussage Theodor Pohle vom 30.10.1952 (ebd., Bl. 58). 764 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 153r). Für die Unruhe der auf ihre Tötung wartenden Ghettoinsassen vgl. Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 56). 765 Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 15r). 766 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 153r). 767 Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 15r). Ebenso vgl. Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 153r); Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 66). 768 Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (ebd., Bl. 16). Ebenso vgl. Aussage Anton Sippel vom 21.10.1952 (ebd., Bl. 41). 769 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 153r). Zum grundlegenden Prinzip der Eigenselektion siehe Kapitel V.2; Gerhard Kümmel/ Paul Klein, Gewalt im Militär. In: Wilhelm Heitmeyer/John Hagan (Hg.), Interna­tionales Handbuch der Gewaltforschung, Wiesbaden 2002, S. 215–234, hier 226 f. Dort unter Bezug auf John M. Steiner, The SS Yesterday and Today. A Sociopsychological View. In: Joel E. Dimsdale (Hg.), Survivors, victims, and perpetrators. Essays on the Nazi Holocaust, Washington D.C. 1980, S. 431–445, insbesondere 443. Für die Tötungen durch aktive Polizisten vgl. Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 66). Für die Tötungen durch Zugführer vgl. Aussage Anton Sippel vom 21.10.1952 (ebd., Bl. 41).

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schau der ihr zur Verfügung stehenden Informationen über den Charakter der Erschießung nach dem Krieg aus, bei der Massenexekution habe es sich insgesamt um eine „seelische Quälerei, die über die mit einer Tötung verbundenen Qualen und Schmerzen hinausgeht“, gehandelt.770 Offensichtlich war diese Massenexekution nicht die einzige größere Erschießung, die Teile des Bataillons 61 während ihres Einsatzes in Warschau 1942 durchführten. Darauf weisen verschiedene Aussagen von Einheitsmitgliedern hin. So wurde beispielsweise von Josef Fiegel über eine Groß­exekution „im Herbst 1942 etwa 30 Kilometer ostwärts von Warschau“771 gesprochen, die definitiv nicht die bereits erörterte Exekution war, da er sie als eine „2. Exe­ kution“772 bezeichnete. Auch Heinrich Krolopp sprach nicht nur von einer Exekution, sondern er formulierte im Plural, er habe von „Vergeltungserschießungen“ gehört.773 Heuwinkel führte schließlich aus, dass er „in Warschau in 2 Fällen, die etwa 14 Tage bis 3 Wochen auseinanderlagen, an Erschießungen teilnehmen“774 musste, bei denen jeweils über 100 Personen, darunter auch Frauen, erschossen worden seien. Delisch erwähnte eine Exe­kution, die „im Herbst stattgefunden“ habe, was er genau wisse, da „diese Begebenheit in das Ende [des] Warschauer Aufenthaltes gefallen“ sei.775 Ebenso sprachen weitere Bataillonsangehörige von einer Exekution „im Spätherbst 1942“.776 Andere hingegen führten den August als Monat einer Massenerschießung an. Diese Angaben passen alle nicht zu der Erschießung am 2. Juli 1942 bei Babice.777

770 Schwurgerichtsanklage mit Übersicht der Zeugen, Angeklagten und Anschuldigungen vom 15.8.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1491, Bl. 133). Auch für die Männer des Bataillons 61 soll die Exekution belastend gewesen sein. Zur Belastung durch Gewalthandlungen siehe Kapitel V.5. 771 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 187). Schon in der Urteilsbegründung des „Ghetto Prozesses“ wurde ausgeführt, dass „die Darstellung der einzelnen Angeklagten in wesentlichen Punkten derart voneinander abweicht, dass sie nicht miteinander in Einklang gebracht werden konnte“. Vgl. Feststellungen zur Sache, o. D. [ca. 31.3.1954] (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1488, Bl. 192). Jedoch wurde hierbei nicht der logische Schluss gezogen, dass es sich schlicht um mehrere Exekutionen handelte. 772 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 188). 773 Aussage Heinrich Krolopp vom 28.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5811). 774 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 11). 775 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 200). 776 Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 14r). Ebenso vgl. Aussage Erich Schumacher vom 14.11.1952 (ebd., Bl. 69r). Von einer Erschießung im „Sommer oder Herbst“ spricht Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (ebd., Bl. 65r). Von einer Erschießung gegen Ende der Einsatzphase wegen „aufrührerischer Bestrebungen“ spricht Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 218). 777 Vgl. Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 118r). Von Juli oder August spricht: Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 102r).

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Während einige Bataillonsangehörige im Zusammenhang dieser Exekution korrekt von der dortigen Bewaldung sprachen, hieß es an anderer Stelle, bei der Exekutionsstätte handelte es „sich nicht um ein Waldgebiet“.778 Zu der Exeku­tion sei es „in einem freien hügeligen Gelände“ gekommen, „das mit Buschwerk und Bäumen bestanden war und heidemäßigen Charakter trug“.779 Es musste sich also um einen anderen Ort handeln, an den sich die verschiedenen Bataillonsangehörigen im Zusammenhang der Exekution von Ghettoinsassen erinnerten. Einen weiteren Hinweis darauf lieferten auch die sehr unterschiedlichen Angaben, wie lange die Mitglieder des Bataillons 61 zu den Exekutionen fuhren. So findet sich die Angabe, eine Erschießung habe „etwa eine Autostunde von Warschau entfernt“780 stattgefunden, während in derselben Aussage von einer weiteren Aktion nur eine viertel bis halbe Stunde von Warschau entfernt die Rede ist. Ein weiteres Bataillonsmitglied bezifferte die Fahrtdauer zu einer Exekution auf eine dreiviertel Stunde in südwestlicher Richtung.781 Die Exekutionen, die die Dortmunder Polizeieinheit ausführten, richteten sich offenbar auch nicht nur gegen Insassen des Warschauer Ghettos. So sprach Fiegel an, dass in einem Fall „Russen die Opfer gewesen sind“. Er habe dies an ihrer Kleidung erkannt, denn sie hätten „Filzstiefel und Steppjacken“ getragen, „eine Bekleidung also, die nur von Russen getragen“782 worden sei. Außerdem fügte Fiegel hinzu, habe deren Exekution nichts mit der zuvor von ihm geschilderten Exekution von Ghettoinsassen zu tun. Auch der Bataillons­adjutant

778 Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 65r). Exemplarisch für das Waldgebiet vgl. Aussage Heinrich Weber vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 92r); Aussage Karl Schellenberger vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 91r). 779 Aussage Heinrich Wenzel 8.10.1952 (ebd., Bl. 15). Ebenso vgl. Aussage Otto Kobitzki vom 21.10.1952 (ebd., Bl. 43); Aussage Wilhelm Ködding vom 22.1.1953 (ebd., Bl. 101); Aussage Heinrich Lorey vom 27.10.1952 (ebd., Bl. 50r). Ferner vgl. Aussage Hans Delisch vom 2.1.1953 (ebd., Bl. 88). Allgemein zur Topografie des Warschauer Umlandes in den 1940er-Jahren vgl. Karte Großraum Warschau 1946 (AŻIH 245 Nr. 131). 780 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 12). Ebenso vgl. ebd., Bl. 18. 781 Vgl. Aussage Anton Sippel vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 40r). Auch wurden ganz unterschiedliche Formen der Einbindung von osteuropäischen „Hilfswilligen“ in die Exekutionen geschildert, die kaum miteinander zu harmonisieren sind. Für das Ausheben von Gräbern durch „Letten“ vgl. Aussage Hans Delisch vom 27.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5805). Hingegen für das Ausheben von Gräbern durch die 1. Kompanie vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 51). Für „Letten“, die nur die äußere Absperrung übernahmen, vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 15r). Für „Ukrainer“, die die Exekution ausführten, vgl. Hermann Kreienkamp vom 17.10.1952 (ebd., Bl. 33); Aussage Arthur Michels vom 14.11.1952 (ebd., Bl. 68). 782 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 187r). Bei dieser Exekution 30 km östlich von Warschau sei dem Bataillonskommandeur schlecht geworden und er sei mit Fiegel zur Unterkunft zurückgefahren.

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Ackermann, der 1942 noch Offizier in der 2. Kompanie war, berichtete davon, dass die Dortmunder Polizeieinheit „gelegentliche Todesurteile von Gerichten zu vollstrecken“783 gehabt habe, die nichts mit den Ghettoinsassen zu tun hatten. In einer späteren Aussage konkretisierte er, diese Exekutionen müssten vor allem „schon vor Juli 1942 gewesen sein“. Es habe sich auch „keineswegs um eine Vergeltungsaktion“ gehandelt, sondern um die Hinrichtung von Personen, die gerichtlich „für schuldig befunden worden“ waren, „Wehrmachtsangehörige hinterrücks erstochen und Fleckfieber infizierte Läuse, die sie in Laboratorien gezüchtet und präpariert hatten, in Kinos ausgesetzt zu haben“.784 Auch wenn diese Begründung des Offiziers fadenscheinig klingt, so zeigt doch der dargestellte Zusammenhang, dass Teile des Dortmunder Bataillons, wie schon bei ihrem Einsatz 1939/40, gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wurden. Wieder geschah dies unter dem Vorwand, gegen widerständiges Verhalten vorzugehen. Dies passt auch zu einer Schilderung, die Nahlmann in seinen Erinnerungen festhielt. So sei ihm einige Wochen nach seiner Ankunft in Warschau, als der Unteroffizier vom Dienst die Männer der 2. Kompanie versammelte, „die sonderbare Haltung und Stimmung der anderen Kompanie-Angehörigen“ aufgefallen. Auf Nachfrage habe ihm einer seiner Kameraden mitgeteilt: „Wir müssen raus, zum Exekutionskommando. Es werden wieder einige Polen erschossen.“ In diesem Zusammenhang habe ihm der Kompanieangehörige Walter Herlinghaus, mit dem sich Nahlmann angefreundet hatte, etwas zu der anstehenden Tötung berichtet. So hieß es, diesmal würden „nur etwa 20 Polen von der polnischen Widerstandsbewegung erschossen“. Herlinghaus habe dann weiter ausgeführt, „vor acht Tagen“ sei die 2. Kompanie auch im Einsatz gewesen, wobei „224 Polen erschossen“ wurden. Unter den Getöteten hätten sich auch „etwa 20 Frauen“ befunden.785 Danach habe der Polizist verschiedene Details der Exe­ kution beschrieben, die sich 100 Kilometer außerhalb Warschaus bis in den Nachmittag hingezogen hätte. Tatsächlich berichtete beispielsweise auch der Ia des Warschauer KdO davon, dass er sich an eine Massenexekution erinnere, die von der Warschauer Ordnungspolizei ausgeführt worden sei. Die exakte Zahl der Erschossenen sei ihm nicht mehr präsent, es habe sich jedoch mindestens um 200 Personen gehandelt. Die Tötungen seien „außerhalb von Warschau, in der Nähe eines großen Lagers, welches ziemlich weit von Warschau“786 entfernt gelegen habe,

783 Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 81r). Für die Tötung von russischen Kriegsgefangenen auf Anforderung der Gestapo vgl. Aussage Richard von Coelln [sic] vom 3.8.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 50, Bl. 22992). Er bezeichnete die Erschießung als „große Schweinerei“. 784 Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 19.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5861). 785 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 16. 786 Aussage Richard von Coelln [sic] vom 3.8.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 50, Bl. 22993).

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ausgeführt worden. In einer exemplarischen Bekanntmachung des Warschauer Gouverneurs vom 3. März 1942 wurde mitgeteilt, dass dieser als Strafe für den angeblichen Angriff auf Polizisten „die Erschießung von hundert Mitgliedern polnischer Geheimorganisationen angeordnet“ hatte.787 Ob die Ausführung dieser Exekutionen vom Bataillon 61 übernommen wurde, ist nicht abschließend gesichert. Gleiches gilt für die Frage, ob die geschilderten Erschießungen mit den von Nahlmann beschriebenen Tötungen übereinstimmen. Dass jedoch von den Dortmunder Polizisten nicht nur eine Exekution übernommen wurde, ist gesichert. So berichtete Major von Cölln, er habe verschiedentlich Teile der beiden dem KdO Warschau verfügbaren Polizeibataillone zu Exekutionsmaßnahmen eingeteilt und auch verschiedene Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit bestätigten derartige Maßnahmen gegen vermeintlich widerständige Polen. Die verschiedenen Tötungen durch das Bataillon 61 blieben dabei nicht ohne mentale Auswirkung auf die Bevölkerung Warschaus und insbesondere auf die Insassen des Ghettos. Wie schon in früheren Einsätzen stützte das Bataillon 61 so die deutsche Herrschaft in Osteuropa durch Terror.788 Die verschiedenen Gewalthandlungen der Männer der Dortmunder Polizeieinheit, egal ob offiziell angeordnet oder in einer Form der Selbstermächtigung durchgeführt, waren vor allem gegenüber den Menschen im Ghetto oftmals von deren Beraubung und Ausbeutung begleitet. Dabei war dies in Teilen durchaus ein staatlich organisiertes Projekt. So gab es verschiedene Maßnahmen zum Einziehen jüdischen Besitzes. Am bekanntesten sind hierbei die „Pelzaktionen“, bei denen auch andere wertvolle Gegenstände durch die Ghettoinsassen abgeliefert werden mussten bzw. von deutschen Kräften eingezogen wurden. Von der bisherigen Forschung ignoriert, wirkte an solchen Maßnahmen auch das Bataillon 61 mit.789

787 Bekanntmachung durch Gouverneur Fischer vom 3.3.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 347, unpag.). 788 Für die Einteilung der Bataillone vgl. Aussage Richard von Coelln [sic] vom 3.8.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 50, Bl. 22994). Ebenso sei auch ein Wehrmachtsbataillon eingeteilt worden. Für die Erwähnung der Exekution widerständiger Polen durch den Chef der 2. Kompanie sowie durch den Spieß vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 24.10.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 205r f.); Aussage Franz Thamm vom 3.8.1961 (ebd., Bl. 151 und 153). Ebenso sind solche Maßnahmen erwähnt in: Aussage Walter Frieling vom 3.6.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 134); Aussage Ernst Hennefeld vom 22.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 165). 789 Vgl. etwa Bekanntmachung: Ablieferung von Skiern und Skistiefeln vom 8.1.1942 (AŻIH ARG I Nr. 186); Bekanntmachung: Ablieferung von Wagen, Gewichten, Hohlmaßen und Längenmaßen vom 9.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 187). Ebenso vgl. Schreiben an den Kommissar für den jüdischen Wohnbezirk in Warschau vom 14.3.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 167). Dort wird eine Pelzaktion für den 10.4.1942 angekündigt. Für die ursprüngliche Pelzaktion 1941 vgl. Anordnung: Ablieferung von Pelzsachen vom 25.12.1941 (AŻIH ARG I Nr. 185). Generell auch für das Einziehen von sonstigen Wertgegenständen in diese Aktionen vgl. Eyewitness account by Ludwig Bronislaw Borkowski, o. D. [ca. 1959] (WL P. III. H. Nr. 1100, Bl. 2).

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Schwerpunktmäßig auf Schmuck und Wertsachen ausgerichtete Aktionen fanden unter Mitwirkung des Bataillons 61 vor allem zwischen Mai und Juli 1942 statt. Ein durch den Unterführer Lorey unterschriebenes Dokument hielt etwa fest, dass die Ghettowache an der „Querstraße 12/40 um 9:20 Uhr“ etwa „37 Ringe“790 sowie weiteren Schmuck und Pelzmäntel sichergestellt hatte. Ohne einen Fall explizit auszuführen und ohne eine eigene Beteiligung zu erwähnen, führte das Bataillonsmitglied Tiemann zur Praxis der Beraubung aus: „Außerdem nahm man ihnen das Geld weg, nahm ihnen Schmuck und Andenken weg.“791 Schließlich regelten auch verschiedene Schreiben die offensichtlich mehrfach erfolgte „Sicherstellung von Goldwaren durch das Res.-Pol.Batl.61“792 sowie den geplanten weiteren Verbleib der Güter. Wie schon beim Einsatz 1939/40 habe auch 1942 gegolten: „Sichergestelltes oder beschlagnahmtes Gut musste nach Dienstanweisungen auf den Wachen verbucht und abgeliefert werden.“793 Ob dies in jedem Fall durch die Polizisten eingehalten wurde, darf angezweifelt werden. Rosenberg sprach nach dem Krieg davon, dass die Deutschen „unter dem Vorwand“ kamen, Wertgegenstände zu sammeln. Sie hätten aber stattdessen „ganze Geschäfte geplündert und kurz darauf auch Wohnungen“. Die Ghettoinsassen hätten es nicht gewagt, sich zu wehren, denn „es spielte ja keine Rolle, wenn einer mehr oder weniger niedergeschossen wurde“.794 So vermerkte Fligelman in seinem Tagebuch für das Jahr 1942, wie offensichtlich ein Mitglied des Bataillons 61 einen Schmuggler auf der Flucht erschoss. Nach der Tötung habe der Polizist 260 Złoty, die der Ghettoinsasse bei sich trug, einfach an sich genommen.795 Generell war die nicht offiziell beauftragte, eigenmächtige Beraubung der Ghettoinsassen durch das Bataillon 61 gängige Praxis. Die Polizisten hatten

790 Meldung der Wache Gerichtsstraße vom 22.7.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl.170). Exemplarisch für die Schilderung verschiedener „Goldaktionen“ vgl. Schreiben des Kommissars für den jüdischen Wohnbezirk in Warschau vom 13.5.1942 (ebd., Bl. 169); Sicherstellung von Goldwaren durch das Res.-Pol.-Batl. 61 vom 30.4.1942 (ebd., Bl. 171); Schreiben an die Transferstelle vom 11.6.1942 (ebd., Bl. 178). Vgl. ferner Sicherstellung von Goldwaren durch das Res.-Pol.-Batl. 61 vom 23.6.1942 (ebd., Bl. 179); Sicherstellung von Goldwaren durch das Res.-Pol.-Batl. 61 vom 20.7.1942 (ebd., Bl. 180). 791 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 38). Hieran hatte aber nicht nur das Bataillon 61 seinen Anteil. Ebenso ging z. B. auch die Gestapo vor. Vgl. Jechiel Górny tägliche Notizen 4.–7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 414, Bl. 30). 792 Sicherstellung von Goldwaren durch das Res.-Pol.-Batl. 61 vom 20.7.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 180). Vgl. auch die weiteren, gleich betitelten Schriftstücke ebd., Bl. 171 und 178 f.). 793 Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 72r). 794 Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039). Dort heißt es auch, die unterstützende polnische Polizei sei froh gewesen zu rauben, wenn sich die Möglichkeit bei solchen Situationen bot. 795 Vgl. Tagebuchfragment Daniel Fligelman 28.5.–22.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 411, Bl. 1).

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hierzu bei ihren Wachaufgaben umfänglich Gelegenheit, wenn sie etwa Ghetto­ insassen „auf Geld oder Lebensmittel zu untersuchen“ hatten.796 Laut dem Spieß der 2. Kompanie war es nicht vorgeschrieben, dass in Fällen beschlagnahmter Waren „eine Meldung vorzulegen war“.797 Ein anonymer Bericht hielt über die Wachmannschaften fest: „Jeder nahm sich ohne Gnade und was er konnte.“798 Ein Tagebuch eines unbekannten Verfassers vermerkte jedoch, dass die deutschen Polizisten, wenn sie nur Nahrungsmittel konfiszierten, diese auch teilweise an die Männer der polnischen Polizei und des jüdischen Ordnungsdienstes verteilt hätten.799 Ein Bataillonsmitglied sagte seinem Kameraden Sippel nach, dass er „einmal ein Fahrrad mit 2 Sitzen beschlagnahmt und an Polen weiterverkauft“ habe.800 Auch aus der Sicht eines Ghettoinsassen ist ein ähnlicher Vorfall geschildert worden. So habe ein deutscher Polizist von einem Mitglied des jüdischen Ordnungsdienstes verlangt, dass dieser ihm zwei Fahrräder innerhalb von 15 Minuten bringen sollte. Anderenfalls würde er ihn erschießen. Der Ordnungsdienstmann habe nur eins gefunden, doch der deutsche Polizist hätte entschieden, dass dies ausreiche. Der Polizist Heuwinkel schließlich reagierte heftig auf einen ihm durch Ermittler nach dem Krieg gemachten Vorhalt, indem er zu Protokoll gab: „Ebenfalls habe ich […] niemals gesagt, ich hätte Gefangenen Geld oder Wertgegenstände abgenommen, um damit meinen Alkoholkonsum abzudecken.“801 Tatsächlich scheint es aber genau die Praxis im Bataillon 61 gewesen zu sein, das eigene Leben durch Raub und Diebstahl angenehmer zu gestalten. Während sich mit dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion der Zweite Weltkrieg schon im Sommer 1941 intensiviert und die allgemeine Versorgungslage verkompliziert hatte, waren nach dem Jahreswechsel 1942 und der gescheiterten Schlacht um Moskau die Frontlinien wortwörtlich eingefroren. „Zum Schluss des Jahres [1941] ergab der Stillstand der operativen Bewegungen den Einsatz fast aller Polizeiregimenter und Bataillone in der vordersten Front selbst.“ Dort seien die Verhältnisse desolat gewesen, „weil diese Formationen ja nicht für den Fronteinsatz wintermäßig ausgerüstet waren, vor allen Dingen in der Fußbekleidung nicht, und weil ihnen jede schwere Waffe zum Frontkampf fehlte“.802

796 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 216r). 797 Aussage Franz Thamm vom 3.8.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 149). 798 Bericht über das Schicksal der Baja Keselberg [Kaselberg] nach 10.4.1942 (AŻIH ARG I Nr. 514, Bl. 2). Dort wird jedoch auch ausgeführt, dass dies auch für die polnischen und jüdischen Akteure der Wache galt. 799 Vgl. Notizen über das Verlassen und Betreten des Warschauer Ghettos nach 11.1941 (AŻIH ARG I Nr. 638, Bl. 3). 800 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 152). Für die Sicht der Ghettoinsassen auf den Fahrradvorfall vgl. Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 39). 801 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 13). 802 Vortrag über den Kräfte- und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei im Jahre 1941. Dienstbesprechung der Befehlshaber und Inspekteure vom 1. bis 4. Februar 1942 (BA R 19 Nr.

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Hingegen befanden sich die Männer des Bataillons 61 in einer sicheren und komfortablen Verwendung, in der sie ihren Alltag auf Kosten der osteuropäischen Zivilbevölkerung angenehmer gestalten konnten. Hierzu trieben die Polizisten sogar einen regelrechten Handel mit Beutegut. Insbesondere für die 1. Kompanie des Bataillons 61 ist überliefert, dass in ihrer Kompaniebar ein reger Schwarzhandel stattfand. Hier hätte man „Lebensmittel verkauft“, wie „z. B. Eier, die den Juden weggenommen worden sind“.803 Ebenso seien hier „Zigaretten verteilt worden“, die „im Ghetto beschlagnahmt wurden“.804 Dabei begrenzte sich diese Praxis keineswegs nur auf die 1. Kompanie. Nahlmann beschrieb den Handel im Hof eines Polizeireviers, in dem sich neben offiziell eingezogen Gütern auch Nahrung befunden habe: „Je nachdem, wer gerade Revierführer war und wie derselbe eingestellt“805 war, habe man dort etwas von den Waren kaufen können. Darüber hinaus habe in der Kompaniebar auch die Ausgabe weiterer Güter durch den Spieß der Einheit stattgefunden. Dieser berichtete nach dem Krieg selbst, wie er und sein Kompaniechef hierzu vorgegangen seien. Sie „besorgten aus dem SS-Verpflegungslager Sonderrationen an Schnaps und Zigaretten“.806 Die offizielle Position Himmlers hierzu lässt sich in einem Satz zusammenfassen: „Organisieren und Stehlen ist ein und dasselbe!“807 So war beispielsweise auch der Verkauf von „Tabakwaren ohne Kontrollkarte oder Kontrollausweis“,808 wie er im Gemeinschaftsraum der 1. Kompanie stattfand, eindeutig illegal. Wie massiv und häufig das Problem des eigenmächtigen Beraubens der Zivilbevölkerung, die in Kontakt mit Kräften der deutschen Polizei kam, nicht nur in Warschau gewesen sein muss, zeigt sich auch an der Intervention des Chefs der Ordnungspolizei vom 17. März 1942. So würden „weiterhin Plünderungen und ähnliche Eigentumsdelikte begangen. Die bisher für diese Straftaten ausgesprochenen schweren Strafen“ hätten „nicht ausgereicht, um diese schweren, unmöglichen Verbrechen gänzlich zu verhindern“.809 Von nun an 336, Bl. 11). Allgemein für Mannschaftsstärken und Verlustzahlen der Ordnungspolizei vgl. Dienstbesprechung der Befehlshaber und Inspekteure im Januar 1943 in Berlin. Bericht des Chefs der Ordnungspolizei, SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst Daluege über den Kräfte- und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei im Kriegsjahr 1942 vom 7.2.1943 (ebd., Bl. 1–3). In ähnlicher Form vgl. Bericht des Chefs der Ordnungs­ polizei, SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst Daluege über den Kräfteeinsatz der Ordnungspolizei im Kriegsjahr 1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 1380, Bl. 3–4). 803 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 51). 804 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 55). 805 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 21. 806 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 55). 807 11. Sammelerlass des RFSS 15.5.1942 (BA NS 7 Nr. 4, Bl. 147). 808 Anordnung zur Durchführung der Anordnung über die Regelung des Kleinverkaufs von Tabakwaren vom 11.6.1942 (BA R 19 Nr. 324, Bl. 3). In ähnlicher Form vgl. Reichs­ einheitliche Regelung für den Einkauf von Tabakwaren, vom 7.1.1942 (APW 482 Nr. 7, Bl. 51 f.). 809 Rechtserziehung Ahndung von Plünderungs- und Eigentumsdelikten 17.3.1942 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 54r).

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wolle Daluege keine Gnade in solchen Fällen mehr walten lassen. Eigentumsdelikte seien mit „den schärfsten und entehrendsten Strafmaßnahmen“810 zu ahnden. Dabei sei es ganz egal, ob es sich um „Zigaretten“ oder die „wertvollste Kostbarkeit“811 handele, da es sich in jedem Fall von Diebstahl und Plünderung um eine gewaltige Schande für die Ehre der Polizei und die SS handele. Schon 1941 war sich die deutsche Führung im Klaren darüber, bei welchen Truppenteilen, zu denen auch das Bataillon 61 gehörte, Raub und Plünderungen als besonders virulentes Problem anzusehen waren. Es seien „überwiegend die rückwärtigen Dienste“ gewesen, denn „die kämpfende Truppe hat hierzu weder Zeit noch Gelegenheit“.812 Das eigenmächtige Berauben der Warschauer Ghettoinsassen durch Polizisten war nicht deshalb problematisch, weil in der Polizeiführung eine Sympathie für die Bestohlenen bestanden hätte. Vielmehr galt, was auch schon für die Diebstähle der Bataillonsangehörigen 1939/40 Gültigkeit besaß. In Himmlers SS- und Polizeiapparat wurde das Eigentum der Juden als legitimer Besitz des Deutschen Reichs angesehen. Die Polizisten der Dortmunder Polizeieinheit bestahlen also in NS-Perspektive ihren eigenen Dienstherrn.813 Kurz vor Ende des Warschauer Einsatzes des Bataillons 61 wurde nicht zuletzt deswegen für die SS und Polizei festgehalten: Um das Maß an „Abschreckung besonders wirksam zu gestalten, hat der RFSS angeordnet, dass bei Truppenteilen, bei denen Diebstähle sich häufen, einige besonders schwer gelagerte Fälle mit dem Tode zu bestrafen sind. Die Vollstreckung der Todesstrafe hat vor dem gesamten angetretenen Bataillon zu erfolgen.“ Dabei solle man das Erschießungskommando „insbesondere aus solchen Männern zusammenstellen, die in Bezug auf die Eigentumsdelikte als unsichere Kantonisten gelten“.814 Jenseits solcher offiziellen Verlautbarungen lässt sich jedoch erkennen, dass man zumindest die Raubpraxis des Bataillons 61 auf Ebene der lokalen War-

810 Ebd., Bl. 56. 811 Ebd., Bl. 55r. 812 Befehl des Reichsmarschall über Maßnahmen gegen Verschleuderung von Beute und Landesgegenständen in den besetzten Ostgebieten vom 15.8.1941 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 49). 813 Vgl. Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft 2. Oktober 1940, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 57–61). Für die Problematik des Plünderns sowie für das Diebstahlsproblem vgl. ebd., Bl. 108 f. Exemplarisch für eine Bestrafung in Warschau 1940 vgl. Haftbefehl gegen Unterscharführer Paul Schröder vom 6.9.1940 (BA NS 7 Nr. 1181, Bl. 17). Für die direkte Schädigung des Reiches durch Diebstahl vgl. Eigentum in den besetzten Ostgebieten vom 30.10.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 266, unpag.). 814 Beurteilung und Bekämpfung von Diebstahlsfällen in der SS und der Polizei vom 15.9.1942 (BA NS 7 Nr. 5, Bl. 144). Eine Strafmilderung sollte demnach nur für Verurteilte möglich sein, die jünger als 20 Jahre waren. Insbesondere vorgesetzte Offiziere sollten ein positives Beispiel sein und sich keine Delikte zuschulden kommen lassen. Vgl. ebd., Bl. 145.

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schauer Entscheidungsträger billigte. So wurde beispielsweise in einer Besprechung beim SSPF, kurz nachdem die Dortmunder Einheit die Bewachung des Ghettos übernommen hatte, „angeregt, Lebensmittel, die von den Posten der Ghettowache sichergestellt werden, auch der Verpflegung des Polizeibataillon 61 zuzuführen“.815 Das Drohpotenzial offizieller Strafen scheint in Anbetracht eines solchen Rückhalts nur im geringen Maße abschreckend gewirkt zu haben.816 Dies belegt nicht zuletzt die Praxis innerhalb der Dortmunder Polizeieinheit, illegale Beute nicht nur selbst zu konsumieren oder zu verkaufen, sondern diese auch in die Heimat zurückzutransportieren. Für einige Akteure schien jedoch die erlaubte Menge, die transportiert werden durfte, nicht auszureichen. So habe Brunst als Spieß der 1. Kompanie seinen Untergebenen aufgetragen, Pakete bei seiner Frau in Dortmund persönlich abzuliefern. Entsprechend habe es derjenige bei ihm „besonders gut“ gehabt, der „die von ihm organisierten Pakete nach Hause beförderte, wenn er in Urlaub“ ging. Dabei sei es auch vorgekommen, dass „der Beamte, der Pakete mitnahm, dafür Sonderurlaub erhielt. In den Paketen waren u. a. Schuhe und ein Pelz.“817 „Wenn es seinen Zwecken diente“, habe der Spieß dazu Polizisten beim „Urlaub bevorzugt und andere wurden zurückgestellt.“818 Während das umfangreiche Versenden von Beutegut in Warschau auf keinen Widerspruch traf, scheint es in Dortmund dem zuständigen Zellenleiter der ­NSDAP unangenehm aufgefallen zu sein. Fritz Severing sei der Mann gewesen, „dem selbst als Nazi die Pakete zu viel wurden, die Brunst ständig durch Beamte

815 Niederschrift über die Besprechung beim SS- und Polizeiführer am 24.2.1942 vom 26.2.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 267). In ihrer Beraubung von Ghetto­ insassen stellten die Mitglieder des Bataillons 61 aber bei Weitem keine Ausnahme dar. Auch andere Teile der deutschen Besatzungsmacht praktizierten eine umfangreiche Beraubung der Warschauer Bevölkerung. So wurde beispielsweise festgehalten, dass schon 1939 umfangreiche Plünderungen durch einzelne Akteure eingesetzt hätten. Vgl. Eyewitness account by Aron Bard, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1117, Bl. 1). Auch Generalgouverneur Frank soll in diesem Zusammenhang schon 1940 von Polizisten als „wilde Horde“ gesprochen haben. Vgl. Schreiben des KdO Lublin an Daluege betr.: Polizei, SS und Verwaltung vom 5.3.1940 (BA R 19 Nr. 405, Bl. 11). 816 Siehe ausführlich Kapitel V.2. 817 Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 66). Für die erlaubte Höchstmenge von Gütern, die mit in die Heimat genommen werden durfte, vgl. Regelung über Versand und Mitnahme von Waren aus dem General­gouvernement durch Wehrmachtangehörige 6.3.1942 (BA R 19 Nr. 305, Bl. 45 f.). 818 Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 47). Ebenso für den Transport der Pakete vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 51); Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 45). Neben dem Spieß Brunst soll beispielsweise auch Hauptmann Mehr Pakete nach Hause geschickt haben. Vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 60). Ebenso habe auch Nord bei seiner neuen Einheit durch Polizisten Koffer zu seiner Frau ins Reichsgebiet transportieren lassen. Vgl. Aussage Julius Schneider 29.1.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 7).

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von Warschau nach Hause bringen ließ“.819 So soll etwa die Frau des geschäftsführenden Hauptwachtmeisters „ca. 4 bis 5 Paar lange Stiefel gehabt haben“.820 Wegen solcher verschobenen Güter habe dann auch im Haus des Spießes eine Durchsuchung stattgefunden. Vorgesetzten war es darüber hinaus explizit untersagt, ihre Untergebenen zu außerdienstlichen privaten Zwecken einzusetzen.821 Das Verhalten des Unteroffiziers hätte daran anknüpfend zu massiven Repressalien führen können. Sein vorgesetzter Hauptmann nahm Brunst jedoch in Schutz. Mehr gab an, dass der Hauptwachtmeister sich alle verschickten Güter von seiner Lebensmittelration abgespart habe. Auch wenn diese sicher keine Damenstiefel und Pelzmäntel enthielt, ließ man den Fall, wohl nicht zuletzt aufgrund des ausgeprägten Netzwerks des SS-Führers, auf sich beruhen. Die Praxis des Amtsmissbrauchs durch das Überbringen von Paketen durch Polizisten wurde darüber hinaus aber keineswegs gestoppt. Stattdessen wurde dies nur besser vor der heimatlichen „Volksgemeinschaft“ verborgen. Von nun an sollten „die Urlauber die Pakete bei Frau Brunst in Dortmund in Zivil abgeben“.822 Erstaunlicherweise soll der Spieß nicht bei all seinen Untergebenen den gleichen Freiraum zugelassen haben, den man ihm selbst zugestand. So habe er einen seiner Männer angebrüllt, als dieser wissen wollte, ob er sich in der Stadt etwas kaufen dürfe, um es mit ins Reichsgebiet zu nehmen. Unter dem Hinweis „auf das Verbot des Einkaufens“823 habe Brunst den Mann weggeschickt. In der Mehrzahl der Fälle gab es solche Probleme im Bataillon 61 jedoch nicht. Auch außerhalb der Einheit wurde in Warschau offenbar durch Polizisten massiv Beutegut nach Deutschland verschoben. So will Nahlmann gehört haben, wie sich ein deutscher Hauptwachtmeister, der in einem lokalen Polizeirevier eingesetzt war, über die Reichsbahn aufregte, „die ihm keinen Wagon zur Verfügung stellen wollte, um ‚seine‘ Möbel von Warschau nach Deutschland transportieren zu lassen“.824

819 Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 45). Severing selbst wollte sich nach dem Krieg nicht mehr zu den Vorgängen äußern und gab nur an: „Die Angelegenheiten, die in die Zeit der 3. Reiches fallen, sollen nicht mehr erwähnt, sondern vergessen sein.“ Aussage Fritz Severing vom 1.3.1951 (ebd., Bl. 68). 820 Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 47). 821 Vgl. Beschäftigung von Angehörigen der Ordnungspolizei zu persönlichen Zwecken vom 5.11.1943 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 266, unpag.). Für die Durchsuchung vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 51); Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 47). 822 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 51r). In ähnlicher Form vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 45). Für die Protektion durch Hauptmann Mehr Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 51r). Mehr war mit dem stellvertretenden Gauleiter Vetter befreundet, was den Hauptmann absicherte. Vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 233). 823 Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 66). Da Sippel Brunst sein eigenes Versenden von Waren vorhielt, habe er Probleme bekommen und sei von einem SS-Gericht zu Frontbewährung verurteilt worden. 824 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 20.

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Das Streben nach Bereicherung und einem für die Polizisten angenehmen Leben bedingte auch ein Kuriosum des Warschauer Ghettos. Obwohl es die offizielle Aufgabe der Dortmunder Polizeieinheit war, dass „keine Lebensmittel in das Ghetto geschmuggelt wurden“,825 waren die Wachen in den Schmuggel massiv verstrickt. Für Insassen des Ghettos war der Schmuggel keine wirklich freiwillige Entscheidung. „Wer nur auf das angewiesen war, was offiziell zugeteilt wurde, war praktisch zum Tode verurteilt. Wenn man überleben wollte, musste man sehen, sich durch Handel oder Schmuggel zusätzlich etwas an Lebensmitteln zu beschaffen.“826 Entsprechend waren Personen zu Handlungen gezwungen, für die man sie kriminalisierte. Auch wenn sie dabei unter Lebensgefahr standen, war doch der Druck, zu schmuggeln, größer als die damit verbundene Angst. Ein Schmuggler soll im Zusammenhang der gewalttätigen Maßnahmen sowie der drohenden Todesstrafe einfach geäußert haben: „Der Schmuggel wird nicht eingestellt.“827 Neben dem Schleichhandel durch die schon erläuterten Lücken der Ghetto­ begrenzungen zeigten die Schmuggler einen erstaunlichen Einfallsreichtum bei ihren Tätigkeiten. So hätte man zwischen hohen Gebäuden des Ghettos und Häusern außerhalb des Sperrgebietes Drähte gespannt. Tagsüber seien es dünne Drähte gewesen und nachts dickere, an denen man Lebensmittel herüberzuholen versucht habe. In anderen Fällen verliefen Schmuggelrouten über Dächer, um sie besser zu verbergen. Auch habe der Zufall es bedingt, „dass bei der Entstehung des Ghettos ein gewisser Teil der Häuser so geteilt wurde, dass sich eine Hälfte auf der arischen Seite“ befand, während der „zweite Teil des Hauses auf der jüdischen Seite“ lag. Deswegen habe man „in die Wand zwischen den Nachbarn eine Öffnung geschlagen“.828 „Zu einem jüdischen Bäcker in der Zamenhof-Straße“ seien „mit einem Lastwagen, der mit Papierabfällen abgedeckt“ war, „Mehl und

825 Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 36). Für Fotografien, die die Polizisten bei entsprechenden Kontrollen zeigen, vgl. LAV NRW, W, K 702a Nr. 287. 826 Aussage Leo Miller vom 26.5.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 92). Auch im Bataillon 61 war man sich dessen bewusst. Vgl. exemplarisch Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 185r). Für den Beginn des Schmuggels, direkt als das Ghetto abgeriegelt wurde, vgl. Zeitzeugenbericht Mordka Purman (YVA O.33 Nr. 260). 827 Bericht über die Stimmung im Ghetto vom 13.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 522, Bl. 1). In ähnlicher Form vgl. Zeitzeugenbericht Jurek Erner (AŻIH 301 Nr. 259, Bl. 7); Bericht über das Schicksal der Baja Keselberg [Kaselberg] nach 10.4.1942 (AŻIH ARG I Nr. 514, Bl. 8). Für die Kriminalisierung durch deutsche Vorschriften vgl. Schreiben des World Jewish Congress an die Staatsanwaltschaft Dortmund vom 18.11.1963 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2263, Bl. 21). 828 Bericht „Milch und Brei von der Wand“ vom 28.4.1941 (AŻIH ARG I Nr. 493, Bl. 1). Für den Schmuggel über die Dächer vgl. Zeitzeugenbericht Symcha Binem Motyl (YVA O.33 Nr. 1072). Für den Schmuggel über Drähte, die zwischen Gebäuden gespannt wurden, vgl. Aussage Richard von Coelln [sic] vom 8.7.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 177).

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Zucker gebracht“ worden.829 Ebenso sei man auch mit anderen Waren verfahren. So habe etwa Benjamin Gruszka mit einem Leichenwagen verschiedenste Güter ins Ghetto transportiert. Generell sei mit der Zeit „der Schmuggel immer perfekter, effektiver“830 und organisierter durchgeführt worden. Auch habe „sich aus dem Ghetto heraus ein lebhafter Schmuggel entwickelt. Dieser Schmuggel bestand daraus, dass man Erzeugnisse, die im Ghetto verfertigt wurden, in die Stadt und aus der Stadt Lebensmittel ins Ghetto brachte.“831 Das gesamte Ausmaß des Schwarzhandels scheint dabei immens gewesen zu sein. So hätten etwa an der Verschiebung von Waren über eine „Spelunke“ in der Koźla-Straße so viele Personen partizipiert, dass es geheißen habe, der Ort ernähre „halb Warschau“.832 Schon 1940, als sich die Praxis des Schmuggels noch entwickelte, will ein Mitglied einer der Vorgängereinheiten des Bataillons 61 als Wache am Ghetto allein 57 Menschen beim Schmuggel festgesetzt haben. Wie dies schon andeutet, war eine von dessen häufigen Formen der Transport von Waren durch Arbeiter über die Zugänge des Ghettos. Die Hauptlast des Schmuggels durch die Lücken der Ghettobegrenzung sollen aber Kinder getragen haben. Meist bei Nacht seien sie „wie Ratten durch die Löcher gekrochen, schlichen sich in die Stadt“,833 um Güter zu verkaufen und mit Nahrung zurückzukehren. Wer währenddessen „den Befehl an den Ghettoeingängen hatte, war insofern von besonderer Bedeutung“, da „viele Ghettoinsassen bemüht waren, von der Arbeit Nahrungsmittel mit ins Ghetto zu bringen“.834 In einigen Fällen scheinen die Männer des Bataillons 61 dabei tatsächlich, wie sie es selbst ausdrückten, „schon mal ein Auge zugedrückt“835 zu haben, wenn es „um Schmuggel für

829 Bericht über das Warschauer Ghetto, o. D. (AŻIH ARG I Nr. 531, Bl. 1). 830 Bericht „Milch und Brei von der Wand“ vom 28.4.1941 (AŻIH ARG I Nr. 493, Bl. 1). Für den Schmuggel mit dem Leichenwagen, durch den auch die Waffen für den späteren Warschauer Ghetto-Aufstand zur jüdischen Untergrundorganisation gelangt seien, vgl. Aussage Benjamin Gruszka vom 8.1.1973 (StAHH 213-12-70 Nr. 58, Bl. 26752). Erhalten habe man die Waffen von verwundeten deutschen Soldaten, die Urlaub hatten. Vgl. Aussage Michael Piorowicz vom 28.5.1973 (ebd., Bl. 27075). Für die Durchsuchung von Leichenwagen vgl. Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 38); die Fotografien in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 287. 831 Aussage Josef Szlandkowski vom 29.8.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 33, Bl. 15197). In ähnlicher Form vgl. Studie „Schmuggel“ vom 7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 635, Bl. 12/7). 832 Ebd., Bl. 6/1. 833 Jewish News: A Bulletin Issued Periodically From The Jewish Central Information Office. Number 3. Wiener Library Publications 20.2.1942 (WL Nr. 1628, Bl. 12). Für die durch die Vorgängereinheit des Bataillons 61 festgesetzten Menschen vgl. Aussage Kurt Rink vom 2.3.1948 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 56, Band 13, Bl. 15). Darunter sollen sieben Polen gewesen sein, die das Ghetto betreten wollten. 834 Aussage Thaddäus Stabholz vom 17.2.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 39, Bl. 17675). 835 Aussage Walter Frieling vom 3.6.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 132). Vgl. ebenso Aussage Ernst Hennefeld vom 22.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 165).

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den täglichen Bedarf ging“.836 Aus der Perspektive der Ghettoinsassen wurde geschildert, dass deutsche Polizisten manchmal zu ihnen gesagt hätten: „Geh, ich schau nicht hin.“837 Die Ghettoinsassen mussten sich dabei auf ihr Gefühl verlassen, ob ein Polizist einen auffliegenden Schmuggelversuch dulden würde. Über eine Gruppe von schmuggelnden Kindern im Sommer 1942 wurde etwa berichtet: Sie „hatten erkennbar das Gefühl, dass der Gendarm, der an der Einmündung stand, kein schlechter Mensch war, denn sonst hätten sie es sicher nicht gewagt, so nah an ihm vorbeizugehen. Tatsächlich irrten sich die Kinder nicht, denn nach ein paar Augenblicken rief der Gendarm einen jüdischen Polizisten herbei und wies ihn an, die Kinder ins Ghetto zu führen. Ich hörte, wie später eins von ihnen mit seiner Mutter sprach. Sie gingen in eine Toreinfahrt, und dort holte das Mädchen unter seiner Bluse eine Tasche mit Kartoffeln hervor und erzählte der erfreuten Mutter strahlend, es habe bis zur Wachablösung gewartet, und jetzt, bei diesem Gendarmen, würde sie noch drei ‚Umläufe‘ absolvieren können.“838

Entsprechend wurde von Schmugglern durchaus zwei Stunden lang auf einen Wachwechsel gewartet, bis ein als wenig streng eingeschätzter Polizist Dienst hatte. Mietek Ejchels beschrieb, dass es ihm für mehrere Tage nicht möglich gewesen sei, in das Ghetto zurückzukehren, da eine strenge Wache im Dienst gewesen sei. Wenn die Schmuggler zu spät erkannten, dass solche Deutsche im Dienst waren, hätten die Ghettoinsassen versucht, durch Wegwerfen ihrer Güter den Schmuggelvorgang abzubrechen, bevor sie durchsucht wurden.839 Die höchsten Chancen, trotz eines entdeckten Schmuggelvorgangs unbehelligt zu bleiben, hatten Kinder und Jugendliche, die ganz offensichtlich optisch nicht den stereotypen Vorstellungen der Wachen über das Aussehen von Ghettoinsassen entsprachen. Ein unbekannter Autor notierte im Sommer 1942 den Fall eines 13 bis 14 Jahre alten Mädchens, das „hübsch und sauber angezogen“ mit Nahrungsmitteln in das Ghetto zurückzukehren versuchte. Dabei habe sie ein polnischer Polizist aufgegriffen und ihr befohlen, alles fallen zu lassen, was sie „tränenüberströmt“ getan hätte. Als dies ein wachestehender deutscher Polizist mitbekommen habe, hätte dieser dem Polen befohlen, alles wieder auf-

836 Aussage Walter Frieling vom 3.6.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 132). 837 Studie „Schmuggel“ vom 7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 635, Bl. 20/2). Mit ähnlichem Inhalt vgl. Bericht „Neuigkeiten, gesammelt in einem Gespräch mit einem Funktionär des Ordnungsdienstes“ vom 2.5.1942 (AŻIH ARG I Nr. 413, Bl. 6). 838 Anonymes Tagebuch vom 6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 521, Bl. 6). 839 Aussage Joshua Mayer Bielicki vom 28.4.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 49, Bl. 22483). Für Ejchels Schilderung vgl. Mietek Ejchels Memoiren von 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 15). Durch Zufall entging er dadurch einer Deportationsaktion am 21. und 22.7.1942. Allgemein für das Warten auf den Wachwechsel vgl. Salomea Ostrowska „Quarantäne in der Leszno-Straße 109/III“ nach 9.1941 (AŻIH ARG I Nr. 588, Bl. 59). Ebenso für das Warten auf eine „gute Wache“ vgl. Notizen über das Verlassen und Betreten des Warschauer Ghettos nach 11.1941 (AŻIH ARG I Nr. 638, Bl. 2).

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zuheben und zurückzugeben. Das Kind habe von dem Deutschen „nur einen warnenden Schubs“ erhalten sowie die Worte gehört, „dass du mir nicht mehr schmuggelst“.840 In ähnlicher Form schilderte Jurek Erner nach dem Krieg, dass er als Schmuggler relativ unbehelligt geblieben sei, da die Polizisten ihn aufgrund seines Aussehens für einen katholischen, polnischen Jungen gehalten hätten.841 Dass in manchen Fällen Kinder passieren durften und ihr Schmuggel durch die deutschen Wachen ignoriert wurde, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Minderjährige in anderen Fällen massiver und meist tödlicher Gewalt ausgesetzt waren. Gleiches galt auch für Erwachsene. Entsprechend waren die Ghettoinsassen bemüht, die Wachen möglichst vom Schmuggel abzulenken. So hätten beispielsweise zwei bis drei Frauen einen Polizisten umringt und ein Gespräch mit diesem begonnen. Währenddessen hätte sich eine andere Gruppe in dessen Rücken hindurchgeschlichen. Andere Schmuggler hätten über Stunden gewartet, bis die Ghettowachen damit beschäftigt waren, viele Fahrzeuge auf einmal zu kontrollieren, und damit abgelenkt waren. Erst dann habe man versucht, sich in das Ghetto zu begeben.842 „Sich durch die ‚Wache‘ durchzuschleichen“, blieb dennoch gefährlich. Sei man erwischt worden, so wäre neben der Lebensgefahr auch die Ware „verbrannt“ gewesen, sofern man nicht ein „hohes Lösegeld“843 zu zahlen in der Lage war. Eine relativ sichere Methode für die Schmuggler war hingegen, die deutschen Polizisten von vornherein zu bestechen. Die Ghettoinsassen glaubten, dass Anfang 1942 die alte Wachmannschaft abgelöst wurde, da sie zu sehr in Bestechungen verstrickt gewesen war. Jedoch seien einige Männer der alten Einheit vor Ort geblieben, um die neuen Polizisten des Bataillons 61 in den Dienst einzuweisen. Offensichtlich erläuterten sie den Männern der Dortmunder Polizeieinheit auch, wie sie durch Bestechungsgelder ihren Sold stark aufbessern konnten.844

840 Studie „Schmuggel“ vom 7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 635, Bl. 35/9). 841 Zeitzeugenbericht Jurek Erner (AŻIH 301 Nr. 259, Bl. 2). Auch außerhalb des Bataillons 61 akzeptierte und unterstützte man am ehesten den Schmuggel durch Kinder. Für die Warschauer Straßenbahner, die häufig Mitleid mit Kindern gehabt haben sollen, vgl. Bericht über das Schicksal der Baja Keselberg [Kaselberg] nach 10.4.1942 (AŻIH ARG I Nr. 514, Bl. 3). 842 Vgl. Mietek Ejchels Memoiren von 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 10). Für das Vorgehen der Frauen vgl. Studie „Schmuggel“ vom 7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 635, Bl. 20/2). Für die massive Gewalt der deutschen Wachen, die sich mit Phasen der Kulanz abwechselte, vgl. Tagebuchfragment Abraham Lewin 15.5.–5.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 431, Bl. 25). 843 Bericht über das Schicksal der Baja Keselberg [Kaselberg] nach 10.4.1942 (AŻIH ARG I Nr. 514, Bl. 3). 844 Für die Ablösung der Wachmannschaft, von der nur einige erfahrene Männer vorerst zurückblieben, vgl. Bericht „Neuigkeiten, gesammelt in einem Gespräch mit einem Funktionär des Ordnungsdienstes“ vom 2.5.1942 (AŻIH ARG I Nr. 413, Bl. 8).

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Die Ghettoinsassen konnten sich so „aus Erfahrung“ sicher sein, dass „man einen deutschen Gendarmen und Polizisten immer bestechen konnte“,845 wenn man die nötigen Finanzmittel besaß. Die Schmuggler wussten dabei sehr genau, welche Polizisten „płatny“,846 also bestechlich, waren. „Das Hineinkommen und das Herauskommen aus dem Ghetto waren ein einfaches Geschäft für die deutschen Gendarmen auf den Wachen.“847 Selbst für verdorbene Nahrung hätten die deutschen Polizisten noch Bestechungsgelder verlangt. Auch der schon erwähnte florierende Schwarzhandel in der „Koźla-Spelunke“ habe nur deshalb so gut funktionieren können, weil „das gesamte benachbarte polnische Polizeikommissariat, eine Reihe deutscher Agenten und selbst höherer Beamte bestochen“ waren.848 Auch Mitglieder des Bataillons 61 schrieben sich gegenseitig zu, mit den Ghettoinsassen Handel getrieben zu haben, an dem sich die Deutschen bereichert hätten.849 „Dank der Korruption“ der Ghettowache habe „sich in großem und kleinem Stil das Nehmen und Herausziehen von ,Bestechungsgeld‘ von allen und allem, was in das jüdische Ghetto hineinkam oder herausging“,850 verbreitet. Bestand für den Schmuggel an der Ghettogrenze eine Geschäftsbeziehung zwischen Wachen und Insassen, so mussten diese für den direkten Schmuggel an der Ghettobegrenzung darauf warten, dass „ihre Polizisten“851 Dienst hatten. Wenn sich dann die Ware auch nur ein wenig verspätet hätte und in dieser Zeit die Wache wechselte, sei der Handel gescheitert und die Ware verloren gewesen.852 Der Schmuggel verkomplizierte sich darüber hinaus dadurch, dass die Ausführenden für die Anbahnung einer Geschäftsbeziehung zu den Mitgliedern des Bataillons 61 oftmals einen Vermittler benötigten. „Die Schwierigkeit“ habe ­nämlich

845 Bericht über das Schicksal der Baja Keselberg [Kaselberg] nach 10.4.1942 (AŻIH ARG I Nr. 514, Bl. 8). 846 Zeitzeugenbericht Jakub Michlewicz, o. D. (AŻIH 301 Nr. 1800, Bl. 3). 847 Notizen über das Verlassen und Betreten des Warschauer Ghettos nach 11.1941 (AŻIH ARG I Nr. 638, Bl. 4). Für die Bestechungsgelder selbst für verdorbene Nahrung vgl. Zeitzeugenbericht Tadeusz Szymkiewicz (YVA E/258). Zit. nach Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, Bl. 429. 848 Studie „Schmuggel“ vom 7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 635, Bl. 7/2). Ausführlich zur Bestechlichkeit der polnischen Polizei und insbesondere zu den an diese gezahlten Geldsummen vgl. ebd. Bl. 3 und 17/4. Ebenso vgl. Bericht über das Schicksal der Baja Keselberg [Kaselberg] nach 10.4.1942 (AŻIH ARG I Nr. 514, Bl. 5). Ebenso sei jedoch auch die Sicherheitspolizei bestechlich gewesen. Vgl. Eyewitness account by Ludwig Bronislaw Borkowski, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1100, Bl. 6). 849 Vgl. Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 136). 850 Notizen über das Verlassen und Betreten des Warschauer Ghettos nach 11.1941 (AŻIH ARG I Nr. 638, Bl. 3). 851 Bericht „Neuigkeiten, gesammelt in einem Gespräch mit einem Funktionär des Ordnungsdienstes“ vom 2.5.1942 (AŻIH ARG I Nr. 413, Bl. 9). 852 Vgl. Notizen über den Schmuggel im Warschauer Ghetto vom 13.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 639, Bl. 3). Für den Verlust der Ware, wenn Schmuggler an die falsche Wache gerieten, vgl. Zeitzeugenbericht Jurek Erner (AŻIH 301 Nr. 259, Bl. 3).

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darin bestanden, erst einmal zu den deutschen Polizisten ­durchzudringen. „Erst erlaubte das die polnische Polizei nicht, dann die jüdische.“853 Da beide Gruppen wie erläutert nur einen sehr geringen offiziellen Sold erhielten, ist es durchaus nachvollziehbar, dass auch sie am illegalen Verschieben von Waren profitieren wollten. So habe gegolten, dass meist „polnische und jüdische Polizisten die Mittelsmänner“854 zwischen den deutschen Wachen und den Schmugglern waren. Durch den gemeinsamen Wachdienst mit den Männern des Bataillons 61 konnten die polnischen und jüdischen Polizisten eine gewisse Vertrauensbasis zu diesen aufbauen, die erst das Schließen einer Geschäftsbeziehung ermöglichte. Einen Vorteil hatten dabei offensichtlich die Männer des jüdischen Ordnungsdienstes durch ihre oftmals vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse. So seien die Dortmunder Polizisten gern bereit gewesen, „sich in eine Konversation“ mit den Ordnungsdienstmännern zu begeben, „da die Männer der polnischen Polizei normalerweise kein Deutsch sprachen“.855 Bereits wenige Minuten hätten dabei gereicht, um den Schmuggel, an dem auch die Deutschen interessiert waren, anzustoßen. So habe beispielsweise ein Mitglied des jüdischen Ordnungsdienstes einen deutschen Polizisten gefragt, was dieser vom Schmuggel halte, während ihm eine dazu genutzte Route gezeigt wurde. Daraufhin habe der Deutsche gefragt, ob der Ordnungsdienstmann nicht „ein paar Wagen durchschieben“856 wolle, was verständlicherweise bejaht wurde. Oftmals soll der Anstoß zu einer Absprache auch der Umstand gewesen sein, dass die deutschen Polizisten etwas Besonderes haben wollten, etwa „einen Schokoladenriegel oder ein Stück Seife“. Daraufhin hätten die Ordnungsdienstmänner erwidert, dass sie dafür kein Geld hätten, sich dieses jedoch gemeinsam schnell verdienen ließe, wenn man ein paar Wagen mit „Kartoffeln, Mehl oder anderen Produkten“ gegen Bezahlung ins Ghetto ließe. Auf diese Weise hätten die deutschen Polizisten oftmals ihren Einstieg zu den „aus dem Schmuggel abgeleiteten Einnahmen“ gefunden.857 Dabei habe vieles davon abgehangen, die deutschen Wachen bei guter Laune zu halten. So hätten bisweilen die Ordnungspolizisten ihren polnischen Kollegen signalisiert, dass sie gern etwas Wodka trinken würden. Wenn die Deut-

853 Studie „Schmuggel“ vom 7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 635, Bl. 21/3). 854 Notizen über das Verlassen und Betreten des Warschauer Ghettos nach 11.1941 (AŻIH ARG I Nr. 638, Bl. 4). 855 Zeitzeugenbericht Ber Warm (YVA O.3 Nr. 411). Ferner vgl. Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 455. Für die Bevorzugung des Kontakts der Deutschen mit dem jüdischen Ordnungsdienst, statt mit der polnischen Polizei, vgl. Bericht „Neuigkeiten, gesammelt in einem Gespräch mit einem Funktionär des Ordnungsdienstes“ vom 2.5.1942 (AŻIH ARG I Nr. 413, Bl. 7). 856 Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 34). 857 Bericht „Neuigkeiten, gesammelt in einem Gespräch mit einem Funktionär des Ordnungsdienstes“ vom 2.5.1942 (AŻIH ARG I Nr. 413, Bl. 7).

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schen dann erheitert gewesen seien und damit offener für etwaige Aktionen, hätten die polnischen Polizisten schnell die Männer des jüdischen Ordnungsdienstes informiert, dass nun ein geeigneter Zeitpunkt für das Verschieben der Waren gekommen sei. Der Rückgriff auf einen Zwischenhändler erleichterte zwar den Schmuggel, verteuerte ihn aber auch. Wenn etwa „ein Auto mit Ware in das Ghetto geschmuggelt“ werden sollte, „dann musste man mehr bezahlen, als die ganze Ware wert war, weil ja ‚alle leben wollten‘, der Gendarm, der Pole und der ‚jüdische Purimspieler‘“,858 wie man die Händler nannte. Eine Sicherheit vor Übergriffen der Männer des Bataillons 61 stellten jedoch Bestechungszahlungen, egal ob selbst von Schmugglern ausgehandelt oder durch einen Vermittler angebahnt, nicht immer dar. Die Absprachen waren keinesfalls permanenter Natur. So kam es vor, dass „von den Schupos“ Personen erschossen wurden, denen sie „einen Tag vorher noch für Geld Schmuggel“859 erlaubt hatten. Verschiedene Quellen heben hervor, dass sich hierbei auch wieder der Polizist „Frankenstein“ hervorgetan habe. Obwohl er selbst „ein großer Schmuggler“860 gewesen sei, habe er viele seiner Handelspartner getötet. Insbesondere wenn er „eine Zahlung“ erhalten habe, die seiner Meinung nach „dem Wert der verschobenen Ware nicht entsprach“, soll er geradezu „empfindlich getroffen“861 reagiert haben. Er sei wütend geworden und habe dies an seinem Gegenüber ausgelassen. Ebenso willkürlich habe sich „Frankenstein“ auch gegenüber schmuggelnden Kindern gezeigt. Während er sie in manchen Fällen gewähren ließ und sich damit rühmte, ihnen gegenüber kulant zu sein, da er selbst Frau und Kinder habe, tötete er sie in anderen Fällen. Verschiedene Quellen sagten ihm nicht nur eine geschäftliche Bindung zu Schmugglern nach. Er soll auch eine Affäre mit der bekannten Schmugglerin Sala gehabt haben. Als er ihr offenbar überdrüssig geworden war, tötete er sie. Über „Frankenstein“ sagte Kreienkamp aus, er habe gesehen, wie dieser „eine bekannte Schmugglerin“ tötete.862

858 Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039). Allgemein für die Abhängigkeit von der guten Laune der Deutschen vgl. Zeitzeugenbericht Mordka Purman (YVA O.33 Nr. 260). Für das gemeinsame Wodka-Trinken und die Benachrichtigung der Schmuggler vgl. Bericht „Neuigkeiten, gesammelt in einem Gespräch mit einem Funktionär des Ordnungsdienstes“ vom 2.5.1942 (AŻIH ARG I Nr. 413, Bl. 13). 859 Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 6). 860 Notizen über den Schmuggel im Warschauer Ghetto 13.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 639, Bl. 1). 861 Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 6). Dabei sei „Frankenstein“ auch gegen unbeteiligte Ghettoinsassen vorgegangen. 862 Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 231r). Für die Beziehung zu der Schmugglerin Sala vgl. Notizen über den Schmuggel im Warschauer Ghetto vom 13.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 639, Bl. 3); Bericht „Hundertzehn“, o. D. [vermutlich Sommer 1942] (AŻIH ARG I Nr. 687, Bl. 6). Unklar ist, ob sich auch das Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942

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Zwar habe „Frankenstein“ generell den größten Anteil an der willkürlichen Gewalt gegen Schmuggler gehabt, jedoch soll er mit seinem Verhalten keineswegs allein gewesen sein. Auch für die anderen Polizisten galt, dass sie durch den Schmuggel „große Gewinne“ machten und dennoch „terrorisieren und töten“ würden, „um zu zeigen, dass sie unentbehrlich sind“.863 Auch gegenüber der deutschen Obrigkeit folgte dies einem für die Ghettoinsassen klarem Handlungsrational: „Was den Terror gegenüber den Schmugglern betrifft, so sagt man noch, es müsse ja schließlich Opfer geben.“864 Ob es dabei Polen oder Ghettoinsassen traf, spielte offenbar keine größere Rolle. Auch brauchten die Polizisten der Dortmunder Polizeieinheit keine besondere Rücksicht auf ihre Handelspartner zu nehmen, da an die Stelle der Getöteten stets „eine Gruppe von neuen Schmugglern“865 getreten sei. Entsprechend zeichnete sich laut Ejchels „ein guter Gendarm“866 dadurch aus, dass er korrupt und möglicherweise gewalttätig war, aber eben Schmuggler nicht direkt tötete, sondern nur deren Ware stahl. Dass es zum umfangreichen Schmuggel und damit auch einer Verwicklung der Bewachungskräfte in diesen kam, war offensichtlich in der Warschauer Polizeiführung bekannt. Entsprechend wurde offiziell von den „einzelnen Posten ein hohes Maß an Umsicht, Besonnenheit und Unbestechlichkeit“ verlangt.867 Schon zuvor hatte die SS- und Polizeigerichtsbarkeit in ihrer periodischen Mitteilungsschrift im Unterpunkt „Warnbeispiele aus der Praxis“ die „Bestechung am Ghetto“ angeführt.868 Obwohl Informationen über die Verwicklung der deutschen Polizei und vor allem des Bataillons 61 in den Schmuggel vorlagen, wurde öffentlich nur die Verstrickung der einheimischen Polizei in diesen moniert. So sei „von verschiedenen Seiten wiederum darüber Klage geführt“ worden, dass

(AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 41) auf diese Affäre bezieht. Auch anderen deutschen Akteuren wurden solche Beziehungen nachgesagt. So habe der „Unterscharführer Hagen“ eine „jüdische Geliebte bei der Werterfassung“ gehabt. Vgl. Aussage Mosche Ring vom 18.4.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 49, Bl. 22406). Für „Frankensteins“ Einstellung zu Frauen und Kindern sowie zu dessen Gewalt gegen diese vgl. Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 24). 863 Bericht über die Stimmung im Ghetto 13.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 522, Bl. 1). 864 Notizen über den Schmuggel im Warschauer Ghetto 13.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 639, Bl. 3). 865 Bericht über die Stimmung im Ghetto 13.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 522, Bl. 1). 866 Mietek Ejchels Memoiren von 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 12). Ein Zeitzeuge gab sogar an, dass man ihn nicht geschlagen und ihm nur die Ware abgenommen habe. Vgl. Eyewitness account by Ludwig Bronislaw Borkowski o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1100, Bl. 2). 867 Kurze Instruktionen für die Posten der Ghettowachen in Warschau o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 245). Exemplarisch für die Wahrnehmung des massiven Schmuggels vgl. Zweimonatsbericht des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für die Monate Juni und Juli 1942 vom 15.8.1942 (AŻIH 233 Nr. 111, Bl. 3). 868 Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft 2, Oktober 1940, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 61).

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„die Beamten der polnischen Polizei außerordentlich unzuverlässig sind, nicht nur den unerlaubten Waren- und Personenverkehr dulden, sondern ihn sogar fördern und in hohem Maße bestechlich sind“.869 Die deutschen Behörden Warschaus waren sich darüber hinaus offensichtlich im Klaren, dass eine komplette Abriegelung des Ghettos nur unter einem erheblichen Aufwand möglich gewesen wäre. Schon 1941 ging man davon aus, dass „täglich einige Hundert Juden unbefugt ihren Warschauer Wohnbezirk“ verlassen hätten. Nur ein „Teil von ihnen, täglich im Durchschnitt etwa 100“, würden durch die „zur Bewachung der Ghettogrenzen aufgestellten Polizeiposten aufgefangen“.870 Der SSPF Warschau sprach nach dem Krieg von der „Unmöglichkeit einer vollständigen Abriegelung des Ghettos“.871 Ein tatsächliches Abriegeln des Ghettos hätte dazu geführt, dass dessen Insassen in kürzester Zeit verhungert wären. Für die Insassen des Ghettos schien es aber 1942 so, als wollten die Deutschen den „Schmuggel unterbinden und damit notwendigerweise das ganze jüdische Warschau zum Hungertod verurteilen“.872 Tatsächlich unternahmen die Deutschen verschiedene Maßnahmen, die dazu führten, dass „die Versorgung mit Lebensmitteln im Ghetto unter“873 dem Ghettokommissar Auerswald immer schlechter wurde. So plante man in der Warschauer Polizeiführung, die Grenzen des Ghettos trotz gewisser Luftschutzbedenken nachts durchgängig zu beleuchten. Für Häuser, die zum Teil im „arischen“ und zum anderen Teil im „jüdischen“ Stadtgebiet lagen, sah man eine Sprengung vor, um dort den illegalen Handel zu unterbinden. Der Verkehr auf den Grenzstraßen des Ghettos sollte darüber hinaus eingestellt werden.874 Das Ghetto sollte jedoch nicht liquidiert werden. Dies sah die Planung vorerst nicht vor. Vielmehr benötigte man das Ghetto als „Wartesaal in den Tod“.875

869 Niederschrift über die Besprechung beim SS- und Polizeiführer am 24.2.1942 vom 26.2.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 267). In ähnlicher Form vgl. Aktennotiz über das Urteil des SS- und Polizeigerichts VI Krakau vom 6.10.1942 (IPN S 30-12-Zn Band I, Bl. 6). Hierbei handelt es sich um ein Urteil gegen Mitglieder des Bataillons 61, darunter der Polizeisekretär Peter Koch. Mitangeklagt waren die polnischen Frauen Wanda Dziewicka und Klara Kaperska. 870 Strafverfahren gegen Juden in Warschau vom 27.9.1941 (APW 482 Nr. 40, Bl. 7). 871 Aussage Arpand Wigand vom 11.10.1971 (BA-L B 162 Nr. 19318, Bl. 977). 872 Bericht über die Stimmung im Ghetto vom 13.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 522, Bl. 1). 873 Aussage David Spiro vom 6.5.1963 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2261, Bl. 46). 874 Vgl. Niederschrift über die Besprechung beim SS- und Polizeiführer am 24.2.1942 vom 26.2.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 267). Für die verstärkte Bekämpfung des Schwarzhandels vgl. Bericht des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für den Monat März 1942 vom 13.4.1942 (AŻIH 233 Nr. 111, Bl. 5). 875 Oldřich Stránský, Es gibt keine Gerechtigkeit auf Erden. Erinnerungen eines tschechischen Auschwitz-Überlebenden, Wien 2010, S. 71. Hier jedoch bezogen auf das Ghetto Theresienstadt. Allgemein zur Formulierung „Vorhof zur Hölle“ für Ghettos vgl. Torsten Körner, Die Geschichte des Dritten Reiches, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 2001, S. 123.

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Korrekt wurde von den Ghettoinsassen jedoch wahrgenommen, dass sich 1942, nachdem auch bürokratisch geklärt worden war, wie die „Endlösung der Judenfrage“ gestaltet werden sollte, die Lage in Warschau stark zuspitzte. Leo Miller beobachtete, dass der „Schmuggel etwa von Anfang 1942 an nur noch in beschränktem Maße möglich“876 gewesen sei. Ihn ganz zu beseitigen, lag aber weder im Interesse der deutschen Führung noch der lokalen Akteure des Bataillons 61. Es handelte sich damit um eines der vielen unausgesprochenen Konsensprojekte des Holocausts. Während sich die Männer der Dortmunder Polizeieinheit vor allem aus opportunistischen Gründen weiter bereichern wollten, war höheren Stellen daran gelegen, zum einen weiterhin die Arbeitskraft des Ghettos auszunutzen und zum anderen dabei nicht zu große Ressourcen für dessen Bewachung und Versorgung aufbringen zu müssen. Für beide Seiten war es somit naheliegend, den Schmuggel in klarer definierte Bahnen zu lenken.877 Dies wurde auch von einigen Insassen des Ghettos wahrgenommen. So hieß es etwa, die Polizei wäre nur gegen bestimmte Formen des Schmuggels vorgegangen, da sie diesen selbst „durch die Ausfahrten leite und ihrer Konkurrenz, den Mauerschmugglern, ein Ende machen“ wollte.878 Die Deutschen hätte versucht, „den kleinen Schmuggel nicht durch die Löcher in der Mauer“879 zu lassen. Der „kleine Schmuggel, teilweise wirklich für den eigenen Bedarf“,880 habe deswegen fast aufgehört. Entsprechend sei aber „der Schmuggel durch die Tore“ gewachsen.881 Es hieß: „Sie haben die Mauern geschlossen und die Tore geöffnet.“882 Allgemein habe sich das Vorgehen der deutschen Ghettowachen vor allem gegen nicht gewerbliche und unorganisierte Schmuggler gerichtet. So hielt Rosenberg prägnant fest: „Solche Helden waren sie jedoch nur bei uns. […] Die großen Spekulanten anzugreifen, hatten sie keinen Mut, weil die Leute hinter sich hatten, die sie im Notfall zu schützen wussten.“883 Verschiedene Ghettoinsassen resümierten sehr prägnant über den Status quo des Schmuggels unter der Ägide des Bataillons 61: Anfangs sei der Schmuggel „nicht so organisiert gewesen“, er habe nun aber einen „ganz anderen Charakter“.884 Der Schmuggel habe „sich besser organisiert, er hat sich konspiriert“.885 An ihm wirkten bei Weitem nicht nur die Mitglieder der Dortmunder Polizei-

876 Aussage Leo Miller vom 26.5.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 93). 877 Vgl. unter Ausklammerung der Perspektive der deutschen Wachmänner Engelking/

Leociak, Warsaw Ghetto, S. 458.

878 Bericht über die Stimmung im Ghetto vom 13.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 522, Bl. 1). 879 Notizen über den Schmuggel im Warschauer Ghetto vom 13.7.1942 (AŻIH ARG I

Nr. 639, Bl. 3).

880 Studie „Schmuggel“ vom 7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 635, Bl. 21/3). 881 Bericht über die Stimmung im Ghetto vom 13.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 522, Bl. 1). 882 Ebd., Bl. 2. 883 Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039). Jedoch heißt es dort

ebenso, es sei einfach mancher „Großhändler bei Nacht erschlagen“ worden.

884 Bericht „Neuigkeiten, gesammelt in einem Gespräch mit einem Funktionär des

Ordnungsdienstes“ vom 2.5.1942 (AŻIH ARG I Nr. 413, Bl. 5).

885 Bericht über die Stimmung im Ghetto vom 13.6.1942 (AŻIH ARG I Nr. 522, Bl. 2).

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einheit mit. „In den großen Schmuggel wurden einbezogen: deutsche Soldaten und Zivilbeamte, die mithilfe von Militär- und Privatautos, von Krankenwagen, Hilfsfahrzeugen der Direktion der Warschauer Straßenbahnen, der Stadtverwaltung und von SS-Männern Geschäfte machten.“886 Wegen den missbräuchlichen, gewalttätigen und vor allem willkürlichen Handlungen der Männer des Bataillons 61 gegenüber den Ghettoinsassen versuchten diese, ihren Bewachern, wenn sie nicht auf eine Schmuggelvereinbarung angewiesen waren, möglichst auszuweichen. So habe etwa Mordacha Markusfeld, insbesondere um nicht erschossen zu werden, um „Frankenstein“, wann „immer es möglich war, […] einen großen Bogen gemacht“.887 Holbank berichtete, dass man „sich gegenseitig im Ghetto Bescheid“888 gab, wenn dieser Gewalttäter Wache an einem der Ausgänge stand. Nicht nur in Bezug auf ihn, sondern auch im Fall der übrigen Bewachungskräfte galt die primäre Überlebensstrategie, die Bard nach dem Krieg erläuterte. Er gab zu Protokoll, dass er „im Ghetto immer versucht habe, allen Deutschen auszuweichen, die [ihm] auf der Straße begegneten“.889 Mit Beginn der großen Deportation der Ghettobevölkerung in Vernichtungslager wurde dieses Vorgehen jedoch kaum noch umsetzbar, da die deutschen Bewacher nun verstärkt in das Ghetto eindrangen und dessen Insassen zusammentrieben. Die „große Aktion begann im Juli 1942 und dauerte bis zum September 1942“.890 Erst kurz vor dem Beginn der Deportationen hatte der SS-Offizier Hermann Julius Höfle am 22. Juli 1942 den Judenratsvorsitzenden Czerniaków 886 Notizen über das Verlassen und Betreten des Warschauer Ghettos nach 11.1941

(AŻIH ARG I Nr. 638, Bl. 4).

887 Aussage Mordacha Markusfeld vom 18.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3681).

In ähnlicher Form vgl. Aussage Michael Zylberg vom 5.5.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 47). Ferner vgl. Aussage Israel Gutmann vom 23.9.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 18, Bl. 8034). Er gab zu Protokoll, dass eine regelrechte Panik ausbrach, wenn „Frankenstein“ im Ghetto auftauchte, und dass die Insassen möglichst vor ihm zu fliehen versuchten. In ähnlicher Form vgl. Aussage Adam Datyner vom 5.6.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6612). Ähnliches wurde auch über Deutsche berichtet, die nicht aus dem Bataillon 61 stammten. Vgl. Aussage Mordaka Josek Salve vom 8.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5922). 888 Aussage Chaskiel Holbank vom 27.1.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 37, Bl. 17276). 889 Aussage Airem Bard vom 27.8.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 23, Bl. 10239). Auch vonseiten des Bataillons 61 wurde dies beobachtet. Vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 15. Nahlmann bezieht dies jedoch auf das Erscheinen des SD. Kalmann Jankowsky brachte zum Ausdruck, dass er deswegen froh gewesen sei, außerhalb des Ghettos in einer Zwangsarbeiterunterkunft untergebracht gewesen zu sein. Vgl. Aussage Kalmann Jankowsky vom 25.8.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1771). 890 Aussage Abraham Kotler vom 1.5.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 30, Bl. 13841). Für die gleiche Datierung vgl. Aussage Israel Rotblit vom 7.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5894). Allgemein für das Ende des Ghettos bzw. für den Beginn der Deportationsphase vgl. Izrael Lichtensztajns Bericht über die Liquidationsaktion im Warschauer Ghetto in der zweiten Julihälfte 1942 (AŻIH ARG I Nr. 1450, Bl. 1–12). Insbesondere für die einzelnen Abschnitte und Phasen der Deportationen vgl. Bericht über die Liquidationsaktion im Warschauer Ghetto 28.8.–2.9.1942 (AŻIH ARG II Nr. 244, Bl. 6–9).

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darüber in Kenntnis gesetzt. Dieser nahm sich daraufhin, wohl wissend was die Deportationen bedeuteten, am Folgetag das Leben. Er wollte sich nicht zum Erfüllungsgehilfen der deutschen Vernichtungspolitik machen. „Es mussten täglich sechs- bis siebentausend Juden aus dem Ghetto nach dem sogenannten ‚Osten‘ verschickt werden.“891 Damit war nichts anderes als die Verschickung in Vernichtungslager wie Treblinka II gemeint. Dort wurden die meisten Warschauer Juden getötet. „Als Arbeitskräfte“ sollten nur einige Insassen „zwischen 16 und 38 Jahren“892 im Ghetto verbleiben. Die von Polizei und SS ausgeführten Deportationen sollen entsprechend große Unruhe hervorgerufen und die „Anwendung von starken Gewaltmitteln“893 bedingt haben. Um die euphemistisch als „Räumung“ bezeichnete Deportationsaktion mit höchster Effizienz ausführen zu können, wurde das Ghetto – anders als zuvor – umfassend abgeriegelt. Hierzu sei „die Bewachung des jüdischen Wohnbezirkes verstärkt“ worden, sodass man die „Abschließung des jüdischen Wohnbezirkes nunmehr als vollkommen“894 ansehen konnte. Um dies neben ihren weiteren Tätigkeiten umsetzen zu können, erfuhr das Bataillon 61 eine Personalergänzung. Die 1942 aufgestellte Polizeikompanie „Frankfurt Oder“ wurde der Dortmunder Polizeieinheit de facto von Juli bis August als 4. Kompanie unterstellt. Ebenfalls zur Bewachung und Räumung des Ghettos wurden vom 31. Juli 1942 bis Mitte Oktober des gleichen Jahres zwei Bataillone osteuropäischer „Hilfswilliger“ in Warschau stationiert.895 Vonseiten der Mitglieder des Bataillons 61 wurde nach dem Krieg zunächst nur eingestanden, dass es sein könne, dass bei „Transporten Angehörige des Bataillons zur äußeren Ghettobewachung eingesetzt waren“.896 Von einer aktiven Beteiligung an den Deportationsmaßnahmen wollte man aber nichts wissen. Zu eng waren in der deutschen Nachkriegsöffentlichkeit die Deportationen mit

891 Aussage Hermann Artmann vom 12.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 10, Bl. 4755). Für die Zahl von ca. 6 000 deportierten Juden pro Tag vgl. Wochenübersichten 1942 während der Großen Deportationen (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2263, Bl. 116). Zu Czerniaków vgl. Marcin Urynowicz, Adam Czerniaków 1880–1942. Prezes getta warszawskiego, Warschau 2009. 892 Wochenübersichten 1942 während der Großen Deportationen (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2263, Bl. 116). 893 Ebd., Bl. 17. 894 Zweimonatsbericht des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für die Monate Juni und Juli 1942 vom 15.8.1942 (AŻIH 233 Nr. 111, Bl. 7). Ebenso für die Abriegelung vgl. Wochenübersichten während der Großen Deportationen 1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2263, Bl. 119). Die massiv intensivierte Bewachung des Ghettos wurde dabei auch von dessen Insassen wahrgenommen. Vgl. exemplarisch zwei anonyme Manuskripte (YVA O.33 Nr. 3081, Bl. 3). 895 Es handelte sich um die Schutzmannschaftsbataillone 22 und 272. Vgl. Klemp, Vernichtung, S. 120. Für Polizeikompanie „Frankfurt Oder“ vgl. ebd., S. 121. Die „Hilfswilligen“ sollten die „schmutzige Arbeit bei der Umsiedlungsaktion“ verrichten vgl. Aussage Jacob Celnik vom 17.2.1972 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2276, Bl. 1371). 896 Aussage Joseph Figiel vom 24.7.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 16, Bl. 6888).

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der industriellen Vernichtung der Juden Europas verbunden. Etwas deutlicher äußerte sich hingegen der KdO Warschau. Er hielt zumindest fest, er könne sich nicht mehr im Einzelnen an den „Einsatz der Polizeikräfte, welche Bewachungen am Umschlagplatz“897 übernommen hätten, erinnern. Das Bataillon 61 war aber als maßgebliche Einheit der Ordnungspolizei für das abgesperrte Stadtgebiet mit Sicherheit an der „Säuberung des Warschauer Ghettos“ beteiligt.898 Entsprechend berichteten Insassen bei den Deportationen, im Ghetto seien auch Männer mit den markanten grünen Polizeiuniformen eingesetzt gewesen. Ruth Helman führte etwa aus, sie sei während der Deportationsphase „Zeuge der Erschießung von Kindern aus dem Kindergarten der Firma Toebbens“ gewesen. Sie hielt unmissverständlich fest: Deutsche „in grüner Uniform schossen auf die Kinder“.899 Auch ein Mitglied der Warschauer Sicherheitspolizei berichtete, ihm sei „ein Trupp von Ordnungspolizisten und Angehörigen der Waffen-SS zugeteilt“ worden, den er dann zu einem bestimmten Häuserblock führte. Dort angekommen, hätte „dieser Trupp unter Zuhilfenahme des jüdischen Ordnungsdienstes die Einwohner der betreffenden Häuser aus den Wohnungen herauszuholen und auf der Straße zu versammeln“ gehabt.900 In solchen Situationen sollen die Deutschen ihren Forderungen Nachdruck verliehen haben, indem sie sinngemäß immer wieder schrien, dass alle Bewohner „in drei Sekunden auf der Straße zu sein hätten, ansonsten würden alle erschossen“.901 Dies sei die „tagtägliche Prozedur“902 bis Mitte September 1942 gewesen. Die für eine „Räumung“ angelegte Absperrung beschrieb der Ghettoinsasse Adolf Berman wie folgt: „Die Blockade ging so vor sich, dass zuerst eine Reihe von Wohnblocks von den Gestapo- und Polizeitruppen umzingelt wurde, wo-rauf allen Bewohnern befohlen wurde, auf den Hof zu gehen; hierbei wurden die Bewohner dieser Blocks unter Schreien ‚heraus‘, ‚alle herunter‘ auf die Straße und von dort auf den Umschlagplatz getrieben und unterwegs wurde mit Kolben und Reitpeitschen geschlagen und häufig geschossen.“903

897 Aussage Joachim Petsch vom 21.3.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 20, Bl. 8996). 898 Dienstbesprechung der Befehlshaber und Inspekteure im Januar 1943 in Berlin. Bericht des Chefs der Ordnungspolizei, SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst ­Daluege über den Kräfte- und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei im Kriegsjahr 1942 vom 7.2.1943 (BA R 19 Nr. 336, Bl. 12). 899 Aussage Ruth Helman vom 8.5.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 49, Bl. 22544). Für einen anderen Fall vgl. Aussage Naomi Judkowski vom 15.9.1971 (BA-L B 162 Nr. 19318, Bl. 1002). Hier bezogen auf eine Tötung bei der bekannten „Milna-Straßen-Aktion“. 900 Aussage Helmut Orf vom 5.6.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6150). Für die Kooperation von Polizei, SS und Hilfskräften vgl. Aussage Henryk Fenigstein vom 13.5.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9654). 901 Zeitzeugenbericht Artur Ney vom 15.1.1947 (AŻIH 301 Nr. 2227, Bl. 2). 902 Aussage Adolf Berman vom 16.2.1964 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2263, Bl. 99). 903 Ebd. Ebenso für die Blockade vgl. Studie über die erste Liquidationsaktion im Warschauer Ghetto 7.–9.1942 nach 20.11.1942 (AŻIH ARG II Nr. 301, Bl. 14). Vgl. insbesondere auch ebd., Bl. 9, zur Kooperation von Deutschen und „Hilfswilligen“.

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Wer von den Ghettoinsassen bei diesen Aktionen auch nur die kleinste Form des Widerstands leistete oder sich sonst irgendwie zu entziehen versuchte, sei umgehend erschossen worden. So beschrieb Diana Kagan, dass allein an zwei Tagen 1 500 Personen an Ort und Stelle getötet wurden, da sie versucht hätten, sich zu verstecken. Ebenso sei laut Maurice Markus mit Personen verfahren worden, die versuchten zu fliehen. Er hielt in aller Klarheit fest: „Polizeiangehörige haben auf diese Menschen geschossen.“904 Offiziell ausgenommen von den Deportationen waren nur diejenigen Ghettoinsassen, die eine „Lebenskarte“,905 also eine Kennkarte für kriegswichtige Arbeiter, besaßen. Aber auch eine solche Karte konnte nicht vor Willkür schützen. So habe etwa am 31. Juli die deutsche Polizei einen Teil der Bewohner der Nowolipie-Straße deportiert, wobei auf Kennkarten keine Rücksicht genommen wurde und man alle Bewohner zum Umschlagplatz gebracht habe.906 Auch auf den Wegen dorthin sowie auf diesem selbst sei es permanent zu Gewalthandlungen durch die deutschen Polizisten gekommen. Einige Ghettoinsassen hätten sich an dem Platz sogar freiwillig eingefunden, da sie der deutschen Versprechung glaubten, dort Marmelade und Brot sowie einen Transport zu einem Arbeitseinsatz zu erhalten. Angesichts der Hungersnot im Ghetto sei die „ganze Sache mit der Verpflegung“ schlicht „ein ganz gemeiner Trick“ gewesen.907 Insgesamt habe die Situation auf dem Umschlagplatz auf die Ghettoinsassen so gewirkt, als ob nun auch „im Rahmen von Umsiedlungsaktionen

904 Aussage Maurice Markus vom 21.3.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9122). Für die Tötung von in Verstecken aufgespürten Personen vgl. Zeitzeugenbericht Diana Kagan (YVA O.62 Nr. 455). Generell für die Tötung von versteckten Personen die sich nicht mehr freikaufen konnten vgl. Studie über die erste Liquidationsaktion im Warschauer Ghetto 7.–9.1942 nach 20.11.1942 (AŻIH ARG II Nr. 301, Bl. 14). Für die Tötung von Widerstand leistenden Ghettoinsassen vgl. Aussage Adam Hoffman vom 13.6.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6233); 67. Bericht des Obmanns des Judenrates in Warschau für den Monat Juli 1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2284, Bl. 654). 905 Zeitzeugenbericht Miriam (Perlberger) Shmuel (YVA O.3 Nr. 6516). Für die Einführung dieser Kennkarten am 8.1.1942 vgl. Mitteilungsblatt für den jüdischen Wohnbezirk in Warschau Nr. 1 vom 1.2.1942 (AŻIH ARG I Nr. 182, Bl. 4). Ebenso waren wichtige Mitglieder des Judenrates von der Deportation ausgenommen vgl. Zeitzeugenbericht Ita (Rozencwajg) Diamant (YVA O.3 Nr. 3153). Ferner vgl. Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 733. 906 Vgl. Bericht Dawid Graber „A por ayndrukn un erinerungen“ [ein paar Eindrücke und Erinnerungen] 20.7.–3.8.1942 (AŻIH ARG I Nr. 415, Bl. 22). Für ähnliche Fälle vgl. Zeitzeugenbericht Ada Rems vom 21.11.1945 (AŻIH 301 Nr. 1221, Bl. 4); Studie über die erste Liquidationsaktion im Warschauer Ghetto 7.–9.1942 nach 20.11.1942 (AŻIH ARG II Nr. 301, Bl. 26). Ebd., Bl. 15, heißt es, insbesondere „Hilfswillige“ hätten nach einer Weile gelernt, sich bestechen und Juden fliehen zu lassen. 907 Aussage Stefan Szczupak vom 17.8.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 1, Bl. 521). Ebenso für das deutsche Versprechen von Nahrung und Arbeit vgl. Zeitzeugenbericht Ada Rems vom 21.11.1945 (AŻIH 301 Nr. 1221, Bl. 3); Zeitzeugenbericht Israel Wladimir Blumenfeldt (YVA O.33 Nr. 23).

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die Beteiligten ihren grausamen Gelüsten freien Lauf ließen“.908 Ebenso von deutscher Seite wurde über „den Ablauf der Aktion“ berichtet, dass „die Juden heftig geschlagen wurden“. Hieraus habe sich ersehen lassen, dass „sie nicht zur Arbeit kommen sollten, denn sonst hätte man sie ja nicht vorher zum Krüppel schlagen können“.909 Der SS-Mann Walter Seichter hielt nach dem Krieg geradezu zynisch dazu fest: Es sei „ja wohl eine Selbstverständlichkeit, dass es dabei nicht sehr höflich“ zuging.910 Welches oftmals tödliche Ausmaß die Gewalt während der Deportationen hatte, beschrieb Chaim Szulim Einhorn eindrücklich. Er resümierte, dass die Straßen regelrecht vom Blut aufgeweicht gewesen seien. Am Umschlagplatz sei das Blut durch den Rinnstein geflossen. Im Widerspruch zu der Brutalität, die das Bataillon 61 ebenso wie die weiteren deutschen Kräfte an den Tag legten, zeigte sich Einhorn geradezu verwundert über deren Erscheinung. Er habe Dämonen mit hässlichen Gesichtern erwartet, jedoch seien es ganz normale Menschen gewesen, von denen einige „ähnlich wie Professoren“911 ausgesehen hätten. Diese Männer waren eigentlich am Umschlagplatz damit beauftragt, die festgesetzten Ghettoinsassen nochmals zu kontrollieren und in die von der Reichsbahn zur Verfügung gestellten Züge zu verladen. „In den Waggons wurden 90–120 Personen untergebracht. Es handelte sich um Güterwagen, jeweils zusammen 40–50, dem Transport wurden Personenwagen“ für die Wachmannschaften hinzugefügt. Die Zahl der Deportierten pro Wagen habe dabei „eher von der Zahl der zur Verfügung stehenden Waggons […] als umgekehrt“ abgehangen.912 Man habe „die Menschen wie Vieh in die Güterwagen“ gedrängt, „sodass sie weder sitzen noch stehen konnten“.913 Insbesondere, wenn die vorgeschriebene Zahl an täglichen Deportationen nicht erreicht zu werden drohte, seien die Deutschen und ihre Hilfskräfte mit großer Härte vorgegangen. So gab beispielsweise Jan Goldstein an, mehrere Male Zeuge „des Prügelns, von Erschießungen, dem Hetzen von Hunden auf Menschen, die nach Ansicht der Nazis nicht schnell genug in die bereitgestellten Eisenbahnwagons einstiegen“,914 gewesen zu sein. Selbst die kleinste Form von Widerspruch sei dabei 908 Aussage Menasze Tencer vom 22.4.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9185). Für Schüsse bereits auf dem Weg zum Umschlagplatz vgl. Aussage Abraham Kotler vom 1.5.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 30, Bl. 13842). 909 Aussage Ludwig Wilhelm Leist vom 12.6.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6214). 910 Aussage Walter Alfred Seichter vom 17.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 6092). 911 Zeitzeugenbericht Chaim Szulim Einhorn (YVA O.3 Nr. 1836). Die Formulierung „podobni do profesorów“ im polnischen Original könnte jedoch auch Gymnasiallehrer meinen. 912 Studie über die erste Liquidationsaktion im Warschauer Ghetto 7.–9.1942 nach 20.11.1942 (AŻIH ARG II Nr. 301, Bl. 7). 913 Eyewitness account by Aron Bard, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1117, Bl. 3). 914 Aussage Jan Goldstein vom 6.8.1969 (BA-L B 162 Nr. 19314, Bl. 234). Ebenso für die Gewalttätigkeit, wenn die Quote der zu deportierenden Personen nicht erfüllt zu werden drohte, vgl. Zeitzeugenbericht Israel Wladimir Blumenfeldt (YVA O.33 Nr. 23). Dort wird auch eine Anzahl von 120 deportierten Personen pro Eisenbahnwaggon genannt.

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nicht geduldet worden. So stellte Felix Eisenstadt ausdrücklich fest, „dass bei der Einwagonierung alle Menschen, welche sich hartnäckig weigerten, die Waggons zu besteigen, ohne Unterschied, ob es sich um Männer, Frauen oder Kinder handelte, entweder mit Gewalt in den Zug geworfen wurden oder wenn sie sich z. B. auf den Boden legten und unter keinen Umständen mitfahren wollten“,915 erschossen wurden. Auf diese Weise sollen hunderte Menschen umgekommen sein. Grundsätzlich habe gegolten, wer sich der Deportation verweigerte, wurde getötet.916 Nach dem Einpferchen der Ghettoinsassen durch Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit an der Verladestelle übernahmen einige von ihnen auch die Begleitung der Bahntransporte. So seien „hin und wieder“917 verschiedene Mitglieder des Bataillons 61 „zur Begleitung eines Judentransportes abgestellt worden“.918 Vor der Ankunft am Zielort hätten die Männer die Transporte jedoch „an ein SS-Begleitkommando abgegeben“.919 Die völlig überfüllten Transportzüge, in dem die Ghettoinsassen ohne Wasser oder sonstige Verpflegung eingesperrt wurden, erreichten nach insgesamt etwa elf Stunden den Bahnhof von Malkini, der vier Kilometer vor Treblinka lag. Dort wurden die Züge aufgeteilt und zu je 20 Waggons nach und nach in das Vernichtungslager Treblinka II gebracht.920 Ende September 1942 waren die Warschauer Deportationen abgeschlossen. 400 000 von den Nationalsozialisten als Juden deklarierte Menschen waren aus dem Ghetto entfernt und in den sicheren Tod geschickt worden. Über 10 000 waren im Rahmen von Gewalthandlungen noch in Warschau getötet worden. Allein für den Monat September 1942 vermerkte der Judenrat 3 158 Tote durch Schusswunden. Offiziell befanden sich danach noch 35 000 Personen, die meisten von ihnen rüstungswichtige Arbeiter, im abgesperrten und nun massiv verkleinerten Stadtgebiet. Durch Personen, die sich den Deportationen entzogen hatten und sich versteckten, hätten sich inoffiziell aber „ca. 50 000 Menschen im Ghetto“ aufgehalten.921 915 Aussage Felix Eisenstadt vom 26.12.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 12, Bl. 5240). 916 Vgl. Zeitzeugenbericht Ada Rems vom 21.11.1945 (AŻIH 301 Nr. 1221, Bl. 4); Aussage Jakub Penson vom 7.8.1969 (BA-L B 162 Nr. 19314, Bl. 237). 917 Aussage Arthur Michels vom 9.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5888). Für das Einpferchen an der Verladestelle vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 27.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5868). 918 Aussage Hermann Kreienkamp vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 121). Ebenso zur Bewachung der Deportationszüge durch das Bataillon 61 vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 27.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5869); Aussage Franz Klippert vom 3.5.1962 (ebd., Bl. 5877). Allgemein zur Bewachung der Deportationszüge durch die Ordnungspolizei vgl. Aussage Fritz Rührnschopf vom 7.6.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6181); Klemp, Transport. 919 Aussage Joseph Matthias Figiel vom 7.4.1941 (StAHH 213-12-70 Nr. 3, Bl. 1807). 920 Für die Deportationszüge und die Ankunft in Treblinka vgl. Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039); anonymer Zeitzeugenbericht (YVA O.62 Nr. 539). 921 Aussage Artur Mendryzcki vom 25.8.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 2, Bl. 810). Für die offiziellen Zahlen vgl. Zweimonatsbericht des Gouverneurs des Distrikts Warschau an die Regierung des Generalgouvernements für die Monate August und September 1942

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Nach neun Monaten in Warschau endete der dortige Einsatz des Bataillons 61. Zu Recht galt den Polizisten ihr Einsatzzeitraum als „die berüchtigtste Zeit des Warschauer jüdischen Ghettos“.922 Wie schon das Bataillon 308, das vor der Dortmunder Polizeieinheit in Warschau als Ghettowache eingesetzt worden war und angeblich wegen „Schweinereien“923 gegenüber der Bevölkerung ersetzt wurde, so mutmaßte man auch, das Bataillon 61 sei „vermutlich aus Gründen, die mit der Ghetto-Wache in Warschau in Verbindung zu bringen sind“,924 abgezogen worden. Der Chef der 3. Kompanie führte aus, die Verlegung sei erfolgt, weil das „Polizeibataillon in den Augen des SS- und Polizeiführers als unzuverlässig“925 gegolten habe. Ob dies zutraf, muss als ungeklärt gelten. Sicherlich dürfte jedoch eine Rolle gespielt haben, dass die deutsche Obrigkeit nach dem Ende der Deportationen und der radikalen Verkleinerung des Ghettos in Warschau glaubte, die Wachmannschaft des Ghettos wieder reduzieren zu können. Für die verbliebenen Ghettoinsassen scheint es eine Erleichterung gewesen zu sein, dass die Dortmunder Polizeieinheit abgelöst wurde. Als Lewin sah, dass neue Polizisten das Ghetto bewachten, notierte er in sein Tagebuch: „Ich fühlte mich etwas besser.“926 4.

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Schon seit dem 7. Juli 1942 gehörte das Bataillon 61, unter der Pro-forma-Zuweisung von Saarbrücken als neuem Heimatstandort, offiziell zum Polizeiregiment 9. Zu dieser Einheit, deren übrige Bataillone bereits im Nordwesten Russlands im Einsatz waren, trat Anfang Oktober 1942 auch die Dortmunder Polizeieinheit. Laut Grunwalds Aussage sei man am 5. Oktober 1942 nach Russland gekommen und wurde wenige Tage später außer zu „Partisaneneinsätzen“ auch „zur Sicherung von Stützpunkten und Eisenbahnlinien eingesetzt“.927 Das

vom 15.10.1942 (AŻIH 233 Nr. 111, Bl. 7). Für die Zahlen des Judenrats vgl. 69. Bericht des Obmanns des Judenrates in Warschau für den Monat September 1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2284, Bl. 672). Für die Umsiedlungen innerhalb des Ghettos und dessen Grenzveränderungen vgl. Monatsbericht der Nebenstelle für den jüdischen Wohnbezirk in Warschau April 1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2296, Bl. 235–250). 922 Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 36). Die Einschätzung, ab Ende 1941 sei die Lage im Ghetto besonders schlimm geworden, teilt aus deutscher Perspektive u. a. auch der ehemalige SD-Mann Stabenow. Vgl. Aussage Gerhard Stabenow vom 1.7.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 165). 923 Klemp, Freispruch, S. 42. 924 Schreiben betr.: Entnazifizierung des ehemaligen Pol.-Hauptmann Nord, Dortmund vom 13.5.1948 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). 925 Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 27r). 926 Tagebuchfragment Abraham Lewin 8.1942–16.1.1943 (AŻIH ARG II Nr. 252, Bl. 71). 927 Aussage Wilhelm Grunwald vom 18.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 36). Ebenso vgl. Vermerk über die Vernehmung von Anton Sippel vom 20.8.1959 (LAV NRW, W,

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Kommando über die Polizeieinheit übernahm noch vor dem Ausrücken der zum Bataillon 61 strafversetzte Major Richard Perling.928 Während bei den Einsätzen in Warschau und im „Warthegau“ die Unterstellungsverhältnisse der Einheit nicht immer klar nachzuvollziehen sind, war dies während des Russlandeinsatzes der Polizisten nicht der Fall. Als erstes Bataillon des 9. Polizeiregiments war der Dortmunder Verband wechselnd der 281. und 285. Sicherungs-Division unterstellt. „Die Polizeibataillone bei den Sicherungs-Divisionen gehörten zu diesen kriegsgliederungsmäßig und waren ihnen in der Verwendung völlig unterstellt.“ Lediglich in „personeller, disziplinarischer, gerichtlicher und ausrüstungsmäßiger Beziehung unterstanden sie jedoch dem Höheren SS- und Polizeiführer“.929 Dieser führte aber zeitweise durchaus auch operativ Polizeieinheiten, wenn sie zu ihm für Großunterneh-

Q 225 Nr. 203, Bl. 52). Folgt man den Ausführungen aus Truppen des Kdr. General d. Sich. Truppen [Kommandierender General der Sicherungstruppen] und Befehlshabers im Heeresgebiet Nord vom 2.10.1942 (BA-MA N 756 Nr. 36b, unpag.), war das Dortmunder Bataillon noch nicht in Russland eingetroffen. Für den Warschau-Einsatz bis Oktober 1942 vgl. Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 124r). Für die neuen Heimatstandorte und die Regimentszuordnung vgl. Zusammenfassung der Pol. bzw. Res.Pol.Batl. zu Pol.-Regimentern und Bestimmung neuer Heimatstandorte vom 9.7.1942 (BA R 19 Nr. 304 Band 2/2, Bl. 208). Die Verwaltung der Polizeieinheit lief jedoch weiter über die PV Dortmund und nicht über den neuen formellen Heimatstandort Saarbrücken. Auch das Personal des Bataillons kam entsprechend weiterhin schwerpunktmäßig aus dem nördlichen Ruhrgebiet. 928 Zur Ablösung von Dederky durch Perling vgl. Aussage August Kreulich vom 18.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 54). Für Perlings offizielle Kommandoübernahme am 6.10.1942 vgl. Entnazifizierungsakte Verrieth, Gerhard vom 22.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2461, Bl. 4). Abweichend dafür, dass Dederky schon zum Ende der Zeit in Warschau abgelöst wurde, vgl. Aussage Wilhelm Grunwald vom 18.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 35). Zur generellen Rolle von Polizei und SS im Rückwärtigen Heeresgebiet Nord vgl. Kilian, Wehrmacht, S. 147–160; ders., Zusammenwirken. Für den dort unter der Beteiligung der Dortmunder Polizeieinheit geführten „Partisanenkrieg“, der ab November 1942 immer mehr eskalierte, vgl. Hill, The war; Kilian, Wehrmacht, S. 557–582. 929 Manuskript von Franz von Roques von 1951 (BA-MA N 153 Nr. 32, Bl. 19). Für eine gewisse Unklarheit der Befehlswege vgl. ebd., Bl. 20. Exemplarisch für die wechselnde Unterstellung, jedoch ohne genauere Informationen vgl. Aussage Erich Mockler vom 19.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 56). Im Folgenden wird für das Bataillon 61 nur noch die Abkürzung „I./9“ als I. Bataillon im Polizeiregiment 9 verwendet. Formell gesehen gehörte das Bataillon 61 schon ab Juli 1942 zu diesem Regiment, als dieses aufgestellt wurde und dessen Bataillonen neue Heimatstandorte zugewiesen wurden. Vgl. Zuordnung neuer Heimatstandorte und Bildung der Polizeiregimenter vom 9.7.1942 (BStU MfS HA IX/11 AB 519, Bl. 3–16); Zusammenfassung der Pol. bzw. Res.Pol.Batl. zu Pol.-Regimentern und Bestimmung neuer Heimatstandorte vom 9.7.1942 (BA R 19 Nr. 304 Band 2/2, Bl. 208r). Das Bataillon 61 bildete gemeinsam mit dem Nürnberger Bataillon 132 und dem Magdeburger Bataillon 112 das Polizeiregiment 9. Dieses ist nicht mit dem am 29.1.1945 neu geschaffenen SS-Polizeiregiment 9 (ehemals Pol.Rgt. Alpenvorland) zu verwechseln.

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men abgestellt waren. Allgemein oblag die lokale Bekämpfung von Partisanen aber „zum großen Teil den Feldkommandanten“.930 Zum Bereich der 285. Sicherungs-Division zählten die Feldkommandanturen in Strugi Krasnyje, Pljussa und Luga. Die Division war insbesondere für die Versorgung und den Schutz der wichtigen Bahnlinie nach Leningrad verantwortlich. Im Westen grenzte der Verband an den Bereich der 207. Sicherungs-Division und im Osten und Norden an den Bereich der 18. Armee. Südlich der 285. lag die 281. Sicherungs-Division. Im Westen grenzte diese an das Reichskommissariat Ostland. Im Süden lag die Division an der Trennungslinie zur Heeresgruppe Mitte und im Osten grenzte der Großverband an die 16. Armee. Dabei umfasste die 281. Sicherungs-Division die Feldkommandanturen Idriza, Opotschka und Ostrow.931 Bereits unmittelbar nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion ging man im Kommandostab des Reichsführers-SS davon aus, dass der Feind nicht nur mit regulären Truppen auf den Angriff reagieren würde, sondern dass auch mit dem Einsatz von Partisaneneinheiten hinter der deutschen Front zu rechnen sei. Bei deren Bekämpfung erwarte man feindliche Einheiten „mit geschickten Führern“ und „erfahrenen, zuverlässigen Leuten, die weit gefährlicher“ seien als ihre zahlenmäßige Stärke es vermuten ließe. Man nahm entsprechend „in der Regel als Überfälle“ ausgeführte Angriffe in vom Feind gewählten Gelände an, bei denen ein „überraschendes Auftreten und ebenso schnelles Verschwinden“932 typisch sein würde. Folglich ermahnte man die deutschen Kräfte, den Feind keinesfalls zu unterschätzen, nur „weil er nicht als uniformierter Soldat, sondern als Freischärler auftreten“ werde. Diese besäßen „gutes Kartenmaterial, bessere Ortskenntnis und sach- und ortskundige und zuverlässige Führer“. Ferner sei „es trotz schärfster Maßnahmen der übrigen Bevölkerung gegenüber nicht zu verhindern“, dass die Partisanen „stets mit zuverlässigen Nachrichten versehen“933 sein würden. Damit hatte man das spätere Grundproblem im Bereich des Rückwärtigen Heeresgebietes Nord bereits vorausgesagt. Bis Anfang 1942 hatte sich dieses jedoch noch nicht voll entfaltet. Man urteilte: „Die Erfahrungen aus der Bekämpfung der Partisanen“ zeigten, dass „sowohl der organisatorische Aufbau als auch ihr Einsatz noch nicht die Form und 930 Manuskript von Franz von Roques von 1951 (BA-MA N 153 Nr. 32, Bl. 8). Zum Einfluss des HSSPF vgl. Richtlinien für Partisanenbekämpfung vom 17.11.1941 (BA R 19 Nr. 318, Bl. 23–30, hier insbesondere 18). Zum HSSPF Ostland und Russland Nord, Friedrich Jeckeln, vgl. Bernhard Kiekenap, Hitlers und Himmlers Henker. Der SS-General aus Braunschweig. Biografische Notizen über Friedrich Jeckeln (1895–1946), Braunschweig 2013; Richard Breitman, Friedrich Jeckeln – Spezialist für die „Endlösung“ im Osten. In: Ronald Smelser (Hg.), Die SS. Elite unter dem Totenkopf. 30 Lebensläufe, Paderborn 2000, S. 267–275. 931 Manuskript von Franz von Roques von 1951 (BA-MA N 153 Nr. 32, Bl. 48). 932 Kommandostab RFSS Abt. Ia: Einsatz von Truppen zur Befriedung des „rückwärtigen Heeresgebietes“ und des „Gebietes der politischen Verwaltung“ vom 6.7.1941 (VHAP 5 Nr. 25, Bl. 12). 933 Ebd., Bl. 13.

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das Maß“ erreichten „wie es die offiziellen bolschewistischen Stellen in ihren Planungen vorgesehen“ hätten.934 Gleichzeitig urteilte man jedoch, dass „in der sowjetrussischen Bevölkerung, insbesondere auf dem Lande, keine Beruhigung eintreten wird, solange diese Terror- und Partisanengruppen tätig sind“. Entsprechend hart sollte gegen diese vorgegangen werden. Grundsatz bei der Bekämpfung müsse „die Vernichtung der Partisanen und nicht deren Vertreibung sein“. Durch Einkesselung sollte ihnen „jede Ausweich- und Fluchtmöglichkeit genommen“ werden. Insbesondere „Offiziere und Kommissare“ seien „zu vernehmen und anschließend zu erschießen“.935 Ebenso hart ging man im Rückwärtigen Heeresgebiet Nord aber auch gegen die Zivilbevölkerung vor, der man verstärkt eine Kooperation mit den Partisanen unterstellte. Die „Willkürkategorie Bandenverdächtiger“936 ermöglichte ein zielgerichtetes Entfernen als störend empfundener Personen, wobei durch die grundsätzlichen Anweisungen für den „Bandenkampf“ „im Grunde alle Restriktionen außer Kraft gesetzt“ waren.937 Nicht zuletzt durch die Behandlung der Zivilbevölkerung spitzte sich die Sicherheitslage weiter zu. So urteilte man am 14. September 1942: „Feindgruppen in Stärke von 100–300 Mann“ würden sich an der östlichen Gebietsgrenze der 281. Sicherungs-Division nach Norden bewegen. Insgesamt sei so die Partisanenaktivität auch am Ost- und Südrand der 285. Sicherungs-Division „lebhaft“.938 Am 21. September hieß es dann, die 281. Sicherungs-Division verstärke ihre Tätigkeit im Raum Pustoschka. Ferner hielt man fest, das erste Bataillon des 9. Polizeiregiments werde gegen Monatsende eintreffen und sei für den Raum südlich von Sebesch vorgesehen. Ein Kernproblem bleibe, dass sich sowjetische Verbände im freien Raum südlich und ostwärts der Feldkommandantur Idriza ungestört bewegten.939

934 Erfahrungen über die Arbeitsweise der Partisanen und ihre Bekämpfung, o. D. [vor 14.2.1942] (BA R 70 Sowjetunion Nr. 49, Bl. 13 f.). Für eine ähnliche Einschätzung der damalige Situation in Russland vgl. Pohl, Herrschaft, S. 283. 935 Erfahrungen über die Arbeitsweise der Partisanen und ihre Bekämpfung, o. D. [vor 14.2.1942] (BA R 70 Sowjetunion Nr. 49, Bl. 14). 936 Pohl, Herrschaft, S. 288. 937 Ebd., S. 291. Für Hitlers Aussage, keinerlei Strafen für Vergehen im „Bandenkampf“ auszusprechen, vgl. ebd., S. 288 Anm. 18. 938 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Korpsbefehl vom 14.9.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 263, Bl. 191). 939 Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Korpsbefehl vom 21.9.1942 (ebd., Bl. 195). Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Partisanenkarte 1:300000 (ebd., K-3). Ebenso für die Partisanenproblematik vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch: Tätigkeit der GFP [Geheimen Feldpolizei]. Im Bereich des Heeresgebietes Nord im Monat September 1942 vom 30.9.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 264, Bl. 8–11). Es zeigt sich insgesamt eine deutliche Zuspitzung der Partisanenprobleme von 1942 bis 1944. Vgl. Ic Erfahrungsberichte der 281. Sicherungs-Division 3.2.1942–26.1.1944 (BA-MA RH 26-281 Nr. 14, unpag.). In

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Am 2. Oktober 1942 meldete man dem Kommandierenden General der Sicherungstruppen und Befehlshaber im Heeresgebiet Nord eine rege „Bandentätigkeit an der Süd- und Nordost-Grenze der Sich.Div. [Sicherungsdivision] 281“.940 Die Aktionen von Partisanen setzten sich auch in den folgenden Tagen an verschiedenen Orten des Befehlsbereichs fort, etwa mit der Zerstörung von Holzbrücken auf der Straße von Dubrowki nach Sebesch sowie mit „Bahnsprengungen“941 zwischen Sebesch und Sawaruika. Als dafür verantwortliche Angreifer sah man „Banden, bestehend aus Rotarmisten und rekrutierten Landeseinwohnern“942 an, die vermehrt gegen die Bahnstrecke zwischen Pustoschka und Sebesch von Süden vorgingen und auch durch Luftangriffe auf Idriza und Pustoschka Unterstützung erhielten. Die Operationen der Partisanen hatten dabei teilweise ein großes Ausmaß und eine hohe Intensität angenommen. So wurde etwa für den 8. Oktober 1942 gemeldet, der deutsche Stützpunkt bei Dubrowka 16 Kilometer nordöstlich von Sebesch sei durch einen 200 Mann starken Partisanenverband angegriffen worden.943 In eben dieser angespannten Lage wurde nun auch die Dortmunder Polizeieinheit eingesetzt. Für den 10. Oktober 1942 hält das Kriegstagebuch der 281. Sicherungs-Division fest, dass das I./9. in Idriza eintraf und der Feldkommandantur 247 unterstellt wurde.944 Anfänglich waren die Polizisten dort zur Sicherung des Operationsgebietes und im Bahnschutz eingesetzt. Am 15. Oktober führte ein Zug der Einheit ein Feuergefecht mit Partisanen bei einer Molkerei 18 Kilometer südlich von Idriza. Der Gegner zog sich jedoch zurück. Am gleichen Tag wurde der 281. Sicherungs-Division wegen verstärkter Bandentätigkeiten im

den deutschen Akten wird „Pustoschka“ oftmals fälschlich als „Putoschak“ angegeben. Dies wird im Folgenden stillschweigend korrigiert. 940 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 2.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 5). 941 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 7.10.1942 (ebd., Bl. 15). Exemplarisch für die fortgesetzte Partisanenaktivität vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der ­Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 3.10.1942 (ebd., Bl. 7). 942 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 6.10.1942 (ebd., Bl. 14). 943 Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 8.10.1942 (ebd., Bl. 17). 944 Für Ankunft und Unterstellung des I./9. unter die Feldkommandantur 247 vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 10.10.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 7, Bl. 286). Ebenso vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia Morgenmeldung vom 10.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 21).

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Süden des Divisionsbereichs befohlen, „im passiven Bahnschutz nur die unbedingt nötigen Kräfte“945 zu belassen. Als hierzu ausreichend sah General Franz von Roques fünf Mann pro Kilometer an. Sie sollten durch nicht mehr als zehn Zivilisten unterstützt werden. Grund hierfür war, dass „Bandengruppen, die von S[üden] in das Gebiet der Division eingebrochen“ waren, im Raum südlich und südwestlich von Kudewer operierten. Ein besonders starkes Zentrum der Partisanen vermutete man dabei 25 Kilometer südöstlich von Opotschka. Weitere Partisanen griffen zeitgleich die Rollbahn zwischen Sebesch und Pustoschka an.946 Gemeinsam mit seinem Schwesterbataillon, dem II./9., das man aus dem Bereich der 285. Sicherungs-Division nach Opotschka heranführte, wurde dem Dortmunder Bataillon nun befohlen, gegen die Insurgenten vorzugehen. Ab dem späten Nachmittag des 16. Oktober sollte deshalb das I./9. von Alolja als Teil der Gruppe „Generalmajor Scultetus“ vorrücken. Als motorisierte Einheit war es Aufgabe der Polizeieinheit, „den Kampf beweglich und aktiv zu führen“.947 Am 18. Oktober wurde von dem Unternehmen im Raum Chanewo gemeldet: Das I./9. „warf aus Gegend Wodobeg“ einen nach Norden „vorgehenden Gegner aus befestigten Höhenstellungen“.948 Obwohl es diesem gelungen sei, nach Westen und Südwesten auszuweichen, wurde der Dortmunder Polizeieinheit die Tötung von 113 Feinden zugeschrieben, bei vier eigenen Toten und sieben Verwundeten. Trotz dieses Teilerfolges setzte sich die lokale Partisanentätigkeit fort und führte schon am Folgetag im nördlichen Vorgebiet der Feldkommandantur 247 zu zwei Gleissprengungen.949 Man bekam die Partisanen, die sich „teilweise in kleinere Banden aufgelöst“950 hatten, auch am Folgetag nicht richtig zu fassen. Zwar wurden zur Verfolgung

945 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Korpsbefehl vom 15.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 31). Zur Stärke des Bahnschutzes vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 15.10.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8). Für das Gefecht bei der Molkerei vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-­ Tagesmeldung vom 15.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 37). 946 Vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 15.10.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8). 947 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Korpsbefehl vom 15.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 31). Für die Feindlage vgl. ebd. Für die Zuordnung zur Gruppe „Generalmajor Scultetus“ und zum Vorrücken vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 15.10.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8). 948 Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 18.10.1942 (BA-MA RH 26281 Nr. 7, Bl. 294). 949 Vgl. ebd., Bl. 295. 950 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 20.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 46). Unter den Verlusten der Sicherungs-Division werden dort ein Toter und drei Verwundete angeführt.

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nordwestlich von Idriza das I./9. und II./9. sowie Teile der Reiter-Abteilung 281 eingesetzt, jedoch war es nur möglich, drei Partisanen zu töten und acht weitere zu verwunden. Am 21. Oktober wurde die Geheime Feldpolizei ebenso wie das Polizeiregiment 9 über einen Minenangriff auf einen Zug ca. sechs bis zehn Kilometer westlich von Idriza informiert. Eine Kompanie wurde entsandt. Welche exakten Operationen das I./9 währenddessen durchführte, erschließt sich aus den verfügbaren Unterlagen nicht. Jedoch scheinen die Handlungen der Dortmunder Polizeieinheit am 23. Oktober von der Führung als erfolgreich eingeschätzt worden zu sein.951 Man urteilte, ein nicht näher definierter Partisanenangriff sei unter Mitwirkung des I./9. „aufgefangen und zurückgewiesen“ worden. Hierdurch seien die „Banden in ihrer Initiative eingeschränkt“. Als Belohnung waren für das Dortmunder Bataillon zwei bis drei Ruhetage vorgesehen, während denen aber schon „unter Heranziehung möglichst starker Kräfte sofort ein Unternehmen gegen die Bandengruppen nördlich Ossweja-See“952 vorzubereiten war. Dieser Zeitdruck wurde an die 281. Sicherungs-Division herangetragen, da diese damit zu rechnen hätte, dass man ihr das I./9. Mitte November entziehen würde. Entsprechend sollten auch das II./9. und III./9. zum 31. Oktober ihre Winterlager beziehen.953 Genau als dies am 23. Oktober angeordnet wurde, überfielen Partisanen einen Winterstützpunkt unter Einsatz einer Panzerabwehrkanone. Eine umgehend zur Verstärkung der Verteidiger entsandte Streife des Polizeiregiments 9 fuhr auf eine Mine, wobei ein Wachmeister getötet und drei weitere Männer, darunter auch ein Kompaniechef, verwundet wurden. Zwar gehörten diese Männer nicht zu der Dortmunder Polizeieinheit, doch demonstrierte dieser Verlust die allgegenwärtige Gefahr des Partisanenkrieges auch für die Männer des I./9. In der Nacht vom 25. zum 26. Oktober erschoss eine Streife aus dessen 1. Kompanie an der Straße zwischen Rudnja und Doloszy 15 Kilometer südöstlich von

951 Für die Bahnsprengung und die entsendete Kompanie vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ic-Tagesmeldung vom 21.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 47). Für die Entsendung des II./9 vgl. ebd. Ia-Tagesmeldung vom 21.10.1942, Bl. 48. Für den vorherigen Einsatz des I./9. und des II./9. sowie von Teilen der Reiter-Abteilung 281 vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 20.10.1942 (ebd., Bl. 46). 952 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Korpsbefehl vom 23.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 34). Es ging laut deutscher Einschätzung um die 1., 2., 3. und 4. sowjetische Partisanenbrigade. 953 Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Korpsbefehl vom 23.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 34). Winterlager waren für die Mitte des Raumes Sebesch–Pustoschka–­ Kudewer–Opotschka vorgesehen.

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Sebesch „6 Banditen beim Versuch Straßenminen zu legen“.954 Am Tag darauf entsendete man Teile des I./9. gemeinsam mit dem II./9. zur Verfolgung einer 200 Mann starken „Bande“ 20 Kilometer südöstlich von Sebesch. Die Aktion blieb „ohne Feindberührung“.955 Die Veranlassung zu dieser hatten Aussagen von Gefangenen und Vertrauensmännern (V-Männern) gegeben, die offenbar wenig stichhaltig waren.956 Stattdessen wurde am 29. Oktober per Divisionsbefehl angeordnet, starke „Banden“ in der südlichen Umgebung des Lissna-Sees anzugreifen. Zur hierzu aufzustellenden Gruppe „Oberst Gallas“ gehörte u. a. auch das gesamte Polizeiregiment 9. Ziel war es, mit einem „konzentrischen Angriff den Feind“957 in der Region des Lissna- und Beljoe-Sees zu vernichten. Wie erfolgreich dies war und wann das Unternehmen abgeschlossen wurde, ist nicht zu klären. Laut einer Übersicht der 281. Sicherungs-Division wurde das Dortmunder Bataillon aber zum 30. Oktober wieder stationär zur Straßensicherung eingesetzt. Der Stab bezog sein Lager in Idriza, während man die 3. Kompanie des Bataillons im Umland stationierte.958 Insgesamt zeigt die abschließende Bewertung des Oktobers 1942 durch den Abwehroffizier beim Kommandierenden General der Sicherungstruppen eine sich verschärfende Situation aufgrund der dort agierenden Partisanen. Von einem „Partisanenkrieg ohne Partisanen“959 konnte hier nicht die Rede sein. Der Ic ging von folgenden Zahlen aus: Gab es im September 1942 noch 336

954 Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 26.10.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 7, Bl. 302). Ebenso vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ic-­ Tagesmeldung vom 29.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 61). Hier ist als Ort angegeben: „Bolotniki 1 km SSO Sutcki, dieses 15 km SO Sebesch“. Für die verletzte Streife des Regiments 9 sowie den vorherigen Angriff auf den Winterstützpunkt vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ic-Tagesmeldung 24.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 53). Der Angriff erfolgte am 23.10. von 1 bis 3 Uhr. Zur Lage des Winterstützpunktes in Anninskoje heißt es dort, dieser liege „3 km O Sutcki, dieses 15 km SO Sebesch“. Zur Bedrohungslage durch Minen vgl. Aussage Walter Brewes vom 11.11.1948 (BStU MfS Magdeburg Ast. 1184/48, Bl. 6). Das Mitglied des I./9. gab an, schon im Oktober 1942 verwundet und in die Heimat abkommandiert worden zu sein. 955 Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 27.10.1942 (BA-MA RH 26281 Nr. 7, Bl. 303). 956 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ic-Tagesmeldung vom 28.10.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 59). 957 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 29.10.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8, Bl. 2). Für die Anordnung des Angriffs vgl. ebd., Bl. 1. 958 Vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 31.10.1942 Übersicht 281 Sicherungs-Division, Stand vom 30.10.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8, Bl. 3). 959 Hannes Heer, Die Logik des Vernichtungskrieges. Wehrmacht und Partisanenkampf. In: ders./Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg, S. 104–138, hier 119.

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„Banden­vorkommen“,960 so waren es im Oktober schon 446. Die Zahl der Gefechte stieg von 90 auf 104. Partisanenüberfälle nahmen von 31 auf 62 zu. Die Zahl der deutschen Verwundeten erhöhte sich von 60 auf 121 Personen. Zwar wurden statt 279 im September nur noch 117 Partisanen festgesetzt und es wurden nur 15 statt wie im Vormonat 17 Partisanenlager zerstört, aber die Zahl im Kampf getöteter Insurgenten sei von 242 auf 545 gestiegen.961 Bevor das I./9. Anfang November 1942 den Bereich der 281. Sicherungs-Division verließ, hatte es 19 Kilometer süd-südöstlich von Sebesch am 3. November, gemeinsam mit Teilen des II./9., noch einmal Feindberührung. Dabei wurden bei zwei eigenen Verlusten zwei Gegner getötet. Es hieß: „Ein erschossener Bandit trug unter [seiner] Zivilkleidung deutsche Uniform.“962 Spätestens jetzt dürfte den Dortmunder Polizisten die Kampfweise der Partisanen ebenso wie die ungewohnte eigene Bedrohungslage klar geworden sein. Am Folgetag wurde mit der Verlegung des I./9. von Idriza über Pustoschka nach Nowosselje an der Eisenbahnlinie zwischen Pskow und Luga begonnen.963 Das Dortmunder Bataillon war nun im Bereich der 285. Sicherungs-Division im Bahnschutz als Ersatz für zur 18. Armee abgestellte Sicherungskräfte vorgesehen. Per Divisionsbefehl wurde je eine Kompanie des I./9. in Pljussa, Strugi Krasnyje und Nowoselje stationiert. Am Mittag des 5. Novembers traf das Bataillon ein und übernahm seine Aufgaben im Bereich der lokalen Feldkommandanturen bis zur südlichen Divisionsgrenze. Schon am Folgetag wurde ein „Zug bei Pljussa zur aktiven Bandenbekämpfung eingesetzt“.964 Das restliche

960 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen vom 2.11.1942: Tätigkeitsbericht (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 64). 961 Vgl. ebd. Die Deutschen erlitten insgesamt weniger Tote als im Vormonat. Ebenso vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen vom 2.11.1942: Kurze Übersicht über wichtigste Überfälle und Sabotageakte im Monat Oktober 1942 (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 66–70). Ferner vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Tätigkeit der GFP. Im Bereich des Heeresgebietes Nord im Monat Oktober 1942 vom 31.10.1942 (ebd., Bl. 41r–43). Vgl. ebd., Bl. 44–45, für die benachbarte 285. Sicherungs-Division. 962 Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 3.11.1942 (BA-MA RH 26281 Nr. 7, Bl. 310). 963 Ebd., Bl. 311. Formell wurde das I./9. bereits am 2.11.1942 als der 285. Sicherungs-Division zugehörig gezählt. Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Truppenübersicht Stand 2.11.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 74). 964 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 6.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 10, Anlage 180). Für die Stationierungsorte und Bahnschutzaufgaben vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 4.11.1942 (ebd., Anlage 176). Der Stab des I./9. war ebenfalls bei der 3. Kompanie in Nowosselje untergebracht. Ebenso für die Verwendung des I./9. vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division

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Bataillon blieb im passiven Bahnschutz eingesetzt. Die nächsten Einsatztage der Dortmunder Polizeieinheit sind nicht dokumentiert. Lediglich für den 12. November wurde festgehalten, 10 Kilometer nordöstlich von Nowosselje sei eine Sprengung der Schienen verhindert worden. Eine Streife habe die „Banditen“ vertrieben und eine „Mine sichergestellt“. Wichtiger war an diesem Tag jedoch, dass der 285. Sicherungs-Division vorübergehend neue Kräfte zugeführt werden sollten, wodurch für 11 Tage die 1. Kompanie des I./9. „zu beweglicher Bandenbekämpfung frei“ werde.965 Die verfügbare Zeit sei „zur Aushebung der jetzt schon zu erkundenden Bandenlager voll auszunutzen“.966 Pro Feldwache sollten lediglich ein erfahrener Unterführer unterstützt durch einen Polizisten im Mannschaftsdienstgrad zurückbleiben, wohl um der Vertretungseinheit durch Ortskenntnisse zu helfen. Am 14. November wurde die Zusammenstellung, Ausbildung und der Einsatz von beweglichen Ski-Zügen beim I./9. befohlen. Zwei Tage später wurde die 1. Kompanie „im Bahnschutz vorübergehend abgelöst“ und „zur beweglichen Bandenbekämpfung eingesetzt“.967 Am 17. November wurde je ein Zug der Teileinheit nach Knjashizy, Sossedno und Welikoje Pole verlegt. Bereits am 20. November setzte man aufgrund einer Einwohnermeldung das von der 1. Kompanie gebildete Jagdkommando gegen eine große „Bande“ bei Kirikowo ein.968 Die

vom 4.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 9, Bl. 28). Für die Ankunft und die Zuordnung der Polizeieinheit zu den Feldkommandanturen 189 und 569 vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 5.11.1942 (ebd., Bl. 28). Ebenso vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 5.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 10, Anlage 179). 965 Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 12.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 9, Bl. 30). Beabsichtigt war ein Einsatz im Bereich der Feldkommandantur 569. 966 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 12.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 10, Anlage 192). 967 Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 16.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 9, Bl. 31). Die Ablösung erfolgte zu Ausbildungszwecken durch Teile der Feldausbildungs-Regimenter 639 und 640. Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 17.11.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 97); Kriegstagebuch Ib Nr. 3 der 285. Sicherungs-Division: Quartiermeister vom 16.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 32, Bl. 31). Zur Bildung der Ski-Züge vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Zusammenstellung, Ausbildung und Einsatz von Ski-Zügen vom 14.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 10, Anlage 195). Es hieß, je Kompanie des I./9. sei ein Ski-Zug aufzustellen. 968 Vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 20.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 10, Anlage 203). Zur Meldung der „Bande“ vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ic-Tagesmeldung vom 20.11.42 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 103). Grundsätzlich zu den Aufgaben und Anforderungen an Jagdkommandos vgl. Anlagen Band I zum Kriegstagebuch der 285. Sicherungs-Division: Aufstellung von Jagdkommandos vom 23.8.1943 (BA-MA RH 26-285

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Verfolgung von Partisanen durch die Teileinheit verlief jedoch ohne jeden Erfolg. Für den 22. November wurde gemeldet, die Einheit hätte den Raum zwischen Podol, Lytschne und Gorki ohne Ergebnis durchkämmt. Gleiches wurde für den Folgetag und das Gebiet zwischen Jablonez und Roschelewo gemeldet. Am 25. November erreichten die Polizisten ohne Feindkontakt Wyssokowo. Am Tag darauf erreichten sie ohne Feindberührung Sossedno und sollten in ihre alten Stellungen zur Bahnsicherung bei Nowosselje zurückverlegt werden.969 Während der gescheiterten Unternehmung der 1. Kompanie des I./9. hatte dessen Kommandeur, Perling, über die Stationierung der ihm unterstellten Einheiten für den nahenden Winter verhandelt. Der Major bat darum, den ihm vorgeschlagenen Ort Dolostsy nicht mit einer Kompanie der Dortmunder Polizeieinheit zu belegen, da die Wege dorthin im Winter nicht schneefrei zu halten wären und somit eine schwierige Versorgungslage absehbar sei. Perling merkte aber an, dass er die Umgebung keineswegs unkontrolliert lassen werde und dort aktive „Bandenbekämpfung durch Ski-Kommandos“ durchführen wolle. Durch diese taktische und operative Weitsicht macht er bei seinen Vorgesetzten einen „guten Eindruck“.970 Am 28. November wurde befohlen, das gesamte I./9. aus dem Bahnschutz zwischen Nowosselje und Pljussa abzuziehen. Beabsichtigt war ein Bahntransport bis Ostrow und anschließend sollte die Einheit „im Lkw-Transport auf eigenen Fahrzeugen Opotschka“971 erreichen. Von dort sollten die Dortmunder

Nr. 15, Anlage 58a). Für die Stationierungsorte der Züge der 1. Kompanie vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 17.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 10, Anlage 198). Ebenso vgl. Kriegstagebuch Ib Nr. 3 der 285. Sicherungs-Division: Quartiermeister vom 17.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 32, Bl. 31). 969 Zur geplanten Rückverlegung vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-­ Tagesmeldung vom 27.11.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 119). Für den 26.11. vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 26.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 10, Anlage 210). Für den 25.11. vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 25.11.1942 (ebd., Anlage 208). Für den ereignislosen 24.11. vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 24.11.1942 (ebd., Anlage 207). Für den 23.11. vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 23.11.1942 (ebd., Anlage 206). Für den 22.11. vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 22.11.1942 (ebd., Anlage 205). 970 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Besprechungsnotizen, o. D. [23. oder 24.11.1942] (BA-MA RH 26-281 Nr. 8, Bl. 2). Dort wird der Ort als „Dolossy“ ausgeschrieben. 971 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 28.11.1942 (ebd., Anlage 215). Für das Abziehen der Einheit vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 28.11.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 120). Vgl. ebd. auch für die Abordnung von Ersatzkräften zum I./9. im Bahnschutz.

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Polizisten als „Reserve des Befehlshabers“ der Feldkommandantur 186, Generalmajor Bruno Scultetus, im Raum um Swony, Slubokoje und Alolja eingesetzt werden. Noch am selben Tag musste aber infolge „schwerer Feindangriffe gegen Welikije Luki“ das I./9. „beschleunigt aus dem Bahnschutz herausgezogen und zu sofortigem Eisenbahntransport nach Ostrow“972 bereitgestellt werden. Dabei war es fraglich, ob es möglich sein würde, alle „vereinbarten Wagen“ zu stellen, weswegen unnötiges Gepäck vorerst zurückbleiben sollte. Es käme „darauf an, dass zunächst das gefechtsbereite Bataillon mit den wichtigsten Fahrzeugen im Kampfgebiet eintrifft“.973 Am 30. November wurde bei der 281. Sicherungs-Division festgehalten, das I./9. sei „in Ostrow eingetroffen und nach Griwy, Swony, Aloja abmarschiert“.974 Damit waren die Einsätze der Dortmunder Polizeieinheit für den Monat November 1942 beendet. Insgesamt hatte sich die Gesamtsituation der deutschen Besatzer im Norden Russlands wenig verändert. Noch immer urteilte man, die Partisanen befänden sich „unter straffer Führung“ und seien „gut bewaffnet“. Sie würden jedoch „unter der Witterung und Lebensmittelmangel stark“ leiden. Ferner resümierte man, durch das Herausziehen von Einheiten wie dem I./9. werde „die aktive Bandenbekämpfung sehr behindert.“975 Eine Übersicht des Monats November machte ferner deutlich, wie sehr die deutschen Kräfte nur auf die Partisanen reagierten, statt selbst zu agieren. Insbesondere Teile des I./9. gehörten mit ihren dargestellten Einsätzen zu den Kräften, die mühevoll im unwegsamen Gelände vermeintliche Partisanengruppen verfolgten, diese aber nicht zu fassen bekamen.976 Bereits ab dem 5. Dezember 1942 befand sich das Dortmunder Polizeibataillon nun unter dem Kommando der 281. Sicherungs-Division wieder im Einsatz.

972 Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 28.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 9, Bl. 33). Die 2.Feldg.Abt. [Feldgendarmerie-Abteilung] 691 musste die Abschnitte des I./9. im Bahnschutz übernehmen. Ebenso vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 28.11.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8, Anlage 215). 973 Ebd. 974 Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 30.11.1942 (BA-MA RH 26281 Nr. 7, Bl. 337). Ebenso vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Übersicht 281. Sicherungs-Division, Stand vom 30.11.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8, Bl. 3). Der Stab des I./Pol. 9 und dessen 1. Kompanie wurden in Glubokoje untergebracht. Die 2. Kompanie wurde in Swony und die 3. Kompanie in Alolja stationiert. Schon ab dem 29.11. war das I./9. formell wieder der 281. Sicherungs-Division unterstellt vgl. Kriegstagebuch Ib Nr. 3 der 285. Sicherungs-Division, Quartiermeister vom 29.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 32, Bl. 34). 975 Tätigkeitsberichte der Abt. Ic und IIa Band 2 der 285. Sicherungs-Division, Einsatzbericht vom 29.10. bis 28.11.1942 vom 30.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 19). 976 Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Kurze Übersicht über wichtigste Überfälle und Sabotageakte im Monat November 1942 (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 127 f.).

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Als Teil der Operation „Schneehase“ wurde das I./9. „unter Beibehalt seiner Eigenschaft als Reserve“ des Befehlshabers mit Jagdkommandos „zur Sicherung des Raumes beiderseits der Straße Opotschka–Pustoschka eingesetzt“.977 Die hierzu gebildeten Einheiten sollten bis zu zwei Tage im Einsatz bleiben. Am 6. Dezember wurde ein Einsatz gegen die russisch-lettische 5. Partisanen-Brigade gemeldet. Die Dortmunder Polizeieinheit habe hierzu mit sechs Zügen die „Rollbahn Opotschka–Pustoschka gesichert“978 und anschließend nach Osten hin aufgeklärt. Vier Tage später wurde gemeldet, dass sich auf der Rollbahn erneut die gleiche Partisanenbrigade im Marsch Richtung Südwesten befand. Zu deren Bekämpfung wurde das I./9. der Feldkommandantur 186 unterstellt, um auf der erwähnten Rollbahn eine Sperre zu errichten. Ferner sollte durch die Feldkommandantur ein 50 Mann starkes Ski-Kommando zur direkten Bekämpfung der Partisanen gebildet werden. Schon zuvor hatte man Spähtrupps und ein Jagdkommando zur Erkundung von Kudewer und Pustoschka entsandt.979 Nach drei weiteren Tagen wurde gemeldet, dass die Partisanenbrigade in der Nacht zum 13. Dezember 23 Kilometer südlich von Opotschka die Rollbahn nach Westen überschritten habe. Zur Abwehr dieses Verbandes wurde das I./9. angesetzt. Es sollte über Mosuly den Abschnitt von Jantschewo bis Brod erreichen und von Osten her Unterstützung durch ein Bataillon des Feldartillerieregiments 640 erhalten. Ziel war es, „die 5. Partisanenbrigade am Überschreiten des Issa-Abschnittes zu“ hindern.980 Dass eine solche Aufgabe für die Dortmunder Polizeieinheit eine größere Herausforderung darstellte, lag u. a. auch in dessen ungenügender Ausrüstung begründet. So hielt ein Korpsbefehl vom 13. Dezember 1942 fest, dass die Ausstattung insbesondere des I./9. mit Winterbekleidung und Wintergerät wie „Skis, Schneereifen, Akjas, Schlitten“ nun „durch besondere Maßnahmen schnellstens durchzuführen“ sei.981

977 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 5.12.1942: Befehl vom Divisionsgefechtstand für die Operation Schneehase (BA-MA RH 26-281 Nr. 8, Bl. 342). Für die möglicherweise vorherige Einbindung in die Operation „Schneesturm“ vgl. ebd. 978 Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 6.12.1942 (BA-MA RH 26281 Nr. 7, Bl. 343). 979 Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 10.12.1942 (ebd., Bl. 347). 980 Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 13.12.1942 (ebd., Bl. 350). 981 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 Anlagen: Korpsbefehl vom 13.12.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 133r). Die Forderung nach Winterausrüstung für das I./9. wurde wenig später noch einmal nachdrücklich erneuert. Vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 14.12.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8). Ebenso für den Mangel an warmer Kleidung vgl. Schreiben betr.: Ausrüstung von Angehörigen der Ordnungspolizei bei Abordnung zum auswärtigen Einsatz vom 2.3.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 201).

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Die Partisanenbrigade war für die Dortmunder Polizeieinheit nicht zu fassen. Größere Teile der sowjetischen Einheit stießen aus südwestlicher Richtung über die Rollbahn Opotschka–Pustoschka vor und wurden nun bei Jesseniki vermutet. Das I./9. stieß infolgedessen aus seinem Aufstellungsraum südöstlich von Opotschka nach Osten ins Leere. Die Polizisten mussten nun auf dem Streckenabschnitt zwischen Opotschka und Sebesch „herumgeworfen“ werden.982 Offenbar traute man beim Kommandierenden General der Sicherungstruppen dem Bataillon aber keineswegs zu, die Partisanen festzusetzen, weswegen man bereits vorsorglich den „Zollgrenzschutz und Befehlshaber Lettland“983 über ein mögliches Einsickern von Partisanen informierte. Am 14. Dezember hieß es dann bei der 281. Sicherungs-Division, das gesamte Polizeibataillon sei zwar weiterhin zur „Bandenbekämpfung“ bei der Feldkommandantur 186 einzusetzen, aber „baldmöglichst im Raum Alolje–Laschutino-Kudewer unterzubringen“.984 Am gleichen Tag ging man bei der nördlicher gelegenen 285. Sicherungs-Division davon aus, die 1. Kompanie des I./9., die man an die 281. Sicherungs-Division ausgeliehen hatte, bald wieder zurückzuerhalten. Am 16. Dezember gelang es einem Spähtrupp des Dortmunder Polizeibataillons zu Kräften der 5. Partisanenbrigade aufzuschließen. Ein Gefecht bei Sloboda mit gerade einmal fünf Partisanen hatte zur Folge, dass ein Bataillonsmitglied getötet und ein weiteres verwundet wurde.985 Erst am 18. Dezember gelang Teilen des I./9. ein mehr oder weniger erfolgreicher Angriff auf „Bandenteile“. 24 und 26 Kilometer südlich von Opotschka wurden 35 Partisanen getötet, während die Polizeieinheit acht eigene Tote und 17 Verwundete erlitt. „Die zersprengte Bande“986 habe sich nach Süden gewendet. Durchgeführt wurde deren Flucht angeblich mit 60 Schlitten, die 11 Kilo-

982 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 14.12.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 151). 983 Ebd., Bl. 153. 984 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 14.12.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8). 985 Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 16.12.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 157). Für die Einschätzung der 285. Sicherungs-Division vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 14.12.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 9, Bl. 36). Man ging von etwa 14 Tagen bis zur Rückkehr aus. Vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 14.12.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 10, Anlage 241). Wie eine Übersicht vom 17.12.1942 deutlich macht, gehörte offenbar das gesamte I./9. nominell zur 285. Sicherungs-Division und war nur zeitweise zur 281. Sicherungs-Division abgestellt worden. Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1: Truppenübersicht Stand 17.12.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 145). 986 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 18.12.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 161).

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meter westlich von Sebesch durch ein Schwesterbataillon der Dortmunder Polizeieinheit abgefangen werden sollten. Im Anschluss an die Operation wurde ein Jagdkommando der 2. Kompanie des I./9. am 20. Dezember zur direkten Verfolgung von weiteren Partisanen eingesetzt, da es um 7:30 Uhr bei Sujkowo zu einem Überfall auf einen PKW einer Bäckerei-Kompanie durch zehn bis zwölf Kombattanten gekommen war. „Wegen der ungünstigen Schneeverhältnisse war die Verfolgung ohne Ergebnis.“987 Währenddessen wurde die 1. Kompanie des I./9. auf die Verlegung von Alolja per LKW zur 285. Sicherungs-Division vorbereitet, um dort im Bahnschutz verwendet zu werden. Für die 3. Kompanie ordnete man die Verlegung von Griwi nach Bolgotowo an. Wohl bei dieser Unternehmung ereignete sich am 22. Dezember um 9:30 Uhr ein Überfall auf den LKW-Konvoi der 3. Kompanie 12 Kilometer westlich von Idriza, bei dem zwar ein Angreifer, aber auch zwei Polizisten getötet wurden. Die vollständige Verlegung der Kompanie konnte nach dieser Störung erst am 31. Dezember durchgeführt werden.988 Für den letzten Bericht des Jahres 1942 vermerkte die Führung der 285. Sicherungs-Division, die „Bandenlage“ habe sich ab Oktober durch das immer stärkere Einsickern von Partisanen verschärft. Durch die Aufgabe, die Bahnlinie zwischen Pskow und Leningrad zu sichern, sei eine effektive Partisanenbekämpfung schwer möglich gewesen. Weiter zugespitzt habe sich die Lage dadurch, dass man stetig auf Partisanenangriffe reagieren und Truppenteile für Frontverwendungen abtreten musste. Die „Übersicht über die wichtigsten Überfälle und Sabotageakte im Monat Dezember 1942“989 des Befehlshabers der Sicherungstruppen scheint

987 Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 20.12.1942 (BA-MA RH 26281 Nr. 7, Bl. 357). Für den Angriff auf das Fahrzeug und die Verfolgung durch das Jagdkommando der 2. Kompanie vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ic-­ Tagesmeldung 281. Sich.Div. [Sicherungs-Division] vom 20.12.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 165). 988 Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 31.12.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 189). Für den Angriff auf die 3. Kompanie vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 22.12.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 173). Für die ursprünglich beabsichtigte Verlegung der 3. Kompanie vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 19.12.1942 (BAMA RH 22 Nr. 266, Bl. 162). Für die 1. Kompanie vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Tagesmeldungen der Sicherungs-Divisionen: Ia-Tagesmeldung vom 25.12.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 266, Bl. 177). Ebenso für die Verlegung der 1. Kompanie vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division vom 25.12.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 7, Bl. 362); Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 24.12.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 9, Bl.  38 f.). 989 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Kurze Übersicht über wichtigste Überfälle und Sabotageakte im Monat Dezember 1942 (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 160 f.). Für die stetigen

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dies zu bestätigen. Auch die Geheime Feldpolizei urteilte in ähnlicher Form über den Bereich der 281. und den der 285. Sicherungs-Division.990 Die Militärverwaltung im Bereich der 285. Sicherungs-Division gestand sich in schöngefärbten Worten ein, was sich auch in der Folgezeit zum massiven Problem der deutschen Besatzungskräfte entwickeln sollte. Man resümierte, die Einwohner hätten, trotz angebotener Belohnungen, noch nicht oft genug den Mut, gegen Partisanen aktiv zu werden. Letztlich bedeutet dies nichts anderes, als dass die lokale Bevölkerung den Partisanen positiver gegenüberstand als den deutschen Truppen. Mit ihren häufigen Vergeltungsaktionen trafen sie oftmals weniger die Partisanen als lokale Nichtkombattanten. So resümierte auch der Chef der Ordnungspolizei Daluege für das Jahr 1942, man habe nicht nur „30 000 Banditen im Kampf vernichtet“, sondern man habe auch „über 3 000 Bandenhelfer und Saboteure nach Kriegsrecht beseitigt“.991 Bei beiden Kategorien handelte es sich tatsächlich überwiegend um unbeteiligte Zivilisten. Bereits am ersten Tag des Jahres 1943 erhielten die 2. und 3. Kompanie des Dortmunder Bataillons bei der 281. Sicherungs-Division neue Einsatzbefehle. Sie wurden Teil der nach dem Kommandeur des I./9. benannten Gruppe „Perling“. Zu dieser gehörten auch die 3. und 6. Kompanie des 3. Radfahrregiments sowie 20 Mann der Ostreiter-Abteilung 281 und ein Funkgerät der Nachrichtenabteilung 822. Auftrag der Truppen war ein schnelles und schlagartiges Umstellen von vermeintlich partisanenfreundlichen Dörfern. Als Ausgangspunkte der Gruppe waren die Orte Koshanowa, Jaswizy, Kossegory, Shewloki und Sujewa vorgesehen. Es wurde angeordnet, dass kein Landeseinwohner den zu bildenden Kessel verlassen dürfe. Zuwiderhandelnde seien sofort zu erschießen. Insbesondere bei Nacht sei „auf jeden Russen im Gelände ohne Anruf sofort zu

Überfälle und das Abtreten von Sicherungsverbänden an die Front vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Abschließende Beurteilung der Bandenlage im Div.-Bereich, o. D. [vermutlich 31.12.1942] (BA-MA RH 26-285 Nr. 9, Bl. 39–41). 990 Dort wurde nicht nur das Dortmunder Bataillon während eines Transports von Partisanen attackiert, sondern in gleicher Weise etwa am 29. Dezember mit dem III./9. auch sein Schwesterverband. Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch Nr. 1 mit Anlagen: Kurze Übersicht über wichtigste Überfälle und Sabotageakte im Monat Dezember 1942 (BA-MA RH 22 Nr. 265, Bl. 161). Für die Einschätzung der GFP vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Tätigkeit der GFP im Bereich des Heeresgebietes Nord im Monat Dezember 1942 vom 11.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 267, Bl. 11). Für den Bereich der 281. Sicherungs-Division vgl. ebd., Bl. 13 f. und für den Bereich der 285. Sicherungs-Division vgl. ebd., Bl. 14r–16. 991 Dienstbesprechung der Befehlshaber und Inspekteure im Januar 1943 in Berlin. Bericht des Chefs der Ordnungspolizei, SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst Daluege über den Kräfte- und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei im Kriegsjahr 1942 vom 7.2.1943 (BA R 19 Nr. 336, Bl. 6). Für den angeblich fehlenden „Mut“ der Landesbevölkerung, Partisanen zu melden, vgl. Lageberichte der Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 24.12.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 42, Bl. 154).

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feuern“.992 Besetzte Häuser sollten in Brand geschossen werden. Nach Beendigung der eigentlichen Mission sollte die Gruppe „Perling“ auf dem Rückmarsch noch die Dörfer der Umgebung niederbrennen.993 Am 4. Januar 1943 meldete ein Fernschreiben der 281. Sicherungs-Division an den Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebietes Nord, dass sich seit längerer Zeit eine „rege Bandentätigkeit im Sumpf und Waldgebiet 20 km“ südwestlich von Opotschka entwickeln würde. Meldungen zufolge befänden sich u. a. starke „Banden“ bei Narotowo. Auch in den meisten umliegenden Dörfern sei „mit der Anwesenheit von Banditen zu rechnen“. Deswegen sei nun Befehl ergangen, vom 5. bis zum 8. Januar „die Banden anzugreifen und zu vernichten sowie durch planmäßiges Absuchen aller Dörfer, Wälder und Sümpfe auch ihre Helfer, alle Ortsfremden, Lagerplätze und Unterschlupfe aufzuspüren und zu beseitigen“.994 Erstes Tagesziel für die Gruppe „Perling“ war eine Linie 20 Kilometer südwestlich von Opotschka. Zusätzlich waren auch eine Gruppe „Bühnemann“ und eine Gruppe „Nortmann“ gebildet und eingesetzt worden. Während „Perling“ und „Bühnemann“ ihr Tagesziel am 5. Januar ohne Feindberührung erreichten, hatte „Nortmann“ ein kleineres Gefecht 21 Kilometer südwestlich von Opotschka. Die Partisanen flohen jedoch trotz einiger Verwundeter nach Osten. Auch am Folgetag blieb die Gruppe „Perling“ ohne wirklichen Feindkontakt. Lediglich ein flüchtender Kämpfer konnte festgesetzt werden. Am 7. Januar erreichten alle Gruppen den Raum in der Mitte des Sperrgebietes südwestlich von Opotschka.995 Der Erfolg der gemeinsamen Operation war bis dahin mäßig. Lediglich eine „Agentin wurde festgenommen“996 und ein Einwohner wurde wegen Waffenbesitzes exekutiert. Am 8. Januar wurde die Operation „ohne Feindberührung beendet“.997 Der Stab des I./9. kehrte nach Opotschka, die 2. Kompanie nach Swony und die 3. Kompanie nach Bolgotowo zurück. Wie in der Planung vorgesehen, wurden auf dem Rückweg mehrere Dörfer niedergebrannt. So hieß es als Ergebnis des Unternehmens südwestlich von Opotschka doch noch: „1 Bandit und 16 Helfer erschossen, 2 Banditen verwundet, 1 Agent und 1 Spionin

992 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division: Angriffsbefehl vom 1.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 10, Bl. 3). Vgl. ebd. auch zum Inbrandschießen von Gebäuden. Für die geplanten Ausgangspunkte ebenso wie für die Zusammensetzung der Gruppe vgl. ebd., Bl. 1. In der Akte wird Sujewa als Sujewo angegeben. 993 Vgl. ebd., Bl. 2. Namentlich genannt werden dort die Orte Wisselki, Jaswizy, Weressenez, Koshanowa, Loskuty und Schipuli. 994 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division: Fernschreiben 281. Sich.Div. Abt. Ia. an Befh. [Befehlshaber] Nord vom 4.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 10). Geplant war ein konzentrisches Vorgehen aus der Linie „Koshanowa–Jaswizy–­ Kossogory–Shewloki–Sujewo–Tomssino“. 995 Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 7.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 5–8). 996 Ebd., Bl. 8. 997 Ebd., Bl. 9.

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gefangen, 4 verdächtige Personen festgenommen. Bunker und Feldbefestigungen“998 wurden zerstört. Bereits am 10. Januar war das I./9. ohne die noch immer bei der 285. Sicherungs-Division befindliche 1. Kompanie wieder im Einsatz. Laut Aufklärungsergebnissen wurde angenommen, dass die Dörfer um Aleksandrowo von stärkeren „Banden“ besetzt seien. Entsprechend entsandte man die Dortmunder Polizeieinheit. Während die 2. Kompanie Aleksandrowo am 11. Januar feindfrei vorfand, wurde von der 3. Kompanie, unterstützt durch ein Kommando des 2. Bataillons des Feld-Artillerie-Regiments 640, der Ort Malagina nach mehreren Stunden Gefecht gestürmt. 63 Partisanen und angeblich am Widerstand beteiligte Einwohner wurden während der Kampfhandlungen getötet. 28 weitere „Einwohner wurden wegen Bandenbegünstigung erschossen. Das Dorf wurde niedergebrannt.“999 Dennoch war die Operation kein wirklicher Erfolg, denn ein Teil der Partisanen konnte durch südlich des Dorfes gelegene Sümpfe fliehen. Darüber hinaus waren elf Kompanieangehörige verwundet und zwei weitere getötet worden. Unter den Gefallenen war auch der Kompaniechef Hauptmann Krebl.1000 Schon am 14. Januar 1943 wurden erneut „Banden im Raum von Alekssandrowo“ gemeldet.1001 Zwar wurde ein Unternehmen gegen diese vorbereitet,

   998 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 10.1.1943 (ebd., Bl. 11). Für die Planung, Dörfer zu verbrennen und ebenso für die Rückkehr zu den Standorten vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 8.1.1943 (ebd., Bl. 9).    999 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 11.1.1943 (ebd., Bl. 12). Für das feindfreie Aleksandrowo und das Gefecht bei Malagina vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ic-Tagesmeldung 281. Sich.Div. vom 12.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 25). Für die Meldung der „Banden“ und die Entsendung von Teilen des I./9. in den Raum Aleksandrowo vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 10.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 11). Ferner vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ic-Tagesmeldung 281. Sich.Div. vom 11.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 23). 1000 Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 11.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 12); Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ic-Tagesmeldung 281. Sich.Div. vom 12.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 25). Krebls Name wird in diesen Unterlagen nicht genannt. Für eine Gebetserinnerung, die genau dieses Todesdatum festhält, vgl. http://www.relicchest.com/cgi-bin/ Print_Item.asp?122; 25.8.2020. Für Fotografien seines Grabsteins vgl. LAV NRW, W, K 702a Nr. 288 Foto 4/12 und Foto 4/13. Zu Krebls Person siehe Kapitel III.2; Akte Andreas Krebl (BA R 9361 RS D 258, Bl. 1234–1236). Für den Todesfall ohne Nennung von Krebls Namen vgl. Kärgel, Einsatz (1957), S. 213. 1001 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ia-Tagesmeldung 281. Sich.Div. vom 14.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 30).

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jedoch verloren die Deutschen die Spur des Feindes. Laut Aufklärungsergebnissen sei dieser in unbekannter Richtung abgezogen. Statt vor Ort eingesetzt zu werden, bezogen die 2. und 3. Kompanie des I./9. nun in einem neu zugewiesenen „Jagdgebiet Lauerstellungen“.1002 Die 2. Kompanie positionierte sich hierzu bei Wynskoje und die 3. Kompanie 27 Kilometer östlich von Opotschka. Während das II./9. und III./9. anderenorts aktiv vermeintliche Partisanen und deren Dörfer als Teil der Gruppe „Gallas“ bekämpften, blieben die Kompanien des I./9. ohne jede Feindberührung.1003 Erst am 22. Januar wurde die Polizeieinheit ohne seine 1. Kompanie, aber dafür unterstützt durch eine Kompanie des Feldausbildungsregiments 640, aktiv gegen Partisanen eingesetzt. Durch eine V-Mann-Meldung erfuhr man am Vortag von einer großen Partisaneneinheit, die die „Rollbahn Opotschka–Pustoschka zwischen Laschutino und Sujkowo“1004 nach Südwesten überschritten hätte und nun bekämpft werden sollte. Laut einer Eilmeldung beunruhigten die Partisanen am 23. Januar den Raum 31 bis 35 Kilometer ost-süd-östlich von Opotschka. Der 3. Kompanie des I./9. sei es jedoch nachts gelungen, „in einem Bandenstützpunkt einen Bandentrupp von 3 Mann“ zu vernichten und „3 Gewehre, Handgranaten und 2 Schlitten“1005 zu erbeuten. Am 24. Januar wurde gemeldet, dass auf „der Rollbahn Opotschka–Pustoschka […] bei Kilometer 27 4 Holzkastenminen mit 5 kg Sprengstoff beseitigt“ wurden. Bei Kilometer 26 sei eine Brücke gesprengt worden, sie sei aber noch einseitig befahrbar. 1,5 Kilometer nordöstlich Laschutino „wurde an der Straße nach Skokowo die Brücke gesprengt und vollkommen zerstört“.1006 Angeblich

1002 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 16.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 17). Für die Aufklärungsergebnisse vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ic-Tagesmeldung 281. Sich.Div vom 15.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 31). Für die Position der Lauerstellungen vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 20.1.1943 (BA-MA RH 26281 Nr. 9, Bl. 21). 1003 Vgl. ebd., Bl. 21. Für den Einsatz der Gruppe „Gallas“ vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 15.1.1943 (ebd., Bl. 16). 1004 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ic-Tagesmeldung vom 22.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 46). Ebenso zum Überschreiten der Rollbahn vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ic-­ Tagesmeldung 281. Sich.Div. vom 23.1.1943 (ebd., Bl. 47). 1005 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 23.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 24). Ferner vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/ Ic-Tagesmeldungen: Ic-Tagesmeldung 281. SichDiv. vom 24.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 50). Nur dort wird die Nacht erwähnt. Für die Meldung vom 23.1. vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 23.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 24). Es ging dabei um den „Raum Krassnaja Gorka–Gnilki–Burkany–Tortschi­ lowo–Skrobi–Wodobeg und Moschki-Ljati“. 1006 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 24.1.1943 (ebd., Bl. 26).

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sei die „Bande“ danach aus dem Raum östlich der Rollbahn nach Nordosten abgezogen. Ab dem Abend des 24. Januar sollte deswegen das I./9. erneut gemeinsam mit einer Kompanie des Feldausbildungsregiments 640 zur Verfolgung abgestellt werden. Vorgesehen war ein Erreichen des Raums nördlich und südlich von Glubokoje.1007 Am Folgetag gelang das I./9. ohne Gefechte nach Melenka und Djatschki, während der Stab gemeinsam mit weiteren Einheiten in Melechowa „ohne Feindberührung“ eintraf.1008 Der für die Feindlage und das militärische Nachrichtenwesen zuständige Generalstabsoffizier der 281. Sicherungs-Division urteilte am 26. Januar, Partisanen würden gegenwärtig hauptsächlich im Raum südwestlich bis nordwestlich von Opotschka operieren. Dennoch trat am gleichen Tag das I./9., unterstützt durch weitere Einheiten, an der Linie von Kudewer bis 6 Kilometer östlich von Shukowo an. Sie sollten mit weiteren Truppen des rückwärtigen Raumes, die aus östlicher Richtung kamen, kooperieren.1009 Am 27. Januar wurden starke Partisanenverbände gemeldet und um 4:50 Uhr wurde der Stab des I./9. sowie ein Zug der 2. Kompanie 20 Kilometer südöstlich von Kudewer angegriffen. In einem siebenstündigen Gefecht wurde sowohl der Arzt des Bataillons als auch dessen Kommandeur, Perling, schwer verwundet. Sieben weitere Polizisten starben, 18 wurden verletzt. „Feindverluste konnten nicht festgestellt werden“.1010 Um dies zu beschönigen wurde angeführt, die

1007 Vgl. ebd. 1008 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 25.1.1943 (ebd., Bl. 27). 1009 Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ia-Tagesmeldung 281. Sich.Div vom 26.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 56). Für die genannten Partisanenoperationen vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 26.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 28). An anderer Stelle hieß es, der „Stab Gallas [sei] mit 2./Pol.9, 3./R.R.3 u. ORA 281 zum Unternehmen Schneehase der 201. Sich.Div. abmarschiert“. Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 26.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 28). Hierbei muss es sich offensichtlich um einen Tippfehler handeln. Gemeint war sicherlich das II./9. Vom tatsächlichen 2./9. wurden in den Folgetagen Aktionen mit der Gruppe „Perling“, weit entfernt von der Gruppe „Gallas“, vermerkt. Für die Unterbringungsorte des I./9. vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 26.1.1943: Übersicht 281. Sicherungs-Division, Stand vom 26.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 10). Der Stab und die 1. Kompanie befanden sich in Opotschka. Die 2. Kompanie lag in Swony und die 3. Kompanie befand sich in Bolgotowo. 1010 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 27.1.1943 (BA-MA RH 26281 Nr. 9, Bl. 29). Für die dort angeblich eingetretenen Feindverluste vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 27.1.1943 (ebd., Bl. 29); Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ic-Tagesmeldung 281. Sich.Div. vom 28.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 57); Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ia-Tagesmeldung 281. Sich.Div. vom 28.1.1943 (ebd., Bl. 58). Ebenso vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 27.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 29).

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Partisanen hätten sicher erhebliche Verluste erlitten, jedoch seien deren Gefallenen und Verwundeten beim Rückzug mitgenommen worden. Das I./9. war vorerst führerlos. Die Gruppe „Perling“ sollte dennoch bei Monino antreten, führte dann aber keine dokumentierten Aktionen aus. Am 31. Januar 1943 wurde die Unternehmung beendet und das Dortmunder Bataillon kehrte in seine Stationierungsorte zurück. Der Stab kam nach Opotschka, die 2. Kompanie nach Swony und die 3. Kompanie nach Bolgotowo. Als vorübergehende Vertretung für den verwundeten Kommandeur des I./9. setzte man Mehr ein. Als Chef der 1. Kompanie, die sich noch immer im stationären Bahnschutz bei der 285. Sicherungs-Division befand, war er relativ frei verfügbar. Die Planung und Koordination des Bahnschutzes durch die Kompanie erforderte keinen Offizier im Hauptmannsrang.1011 Ende Januar 1943 war also bei der Dortmunder Polizeieinheit ein Führungsoffizier gefallen und der für die Einsatzfähigkeit wichtige Arzt, ebenso wie der beliebte Bataillonskommandeur waren schwer verwundet. Die Operationen der Polizeieinheit hatten bei weiteren Verlusten kaum Ergebnisse gegen die lokalen Partisanen erzielt. Ein Lagebericht der 285. Sicherungs-Division brachte das generelle Problem der Besatzer auf den Punkt. Nur dort, wo Großaktionen gegen Partisanen erfolgreich verlaufen seien, habe das Wohlwollen der Bevölkerung wieder mehr zugunsten der Deutschen ausgeschlagen. Zur damit beschönigend beschriebenen Herrschaft durch das Aufbauen einer Drohkulisse trug das Dortmunder Polizeibataillon nur sehr bedingt bei. Auch wenn die Geheime Feldpolizei rein quantitativ annahm, die „Bandentätigkeit“ im Bereich der 281. und 285. Sicherungs-Division sei im Vergleich zum Vormonat in etwa gleich geblieben, so war doch ein Abwärtstrend für die Männer des I./9. unverkennbar.1012

1011 Zu Mehr als Vertreter von Perling vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division: Übersicht 285. Sicherungs-Division vom 1.3.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 61). Für das Antreten bei Monino vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 27.1.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 29). Für die Rückkehr in die Stationierungsorte vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ia-Tagesmeldung 281. Sich.Div. vom 31.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 64). 1012 Für die Einschätzung durch die GFP vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Tätigkeit der GFP. Im Bereich des Heeresgebietes Nord im Monat Januar 1943 vom 31.1.1943 (BAMA RH 22 Nr. 267, Bl. 57–59). Allgemein für die Einschätzung der Situation vgl. Lageberichte der Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 25.1.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 42, Bl. 169). Das I./9. gehörte nominell noch immer zur 285. Sicherungs-Division, war aber außer der 1. Kompanie bei der 281. Sicherungs-Division eingesetzt. Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Übersicht der Sicherungskräfte vom 31.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 267, Bl. 54).

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Eine Rolle spielte dabei, dass laut der Aufstellung über die Gefechtsstärke der Truppen des Befehlshabers im Rückwärtigen Heeresgebiet Nord vom 29. Januar 1943 nur 789 Deutsche bei der 281. Sicherungs-Division und weitere 105 Deutsche bei der 285. Sicherungs-Division zur Sicherung des riesigen Raums flexibel einsetzbar waren. Alle übrigen Kräfte blieben im Bahn- oder Objektschutz unabkömmlich. Die deutschen Einheiten sollten zwar durch Truppen bestehend aus Esten und „Ostarbeitern“ sowie durch die lokalen Einwohnerkampfabteilungen unterstützt werden, doch sah man diese Einheiten als nur bedingt verlässlich an. Insbesondere über die Vertrauenswürdigkeit der letzteren Gruppe spottete man auf deutscher Seite nicht erst seit 1943 mit einem gewissen Galgenhumor. So grassierte auf dem Kameradschaftsabend einer Feldkommandantur schon vor dem März 1942 ein scherzhaft gemeintes Plakat mit der Aufschrift: „Partisanen meldet euch in die E.K.A.!“1013 Damit war das mangelnde Vertrauen in die landeseigenen Kräfte auf den Punkt gebracht.1014 Am 3. Februar wurden die 2. und 3. Kompanie des I./9. wieder zur aktiven Bekämpfung von Partisanen eingesetzt. Sie sollten gegen „die im Raum Wodobeg gemeldeten Banden“ vorgehen.1015 Tatsächlich stieß die 2. Kompanie am Folgetag auf eine kleine Partisanengruppe, die nach einem „Feuergefecht versprengt wurde“.1016 Zwar wurden „Gewehre und Munition“1017 erbeutet und man zählte 17 Feindtote, jedoch hatte die Polizeieinheit selbst auch zwei Tote und zwei Verwundete. Am 5. Februar „stürmte und verbrannte“1018 die gleiche Kompanie zwei Orte bei Wodobeg. Anschließend wurde die Einheit entsandt, um Partisanen im Raum 5 Kilometer westlich von dort sowie auf der Straße nach Glubokoje anzugreifen.1019 1013 Handakte Dr. Richard Westkott (BA-MA MSG 2 Nr. 14130, unpag.). E.K.A. steht für Einwohnerkampfabteilung. Westkott war als Verwaltungsrat bei den Feldkommandanturen 186 und 190 eingesetzt. Für die Stärke der flexibel einsetzbaren Kräfte vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen, Ia Monatsbericht über Bandenlage vom 30.1.1943 (BAMA RH 22 Nr. 267, Bl. 51). 1014 Vgl. auch Anlagen zu Kriegstagebuch Ib Nr. 3 Band 1 der 285. Sicherungs-Division: Broschüre Verfügung über landeseigene Hilfskräfte im Osten (BA-MA RH 26-285 Nr. 33). Generell für die abschließende Beurteilung des Januars 1943 durch die deutsche Führung vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Tätigkeitsbericht des Abwehroffiziers für den Monat Januar 1943 vom 29.1.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 267, Bl. 45); Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Kurze Übersicht über die wichtigsten Überfälle und Sabotageakte im Monat Januar 1943 (ebd., Bl. 47 f.). 1015 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 3.2.1943 (BA-MA RH 26281 Nr. 9, Bl. 36). Unterstützt wurden die Kompanien des I./9. durch das ESB [Est­ nische Schutzmannschafts-Bataillon] 40 mit der 1./ESB 39. 1016 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 4.2.1943 (ebd., Bl. 37). 1017 Vgl. ebd. und Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ia-Tagesmeldung vom 5.2.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 73). 1018 Ebd., Bl. 74. 1019 Vgl. ebd., Bl. 75.

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Bei dieser Operation, die Teil des Unternehmens „Straßendienst“ war, lieferte sich die 2. Kompanie bei der Verfolgung einer 21 Kilometer südwestlich von Kudewer „zersprengten Bande“ am 6. Februar 30 bis 37 Kilometer südöstlich von Opotschka „mit mittleren und kleineren Banden“1020 ein Gefecht. Hierbei konnten keine Feindverluste festgestellt werden, während es auf deutscher Seite einen Gefallenen gab. Am 7. Februar gelang es der 2. Kompanie 25 Kilometer südöstlich von Opotschka eine kleine Ansammlung von Partisanen nach Süden zu vertreiben und zu verfolgen. Währenddessen wurde die 3. Kompanie des Polizeibataillons von Bolgotowo nach Mosuli verlegt, wo sie am 8. Februar eintraf, um die „Befriedung der dortigen Gebiete“ durchzuführen.1021 Am 10. Februar erging ein maßgeblicher Korpsbefehl, der auch das I./9. betraf. Zum 12. Februar sollten die Rayons Sebesch, Idriza und Pustoschka aus dem Heeresgebiet Nord ausscheiden und zur Heeresgruppe Mitte treten. Das II./9. und III./9. sollten der 281. Sicherungs-Division formell unterstellt bleiben und möglichst bald von der Heeresgruppe Mitte operativ wieder zur Verfügung gestellt werden. Hingegen war das I./9. „sofort aus dem Einsatz herauszulösen“ und zur 285. Sicherungs-Division zu entsenden. Der Stab sollte nach Nowoselje transportiert werden, wo sich schon die 1. Kompanie seit längerem im Bahnschutz befand. Für die 2. Kompanie waren Strugi Krassynje und für die 3. Kompanie Luga als Stationierungsorte vorgesehen.1022 Bevor der Transport vollzogen werden konnte, hatte die 2. Kompanie, die seit dem 10. Februar „in Lauerstellung“1023 lag, noch einmal Feindberührung. In der Nacht zum 11. Februar lieferten sich die Polizisten dort bei Sujkowo ein

1020 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 6.2.1943 (BA-MA RH 26281 Nr. 9, Bl. 39). Unterstützt wurde die Kompanie dabei durch die „1. u. 4./ESB 39“ und das ESB 40. 1021 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 7.2.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 10). Für die Verlegung der 3. Kompanie vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ia-Tagesmeldung vom 8.2.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 80). Vgl. auch Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Korpsbefehl vom 6.2.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 267, Bl. 61). Für die 2. Kompanie am 7. Februar vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ia-Tagesmeldung vom 7.2.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 77). 1022 Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Korpsbefehl vom 10.2.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 267, Bl. 64). Ferner vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-­ Division: Divisionsbefehl vom 11.2.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 10); Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 12.2.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 11, Bl. 11). 1023 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ic-Tagesmeldung vom 10.2.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 84).

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„mehrstündiges Feuergefecht“ mit einer starken Partisaneneinheit. Acht Feinde wurden getötet und zahlreiche verwundet. Ferner erbeuteten die Deutschen „8 Pferde, einen leichten Granatwerfer, mehrere Gewehre, Maschinenpistolen, Handgranaten und Munition“.1024 Zwar erlitten auch die Besatzer Verluste, jedoch wurde angemerkt, bei einem der zwei Gefallenen habe es sich „nur“ um einen zur Unterstützung herangezogenen Mann einer Einwohnerkampfabteilung gehandelt.1025 Am 13. Februar trafen die Teile des I./9. in den geplanten Orten unter Kontrolle der 285. Sicherungs-Division ein. Wie beschwerlich die vorherigen Einsätze für die Dortmunder Polizisten in Anbetracht einer schlechten Versorgungs­ lage und der Gefahr von Tod und Verwundung gewesen sein müssen, zeigte sich in den Anordnungen der 285. Sicherungs-Division. So sei, bevor das I./9. als einsatzfähig anzusehen wäre, nicht nur die „Instandsetzung der Waffen“ durchzuführen. Ein Einsatz im Bahnschutz sei „erst nach gründlicher Entlausung“ möglich.1026 Folglich dauerte es noch einmal fünf Tage bevor die Ablösung der 3.  Kompanie des estnischen Schutzbataillons 38 durch die 2. Kompanie des I./9. möglich war.1027 Im Vergleich zu den vorangegangenen Anti-Partisaneneinsätzen schien der für das I./9. vorgesehene Bahnschutzdienst als relativ angenehm und verhältnismäßig ungefährlich. Die aktive Bekämpfung des Gegners im Raum Luga sollte im Stationierungsraum durch die 3. Kompanie des Radfahrregiments 3 übernommen werden. Ohnehin hätte sich wochenlang im Bereich 285. Sicherungs-Division „keine größere Bande bemerkbar gemacht“. Der häufige „Raub von Lebensmitteln“ lasse jedoch auf das Vorhandensein weiterer Partisanen schließen. Somit käme es „in der nächsten Zeit darauf an, dass die Bahn- und Rollbahnstrecke Pleskau–Luga bis zur Nordgrenze“ des Divisionsbereichs ebenso wie „die daran liegenden wichtigen Kunstbauten und Anlagen gegen Bandenüberfälle unbedingt gesichert werden“.1028

1024 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 12.2.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 45). Ebenso für das Gefecht vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ic-Tagesmeldung vom 12.2.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 87). 1025 Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 12.2.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 45). 1026 Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 14.2.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12). Ferner vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ia-Tagesmeldung vom 13.2.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 90). 1027 Vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 18.2.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 49). Abgeschlossen wurde die Verlegung am 19.2.1943. Vgl. ebd., Anlage 50. 1028 Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 12.2.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12).

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Der Bahnschutzdienst des I./9. war dabei, wie schon für die 1. Kompanie in den vorangegangenen Wochen, relativ ereignislos. Zumindest fanden Handlungen der Einheit keinen schriftlichen Niederschlag. Am 20. Februar verhandelte Hauptmann Dörr lediglich wieder einmal über Betriebsstoffe für das Bataillon bei der Abteilung V der Sicherungs-Division. Am 23. Februar wurde ein Zug der 3. Kompanie des I./9. von Luga nach Dolgowka verlegt, um den dortigen Stützpunkt zu verstärken. Die 1. Kompanie wurde zeitgleich von Nowosselje in den Abschnitt Strugi Krasnyje befohlen. Am 27. Februar erfolgte die Verschiebung der 3. Kompanie von Luga nach Sheltzy.1029 Im Bereich der 285. Sicherungs-Division urteilte die Militärverwaltung Ende Februar 1943, unter der lokalen Bevölkerung bestünde nur leichte Unruhe wegen Gerüchten über die schlechte Behandlung von Fremdarbeitern im Reich. Auch würden die bereits einen Monat zurückliegenden Luftangriffe auf Luga noch die Stimmung eintrüben. Die Ernährungs- und Flüchtlingssituation schätze man als unproblematisch ein. Lediglich die hygienischen Bedingungen im Verantwortungsbereich der Division betrachtete man mit Sorge, vor allem in Hinsicht auf eine mögliche Fleckfieberepidemie, wie sie das I./9. schon in Warschau erlebt hatte. Die „Sorglosigkeit der Russen für hygienische Notwendigkeiten“ wirke sich sehr hemmend aus. Wo „Mahnung und Belehrung nichts fruchteten“, müsse „mit strengen Strafen vorgegangen werden“.1030 Auch der zuständige Abwehroffizier beim Kommandierenden General der Sicherungstruppen urteilte für den Februar, dass sich die Partisanenlage nicht bedrohlich verschlechtert habe.1031 Dass sich die „Bandenlage“ im Norden Russlands zu Beginn des März 1943 besserte, lag auch daran, dass problematische Abschnitte an die Heeresgruppe Mitte und die 16. Armee abgetreten wurden. „In diesen Bereichen“ sei die „Lage weiterhin gespannt, ein Übergreifen“ sah man als jederzeit möglich an.

1029 Für die 3. Kompanie vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-­ Tagesmeldungen: Ia-Tagesmeldung vom 27.2.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 118); Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 27.2.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 58). Für die 1. Kompanie vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-­Division: Divisionsbefehl vom 23.2.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 54a). Für den 3. Zug der 3. Kompanie vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 23.2.1943 (ebd., Anlage 54). Für die Treibstoffverhandlungen vgl. Kriegstagebuch Ib Nr. 4 der 285. Sicherungs-­Division vom 20.2.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 36, Bl. 14). 1030 Lageberichte der Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 24.2.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 42, Bl. 186–188 und 191). 1031 Vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Tätigkeitsbericht vom 27.2.1942 (BA-MA RH 22 Nr. 267, Bl. 86). Für genauere Zahlen vgl. ebd., Bl. 89 f., die „Übersicht über die wichtigsten Überfälle und Sabotageakte im Monat Februar 1942“ vom 26.2.1943. Für den Bericht der GFP vgl. ebd., Bl. 92.

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„Eine starke Belegung der Grenzgebiete in der Nähe der bekannten Bandengebiete“1032 bleibe daher notwendig. Ende des Monats resümierte man, es habe im Bereich der 285. Sicherungs-Division tatsächlich eine „auffällig lebhafte Tätigkeit im Absetzen von Fallschirmspringern“1033 gegeben, die vor allem im Raum nordwestlich und nordöstlich von Luga und im Küstengebiet gelandet seien. Dennoch schien die Lage im Vergleich zu den Vormonaten relativ sicher. Zwar vermerkte ein Lagebericht Ende März, die Bevölkerung sei wegen des Kriegsverlaufs etwas unruhig und gedrückt gewesen, aber die deutsche Propaganda habe dies auffangen können. Lediglich die Ernährungslage der russischen Bevölkerung begann schwierig zu werden. Es hieß, teilweise würden Einwohner ärmerer Dörfer schon Moos essen.1034 Operativ war der März für das I./9. nahezu ereignislos. Am 2. März wurde die 1. Kompanie aus dem Bahnschutz bei Nowosselje herausgelöst und nach Sapolje verlegt. Damit war die Einheit nach langer Zeit wieder für flexible Operationen verfügbar. Nachdem am 10. März das Auftreten kleinerer Gegnergruppen gemeldet worden war und ein Esten-Jagdkommando „8 Banditen in Gegend 40 km“ westnordwestlich von Strugi Krasnyje erschossen hatte, wurde die 1. Kompanie des I./9. „zur weiteren Verfolgung angesetzt“.1035 Am 26. März erfolgte die Verlegung eines Jagdkommandos der 3. Kompanie nach Polkowo „zum Einsatz in das Gebiet am Stretschno-See“.1036 Am Folgetag

1032 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Korpsbefehl vom 1.3.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 267, Bl. 104). Ebenso für die „Bandenlage“ vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 5.3.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 68). Zur Allgemeinen Sicherheitslage vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Tätigkeitsbericht vom 29.3.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 267, Bl. 135); sowie die enthaltene „kurze Übersicht über die wichtigsten Überfälle und Sabotageakte im Monat März 1943“ (ebd., Bl. 140 f.). 1033 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Ia Monatsbericht über Bandenlage vom 1.4.1943 (ebd., Bl. 146). 1034 Vgl. Lageberichte der Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 26.3.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 42, Bl. 208 f.). 1035 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 10.3.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 11, Bl. 15). Ebenso vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 10.3.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 73). Für Partisanenaktivitäten im Bereich der 285. Sicherungs-Division vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Korpsbefehl vom 13.3.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 267, Bl. 117). Dort heißt es, es gebe stärkere „Bandentätigkeit an der Südgrenze des Rayons Kresty, insbesondere wiederholte Bahnsprengungen an der Bahn Pleskau-Ostrow“. Für die Verlegung der 1. Kompanie vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ia-Tagesmeldung vom 2.3.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 118). 1036 Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division Tagesmeldung vom 26.3.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 95).

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wurden „Truppenverlegungen im Bahnschutz“ angeordnet. „Die Feldwachen 1–9 im Abschnitt Nowosselje“1037 sollten durch die 2. Kompanie übernommen werden. Damit waren sämtliche dokumentierte Operationen des Dortmunder Bataillons für den relativ ereignislosen Monat März abgeschlossen. Die einzige weitere, wenn auch skurrile Anordnung, die Bedeutung für das I./9. hatte, wurde am 27. März ausgegeben. In einem Stabsbefehl ermahnte der Befehlshaber die Truppen im Heeresgebiet Nord, sie sollten umgehend leere Bierflaschen zurückgeben. Die zuständigen Brauereien würden das Leergut dringend benötigen. „Die Versorgung mit Bier“ hinge „von der sofortigen Rücklieferung der leeren Flaschen ab“.1038 Zum April 1943 wurde das Kommando über das Heeresgebiet Nord von von Roques an Kuno-Hans von Both abgegeben und Perling war nach seiner Verwundung als Kommandeur des I./9. zurückgekehrt. Ab dem 3. April finden auch Teile seiner Einheit wieder Erwähnung im Kriegstagebuch der 285. Sicherungs-Division. So wurden an diesem Tag „kleinere Banditengruppen“ gemeldet und die 2. Kompanie des I./9. wurde von Nowosselje nach Chre­dino sowie ein Zug nach Podloshje „zur Bandenbekämpfung verlegt.“1039 Da am 7. April stärkere Partisanenverbände südlich der Divisionsgrenze gemeldet wurden, setzte man die 2. Kompanie „zur Aufklärung und Sicherung der Rayongrenze“ ein.1040 Am 8. April wurde befohlen, dass der Stab und die 3. Kompanie der Dortmunder Polizeieinheit im Bahnschutz abzulösen waren. Die Teile des I./9. sollten ab jetzt der Feldkommandantur Strugi Krasnyje zum „beweglichen Bandenkampf“1041

1037 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 27.3.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 11, Bl. 20). Zur Umsetzung vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 2.4.1943 (ebd., Bl. 22). 1038 Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Stabsbefehl Nr. 17 vom 27.3.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 267, Bl. 130). Zur Bedeutung von Alkohol im I./9. siehe Kapitel V.1. 1039 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 3.4.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 11, Bl. 22). Ebenso vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 3.4.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 107). Für Perlings Rückkehr vgl. ebd. Übersicht 285. Sicherungs-Division Stand vom 1.4.1943, Anlage 113. Zur Kommandoübergabe im Heeresgebiet Nord vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Kriegstagebuch mit Anlagen: Schreiben des General von Roques vom 26.3.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 267, Bl. 129). 1040 Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 7.4.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 112). Ebenso vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 7.4.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 11, Bl. 23). 1041 Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 8.4.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 116). Für die Stationierung von Stab und 3. Kompanie vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 15.4.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 11, Bl. 25). Ebenso vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 15.4.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 128).

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zur Verfügung stehen. Während der Stab ebendort stationiert wurde, kam die 3. Kompanie nach Miljutino. Insgesamt blieb der April im Bereich der 285. Sicherungs-Division aber ruhig. Am Monatsende urteilte man, die Stimmung habe sich durch die Frontlage beruhigt, lediglich die Ernährungslage der Bevölkerung blieb weiterhin schwierig.1042 Am 16. April wurde das Dortmunder Bataillon „zu einem Sonderunternehmen“ der 281. Sicherungs-Division abgestellt und „für den Landmarsch mit 3 000 Liter Betriebsstoff versorgt“. Hierzu erfolgte trotz Knappheit eine „vorübergehende Freigabe des Sperrbestandes“.1043 Um 5:30 Uhr des 18. Aprils setzte sich die Einheit „im Lkw.-Transport von Pog Gora“1044 nach Noworshew in Marsch, um am Unternehmen „Schnepfenstrich“ teilzuhaben. Am 1. Mai 1943 waren die dazu „dem General Hofmann unterstellten Truppen in der Linie Ssobolizy bis an den Ssorot-Fluss“1045 nördlich von Noworshew eingesetzt. Zwei Tage später wurde festgehalten, Teile der Gruppe „Hofmann“ lägen „seit den frühen Morgenstunden bis in die Nacht in schwerem Kampf im W-Teil des Ostrowni-Waldes“.1046 Während die Deutschen 28 Verwundete und neun Gefallene hatten, zählte man angeblich über 100 getötete Partisanen sowie neun Gefangene. Das I./9. wurde dabei offenbar bei „Michejewo“1047 eingesetzt, wofür u. a. der Polizist Wilhelm Ködding einen Nahkampftag in seinen Unterlagen eingetragen erhielt. Am 4. und 5. Mai wurde gemeldet, bei einer 15 Kilometer nördlich von Noworshew durchgeführten „Säuberungsaktion“ habe man die Wälder feindfrei vorgefunden. Man vermutete, der Gegner habe den Raum in nordwestlicher und teilweise in nördlicher und östlicher Richtung verlassen. Neben zur Aufklärung eingesetzten Einheiten bewegten sich die Truppen unter General Hofmann am

1042 Vgl. Lageberichte der Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 24.4.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 42, Bl. 229). 1043 Kriegstagebuch Ib Nr. 4 der 285. Sicherungs-Division vom 16.4.1943 (BA-MA RH 26285 Nr. 36, Bl. 24). 1044 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 18.4.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 11, Bl. 26). Zwar war das I./9. damit erneut zur 281. Sicherungs-Division abgeordnet, gehörte aber formell zur 285. Sicherungs-Division. Dies bestätigt die Truppenübersicht vom 1.5.1943 in: ebd., Anlage 149a. 1045 Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 1.5.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 123). Aus dem Kriegstagebuch geht im Folgenden nicht klar hervor, ob es das Unternehmen „Schnepfenstrich“ I oder II war. 1046 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 3.5.1943 (BA-MA RH 26281 Nr. 9, Bl. 125). Erst durch den Einsatz von drei Flugzeugen des Typs He 111 konnte der feindliche Widerstand gebrochen werden. Es wurden auf den Ort „Ostrowni und die Höhe 142,3“ 32 50-Kilogramm-Bomben und 1 400 2-Kilogramm-Bomben abgeworfen. 1047 Nahkampfspangen Antrag vom 6.12.1944, Wilhelm Ködding (LAV NRW, W, K 702a Nr. 268, unpag.). Dort ist ein Nahkampftag am 4.5.1943 bei Michejewo eingetragen. Dabei ist völlig unklar, wo dieser Ort liegt, da er auf keiner Karte verzeichnet ist. Das tatsächliche Michejewo liegt westlich von Moskau und scheidet so als Einsatzort aus.

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5. Mai in nordwestlicher Richtung der Waldgebiete östlich von Woronzowo. Als Teil der Untergruppe „Gallas“ nahm hieran auch erneut das I./9. teil. Beim mittlerweile als „Schnepfenstrich III“ geführten Unternehmen wurden am 7. Mai die in den Wäldern und Sümpfen östlich und ost-nordöstlich von Woronzowo gemeldeten Partisanen verjagt. Bei einigen Ortschaften habe es dabei geringen Feindkontakt gegeben, sodass diese „teils im Sturm genommen“1048 worden seien. Einem Gefallenen, einem Schwer- und sechs Leichtverletzten auf deutscher Seite sollen 22 Feindtote gegenübergestanden haben.1049 In der Nachfolge dieser Unternehmung sollte die Gruppe „Hoffmann“ das Unternehmen „Maikäfer“ mit Gefechtsstand in Woronzowo beginnen. Über die Rolle des I./9. bei diesem Unternehmen liegen keinerlei weitere Informationen mehr vor. Insgesamt wurden 280 Landeseinwohner getötet während nur 113 Waffen aufgefunden wurden. Am 15. Mai beauftragte man die Gruppe „Gallas“ im Anschluss das Unternehmen „Nachsuche“ durchzuführen, um eventuell versprengte Feinde festzusetzen. Diese Aktion wurde schon am Folgetag abgeschlossen. Für das I./9. begann direkt im Anschluss unter dem Kommando von Oberstleutnant Emil Hugo Woyzella, gemeinsam mit weiteren Einheiten, das Unternehmen „Fischzug“.1050 Ziel der bis mindestens zum 26. Mai andauernden Operation war die zwangsweise „Aushebung wehrfähiger Landeseinwohner“.1051 Diese sollten zum Bau von Verteidigungsanlagen eingesetzt werden.1052 Im Anschluss an die Unternehmung kehrte das I./9. am 28. Mai zur 285. Sicherungs-Division im Raum Pskow zurück. Am nächsten Tag erreichten die einzelnen Teile des Bataillons ihre Stationierungsorte. Hierbei kam die

1048 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 7.5.1943 (BA-MA RH 26281 Nr. 9, Bl. 128). Zur Aufklärungsmeldung und dem Vorrücken von Hoffmann vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 5.5.1943 (ebd., Bl. 127); Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 4.5.1943 (ebd., Bl. 126). 1049 Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 7.5.1943 (ebd., Bl. 128). 1050 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 15.5.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 10). Für den Abschluss der vorherigen Unternehmen vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division: Befehl über den Abschluss der Unternehmen „Schnepfenstrich“ und „Maikäfer“ und Beginn des Unternehmens „Fischzug“ vom 16.5.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 138). Für das Unternehmen „Nachsuche“ vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 15.5.1943 (ebd., Bl. 137). Für die geplante Einbindung des I./9. vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 16.5.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 10). Für das Unternehmen „Maikäfer“ vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 7.5.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 128). Zum Unternehmen „Maikäfer“ vgl. weiterführend Kilian, Wehrmacht, S. 575 Anm. 487. 1051 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 25.5.1943 (BA-MA RH 26281 Nr. 9, Bl. 149). Zum Unternehmen „Fischzug“ vgl. ebd. 1052 Vgl. auch Kilian, Wehrmacht, S. 429.

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1. Kompanie nach Baltiyets und der Stab mit der 3. Kompanie nach Luga. Die 2. Kompanie stationierte man 5 Kilometer südlich von Pljussa. Damit kam die Polizeieinheit in einen Raum zurück, von dem man annahm, dass sich die Bevölkerungsstimmung nach Ende der russischen Winteroffensive merklich gebessert hätte. Jedoch sei die Region im Vergleich zu den Vormonaten durch verstärkte Partisanentätigkeiten wieder instabil. Die irregulären sowjetischen Kämpfer würden mit dem Abbrennen von Häusern in Dörfern drohen und hätten der Bevölkerung von den deutschen Niederlagen in Afrika und Stalingrad berichtet.1053 Ab dem 1. Juni war das I./9. wieder offiziell zum Bahnschutz eingesetzt. Während die 2. Kompanie der Feldkommandantur Pljussa unterstellt war, war für die übrigen Kompanien die Feldkommandantur Luga zuständig. Für die nächsten drei Monate versahen die Dortmunder Polizisten einen passiven Dienst. Zwar kam es um sie herum immer wieder zu Partisanenangriffen und relativ seltenen deutschen Gegenaktionen, jedoch konnte die Polizeieinheit hierzu nicht herangezogen werden. Schon in der „abschließenden Beurteilung der Lage im Divisionsbereich“1054 des Monats Juni erörterte die Divisionsführung die zugrundeliegende, bereits bekannte Problematik. Zu viele Einheiten seien u. a. an die Front abgestellt, sodass fast nur passiver Bahnschutz möglich blieb. Dennoch schien die Situation der Feldkommandantur Luga im Juni noch relativ ruhig, während sich im Bereich der Feldkommandantur Pljussa die Lage „hauptsächlich infolge lebhafteren und rücksichtsloseren Bandentätigkeit“ zuspitzte.1055 Eine weitere Belastung sah man darin, dass die Partisanen gegen die deutschen Besatzer agitieren würden, indem sie etwa „Evakuierungen“ als gezielte Entvölkerungspolitik gegenüber der Bevölkerung bezeichnen würden.

1053 Vgl. Lageberichte der Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 25.5.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 42, Bl. 259 f.). Für die Stationierungsorte vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 29.5.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 11, Bl. 38). Vgl. ebenso die dortigen Anlagen 175 179b mit einer Truppenübersicht vom 1.6.1943. Dort wird das Bataillon 61 wieder regulär der 285. Sicherungs-Division zuordnet. Für leicht abweichende Ortsangaben vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 11.6.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 11, Bl. 42). Der Stab des I./9. lag in Shelzy. Die 1. Kompanie lag in baltischen Flot, die 2. Kompanie in Pljussa und die 3. Kompanie war in Luga stationiert. Für die Rückkehr der Dortmunder Polizeieinheit in den Raum Pskow vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 25.5.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 10); Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 28.5.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 9, Bl. 150). 1054 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division: Abschließende Beurteilung der Lage im Divisionsbereich, o. D. [vermutlich 30.6.1943] (BA-MA RH 26-285 Nr. 11, Bl. 48). Für den Einsatz im Bahnschutz und die Zuordnung zu den Feldkommandanturen vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 1.6.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 12, Anlage 179c). Effektiv wurde der Bahnschutz wohl aber erst am 11. Juni übernommen vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil I der 285. Sicherungs-Division vom 11.6.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 11, Bl. 42). Am 26.6.1943 war das Bataillon laut Anlage 207b immer noch dort. 1055 Lageberichte Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 25.6.1943 (BAMA RH 26-285 Nr. 43, Bl. 3).

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Im Rayon Strugi Krasnyje seien die Partisanen sogar, „dazu übergegangen, Landeseinwohner zu rekrutieren“.1056 Mitte Juli 1943 gestand man sich bei der 281. Sicherungs-Division ein weiteres schwerwiegendes Problem ein, das auch für die nördlichere 285. Sicherungs-Division galt. Aus zerschlagenen größeren Partisanenverbänden würden zahlreiche kleinere Gruppen entstehen, die sich „erfahrungsgemäß […] nach einer Übergangszeit immer wieder zusammenziehen“ würden.1057 Für die südlichere Division hielt man Ende Juli 1943 fest: „Als gut kann die Stimmung nur dort bezeichnet werden, wo ständig deutsche Truppen in ausreichender Stärke liegen.“1058 In den übrigen Gebieten bestand keine effektive Kontrolle mehr. Dementsprechend war so auch am Ende des Folgemonats die Partisanenlage mehr als ernst. Im Süden und Westen des Divisionsgebietes operierten verstärkt Insurgenten. Über die Landeseinwohner konstatierte man, dass sie nicht nur über die Wlassow-Armee, von der man kaum noch etwas höre, enttäuscht seien. So würde „man selbst von den zuverlässigsten Russen und Esten gefragt, ob es möglich wäre, dass, wenn die Deutschen zurückgehen, sie nicht mitgenommen würden“. Eine weitere „Vertrauenskrise“1059 sei dadurch entstanden, dass man einigen dienstverpflichteten Russen einen kurzen Arbeitseinsatz versprochen hatte, sie aber immer noch nicht in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt seien. Am 1. September 1943 wurde die Aufgabe des Straßenkommandanten für das Gebiet nördlich von Luga an den Kommandeur des I./9. übertragen. Welche Aktionen Major Perling als solcher aus seinem Gefechtsstand in Shelzy befahl, bleibt anhand der Kriegstagebücher unklar. Gleiches gilt auch für die Ablösung der 2. Kompanie des Dortmunder Bataillons im Bahnschutz am 22. September. Einzig vermerkt wurde, dass die Einheit „zur Rollbahnsicherung dem Major Wittig zur Verfügung“ gestellt werden sollte und zwar für „einen Sonderauftrag“.1060 Eventuell handelte es sich dabei um die „Aufklärung gegen das Bandengebiet im Südteil des Rayons Sebesch“1061 durch die 2. Kompanie am 4. Oktober. Ebenfalls 1056 Ebd., Bl. 3r. Auch ein Mitte des Monats vor Hitler gehaltener Vortrag zeigt, dass nicht nur im Norden Russlands die Partisanensituation völlig deutscher Kontrolle entglitt. Vgl. Vortrag beim Führer auf dem Obersalzberg. „Bandenkampf und Sicherheitslage“ vom 19.6.1943 (BA R 19 Nr. 318, Bl. 88 f.). 1057 Kriegstagebuch Ia Nr. 4 der 281. Sicherungs-Division vom 13.7.1943 (BA-MA RH 26281 Nr. 11, Bl. 14). 1058 Lageberichte Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 25.7.1943 (BAMA RH 26-285 Nr. 43, Bl. 27). 1059 Lageberichte Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 25.8.1943 (BAMA RH 26-285 Nr. 43, Bl. 45). Zur Wlassow-Armee vgl. ausführlich Joachim Hoffmann, Die Geschichte der Wlassow-Armee, 2. Auflage, Freiburg 1986. 1060 Anlagen Band I zum Kriegstagebuch der 285. Sicherungs-Division vom 22.9.1943 (BAMA RH 26-285 Nr. 15, Anlage 84a). Für die Einteilung Perlings als Straßenkommandant vgl. Anlagen Band I zum Kriegstagebuch der 285. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 1.9.1943 (ebd., Anlage 63a). 1061 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division vom 4.10.1943 (BA-MA RH 26281 Nr. 9, Bl. 154). Eventuell handelt es sich aber beim 2./9. um einen Tippfehler und gemeint war eigentlich das II./9.

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befanden sich andere Teile des Dortmunder Bataillons ab dem 1. Oktober im aktiven Einsatz. So wurde zur Unterstützung von drei Gruppen des SD Luga, die am Fliegerhorst Gorodets angetreten waren, ein Jagdkommando des I./9. mit einem unterstellten Ostreiterzug herangeführt.1062 Am 13. Oktober erfolgte die Verlegung der Teile der Dortmunder Polizeieinheit nach Luga. Fünf Tage später wurde der Flugplatz bei Filimonowa durch Partisanen angegriffen. Zwar verteidigten sich die Wachen, jedoch gelang es den Angreifern „Bestände von Fliegerbomben“ zu sprengen. Das sofort angesetzte Jagdkommando des „0./SS.Pol.Rgt.9 [sic]“ kehrte um 23:45 Uhr erfolglos zurück. Der Feind war „in unbekannter Richtung abgezogen“.1063 Am 25. Oktober wurden „Großbanden“ 15 Kilometer nordwestlich von Pljussa gemeldet. Ebenso hieß es, größere „Banden“ seien auch im Gebiet östlich von „Pljussa zwischen Rollbahn und Eisenbahn“ aktiv. Auf der Straße nach Oßmino wurde die 2. Kompanie des I./9. „von Luga aus angesetzt“.1064 Ziel war es für eine Woche gegen die Partisanen vorzugehen. Die deutschen Besatzer verloren auch im nördlichen Teil des rückwärtigen Heeresgebietes Nord immer mehr die Kontrolle. Im Gebiet der 285. Sicherungs-Division gestand man sich tatsächlich eine Überspannung der eigenen Kräfte ein und plante, sich weiterhin vor allem auf die Sicherung von Transportwegen zu konzentrieren. Ferner sei problematisch gewesen, dass die Bevölkerung der „Aufforderung zur Evakuierung“ nicht Folge leistete. Es wurde „gemeldet, dass die Einwohner sich mit Vorräten und Vieh in die Wälder begeben oder ihren Abmarsch vorbereiten“.1065 Deswegen solle man sie zur Abgabe ihrer Nutztiere zwingen. Wenig später hieß es, die Bekanntgabe von Evakuierungen träfe „auf passiven Widerstand“. Erneut wurde das deutsche Hauptproblem und der damit verbundene Kontrollverlust klar benannt: „Es stehen

1062 Anlagen Band I zum Kriegstagebuch der 285. Sicherungs-Division vom 1.10.1943 (BAMA RH 26-285 Nr. 15, Anlage 92a). 1063 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 18.10.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 14, Bl. 33). Es muss sich hierbei um einen Tippfehler handeln, da es kein 0./9. gab bzw. geben konnte. Für die Verlegung nach Luga vgl. Anlagen Band I zum Kriegstagebuch der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 13.10.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 15, Anlage 104). 1064 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 25.10.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 14, Bl. 36). Die 2. Kompanie soll seit dem 18. Oktober in Luga gewesen sein. Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 18.10.1943 (ebd., Bl. 34). 1065 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 9.10.1943 (ebd., Bl. 29). Dieses letzte überlieferte Kriegstagebuch reicht genau bis zu dem Zeitpunkt, als das I./9. zur Kampfgruppe „Jeckeln“ abgestellt wurde. Für die überspannten Kräfte und die beabsichtigte Sicherung der Transportwege vgl. Anlagen Band I zum Kriegs­ tagebuch der 285. Sicherungs-Division: Bericht an den Kommandierenden General der Sicherungstruppen und Befehlshaber im Heeresgebiet Nord vom 6.10.1943 (BAMA RH 26-285 Nr. 15, Anlage 97a).

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nicht genügend Kräfte zur Bandenbekämpfung zur Verfügung, noch weniger zur Zwangsevakuierung der Bevölkerung.“1066 Am Monatsende stellte man eine erhebliche Stimmungsverschlechterung in der Bevölkerung fest. Diese glaube nicht mehr an einen deutschen Sieg. Ferner würde sie vom Angebot der Partisanen, Straffreiheit zu erlangen, Gebrauch machen, wozu sie die sowjetischen Truppen bestmöglich unterstützen würden. Die Einwohner gehorchten den Anweisungen der Partisanen, aber nicht mehr denen der deutschen Besatzer. Teilweise seien ganze Dörfer mit ihrem Vieh in die Wälder geflohen statt Evakuierungsanordnungen nachzukommen. Eine Umsiedlung sei nur noch mit massivem Zwang umsetzbar. Ständig würden osteuropäische „Hilfswillige“ und einheimische Schutzkräfte zu den Partisanen überlaufen. Selbst ehemals als besonders zuverlässig angesehene lokale Einheiten würden sich abwenden und die Insurgenten schlössen sich verstärkt zu größeren Verbänden zusammen.1067 Um solchen Verhältnissen, die auch in den südlicheren Bereichen der Heeresgruppe Nord virulent waren, noch etwas entgegenzusetzen, liefen in gemeinsamer Planung der Rückwärtigen Heeresgebiete Mitte und Nord schon ab dem 16. Oktober Planungen für das Großunternehmen „Heinrich“, das sich gegen die angebliche „Bandenrepublik Rossono“1068 westlich von Newel richten sollte. Die dort operierenden Partisanenbrigaden sah die deutsche Führung als mittlerweile ebenso bedrohlich wie reguläre Fronteinheiten der Roten Armee an. In der Vorbereitung der Operation wurde vorgesehen, dass sich auch das gesamte Polizeiregiment 9 als Teil einer Einsatzgruppe unter Friedrich Jeckeln beteiligen sollte. Ersten Aufschluss über die Natur des geplanten Einsatzes gibt, dass in einer weiteren Einsatzgruppe unter der Führung Curt von Gottbergs auch die für eine Vielzahl an Kriegsverbrechen verantwortliche SS-Sondereinheit „Dirlewanger“ zum Einsatz vorgesehen war. Beide Einsatzgruppen waren angedacht als Teile einer gemeinsamen Kampfgruppe unter dem Kommando von Erich von dem Bach-Zelewski, seines Zeichens Chef der Bandenkampfverbände.1069

1066 Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 10.10.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 14, Bl. 30). 1067 Vgl. Lageberichte Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 25.10.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 43, Bl. 73 f.). 1068 Tagebuch des Chefs der Bandenkampfverbände, SS-Obergruppenführer und General der Polizei Erich von dem Bach-Zelewski vom 19.12.1943 (BA R 20 Nr. 45b, Bl. 90). Ebenso vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 40: Karten des Kampfraums Newel 1944 (BA-MA RH 20-16 Nr. 411k). Allgemein zur „Bandenrepublik“ vgl. Lück, Partisanenbekämpfung, S. 237. 1069 Vgl. Planung zum Unternehmen „Heinrich“ vom 16.10.1943 (BA-MA RH 19-II Nr. 178, Bl. 25). Ob die 2. Kompanie des I./9. dabei eingesetzt wurde, ist nicht klar, da sie kurz zuvor noch im Raum Luga operierte. Die Nichtverwendung der 2. Kompanie wird jedoch nicht erwähnt. Es ist also anzunehmen, dass die 2. Kompanie am Unternehmen „Heinrich“ teilnahm. In der Akte wurden die militärischen Lagekarten entnommen. Sie finden sich heute separat in: BA-MA RH 19-II/178K-1 und BA-MA RH 19-II/178K-2.

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Für die Gruppe „Jeckeln“ wurde die Bereitstellung im Gebiet südlich der Eisenbahnlinie Sebesch, Idriza, Pustoschka vorgesehen, damit sie in der „Masse im Raum beiderseits Idriza“1070 liegen würde. Für die dritte Phase der Operation war das getrennte Vorgehen der Einsatzgruppen vorgesehen, wobei das Polizeiregiment 9 als Teil der Gruppe „Jeckeln“ den genannten Raum zu durchkämmen hatte. Welchen Charakter dieser geplante Einsatz haben sollte, verdeutlicht eine Anordnung. So hieß es unter dem Schlagwort „Befriedung“, dass die „Räume, in denen Kollektivmaßnahmen ergriffen werden sollen, […] gesondert befohlen“ würden.1071 Am 24. Oktober wurden die Decknamen für das Unternehmen „Heinrich“ ausgegeben, wobei das Dortmunder I./9. die Bezeichnung „Vergissmeinnicht“ erhielt.1072 Ab dem Folgetag gehörte das Polizeiregiment 9 dann zum Abschnitt „Möller“.1073 Binnen vier Tagen schien das Unternehmen sich jedoch aufgrund der allgemeinen Frontlage bereits als strategische Totgeburt zu erweisen. Von dem Bach-Zelewski notierte lakonisch am 29. Oktober in sein Tagebuch: „Beginn des Unternehmens ‚Heinrich‘. Frontdurchbruch bei Newel stellt Unternehmen infrage.“1074 Darüber hinaus schien man insbesondere für die Gruppe „Möller“ ein zu umfangreiches Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung zu befürchten. Die Besorgnis basierte dabei jedoch nicht auf humanitären Überlegungen. Vielmehr sorgte man sich um die lokale Infrastruktur. So seien geschlossene „Ortschaften, die für die Dauer des Unternehmens noch für Unterkunftszwecke erforderlich sind […] nicht abzubrennen, soweit sie an Straßenzügen oder brauchbaren Verbindungswegen liegen“.1075 Während der größte Teil des I./9. im Unternehmen „Heinrich“ eingesetzt wurde, war ein kleines Jagdkommando des Bataillons weiter nördlich bei der 285. Sicherungs-Division geblieben und führte eine am 30. Oktober ereignislos endende Streife von Swatkowo nach Rajkowo aus. Ebenfalls blieb auch das restliche Bataillon im südlichen Großunternehmen vorerst ohne wirklichen Feind-

1070 Planung zum Unternehmen „Heinrich“ vom 16.10.1943 (BA-MA RH 19-II Nr. 178, Bl. 25). 1071 Ebd., Bl. 26. Für das Vorgehen der Gruppe „Jeckeln“ vgl. ebd., Bl. 25. Die Gruppe „Gottberg“ hingegen sollte südlich und südwestlich von Polazk agieren. 1072 Decknamenliste Nr. 1 für Unternehmen „Heinrich“ vom 24.10.1943 (BStU MfS HA XX 5398, Bl. 155 f.). Der Stab des Regiments 9 erhielt den Decknamen „Alaun“. 1073 Für den vorgesehenen Einsatzraum der Gruppe vgl. Befehl für Bereitstellung der Einsatzgruppe Jeckeln vom 25.10.1943 (BStU MfS HA XX 5398, Bl. 157). Als Gefechtstand war für die Gruppe „Möller“ Idriza vorgesehenen. Vgl. ebd., Bl. 159. 1074 Tagebuch des Chefs der Bandenkampfverbände, SS-Obergruppenführer und General der Polizei Erich von dem Bach-Zelewski vom 29.10.1943 (BA R 20 Nr. 45b, Bl. 87). Außerdem vgl. Organisationsbefehl vom 29.10.1943 (BStU MfS HA XX 5398, Bl. 160). 1075 Einsatzbefehl Nr. 1 für Unternehmen „Heinrich“ vom 30.10.1943 (ebd., Bl. 161). Hingegen waren einzelne Gehöfte abzubrennen. Für die geplanten Einsatzorte der Gruppe „Möller“ am ersten Tag nach dem Angriff vgl. ebd., Bl. 162.

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kontakt. Am 2. November wurde notiert: „Angriffsraum ohne Feindwiderstand gesäubert. Dörfer und Gehöfte sind meist von Bewohnern verlassen, Vieh und Lebensmittel abtransportiert. Banden und Bevölkerung sind wahrscheinlich nach Süden abgezogen. Straßen stark vermint, Brücken teilweise zerstört.“1076 Eine Bedrängnis der Anti-Partisanenoperation entstand durch den Druck, welchen die reguläre Rote Armee an deutsche Frontverbände herantrug. Von dem Bach-Zelewski urteilte am 3. November: „Frontlage unschön. Wehrmacht wird von Russen zurückgedrängt oder herausmarschiert.“1077 Spätestens am Tag darauf wurde auch der Einsatz der Dortmunder Polizeieinheit „heiß“. Über die Gruppe „Möller“ hieß es, der Feind weiche „beim Vorgehen weiterhin nach Süden aus“. Es zeige sich jedoch „zunehmender Feindwiderstand“. Welche Bedeutung man den Partisanenverbänden beimaß und welche Größe sie mittlerweile annahmen, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie sich wie reguläre Militäreinheiten in Kolonnen auf der Straße bei Roshnowo bewegten. Dort seien sie beim Rückzug in ein Waldgebiet von der deutschen Luftwaffe angegriffen worden. Dass im Unternehmen „Heinrich“ ferner nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten unterschieden wurde und man gegen diese „mit allen Mitteln“ vorging, macht der restliche Teil der Meldung klar. Dort hieß es: Flüchtende „Banditen in Zivil“ seien von der „Luftwaffe bekämpft“ worden. Jedoch erschwerten die Partisanen im Rahmen ihrer Möglichkeiten das deutsche Vorrücken so gut wie möglich. So wurde beispielsweise östlich des Jassno-Sees eine Brücke gesprengt und auf der östlich davon gelegenen Waldstraße „zahlreiche Baumsperren“ errichtet.1078 Am 9. November legte der Chef der Bandenkampfverbände fest, dass die Kampfgruppe „Jeckeln“ nach Ende des Unternehmens zur 16. Armee abgestellt werden sollte. Dem I./9. wurde befohlen, sich zum Abmarsch bereit zu machen. Es schied damit aus dem Befehlsbereich der 285. Sicherungs-Division aus und gehörte nun auch formell zur Kampfgruppe „Jeckeln“. Am Folgetag wurde

1076 Einsatzbefehl Nr. 2 für die Fortsetzung des Angriffs am 3.11.1943 vom 2.11.1943 (ebd., Bl. 167). Für die Streife des Jagdkommandos vgl. Anlagen Band I zum Kriegstagebuch der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 31.10.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 15, Anlage 119). 1077 Tagebuch des Chefs der Bandenkampfverbände, SS-Obergruppenführer und General der Polizei Erich von dem Bach-Zelewski vom 3.11.1943 (BA R 20 Nr. 45b, Bl. 87). 1078 Einsatzbefehl Nr. 3 für das Vorgehen der Kampfgruppe am 5.11.1943 vom 4.11.1943 (BStU MfS HA XX 5398, Bl. 168). Das weiter nördlich verbliebene Jagdkommando des I./9. wurde unterdessen von „Lubotschasje nach Kr. [Krasnaja] Gory“ verlegt. Vgl. Anlagen Band I zum Kriegstagebuch der 285. Sicherungs-Division: Tagesbefehl vom 4.11.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 15, Anlage 123r). Ferner hätten erstmals auch „bei Tag Partisanen einen deutschen Stützpunkt angegriffen und zwar den Bahnhof Weschki (12 [km] O. [östlich] Karamyschewo).“ Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 4.11.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 14, Bl. 38).

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gemeldet: „Unternehmen ‚Heinrich‘ beendet.“1079 Die spätere an den Reichsführer-SS gesendete Ergebnismeldung summierte über den Erfolg der Operation, bei geringen eigenen Verlusten habe es „5 416 Tote, 46 Erledigte, 136 Gefangene“1080 unter den Feinden gegeben. Dass es sich dabei ausschließlich um Partisanen handelte, ist auszuschließen. Wie groß das völkerrechtswidrige Ausmaß des Unternehmens, an dem auch das Dortmunder Polizeibataillon mitgewirkt hatte, gewesen sein muss, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass es bereits bei den Nürnberger Prozessen 1946 in der eidesstattlichen Erklärung des Generals Horst von Mellenthin zur Sprache kam.1081 Die exzessive Gewalt in der Partisanenbekämpfung, egal ob bei Großaktionen oder bei Einzelunternehmungen, zielte offensichtlich darauf ab, den von den Sicherungs-Divisionen 281 und 285 okkupierten Raum durch Terror zu kontrollieren. Wie kurzsichtig diese Strategie jedoch war, zeigte sich daran, dass man wiederholt korrekt einschätzte, die deutsche Kontrolle sei nur dort gefestigt, wo dauerhaft Truppen eingesetzt bzw. wo größere Operationen erfolgreich waren. Man urteilte, insbesondere die Bewohner der „entlegenen Gebiete“ hätten „mehr Angst vor Banditen, als vor der Wehrmacht“ selbst. Nur so sei „es zu verstehen, dass Dorfälteste erschossen werden mussten, weil sie den Banditen Lebensmittel im Dorfe aufbringen ließen, um sie den Banditen zuzuführen“. Anders als die Deutschen verhielten sich die Partisanen der kooperativen Bevölkerung gegenüber teilweise kulant. So sei es „vorgekommen, dass sie den Landesbewohnern abgeforderte Gegenstände bar bezahlten und ihnen sogar zum Nachweis“1082 beim deutschen Wirtschaftskommando quittierten. Das Ergebnis war, dass die Besatzer schon früh nur in ihrem unmittelbaren Einflussbereich Kontrolle besaßen. Nur „wo die Macht eindeutig bei den

1079 Funkspruch Nr. 665 6:30 Uhr vom 10.11.1943 (BStU MfS HA XX 5398, Bl. 170). 1080 Tagebuch des Chefs der Bandenkampfverbände, SS-Obergruppenführer und General der Polizei Erich von dem Bach-Zelewski vom 9.11.1943 (BA R 20 Nr. 45b, Bl. 89). Auf deutscher Seite zählte man 340 deutsche und 49 „fremdvölkische“ Tote. Weitere 1 463 Deutsche, 72 „Fremdvölkische“ waren verwundet und 63 Deutsche und neun „Fremdvölkische“ galten als vermisst. Für die Entscheidung der Abstellung der Kampfgruppe „Jeckeln“ zur 16. Armee vgl. ebd., Bl. 88. 1081 Er führte jedoch keine genaueren Details aus. Für seine Erklärung vom 1.7.1946 vgl. Dokumentensammlung des MfS (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 3, Bl. 128). 1082 Lageberichte der Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 24.11.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 42, Bl.140). Für die durchaus gegen Zivilisten ausgeübte Gewalt von Partisanen vgl. Alexander Statiev, Soviet Partisan Violence against Soviet Civilians. Targeting Their Own. In: Europe-Asia Studies, 66 (2014) 9, S. 1525–1552. Exemplarisch für die Erkenntnis der deutschen Besatzer, nur dort Kontrolle zu haben, wo Truppen direkt stationiert waren, vgl. Lageberichte der Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 25.1.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 42, Bl. 169); Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Beurteilung der Lage südlich der S-Grenze der Div. vom 27.11.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8). Vgl. LageberichteAbt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 25.7.1943 (BAMA RH 26-285 Nr. 43, Bl. 27).

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deutschen Truppen“ lag, etwa bei „Ortskommandanturen, Stützpunkten und dergleichen“, verhalte „sich die Bevölkerung ausgesprochen loyal“.1083 Entsprechend wurde für die deutschen Truppen angeordnet: „Keiner darf allein den Bereich einer befriedeten Siedlung (Stadt, Dorf) verlassen. Die Banden treiben ihr Unwesen überall, nur die befriedeten Siedlungen bieten Sicherheit.“1084 Ferner erkannte man schon, bevor das I./9. überhaupt nach Russland kam, dass ein Erobern und Besetzen von Dörfern wenig aussichtsreich war, da Partisanen immer wieder an anderen Orten zuschlagen würden. Stattdessen sollte auf nachrichtendienstliche Mittel gesetzt werden, um Informationen über den Gegner zu erhalten. Doch auch dieser Ansatz war nur sehr bedingt von Erfolg gekrönt. Zu gering war der deutsche Einblick in die Operationsplanung der Partisanen. Somit war auch der Grundsatz, man müsse „die Banden jagen und beschäftigen, nicht die Banden uns“,1085 nahezu unerreichbar. Stattdessen liefen Truppen wie die Dortmunder Polizeieinheit ihrem Gegner mehr oder weniger ständig hinterher. Weiter verschärft wurde dies dadurch, dass den rückwärtigen Truppen schlichtweg nicht genügend Kräfte zur Partisanenbekämpfung zur Verfügung standen. Ein Ortskommandeur brachte dies in einem Brief auf den Punkt: „Auch hier rasseln die Meldungen über große feindliche Trupps [durch], aber es wird nichts dagegen unternommen, da keine entsprechenden Truppen zur Verfügung stehen.“1086 Stattdessen übte man massive Gewalt gegen vermeintliche „Partisanenhelfer“ aus, bei denen es sich oftmals um völlig unbeteiligte Zivilisten handelte. Eben diese wurden durchaus auch bei der anderen Hauptverwendung des I./9. in Mitleidenschaft gezogen. Zwar ist der passive Bahnschutz in den Kriegstagebüchern der Sicherungs-Divisionen nicht weiterführend dokumentiert, doch ereigneten sich auch hierbei tödliche Zwischenfälle zwischen Landeseinwohnern und der Besatzungsmacht. Rund um die bewachten Bahnlinien existierte eine Todeszone von 100 Metern auf beiden Seiten, in der auf jede unbekannte Person geschossen wurde. Erst Mitte 1943 wurde angedacht, diese Zone

1083 Ic Erfahrungsberichte der 281. Sicherungs-Division: Erfahrungsbericht des Ic der 281. Sich.Div. vom 31.8.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 14). 1084 Merkblatt für SS- und Polizeikräfte, die im Bereich des Höheren SS- und Polizeiführers Rußland Mitte neu eingesetzt werden von 1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 239). 1085 Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei (Hg.), Bandenbekämpfung 1.9.1942, Berlin 1942, S. 8. Auch als Kopie in: BA R 19 Nr. 318, Bl. 47 und AAN 1335 Nr. 125, Bl. 74r enthalten. Exemplarisch für die geringe Kentniss der Deutschen über ihren Gegner vgl. Ic Aufklärungsergebnisse der 281. Sicherungs-Division über die Leningrader Brigaden (BA-MA RH 26-281 Nr. 15). 1086 Brief von Hauptmann Wilhelm Bühring an Oberstleutnant Hans Oetting vom 31.12.1942 (BA-MA N 13 Nr. 5, unpag.). Für das Reagieren statt Agieren der deutschen Kräfte vgl. Kilian, Wehrmacht, S. 564 f. Für die Nutzung nachrichtendienstlicher Mittel vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 11.7.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 10).

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durch ein Hinweisschild in russischer Sprache kenntlich zu machen. In der Gewaltanwendung gegen Zivilisten und Kombattanten neigten die deutschen Besatzer generell dazu, störende Personen einfach zu „beseitigen“. So hieß es in den Richtlinien für Jagdkommandos im Bereich der Heeresgruppe Nord, wenn bei Einsätzen „das Moment der Überraschung nicht mehr gegeben“ sei, etwa „dadurch, dass zufällig Einwohner auftauchen, so ist der ausgesuchte Platz sofort aufzugeben, wenn die lästigen Zeugen nicht geräuschlos beseitigt werden können“.1087 Auch war es eine gängige Praxis, Zivilisten zu exekutieren, die ohne Pass in einem Partisanengebiet aufgegriffen wurden. Die zu solchen Situationen führende „Durchkämmung eines Waldstückes nach Partisanen oder entsprungenen Verbrechern oder nach Schmugglern“,1088 habe auch die Dortmunder Polizeieinheit „des Öfteren gemacht“.1089 Generell hätten dabei Offiziere ab dem Rang eines Bataillonskommandeurs über das Töten von Zivilisten eigenständig entscheiden dürfen. Gerade bei kleineren Einheiten in der Partisanenbekämpfung sei diese Befugnis aber auch auf niedrigere Offiziersränge übergegangen. Dabei scheint nicht nur die hier untersuchte Polizeieinheit willkürlich getötet zu haben.1090 Unmittelbar nach dem Krieg sagten russische Zeugen aus, dass im Bereich der 281. Sicherungs-Division, wo auch das Dortmunder Bataillon mehrfach eingesetzt war, im Februar 1943 in Goreliki sechs Kinder und Greise lebendig verbrannt worden seien. Im gleichen Monat seien auch 73 Einwohner aus Doroshkowo, 30 aus Utaga sowie 24 aus Samoschtschiza verbrannt worden. Ebenso seien die Deutschen mit sechs Familien in Schwary verfahren. Im Juni des Jahres seien im Dorf Jesenniki alle Bewohner im Alter von 14 bis 50 Jahren verbrannt worden. Im November sollen die Deutschen in Ostrowno neun Ein-

1087 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 der 281. Sicherungs-Division: Richtlinien für Jagdkommandos vom Oberkommando der H.Gr.Nord [Heeresgruppe Nord] vom 5.9.1942 (BA-MA RH 26-281 Nr. 8). Für die Hinweisschilder vgl. Kriegstagebuch Ib Nr. 4 der 285. Sicherungs-Division vom 2.6.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 36, Bl. 34). Exemplarisch für einen Fall von Eigenbeschuss in einer solchen Zone vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 2 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Tagesmeldung vom 1.7.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 10, Anlage 1b). Hierbei gab es einen Toten und drei Verwundete. 1088 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 8.12.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 128, Bl. 20). Für die Alltäglichkeit dieses Vorgehens vgl. Aussage N. N. vom 1.3.1949 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 38, Bl. 114). Es handelt sich um eine deutsche Aussage in sowjetischen Ermittlungsunterlagen. 1089 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 8.12.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 128, Bl. 21). 1090 Für die Befugnis von Offizieren, über die Tötung von Partisanen entscheiden zu dürfen, vgl. Aussage Ernst Sittig, o. D. [vermutlich im April 1948] (AIFZ ZS 1616 Nr. 1, Bl. 4 f.). Sittig war ehemaliger Ic-A.O. [3. Generalstabsoffizier im Armee Oberkommando] beim Befehlshaber Rückwärtiges Heeresgebiet Nord. Ferner vgl. Manuskript von Franz von Roques von 1951 (BA-MA N 153 Nr. 32, Bl. 23).

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wohner in einer Scheune verbrannt haben. Im gleichen Monat schrieb man den Besatzern die Tötung von zehn Greisen und Kleinkindern in Goreliki und 23 weiteren Personen in Mini-Stan zu. Anfang 1944 seien schließlich die Einwohner der Dörfer des Dorfsowjets Nowy, insgesamt 75 Menschen, auf freiem Feld erschossen worden.1091 Die Feldkommandanturen setzten aber nicht nur die ihnen zur Verfügung stehenden Einheiten ein, um Partisanen und deren vermeintliche Unterstützer direkt zu töten. Man versuchte auch, irreguläre Kämpfer durch perfide Täuschung in die Falle zu locken. So kommunizierte ein Flugblatt, man würde Partisanen im Falle einer Kapitulation wie reguläre Soldaten als ordentliche Kriegsgefangene behandeln. Während schon die angeschlossene Behauptung, den über eine Millionen Rotarmisten ginge es in deutschen Gefangenenlagern gut, nicht der Wahrheit entsprach, so macht eine Anordnung zur „Behandlung der in den Bandenkämpfen gemachten männlichen Gefangenen“ vom Oktober 1943 dies noch deutlicher. Es hieß, gefangene Partisanen seien „sonderzubehandeln“,1092 also zu töten. Dabei war aber eine gewisse Begrenzung vorgesehen. So hieß es: „Vergeltungsmaßnahmen für unaufgeklärte Überfälle, Gewalttaten usw. rechtfertigen sich nur in Fällen, in denen ein subjektives Zusammenwirken der Bevölkerung mit der Bande festgestellt ist.“1093 Die Gewaltanwendung der Dortmunder Polizeieinheit erstreckte sich aber oftmals nicht nur auf das Töten von Landeseinwohnern. Ein Hauptmann des Bataillons sagte nach dem Krieg aus, bei den typischen Aktionen gegen angebliche Unterstützer von Partisanen sei nicht nur „die männliche Bevölkerung zu erschießen“ gewesen, sondern auch „das Dorf abzubrennen“,1094 aus dem diese kamen. Generell war es Einsatzdoktrin, „Bauwerke, Hütten usw., welche Unterschlupf gewähren können“ während „gelegentlicher Streifzüge zu vernichten“.1095 Jedoch sollte dies, wie für den Einsatz des I./9. mit der Gruppe „Möller“ schon beschrieben, nur insofern geschehen, als dass daraus den deutschen Truppen kein späteres Infrastrukturproblem entstand. Insbesondere für die 2. Kompanie des Dortmunder Bataillons ist dokumentiert, dass sie weit darüber hinausging. So verbrannten deren Polizisten nicht nur die erwähnten zwei

1091 Akte der Idrizer Rayonkommission zur Feststellung und Untersuchung von Gräueltaten deutsch-faschistischer Eroberer und deren Helfershelfer, o. D. (BStU MfS HA IX 22550, Bl. 219 f.). 1092 Sicherheitspolizeiliche Behandlung der in den Bandenkämpfen gemachten männlichen Gefangenen vom 6.10.1943 (BA R 70 Sowjetunion Nr. 150, Bl. 9). Für das Flugblatt vgl. An Partisanen gerichtetes Flugblatt, o. D. (BA-MA MSG 2 Nr. 14130, unpag.) 1093 Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Bandenbekämpfung (1942), S. 18. 1094 Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 74r). 1095 Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Bandenbekämpfung (1942), S. 14.

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exakt dokumentierten Orte südwestlich von Kudewer. Vielmehr gestand der Polizeireservist Sippel nach dem Krieg ein, dass die Einheit unter der Führung von Hauptmann Wannemacher „über einen Raum von 500 Kilometern Dörfer in Brand gesetzt“ habe.1096 Eigentlich sollte dabei die lokale Bevölkerung möglichst geschont werden. Statt sie, wie oftmals geschehen, zu töten, sollte sie stattdessen zum Arbeitseinsatz deportiert werden. Für das an das Operationsgebiet der 281. SicherungsDivision grenzende weißrussische Gebiet wurde beispielsweise „nachdrücklichst nochmals auf folgendes“ hingewiesen: „Das Abbrennen von Dörfern und einzelnen Häusern hat zu unterbleiben.“1097 Deportationen und nicht Liquidierungen sollten der Regelfall sein. Wenn dennoch Tötungen vorgenommen wurden, so hätten deren Gründe für die lokale Bevölkerung nachvollziehbar zu sein. Basierend auf „einer neuen Führer-Entscheidung“ sollten ab Juli 1943 im „Bandenkampf“ gemachte Gefangene wie Kriegsgefangene behandelt und in Stalags überstellt werden. Von dort sollten „sie zum Arbeitseinsatz kommen“.1098 Auch sollte im rückwärtigen Heeresgebiet „alle entbehrliche und arbeitsfähige Bevölkerung zunächst einmal gefangen genommen“ werden, um „dann nach Deutschland als Arbeiter in Marsch gesetzt zu werden“.1099 Am systematischen Verschleppen von Zwangsarbeitern hatte auch das Dortmunder Polizeibataillon nicht nur am bereits erwähnten Unternehmen „Fischzug“ teilgenommen. Generell scheint man sich in der deutschen Führung bewusst gewesen zu sein, wie problembehaftet das harte Vorgehen von Einheiten wie dem I./9. für die Besatzungsherrschaft war. „Die Beunruhigung der Bevölkerung“ habe „durch das Abbrennen der Dörfer stark zugenommen. Sie sieht sich durch die

1096 Vermerk über die Vernehmung von Anton Sippel vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 52). Ebenso vgl. Aussage Anton Sippel vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 44). Gemeint waren aber wohl eher 500 Quadratkilometer, da sonst der Einsatzraum unrealistisch groß gewesen wäre. Für die erwähnten zwei Dörfer südwestlich von Kudewer vgl. Kommandierender Gen. d. Sicherungstruppen u. Befehlshaber im Heeresgebiet Nord, Anlagen zum Kriegstagebuch, Sondermappe Ia/Ic-Tagesmeldungen: Ia-Tagesmeldung vom 5.2.1943 (BA-MA RH 22 Nr. 268, Bl. 74). Für die Sorge um die Infrastruktur vgl. Einsatzbefehl Nr. 1 für Unternehmen „Heinrich“ vom 30.10.1943 (BStU MfS HA XX 5398, Bl. 161). 1097 Kommandeur der SiPo und des SD Weißruthenien an alle Einsatzkommandos betr.: Abbrennen von Dörfern und Sonderbehandlungen vom 11.5.1943 (BStU MfS HA IX 22206, Bl. 5). Ganz ähnlich, nur bezogen auf die Ukraine, vgl. Befehl des SS- und Polizeiführers Otto Hellwig im Generalkommissariat Shitomir zum Vorgehen bei der Vernichtung von Dörfern vom 27.1.1943 (BA R 19 Nr. 319, Bl. 58). 1098 Behandlung im Bandenkampf Gefangener vom 23.7.1943 (BAR 70 Sowjetunion Nr. 50, Bl. 1256). Zur Notwendigkeit, den Arbeiterbedarf durch Gefangene zu decken, vgl. Behandlung im Bandenkampf Gefangener vom 23.7.1943 (BA R 70 Sowjetunion Nr. 150, Bl. 1). 1099 Befehl Himmlers an die HSSPF in den besetzten sowjetischen Gebieten vom 30.10.1942 (NS 19 Nr. 1432, Bl. 32).

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Maßnahmen um ihre Existenzgrundlage gebracht.“1100 Dies führe zu einer Annäherung an die Partisanen. Teilweise seien deswegen schon „Landeseinwohner endgültig zu den Banditen übergegangen“.1101 Generell scheint man aber über die relativ autark agierenden Einheiten wie das I./9. nur bedingt Kontrolle gehabt zu haben. Schon im Februar 1943 sah man sich bei der 281. SicherungsDivision deswegen veranlasst, „erneut darauf hinzuweisen, dass das Vertrauen der Bevölkerung nicht durch unüberlegte Maßnahmen und ungerechte Strafen erschüttert werden darf. Kollektivmaßnahmen gegen Dörfer, insbesondere die Einäscherung ganzer Ortschaften, sind nur nach gewissenhafter Prüfung durchzuführen und auf die Fälle zu beschränken, in denen Einwohner die Banden nachweislich freiwillig unterstützt haben.“ Man könne „es nicht billigen, dass, wie in einem Fall, über 200 Landeseinwohner, darunter Frauen und Kinder, kurzerhand erschossen und ihre Dörfer eingeäschert“ werden.1102 Dies weist auf eine besondere Dimension im Verhalten von Einheiten in der Partisanenbekämpfung hin. Sie wendeten selbst nach NS-Maßstäben Gewalt in einem illegitimen Umfang an. Zwar galt für die Partisanenbekämpfung, richtig handele, „wer unter vollkommener Hintenansetzung etwaiger persönlicher Gefühlsanwandlungen rücksichtslos und unbarmherzig zupackt“.1103 Auch verstehe es sich von selbst, dass die Vernehmung von irregulären Kämpfern, „wenn erforderlich mit den brutalsten Mitteln durchgeführt werden“ müsse.1104 Man teilte mit: „Der Tod allein“ bedeutete „dem Slaven in seiner Sturheit nichts; er“ rechne „von vornherein mit ihm. Hingegen fürchtet er Schläge; er fürchtet aber auch Vergeltungsmaßnahmen gegen seine Sippe. Diese Möglichkeiten“ seien „konsequent zu erschöpfen“.1105 Dennoch war auch geregelt, dass „Bandenmitglieder erst erschossen werden, wenn sie eingehend vernommen worden sind“.1106 Bis dahin sollten sie „durch geradezu kavaliermäßige Behandlung überrascht“ werden. So sollten ihnen z. B. aus Kulanz „Zigaretten, Schnaps, gut zu essen usw.“1107 geboten werden. Davon wich die Praxis innerhalb des I./9. offenbar diametral ab. Nach dem Krieg berichtete ein Bataillonsangehöriger exemplarisch über das Verhalten des Chefs der 1. Kompanie:

1100 Lageberichte Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 27.11.1943 (BAMA RH 26-285 Nr. 43, Bl. 84). 1101 Ebd., Bl. 85. 1102 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division: Kollektivmaßnahmen gegen Dörfer und Behandlung der Bevölkerung, Bezug: Kampfanweisungen für die Bandenbekämpfung im Osten vom 21.2.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 10). 1103 Richtlinien für Partisanenbekämpfung vom 17.11.1941 (BA R 19 Nr. 318, Bl. 23–30, hier insbesondere 26). 1104 Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Bandenbekämpfung (1942), S. 11. 1105 Ebd., S. 12. 1106 Ebd., S. 11. 1107 Ebd., S. 12.

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„Als mal ein Partisan dem Hauptmann Mehr vorgeführt wurde, der noch Eier-Handgranaten bei sich hatte, wurde der Partisan durch Hauptmann Mehr mit einem Knüppel bearbeitet, bis dieser bewusstlos wurde. Hauptmann Mehr schlug dem Partisanen mit dem Knüppel auf den Kopf, bis dieser zusammenbrach, dann wurde er mit Wasser übergossen, bis er zu sich kam, und das Ganze ging von neuem los. Ich bin dann weggegangen, weil ich dieses nicht mehr ansehen konnte.“1108

Generell kam eine nach Kriegsrecht illegitime Behandlung der Zivilbevölkerung im Einsatzbereich der Dortmunder Polizeieinheit häufig vor. So hätten laut russischen Zeugen im Juni 1943 „deutsche Soldaten der 281. Sicherungs-Division etwa 30 Einwohner der Dörfer Saliwiza und Nowiny über Minenfelder gejagt und gezwungen, Eggen hinter sich herzuziehen, um die Wege von Minen zu säubern“.1109 Auch sei es im Bereich der Division zu häufigen Misshandlungen von Zivilisten gekommen. Die „deutschen Soldaten der 281. Sicherungs-Division machten sich ständig über die Einwohner des Radionowsker und Maksjutinsker Dorfsowjets lustig, schlugen sie grundlos und folterten sie auf alle möglichen Arten“.1110 Auch zeigten die Sicherungskräfte Verhaltensweisen, die für das I./9. schon bei dessen Einsätzen als Wachen des Warschauer Ghettos sowie im „Warthegau“ alltäglich gewesen waren. So wurde von der Führung der 281. Sicherungs-Division „in Erfahrung gebracht, dass Beutestücke (Gold, Schmuckstücke, Uhren, Ringe), die bei den Banditen gefunden wurden, von der Truppe behalten oder auf die Einheit verteilt worden sind“. Dies sei „eines deutschen Soldaten unwürdig“. Beutegut sei „sofort auf dem Dienstweg an die vorgesetzte Dienststelle zur Weiterleitung abzugeben“.1111 In der Dortmunder Polizeieinheit praktizierte man aber weiterhin das Gegenteil. So berichtete Schellenberger, er habe für den Spieß der 1. Kompanie des I./9., wie schon in Warschau, Pakete mit gestohlenen Waren nach Hause bringen müssen und auch der Kompaniechef Mehr habe Diebesgut verschickt.1112 Insbesondere richtete sich das Verhalten der deutschen Besatzer auch gegen weibliche Zivilisten, die man oftmals als eine Form privater Beute ansah. Beispielsweise für den Raum Idriza, in dem auch das I./9. operierte, hieß es retrospektiv: „Gewalt gegen Frauen nahm Massencharakter an.“1113 Auch bei

1108 Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 48). 1109 Akte der Idrizer Rayonkommission zur Feststellung und Untersuchung von Gräueltaten deutsch-faschistischer Eroberer und deren Helfershelfer, o. D. (BStU MfS HA IX 22550, Bl. 224). 1110 Ebd., Bl. 217. 1111 Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 3 der 281. Sicherungs-Division: Divisionsbefehl vom 23.6.1943 (BA-MA RH 26-281 Nr. 10). Für den Vorwurf, Anton Sippel vom Bataillon 61 habe in Russland geplündert, vgl. Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 152). 1112 Vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 60). 1113 Akte der Idrizer Rayonkommission zur Feststellung und Untersuchung von Gräueltaten deutsch-faschistischer Eroberer und deren Helfershelfer, o. D. (BStU MfS HA IX 22550, Bl. 220).

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der nördlicher gelegenen 285. Sicherungs-Division, der ebenfalls Teile des I./9. länger angehörten, sah man sich schon 1942 gezwungen, die Truppe ermahnend daran zu erinnern, das „Ehrgefühl russischer Frauen und Mädchen“1114 zu achten. Dies weist auf häufige sexuelle Gewalt hin, über die auch zahlreiche Zeugen nach dem Krieg berichteten. So wurde etwa beschrieben, wie sieben Soldaten nachts eine Frau verprügelten. „Durch die ihr zugefügten Schläge verlor die Nianenok das Bewusstsein, danach wurde sie vergewaltigt.“ In einem anderen Fall sei eine „Strafabteilung der Deutschen“ in ein Dorf eingedrungen. Eine Zeugin beschrieb: „In unsere Wohnung kamen 2 Deutsche, befahlen mir, mich anzuziehen und mit ihnen in die Scheune wegen Heu für die Pferde zu gehen. Sobald ich in der Scheune mit ihnen angekommen war, wurde ich gepackt, mir wurde der Mund zugebunden und ich wurde ungeachtet meines Widerstandes vergewaltigt.“1115 Weitere solcher Beispiele ließen sich noch nennen. Inwiefern die Männer des Dortmunder Polizeibataillons in Russland, wie schon zuvor in Polen, in solche Handlungen verwickelt waren, lässt sich anhand der russischen Zeugen­ aussagen aber nicht exakt bestimmen. Jedoch ist auffällig, dass die Männer der Polizeieinheit, dort wo sie ihren Alltag mit Fotografien dokumentierten, russische Frauen und Mädchen ablichteten. Insbesondere auf gemeinsamen Fotos von Bataillonsangehörigen mit weiblichen Landeseinwohnern zeigen deren Gesichter Angst und Verzweiflung über die offensichtlich erzwungene Situation. Sofern man dies überhaupt aus dem Gesichtsausdruck der Frauen ablesen kann, scheinen sie sich der immensen Bedrohungslage, die die Polizisten für sie bedeuteten, bewusst gewesen zu sein.1116 Mit dem Ende des Großunternehmens „Heinrich“ im November 1943 war für das Dortmunder Polizeibataillon auch seine Verwendung als rückwärtige Sicherungseinheit und das beschriebene Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung beendet. Statt der „Räumung und Säuberung der Gebiete von Feindresten, Bekämpfung verbrecherischer, vor allem politischer Elemente, der Sicherung der Rollbahnen, dem Transport von Gefangenen, Sicherstellung der Landwirtschafts- und Industrieanlagen und der Befriedung der Zivilbevölkerung“1117 standen für das I./9. nun ab November 1943 Einsätze im direkten Frontbereich der Heeresgruppe Nord an. Dort hatte sich am 12. November zwischen dem

1114 Geheimverfügungen Abt. VII der 285. Sicherungs-Division vom 10.5.1942 (BA-MA RH 26-285 Nr. 44, Bl. 14). 1115 Akte der Idrizer Rayonkommission zur Feststellung und Untersuchung von Gräueltaten deutsch-faschistischer Eroberer und deren Helfershelfer, o. D. (BStU MfS HA IX 22550, Bl. 220). 1116 Vgl. exemplarisch die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 289. 1117 Dienstbesprechung der Befehlshaber und Inspekteure im Januar 1943 in Berlin. Bericht des Chefs der Ordnungspolizei, SS-Oberst-Gruppenführer und General­oberst Daluege über den Kräfte- und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei im Kriegsjahr 1942 vom 7.2.1943 (BA R 19 Nr. 336, Bl. 6).

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Newero-See und dem Jassno-See „die Polizei in die Abwehr drängen lassen.“ Am späten Nachmittag des 14. Novembers hieß es dann: „Die Lage bei der Polizei zwischen Punkt 170.0 und Poddatscha ist noch nicht genügend geklärt, angeblich sollen hier noch zwei Bataillone des SS-Polizeiregiments 26 stehen. In Zuführung“1118 befänden sich deshalb die Einheiten des Polizeiregiments 9. Am Folgetag hieß es, „die Lücke zwischen Beresno-See und der früheren Hauptkampflinie bei Ssuchobokowo“ sei durch ein Bataillon des Polizeiregiments 9 „notdürftig geschlossen. Zwei weitere Bataillone der Einheit seien aber „bisher noch nicht eingetroffen.“1119 Nur noch selten wurde im Folgenden das Dortmunder Bataillon explizit erwähnt. Zumeist wird, wenn überhaupt noch stark lückenhafte Unterlagen vorhanden sind, die Gruppe „Jeckeln“, zu der es gehörte, angeführt. Als Einsatzorte des I./9. finden sich dennoch noch einmal für den 15. November die Höhe 167 und am 19. November die Höhe 192,7. Beide sollen südlich von Sheglovo gelegen haben. Am 24. November soll die Polizeieinheit einen Angriff auf Podretschje unternommen haben. Aus der Urkunde zur Nahkampfspange eines Polizisten des I./9. geht ferner hervor, dass die Einheit am 29. November bei Waschenina ihren Feind im unmittelbaren Nahkampf begegnete.1120 Mitte Dezember wurde für die Gruppe „Jeckeln“ festgehalten, neue Regimenter sollten „auf dem Nordflügel die Polizeiregimenter herauslösen“.1121 Diese Einheiten holten nun die lokalen Verhältnisse ein, die sie selbst mit geschaffen hatten. „Alle Dörfer“ und damit die Unterkunftsmöglichkeiten von Idriza bis zur Heeresgruppengrenze waren „bei den früheren Bandenunternehmungen

1118 Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 2 vom 14.11.1943, 16:50 Uhr (BA-MA RH 2016 Nr. 269, Bl. 144). 1119 Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 2 vom 15.11.1943, 16:50 Uhr (ebd., Bl. 147). Der Feind brach dann auch an einigen Stellen durch die Frontline. Vgl. ebd., Bl. 148. Hierbei handelt es sich um die letzte Meldung, in der explizit das Polizeiregiment 9 erwähnt wird. Ab dem 1. Dezember 1943 wird dann nur noch die Gruppe „Jeckeln“ genannt. Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 3 (BA-MA RH 20-16 Nr. 270, Bl. 27–107). 1120 Vgl. Ewald Roth Nahkampfspangen Besitzurkunde der Stufe 2 vom 2.10.1944 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 268, unpag.). Der Polizist erhielt einen Nahkampftag in Waschenina am 29.11.1943 eingetragen. Für den Angriff auf Podretschje vgl. Antrag auf Verleihung des Infanterie-Sturmabzeichens an Hauptmann Mathias Willms aus dem I./9. vom 25.5.1944 (BStU MfS HA IX/11 21355, Bl. 96). Für eine kursorische Erwähnung des Einsatzes bei Sheglovo vgl. Kärgel, Einsatz (1957), S. 214. Dort ist jedoch ungenau von einem „Kampfabschnitt Schoglowo“ die Rede. Dies wurde einfach übernommen bei Klemp, Freispruch, S.64; Curilla, Ordnungspolizei, S. 715. 1121 Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 3 vom 13.12.1943 (BA-MA RH 20-16 Nr. 270), Bl. 44. Schon vier Tage zuvor hieß es, Jeckeln solle als Unterstützung 3 000 estnische Kräfte erhalten. Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 3 vom 9.12.1943, 12:30 Uhr (BA-MA RH 20-16 Nr. 270, Bl. 27).

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abgebrannt“.1122 Offenkundig war auch das jüngst abgeschlossene Unternehmen „Heinrich“ wenig erfolgreich gewesen, auch wenn von dem Bach-Zelewski dem Reichsführer-SS in einem Weihnachtsgruß schrieb, es habe ihn „mit manchem Rückschlag in der Bandenbekämpfung ausgesöhnt“.1123 Tatsächlich war die Lage im Bereich der „Bandenrepublik Rossono“1124 nun aber erneut desolat. Die dortigen Verhältnisse seien „vollkommen unübersichtlich“. Da sich die „zum Bandenkampf vorgesehenen Polizeiverbände“ im Fronteinsatz befänden, verhindere dies „eine weitere gewaltsame Aufklärung“. Es sei „bisher ungeklärt, wieweit die nunmehr geglückte Verbindungsaufnahme der Banden mit der Roten Armee gediehen“ wäre.1125 Bevor die Gruppe „Jeckeln“ aus der Hauptkampflinie gezogen wurde, fuhr der Chef der Bandenkampfverbände am Vormittag des 25. Dezembers an die Front in die „vorderste Stellung“1126 des Polizeiregiments 9, wohl um sich dort selbst ein Bild der Lage zu machen. Wann genau und wie die Dortmunder Polizeieinheit ihre dortige Stellung verließ, ist nicht dokumentiert. Jedoch hieß es am 29. Dezember, „auch der Abzug der Gruppe Jeckeln und der estnischen Brigade“ bedeute „eine nicht unwesentliche Schwächung“1127 des rechten Flügels der Heeresgruppe Nord. Am gleichen Tag kam es zu einem erneuten Rückzug, der verbunden war mit dem Zerstören von Brunnen, Mühlsteinen und dergleichen. Zwei Tage später sah man bei der 285. Sicherungs-Division die Schaffung einer 8 Kilometer breiten toten Zone, durch Zerstörung aller Ortschaften, vor. Das Kriegstagebuch der Division unterstreicht für das Ende des Jahres 1943, dass den Deutschen auch im rückwärtigen Gebiet völlig die Kontrolle entglitten war. Partisanen operierten fast völlig ungestört im Rücken der Front und griffen sogar bei Tag an. Die Bevölkerung floh, deutsche Truppen waren kaum vorhanden und manche Gebiete waren komplett in der Hand von Partisanen.1128

1122 Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 3 vom 17.12.1943, 10:30 Uhr (BA-MA RH 20-16 Nr. 270, Bl. 59). Daneben wurden auch noch Schwierigkeiten durch das unwegsame Gelände vermerkt. Auch am 23.12. und 27.12. kamen die Unterbringungsschwierigkeiten durch verbrannte Dörfer nochmals zur Sprache. Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 3 vom 23.12.1943 (BA-MA RH 20-16 Nr. 270, Bl. 87); Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 3 vom 27.12.1943 (BA-MA RH 20-16 Nr. 270, Bl. 100). 1123 Weihnachtsgrüße von Erich von dem Bach Zalewski an den RFSS vom 22.12.1943 (BA R 19 Nr. 318, Bl. 97). 1124 Tagebuch des Chefs der Bandenkampfverbände, SS-Obergruppenführer und General der Polizei Erich von dem Bach-Zelewski vom 19.12.1943 (BA R 20 Nr. 45b, Bl. 90). 1125 Ebd., S. 91. 1126 Tagebuch des Chefs der Bandenkampfverbände, SS-Obergruppenführer und General der Polizei Erich von dem Bach-Zelewski vom 25.12.1943 (BA R 20 Nr. 45b, Bl. 91). 1127 Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 3 vom 29.12.1943 (BA-MA RH 20-16 Nr. 270, Bl. 106 f.). 1128 Vgl. Lageberichte Abt. VII der 285. Sicherungs-Division: Lagebericht vom 2.1.1944 (BA-MA RH 26-285 Nr. 43, Bl. 94); Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil II der 285. Sicherungs-Division vom 31.12.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 14, Bl. 48). Ab Januar 1944

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Für den 12. und 13. Januar 1944 sind noch einmal Nahkampftage des I./9. südöstlich des Swiblo-Sees sowie auf der Höhe 167 bei Sheglovo vermerkt. Hier versagten die Polizisten im Einsatz gegen die Rote Armee. So hieß es, dass am 12. Januar deren Angriff „nur zum Einbruch führte, weil die Polizeikräfte der Gruppe Jeckeln nicht genügend standhielten“.1129 Darüber hinaus meldete man den Einbruch von Kräften, die durch Panzer unterstützt würden, „auf voller Breite“ zwischen dem Gussino-See und Waschenia. Am Folgetag war die Beurteilung der Polizisten erneut negativ. Nach Meinung des Chefs des deutschen VIII. Armeekorps kamen die sowjetischen Erfolge, „trotz verhältnismäßig geringem Kräfteeinsatz des Gegners“ zustande. Was „nur in der anhaltenden schwachen Widerstandskraft der Polizeiverbände begründet“1130 sein konnte. Am 14. Januar gerieten die Männer im „Einbruchsraum der Gruppe Jeckeln“ erneut unter „Druck des Gegners“.1131 Hierbei verlor man u. a. die Kontrolle über die am Nordrand des Swiblo-Sees gelegene Halbinsel. Offenbar wurde die Lage immer aussichtsloser. „Gedanklich werde man sich“, so die Meldung von Jeckeln, „auf ein vielleicht erforderlich werdendes Ausweichen einstellen müssen.“1132 Noch am gleichen Tag brach der Feind erneut in die Sicherungslinie ein und ein Angriff zur Wiedergewinnung der Halbinsel durch das II. Bataillon des Grenadier Regiments 485 und des I./9., ausgehend von Wanki in Richtung Süden, blieb schon nach kurzer Zeit in Nahkämpfen stecken. Am 15. Januar befanden sich Teile des Dortmunder Polizeibataillons südöstlich von Wanki noch immer im Nahkampf, wobei während eines von ihm geführten Angriffs der Chef der 1. Kompanie, Mehr, fiel. An den beiden folgenden Tagen wurden Nahkampftage beim in unmittelbarer Nähe liegenden Ort Starizy vermerkt.1133

bestehen keine weiteren derartigen Berichte mehr. Für die geplante tote Zone vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ib Nr. 5 Allgemeine Serie der 285. Sicherungs-Division vom 31.12.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 40, Anlage 175). Für das Zerstören von Versorgungseinrichtungen vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VII, Band 3 vom 29.12.1943 (BA-MA RH 20-16 Nr. 270, Bl. 106). 1129 Ereignismeldung der KG [Kampfgruppe] Jeckeln vom 12.1.1944, 15:20 Uhr (BA-MA N 756 Nr. 226b, Bl. 47). Für die Nahkampftage bei Sheglovo vgl. Ewald Roth Nahkampfspangen Besitzurkunde der Stufe 2 vom 2.10.1944 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 268, unpag.). Dort sind Nahkampftage am 12.1.1944 südöstlich des Swiblo-Sees und am 13.1.1944 auf der Höhe 167 bei Sheglovo vermerkt. Ebenso für den Fronteinsatz des I./9. am Swiblo-See vgl. Aussage Erich Tiemann vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 20). 1130 Ereignismeldung der KG Jeckeln vom 13.1.1944, 17:50 Uhr (BA-MA N 756 Nr. 226b, Bl. 54). Für den Durchbruch sowjetischer Verbände mit Panzerunterstützung vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VIII, Band 12 vom 12.1.1944 (BA-MA RH 20-16 Nr. 367, Bl. 65). 1131 Ereignismeldung der KG Jeckeln vom 14.1.1944, 7:20 Uhr (BA-MA N 756 Nr. 226b, Bl. 58). 1132 Ebd., 11:50 Uhr, Bl. 59. Am Abend wurde dies bewilligt. Vgl. ebd., 18:25 Uhr, Bl. 59. 1133 Für die Nahkampftage, insbesondere am 15.1.1944 vgl. Wilhelm Ködding Nahkampfspangen Antrag vom 6.12.1944 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 268, unpag.). Für Mehrs

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Am 17. Januar erging von der Heeresgruppe Nord die Order, „die Reste der ehemaligen Gruppe Jeckeln allmählich heraus[zu]lösen und als Arbeitskräfte zum Ausbau einer späteren zur Einsparung von Kräften zu beziehenden neuen Stellung zwischen Neschtscherdo-See und Alexandrowo zu verwenden“.1134 Erneut ist unklar, wann und wo das I./9. abgezogen und eingesetzt wurde. In einer Nachkriegspublikation heißt es: „Mehrmals muss es erfahren, dass es vergessen wird, denn die Befehlsübermittlung versagt oft.“1135 Tatsächlich überliefert ist erst wieder ein Tagesbefehl des Bataillonskommandeurs vom 8. März 1944. In diesem führt er aus, dass die 263. Infanteriedivision am 1. und 2. März im Wehrmachtsbericht genannt worden sei. Zur Motivation seiner in prekärer Lage eingesetzten Männer führte er aus: „Auch wir haben, der 263. Infanteriedivision unterstellt, an diesem Erfolg beträchtlichen Anteil. An einem der Brennpunkte dieser Abwehrschlacht eingesetzt, haben wir trotz des langen vorbereitenden feindlichen schweren Artillerie-, Panzerabwehrkanonen- und Granatwerferfeuers die gegen unseren Abschnitt stürmende feindliche Infanterie blutig und mit hohen Verlusten abgeschlagen und die Hauptkampflinie immer und an jeder Stelle fest in unserer Hand behalten. Das gefrorene Sumpfgelände gestattete an keiner Stelle einen Spatenstich in die Erde zu gehen. Die offenen aufgesetzten Kampfstände, die in den ersten Stunden der Abwehrschlacht von den feindlichen schweren Waffen zerschlagen wurden, mussten verlassen werden. Im offenen Gelände kämpfend und ungeachtet der dicht an dicht einschlagenden Geschosse aller feindlichen schweren Waffen; der zahlreichen Baumkrepierer und der hierdurch entstandenen eigenen hohen Verluste muss eure Standhaftigkeit und der hierdurch bedingte Abwehrerfolg als eine Tat großer Tapferkeit gewertet werden. Die harten Kämpfe haben das stolze Gefühl unserer Überlegenheit über den zahlenmäßig stärkeren Feind nur noch zu steigern vermocht.“1136

Erneut verliert sich danach die Spur des Dortmunder Bataillons für mehrere Wochen. Folgt man den ansonsten nicht sehr akkuraten Schilderungen von Kärgel, so erhielt die Polizeieinheit im Mai eine Ruhepause zur Auffrischung ihres Personalbestandes in Dünaburg/Daugavpils. Erst am 18. Mai wurde das Polizeiregiment 9 wieder in offiziellen Dokumenten erwähnt. Bei Wilna/ ­Vilnius wurde es mit starken Partisanenaktivitäten konfrontiert. Sein Auftrag

Tod bei seinem selbstgeführten Angriff vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 239r). Klippert gab jedoch fälschlicherweise an, dieser Angriff habe noch 1943 stattgefunden. Dass Mehr am 15.1.1944 fiel, zeigen die Daten seiner postumen Beförderung zum Sturmbannführer. Vgl. Akte Erich Mehr (BA R 9361 SSO 305, Bl. 839); sowie seine postume Beförderung zum Major der Schutzpolizei am 21.7.1944 (ebd., Bl. 841). Für das vorangegangene Steckenbleiben der Truppe bei Wanki am 14.1.1944 vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ia Nr. 5, Teil VIII, Band 12 vom 14.1.1944 (BA-MA RH 20-16 Nr. 367, Bl. 77 f.). Für den Nahkampf am 14.1.1944 südöstlich von Wanki vgl. Ewald Roth Nahkampfspangen Besitzurkunde der Stufe 2 vom 2.10.1944 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 268, unpag.). 1134 Ereignismeldung der KG Jeckeln vom 17.1.1944, 17:40 Uhr (BA-MA N 756 Nr. 226b, Bl. 85). 1135 Kärgel, Einsatz (1957), S. 214. 1136 Auszug aus Tagesbefehl Nr. 2 vom 8.3.1944 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 263, unpag.).

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war die „Überwachung der Tätigkeit der polnischen Banden und Verhinderung von Ausschreitungen dieser Banden“.1137 Im Juni 1944 führte das Dortmunder Bataillon noch eine letzte dokumentierte Aktion durch. Auf einer Straße im Umland von Vilnius ereignete sich ein Partisanenüberfall auf deutsche Kräfte. Deswegen wurde von Oberleutnant Ackermann „ein in der Nähe der Überfallstelle gelegenes Dorf, […] in Brand“ gesteckt. Es hieß, die dortige Bevölkerung war „zu erschießen und Vieh zu beschlagnahmen“.1138 In der ersten Junihälfte 1944 hieß es nur noch lakonisch, I./9. „gegen Rote Armee eingesetzt“.1139 Am 15. Juni wurde das mittlerweile mit minimaler Einsatzstärke agierende Bataillon aufgelöst. Es hatte zuletzt kaum noch Kompaniestärke. Spätestens seit März 1943 war Personalersatz für Polizeitruppen fast nicht mehr vorhanden. Mannschaften und Gerät des I./9. kamen nun zum ersten Bataillon des SS-Polizeiregiments 16, um an der Verteidigung der Stadt Vilnius mitzuwirken. Für das Dortmunder Bataillon hieß es nur noch: „Die Kriegstagebücher sind abzuschließen“.1140 5.

Epilog: Über das Ende hinaus

Bei Wilna gelang es dem ehemaligen Adjutanten des Dortmunder Polizeibataillons, Ackermann, noch für das Eiserne Kreuz vorgeschlagen zu werden. Er habe „am 8.7.44 in Wilna im Abschnitt nördlich der Wilnja zurückflutende Soldaten“ zusammengerafft und den „Gegner aus eingebrochener Stellung“ verdrängt. Am gleichen Tag soll er, „indem er allein mit einem Krad in ein vom Feind schon besetztes Gelände vorstieß, das Überschreiten der grünen Brücke in Wilna durch feindliche Panzer“ verhindert haben. Am 9. und 10. Juli habe er

1137 Neuaufteilung der Polizeikräfte im Raume Wilna-Land vom 18.5.1944 (BStU MfS HA XX 5398, Bl. 67). Das Polizeiregiment 9 sollte Litauische Schutzmannschaften ersetzen, die nach Westen verlegt wurden. Für die Ruhepause in Daugavpils vgl. Kärgel, Einsatz (1957), S. 214. 1138 Aussage N.N. vom 1.3.1949 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 38, Bl. 116). 1139 Ermittlungskartei des MfS gegen das 16. Pol.Reg. (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 35, Bl. 825). 1140 Auflösung des SS-Pol.Reg. 9 vom 9.6.1944 (BA R 19 Nr. 329, Bl. 67r). Ferner vgl. Aussage Anton Anker vom 24.9.1947 (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 8, Bl. 2); Meldung von Gefallenen, Vermissten und Verwundeten an das Kommando der Schutzpolizei Dortmund vom 24.7.1944 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 357). Außerdem vgl. Ermittlungskartei des MfS gegen das 16. Pol.Reg., o. D. (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 35, Bl. 822); Anlage 7: Struktur und Einsätze des SS-Pol.-Rgt. 16, o. D. (BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Band 2 , Bl. 141). Für die desolate Personallage der Polizei, auch bezogen auf das Polizeiregiment 9, vgl. Ersatzgestellung für Pol.-Truppenverbände vom 12.3.1943 (APP 299 Nr. 1218, Bl. 523 f.). So sollte nur noch Ersatz angefordert werden, wenn Erkrankungen oder Verwundungen einen Ausfall der betroffenen Person von mindestens zwei Monaten erwarten ließen. Außerdem war erst ab 10 % fehlender Männer Ersatz überhaupt anforderbar. Insbesondere Spezialisten sollten nur ersetzt werden, wenn ansonsten ein Ausfall der ganzen Truppe zu befürchten war.

Epilog

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„erfolgreiche Erkundungen“ ausgeführt, welche „die Grundlage für die weitere Kampfführung schafften“.1141 Das I./16. war „vom 7.7.1944 bis zum 13.7.1944 zur Verteidigung der Stadt Wilna eingesetzt. Nur ein Teil des Bataillons konnte sich am 14. Juli 1944 nach der befehlsmäßigen Aufgabe der Stadt zu den eigenen Linien durchschlagen.“1142 Zahlreiche Mitglieder des ehemaligen Bataillons 61 waren zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr in Osteuropa eingesetzt. Insbesondere ältere Polizei­ reservisten waren zwischen 1942 und 1944 aus der Einheit abgezogen worden. Sie waren den körperlichen Anforderungen der aktiven Partisanenbekämpfung, geschweige denn einem Einsatz an der Front, nicht gewachsen. Auch wenn der Russlandeinsatz des Bataillons für dessen Männer belastend war und auch durchaus wegen einzelner früher Verwundungen als bedrohlich wahrgenommen wurde, so war die Polizeieinheit die längste Zeit mit verhältnismäßig sicheren Aufgaben betraut. Dies unterstreicht nicht zuletzt die für Juli bis Dezember 1943 überlieferte Verlustliste der 285. Sicherungs-Division für das I./9.1143 Diese verzeichnet geringe Verluste verglichen mit den Gefallenenzahlen von Fronttruppen der Ordnungspolizei im russischen Nordwesten. Erst mit dem Einsatz der Dortmunder Polizeieinheit gegen reguläre Truppen der Roten Armee änderte sich dies drastisch. Die Verlust- und Verwundetenzahlen des Bataillons erreichten ihren nicht mehr exakt dokumentierten Höhepunkt bei der Verteidigung von Wilna. Beim Kommando der Schutzpolizei Dortmund wurde im Juli 1944 festgehalten, es gebe nun zahlreiche Verwundete, Gefallene und Vermisste in einer völlig unübersichtlichen Lage. In Verkennung der militäri-

1141 Vorschlagsliste Nr. 1 für die Verleihung des Eisernen Kreuzes 1. Kl. beim SS-Pol.Rgt. 16 vom 10.7.1944 (BStU MfS HA XX 5398, Bl. 76). Zur Feindlage bei Wilna vgl. Ic Erfahrungsberichte der 281. Sicherungs-Division: Karte der Feindlage am 27.6.1944 (BA-MA RH 26-281 Nr. 14, unpag.). 1142 Meldung von Gefallenen, Vermissten und Verwundeten an das Kommando der Schutzpolizei Dortmund vom 24.7.1944 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 357). Bei Kärgel, Einsatz (1957), S. 214 heißt es: „Nur einzelnen Angehörigen der Polizei gelingt es, Kauen zu erreichen, wo sie von anderen Einheiten aufgenommen werden.“ 1143 Vgl. Kriegstagebuch Ia Nr. 3 Teil II der 285. Sicherungs-Division: Verlustliste der Sicherungs-Division 285 vom 9.7.1943–31.12.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 14, Bl. 53 f.). Ferner vgl. Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 29). Schmitz war einer der Männer, die im September 1943 „in Luga/Nordabschnitt“ zum Einsatz kamen und dort verwundet wurden. Für die geringen Verluste an Material beim I./9. vgl. Anlagen zum Kriegstagebuch Ib Nr. 4 Allgemeine Serie der 285. Sicherungs-Division: Waffen- und Gerätverluste I./Pol.9 während Unterstellung unter 281. Sich.Div. vom 30.3.1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 37, Anlage 37a). Allgemein für die Verluste vgl. Gefechts- und Verpflegungsstärken sowie Verlustlisten der 285. Sicherungs-Division 1. Jan.–30. Juni 1943 (BA-MA RH 26-285 Nr. 13). Für eine frühe Verwundung vgl. exemplarisch Aussage Johann Overkemping vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 104). Schon im Oktober 1942 sei er in Russland verwundet worden. Ebenso für eine Verwundung im Oktober 1942 vgl. Aussage Theodor Pohle vom 30.3.1962 (StAHH 213-12-70Nr. 13, Bl. 5820).

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schen Situation im Baltikum stellte man jedoch fest, es sei noch immer möglich, dass Vermisste „wieder auftauchen“1144 könnten. Männer, wie der am 14. Juli bei Wilna vermisste Johann Kassmann, kamen jedoch so gut wie nie zurück und wurden meist nach dem Krieg für tot erklärt.1145 Zahlreiche Männer des Polizeiregiments 16, zu dem auch noch einige Polizisten des ehemaligen Bataillons 61 gehörten, gerieten 1944 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Russische Verhörprotokolle belegen, dass Regimentsangehörige zu teilweise erheblichen Strafen in Form von 25 Jahren Arbeitslager verurteilt wurden. Die wenigen noch verbliebenen Dortmunder Polizisten wurden jedoch verhältnismäßig schnell wieder aus der sowjetischen Haft entlassen. So hielt etwa Körner fest, er sei nach dem Zusammenbruch der Front mit dem Rest seiner „Einheit im Juli 1944 in russische Gefangenschaft“ gekommen, aus der er „im August 1945 entlassen wurde“.1146 Gleiches widerfuhr auch dem 1901 geborenen Gerhard Verrieth, den man ebenfalls bereits im August 1945 entließ. Sie taugten offenbar nicht für einen Arbeitseinsatz in der Kriegsgefangenschaft. Die ehemaligen Mitglieder des Bataillons 61, Klippert und Roth, behaupteten hingegen, vier und fünf Jahre in Kriegsgefangenschaft verbracht zu haben. Die zahlreichen Männer der Dortmunder Polizeieinheit, die nicht in Kriegsgefangenschaft gerieten, etwa weil sie wegen Verwundung oder Abordnung schon nicht mehr in Osteuropa eingesetzt waren, erlebten den Rest des Krieges meist im Streifendienst der uniformierten Polizei im nördlichen Ruhrgebiet.1147

1144 Meldung von Gefallenen, Vermissten und Verwundeten an das Kommando der Schutzpolizei Dortmund vom 24.7.1944 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 357). In Hinsicht auf die Verluste von Polizeitruppen in Frontverwendung ging Daluege Anfang 1943 von Verlusten bis zu 50 % aus. Vgl. Dienstbesprechung der Befehlshaber und Inspekteure im Januar 1943 in Berlin. Bericht des Chefs der Ordnungspolizei, SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst Daluege über den Kräfte- und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei im Kriegsjahr 1942 vom 7.2.1943 (BA R 19 Nr. 336, Bl. 3). 1145 Vgl. Liste RPB 61, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 195, Bl. 47). 1146 Aussage Ewald Körner vom 12.10.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21605). Für die Männer, die in russische Gefangenschaft kamen und die hohen Haftstrafen in der Sowjetunion vgl. Aussage Johann Bürger vom 18.6.1949 (BStU MfS HA XX 5398, Bl. 90). Vgl. auch die übrigen Aussagen in: BStU MfS HA XX 5398, Bl. 90–139, die zeigen, dass viele Männer des Regiments 16 in sowjetische Kriegsgefangenschaft kamen. Für die Verurteilungen zu 25 Jahren Arbeitsbesserungslager vgl. ebd., Bl. 140–144. 1147 Ein seltener Einzelfall, bei dem sich der Frontdienst fortsetzte, ist Fritz Rutsch. Er soll nach dem Einsatz bei Vilnius vom 26.9.1944 bis zum 1.3.1945 an der Westfront eingesetzt worden sein. Vgl. Liste RPB 61, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 195, Bl. 93). Für Verrieths Entlassung vgl. Entnazifizierungsakte Verrieth, Gerhard vom 22.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2461, Bl. 4). Für die Kriegsgefangenschaft vgl. Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 14); Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 237r). Generell richteten sich die Anstrengungen der sowjetischen Strafverfolgungsbehörden auf Kriegsverbrechen, die das Regiment 16 schwerpunktmäßig begangen hatte, bevor das I./9. im Jahr 1944 eingegliedert wurde. Entsprechend wurden nur wenige ehemalige Männer des I./9. belangt.

Epilog

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Der Zweite Weltkrieg endete am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches. „Nie zuvor in der deutschen Geschichte der Neuzeit hatte es einen nachhaltigeren, tiefer greifenden Einschnitt gegeben als in diesem Moment.“ Für die ehemaligen Mitglieder des Bataillons 61 zeigten sich jedoch unmittelbar die von Ulrich Herbert angeführten Elemente von „Kontinuität und Restauration“.1148 Zahlreiche Polizisten blieben vorerst im Dienst der britischen Besatzungsmacht und auch später in dem der Bundesrepublik. Nachdem bei der Polizei aus ihren Grundprinzipien von „Ordnung und Vernichtung“1149 die zweite Komponente entfiel, zog man sich problemlos auf „Sicherheit und Ordnung“1150 als Identitätsgrundlage zurück. Erleichtert wurde dies dadurch, dass bereits bei Kriegsende die zukünftige Frontstellung des Kalten Krieges für die Polizei mit der vermeintlichen „roten Gefahr“ einen althergebrachten Gegner zur Verfügung stellte. Dessen Eindämmung in Kombination mit der üblichen Kriminalitätsbekämpfung und der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit ermöglichte der uniformierten Polizei, anders als der deutschen Armee, ein ununterbrochenes Fortbestehen. Zwar gab es bei der uniformierten Polizei Umstrukturierungsmaßnahmen, aber sie wurde, trotz ihres massiven Mitwirkens am Holocaust, nicht zur verbrecherischen Organisation erklärt. Insbesondere im Bereich des Personalbestandes gab es trotz Entnazifizierungsverfahren erhebliche Kontinuitäten.1151 Die meisten ehemaligen Mitglieder des Bataillons 61 durchliefen ihre Verfahren problemlos. So befand sich beispielsweise Riewald von 1920 bis zu seiner Pensionierung 1959, bis auf eine kurze Überprüfungsphase, ununterbrochen im Polizeidienst. Auch über Ludwig Rybczak urteilte die zuständige Entnazifizierungskommission, wie auch im Fall zahlreicher weiterer Männer

1148 Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 550. 1149 Dierl/Hausleitner/DHPOL (Hg.), Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat. 1150 Gerhard Fürmetz/Herbert Reinke/Klaus Weinhauer (Hg.), Nachkriegspolizei. Sicherheit und Ordnung in Ost- und Westdeutschland 1945–1969, Hamburg 2001. 1151 Für die Kontinuität in der Polizei allgemein vgl. Sefan Noethen, Alte Kameraden und neue Kollegen. Polizei in Nordrhein-Westfalen 1945–1953, Essen 2003; sowie die Beispiele in: ders., Brüche und Kontinuitäten. Zur Kölner Polizei nach 1945. In: Buhlan/Jung (Hg.), Wessen Freund und wessen Helfer?, S. 575–601; ders., Die Gelsenkirchener Polizei zwischen Kriegsende und Verstaatlichung 1945–1953. In: Goch (Hg.), Städtische Gesellschaft und Polizei: Beiträge zur Sozialgeschichte der Polizei in Gelsenkirchen, S. 286–313. Zur Erklärung der Gestapo als verbrecherische Organisation vgl. Carsten Dams/Michael Stolle, Die Gestapo. Herrschaft und Terror im Dritten Reich, München 2008, S. 176. Zu den Anstrengungen, dass die uniformierte Polizei nicht verboten wurde, vgl. u. a. Brief Adolf von Bomhards an Bundeskanzler Konrad Adenauer vom 1.9.1950 (VtH ED Bomhard), S. 1. Für das weitgehend bruchlose Fortbestehen der Polizei vgl. die Aufsätze in: Fürmetz/Reinke/Weinhauer (Hg.), Nachkriegspolizei.

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der Dortmunder Polizeieinheit, er sei als „unbelastet im Dienst zu belassen“.1152 Ursächlich war hierfür nicht zuletzt, dass die Polizisten größere Teile ihrer Tätigkeiten aus der Kriegszeit ausklammerten und dass man sich gegenseitig „Persilscheine“ ausstellte. Eine Aussage in den Entnazifizierungsverfahren lieferte aber zumindest den deutschen Ermittlungsbehörden eine erste Spur zu den Gewalttaten des Bataillons 61 in Osteuropa.1153 Einige Personen wie Kärgel stilisierten sich im Prozess der Entnazifizierung sogar geschickt zu Opfern des NS-Regimes. An die Frontstellung des Kalten Krieges anknüpfend beteuerte der ehemalige Kompaniechef, er habe sich der NSDAP 1932 nur zugewandt, da er in ihr „das einzige Bollwerk gegen den Bolschewismus“1154 gesehen habe. Schon bald habe er infolge der Röhm-Affäre aber mit dem Nationalsozialismus gebrochen. 1935 habe man Kärgel sogar aus der Partei ausgeschlossen. Nur nachweisen konnte er dies nicht, da seine Frau die entsprechenden Dokumente angeblich auf der Flucht aus Schlesien verloren hatte. Wie seine Karriere zu Kriegszeiten und sein SS-Eintritt 1940 beweisen, war sein Bruch mit dem NS-Regime eine klare Lüge. Einige „Persilscheine“ ehemaliger Mitlieder des Bataillons 61 taten ihr Übriges. Kärgel, immerhin mit Goebbels bekannt und langjähriger Unterstützer des Nationalsozialismus, wurde in die Kategorie V als „unbelastet“ eingestuft. Als Begründung gab die Entnazifizierungskommission eine „aktive Gegnerschaft gegen die NSDAP“ an.1155

1152 Entnazifizierungsakte Rybczak, Ludwig, o. D. [nach 1945] (LAV NRW, R, NW 1039-R2710, Bl. 4). Für Riewald vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 3). 1153 Vgl. Aussage August Kreulich vom 16.11.1945 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). Exemplarisch für das Verschweigen von Gewalttaten und eine problemlose Entnazifizierung in der Kategorie V als „Entlastete“ vgl. Entnazifizierungsakte Basner, Karl vom 28.7.1947 (LAV NRW, R, NW 1039-B-3030, Anlage Case Summary) und Entnazifizierungsakte Sobiray, Fritz vom 3.10.1946 (LAV NRW, R, NW 1039-S-1019, Anlage Case Summary); Entnazifizierungsakte Baumkötter, Hans vom 30.12.1949 (LAV NRW, R, NW 1091–15213, Bl. 1–8). Vgl. ferner Entnazifizierungsakte Roth, Ewald vom 18.8.1950 (LAV NRW, R, NW 1091–18343, Bl. 1–8); Entnazifizierungsakte Verrieth, Gerhard vom 22.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2461, Anlage Case Summary). Für eine zunächst nur in Kategorie IV als „Mitläufer“ eingestufte Person vgl. Einreihungsbescheid Becker, Heinrich Walter vom 15.10.1947 (LAV NRW, R, NW 1039-B-3790, unpag). 1154 Entnazifizierungsakte Kärgel, Hans Georg Erich vom 2.9.1947 (LAV NRW, R, NW 1047-1449, Anlage 1a). 1155 Stellungnahme zur Entnazifizierung von Hans Kärgel vom 27.5.1949 (LAV NRW, R, NW 1037-BIV-3770, Bl. 1r). Für Kärgels Behauptung, Nachweise über seinen angeblichen NSDAP-Ausschluss verloren zu haben, vgl. ebd. Für seine SS-Mitgliedschaft vgl. Hans Kärgel Datenblatt, o. D. (BA R 9361 SSO 147, Bl. 482). Für Kärgels „Persilscheine“ vgl. die diversen Schreiben in: Entnazifizierungsakte Kärgel, Hans Georg Erich vom 2.9.1947 (LAV NRW, R, NW 1047-1449).

Epilog

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Brunst hingegen hatte zunächst Schwierigkeiten mit seinem Verfahren. Es hieß: Ein weiterer Verbleib von Brunst „in der Polizei ist nicht tragbar“.1156 Es gelang dem ehemaligen Spieß der 1. Kompanie jedoch dieses Urteil aufheben zu lassen. Der Polizist behauptete wegen seiner Nähe zur SPD beleidigt worden zu sein. Beispielsweise soll ein Zellenleiter der NSDAP zu Brunst gesagt haben: „Sie sind ihres Amtes nicht würdig.“1157 Außerdem habe ihn der Bataillonskommandeur Dederky wegen politischer Unzuverlässigkeit schriftlich verwarnt. Beide Sanktionierungen erfolgten tatsächlich, aber aufgrund des kleptomanischen Verhaltens des Unterführers in Warschau 1942, das selbst die NSDAP nicht mehr akzeptieren wollte. Im Entnazifizierungsverfahren zeigten die Behauptungen des Unterführers jedoch ihre Wirkung. Auf dem oben erwähnten Urteil der Kommission findet sich der handschriftliche Vermerk, der das Dokument revidierte: „Ist wiedereingestellt.“1158 Nur wenige Ehemalige des Bataillons 61 hatten dauerhafte Schwierigkeiten mit ihrer Entnazifizierung. So urteilte etwa eine Polizeikommission über Lorey: „Politisch untragbar, da der Parteieintritt zum persönlichen Vorteil vollzogen wurde, und zwar in dem Augenblick, als der Gedanke vorherrschte, der Nationalsozialismus würde die Welt erobern. Diese Einstellung hat er durch seinen Kirchenaustritt bekräftigt, die persönlichen Vorteile sind durch bevorzugte Beförderung tatsächlich eingetreten.“1159 Wenig später wurde dieses Urteil jedoch aufgehoben und Lorey wurde „nur“ in die Kategorie IV als „Mitläufer“ eingestuft. Ebenfalls in diese Kategorie ordnete man Friedrich Tillman ein, womit auch dessen Polizeidienst vorerst beendet war. Andere ehemalige Bataillonsmitglieder wurden noch schärfer beurteilt. So galten etwa August Rödinger und Aloys Sauer als „nicht tragbar“1160 und „bedingt tragbar“1161 und wurden der Kategorie III als „Minderbelastete“ zugeordnet. Sauer wurde zusätzlich mit einem zehnprozentigen Abzug seines Einkommens bestraft. Spätestens mit dem „131er-Gesetz“ im Jahr 1951 wurde die Entnazifizierung und personelle Neuausrichtung im Bereich der Polizei jedoch ad absurdum geführt. Jeder, der nicht zur Kategorie I der „Hauptschuldigen“ oder zur Kategorie II der „Belasteten“ gehörte, konnte wiedereingestellt werden. Fast alle

1156 Zusammenfassendes Fazit der Entnazifizierungskommission, o. D (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). 1157 Aussage Ernst Brunst vom 27.4.1946 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). 1158 Zusammenfassendes Fazit der Entnazifizierungskommission, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). 1159 Entnazifizierungsakte Lorey, Heinrich vom 27.9.1947 (LAV NRW, R, NW 1037-BVI712, unpag.). 1160 Entnazifizierungsakte Rödiger, August vom 29.10.1946 (LAV NRW, R, NW 1107-nicht kategorisiert-2412, Anlage Case Summary). Für Tillmann vgl. Entnazifizierungsakte Tillmann, Friedrich vom 27.4.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2380, Anlage Case Summary). 1161 Entnazifizierungsakte Sauer, Aloys vom 2.3.1946 (LAV NRW, R, NW 1101–278, Anlage Case Summary).

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Personen des ehemaligen Bataillons 61 konnten demnach in den Polizeidienst zurückkehren, sofern sie dies wünschten. Hingegen wurde Lütgemeier, der bei Kriegsende den Dienstrang eines Majors innehatte, zwar zunächst entlassen, aber 1952 wieder in den Polizeidienst aufgenommen. Tatsächlich waren so nicht nur zahlreiche der Angeklagten im ersten Gerichtsprozess gegen Mitglieder des Bataillons 61 Polizisten im aktiven Dienst oder Pensionäre. Auch viele der vernommenen Zeugen gehörten noch immer oder wieder der Polizei an. Mehr noch, verschiedene Personen die zunächst nur als Reservisten zum Bataillon 61 gekommen waren, verdingten sich nun als Berufspolizisten. Einige Männer des Polizeiverbandes waren darüber hinaus zwar nicht mehr bei der Polizei im Dienst, arbeiteten jedoch in verschiedenen Positionen für den deutschen Staat.1162 Besonders kurios erscheint dabei die Nachkriegskarriere von Wannemacher. Der ehemalige Chef der 2. Kompanie hielt sich von 1944 bis1946 in seinem Geburtsort Kaiserslautern auf, wo er als „unbelastet“ entnazifiziert wurde. Danach arbeitete er 1947 angeblich für den „Army Exchange Service“1163 und lebte wieder in München. 1959 gab er an, als verheirateter Polizeiinspektor in Pullach zu leben. 1961 will er schon Polizeiamtmann ebendort gewesen sein. Er stieg also in zwei Jahren um zwei Besoldungsgruppen auf. Erstaunlich ist dies, da es laut Auskunft der Bayerischen Polizei keinen Polizeiamtmann, also einen Beamten der Besoldungsstufe eines Hauptmanns, in Pullach gab. Der dortige Polizeiposten war viel zu klein. Von seinem Wohnsitz in der Wiener Straße, der ca. 1,7 Kilometer vom damaligen Hauptsitz des Bundesnachrichtendienstes entfernt lag, „verschwand“ der Polizist zu einem ungeklärten Zeitpunkt. Als sich

1162 So arbeiteten beispielsweise Mockler und der Kriegsinvalide Urban als Stadtangestellte. Vgl. Aussage Mockler, Erich vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 129); Entnazifizierungsakte Urban, Fritz vom 26.11.1946 (LAV NRW, R, NW 1039-U68, Bl. 4). August Beste arbeitete bei einer Behörde vgl. Entnazifizierungsakte Beste, August vom 11.10.1949 (LAV NRW, R, NW 1038-4193, Bl. 3). Für Lütgemeier vgl. Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 56r). 1957 wurde er Polizeihauptkommissar, was „nur“ dem Rang eines Hauptmanns und nicht dem eines Majors entsprach. Zu Nords zeitweises Karriereende und seine Wiedereinstellung bei der Polizei vgl. Hölzl, Walter Nord, S. 171 f. Auch wer von den ehemaligen Männern der Dortmunder Polizeieinheit schon aus dem Polizeidienst ausgeschieden war, bemühte sich um eine Wiedereinstellung. Exemplarisch vgl. Brief von Otto Nahlmann an das Kommando der Schutzpolizei vom 21.9.1946 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). Für die juristische Aufarbeitung der Verbrechen des Bataillons 61 vgl. Klemp, Freispruch, S. 71–122. Zum 131er-Gesetz vgl. Joachim Perels, Die Übernahme der Beamtenschaft des Hitler-Regimes, Benachteiligung der Entlassenen und Privilegierung der Amtsinhaber der Diktatur. In: Kritische Justiz. Vierteljahresschrift für Recht und Politik, 37 (2004) 2, S. 186–193. 1163 Entnazifizierungsakte Wannemacher, Julius (BHStA Spruchkammer München IV/2739, Karton 1906, Bl. 2). Für seine Entnazifizierung und den Aufenthalt in Kaiserslautern vgl. ebd., Bl. 2r.

Epilog

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1999 die „Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen“ bei der dortigen Stadtverwaltung meldete, um Nachforschungen anzustellen, wurde nur mitgeteilt, einen Julius Wannemacher habe es dort nie gegeben.1164 Ebenso unauffällig wie er verhielten sich auch die meisten ehemaligen Angehörigen des Bataillons 61, die sich nicht im Staatsdienst befanden. Insbesondere die Mehrzahl der Reservisten kehrte in ihre Zivilberufe in ihrer Heimatregion zurück. Eine schillernde Ausnahme war dabei sicherlich der Reserveoffizier Ackermann, der als international bekannter und ausgezeichneter Künstler Professor für Malerei und freie Grafik an der künstlerischen Akademie St. Irénée in Lyon wurde. Sowohl die Polizisten als auch die ins Zivilleben zurückgekehrten Mitglieder des Bataillons 61 führten hingegen meist ruhige Leben. Strafrechtlich traten sie nur vereinzelt und wegen kleinerer Delikte in Erscheinung. So wurde etwa der in den Kaufmannsberuf zurückgekehrte Kreienkamp bestraft, da er sein Auto betrunken und ohne Licht gefahren war. Lediglich Bayer wurde noch vor dem ersten Prozess gegen Mitglieder des Bataillons 61 zweimal wegen seines Verhaltens während des Nationalsozialismus verurteilt. Er wurde jedoch schnell wieder begnadigt. Die übrigen Männer des Bataillons 61 zeigten ihr illegales und gewalttätiges Verhalten aus der Zeit vor 1945 in der Bundesrepublik nicht mehr.1165

1164 Vgl. Anfrage der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 11.1.1999 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 126, Bl. 57); Antwortschreiben der Stadtverwaltung München vom 8.3.1999 (ebd., Bl. 66). Für die Pullacher Adresse vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 29). Für 1961 vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 24.10.1961 (ebd., Bl. 205). Für 1959 vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 15.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 52). 1165 Dies gilt nur, wenn man von Zeugenmanipulation im Rahmen der Ermittlungsverfahren absieht. Für den Ausnahmefall Bayer vgl. Aßmann, Bewegende Beichte; ­Klute, Interview mit Armin Rohde. Für Bayers Vorstrafen vgl. Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 141r). Für Kreienkamp vgl. Strafregister Kreienkamp vom 1.9.1953 (ebd., Bl. 17). Zu Ackermann, insbesondere für sein erfolgreiches Nachkriegsleben als renommierter Künstler, vgl. Allgemeines Künstlerlexikon, S. 256 f. Siehe auch Kapitel III.2.

V.

Handlungsleitende Einflüsse

1.

Die gierige Organisation und das Vertrauen

Als typische militärische Organisation war das Bataillon 61 eine gierige Organisation im Sinne des Soziologen Michel Crozier. Es war darauf ausgelegt, möglichst alle Lebensbereiche seiner Mitglieder zu durchdringen, um so weitgehend den alleinigen Einfluss auf deren Loyalität zu erhalten. Am deutlichsten wird dies am Beispiel der Sozialkontakte, die man in der Dortmunder Polizeieinheit zu monopolisieren versuchte, indem man die Einheit nach außen abschottete. Nahlmann meinte, dass man schon während der Grundausbildung „der Familie entfremdet“1 und von der Organisation vereinnahmt wurde. Tatsächlich war für einen Militärangehörigen, der seinen Dienst antrat, vorgesehen, dass dieser „einen dicken Strich unter sein bisheriges Leben“ machen sollte. Auch die Monopolisierung der Sozialkontakte des jeweiligen Akteurs wurde dabei beschrieben. So hieß es, die „kriegerische Aufgabe“2 löse „ihn aus dem Pflichtenkreis des bürgerlichen Berufes und der Familie“.3 Insbesondere beim Einsatz in Osteuropa gäbe es dabei kein „Privatleben“,4 sondern man sei immer im Dienst. Generell sollte der persönliche Kontakt von Deutschen mit der Landesbevölkerung in den okkupierten Regionen Osteuropas auf ein absolutes Minimum reduziert werden. Für den Einsatz von Polizeikräften in Russland hieß es beispielsweise: „Der Umgang mit Landeseinwohnern ist grundsätzlich verboten. Kein Deutscher wohnt mit einem Russen unter einem Dach oder betritt ohne dienstlichen Grund sein Haus.“5 Schon während der Einsätze des Bataillons 61 in Polen sollte insbesondere dessen Kommandeur darauf achten, dass „die klare Trennung zwischen Deutschtum und Polentum in jeder Beziehung gewahrt bleibt“.6 Wer dem „Verbot jeglichen Verkehrs für die Angehörigen der SS- und

1 2 3 4 5

6

Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 5. Für Crozier und die gierigen Institutionen bzw. Organisationen vgl. Coser, Organizations; ders., Institutionen. Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 34. Ebd., S. 34 f. O. V., Der Beamte im Osten. In: Mitteilungsblätter für die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei Gruppe A 4 vom 10.5.1941, Folge 14, unpag. Merkblatt für SS- und Polizeikräfte, die im Bereich des Höheren SS- und Polizeiführers Rußland Mitte neu eingesetzt werden von 1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 239). Ebenso war schon seit Anfang des Krieges jeder Kontakt zu Kriegsgefangenen untersagt. Vgl. RGBl, (1940) I, S. 769; Fahndung nach flüchtigen Kriegsgefangenen, Beilage zum Meldeblatt Nr. 7 der KPLSt [Kriminalpolizeileitstelle] Posen vom 1.9.1940 (AAN 1335 Nr. 121, unpag.). Tagesanordnung des BdO Posen vom 25.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 3). Ebenso für die Betonung des nötigen Abstandes vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 20.1.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 82).

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Handlungsleitende Einflüsse

Polizei mit Angehörigen des polnischen und tschechischen Volkstums“7 zuwiderhandelte, sollte wegen militärischen Ungehorsams erheblich bestraft werden. Entsprechend war es den Männern des Bataillons 61 untersagt, die meisten polnischen Gaststätten zu besuchen. Zwar wurde dies von den Polizisten regelmäßig ignoriert, jedoch unterstreicht das Verbot die Abschottungsabsicht der Führung.8 Die beabsichtigte Abgrenzung von der lokalen Bevölkerung sollte dabei so weit gehen, dass Polizisten, die in der Lage waren, die polnische Sprache zu sprechen, nur davon Gebrauch machen sollten, wenn es sich überhaupt nicht vermeiden ließ. Außerdem wurde die „Teilnahme an polnischen Gottesdiensten und Feiern von Angehörigen der Ordnungspolizei“ verboten.9 Auch berichtete beispielsweise das Bataillonsmitglied Franz Chwieja, dass es beim Warschauer Einsatz der Polizeieinheit verboten gewesen sei, „Verbindung mit Juden aufzunehmen“.10 Schon 1940 hatte dies die Polizei- und SS-Gerichtsbarkeit eindeutig festgelegt. Die Menschen in Warschau nahmen sogar wahr, dass es quasi parallel zum zwangsweise abgesperrten jüdischen Wohnbezirk auch zur selbst gewählten Ghettoisierung der deutschen Besatzer in bestimmten Gebieten der Stadt gekommen sei. In der polnischen Bevölkerung vermutete man, dass dies geschah, um das Gemeinschaftsgefühl der Deutschen zu stärken.11

    7 Schreiben vom 12. Februar 1942 betr: Erlaß des Reichsministers des Inneren betr.: Verkehr von Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes mit Personen des polnischen Volkstums ehemaliger polnischer Staatsangehörigkeit vom 30.4.1941 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 28r). Dieses Schreiben war u. a. an die Polizeibataillone adressiert. Für die angedrohten massiven Strafen vgl. Reichstatthalter an den HSSPF betr.: Umgang der deutschen Bevölkerung des Reichsgaues mit Polen vom 25.9.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 23). Johann Jatho meinte hingegen, er sei für seine engen Kontakte zu einem polnischen Übersetzer nicht bestraft, sondern lediglich versetzt worden. Vgl. Aussage Johann Nikolaus Jatho vom 9.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6274).     8 Zum Besuchen von polnischen Lokalen trotz aushängender Verbotsschilder vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 19. Beim Russlandeinsatz des Bataillons 61 galt sogar, dass nur noch truppeneigene Einrichtungen aufgesucht werden durften. Vgl. Merkblatt für SS- und Polizeikräfte, die im Bereich des Höheren SS- und Polizeiführers Rußland Mitte neu eingesetzt werden von 1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 240). Auch beim ersten Einsatz der Dortmunder Polizeieinheit im Jahr 1939 war das Besuchen von Gaststätten zunächst komplett verboten. Vgl. Petersen, Arbeit (1940), S. 24.     9 Tagesanordnung des BdO Posen vom 25.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 1). Für die Regelung des Spachgebrauchs vgl. Gebrauch der polnischen Sprache durch Angehörige der Ordnungs- und Hilfspolizei vom 2.7.1940. (APP 1026 Nr. 40, Bl. 20). 10 Aussage Franz Chwieja vom 25.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 244). In ähnlicher Form vgl. Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (ebd., Bl. 218). Für die Haltung der SS- und Polizeigerichte dazu vgl. Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft 2 Oktober 1940, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 62). 11 Hierzu seien auch Polen aus- und umgesiedelt worden. Vgl.soballNo. 28 Wiener Library Publications vom 10.2.1942 (WL 067 Nr. 1627, Bl. 9).

Die gierige Organisation und das Vertrauen

391

Eine besondere Dimension der Monopolisierung von Sozialkontakten innerhalb der Polizei erstreckte sich auch auf das Sexualleben der in Osteuropa eingesetzten Männern. Bereits im Oktober 1939 ließ der Militärbefehlshaber in Posen, dem auch das Bataillon 61 unterstand, verlautbaren, dass die „Anbiederungen mit der polnischen Bevölkerung, im Besonderen mit der weiblichen“,12 zu unterbleiben habe. Er kündigte eine scharfe Ahndung von Verstößen an. In weiteren offiziellen Anordnungen hielt man fest, dass „der Geschlechtsverkehr eines Angehörigen der SS oder Polizei mit einer Polin […] grundsätzlich als militärischer Ungehorsam gerichtlich bestraft“13 werden sollte. Der Sex „mit Frauen und Mädchen einer andersrassigen Bevölkerung“ sei „nachdrücklichst zu ahnden“.14 Himmler verlangte sogar, dass ihm „jeder derartige Fall zur persönlichen Entscheidung vorzulegen“ war.15 Ebenso verkündete der Chef der Ordnungspolizei, Daluege, dass bei Verstößen gegen „Zucht und Sitte“16 ab 1941 keine Nachsicht mehr gewährt werden sollte. Die ausgesprochenen Strafen für freiwillige und erzwungene sexuelle Beziehungen zu Mitgliedern der osteuropäischen Bevölkerung wurden entsprechend in verschiedener Form durch Publikationen der SS- und Polizeigerichtsbarkeit außenwirksam präsentiert. Ein Mitglied des Bataillons 61, das 1942 als Ausbilder von „Hilfswilligen“ abgestellt wurde, erinnerte sich nach dem Krieg daran, dass „ein SS-Angehöriger im Lager Beziehungen zu einer Jüdin unterhalten hatte. Diesen SS-Mann hat man eingesperrt.“17 Tatsächlich hielten sich Polizeiangehörige aber nur bedingt an die Einschränkung von Sozialkontakten im sexuellen Bereich. Während des ersten Einsatzes des Bataillons 61 hielt der BdO Posen im Januar 1940 in einer Kommandeursbesprechung fest, verschiedene Vorfälle würden zeigen, dass „gegenüber Polen und insbesondere Polinnen nicht die nötige Zurückhaltung geübt wird“.18

12 Geheimbefehl des Militärbefehlshabers von Posen vom 15.10.1939 (APP 298 Nr. 32, Bl. 5). 13 Rechtserziehung (Geschlechtsverkehr mit andersrassiger Bevölkerung) vom 1.11.1942 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 71). Ferner vgl. 12. Sammelerlass des RFSS vom 1.8.1942 (BA NS 7 Nr. 5, Bl. 90). 14 Geschlechtsverkehr mit Polinnen vom 21.6.1941 (BA NS 7 Nr. 3, Bl. 73). 15 Rechtserziehung (Geschlechtsverkehr mit andersrassiger Bevölkerung) vom 1.11.1942 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 71). 16 Würdiges Verhalten von Angehörigen der Polizei in der Kriegszeit vom 13.11.1941 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 267). 17 Aussage Michael Janczak vom 2.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 11, Bl. 4785). Für solche Strafen vgl. Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft 2 Oktober 1940, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 10); Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft 6 Dezember 1941, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (ebd., Bl. 151). Ferner vgl. Schreiben betr.: Geschlechtsverkehr mit Polinnen vom 21.6.1941 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 156); Bestrafungen innerhalb der Schutzpolizei Posen vom 4.4.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 11). 18 Kommandeursbesprechung am 15.1.1940 beim Befehlshaber der Ordnungspolizei Posen (BA R 70 Polen Nr. 201, Bl. 11). Der BdO hatte Ähnliches bereits 1939 kritisiert. Vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 10.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2).

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Handlungsleitende Einflüsse

Wenig später meinte auch der HSSPF „Warthegau“, es errege besonderes Missfallen, dass „trotz entsprechender Befehle sich immer wieder Deutsche aus dem Altreich auch in Uniform, öffentlich Arm in Arm mit Polinnen zeigen“.19 Nach dem Krieg führte das Mitglied des Bataillons 61 Wilhelm van Buer an, er habe in Posen „die Bekanntschaft eines polnischen Mädchens gemacht“,20 mit der er seine Freizeit verbrachte. Offensichtlich war sich auch die höhere Polizeiführung bewusst, dass sich das komplette Abschotten ihrer Untergebenen in sexueller Hinsicht wenig aussichtsreich darstellte. Entsprechend ordnete Himmler gegenüber allen BdO an: „Das Betreten der besonders eingerichteten Bordelle ist den Angehörigen der uniformierten Ordnungspolizei nicht zu verbieten.“21 Darüber hinaus sollten in allen Standorten der Polizei auch eigene Bordelle eingerichtet werden. Für diese war vorgesehen, „junge und möglichst gutaussehende polnische Mädchen zu verwenden, um diese gleichzeitig am späteren Mutterberuf zu verhindern [sic] und um dem deutschen SS- und Polizeimann gleichzeitig nahezubringen, dass die Polin für ihn, da Dirne, nicht als Ehefrau infrage kommt“.22 Es ging also letztlich weniger um ein Unterbinden von „Rassenschande“, als darum, den Einfluss von Personen von außerhalb der „Volksgemeinschaft“ auf die Polizisten klein zu halten. Insbesondere sollte keine tiefergehende Sympathie für die osteuropäische Bevölkerung entstehen, da aus einer solchen ein potenzielles Hindernis für Operationen der Polizei erwachsen konnte. Folglich sollten beispielsweise auch „polnisch versippte“ Beamte nicht in Polen eingesetzt werden. Hingegen wurde die Abschottung der Polizeieinheit während ihrer Stationierung im Reichsgebiet 1940/41 merklich gelockert. Dies galt sowohl für den allgemeinen als auch den sexuellen Kontakt mit Personen, die nicht der Polizei angehörten.23 Parallel zur Monopolisierung von Sozialkontakten setzte man im Bataillon 61 gezielt auf die Erweiterung bestehender Vertrauens- und Gemeinschaftsstrukturen. Dem kam entgegen, dass die Polizeieinheit, sofern dies die ­Einsatzsituation

19 Schreiben des RFSS an den Reichsstatthalter im Warthegau vom 21.2.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 5). 20 Aussage Wilhelm van Buer vom 1.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 4). Auf verschiedenen Fotografien ließen sich die Männer des Bataillon 61 auch mit Frauen ablichten. Vgl. exemplarisch die Bilder in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 289. Für freiwillige und erzwungene Kriegsbeziehungen vgl. allgemein Röger, Kriegsbeziehungen. 21 Schreiben des RFFSS an alle BdOs vom 8.6.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 21). 22 Einrichtung eines Bordells in Warschau für SS und Polizei vom 21.2.1941 (APW 482 Nr. 162, Bl. 2). Zur Akzeptanz der Prostitution vgl. Rechtserziehung (Geschlechtsverkehr mit andersrassiger Bevölkerung) vom 1.11.1942 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 71). Ferner vgl. Lehnstaedt, Okkupation, S. 240. 23 Für die begrenzte Einreiseerlaubnis von Familienangehörigen von Polizisten nach Polen vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 16.12.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). Für die „polnisch versippten“ Beamten vgl. Abordnung und Versetzung polnisch versippter Beamter, Angestellter und Arbeiter des öffentlichen Dienstes in die Ostgebiete vom 10.11.1941 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 170 f.).

Die gierige Organisation und das Vertrauen

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zuließ, geschlossen untergebracht war und nur einen begrenzten Kontakt zu anderen deutschen Truppen hatte. Teilweise sollen die in verschiedenen Gebäudeteilen untergebrachten Kompanien des Bataillons ebenfalls nur begrenzt miteinander in Kontakt gestanden haben. Dadurch wurde die Kompanie als kleinste disziplinarrechtliche Einheit auch zum Zentrum der Lebenswelt der Männer.24 Innerhalb dieser Teileinheiten sollte durch gemeinsame Aktivitäten das Vertrauen weiter vertieft werden. Dies war insbesondere deshalb eine sinnvolle Maßnahme, da viele Reservisten der Dortmunder Polizeieinheit nicht gemeinsam ausgebildet worden waren. Ihnen fehlte dadurch das vergemeinschaftende Element des gemeinsamen Drills. Sie hatten noch nicht notwendigerweise die Erfahrung gemacht, dass man schon in der Grundausbildung für den späteren Dienst „Kameraden kennenlernte, die wirklich Kameraden waren“.25 Neben der während der Einsätze in Osteuropa fortgesetzten Formalausbildung sollte deswegen insbesondere die gemeinsame freie Zeit innerhalb der Kompanien den Zusammenhalt fördern. In den Richtlinien für die Freizeitgestaltung in Polizeibataillonen hieß es entsprechend, diese sollte neben Möglichkeiten zur Erholung auch Beschäftigungen bieten, denen die Polizisten gemeinsam nachgehen konnten.26 Hierzu zählten etwa das gemeinsame Singen von Marschliedern, Lichtbildund Filmabende, Laienspiele, Erzählabende, Gemeinschaftsspiele, Vorträge, Theater- und Konzertbesuche, Kameradschaftsabende und schließlich auch gemeinsamer Sport. Bei allen Freizeitbeschäftigungen wurde empfohlen, dass auch der jeweilige „Einheitsführer den stärksten persönlichen Anteil nimmt. Er vermag mit seinem Wort, seinem Beispiel und Vorbild auch auf diesem Gebiet jene Wirkung zu erzeugen, die die Unterführer und Männer packt und aneifert.“ Vorgesetzte sollten sich als Teil der Gemeinschaft einbringen, damit jeder Untergebene auch außerdienstlich „geleitet und geformt“ werden konnte.27

24 Exemplarisch für die Unterkunft in Warschau vgl. Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 264); Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 81). Für den begrenzten Kontakt der Kompanien untereinander vgl. Aussage Fritz Urban vom 3.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 219, Bl. 16); Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 20). Für den Kontakt in der Bataillonskantine, in der sich alle Bataillonsmitglieder über Kompaniegrenzen hinweg austauschten, vgl. Aussage Karl Schmitz vom 28.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 145). Für den begrenzten Kontakt der Bataillonsmitglieder zu anderen deutschen Militär- und Polizeiverbänden vgl. Aussage Joseph Figiel vom 24.7.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 16, Bl. 6887). 25 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 3. 26 Für die ausführlichen Vorgaben zur Freizeitgestaltung vgl. Richtlinien für die Freizeitgestaltung bei den Pol.-Batl., Pol.-Ausbildungs-Bataillonen und Schulen vom 18.9.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 257–260). Zur militärischen Ausbildung im Bataillon 61 außerhalb von Einsätzen vgl. Aussage Hans Kärgel vom 5.9.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 62). 27 Richtlinien für die Freizeitgestaltung bei den Pol.-Batl., Pol.-Ausbildungs-Bataillonen und Schulen vom 18.9.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 260).

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Handlungsleitende Einflüsse

Schon vor Kriegsbeginn 1939 sollte der ideale Polizeioffizier „Führer und zugleich Kamerad sein“. Dazu war vorgesehen, dass er „seinen Untergebenen auch außerdienstlich ein Freund und Berater sein“ sollte, um durch Teilhabe „am Leben und Erleben seiner Leute“ einen „Zugang zu ihren Herzen finden“28 zu können. Daluege ließ verlautbaren: „Das Verhältnis zwischen dem, der befiehlt und dem, der gehorcht, muss gleichfalls harmonisch zusammenliegen.“29 An anderer Stelle hieß es, mehr als alles andere müssten Vorgesetzte „vor allem das Vertrauen der Untergebenen“ haben.30 Ähnliches wurde auch zu Kriegszeiten verlautbart, wenn es hieß, der Dienst könne „nur dann den gewünschten und notwendigen Erfolg haben, wenn zwischen Führer und Unterführer ein gutes Verhältnis besteht und ihre sich gegenseitig ergänzende Arbeit sich zu einem wirklichen Gemeinschaftswert formt“.31 Dabei konzentrierte man sich nicht nur auf dienstliche Aspekte. Entsprechend hieß es, auch auf einer zwischenmenschlichen Ebene müssten „Führer und Unterführer eine harmonische Arbeitsgrundlage gewinnen“.32 Ebenso wie das Verhältnis von Offizieren zu ihren Unterführern sollte sich auch das Verhältnis von Funktionsträgern zu Polizisten im Mannschaftsdienstgrad ausprägen. So sollte sich ein Kompaniechef „gemütlich“ und „nicht als Vorgesetzter“ zu einem Gespräch „für eine Zigarrenlänge“ zu seinen Männern setzten. Es hieß: „Manche lernt er erst jetzt richtig kennen.“33 Insbesondere sollte die Betreuung von älteren Polizisten bedacht durchgeführt werden. Über die Altersgruppe der Polizeireservisten im Bataillon 61 hieß es entsprechend, sie würden „von Offizieren geführt, die wesentlich jünger sind und ihnen an Kriegserfahrung nachstehen. Umso wichtiger ist es, dass der Offizier sich den Aufgaben der Menschenführung mit Hingabe widmet, seine Pflichten der Betreuung gewissenhaft erfüllt und alle Möglichkeiten wahrnimmt, mit seinen Leuten ein festes Vertrauensverhältnis herzustellen.“34 Es ging also letztlich 28 Rudolf Querner, Schutzpolizei einst und jetzt. In: Kehrl (Hg.), Jahrbuch der deutschen Polizei 1936, S. 58. 29 O. V., Polizei und Kameradschaftsbund. Bedeutsame Ausführungen des Polizeigenerals Daluege. In: Kreuz-Zeitung vom 11.5.1934. 30 Rohne, Gedanken über die „Grundsätze für die Polizei“. In: Die Polizei. Älteste Fachzeitschrift für das gesamte Polizeiwesen im Deutschen Reich mit dem „Archiv für Polizeirecht“, 33 (1936) 1/2, S. 1–4/26–28, hier 27. In ähnlicher Form vgl. Auszug aus den Richtlinien für die Führung und Ausbildung der Ausbildungs-Bataillone von Generalleutnant Mülverstedt, o. D. (BA R 19 Nr. 308, Bl. 203r). 31 Hans-Joachim Schieritz, Grundsätze der waffendienstlichen Ausbildung, Lübeck 1940, S. 31. Ebenso zum angestrebten guten Verhältnis von Führern und Unterführern vgl. Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 37–40. 32 Schieritz, Grundsätze (1940), S. 32. Zum Vertrauen, das aus gemeinsamem Dienst erwachsen sollte, vgl. Bourier, Die Ordnungspolizei auf dem Wege zur Einheit von SS und Polizei. In: Die Deutsche Polizei, 9 (1941) 18, S. 317 f., hier 318. 33 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 32. Zur Vermeidung der Distanz zwischen Führern und Geführten vgl. auch Erwin Palm, Vorgesetzte und Untergebene – Führer und Gefolgschaft. Eine soziologische Studie. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 1 (1933) 6, S. 209 f., hier 209. 34 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 11.

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darum, eine „zusammengeschweißte Einheit“35 und „verschworene Gemeinschaft“36 zu schaffen. Dies wurde auch im Bataillon 61 umgesetzt. Einige Fotografien dokumentieren beispielsweise Handballspiele zwischen den verschiedenen Kompanien der Polizeieinheit, wobei die Offiziere ihre Männer anfeuerten. In Warschau gelang bei den sportlichen Meldestaffel-Wettkämpfen der Oberfeldkommandantur am 31. Mai 1942 der Mannschaft des Bataillons 61 sogar ein zweiter Platz und generell wurde berichtet, dass die Freizeit mit sportlichen „Wettkämpfen (Handball, Fußball), die zwischen den Kompanien stattfanden“,37 gefüllt war. Die Offiziere hingegen nahmen selbst vor allem die Möglichkeit wahr, in Warschau aktiv Reitsport zu betreiben. Neben sportlichen Aktivitäten besuchten die Polizisten auch gemeinsam „einige Wirtschaften“38 oder unternahmen verschiedene Ausflüge. Lediglich das wilde Baden in der Weichsel 1942 und zuvor 1939/40 in der Warthe war den Männern untersagt.39 Die wichtigsten Orte, an denen sich Prozesse der Vergemeinschaftung im Bataillon 61 abspielten, waren die Unterkunftsgebäude der einzelnen Teileinheiten. Die Bedeutung entsprechender Räumlichkeiten hatte schon der BdO Posen 1939 hervorgehoben und auch die offiziellen Regularien der Ordnungspolizei hielten fest: „Der Aufenthalts- oder Unterhaltungsraum, der Raum, in dem die Männer zu einem großen Teil ihre freie Zeit verbringen, muss mit ganz besonderer Liebe hergerichtet werden.“ Es sei „diesem Raum ein eigenes, den Geist der Mannschaft verkörperndes Gesicht zu geben. Kleinigkeiten, ein paar Holzleuchter, eine geschickt gefertigte oder gut ausgewählte, in den Raum passende Lampe, einige gut verteilte Bilder.“40 Schon beim ersten Einsatz der Dortmunder Polizeieinheit in Polen 1939/40 richteten sich die Polizisten die Unterkünfte ihren Wünschen entsprechend ein. Vor allem die Räumlichkeiten, die sich die 1. Kompanie des Bataillons 1942 in Warschau schuf, zeigten die erläuterten Merkmale. Dabei wird an der

35 F. R., Helden der Polizei. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 1 (1933) 8, S. 289. 36 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 7. 37 Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 42). Für den Erfolg der Meldestaffel in Warschau vgl. Tagesbefehl Nr. 22 vom 4.6.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 263, unpag.). Für die Handballspiele in Posen vgl. die Fotografien in: VtH Dep. Nr. 36 Lankenau. Für die allgemeine Freizeitgestaltung des Bataillons 61 in Posen vgl. die entsprechenden Fotografien in: VtH Dep. Nr. 19 Krevert. 38 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 19. Für die Ausflüge vgl. ebd., S. 15. 39 Für das Badeverbot in der Weichsel vgl. ebd., S. 18. Für das Badeverbot in der Warthe vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 27.6.1940 (APP 1008 Nr. 3, Bl. 93). 40 Richtlinien für die Freizeitgestaltung bei den Pol.-Batl., Pol.-Ausbildungs-Bataillonen und Schulen vom 18.9.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 259r). Zu den Absichten des Posener BdO vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 28.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 1–3). Für Gemeinschaftsräume vgl. auch die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 288.

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Handlungsleitende Einflüsse

­ ompaniebar deutlich, welches Maß an Gewalt und Verachtung gegenüber der K Ghettoinsassen in der Einheit akzeptabel und üblich war. Zu recht meinte Tiemann, die Bar habe die Gesamtatmosphäre der Kompanie gut widergespiegelt. Schon die Bezeichnung als „Krochmalnar-Bar“41 nach einer Ghettostraße, in der besonders viele Insassen verhungert waren, zeugt davon. Darüber hinaus waren die Wände mit antisemitischen Zeichnungen und Sprüchen verziert, die nach den Wünschen von Hauptmann Mehr durch den Polizisten Körber entworfen worden sein sollen. Beispielsweise befand sich unter der karikaturartig dargestellten Misshandlung von Ghettoinsassen der Spruch: „Jordan-Plantscher bleibt schon stehn [sic], von wegen durch die Latten gehen!“42 Hinzu kamen die schon erwähnten Strichlisten über Abschüsse von Ghettoinsassen sowie ein Deckenleuchter in Form eines Davidsterns, unter dem mit im Ghetto geraubten Waren Handel getrieben wurde. Dass die dortigen Haltungen und Praktiken konsensfähig waren und von Vorgesetzten gebilligt wurden, zeigt sich auch daran, dass der Bataillonskommandeur nicht nur darüber informiert, sondern selbst teilweise in der Bar anwesend war. Damit stimmte er den dortigen Verhältnissen als wichtigste Autoritätsperson indirekt zu. Dies galt auch für den in der Kompaniebar betriebenen massiven Alkoholkonsum unter dem Deckmantel von Kameradschaftsabenden.43 Für diese, wie auch für andere abendliche Zusammenkünfte, war offiziell vorgesehen, dass sie „allen Beteiligten eine Stunde der Erholung bieten und zur Vertiefung der Kameradschaft dienen“ sollten.44 Insbesondere war dabei den Offizieren vorgegeben, sich einzubringen. Es hieß: „Die Führer haben sich an einem solchen Kameradschaftsabend nicht auf einen Haufen zusammenzuset-

41 Aussage Heinrich Krolopp vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 43). Für Tiemanns Einschätzung vgl. Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 38). In ähnlicher Form vgl. Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42r). 42 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 50r). An den gleichen Spruch erinnerte sich auch Kleine. Vgl. Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 39r). Für das Anbringen der Karikaturen auf Mehrs Befehl hin vgl. Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42r). Für die Gestaltung durch Körber vgl. Aussage Wilhelm Ködding vom 22.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 100r). Für die Zeichnungen vgl. die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486. 43 Für das Wissen des Kommandeurs um diese Verhältnisse vgl. Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (ebd., Bl. 264). Für die Anwesenheit des Kommandeurs in der Bar vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 56). Insbesondere für den Judensternleuchter und die sonstige Ausstattung der Bar mit Zeichnungen vgl. die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486. Ebenso vgl. Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48r). Nur für die Strichlisten und Zeichnungen vgl. Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42r). Ebenso für die Strichliste vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 44r). Für die Strichliste und geraubte Güter vgl. Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 63). 44 SS-Oberabschnitt West (Hg.), Die Mannschaftsfeier in der SS, Wuppertal, o. D. [ca. 1940], S. 18. In ähnlicher Form vgl. Werner Zwingelberg, Die Erziehung des Polizei­ beamten zum Nationalsozialismus. In: Kehrl (Hg.), Jahrbuch der deutschen Polizei 1936, S. 15–28, hier 24.

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zen und einen Klub für sich zu bilden, sondern sitzen unter ihren Männern, daher der Name ‚Kameradschaftsabend‘.“45 Man meinte, dass „der kämpferische Wert [einer Polizeieinheit] nicht nur von der Anzahl und Stärke der Waffen, sondern auch von der Stimmung der Männer abhängig“ sei. Funktionsträger hätten deswegen „die Pflicht, durch gewissenhafte Betreuung die Stimmung und damit Stärke zu erhalten“.46 Als Element jenseits „der wissensmäßigen Betreuung“47 von Untergebenen sollte die „Pflege kameradschaftlicher Geselligkeit“48 in einem lockeren Rahmen geschehen. So wurde beispielsweise vorgeschlagen, „bunte Abende“ zu gestalten, bei denen man „Ulk- und Necklieder“ singen sowie „Scherz-, Stegreif-, Laien-, Schatten- oder Gesellschaftsspiele“49 durchführen könne. Dabei war man sich in der Polizeiführung jedoch bewusst, dass es bei den Zusammenkünften letztlich um den gemeinsamen Konsum von Alkohol ging, der über Dienstgradgrenzen hinweg erfolgte. Dieser sollte jedoch möglichst in geregelten Bahnen verlaufen. So wurde festgehalten, dass „der Kommandeur bzw. Kompaniechef dafür verantwortlich ist, dass jeder Mann vor einem solchen Abend gegessen hat“. Es sei inakzeptabel, wenn „die Männer mit leerem Magen trinken“ müssten. Überhaupt dürften die gemeinschaftlichen Zusammenkünfte nie „öde Saufabende werden, die unserer nicht würdig sind“.50 An anderer Stelle wurde festgehalten: „Das kameradschaftliche Beisammensein darf niemals mit Alkoholmissbrauch endigen.“51 Welchen Stellenwert man solchen Zusammenkünften im Bataillon 61 beimaß, lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass die Teilnahme an Kameradschaftsabenden einheitsintern per Befehl angeordnet gewesen sein soll. Auch zu kleineren Zusammenkünften wurden die Männer teilweise ohne ihre direkte Zustimmung herangezogen. Außerdem seien sie durchaus auch zum Konsum von Alkohol gedrängt worden. So meinte Tiemann, der ihm vorgesetzte Spieß hätte ihn eines Abends auf seiner Stube aufgesucht und dazu „aufgefordert, in die Bar zu kommen“.52 Der geschäftsführende Hauptwachtmeister selbst will

45 Richtlinien für Kameradschaftsabende vom 22.2.1941 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 27r). 46 Petersen, Arbeit (1940), S. 24. 47 Der Schulungsleiter beim Befehlshaber der Ordnungspolizei betr.: Weltanschauliche Schulung vom 29.12.1939 (APP 299 Nr. 1233, Bl. 36). 48 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 14. 49 Der Schulungsleiter beim Befehlshaber der Ordnungspolizei betr.: Weltanschauliche Schulung vom 29.12.1939 (APP 299 Nr. 1233, Bl. 36). 50 Richtlinien für Kameradschaftsabende vom 22.2.1941 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 27). 51 Geheimer SS-Befehl an alle Höheren SS- und Polizeiführer, SS- und Polizeiführer sowie zur Verteilung an alle Dienststellen im Osten vom 12.12.1941 (LVVA P 83-1 Nr. 80, Bl. 4). 52 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 38r). Zu befohlenen Kameradschaftsabenden vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 59r). Zu weiteren befohlenen Maßnahmen, um die Kameradschaft zu fördern, vgl. Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 80r f.). Dort wird etwa der Zwang, sich in der Bar mit Gesang zu beteiligen, erwähnt. Ausführlicher zu Zwang und Druck im Bataillon 61 siehe Kapitel V.5.

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wiederum durch seinen ­Kompaniechef zum Trinken angehalten worden sein. Die meisten Männer der Polizeieinheit nahmen aber ohnehin gerne die Möglichkeit wahr, gemeinsam Alkohol zu konsumieren. So meinte Marach, dass „durchweg alle Kompanieangehörigen laufend die Bar besucht haben, allein schon aus dem Grunde, um den zur Ausgabe genehmigten Schnaps ebenfalls zu genießen“.53 Im Bataillon 61 galt nicht nur der NS-Grundsatz „Blut kittet aneinander“,54 sondern eben auch: Alkoholkonsum kittet aneinander. Der Polizeireservist Nahlmann hatte diesen Effekt schon während seiner Ausbildungszeit beobachtet. Neben der vergemeinschaftenden Dimension gemeinsamen Drills, enthalten seine Erinnerungen immer wieder Verweise auf häufigen und vor allem massiven Alkoholkonsum im Kreise seiner Kameraden. So meinte Nahlmann, man habe „so manches Hektoliter Bier verzapft“,55 wobei man mit dem Trinken durchaus auch schon am Nachmittag begonnen habe. Generell sei es „hoch hergegangen. Nach Dienstschluss war die Theke bis spät in die Nacht von Polizisten umlagert“.56 Einen formellen Zapfenstreich habe es nur für „die Diensteifrigen“57 gegeben. Die meisten hätten hingegen ihre Zeit in der Kantine oder beim Kartenspielen mit den Offizieren verbracht. Ein weitgehendes Außerkraftgeraten von Anstandsregeln soll sich dann vor allem bei den verschiedenen Feiern der Ausbildungseinheit gezeigt haben. Nahlmann schilderte: „Eine eigene Musikkapelle war da und gegen Abend wurde lustig das Tanzbein geschwungen. Abschnittskommandeur Hauptmann Kaz war auch anwesend, ebenso war der Präses des katholischen Gesellenvereins eingeladen und anwesend. Aber Hauptmann Kaz hatte so tief in das Bierglas geguckt und so viel von dem edlen Nass zu sich genommen, dass er es scheinbar nicht mehr halten konnte: er stellte sich fast mitten in den Saal, schwankend wie ein Rohr im Winde und verrichtete ungeniert trotz Damen-Anwesenheit sein kleines Geschäft.“58

Verschiedene Fotografien aus den Einsätzen des Bataillons 61 legen nahe, dass die dort eingesetzten Polizisten den aus ihrer Ausbildung bekannten Alkoholkonsum auch in der Dortmunder Polizeieinheit fortsetzten. Trotz der angespannten Versorgungslage berichtete ein Mitglied der Einheit, dass man auch in Russland

53 Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 1486, Bl. 63). Für die Bestätigung dieser Aussage vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 59r). Für die Aufforderung zum Alkoholkonsum durch den Kompaniechef vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 56). Hingegen für das Verbot, Polizisten zum ­Alkoholkonsum zu zwingen, vgl. RFSS an das Kommando der Schutzpolizei betr.: Gefährdung der Manneszucht durch Trunkenheit vom 13.1.1941 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 40). 54 Joseph Goebbels, Das erwachende Berlin, München 1934, S. 126. Zu diesem Prinzip vgl. Sven Reichardt, Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, 2. Auflage, Köln 2009, S. 137 f. 55 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 2. 56 Ebd., S. 4. 57 Ebd., S. 9. Ferner vgl. ebd., S. 5. 58 Ebd., S. 3.

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häufig alkoholische Getränke erhalten habe, wobei auf Wunsch verschiedener Vorgesetzter durchaus auch Sonderrationen ausgegeben worden seien. Zu einem „Höhepunkt“ des übermäßigen bataillonsinternen Alkoholkonsums war es jedoch schon 1942 in Warschau gekommen. Durch die gute Versorgungslage und das konstante Berauben von Ghettoinsassen und Stehlen aus deutschen Verpflegungslagern standen den Polizisten mehr als genug „Likör, Schnaps, Wodka und Bier“59 zur Verfügung. Es hieß: „Zweimal in der Woche fanden in der Kp-Bar Feiern statt.“60 Hinzu kamen noch Trinkgelage kleinerer Gruppen, die „fast täglich“61 stattgefunden haben sollen. Insbesondere sei jede Tötung von Ghettoinsassen zelebriert worden. Es soll üblich gewesen sein, „alle Schießerfolge der Ghetto­ wachen in der Kompaniebar zu feiern“.62 Je mehr Erschossene es gegeben habe, desto „mehr konnte auf den Tod der Juden gezecht und gesoffen werden“.63 Aber auch wenn es zu keinen Tötungen kam, feierten die Männer sich selbst in ihren Gemeinschaftsräumen. Zum Trinken war „immer ein Anlass da“.64 Welchen Charakter diese gemeinschaftliche Tätigkeit in den Unterkunftsräumen hatte, sprachen einige der Bataillonsmitglieder sehr deutlich aus. Es seien „die übelsten Orgien gefeiert“ worden, wobei „ständig nicht getrunken, sondern gesoffen“ wurde.65. Ebenso stellte man fest: „Trinkereien fanden fast täglich statt, die manches Mal in sogenannte Orgien ausarteten.“66 Eine besondere Vorreiterrolle soll dabei der Chef der 1. Kompanie eingenommen haben. In seinem Fall habe man „nicht mehr von Trinken“ sprechen können, „denn er soff“.67 Immer wieder sei er extrem betrunken gewesen. Durch seine Trunkenheit demonstrierte er, dass diese Verhaltensweise in seinem Machtbereich akzeptiert wurde. Entsprechend schlossen sich zahlreiche Männer seinen Feiern an.68

59 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 56). Für das „Organisieren“, also Stehlen von Alkohol aus einem SS-Versorgungslager in Warschau vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 55). Für die Alkoholration in Russland vgl. ebd., Bl. 54r f. Für den gemeinschaftlichen Alkoholkonsum vgl. auch die Fotografien in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 292; NRW, W, Q 223 Nr. 1486. 60 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 104r). 61 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 187). 62 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 110r). Ebenso für das Feiern von Tötungen vgl. Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 66); Aussage Anton Lange vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 41). 63 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 39r). 64 Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 47). Zum ständigen Alkoholkonsum auch ohne vorherige Tötungen vgl. Aussage Heinrich Krolopp vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 43). 65 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 38). 66 Aussage Heinrich Krolopp vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 43). Für weitere exemplarische Belege zum exzessiven und teilweise als „orgienartig“ beschriebenen Alkoholkonsum vgl. Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42r); Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 63); Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48r). 67 Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 44r). 68 Vgl. StAHH 213-12-72 Nr. 35 Foto Nr. 5. Dieses zeigt Mehr im Zentrum einer solchen Feier (vgl. Coverbild).

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Die gegenseitige Akzeptanz fragwürdiger Verhaltensweisen ging dabei aber noch weiter. So sang man in der Kompanie eben nicht nur die offiziell empfohlenen „Ulk- und Necklieder“,69 sondern auch makabre Gesänge, etwa mit dem Text „Wenn das Judenblut an der Wand hochspritzt“.70 Gemeinsam mit der Ausgestaltung der Räumlichkeiten spiegelte sich darin die weitgehende konsensuale Akzeptanz von Gewalt in dem Polizeiverband wider. Wie verstörend die dabei konzentriert präsentierte Organisationskultur offenbar auf Außenstehende wirken konnte, zeigt eine Aussage von Kreulich. Er meinte, selbst Mitglieder der SS, die Hauptmann Mehr in die Bar eingeladen habe, hätten sich von der dortigen Kultur abgestoßen gefühlt. Zu einer nochmaligen Einladung sei von ihnen „auch nicht einer erschienen, obwohl alle Vorbereitungen getroffen waren“.71 Für die Männer im Bataillon 61 wirkte die Atmosphäre ihrer Gemeinschaftsräume, wie sie für die 1. Kompanie besonders gut dokumentiert ist, gemeinsam mit dem dortigen Alkoholkonsum aber vergemeinschaftend. In gewisser Weise grenzte man sich durch die selbst geschaffene Organisationskultur auch nach außen von Nichtmitgliedern der Einheit ab. Gleichzeitig bestätigten sich die Polizisten beispielsweise in der Kompaniebar gegenseitig implizit, dass ihre Verhaltensweisen akzeptabel waren. Besonders demonstrativ habe dort beispielsweise der Spieß Ghettowachen gelobt, die Juden getötet hatten. Es hieß, er „klopfte ihnen auf die Schulter und trank darauf auch Schnaps mit ihnen“.72 Der gemeinsame massive Alkoholkonsum soll dabei insbesondere auch die Vertrauensbasis zwischen Funktionsträgern ausgedehnt haben. So urteilte das Bataillonsmitglied Krolopp über die Trinkgelage, an denen sich der Chef der 1. Kompanie und sein Spieß beteiligten: „Hier wurde auch die Freundschaft [von] Hauptmann Mehr und Brunst gepflegt.“73 Dabei ist es bedeutsam zu beachten, dass übermäßiger Alkoholkonsum für Waffenträger des NS-Regimes eigentlich verboten war. Spätestens für die ersten auswärtigen Einsätze der Polizei bei der Besetzung Tschechiens Mitte 1939 galt: „Nicht geeignet sind daher Offiziere und Männer, deren Einstellung zu den Frauen oder zum Alkohol zu Zweifeln Anlass gibt.“74 Auch während des Krieges

69 Der Schulungsleiter beim Befehlshaber der Ordnungspolizei betr.: Weltanschauliche Schulung vom 29.12.1939 (APP 299 Nr. 1233, Bl. 36). 70 Aussage Heinrich Krolopp vom 23.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 115r). Westermann meint, das Lied sei eine Variation des SA-Liedes „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt“. Vgl. Edward B. Westermann, Stone-Cold Killers or Drunk with Murder? Alcohol and Atrocity during the Holocaust. In: Holocaust and Genocide studies, 30 (2016) 1, S. 1–19, hier 11, Anm. 81. Eine andere Interpretation des Liedes als Umtextung des „Englandliedes“ bietet Klemp, Vernichtung, S. 93. 71 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 50r). 72 Aussage Ludwig Rybczak vom 10.7.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). 73 Aussage Heinrich Krolopp vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 43). Für den gemeinsamen Alkoholkonsum von Mehr und Brunst vgl. Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 80r). 74 Schnellbrief des RFSS vom 5.7.1939 (BA R 19 Nr. 11, Bl. 97).

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galt, in dieser „ernsten Zeit“ müsse „übermäßiger Alkoholgenuss“75 vermieden werden. Da man sich gerade außerhalb des Reichsgebietes eigentlich immer im Dienst befinde, wurde Polizisten vorgegeben, dass sie weder privat noch im Dienst deutlich betrunken sein durften.76 Gerade für Vorgesetzte galt im besonderen Maße, dass sie sich nicht betrinken sollten. Speziell die Kompaniechefs sollten „Nüchternheit im Trinken“ vorleben.77 Deswegen sei bei Offizieren auch infolge von Trunkenheitsdelikten „grundsätzlich ein schärferes Strafmaß anzuwenden als bei Unterführern und Männern“.78 Aber auch für alle anderen Personen, die betrunken Regeln übertraten, sollte keine „unberechtigte Privilegierung des Rauschtäters“ erfolgen. Himmler selbst habe hierzu den Standpunkt eingenommen, dass „selbstverschuldete Trunkenheit grundsätzlich nicht als Strafminderungsgrund angesehen werden“ dürfe.79 Entsprechend wurden auch immer wieder über für Trunkenheit verhängte Strafen berichtet. Schließlich stellte man seitens des NS-Regimes Personen, die übermäßig Alkohol konsumierten, mit Kriminellen und Schwätzern auf eine Stufe, wenn man verkündete: „Der Dieb löst jedes Vertrauen, der Räsoneur hat keines, dem Säufer kann niemand vertrauen – und ohne Vertrauen geschieht nichts.“80 Tatsächlich aber hatte der gemeinsame massive Alkoholkonsum neben der vergemeinschaftenden Komponente noch einen weiteren erwünschten Effekt für die Führungsfiguren des Bataillons 61. Der Rausch der ihnen unterstellten Polizisten enthemmte diese und setzte die Hemmschwelle für gewaltsame Handlungen deutlich herab. So hielt man beim Kommando der Schutzpolizei

75 Würdiges Verhalten von Angehörigen der Polizei in der Kriegszeit vom 13.11.1941 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 54). Für das Verbot übermäßigen Alkoholkonsums vgl. Merkblatt für SS- und Polizeikräfte, die im Bereich des Höheren SS- und Polizeiführers Rußland Mitte neu eingesetzt werden von 1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 240); Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft 5 September 1941, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 115). 76 Vgl. Gefährdung der Manneszucht durch Trunkenheit vom 18.1.1941 (DHPol 8.5.4 Nr. 39, Bl. 40). 77 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 14. Für die Pflichten von Vorgesetzten vgl. Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft 5 September 1941, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 138–146). Insbesondere zu den Pflichten von Führern heißt es, diese dürften nicht betrunken sein. Vgl. ebd., Bl. 140. 78 Rechtserziehung (Alkoholmissbrauch) vom 4.3.1942 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 52r). 79 Aburteilung von Trunkenheitsdelikten, Anwendung des § 330a RStGB [Reichsstrafgesetzbuch] in der SS- und Polizeigerichtsbarkeit vom 16.5.1944 (BA NS 7 Nr. 6, Bl. 13). 80 Befehl Nr. 7 des Chefs des SS-Wirtschafts-Verwaltungsamtes vom 26.2.1942 (BA NS 3 Nr. 1080, Bl. 112). Für exemplarische Strafen, etwa in Form von „7 Tagen geschärften Arrest“ wegen öffentlicher Trunkenheit vgl. Bestrafungen innerhalb der Schutzpolizei Posen vom 4.4.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 11). Für den Ausschluss aus der SS und den Verlust der Pension als Strafe vgl. Schreiben betr.: Alkoholmissbrauch vom 19.9.1942 (BA NS 7 Nr. 3, Bl. 79). Für die exemplarische Bestrafung eines Offiziers vgl. Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft 2 Oktober 1940, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 10).

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Posen fest, unter Polizisten sei Alkoholkonsum „nicht selten Ursache grober Ausschreitungen“.81 Auch wenn die Polizisten der hier untersuchten Polizeieinheit dies für sich selbst nicht eingestanden, so beschrieben sie doch die Wirkung von Alkohol auf besonders exponierte Mitglieder des Bataillons 61. So soll Helmer, alias „Frankenstein“, „stark dem Alkohol zugesprochen“82 und dann auf Ghettoinsassen geschossen haben. Über Hauptmann Mehr wurde festgehalten, seine „Minderwertigkeit“ und „Brutalität“ habe sich besonders bei „Trunkenheit“83 gezeigt. Weitere Zeugen führten über ihn aus, er habe betrunken üblicherweise randaliert und getötet. Es hieß, wenn „Mehr betrunken war, war er wie ein Tier“84 und er soll ständig getrunken haben. Auch für weitere Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit hielt man fest, dass, wenn „die genannten Leute getrunken hatten, […] sie sich überaus mutig“85 gefühlt haben. Ganz konkret will beispielsweise Rung dies bei Kameraden bemerkt haben, die sich zum Töten in das Warschauer Ghetto begaben. Er sagte aus: „Aus ihren Gesten und ihrem sonstigen Verhalten musste ich entnehmen, dass sie nicht mehr nüchtern waren.“86 Teilweise hätten sogar Vorgesetzte Alkoholverbote eigenmächtig aufgehoben, um damit die durch das Bataillon 61 ausgeübte Gewalt zu fördern. Aber auch bei den „regulären“ Tötungsmaßnahmen durch die Polizeieinheit wurde auf Alkohol zurückgegriffen, um den Prozess für die Ausführenden erträglicher zu machen. So berichtete beispielsweise Nahlmann, dass im Rahmen von Massenexekutionen „Schnaps in rauen Mengen“87 ausgegeben wurde. Aufgrund seiner unterstützenden Wirkung sowohl bei der offiziellen Gewalt der Polizeieinheit als auch bei der nicht formalisierbaren Erwartung von Vorgesetzten zur illegalen Gewaltausübung wurden auch die „negativen“ Effekte des

81 RFSS an das Kommando der Schutzpolizei vom 24.9.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 29). In ähnlicher Form für die Problematik von alkoholbedingten Gewalttaten vgl. Jahresbericht über den Wiederaufbau der Gendarmerie für die Zeit 1.7.1940–31.12.1941 (APP 1008 Nr. 7, Bl. 31). Zum Waffenmissbrauch unter Alkoholeinfluss vgl. Schreiben betr.: Missbrauch der Schusswaffen vom 20.11.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 266, unpag.). Für die Rolle von Alkohol bei der Gewaltausübung von NS-Polizeieinheiten vgl. Westermann, Killers, S. 1–19. 82 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 50r). 83 Ebd. 84 Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 233r). Für Mehrs Randalieren unter Alkoholeinfluss vgl. Aussage Otto Kobitzki vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 122). Für Mehrs ständigen Alkoholkonsum vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 121). 85 Aussage Heinrich Krolopp vom 23.11.1951 (ebd., Bl. 115r). Insbesondere für die Ent­ hemmung der Ghettowachen durch Alkohol vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 59). 86 Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 125r). 87 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 17. Dies ist auch für andere Fälle erwähnt vgl. ebd., S. 16. Für das Aufheben des Alkoholverbots durch den Spieß der 1. Kompanie vgl. Aussage Ludwig Rybczak vom 10.7.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). Dort bezogen auf den Alkoholkonsum von Helmer.

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starken Alkoholkonsums weitestgehend toleriert. So sei es etwa vorgekommen, dass der Unterführer Körber so betrunken war, dass er als Stellvertreter des Spießes der 1. Kompanie nicht in der Lage war, die Meldung über das Antreten der Einheit entgegenzunehmen. Man habe ihn nur noch „in völlig betrunkenem Zustand vor seinem Bette liegend“ vorgefunden.88 Zwar habe dies den Kompaniechef verärgert, eine Bestrafung ist jedoch nicht dokumentiert. Ebenso meinte Roschkowski beispielsweise, dass sich Helmer „eines Tages des Wachvergehens schuldig gemacht hat und dass er ein anderes Mal betrunken zum Dienst erschienen ist, bzw. sich während des Dienstes betrunken hat. Beide Fälle hat Brunst unter den Tisch fallen lassen und nicht zur Meldung gebracht.“89 Der Spieß hingegen gab selbst an, er sei in Russland mit einem Verweis bestraft worden, da seine unter Alkoholeinfluss stehenden Männer nicht in der Lage gewesen seien, schnell genug anzutreten. Zu weiterführenden Konsequenzen kam es jedoch nicht.90 Dies wäre im Fall von Bataillonskommandeur Perling, der in Russland das Kommando übernahm, auch wenig wahrscheinlich bzw. umsetzbar gewesen. Er selbst war wegen wiederholter Trunkenheitsfahrten zum Bataillon 61 strafversetzt worden. Wie in seinem Fall zeigte sich das NS-Regime auch generell relativ kulant in Hinsicht auf die Trinkgewohnheiten seiner Waffenträger. Grundlegend wurde festgehalten, dass Alkoholkonsum zwar nicht wünschenswert sei, aber solange akzeptabel bliebe, wie die Männer noch in der Lage wären, ihren Dienst nach außen hin geordnet zu absolvieren. Beispielsweise wurde selbst das Trinken im Frontdienst in Osteuropa freigegeben. Trotz gewisser Reibungsverluste im alltäglichen Dienst bewirkte die durch Alkohol und Geselligkeit geförderte gegenseitige Vertrauensbildung die Erfüllung insbesondere von irregulären und eigentlich illegalen Aufgaben.91 So setzte man beispielsweise in der 1. Kompanie für die illegalen Tötungstouren im Warschauer Ghetto Polizisten ein, die „das volle Vertrauen des Hauptmann Mehr“ besaßen.92 Ebenso wurden über dessen Ausflüge zum Töten von

88 Aussage Adalbert Roschkowski vom 4.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 60r). Ferner vgl. Aussage Martin Strekis vom 4.11.1952 (ebd., Bl. 59r). Grundsätzlich zu nicht formalisierbaren Erwartungen in Organisationen, anknüpfend an die Arbeit von Luhmann, vgl. Victoria v. Groddeck/Sylvia Wilz, Auf dem Papier und zwischen den Zeilen. Formalität und Informalität in Organisationen. In: dies. (Hg.), Formalität und Informalität in Organisationen, S. 7–33, hier 18. 89 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 121). Es heißt auch, Hauptmann Mehr habe daran mitgewirkt. Vgl. Aussage Ernst B ­ runst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 53). 90 Vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 55). 91 Zur Aufhebung des Alkoholverbots an der Front vgl. Alkoholverbot bei Fronteinsatz vom 28.8.1941 (BA NS 7 Nr. 3, Bl. 78). Für die Akzeptanz des Alkoholkonsums, solange der Dienst noch ausgeübt werden konnte, vgl. Schreiben betr.: SS- und Polizeigerichtsbarkeit des HSSPF Posen vom 10.10.1940 (BA R 70 Polen Nr. 198, Bl. 38). Zu Perlings Person siehe Kapitel III.1. 92 Aussage Artur Michels vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 190).

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Ghettoinsassen berichtet: „Hätte sich Hauptmann Mehr nicht nach jeder Richtung auf Brunst verlassen können, hätte er diesen bestimmt nicht zu seinem Begleiter erwählt.“93 Auch wo es darum ging, Regeln zugunsten der lokalen Bevölkerung zu übertreten, benötigte der jeweilige Akteur funktionierende Vertrauensbeziehungen zu anderen Mitgliedern der Polizeieinheit. So hatte Oberleutnant Wannemacher 1939 einem Priester vor dessen Exekution die Beichte ermöglicht. Hierzu nahm der Offizier jedoch nur einen weiteren vertrauenswürdigen Polizisten als Begleitung mit.94 Passend dazu hieß es von offizieller Seite: „Vertrauen ist die Grundlage des Gehorsams“.95 Gerade das Verhältnis „von Führer und Gefolgschaft“ müsse eine Beziehung „des gegenseitigen Dienens und des Vertrauens, der Treue und des Glaubens“ darstellen.96 Es hieß, es sei „eine alte Erfahrungstatsache, dass von dem Verhältnis zwischen Führer und Unterführer, insbesondere von der Art ihres Zusammenwirkens, der Erfolg der Arbeit innerhalb eines Truppenverbandes wesentlich abhängt“.97 Gleiches galt auch für die Vertrauensbeziehungen von Vorgesetzten zu Polizisten mit Mannschaftsdienstgraden. Es hieß, „ohne Vertrauen ist die Aufrechterhaltung wahrer Autorität undenkbar“.98 Insbesondere sollten sich Vorgesetzte nicht nur auf die Einhaltung offizieller Hierarchien konzentrieren: „Damit wahrt man Autorität höchstens äußerlich und formell, es entsteht daraus nur eine Scheinautorität.“99 Die Vertrauensstrukturen sollten tiefer gehen, als es das übliche Konzept der „Kameradschaft“ vorsah.100 Während diese „oft bitterer Zwang“ sei und quasi als soldatische Grundverpflichtung „unabhängig von der persönlichen Einstellung zum anderen Menschen“101 gefordert wurde, war der Fall vertrauensbasierter „Freundschaft“ anders ausgeprägt. Über sie hieß es, sie sei „ein Geschenk des Himmels“, da sie „keinerlei Zwang“ unterliege.102 Das dabei aufgebaute Vertrauen sollte in Kombination mit den monopolisierten Sozialkontakten der Polizisten im auswärtigen Einsatz dazu beitragen, die Polizeieinheit zu einer

   93 Aussage Ludwig Rybczak vom 10.7.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.).    94 Vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 69). Dies wird bestätigt bei Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 19 f.). Dort heißt es auch, man könne sich „vorstellen, dass er Schwierigkeit gehabt hätte, wenn so etwas an die große Glocke geraten wäre“.    95 Auszug aus den Richtlinien für die Führung und Ausbildung der Ausbildungs-Bataillone von Generalleutnant Mülverstedt, o. D. (BA R 19 Nr. 308, Bl. 203r). Hierbei wurde die Nutzbarkeit für illegale, aber zu den Plänen der NS-Führung passenden Tätigkeiten verständlicherweise nicht explizit ausgeführt.    96 O. V., Verpflichtende Freiheit. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 5 (1937) 10, S. 331.    97 Schieritz, Grundsätze (1940), S. 30.    98 Ebd., S. 34.    99 Ebd., S. 32  f. 100 Hermann Teske, Der Unteroffizier. Aufgaben und Stellung des Unteroffiziers, Berlin 1941, S. 53. 101 Ebd., S. 54. 102 Ebd., S. 53.

Die gierige Organisation und das Vertrauen

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selbstgewählten Ersatzfamilie zu machen, mit dem Kompaniechef als sinnbildlichen „Vater der Kompanie“103 und dem Spieß als „Kompaniemutter“.104 Tatsächlich wurde so auch das Bataillon 61 zum einzig relevanten Referenzrahmen seiner Mitglieder. Offenbar ohne sich der Tragweite seiner Aussage bewusst zu sein, formulierte das Bataillonsmitglied Roth beiläufig, aber sehr prägnant: „Unsere Sicht ging praktisch nur bis zur Bataillonsführung, alles andere hat uns nicht interessiert.“105 Dass sich im Bataillon 61 nicht nur kameradschaftliche Strukturen ausprägten, die schon per Definition mit dem Ende des gemeinsamen Dienstes erledigt waren und sich nicht auf einen illegalen Bereich erstrecken konnten, zeigt sich auch daran, dass die Vertrauensstrukturen auch nach Auflösung der Einheit und über das Kriegsende hinaus fortbestanden. In zahlreichen Fällen unterstützten sich die Männer beispielsweise bei Entnazifizierungsverfahren, und im Zuge der ab den 1950er-Jahren anlaufenden Ermittlungsverfahren zeigten sich regelrechte Entlastungsnetzwerke.106 Besonders gut dokumentiert ist die intensive Beziehung zwischen dem Chef der 1. Kompanie und seinem Spieß. Sie sollen sich „in einem erheblichen Vertrauensverhältnis“107 befunden haben. In anderen Aussagen wird konkreter formuliert, dass „Brunst und Mehr unzertrennliche Freunde waren“.108 Sie seien „engstens befreundet“109 gewesen, sodass man sie als „ein Herz und eine Seele“ beschrieb.110 Ihr „herzliches Verhältnis“111 habe sich so ausgeprägt, dass dort, „wo Mehr auch Brunst war“, weil ihre „Freundschaft so dick war“.112 Der Unterführer habe sich immer im „Fahrwasser“113 des Kompaniechefs befunden und in das „selbe Horn geblasen“.114 Dabei war der Spieß eben nicht nur „der getreue

103 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 15. 104 Teske, Unteroffizier (1941), S. 55. 105 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 11). Insbesondere für das Konzept des „Referenzrahmens“ im Krieg vgl. Sönke Neitzel/Harald Welzer, Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, Frankfurt a. M. 2011, S. 16–19 und 390–394. 106 Siehe auch Kapitel II.4.2. Für die gegenseitige Unterstützung vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 28.3.1946 (BA-K Z 42 III 1569, Bl. 12); Aussage Gerhard Riewald vom 15.5.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-17401, Anlage 8), S. 1. Im dortigen Dokument vom 9.4.1948 werden hingegen u. a. Riewald, Kreulich, Vorschütz und Zumplasse als Entlastungszeugen angegeben. Für die Angabe nur von Riewald als Leumund vgl. Entnazifizierungsakte Nord, Walter vom 29.3.1950 (LAV NRW, R, NW 1037-A.Reg-14951, Bl. 2). 107 Aussage Franz Thamm vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 106r). 108 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 39r). 109 Aussage Gerhard Riewald vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 46). 110 Aussage Heinrich Krolopp vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 43). Ebenso vgl. Aussage Heinrich Krolopp vom 23.11.1951 (ebd., Bl. 115r). 111 Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (ebd., Bl. 72r). 112 Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 80r). Ebenso vgl. Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 39r). 113 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 39r). 114 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 38).

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Diener und Freund von Mehr“,115 sondern eher dessen Komplize, da sie „sich in allen Taten ergänzt“116 haben sollen. Sie hätten „Hand in Hand“117 gearbeitet und sich dabei in „völliger Übereinstimmung zur Seite“ gestanden.118 Dabei hatte nicht nur der Kompaniechef deutliche Vorteile aus diesem Vertrauensverhältnis, das ihm einen besseren Zugriff auf den durch den Spieß organisierten Alltag ermöglichte. Denn, „was gegen den Willen des Hauptmann Mehr war, ordnete Brunst nicht an. Dazu war die Freundschaft zwischen den beiden zu dick.“119 Auch der Spieß hatte durch die Beziehung „einen so großen Einfluss auf Hauptmann Mehr“,120 dass der Unterführer deutlich die Handlungen der 1. Kompanie mitsteuern konnte. Dadurch besaß er weit größere Macht, als ihm rein von seinem Dienstgrad her zustand. Außerdem habe Mehr ihn „gefördert, wo ihm dieses nur möglich war“.121 Solch wechselseitig positive Effekte seien „bezeichnend für die Freundschaft Brunst/Mehr“122 gewesen, so wie sie es auch für Freund- und Komplizenschaft allgemein in militärisch organisierten Einheiten gilt. Die positiven Effekte von Vertrauensbeziehungen bedingten entsprechend neben dem Fall der Freundschaft von Spieß und Kompaniechef weitere tiefgehende Beziehungen. Eingestanden wurden nach dem Krieg jedoch meist nur die Zusammenschlüsse besonders gewaltaffiner Akteure, von denen sich Zeugen bewusst abgrenzten. So soll bekannt gewesen sein, dass Hauptmann Mehr „eine bestimmte Clique“123 um sich schuf und sich dann stets mit diesem „gewissen Kreis zu umgeben pflegte“.124 Offensichtlich schlossen aber auch zahlreiche andere Bataillonsangehörige untereinander Freundschaften. Dies legen nicht nur die gegenseitigen Entlastungsbemühungen von Offizieren, Unterführern und einfachen Polizisten in Entnazifizierungsverfahren nahe. Beispielsweise hieß es etwa über den Unteroffizier Kreulich, er habe als Zugführer alles für seine Leute getan „und war daher sehr beliebt“.125 Selbst sein Intimfeind, Brunst, musste dies eingestehen. Über den Offizier Linnemann

115 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 40). 116 Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 44). 117 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 120r). 118 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 109r). 119 Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 81). In ähnlicher Form vgl. Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 47). 120 Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42). 121 Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (ebd., Bl. 72r). Für die weitreichende Macht von Brunst vgl. Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 47). Allgemein zum Einfluss der Unterführer siehe ausführlich Kapitel V.2. 122 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 50r). 123 Ebd., Bl. 47. 124 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 187). Zur angeblichen Zusammensetzung der Kerngruppe aus Hauptmann Mehr, Hauptwachtmeister Brunst sowie den Polizisten Helmer, Lapschieß und Vöcker vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 233); Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48r). 125 Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42r).

Die gierige Organisation und das Vertrauen

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ist in dessen Entnazifizierungsunterlagen festgehalten, dass er beliebt gewesen sei, da sein Verhältnis zu den Reservisten und „älteren Männern besonders gut war“.126 Sippel erweiterte schließlich die Darstellung des tiefgehenden Vertrauensverhältnisses zwischen dem Spieß und dem Kompaniechef der 1. Kompanie noch um eine weitere Person, indem er ausführte, dass „Brunst mit Mehr und dem Bataillonskommandeur Dederky ein Herz und eine Seele“ gewesen sei.127 Die Entwicklung von Vertrauensstrukturen und das Wissen, wie diese zur Truppenführung zu nutzen waren, etablierte sich dabei nicht von allein. Vielmehr basierte dies insbesondere auf einem Führungsstil, den die jüngeren Offiziere von ihren älteren Vorgesetzten erlernten. Viele der späteren Kompaniechefs waren zunächst in anderen Positionen im Bataillon 61 eingesetzt. So war der spätere Hauptmann Mehr zunächst seinem späteren Kollegen Hauptmann Kärgel als Zugführer unterstellt. Der spätere Kompaniechef Wannemacher war seinerseits zunächst, wie Leutnant Brauns, unter Hauptmann Nord eingesetzt. Lütgemeier, der kurze Zeit die 4. Kompanie befehligte, war zuvor Zugführer unter Oberleutnant Fockenbrock in der 2. Kompanie. Unter der Ägide erfahrener Offiziere erfuhren die späteren Kompaniechefs, wie sich die Organisationskultur einer Polizeieinheit entscheidend prägen und nutzen ließ.128 Ebenso wichtig für die reibungslose Etablierung und Nutzung von Vertrauensstrukturen über eine bloße Kameradschaft hinaus, war auch, dass sich viele Männer des Bataillons 61 schon aus früheren Verwendungen kannten. Zahlreiche spätere Funktionsträger der Dortmunder Polizeieinheit waren beispielsweise schon 1938/39 gemeinsam im Einsatz gewesen. Der Bataillonsadjutant Krehnke und der Kompaniechef Fockenbrock kannten sich darüber hinaus bereits aus einem gemeinsam absolvierten Zugführerlehrgang im SS-Übungslager Dachau. Die Kompaniechefs Kärgel, Mehr und Fockenbrock gehörten vor dem Krieg zur gleichen SS-Standarte. Nahlmann traf als einfacher Reservist im Bataillon 61 in Warschau verschiedene Kameraden wieder, mit denen er schon seine Ausbildung in Dortmund durchlaufen hatte. Auch Mehr und Brunst kannten sich schon vor dem Einsatz in Warschau, obwohl sie in unterschiedlichen Teilen des Bataillons 61 eingesetzt waren.129

126 Entnazifizierungsakte Linnemann, Heinrich vom 27.10.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1347, unpag.). Für die Stellungnahme von Brunst über Kreulich vgl. Aus­ sage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 54 r). 127 Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 66). In ähnlicher Form zum Vertrauen zwischen Mehr und Dederky vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 54r). 128 Für Lütgemeiers Verwendung vgl. Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 57). Für Wannemachers Verwendung vgl. Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 26); Aussage Ernst Brunst vom 4.2.1960 (ebd., Bl. 37). Für Mehrs Verwendung vgl. Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 28r). 129 Vgl. Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 80r). Für Nahlmann vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 12. Für die gleichen Stammabteilungen vgl. Akte Hans Kärgel (BA R 9361 SSO 147, Bl. 480); Akte Heinrich Fockenbrock (BA R 9361 SSO 213, Bl. 1478). Für

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Handlungsleitende Einflüsse

Aufgrund ihrer bereits vor dem Krieg bestehenden Verflechtung mit dem NS-Regime unterhielten insbesondere die Offiziere auch Vertrauensnetzwerke außerhalb des Bataillons 61. Hauptmann Kärgel besaß, wie schon erwähnt, beispielsweise über seinen Bruder, der SA-Standartenführer war, Kontakte bis hin zu Goebbels und Daluege. Ebenso hatte auch der zeitweise Bataillonsadjutant Krehnke über seinen Cousin bei der Volksdeutschen Mittelstelle in Posen indirekten Kontakt zum Chef der Ordnungspolizei. Hauptmann Mehr war persönlich mit dem stellvertretenden Gauleiter von Westfalen-Süd, Vetter, befreundet und soll auch sonst „gute Beziehungen zu höheren Befehlsstellen“130 unterhalten haben. Oberleutnant Fockenbrock sagte man nach, dass er „auch im Warthe­gau recht guten Kontakt mit SS bzw. SD-Leuten hatte“.131 Außerdem kannte der Oberleutnant aus seiner SS-Stammabteilung einen SS-Brigadeführer, der sich für ihn einsetzte. Major Perling, der das Bataillon 61 in Russland führte, war schließlich mit dem BdO Stettin gut bekannt.

2.

Die Organisation des Alltags, die Freiwilligkeit und der fehlende Zwang

Das Bataillon 61 wurde zwar offiziell durch seinen Kommandeur und die ihm unterstehenden Kompaniechefs befehligt, jedoch lag gerade die Ausgestaltung des Alltags der Polizeieinheit nur im relativ geringen Maß in ihren Händen. In der 1. Kompanie wurde beispielsweise weniger direkt befohlen als nach den allgemeinen „Richtlinien“132 von Hauptmann Mehr gehandelt. Entsprechend wurde der sich in zahlreiche Einzelaspekte gliedernde Routinedienst vor allem durch Unterführer, unterstützt von Schreibern, geplant und ausgestaltet. Exem­plarisch deutlich wird dies an der Einteilung der Wachen am Warschauer Ghetto. Wenn dort besonders gewaltaffine Akteure als Posten eingeteilt wur-

den Zugführerlehrgang in Dachau vgl. ebd., Bl. 1481. Für den gemeinsamen Einsatz verschiedener späterer Bataillonsmitglieder im Jahr 1938/39 vgl. Vorschlagsliste Nr. 50 für die Verleihung der Medaille zur Erinnerung an den 13. März 1938 vom 10.3.1939 (BA R 601 Nr. 2403, passim). Vgl. auch die entsprechenden Fotografien und deren Beschriftung in: LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943. 130 Aussage Hermann Kreienkamp vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 33r). Für Mehrs Kontakt zu Vetter vgl. Entnazifizierungsakte Kreulich, August vom 1.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1234, Anlage zu Bl. 15). Allgemein für Mehrs Bindung an die NSDAP vgl. Aussage Joseph Figiel vom 2.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 71); Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 233). Für Krehnkes Cousin vgl. Schreiben Hoffmeyers von der Volksdeutschen Mittelstelle Posen an den Chef der Ordnungspolizei vom 4.7.1941 (BA R 9355 ZB I 1114 A.2, Bl. 78). Für Kärgels Bruder vgl. Schreiben von Kurt Kärgel an den Generalleutnant der Landespolizei Daluege vom 26.2.1936 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 17 f.). 131 Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 44). Für Fockenbrocks Kontakte aus der SS-Stammabteilung vgl. Akte Heinrich Fockenbrock (BA R 9361 SSO 213, Bl. 1492). 132 Aussage Franz Chwieja vom 25.5.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 77).

Organisation des Alltags, Freiwilligkeit und fehlender Zwang

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den, konnten auch Polizisten mit relativ niedrigem Dienstrang Einfluss auf die durch das Bataillon 61 ausgeübte Gewalt nehmen. Der Chef der 3. Kompanie, Kärgel, berichtete, dass er zwar offiziell „für die Wacheinteilung innerhalb der Kompanie“ verantwortlich gewesen sei. Er meinte jedoch, tatsächlich „wurde sie vorgenommen durch den jeweiligen Kompaniehauptwachtmeister bzw. durch den ihm zugeteilten Kompanieschreiber“. Der in der Vertrauensposition des Spießes eingesetzte Unterführer habe „völlig freie Hand“133 gehabt und der Hauptmann habe lediglich die fertige Liste unterzeichnet. Dies scheint ein typisches Vorgehen gewesen zu sein, wie verschiedene Mitglieder des Bataillons 61 bestätigten. Erich Sinn etwa meinte, es sei „normalerweise üblich“ gewesen, „die Einteilung von Wachplänen dem Kompaniewachtmeister zu überlassen“.134 Der geschäftsführende Hauptwachtmeister der 1. Kompanie berichtete: „Die Aufstellung der Wachen erfolgte jeweils zunächst selbstständig durch einen Kompanieschreiber, der mir die Wacheinteilung dann vorlegte. Ich selbst legte dann meinerseits die schriftlich fixierte Wacheinteilung dem Kompaniechef“ vor.135 Gerade Hauptmann Mehr sei jedoch mit dieser formalen Aufgabe äußerst lax umgegangen. So meinte ein Schreiber der 1. Kompanie, der Offizier habe „den Wachplan in keinem Fall unterschrieben“ und ohnehin seien, soweit er wisse, „die Wachpläne dem Hauptmann Mehr auch nicht vorgelegt worden“.136 Ein weiteres Mitglied der Teileinheit des Bataillons 61 berichtete dazu passend: „Hauptmann Mehr hat sich um diese Dinge nicht gekümmert und war zumeist im Kompaniegebäude nicht anwesend.“137 So habe der Spieß der 1. Kompanie laut Kreulich „in seinen Dienstobliegenheiten ziemlich freie Hand“ gehabt.138 Der geschäftsführende Hauptwachtmeister sei in Gänze „für den Innendienst der Kompanie verantwortlich“ gewesen. Er „leitete die Schreibstube, durch die der gesamte Schriftverkehr der Kompanie ging, teilte die Wachen […] ein und führte auch gelegentlich Wachkontrollen durch.“ Außerdem sei der Spieß die Person gewesen, bei der „eine ­schriftliche

133 Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 29r). 134 Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 183r). Ebenso vgl. Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 81). 135 Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 135r). Ebenso für die übliche Diensteinteilung durch den Spieß vgl. Aussage Franz Chwieja vom 25.5.1951 (ebd., Bl. 77); Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 127r). 136 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (ebd., Bl. 198). Hierbei scheint es durchaus wahrscheinlich, dass der Kompaniechef einfach alles „blind“ abzeichnete. 137 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 104). 138 Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 102). Zur Wacheinteilungskompetenz von Ernst Brunst vgl. Aussage Heinrich Weber vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 92). Für den Gestaltungsspielraum und die Selbstständigkeit der Spieße vgl. Aussage Heinrich Krolopp vom 23.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 115); Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 107r).

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Handlungsleitende Einflüsse

Meldung über den Waffengebrauch“139 gegen Zivilisten abgegeben werden musste. Die Unterführer der Kompanien und insbesondere die geschäftsführenden Hauptwachtmeister stellten so das „eigentliche Bindeglied zwischen Führern und Geführten“140 dar, wobei sie eine wichtige „beaufsichtigende Funktion“ wahrnahmen.141 Dies war möglich, da Unteroffiziere – anders als Offiziere – meist lange Zeit bei dem gleichen Truppenteil eingesetzt waren. Entsprechend konnten Unterführer die unterstellten Polizisten generell, sowie deren Fähigkeiten und Eigenheiten im Besonderen, gut einschätzen und beurteilen. Dies war für die Führung der jeweiligen Einheit immens wichtig. Die Funktionsträger hatten so, wie ihre Pendants in Waffen-SS und Wehrmacht, als das eigentliche „Rückgrat der Kompanie […] besondere Bedeutung“.142 Dies war Resultat einer „militärischen Kultur, die ganz auf die Selbstständigkeit und Kompetenz ihrer Unterführer“ setzte. Aus diesem Grund waren es diese Männer, „die darüber entschieden, ob eine Einheit außer Kontrolle geriet oder nicht“.143 Für das Bataillon 61 fasste Roschkowski dementsprechend zusammen: „Jeder jüngste Soldat und jeder jüngste Polizist einer Polizeikompanie wissen doch, was ein Hauptwachtmeister oder wie man in der Kompanie sagt ‚Spieß‘ für eine Macht hatte.“144 Auch Brunst meinte, dass doch jeder Militärangehörige wisse, dass „der Spieß das Beispiel in der Kompanie ist“.145 Die Bedeutung eines solchen Unterführers lässt sich nicht zuletzt auch daran ablesen, dass der geschäftsführende Hauptwachtmeister des Bataillons von „der Kompanie Brunst“ sprach.146 Damit ordnete er die Teileinheit dem Spieß zu und nicht dem vorgesetzten Kompaniechef Mehr. Auch der in der 1. Kompanie eingesetzte Reser-

139 Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 102). Für die personelle Zusammenstellung von Wachen durch die Spieße der Kompanien vgl. Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (ebd., Bl. 262r). 140 Hartmann, Wehrmacht, S. 49. Bei Illinger, Unterführer (1938), S. 3 heißt es, ohne Unterführer sei die Führung militärischer Verbände unmöglich. 141 Franz Kernic, Sozialwissenschaften und Militär. Eine kritische Analyse, Wiesbaden 2001, S. 70. 142 Teske, Unteroffizier (1941), S. 53. Ferner vgl. ebd., S. 39. Für die Bezeichnung als „Rückgrat“ der Truppe vgl. Werner Lahne, Unteroffiziere. Werden, Wesen und Wirken eines Berufsstandes, München 1965, S. 163. Für die ähnliche Bezeichnung als „Kitt der Armee“ vgl. Hartmann, Wehrmacht, S. 40. Zur Fähigkeit von Unteroffizieren, ihre Untergebenen besonders gut einschätzen zu können, vgl. Christoph Rass, Das Sozial­ profil von Kampfverbänden des deutschen Heeres 1939 bis 1945. In: Jörg Echtern­ kamp (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 9/1: Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. Politisierung, Vernichtung, Überleben, Stuttgart 2004, S. 641–737, hier 740. 143 Hartmann, Wehrmacht, S. 49. Zur Bedeutung von Unteroffizieren vgl. Chef der Heeresleitung (Hg.), Heeresdienstvorschrift 300/1 für die Truppenführung, Berlin 1933, S. 2. 144 Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl.  44r f.). 145 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 56). 146 Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 37).

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vist Bayer war sich, auf die Nachfrage, wer nun die Einheit befehligte, etwas unsicher, wenn er festhielt: „Ja, das wird wohl der Hauptmann Mehr oder der Hauptwachtmeister Brunst getan haben.“147 Dennoch waren viele Befugnisse solcher Unterführer durch Vorgesetzte nicht offiziell übertragen worden, sondern stellten ein informelles Arrangement dar. Obwohl etwa der Kompaniechef der verantwortliche Disziplinarvorgesetzte für die von ihm befehligten Männer war, habe gerade der Spieß der 1. Kompanie ein großes Maß an Macht besessen, „vor allen Dingen, wenn es um die Erziehung der Kompanie ging“.148 Um die ihm formell nicht in voller Breite zustehende Machtfülle zu sichern, war Brunst bemüht, alle relevanten Kommunikationswege in seiner Person zu bündeln, um so die maßgebliche Schnittstelle der Einheit zu bleiben. So sei es mehrfach vorgekommen, dass „Brunst die Kompanie darauf hinwies, dass zunächst er über alle Dinge, die dienstlich oder außerdienstlich vorfielen, unterrichtet zu werden wünsche“. Er habe dabei betont, nur seine „Aufgabe sei es dann, Vorfälle aller Art an den Kompanieführer weiter zu melden“.149 Tatsächlich entsprach dies in gewisser Weise den geltenden Vorschriften. So war vorgesehen, ein Unterführer solle Vorgesetzte mit „‚Kleinkram‘, den er bei einiger Verantwortungsfreudigkeit selbst erledigen“150 könne, verschonen. „Falsch und pflichtwidrig“ sei es hingegen, „wenn der Unterführer seinem Führer wichtige Dinge – auch wenn sie unangenehmer Art sein sollten! – verschweigt“. Insbesondere solle dies nicht praktiziert werden, wenn man nur „bei seinem Führer den Eindruck erwecken bzw. erhalten will, dass bei ‚ihm‘ immer ‚alles in Ordnung‘ sei und weil er als ‚Dank und Anerkennung‘ dafür unberechtigte persönliche Vorteile, insbesondere hinsichtlich seines Fortkommens“ anstrebt.151 Es war Aufgabe der Unterführer, die Offiziere „bei der Vorbereitung der notwendigen Entscheidungen, bei dem Herausfinden der bestmöglichen Entschlüsse nach dem bestem Wissen und Gewissen zu unterstützen“.152 Der Soziologe Kühl formuliert das daraus resultierende, durchaus opportunistische Machtkalkül von Untergebenen wie folgt: „Wenn ich die Informationen für die Entscheidung zusammenstellen darf, dann kann der Vorgesetzte gern für das Treffen der Entscheidung selbst und für ihre Durchsetzung verantwortlich sein.“153 Dadurch, dass Unterführer entscheiden konnten, welche Informationen und ­insbesondere

147 Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 80). 148 Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48). 149 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 121). 150 Schieritz, Grundsätze (1940), S. 35. 151 Ebd., S. 36. 152 Ebd., S. 35. 153 Stefan Kühl, Organisationen. Eine sehr kurze Einführung, Wiesbaden 2011, S. 81. Zum daraus resultierenden Prinzip, wie in Organisationen jeder Akteur Einfluss nehmen kann, vgl. insbesondere auch Niklas Luhmann, Zweck – Herrschaft – System. Grundbegriffe und Prämissen Max Webers. In: ders. (Hg.), Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung, Opladen 1971, S. 90–112, hier 98.

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Missstände sie an die Kompaniechefs weiterleiteten, sicherten sie ihre herausgehobene Stellung ab. Auf diese Weise hatten die Unterführer des Bataillons 61 mehr als nur „Mitverantwortung“154 für die Gewalt ihrer Einheit jenseits von Vorschriften und Gesetzen. Insbesondere über den Spieß der 1. Kompanie wurde dies von verschiedenen Mitgliedern der Polizeieinheit zur Sprache gebracht, wobei die Zeugen ihre eigene Verantwortung konsequent ausklammerten. Bayer meinte: „Wenn bei der 1. Kompanie ein anderer Hauptwachtmeister gewesen wäre, dann wären die ganzen Schweinereien nicht in dem Maße vorgekommen.“155 Rung meinte, Brunst hätte eigentlich „oft Gelegenheit gehabt […] die härtesten und absurdesten Befehle des Hauptmann Mehr zu umgehen“.156 Genutzt habe der Unterführer diese Möglichkeit jedoch nicht. Auch Kreulich meinte, der Spieß der 1. Kompanie hätte die Wacheinteilung von besonders gewalttätigen Polizisten verhindern können, „wenn er es nur ernstlich gewollt hätte“.157 In geringerem Maße konnten auch die Schreiber eine solchen Einfluss auf die jeweiligen Kompanien nehmen, wenn ihnen durch ihre vorgesetzten Unterführer Freiräume bei der Gestaltung von Wachplänen zugestanden wurden. So meinte der Spieß der 1. Kompanie, zum Teil hätten bei ihm „die Kompanieschreiber selbstständig“158 Wachen eingeteilt. Hierbei waren Befugnisse von Schreibern jedoch noch weniger abgesichert als die ihrer Unterführer. Entsprechend galt es für sie, sich stark an den Vorstellungen ihrer Vorgesetzten zu orientieren. Delisch erinnerte sich daran, dass der Spieß ihn wegen einer unerwünschten Wachverteilung zurechtwies, wobei der Unteroffizier ihm seine „Selbstständigkeit vorhielt“.159 Jedoch konnten auch Unterführer in Konflikt mit Vorgesetzten geraten, wenn sie den Dienstplan gegen den Willen der Führung zu beeinflussen versuchten. So erinnerte sich Tiemann daran, dass Kreulich durch den Spieß der 1. Kompanie „angeschnauzt“160 worden sei, da der Zugführer versucht hatte, einen gewalttätigen Polizisten von der Ghetto­ wache abzuziehen.

154 Zusammenfassung der Ermittlungsbehörde, o. D. (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 86 r). 155 Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 81). Damit erkannte der Zeuge quasi an, dass letztlich auch jedes Mitglied der Polizeieinheit eine Mitschuld trug und versuchte doch gleichzeitig, die eigene Verantwortung abzuwälzen. 156 Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 125). 157 Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 102r). An anderer Stelle heißt es jedoch, Brunst habe versucht, zumindest „gelegentlich dämpfend auf Hauptmann Mehr einzuwirken“. Vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 233r). 158 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 54). 159 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (ebd., Bl. 199). 160 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 38r). Bei dem Polizisten, der abgezogen werden sollte, handelte es sich um den als „Frankenstein“ bekannten Helmer. Nicht nur Kreulich wollte diesen nicht mehr als Wache sehen, sondern auch andere Angehörige der 1. Kompanie. Exemplarisch hierzu vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 59).

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Da die außergewöhnliche Machtfülle einzelner Unteroffiziere nicht formal abgesichert war, blieb die grundlegende Vorgesetztenfunktion der Offiziere als Sicherungsmechanismus stets erhalten. Festgelegt war, dass jeder Unterführer „seinen vorgesetzten Führern verantwortlich für all sein Tun und Lassen, für all seine Maßnahmen“ sei: „Jeder Unterführer muss seinen höheren Führern Rede und Antwort stehen; von ihnen kann er unter allen Umständen und zu jeder Zeit zur Rechenschaft gezogen werden.“161 Dies galt auch, wenn „der innere Dienst im wesentlichen Sache der hierfür bestimmten Organe“ war.162 Auch sollten Kompanieführer eine vollständige Monopolisierung von Kommunika­ tionswegen durch die ihnen unterstehenden Spieße vermeiden. „Entscheidend“ sei es, dass „der Kompaniechef für seine Männer zu sprechen ist“. Zwar werde der geschäftsführende Hauptwachtmeister oftmals versuchen sich einzuschalten, „aber selbst wenn er das aus besten Beweggründen tut, darf der Chef nicht dulden, dass er ein Hindernis wird zwischen Chef und Kompanie“.163 Durch ihre offiziellen Befugnisse konnten insbesondere die Kompanieführer zum einen die formelle Hierarchie ihrer Einheit aufrechterhalten. Zum anderen erlaubte ihnen dies sicherzustellen, dass vor allem Akteure eingesetzt wurden, die bereit waren, auch nicht formalisierbare Erwartungen zu erfüllen. So soll entsprechend auch in der 1. Kompanie des Bataillons 61, mit ihrem an Verwaltungsaufgaben nicht sonderlich interessierten Kompaniechef, gegolten haben, dass der Spieß „nicht völlige Selbstständigkeit hatte“.164 Dieser berichtete, „dass Hauptmann Mehr gelegentlich auf den […] vorgelegten Wachplänen Namen durchstrich und sie durch andere ersetzte“. Auch andere Kompanieangehörige beobachteten dies. Meist habe der Offizier Änderungen jedoch nicht direkt vorgenommen oder befohlen. Stattdessen habe er „generell die Anweisung gegeben“, beispielsweise die besonders gewaltaffinen „Kompanieangehörigen Helmer, Lapschieß und Bayer regelmäßig“165 als Ghettowachen einzusetzen. Innerhalb des Bataillons 61 waren es so vor allem die Kompanieführer, die den Rahmen für die organisatorische Kultur der ihnen unterstehenden Teileinheiten vorgaben. Dieser erstreckte sich dabei nicht nur auf die Vorgehensweise bei der Wacheinteilung, sondern auch auf sämtliche andere Elemente des Alltags. Entsprechend besaßen Personen wie der Spieß der 1. Kompanie vor allem

161 O. V., Von der Verantwortung des Führers. In: Mitteilungsblätter für die weltanschau­ liche Schulung der Ordnungspolizei Gruppe A 4, 1.2.1943, Folge 78, unpag. 162 Offiziersausbildung während des Krieges vom 27.3.1942 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 141). 163 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 22. 164 Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 126). 165 Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 136r). In sehr ähnlicher Form vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 54r). Ein solcher handschriftlich geänderter Wachplan wird auch bei Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 213r) erwähnt. Für die generelle Möglichkeit des Kompaniechefs, Wachpläne zu verändern, vgl. Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (ebd., Bl. 72); Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 120); Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 163r).

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a­ ufgrund der Billigung der ihnen direkt übergeordneten Hauptleute Macht. Den einzelnen Offizieren war jedoch vorgegeben, dass sie durch Befehle den jeweiligen „Unterführer nur so weit binden“ sollten, dass „dieser über seine Aufgabe keinen Zweifel haben kann.“ Insbesondere hieß es: „Einzelheiten der Ausführung müssen unbedingt der Entscheidung des Unterführers überlassen bleiben.“166 Wannemacher stellte als Führer der 2. Kompanie in dieser Hinsicht ein besonderes Negativbeispiel dar. In seiner Teileinheit sei es 1942 üblich gewesen, dass „alles, aber auch die geringste Kleinigkeit, nur vom Chef angeordnet und befohlen wurde“.167 Man habe sich noch nicht einmal ohne dessen Erlaubnis zur Verpflegung in der Küche melden dürfen. Zwar war es Grundsatz, dass ein Offizier „eine eigene Meinung und einen eigenen festen Willen haben“ soll, wobei er „beides gegenüber dem Unterführer durchzusetzen“168 wissen müsse. Keinesfalls sollte ein Offizier jedoch den Versuch unternehmen, „seine Unterführer zu ersetzen, also gewissermaßen Führer und Unterführer in einer Person zu sein“.169 Täte er dies, so würde sich „sehr schnell herausstellen, dass er seine eigentlichen Aufgaben als Führer nicht erfüllt oder zum Mindesten mangelhaft erfüllt und dass er nicht dort ist, wo er sich als Führer befinden müsste“. Entsprechend würden „sich auch nur solche Führer in dieser ‚Doppelrolle‘“ versuchen, „die sich ihren eigentlichen Führeraufgaben innerlich nicht gewachsen fühlen und ihnen […] durch Betätigung in dem Aufgabenbereich des Unterführers zu entfliehen trachten“.170 Statt durch ein solches Verhalten die Effizienz kompanieinterner Abläufe zu reduzieren, sollten sich Kompaniechefs und ihre maßgeblichen Unterführer arrangieren und ergänzen. Entsprechend des in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geltenden Familienbildes, bezeichnete man den Spieß als „Kompaniemutter“, da seine Tätigkeit „in jeder Beziehung der einer treusorgenden Mutter“ ähnle, die den Alltag einer Familie organisiere und das Familienoberhaupt in der „Erziehung“ unterstütze.171 Den Kompaniechef mit seinen offiziellen Entscheidungsbefugnissen, insbesondere im disziplinarischen Bereich, bezeichnete man entsprechend als „Vater der Kompanie“.172

166 Schieritz, Grundsätze (1940), S. 38. Für die Machtverhältnisse in der 1. Kompanie vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 46). Er meinte, unter Nords Kommando habe sich Brunst noch nicht so herrisch entwickeln können. Hierbei ist jedoch nicht zu übersehen, dass Riewald selbst Spieß unter Nord war. Brunst war nur der stellvertretende Spieß. Für die allgemeine Abhängigkeit der militärischen Organisationskultur von vorgesetzten Offizieren vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 9. Dort wird festgehalten, es habe, nachdem neue Vorgesetzte eintrafen, einen Zapfenstreich nur noch für Diensteifrige gegeben. Darüber hinaus habe sich auch die allgemeine Sexualmoral gelockert. 167 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 13. 168 Schieritz, Grundsätze (1940), S. 32. 169 Ebd., S. 38 f. 170 Ebd., S. 39. 171 Teske, Unteroffizier (1941), S. 55 172 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 15.

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Gemeinsam seien Kompaniechef und Spieß durch ihre „persönliche Haltung […] von bestimmendem Einfluss auf die Geführten“.173 Ihr gegenseitiges Vertrauensverhältnis hatte dabei für den Unteroffizier den Vorteil, dass er seine eigenen Machtansprüche und informellen Befugnisse durch die Autorität des Offiziers stützen konnte. So soll der Spieß, Brunst, laut verschiedener Zeugenaussagen, die Einteilung von bestimmten Polizisten zur Ghettowache damit begründet haben, „der Hauptmann will das so haben“174 und „der ‚Alte‘ wünsche es so“.175 Damit unterband der Unterführer von vornherein jede Diskussion um die Legitimität seiner Anordnung. Ebenso verteidigte der Spieß gleichzeitig als „Hauptstütze“176 des Kompaniechefs auch dessen nicht formalisierbaren Erwartungen. So habe Brunst etwa Helmer „mit Absicht für das Ghetto“ eingeteilt.177 Was hingegen „gegen den Willen des Hauptmanns Mehr war, das ordnete ­Brunst nicht an“.178 Der Spieß war „die rechte Hand des Kompaniechefs und sein gefügiges Werkzeug“179 bzw. fungierte als „ausführendes Organ seines Kompaniechefs“,180 ohne direkte Befehle zu erhalten. Damit zeigte sich auf Kompanieebene eine Version des für das gesamte NS-Regime bekannten Prinzips, „dem Führer entgegenarbeiten“181 zu wollen, ohne dass dieser einen formellen Vernichtungsbefehl zu geben brauchte. Zwar hatte die Bataillonsführung dabei noch eine generelle Aufsichtsfunk­ tion über die ihr unterstehenden Kompanien, jedoch gestalteten die Teileinheiten ihren Alltag weitestgehend eigenständig. In Warschau gab man beispielsweise auf Bataillonsebene nur vor, wann und in welcher Stärke Wachen zu stellen waren, während die einzelnen Kompanien dann alles Weitere regelten. Gerade wenn die Dortmunder Polizeieinheit nicht geschlossen eingesetzt war, sondern deren einzelnen Teileinheiten autark agierten, war der Einfluss der Bataillonsführung auf die Kompanien nochmals deutlich geringer. Für die Umsetzung nicht formalisierbarer Erwartungen innerhalb des Bataillons 61 stellte dies jedoch kein Hemmnis dar, da der Kommandeur und seine Kompaniechefs eine übereinstimmende Weltanschauung besaßen. So hieß es etwa, dass der Chef der 1. Kompanie mit dem „Bataillonskommandeur Dederky ein Herz und eine

173 O. V., Vorschrift (1943), S. 69. Dort vor allem auf Kampfeinsätze bezogen. 174 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 50r). 175 Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 213r). 176 Auszug aus den Richtlinien für die Führung und Ausbildung der Ausbildungs-Bataillone von Generalleutnant Mülverstedt, o. D. (BA R 19 Nr. 308, Bl. 204). 177 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 39r). 178 Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 81). 179 Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 101r). An anderer Stelle heißt es, der Spieß sei „das beste ‚Werkzeug“ des Kompaniechefs gewesen. Vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 50). 180 Aussage Joseph Figiel vom 2.3.1951 (ebd., Bl. 71). Gleiches galt auch in den übrigen Kompanien des Bataillons 61. 181 Vgl. Ian Kershaw, Hitler. 1936–1945, Stuttgart 1998, S. 663 f. Zum Einfluss jüngerer Offiziere in Polizeibataillonen vgl. Rich, Holocaust, S. 179.

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Seele war“.182 Major Dederky und später Major Perling mussten so nicht eingreifen, um die Gewaltbereitschaft ihrer Untergebenen zu erhöhen. Dies erledigten schon die Hauptleute der verschiedenen Kompanien in Komplizenschaft mit ihren maßgeblichen Unterführern. Wie diese Akteure über eine geschickte Wacheinteilung hinaus ihre Untergebenen zur Gewaltausübung gegen die Zivilbevölkerung motivierten, scheint mit einem oberflächlichen Blick in das verfügbare Quellenmaterial schnell geklärt. In den Aussagen von Bataillonsangehörigen ist die Behauptung omnipräsent, unter Zwang gehandelt zu haben. Der u. a. von hohen ehemaligen NS-Polizisten geförderte Befehlsnotstandsmythos wurde bis in die 1990er-Jahre hinein in der Gesamtbevölkerung Deutschlands ebenso wie vor bundesdeutschen Gerichten akzeptiert.183 Ein vermeintlicher Notstand stellte eine ideale Entlastungsstrategie dar, entsprach aber den tatsächlichen Verhältnisse im Bataillon 61, ebenso wie denen im gesamten NS-Regime, überhaupt nicht. Schon 1953 führte dies ein Bericht des Dortmunder Oberstaatsanwalts Brey an den nordrhein-westfälischen Innenminister im Zusammenhang des ersten Gerichtsverfahrens gegen ehemalige Mitglieder des Bataillons 61 aus. In dem Schreiben wird geurteilt, der vermeintliche Zwang im Fall der Polizeieinheit deutete „allenfalls auf eine latente, nicht aber auf eine akute Gefahr für die Beteiligten hin. Für die Annahme eines echten Nötigungsstandes“ reiche dies als „Verteidigung der Angeschuldigten nicht aus“.184

182 Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 66). Auch die anderen Kompaniechefs verstanden sich mit dem Kommandeur gut. Siehe exemplarisch Kapitel V.7 in dem ausführlich die Unterstützung von Kärgel durch Dederky ausgeführt wird. Zur Wachregelung vgl. Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 262r). Zur Einteilung der Ghettowachen vgl. Aussage Richard von Coelln vom 3.8.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 50, Bl. 22995). Zur Überwachungsfunk­ tion des Bataillonskommandeurs am Beispiel weltanschaulicher Schulungen vgl. Zusatzrichtlinien für die Durchführung der weltanschaulichen Erziehung der Ordnungspolizei während der Kriegszeit im Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete vom 25.6.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 12). 183 Für die Förderung des Mythos durch Adolf von Bomhard vgl. Bericht Adolf von Bomhards betr.: Höherer Befehl und Zwangslage, o. D. [vermutlich 1961] (BA R 19 Nr. 281, Bl. 101–111). Für die verschiedenen rechtlichen Einschätzungen, dass es keinen Notstand gab, vgl. Schäfer, NSG-Verfahren, S. 191 f. Exemplarisch für die Behauptung des Befehlsnotstands durch Mitglieder des Bataillons 61 vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 16); Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 154); Aussage Anton Sippel vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 41r). Vgl. ebenso Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (ebd., Bl. 56r). 184 Bericht OStA Brey an den Innenminister NRW vom 15.8.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1490, Bl. 34r). Dort wird der Notstand rechtlich erläutert auf Basis eines Grundsatz­ urteils in: BGH 1 StR 791/51 vom 14. Oktober 1952; BGH StR 760/52 vom 28. Mai 1953.

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Tatsächlich ist es zunächst erstaunlich, dass sich eine mit radikalen Führungspersonen ausgestattete Organisation wie das Bataillon 61 mit Zwangsmaßnahmen gegen ihre Mitglieder zurückhielt, wenn es um die Erfüllung nicht formalisierbarer Erwartungen ging. Gerade die Androhung von Strafen vergrößert bekanntermaßen deutlich das Spektrum an Handlungen, die Menschen auszuführen bereit sind. Dies gilt auch, wenn Akteure von der Legalität und Legitimität verlangter Tätigkeiten nicht restlos überzeugt sind. Gerade die nationalsozialistischen Offiziere der Dortmunder Polizeieinheit hätten sich, nicht zuletzt aufgrund guter Kontakte innerhalb des NS-Regimes, auch gemeinsam verschwören können, um unwillige Untergebene unrechtmäßigerweise vor ein SS- und Polizeigericht zu bringen. Zwang blieb jedoch aus, obwohl man die Polizisten gerade im Randbereich ihrer Indifferenzzonen zu gewalttätigen Handlungen hätte pressen können. Dies hätte jedoch die Gefahr beinhaltet, dass die mit Sanktionen erzwungenen Handlungen die Illegitimität des gesamten Polizeieinsatzes unterstrichen hätten. Damit hätte man dann auch zum einen der Öffentlichkeit vorgeführt, dass das NS-Regime keinesfalls einen „gerechten“ und „sauberen“ Krieg führte. Zum anderen wäre auch für die Polizisten der Einheit das befohlene Unrecht und somit die Legitimität ihres Einsatzes offen hinterfragbar geworden. Dies wiederum hätte ein Erodieren der Disziplin und einen Verlust jedweder weiterer Handlungsmotivation der einzelnen Männer bewirken können. Im Fall der hier untersuchten Einheit war dies insbesondere deshalb relevant, da eine große Zahl an Reservisten in der Einheit eingesetzt wurde. Da sie, wie erläutert, nicht auf Basis des Wehrgesetztes, sondern aufgrund der Notdienstverordnung dienten, mussten Vorgesetzte besonders darauf achten, gerade die älteren Reservisten nicht zu sehr zu verunglimpfen, damit diese nicht ihre Einverständniserklärung widerriefen, außerhalb des Reichsgebietes eingesetzt zu werden.185 Die besondere Herausforderung der Funktionsträger des Bataillons 61 bestand also darin, dauerhafte Leistungsmotivation für eigentlich illegale Handlungen über eine anfängliche Teilnahmemotivation hinaus aufrechtzuerhalten. Dies geschah in der untersuchten Gruppe zu bedeutenden Teilen durch das Gewähren informeller Freiräume. Wie in vergleichbaren anderen Polizeibataillonen wurde den Männern das Töten, sowohl bei offiziellen Exekutionen als auch eigenmächtig, weitgehend freigestellt. Obwohl es eine ideale Entlastungsstrategie der Bataillonsangehörigen in der Nachkriegszeit gewesen wäre,

185 Zur Notdienstverordnung und zur Rekrutierung des Personals im Bataillon 61 siehe Kapitel III.4. Vgl. Schreiben betr.: Höchstalter für Pol.-Reservisten zur Verwendung im auswärtigen Einsatz vom 3.10.1941 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 260, unpag.). Zur Problematik erodierender Disziplin bei Nichtakzeptanz der Aufgaben einer Organisation vgl. Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964, S. 261.

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konnte beispielsweise niemand sagen, „dass Hauptmann Mehr jemals eindeutig und unmissverständlich dazu aufgefordert hat, Juden zu ­erschießen“.186 Gleiches galt auch für nicht tödliche Gewalt und sonstige illegale Handlungen. So führte Körner nach dem Krieg über von seiner Einheit durchgeführte Deportationen aus: „Seitens unserer Offiziere war auch keinesfalls der Befehl erteilt worden, mit Brutalität gegen diese Leute vorzugehen.“187 Dementsprechend wurde Gewaltausübung aus einem Raum des Müssens in einen Raum des Dürfens verschoben. Wer nicht teilhaben wollte, musste es nicht. Browning sieht eine solche Freiwilligkeit in NS-Polizeieinheiten vor allem als ein außergewöhnliches Angebot durch eine „schwache Autoritätsperson“ an.188 Diese Erklärung übersieht jedoch, dass es sich um ein wichtiges Vorgehen zum Erhalt der Funktionalität einer Organisation handelte, wenn nicht formalisierbare Erwartungen umgesetzt werden sollten. So stützten sich auch stark autoritäre Kompaniechefs wie Mehr oder der an einen „Kontrollsüchtigen“ erinnernde Wannemacher bei der Führung ihrer Einheiten auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Damit taten die Offiziere im Übrigen nur, was ihnen sowohl in Ausbildungsschriften als auch durch höhere Mitglieder des NS-Regimes angeraten wurde. Dabei wurde aber logischerweise nicht direkt auf die Nutzbarkeit des Freiwilligkeitsprinzips für illegale Handlungen direkt hingewiesen. So hieß es: „Der Gehorsam hat nur dann Wert, wenn er freiwillig geleistet wird, wenn der Führer also aus den vorerwähnten Anlagen und Fähigkeiten heraus Vertrauen gewonnen hat.“189 Daluege hielt programmatisch fest, dass Polizisten „nicht durch Zwang und Befehl, sondern aus eigenem Wollen heraus erzogen“190 werden sollten.

186 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 217). Zur soziologischen Untersuchung von Freistellungen im Polizeibataillon 101 vgl. Gruber, Erklärungsansätze. Für die Herausforderung dauerhafter Motivation, die oftmals zeitgenössisch als „Dienstfreudigkeit“ beschrieben wurde, vgl. Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 18. Zum Unterschied zwischen Teilnahme- und Leistungsmotivation vgl. Luhmann, Funktionen, S. 104. Für den Wandel von der Motivationsformen am Beispiel militärischer Einheiten vgl. Römer, Kameraden, S. 139. Für das Konzept der Indifferenzzone und deren generelle Bedeutung in Organisationen vgl. Kühl, Ganz normale Organisationen, S. 91 f. 187 Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 16). 188 Browning, Ganz normale Männer, S. 228. Dort bezogen auf den Kommandeur des Polizeibataillons 101. Für die weitgehende Freiwilligkeit im Bataillon 61 vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 165r). 189 Johannes Zupke, Welche Berufseigenschaften erfordert der Dienst in der uniformierten Polizei. In: Kehrl (Hg.), Jahrbuch der deutschen Polizei 1936, S. 43–50, hier 48 f. 190 Kurt Daluege, Die Ordnungspolizei und ihre Entstehung, o. D. (BA R 19 Nr. 420, Bl. 2). Ebenso im fast gleichen Wortlaut vgl. ders., Die Ordnungspolizei und ihre Entstehung im Dritten Reich. In: Hans Pfundtner (Hg.), Dr. Wilhelm Frick und sein Ministerium. Aus Anlass des 60. Geburtstages des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern Dr. Wilhelm Frick am 12. März 1937, München 1937, S. 133–145, hier 134.

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Ebenso wurde vonseiten der Polizeigerichtsbarkeit verkündet, Polizisten sollten „nicht aus Furcht vor Strafe zu ihrer Pflicht angehalten werden“.191 Insbesondere zur Wahrung der inneren Ordnung, hieß es in einem Artikel zur Disziplin von Polizeiverbänden, solle „eben nur Mögliches, Erwünschtes, Nötiges“ befohlen werden. Weiterhin führte man aus: „Im tiefsten Grunde müssen die Menschen selber wollen, was ihnen zu tun aufgetragen wird.“192 Wie man dies für den praktischen Dienst im Zweiten Weltkrieg zu verstehen hat, macht ein geheimer SS-Befehl Himmlers deutlich. In diesem ist festgehalten, dass gerade bei „schweren Kommandos“ in Osteuropa, womit nichts anderes als nicht durch Gesetze gedeckte Aufgaben gemeint waren, Untergebenen großzügig Freiräume zuzugestehen seien. Dies sehe der Reichsführer-SS „als wichtig und vordringlich an“.193 Die einfachste Maßnahme, um solchen Anforderungen im Bataillon 61 nachzukommen, war auf Freiwillige zurückzugreifen. Wenn sich beispielsweise Schützen für eine Exekution aus eigenem Antrieb meldeten, konnten sich die Funktionsträger der Polizeieinheit sicher sein, dass die ausführenden Männer die Gewalthandlung generell akzeptierten und nicht auf ihre Legalität und Legitimität weiter überprüfen würden. Entsprechend habe man laut Marach für Exeku­tionen vor allem auf freiwillige Polizisten zurückgegriffen. Ähnliches beschrieben auch weitere Bataillonsangehörige über die Einteilung von Schützen vor Exeku­tionen: „Zunächst wurden Freiwillige gesucht, die die eigentlichen Erschießungen durchführen sollten. Daraufhin meldeten sich mehrere Kompanieangehörige.“194 Generell sei es üblich gewesen, dass „die Mehrzahl der Beamten, die zum Exe­kutionskommando gehörten, aus Freiwilligen bestand“.195 Ebenso wurde aber auch in anderen Situationen auf Freiwillige zurückgegriffen. So habe beispielsweise Helmer darauf bestanden, als Wachkraft eingeteilt zu werden. Er soll zum Ausdruck gebracht haben, es sei „ihm am liebsten, wenn er bei Nachtzeit zur Ghettowache eingeteilt würde“. Außerdem sei bekannt gewesen, „dass er mit Vorliebe an solchen Punkten eingesetzt werden wollte, wo er reichlicher von der Schusswaffe Gebrauch machen konnte“.196 Helmers Wunsch sei entsprochen worden, passte sein Verhalten doch ideal zu den nicht formalisier­ baren Erwartungen von Hauptmann Mehr. 191 Beurteilung und Bekämpfung von Diebstahlsfällen in der SS und der Polizei (BA NS 7 Nr. 5, 15.9.1942, Bl. 145). Stattdessen wurde empfohlen, auf das Ehrgefühl der Polizisten zu setzen. 192 F. U. B., Disziplin. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 1 (1933) 5, S. 174 f., hier 174. 193 Geheimer SS-Befehl an alle Höheren SS- und Polizeiführer, SS- und Polizeiführer sowie zur Verteilung an alle Dienststellen im Osten vom 12.12.1941 (LVVA P 83-1 Nr. 80, Bl. 5). 194 Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 15). Für Marachs Aussage vgl. Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 1486, Bl. 62). 195 Aussage Fritz Urban vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 219, Bl. 11). Ebenso vgl. Aussage Wilhelm Ködding vom 22.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 101r). 196 Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 118). Für Helmers Forderung, zur Wache eingesetzt zu werden, vgl. Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 126).

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Da die Einteilung zum Dienst durch Unterführer im Sinne solcher Kompaniechefs vorgenommen wurde, wurden nicht nur Personen als Wachen und ­Schützen eingesetzt, die sich direkt freiwillig meldeten. Man habe vor allem solche Polizisten eingesetzt, „die sich schon durch besondere Gräueltaten hervorgetan hatten, wie zum Beispiel Erschießungen von Juden aus dem Hinterhalt sowie Misshandlungen von Juden durch Schläge, Fußtritte und dergleichen mehr“.197 An anderer Stelle heißt es damit übereinstimmend, dass Männer „bevorzugt wurden, die besonders viele Juden erschossen hatten“.198 So will Kreienkamp beobachtet haben „dass Helmer, Lapschieß oder Bayer besonders häufig zum Ghettowachdienst eingeteilt worden sind.“199 Der für die Wacheinteilung in der 1. Kompanie verantwortliche Brunst führte hierzu prägnant aus, dass diese Personen eingeteilt werden sollten, da „die genannten eher bereit waren, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, als andere Kompanieangehörige“.200 Ebenso führte auch Krolopp aus, dass die Ghettowache bevorzugt mit „ganz bestimmten Angehörigen der Kompanie besetzt“ wurde. Es seien Männer gewesen, „die etwas freier in ihrer Auffassung vom Schusswaffengebrauch waren und die deshalb in einem höheren Ansehen“201 bei den Vorgesetzten standen. Während sich gewaltbereite Akteure durch ihr Verhalten selbst für weitere Einsätze empfahlen, konnte man durch ein demonstrativ ablehnendes Auftreten einen gegenteiligen Effekt erreichen. So meinte August Kleine, er sei am Warschauer Ghetto kaum eingesetzt worden. Dies führte er darauf zurück, dass er entgegen der Wünsche von Hauptmann Mehr nicht aus der Kirche aus- und in die NSDAP eingetreten sei. Folglich habe man ihn „wahrscheinlich auch nicht für zuverlässig genug gehalten, Ghettobewachung zu machen“.202 Auch meinte Lange, dass fehlendes Vertrauen seiner Vorgesetzten dazu geführt habe, dass man ihn nicht am Ghetto einsetzte. Marach sagte schließlich aus, seine Vorgesetzten hätten gewusst, dass er „weich“203 war und deswegen nicht schießen konnte. Daher sei er nicht zu gewalttätigen Aufgaben herangezogen worden.204 197 Aussage Heinrich Krolopp vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 43). 198 Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48). Für das Heranziehen gewaltbereiter Akteure zu „Sonderaufgaben“ vgl. Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 102r f.). 199 Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 232). Zu den Lebensläufen der Akteure siehe Kapitel III.4. Ebenso zur häufigen Einteilung bestimmter Personen vgl. Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 183). 200 Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 135r). 201 Aussage Heinrich Krolopp vom 23.11.1951 (ebd., Bl. 115). Ebenso vgl. Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 37). 202 Aussage August Kleine vom 30.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5870). 203 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 152). Für Langes Einschätzung vgl. Aussage Anton Lange vom 23.11.1951 (ebd., Bl. 114). 204 Aus juristischer Sicht wenig verwunderlich ist, dass die Eigenselektion für gewalttätige Aufgaben in Nachkriegsaussagen von Bataillonsangehörigen anderen Personen zugeschrieben wurde. Hingegen nahmen die Zeugen für sich selbst überdurchschnittlich häufig in Anspruch, durch demonstrativ ablehnendes Verhalten einer Auswahl entgangen zu sein.

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Demonstrative Ablehnung war jedoch kein absolut sicheres Mittel, um nicht eingeteilt zu werden. So meinte Sippel, er sei trotz seiner ablehnenden Haltung „wiederholt zu diesen Ghettowachen eingeteilt worden, jedoch weitaus seltener als andere“.205 Wollte man dem Wachdienst entgehen, konnte man einen Funktionsträger der jeweiligen Kompanie ansprechen. So führte Wenzel an, dass, wenn man nicht zu einer Ghettowache eingeteilt werden wollte, man sich nur beim geschäftsführenden Hauptwachtmeister zu melden brauchte. Man sei dann anderweitig eingesetzt worden. Eine solche „Freizügigkeit“206 war laut Brunst jedoch nur möglich, wenn sich ein Polizist zuvor nicht durch brutales Verhalten hervorgetan hatte und deswegen vom Kompaniechef als Wache gefordert wurde. Neben dem Spieß als wichtigstem Organisator einer Kompanie konnten sich Polizisten, die einen Dienst ablehnten, auch an den jeweils diensthabenden Schreiber wenden. Zwar war dies offiziell nicht zulässig, aber man konnte einen solchen Polizisten um eine Freistellung bitten, da dieser „die Wacheinteilung schriftlich fixierte“.207 Entsprechend will sich Roschkowski mit folgenden Worten an seinen Kameraden Priebe gewandt haben: „Ernst, ich kann die Unmenschlichkeiten nicht mehr mit ansehen, sorge bitte dafür, dass ich nicht mehr die Ghetto-Wache kriege! Priewe [sic] kam meinem Wunsch sofort nach und teilte mich nicht mehr für die Ghettowache ein.“208 Auch Delisch berichtete über erbetene Freistellungen vom Wachdienst: Wenn er solche „Wünsche für berechtigt hielt, habe [er] sie stets erfüllt“. Darüber habe er „Brunst jedes Mal unterrichtet“.209 Offensichtlich tolerierte man das Vorgehen des Schreibers. Lediglich als er den gewalttätigen Helmer nicht zur Wache einteilen wollte, seien Vorgesetzte eingeschritten.210 Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ein Schreiber jemanden unbürokratisch aus dem Wachplan strich, bot es sich an, diesem eine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Das Prinzip, Funktionsträger durch kleinere Bestechungen von Freistellungen zu überzeugen, war den Polizisten dabei meist schon vor ihrem Einsatz in Osteuropa bekannt. Dort griffen sie erneut auf diese Methode zurück, um ihre Vorstellungen umzusetzen. So berichtete Sippel: „Wenn ich den Wunsch hatte, wieder einmal an einer angenehmeren Wache teilzunehmen, ging ich kurzerhand zu dem erwähnten Kompanieschreiber, steckte ihm ­Lebensmittel und Zigaretten zu und bat ihn um die gewünschte Einteilung. Diesen meinen Wünschen ist jedes Mal anstandslos entsprochen worden.“211 205 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 103r). 206 Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 136r). Für Wenzels Bericht vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 165r). 207 Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 136r). 208 Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 44). Ebenso vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 120). Der Schreiber Priebe teilte oftmals Wachen ein. Vgl. Aussage Franz Chwieja vom 25.1.1952 (ebd., Bl. 241r). 209 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (ebd., Bl. 198r). 210 Vgl. Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42). 211 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 104r). Für die „Bestechung“ eines Waffenrevisors mit einem Frühstück während der Reservistenausbildung vgl. Erlebnis­ bericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 9.

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Wer selbst den dann angebotenen angenehmeren Tätigkeiten nicht nachkommen wollte, konnte sich aus der Dortmunder Polizeieinheit auch wegversetzten lassen. So meldete sich beispielsweise Junker „zu einem Sanitätslehrgang“, zu dem er dann „auch abgeordnet wurde“.212 Lange meinte schließlich, dass er nach zwei Monaten in Warschau auf seinen „eigenen Wunsch nach Dortmund zurückversetzt worden“ sei.213 Die Möglichkeit, sich versetzten zu lassen, wurde dabei insbesondere Akteuren erleichtert, die eine gewisse Nützlichkeit für die „Volksgemeinschaft“ im Heimatgebiet anführen konnten. So bestand für Polizeireservisten, die kriegswichtigen Berufen nachgingen, offiziell die Möglichkeit, sich auf Antrag freistellen zu lassen. Ebenso sollte einem Polizisten, wenn er der letzte Sohn einer Familie war, die im Ersten Weltkrieg Verluste erlitten hatte, die Möglichkeit einer Versetzung in die Heimat geboten werden. Gleiches galt für Väter von kinderreichen Familien. Als im Bataillon 61 das Gerücht grassierte, die Einheit solle zum Einsatz nach Russland kommen, nutzte z. B. der Reservist Bayer, der im Ghetto als häufiger Schütze aufgefallen war, genau diese Option.214 Dass Freistellungen überhaupt möglich waren, lag auch darin begründet, dass für die meisten Tätigkeiten des Bataillons 61 nicht jeder einzelne Polizist benötigt wurde. Es galt im Prinzip der Grundsatz: „Wer nicht freiwillig kommt und guten Willens ist, der möge zu Hause bleiben.“215 Hierbei schwang auch die

212 Aussage Ludwig Junker vom 3.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5832). Während das Bataillon 61 in Russland lag, kehrte er jedoch zu diesem zurück. 213 Aussage Anton Lange vom 23.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 114r). Ebenso vgl. Entnazifizierungsakte Lange, Anton vom 14.8.1947 (LAV NRW, R, NW 1094-­ Polizei-447, Bl. 4); Liste RPB 61, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 195, Bl. 62). 214 Vgl. Brief von Wendelin vorm Walde vom 1.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 145). Auch Bayer ebenso wie weitere Zeugen bestätigten seine Freistellung. Vgl. Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (ebd., Bl. 142). Zur Erwähnung von Gerüchten über eine Verlegung der Einheit nach Russland im Zusammenhang der Freistellung vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 166r). Zur Entlassung auf Basis des „Kindererlasses“ vgl. Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (ebd., Bl. 154). Für die Freistellung von Männern aus Familien, die Verluste im Ersten Weltkrieg erlitten hatten sowie von Familienvätern, vgl. Zurückziehung von Angehörigen der Schutzpolizei und Gendarmerie aus den zum Kampfeinsatz herangezogenen Pol.Einheiten vom 28.4.1942 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 293). Das Schriftstück nimmt Bezug auf die im Heer geltenden Vorschriften. Vgl. Oberkommando des Heeres (Hg.), Heeres-Verordnungsblatt Nr. 768, S. 21. Für die Erhöhung der Freistellungsgrenze auf sieben Kinder vgl. Schreiben betr.: Maßnahmen zur Stärkung der Front vom 20.2.1942 (LAV NRW, W, B 406 Nr. 14950, unpag.). Für die offizielle Freistellung von Reservisten aus kriegswirtschaftlichen Gründen vgl. o. V., Was gibt’s Neues für die Polizei? In: Die Deutsche Polizei, 9 (1941) 1, S. 13. Dabei wird Bezug genommen auf RMBliV 1941, S. 2060. Exemplarisch für eine Freistellung aufgrund einer kriegswichtigen Tätigkeit als Gemüsebauer vgl. Uk-Bescheinigung für Kurt Becker vom 19.9.1939 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 308, unpag.). 215 O. V., Schulung hat nichts mit Schule zu tun. In: Das Schwarze Korps vom 17.2.1938. Dort wird sich jedoch auf Schulungen bezogen. Für eine ähnliche, aber auf Einsätze im „Warthegau“ bezogene Einschätzung, vgl. Kommandeursbesprechung beim Befehls­ haber der Ordnungspolizei Posen am 15.1.1940 (BA R 70 Polen Nr. 201, Bl. 1).

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Annahme mit, dass ein Unwilliger ohnehin schlechte Leistungen erbringen würde. Bis es zum direkten Fronteinsatz der Polizeieinheit im Norden Russlands kam, hatte man für Einsätze mit Freiwilligen und Personen, die eingeteilt wurden und zumindest willfährig waren, stets eine ausreichende Mannschaftsstärke zur Verfügung. Am Ghetto wurden nie sämtliche Männer der jeweils wachhabenden Kompanie eingesetzt und auch bei Massenexekutionen „mögen vereinzelte Angehörige der Kompanie zurückgeblieben sein“.216 Neben dieser zurückhaltenden Formulierung von Tiemann macht eine ebenfalls auf Erschießungen bezogene Aussage von Sinn die Verhältnisse viel deutlicher. Er hielt über den Zug, in dem er diente, fest: Da dieser „eine Stärke von 30 Mann hatte, für das Erschießungskommando jedoch nur 20 Mann benötigt wurden, musste ich mit einigen Kameraden ausscheiden“.217 Auch wenn er dies als Entlastungsargument nutzte, macht die Feststellung doch deutlich, dass es sich um ein Töten dürfen und kaum um ein Töten müssen handelte. Gleiches galt auch für die Gewalt am und im Warschauer Ghetto. Für die 1. Kompanie hielt Sippel fest, dass 20 bis 25 Polizisten besonders hart gegen die Ghettoinsassen vorgegangen seien. Fiegel meinte sogar, dass „über 60 Prozent der Kompanieangehörigen“218 den Wünschen des Kompaniechefs gefolgt wären. Auch die Mitglieder der übrigen Kompanien verhielten sich nach Aktenlage nicht anders. Ein gewaltbereiter Kern, der angesichts der überlieferten Tötungszahlen höher gewesen sein dürfte, als es die Bataillonsangehörigen eingestanden, reichte aus, um die nicht formalisierbaren Erwartungen der Führung umzusetzen. Den Männern wurde die Teilnahme an Gewalt gerade im Rahmen von Massentötungen auch dadurch erleichtert, dass diese als arbeitsteilige Prozesse gestaltet waren. Den Polizisten boten sich als subjektiv unterschiedlich belastend wahrgenommene Tätigkeitsfelder, die jedoch alle zur Durchführung der jeweiligen Aktion beitrugen. Niemand musste etwas tun, wozu er nicht bereit war. Beispielsweise „nur“ den Exekutionsort abgesichert zu haben, entlastete die Akteure besonders auf einer psychologischen Ebene, da man sich mental von den eigentlichen Tötungen, die man durchaus als Unrecht wahrnahm, distanzieren konnte. Heuwinkel gab an, er sei „gottlob von der eigentlichen Erschießungsaufgabe verschont“ geblieben und sei nur zur „äußeren Absperrung verwandt“

216 Aussage Erich Tiemann vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 18). Zum Umfang der Ghettowache und den übrigen Warschauer Wachposten vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 50r). Siehe auch Kapitel IV.3. 217 Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 66). 218 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 185r). Für Sippels Einschätzung vgl. Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 66). Die tatsächliche Zahl an kooperierenden Männern ist nach Quellenlage sogar noch höher anzusetzen.

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worden.219 Häufig findet man auch in anderen Aussagen die Behauptung, man habe nur „als Wachposten“ einen „Absperrdienst“220 geleistet, man sei „nur als Absperrposten“221 eingesetzt worden, oder man habe „lediglich Sperrpostendienst“222 versehen. Hierbei wurde jedoch, durchaus bewusst oder unbewusst, ausgeklammert, dass solche Tätigkeiten erst die eigentlichen Schützen in die Lage versetzten, den jeweiligen Tötungsakt zu vollziehen. Die äußerst häufige Angabe in Nachkriegsverhören, nicht mitgeschossen zu haben, hatte dabei sicherlich auch eine entlastende juristische Dimension. Anders formuliert: Wären alle Aussagen wahrheitsgemäß, so hätte eigentlich kaum jemand mehr getötet und alle hätten nur abgesperrt. Oftmals reichte offensichtlich schon ein Rotationsprinzip aus, das die Männer nicht dauerhaft zum Töten einteilte, um ihnen dieses akzeptabel erscheinen zu lassen. Wenn „jedes Mal ein neues Schießkommando eingeteilt wurde“,223 das zuvor nur Personen bewacht hatte, machte dies die Gesamtsituation für die Ausführenden psychisch erträg­ licher. Es hieß, nach einer Tötung durften die Polizisten „abtreten und ein anderes Schießkommando trat an“ ihre Stelle. Gleichzeitig „wurden wiederum neue Opfer aus dem Walde […] an die Grube geführt“.224 Auf diese Weise konnte fasst jeder am Prozess des Tötens teilnehmen und sich gleichzeitig in der eigenen Indifferenzzone bewegen. Eben dieser Bereich vergrößerte sich bei Massenexekutionen auch dadurch, dass die Polizisten annahmen, dass bei einem Mangel an Freiwilligen einfach Personen als Schützen bestimmt worden wären. Hierdurch meldeten sich mehr Männer freiwillig als Ausführende, da sie ihre „schwächeren“ Kollegen im Sinne des Prinzips „kameradschaftlicher Hilfe“225 schützen wollten. So meinte Marach sich an eine Exekution erinnern zu können, bei der die Schützen „außerordentlich nervös waren“. Deswegen hätten „freiwillige Angehörige der Kompanie“,226 unterstützt von osteuropäischen „Hilfswilligen“, die Tötungen fortgesetzt.

219 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 11). Zur Wahrnehmung des Unrechts durch Bataillonsmitglieder vgl. Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (ebd., Bl. 72). 220 Aussage Erich Tiemann vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 18). 221 Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 166). Ebenso werden nur Absperrdiensten genannt bei: Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 15). 222 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 105). 223 Aussage Otto Kobitzki vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 43). 224 Aussage Theodor Pohle vom 30.10.1952 (ebd., Bl. 58). 225 Kühne, Kameradschaft, S. 52. Für die Einteilung eines Zuges unterstützt durch Freiwillige vgl. Aussage Wilhelm Ködding vom 22.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 101r). Für die Vorgabe, alle hätten sich untereinander zu kümmern und für die generelle Verpflichtung zur gegenseitigen Fürsorge als „oberste kameradschaftliche Pflicht“, vgl. Häufung der Selbstmordfälle in der uniformierten Ordnungspolizei und Fürsorge der Dienstvorgesetzten vom 20.12.1938 (APP 299 Nr. 1218, Bl. 485). 226 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 153r).

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Über den Reservisten Dittmann hielt ein Bericht in dessen Entnazifizierungsakte fest: „Dittmann habe auch erzählt, dass er sich zu den Erschießungen freiwillig meldete, wenn Kameraden infolge Nervenzusammenbruchs hierzu nicht in der Lage waren.“227 Auch bei Wachdiensten war es laut Johann Overkemping offenbar üblich, dass Männer, die eigentlich nicht zum Dienst eingeteilt waren, für ihre Kameraden einsprangen, „wenn mal ein anderer krank war oder aus sonstigen Gründen ausfiel“.228 Auch Theodor Pohle meinte, er habe „hin und wieder, etwa bei einem Ausfall eines Kameraden durch Krankheit oder an Sonnund Feiertagen“229 Wachen übernommen. Wenn Männer der Dortmunder Polizeieinheit trotz der Mechanismen, die die Teilhabe an Gewalt erleichterten, nicht an dieser partizipieren wollten, gab es neben der schon erwähnten Freistellung weitere Chancen, sich indirekt zu verweigern. Wie schon im von Marach geschilderten Beispiel der nervösen Schützen deutlich wurde, bot sich die Möglichkeit von einer Tätigkeit entbunden zu werden, indem man bei deren erstmaliger Ausführung versagte. Ganz nach dem Prinzip: „Erledige nie etwas so gut, dass du ein zweites Mal darum gebeten wirst“, führte Roth über eine Exekution beim Einsatz des Bataillons 61 im „Warthe­gau“ aus: „Wie entsetzlich uns diese Erschießungen waren, geht schon daraus hervor, dass von 10 zu Erschießenden vier Mann stehen blieben.“230 Dies hätten die Vorgesetzten nicht moniert oder bestraft, sondern die verbliebenen Opfer seien durch Fangschützen getötet worden. In einem anderen Fall sei ein Polizist von Hauptmann Mehr einfach mit den Worten, „sie sind mir zu nervös“231 weggeschickt worden, ohne dass der Mann seine Freistellung habe fordern müssen. Auch ein dahingehendes „Versagen“, dass Bataillonsmitglieder beispielsweise auf Flüchtende nicht schossen und gar nicht versuchten, diese festzuhalten, wurde bis auf möglicherweise mahnende Worte und „schärfste Missbilligung“ geduldet.232 Ebenso wurde auch akzeptiert, dass die Männer Gewalthandlungen einfach fernblieben. Am einfachsten war dies, wenn sich solche Geschehnisse in einem völlig informellen Rahmen abspielten. So berichtete

227 Bericht zur Entnazifizierung von Tobias Ditmann vom 27.1.1949 (LAV NRW, R, NW 1097-4037, unpag.). 228 Aussage Johann Overkemping vom 26.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5865). 229 Aussage Theodor Pohle vom 30.3.1962 (ebd., Bl. 5821). 230 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 12). 231 Schreiben von Franz Klippert an den Untersuchungsrichter vom 7.11.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1488, Bl. 30). 232 Vgl. Bestrafungen innerhalb der Schutzpolizei Posen vom 4.4.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 12). Einem Polizisten „wurde die schärfste Missbilligung ausgesprochen“, da er Plünderer entkommen ließ. Vgl. auch die Sammlung verschiedener SS- und Polizeigerichtsurteile in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 104. Die dort dokumentierten Prozesse zeigen deutlich, dass selbst das Entfliehenlassen von Gefangenen nur sehr gering bestraft wurde. Teilweise wurden sogar nur Verwarnungen ausgesprochen. Diebstahl hingegen zog harte Strafe nach sich, sofern von „Volksgenossen“ gestohlen wurde oder Dinge von der lokalen Bevölkerung entwendet wurden, die die SS bereits als ihren neuen Besitz ansah.

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etwa Mockler, er habe bei der schon dargestellten Misshandlung eines Partisanen durch Hauptmann Mehr nicht teilhaben wollen und sei deswegen einfach gegangen. Etwas komplexer gestaltete sich die Situation bei Gewalthandlungen, die zumindest eine Fassade der Legalität aufwiesen. So etwa bei standrechtlichen Erschießungen. Nach dem Krieg wurde zur Konstruktion eines Notstandes gern und oft behauptet, dass bei solchen Einsätzen jede „Entfernung von der Kompanie als Fahnenflucht“233 bestraft worden wäre. Tatsächlich sahen die Verhältnisse aber anders aus. Schon im November 1945 stellte der Ermittler Kehler in einem Bericht an die britische Besatzungsbehörde allgemein über die Erschießungsaktionen des Bataillons 61 fest: „Viele Beamte erlitten einen Zusammenbruch, andere verließen den Bezirk während die Luft unklar war.“234 Später führte auch Becker im Zusammenhang einer Vernehmung über eine von der Dortmunder Polizeieinheit durchgeführte Exekutionen an, er sei „während die Erschießung stattfand in den Omnibus zurückgegangen“, mit dem die Einheit angereist war. Dort habe er sich so positioniert, dass er „mit dem Rücken gegen den Ort des gesamten Geschehens saß“. Zusätzlich habe er sich „bewusst laut mit den Leuten unterhalten, die sich ebenfalls im Bus befanden“.235 Warum ein solches Verhalten möglich war, lässt sich in einer Aussage des geschäftsführenden Hauptwachtmeisters der 1. Kompanie erkennen. Er meinte, es wurde „nicht kontrolliert, ob alles vollzählig da war“.236 Hierdurch sparte sich die Dortmunder Polizeieinheit den schon erläuterten und potenziell problematischen Konflikt, der aus Zwang zu in ihrer Legitimität zweifelhaften Handlungen erwachsen konnte. Wenn Polizisten bei einer verlangten Gewalthandlung wahrnehmen konnten, dass diese „irgendwie unrecht war“,237 wurde ihnen deswegen auch ermöglicht, eine Freistellung mit Vorgesetzten auszuhandeln. Dies galt auch, wenn die Aktion eigentlich schon begonnen hatte. Insbesondere wurde dies im Bataillon 61 geduldet, wenn die Männer eine Teilnahmeunfähigkeit auf ihre angebliche persönliche Willensschwäche oder körperliche Leistungsunfähigkeit zurückführten. Schon vor Kriegsbeginn galt in der Polizei der Grundsatz, ein Offizier müsse „seiner Gefolgschaft zei-

233 Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 16). Tatsächlich hätte es sich um den weit weniger sanktionierten Tatbestand der unerlaubten Abwesenheit gehandelt. Dieser wurde in den seltensten Fällen überhaupt verfolgt. Für ähnlich gelagerte Ausreden vgl. Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (ebd., Bl. 66r); Aussage Erich Schumacher vom 14.11.1952 (ebd., Bl. 71). Zu Mocklers Verhalten und der beschriebenen Misshandlung von Partisanen vgl. Aussage Erich Mockler 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 48). 234 Bericht von Friedrich Kehler an die brit. Besatzungsbehörde vom 29.11.1945 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 20). 235 Aussage Heinrich Becker vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 208, Bl. 40r). 236 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 56r). 237 Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 72).

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gen, dass er für ihre Bedürfnisse und die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit Verständnis aufbringt“.238 Auch der dem Bataillon 61 im Jahr 1939/40 direkt vorgesetzte BdO, Knofe, hielt auf einer Kommandeursbesprechung, an der auch Major Dederky teilnahm, geradezu programmatisch fest: „Jedem, der sich den gestellten Anforderungen nicht gewachsen fühlt, steht es frei, um seine Ablösung zu bitten. Es ist zu seinem Vorteil, diesen Weg zu wählen.“239 Damit teilte Knofe auch die Einschätzung Himmlers. 1943 brachte dieser in seiner Posener Rede auch die Freistellung von „harten“ Aufgaben zur Sprache. Er meinte, es müsse akzeptiert werden, dass jemand zu „schwach“ sein konnte, um eine geforderte Aufgabe umzusetzen. Dies entsprach im Übrigen auch der gängigen Rechtsauffassung der SS- und Polizeigerichte, wie sie der SS-Richter Konrad Morgen nach dem Krieg zu Protokoll gab. Er meinte, dass generell „nicht viel passiert“ sei, wenn ein Soldat oder Polizist sich verweigerte, weil er sich „körperlich und seelisch nicht in der Lage“240 sah, zu töten. Hierbei stellte auch die Dortmunder Polizeieinheit keine Ausnahme dar. So berichte Brunst, er habe sich 1939 bei einer Exekution im „Warthegau“ an Wanne­macher, den späteren Chef der 2. Kompanie, gewandt: „Ich habe […] erklärt, dass ich nicht schießen könne. Der Oberleutnant hat dann sofort auf die Durchführung seines Befehls verzichtet und mich von der Teilnahme an der Exe­kution freigestellt.“241 Geschadet hat dies Brunst offenbar nicht, wurde er doch später Spieß der 1. Kompanie. Eine ähnliche Situation findet sich in Nahlmanns Erinnerungen an seine Zeit in Warschau 1942. Als eine Massen­ exekution angekündigt wurde, habe er seinen vorgesetzten Zugwachtmeister gefragt: „Müssen wir Neuen auch mit raus?“. Der Unterführer habe bejaht und gefragt: „Oder haben Sie etwa Angst?“ Nahlmann will dies bestätigt haben und ein Kamerad soll an den Vorgesetzten gerichtet noch hinzugefügt haben: „Sie müssen das verstehen.“242 Tatsächlich sei dann kurz vor Abmarsch der Einheit verkündet worden: „Die Neuen können abtreten auf ihre Zimmer.“243

238 Zupke, Berufseigenschaften (1936), S. 49. 239 Kommandeursbesprechung beim Befehlshaber der Ordnungspolizei Posen am 15.1.1940 (BA R 70 Polen Nr. 201, Bl. 1). 240 Aussage Konrad Morgen vom 3.11.1960 (StAHH 213-12-21 Nr. 38, unpag.). Zur Person des NS-Juristen vgl. Herlinde Pauer-Studer/David Vellemann, Konrad Morgen. The Conscience of a Nazi Judge, London 2015. Zur erwähnten Stelle in der Posener Rede vgl. Heinrich Himmler, Rede des Reichsführers SS bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4. Oktober 1943. In: Internationaler Militärgerichtshof (Hg.), Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, 14. November 1945–1. Oktober 1946, Band 29: Urkunden und anderes ­Beweismaterial, Nürnberg 1949, S. 110-173, hier 145 f. 241 Aussage Ernst Brunst vom 7.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 158). 242 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 16. 243 Ebd., S. 17.

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Ebenso führte auch Heuwinkel aus, dass man „zu einem Vorgesetzten gehen und sagen [konnte], dass man nicht die nötige seelische Kraft habe, um bei solch einer Erschießungsaktion dabei zu sein“. Mental einfacher, da man noch nicht einmal direkt eine konkrete Schwäche eingestehen musste, war eine weitere Strategie, die Heuwinkel ebenfalls erläuterte: „Man konnte sich z. B. krank melden mit dem Erfolg, dass man dann für den betreffenden Tag ausfiel.“244 So will Junker die Teilnahme an einer Exekution mit einer angeblich verstauchten Hand umgangen haben. Ebenso wirksam war, was verschiedene weitere Bataillonsangehörige in ähnlicher Form zu Ausdruck brachten. Bei Exekutionen seien „Angehörige der Kompanie, denen es schlecht geworden ist, durch andere abgelöst worden“.245 Eine Freistellung zu akzeptieren, war im Bataillon 61 offenbar solange funktional, wie deren Begründung an der „Schwäche“ einer einzelnen Person festgemacht wurde. Um diese Praxis, die der Sozialisation der Polizisten zutiefst widersprach, akzeptabler zu machen, wurde sie durch Vorgesetzte sogar vorgelebt. Einige Offiziere erinnerten sich, dass sie sich selbst stets „in erheblicher Entfernung“246 zu den eigentlichen Exekutionen aufhielten. Neben den Offizieren sei auch der jeweilige Spieß „stets bei derlei Gelegenheiten nicht aktiv beteiligt gewesen“.247 Den Männern wurde also verdeutlicht, dass passives Verhalten, solange es die Abläufe nicht störte, akzeptiert wurde. Den kompletten Entzug aufgrund von persönlicher Schwäche soll dann sogar der Kommandeur des Bataillons 61 vorgeführt haben. So berichtete sein ehemaliger Adjutant, dass der Major sich 1942 einer Exekution wegen angeblicher Übelkeit entzogen habe.248 Nicht nur für temporäre Freistellungen, sondern auch um eine Versetzung zu erreichen, eignete sich persönliche Schwäche als ideale Begründung. Für die schon erwähnte Rücksendung von Lange in die Heimat soll dieser dem Bataillonskommandeur berichtet haben, er sei „seelisch völlig zermartert“, weswegen er anschließend um seine „Versetzung bat, was dann auch geschah“.249 Auch Dittmann, der sich zunächst noch freiwillig zu Exekutionen meldete, um Kameraden zu entlasten, soll später entlassen worden sein, da „seine Nerven versagt

244 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 8.12.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 223). 245 Aussage Hans Delisch vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 88r). Vgl. beispielsweise auch Aussage Arthur Michels vom 14.11.1952 (ebd., Bl. 68). Für Junkers verstauchte Hand vgl. Aussage Ludwig Junker vom 3.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5833). Statt der Teilnahme an der Exekution habe er an diesem Tag deutsche Kinder zur Schule eskortieren müssen. Ebenso für diese Behauptung vgl. Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 218). 246 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 188). 247 Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 215). 248 Vgl. Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 187r). Für Dederkys Unwohlsein bei standrechtlichen Erschießungen vgl. Aussage Hans Kärgel vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 249, Bl. 90). Solche Aussagen erscheinen als besonders glaubwürdig, da Dederky den Krieg nicht überlebte und in Aussagen folglich nicht vor Strafverfolgung geschützt werden musste. 249 Aussage Anton Lange vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 41).

Organisation des Alltags, Freiwilligkeit und fehlender Zwang

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haben“.250 Insbesondere älteren Reservisten bot sich auch die Möglichkeit, sich aufgrund körperlicher Gebrechen ins Heimatgebiet zurückversetzen zu lassen. Auf diesem Weg wurde Weber vom Bataillon 61 zurück zur Polizeiverwaltung Dortmund geschickt. Er wurde am 20. Juni 1943 wegen eines Herzfehlers und hohen Blutdrucks abgezogen. Zuvor hatte Weber problemlos über zwei Jahre in der Dortmunder Polizeieinheit gedient. Auch dem relativ jungen Reservisten Nahlmann habe ein Schreiber schon bei der Rekrutierung geraten, eine Freistellung wegen körperlichen Gründen zu beantragen. Man habe dem Reservisten nahegelegt, er solle doch einfach vortäuschen, er habe es „an den Nieren oder sonst irgendetwas“.251 Es bleibt festzuhalten, dass Freistellungsgründe, egal ob befristet oder dauerhaft, an den Eigenschaften des Freizustellenden ansetzen mussten. Dass Männer selbst einer nicht legalen Anweisung aus Prinzip die Anerkennung verweigerten, also damit indirekt auch ihre offene Gegnerschaft zur regimetreuen Polizei zum Ausdruck brachten, wurde nicht toleriert. Wie es auch für jeden anderen Offizier Gültigkeit besaß, duldete beispielsweise Hauptmann Mehr „gegen die von ihm getroffenen Anordnungen keinen Widerspruch“252 in direkter Form. Die offizielle Ordnung der Polizeieinheit, deren Repräsentanten insbesondere die Offiziere waren, durfte nicht infrage gestellt werden. Juristische Probleme für unwillige Polizisten entstanden vor allem, wenn sich diese verweigerten und dies durch moralische Ansprüche zu legitimieren versuchten. Hierdurch wurde das gesamte Aufgabenfeld der Ordnungspolizei als illegitim dargestellt und somit die Organisation und das NS-Regime angegriffen. Entsprechend berichtete auch der SS-Richter Morgen, dass es Konsequenzen bis hin zur Hinrichtung für Polizisten bedeutete, wenn jemand die Teilnahme an einer Tötungsaktion wegen „seiner Sympathie für die Juden“ oder aufgrund „seiner Gegnerschaft zur SS“253 offen ablehnte.

250 Bericht zur Entnazifizierung von Tobias Ditmann vom 27.1.1949 (LAV NRW, R, NW 1097-4037, unpag.). 251 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 9. Nahlmann nutzte diese Option jedoch nicht. Siehe dazu auch Kapitel V.7. Für Webers Versetzung vgl. Entnazifizierungsakte Weber, Heinrich vom 23.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-­ Polizei-2526, Bl. 4). Zur Entlassung durch ärztliche Gutachten vgl. Anordnung betr.: Polizeireservisten im ehemaligen Polen und im Protektorat vom 7.12.1939 (BA R 19 Nr. 306, Bl. 37). 252 Aussage Joseph Figiel vom 2.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 71). Ebenso dafür, dass Mehr keinen direkten Widerspruch duldete, vgl. Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (ebd., Bl. 153); Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (ebd., Bl. 239r). Zum Prinzip, zu gehorchen und nicht die Ordnungspolizei und ihre Repräsentanten zu hinterfragen, vgl. Palm, Vorgesetzte (1933), S. 209. Zur Problematik der Anerkennungsverweigerung von Regeln in Organisationen generell vgl. Luhmann, Funktionen, S. 63. 253 Aussage Konrad Morgen vom 3.11.1960 (StAHH 213-12-21 Nr. 38, unpag.).

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Handlungsleitende Einflüsse

An der Tatsache, dass im Bataillon 61 auch direkte Verweigerungen, solange es offenbar nicht zu dem von Morgen geschilderten Extremfällen kam, straffrei blieben, zeigt sich, wie weit die Handlungsspielräume von Polizisten tatsächlich gestaltet waren. So berichtete Ködding, dass sich der Polizist Lange offen verweigert habe und „straflos ausging“.254 Delisch meinte, „dass sich einer der Kompanieangehörigen dem Hauptmann Mehr [gegenüber] ausdrücklich geweigert hat, an [einer] Erschießung teilzunehmen“.255 Es hieß, als sich der Polizist weigerte, „bei der Exekution mitzuschießen“, bezeichnete ihn der Hauptmann „als Feigling und ließ ihn beiseitetreten“.256 Eine Strafe sei aber nicht erfolgt. Diese Beispiele zerschmettern jede Notstandsbehauptung in den Aussagen ehemaliger Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit. Es war selbst aggressiven Nationalsozialisten wie Mehr nicht möglich, Untergebene zur Erfüllung nicht formalisierbarer Erwartungen zu zwingen. Handlungsfreiräume wurden den Männern dabei nicht aus Freundlichkeit oder Güte zugestanden, sondern rein zur Aufwandsminimierung der Organisation. Freistellungen waren Stütze und nicht Hindernis zur Erfüllung illegaler Aufgaben. Wie die große Anzahl an vollzogenen Gewaltakten belegt, erhielt sich das Bataillon 61 durch den Verzicht auf offizielle Sanktionen in Grauzonen eine funktionierende und meist überraschend große und handlungsbereite Kerntruppe. So waren auch die radikalsten und vor allem nicht formalisierbaren Erwartungen der Führung durchsetzbar. 3.

Die Fassade der Legalität, Legitimität und die Dehumanisierung

Um vor allem die Teilnahme an standrechtlichen Erschießungen für die Mitglieder des Bataillons 61 legitim erscheinen zu lassen, versuchte man, diese Handlungen als rechtlich abgesichert darzustellen. Dies war u. a. nötig, da die Exekutionen Elemente der Beherrschung des jeweiligen Gebietes durch Terror waren, die auch nach Maßstäben des NS-Rechts nicht legal gewesen sind. Das dabei grundlegende Problem schilderte Lütgemeier. So habe „die Durchführung der Erschießungsbefehle für jeden der beteiligten Polizeiangehörigen eine außerordentliche Überwindung“ erfordert und war „überhaupt nur deshalb möglich […], weil wir alle davon überzeugt waren, dass es ein ordentliches, in einem regulären Verfahren zustande gekommenes Urteil war“.257

254 Aussage Wilhelm Ködding vom 1.10.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 209). 255 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 200). 256 Aussage Hans Delisch vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 88r). Der Zeuge gab an, später habe sich der Unwillige jedoch Schikanen ausgesetzt gesehen. Eine Verweigerung, die zwar offiziell akzeptiert wurde, konnte durch die Gruppendynamik eine Form sozialer Sanktionierung auslösen. Siehe ausführlich Kapitel V.5. 257 Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 58r).

Fassade der Legalität, Legitimität und Dehumanisierung

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Auch weitere Mitglieder des Bataillons 61 äußerten über die 1939/1940 ausgeführten Tötungen, diese seien stets die „Vollstreckung standgerichtlicher Urteile“ gewesen.258 Eine beliebte weitere Argumentation, mit ebenfalls entlastender aber auch nicht völlig von der Hand zu weisender Logik, befasst sich mit der Legalität der Standgerichte. Zumplasse meinte, auch wenn Angeklagte keinen Rechtsbeistand erhielten, dass „die Standgerichte gerecht und sachlich arbeiteten“. Dies ging seiner Meinung nach daraus hervor, „dass Freisprüche vorgekommen sind“.259 Um die so vorgetäuschte Legalität weiter hervorzuheben, soll der Bataillonskommandeur Dederky im Rahmen einer Exekution, als deren Rechtmäßigkeit in Zweifel gezogen wurde, zum Ausdruck gebracht haben: „Damit Sie sich beruhigen, es sind alles ordnungsgemäß abgeurteilte Personen und zwar glaublich wegen illegalen Waffenbesitzes.“260 Bedeutungsvoller als ein solches Urteil war dabei aber, wie Standgerichtsprozesse überhaupt zustande kamen, in denen dann Urteile ohne Binnendifferenzierung vorgenommen wurden. „Die Urteile lauteten entweder auf Todesstrafe oder auf Freispruch. Andere Möglichkeiten gab es nach den damals bestehenden gesetzlichen Bestimmungen nicht.“261 Damit das Bataillon 61 aber überhaupt einen Prozess und eine anschließende Exekution ausführen konnte, war das Auffinden bestimmter Gegenstände bei einer nichtdeutschen Person notwendig. Das „Verordnungsblatt für die besetzten Gebiete in Polen Nr. 3“ vom 12. September 1939 regelte grundsätzlich: „Wer entgegen vorstehender Verordnungen Schusswaffen, Munition, Handgranaten, Sprengmittel oder sonstiges Kriegsgerät in Besitz hat, wird mit dem Tode bestraft.“262 Weiterhin hieß es: „Aburteilung und Vollstreckung des Urteils haben unverzüglich durch Standgericht zu erfolgen.“263

258 Aussage Julius Wannemacher vom 23.5.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 42). Ebenso vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 19); Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (ebd., Bl. 43). 259 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 139). Für weitere angebliche Freisprüche vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 206, Bl. 34); Aussage Heinrich Zumplasse vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 50). 260 Aussage Julius Wannemacher vom 23.5.1960 (ebd., Bl. 65r). 261 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 140). 262 Tagesanordnung des BdO Posen vom 28.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). Ebenso war die Todesstrafe für Angriffe auf deutsche Zivilisten und Militärangehörige vorgesehen. Vgl. auch die Erwähnung der Verordnung bei Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 29). Er spricht dort lediglich abweichend von einer Verordnung des Oberbefehlshabers des Heeres vom 12.9.1939. 263 Abschrift des „Verordnungsblatts für die besetzten Gebiete in Polen Nr. 3“ mit der abgedruckten „Verordnung über Waffenbesitz vom 12.9.1939“ in: Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 64). Ferner vgl. Bericht des Polizeirats Friedrich Kehler über die Entnazifizierung von Walter Nord vom 10.7.1950 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 46).

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Handlungsleitende Einflüsse

Ein solches konnte sich „zusammensetzen aus dem Kommandeur eines Poli­ zeiregiments oder dem Kommandeur eines Polizeibataillons“.264 Da sich die Zuständigkeit solcher Gerichte nur auf den Munitionsbesitz erstrecken sollte, bot sich für die weltanschaulich eindeutig positionierten Offiziere des Bataillons 61 eine schon erläuterte Praxis an. Man schob unerwünschten Individuen kurzerhand Waffen oder Munition unter. Dies eignete sich ideal dazu, eine Fassade der Legalität von darauffolgendem Prozess und Exekution zu konstruieren. „Wurden bei einem Polen Waffen gefunden, gab es aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen nur die Todesstrafe.“265 Dabei war es eigentlich egal, ob die Männer glaubten, dass „Waffenbesitz und die Bekämpfung von Partisanen nach Kriegsrecht verfolgt“ wurden.266 Wichtig war hingegen, dass man sich durch die legale Schauseite zumindest als „anständig“ gegenüber der Heimatbevölkerung darstellen konnte. Dass es beispielsweise im Westen Polens 1939/40 überhaupt keine organisierten Partisanenaktivitäten gab, schob man dabei gedanklich mit Leichtigkeit beiseite.267 Weiter gestützt wurde die Fassade der Legalität bei Standgerichtsprozessen im Bataillon 61, die eindeutig fingiert waren, durch ihren bürokratischen Ablauf. So habe man in der Polizeieinheit darauf Wert gelegt, dass „es peinlich korrekt zugeht“.268 So berichtete der ehemalige Schreiber Zumplasse, er habe „im Auftrage von Major Dederky ein Formular entworfen, welches bei jedem Standgerichtsverfahren auszufüllen war“. Auf mehreren Seiten sei darin das jeweilige Standgericht sowie das vorangegangene Ermittlungsverfahren dokumentiert worden. Alle Beteiligten hätten dieses Dokument unterschreiben müssen, da der Bataillonskommandeur „ein sehr vorsichtiger Mann“269 gewesen sei. „Auf diese Weise entstand über jedes Standgerichtsverfahren ein kleiner Aktenband. Die einzelnen Vorgänge wurden in einem Leitzordner zusammengefasst.“ Dies sollte bezwecken, dass man einen genauen Überblick erhielt, „in welchen Fällen das Standgericht des Bataillons in Tätigkeit getreten war“. Der Grund hierfür sei laut dem Schreiber gewesen, dass der Major „jederzeit Unterlagen zur Hand haben wollte, mit denen zu belegen war, dass im Bataillon völlig korrekt gearbeitet wurde“.270 Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgte man auch bei den eigentlichen Exekutionen. So soll Major Dederky bei solchen Gelegenheiten stets „eine Mappe mit zahlreichen Schriftstücken“271 mitgeführt haben, von denen er behauptete, 264 Abschrift des „Verordnungsblatts für die besetzten Gebiete in Polen Nr. 3“ mit der abgedruckten „Verordnung über Waffenbesitz vom 12.9.1939“ in: Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 65). 265 Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (ebd., Bl. 31). 266 Aussage Heinrich Zumplasse vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 50). 267 Nochmals für den fehlenden Widerstand siehe Kapitel IV.1. 268 Aussage Julius Wannemacher vom 23.5.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 42). 269 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 138). 270 Ebd., Bl. 139. 271 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 8.12.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 128, Bl. 26).

Fassade der Legalität, Legitimität und Dehumanisierung

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es seien Schreiben, die die Exekutionen durch Urteile legitimierten. Auch suggerierte es Legalität, dass jeweils eine „Niederschrift über die Exekution […] von dem Führer des Exekutionskommandos unterschrieben“272 worden sei. Ob dies tatsächlich immer zutraf und welche Unterlagen der Major tatsächlich mitführte, bleibt ungeklärt, eine gewisse Fassade der Legalität bot es aber dennoch. An dieser wurde auch in den bataillonsinternen Schulungen gearbeitet. So hieß es etwa über die Exekutionsmaßnahmen, dass deren „Rechtmäßigkeit […] von den Einheitsführern im Unterricht immer wieder dadurch hervorgehoben“273 wurde, indem sie das formell korrekte Zustandekommen der Tötungen thematisierten. Diesen Beitrag zur Legalitätskonstruktion gestanden auch Männer wie der Zugführer Lütgemeier nach dem Krieg durchaus offen ein.274 Weiterhin unterstützten Vorgesetzte als Vertrauenspersonen die Fassade der Legalität von Gewalthandlungen schon durch ihre bloße Anwesenheit, mit der sie demonstrierten, dass die Aktionen innerhalb der jeweiligen Referenzgruppe akzeptabel waren. So erinnerte sich Sippel daran, dass mindestens in einem Fall höhere Dienstgrade „von einer Anhöhe bewaffnet mit Fernstechern die Exeku­ tion beobachten“.275 Der Adjutant des Bataillons, Fiegel, bestätigte dies. Auch der Polizist Delisch ließ in einem Schreiben durch seinen Anwalt bestätigen, dass die Anwesenheit des Bataillonskommandeurs „den offiziellen Charakter der gesamten Aktion dokumentiert“ habe.276 Ganz Ähnliches meinte auch Kobitzki, wobei er eine weitere externe Legitimationsebene ansprach: „Aus der Tatsache, dass der Bataillonskommandeur bei der Exekution zugegen gewesen ist, schließe ich, dass die Exekution von höherer Dienststelle befohlen worden ist.“277 Nach dem Krieg getätigte Behauptungen, dass man geglaubt habe, alle „gegebene Befehle durchführen zu müssen“,278 waren Entlastungsstrategien. Jedoch sollte man bis zu einem gewissen Maß die Obrigkeitshörigkeit der Polizisten nicht unterschätzen. Diese hatten das Gehorchen nicht nur in ihrer Jugend verinnerlicht, auch die verschiedenen Publikationsorgane der Polizei wiesen immer wieder auf die Gehorsamspflicht von Polizisten hin. 1944 hielt man seitens

272 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 138). 273 Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 24). Ebenso vgl. Aussage Karl Schmitz vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 215, Bl. 54). 274 Vgl. Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 58r). 275 Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 67). Ebenso vgl. Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 105r); Aussage Anton Sippel vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 41r). 276 Brief des Anwalts von Hans Delisch vom 5.10.1953 (ebd., Bl. 224). Für die Bestätigung der Anwesenheit durch den Adjutanten vgl. Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 188). 277 Aussage Otto Kobitzki vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 43). 278 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 151r). Vgl. in ähnlicher Form Aussage Joseph Figiel vom 2.3.1951 (ebd., Bl. 71).

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der SS- und Polizeigerichtsbarkeit noch einmal genau fest: „Unverbindlich und daher nicht auszuführen sind Befehle nur ganz selten.“279 Hieran gewissermaßen anknüpfend gewährten die Polizisten im Bataillon 61 ihren Vorgesetzten, gerade was mehr oder weniger offiziell anmutende Gewalthandlungen anging, einen Vertrauensvorschuss. Dieser wurde zum einen in der Einheit durch bestehende personale Vertrauensnetzwerke hervorgerufen. Zum anderen war auch ein gewisses Maß an Systemvertrauen durch die schon erläuterten Maßnahmen zum Aufbau einer Fassade der Legalität bedingt. So nahm man ein Stück weit an, auch wenn dies nach dem Krieg weit übersteigert dargestellt wurde, dass „von oben“280 kommende Befehle legitim und auch legal waren. So ist etwa Schultes Aussage, dass er als Reservist ohne tiefere Kenntnis formeller Abläufe keine genauere Überprüfungsmöglichkeit besessen haben will, nicht völlig von der Hand zu weisen. Er meinte, „von welcher Seite aus und aus welchem Grunde die Exekution befohlen worden war“,281 habe er nicht prüfen können. Ebenso wichtig scheint für die Ausführung von Tötungsaufgaben gewesen zu sein, dass bei den Polizisten des Bataillons 61 ein großes Maß an Indifferenz gegenüber Gewalthandlungen bestand. Insbesondere war dies der Fall, wenn sich Gewalt gegen Personen richten sollte, die nicht zum eigenen „Universum allgemeiner Verbindlichkeiten“ gehörten.282 Ohne sich offensichtlich klar zu sein, was er zu Protokoll gab, führte Heuwinkel aus, hätte er ein Unrecht wahrgenommen, hätte er sich vermutlich der Teilnahme an diesem verweigert. Auch andere Polizisten gaben an, dass sie sich

279 Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei/Hauptamt SS-Gericht (Hg.), Die SSund Polizeigerichtsbarkeit. Ein Leitfaden, Stand vom 1. Juli 1944, Berlin 1944, S. 52. Ergänzt ist dabei noch die Bemerkung, dass man sich verweigern solle, wenn Befehle „Verbrechen oder Vergehen bezwecken“ würden. Mehrere ehemalige Mitglieder des Bataillons 61 wollen davon nichts gewusst haben, obwohl diese Informationen auf der zweiten Seite von jedem Wehrpass und Polizeidienstausweis eingetragen waren. Exemplarisch vgl. Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 154). Für die angeblich besonders weitgehende Gehorsamspflicht von Polizisten vgl. Friedrich Bensen, Der Gehorsam des Beamten eine sittliche Pflicht. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 1 (1933) 8, S. 293 f.; Werner Roediger, Welche Bedeutung hat der neue Eid für den Offizier der Schutzpolizei? In: Kehrl (Hg.), Jahrbuch der deutschen Polizei 1936, S. 51–54, hier 52. 280 Aussage Franz Klippert vom 4.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 223, Bl. 33). Für die Konstruktion von Legalität durch Befehle vgl. Aussage Hans Kärgel vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 249, Bl. 95). Ebenso vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 16); Aussage Heinrich Linnemann vom 10.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 71); Aussage Erich Schumacher vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 70r); Aussage Otto Kopitzki vom 5.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5845). 281 Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 56). In ähnlicher Form vgl. Aussage Arthur Michels vom 14.11.1952 (ebd., Bl. 67r). 282 Helen Fein, Genozid als Staatsverbrechen. Beispiele aus Rwanda und Bosnien. In: Zeitschrift für Genozidforschung, 1 (1999) 1, S. 36–45, hier 42.

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schlicht „damals keine Gedanken darüber gemacht“283 hätten, ob man Exekutionen „für zulässig halten“ durfte. Eine sich dadurch ausweitende Indifferenzzone trug dazu bei, dass die Notwendigkeit, Gewalthandlungen durch Legalisierungspraktiken zu legitimieren, mit andauernder Einsatzzeit des Bataillons 61 merklich abnahm. Während 1939/40 noch zahlreiche dahingehende Anstrengungen unternommen wurden, führte man in Warschau 1942 schon Exekutionen ohne besondere rechtliche Fassade in Form von Prozessen aus. Jedoch waren hier zumindest noch höhere Offiziere anwesend. Beim Einsatz in Russland stellte sich das Einsatzgebiet dann im noch stärkeren Maße als gewaltoffen dar, als dies bereits in den polnischen Gebieten der Fall gewesen war.284 Den größten Teil der offiziell wie inoffiziell an die Männer der Dortmunder Polizeieinheit herangetragenen bzw. von diesen geforderten Gewalthandlungen versuchte man möglichst geheim zu halten. Dies galt vor allem im Bereich der selbst nach NS-Recht illegalen Handlungen, von denen man im Bataillon 61 selbst erkannte, dass sie „irgendwie unrecht“ waren.285 Wenig verwunderlich war entsprechend das „Fotografieren der Vollstreckung von Urteilen durch standrechtliche Erschießung […] grundsätzlich verboten. Falls in besonders gelagerten Einzelfällen die Herstellung fotografischer Aufnahmen für rein dienstliche Zwecke notwendig ist, so darf die Genehmigung hierzu nur von einem Offizier mindestens im Range eines Divisionskommandeurs erteilt werden.“ In jedem Fall seien aber die Filme unentwickelt abzugeben sowie „alle Zuschauer fernzuhalten“.286 An anderer Stelle hieß es: „Das Fotografieren von Exekutionen in und außerhalb des Reichsgebietes ist verboten. Es ist auch verboten, Nichtangehörige der Ordnungspolizei zum Fotografieren von Exekutionen zu veranlassen.“ Auch hieß es wiederum: „Gegebenenfalls sind die bisher hergestellten Aufnahmen einzuziehen und zu vernichten.“287 Hinzu kam die Anordnung, dass Erschießungen „abseits von Städtchen, Dörfern und Verkehrswegen zu erfolgen“

283 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 154). Ebenfalls unter Nutzung der Formulierung, man habe sich „keine Gedanken“ gemacht, vgl. Aussage Theodor Pohle vom 30.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 58r); Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (ebd., Bl. 66). Für Heuwinkels Stellungnahme vgl. Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 8.12.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 224). 284 Für Exekutionen in Polen, bei denen keine Todesurteile verlesen wurden, oder bei denen die Polizisten vermuteten, dass auf ein ordentliches Gericht komplett verzichtet worden war, vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 27.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 51r); Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (ebd., Bl. 56); Aussage Hans Delisch vom 27.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5805). Für die illegale Ausweitung von Todesurteilen 1939/40 auf ganze Familien vgl. Aussage Ewald Körner vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 216, Bl. 53). 285 Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 18). 286 Geheimverfügungen Abt. VII der 285. Sicherungs-Division vom 11.12.1941 (BA-MA RH 26-285 Nr. 44, Bl. 6). 287 Besondere Anordnung für die Versorgung Nr. 14 vom 11.8.1942 (BA R 19 Nr. 324, Bl. 7).

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hätten. Die Gräber seien so „einzuebnen, dass keine Wallfahrtsorte entstehen können“.288 Auch dort, wo es nicht direkt um die Regulation von massenhaften Tötungen ging, machte die SS- und Polizeigerichtsbarkeit klar, dass für Polizisten eine allgemeine Verschwiegenheitspflicht über ihren Dienst bestand. Vereinfacht hieß es, bestünden über einen Zusammenhang Zweifel, so werde „es sich immer empfehlen, zu schweigen“.289 Himmler selbst brachte dies in einem geheimen Befehl zum Ausdruck, wobei er zwischen den Zeilen eine Geheimhaltung von in ihrer Legalität nicht abgesicherten Handlungen andeutete: „Lebensnotwendige Befehle und Pflichten für ein Volk müssen erfüllt werden. Sie sind hinterher aber kein Gesprächs- oder Unterhaltungsstoff.“290 Der dem Bataillon 61 im Jahr 1939 vorgesetzte BdO Posen schärfte seinen Untergebenen ein: „Ein Sonderfall gibt mir Veranlassung, nochmals darauf hinzuweisen und alle Urlauber zu ermahnen, bei Äußerungen über den Einsatz der Ordnungspolizei […] in Polen vorsichtig zu sein und Zurückhaltung zu üben. Verletzungen der Amtsverschwiegenheit ziehen strengste Bestrafung nach sich.“ Im Gegenteil sollte man dazu beitragen, „die innere Front zu stärken und etwai­ ge Miesmacher mundtot zu machen“.291 Durch die Drohung mit der Sanktionsgewalt des NS-Regimes versuchte man dabei, die trotz aller Bemühungen nicht als vollständig legitim präsentierbare Gewalt so geheim wie möglich zu halten. Den Nationalsozialisten war der Charakter ihrer Taten mehr als bewusst. Es war klar, dass nicht nur „die ungeheuerliche Dimension des Judenmords“ eine „unvorstellbare Verletzung“292 jedweder zivilisatorischen Norm darstellte. Auch wenn beispielsweise die Vernichtung der europäischen Juden von der NS-Elite als unbedingt notwendig angesehen wurde, war doch auch klar, dass diese Aufgabe der gesamten Bevölkerung kaum in Gänze kommunizierbar war. Dies zeigt sich auch daran, dass selbst 1943 noch im Zusammenhang von juristisch „legalen“ Exekutionen Vertreter der Wehrmacht bei einer Bespre-

288 Bundesarchiv/Institut für Zeitgeschichte/Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Freiburg (Hg.), Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Band 7: Besetzte sowjetische Gebiete unter deutscher Militärverwaltung, Baltikum und Transnistrien. Bearb. von Bert Hoppe und Hildrun Glass, München 2011, S. 160 f., Dokument 22. Zum Foto­ verbot bei Exekutionen vgl. Browning, Ganz normale Männer, S. 34. 289 Rohne, Gedanken (1936), S. 2. Für die Verschwiegenheitspflicht, vgl. Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, Hauptamt SS-Gericht (Hg.), SS- und Polizeigerichtsbarkeit, S. 59. Ebenso vgl. Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft 5 September 1941 hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 100). Für die Verschwiegenheitspflicht, wenn Informationen dem Deutschen Reich schaden konnten, vgl. Pabst, Notdienstverordnung (1940), S. 15. 290 Geheimer SS-Befehl an alle Höheren SS- und Polizeiführer, SS- und Polizeiführer sowie zur Verteilung an alle Dienststellen im Osten vom 12.12.1941 (LVVA P 83-1 Nr. 80, Bl. 5). 291 Tagesanordnung des BdO Posen vom 16.12.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). 292 Hans-Ulrich Wehler, Der Nationalsozialismus. Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen, 1919–1945, München 2009, S. 225.

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chung mit Reichssicherheitshauptamt und Justizministerium stärkste Bedenken äußerten. Es hieß, man dürfe sich „nicht zum Büttel und Scharfrichter der Justiz erniedrigen“, wenn man für Wehrmacht und Polizei nicht „eine Einbuße ihrer Sympathien im Volk riskieren wolle“.293 Nicht legalisierte und nicht legitimierte Gewalt gegen wehrlose Personen stellte ein massives Problem dar. Der Reichsführer-SS bezeichnete die Vernichtung der Juden als „niemals zu schreibendes Ruhmesblatt“ der Geschichte. Insbesondere in der Ordnungspolizei bestand die regelrechte Angst, den eigenen Anschein als Hüter von Recht und Ordnung zu verlieren. Man wollte durch Geheimhaltung von sich sagen können, zumindest im Sinne Himmlers „anständig geblieben zu sein“.294 In einigen Fällen nutzte das Bataillon 61 öffentliche „Erschießungen […] auf Marktplätzen“ aber auch als terrorbasierte Kommunikationsstrategie, denn die „Öffentlichkeit musste an diesem Schauspiel teilnehmen“.295 Hierbei ging es darum, nach Schaffung einer Fassade der Legalität „zur Abschreckung“296 der Zivilbevölkerung Gewalt demonstrativ anzuwenden. Wie ausgeführt, war das Bataillon 61 aber in zahlreichen Fällen auch in verschiedenste Formen illegaler Handlungen verstrickt, die die Polizisten entsprechend versuchten geheim zu halten. Dabei wurden Maßnahmen ergriffen, damit sich diese Handlungen „besser verschleiern ließen“.297 Wenig verwunderlich äußerte so etwa Schmitz: „Grundsätzlich durfte ein Angehöriger einer Kompanie über eine Tätigkeit, die unter Geheimhaltung stand, auch mit seinem nächsten Kommandeur nicht sprechen.“298 Nahlmann hielt fest, dass es verboten war, „irgendwelche Aufzeichnungen oder gar Tagebücher zu führen“.299 Insbesondere über Tötungen

293 Vermerk über die Besprechung zwischen Hauptamt Ordnungspolizei (Flade), RSHA (Neifeind), Reichsjustizministerium (Mettgenberg), Vertreter OKW [Oberkommando der Wehrmacht] und der drei Wehrmachtteile über Heranziehung von Wehrmacht und Polizei für Exekutionen vom 5.1.1943 (AIFZ, RF-SS, MA 333 Nr. 1, Bl. 7617). Dennoch bestand im Militär, anders als in der Zivilgesellschaft, von Kriegsbeginn an eine größere Akzeptanz von Tötungen. Vgl. Wehler, Nationalsozialismus, S. 93. 294 Himmler, Rede (1943), S. 145. Entsprechend durften ab Ende 1939 beispielsweise keine Presseberichte über Exekutionen mehr publiziert werden. Vgl. Jockheck, „Banditen“, S. 448. Zum NS-Moralverständnis vgl. Raphael Gross, Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 2010. Zum Problem der Mitteilbarkeit solcher Aufgaben in Organisationen vgl. Niklas Luhmann, Der neue Chef. In: Verwaltungsarchiv, 53 (1962) 1, S. 11–24, hier 15. Zur generell allgegenwärtigen Unvollständigkeit von Vereinbarungen und Verträgen vgl. Rudolf Richter/Eirik Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 3. Auflage, Tübingen 2003, S. 269. 295 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 12). Vgl. auch die Fotografien aus dem Fotoalbum eines Angehörigen des Polizeibataillons 61 in: VtH Dep. Nr. 40 Privatbesitz. 296 Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 25). 297 Aussage Fritz Urban vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 219, Bl. 11). 298 Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 24). 299 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 18.

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meinte Schellenberger: Von „oben herunter war darüber Schweigeverbot [sic] angeordnet“.300 Auf Urban will es den Anschein gehabt haben, dass es gerade bei separaten Exekutionsaufgaben beabsichtigt war, dass „bei einem solchen Anlass keine Einheit von der anderen etwas wissen sollte“.301 Lange führte schließlich aus, dass insbesondere durch die Kompanieführung ein deutlicher Druck zur Geheimhaltung bestanden habe.302 Ein solcher war jedoch kaum nötig. Die Polizisten waren schon von allein darauf bedacht, sich in der Heimat, insbesondere vor ihren Familien, nicht als gewalttätige Verbrecher darzustellen. Hingegen waren andere Maßnahmen zur offiziellen Geheimhaltung weit wichtiger. Gerade Gewalthandlungen, die die Führung nicht als Abschreckungsmaßnahme und somit auch nicht als offene Kommunikationsstrategie einsetzten wollte, wurden nach Möglichkeit an abgelegenen Orten durchgeführt. So führte das Bataillon 61 beispielsweise seinen Einsatz zur Tötung von 200 Patienten einer Nervenheilanstalt versteckt im Wald aus. Gleiches galt für verschiedene andere Exekutionen in der Einsatzphase 1939/40. Ein ähnliches Prozedere wiederholte sich auch beim Einsatz im Jahr 1942. Für die Massenexekutionen wurde geschildert, dass für diese relativ abgelegene Orte gewählt wurden. So sollen beispielsweise Exekutionsstellen „durch Büsche und einen Hügel der Sicht“303 entzogen gewesen sein. Zusätzlich waren Absperrposten aufgestellt, um „das Annähern unbefugter Personen zu verhindern“.304 Es ging dabei stets darum, keine Zeugen für die Gewaltanwendung entstehen zu lassen. Ebenso verhielt es sich mit anderem Beweismaterial. Delisch führte zwar aus, er habe als inoffizieller Fotograf der 1. Kompanie bei mindestens einer Exekution Bilder aufgenommen, jedoch sei der Film „dann aber nicht entwickelt worden, sondern wurde von [ihm], wiederum auf Veranlassung von Hauptmann Mehr, anschließend unentwickelt vernichtet“.305 Zur gleichen Kategorie

300 Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 59r). Gemeint war sicherlich ein Redeverbot. Ebenso zur Verpflichtung zum Schweigen nach Exekutionen vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 17. 301 Aussage Fritz Urban vom 3.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 219, Bl. 16). 302 Vgl. Aussage Anton Lange vom 23.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 114r). 303 Hermann Kreienkamp vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 33). Ebenso für die Abgelegenheit von Exekutionsorten vgl. Aussage Hans Delisch vom 2.1.1953 (ebd., Bl. 88). Für die Nutzung von Waldstücken für Exekutionen vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 2.1.1953 (ebd., Bl. 90r). Für die Tötungen bei der Nervenheilanstalt vgl. Aussage Jan Kujawski vom 1.7.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 180). 304 Aussage Erich Schumacher vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 70). 305 Aussage Hans Delisch vom 27.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5805). Für eine ähnliche Schilderung vgl. Aussage Hans Delisch vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 88r). Tatsächlich wurde das Bataillon 61 bzw. seine Teileinheiten durchaus bei heimlichen Exekutionen beobachtet. Ebenso existieren von diesen Exekutionen noch Fotografien. Vgl. auch die Fotografien aus dem Fotoalbum eines Angehörigen des Polizeibataillons 61 in: VtH Dep. Nr. 40 Privatbesitz; die Fotografien in: LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b.

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der Geheimhaltung gehörte auch die Tarnung von Mitgliedern des Bataillons 61 mit Zivilkleidung während ihrer eigenmächtigen Tötungstouren durch das Warschauer Ghetto. Neben der Erleichterung dieser Tätigkeit durch ein gewisses Überraschungsmoment kaschierte die Bekleidung auch den immensen Regelbruch, da Männer der uniformierten Polizei das Innere des Ghettos nicht betreten durften. Offensichtlich bestand der Versuch, durch eine gewisse Geheimhaltung zumindest die Organisationskultur der Polizei nach außen hin als der Legalität verpflichtet darzustellen. Darin bestand ein unausgesprochener Konsens der lokalen Ebene des Bataillons 61 und der höheren Führung.306 Letztere war bemüht, durch Regelungen und Vorschriften diesen Vorgang zu fördern. So wurde beispielsweise 1939 festgelegt, dass sämtliche „Strafsachen gegen SS-Führer und Polizeioffiziere […] geheim zu behandeln“ waren.307 Hierdurch wurde es theoretisch möglich, Regelbrüche zu sanktionieren, während zugleich der negativ auf das Image der gesamten Polizei zurückfallende Aspekt des Fehlverhaltens von Vorgesetzten verborgen werden konnte. Dazu passend hieß es auch: „Etwa vorkommende politische oder anderweitige dienstliche Meinungsverschiedenheiten dürfen daher niemals Ausländern zur Kenntnis kommen“.308 Es war klar, dass es dabei darum ging, wie die Gauleitung „Warthe­land“ 1940 ausführte, „eine zwischen allen uniformierten Angehörigen des deutschen Volkes nach außen hin“309 geeinte Einheit zu schaffen. Den nahezu gleichen Wortlaut wählte kurz danach auch der BdO Posen. Auch er sprach von der großen Bedeutung, dass seine Untergebenen in Osteuropa als „nach außen hin“ geschlossen auftreten sollten. Dies sei schon aufgrund der „zahlenmäßig hohen polnischen Bevölkerung“ angebracht.310 Auf Ebene des Bataillons 61 hoben insbesondere die Offiziere die äußere Geschlossenheit und regelkonformen Abläufe in ihrer Einheit hervor. Sicherlich geschah dies auch, um sich nach dem Krieg selbst zu entlasten. Ihre Aussagen enthalten jedoch im nicht zu unterschätzenden Maße auch eine aus dem Zweiten Weltkrieg fortbestehende Geisteshaltung. Vor allem disziplinarrechtlich verantwortliche Einheitsführer waren auch schon während des Krieges nicht daran interessiert, den von ihnen verantworteten Machtbereich als unreguliert und keinen Legitimitäts- und Legalitätsprinzipien unterworfen darzustellen. So führte der ehemalige Chef der 2. Kompanie aus, es sei „auf jeden Fall“ in seiner „Einheit korrekt zugegangen“. Auch der Kommandeur des gesamten Bataillons

306 Für die Tarnung mit Zivilkleidung vgl. Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 104r); Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (ebd., Bl. 150). 307 Vermerk des Hauptamtes SS-Gericht vom 28.11.1939 (BA NS 7 Nr. 7, Bl. 99). 308 Rundschreiben Nr. 129/42 Austragung innerdeutscher Zwistigkeiten in Gegenwart von Ausländern vom 24.8.1942 (BA NS 7 Nr. 5, Bl. 188). 309 Schreiben der Gauleitung Wartheland in Posen betr.: Grußpflicht vom 23.5.1940 (APP 299 Nr. 3, Bl. 53). 310 Tagesanordnung des BdO Posen vom 13.6.1940 (APP 1008 Nr. 3, Bl. 90).

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61 sei „als Vorgesetzter und als Mensch sehr korrekt“ gewesen. Folglich sei „besonderer Wert darauf gelegt worden, dass es peinlich korrekt“ zuging.311 Einen weiteren vorteilhaften Effekt zeigte die Geheimhaltung gerade in der Frühphase des Zweiten Weltkrieges. In einer dienstlichen Beurteilung über Major Dederky wurde festgehalten, dass das Bataillon 61 „teilweise vor Aufgaben gestellt“ wurde, „die im Frieden nicht vorausgesehen und daher niemals geübt worden waren“.312 Korrekter wäre es, davon zu sprechen, dass die Einplanung von Polizeibataillonen als Fußtruppen der Vernichtung unterhalb der NS-Führungsebene nicht offen kommuniziert worden war. Der Effekt war jedoch derselbe. Durch die Unvollständigkeit der Informationen über die tatsächlichen Aufgaben der Ordnungspolizei im Polenfeldzug konnte der Eintritt in diese nur erschwert abgelehnt werden. Hinzu kam, dass ein Thematisieren von Opera­ tionen ohne legale oder legitime Gründe das Ansehen der uniformierten Polizei sicherlich massiv beschädigt hätte. Dies wiederum wäre insbesondere aufgrund der weitgehenden Freistellungsmöglichkeiten von Reservisten vor ihrem Dienstantritt und der angespannten Personallage der Polizei höchst problematisch gewesen, hätte es doch einen Personalschwund bedingen können. Beliebig weit reichte die Geheimhaltung jedoch nicht. In bewusst täuschender Weise führten Polizisten des Bataillons 61 in den gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren an, nicht über anstehende Einsätze informiert worden zu sein. Erst am jeweiligen Exekutionsort habe man vor vollendeten Tatsachen gestanden. Man sei „plötzlich geweckt“313 oder auch „ganz plötzlich zu der Exekution befohlen“314 worden. Dies soll bedingt haben, dass man „gar nicht zum Nachdenken“315 über die Legalität der jeweiligen Operation gekommen sei. Diesem Mythos sitzt durchaus auch die heutige Forschung noch auf. Im Endeffekt waren aber die behaupteten Punkte in der Praxis nur juristisch mo-

311 Aussage Julius Wannemacher vom 23.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 65r). Ganz ähnlich schilderte dies der ehemalige Chef der 3. Kompanie. Vgl. Aussage Hans Kärgel vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 249, Bl. 95). Er äußerte sich dabei über seine eigene Amtsführung ebenso wie über die des Bataillonskommandeurs sehr positiv. 312 Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 142 f.). Dass aber dennoch schon zu Beginn des Zweiten Weltkrieges vonseiten der NS-Führung für die Polizei Sonderaufgaben in Form von gezielten Tötungen vorgesehen waren, gestand beispielsweise Heydrich 1940 ein. Vgl. Abschrift eines an den RFSS überreichten Aktenvermerks von Heydrich vom 2.7.1940 (BA R 19 Nr. 395, Bl. 154). 313 Aussage Anton Sippel vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 40r). 314 Ebd., Bl. 41r. Für die Ankündigung einer Exekution, als sich die Einheit schon auf der Anreise zu dieser befand, vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 234). Für eine Exekution ohne vorherigen Appell vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 234). Für ein Ausrücken ohne genauen Auftrag vgl. Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 8.12.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 220). Für eine Ankündigung einer Exekution nur einen Tag vor deren Ausführung vgl. Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 124r); Aussage Otto Kobitzki vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 122r). 315 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (ebd., Bl. 151r).

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tivierte Schutzbehauptungen. Fest stand etwa im Kontext der eben erwähnten Massenexekution: „Bereits mehrere Tage, wenigstens aber einen Tag vor der Exekution wurde der gesamten Kompanie anlässlich eines Appells mitgeteilt, dass auf höheren Befehlen hin diese Exekution stattzufinden habe.“316 Auch hieß es: „Am Vortage der Exekution gab Brunst vor der gesamten angetretenen Kompanie bekannt, dass am folgenden Tage eine Exekution stattfinden solle.“317 Selbst, wo keine offizielle Ankündigung einer Exekution stattfand, waren die Männer sich mehr oder weniger im Klaren darüber, was von ihnen erwartet wurde. Einer der ehemaligen Polizisten berichtete, dass vor einer Erschießung der Kammerverwalter „die Munition des Exekutionskommandos verteilt hat, wobei ihm, ebenso wie allen anderen Kompanieangehörigen bekannt war, dass die Munitionsausgaben der Durchführung einer Exekution diente“.318 Die Polizisten wussten also sehr genau, worauf sie sich einließen, wenn sie nicht um Freistellung baten. Die Vorlaufzeit war dabei schon rein aus organisatorischen Gründen notwendig. So berichtete Arthur Michels: „Es ist richtig, dass wir am Vortage dieser Exekution eingeteilt worden sind, und die an der Exekution Beteiligten ihren Aufgabenbereich zugewiesen bekamen.“319 Die Männer informierten sich so vor allem durch inoffizielle Kommunikationsstrukturen darüber, was der alltägliche Dienst mit sich brachte und welche Schranken, aber vor allem Möglichkeiten Gewalt auszuüben, bestanden. „Trotz der strengen Geheimhaltungsvorschriften“ konnte man leicht „von anderen etwas läuten hören“, wenn „harte Einsätze“ bevorstanden.320 Immer wieder findet sich in Aussagen die Angabe, man habe etwas „munkeln hören“.321 Auch über geheim gehaltene Aspekte des Alltags der Polizeieinheit konnte man schnell „im Zuge von Unterhaltung mit Kameraden“322 Details erfahren. So war es offenbar weit mehr als nur ein offenes Geheimnis, dass sich Männer ins Warschauer Ghetto begaben, um dort zu töten. In verschiedensten Aussagen

316 Aussage Arthur Michels vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 67r). Hingegen geht Thomas Hoebel, Organisierte Plötzlichkeit. Timing, Territorialität und die Frage, wie aus Ordnungspolizisten Massenmörder werden. In: Gruber/Kühl (Hg.), Soziologische Analysen des Holocaust, S. 129–170, davon aus, dass die Polizisten von Exekutionsaufgaben überrascht wurden. 317 Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 118r). Für einen Appell nach dem Mittagessen vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 14r). Für einen nächtlichen Appell vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 4.11.1952 (ebd., Bl. 60r). 318 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 105r). 319 Aussage Artur Michels vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 190). 320 Aussage Karl Schmitz vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 32). Für die informellen Kommunikationsstrukturen des Bataillons 61 vgl. Brief von Hans Delisch an die StA Münster vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 111). 321 Aussage Franz Chwieja vom 25.1.1952 (ebd., Bl. 243). Ebenso vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 90r). 322 Aussage Hans Siewecke vom 30.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 56). In ähnlicher Form vgl. Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 118).

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hieß es, es sei regelrecht „Tagesgespräch innerhalb der Kompanie“323 gewesen, dass solche Grüppchen „von Zeit zu Zeit ins Ghetto gingen“ und „im Ghetto herumschossen“.324 Ganz Ähnliches wurde auch exemplarisch über andere nicht legale oder nur bedingt legitimierbare Gewalthandlungen berichtet. So hörte Drywa angeblich 1942 „Erzählungen von Kameraden über die Ausschreitungen bei den Ghettowachen“3.25 Laut Lange seien „unter den Kameraden Gerüchte im Umlauf gewesen, nach denen Juden erschossen oder misshandelt worden sein sollen“.326 Auch schon über die Ende 1939 in Leslau unter Einsatz massiver Gewalt gegen die dortige Bevölkerung niedergebrannte Barackensiedlung hieß es: „So etwas sprach sich herum.“327 Ebenso wollen Polizisten schon frühzeitig von eigentlich geheimen Deportationen in das Vernichtungslager von Treblinka erfahren haben. Kreienkamp sagte aus: „Während unseres Einsatzes in Warschau hörte ich einmal, dass einige Angehörige der 1. Kompanie zur Begleitung eines Judentransportes abgestellt worden waren. […] Es wurde damals bekannt, dass die abgestellten Leute zum Schweigen verpflichtet worden waren. Es sickerte aber doch durch.“328 Gewisse Probleme bei der Informationsbeschaffung ergaben sich nur dann, wenn zu einem Geheimnisträger kein Vertrauensverhältnis bestand. So berichtete Zumplasse über den Chefschreiber des Bataillons 61: „Auf der anderen Seite hatten wir beide kein gutes Verhältnis zu [Emil] Martin. Auf diese Weise kommt es, dass ich nicht über alle Bataillonsangelegenheiten genauestens unterrichtet bin. Martin gab uns nämlich wegen des gespannten Verhältnisses nicht in alle Dinge Einblick. Zwischen Martin einerseits und Linnemann und mir andererseits wurde immer nur das unumgänglich nötigste besprochen.“329 Insbesondere Polizeireservisten waren so auf die Informationsgewinnung aus Vertrauensstrukturen angewiesen, da sie selten entscheidende Schlüsselpositionen in der offiziellen Hierarchie des Bataillons 61 einnahmen. Dies galt gerade dann, wenn es um kompanieübergreifende Informationen ging.330 Abgefedert wurde dies jedoch dadurch, dass nahezu jedes Mitglied des Bataillons 61 in Vertrauensstrukturen eingebunden war. Somit war man vielleicht nicht direkt mit einem Geheimnisträger befreundet, aber es war doch sehr 323 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (ebd., Bl. 199r). 324 Aussage Artur Michels vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 189r). Ebenso vgl. Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 110); Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (ebd., Bl. 199r); Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 102r). 325 Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 127). 326 Aussage Anton Lange vom 23.11.1951 (ebd., Bl. 114r). 327 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 7). 328 Aussage Hermann Kreienkamp vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 121). 329 Aussage Heinrich Zumplasse vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 142). 330 Für den begrenzten Informationsfluss über Kompaniegrenzen hinweg vgl. Aussage Heinrich Becker vom 11.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 208, Bl. 24). Für die Informationsgewinnung durch Vertrauensstrukturen vgl. Aussage Fritz Urban vom 3.11.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 143).

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wahrscheinlich, dass es sich um einen Freundesfreund oder Bekannten handelte, der Informationen weitergab. Besonders wichtig waren hierfür erneut der gemeinsame Alkoholkonsum und die gemeinsame Freizeit in den Unterkunftsräumen der Einheit. Dort informierten sich auch neu angekommene Polizisten innerhalb kurzer Zeit über die Gepflogenheiten des Verbandes, sodass man „im Bilde“ war.331 Dies galt gerade im Bereich nicht offen kommunizierbarer Informationen. So erinnerte sich Rung an eine Situation in Warschau 1942, bei der er drei Angehörige seiner Einheit in der Kompaniebar sah: „Der Kamerad, der mit an meinem Tisch saß, meinte, dass die drei nun wieder ins Ghetto fahren und dort wieder herumschießen würden.“332 Auch der Unterführer Riewald meinte nach dem Krieg, „bei gelegentlichen Unterhaltungen mit Kameraden wahrscheinlich am Biertisch“333 schon 1939/40 zahlreiche Dinge in Erfahrung gebracht zu haben. Generell wusste man im Bataillon 61 vielleicht nicht unbedingt alles im Detail über jede Tätigkeit der Polizeieinheit. Gerade jedoch alltägliche Verhaltensmuster der Kompanien, die jeweils das Zentrum der Lebenswelt der Polizisten darstellten, waren „in der ganzen Kompanie bekannt“.334 Die zu solchen Praktiken widersprüchliche, aber zumindest offiziell verkündete Geheimhaltung hatte dennoch eine wichtige Funktion. Durch sie wurden Brüche von Recht und Moral zumindest nicht offen thematisiert. Hierdurch war die Alltagsgewalt der Polizisten nur erschwert zu monieren. So konnte es Akteuren klar sein, dass eine „Aktion irgendwie unrecht war“,335 oder dass Exekutionen „aus irgendeinem angezettelten Vorfall“336 durchgeführt wurden. Auch mag es sein, dass die Gewalt manch einen Polizisten „sehr erschüttert“ hat und dieser vielleicht sogar die Einsätze des Bataillons 61 „für ungesetzlich“ hielt.337 Es mag sogar sein, dass mancher entsprechend glaubte, dass die von den Polizisten üblicherweise praktizierten Verhaltensweisen „unmenschlich seien und irgendwie später einmal auf [sie selbst] zurückfallen könnten“.338 Wenn solche Aussagen meist ohnehin nur durchschaubare Entlastungsstrategien in Ermittlungsverfahren der Nachkriegszeit waren, zeigen sie doch auch, wie wenig die Gewalt im Krieg selbst kritisierbar war. Dies war insbesondere für die Akteure relevant, die aktiv Gewalt ausübten. Durch die partielle Geheimhaltung bot sich die Möglichkeit, Verantwortung für illegale Handlungen abzuwälzen. Offiziell fanden die Verbrechen nicht statt.

331 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 17. 332 Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 125r). 333 Aussage Gerhard Riewald vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 8). 334 Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 118). 335 Aktenvermerk der StA DO zur Aussage Körner vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 72). 336 Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 1486, Bl. 63). 337 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 53). 338 Besprechung des OStA Schüle und EStA [Erster Staatsanwalt] Kentrich vom 28.10.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 2, Bl. 1060).

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Zumindest behandelte man sie so, da sie nicht dokumentiert, geschweige denn juristisch verfolgt wurden. Dabei war den Männern des Bataillons 61 klar, was geschah, jedoch blieb die Gewalt in der Heimat zumindest soweit geheim, dass keine konkreten Täter der Gewalt im Osten Europas zugeordnet werden konnten. Die Geheimhaltung hatte so für die einzelnen Polizisten im Kleinen, genauso wie für die gesamte Polizei, einen nützlichen Effekt. Die Formulierung der Vernichtungserwartungen innerhalb des untersuchten Bataillons 61 unterblieb dabei, um einen massiven Legitimationsverlust der Polizeieinheit und des NS-Regimes zu verhindern. Tötungen durch die Einheit hatten sich zwar schon im Polenfeldzug 1939 etabliert, genossen aber keine breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Planmäßige Erschießungen von Zivilisten passten nicht zur vorgeblichen Aufgabe der Polizei als Ordnungshüter. Demnach musste illegale Gewalt möglichst verborgen bleiben. Um dabei innerhalb des Bataillons 61 die Akzeptanz von gewalttätigen Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung zu fördern, setzte man auf eine gezielte „Stigmatisierung“ der Menschen außerhalb der „Volksgemeinschaft“ als „minderwertig“.339 Hierzu war in Polizeieinheiten insbesondere die weltanschau­ liche Schulung innerhalb der einzelnen Kompanien vorgesehen. Für diese galt: „Hauptträger des Unterrichts ist der Kompanieführer“.340 Entsprechend prägte sich so der Unterricht und dessen mögliche Wirkung auf die Polizisten je nach Persönlichkeit der Vorgesetzten verschieden aus. Wenig verwunderlich wurde von Männern der 1. Kompanie ausgesagt, dass insbesondere Hauptmann Mehr bemüht gewesen sei, „die Kompanie in seinem Geist zu erziehen“.341 Aufgrund der Vorschriften über zu behandelnde Themen und nutzbare Unterrichtsmaterialien hatte die Schulung in den Kompanien der Dortmunder Polizeieinheit aber einen sehr ähnlichen Grundtenor. Vorgesehen war ferner, dass sich die Unterrichtung regelmäßig in Form von kleinerem wöchentlichen Unterricht und monatlichen Lehrgängen wiederholen sollte. Wie wirksam welt­ anschauliche Schulungen dabei im Fall des Bataillons 61 letztlich waren, lässt sich anhand der verfügbaren Quellenbestände nicht exakt bestimmen. Allgemein gehen aber etwa Norman Naimark und Omer Bartov davon aus, dass das

339 Hans-Ulrich Thamer, Der Nationalsozialismus, Stuttgart 2002, S. 440. 340 Richtlinien für die Ausbildung der Polizei Bataillone vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 24). Grundlegend zur weltanschaulichen Schulung in der Ordnungspolizei vgl. Thomas Köhler, Lesestoff für Polizisten zum Vernichtungskrieg. In: Ingrid Bauer (Hg.), Kunst, Kommunikation, Macht. Sechster Österreichischer Zeitgeschichtetag 2003, Innsbruck 2004, S. 232–237; ders., Anstiftung zu Versklavung und Völkermord. „Welt­anschauliche Schulung“ durch Literatur: Lesestoff für Polizeibeamte während des „Dritten Reichs“. In: Kenkmann/Spieker (Hg.), Im Auftrag, S. 130–158; Hans-Christian Harten, Die weltanschauliche Schulung der Polizei im Nationalsozialismus, Paderborn 2018, S. 165–415. Insbesondere zur Schulung der Polizeibataillone vgl. ebd., S. 306–346. 341 Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 107).

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„Einimpfen“ von gewissen Deutungsmustern dazu beitrug, die Gewalt im Osteuropa des Zweiten Weltkrieges zu fördern.342 Auch Browning meint, dass Möglichkeiten bestünden, bestimmte menschliche Verhaltensweisen über die Veränderung von Weltanschauungen herbeizuführen. Die soziologische Forschung hingegen nimmt an, dass Organisationen kaum in der Lage sind, die Weltanschauungen ihrer Mitglieder nachhaltig zu verändern. Diese Einschätzung teilte auch die Führung von Polizei und SS. Als Chef der Ordnungspolizei meinte Daluege, viele Polizisten würden sich von ihren „alten Anschauungen nicht trennen können“.343 In der Zeitung der SS hieß es: „Wir wissen sehr gut, dass man zwar Organisationen, aber nicht Herzen und Hirne ‚gleichschalten‘ kann.“344 Die Führungsebene der Ordnungspolizei scheint dennoch von der Wirksamkeit weltanschaulicher Schulungen überzeugt gewesen zu sein, weswegen sie schon vor Kriegsbeginn zur Pflicht wurden. In Richtlinien legte sie die Maßnahmen schon ab Eintritt eines Rekruten als elementaren Bereich der Ausbildung fest. Die gesamte Dienstzeit eines Polizisten sollte von weltanschaulichem Unterricht durchzogen werden, weswegen insbesondere die Offiziere lernen sollten, selbst Schulungen durchzuführen. Außerdem setzte man geeignete Reservisten ein, die die hierfür nötigen Fähigkeiten bereits in ihrem Zivilleben erlangt hatten, so z. B. Lehrer. Ob die Polizisten die Inhalte der angeordneten Schulungen verinnerlichten oder nicht, feststeht, dass ihnen Legitimationsmuster angeboten wurden, die es ihnen ermöglichten, „ihr Verhalten so zu sehen, als dienen sie mit ihm einem erstrebenswerten“345 und vor allem legitimen Ziel. Hierin lag die entscheidende Wirkung der Schulungsmaßnahmen.

342 Vgl. Norman Naimark, Flammender Hass. Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert, 2. Auflage, Bonn 2009, S. 100; Omer Bartov, Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges, 2. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 127–134. Grundsätzlich zur weltanschaulichen Schulung vgl. Richtlinien für die Durchführung der weltanschaulichen Erziehung der Ordnungspolizei während der Kriegszeit, vom 2.6.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 6–10); sowie daran anknüpfend: Weltanschauliche Erziehung in der Ordnungspolizei vom 11.8.1944 (BA R 19 Nr. 244, Bl. 16 f.). 343 Unterlagen für die Ansprache Dalueges vor dem Einweisungslehrgang der Schulungsleiter vom 18.3.1937 (BA R 19 Nr. 380, Bl. 4). Für Brownings Ansicht vgl. Browning, Ganz normale Männer, S. 230. Für die noch immer gültige Sichtweise der Soziologie vgl. Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, Opladen 2000, S. 240. 344 O. V., Schulung hat nichts mit Schule zu tun. In: Das Schwarze Korps vom 17.2.1938. 345 Stanley Milgram, Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität, 2. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1985, S. 166. Für die erfolgreiche Erfahrung, Lehrer für Schulungen einzusetzen, vgl. Erfahrungsbericht über die Ausbildung der 1. Polizei-Hundertschaft vom 13.10.1938 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 21). Im Bataillon 61 war hierzu der Mittelschullehrer Dittmann aus Dortmund eingesetzt. Vgl. Bericht zur Entnazifizierung von Tobias Dittmann vom 27.1.1949 (LAV NRW, R, NW 1097-4037, unpag.). Für die Anforderung an Offiziere, Schulungen ausführen zu können, vgl. Ausbildungsrichtlinien der Polizeibataillone vom 23.1.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 23 f.); Ausbildung der Ordnungspolizei und der Reservepolizisten im ­Revierdienst

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Der wichtigste Strang war dabei die Kriminalisierung jedweder Gegner des NS-Regimes, die die Polizei bekämpfen sollte. So hielt Daluege schon 1935 programmatisch in einer Rede fest, wie sich das Wesen der Polizei im National­sozialismus fassen lasse: „Den Verbrechern und Volksschädlingen ein wachsamer und entschlossener Feind, aber dem anständigen, gesetzestreuen Volksgenossen ein stets dienstbereiter, verständnisvoller Freund und Helfer!“346 Eine Werbeschrift der Polizei stellte ferner ganz klar heraus, ein Polizist habe „als Repräsentant dieses Staates der unerbittliche Vertreter dieser Volksgemeinschaft gegenüber allen verbrecherischen Elementen zu sein, die sich an ihr versündigen“.347 Auch wenn die Opfer der NS-Vernichtungspolitik nicht unbedingt anhand klassischer Kriterien wie irgendeiner Form von Straffälligkeit kategorisiert werden mussten, trug genau dies im Bataillon 61 zur Akzeptanz verschiedenster Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung Osteuropas bei. Die Polizisten sahen sich eben nicht nur als Soldaten, sondern auch als Gesetzeshüter. Entsprechend konstruierte man im NS-Regime schon frühzeitig einen Konnex von Bolschewismus, Juden- und Verbrechertum. Dazu trugen Vorträge und Publikationen, beispielsweise mit den Themen der „Jude in der Kriminalstatistik“348 und das „Judentum in der Straffälligkeit“,349 systematisch bei. Schließlich hieß es im offiziellen Publikationsorgan der Polizei über jene Personen, die das Deutsche Reich rechtzeitig auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus verließen: „Viele der aus Deutschland Geflohenen hatten etwas auf dem Kerbholz.“350 Während des Krieges wurde dann beispielsweise zusätzlich vom 20.12.1940 (ebd., Bl. 99–101r). Zur Regelmäßigkeit von Schulung vgl. ebd. Für die Schulung als verpflichtender Teil der Ausbildung vgl. Polizeipräsident Geyer an die Verwaltungspolizei Hannover vom 14.4.1938 (NLA HA 87 Acc. 92/84 Nr. 161, Bl. 8). Er verlangte, die Polizisten sollten sich in Zukunft nicht mehr – wie bisher – vor dem Besuch der weltanschaulichen Schulungen „drücken“. Zum verpflichtenden Element der weltanschaulichen Schulung in der Polizeiausbildung vgl. o. V., SS und Polizei wachsen zusammen. 450 Offiziere der Ordnungspolizei nahmen in Berlin an einem weltanschaulichen Schulungslehrgang des Rasse- und Siedlungshauptamtes SS teil. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 5 (1937) 10, S. 329 f., hier 329. Dort wird klar ausgeführt, dass Schulungen nicht mehr nur außerdienstliche Elemente waren, sondern konkreter Teil des Polizeidienstes. 346 Stellung und Aufgaben der Polizei im Dritten Reich, von Gen.Lt. Kurt Daluege, Vortrag vor einem Schulungs-Lehrgang deutscher Polizeibeamten vom 18.10.1935 (BA R 19 Nr. 379, Bl. 59). 347 Reichsführer-SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Inneren (Hg.), Polizei (1941), S. 5. 348 Vortrag Kurt Dalueges vor den Mitgliedern der Reichspressekonferenz vom 20.6.1935 (BA R 19 Nr. 379, unpag.). Ebenso in ausführlicher Form vgl. Kurt Daluege, Der Jude in der Kriminalstatistik. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 3 (1935) 15, S. 561 f. 349 Theodor Fritsch, Handbuch der Judenfrage. Die wichtigsten Tatsachen zur Beurteilung des jüdischen Volkes, 34. Auflage, Leipzig 1933, S. 406–411. Für den angeblichen Konnex von Bolschewismus, Juden- und Verbrechertum vgl. Palitzsch, Die Kriminalität der Juden. In: Polizeiarchiv, 17 (1938) 6, S. 139–141. Vgl. ferner Richard Haug, Die Legende vom „anständigen“ Juden. In: Die Polizei. Älteste Fachzeitschrift für das gesamte Polizeiwesen im Deutschen Reich mit dem „Archiv für Polizeirecht“, 35 (1938) 23, S. 451–453. 350 F. U. B., Disziplin (1933), S. 175.

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berichtet, dass Juden selbst in Kriegsgefangenschaft noch Handel treiben würden, um sich zu bereichern. Für den Posener Raum hielt ein Lagebericht fest, es sei wahrscheinlich, dass „die zahlreichen Einbruchsdiebstähle der letzten Zeit von den zurückgekehrten Evakuierten ausgeführt wurden“.351 Neben der Behauptung einer eher abstrakten Kriminalitätsaffinität wurde aber auch ganz konkret behauptet, dass die Menschen Verbrecher seien, die im auswärtigen Einsatz in Kontakt mit dem Bataillon 61 kamen. So habe der Spieß der 1. Kompanie 1942 seinen Männern beispielsweise im Vorfeld einer Exekution mitgeteilt, es seien nun „jüdische Verbrecher zu erschießen“. Auch wenn in der Einheit weitgehendes Vertrauen unter den einzelnen Akteuren bestand, soll diese Behauptung doch einen gewissen Zweifel verursacht haben. Weber meinte, er habe sich bei dieser Gelegenheit „darüber gewundert, dass Polizeiangehörige zur Erschießung von Verbrechern herangezogen wurden“.352 Um aus solchen Unsicherheiten kein Hemmnis entstehen zu lassen, setzte man weitere Maßnahmen ein, um den angeblich verbrecherischen Charakter von Opfern zu unterstreichen. Die wichtigste war dabei sicher, auf die Vorannahmen der Polizisten über Häftlinge zurückzugreifen. So sagte Ködding aus: „Ins Gefängnis kamen nur die Juden, die sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten.“353 Bei Menschen, die sich, aus welchen fadenscheinigen Gründen auch immer, bereits in Gefangenschaft befanden, war es leichter, deren besondere Kriminalität und Gefährlichkeit zu suggerieren als bei einer Person in Freiheit. So soll der Chef der 1. Kompanie im Zusammenhang einer Massenexekution 1942 gegenüber seinen Untergebenen klargemacht haben, sie bräuchten sich „kein Gewissen daraus zu machen, an dieser Exekution teilzunehmen, da es sich bei den für die Exekution bestimmten Ghettoinsassen um Verbrecher handele, die bereits im Gefängnis oder Zuchthaus gesessen hätten“.354 Tatsächlich bestätigten mehrere ehemalige Bataillonsangehörige, dass man die zu tötenden „Delinquenten aus dem Gefängnis“355 geholt habe. Dabei ­wurden 351 Lagebericht Stand 25.1.1940 vom 28.1.1940 (BA R 19 Nr. 334, Bl. 20). Für den Handel von Juden in Kriegsgefangenschaft vgl. Schuster, Skizzen (1939), S. 670 f. Zum Verbrechensverständnis im Nationalsozialismus vgl. Rudolf Lewin, Geisteswissenschaftliche Methodik der Gegnerforschung. In: RSHA (Hg.), Grundprobleme der Gegnerforschung. Vorträge, gehalten auf der Oktobertagung 1943 des RSHA, Amt VII, in Schliersee, Berlin 1943, S. 10–20; Kurt Daluege, Nationalsozialistischer Kampf gegen das Verbrechertum, München 1936, S. 17. 352 Aussage Heinrich Weber vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 92r). Zur angeblich besonderen Kriminalitätsaffinität von Ghettoinsassen vgl. Walter Zirpins, Das Ghetto in Litzmannstadt kriminalpolizeilich gesehen. In: Die Deutsche Polizei, 9 (1941) 21/22/23, S. 379 f., 394 f., 409–412. 353 Aussage Wilhelm Ködding vom 1.10.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 210). 354 Hermann Kreienkamp vom 17.10.1952 (ebd., Bl. 32r). 355 Aussage Heinrich Weber vom 2.1.1953 (ebd., Bl. 93). Ebenso für das Zurückgreifen auf Insassen des Ghettogefängnisses für die Exekution vgl. Aussage Franz Thamm vom 3.8.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 151); Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 15); Aussage Otto Kopitzki vom 5.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5845).

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die Polizisten in einer Weise eingesetzt, durch die sie eindeutig sehen konnten, woher die zukünftigen Opfer kamen. Durch die so suggerierte Legitimität der Aktion konnte zumindest ein Stück weit zur Selbstrechtfertigung der Schützen beigetragen werden. Erich Schumacher berichtete: „Vor dem Gebäude des jüdischen Gefängnisses im Ghetto wurde Halt gemacht. Wir mussten absitzen, und erhielten den Auftrag, einen Kreis um den Eingang des Gefängnisses und die davorstehenden LKWs zu bilden. Ich sah dann, wie jüdische Häftlinge durch jüdische Polizei aus dem Gefängnis geführt wurden und auf mehreren LKWs Platz nehmen mussten.“356 Diese Praxis entstand dabei keineswegs erst beim Warschauer Einsatz der Dortmunder Polizeieinheit. Schon bei den Einsätzen 1939/40 griff man quasi parallel zur Konstruktion einer Fassade der Legalität durch Standgerichtsprozesse auf eine stützende Legitimierung von Tötungen durch ein vermeint­ liches Bedrohungspotenzial von Strafgefangenen zurück. Hierzu schuf man den schon erläuterten Mythos, polnische Behörden hätten bei ihrem Rückzug vor der Deutschen Armee systematisch Strafanstalten geöffnet. „Der Abschaum der Menschheit, alle kriminellen Elemente“357 seien entfesselt worden. Als Kriminalitätsbekämpfer per Definition schuf dies eine ideale Legitimierungsstrategie für die Polizisten des Bataillons 61, um gegen breitere Gruppen der zivilen Bevölkerung vorzugehen.358 Gedanklich nahe an den Vorstellungen über Kriminelle und sogar teilweise mit diesen verwoben war auch das Image des „Asozialen“. Auch gegen so kategorisierte Menschen war man im Bataillon 61 schnell bereit, Gewalt als legitim anzusehen. So berichtete Roth über den Einsatz der 2. Kompanie bei Leslau 1939, dass dort am Stadtrand eine Siedlung aus Behelfshütten gelegen habe, in denen „nur Gesindel wohnte“.359 Auch Marach sprach von einem Gebiet, „in welchem sich asoziales und verbrecherisches Gesindel aufhielt“.360 Baumkötter führte schließlich aus: „Hier hatten sich Asoziale und Verbrecher angesammelt. Man vermutete, dass von dort die Überfälle auf deutsche Soldaten

356 Aussage Erich Schumacher vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 69r f.). 357 O. V., Polizeibataillone (1939), S. 659. 358 Siehe Kapitel IV.1. Für die angebliche Gefahr durch befreite Zuchthäusler vgl. Denkschrift: Die Deutsche Ordnungspolizei, o. D. (BA R 19 Nr. 394, Bl. 27). Ebenso vgl. Koschorke, Polizei (1941), S. 29; Riege, Leben (1975), S. 25. Exemplarisch für die wiederholte Erwähnung freier Strafgefangener im Einsatzbereich des Bataillons 61 vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 23.2.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 48 f.). Für das Narrativ befreiter Strafgefangener vgl. Aussage Hermann Oelmann vom 19.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 214); Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1 2. Teil Mappe b, Bl. 2); Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 222, Bl. 15). Ebenso vgl. Aussage Hans Siewecke vom 30.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 221, Bl. 24). Bei Musial wird dieses Narrativ ohne jeden Quellenbeleg unhinterfragt wiedergegeben. Vgl. Musial, Zivilverwaltung, S. 14. Für die Entkräftung des Narrativs siehe Kapitel IV.1. 359 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 13). 360 Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 22).

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und deutsche Polizisten ausgeführt wurden. Das Viertel wurde geräumt und alle Insassen, Männer, Frauen und Kinder, wurden mittels Sammeltransports weggeschafft.“361 Was Baumkötter dabei verschwieg, ist, welch massive Gewalt gegen die Deportierten angewandt wurde und dass man eine größere Zahl an Personen kurzerhand erschoss.362 Die Beschreibung der Polizisten über die Einwohner des „Asozialenviertels“ deuten bereits auf zwei weitere Stränge der Kriminalisierung bzw. der Entmenschlichung potenzieller Opfer hin. Dies war zum einen deren vermeint­ liche Gefährlichkeit und zum anderen deren meist ärmlichen Lebensumstände. Letzteres traf insbesondere auf die Umstände im Warschauer Ghetto zu. Durch die Regelungen, mit denen die deutschen Besatzer die Insassen konfrontierten, zwang man diese geradezu in die hart bestrafte Illegalität. Wie schon erwähnt herrschte nachts im Warschauer Ghetto eine strikte Ausgangssperre, die die Insassen jedoch unter Lebensgefahr umgingen, um Lebensmittel zu besorgen und dadurch zu überleben. Grund war die ebenso bedrohliche Alternative, von der Henryk Fenigstein berichtete: „Wenn am Tage jemand auf den Straßen lief, musste er damit rechnen, erschossen zu werden, da am Tage gearbeitet werden musste.“363 Schließlich bedingte der immense Hunger der Ghettoinsassen, dass sich diese nicht nur in den illegalen Schmuggel von Nahrungsmitteln einbrachten, von dem auch die deutschen Wachen stark profitierten. Es kam auch zu Vorfällen, die die Insassen für ihre deutschen Bewacher besonders negativ erscheinen ließen. So waren die Ghettoinsassen etwa gezwungen „Jagd auf Hunde, Katzen und sogar Ratten“364 zu machen und diese dann zu essen. In vereinzelten Fällen kam es sogar zu dokumentierten Fällen von Kannibalismus. So wurde 1942 etwa eine Frau angetroffen, die ihr eben verstorbenes Kind zu verspeisen begann.365 Neben solchen exzeptionellen Fällen spielten aber auch die allgemeinen, durch die Besatzer geschaffenen Verhältnisse in dem abgesperrten Warschauer Stadtgebiet eine wichtige Rolle. Der Insasse Aron Bard schilderte: „Dadurch, dass Warschau so voll von Juden war, war das Elend bald unsagbar. Entfliehen war unmöglich. Im jüdischen Viertel war kein Platz für all die Flüchtlinge“. Entsprechend seien „Typhus und andere ansteckende Krankheiten“366 ausgebrochen 361 Aussage Hans Baumkötter vom 9.12.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217, Bl. 57). 362 Siehe Kapitel IV.1. 363 Aussage Henryk Fenigstein vom 13.5.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21, Bl. 9654). 364 Bericht „Varshe, an ekskursie tsu yidn velkhe dernern zikh mit hint, kets un shtshures“ [Warschau, eine Exkursion zu Juden, die sich von Hunden, Katzen und Ratten ernähren] nach 4.7.1941 (AŻIH ARG I Nr. 499, Bl. 3). 365 Bericht „Kanibalizm-fal oyf Krokhmalne 13“ [Ein Kannibalismusfall in der Krochmalna 13] nach 19.2.1942 (AŻIH ARG I Nr. 511a, Bl. 2.). Ebenso für die Erwähnung der Ausnahmeerscheinung Kannibalismus im Ghetto vgl. Aussage Marcel Reich-Ranicki vom 5.10.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2259, Bl. 14). 366 Eyewitness account by Aron Bard, o. D. [ca. 1959] (WL P.III.H. Nr. 1117, Bl. 1). Für eine ähnliche Schilderung aus Perspektive eines ehemaligen Mitglieds des Bataillons 304 vgl. Aussage Walter Hofmann vom 5.4.1977 (BStU MfS Erfurt AOP 1093/77, Bl. 174).

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und die Menschen seien in Massen verstorben. Eine solche Problematik bestand im Übrigen nicht erst seit 1942. Schon bei den 1939 u. a. durch das Bataillon 61 ausgeführten Deportationen urteilte der Chef des Wehrbereichskommandos XXI über die Unterkünfte der Deportierten: „Die Unterbringung in den Lagern war derart, dass vom Korpsarzt der Ausbruch einer Seuche“367 befürchtet wurde. Genau diese Unterbringung in überfüllten Massenunterkünften stellte auch in Warschau eine tödliche Bedrohung der Ghettoinsassen dar.368 Tatsächlich waren die Seuchen im Warschauer Ghetto sogar eine doppelte Bedrohung für die Insassen. Zum einen verloren sie durch Krankheiten ihr Leben. Zum anderen bestätigte der von den Besatzern erzeugte „Stau selbstgeschaffener Probleme“,369 quasi als sich selbst erfüllende Prophezeiung, die negativen Vorannahmen über die jüdische Bevölkerung Osteuropas. Um diesen Effekt noch zu verstärken, griff man die Zustände im Ghetto propagandistisch auf und präsentierte sie als Folge vermeintlich jüdischer Wesenseigenschaften. Die Besatzer drehten so beispielsweise 1942 einen Film im pseudodokumentarischen Stil, in dem die Ghettoinsassen in „barbarischer und perverser“370 Weise dargestellt wurden. Sowohl zuvor als auch danach suggerierten Publikationen der Polizei, meist unterstützt durch Abbildungen, eine ebenfalls einseitige Sichtweise. Der abgesperrte Stadtbezirk wurde stets als dreckiger, chaotischer und krankheitsverseuchter Ort dargestellt, den mehr als nur potenziell gefährliche Kriminelle bewohnten.371 Die Plausibilität solcher Darstellungen für die Polizisten des Bataillons 61 wurde durch ihre alltäglichen Erfahrungen in Warschau unterstützt. So seien neu angekommene Ersatzmänner nicht direkt am Ghetto als Wachen eingesetzt

Ebenso für die Warschauer Verhältnisse vgl. Jewish News: A Bulletin Issued Periodically from the Jewish Central Information Office. Number 3. Wiener Library Publications vom 20.2.1942 (WL Nr. 1628, Bl. 11). Zur großen Typhusepidemie im Ghetto Ende 1941 vgl. Adam Czerniaków, Im Warschauer Ghetto. Das Tagebuch des Adam Czerniaków, München 1986, S. 208. 367 General Petzel, Genst. d. H. Abt. z.b.V. (O Qu IV); Innere Lage im Warthegau vom 2.12.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 296). Ferner vgl. Alberti, Verfolgung, S. 138. 368 Exemplarisch für die Massenunterkunft in einer Synagoge der Zamenhofstraße und die Krankheiten vgl. Zeitzeugenbericht Nomi Wassermann (YVA O.33 Nr. 115); Bericht „Aufenthalt in Karantäne (Leszno 109)“ nach 1.1941 (AŻIH ARG I Nr. 488, Bl. 2). 369 Wehler, Nationalsozialismus, S. 227. 370 Bericht „Die Abriegelung des Ghettos“ (YIVO RG 225 HWC 32.2, Bl. 3). In ähnlicher Form vgl. Ber Baskind, La grande épouvante. Souvenirs d’un rescapé du ghetto de Varsovie, Paris 1945, S. 31. Für die Aussage eines im Mai 1942 im Warschauer Ghetto eingesetzten deutschen Kameramanns vgl. Aussage Willy Wist vom 4.11.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2276, Bl. 20–22). 371 Exemplarisch hierzu vgl. Helmut Gauweiler, Deutsches Vorfeld im Osten. Bildbuch über das Generalgouvernement, Krakau 1941, S. 56 und 138. Ebenso vgl. Alfred Knauf, Treck der Juden. Erlebnisbericht aus Warschau. In: Die Deutsche Polizei, 9 (1941) 19, S. 344 f.; Hans Richter, Einsatz der Polizei. Bei den Polizeibataillonen in Ost, Nord und West, Berlin 1941, S. 30 f.; Walter Döring, Blick in ein Juden Ghetto. In: Die Deutsche Polizei, 9 (1941) 16, S. 294 f.

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worden, weil sie „nicht gegen Fleckfieber geimpft waren“.372 Außerdem mahnten auffällige Schilder die Polizisten: „Betreten des Seuchengebietes verboten“ sowie „Vorsicht. Flecktyphusgefahr“.373 Ferner soll es auch 1942 zu zahlreichen sichtbaren Fällen von Typhus gekommen sein und die Polizisten urteilten, dass die zu bewachenden Personen einen „heruntergekommenen Eindruck“ machten.374 Darüber hinaus schied mindestens ein Mitglied des Bataillons 61 Mitte 1942 aus dem Dienst aus, da er sich eine schwere Infektionskrankheit zugezogen hatte.375 Zwar hatte sich der Polizist mit Tuberkulose und nicht mit Fleckfieber infiziert, jedoch dürfte auch dies die Krankheitsgefahr für die Bataillonsmitglieder unterstrichen haben, die vermeintlich von den Ghettoinsassen ausging. Offenbar entfaltete dies im Alltag eine erhebliche Wirkung. Rosenberg erinnerte sich daran, dass die Deutschen „die Ghettoinsassen äußerst scharf“ bewachten und behandelten, „da sie Angst hatten, die Juden würden den Typhus übertragen“.376 Zophia Shulmann meinte, dass insbesondere Menschen, die wie ihre Familie als „Ostjuden“ kategorisiert wurden, schlecht behandelt worden seien, da man sie als „shmutzik“377 angesehen habe. In gewisser Weise traf auf die Männer des Bataillons 61 das sogenannte Thomas-Theorem zu, laut dem, falls Menschen eine Situation als real wahrnehmen, diese auch real in ihren Konsequenzen ist. Dass dabei die Dehumanisierung über den Faktor der Kriminalisierung sowie die von deutscher Seite ­verursachten Lebensumstände zukünftiger Opfer auf fruchtbaren Boden fiel, lag im Osteuropabild der Polizisten mitbegründet. Dieses bestätigte sich quasi durch die Erfahrungen der Polizisten in Polen und Russland. Wie in großen Teilen der einfachen Bevölkerung des Deutschen Reichs, so herrschte auch in der Dortmunder Polizeieinheit ein stereotypes und negatives Bild der Gebiete östlich des Deutschen Reiches vor. Diese Sichtweise war spätestens seit 1933 propagandistisch intensiv befeuert worden.378 372 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 14. 373 Ebd., S. 15. 374 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 53r). 375 Vgl. Krankenakte Walter Krüger geb. 6.8.1903 (BA R 19 Nr. 3733, Bl. 1); Überweisung von Walter Krüger durch die San.Stelle [Sanitätsstelle] des Res.-Pol.-Batl. 61 an das Staatskrankenhaus der Polizei Berlin vom 27.5.1942 (BA R 19 Nr. 3733, unpag.). Krüger gehörte zur 3. Kompanie und hielt sich vom 28.5.1942 bis zum 28.9.1942 im Staatskrankenhaus auf und war danach dienstunfähig. Für den von deutscher Seite behaupteten Seuchenreichtum Polens vgl. Gauweiler, Vorfeld (1941), S. 54. 376 Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039). Für die zahlreichen typhusbedingten Todesfälle im Jahr 1942 vgl. Aussage Mieczyslaw Maslanko vom 21.10.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2276, Bl. 84). 377 Zeitzeugenbericht Zophia Shulman (YVA O.3 Nr. 12171). 378 Für das damalige Osteuropabild vgl. Gerd Koenen, Der deutsche Russland-Komplex. Zur Ambivalenz deutscher Ostorientierungen in der Weltkriegsphase. In: Gregor Thum (Hg.), Traumland Osten. Deutsche Bilder vom östlichen Europa im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, S. 16–46. Für das in ähnlicher Form auch in der Wehrmacht bestehende Bild vgl. Römer, Kameraden, S. 76. Für die rassistische und biologisierte OsteuropaWahrnehmung bereits ab dem Ersten Weltkrieg vgl. Aribert Reimann, Der große Krieg

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Trotz seines erklärten Willens, der „Volksgemeinschaft“ zu dienen, hielt Nahlmann fest: Der „Osten war und blieb eine Abschreckung“.379 Auch in den offiziellen weltanschaulichen Schulungen versuchte man zu kommunizieren, dass man mit dem Osten nicht die „Vorstellung einer Strafkolonie“380 verbinden solle. Dennoch wurden die Lebensumstände in Polen, die durch den von Deutschland ausgehenden Krieg erst so drastisch geworden waren, von den Poli­zisten als fremd und zutiefst verachtenswert angesehen. Polen, Juden, Russen und Slawen wurden dabei von den einfachen Polizisten des Bataillons 61 undifferenziert vermengt und oftmals als identisch angesehen. Das simple Unterteilen in zur „Volksgemeinschaft“ gehörenden Menschen und den komplett aus dem „Universum allgemeiner Verbindlichkeiten“381 ausgegrenzten Personen war dabei in sich nicht schlüssig.382 So erschoss das Bataillon 61 beispielsweise 1939 einen Polen wegen angeblichen Waffenbesitzes, der eigentlich in Castrop im Kreis Dortmund, also in der Nachbarschaft vieler Bataillonsangehöriger, geboren war. Auch beim Einsatz 1942 war es den Besatzern eigentlich bekannt, dass zahlreiche aus dem Reichsgebiet deportierte Menschen nach Warschau verbracht wurden. Oftmals handelte es sich dabei um gewöhnliche Deutsche christlichen Glaubens, die nur wegen ihrer angeblichen jüdischen Abstammung in den Osten verschleppt wurden. Besonders deutlich muss dies auch bei den großen Deportationen im Sommer 1942 gewesen sein, als einige Juden mit ihren Orden und Ehrenzeichen aus dem Ersten Weltkrieg antraten, die sie eigentlich im NS-Denken als um die „Volksgemeinschaft“ verdiente Personen auswiesen.383 Nur äußerst selten wurden etwa die Ghettoinsassen nach ihrer Herkunft differenziert wahrgenommen. Nur ein einziger Polizist hielt nach dem Krieg der Sprachen. Untersuchungen zur historischen Semantik in Deutschland und England zur Zeit des Ersten Weltkriegs, Essen 2000, S. 210–222; Christoph Nübel, Mobilisierung der Kriegergesellschaft. Propaganda und Alltag im Ersten Weltkrieg in Münster, Münster 2008, S. 71. 379 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 11. 380 O. V., Beamte (1941), unpag. 381 Fein, Genozid, S. 42. 382 Für das Unwissen über die Herkunft von Opfern und das Vermengen von deren Herkunft vgl. Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 187r). ­Exemplarisch für die verachtende Sicht auf die Umstände in Warschau vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 11 und 19. Siehe zudem ausführlicher Kapitel IV.3. 383 Für die Deportation von mit deutschen Orden ausgezeichneten Juden vgl. Grynberg, Words (2002), S. 112. Exemplarisch für einen Ghettoinsassen, der aus dem Reichs­ gebiet stammte und im Ersten Weltkrieg für die Mittelmächte kämpfte, vgl. Aussage Leon Landau vom 26.4.1963 (StAHH 213-12-70 Nr. 21 Nr. 22, Bl. 9777). Für einen weiteren solchen Juden im Ghetto vgl. Aussage Robert Levi vom 20.1.1964 (StAHH 21312-70 Nr. 27, Bl. 12400). Für die Deportation von Christen jüdischer Abstammung vgl. Aussage Haßler vom 8.6.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6201). Für die Tötung des in Castrop geborenen Adamski vgl. Standesamt der Stadt und Gemeinde Borek Wielkopolski, Kreis Gosytn, Nr. 66 vom 23.12.1939 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 146).

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fest, dass sich die Menschen im Ghetto aus verschiedensten Nationalitäten und Ethnien zusammengesetzt hätten. Nur ganz vereinzelt sind Fälle dokumentiert, in denen unterschieden wurde und dies auch noch Konsequenzen hatte, wie es Auerbach für das Jahr 1942 aufzeichnete. Sie beschreibt in ihrem Tagebuch, wie sich ein als Ghettowache eingesetzter deutscher Polizist mit einem Mitglied des jüdischen Ordnungsdienstes unterhielt. Hierbei habe der Deutsche klar die Ghettoinsassen differenziert in „schmutzige Saujuden“384 und zum anderen in diejenigen Personen, die gerade erst aus dem Reichsgebiet in das Ghetto deportiert worden waren. Meist herrschte unter den Polizisten des Bataillons 61 hingegen einfach eine stereotype Aversion gegen die Menschen vor, die überwacht, umgesiedelt und getötet werden sollten. So soll beispielsweise der Spieß der 1. Kompanie in Warschau von einem „Saughetto“385 gesprochen haben. Solche Sichtweisen verschärften sich dabei soweit, dass man in der Polizeieinheit „die Juden als eine Art Insekten“ ansah, „deren Vernichtung wünschenswert war“, wobei das „‚Umlegen‘ eines Ghettoinsassen […] als alltägliches Ereignis gewertet“ wurde.386 Dass die Prozesse der Entmenschlichung für die Polizisten immens eingängig waren, zeigte sich selbst noch nach dem Krieg. In den 1950er-Jahren sprachen ­ehemalige Mitglieder des Bataillons 61 beispielsweise nicht davon, dass sich Juden in Gruppen bewegt hätten. Vielmehr seien sie „in Rudeln von 2 und 3 nebeneinander“,387 also wie Tiere, an den Polizisten vorbeigelaufen. Verbunden mit der Verachtung für die osteuropäischen Bevölkerung war auch die Annahme, dass diese eine Affinität zu gewalttätigen Handlungen besäße. Dies wurde von der NS-Propaganda dankend aufgegriffen und weiter kol. So hieß es schon 1939 während des Einsatzes des Bataillons 61, der „Pole“ sei „seit jeher ein Meister im Kampf aus dem Hinterhalt“. Insbesondere „Plündererbanden unter jüdischer Führung“388 seien eine alltägliche Erscheinung gewesen, wobei sich insbesondere „Banden“ mit Männern aus Ostpolen hervorgetan hätten. Ebenso sollen aber auch „polnische Banden, die sich aus befreiten 384 Tagebuchfragment Rachela Auerbach 4.8.1941–26.7.1942 (AŻIH ARG I Nr. 405, Bl. 19). Mit der Äußerung soll der Auftrag verbunden gewesen sein, die aus Deutschland eingetroffenen Personen gut zu behandeln. Für die Zusammensetzung der Ghettoinsassen vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 59). 385 Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 165r). 386 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (ebd., Bl. 216r). Welzer geht in diesen Zusammenhängen von einem Prozess der „Normalisierung“ statt von „Brutalisierung“ aus. Vgl. Welzer, Täter (2009), S. 169. In ähnlicher Form vgl. Habbo Knoch, „Selbst verschuldet“. „Vergeltung“ und die Dynamik genozidaler Gewalt im 20. Jahrhundert. In: Oliver v. Wrochem (Hg.), Repressalien und Terror. „Vergeltungsaktionen“ im deutsch besetzten Europa 1939–1945, Paderborn 2017, S. 39–58, hier 43–46. Insbesondere für die Hauptmann Mehr zugeschriebene Sichtweise, dass Juden überhaupt keine Menschen gewesen seien, vgl. Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 39r). 387 Aussage Erich Tiemann vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 18r). 388 O. V., Polizeibataillone (1939), S. 659.

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Zuchthäuslern gebildet hatten“,389 ein Problem dargestellt haben. Darüber hinaus kommunizierte man ein besonderes Geschichtsbild, mit dem man vor der „Unterrockspolitik“390 der angeblich hintertriebenen und zur Intrige neigenden polnischen Frau warnte.391 Es hieß: „An allen polnischen Aufständen nahmen auch Frauen und Mädchen am Kampf aktiv teil – so kürzlich noch am Heckenschützenkrieg 1939.“ Denn, so hieß es, in „seinen Weibern brennt der Fanatismus des Polentums am hellsten“.392 Bei Kriegsbeginn hätten „die polnischen Henkersknechte“ und „polnische Mordbestien“393 dann gegen alles Deutsche gewütet. Vor allem sei von „polnischen Mordbrennern“ mit zahlreichen „viehischen Grausamkeiten und Mordtaten“394 die „volksdeutsche“ Zivilbevölkerung terrorisiert worden. Seitens der Ordnungspolizei verkündete man: „Einem Gegner, der für solche Gräueltaten verantwortlich gemacht werden muss, gibt man nicht die Hand und gewährt ihm keine besonderen Vergünstigungen.“395 Es liegt nahe, dass die Propaganda gerade auf jene vereinzelten Polizisten des Bataillons 61 besonders starke Wirkung ausübte, die in Polen geboren waren. So war beispielsweise Kobitzki in Bromberg/Bydgoszcz, das im besonderen Maße durch den „Blutsonntag“ propagandistisch bekannt wurde, zur Welt gekommen und lebte dort, bis seine Familie 1919 ausgewiesen wurde. Für die übrigen Polizisten, die nicht aus Polen stammten und sich nicht als durch Osteuropäer in irgendeiner Form geschädigt empfanden, konnte die Propaganda nur weniger direkt wirken. Ihre Inhalte stellten jedoch im starken Maß eine Legitimationsstrategie dar, über die Polizisten Gewalt als Akt der Rache und sogar der Verteidigung der „Volksgemeinschaft“ interpretieren konnten. Die Behauptung, die „volksdeutsche“ Zivilbevölkerung zu schützen, eignete sich dabei als idealer Deckmantel der Ordnungshüter, um Gewalt gegen Zivilisten auszuüben. Auch die Fassade der Legalität und Legitimität der Organisation wurde so nicht beschädigt.396 389 Kräfteeinsatz und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei seit Beginn des Krieges vom 20.8.1940 (BA R 19 Nr. 97, Bl. 4). Für die angebliche Rekrutierung der „Bandenmitglieder“ in Ostpolen vgl. o. V., Polizeibataillone (1939), S. 657. 390 O. V., Die politische Rolle der Polin. In: Mitteilungsblätter für die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei Gruppe A 4, 10.5.1941 Folge 14, unpag. 391 Für die Warnung des BdO Posen, dass Polinnen oftmals für feindliche Agenten spionieren würden, vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 6.10.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Anhang: Merkblatt für Spionage-Abwehr). 392 O. V., Rolle (1941), unpag. 393 O. V., Polizeibataillone (1939), S. 657–660, hier 657. 394 E. J., Polen liquidiert. In: Die Deutsche Polizei, 7 (1939) 18, S. 613–617, hier 616. 395 Behandlung polnischer Offiziere vom 5.4.1940 (BA R 19 Nr. 304 Band 1/2, Bl. 88). 396 Zu Kopitzki vgl. Aussage Otto Kobitzki vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 42); Entnazifizierungsakte Kopitzki, Otto vom 1.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1190, Bl. 1 f.). Für die Bromberg-Propaganda vgl. Bekanntgabe des AOK 3 an alle unterstellten Truppen vom 17.9.1939 [Datum der Abschrift] (IZP Dok I Nr. 841, Bl. 3 f.). Allgemein für die angeblich massenhafte polnische Gewalt gegen Deutsche vgl. o. V., So wütete der Polen-Terror. In: Die Deutsche Polizei, 7 (1939) 18, S. 118. Für die Erwähnung des Bromberger Blutsonntages durch ehemalige Bataillonsangehörige vgl. Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 58).

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In dazu passender Weise ging auch der 1939 dem Bataillon 61 vorgesetzte BdO Posen vor. So hielt er beispielsweise in einer Anordnung, die Durchsuchungsaufgaben thematisierte, in unwahrer Weise fest, dass aus Lageberichten hervorginge, „dass von polnischer Seite immer noch auf Deutsche geschossen wird, die ordnungsgemäß ihren Dienst versehen“.397 In etlichen Nachkriegsaussagen nutzten auch Mitglieder des Bataillons 61 diesen Partisanenmythos von 1939/40, um sich zu entlasten. Dabei griffen sie auf die gleichen Narrative zu, die sie schon zu Kriegszeiten eingesetzt hatten, um Orden und Ehrenzeichen zu erlangen. So nutzte man 1941 im Bataillon 61 den Kampf gegen die vermeintliche „polnische Soldateska“398 von 1939/40, um sich im Nachhinein als soldatisch und legal handelnd darzustellen. Auf gleiche Weise rechtfertigte auch der ehemalige Ia des KdO Warschau, wohlgemerkt nach dem Krieg, Erschießungsmaßnahmen im Jahr 1942, an denen auch das Bataillon 61 aller Wahrscheinlichkeit nach mitgewirkt hatte. Er sagte aus, dass es sich bei den Erschossenen „um Banditen gehandelt [habe], bestehend hauptsächlich aus russischen Primitivvölkern, aus Sibirien, welche sich in Banden zusammengerottet hatten und in völkerrechtswidriger Weise z. B. ein Feldlazarett überfallen hatten“. Gerade im Einzugsbereich des Warschauer KdO hätten „Banden“ die Bevölkerung terrorisiert, indem sie „das Vieh wegtrieben und auch […] Eisenbahnlinien teils zerstörten, teils überfielen“.399 Zwar sind solche Überfälle für das Jahr 1942 nicht völlig auszuschließen, doch müssen sie wie hier als Teil des Partisanenmythos gelten. Noch weiter überspannt wurde das Narrativ der vermeintlichen Gegenwehr gegen gewalttätige Handlungen im Fall der nicht durch Gerichte angeordneten eigenständigen Exekutionen des Bataillons 61 im Jahr 1942. So nahmen ehemalige Polizisten im Rahmen der schon ausführlich dargestellten Tötung von über 100 Ghettoinsassen in Anspruch, dass es sich um eine Vergeltungsmaßnahme für einen jüdischen Angriff auf einen ihrer Kameraden gehandelt habe. Was nach dem Krieg ein durchschaubares Entlastungsargument

397 Anordnung des BdO betr.: Waffendurchsuchungen vom 23.10.1939 (APP 1008 Nr. 2, Bl. 25). Auch nach dem Krieg blieb der ehemalige BdO, Knofe, ein Verfechter der Behauptung, Polen hätten häufig hinterrücks Deutsche erschossen. Vgl. Aussage Oskar Knofe vom 17.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 248, Bl. 93). 398 Vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2442, Bl. 4). Siehe auch ausführlich Kapitel V.6. Die entlastenden Nachkriegsaussagen werden hier aus Umfangsgründen nicht referiert. Vgl. stattdessen exemplarisch aber nicht vollständig Aussage Hans Kärgel vom 9.12.1960 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21619); Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Band 2, Bl. 5); Aussage Wilhelm van Buer vom 26.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 15); Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 19). 399 Aussage Richard von Coelln vom 3.8.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 50, Bl. 22994).

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war, konnte bis 1945 zumindest vor Strafverfolgung für die illegalen Tötungen schützen.400 Auch der Einsatz der Dortmunder Polizeieinheit in Russland ab Oktober 1942, bei dem sich der Verband tatsächlich mit Partisanen konfrontiert sah, war beeinflusst durch die Kennzeichnung des Feindes als illegitim kämpfend. Exemplarisch hieß es, Partisanen würden bevorzugt nachts angreifen, denn „der auf Terror eingestellte Bolschewist“401 fühle sich dann überlegen. Ebenso hieß es in beispielhafter Form: „Moskau nennt die Banditen ‚Partisanen‘ und ‚Helden‘. In Wirklichkeit sind sie die größten Feiglinge. Sie sind tapfer auf Kosten der armen verschüchterten Bevölkerung, die sie überall auspressen, ihr die Lebensmittel wegnehmen und vor allem, indem sie die Unschuldigen in die größte Lebensgefahr bringen.“402 Tatsächlich war es jedoch das Bataillon 61, das die Partisanen nie wirklich zu fassen bekam und stattdessen Terror ausübte, wie man ihn den irregulären Kämpfern unterstellte. Die eigene Schwäche und Unfähigkeit der Polizisten wurden schließlich durch Gewalt kompensiert und den amorph bleibenden angeblich „bösartigen“ Feind kaschiert.403 Vergeltungsgedanken stellten dabei innerhalb der Polizeieinheit ein wichtiges Gedankenkonstrukt dar, um auch gegen Zivilisten massive Gewalt auszuüben. Über die Möglichkeit, Rache für „Volksgenossen“ oder sogar direkt für ihre in Russland verwundeten Kameraden und Freunde zu üben, wurde den Männern quasi „eine Brücke gebaut“,404 um wenig bedrohliche Landeseinwohner argumentativ in gefährliche Partisanen zu verwandeln, deren Bekämpfung und Liquidierung akzeptabel, wenn nicht sogar nötig erschien. Man stilisierte Zivilis-

400 Für die Behauptung eines Polizisten, angegriffen worden zu sein, vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 237r). Für die davon abweichende Behauptung, der Polizist Sobirei sei angegriffen worden, vgl. Aussage Ernst Brunst vom 7.12.1951 (ebd., Bl. 156r). Ebenso für den angeblichen Angriff auf ein Bataillonsmitglied vgl. Aussage Arthur Michels vom 9.5.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5888); Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 44); Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 51). Für die Behauptung, es sei zu einer Schussverletzung des Polizisten gekommen, vgl. Aussage Artur Michels vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 190); Aussage Hans Delisch vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 87r). Ebenso will Klippert aus dem Ghetto beschossen worden sein. Vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 239). Hierbei scheint es durchaus möglich, dass es sich um Eigenbeschuss handelte. Zu diesem siehe Kapitel IV.1. 401 Richtlinien für die Gefechtsausbildung der geschlossenen Einheiten der Ordnungspolizei für den Osten vom 16.1.1942 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 121). 402 Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Bandenbekämpfung (1942), S. 18. Ebenso vgl. Merkblatt für SS- und Polizeikräfte, die im Bereich des Höheren SSund Polizeiführers Rußland Mitte neu eingesetzt werden 1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 238 f.). 403 Für das Kompensieren von Schwäche durch Härte und Terror vgl. Christian Hartmann, Operation Barbarossa. Der deutsche Krieg im Osten 1941–1945, München 2011, S. 71. Hierbei spielte im Fall des Bataillons 61 sicherlich auch eine Rolle, dass es in Russland erstmals wirkliche Verluste erlitt. Ausführlicher hierzu siehe Kapitel IV.4. 404 Wehler, Nationalsozialismus, S. 230.

Unterminierung von Regeln und flexible Rechtsauslegung

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ten zu einem realen Sicherheitsrisiko. Dadurch, dass in jeder getöteten Person ein mutmaßlicher Saboteur gesehen wurde, bestätigte sich quasi im Nachhinein deren Gegnerschaft zur „Volksgemeinschaft“ und die daraus resultierende Todesstrafe. So wurde „das Vorurteil zur Tatsache“405 und die Tat quasi gerecht, wenn man dem Grundsatz folgte, den der BdO Posen schon Anfang 1940 ausgab. Er meinte, während des Krieges sei „Rücksichtslosigkeit an der richtigen Stelle zum Nutzen des Ganzen berechtigt“.406 Trotz der Kriegssituation und der Betonung der vermeintlich hinterhältigen Kampfweise der Partisanen, knüpfte man im Bataillon 61 auch während des Russlandeinsatzes wieder an Mechanismen der Kriminalisierung an. So verkündete man als Ergänzung zur ohnehin schon breit kommunizierten Kriminalitätsaffinität der osteuropäischen Bevölkerung, „insbesondere in Kriegen“ steigere „sich diese Kriminalität bis zur organisierten Bandentätigkeit“.407 Damit sprach man die Polizisten nicht nur auf der Ebene des Soldaten, sondern auch erneut auf der des Kriminalitätsbekämpfers an. Dass die Wirksamkeit der Kriminalisierung und Stigmatisierung potenzieller Opfer als gefährlich sehr wirkmächtig war, lässt sich schließlich daran erkennen, dass beide Zugänge auch über das Kriegsende hinaus im Denken der Polizisten präsent blieben. Selbst in Ermittlungsverfahren der Nachkriegszeit, sprachen die Mitglieder des Bataillons 61 statt von Opfern durchweg abwertend von „Delinquenten“.408 4.

Die Unterminierung von Regeln und die flexible Rechtsauslegung

Zwar wurde das hohe Gewaltniveau der Polizeieinheit gegenüber der lokalen Bevölkerung in Osteuropa sowohl von der Führung der Kompanien des Bataillons 61 als auch von dessen Kommandeur begrüßt, jedoch widersprachen die Handlungen der Polizisten geltendem Recht. Wie schon erläutert, hatten Männer des Bataillons 61 beispielsweise im „Ghetto an sich überhaupt nichts zu tun. Wer das Ghetto betrat, tat dies als Polizist verbotswidrig.“409 Nicht nur

405 Ulrich Herbert, Vernichtungspolitik. Neue Antworten und Fragen zur Geschichte des „Holocaust“. In: ders. (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939–1945. Neue Forschungen und Kontroversen, Frankfurt a. M. 1998, S. 9–66, hier 53. 406 Kommandeursbesprechung beim Befehlshaber der Ordnungspolizei Posen am 15.1.1940 (BA R 70 Polen Nr. 201, Bl. 1). 407 Kopie aus der Broschüre: Bandenbekämpfung vom 1.9.1942, hg. vom Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei SS-Befehl Himmlers vom 21.6.1943 (BA R 19 Nr. 318, Bl. 81). Allgemein für die Kriminalisierung des Feindes durch Militäreinheiten vgl. Römer, Kameraden, S. 78. 408 Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 15). Ebenso vgl. Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (ebd., Bl. 56r); Aussage Wilhelm Ködding vom 22.1.1953 (ebd., Bl. 102). 409 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 50). Siehe auch Kapitel IV.3.

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Handlungsleitende Einflüsse

eigenmächtige Streifzüge im Ghetto waren „streng verboten“.410 Auch durch den häufigen Schusswaffeneinsatz am und im abgesperrten Stadtgebiet Warschaus brachen die Männer der Dortmunder Polizeieinheit klar mit bestehenden Regeln. Die Nutzung ihrer Dienstwaffen jenseits der in Vorschriften festgehaltenen Grenzen hatten die Bataillonsangehörigen zwar auch schon bei ihrem ersten Einsatz in Polen 1939/40 praktiziert, in Warschau erreichte die daraus resultierende Gewalt jedoch eine neue Dimension. Es hieß, man habe „bei jeder Kleinigkeit von der Schusswaffe Gebrauch“ gemacht.411 Dass sich auch andere Polizei- und SS-Einheiten in dieser Weise nicht regelkonform verhielten, zeigt ein Runderlass Himmlers aus dem Jahr 1942, in dem er dies als Problem ansprach. Der Reichsführer-SS hielt in aller Klarheit fest: „Der deutsche Mann gebraucht seine Waffe im Kampf und überlässt […] Schießereien dem Slawen.“ Eine illegale Nutzung von Schusswaffen aus „leichtsinnigem Spaß“ sei „absolut undeutsch“. Er verbiete deswegen weitere „Ausschreitungen dieser Art auf das Nachdrücklichste und ordne strenge Ahndung an“. Schwere Fälle seien ihm sogar „persönlich zu melden“.412 Dieser Runderlass ging auch direkt an das Bataillon 61, wie die Unterschrift des Bataillonsspießes auf der Empfangsbestätigung belegt. Auch auf lokaler Ebene bestanden für die Wachmannschaften des Warschauer Ghettos klare Vorgaben, wann von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden durfte und wann dies bei Strafe verboten war. Ab November 1941 war es den Wachen erlaubt, gegen Personen, die aus dem Ghetto fliehen wollten, „mit der Waffe einzuschreiten“.413 Ebenso durfte „bei Ausbruchsversuchen aus dem Ghetto […] von jedem Polizeibeamten auch gegen Frauen und Jugendliche von der Schusswaffe Gebrauch“414 gemacht werden. Diese Vorgehensweise sei den Polizisten des Bataillons 61 „wiederholt bekanntgegeben worden“.415 Zusätzlich hieß es: „Der Aufgabenbereich der Ghettowache war schriftlich festgelegt und lag in den Wachlokalen aus.“416 Nur in wenigen Fällen führten die Männer der Dortmunder Polizeieinheit nach dem Krieg aus, dass die in solchen Anordnungen enthaltenen Ermessens-

410 Aussage Heinrich Krolopp vom 23.11.1951 (ebd., Bl. 116). 411 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 103r). 412 Schreiben betr.: Missbrauch der Schusswaffen vom 20.11.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 246). 413 Abschrift aus dem Kommandanturbefehl Nr. 200 vom 29.11.1941 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 131). Ebenso vgl. Unbefugtes Verlassen des jüdischen Wohnbezirks vom 29.11.1941 (APW 482 Nr. 40, Bl. 18). Siehe zudem Kapitel IV.3. 414 Schreiben des KdO Warschau vom 10.11.1941 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 130). Das Schießen auf Frauen und Kinder wird ebenso erwähnt bei Aussage Otto Kobitzki vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 122). 415 Aussage Artur Michels vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 189). Ebenso für das Wissen im Bataillon 61 über die offiziellen Schusswaffengebrauchsregeln vgl. Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (ebd., Bl. 262r); Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 185r). 416 Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (ebd., Bl. 237).

Unterminierung von Regeln und flexible Rechtsauslegung

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spielräume eng umgrenzt waren. So durfte beispielsweise laut Brunst erst dann geschossen werden, „wenn der Jude nach dreimaliger Aufforderung nicht stehen blieb“.417 Ergänzend meinten verschiedene andere Polizisten, „dass nur dann geschossen werden durfte, wenn sich jemand aus dem Ghetto entfernen wollte und auf Aufruf nicht stehen blieb, bzw. umkehrte“.418 Ebenso hieß es: „Nicht gerechtfertigt freilich sollte in diesen Fällen des Schusswaffengebrauchs sein, wenn der Angerufene ins Ghetto zurückflüchtete.“419 Außerdem soll sich die Erlaubnis, die Schusswaffe zu nutzen, nur auf das Äußere des abgesperrten Stadtgebietes erstreckt haben. Auf „Ghetto-Insassen, die innerhalb des Ghettos – wenn auch in der Nähe der Mauer – etwa beim Schmuggel angetroffen wurden, durfte in keinem Falle geschossen werden“.420 Offensichtlich sollte das Hauptziel der Wachen sein, Flüchtige und Schmuggler nicht zu töten, sondern festzunehmen, damit diese anschließend in einem formellen Prozess abgestraft werden konnten. Entsprechend war geregelt, festgenommene Personen mit einem schriftlichen Bericht bei anderen Dienststellen abzuliefern. Dazu passend urteilte auch die Dortmunder Staatsanwaltschaft nach dem Krieg völlig korrekt, der häufige Schusswaffengebrauch im Bataillon 61 sei aus „keiner dienstlichen Notwendigkeit“421 hervorgegangen. Über den Warschauer Einsatz befragt, gab Kobitzki an, zu Beginn sei „der Gebrauch der Schusswaffe sehr eingeschränkt“ gewesen.422 Die Regeln, die dies bedingten, wurden aber in der Folgezeit bewusst durch die Funktionsträger des Bataillons 61 aufgeweicht, da die Vorgesetzten die Nutzung der Dienstwaffe nicht nur duldeten, sondern zu dieser ermutigten. „Nicht nur der ersten Kompanie, sondern auch den anderen Kompanien des Bataillons war bekannt“,423 dass die Polizeieinheit in einer Form geführt wurde, die es den Polizisten erlaubte, ständig und unkontrolliert von der Waffe Gebrauch zu machen. Entgegen aller

417 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 52r). Ebenso vgl. Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 135r). 418 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 109). Ein verschärfter Befehl, sofort zu schießen, findet sich hingegen, anders als der Chef der 3. Kompanie es behauptete, nirgendwo. Für seine Behauptung vgl. Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 28). 419 Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 101r). 420 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 185r). Ebenso für die Gültigkeit der Schießerlaubnis nur außerhalb des Ghettos vgl. Aussage Artur Michels vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 189). 421 Zusammenfassung der Ermittlungsbehörde, o. D. (ebd., Bl. 82). Für die Regelung, festgesetzte Personen an andere Dienststellen zu überstellen vgl. Unbefugtes Verlassen des jüdischen Wohnbezirkes durch Juden vom 10.11.1941 (APW 482 Nr. 40, Bl. 17). Das Prinzip, Flüchtige zu verhaften statt zu töten, war auch 1942 zumindest noch offiziell in Kraft. Vgl. Niederschrift über die Besprechung beim SS- und Polizeiführer am 24.2.1942 vom 26.2.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282, Bl. 267). 422 Aussage Otto Kobitzki vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 122). Zur wiederholten Belehrung über den Schusswaffengebrauch vgl. Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 117). 423 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (ebd., Bl. 197r).

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offiziellen Regeln war es „stillschweigendes Gesetz, dass auf alles, was sich aus dem Ghetto entfernen wollte, sofort und ohne Aufruf geschossen wurde“.424 Ebenso hieß es: „Teilweise wurde auf alles, was sich an den in der Mauernähe befindlichen Fenstern zeigte, rücksichtslos geschossen.“425 Ermöglicht und gedeckt wurde ein solches Verhalten durch die Funktionsträger der Polizeieinheit. Man habe nie beobachten können, „dass einer der Vorgesetzten gegen dieses Tun eingeschritten wäre“.426 Der laxe Umgang mit den Schusswaffengebrauchsregeln im Bataillon 61 wurde dabei auch dadurch gefördert, dass Offiziere offen die Einhaltung von Regeln kritisierten. So erinnerte sich Marach: „U. a. hat sich Hauptmann Mehr auch gegen meine genaue Buchführung als Munitionsverwalter gewandt und mir zu verstehen gegeben, ich solle nicht so kleinlich mit der Munitionsausgabe sein.“427 Der gleiche Offizier ließ laut Delisch bei der regelmäßigen Unterrichtung über die „Schusswaffengebrauchsvorschriften durchblicken, dass es ihm auf eine genaue Einhaltung dieser Vorschriften nicht ankomme“.428 Ebenso berichtete Roschkowski, man sei „dahin belehrt worden, dass es für Ghetto­ wachen nicht so genau auf die Dienstvorschriften bzw. die Waffengebrauchsvorschriften ankäme“.429 Auch beim geschäftsführenden Hauptwachtmeister der 1. Kompanie sei es üblich gewesen, den „Schusswaffengebrauch am Ghetto etwas leichter zu handhaben“.430 Einigen Vorgesetzten sagte man darüber hinaus nach, sie hätten nicht nur ein Ignorieren bestehender Regeln akzeptiert, sondern auch aktiv Gewalt gefordert. So habe Hauptmann Mehr zwar die offiziellen Waffengebrauchsvorschriften mitgeteilt, doch habe er gleichzeitig gefordert, „stets dann von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, wenn [Polizisten] einen flüchtenden oder schmuggelnden Ghetto-Insassen antrafen“.431 Generell habe der Offizier jede Gelegenheit genutzt, um „die Angehörigen der Kompanie zu Brutalitäten gegen die Juden zu veranlassen“.432 Der Kompaniechef sei es gewesen, der die Polizisten regelrecht „aufstachelte, Juden zu erschießen“.433 Einen solchen Vorgang 424 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 103r). 425 Ebd., Bl. 104r. 426 Ebd., Bl. 104. 427 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (ebd., Bl. 151). 428 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (ebd., Bl. 197r). Ebenso berichtete Schulte, dass es dem Hauptmann „mit der Einhaltung dieser Dienstvorschriften nicht so genau“ gewesen sei. Vgl. Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 117r). 429 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 119r). 430 Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 117r). 431 Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 180r). In ähnlicher Form vgl. Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 52r); Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 185r). 432 Aussage Ludwig Rybczak vom 10.7.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). In ähnlicher Form vgl. Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 38). 433 Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 80r). Ebenso zum Anstacheln und Fördern von Gewalt vgl. Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5826).

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berichtete Kreulich relativ ausführlich: Der Hauptmann habe zu ihm mit Nachdruck gesagt: „Kreulich, wenn Sie am Ghetto vorbeifahren, müssen Sie schießen.“434 Als der Polizist daraufhin erwiderte, man müsse doch einen Grund für den Waffeneinsatz haben, soll der Offizier geschimpft haben: „Wenn Juden in der Nähe vom Drahtzaun sind, dann wird einfach darauf geschossen!“435 Dann habe der Kompaniechef ergänzt: „Den Grund zum Schießen müssen Sie suchen, der Brennstoff muss sich bezahlt machen.“436 Teilweise sei Hauptmann Mehr nicht nur an einzelne Personen herangetreten, sondern habe „vor versammelter Kompanie an die Kompanieangehörigen die Aufforderung gerichtet, häufiger von der Schusswaffe Gebrauch zu machen“.437 Entsprachen Männer seinen Vorstellungen nicht, so soll er durchaus ungehalten reagiert haben. Ein Einheitsmitglied, der Gefangene zu einem Wachposten brachte, habe er mit den Worten angegangen: „Die hätten Sie doch umlegen sollen!“438 Unterstützt wurde Mehr in solchen Absichten durch seinen geschäftsführenden Hauptwachtmeister. Wie der Kompaniechef habe auch der Spieß der Einheit von Untergebenen gefordert, mit der Waffe „sofort draufzuhalten“.439 Dabei konnte man an eine in der Polizei bestehende Tradition des schnellen Schusswaffengebrauchs anknüpfen. So wurden Polizisten in Dortmund schon am 23. Februar 1933 wie folgt belehrt: „Ich bringe sämtlichen Polizeibeamten erneut zum Bewusstsein, dass der Rückgriff auf die Waffe nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht des Polizeibeamten ist.“440 In ähnlicher Form wurde dann im Mai gleichen Jahres angeordnet, „dass auf Verteiler kommunistischer Zettel- und Flugschriften sofort zu schießen“ sei, wenn sich diese „der Festnahme zu entziehen“ versuchten.441 Ebenso empfahlen auch Ausbildungsschriften schon vor dem Einsatz der Dortmunder Polizeieinheit im Zweiten Weltkrieg, einen direkten Schusswaffeneinsatz gegen „Berufsverbrecher“, wenn diese sich bei einer Verhaftung nicht sofort ergeben und die Hände erheben wollten. Schließlich hieß es auch in den offiziellen Instruktionen für die Posten der Ghetto­wachen in

434 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 50). 435 Ebd. 436 Ebd., Bl. 51r. Tatsächlich bestand eine Anordnung zum „sparsamsten Brennstoffverbrauch“. Vgl. Richtlinien für die Gefechtsausbildung der geschlossenen Einheiten der Ordnungspolizei für den Osten vom 16.1.1942 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 123). Für den nochmaligen Bericht von Kreulich vgl. Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5827). 437 Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 138). 438 Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 213r). Zur Tötung eines Ghettoinsassen auf dem Rückweg zum Ghetto durch Bayer siehe Kapitel IV.3. 439 Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 80). 440 Sonderbefehl Nr. 15 betr.: Gebrauch der Schusswaffe und Verhalten beim Streifengang vom 23.2.1933 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 328, unpag.). 441 Abschrift aus: S.-Tgb. [Schutzpolizei-Tagebuch] Nr. 104 Ziffer 10 vom 8.5.1933 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 328, unpag.).

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Warschau in vielsagender Weise über einen Mauerabschnitt: „Die Grenzführung bietet hier auf der Innenseite ein ausgezeichnetes Schussfeld.“442 Die direkte Forderung nach Gewalt durch Funktionsträger des Bataillons 61 stellte also nur eine weitere Radikalisierungsstufe dar und war nicht ohne Grundlage entstanden. So ist es auch nachvollziehbar, dass Vorgesetzte die nicht offen formulierbare Erwartung von Gewalt nicht nur in der 1. Kompanie äußerten. Über diese Teileinheit des Bataillons 61 liegen lediglich besonders viele Informationen vor. Bereits beim Einsatz der Dortmunder Polizeieinheit 1939/40 soll beispielsweise der Chef der 2. Kompanie im Vorfeld der mit massiven Ausschreitungen und Tötungen verbundenen Aktion in Leslau ein aggressives Verhalten seiner Untergebenen gefordert haben.443 Die Bedeutung offizieller Vorschriften im Bataillon 61 wurde von dessen Funktionsträgern auch durch ihre demonstrativen Verhaltensweisen herabgesetzt. Mehrfach wollen Polizisten der Einheit beobachtet haben, wie Hauptmann „Mehr und Hauptwachtmeister Brunst zusammen ins Ghetto gefahren sind, wobei dann beide eine Maschinenpistole hatten“.444 Einigen Bataillonsangehörigen zufolge hätten es die Vorgesetzten jedoch im offiziellen Rahmen vermieden, ihre Haltung „allzu deutlich zum Ausdruck zu bringen“.445 Insbesondere galt dies für jede schriftlich fixierte Form. Dazu passt, dass die meisten „Belehrungen mündlich stattgefunden“446 haben sollen und im kleineren informellen Rahmen erfolgt seien. Offensichtlich waren sich beispielsweise die Kompaniechefs, obwohl sie den Rahmen der Organisationskultur in ihrer Teileinheit maßgeblich beeinflussten, darüber im Klaren, dass ihre nicht formalisierbaren Erwartungen mit den offiziellen Regeln der Organisation brachen. Für Junker stand jedoch am Beispiel von Hauptmann Mehr fest: „Dadurch aber, dass er die Schuldigen schützte und förderte, ließ er seine Haltung klar erkennen.“447 Trotz einer solchen Haltung sollte zumindest zu Beginn des Warschauer Einsatzes jeder Gebrauch einer Polizeiwaffe auf Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Es sei „eine schriftliche Meldung über den Waffengebrauch“448 abzugeben

442 Kurze Instruktionen für die Posten der Ghettowachen in Warschau, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282 Bl. 248). Für den Waffengebrauch bei Verhaftungen vgl. Illinger, Unterführer (1942), S. 127. Vgl. auch Zusammenstellung von Dienstanweisungen über den Waffengebrauch der Pol. Beamten im Jahr 1939 (LAV NRW, W, B 406 Nr. 29428, Bl. 61 f.); RMBLiV 1939, S.1636. 443 Vgl. Aussage Franz Thamm vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 132). Für die Ereignisse in Leslau siehe Kapitel IV.1. 444 Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 47r). 445 Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 213). 446 Aussage Heinrich Lorey vom 27.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 51). Für die Forderung von Gewalt durch Mehr in der Kompaniebar vgl. Aussage Franz Chwieja vom 25.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 242). 447 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (ebd., Bl. 217). In ähnlicher Form vgl. Aussage Heinrich Krolopp vom 23.11.1951 (ebd., Bl. 115r). 448 Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 102). Ebenso vgl. Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 13).

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gewesen. Ebenso sollte jeder Waffengebrauch in den „Wachbüchern“449 der am Ghetto diensthabenden Einheit vermerkt werden. Dies sei schon deshalb nötig gewesen, da die „Munition abgezählt und nur aufgrund der Meldung ersetzt wurde“.450 Wenn dann beim Ende des Wachdienstes die Munition abgegeben werden musste und man das Fehlen von Munition nicht begründen konnte, wäre der schwere Regelverstoß offensichtlich und somit eine Bestrafung möglich geworden.451 Die Meldung des Waffengebrauchs sowie deren weitere Prüfung schilderte der Bataillonsspieß, Oestreich, exemplarisch: „Über jeden Schusswaffengebrauch musste der betreffende Beamte, auch wenn er keine Person verletzt oder getötet hatte, eine Schusswaffengebrauchsmeldung vorlegen.“452 Anschließend hatte der „jeweilige Wachhabende […] sodann die Aufgabe, die Rechtmäßigkeit des Schusswaffengebrauchs zu überprüfen, soweit ihm das möglich war. Sodann hatte der Kompaniechef zu diesem Punkte kurz Stellung zu nehmen. Die Meldung wurde dann an das Bataillon weitergeleitet.“ Anschließend will der geschäftsführende Hauptwachtmeister des Bataillons den Vorgang „mit einer Stellungnahme des Bataillonskommandeurs an das Regiment“453 weitergeleitet haben. Ganz ähnlich beschrieben dieses Vorgehen auch andere Mitglieder des Bataillons 61. Jedoch fügten zahlreiche Aussagende sinngemäß an, dass in der 1.  Kompanie „alle Meldungen über Judenerschießungen an und über Hauptwachtmeister Brunst“454 als Mittlerinstanz liefen. Dieser führte selbst aus, er „habe auf dem Kompanie Geschäftszimmer fast täglich die Meldung von 2–3 erschossenen Juden entgegengenommen“.455 Dasselbe Prozedere mit einem 449 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 110r). Die Wachbücher des Bataillons 61 sind nicht über den Zweiten Weltkrieg hinaus erhalten geblieben. Für die Regelung des Schusswaffengebrauchs und dessen Meldungspflicht vgl. Aussage Erich Schumacher vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 183). 450 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 10). Fehlende Munition und fehlende Schusswaffengebrauchsmeldungen waren eigentlich kaum in Einklang zu bringen und Munitionsdiebstahl konnte in Kriegszeiten durchaus extreme Strafen nach sich ziehen. 451 Zur Munitionsabgabe vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 15. Für die offiziell vorgesehene Bestrafung auch von Vorgesetzten, wenn kein korrekter Eintrag in ein Wachbuch erfolgte, vgl. Beobachtung und Durchführung gegebener Befehle vom 28.5.1942 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 68). 452 Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 72). Ebenso mussten die Polizisten angeben, welcher jüdische Ordnungsdienstmann beauftragt wurde, die Leiche zu beseitigen. Vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 213). 453 Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (ebd., Bl. 263). Ebenso vgl. Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (ebd., Bl. 72). Das Bataillon 61 unterstand jedoch während seiner Zeit in Warschau nur formal einem Regiment. 454 Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 47r). 455 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 55r). Ebenso vgl. Aussage Ernst ­Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 137r). Allgemein zur Meldung des Waffengebrauchs im Geschäftszimmer einer Kompanie vgl. Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 185r); Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 81); Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48r); Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 107r).

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Handlungsleitende Einflüsse

Spieß als Mittlerinstanz gab auch der ehemalige Chef der 3. Kompanie nach dem Krieg zu Protokoll. Er meinte dabei, er wisse nicht genau, ob all seine Kollegen gleich vorgegangen seien, er „vermute aber, dass alle Kompanien in dieser Hinsicht gleich verfuhren“.456 Nur eine einzige solche Meldung über den Gebrauch der Dienstwaffe durch ein Mitglied des Bataillons 61 ist noch überliefert: „Meldung: Am 26. Januar 42 gegen 7:30 Uhr wurde durch den Streifendienst versehenden Oberwachtm. d. Sch. d. R. Brennscheidt auf der Eisenstr. der Jude Ela-Pinkus Potaz, wohnhaft Warschau, Panskastr. 68, Wohnung 76, erschossen als dieser unberechtigt den Drahtzaun der Ghettoumfriedung durchstieg. Die Leiche wurde vom jüdischen Ordnungsdienst fortgeschafft. gez. Witz, Zugwachtm. d. Sch. u. Wachthabender.“457

Zunächst urteilte danach der Chef der 3. Kompanie als Disziplinarvorgesetzter, unterrichtet von seinem Spieß: „Der Schusswaffengebrauch war berechtigt. Der Schuss SS-Munition wurde vom Munitionsbestand abgesetzt.“ Der Bataillonskommandeur bestätigte dies entsprechend: „Der Oberwachtm. d. Sch. d. R. Brennscheidt befand sich auf Streife in rechtmäßiger Ausübung des Dienstes. Da der Jude auf Anruf nicht stehen blieb, konnte der polizeiliche Zweck nur durch den Gebrauch der Schusswaffe erreicht werden. Der Schusswaffengebrauch war daher […] berechtigt.“458 Anschließend wurde der Vorgang, über den Stab des Warschauer KdO, zur weiteren Bearbeitung u. a. an die Kriminaldirektion der Sicherheitspolizei weitergeleitet.459 Dabei ist jedoch zu beachten, dass solche Berichte, die in der Hierarchie nach oben weitergereicht wurden, nicht notwendigerweise die tatsächlichen Geschehnisse widerspiegeln mussten. So hielt beispielsweise der ehemalige Ia des Warschauer KdO über die Weitergabe von allgemeineren Berichten nach Berlin, die auf den Informationen der verschiedenen in Warschau stationierten Polizeieinheiten basierten, fest: „Wir haben dann beim KdO aus diesen Einzelberichten zusammenfassende Berichte gemacht, die vermutlich über das Hauptamt Ordnungspolizei an den Reichsführer-SS gingen. Dieser hat die Berichte stark frisiert an Hitler weitergegeben.“460 Insbesondere sollen Aspekte, die externe Stellen hätten bemängeln können, einfach ausgelassen worden sein.

456 Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 29). 457 Abschrift der Meldung durch die Ghettowache Gerichtsstraße und der Bestätigung durch den Kompaniechef der 3. Kompanie Pol.Batl. 61 sowie den Kommandeur Poli­ zeibataillon 61 am 26. und 27.1.1942 (BA R 9355 ZM 886 A.3, Bl. 4). Ebenso vgl. Schlussbericht zu I.K.D. 418/42 Warschau vom 11.2.1942 (ebd., Bl. 2). 458 Abschrift der Meldung durch die Ghettowache Gerichtsstraße und der Bestätigung durch den Kompaniechef der 3. Kompanie Pol.Batl. 61 sowie den Kommandeur Polizeibataillon 61 vom 26. und 27.1.1942 (ebd., Bl. 4). 459 Vgl. Schreiben der Sicherheitspolizei, Kriminaldirektion Warschau vom 17.2.1942 (ebd., Bl. 3). 460 Aussage Richard von Coelln vom 3.8.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 50, Bl. 22991 f.).

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Hinzu kam, dass sich auch schon in den Berichten, die von Einheiten an den Stab abgegeben wurden, ein großer Manipulationsspielraum bot. Durch die Veränderung von Berichten konnten auf jeder Ebene nicht rechtmäßige Tötungen verschleiert werden, sodass der Regelbruch nicht auf die jeweilige Kontrollinstanz zurückfallen konnte. Im Bataillon 61 bot sich dadurch, dass man „eine formlose Meldung“461 über Tötungen abgeben konnte, die Möglichkeit, weitestgehend unkontrolliert und vor allem unbestraft Gewalt auszuüben. Auch sei die Überprüfung von Meldungen auf Rechtmäßigkeit hin meist recht knapp ausgefallen. In der 1. Kompanie habe man sie nur verzeichnet, wobei der Spieß gleichgültig gesagt habe: „Da haben sie schon wieder einen umgelegt.“462 Nach dem Krieg behauptete der ehemalige Spieß, Brunst, er habe die Schusswaffennutzung seiner Untergebenen „für ungesetzlich“463 und „unberechtigt“ gehalten, da sie „die Vorschriften, die den Wachen über den Gebrauch der Schusswaffen gegeben waren, nicht beachtet hatten.“464 Insbesondere sei ihm bewusst gewesen, dass die Inhalte der „Schusswaffengebrauchsmeldungen falsch waren“.465 Auch andere ehemalige Angehörige des Bataillons 61 brachten zum Ausdruck, „dass Kompanieangehörige ohne Beachtung der Schießvorschrift auf Insassen des Warschauer Ghettos geschossen haben“.466 Sippel brachte es dabei prägnant auf den Punkt, wenn er meinte, man habe jedoch „nie beobachtet, dass einer der Vorgesetzten gegen dieses Tun eingeschritten wäre“.467 Dass die im Alltag ignorierten Regeln jedoch weiterhin offiziell gültig waren, erlaubte es den Polizisten, die Verantwortung für ihre illegalen Handlungen gedanklich teilweise abzuwälzen. So hielt der ehemals geschäftsführende Hauptwachtmeister der Einheit über gesetzwidrige Verhaltensweisen fest: „Es wäre Aufgabe des Bataillonskommandeurs gewesen, der Sache nachzugehen.“468 Noch weiter ging der Spieß der 1. Kompanie. Er gab an, die Gewalt der Polizeieinheit sei „auch höheren Dienststellen bekannt gewesen. Es hätte ja auch von diesen Dienststellen aus eingeschritten werden können.“469 Dadurch, dass die unbestraften Rechtsbrüche in mehr oder weniger verschleierter Form in den Meldungen dokumentiert waren, konnten diese potenziell einen Schaden für die Fassade der Legitimität und Legalität der Gesamtorganisation und des NS-Regimes bedeuten. Dies war insbesondere der Fall, da die Angaben nicht mit den hohen Tötungszahlen vereinbar waren. Im unwahrscheinlichen Fall einer externen Untersuchung der Schusswaffengebrauchsmeldungen 461 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 216r). 462 Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 165). Die Überprüfung wäre eigentlich Aufgabe des Kompaniechefs gewesen, der diese aber nicht durchführte. 463 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 53). 464 Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 137r). 465 Ebd., Bl. 138r. 466 Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 101r). In ähnlicher Form vgl. Aus­ sage Heinrich Krolopp vom 23.11.1951 (ebd., Bl. 115r). 467 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 104). 468 Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (ebd., Bl. 263). 469 Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 138r).

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Handlungsleitende Einflüsse

bestand die Möglichkeit der Sanktionierung von Regelbrüchen. Strafen hätten dabei nicht nur den einzelnen Schützen betroffen, sondern auch dessen Vorgesetzte, die die Polizisten eigentlich zu überwachen und kontrollieren hatten. Entsprechend lag es im Interesse der Offiziere des Bataillons 61 ebenso wie der Führungselite der Polizei allgemein, die Erstellung von Waffengebrauchsmeldungen möglichst zu unterminieren. Hierzu wurde in der Dortmunder Polizeieinheit verstärkt darauf abgezielt, bürokratische Vorgänge, die die Handlungen der Männer dokumentierten, erst zu kritisieren und dann zu reduzieren. So soll der ehemalige Kompaniechef, Nord, über eine bürokratische Verfahrensweise, die von außen an seine Einheit herangetragen wurde, zu Ausdruck gebracht haben: „Schon wieder so eine verdammte Sch.—[sic].“470 Der ehemalige Spieß der 1. Kompanie soll in Anbetracht der bei ihm abgegebenen Schusswaffengebrauchsmeldungen festgehalten haben: „Dies verfluchte Saughetto macht uns viel Arbeit!“471 Tatsächlich folgte man damit einer Argumentationsstrategie, die auch die obersten Polizisten des NS-Regimes schon präsentiert hatten. Exemplarisch etwa meinte Daluege bereits 1936, „dass ein Kapitulieren vor Bürokratie […] nicht nationalsozialistisch ist“.472 Auch Himmler drückte später seine Abneigung gegenüber „dem ganzen Schriftkram“ aus.473 Insbesondere für das Warschauer Ghetto hieß es von offizieller Stelle, ohne dass sich die offizielle rechtliche Lage verändert hätte, dass dessen Absperrung nur schwer möglich sei. Vor allem der Umgang mit Fluchtversuchen „sei mit zu vielen Formalitäten belastet und müsse vereinfacht werden“.474 Auch wenn nie schriftlich angeordnet wurde, dass auf eine Meldung des Schusswaffengebrauchs zu verzichten war, erreichten die Funktionsträger des Bataillons 61 mit ihrer Kritik, dass Meldungen sukzessive weniger Bedeutung beigemessen wurden und schließlich sogar ausblieben. Sicher spielte hierbei jedoch auch die Gewöhnung der Polizisten an die von ihnen ausgeübte Gewalt, die sie als immer selbstverständlicher wahrnahmen, sowie das Ausbleiben jedweder Strafen eine wichtige Rolle. Anfang 1942 sollen jedoch selbst als besonders gewalttätig geltende Akteure wie Hauptmann Mehr und der als „Frankenstein“ bekannte Helmer noch Meldungen abgegeben haben. Die Regel, einen schriftlichen Bericht abzugeben,

470 Aussage Wilhelm Herholz vom 15.5.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-17401, Anlage 8), S. 2. 471 Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 165r). 472 Schreiben von Kurt Daluege an Heinrich Himmler vom 5.4.1936 (BA R 19 Nr. 395, Bl. 94). 473 Rede Himmlers auf der Tagung der Befehlshaber der Kriegsmarine in Weimar vom 16.12.1943 (AIFZ, RF-SS, MA 313 Nr. 1, Bl. 3210). In ähnlicher Form hieß es, „büro­ kratische Hemmungen“ dürften den Aufbau des „Warthegaus“ nicht bremsen. Vgl. Rundschreiben des Gauleiters Greiser an alle Parteidienststellen, Staatsdienstes und Landräte vom 4.12.1939 (BA R 75 Nr. 3b, Bl. 15). 474 Gerichtsakten betr.: Schießbefehl des SSPF Warschau, o. D. [vor Mai 1942] (AIFZ G 02.82 LG Hamburg Gerichtsakten, Bl. 34).

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auf dessen Basis überprüft wurde, „ob der Waffengebrauch berechtigt war“,475 soll auch von allen übrigen Mitgliedern der Dortmunder Polizeieinheit eingehalten worden sein. Es hieß: „Angegeben wurde in diesen Fällen stets, dass die erschossenen Ghettoinsassen bei einem Fluchtversuch erschossen worden seien.“476 Hierbei hätten jedoch alle Polizisten gewusst, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. „Später kam diese Gepflogenheit in Fortfall“, wie Wenzel meinte. „Nur in der ersten Zeit mussten in Warschau Schusswaffengebrauchsmeldungen abgegeben werden.“477 Entsprechend meinte auch Kleine, dass später „wohl keine besonderen schriftlichen Meldungen erstattet werden mussten“.478 Wie bald dies nach Ankunft des Bataillons 61 in Warschau der Fall war, zeigen zwei weitere Aussagen. So meinte Junker, der im März 1942 zur 1. Kompanie der Dortmunder Poli­zeieinheit kam: „Ich kann mich nicht erinnern, dass die Kompanieangehörigen ausdrücklich über den Gebrauch der Schusswaffe bei der Ghettowache belehrt worden sind.“479 Der einen Monat später zur gleichen Teil­einheit eingerückte Albert Grünheit führte aus, er „habe niemals etwas darüber gehört“,480 dass auf eine Waffennutzung eine Meldung folgen musste. Der Verzicht auf die Einhaltung von Regeln wurde dabei auch von den anderen Teileinheiten des Bataillons 61 praktiziert. Nicht zuletzt die hohen Todeszahlen von Ghettoinsassen aufgrund von Schussverletzungen belegen dies. Unter Beachtung dieser Tatsache erscheint auch die, eigentlich entlastend gemeinte Aussage, des Chefs der 3. Kompanie über den Umgang mit Waffen und deren Meldungen in seiner Einheit in einem anderen Licht. Er hielt fest, er habe nur „verhältnismäßig wenig Meldungen über den Gebrauch der Schusswaffe vorgelegt“ bekommen.481 Heuwinkel aus der 2. Kompanie meinte schließlich, ihm sei „als Wachhabenden niemals eine entsprechende Meldung erstattet oder eine Waffengebrauchsmeldung vorgelegt worden“.482 Völlig neu war dies aus Sicht der Funktionsträger des Bataillons 61 nicht. Aus früheren Einsätzen im „Warthegau“ war es den Polizisten offenbar schon als akzeptables Prozedere bekannt, dass nach einiger Zeit auf offizielle Meldungen verzichtet wurde. So gestand der BdO Posen seinen unterstellten ­Polizeiformationen

475 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 52r). Für Mehrs Meldungen vgl. ebd., Bl. 53r. 476 Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 127r). 477 Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 165r). 478 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 110r). 479 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (ebd., Bl. 216r). Junker meinte jedoch, vor seiner Ankunft in Warschau habe es noch Belehrungen gegeben, was er den Äußerungen seiner Kameraden entnommen haben will. 480 Aussage Albert Grünheit vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 167). 481 Aussage Hans Kärgel vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 28). 482 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 10). Ebenso für das Ausbleiben von Meldungen vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 25.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5863).

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Handlungsleitende Einflüsse

1939, unter ihnen auch das Bataillon 61, bei Durchsuchungen zu: „Zukünftig ist nur in besonderen Fällen oder bei besonders erwähnenswerten Ergebnissen Meldung zu erstatten.“ Dies erleichterte insbesondere die Tötungen in Form von standrechtlichen Erschießungen, da nun die „Erfolgsmeldungen […] nicht mehr vorzulegen“ waren.483 Ebenfalls erstatteten die Polizisten auch keinerlei Berichte bei inoffiziellen Gewalthandlungen aus eigenem Antrieb. Das Ignorieren bestehender Vorschriften war dabei offensichtlich schon 1939 so weit ausgeprägt, dass es vereinzelt sogar den Widerspruch verschiedener Stellen hervorrief. So bemängelte der BdO Posen: „Immer wieder werden in Lageberichten Meldungen über Erschießungen auf der Flucht […] erstattet, ohne dass der Name des Erschossenen, der Grund der Erschießung und vom wem die Erschießung vorgenommen wurde, angegeben ist.“484 Ebenso soll der schon geschilderte Fall des Niederbrennens des „Asozialenviertels“ in Leslau, bei dem auch dessen Bewohner erschossen wurden, „weite Wellen“485 geschlagen und auch innerhalb des Bataillons 61 zu Kritik geführt haben. Die in Warschau auf Drängen von Mehr bewilligte Exekution von 110 Personen wurde durch den Ia des Warschauer KdO angeblich als „eine ganz große Schweinerei“ eingeschätzt, da man bei den angeführten Gründen überhaupt nicht hätte prüfen können, ob diese zutrafen oder ob einfach Regeln übertreten wurden. Der Offizier will gegenüber Oberstleutnant Petsch noch vorgeschlagen haben, eine Untersuchung über die Vorgänge an höherer Stelle zu verlangen. Der KdO soll aber nur geantwortet haben, dass „hätte gar keinen Zweck“.486 Schon gegenüber der Vorgängereinheit des Bataillons 61 als Ghetto­wache hatte Petsch versucht, die Umstände illegalen Waffengebrauchs aufzuklären. Der Bataillonskommandeur der betreffenden Einheit hatte ihm jedoch schriftlich geantwortet: „Ich bedaure außerordentlich, aus weltanschaulichen Erwägungen heraus zum gegebenen Zeitpunkt Ihrer Bitte um Vernehmung der Wachtmeister Wolf, Gother und Trumpe nicht Rechnung tragen zu können.“487 Einen solch laxen Umgang mit Schusswaffenregeln und Meldungen sowie den Schutz von eigentlich rechtsbrüchigen Akteuren förderte generell auch die Rechtsauslegung, wie sie das NS-Regime für die Polizei präsentierte. Schon vor Kriegsbeginn hieß es über grundlegende Prinzipien polizeilicher Disziplin: 483 Tagesanordnung des BdO Posen vom 13.12.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). 484 Aussage Tagesanordnung des BdO Posen vom 2.2.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 69). 485 Zusammenfassung des Ermittlungsstands durch KK Löblein vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 196). Für die angebliche einheitsinterne Kritik durch Nord vgl. Aussage August Kreulich vom 15.5.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-17401, Anlage 8), S. 1r. Für das Ausbleiben der Meldungen insbesondere in Leslau vgl. Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 44). Beim Einsatz der Dortmunder Polizeieinheit in Russland gab es dann bei der Nutzung der Schusswaffe, auch durch die veränderte Einsatzform, gar keine Schusswaffenmeldungen mehr. 486 Aussage Richard von Coelln vom 3.8.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 50, Bl. 22993). 487 Schreiben von Major Karl Deckert an den KdO Warschau Joachim Petsch vom 29.11.1941 (BA R 9355 ZB I 970 A.12, Bl. 398).

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„Im Gemeinschaftsdienst ist die Disziplin bei der Polizei unerbittlich genau, im Einzeldienst gilt die Vorschrift, aber ein gewisses persönliches Gestalten ist möglich.“488 An anderer Stelle hieß es, Polizisten müssten lernen, „alle die gesetzlichen Bestimmungen […] nicht kleinlich und schikanös anzuwenden“.489 Während solche Feststellungen nur allgemein ein Dehnen von Regeln anrieten, wurde in anderen Ausführungen klar deutlich gemacht, wie sich das NS-Regime und insbesondere dessen Polizeiführung zu Normen positionierten. Himmler etwa meinte, die Befugnisse der Polizei dürften nicht „durch formale Schranken gehemmt werden, weil diese Schranken sonst auch den Amtsträgern der Staatsführung entgegenstünden“.490 Entsprechend könne die Polizei „nur nach Befehlen der Führung und nicht nach Gesetzen tätig werden. Wie der Wehrmacht werden der Polizei durch die Befehle der Führung und durch die eigene Disziplin die Schranken des Handelns bestimmt.“ Hierdurch sei die Poli­ zei für den staatlichen Willen „Vollstrecker und Ordner“.491 Der maßgebliche Polizeirechtstheoretiker des NS-Regimes, Best, führte aus, dass die Aufgabe der Polizei eine „vorbeugende Abwehr aller das Volk und den Staat gefährdenden Bestrebungen“ sei. Hierzu dürfe man sich nicht zu sehr an Gesetze binden. Die Polizei habe auch „in unmittelbarer normenfreier Anwendung der Staatsgewalt alle hierfür erforderlichen Maßnahmen zu treffen“.492 Dabei muss klar sein, dass es sich nicht um eine allgemeine Regellosigkeit handeln sollte. Dies wird insbesondere bei den juristischen Ausführungen von Theodor Maunz klar. Er meinte, dass die „Aufgaben der Polizei von irgendwoher bestimmt sein müssen“. Jedoch verlagerte man gedanklich die ­Deutungshoheit über Regeln und Vorschriften der Polizei weg von einem demokratischen Prozess hin zum Willen der NS-Führung als direktem Vertreter der „Volksgemeinschaft“. Maunz formulierte: „Zwischen der Scylla des nur gesetzesförmigen Systems und der Charybdis des absolutistischen Polizeisystems gibt es aber eine Durchfahrt. Es ist die Gründung des polizeilichen Wirkens auf den Willen der im Rahmen der völkischen Ordnung handelnden Reichsführung.“493 Etwa das Polizeiverwaltungsgesetz, das formell weiterhin bestand, sollte entsprechend auf Basis von „Willensäußerungen der Regierung (Erlasse) und der sonstigen Führer“494 ausgelegt werden.

488 F. U. B., Disziplin (1933), S. 175. 489 Stellung und Aufgaben der Polizei im Dritten Reich, von Gen.Lt. Kurt Daluege, Vortrag vor einem Schulungs-Lehrgang deutscher Polizeibeamten vom 18.10.1935 (BA R 19 Nr. 379, Bl. 15). 490 Heinrich Himmler, Aufgaben und Aufbau der Polizei im Dritten Reich. In: Pfundtner (Hg.), Dr. Wilhelm Frick und sein Ministerium, S. 125–130, hier 128. 491 Ebd., S. 129. 492 Werner Best, Die Erneuerung des Polizeirechts. In: Kriminalistische Monatshefte, 12 (1938) 5, S. 26–29, hier 28. 493 Maunz, Gestalt (1943), S. 26. 494 Scheer/Bartsch, Das Polizeibeamtengesetz. Wesen und Rechtsgrundlage der Polizei im Dritten Reich. Ein Leitfaden, Berlin 1938, S. 13.

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Handlungsgrenzen für Polizisten sollten nur dort bestehen, wo der „Volksgemeinschaft“ potenziell Schaden entstehen konnte. So sei mehr als jede offi­zielle Regel relevant, dass das „Handeln der Polizei dem Leben des Volkes gerecht“ werde. Lediglich „dem im Volke herrschenden Rechtsempfinden“495 sei unbedingt zu folgen. Zweck des Rechts sollte „allein die Erhaltung und Entfaltung des Volkes“ sein. „Soweit dies nicht der Fall ist, müssen andere Mittel statt der Rechtsnormen angewandt werden.“496 Dieses, schon grundlegend von Ernst Fraenkel für das gesamte NS-Regime beschriebene, parallele Bestehen eines Norm- und Maßnahmenstaats im Bereich der Polizei erleichterte auch die weiterführende Regelerosion.497 In mindestens einem, wahrscheinlich aber auch mehreren Fällen wurde durch Hauptmann Mehr und seine Kompanie eine Massenexekution als vermeintliche Vergeltungsaktion gegen Ghettoinsassen durchgeführt. Roschkowski erinnerte sich zu einer solchen: „Die Erschießung ist […] auf Anordnung von Hauptmann Mehr durchgeführt worden, ehe eine Genehmigung von höherer Dienststelle vorlag.“498 Kreulich meinte darüber hinaus, der Kompaniechef habe sich „keineswegs an den Dienstweg gehalten, hat also nicht etwa eine Meldung an den Bataillonskommandeur vorgelegt, sondern er wandte sich nur an zivile Parteistellen, zu denen er sehr gute und sehr weitreichende Verbindungen besaß. Auf diese Weise ist es ihm dann gelungen, die Erlaubnis zu den Erschießungen zu bekommen.“499 Auch Oestreich meinte, dass „der Hauptmann der Schutzpolizei Mehr ohne Wissen des Bataillonskommandeurs mit dem SD eine Aktion vereinbart gehabt habe“.500 Dass für diese Exekution geltende Regeln im noch stärkeren Maße als zuvor ignoriert wurden, zeigt sich auch an weiteren Einzelheiten der Tötungsaktion. So meinte Tiemann, er glaube „nicht, dass die Ghetto-Insassen, die bei der Exekution erschossen [wurden], durch ein ordentliches oder außerordentliches Ge-

495 Ebd., S. 10. 496 Best, Erneuerung (1938), S. 27. 497 Grundlegend für das Nebeneinander von Norm- und Maßnahmenstaat vgl. Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat, 2. Auflage, Hamburg 2001; Wildt, Generation, S. 210 f. Sehr klar formulierte Best diese Parallelität im Bereich der Polizei auch schon im Jahr 1938. Vgl. Best, Erneuerung (1938), S. 28. Dort heißt es, dass „der Polizei für die Erfüllung derjenigen Aufgaben, die nicht nach festen Normen bewältigt werden könne, die Vollmacht erteilt werden muss, die zur Sicherung des Volkes und Staates erforderlichen Maßnahmen nach eigener Erkenntnis und in eigener Verantwortung zu treffen.“ 498 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 121r). Für den Verweis auf externe Stellen, mit denen die Exekution ausgehandelt worden sei, was erst eine nachträgliche Bewilligung plausibel erscheinen lässt, vgl. Aussage Otto Kopitzki vom 5.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5845); Aussage Heinrich Marach vom 29.3.1962 (ebd., Bl. 5815); Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 214r); Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (ebd., Bl. 200). Zu den Exekutionen siehe Kapitel IV.3. 499 Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5828). 500 Aussage August Oestreich vom 9.8.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 178). Ebenso vgl. Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5828).

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richt wegen irgendwelcher Straftaten abgeurteilt“ waren.501 Delisch führte aus, dass „vor der Exekution keine Todesurteile verlesen worden sind“.502 Auch deutet auf den informellen Charakter der Tötungen hin, dass die Erschießung nicht an dem dafür üblichen Ort durchgeführt wurde. Szymon Huberband beschrieb 1942, dass offizielle Exekutionen im Innenhof des jüdischen Gefängnisses in der Gęsia-Straße 24 stattgefunden hätten. Stattdessen holte Mehr für die von ihm angestrebte Exekution hier zwar die zukünftigen Opfer ab, die eigentliche Tötung wurde jedoch in einem abgelegenen Gebiet außerhalb von Warschau durchgeführt.503 Hierdurch war der Regelbruch weniger offensichtlich, hatte doch Generalgouverneur Frank gegenüber der Polizei schon 1940 verlauten lassen: „Jede standrechtliche Erschießung ohne meine Genehmigung werde ich ahnden wie einen Mord.“504 Ebenso soll Daluege als Chef der gesamten Ordnungspolizei in einem mündlichen Befehl die Teilnahme an Erschießungen, die nicht Folge eines Standgerichtsprozesses waren, explizit verboten haben. Entsprechend wurde die Aktion 1942 offenbar bewusst nicht dokumentiert. Der SSPF Warschau erklärte: „Wenn Erschießungsaktionen von Bewohnern des Ghettos durchgeführt worden sind, so muss das in den Tagesberichten gestanden haben, die mir zu erstatten waren. Eine Erinnerung an solche Aktionen habe ich nicht, auch nachdem mir Einzelheiten insoweit vorgehalten worden sind.“505 Ein Tagesbericht war zumindest nicht in schriftlicher Form erfolgt. Die bereitwillige Übertretung bestehender Regeln und Gesetze von Angehörigen des Bataillons 61 wurde darüber hinaus auch durch die kolonial anmutenden Machtverhältnisse im besetzten Osteuropa gefördert. Gerade für Polizisten in Mannschaftsdienstgraden, die im Reich weder in ihrem zivilen noch militärischen Leben weitreichende Entscheidungskompetenzen innehatten, bestand im auswärtigen Einsatz eine umfassende, teilweise sogar absolute Macht über Leben und Tod. Diese scheint schlicht einen „morbiden Reiz“506 für die ­Polizisten

501 Aussage Erich Tiemann vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 17r). 502 Aussage Hans Delisch vom 27.3.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5805). 503 Siehe Kapitel IV.3. Für Huberbands Bericht vgl. Szymon Huberband Studie „Ghetto und Exekutionen“ nach 12.1941 [und vor dem 18.8.1942] (AŻIH ARG I Nr. 583). Hier zit. nach der englischen Version in: Huberband, Kiddush Hashem (1987), S. 155. 504 Schreiben des KdO Lublin an Daluege betr.: Polizei, SS und Verwaltung vom 5.3.1940 (BA R 19 Nr. 405, Bl. 14). 505 Aussage Arpand Wigand vom 18.6.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 151). Wigand war von Herbst 1941 bis Mitte 1942 SSPF in Warschau und wurde dann durch Ferdinand von Sammern-Frankenegg abgelöst. Für das mündliche Verbot durch Daluege vgl. Aussage Herbert Paul Becker vom 23.10.1961 (StAHH 213-12-70 Nr. 8, Bl. 3704). 506 Wehler, Nationalsozialismus, S. 230. Zu Problematik ungewohnter Machtfülle am Beispiel von rückwärtigen Wehrmachtseinheiten vgl. Christian Hartmann, Verbrecherischer Krieg – verbrecherische Wehrmacht? Überlegungen zur Struktur des deutschen Ostheeres. In: Ders./Johannes Hürter/Peter Lieb/Dieter Pohl (Hg.), Der deutsche Krieg im Osten. 1941–1944. Facetten einer Grenzüberschreitung, München 2009, S. 3–72, hier 63 f.

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besessen zu haben. Selbst nach dem Krieg gaben Angehörige der Einheit noch ihre Meinung zu Protokoll, Polizisten seien in Osteuropa die „Herren im Lande“ gewesen.507 Auch vonseiten polnischer Zeugen ist überliefert, dass sich solche deutschen Akteure beim Ausüben von Gewalt als „Herren der Situation“508 bezeichnet hätten. Helmer soll schließlich beispielsweise einen Insassen des Warschauer Ghettos erschossen haben, da dieser „frech geworden“ sei.509 Selbst wenn der im Ghetto als „Frankenstein“ bekannte Bataillonsangehörige hierbei wieder einen Extremfall darstellte, wurden doch auch die übrigen Polizisten in einer ähnlichen Grundhaltung von ihren Vorgesetzten bestärkt. So berichtete man beispielsweise über Mehr, dass dieser 1942 dazu aufgefordert habe, „den Ghetto­ insassen zu zeigen, wer ihr Herr wäre“. In ähnlicher Form soll auch der dem Hauptmann unterstellte Spieß geäußert haben, die Ghettowachen „sollten nicht zimperlich mit den Gesellen aus dem Ghetto sein“.510 Damit lagen die Vorgesetzten auf der Linie des NS-Regimes. So erinnerte der im Jahr 1939/40 dem Bataillon 61 übergeordnete BdO Posen: „Der Reichsführer-­ SS und Chef der deutschen Polizei hat uns bei seinem Besuche die Weisung gegeben: ‚vergesst keinen Augenblick, dass Ihr die Repräsentanten deutschen, germanischen Herrentums sein müsst.‘“511 Entsprechend verlangte der Befehlshaber, dass man bei jeder Gelegenheit Dominanz zeigen solle. Allgemein forderte auch der politische Informationsdienst der Ordnungspolizei, dass „Macht haben“ heißen müsse, „Räume beherrschen, Räume besiedeln und die anderen Völker in irgendeiner Form führen und ihnen Richtung geben“.512 Ebenso verlangten auch Zusatzrichtlinien für die weltanschauliche Schulung von jedem Polizisten: „Kraft seines rassisch besseren Volkstums hat er das im eroberten Land rassisch mindere Volkstum zu führen.“ Dabei gelte ferner, dass das „zum Teil sogar asiatisch bestimmte Polenvolk […] niemals jemand als Herren auserkennen [werde], der niedere oder nicht für einen Herren geartete Arbeit“ verrichte oder sich nicht hart genug zeige. Dabei schränkte man zwar offiziell ein, deutsche Männer dürften nie „aus Lust an der Gewalt und der Willkür heraus“ handeln. Jedoch schloss sich zugleich, quasi als Brücke in die Gewalt die Bemerkung an, man müsse „allerdings, wenn das Wohl des eigenen Volkes erheischt, auch stahlhart handeln“.513 Der Dienst für die „Volksgemein507 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 18. 508 Bericht des Sicherheitsamts in Gniezno vom 25.6.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 163). 509 Aussage Franz Schulte vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 117r). 510 Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 124r). 511 Tagesanordnung des BdO Posen vom 29.10.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). 512 O. V., Reich (1940), unpag. Für die Forderung, Dominanz durch Paraden und Märsche zu demonstrieren, vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 29.10.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 3). 513 Zusatzrichtlinien für die Durchführung der weltanschaulichen Erziehung der Ordnungspolizei während der Kriegszeit im Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete vom 25.6.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 11).

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schaft“ war dabei aufs Engste mit der schon ausgeführten Rechtsauslegung im Nationalsozialismus verwoben. Nicht „der Schutz des Einzelnen, sondern der Schutz des Volkes und seiner Führungs- und Gemeinschaftsordnung“514 sollten an oberster Stelle stehen. In Osteuropa wurde dies mit der seit den 1920er-Jahren politisierten Idee vom deutschen „Volk ohne Raum“515 sowie kolonialen und revanchistischen Argumentationsstrategien verwoben. Es hieß: „Wenn man historisch einen Besitzanspruch auf den Osten begründen will, so ist hier in erster Linie der Anspruch der germanischen Völker gegeben, die heute im Grunde genommen nur in die Gebiete wieder einrücken, die sie einstmals besessen haben.“516 Dabei gehe es, wie an anderer Stelle festgehalten wurde, um nicht weniger als „die biologische und kulturelle Zukunft“517 des deutschen Volks. Ebenso hieß es, der Krieg entscheide, „ob dem deutschen Volk für die Zukunft die Sorgen um seine Rohstoffe und seine Ernährungsgrundlage genommen werden, oder – ob das deutsche Volk untergeht“.518 Kurzum brauche ein wachsendes „Volk auch ein wachsendes Reich“.519 Entsprechend vermittelte man den Angehörigen der Polizei, man müsse sich mit „kolonialen Gedanken“ beschäftigen.520 Des Weiteren hieß es: „Der Osten ruft“521 und es wurde ­argumentierte, dass durch dessen Eroberung nun andere Kolonien überflüssig seien. Osteuropa stellte dabei aber für die Vertreter des NS-Regimes gedanklich keinen leeren Raum dar, wie es Kolonialgebiete üblicherweise waren. Vielmehr betrachtete man das eroberte Gebiet als zu leerende Räume. Es ging nicht um das „Zivilisieren“ oder „Eindeutschen“ der Bevölkerung, sondern zumindest um das Entfernen von als störend empfundenen Elementen, um dann den „dadurch freigewordenen Grund und Boden den eigenen Volksgenossen zu überweisen“.522 Für die Ordnungspolizei hieß es entsprechend: „Unsere 514 Best, Erneuerung (1938), S. 27. 515 Hans Grimm, Volk ohne Raum, München 1926. 516 O. V., Sicherung Europas. Schriftenreihe für die Weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei, (1943) 1/3, S. 14. 517 O. V. Krieg und Kultur. In: Mitteilungsblätter für die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei Gruppe A 4 vom 10.10.1943 Folge 72, unpag. 518 Schnellbrief betr.: Mundpropaganda in der Ordnungspolizei vom 20.3.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 14, unpag.). 519 O. V., Dieser Krieg ist ein weltanschaulicher Krieg. Schriftenreihe für die Weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei, (1942) 1, S. 40. 520 Ansprache Dalueges zur Eröffnung der Kolonial-Polizeischule vom 28.4.1941 (BA R 19 Nr. 382, Bl. 2). Ebenso vgl. Liste der Wintervorträge der Polizei-Offiziersschule 1938/1939, o. D. (BA R 19 Nr. 461, Bl. 21). Die Auflistung vermerkt für den 9.1.1939 das Thema: „Nationalsozialismus und Kolonialfrage“ sowie für den 13.2.1939 das Thema: „Kolonien, eine Lebensfrage für die deutsche Wirtschaft (m. [mit] Lichtbildern)“. 521 O. V., Der Osten ruft. In: Mitteilungsblätter für die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei Gruppe A 4, vom 10.1.1943, Folge 54, unpag. 522 Adolf Hitler, Hitlers zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928, eingeleitet und kommentiert von Gerhard Weinberg, Stuttgart 1961, S. 55. Vgl. auch Michael Wildt, „Eine neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse“. Hitlers Reichstagsrede vom 6. Oktober 1939. In: Zeithistorische Forschungen, 3 (2006) 1, S. 129–137, hier 131; Mi­ echselwirkungen chael Schwartz, Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne. Globale W

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Aufgabe ist es, den Osten nicht im alten Sinne zu germanisieren, d. h., den dort wohnenden Menschen deutsche Sprache und deutsche Gesetze beizubringen, sondern dafür zu sorgen, dass im Osten nur Menschen wirklich deutschen Blutes wohnen.“523 Eben mit der praktischen Umsetzung dieser Politik war auch das Bataillon 61 befasst. Obwohl dabei geradezu gebetsmühlenartig der Mythos einer Polizei als Recht und Ordnung schaffender Kraft bei der „Neuordnung Europas“524 proklamiert wurde, ist unverkennbar, dass sich gerade Polizisten des Bataillons 61 kaum an die vermeintlich von ihnen zu schaffende Ordnung hielten. Für sie stellte Osteuropa, quasi analog zur Idee eines „Wilden Westen“, den man aus dem Spiel „Trapper und Indianer“525 zu kennen glaubte, einen rechtlich weitgehend unreguliertes Gebiet dar. Im „Wilden Osten“ herrschte vor allem das Recht des Stärkeren. Der alltägliche Kontakt der Polizisten zur lokalen Bevölkerung war entsprechend meist von Demütigungen und Gewalt geprägt. Ein solches Verhalten hätte gegenüber Mitgliedern der „Volksgemeinschaft“ im Heimatgebiet mit Sicherheit Strafen nach sich gezogen. So war Polizisten vorgeschrieben, sich so zu verhalten, dass „der Volksgenosse, der mit der Polizei irgendwie in Berührung kommt, die Überzeugung mitnimmt, angemessen behandelt zu sein“.526 Dazu passend erinnerte man sich, dass beispielsweise Bayer, als er 1942 zurück ins Reichsgebiet versetzt wurde, „in seiner Eigenschaft als Polizeibeamter einen Zusammenstoß mit einem Zivilisten hatte“. Dieser Vorfall habe dann „ein disziplinares Nachspiel“527 für den Ordnungshüter gehabt.

nationalistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, München 2013, S. 164. Grundlegend vgl. auch Ulrike Jureit, Das Ordnen von Räumen. Territorium und Lebensraum im 19. und 20. Jahrhundert, Hamburg 2012. Insbesondere in Bezug auf das Bataillon 61 vgl. Issinger, Männlichkeit. Für den durchaus umstrittenen Ansatz, die deutsche Expansion im Zweiten Weltkrieg als Kolonialherrschaft aufzufassen vgl. Jürgen Zimmerer, Von Windhuk nach Auschwitz? Beiträge zum Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust, Münster 2011, S. 288. Für den Vergleich verschiedener Schauplätze der NS-Volkstumspolitik vgl. Alexa Stiller, Völkische Politik. Praktiken der Exklusion und Inklusion in polnischen, französischen und slowenischen Annexionsgebieten 1939–1945, Göttingen 2019. 523 O. V., Sicherung (1943), S. 86. Für die Ablehnung des klassischen Kolonialismus im Nationalsozialismus vgl. o. V., Deutschland ordnet Europa neu! Schriftenreihe für die Weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei, (1942) 4, S. 13. 524 Ebd., S. 26. Exemplarisch zum Topos der Ordnung schaffenden deutschen Polizei vgl. Herbert Pilz, In Polen wird aufgeräumt. In: Die Deutsche Polizei, 8 (1940) 1, S. 4–6; Albert, Unser Kampf gegen das Chaos. In: Die Deutsche Polizei, 9 (1941) 3, S. 38–41. 525 O. V., Osten (1943), unpag. Für den Vergleich der deutschen Vorgehensweise in Osteuropa mit derjenigen im amerikanischen Westen während der Indianerkriege vgl. Westermann, Ostkrieg. Konkret für die empfundene Loslösung von Regeln im Ostkrieg vgl. Böhler, Auftakt, S. 164 und 197. 526 Rohne, Gedanken (1936), S. 3. Ebenso für die geforderte Freundlichkeit gegenüber „Volksgenossen“ vgl. Friedrich Bensen, Polizei und Publikum. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 2 (1934) 3, S. 86 f. 527 Aussage Walter Nitschke vom 23.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 231).

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In einem anderen Zusammenhang erinnerte sich ein Offizier des Bataillons 61 folgendermaßen: „Mir ist auch ein Fall aus der damaligen Zeit bekannt, wo ein Angehöriger der II. Kompanie in Dortmund wegen eines mir nicht mehr erinnerlichen Vergehens durch ein SS- und Polizeigericht verurteilt worden ist und Frontbewährung erhalten hat.“528 Ebenso hält auch schon 1940 eine Beurteilung in der Personalakte des Bataillonskommandeurs Dederky fest: „Nach Einrücken in den Standort Recklinghausen trat zunächst eine verständliche Reaktion im außerdienstlichen Benehmen ein. Das Bataillon musste von mir mehrfach ermahnt werden, die im Kriege notwendige Zurückhaltung im Benehmen in der Öffentlichkeit zu wahren.“529 Auch ganz allgemein hielt man in der Polizei fest, dass es immer wieder vorkäme, dass „Angehörige der Polizei den Volksgenossen gegenüber nicht den richtigen Ton finden“. Deswegen sollten die Polizisten umgehend belehrt werden, da ein solches Fehlverhalten dazu beitrage, „den geschlossenen Abwehrwillen des deutschen Volkes zu erschüttern“.530 Ganz anders prägte sich der Umgang mit Verhaltensregeln bzw. der Glaube, diese einhalten zu müssen, im „Wilden Osten“ aus. Zwar stützte man sich durchaus auch auf offizielle Vorgaben, diese wurden aber von den Akteuren im Bataillon 61 selbstständig weiter radikalisiert oder auch direkt übertreten. So hielt der Reichsstatthalter im „Warthegau“ beispielsweise fest: „Ich halte es für erforderlich, darauf hinzuweisen, dass für die polizeiliche Behandlung der Polen, auch wenn es sich nur um reine Ordnungswidrigkeiten handelt, schärfere und strengere Maßstäbe anzulegen sind, als sie bei der Behandlung polizeilicher Maßnahmen gegenüber Deutschen üblich sind.“531 Im alltäglichen Dienst trug dies etwa dazu bei, dass 1942 ein Polizist einfach der Frau des Direktors der Warschauer „Bank Polski“ ins Gesicht schlug, als diese sich nicht umgehend ausweisen konnte. Ihr Ehemann erkannte relativ klar, worin dies begründet lag, wenn er formulierte, sie seien „ja nur Polen“.532 Auch verhielten sich beispielsweise Mitglieder der 1. Kompanie des Bataillons 61 gegenüber polnischen Wachleuten aggressiv und unverschämt und wurden darin von ihrem Kompaniechef bestätigt und geschützt.533 Dass es eine Rechtspraxis für Osteuropäer und eine weitere für „Volksgenossen“ gab, machen zwei weitere Vorgaben deutlich. In diesen wird beschrieben, wie sich Polizisten zu verhalten hätten. So hieß es, es sei „abwegig, Volksdeutsche bei kleineren Verstößen zu bestrafen“.534 An anderer Stelle war festgelegt, 528 Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 82). 529 Polizeipersonalakte Friedrich Dederky Nr. 1 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 149, Bl. 144). 530 Erlass des Chefs der Ordnungspolizei vom 7.10.1939 (NLA HA 122a Nr. 2630, Bl. 422). 531 Anweisung des Reichstatthalters im Warthegau vom 23.8.1941 (AIFZ, Dok., MA 708 Nr. 2, Bl. 772). 532 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 14. 533 Vgl. Schreiben der 1. Kompanie/61 vom 29.1.1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2283, Bl. 272). 534 Kommandeursbesprechung am 15.1.1940 beim Befehlshaber der Ordnungspolizei ­Posen (BA R 70 Polen Nr. 201, Bl. 9).

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Handlungsleitende Einflüsse

man solle gegenüber „Volksgenossen“ „bei Belehrungen, Auskünften, Anhörungen und dergleichen höflich und zuvorkommend“ sein. Insbesondere eine Person, die „einer Übertretung schuldig oder gar nur verdächtig ist“, sollte man „nicht gleich wie einen Verbrecher“ behandeln.535 Im Bataillon 61 galt dazu passend, dass man sich im Prinzip nur an Verhaltensregeln gegenüber Mitgliedern der „Volksgemeinschaft“ zu halten brauchte. Nur bei Fehlverhalten gegenüber diesen drohten Sanktionen. Die Verhaltensweisen gegenüber allen übrigen Personen, mit denen die Polizisten in Osteuropa in Kontakt kamen, waren hingegen unreguliert. Durch das zusätzliche Umgehen, Ignorieren und Unterhöhlen offiziell bestehender Regeln schufen Männer wie Hauptmann Mehr Angebote zur straffreien Gewaltausübung. Nicht nur in Warschau war es üblich und geradezu ein „ungeschriebenes Gesetz“,536 dass Regeln nicht eingehalten werden brauchten, wenn Polizisten Gewalt im Sinne von Vorgesetzten ausüben wollten. Zwang bestand hingegen nicht. Über den Waffengebrauch am Ghetto hieß es entsprechend: „Es lag […] natürlich an dem Einzelnen selbst, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch machte, oder aber die entsprechenden Juden nur verjagte.“537 Letztlich hätte jeder nach der eigenen „Einstellung und persönlichen Veranlagung Gebrauch“ von der Waffe gemacht. Gewalt war „jedem Wachangehörigen in freies Ermessen gestellt worden“.538 5.

Die Risse in der Gemeinschaft, Sanktionen und die psychische Belastung

Betrachtet man das Bataillon 61 oberflächlich, so könnte man schnell zu dem Schluss kommen, dass es sich bei der Einheit um eine verschworene und gleichgesinnte Gemeinschaft handelte. Tatsächlich wies der Zusammenhalt des Verbands aber unter seiner funktionalen Fassade erhebliche Risse auf. In der Poli­ zeieinheit warf der verheißungsvolle „schöne Schein des Dritten Reiches“539

535 Rohne, Gedanken (1936), S. 3. 536 Aussage Heinrich Wenzel vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 165). Für das nicht genaue Befolgen von Regeln vgl. Aussage Wilhelm Rung vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 124r); Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 127). 537 Aussage Heinrich Lorey vom 25.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5863). Für die Freiwilligkeit des Schusswaffengebrauchs, mit der Behauptung selbst keine Gewalt ausgeübt zu haben, vgl. Aussage Michael Janczak vom 2.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 11, Bl. 4781); Aussage Michael Janczak vom 28.3.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 40, Bl. 18087). 538 Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 107). 539 Peter Reichel, Der schöne Schein des Dritten Reiches. Gewalt und Faszination des deutschen Faschismus, Hamburg 2006. Zum Image der polizeilichen Einheit als kleine „Volksgemeinschaft“ vgl. das kommunizierte Bild im von Leutnant Willy Lipp verfassten Marschlied „Es steht die Kompanie“ in: o. V., Neue Marschlieder für die Polizei. Folge vier. In: Die Deutsche Polizei, 8 (1940) 18, S. 300.

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einen erheblichen Schatten, der sich daran erkennen lässt, wie zum einen Vorgesetzte mit Untergebenen umgingen und wie sich die Mannschaften gegenseitig behandelten. So schilderten verschiedene Bataillonsangehörige, man sei „ständig schikaniert“540 worden, was manch einen „seelisch völlig zermartert“ habe.541 Auch wenn dies ein Stück weit Schutzbehauptungen der Nachkriegszeit waren, so sind sie nicht gänzlich unbegründet. Der informell in der Militäreinheit ausgeübte Druck führte sicher dazu, dass manche Männer „unter den ganzen Verhältnissen seelisch stark“ litten.542 Insbesondere sei in der 1942 durch den radikalen Nationalsozialisten Mehr geführten 1. Kompanie starker mentaler Druck auf die Polizisten ausgeübt worden. Über den dafür mitverantwortlichen Spieß Brunst wurde ausgesagt, dass man ihn in der Einheit als in „jeder Hinsicht unkameradschaftlich“543 angesehen habe. Das Unterdrucksetzen von Polizisten wurde jedoch keinesfalls nur durch Funktionsträger der 1. Kompanie praktiziert. Auch in der 2. Kompanie, die von dem oberflächlich betrachtet gemäßigteren Hauptmann Wannemacher geführt wurde, soll ein unerbittlicher Kasernenhofton geherrscht haben. Nahlmann hielt fest: „In diesem Tone ging es in der Kompanie zu. Kameradschaft gab es da nicht. In der zweiten Kompanie hörte der Mensch auf.“544 Insbesondere habe es dabei Bataillonsmitglieder gegeben, die zum dauerhaften Ziel sozialer Sanktionierung wurden.545 Eine besonders markante Bruchlinie im Zusammenhalt der Polizeieinheit soll zwischen den Berufspolizisten und den aufgrund der Notdienstverordnung verpflichteten Polizeireservisten bestanden haben. Schon während der notdürftigen Ausbildung der Letzteren zeigte sich die angeblich geeinte ­„Volksgemeinschaft“ von ihrer wenig egalitären Seite. Die Männer „wurden immer mehr zu Polizisten ‚gemacht‘“, wobei sie sich aber eben nicht wirklich als akzeptierter Teil der Organisation Polizei gefühlt haben wollen. Ursächlich war dabei sicherlich der deutliche Klassenunterschied zwischen den verschiedenen Bataillonsangehörigen, der mit der Idee einer kameradschaftlichen Gemeinschaft wenig gemein hatte. Insbesondere wurde von den Reservisten negativ aufgenommen, dass ihnen anfänglich nur alte blaue Polizeiuniformen zur Verfügung standen, während die Berufspolizisten bereits neue grüne Uniformen trugen. Nahlmann urteilte, es habe entsprechend zwischen beiden Gruppen „immer eine Kluft“

540 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 40). 541 Aussage Anton Lange vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 41). 542 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (ebd., Bl. 151r). 543 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 38r). 544 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 14. 545 Vgl. etwa Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 59r). Insbesondere seien die Polizisten Kreulich, Sippel und Kleine ausgegrenzt worden.

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bestanden. Die Blauuniformierten seien „sozusagen als Menschen 2. Klasse betrachtet“ worden.546 Dies habe nicht nur innerhalb der Einheit selbst gegolten. An der „blauen Uniform erkannte die Bevölkerung sofort den Hilfspolizisten und hatte eben keinen Respekt davor“.547 Dieser sichtbare Standesunterschied war den aktiven Polizisten offensichtlich wichtig, weswegen es zahlreiche von ihnen argwöhnisch aufnahmen, als auch die Reservisten mit grünen Uniformen ausgestattet wurden. Von da an konnten sie „nicht mehr so recht unterscheiden, wer Reservist und wer Aktiver war“.548 Nicht nur im Ansehen, auch in der Durchführung von Dienstaufgaben bei den späteren Einsätzen in Osteuropa blieben die Aktiven bevorzugt. So brachte ein Zeuge über einen Berufspolizisten zum Ausdruck, dass dieser eben wegen seines Status als aktiver Beamter nicht zu den bei Wind und Wetter bemannten Wachposten am Ghetto eingeteilt wurde. Entsprechend hätten sich Reservisten mit den dienstlich und gesellschaftlich privilegierten aktiven Polizisten, die sich von den Notdienstpflichtigen bewusst abgrenzten, „nicht anfreunden“ können. Nahlmann urteilte über die den ganzen Krieg andauernde Kluft zwischen Berufspolizisten und Notdienstverpflichteten: Der „Aktive war der Herr, der Polizei-Reservist war der Knecht.“549 Obwohl durch das NS-Regime durchaus die Option geboten wurde, als Reservist zum aktiven Polizeidienst überzutreten, blieb die „Herkunft“ solcher Akteure aus dem Reservistenstatus ein Manko. Andere Berufspolizisten und Unterführer akzeptierten nur schwerlich Emporkömmlinge in ihren Reihen. Für „voll wurden diese Leute nicht genommen: Es waren eben nur Neuaktive.“ Entsprechend sei der Erfolg der Anwerbung von Reservisten zum dauerhaften Verbleib in der Polizei „sehr mäßig“550 gewesen, da diese keine Dienststellung wollten, in der sie durch ihre Kollegen abgelehnt wurden. Das Verhalten der Berufspolizisten gegenüber ihren notdienstverpflichteten Kameraden ist bemerkenswert, da die aktiven Polizisten selbst innerhalb des NS-Regimes wenig angesehen waren. So wurden beispielsweise die 1942 in das SS-Ausbildungslager Trawniki abgestellten Unterführer des Bataillons 61 ebenfalls von den dortigen SS-Männern nicht als Kameraden betrachtet. Fietz hielt über seinen dortigen Dienst rückblickend fest: „Wir Polizisten galten in Trawniki bei den SS-Leuten nicht voll.“551 546 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 3. Vgl. auch das Foto Nr. 131 mit der Aufschrift „Kolpinghaus, Dortmund Silberstraße, Vereidigung 1941“ in: LAV NRW, W, K 702a. Auf diesem ist zu sehen, dass die Reservisten noch die „alte“ blaue Uniform tragen, während ihre Ausbilder in der „neuen“ grünen Uniform gekleidet sind. 547 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 4. 548 Ebd., S. 8. 549 Ebd., S. 3. Exemplarisch für die Freistellung eines aktiven Polizisten vom Wachdienst vgl. Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 180r). 550 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 3. Dafür, dass Reservisten nicht als vollwertige Polizisten akzeptiert wurden vgl. ebd., S. 7. 551 Aussage Friedrich Fietz vom 4.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 11, Bl. 4790).

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Für die im gesamten NS-System nicht als Elite angesehenen aktiven Ordnungspolizisten stellte es also einen angenehmen Zustand dar, zumindest innerhalb des Bataillons 61 nicht ganz unten in der sozialen Hierarchie zu stehen und sich an den Reservisten auslassen zu können. Durch Schikanen und deren Duldung rückversicherte man sich dabei der eigenen Macht und Bedeutung. Dass die Schaffung einer kameradschaftlichen Gemeinschaft zwischen Reservisten und aktiven Polizisten so kaum umsetzbar war, machen verschiedene Bestrebungen innerhalb der Führung der Ordnungspolizei klar. Offenbar bestanden bei Kriegsbeginn massive Konflikte zwischen den Polizisten, denen man entgegenwirken wollte. So befahl Daluege 1939 in Hinblick auf die weiter fortzusetzenden auswärtigen Einsätze von Polizeiformationen, die Einheit von Aktiven und Reservisten sei „bei jeder sich bietenden Gelegenheit immer inniger zu gestalten“. Hierzu sollten beispielsweise „die Polizeireservisten zu Kameradschaftsabenden, Vorträgen usw. herangezogen werden“, statt sie auszugrenzen. Es sei wichtig, so der Chef der Ordnungspolizei, dass „sich die Polizeireservisten in vollem Umfang als zur Polizei gehörig betrachten“. Um die „enge Verbindung zwischen der Ordnungspolizei und der Polizeireserve“552 zu fördern, wurden zwei Reichsmark pro Reservisten für gemeinschaftsstiftende Maßnahmen zur Verfügung gestellt. Ab 1940 galt dann auch, dass die Vereidigung der Reservisten demonstrativ ebenso durchzuführen war wie die der aktiven Polizisten. Außerdem wurde es Notdienstleistenden ermöglicht, dem Kameradschaftsbund Deutscher Polizeibeamter für die Dauer ihres Dienstes beizutreten.553 Solche eher demonstrativen Maßnahmen hatten jedoch kaum eine Auswirkung auf die tatsächliche Organisationskultur des Bataillons 61. Dort wie im gesamten NS-Regime blieb der Reservist letztlich vom Status her eben doch nur „eine Ergänzungskraft für die aktiven Männer“554 und war so meist kein ­vollwertiger Kamerad. Bayer, Reservist und selbst in Warschau 1942 häufig an Gewalthandlungen gegen Zivilisten beteiligt, meinte, die Berufspolizisten wollten sogar über den Krieg hinaus ihm und den übrigen Reservisten etwas Negatives. Er gab zu Protokoll: „Offenbar bemüht man sich in den Kreisen der aktiven Polizeiangehörigen, alle Schuld an den damaligen Ereignissen den Reservisten in die Schuhe zu schieben.“555 Auch wenn diese Sichtweise übertrieben sein mag, verdeutlicht sie doch den tiefen und den ganzen Krieg über zwischen Aktiven und Reservisten bestehenden Riss, den mancher auch lange nach ­Kriegsende noch wahrzunehmen glaubte.

552 Schreiben betr.: Polizeireserve vom 30.11.1939 (BA R 19 Nr. 306, Bl. 29r). 553 Vgl. Vereidigung von Polizeireservisten vom 1.4.1940 (ebd., Bl. 78). Ebenso vgl. RMBliV 1940, S. 121. 554 Klemm, Einsatzbesoldung (1943), S. 9. Für die Benachteiligung von Reservisten im Polizeidienst vgl. Aussage Fritz Rührnschopf vom 7.6.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 14, Bl. 6193). Der Zeuge meinte, er sei „damals als Notdienstverpflichteter der SS (sogenannter „SS-Reservist“) von den Angehörigen der Sicherheitspolizei nur als SS-Mann zweiten Grades behandelt worden“. 555 Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 143r).

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Weitestgehend deckungsgleich mit der Bruchlinie zwischen Berufspolizisten und Reservisten war das Spannungsverhältnis zwischen älteren und jüngeren Männern der Polizeieinheit. Während aktive Polizisten und vor allem die Offiziere meist relativ jung waren, rekrutierten sich die notdienstpflichtigen Männer der Einheit aus älteren Geburtsjahrgängen. Dies bedingte innerhalb der Einheit gewissermaßen eine Umkehrung zivilgesellschaftlicher Machtverhältnisse. Insbesondere bei den Reservisten war dabei ein Unwille erkennbar dies zu akzeptieren und sich von jüngeren Berufspolizisten Anweisungen geben zu lassen. So seien junge Männer „durch den Krieg auf einmal etwas geworden. Während in den Reihen der eingezogenen Polizeireservisten Männer bis zu 50 Jahren standen, die ausnahmslos langjährige Geschäftsleute waren und nun von diesen jungen ‚Aktiven‘ etwas lernen, etwas annehmen, sollten.“556 Man habe die Alten wie Rekruten behandelt, obwohl sie dies kaum gewesen seien. Diese Problematik bestand dabei nicht nur im Bataillon 61, sondern in der Ordnungspolizei ganz allgemein. Kurz nach Kriegsbeginn sah man sich im Hauptamt der Ordnungspolizei gezwungen, noch einmal daran zu erinnern, wie die Behandlung der älteren Notdienstpflichtigen, in Abweichung von offensichtlich meist üblichen Praktiken, zu erfolgen habe. Es hieß, in der uniformierten Polizei fänden „viele Männer Verwendung, die an Lebensjahren älter sind als ihre Unterführer und Führer“. Entsprechend sei auf die Reservisten nicht nur in körperlicher Hinsicht Rücksicht zu nehmen. Man ordnete an, deren „innere Begeisterung und Dienstfreudigkeit“ dürfe „durch ungeschickte und ehrverletzende Behandlung der Männer auf keinen Fall beeinträchtigt werden. Schlechte Umgangsformen der Vorgesetzten gegenüber den Untergebenen erhöhen nicht die Disziplin, sondern untergraben sie.“ Wenn sich ein jüngerer Polizist einem älteren gegenüber im Ton vergreife oder „Schimpfworte und kränkende Redensarten“557 anwende, würde er damit nur seine Unreife beweisen. Dennoch zeigten sich insbesondere die Unteroffiziere des Bataillons 61 hart gegenüber den ihnen unterstellten Reservisten. Damit demonstrierten die Unterführer einen deutlichen Unterschied zwischen ihnen und den „kleinen Reservisten“,558 was mit den Idealen von Kameradschaft und „Volksgemeinschaft“ wenig vereinbar war. So sei Brunst besonders unbeliebt gewesen, da er den „einfachen Reservisten gegenüber sehr stark den Vorgesetzten herauskehrte und […] insbesondere keinerlei Einblicke in die Vorgänge der Kompanie“ erlaubte.559 Damit stellte er keinen Einzelfall dar.

556 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 3. Für die Altersstruktur des Bataillons 61 siehe Kapitel III.4. 557 Abschrift einer Anlage Nr. 2 mit einer Anordnung Dalueges zur Behandlung älterer Polizisten vom 5.12.1939 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 204r). Für die geforderte Rücksicht in der Ausbildung älterer Männer siehe Kapitel III.5. 558 Aussage Erich Schumacher vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 184). 559 Ebd., Bl. 183r.

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Auch der Spieß der 2. Kompanie, Baumkötter, soll sich deutlich gegenüber seinen Untergebenen abgegrenzt haben. So habe er verlangt, als „Kompaniehauptwachtmeister“ angesprochen zu werden, statt die kollegiale und vor allem übliche Bezeichnung „Spieß“ zuzulassen. Auch generell habe man es in der Poli­zeieinheit nicht gern gesehen, dass Unterführer mit einfachen Polizisten „kameradschaftlich verkehren“. So hielt Nahlmann fest: „Wehe dem Unterführer, der sich etwa von einem ‚Mann‘ hätte duzen lassen.“ Er berichtete weiter, ein Vorgesetzter habe ihn bei einer kurzen dienstlichen Nachfrage in harscher Form mit den Worten: „Quatschen Sie mich nicht von der Seite an“ abgewiesen.560 Eine deutliche Bruchlinie zwischen besser und schlechter gestellten Bataillonsmitgliedern lässt sich auch bei der alltäglichen Versorgung erkennen. So hätten in der 2. Kompanie die Mannschaftsdienstgrade den höheren Unterführern das Essen bringen sowie deren Privatzimmer reinigen müssen. Darüber hinaus soll es in der Einheit eine separate „Offiziersküche und Mannschaftsküche“561 gegeben haben. Der erhebliche Unterschied in der Qualität der Nahrung habe mit dazu beigetragen, dass sich die Polizisten eigenständig in Warschau Nahrung zu beschaffen begannen.562 Auch wer gerade erst im Rang aufgestiegen war verinnerlichte die eigentlich unkameradschaftliche Abgrenzung zwischen den Dienstgradgruppen relativ schnell. So berichtete Nahlmann über seine Abordnung zu einem Unterführerlehrgang, an dessen Ort sich auch eine Ausbildungskompanie für Polizisten im Mannschaftsdienstgrad befand: „Umgang mit den Kompanieangehörigen war nicht erwünscht: Wir waren doch in einem Unterführer-Lehrgang. Wir waren doch schon etwas!“563 Auf der anderen Seite untergruben einfache Polizisten die Autorität ihrer Vorgesetzten. Den Führer einer Gruppe, der sich im Ausbildungsbetrieb als Schleifer erwiesen und den Männern „das Leben zur Hölle“564 gemacht hatte, sollen sie beispielsweise verächtlich den „Nasenprinz“ genannt haben, „weil er eine so unförmige Nase hatte“.565 Auch machten sich einige Reservisten bei einer Feier im Rahmen ihrer Ausbildung massiv über einen höheren Unterführer aus den östlichen Gebieten des Deutschen Reiches lustig. Die Polizisten knüpften dazu an das in ihren Augen schlechte Deutsch an, dass ihr Vorgesetzter sprach. Im Rahmen einer Vorführung verballhornten sie ihn, ohne seinen Namen direkt zu nennen. Dabei habe die Darstellung so gewirkt, dass der Unterführer, „der ebenfalls auf dem Fest war, sich tief gekränkt fühlte und erst durch gütiges Zureden durch Hauptmann Leitner zu weiterem Verbleib auf dem Fest zu bewegen war“.566 Ganz ähnlich 560 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 14. Für die Forderung des Spießes mit seiner vollen Amtsbezeichnung angesprochen zu werden vgl. ebd., S. 12. 561 Ebd., S. 13. 562 Siehe Kapitel IV.3. 563 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 6. 564 Ebd., S. 7. Es soll sich um eine ca. zehn Personen große Gruppe gehandelt haben. 565 Ebd., S. 6. 566 Ebd., S. 3.

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machten sich Reservisten auch über einen als Ausbilder abgestellten Leutnant hinter dessen Rücken lustig. Der Mann „kam aus dem Sudetengau. Er sprach das ostische Deutsch.“ Deswegen habe man sich „vor Lachen nicht halten“ können und durfte es doch nicht offen zeigen, etwa wenn der Vorgesetzte eine Formation mit den Worten „Zurieck, zurieck, drittes Mahn, zurieck“ ausrichtete.567 Noch deutlicher schlug einem Polizeimeister der Ausbildungseinheit die Ablehnung von einem externen, zum Dienst in Dortmund abgeordneten SS-Mann entgegen. Dieser äußerte gegenüber dem aus dem Osten des Reiches stammenden Polizeimeister Sombray ganz offen seine Verachtung, indem er ausgesprochen haben soll: „Sagen Sie doch mal selbst, Meister, ihr Polizisten kommt mehr oder weniger aus der kalten Heimat und habt jetzt eure schönen Posten. Aber wir SS- und SA-Leute haben dafür gekämpft und geblutet. Ja, noch mehr, vor der Machtübernahme habt ihr uns noch zusammengeknüppelt und jetzt seid ihr wieder unsere Vorgesetzten. Ich muss heute nicht vor Ihnen strammstehen, ich, als SS-Mann.“568 Generell scheint unter den Polizisten die Verachtung für „Volksgenossen“ zugenommen zu haben, je weiter diese aus dem Osten kamen. Dies zeigt u. a. ein Schreiben des BdO Posen an das örtliche Kommando der Schutzpolizei, während das Bataillon 61 dort 1939/40 mit der Umsiedlung von „volksdeutschen“ Gruppen aus Osteuropa befasst war. Es hieß beispielsweise stereotyp, die Wolhynien- und Baltendeutschen würden „im großen Umfang Alkoholmissbrauch“ praktizieren. Auch seien sie „zum Teil in ihrer Wirtschaftsführung noch ziemlich ‚polnisch‘ eingestellt“.569 Entsprechend wären sie tendenziell faul und oft betrunken. Im Widerspruch zu solchen Meinungen sah sich der Chef des Kommandoamtes der Ordnungspolizei, von Bomhard, genötigt, die „Anwendung abfälliger Bezeichnungen“ gegenüber „Volksdeutschen“, insbesondere wenn sie in die Ordnungspolizei eingegliedert waren, mehrfach zu rügen.570 Bei all den eigentlich unkameradschaftlichen Verhaltensweisen und den damit nicht unerheblichen Friktionen innerhalb des Bataillons 61 kommt die Frage auf, warum solche überhaupt zugelassen wurden. Offensichtlich war ein gewisses Maß an Druck und gegenseitiger Schikane durchaus funktional. Besonders bei der Umsetzung nicht formalisierbarer, da eigentlich illegaler Erwartungen, wie etwa dem gewalttätigen Vorgehen gegen die osteuropäische Zivilbevölke-

567 Ebd., S. 5. Insbesondere ein Reservist namens Bartholain habe den Vorgesetzten treffend nachahmen können. 568 Ebd., S. 8. Das Verhalten sei zwar gemeldet worden, doch habe sich der einfache SSMann durch gute Beziehungen zum NS-Regime vor einer Strafe bewahren können. 569 Schreiben an die Kommandeure der Gend. [Gendarmerie] beim Reg.Präs. betr.: Alkoholmissbrauch in Umsiedlerkreisen 18.10. 1941 (APP 1235 Nr. 58, Bl. 55). 570 Vgl. Schreiben betr.: Verbot der Anwendung abfälliger Bezeichnungen gegenüber den in die Ordnungspolizei eingegliederten Volksdeutschen vom 20.1.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 266, unpag.). Zum Verbot von Streitigkeiten insbesondere in der Öffentlichkeit vgl. Rundschreiben Nr. 129/42 Austragung innerdeutscher Zwistigkeiten in Gegenwart von Ausländern vom 24.8.1942 (BA NS 7 Nr. 5, Bl. 188).

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rung, spielte das Verhältnis der Organisationsmitglieder zueinander eine wichtige Rolle. Da die von manchen Akteuren angestrebte Regelerosion nur schwer bis gar nicht durch offizielle Strukturen durchsetzbar war, bildeten sich eigene Mittel und Wege, um die Erfüllung solcher Erwartungen zu erreichen. Neben den schon erläuterten Vertrauensstrukturen waren dies für eine militärische Einheit typische Verhaltensweisen, die auf der Ausübung von Druck basierten und in der Soziologie unter dem Begriff der Sanktionierung zusammengefasst sind.571 Insbesondere Unterführer und Offiziere setzten psychischen Druck ein, um die Konformität und Kooperationsbereitschaft ihrer Untergebenen, gerade in den Randbereichen von deren Indifferenzzonen, zu erreichen. So habe beispielsweise der Chef der 1. Kompanie alle Personen gehasst und durch seinen Spieß sanktionieren lassen, die offenbar als nicht verlässlich und bereit galten, Regeln im Sinne des Hauptmanns zu übertreten. Besonders betroffen seien dabei diejenigen Männer gewesen, „die nicht Parteigenossen waren, die noch der Kirche angehörten und die [dem Kompaniechef] nicht willenlos folgten“.572 Kurzum, sanktioniert wurde, wer „in der Kompanie nicht mitmachte“.573 Deren höchstem Offizier kam beim Aufbauen von Druck gegenüber seinen Untergebenen seine Gewaltaffinität zugute. Marach hielt fest, er habe „vor Hauptmann Mehr, wie die meisten Kompanieangehörigen, regelrechte Angst gehabt“.574 Durch dessen rabiates Vorgehen, das er gerne gegenüber der osteuropäischen Bevölkerung präsentierte, beeinflusste er seine Männer unterschwellig. Wie Schellenberger trauten es dem Offizier angeblich „alle zu, dass er in einem Befehlsverweigerungsfalle kurzen Prozess machen würde“ und man sich damit bedroht sah, „kurzer Hand erschossen zu werden“.575 Auch in der 2. Kompanie soll es ganz ähnlich zugegangen sein und es habe geheißen, „wenn du nicht schießt, schießt ein anderer, und zwar auf dich“.576 Es wurde damit eine Angst geweckt und gleichzeitig verkannt, dass ein solches Verhalten von Vorgesetzten unmöglich war. Ein Befehlsnotrecht, also die Möglichkeit, eine Person im Falle eines militärischen Ungehorsams zu erschießen, war im Zuge der nicht formalisierbaren Erwartungen innerhalb der Dortmunder Polizeieinheit ausgeschlossen. Generell ist für den gesamten Zweiten Weltkrieg nicht ein einziger Fall überliefert, in dem eine unwillige Person, die sich einer illegalen Handlung verweigerte, getötet worden wäre. Die

571 Diese sind gemeinhin vor allem bekannt als „Mobbing“, Gruppenzwang und Erpressung. Allgemein zu Sanktionierungspraktiken in Organisationen vgl. Luhmann, Funk­ tionen, S. 64. Insbesondere zu den Eigenheiten gieriger Organisationen vgl. Coser, ­Organizations; ders., Institutionen. 572 Aussage Ludwig Rybczak vom 10.7.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). 573 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 40). 574 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (ebd., Bl. 151r). 575 Aussage Karl Schellenberger vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 91r). Vgl. auch exemplarisch die ähnlichen Behauptungen bei Aussage Erich Tiemann vom 8.10.1952 (ebd., Bl. 19); Aussage Franz Bayer vom 17.10.1952 (ebd., Bl. 34r). 576 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 17.

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in ­Ermittlungsverfahren der Nachkriegszeit als Entlastungsargument angeführte Todesangst innerhalb des Bataillons 61 muss so als weit übertrieben gelten. Dennoch ist nicht völlig von der Hand zu weisen, dass die Sorge, selbst zum Opfer von Gewalt zu werden, einen gewissen Konformitätsdruck auf die Polizisten der Einheit ausübte.577 Viel entscheidender für das Verhalten im Sinne ihrer nationalsozialistisch geprägten Vorgesetzten scheint für die Männer der Polizeieinheit jedoch eine andere Form der Sanktionierung gewesen zu sein. Die einfachen Polizisten wollten schlicht eine Verkomplizierung ihres Alltags durch Schwierigkeiten mit Vorgesetzten vermeiden. Fiegel fasste dies prägnant zusammen: „Welche Schwierigkeiten das waren, so möchte ich sagen, dass sie hauptsächlich dienstlicher Art waren, wie etwa die Zuteilung zu unbequemen Dienstobliegenheiten“.578 So sollen sich etwa Hauptmann Mehr und sein Spieß gegen den Urlaub des nonkonformen Unterführers Kreulich ausgesprochen haben, obwohl dieser turnusgemäß Anspruch darauf gehabt hätte. Um diese Schikane noch zu verstärken, sollen die beiden Funktionsträger der 1. Kompanie in erniedrigender Weise ihre Urlaubsverweigerung damit begründet haben, dass „Kreulich erst einmal besser werden“ müsse und er „noch kein Mann für die Kompanie“ sei.579 Ebenso führte beispielsweise auch Kleine an, man habe ihn unter Druck gesetzt, indem er bei der Urlaubsvergabe „immer an letzter Stelle“ berücksichtigt wurde. Außerdem sei er „ständig zu Sonntagswachen eingeteilt“ worden, auch wenn er „gar nicht dran war“.580 Innerhalb der 1. Kompanie soll es beispielsweise auch vorgekommen sein, dass, wenn sich die Offiziere betranken, einige Männer der Einheit „gegen Mitternacht durch Hauptwachtmeister Brunst geweckt“ wurden. Sie mussten dann im Offizierskasino „Sturm- und Nationalsozialistische Lieder“ singen. Daneben habe Hauptmann Mehr seine aus dem Schlaf gerissenen Untergebenen auch gerne Lieder über Schöneberg, aus dem seine Frau stammte, singen lassen. Die Herangezogenen „empfanden das nur als Schikane, weil [sie] durch die Wachgestellungen immer sehr müde und abgekämpft“581 gewesen seien. Über die Häufigkeit des so ausgeübten Drucks befragt, berichtete der ehemalige Spieß

577 Für das Befehlsnotrecht nach Paragraf 124 Absatz 1 MStGB [Militärstrafgesetzbuch] vgl. Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, Hauptamt SS-Gericht (Hg.), SSund Polizeigerichtsbarkeit, S. 18. Ferner vgl. Einsatzgruppen in Polen. Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, Selbstschutz und andere Formationen in der Zeit vom 1. September 1939 bis Frühjahr 1940. Band 2 vom 20.5.1963 (BStU MfS HA XX 5590, Bl. 125). Unter Bezug auf eine Stellungnahme der Zentralen Stelle Ludwigsburg vom 20.5.1963 heißt es dort: Bei den „eingehenden Untersuchungen zur Frage des Befehlsnotstandes ganz allgemein konnte kein Fall ermittelt werden, bei dem die Verweigerung eines verbrecherischen Erschießungsbefehls eine Gefahr für Leib und Leben mit sich brachte.“ 578 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 186). 579 Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42r). 580 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 40). 581 Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 47r). Für das Singen der Lieder über Schöneberg vgl. Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 80r).

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der Kompanie nach dem Krieg, das nächtliche Heranziehen von Polizisten zum Singen und auch zum Trinken von Alkohol, „kam schon mal vor, wenn Hauptmann Mehr einen getrunken hatte“.582 Damit wurde ganz bewusst eine offizielle Regelung des Reichsführers-SS übertreten. Himmler hatte spätestens 1941 eindeutig festgelegt: „Jegliche Art von Trinkzwang ist verboten. Ich verbiete ferner die vielfach beobachtete Unsitte, dass in Offiziersheimen, Wohlfahrtsräumen und dergleichen Untergebene oder jüngere Kameraden sinn- und zwecklos bis in die späten Nachtstunden zurückgehalten werden.“ Dies dürfe insbesondere „nicht unter dem Vorwand der Erziehung geschehen“.583 Vielmehr sah eine Regelung aus dem Sommer 1942 sogar vor, dass sich Vorgesetzte besonders davon zu überzeugen hätten, „dass die Mannschaft nicht durch Unbefugte zu eigenmächtigen“ Aufgaben insbesondere „außerhalb der Dienststunden und in der Nacht“584 herangezogen wird. Wem es innerhalb der verschiedenen Kompanien des Bataillons 61 nicht gelang, ein Vertrauensverhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen zu entwickeln, sah sich Formen sozialer Sanktionierung ausgesetzt. So meinte Lange besonderem Druck ausgesetzt gewesen zu sein, da er sich in der 1. Kompanie außerhalb der Vertrauensgruppe um Hauptmann Mehr und seinen Spieß befunden habe. Dies soll so weit geführt haben, wie Delisch aussagte, dass man überwacht und bespitzelt worden sei, wenn man nicht im Vertrauen von Vorgesetzten stand. Um das eingespielte informelle Gefüge der Einheit nicht zu stören, konnte es auch vorkommen, dass der offizielle Dienstrang von Neuankömmlingen unterwandert bzw. nicht akzeptiert wurde. So berichtete Junker, er sei als Revier-­ oberwachtmeister als Ersatzmann zur 1. Kompanie des Bataillons 61 abgestellt ­worden. Hauptmann Mehr habe ihn jedoch „nicht dienstgradmäßig“585 eingesetzt und Junkers Dienstgrad nicht anerkannt. Als De-facto-Degradierung habe man ihn den eigentlich niedriger gestellten Oberwachtmeistern unterstellt, die in der Kompanie als Ausbilder dienten. Neben einer möglichen Herabsetzung im Dienstrang wurden weniger vernetzte Personen, im Vergleich zu ihren in Vertrauensstrukturen eingebundenen Kameraden, deutlich geringere Handlungsspielräume im Alltag eingeräumt. Dies geschah insbesondere im Bereich der 1. Kompanie in Fällen, in denen eine Form der Regelerosion stattfand, die nicht im Interesse des Kompaniechefs lag.

582 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 56r). 583 RFSS an das Kommando der Schutzpolizei betr.: Gefährdung der Manneszucht durch Trunkenheit vom 13.1.1941 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 40). 584 Ausbildung, Manneszucht und Fürsorge der Ordnungspolizei vom 22.6.1942 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 202). 585 Aussage Ludwig Junker vom 6.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 69). Ebenso vgl. Aussage Ludwig Junker vom 3.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5832). Für die Aussagen von Lange und Delisch vgl. Aussage Anton Lange vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 41); Aussage Hans Delisch vom 2.1.1953 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 89). Nur solange eine Person als guter Kamerad galt, wurde sie durch die Gruppe geschützt. Für dieses Grundprinzip vgl. auch Kühne, Kameradschaft, S. 118.

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Handlungsleitende Einflüsse

In diesen Fällen duldete er „keine Widersprüche“.586 Roschkowski erinnerte sich beispielsweise daran, dass sich Hauptmann Mehr erheblich aufregte, das Roschkowski es „gewagt hatte, einem Offizier der Kompanie unter Umgehung des Hauptwachtmeisters die Kompanie zu melden“.587 Ebenso reagierte der Spieß ungehalten, als einer der Kompanieschreiber selbstständig den Wachplan änderte. Der Mann sei rüde beschimpft worden.588 An der Sanktionierung von Regelübertretungen zeigt sich auch, wie auf Vertrauen basierende Allianzen wieder zerbrechen konnten. So sei „das treue Vasallentum“ der Polizisten „Helmer, Lapschieß und Bayer“, dass in Warschau bestanden hatte, durch deren Vorgesetzte „Brunst und Mehr bald vergessen“ gewesen. Die Männer, die man in der größten Stadt Polens noch in der Übertretung geltender Schusswaffenregeln gefördert hatte, seien später „wegen kleinerer Disziplinlosigkeiten hart angefasst“ worden. Insbesondere ließ man Helmer angeblich „völlig in Ungnade fallen“ und er sei sogar mit „einer Haftstrafe von 4 oder 6 Wochen“589 bestraft worden. Über Bayer habe sich der Spieß „zynisch lustig“590 gemacht, da sein Untergebener einen Sprachfehler hatte und nicht in der Lage gewesen sei, das Wort „Hauptwachtmeister“ korrekt auszusprechen. Da Bayer sich dagegen gewehrt haben will und Hauptmann Mehr brüsk ankündigte, keine weiteren Schikanen zu akzeptieren, sei er mit „10 Tagen verschärften Arrest bestraft“ worden.591 Einem gewissen Maß an Sanktionierung konnten sich auch Unterführer ausgesetzt sehen. Dies war offenbar insbesondere dann der Fall, wenn sie sich nicht in ausreichendem Maße von Polizisten im Mannschaftsdienstgrad distanzierten und nicht genug Druck auf diese ausübten. So sei beispielsweise der Unteroffizier Rybcak öfter durch den Spieß der 1. Kompanie „wegen mangelnder Dienstauffassung“592 gerügt worden. Der ehemalige geschäftsführende Hauptwachtmeister nannte als Grund hierfür, dass Rybcak seiner Meinung nach die Stuben der Polizisten nur unzureichend kontrolliert hätte. Ebenso soll laut Mockler der Unterführer Kreulich unter Druck gestanden haben, da dieser sich „zu viel mit seinen Kameraden eingelassen hat“.593 Folgt man dem Spieß der 1.  Kompanie, so soll dabei ausschlaggebend gewesen sein, dass Kreulich mit den ihm unterstellten Männern abends „zusammen auf der Stube saß und verbotene Spiele spielte“.594

586 Aussage Heinrich Marach vom 4.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 153). In ähnlicher Form vgl. Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (ebd., Bl. 239r). 587 Aussage Adalbert Roschkowski vom 4.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 60). 588 Vgl. Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 199). 589 Aussage Ludwig Rybczak vom 10.7.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). 590 Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 81). 591 Ebd., Bl. 80r. 592 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 52). 593 Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48r). 594 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 54r).

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Die Verbrüderung von Führern und Geführten, die das NS-Regime eigentlich befürwortete, war dabei im Bataillon 61 aber nur ein vorgebliches Problem. Vielmehr ging es darum, die Möglichkeit mancher Unterführer zu begrenzen, eigene Vertrauensverhältnisse zu begründen und zu nutzen. Entsprechend traf die Sanktionierung vor allem Personen, die nicht im Sinne der verschiedenen Kompaniechefs handelten. Gerade wenn Männer einer Kompanie versuchten, Einfluss auf Entscheidungen der Einheit zu nehmen und wo dies nicht gebilligt bzw. von Vorgesetzten gedeckt wurde, setzten sie sich psychischem Druck und Schikanen aus. Absprachen auf dem „kurzen Dienstweg“ wurden meist geduldet, konnten jedoch theoretisch leicht unter Berufung auf offizielle Vorschriften von Vorgesetzten unterbunden werden. Innerhalb der 1. Kompanie soll sich etwa Kreulich dafür verwandt haben, den besonders gewalttätigen Helmer von der Ghettowache abzuziehen. Darauf soll der Spieß extrem ungehalten reagiert haben. Tiemann gab die Situation wie folgt wieder: „Hierauf schnauzte er Kreulich fürchterlich an, behandelte ihn wie einen Schuljungen und ordnete an, dass Helmer ab sofort wieder für die Ghetto-Wache eingeteilt“595 werden sollte. Es hieß, durch den geschäftsführenden Hauptwachtmeister wurden Männer, die nicht seinem Polizistenbild entsprachen oder sich nicht an die von Hauptmann Mehr vorgegebene Organisationskultur hielten, „ständig schikaniert“.596 Durch Druck wurde informell der Einfluss von Funktionsträgern beschränkt, von denen man, wie im Fall von Kreulich, ausging, dass sie „ein schlechtes Beispiel“ geben würden. Wobei mit dem Vorwurf gegen den genannten Unterführer, dass er die ihm unterstellten „Beamten nicht richtig erzog“,597 eigentlich gemeint war, dass er nicht zur bereits geschilderten Regelerosion beitragen wollte. Kreulichs Problem sei gewesen, dass dieser „als Zugführer und Vorgesetzter für die Kompanie zu anständig“598 war und „die Verhältnisse innerhalb der Kompanie missbilligte“.599 Er selbst berichtete, dass er „viele Nachteile habe in Kauf nehmen müssen“,600 da er sich gegenüber der lokalen Bevölkerung zu zurückhaltend verhielt und seine Männer nicht zu Gewalt gegen diese ­anspornte. Ebenso will

595 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 38r). Ebenso für Kreulichs Bestrebungen, Helmer ablösen zu lassen, vgl. Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 127r). Auch verschiedene andere Bataillonsangehörige wollten Helmers Ablösung, vgl. Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 59). 596 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 38r). 597 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 54r). 598 Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 42r). 599 Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 44r). Ebenso nennen verschiedene weitere Zeugen Kreulichs Einstellung als ursächlich für seine Sanktionierung. Exemplarisch vgl. Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 37); Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48r). 600 Entnazifizierungsakte Kreulich, August vom 1.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei1234, Anlage zu Bl. 15). Ebenso vgl. Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5827).

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Handlungsleitende Einflüsse

sich auch Delisch ab dem Moment überwacht und sanktioniert gefühlt haben, als er einen Polizisten zur Rede stellte, „der einen Juden misshandelte“.601 Der Spieß der 1. Kompanie, Riewald, ging schließlich davon aus, dass selbst er als maßgeblicher Unterführer abgelöst wurde und seine Vertrauensstellung verlor, da er nicht genügend Druck im Sinne der Kompanieführung ausübte. Dies scheint durchaus plausibel, denn tatsächlich wurde Riewald durch den willfährigen Brunst ersetzt. Dieser war im großen Maße bereit, Hauptmann Mehr in der Ausübung von Druck zu unterstützen. Dabei verfolgte der Spieß auch das opportunistische Ziel, seine eigene Macht in der Polizeieinheit zu konsolidieren und auszubauen. So habe Brunst „vor allen Dingen die, die im gleichen Rang mit ihm standen“,602 schikaniert. Entsprechend urteilte man über den Hauptwachtmeister, dass dieser eben nicht die Aufgabe als „Mutter der Kompanie“ ausgefüllt habe: „Er hielt vor allem nicht zu den alten Polizisten, die als Unter­ führer seine Kameraden waren. Er setzte sich nie für sie ein, auch nicht für die übrigen Kompanieangehörigen. Er befolgte nur, was der Hauptmann Mehr anordnete, obwohl dieser Befehle gab, die menschlich gesehen, nicht ausgeführt werden durften.“ Dadurch entfremdete Brunst „sich von allen Unterführern, aber das berührte ihn nicht“.603 Dabei war das Ausüben von Druck und Schikanen, wie es auch durch viele weitere Akteure praktiziert wurde, offiziell verboten. Beispielsweise hieß es, Offiziere müssten zwar die Disziplinargewalt über die ihnen unterstellten Männer ausüben, diese dürften jedoch nicht vorschriftswidrig behandelt werden. Insbesondere Einschüchterungsversuche und leere Drohungen galten als wertlos und waren verboten. Ebenso dürfe „Führertum nicht mit persönlicher Willkür oder reaktionärer Anmaßung verwechselt werden“.604 Im Gegenteil hätten die Vorgesetzten sogar zu überwachen, dass ihre Untergebenen nicht von anderen „vorschriftswidrig behandelt werden“.605 Geschehe dies doch, sei der verantwortliche Offizier hierfür mit zur Verantwortung zu ziehen, denn dieser müsse „derjenige sein, der selbst seine Männer mit den Grundsätzen [der] Manneszucht vertraut macht“.606 Gleiches sollte eigentlich auch für die Unterführer gelten, die mit ihrer „sprichwörtlichen Grobheit […] sparsam umgehen“ sollten.607

601 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (ebd., Bl. 198). 602 Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48). Dies galt auch für alte Bekannte wie Kreulich, der mit Brunst schon 1938 gemeinsam in Österreich eingesetzt worden war. Für ihren gemeinsamen Österreicheinsatz vgl. Vorschlagsliste Nr. 50 für die Verleihung der Medaille zur Erinnerung an den 13. März 1938 vom 10.3.1939 (BA R 601 Nr. 2403, Bl. 5 f.). Für die Ablösung von Riewald vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 46). 603 Aussage Ludwig Rybczak vom 10.7.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). 604 Zwingelberg, Erziehung (1936), S. 20 Zur Wertlosigkeit von Einschüchterungen vgl. Offiziersausbildung während des Krieges vom 27.3.1942 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 141). 605 Ebd. 606 Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft vom 1. Juli 1940, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 11). 607 Teske, Unteroffizier (1941), S. 28.

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Trotz solcher Regelungen versprachen offizielle Beschwerden gegen die informellen Sanktionierungspraktiken innerhalb des Bataillons 61 kaum Erfolg. Zwar bestand formal die Möglichkeit, eine solche einzulegen, doch musste hierbei der normale Dienstweg über die Disziplinarvorgesetzten beschritten werden. Dies bedeutete also, dass Beschwerden durch den jeweiligen Kompaniechef hätten geprüft werden müssen, um dann eventuell an den Kommandeur des Bataillons weitergeleitet zu werden. In Anbetracht der personellen Besetzung des Bataillons 61 versprach dies kaum Erfolg, da vor allem die Kompanieführer selbst Druck und Schikane ausübten und auch ihre Unterführer darin unterstützten.608 Die verantwortlichen Funktionsträger der Kompanien setzten ihre Männer neben informellen Sanktionierungspraktiken auch dadurch unter Druck, dass man Polizisten immer wieder mit dem offiziellen Strafapparat des NS-Regimes in Kontakt brachte. So soll der Chef der 2. Kompanie ständig damit gedroht haben, ihm unterstellte Männer vor ein SS- und Polizeigericht zu bringen. Darüber hinaus mussten die Bataillonsmitglieder mehrfach Gerichtsverfahren gegen Soldaten und Polizisten beiwohnen, an deren Ende auch Todesurteile verhängt wurden. Der Zimmernachbar von Lorey sei 1942 sogar „wiederholt als Beisitzer bei SS und Polizeigerichten“609 eingeteilt worden. Man habe so im ­Bataillon 61 aus „eigener Anschauung“ gewusst, dass die für die Einheit ­zuständige ­Gerichtsbarkeit „außerordentlich streng“ urteilte.610 Die in den Prozessen aufgezeigte Gefahr einer Bestrafung für Vergehen wurde dabei durch verschiedene Umstände noch greifbarer. So erinnerte sich Sinn daran, dass er „noch in der Warschauer Zeit einmal den Auftrag hatte, einen Polizeiangehörigen, der durch ein SS- und Polizeigericht wegen eines Wachvergehens verurteilt worden war, ins Konzentrationslager nach Dachau zu bringen“.611 608 Für die weitgehenden Befugnisse der Kompaniechefs vgl. Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft vom 1 Juli 1940, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 11). Insbesondere zur Strafbefugnis des Kompaniechefs vgl. Disziplinare Ahndung von leichteren gerichtlich verfolgbaren Straftaten vor Meldung an den Gerichtsherren vom 10.6.1940 (BA NS 7 Nr. 3, Bl. 42); Vorläufige Dienststrafordnung für Polizeitruppen vom 19.4.1940 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 2). 609 Aussage Heinrich Lorey vom 27.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 51r). Exemplarisch zu den beobachteten Gerichtsverfahren vgl. Aussage Otto Kobitzki vom 21.10.1952 (ebd., Bl. 43r). Zur angeblichen Bedrohung durch diese Prozesse vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (ebd., Bl. 16). Für die Drohungen in der 2. Kompanie vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 13. Für die Erwähnung, dass man unter der SS-Gerichtsbarkeit gestanden habe und dass dies wiederholtes Schulungsthema war, vgl. Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 56r). 610 Aussage Hermann Kreienkamp vom 17.10.1952 (ebd., Bl. 34). 611 Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (ebd., Bl. 66r). Ab März 1942 wurden solche Personen nicht mehr nach Dachau verbracht, sondern im „Strafvollzugslager der SS und Polizei in Danzig-Matzkau“ inhaftiert. Vgl. Strafvollstreckung gegen SS- oder Polizeiangehörige vom 11.3.1942 (BA NS 7 Nr. 4, Bl. 58). Für die verschärften Bedingungen in Dachau vgl. Belehrung der der Sondergerichtsbarkeit der SS und Polizei unterworfenen SS- und Polizei-Angehörigen über gerichtliche Bestrafungen vom 15.7.1940 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 11r). Zur Haft von Polizisten in Konzentrationslagern und der für sie vorgesehen körperlichen Zwangsarbeit vgl. Rechtserziehung (Ahndung von Plünderungs- und Eigentumsdelikten) vom 17.3.1942 (ebd., Bl. 55).

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Handlungsleitende Einflüsse

Janczak will beobachtet haben, wie ein SS-Angehöriger des Ausbildungslagers, zu dem er 1942 vom Bataillon 61 abgestellt wurde, für „Beziehungen zu einer Jüdin“612 inhaftiert wurde. Kreienkamp führte aus, er erinnere sich im Zusammenhang des Einsatzes 1942 daran, dass „ein Polizeiangehöriger eines anderen Bataillons wegen Diebstahl von Zigaretten oder Beschlagnahme im Gefängnis saß“,613 das die Dortmunder Einheit bewachte. Der Mann sei später hingerichtet worden. Ebenso berichtete auch Figiel, dass drei „Angehörige der Polizei wegen Verschiebung lebenswichtiger Güter durch ein SS- und Polizeigericht zum Tode verurteilt und erschossen worden sind“.614 Die Polizisten des Bataillons 61 übersahen, bzw. wollten es nach dem Krieg nicht eingestehen, dass die Bedrohung durch diese Strafen für sie selbst relativ unbegründet war. Bei den beobachteten Prozessen und Bestrafungen ging es nicht um die Sanktionierung von Personen, die unwillig waren, sich an illegalen, von Vorgesetzten geforderten Handlungen zu beteiligen. Stattdessen ging es stets um Raub, Plünderungen, illegale Tötungen und sexuelle Verfehlungen, die selbst die SS nicht akzeptieren wollte und mit denen sich die Verurteilten „selbst außerhalb der Volksgemeinschaft gestellt“ hatten.615 Theoretisch brachten sich die Männer im Bataillon 61 so eher durch konformes Verhalten im Sinne der Kompaniechefs in juristische Gefahr, als durch eine Weigerung offizielle Regeln zu übertreten. So wären eigentlich Übergriffe gegen die osteuropäische Bevölkerung „von der SS- und Polizeigerichtsbarkeit zu ahnden gewesen“.616 Auch über den Schmuggel am Warschauer Ghetto, in den das Bataillon 61 kollektiv verwickelt war, hieß es schon 1940: „Ein SS-Mann, der aus Eigennutz Juden unterstützt, verdient keine Milde.“ Derjenige der „mit Juden paktiert, stellt sich mit ihnen auf eine Stufe und verliert die Achtung jedes anständigen

612 Aussage Michael Janczak vom 2.1.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 11, Bl. 4785). Für die angebliche Hinrichtung eines SD-Mannes, der eine Affäre mit einer Jüdin gehabt haben soll, vgl. Aussage Gerhard Stabenow vom 1.7.1970 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275, Bl. 161). Für einen ähnlichen Fall bei der Posener Schutzpolizei, bei dem nur eine Warnung ausgesprochen wurde, da ein Polizist „einen verbotenen und verwerflichen Umgang mit einer Polin unterhielt und dadurch das Ansehen der Polizei stark gefährdete“, vgl. Bestrafungen innerhalb der Schutzpolizei Posen vom 4.4.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 11). 613 Aussage Hermann Kreienkamp vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 34). Der ehemalige BdO Knofe führte aus, dass einige Männer eines anderen Polizeibataillons 1939 im „Warthegau“ für das Stehlen einiger Hühner „in der Nähe von Thorn“ verurteilt und bestraft worden seien. Vgl. Aussage Oskar Knofe vom 17.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 248, Bl. 93). 614 Aussage Joseph Figiel vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 85). 615 Rechtserziehung (Ahndung von Plünderungs- und Eigentumsdelikten) vom 17.3.1942 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 55). 616 Aussage Karl Michael Mohr vom 28.1.1963 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2260, Bl. 39). Als durch mit der Todesstrafe oder lebenslanger Haft bedrohte Handlungen galten explizit Plünderungen, Diebstahl, Trunkenheit, „Rassenschande“ und Fahnenflucht. Vgl. Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft vom 1. Juli 1940, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 22).

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Deutschen“.617 Den Männern der Dortmunder Polizeieinheit war klar, dass sie zwar theoretisch „bei geringen Vergehen mit scharfen Strafen zu rechnen“ hatten.618 Ihnen war jedoch ebenso bewusst, dass sie durch die Unterstellung der Polizei unter die SS-Gerichtsbarkeit für ihre Taten weitgehende Narrenfreiheit besaßen, wenn sie in ein funktionierendes Vertrauensnetzwerk eingebunden waren. Erneut stellte die Kompanieführung die entscheidende Schlüsselposition dar, da dort darüber entschieden wurde, welche Vergehen überhaupt weiterverfolgt und außerhalb der Einheit thematisiert wurden. Genauso wie Beschwerden unterdrückt werden konnten, lag es durchaus in der Macht der Kompaniechefs, eine Strafverfolgung zu unterdrücken, indem sie Regelverstöße nicht weiter meldeten.619 Dies dürfte insbesondere dann der Fall gewesen sein, wenn es sich um illegale Praktiken handelte, die von den Offizieren der Polizeieinheit gutgeheißen wurden. Ebenso erscheint es nachvollziehbar, dass die Führer ihr Entgegenkommen gegen ein späteres willfähriges Verhalten ihrer Untergebenen quasi eintauschen wollten. Unter solch konsensbasierten Umständen erscheint das von Bataillonsangehörigen nach dem Krieg entworfene und mit dem Befehlsnotstandsmythos verbundene Bild vom „SS- und Polizeigericht als Schreck­ gespenst“620 weit übertrieben. Richtig ist jedoch, dass wer sich nicht in die Organisationskultur der Einheit einfand, über kein Vertrauen verfügte und darüber hinaus nicht im Sinne seiner Vorgesetzten handelte, durchaus unter dem Druck offizieller Strafen stand.

617 Kopie aus: Mitteilungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, Band I Heft vom 2. Oktober 1940, hg. vom Hauptamt SS-Gericht (BA-MA N 756 Nr. 48b, Bl. 62). 618 Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 66r). 619 Vgl. Belehrung der der Sondergerichtsbarkeit der SS und Polizei unterworfenen SS- und Polizei-Angehörigen über gerichtliche Bestrafungen vom 15.7.1940 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 12); Vorläufige Dienststrafordnung für Polizeitruppen vom 19.4.1940 (ebd., Bl. 2). Für die Männer des Bataillons 61 war zusätzlich eine relativ weitgehende Straffreiheit absehbar. Bereits nach dem Polenfeldzug begnadigte Hitler per Führererlass alle Soldaten, die sich Verbrechen schuldig gemacht hatten. Vgl. Gnadenerlass des Führers und Reichskanzlers vom 4.10.1939 (LAV BW, StA Fr RH 14 Nr. 28, Bl. 7). Dies dürfte als deutliches Zeichen gewirkt haben, dass Vergleichbares nach 1941 auch weiter im Osten passieren würde. Nicht unerheblich für den Einsatz des Bataillons 61 ist jedoch auch die weniger beachtete Einschränkung des NS-Regimes, was nicht unter Straffreiheit gestellt werden sollte. Diese galt nicht, „wenn der Täter vorwiegend aus Eigennutz (z. B. bei Plünderungen, Erpressungen, Diebstählen) oder aus Eigensucht (bei Notzucht usw.) gehandelt hat“. Vgl. Anwendung von Straffreiheitsgesetzten in der SS-Sondergerichtsbarkeit vom 2.12.1939 (BA NS 7 Nr. 2, Bl. 120). Allgemein zur Auslegung der Gesetze im Nationalsozialismus, die Verbrechen gegen die Bevölkerung Osteuropas erleichterte, etwa durch die sogenannten verbrecherischen Befehle, vgl. Jürgen Förster, Verbrecherische Befehle. In: Wolfram Wette//Gerd Ueberschär, (Hg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2001, S. 137–151. 620 Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 66r). Exempla­ risch zum immer wieder erwähnten Befehlsnotstand und der vermeintlichen Lebens­ gefahr durch ein SS-Gericht vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (ebd., Bl. 16); Aussage Heinrich Lorey vom 27.10.1952 (ebd., Bl. 52).

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Handlungsleitende Einflüsse

So sei ein Mitglied der 1942 zum Bataillon 61 abgestellten Ergänzungskräfte aus Mitteldeutschland für den illegalen Erwerb von Kinderspielzeug im Warschauer Ghetto gemeldet worden. Im Zusammenwirken von Spieß und Chef der 1.  Kompanie sei dieser Mann nach drei Tagen an die Front strafversetzt worden, wo er nach zehn weiteren Tagen gefallen sei. Folgt man den Unterlagen des Warschauer IPN, so wurde durch das SS- und Polizeigericht VI in Krakau am 6. Oktober 1942 auch ein Polizeisekretär des Bataillons 61 gemeinsam mit zwei Polinnen für ein nicht näher genanntes Vergehen verurteilt.621 Figiel führte aus, dass innerhalb der Einheit der Zahlmeister Koch in „ein Strafverfahren verwickelt“622 und abgeurteilt worden sei. Riewald merkte an, dass ein Mann von Leutnant „Wannemacher dabei erwischt wurde, als er aus einer geräumten Wohnung ein Taschentuch oder ein Oberhemd mitgenommen hatte“. Der Mann sei „zur Meldung gebracht und durch ein SS- und Polizeigericht erheblich bestraft“ worden.623 Nahlmann führte für die 2. Kompanie an, dass es entweder hieß zu kooperieren oder man wurde „bestraft und eingesperrt“.624 Was der Polizist jedoch nicht anführte, ist der Fakt, dass dies nur zutraf, wenn man sich zuvor etwas Strafwürdiges hatte zuschulden kommen lassen. Die Bemühungen der verschiedenen Kompanieführer, unbegründete Ängste zu wecken, gingen jedoch teilweise abstrus weit. Kreulich berichtete über ein Erlebnis in der 1. Kompanie: „Mehr wollte mich dem Reichsführer-SS melden, dass ich für den Osteinsatz unwürdig sei, da ich mit Juden und Polen sympathisiere.“625 Bei den Polizisten der untersuchten Einheit konnten solche Drohungen eine gewisse Wirkung entfalten, da bekannt war, dass viele Offiziere in ein weit verzweigtes NS-Netzwerk integriert waren. Auch hatte man bereits während der ersten Einsätze 1939 erlebt, dass die Bereitschaft bestand, Personen belastende Beweise unterzuschieben. Darüber hinaus hatten Männer wie beispielsweise Lange den Eindruck, dass beispielsweise der Spieß der 1. Kompanie „im Verein mit seinem Freund Hauptmann Mehr“ Untergebene provozieren und „zu Unbesonnenheiten verführen“626 wollte, um sie dann offiziell bestrafen zu können. Dabei spielte es eine gewichtige Rolle, dass Bataillonsmitglieder teilweise sehr genau kontrolliert wurden und Vorgesetzte nach Verfehlungen geradezu suchten. So berichtete Nahlmann, es sei zweimal pro Nacht kontrolliert worden, ob alle „in den Betten lagen, ob der Schemelbaum zackig war, ob die Stube ausgefegt war und ob [man die] Unterhose ausgezogen“ hatte.627 Auch sei 621 Vgl. Aktennotiz über das Urteil des SS- und Polizeigerichts VI Krakau vom 6.10.1942 (IPN S 30-12-Zn Band I, Bl. 9). Für die Ergänzungskraft aus Mitteldeutschland vgl. Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 67). 622 Aussage Joseph Figiel vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943, Bl. 7). 623 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 6). 624 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 14. 625 Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 51r). 626 Aussage Anton Lange vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 41). Für die Erfahrungen aus dem ersten Einsatz des Bataillons 61 siehe Kapitel IV.1. Dort jedoch mit dem Unterschied, dass nur Personen, die nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörten, Beweise untergeschoben wurden. 627 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 14.

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scharf überprüft worden, dass nach Übungen dreckige und nasse Kleidungs­ stücke penibel in Ordnung gebracht wurden. Leutnant Ackermann habe sich sogar nachts an Wachposten angeschlichen, um zu überprüfen, ob man „den Daumen vorschriftsmäßig unter dem Gewehrriemen hatte“. Nahlmann habe sich, als der Offizier ihn von hinten packte, nicht nur erschrocken, sondern „obendrein noch eine ‚Zigarre‘“,628 also eine Rüge erhalten. Vor allem die Spieße der Kompanien sollen regelrecht nach Verfehlungen ihrer Untergebenen gesucht haben. Durch die so aufgebauten Sanktionierungsmöglichkeiten festigten die Unterführer ihre eigene Machtbasis. Im Fall von ­Brunst aus der 1. Kompanie zeigt sich dies nicht zuletzt daran, dass, als er noch nicht das Amt des geschäftsführenden Hauptwachtmeisters innehatte, er sich den Kompanieangehörigen weit zurückhaltender gegenüber verhalten haben soll. Nach seiner Beförderung war er bei den Polizisten jedoch, „soweit sie nicht mitgemacht haben – gefürchtet“. Ständig wurden sie „durch seine Schikane gedemütigt, herabgesetzt und gepeinigt“.629 Hierzu nutzte er vor allem seine offiziell bestehenden Kompetenzen. Für Mitglieder militärischer Organisationen ist bekannt, dass sie sich stets in einer „Normenfalle“630 befinden. Durch die offiziellen Anforderungen von Militäreinheiten werden sie absichtlich und permanent überfordert. Insbesondere traf dies auf die relativ alten und schlecht ausgebildeten Reservisten zu. Wie typischerweise alle Militärangehörigen befanden sie sich in einem „Zustand der ständigen Kritisierbarkeit“,631 denn in militärischen Organisationen bestehen offiziell derart viele Vorschriften, dass sie nie durch ein Mitglied komplett erfüllt werden können. So soll beispielsweise der Spieß der 2. Kompanie seinen Untergebenen vor dem Beginn ihrer Freizeit eingeschärft haben: „Wenn Sie 10 Schritte aus der Unterkunft sind, haben Sie sich schon 20-mal strafbar gemacht.“632 In der Praxis konnten bereits Kleinigkeiten eine Sanktionierung auf Basis der „Normenfalle“633 hervorrufen. Ein Mann der 1. Kompanie erinnerte sich: Nach „langer Anreise zum Bataillon war mein Anzug nicht ganz in Ordnung, das heißt

628 Ebd., S. 15. Für die Kontrolle der Kleidung nach Übungen vgl. ebd., S. 19. 629 Aussage Anton Lange vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 41). Zuvor habe der vorherige Spieß Riewald sich bemüht, Risse zu kitten und Brunst sei zurückhaltender gewesen. Vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 46). Er hielt fest: „Ich bügelte die Angelegenheit dann immer wieder aus.“ Allgemein zur Methode Gruppenmitglieder unter Druck zu setzen, um die eigene Position zu festigen, vgl. Kühne, Kameradschaft, S. 117. 630 Ulrich Herrmann, „Wir wurden zu Soldaten verarbeitet“. Wie man Soldaten für Hitlers Krieg machte. In: ders./Rolf-Dieter Müller (Hg.), Junge Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Kriegserfahrungen als Lebenserfahrungen, Weinheim 2010, S. 41–63, hier 51. 631 Olaf Kranz, Interaktion und Organisationsberatung, Wiesbaden 2009, S. 308. 632 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 15. Ganz ähnlich führte auch Wenzel an, dass jede „Entfernung von der Kompanie als Fahnenflucht“ gewertet worden sei. Vgl. Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 16). 633 Herrmann, Soldaten, S. 51. Vgl. auch Apelt, Militär, S. 193.

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mir war ein Knopf von der – ich berichtige – ein Stern von den Uniformachselstücken verlorengegangen. Der Anzug war unsauber, und der Tschako saß nicht richtig.“634 Hierauf sei er drastisch beschimpft und bedroht worden. Ebenso erging es auch Kreulich. Wegen einer Fußverletzung soll er zeitweise eine Bandage getragen haben. Dies aufgreifend „brüllte ihn Brunst in Gegenwart von allen Kompanieangehörigen – es war auf einem Bahnsteig mitten in Russland – wegen des unvorschriftsmäßigen Anzuges an“.635 Durch solche Schikanen wurde die Angst gefördert, bestraft zu werden. Die Funktionsunteroffiziere wie Brunst hatte vielen Kompanieangehörigen „gegenüber immer etwas auszusetzten, obwohl ein Grund kaum vorhanden war“.636 Er soll dabei sogar so weit gegangen sein, Unwahrheiten zu nutzen, um Bataillonsangehörige zu denunzieren. Um einer Bestrafung für ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Verfehlungen zu entgehen, kam es zu einer Form des informellen Tauschs. Straferlass wurde unausgesprochen gegen willfähriges Verhalten getauscht. Sich anzupassen erschien so für die meisten Polizisten auch für zukünftige Entscheidungsprozesse als opportun.637 Generell scheint der Druck, der auf den einfachen Mitgliedern der Dortmunder Polizeieinheit durch Schikanen und Ängste wirkte, erheblich gewesen zu sein. Die Kompanieangehörigen suchten durchaus untereinander nach Hilfe, um dem begegnen zu können. Einer der Polizisten „habe um Rat gefragt“, was er tun könne, da er die „Schikaniererei durch Brunst und Mehr nicht mehr ertragen“ habe.638 Er fand aber keine Lösung. Wie den meisten Männern wurde ihm klar, dass dem psychischen Druck kaum direkt entgegenzuwirken war. Die Lage einzelner Männer der Polizeieinheit scheint deshalb sehr angespannt gewesen zu sein. Sippel fasste sogar zusammen: „Abgesehen von dem Vorfall, der zu meiner Strafversetzung zwecks Frontbewährung führte, hat mich Brunst schikaniert, wo er konnte, sodass ich den Vorsatz gefasst hatte, ihn bei der ersten besten Gelegenheit umzulegen.“639 Dass dies jedoch kaum eine praktikable Lösung war, soll Sippel unterstützt von Schellenberger selbst eingesehen haben. Der Polizist habe die geplante Tötung nicht durchgeführt „damit er sich und seine Familie nicht unglücklich machte“.640 634 Aussage Ludwig Junker vom 6.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 69). Für die Vorgaben zur Dienstuniform vgl. die Polizeibekleidungsvorschrift von 1940 in: RMBliV 1940, S. 260. Ebenso vgl. Kameradschaftsbund Deutscher Polizeibeamter (Hg.), Deutscher Polizeikalender 1942. Taschenbuch für Polizei-, Gendarmerie-, Kriminal- und Verwaltungsbeamte. 17. Jahrgang, Berlin 1942, S. 263; Bestrafungen innerhalb der Schutzpolizei Posen vom 4.4.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 13). 635 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 38r). Ebenso vgl. Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 40). 636 Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 59r). 637 Für Brunsts Verwendung von Unwahrheiten, um Konkurrenten zu belasten, vgl. Aus­ sage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 44r). 638 Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 81). 639 Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 67). Zur Ratlosigkeit der Männer, wie sie mit dem Druck umgehen sollten, vgl. Aussage Franz Bayer vom 15.6.1951 (ebd., Bl. 81). 640 Aussage Karl Schellenberger vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 59r).

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Einen gewissen Schutz vor offiziellen wie informellen Sanktionierungspraktiken bestand bei denjenigen Bataillonsangehörigen, die für die dienstlichen Abläufe in der Dortmunder Polizeieinheit unverzichtbar oder zumindest wichtig waren. So waren etwa Spezialisten besser geschützt als Reservisten ohne besondere Aufgaben. Junker, dessen Dienstrang sein Vorgesetzter zuvor noch nicht anerkannt hatte, berichtete, er habe, als er nach einer Fortbildung im März 1943 zur Einheit zurückkehrte, „unter Schikanen nicht mehr zu leiden“ gehabt.641 Der Polizist war inzwischen ausgebildeter Sanitäter und wurde für Einsätze des Bataillons benötigt und nun offenbar wertgeschätzt. Für die meisten Männer des Bataillons scheint jedoch die einfachste Methode, um sich nicht einmal leichtem Druck aussetzen zu müssen, konformes Verhalten im Sinne ihrer Vorgesetzten gewesen zu sein. Dabei waren viele Polizisten auch bereit, eigentlich illegalen und somit nicht formalisierbaren Erwartungen nachzukommen. Ein angenehmer Alltag war ihnen schlicht wichtiger als das Wohlergehen der Zivilbevölkerung. So habe sich etwa auch Brunst gegen den Kompaniechef „nicht durchzusetzen vermocht, um Nachteile für sich zu vermeiden“.642 Delisch hielt schriftlich fest, man habe mitgemacht, „um sich keinen Unannehmlichkeiten auszusetzen“.643 Folgten Polizisten in solch opportunistischer Weise den Vorstellungen von Entscheidungsträgern, so ließ sich noch nicht einmal sagen, dass der ansonsten brutale und aggressive „Hauptmann Mehr ein besonders strenger oder unerbittlicher Vorgesetzter gewesen sei“. Ganz im Gegenteil sei dieser, laut Oestreich, kooperierenden Personen in „kameradschaftlicher Form zugetan“ gewesen.644 Auch Wilhelm Boris meinte, dass Mehr „ein jovialer und umgänglicher Vorgesetzter“645 sein konnte, wenn er dies denn wollte. Grunwald schließlich urteilte sogar über den im Krieg gefallenen Kompaniechef, den man also nicht aus juristischen Gründen schützen musste, dass sich dieser „im Rahmen des Kompaniedienstes als ein anständiger Mann gezeigt“ habe.646 Das opportunistische Interesse an einem durch Kooperation mit Vorgesetzten geprägten angenehmen Alltag trug offensichtlich stark zum konformen Verhalten der Polizisten bei. Hinzu kam, dass viele Akteure die schützende, mehr oder weniger ver­trauens­basierte Gemeinschaft, die sich quasi als Familien­ ersatz entwickelt hatte, nicht verlieren wollten. So habe es zahlreiche ­Akteure gegeben, die dem vorherrschenden Druck, etwa durch Hauptmann Mehr, „freudig folgten“.647 Es war üblich, dass man „mitmachte, und sich durch seinen Ausschluss aus dieser Gesellschaft nicht unbeliebt machen wollte“.648 641 Aussage Ludwig Junker vom 6.3.1951 (ebd., Bl. 69). 642 Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 63). 643 Brief von Hans Delisch an Polizeidirektor Kannig vom 6.6.1951 (ebd., Bl. 89r). 644 Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (ebd., Bl. 263r). 645 Aussage Wilhelm Boris vom 16.3.1952 (ebd., Bl. 265r). 646 Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 162r). 647 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 119r). 648 Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 64).

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Auf diese Weise bildeten sich Cliquen, welche die Männer zum voraus­ eilenden Gehorsam antrieben. Die Polizisten gingen dabei sogar so weit, sich gegenseitig Gewalt zuzufügen. Wer sich nicht konform verhielt, konnte vielleicht nicht offiziell bestraft werden, musste aber dennoch mit „fühlbaren Strafen“649 in völliger Übertretung aller Regeln des Militärstrafgesetzbuchs rechnen. Nahlmann schilderte einen solchen Fall aus seiner Ausbildungszeit. Während dieser habe sich ein Mann betrunken und sei dann „zum Vergnügen“ eines Vorgesetzten unter dem Lachen der Beteiligten „mit Schuhwichse am ganzen Körper eingeschmiert“ worden. Nahlmann urteilte, ohne die demütigende Dimension dieses Vorgehens zu erwähnen: „Es fand sich auch ein Kamerad, der die ganze Szene knipste, die Bilder wurden schön.“650 Dass es sich auch hierbei um ein Sanktionierungsmittel von Vorgesetzten und keinesfalls um einen harmlosen Streich handelte, zeigt eine Anordnung des Reichsführer-SS. In dieser wurde festgehalten: „Die Pflicht des Vorgesetzten, sich Gehorsam zu verschaffen und diesen nötigenfalls mit allen Mitteln zu erzwingen, besteht auch gegenüber betrunkenen Untergebenen. Allerdings ist nach Möglichkeit eine unmittelbare Einwirkung auf den Untergebenen zu vermeiden, sie hat durch Kameraden zu erfolgen.“651 Die implizite Billigung inoffizieller Gewalthandlungen durch die höhere Führung der Polizei schuf auch ein Bedrohungspotenzial innerhalb der Teileinheiten des Bataillons 61, das dazu beitrug, dass man sich „innerhalb der Kompanie zurückhielt“.652 Anders als die Unterführer und Mannschaften waren die Offiziere der Dortmunder Polizeieinheit aufgrund ihres konformen Handelns und ihrer fast ausnahmslosen nationalsozialistischen Prägung keinem besonderen Druck durch die Führung des Bataillons ausgesetzt. Offensichtlich stellten eher die Polizisten im Mannschaftsdienstgrad einen Unsicherheitsfaktor dar, den es durch Druck zu kontrollieren galt. Am Beispiel des Hauptmanns der 2. Kompanie wird dennoch deutlich, dass auch die Kompanieführer Ziel von Sanktionierungspraktiken werden konnten. Diese fußten jedoch weniger auf der Erzeugung von Konformität als auf der Abgrenzung von Personen, die als Polizeioffiziere nicht

649 Aussage Otto Kobitzki vom 21.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 43r). Passend zu solchen Maßnahmen berichtete beispielsweise ein Musiker der 4. Kompanie des Bataillon 308, er sei schwer zusammengeschlagen worden. Vgl. Aussage Ernst Zapp vom 14.12.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 36, Bl. 16531). Allgemein zur gewaltsamen Disziplinierung durch Kameraden vgl. Kühne, Kameradschaft, S. 125 f. Dabei war eigentlich klar, dass körperliche Gewalt eindeutig den geltenden Gesetzen widersprach. Vgl. Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, Hauptamt SS-Gericht (Hg.), SSund Polizeigerichtsbarkeit, S. 58; Paragraf 122 MStGB. Für das Bestehen von Cliquen im Bataillon 61 vgl. Aussage Anton Lange vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 41). Allgemein zur körperlichen Gewalt unter Kameraden, hier jedoch auf die Kriegsgefangenschaft bezogen, vgl. Römer, Kameraden, S. 107 f. 650 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 5. 651 RFSS an das Kommando der Schutzpolizei betr.: Gefährdung der Manneszucht durch Trunkenheit vom 3.1.1941 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 40). 652 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 217).

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voll in das NS-Weltbild anderer Akteure passten. Wannemacher selbst meinte, dass er, da er „weder der Partei noch der SS angehörte und auch nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten war, dienstlich manche Schwierigkeiten gehabt habe, denn ein Großteil der Polizeioffiziere stammte aus dem SS-Führerkorps. Auf diese Weise kam es, dass [er] über manche Dinge, die für [ihn] als Polizeioffizier interessant gewesen wären, oft überhaupt nicht oder nur unzureichend unterrichtet wurde.“653 Oberleutnant Fockenbrock hingegen deutete an, dass auch SS-Mitglieder wie er selbst, wenn sie in der Polizei eingesetzt waren, gewissermaßen benachteiligt wurden. Insbesondere habe er dort wichtige Informationen aus der SS nur durch Gerüchte erfahren. Der Bataillonsadjutant Krehnke war vor dem Krieg sogar in eine Schlägerei verwickelt worden, da sich ein SA-Obersturmbannführer weigerte, jemandem, der „nur“ Polizeioffizier war, Namen und Dienstnummer zu nennen. In einigen Fällen nutzten Polizeioffiziere aber auch untereinander Sanktionierungspraktiken, um sich gegenseitig bloßzustellen. Hierdurch demonstrierten sie die eigene Überlegenheit und Stellung bei eigentlich gleichem Dienstrang. So beschreibt Nahlmann in seinen Erinnerungen, wie sich ein Hauptmann nicht nur darauf beschränkte, den Reservisten „einige Liebenswürdigkeiten“654 entgegen zu brüllen. Vielmehr hätte er sich auch in den Dienst­unterricht eines dienstranggleichen Kollegen geschlichen. Dort konnte er „immer so Fragen stellen, die keiner beantworten konnte“.655 Dadurch stellte er nicht nur die Männer, sondern auch ihren Ausbilder bloß. Wenn er damit fertig und wieder gegangen war, soll der eigentlich verantwortliche Offizier gesagt haben: „Da seht ihr’s, vor’m Deuwel ist man keine Viertelstunde sicher.“656 Weit übertrieben scheint hingegen das von Mitgliedern der Dortmunder Poli­ zeieinheit präsentierte Narrativ, Major Dederky habe als Bataillonskommandeur unter dem Druck gestanden, Hauptmann Mehr zu unterstützen. Sicher besaß der Chef der 1. Kompanie gute Kontakte etwa zum stellvertretenden Gauleiter Vetter. Die Aussage aber, dass „Dederky selbst eine Denunziation durch Herrn Mehr befürchten musste“,657 ist wenig glaubwürdig. Zum einen 653 Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 68). 654 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 3. Für Krehnkes Schlägerei vgl. Akte Hans Krehnke (BA R 9361 SSO 211, Bl. 323). Auch der Chef der Ordnungspolizei beschwerte sich bei Himmler, dass Polizeioffiziere nicht als vollwertig durch Mitglieder von NS-Organisationen betrachtet wurden. Vgl. Schreiben von Kurt Daluege an Heinrich Himmler vom 5.4.1936 (BA R 19 Nr. 395, Bl. 94). Für das von Fockenbrock dargestellte Problem vgl. Schreiben von Fockenbrock an die SS-Personalkanzlei betr.: Auskunft über Heiratsgenehmigung vom 23.7.1939 (BA R 9361 SSO 213, Bl. 1496). 655 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 2. 656 Ebd., S. 3. 657 Aussage Joseph Figiel vom 2.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 71). Für Mehrs NS-Netzwerk vgl. Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 233). Insbesondere für die Verbindung zu Vetter vgl. Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 188r). Dass dieser Kontakt aber nur bedingt nützlich war, zeigt sich u. a. daran, dass Mehr nie eine weitreichende Karriere im NS-Regime machte.

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besaß der Bataillonskommandeur ein eigenes Netzwerk innerhalb des NS-Regimes und zum anderen konnte ein Vorgesetzter einen unliebigen Untergebenen relativ einfach durch eine Versetzung entfernen.658 Auch für Polizisten, die nicht durch von Vorgesetzten und Kameraden ausgehende soziale Sanktionierung betroffen waren, konnte der Einsatz in Osteuropa durchaus psychologisch belastend sein. In milder Form resultierte dies beispielsweise aus den oftmals schlechten Unterkünften oder auch aus der unzureichenden offiziellen Verpflegung. Auch die klimatischen Bedingungen, etwa das Wachestehen in Warschau im Winter bei Eisregen oder das erfolglose Jagen von vermeintlichen Partisanen in hochsommerlichen Sümpfen Russlands spielte eine Rolle. Die für die Masse der Polizisten aus der Heimat unbekannten Verhältnisse waren insbesondere für die körperlich weniger belastbaren, älteren Reservisten bedrückend. Eigentlich wurden sie ja gerade, um sie nicht zu sehr zu überfordern, bei der Polizeireserve anstatt in Fronteinheiten eingesetzt. Zusätzlich belastend war für die Polizisten schließlich auch die in den okkupierten osteuropäischen Gebieten vorherrschenden allgemeinen Lebensumstände der Bevölkerung. Ohne ihre eigene Mitverantwortung hieran zu erkennen oder einzugestehen, führten Mitglieder des Bataillons 61 nach dem Krieg beispielsweise aus, man „habe im Ghetto schaurige Bilder erlebt“.659 Es hätten „eiserne Nerven dazu [gehört], den Anblick zu ertragen, der [ihnen] im Ghetto geboten wurde“.660 Obwohl der Dienst nicht nur unangenehm war, sondern auch persönliche Vorteile mit sich brachte, sei es vorgekommen, dass Polizisten „Sehnsucht nach der Heimat“ bekamen.661 Hierfür war auch ausschlaggebend, dass viele der Bataillonsangehörigen das erste Mal in ihrem Leben über einen längeren Zeitraum von ihrer Heimatregion und vor allem ihren Familien getrennt waren. Statt sich in ihrem gewohnten Umfeld zu bewegen, befanden sie sich in einer Umgebung, die sie ablehnten und meist sogar verachteten. Insbesondere in Fällen, wo Männer der Polizeieinheit auch noch mit den erläuterten unkameradschaftlichen Verhältnissen in Kontakt kamen, konnte die Militäreinheit so keinesfalls einen wirkungsvollen Familienersatz darstellen. Entsprechend konnte der Verband auch belastende Aspekte des Einsatzes weniger gut kompensieren, als dies in einer verschworenen Gemeinschaft vielleicht möglich gewesen wäre. Eine weitere Belastung stellte für die Reservisten des Bataillons 61 die alliierte Bombardierung des Reichsgebietes dar. Da die Männer meist im Zivil­leben freien Berufen nachgingen, etwa als eigenständiger Kaufmann, befürchteten sie, ausgebombt zu werden. Man hatte Angst, die eigene Existenzgrundlage zu verlieren. Noch sorgenträchtiger war für die Polizisten der Dortmunder

658 Für Dederkys Netzwerk siehe Kapitel III.2. 659 Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 26.4.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 10). 660 Aussage Franz Bayer vom 17.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 34r). 661 Brief von Walter Donnewitz an seine Kameraden in der Heimat vom 6.10.1939 (BStU MfS HA IX/11 RHE 44/74 DDR, Bl. 29).

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Polizeieinheit die Lage ihrer in der Heimat zurückgebliebenen Familien. Anders als die in Osteuropa eingesetzten Männer waren ihre meist im Ruhrgebiet angesiedelten Frauen und Kinder durch Angriffe der alliierten Luftwaffen bedroht. Schon während des Einsatzes bei der schweren Bombardierung Münsters hatten dies Mitglieder des Bataillons 61 direkt und aus nächster Nähe erlebt. Die zunehmende Intensität des Luftkrieges ließ sich kaum verschleiern oder schönreden.662 Dass es sich dabei nicht nur um eine abstrakte, sondern sehr konkrete Bedrohung handelte, wurde den Polizisten vor Augen geführt, wenn Kameraden Sonderurlaub für die Beerdigungen von Luftkriegstoten beantragten. Allein Schmitz sei 1942 viermal wegen „Todesfällen in der Familie durch Bombenangriffe in die Heimat“ gefahren.663 Auch vonseiten der Insassen des Warschauer Ghettos wurde wahrgenommen, dass die Kriegssituation ihre Bewacher belastete. Ber Warm hielt fest, die Polizisten seien „ermüdet durch den langen Krieg und besorgt um das Schicksal ihrer Familien“ gewesen, welche „in der Heimat zurückgeblieben waren“. Um sich davon abzulenken, dass ihre Frauen und Kinder „durch Bombardierungen bedroht“664 waren, hätten die Polizisten gerne zerstreuende Gespräche mit Mitgliedern des jüdischen Ordnungsdienstes geführt. Gegen Ende des Russlandeinsatzes des Bataillons 61, als die Dortmunder Polizeieinheit direkt im Fronteinsatz stand, kamen typische weitere Soldatensorgen hinzu. Die schlechte Ausbildung und Ausrüstung der Einheit sowie die erdrückende sowjetische Übermacht ließen Verwundung, Tod oder die gefürchtete Kriegsgefangenschaft zur belastenden Drohkulisse werden. Neben solchen, von außen an die Polizisten herangetragenen Faktoren waren auch Tätigkeiten psychologisch herausfordernd, zu denen sich die Bataillonsangehörigen mehr oder weniger freiwillig bereitfanden, bzw. von denen sie sich nicht freistellen ließen. Insbesondere die massenhafte Gewalt gegen Zivilisten wurde als durchaus beklemmend erlebt. Schon über den ersten Einsatz der Poli­ zeieinheit 1939/40, bei dem zahlreiche Menschen gewaltsam deportiert oder direkt erschossen wurden, hieß es: „Nervenzusammenbrüche von Polizeibeamten sollen keine Seltenheit gewesen sein.“665 So seien nach der außer Kontrolle geratenen Aktion in Leslau zur Kaserne „heimkehrende Kameraden seelisch wie körperlich völlig herunter gewesen“.666 Körner führte aus, dass in diesem

662 Allgemein für den Luftkrieg vgl. Richard J. Overy, Der Bombenkrieg. Europa 1939 bis 1945, Berlin 2014. 663 Aussage Karl Schmitz vom 28.7.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 145). 664 Zeitzeugenbericht Ber Warm (YVA O.3 Nr. 411). Ebenso vgl. Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 455. 665 Schreiben betr.: Wiedereinstellung des ehemaligen Polizeimeisters Brunst vom 3.6.1947 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). In ähnlicher Form vgl. Bericht von Friedrich Kehler an die brit. Besatzungsbehörde vom 29.11.1945 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 20). 666 Zusammenfassung des Ermittlungsstands durch KK Löblein vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 196).

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Fall, wie allgemein nach Exekutionen verschiedene Bataillonsangehörige sehr angespannt waren und zunächst nicht in der Lage gewesen seien, zu essen. Ihm selbst sei es „nach der Aktion in Ostrowo genauso ergangen.“667 Auch beim Einsatz der Einheit 1942 kehrten die Männer des Bataillons etwa von Exekutionen mit deutlichen Belastungserscheinungen zurück. Es hieß: „Alle waren still und verschwanden schnell auf ihren Stuben.“ Karl Wolter habe Nahlmann in diesem Zusammenhang empfohlen, sich jedes „Gefühl“668 am besten abzugewöhnen. Tiemann meinte, man habe nicht nur wegen des vorherrschenden Gruppendrucks, sondern auch wegen der „unmenschlichen Taten gegen die Juden“ beim Einsatz „in Warschau menschlich sehr viel durchgemacht“.669 Es verwundert kaum, wenn er zu Protokoll gab, er sei „außerordentlich verwirrt und erregt gewesen“,670 wenn beispielsweise bei einer misslungenen Exekution „das Gehirn eines getroffenen Polen bis auf den Stahlhelm“ spritzte.671 Auch die nach den ersten Schüssen unruhig werdenden Opfer, die realisierten, was ihnen bevorstand und teilweise um ihr Leben flehten, belasteten zumindest einige der Schützen. Für die zahlreichen Familienväter der Polizeieinheit war es schließlich auch herausfordernd, Frauen und Kinder zu töten, die sie an die eigene Familie erinnerten. Ebenso dürfte sich belastend ausgewirkt haben, dass während des Russlandeinsatzes des Bataillons 61 ganze Familien in ihren Häusern verbrannt oder erschossen wurden. Dies konnte auch ein Rotationsprinzip, das nicht dauerhaft zum Töten einteilte, und die Ausgabe von Alkohol nicht völlig abfedern. Auch dass Exekutionen angeblich „möglichst human“672 ausgeführt wurden, half nicht. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es immer wieder nötig gewesen sein soll, dass sich Männer wie Dittmann zu Exekutionen freiwillig meldeten, wenn andere „Kameraden infolge Nervenzusammenbruchs hierzu nicht in der Lage

667 Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 20). Allgemein zur belastenden Situation von Massenerschießung vgl. David Kittermann, Those Who Said „No“. Germans Who Refused to Execute Civilians During World War II. In: German Studies Review, 11 (1988) 1, S. 241–254, hier 241 f.; Curilla, Ordnungspolizei, S. 930 f. 668 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 17. 669 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 38). 670 Aussage Erich Tiemann vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 18). 671 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 17. Ebenso für die austretende Gehirnmasse vgl. Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 67). 672 Aussage Julius Wannemacher vom 24.10.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 205r). Zum Einsatz von Alkohol und dem Rotationsprinzip bei Tötungen vgl. Aussage Karl Schmitz vom 10.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 24). Zur Anwesenheit von Frauen als Störfall bei Exekutionen, weswegen Nord bei seinem späteren Bataillon um Freistellung für seine Männer gebeten haben will, vgl. Aussage Walter Nord vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1, Bl. 75). Exemplarisch für das Problem Kinder zu töten vgl. Aussage Otto Kobitzki vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 122). Für die Reaktion der Opfer vgl. Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 56).

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waren“.673 Ebenso sollte jedoch nicht unterschlagen werden, dass die Männer sich diese Belastung, möglicherweise in Verkennung oder Demonstration der eigenen „Härte“, selbst zumuteten. Niemand wurde gezwungen zu töten. Die Verkettung von Belastungen durch Einsätze, Sanktionierungspraktiken und angespannte familiäre Verhältnisse konnte teilweise so drastisch wirken, dass einzelne Akteure des Bataillons 61 sich selbst töteten. Generell stellte die Einheit dabei in der Polizei keine Ausnahmeerscheinung dar. So hielt man auf Basis von 1925 bis 1937 gesammelten Daten zu Selbsttötungen innerhalb der preußischen Polizei fest: „Die Zivilbevölkerung fremder Staaten hat, ähnlich wie diejenige Preußens, gegenüber dem Heere eine weit niedrigere Selbstmordhäufigkeit.“ Dies unterstreicht die besondere mentale Herausforderung, sich in einer militärischen Organisation längerfristig aufzuhalten. Dies traf auch auf die Polizei zu. Während man der Reichsmarine eine Suizidquote von 0,19 Promille und dem Reichsheer eine Quote von 0,43 Promille zuschrieb, soll die Quote in der preußischen Polizei bei 0,84 Promille gelegen haben. Eine solch erheblich höhere Selbsttötungsrate löste auch in der Polizei Bedenken aus, weswegen es hieß: „Dem Selbstmordproblem wird bei der Polizei seit Jahren erhöhte Beachtung geschenkt.“674 Daluege als Chef der Ordnungspolizei nahm Anfang 1938 dazu Stellung. Die zahlreichen Berichte über Suizide, die im Hauptamt Ordnungspolizei eingingen, sprächen „eine ernste Sprache“. Anhand der Unterlagen lasse sich „nicht nur eine Häufung der Selbstmordfälle an sich erkennen, sondern darüber hinaus eine tiefe, seelische Not, in der sich namentlich Angehörige aller Polizeidienstzweige der uniformierten Ordnungspolizei in den Lebensabschnitten zwischen

673 Bericht zur Entnazifizierung von Tobias Ditmann vom 27.1.1949 (LAV NRW, R, NW 1097-4037, unpag.). 674 Ernst Bergin, Statistik des Selbstmords bei der Preußischen Polizei 1925–1937. In: Reichs- und Preußisches Ministerium des Innern (Hg.), Vorträge und Arbeiten aus dem Gebiet des Polizeisanitätswesens 1938, Berlin 1939, S. 180–194, hier 185. Zur Selbsttötungsquote der Polizei im Vergleich zu Heer, Marine und Luftwaffe vgl. ebd., S. 183. Zur Häufigkeit der Todesarten vgl. ebd., S. 192. Für die Entwicklung der Selbsttötungsrate in der preußischen Polizei von 1932 bis 1938 vgl. die jährlichen Auswertungen bei Schoenhals, Die Selbstmordfälle in der staatlichen preußischen Polizei im Jahre 1932. In: Preußisches Ministerium des Innern (Hg.), Vorträge und Arbeiten aus dem Gebiet des Polizeisanitätswesens 1933, Berlin 1934, S. 201–204 (39 Selbsttötungen, S. 201). Sowie ders., Die Selbstmordfälle in der staatlichen preußischen Polizei im Jahre 1933. In: Preußischer Ministerpräsident (Hg.), Vorträge und Arbeiten aus dem Gebiet des Polizeisanitätswesens 1934, Berlin 1935, S. 195–199 (59 Selbsttötungen, S. 195). Ders., Über die Selbstmordfälle der Jahre 1934–1935. In: Reichs- und Preußisches Ministe­ rium des Innern (Hg.), Vorträge und Arbeiten aus dem Gebiet des Polizeisanitätswesens 1935, S. 243–250 (20 Selbsttötungen, S. 243). Bei ders., Über die Selbstmordfälle des Jahres 1936–1937. In: Reichs- und Preußisches Ministerium des Innern (Hg.), Vorträge und Arbeiten aus dem Gebiete des Polizeisanitätswesens, S. 380–386 (45 Selbsttötungen, S. 381). Ders., Die Selbstmordfälle des Jahres 1937. In: Reichs- und Preußisches Ministerium des Innern (Hg.), Vorträge und Arbeiten aus dem Gebiet des Polizeisanitätswesens 1938, S. 170–180 (21 Selbsttötungen, S. 170). Für die Kriegszeit existieren solche Statistiken nicht mehr.

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dem 35. und 50. Lebensjahre befinden“.675 Es handelte sich also schwerpunktmäßig um die Altersgruppe, zu der auch die meisten Reservisten des Bataillons 61 zählten. An anderer Stelle hielt Daluege fest, solche Männer seien so oft von Selbsttötungen betroffen, da sich bei ihnen das für ihren „Lebensabschnitt typische vorübergehende Nachlassen der Spannkraft“ zeige und sich deswegen „durchaus unbegründete Minderwertigkeitsgefühle“676 einstellen würden. Laut dem Chef der Ordnungspolizei müsse deshalb die „Rückbildung von Geist und Körper“ und die damit verbundenen „Depressionen“677 abgefangen werden. Dabei übersah oder verschwieg er bewusst, dass sich auch der Druck von Vorgesetzten und Kameraden auf die Ordnungshüter auswirkte. Daluege verlangte insbesondere von den Offizieren, ältere Polizisten zu entlasten. Es hieß: „Die Fürsorge für sie muss das oberste Gesetz aller Ihrer Überlegungen, Handlungen und Gebote sein.“ Schließlich bedeute dies „nichts anderes, als dass Sie in der Ihnen gegenüber Ihren Männern verliehenen Autorität nichts“ zu sehen hätten, „als die heilige Verpflichtung, ihnen der gute Kamerad zu jeder Zeit und in allen Lebenslagen zu sein“.678 Belastungssymptome zeigende Polizisten sollten „eine anteilnehmende Beratung oder […] Zuspruch“ erhalten.679 Ebenso sah Daluege auch die „Gewährung einer Erholungskur“680 als zielführend an. Dass diese Prinzipien so gut wie überhaupt keine Anwendung im Bataillon 61 fanden und sogar meist das genaue Gegenteil praktiziert wurde, lag u. a. in einem Gesinnungswechsel der Polizeiführung im Jahr 1939 begründet. Daluege legte seinen verständnisvollen Ansatz ab und entwickelte eine Sichtweise auf Selbsttötungen, die sich stark auf eine vermeintliche „Minderwertigkeit“ der Betroffenen fokussierte. Er urteilte, nur 15 Prozent der Suizide seien seiner Meinung nach im nationalsozialistischen Sinne akzeptabel. Die restlichen 85  Prozent würden rein aus Furcht und „Drückebergerei“ geschehen. Wenig später wurde diese Sichtweise auch durch Himmler bestätigt, der generell Selbsttötungsversuche als reine Feigheit interpretierte und für misslungene Versuche harte Strafen androhte. Die Verantwortung für Suizide verschob sich damit von einer Verantwortung der Organisation hin zur Fehlerhaftigkeit des einzelnen Akteurs.681 675 Häufung der Selbstmordfälle in der uniformierten Ordnungspolizei und Fürsorge der Dienstvorgesetzten vom 20.12.1938 (APP 299 Nr. 1218, Bl. 485). Vgl. auch die Statistik in: Schoenhals, Selbstmordfälle (1939), S. 171. Dort wird festgehalten, dass insbesondere die Altersgruppen zwischen 30 und 39 Jahren mit 28,5 % und zwischen 40 und 49 Jahren mit 47 % besonders stark betroffen waren. 676 Häufung der Selbstmordfälle in der uniformierten Ordnungspolizei und Fürsorge der Dienstvorgesetzten vom 20.12.1938 (APP 299 Nr. 1218, Bl. 485). 677 Ebd., Bl. 487. 678 Ebd., Bl. 485. 679 Ebd., Bl. 486. 680 Ebd., Bl. 487. 681 Für Himmlers Verständnis von Suizidfällen vgl. 11. Sammelerlass des RFSS vom 15.5.1942 (BA NS 7 Nr. 4, Bl. 148). Für Dalueges Sichtweise vgl. Selbstmorde von SS-Angehörigen vom 1.4.1939 (GStA PK VI. HA, Nl. Daluege Nr. 106, unpag.).

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Innerhalb der Dortmunder Polizeieinheit ereigneten sich während des Zweiten Weltkriegs mindestens zwei Suizide. Zum ersten kam es laut Klemp im Jahr 1941, was sich jedoch anhand verfügbarer Quellen nicht genau nachvollziehen lässt. Während des Einsatzes des Bataillons in Warschau kam es zu einer weiteren Selbsttötung, die relativ gut dokumentiert ist. Am 17. August 1942 erschoss sich der Rottwachtmeister der Schutzpolizeireserve Gustav Zimmermann aus der 2. Kompanie. Am Folgetag meldete dies Bataillonskommandeur Dederky vorschriftsgemäß schriftlich an das Polizeiregiment 22, dem das Bataillon 61 verwaltungstechnisch unterstand, wobei er verschiedene Ermittlungsergebnisse beilegte. Aus diesen geht hervor, dass Bekannte den Reservisten noch am 16. August angetrunken an einer Straßenbahnhaltestelle antrafen, wobei er ein „verstörtes Benehmen“682 gezeigt habe. Von dort aus habe sich Zimmermann in eine für Mitglieder der deutschen Besatzungskräfte „verbotene Gaststätte“683 in der Brzeska-Straße im Warschauer Stadtteil Praga begeben. Etwa um 21 Uhr habe sich der Polizist dort am 17. August, als die Wirtin die Bar gerade schließen wollte, auf der Toilette zweimal in kurzer Folge mit einer Dienstpistole in den Kopf geschossen. Dies stellte der Gerichtsoffizier Mehr, der zugleich auch Chef der 1. Kompanie war, als erstes Mitglied des Bataillons 61 vor Ort fest.684 Der 46 Jahre alte Katholik Zimmermann hatte noch das Ende des Ersten Weltkrieges als Soldat erlebt und war im September 1941 durch die Notdienstverordnung wieder zum Dienst eingezogen worden. Seine Ausbildung erhielt er bei der Dortmunder Polizei, ehe er am 26. Januar 1942 zum Bataillon 61 in die 2. Kompanie kam. Mit seiner Frau Katharina hatte er eine acht Jahre alte Tochter, die 1942 bei einem nicht genau definierbaren Luftangriff starb.685 Bei solchen Todesfällen enger Verwandter eines Kompanieangehörigen wurde in Ausbildungsschriften für Offiziere angeraten, den Betroffenen kulant zu

682 Aussage Otto Welschke vom 18.8.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). Ebenso vgl. Aussage Paul Kocher vom 18.8.1942 (ebd.). Für die Meldung des Suizids vgl. Meldung über besondere Vorkommnisse innerhalb der Ordnungspolizei betr.: Selbstmord des Reservisten Gustav Zimmermann vom 18.8.1942 (ebd.). Generell zur Regelung, wie formell mit Suiziden durch Meldung etc. umgegangen werden sollte, vgl. Befehlshaber der ORPO betr.: Selbstmordfälle in der Ordnungspolizei vom 16.1.1941 (APP 299 Nr. 1218, Bl. 484); RMBliV 1937, S. 319. Allgemein zu Selbstmorden in Polizeieinheiten vgl. Klemp, „Nicht ermittelt“ (2011), Bl. 67–70. 683 Meldung über besondere Vorkommnisse innerhalb der Ordnungspolizei betr.: Selbstmord des Reservisten Gustav Zimmermann vom 18.8.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). 684 Für die Aufgaben des Gerichtsoffiziers vgl. Gerichtsoffiziere der Ordnungspolizei vom 15.2.1943 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 78); Bourier, Ordnungspolizei (1941), S. 318. 685 Personalbogen Gustav Zimmermann geb. 24.2.1899, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). Ebenso für die genannten Daten, jedoch nicht ganz korrekt in allen Einzelheiten, vgl. Liste RPB 61, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 195, Bl. 132). Zum Tod der Tochter vgl. Meldung über den Selbstmord des Rottwachtmeisters d. Sch. d. Res. [der Schutzpolizei der Reserve] Gustav Zimmermann, 2./Pol.9 durch Gerichtsoffizier Erich Mehr vom 18.8.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.).

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behandeln, um seine psychische Belastung nicht noch zu erhöhen. Wenn es irgendwie möglich sei, solle man dem Kompaniemitglied sofort Urlaub geben und „nicht darauf warten, ob der Mann darum bittet“. Auch solle der Kompaniechef „nicht vergessen“, dem Trauernden „ein an seine Angehörigen gerichtetes herzliches Wort der Anteilnahme mitzugeben“.686 Wannemacher als Chef der 2. Kompanie praktizierte offenbar das Gegenteil. Zimmermann erhielt keinen Urlaub, da er nicht zur Gruppe konformer Polizisten gehörte. So hatte er wegen angeblicher Verhaltensfehler schon während seiner Ausbildung drei Tage im Oktober und zehn Tage im Dezember 1941 unter Arrest gestanden.687 Zu Zimmermanns belastender Situation aufgrund des Todes seiner Tochter kam hinzu, dass er seit seiner Verwendung beim Bataillon 61 unter massiven Magenbeschwerden gelitten haben soll. Am 4. Mai sei er deswegen sogar in ein deutsches Krankenhaus in Warschau eingeliefert worden. Hier wurde er „wegen anazider Gastritis bei Resektionsmagen“ stationär behandelt und man nahm einen operativen Eingriff an ihm vor. Am 6. Juli wurde Zimmermann nicht als geheilt, aber als gebessert entlassen. Um ein Ausheilen seiner stressbedingten Erkrankung zu ermöglichen, erhielt er eine wenig belastende Tätigkeit als „Kindertransportbegleiter zu dem Kindererholungsheim in Warschau-Kolo“.688 Laut Aussage der dort verantwortlichen Oberschwester Lore Alfs begleitete der Reservist bis zum 15. August „die Sonderzüge der Straßenbahn bei der Hin- und Rückfahrt. Tagsüber war er zum Schutz der deutschen Kinder eingeteilt“.689 Dabei habe sie eine Verschlechterung seiner Gesundheit beobachtet. Der Polizist habe ständig „über heftige Magenbeschwerden und Schlafstörungen geklagt“. Dennoch habe er teilweise ungünstig gegessen und sich nicht an seine Diät gehalten, weswegen er sich dann erbrochen habe. Über sein Privatleben habe der Polizist nichts mitgeteilt, doch sei „in den letzten 14 Tagen“ schließlich „das unruhige Benehmen des Z. aufgefallen. Obwohl Z. sehr arbeitsam war und sich immer bemühte allen Anforderungen gerecht zu werden, konnte er in der letzten Zeit infolge seiner zunehmenden seelischen Erregung keine Arbeit zur

686 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 25. 687 Personalbogen Gustav Zimmermann geb. 24.2.1899, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). Zu seinem Arrest vgl. Liste RPB 61, o. D. (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 195, Bl. 132). Dort heißt es, die Inhaftierung sei in der Steinwache erfolgt. In deren Haftbüchern finden sich zwar verschiedene Einträge zu Personen mit dem Namen Zimmermann, jedoch besitzt keiner der dort vermerkten Insassen die Geburtsdaten des Reservisten. Möglich ist jedoch, dass dieses falsch eingetragen wurde. Vgl. die Haft­ bücher der Steinwache Dortmund für die Jahre 1934, 1935 und 1936 in: LAV NRW, W, Polizeipräsidien Nr. 1431. Bei Klemp heißt es, Zimmermann sei ein kommunistischer Gewerkschaftsfunktionär gewesen. Vgl. Klemp, Vernichtung, S. 123. Dies lässt sich jedoch nicht belegen. 688 Meldung über den Selbstmord des Rottwachtmeisters d. Sch. d. Res. Gustav Zimmermann durch San.Stelle Batl. Stabs-Arzt Dr. Brodmann vom 18.8.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). Zur Magenkrankheit von Zimmermann vgl. Bericht des Chefs 2./9. vom 18.8.1942 (ebd.). 689 Aussage Lore Alfs vom 19.8.1942 (ebd.).

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Zufriedenheit zu Ende führen.“690 Dennoch, so berichtete die ebenfalls im Kinderheim eingesetzte Pflegerin Emmi Salwisch, habe der Polizist darum gebeten, weiter im Kinderheim bleiben zu dürfen. Offenbar hatte er Angst zur 2. Kompanie zurück zu müssen. Somit verwundert es dann auch nur wenig, wenn deren Kommandeur berichtete: Am 17. August „wurde mir um 4:15 Uhr vor dem Abmarsch der Kompanie zu einem Sondereinsatz gemeldet, dass der Rottw. d. Sch. d. Res. Z. den Zapfenstreich überschritten habe und noch nicht zur Unterkunft zurückgekehrt sei“.691 Statt an dem vermutlich mit Gewalthandlungen verbundenem „Sondereinsatz“ teilzunehmen, beendete Zimmermann sein Leben. Besonders aussagekräftig über die Organisationskultur des Bataillons 61 ist dabei, wie im Weiteren mit der Selbsttötung umgegangen wurde. Offiziell war durch Vorschriften und das Militärstrafgesetz geregelt, dass im Fall eines Suizids, „wenn die Beweggründe in dienstlichen Verhältnissen zu suchen sind, oder wenn der Tat aus anderen Gründen besondere Bedeutung zukommt“, eine offizielle Untersuchung „erschöpfend und ohne Verweise“692 zu erfolgen habe. Um die Verfehlung von Kompaniechef Wannemacher, der häufig Druck auf Untergebene ausübte und Zimmermann den Urlaub nach dem Tod seiner Tochter verweigert hatte, zu verschleiern, stempelte man den Toten einfach als geistig krank und minderwertig ab. So erläuterte der Kompaniechef, der ihm unterstellte Reservist habe nicht nur „erhebliche Magenbeschwerden“ gehabt. Ferner hätte der Mann auch eine „krankhafte Resignation“ und „große innere Unruhe“ gezeigt.693 Vom Tod der Tochter habe der Polizist niemandem in der Kompanie berichtet. Der für das Bataillon 61 zuständige Mediziner der Stabs-Sanitätsstelle urteilte, es sei allgemein wahrscheinlich, dass im Fall Zimmermann eine „verminderte körperliche und seelische Widerstandskraft im Sinne einer anlagemäßig bedingten seelischen Minderwertigkeit mit labiler, vorzugsweise depressiver Affektlage“694 für die Selbsttötung ursächlich war. Als Gerichtsoffizier verantwortlich für die Aufarbeitung des Suizids schloss sich der Chef der 1. Kompanie seinem Kollegen aus der 2. Kompanie und dem Stabsarzt nahezu wortgleich an. In seinem offiziellen Bericht heißt es abschließend: „Ein Verschulden Dritter oder die Verletzung der Fürsorgepflicht durch Vorgesetzte scheiden nach Lage der Dinge aus.“695 Der Erfolg dieser

690 Ebd. 691 Bericht des Chefs 2./9. vom 18.8.1942 (ebd.). Für die Aussage der Pflegerin vgl. Aussage Emmi Salwisch vom 19.8.1942 (ebd.). 692 Ermittlung der Beweggründe von Selbstmorden und Selbstmordversuchen vom 27.11.1939 (BA NS 7 Nr. 2, Bl. 115). Vgl. auch die Paragrafen 97, 173, 174 MStGB und die Ausführungsbestimmungen zu Paragraf 173 MStGB. 693 Bericht des Chefs 2./9. vom 18.8.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). 694 Meldung über den Selbstmord des Rottwachtmeisters d. Sch. d. Res. Gustav Zimmermann durch San.Stelle, Batl. Stabs-Arzt Dr. Brodmann vom 18.8.1942 (ebd.). 695 Abschlussbericht über den Selbstmord des Rottwachtmeisters d. Sch. d. Res. Gustav Zimmermann vom 1.10.1942 (ebd.).

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­ erschleierungstaktik zeigte sich auch daran, dass der Leichenschein festhielt, V eine weitere Untersuchung des Falls sei nicht nötig.696 Auch bei wem sich der mit dem Dienst in der Dortmunder Polizeieinheit verbundene Stress nicht in extremer Form entlud, konnte dieser doch zu körperlichen Symptomen führen. So gab beispielsweise Albert Grünheid an, dass er nicht unerheblich „unter Magenbeschwerden gelitten habe“.697 In den Krankenakten verschiedener Mitglieder des Bataillons 61 lassen sich bis 1944 zahlreiche weitere, typischerweise mit übermäßigen Stress- und Erschöpfungszuständen verbundene Erkrankungen erkennen. Einige weitere Fälle von Stresssymptomen sind nicht unbedingt durch Krankenakten zu belegen, scheinen jedoch als Folge bereits erläuterter Sanktionierungspraktiken mehr als glaubwürdig. So gab Kreulich an, ihm sei „durch Schikane so zugesetzt worden, dass [er] im Dezember 1942 fast vor einem Nervenzusammenbruch gestanden habe“.698 Insgesamt erscheint das Bataillon 61 so nicht als kameradschaftlich zusammenhaltende Truppe, wie sie die NS-Propaganda beschwor. Vielmehr handelte es sich um einen Verbund, in dem deutliche Gräben zwischen verschiedenen Fraktionen und Akteuren verliefen. Den daraus resultierenden Druck und Stress, der sich mit der Belastung durch die Einsatzsituation verband, mussten die Männer je nach ihrem offiziellen wie inoffiziellen Status in der Einheit im unterschiedlichen Maße ertragen. Auch wenn dies für das offizielle Funktionieren des Bataillons 61 als Militär­ einheit hinderlich sein konnte, so war doch die Belastungssituation der Akteure insoweit funktional, als dass sie die Erfüllung in der Organisation bestehender informeller Erwartungen befördern konnte. Anderenfalls hätten formale Regeln die informelle Sanktionierung innerhalb der Einheit mit Sicherheit stark reduziert, wenn nicht sogar ganz unterbunden. Für das NS-Regime war es ohnehin vor allem wichtig, dass innerhalb seiner Organisationen eine „nach außen hin in Erscheinung tretende kameradschaftliche Disziplin“ bestand.699 Dies bedeutete im Bataillon 61 nichts anderes, als dass man einen Minimalkonsens fand, der daraus bestand, sich aus opportunistischen Gründen gegen die lokale Bevölkerung Osteuropas zu wenden.

696 Leichenschauschein Zimmermann vom 21.8.1942 (ebd.). Für die weiteren Maßnahmen, die im Anschluss zu ergreifen waren, etwa die Leichenfreigabe und Beerdigung, vgl. Anweisungen des Polizeiregiments 22 betr.: Selbstmord des Rottwachtm. d. Sch. d. Res. Gustav Zimmermann vom 18.8.1942 (ebd.). Für die Forderung an das Kommando der Schutzpolizei in Dortmund, einen „Fürsorgeoffizier“ zu Zimmermanns Ehefrau zu schicken, vgl. Fernschreiben an das Kommando der Schutzpolizei in Dortmund vom 18.8.1942 (ebd.). 697 Aussage Albert Grünheid vom 27.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 53). 698 Entnazifizierungsakte Kreulich, August vom 1.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1234, Anlage zu Bl. 15). 699 Schreiben der Gauleitung Wartheland in Posen betr.: Grußpflicht vom 23.5.1940 (APP 299 Nr. 3, Bl. 53). Für die Akzeptanz eines gewissen Maßes an Dissens auch in Wehrmachtseinheiten vgl. Römer, Kameraden, S. 71.

Sozialisation, Soldatentum und Gier nach Orden

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Die Sozialisation, das Soldatentum und die Gier nach Orden

Für die überwiegende Anzahl der Polizisten, die während des Zweiten Weltkrieges im Bataillon 61 ihren Dienst versahen, ist auszuschließen, dass der Nationalsozialismus sie in ihrer Jugend geprägt hatte. Bei der Machtübertragung auf Hitler waren sie bereits erwachsene und berufstätige Männer mit Familien. Dies bedeutete aber keineswegs, dass die späteren Polizisten im Kindesalter nicht bereits mit Erziehungsprinzipien konfrontiert worden waren, die auch ab 1933 als leitend angesehen wurden. Härte, Stärke, Gehorsam und andere vermeintlich soldatische Tugenden waren grundlegend für die Erziehung junger deutscher Männer seit dem späten Kaiserreich. Gewalterfahrungen gehörten dabei zum Alltag. Dies galt insbesondere innerhalb der Familien, wo physische wie psychische Gewalt ganz offen durch die Familienoberhäupter ausgeübt wurde. Ebenso war körperliche Züchtigung im Bildungssystem ein gängiges Disziplinierungsmittel für Kinder und Jugendliche.700 Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, wenn die Polizisten der Dortmunder Polizeieinheit dies verinnerlichten und beispielsweise Schläge als ein legitimes Mittel zur Beendigung von Meinungsverschiedenheiten auffassten. Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg gaben die ehemaligen Bataillonsmitglieder entsprechend wie selbstverständlich an, dass bei Deportationen „Schläge mit der Hand ausgeteilt wurden, wenn die Leute sich nicht beeilten“.701 Von den Warschauer Ghettoinsassen wurden etwa Ohrfeigen kaum als außergewöhnlich angesehen, da sie ständig durch die deutschen Wachen ausgeteilt wurden. Schließlich erschien selbst die Misshandlung von Personen, die als „Volksdeutsche“ eigentlich zur „Volksgemeinschaft“ gehörten, für die Polizisten als „normal“ und akzeptabel. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Bataillonsangehörige Derartiges auch vor Ermittlern der Nachkriegszeit ansprachen, ohne fürchten zu müssen, das eigene „Selbstbild als integre Persönlichkeit“702 zu beschädigen. Eine Form der Gewöhnung an Gewaltsituationen außerhalb ihrer Erziehung erfuhren die hauptsächlich aus dem nördlichen Ruhrgebiet stammenden späteren Mitglieder des Bataillons in der Zwischenkriegszeit. Die Jahre von 1918 bis

700 Generell zur Situation der Jugend in der Weimarer Republik vgl. Ursula Büttner, Weimar. Die überforderte Republik 1918–1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008, S. 258–268. Insbesondere zum Züchtigungsrecht innerhalb der Familie vgl. Paragraf 1631 Absatz 2 BGB [Bürgerliches Gesetzbuch] in der von 1900 bis 1958 gültigen Fassung. 701 Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 16). 702 Welzer, Täter (2009), S. 29. Für die Gewalt gegen „Volksdeutsche“ vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 21. Zur als legitim angesehenen Züchtigung von Kindern durch einen NSKK-Mann, der das Bataillon 61 unterstützte, vgl. Aussage Richard Ziemdorf vom 25.4.1953 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 2 1. Teil Mappe b, Bl. 56). Für die Alltäglichkeit von Schlägen im Ghetto vgl. Zeitzeugenbericht Elijahu Rosenberg (YVA O.3 Nr. 4039).

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Handlungsleitende Einflüsse

1939 waren derart durch offene und in verschiedener Form auftretende, teilweise bürgerkriegsähnliche Straßengewalt geprägt, dass sie auch die späteren Polizisten beeinflusste. Mit der Niederschlagung des Ruhraufstandes erlebten viele bereits aus nächster Nähe eine geradezu kriegsähnliche Gewaltsituation, die sich auf die meisten Städte des Ruhrgebietes ausgedehnt hatte. Die heftigen Kämpfe hatten eine starke Auswirkung auf die Mentalität der Zivilbevölkerung. Zahlreiche der späteren Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit nahmen auch direkt an der alltäglichen Gewalt der Weimarer Republik teil. In einigen Fällen geschah dies durch zukünftige Berufspolizisten des Bataillons 61, die bereits im Polizeidienst standen. In anderen Fällen engagierten sich die zukünftigen Angehörigen der Polizeieinheit in gewaltorientierten Gruppierungen, wie etwa der SA. Durch ihre Zugehörigkeit zu solchen NS-Organisationen wurden Männer, wie der spätere Chef der 1. Kompanie, Mehr, in „Gewaltkollektiven“ geprägt.703 In vielen Fällen ereignete sich dort auch eine „gemeinschaftliche Initiation in exzessiver Gewalt“.704 Gewalt war für die Polizisten des Bataillons 61 also auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg nichts Unbekanntes. In unterschiedlicher Intensität hatten sie sie schon zuvor selbst erfahren und teilweise auch ausgeübt. In Hinsicht auf den Kriegseinsatz der Dortmunder Polizeieinheit kam problematisierend hinzu, dass schon während der Weimarer Republik eine politische Kultur vorherrschte, welche bürgerliche Grundrechte nicht vehement verteidigte. Stattdessen waren sie durchaus aushebelbar, etwa durch den Reichspräsidenten. In der Zeit ab 1933 herrschte zusätzlich eine Atmosphäre, „welche die Verteidigung universeller Menschenrechte weder verlangt noch eingeübt, sondern als schale Aufklärungsrhetorik abqualifizierte hatte“.705 Generell gilt es zu hinterfragen, ob nicht derjenige Mann bei Kriegsbeginn 1939 eine Ausnahme in der deutschen Gesellschaft darstellte, der nach heutigen Maßstäben nicht überdurchschnittlich zur Ausübung von Gewalt neigte. Innerhalb der hier untersuchten Dortmunder Polizeieinheit lässt sich generell für seine Akteure eine in der Zeit des Nationalsozialismus häufiger zu beobachtende soziale „Disposition zur Gewaltbereitschaft“ festhalten.706 Nach dem Zweiten Weltkrieg getätigte Aussagen von ehemaligen Bataillonsangehörigen, dass man aufgrund der eigenen Erziehung pauschal „Gewaltmaß-

703 Mallmann/Paul, Sozialisation, S. 12. Zum Ruhrkampf vgl. Klaus Tenfelde, Bürgerkrieg im Ruhrgebiet 1918 bis 1920. In: Karl-Peter Ellerbrock (Hg.), Erster Weltkrieg, Bürgerkrieg und Ruhrbesetzung. Dortmund und das Ruhrgebiet 1914/18–1924, Münster 2010, S. 13–66. Vgl. auch Unterlagen für die Ansprache am Polizeigefallenendenkmal in Dortmund, o. D. (BA R 19 Nr. 379, unpag.), S. 2. Dort heißt es, „jede der Städte des Ruhrgebietes [hat] ähnliche Tage erlebt“. 704 Patrick Wagner, Der Kern des völkischen Maßnahmenstaates. Rolle, Macht und Selbstverständnis der Polizei im Nationalsozialismus. In: Schulte (Hg.), Die Polizei im NSStaat, S. 23–48, 46. 705 Wehler, Nationalsozialismus, S. 231. 706 Thamer, Nationalsozialismus, S. 441.

Sozialisation, Soldatentum und Gier nach Orden

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nahmen ablehnte“,707 mochten so im Einzelfall zutreffen, sind jedoch meist eher als Schutzbehauptungen zu betrachten. Der größte Teil der Dortmunder Polizeieinheit orientierte sich an rigorosen Männlichkeitsprinzipien und den damit verbundenen Verhaltensweisen. Diese stellten sie in durchaus demonstrativer Weise zur Schau. Besonders das Soldatenbild vieler Männer des Bataillons 61 orientierte sich dabei stark am auch durch den Nationalsozialismus propagierten Kämpfertum. Dieses besaß auch innerhalb der Ordnungspolizei Gültigkeit. So formulierte Daluege als deren Chef: „Das Ideal eines Führers ist und bleibt für mich der Frontsoldat.“708 Generell wurde kommuniziert, dass erst militärischer Dienst „eine Form der Lebenssteigerung“ bedeute, die „im höchsten Sinn des Wortes zu einem freien Mann“ mache.709 Zu einer militärischen Organisation zu gehören, bedeute die „Erfüllung des Lebensgesetzes“.710 Auch innerhalb der Polizei galt darüber hinaus: „Es kann niemals im nationalsozialistischen Staat der Grundsatz gelten: Gleiches Recht für alle, sondern nur der Grundsatz: Gleiches Recht bei gleichen Pflichten.“711 In diesem Weltbild war also nur derjenige Mann ein vollwertiges Mitglied der „Volksgemeinschaft“, der eben diese als Soldat verteidigte. Einfach formuliert bedeutete dies: „Der persönliche Wert ist mit der Waffe aufs Engste verknüpft.“712 Entsprechend behauptete das weltanschauliche Schulungsmaterial der Ordnungspolizei, dass sich am Militärdienst der rassische Wert eines Mannes bestimmen ließe.713 Auch wenn dies sicherlich als übersteigert wahrgenommen werden konnte, bestand doch innerhalb der Polizei die weit verbreitete Idee, sich als „kraftentfaltend“ beweisen zu müssen, wobei man „nie zu einem selbstzufriedenen Stillstand kommen“ dürfe.714 Himmler forderte bei seiner Amtseinführung als Chef der deutschen Polizei dazu passend die „Treue, den Geist und die Pflicht­ erfüllung“ des ihm nun unterstellten „soldatischen Korps“. Für ihn war der

707 Aussage Erich Tiemann vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 19). 708 O. V., Polizei und Kameradschaftsbund. Bedeutsame Ausführungen des Polizeigenerals Daluege. In: Kreuz-Zeitung vom 11.5.1934. Zum Ideal der Schützengrabengemeinschaft vgl. Ansprache Kurt Dalueges vor den Stabsoffizieren der Landespolizei am Dienstag im Preußenhaus Berlin vom 12.2.1935 (BA R 19 Nr. 379, Bl. 12a). Römer spricht im Zusammenhang der Männlichkeitsprinzipien von der „Leittugend der Härte“ im Denken deutscher Soldaten. Römer, Kameraden, S. 120. 709 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 35. 710 Ebd., S. 30. 711 W. P. D., Einzelehre und Standesehre. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 3 (1935) 23, S. 881–882, hier 882. 712 Rohne, Gedanken (1936), S. 28. Ebenso für diesen Ansatz vgl. Ministerialblatt des Reichsministers des Innern 1935, S. 77; Reichsführer-SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Inneren (Hg.), Polizei (1941), S. 11. 713 Vgl. o. V., SS-Mann und Blutsfrage. Sonderheft der Schriftenreihe für die Weltanschau­ liche Schulung der Ordnungspolizei, 1942, S. 27. 714 Rohne, Gedanken (1936), S. 28.

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­ niformierte Polizist ein „Soldat des Außendienstes“.715 Die Männer des Batailu lons 61 versuchten an dieses positiv konnotierte Soldatenimage anzuknüpfen. Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg präsentierten sie sich weniger als polizeiliche Ordnungshüter, sondern als Soldaten. So hieß es verschiedentlich, man habe sich „als Soldat der kämpfenden Truppe betrachtet“716 oder man habe sich als in „soldatischem Einsatz befindlich“ verstanden.717 Ebenso wurde angeführt, das Bataillon 61 habe „nur soldatische“ und „keine Polizeiaufgaben“ ausgeführt.718 Besonders wichtig war es den Männern dabei, zu betonen, dass sie wie „jeder andere Soldat auch, gegen die kämpfende feindliche Wehrmacht eingesetzt“719 wurden und man sich insbesondere in Russland „direkt im Fronteinsatz“720 befunden hätte. Sicher lässt sich anführen, dass eine solche Argumentation präsentiert wurde, um sich nach 1945 als Teil der „sauberen“ Wehrmacht in einem noch langen akzeptierten antibolschewistischen Krieg darzustellen. Dies war jedoch nur bedingt nötig, da die Ordnungspolizei bis Mitte der 1990er-Jahre als ebenso „sauber“ galt wie die Armee. Vielmehr brachten die Polizisten durch ihre Äußerungen aus Kriegszeiten stammende Wertvorstellungen zutage, die so tiefgehend waren, dass sie auch über das Kriegsende hinaus noch wirkmächtig blieben.721 Besonders für die Reservisten im Polizeidienst, die aufgrund ihres Alters nicht zur Wehrmacht herangezogen wurden, bestand ein starkes Bedürfnis, sich als Soldaten darzustellen und sich als „ganzer Mann“ zu beweisen. Dies galt umso mehr, da bereits im Dezember 1939 eine Gruppe besonders alter Reservisten des Bataillons 61 zurück ins Reich geschickt wurde, weil man diese Männer als nicht leistungsfähig genug ansah. Die Anspruchshaltung der Polizisten wurde auch seitens des NS-Regimes wahrgenommen und gezielt aufgegriffen. So hieß es in der als Kriegsbericht gestalteten Propagandaschrift „Polizei greift ein“ über die älteren Männer der Polizei: Sie „freuen sich ehrlich, dass sie als Reservisten der Polizei noch einmal ihre Pflicht erfüllen können“.722 An anderer

715 Stenogramm der Reden bei der Amtseinführung des RFSS als Chef der deutschen Polizei vom 18.6.1936 (BA R 19 Nr. 379, Bl. 5). 716 Aussage Heinrich Becker vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 208, Bl. 40). Zur Selbstdarstellung der Polizisten als vollwertige Soldaten vgl. Brief von Hans Delisch an die StA Münster vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 111); Aussage Theodor Pohle vom 14.12.1951 (ebd., Bl. 176). 717 Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 16). 718 Aussage Walter Nord vom 26.11.1947 (BA-K Z 42 III 1569, Bl. 4). 719 Aussage Heinrich Becker vom 16.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 208, Bl. 40). 720 Aussage Hermann Kreienkamp vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 120). 721 Zum positiven Image der Polizei nach dem Krieg vgl. Hölzl, Grüner Rock, S. 22–43. 722 Koschorke, Polizei (1941), S. 16. Für die im Dezember 1939 zurückgeschickten Reservisten des Bataillons 61 vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 5). Für eine positive Wahrnehmung von Armbinden, die die Polizisten temporär als der Wehrmacht zugehörig kennzeichneten, vgl. Aussage Ewald Körner vom 12.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 19); Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (ebd., Bl. 11).

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Stelle hieß es, gerade ein im höheren Lebensalter befindlicher Mann sei „stolz darauf, dabei sein zu dürfen, wo die Lebensfragen seines Volkes mit der Waffe entschieden“ werden.723 Auch das Marschlied „Die Polizeifreiwilligen“ hielt fest: „Das Vaterland braucht uns jetzt, wir sind zum Kampf bereit“ und ob „alt, ob jung, wir sind dabei“.724 Daluege will Ähnliches beim Besuch eines Polizeibataillons von den dort eingesetzten Reservisten direkt erfahren haben. Auf die Frage hin, warum sich die älteren Polizisten den Strapazen des Kriegsdienstes aussetzen würden, hätte man ihm geantwortet: „Unsere Jungen gehören an die Front, wir Alten bleiben aber nicht zu Hause.“725 Stattdessen gelte für sie: Jetzt „marschieren wir, schlafen auf Stroh wie unsere jungen Kameraden, stehen zu jedem Kampf bereit und glauben, dass wir unseren jungen Kameraden in Reih und Glied nicht nur gute Kameraden, sondern noch bessere Erzieher sind. Was wir an Erfahrungen aus dem Weltkriege und aus dem Leben mitbringen, kann sich hier beim ersten Einsatz der Polizeibataillone nur bestens auswirken.“726

Sicherlich waren diese Schilderungen überbordenden Diensteifers propagandistisch überformt. So hielt beispielsweise Nahlman über die Stimmung unter Reservisten fest, dass zunächst „keiner an Krieg dachte, geschweige denn zum auswärtigen Einsatz wollte“.727 Im Kern trafen jedoch die Schilderungen zu, dass auch Männer im fortgeschrittenen Alter ihren militärischen Beitrag zum Krieg leisten wollten. Nahlmann bezeichnete entsprechend den Dienst als „Vaterlandspflicht“.728 Die durchaus bestehende Möglichkeit, der Verwendung außerhalb des Reichsgebietes auszuweichen, habe er bewusst nicht wahrgenommen, da er eine soldatische Verpflichtung empfand. Er hielt fest: „Ich schämte mich schon, mich noch auf der Straße sehen zu lassen, weil doch schon viel ältere Jahrgänge ‚draußen‘ waren.“729 Jedoch war es für die Reservisten des Bataillons 61 keineswegs leicht, den eigenen Dienst unmittelbar als soldatisch zu empfinden. Dies lag u. a. in ihrer rudimentären Ausbildung und Ausrüstung begründet. Hinzu kam noch, dass sie zur Altersgruppe gehörten, für die man im NS-Regime eine „Rückbildung von Geist und Körper“ annahm.730 Um Polizisten aber die Möglichkeit zu geben, sich annäherungsweise als Soldat und somit als vollwertiges männliches Mitglied der „Volksgemeinschaft“ wahrnehmen zu können, wurde eine demonstrative Nähe

723 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 29. 724 O. V., Marschlieder (1940), S. 300. 725 Entwurf für die Rundfunkansprache Dalueges zum „Tag der Deutschen Polizei“ vom 15.3.1941 (BA R 19 Nr. 382, Bl. 5). 726 Ebd., Bl. 6. 727 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 9. Zum fehlenden „Augusterlebnis“ bei Kriegsbeginn vgl. ebd., S. 1. 728 Ebd., S. 7. 729 Ebd., S. 9. 730 Häufung der Selbstmordfälle in der uniformierten Ordnungspolizei und Fürsorge der Dienstvorgesetzten vom 20.12.1938 (APP 299 Nr. 1218, Bl. 487).

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von Polizei und Wehrmacht kolportiert. Allgemein hieß es: „Der Dienst in der heutigen uniformierten Ordnungspolizei steht dem Dienst in der Wehrmacht in seiner Bedeutung für Volk und Reich nicht nach.“731 Neben der Wehrmacht und der Waffen-SS sei die Polizei maßgeblicher „waffentragender Repräsentant des Staates“.732 Polizei und Wehrmacht seien „beide berufen, Volk, Führer und Vaterland unter Einsatz ihrer Person zu schützen“.733 Neben „dem Soldaten der Deutschen Wehrmacht, die den Schutz des Reichs nach außen verbürgt“, stünde „heute an einem durchaus ebenbürtigen Platz der Mann der Deutschen Polizei“.734 Besonders glorifiziert wurden dabei die Teile der Ordnungspolizei, die sich zeitweise im direkten Frontdienst befanden. So wurde umfangreich über den vermeintlich heldenhaften Kampf des 1942 in Cholm mit Wehrmachtseinheiten eingeschlossenen Bataillons 65 berichtet. Ganz ähnlich schilderte Wilhelm Schulz in einem überzeichnenden Artikel den Einsatz eines Polizeiregiments bei der Belagerung Leningrads, also in jenem Heeresgebiet, in dem auch das Bataillon 61 ab 1942 eingesetzt war. Der Text schildert in heroisierter Form den „verbissenen Kampf auf Leben und Tod um diesen Streifen Erde, allen Angriffen zum Trotz“.735 Den Konnex von Polizeidienst und Soldatentum unterstrichen schließlich auch die vorgegebenen Marsch­ lieder der deutschen Polizeiformationen sowie die Nutzung von Uniformen und Erkennungsmarken, die den Gegenstücken der Wehrmacht sehr ähnelten.736 Darüber hinaus hob man den Kampf gegen vermeintliche Partisanen hervor, der in der Realität oftmals nicht mehr als ein repressives Niederhalten der Zivilbevölkerung war: „Die Härte dieser Kämpfe gegen Heimtücke und Hinterhalt in den weiten und undurchdringlichen Wald- und Sumpfgebieten“ stehe „dem

731 Schreiben an die Regierungspräsidenten in Preußen vom 7.9.1939 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 266, unpag.). 732 O. V., Vorschrift (1943), S. 1. In ähnlicher Form auch schon im Jahr 1934 vgl. Wilhelm Kube, Polizei und Nationalsozialismus. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 2 (1934) 20, S. 765 f., hier insbesondere 765. 733 Scheer/Bartsch, Polizeibeamtengesetz (1938), S. 70. 734 Reichsführer-SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Inneren (Hg.), Polizei (1941), S. 12. 735 Wilhelm Schulz, Der Stützpunkt. Bei einem SS-Polizeiregiment vor Leningrad. In: Die Deutsche Polizei, 11 (1943) 16, S. 323. In ähnlicher Form im Fall des Bataillons 61 vgl. Auszug aus Tagesbefehl Nr. 2 vom 8.3.1944 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 263, unpag.). Für die Glorifizierung des Kampfes um Cholm vgl. o. V., Den tapferen Männern des Polizeibataillons „Cholm“. Übergabe des Cholm-Schildes durch SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst Daluege in Krakau. In: Die Deutsche Polizei, 11 (1943) 2, S. 23; o. V., Polizei kämpfte im Cholmer Kessel. Vom Kampf eines Polizeibataillons im Verband der Kampfgruppe Scherer. In: Die Deutsche Polizei, 11 (1943) 2, S. 24–28. 736 Vgl. die Polizeierkennungsmarken in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 103. Zur Ähnlichkeit von Marschliedern der Polizei und der Wehrmacht, die man teilweise einfach mitnutzte, vgl. Liste vorgeschlagener Liederbücher vom 18.9.1940 (BA R 19 Nr. 308, Bl. 264); Hans Baumann (Hg.), Morgen marschieren wir. Liederbuch der deutschen Soldaten, 2. Auflage, Berlin 1939.

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Kampf an der Front keineswegs nach“.737 Auch unter den Männern des Bataillons 61 wurde stets betont, man sei „zur Bekämpfung der Partisanen und an der Front eingesetzt“ worden.738 Da die Polizisten jedoch selbst wussten, dass dies so gut wie überhaupt nicht ihren tatsächlichen Einsätzen entsprach, konnte die Darstellung der heldenhaften und soldatischen Polizei vielleicht zu einem gesteigerten gesellschaftlichen Prestige führen, nicht jedoch zu einem gesteigerten Selbstwertgefühl. So wurde durch das NS-Regime auch die meist nicht kämpfende Tätigkeit von Polizeiverbänden als von immensem Wert für die gesamten Kriegsanstrengungen beschrieben. Der Staatsrechtler Maunz urteilte: „Das Verhältnis von Polizei und Wehrmacht wird heute beherrscht vom Grundsatz der Ergänzung in den Aufgaben.“739 Auf das Drängen einiger Polizisten an der Front verwendet zu werden, brachte Daluege vor, jeder habe im Dienst „seine Pflicht an der Stelle und auf dem Posten zu erfüllen, auf den er gestellt wird“.740 Der Posener BdO hielt gleichfalls fest, indem er Goebbels zitierte: „Alle werden gebraucht, jeder an seinem Platz.“741 Aufgabe der Polizei sei, so hieß es in deren maßgeblichem Publikationsorgan, „der Armee den Rücken frei zu halten“.742 Erst hierdurch seien die bisherigen Erfolge der Wehrmacht überhaupt möglich ­gewesen. ­Folglich sei es ebenso ehrenhaft, „nicht in der ersten Linie mitkämpfen zu dürfen und die stille Arbeit der Sicherung zu leisten, deren Wichtigkeit von jedermann anerkannt wird und nicht weniger Einsatzbereitschaft“ verlangt.743 Der BdO im Wehrkreis VI lobte dazu passend in seinem Neujahrsschreiben 1940/41 all seine Männer, zu denen auch das Bataillon 61 gehörte, mit den Worten: „Gemeinsam mit der Deutschen Wehrmacht tatet ihr, wie diese freudig Eure Pflicht und wurdet teilhaftig des Ruhmes, den sie errang.“744 Wenn die Polizisten also nicht in der Wehrmacht selbst dienen konnten, so wurde ihnen durch das Regime doch kommuniziert, dass sie einen wichtigen Beitrag leisteten. Die Ordnungspolizei war dabei zumindest, wie Daluege es formulierte, eine „militär­ ähnliche Organisation“.745 Somit konnten sich die Männer des Bataillons 61 737 Dienstbesprechung der Befehlshaber und Inspekteure im Januar 1943 in Berlin. Bericht des Chefs der Ordnungspolizei, SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst ­Daluege über den Kräfte- und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei im Kriegsjahr 1942 vom 7.2.1943 (BA R 19 Nr. 336, Bl. 7). 738 Aussage Erich Tiemann vom 20.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 20). 739 Maunz, Gestalt (1943), S. 36. Maunz bezeichnet SS, Polizei und Wehrmacht als verwandte Organisationen. Vgl. ebd., S. 28. Ebenso beschrieb auch schon zuvor Schieritz, Grundsätze (1940), S. 30 eine organisatorische Verwandtschaft der Organisationen. 740 Schreiben an die Regierungspräsidenten in Preußen vom 7.9.1939 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 266, unpag.). 741 Tagesanordnung des BdO Posen vom 13.9.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl.1r). 742 Schuster, Skizzen (1939), S. 669. 743 Ebd., S. 669 f. Für den Erfolg der Wehrmacht durch die Arbeit der Polizei vgl. ebd. S. 668. 744 Neujahrsschreiben des BdO im Wehrkreis VI 1940/41 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 103, unpag.). Zu Lankenau vgl. Spieker, Traditionsarbeit. Zur Tapferkeit der Reservisten vgl. Otto Holzmann/Günther Rumler, Freigemachtes Grenzland, Berlin 1942, S. 25. 745 Unterlagen betr.: Dienststrafordnung in der marxistischen Zeit vom 17.1.1939 (BA R 19 Nr. 381, unpag., Dokument 2a).

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dort mit Uniformen und als staatlicher Waffenträger zumindest dem Ideal des Soldatentums annähern. Ein Mann, wie der Spieß Brunst der 1. Kompanie, der „sich glücklich fühlte, eine Uniform [zu] tragen“, habe dort entsprechend sein „starkes Geltungsbedürfnis“746 befriedigen können. Auch der zu Beginn seiner Dienstzeit skeptische Nahlmann gab später an: „Ich kann von mir sagen, dass ich den Dienst bei der Polizei nicht nur aus Zwang und Pflichtgefühl verrichtete, dies werden mir meine Vorgesetzten sicher gern bestätigen, sondern dass ich aus einem inneren Bedürfnis heraus die Polizeiuniform mit Stolz trug.“747 Gerade die ab 1936 eingeführten grünen Uniformen der Ordnungspolizei, die den feldgrauen Exemplaren der Wehrmacht stark ähnelten, trugen im erheblichen Maße dazu bei, den Polizeidienst als leicht zugänglichen Ersatz für „echten“ Militärdienst zu etablieren. Schon 1938 hatte Daluege dies bei einer Ansprache vor Stabsoffizieren der Polizei recht deutlich hervorgehoben. Er „persönlich habe ja die Erfahrung bei der Landespolizei gemacht, dass mit dem Wechsel der Uniform tatsächlich, so grotesk das auch klingen mag, sofort eine andere Stellung dieses Korps erreicht wurde“.748 Auch Reichsinnenminister Wilhelm Frick hatte schon 1936 zum Ausdruck gebracht, die Polizeiuniform sei, als vom „Führer selbst bestimmt“ das „Ehrenkleid seines Trägers“.749 Die angeblich besonders ehrenvolle Dimension des Polizeidienstes wurde auch durch die Aufwertung der Polizeiregimenter unterstrichen, in denen die Polizeibataillone üblicherweise zusammengefasst waren. Auf Anordnung Himmlers und in Anerkennung vermeintlicher Leistungen erhielten sie 1943 die Namenserweiterung zu SS-Polizeiregimentern, was deren Ähnlichkeit zur „Kriegerelite“ des NS-­Regimes suggerierte.750 Nach dem Krieg knüpften Mitglieder des Bataillons 61 in Verhören an ihr dienstliches Streben nach Professionalität an. Dass dies durchaus auch einen rechtfertigenden Charakter besaß, sei dahingestellt. Man beteuerte, nach den gleichen Maßstäben gehandelt zu haben, wie sie bei der Armee üblich gewesen seien. Den Polizisten sei erläutert worden, dass für sie die „bei der Wehrmacht üblichen Schusswaffen-Gebrauchsanweisungen“ galten.751 Auch seien sie „gleich

746 Aussage Hans Delisch vom 21.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 199r). 747 Brief von Otto Nahlmann an das Kommando der Schutzpolizei vom 21.9.1946 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass Nahlmann mit dem Schreiben seine Wiedereinstellung in die Polizei erreichen wollte. Ein ähnliches Maß an Stolz zeigte er aber auch im Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 2. 748 Ansprache Kurt Dalueges vor den Stabsoffizieren der Landespolizei am Dienstag im Preußenhaus Berlin vom 12.2.1935 (BA R 19 Nr. 379, Bl. 21). Für die niedrigen Zugangshürden zur Polizei vgl. Nicht polizeidiensttaugliche Pol.Freiwillige der Geburtsjahrgänge 1905–1912 vom 29.4.1942 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 294). 749 Stellungnahme von Rudolf Hess an den Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei vom 3.9.1936 (BA R 19 Nr. 442, unpag.). 750 Schnellbrief betr.: Bezeichnung der Pol.-Regimenter vom 12.3.1943 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 260). 751 Aussage Franz Klippert vom 24.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 237).

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Soldaten zu strenger Disziplin und zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet“ gewesen.752 Insgesamt wollte man sich als „der Wehrmacht im vollen Umfange gleichgestellt“ verstehen.753 Hierauf sollen insbesondere die Vorgesetzten innerhalb der Kompanien zurückgegriffen haben, um Folgsamkeit zu erzeugen. So seien die Mannschaften „immer wieder darüber belehrt worden“, dass man von ihnen Gehorsam wie von „Frontsoldaten“ erwarte.754 Für die Notdienstpflichtigen, die ihren Dienst im Bataillon 61 versahen, war es dennoch schwierig, einem professionellen Soldatenbild zu entsprechen. Bei ihnen handelte es sich um „unausgebildete Reservisten“.755 Sie „waren nie Soldat gewesen und kannten keine Waffen“.756 Wie schon erläutert, waren die Männer nicht nur mit ihrer Ausbildung körperlich überfordert. Von ihren Berufs­ polizeikameraden wurden Reservisten meist als unprofessionell abgestempelt. Die Notdienstpflichtigen um Nahlmann demonstrierten beispielsweise ungewollt, wie weit ihre bisherige Lebenswelt von der eines Soldaten entfernt war. So soll während der Ausbildung einem einfachen Straßenbahner, der nur zu Besuch in die Kaserne kam, sofort die vollständige Anwesenheit der Truppe gemeldet worden sein. Da die Uniform des Mannes relativ viele silberne Elemente aufwies, hatten die Rekruten angenommen, es handele sich um einen Offizier. Bei den Einsätzen in Posen und Warschau zeigten sich die Reservisten dann, wie auch die Berufspolizisten des Bataillons 61, als korrupt, faul und wenig professionell. Dies entsprach weder polizeilichen noch soldatischen Idealen.757 Auch von höheren Stellen wurden Polizeireservisten als nur bedingt einsatzfähig eingeschätzt. Man sah Notdienstpflichtige mehr oder weniger als wandelnde Gefahr für sich und andere. So monierte der BdO Posen Anfang 1940, es seien wiederholt „innerhalb der Ordnungspolizei Unfälle durch unvorsichtigen Umgang mit Schusswaffen vorgekommen“.758 Im Fall des Bataillons 61 hatte dies sogar dazu geführt, dass man sich lösende Schüsse polnischen Aufständischen zurechnete und Vergeltungsaktionen gegen die Zivilbevölkerung startete. Darüber hinaus verloren und vertauschten Mitglieder der Dortmunder ­Polizeieinheit

752 Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 56r). 753 Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 21.11.1952 (ebd., Bl. 81r). Ebenso vgl. Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (ebd., Bl. 56r). 754 Aussage Heinrich Wenzel vom 8.10.1952 (ebd., Bl. 16). Ähnlich zum Gehorsamsgedanken vgl. Rohne, Gedanken (1936), S. 27. 755 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 3). 756 Aussage Heinrich Lorey vom 13.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 34). 757 Exemplarisch für die Unprofessionalität der Polizisten vgl. Mietek Ejchels Memoiren 1945 (AŻIH 301 Nr. 274, Bl. 15); Zeitzeugenbericht Jakub Michlewicz, o. D. (AŻIH 301 Nr. 1800, Bl. 3). Zum Vorfall mit dem Straßenbahner vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 2. Zur Verurteilung der Reservisten durch die aktiven Polizisten vgl. Aussage Erich Schumacher vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 184). Siehe auch Kapitel V.5. 758 Tagesanordnung des BdO Posen vom 3.1.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 87). Für die Einschätzung von Reservisten als Gefahr für sich und andere vgl. Waffenhandhabung durch Polizeireservisten vom 15.12.1939 (LAV NRW, W, B 406 Nr. 29428, Bl. 1).

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zum Teil ihre Dienstwaffen. So hieß es am 13. April 1940, der „Karabiner 98a – Fabr.-Nr. 344 – der 4. Komp., Pol.-Batl.61 gehörig“759 sei mit der Waffe einer unbekannten Einheit durcheinandergeraten und man möge diesen Fehler durch Nachforschungen und Austausch möglichst schnell beheben. Derartig fahrlässiges Verhalten war dabei kein Einzelfall. Schon wenige Tage zuvor hatte der BdO Posen einen Polizisten verwarnt, der betrunken und „durch Leichtfertigkeit dazu beitrug, dass ihm seine Schusswaffe in einem öffentlichen Lokal entwendet werden konnte“.760 Der Ordnungshüter hatte es noch nicht einmal für nötig gehalten, den Verlust zu melden. Ebenso hält eine Tagesanordnung vom 7. Januar 1940 in schon fast skurriler Form fest, dass „auf der Zollfreiheit in der Nähe des Schlosses“761 eine Polizeipistole gefunden wurde. Die Polizeireservisten waren, trotz aller Bemühungen des NS-Regimes Anderes verlauten zu lassen, bestenfalls „eine Ergänzungskraft“.762 Sie waren, wie Nahlmann erkannte, „keine Polizisten und keine Soldaten“.763 Um ihrer Unfähigkeit oder Überflüssigkeit für die „Volksgemeinschaft“ entgegenzuwirken, mussten sich die Reservisten besonders demonstrativ beweisen. Betrachtet man die Einsätze des Bataillons 61, so war dies mangels „heroischer“ Kampfaufträge eigentlich nur dadurch möglich, dass man sich der Zivilbevölkerung gegenüber besonders hart und aggressiv zeigte. Hierzu passt durchaus auch die Beobachtung, die Marach im Zusammenhang von Erschießungen gemacht haben will. Er hielt fest: Für „Exekutionen wurden freiwillige Beamte zusammengestellt, die sich zu 80 Prozent aus Reservisten zusammenfanden“.764 Auch wenn man, wie Lorey vorgab, an solchen Aktionen „nur mit Widerstreben“765 teilgenommen habe, trug doch offensichtlich die Sorge um den eigenen Status als „ganzer Mann“ deutlich dazu bei, die Indifferenzzone der Polizisten zu erweitern. Selbst nach dem Krieg war es den Männern noch wichtig hervorzuheben, dass ihre meist mit Gewalt verbundenen Tätigkeiten „eiserne

759 Tagesanordnung des BdO Posen vom 13.4.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 26r). Exemplarisch für den durch das Bataillon 61 verursachten Vorfall am 13.12.1939 vgl. Bericht des Sicherheitsamts in Szamotuły vom 13.3.1948 (AIPN PO 3 Nr. 3, Bl. 58); Auflistung der im Landkreis Szamotuły erschossenen Personen vom 13.3.1948 (AIPN BU 231/3 Nr. 14, Bl. 84). 760 Bestrafungen innerhalb der Schutzpolizei Posen vom 4.4.1940 (APP 1026 Nr. 40, Bl. 12). 761 Tagesanordnung des BdO Posen vom 20.1.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 82). 762 Klemm, Einsatzbesoldung (1943), S. 9. 763 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 3. 764 Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 1486, Bl. 62). Jedoch sollen sich bei Exekutionen auch die Reservisten teilweise so ungeschickt angestellt haben, dass sie durch Berufspolizisten abgelöst werden mussten. Vgl. Aussage Erich Sinn vom 14.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 66). Zur generellen Angst von Soldaten, als überflüssig zu gelten, und den daraus resultierenden Konsequenzen für Gewaltdynamiken, vgl. Bernd Greiner, Der „überflüssige Soldat“. Zur Genese und Praxis militärischer Gewaltgruppen am Beispiel des amerikanischen Krieges in Vietnam. In: Axel T. Paul./Benjamin Schwalb (Hg.), Gewaltmassen. Über Eigendynamik und Selbst­ organisation kollektiver Gewalt, Hamburg 2015, S. 337–358. 765 Aussage Heinrich Lorey vom 27.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 51r).

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Nerven“766 erfordert hätten. Bei der Teilnahme an den verschiedenen Aktionen der Einheit habe man „hart genug“ sein müssen, um diese „zu ertragen“.767 Andererseits wurde etwa ein Mann, der nicht in der Lage gewesen sei auf wehrlose Personen zu schießen, selbst nach dem Krieg noch als „ein weicher Mensch“ diffamiert.768 An anderer Stelle hieß es über eine weitere Person, die keine Gewalt eingesetzt habe, man müsse „ihn eher als weich bezeichnen“.769 Dies zeigt eindrücklich das Fortbestehen von demonstrativer Härte im Männlichkeitsbild der Reservisten, wie es auch in den Marschliedern der Polizei kommuniziert wurde. Dort hieß es: „Dem Mutigen gehört die Welt, der Feigling nur wird weich.“770 Der daraus resultierende Aktionismus und Wille zur Gewalt lag auch bei den Berufspolizisten des Bataillons 61 vor.771 Insbesondere unter den jüngeren Offizieren bestand ein deutliches Bestreben, sich als hart und soldatisch zu beweisen. Auch sie mussten ausgestattet mit einem „männlichen Auftrag“772 ihre „harte Willensveranlagung“773 in irgendeiner Form unter Beweis stellen. Aufgrund ihres Alters – sie waren meist jung genug, um theoretisch in regulären Armeeeinheiten zu dienen – bedurfte es einer besonders weitgehenden Demonstration ihrer Härte und Gewaltbereitschaft, um zu kompensieren, dass sie „nur“ in der Polizei eingesetzt waren. Hiermit verbunden ist, dass ebenso wie die Reservisten, auch die Berufspolizisten als unprofessionell im Vergleich zu ihren Entsprechungen in der Wehrmacht oder Waffen-SS angesehen wurden. So urteilte man beispielsweise, nachdem Oberleutnant Krehnke fast desertiert war: Erneut habe sich gezeigt, dass „es den jungen Offizieren der Schutzpolizei vielfach an der notwendigen Disziplin“ fehle.774 Um ihren Dienst in der zweitklassigen Ordnungspolizei zu kompensieren, setzten die Berufspolizisten wie ihre Untergebenen auf eine demonstrativ harte Behandlung der Zivilbevölkerung. Im Fall der Offiziere diente dies jedoch nicht nur dazu, sich zu profilieren. Für sie korrespondierte die Gewalt gegen osteuropäische und vermeintlich jüdische Zivilisten auch im besonderen Maße mit der

766 Aussage Franz Bayer vom 17.10.1952 (ebd., Bl. 34r). 767 Aussage Franz Chwieja vom 25.5.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 77). 768 Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 139r). Ebenso vgl. Aussage Ernst Brunst vom 7.12.1951 (ebd., Bl. 158). 769 Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 102r). 770 Hermann Böttner, Das grüne Bataillon. Ein Marschlied für die Deutsche Polizei. In: Die Deutsche Polizei, 8 (1940) 8, S. 121. 771 So soll sich Marach insbesondere bei Anwesenheit von Vorgesetzten als „mutig“ gezeigt haben. Vgl. Aussage Bartholomäus Neumann vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 191r). Bayer urteilte, es wäre schlicht nicht korrekt, alle Taten „den Reservisten in die Schuhe zu schieben“. Aussage Franz Bayer vom 3.12.1951 (ebd., Bl. 143r). 772 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 9. 773 Zupke, Berufseigenschaften (1936), S. 46. 774 Schreiben des Kommandeurs der Schutzpolizei an den BdO Posen vom 29.9.1941 (BA R 9355 ZB I 1114 A.2, Bl. 106r). Generell zu Krehnkes Verhalten siehe auch Kapitel III.1.

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nationalsozialistischen Komponente ihrer Weltanschauung. Wie allgemein in Ordnungspolizeiverbänden verstanden sich auch die Offiziere des Bataillons 61 überwiegend als „Weltanschauungskrieger“ und „Vorreiter der Endlösung“.775 Schon während der Ausbildung der Reservisten sei diesen klar geworden, dass manch ein Vorgesetzter „weniger Soldat als Nationalsozialist“776 gewesen sei. Die Mannschaftsdienstgrade der Dortmunder Polizeieinheit waren zwar im Durchschnitt nicht so direkt nationalsozialistisch eingestellt wie das sie führende Offizierskorps, dennoch standen auch sie der militaristischen Dimension des Nationalsozialismus mindestens neutral bis positiv gegenüber. Eine absolute Übereinstimmung mit der ohnehin nur aus Versatzstücken bestehenden NS-Ideologie war aus Sicht der Polizeiführung auch gar nicht nötig. Daluege urteilte schon 1937, man könne wohl die älteren Mitglieder der Polizei nicht völlig von der nationalsozialistischen Idee überzeugen. Die Sozialisation der Polizisten lasse sich nicht aufheben. Jedoch ging der Chef der Ordnungspolizei davon aus, dass der Nationalsozialismus anschlussfähig genug war, damit der einzelne Polizist an seinem „Platze dem Staate gegenüber seine Pflicht tun“ werde.777 Hier zeigte sich auch ein Nebenresultat der Bemühungen, die Polizei möglichst militärisch auszurichten. Dies bedingte die Attraktivität der Organisation sowie die Bereitschaft, sich in diese auch mit Gewalt einzubringen, um annäherungsweise zur Welt des Militärs zu gehören. Auch wenn viele Männer des Bataillons 61 nicht offen nationalsozialistisch eingestellt waren, so trugen sie doch zur Erfüllung der Absichten des Regimes bei. Daher lehnte es der Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei schon Mitte 1941 ab, die Polizei durch besondere Parteigruppen kontrollieren zu lassen: „Innerhalb der Polizeiverwaltung ist die Errichtung solcher NS-Zellen unnötig. Die Erziehung der Polizei-Angehörigen zum tatkräftigen Einsatz für die nationalsozialistische Weltanschauung ist […] gewährleistet.“778 Schon 1936 hatte Daluege Himmler die planmäßig voranschreitende Verzahnung von Polizei und Nationalsozialismus mitgeteilt. In einem Schreiben hieß es: „Die Polizei kann meiner Kenntnis nach mit Recht für sich in Anspruch nehmen, dass sie die Beamtensparte des Deutschen Reichs

775 Stefan Klemp, Ganz normale Männer, ganz gewöhnliche Leben, ganz übliche Ermittlungen? In: Schulte (Hg.), Die Polizei im NS-Staat, S. 181–199, hier 190. 776 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 5. Hier bezogen auf den Offizier Reininghaus. 777 Unterlagen für die Ansprache Dalueges vor dem Einweisungslehrgang der Schulungsleiter vom 18.3.1937 (BA R 19 Nr. 380, Bl. 4). Nach dem Krieg behaupteten viele ehemalige Mitglieder des Bataillons 61 aus Selbstschutz, bei ihnen hätte keinerlei Nähe zum Nationalsozialismus bestanden und sie seien auch nicht antisemitisch eingestellt gewesen. Exemplarisch hierzu vgl. Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 38). Für den Militarismus im Deutschen Reich vgl. Römer, Kameraden, S. 116. 778 Schreiben Himmlers an den Regierungspräsidenten in Arnsberg betr.: NS-Zellen in den Polizeibehörden vom 9.5.1941 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 266, unpag.). Sicher gilt hierbei auch zu konstatieren, dass Himmler schlicht andere Einflüsse in seinen Machtbereich durch eine Kontrollinstanz ablehnte.

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ist, die mit Parteigenossen, vor allem alten Parteigenossen, am besten durchsetzt ist.“779 Eine antisemitische und rassistische Haltung aus innerer Überzeugung war in der Praxis für einzelne Polizisten jedoch relativ unbedeutend. Für die Männer der Dortmunder Polizeieinheit waren bei der Entscheidung, an Gewalt zu partizipieren, vielmehr die Orientierung an der weltanschaulichen Einstellung ihrer direkten Vorgesetzten und die daraus resultierenden Handlungsspielräumen relevant. Ohne dabei eine ideologische Komponente auszuführen, gab Roth beispielsweise an: „Unsere Sicht ging praktisch nur bis zur Bataillonsführung, alles andere hat uns nicht interessiert.“780 Die Spitze der Dortmunder Polizeieinheit war klar nationalsozialistisch eingestellt. Somit ist auch für das Bataillon 61 die von Patrick Wagner gemachte Feststellung, „Judenmassaker ohne antisemitisch motivierte Täter hat es nicht gegeben“,781 korrekt. Jedoch erscheint die Masse der hier untersuchten Männer eher als ideologische Trittbrettfahrer, die nicht wirklich an das glaubten, was sie taten. So habe sich etwa Brunst aus opportunistischen Gründen an die Sichtweise seines Kompaniechefs angepasst und habe ihm dadurch in der Praxis an „nationalsozialistischer Einstellung in nichts“ nachgestanden.782 Für die meisten Männer des Bataillons 61 im Mannschaftsdienstgrad liegt es wie für den Unterführer nahe, dass ihr Handeln nicht primär durch den Nationalsozialismus determiniert war, sie dessen Ideologie aber auch nicht pauschal

779 Schreiben Dalueges an Himmler vom 18.11.1936 (BA R 19 Nr. 360, unpag.). Dafür, dass möglichst jeder Polizist NSDAP-Mitglied sein sollte, vgl. o. V., General Daluege über die Reorganisation der SA. In: Deutsche Allgemeine Zeitung vom 16.7.1934; sowie den Auszug einer Rede Himmlers bei o. V., SS und Polizei (1937), S. 330. 780 Aussage Ewald Roth vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 11). 781 Wagner, Kern, S. 45. Die direkte Zustimmung zur NS-Weltanschauung zuzugeben, war jedoch ein absolutes Tabu vor Gerichten der Nachkriegszeit, u. a. um einer Mordanklage aus niederen Beweggründen zu entgehen. Vgl. Stoll, Herstellung, S. 124. Entsprechend ist der Antisemitismus der Polizisten des Bataillons 61, wenn überhaupt, nur zwischen den Zeilen ihrer Aussagen erkennbar und somit nicht genau quantifizierbar. 782 Aussage Franz Thamm vom 20.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 106). Einige Männer gaben offen zu, dass sie der NSDAP etc. beigetreten waren, um u. a. wirtschaftliche Nachteile zu vermeiden. Exemplarisch für die Begründung eines NSDAP-Eintritts vgl. Stellungnahme Wilhelm Sauer vom 9.11.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-20291, unpag.). Für die Angabe eines SS-Eintritts vgl. Entnazifizierungsakte Zumplasse, Heinrich, o. D. [ca. 1948] (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2654, Bl. 4). Die amerikanische Military Intelligence Division ging schon zu Kriegszeiten davon aus, dass ein harter Kern von 10 bis 15 % überzeugter Nationalsozialisten Militäreinheiten sehr effektiv zusammenhalten konnte. Vgl. Rafael Zagovec, Gespräche mit der „Volksgemeinschaft“. Die deutsche Kriegsgesellschaft im Spiegel westalliierter Frontverhöre. In: Jörg Echternkamp (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 9/2. Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. Ausbeutung, Deutungen, Ausgrenzung, Stuttgart 2005, S. 289–381, besonders 360–364; Falko Bell, Britische Feindaufklärung im Zweiten Weltkrieg. Stellenwert und Wirkung der „Human Intelligence“ in der britischen Kriegführung 1939–1945, Paderborn 2016, S. 322. Für die relativ geringe Bedeutung von politischen Ideologien für die Kultur einer militärischen Einheit vgl. Römer, Kameraden, S. 68.

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a­ blehnten. Der von Goldhagen hingegen bei deutschen Akteuren im Zweiten Weltkrieg behauptete tief verwurzelte „eliminatorische Antisemitismus“783 ist für die hier untersuchten Polizisten nicht zu belegen. Korrekt ist jedoch, dass auch sie gewissermaßen „willige Vollstrecker“784 waren, wenn auch nicht aus Gründen, die unbedingt denen der Offiziere oder der NS-Führung entsprachen. Entscheidend war vielmehr, dass sich Führer und Geführte miteinander arrangierten. Um Gewalt zum Konsensprojekt werden zu lassen, knüpfte man innerhalb des Bataillons 61 mit einem Belohnungssystem an die Männlichkeitsvorstellungen der Polizisten an. Eine herausgehobene Bedeutung kam dabei, wie in der militärisch ausgerichteten Gesellschaft des Deutschen Reiches allgemein, der Auszeichnung mit Orden und Ehrenzeichen zu. Generell war die Welt des Militärs seit jeher durch diese symbolische Schauseite mitgeprägt. Schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges erhielten spätere Mitglieder der hier untersuchten Einheit als Teil der deutschen Polizei verschiedene Medaillen verliehen. Hierzu gehörten neben Auszeichnungen für langjährigen Dienst auch Ehrenzeichen für sportliche Leistungen außerhalb der eigentlichen Polizei, etwa in Form des SA-Sportabzeichens. Darüber hinaus wurde Polizisten im Nationalsozialismus wieder gestattet, ihre im Ersten Weltkrieg erlangten Orden und Ehrenzeichen an ihrer Uniform zu tragen. Ab 1938 war es außerdem SS-Mitgliedern erlaubt, die Sigrune an ihrem polizeilichen Dienstanzug zu tragen.785 Für ihre Beteiligungen an den auswärtigen Einsätzen der Polizei beim „Anschluss“ Österreichs, der Besetzung des Sudentenlandes und der folgenden „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ erhielten einige der späteren Mitglieder des Bataillons 61 Auszeichnungen, die umgangssprachlich als „Ostmark-Medaille“

783 Goldhagen, Vollstrecker, S. 10. Obwohl generell widerlegt, sieht Goldhagen gerade diesen Ansatz noch immer als korrekt an. In der 2012 veröffentlichten Neuauflage seines Buchs sieht er seine Thesen, etwa durch die Ausstellung „Hitler und die Deutschen“ des Deutschen Historischen Museums Berlin von 2010, als bestätigt an. Vgl. ebd., S. XXXII. Tatsächlich widersprach die Ausrichtung der Ausstellung jedoch seinen Thesen in jeder Hinsicht. Vgl. Hans-Ulrich Thamer, Die Inszenierung von Macht. Hitlers Herrschaft und ihre Präsentation im Museum. In: Ders./Simone Erpel (Hg.), Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen. Eine Ausstellung der Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin, 15. Oktober 2010 bis 6. Februar 2011, Dresden 2010, S. 17–22. 784 Goldhagen, Vollstrecker. 785 Vgl. RMBliV 1938, S. 738. Für die Erlaubnis der Polizei, wieder Orden tragen zu dürfen vgl. Helmuth Koschorke, Von der „Knüppelgarde“ zur Volkspolizei. In: Kehrl (Hg.), Jahrbuch der deutschen Polizei 1936, S. 29–42, hier 33. Exemplarisch für die Prägung der Welt des Militärs durch Orden vgl. Römer, Kameraden, S. 131 f.; Morris Janowitz, The professional soldier. A social and political portrait, New York 1960, S. 198. Zur Notwendigkeit einer noch zu schreibenden Sozialgeschichte soldatischer Orden und Ehrenzeichen vgl. Ralph Winkle, Für eine Symbolgeschichte soldatischer Orden und Ehrenzeichen. In: Nikolaus Buschmann/Horst Carl (Hg.), Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn 2001, S. 195–214.

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und „Sudetenland-Medaille“ bekannt waren. Diese brachten bereits zum Ausdruck, dass sich ihr Träger um die territoriale Erweiterung des Deutschen Reiches verdient gemacht hatte. Ab Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden dann mit dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse sowie den wenig später gestifteten verschiedenen Stufen des Kriegsverdienstkreuzes reguläre Kriegsauszeichnungen durch das NS-Regime vergeben.786 Während das alte Ordenssystem des Ersten Weltkrieges noch einen deutlichen Klassenunterschied zwischen Offizieren und Mannschaftsdienstgraden machte, war das Ordenssystem des Nationalsozialismus theoretisch egalitärer gestaltet. Die vergebenen Ehrenzeichen stellten dabei nicht nur eine Auszeichnung mit Relevanz innerhalb einer militärischen Organisation dar. Vielmehr besaßen sie auch eine erhebliche Bedeutung für das Sozialprestige des einzelnen Trägers innerhalb der „kriegerischen Volksgemeinschaft“.787 In der nur derjenige Mann als vollwertiger Mann galt, der als Soldat auftrat, war es umso bedeutender, nach außen als tatkräftiger und tapferer Soldat kenntlich zu sein. Besonders für die älteren Männer der Dortmunder Polizeieinheit, mit ihren beschriebenen Unzulänglichkeiten, konnte durch Orden oftmals überhaupt erst ihr Soldatentum nach außen sichtbar gemacht werden. Dadurch, dass Verleihungskriterien theoretisch für alle deutschen Männer, egal ob jung oder alt, in einer Eliteeinheit oder nur einem Reserve-Polizeibataillon eingesetzt, gleich waren, konnte man mit militärischen Auszeichnungen zeigen, dass man genauso kriegswichtig und belastbar war wie ein aktiver Frontsoldat mit der gleichen Auszeichnung. Dies wurde insbesondere dadurch erleichtert, dass die ausgehändigten Ehrenzeichen keinen äußerlichen Rückschluss darauf zuließen, wofür sie exakt verliehen wurden. In der militarisierten Gesellschaft des „Dritten Reiches“ nahmen Orden so verstärkt die Funktion eines „sozialen Symbols, eines Signalgebers“ ein. Dabei stellten sie gerade für ältere oder in wenig prestigeträchtigen Verwendungen

786 Für die Stiftungsdaten des Kriegsverdienstkreuzes vgl. RGBl, (1939) I, S. 2069. Für das neugestiftete Eiserne Kreuz beider Klassen vgl. RGBl, (1939) I, S. 1573. Exemplarisch für die Auszeichnungen von Angehörigen des Bataillons 61 vor Kriegsbeginn vgl. Personalbogen Albert Witz geb. 15.10.1912, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 283, unpag.). Für die Orden, die für die Teilnahme an der Annexion Österreichs und Tschechiens verliehen wurden, vgl. für die Medaille zur Erinnerung an den 13.3.1938 das RGBl, (1938) I, S. 431; für die Medaille zur Erinnerung an den 1.10.1938 das RGBl, (1938) I, S. 1527. 787 Wolfram Wette, Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur, Darmstadt 2008, S. 66. Ebenso wird die Formulierung auch verwendet bei Kühne, Kameradschaft, S. 111; Dietmar Süß, „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“. Die deutsche Gesellschaft im Dritten Reich, München 2017, S. 149; Winfried Ranke, Propaganda. In: Wolfgang Benz/Hermann Graml/Hermann Weiß (Hg.), Wie wurde man Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder, Frankfurt a. M. 2009; Enzyklopädie des National­ sozialismus. Hg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß, 3. Auflage München 1998, S. 34–49, hier 48. Zum Ordensverständnis im Nationalsozialismus vgl. Blecher, Gedanken zur Erneuerung des Eisernen Kreuzes vor 25 Jahren. In: Soldatentum, 6 (1939) 1, S. 242–246.

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eingesetzte Akteure eine wichtige „symbolische Gratifikation“ dar.788 Dass im Lauf des Krieges immer mehr Auszeichnungen und Orden geschaffen und auch verliehen wurden, ist dabei zum einen Zeichen einer inflationären Verleihungspraxis. Zum anderen ist dies jedoch auch ein Indiz dafür, dass man seitens des NS-Regimes eine Notwendigkeit sah, die Anzahl und Art der ordenswürdigen Tätigkeiten zu erweitern. Unter den verschiedenen Ehrungen blieben Auszeichnungen für Kampfaufträge stets am prestigeträchtigsten. Insbesondere das Eiserne Kreuz stellte dabei das „Fundament dieses Belohnungssystems“ dar.789 Zu Kriegsbeginn hielt das maßgebliche Publikationsorgan der deutschen Polizei präzise und unmissverständlich fest, diese Auszeichnung sei „Ziel und der Wunsch eines jeden deutschen Soldaten“.790 Verliehen werden sollte es laut Stiftungstext „für besondere Tapferkeit vor dem Feinde“ sowie für „hervorragende Verdienste in der Truppenführung“791 im Fronteinsatz. Gleicht man dies mit den geschilderten Tätigkeiten des Bataillons 61 ab, so wird schnell klar, dass diese Auszeichnung für die Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit offiziell eigentlich unerreichbar war. Dies war auch der Führung der Polizei mehr als bewusst. Eindeutig wurde festgestellt: „Die Verleihung des Eisernen Kreuzes an Angehörige der Ordnungspolizei kommt nur infrage, wenn sie im Rahmen militärischer Unternehmen wie Soldaten im Kampf eingesetzt oder im Kampfeinsatz von Polizeitruppenverbänden sich durch besondere Tapferkeit vor dem Feinde auszeichnen oder im feindlichen Feuer tapfer und mutig ihre Pflichten erfüllen.“ Für Offiziere hieß es darüber hinaus, der Orden komme „zurzeit nicht in Betracht für Verdienste in der Polizeitruppenführung“.792 Selbst das Verwundetenabzeichen, das keine besondere Leistung erforderte, aber zumindest hervorhob, dass man im Kampf für die „Volksgemeinschaft“ geblutet hatte, war offiziell für Männer des Bataillons 61 bis zu ihrem Einsatz an der sowjetischen Front kaum zu erreichen. Auch für diese Auszeichnung war

788 Hartmann, Wehrmacht, S. 198. Zur Bedeutung des Ordenssystems für den einfachen Soldaten vgl. Hans J. Schröder, Die gestohlenen Jahre. Erzählgeschichten und Geschichtserzählung im Interview: der Zweite Weltkrieg aus der Sicht ehemaliger Mannschaftssoldaten, Tübingen 1992, S. 547 f. 789 Rass, Menschenmaterial, S. 251. Aus zeitgenössischer Sicht zu den Auszeichnungen, die neben dem Eisernen Kreuz bis 1940 geschaffen wurden bzw. schon bestanden, vgl. Arthur Reichel, 127 Jahre Eisernes Kreuz. 1813/14, 1870/71, 1914/18, 1939/40. Eine kurzgefaßte Zusammenstellung über Entstehung, Verleihung, Symbolik, Dresden 1940. Insbesondere für das Eiserne Kreuz vgl. ebd., S. 37–43. Für das Kriegsverdienstkreuz und für die Kriegsverdienstmedaille vgl. ebd., S. 44 f. 790 O. V., Was gibt’s Neues für die Polizei? In: Die Deutsche Polizei, 7 (1939) 18, S. 626–628, hier 628. 791 RGBl, (1939) I, S. 1573. 792 Verleihung von Kriegsauszeichnungen einschließlich des Verwundetenabzeichens an Angehörige der Ordnungspolizei vom 29.11.1940 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 124r). Für die Regelung zum Kriegsverdienstkreuz vgl. ebd., Bl. 125.

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es nötig, dass Polizisten „wie Soldaten im Kampf verwandt worden“ waren.793 Besonders hervorgehoben wurde dabei: „Die Voraussetzungen für eine Verleihung sind nicht gegeben bei Krankheit oder Unfällen, auch wenn diese vor dem Feinde – jedoch ohne Einwirkung von feindlichen Kampfmitteln eintreten, ebenso nicht bei Verwundungen im gewöhnlichen Ordnungs- und Sicherheitsdienst.“794 Zu solchen Umständen zählten beispielsweise auch die Unfälle, die Reservisten mit ihren Waffen im „Warthegau“ verursachten.795 Neben den äußerst prestigeträchtigen Auszeichnungen, die einen mehr oder weniger direkten Zusammenhang zum soldatischen Kampf an der Front herstellten, bestanden im NS-Regime noch verschiedene Kampf- und Leistungsabzeichen. Sie waren dazu gedacht, auch für die nicht an der Front eingesetzten Verbände Leistungsanreize zu schaffen. Der am häufigsten überhaupt von 1939 bis 1945 verliehene Orden, das Kriegsverdienstkreuz, fällt in eben diese Kategorie der „Nichteinmischungsorden“796. Es wurde geschaffen, um besondere Leistungen bei „sonstigen Kriegsaufgaben“797 auszeichnen zu können. Sicherlich war sein Prestige nicht vergleichbar mit kampfbezogenen Auszeichnungen. Teilweise entwertet durch eine sehr häufige Verleihung, bescheinigte das Kriegsverdienstkreuz dem Träger aber doch zumindest durch die „Volksgemeinschaft“ verlangte soldatische Tugenden wie Zuverlässigkeit, Belastbarkeit und Gehorsam. Wer den Orden also verliehen bekam, konnte nach außen symbolisieren, dass er zumindest den Grundanforderungen eines Soldaten entsprach, sofern er die Version des Kreuzes mit Schwertern erhielt.798 Hierin bestand für Mitglieder des Bataillons 61 aber wieder eine erhebliche Hürde. Für jeden Aspiranten war vorgesehen, dass „der Betreffende Verdienste beim Einsatz unter feindlicher Waffenwirkung oder Verdienste um die militärische Kriegsführung erworben“ haben sollte. Ganz klar stellte man fest: „Die Durchführung einer rein polizeilichen Aufgabe reicht – bei aller Anerkennung der Leistung des Einzelnen – für die Beleihung mit einer Kriegsauszeichnung 793 Verleihung des Verwundetenabzeichens an Angehörige der Polizei vom 31.5.1942 (BA R 20 Nr. 181, Bl. 4). Die fehlende Überlieferung von Verwundetenabzeichen des Bataillons 61 bis 1943 weißt darauf hin, dass die Polizisten bis dahin nicht im ernsthaften Kampf standen und kaum Verluste hatten. 794 Verleihung von Kriegsauszeichnungen einschließlich des Verwundetenabzeichens an Angehörige der Ordnungspolizei vom 29.11.1940 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 125). 795 Vgl. Kapitel IV.1. 796 Tagebucheintrag Hans Reinert vom 5.10.1942 (BA-MA MSG 2 Nr. 5322). Auch solche Orden waren theoretisch an klare Vorgaben geknüpft. Vgl. Hartmann, Wehrmacht, S. 191. 797 RGBl, (1939) I, S. 2069. 798 Vgl. ebd., S. 2069; Verleihung von Kriegsauszeichnungen einschließlich des Verwundetenabzeichens an Angehörige der Ordnungspolizei vom 29.11.1940 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 125). Die Schwerter grenzten den Orden von jenen Kriegsverdienstkreuzen ohne Schwerter ab, die primär kriegswichtige zivile Tätigkeiten auszeichnen sollten. Für die Höherwertigkeit der Verleihung mit Schwertern vgl. Neufassung der Stiftungsverordnung des Kriegsverdienstkreuzes vom 23.4.1942 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 134r). Ferner für das Kriegsverdienstkreuz vgl. Hartmann, Wehrmacht, S. 198.

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nur dann aus, wenn der einzelne sich hierbei ganz besonders ausgezeichnet hat.“799 Die Erfahrung hätte dabei gezeigt, dass „Vorschläge zur Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern an Angehörige der Ordnungspolizei keine Aussicht auf Erfolg haben, wenn die Begründung sich nur auf normale Friedenstätigkeit stützt“800 und keinerlei Kampfhandlungen aufweise. Trotz der eigentlich klaren Verleihungsvorschriften waren die Kompaniechefs sowie der Kommandeur des Bataillons 61 offensichtlich daran interessiert, ihre Untergebenen dennoch mit Orden und Ehrenzeichen auszuzeichnen. Hierin fanden sie teilweise auch Unterstützung durch übergeordnete Dienststellen. Zumindest war diesen jedoch bekannt, dass vonseiten der Dortmunder Polizeieinheit Vorschläge für verschiedene Orden manipuliert wurden, indem man einfach ordenswürdige Tätigkeiten der Polizisten erfand. Der ehemalige BdO Posen, dem das Dortmunder Bataillon 1939/40 unterstand, gab entsprechend nach dem Krieg zurückhaltend zu, es sei durchaus für Ordensvorschläge in seinem Dienstbereich „dick aufgetragen“ worden.801 Auch wenn sie versuchten, dies nach dem Krieg vor allem in entlastender Weise zu nutzen, machten einige ehemalige Mitglieder der Dortmunder Polizei noch klarere Aussagen. Für sie stand fest, dass Offiziere, um für Bataillonsangehörige „Auszeichnungen erwirken zu wollen, unwahre Angaben machten“. Vorschläge, „die für Auszeichnungen von den damaligen Vorgesetzten“ verfasst wurden, seien manipuliert und vieles in den Texten sei „gestunken und gelogen“ gewesen.802 Besonders um begehrte Tapferkeitsauszeichnungen zu erhalten, sei enorm getäuscht worden. So habe der Bataillonskommandeur „unter Hinweis auf Kämpfe, die niemals stattgefunden hatten, eine Reihe von Vorschlägen für die Verleihung des Eisernen Kreuzes vorgelegt“.803 Auch für andere Auszeichnungen seien Geschehnisse erfunden bzw. angepasst worden. Wo etwa die Vorschrift die Verleihung einer Auszeichnung nur „anlässlich von Kampfhandlungen“ vorsah oder den gleichgestellten „Einsatz geschlossener Verbände der Polizei im besetzten Gebiet zur Unterdrückung von Unruhen oder Aufständen“804 verlangte, erfand man solche Umstände. So

799 Neufassung der Stiftungsverordnung des Kriegsverdienstkreuzes vom 23.4.1942 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 136r). 800 Ebd., Bl. 136r f. 801 Aussage Oskar Knofe vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 73). 802 Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 1486, Bl. 61). Für die offensichtlich ähnliche Praxis in der Sowjetunion vgl. Andrej Savin, Orden für die Kollektivierung. Die Rolle von Auszeichnungen für den Aufstieg der Tscheka-Kommandeure in die neue sowjetische Elite in den 1930er Jahren. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 65 (2017) 2, S. 239–261. Ich danke Dietmar Neutatz für diesen Hinweis. 803 Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 31). 804 Verleihung von Kriegsauszeichnungen einschließlich des Verwundetenabzeichens an Angehörige der Ordnungspolizei vom 29.11.1940 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 125). Dort bezogen auf das Verwundetenabzeichen.

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seien 1939 beispielsweise Kämpfe mit „Banden“ konstruiert worden, die gar nicht stattgefunden haben. Wie schon erwähnt, gab es im Westen Polens zu Beginn des Krieges keine Partisanen- oder Aufstandsbewegung. Ebenso wenig notwendig war die angebliche „Befreiung der polnischen Bevölkerung von ausgebrochenen Strafgefangenen“.805 Anders als von deutscher Seite während des Krieges behauptet, waren von der polnischen Verwaltung nicht massenhaft Gefängnisse geöffnet worden. Entsprechend konnten sich Straftäter gar nicht zu kriminellen „Banden“ zusammenfinden. Offensichtlich ist es so eine korrekte Beobachtung ehemaliger Bataillonsmitglieder, „dass in den Beurteilungen übertrieben, wenn nicht geschwindelt worden ist“.806 Dass geduldet wurde, dass „Tatsachen behauptet“ wurden, welche „niemals stattgefunden haben“, führte man dabei zurück auf „das Bestreben des Bataillonskommandeurs für sein Bataillon möglichst viele Auszeichnungen zu erhalten“.807 So korrekt dies erscheint, wurde doch ein entscheidendes Element von den Mitgliedern der Polizeieinheit bewusst verschwiegen bzw. geleugnet. Zwar waren die in irgendeiner Weise soldatischen Leistungen in Begründungstexten erfunden, jedoch standen sie stellvertretend für andere gewalttätige Handlungen. Hierbei handelte es sich meist um repressive und oftmals auch nach NSRecht illegale Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung.808 Die Verleihungs- und Vorschlagstexte von Auszeichnungen im Bataillon 61 dokumentieren so Gewaltanwendungen und Extremsituationen in kodierter Form. Beispielsweise ist oft die Rede von „Bandenkampf“ und „Säuberungen“ – Begriffe, die eigentlich illegale Tötungen verschleierten und ordenswürdig umformten. So hieß es im Kriegsverdienstkreuzvorschlag für Fritz Hollweg, er habe sich im „Kampf mit polnischen Banden und Heckenschützen“809 bewiesen, die es tatsächlich beim Einsatz seiner Einheit 1939/40 überhaupt nicht gab. Gleiches gilt auch für den angeblichen „Einsatz zur Bekämpfung polnischer Banden in vorderster Linie“ durch Hans Mennekes, der sich eingebracht haben soll, „da er sich in der Schreibstube nicht wohlfühlte“.810

805 Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1 2. Teil Mappe b, Bl. 1). Dort bezogen auf die Medaille für Volkstumspflege. 806 Aussage Ernst Brunst vom 4.2. 1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 38). Für die Bestätigung erfundener Partisanenkämpfe vgl. ebd. 807 Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 31). 808 Exemplarisch für das Leugnen der realen Hintergründe von Auszeichnungen vgl. Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 222, Bl. 15); Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 21). Dort bezogen auf die Belohnung von Exekutionen mit der Medaille für Volkstumspflege. 809 Vorschlagsliste zum KVK II vom 8.10.1941 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 249, Bl. 73). Für die Verleihung eines Kriegsverdienstkreuzes ohne Schwerter am 1.9.1941 an ein Mitglied des Bataillons 61 vgl. Krankenakte Johann Mennekes geb. 10.8.1908 (BA R 19 Nr. 954, Bl. 7). 810 Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2411, Bl. 2).

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Auch in einer Beurteilung zur Verleihung eines Eisernen Kreuzes 2. Klasse hieß es: „Während eines Einsatzes im Bandenkampf hat Verrieth sich durch sein rücksichtsloses Draufgängertum besonders verdient gemacht.“811 Auch in diesem Fall wurde nur unwesentlich verschleiert, dass es sich eigentlich um eine Auszeichnung für hartes und gewalttätiges Verhalten gegen die Zivilbevölkerung handelte. Manche Unterlagen mit Verleihungsbegründungen sprechen sogar eine ganz offene Sprache. So wurde z. B. im Verleihungsvorschlag für die „Medaille für deutsche Volkspflege“ an einen Polizisten der Einheit explizit neben Deportationen auch Exekutionen als Grund der Beleihung genannt.812 Durch die im unterschiedlichen Maße betriebene Verschleierung von illegalen Taten und die gleichzeitige Konstruktion imaginierter soldatischer Leistungen ermöglichten Vorgesetzte es den Mitgliedern des Bataillons 61, Orden und Ehrenzeichen zu erhalten. Hierdurch konnten sie sich zwar nicht unbedingt als Soldaten fühlen, sich aber zumindest nach außen als solche zeigen. Offensichtlich bestand die Bereitschaft der Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit, bestehende Normen zu übertreten, um ihr mangelndes Soldatentum zu kompensieren. Zugespitzt kam es dazu, dass man „bei jeder Gelegenheit von der Schusswaffe Gebrauch“ machte, um so wenigstens für Willfährigkeit „mit dem Kriegsverdienstkreuz ausgezeichnet“813 zu werden. Dass dies möglich war, lag zu allererst an dem jeweiligen Bataillonskommandeur. Im Bataillon 61 war dieser sogar bereit, für seine Männer um Orden zu betteln. So sei „Major Dederky bei der Wehrmacht vorstellig geworden“,814 damit die Angehörigen seiner Einheit bei der Verleihung der Medaille für Volkstumspflege berücksichtigt werden konnten. Genauso wie die ihm unterstellten Führer der Kategorie der „Straßenkrakeeler“815 besaß Dederky ein ideologisch bedingtes Handlungsrational. Auch wenn er sich äußerlich meist zurückhaltender verhielt als andere Offiziere der Polizeieinheit, waren diese doch seine Kooperationspartner und Komplizen, um die Männer des Bataillons 61 für die Umsetzung nicht formalisierbarer Erwartungen mit Orden und Ehrenzeichen zu belohnen. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Chefs der verschiedenen Kompanien als direkte Disziplinarvorgesetzte der Auszeichnungsempfänger. Vorgeschrie-

811 Beurteilung über Gerhard Verrieth zur Verleihung des EK II. vom 1.1.1944 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270, unpag.). 812 Vgl. Verleihungsvorschlag der Medaille für deutsche Volkspflege vom 23.12.1940 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 1). Zu ähnlichen Verleihungstexten beim Kriegsverdienstkreuz vgl. LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203; Vorschlagsliste für Auszeichnung vom 10.1.1940 (BA R 601 Nr. 2415, unpag.). Dort sind explizit Exekutionen als Grund für die Auszeichnung genannt. 813 Aussage Otto Kobitzki vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 122r). 814 Aussage Siegmund Wörmer vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 204, Bl. 40). 815 Mark Mazower/Martin Richter, Hitlers Imperium. Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, München 2009, S. 145.

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ben war beispielsweise für das Kriegsverdienstkreuz: „Unterlagen für die Begründung des Verleihungsvorschlages sind von denjenigen Vorgesetzten zu erstellen, die über die Verdienste des Vorgeschlagenen berichten können.“816 Entsprechend urteilte der Kompanieführer Kärgel über den Prozess der Ordensvergabe im Bataillon 61, er könne sich eine Übergehung des jeweiligen Kompaniechefs kaum vorstellen. Der ihm unterstehende Spieß konkretisierte an anderer Stelle: „Im Allgemeinen wurden Beurteilungen für Auszeichnungen von den Kompanien aufgestellt.“817 Die Weiterleitung von Ordensvorschlägen erfolgte dann offensichtlich ohne Prüfung des Wahrheitsgehalts durch die Bataillonsführung. So meinte Albrecht, die meisten Vorschläge werde er einfach ohne Kontrolle durch den Kommandeur „als Adjutant abgezeichnet haben“.818 In einigen Fällen blieben Auszeichnungen auch eine komplett bataillonsinterne Angelegenheit. So regelte ein Schnellbrief Ende November 1939, dass die Befugnis zur Verleihung von Verwundetenabzeichen nun bei den Bataillonskommandeuren liege.819 Der Konformitätseffekt, den man durch Auszeichnungen erreichen konnte, war dabei nicht nur auf einzelne Akteure beschränkt. Wurde ein Einheitsmitglied als „soldatisch“ ausgezeichnet, so konnten sich seine Kameraden zumindest in einem gewissen Maß darin bestätigt sehen, in einer Organisation mit militärischen Standards eingesetzt zu sein. Daneben dienten die Auszeichnungen an Bataillonsangehörige den übrigen Männern auch als Anreiz, sich im Sinne ihrer Vorgesetzten anzustrengen. Es ging darum, Ehrungen zu erhalten, durch die man sich als ebenso leistungsfähig zeigen konnte. Um ein solches Leistungsdenken zu fördern, wurden Ehrenzeichen dementsprechend nicht einfach stillschweigend verliehen. Stattdessen gab es eine demonstrative Zeremonie, soweit dies die Kriegssituation zuließ. So soll Helmer für seinen häufigen Einsatz der Schusswaffe mit dem Kriegsverdienstkreuz beliehen worden sein. Kobitzki erinnerte sich in diesem Zusammenhang daran, dass der Spieß der 1. Kompanie ihm dies nicht einfach nur erzählt habe. Vielmehr habe er die Ehrung „vor der angetretenen Kompanie bekannt gegeben“.820 Verschiedene Fotografien aus den unterschiedlichen Einsätzen des Bataillons 61 belegen darüber hinaus, dass Orden

816 Verleihung von Kriegsauszeichnungen einschließlich des Verwundetenabzeichens an Angehörige der Ordnungspolizei vom 29.11.1940 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 125r). 817 Aussage Gerhard Riewald vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 8). Ebenso bestätigt dies die Aussage durch einen weiteren ehemaligen Spieß. Vgl. Aussage Ernst Brunst vom 4.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 38). Für Kärgels Einschätzung vgl. Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 222, Bl. 16). 818 Aussage Alfred Albrecht vom 5.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 66). 819 Schnellbrief betr.: Verleihung des Verwundetenabzeichens vom 29.11.1939 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 58r). 820 Aussage Otto Kobitzki vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 122r).

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im Beisein der angetretenen Einheit oder zumindest von Teilen einer Kompanie überreicht wurden.821 Auch wenn keine Auszeichnungen verliehen wurden, konnte ein formelles Lob im Rahmen des täglichen Bataillonsbefehls eine ähnliche Wirkung haben. So erinnerte sich Kreulich daran, dass ein Wachtmeister der 3. Kompanie „in einem Bataillonsbefehl besonders gelobt“ wurde, „weil er ‚so gewissenhaft gewesen sei‘.“822 Der Einheit sei mitgeteilt worden, dass der Polizist „27 oder 37 Mal von der Waffe gegen Juden Gebrauch gemacht habe“.823 Unklar ist, ob es sich dabei um den gleichen Fall handelte, den Sinn schilderte. Er meinte, dass der Polizist Burkhard „deswegen eine öffentliche Belobigung erhalten hatte, weil er so viele Ghetto-Insassen erschossen hatte“.824 Auch Männer anderer Kompanien wurden öffentlich und offiziell belobigt. Thamm führte aus, dass ein besonders häufiger Schütze der 1. Kompanie gesondert hervorgehoben worden sei. Dies habe dazu gedient, die Männer der Dortmunder Polizeieinheit zu mehr „Pflichteifer“,825 also zu mehr Tötungen, anzuregen. Für die gleiche Teileinheit hieß es auch, dass Helmer „belobigt worden ist, weil er viele Ghetto-Insassen erschossen hat“.826 In zahlreichen Fällen sprachen Vorgesetzte ihren Untergebenen für Handlungen, die eigentlich formelle Regelübertretungen waren, auch einfach ein weniger öffentliches Lob aus. So sagte man Brunst als Spieß der 1. Kompanie nach: „Er lobte die Kompanieangehörigen, die vornehmlich die Erschießungen von ‚Juden‘ vornahmen. Nach Beendigung der Ghettowache lobte er diese Leute, klopfte ihnen auf die Schulter und trank darauf auch Schnaps mit ihnen.“827 Ebenso soll der ihm vorgesetzte Hauptmann Männer für den Schusswaffengebrauch gelobt haben. Es hieß: Insbesondere auf „Helmer war Hauptmann Mehr besonders stolz und brachte das auch wiederholt zum Ausdruck“.828 Auch in der 2.  und

821 Zur Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes an Männer des Bataillons 61 bei angetretener Kompanie zu verschiedenen Gelegenheiten vgl. die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 288, Nr. 290 und Nr. 291. Aufgrund des symbolischen Effekts von Auszeichnungen wurde man auch auf höchster Ebene der Polizei nicht müde, hohe Auszeichnungen wie das Ritterkreuz von in der Wehrmacht dienenden Personen hervorzuheben, wenn es sich um ehemalige Polizisten handelte. Dadurch unterstrich man, dass diese besonders soldatischen Akteure der Wehrmacht eigentlich aus der Polizei stammten. Exemplarisch vgl. Anerkennungsschreiben Himmlers an die deutsche Polizei vom 19.6.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 442, Bl. 223). 822 Aussage August Kreulich vom 2.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5827). 823 Ebd., Bl. 5828. 824 Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 181r). 825 Aussage Franz Thamm vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 106r). 826 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 186r). 827 Aussage Ludwig Rybczak vom 10.7.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). Vgl. auch die entsprechenden Fotografien in: LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486. 828 Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 264). Ebenso für das Lob durch Hauptmann Mehr vgl. Aussage Erich Tiemann vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 107r). Für Mehrs Anwesenheit in der Kompaniebar vgl. StAHH 213-12-72 Nr. 35, Foto Nr. 5.

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3. Kompanie habe man auf diese Weise den Schusswaffeneinsatz gelobt. Auch wenn dies keine öffentlichen Belobigungen vor allen angetretenen Kameraden waren, demonstrierte man den Polizisten damit doch, dass ihr Verhalten nicht nur akzeptiert, sondern gutgeheißen wurde. Folglich konnten diese davon ausgehen, sich in die „richtige“ Richtung für eine tatsächliche Auszeichnung zu bewegen.829 Demonstratives Lob und insbesondere dauerhaft an Uniformen getragene Orden erschufen bzw. unterstützten so auch innerhalb der jeweiligen Einheit im gewissen Maße eine „neue soziale Hierarchie“.830 Während man einem „Etappenoffizier“ ohne Auszeichnungen und öffentliche Anerkennung eher weniger Bedeutung beimaß, war ein dekorierter Unterführer meist höher angesehen, als sein Dienstrang zunächst vermuten ließ. Entsprechend verlangte beispielsweise die Führung der Ordnungspolizei spätestens ab 1943, dass jeder ihrer Offiziere Fronterfahrung und kampfbezogene Auszeichnungen aufweisen sollte, um nicht nur durch eine Vorgesetztenstellung über Autorität zu verfügen. Als „moralisches Kapital“831 ermöglichten Orden den Männern, sich in der uniformen Welt des Militärs zu differenzieren, sich Handlungsfreiräume zu schaffen und sich als leistungsfähiges Individuum zu präsentieren. Auf diese Weise stellten Auszeichnungen „billige Zahlungsmittel“832 dar, mit denen sich die Führung des Bataillons 61 quasi Konformität und auch Gewaltbereitschaft erkaufte. Dies war vor allem deshalb möglich, da bei den meisten Männern ohnehin eine relativ indifferente Grundeinstellung zur Gewaltausübung bestand. In der Dortmunder Polizeieinheit war klar und offenbar auch akzeptiert, dass gerade vom häufigen Schusswaffengebrauch und der damit praktizierten Regelerosion Auszeichnungen abhingen. Über den ehemaligen Spieß der 1. Kompanie hielt man fest, „wenn Orden und Ehrenzeichen zu vergeben waren, war Brunst immer dabei“.833 Er habe versucht, „sich lieb Kind“ mit seinem vorgesetzten Hauptmann zu machen und sei „jederzeit in der Lage über Leichen zu gehen“ gewesen, wenn es hieß, „für seinen Vorteil etwas herauszuholen, oder wenn es galt, einen Orden zu kriegen“.834 So korrekt dies erscheint, so sehr wurde ein solches Verhalten aber nicht nur von dieser Einzelperson gezeigt. Eine große Anzahl an Mitgliedern des Bataillons 61 wurden ebenso 829 Für Lob in der 2. Kompanie vgl. Aussage Joseph Figiel vom 24.7.1962 (StAHH 213-1270 Nr. 16, Bl. 6890). Dort ist auch nochmals das Loben in der 1. Kompanie erwähnt. 830 Hartmann, Wehrmacht, S. 198. 831 Ebd., S. 190. Für die geforderten Auszeichnungen von Führern vgl. Frontverwendung der Offiziere der Ordnungspolizei vom 20.10.1943 (BStU MfS HA IX/11 AB 1051, Bl. 3). Für die Steigerung des Sozialprestiges von Akteuren durch Fronterfahrung vgl. Römer, Kameraden, S. 123 und 135. 832 Ralph Winkle, Der Dank des Vaterlandes. Eine Symbolgeschichte des Eisernen Kreuzes 1914 bis 1936, Essen 2007, S. 95. 833 Aussage Heinrich Krolopp vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 43). Allgemein für die Abhängigkeit von Auszeichnungen vom häufigen Schusswaffengebrauch vgl. Aussage Otto Kobitzki vom 26.11.1951 (ebd., Bl. 122). 834 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 39).

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für willfähriges Verhalten mit Auszeichnungen belohnt. Auch über den Krieg hinaus behielten diese Ehrenzeichen, deren tatsächlicher Verleihungsgrund von außen nicht direkt ersichtlich war, für die Polizisten einen hohen Stellenwert.835 Durchaus bemerkenswert bei der Bedeutung, die die Polizisten Orden beimaßen, ist, wie sie Personen außerhalb der „Volksgemeinschaft“ behandelten, die Träger deutscher Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg waren. Solche Personen wurden als Ausnahme in der lokalen Bevölkerung von den Polizisten durchaus wahrgenommen. Die Ehrenzeichen, die eigentlich bestätigten, dass die Personen, die mit der Dortmunder Polizeieinheit in Kontakt kamen, sich um die „Volksgemeinschaft“ verdient gemacht hatten, bedingte jedoch keine bevorzugte Behandlung. Beispielsweise wurden aus dem Warschauer Ghetto zahlreiche Personen deutscher Herkunft, die man als Juden klassifiziert hatte, in das Vernichtungslager von Treblinka deportiert. Ein Augenzeuge beschrieb, dass unter ihnen zahlreiche Personen gewesen seien, die ein deutsches Frontkämpferabzeichen oder gar ein Eisernes Kreuz aus dem Ersten Weltkrieg trugen. In keinem Fall führte dies dazu, dass die Polizisten die Deportationen auch nur kurz unterbrochen hätten. Auch schon bei den Einsätzen des Bataillons 61 im Westen Polens hatte man auf ehemalige Soldaten deutscher Armeen des Ersten Weltkriegs keine Rücksicht genommen. In den schon erläuterten Fällen der Väter der Familien Kaczmarek und Stazek fanden die Polizisten der Polizeieinheit Gasmasken und Ausrüstungsgegenstände aus dem Ersten Weltkrieges vor, die klar zeigten, dass die polnischen Männer in deutschen Diensten gestanden hatten. Statt ihnen dies positiv anzurechnen schob man ihnen aber sogar Munition unter, um eine Exekution legitimieren zu können.836 Auszeichnungen besaßen für die Männer des Bataillons 61 offenbar nur Relevanz, wenn sie opportunistisch dazu dienen konnten, den eigenen Status auszubauen. Während die Polizisten die Auszeichnungen von Personen, gegen die sie mit Gewalt vorgingen, nicht anerkannten, gingen zahlreiche Männer der deutschen Polizei sogar soweit, ihre eigenen Leistungen durch gefälschte oder nicht verliehene Orden zu belegen. Dass dies relativ häufig vorkam, zeigt sich u. a. daran, dass ein Artikel über die Tätigkeit der SS- und Polizeigerichte die 835 Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Polizisten auch NS-Orden in ihren Entnazifizierungsunterlagen stolz angaben. Exemplarisch vgl. Entnazifizierungsakte Becker, Heinrich Walter vom 24.7.1946 (LAV NRW, R, NW 1039-B-3790, Bl. 5); Entnazifizierungsakte Kärgel, Hans Georg Erich vom 2.9.1947 (LAV NRW, R, NW 1047-1449, Anlage 1). 836 Für die genannten Fälle vgl. Aussage Jan Kaczmarek vom 27.10.1971 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 120); Aussage Wladyslawa Stazek vom 11.3.1972 (ebd., Bl. 140). Für die Behauptung, ein Pole mit Eisernem Kreuz sei besser behandelt worden, vgl. Aussage Karl-Heinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 58). Für die Deportation jüdischer Frontkämpfer in Warschau vgl. Grynberg, Words (2002), S. 112. Ferner vgl. Engelking/Leociak, Warsaw Ghetto, S. 713 f. Das Ehrenkreuz wurde auch von jüdischen Weltkriegsteilnehmern oftmals beantragt, weil sie sich im Besitz dieser Auszeichnung vor politischer und rassischer Verfolgung besser geschützt glaubten. Vgl. Michael Berger, Für Kaiser, Reich und Vaterland. Jüdische Soldaten. Eine Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute, Zürich 2015, S. 176.

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Bestrafung eines „Gernegroß“ besonders hervorhob, der sich illegalerweise ein Eisernes Kreuz angesteckt hatte. Der Verurteilte soll seine Tat begangen haben, da er „wusste, dass mit diesem schlichten Kreuz […] eine Summe von Tapferkeit und schneidigster Einsatzbereitschaft verbunden war“.837 Auch der BdO Posen sah sich 1940 veranlasst, seine Untergebenen ausdrücklich für „unbefugtes Tragen von Orden und Ehrenzeichen“838 zu rügen. Die Männer seien „darüber zu belehren, dass Orden und Ehrenzeichen nur dann getragen werden dürfen, wenn sie ordnungsgemäß verliehen worden sind“. Der Offizier sah es als nötig an, darüber hinaus Folgendes auszuführen: „Ich weise ferner darauf hin, dass es einen ‚Polenorden‘ oder eine ‚Ordensschnalle für Polen‘ nicht gibt. Angehörige der uniformierten Ordnungspolizei, die das Kriegsverdienstkreuz bzw. das Band dazu, den angeblichen ‚Polenorden‘ oder eine ‚Ordensschnalle für Polen‘ unberechtigterweise tragen, sind sofort zur Verantwortung zu ziehen.“839 Offensichtlich hatte es sich im Einflussbereich des Befehlshabers, in dem auch das Bataillon 61 eingesetzt war, eingeschlichen, dass Männer sich selbst mit Fantasieorden ausstaffierten. Geradezu beschwichtigend und die Gier seiner Polizisten nach Auszeichnungen erkennend, schloss der oberste Ordnungspolizist in Posen seine Ausführungen mit der Anmerkung, dass erfundene Orden nicht nötig seien, da bald „echte“ Auszeichnungen verfügbar würden. Ein Runderlass „über das Verfahren bei Verleihung des Eisernen Kreuzes, des ­Verwundetenabzeichens und des Kriegsverdienstkreuzes an Angehörige der Polizei“840 würde demnächst ergehen. Dass Polizisten bereit waren, Ehrenzeichen zu erfinden und sich damit der Gefahr einer Strafverfolgung auszusetzen, unterstreicht, wie groß das Bedürfnis nach militärischen Auszeichnungen bei ihnen gewesen sein muss. Der Chef der 1. Kompanie des Bataillons 61, der von der bisherigen Forschung vor allem als gewalttätiger Psychopath gesehen wurde, scheint hierfür ein gutes Gespür besessen zu haben. So soll Mehr mit einem durchaus demütigenden Unterton seinen Unterführern klargemacht haben, wem sie Auszeichnungen zu verdanken hätten und in wessen Schuld sie entsprechend stünden. Angeblich hielt der Offizier fest: „Ihr habt ja alle nichts geleistet. Ich muss ja sowieso lügen, und 837 Kopie aus: Der Gernegroß findet ein EK. Aus der Praxis des Hauptamtes SS-Gericht, in: SS-Leitheft Nr. 4 1944 (BA-MA N 756 Nr. 48b, unpag.). Der erwähnte Mann sei zu längerfristiger Haft verurteilt worden. Für einen ähnlichen Fall, der zu sechs Monaten Haft führte, vgl. Schreiben betr.: SS- und Polizeigerichtsbarkeit des HSSPF Posen vom 10.10.1940 (BA R 70 Polen Nr. 198, Bl. 37). 838 Tagesanordnung des BdO Posen vom 13.6.1940 (APP 1008 Nr. 3, Bl. 89). 839 Ebd., Bl. 90. Ferner vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 15.6.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 15). Darüber hinaus wurde an anderer Stelle festgehalten, dass eine Kriegsverdienstmedaille zur Erinnerung an den Krieg 1939/40 erst bei Kriegsende zur Verleihung kommen werde. Vgl. Verleihung von Kriegsauszeichnungen einschließlich des Verwundetenabzeichens an Angehörige der Ordnungspolizei vom 29.11.1940 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 125). 840 Tagesanordnung des BdO Posen vom 13.6.1940 (APP 1008 Nr. 3, Bl. 90).

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da ich Euch alle nicht vorschlagen kann, muss das Los entscheiden, wer für die Auszeichnung infrage kommt.“841 Durch die schon erwähnten Kompetenzen von Kompanieführern stellten Orden ein wichtiges Mittel zur Beeinflussung der Untergebenen dar. Gleichzeitig konnte die Manipulation von Verleihungen aber auch einen gewissen Unmut in der jeweiligen Einheit bedingen. Eigentlich war es Aufgabe der Offiziere, die richtige Auswahl zu treffen, damit keine „Blender“842 ausgezeichnet wurden. Kompaniechefs hatten „Vorschläge für ungeeignete Persönlichkeiten zu vermeiden“.843 Dabei hatten die Vorgesetzten jedoch einen erheblichen Handlungsspielraum, da sie die charakterliche Eignung ihrer Männer alleine evaluierten. Auch wenn höhergestellte Organisationsmitglieder so systematisch Verhaltensweisen belohnen konnten, die ihnen zusagten, stellte diese Praxis ein gewisses Konfliktpotenzial dar. Generell war seit jeher in militärischen Verbänden „nichts so umstritten wie das große Feld der Auszeichnungen“.844 In den Ermittlungsakten gegen Mitglieder des Bataillons 61 findet sich immer wieder die Behauptung, Auszeichnungen seien ohne Grund vergeben worden. Zum einen geschah dies, um sich selbst zu entlasten. Zum anderen schwang aber insbesondere, wo Bataillonsangehörige über die Auszeichnungen anderer Akteure sprachen, auch eine deutliche Missgunst mit. Eine weitere Problematik von Orden resultierte daraus, dass sie teilweise schlicht vergeben wurden, da sie vorrätig waren. Dies schwächte den Symbol­ effekt ab, der von Ehrenzeichen ausging. So wurde beispielsweise für den Einsatz 1939/40 festgehalten, dass „man die Einheiten des Bataillons mit einer gewissen Anzahl […] Medaillen bedenken wollte, um die einmal geschaffene Medaille irgendwie an den Mann zu bringen“.845 Ganz Ähnliches wurde 1942 auch offiziell für das Kriegsverdienstkreuz angeordnet: „Es ist selbstverständliche Pflicht der Vorgesetzten aller Dienstgrade, dafür zu sorgen, dass die jeweils – insbesondere von der Wehrmacht – zugebilligten Kontingente von Vorschlägen für Auszeichnungen in vollem Umfange ausgenutzt und auch tatsächlich verdiente Angehörige der Ordnungspolizei vorgeschlagen werden.“846 Für den Befehlsbereich, in dem die Dortmunder Polizeieinheit 1943 in Russland eingesetzt war, hielt man es für nötig zu erwähnen, dass sich beim Kommandierenden General der Sicherungstruppen noch Bestände des Kriegs-

841 Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 1486, Bl. 61). 842 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 36 f. 843 Neufassung der Stiftungsverordnung des Kriegsverdienstkreuzes vom 23.4.1942 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 137r). 844 Hartmann, Wehrmacht, S. 189. Ebenso zu Orden als Reizthema in militärischen Verbänden vgl. Römer, Kameraden, S.134. 845 Aussage Julius Wannemacher vom 15.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 53). Zur Freigiebigkeit bei der Verleihung der Medaille für Volkstumspflege vgl. Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 222, Bl. 17). 846 Neufassung der Stiftungsverordnung des Kriegsverdienstkreuzes vom 23.4.1942 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 137).

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verdienstkreuzes „zur freien Verwendung der Verleihungsdienststelle“ befänden.847 Über die so bedingte Ordensvergabe im Bataillon 61 urteilte Becker: Sie „fand selten den Beifall der unteren Dienstgrade. Die Begründung dürfte nach meiner Ansicht oft von fadenscheiniger Natur gewesen sein. Ich bin davon überzeugt, dass manch einer heute noch nicht weiß, wofür gerade er“848 ausgezeichnet wurde. Im Fall der Medaille für deutsche Volkstumspflege fand dies seinen Ausdruck darin, dass die Polizisten „diese Auszeichnung scherzhaft Krankenschwestermedaille nannten, womit gesagt war, dass diese Medaille wahllos und in großen Mengen zur Verteilung kam“.849 Gerade eine gewisse Unzufriedenheit über die Praxis der Ordensvergabe weist aber nochmals darauf hin, wie bedeutsam Auszeichnungen für die Männer des Bataillons 61 mit ihrem soldatischen Weltbild waren. Hätten Ehrenzeichen keine gesellschaftliche und gruppendynamische Bedeutung gehabt, so wäre ihre Verleihung weit teilnahmsloser betrachtet worden. Generell fällt bei der Ordensvergabepraxis an Mitglieder des Bataillon 61 auf, dass sie offenbar leichter Auszeichnungen erhielten als vergleichbar strukturierte Wehrmachtseinheiten. Insbesondere mit Ehrenzeichen, die als leicht zugänglicher Ersatz für prestigeträchtige, aber nicht verfügbare Auszeichnungen genutzt wurden, war man in der Dortmunder Polizeieinheit sehr freigiebig. So meinte Schmitz, 50 Prozent der Bataillonsangehörigen hätten die Medaille für Volkstumspflege für ihren Einsatz im „Warthegau“ erhalten. Riewald, meinte sogar, diese Auszeichnung hätte jeder Polizist des Bataillons 61 bekommen.850 In Anbetracht der Einsätze der Dortmunder Polizeieinheit von 1939 bis 1944 liegt es nahe, dass Orden so zahlreich vergeben wurden, um sowohl einfache Polizisten als auch Funktionsträger des Bataillons, zum einen für ihre „Härte“ 847 Verleihungslisten zum Kriegsverdienstkreuz Befehlshaber Rückwärtiges Heeresgebiet 101 vom 7.9.1943 (BA-MA RH 7 Nr. 1721 Band 1, Bl. 10781). 848 Aussage Heinrich Becker vom 11.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 208, Bl. 26). Ebenso vgl. beispielsweise auch Aussage Wilhelm Dreisbach vom 3.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 222, Bl. 24a). 849 Aussage Franz Thamm vom 21.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 45). Für die korrekte Zuordnung der Herkunft der Medaille als ursprüngliche Auszeichnung des Roten Kreuzes vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 13.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 34). 850 Aussage Gerhard Riewald vom 17.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 7). Für die Verleihungsquote von 50 % vgl. Aussage Karl Schmitz vom 4.2.1960 (ebd., Bl. 32). Für das ersatzweise Verleihen der Medaille, da das Kriegsverdienstkreuz 1939/40 noch nicht an Polizeiangehörige verliehen werden konnte, vgl. Aussage Hans Kärgel vom 6.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 1 2. Teil Mappe b, Bl. 2). Exemplarisch für das vereinfachte Erlangen von Orden in der Polizei vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 24.6.1941 (BA R 601 Nr. 2411); Vorschlagsliste für Auszeichnung vom 10.1.1940 (BA R 601 Nr. 2415, unpag.). Alle darin enthaltenen Vorschläge wurden bewilligt. Insgesamt für bereits bis zum Jahresende 1941 an Mitglieder der Ordnungspolizei verliehene Orden vgl. Innerhalb der Ordnungspolizei bearbeitete Ordensangelegenheiten bis 1941, o. D. (BA R 19 Nr. 336, unpag.). Für die Ordensverleihungen bis 1942 vgl. Bericht des Chefs der Ordnungspolizei, SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst Daluege über den Kräfteeinsatz der Ordnungspolizei im Kriegsjahr 1942 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 1380, Bl. 5).

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zu belohnen und sie zugleich in der Legitimität ihrer gewalttätigen Handlungen zu bestärken. Dieser Eindruck verdeutlicht sich noch, wenn man einbezieht, dass das Bataillon 61 zu Weihnachten 1942 eine Sonderzuweisung an Kriegsverdienstkreuzen erhielt. Der mittlerweile als Teil des Polizeiregiments 9 in Russland eingesetzte Verband wurde damit offenbar nachträglich für seine Tätigkeit am Warschauer Ghetto gratifiziert. Dies ergibt sich schon aus der Bearbeitungszeit einer solchen Ordensangelegenheit, die eine Belohnung des Einsatzes in Russland, wo sich die Polizisten erst seit gut sechs Wochen befanden, ausscheiden lässt.851 Wenig verwunderlich beim Einsatz von Orden als Belohnungsmittel ist, dass innerhalb des Bataillons 61 diejenigen Personen bevorzugt ausgezeichnet wurden, die in einem Vertrauensverhältnis zu den vorschlagsberechtigten Offizieren standen. Insbesondere die Funktionsunteroffiziere der Einheit befanden sich, als Organisatoren des dienstlichen Alltags, meist in Komplizenschaft zu den Kompaniechefs in Hinsicht auf die von ihnen angestrebte Regelerosion. Im geringeren Maße galt dies auch für die Schreiber der Kompanien, die ebenfalls eine wichtige Bedeutung für den alltäglichen Dienst besaßen. Die strukturelle Bevorzugung solcher Mitglieder von Militäreinheiten bei der Ordensvergabe führte im deutschen Heer allgemein dazu, dass beispielsweise das Kriegsverdienstkreuz spottend als „Schreibstuben-Sturmkampfabzeichen“ oder „Spießtrostpreis“852 bezeichnet wurde. Ein besonderes Kuriosum im Bataillon 61 war, dass die Offiziere nicht nur ihre Untergebenen auszeichnen wollten. Die Kompaniechefs bemühten sich offenbar auch darum, einander Orden zuzuspielen. So verfasste Hauptmann Kärgel im Februar als stellvertretender Bataillonskommandeur und Chef der 3.  Kompanie einen Kriegsverdienstkreuzvorschlag für Wannemacher, der bereits der designierte Führer der 2. Kompanie war. Im gleichen Monat wurde dann Kärgel selbst durch den Bataillonskommandeur Dederky für das Eiserne Kreuz 2. Klasse vorgeschlagen.853 Während diese beiden Vorschläge erfolgreich waren, wurde die Praxis, unbegründete Orden sowohl für Offiziere als auch für Untergebene zu erlangen, im Bataillon 61 offensichtlich überspannt. Dies lässt sich daran erkennen, dass die Vergabe von Auszeichnungen an die Einheit von höheren Stellen begrenzt wurde. 851 Für die Sonderzuweisung von Orden vgl. Verleihungsliste für die Verleihung des KVK II mit Schwertern an Mitglieder des I./Pol.Rgt.9 vom 24.12.1942 (BA-MA RH 7 Nr. 1721 Band 2, Bl. 8711 f.). Es handelte sich bereits um die sechste Sonderzuweisung dieser Auszeichnung. Vgl. ebd., Bl. 8711r. 852 Uniformen-Markt (1943) 7, S. 3. Für das Eingeständnis, eine Medaille für Volkstumspflege ohne wirkliche Leistung im Bataillon 61 erhalten zu haben, vgl. Aussage Heinrich Zumplasse vom 2.2.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 50). 853 Kärgels Vorschlag zum EK II. vom Februar 1941 ist erwähnt im Schreiben betr.: Bevorzugte Beförderung zum Major der Schutzpolizei, von Major Dederky an den BdO Münster vom 28.5.1941 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 28). Für Wannemachers Vorschlag vgl. Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern vom 6.2.1941 (BA R 601 Nr. 2249, Bl. 2).

Gier der Polizisten

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Die entscheidende Schmerzgrenze scheint dabei für das NS-Regime die Verleihung des besonders renommierten Eisernen Kreuzes gewesen zu sein. Für dieses wurde ein beliebiges Verleihen, wie es etwa beim Kriegsverdienstkreuz praktiziert wurde, unterbunden. So erinnerte sich Wannemacher daran, dass die zahlreichen haltlosen Anträge auf Eiserne Kreuze, die Major Dederky eingereicht hatte, „wohl durchschaut“ wurden, „denn alle Vorschläge verfielen der Ablehnung“.854 Trotz gewisser Schranken im Fall besonders hoher Auszeichnungen, trug das nationalsozialistische Ordenssystem mit seiner Verleihungspraxis dazu bei, dass sich viele Männer des Bataillons 61 so verhielten, wie sie annahmen, dass Organisation und Vorgesetzte es von ihnen erwarteten. Das Ordenssystem, mit dem die Männer der Dortmunder Polizeieinheit in Berührung kamen, determinierte dabei sicher nicht ihre Handlungen, es knüpfte jedoch geschickt an das Weltbild sowie den Opportunismus der Polizisten an, die Belohnungen nicht nur annahmen, sondern auch aktiv anstrebten. Durch die Auszeichnung von Männern, die nicht formalisierbare Erwartungen wie die irreguläre Gewalt gegen Zivilisten umsetzten, erreichte man im Bataillon 61 einen deutlich vorauseilenden Gehorsam für Taten, die formal nicht eingefordert werden konnten. 7.

Die Gier der Polizisten und der Wunsch nach einem angenehmen Alltag

Nicht nur Orden, Ehrenzeichen und allgemeines Lob wurden im Bataillon 61 als Belohnung eingesetzt. Die Vergabe von Urlaub spielte für die Männer der Dortmunder Polizeieinheit eine ebenso wichtige Rolle. Die regelmäßige zeitweise Freistellung vom Dienst ermöglichte nicht nur eine Erholungspause von den körperlich und mental anstrengenden Verwendungen. Frei verwendbare Zeit erlaubte es den Mitgliedern der Dortmunder Polizeieinheit auch, eigenen Bestrebungen nachzugehen. Diese konnten die dargestellte ganze Bandbreite an außerdienstlichen Verhaltensweisen abdecken, beispielsweise die Beraubung von Ghettoinsassen oder die Teilnahme am florierenden Schwarzmarkthandel.

854 Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 70). Für das Scheitern von Dederkys Bemühungen, für den vermeintlichen „Bandenkampf“ in Nähe des Dorfes Steszewice am 15.9.1939 Eiserne Kreuze für seine Männer zu erhalten, da die Führung ihn durchschaute, vgl. Aktenvermerk der StA DO vom 5.3.1961 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 94); Aussage Julius Wannemacher vom 19.10.1960 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 31). Dafür, dass angeblich 60 % der Bataillonsangehörigen für Ehrenzeichen vorgeschlagen waren, aber nur 8 % sie erhalten haben sollen, vgl. Bericht von Friedrich Kehler an die brit. Besatzungsbehörde vom 29.11.1945 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 11). Selbst diese Rate wäre noch hoch. So war beispielsweise für das Kriegsverdienstkreuz vorgesehen, es nicht an mehr als 5 % der Männer einer Einheit zu verleihen. Vgl. Verleihung von Kriegsauszeichnungen einschließlich des Verwundetenabzeichens an Angehörige der Ordnungspolizei vom 29.11.1940 (BA R 19 Nr. 312, Bl. 125r).

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Längerfristiger Urlaub, der im heimatlichen Reichsgebiet verbracht werden durfte, ermöglichte es den Polizisten darüber hinaus, sich dort als vollwertiger Mann, sprich als Soldat, präsentieren zu können. Gerade im Fall der zahlreichen Familienväter unter den Reservisten des Bataillons 61 spielte aber sicherlich auch eine Rolle, dass Heimaturlaub es ermöglichte, sich des Wohlergehens der eigenen Familie versichern zu können.855 Besonders zu Kriegszeiten war Urlaub so von Militärangehörigen begehrt und wurde als „unvergleichliches Geschenk“ empfunden.856 Die Notwendigkeit, Urlaub für den Erhalt der Dienstfähigkeit bzw. für die Motivation von Organisationsangehörigen einzusetzen, wurde grundlegend in einem von Himmler erlassenen geheimen SS-Befehl festgehalten. Vorgesetzten wurde die „rechtzeitige Ablösung von schweren Kommandos“ ihrer Untergebenen sowie ein „rechtzeitiges in Urlaubschicken“857 nicht nur zugestanden, sondern eindringlich nahegelegt. Gerade mit der sich verändernden Kriegssituation wurde Urlaub für die Männer des Bataillons 61 zu einem knappen Gut. Schon die Ablösung der Dortmunder Polizeieinheit während ihres ersten Einsatzes in Polen hatte sich durch einen Mangel an Ersatzkräften verzögert.858 Die Urlaubszuteilung war in der Ordnungspolizei anfangs weit freigiebiger gestaltet als in der Wehrmacht. So standen unter 30-jährigen Polizisten je nach Dienstrang zwischen 16 und 29 Tage Urlaub zu. Für die Gruppe der 30- bis 40-Jährigen belief sich der Erholungsurlaub auf 21 bis 37 Tage. Für die über 40-Jährigen waren schließlich zwischen 28 und 42 Urlaubstage vorgesehen. Mehrere Männer des Bataillons 61 gaben an, dass man „mit ziemlicher Regelmäßigkeit in vierteljährlicher Wiederholung 12 oder 14 Tage in die Heimat geschickt“859 wurde. Hinzu kam in der Polizei die Möglichkeit, „in begründeten 855 Insbesondere zur Sorge der Polizisten um ihre Familien siehe Kapitel V.5. Für die freie Zeit im Einsatz vgl. Aussage Wilhelm Heuwinkel vom 12.11.1965 (StAHH 213-12-70 Nr. 47, Bl. 21603). Die hohe Bedeutung von Urlaub für die Männer zeigte sich auch am Fall des schon geschilderten Suizids eines Polizeireservisten. Dieser erschoss sich selbst, nachdem er, trotz psychischer Überlastung und mehrmaligem Ersuchen, keinen Urlaub erhielt. Ursache der Selbsttötung war sicher nicht die Urlaubsverweigerung allein, aber sie war ihr Auslöser. Zu den Vorgängen um den Suizid siehe Kapitel V.5. Grundsätzlich zur Rolle von Urlaub in militärischen Verbänden vgl. Christian Packheiser, Heimat­ urlaub. Soldaten zwischen Front, Familie und NS-Regime, Göttingen 2020. 856 Ellenbeck, Kompaniechef (1940), S. 36. 857 Geheimer SS-Befehl an alle Höheren SS- und Polizeiführer, SS- und Polizeiführer sowie zur Verteilung an alle Dienststellen im Osten vom 12.12.1941 (LVVA P 83-1 Nr. 80, Bl. 5). Ausführlich zu dem Befehl vgl. Hilberg, Quellen, S. 133 und 136. Ferner vgl. Kühl, Ganz normale Organisationen, S. 135 f. 858 Vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 10.12.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). Siehe auch Kapitel IV.1. 859 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 188). Ebenso für diesen Umfang des Urlaubs vgl. Aussage Wilhelm Grunwald vom 18.8.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942, Bl. 36) und Aussage Ernst Brunst vom 7.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 156r). Für die offizielle Urlaubsregelung der Ordnungspolizei vgl. Erholungsurlaub für die Ordnungspolizei vom 30.11.1940 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 214). Insbesondere auch für den Feiertagsurlaub vgl. Beurlaubungen bei der Ordnungs-

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Ausnahmefällen“860 bis zu zehn Tage Sonderurlaub zu erhalten. Es wurde jedoch ebenso festgehalten, dass nur maximal zehn Prozent des Personals von Einheiten und Dienststellen zur gleichen Zeit beurlaubt werden durften.861 Im Laufe des Krieges, insbesondere nach dem deutschen Angriff auf die Sow­ jetunion, führte ein stetiger Personalmangel dazu, dass sich der den Polizisten offiziell zugestandene Urlaub reduzierte. So wurde spätestens im Mai 1942 über den gekürzten Urlaub von Polizisten der Ordnungspolizei verlautbart: „Erholungsurlaub wird für das Urlaubsjahr 1942 über 21 Tage hinaus grundsätzlich nicht gewährt.“ Eine Ausnahme bestand nur für Polizeiangehörige, die vor dem 1. April 1888 geboren waren. In einem solchen Ausnahmefall könne ein Urlaub von „bis zu 31 Tagen“862 gewährt werden. Dies geht auch aus verschiedenen noch erhaltenen Personalakten von Männern der Dortmunder Polizeieinheit hervor, da in diesen Dokumenten die Urlaubstage eingetragen wurden. Neben der fortschreitenden Begrenzung des normalen Erholungsurlaubs wurde 1942 auch geregelt, dass Sonderurlaub nur noch „in dringenden Fällen (z. B. Todesfall), zur eigenen Hochzeit“ und auch „zur Wiederherstellung der Gesundheit Verwundeter“863 genehmigt werden sollte. Wohl wissend, wie wichtig Urlaub wahrgenommen wurde, warb die Ordnungspolizei um Verständnis für dessen kriegsbedingte Begrenzung. Hierzu erklärte man den Verzicht auf Urlaub als besonders soldatisch und nationalsozialistisch. So hieß es in den Mitteilungsblättern für die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei: „Es ist jedoch eine Sache der Einstellung, ob wir diesen Urlaub nun als verbrieftes Recht ansehen, oder ob wir ihn lediglich als notwendige Kampfpause betrachten. Der wahre Nationalsozialist kennt jedenfalls einen Urlaub im bürgerlichen Sinne überhaupt nicht, und er ist sich darüber klar, dass er ein ewiger Kämpfer ist.“864 Entsprechend solle man sich gerade zu

polizei zu Weihnachten 1940 und Neujahr 1941 vom 13.12.1940 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 266 f.). Für die Urlaubsregelung für Reservisten vgl. Schreiben betr.: Urlaubsregelung vom 11.6.1940 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 142r). Zur grundsätzlichen Dienstbefreiung und dem Erholungsurlaub von Reservisten vgl. Pabst, Notdienstverordnung (1940), S. 125. 860 Schreiben betr.: Urlaub für die Hilfspolizei vom 11.9.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 123). Insbesondere zum Sonderurlaub vgl. Schreiben betr.: Urlaubsregelung vom 11.6.1940 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 142). Ab einer Reise von 150 km stand den Männern im Urlaub zusätzlich ein Reisetag als Ergänzung zu. 861 Vgl. Tagesanordnung des BdO Posen vom 25.11.1939 (BA R 70 Polen Nr. 363, Bl. 2). Zu Weihnachten war jedoch eine Sonderreglung vorgesehen. 862 Urlaub bei der Ordnungspolizei vom 14.5.1942 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 300r). Ebenso vgl. Urlaub bei der Ordnungspolizei vom 25.9.1942 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 327). 863 Urlaub bei der Ordnungspolizei vom 14.5.1942 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 300r). Exemplarisch für eingetragene Urlaubszeiten vgl. Personalbogen Edmund Bender geb. 18.10.1916, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 269, unpag.). Dort lassen sich vier Wochen Urlaub pro Jahr erkennen. 864 O. V., Das wohlerworbene Recht auf Urlaub. In: Mitteilungsblätter für die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei Gruppe A 4, 1.7.1942 Folge 41 1942, unpag. Ebenso für ein Werben, den begrenzten Umfang von Urlaub zu akzeptieren, vgl. Urlaub bei der Ordnungspolizei vom 14.5.1942 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 301).

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Kriegszeiten in Verzicht üben und an die Frontsoldaten denken, denen Urlaub am ehesten zustünde. Letztlich hatten solche Verlautbarungen aber bestenfalls eingeschränkte Wirkung auf die meisten Akteure im Bataillon 61. Ihnen ging es gar nicht darum, besonders gute Nationalsozialisten zu sein. Vielmehr waren sie in opportunistischer Weise daran interessiert, einen ruhigen Alltag mit entsprechenden Erholungspausen zu verleben. Dass Heimaturlaub darüber hinaus die Möglichkeit bot, sich als Soldat darzustellen ohne tatsächlich dessen gefährlichen Dienst ausüben zu müssen, kam quasi als Bonus hinzu. Es verwundert daher auch kaum, dass innerhalb der untersuchten Polizeieinheit die Urlaubsvergabe ein Reizthema war. Die Behauptung durch Funktionsträger der Einheit, um Urlaub betrogen worden zu sein oder von ihnen nicht genug Urlaub erhalten zu haben, spiegelt die hohe Bedeutung, die dieser für die Männer gehabt haben muss. Dies war insbesondere dann der Fall, wenn Personen meinten, dass sie nicht nur „beim Heimaturlaub übergangen“865 wurden, sondern regelrecht übervorteilt wurden. So ärgerte sich Rybczak selbst nach dem Krieg noch darüber, dass manche Bataillonsmitglieder schon viermal Urlaub erhielten, bevor andere Polizisten auch nur einmalig eingeteilt wurden.866 Offiziell bestanden tatsächlich Regelungen für die bevorzugte Beurlaubung von in Polizeieinheiten eingesetzten Männern. So sollten beispielsweise selbst noch nach Kriegsbeginn zu den hohen christlichen Feiertagen an Ostern und Weihnachten primär Familienväter und verheiratete Männer beurlaubt werden. Dafür durften ausnahmsweise sogar bis zu 25 Prozent einer Einheit zur gleichen Zeit freigestellt werden. Jedoch lag die tatsächliche Urlaubsvergabe immer im Ermessensspielraum der jeweiligen Vorgesetzten. Damit stellte die Urlaubsvergabe zum einen ein nicht zu unterschätzendes Disziplinierungsmittel dar und war zum anderen auch ein ideales Belohnungsinstrument. Wer wann und wo Urlaub machen durfte, entschieden die Funktionsträger in den jeweiligen Kompanien relativ autark und setzten sich vereinzelt auch einfach über offizielle Vorschriften hinweg. So berichtete man über den ehemaligen Offizier Linnemann nach dem Krieg: „Er ließ während der Urlaubssperre seine Untergebenen Dienstfahrten ins Reich machen.“867 865 Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 234). Auch Nahlmann meinte, er habe nicht genug Urlaub vor dem Ausrücken erhalten, um seine persönlichen Verhältnisse zu regeln. Vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 10. 866 Aussage Ludwig Rybczak vom 10.7.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). 867 Entnazifizierungsakte Linnemann, Heinrich vom 27.10.1948 (LAV NRW, R, NW 1037BVI-4957, unpag.). Exemplarisch zur vorgeschriebenen Praxis der Urlaubsvergabe vgl. Dienstbefreiung, Arbeitsurlaub und Arbeitseinsatz der Polizeireservisten für wirtschaftliche Zwecke vom 10.8.1943 (DHPol 8.5.4 Nr. 26, Bl. 4). Für die Verweigerung des Urlaubs für den Unterführer Kreulich vgl. Aussage Hans Delisch vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 42r). Exemplarisch zum Sonderurlaub an Feiertagen vgl. Schnellbrief betr: Weihnachtsurlaub 1939 vom 12.12.1939 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 70r); Schnellbrief betr.: Osterurlaub vom 9.3.1940 (ebd., Bl. 89 f.); Beurlaubungen bei der Ordnungspolizei zu Ostern und Pfingsten 1942 vom 19.3.1942 (ebd., Bl. 289r).

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Laut Roschkowski war es hingegen in der Regel der Spieß einer Kompanie, der „besondere Vergünstigungen gewährte, z. B. dienstfreie Tage oder Abende“.868 Auch Brunst gab über die Verhältnisse in der 1. Kompanie zu Protokoll: „Um 23 Uhr war Zapfenstreich, es sei denn, dass ich persönlich, da ich das Recht neben dem Kompaniechef dazu hatte, Leute über diese Zeit hinaus“ beurlaubte.869 Grunwald führte ebenfalls aus, dass der Unterführer ihm „den Urlaub verlängert“ habe.870 Aber selbst der Spieß einer Kompanie musste die offizielle wie auch die informelle Vergabe solcher Gratifikationen durch die Autorität des jeweiligen Kompaniechefs untermauern. Ohne dessen Zustimmung war die Vergabe von weitergehendem Urlaub nicht möglich. Es war „ausgeschlossen, dass der Hauptwachtmeister einer Kompanie von sich aus die Machtvollkommenheit besaß, den Urlaub eines Kompanieangehörigen zu verlängern. Dazu bedurfte es der Genehmigung der Kompaniechefs.“871 Somit konnten durch die Urlaubsvergabe vor allem Verhaltensweisen belohnt werden, die den Befehls­ habenden der einzelnen Teileinheiten zusagten. Im Fall des Bataillons 61 mit ihrer nationalsozialistisch eingestellten Führungselite, stellte dies eine potenziell verhängnisvolle Weichenstellung dar. Beispielsweise in der 1. Kompanie soll das rabiate Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung durch die Urlaubsvergabe gefördert worden sein. So wurden, um den „eifrigen Gebrauch der Schusswaffen bei den Ghettowachen anzufeuern, […] Sonderurlaub und dienstfreie Tage in Aussicht gestellt“.872 An ­anderer Stelle hieß es, dass Angehörige der Kompanie nach Erschießungen „jeweils 24 Stunden Urlaub erhalten“ hätten.873 Über diejenigen Akteure, die sich zu offiziellen Erschießungskommandos freiwillig meldeten, hielt man fest: „Die Vergünstigungen für diese Freiwilligen bestand aus einem halben Tag Urlaub und längerem Abendausgang.“874 Daneben wurden auch viel banalere Gefälligkeiten gegen Urlaubsansprüche getauscht. So erinnerte sich Nahlmann daran, dass er in seiner Ausbildungszeit, selbst als sein zweites Kind geboren wurde, zunächst keinen Urlaub erhalten habe. Ein Kamerad hingegen sei durch einen Vorgesetzten freigestellt worden, da „Bartholain Dekorateur war und in der Wohnung des Reininghaus dessen Gardinen aufhängen und dekorieren musste. Dafür bekam Bartholain Urlaub, tagelang.“875 868 Aussage Adalbert Roschkowski vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 121). 869 Aussage Ernst Brunst vom 16.2.1951 (ebd., Bl. 56). Diese Erfahrung will Nahlmann ebenso bei seiner Grundausbildung gemacht haben. Vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 2. 870 Aussage Wilhelm Grunwald vom 10.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 164). 871 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 188r). 872 Aussage August Kleine vom 20.11.1951 (ebd., Bl. 109r). 873 Aussage Emil Kosburg vom 7.12.1959 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124, Bl. 5). Ebenso vgl. Brief von Emil Kosburg an die Staatsanwaltschaft vom 22.10.1959 (ebd., Bl. 1). Für nur einen halben Tag Urlaub und längeren Abendausgang als Gratifikation vgl. Aussage Fritz Urban vom 23.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 219, Bl. 12). 874 Ebd., Bl. 11. 875 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 6.

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Besonders intensiv nutzte Brunst als Spieß der 1. Kompanie das Urlaubsbedürfnis seiner Männer. Wie bereits ausführlich beschrieben, betrieb er nicht nur einen Handel mit geraubten Gütern, sondern koordinierte auch deren Verschickung mithilfe dazu beurlaubter Polizisten in die Heimat. Roschkowski meinte, dass um „Pakete nach Hause zu schaffen, […] Dortmunder Beamte für den Urlaub bevorzugt“ wurden.876 Ebenso formulierte Sippel über den geschäftsführenden Hauptwachtmeister: „Besonders gut hatte es derjenige bei ihm, der die von ihm organisierten Pakete nach Hause beförderte, wenn er in Urlaub ging. Es kam auch vor, dass der Beamte, der Pakete mitnahm, dafür Sonderurlaub erhielt.“877 Rybczak meinte in gleicher Weise, dass der Unterführer Einheitsmitglieder bei der Urlaubsvergabe bevorzugte, „die Besorgungen und Anschaffungen für seinen […] Haushalt erledigten“.878 Solch ein eigentlich illegales Tauschen von Gefälligkeiten schrieb man beispielsweise auch Linnemann zu. So habe sich dieser nicht gescheut, „von oben gegebene Befehle zu umgehen bzw. abzuschwächen. – Übergehen des Urlaubsverbotes usw. –“ um seine Männer zu belohnen. Weiterhin hieß es über ihn: „Geschäftliche und familiäre Interessen der Kameraden fanden bei ihm stets Gehör, wenn es sich um Beurlaubungen oder Benutzung dienstlicher Einrichtungen handelte.“879 Hauptmann Mehr habe schließlich versucht, seine Untergebenen zum Austritt aus der von ihm verhassten Kirche zu überzeugen. Obwohl eine solche Einflussnahme ab 1938 in der Ordnungspolizei streng verboten war, soll der Kompaniechef austrittswilligen Untergebenen hierfür Sonderurlaub angeboten haben, während offiziell eine Urlaubssperre bestand. Dieses Tauschangebot hätten viele Männer angenommen, „um zu ihren Familien zu kommen“.880 Ebenso relevant wie die Vergabe von Urlaubsmöglichkeiten waren für die Männer der Kompanien monetäre und materielle Belohnungen. Gerade für ansonsten kaum zu formalisierende Erwartungen der Führung stellten Gratifika­ tionen ein wichtiges Tauschelement dar. Ohne Frage ist Bezahlung ein geeignetes Mittel, um Akteure innerhalb einer Organisation auch zur Übernahme unangenehmer Aufgaben zu bewegen. Im Zweiten Weltkrieg war dies jedoch nur sehr bedingt wirkmächtig. Die Ordnungspolizei war sich bewusst, dass der „Mehrbelastung durch eine geldliche Sonderzuwendung“ in Form einer „Ostzulage“ nur bedingt zu begegnen war. Man meinte, dass offizielle Zahlungen „nicht die entscheidende Maßnahme zur Hebung der ‚Ostfreudigkeit‘“881 sein könnten. Auch im Bataillon 61 dürfte dies der Fall gewesen sein.

876 Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 45). 877 Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 66). 878 Aussage Ludwig Rybczak vom 10.7.1951 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.). 879 Entnazifizierungsakte Linnemann, Heinrich vom 27.10.1948 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1347, unpag.). Für das Verbot, Urlaubsreisen zur Tarnung als dienstliche Reisen zu bezeichnen, vgl. Urlaub bei der Ordnungspolizei vom 14.5.1942 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 301). 880 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 39). 881 O. V., Beamte (1941), unpag.

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So hatte sich Bataillonsadjutant Krehnke schon vor dem Krieg über seinen Sold offiziell beschwert. Tatsächlich erhielten bei der Polizei eingesetzte Offiziere, Unterführer und Mannschaftsdienstgrade einen geringeren Sold als dies für vergleichbare Mitglieder der Wehrmacht der Fall war. Einige Reservisten des Bataillons 61 verdienten in ihren Berufen im Zivilleben sogar so viel, dass sich ihr Notdienstsold nur auf etwa ein Drittel ihres üblichen Auskommens belief. Dies konnte die Polizei nicht kompensieren. Darüber hinaus war es der um äußerliche Legalität bemühten Organisation unmöglich, die illegalen Handlungen der Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit mit offiziellen Zahlungen zu fördern. Stattdessen ließ man Polizisten auf der Mikroebene des Bataillons 61 an der Beraubung der Zivilbevölkerung teilhaben.882 Hierbei muss klar sein, dass die „steile These vom Holocaust als Raubmord“, wie sie populär von Götz Aly präsentiert wurde, angesichts empirischer Forschungsergebnisse im Wesentlichen nicht haltbar ist. Sie zeigt eine „bestürzende Unkenntnis“883 über die Prioritäten nationalsozialistischer Vernichtungspolitik. Betrachtet man das gesamte NS-System, so ist es mehr als unwahrscheinlich, dass monetäre Anreize dauerhaft und staatlich gezielt eingesetzt wurden, um Männer militärischer Einheiten zu Mord und Verbrechen zu motivieren. Hoch problematisch an dieser Motivationsart ist, dass sie, will man sie aufrecht­erhalten, die jeweilige Organisation immer wieder in die Zwangssituation bringt, neue Gelder und Güter zu requirieren. Dies wird auf Dauer den eigentlichen Organisationszweck überlagern und weiteres zielgerichtetes Vorgehen fast unmöglich 882 Für die Gehaltseinbußen eines Reservisten auf ein Drittel seines üblichen Einkommens vgl. Entnazifizierungsakte Übelhör, Hans vom 24.4.1948 (LAV NRW, R, NW 10668162, Bl. 7). Zu Krehnkes abgelehnter Beschwerde vgl. Auskunft über Besoldung von der SS-Personalkanzlei an Leutnant Krehnke (BA R 9361 SSO 211, Bl. 332). Für den direkten Vergleich von Polizei- und Wehrmachtssold vgl. Übersicht über die gehalt­lichen Unterschiede von Offizieren der Schutzpolizei und der Wehrmacht bzw. Führern der SS-Verfügungstruppe vom 2.12.1938 (BA R 19 Nr. 394, Anlage 6); Übersicht über die gehaltlichen Unterschiede von Polizeiwachtmeistern (SB.) und den entsprechenden Dienstgraden der Wehrmacht vom 2.12.1938 (BA R 19 Nr. 394, Anlage 6). Allgemein zur Polizeibesoldung vgl. auch die Übersicht über Polizeidienstränge und Besoldungsgruppen in: Best, Polizei (1940), S. 68; die Tabelle Verwaltungsvollzugsbestimmungen zu den grundlegenden Devisenerlassen (Zahlungsregelungen) für außerhalb des Reichsgebietes eingesetzte Einheiten der Ordnungspolizei vom 22.3.1943 (APP 299 Nr. 1218, Bl. 467). Grundsätzlich zur Abfindung und Bezahlung von Polizeireservisten vgl. ­RMBliV 1940, S. 1064; RMBliV 1941, S. 362. Ferner vgl. Vergütungsgrundsätze für die persönlichen Aufwendungen für Notdienstpflichtige vom 13.10.1939 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 14, unpag.); Vergütungssätze für die persönlichen Aufwendungen für Notdienstpflichtige, die auf Grund der Notdienst-Vo. herangezogen werden vom 1.4.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 14, unpag.); Erläuterungen zu den Bestimmungen betr.: Vergütungssätze der Pol.-Reservisten vom 15.1.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl.  74 f.). 883 Wehler, Nationalsozialismus, S. 212. Angespielt wird hierbei auf die Ergebnisse bei Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, 5. Auflage, Frankfurt a. M. 2005. Gewissermaßen für den wirtschaftshistorischen Gegenentwurf zu Aly vgl. Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2008, insbesondere S. 619–633.

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machen. So unwahrscheinlich ein staatlich geplantes Raubprogramm war, so plausibel ist es jedoch, dass gerade bei abseits von Kampfgebieten eingesetzten Einheiten das Zulassen von räuberischen Handlungen zur Motivation der Männer genutzt wurde. Es handelte sich dabei aber nicht um einen koordinierten Plan, sondern um die Akzeptanz des Prinzips „Gelegenheit macht Diebe“. Für Angehörige des Bataillons 61 gab es etliche Möglichkeiten, Zivilisten zu berauben, mit denen sie in Kontakt kamen. Dies war beispielsweise der Fall, wenn Polizisten die Warschauer Ghettoinsassen „auf Geld oder Lebensmittel zu untersuchen“884 hatten. Der Bevölkerung „Schmuck und Andenken“885 sowie Nahrung und Gebrauchsgegenstände wegzunehmen, bedeutete für die, bis auf wenige Ausnahmen, aus relativ geregelten Verhältnissen stammenden Polizisten keine großartige Steigerung ihres Wohlstands. Jedoch ließ sich durch die entwendeten Gegenstände zumindest eine zeitweise Erleichterung des alltäglichen Lebens erreichen. In welchem starken Maße sich die Bataillonsangehörigen hierbei als gierige Opportunisten zeigten, unterstreicht ihre eigentlich ohnehin schon gute Versorgungslage. Anders als Zivilisten im Reichsgebiet, wenn sie nicht in einer kriegswichtigen Schwerindustrie eingesetzt wurden, erhielt die Dortmunder Polizeieinheit eine nahezu so umfangreiche Verpflegung, wie es in einer direkt an der Front eingesetzten Wehrmachtseinheit gleicher Größe vorgesehen war. Auch der britische Geheimdienst erkannte, dass im Osten eingesetzte deutsche Kräfte bei weitem besser versorgt waren als die durchschnittliche Reichsbevölkerung. Der Wille, das eigene Leben auf Kosten der lokalen Bevölkerung durch Raub noch weiter zu erleichtern, war dennoch nicht nur bei den einfachen Polizisten des Bataillons 61, sondern ebenso bei ihren vorgesetzten Offizieren und Unterführern präsent. So ließen beispielsweise, wie erläutert, verschiedene Vorgesetzte ihre Männer Güter auf dem Markt rauben, um sie dann selbst konsumieren zu können.886 Offiziell war den Polizisten, wie für staatliche Gesetzeshüter eigentlich selbstverständlich, jede Form von Raub und Diebstahl strengstens untersagt. „Gerade der Polizeibeamte, der stets im Lichte der Öffentlichkeit steht“, dürfe „hier keine Mängel zeigen, denn er steht nicht für sich selbst, sondern für die Gemeinschaftsorganisation, die er vertritt“.887 So gab es eigentlich genaue Regelungen, 884 Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 216r). Zu solchen Durchsuchungen vgl. auch die Fotografien in: LAV NRW, W, K 702a Nr. 287. Ferner vgl. Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 38). 885 Aussage Erich Tiemann vom 10.2.1951 (ebd.). 886 Vgl. Aussage Anton Sippel vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 66). Zur guten Versorgunglage der Polizei vgl. Schnellbrief betr.: Mundpropaganda in der Ordnungspolizei vom 20.3.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 14, unpag.). Erst ab dem 6.4.1942 wurden auch bei der Polizei Rationen gekürzt. Für die allgemeine Verpflegung der Polizei vgl. Verpflegungs- und Rationssätze für die Polizei vom 9.5.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 308, unpag.); Verpflegung der Waffen-SS und kasernierten Polizei im Heimatgebiet vom 3.2.1942 (ebd., unpag.). Für die Einschätzung der Polizeiversorgung durch den britischen Geheimdienst vgl. The Nazis At War: Materials on Germany designed to Aid the Study of Men, Affairs and Trends. No. 28. Wiener Library Publications vom 10.2.1942 (WL Nr. 1627, Bl. 3). 887 Rohne, Gedanken (1936), S. 4.

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dass beispielsweise „beschlagnahmtes Gut […] nach Dienstanweisungen auf den Wachen verbucht und abgeliefert werden“ musste.888 Ebenso sollten etwa „beschlagnahmtes Geld und Sparkassenbücher […] in einen Umschlag getan“889 werden, um diesen dann an zuständige Stellen weiterzuleiten. Die Männer des Bataillons 61 waren sich dabei im Klaren, welche Strafen theoretisch aus einem Zuwiderhandeln resultieren konnten. Man erinnerte sich beispielsweise daran, dass mehrere Polizisten „wegen Verschiebung lebenswichtiger Güter durch ein SS- und Polizeigericht zum Tode verurteilt und erschossen worden“ waren.890 Auch die Reichsregierung verurteilte Raub und Diebstahl offiziell auf das Schärfste. Es hieß: „Eigentumsvergehen Deutscher verstoßen gegen die Grundsätze der nationalsozialistischen Ehrauffassung und der deutschen Ostpolitik und schädigen das Ansehen des Reiches.“ Dies entsprang dabei keiner Sympathie für die Bestohlenen. Zwar hieß es, man erwarte von den „Deutschen unbedingte Anständigkeit und Rechtlichkeit“. Das eigentliche Problem bei der Beraubung der osteuropäischen Bevölkerung lag jedoch darin begründet, dass man etwa den Besitz von vermeintlichen Juden und sowjetischen Bürgern als legitimen Besitz des NS-Regimes ansah. Wer sich Güter und Wertgegenstände selbst aneignete, bedingte also „eine unmittelbare Schädigung des Deutschen Reiches“. Eine solche sollte „mit schärfster Strafe geahndet“ werden.891 Folglich hätten offizielle Sanktions- und Strafmechanismen greifen müssen, wenn Mitglieder des Bataillons 61 die lokale Bevölkerung beraubten. Vorgesetzte in der Dortmunder Polizeieinheit hätten eigentlich das Verhalten ihrer Männer schon deshalb unterbinden müssen, um sich nicht selbst einer Regelverletzung schuldig zu machen. Der Alltag im Bataillon 61 sah jedoch aufgrund dort bestehender Vertrauensnetzwerke ganz anders aus. Die Männer mussten keine Strafen fürchten, da sie durch den Bataillonskommandeur, die Kompanieführer und deren Spieße gedeckt wurden. Hierdurch entstand eine tiefgehende Form von Komplizenschaft. Dennoch duldeten nicht alle Vorgesetzten die illegalen Praktiken ihrer Männer im gleichen Maße. Aber selbst der als besonders korrekt geltende Kompaniechef Wannemacher gestand nach dem Krieg ein, dass er sich nicht erinnern könne, jemanden für Raub und Plünderung bestraft zu haben. Es scheint im Bataillon 61 ein offenes Geheimnis gewesen zu sein, dass es üblich war, zu plündern bzw. dieses Verhalten zu dulden. Dass sogar ein Handeln mit den so erlangten Gütern betrieben wurde, unterstreicht die Normalität der Beraubungspraxis.892 888 Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 72r). 889 Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (ebd., Bl. 61). 890 Aussage Joseph Figiel vom 21.11.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 85). Es soll sich jedoch nicht um Mitglieder des Bataillons 61 gehandelt haben. 891 Eigentum in den besetzten Ostgebieten vom 30.10.1942 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 266, unpag.). 892 Für den Handel vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 27.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 51); Aussage Franz Schulte vom 30.10.1952 (ebd., Bl. 55). Für Wannemachers Feststellung vgl. Aussage Julius Wannemacher vom 23.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 66).

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Diese Vorgehensweise, ebenso wie das Verschieben von Gütern, wurde den Männern der Polizeieinheit schließlich sogar durch deren Funktionsträger vorgelebt. Der geschäftsführende Hauptwachtmeister der 1. Kompanie etablierte dabei sogar ein regelrechtes Handelssystem mit Beutegut. Er schickte in regelmäßigen Abständen Pakete mit Gütern an seine Frau nach Dortmund. Ausgeliefert wurden diese von Mitgliedern der Einheit, die hierfür Sonderurlaub erhielten. Die Verschiebung von Waren ging dabei soweit, dass dies selbst dem Zellenleiter der NSDAP in Dortmund-Brackel negativ auffiel und er eine Untersuchung der Vorgänge verlangte. Unter dem Schutz von Hauptmann Mehr blieb der Unterführer jedoch unbestraft.893 Dies stand im Widerspruch zu offiziellen Verlautbarungen wie: „Es ist besser, eine begangene Verfehlung und ihre Gründe ehrlich einzugestehen und die etwaigen Folgen mannhaft auf sich zu nehmen, als den Versuch zu machen, durch Vertuschung sich freizuschwindeln.“894 An anderer Stelle hieß es, man dürfe „auch keine falsch verstandene Kameradschaft üben“, indem man jemanden, „der gefehlt hat, zu decken versucht“. Eine solche „Begünstigung, auch wenn sie einem Kameraden gegenüber geschieht, ist strafbar“.895 Dies wurde aber im Bataillon 61 geradezu ins Gegenteil verkehrt. Der Spieß musste sich angeblich lediglich durch den NSDAP-Zellenleiter die Worte: „Sie sind […] ihres Amtes nicht würdig“,896 anhören und wurde vom Bataillonskommandeur verwarnt. Einzige Konsequenz für die Praktik des Beraubens der Zivilbevölkerung und die Verschiebung der Beute im Bataillon 61 war, dass diese von da an versteckter ablaufen musste. Es war für die Akteure absehbar, dass die Delikte durch Disziplinarvorgesetzte gedeckt wurden, selbst wenn man in Konflikt mit externen Stellen geriet. Dies galt jedoch nur, sofern die Bataillonsangehörigen ein Vertrauensverhältnis zu Vorgesetzten unterhielten und deren nicht formalisierbaren Erwartungen unterstützten bzw. erfüllten. Gerade Vergehen und Straftaten, die zu einer rabiaten Behandlung der lokalen Zivilbevölkerung beitrugen, wurden so gefördert. Dies galt nicht nur bei der Beraubung, sondern auch bei sadistischen und sexuellen Gewalthandlungen, die einige Männer des Bataillons 61 praktizierten. Im Falle des Bekanntwerdens solcher Vorgänge

893 Vgl. auch Kapitel IV.3. Für die Untersuchung vgl. Aussage Adalbert Roschkowski vom 14.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 44r). Zum Handel des geschäftsführenden Hauptwachtmeisters mit geraubten Gütern vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 51). Zur Auslieferung der Pakete durch Urlauber vgl. Aussage Anton Drywa vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 47). Zur Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens vgl. Brombach, Die strafrechtliche Bekämpfung des Tauschhandels. In: Die Deutsche Polizei, 10 (1942) 11, S. 167. Ein Nachahmer des Hauptwachtmeisters war u. a. Sippel, dem ausgerechnet Spieß Brunst dieses Verhalten später vorwarf. Vgl. Aussage Ernst Brunst vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 136). 894 Rohne, Gedanken (1936), S. 4. 895 Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, Hauptamt SS-Gericht (Hg.), SS- und Polizeigerichtsbarkeit, S. 50. Dort unter Bezug auf Paragraf 257 RStGB. 896 Aussage Ernst Brunst vom 27.4.1946 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.).

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konnte die Verantwortung teilweise abgewälzt werden, da Vorgesetzte eigentlich eine Überwachungsfunktion hätten wahrnehmen müssen. So war es sehr wahrscheinlich, dass man von diesen gedeckt wurde, da eine Verschleierung der Vorgänge im beiderseitigen Interesse lag.897 Wo Regelverstöße der Ordnungspolizei nicht direkt schadeten, sondern einen Nutzen für die Funktionselite des Bataillons 61 hatten und gleichzeitig mehr oder weniger unbekannt blieben, wurde Fehlverhalten ignoriert. So bedingte das Billigen von Plünderungen einen Anreiz für die Polizisten, auch in Zukunft gut zu „arbeiten“, gehorsam zu sein und sich zumindest indifferent zu verhalten, um weiter stehlen zu dürfen. Solche klar regelwidrigen Arrangements bezeichnet Luhmann pragmatisch als „brauchbare Illegalität.898 Durch diese werden zwar informale Erwartungen der Organisation erfüllt – im Bataillon 61 das Berauben und Ermorden der Zivilbevölkerung – jedoch bricht der dazu notwendige Vorgang mit den formalen Strukturen und Regeln der Organisation. Die daraus für die einzelnen Polizisten entstehenden monetären oder allgemein opportunistischen Anreize trugen dazu bei, etwa moralische Bedenken zu überdecken, ohne dass dazu ein motivierender charismatischer Anführer oder eine besondere Identifikation mit dessen Erwartungen nötig gewesen wäre. Oftmals scheint es sogar schon ausreichend gewesen zu sein, eine Entlohnung für Tätigkeiten vorerst nur in Aussicht zu stellen bzw. eine relative Straffreiheit zu konstruieren, um die Männer der Dortmunder Polizeieinheiten zu einem harten und meist rabiaten Verhalten zu motivieren. Dabei muss klar sein, dass auch diese Faktoren nicht die Gewalt der Polizisten determinierten, jedoch die Hemmschwelle zur Beteiligung an dieser kumulativ weiter senkten. Ein weiterer mehr oder weniger direkter Belohnungsmechanismus innerhalb von Polizeitruppen wie dem Bataillon 61 war die Möglichkeit, im Dienstrang aufzusteigen. Noch in der Weimarer Republik war die Möglichkeit, in polizei­ lichen und militärischen Verbänden Karriere zu machen, stark beschränkt. Zum einen lag dies an den Restriktionen des Versailler Vertrags und zum anderen wurde nur nach Dienstalter und nicht nach Leistung befördert. Mit Machtantritt der Nationalsozialisten begann dann ein massiver Auf- und Ausbau des Poli­zei- und Militärapparates. Damit waren auch verbesserte Karrierechancen in der Ordnungspolizei verbunden. Relevanz besaßen diese in Kriegszeiten vor allem für Berufspolizisten. Reservisten hingegen waren normalerweise zu gut in ihr Zivilleben integriert, als dass eine Karriere in der Ordnungspolizei für sie dauerhaft reizvoll gewesen wäre. Sie hatten meist einträgliche Berufe und ein

897 Ansonsten wäre sicher die Frage aufgekommen, wie solche Taten in der Organisation zustande kommen konnten. Dies wäre insbesondere in Hinsicht auf das angestrebte „saubere“ Image von Polizei und Militär problematisch gewesen. Zu diesem vgl. Rainer Rutz, Signal. Eine deutsche Auslandsillustrierte als Propagandainstrument im Zweiten Weltkrieg, Essen 2007, S. 21. 898 Luhmann, Funktionen, S. 304.

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Lebensumfeld, in das sie nach dem Krieg zurückkehren wollten. Entsprechend seien Werbungsversuche für eine Polizeikarriere unter Notdienstpflichtigen von sehr mäßigem Erfolg geprägt gewesen. Nahlmann meinte: „Es meldeten sich nur wenige, und dann auch nur solche, deren Existenz sowieso durch den Einbruch des Krieges vernichtet war.“899 Auch von potenziellen Berufspolizisten wurde der Dienst in der Ordnungspolizei offensichtlich als wenig attraktiver Karriereweg wahrgenommen. So hieß es beispielsweise, „von den am 1. Oktober 1937 aus der Leibstandarte Adolf Hitler ausgeschiedenen vierjährig gedienten Männern in einer Zahl von 800“ hätten „sich nur 13 zur Polizei gemeldet. Die übrigen haben darauf verzichtet, weil jede andere Stellung im Staate ihnen bessere Lebensbedingungen bot.“ Selbst von diesen „mit allen Mitteln und mühsam geworbenen“ Personen, wären „im Laufe der Ausbildung wieder viele“ ausgestiegen. Problema­ tischerweise seien diese „wiederum nicht die schlechtesten“900 Bewerber gewesen. Mit Kriegsbeginn verschärfte sich die angespannte Personallage der Polizei immer weiter. 1940 hielt von Bomhard in einem Schreiben an Daluege fest, für neu aufzustellende Bataillone wären „nahezu keine geeigneten Offiziere und Wachtmeister mehr vorhanden“.901 Für die aktiven Polizisten im Bataillon 61 ergab sich hieraus eine Chance. Mehrere von ihnen waren bereits vor dem Krieg nicht in der Lage, in prestigeträchtigeren Einheiten der Waffen-SS oder Wehrmacht unterzukommen. Im Bataillon 61 konnten sie jedoch Karriere machen.902 Offiziell hieß es: „Auf die Auswahl der Kommandeure, der Führer und Unterführer ist großes Gewicht zu legen.“903 Himmler propagierte vor dem Krieg, man müsse „das wertvollste Menschenmaterial“904 für die Polizei nutzen. Die Realität sah jedoch völlig anders aus. Nach der massiven Personalabgabe an die Wehrmacht 1935/36 konnten die „Lücken an besten Offizieren und Männern“

899 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 4. Nahlmann ging wie viele andere Reservisten außerdem von einem schnellen Kriegsende aus. Vgl. ebd., S. 5. Für die begrenzten Karrierechancen und hohen Standards bei der Polizei der Zwischenkriegszeit vgl. Beurteilung der Offiziere der Schutzpolizei und der Gendarmerie vom 8.6.1935 (BA R 19 Nr. 16, unpag.). Zum alten Beförderungsprinzip rein nach Anciennität vgl. Matthias Rogg, Ritter, Söldner, Soldat. Militärgeschichte bis zur Französischen Revolution 1789. In: Karl-Volker Neugebauer (Hg.), Die Zeit bis 1914. Vom Kriegshaufen zum Massenheer, München 2006, S. 1–121, hier 88 f. 900 Materialien zur Herstellung der Denkschrift „Die Ordnungspolizei nach dem Stande vom 1. Dezember 1938“ (BA R 19 Nr. 394, Bl. 11). 901 Schreiben des Gen.Lt. Adolf von Bomhard an Kurt Daluege vom 19.3.1940 (BA R 19 Nr. 360, unpag.), S. 2. Zur Verschärfung der Personallage durch Abgaben an die Wehrmacht vgl. Schnellbrief betr.: Unterführer der Polizeireservisten vom 28.5.1940 (BA R 19 Nr. 266, Bl. 33.). Siehe auch Kapitel III.4. 902 Für das Problem, dass die NS-Polizei ein Auffangbecken für solche gescheiterten Personen bildete, vgl. Schreiben Adolf von Bomhards an den Niedersächsischen Minister des Inneren betr.: Einstellung von Polizeioffz.Anwärtern vom 18.6.1955 (BA R 19 Nr. 281, Bl. 57). 903 Göhler/Wirth, Schutzpolizei (1942), S. 160. 904 O. V., SS und Polizei (1937), S. 330.

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bis zum „Kriege weder zahlen- noch wertmäßig ersetzt werden“.905 Ab 1939 stand „nahezu überhaupt kein Nachwuchs zur Verfügung“. Entsprechend habe „ein ungeheurer“906 Bedarf an qualifiziertem Personal bestanden. Auch wenn man sicher nur die besten Offiziersanwärter wollte, habe man sich mit Kriegsbeginn den Notwendigkeiten gefügt, wie Himmler 1943 rückblickend feststellte. Dazu passend kann für die Funktionsträger des Bataillons 61 gelten, was Browning auch für die Führung des Bataillons 101 festgestellt hat. Die Polizisten stellten sich „in der Praxis eher als Negativauswahl“907 und nicht als Elite dar. Dennoch stiegen sie relativ schnell auf. Der Führer der 1.  Kompanie des Bataillons 61, Mehr, war etwa in diese Position nach nur einem Jahr als stellvertretender Chef der 4. Kompanie befördert worden. Der Spieß, ­Brunst, sei sogar „seinerzeit der jüngste Polizeimeister im Dortmunder Bezirk“ geworden.908 Dennoch scheint gerade für die jüngeren Polizeioffiziere mit ihrem Weltbild und ihrem Ehrgeiz der Dienst in einem drittklassigen Reserve-Polizeibataillon einen erheblichen Makel dargestellt zu haben. Schon 1935 hatte Daluege von einem „Gefühl der Zweitklassigkeit“909 in der Polizei gesprochen, das es zu beseitigen gelte. Dass dies keineswegs gelang, zeigte sich während des Zweiten Weltkrieges auch im Bataillon 61. Zahlreiche seiner Offiziere bemühten sich intensiv darum, die Dortmunder Polizeieinheit wieder verlassen zu können. 1940 wurde im für den Verband zuständigen Regierungsbezirk Arnsberg daher Polizisten sogar verboten, sich zur Wehrmacht und insbesondere zur Waffen-SS versetzen zu lassen. Dennoch wurden entsprechende Anträge gestellt. Wie schon erläutert, ging Leutnant Krehnke sogar soweit, sich hierzu eines Vergehens schuldig zu machen. Um „mit allen Mitteln von der Polizei wegzukommen“ hatte er sich einfach „über das Ergänzungsamt der Waffen-SS

905 Vortrag über den Kräfte- und Kriegseinsatz der Ordnungspolizei im Jahre 1941. Dienstbesprechung der Befehlshaber und Inspekteure vom 1. bis 4. Februar 1942 (BA R 19 Nr. 336, Bl. 2). 906 Schreiben Adolf von Bomhards an den Niedersächsischen Minister des Inneren betr.: Einstellung von Polizeioffz.Anwärtern vom 18.6.1955 (BA R 19 Nr. 281, Bl. 57). 907 Browning, Ganz normale Männer, S. 214. Für Himmlers Rückblick vgl. Rede Himmlers auf der Tagung der Befehlshaber der Kriegsmarine in Weimar vom 16.12.1943 (AIFZ, RF-SS, MA 313 Nr. 1, Bl. 3212). 908 Aussage Otto Kobitzki vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 122). Ebenso zum Aufstieg des Spießes vgl. Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 104). Für weitere exemplarische Karrieren von Männern des Bataillons 61 vgl. Aussage KarlHeinz Lütgemeier vom 2.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218, Bl. 56r). Dieser wurde vom Leutnant bis zum Major befördert. Vgl. auch Akte Joseph Figiel (9355 ZB I 1014 A.9). Er stieg vom Wachtmeister bis zum Oberleutnant auf. Vgl. ferner Akte Walter Brauns (BA R 9361 SSO 102, Bl. 357). Nach verschiedenen Stationen wurde Brauns 1944 Hauptsturmführer bei der 9. SS-Panzerdivision „Hohenstaufen“ und sollte laut Aktenvermerk eine Kommandierung zum Generalstabslehrgang erhalten. 909 Ansprache Kurt Dalueges vor den Stabsoffizieren der Landespolizei am Dienstag im Preußenhaus Berlin vom 12.2.1935 (BA R 19 Nr. 379, Bl. 11).

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in Posen Sofort-Einberufungsbefehle“910 zu verschaffen versucht. Nur durch die Patronage höherer Vertreter des NS-Regimes wurde er nicht bestraft. Zu einem späteren Zeitpunkt bemühte sich auch der Kompaniechef Mehr darum, mit geradezu bettelndem Unterton, in einer Fronteinheit dienen zu dürfen. Er scheiterte. Fockenbrock war es zuvor als Chef der 2. Kompanie unter Vermittlung eines SS-Brigadeführers ebenfalls nicht gelungen, zur Waffen-SS zu kommen. Für diese exemplarischen Offiziere, ebenso wie für die übrigen Berufspolizisten, stellte der Dienst in einem mit bestenfalls zweitklassigem Material und überaltertem Personal ausgestattenen Reserve-Polizeibataillon nur ein „Nebengleis“911 einer Polizei- und SS-Karriere dar. Der Anreiz war für derartige Personen folglich gering, sich in einer solchen Einheit hochzuarbeiten. Stattdessen galt es, sich als hart und nationalsozialistisch zu beweisen, um für andere Verwendungen geeignet zu erscheinen. Hieraus ergab sich eine bedrohliche Dynamik. Männer, die sich nicht durch ihre Führungsqualitäten auszeichnen konnten, mussten dies durch hartes, regimekonformes Verhalten tun. Für die Unterführer und Mannschaftsdienstgrade der Einheit war die Möglichkeit, vor allem innerhalb des Bataillons 61 ein „kleines“ Fortkommen zu erreichen, durchaus reizvoll. Für sie waren daneben Überlegungen relevant, eine Polizeikarriere auch nach dem Krieg fortzusetzen, da man bis Ende 1942 meist keine Kriegsniederlage vermutete. Für diejenigen, die sich aktiv um einen Aufstieg bemühten, war in der Dortmunder Polizeieinheit willfähriges und brutales Verhalten gegenüber der lokalen Bevölkerung der Schlüssel zu Karriere­ chancen. Ob man „fleißig“ die Schusswaffe einsetzte, so urteilte Kobitzki, davon „hingen die Beförderungen und Auszeichnungen ab“.912 Dazu passend hielt Kehler schon 1945 fest, dass es auffällig sei, dass „unfähige Beamte fä-

910 Stellungnahme Oberst v. Grolman betr.: Schreiben von Hoffmeyer 4.7.1941 vom 22.7.1941 (BA R 9355 ZB I 1114 A.2, Bl. 80r). Ebenso vgl. Schreiben des Regierungspräsidenten an den BdO Posen 6.10.1941 (ebd., Bl. 106); Schreiben des SS-Hauptamt-­ Ergänzungsamtes betr.: SS-Obersturmführer Hans Krehnke vom 18.8.1941 (ebd., Bl. 108); Schreiben Hoffmeyers von der Volksdeutschen Mittelstelle Posen an den Chef der Ordnungspolizei vom 4.7.1941 (ebd., Bl. 78). Für das Verbot im Regierungsbezirk Arnsberg vgl. Schreiben des Regierungspräsidenten in Arnsberg vom 31.1.1940 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 87). 911 Browning, Ganz normale Männer, S. 215. Für Mehrs Bitten um eine Frontverwendung vgl. Gesuch des Hauptsturmführers Erich Mehr um Übernahme in die Waffen-SS vom 15.11.1943 (BA R 9361 SSO 305, Bl. 851). Für Fockenbrocks Bemühungen vgl. Schreiben an den Chef des SS-Ergänzungsamtes Brigadeführer Berger vom 27.11.1939. In: Akte Heinrich Fockenbrock (BA R 9361 SSO 213, Bl. 1492). Später wurde Fockenbrock aber doch noch versetzt. 912 Aussage Otto Kobitzki vom 26.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 122). Für eine exemplarische Unterführerkarriere vom Gruppenführer zum Zugführer vgl. Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (ebd., Bl. 212); Aussage Heinrich Lorey vom 27.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 51); Aussage Heinrich Lorey vom 6.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212, Bl. 48).

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hig wurden, sobald sie zu morden verstanden“.913 Ein bei der Zentralstelle für NS-Ermittlungen in Ludwigsburg 1964 anonym eingegangenes Schreiben hielt über das Bataillonsmitglied Heuwinkel schließlich sogar fest, dass dieser seine „damalige Beförderung zum Wachtmeister“914 nur wegen zahlreicher Erschießungen erhalten habe. Was zunächst wie eine haltlose Anschuldigung klingen mag, erscheint plausibel, wenn man sich vor Augen führt, wie Karrierechancen in Polizeieinheiten wie dem Bataillon 61 vergeben wurden. So war vorgesehenen, dass vor „jeder Beförderung eines zum auswärtigen Einsatz abgeordneten Beamten“ die „Beurteilung des Kommandeurs des zuständigen Bataillons“ einzuholen war. Aus dieser solle ersichtlich sein, „ob Bedenken gegen die beabsichtigte Beförderung bestehen“.915 Gleichzeitig besaßen die höchsten Offiziere eines Polizeibataillons die Befugnis, Beförderungsvorschläge zu machen. Dabei stützten sich die Kommandeure, ebenso wie für sonstige Beurteilungen, auf die Expertise der ihnen unterstellten Kompaniechefs, da diese als tatsächliche Disziplinarvorgesetzte die Männer ihrer Teileinheiten einschätzten. Über die Beförderung von Unter- und Rottwachtmeistern sollten Hauptleute sogar selbstständig entscheiden. Erst ab den Rängen Wachtmeister, Oberwachtmeister und Zugwachtmeister sollte der Bataillonskommandeur das letzte Wort haben. Ab dem Rang des Hauptwachtmeisters sollte die Entscheidung außerhalb des Bataillons auf Regiments­ebene erfolgen. Da das Bataillon 61 bis zu seiner Verwendung in Russland aber de facto keinem Regiment unterstellt war, fiel auch diese Befugnis Major Dederky zu.916 Auch über offizielle Befugnisse hinaus setzten sich Vorgesetzte in der Dortmunder Polizeieinheit für ihre Untergebenen ein, um sie zu belohnen. Besonders gefördert wurden dabei vor allem Personen, die eine wichtige Stellung in den einzelnen Kompanien hatten und von denen zu erwarten war, dass sie die übrigen Männer im Sinne der Kompanieführer beeinflussen konnten. Nahlmann meinte, er sei während seiner Ausbildung bei Beförderungen vor allem deshalb übergangen worden, weil er nicht genug Einfluss besessen habe. Der

913 Bericht von Friedrich Kehler an die brit. Besatzungsbehörde vom 29.11.1945 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246 Band 3, Bl. 21). 914 Anonymes Schreiben an die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen vom 15.12.1964 (LAV NRW, W, Q 234 Nr. 125, Bl. 30r). 915 Tagesanordnung des BdO Posen vom 17.2.1940 (BA R 70 Polen Nr. 347, Bl. 54). Für das Vorschlagsrecht des Bataillonskommandeurs für die Fortbildung zum Reserve­offizier vgl. Reserveoffizierskorps der uniformierten Ordnungspolizei vom 18.6.1940 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 146r). Für die Regelung, dass Beurteilungen einen positiven Grundton haben mussten, vgl. Richtlinien über Aufstellung und Vorlage von Beurteilungen, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 32–46). 916 Für die Beförderungsbefugnis von Kompaniechefs und Bataillonskommandeuren vgl. Beförderung von Unterführern und Männern der Pol.-Reserve (ohne Luftschutzpol.) vom 20.9.1943 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 382).

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spätere Spieß Brunst hingegen machte unter Mehr Karriere. Als dessen „rechte Hand“917 stieg er in kurzer Zeit vom Zugwachtmeister bis zum Polizeimeister auf. Kurzum: „Mehr hat Brunst gefördert, wo ihm dieses nur möglich war.“918 Im Tausch für diese Patronage beeinflusste der Unteroffizier die Handlungen seiner Untergebenen im Sinn des radikal eingestellten Vorgesetzten. Die Poli­zisten der 1. Kompanie urteilten, dass Hauptmann Mehr eben deswegen „­Brunst für seinen besten Beamten“ hielt. Die polizeilichen Fähigkeiten des Unterführers seien hingegen weit weniger relevant gewesen. Vorgesetzten sagte an Brunst offenbar zu, dass der Spieß nicht der Typ Unterführer war, „der Vorgesetzten seinen Willen entgegengesetzt hätte“919 und stets „Mehr gegenüber den gehorsamen Untergebenen herauszustellen“920 bemüht war. Das Protegieren von Bataillonsangehörigen, die Einfluss auf Handlungen von Polizisten im Sinne der Vorgesetzten hatten, begrenzte sich nicht nur auf Unterführer. Auch die Kompaniechefs konnten in gleicher Form von der Bataillonsführung unterstützt werden. Beispielsweise wurde Hauptmann Kärgel vom Kommandeur zu einer vorzeitigen Beförderung vorgeschlagen. Hierzu wurden geltende Regeln durch Major Dederky offensichtlich wissentlich überdehnt. Offi­ziell war für bevorzugte Beförderungen vorgesehen: „Sonderleistungen auf einzelnen Gebieten allein berechtigen im Allgemeinen nicht zu einem Vorschlag zur vorzugsweisen Beförderung oder Vorpatentierung, doch können besondere Verdienste im Staat oder Bewegung oder ganz besondere dienstliche Leistungen auf Sondergebieten“921 dies ändern. In Kärgels Fall zählte man offenbar auch die Billigung und Unterstützung von Gewalt gegen Zivilisten als Sonderleistung. Hingegen waren 1936 seine Beförderungsbestrebungen noch gescheitert, obwohl er die NS-Bewegung schon vor 1933 intensiv unterstützt hatte.922 Vonseiten des NS-Regimes war man sich bewusst, dass Beförderungen nur aufgrund von Patronage und ohne tatsächliche Qualifikation in verschiedener Hinsicht wenig nützlich waren. Zum einen sah man hierin ein Problem für den

917 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 104). Für das Übergangenwerden bei Beförderungen wegen fehlenden Einflusses vgl. Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 7. 918 Aussage August Oestreich vom 6.3.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 72). Für die Beförderung zum Polizeimeister waren eigentlich 16 Dienstjahre als Minimum vorgeschrieben. Vgl. Best, Polizei (1940), S. 68. 919 Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 263r). 920 Aussage Hermann Kreienkamp vom 23.1.1952 (ebd., Bl. 233r). 921 Richtlinien über Aufstellung und Vorlage von Beurteilungen, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 41). Ebenso vgl. Schreiben des RFSS betr.: Bevorzugte Beförderung vom 1.6.1942 (APP 299 Nr. 1216, Bl. 135); Schreiben des RFSS betr.: Vorzugweise Beförderung und Verbesserung des Rangdienstalters vom 13.3.1943 (APP 299 Nr. 1216, Bl. 129). Für den Vorschlag, Kärgel bevorzugt zu befördern, vgl. Schreiben betr.: Bevorzugte Beförderung zum Major der Schutzpolizei, von Major Dederky an den BdO Münster vom 28.5.1941 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 249, Bl. 146). 922 Interner Vermerk der Abt. III im RI [Reichsministerium des Innen] zu Kärgels Brief und Entwurf eines Antwortschreibens vom 4.3.1936 (BA R 9355 ZB I 1154 A.11, Bl. 19).

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Zusammenhalt der „Volksgemeinschaft“. So hieß es: „Vitamin B zu haben ist an sich nichts Verwerfliches, wer aber seine Beziehungen ausnützt, sich selbst allerlei Vorteile verschafft und damit die Allgemeinheit schädigt, der versündigt sich an seinem Volke“.923 Zum anderen stellten Karrieren rein auf Basis von Patronage schlichtweg ein Problem für das offizielle Funktionieren der Organisation Polizei dar. Wenn Personen befördert wurden, die nicht die nötigen Fähigkeiten für eine Vorgesetztenfunktion mitbrachten, konnten diese ihre zukünftigen Posten nicht adäquat ausfüllen. So hielt beispielsweise ein Bericht über einen Vorbereitungskurs angehender Reserveoffiziere 1942 fest: „Im Laufe des Lehrganges sind aus gesundheitlichen oder dienstlichen Gründen 28 Teilnehmer aus dem Lehrgang ausgeschieden.“924 Insgesamt war der Lehrgang mit 49 Teilnehmern gestartet von denen lediglich 21 bestanden. Jedoch hätten auch diese Personen nur „unter Anwendung des noch tragbar mildesten Maßstabes teilweise ‚ausreichende‘ und ‚noch ausreichende‘ Leistungen erzielt“. Davon wiederum hätten nur die wenigsten „den gewünschten Anforderungen in körperlicher und geistiger Hinsicht ­einigermaßen voll“ entsprochen.925 Man schloss ferner an, die Lehrgangsteilnehmer seien sämtlich nur aufgrund ihrer guten Kontakte zur SA zu der Qualifikationsmaßnahme zugelassen worden. Offensichtlich musste solch weitreichende und dysfunktionale Patronage begrenzt werden. Im Bataillon 61 zeigte sich dies deutlich. Unterstützung durch Vorgesetzte allein konnte nicht beliebig Karrieremöglichkeiten eröffnen. Beispielsweise wollte der durch den Chef der 1. Kompanie stark geförderte Brunst, dessen Karriere ohnehin „in keinem Verhältnis zu den Leistungen“926 des Unterführers gestanden habe, Offizier werden. Zwar sei es Hauptmann Mehr noch gelungen, den geschäftsführenden Hauptwachtmeister „zu einem Offizierslehrgang in Warschau zu bringen“. Die Offizierskarriere endete dort jedoch abrupt, bevor sie wirklich begonnen hatte. Brunst sei „deshalb nicht Offi­zier geworden, weil er bei der Vorprüfung durchgefallen war“.927 An seinem Mangel an 923 O. V., Vitamin B. In: Mitteilungsblätter für die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei Gruppe A, 1944, Folge 87/88, unpag. Für Himmlers Verärgerung über zu viele Vorschläge für bevorzugte Beförderungen vgl. Schreiben des RFSS betr.: Anerkennungsschreiben des RFSS für Angehörige der Ordnungspolizei vom 14.11.1942 (APP 299 Nr. 1216, Bl. 137 f.). Entsprechend empfahl Himmler, Auszeichnungen statt bevorzugter Beförderung als Belohnungsmittel einzusetzen. Vgl. ebd., Bl. 138. 924 Bericht an den RFSS betr.: Erfahrungsbericht über den in der Zeit vom 21.7.1942– 19.9.1942 an der Polizeischule (Gend.) Deggingen stattgefundenen Vorb.Lhg. [Vorbereitungslehrgang] f. Res.Offiziers-Anwärter vom 19.9.1942 (BA R 20 Nr. 70, Bl. 1). Hingegen für die Förderung solcher Personen vgl. Schreiben von Kurt Daluege an Waldemar Geyer vom 3.5.1933 (GStA PK VI. HA, Nl. Daluege Nr. 40, Bl. 11). 925 Ebd., Bl. 2r f. 926 Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 104). Für Brunsts Wunsch, Offizier zu werden, vgl. Aussage Erich Mockler vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 48). 927 Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 36). In ähnlicher Form vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (ebd., Bl. 50r); Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 104).

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t­ atsächlichen Qualifikationen habe man erkennen können, dass die „falsche Beurteilung“, die ihn zu dem Lehrgang gebracht hatte, „nur durch das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Mehr und Brunst zustande gekommen war“.928 Die Möglichkeit, Karrieren zu forcieren, insbesondere oberhalb von Unteroffiziersdienstgraden und außerhalb des Bataillons 61, war deutlich begrenzt. Dies galt selbst für im NS-System bestens vernetzte Akteure wie Mehr. Innerhalb der Dortmunder Polizeieinheit hatte der Kompaniechef jedoch weitreichendere Möglichkeiten, Karrieren zu unterstützen. Als Ersatz für die gescheiterte Offizierskarriere seines Günstlings wollte der Hauptmann seinen willfährigen Unterführer innerhalb des Bataillons weiter fördern. So hielt der ehemalige Unterführer Thamm fest, dass Mehr während des Russlandeinsatzes der Polizeieinheit „die Beförderung von Brunst zum Polizei-Meister“ durchsetzte.929 Auch hierbei erfüllte dieser wohl nicht die Voraussetzungen für eine solche Beförderung, da „Führereigenschaften“ und „das Bestehen des [entsprechenden] Lehrgangs verlangt“ waren.930 Der neue Bataillonskommandeur, Perling, soll entsprechend zu seinem Bataillonsspieß gesagt haben: „Thamm, wenn wir Brunst befördern, da lachen ja die Hühner!“ Der Chef der 1. Kompanie habe diese Ablehnung der Beförderung durch den ihm vorgesetzten Major jedoch einfach umgangen, indem der Beförderungsvorschlag „erneut eingefädelt“931 wurde, als sich der Bataillonskommandeur im Erholungsurlaub befand und Mehr die Einheit vertretungsweise leitete. Wo keine externen Stellen Einfluss besaßen, konnten lokale Maßnahmen zur Karriereförderung als Belohnungsmechanismus gut funktionieren. In dem Moment, wo willkürliche Beförderungen die Funktionalität der Gesamtorganisa­ tion Polizei beeinträchtigten, wurden sie jedoch deutlich reguliert. Dies zeigt sich auch an Mehrs Karriere selbst. Obwohl er ein „alter Kämpfer der NSDAP und persönlicher Freund und Günstling des damaligen stellvertretenden Gauleiters von Westfalen Süd“932 war und eine äußerst niedrige SS- und NSDAP-Nummer aufwies, wurde er nur bis zum Hauptmann der Ordnungspolizei befördert. Auch seine Verwendung als Chef einer Kompanie eines Reserve-Polizeibataillons und die Ablehnung seines Wunsches, in der Waffen-SS eingesetzt zu werden, spricht Bände über seine Qualität als Offizier. Sie ging offenbar kaum über ein Terrorisieren der osteuropäischen Bevölkerung hinaus. Zum Vergleich: Andere Männer mit einem ähnlich langen und intensiven Engagement für die 928 Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 37). 929 Ebd., Bl. 36. 930 Sammlung von wichtigen Gesetzen, Verordnungen usw. des Deutschen Reiches und des Landes Bayern. No. 1705 Ausbildung der Meister und Obermeister der Ordnungs­ polizei vom 21.2.1937 (DHPol 5.9.2 Nr. 8, unpag.). Ebenso vgl. Schreiben an die Regierungspräsidenten in Preußen, Bayern, Sachsen usw. betr.: Beförderung von Meistern, die sich bewiesen haben vom 21.6.1939 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 441, Bl. 27 f.). 931 Aussage Franz Thamm vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 37). Mehr vertrat Perling u. a. nach dessen Verwundung in Russland. Siehe auch Kapitel IV.4. 932 Entnazifizierungsakte Kreulich, August vom 1.5.1946 (LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-­ 1234, Anlage zu Bl. 15). In ähnlicher Form vgl. Aussage August Kreulich vom 16.11.1945 (LAV NRW, W, K 702a Nr. 144, unpag.).

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NSDAP, das bei Mehr bis in die 1920er-Jahre zurückreichte, bekleideten für gewöhnlich Generalsränge innerhalb der Polizei und SS. Dem Hauptmann des Bataillons 61 sagte man aber sogar nach, dass er selbst in der Polizei überhaupt nur durch erhebliche Patronage aufgenommen worden sei.933 Berufspolizisten wie Mehr und Brunst wollten unbedingt Karriere machen, konnten dies aber nur bedingt verwirklichen. Für die Reservisten des Bataillons 61 waren Beförderungen hingegen, wie eingangs erläutert, nur von untergeordneter Bedeutung. Dennoch sollten auch sie, bedingt durch den Personalmangel in der Polizei, verstärkt eingebunden und befördert werden. So hieß es 1940, der „eintretende Bedarf an Unterführern [muss] durch ausgebildete Polizeireservisten gedeckt werden“.934 Dies ermöglichte den Vorgesetzten durchaus kuriose Formen der Karriereförderung. So konnten die nationalsozialistisch ausgerichteten Kompaniechefs des Bataillons 61 durch das Wegversetzen und Wegbefördern unliebsamer, weil nicht willfähriger Untergebener, die Kompanien in ihrem Sinne ausrichten. Dies geschah beispielsweise, indem man Personen zu Lehrgängen oder anderen Einheiten abordnete. Nahlmann meinte dazu: „Dann kamen immer die Unbeliebten weg.“935 Dazu passend hielt auch Kleine fest: „Ich war meist abkommandiert, weil mein Verhältnis zum Spieß und zum Kompaniechef schlecht war.“936 Da seine Lehrgänge teilweise sogar im Heimatgebiet stattfanden, hatte der Polizist mit dieser Praxis jedoch keine größeren Probleme. Auch Junker, der mit dem Chef seiner Kompanie nicht zurechtgekommen war, wurde einfach kurzer Hand zu einem längerfristigen Sanitätslehrgang geschickt. Kreulich, der mit verschiedenen Arrangements in der 1. Kompanie nicht einverstanden war, sei deshalb in die 2. Kompanie versetzt worden.937 Zahlreiche Polizeireservisten im Mannschaftsdienstgrad passten sich jedoch auch bereitwillig an, um innerhalb des Bataillons 61 befördert zu werden. Dabei standen pragmatische Gründe und nicht ein großes Karrierestreben im Vordergrund. Für die einfachen Polizisten war relevant, dass sich mit einem ­höheren Dienstrang oder speziellen Fähigkeiten die Möglichkeit bot, das eigene 933 Vgl. Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 39) und Aussage August Oestreich vom 16.3.1952 (ebd., Bl. 263). 934 Unterführer der Polizeireservisten vom 28.5.1940 (BA R 19 Nr. 266, Bl. 33). Ebenso sollten Reserveoffiziere Lücken im Offizierskorps ausfüllen. Vgl. Schreiben Adolf von Bomhards an den Niedersächsischen Minister des Inneren betr.: Einstellung von Polizeioffz.Anwärtern vom 18.6.1955 (BA R 19 Nr. 281, Bl. 61). 935 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 9. Zugleich sei die Versetzung nützlicher Personen, etwa des inoffiziellen Friseurs eines Vorgesetzten, verhindert worden. 936 Aussage August Kleine vom 7.5.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 209, Bl. 41). Für den Lehrgang im Reichsgebiet vgl. Aussage August Kleine vom 27.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 52 r). 937 Vgl. Aussage August Kreulich vom 15.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 51r). Zu Junker vgl. Aussage Ludwig Junker vom 6.3.1951 (ebd., Bl. 69). Gleiches gab auch Pölka über sich an. Vgl. Aussage Heinrich Pölka vom 27.9.1966 (StAHH 213-12-70 Nr. 52, Bl. 23412).

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Leben angenehmer zu gestalten. So konnte man beispielsweise mit höherem Rang unangenehme und belastende Aufgaben leichter umgehen. Für einen der Unteroffiziere besaß sein Dienstposten beispielsweise den Vorteil, dass „er als Kammerverwalter nicht zu den normalen Wachen eingeteilt wurde“.938 Auch ein geschäftsführender Wachtmeister hielt fest, dass er durch seine Position „als Spieß praktisch Innendienstbeamter“939 gewesen sei. So musste er kaum ausrücken, sondern konnte seinen Tag in einem bequemen Büro verbringen. Gleiches galt auch für die Schreiber im Mannschaftsdienstgrad. Auch ein weiterer Unteroffizier brachte den Vorteil seiner Dienststellung klar auf den Punkt: „Ich selbst brauchte als Zugführer natürlich keine Wache zu machen, nur musste ich hin und wieder die Wachen kontrollieren.“940 Gleiches galt im gewissen Maße auch für Personen, die nur inoffiziell in eine Position „befördert“ worden waren, da sie besondere Spezialisten waren, die eigentlich keinen offiziellen Posten bekleideten. So musste beispielsweise der zum inoffiziellen Fotografen der Einheit bestimmte Delisch kaum aktiven Dienst tun. Ferner erhielt man bei entsprechender Stellung einen insgesamt größeren Handlungsspielraum im Alltag, auch für eigentlich illegale Handlungen. 1942 war sogar bei guter Führung, deren Ausdruck Beförderungen waren, die Möglichkeit vorgesehen, durch den Dienst in der Ordnungspolizei eine Löschung von persönlichen Strafvermerken zu erreichen. Weitere Vorteile von Beförderungen waren laut Nahlmann, dass man als Unterführer der Reserve „ein besser eingerichtetes Zimmer“ erhielt. Wie die anderen Unteroffiziere musste er „nicht wie die ‚Mannschaften‘ auf Strohsäcken, sondern auf Matratzen schlafen“.941 Neben solchen Aspekten ist auch das Sozialprestige eines höheren Dienstranges in einer militarisierten Gesellschaft nicht zu unterschätzen. Durch Beförderungen konnten alle Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit demonstrieren, 938 Aussage Heinrich Lorey vom 21.1.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 214). Gleiches berichtete auch Heinrich Marach. Vgl. Aussage Heinrich Marach vom 16.11.1959 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203, Bl. 20). Ebenso vgl. Aussage Ludwig Junker vom 22.1.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 217r). Für Beförderungen von Reservisten im Bataillon 61 vgl. Res.-Pol.-Btl. 61 Batl.-Sonderbefehl Nr. 8 vom 29.6.1942 (BLHA Rep. Nr. 161, ZB 0275, A.14, Bl. 288). 939 Aussage Gerhard Riewald vom 27.10.1960 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 206, Bl. 35). Auch Offiziere wurden nicht als Wachen eingesetzt. Vgl. Aussage Rudolf Werner Ackermann vom 19.4.1962 (StAHH 213-12-70 Nr. 13, Bl. 5860). 940 Aussage August Kreulich 2.4.1962 (ebd., Bl. 5826). 941 Erlebnisbericht Otto Nahlmann, o. D. (LAV NRW, W, K 702a Nr. 270), S. 7. Für die Möglichkeit der Tilgung des Strafregisters vgl. Löschung von Strafvermerken von Angehörigen der Ordnungspolizei vom 27.2.1942 (BA R 19 Nr. 312, unpag.). Zur Freistellung des Fotografen Delisch vgl. Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 181r). Gleiches soll auch für den Leiter des Spielmannzuges gegolten haben. Vgl. Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 127). Für die Freistellung des Bataillonsschusters vgl. Aussage Artur Michels vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 190). Für die Freistellung des Gärtners vgl. Aussage Franz Chwieja vom 25.1.1952 (ebd., Bl. 243 f.). Für die Freistellung des Offiziersburschen des Chefs der 1. Kompanie vgl. Aussage Wilhelm Boris vom 16.3.1952 (ebd., Bl. 265). Für die Freistellung des Pferdepflegers des Bataillons vgl. Aussage Johann Vorkämping vom 25.1.1952 (ebd., Bl. 245).

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dass sie ihren Dienst vermeintlich gut ausgeführt hatten und der „Volksgemeinschaft“ als Polizeisoldaten dienlich waren. Einer solchen Wirkungsmacht von Diensträngen war sich auch das NS-Regime durchaus bewusst, weswegen man beispielsweise 1940 als Ausbilder tätige „Wachtmeister zu überzähligen Oberwachtmeistern“ beförderte.942 Auch wenn sich dadurch an ihrer tatsächlichen Stellung nichts änderte, erhielten die Männer so doch ein zumindest symbolisch wertvolles neues Dienstgradabzeichen. Um befördert zu werden, verhielten sich sowohl Offiziere, Unterführer als auch Mannschaften im Bataillon 61 so, wenn auch aus unterschiedlichen Rationalen, wie sie glaubten, dass man es von ihnen erwartete. Es habe eine Situation geherrscht, in der „jeder um sein Pöstchen bangte“.943 Insbesondere Personen in Funktionsstellen, wie der eines Spießes, hätten bei einem Mangel an Vertrauen und Willfährigkeit kaum ihre „Stellung als Kompaniehauptwachtmeister […] halten können“.944 Aber auch für alle übrigen Akteure habe gegolten, dass sie bei ausbleibender Willfährigkeit um „ihr Fortkommen fürchten mussten“. Es ging also beim Erhalt von Beförderungsmöglichkeiten für den einzelnen Akteur da­ rum, „Schwierigkeiten […] sowie Nachteile in seiner Karriere“945 zu vermeiden. Bei all den in diesem Kapitel vorgestellten Aspekten, die Einflüsse auf die Handlungen der Männer des Bataillons 61 hatten, geht es um das Tauschen eines Entgegenkommens gegen ein anderes. Gestaltet war dies als Geschäft auf Gegenseitigkeit, welches an den Opportunismus der Polizisten geknüpft war. Für ein Verhalten, das den Wünschen der Vorgesetzten entsprach oder von dem man glaubte, dass es ihnen entspräche, erhielten Polizisten Vorteile auf Kosten der lokalen Bevölkerung. Dies determinierte nicht das Verhalten der einzelnen Polizisten, doch hatte es auf sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Offenbar war es innerhalb des Bataillons 61 nicht nur der Spieß der 1. Kompanie, der immer dort war, „wo die größten Vorteile zu erwerben waren“.946 Aus Opportunismus habe man einfach mitgemacht und „sonst weiter keine Fragen gestellt“.947

942 Ernennung der als Unterführer (Ausbilder) tätigen Wachtmeister zu überzähligen Oberwachtmeistern vom 22.1.1940 (BA R 19 Nr. 311, Bl. 79). 943 Brief von Hans Delisch an Polizeidirektor Kannig vom 6.6.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 89r). Ganz ähnlich für die Sorge um einen Posten vgl. Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 186). 944 Aussage Anton Drywa vom 28.11.1951 (ebd., Bl. 128). Vgl. ebenso Aussage Erich Sinn vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 181); Aussage August Kreulich vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 102r). Für die Ablösung des Spießes der 1. Kompanie vgl. Aussage Gerhard Riewald vom 14.2.1951 (ebd., Bl. 46.). 945 Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (ebd., Bl. 186). 946 Aussage August Kleine vom 10.2.1951 (ebd., Bl. 39). 947 Aussage Albert Grünheit vom 10.12.1951 (ebd., Bl. 167). Für das Interesse von Wehrmachtssoldaten, ihr Leben möglichst angenehm zu gestalten, vgl. Römer, Kameraden, S. 64.

VI. Fazit – Gewalt zwischen Situation, Sozialisation und Organisation Warum die überwiegende Anzahl an Mitgliedern des Bataillons 61 zumindest zeitweise gewalttätige und größtenteils auch nach NS-Recht illegale Verhaltensweisen zeigte, lässt sich nicht einfach erklären. Ein solcher Versuch würde einen Rückfall in simple monokausale Deutungsmuster bedeuten oder sich schnell als ahistorisch erweisen. Was sich jedoch definitiv feststellen lässt, ist, dass die hier umfänglich ausgeführten situativen Elemente, sozialen Dispositionen, Motivationsfaktoren ebenso wie die Gestaltung der Polizeieinheit als gierige, vertrauensbasierte und waffentragende Organisation eine sich kumulierende Wirkung zeigten. Dies liegt allein schon darin begründet, dass sich das Bataillon 61 eben nicht als ein homogenes Kollektiv von Akteuren mit identischen Lebenswirklichkeiten und Einstellungen zeigte. Als Extrembeispiel lässt sich hierfür der Typus des älteren, weitgehend nicht ideologisierten, ungedienten Reservisten mit Familie und Zivilberuf dem Typus eines jungen, gerade von der SS-Junkerschule kommenden Polizeileutnants und Untersturmführers der SS gegenüberstellen. Außer ihrem Dienst im Bataillon 61 hatten solche Akteure zunächst wenig gemeinsam. Dies wirkte sich entsprechend im starken Maße auf das Set an Faktoren aus, das die jeweilige persönliche Hemmschwelle bedingte, Gewalt auszuüben. Eine erste unabdingbare Rahmenbedingung für das Verständnis der Verhaltensweisen der Bataillonsangehörigen ist somit der Personalbestand der Einheit. Betrachtet man diesen, so ist auffällig, dass sich der Großteil der Mannschaftsdienstgrade aus der im Kriegsverlauf größer werdenden Gruppe der Polizei­ reservisten rekrutierte. Sie entsprachen in vielerlei Hinsicht dem Durchschnitt der 30- bis 45-jährigen männlichen Bevölkerung im nördlichen Ruhrgebiet und in Westfalen. Auffällig an ihnen ist lediglich, dass sie mehrheitlich in sogenannten freien Berufen oder als einfache Angestellte arbeiteten. Dies steht letztlich in direkter Korrelation mit den rechtlichen Grundlagen ihrer Rekrutierung durch die Notdienstverordnung. Aufgrund deren Ausgestaltung konnten sich Männer im eigentlich nicht mehr wehrfähigen Alter besonders leicht freistellen lassen, wenn sie in industriellen oder landwirtschaftlichen Berufen tätig waren. Die zur Polizeireserve eingezogenen Männer des Bataillons 61 waren aber fast nie in solch kriegswichtigen Berufen tätig. Dennoch bestanden auch für die hier untersuchten Polizisten umfangreiche Möglichkeiten, sich zurückstellen zu lassen oder nur zu Leistungen im Reichsgebiet herangezogen zu werden. Tatsächlich ließen sich aber größere Teile der Dortmunder Polizeieinheit komplett freiwillig auf den Dienst in Himmlers Polizei- und SS-Apparat ein. Ihre Gründe hierfür waren dabei weitgefächert. So konnte etwa eine verhältnismäßig sichere und angenehme Aufgabe bei guter Verpflegung ebenso wie die Option, sich „militärisch“ zu beweisen, den Ausschlag zur Meldung geben. Gerade jüngeren Akteuren bot eine freiwillige Meldung zum Dienst darüber hinaus die Möglichkeit, einer Einberufung zum Frontdienst in der Wehrmacht zuvorzukommen.

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Fazit

Die meisten Inhaber von Funktionsstellen im Bataillon 61 gehörten zu eben dieser Altersgruppe der wehrfähigen Männer. Anders als die ihnen unterstehenden Mannschaften hatten sie meist bereits Diensterfahrung in Polizei- und Militär­verbänden gesammelt. Darüber hinaus waren sie mehrheitlich umfassend polizeilich und militärisch trainiert worden, während die Grundausbildung von ungedienten Reservisten eher dazu erfolgte, sie mit Grundprinzipien militärischer Kultur vertraut zu machen. Dabei stand das Schaffen einer Gemeinschaft im Vordergrund. Trotz einer intensiveren Ausbildung waren aber auch die Unterführer und insbesondere Offiziere des Bataillons 61 keine Vertreter einer wie auch immer gearteten Elite des NS-Regimes. In zahlreichen Fällen handelte es sich, vor allem bei älteren Polizisten mit Vorgesetztenfunktion, um Akteure, die vor ihrem Polizeidienst versucht hatten, in der prestigeträchtigen Wehrmacht oder der ebenso angesehenen SS Fuß zu fassen. Dort waren sie jedoch gescheitert. Auch die jüngeren Offiziere, die gerade erst am Anfang ihrer Karriere standen, hatten zwar als Absolventen von SS-Junkerschulen einen Eliteanspruch, konnten diesen jedoch kaum erfüllen. Üblicherweise kamen gerade jene neu beförderten Untersturmführer zur Ordnungspolizei, die in ihren Prüfungen schlecht abgeschnitten hatten und für den Kriegsdienst nur bedingt geeignet erschienen. Ideologisch befanden sich diese Männer jedoch im Einklang mit der NS-Führung, was sie so zumindest für den Einsatz im frontfernen Repressionsapparat des Regimes verwendbar machte. Während die Offiziere nahezu alle auch in der SS oder der NSDAP organisiert waren, was ihrer weltanschauliche Einstellung entsprach, war dies bei den übrigen Akteuren des Bataillons 61 keineswegs der Fall. Rein nach Aktenlage waren sie ideologisch eher unauffällig. Für sie gilt jedoch, dass es wichtiger ist zu betrachten, wie sich Menschen von 1933 bis 1945 verhalten haben, und weniger, welches Parteibuch sie damals besaßen. Ebenso beachtenswert ist, dass in keiner Dienststellung des Bataillons 61 die von der bisherigen Forschung kolportierten wahnsinnigen pathologischen Täter im Mannschaftsdienstgrad eingesetzt wurden. Im Gegenteil, solche Personen wurden sogar regelmäßig durch die Polizei ausgemustert. Dies geschah mit Sicherheit nicht, um die Zivil­ bevölkerung in Osteuropa zu schützen. Vielmehr stellte dies eine Maßnahme dar, die die Kontrollier- und Steuerbarkeit von Polizeieinheiten aufrechterhielt. Durch die daraus im Bataillon 61 resultierende Kombination von in fast jeder Hinsicht unauffälligen ungedienten Reservisten auf der einen Seite und ideologisch geprägten Funktionsträgern auf der anderen, besaß die Ausbildung von Vertrauensbeziehungen zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Gesinnungen einen hohen Stellenwert. Man musste sich arrangieren. Dies war spätestens der Fall, als die Dortmunder Polizeieinheit in den ersten Kriegstagen nach Polen ausrückte. Zuvor waren über mehrere Jahre hinweg die militärischen Wurzeln der uniformierten Polizei durch den Nationalsozialismus gefördert worden und man hatte die Polizei kriegsdienlich ausgerichtet. Die Verwendung der Polizei hatte man bereits bei den ersten Okkupationsbestrebungen des Regimes erprobt. 1938 wechselte das Deutsche Reich dann von einer mehr oder weniger

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verdeckten hin zu einer offen aggressiven Expansionspolitik. Ab 1939 trugen auch die Männer des Bataillons 61 zu dieser bei. Die in der Einsatzgeschichte ausführlich erläuterten zahlreichen Gewalthandlungen waren dabei nur zum Teil ein direktes Ergebnis politischer Vorgaben. Vielmehr kam es oftmals erst vor Ort im Rahmen der lokalen und vor allem situativen Begebenheiten zu Ausschreitungen. Hierbei überschritten die von den Polizisten ausgeübten Gewaltakte häufig bei Weitem den gültigen Rechtsrahmen. Dies korrespondierte jedoch mit den übergeordneten Zielen des NS-Regimes in Osteuropa. Folglich wurde dort Gewalt nicht nur gebilligt, sondern durch die sich mit dem Nationalsozialismus identifizierenden Offiziere des Bataillons 61 stark gefördert. Daraus folgte auch, dass es in den verschiedenen Einsatzräumen unterschiedliche Formen von Gewalthandlungen gab. Die geschilderten Handlungen der Bataillonsangehörigen machen dies deutlich. So gab es zum einen Maßnahmen wie etwa Deportationen und Umsiedlungen, die offiziell angeordnet wurden und entsprechend umgesetzt werden mussten. Zum anderen fanden jedoch auch Aktionen wie etwa Durchsuchungen und lokale Exekutionen statt, die auf Bestreben des Bataillons 61 durchgeführt wurden. Beide Einsatzformen wurden dabei meist durch eigenmächtige Gewalt der Polizisten begleitet. Diese war komplett freiwillig und wurde nicht nur geduldet, sondern von den Vorgesetzten befürwortet und unterstützt. Folglich konnte sich Gewalt auch im einsatzfreien Alltag der Einheitsmitglieder zu einem dauerhaften Phänomen entwickeln. Bereits nach kurzer Einsatzzeit wurde die lokale Bevölkerung durch die Dortmunder Polizisten nicht nur beleidigt, schikaniert und terrorisiert, sondern auch geschlagen, beraubt, vergewaltigt und getötet. Warum sich die einzelnen Akteure zur Ausübung von Gewalt entschieden, lag in einem jeweils individuellen Mosaik an Faktoren begründet. Elementar für alle Polizisten war jedoch zunächst der Organisationscharakter des Bataillons 61, in dem sich der dienstliche und private Alltag der Männer abspielte. Als gierige Institution, wie es Militäreinheiten gerade in Kriegszeiten typischerweise sind, versuchte die Führung des Bataillons 61, die Sozialkontakte seiner Mitglieder möglichst zu monopolisieren. Dies galt insbesondere in Hinsicht auf eine Abschottung von der lokalen Bevölkerung, mit der die Polizisten bei ihren Einsätzen in Polen und Russland in Kontakt kamen. Offiziell erstreckten sich Bemühungen dabei auch auf das Unterbinden von Sexualkontakten. Tatsächlich erwies sich dies jedoch als nicht umsetzbar, da sich die Polizisten der entsprechenden Regelung nur bedingt beugten. Folglich wurden u. a. Bordellbesuche nach kurzer Einsatzzeit auch offiziell zugelassen. Bei der Regulierung der Sexualkontakte sowie allen weiteren zwischenmenschlichen Beziehungen ging es letztlich darum, möglichst keine äußeren Einflüsse auf die Polizeiangehörigen zuzulassen. Vertiefte Sympathien für die Zivilbevölkerung hätten die von der Führung angestrebte Gewaltausübung des Bataillons 61 immens hemmen können. Die Abschottung bedingte darüber hinaus auch ein verstärktes Zusammenwachsen der Truppe. Insbesondere die einzelnen Kompanien als ­disziplinarische

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und organisatorische Einheit waren für die einzelnen Polizisten das Zentrum ihrer Lebenswirklichkeit. Entsprechend bedingten sie so auch den Referenzrahmen der Kompanieangehörigen. Speziell die gemeinschaftliche Freizeitgestaltung in den relativ autarken Teileinheiten des Dortmunder Polizeiverbandes stellte dabei ein wichtiges Element zur Etablierung und Vertiefung von Vertrauensbeziehungen dar. Auch Offiziere und Unterführer sollten sich dazu einbringen, um so ein gutes Verhältnis zu ihren Untergebenen zu entwickeln, das wiederum für den eigentlichen Dienst förderlich sein sollte. Die wichtigsten Orte für die Etablierung und Ausweitung von Vertrauensstrukturen stellten die Gemeinschaftsräume der einzelnen Kompanien dar. Schon die dortige Inneneinrichtung spiegelte die geltenden bzw. akzeptierten Normen und Werte der jeweiligen Teileinheit wider. Besonders deutlich zeigte sich die vorherrschende Gruppenkultur an der „Krochmalnabar“, die sich die 1. Kompanie 1942 in Warschau einrichtete. Diese war nicht nur antisemitisch gestaltet, sondern in ihr wurde auch entsprechendes Liedgut gesungen. Die dort stattfindenden Feiern und vor allem der Alkoholkonsum in größeren und kleineren Gruppen stellte den wichtigsten Mechanismus zur Etablierung dienstgradübergreifenden Vertrauens dar. Welchen Wert man diesem beimaß, zeigte sich im Bataillon 61 auch daran, dass die Teilnahme an Kameradschaftsabenden, die oftmals schlicht gemeinsame Alkoholexzesse waren, per Befehl zum Pflichtprogramm für alle Bataillonsangehörigen gemacht wurde. Neben der Ausdehnung ihrer Vertrauensbeziehungen bestätigten sich die Männer bei ihren gemeinsamen Feiern zumindest implizit, dass ihre Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung akzeptabel war. Dazu trug bei, dass Vorgesetzte bei einem Bier Lob für eben solche Verhaltensweisen aussprachen. Eigentlich war der massive Alkoholkonsum im Bataillon 61 durch das NSRegime formell untersagt und mit deutlichen Strafen belegt. Im Alltag der Polizeieinheit ignorierten die Disziplinarvorgesetzten dies jedoch aufgrund der Förderlichkeit des gemeinsamen Trinkens für die Gruppendynamik. Hinzu kam auch, dass der Alkohol die Polizisten für die von den Offizieren erwünschte, aber kaum direkt einforderbare Gewalt enthemmte. Die negativen Effekte von Trunkenheit auf den offiziellen Dienst wurden hingegen vernachlässigt. Dies war möglich, da die Einheit aufgrund ihrer mangelhaften Ausrüstung und ihres wenig leistungsfähigen Personals ohnehin nicht mit anspruchsvollen Aufgaben betraut wurde. Für die NS-Führung war es letztlich nur entscheidend, ob ein Polizeiverband die von ihm verlangten Ziele erreichte. Mit welchen Methoden dies geschah, war nicht relevant und wurde entsprechend auch nicht überprüft. Im Bataillon 61 entstand auf verschiedenen Wegen, insbesondere durch gemeinsamen Alkoholkonsum, ein tiefgehendes, über das normale Maß der Kameradschaft hinausgehendes Vertrauen. Innerhalb der Polizeieinheit entwickelte sich für viele Männer sogar ein so intensives Netzwerk, dass der Verband quasi einen Familienersatz für seine Mitglieder darstellte. Dies war vor allem deshalb wichtig, da sich erst über die damit einhergehende Komplizenschaft die illegalen Handlungen der Einzelakteure absichern ließen. Nur über das gene-

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relle Konzept der Kameradschaft wäre dies nicht möglich gewesen. Man sollte aber das intensive Vertrauen nicht in allen Fällen mit Freundschaft gleichsetzen. Zwar gab es solche Fälle, aber zahlreiche Vertrauensbeziehungen stellten auch schlicht strategische Allianzen dar.1 Generell waren diese im Besonderen für die Organisation des Alltags innerhalb der Polizeieinheit zentral. Dieser wurde nicht allein durch die Offiziere bestimmt, sondern vor allem die Unterführer gestalteten ihn. Sie übernahmen im Bataillon 61 große Aufgabenbereiche weitgehend eigenständig und stellten eine wichtige Scharnierfunktion zwischen Führern und Mannschaften dar. Dies war aber nur möglich, wenn die Unterführer im Vertrauen ihrer Vorgesetzten standen, da diese nur zeitweise und meist im informellen Rahmen Kompetenzen übertrugen. Ebenso mussten die einfachen Polizisten die „geborgte“ Macht der Unteroffiziere billigen. Diese versuchten zwar, den Ansprüchen der Offiziere gerecht zu werden, konnten diese aber auch zugleich beeinflussen, da hauptsächlich die Funktionsunterführer die Informationen aufbereiteten, auf deren Basis ihre Vorgesetzten Entscheidungen trafen.2 Letztlich behielten aber die Kompaniechefs, quasi als Sicherheitsmechanismus, die „Basta-Kompetenz“ des Disziplinarvorgesetzten. Sie blieben formell stets die tatsächlichen Inhaber der Kommandogewalt. Entsprechend konnten sie sicherstellen, dass in den Teileinheiten alles mehr oder weniger in ihrem Sinn ablief. So waren es auch letztlich die Führer, die bestimmen konnten, welche Ausprägung der Organisationskultur sie zuließen und welche nicht. Für deren Ausgestaltung war jedoch vorgesehen, dass sie nicht zwangsweise von „oben“ geschehen sollte. Vielmehr war beabsichtigt, dass sich Offiziere, Unterführer und Mannschaften arrangierten, um eine sich ergänzende Gemeinschaft zu bilden. Ebenso sollte sich im Übrigen auch der Bataillonskommandeur nach Möglichkeit mit seinen Kompaniechefs abstimmen. Da die Offiziere jedoch fast alle ähnlich ideologisch eingestellt waren, kam den Majoren Dederky und Perling die komfortable Rolle zu, sich selbst kaum um die Gestaltung der Organisations­ kultur ihres Bataillons bemühen zu müssen. Folglich wirken auch sie wie der ältere, beliebte und wenig autoritäre Herr, als den Browning den Kommandeur des Bataillons 101 interpretiert hat. Tatsächlich waren es jedoch genau solche Männer, die die sich entwickelnde Organisationskultur der Gewalt zuließen. Diese mussten sie nicht einmal selbst aktiv forcieren, da ihnen jüngere Offiziere diese Aufgabe bereitwillig abnahmen.3 1

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Vertrauen stellte als Schutzmechanismus die wichtigste Ressource im Bataillon 61 dar, von der sowohl Vorgesetzte als auch Untergebene massiv profitierten. Die Offiziere lernten vor allem von ihren älteren Amtskollegen, wie eine vertrauensbasierte Organisationskultur aufzubauen war. Die Führer besaßen darüber hinaus oftmals auch noch weitere Netzwerke außerhalb der Polizeieinheit. Zum Unterschied von Freundschaft und Komplizenschaft vgl. Ziemer, Komplizenschaft, S. 75–87. Im geringeren Maße traf dies jedoch auch auf die Schreiber der Einheit zu, die den jeweiligen Spieß in seiner Arbeit unterstützten. Für Brownings Einschätzung des Kommandeurs des Bataillons 101 vgl. insbesondere Browning, Ganz normale Männer, S. 215 und 228.

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Das Prinzip, Forderungen nicht zwangsweise durchzusetzen, besaß dabei im Bataillon 61 nicht nur in organisatorischer Hinsicht eine übergeordnete Bedeutung. Auch wenn dies im Zuge des Befehlsnotstandsmythos nach dem Krieg durch Polizisten bestritten wurde, bestand kein Zwang, an Gewalthandlungen teilzunehmen. Insbesondere galt dies, wenn sich diese außerhalb geltender Rechtsvorschriften ereigneten. Die Männer zu solchen Handlungen zu verpflichten, hätte die von der Polizei beanspruchte Legitimität schwer beschädigen können. Außerdem hätte sich aus Zwang ein Problem für den Personalbestand des Bataillons 61 ergeben können. Während Offiziere und jüngere aktive Polizisten zum Dienst verpflichtet waren, hätten zahlreiche notdienstpflichtige Reservisten ihre Bereitschaft zum auswärtigen Einsatz widerrufen können. Folglich setzte man im Bataillon 61 nicht auf Zwang, auch wenn dieser temporäre Wirkung hätte haben können, sondern auf nachhaltige Motivation der Einheitsmitglieder. Es ging darum, bestimmte Gewalthandlungen ausüben zu dürfen und nicht zu müssen. Selbst die aggressivsten Offiziere hielten sich an dieses grundlegende Prinzip der Freiwilligkeit. Die Folge war, dass sich in den Teileinheiten des Bataillons 61 ein System der mehr oder weniger deutlichen Eigenselektion zur Teilnahme sowohl an offiziellen als auch „privaten“ Gewalthandlungen etablierte. Die einfachste und häufigste Form war dabei die freiwillige Meldung. Man konnte sich aber auch dadurch, dass man ein gewaltaffines Verhalten zeigte, gewissermaßen indirekt bei den Funktionsträgern der Einheit für eine Einteilung zu gewaltbehafteten Tätigkeiten empfehlen. Andersherum konnte man durch ein demonstrativ ablehnendes Verhalten die Wahrscheinlichkeit stark reduzieren, überhaupt zu gewissen Tätigkeiten eingesetzt zu werden. Selbst wenn dies gegen den Willen eines Akteurs doch geschah, gab es noch umfangreiche Möglichkeiten, sich freistellen zu lassen. So gingen Funktionsträger, dem Prinzip der Freiwilligkeit folgend, in der Regel darauf ein, wenn sich Polizisten etwa andere Wachdienste erbaten oder nicht an Erschießungskommandos teilnehmen wollten. Ebenfalls sollte nicht übersehen werden, dass sich Polizisten, die ihren Dienst in der Einheit komplett ablehnten, auch um eine Versetzung, beispielsweise ins Heimatgebiet, bemühen konnten. Erfolg versprechend war dies vor allem, wenn Akteure potenziell für die „Volksgemeinschaft“ nützliche Argumente anführten, wie etwa zahlreiche Kinder, einen zu führenden Betrieb oder kriegswichtige Fähigkeiten. Auf Zwang zu verzichten und umfangreiche Entzugsmöglichkeiten für Akteure zuzulassen, war auch deshalb funktional, da man im Bataillon 61 bis 1944 überhaupt nicht auf jeden einzelnen Polizisten als aktiv gewaltausübende Person angewiesen war. Es standen stets als weniger problematisch betrachtete Alternativaufgaben zur Verfügung, so etwa die Übernahme von Absperrposten bei Exekutionen. Nahezu alle Mitglieder der Polizeieinheit waren bereit, durch solche Dienste Gewalt zumindest indirekt zu unterstützen, und nur eine absolute Minderheit der Akteure versuchte, sich dem Kriegseinsatz zu entziehen. Direkte Tötungsaufgaben wurden den Bataillonsangehörigen ferner dadurch er-

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leichtert, dass beispielsweise niemand dauerhaft als Schütze bei Erschießungen eingesetzt wurde. Stattdessen wurde ein Rotationssystem verwendet. Dieses reduzierte die Belastung des einzelnen Akteurs und vergrößerte zugleich die Gruppe an Mittätern. Aufgrund der intensiven Vertrauensbeziehungen zwischen den Polizisten kam es auch vor, dass sich Akteure bereit erklärten, offizielle Tötungen vorzunehmen, damit gar nicht erst erwogen werden musste, ihre „schwächeren“ Kameraden heranzuziehen. Aufgrund dieser Faktoren fanden sich stets genug Freiwillige. Dass sich diese zu 80 Prozent aus Reservisten, die sich leicht hätten entziehen können, zusammengesetzt haben sollen, unterstreicht die Effizienz des Ansatzes, Ziele weitgehend frei von offiziellen Zwängen umzusetzen.4 Selbst wenn Gewalthandlungen bereits begonnen hatten, bot das Demonstrieren oder Vortäuschen von „Schwäche“ eine effektive Strategie, um sich der weiteren Teilnahme noch zu entziehen. Wer sich deutlich nervös zeigte oder bei Erschießungen besonders schlecht zielte, wurde durchaus freigestellt. Ebenso wurde auch gebilligt, dass Polizisten einer solchen Aktion einfach fernblieben, indem sie etwa nach der Anreise im Fahrzeug sitzen blieben oder spazieren gingen. Was zunächst gerade in einer militärischen Organisation erstaunlich erscheint, war letztlich aufgrund der oben genannten Gründe für das Bataillon 61 funktional. Eine (Selbst-)Freistellung eines Akteurs musste dabei aber immer an dessen persönlicher „Schwäche“ festgemacht werden. Weder das NS-­Regime noch dessen Absichten durften in irgendeiner Form infrage gestellt werden. Anderenfalls wäre es zu schwerwiegenden Sanktionen gekommen. Die Akzeptanz von Freistellungen auf Basis von persönlichen Unzulänglichkeiten, egal ob nervlich oder körperlich begründet, war hingegen auch von höchster Stelle nicht nur akzeptiert. Vielmehr wurde dies Vorgesetzten in Polizeieinheiten etwa durch Himmler selbst stark angeraten, wenn nicht sogar indirekt befohlen. Dass diese Regelung im Bataillon 61 Gültigkeit besaß, wurde den Männern nicht zuletzt durch den Kommandeur der Einheit vorgelebt. Er selbst entfernte sich mit sichtbarer Übelkeit von Exekutionen. Was der Mann, der in letzter Instanz die Organisationskultur der Einheit bestimmte, selbst tat, musste auch für seine Untergebenen annehmbar erscheinen. Freistellungen waren so funktional für die Organisation, da hierdurch Störfaktoren im reibungslosen Ablauf von rechtlich nicht abgesicherten Handlungen reduziert wurden. Die einzige Problematik, die bestehen konnte, war, dass neu zur Einheit hinzugekommene Ersatzmänner noch nicht die Spielregeln der Freiwilligkeit, also nicht das Regime und seine Pläne zu kritisieren, kannten. Über diese Gruppennormen wurden jedoch neue Bataillonsmitglieder innerhalb kurzer Zeit durch ihre Kameraden aufgeklärt. Generell war man im Bataillon 61 darauf bedacht, möglichst eine Fassade der Legalität, für die in ihrer überwiegenden Mehrheit auch nach NS-Recht

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Für den Anteil an Reservisten unter den Akteuren, die sich freiwillig meldeten, vgl. Aussage Heinrich Marach vom 27.2.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 62).

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illegalen Handlungen der Polizisten, aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Dies war im nicht zu unterschätzenden Maße für die Teilnahmebereitschaft bei gewaltsamen Handlungen relevant, da niemand als „böse“ gelten wollte. Um sich selbst ins Recht zu setzen, führte die Einheit beispielsweise Scheinprozesse durch und schob der lokalen Bevölkerung Waffen und sonstige Beweismittel einfach unter. Dabei kam der Produktion von scheinbarer Legalität durch bürokratisch wirkende Abläufe eine wichtige Rolle zu. So wurden Standgerichtsprozesse mit extra im Bataillon 61 entworfenen Unterlagen dokumentiert, obwohl deren offizielle Gültigkeit nicht bestand. Es war auch offensichtlich unerheblich, was für Dokumente Vorgesetzte bei Exekutionen mit sich führten, solange sie damit ihren Untergebenen einen bürokratisch korrekten Ablauf suggerieren konnten. Darüber hinaus unterstrich auch die Anwesenheit von im Dienstgrad höhergestellten Vertrauenspersonen in gewaltbehafteten Situationen, dass die dortigen Handlungen einheitsintern als akzeptabel galten. Entsprechend konnten die Männer davon ausgehen, dass ihre Mitwirkung nicht mit einer Meldung an externe Stellen bestraft werden würde. Zusätzlich wurde gerade der als klar illegal erkennbare Teil der ausgeübten Gewalt möglichst geheim gehalten. So sollte beispielsweise offiziell die eigenmächtige Dokumentation von Exekutionen mit Fotografien unterbleiben. Ebenso bestand eine allgemeine Verschwiegenheitspflicht über jedwede Abläufe innerhalb der Polizeieinheit. Dass diese auch für illegale Handlungen im Bataillon 61 gelten sollte, unterstreicht, dass man sich dort des begangenen Unrechts durchaus bewusst war. Im Besonderen für eine Polizeieinheit galt es, den Verlust ihrer legalen Fassade zu vermeiden. Hierzu wurde bataillonsintern durchaus auch Geheimhaltungsdruck ausgeübt. Dieser war jedoch nur bedingt nötig, denn es lag nicht nur im Interesse der Funktionsträger, sondern aller Einheitsmitglieder, ihre Rechtsbrüche geheim zu halten. Dies lag u. a. in der Gefahr einer möglichen Strafverfolgung und eines möglichen Ansehensverlustes in der Heimat begründet. Die gleiche Intention kam auch bei Exekutionen zum Tragen, die nicht als öffentliche Abschreckungsmaßnahme, sondern als Terrormaßnahme dienten und entsprechend an möglichst abgelegenen Orten ausgeführt wurden. Die angestrebte Geheimhaltung bedingte aber auch, dass die mit illegalen Handlungen einhergehenden Erwartungen vorgesetzter Offiziere nicht offen formulierbar waren. Durch die umfassenden Vertrauens- und Kommunikationsstrukturen im Bataillon 61 bestand dennoch kaum Überraschung über die inoffiziell an die Polizisten gestellten Anforderungen. So erfuhren die Einheitsmitglieder generell im Voraus von zukünftigen Maßnahmen, die eigentlich noch bis zur Ausführung geheim bleiben sollten. Massenerschießungen mussten aber schon aus logistischen Gründen mindestens am Vortag angekündigt werden. Auf ebenfalls informellen Wegen funktionierte auch primär die Kommunikation über die in der Dortmunder Polizeieinheit vorherrschenden Freiräume und Grenzen eigenmächtiger Gewaltausübung. Wirklich uninformiert, etwa über die Option eigenmächtiger „Tötungsausflüge“ im Warschauer Ghetto und

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die Beraubung von dessen Insassen, waren nur Personen, die keinerlei vertrauensmäßige Einbindung in das Bataillon besaßen. Nahezu jeder Akteur schloss jedoch zumindest strategische Vertrauensbeziehungen, über die er auch Informationen erhielt. So waren vielleicht nicht alle Akteure über jedes Detail informiert. Über die generellen Verhältnisse und Anforderungen war jedoch jeder im Bilde. Da aber zumindest offiziell Geheimhaltung bestand, konnten die Zustände im Bataillon 61 gleichzeitig nur erschwert kritisiert werden. Außerhalb der Einheit war nur eine partielle Geheimhaltung über deren Gewalt erreichbar. Durch diese blieb aber zumindest das integre Bild der einzelnen Akteure in ihrer Heimat intakt. Zwar wusste man auch dort, dass es insbesondere in Osteuropa zu massiven Gewaltanwendungen gegen die Zivilbevölkerung kam, jedoch waren diese Informationen nicht konkret genug, um der Gewalt genaue Orte oder gar spezielle Akteure des Bataillons 61 zuzuordnen. So konnte die Polizeieinheit weiterhin ihre Fassade der Legitimität aufrechterhalten und dennoch massive Gewalt als Konsensprojekt ausüben. Zu diesem trug ganz erheblich bei, wie die Polizisten die Zivilisten wahrnahmen, gegen die sie vorgingen. Folglich setzte man innerhalb der Ordnungspolizei bei den verpflichtenden weltanschaulichen Schulungen gezielt auf eine Abwertung und Stigmatisierung der lokalen osteuropäischen Bevölkerung. Die teilweise relativ plump gestaltete Propaganda musste dabei durch die Polizisten nicht unbedingt verinnerlicht oder sogar geglaubt werden. Ohnehin sind Organisationen laut Luhmann nur sehr bedingt dazu in der Lage, die Weltanschauung ihrer Mitglieder nachhaltig zu beeinflussen. In der Ordnungspolizei ging es entsprechend eher um die Masse der „politisch Indifferenten“,5 denen in weltanschaulichen Schulungen indirekt Legitimierungs- oder zumindest Rechtfertigungsstrategien für ihr eigenes Handeln angeboten wurden. Herausgehobene Bedeutung hatte dabei gerade für die Polizisten als Strafverfolger die Kriminalisierung ihrer Opfer. Zwar war diese Stigmatisierung nicht zwingend nötig, aber sie trug zum Absenken der Gewalthemmschwelle gegenüber der Zivilbevölkerung bei. Man ging davon aus, dass man vor allem auf Kriminelle keine Rücksicht zu nehmen brauchte. Die Funktionsträger des Bataillons setzten dies geschickt und offensichtlich bewusst ein. So ließen sie beispielsweise im Jahr 1942 über 100 Personen für eine Exekution aus dem Warschauer Ghettogefängnis holen. Auch 1939 hatten die Offiziere schon behauptet, die Polizisten hätten entflohene Strafgefangene zu bekämpfen. Ein angeblicher Gefängnisaufenthalt von späteren Opfern der Polizeieinheit nahm die Rolle einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung ein. Wer in Haft war oder sich dort noch befand, wurde im Denken der Bataillonsangehörigen tendenziell als besonders gewaltaffin und gefährlich kategorisiert. Solche Personen wurden entsprechend schonungslos behandelt. Die Bataillonsangehörigen nahmen dabei kaum wahr, dass erst die deutsche 5

Unterlagen für die Ansprache Dalueges vor dem Einweisungslehrgang der Schulungsleiter vom 18.3.1937 (BA R 19 Nr. 380, Bl. 1).

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Besatzungsherrschaft Teile der lokalen Bevölkerung in die Illegalität gedrängt hatte und dass auch im erheblichen Maße völlig unbescholtene Personen inhaftiert wurden. Darüber hinaus ist nicht zu unterschlagen, dass beispielsweise 1939 die zahlreichen entflohenen Strafgefangenen und geöffneten polnischen Gefängnisse einfach von deutscher Seite erfunden wurden. Eine deutliche Wirkung auf das Verhalten der hier untersuchten Akteure hatten auch die zwangsweisen Lebensumstände der lokalen Bevölkerung. Diese waren ebenfalls ein Ergebnis der deutschen Politik in Osteuropa. Von den Polizisten wurden aber beispielsweise Hunger, Kannibalismus und Kriminalität sowie omnipräsente Krankheiten im Warschauer Ghetto als Resultat der persönlichen „Minderwertigkeit“ von dessen Insassen interpretiert. Dabei bestätigte sich auch, quasi als weitere sich selbst erfüllende Prophezeiung, das bei zahlreichen Polizisten schon vor Kriegsbeginn präsente, stark stereotype und abwertende Bild von Osteuropa und dessen Bevölkerung. Personen, die dabei nicht zum Bataillon 61 oder wenigstens zur „Volksgemeinschaft“ gehörten, gestanden die untersuchten Akteure entsprechend kaum eine verbindliche Rechtssicherheit zu. Dabei setzten sich die Polizisten über erhebliche gedankliche Inkonsistenzen relativ beliebig hinweg. So bewachten sie beispielsweise in Warschau auch Personen, die u. a. aus Deutschland und zum Teil sogar aus der Heimatregion des Bataillons 61 stammten. Ebenso begegneten die Akteure der Polizeieinheit Menschen im „Warthegau“ mit Gewalt, die noch kurze Zeit zuvor im nördlichen Ruhrgebiet gelebt hatten. Völlig problemlos schlugen und deportierten die Polizisten schließlich auch Männer in das Vernichtungslager von Treblinka, die durch Orden und Ehrenzeichen als deutsche Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges erkennbar waren. Diese Personen hatten sich eigentlich der NS-Logik nach besonders um die „Volksgemeinschaft“ verdient gemacht. Solche Details, sofern die Einheitsmitglieder sie überhaupt wahrnahmen, bedingten aber bestenfalls ein Stutzen. Zu einem dauerhaften Unterbrechen oder einem wirklichen Hinterfragen der ausgeübten Gewalt kam es jedoch nicht. Dazu trug auch bei, dass die Bataillonsangehörigen in den Zivilisten, mit denen sie in Osteuropa in Kontakt kamen, stets eine latente Gefahr sahen. Hierin wurden sie durch die NS-Propaganda bestätigt, die etwa Unfälle deutscher Soldaten mit ihrer eigenen Dienstwaffe zu Partisanenüberfällen ummünzte. Dies bedingte bei den Männern des Polizeiverbandes einen weit vorauseilenden und übertriebenen gewalttätigen Selbstschutz. Ebenso befeuerte die Propaganda bei den Polizisten Rachegedanken für „Volksgenossen“, die angeblich Opfer osteuropäischer Gewalt geworden waren. Auch wer von den hier untersuchten Akteuren die Propaganda komplett durchschaute, konnte die aufgebrachten Behauptungen zur opportunistischen Legitimierung des eigenen Verhaltens nutzen.6 6

Dass die Entwertung der Menschen, die dem Bataillon 61 während der Einsätze begegneten, aber durchaus nicht nur aufgesetzte Legitimierungsstrategien waren, sondern Resultat des Weltbildes der Polizisten, zeigte sich nach dem Krieg. Noch während der Gerichtsprozesse der 1950er-Jahre traten bei den Männern des Bataillons 61 teilweise drastische und juristisch keineswegs geschickte Ansichten zutage.

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So reichte es den Polizisten des Bataillons 61 in Warschau 1942 schon aus, dass ein Polizist mutmaßlich durch einen Ghettoinsassen gestoßen wurde, um zur Vergeltung eine Massenexekution auszuführen. In Russland bedingte die Frustration der Polizisten stellvertretende Gewalt gegen Nichtkombattanten, da die schlecht ausgebildeten Deutschen nicht in der Lage waren, tatsächliche Partisanen festzusetzen. Um das Vorgehen gegen Zivilisten zu legitimieren, unterstellten die Polizisten einfach der Bevölkerung die Unterstützung der feindlichen Kräfte. Trotz der durch das NS-Regime beabsichtigten Wirkung von Kriminalisierungs- und Dehumanisierungsstrategien bestanden weiterhin offizielle Regeln für das Verhalten der Polizisten. So war beispielsweise willkürlicher Waffengebrauch am und im Warschauer Ghetto verboten. Der Grund hierfür war aber keineswegs der Schutz von dessen Insassen. Vielmehr sollten diese arretiert werden, wenn sie in den Augen der Wachen eine Regel übertraten. Danach sollte eine formelle Aburteilung stattfinden. Eine direkte Tötung durch einen Polizisten, quasi per Faustrecht, war nie offiziell vorgesehen. Dadurch aber, dass die rechtsbrüchige Gewalt im Bataillon 61 durch Vorgesetzte nicht nur akzeptiert, sondern gefördert wurde, stellte sich ein Prinzip der Regelerosion ein. So forderten Offiziere etwa von ihren Unterführern, eine genaue Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Gewalthandlungen zu unterlassen. Dies war jedoch nur möglich, wenn zwischen allen Beteiligten ein gewisses Maß an Vertrauen bestand, denn offiziell befohlen werden konnte der Verzicht auf eine solche Kontrolle nicht. Ebenso funktionierte auch das direkte Anstiften zum Ignorieren von Regeln und somit das Fördern von Gewalt durch Offiziere nur durch die informelle, durch Vertrauensstrukturen bestimmte Organisationskultur. Förderlich war dabei, dass in der deutschen Polizei seit jeher eine Tradition zur schnellen Gewaltanwendung gegen als kriminell oder gefährlich eingeschätzte Personen bestand. Dies zeigte sich im Bataillon 61 u. a. bei der Deportationsaktion in Leslau 1939, als ein Offizier ein hartes Durchgreifen forderte, was schließlich zu massiven Ausschreitungen durch die Polizisten führte. Gewalt wurde durch Vorgesetzte nicht nur gefordert, sondern auch selbst vorgelebt. Als maßgebliche Akteure ihrer Teileinheiten gaben hauptsächlich die Kompaniechefs dadurch ein wichtiges Element der Organisationskultur vor. Gleichzeitig wurde aber der mit unregulierter Gewalt einhergehende Regelbruch durch Vorgesetzte nicht zu offensichtlich und öffentlich verlangt. Entsprechend fanden direkte Aufforderungen zu gewaltsamen Verhaltensweisen vor allem in kleineren Gruppen statt. Teilweise stifteten aber selbst offizielle Vorschriften zumindest implizit zu Gewalt an. So enthielten etwa die schriftlich von höherer Stelle ausgegebenen Anweisungen für die Warschauer Ghettowachen einen Vermerk darüber, wo sich besonders gute Schussfelder fänden. Das damit relativ offen angestrebte Ignorieren von Regeln stand in einem Widerspruch zu dem eigentlich zur Legitimitätskonstruktion gedachten Dokument. Offizielle Vorschriften konnten jedoch nicht ohne Weiteres und sofort zur Seite geschoben werden. Entsprechend wurden etwa in Warschau durch Polizisten des Bataillons 61, trotz des damit eigentlich dokumentierten Regelbruchs,

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zu Beginn der Einsatzzeit 1942 zunächst schriftliche Meldungen über den Gebrauch der Dienstwaffe abgegeben. Die genaue Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Waffeneinsatzes wurde jedoch auf ein einfaches „Abnicken“ beschränkt. Erst im späteren Verlauf des Einsatzes verzichtete man dann ganz auf offizielle Meldungen. Dies war möglich, da der bürokratische Akt, der mit dem Ausfüllen eines Dokuments einherging, anders als bei den Scheingerichtsprozessen 1939/40, in Warschau keine gewaltfördernde Funktion mehr einnahm. Die dortigen situativen Umstände ließen schriftliche Berichte vielmehr als unnötigen Aufwand oder gar als Hemmnis erwünschter Gewalt erscheinen. Dennoch bedurfte es einer zunehmenden Gewöhnung an diese sowie ein Ausbleiben von Sanktionen, um das Erodieren offizieller Regeln zu etablieren. Ein bewusstes Übergehen von Vorschriften wurde aber auch schon während des Einsatzes des Bataillons 61 im „Warthegau“ praktiziert. So hielt man sich dort zwar an die offizielle Vorschrift, Standgerichte auszuführen, jedoch wurden den Landeseinwohnern oftmals Waffen untergeschoben, um Beweismittel zu schaffen. Hierdurch konnten Angeklagte bürokratisch legitimiert zum Tode verurteilt werden. Ein Ignorieren von offiziellen Regeln rief generell keinen Widerspruch externer Stellen hervor, solange die ausgeübte Gewalt den unausgesprochenen Erwartungen des NS-Regimes und der Polizeiführung entsprach. Dies zeigte sich auch an der massiven Übertretung offizieller Vorgaben durch die 1. Kompanie des Bataillons 61 im Jahr 1942. Als deren Polizisten 110 Insassen des Ghettogefängnisses für eine illegale Massenexekution mitnahmen, waren zwar vereinzelte Dienststellen über dieses Vorgehen erbost, zu Maßregelungen der beteiligten Akteure oder der verantwortlichen Vorgesetzten kam es jedoch nicht. Während des Nationalsozialismus korrespondierte der militärische Charakter der Polizei und die Gewaltaffinität von Akteuren mit der damaligen Rechtsauslegung. Im Bereich der Polizei wurde kaum neues Recht geschaffen, aber bestehende Normen unterhöhlt. Somit galt für die Männer des Bataillons 61 das Prinzip „Recht ist, was der Volksgemeinschaft nutzt“. Folglich erschien ein Bruch von Regeln zum wie auch immer gearteten Vorteil von Mitgliedern dieser Gemeinschaft und zum Schaden von „Gemeinschaftsfremden“ als wenig problematisch.7 Für die Gewalt des Bataillons 61 war das, ebenso wie im gesamten NSRegime, präsente Nebeneinander von Norm- und Maßnahmenstaat maßgeblich. Dieses Prinzip erleichterte es den nationalsozialistisch eingestellten Offizieren, Regeln in ihrem Sinne aufweichen zu lassen. Hierzu kombinierten diese Männer die Regelerosion durchaus noch mit weiteren Wirkmechanismen. So führte man Erschießungen möglichst geheim aus, etwa in abgelegenen Waldgebieten. Außerdem ließ man Opfer, um diese als potenziell kriminell und ge-

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Wirklich verpflichtet empfanden sich die Polizisten dabei noch nicht einmal allen Mitgliedern der „Volksgemeinschaft“, sondern nur gegenüber den Angehörigen ihres eigenen Vertrauensnetzwerkes innerhalb der Polizeieinheit.

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fährlich erscheinen zu lassen, demonstrativ u. a. aus Haftanstalten abholen. Im Fall der 110 erschossenen Ghettoinsassen im Jahr 1942 reichten schon diese wenigen Elemente aus, um die Polizisten von der Teilnahme an einer Aktion zu überzeugen, die sowohl Generalgouverneur Frank als auch der Chef der Ordnungspolizei, Daluege, ihrer Art nach offiziell als Mord klassifizierten. Dass ein Ignorieren von Regeln letztlich aber nahezu immer gebilligt wurde, hing auch damit zusammen, in welcher geografischen Region die Regelerosion auftrat. Osteuropa stellte sich im stärkeren Maße als gewaltoffener Raum dar, als dies beispielsweise das Reichsgebiet war.8 Der Ort der Gewalthandlungen war dabei mit der rechtfertigenden Idee der Lebensraumsicherung für die eigene „Volksgemeinschaft“ verbunden. Für deren Wohlergehen durfte im NS-Denken keine Rücksicht auf dehumanisierte Landesbewohner genommen werden. Insbesondere bei der Okkupation der osteuropäischen Gebiete handelte es sich nicht um ein klassisches Kolonialisieren des Raumes, sondern eher um dessen rassisches Sortieren und Räumen bei gleichzeitiger Helotisierung der verbliebenen lokalen Bevölkerung. Es galt der Grundsatz: „Vernichtung und Verdrängung widerspricht nach geschichtlichen Erfahrungen den Lebensgesetzen nicht, wenn sie vollständig geschieht.“9 Dass ein Übergehen von Regeln und die damit verbundenen gewalttätigen Verhaltensweisen durch das NS-Regime nur außerhalb des Reiches und nur gegenüber „gemeinschaftsfremden“ Personen geduldet wurden, zeigte sich, als das Bataillon 61 zeitweise wieder im Ruhrgebiet stationiert war. Offensichtlich hatten sich die Polizisten an ihr rechtsbrüchiges Verhalten als Teil ihres Alltags gewöhnt. Als sie sich jedoch anfangs auch in der Heimat rabiat gegenüber „Volksgenossen“ zeigten, wurde von höherer Stelle interveniert. Es drohte ein unmittelbarer und deutlicher Verlust der legalen Fassade des NS-Regimes, der von der Polizeiführung unterbunden wurde. In Osteuropa hingegen konnte man problemlos eine generelle Rechtsunsicherheit für die lokale Bevölkerung zulassen. Dies passte zur NS-Strategie, den okkupierten Raum durch Terror zu kontrollieren. Man darf aus dem Verhalten der Bataillonsangehörigen nun aber nicht schließen, dass ihre persönlichen Absichten mit den Zielen des NS-Regimes unbedingt deckungsgleich waren. Bereits die Polizeieinheit allein betrachtet, stellt sich keineswegs als homogene und gleichgesinnte Gruppe von Akteuren dar. Auch wenn viele Einheitsmitglieder ähnliche Verhaltensweisen zeigten, so bestanden

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Dies änderte sich erst gegen Kriegende, als es zum „Amoklauf des NS-Regimes“ kam. Vgl. Hans Mommsen, Zerstörung der Politik und Amoklauf des NS-Regimes: Politikverständnis und kumulative Radikalisierung. In: Thamer/Erpel (Hg.), Hitler und die Deutschen, S. 68–73. Werner Best, Großraumordnung und Großraumverwaltung. In: Zeitschrift für Politik, 32 (1942), S. 406–412, hier 407. Hierzu vgl. auch Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989, Bonn 1996, S. 283.

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zwischen ihnen durchaus erhebliche Zerwürfnisse. Längst nicht jeder Polizist war mit jedem anderen vertraut oder gar befreundet. Quasi als Mikrokosmos zeigten sich auch im Bataillon 61 die deutlichen Risse in der verheißungsvollen „Volksgemeinschaft“ und deren wenig egalitäre Realität. So wurden insbesondere Reservisten von den Berufspolizisten des Bataillons 61 regelrecht verachtet. Man betrachtete die Notdienstpflichtigen als unprofessionell und vor allem nicht als vollwertige Polizisten. Auch wenn eine Person vom Reservedienst in den aktiven Polizeidienst übernommen wurde, blieb an ihr doch ein gewisser Makel hängen. Ein solcher Akteur wurde durch die übrigen Berufspolizisten nicht vollständig akzeptiert. Darin stellte das Bataillon 61 keine Ausnahme dar. In der gesamten Ordnungspolizei zeigte es sich als generell problematisch, Reservisten effektiv in die Gemeinschaft der Polizei einzubinden. Grundlegend war dabei in der Dortmunder Polizeieinheit der Altersunterschied zwischen den relativ jungen aktiven Polizisten und den relativ alten Reservisten. Im Bataillon 61 kehrte sich das gewohnte gesellschaftliche Verhältnis um. Jüngere, körperlich leistungsfähigere Männer befehligten ältere Männer mit deutlich mehr Lebenserfahrung. Diese Situation erkennend, wurde von Vorgesetzten verlangt, insbesondere mit älteren Einheitsmitgliedern möglichst rücksichtsvoll umzugehen. Dies sollte nicht zuletzt das gegenseitige Vertrauen fördern. Mit der wichtigen Bildung dieser Ressource waren jedoch die tatsächlichen Praktiken im Bataillon 61 oft schwer vereinbar. So fühlten sich vor allem die Reservisten durch Vorgesetzte meist schlecht behandelt. Ebenso konnten sich Unterführer, die zu viel Nähe zu ihren Untergebenen suchten, also ein zu tiefes Vertrauen aufbauen wollten, der Sanktionierung durch Offiziere ausgesetzt sehen. Das Prinzip, dass Druck von höher gestellten Akteuren an Untergebene quasi weitergereicht wurde, verinnerlichten auch Personen schnell, die beispielsweise gerade erst vom einfachen Polizisten zum Unterführer aufgestiegen waren. Dessen Ausübung war aber kein reiner „Top-down“-Prozess. So untergruben auch einfache Polizisten regelrecht die Autorität und das Ansehen ihrer Vorgesetzten, etwa indem sie sich in bewusst kränkender Weise über diese lustig machten. Dabei setzten die Männer u. a. an Merkmalen wie der Sprache eines Vorgesetzten an, der aus einer östlichen Region des deutschen Reiches stammte. Generell scheint im Bataillon 61 die Tendenz bestanden zu haben, nur Personen, die aus der eigenen Heimatregion stammten, als wirklich vollwertige „Volksgenossen“ anzusehen. Dies wirkte sich z. B. auch auf die Behandlung von „Volksdeutschen“ aus, die mit der Einheit in Kontakt kamen. Sie wurden durch die Polizisten hart und gewalttätig angegangen, da sich die Bataillonsangehörigen diesen Personen nicht verbunden fühlten. Dass die gegenseitige einheitsinterne Verachtung, ebenso wie die negative Einstellung gegenüber „Volksgenossen“ aus den neu eroberten Gebieten, ein gewisses Hemmnis für die Umsetzung der Ziele des NS-Regimes bedeuten konnte, ist unbestreitbar. Jedoch hatten die typischerweise in gierigen Institutionen wie dem Bataillon 61 auftretenden Effekte wie Mobbing und sonstiger inoffizieller

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Druck durchaus auch eine funktionelle Dimension. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte man den eigentlich illegalen Druck innerhalb der Einheit unter Berufung auf offizielle Regeln unterbunden. Tatsächlich wurde jedoch die Ausübung solcher Sanktionierungen vor allem gegen Personen umfänglich zugelassen, die sich in die Handlungen der Polizeieinheit nicht entsprechend der unausgesprochenen Erwartungen von Vorgesetzten einbrachten. Gewalttätige Vorgesetzte konnten sich dabei durch ihre im Alltag gelebte Grausamkeit gegenüber der Zivilbevölkerung zusätzlich auf ein gewisses Drohpotenzial stützen, um Angst bei Untergebenen zu erwecken. Für die Polizisten konnten etwa Drohungen durch solche Akteure entsprechend durchaus in einem gewissen Rahmen realistisch wirken. Extrem übertrieben sind jedoch zahlreiche nach dem Krieg getätigte Behauptungen ehemaliger Bataillonsmitglieder. So hieß es, man habe quasi wie die osteuropäische Bevölkerung eine Gefahr für Leib und Leben befürchten müssen, wenn man sich nicht entsprechend der Befehle der nationalsozialistischen Offiziere verhalten hätte. Dieser sich immer wieder in Aussagen ehemaliger Mitglieder deutscher Militäreinheiten wiederholende Befehlsnotstand war schlichtweg ein durch nichts zu belegender Mythos. Im Bataillon 61 wurde generell Gewalt nur selten befohlen. Geschah dies doch, gab es stets mannigfaltige Möglichkeiten, sich freistellen zulassen. Der bestenfalls marginale Druck zur Teilnahme war also nur sehr bedingt dafür ausschlaggebend, dass viele Akteure bereitwillig an gewaltsamen Handlungen teilnahmen. Vielmehr erscheint das Verhalten der Polizisten als Akt der Bequemlichkeit. Sie wollten sich keinen kleineren Unannehmlichkeiten aussetzen. Mehr noch waren sie sogar bemüht, sich Vorteile zu verschaffen. Dies war ihnen oftmals wichtiger als das Leben der lokalen Bevölkerung, der gegenüber sie sich nicht verpflichtet fühlten. Generell gewaltunwillige Personen im Bataillon 61 wurden hingegen lediglich mit Urlaubssperren und unangenehmen Wachdiensten informell sanktioniert oder sahen sich weiteren, eher geringen Schikanen ausgesetzt. Dabei traf die Sanktionierung hauptsächlich Personen, die in keinem schützenden Vertrauensverhältnis zu ihren Vorgesetzten standen. Aber auch Männer, die dem Willen von Vorgesetzten voll entsprachen und zu diesen gute Beziehungen aufgebaut hatten, konnten zu einem späteren Zeitpunkt „fallen gelassen“ werden. Wer nicht mehr in das Konzept der Offiziere passte, wurde informell sanktioniert oder beim erstmöglichen Anlass offiziell bestraft. Hieran zeigt sich, dass Vertrauensbeziehungen einer stetigen Bestätigung und Festigung bedurften und durchaus auch einseitig aufgekündigt werden konnten. Die Ressource Vertrauen konnte nur nutzen und aufrechterhalten, wer für Vorgesetzte im gewissen Maße nützlich war. Entsprechend unterlagen auch Unterführer den informellen Sanktionierungen im Bataillon 61. Wenn sie den alltäglichen Dienst nicht im Sinne ihrer Vorgesetzten gestalteten, sich aber dennoch eigene Vertrauensstrukturen in der Einheit schaffen wollten, griffen sie damit in die Organisationskultur der jeweiligen Teileinheit ein. Gegen ein solches Verhalten gingen die Offiziere direkt vor. Wer sich als Unteroffizier zu „anständig“ verhielt und seine unterstellten Polizisten nicht zur

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Gewalt gegen Zivilisten anhielt, wurde unter Druck gesetzt. Dieser konnte dabei sogar so weit gehen, dass Personen ihre Stellung als Funktionsträger einbüßten. So wurde etwa ein Spieß in der Regel ausgetauscht, wenn er keinen vertrauensvollen Umgang mit seinem Kompaniechef entwickeln konnte. Die offizielle Hierarchie sorgte hingegen indirekt dafür, dass der im Bataillon 61 vorherrschende Druck kaum umgangen werden konnte. Insbesondere Beschwerden gegen die nicht rechtmäßige informelle Sanktionierung von Polizisten versprachen keinen Erfolg. Auf dem korrekten Dienstweg war es letztlich der Kompaniechef, der entschied, welche Angelegenheiten überhaupt außerhalb seiner Teileinheit thematisiert und weitergeleitet wurden. Beschwerden über einen Kompaniechef wiederum hätten in gleicher Weise erst an den Bataillonskommandeur gerichtet werden müssen. Da dieser seinen Hauptleuten aber vertraute und ihrem Verhalten zustimmte, war die Möglichkeit einer erfolgreichen Beschwerde praktisch ausgeschlossen. Im Gegenteil, eine solche hätte die ohnehin bestehende informelle Sanktionierung eines Akteurs noch weiter verschärfen können. Statt die Ausübung von Druck auf die Polizisten zu unterbinden, wurde der offizielle Bestrafungsapparat der Ordnungspolizei auch dazu eingesetzt, die Männer des Bataillons 61 weiter zu beeinflussen. So mussten die Polizisten beispielsweise als Zuschauer an Gerichtsprozessen gegen Polizeimitglieder teilnehmen. Ebenso wurden vereinzelt Bataillonsangehörige abgestellt, um verurteilte Männer anderer Einheiten in Straf- und Konzentrationslager zu überführen. Das dadurch bewirkte Zurschaustellen offizieller Strafen führte den Polizisten vor Augen, wie wichtig es war, Vertrauensbeziehungen zu Vorgesetzten durch konformes Verhalten zu etablieren. Nur hierdurch konnte man sich vor Strafen für illegale Handlungen schützen, die nahezu alle Polizisten der Einheit in unterschiedlicher Intensität begangen hatten. Wer sich jedoch im Sinne von Vorgesetzten verhielt, war gegen jede Form der Bestrafung abgesichert. Um dies als plausibel und rational erscheinen zu lassen, setzten Vorgesetzte teilweise abstrus weitgehende Drohungen ein. Dabei konnten sie sich auf ein militärischen Strukturen inhärentes Phänomen stützen. Alle Männer des Bataillons 61 befanden sich stets in einer „Normenfalle“,10 da sie nicht in der Lage waren, allen offiziellen Anforderungen der Organisation gerecht zu werden. Der daraus erwachsende „Zustand ständiger Kritisierbarkeit“11 bestand im Besonderen für die schlecht ausgebildeten und schon rein altersbedingt mit dem Polizeidienst überforderten Reservisten der Polizeieinheit. Vorgesetzte suchten regelrecht nach Fehlern von Untergebenen, die sich als demonstrativ unwillig zeigten und ihre De-facto-Verweigerung im nicht ausreichenden Maße durch informelle Entzugsstrategien absicherten.

10 Herrmann, Soldaten, S. 51. 11 Hubert Treiber, Wie man Soldaten macht. Sozialisation in kasernierter Vergesellschaftung, München 1973, S. 43. Ebenso vgl. Apelt, Militär, S. 193.

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Hieran zeigt sich letztlich im Kleinen, warum der Normen- stets neben dem Maßnahmenstaat bestehen blieb. Beide besaßen ihre Funktionalität in Hinsicht auf die nicht formulierbaren Erwartungen des NS-Regimes. Um dem daraus resultierenden offiziellen ebenso wie informellen Druck mit Leichtigkeit auszuweichen und den eigenen Alltag angenehm zu gestalten, wurde Gewalt zu einem opportunistischen Konsensprojekt im Bataillon 61. Neben der Möglichkeit, Strafen zu umgehen, spielte für die Teilhabe an Gewalt auch eine Rolle, dass sich die Männer nicht aus der sozialen Gemeinschaft der Polizeieinheit ausschließen wollten. Diese hatte sich durch die Monopolisierung von Sozialkontakten quasi zu einer Ersatzfamilie der Akteure entwickelt. Wenn man kooperierte und zu dieser gehörte, zeigten sich selbst die aggressivsten Offiziere als durchaus nette und kollegiale Personen. Wer sich jedoch nicht in eine gewisse Komplizenschaft mit ihnen begeben wollte, wurde durch sie nicht nur unter Druck gesetzt. Vorgesetzte verhinderten dann auch nicht die Sanktionierung eines Akteurs durch andere Personen der gleichen Hierarchieebene. Dies konnte im Extremfall, der sich im Bataillon 61 vereinzelt ereignete, bis zur illegalen körperlichen Misshandlung durch Kameraden führen. Während auf den einzelnen Polizisten im Mannschaftsdienstgrad nahezu ein Zwang zur Kooperation mit ihren Offizieren lastete, waren diese selbst durch Vorgesetzte kaum systematischem Druck ausgesetzt. Dies war allein schon aufgrund der ähnlichen weltanschaulichen Einstellung der Führer des Bataillons 61 nicht nötig. Stattdessen schikanierten sich Personen mit herausgehobener Vorgesetztenfunktion eher gegenseitig aufgrund persönlicher Animositäten. Die Polizisten im Mannschaftsdienstgrad waren aber, anders als ihre Offiziere, ein Unsicherheitsfaktor bei der Umsetzung der Vorstellungen der Kompanie- und Bataillonsführung. Entsprechend trug man mit Druck dazu bei, diese Männer in die gewünschte Richtung zu lenken.12 Neben der informellen und offiziellen Sanktionierung war der Dienst im Bataillon 61 für die Polizisten durchaus auch durch weitere Faktoren bedrückend. So nahmen die Einheitsmitglieder ihre Lebensumstände in Osteuropa als deutlich weniger komfortabel als im Heimatgebiet wahr. Die offiziellen Tätigkeiten des Bataillons 61 wie Deportationen und Exekutionen waren aufgrund ihrer hohen Gewaltintensität auch für die Ausführenden belastend. Entsprechend kam es in der Einheit durchaus zu Nervenzusammenbrüchen bei solchen ­Handlungen. Hinzu kam gerade bei den Reservisten mit Zivilberufen eine stetige Sorge um die eigene wirtschaftliche Existenz im Reichsgebiet. Außerdem fürchteten die Polizisten um das Leben ihrer Angehörigen, die in der Heimat durch Luftangriffe bedroht waren. Im als gefährlich wahrgenommen Osteuropa kam schließlich auch noch die Sorge um die eigene Sicherheit hinzu.

12 Schikanen wegen persönlicher Antipathien gab es durchaus aber auch unter den Mannschaftsdienstgraden.

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Dass auf vereinzelte Akteure durchaus immenser Druck sowohl durch Sanktionierungen als auch durch äußere Umstände herrschte, zeigte sich an verschiedenen stressbedingten Erkrankungen sowie mindestens einer Selbsttötung innerhalb des Bataillons 61. Diese wurde in der Organisation jedoch nicht als Folge eines problematischen Umfeldes, sondern als Ergebnis einer minderwertigen charakterlichen Veranlagung des Toten bewertet. Dies verwundert wenig. Wäre die dem Suizid vorangegangene vorschriftswidrige Behandlung des Polizisten nicht verschleiert worden, so hätte die geordnet wirkende Fassade der Polizeieinheit Schaden genommen. Druck stellte jedoch letztlich nur einen Aspekt dar, durch den die Entscheidungsträger im Bataillon 61 Gewalt zu fördern versuchten. Im starken Maße waren sie auch bemüht, ihre Untergebenen zu dieser positiv zu motivieren. Hierzu galt es, Anreize zu schaffen, die über die Freistellung der Gewaltausübung hinausgingen. Dies war schon deshalb nötig, da nahezu keiner der Polizisten ein gewalttätiger Psychopath war, der rein aus Destruktivität anderen Menschen schadete. Ebenso waren die meisten Bataillonsmitglieder keine glühenden Anhänger des Nationalsozialismus. Sie waren nicht intrinsisch motiviert, die informellen Erwartungen des NS-Regimes in vorauseilendem Gehorsam zu erfüllen. Vielmehr benötigten die Akteure dazu ein Tauschangebot, bei dem ihre Gewaltbereitschaft mit einer Gegenleistung aufgewogen wurde. Als erleichternder Faktor für die Vorgesetzten innerhalb des Bataillons 61 wirkte dabei, dass auch für die älteren Reservisten Gewalt kein völlig unbekanntes oder unerprobtes Verhaltensmuster war. So hatten sie diese als völlig legitimes Mittel zur Beilegung von persönlichen Konflikten beispielsweise in Familie und Beruf erlebt. Außerdem war offene Straßengewalt in der teilweise chaotischen Zwischenkriegszeit der Weimarer Republik im Ruhrgebiet omnipräsent. Einige Einheitsmitglieder beteiligten sich an ihr sogar aktiv und wurden dadurch weiter geprägt. Insgesamt ließen sich so die meisten Männer der Dortmunder Polizeieinheit nach heutigen Maßstäben als überdurchschnittlich gewaltaffin einstufen. In Anbetracht der damaligen Verhältnisse, insbesondere aufgrund des niedrigen Stellenwertes universeller Menschenrechte, war die Gewaltbereitschaft der Polizisten jedoch durchschnittlich. Gleiches galt auch für das Männer- und Soldatenbild der Akteure. An ihr bellizistisches Denken war die Ideologie des Nationalsozialismus zumindest in Teilen anschlussfähig. Der durch die Propaganda kommunizierte Gedanke, dass nur derjenige, der militärischen Dienst leistete, als ganzer Mann und vollwertiger „Volksgenosse“ gesehen wurde, ergänzte sich gut mit der Anspruchshaltung der Bataillonsangehörigen. Gerade die älteren Polizisten der „weißen Jahrgänge“ hatten ein starkes Bedürfnis, sich als Soldaten zu zeigen. Sie hatten den Drang, sich als möglichst jung, dynamisch und kraftvoll zu beweisen. Also jene Kategorien, für die das Soldatentum geradezu sinnbildlich stand. Dass das NS-Regime den Polizisten suggerierte, auch am soldatischen Kampf des Deutschen Reiches teilzuhaben, trug entsprechend erheblich dazu bei, dass sich gerade ältere Reservisten überhaupt bereit erklärten, ihren „Notdienst“ im

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Ausland zu leisten, statt dies problemlos zu verweigern. Mehr noch gaben sich diese Akteure sogar Mühe, nicht wegen körperlicher Defizite in die Heimat zurückbeordert zu werden. Sicherlich schwang dabei auch eine gewisse Angst vor einem Gesichtsverlust in der Heimat mit. Untätig zu sein, während jüngere Männer an den Fronten kämpften, stellte für sie ein Eingeständnis von Schwäche dar, das ihrer Sozialisation zutiefst widersprochen hätte. So ging es den Reservisten oftmals vielmehr darum, dienen zu dürfen, statt dienen zu müssen. Eine Verwendung in der Ordnungspolizei ermöglichte älteren Männern, die nicht mehr im regulären Militär eingesetzt werden konnten, zumindest einen bewaffneten und uniformierten Dienst. Dessen Wert kommunizierte das NS-Regime bewusst als dem Dienst in der Wehrmacht gleichwertig. Darüber hinaus wurde durch die Propaganda immer wieder unterstrichen, Polizei und Wehrmacht würden sich den Ruhm militärischer Erfolge teilen. Dass die Gleichwertigkeit aber eigentlich nicht bestand, zeigt der bereits geschilderte Anteil an Berufspolizisten im Bataillon 61, die zuvor an der Übernahme in die Wehrmacht gescheitert waren. Dies schoben die Akteure jedoch gedanklich beiseite, da gerade die Reservisten durch ihren Dienst im Bataillon 61 eine Chance sahen, sich ihren verinnerlichten soldatischen Idealen anzunähern. Schwierig war dies dennoch, da die meisten Männer weder für den Militär- noch für den Polizeidienst eine tatsächliche Qualifikation besaßen. Auch wenn sie versuchten, ihren Dienst gut zu leisten, wurden sie von der Polizeiführung bestenfalls als bedingt einsatzfähig angesehen und nur entsprechend verwendet. Um dem Gefühl der Unfähigkeit und des mangelnden Soldatentums entgegenzuwirken, hatten Akteure im Bataillon 61 nur wenige Optionen. Am einfachsten war es, sich hervorzutun, indem man sich in die Gewalthandlungen der Einheit einbrachte. So sollen sich etwa für Exekutionen immer mehr als genug Freiwillige gefunden haben. Bei solch offiziellen, aber auch nicht offiziellen Gewaltakten spielte die Indifferenz der Polizisten gegenüber ihren Opfern eine erhebliche Rolle. Sich gegen diese hart und rabiat zu zeigen, war nur möglich, da die Polizisten die lokale Bevölkerung verachtete und den Bataillonsangehörigen gleichzeitig Straffreiheit geboten wurde. Sich durch Gewalt zu beweisen, war nicht nur den einfachen Männern der Polizeieinheit ein wichtiges Anliegen. Bei den Offizieren war jedoch die Ausgangslage eine grundlegend andere als bei ihren Untergebenen. Für die Führer im Bataillon 61 war die Einheit keineswegs die einzige Möglichkeit, sich militärisch zu beweisen. Im Gegenteil, die Ordnungspolizei stellte ein Abstellgleis einer potenziell prestigeträchtigen SS-Karriere dar. Gerade die jungen Offiziere als Junkerschulabsolventen, ebenso wie ihre älteren Offizierskollegen, die oftmals an der Übernahme in die Wehrmacht gescheitert waren, versuchten sich durch rabiates Verhalten und absolute Regimetreue für andere Verwendungen zu empfehlen. Im Prinzip reichte jedoch für das NS-Regime bereits eine Teilidentität von Akteuren mit den Zielen des Nationalsozialismus aus, um jene Gewalt zu erzeugen, die man nicht offen fordern konnte. Hierzu trug auch der kleine, aber

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gefestigte Kern an Nationalsozialisten mit wichtigen Funktionsstellen im Bataillon 61 bei. Durch die zwischen Vorgesetzten und Untergebenen bestehenden Vertrauensbeziehungen wurden etwa Offiziere im Einsatz zu Referenzfiguren, an deren Handlungen und Interpretationen sich die übrigen Polizisten orientierten. Durch das nationalsozialistische Führerkorps des Bataillons 61 wurden so auch im erheblichen Maße ideologisch eigentlich unauffällige Einheitsmitglieder zu ideologischen Trittbrettfahrern. Den meisten Polizisten ging es dabei um ihren persönlichen Vorteil. Sie arrangierten sich entsprechend in opportunistischer Weise mit ihren Vorgesetzten. Diese wiederum griffen auf ein Belohnungssystem zurück, das in geschickter Weise auf die Sozialisation und den soldatischen Anspruch der älteren Reservisten abzielte. So nutzte man im Nationalsozialismus ein umfangreiches Ordenssystem für die Belohnung gewünschter Verhaltensweisen von Militärangehörigen. Dabei hatten Ehrenzeichen den Vorteil, dass an ihnen äußerlich nicht ablesbar war, wofür sie eigentlich verliehen wurden. Somit konnten Orden den Reservisten dazu dienen, ihre vermeintliche soldatische Leistungsfähigkeit zum Ausdruck zu bringen. Solange Orden aber entsprechend ihrer Stiftungstexte verliehen wurden, waren prestigeträchtige Tapferkeitsauszeichnungen wie das Eiserne Kreuz für die Mitglieder des Bataillons 61 nicht erreichbar. Gleiches galt ebenso für unbedeutendere Orden wie etwa das Kriegsverdienstkreuz. Keine Regelung, die zwischen 1933 und 1945 bestand, sah die Verleihung von Auszeichnungen für illegale Gewaltanwendungen gegen Zivilisten vor. Um die Mitglieder der Dortmunder Polizeieinheit dennoch für solche belohnen zu können, zeigten die Offiziere des Polizeiverbandes eine große Bereitwilligkeit, Verleihungsvorschläge zu manipulieren. In diesen deuteten sie nicht legitimierte Ausschreitungen ihrer Untergebenen einfach in Teile eines angeblich soldatischen Kampfes um. In anderen Fällen wurden militärische Kampfhandlungen auch einfach direkt erfunden. Solche Manipulationen konnten jedoch nur vollzogen werden, wenn sie durch ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis komplizenhaft abgesichert waren. Sowohl die Polizisten mit ihren Gewalttaten als auch ihre Vorgesetzten, die Dokumente fälschten, durchbrachen damit die offiziellen Regeln der Organisation. Gleiches galt auch für den Bataillonskommandeur, der Ordensvorschläge unkontrolliert und unhinterfragt an höhere Stellen weitergab. Wurde dann ein Ehrenzeichen verliehen, konnten gerade die älteren Männer der Einheit mit einem solchen ihre vermeintliche Erfüllung soldatischer Standards symbolisch zum Ausdruck bringen. Hierzu waren sie bereit, auch illegale Gewalt auszuüben. Voraussetzung war dabei aber, dass die Taten möglichst geheim blieben bzw. als Kampfhandlungen umgedeutet und dokumentiert wurden. Orden waren so „billige Zahlungsmittel“,13 mit dem die Offiziere des Bataillons 61 Leistungsanreize für ihre nicht offen formulierbaren Erwartungen

13 Winkle, Dank, S. 95.

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schufen. Die von Offizieren geforderte Willfährigkeit wurde gegen eine Belohnungserwartung der Mannschaften getauscht. Dabei konnte sich ein Anreizeffekt bereits einstellen, wenn nur eine Einzelperson einer Peergroup ausgezeichnet wurde. Die meisten Männer wollten nicht als leistungsschwächer im Vergleich zu anderen Mitgliedern ihres Vertrauensnetzwerkes gelten. So war es für sie plausibel, sich im Sinne der Vorgesetzten einzubringen, um sich die Option offenzuhalten, ebenfalls ausgezeichnet und somit belohnt zu werden. Wer sich hingegen demonstrativ unwillig zeigte, schloss sich selbst von Belohnungen aus, die den eigenen Status in der Gruppe und vor allem auch in der Heimat steigern konnten.14 Wie opportunistisch dabei das Ordensverständnis der Polizisten war, zeigt sich daran, dass man auf Mitglieder der osteuropäischen Bevölkerung, die teilweise deutsche Ehrenzeichen aus dem Ersten Weltkrieg trugen, keinerlei Rücksicht nahm. Für sich selbst erwarteten die Bataillonsangehörigen jedoch, dass die Wirkung von Orden als der „eines sozialen Symbols, eines Signalgebers“15 Gültigkeit besaß. Den Polizisten ging es um den eigenen Status in ihrem Vertrauensnetzwerk und in der deutschen Gesellschaft allgemein. Ob tatsächlich Leistungen für einen Orden erbracht wurden oder ob man ihn schlicht im Tausch für Willfährigkeit erhielt, spielte für die Polizisten kaum eine Rolle. Entsprechend wurde im Bataillon 61 die Ordensvergabe ein wichtiges Mittel zur Förderung von Regelbrüchen und damit von Gewalt. Der dazu nötige vertrauensbasierte und kooperative Tauschmechanismus war den Vorgesetzten bekannt und wurde effektiv genutzt. Auch die höhere Führung war von der Wirkungsweise von Orden zur Förderung der nicht formalisierbaren Pläne des NS-Regimes überzeugt. Entsprechend wurde Truppenverbänden nicht nur die Nutzung vorhandener Ordensbestände angeraten. Auch die Manipulation von Verleihungsvorschlägen wurde, obwohl bekannt, nicht unterbunden. Orden, Ehrenzeichen und im geringeren Maße auch Lob stellten jedoch nicht die einzigen Belohnungen im Bataillon 61 dar. Insbesondere auch die Vergabe von Freizeit wurde von den Polizisten angestrebt. Dabei hatte diese neben ihrem motivierenden Aspekt auch noch einen für die Absichten der Offiziere nützlichen Nebeneffekt: Dienstfreie Zeit ermöglichte den Polizisten überhaupt erst die Ausübung eigenmächtiger Gewalt. Gerade längerer Urlaub erlaubte darüber hinaus den Bataillonsangehörigen auch, sich von den Belastungen ihres Dienstes zu erholen. Außerdem bot Heimaturlaub überhaupt erst die ­Möglichkeit, das eigene Soldatentum mit Uniform und Ehrenzeichen in der Heimat demonstrativ zur Schau zu stellen.

14 Als eine solche Form der Belohnung, wenn auch weniger intensiv wirkend als Orden, ist auch Lob anzusehen. Dieses konnte zumindest die Wertigkeit eines Akteurs in der Einheit unterstreichen. Ferner konnte Lob Regelbrüche fördern, da es hervorhob, dass eine illegale Verhaltensweise nicht nur akzeptiert, sondern gewünscht war. 15 Hartmann, Wehrmacht, S. 198.

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Auch wenn Urlaub in Kriegszeiten stets ein knappes Gut war, so wurden die Polizisten des Bataillons 61 mit diesem dennoch relativ umfangreich bedacht, um sie für ihre Kooperation zu belohnen. Wie wichtig Urlaub für die Polizisten war, zeigt sich auch daran, dass die Urlaubsvergabe ein stetiges Reizthema war und selbst über das Kriegsende hinaus blieb. Um Urlaub zu erlangen, waren gute Beziehungen zu Vorgesetzten opportun, da diese einen erheblichen Ermessensspielraum bei der Gewährung von Urlaub und freier Zeit besaßen. Entsprechend wurde beides gegen Willfährigkeit eingetauscht. Diese musste sich dabei nicht nur auf Gewalt beschränken. So belohnte der Chef der 1. Kompanie auch Kirchenaustritte mit Sonderurlaub und der Spieß der gleichen Teileinheit bevorzugte bei der Urlaubsvergabe Personen, die für ihn in Warschau gestohlene Güter in die Heimat transportierten. Eine direkte finanzielle Belohnung von Gewalt konnte hingegen im Bataillon 61, über den normalen Sold hinaus, nicht erfolgen. Da ein Großteil der von den Polizisten ausgeübten Gewalt nach NS-Recht illegal war, konnte man die Handlungen nicht auch noch mit offiziellen Zahlungen belohnen, ohne die Fassade der Legitimität der Organisation zu beschädigen. Jedoch ließ man im Bataillon 61 ein umfangreiches Berauben und Bestehlen der lokalen Bevölkerung Osteuropas zu. Dabei ging es den Polizisten nicht darum, einen besonderen Reichtum zu erlangen. Vielmehr wollten die Männer den eigenen Alltag auf Kosten der Bevölkerung angenehmer gestalten. So war es im Bataillon 61 völlig akzeptabel, sich Nahrungsmittel von Landeseinwohnern einfach zu nehmen. Dies lebten sogar hohe Funktionsträger selbst vor. Teilweise gingen sie sogar so weit, ihre Untergebenen mit der Beraubung zu beauftragen, um diese nicht selbst ausführen zu müssen. Einige verantwortliche Akteure demonstrierten ferner, dass der Handel mit und der Weiterverkauf von Beutegut akzeptabel war. Dies praktizierte man in der Polizeieinheit dann auch in einem solchen Umfang, dass sich selbst die NSDAP in Dortmund zeitweise genötigt sah zu intervenieren. Dadurch, dass bei der Beraubungs- und Diebstahlspraxis sowohl von den Ausführenden als auch den Vorgesetzten Regeln übertreten wurden, banden sich die Akteure in ihrer Komplizenschaft enger aneinander. Grundsätzlich war dies aber nur möglich, wenn Vertrauen zwischen den Akteuren bestand. Dieses bedingte, dass die Polizisten, ohne Strafen befürchten zu müssen, ihr Leben auf Kosten der lokalen Bevölkerung angenehmer gestalten konnten. Gleichzeitig erhielten die Offiziere quasi im Tausch willfährige Untergebene, die auch nicht einforderbare Gewalt ausübten. Die indirekten materiellen Belohnungen halfen, etwaige Bedenken über die Legalität und Legitimität von Aufgaben zu zerstreuen. Hinzu kam noch der Effekt, dass etwa die Beraubung der lokalen Bevölkerung meist mit gewalttätigen Handlungen der Polizisten einherging. Dies war jedoch erneut nur möglich, da sich diese Handlungen im verhältnismäßig rechtsfreien osteuropäischen Raum ereigneten und als „minderwertig“ kategorisierte Menschen zu Opfern wurden. Während die Erleichterung des eigenen Alltags für die Polizeireservisten eine wichtige Motivationsgrundlage war, spielte die Option, Karrierechancen in der

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Polizei wahrzunehmen, als Belohnung nur eine untergeordnete Rolle. Anders gelagert war dies bei den Berufspolizisten. Dies war besonders dann der Fall, wenn sie zuvor an einer militärischen Karriere gescheitert waren. Vor allem Unterführer waren im Bataillon 61 bemüht, dienstlich aufzusteigen und sich auch Dienstposten für die Nachkriegszeit zu sichern. Die Offiziere der Dortmunder Polizeieinheit versuchten hingegen, sich auch für den Dienst in prestigeträchtigeren Verbänden zu qualifizieren, um so dem Reserve-Polizeibataillon als Karriereabstellgleis zu entkommen. In einer Einheit, in der es jedoch nicht möglich war, sich durch Führerqualitäten und taktisches Geschick als Offizier zu beweisen, musste dies ersatzweise durch rabiates, regimekonformes Verhalten erfolgen. Um dadurch jedoch den Zugang zu Karrieremöglichkeiten zu erhalten, benötigten auch Führer ein Vertrauensverhältnis zu ihren Vorgesetzten. Diese mussten das gewalttätige Verhalten als positives Element in dienstliche Beurteilungen aufnehmen und umdeuten. Hierdurch wurden Karrierechancen stark mitbestimmt. Im Besonderen Unterführer „tauschten“ aber auch das Kontrollieren von Polizisten im Sinne der Kompaniechefs gegen berufliche Förderung ein. In gleicher Weise patronierte auch der Bataillonskommandeur seine Hauptleute. Das NS-Regime erkannte in solch einer umfangreichen Unterstützung aber durchaus ein potenzielles Problem, wenn völlig unfähige Personen gefördert wurden. Die „Entprofessionalisierung des Offiziers“,16 wie sie sich in der Wehrmacht zum Kriegsende immer stärker abzeichnete, war in der Ordnungspolizei durch ihr unzulängliches Personal schon deutlich eher präsent. So konnte dort willfähriges Verhalten auf Dauer nicht unbegrenzt mit Karriereschritten belohnt werden, da dies ansonsten die Organisation lahmgelegt hätte. Entsprechend bestanden gewisse Barrieren. So fiel beispielsweise Brunst durch die Aufnahmeprüfung zu einem Offizierslehrgang, zu dem er nur durch die Empfehlung des Chefs der 1. Kompanie gekommen war. Der Offizier selbst war wiederum trotz bester Kontakte und einer langjährigen Zugehörigkeit zur NSDAP bis 1942 nur zum Hauptmann aufgestiegen. Für Karrierewege außerhalb des Bataillons 61 zeigten sich also trotz Patronage durchaus Hürden. Einheitsintern funktionierte die Karriereförderung als Belohnungsmechanismus jedoch problemlos. Dies lag nicht zuletzt darin begründet, dass die Aufgaben des Bataillons 61 kein besonders qualifiziertes Personal voraussetzten. Letztlich kamen so auch Reservisten zu Karrierechancen, auf die sie nicht intensiv hinarbeiteten. Dennoch steigerte dies auch die Kooperationsbereitschaft der Bataillonsangehörigen. Ein höherer Dienstrang bedeutete für jeden Akteur, dass sich die eigene Lebenssituation in der Militäreinheit angenehmer gestaltete, und war stets mit mehr Privilegien verbunden. Außerdem konnte man durch Beförderungen in der Heimat aufzeigen, dass

16 Wolfgang Petter, Militärische Massengesellschaft und Entprofessionalisierung des Offiziers. In: Volkmann/Müller (Hg.), Die Wehrmacht, S. 359–370.

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man soldatischen Ansprüchen genügte. Durch die Geheimhaltung nach außen musste die Heimatbevölkerung davon ausgehen, dass Beförderungen aufgrund von Leistungen erfolgten und nicht im Tausch für die Gewaltbereitschaft gegen Zivilisten ausgesprochen wurden. Somit ging ein neuer Dienstrang in der militarisierten deutschen Gesellschaft mit einem erhöhten Sozialprestige einher. Der Schlüssel, um dies zu erreichen, war in Anbetracht der mangelnden Fähigkeiten der Polizisten erneut eine funktionierende Vertrauensbeziehung zu ihren Vorgesetzten. Diese tauschten die Erfüllung ihrer nicht formalisierbaren Erwartungen gegen Patronage ein. Offensichtlich konnte man durch die Erfüllung opportunistischer Wünsche der einfachen Polizisten deren nicht sonderlich weitgehende ideologische Bereitschaft zur Gewaltausübung überbrücken. Hauptsächlich trug dies bei den eher schlecht ausgebildeten Reservisten des Bataillons 61 dazu bei, dass sie in großer Zahl bereitwillig an drastischen Gewalthandlungen teilnahmen. Teilweise praktizierten sie diese auch in Gänze eigenständig und in weit vorauseilendem Gehorsam. In der Führungsebene der einzelnen Kompanien herrschten, anders als bei ihren Untergebenen, hingegen tatsächlich verstärkt rassistische und antisemitische Gründe vor, Gewalt nicht nur zu dulden, sondern zu fördern. Die Offiziere waren weltanschauliche Kämpfer, die von der Notwendigkeit der Beseitigung von Teilen der osteuropäischen und vor allem vermeintlich jüdischen Bevölkerung überzeugt waren. Für die Polizisten im Mannschaftsdienstgrad war eben dies eher ein Nebeneffekt ihrer opportunistischen Verhaltensweisen. Relevanter als genuin nationalsozialistische Denkmuster war für sie die Möglichkeit, sich zu beweisen und zu bereichern, sowie der Reiz, über Leben und Tod bestimmen zu können. Die Gründe der einzelnen Polizisten, schwerste Verbrechen zu begehen, resultierte dabei jeweils aus verschiedenen, miteinander verschränkten Faktoren. Die Vermengung der situativen Grundlagen, persönlicher Dispositionen und motivationaler Einflussfaktoren schuf das „tödliche Amalgam“ des Nationalsozialismus. Die exakte Zusammensetzung war jedoch bei jedem Akteur im Bataillon 61 individuell. Durch die Einbettung der Akteure in die gierige Organisation der Dortmunder Polizeieinheit wurden unterschiedliche Handlungsrationale gebündelt und schließlich ein Konsens zur Gewaltausübung geschaffen. Das wichtigste Mittel hierzu war der informelle Tausch. Ein Entgegenkommen wurde stets gegen ein anderes eingelöst bzw. ein solches wurde für die Zukunft antizipiert. Dass dies möglich war, basierte primär auf dem Vertrauen der Organisationsmitglieder zueinander. Nur wenn beide Seiten davon ausgehen konnten, dass Versprechen, also etwa keine Strafen bei Gewaltakten auszusprechen und im Gegenzug für rechtlich nicht gesicherte Aufgaben gehorsam zu sein, eingehalten wurden, funktionierte der Tausch. Dies erzeugte für alle Seiten Planungssicherheit, die vor allem für Prozesse galt, die sich im nicht formalisierbaren Rahmen abspielten. Die Etablierung und der Ausbau dazu nötiger Vertrauensnetzwerke bedingte dabei auch die Entstehung tiefgehender Loyalitätsnetzwerke, in denen sich die Akteure als Kom-

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plizen verstärkt aneinanderbanden. Bei aller Wirkmächtigkeit der informellen Ebene darf nicht übersehen werden, dass die offizielle Ordnung der Polizeieinheit weiterhin bestand. Sie sorgte dafür, und hieraus erwächst ihre Relevanz für die Untersuchung des Bataillons 61, dass die Organisation nicht an unendlich vielen Konflikten und Unsicherheiten ihre Effektivität einbüßte. Die schwerpunktmäßig inoffiziell bestehenden Einflussstrukturen bedingten hingegen die Anpassungsfähigkeit der Polizeieinheit an die von außen an sie gestellten Anforderungen, die teilweise nie offiziell formuliert wurden. So erhielt auch das Bataillon 61 nie einen schriftlichen Vernichtungsbefehl.17 Insgesamt zeigte sich die Wirkung von direktem Antisemitismus in der Polizeieinheit als eher gering. Die in der deutschen Gesellschaft der Kriegsjahre präsente judenfeindlich imprägnierte Kultur hatte jedoch sicherlich einen Einfluss auf die Grundhaltung der Polizisten gegenüber ihren Opfern. Gleiches galt u. a. Vorzeichen auch für die vermeintlich „slavische“ Bevölkerung Osteuropas. Antisemitismus und Rassismus waren hauptsächlich als Elemente der Opferidentifizierung und -klassifizierung wirksam. Für die tatsächlichen lokalen Gewaltdynamiken waren sie aber eher opportunistischen Faktoren untergeordnet. Die hier am Beispiel des Bataillons 61 erarbeiten Erkenntnisse zur Gewaltproduktion sind teilweise übertragbar auf ähnlich strukturierte Einheiten. Oftmals erlaubt es die Überlieferungsdichte jedoch nicht, Polizeibataillone oder verwandte Einheiten einer tiefgehenden Analyse zu unterziehen. Dennoch existierten auch in solchen Einheiten Strukturelemente, die mit der hier untersuchten Polizeieinheit übereinstimmten. So stellten etwa Militäreinheiten im Einsatz generell den jeweiligen Ort der Lebenswirklichkeit ihrer Akteure dar. Ebenso geht die aktuelle soziologische Forschung davon aus, dass sich insbesondere im informellen Bereich Organisationen stets ähnlich ausdifferenzieren. Zu beachten gilt es jedoch, dass jede Einheit über unterschiedliches Personal verfügte, das logischerweise aufgrund seiner Eigenheiten und Sozialisation höchst unterschiedlich handelte. Außerdem waren die Einheiten nicht unbedingt mit den Einsatzsituationen des Bataillons 61 konfrontiert. Grundsätzlich am Beispiel der Dortmunder Polizeieinheit erarbeitete Prinzipien sind jedoch darüber hinaus wirkmächtig. Gerade die ähnlichen Verhaltens- und Handlungsweisen der verschiedenen Polizeibataillone weisen darauf hin. Außerdem zeigt dies auch auf, dass das Verhalten des Bataillons 61 nicht auf ein krankhaftes psychologisches Wesen seiner Akteure zurückzuführen ist. Nicht alle Männer, die in den deutschen Polizeieinheiten des Zweiten Weltkrieges eingesetzt waren, konnten letztlich psychisch gestört sein. 17 Ob es überhaupt jemals einen solchen Befehl durch Hitler gab, ist in der Forschung umstritten. Vgl. die Zusammenfassung der Debatte bei Ulrich von Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft, München 2001, S. 66–70. Diese Informalität ist dabei keineswegs nur als destruktiv oder als Anarchie zu deuten. Ohne Freiräume konnte es keine Effizienz geben. Die Informalität trug zur Umsetzung implizierter und explizierter Ziele gleichermaßen bei. Vgl. hierzu grundlegend Veronika Tacke, Formalität und Informalität. In: Groddeck/Wilz (Hg.), Formalität und Informalität in Organisationen, S. 37–92.

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Neben einer Untersuchung weiterer Einheiten wie dem Bataillon 61 wäre auch eine Erforschung von dessen Kooperationspartnern in Erwägung zu ziehen, um die hier vorgestellte Analyse weiter zu stützen. Bisher durch die Geschichtswissenschaft unbeantwortete Fragen, wie sich etwa die Zusammenarbeit zwischen uniformierter Polizei, dem SD, der Sicherheitspolizei und lokalen zivilen Stellen ausprägte, würden ein vertieftes Verständnis lokaler Gewaltdynamiken mit sich bringen. Ebenso wäre es relevant, genauer zu hinterfragen, welche unterstützende Rolle osteuropäische „Hilfswillige“ für die Gewalt der Dortmunder Polizeieinheit spielten und inwieweit diese auch mit der polnischen Polizei und weiteren lokalen Kollaborateuren zusammenwirkte. Gerade das zu untersuchende Verhalten der nicht deutschen Akteure könnte dabei besonders deutlich machen, wie sehr bei Gewaltanwendungen ideologische Überzeugungen hinter opportunistische Rationale zurücktreten konnten. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Kooperation mit Einheiten wie dem Bataillon 61 nicht immer völlig freiwillig geschah. Beispielsweise im Fall der osteuropäischen „Hilfswilligen“ ist zu bedenken, dass sie sich in einer deutlich anderen Matrix von Zwang und Freiwilligkeit bewegten, als es bei Polizisten des Dortmunder Polizeiverbandes der Fall war. So standen die „Hilfswilligen“ vor der Wahl, sich zum Dienst zu melden oder sich der Gefahr auszusetzen, in Kriegsgefangenschaft zu sterben. Ähnlich kompliziert dürfte auch die Lage des jüdischen Ordnungsdienstes im Warschauer Ghetto und der polnischen Polizei gewesen sein. So vielversprechend eine Einbindung dieser Akteursgruppen in die weitere Forschung zur Gewalt in Osteuropa wäre, so wird sie doch vor einem erheblichen Quellenproblem stehen. Während das Bataillon 61 umfangreiche archivalische Spuren hinterließ und auch nach dem Krieg Ermittlungen und Verhöre angestoßen wurden, ist dies bei den genannten Kooperationspartnern nicht der Fall.18 Was sich jedoch mit dem in der vorliegenden Studie entworfenen Ansatz untersuchen ließe, sind heutige Militäreinheiten und deren unregulierte Gewalt gegen Zivilisten. Hierin liegt auch die Gegenwartsrelevanz der vorliegenden Studie begründet. Sicher ist der Holocaust und allgemeiner die genozidale Gewalt in Osteuropa von 1939 bis 1945 als Phänomen singulär. Viele Struktu18 Zumindest zu den lettischen Polizeibataillonen in Weißrussland und Russland vgl. Aleksejs Litvins, Latviešu policijas bataljoni Baltkrievija 1941–1944. In: Andris Caune (Hg.), Latvija otraja pasaules kara. Starptautiskas konferences materiali 1999. gada 14.–15. junijs, Riga 2000, S. 252–265; Arūnas Bubnys, Lietuvių policijos 3(11)-asis batalionas. In: Genocidas ir rezistencija, 23 (2008) 1, S. 102–116; ders., Lietuvių policijos batalionai Pskovo srityje ir Kurše. 13-asis ir 10(256)-asis batalionai (1942–1945). In: Genocidas ir rezistencija, 15 (2001) 2, S. 31–43; Petras Stankeras, Litovskie policejskie batal’ony. 1941–1945 gg., Moskau 2009. Insbesondere für ihre Kooperation mit den deutschen Truppen vgl. Toomas Hiio, The relationship of the military and civilian authorities in Estonia during the German occupation of 1941–1944. In: James S. Corum/Olaf Mertelsmann/Kaarel Piirimäe (Hg.), The Second World War and the Baltic States, Frankfurt a. M. 2014, S. 273–306. Für den Einsatz von Luxemburgern im Polizeibataillon 101 vgl. Dostert, Luxemburger.

Fazit

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ren und Prozesse, die Gewalt gegen Nichtkombattanten während des Zweiten Weltkrieges bedingten, sind es jedoch nicht. Grundannahme dabei ist, dass die Mechanismen, die jenseits des spezifischen Menschenbildes und Indoktrination auf die Polizisten der Dortmunder Polizeieinheiten wirkten, noch heute in Militäreinheiten vorzufinden sind. So zeigten sich beispielsweise 2010 Soldaten der US-Armee in Afghanistan in ganz ähnlicher Form an Gewalt orientiert, wie es auch die Polizisten des Bataillons 61 waren. So führte das „Kill Team“19 um Staff Sergeant Calvin Gibbs Listen über ihre Tötungen und dokumentierte ihr Verhalten mit voyeuristischen Fotografien, die denen der untersuchten NS-Polizeieinheit in nichts nachstehen. Mit ihrem Verhalten stellen diese US-Soldaten in Afghanistan längst keinen historischen Einzelfall dar.20 Bei ihnen ebenso wie bei den Männern des Bataillons 61 kamen schlicht genug Faktoren zusammen, die sie die Hemmschwelle, gegen wehrlose Personen vorzugehen, übertreten ließen. Auch wenn von NS-Polizisten gern behauptet wurde, dass man an Gewalt „nur mit Widerstreben“21 teilnahm, war sie nicht aufoktroyiert, sondern ein zwangsfreies Konsensprojekt. An diesem beteiligten sich Bataillonsmitglieder mit durchaus weit auseinanderliegenden Motiven und Handlungsrationalen. Von besonderer Bedeutung war dabei der Opportunismus der einzelnen Männer, der ihre Indifferenzzone stark ausdehnte. So sollen bis zu 60 Prozent der untersuchten Polizisten auf die ein oder andere Weise zumindest zeitweise auch nach NS-Recht völlig illegale, eigenständige Gewalt ausgeübt haben. Auch wurde aber der harte Kern an ständig gewalttätigen Akteuren, der sich auf ca. 15 Prozent bemaß, dauerhaft durch fast alle Kameraden toleriert. Körner brachte es nach dem Krieg auf den Punkt, wenn er festhielt, es habe „Gleichgültigkeit“22 gegenüber den Opfern der Polizeieinheit geherrscht. Letztlich bedeutete der Dienst in der gierigen waffentragenden ­Organisation Polizei für viele ihrer Mitglieder schlicht „gut zu leben und nur hin und wieder einige umzulegen“.23

19 Seymour Hersh, The „Kill Team“ Photographs. In: The New Yorker online vom 22.3.2011 (http://www.newyorker.com/online/blogs/newsdesk/2011/03/the-kill-team-photographs. html; 25.8.2020). 20 Vgl. Daniel Bates/Mark Duell, „Death Squad“: Full horror emerges of how rogue U.S. brigade murdered and mutilated innocent Afghan civilians and kept their body parts as trophies. In: Daily Mail online vom 23.11.2011 (http://www.dailymail.co.uk/news/article1370758/Shocking-video-shows-U-S-troops-cheering-airstrike-blows-Afghan-civilians. html?ITO=1490; 25.8.2020). 21 Aussage Heinrich Lorey vom 27.10.1952 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487, Bl. 51r). 22 Aussage Ewald Körner vom 12.11.59 (LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202, Bl. 17). Für die Anteile an Akteuren, die eigenständige Gewalt ausübten bzw. die diese akzeptierten, vgl. Aussage Josef Fiegel vom 17.12.1951 (LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486, Bl. 185r) und Aussage Anton Sippel vom 19.11.1951 (ebd., Bl. 104r). 23 Aussage Ernst Zapp vom 14.12.1964 (StAHH 213-12-70 Nr. 36, Bl. 16531).

Karte 1: Einsatzorte Polen 1939–1940

VII. Anhang

1. Karten

586

Anhang

Legende zu Karte 1: Einsatzorte Polen 1939–1940 1 Schwiebus / Świebodzin 2 Neu Bentschen / Zbąszynek 3 Punitz / Poniec 4 Fraustadt / Wschowa 5 Lissa / Leszno 6 Solatsch / Sołacz 7 Posen / Poznań 8 Kosten / Kościan 9 Samter / Szamotuły 10 Friedrichsgratz / Grodziec 11 Hohensalza / Inowrocław 12 Kalisch / Kalisz 13 Brodnika / Brodnica 14 Moschin / Mosina 15 Waldhof / Wierzonka 16 Terostowko / Turostówko 17 Steszewice / Stęszewice 18 Schwersenz / Swarzędz 19 Gostin / Gostyn / Gostyń 20 Wreschen / Września 21 Kostschin / Kostrzyn 22 Stenchewo / Stęszew 23 Schroda / Środa

24 Lassek / Lasek 25 Wilda 26 Dabrowka / Dąbrówka 27 Gnesen / Gniezno 28 Piekar / Piekary 29 Klötzen / Kletzko /Kłecko 30 Gulten / Gułtowy 31 Otterwalde / Otorowo 32 Wanenfeld / Dopiewo 33 Chocz 34 Jarotschin / Jarocin 35 Tiefenbach / Książ 36 Kurnik / Kornik 37 Schrimm / Śrem 38 Truppenübungsplatz Warthelager 39 Kublitz / Kobylnica 40 Bythin / Bytyń 41 Oberau / Zbrudzewo 42 Konin 43 Leslau / Włocławek 44 Grzywno 45 Ostrowo / Ostrów 46 Lond / Ląd

Karten

Karte 2: Einsatzorte Polen 1941–1942 1 Tschenstochau / Częstochowa 2 Tomaszów Mazowiecki 3 Piotrków Trybunalski / Petrikau 4 Radomsko 5 Warschau / Warszawa

587

588

Anhang

Karte 3: Einsatzorte Russland 1942–1944 (nördlicher Ausschnitt)

Karten

Karte 4: Einsatzorte Russland 1942–1944 (mittlerer Ausschnitt)

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Karte 5: Einsatzorte Russland 1942–1944 (südlicher Ausschnitt)

590 Anhang

591

Karten Übersicht zu den Karten 3–5: Einsatzorte Russland 1942–1944 1 2 3 4

Swatkowo / Svatkovo / Сватково Rajkowo / Raykovo / Райково Oßmino / Os’mino / Осьмино Kossegory / Krasnye Gory / Красные Горы 5 Balt. Flot / Baltiyets / Балтиец 6 Dolgowka / Dolgovka / Долговка 7 Polkowo / Polkovo / Пёлково 8 Stretschno See / Ozero Strechino / озеро Стречино 9 Sheltzy / Zhel’tsy /Жельцы 10 Luga / Луга 11 Pustoschka / Pustoshka /  Пустошка 12 Gorodets / Городец 13 Filimonova / Filimonova Gorka /  Филимонова Горка 14 Pljussa / Plyussa / Плюсса 15 Miljutino 16 Chredino / Khredino / Хредино 17 Strugi Krasnyje / Струги Красные 18 Jablonez 19 Kirikowo 20 Sapolje / Zapol’ye /Заполье 21 Roschelewo 22 Gorki 23 Lytschne 24 Podol 25 Wyssokowo 26 Knyazhitsy / Княжицы 27 Sossedno / Sosedno / Соседно 28 Welikoje Pole 29 Novoseljje Novosel’ye / Новоселье 30 Pog.Gora 31 Podloshje 32 Pleskau / Pskow / Псков 33 Ostrowo Ostrow / Остров 34 Ostrowo See / Gorokhovoye Ozero / Гороховое озеро 35 Woronzowo 36 Ssorot Fluss / Reka Sorot’ 37 Noworshew / Новоржев 38 Kudewer / Kudever’ / Кудеверь 39 Bolgotowo

40 Boriskovo / Борисково 41 Monino / Монино 42 Tscherstch / Chertezh / Чертеж 43 Skokowo / Skokowa 44 Schukowo / Shchukino / Щукино 45 Djatschki 46 Chanewo 47 Melenka / Меленка 48 Melechowa / Melnewo 49 Glubokoje 50 Swony / Zvony / Звоны 51 Griwy / Grivy / Гривы 52 Opotschka / Опочка 53 Krassony / Krassnyj / Krasnoj 54 Malagina 55 Aleksandrowo / Aleksandrovo /  Александрово 56 Mosuly / Mozuli /Мозули 57 Kopina 58 Sloboda 59 Brod 60 Jantschew 61 Lipiza / Lipitsa / Липица 62 Koshanowa / Koshanova 63 Wynskoje 64 Jaswizy 65 Narotowo 66 Shewloki / Zhevlaki / Жевлаки 67 Kossegory 68 Sujewo 69 Sujewa 70 Jesseniki 71 Laschutino / Lashutino /  Лашутино 72 Sujkowo / Zuykovo / Зуйково 73 Slubokoje 74 Alolja / Alol’ / Алоль 75 Pustoschka / Пустошка 76 Dolostsy / Долосцы 77 Idriza / Idritsa / Идрица 78 Beloje-See / Ozero Beloe / озеро Белоe 79 Sawaruika 80 Dubrowka / Dubrovka / Дубровка

592

Anhang

81 Sebesch / Sebesh / Себеж 82 Straße Rudnja-Doloszy 83 Lissno See / Lisna / Лісна 84 Belae See / Beloye Ozero / возера Белае 85 Ossweja See / Aswejasee / возера Асвейскае 86 Rossono / Расона 87 Roshonowo 88 Neschtscherdo See /Neshcherdo /  Нешчарда 89 Pustoschka / Pustoshka / Пустошка 90 Alexandrowo / Alexandrovo 91 Swiblo See / Ozero Sviblo /озеро Свибло

92 Wanki 93 Starizy 94 Waschenia 95 Newero See / Ozero Nevedro /  озеро Неведро 96 Sheglovo / Shalakhovo /  Шалахово 97 Gusino See / Ozero Gusino /  озеро Гусино 98 Jassno See / Ozero Yazno / озеро Язно 99 Newel / Невель 100 Poloz / Polazk / Полацк 101 Wodobeg / Vodobeg / Водобег

2. Abkürzungsverzeichnis I./9. o. I-9 Ia Ib Ic a. D. A.K. AAN Abt. AIPN APP APW AŻIH BA BA-K Batl. BDC BdO Befh. betr. BGB BGH BHdOP BHStA BRD brit. BStU CO DDR DLRG Do DoZS dt. E.K.A. EK I/II E-Meldung ESB EStA FAZ Feldg.Abt.

I. Bataillon im 9. Polizeiregiment (zugleich Polizeibataillon 61) Erster Stabsoffizier Quartiermeister (Logistik, Verwundeten- und Versorgungsdienste) Dritter Generalstabsoffizier (Feindlage, Abwehr und Nachrichtenwesen) außer Dienst Armeekorps Archiwum Akt Nowych w Warszawie (Warschauer Archiv für neuere Akten) Abteilung Archiwum Instytut Pamięci Narodowej (Archiv des Instituts für nationale Erinnerung) Archiwum Państwowe w Poznaniu (Staatsarchiv Posen) Archiwum Państwowe w Warszawie (Staatsarchiv Warschau) Archiwum Żydowski Instytut Historyczny (Archiv des Jüdischen Historischen Instituts Warschau) Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Koblenz Bataillon Berlin Document Center Befehlshaber der Ordnungspolizei Befehlshaber betreffend Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Befehlshaber der Ordnungspolizei Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Bundesrepublik Deutschland britisch Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Commanding Officers Deutsche Demokratische Republik Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft Dortmund Dortmund Zentralstelle deutsch Einwohnerkampfabteilung Eisernes Kreuz 1./2. Klasse Einwohner-Meldung Estnisches Schutzmannschafts-Bataillon Erster Staatsanwalt Frankfurter Allgemeine Zeitung Feldgendarmerieabteilung

594 geb. Gen. Gen.Kdr. Gend. Genst. d. H. Gestapo GFH GFP GG HSSPF I. K. D. i. V. IPN IZP Jan. JDC Jg. K.-Sta. KdO Kdr. General d. Sich. Truppen KdS kg KG KK km KPLSt. KriPo KTB KVK I/II KZ LAS LAV Lkw Ltn.d.Sch. LVVA m MfS MG Min.Dir. Min.Rat. MS MStGB NCO

Anhang geboren General Generalkommandantur Gendarmerie Generalstab des Heeres Geheime Staatspolizei Ghetto Fighters House Geheime Feldpolizei Generalgouvernement Höherer SS- und Polizeiführer Kriminal Direktion [Warschau] Tagebuchnummer I in Vertretung Instytut Pamięci Narodowej (Institut für Nationales Gedenken) Instytut Zachodni w Poznaniu (Archiv des West-Instituts Posen) Januar Jewish Joint Distribution Committee Jahrgang Kraftfahrstaffel Kommandant der Ordnungspolizei Kommandierender General der Sicherungstruppen Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes Kilogramm Kampfgruppe Kriminalkommissar Kilometer Kriminalpolizeileitstelle Kriminalpolizei Kriegstagebuch Kriegsverdienstkreuz 1./2. Klasse Konzentrationslager Landesarchiv des Saarlands Landesarchiv Lastkraftwagen Leutnant der Schutzpolizei Latvijas Valsts vēstures arhīvs (Historisches Staatsarchiv Lettlands) Meter Ministerium für Staatssicherheit Maschinengewehr Ministerialdirektor Ministerialrat Münster Militärstrafgesetzbuch Non Commissioned Officer

Abkürzungsverzeichnis NLA Nov. NRW NS NSDAP NSFK NSKK NSV Offz.Korps OKW Oltn.d.Sch. OrPo OStA PAK PDV Pol. Reg Pol.-Batl. poln. Pol-Rgt. PS PV Reg.Präs. Res.-Pol.Komp. RFSS RGBl RI RMBliV RPB RSHA RStGB S.-Tgb. SA San.Stelle SB SBZ SD Sept. Sich.-Div. SiPo SO SPD SS SSPF StA StAHH Stellv. Gen.Kdr. StR TNAL

Niedersächsisches Landesarchiv November Nordrheinwestfalen nationalsozialistisch, Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistisches Fliegerkorps Nationalsozialistisches Kraftfahrer Korps Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Offizierskorps Oberkommando der Wehrmacht Oberleutnant der Schutzpolizei Ordnungspolizei Oberstaatsanwalt, Oberstaatsanwaltschaft Panzerabwehrkanone Polizeidienstvorschrift Polizeiregiment Polizeibataillon polnisch Polizeiregiment Mitglied des Polizeisonderdienstes Polizeiverwaltung Regierungspräsident Reserve-Polizeikompanie Reichsführer SS Reichsgesetzblatt Reichsinnenministerium/Reichsministerium des Innern Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung Reserve-Polizeibataillon Reichssicherheitshauptamt Reichsstrafgesetzbuch Schutzpolizei-Tagebuch Sturmabteilung Sanitätsstelle Sammelbegriff Sowjetische Besatzungszone Sicherheitsdienst, Sicherungs-Division September Sicherungs-Division Sicherheitspolizei Südost Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel SS- und Polizeiführer Staatsanwaltschaft Staatsarchiv Hamburg Stellvertretende Generalkommandantur Strafsenat des Bundesgerichtshofs The National Archives London

595

596 uk US(A) UdSSR USHMM VfZ V-Mann Vorb.Lhg. VPS VtH WAZ WL YVA z. b. V. z. H. z. Zt. ŻIH

Anhang unabkömmlich United States (of America) Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United States Holocaust Memorial Museum Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Vertrauensmann Vorbereitungslehrgang Verstärkter Polizeischutz Geschichtsort Villa ten Hompel Münster Westdeutsche Allgemeine Zeitung Wiener Libery Yad Vashem Archive zur besonderen Verwendung zu Händen zur Zeit Żydowski Instytut Historyczny (Jüdisches Historisches Institut)

3. Quellenverzeichnis 3.1

Archivalische Quellen (national)

Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin (AIFZ) AIFZ, Bestand Zeugenschrifttum (ZS); AIFZ ZS 1616 Nr. 1; AIFZ, Bestand Reichsführer-SS (RF-SS); AIFZ, RF-SS, MA 333 Nr. 1; AIFZ, RF-SS, MA 313 Nr. 1; AIFZ, Dokumente aus polnischen Archiven; AIFZ, Dok., MA 708 Nr. 2; AIFZ, Gerichtsakten; AIFZ G 02.82 LG Hamburg Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BHStA) BHStA Spruchkammer München IV/2739; BHStA Spruchkammer München IV/2739, Karton 1906 Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) BStU Ministerium für Staatssicherheit Hauptabteilung IX Untersuchungsorgan; BStU MfS HA IX 2536; BStU MfS HA IX 21655; BStU MfS HA IX 22206; BStU MfS HA IX 22265; BStU MfS HA IX 22550; BStU Ministerium für Staatssicherheit Hauptabteilung IX/11 Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen; BStU MfS HA IX/11 23914; BStU MfS HA IX/11 21355; BStU MfS HA IX/11 AB 59; BStU MfS HA IX/11 AB 217; BStU MfS HA IX/11 AB 519; BStU MfS HA IX/11 AB 1051; BStU MfS HA IX/11 AB 1407; BStU MfS HA IX/11 ZM 884 A.10; BStU MfS HA IX/11 ZM 1641 A.2; BStU MfS HA IX/11 ZUV 64 Bd. 8; BStU MfS HA IX/11 ZUV 77 Bd. 14; BStU MfS HA IX ZUV 77 Bd. 32; BStU MfS HA IX/11 ZUV 77 Bd. 50; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 2; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 3; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 6; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 8; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 12; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 13; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 16; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 23; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 24; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 25; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 27; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 28; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 32; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 35; BStU MfS HA IX/11 ZUV 85 Bd. 38; BStU MfS HA IX/11 RHE V 17/65; BStU MfS HA IX/11 RHE 5/69 VRP Bd. 2; BStU MfS HA IX/11 RHE V 17/65 Bd. 8; BStU MfS HA IX/11 RHE V 17/65 Bd. 26; BStU MfS HA IX/11 RHE 102/70; BStU MfS HA IX/11 RHE 4/74 SU, Bd. 1a; BStU MfS HA IX/11 RHE 4/74 SU, Bd. 1b; BStU MfS HA IX/11 RHE 4/74 SU, Bd. 2a; BStU MfS HA IX/11 RHE 44/74 DDR BStU Ministerium für Staatssicherheit Hauptabteilung XX Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund BStU MfS HA XX 5590; BStU MfS HA XX 5398; ; BStU Ministerium für Staatssicherheit Zweigstelle Erfurt; BStU MfS Erfurt AOP 1093/77 BStU Ministerium für Staatssicherheit Zweigstelle Magdeburg MfS Magdeburg Ast. 1184/48 Brandenburgisches Landes Hauptarchiv (BLHA) BLHA Rep. Nr. 161; BLHA Rep. Nr. 161, ZA VI 0674, A.01; BLHA Rep. Nr. 161, ZA VI 0674, A.02; BLHA Rep. Nr. 161, ZB 0275, A.14

598

Anhang

Bundesarchiv Berlin (BA) BA NS 3 SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt; BA NS 3 Nr. 1080; ; BA NS 7 SSund Polizeigerichtsbarkeit; BA NS 7 Nr. 2; BA NS 7 Nr. 3; BA NS 7 Nr. 4; BA NS 7 Nr. 5; BA NS 7 Nr. 6; BA NS 7 Nr. 7; BA NS 7 Nr. 1181; ; BA NS 19 Persönlicher Stab Reichsführer-SSBA NS 19 Nr. 218; BA NS 19 Nr. 1432; ; BA R 19 Hauptamt Ordnungspolizei; BA R 19 Nr. 5f; BA R 19 Nr. 11 BA R 19 Nr. 16; BA R 19 Nr. 72; BA R 19 Nr. 97; BA R 19 Nr. 102; BA R 19 Nr. 106; BA R 19 Nr. 144; BA R 19 Nr. 210; BA R 19 Nr. 244; BA R 19 Nr. 266; BA R 19 Nr. 280; BA R 19 Nr. 281; BA R 19 Nr. 282; BA R 19 Nr. 283; BA R 19 Nr. 304; BA R 19 Nr. 305; BA R 19 Nr. 306; BA R 19 Nr. 311; BA R 19 Nr. 312; BA R 19 Nr. 318; BA R 19 Nr. 319; BA R 19 Nr. 324; BA R 19 Nr. 329; BA R 19 Nr. 334; BA R 19 Nr. 336; BA R 19 Nr. 360; BA R 19 Nr. 361; BA R 19 Nr. 379; BA R 19 Nr. 380; BA R 19 Nr. 381; BA R 19 Nr. 382; BA R 19 Nr. 394; BA R 19 Nr. 395; BA R 19 Nr. 405; BA R 19 Nr. 420; BA R 19 Nr. 442; BA R 19 Nr. 461; BA R 19 Nr. 803; BA R 19 Nr. 954; BA R 19 Nr. 2220; BA R 19 Nr. 2407; BA R 19 Nr. 2551; BA R 19 Nr. 2755; BA R 19 Nr. 3733 BA R 20 Truppen und Schulen der Ordnungspolizei / Chef der Bandenkampfverbände; BA R 20 Nr. 45b; BA R 20 Nr. 49; BA R 20 Nr. 54; BA R 20 Nr. 70; BA R 20 Nr. 181 BA R 58 Reichssicherheitshauptamt; BA R 58 Nr. 276; BA R 58 Nr. 825 BA R 70 Deutsche Polizeidienststellen; BA R 70 Polen Nr. 1; BA R 70 Polen Nr. 198; BA R 70 Polen Nr. 201; BA R 70 Polen Nr. 363; BA R 70 Polen Nr. 347; BA R 70 Sowjetunion Nr. 49; BA R 70 Sowjetunion Nr. 50; BA R 70 Sowjetunion Nr. 150 BA R 75 Umwandererzentralstelle Posen; BA R 75 Nr. 2; BA R 75 Nr. 3; BA R 75 Nr. 3b; BA R 75 Nr. 6; BA R 75 Nr. 7; BA R 75 Nr. 14; BA R 75 Nr. 19; BA R 75 Nr. 20 BA R 1501 Reichsministerium des Innern; BA R 1501 Nr. 5629 BA R 601 Präsidialkanzlei; R 601 Nr. 2249; R 601 Nr. 2403; R 601 Nr. 2411; R 601 Nr. 2415; R 601 Nr. 2441; R 601 Nr. 2442 BA R 9355 Sammlung NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR; BA ZA I 7109 A.14; BA ZB I 894 A.12; BA ZB I 970 A.12; BA ZB I 1014 A.9; BA ZB I 1114 A.2; BA ZB I 1154 A.11; BA ZB I 1158 A.16; BA ZB I 1166 A.7; BA ZB I 1787; BA ZB I 4000; BA ZB I 1935; BA ZB I 3690; BA ZB II 822 A.2; BA ZM 886 A.3 BA R 9361 Sammlung Berlin Document Center; BA R 9361 OPG D 011; BA R 9361 OPG E 105; BA R 9361 PK I 37; BA R 9361 PK I 258; BA R 9361 PK I 335; BA R 9361 PK B 248; BA R 9361 PK D 304; BA R 9361 PK E 119; BA R 9361 PK F 143; BA R 9361 PK G 402; BA R 9361 PK J 184; BA R 9361 PK M 47; BA R 9361 RS A 42; BA R 9361 RS A 72; BA R 9361 RS A 250; BA R 9361 RS A

Quellenverzeichnis

599

5165; BA R 9361 RS A 5383; BA R 9361 RS A 5431; BA R 9361 RS B 417; BA R 9361 RS C 5243; BA R 9361 RS D 258; BA R 9361 RS D 264; BA R 9361 RS D 5140; BA R 9361 RS D 5427; BA R 9361 RS E 235; BA R 9361 RS E 340; BA R 9361 SM/SS 1; BA R 9361 SM/SS 51; BA R 9361 SM/SS 284; BA R 9361 SSO 5; BA R 9361 SSO 12; BA R 9361 SSO 102; BA R 9361 SSO 138; BA R 9361 SSO 147; BA R 9361 SSO 150; BA R 9361 SSO 206; BA R 9361 SSO 211; BA R 9361 SSO 213; BA R 9361 SSO 266; BA R 9361 SSO 305; BA R 9361 SSO 352; BA R 9361 SSO 380 Bundesarchiv Koblenz (BA-K) B 305 Zentrale Rechtsschutzstelle des Deutschen Rotes Kreuzes; B 305 Nr. 34099 Z 42 Spruchgerichte in der Britischen Zone; Z 42 III 1569 Bundesarchiv Ludwigsburg (BA-L) B 162 Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen BA-L B 162 Nr. 19314; BA-L B 162 Nr. 19315; BA-L B 162 Nr. 19318; BA-L B 162 Nr. 19319; BA-L B 162 Nr. 19320; BA-L B 162 Nr. 27784 Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BA-MA) BA-MA MSG 2 Selbst- und Alltagszeugnisse von Militärangehörigen sowie Sachdarstellungen zur deutschen Militärgeschichte; BA-MA MSG 2 Nr. 14130 Handakte Dr. Richard Westkott; BA-MA MSG 2 Nr. 5322 Nachlass Reinert BA-MA N 13 Nachlass Oetting, Hans; BA-MA N 13 Nr. 5 BA-MA N 153 Nachlass Roques, Franz von; N 153 Nr. 32 BA-MA N 756 Nachlass Vopersal, Wolfgang; BA-MA N 756 Nr. 36b; BA-MA N 756 Nr. 48b; BA-MA N 756 Nr. 226b; ; BA-MA RH 7 OKH/Heerespersonalamt RH 7 Nr. 1721 BA-MA RH 19-II Oberkommando der Heeresgruppe Nord, Heeresgruppe B, Heeresgruppe Mitte ; BA-MA RH 19-II Nr. 178 BA-MA RH 20-16 Armeeoberkommando 16; BA-MA RH 20-16 Nr. 269; BA-MA RH 20-16 Nr. 270; BA-MA RH 20-16 Nr. 296; BA-MA RH 20-16 Nr. 367; BA-MA RH 20-16 Nr. 411k BA-MA RH 22 Befehlshaber rückwärtiger Heeresgebiete; BA-MA RH 22 Nr. 264; BA-MA RH 22 Nr. 265; BA-MA RH 22 Nr. 266; BA-MA RH 22 Nr. 267; BA-MA RH 22 Nr. 268 BA-MA RH 26-281 281. Sicherungs-Division / 281. Infanterie-Division; BA-MA RH 26-281 Nr. 7; BA-MA RH 26-281 Nr. 8; BA-MA RH 26-281 Nr. 9; BA-MA RH 26-281 Nr. 10; BA-MA RH 26-281 Nr. 11; BA-MA RH 26-281 Nr. 14; BA-MA RH 26-281 Nr. 15

600

Anhang

BA-MA RH 26-285 285. Sicherungs-Division / 285. Infanterie-Division; BA-MA RH 26-285 Nr. 9; BA-MA RH 26-285 Nr. 10; BA-MA RH 26-285 Nr. 11; BA-MA RH 26-285 Nr. 12; BA-MA RH 26-285 Nr. 13; BA-MA RH 26-285 Nr. 14; BA-MA RH 26-285 Nr. 15; BA-MA RH 26-285 Nr. 19; BA-MA RH 26-285 Nr. 32; BAMA RH 26-285 Nr. 33; BA-MA RH 26-285 Nr. 36; BA-MA RH 26-285 Nr. 37; BA-MA RH 26-285 Nr. 40; BA-MA RH 26-285 Nr. 42; BA-MA RH 26-285 Nr. 43; BA-MA RH 26-285 Nr. 44 Deutsche Hochschule der Polizei Münster (DHPol) DHPol PG 5.0 Nr. 32; DHPol 5.4 Nr. 55,2; DHPol 5.9.2 Nr. 1; DHPol 5.9.2 Nr. 8; DHPol 5.9.4 Nr. 5; DHPol 8.5.4 Nr. 26; DHPol 8.5.4 Nr. 39 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) GStA PK VI. HA, Nl. Daluege; GStA PK VI. HA, Nl. Daluege Nr. 40; GStA PK VI. HA, Nl. Daluege Nr. 106 Geschichtsort Villa ten Hompel Münster (VtH) VtH Ergänzungsdokumentation VtH ED Bomhard VtH Deposita; VtH Dep. Nr. 19 Krevert; VtH Dep. Nr. 36 Lankenau; VtH Dep. Nr. 40 Privatbesitz Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg (LAV BW, StA Fr) LAV BW, StA Fr RH 14; LAV BW, StA Fr RH 14 Nr. 28 Landesarchiv des Saarlands, Saarbrücken (LAS) LAS Befehlshaber der Ordnungspolizei im Wehrkreis XII (BHdOP); LAS BHdOP Nr. 21; LAS BHdOP Nr. 46 Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Duisburg (LAV NRW, R,) LAV NRW, R, NW 871 Justizministerium NRW Abteilung 4 LAV NRW, R, NW 871 Nr. 8963 LAV NRW, R, NW 1000 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Regierungsbezirk Düsseldorf LAV NRW, R, NW 1000-22534 LAV NRW, R, NW 1002 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Stadtkreis Düsseldorf LAV NRW, R, NW 1002-P-10020 LAV NRW, R, NW 1002-P-18353 LAV NRW, R, NW 1004 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Stadtkreis Duisburg LAV NRW, R, NW 1004-G41.A1-125 LAV NRW, R, NW 1005 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Stadtkreis Essen LAV NRW, R, NW 1005-G25-4841

Quellenverzeichnis

601

LAV NRW, R, NW 1017 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Stadtkreis Remscheid; LAV NRW, R, NW 1017-II-5901 LAV NRW, R, NW 1037 Der Sonderbeauftragte für die Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen LAV NRW, R, NW 1037-A.Reg-14951; LAV NRW, R, NW 1037-BI-6297; LAV NRW, R, NW 1037-BIV-3770; LAV NRW, R, NW 1037-BVI-712; LAV NRW, R, NW 1037-BVI-4105; LAV NRW, R, NW 1037-BVI-4957; LAV NRW, R, NW 1037BVI-6873 LAV NRW, R, NW 1038 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Regierungsbezirk Münster 1; LAV NRW, R, NW 1038-3116; LAV NRW, R, NW 1038-4193; LAV NRW, R, NW 1038-4356 LAV NRW, R, NW 1039 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Regierungsbezirk Münster 2; LAV NRW, R, NW 1039-B-836; LAV NRW, R, NW 1039-B-3030; LAV NRW, R, NW 1039-B-3790; LAV NRW, R, NW 1039-I-92; LAV NRW, R, NW 1039-J-458; LAV NRW, R, NW 1039-K-2976; LAV NRW, R, NW 1039-R2710; LAV NRW, R, NW 1039-S-1016; LAV NRW, R, NW 1039-S-1019; LAV NRW, R, NW 1039-S-1039; LAV NRW, R, NW 1039-U-68 LAV NRW, R, NW 1045 Entnazifizierungs-Hauptausschuss in Recklinghausen; LAV NRW, R, NW 1045-AD-1179; LAV NRW, R, NW 1045-AD-1275 LAV NRW, R, NW 1047 Entnazifizierungs-Berufungsausschuss in Gelsenkirchen und Bocholt; LAV NRW, R, NW 1047-1449 LAV NRW, R, NW 1066 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Landkreis Lemgo LAV NRW, R, NW 1066- 8162 LAV NRW, R, NW 1068 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Landkreis Minden LAV NRW, R, NW 1068-AD-1281 LAV NRW, R, NW 1091 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Regierungsbezirk Arnsberg in Hagen; LAV NRW, R, NW 1091-15213; LAV NRW, R, NW 109116981; LAV NRW, R, NW 1091-18343 LAV NRW, R, NW 1093 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Landkreis Arnsberg LAV NRW, R, NW 1093-V-455 LAV NRW, R, NW 1094 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Stadtkreis Bochum; LAV NRW, R, NW 1094-Polizei-447; LAV NRW, R, NW 1094-Polizei-1990; LAV NRW, R, NW 1094-Polizei-2002; LAV NRW, R, NW 1094-Polizei-2477 LAV NRW, R, NW 1097 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Stadtkreis Dortmund

602

Anhang

LAV NRW, R, NW 1097-4037; LAV NRW, R, NW 1097-9327; LAV NRW, R, NW 1097-9515; LAV NRW, R, NW 1097-13520; LAV NRW, R, NW 1097-17401; LAV NRW, R, NW 1097-20291; LAV NRW, R, NW 1097-21036; LAV NRW, R, NW 1097-25395; LAV NRW, R, NW 1097-25404; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-23; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-121; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-300; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-532; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-579; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-643; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-865; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-918; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1059; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1126; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1145; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1190; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1234; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1244; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1347; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1412; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1561; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1660; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1694; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-1867; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2035; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2065; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2380; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2387; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2410; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2461; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2481; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2526; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2581; LAV NRW, R, NW 1097-Polizei-2654 LAV NRW, R, NW 1099 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Stadtkreis Hagen LAV NRW, R, NW 1099-12119 LAV NRW, R, NW 1099-Econ 16-299 LAV NRW, R, NW 1101 Entnazifizierungs-Hauptausschuss bei dem Stadtkreis Hamm LAV NRW, R, NW 1101-278 LAV NRW, R, NW 1103 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Stadtkreis Iserlohn LAV NRW, R, NW 1103-994 LAV NRW, R, NW 1105 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Landkreis Lippstadt LAV NRW, R, NW 1105-2760 LAV NRW, R, NW 1107 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Stadtkreis Lünen LAV NRW, R, NW 1107-nicht kategorisiert-2412 LAV NRW, R, NW 1114 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Landkreis Unna LAV NRW, R, NW 1114-BG.42-291 LAV NRW, R, NW 1128 Entnazifizierungs-Hauptausschuss im Regierungsbezirk Arnsberg LAV NRW, R, NW 1128-02523 Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, Münster (LAV NRW, W) LAV NRW, W, K 702a Polizeipräsidium Dortmund, Sammlung Primavesi; LAV NRW, W, K 702a Nr. 14; LAV NRW, W, K 702a Nr. 45; LAV NRW, W, K 702a Nr. 60; LAV NRW, W, K 702a Nr. 103; LAV NRW, W, K 702a Nr. 104; LAV NRW, W, K 702a Nr. 105; LAV NRW, W, K 702a Nr. 126; LAV NRW, W, K

Quellenverzeichnis

603

702a Nr. 144; LAV NRW, W, K 702a Nr. 149; LAV NRW, W, K 702a Nr. 150; LAV NRW, W, K 702a Nr. 258; LAV NRW, W, K 702a Nr. 260; LAV NRW, W, K 702a Nr. 263; LAV NRW, W, K 702a Nr. 266; LAV NRW, W, K 702a Nr. 268; LAV NRW, W, K 702a Nr. 269; LAV NRW, W, K 702a Nr. 270; LAV NRW, W, K 702a Nr. 275; LAV NRW, W, K 702a Nr. 283; LAV NRW, W, K 702a Nr. 286; LAV NRW, W, K 702a Nr. 287; LAV NRW, W, K 702a Nr. 288; LAV NRW, W, K 702a Nr. 289; LAV NRW, W, K 702a Nr. 290; LAV NRW, W, K 702a Nr. 291; LAV NRW, W, K 702a Nr. 292; LAV NRW, W, K 702a Nr. 308; LAV NRW, W, K 702a Nr. 328; LAV NRW, W, K 702a Nr. 347; LAV NRW, W, K 702a Nr. 441; LAV NRW, W, K 702a Nr. 442 LAV NRW, W, Q 222 Staatsanwaltschaft Bochum LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Bd. 1; LAV NRW, W, Q 222 Nr. 9534 Bd. 2 LAV NRW, W, Q 223 Staatsanwaltschaft Dortmund LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1486; LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1487; LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1488; LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1489; LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1490; LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1491; LAV NRW, W, Q 223 Nr. 1492 LAV NRW, W, Q 225 Staatsanwaltschaft Münster LAV NRW, W, Q 225 Nr. 202; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 203; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 204; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 205; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 206; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 208; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 209; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 212; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 216; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 217; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 218; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 219; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 221; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 222; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 223; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 225; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 226; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 228; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 229; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 246; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 248; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 249; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 250; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 942; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 943; LAV NRW, W, Q 225 Nr. 944 LAV NRW, W, Q 234 Staatsanwaltschaft Dortmund Zentralstelle LAV NRW, W, Q 234 Nr. 124; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 125; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 126; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 127; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 128; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 129; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 195; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 1228; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 1380; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2259; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2260; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2261; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2263; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2275; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2276; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2282; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2283; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2284; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2286; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2296; LAV NRW, W, Q 234 Nr. 2297 LAV NRW, W, C 33 NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR LAV NRW, W, C 33 Findbuch

604

Anhang

LAV NRW, W, B 406 Regierung Arnsberg Polizei LAV NRW, W, B 406 Nr. 14950; LAV NRW, W, B 406 Nr. 15207; LAV NRW, W, B 406 Nr. 29428 LAV NRW, W, Polizeipräsidien LAV NRW, W, Polizeipräsidien Nr. 1431 Niedersächsisches Landesarchiv Hannover (NLA HA) NLA HA 122a NLA HA 122a Nr. 2630 NLA HA 87 NLA HA 87 Acc. 92/84 Nr. 161 Niedersächsisches Landesarchiv, Staatsarchiv Osnabrück (NLA OS) NLA OS 430 NLA OS Rep 430 Dez 201 Akz 16B ,65 Nr. 166 Bd. 3 Staatsarchiv Hamburg (StAHH) StAHH 213 NSG-Verfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg; StAHH 213-12-21 Nr. 38; StAHH 213-12-36 Nr. 5; StAHH 213-12-70 Nr. 2; StAHH 213-12-70 Nr. 3; StAHH 213-12-70 Nr. 4; StAHH 213-12-70 Nr. 5; StAHH 213-12-70 Nr. 6; StAHH 213-12-70 Nr. 7; StAHH 213-12-70 Nr. 8; StAHH 213-12-70 Nr. 10; StAHH 213-12-70 Nr. 11; StAHH 213-12-70 Nr. 12; StAHH 213-12-70 Nr. 13; StAHH 213-12-70 Nr. 14; StAHH 213-12-70 Nr. 16; StAHH 213-12-70 Nr. 17; StAHH 213-12-70 Nr. 18; StAHH 213-12-70 Nr. 19; StAHH 213-12-70 Nr. 20; StAHH 213-12-70 Nr. 21; StAHH 213-12-70 Nr. 22; StAHH 213-12-70 Nr. 23; StAHH 213-12-70 Nr. 26; StAHH 213-12-70 Nr. 27; StAHH 213-12-70 Nr. 28; StAHH 213-12-70 Nr. 29; StAHH 213-12-70 Nr. 30; StAHH 213-12-70 Nr. 31; StAHH 213-12-70 Nr. 32; StAHH 213-12-70 Nr. 33; StAHH 213-12-70 Nr. 37; StAHH 213-12-70 Nr. 38; StAHH 213-12-70 Nr. 39; StAHH 213-12-70 Nr. 40; StAHH 213-12-70 Nr. 44; StAHH 213-12-70 Nr. 45; StAHH 213-12-70 Nr. 46; StAHH 213-12-70 Nr. 47; StAHH 213-12-70 Nr. 49; StAHH 213-12-70 Nr. 50; StAHH 213-12-70 Nr. 52; StAHH 213-12-70 Nr. 58; StAHH 213-12-72 Nr. 34; StAHH 213-12-590 Nr. 2 3.2

Archivalische Quellen (international)

Archiwum Akt Nowych w Warszawie (AAN) AAN 1335; AAN 1335 Nr. 121; AAN 1335 Nr. 125 Archiwum Instytut Pamięci Narodowej (AIPN) AIPN BU 231; AIPN BU 231/3 Nr. 14 AIPN GK 171; AIPN GK 171 Nr. 11 AIPN GK 184; AIPN GK 184 Nr. 397

Quellenverzeichnis

605

AIPN PO 3; AIPN PO 3 Nr. 3 Archiwum Państwowe w Poznaniu (APP) APP 298 Chef der Zivilverwaltung beim Oberbefehlshaber im Militärbezirk Posen; APP 298 Nr. 2; APP 298 Nr. 9; APP 298 Nr. 17; APP 298 Nr. 24; APP 298 Nr. 31; APP 298 Nr. 32; APP 298 Nr. 33; APP 298 Nr. 37 APP 299 Reichsstatthalter im Reichsgau Wartheland-Posen APP 299 Nr. 3; APP 299 Nr. 802; APP 299 Nr. 1216; APP 299 Nr. 1233; APP 299 Nr. 1828 APP 455 Landratsamt Konin; APP 455 Nr. 36 APP 456 Landratsamt Kosten; APP 456 Nr. 19 APP 457 Landratsamt Krotoschin; APP 457 Nr. 24 APP 1008 Der Befehlshaber der Ordnungspolizei Posen; APP 1008 Nr. 1; APP 1008 Nr. 2; APP 1008 Nr. 3; APP 1008 Nr. 7 APP 1016 Gendarmerie Kreis Grätz; APP 1016 Nr. 4 APP 1025 Schutzpolizei im Warthegau; APP 1025 Nr. 4 APP 1026 Polizeipräsidium Posen; APP 1026 Nr. 40 APP 1235 Gendarmerie Kreis Schrimm; APP 1235 Nr. 58 APP 1238 Landratsamt Wollstein; APP 1238 Nr. 41 APP 4807 Sammlung Nawrocki; APP 4807 Nr. 190; APP 4807 Nr. 203; APP 4807 Nr. 212 Archiwum Państwowe w Warszawie (APW) APW 482 Urząd Szefa Okręgu Warszawskiego z lat 1939-1945; APW 482 Nr. 7; APW 482 Nr. 18; APW 482 Nr. 22; APW 482 Nr. 23; APW 482 Nr. 24; APW 482 Nr. 40; APW 482 Nr. 131; APW 482 Nr. 162 Archiwum Żydowski Instytut Historyczny (AŻIH) AŻIH 221; AŻIH 221 Nr. 1; AŻIH 221 Nr. 2; AŻIH 221 Nr. 3; AŻIH 221 Nr. 36; AŻIH 221 Nr. 42 AŻIH 233; AŻIH 233 Nr. 12; AŻIH 233 Nr. 36; AŻIH 233 Nr. 108; AŻIH 233 Nr. 111 AŻIH 241; AŻIH 241 Nr. 262; AŻIH 241 Nr. 264 AŻIH 245; AŻIH 245 Nr. 124; AŻIH 245 Nr. 131

606

Anhang

AŻIH 301; AŻIH 301 Nr. 259; AŻIH 301 Nr. 274; AŻIH 301 Nr. 1116; AŻIH 301 Nr. 1221; AŻIH 301 Nr. 1558; AŻIH 301 Nr. 1800; AŻIH 301 Nr. 2227; AŻIH 301 Nr. 3004; AŻIH 301 Nr. 3615; AŻIH 301 Nr. 3630; AŻIH 301 Nr. 4855 AŻIH Konspiracyjne Archiwum Getta Warszawy, Archiwum Ringelbluma I AŻIH ARG I Nr. 45; AŻIH ARG I Nr. 182; AŻIH ARG I Nr. 184; AŻIH ARG I Nr. 185; AŻIH ARG I Nr. 186; AŻIH ARG I Nr. 187; AŻIH ARG I Nr. 188; AŻIH ARG I Nr. 405; AŻIH ARG I Nr. 411; AŻIH ARG I Nr. 413; AŻIH ARG I Nr. 414; AŻIH ARG I Nr. 415; AŻIH ARG I Nr. 431; AŻIH ARG I Nr. 458; AŻIH ARG I Nr. 461; AŻIH ARG I Nr. 471; AŻIH ARG I Nr. 485; AŻIH ARG I Nr. 488; AŻIH ARG I Nr. 493; AŻIH ARG I Nr. 495; AŻIH ARG I Nr. 499; AŻIH ARG I Nr. 511a; AŻIH ARG I Nr. 511b; AŻIH ARG I Nr. 514; AŻIH ARG I Nr. 516; AŻIH ARG I Nr. 520; AŻIH ARG I Nr. 521; AŻIH ARG I Nr. 522; AŻIH ARG I Nr. 531; AŻIH ARG I Nr. 550; AŻIH ARG I Nr. 583; AŻIH ARG I Nr. 588; AŻIH ARG I Nr. 635; AŻIH ARG I Nr. 638; AŻIH ARG I Nr. 639; AŻIH ARG I Nr. 687; AŻIH ARG I Nr. 1450 AŻIH Konspiracyjne Archiwum Getta Warszawy, Archiwum Ringelbluma II AŻIH II Nr. 244; AŻIH II Nr. 251b; AŻIH II Nr. 252; AŻIH II Nr. 300; AŻIH II Nr. 301 Instytut Pamięci Narodowej (IPN) IPN laufende Ermittlungsverfahren; IPN S 30-12-Zn Bd. I; IPN S 30-12-Zn Bd. II Instytut Zachodni w Poznaniu (IZP) IZP Dokumente I; IZP Dok I Nr. 398; IZP Dok I Nr. 413; IZP Dok I Nr. 419; IZP Dok I Nr. 445; IZP Dok I Nr. 446; IZP Dok I Nr. 655; IZP Dok I Nr. 738; IZP Dok I Nr. 841; IZP Dok I Nr. 856; IZP Dok I Nr. 902 Itzhak Katzenelson Holocaust and Jewish Resistance Heritage Museum and Study Center, Israel – Ghetto Fighters House (GFH) GFH 1/06745p; GFH 15/07464P; GFH 15/07464P; GFH 68/07470P; GFH 22050/13067P Latvijas Valsts vēstures arhīvs, Riga (LVVA) LVVA P 83 SS- und Standortführer Libau; LVVA P 83-1 Nr. 80 The National Archives London (TNAL) TNAL HW 16 Government Code and Cypher School: German Police Section: Decrypts of German Police Communications during Second World War TNAL HW 16 Nr. 1; TNAL HW 16 Nr. 3; TNAL HW 16 Nr. 6; TNAL HW 16 Nr. 44; TNAL HW 16 Nr. 45 Vojenský historický archiv Praha (VHAP) VHAP 5; VHAP 5 Nr. 25 Wiener Library, London (WL) WL 067; WL 067 Nr. 1627

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Gedruckte Quellen

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Anhang

Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung, 1940. Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung, 1941. Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung, 1942. Adler, Stanisław: In the Warsaw Ghetto. 1940–1943, Jerusalem 1982. Albert: Unser Kampf gegen das Chaos. In: Die Deutsche Polizei, 9 (1941) 3, S. 38–41. Altrichter, Friedrich: Die kampfbereite Kompanie. Praktische Anleitung für die Gefechtsausbildung, 4. Auflage, Berlin 1940. Bader, Kurt: Aufbau und Gliederung der Ordnungspolizei, Berlin 1943. Baskind, Ber: La grande épouvante. Souvenirs d‘un rescapé du ghetto de Varsovie, Paris 1945. Baumann, Hans (Hg.): Morgen marschieren wir. Liederbuch der deutschen Soldaten, 2. Auflage, Berlin 1939. Bensen, Friedrich: Der Gehorsam des Beamten eine sittliche Pflicht. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 1 (1933) 8, S. 293 f. –: Polizei und Publikum. In: Der Deutsche Polizeibeamte, 2 (1934) 3, S. 86 f. Berg, Mary: The diary of Mary Berg. Growing up in the Warsaw Ghetto, Oxford 2007. Bergin, Ernst: Statistik des Selbstmords bei der Preußischen Polizei 1925–1937. In: Reichs- und Preußisches Ministerium des Innern (Hg.): Vorträge und Arbeiten aus dem Gebiet des Polizeisanitätswesens 1938, S. 180–194. Bergman, Eugene: Survival artist. A memoir of the Holocaust, Jefferson 2009. Best, Werner: Die Erneuerung des Polizeirechts. In: Kriminalistische Monatshefte, 12 (1938) 5, S. 26–29. –: Die deutsche Polizei, Darmstadt 1940. –: Großraumordnung und Großraumverwaltung. In: Zeitschrift für Politik, 32 (1942), S. 406–412. Blecher: Gedanken zur Erneuerung des Eisernen Kreuzes vor 25 Jahren. In: Soldatentum, 6 (1939) 1, S. 242–246. Boltze, Artur: Gefechtsübungen der Schützenkompanie. Eine Anleitung für ihre Anlage mit Beispielen und praktischen Hinweisen für die Ausbildung, Berlin 1940. Böttner, Hermann: Das grüne Bataillon. Ein Marschlied für die Deutsche Polizei. In: Die Deutsche Polizei, 8 (1940) 8, S. 121. Bourier: Die Ordnungspolizei auf dem Wege zur Einheit von SS und Polizei. In: Die Deutsche Polizei, 9 (1941) 18, S. 317 f. Brombach: Die strafrechtliche Bekämpfung des Tauschhandels. In: Die Deutsche Polizei, 10 (1942) 11, S. 167. Brösicke: Polizei und NSKK. Zusammenarbeit bei Verkehrskontrollen. Gemeinsamer Kampf gegen die Verkehrssünder. In: Polizeiarchiv, 15 (1936) 11, S. 296–298. Buchmann, Albert/Freitag, Fritz: Polizeitruppenführung im Rahmen des verstärkten Bataillons, Band 1: Formale Taktik, Lübeck 1942. Bundesarchiv/Institut für Zeitgeschichte/Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Freiburg (Hg.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Band 7: Besetzte sowjetische Gebiete unter deutscher Militärverwaltung, Baltikum und Transnistrien. Bearbeitet von Bert Hoppe und Hildrun Glass, München 2011. –: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Band 3: Deutsches Reich und Protektorat September 1939–September 1941. Bearbeitet von Andrea Löw, München 2012.

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5.

Personenverzeichnis

Seitenangaben mit Asteriskus beziehen sich auf Fußnoten. Ackermann, Rudolf Werner 97 f., 142, 247*, 251, 309, 380, 387, 493 Adamski, Stanislaus 219, 452* Adenauer, Konrad 69 Alberti, Michael 11 f. Albrecht, Alfred 97, 146*, 148*, 165, 170, 527 Alfs, Lore 504 Aly, Götz 541 Apfelfeld, Arnold 265 Arendt, Hannah 35 Arico, Massimo 23 Auerbach, Rachela 284, 293, 453 Auerswald, Heinz 21, 46, 248, 301, 325 Babiak, Zenon 227 Bach-Zelewski, Erich von dem 365–367, 377 Bakowski, Jan 218 Bard, Airem 289, 327 Bard, Aron 449 Bartholain (Reservist) 482*, 539, Bartov, Omer 444 Basner, Karl 123, 124*, 133, 204, 255 Baumkötter, Hans 113, 178, 183, 448 f., 481 Bayer, Franz 133, 143, 146–150, 152, 154*, 280*, 285–287, 288*, 297*, 305*, 387, 411–413, 420, 422, 461*, 474, 479, 486, 517* Bayer, Maria 147 Becker, Heinrich 206, 426, 533 Becker, Herbert Paul 172, 174* Behr, Rafael 33 Bein, Ernst 23* Berdychowski, Rudolf 154* Berger (Chef des SS-Ergänzungsamtes, Brigadeführer) 113*, 548* Berman, Adolf 329 Best, Werner 154, 469, 470* Beste, August 386* Birchler, Wilhelm 205

Birnfeld, Hanna 259 Bitzel, Uwe 20 Blaskowitz, Johannes 187, 230, 234, 236–238 Blösche, Josef 24*, 273 Bocheński, Stanislaw 227 Boczek (Polizist) 223 Böhler, Jochen 12, 221 Bomhard, Adolf von 45*, 69, 183*, 482, 546 Boris, Wilhelm 495 Borkowski, Ludwig Bronislaw 259, 274 Both, Kuno-Hans von 359 Brennscheidt (Oberwachtm. d. Sch. d. R.) 464 Brey (Dortmunder Oberstaatsanwalt) 416 Brodmann (Oberstabsarzt) 100 Bröker, Kurt 127*, 205, 214 Browning, Christopher 16, 20, 34, 418, 445, 547, 561 Brunst, Albert 138 Brunst, Christine 138 Brunst, Ernst 110, 137–141, 206, 213, 251*, 315 Brunst, Klara 138, 316 f. Buer, Wilhelm van 199, 203, 392 Bühler, Josef 246 Burkhard (Polizist der 3. Kompanie) 288, 528 Chwieja, Franz 390 Cölln/Coelln, Richard von 247, 310 Crozier, Michel 389 Cufer, Siegfried 133* Curilla, Wolfgang 23, 55 Czerniaków, Adam 299*, 327 Daluege, Kurt 167, 313*, 314, 348, 382*, 391, 394, 408, 418, 445 f., 466, 471, 479, 501 f., 509, 511, 513 f., 518, 546 f., 569

638 Dederky, Friedrich 59*, 87–89, 92, 105, 112, 121, 173, 179, 193–195, 199, 209, 211, 224, 232, 334*, 385, 407, 415 f., 427, 428*, 431 f., 440, 475, 497, 503, 526, 534 f., 549 f., 561 Delisch, Hans 132, 307, 412, 421, 430, 433, 438, 460, 471, 485, 488, 495, 554 Dittmann, Tobias 142, 425, 428, 445*, 500 Dławichowska, Maria 218 Dobrzanski, Henryk 168* Domagk, Gerhard 258* Donis, Friedrich 223 Donnewitz, Walter 212–215 Dörr (Hauptmann) 357 Dreisbach, Wilhelm 123, 206 Drywa, Anton 295, 442 Dudezak, Stefan 282 Dülffer, Jost 11, 12* Dziewicka, Wanda 325* Dziobczyński, Władysław 218 Eiber, Ludwig 16 Eichel Alon, Mordechai 276 Eichmann, Adolf 35 Einhorn, Chaim Szulim 331 Eisenberg, Miriam 261 Eisenstadt, Felix 332 Ejchels, Mietek 319, 324 Engelking, Barbara 13 Erner, Jurek 320 Falkenhausen, Alexander von 191*, 195* Färber, Uwe 23 Fenigstein, Henryk 449 Ferster (Wiener Stabsarzt) 100, 101* Fiebig, Wilhelm 134 Fiegel, Daniel 296 Fiegel, Josef 307 f., 423, 433, 484 Fietz, Friedrich 133, 255 f., 478 Figiel, Joseph 92*, 97, 142, 247, 490, 492 Fligelman, Daniel 284 f., 295, 311

Anhang Fockenbrock, Heinrich Bernhard 110–114, 119*, 124, 140 f., 178, 220, 222 f., 407 f., 497, 548 Fraenkel, Ernst 470 Frajmann, Wladek 294 Frank, Hans 209, 245 f., 315*, 471, 569 Frankenstein (Synonym Otto Helmer) 24*, 25, 150 f., 268*, 272 f., 274*, 277, 281 f., 283*, 284–288, 293–295, 299, 323 f., 327, 402, 412*, 466, 472 Frevert, Ute 32 Frick, Wilhelm 514 Gibbs, Calvin 583 Goebbels, Joseph 117, 120, 384, 408, 513 Goldhagen, Daniel Jonah 17, 20, 38, 520 Goldstein, Jan 331 Górny, Jechiel 295, 297*, 300 Gother (Wachtmeister) 468 Gottberg, Curt von 365 Grabarczyk, Zygmunt 200, 201* Greiser, Arthur 171 f., 180 Grimm (Oberwachtmeister) 255 Gruber, Alexander 24 Grünbaum, Adam 275, 285, 303* Grünheit, Albert 467 Grunwald, Wilhelm 285, 333, 495, 539 Gruszka, Benjamin 318 Gutmann, Israel 75 Hagemeier, Friedrich 100* Hagen (Unterscharführer) 324* Halder, Franz 168 Handelsman, Josef 274, 293* Harpe (Polizeiobermeister) 127 Heinrich, Paul 203 Helman, Ruth 329 Helmer, Otto 402 f., 406*, 412*, 413, 415, 419–421, 466, 472, 486 f., 527 f. Herlinghaus, Walter 309 Herbert, Ulrich 383 Hertz (Ordnungsdienstmann) 285

Personenverzeichnis Heuwinkel, Wilhelm 268, 276, 307, 312, 423, 428, 434, 435*, 467, 549 Heydrich, Reinhard 236, 440* Hilberg, Raul 35, 38, 60*, 82 Hill, Alexander 14 Himmler, Heinrich 69, 89, 91, 98, 108*, 128, 142, 144, 146, 163, 181, 191, 233, 236, 245 f., 248*, 265*, 277, 313 f., 391 f., 401, 419, 427, 436 f., 458, 466, 469, 485, 497*, 502, 509, 514, 518, 536, 546 f., 551*, 557, 563 Hindenburg, Paul von 116 Hitler, Adolf 106, 238, 336*, 363*, 464, 491*, 507, 520*, 546, 581* Hoffenberg, Sam Henry 263, 281 Hoffmann, Stefan 207 Hoffmann-Zlotnik, Erika 93 Höfle, Hermann Julius 327 Hofmann (General) 360 Holbank, Chaskiel 277, 327 Hollweg, Fritz 525 Hölzl, Martin 22 Horbach 254 Horn (Polizeireservist) 218 Howein, Bernhard 202* Huberband, Shimon/Szymon 278*, 471 Issel, Bernhard 202 Jacobmeyer, Wolfgang 177 Jaczynski, Edmund 227 Jaczynski, Leon 227* Janczak, Michael 133, 255 f., 490 Jankowsky, Kalmann 327* Jarus, Janina 200 Jatho, Johann Nikolaus 390* Jeckeln, Friedrich 365, 376*, 378 Jerzy, Stefan 293 Junker, Ludwig 266, 291, 422, 428, 462, 467, 485, 495, 553 Kaczmarek, Jan 190, 217 Kaczynska, Edmund 228 Kaczynska, Emilia 228 Kaczyński, Leon 229 Kagan, Diana 330

639

Kaperska, Klara 325* Kärgel, Hans Georg Erich 15*, 80, 81*, 85, 110, 115*, 116–122, 124, 128*, 141, 186*, 193, 204, 297 f.*, 379, 384, 407–409, 416*, 440*, 527, 534, 550 Kärgel, Kurt 118*, 119–121, 408* Karloff, Boris 273* Kassmann, Johann 382 Kaul, Friedrich Karl 258 Kaz (Hauptmann) 398 Kehler, Friedrich 59, 114*, 195, 196*, 243, 426, 548 Kelles, Wacław 208 Kesseböhmer, Wilhelm 57* Killian, Jürgen 13 Klanten, Sybille 150 Klaustermeyer, Heinrich 79*, 272*, 295* Klein (Polizist) 223 Kleine, August 396*, 420, 467, 477*, 484, 553 Klemp, Stefan 18, 21–24, 38, 55, 56*, 60 f., 72*, 81*, 107*, 241*, 273*, 503 f. Klippert, Franz 109*, 134–136, 287 f., 297*, 379*, 382, 456* Klostermeyer, Heinrich (siehe Eintrag Klaustermeyer) Knofe/Knove, Oskar 63, 64*, 171, 173, 176, 181, 184, 186, 188, 210, 222, 224, 228, 230, 233, 427, 455*, 490* Kobitzki/Kopitzki, Otto 133, 433, 454, 459, 537, 548 Koch (Zahlmeister) 492 Koch, Peter 325* Ködding, Wilhelm 360, 430, 447 Koppe, Karl Heinrich Wilhelm 64*, 96, 172*, 181, 184, 228 Körber, Wilhelm 205, 209*, 298*, 396, 403 Körner, Dorothea 122 Körner, Ewald 181, 224, 227, 382, 418, 499, 583 Koschorke, Helmuth 177 Krebl, Andreas 122, 123*, 124, 350

640 Krehnke, Hans 93–98, 113, 124*, 173, 107, 407 f., 497, 517, 541, 547 Kreienkamp, Hermann 250, 280, 291, 323, 387, 420, 442, 490 Kreulich, August 151, 152*, 163, 299f., 400, 405*, 406, 409, 412, 461, 470, 477*, 484, 486f., 488*, 492, 494, 506, 528, 538*, 553 Krolopp, Heinrich 307, 400, 420 Krüger, Friedrich-Wilhelm 244–246 Krüger, Walter 451* Kühl, Stefan 7, 20, 24, 31, 41, 411 Kupsik, Marceli 186 Kürten, Peter 272 Landau, Leon 267 Lange, Anton 154, 420, 422, 428, 430, 438, 442, 485, 492 Lankenau, Heinrich Bernhard 15*, 16*, 69 Lappe, Heinz 95 Lapschieß, Walter-Hermann 146, 148*, 150, 287, 406*, 413, 420, 486 Lehnstaedt, Stephan 13 Leist, Wilhelm 245 Leitner (Hauptmann) 481 Leociak, Jacek 13 Lewin, Abraham 301, 333 Lichtenstein, Heiner 16, 20 Linnemann, Heinrich 194, 214, 406, 442, 538, 540 Lipp, Willy 476* Loose, Ingo 23* Lorenz (Polizeireservist) 218 Lorey, Heinrich 134, 161*, 254, 311, 385, 489, 516 Löw, Andrea 13 Lubowski, Samuel 296 Ludwig, Heinrich 204 Luhmann, Niklas 31 f., 403*, 545, 565 Lütgemeier, Karl-Heinz 123, 165*, 175, 193, 224, 235*, 385, 407, 430, 433, 547* Marach, Heinrich 134, 136–138, 150*, 183*, 196, 198*, 212 f.,

Anhang 220*, 227, 231, 288*, 289, 295, 297, 398, 419 f., 424 f., 448, 460, 483, 516, 517*, 554* Marczak, Broniwslaw 286 Markus, Maurice 330 Markusfeld, Mordacha 327 Martin, Emil 100*, 442 Maslanko, Wladyslaw 269 Maunz, Theodor 469, 513 Mehr, Erich 106–110, 119*, 124*, 125, 135 f., 139, 142, 151, 153, 204, 209, 254, 276, 288, 292, 294–296, 300–302, 304, 306, 315*, 316, 353, 374, 378, 379*, 386, 396, 399 f., 402–413, 415, 418–420, 425 f., 429 f., 438, 444, 453*, 460–462, 466, 468, 470– 472, 476 f., 483–488, 492, 494 f., 497, 503, 508, 528, 531, 540, 544, 547 f., 550–553, 571, 575 Meisner (Polizeioberrat) 53*, 151* Mellenthin, Horst von 368 Mennekes, Hans/Johann 122, 202, 525 Michels, Arthur 441 Miller, Leo 326 Misztal, Barbara 32, 33* Mockler, Erich 57*, 295, 386*, 426, 486 Moerth (Oberleutnant) 105* Mommsen, Hans 7, 27 Montua, Max 247* Morgen, Konrad 427, 429 f. Möse (Polizist) 223 Müller, Norbert 16 Müller-Hoppenworth, Heinz 187 Musal, Arthur 127* Nachtweih, Winfried 20 Nahlmann, Otto 81, 158–162, 248–254, 309 f., 313, 316, 327*, 389, 398, 402, 407, 427, 429, 437, 452, 477 f., 481, 492 f., 496 f., 500, 511, 514–516, 538*, 539, 546, 549, 553 f. Naimark, Norman 444 Nawrocki, Stanisław 12, 20*, 49 Nehrkorn, Heinrich 154

Personenverzeichnis Neumann, Bartholomäus 129* Nianenok 375 Nord, Walter 22, 53*, 102–106, 110, 113 f., 124 f., 138, 140, 142, 178, 180, 193, 194 f.*, 200, 315*, 386*, 407,414*, 466, 468* Nowak, Marta 207 f. Oestreich, August 99, 463, 470, 495 Orlikówna 303 f. Overkemping, Johann 255*, 425 Palka, Wilhelm 201 Pawlowski, Roman 200, 210 f. Perling, Richard 87, 89–92, 98, 334, 343, 352, 353*, 359, 363, 403, 408, 416, 552, 561 Pestel, Walter 230 Petersen (Zahlmeister/Inspektor) 85*, 100 Peters, Hubert 100 Petsch, Joachim 246–250, 468 Pfeffer-Wildenbruch, Karl 170 Pikusa, Ignacy 217 Pohle, Theodor 425 Pölka, Heinrich 553* Popitz, Heinrich 30 f. Potaz, Ela-Pinkus 464 Priebe, Adolf 302, 421 Primavesi, Alexander 21*, 46, 49 Ranke, Leopold von 38 Reese (Polizist) 223 Reininghaus (Offizier) 518*, 539 Rems, Ada 265 Richthofen, Manfred von 116 Riewald, Gerhard 101*, 110, 194*, 205, 208, 211, 222, 383, 405*, 414*, 443, 488, 492, 493*, 533 Ringelblum, Emanuel 49 f. Rödinger, August 385 Rodríguez Mansilla, Darío 33 f. Rohde, Armin 147 Roques, Franz von 338, 359 Roschkowski, Adalbert 287, 403, 410, 421, 460, 470, 486, 539 f. Rosenberg, Elijahu 274 f., 277, 289, 311, 326, 451

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Roth, Ewald 126*, 196, 382, 405, 425, 448, 519 Roth, Oliver 13 Rung, Wilhelm 295, 402, 412, 443 Rutowska, Maria 12 Rybczak, Ludwig 383, 538, 540 Sala (Schmugglerin) 151, 323 Salwisch, Emmi 505 Sammern-Frankenegg, Ferdinand von 471* Samuel, Heinz 267* Sandomir, Abram 284, 289, 290* Sauer, Aloys 385 Sauerbier, Edmund 132, 202 Scheffler, Wolfgang 71 Schellenberger, Karl 267, 374, 438, 483, 494 Schenkendorff, Max von 171*, 191* Schlüting, Ani 135 Schmitz, Karl 192*, 196, 381*, 437, 499, 533 Schorn (Oberleutnant) 127 Schulte, Franz 304, 460* Schulte, Wolfgang 24 Schulz, Wilhelm 512 Schumacher, Erich 448 Schumann, Wilhelm 133, 202 f. Scultetus, Bruno 338, 344 Seichter, Walter 331 Seliger, Werner 218 Severing, Fritz 315, 316* Shulmann, Zophia 451 Siewecke, Hans 176 f. Silberstein, Samuel 274 Sinn, Erich 409, 423, 489, 528 Sippel, Anton 151*, 161*, 253, 287, 297*, 304, 312, 316, 372, 374*, 407, 421, 423, 433, 465, 477, 494, 540, 544* Snyder, Timothy 34 Sobiray/Sobirei, Fritz 216, 288*, 300 f., 456* Sombray (Polizeimeister) 482 Sommer (Staatsanwalt) 123* Sommer, Walter 123, 201 Spiegelstein, Israel 79*, 281, 294, 303*

642 Stabenow, Gerhard 266, 333* Stazek, Wladyslawa 190, 219, 530 Steckman, Rubin Rudolf 276 Stein, Karl Heinz 205 Steiner, Friedrich 127 Sternat, Erich 132*, 202 Stiller, Alexa 12 Stone, Dan 11 Stoxreiter, Michael 133* Sturm (Psychiater) 152 Szafran, Szolek 286 Szymezak, Józef 211 Szymoniak, Franciszek 228 Tencer, Menasze 293 Thamm, Franz 99, 113, 140 f., 528, 552 Thurau, Charlotte 108 Tiemann, Erich 274, 275*, 311, 396 f., 412, 423, 470, 487, 500 Tillmann, Friedrich 85*, 385* Trumpe (Wachtmeister) 468 Urban, Fritz 175*, 206, 215, 386*, 438 Verrieth, Gerhard 382, 526 Vetter, Heinrich 108, 316*, 408, 497 Voigt, Elisabeth 138 Vollard-Bockelberg, Alfred von 171* Voosen, Hermann 267 Wagner, Patrick 519 Walde, Wendelin vorm 149 Walenty, Drabik 217 Wannemacher, Julius 114–116, 125, 140, 211–213, 230, 241, 372, 386, 404, 407, 414, 418, 427, 431*, 477, 492, 497, 504 f., 534 f., 543

Anhang Warm, Ber 499 Wawszack (Lehrer) 219 Weber, Heinrich 305, 429, 447 Weber, Max 31 Wehler, Hans-Ulrich 27 Weinryb, Lolek 282 Weißmann, Martin 24 Welzer, Harald 453* Wenzel, Heinrich 57*, 251*, 269, 301, 304 f., 421, 467, 493 Westermann, Edward 33, 400* Westkott, Richard 354* Whale, James 273* Wiesel, Wilhelm 291* Wigand, Arpand 245 f., 471* Wildt, Michael 11* Williams, Timothy 36 Willms, Mathias 110*, 376* Wittig (Major) 363 Witz, Albert 464, 521* Wolf (Wachtmeister) 468 Wolter, Karl 500 Wörmer, Siegmund 111*, 124*, 161, 206, 238 Woyzella, Emil Hugo 361 Zabłocki (Priester) 208 Zacharzewski, Gustav 201 Ziemer, Gesa 33 Zimmermann, Gustav 503–505, 506* Zimmermann, Katharina 503 Zumplasse, Heinrich 192, 194, 200, 214, 224, 405*, 431 f., 442 Zylberg, Michael 286