Migration und Integration – wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich: Jahrbuch 3/2016 [1 ed.] 9783737005951, 9783847105954, 9783847005957

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Migration und Integration – wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich: Jahrbuch 3/2016 [1 ed.]
 9783737005951, 9783847105954, 9783847005957

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Migrations- und Integrationsforschung Multidisziplinäre Perspektiven

Band 9

Herausgegeben von Heinz Fassmann, Richard Potz und Hildegard Weiss

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed. Advisory Board: Christine Langenfeld (Göttingen), Andreas Pott (Osnabrück), Ludger Pries (Bochum)

Jennifer Carvill Schellenbacher / Julia Dahlvik / Heinz Fassmann / Christoph Reinprecht (Hg.)

Migration und Integration – wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich Jahrbuch 3/2016

Mit 26 Abbildungen

V&R unipress Vienna University Press

®

MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

www.fsc.org

FSC® C083411

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-5243 ISBN 978-3-8471-0595-4 ISBN 978-3-8470-0595-7 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0595-1 (V&R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V&R unipress GmbH. © 2016, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: © Paul Feuersänger Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, D-96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Janine Dahinden Migration im Fokus? Plädoyer für eine reflexive Migrationsforschung

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. .

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Elisabeth Stefanek / Dagmar Strohmeier / Takuya Yanagida Interkulturelle Freundschaften von Jugendlichen in multikulturellen Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

Isabella Skrivanek Jugendliche mit Migrationshintergrund in der Lehre – Ursachen der Unterrepräsentation und Handlungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

Katharina Korecky-Kröll / Kumru Uzunkaya-Sharma / Christine Czinglar / Wolfgang U. Dressler Der Input im Elternhaus und Kindergarten als wichtiger Faktor für den Spracherwerb von austrotürkischen Kindern . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ausbildung und Jugendliche

Rückkehr Robert Nadler Rückwanderung in Mitteleuropa: Eine vergleichende Untersuchung von Motiven der Rückkehrer, Problemen bei der Rückwanderung und Chancen für die Regionalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Petra Dannecker Rückkehr und Entwicklung: Konzeptualisierungen, Erfahrungen und Perspektiven für sozialen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

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Inhalt

Formen der Migration Ursula Reeger / Maria Luzia Enengel Migration from Central and Eastern European EU-member countries to the Vienna urban region: Different types and recent developments . . . . 133 Miriam Hill / Julia Tschuggnall „Kofferkinder“ – Wenn Eltern migrieren und Kinder zurückbleiben. Zeitliche Trennung als Lebensstrategie von Migrationsfamilien . . . . . . 153 Johanna Stadlbauer Privilegierte Migration und Geschlechterverhältnisse: Expatriate Spouses in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Andrea Fritsche „I think my right was not done properly“ – Zugänge zur österreichischen Asylwirklichkeit aus einer Rights-Claimant-Perspektive . . . . . . . . . . 183 Adel-Naim Reyhani Betroffene des Menschenhandels als Asylsuchende in Österreich . . . . . 205 Alev Çakır The struggle of the Alevi Religious Community for Recognition: Formatting of Alevism into liberal Islamic Alevism . . . . . . . . . . . . . 223

Migrationsgeprägte Gesellschaft Christiane Hintermann Migrationsgeschichte im öffentlichen Raum: Die Konstruktion eines Gedächtnisortes am Beispiel des Marcus Omofuma-Steins in Wien . . . . 241 Sabine Parrag / Katharina Leitner Probleme und Lösungsansätze in der Versorgung nicht-deutschsprachiger PatientInnen in Österreich – Videodolmetschen auf dem Prüfstand . . . . 257 Dana Engel / Inge Niederfriniger Zum Umgang mit (migrationsbedingter) Vielfalt in Südtirol – eine mehrsprachige Region entwickelt ihr Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 AutorInnen Verzeichnis Jahrbuch 2016

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

Vorwort

Die in diesem Band versammelten Aufsätze gehen auf die dritte Jahrestagung für Migrations- und Integrationsforschung in Österreich zurück, die im September 2014 an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften als Kooperation der Kommission für Migrations- und Integrationsfragen und der Forschungsplattform für Migrations- und Integrationsforschung der Universität Wien abgehalten wurde. Bei den Aufsätzen handelt es sich um eine Auswahl von ursprünglich mehr als 60 Beiträgen, die im Rahmen der Konferenz präsentiert, anschließend für eine Veröffentlichung eingereicht und nach nochmaliger wissenschaftlicher Begutachtung für diese Publikation ausgewählt wurden. In ihrer inhaltlichen und disziplinären Breite dokumentiert sich erneut der Querschnittscharakter der Migrations- und Integrationsforschung. In fünf Kapiteln werden die folgenden Themenbereiche aufgegriffen: Ausbildung und Jugendliche, Rückkehr, Formen der Migration, Asyl und Recht sowie migrationsgeprägte Gesellschaft. Eingeleitet wird der Sammelband von einem Plädoyer von Janine Dahinden für eine reflexive Migrationsforschung. Seit der Jahrestagung hat sich die Relevanz und Aktualität der Themen Migration und Mobilität, von Flucht und Asyl weiter verstärkt. Ihre gesellschaftliche Resonanz ist breit, vielstimmig, auch konflikthaft, ihre mobilisierende und auch polarisierende Kraft unübersehbar. Auch die emotionale Aufladung hat, nicht zuletzt durch die tiefe Krise in Syrien, Afghanistan und dem Irak und die dadurch ausgelösten Fluchtbewegungen, an Intensität zugenommen. Diese Unmittelbarkeit des Geschehens fordert auch jene, die im Bereich der Migrations- und Integrationsforschung tätig sind, mit Fragen, die nach konkreten Antworten verlangen. Von der Migrations- und Integrationsforschung wird ein Beitrag zu einem besseren Verständnis jener tieferliegenden gesellschaftlichen Transformationen erwartet, für die Migration und Mobilität Symptome sind (geopolitische Verwerfungen, transnationale Ungleichheiten, Globalisierung ökonomischer und ökologischer Risiken etc.). Wer Migrations- und Integrationsforschung betreibt, beschäftigt sich also mit zentralen Triebkräften sozialen Wandels und insofern,

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Vorwort

direkt oder indirekt, auch mit der Frage, wie das Energie- und Konfliktpotential, das Migrationsprozessen innewohnt und das die Gesellschaft verändert, bewegt, sie aufbricht, aber sie auch den Umgang mit Ungewissheit lehrt. Diese Potentiale sind Antriebskraft für institutionelle Innovation – auch in den Sozialwissenschaften und den Universitäten insgesamt –, für Lernprozesse auf individueller wie kollektiver Ebene, für kulturelle und demokratische Erneuerung der Gegenwart, für den Umgang mit Diversität und die Verwirklichung der Ansprüche auf soziale Gerechtigkeit. Sich diesen Fragen zu stellen, bildet eine zentrale wissenschaftliche Herausforderung auch der kommenden Jahre. Die Auseinandersetzung mit den damit verbundenen konzeptionellen und methodologischen Fragen ist ein genuiner Bestandteil einer kritischen und reflexiven Migrationsforschung. Wie bereits die beiden vorangegangenen Jahrestagungen spiegelte sich auch in der dritten Konferenz das facettenreiche Wirken einer institutionell und disziplina¨r weit gestreuten Migrations- und Integrationsforschung wider. Die Fu¨ lle der Themen und die Vielzahl der Beitragenden machten die Tagung unzweifelhaft nicht nur zu einer großen, sondern auch gelungenen Veranstaltung. Sie erlaubte sowohl die wissenschaftliche Diskussion im kleineren Kreis, im Rahmen inhaltlich definierter Panels, als auch den größeren fächer- und themenübergreifenden Austausch. Die OrganisatorInnen der Jahrestagung legen immer großen Wert auf Offenheit bei der inhaltlichen Gestaltung, auf Transparenz beim Auswahlprozess und auf die Qualität der Beitra¨ge. In einem breit gestreuten Call for Papers wurden daher alle einschla¨ gig Interessierten eingeladen, sowohl Vorschla¨ ge fu¨ r Einzelbeitra¨ge als auch fu¨ r thematische Panels einzureichen. Die Vielzahl an Vorschla¨ gen wurde in weiterer Folge jeweils von zumindest zwei GutachterInnen beurteilt. Diese Aufgabe u¨ bernahm ein interdisziplinär aufgestelltes Programmkomitee, in das neben den Mitgliedern der Plattform und der Kommission auch weitere fachlich versierte KollegInnen aufgenommen wurden. Ero¨ ffnet wurde die dritte Jahrestagung im Festsaal der Akademie der Wissenschaften mit einem Vortrag von Janine Dahinden, Professorin für Transnational Studies an der Universität Neuchâtel, in dem sie ein überzeugtes und überzeugendes Pla¨ doyer fu¨ r eine reflexive Migrationsforschung hielt, wobei sie konkrete Wege aufzeigte, um die Migrations- und Integrationsforschung zu „demigrationieren“, d. h. sie vom Normalisierungsdiskurs (Migration als Problem, Migrationshintergrund als Differenzkategorie etc.) zu befreien und an analytische Konzepte der Gesellschafts- und Sozialtheorie rückzubinden. In weiterer Folge fand die Präsentation der eingereichten und akzeptierten Einzelbeiträge statt. Aufgrund der Vielzahl an positiv evaluierten Einreichungen fanden am ersten Tag drei und am zweiten Tag vier Panelsessions mit jeweils drei Parallelpanels statt. Dass Migrations- und Integrationsforschung eine Querschnittsmaterie ist, bewies das breite Spektrum an behandelten Themen. Bildung und

Vorwort

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Sprache, Kinder und Jugendliche, Literatur und Medien waren ebenso im Fokus der vorgestellten Forschungsarbeiten wie Medizin und Gesundheit, Gender, Religion und Spiritualita¨ t. Daru¨ ber hinaus wurden Migration und Integration aus den Blickwinkeln der Geschichte, der Stadt sowie des Arbeitsmarkts beleuchtet, aber auch Fragen des Migrationsmanagements, der Ru¨ ckkehrmigration, des Asyls, des Menschenhandels und der Menschenrechte behandelt. Der nun vorliegende Sammelband gliedert sich in fünf Kapitel mit jeweils drei (in einem Fall zwei) Beiträgen: (1) Ausbildung und Jugendliche, (2) Rückkehr, (3) Formen der Migration, (4) Asyl und Recht sowie (5) migrationsgeprägte Gesellschaft lauten die jeweiligen Kapitelüberschriften. Im ersten Kapitel – „Ausbildung und Jugendliche“ – findet sich zunächst ein Beitrag von Elisabeth Stefanek, Dagmar Strohmeier und Takuya Yanagida zu „interkulturellen Freundschaften von Jugendlichen in multikulturellen Schulen“. Mit den „Ursachen der Unterrepräsentation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Lehre und entsprechenden Handlungsansätzen“ setzt sich anschließend Isabella Skrivanek auseinander. Im nachfolgenden Beitrag analysieren Katharina Korecky-Kröll, Kumru Uzunkaya-Sharma, Christine Czinglar und Wolfgang U. Dressler den „Input im Elternhaus und Kindergarten als wichtigen Faktor für den Spracherwerb von austrotürkischen Kindern“. Das zweite Kapitel ist dem Thema Rückkehr mit zwei Schwerpunkten gewidmet. Robert Nadler liefert „eine vergleichende Untersuchung von Motiven der Rückkehrer, Problemen bei der Rückwanderung und Chancen für die Regionalentwicklung“ mit Fokus auf Rückwanderung in Mitteleuropa. „Rückkehr und Entwicklung: Konzeptualisierungen, Erfahrungen und Perspektiven für sozialen Wandel“ lautet der Titel von Petra Dannecker. Im dritten Kapitel – „Formen der Migration“ – befassen sich die Autorinnen eines englischsprachigen Beitrags, Ursula Reeger und Maria Luzia Enengel, mit Migration aus zentral- und osteuropäischen EU-Staaten nach Wien und zeichnen dabei unterschiedliche Typen und neue Entwicklungen nach. Dem Thema „Kofferkinder“ widmen sich Miriam Hill und Julia Tschuggnall, indem sie „Lebensstrategien von Migrationsfamilien“ untersuchen und analysieren, was geschieht, „wenn Eltern migrieren und Kinder zurückbleiben“. Johanna Stadlbauer setzt sich im anschließenden Beitrag mit „Expatriate Spouses“ in Österreich auseinander und geht dabei auf „privilegierte Migration und Geschlechterverhältnisse“ ein. „Asyl und Recht“ lautet der Titel des vierten Kapitels, in dem zunächst Andrea Fritsche „Zugänge zur österreichischen Asylwirklichkeit aus einer ‚Rights-Claimant‘ Perspektive“ untersucht. Adel-Naim Reyhani widmet sich in seinem anschließenden Beitrag „Betroffenen des Menschenhandels als Asylsuchende in Österreich“. Mit einem weiteren englischsprachigen Beitrag liefert Alev Ҫakir

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Vorwort

eine Analyse des Kampfes um Anerkennung der alevitischen Glaubensgemeinschaft und beleuchtet deren liberal-islamische Ausrichtung. Unter der fünften Überschrift „Migrationsgeprägte Gesellschaft“ finden sich drei Beiträge zu unterschiedlichen gesellschaftsrelevanten Themen. Christiane Hintermann befasst sich in ihrem Beitrag mit „Migrationsgeschichte im öffentlichen Raum“ und nimmt dabei die „Konstruktion eines Gedächtnisortes am Beispiel des Marcus-Omofuma-Steins in Wien“ unter die Lupe. Ein weiterer Beitrag, verfasst von Sabine Parrag und Katharina Leitner, beschreibt „Probleme und Lösungsansätze in der Versorgung nicht-deutschsprachiger PatientInnen in Österreich“ am Beispiel des Videodolmetschens. Mit dem „Umgang mit (migrationsbedingter) Vielfalt in Südtirol“ und der damit zusammenhängenden Entwicklung in dieser mehrsprachigen Region beschäftigen sich Dana Engel und Inge Niederfriniger im dritten Beitrag dieses Kapitels. Den HerausgeberInnen dieses Jahrbuchs ist es ein Anliegen, ihre Wertschätzung all jenen zu vermitteln, die am Gelingen dieses, immer wieder herausfordernden Projekts – Konferenz und Herausgabe eines Konferenzbandes – beteiligt waren. Wir danken daher den Mitgliedern des Programmkomitees fu¨ r ihre gutachterliche Ta¨tigkeit, die bei der großen Anzahl der Einreichungen von entscheidender Bedeutung fu¨ r die Auswahl der Panels und Vortra¨ ge waren, sowie den unabhängigen GutachterInnen, die den vorliegenden Sammelband durch ihre Empfehlungen mitgestaltet haben. Dank gebu¨ hrt auch allen institutionellen Unterstu¨ tzerInnen dieser Tagung, insbesondere der Akademie der Wissenschaften und der Universita¨ t Wien. Die Beiträge dokumentieren nicht nur das wachsende Interesse an migrations- und integrationsrelevanten Fragestellungen, sondern auch das Bemühen um inhaltliche Originalität sowie methodologische und konzeptionelle Qualität. 2016 bietet sich mit der 4. Jahrestagung eine neue Gelegenheit, aktuelle Forschungen im Bereich der Migrations- und Integrationsforschung zu präsentieren und kennenzulernen! Jennie Carvill Schellenbacher, Julia Dahlvik, Heinz Fassmann und Christoph Reinprecht Wien, im Jänner 2016

Janine Dahinden

Migration im Fokus? Plädoyer für eine reflexive Migrationsforschung

1.

Einleitung

In Europa kam Migrationsthemen lange Zeit ein untergeordneter Stellenwert innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung zu. Dies änderte sich jedoch während der letzten zwei Jahrzehnte drastisch, Migrationsforschung ist unterdessen nicht nur en vogue, sondern hat zudem eine Institutionalisierung erfahren: Davon zeugen die zahlreichen migrationsrelevanten Studiengänge, spezialisierten Fachzeitschriften, Konferenzen und neuen Lehrstühle, die in den letzten Jahren ins Leben gerufen wurden. Ausdruck dieser Institutionalisierung ist ebenfalls, dass SozialwissenschaftlerInnen eine breite Vielfalt an wertvollen empirischen Studien und theoretischen Zugängen lieferten, die allesamt dazu beigetragen haben, internationale Migration und Mobilität sowie deren Ursachen und Folgen besser zu verstehen. Gleichzeitig sind in den letzten Jahren vermehrt Stimmen zu vernehmen, die für mehr Reflexivität seitens der Migrationsforschenden plädieren: Die Kritik richtet sich insbesondere an die nationalstaatlich und ethnisch zentrierte Epistemologie, der ein Großteil der Migrations- und Integrationsforschung unterliegt (unter vielen Beck and Sznaider 2006 ; Wimmer and Glick Schiller 2002). Nieswand und Drotbohm (2014) orten gar ein grundsätzliches intellektuelles Unbehagen, das sich in den letzten Jahrzehnten in der Integrations- und Migrationsforschung verbreitet hat und das darin kulminiert, dass soziologische Grundbegriffe wie Migration, Kultur und Gesellschaft einer Revision unterzogen werden. Es lässt sich ein Paradox ausmachen: Einerseits ist die Migrationsforschung zweifelsohne noch immer von dieser nationalen und ethnisch-zentrierten Epistemologie geprägt. Andererseits hat die Migrationsforschung gleichzeitig einen beträchtlichen Beitrag dazu geleistet, diese nationalstaatliche Logik zu hinterfragen und aufzudecken. Beispielsweise hat sie seit ihren Anfängen systematisch auf jene Ungleichheiten hingewiesen, die aus der nationalstaatlichen Logik des Ausschlusses von Nicht-StaatsbürgerInnen resultiert, und damit das nationalstaatliche Paradigma, das diese Diskriminierung als „natürlich gegeben“

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Janine Dahinden

institutionalisierte, infrage gestellt (vgl. hierzu unter vielen z. B. Achermann and Gass 2003 ; Bauböck 2007). Dieser Beitrag1 widmet sich diesem Spannungsfeld: Ich werde mich im Folgenden kritisch mit a priori naturalisierenden Kategorisierungen seitens von Migrationsforschenden auseinandersetzen und aufzeigen, wie die Migrationsund Integrationsforschung die Gefahr in sich trägt, ein „Migrationsdifferenzparadigma“ mitzutragen und zu reproduzieren, das die nationalstaatliche Logik naturalisiert und auf einem normativen Verständnis von Migration beruht – und zwar obwohl solche Überlegungen intensiv debattiert werden. Ich argumentiere, dass Migrations- und Integrationsstudien letztlich als Teil eines nationalstaatlichen Migrations- und Normalisierungsdispositivs hervorgebracht und institutionalisiert wurden, so dass eine Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis dieses Forschungszweiges unabdinglich wird. Denn in dieser Optik kann es nun durchaus als problematisch erscheinen, dass sich eine Forschungstradition institutionalisierte, die durch ihre ‚migrationsspezifischen‘ Forschungsfragen und Untersuchungsgegenstände – z. B. durch die a priori Unterscheidung zwischen MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen oder durch ihren Fokus auf „die Migrationsbevölkerung“ – ursächlich ein nationalstaatlich begründetes „Migrationsdifferenzparadigma“ mitträgt und reproduziert. Im Zentrum des Artikels stehen die Frage nach diesem Dilemma, mögliche strategische Auswege wie auch eine Diskussion über die Zukunft der Migrationsforschung. Im ersten Teil wird erörtert, auf welche Weise die zur Debatte stehende Forschungstradition als Teil eines spezifischen nationalstaatlichen Normalisierungsdispositivs von Differenz betrachtet werden kann. Anschließend werden alternative Strategien aufgezeigt, einige Denk- und Forschungspisten, wie die Migrationsforschung quasi aus ihrem „Migrationscontainer“ ausbrechen könnte – auf den ersten Blick vielleicht ein Paradox, das ich aufzulösen gedenke. Ich plädiere dafür, die Migrationsforschung zu „de-migrationisieren“ – ein zugegebenermaßen nicht sehr eleganter Terminus –, ohne allerdings gleichzeitig die bisherigen Errungenschaften der Migrationsforschung über Bord zu werfen.

1 Ich möchte an dieser Stelle Wiebke Sievers danken, die an der 2. Jahrestagung Migrations- und Integrationsforschung in Österreich zahlreiche wertvolle und einsichtige Kritikpunkte an meinem Vortrag formuliert hat. Anregende Kommentare zu diesem Artikel bekam ich ebenfalls von Christin Achermann, Joëlle Moret, Carolin Fischer und Shpresa Jashari.

Migration im Fokus? Plädoyer für eine reflexive Migrationsforschung

2.

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Migrations- und Integrationsforschung als Teil eines nationalstaatlichen Migrations- und Normalisierungsdispositivs

Die Debatte darüber, dass die Migrations- und Integrationsforschung den Nationalstaat respektive den „nationalen Container“ als wichtigstes Referenzsystem für die empirische Forschung verwendet und somit unreflektiert Kategorien, Variablen und die Logik der nationalen Sicht reproduziert, dauert unterdessen einige Jahre an (Beck 2002:84–94 ; Wimmer and Glick Schiller 2002). Kernaussage dieser Kritik ist, dass die Migrationsforschung an die Logik der modernen Nationalstaatenbildung sowie an deren institutionelle und kategorielle Effekte gekoppelt ist und dabei dieser Verquickung gegenüber lange Zeit blind war: Erstens fasste, wie zahlreiche AutorInnen zeigten, eine vermeintlich natürliche Kongruenz zwischen nationalen, territorialen, politischen, kulturellen und sozialen Grenzlinien erst im Laufe der Entwicklung des modernen Nationalismus Fuß (Gellner 1983 ; Wimmer 2002); eine Kongruenz, die in der Migrationsforschung, so die Überlegung, reproduziert wird. Zweitens brachte die Nationalstaatenbildung institutionelle staatliche Migrationsdispositive im Sinne von Foucault2 (1978) hervor, die als Folge eine gesellschaftliche Realität von Migration und MigrantInnen respektive Nicht-MigrantInnen als klar abgrenzbare Phänomene überhaupt erst schuf. Diese staatlichen Migrationsdispositive wirken sowohl auf einer infrastrukturellen als auch auf einer Kategorien produzierenden Ebene und schaffen spezifische Realitäten von Ungleichheiten: Obwohl Mobilität ein strukturelles Element der Menschheitsgeschichte ist, wurden grenzüberschreitende Bewegungen und die Kontrolle derselben – Grenzkontrollen, Visaregimes, Migrations- und Integrationsgesetze – erst seit der Bildung der modernen Nationalstaaten zu einem eigentlichen Thema und als solche institutionalisiert (Torpey 2000). Die nationalstaatliche Logik schuf aber auch wirksame migrations- und ethnizitätsrelevante Kategorien und Realitäten (Wimmer und Schiller 2002): Die Kategorie des „Ausländers“ beispielsweise macht einzig Sinn in einer nationalstaatlichen Logik und zwar mit dem Gegenpart des „Staatsbürgers“ bzw. der „Staatsbürgerin“. Die Termini „MigrantIn“ oder „Person mit Migrationshintergrund“ erlangen ihre Bedeutung ausschließlich in relationaler Opposition zu „Nicht-MigrantIn“, respektive „naturalisierter generationenübergreifender Sesshaftigkeit innerhalb eines nationalen Territoriums“. Der Terminus der in2 Foucault versteht unter einem Dispositiv „ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wie Ungesagtes umfasst“ (1978, 119– 120).

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ternationalen Migration, definiert als ein dauerhafter Wohnortswechsel, der nationalstaatliche Grenzen überschreitet, ist ebenfalls das direkte Resultat dieser nationalstaatlichen Logik. Diese moderne nationalstaatliche Logik hatte nicht nur spezifische Migrationsdispositive und Kategorisierungsprozesse zur Folge, sondern sie brachte gleichzeitig einen machtvollen Normalisierungsdiskurs migrationsrelevanter Differenz (Ghorashi and Sabelis 2013) hervor, der die soziale Welt durchdringt und Akteure – auch Forschende – nachhaltig sozialisiert. In diesem Normalisierungsprozess liegt denn auch die Wirkungsmacht dieser Kategorien und entsprechender Dispositive. Migrationsbezogene wie auch ethnische „Differenz“ werden als natürlich und gegeben betrachtet und während der Sozialisation von Akteuren inkorporiert. Hierbei können analytisch zwei Prozesse unterschieden werden: Einerseits wird die Kategorie „Migration“ als solche naturalisiert, in Abhängigkeit und Interaktion mit Nicht-Migration respektive StaatsbürgerInnen. Andererseits werden ethnische und kulturelle Zugehörigkeitssemantiken zu einem wichtigen Teil dieses Normalisierungsdiskurses. MigrantInnen werden, bezogen auf das ethnisch-kulturell „Eigene“, als grundsätzlich verschieden betrachtet (Dahinden 2014). Es erstaunt deshalb nicht, dass diese Migrations- und Normalisierungsdispositive auch eine sogenannte „Migrationsforschung“ hervorgebracht haben. Wenn Migration als Anomalie im „nationalen Container“ erscheint und zur wichtigsten naturalisierten Differenzkategorie für Zugehörigkeit respektive Nicht-Zugehörigkeit wird, so ist es logisch, hat sich ein „Migrationsblick“ ausgebreitet. Es ist auch naheliegend, dass SpezialistInnen vonnöten sind, um diese „Differenz“ zu beschreiben, zu untersuchen und zu theorisieren. Migrationsforschung ist deshalb nicht nur ursächlich verknüpft mit diesem normalisierten Differenzparadigma, sondern ich argumentiere, dass diese in nationaler Logik als natürlich gegeben erscheinende „Differenz“ zwischen Migration und Nicht-Migration letztlich die Basis ihrer Existenzberechtigung ist – Migration als Kategorie ist einzig denkbar in Relation zu Nicht-Migration. In der gleichen Argumentationslinie scheint es ebenfalls einsichtig, dass sich ein „ethnischer Blick“ (Radtke 1996) sowie eine „Integrationsforschung“ etabliert haben, die ebenfalls nach „SpezialistInnen“ rufen – was das zweite Standbein für die Existenz dieses Forschungszweiges darstellt. Die Einbettung der Migrationsforschung in dieses nationalstaatliche Migrations- und Normalisierungsdispositiv zeigt sich auch in deren Nähe zu Politik und Öffentlichkeit. Migrationsforschung ist häufig Auftragsforschung, d. h. Verwaltungseinheiten, die innerhalb des staatlichen Migrationsdispositivs agieren, richten Fragen an Migrationsforschende, und zwar meist in dieser spezifischen Differenzlogik (vgl. zu dieser Diskussion z. B. Pennix and Scholten 2009). Es braucht SpezialistInnen, um Informationen über Ein- und Auswanderung

Migration im Fokus? Plädoyer für eine reflexive Migrationsforschung

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oder über spezifische ethnische oder kulturelle EinwandererInnengruppen bereitzustellen. Ist Migrationsforschung aber nun ursächliches Produkt und Teil dieses nationalstaatlichen Migrations- und Normalisierungsdispositivs, kann es nicht verwundern, dass die darin eingeschriebenen und naturalisierten Differenzen in Studien reproduziert werden: Statistiken über Ein- und Auswanderung, Anteil der Migrationsbevölkerung respektive von Personen mit Migrationshintergrund an der „nationalen Bevölkerung“ etc. gehören zum Grundwissen aller Migrationsforschenden, sind jederzeit abrufbar und werden selten reflektiert. ArbeitsmigrantInnen, Flüchtlinge, vorläufig Aufgenommene, „Sans Papiers“ – die kategorialen Differenzierungen, die durch dieses staatliche Migrations- und Normalisierungsdispositiv hervorgebracht werden, werden von Forschenden übernommen und erforscht – und zuweilen auch kritisch beleuchtet (Anderson 2013). Oder Forschende nehmen – davon zeugt ein Großteil der Publikationstitel – häufig wie selbstredend eine ethnische Gruppe oder eine EinwandererInnengruppe spezifischer nationaler Herkunft – TürkInnen, ItalienerInnen etc. – als Untersuchungs- und Analyseeinheit, um Integrationsprozesse zu untersuchen. Mit anderen Worten, Migration und Ethnizität werden zu den wichtigsten Differenzkategorien, wie die soziale Welt eingeteilt wird, auch seitens der Forschenden. Auf diese Weise werden sie zum explicans und von vornherein in Forschungsdesign, Fragestellungen und Analysen eingeschrieben (Dahinden 2011 ; Glick Schiller et al. 2006 ; Wimmer 2008). Es besteht kein Zweifel daran, dass Migration oder Ethnizität wichtige Differenzkriterien sein können, sei es, was Rechte, Zugehörigkeit, Politik oder auch soziale Handlungen, Diskriminierungen usw. betrifft – denn letztlich schaffen nationalstaatliche Migrationsdispositive und dieser Normalisierungsdiskurs spezifische soziale Realitäten. Die Migrations- und Integrationsforschung zeichnet sich denn auch gerade dadurch aus, dass sie wichtige Beiträge dazu geliefert hat, solche Ungleichheitseffekte in Bereichen wie Staatsbürgerschaft, Bildung oder Arbeitsmarkt zu verstehen. Zudem haben Essenzialisierungen und Naturalisierungen dieser Kategorien ihren Platz in der Welt, die Forschende untersuchen, sei es als empirische Sachverhalte, als alltägliche Selbstverständnisse von Personen oder auch als strategische Instrumente von politischen Stakeholdern (Fox and Jones 2013). Ein Problem epistemologischer Natur liegt allerdings dann vor, wenn Forschende unreflektiert dem Normalisierungsdiskurs folgen, indem Migration oder Ethnizität als das zentrale Differenzkriterium in Forschungsfragen, Forschungsdesign, Datenerhebung, Analyse und Theorie eingeschrieben wird, ohne dass diese Differenzkategorien empirisch relevant wären. Es scheint problematisch, wenn soziale Phänomene a priori als grundlegend verschieden wahrgenommen werden, je nachdem ob es sich um Mi-

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Janine Dahinden

grantInnen oder Nicht-MigrantInnen oder etwa um TürkInnen, ÖsterreicherInnen oder SchweizerInnen handelt. Denn Migration respektive Ethnizität sind empirisch nicht immer die wichtigsten Erklärungskriterien für soziale Prozesse, auch nicht für soziale Praktiken und Zugehörigkeiten von Personen. Es ist letztlich eine Frage der Empirie, in welchen Zusammenhängen und Kontexten Migration oder Ethnizität als Differenzkriterien empirisch und theoretisch relevant sind.

3.

Ways out?

Wir haben es demnach mit einem Spannungsfeld zu tun, in dem sich die Migrations- und Integrationsforschung befindet: Einerseits ist sie Teil eines nationalstaatlichen Migrations- und Normalisierungsdispositivs und reproduziert damit fast schon erzwungenermaßen ein Migrationsdifferenzparadigma. Andererseits hat die Migrationsforschung wichtige Einsichten über die Effekte dieser nationalstaatlichen Logik hervorgebracht. Wie könnte nun aber das Selbstverständnis der Migrations- und Integrationsforschung diesem Dilemma gegenüber gefasst werden? Es lassen sich (mindestens) drei mögliche Positionierungen diesem Spannungsfeld gegenüber ausmachen. Erstens besteht die Möglichkeit zu akzeptieren, dass Migrations- und Integrationsforschung Teile dieses staatlichen Normalisierungsdispositivs sind, und somit in Kauf zu nehmen, die damit verbundenen „Differenzen“ in Forschung und Theorie zu reproduzieren. Es ließe sich argumentieren, dass es – in einer Foucault’schen Manier – unmöglich ist, sich außerhalb eines Systems von Machtbeziehungen und -dispositiven zu positionieren. Es könnte auch angeführt werden, dass Migrationsforschende diese „Differenz“ reproduzieren und damit überbewerten, andererseits Nicht-MigrationsspezialistInnen in ihren Arbeiten häufig ignorieren, dass Mobilität und Migration zentrale Charakteristika von Gesellschaften darstellen, und diese Sachverhalte in ihren Arbeiten und Theorien auslassen. In diesem Sinne wären MigrationsspezialistInnen, quasi als Korrekturmodus für die generelle Sozialforschung und -theorie wirkend, wichtig und zentral. Zweitens eröffnet sich die Möglichkeit, einen „strategischen positiven Essentialismus“ (Phillips 2010 ; Spivak 1988) zu verfolgen: Forschende schreiben sich bewusst in diesen Normalisierungsdiskurs ein und verwenden ihn reflektiert mit dem Ziel, ihn gleichzeitig zu unterlaufen oder auszudifferenzieren: Hierzu zählen beispielsweise Studien, die auf spezifische Diskriminierungsformen bestimmter einzelner Einwandergruppen und deren Effekte hinweisen (ein Beispiel unter vielen Fibbi et al. 2003). Ein anderes Beispiel wären europäische Studien, die die Integrationsprozesse der zweiten Generation der gleichen nationalen Gruppen

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vergleichend in verschiedenen europäischen Ländern untersuchten und zu Tage brachten, dass nicht nur erhebliche Unterschiede innerhalb der gleichen ethnischen oder nationalen Gruppe existieren, sondern dass insbesondere auch der nationale Kontext – z. B. Schulsysteme, öffentliche Diskurse, Arbeitsmarktstrukturen, etc. – zentralen Einfluss auf die Integrationsprozesse der Nachfahren von EinwandererInnen hat (Crul and Schneider 2013 ; Schneider and Crul 2010 ; Simon 2003). Solche Studien schreiben sich einerseits in das Migrationsdifferenzparadigma ein und rücken es andererseits durch vielfältige Differenzierungen in einen neuen Zusammenhang. Ein Großteil der Migrations- und Integrationsforschung verortet sich in dieser Positionierung, und der zentrale Beitrag dieser Studien an die Migrationsforschung steht außer Frage. Aber es könnte, drittens, nach Wegen gesucht werden, um sich außerhalb des Normalisierungsdispositivs zu positionieren. Zahlreiche AutorInnen haben wichtige Überlegungen dazu angestellt, welche methodischen oder methodologischen Strategien sich anbieten, um die Migrations- und Integrationsforschung zu de-naturalisieren und de-ethnisieren (Amelina and Faist 2012 ; Dahinden and Efionayi 2009 ; Fox and Jones 2013 ; Levitt 2012 ; Römhild 2014 ; Wimmer 2008) 3. Meine an dieser Stelle formulierten Überlegungen sind allerdings weitreichender, da ich postuliere, dass die Migrationsforschung ursächlicher Teil des nationalstaatlich hervorgebrachten Migrations- und Normalisierungsdispositivs ist. Damit stelle ich die Naturalisierung der Kategorie „Migration“ in der Forschung als solche infrage. Im Folgenden werden deshalb einige Strategien zur Debatte gestellt, welche darauf abzielen, die Migrationsforschung zu „de-migrationisieren“. Die folgenden drei Punkte erlauben m. E. eine erhöhte Reflexivität bezüglich des beschriebenen Dilemmas: Erstens schlage ich vor, rigoros zwischen analytischen und common sense-Kategorien zu unterscheiden, was zu einer konzeptionellen Schärfung und einer Distanzierung vom Normalisierungsdispositiv verhilft. Zweitens ist die Migrationsforschung enger an die allgemeine Sozialtheorie anzukoppeln und damit aus dem „Migrationstheoriecontainer“ herauszulösen; und drittens ist die Untersuchungseinheit von der Migrationsbevölkerung weg und auf Teile der Gesamtbevölkerung zu lenken; dies erlaubt, allgemeine soziale Prozesse zu untersuchen und anschließend die Rolle von Migration und Ethnizität für diese Prozesse zu eruieren.

3 Wie z. B. „multi-sited ethnography“, eine transnationale Methodologie, Ansätze von mobilen Methoden oder auch Strategien zur De-Ethnisierung von Forschungsdesigns.

18 3.1.

Janine Dahinden

Unterscheidung zwischen common sense- und analytischen Kategorien

Konzeptionelle Schärfe und damit auch eine Reflexivität bezüglich der Einbettung in dieses Normalisierungs- und Migrationsdispositiv ergibt sich, sobald Forschende rigoros zwischen Kategorien unterscheiden, wie sie einerseits von Akteuren in der Öffentlichkeit, im Alltag und in der Politik verwendet werden – ich nenne diese common sense-Kategorien – und solchen Kategorien, die einen analytischen Anspruch haben sollen – also analytischen Kategorien. Erstere gründen in diesem Normalisierungsdispositiv migrationsnaturalisierender Differenz, während es sich bei letzteren um konzeptionelle Instrumente handelt, die aus unterschiedlichen Traditionen der Sozialwissenschaften kommen und zudem häufig außerhalb der Migrationstheorie entwickelt wurden.4 Eine Vermischung oder gar Gleichsetzung dieser zwei Arten von Kategorien ist ein zentraler Mechanismus, mittels dessen Forschende normalisierte migrationsrelevante und ethnisch kulturelle Differenz reproduzieren. Mein Argument geht auf die Anfang des 20. Jahrhunderts in der Ethnologie eingeführte analytische Unterscheidung zwischen etischen und emischen Kategorien zurück (Bodley 1994). Eine ähnliche Unterscheidung wurde auch von Rogers Brubaker eingefordert, der zwischen categories of practice einerseits und categories of social analysis andererseits differenziert (Brubaker 2004:36), oder von Michael Banton (2005:475), der zwischen ordinary and technical language unterscheidet. Der zentrale Punkt ist, dass common sense-Kategorien wie auch der Normalisierungsdiskurs zum empirischen Datenmaterial gehören und Bestandteile der Forschungsobjekte und des Erkenntnisinteresses sind. Common sense-Kategorien sind keine analytischen Werkzeuge, die soziale Prozesse und Phänomene erklären könnten. Aus dem Migrations- und Normalisierungsdiskurs lassen sich Fragestellungen ableiten, die analytisch (und vielleicht auch disziplinär) umformuliert werden können. Es geht dabei aber nicht darum, die Kategorien Migration und Ethnizität zu verleugnen oder wegzudiskutieren, sondern vielmehr darum zu erforschen, wie ethnisierte und ‚migrationalisierte‘ Weltansichten – von Individuen, in Institutionen und Politik etc. – hervorgebracht werden, sich verändern und mit anderen Perspektiven über „Differenz“ interagieren. Es ist bedeutsam klarzustellen, dass es auf keinen Fall darum geht, Akteuren im Alltag abzusprechen, mit den common sense-Kategorien des Normalisierungsdispositivs zu argumentieren, noch zu behaupten, sie hätten einen falschen Kultur-, Ethnizitäts- oder Migrations4 Ein Beispiel: Die Begriffe ‚Kultur‘ oder ‚Integration‘ haben eine common sense-Bedeutung, die in das Normalisierungsdispositiv eingebettet ist – aber sie können auch den Stellenwert von analytische Kategorien haben, womit sich deren Bedeutung grundlegend verändert (Dahinden 2011).

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begriff. Ohne Zweifel können naturalisierte Vorstellungen von Migration und Ethnizität im Alltag wichtige Instrumente kollektiver Aktionen und politischer Mobilisierung und Inklusion sein, z. B. seitens ethnischer Minderheiten oder MigrantInnen. Aber naturalisierte Ideen von Migration und Ethnizität können auch in soziale Prozesse von negativen Zuschreibungen, Diskriminierungen und Ausschluss münden. Die Kategorien Migration und Ethnizität – auch wenn sie konstruiert sind – schaffen partikuläre Realitäten. Mein Argument ist, dass diese sozialen Prozesse mittels analytischer Kategorien analysiert werden müssen und zudem zum Untersuchungsgegenstand von Forschenden gehören. Die Unterscheidung zwischen common-sense- und analytischen Kategorien durch SozialwissenschaftlerInnen ist ferner zentral im Hinblick auf weitere Elemente, die zu einer „De-Migrationisierung“ verhelfen (vgl. hierzu auch (Kraal 2008): Erstens erlaubt diese Differenzierung „soziale Probleme“, die in der Sprache des Normalisierungsdispositivs formuliert sind, in soziologische (oder anthropologische, politologische etc.) Fragestellungen zu übersetzen. Damit ein soziologisches Problem klar formuliert sein kann, muss das, was in der Alltagssprache häufig als ‚großes Problem‘ erscheint – z. B. Integrationsprobleme – umformuliert werden, so dass es analytisch und theoretisch Sinn macht (vgl. hierzu auch Banton 2005). Zweitens erlaubt diese Unterscheidung ebenfalls zu prüfen, ob Forschungsfragen theorieorientiert sind und das Wissen über soziale Prozesse oder Systeme allgemein anreichern, oder ob letztlich Kategorien und Hypothesen des Normalisierungsdispositivs in die Forschungsfragen importiert werden (vgl. hierzu auch Permoser 2014). Die Unterscheidung zwischen common sense- und analytischer Kategorie hilft zudem, die Migrationsforschung an die allgemeine Sozialtheorie anschlussfähig zu machen, ein Punkt, der im nächsten Abschnitt diskutiert wird.

3.2.

Anbindung der Migrationsforschung an analytische Konzepte der allgemeinen Sozialtheorie

Eine weitere Strategie, die Migrationsforschung zu „de-migrationisieren“, liegt darin, auf analytische Konzepte und Theorien zurückzugreifen, die außerhalb der Migrationsforschung entwickelt wurden. Damit wird die Migrationsforschung stärker an die allgemeine Sozialtheorie angekoppelt und liefert gleichzeitig einen Beitrag an diese. Indem Fragen zur Rolle von Migration und Ethnizität aus sozialtheoretischer Perspektive beleuchtet werden, ist es möglich, die Wirkung von Differenzkategorien aufzuzeigen, statt sie von vornherein ins Forschungsdesign einzuschreiben.

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Die Ansätze, die im Folgenden kurz skizziert werden, stellen nur einen kleinen Ausschnitt aller Möglichkeiten dar, wie Migrationsthemen vermehrt an die allgemeine Sozialtheorie gekoppelt werden könnten. Die gewählten Ansätze bieten jedoch allesamt ein spezifisches Potenzial, um eine erhöhte Reflexivität bezüglich der normalisierenden Wirkungsmacht der Kategorien Migration und Ethnizität zu generieren, und sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie alle einen bestimmten Aspekt des Migrations- und Normalisierungsdispositivs infrage stellen. Erstens erlauben m. E. die im Rahmen der sogenannten „Mobility Studies“ (Urry 2007) entwickelten analytischen Konzepte, mit einigen Aspekten des Normalisierungsdispositivs zu brechen. Der Begriff Migration verkörpert – wie ausgeführt – die Logik des Nationalstaates und ist damit ein politischer und normativer Begriff. Betrachten wir die gleichen Phänomene durch eine „MobilityLinse“, in der Bedeutung, wie sie ursprünglich von englischen Geographen wie John Urry oder Tim Cresswell entwickelt wurde, so mein Argument, gewinnen wir an analytischer Schärfe – vermittels einer Distanzierung vom Normalisierungsdispositiv. Im Rahmen der „Mobility Studies“ wird Mobilität5 als grundlegender Aspekt des sozialen Lebens betrachtet, und eine große Varietät von Bewegungen wird in die Analysen mit eingeschlossen. Im Gegensatz zu den Migrationsstudien, die sich fast ausschließlich für Bewegungen über nationale Grenzen hinweg interessieren, wird der Fokus hier beträchtlich erweitert (Cresswell 2006). Das Interesse richtet sich auf das Verstehen der Bewegungen als solche, den Repräsentationen und Wertungen innerhalb spezifischer Kontexte dieser Bewegungen und deren Einbettung in Machtbeziehungen (Kaufmann et al. 2004 ; Ohnmacht 2009). In diesem Sinne markieren die „Mobility Studies“ einen Bruch mit dem Normalisierungsdispositiv, das Stabilität und Ort als normal erscheinen lässt und Distanz und Ortsveränderungen implizit als normabweichend behandelt, insbesondere wenn diese über nationale Grenzen hinweg erfolgen. Forschende dieses Theoriestrangs kritisieren denn explizit auch den „sedentarist bias“ der Sozialwissenschaften im Allgemeinen und der Migrationsforschung im Besonderen (Sheller and Urry 2006). Mit ihrem Fokus auf die Bewegungen selbst unterwandern die „Mobility Studies“ die vom Normalisierungsdispositiv mitgetragenen Bilder von (nationaler, territorialer) „Verankerung“ und „Verwurzelung“ respektive „Entwurzelung“, wie sie auch Ort, Region und Nation nicht mehr als gegebene Basis von Identitäten auffassen (Chavel 5 Wir finden den Begriff der Mobilität auch innerhalb der traditionellen Migrationsforschung, allerdings nimmt er hier eine andere Bedeutung an als bei Forschenden im Rahmen des „Mobility-Paradigmas“: In der Migrationsforschung wird Mobilität von Migration abgegrenzt oder dazu in Opposition gesetzt und entweder mit einer neuen sozialen Realität in Verbindung gebracht oder normativ aufgeladen (Chavel 2014). Auch wenn zahlreiche Forschende diese Dichotomisierungen kritisieren (Faist 2013), so bleibt die Bedeutung von Mobilität in der traditionellen Migrationsforschung bislang eng mit dem Normalisierungsdispositiv verwoben.

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2014). Mit anderen Worten: Was als Migration bezeichnet wird, ist in erster Linie eine Frage von unterschiedlichen Bewegungen von Menschen im Raum – zunächst unabhängig von Nationalstaaten. Insofern könnte es eine Frage sein, inwiefern die Tatsache einer solchen Mobilität relevant ist für Alltag, Handeln, Repräsentationen und Denken, und mit welchen Folgen und auf welche Weise Mobilität zur Distinktion und Ungleichheit beiträgt – oder eben nicht. Die Rolle von Nationalstaaten und Ethnizität für diese Praktiken würde dann in einem zweiten Schritt relevant für die Analyse. In dieser Perspektive eröffnet sich eine Reihe von neuen sozialwissenschaftlichen Problemstellungen, die außerhalb des Normalisierungsdispositivs anzusiedeln sind und deshalb in Richtung einer „DeMigrationisierung“ wirken (vgl. zu einer gelungenen Verbindung von Migrations- und Mobilitätstheorien z. B. Kalir 2013 ; Moret 2014). Zweitens bieten Ethnizitätstheorien, wie sie in der Sozialanthropologie und Soziologie seit den 1960er Jahren elaboriert wurden, einen weiteren analytischen Zugang, um Migrationsforschung zu „de-migrationisieren“. Ein relationales, subjektives, interaktives und prozessuales Verständnis von Ethnizität, wie es sich in der Tradition von Max Weber (1980 [1922]) und Frederik Barth (1969) etablierte, stellt die common sense-Gleichung des Normalisierungsdispositivs, d. h. die Gleichsetzung „MigrantInnen = ethnische/nationale Einwanderergruppe = Identität = Kultur = Natur“, grundlegend infrage. Während common senseMigrations- und Ethnizitätsbegriffe auf quasi natürliche Art Grenzen erklären – von einem ethno-nationalen Kultursystem zum anderen –, untersucht die Ethnizitätsforschung ethnische oder nationale Grenzziehungsprozesse und grenzerhaltende oder -auflösende Mechanismen unmittelbar. Solche Grenzlinien entstehen durch Selbst- und Fremdzuschreibungen, können symbolischen Charakters oder sozial in Institutionen verankert sein und sind zentral für Einund Ausschluss ( Jenkins 1997 ; Wicker 1997 ; Wimmer 2013). Nationale oder ethnische Zugehörigkeiten, entsprechende Solidaritätsvorstellungen und „Groupness“ werden in dieser Theorierichtung als Resultat von sozialen Prozessen verstanden und sind deshalb erklärungsbedürftig – d. h. sie werden nicht wie im Normalisierungsdispositiv als Ausgangspunkt für Forschungen behandelt. Die Untersuchung von Grenzziehungsprozessen gibt Einsicht in Prozesse der sozialen Herstellung und Fortschreibung von „Differenz“ auf Ebene der Nationalstaatenbildung und damit zusammenhängender Fragen von Integration (Lamont and Molnar 2002 ; Pachucki et al. 2007). Nationalstaatliche Vergemeinschaftung erscheint in dieser Perspektive z. B. als soziale Schließung, da die Kriterien für Mitgliedschaft und Zugang klar definiert werden, etwa in Form von „Mehrheitsgesellschaft“, „StaatsbürgerInnen“ und „MigrantInnen“ (Bail 2008 ; Bauböck and Rundell 1998 ; Dahinden 2014). Die soziale Frage der „Integration“ kann unter dieser analytischen Perspektive ebenfalls zu einem soziologischen Problem umformuliert werden: Integration wird hier nicht als kulturelle und

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strukturelle Anpassungsleistung von (ethnischen oder national definierten) Einwanderergruppen verstanden (common sense-Verständnis), sondern als Frage, wann, wie und mittels welcher Markierungen entsprechende ethnische oder nationale Grenzziehungen zwischen einem „Wir“ und „den Anderen“ sich etablieren, überschritten werden oder sich auflösen und welche Konsequenzen diese Grenzziehungsprozesse haben (Alba 2005 ; Duemmler 2015 ; Korteweg and Triadafilopoulos 2013 ; Zolberg and Woon 1999). Dieses theoretische Instrumentarium erlaubt es zudem, empirisch zu eruieren, welche Rolle Migration und Ethnizität in verschiedenen Formen von boundary work spielen – neben respektive im intersektionellen Zusammenspiel mit anderen Differenzkategorien wie Geschlecht, Alter, soziale Schicht etc. Zudem tragen solche Studien zur allgemeinen Theoriebildung der Sozialwissenschaften bei – hier Ethnizitätstheorien – und bleiben nicht im theoretisch spezialisierten „Migrationscontainer“ verhaftet, wie etwa die klassische Integrations- oder Assimilationstheorie. Drittens könnten m. E. analytische Konzepte der Sozialen Netzwerkanalyse (SNA) ebenfalls einen Weg aus diesem Dilemma bieten. In der Migrationsforschung wurde die Bedeutsamkeit von sozialen Netzwerken seit längerem hervorgehoben, und seit den 1960er Jahren sind unzählige Studien entstanden, die Migrationsbewegungen, Entscheidungsprozesse und Integrationsprozesse unter der Perspektive der sozialen Netzwerke untersuchen (z. B. Bauer et al. 2000 ; Boyd 1989 ; Massey et al. 1993 ; Nauck et al. 1997). Trotz dieser Vielfalt an Studien zum Thema und der ungebrochenen Popularität des Netzwerkparadigmas in der Migrationsforschung ist festzuhalten, dass die meisten Arbeiten nicht auf die Methodologie und Theorie der klassischen Netzwerkmethode respektive -analyse rekurrieren (z. B. Schweizer 1988 ; Wasserman and Galaskiewicz 1994), sondern soziale Einbettung oder soziale Netzwerke oftmals lediglich als Metaphern einführen. Migrationsforschende beschränken sich bei der Untersuchung sozialer Beziehungen von MigrantInnen vorwiegend auf Verwandte und Familienangehörige oder aber auf gleichethnische Beziehungen (Alisdair and Vertovec 1995 ; Gurak and Caces 1992:150), womit sie im Normalisierungsdispositiv verankert bleiben. Das Potenzial der Netzwerktheorie und -methodologie besteht letztlich gerade darin, Migration und Ethnizität nicht von vornherein als Differenzkategorien in die Forschung einzuschreiben, denn mit ihrem Fokus auf die Struktur von sozialen Beziehungen kann die SNA über die a priori Definition von migrationsrelevanten oder ethnischen Kategorien hinausgehen. Grundidee der Netzwerkanalyse ist, dass die soziale Einbettung von Akteuren in ein Netz von Beziehungen etwas über ihre Position in der Gesellschaft aussagt. D. h. soziale Systeme werden nicht als Summe von isolierten Akteuren mit spezifischen Charakteristika aufgefasst, sondern die Gesamtheit der Beziehungen von Akteuren in einem sozialen Netzwerk wird fokussiert – es geht also darum, die Muster dieser Einbettung zu beschreiben. Auf diese Weise können Handlungs-

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möglichkeiten und -zwänge eruiert werden. Muster der Einbettung in soziale Beziehungen entstehen nicht zufällig, sondern sind als strukturelle Muster zu verstehen (Scott 1991). Werden die Ideen und Methoden der SNA angewendet – in Form der Untersuchung von Gesamtnetzwerken oder egozentrierten Netzwerken, mittels Namensgeneratoren usw. –, so lässt sich nicht nur die Struktur von Netzwerken eruieren, sondern auch, welche Rolle Migration und Ethnizität in diesen Netzwerken zukommt (vgl. zu Studien, die die SNA rigoros auf die Migrationsthematik angewandt hatten z. B. Dahinden 2005, 2013 ; Gamper and Reschke 2010 ; Ryan et al. 2015). Andere AutorInnen arbeiteten mit der „Etablierte-Außenseiter-Figurationslogik“ in Anlehnung an Elias und Scotson (1965), etwa wenn es um die Untersuchung der Frage der Integration ging, und zeigten vielfältige Ein- und Ausschlussmechanismen, die über die Kategorien Migration und Ethnizität hinausgingen (vgl. hierzu z. B. Karrer 2002 ; Kissler and Eckert 1990 ; Paulle and Kalir 2014). Schließlich wären auch Ansätze einer transnationalen Ungleichheitsforschung zu erwähnen, die ebenfalls das Potenzial haben, aus dem „Migrationstheoriecontainer“ auszubrechen (vgl. für ein Beispiel hierzu Bommes 2005 ; Weiss and Berger 2008). Zusammenfassend zeigt sich, dass sich letztlich unzählige konzeptionelle Möglichkeiten bieten, wie eine Distanz zum Normalisierungsdispositiv gewonnen werden kann. Die Konsequenz dieser Strategie ist allerdings, dass sich die Migrationsforschung von ihrem Migrationsfokus löst und in eine allgemeine Sozialforschung und -theorie integriert wird, allerdings eine, die gleichzeitig Migration und Ethnizität als wichtige Faktoren in ihre Analyse miteinbezieht. 3.2.1. Refokussierung der Untersuchungseinheit: Von der „Migrationsbevölkerung“ zu (Teilen) der Gesamtbevölkerung Eine letzte hier darzustellende Strategie, um die Migrationsforschung zu „demigrationisieren“, leitet sich aus den vorherigen Überlegungen ab. Der Vorschlag ist, von der Untersuchungseinheit „Migrationsbevölkerung“ und ihren Zuschreibungen wegzukommen und den Fokus auf Teile der „Gesamtbevölkerung“ zu richten und damit die Relationalität von Zuschreibungen zu fokussieren. Diese Refokussierung der Untersuchungseinheit erlaubt es, die gängige Asymmetrie und a priori Differenzkategorie „Migrationbevölkerung“ versus „NichtMigrationsbevölkerung“, die häufig in Forschungsdesigns eingeschrieben ist, zu überwinden – und erneut, gleichzeitig die Rolle von Migration und Ethnizität für die jeweilige Fragestellung zu untersuchen. Mit anderen Worten: Fragestellungen verlieren bei dieser Strategie zwar ihren migrationsspezifischen Fokus; gleichzeitig kann aber untersucht werden, welche Elemente an der Fragestellung tatsächlich migrations- oder ethnizitätsspezifisch sein könnten. Je nach Fragestel-

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lung und theoretischer Ausrichtung betrifft dies offensichtlich andere Teile der „Gesamtbevölkerung“: Dies können z. B. Nachbarschaften, Schulen, Arbeitsplätze, Institutionen, Städte etc. sein. Verschiedene Migrationsforschende haben eine solche Strategie gewählt (einer der ersten war wohl Baumann 1996). Aber auch in der Bildungsforschung sowie in der Ethnizitätsforschung mit ihrem Fokus auf Interaktion sind solche Ansätze seit längerem gang und gäbe.

4.

Fazit

Ich habe in diesem Artikel argumentiert, dass die Migrations- und Integrationsforschung ursächlich Teil eines nationalstaatlich hervorgebrachten Migrations- und Normalisierungsdispositivs migrationsrelevanter Differenz ist. Daraus ergibt sich ein problematisches Spannungsfeld: Zum einen wird innerhalb der Migrations- und Integrationsforschung Migration als Differenzkategorie reproduziert, indem diese Differenz häufig von vornherein in Fragestellungen, Forschungsdesigns und Untersuchungseinheiten eingeschrieben wird. Zum anderen waren es gleichzeitig die Migrationsforschenden selbst, welche die Debatte über das Gewicht der nationalstaatlichen Logik in den Sozialwissenschaften eröffneten und auch zahlreiche Strategien und Reflexionen zur Überwindung dieses Problems vorlegten. Die Lösung für dieses Dilemma besteht zweifelsohne nicht darin, die Migrations- oder Integrationsforschung abzuschaffen, zu viel wichtiges Wissen und zu viele theoretische Ansätze wurden in diesem Spezialgebiet in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht – einige Beispiele wurden in diesem Artikel punktuell erwähnt. Nichtsdestotrotz argumentiere ich, dass es Strategien gäbe, die eine erhöhte Reflexivität bezüglich dieser Eingebundenheit erlaubten: Etwa die Unterscheidung von common sense- und analytischen Kategorien, die Analyse von Migrationsphänomenen mittels eines Instrumentariums, das außerhalb der Migrationsforschung entwickelt wurde, oder auch eine Fokussierung der Untersuchungseinheit auf die „Gesamtbevölkerung“ gehören dazu. Eine solche „postmigrantische“ Ausrichtung würde Migration und ihre Folgen zum Normalfall der Gesellschaft und zur Querschnittsaufgabe sozialwissenschaftlicher Analyse machen (Römhild 2014). Letztlich hätte eine solche strategische Neuausrichtung allerdings eine weitreichende Konsequenz: Die Migrations- und Integrationsforschung würde stärker in die allgemeine Sozialtheorie eingebettet, eventuell gar wieder disziplinär ausgerichtet, und sie würde ihre „Migrationsspezialitätsrolle“ verlieren, ja vielleicht sich sogar auflösen. Dieser Sachverhalt bedarf einer kurzen Schlussbemerkung: Verlöre die Migrationsforschung ihre Spezifizität und würde in eine allgemeine Sozialforschung überführt, würde dies vielleicht auf der anderen Seite

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bedingen, dass paradoxerweise vermehrt Strategien erarbeitet werden müssten, wie die Sozialwissenschaften allgemein „migrationisiert“ werden könnten (vgl. hierzu auch die Beiträge in Labor Migration 2014). Denn es ist immer noch zu konstatieren, dass Forschende aus anderen Richtungen Mobilität und Migration in ihren Studien quasi „vergessen“ und Sozialanalyse häufig unter Ignoranz von gesellschaftlicher Heterogenität vonstattengeht. Die Frage wäre letztlich, welche Strategien adäquat sind, Migration und Ethnizität transversal in die Sozialtheorie und Sozialforschung einzubringen. Aus der Gender-Forschung wissen wir, dass eine solche transversale Einbringung vor großen Hürden steht. In diesem Sinne plädiere ich dafür, ein Gleichgewicht zu suchen zwischen einerseits einer „migrationsspezifischen“ Forschung – im Sinne der zweiten Positionierung, die oben beschrieben wurde – und andererseits einer allgemeinen Sozialwissenschaft, wie sie hier skizziert wurde – eine Sozialwissenschaft allerdings, welche die Rolle von Migration und Ethnizität systematisch einbezieht und weitere Überlegungen zum Selbstverständnis der Migrations- und Integrationsforschung anstellt.

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Ausbildung und Jugendliche

Elisabeth Stefanek / Dagmar Strohmeier / Takuya Yanagida

Interkulturelle Freundschaften von Jugendlichen in multikulturellen Schulen

Einleitung Die Lebenswelt von Jugendlichen ist in zunehmendem Ausmaß von kultureller Vielfalt geprägt. Durch das Zusammentreffen von Jugendlichen verschiedener kultureller und sozialer Herkunft in Schulen und Freizeiteinrichtungen entstehen Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen und Freundschaften aufzubauen. Zudem stellen interkulturelle Freundschaften eine optimale Kontaktbedingung dar und führen zu einer Reduktion von Vorurteilen (Pettigrew 1998, 77; Pettigrew/Tropp 2011, 25). Dennoch sind Freundschaften zwischen Jugendlichen gleicher kultureller Herkunft nach wie vor häufiger als zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft (Chan/Birman 2009, 321). Diese Ergebnisse werden durch die zwei zentralen Freundschaftsprinzipien der „Ähnlichkeit“ und der „Verfügbarkeit“ erklärt. Im folgenden Beitrag werden diese beiden Prinzipien auf Grundlage akkulturationspsychologischer und sozialpsychologischer Theorien erläutert. Danach folgen aktuelle Befunde zur Forschung von interkulturellen Freundschaften in europäischen und anglo-amerikanischen Sprach- und Kulturräumen. Im methodischen Teil werden der Forschungsbedarf und Ziele der durchgeführten Studie zu interkulturellen Freundschaften dargestellt, die Stichproben und das methodische Vorgehen beschrieben sowie die Ergebnisse der Studie präsentiert. In der Diskussion werden der Beitrag der Studie für die aktuelle Forschung dargestellt und zukünftige Forschungsfragen abgeleitet.

Interkulturelle Freundschaften Freundschaften mit Gleichaltrigen erfüllen eine Reihe von wichtigen Funktionen für die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz. Freundschaften mit Gleichaltrigen führen zu psychischer Gesundheit und zur Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls bei Jugendlichen (Hartup 1996, 4; Seiffge-Krenke 1995, 103).

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In einer multikulturellen Gesellschaft ist die Bildung von Freundschaften zwischen Jugendlichen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zu einer neuen wichtigen Entwicklungsaufgabe geworden (Larson 2002, 3; Reinders/ Greb/Grimm 2006, 53). Interkulturelle Freundschaften, d. h. Freundschaften zwischen Jugendlichen mit unterschiedlichen Erstsprachen, sind mit zahlreichen positiven Eigenschaften verbunden. Jugendliche, die interkulturelle Freundschaftsbeziehungen haben, werden als sozial kompetenter eingestuft, weisen Führungskompetenzen auf (Lease/Blake 2005, 32) und haben bessere Schulleistungen (Hallinan/Williams 1990, 128) als Jugendliche ohne solche Freundschaften. Vor allem Jugendliche, die neu in ein Land kommen und der ersten Einwanderungsgeneration angehören, profitieren von Freundschaften zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund durch das Kennenlernen der neuen Kultur und das Erlernen der Sprache des Einwanderungslandes und weisen oftmals geringere soziale Verhaltensprobleme und bessere Schulleistungen auf als Jugendliche ohne solche Freundschaften (Berry 1997, 21; Titzmann/Silbereisen 2009, 306). Dennoch sind Freundschaften zwischen Jugendlichen gleicher kultureller Herkunft nach wie vor häufiger als zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft (Chan/Birman 2009, 320). Eine Erklärung dafür ist, dass die Freundschaftswahl aufgrund von wahrgenommener Ähnlichkeit erfolgt, wobei neben Alter und Geschlecht die kulturelle Zugehörigkeit ein wesentliches Kriterium für die Freundschaftswahl darstellt (Aboud/Mendelson/Purdy 2003, 169).

Akkulturationspsychologische Perspektive Auch aus akkulturationspsychologischer Perspektive wird argumentiert, dass die Kontaktaufnahme zwischen Angehörigen unterschiedlicher kultureller Gruppen aufgrund kultureller Ähnlichkeit erfolgt (Berry 1997, 22). Akkulturation beschreibt die Veränderungsprozesse in Gruppen und Individuen, die durch interkulturelle Kontaktsituationen entstehen (Berry 2003, 24). In der psychologischen Akkulturationsforschung wird die Anpassung des Individuums an die veränderten Gegebenheiten untersucht (Graves 1967, zitiert nach Berry 1997, 7). Durch zunehmende globale Migrationsbewegungen entstehen vermehrt interkulturelle Kontaktsituationen, die bei allen daran beteiligten Gruppen (ImmigrantInnen und Nicht-ImmigrantInnen) akkulturationsbedingte Prozesse auslösen, wobei nach Berry (1997, 10) zwei zentrale Dimensionen unterschieden werden: (1) Kulturelle Identität und (2) Kontakt zur und Teilhabe an der Einwanderungsgesellschaft. Die Frage nach der Beibehaltung der eigenen kulturellen Identität und die Frage nach der Teilhabe an der Gesellschaft ergeben in Kombination vier Akkulturationsorientierungen.

Interkulturelle Freundschaften von Jugendlichen in multikulturellen Schulen

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Eine Integrationsorientierung zeichnet sich dadurch aus, dass Beziehungen zu Menschen anderer Kulturen und die Beibehaltung der eigenen kulturellen Identität als wertvoll erachtet werden. Bei einer Marginalisierungsorientierung wird hingegen der Kontakt mit den Mitgliedern der Einwanderungsgesellschaft abgelehnt und die eigene kulturelle Identität negativ bewertet. Keine Kontaktaufnahme und ein hoher Stellenwert der Beibehaltung der eigenen kulturellen Identität werden als Separationsorientierung charakterisiert, während die Kontaktaufnahme und die Ablehnung der eigenen kulturellen Identität als Assimilationsorientierung bezeichnet werden. Es besteht zudem ein Zusammenhang zwischen Akkulturationsorientierungen und psychischer Befindlichkeit sowie sozialen Verhaltensweisen. In einer großen internationalen Studie konnte eindeutig belegt werden, dass die Jugendlichen mit einer Integrationsorientierung größeres psychisches Wohlbefinden und weniger soziale Verhaltensprobleme zeigten. Umgekehrt hatten Jugendliche mit Assimilationsorientierung und Marginalisierungsorientierung eine schlechtere psychische Gesundheit und zeigten mehr soziale Verhaltensauffälligkeiten (Berry/ Phinney/Sam/Vedder 2006, 321). Gezeigt wurde auch, dass der Kontakt von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu Jugendlichen der Einwanderungsgesellschaft förderlich ist für die psychische und soziale Entwicklung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (Titzmann/Michel/Silbereisen 2010, 15). Während der Akkulturation beeinflusst eine Vielzahl von Faktoren, ob eine Kontaktaufnahme zwischen unterschiedlichen kulturellen Gruppen zu interkulturellen Freundschaften führt. Im Akkulturationsmodell von Berry (1997, 15) werden zentrale Einflussfaktoren dargestellt, wie Alter, Geschlecht, kulturelle Gruppe und Migrationserfahrungen. Dabei konnte in zahlreichen Studien der Einfluss des Alters auf die interkulturelle Freundschaftswahl festgestellt werden, wonach mit höherem Alter zunehmend FreundInnen mit gleichem kulturellem Hintergrund gewählt werden (Aboud et al. 2003, 170; Graham/Taylor/Ho 2009, 396; Titzmann/Silbereisen 2009, 304). In Studien in Amerika und Europa konnte belegt werden, dass die Freundschaftswahl in einem hohen Ausmaß auf Grundlage der kulturellen Zugehörigkeit erfolgt (vgl. Graham/Taylor/Ho 2009, 396). Des Weiteren wurde gezeigt, dass Jugendliche ohne Migrationserfahrungen weniger interkulturelle Freundschaften aufweisen als Jugendliche mit Migrationserfahrungen (Baerveldt/van Duijn/Vermeij/van Hemert 2004, 63; Spiel 2009, 25; Strohmeier/Spiel 2003, 106).

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Sozialpsychologische Perspektive Neben dem Ähnlichkeitsprinzip ist die Verfügbarkeit entscheidend, wonach Personen sich mit anderen Individuen anfreunden, die sich im gleichen sozialen und räumlichen Umfeld aufhalten (Mouw/Entwistle 2006, 402). So konnte in Studien belegt werden, dass in Klassen mit einem hohen Anteil von Jugendlichen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund die Anzahl der interkulturellen Freundschaften höher war als in Klassen, in denen mehr gleichkulturelle Jugendliche waren (Moody 2001, 692; Quillian/Campbell 2003, 553). Umgekehrt belegten andere Studien, dass es in Klassen mit einem hohen Anteil an unterschiedlichen kulturellen Gruppen mehr gleichkulturelle Freundschaften als interkulturelle Freundschaften zwischen den Jugendlichen gab (Chan/Birman 2009, 318). Erklärungen für diese unterschiedlichen Ergebnisse liefern Modelle aus der sozialpsychologischen Forschung. Während das Modell der Akkulturationspsychologie zahlreiche Einflussfaktoren auf der Individualebene beschreibt, liefern sozialpsychologische Theorien Erklärungsfaktoren auf der kontextuellen Ebene. Eine zentrale Theorie im Zusammenhang mit der Vorurteilsforschung ist die Theorie der Intergruppenkontakte. Demnach werden Vorurteile gegenüber Mitgliedern von anderen Gruppen vor allem dann reduziert, wenn folgende optimale „Kontaktbedingungen“ vorzufinden sind: (1) gleicher Status in der Kontaktsituation, (2) Unterstützung durch anerkannte Autoritäten, (3) ein gemeinsames übergeordnetes Ziel und (4) Kooperation (Allport 1954, 281). Diese optimalen Kontaktbedingungen, die auch als „Freundschaftspotenzial“ einer Umgebung bezeichnet werden, sind für die Bildung von interkulturellen Freundschaften förderlich (Pettigrew 1998, 76). Multikulturelle Schulen können solche Orte mit „Freundschaftspotenzial“ sein, da zumeist (1) optimale Kontaktbedingungen vorzufinden sind und (2) Jugendliche die reale Chance haben, mit Jugendlichen aus anderen kulturellen Gruppen in Kontakt zu treten. Dabei ist vor allem eine ausgewogene Zusammensetzung vorteilhaft, in der es keine numerische Mehrheit einer kulturellen Gruppe gibt ( Juvonen/Nishina/Graham 2006, 396).

Forschungsbedarf und Ziele der Studie Die vorliegenden Studien weisen jedoch eine Reihe von methodischen Mängeln auf, die im Folgenden dargestellt werden. Die Auswahl der Stichprobe und die untersuchten Gruppen beschränken sich in vielen Studien auf eine bestimmte Gruppe von ImmigrantInnen wie z. B. die Freundschaftswahl vietnamesischer Jugendlicher in Amerika (Chan/Birman

Interkulturelle Freundschaften von Jugendlichen in multikulturellen Schulen

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2009, 317) oder die Freundschaftswahl jugendlicher Aussiedler in Deutschland und Israel (Titzmann/Silbereisen 2009, 303). Andere Studien wiederum untersuchen die Freundschaftswahlen von niederländischen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den Niederlanden (Vervoort/Scholte/Scheepers 2011, 259) oder deutsche Jugendliche ohne Migrationshintergrund und türkischstämmige Jugendliche in Deutschland ( Jugert/Noack/Rutland 2011, 815). In allen diesen Ländern gibt es eine Vielzahl kultureller Gruppen, und eine Beschränkung auf eine oder zwei Gruppen führt möglicherweise zu einem verzerrten Ergebnis. Auch in Österreich sind in multikulturellen Schulen SchülerInnen mit unterschiedlichen Sprachen vertreten. Die Berücksichtigung dieser kulturellen Vielfalt in der Klasse ist daher erforderlich, um ein differenziertes Bild möglicher Einflussfaktoren von Freundschaftswahlen zu erhalten. Ein weiterer Schwachpunkt bei der Forschung zu interkulturellen Freundschaften ist, dass interkulturelle Freundschaften zumeist nur mittels einseitiger Nominierungsverfahren erfasst wurden ( Joyner/Kao 2000, 816). Daher konnte nicht festgestellt werden, ob es sich bei den Nominierungen um eine unilaterale Freundschaftsbeziehung handelt (d. h. eine Person nominiert eine andere Person, wird aber von dieser nicht nominiert), oder ob sich die Jugendlichen wechselseitig nominierten. Während unilaterale Freundschaftsnominierungen eher den Wunsch nach einer Freundschaft mit einer anderen Person ausdrücken, können reziproke Nominierungen als tatsächliche Freundschaften erachtet werden (Scholte et al. 2009, 90). Bezogen auf interkulturelle Freundschaftsbeziehungen liefert die Unterscheidung zwischen unilateralen und reziproken Freundschaftsnominierungen weitere Einblicke. In einer Studie von Echols und Graham (2014, 479) zeigte sich, dass das Prinzip der Ähnlichkeit in interkulturellen reziproken Freundschaften eine größere Rolle spielt als in interkulturellen unilateralen Freundschaften. Demnach ist anzunehmen, dass kulturelle Ähnlichkeit in unilateralen Freundschaften eine geringere Rolle spielt als in reziproken Freundschaften und daher weniger stark ausgeprägt ist. Schließlich wurde die Verfügbarkeit von Jugendlichen mit derselben Erstsprache in den Schulklassen meist nicht oder nur unzureichend kontrolliert. Häufig wurde ein einfacher Prozentindex verwendet (Anzahl der nominierten FreundInnen mit gleichem kulturellem Hintergrund dividiert durch die Anzahl aller FreundInnen), um das Vorhandensein von interkulturellen Freundschaften im Netzwerk zu bestimmen. Bei dieser prozentuellen Verteilung wird jedoch nur das Verhältnis von FreundInnen mit gleicher Erstsprache zum gesamten Freundeskreis berechnet, das Vorhandensein von Personen mit gleichem kulturellem Hintergrund im Klassenkontext wird nicht berücksichtigt. In einer Schulklasse, in der mehrere unterschiedliche kulturelle Gruppen vertreten sind,

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ist daher die Möglichkeit FreundInnen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund auszuwählen größer, als in kulturell wenig durchmischten Klassen. Daher wurde ein neu entwickelter Index (OI, Strohmeier 2012, 101) angewandt, der die Verfügbarkeit von Jugendlichen mit gleichen und unterschiedlichen kulturellen Hintergrund in der Klasse berücksichtigt. Anhand der vorliegenden Studie soll versucht werden, Forschungslücken aus den bisherigen Studien zu schließen und dabei folgende Forschungsfragen zu beantworten: 1) Gibt es in reziproken Freundschaftsbeziehungen mehr gleichsprachige Nominierungen als in unilateralen Freundschaftsbeziehungen? 2) In welchem Ausmaß nominieren Jugendliche mit den Erstsprachen Deutsch, Türkisch und einer Erstsprache aus dem ehemaligen Jugoslawien FreundInnen mit gleicher Erstsprache? 3) Verändern sich diese Ergebnisse, wenn die Verfügbarkeit von gleichsprachigen Jugendlichen im Klassenkontext berücksichtigt wird? Das heißt, unterscheiden sich Jugendliche mit den Erstsprachen Deutsch, Türkisch und einer Erstsprache aus dem ehemaligen Jugoslawien im Hinblick auf a. reziproke gleichsprachige Freundschaftspräferenz und b. unilaterale gleichsprachige Freundschaftspräferenz?

Stichprobe Die Daten stammen von 1.451 zehn- bis fünfzehnjährigen SchülerInnen (MAlter = 12,31; 48,8 % Mädchen) der 5. bis 8. Schulstufe aus 77 Klassen in elf Schulen in Österreich (Wien, Salzburg, Kärnten). 52,2 % der SchülerInnen gaben Deutsch als ihre Erstsprache an. 47,8 % gaben insgesamt 37 unterschiedliche Erstsprachen an. Die Jugendlichen wurden zunächst anhand ihrer Erstsprache in vier Gruppen geteilt: (1) Jugendliche, die Deutsch als ihre Erstsprache angaben (n = 758), (2) Jugendliche mit der Erstsprache Türkisch (n = 223), (3) Jugendliche mit den Erstsprachen Serbisch (n = 202), Kroatisch (n = 33), Bosnisch (n = 54), Mazedonisch (n = 16), Slowenisch (n = 1), Albanisch (n = 37) und (4) Jugendliche, die eine andere Sprache als die oben genannten als ihre Erstsprache angaben (n = 127). Die prozentuelle Verteilung der Jugendlichen mit den Erstsprachen Deutsch, Türkisch sowie einer Erstsprache aus dem ehemaligen Jugoslawien war in den Schulklassen unterschiedlich hoch. Die prozentuelle Verteilung der Kinder mit der Erstsprache Deutsch in den 77 Schulklassen beträgt durchschnittlich 52 %. Die durchschnittliche prozentuelle Verteilung der Kinder mit der Erstsprache Türkisch beträgt 16 %. Die prozentuelle Verteilung von Kindern mit einer Erstsprache aus dem ehemaligen Jugoslawien beträgt durchschnittlich 23 %. Die

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Interkulturelle Freundschaften von Jugendlichen in multikulturellen Schulen

durchschnittliche prozentuelle Verteilung von Kindern mit einer anderen Erstsprache beträgt 9 %. Tabelle 1: Stichprobe Deutsch Türkisch Sprachen des ehemaligen Jugoslawiens

Sonstige Sprachen

Erstsprache (n / %)

758 (52,2)

223 (15,4)

343 (23,6)

127 (8,8)

Mädchen (%)

49,9

48,9

47,5

45,7

Alter M (SD)

12,22 (1,10)a

12,490 (1,35)b

12,34 (1,38)

12,38 (1,29)

Durchschnittliche Verteilung der 52 16 23 9 Erstsprachen in Klassen (%) Anmerkung: Spaltenmittelwerte mit unterschiedlichen Subskripten unterscheiden sich signifikant (p