Mid-Century Modern – Visionäres Möbeldesign aus Wien 9783035622393, 9783035621778

Visionary furniture design from Vienna In 1938, Vienna lost its best and most creative minds. This rupture was manifes

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Mid-Century Modern – Visionäres Möbeldesign aus Wien
 9783035622393, 9783035621778

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
I Geschichte des Wiener Möbeldesigns von den Anfängen bis 1960
II MöbeldesignerInnen – Biografien
III Interviews mit ExpertInnen, SammlerInnen & DesignerInnen
IV Einblicke in Wohnungen, Häuser & Cafés
Literatur- und Quellenverzeichnis
Bildnachweis
Über die Autorin
Danksagung
Impressum

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Mid-Century Modern Visionäres Möbeldesign aus Wien

Caroline Wohlgemuth

Mid-Century Modern Visionäres Möbeldesign aus Wien

Birkhäuser Basel

Für Leopold, Konrad und Claire Dieses Buch ist all jenen Vertriebenen gewidmet, über die hier nicht geschrieben werden konnte.

I

Geschichte des Wiener Möbeldesigns von den Anfängen bis 1960

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1

Möbeldesign – ein Blick zurück: vom Dessinateur zum Designer Vom Handwerk zum industriell gefertigten Möbel b Die Arts-and-Crafts-Bewegung und ihr Einfluss auf Wien

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Biedermeier – Möbelkunst aus Wien

Möbel aus gebogenem Holz: die Gebrüder Thonet und Jacob & Josef Kohn Michael Thonet – der Erfolg der modernen Industrieform für Möbel b Weltberühmt: der Sessel Nr. 14 von Thonet c Jacob & Josef Kohn – Kreativität und Innovation

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4

Wien um 1900 a Wiener Moderne – das Phänomen des Fin de Siècle b Architekten und Künstler als Möbeldesigner c Wiener Werkstätte d Gegenspieler und Kritiker des Jugendstils: Adolf Loos e Frühes Produktdesign aus Wien

5

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Vom Bauhaus zum International Style Das Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin b Moderne Möbel aus Stahlrohr c Wiener ArchitektInnen und DesignerInnen in Deutschland d Vertriebene Visionen – vom Bauhaus in die USA

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6

43

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Visionäres Wien – Loos-gelöstes Möbeldesign a Neue Wiener Möbel der 1920er und 1930er Jahre b Ein neues Frauenbild: Architektinnen als Designerinnen c Haus & Garten – Räume und Möbel für die Seele d Bauhaus mitten in Wien – die Ateliergemeinschaft Singer & Dicker e Die Wiener Werkbundsiedlung – der Höhepunkt modernen Möbeldesigns f Die Bugholzindustrie in den 1920er und 1930er Jahren

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7

Glamouröses Art déco und Wiener Möbel in Paris

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8

Ein Riss in der Zeit – 1938 und die Folgen für das Wiener Möbeldesign

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Die vertriebenen VisionärInnen – von Wien in die USA Die Emigration der Moderne b Die frühen Auswandernden c Aus Wien vertrieben – ein erzwungener Neubeginn im Exil d Organic Style – die Möbelformen der 1950er Jahre

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10 Möbeldesign der 1950er Jahre in Wien

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Skandinavische Möbel und Wiener Möbeldesign in Schweden: Josef Frank

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12 Bel Design aus Italien

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13 Industriell gefertigte Möbel im englischen Exil

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14 Von Wien nach Palästina – Möbeldesign für den neu gegründeten Staat Israel

133

15 Die geistige Botschaft aus Wien

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Inhaltsverzeichnis

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II

MöbeldesignerInnen – Biografien

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1

Oskar Strnad Ella Briggs Oskar Wlach Ernst Lichtblau Josef Frank Paul Theodore Frankl Walter Sobotka Friedrich Kiesler Paul Engelmann Richard Neutra Ernst Freud Liane Zimbler Jacques Groag Felice Rix-Ueno Felix Augenfeld Ernst Schwadron Franz Singer Friedl Dicker Bruno Pollak Jacqueline Groag Walter Loos Anna Szabo Dora Gad Martin Eisler Vergessene Namen

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III

Interviews

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mit ExpertInnen, SammlerInnen & DesignerInnen

1

Friedl Dicker & Franz Singer – Georg Schrom über die visionäre Ateliergemeinschaft

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240



Über fünf Generationen Design aus Wien – Maria Auböck über die Werkstätte Carl Auböck

IV

Einblicke in Wohnungen, Häuser & Cafés

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1

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Eine Villa und ein Garten für die Seele – das Haus Krasny heute Das Haus der hundert Stiegen – die Villa Beer Designwohnzimmer im Museum: Salonplafond Eine Zeitreise in die 1950er: Café Prückel Wenn die Zeit stillsteht: Original-Möbeldesign aus den 1950er Jahren The Guesthouse Vienna – eine Brasserie mit Wiener Möbeldesign Ein Bohème-Leben über den Dächern Wiens Mid-Century-Modern-Möbeldesign im eleganten Palais



Literatur- und Quellenverzeichnis Bildnachweis Über die Autorin Danksagung Impressum

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Inhaltsverzeichnis

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Einleitung

Sie war eine der kreativsten Metropolen der Welt und die Stadt des modernen Designs: Wien um 1900. Josef Hoffmann oder Adolf Loos, die Wegbereiter der Wiener Moderne, genießen bis heute Weltruhm. Auch der erste sogenannte „Design-Sessel“ der Welt, die Nr. 14 der Gebrüder Thonet, wurde in Wien gestaltet und mehr als 80 Millionen Mal auf der ganzen Welt verkauft. Michael Thonet, der Erfinder der Bugholzmöbel, gilt weltweit als Pionier der industriellen Möbelproduktion und des modernen Möbeldesigns. Doch kaum einer kennt Franz Singer, Ernst Schwadron, Bruno Pollak, Friedl Dicker oder Liane Zimbler – allesamt MöbeldesignerInnen aus dem Wien der 1920er und 1930er Jahre. Es war das Zeitalter Sigmund Freuds, Stefan Zweigs, Friedrich Torbergs, Franz Werfels und Joseph Roths, deren Romane weltweit gelesen wurden, Alban Berg und Arnold Schönberg schrieben Musikgeschichte, Max Reinhardts Theaterinszenierungen waren international bekannt. Die Ideen der PhilosophInnen des Wiener Kreises beeinflussten die Philosophie des 20. Jahrhunderts maßgeblich. Trotz der katastrophalen wirtschaftlichen und politischen Situation in Österreich kam es in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen zu einer Hochblüte in der Kunst und Kultur, der Musik und der Literatur und in den Natur- und Geisteswissenschaften. Wien wurde in dieser Zeit erneut zu einer inspirierenden und visionären Kulturmetropole – auch in der Architektur und im Möbeldesign. Neben Josef Hoffmann und Adolf Loos wurden die jüngere Generation der ArchitektInnen wie Oskar Strnad und Josef Frank sowie deren Studierende – erstmals auch Frauen – als MöbeldesignerInnen aktiv. Statt luxuriöser, repräsentativer Villen oder Zinshäuser wurden einfache Wohnhäuser gebaut und etliche Wohnungen renoviert. Zahlreiche ArchitektInnen waren neben ihrem Engagement im sozialen Wohnbau vorrangig als MöbeldesignerInnen und InnenarchitektInnen tätig, was zu einer Blüte des Wiener Möbeldesigns führte. Anders als in Wien um 1900 ging es den MöbeldesignerInnen in erster Linie darum, gute, formschöne und leistbare Möbel zu kreieren und damit das Leben der BewohnerInnen besser und angenehmer zu gestalten. Die neue Zeit verlangte nach neuem Möbeldesign: Mit ihren bunten, farbenfrohen und leichten Möbeln gingen die MöbeldesignerInnen einen unkonventionellen, typisch wienerischen Weg. Gerade in politisch instabilen Zeiten waren sie bestrebt, Räume und Einrichtungen zu schaffen, in denen die Menschen sich wohlfühlen und mehr Ruhe, Gelassenheit und Glück finden sollten. In Wien ebenso wie auch in anderen Metropolen Europas entwickelte sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ein völlig neues Frauenbild: Junge, unabhängige Frauen, die nun erstmals Zutritt zu den Universitäten und Hochschulen hatten, machten sich als Möbeldesignerinnen einen Namen. Die ersten Architektinnen Österreichs wie Ella Briggs, Margarete Schütte-Lihotzky oder Liane Zimbler verwirklichten ihre Ideen

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und Gestaltungsprinzipien in gut durchdachten, multifunktionalen Möbeln und flexiblen Einrichtungen und setzten sich bei ihrer Arbeit unermüdlich für die Gleichberechtigung der Frauen in der Gesellschaft ein. Die Geschichte des Wiener Möbeldesigns ist jedoch auch eine Geschichte der Flucht, der Emigration und der Vertreibung der intellektuellen und kreativen Elite Österreichs. Der Großteil der modernen visionären MöbeldesignerInnen Wiens, so wie auch die ersten Architekturstudentinnen Österreichs Lisl Scheu Close, Ella Briggs und Liane Zimbler, Anna Szabo oder Dora Gad, kamen aus jüdischen Familien. Unzählige DesignerInnen, ArchitektInnen und KünstlerInnen erlitten während des NS-Regimes tragische Schicksale, wurden deportiert und ermordet, wie die hochbegabte Möbeldesignerin, Innenarchitektin und Malerin Friedl Dicker. Sie starb im Alter von 46 Jahren im Konzentrationslager Auschwitz. Wenige konnten rechtzeitig vor den Nationalsozialisten aus Wien fliehen, in Schweden, Brasilien oder den USA Fuß fassen und weiterhin als erfolgreiche DesignerInnen arbeiten oder an renommierten Universitäten unterrichten. Der Wiener Architekt und Designer Ernst Lichtblau floh 1939 aus Wien in die USA, unterrichtete an der Rhode Island School of Design und prägte dort eine ganze Generation junger DesignerInnen. Der Architekt, Möbel- und Stoffdesigner Josef Frank wanderte bereits Ende 1933 nach Stockholm aus und unterrichtete ab 1942 Design an der renommierten New School for Social Research in New York. Seine farbenfrohen und fantasievollen Möbel und Stoffe aus Wien wurden in den 1930er Jahren weltweit bekannt. Walter Sobotka, ebenfalls Architekt und Möbeldesigner aus Wien, floh 1938 nach New York und wurde als Designer der Firma Thonet Brothers New York tätig; ab 1941 unterrichtete er Innenarchitektur am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh, Pennsylvania. Auch Liane Zimbler floh 1938 vor den Nazis in die USA. Ella Briggs, Lisl Scheu Close und Dora Gad kehrten Wien bereits Mitte der 1930er Jahre den Rücken und machten in Großbritannien, den USA bzw. in Palästina als Architektinnen und Möbeldesignerinnen erstaunliche Karrieren. Wien verlor bis 1938 innerhalb weniger Jahre die kreativsten und besten Köpfe – eine schmerzhafte Zäsur und ein unwiederbringlicher Verlust, die sich quer durch alle Wissenschaften und Künste manifestierten und bis heute spürbar geblieben sind. Neben all den menschlichen Tragödien bedeutete das Jahr 1938 ein abruptes Ende der Blüte des Wiener Möbeldesigns. Bereits Mitte der 1930er Jahre verließen angesichts der politischen Situation in Deutschland und Österreich und des immer unerträglicher werdenden Antisemitismus zahlreiche ArchitektInnen und MöbeldesignerInnen die Stadt und gingen in die Vereinigten Staaten, nach Großbritannien oder nach Palästina. Nach dem März 1938 kann nur noch von Flucht und erzwungener Emigration gesprochen werden – Betroffenen war es nur mehr unter schwierigsten Umständen möglich, das Land zu verlassen. Mit der Vertreibung unzähliger Kreativer, Intellektueller, WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und ihren Familien ging der Stadt Wien 1938 ihre Seele verloren. Betrachtet man die Biografien der MöbeldesignerInnen, die vor den Nazis fliehen mussten, sind ganz unterschiedliche Schicksale und Lebensgeschichten sichtbar. Allen gemeinsam ist letztlich die Entwurzelung und die Vertreibung aus ihrer Geburtsstadt Wien bzw. aus der Stadt, in der sie studierten, viele Jahre verbrachten und ihre ersten beruflichen Erfahrungen sammeln konnten. Es sind Schicksale, die bis heute Spuren und schmerzhafte Narben in den betroffenen Familien hinterlassen haben. Josef Frank, Ernst Schwadron oder Liane Zimbler waren lebenslang mit ihren FreundInnen und anderen EmigrantInnen aus Wien eng verbunden und schrieben trotz ihrer Erfolge im Exil in Erinnerungen von einer tiefen Kränkung und Traurigkeit über alles Geschehene und dennoch über Heimweh und

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eine immerwährende Sehnsucht nach Wien. Der weltberühmte Historiker und Kunsthistoriker Ernst H. Gombrich sagte über seine Heimatstadt Wien: „Natürlich ist Wien meine Vaterstadt, Deutsch meine Muttersprache. Ich fühle mich in beidem sehr wohl. Aber wenn ich einen Moment nachdenke, wäre es lächerlich, wenn ich sagte, Wien sei meine Heimat. Ich kenne kaum einen Menschen dort. Wen sollte ich anrufen? Ich habe vielleicht noch zwei, drei Bekannte in Wien, mehr nicht. Ich komme zwar von daher, aber ich bin dort nicht mehr zu Hause.“01 Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die vertriebenen MöbeldesignerInnen, die Überlebenden der Shoah, bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht mehr nach Wien zurück. Es gab so gut wie keine Rückholbemühungen der Stadt Wien. Es herrschte die irrige Annahme, dass es den Vertriebenen im Exil gut ging. Die RückkehrerInnen waren in Österreich nicht willkommen, und Wien unternahm nichts, um die verlorenen Familien wieder zurückzuholen. In ihrem Exil in Stockholm, London, New York, Los Angeles oder Buenos Aires konnten die MöbeldesignerInnen, wenn auch nicht alle, auf ihre Ideen, ihre Erfahrungen, ihre Gestaltungsprinzipien und ihr Können aus ihrer Zeit aus Wien zurückgreifen und sich dadurch eine neue Existenz aufbauen. Durch ihre unermüdliche Unterrichtstätigkeit an den besten Universitäten der Welt bildeten sie auch die nächste Generation im Möbeldesign aus. Richard Neutra, Friedrich Kiesler, die frühen Auswandernden, oder Josef Frank waren ihrer Zeit weit voraus. Ihre visionären Möbeldesigns inspirierten StardesignerInnen wie Charles und Ray Eames, Arne Jacobsen oder Gio Ponti. Josef Franks einzigartige Möbel, Stoffe und Lampen, Friedrich Kieslers Multi-Use Chair, Richard Neutras Boomerang Chair oder Martin Eisler Reversível Chair sind heute Design-Ikonen des 20. Jahrhunderts und Inbegriff des Mid-Century-Modern-Möbeldesigns.02 Originale aus den 1940er bis 1960er Jahren sind beliebte Sammlerstücke und erzielen bei Design-Auktionen Rekordpreise. Einige ihrer Entwürfe wurden durchgängig produziert oder von internationalen Design-Unternehmen neu aufgelegt. Mit ihrer unerschöpflichen Kreativität wirkten die MöbeldesignerInnen aus Wien weiterhin im Exil und verbreiteten ihre Ideen auf der ganzen Welt.

01 https://gombricharchive.files.word press.com/2011/04/showdoc73.pdf (Stand: 20.9.2021). 02 Der Begriff stammt von der amerikanischen Journalistin und Autorin Cara Greenberg. Sie benutzte ihn erstmals als Titel ihres Buches Mid-Century Modern. Furniture of the 1950s, und er ist heute die Bezeichnung für modernes Möbel­ design der 1930er bis 1960er Jahre.

Einleitung

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„In jeder Minute unserer Welt werden Millionen und Milliarden Gedanken gedacht. Aber alle diese Millionen und Milliarden Gedanken verlöschen und vergehen im Raum dieser Minute, schon die nächste weiß von ihnen nichts mehr. Aber unter diesen Millionen und Milliarden flüchtiger, vergänglicher, unfruchtbarer und wertloser Gedanken entsteht manchmal in der Zeit ein besonderer, der nicht in sich verlischt, sondern weiterschwingt, andere Gedanken erregt, erfaßt und mit sich reißt – eine Erfindung, eine Entdeckung, eine Erkenntnis – ein aktiver, ein fruchtbarer Gedanke, der die Zeit, die Welt verändert. Solche Gedanken sind unermeßlich, selten, wenige werden in jedem Jahrzehnt gedacht. Aber auf ihnen beruht die Veränderung unserer geistigen, unserer sittlichen, unserer realen Welt.“ — Stefan Zweig in Über Sigmund Freud zu dessen 80. Geburtstag.01

01 Stefan Zweig, Über Sigmund Freud. Porträt, Briefwechsel, Gedenkworte, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1989, S. 239.

GESCHICHTE des Wiener Möbeldesigns

von den Anfängen bis 1960

1

a

Möbeldesign – ein Blick zurück: vom Dessinateur zum Designer

VOM HANDWERK ZUM INDUSTRIELL GEFERTIGTEN MÖBEL

Mit der industriellen Revolution, die in England gegen Ende des 18. Jahrhunderts und damit früher als in den übrigen europäischen Ländern stattfand, beginnt auch die Geschichte des Möbeldesigns. Sie verläuft parallel zur Entwicklung der modernen Technik, der sozialen und wirtschaftlichen Umstände sowie der modernen Architektur. Möbel spiegeln den Zeitgeist wider, sie sind Ausdruck ihrer Zeit.02 Frankreich nahm in Europa eine Vorreiterrolle in der Möbelgestaltung und Möbelherstellung ein. Im 17. Jahrhundert wurden unter Ludwig XIV. zahlreiche Manufakturen gegründet, die sich auf die Herstellung von Möbeln, Tapisserien oder Stoffen spezialisierten, und bis ins 18. Jahrhundert bestimmten französische Möbel den Einrichtungsgeschmack auf dem gesamten europäischen Kontinent. In den großen Manufakturen gab es eigene Entwurfsabteilungen, die Möbel selbst wurden in traditioneller Weise von Tischlern oder anderen spezialisierten Handwerkern hergestellt. Musterbücher entstanden und wurden teilweise in hohen Stückzahlen gedruckt. So konnten einerseits einheitliche Produktionsstandards festgelegt und die Produktivität gesteigert und andrerseits die Produkte besser verkauft werden. Die Musterbücher dienten gleichzeitig als Werbemittel; sie waren die ersten Verkaufskataloge. Obwohl es sich immer noch um Handarbeit handelte, konnte durch Spezialisierung, Standardisierung und Arbeitsteilung in den großen Manufakturen bereits eine enorme Produktivitätssteigerung erzielt werden.03 Mit James Watts Erfindung der Dampfmaschine im Jahr 1765 wurde die industrielle Revolution eingeläutet, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts das Leben der Menschen in England und im 19. Jahrhundert im übrigen Europa radikal veränderte. Mit der Dampfmaschine wurde Energie erzeugt, die Eisen- und Stahlproduktion sowie die Maschinenindustrie gewannen an Bedeutung. Die Folgen waren eine industrielle Massenproduktion, ein vollkommen neues Verkehrswesen sowie eine Explosion der Städte. Die neuen Verkehrsmittel und liberale Handelsabkommen ermöglichten einen florierenden internationalen Handel.04 02 Vgl. Karl Mang, Geschichte Konzeption und Gestaltung – das Design – wurde von der Herstellung des modernen Möbels, Stuttgart: Verlag Gerd Hatje 1978, S. 8. getrennt, die teure und zeitaufwendige Arbeit eines Handwerkers durch bil03 Vgl. Thomas Hauffe, lige Maschinenarbeit ersetzt. Automatische Webstühle und GroßtischGeschichte des Designs, Köln: lereien veränderten die Lebens- und Arbeitsbedingungen entscheidend. DuMont 2014, S. 12, 21 ff., 38. 04 Vgl. Philipp Blom, Der Die neu entstandene Arbeiterklasse, die ArbeiterInnen in den Fabriken, ofttaumelnde Kontinent. Europa mals Frauen und Kinder, verrichteten ihre Tätigkeit unter widrigen Um1900–1914, 4. Aufl., München: ständen zu sehr niedrigen Löhnen, bittere Armut und katastrophale dtv 2019, S. 13 ff. 05 Vgl. Charlotte Fiell/Peter Wohnverhältnisse waren die Folge.05 Fiell, Design des 20. Jahrhunderts, Die Nachfrage nach industriell gefertigten Produkten stieg jedoch raKöln: Taschen Bibliotheca sant. In den Fabriken wurden meist billige, qualitativ schlechte GebrauchsUniversalis 2016, S. 6. und Einrichtungsgegenstände für die breite Masse hergestellt. Der technische Fortschritt hatte zwar neue Produktionsmethoden und neue Geräte und Gegenstände hervorgebracht, doch wurde in der Industrie weder

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oben Weltausstellung in Wien 1873: Thonet-Möbel, © Wien Museum/Wiener Photographen-Association Links Sussex Chair, Holzsessel mit geflochtenem Sitz aus Süßwasserbinsen, Entwurf: Dante Gabriel Rossetti um 1865, Ausführung: Morris & Company, London nach 1865, © MAK

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Wert auf Form und Ästhetik noch auf die Qualität der industriell gefertigten Produkte gelegt. Die Industrie griff auf historische Stilkopien zurück. Auch in der industriellen Möbelherstellung wurden Elemente aus Renaissance oder Barock miteinander vermischt und günstig gefertigte Serienmöbel mit neogotischen oder neobarocken Formen geschmückt. Das zu Wohlstand gekommene Bürgertum liebte einen repräsentativen Stil, Möbel und Kunstgegenstände sollten Reichtum und Bildung zeigen. Die Wohnungen und Häuser des gehobenen Bürgertums waren überladen und mit dunklen, schweren und überproportionierten Möbeln in ganz unterschiedlichen Stilen eingerichtet. Der wirtschaftliche Erfolg sollte sich auch im Reichtum von Dekor, Verzierungen und Ornamenten widerspiegeln. Es war die Zeit des Historismus, der auch in Wien in der Möbelgestaltung sehr beliebt war.06 Seit der industriellen Revolution in England wurde unter Design allgemein Industrial Design, d. h. Industriedesign oder Produktdesign, verstanden.07 Anders die Sprachbe­ deutung in Frankreich – design leitet sich von dessiner, dem französischen Verb für zeichnen, oder dessin für Zeichnung ab. Die französische Bezeichnung Dessinateur für einen Musterzeichner war zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Textilindustrie auch im deutschsprachigen Raum geläufig. So war auch in Wien der Begriff des Dessinateurs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem bei der Gestaltung von Stoffen weit verbreitet. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts kamen die Begriffe Design oder Designer im deutschen Sprachgebrauch auf. Davor wurde hierzulande von Produktgestaltung oder industrieller Formgebung gesprochen. b

DIE ARTS-AND-CRAFTS-BEWEGUNG UND IHR EINFLUSS AUF WIEN

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war in Europa die Zeit der großen Erfindungen, der neuen Materialien und Technologien sowie der Weltausstellungen. Die erste Weltausstellung fand 1851 in London statt, die Industrieprodukte der führenden Wirtschaftsnationen wurden ausgestellt, besichtigt und verglichen. Das wilde Durcheinander von Stilen bei Industrieprodukten sowie die schlechte Qualität und mangelnde Haltbarkeit von industriell gefertigten Produkten wurden von Anfang an massiv kritisiert. Die fünfte Weltausstellung fand 1873 in Wien statt. Vor diesem Hintergrund der industriellen Revolution und des Beginns der Massenproduktion sind die im 19. Jahrhundert in Europa einsetzenden Reformbewegungen in der Kunst, im Design und im Kunsthandwerk zu sehen.08 Nach der Weltausstellung 1851 in London kam es in England und Europa zu heftiger Kritik an der Industrie. Einer der vehementesten Kritiker der Massenproduktion war der 1834 in London geborene britische Maler, Architekt und Dichter William Morris. Nicht nur die ästhetischen Missstände des Historismus, sondern auch die sozialen Bedingungen der neu entstandenen Arbeiterklasse wurden von Morris massiv kritisiert. Für ihn hing beides eng zusammen. Der Künstler forderte eine weitgehende Reform des Kunstgewerbes, eine hochwertige Qualität für handwerklich hergestellte Produkte und ein hohes ästhetisches Niveau. Damit wurde er einer der Gründerväter der Arts-and-Crafts-Bewegung in England, einer 06 Vgl. Bernhard E. Bürdek, Gegenbewegung zur industriellen Massenproduktion mit all ihren negatiGeschichte, Theorie und Praxis der ven Auswirkungen.09 Produktgestaltung, Basel: Mit ihren Prinzipien der Rückbesinnung auf das Handwerk und AbBirkhäuser 2005, S. 21; Hauffe (2014), S. 21 ff., 34. lehnung des Historismus sowie einer Vorliebe für einfache, klare, organi07 Vgl. Bürdek (2005), S. 13. sche Formen hatte diese Bewegung großen Einfluss auf den Jugendstil, 08 Vgl. Hauffe (2014), S. 28 ff. 09 Vgl. ebd., S. 44. besonders auf den Secessionsstil in Wien. William Morris und seine Anhänger forderten höchste Qualität und Ästhetik zu erschwinglichen Preisen. Die von ihm 1861 gegründete Firma Morris & Company entwarf Textilien, Tapeten und Möbel, die zwar diesen Qualitäts- und Ästhetikansprüchen

Möbeldesign – ein Blick zurück: vom Dessinateur zum Designer

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entsprachen, jedoch nicht für die breite Masse leistbar waren, womit der britische Künstler und Unternehmer gegen seine eigenen Prinzipien verstieß.10 Die Arts-and-Crafts-Bewegung signalisierte den Beginn einer Entwicklung, die in den darauffolgenden Jahrzehnten die Geschichte des Möbeldesigns und der Architektur entscheidend bestimmen sollte: Desi­gnerInnen, KünstlerInnen und ArchitektInnen, aber auch handwerkliche Betriebe und UnternehmerInnen schlossen sich in Gemeinschaften zusammen, um in gemeinsamer Arbeit und theoretischer Auseinandersetzung mit den Problemen der Massenproduktion und Industrialisierung neue Lösungen zu finden und diese auch umzusetzen.11 Für die ArchitektInnen und MöbeldesignerInnen der Wiener Moderne wie Adolf Loos und Josef Hoffmann war die Arts-and-Crafts-Bewegung eine wesentliche Inspirationsquelle. Auch die MöbeldesignerInnen der 1920er und 1930er Jahre in Wien wie Josef Frank und Oskar Strnad ließen sich maßgeblich von der Arts-and-Crafts-Bewegung sowie der englischen Wohnkultur inspirieren.12

Links Baumwoll-Dekorstoff Kennet, Entwurf: William Morris, Ausführung: Morris & Company, London 1883, © MAK/Branislav Djordjevic rechts Morris Fauteuil aus Buchenholz, Rattan und Messing, Modell Nr. 6393, Entwurf und Ausführung: Gebrüder Thonet, Wien um 1905, © MAK

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Vgl. Elizabeth Wilhide, Design. Die ganze Geschichte, Köln: DuMont 2017, S. 53. 11 Vgl. Hauffe (2014), S. 48. 12 Vgl. Marlene Ott-Wodni, Josef Frank 1885–1967, Raumgestaltung und Möbeldesign, Wien/Köln/ Weimar: Böhlau 2015, S. 36.

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Biedermeier – Möbelkunst aus Wien

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in Österreich und Deutschland ein neuer Möbelstil modern – Biedermeier-Möbel. Besonders in Wien war diese Stilepoche, die von 1815 bis 1848 angesetzt wird, stark ausgeprägt. Es war die Regierungszeit des Außenministers und Staatskanzlers Klemens Wenzel Lothar von Metternich, der eine führende Rolle beim Wiener Kongress 1815 spielte. Er stand für das monarchische Prinzip und bekämpfte sämtliche nationalen und liberalen Bewegungen im Habsburgerreich seiner Zeit. Das Biedermeier bezeichnet die in dieser Zeit entstandene Kunst und Kultur des Bürgertums – in der Literatur, in der Musik und der Malerei, aber auch in der Mode, der Inneneinrichtung und der Möbelgestaltung. Der Begriff selbst geht auf eine fiktive literarische Figur, den spießbürgerlichen Dorfschullehrer Gottlieb Biedermeier des deutschen Dichters Ludwig Eichrodt, zurück. Die Zeit war geprägt von einem Rückzug ins Private; als Reaktion auf die staatliche Kontrolle und die strenge Zensur im Metternich’schen Polizeistaat rückte das bürgerliche Familienleben in den Vordergrund.13 Die politischen und gesellschaftlichen Umstände prägten auch die Gestaltung der Möbel. Der Rückzug des Bürgertums ins eigene private Heim hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Möbel und Einrichtungsgegenstände der Zeit. Sie waren elegant und funktional. Die Ästhetik der Möbel lag in der erstklassigen Verarbeitung, der Verwendung hochwertiger Materialien und den organischen Formen. Den Mittelpunkt des Hauses bildete das Wohnzimmer, in dem die Sitzmöbel eine neue, raumgliedernde Funktion erhielten. Neue Sitzmöbeltypen für die unterschiedlichen Bedürfnisse der BewohnerInnen wurden geschaffen und zu Wohninseln gruppiert.14 Die ersten Biedermeier-Möbel entstanden in Wien nach englischem Vorbild; sie wurden in Handarbeit von Kunsthandwerkern oder kleinen Manufakturen gefertigt. Das Handwerk hatte in Österreich einen hohen Stellenwert und eine langjährige Tradition, die Industrialisierung und die Möglichkeit, Möbel industriell herzustellen, waren im Habsburgerreich noch nicht ausgeprägt. Es gab in Wien jedoch hochspezialisierte Möbelmanufakturen wie die Möbelfirma Danhauser, die bereits im Jahr 1808 mehr als 130 Mitarbeiter, hochausgebildete Kunsttischler, beschäftigte.15 13 Vgl. Felix Czeike, Biedermeier, Der Wiener Möbelfabrikant Joseph Ulrich Danhauser prägte mit den Erin: Historisches Lexikon Wien, zeugnissen seiner Firma den neuen Wohnstil in der Metropole. Die Wiener Bd. 1, Wien: Kremayr & Scheriau Möbel der Biedermeierzeit, so formulierte es der Wiener Kunsthistoriker 1992, S. 373 f. 14 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 47 ff. Professor Max Eisler, bestimmten „den Geschmack und die Formbildung 15 Vgl. Mang (1978), S. 11. auf dem europäischen Kontinent“16. 16 Max Eisler: Das Wiener Möbel In den Möbeln des Biedermeiers kann eine Vorstufe des modernen gestern und heute, in: Erich Boltenstern, Wiener Möbel in Lichtbildern Möbeldesigns des 20. Jahrhunderts gesehen werden.17 Auch die Idee des und maßgeblichen Rissen, Stuttgart: zentralen Wohnraums sowie der Möbel, die flexibel im Wohnraum aufJulius Hoffmann 1935, S. VI. 17 Vgl. Mang (1978), S. 8. gestellt werden, griffen die Wiener MöbeldesignerInnen wie Adolf Loos, Oskar Strnad oder Josef Frank in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder auf.

Biedermeier – Möbelkunst aus Wien

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oben Entwurf eines Schreibtisches aus der Werkstatt Joseph Ulrich Danhauser, Wien 1814, © MAK Links Biedermeier-Sessel, Entwurf und Ausführung: unbekannt, Wien 1820 bis 1825, © MAK

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Möbel aus gebogenem Holz: die Gebrüder Thonet und Jacob & Josef Kohn MICHAEL THONET – DER ERFOLG DER MODERNEN INDUSTRIEFORM FÜR MÖBEL

Mitte des 19. Jahrhunderts, als Möbelfabrikanten versuchten, mit modernen Schnitz- und Drechselmaschinen handwerkliche und historische Möbelformen nachzuahmen, entwickelte Michael Thonet sein revolutionäres Bugholzverfahren, ein vollkommen neues Produktionsverfahren im Möbelbau, das bei der Herstellung von Holzmöbeln zu zeitge­ mäßen Formen führte. Unter Dampfeinwirkung gelang es dem deutschen Tischlermeister aus Boppard am Rhein, massive Buchenholzstäbe in eine geschwungene Form zu biegen. Das Holz wurde zuerst in Dampfkammern bei sehr hohen Temperaturen behandelt, um es geschmeidig zu machen, und anschließend mithilfe gusseiserner Formen gebogen. In Trockenräumen wurde das gebogene Holz getrocknet, danach aus der Biegeform genommen, geschliffen und die Oberfläche weiterbehandelt.18 Michael Thonet, ein Befürworter industriell gefertigter Möbel und der Massenproduktion, verfolgte das Ziel, qualitativ hochwertige, elegante und vor allem leichte Möbel zu einem erschwinglichen Preis zu entwickeln. Dabei kaschierte er die industrielle Fertigungsweise seiner Holzmöbel nicht, sondern machte genau diese zum Prinzip der Formgebung. Bereits 1830 führte Michael Thonet die ersten Experimente zur Herstellung von Möbeln aus gebogenem Holz durch und verbesserte dieses Verfahren in den darauffolgenden Jahren. Für seine Erfindung erhielt er in Preußen jedoch kein Patent.19 Bei einer Ausstellung 1841 im Kunstverein Koblenz in Preußen wurde der österreichische Staatskanzler Metternich auf die neuartigen Stühle aus gebogenem Holz aufmerksam. Aufgrund einer Empfehlung Metternichs reiste Michael Thonet nach Wien, um dem österreichischen Kaiserhaus die neuen Möbel aus gebogenem Holz zu präsentieren. Michael Thonet erlangte das Privileg, Möbel nach seiner neuen Bugholztechnik herzustellen, und übersiedelte mit seiner gesamten Familie im Frühjahr 1842 nach Wien. Hier lernte er den französisch-britischen Architekten Peter Hubert Desvignes kennen. Gemeinsam setzten sie große Projekte um wie die Renovierung und Möblierung des Wiener Stadtpalais der Familie Liechtenstein in der Wiener Innenstadt. Michael Thonet stattete auch das Palais Schwarzenberg in Wien mit seinen Sesseln aus gebogenem Buchenholz aus.20 1849 gründete Michael Thonet im Alter von 53 Jahren mit seinen fünf Söhnen ein eigenes Unternehmen zur Herstellung von Bugholzmöbeln mit Sitz in der Wiener Gumpendorfer Straße. Das Familienunternehmen erhielt 18 Vgl. Mang (1978), S. 38. 19 Vgl. Wilhide (2017), S. 42; bald Großaufträge für die Ausstattung von Kaffeehäusern, Restaurants, HoHauffe (2014), S. 36. tels und öffentlichen Gebäuden. Die Thonets, die in Wien ihr Bugholzverfah20 Vgl. Wolfgang Thillmann/ ren perfektioniert hatten, waren in der Lage, gebogene Möbel aus massivem Bernd Willscheid, Möbeldesign. Holz von herausragender Qualität und zu einem konkurrenzlos günstigen Roentgen, Thonet und die Moderne, Katalog zur gleichnamigen Preis anzubieten. Da andere Wiener Möbelfabrikanten das Bugholzver­ Ausstellung, Berlin: Roentgen fahren ebenfalls einzusetzen begannen, kennzeichneten die Thonets Museum Neuwied 2011, S. 155. 21 Vgl. ebd., S. 19. ihre Möbel mit einem Prägestempel.21 1851 nahm Michael Thonet an der Weltausstellung in London teil, im darauffolgenden Jahr eröffnete das Familienunternehmen sein erstes Geschäft in der Wiener Innenstadt. Die Firma wuchs rasant und 1853

Möbel aus gebogenem Holz: die Gebrüder Thonet und Jacob & Josef Kohn

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beschäftigte das Unternehmen in Wien bereits 53 MitarbeiterInnen; die erste Dampfmaschine wurde angeschafft. Michael Thonet übertrug das Möbelunternehmen seinen fünf Söhnen – August, Josef, Jakob, Michael und Franz –, der Name änderte sich auf Gebrüder Thonet. 1856 eröffneten sie eine Möbelfabrik in Koritschan, in einer waldreichen Gegend Mährens im damaligen Habsburgerreich. Design und Endmontage der Möbel erfolgten weiterhin in Wien. Dabei erwies sich Michael Thonet als visionärer Unternehmer. Gemeinsam mit seinen Söhnen entwarf er die Baupläne und leitete den Bau seiner Fabriken; sogar die Maschinen entwickelte er selbst. In Mähren, in der Gegend um die Fabrik, standen billige ländliche Arbeitskräfte zur Verfügung. Darüber hinaus lagen in der Nähe der Produktionsstätte weitläufige Rotbuchenwälder. Diese Holzart wurde für die industrielle Fertigung der Thonet-Möbel von entscheidender Bedeutung.22

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WELTBERÜHMT: DER SESSEL NR. 14 VON THONET Der 1859 entworfene Thonet-Sessel Nr. 14 wurde zum „Prototyp moderner Massenmöbel und Vater aller Designerstühle“23. Der berühmte Wiener Kaffeehaussessel gilt als eines der erfolgreichsten Industrieprodukte des 20. Jahrhunderts. Weltweit wurden mehr als 80 Millionen Exemplare verkauft, bei der Weltausstellung in Paris 1867 gewann er eine Goldmedaille. Das Design war in vieler Hinsicht visionär: Der Sessel Nr. 14 konnte in seine Einzelteile flach zerlegt und dadurch zu günstigen Transportkosten in die ganze Welt verschickt werden. Die früheren Modelle der Thonet-Sessel waren verleimt, der Sessel Nr. 14 hingegen bestand nur aus sechs Komponenten, die von insgesamt zehn Schrauben und zwei Muttern zusammengehalten wurden. Sorgfältig in Einzelteile zerlegt, passten 36 Sessel in eine innovative Verpackung, eine Transportbox von einem Kubikmeter. Am Zielort konnte der in jeder Hinsicht moderne Sessel ganz einfach wieder zusammengebaut werden. Auf Dekoration wurde komplett verzichtet, die Sessel waren leicht, von hervorragender Qualität, preiswert und ideal für die Massenfertigung und den weltweiten Verkauf.24 Auch im Bereich Verkauf und Marketing setzte das Familienunternehmen auf Innovation: Die Thonets produzierten zu dieser Zeit bereits mehrsprachige Kataloge mit nummerierten Möbeln für eine einfache Bestellung. Es entstand ein weltweites Netzwerk an Verkaufsstellen unter anderem in Barcelona, Brüssel, Chicago und New York. Thonets moderne Möbel erhielten zahlreiche Auszeichnungen bei Wettbewerben und Ausstellungen und wurden Musterbeispiele für eine gelungene Massenproduktion.25 Mit dem Sessel Nr. 14 wurde auch das sogenannte Wiener Geflecht weltweit bekannt. Rohrgeflecht oder Rattan galt seit jeher als besonders robust und kräftig. Sitzmöbel aus Rohrgeflecht hatten eine jahrhundertealte Tradition und insbesondere in England wurde Rattan sehr häufig in der Möbelproduktion verwendet. Michael Thonet setzte Sitzflächen aus Rohrgeflecht bzw. Achteckgeflecht erstmals in der industriellen Fertigung von Serienmöbeln ein. Bis heute wird das Wiener Geflecht von zahlreichen Möbelproduzenten bei der Gestaltung und Fertigung von Stühlen, Sitzbänken oder Tischen benutzt. JACOB & JOSEF KOHN – KREATIVITÄT UND INNOVATION Wiener Möbel wurden in Österreich nicht nur von den Gebrüdern Thonet, sondern auch von der Möbelfirma  Jacob & Josef Kohn produziert. Die Anfänge des Unternehmens gingen auf das Jahr 1850 zurück. In diesem Jahr gründete der Unternehmer Jacob Kohn gemeinsam mit seinem ältesten Sohn Josef Schaje Kohn in Mähren eine Firma für die Produktion und den Verkauf von Bauholz. Schon bald eröffneten Vater und Sohn drei Zündholzfabriken und wurden damit zu einem der größten Holzunternehmer des Habsburgerreiches.

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Vgl. Mang (1978), S. 42. Hauffe (2014), S. 38. 24 Vgl. Mang (1978), S. 43. 25 Vgl. Thillmann/Willscheid (2011), S. 172 ff. 23

rechts Sessel Nr. 1 nach dem Schwarzenberg’schen Sessel, Entwurf: Michael Thonet, Wien um 1850, Ausführung: Gebrüder Thonet, Koritschan um 1861, © MAK/Nathan Murrell

26 Vgl. Stefan Üner, Gebrüder Thonet, in: Eva B. Ottillinger (Hg.), Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne, Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2018, S. 140. 27 Vgl. ebd. 28

Vgl. ebd., S. 142.

Nach dem Tod des Firmengründers traten Josefs Söhne Carl, Julius und Felix in den Betrieb ein. Angespornt durch den wirtschaftlichen Erfolg der Gebrüder Thonet in der Möbelproduktion, gründeten die Kohns im November 1867 ein Unternehmen für die Erzeugung von Bugholzmöbeln. Ein Rechtsstreit mit den Gebrüdern Thonet begann. Die Thonets mussten ihr Patent auf das Biegen von Möbeln aus dem Jahr 1856 aus Mangel an Neuheit aufgeben.26 Ab diesem Zeitpunkt wurden Jacob & Josef Kohn zum schärfsten Konkurrenten der Gebrüder Thonet: sie konzentrierten sich fortan auf modernes Design, eine kostengünstige Produktion und den weltweiten Verkauf von Bugholzmöbeln. Das Unternehmen setzte auf Expansion mit zahlreichen Produktionsstätten, unter anderem in Krakau und Warschau, sowie einem weltweiten Netz an Verkaufsniederlassungen. Möbel von Jacob & Josef Kohn konnten in Barcelona, Madrid, Berlin, Hamburg, Brüssel, Budapest, Kiew, London, Mailand, Rom, Paris und New York erworben werden. 1877 wurde der erfolgreiche Familienbetrieb aus Mähren zum spanischen Hoflieferanten ernannt. Im selben Jahr eröffneten Jacob & Josef Kohn ein Verkaufslokal in der Wiener Innenstadt am Burgring 3, der Firmensitz befand sich nicht weit davon in der Elisabethstraße.27 Nach dem Tod Josef Kohns und dem Eintritt seiner Ehefrau Rosa Kohn und seines jüngsten Sohns Johann in das Unternehmen wurde dieses zur Aktiengesellschaft der Fabrik Wiener Möbel Jacob & Josef Kohn. Die Möbelfirma mit dem ehrgeizigen Motto „semper sursum“ – „immer aufwärts“ – nahm an zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen teil, darunter den Weltausstellungen 1873 in Wien, 1888 in Barcelona, 1893 in Chicago und 1900 in Paris.28

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Oben L. Plakat der Gebrüder Thonet, Österreich 1876, © MAK/Katrin Wisskirchen Oben R. Sessel  Nr. 14, Entwurf: Gebrüder Thonet, Wien 1859, Ausführung: Gebrüder Thonet, Koritschan um 1900, © MAK/ Georg Mayer Unten Sessel Nr. 14 in Einzelteile zerlegt, Entwurf: Gebrüder Thonet, Wien 1859, Ausführung: ThonetMundus nach 1919, © MAK

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WIENER MODERNE – DAS PHÄNOMEN DES FIN DE SIÈCLE

In Wien kam es um 1900 zu einer bedeutenden Blütezeit in der Philosophie, Malerei, Musik, Literatur, Architektur und im Design, aber auch in der Mathematik, den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, der Medizin und Psychoanalyse. Die Stadt erfuhr damals einen rasanten Bevölkerungszuwachs: Lebten im Jahr 1900 rund 1,7 Millionen Menschen in der Metropole, waren es 1910 bereits über 2 Millionen. Es war das Zentrum des Habsburgerreiches, eines europäischen Großreiches mit einer Bevölkerungszahl von über 50 Millionen Menschen, dessen Länder weit in den ost- und südeuropäischen Raum hineinreichten. Wien war das Zentrum der Macht, der Medien, der Mode, der Kultur, des guten Geschmacks und des Designs. Aus sämtlichen Provinzen und Kronländern strömten Zuwandernde in die Metropole, auch zahlreiche jüdische Familien zogen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Wien. Durch das am 21. Dezember 1867 erlassene Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger erfolgte die rechtliche Gleichstellung der Jüdinnen und Juden und aller anderen MitbürgerInnen des Vielvölkerstaates. Mitte des 19. Jahrhunderts umfasste die jüdische Gemeinde Wiens rund 6000 Menschen und wuchs bis zum Jahr 1900 auf rund 150 000 Mitglieder an.29 Das liberale und intel29 Vgl. http://www.archiv-ikglektuelle Großbürgertum Wiens finanzierte unzählige Bauaufträge und wien.at/archives/juedischegemeinde-wien (Stand: 16.7.2021). spielte als KunstmäzenInnen in der Wiener Moderne eine tragende Rolle.30 30 Vgl. Christoph Thun Charakteristisch für Wien um 1900 waren die Querverbindungen zwiHohenstein/Matthias Boeckl/ schen den Künsten – der Malerei, der Bildhauerei, der Architektur, dem KunstChristian Witt-Dörring (Hg.), Wege der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf handwerk, aber auch der Musik, dem Theater, der Literatur und der Philo­Loos und die Folgen, Wien/Basel: sophie. Es war das Wien Gustav Klimts, Egon Schieles, Oskar Kokoschkas, MAK, Birkhäuser 2015, S. 112. 31 Vgl. Eric Kandel, Das Zeitalter Josef Hoffmanns, Adolf Loos’, Gustav Mahlers, Sigmund Freuds, Arthur der Erkenntnis. Die Erforschung Schnitzlers und Theodor Herzls. Viele Intellektuelle und KünstlerInnen fühldes Unbewussten in Kunst, Geist ten sich von Wien angezogen – kulturelle Leistungen und intellektuelle Brilund Gehirn von der Wiener Moderne lanz besaßen einen enormen Stellenwert.31 Die Verschmelzung unterbis heute, 3. Aufl., München: Pantheon Verlag 2018, S. 28. schiedlicher kultureller Einflüsse prägte die Stadt, die Pluralität wurde zu 32 Vgl. Serge Lemoine/Marieihrem Wesensmerkmal. Wien war die Stadt der kulturellen Vielfalt und des Amélie zu Salm-Salm, Wien um kreativen Dialoges.32 Die faszinierende geistige und kulturelle Fülle in Wien 1900. Klimt | Kokoschka | Schiele | Moser, Stuttgart: Belser 2005, S. 40. um 1900, das Phänomen der Wiener Moderne, wäre ohne das liberale Wie33 Vgl. Ernst H. Gombrich, ner Judentum jener Zeit nicht erklärbar.33 In Die Welt von Gestern beschrieb Jüdische Identität und jüdisches Stefan Zweig diese Epoche in Wien als „das Zeitalter der Vernunft“, als eine Schicksal. Eine Diskussions­­­ bemerkung, Wien: Passagen Verlag Zeit der Sicherheit und des Wohlstandes.34 2011, S. 19 ff. Dennoch war die blühende Metropole geprägt von einem immer stär34 Stefan Zweig, Die Welt von ker werdenden Antisemitismus. Der Wiener Bürgermeister Karl Lueger Gestern, Berlin: Fischer 1944, S. 13 ff. wendete ihn gezielt als politische Strategie an. In dieser Zeit publizierte der in Wien sehr beliebte Journalist und Redakteur der Neuen Freien Presse Theodor Herzl 1896 sein Buch Der Judenstaat und begründete damit die Idee des politischen Zionismus und der Gründung Israels.

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Der Übergang vom 19. in das 20. Jahrhundert, das Fin de Siècle, hatte in den einzelnen europäischen Ländern unterschiedliche Ausprägungen: der Art nouveau in Belgien und Frankreich nach der gleichnamigen Pariser Galerie Maison de l’Art Nouveau, der Jugendstil in Deutschland nach der 1896 in München gegründeten Kunstzeitschrift Die Jugend, der Modernisme in Barcelona, der Stile Floreale oder Stile Liberty in Italien, benannt nach dem Londoner Einrichtungshaus Liberty’s, oder der Secessionsstil in Wien – sie alle waren Teil einer internationalen Reformbewegung, die sich in sämtlichen Kunst- und Designsparten manifestierte.35 In Wien bildete sich wie in anderen europäischen Städten eine Sezession, eine de­ monstrative Abspaltung vom traditionellen Künstlerhaus.36 Am 3. April 1897 wurde von einer Gruppe von Malern, Bildhauern und Architekten, unter anderem Gustav Klimt, Koloman Moser, Joseph Maria Olbrich und Josef Hoffmann, die Vereinigung Bildender Künstler Österreichs, die Wiener Secession, gegründet.37 Ihre Mitglieder stellten sich gegen die konservative Gesellschaft bildender Künstler Österreichs, den am Künstlerhaus in Wien vorherrschenden Historismus lehnten sie ab. Das Jahr 1897 mit der Gründung der Wiener Secession gilt als Geburtsstunde der Wiener Moderne. Wien nahm erstmals eine Pionierstellung in der Baukunst ein und leistete einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung der modernen Architektur und des modernen Möbeldesigns weit über die Grenzen Österreichs hinaus.38 rechts Plakat zur XII. AusIn den Jahren 1897/98 wurde das Ausstellungsgebäude der Secession stellung der Vereinigung nach den Entwürfen von Joseph Maria Olbrich erbaut. Im selben Jahr grünBildender Künstler Österreichs deten Mitglieder der Secession die Kunstzeitschrift Ver Sacrum, die ein in der Wiener Secession, weitreichendes Sprachrohr für die modernen Ideen der Secessionisten darEntwurf: Alfred Roller, Ausstellte. Die Wiener Secession bot jungen KünstlerInnen die Möglichkeit, ihre führung: Albert Berger, Werke dem Wiener Publikum zu präsentieren – die WienerInnen sollten ein beides Wien 1901, © MAK Bewusstsein für moderne Kunst erlangen. Es wurden große internationale Ausstellungen organisiert und erstmals konnten Werke von Vincent van Gogh, Paul Gauguin oder Auguste Rodin in Wien bewundert werden.39 Eine Ausstellung des schottischen Architekten und Möbeldesigners Charles Rennie Mackintosh im Jahr 1900 hatte großen Einfluss auf Wiener Architek35 Vgl. Wilhide (2017), S. 92; tInnen und DesignerInnen, insbesondere auf Josef Hoffmann. Hauffe (2014), S. 48 ff. Der Wiener Jugendstil war bereits nach kurzer Zeit vielerorts zu be36 Das Künstlerhaus in Wien wundern, er prägte Häuser und öffentliche Gebäude, Bilder, Plakate, Bücher wurde in den Jahren 1865–68 und Schmuck bis hin zu Gebrauchsgegenständen in Privatwohnungen. errichtet und diente ab dann als Ausstellungshaus für KünstlerInnen. Auch wenn es zahlreiche unterschiedliche Strömungen gab, in einem waren Dahinter stand ursprünglich die sich die KünstlerInnen einig: in ihrer Ablehnung des Historismus. Sie wandGenossenschaft der bildenden ten sich gegen überladene Dekorationen, Stilkopien und mangelhafte ProKünstler Wiens, die damalige Standesvertretung der Wiener dukte aus der industriellen Massenproduktion. Ganz nach dem Vorbild der Maler, Bildhauer und Architekten, Arts-and-Crafts-Bewegung wurde nach neuen, einfachen, modernen und die sich später in Gesellschaft ästhetischen Formen gesucht. Die KünstlerInnen orientierten sich dabei oftbildender Künstler Österreichs umbenannte. mals an Formen aus der Natur: organisch geschwungene Linien, stilisierte 37 Vgl. Thun-Hohenstein/Boeckl/ Pflanzenformen, florale Elemente, symmetrische, aber auch geometrische Witt-Dörring (2015), S. 102. 38 Vgl. Felix Czeike, Secession, Formen fanden Einzug in die Architektur, das Möbeldesign, das Kunstin: Historisches Lexikon Wien, handwerk sowie in alle Bereiche der Gestaltung. Als Antwort auf die indus­ Bd. 5, Wien: Kremayr & Scheriau trielle Massenware und den Historismus verfolgten die VertreterInnen des 1997, S. 188. 39 Vgl. Lemoine/Salm-Salm Jugendstils die Idee einer umfassenden künstlerischen Durchgestaltung (2005), S. 39. aller Lebensbereiche – vom Gebäude über Bilder, Möbel, Tapeten und Stof40 Vgl. Hauffe (2014), S. 49. fe bis hin zum Geschirr. Gebäude, Räume, sämtliche darin enthaltenen 41 Vgl. Kandel (2018), S. 26; Blom Möbel und sonstigen Gegenstände sollten ein Gesamtkunstwerk bilden.40 (2019), S. 28. Wien um 1900 übernahm vorübergehend die Rolle der Kulturhauptstadt Europas. Die aufregendsten KomponistInnen, MalerInnen, Architek­­tInnen und DesignerInnen lebten und arbeiteten zu dieser Zeit in Wien.41

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Vgl. Thun-Hohenstein/Boeckl/ Witt-Dörring (2015), S. 64. 43 Vgl. Ursula Prokop, Josef Frank und der kleine Kreis um Oskar Strnad und Viktor Lurje, in: Christoph Thun-Hohenstein/ Hermann Czech/Sebastian Hackenschmidt (Hg.), Josef Frank. Against Design, Wien/Basel: MAK, Birkhäuser 2015, S. 48. 44

Vgl. Christoph ThunHohenstein/Hermann Czech/ Sebastian Hackenschmidt (Hg.), Josef Frank. Against Design, Wien/Basel: MAK, Birkhäuser 2015, S. 14. 45 Vgl. Prokop in: ThunHohenstein/Czech/Hackenschmidt (2015), S. 48 ff.

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ARCHITEKTEN UND KÜNSTLER ALS MÖBELDESIGNER Als einer der ersten Architekten in Wien setzte sich Otto Wagner mit den Errungenschaften der modernen Technik und dem Einsatz neuer industrieller Fertigungsmethoden und Materialien auseinander. Aber nicht nur die technischen, auch die gesellschaftlichen Veränderungen interessierten den Architekten. In seinen frühen Werken folgte Otto Wagner im Wesentlichen dem Historismus. 1894, im Alter von 53 Jahren, wurde er Professor für Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien und im selben Jahr auch Wiens Stadtplaner. Mit der Gestaltung und dem Bau der Wiener Stadtbahn beeinflusste er das Bild Wiens um 1900 entscheidend. In seinem Manifest Moderne Architektur, das sich sowohl an seine Studierenden als auch an die Kritiker seiner Bauwerke richtete, forderte er, der neuen Zeit statt einer Nachahmung historischer Stile auch einen neuen Stil, einen „Nutz-Stil“ zu geben.42 Von 1899 bis 1905 war Otto Wagner Mitglied der Wiener Secession, in deren Ausstellungen mehrfach Entwürfe seiner Möbel und Einrichtungen gezeigt wurden. Mit dem Gebäude der Wiener Postsparkasse, das in den Jahren 1904 bis 1912 am Georg-Koch-Platz in der Wiener Innenstadt errichtet wurde, schuf Otto Wagner sein modernstes und bedeutendstes Bauwerk. Es gilt als ein Schlüsselwerk der europäischen Moderne. Eine eigene Ausbildung für Produkt- oder Möbeldesign gab es noch nicht, die Möbelgestaltung lag primär in der Hand der Architekten. Die Hochschulen für Architektur in Wien waren zugleich die Ausbildungsstätten der Möbeldesigner der Zeit. An der Kunstgewerbeschule, der heutigen Universität für angewandte Kunst Wien, der Technischen Hoch­­­­­­­­­­­­­schule, ­der Vorläuferinstitution der Technischen Universität, sowie an der Akademie der bildenden Künste Wien wuchsen die Möbeldesigner der Zukunft heran. Carl König, Architekt und Professor für Baukunst, Dekan und ab dem Studienjahr 1901/02 auch Rektor an der Technischen Hochschule, prägte während seiner fast 40-jährigen Lehrtätigkeit eine ganze Generation von Architekten und Möbeldesignern. Viele seiner Studierenden wie Oskar Strnad, Felix Augenfeld, Josef Frank, Friedrich Kiesler, Richard Neutra oder Rudolph Michael Schindler stammten wie Carl König selbst aus jüdischen Wiener Familien. Er war der erste und einzige jüdische Professor für Architektur Wiens.43 Im Unterschied zu Otto Wagner, der mit dem Historismus brach, war Carl König davon überzeugt, dass das sorgfältige Studium der Vergangenheit die Voraussetzung für eine neue und moderne Architektur bildete. Das Umfeld um Otto Wagner, der bis 1918 an der Akademie der bildenden Künste Wien unterrichtete, war teilweise antisemitisch eingestellt.44 Einige Schüler Otto Wagners waren später engagierte Nationalsozialisten.45 Josef Hoffmann, Schüler und später Mitarbeiter Otto Wagners und dessen vorbehaltloser Bewunderer, unterrichtete ab 1898 an der Kunstgewerbeschule. Ihm gelang in Wien ein radikales Umdenken in der Gestaltung und Herstellung von Alltagsgegenständen, Möbeln, Inneneinrichtungen und Architektur. Obwohl Hoffmann sich in erster Linie als Architekt sah, war er als Designer wesentlich produktiver. Als Alternative zu den organischen Jugendstilformen entwickelte er – dem die Wiener den Spitznamen „Quadratl-Hoffmann“ gaben – eine Vorliebe für geometrische Formen und Gittermuster sowie für die Farben Schwarz und Weiß.

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In ganz Europa, auch in Wien, fanden Anfang des 20. Jahrhunderts Ausstellungen über japanische Kunst statt. Josef Hoffmann ließ sich von der japanischen Formenwelt inspirieren. Von 1898 bis 1936 leitete er die Fachklasse für Architektur an der Kunstgewerbeschule und unterrichtete seine Studierenden auch in den Bereichen Innenarchitektur und Möbeldesign. Ein weiterer Architekt prägte die DesignerInnen der nächsten Generation entscheidend: Oskar Strnad. Er unterrichtete ab 1909 allgemeine Formenlehre an der Kunstgewerbeschule und leitete neben Josef Hoffmann ab 1914 eine eigene Fachklasse für Architektur. Unter den Studierenden sowie den Professoren der Architekturschulen gab es einen lebhaften Austausch.46 Die Studierenden von Carl König, Josef Hoffmann und Koloman Moser, der ebenfalls an der Kunstgewerbeschule unterrichtete, aber auch von Oskar Strnad befassten sich intensiv mit Einrichtungsfragen und der Gestaltung von Möbeln. Zu dieser Zeit entstand in Wien eine Aufbruchsstimmung im Möbeldesign.47 WIENER WERKSTÄTTE Im Juni 1903 wurde von Josef Hoffmann, Koloman Moser und dem österreichischen Industriellen Fritz Waerndorfer die Wiener Werkstätte als Produktionsgemeinschaft bildender Künstler mit dem Ziel gegründet, das Kunstgewerbe in Österreich zu reformieren. Vorbilder waren die britische Arts-and-Crafts-Bewegung und die Ideen des schottischen Architekten und Möbeldesigners Charles Rennie Mackintosh. Im Kunsthandwerk und im Möbeldesign entwickelte sich eine klare und geometrische Formensprache, die durch rechte Winkel und eine strenge Linienführung geprägt war. Die Wiener Werkstätte arbeitete eng mit der Secession und der Kunstgewerbeschule zusammen. Es wurden Möbel, Bücher, Plakate, Karten, Lampen, Stoffe, aber auch Schmuck oder Papierwaren sowohl in den eigenen Werkstätten in Wien als auch in Zusammenarbeit mit anderen, hochspezialisierten Firmen gestaltet, produziert und international vertrieben. 1904 wurde eine eigene Tischlerwerkstätte gegründet, die jedoch nur einen kleinen Teil der Möbel fertigte. Stattdessen wurden renommierte Wiener Tischlereien und Innenausstatter wie Portois & Fix, Anton Herrgesell, Friedrich Otto Schmidt oder Johann Niedermoser mit dem Bau der Möbel beauftragt, die dann in den Schauräumen der Wiener Werkstätte ausgestellt und verkauft wurden.48 Obwohl Möbel und andere kunsthandwerkliche Gegenstände meist nur in geringen Stückzahlen angefertigt wurden, genossen diese bald international einen hohen Bekanntheitsgrad und waren weit über die Grenzen Wiens hinaus sehr gefragt. Die Wiener Werkstätte hatte ihren Sitz und ihre Werkstätten in der Heumühlgasse in Wieden und in Neubau sowie Verkaufsstätten in der Kärntner Straße und am Graben; es folgten Filialen in Berlin, Zürich und in New York City.49 Die Wiener Werkstätte entwickelte exklusive Ausstattungskonzepte für Innenräume, in denen sämtliche Details aufeinander abgestimmt waren. Die kostbaren Gegenstände wurden in eigenen Werkstätten von KunsthandwerkerInnen gefertigt und externe HerstellerInnen vor einer Beauftragung sorgfältig von den KünstlerInnen und DesignerInnen ausgesucht und geprüft. So wurden beispielsweise Gläser von der Wiener Glasmanufaktur J. &  L.  Lobmeyr, Porzellan von der Wiener Porzellanmanufaktur Augarten oder Stoffe von der Textilfirma Backhausen für die Wiener Werkstätte produziert. Die erfolgreiche Positionierung der Wiener Werkstätte als Marke war zum damaligen Zeitpunkt ungewöhnlich und etwas vollkommen Neues.50

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links Dessin Nr. 4427 für ein Stoffmuster, Entwurf: Josef Hoffmann, Wien 1902, Ausführung: Johann Backhausen & Söhne, © Backhausen-Archiv rechts Dessin Nr. 5041 für einen Teppich, Entwurf: Josef Hoffmann, Wien 1904, Ausführung: Johann Backhausen & Söhne, © Backhausen-Archiv unten Dessin Nr. 7741 für einen Läufer, Entwurf: Josef Hoffmann, Wien 1910, Ausführung: Johann Backhausen & Söhne, © Backhausen-Archiv

46 Vgl. Eva B. Ottillinger (Hg.), Wohnen zwischen den Kriegen. Wiener Möbel 1914–1941, Wien/ Köln/Weimar: Böhlau 2009, S. 46. 47 Vgl. Eva B. Ottillinger (Hg.), Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne, Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2018, S. 22 ff. 48 Vgl. Ottillinger (2009), S. 47. 49 Vgl. Gabriele Fahr-Becker/ Angelika Taschen, Wiener Werkstätte 1903–1932, Köln: Taschen 2015, S. 12 ff. 50

Vgl. Wilhide (2017), S. 102 ff.

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1916 richtete Dagobert Peche, der fantasievolle Künstler und Vertreter der Wiener Werkstätte, eine Künstlerwerkstätte ein, ein offenes, künstlerisches Experimentierlabor der Wiener Werkstätte, das während des Ersten Weltkrieges vor allem von Frauen genutzt wurde, um sich künstlerisch zu entfalten. Der Schwerpunkt lag auf dem Entwurf von Stoffen, Tapeten und Kissen als Elemente der Inneneinrichtung, aber auch von Schmuck, Handtaschen und Papierarbeiten. Die exzentrischen, farbenfrohen Stoffmuster und Tapetenentwürfe von Felice Rix, Maria Likarz oder Mizi Friedmann weisen auf die Stoffmuster der 1950er und 1960er Jahre voraus. Im internationalen Vergleich waren die Stoffentwürfe der Wiener Werkstätte einzigartig; etliche Unternehmen wollten sie vertreten und Stoffe der Wiener Werkstätte im Ausland vertreiben.51 d

GEGENSPIELER UND KRITIKER DES JUGENDSTILS: ADOLF LOOS Er war der große Gegenspieler und ein scharfer Kritiker des dekorativen Jugendstils und der Wiener Werkstätte: Adolf Loos. 1870 als Sohn eines Steinmetzmeisters in Brünn geboren, lebte Adolf Loos nach seinem Hochbaustudium in Dresden drei Jahre lang in den Vereinigten Staaten, wo er sich mit verschiedenen Hilfsarbeiten durchschlug, zuletzt auch als Möbelzeichner und -designer. In New York und in Chicago, wo er 1893 die Weltausstellung besuchte, lernte er die moderne Architektur der Wolkenkratzer kennen. 1896 ließ er sich in Wien als Innenarchitekt nieder und schrieb als Kritiker in der Neuen Freien Presse. Zunächst veröffentlichte er auch Beiträge in der Zeitschrift Ver Sacrum der Wiener Secession, doch schon bald erfolgte sein Bruch mit den damals führenden Architekten der Secession. Er begann als Berater des renommierten Wiener Innenausstatters Friedrich Otto Schmidt zu arbeiten, dessen Atelier für Zimmerdekoration in erster Linie antike Möbel kopierte, sich aber unter dem Einfluss von Loos modernen Inneneinrichtungen zuwandte.52 Einrichten war das essenzielle Thema im Leben von Adolf Loos. In Wien entwarf er Privatvillen, Wohnhausanlagen, Bürohäuser, Geschäftslokale, Inneneinrichtungen und Möbel. Mit den von ihm gestalteten Geschäftsräumlichkeiten wie dem exquisiten Herrenausstatter Knize am Graben in der Wiener Innenstadt oder der Buchhandlung Manz am Kohlmarkt, dem Café Museum oder der berühmten American Bar im Kärntner Durchgang schuf er Prototypen moderner Innenarchitektur.53 Im Jahr 1911 entstand mitten in Wien ein weiteres Manifest der Wiener Moderne: das nach Adolf Loos benannte Wohn- und Geschäftshaus Goldman & Salatsch am Michaelerplatz 3, vis-à-vis des neobarocken Traktes der Hofburg.54 Nach dessen Fertigstellung löste das Haus einen regelrechten Skandal aus; die Wiener nannten das Gebäude mit der glatten Fassade „Haus ohne Augenbrauen“ oder auch „ein Scheusal von einem Haus“. 51 Vgl. Christoph ThunBereits während des Baus gab es Proteste gegen das geplante Bauwerk, Hohenstein/Anne-Katrin Rossberg/ Elisabeth Schmuttermeier (Hg.), die zu einem behördlichen Baustopp führten. Es heißt, der greise Kaiser Die Frauen der Wiener Werkstätte, Franz Joseph habe nach Fertigstellung des Looshauses nie wieder die AusBasel: Birkhäuser 2020, S. 96 ff. 52 Vgl. Ottillinger (2018), S. 76 ff. fahrt zum Michaelerplatz benutzt und die Fenster der Hofburg, die auf den 53 Vgl. ebd. Platz zeigten, vernageln lassen, um das „scheußliche“ Haus nicht sehen zu 54 Vgl. Lemoine/Salm-Salm müssen.55 (2005), S. 38. 55 Vgl. Martina Pippal, Kleine Als Kritiker des Kunsthandwerks führte Adolf Loos öffentliche StreitKunstgeschichte Wiens, gespräche gegen Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte. Loos sah in München: Beck 2000, S. 196 ff. Möbeln und Alltagsgegenständen keine Kunstgegenstände – er unter56 Vgl. Thun-Hohenstein/Boeckl/ schied strikt Gebrauchsgegenstände von Kunstwerken oder den Werken Witt-Dörring (2015), S. 162. der Architektur.56 In seinen bekannten Werken Ornament und Verbrechen und Wie man eine Wohnung einrichten soll kämpfte Adolf Loos, den Ideen Otto Wagners folgend, gegen jegliche Art von Dekoration an Gebäuden,

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links Innenansicht des Verkaufslokals der Wiener Werkstätte am Graben 15, Wien um 1907, © MAK rechts Looshaus am Michaelerplatz, Entwurf: Adolf Loos für den Herrenausstatter Goldman & Salatsch, Wien 1909, © MAK

57 Vgl. Felix Czeike, Looshaus, in: Historisches Lexikon Wien, Bd. 4, Wien: Kremayr & Scheriau 1995, S. 89. 58

Vgl. Ottillinger (2018), S. 51, 97  ff. Vgl. Ruth Hanisch, Die unsichtbare Raumkunst des Felix Augenfeld, in: Matthias Boeckl (Hg.), Visionäre & Vertriebene. Österreichische Spuren in der modernen Architektur anlässlich der gleichnamigen Ausstellung in der Kunsthalle Wien 1995, Berlin: Ernst & Sohn 1995, S. 228, 327. 59

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Gebrauchsgegenständen und Möbeln.57 Für Loos standen die Bedürfnisse der BewohnerInnen eines Hauses oder einer Wohnung stets im Vordergrund. Die Idee, sich ein Haus oder eine Wohnung von einem Architekten als Gesamtkunstwerk einrichten zu lassen, lehnte Adolf Loos vehement ab. Ganz nach englischem Vorbild gestaltete Adolf Loos einen Knieschwimmer-Clubfauteuil, den er in Anlehnung an den New Shaped Easy Chair der Londoner Firma Hampton & Sons entwickelte. Loos verwendete das Modell, das vom Einrichtungshaus Friedrich Otto Schmidt ausgeführt wurde, in verschiedenen Inneneinrichtungen in Wien, unter anderem auch im Haus am Michaelerplatz.58 Adolf Loos unterrichte ab dem Jahr 1912 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges in der von ihm privat geführten „Bauschule“. Felix Augenfeld war einer seiner ersten Schüler, gemeinsam mit Rudolph Michael Schindler, Richard Neutra, Paul Engelmann, Adolf Loos’ späterem Assistenten, Otto Breuer, Jacques Groag und Ernst Freud. Die Loos-Studenten trafen sich jedoch nicht in einem Hörsaal oder einer Klasse, sondern vielmehr in dem von Adolf Loos eingerichteten Café Museum, zu Spaziergängen in der Stadt, in den von ihm eingerichteten Wohnungen oder auch in Bars oder Kabaretts. Die „Loos-Schule“ wurde mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Wien unterbrochen, viele der jungen Studierenden mussten einrücken. Nach dem Ende des Krieges setzte Adolf Loos seinen Unterricht bis zu seiner Übersiedlung nach Paris im Jahr 1923 fort. Adolf Loos’ Ideen hatten einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Möbeldesigns der Mitte des 20. Jahrhunderts, nicht nur in Wien, sondern weit über Österreichs Grenzen hinaus.59

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FRÜHES PRODUKTDESIGN AUS WIEN Die Wiener Moderne war von einer kreativen und künstlerischen Zusammenarbeit zwischen ArchitektInnen, KünstlerInnen, hochspezialisierten UnternehmerInnen und anspruchsvollen AuftraggeberInnen geprägt. In Wien kam es um 1900 erstmals zu einer engen Zusammenarbeit zwischen den in der Metropole ansässigen Unternehmen und Manufakturen einerseits sowie den KünstlerInnen oder ArchitektInnen auf der anderen Seite – auch im Möbeldesign. Es waren die führenden Architekten Wiens Otto Wagner, Josef Hoffmann und Koloman Moser, die Gestalter der Wiener Werkstätte, aber auch deren Kritiker Adolf Loos, die die neuen Ausdrucksmöglichkeiten des von Michael Thonet entwickelten Bugholzverfahrens entdeckten. Durch eine Weiterentwicklung des Bugholzverfahrens wurde es zu dieser Zeit möglich, fast rechte Winkel herzustellen. Metallapplikationen an den stark beanspruchten Bauteilen sollten die Möbel schützen. So entstanden neue Möbelformen, die einen strengen und funktionalen Eindruck vermittelten.60 Waren die Gebrüder Thonet Vorreiter im Biegen von Hölzern und der industriellen Fertigung moderner Möbel, so setzte die Konkurrenzfirma  Jacob & Josef Kohn beim Entwurf ihrer Möbel sehr früh auf die enge Zusammenarbeit mit den besten und kreativsten Köpfen Wiens. Adolf Loos entwarf 1899 einen Sessel für das Café Museum, der von der Firma Jacob & Josef Kohn erzeugt wurde. Loos optimierte für dieses Modell vorhandene Serienmodelle; Inspirationsquellen waren sowohl der Sessel Nr. 14 von Thonet als auch das Modell Nr. 248 des Kohn-Katalogs. Die Sessel waren leicht, ohne an Stabilität einzubüßen. Adolf Loos, der stets auf die Wirkung von Farben in den von ihm gestalteten Räumen setzte, ließ die Sessel in Rot beizen, die Wände versah er mit einer grünen Tapete. Die rote Farbe der Sessel setzte einen wichtigen Akzent in der Einrichtung des Kaffeehauses.61 Auch Josef Hoffmann arbeitete eng mit Jacob & Josef Kohn zusammen: Er entwarf komplette Musterzimmer für die Firma Kohn, die auf internationalen Ausstellungen etwa in Turin oder London gezeigt wurden. Auch die von Josef Hoffmann entworfenen Möbel für das Sanatorium Purkersdorf oder das Cabaret Fledermaus sowie seine Sitzmaschine wurden von Jacob & Josef Kohn ausgeführt. Durch ihr visionäres Möbeldesign gelang es Jacob & Josef Kohn, Bugholzmöbel, die man in erster Linie aus Kaffeehäusern, Restaurants oder Theater- und Konzertsälen kannte, „salonfähig“ zu machen, sie fanden Einzug in moderne Einrichtungen privater Häuser und Wohnungen. Neben der langjährigen Zusammenarbeit mit den bekannten Architekten der Zeit wie Otto Wagner, Adolf Loos, Koloman Moser oder Josef Hoffmann setzte das Unternehmen früh auf einen jungen, weniger bekannten Designer: Gustav Siegel. Der junge Architekt aus Wien, der bei Josef Hoffmann Architektur an der Kunstgewerbeschule studiert hatte, wurde auf dessen Vorschlag bei Jacob & Josef Kohn als Chefdesigner angestellt. Für die Weltausstellung 1900 in Paris gestaltete Gustav Siegel mit 60 Vgl. Thillmann/Willscheid großem Erfolg einen modernen Fauteuil, das erste sogenannte „Archi(2011), S. 197. 62 tektenmöbel“, das eine vollkommen neue Formensprache zeigte. Das 61 Vgl. Ottillinger (2018), S. 77 ff. 62 Vgl. Sebastian Hackenschmidt/ Design von Bugholzmöbeln wurde damit vollkommen modernisiert. Wolfgang Thillmann, Bugholz, Auch Otto Wagner griff Gustav Siegels moderne Formen für die vielschichtig. Thonet und das moderMöbel der Postsparkasse und des Büros der Tageszeitung Die Zeit in ne Möbeldesign, hg. von Christoph Wien auf. Die von Otto Wagner für die Postsparkasse entwickelten funktioThun-Hohenstein und Sebastian Hackenschmidt, Wien/Basel: MAK, nalen Möbel zeigten dessen Verständnis für moderne und industrielle FerBirkhäuser 2020, S. 180. tigung. Der Armlehnsessel der Postsparkasse wurde von den Firmen 63 Vgl. Thillmann/Willscheid Gebrüder Thonet und Jacob & Josef Kohn auch in das allgemeine Ver(2011), S. 312. kaufsprogramm aufgenommen und in unterschiedlichen Ausführungsvarianten hergestellt. Der Preis eines Sessels lag je nach Ausführung zwischen 18 und 34 Kronen.63

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links Dreibeiniger Hocker nach ägyptischem Vorbild, Entwurf: nach Adolf Loos, Ausführung: unbekannt, © Dorotheum Wien, 2019 rechts Sessel Nr. 255 für das Café Museum, Entwurf: Adolf Loos, Wien 1898, Ausführung: Jacob & Josef Kohn, Wsetin 1899, © MAK

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Hauffe (2014), S. 38.

65

Vgl. Ottillinger (2018), S. 97 ff.

Wien um 1900

Die Gebrüder Thonet nahmen ebenfalls bald ein weiteres Modell in ihren Verkaufskatalog auf, das an Gustav Siegels Entwurf erinnerte. Der sogenannte Wiener Sessel von Thonet, erstmals im Thonet-Katalog des Jahres 1904 als Schreibtischfauteuil Nr. 201 erwähnt, sorgte nicht nur in Wien, sondern auch international für Begeisterung. Der schweizerischfranzösische Architekt und Möbeldesigner Le Corbusier stattete mit dem Wiener Sessel sowohl den französischen Pavillon de l’Esprit Nouveau bei der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes 1925 in Paris aus als auch zahlreiche Häuser und Wohnungen. Der Architekt schwärmte über diesen Sessel: „Noch nie ist Eleganteres und Besseres in der Konzeption, Exakteres in der Ausführung und Gebrauchstüchtigeres geschaffen worden.“64 Mit fast zwei Millionen Möbelstücken pro Jahr im Jahr 1912 erreichte die Produktion der Gebrüder Thonet ihren Höchststand; fast zwei Drittel davon waren Sessel. Exportiert wurde in die ganze Welt, vor allem nach Russland, Frankreich, Deutschland sowie nach Nord- und Südamerika. Im Jahr 1900 beschäftigen Jacob & Josef Kohn rund 6300 ArbeiterInnen in mehreren Werken, täglich konnten über 5000 Möbelstücke produziert werden. Trotz ihrer stark auf Profit orientierten Unternehmenspolitik waren Kreativität und Innovation stets Teil der Firmenphilosophie von Jacob & Josef Kohn. Sie arbeiteten als eines der ersten Unternehmen weltweit mit den bekanntesten Gestaltern und Architekten der Wiener Moderne wie Otto Wagner, Josef Hoffmann, Koloman Moser, Adolf Loos und Gustav Siegel zusammen. Möbeldesign erhielt dadurch eine vollkommen neue und innovative Note.65 Doch nicht nur Jacob & Josef Kohn und die Gebrüder Thonet setzten auf eine kreative und enge Zusammenarbeit mit den

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KünstlerInnen der Wiener Moderne und damit sehr früh auf das, was heute allgemein unter Produktdesign oder Industriedesign verstanden wird. Auch kleinere hochspezialisierte Möbelunternehmen und andere handwerkliche Betriebe wie der Stoffproduzent Backhausen, 1851 in Wien gegründet, die Glasmanufaktur J. & L. Lobmeyr oder die Porzellanmanufaktur Augarten setzten auf die Zusammenarbeit mit DesignerInnen und KünstlerInnen aus Wien. Die Ursprünge des frühen Produkt- und Industriedesigns liegen in Wien. Design spielte in Wien um 1900 eine entscheidende Rolle.66 Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 bedeutete eine abrupte Unterbrechung der Wiener Moderne. Aus dem Habsburgerreich wurde im November 1918 die Republik Österreich, im selben Jahr starben sowohl Gustav Klimt, Egon Schiele, Koloman Moser als auch Otto Wagner. Carl König verstarb bereits 1915 in Wien. Damit ging in Wien eine Ära zu Ende. Der Einfluss Wiens auf die Entwicklung des europäischen Möbeldesigns war jedoch enorm. Einerseits verlieh die Wiener Werkstätte dem Deutschen Werkbund, 1907 als Vereinigung von Künstlern, Architekten und Unternehmern gegründet, und dem Bauhaus in Weimar wichtige Impulse, andrerseits übten die extravaganten und dekorativen Gestaltungsprinzipien Dagobert Peches oder Koloman Mosers auf das Art déco in Frankreich einen wesentlichen Einfluss aus. Die Wiener Werkstätte wurde zur wichtigsten Inspirationsquelle des Art déco. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zählte Wien zu den bedeutendsten Zentren des Designs und Kunsthandwerks. Die Arbeiten der Wiener Werkstätte einerseits, die enge Zusammenarbeit zwischen DesignerInnen und Möbelproduzenten, aber auch die Ideen von Adolf Loos beeinflussten die Entwicklung des modernen Möbeldesigns des 20. Jahrhundert weit über Europas Grenzen hinaus.67

66 Vgl. Elana Shapira (Hg.), Design Dialog: Juden, Kultur und Moderne, Wien: Böhlau 2018, S. 11. 67 Vgl. Markus Whiffen/Frederik Koeper/Fritz Baumeler (Hg.) Amerikanische Architektur 1607–1976, 2., rev. Aufl., Luzern: ars pro toto 2009, S. 325.

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Wien um 1900

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Vom Bauhaus zum International Style

DAS BAUHAUS IN WEIMAR, DESSAU UND BERLIN

Im April 1919 gründete der deutsche Architekt Walter Gropius das staatliche Bauhaus in Weimar und damit die einflussreichste Kunst- und Architekturschule des 20. Jahrhunderts. Die Schule entstand durch den Zusammenschluss der Hochschule für bildende Kunst in Weimar und der ebenfalls dort ansässigen Kunstgewerbeschule. Walter Gropius, der auch Mitglied des Deutschen Werkbundes war, sah das Bauhaus als eine Arbeitsgemeinschaft, die sämtliche Gestaltungs- und Kunstdisziplinen miteinander verband. Gropius forderte eine Aufhebung sämtlicher Schranken zwischen KünstlerInnen und HandwerkerInnen; vielmehr sollte eine Einheit von Kunst, Handwerk und Industrie verwirklicht werden. Am Bauhaus wurde nach einem vollkommen neuen künstlerischen Ausbildungskonzept unterrichtet. Sämtliche Bereiche des Produktdesigns wurden abgedeckt – vom Möbeldesign über die Gestaltung von Lampen oder Geschirr bis hin zu Teppichen. Für alle SchülerInnen gab es einen verpflichtenden Vorkurs, in dem großer Wert auf eine interdisziplinäre, fächerübergreifende Ausbildung gelegt wurde. Das Experimentieren mit Farbe, Form und Material stand im Mittelpunkt, handwerkliche und künstlerische Fertigkeiten wurden gleichermaßen unterrichtet. Der Unterricht am Bauhaus begann im Jahr 1919 mit 79 männlichen und 84 weiblichen Studierenden.68 Der aus der Schweiz stammende Maler Johannes Itten zählte zu den ersten Lehrenden, die Walter Gropius 1919 auf Empfehlung seiner Ehefrau, oben Fauteuil Nr. 6516a aus Buchenholz und Leder der Wienerin Alma Mahler-Gropius, an das Bauhaus holte. Zwischen dem für die Österreichische PostBauhaus in Weimar und Wien gab es einige Verbindungslinien. Durch sparkasse, Entwurf: Otto seine Ehe zu Alma, Gustav Mahlers Witwe, hatte Walter Gropius eine starWagner, Wien 1904, Auske Verbindung zu Wien. Für Gropius war die Zeit mit Alma – die beiden führung: Gebrüder Thonet, hatten bereits ein Liebesverhältnis als Gustav Mahler noch lebte – Bistritz 1906, © MAK gefühlsmäßig sehr zerrissen und vermutlich dementsprechend belastend. unten Schreibtischsessel Walter Gropius und Alma, die zu dieser Zeit eine Liebesaffäre mit Oskar Nr. 9, Entwurf: nach Gustav Kokoschka hatte, heirateten am 18. August 1915 in Berlin, ein Jahr danach Siegel/Jacob & Josef Kohn, kam die gemeinsame Tochter Manon in Wien zur Welt. Die Ehe und das Ausführung: Gebrüder Thonet, gemeinsame Kind wurden für Gropius zu einer Herausforderung, wähbeides Wien um 1900, © MAK rend des Krieges konnte er seine Frau und seine Tochter nur bei kurzen Aufenthalten in Wien sehen. Als Gropius das Bauhaus in Weimar gründete, war er noch mit Alma verheiratet; aus Liebe zur gemeinsamen Tochter Manon weigerte er sich viele Monate, in die Scheidung einzuwilligen. Die Ehe von Walter Gropius und Alma, die zu dieser Zeit eine Affäre mit dem 68 Vgl. Winfried Nerdinger, Walter in Wien lebenden Schriftsteller Franz Werfel hatte, wurde im Oktober 1920 Gropius. Architekt der Moderne, München: Beck 2019, S. 107 ff.; geschieden.69 Hauffe (2014), S. 108 ff.; Wilhide Johannes Itten, der von Wien nach Weimar übersiedelte, gestaltete (2017), S. 126 ff. 69 Vgl. Nerdinger (2019), S. 114. das Bauhaus in den ersten Jahren mit seinem didaktischen Ansatz entscheidend mit und prägte mit seinem verpflichtenden Vorkurs das pädagogische Programm maßgeblich. Von 1916 bis 1919 leitete Itten eine private Kunstschule in Wien. Eine Gruppe Wiener Studierender folgte ihm dann an

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das Bauhaus, darunter der Kunsthandwerker Carl Auböck, der spätere Innenarchitekt und Designer Franz Singer und die künftige Malerin, Innenarchitektin und Möbeldesignerin Friedl Dicker. Walter Gropius und Johannes Itten setzten sich dafür ein, dass die Kunst nicht mehr rein akademisch und theoretisch vermittelt werden, sondern spielerisch, intuitiv aus dem Inneren der Studierenden hervortreten sollte. Johannes Itten unterrichtete nach einer esoterischen Pädagogik, der sogenannten „Mazdaznan-Lehre“, der zufolge die körperlichen, seelischen und intellektuellen Kräfte der Studierenden aktiviert werden sollten. So gelang es ihm nach kurzer Zeit, eine fast sektenhaft eingeschworene Gruppe von StudentInnen um sich herum zu versammeln.70 Die Existenz des Bauhauses war der Energie von Walter Gropius, dessen Engagement, aber auch dessen Fähigkeiten als Autor und Redner zu verdanken. Er suchte von der Gründung der Schule an immer wieder nach Wegen, um die Entwürfe der Studierenden nicht nur in den eigenen Werkstätten, sondern auch von externen Industrieunternehmen produzieren zu lassen. Walter Gropius erhoffte sich dadurch die Möglichkeit, durch Aufträge der Industrie Geld für das Bauhaus erwirtschaften zu können. Auch Johannes Ittens Nachfolger, der ungarische Maler, Möbeldesigner und Bühnenbildner László Moholy-Nagy, ermutigte seine SchülerInnen dazu, industrietaugliche Entwürfe zu gestalten und mit modernen Materialien wie Stahlrohr, Sperrholz oder Industrieglas zu experimentieren. In dieser Zeit entstanden am Bauhaus moderne Lampenentwürfe aber auch Töpferware, die durch ihre einfachen Formen industrietauglich waren.71 Die Maler Paul Klee, Georg Muche und Oskar Schlemmer sowie Wassily Kandinsky unterrichteten ebenfalls am Bauhaus in Weimar. Über die Schwerpunktsetzung zwischen Kunst, Handwerk und Industrie kam es häufig zu massiven Auseinandersetzungen unter den Lehrenden, KünstlerInnen und Studierenden.72 Auch die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Spannungen der Zwischenkriegszeit waren am Bauhaus massiv zu spüren. 1925 musste die Kunstschule in Weimar auf Druck der neuen konservativen Regierung des Bundeslandes Thüringen schließen, die politisch rechten Parteien lehnten die Kunstschule vehement ab. Sie übersiedelte in ein von Walter Gropius geplantes neues Haus nach Dessau, das über eindrucksvolle Werkstätten verfügte.73 Die von Walter Gropius angestrebte enge Zusammenarbeit zwischen der Industrie und dem Bauhaus zur serienmäßigen Fertigung von Produkten für die moderne Lebenswelt passte gut zu den wirtschaftlichen Interessen der Stadt.74 b

MODERNE MÖBEL AUS STAHLROHR Im Jahr 1925 wurde der 23-jährige österreichisch-ungarische Möbeldesigner Marcel Breuer als „Jungmeister“ Leiter der Möbelwerkstatt. Marcel Breuer, 1902 in Pécs in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie geboren, studierte 1920 einige Wochen an der Akademie der bildenden Künste Wien. Nach kurzer Zeit brach er das Studium ab und begann mit einer Tischlerausbildung in der Möbelwerkstatt am Bauhaus in Weimar. Marcel Breuer, der einige avantgardistische Möbel aus Holz entwarf, gestaltete Mitte der 1920er Jahre seine ersten Stahlrohrstühle. Die unter ihm am Bauhaus in Dessau entstandenen und von Thonet in Frankenberg produzierten Stahlrohrsessel stellen einen Meilenstein in der Geschichte des Möbeldesigns dar. Sein 1925 in Dessau entworfener Klubsessel, der Armlehnsessel B 3 von Thonet, später als Wassily bezeichnet, gilt als der erste moderne Stahlrohrsessel. Einen weiteren Meilenstein setzte Marcel Breuer mit seinem Freischwinger SS 32 aus dem Jahr 1928. Thonet reagierte als einer der ersten Möbelproduzenten weltweit auf den neuen Trend der Stahlrohrmöbel und stieg in das Stahlrohrmöbel-­Geschäft ein. Das Unternehmen

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Vgl. ebd. Vgl. Hauffe (2014), S. 108 ff. 72 Vgl. Nerdinger (2019), S. 114. 73 Vgl. Wilhide (2017), S. 126 ff. 71

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Vgl. Nerdinger, (2019), S. 176.

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Wassily Club Chair Modell B 3 aus gebogenem, verchromtem

Stahlrohr, Entwurf: Marcel Breuer, Deutschland 1925, Ausführung: ThonetMundus, Frankenberg 1930 bis 1935, © MAK

kaufte 1929 die von Marcel Breuer mitbegründete Firma Standard-Möbel, die auf die Produktion von Stahlrohrmöbeln spezialisiert war, und in weiterer Folge 1932 die Firma Desta. Der junge Möbeldesigner Breuer setzte bei seinen modernen Freischwingern aus Stahlrohr – ganz in der Tradition der Gebrüder Thonet – an der Rücken- und Sitzfläche häufig das Wiener Geflecht, das robuste Achteckgeflecht, ein. Thonet produzierte auch bald gepolsterte Stahlrohrmöbel, die sogenannte „K-Linie“, die zur einem beliebten Massenmöbel wurden. 75 Marcel Breuers von Thonet industriell gefertigte Sesselentwürfe wurden zu Designklassikern mit einer enormen Ausstrahlung auf das internationale Möbeldesign und die Möbelproduktion der folgenden Jahrzehnte. Zahlreiche europäische ArchitektInnen, die als modern gelten wollten, produzierten Ende der 1920er und in den 1930er Jahren Stahlrohrmöbel. Auch der vom österreichischen Designer Bruno Pollak um 1927 entworfene, ursprünglich in Wien gefertigte Stahlrohrsessel wurde in den 1930er Jahren unter der Bezeichnung RP6 vom englischen Möbelhersteller Practical Equipment Ltd. (PEL) in Accles & Pollock’s Paddock Works in Oldbury industriell hergestellt und millionenfach verkauft.76 Die Ausbildung im Bauhaus verlagerte sich in dieser Zeit vermehrt auf Industriedesign. Die Grundsätze der Bauhaus-Produktion waren eine kostengünstige Massenfertigung sowie die Gestaltung funktionaler Produkte für eine breite Gesellschaftsschicht. Möbel sollten industriell und preisgünstig hergestellt und ihre Form und das verwendete Material der Zeit angemessen sein: Transparent, leicht und variabel waren sie auch für die Einrichtung kleiner Wohnungen geeignet. Ganz im Sinne des Funktionalismus sollte ein Möbelstück oder ein Gebrauchsgegenstand seine Funktion praktisch erfüllen und haltbar, billig und schön sein. Im Bauhaus wurden die Grundlagen für neues Design gelegt, die die Entwicklung des modernen Industrie- und Möbeldesigns weltweit nachhaltig beeinflussten. Trotz internationaler Anerkennung litt das Bauhaus unter massiven internen Streitigkeiten und finanziellen Schwierigkeiten. 1928 wurde der Schweizer Architekt Hannes Meyer neuer Direktor des Bauhauses und damit Walter Gropius’ Nachfolger. Meyer strukturierte das Bauhaus vollkommen um und führte auch Architektur in den Unterricht ein. Er organisierte mehrere Vortragsreihen mit Philosophen des Wiener Kreises, unter anderem dem Nationalökonomen Otto Neurath, um die aktuellen Entwicklungen in der Wissenschaft, Wirtschaft und Philosophie am Bauhaus zu diskutieren. Als neuer Leiter des Bauhauses schloss er außerdem Lizenzverträge mit Industrieunternehmen für Tapeten, Stoffe, Lampen und Möbel ab, die unter der einheitlichen Marke Bauhaus erfolgreich vermarktet wurden. 77

Oben

Modell SS 32,

Entwurf: Marcel Breuer, Deutschland 1928, Ausführung: Thonet-Mundus, Frankenberg 1929, © MAK Unten Stahlrohrsessel, Entwurf: Bruno Pollak, Wien 1927, Ausführung: Josef & Leopold Quittner, © Dorotheum Wien, 2016

75 Vgl. Hackenschmidt/ Thillmann (2020), S. 205 ff. 76

Vgl. Dominic Bradbury, Mid-Century Modern Complete. Design des 20. Jahrhunderts, Köln: DuMont 2014, S. 300 f.

77

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Vgl. Hauffe (2014), S. 119.

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WIENER ARCHITEKTINNEN UND DESIGNERINNEN IN DEUTSCHLAND

Als Johannes Itten 1919 von Wien nach Weimar übersiedelte, um mit seiner Lehrtätigkeit am Bauhaus in Weimar zu beginnen, begleiteten ihn einige seiner Wiener SchülerInnen dorthin, darunter der Architekturstudent Otto Breuer, die damals 21-jährige Friedl Dicker, Franz Singer, Anny Wottitz, Margit Téry sowie ihr späterer Ehemann Bruno Adler sowie Carl Auböck. Marcel Breuer übersiedelte ebenfalls zu Beginn der 1920er Jahre nach einer kurzen Studienzeit an der Akademie der bildenden Künste Wien nach Weimar. László Moholy-Nagy, der spätere Nachfolger Johannes Ittens am Bauhaus, zog Anfang der 1920er Jahre von Wien über Berlin nach Weimar. Einige KünstlerInnen der Wiener Gruppe, die mit Johannes Itten ans Bauhaus übersiedelten, wurden in der Zwischenkriegszeit zu namhaften MöbeldesignerInnen Wiens. Friedericke „Friedl“ Dicker, 1898 in Wien geboren, studierte von 1915 bis 1916 ein Jahr lang an der Kunstgewerbeschule Textilkunst, von 1916 bis 1919 besuchte sie Ittens private Kunstschule in Wien. In dieser Zeit lernte sie auch Anny Wottitz kennen. Gemeinsam führten die beiden Kunsthandwerkerinnen Buchbindeaufträge aus. In Ittens Kunstschule lernte Friedl Dicker auch ihren späteren Geschäftspartner und Freund Franz Singer kennen. In ihrer Zeit am Bauhaus machte Friedl Dicker Buchbindearbeiten und fertigte Spielzeug; in der Werkstatt von Lyonel Feininger erlernte sie die Technik der Lithografie. Friedl Dickers Lieblingsmaler Paul Klee unterrichtete ab 1921 als Lehrer am Bauhaus, sie besuchte täglich seine Vorlesung. Die Bekanntschaft mit Paul Klee und dessen Kunst sollte Friedl Dickers gesamtes Leben weiterhin beeinflussen.78 Friedl Dicker arbeitete auch gemeinsam mit Franz Singer in der Bauhaus-Theatergruppe von Lothar Schreyer. Schon bald darauf wurden die beiden jungen KünstlerInnen aus Wien vom Regisseur Berthold Viertel eingeladen, an Theaterstücken mitzuwirken. Nach Ende ihres Studiums am Bauhaus gründeten Friedl Dicker und Franz Singer in Berlin die gemeinsamen Werkstätten Bildender Kunst, die auf Spielsachen, Schmuck, Buchbindearbeiten, Textilien, Grafiken und Bühnenbilder spezialisiert waren. 1925 zogen Friedl Dicker und Franz Singer wieder zurück nach Wien und eröffneten eine Ateliergemeinschaft. Friedl Dicker arbeitete primär als Innenarchitektin und Möbeldesignerin, Franz Singer als Architekt. Ihre visionären Einrichtungen und Möbel wurden schon bald zum Inbegriff des modernen Wiener Bürgertums und weit über die Grenzen Österreichs bekannt.79 Anny Wottitz kehrte Mitte der 1920er Jahre von Weimar nach Wien zurück, wurde eine erfolgreiche Buchbinderin und arbeitete zeitweise gemeinsam mit Friedl Dicker. Carl Auböck konnte aus finanziellen Gründen nicht lange am Bauhaus in Weimar bleiben; er ging nach Tschechien, um als Silberschmied zu arbeiten. Gemeinsam mit seinem Sohn, dem jüngeren Carl Auböck, prägte er als Möbeldesigner die Zwischenkriegszeit und die 1950er in Wien. Der Wiener Otto Breuer studierte an der Technischen Hochschule in 78 Vgl. Ute Maasberg/Regina Wien und besuchte die private Bauschule von Adolf Loos. 1919 ging er an Prinz, Die Neuen kommen! das Bauhaus in Weimar, kehrte jedoch nach einem Jahr wieder nach Wien Weibliche Avantgarde in der Architektur der Zwanziger Jahre, zurück und beendete sein Studium der Architektur in Wien. Otto Breuer 2. Aufl., Hamburg: Junius Verlag entwarf in Wien zahlreiche Möbel und Wohnungseinrichtungen. 2005, S. 79 ff. 79 Vgl. ebd. Neben dem Bauhaus war der Deutsche Werkbund in Fragen der Architektur und im Möbeldesign aktiv. Unter der Leitung des deutschen Architekten Mies van der Rohe wurde 1927 die Werkbund-Ausstellung veranstaltet und die Weissenhofsiedlung in Stuttgart gebaut. Ludwig Mies van

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Typenmöbel der

Frankfurter Küche, Doppelspülbecken aus Gusseisen, Schränke, Arbeitsplatte sowie Alu- und Holzschütten, Entwurf: Margarete SchütteLihotzky, Frankfurt 1927, Ausführung: Grumbach, Frankfurt, © Dorotheum Wien, 2019 Rechts Frankfurter Küche, Entwurf: Margarete SchütteLihotzky, Frankfurt 1927, Fotograf: Hermann Collischonn, © KAUAK

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der Rohe lud damals 17 internationale Architekten zum Bau von Musterhäusern ein, unter anderem Peter Behrens, Walter Gropius, Le Corbusier sowie Josef Frank. Josef Frank entwarf als einziger Wiener für die Mustersiedlung in Stuttgart ein gesamtes Haus. Einige Möbeldesigner aus Wien – Oswald Haerdtl, Walter Sobotka, Oskar Wlach und Franz Schuster – wurden eingeladen, die Häuser und Musterwohnungen zu möblieren.80 Josef Frank richtete sein Haus mit Möbeln aus seinem Wiener Geschäft Haus & Garten ein. Auch ein weiterer Architekt setzte bei der Inneneinrichtung auf Wiener Sessel: Le Corbusier. Er stattete sein Musterhaus mit Bugholzsesseln der Gebrüder Thonet aus Wien aus. In Frankfurt wurde Mitte der 1920er Jahre unter der Leitung des deutschen Architekten und Stadtplaners Ernst May ein kommunales Wohnbauprojekt begonnen. Die Wiener ArchitektInnen Margarete Schütte-Lihotzky, Anton Brenner und Franz Schuster gingen von Wien nach Frankfurt, um im sogenannten „Neuen Frankfurt“ ihre sozialen Ideen der kleinen Wohnungen weiterzuentwickeln.81 Margarete Schütte-Lihotzky, die bei Oskar Strnad an der Kunstgewerbeschule in Wien als eine der ersten Frauen Architektur studiert hatte und ab Beginn der 1920er Jahre als Architektin und Möbeldesignerin in Wien gemeinsam mit Adolf Loos arbeitete, befasste sich vom Beginn ihrer Karriere an mit dem Thema Soziales Wohnen und dem Siedlungsbau. 1926 engagierte Ernst May die junge Wienerin, um in Frankfurt am Hochbauamt mitzuarbeiten. In dieser Zeit gestaltete Margarete Schütte-Lihotzky ihre Frankfurter Küche, die erste moderne Einbauküche, mit der sie weltberühmt wurde.82 Die funktionelle Küche wurde in der Zwischenkriegszeit zu einem zentralen Thema im Möbeldesign und nicht zuletzt auch in der Frauenbewegung. Margarete Schütte-Lihotzkys Idee war es, der berufstätigen Frau die tägliche Hausarbeit zu erleichtern und zu verkürzen: Die Frankfurter Küche wurde in mehr als 12 000 Haushalten, vor allem in sozialen Wohnbauprojekten in Frankfurt eingebaut. Sie leitete damit einen Trend der modernen Einbauküche ein, der sich in den 1950er Jahren weltweit verbreitete.83 Neben ihrer berühmten Küche plante Margarete Schütte-Lihotzky soziale Wohnbauten, Wohnungen, Schulen, Kindergärten und Einrichtungen. Sie entwarf die unterschiedlichsten Möbel und beschäftigte sich darüber hinaus intensiv mit der industriellen Serienproduktion von Möbeln.84 d

80 81

VERTRIEBENE VISIONEN – VOM BAUHAUS IN DIE USA

Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 94, 101.

Vgl. Ottillinger (2009), S. 35 ff. Vgl. Maasberg/Prinz (2005), S. 61 ff. 83 Vgl. Tulga Beyerle/Karin Hirschberger, Designlandschaft Österreich 1900–2005, Basel: Birkhäuser 2006, S. 100. 84 Vgl. http://www. architektenlexikon.at/de/580.htm (Stand: 16.7.2021). 85 Vgl. Hauffe (2014), S. 121 ff. 82

Nicht nur im gesamten Deutschland, sondern auch im Bauhaus tobte in der Zwischenkriegszeit ein politischer Lagerkampf zwischen rechts und links. Hannes Meyer wurde entlassen, sein Nachfolger Ludwig Mies van der Rohe, der den Schwerpunkt der Ausbildung auf Architektur legte, versuchte das Bauhaus zu entpolitisieren. Doch dieser Versuch scheiterte: Der Kunstschule fehlten die erforderlichen finanziellen Mittel, nach einem kurzfristigen Umzug nach Berlin wurde das Bauhaus 1933 von den inzwischen an die Macht gekommenen Nationalsozialisten endgültig geschlossen. Der Großteil der Lehrenden des Bauhauses durfte unter den Nazis in Deutschland nicht mehr arbeiten, Lehrende und Studierende wurden vertrieben und in die Emigration gezwungen. Zu dieser Zeit war der Bauhausstil bereits weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt: Die neuen Materialien wie Stahlrohr im Möbeldesign sowie die typischen einfachen, klaren, schmucklosen Formen des Bauhauses wurden zu einem wichtigen Impulsgeber für einen modernen, internationalen Stil.85 Der International Style in der Architektur und im Möbeldesign hatte sich in den 1920er Jahren aus den Ideen des Bauhauses entwickelt und verbreitete sich Mitte des 20. Jahrhunderts auf der ganzen Welt. Der Name wurde erstmalig 1932 in einem Buchtitel The International Style: Architecture

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since 1922 des amerikanischen Kunsthistorikers Henry-Russell Hitchcock erwähnt, das im Rahmen einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York unter dem damaligen Museumsdirektors Alfred Barr erschien.86 Walter Gropius, Mies van der Rohe, László Moholy-Nagy und Marcel Breuer emigrierten in die USA. Sie lehrten an den renommiertesten amerikanischen Universitäten und beeinflussten in hohem Maße die Entwicklung des International Style. Die Moderne verlagerte sich vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in die Vereinigten Staaten, die Wirkung des Bauhauses auf Design und Architektur insbesondere in den USA war enorm. Die Emigration vieler Lehrender des Bauhauses, die an verschiedenen amerikanischen Universitäten unterrichteten, setzte den Einfluss der Schule international fort. László Moholy-Nagy emigrierte 1937 in die USA und gründete noch im selben Jahr das New Bauhaus in Chicago, die Vorgängerinstitution des Chicago Institute of Design. Es sollte nun auch in den USA DesignerInnen der nächsten Generation für die moderne Industrie ausbilden.87 Walter Gropius emigrierte 1934 nach London und 1937 weiter in die USA und bildete an der Harvard University mehrere Generationen von ArchitektInnen und DesignerInnen aus.88 Auch Marcel Breuer durfte unter den Nationalsozialisten nicht mehr in Deutschland arbeiten und emigrierte nach England, wo er für das Möbelunternehmen Isokon Furniture Company arbeitete. In dieser Zeit entwarf er einige Schichtholzmöbel, die teilweise noch bis heute produziert werden. Marcel Breuer folgte Walter Gropius in die USA, wo er ebenfalls Design an der Harvard University unterrichtete. Zu seinen StudentInnen zählte Florence Knoll, die in den 1950er Jahren zu einer der wichtigsten Möbeldesignerinnen der USA wurde. Neben seiner Unterrichtstätigkeit arbeitete Marcel Breuer weiterhin als Architekt und Möbeldesigner und erbaute zahlreiche Gebäude in den Vereinigten Staaten wie das Whitney Museum of American Art in New York.89 Ludwig Mies van der Rohe, der letzte Direktor des Bauhauses, emi­ grierte 1937 in die USA. Er wurde Leiter des Illinois Institute of Architecture in Chicago und konnte als Architekt und Möbeldesigner für das Möbelunternehmen Knoll erfolgreich tätig sein. Der Barcelona Chair, sein berühmtester Möbelentwurf, wurde in den USA von der Firma Knoll International ab dem Jahr 1948 erfolgreich weiterproduziert. Mies van der Rohe hatte diesen Sessel gemeinsam mit der Designerin Lilly Reich, die von 1908 bis 1911 unter Josef Hoffmann für die Wiener Werkstätte gearbeitet hatte, ursprünglich für den deutschen Pavillon bei der Weltausstellung 1929 in Barcelona entworfen. Die Hans G. Knoll Furniture Company 1938 war von Hans Knoll, ebenfalls ein Emigrant aus Deutschland, nur einen Monat nach seiner Ankunft in New York gegründet worden. Das Unternehmen wurde durch die Zusammenarbeit mit vertriebenen Bauhaus-KünstlerInnen zu einem der führenden Designermöbel-Produzenten der Vereinigten Staaten. Zahlreiche jüdische Bauhaus-Studierende emigrierten in den 1930er Jahren nach Palästina. Zu dieser Zeit brach in Tel Aviv ein regelrechter Bauhaus-Boom aus. Rund 4000 Gebäude wurden in den 1930er und 1940er Jahren im Bauhausstil oder International Style erbaut. Die 1909 gegründete Stadt Tel Aviv hat damit das größte Architektur-Ensemble von BauhausBauwerken weltweit; seit dem Jahr 2003 zählt dieses zum UNESCOWeltkulturerbe.90

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Vgl. Fiell/Fiell (2016), S. 344. Vgl. Hauffe (2014), S. 117, 122.

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Vgl. Nerdinger (2019), S. 11. Vgl. Bradbury (2014), S. 206 ff. 90 Nicht alle Bauhaus-Studierenden mussten emigrieren: Der österreichische Architekt und Baumeister Fritz Ertl studierte von 1928 bis 1931 Architektur am Bauhaus in Dessau. Als stellvertretender Leiter der SS-Zentralbauleitung plante er das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. 89

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Visionäres Wien – Loos-gelöstes Möbeldesign

NEUE WIENER MÖBEL DER 1920ER UND 1930ER JAHRE

Der Zerfall des Habsburgerreiches, die Gründung der Republik Österreich unter dem ersten Staatskanzler Karl Renner im Jahr 1918 sowie die allgemeine Notlage nach dem Ersten Weltkrieg und die tägliche Entwertung des Geldes änderten nicht zuletzt auch die Arbeitsbedingungen der MöbeldesignerInnen in Wien radikal. Gestalteten Josef Hoffmann und Adolf Loos vor dem Ersten Weltkrieg Häuser und Möbel für das Großbürgertum Wiens, so standen sie nach Kriegsende vor vollkommen neuen Herausforderungen. Die Wohnungssituation in Wien nach 1918 war katastrophal. Etliche Flüchtlinge strömten in die Metropole, Wohnmöglichkeiten waren kaum zu finden. Ein-Zimmer-Wohnungen, die von mehr als zehn Personen gleichzeitig bewohnt wurden, waren keine Seltenheit. Das Habsburgerreich war auseinandergefallen, die junge Republik Österreich kämpfte an allen Ecken und Enden. In Wien herrschten in den Jahren 1918 bis 1934 die Sozialdemokraten und der soziale Wohnbau wurde im sogenannten „Roten Wien“ im großen Stil in Angriff genommen. Damit begann ein Reformprojekt, das eine wesentliche Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen und der Wohnsituation in der Metropole zum Ziel hatte. Bis zum Jahr 1934 entstanden rund 400 Gemeindebauten mit etwa 65 000 Wohnungen, die weit über Österreichs Grenzen hinaus Beachtung fanden. Waren Möbel und Kunstgegenstände der Wiener Werkstätte für die Wohnungen und Häuser des gehobenen Bürgertums konzipiert, so änderte sich der Ansatz der Wiener MöbeldesignerInnen in diesen Jahren radikal. Mehrere Generationen von ArchitektInnen arbeiteten in der Zwischenkriegszeit nebeneinander. Neben Josef Hoffmann und Adolf Loos, beide nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 48 Jahre alt, wurde die jüngere Generation der ArchitektInnen – Oskar Strnad, Josef Frank und deren StudienfreundInnen und Studierende – aktiv.91 In Wien entwickelte sich in diesen Jahren eine ganz spezifische Ausprägung des modernen Möbeldesigns, die sich deutlich von der inter91 Josef Hoffmann unterrichtete nationalen Entwicklung, dem Funktionalismus und dem Bauhausstil bis 1936 Architektur an der unterschied. Statt luxuriöser, repräsentativer Villen oder Zinshäuser wurKunstgewerbeschule. Adolf Loos übersiedelte 1923 nach Paris, den einfache Wohnhäuser gebaut und etliche Wohnungen renoviert. Diewo er zehn Jahre später starb. Die ser Umstand führte auch dazu, dass zahlreiche Wiener ArchitektInnen Wiener Werkstätte musste aus neben ihrem Engagement im sozialen Wohnbau vorrangig als Möbeldesigfinanziellen Gründen schließen, 1931 wurde die Produktion eingestellt, nerInnen und als InnenarchitektInnen tätig wurden. Es kam zu einer Blüte 1932 der Konkurs angemeldet. der Innenarchitektur und des Möbeldesigns, das kreative Potential der Ar92 Vgl. Ursula Prokop, Zum chitektInnen und MöbeldesignerInnen schien unerschöpflich. Die neue Zeit jüdischen Erbe in der Wiener Architektur. Der Beitrag jüdischer Archiverlangte nach neuen Möbeln, die sich durch eine Vielfalt an Formen, tektInnen am Wiener Baugeschehen Leichtigkeit, raffinierten Details sowie eine hervorragende handwerkliche 1868–1938, Wien: Böhlau 2016, Qualität und Verarbeitung auszeichneten.92 S. 109; Ottillinger (2009), S. 18. Für die jüngere Generation der ArchitektInnen war die Idee des Ge­ samtkunstwerks, wie es die KünstlerInnen der Wiener Werkstätte vertreten hatten, kein Thema mehr. Eine Trennung von Kunst und Funktion sowie

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der Form von Möbeln wurde für diese Generation zur Selbstverständlichkeit. Die DesignerInnen beschäftigten sich vielmehr mit dem Thema leistbares Wohnen: Möbel sollten für jedermann erschwinglich sein, Bequemlichkeit und Individualität wichtiger als Luxus und Repräsentation. Bemerkenswert erscheint, dass einige ArchitektInnen, die als MöbeldesignerInnen tätig waren wie Oskar Strnad, Oswald Haerdtl oder Carl Auböck, neben ihrem Studium der Architektur an der Kunstgewerbeschule, der Technischen Hochschule oder der Akademie der bildenden Künste Wien auch eine handwerkliche Ausbildung absolviert hatten. Die MöbeldesignerInnen dieser Zeit waren fest in der jahrhundertalten handwerklichen Tradition Österreichs verwurzelt.93 Die Einrichtungsbewegung, die sich in Wien in den 1920er Jahren entwickelte, wurde unter der Bezeichnung Neues Wiener Wohnen bekannt. Der Wiener Architekt und Möbeldesigner Erich Boltenstern schrieb 1935 in seinem Buch Wiener Möbel in Lichtbildern und maßgeblichen Rissen erstmals über die „Neuen Wiener Möbel“ und über „Neues Wiener Wohnen“94. Einige untereinander befreundete Architekten, die sich von ihren Studienjahren an der Technischen Hochschule oder Adolf Loos’ privater Bauschule kannten – Oskar Strnad, Josef Frank, Oskar Wlach, Hugo Gorge und Viktor Lurje –, arbeiteten gemeinsam an Projekten, gestalteten Ausstellungen, entwarfen Möbel und tauschten sich fachlich untereinander aus. Diese Gruppe hatte bereits 1911 für die Winterausstellung des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie gemeinsam Möbel gestaltet, die wegweisend für die Wiener Wohnraumkultur der 1920er und 1930er Jahre werden sollten.95 Walter Sobotka, Ernst Lichtblau, Jacques Groag, Paul Engelmann, Ernst Freud und Felix Augenfeld ebenso wie die ersten Architektinnen Österreichs Ella Briggs, Liane Zimbler oder Margarete Schütte-Lihotzky machten sich als visionäre MöbeldesignerInnen in diesen Jahren einen Namen und erlangten weit über Wiens Grenzen hinaus Bekanntheit. Bemerkenswert ist, dass es sich bei den ProtagonistInnen der Wiener Wohnraumkultur zum größten Teil um ArchitektInnen und DesignerInnen aus jüdischen Familien handelte. Viele studierten bei Carl König, dem ersten und damals einzigen jüdischen Professor für Architektur an der Technischen Hochschule in Wien. Inwieweit die Verbundenheit dieser Gruppe durch ihre gemeinsame Ausbildung an der Technischen Hochschule oder den Besuch der privaten Bauschule von Adolf Loos bedingt oder von ihrem 93 Vgl. Thun-Hohenstein/Boeckl/ Judentum geprägt war, lässt sich aus heutiger Sicht kaum beantworten. Witt-Dörring (2015), S. 140. 94 Erich Boltenstern, Wiener Angesichts des zu dieser Zeit immer stärker aufkommenden AntisemitisMöbel in Lichtbildern und mus in Wien war es für die Wiener Jüdinnen und Juden ein heikler Balancemaßgeblichen Rissen, Stuttgart: akt, sich einerseits in die Wiener Gesellschaft zu integrieren und gleichJulius Hoffmann, 1935, S. VI; zeitig das Judentum zu bewahren. Mit den zeitlosen und formschönen vgl. Ott-Wodni (2015), S. 71. 95 Vgl. Prokop in: ThunWiener Möbeln und Einrichtungen dieser Zeit schufen sich, so die KunstHohenstein/Czech/Hackenschmidt historikerin Elana Shapira, die Wiener Jüdinnen und Juden eine eigene (2015), S. 50. 96 Vgl. Thun-Hohenstein/Czech/ Identität mitten in Wien, Orte der Ruhe und ein Zuhause.96 Hackenschmidt (2015), S. 14; Elana Bezüglich Innenraum- und Möbelgestaltung verfolgten sie allesamt – Shapira, Sinn und Sinnlichkeit, ganz im Sinne von Adolf Loos – ähnliche Grundsätze: Sie lehnten die Idee Der Architekt Josef Frank und seine der Wohnung als Gesamtkunstwerk kategorisch ab, Möbel sollten den Bejüdische Klientel, in: Thun-Hohenstein/Hermann/Hackenschmidt dürfnissen der BewohnerInnen angepasst sein, alte und neue Möbel (2015), S. 60 ff.; Prokop in: Thunzwanglos miteinander kombiniert werden. Ein Möbelstück sollte bequem, Hohenstein, Czech und beweglich, funktional, leicht und flexibel sein. Auch stand bei der MöblieHackenschmidt (2015), 48 ff. rung und Inneneinrichtung für die DesignerInnen stets der soziale Aspekt im Vordergrund: die Verbesserung der allgemeinen Lebens- und Wohnbedingungen der BewohnerInnen.

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oben Boudoir für die Kunstschau im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, Entwurf: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien 1927, © KAUAK RecHts Wohnzimmer der Ausstellung „Wiener Raumkünstler“ im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, Wien 1929/30, Entwurf: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, © MAK

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Oskar Strnad zählte zusammen mit Josef Frank zu den Vorreitern des Neuen Wiener Wohnens. Der Wiener Kunsthistoriker Max Eisler, der geistige Mentor der Gruppe um Oskar Strnad und Josef Frank, bezeichnete ihn als den Begründer des modernen Möbeldesigns dieser Jahre in Wien. Oskar Strnad vertrat eine unkonventionelle und moderne Auffassung des Wohnens, er plante Häuser, malte Aquarelle, entwarf Möbel, Keramiken, Gläser, Bühnenbilder und Kostüme und stattete Filme aus. Er publizierte zahlreiche Schriften und schaffte mit seinen Theorien eine wesentliche Basis für die Wiener Wohnraumkultur.97 Während seines Architekturstudiums an der Technischen Hochschule bei Carl König lernte er seine späteren Berufskollegen und lebenslangen Freunde Josef Frank, Oskar Wlach und Walter Sobotka kennen. Nach seinem Studium machte er sich als freiberuflicher Architekt, Innenarchitekt und Möbeldesigner selbstständig und gründete eine Bürogemeinschaft mit Oskar Wlach. Die beiden jungen Architekten nahmen an zahlreichen Wettbewerben teil und planten ihre ersten Häuser. Aus dieser Zeit stammen mehrere Villen in Wien, unter anderem das Haus Stephan Hock in der Cobenzlgasse sowie das Haus des Schriftstellers Jakob Wassermann, beide in Döbling.98 Im Alter von 30 Jahren begann Oskar Strnad an der Kunstgewerbeschule zu unterrichten. Die Lehrtätigkeit sowie seine zahlreichen Vorträge wurden zu einem wesentlichen Bestandteil im Leben des vielseitigen Architekten. Seine Vorstellungen von Möbeldesign und Wohnkultur waren stark von englischen Vorbildern geprägt. Möbel sollten jedenfalls leicht und das Ziel „ein Höchstmaß von Ruhe und Bequemlichkeit“99 sein. Große Architektur-Bauaufträge erhielt Oskar Strnad in diesen Jahren keine, als Innenarchitekt und im Möbeldesign hatte er jedoch beachtlichen Erfolg. Er wurde in dieser Zeit zu einem international gefragten Bühnenausstatter und entwarf unzählige Bühnenbilder für das Volkstheater und die Staatsoper in Wien, für die Salzburger Festspiele, aber auch für Bühnen in New York und Moskau. Als Professor der Kunstgewerbeschule veränderte der fantasievolle und sensible Oskar Strnad das Denken seiner Studierenden – von Margarete SchütteLihotzky, Oswald Haerdtl, Felix Augenfeld, Otto Niedermoser und Erich Boltenstern bis zu Ernst Plischke – von Grund auf und prägte eine ganze Generation von jungen MöbeldesignerInnen in Wien.100 Josef Frank, der ebenfalls Architektur bei Carl König an der Technischen Hochschule studierte, lernte Adolf Loos bereits während seiner Studentenzeit kennen. Dessen Ideen übten auf Josef Franks Werk einen 97 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 368. 98 Vgl. https://www. entscheidenden Einfluss aus. Wie auch Adolf Loos lehnte Josef Frank als architektenlexikon.at/de/635. Gesamtkunstwerk inszenierte Inneneinrichtungen vehement ab. Nach seihtm (Stand: 26.7.2021). nem Studium arbeitete er zunächst als freiberuflicher Architekt und Möbel99 Erich Boltenstern, Die Wohdesigner in einer losen Arbeitsgemeinschaft mit Oskar Strnad und Oskar nung für jedermann. Vorschläge für die Durchbildung und VerwenWlach. Von 1919 bis 1925 unterrichtete Josef Frank an der Kunstgewerbedung einfacher Möbel für die 101 schule Baukonstruktionslehre. heutige Wohnung, Entwürfe aus der Fachklasse für Architektur an der Auch Josef Frank und Oskar Wlach kannten sich bereits von ihrem StuKunstgewerbeschule in Wien unter dium der Architektur an der Technischen Hochschule bei Carl König. Mitte der Leitung von Prof. Dr. Oskar der 1920er Jahre engagierten sich die jungen Architekten im sozialen Strnad, Stuttgart: Julius Hoffmann Wohnbau für die Gemeinde Wien. Oskar Wlach war wie Josef Frank und 1933, Vorwort. 100 Vgl. Friedrich Stadler (Hg.), Oskar Strnad Gründungsmitglied des Österreichischen Werkbundes. 1925 Vertriebene Vernunft II. Emigration gründete Josef Frank gemeinsam mit Oskar Wlach ganz nach englischem und Exil österreichischer WissenVorbild das Einrichtungsunternehmen Haus & Garten, das schon bald zur schaft 1930–1940, Neuaufl., Münster: LIT Verlag 2004, S. 629. ersten Adresse Wiens wurde, wenn es um Einrichtung und Möbeldesign 101 Vgl. http://www. ging. Josef Frank, der auch zahlreiche theoretische Schriften zum Thema architektenlexikon.at/de/146. Möbeldesign verfasste, lehnte sogenannte „Möbelgarnituren“ strikt ab; er htm (Stand: 26.7.2021). setzte sich für die Verwendung von leichten und beweglichen Möbeln ein, die unabhängig voneinander frei im Raum platziert werden sollten. Josef Franks Möbel kennzeichneten sich durch ihre Leichtigkeit, Transparenz und

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eine schlichte, organische Formgebung. Seine Sitzmöbel waren der menschlichen Körperform und Größe angepasst, seine Kästen, Kommoden oder Vitrinen stattete der Möbeldesigner meist mit hohen, schmalen Beinen aus.102 Zu dem Kreis um Oskar Strnad, Josef Frank und Oskar Wlach zählten auch zwei weitere Architekten: Viktor Lurje und Hugo Gorge. Victor Lurje, der ebenfalls Architektur an der Technischen Hochschule studierte, machte sich nach seinem Studium als Designer selbstständig und entwarf Plakate, Gläser, Keramik und Möbel. In den 1920er arbeitete er kurzfristig für das Keramikunternehmen Gebrüder Schwadron und die Wiener Werkstätte und unterrichtete an der Kunstgewerbeschule unter Josef Hoffmann.103 Hugo Gorge, der Architektur an der Technischen Hochschule sowie an der Akademie der bildenden Künste Wien studierte, lernte bereits während des Studiums Oskar Strnad kennen – die beiden verband eine lebenslange Freundschaft. Hugo Gorge arbeitete auch als Oskar Strnads Assistent an der Kunstgewerbeschule. In der Zwischenkriegszeit gestaltete er Inneneinrichtungen in Wien, Möbel und andere kunstgewerbliche Gegenstände. Seine schlichten, durchdachten Möbel wurden auf vielen Ausstellungen in Europa gezeigt. Sein Möbeldesign sollte den Zeitgeist widerspiegeln – Hugo Gorge reagierte auf die Zeitumstände sowie die Bedürfnisse der BewohnerInnen. „Nur die Inspiration durch die Gegenwart kann fruchtbar sein für unser Schaffen. Das gute Alte ehren wir, weil es auf die gleiche Weise entstanden ist“, schrieb der damals 38-jährige Designer zum Thema „Gegenwart“.104 Auch Walter Sobotka studierte Architektur bei Carl König. Nach seinem Studium arbeitete der junge Wiener Architekt bei der damals bekannten Wiener Baufirma Karl Korn, ab Mitte der 1920er Jahre war er als selbstständiger Architekt und Möbeldesigner in Wien tätig. Er richtete in Wien zahlreiche Wohnungen und Häuser ein, für die Gemeinde Wien plante er zwei Wohnhausanlagen. Als Innenarchitekt und Möbeldesigner wurde er ein wesentlicher Protagonist der Wiener Wohnraumkultur. Walter Sobotka veröffentlichte auch theoretische Schriften über das Thema Wohnen und Möbeldesign. An Haus & Garten war er ebenfalls beteiligt, jedoch nur für ganz kurze Zeit. Walter Sobotka war nicht nur mit Josef Frank und Oskar Wlach, sondern auch mit seinen Berufskollegen Jacques Groag, Felix Augenfeld und Karl Hofmann befreundet, zeitweise wurde auch gemeinsam gearbeitet. Seine leichten, eleganten Möbel wurden zum Inbegriff der Wiener Wohnraumkultur.105 Ernst Lichtblau studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Otto Wagner. Nach seinem Studium unterrichtete der junge Architekt technisches Zeichnen für Möbeltischlerei an der Staatsgewerbeschule. Er nahm an zahlreichen Design- und Architekturausstellungen des Österreichischen Werkbundes teil, den er 1912 mitbegründet 102 Vgl. Matthias Boeckl (Hg.), hatte.106 Ab Mitte der 1920er Jahre war er in erster Linie als freiberuflicher Visionäre & Vertriebene. ÖsterArchitekt und Möbeldesigner tätig. Ernst Lichtblau hatte wie Oskar Strnad reichische Spuren in der modernen und Josef Frank eine Vorliebe für behagliche, leichte Möbel aus Holz. 1925 Architektur anlässlich der gleichnamigen Ausstellung in der Kunstgründete er die Ernst Lichtblau Werkstätte Ges.m.b.H und gestaltete halle Wien 1995, Berlin: Ernst Designprodukte für den täglichen Gebrauch. Er war ein sozial engagierter & Sohn 1995, S. 348; Ott-Wodni Architekt und beteiligte sich an mehreren sozialen Wohnbauprojekten der (2015), S. 51 ff. 103 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 71. Stadt Wien. Ende der 1920er Jahre übernahm er die Leitung der neu ge104 http://www.architektenlexikon. gründeten BEST, der Beratungsstelle für Inneneinrichtung des Österat/de/178.htm (Stand: 22.7.2021). 105 Vgl. Prokop (2016), S. 130. reichischen Verbandes für Wohnungsreform, und arbeitete in dieser 106 Vgl. Boeckl (1995), S. 337. Funktion eng mit Josef Frank zusammen. In einer Dauerausstellung wurden 107 Vgl. http://www.architekten Musterwohnungen sowie günstige Möbel und Haushaltsgegenstände gelexikon.at/de/357.htm zeigt. Auch im Rahmen des Österreichischen Werkbundes arbeitete Ernst (Stand: 21.7.2021). Lichtblau eng mit Josef Frank zusammen. Ernst Lichtblau, Josef Frank und Walter Sobotka verband eine langjährige und tiefe Freundschaft.107

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links Speisezimmer der Ausstellung „Die neuzeitliche Wohnung – Die Mietwohnung“ im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, Wien 1930/31, Entwurf: Walter Sobotka, Ausführung: J. Spira, Fotograf: Julius Scherb, © KAUAK

Paul Engelmann studierte Architektur an der Technischen Hochschule. Er besuchte als einer der ersten Schüler gemeinsam mit Rudolph Michael Schindler, Richard Neutra, Ernst Freud, Jacques Groag und Felix Augenfeld die private Bauschule von Adolf Loos und wurde später auch dessen Mitarbeiter. Über Loos’ Vermittlung lernte der junge Architekt auch Ludwig Wittgenstein kennen und erbaute Ende der 1920er Jahren für die Familie Wittgenstein das Palais Stonborough im 3. Wiener Gemeindebezirk. In seiner Heimatstadt Olmütz gestaltete er in den 1920er und 1930er Jahren zahlreiche Inneneinrichtungen und Möbel.108 Ernst Freud, 1892 als viertes Kind Sigmund Freuds in Wien geboren, studierte ebenfalls Architektur an der Technischen Hochschule und besuchte auch die private Bauschule von Adolf Loos. Mit seinem Jugendfreund und Studienkollegen Richard Neutra unternahm er zahlreiche Studienreisen und übersiedelte 1913 nach München, um dort an der Technischen Hochschule weiterzustudieren. Nach seinem Studium zog er nach Berlin und machte sich als Architekt selbstständig. Zu Beginn der 1930er Jahre baute er gemeinsam mit Karl Hofmann und Felix Augenfeld das Wochenendhaus seiner Schwester Anna Freud um und entwarf zahlreiche Möbel.109 Auch Jacques Groag übersiedelte von Olmütz nach Wien, um an der Technischen Hochschule zu studieren und Adolf Loos’ private Bauschule zu besuchen. Anfang der 1920er machte er sich in Wien als Architekt und Möbeldesigner selbstständig, errichtete Einfamilienhäuser und gestaltete Wohnungen und Möbel. Gemeinsam mit Adolf Loos arbeitete er an der Villa Moller in der Starkfriedgasse in Währing, mit Friedl Dicker und Franz Singer an der Gestaltung des Tennisclubhauses Heller in Hietzing und mit

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Vgl. Myra Warhaftig, Sie legten den Grundstein. Leben und Wirken deutschsprachiger jüdischer Architekten in Palästina 1918–1948, Tübingen: Wasmuth 1996, S. 252. 109 Vgl. https://deu.archinform. net/arch/3326.htm  (Stand: 21.7.2021).

Paul Engelmann am Palais Stonborough und damit an den modernen und visionären Architekturprojekten dieser Zeit. Jacques Groag spezialisierte sich auf Innenraumgestaltung und Möbeldesign und war eng mit Felix Augenfeld befreundet.110 Felix Augenfeld studierte ebenfalls Architektur bei Carl König und besuchte die Bauschule von Adolf Loos. Nach seinem Studium machte er sich als Architekt und Möbeldesigner selbstständig und gründete mit seinem Freund und Studienkollegen Karl Hofmann ein gemeinsames Atelier in Döbling. Der um drei Jahre ältere Karl Hofmann studierte ebenso an der Technischen Hochschule. Die beiden jungen Architekten gestalteten neben einigen größeren Bauprojekten in Wien und in Brünn zahlreiche Wohnungseinrichtungen und Möbel. Auch Kleinstwohnungen bauten sie um und richteten sie ein. Die Möblierung von Kleinstwohnungen für berufstätige „Singles“ stellte InnenarchitektInnen dieser Zeit vor neue Herausforderungen im Möbeldesign. Augenfeld und Hofmann entwarfen auch Theaterbühnen, unter anderem in London unter der Regie von Max Reinhardt, und arbeiteten bei erfolgreichen Theaterinszenierungen mit Oskar Strnad zusammen. Der persönliche Kontakt mit Oskar Strnad prägte die Arbeit von Felix Augenfeld maßgeblich. Felix Augenfeld war sehr eng mit der Familie Freud befreundet und kreierte auch Sigmund Freuds Schreibtischsessel. Bei ihren Einrichtungen – besonders von kleinen Wohnungen – setzten die beiden jungen Architekten auf multifunktionale Möbel. Sie verwendeten fix eingebaute Möbelstücke sowie aufklappbare Schränke und leichte, transportable Sessel und bewusst auch ganz starke, bunte Farben. Neben Möbeln und Stoffen von Josef Franks und Oskar Wlachs Einrichtungsunternehmen Haus & Garten gestalteten Felix Augenfeld und Karl Hofmann ihre Einrichtungen mit selbst entworfenen Möbeln. Das Architektenduo designte Anrichten, Einbaukästen und Sekretäre, für deren Oberflächen unterschiedlich strukturierte kostbare Hölzer benutzt wurden.111 Auch Otto Breuer studierte Architektur an der Technischen Hochschule in Wien und zählte gleichzeitig zu Adolfs Loos’ Schülern. Im Jahr 1919 besuchte er für die Dauer eines Semesters das Bauhaus in Weimar. Ab Anfang der 1920er Jahre betrieb er ein Einrichtungsunternehmen in Wien und entwarf zahlreiche Möbel.112 Oskar Strnad und Josef Frank prägten durch ihre Unterrichtstätigkeit an der Kunstgewerbeschule die junge Generation der MöbeldesignerInnen 110 Vgl. http://www. maßgeblich. Oswald Haerdtl studierte Architektur bei Oskar Strnad und architektenlexikon.at/de/182.htm wurde nach seinem Studium Josef Hoffmanns Assistent. Von dieser Zeit an (Stand: 21.7.2021). 111 Vgl. Ottillinger (2009), S. 131; unterrichtete Oswald Haerdtl insgesamt 38 Jahre lang an der KunstBoeckl (1995), S. 327. gewerbeschule in Wien. Oswald Haerdtl arbeitete auch in Josef Hoffmanns 112 Vgl. https://www. privatem Atelier mit, übernahm nach einiger Zeit dessen Leitung und wurde architektenlexikon.at/de/63. htm (Stand: 24.7.2021). schließlich Hoffmanns Kompagnon. In dieser Zeit entwarf er zahlreiche Ti113 Vgl. Adolph Stiller, Oswald sche, Sessel, Luster, Spiegel und andere Möbel- und GebrauchsgegenHaerdtl. Architekt und Designer stände. Nach dem Tod seines Professors Oskar Strnad 1935 übernahm 1899–1959. Aus der Sammlung des Architekturzentrum Wien, Katalog Oswald Haerdtl dessen Architekturklasse und leitete parallel dazu ab 1938 zur gleichnamigen Ausstellung, auch eine neue Fachklasse für gewerblichen und industriellen Entwurf. Salzburg: Anton Pustet 2000, S. 21, Oswald Haerdlts Entwürfe prägten bis zum Ende der 1950er Jahre das 33; Ingrid Holzschuh/Monika Platzer (Hg.), Wien. Die Perle des Möbeldesign in Wien.113 Reiches. Planen für Hitler, Katalog Auch Ernst Plischke war ein Schüler Oskar Strnads und Josef Franks. Im zur gleichnamigen Ausstellung, Alter von 25 Jahren gründete er in Wien sein eigenes Architekturbüro. Sein hg. vom Architekturzentrum Wien, Zürich: Park Books 2015, S. 87. erster Auftrag war die Gestaltung der Wohnungseinrichtung der Keramik114 Vgl. https://www. künstlerin Lucie Rie in Wien. Ende der 1920er Jahre arbeitete er häufig gearchitektenlexikon.at/de/468.htm meinsam mit Josef Frank. Er richtete vor allem Wohnungen ein und (Stand: 22.7.2021). gestaltete Möbel. Ernst Plischke arbeitete auch mit seiner jüngeren Schwester Grete Frey zusammen, einer Textildesignerin aus Wien. Sie entwarf Vorhang- und Möbelstoffe und er richtete damit die Wohnungen ein.114

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Walter Loos, der Sohn eines Möbelhändlers, studierte ab dem Jahr 1921 an der Kunstgewerbeschule bei Josef Hoffmann und Josef Frank. Mitte der 1920er Jahre lebte Walter Loos in Paris, wo er auch Adolf Loos kennenlernte und mit ihm zusammenarbeitete (die beiden waren nicht verwandt). Als Walter Loos nach Wien zurückkehrte, machte er sich als Architekt und Möbeldesigner selbstständig. Er entwarf Möbel und richtete Wohnungen ein und arbeitete gemeinsam mit Walter Sobotka und Jacques Groag.115 Auch Martin Eisler, der Sohn des Wiener Kunsthistorikers und engen Freundes von Josef Frank, Dr. Max Eisler, war einer von Oskar Strnads begabtesten Studierenden. Unmittelbar nach seinem Studium 1934 machte er sich als Architekt und Möbeldesigner in Wien selbstständig.116 Ernst Schwadron, ein Sohn des erfolgreichen Bauunternehmers Viktor Schwadron und Begründer der Keramikfirma Brüder Schwadron, studierte von 1918 bis 1919 nur ein Jahr an der Kunstgewerbeschule und besuchte die Werkstätte für Keramik bei Michael Powolny. Bei Eintritt in die Kunstgewerbeschule gab er jedoch als Berufswunsch „Architekt“ an. 117 Ernst Schwadron war im Architekten- und Künstlermilieu aufgewachsen und arbeitete in den 1920er und 1930er Jahren erfolgreich als Innenarchitekt und Möbeldesigner, errichtete Privathäuser, gestaltete zahlreiche Geschäfte in Wien sowie ein Kino. Für seine Einrichtungen arbeitete er auch oft mit der Keramikkünstlerin Vally Wieselthier zusammen. Ernst Schwadron gestaltete alle Einrichtungsgegenstände selbst und setzte platzsparende und leichte Möbel wie Raumteiler, maßgeschneiderte Anrichten oder faltbare Türen ein.118 Der Schwerpunkt der jungen ArchitektInnen der Wiener Wohnraumkultur lag in der Einrichtung und im Möbeldesign. Ihre zahlreichen Möbelentwürfe und wohldurchdachten Inneneinrichtungen prägten – ganz im 115 Vgl. https://www. Sinne von Adolf Loos – mit ihren zeitlosen Formen und ihrer Leichtigkeit die architektenlexikon.at/de/363.htm Wohnkultur in Wien. Das Möbeldesign aus dem Wien der 1920er und (Stand: 22.7.2021). 1930er Jahre war sehr beliebt und wurde weit über die Grenzen der Metro116 Vgl. Martin Eisler, Auszug aus pole in ganz Europa bekannt. dem Studiengang, Kunstsammlung

und Archiv der Universität für

b

angewandte Kunst Wien.

EIN NEUES FRAUENBILD: ARCHITEKTINNEN ALS DESIGNERINNEN

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In Wien wie auch in anderen Metropolen Europas entwickelte sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ein völlig neues Frauenbild: Junge, unabhängige Frauen mit einer akademischen Ausbildung machten sich als Künstlerinnen, Architektinnen und Möbeldesignerinnen einen Namen. Die 1867 gegründete Kunstgewerbeschule in Wien spielte in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle: Sie war die einzige staatliche Ausbildungsstätte, an der auch Frauen studieren konnten.119 Für Frauen war damals in Wien eine künstlerische oder kunstgewerbliche Ausbildung an rund 35 privaten Kunstschulen möglich. Im Oktober 1868, im ersten Studienjahr der Kunstgewerbeschule, gab es unter den insgesamt 78 Studierenden sieben Frauen. Der Andrang war hoch, da die Ausbildung an der Kunstgewerbeschule eine intensive und günstige Option im Vergleich zu einer Ausbildung an einer privaten Kunstschule darstellte.120 Der gleichberechtige Zugang für Männer und Frauen wurde jedoch bald wieder eingeschränkt und erst 1900 erneut möglich. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis 1938 stieg die Zahl der Studentinnen der Kunstgewerbeschule dann auf etwas mehr als die Hälfte an.121 Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges stand Frauen der Zugang zu den Universitäten offen. Das Bauwesen und der Bereich Architektur waren jedoch besonders männlich dominiert. In Österreich erfolgte die Zulassung

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Vgl. Boeckl (1995), S. 343. Vgl. ebd.

119

Vgl. Prokop (2016), S. 192.

120

Vgl. Bernadette Reinhold, „Weibliche artistische Arbeitskräfte“ in spe. Frauenstudium an der frühen Kunstgewerbeschule. Ein unbequemer Rückblick, in: Gerald Bast/ Anja Seipenbusch-Hufschmied/ Patrick Werkner (Hg.), 150 Jahre Universität für angewandte Kunst Wien. Ästhetik der Veränderung, Berlin/Boston: De Gruyter, Edition Angewandte 2017, S. 158. 121 Vgl. Sabine Plakolm-Forsthuber, Beruf: „Frau Architekt“. Zur Ausbildung der ersten Architektinnen in Wien, in: Marcel Bois/Bernadette Reinhold (Hg.), Margarete Schütte-Lihotzky. Architektur. Politik. Geschlecht. Neue Perspektiven auf Leben und Werk, Wien/Basel: Edition Angewandte, Buchreihe der Universität für angewandte Kunst Wien, Birkhäuser 2019, S. 38.

Visionäres Wien – Loos-gelöstes Möbeldesign

oben „Einraum-Wohnung“ in der Aus-

unten Weihnachtsschau im Künstler-

stellung „Wiener Raumkünstler“ im Öster-

haus, Entwurf: Ernst Lichtblau, Wien um

reichischen Museum für Kunst und Industrie,

1930, Fotograf: Julius Scherb, © KAUAK

Wien 1929/30, Entwurf: Ernst Lichtblau, Ausführung: Möbelfabrik Anton Hergesell, Metallmöbel: Josef & Leopold Quittner, Stoffe: Paul Würzel, Beleuchtungskörper: Melzer & Neuhardt, © MAK

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der Studentinnen zu einem Studium der Architektur im Vergleich zu anderen europäischen Ländern relativ spät. An der Akademie der bildenden Künste Wien durften Frauen erst ab 1920 studieren. An der Technischen Hochschule in Wien wurden Studentinnen bereits ein Jahr zuvor zugelassen, die Zahl der Studentinnen war jedoch gering. Im Studienjahr 1919/20 studierten an der Technischen Hochschule rund 65 Frauen, davon nur 20 als ordentliche Hörerinnen. Dies entsprach einem Anteil von 0,4 Prozent. 1937 waren es etwa 40 Frauen im Vergleich zu rund 3000 Männern. Somit betrug der Frauenanteil an dieser Hochschule in den 1930er Jahren lediglich 2,3 Prozent. Die Akademie der bildenden Künste Wien öffnete im Studienjahr 1920/21 Frauen erstmals ihre Tore; im Wintersemester 1922 besuchten insgesamt 241 Studierende die Akademie, darunter 25 Frauen.122 Im Wien der Zwischenkriegszeit nahmen einige Architektinnen und Künstlerinnen eine Pionierrolle in der Innenarchitektur und im Möbeldesign ein. Auch wenn man es ihnen nicht leicht machte, konnten sich einige Frauen in den 1920er und 1930er Jahren in Wien als Architektinnen, Designerinnen und Geschäftsfrauen erfolgreich etablieren, was vor dem Ersten Weltkrieg kaum vorstellbar gewesen wäre. Unter den ersten Architektinnen und Möbeldesignerinnen Wiens befanden sich großteils junge, moderne Frauen aus jüdischen Familien. Sie waren akademisch gebildet, weltoffen, überzeugte Feministinnen, setzen sich für Frauenrechte und soziales Wohnen ein und bewiesen neben ihrer unerschöpflichen Kreativität ein enormes persönliches Durchsetzungsvermögen. Die ArchitekturstudentInnen an der Kunstgewerbeschule beschäf­tigten sich in erster Linie mit dem Entwurf von Möbeln, Inneneinrichtungen und einfachen Häusern. Obwohl der Titel offiziell nicht verliehen wurde, signierten die ersten Architekturstudentinnen wie Ella Baumfeld oder Margarete Schütte-Lihotzky ihre Pläne selbstbewusst mit „Architekt.“123 Ab 1937 durften die Berufsbezeichnung „Architekt“ nur noch diejenigen führen, die auch eine Ziviltechnikerprüfung absolviert hatten. Unter den Frauen in Wien war 1938 Liane Zimbler die erste, die eine Ziviltechnikerprüfung ablegte.124 Ella Baumfeld, 1880 in Wien geboren, studierte ab 1901 an der Kunstgewerbeschule bei den Professoren Koloman Moser und Johann Hrdlicka. Nach dem Ende ihres Studiums lebte sie einige Jahre in New York City, wo sie die ersten Erfahrungen im Möbeldesign und Möbelbau sammeln konnte. Dort heiratete sie den aus Wien stammenden Journalisten und österreichischen Militärattaché in den USA Dr. Walter Briggs. In New York gestaltete und möblierte sie u. a. die Gesellschaftsräume des deutschen Theaters. Nach ihrem fünfjährigen Aufenthalt in Manhattan kehrte Ella Briggs, die sich selbst als „Architekt“ bezeichnete, nach Wien zurück. Sie entwarf Möbel, war als Innenarchitektin tätig und nahm an österreichischen und internationalen Ausstellungen teil. Ihre Möbelentwürfe zeigte sie 1914 in Wien in einer Kunstgewerbeausstellung im Neuen Wiener Frauenclub sowie bei der Ausstellung der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs. In dieser Zeit arbeitete sie auch in der in Wien bekannten Möbelfabrik Sigmund Jaray. 1918 inskribierte sie an der Technischen Hochschule 122 Vgl. Reinhold in: Bast/ in München, um Architektur zu studieren, und beendete 1920 ihr Studium Seipenbusch-Hufschmied/ als Diplomingenieurin. Damit war sie die erste Architektin Österreichs. Ella Werkner (2017), S. 158. Briggs war damals bereits 40 Jahre alt. Im darauffolgenden Jahr wurde sie 123 Vgl. ebd., S. 40. 124 Vgl. Sabine Plakolm-Forsthuber, als erste Frau in Österreich Mitglied des Österreichischen Ingenieur- und Ein Leben, zwei Karrieren. Die Architektenvereins. Sie engagierte sich in Wien in zahlreichen sozialen Architektin Wohnbauprojekten und erhielt 1925 von der Gemeinde Wien den BauaufLiane Zimbler, in: Boeckl trag für den Pestalozzi-Hof in Döbling. Für dieses Projekt gestaltete sie fix (1995), S. 295 ff. möblierte Kleinwohnungen. Neben der um 17 Jahre jüngeren Margarete Schütte-Lihotzky war Ella Briggs die einzige Frau, die Bauaufträge für das „Rote Wien“ erhielt. Ihre Einrichtungen und Möbel gestaltete sie funktional,

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zweckmäßig und flexibel. Mit ihrem Möbeldesign wollte sie die allgemeine Wohnsituation, insbesondere auch jene von berufstätigen Frauen, verbessern.125 Elisabeth Nießen, 1884 in Bielitz geboren, studierte von 1913 bis 1917 Architektur an der Kunstgewerbeschule. Damit war sie offiziell die erste Frau an der Kunstgewerbeschule, die die Architekturklasse abschloss. Sie beschäftigte sich in erster Linie mit der Gestaltung von Möbeln und Innenräumen.126 Margarete Schütte-Lihotzky, 1897 in Wien geboren, studierte ab dem Jahr 1915 bei Oskar Strnad Architektur, der ihr Denken von Grund auf prägte. Ab Anfang der 1920er Jahre arbeitete sie als Architektin und Möbeldesignerin in Wien gemeinsam mit Adolf Loos. Sie befasste sich von Beginn ihrer Karriere an mit dem Thema Soziales Wohnen und dem Siedlungsbau. Ihr berufliches Leben wurde durch die Siedlerbewegung in Wien bestimmt, in der unter anderem Adolf Loos oder Josef Frank aktiv tätig waren. In Frankfurt gestaltete sie 1927 ihre Frankfurter Küche, die erste moderne Einbauküche. Ihre funktionale Küche wurde Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem zentralen Thema im Möbeldesign und auch in der Frauenbewegung.127 Auch Rosa Weiser, 1897 in Salzburg geboren, studierte Architektur bei Oskar Strnad. Ab 1927 arbeitete sie einige Jahre für Josef Frank und Oskar Wlach als Möbeldesignerin für Haus & Garten.128 Friedl Dicker, 1898 in Wien geboren, besuchte die Graphische Lehrund Versuchsanstalt in Wien, bevor sie von 1915 bis 1916 ein Jahr lang an der Kunstgewerbeschule Textilkunst studierte. Parallel dazu besuchte sie die private Kunstschule von Johannes Itten, dem sie später ans Bauhaus nach Weimar folgte. Mitte der 1920er Jahre, nach ihrem Studium am Bauhaus, eröffnete sie mit ihrem Studienfreund Franz Singer in Wien eine Ateliergemeinschaft. Friedl Dicker arbeitete hauptsächlich als Innenarchitektin und Möbeldesignerin, Franz Singer als Architekt. Als MöbeldesignerInnen waren sie ihrer Zeit weit voraus: Ihr Design und ihre Möbel zeichneten sich durch Raumökonomie, Multifunktionalität, Individualität sowie durch Farbigkeit und Materialvielfalt aus. Die visionären Möbel von Friedl Dicker und Franz Singer wurden bald zum Inbegriff des modernen Möbeldesigns – und nicht zuletzt weit über die Grenzen Wiens hinaus bekannt.129 Felice „Lizzi“ Rix besuchte die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt 125 Vgl. Maasberg/Prinz in Wien. In dieser Zeit lernte sie auch die später erfolgreiche Architektin (2005) S. 97 ff. 126 Vgl. Plakolm-Forsthuber in: und Möbeldesignerin Liane Zimbler kennen, die beiden waren KlassenBois/Reinhold (2019), S. 42. kameradinnen. Bereits während ihres Studiums an der Kunstgewerbe127 Vgl. Stadler (2004), S. 629 ff. 128 Vgl. https://www.werkbund schule bei Josef Hoffmann arbeitete sie als Designerin für die Wiener siedlung-wien.at/biografien/ Werkstätte, insbesondere als Stoffdesignerin und Buchgestalterin. Nach rosa-weiser (Stand: 27.7.2021). ihrem Studium machte sie sich als Designerin selbstständig und entwarf 129 Vgl. Katharina Hövelmann, auch weiterhin zahlreiche Stoffe für Josef Hoffmann. 130 Lizzi Rix lernte in Dissertation Bauhaus in Wien? Möbeldesign, Innenraumgestaltung Wien den japanischen Architekten und Designer Isaburo Ueno kennen, der und Architektur der Wiener Atelierebenfalls bei Josef Hoffmann studierte und in dessen Atelier arbeitete. Die gemeinschaft von Friedl Dicker und beiden heiraten 1925 und übersiedelten im darauffolgenden Jahr nach Kyoto. Franz Singer, Universität Wien, 2018, S. 99 ff.; Plakolm-Forsthuber Das junge Ehepaar gründete das Architekturstudio Ueno Architectural Office, in: Bois/Reinhold (2019), S. 341. er plante Gebäude und sie war für die gesamte Innenarchitektur verantwort130 Vgl. Verena Sander, Felice lich. In Japan arbeitete Lizzi Rix-Ueno erfolgreich als Innenarchitektin, Stoff„Lizzi“ Rix-Ueno. Der Japonismus kehrt heim, Diplomarbeit, Technische sowie Produkt- und Möbeldesignerin. Mitte der 1920er Jahre reiste sie noch Universität Wien, 2018, S. 8. einige Male nach Wien, um weiterhin für die Wiener Werkstätte zu arbeiten, 131 Vgl. ebd. 132 Vgl. Stadler (2004), S. 629 ff. und beteiligte sich auch an einigen Aus­­­­­­­­­­­stellungen in Österreich.131 Jacqueline Groag, 1903 als Hilde Pick in Prag geboren, studierte zunächst an der Kunstgewerbeschule Architektur bei Josef Hoffmann.132 Nach ihrem Studium machte sie sich als Möbel- und Stoffdesignerin

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selbstständig und arbeitete auch für die Wiener Werkstätte. In erster Ehe mit dem Beamten Karl Ludwig Blumberger verheiratet, machte sie sich als Hilde Blumberger bzw. Hilde Bloomberg einen Namen als international gefragte Stoffdesignerin. Anfang der 1930er Jahre ging sie nach Paris und erhielt Aufträge von großen französischen Modehäusern wie Chanel oder Lanvin. 1931 lernte sie ihren zweiten Ehemann Jacques Groag kennen und zog mit ihm wieder zurück nach Wien. Ihre originellen Teppiche und Stoffmuster wurden bei zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt. Jacqueline Groag wurde zu einer der bedeutendsten Stoffdesignerinnen Europas des 20. Jahrhunderts.133 An der Technischen Hochschule in Wien studierte ab dem Studienjahr 1919/20 eine kleine, überschaubare Gruppe von Frauen. Die ersten Architektinnen Wiens setzten sich für soziale Themen, Frauenrechte und die Verbesserung der Lebensbedingungen von berufstätigen Frauen dieser Zeit ein; ihre Möbeldesigns waren in vieler Hinsicht visionär. Inte­ ressanterweise kamen die ersten Frauen, die an der Technischen Hochschule Architektur studierten, aus jüdischen Familien. Liane Zimbler, in Mähren als Juliane Fischer geboren, inskribierte 1930/31 als außerordentliche Hörerin an der Technischen Hochschule in Wien; damals war sie bereits 38 Jahre alt. Wo sie davor studierte, ist nicht ganz klar; sie war jedoch bereits im Alter von 24 Jahren als Architektin und Möbeldesignerin in Wien tätig und versah ihre Entwürfe mit dem Stempel „Architekt Liane Zimbler“.134 Ab 1916 entwarf sie Möbel als Angestellte der Wiener Möbelfabrik Carl Bamberger AG. In den darauffolgenden Jahren widmete sie sich vermehrt der Gestaltung von Innenräumen, adaptierte und modernisierte zahlreiche Wohnungen in Wien und richtete Geschäftslokale ein. Mitte der 1920er Jahre machte sie sich als Architektin und Möbeldesignerin selbstständig und eröffnete ihr eigenes Atelier, das bald so erfolgreich war, dass sie ein weiteres Büro in Prag eröffnete. Die junge Architektin war auch Mitglied des Vereins Wiener Frauenkunst, Vorsitzende des Verbandes für Wohnungsreform, unterrichtete an Volkshochschulen und hielt Vorträge in Wien und Paris.135 Liane Zimbler war nicht nur eine erfolgreiche Architektin und Möbeldesignerin, sondern auch eine überzeugte Feministin. Bei der Gestaltung ihrer Räume und Möbel ging es ihr in erster Linie darum, den Wohnraum, die Küche und die Möbel einer berufstätigen Frau oder eines berufstätigen Ehepaares zweckmäßig und ökonomisch zu gestalten. Ein zentrales Thema ihrer Arbeit war die Errichtung und Gestaltung von Kleinstwohnungen für berufstätige Frauen mit 133 Vgl. Ursula Prokop, Das funktionalen Möbeln und Räumen, die sowohl dem privaten Leben als auch Architekten- und Designer-Ehepaar Jacques Groag und Jacqueline der Berufstätigkeit dienen mussten. Gemeinsam mit Oskar Strnad, Josef Groag. Zwei vergessene Künstler Frank, Ernst Lichtblau und Felix Augenfeld war sie eine der wesentlichen der Wiener Moderne, Wien: ProtagonistInnen der Wiener Wohnraumkultur.136 Böhlau 2005, S. 13, 55 ff. 134 In einigen Biografien wird das Leopoldine Schrom studierte mit einigen Unterbrechungen von 1923 bis Studium an der Kunstgewerbe­ 1931 an der Technischen Hochschule in Wien. Sie war damit eine von fünf schule erwähnt, an der sie jedoch Frauen, die sich in diesem Studienjahr für Architektur einschrieben. Die um nach Auskunft des Archivs und der Sammlung der Universität für sieben Jahre ältere Anna Szabo studierte ab 1925 ebenfalls an der Techniangewandte Kunst Wien nicht schen Hochschule. Ab 1929 arbeiteten Anna Szabo und Leopoldine Schrom studiert hat. 135 Vgl. Plakolm-Forsthuber in: für die Ateliergemeinschaft Singer & Dicker. Die jungen Architektinnen entBoeckl (1995), S. 295 ff. warfen Einrichtungen, Geschäftsumbauten und Prototypen für Möbel. 137 136 Vgl. Prokop (2016), S. 198 ff. Eugenie „Jenny“ Pillat studierte ebenfalls an der Technischen Hochschu­le 137 Vgl. Hövelmann (2018), S. 116 ff. 138 Vgl. ebd., S. 117. und arbeitete ab 1934 in der Ateliergemeinschaft Singer & Dicker mit.138 Karola Bloch litt an der Technischen Hochschule unter der frauenfeindlichen Haltung Studentinnen gegenüber und übersiedelte 1931 nach Berlin und schließlich nach Zürich, wo sie ihr Architekturstudium 1934 abschloss. Karola

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Rechts Inneneinrichtung, Ausstellung der Kunstgewerbeschule Wien, Entwürfe: Innenarchitektur: Liane Zimbler, Wandgestaltung: Maria StraussLikarz, Kamin: Herta Bucher, Wien um 1930, Fotograf: Martin Gerlach jun., © KAUAK

139

Vgl. Plakolm-Forsthuber in: Bois/Reinhold (2019), S. 46. 140 Vgl. ebd., S. 47.

Bloch war mit dem Wiener Philosophen Ernst Bloch verheiratet. Mitte der 1930er Jahre lebte die junge Architektin und Designerin in Prag, wo sie gemeinsam mit Friedl Dicker Möbel und Inneneinrichtungen entwarf.139 Unter den ersten Studentinnen, die an der Technischen Hochschule Architektur studierten, gab es auch eine kleine Gruppe von Zionistinnen: Helene Roth, 1904 in Wien geboren, war eine der ersten Absolventinnen der Technischen Hochschule und emigrierte Mitte der 1930er Jahre nach Palästina. Auch Dora Siegel, 1912 in Siebenbürgen geboren, studierte von 1930 bis 1934 Architektur in Wien und schloss dieses mit einem Diplom für Architektur und Maschinenbau ab. In Wien lernte Dora ihren ersten Mann kennen, Heinrich Goldberg, der ebenfalls Architektur an der Technischen Hochschule studierte. Das junge Paar heiratete 1936 in Wien und emigrierte noch im selben Jahr nach Tel Aviv. Helene Roth und Dora Goldberg konnten sich beide in Palästina als erfolgreiche Innenarchitektinnen und Möbeldesignerinnen etablieren und erstaunliche Karrieren machen.140

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c

HAUS & GARTEN – RÄUME UND MÖBEL FÜR DIE SEELE Am 16. Juni 1925 gründete Josef Frank gemeinsam mit Oskar Wlach nach englischem Vorbild das Einrichtungsunternehmen Haus & Garten in der Bösendorferstraße 5 in der Wiener Innenstadt, in unmittelbarer Nähe des Musikvereins und des Künstlerhauses. An dieser Adresse befanden sich die Ausstellungs- und Verkaufsräume. Die Architekten bezogen ein Atelier in der Königsklostergasse im 6. Bezirk, später übersiedelte das Büro in die Museumstraße 5a in den 7. Bezirk. Auch der gemeinsame Studienfreund Walter Sobotka war kurze Zeit an Haus & Garten beteiligt. Ab 1926 führten es Josef Frank und Oskar Wlach als gleichberechtigte Geschäftspartner weiter. Als künstlerischer Leiter des Unternehmens entwarf Josef Frank unzählige Möbel und Stoffe für das Geschäft, gestaltete Inneneinrichtungen und plante Häuser und Gärten. Oskar Wlach fungierte als Geschäftsführer, auch er entwarf Möbel und Inneneinrichtungen für das gemeinsame Geschäft, stand dabei jedoch immer im Schatten seines Freundes und Geschäftspartners Josef Frank.141 Das Sortiment von Haus & Garten war breit gefächert – es reichte von Möbeln, Stoffen, Lampen, Teppichen und Gartenmöbeln bis hin zu kleinen Wohnaccessoires wie Keramik oder Glas. Bei der Planung ihrer Häuser waren die beiden Architekten nicht nur für die Architektur, die komplette Einrichtung und Möbel, sondern bei einigen Projekten auch für die Gartengestaltung verantwortlich.142 Josef Frank richtete seine Räume nach seinem unkonventionellen Grundsatz ein „Man kann alles verwenden, was man verwenden kann“ 143, so als wären seine Einrichtungen ganz zufällig entstanden. Seine Wohnphilosophie prägte den Einrichtungsstil im Wien der 1920er und 1930er Jahre maßgeblich. Die Wände einer Wohnung oder eines Hauses gestaltete er stets weiß. Josef Frank, der Stahlrohr für seine Einrichtungen ablehnte, bevorzugte bewegliche Möbel aus Holz, die unabhängig voneinander frei im Raum platziert werden sollten. Seine Möbelstücke designte er mit hohen, schmalen Füßen und seine zierlichen Sekretäre und Tische versah er oftmals mit einem Klappmechanismus, damit sie flexibel in einem Wohnraum benutzt werden konnten. Die BewohnerInnen sollten die Möbel vielseitig einsetzen und jedes Möbelstück dorthin stellen können, wo es gebraucht wurde. Sessel, Vitrinen oder Kommoden gestaltete er häufig mit bunten Lackanstrichen. Josef Frank entwarf auch zahlreiche bunt gemusterte Stoffe mit Pflanzen- und Blumenentwürfen für das eige141 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 51 ff. ne Geschäft. Bei seinen Inneneinrichtungen setzte er diese als Bezüge für 142 Vgl. Prokop (2016), S. 114 ff.; Möbel, Lampenschirme und Vorhänge ein. Messinglampen oder auch Iris Meder, Der Garten bestimmt bunt lackierte Lampen in den unterschiedlichsten Formen sollten für eine den Innenraum, in: Thun-Hohenstein/ behagliche Atmosphäre sorgen. Eine Einrichtung sollte gemütlich sein, Czech/Hackenschmidt (2015), S. 156 ff. damit die BewohnerInnen sich wohlfühlen, entspannen und zur Ruhe kom143 Josef Frank, Der Gschnas fürs 144 men können. G’müt und der Gnschas als Problem, 1927, in: Tano Bojankin/Christopher Haus & Garten wurde bald zur ersten Adresse Wiens, wenn es um EinLong/Iris Meder, Josef Frank. richtung und Möbeldesign ging. Unmittelbar nach der Firmengründung im Schriften, Bd. 1, Wien: Metroverlag Jahr 1925 zeigten Josef Frank und Oskar Wlach ihre Möbelentwürfe für Haus 2012, S. 298. 144 Vgl. Prokop (2016), S. 114; & Garten bei der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Ott-Wodni (2015), S. 86 ff.; Meder Modernes in Paris. Sie richteten ein Café Viennois ein und stellten ihre in: Thun-Hohenstein/Czech/ Möbel und Stoffe aus – die französische Presse war begeistert! Schon bald Hackenschmidt (2015), S. 156 ff. 145 Vgl. ebd. erlangte das Geschäft internationales Ansehen und einen hohen Bekanntheitsgrad weit über Wiens Grenzen hinaus. Die Möbel und Einrichtungen des Wiener Unternehmens waren auf zahlreichen österreich­ischen und internationalen Ausstellungen und in Architektur­­­­­­­­­­­­­zeitschriften zu finden.145

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OBen

Stehlampe aus

Messing, teilweise weiß lackiert, Stoffschirm, Entwurf: Josef Frank für Haus & Garten, Ausführung: J.T. Kalmar, beides Wien um 1930, © Dorotheum Wien, 2016

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Vgl. Prokop (2016), S. 126 ff.; Ott-Wodni (2015), S. 52 ff., 203 ff. 147 Vgl. Marlene Ott-Wodni, Das Haus Krasny auf der Hohen Warte. Eine Manifestation der Internationalen Moderne in Wien, in: Steine sprechen, Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für Denkmal- und Ortsbildpflege, Nr. 147/148, Wien 2014, S. 48. 148 Vgl. ebd., S. 49.

Beim Entwurf der Möbel für Haus & Garten legte Josef Frank großen Wert auf höchste Qualität und eine hervorragende handwerkliche Verarbeitung. Das Unternehmen produzierte die Möbel nicht selbst, sondern arbeitete mit rund 40 externen, sorgfältig ausgewählten hochspezialisierten Handwerksunternehmen zusammen, die die Möbelentwürfe der beiden Architekten ausführten. Eines dieser Unternehmen war das vom Wiener Designer und Unternehmer Julius Theodor Kalmar 1881 in Wien gegründete Lampenunternehmen J.T. Kalmar Leuchten. Julius Theodor Kalmar, der bei Josef Hoffmann an der Kunstgewerbeschule und an der School of Art Birmingham in England Design studiert hatte, und Haus & Garten arbeiteten auf kreativer Ebene eng zusammen. Auch zwischen der Stoffmanufaktur Backhausen und Josef Frank bestand eine intensive Zusammenarbeit. Die Möbelentwürfe wurden unter anderem von den Tischlern Anton Kral, Karl Schreitl oder Franz Breit ausgeführt und in geringer Stückzahl für Haus & Garten gefertigt.146 Der erste renommierte Auftrag von Haus & Garten war die Innenarchitektur, die Möblierung sowie die Gestaltung des Gartens des Hauses Krasny in der Fürfanggasse 5 auf der eleganten Hohen Warte in Döbling. Das Industriellenehepaar Ing. Otto und Dr. Agathe Krasny beauftragte 1927 Arnold Karplus, der sich zu dieser Zeit gerade in Wien als freier Architekt selbstständig machte, mit dem Bau des Hauses. Arnold Karplus’ ältester Sohn, der 18-jährige Gerhard, studierte damals an der Technischen Hochschule und unterstützte seinen Vater bei diesem Projekt. Auf Einladung von Arnold Karplus wurde Haus & Garten beauftragt. Josef Frank und Oskar Wlach stießen zu einem Zeitpunkt dazu, als das Haus bereits im Bau war, und mussten so bei der Inneneinrichtung die bestehende Planung und die bereits festgelegte Einteilung der Räume berücksichtigen. Obwohl Haus & Garten „nur“ für die Innenarchitektur, die Möblierung und den Garten zuständig war, zählte dieses Projekt zu den wichtigsten, die Haus & Garten je ausführte. Josef Frank und Oskar Wlach entwarfen von der Stiege, den Wandverbauten und mehreren Schlafzimmern, dem Ankleideraum, Arbeitszimmer und Wohnraum über die Badezimmer, Küche und den Vorratsraum bis hin zum Speiselift die gesamte Einrichtung sowie die Terrassen und den Garten.147 Die Innenarchitektur des Hauses Krasny spiegelte Josef Franks Wohnphilosophie und dessen Prinzipien über Möbeldesign wider: Das Zentrum des Hauses wurde als ein funktionsübergreifender, großzügig angelegter Wohnraum gestaltet. Mit gemusterten, bodenlangen Vorhängen konnten verschiedene Wohnbereiche – Speisezimmer, Wohnzimmer und Musikzimmer – voneinander abgetrennt werden. Leichte, bewegliche Möbel aus Holz aus dem Sortiment von Haus & Garten wurden um einen von Josef Frank gestalteten offenen Kamin verteilt. Eine Chaiselongue, mehrere Armlehnsessel aus Holz und ein Sofa bildeten behagliche Plätze zum Ausruhen. Die Möbel stammten aus der Kollektion von Haus & Garten, einige Möbelstücke wie der Sekretär im Arbeitszimmer, der Tisch im Entrée oder der BarVitrinenschrank wurden von Josef Frank eigens für das Haus Krasny entworfen. Der Stoff Aralia, den der Architekt ebenfalls für dieses Projekt designte, wurde in die Kollektion von Haus & Garten aufgenommen und auch in anderen Einrichtungen verwendet und auf vielen Ausstellungen gezeigt. Die gesamte Einrichtung sollte eine beruhigende, erholsame und behagliche Wirkung auf die BewohnerInnen des Hauses ausüben. 148 Josef

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Oben Wohnzimmer des Hauses Krasny, Entwürfe: Innenarchitektur und Möbel: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien 1928, Fotograf: Julius Scherb, © MAK

Oben R. Aralia, Stoff aus Leinen mit Stempeldruck, Entwurf: Josef Frank für Haus & Garten, Wien 1928, © Dorotheum Wien, 2016 Unten R. Sessel Typ B aus Kirschholz, Bambus und Schnurgeflecht, Entwurf: Josef Frank für Haus & Garten, Wien um 1925, Visionäres Wien – Loos-gelöstes Möbeldesign

© Dorotheum Wien, 2014

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links Treppe im Entrée des Hauses Krasny, Entwürfe: Innenarchitektur und Möbel: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien 1928, Fotograf: Julius Scherb, © MAK Mitte Entrée des Hauses Krasny, Entwürfe: Innenarchitektur und Möbel: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien 1928, Fotograf: Julius Scherb, © MAK Unten Entwurf eines Telefontisches mit Schleiflack und Platte aus schwarzem Linoleum für das Haus Krasny, Josef Frank für Haus & Garten, Wien 1928, © MAK Rechts Küche bzw. Anrichteraum des Hauses Krasny, Entwurf: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien 1928, Fotograf: Julius Scherb, © MAK

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Vgl. Meder in: ThunHohenstein/Czech/Hackenschmidt (2015), S. 160 ff., 213. 150 Vgl. ebd.

Frank konnte auch ein weiteres Gestaltungsprinzip in diesem Haus verwirklichen: die untrennbare Verbindung von Innen und Außen, von Haus und Garten. Der Garten sollte eine Fortsetzung des Hauses darstellen, das Haus zu diesem hin geöffnet sein. In jedem Stockwerk wurden eigene Terrassen geplant und der Garten ebenfalls terrassenmäßig und strukturiert gestaltet. Bei der Gartengestaltung arbeitete der Architekt eng mit der Gärtnerin Hanny Strauß zusammen, die eine Gärtnerei in der Peter-Jordan-Straße in Döbling betrieb. Hanny Strauß war damals in Wien für ihre ganz nach englischem Vorbild farbenfrohen und unkonventionell angelegten Gärten mit blühenden Staudenbeeten bekannt.149 Josef Frank entwarf zierliche, filigrane Gartensessel und Tische aus feinen, weiß lackierten Metallstäben. Die zarten Gartenmöbel sollten kein Licht wegnehmen und kaum Schatten spenden. Auf der strahlend weißen Fassade des Hauses sollten, so Josef Frank, nur die Schatten der Bäume zu sehen sein. Das großzügig angelegte viergeschossige Haus aus kubischen, verschachtelten Baukörpern mit einer Freitreppe, mehreren Terrassen und einem Flachdach in dem einzigartigen Garten mit einem atembe­raubenden Blick über die Stadt sorgte bei seiner Fertigstellung 1928 für besonderes Aufsehen, nicht nur in Wien. Es wurde zu einem Paradebeispiel moderner Villenarchitektur der späten 1920er Jahre.150

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alle

Wohnzimmer des Hauses Krasny, Entwürfe: Innenarchitektur

und Möbel: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien 1928, Fotograf: Julius Scherb, © MAK

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Gästezimmer mit Sekretär im Haus Krasny, Entwürfe: Josef Frank und

Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien 1928, Fotograf: Julius Scherb, © MAK

Besondere Beachtung fanden die Inneneinrichtung und Gartengestaltung von Haus & Garten, die in zahlreichen Architekturzeitschriften wie Innendekoration und Moderne Bauformen gezeigt wurden. „Dieser Garten allein genügt schon, um zu erkennen, wohin es hier letzten Endes geht. Denn in seiner Form vereinigen sich reguläre Klarheit und intime Bewegung, Vernunft und Schönheit“, schwärmte der Kunsthistoriker Max Eisler in einem Beitrag in der Zeitschrift Innendekoration.151 Auch Gio Ponti zeigte in seiner Zeitschrift Domus mehrere Räume des Hauses Krasny. Bei seiner Fertigstellung im Jahr 1928 galt das Haus als die modernste Villa Wiens. Josef Frank, der bei diesem Projekt federführend am Werk war, verlieh dem Haus etwas Einzigartiges und Magisches, den Räumen eine Seele. Sein Gedanke „das Haus wird wohl durch seine Form keine neue Gesellschaft erzeugen, aber es kann sicher dazu beitragen, den Menschen zu freierem Denken anzuregen“, wird in den Räumen des Hauses Krasny deutlich spürbar.152 Kurz nach Fertigstellung des Hauses Krasny 1928 folgte neben einigen Wohnungsrenovierungen und der Teilnahme an Ausstellungen ein weiteres großes Architekturprojekt für Haus & Garten. Für das Industriellenehepaar, den Wiener Schuhsohlen- und Kautschukfabrikanten Dr. Julius Beer und dessen Frau Margarethe, sowie deren drei Kinder planten Josef Frank und Oskar Wlach 1929 das Haus Beer in der Wenzgasse in Hietzing. In der fast 650 Quadratmeter großen Villa setzten die beiden Architekten die Idee des offenen Raumkonzeptes um. Auch bei diesem Projekt ging es ihnen um eine Verschmelzung von Innen und Außen, von Haus und Garten.153 Josef Frank und Oskar Wlach richteten das Haus mit leichten Möbeln aus Holz und farbenfrohen Stoffen von Haus & Garten ein. Der Bar-Vitrinenschrank, den Josef Frank und Oskar Wlach bereits für das Haus Krasny gestaltet hatten, wurde – in etwas anderer Größe – auch im Haus Beer eingesetzt. Die Ähnlichkeiten der Inneneinrichtungen der beiden Häuser Krasny und Beer sind deutlich zu sehen, ob bei der Wahl der Holzböden oder der Gestaltung der Treppen, Küchenregale, Wandverbauten in den Schlafzimmern oder der Türschnallen. Das Haus Beer wurde 1931 fertiggestellt und zählt heute nicht nur zu den wichtigsten Projekten von Haus & Garten, sondern auch zu den Meilensteinen in der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts.154 Josef Frank emigrierte Ende des Jahres 1933 mit seiner Ehefrau nach Stockholm; Oskar Wlach führte das Geschäft in Wien erfolgreich weiter. Bis 1938 kehrte Josef Frank regelmäßig nach Wien zurück und entwarf während dieser Zeit weiterhin für Haus & Garten. Er wollte den Firmensitz von Wien nach London verlegen, doch Oskar Wlach war entschieden dagegen. Mitte der 1930er Jahre konnte Oskar Wlach das Exportgeschäft von Möbeln und Stoffen weiter ausbauen, es entstanden Vertretungen in Prag, Mailand, Paris und Chicago. Auch bei den großen internationalen Ausstellungen 1936 in Mailand und im darauffolgenden Jahr bei der Weltausstellung in Paris stellte Haus & Garten seine Möbelentwürfe aus. Oskar Wlachs und Josef Franks Entwürfe für das Unternehmen Haus & Garten machten die Wiener Möbel der 1920er und 1930er Jahre weit über Wiens Grenzen in ganz Europa bekannt und sehr beliebt. Die Kunden und Kundinnen von Haus & Garten kamen von weit her, es soll – so die vielen begeisterten Stimmen – das schönste Einrichtungsgeschäft Europas gewesen sein.155

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Sekretär aus Makassar-

Ebenholz mit erneuertem grünen Schleiflack, Entwurf: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien um 1925, © MAK

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Max Eisler, Werkstätten Haus & Garten in Wien, in: Innendekoration, November 1930. 152 Iris Meder (Hg.), Josef Frank. Eine Moderne der Unordnung, Salzburg/Wien/München: Anton Prustet 2008, S. 48. 153 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 208. 154 Vgl. ebd. 155 Vgl. Boeckl (1995), S. 348; Ott-Wodni (2015), S. 54.

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Wohnzimmer des Hauses Beer, Entwürfe: Architektur, Innenarchitektur und Möbel:

Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien 1931, Fotograf: Julius Scherb, © MAK

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Speisezimmer des Hauses Beer, Entwürfe: Architektur, Innenarchitektur und Möbel:

Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien 1931, Fotograf: Julius Scherb, © MAK

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Die Stammkunden und -kundinnen sowie AuftraggeberInnen von Haus & Garten, die Familien Krasny, Karplus, Beer, Bunzl, Blitz, Epstein oder Tedesko, waren mit Josef Frank und Oskar Wlach befreundet oder hatten ein verwandtschaftliches Verhältnis. Das Jahr 1938 bedeutete ein abruptes Ende der Blüte des Wiener Möbeldesigns. Ing. Otto und Dr. Agathe Krasny flohen 1938 in die USA; ihr Haus wurde im Mai 1938 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt.156 Das kinderlose Ehepaar kehrte nicht mehr nach Wien zurück. Auch Arnold Karplus und dessen Frau Else emigrierten 1939 in die USA. Der gemeinsame Sohn Gerhard und die Tochter Ruth waren bereits 1938 nach New York City geflohen und der jüngere Sohn Hans nach Südamerika. 1943 starb Arnold Karplus im Alter von 66 Jahren in Venezuela. Das Haus Beer stand während des Zweiten Weltkrieges leer. 1940 flohen Julius und Margarethe Beer von Wien nach New York City, wo Julius Beer kurz nach seiner Ankunft starb. Die gemeinsame Tochter Helene war bereits 1938 mit ihrem Ehemann Rudolf Sternschein nach Schottland ausgewandert, Sohn Henry Beer erreichte 1939 über Schottland ebenfalls New York. Die jüngste der drei Geschwister, Elisabeth Beer, wurde 1942 nach Minsk deportiert und in Maly Trostinez ermordet. Margarethe Beer kehrte nach dem Krieg nach Wien zurück, Henry Beer wurde als US-Soldat in Österreich stationiert.157 Auch Oskar Wlach emigrierte 1938 nach New York City. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1938 wurde Haus & Garten umgehend „arisiert“, das Geschäft von Julius Theodor Kalmar und dessen Bruder Josef Kalmar als sogenannte „Ariseure“ übernommen. 158 Die genauen Umstände der „Arisierung“ sind heute nur schwer rekonstruierbar. Oskar Wlach und Josef Frank haben ihr Geschäft nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr zurückbekommen. Der Anfang der 1950er Jahre von Oskar Wlach gestellte Restituierungsantrag wurde abgewiesen. Die Familien einigten sich in weiterer Folge auf einen Vergleich.159 Hanny Strauß, die Gärtnerin, die alle Gärten für Haus & Garten angelegt hatte, floh mit ihrer Familie 1938 nach Palästina.

Oben Wohnzimmer des Hauses Beer, Entwürfe: Architektur, Innenarchitektur und Möbel: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien 1931, Fotograf: Julius Scherb, © MAK unten Halle im 1. Stock des Hauses Beer, Entwürfe: Architektur, Innenarchitektur und Möbel: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Wien 1931, Fotograf: Julius Scherb, © MAK

156

Vgl. Historisches Grundbuch der Stadt Wien, Bezirksgericht Döbling, Fürfanggasse 5; Eintragung vom 23. Mai 1938; Einverleibung an den deutschen Reichsfiskus (Heer).

157

Vgl. Tano Bojankin, Das Haus Beer und seine Bewohner, in: Meder (2008), S. 105 ff. 158 Vgl. Prokop (2016), S. 128. 159 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 54; Prokop (2016), S. 129.

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d

BAUHAUS MITTEN IN WIEN – DIE ATELIERGEMEINSCHAFT SINGER & DICKER Nach ihrem Studium am Bauhaus gründeten die jungen DesignerInnen Friedl Dicker und Franz Singer in Berlin die gemeinsamen Werkstätten Bildender Kunst, die auf Bühnenausstattungen, Buchbindearbeiten, Textilien, Grafiken und Kinderspielzeug spezialisiert waren. Mitte der 1920er Jahre zog Friedl Dicker von Weimar zurück nach Wien. Sie eröffnete ein Atelier in der Wasserburggasse 2 im 9. Bezirk, wo sie unter der Mitarbeit von Martha Hauska gewebte Stoffe und Taschen anfertigte. Franz Singer folgte ihr im Februar 1925 nach Wien, arbeitete zunächst in einem Atelierraum in seiner Wohnung in der Schadekgasse 18 im 6. Bezirk, schloss sich aber noch im selben Jahr Friedl Dickers Atelier in der Wasserburggasse an. Schon bald florierte die Ateliergemeinschaft: Gemeinsam entwarfen sie Häuser, gestalteten Wohnungen, Geschäfte und einen Kindergarten und designten eine Vielzahl von Möbeln, Lampen, Teppichen und Stoffen. Friedl Dicker arbeitete hauptsächlich als Innenarchitektin und Möbeldesignerin, Franz Singer als Architekt. Bei den Inneneinrichtungen war Friedl Dicker für die Auswahl der Farben und Materialien zuständig; sie experimentierte mit neuen Formen, Farbkombinationen und Stoffen und schuf die Atmosphäre in den von ihnen gestalteten Räumen.160 Als MöbeldesignerInnen waren die beiden visionär: Gemeinsam entwarfen sie innovative Möbel und Stoffe, mit denen sie allein in Wien mehr als 50 Innenräume gestalteten. Franz Singer überlegte sich rational-technische Lösungen und signierte die Entwürfe mit seinem Namen. Das Design, die Oberflächen, die Farbigkeit, die Stoffe – das alles war jedoch der Einfluss von Friedl Dicker. Die Gurtbespannungen, Möbelstoffe, Teppiche und Tagesdecken wurden von der Designerin, die an der Kunstgewerbeschule die Textilklasse und am Bauhaus die Werkstatt für Weberei besucht hatte, entworfen und eigens in Handarbeit angefertigt.161 Nach Erzählungen von Leopoldine Schrom, einer langjährigen Mitarbeiterin, war der Beitrag Friedl Dickers im Bereich des Möbeldesigns in der Ateliergemeinschaft beachtlich. Sie dokumentierte und signierte ihre Arbeit jedoch nicht und stand im Schatten ihres Partners.162 Franz Singer und Friedl Dicker, die selbst keine ArchitektInnen waren, holten sich Studierende bzw. AbsolventInnen von der Technischen Hochschule Wiens, die für die technischen Details verantwortlich waren. Im Atelier waren in den Jahren 1925 bis 1938 verschiedene MitarbeiterInnen beschäftigt. Ab 1927 arbeitete Bruno Pollak in der Ateliergemeinschaft Wien mit.163 Anna Szabo war ab 1929 im Atelier beschäftigt und wurde zu einer der beständigsten MitarbeiterInnen Franz Singers und Friedl Dickers. Da die Auftragslage der Ateliergemeinschaft Ende der 1920er hoch war, holte sie auch ihre Studienfreundin Leopoldine Schrom ins Atelier. Das 160 Vgl. Hövelmann (2018), S. 106. 161 Vgl. ebd. Zeichnen der Möbel sowie der Perspektivzeichnungen überließen Franz 162 Vgl. Interview mit Georg Singer und Friedl Dicker ihren MitarbeiterInnen. Hans Biel, der ebenfalls an Schrom am 21.2.2021; Hövelmann der Technischen Hochschule studierte, war von 1931 bis zu seiner Emigra(2018), S. 100 ff. 163 Vgl. Werner Röder/Herbert A. tion nach London 1934 im Atelier beschäftigt. Auch Eugenie „Jenny“ Pillat Strauss, Biographisches Handbuch arbeitete in der Ateliergemeinschaft mit; sie blieb bis 1936. Der Großteil der der deutschsprachigen Emigration Zeichnungen wurde nicht signiert, eine Zuschreibung der Arbeiten ist daher nach 1933–1945, Institut für schwierig. Die StudentInnen entwarfen Einrichtungen und GeschäftsZeitgeschichte, Research Foundation for Jewish Immigration, umbauten und fertigten Möbelskizzen sowie Prototypen für Möbel an; sie New York/München: K. G. Saur waren in den Entwurfsprozess von Möbeln, Raumgestaltungen und Bauten Verlag 1999, S. 215. 164 Vgl. Hövelmann (2018), S. 117. stark einbezogen. Anna Szabo, Leopoldine Schrom und Eugenie Pillat zählten zu den ersten Frauen, die in Wien Architektur an der Technischen Hochschule studierten.164 Im Atelier Singer & Dicker entstand in den Jahren 1925 bis 1938 eine beachtliche Zahl von Möbeln. Jene, die zu Beginn der

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Entwurf eines Gartenzimmers, Friedl Dicker und Franz Singer,

Wien um 1927, Sammlung GS , © FS

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Ateliergemeinschaft designt wurden, decken sich mit den Gestaltungsprinzipien des Bauhauses: der Aufbau aus geometrischen Formelementen, die Betonung der Konstruktion, die Verwendung unterschiedlicher Hölzer, die farbige Lackierung, die Bespannung aus bunten Jutegurten, Rohrgeflecht oder handgewebten Stoffen zählen hier dazu. Franz Singer und Friedl Dicker entwickelten diese jedoch weiter, ihre Möbel waren „Verwandlungskünstler“: sie setzten sehr häufig Klapp- und Schiebefunktionen ein und gestalteten so stapelbare und zusammenschiebbare Sessel, Sofas, Tische, Betten oder Kästen, die vielseitig verwendbar waren. Ihre Möbel waren fast immer multifunktional und zeichneten sich durch ihre Kombinationsmöglichkeiten aus. Auch in kleinen Wohnungen sollte der vorhandene Platz optimal genutzt werden.165 Waren die Möbel anfangs in erster Linie Einzelanfertigungen, so wurden einige Entwürfe zu Beginn der 1930er Jahre bereits in kleinen Serien produziert. Die Möbel wurden gezeichnet, meist als Modelle gefertigt, als Prototypen gebaut und in Wien produziert. Neben Holz und Sperrholz experimentierten die beiden DesignerInnen auch mit Stahlrohr. Für die Sitzflächen der Sessel wurden bunte Jutegurtbespannungen oder Rohrgeflecht – das typische Wiener Geflecht – eingesetzt. Es entstand eine Serie stapelbarer Sessel und Freischwinger sowohl für Kinder als auch für Erwachsene mit einem besonderen, für Franz Singer typischen Kennzeichen: dem überkreuzten Fußteil. Auf der Ausstellung Wiener Raumkünstler 1929/30 wurden erstmals Singers Stahlrohrmöbel, die „wachsenden Stühle“ präsentiert. Franz Singer und Friedl Dicker arbeiteten mit ausgewählten Möbeltischlereien zusammen, wie zum Beispiel mit der Möbelfabrik Professor Hartmann. 166 Die beiden gestalteten für ihre Projekte auch Lampen, die von J.T. Kalmar in Wien gefertigt wurden, sowie Kachelöfen und andere Einrichtungsgegenstände.167 Aufträge erhielt die Ateliergemeinschaft aus ihrem weit verzweigten Bekannten- und Freundeskreis aus Wien. Friedl Dicker und Franz Singer waren mit dem Kreis rund um Adolf Loos befreundet, wie zum Beispiel der Familie Moller, die ein Loos-Haus in der Starkfriedgasse im 18. Bezirk bewohnten, oder dem Kunsthistoriker, Journalisten und Leiter des städtischen Siedlungsamtes Max Ermers. Ihre Kunden und Kundinnen stammten wie bei Haus & Garten aus dem jüdischen Großbürgertum Wiens. 1927 richteten Friedl Dicker und Franz Singer eine Wohnung für die Familie Koritschoner im 4. Bezirk ein. Die Möbel aus Mahagoni und Birkenholz wurden mit Linoleum und Leder gestaltet. Durch Farbgestaltung, neue Formen und besondere Materialien entstanden außergewöhnliche Möbel, die im selben Jahr bei der Kunstschau Wien 1927 zu sehen waren. Auch ihre Studienkollegin und Freundin Anny Moller-Wottitz ließ sich von Franz Singer und Friedl Dicker ein Schlafzimmer in der von ihr bewohnten Loos-Villa mit Stahlrohrmöbeln einrichten. Bei ihrem Möbeldesign setzten die beiden mit großer Vorliebe „moderne“ Materialien ein wie schwarzes Opalglas, Stahlrohr, Linoleum oder bunte Jutegurte.168 1928 wurden Franz Singer und Friedl Dicker mit der Planung und Möblierung des Tennisclubhauses von 165 Vgl. ebd., S. 176. 166 Vgl. ebd., S. 190 ff. Dr. Hans Heller in Hietzing beauftragt. Für dieses Projekt entwarf das Atelier 167 Vgl. Georg Schrom/Stefanie einen besonderen Stahlrohrsessel. 1930 erhielten sie den Auftrag, sämtTrauttmansdorff, Franz Singer, liche Möbel für einen Montessori-Kindergarten im Goethehof im 22. Bezirk Friedl Dicker: 2 × Bauhaus in Wien, in Wien zu entwerfen. Das Besondere an dieser Aufgabe war, multifunkWien: Hochschule für angewandte Kunst 1988, S. 98 ff. tionale Kindermöbel für jeden einzelnen Raum zu gestalten. Sämtliche Ses168 Vgl. ebd. sel und Tische waren Entwürfe des Ateliers aus Holz oder verchromtem 169 Vgl. Schrom/Trauttmansdorff Stahlrohr mit einer Sitzfläche aus Rohrgeflecht. Dank der modernen Aus(1988), S. 10, 26 ff. stattung wurde der Kindergarten zu einem Vorzeigeprojekt des „Roten Wien“. Auch die Geschäftsgestaltungen der Confiserie Garrido & Jahne oder des Modesalons Lore Kriser zählten zu den schönsten der Stadt.169

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Oben

Entwurf des Kistenkastens, Friedl Dicker und Franz Singer,

Wien um 1927, Sammlung GS, © FS

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oben Entwurf multifunktionaler Stahlrohrsessel, Friedl Dicker und Franz Singer, Wien um 1930, Sammlung GS, © FS unten Entwurf ineinander schiebbarer Sitzmöbel, Friedl Dicker und Franz Singer, Wien um 1927, Sammlung GS, © FS oben R. Entwurf eines Toilettenschrankes, Friedl Dicker und Franz Singer, Wien um 1927, Sammlung GS, © FS Unten R. Entwürfe eines stapelbaren Stahlrohrsessels und Hockers mit überkreuzten Fußteilen, Franz Singer, Wien um 1930, Sammlung GS, © FS

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Im Garten des Loos-Hauses in der Starkfriedgasse entwarf das Atelier 1931 für Alice Moller ein Gartenhaus sowie die Möbel. Auch das in den Jahren 1932 bis 1934 erbaute Gästehaus Auersperg-Hériot des Ehepaares in der Rustenschacherallee in der Leopoldstadt wurde zum Prestigeobjekt der Ateliergemeinschaft und der Höhepunkt von Franz Singers Werk: Von sämtlichen Möbeln über die Lampen bis hin zu den Türschnallen wurden alle Einrichtungselemente vom Atelier unter der Mitarbeit von Hans Biel, Leopoldine Schrom und Anna Szabo entworfen und von hochspezialisierten Handwerksbetrieben angefertigt. Friedl Dicker dürfte an diesem Projekt nicht mehr beteiligt gewesen sein.170 Unmittelbar nach seiner Fertigstellung wurde das Gästehaus Auersperg-Hériot in internationalen Zeitschriften abgebildet. Die spanische Zeitschrift Viviendas zeigte es sogar auf der Titelseite, Gio Ponti berichtete in Domus, auch die Zeitschriften Architectural Review und The Studio schrieben über das moderne Möbeldesign des Ateliers aus Wien.171 Bruno Pollak entwarf 1927 einen stapelbaren Stahlrohrsessel, der zunächst vom Wiener Stahlmöbelproduzenten Josef & Leopold Quittner in kleiner Stückzahl produziert wurde. Es war das erste Stahlrohrmöbel, das innerhalb der Ateliergemeinschaft Singer & Dicker entstand.172 Pollaks Sessel wurde aus verchromtem und lackiertem Stahlrohr mit einer Sitzfläche aus Rohrgeflecht, Lattenhölzern oder Stoff ausgeführt. Auch ein stapelbarer

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Links Gästehaus AuerspergHériot, Wien 1934, Sammlung GS Rechts Entwurf des Tennisclubhauses für Dr. Hans Heller, Franz Singer, Wien um 1928, Sammlung GS, © FS

170

Vgl. Hövelmann (2018), S. 306. Vgl. Schrom/Trauttmansdorff (1988), S. 10, 26 ff. 172 Vgl. Hövelmann (2018), S. 195. 171

oben Plakat der Tennisplätze für Dr. Hans Heller, Friedl Dicker und Franz Singer, Wien um 1928, Sammlung GS, © FS unten Entwurf der Halle des Wohnhauses Auersperg-Hériot, Friedl Dicker und Franz Singer, Sammlung GS, © FS

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Sessel mit Armlehnen, ein Hocker und ein Tisch von Bruno Pollak wurden von Josef & Leopold Quittner hergestellt. Dieser Möbelentwurf führte zu einer Auseinandersetzung zwischen Bruno Pollak und dessen Arbeitgeber und Leiter des Ateliers Franz Singer. Dieser wollte das Patent für den von Bruno Pollak entwickelten stapelbaren Stahlrohrsessel auf seinen Namen anmelden lassen, Bruno Pollak dürfte daraufhin die Ateliergemeinschaft verlassen haben.173 Im Februar 1929 meldete Bruno Pollak das Patent der Stapelbarkeit seiner Stahlrohrsessel auf seinen Namen in Österreich und in weiterer Folge in Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, der Schweiz und den USA an. Seine Möbel vertrieb er unter dem Namen BP Stühle u. Tische. Der Designer entwickelte seinen Sessel weiter und verbesserte dessen Ergonomie, indem er ihn mit einer leicht nach hinten geneigten Rückenlehne und einer Sitzfläche mit einer Vertiefung ausführen ließ. Diese überarbeitete Version kam 1931 auf den Markt. Der Sessel wurde bei der XX. Wiener Jubiläums-Frühjahrsmesse in Wien gezeigt. Zwei Jahre danach erwarb die britische Möbelfirma Practical Equipment Ltd. von Bruno Pollak das Recht, dessen Sessel zu produzieren.174 Die Ateliergemeinschaft war zu Beginn der 1930er Jahre eines der gefragtesten Architektur- und Designateliers Wiens. Die Zusammenarbeit und die Beziehung der beiden DesignerInnen waren jedoch kompliziert und von zahlreichen privaten Konflikten gekennzeichnet. Friedl Dicker eröffnete 1931 ihr eigenes Atelier in Wien in der Heiligenstädter Straße in Döbling, Franz Singer verlegte sein Atelier wieder in seine Wohnung in der Schadekgasse in den 6. Bezirk. Nachdem er 1934 nach Großbritannien ausgewandert war, führte Leopoldine Schrom das Atelier in Wien weiter. Sowohl Franz Singer als auch von ihm beauftragt Friedl Dicker arbeiteten bis 1938 für das Wiener Atelier. Anna Szabo half ebenso weiterhin aus, arbeitete aber auch selbstständig als Architektin. Franz Singer blieb in London im Exil und kehrte nie mehr nach Wien zurück. Er wurde Konsulent für John Lewis in London und arbeitete als freier Architekt und Möbeldesigner gemeinsam mit seinem ehemaligen Mitarbeiter aus Wien Hans Biel, der 1934 ebenfalls nach London ausgewandert war. Franz Singers Stapelsessel aus Wien wurden in England serienmäßig produziert und verkauft.175 Auch Bruno Pollak ging Mitte der 1930er Jahre nach London und wurde in England zu einem gefragten Möbeldesigner. Das Jahr 1938 bedeutete ein abruptes Ende für die Ateliergemeinschaft. Fast alle MitarbeiterInnen – Hans Biel, Bruno Pollak, Anna Szabo, Martha Hauska-Döberl, Richard Erdös, Wolfgang Roth und Will Winternitz – mussten emigrieren, aber auch sämtliche AuftraggeberInnen des Ateliers – die Familien Moller, Koritschoner, der Verleger Epstein, der Süßwarenfabrikant Heller oder die Leiterin des Montessori-Kindergartens Hedy Schwarz – sie alle wurden 1938 in die Emigration gezwungen. Leopoldine Schrom, die in Wien 1934 auch das Atelier Berger & Ziegler von zwei Architekten weiterführte, die beide nach Israel emigriert waren, löste das Wiener Atelier in Absprache mit Franz Singer 1939 auf. Friedl Dicker wanderte 1934 nach Prag aus und arbeitete dort weiterhin als Innenarchitektin und Stoffdesignerin. Daneben widmete sie sich dem Zeichenunterricht von Kindern.176

78

173

Die genauen Hintergründe der Auseinandersetzung lassen sich heute nicht mehr eruieren. Bruno Pollak gab auf seinem Geschäftspapier, unterhalb des Namens BP Stühle u. Tische, weiterhin die Adresse Wasserburggasse 2 im 9. Wiener Gemeindebezirk, die Adresse der Ateliergemeinschaft, an.

174 175

Vgl. Hövelmann (2018), S. 195 ff. Vgl. Hövelmann (2018), S. 114.

176

Vgl. ebd., S. 1166 f.

e

DIE WIENER WERKBUNDSIEDLUNG – DER HÖHEPUNKT MODERNEN MÖBELDESIGNS

In Österreich wurde 1912 nach dem Vorbild des Deutschen Werkbundes der Österreichische Werkbund gegründet, eine Vereinigung von KünstlerInnen, ArchitektInnen, DesignerInnen, UnternehmerInnen und HandwerkerInnen, die zum Ziel hatten, gewerbliche und industriell gefertigte Produkte zu verschönern und veredeln. Durch die kreative Zusammenarbeit von Kunst, Industrie und Handwerk sollten industriell gefertigte Produkte qualitativ verbessert und für eine breite Gesellschaftsschicht leistbar werden. Zu den 178 Gründungsmitgliedern des Werkbundes zählten etablierte Wiener KünstlerInnen wie Gustav Klimt oder Koloman Moser, ArchitektInnen wie Josef Hoffmann oder Adolf Loos sowie sämtliche ProtagonistInnen des Neuen Wiener Wohnens wie Josef Frank, Ernst Lichtblau oder Oskar Strnad. Auch die Kunstgewerbeschule und zahlreiche österreichische Unternehmen und Handwerksbetriebe wie die Glasmanufaktur J. & L. Lobmeyr, die Lampenmanufaktur J.T.  Kalmar oder die Kunstwerkstätte Hagenauer schlossen sich dem Österreichischen Werkbund an.177 Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich der Österreichische Werkbund in erster Linie für das Thema Soziales Wohnen ein. Von Beginn an kam es regelmäßig zu Diskussionen unter den Mitgliedern sowie zu Spaltungstendenzen. Josef Hoffmann und andere Vorstandsmitglieder traten 1920 aus dem Österreichischen Werkbund aus und gründeten ein Jahr danach den Wiener Werkbund. 1928 traten jedoch die Mitglieder des Wiener Werkbundes wieder dem Österreichischen Werkbund bei. Der damals 43-jährige Josef Frank und der um rund 15 Jahre ältere Josef Hoffmann wurden zu Vizepräsidenten ernannt. Josef Frank, Walter Sobotka sowie Oswald Haerdtl und Otto Neurath, Philosoph und Mitglied des Wiener Kreises und Begründer des Österreichischen Verbandes für Siedlungs- und Kleingartenwesen, waren die treibenden Kräfte hinter der Tätigkeit des Werkbundes. Auf der Werkbund-Ausstellung 1930 in Wien im Österreichischen Museum für angewandte Kunst und Industrie wurden industriell gefertigte Möbel und Gebrauchsgegenstände sowie Kunsthandwerk gezeigt.178 Josef Hoffmann, der künstlerische Leiter der Ausstellung, gestaltete ein Kaffeehaus, Ernst Lichtblau einen Fremdenverkehrspavillon, Walter Sobotka eine Hotelhalle, Oswald Haerdtl eine Industriehalle, Karl Hofmann und Felix Augenfeld richteten eine moderne Espresso-Bar ein, Josef Frank einen Teesalon und Hugo Gorge eine Konditorei. Die modern gestalteten Räume und die klaren, schlichten Möbel erregten bei den BesucherInnen besondere Aufmerksamkeit.179 Unter der Leitung Josef Franks veranstaltete der Österreichische Werkbund 1931 die Ausstellung Der gute billige Gegenstand, in der günstige, industriell gefertigte Haushaltsartikel und Möbel gezeigt wurden.180 Nach dem Vorbild der Weissenhofsiedlung in Stuttgart wurde 1932 die Wiener Werkbundsiedlung in Hietzing realisiert. Josef Frank übernahm damals die Gesamtplanung. Insgesamt lud er 76 ArchitektInnen, Innenarchi177 Vgl. Ott-Wodni (2015), tektInnen und GartengestalterInnen ein, 70 individuelle Musterhäuser samt S. 94 ff, 101. Innenausstattung zu gestalten. Unter anderem nahmen Josef Hoffmann, 178 Vgl. ebd. Adolf Loos, Oswald Haerdtl, Ernst Lichtblau, Hugo Gorge, Margarete 179 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 102 ff. 180 Vgl. Meder (2008), S. 62. Schütte-Lihotzky, Walter Loos, Oskar Strnad, Walter Sobotka, Julius Jirasek, Jacques Groag und Ernst Plischke sowie Richard Neutra, der damals bereits in den USA lebte, daran teil. Gerrit Rietveld aus den Niederlanden, André Lurçat aus Frankreich, Hugo Häring aus Deutschland und Gabriel

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OBen

Espresso-Bar auf

der Werkbund-Ausstellung im Österreichischen Museum für angewandte Kunst und Industrie, Wien 1930, Entwurf: Felix Augenfeld und Karl

Guévrékian aus Teheran gehörten zu den wenigen internationalen Architekten, die von Josef Frank zur Teilnahme an der Werkbundsiedlung in Wien eingeladen wurden.181 Die 70 Musterhäuser in Hietzing sollten Beispiele für modernes, zeitgemäßes Wohnen und den künftigen Siedlungsbau darstellen. 182 Auch sechs Frauen waren am Projekt beteiligt: Als einzige Architektin plante Margarete Schütte-Lihotzky die Häuser Nr. 61 und 62. Die Wiener Designerin Ilse Bernheimer, Oskar Strnads Privatassistentin, entwarf die Inneneinrichtung der Häuser Nr. 15 und 16; dabei verwendete sie Bruno Pollaks Möbel aus Stahlrohr. Rosa Weiser war für die Inneneinrichtung der Häuser von Gerrit Rietveld zuständig und Ada Gomperz und Leonie Pilewski richteten gemeinsam das Haus Häring ein. Grete Salzer gestaltete den Garten des von Jacques Groag errichteten Projektes.183 Über 200 Unternehmen beteiligten sich an dem Architekturprojekt und stellten ihre Produkte für eine Mustereinrichtung der Häuser inklusive moderner Haushalts- und Küchengeräte zur Verfügung. In zahlreichen Häusern wurden Möbel der Firma Thonet sowie Lampen von J.T. Kalmar ausgestellt. Josef Franks und Oskar Wlachs Einrichtungsgeschäft Haus & Garten stattete drei Musterhäuser komplett aus.

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Hofmann, Fotograf: Bruno Reiffenstein, © MAK

181

Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 104. Vgl. Meder (2008), S. 62. 183 Vgl. https://www. werkbundsiedlung-wien.at/ architektinnen (Stand: 22.7.2021). 182

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Plakat für die Werkbundsiedlung, Joseph Binder,

Wien 1932, © Joseph Binder/MAK

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Im Katalog zur Ausstellung formulierte Josef Frank seine Ideen zur Inneneinrichtung und zum Möbeldesign so: „Was die Einrichtung des Kleinhauses betrifft, so ist sie durchaus unproblematisch. Schränke sollen in möglichst großem Ausmaß eingebaut werden, damit sie auch den fehlenden Dachbodenraum ersetzen können. Das übrige ist leicht beweglich, ohne jeden Zusammenhang und ohne jede Einheitlichkeit in Form, Material und Farbe, so dass alles jederzeit ausgewechselt und ergänzt werden kann. Wichtig ist für die Möbel lediglich, dass sie nicht mehr Raum einnehmen, als ihrem Gebrauchswert zukommt. Welcher Art diese Gegenstände sind, ob sie alt oder neu sind, ist vollkommen gleichgültig“184. Im Unterschied zur Weissenhofsiedlung in Stuttgart wurden die Musterhäuser in Hietzing ganz im Sinne Josef Franks mit leichten Möbeln aus Holz oder farbenfrohen Polstermöbeln in Kombination mit fröhlichgemusterten Vorhangstoffen und weiß gestrichenen Wänden gestaltet. Die kleinen Häuser sollten einen wohnlichen und gemütlichen Charakter erhalten. Josef Frank ging damals im internationalen Vergleich einen anderen „typisch wienerischen“185 Weg. Die Werkbundsiedlung war die umfangreichste Demonstration der modernen Wiener Wohnkultur in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Bei ihrer Eröffnung im Jahr 1932 wurde sie in der Neuen Freien Presse als „die größte Bauausstellung Europas“ 186 bezeichnet. Sie wird als der Höhepunkt des Schaffens Josef Franks in Wien angesehen. Als überzeugter Sozialdemokrat war es ihm ein Anliegen, durch einen modernen Siedlungsbau die Wohnverhältnisse innerhalb der Gesellschaft zu verbessern. Ganz im Sinne seines Freundes Josef Frank schrieb Otto Neurath in Die Form über das Projekt, es solle den BesucherInnen zeigen „wie man in der nächsten Zeit wohl am glücklichsten in wirklichen Wohnungen leben dürfte“187. Dennoch wurde die Siedlung von Josef Franks Gegnern massiv kritisiert. Man warf ihm vor, zu wenige österreichische ArchitektInnen hätten am Projekt teilgenommen. Die antisemitische Presse in Wien sprach sogar von einem von „jüdischen Bauschwindlern errichteten Tel Aviv in Lainz“188. An der weiteren Geschichte des Österreichischen Werkbundes wird auch die politische und gesellschaftliche Situation in Wien zu Beginn der 1930er deutlich: Regelmäßig entflammten Streitereien unter den Mitgliedern bezüglich der Ausrichtung des Werkbundes. Josef Hoffmann und seine AnhängerInnen, allesamt VerfechterInnen eines traditionellen und elitären Kunsthandwerks, lehnten moderne Industrialisierungstendenzen ab.189 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland verschärfte sich das politische Klima in Wien. Unter Engelbert Dollfuß, österreichischer Bundeskanzler von 1932 bis 1934, herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, das Land war politisch gespalten. Gewalt auf offener Straße und Aufmärsche gehörten zum Alltag.190 Der Antisemitismus innerhalb der Bevölkerung wurde unerträglich, auch innerhalb des Österreichischen Werkbundes war die feindliche Stimmung gegenüber jüdischen ArchitektInnen und MöbeldesignerInnen immer deutlicher zu spüren. Es kam zu einer neuerlichen Spaltung: Einige Mitglieder, darunter Josef Hoffmann, gründeten den Neuen Werkbund Österreich, von dem jüdische Mitglieder ausgeschlossen waren, was zu einem endgültigen Bruch zwischen Josef Hoffmann und Josef Frank führte. Josef Frank zog mit seiner schwedischen Ehefrau nach Stockholm. Der „alte“ Werkbund wurde 1938 von den Nationalsozialisten aufgelöst.191

82

OBen Werkbundsiedlung, Haus Nr. 25–28, Entwurf: André Lurçat, Wien, 1932, Fotograf: Martin Gerlach jun., © Wien Museum unten Werkbundsiedlung, Haus Nr. 49, Wohnraum, Entwurf: Adolf Loos, Wien 1932, Fotograf: Martin Gerlach jun., © Wien Museum

184 https://www.werkbundsiedlung-

wien.at/ausstellung-1932/ inneneinrichtung (Stand: 21.7.2021) 185 Ott-Wodni (2015), S. 107. 186 http://anno.onb.ac.at/cgi-

content/anno?apm=0&aid=nfp& datum=19320603&seite=06 (Stand: 21.7.2021). 187 Otto Neurath, Die internationale Werkbundsiedlung als Ausstellung, in: Die Form, 1932, in: Meder (2008), S. 62. 188

Der Kampfbund, 11.6.1932, Nr. 24, in: Prokop in: ThunHohenstein/Czech/Hackenschmidt (2015), S. 56. 189 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 107. 190

Vgl. Robert Keil (Hg.), Architektur Wohnkultur Kunst Austria 1930–1940, Wien: Amartis Verlag 2012, S. 11. 191 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 108; Meder (2008), S. 20.

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Oben Werkbundsiedlung, Wien 1932, Fotograf: Martin Gerlach jun., © Wien Museum

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Oben Werkbundsiedlung, Haus Nr. 12, Wohnraum, Entwurf: Josef Frank, Wien 1932, Fotograf: Martin Gerlach jun., © Wien Museum

Oben

Werkbundsiedlung, Haus Nr. 25–28, Entwurf: André Lurçat, Wien 1932,

Fotograf: Martin Gerlach jun., © Wien Museum

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f

DIE BUGHOLZINDUSTRIE IN DEN 1920ER UND 1930ER JAHREN Der Zerfall des Habsburgerreiches sowie die Folgen des Ersten Weltkrieges stürzten die gesamte Möbel- und Bugholzindustrie in eine schwere Krise. Noch vor dem Ersten Weltkrieg, im Jahr 1907, schlossen sich in Österreich mehrere kleinere Bugholzmöbelproduzenten zur von Leopold Pilzer, einem erfolgreichen Möbelhersteller aus Galizien, gegründeten Mundus AG zusammen. Die Firma hatte ihren Sitz in Wien. 1914 übernahm Mundus die Mehrheit des Wiener Bugholzmöbelherstellers Jacob & Josef Kohn und es kam zur Gründung der Mundus-Kohn AG. Holz wurde in den Kriegsjahren knapp, das Exportgeschäft der Bugholzindustrie brach in diesen Jahren völlig zusammen. Für die Gebrüder Thonet bedeutete die Auflösung des Habsburgerreiches auch, dass sich die Produktionsstätten und Wälder nach dem Krieg in Ungarn, Polen und der damals neu gegründeten Tschechoslowakei wiederfanden. Das Unternehmen kämpfte mit massiven finanziellen Schwierigkeiten. 1923 kam es zu einer Fusion zwischen Mundus und Thonet. Die Thonet-Mundus AG wurde damit zum größten Möbelhersteller der Welt mit Sitz in Wien. Zu dem internationalen Möbelkonzern zählten zwanzig Produktionsstätten mit über 10 000 MitarbeiterInnen, die weiterhin unter der Leitung von Leopold Pilzer geführt wurden. Die Fusion war erfolgreich. In den folgenden Jahren brachte Thonet einige neue Modelle auf den Markt und konnte an seine Erfolge vor dem Ersten Weltkrieg wieder anknüpfen.192 Am Bauhaus wurde in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre ein neues Material für die Gestaltung und Produktion von Möbeln entdeckt: das Stahlrohr. Eine kreative und intensive Zusammenarbeit mit dem Bauhaus in Dessau begann und Thonet wurde in den 1930er Jahren zum führenden Stahlrohrmöbelproduzenten mit Entwürfen von Marcel Breuer, Le Corbusier und Mies van der Rohe. Auch die Form und Silhouette der Bugholzmöbel änderten sich parallel zu den modernen Möbeldesigns aus Stahlrohr in dieser Zeit.193

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links Fauteuil Modell Nr. A 403 F, Entwurf: Josef Frank, Wien 1927, Ausführung: Thonet-Mundus, Wien um 1930, © MAK rechts Bank aus Buchenholz und Sperrholz, Entwurf: Josef Hoffmann und Oswald Haerdtl, Ausführung: Jacob & Josef Kohn, beides Wien um 1930, © Dorotheum Wien, 2014

192

Vgl. Hackenschmidt/Thillmann (2020), S. 48 ff. 193 Vgl. Ottillinger (2009), S. 49.

Die MöbeldesignerInnen in Wien setzten in diesen Jahren mit großer Vorliebe weiterhin auf Möbel aus gebogenem Holz. Im Frühling 1929 veranstaltete Thonet-Mundus ein Preisausschreiben an der Kunstgewerbeschule in Wien, um neue Ideen und originelle Formen für Bugholzmöbel zu finden. Auf der Suche nach neuen Designklassikern organisierte der Konzern noch im selben Jahr einen weiteren internationalen Wettbewerb. Mehr als viertausend Ideen wurden von MöbeldesignerInnen eingesandt. In der hochkarätigen Jury saßen unter anderem Josef Frank, Pierre Jeanneret, Gerrit Rietveld, Adolf Schneck und Gustav Siegel. Der finnische Architekt und Möbeldesigner Alvar Aalto nahm ebenfalls an diesem Wettbewerb teil. Der damals 28-Jährige gewann zwar keinen Preis, sollte aber bald zu einem der einflussreichsten MöbeldesignerInnen der Mitte des 20. Jahrhunderts werden.194 Auch Josef Frank, der entschieden gegen Möbel aus Stahlrohr war, entwarf Ende der 1920er und zu Beginn der 1930er Jahre verschiedene Bugholzmöbel-Modelle für die Thonet-Mundus AG, die serienmäßig produziert wurden. Er designte Sessel und Armlehnstühle aus lackierter Buche, Hocker mit Gurtgeflecht oder Wiener Geflecht sowie kleine Tische. Die Musterhäuser der Werkbundsiedlung wurden zum Großteil mit Bugholzmöbeln – insbesondere den bunt lackierten Modellen von Josef Frank – von Thonet-Mundus eingerichtet.195

links Werbemarke der Firma Thonet zum 100-jährigen Jubiläum, Wien 1930, © MAK Rechts Armlehnsessel und Hocker aus gebogenem, rot lackierten Buchenholz und Wiener Geflecht, Ausführung: Thonet-Mundus, Wien um 1930, © Dorotheum 2019

194

Vgl. Thillmann/Willscheid (2011), S. 197. 195 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 106, 305 ff.

Visionäres Wien – Loos-gelöstes Möbeldesign

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OBen Café Viennois im Österreichischen Pavillon auf der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris 1925, Entwurf: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, Fotograf: Bruno Reiffenstein, © MAK unten Raum für Mode und verwandte Gewerbe im Österreichischen Pavillon auf der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris 1925, Fotograf: Bruno Reiffenstein, © KAUAK

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Glamouröses Art déco und Wiener Möbel in Paris

Vgl. https://artdecosociety. uk (Stand: 21.7.2021). 197 Vgl. Wilhide (2017), S. 157. 198 Vgl. Thun-Hohenstein/Boeckl/ Witt-Dörring (2015), S. 245 ff.

Von April bis Oktober 1925 veranstaltete die französische Regierung in Paris eine der größten Ausstellungen für Kunst, Design und Architektur, die die Welt damals je gesehen hatte. Zu Beginn der 1920er Jahren entstand in Frankreich ein opulenter und luxuriöser Designstil, der sich rasch auf der ganzen Welt verbreitete: das Art déco. Erstmals verwendete Le Corbusier die Bezeichnung für den style moderne in seiner Zeitschrift L’Esprit Nouveau in einer Artikelserie unter dem Titel 1925 Expo. Art Déco über die Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes. Erst gegen Ende der 1960er Jahre wurde Art déco ein geläufiger Begriff.196 Seinen Höhepunkt hatte das Art déco in der Zwischenkriegszeit und wirkte sich auf die gesamte Designwelt aus—von der Mode über die Fotografie und die bildende und angewandte Kunst bis hin zur Architektur, zur Inneneinrichtung und zum Möbeldesign. Das Repräsentative, Luxuriöse und Dekorative trat damals erneut in den Vordergrund. Kostbare und exotische Materialien wie Bronze, Silber, Ebenholz oder Elfenbein wurden auf höchstem Niveau handwerklich verarbeitet. Die DesignerInnen entwarfen ausgefallene und opulente Designs für Möbel, Glaswaren, Metallarbeiten und Lampen, Stoffe und Tapeten. Die größte Inspirationsquelle waren neben dem Jugendstil und der afrikanischen, ägyptischen oder chinesischen Kunst die kunsthandwerklichen Arbeiten der Wiener Werkstätte. Josef Hoffmanns geometrische und symmetrische Entwürfe, die extravaganten und opulenten Kunstwerke von Dagobert Peche oder Koloman Moser hatten einen unmittelbaren Einfluss auf das französische Art déco.197 Die Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris, die fast das Ausmaß einer Weltausstellung erreichte, spiegelte die künstlerische, politische und industrielle Situation der Nachkriegszeit wider. KünstlerInnen, Unternehmen aber auch staatliche Institutionen präsentierten ihre Ideen der industriellen oder handwerklichen Herstellung von Gebrauchsgegenständen, Möbeln oder der Architektur. Zwischen dem Dôme des Invalides und dem Grand Palais präsentierten die eingeladenen Länder ihre Pavillons. Von den 21 teilnehmenden Nationen waren die meisten aus Europa, Deutschland nahm an der Ausstellung in Paris nicht teil. Die USA lehnte die Einladung der französischen Regierung an der Pariser Exposition teilzunehmen ab. Der Grund dafür klingt aus heutiger Sicht erstaunlich: Nach Auffassung des damaligen Handelsministers und späteren Präsidenten der Vereinigten Staaten Herbert Hoover gab es zu dieser Zeit, im Jahr 1925, in den USA kein modernes Design, das man in Paris hätte ausstellen können.198 Österreich hingegen nahm mit großem Erfolg an der Ausstellung teil. Josef Hoffmann gestaltete den österreichischen Pavillon gemeinsam mit den jüngeren Architekten Max Fellerer und Oswald Haerdtl. Josef Hoffmann lud auch Friedrich Kiesler dazu ein, in Paris auszustellen. Letzterer

Glamouröses Art déco und Wiener Möbel in Paris

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präsentierte im Grand Palais seine Zukunftsvision einer frei schwebenden Stadt – der Raumstadt. Auch Josef Frank und Oskar Wlach mit ihrem gerade erst gegründeten Einrichtungsgeschäft Haus & Garten sowie Oskar Strnad, Hugo Gorge und Ernst Lichtblau stellten ihre Möbel bei der Exposition aus. Der österreichische Pavillon sowie die Arbeiten von Josef Hoffmann, Oswald Haerdtl, Josef Frank und Oskar Wlach erlangten unerwartete Aufmerksamkeit und wurden in der französischen Presse als Glanzpunkte der Pariser Ausstellung gelobt. Josef Frank und Oskar Wlach präsentierten im österreichischen Pavillon ein Terrassencafé, das Café Viennois. Die gezeigten Wiener Möbel kamen in Paris sehr gut an.199 Le Corbusier stattete seinen avantgardistischen Pavillon de l’Esprit Nouveau – ein moderner Gegenentwurf zu den opulenten Art-déco-Entwürfen – ebenfalls mit Möbeldesign aus Wien aus: dem Wiener Sessel von Thonet. Gemeinsam mit Pierre Jeanneret präsentierte er in seinem Pavillon eine industriell produzierte Wohneinheit der Zukunft, die mit funktionalen Möbeln eingerichtet war. Der Wiener Sessel von Thonet wurde zum Lieblingsmöbel der französischen Avantgarde-ArchitektInnen dieser Zeit.200 Inspiriert vom Bauhaus entwarf Le Corbusier gemeinsam mit seinem Cousin Pierre Jeanneret und der Möbeldesignerin Charlotte Perriand – im Unterschied zu handwerklich gefertigten, luxuriösen Art-déco-Möbeln – moderne, industriell gefertigte Möbel aus Stahlrohr. Auch die weltberühmte Chaiselongue aus Stahlrohr dieses Designertrios wurde in den späten 1920er Jahren von Thonet produziert.201 Mit der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes, zu der 16 Millionen BesucherInnen kamen, wurde das Art déco weit über die Grenzen von Paris hinaus bekannt. Der Designstil eroberte auch rasch die USA. Die in New York City in den späten 1920er und 1930er Jahren erbauten Wolkenkratzer wie das Empire State Building, das Rockefeller Center oder das Chrysler Building in Manhattan wurden im Art-décoStil erbaut und eingerichtet, in Miami Beach entstand das größte Artdéco-Viertel der Welt. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges markierte das Ende des Art déco in Europa, in den USA hielt es bis in die späten 1950er Jahre an. Auch die Pariser Weltausstellung 1937, die vom 25. Mai bis 25. November in der Metropole stattfand, war für die teilnehmenden MöbeldesignerInnen aus Wien ein Erfolg. Oswald Haerdtl war für den österreichischen Pavillon verantwortlich und Josef Hoffmann präsentierte eine „Zimmereinrichtung für einen großen Star“. Josef Frank, der zu dieser Zeit bereits in Stockholm lebte, gestaltete die Terrasse des schwedischen Pavillons und stellte Möbel und Stoffentwürfe für Svenskt Tenn aus – mit großem Erfolg. Parallel dazu präsentierte er gemeinsam mit Oskar Wlach, der in diesen Jahren das Geschäft in Wien allein weiterführte, einen möblierten Wohnraum mit Möbeln und Stoffen von Haus & Garten im österreichischen Pavillon. Auch Jacqueline Groag zeigte ihre visionären Stoffmuster. Ihr Stoffdesign wurde mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.202

OBen Inneneinrichtung und Möbel im Österreichischen Pavillon auf der Weltausstellung in Paris 1937, Entwürfe: Josef Frank und Oskar Wlach für Haus & Garten, © KAUAK unten Österreichischer Pavillon auf der Weltausstellung in Paris 1937, Entwurf des Pavillons: Oswald Haerdtl, Fotograf: Julius Scherb, © KAUAK

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Vgl. Prokop (2016), S. 233. Thun-Hohenstein/Boeckl/ Witt-Dörring (2015), S. 246. 201 Vgl. Fiell/Fiell (2016), S. 409. 200 Vgl.

202 Vgl.

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Ott-Wodni (2015), S. 221.

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Ein Riss in der Zeit –  1938 und die Folgen für das Wiener Möbeldesign „Sie wissen alle, wie die Tragödie begonnen hat. Das war, als in Deutschland der Nationalsozialismus heraufkam, dessen Parole vom ersten Tag an lautete: Ersticken. Ersticken alle Stimmen außer einer. Ausrotten alle Manifestationen des freien Wortes, in welcher Form auch immer, künstlerisch, literarisch, journalistisch“203, schrieb Stefan Zweig, der bereits 1934 von Salzburg nach London emigrierte, über die verheerenden Folgen des Nationalsozialismus. Der damals weltberühmte österreichische Schriftsteller reiste bis zum Frühling 1938 noch einige Male in seine Geburtsstadt Wien. Was unmittelbar in den Tagen nach dem „Anschluss“ in Wien geschah, „hat seines gleichen nicht in der Geschichte des Judentums – Deutschland war ein Samtpfötchen gegen diesen mörderischen Hieb“, so Stefan Zweig in einem Brief an seinen Freund, den deutschen Schriftsteller Arnold Zweig im Frühling 1938, „die Wiener, die österreichischen Juden, waren ja viel homogener in ihrer Struktur als die deutschen Juden, sie gehörten dazu, sie hatten die Stadt Wien geformt und mitgeschaffen.“204 Die Folgen des Einmarsches der Nationalsozialisten in Österreich im März 1938 waren für alle Jüdinnen und Juden verheerend. In seinem Buch, Stadt ohne Seele. Wien 1938 beschreibt der Historiker Manfred Flügge sehr präzise den dramatischen Umbruch, die Radikalisierung innerhalb der Gesellschaft binnen kürzester Zeit nach dem sogenannten „Anschluss“ und die tragischen Schicksale der Wiener Jüdinnen und Juden. 205 Einige erschütternde Fakten: Unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 12. März 1938 kam es in ganz Österreich zu Pogromen, bestialischen Ausschreitungen, unzähligen Inhaftierungen und Deportationen. Gleichzeitig kam es zur Einführung der „Nürnberger Rassengesetze“ und zu Enteignungen, „Arisierungen“ jüdischen Eigentums, Raub, Plünderungen und Übergriffen. Das gewaltsame Vorgehen gegenüber jüdischen Männern, Frauen und Kindern gipfelte in den Novemberpogromen in der Nacht vom 203 Stefan Zweig in seinem Auf9. auf den 10. November 1938 mit mehr als 6500 willkürlichen Verhaftungen satz Das große Schweigen aus dem Jahr 1940, in: Stephan Resch an jenem düsteren Tag allein nur in Wien. (Hg.)/Stefan Zweig, „Worte haben Lebte in Wien in diesen Jahren nach Paris die zweitgrößte jüdische Gekeine Macht mehr“. Essays zu meinschaft Europas mit mehr als 200 000 Mitgliedern, so markierte der Politik und Zeitgeschehen 1916– 1941, Wien: Sonderzahl Verlag 12. März 1938 ein jähes Ende dieser blühenden Gemeinde und der kulturel2019, S. 182. len Hochblüte Wiens. Stefan Zweig, Joseph Roth, Josef Frank oder Franz 204 Stefan Zweig in einem Brief Singer verließen, die Gefahr kommen sehend, bereits Mitte der 1930er an Arnold Zweig im Frühling 1938, in: Stefan Litt (Hg.)/Stefan Jahre die Stadt. Zwischen März 1938 und Mai 1939 flohen 130 000 Jüdinnen Zweig, Briefe zum Judentum, Berlin: und Juden aus Wien vor den Nazis. Unzähligen Menschen gelang die Flucht Jüdischer Verlag, Suhrkamp Verlag nicht: Mehr als 65 000 Wiener Jüdinnen und Juden wurden deportiert und 2020, S. 258. 205 Vgl. Manfred Flügge, Stadt ermordet; ganz wenige überlebten die Shoah versteckt bei FreundInnen ohne Seele. Wien 1938, Berlin: oder Verwandten im Untergrund als „U-Boot“ in der Stadt.206 Aufbau Verlag 2018, S. 10 ff. 206 Vgl. ebd. Wien verlor im Jahr 1938 die kreativsten und besten Köpfe. Ein Riss in der Zeit, der sich quer durch alle Wissenschaften und Künste manifestierte und bis heute spürbar geblieben ist. Max Reinhardt, Joseph Roth, Friedrich Torberg, Ernst Gombrich, Karl Popper, Stefan Zweig – um nur einige, ganz

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wenige damals weltweit bekannte Namen zu nennen – wanderten rechtzeitig aus. Nach dem 12. März 1938 kann nur noch von einer Flucht gesprochen werden. Mit der Vertreibung unzähliger Kreativer, KünstlerInnen, SchriftstellerInnen, JournalistInnen, UniversitätsprofessorInnen, PolitikerInnen, Lehrender, Ärzte und Ärztinnen, JuristInnen, PhilosophInnen, SchauspielerInnen, MusikerInnen, TheaterbesitzerInnen, BetreiberInnen von Kaffeehäusern, Restaurants oder Geschäften, Industrieller und UnternehmerInnen, Handwerker- und KunsthandwerkerInnen, Studierender und SchülerInnen, Familien samt ihrer Kinder ging der Stadt Wien im Jahr 1938 ihre Seele verloren. Viele große Namen aus dem Bereich Architektur und Möbeldesign – wie Josef Frank, Franz Singer, Friedl Dicker, Bruno Pollak, Ernst Freud oder Ella Briggs – verließen aufgrund des unerträglichen Antisemitismus und der politischen Lage in Deutschland und Österreich bereits Mitte der 1930er Jahre die Metropole. Ein Großteil der ArchitektInnen und MöbeldesignerInnen, die zu Beginn der 1930er Jahre das moderne und fortschrittliche Wien darstellten, die ProtagonistInnen der Wiener Wohnkultur, mussten nach dem „Anschluss“ aus Wien fliehen.207 Bis 1938 verlor Wien innerhalb weniger Jahre fast sein gesamtes intellektuelles, modernes und visionäres Potential an ArchitektInnen und MöbeldesignerInnen.208 Oskar Strnad starb 1935 in Bad Aussee, ihm blieben die Gräueltaten der Nazis erspart. Ella Briggs war Ende der 1920er Jahre von Wien nach Berlin übersiedelt. Nachdem für sie das Leben nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten unerträglich geworden war, kehrte sie 1935 nach Wien zurück und wanderte 1936 nach London aus.209 Jacques Groag und dessen Ehefrau Jacqueline Groag flohen 1938 aus Wien nach Prag und 1939 weiter nach London. Viele kreativen Köpfe hinter der visionären Ateliergemeinschaft Singer & Dicker verließen Mitte der 1930er Jahre die Metropole. Franz Singer, Hans Biel und Bruno Pollak lebten ab 1934 in London und kehrten nach 1938 nicht mehr nach Wien zurück. Anna Szabo floh 207 Vgl. Oswald Oberhuber/ 1938 aus Wien nach Budapest und überlebte dort den Krieg als „U-Boot“. Gabriele Koller/Gloria Withalm, Zentralsparkasse und Auch Karola Bloch übersiedelte Mitte der 1930er Jahre von Wien nach Prag, Kommerzialbank Wien (Hg.) in wo sie gemeinsam mit Friedl Dicker Möbel und Inneneinrichtungen entZusammenarbeit mit der warf; 1937 emigrierte die gesamte Familie Bloch in die USA. 210 Friedl DiHochschule für angewandte Kunst in Wien, Die Vertreibung cker verließ 1934 Wien, um nach Prag zu gehen. Die hochbegabte des Geistigen aus Österreich. Designerin und Künstlerin überlebte die Shoah nicht, sie wurde am 9. OkZur Kulturpolitik des Nationaltober 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.211 sozialismus, Wien: Hochschule für angewandte Kunst in Nach Josef Franks Emigration nach Stockholm führte Oskar Wlach das Wien 1985, S. 197. gemeinsame Unternehmen Haus & Garten in Wien weiter; 1938 wurde es 208 Vgl. ebd., S. 624; Stadler „arisiert“. Die Familien Frank und Wlach überlebten den Holocaust in New (2004), S. 623. 209 Vgl. Marcel Bois/Bernadette York City wie auch Walter Sobotka und Ernst Lichtblau. Liane Zimbler legte Reinhold (Hg.), Margarete Schüttenur wenige Wochen vor dem „Anschluss“ am 21. Februar 1938 als erste Lihotzky. Architektur. Politik. Frau Österreichs die Ziviltechnikerprüfung in Wien ab. Sowohl ihr Atelier in Geschlecht. Neue Perspektiven auf Leben und Werk, Wien/Basel: Wien als auch in Prag wurde 1938 aufgelöst, im April 1938 floh sie mit ihrer Edition Angewandte, Buchreihe Familie über London in die USA. Felix Augenfeld und Ernst Schwadron der Universität für angewandte Kunst konnten 1938 von Wien über Paris und London ebenfalls rechtzeitig in die Wien, Birkhäuser 2019, S. 42. 210 Vgl. Boeckl (1995), S. 349. USA auswandern.212 Otto Breuers gesamter Besitz und dessen Firma wur211 Vgl. Röder/Strauss (1999), den nach dem „Anschluss“ von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. S. 215. 212 Vgl. Boeckl (1995), S. 327 ff. Der Architekt versuchte sich am 9. November, in der Nacht der November213 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 359. pogrome in Wien, das Leben zu nehmen, doch es gelang ihm nicht. Wenige 214 Vgl. http://www.architekten Tage später erhängte er sich im Alter von 41 Jahren im Sanatorium Purkerslexikon.at/de/1437.htm dorf.213 Viktor Lurje floh im Herbst 1938 aus Wien nach Schanghai und (Stand: 1.8.2021). ging Anfang der 1940er Jahre nach Indien, wo er als Innenarchitekt und Möbeldesigner tätig war. Er starb noch während des Krieges 1944 in Jaipur.214 Ernst Plischke emigrierte 1939 gemeinsam mit seiner Ehefrau Anna

Ein Riss in der Zeit – 1938 und die Folgen für das Wiener Möbeldesign

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nach Neuseeland. Walter Loos gelang im März 1938 mit seiner Ehefrau Fridl aus Wien über London die Flucht nach New York; 1940 übersiedelte das Ehepaar weiter nach Buenos Aires. Auch der 25-jährige Martin Eisler floh vor den Nazis im März 1938 aus Wien dorthin.215 Nach dem „Anschluss“ im März 1938 setzte der Lehrbetrieb an allen österreichischen Universitäten, Hochschulen und Schulen für einige Tage aus, sämtliche Privatschulen wurden bis auf weiteres geschlossen. Die Kunstgewerbeschule nahm ihren Betrieb am 21. März 1938 wieder auf.216 In den darauffolgenden Wochen wurde von den Nationalsozialisten eine institutionelle „Säuberung“ durchgeführt, jüdische Studierende und Lehrende wurden von der Kunstgewerbeschule ausgeschlossen. 485 SchülerInnen besuchten zu Beginn des Studienjahres 1937/38 die Schule, 52 Studierende mussten diese zwischen März und Juli 1938 verlassen. Im Sommer 1938 wurden weitere 85 Studierende und im Studienjahr 1938/39 22 Studierende ausgeschlossen. Auch zahlreiche ProfessorInnen wurden von ihrem Dienst suspendiert. Zählte die Kunstgewerbeschule im Studienjahr 1937/38 insgesamt 32 Lehrpersonen – 15 ProfessorInnen, 13 LehrerInnen und vier AssistentInnen – so wurden sieben dieser Lehrpersonen im März 1938 entlassen, darunter die ProfessorInnen Theodor Otto Georgii, Albert Paris Gütersloh, Wilhelm Müller-Hofmann, Hermine Zuckerkandls Ehemann, Otto Prutscher, und Hilda Schmid-Jesser.217 An der Akademie der bildenden Künste Wien wurden unmittelbar nach dem „Anschluss“ 13 Lehrende entlassen, darunter die Architekten Clemens Holzmeister und Erich Bolten­ stern. An der Technischen Hochschule gab es im März 1938 ebenfalls eine gravierende Zäsur, rund zehn Prozent des Lehrkörpers wurde aus „rassischen“ oder politischen Gründen suspendiert. Jüdischen Studierenden wurde das weitere Studium und mit Oktober 1938 sogar das Betreten der Technischen Hochschule verboten. Die Zahl der jüdischen Studierenden sank von 215 im Wintersemester 1937/38 auf 16 im Sommer 1938.218 Im Vergleich dazu verloren an der rechtswissenschaftlichen Fakultät in Wien 1938 mehr als die Hälfte der ProfessorInnen und DozentInnen ihre Lehrbefugnis, an der medizinischen Universität fast 70 Prozent.219 Eine Gruppe von ArchitektInnen und MöbeldesignerInnen aus Wien lebte während des Zweiten Weltkrieges in der Türkei im Exil. Margarete Schütte-Lihotzky emigrierte 1938 gemeinsam mit ihrem Mann Wilhelm Schütte nach Istanbul und unterrichtete dort an der Akademie der Schönen Kunst. Im Dezember 1940 kehrte sie in ihre Geburtsstadt zurück und schloss sich einer kommunistischen Widerstandsgruppe gegen das NS-Regime an.220 Am 22. Jänner 1941 wurde sie in Wien von der Gestapo verhaftet und zu zehn Jahren Haftstrafe verurteilt, aus der sie 1945 von kanadischen Truppen befreit werden konnte.221 „Es war ein vollkommenes Versagen der geistigen Elite, der Intellektuellen, des Bildungsbürgertums“222, schrieb Margarete Schütte-Lihotzky über das Jahr 1938. Anna-Lülja Praun arbeitete von 1938 bis 1940 in Istanbul als freie Mitarbeiterin im Atelier von Clemens Holzmeister und kehrte 1942 wieder nach Wien zurück. Ein Jahr später wurde ihr ehemaliger Lebensgefährte Eichholzer von den Nationalsozialisten als Widerstandskämpfer und Kommunist verfolgt und hingerichtet.223 Nicht nur die Vertreibung und Ermordung unzähliger ArchitektInnen und MöbeldesignerInnen, sondern auch die Zwangsenteignung zahlreicher Möbelfirmen bedeutete einen unwiederbringlichen Verlust in der Geschichte des Wiener Möbeldesigns. Leopold Pilzer, Hauptaktionär der Thonet-

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215 Vgl. https://www.architekten lexikon.at/de/468.htm (Stand: 1.7.2021). 216 Vgl. Sophie Köhldorfer, Die institutionelle „Säuberung“ der Universität für angewandte Kunst

Wien als Folge des „Anschlusses“ 1938, Diplomarbeit, Universität Wien, 2019, S. 50. 217 Vg.

ebd., S. 50 f., 66 ff., 91. https://gedenkbuch.wu.ac. at/assets/Uploads/Literatur/ Berger.pdf (Stand: 1.7.2021). 219 Vgl. https://www.juridicum.at/ fakultaet/geschichte/ (Stand: 9.8.2021); Michael Hubenstorf, Österreichische ÄrzteEmigration, in: Stadler (2004), S. 359. 220 Vgl. Maasberg/Prinz, S. 66. 218 Vgl.

221 Vgl. http://www.schuettelihotzky.at/msl.htm (Stand: 1.1.2021). 222 Margarete Schütte-Lihotzky, Zeitzeugin, in: Stadler (2004), S. 632. 223 Vgl. ebd.

Mundus AG, floh 1938 aus Wien vor den Nazis. Der brillante Unternehmer ging nach Zürich und wanderte später in die USA aus. Der Thonet-MundusKonzern mit der Zentrale am Wiener Stephansplatz war zum damaligen Zeitpunkt der größte Möbelproduzent der Welt mit 22 Produktionsstandorten, 37 Verkaufsstellen und über 10 000 MitarbeiterInnen; nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich wurde das Unternehmen zerschlagen. Leopold Pilzer tauschte seine Aktien mit den Thonet-Brüdern, die Familie Thonet erhielt ihre Anteile für den österreichischen und deutschen Markt zurück. Der Unternehmer behielt sich die Rechte für Frankreich, England und die USA und gründete in Nordamerika Thonet Industries mit Fabriken in York, Sheboygan und Statesville.224 Auch die Möbelfabrik Carl Bamberger AG in Wien in der Schönbrunner Straße 25 im 5. Wiener Gemeindebezirk wurde 1938 „arisiert“. Paul Bamberger, Carl Bambergers Sohn, floh 1938 nach New York City und gründete in Manhattan die Möbelfirma Interiors by Paul Bamberger. Die Firma in der Schönbrunner Straße wurde von der Tischlerei Mathias Brunngraber bis 1982 weitergeführt. Die in Wien bekannte Möbelfabrik Sigmund Jaray wurde 1938 ebenfalls von den Nationalsozialisten beschlagnahmt.225 Mit den vertriebenen jüdischen ArchitektInnen und MöbeldesignerInnen wurde auch ein Großteil ihrer AuftraggeberInnen, das jüdische Großbürgertum, in die Emigration gezwungen. Neben all den menschlichen Tragödien bedeutete das Jahr 1938 ein abruptes Ende der Blüte des Wiener Möbeldesigns. Nach dem „Anschluss“ wurden in Wien neben Plünderungen und Zerstörungen rund 33 000 Unternehmen sowie 60 000 Wohnungen, unzählige Liegenschaften, Sparbücher, Kunstwerke und Möbel geraubt. Nur wenigen Flüchtlingen gelang es, ihr Eigentum mit ins Exil zu nehmen. Die Keramikkünstlerin Lucie Rie nahm ihre von Ernst Plischke gestalteten Möbel aus Wien nach London mit. Das Hofmobiliendepot kaufte ihre Möbel nach ihrem Tod im Jahr 1999 an und holte sie wieder zurück nach Wien. Auch Sigmund Freud emigrierte im Juni 1938 mitsamt einiger Möbelstücke nach England. Der legendäre Diwan aus seiner Ordination in der Berggasse und sein von Ernst Lichtblau gestalteter Schreibtischsessel stehen heute im Freud Museum in London.226

224 Vgl. Thillmann/Willscheid (2011), S. 223. 225 Vgl. http://david.juden.at/ kulturzeitschrift/70-75/75soxberger.htm (Stand: 10.7.2021). 226 Vgl. https://www.freud.org.uk (Stand: 10.7.2021).

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Die vertriebenen VisionärInnen –  von Wien in die USA

DIE EMIGRATION DER MODERNE Das Zentrum der Moderne verlagerte sich bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in die USA – in den 1940er und 1950er Jahren wurde das Land die Design-Nation schlechthin. Zahlreiche Bereiche der Wissenschaft und Kunst, so auch die Architektur- und Designlandschaft der USA, profitierten von den EmigrantInnen und Flüchtlingen aus dem Europa der 1930er Jahre.227 Die Eröffnung des Museum of Modern Art in Manhattan im Jahr 1929 stellte einen Meilenstein in der Geschichte des Möbeldesigns dar. Das erste Museum für moderne Kunst und Design in den USA wurde unter anderem auf Initiative der amerikanischen Kunstsammlerin Abby Rockefeller gegründet. Bereits ab dem Jahr 1934 verfügte das junge Museum über eine umfassende Designsammlung. Das MoMA und dessen Gründungsdirektor, der 27-jährige Kunsthistoriker Alfred Hamilton Barr, waren in den 1930er Jahren Anlaufstelle für zahlreiche KünstlerInnen und DesignerInnen, die aus Europa vor den Nationalsozialisten fliehen mussten. Durch Ausstellungen, Wettbewerbe und Publikationen wurde das MoMA schon bald zum internationalen Maßstab aller Dinge in der modernen Kunst und im Design.228 Ein weiterer Faktor kam in den 1930er Jahren in den Vereinigten Staaten zu den modernen Gestaltungsideen aus Europa hinzu: Design wurde zu einem wesentlichen Verkaufsfaktor. Hatte der Erste Weltkrieg die wirtschaftliche und technische Entwicklung der europäischen Staaten massiv beeinträchtigt, so waren die USA in den 1920er und 1930er Jahren auf dem höchsten Technologieniveau sämtlicher Industrienationen. Neben ausgefeilten Werbekonzepten wurde für die amerikanische Industrie die ansprechende Gestaltung von Produkten immer wichtiger, gutes Design zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Anders als in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wo es bei den Reformbewegungen der industriellen Produktion und der Produktgestaltung stets um soziale Aspekte ging, wurde Design in den USA in erster Linie zu einem Marketingfaktor. Nach dem Börsenkrach an der Wall Street im Jahr 1929 und der darauffolgenden Weltwirtschaftskrise sollte der Konsum der amerikanischen Haushalte wieder massiv angekurbelt werden; Konsumartikel wurden von dieser Zeit an gestylt. Streamline Design wurde zur beliebtesten Form für den amerikanischen Massenartikel. Die Stromlinienform, das Ergebnis der Strömungsforschung im Automobil- und Flugzeugbau, symbolisierte den Fortschrittsglauben und Zukunftsoptimismus in den USA und wurde zum Styling verschiedenster industriell gefertigter Produkte eingesetzt.229 Bezeichnenderweise kamen die ersten Industriedesigner in den USA aus der Werbebranche. Einer der 227 Vgl. Wilhide (2017), S. 257. populärsten Designer dieser Zeit war Raymond Loewy. Loewys Vater, der 228 Vgl. Hauffe (2014), S. 186. Journalist Maximilian Loewy, war in Wien zur Welt gekommen und in Frank229 Vgl. Hauffe (2014), S. 154, 160, reich aufgewachsen. Raymond Loewy ging bereits kurz nach Ende des Ers166, 186. 230 Vgl. ebd., S. 160 ff. ten Weltkrieges nach New York City. Seine Coca-Cola-Flasche sowie das von ihm entworfene rot-weiße Logo von Lucky Strike wurden zu Meilensteinen in der Designgeschichte. Loewy gründete drei Designfirmen – in New York, in London und in Paris – und gestaltete auch zahlreiche Möbel.230

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Dieser Designer aus Wien machte sich in den Vereinigten Staaten ebenfalls einen Namen: Joseph Binder. Nach seinem Studium an der Kunstgewerbeschule führte er ein erfolgreiches Grafikatelier in Wien und gestaltete Logos für Arabia Café, Julius Meinl, Thonet oder die Werkbundsiedlung. Ende der 1930er Jahre ging er nach New York City. Nach dem „Anschluss“ verlegte er seinen Wohnsitz endgültig dorthin und gründete ein Designstudio. Noch im selben Jahr gewann Joseph Binder den ersten Preis eines Plakatwettbewerbes für die Weltausstellung 1939, die New York World’s Fair, und wurde über Nacht zu einem der bekanntesten GrafikerInnen der Vereinigten Staaten. Sein Plakat wurde in den USA millionenfach gedruckt und gezeigt. Nun begannen sich auch die Werbeagenturen für den Grafiker aus Wien zu interessieren. Zu einem seiner wichtigsten AuftraggeberInnen wurde die U.S. Navy.231 In den 1940er und 1950er Jahren nahm Joseph Binder an zahlreichen Plakatwettbewerben teil, unter anderem für das MoMA, wo seine Arbeiten regelmäßig zu sehen waren.232 Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Lage in Österreich und des deutlich spürbaren Antisemitismus wanderten in den 1920er Jahren bedeutende ArchitektInnen und DesignerInnen aus Wien in die USA aus. Für Richard Neutra, Friedrich Kiesler, Paul Theodore Frankl oder die junge Wienerin Elizabeth Scheu Close stellten die Vereinigten Staaten eine unerschöpfliche Anregungsquelle dar und boten neue berufliche Möglichkeiten. Nach der Machtübernahme Hitlers im Jänner 1933 bzw. im März 1938 bedeuteten die USA für die aus Deutschland und Österreich vertriebenen DesignerInnen und KünstlerInnen einen sicheren Zufluchtsort und die Möglichkeit des Neubeginns.233

links Plakat zur Ausstellung New York World’s Fair, The World of Tomorrow 1939, Joseph Binder, Ausführung: Grinnell Litho. Co., Inc. N.Y.C., New York City, © Joseph Binder/MAK rechts Plakat für Thonet, Joseph Binder, Wien 1930, © Joseph Binder/MAK

231 Vgl. Anita Kern/Bernadette Reinhold/Patrick Werkner (Hg.), Grafikdesign von der Wiener Moderne bis heute. Von Kolo Moser bis Stefan Sagmeister. Aus der Sammlung der Universität für angewandte Kunst Wien, Wien: Edition Angewandte, Buchreihe der Universität für angewandte Kunst Wien, Springer Verlag 2010, S. 94 ff. 232 https://www.moma.org/ artists/560 (Stand: 1.7.2021). 233 Vgl. Boeckl (1995), S. 8 ff.

Die vertriebenen VisionärInnen – von Wien in die USA

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Bis in die 1920er Jahre gab es kaum ein Design Made in USA. Waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Möbel im Kolonialstil oder Stilkopien ganz im Sinne des Historismus angesagt, änderte sich dies in den 1930er Jahren drastisch. Die EmigrantInnen aus Europa brachten sowohl ihre jahrelange Erfahrung als auch moderne Ideen und Gestaltungsprinzipien im Möbeldesign mit ins Exil.234 1933 emigrierten zahlreiche Bauhaus-Lehrende und -studierende, unter anderem Walter Gropius, Marcel Breuer, László Moholy-Nagy und Ludwig Mies van der Rohe, in die USA. Auch der Unternehmer Hans Knoll floh 1938 von Stuttgart über London nach New York City. Noch im selben Jahr gründete er dort die Hans Knoll Furniture Company, die durch ihre Zusammenarbeit mit zahlreichen Bauhaus-DesignerInnen zu einem der innovativsten Möbeldesign-Unternehmen der USA wurde.235 Die Vertreibung eines bedeutenden Teils der intellektuellen und kreativen Elite bedeutete für die Vereinigten Staaten einen Gewinn.236 Dennoch hatten nur wenige EmigrantInnen die Chance, ihre berufliche Laufbahn dort fortzusetzen, wo sie durch die Nazis unterbrochen worden war. b

DIE FRÜHEN AUSWANDERNDEN

oben

Tulip Chair, Entwurf:

Eero Saarinen, 1953, Aus-

Einige ArchitektInnen und DesignerInnen aus Wien machten in den Vereinigten Staaten in den 1920er und 1930 Jahren eine erstaunliche Karriere. Josef Urban brachte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Design aus Wien in die USA. Der fantasievolle Wiener Architekt, Möbeldesigner und Bühnenbildner ging 1911 nach New York City und eröffnete dort ein Designstudio. Der vielseitige Designer stellte das Kapital für die Gründung der Wiener Werkstätte of America Inc zur Verfügung und richtete 1922 dessen Verkaufslokal in der Fifth Avenue ein. Der Anfangserfolg in Manhattan war enorm: Bereits in den ersten Tagen waren der Großteil der Möbel und Designobjekte aus Wien ausverkauft. Die New Yorker Kunden und Kundinnen verehrten Josef Hoffmann und waren von Dagobert Peches und Josef Urbans exzentrischen Möbel- und Stoffentwürfen hingerissen. Auch der amerikanische Medienunternehmer William Hearst wurde zu einem begeisterten Käufer der Wiener Werkstätte in Manhattan. Der Erfolg hielt jedoch nur sehr kurz an, die Filiale musste 1924 aus finanziellen Gründen wieder schließen.237 Josef Urban gestaltete 25 Filmbühnen für die Cosmopolitan-Filmproduktionen von William Hearst und war in New York und Miami als Architekt, Innenarchitekt und Möbeldesigner tätig. In den späten 1920er Jahren erbaute er unter anderem den unteren Gebäudeteil des William Hearst Building in New York, das luxuriöse Anwesen Mar-a-Lago sowie eines der ersten Gebäude im International Style, die New School for Social Research in Greenwich Village.238 Die private Universität hatte von Beginn an eine enge Beziehung zu Europa. Bereits 1933 wurde die University in Exile etabliert; mehr als 180 emigrierte WissenschaftlerInnen aus Europa nahmen daran teil. Hier unterrichteten Hannah Arendt, Erich Fromm, Max Wertheimer und Josef Frank. Die Universität wurde in den folgenden Jahren auch zu einem Treffpunkt der Intellektuellen, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen aus Wien.239 Der Wiener Architekt und Möbeldesigner Paul Theodore Frankl wanderte 1914 in die USA aus. Frankl, der in Wien, Paris, München und Berlin

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führung: Knoll, Sammlung CW

234 Vgl.

Wilhide (2017), S. 159.

235 Vgl.

Bernd Polster/Tim Elsner, Design Lexikon USA, Köln: DuMont 2002, S. 230. 236 Vgl. Bradbury (2014), S. 306 f. 237 Vgl. Fahr-Becker/Taschen (2015), S. 95. 238 Vgl.

Fiell/Fiell (2016), S. 700. Peter M. Rutkoff/William B. Scott, New School. A History of the New School for Social Research, New York: Free Press 1986, S. 110 ff. 239 Vgl.

Architektur studiert hatte, gestaltete Bücherschränke, die an die modernen Wolkenkratzer Manhattans erinnerten. Mit seinen Möbeln, die er unter dem Namen Skyscraper Furniture neben anderem Kunsthandwerk aus Wien in seiner Galerie Frankl Galleries in der 48th Street in Manhattan verkaufte, war er in New York sehr erfolgreich. Frankls Bücherregale, Fauteuils, Schränke oder Schreibtische wurden in zahlreichen Einrichtungszeitschriften und Architekturmagazinen gezeigt und bald wurde seine Galerie zu einem gesellschaftlichen Treffpunkt der Stadt. Auch Eleanor Roosevelt kaufte hier ihre Möbel. Der Designer eröffnete ein weiteres Geschäft in Beverly Hills und zählte Fred Astaire, Charlie Chaplin, Cary Grant, Katharine Hepburn oder Alfred Hitchcock zu seinen Kunden und Kundinnen. Paul Theodore Frankls Möbel waren so populär, dass sie gegen Ende der 1920er Jahre von anderen Möbelunternehmen kopiert und serienmäßig hergestellt wurden. 240 Seine Entwürfe zählten bis in die 1950er Jahre zu den beliebtesten Möbeln der Hollywoodstars und sind bis heute begehrte Sammlerobjekte.241 Auch der aus einer Wiener Unternehmerfamilie stammende Architekt und Möbeldesigner Richard Neutra emigrierte zu Beginn der 1920er Jahre in die Vereinigten Staaten. In Wien hatte er an der Technischen Hochschule Architektur studiert und parallel dazu Adolf Loos’ private Bauschule besucht. Dieser weckte Neutras Interesse für die moderne amerikanische Architektur und so beschloss der junge Architekt, gemeinsam mit seiner Frau in die USA auszuwandern. Im Oktober 1923 reiste das Ehepaar per Schiff nach Manhattan. Richard Neutra war damals 31 Jahre alt. Im Herbst 1924 begann er, für die bekannte Baufirma aus Chicago Holabird & Roche zu arbeiten, und konnte so Einblicke in die amerikanische Bauweise und die beeindruckende Wolkenkratzer-Architektur Chicagos erlangen. 242 Der junge Wiener lernte Frank Lloyd Wright kennen; der damals sehr erfolgreiche amerikanische Architekt lud Richard Neutra in sein Studio in Taliesin bei Spring Green in Wisconsin ein, wo das Ehepaar Neutra dann auch einige Zeit wohnte. Zu Beginn des Jahres 1925 übersiedelte die Familie Neutra nach Los Angeles. Sie zogen zu Neutras Studienfreund aus Wien, Rudolph Michael Schindler, der ebenfalls die Technische Hochschule sowie Adolf Loos’ Bauschule in Wien besucht hatte, und bereits 1914 aus Wien in die USA ausgewandert war.243 Richard Neutra unterstützte Rudolph Michael Schindler im Büro, insbesondere als Zeichner; die beiden Architekten beteiligten sich auch gemeinsam an Architektur-Wettbewerben.244 Richard Neutra ging jedoch schon bald eigene Wege. Nachdem er 1926 die Architektenlizenz erhalten hatte, gründete er sein eigenes Atelier in Los Angeles und erbaute zahlreiche Häuser in Kalifornien im International Style. Mit seinem 1929 in Los Angeles errichteten Lovell Health 240 Vgl. Wilhide (2017), S. 159. House erlangte der Architekt im Alter von 36 Jahren internationale Bekannt241 Vgl. Fiell/Fiell (2016), S. 256. heit. Das Haus, das er für den amerikanischen Arzt Dr. Philip Lovell geplant 242 Vgl. Boeckl (1995), S. 339. hatte, war eines der ersten Wohnhäuser in den Vereinigten Staaten, das 243 Vgl. ebd.; Prokop (2016), S. 236. 244 Vgl. David Schreyer/Andreas als Stahlskelettkonstruktion aus industriell vorgefertigten Teilen gebaut Nierhaus, Los Angeles Modernism wurde, und damit ein frühes Meisterwerk der kalifornischen Moderne.245 Es Revisited. Häuser von Neutra, wurde 1932 bei der Ausstellung Modern Architecture: International ExhibiSchindler, Ain und Zeitgenossen, tion im MoMA und weltweit in zahlreichen Fachzeitschriften gezeigt und zu Zürich: Park Books 2019, S. 13; Boeckl (1995), S. 339. einem der bedeutendsten Wohnhäuser des 20. Jahrhunderts.246 Für seine 245 Vgl. ebd. Häuser entwarf Richard Neutra zumeist die gesamte Inneneinrichtung 246 Vgl. https://www.moma.org/ selbst; Architektur und Möbeldesign waren für den visionären Architekten interactives/exhibitions/2016/ spelunker/constituents/234/ untrennbar verbunden. Neutras Möbel entstanden als Einzelstücke für (Stand: 13.7.2021); seine Bauherren in Kalifornien, einige Modelle wurden in kleinen Serien Boeckl (1995), S. 339. 247 Vgl. Fiell/Fiell (2016), S. 510. produziert. Sein Boomerang Chair aus dem Jahr 1942 wurde zum Designklassiker und zum Inbegriff des Möbeldesigns im Mid-Century Modern Style. Einige seiner Möbelentwürfe wurden erst lange Zeit nach Neutras Tod in kleinen Serien produziert.247

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links Richard Neutra im Haus Rang, Königstein 1964, Fotograf: Klaus Meier-Ude, © VS

248 Vgl. 249 Vgl.

Boeckl (1995), S. 333 f.

Prokop (2016), S. 233. Fiell/Fiell (2016), S. 378. 251 Vgl. Boeckl (1995), S. 333 f. 252 Elisabeth Scheu änderte ihren Namen in den USA auf Elizabeth mit „z“. 253 Vgl. Jane King Hession, Elizabeth Scheu Close. A Life in Modern Architecture, Minneapolis/ London: University of Minnesota Press 2020, S. 5 ff. 250 Vgl.

Josef Hoffmanns Sohn, Wolfgang Hoffmann, der an der Kunstgewerbeschule bei Oskar Strnad studiert hatte und im Atelier seines Vaters als Innenarchitekt und Möbeldesigner mitarbeitete, wanderte 1925 nach New York aus. Josef Urban dürfte den damals 25-jährigen Designer aus Wien dazu eingeladen haben, für ihn in Manhattan zu arbeiten. Die Nachfrage nach wertvoll gestaltetem Kunsthandwerk und hochwertig designten Möbeln war in den USA nach der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris stark gestiegen. So gelang es Wolfgang Hoffmann und dessen Ehefrau Pola, einer ehemaligen Studentin Josef Hoffmanns an der Kunstgewerbeschule, sich schon bald nach ihrer Ankunft in Manhattan selbstständig zu machen und ein Designstudio in der Madison Avenue zu gründen. Die beiden jungen DesignerInnen entwarfen Gebrauchsgegenstände aus Metall, Metallmöbel und extravagante Stoffe. Die Entwürfe des Ehepaars Hoffmann waren Ende der 1920er und 1930er Jahre sehr beliebt und wurden in zahlreichen Ausstellungen, in der American Designers’ Gallery, im Brooklyn Museum oder im Metropolitan Museum in Manhattan gezeigt.248 Friedrich Kiesler ging 1926 mit seiner Frau nach New York City. Der Künstler, Designer und Theaterarchitekt hatte in Wien zunächst an der Technischen Hochschule und danach an der Akademie der bildenden Künste Wien Malerei und Grafik studiert. In den 1920er Jahren arbeitete er für kurze Zeit gemeinsam mit Adolf Loos. Er schuf zahlreiche visionäre Gestaltungen im Möbeldesign, in der Architektur und im Ausstellungsbereich, unter anderem für das Guggenheim Museum, und leitete von 1937 bis 1942 das Forschungslabor für Design an der School of Architecture der Columbia University in New York.249 Seine skulpturalen Möbeldesigns, wie die Two-Part Nesting Tables der späten 1930er Jahre sowie die Multi-Use-Stühle, die er im Jahr 1942 entwarf, waren seiner Zeit weit voraus. Kieslers Tischentwürfe waren Vorläufer der in den 1950er Jahren populären Nierentische. Seine futuristischen Entwürfe führten zum Aufkommen des Biomorphismus und des organischen Stils im Möbeldesign der 1950er Jahre.250 Josef Urban, das Ehepaar Hoffmann, Paul Theodore Frankl und Friedrich Kiesler organisierten und gestalteten gemeinsam mehrere Designausstellungen.251 Auch die junge Architektin Elisabeth252 „Lisl“ Scheu wanderte Mitte der 1930er Jahre in die USA aus. 1912 in Wien geboren, wuchs sie in einer von Adolf Loos erbauten Villa in Hietzing in der Larochegasse 3 auf. Bereits als Schulkind hatte sie den Wunsch, Architektin zu werden. 1930 begann sie mit dem Studium der Architektur an der Technischen Hochschule, brach dieses jedoch wegen der dort herrschenden frauenfeindlichen Stimmung nach zwei Jahren ab. Auch der immer stärker spürbare Antisemitismus in Wien war für sie ein Anlass, ihrer Geburtsstadt den Rücken zu kehren. Sie bewarb sich für einen Master in Architektur am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, wurde aufgenommen und schloss diesen innerhalb kürzester Zeit ab. Nach ihrem Studium arbeitete sie in Architekturbüros in Philadelphia und Minneapolis. 1938 eröffnete die damals erst 26-jährige Architektin gemeinsam mit ihrem Studienfreund und späteren Ehemann Winston Close ein innovatives Atelier für moderne Architektur, Close & Scheu Architects. Elizabeth Scheu Close wurde zu einer der ersten erfolgreichen Architektinnen in den USA.253

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links Einblick in die Abstract

auf einem Multi-Use Chair von Friedrich Kiesler

Ausstellungsgestaltung von Friedrich

in der Surrealist Gallery, Art of This Century,

Kiesler, New York 1942, Fotograf:

New York 1942, Fotograf: K. W. Herrmann,

K. W. Herrmann, © Österreichische

© Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-

Friedrich und Lillian Kiesler-

Privatstiftung, Wien

Privatstiftung, Wien

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Oben R. Alberto Giacomettis Femme égorgée

Gallery, Art of This Century,

unten R. Friedrich Kiesler vor einem Bild von Jean Hélion, New York 1942, © Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien

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Oben

Unbekannte Frau in der Painting Library, Art of This Century, New York 1942, Foto-

graf: K. W. Herrmann, © Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien

c

AUS WIEN VERTRIEBEN –  EIN ERZWUNGENER NEUBEGINN IM EXIL

Der „Anschluss“ im März 1938 bedeutete für unzählige Menschen aus Wien eine schmerzhafte Zäsur – die Vertreibung, die Flucht aus ihrer Heimatstadt, die erzwungene Emigration und damit eine vollkommene Entwurzelung. Viele flohen unter größten Strapazen aus Wien über Paris nach London und von dort mit dem Schiff weiter nach New York City. Die EmigrantInnen erwartete in den USA zunächst eine ungewisse Lage, die wenigsten beherrschten die englische Sprache; oftmals kamen sie nach einer monatelangen Flucht mit wenig Geld in die Vereinigten Staaten. Freundschaften und Netzwerke unter den Flüchtlingen waren umso wichtiger; sie waren lebensnotwendig und für die Situation der aus Wien geflohenen DesignerInnen im Exil nicht wegzudenken. Bereits etablierte, früher ausgewanderte ArchitektInnen, beschäftigten ihre Berufskollegen und -kolleginnen und FreundInnen aus Wien, die 1938 ins Land kamen. Der damals 50-jährige Walter Sobotka floh im Juli 1938 gemeinsam mit seiner Familie von Wien nach New York City. Noch im selben Jahr begann er als Möbeldesigner für die Firma Thonet Brothers New York zu arbeiten. Neben dieser Tätigkeit – er entwarf in erster Linie Bugholzmöbel – arbeitete er auch für den amerikanischen Designer Russel Wright. 1941 übersiedelte er nach Pittsburgh in Pennsylvania, um dort Innenarchitektur am Carnegie Institute of Technology zu unterrichten. Zunächst war Walter Sobotka als Assistent für Architektur, Textilien und Kunstgewerbe und ab 1946 als Professor für Innenarchitektur tätig. Neben seiner Unterrichtstätigkeit konnte er sich weiterhin als Möbeldesigner, Innenarchitekt und Bühnenausstatter einen Namen machen. Walter Sobotka richtete unter anderem auch das Haus für die damals berühmte Filmschauspielerin Hedy Lamarr ein. Der Designer aus Wien unterrichtete bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1958 und war bis zu seinem Tod als freiberuflicher Architekt und Designer in den Vereinigten Staaten tätig.254 Unter schwierigsten Umständen floh Ernst Lichtblau im August 1939 aus Wien über London nach New York. Der zu diesem Zeitpunkt 56-jährige Designer arbeitete zunächst in Manhattan für Macy’s als Designkonsulent und gestaltete für das beliebte Kaufhaus Präsentationen und Ausstellungen. 1945 begann er an The Cooper Union School of Art, einer Universität für Architektur und Design in Manhattan, Textildesign zu unterrichten. Im Herbst 1947 wurde er Lektor, später Professor für Innenarchitektur an der Rhode Island School of Design in Providence in Rhode Island. Schon bald wurde Ernst Lichtblau zum Vorstand der Abteilung für Innenarchitektur an der Universität ernannt und Mitte der 1950er Jahre schließlich zum Dekan der Fakultät für Architektur. 1950 und 1953 beteiligte er sich an einer Ausstellungsreihe im MoMA unter dem Titel Good Design und erhielt mehrere Auszeichnungen für seine Metallarbeiten. Im Museum 254 Vgl. http://www.architekten seiner Universität organisierte er in den 1950er Jahren die Ausstellung lexikon.at/de/612.htm Furniture of Today für moderne Möbel und Inneneinrichtung. Durch seine (Stand: 1.8.2021). 255 Vgl. August Sarnitz, Der unermüdliche Unterrichtstätigkeit und seine zahlreichen Ausstellungen verlorene Alltag – Ernst Lichtblau, in: prägte auch er eine ganze Reihe junger amerikanischer DesignerInnen.255 Boeckl (1995), S. 291 ff.; https:// Felix Augenfeld floh nach dem „Anschluss“ aus Wien nach London. Ein www.moma.org/momaorg/shared/ Jahr später emigrierte der damals 46-jährige Möbeldesigner nach New pdfs/docs/press_archives/1487/ releases/MOMA_1951_0005.pdf York City. Bereits kurz nach seiner Ankunft in den USA erhielt er die Archi(Stand: 1.8.2021). tektenlizenz des Staates New York und wurde Mitglied des American Insti256 Vgl. Hanisch in: Boeckl (1995) tute of Architects.256 1941 eröffnete Felix Augenfeld ein Architekturbüro in S. 240. Manhattan in der 66th Street, arbeitete aber in erster Linie als Möbeldesigner und Innenarchitekt. Es gelang ihm, sich als Interior Designer für schwierige Raumsituationen zu etablieren. Wien und Manhattan hatten in

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dieser Hinsicht etwas gemeinsam: der Wohnraum war knapp, die Mieten teuer. Felix Augenfeld konnte auf sein Know-how als Innenarchitekt und Möbeldesigner aus Wien zurückgreifen, kleine Innenräume optimal zu gestalten und flexible, multifunktionale Möbel zu kreieren. Er entwarf Möbel für Thonet Brothers New York sowie Einrichtungen für andere EmigrantInnen, seine ehemaligen AuftraggeberInnen aus Wien, wie beispielsweise für den Süßwarenfabrikanten Heller und seinen La Reine Candy Shop in Manhattan. Auch für den traditionsreichen Möbelhersteller Henredon designte er Möbel. Zu seinem Markenzeichen wurden sogenannte „Medienmöbel“ für den Fernseher und versteckt untergebrachte Plattenspieler oder Radiogeräte. Felix Augenfelds Einrichtungen und Möbel wurden in zahlreichen amerikanischen Einrichtungszeitschriften gezeigt; auch die New York Times berichtete regelmäßig über den kreativen Möbelgestalter aus Wien. Sein wichtigstes Werk in Manhattan konnte der mittlerweile 65-jährige Architekt aus Wien Ende 1958 umsetzen. Er errichtete für das Ehepaar Buttinger ein privates Stadt- und Bibliothekshaus in der Nähe des Central Park, die Buttinger Library, und entwarf auch sämtliche Möbel dafür. 1966 heiratete er die ebenfalls aus Wien stammende Designerin Anna Epstein-Gutmann. Sie hatte an der Kunstgewerbeschule bei Oskar Strnad studiert. In Manhattan gründete sie das Lampenstudio Studio Plus, das neben ihren eigenen Entwürfen auch Lampen und Stoffe von Josef Frank verkaufte.257 Josef Frank lebte 1938 bereits mit seiner Ehefrau in Stockholm. Nach der Präsentation seiner Entwürfe für Svenskt Tenn auf der New Yorker Weltausstellung 1939 wurden Josef Franks Möbel und Stoffe weltweit bekannt. Seine Möbel- und Stoffentwürfe erfreuten sich in den Vereinigten Staaten großer Beliebtheit.258 Als die Situation in Schweden während des Zweiten Weltkrieges für das jüdische Ehepaar zu unsicher wurde, emigrierten die Franks im Jahr 1941 nach Manhattan. Im Frühling 1942 begann Josef Frank, dort an der New School for Social Research im Rahmen der University in Exile Architektur und Design zu unterrichten.259 Aus seiner Zeit in New York sind vor allem seine fantasievollen Stoffentwürfe geblieben. Josef Frank entwarf in dieser Zeit sowohl für die schwedische Firma Svenskt Tenn als auch für das amerikanische Einrichtungsunternehmen F. Schumacher & Co. 1947 kehrte das Ehepaar nach Schweden zurück. Auch nach seiner Rückkehr nach Stockholm reiste Josef Frank häufig in die USA und nahm weiterhin an Ausstellungen in Manhattan teil. Seine Freunde Oskar Wlach, Walter Sobotka und Felix Augenfeld blieben in New York.260 Ernst Schwadron kam 1938 aus Wien über Paris nach New York City. Es gelang ihm, eine zweite erfolgreiche Karriere als Innenarchitekt und Möbeldesigner aufzubauen. Im Juni 1939 wurde er Chefdesigner der Ein257 Vgl. Andrea Winklbauer/Sabine richtungsfirma Rena Rosenthal und entwarf in erster Linie Möbel. Rena Fellner, Die bessere Hälfte. Jüdische Rosenthal, eine Schwester des Architekten Ely Jacques Kahn, führte in der Künstlerinnen bis 1938, Wien: Jüdisches Museum Wien, Madison Avenue eine bekannte Designgalerie. Sie vertrieb Kunsthandwerk Metroverlag 2016, S. 98; aus Wien von Karl Hagenauer, aber auch moderne Designgegenstände http://www.architektenlexikon.at/ von Russel Wright sowie Möbel von Ernst Schwadron. Rena Rosenthals de/12.htm (Stand: 1.8.2021). 258 Vgl. Ottillinger (2009), S. 136. Vater und ihr Ehemann kamen ebenfalls aus Wien. 1944 machte sich Ernst 259 Vgl. Peter Weibel/Friedrich Schwadron mit einem eigenen Einrichtungsgeschäft selbstständig und Stadler (Hg.), Vertreibung der gründete die Firma Ernst Schwadron Inc. in der Madison Avenue. Er geVernunft. The cultural exodus from Austria, Wien: Löcker Verlag 1993, staltete die Büroräume von The American Crayon Company im Rockefeller S. 19. Center, ein Projekt, an dem er gemeinsam mit dem ebenfalls aus Wien 260 Vgl. Boeckl (1995), S. 330; stammenden Architekten Leopold Kleiner arbeitete. In New York arbeitete Ottillinger (2009), S. 136. er unter anderem auch mit der Wiener Keramikkünstlerin Emmy Zweybrück zusammen. Bei seinen Möbeln setzte er auf organische Formen, bei seinen Einrichtungen verwendete er häufig Josef Franks Stoffe. Ernst

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OBen

Stoff Manhattan, Entwurf: Josef Frank, New York um 1943/45,

Ausführung: Svenskt Tenn, © ST

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Schwadrons Entwürfe wurden in amerikanischen Zeitschriften wie Interiors, House &  Garden oder Town & Country publiziert. In der Ausstellung Good Design 1953 im MoMA präsentierte er seine Stoffentwürfe. Seine Einrichtungsfirma Ernst Schwadron Inc. leitete er bis Ende der 1950er Jahre, seine Möbelentwürfe werden bis heute produziert.261 Walter Loos floh 1938 mit seiner Ehefrau Fridl ebenfalls nach New York. Auch er gestaltete Inneneinrichtungen für die Firma Rena Rosenthal, entwarf Lampen und Möbel und nahm an Ausstellungen teil. Im Jahr 1940 übersiedelte das Ehepaar Loos nach Buenos Aires, wo er als Möbeldesigner sehr erfolgreich wurde.262 Im September 1938 kam Liane Zimbler nach einer strapaziösen Flucht aus Wien mit ihrer Familie in Manhattan an; noch im Herbst zogen sie nach Los Angeles. Der damals 46-jährigen Architektin gelang der Wiedereinstieg in ihren in Wien erlernten Beruf: Sie wurde eine Mitarbeiterin der in Los Angeles bekannten Innenarchitektin und Designerin Anita Toor, deren Studio sie 1941 übernahm. Noch im selben Jahr errichtete Liane Zimbler in Santa Monica ein Haus für den aus Wien emigrierten Komponisten Ernst Toch. In den darauffolgenden Jahren widmete sie sich in erster Linie dem Umbau von Häusern, der Gestaltung von Wohnungen sowie der Einrichtung von Geschäften und Büros.263 Sie konnte auf ihre Erfahrungen und Fähigkeiten zurückgreifen, die sie sich als freiberufliche Architektin in Wien erworben hatte. Bei ihren Wohnungseinrichtungen und Möbelentwürfen in den USA ging es Liane Zimbler um ein remodeling, um größere, übersichtlichere, funktionalere Räume schaffen zu können. Ihre Einrichtungen und Möbel zeichneten sich durch Funktionalität und Eleganz aus. Liane Zimblers Möbel wurden für jedes Projekt individuell gestaltet, jedoch nie seriell produziert. 1946 wurde die Architektin Mitglied der American Society of Interior Decorators sowie der Association for Women in Architecture. Bei ihren Einrichtungen experimentierte sie gerne mit neuen Formen, Farben und Mustern, für ihre Möbeldesigns verwendete sie mit großer Vorliebe neue, industriell gefertigte Produkte wie Kunststoff. Bei einer Ausstellung im Jahr 1961 präsentierte sie den Washable Living Room, ein Wohnzimmer, das sie vom Boden über die Möbel bis zu den Wänden aus modernen Kunststoffen und Korkplatten gestaltete.264 Der 35-jährige Architekt Victor Grünbaum, der im Exil den Nachnamen „Gruen“ annahm, floh mit seiner Ehefrau aus Wien über die Schweiz nach Paris und dann über London nach New York City, wo er am 13. Juli 1938 eintraf.265 Auch er konnte auf seine beruflichen Erfahrungen als Innenarchitekt und Möbeldesigner aus Wien zurückgreifen. Kurz nach seiner Ankunft in Manhattan wurde er für seine FreundInnen, andere EmigrantInnen aus Wien, tätig. Für Ludwig Lederer gestaltete er ein Lederwarengeschäft in der Fifth Avenue. Mit der Designerin aus New York, Elsie Krummeck, gründete er 1939 ein modernes Designstudio. Zu ihren ersten Aufträgen gehörte das Shop-Design von Barton’s Bonbonniere, einem exklusiven Zuckerlgeschäft von Stephan Klein, der ebenfalls aus Wien stammte. Es war ein unglaublicher Erfolg – auch die New York Times und der New Yorker be261 Vgl. http://www. richteten über die einzigartige Gestaltung des Geschäfts. Seine Shoparchitektenlexikon.at/de/728.htm Designs waren etwas vollkommen Neues und eine Sensation – die Möbel, (Stand: 1.1.2021). 262 Vgl. ebd.; Ottillinger (2009), Lampen und anderen Einrichtungsgegenstände waren in bunten Farben, S. 138. Glas und Linoleum gestaltet. Barton’s Bonbonniere wurde von Victor 263 Vgl. Boeckl (1995), S. 349. 264 Vgl. Plakolm-Forsthuber in: Gruen wie ein Spielzeuggeschäft für Erwachsene gestaltet. Für die eheBoeckl (1995), S. 301, 349; maligen Eigentümer der Confiserie Altmann & Kühne aus Wien gestaltete http://www.architektenlexikon.at/ er im Juni 1939 das exklusive Schokoladegeschäft Altman Candies. Schon de/727.htm (Stand: 1.8.2021). 265 Vgl. Boeckl (1995), S. 332. bald danach kamen die ersten Großaufträge, die Planung von Geschäften an der Westküste der Vereinigten Staaten. Victor Gruen und Elsie Krummeck übersiedelten nach Los Angeles. 1947 plante das Designerteam für Milliron’s Department Store mehrere große Kaufhäuser. Ein weiteres

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amerikanisches Unternehmen, die J. L. Hudson Company, beauftragte Victor Gruen, ein Konzept für vier Einkaufszentren in Detroit zu entwickeln. Das erste dieser ShoppingCenter, die multifunktionale Shopping-Stadt Northland, wurde 1954 eröffnet. Mit seinen Ideen aus Wien wurde Victor Gruen vom kleinen Geschäftsgestalter und Möbeldesigner zum Erfinder der Shopping-Malls und zu einem der gefragtesten StädteplanerInnen der Vereinigten Staaten. Das von ihm gegründete Unternehmen Victor Gruen Associates beschäftigte in den Folgejahren mehr als 300 MitarbeiterInnen.266 ORGANIC STYLE –  DIE MÖBELFORMEN DER 1950ER JAHRE

d

266 Vgl. 267

ebd.

Vgl. Polster/Elsner (2002), S. 230. 268 Vgl. Gloria Koenig, Eames, Köln: Taschen 2005, S. 11 ff. 269 Vgl. ebd. 270 Vgl. Fiell/Fiell (2016), S. 17; Mang (1978), S. 138.

Mit Unterstützung des New Yorker Kaufhauses Bloomingdale’s veranstaltete das MoMA im Jahr 1940 einen Wettbewerb unter dem Titel Organic Design in Home Furnishings. Ziel war es, zeitgemäße Formen für Möbel, Leuchten und Stoffe für die industrielle Serienproduktion zu finden. Die ersten beiden Preise für ihre leichten, organisch geschwungenen, ergonomisch geformten Sessel aus Holz erhielten die beiden jungen Möbeldesigner Eero Saarinen und Charles Eames. Diese arbeiteten beide auf der Cranbrook Academy of Art in Bloomfield Hills in Michigan, die von Eeros Vater, dem 1923 aus Finnland in die USA emigrierten Architekten Eliel Saarinen gebaut und geleitet wurde. Sowohl Charles Eames als auch Eero Saarinen waren beide ausgebildete Architekten, widmeten sich jedoch in erster Linie dem Möbeldesign.267 Der Organic Chair von Eames und Saarinen, der bei der Ausstellung im MoMA gezeigt wurde, beeinflusste das Möbeldesign der darauffolgenden Jahre entscheidend. Charles Eames heiratete die Künstlerin und Möbeldesignerin Ray Kaiser. Das junge Ehepaar zog nach Los Angeles, wo die beiden Richard Neutra kennenlernten, der ihnen eine Wohnung in dem von ihm kurz davor erbauten Strathmore Apartment Building in Westwood, in der Nähe von Beverly Hills, zur Verfügung stellte. 268 Der Zweite Weltkrieg und die damit verbundene Materialknappheit machten das Designer-Ehepaar erfinderisch; in einem Nebenraum ihrer Wohnung experimentierten sie mit der Verformung von Sperrholz. Charles und Ray Eames griffen bei ihren ersten Möbelentwürfen aus gebogenem Sperrholz auf das in Wien von Michael Thonet entwickelte Bugholzverfahren zurück und entwickelten dieses weiter. Ihr Ziel war es, ein formschönes und vor allem leistbares Möbeldesign zu schaffen. Ihr erster großer Erfolg stellte sich 1945 mit dem Lounge Chair Wood ein, die fließende und organische Form des Sessels sollte den menschlichen Körper bestmöglich ergänzen.269 Nach den Katastrophen und Entbehrungen des Zweiten Weltkrieges waren die späten 1940er und die 1950er Jahre eine Zeit des Neubeginns, des internationalen Optimismus. Auch eine nie dagewesene Welle des Massenkonsums setzte ein. Die MöbeldesignerInnen profitierten von neuen Konstruktionsmethoden und Materialien, die aus der Kriegsforschung entstanden waren, insbesondere dem Kunststoff. Das Möbeldesign der 1950er Jahre zeichnete sich durch einen geschwungenen, fließenden Charakter aus, glatte Oberflächen und konisch zulaufende Beine. Durch die Nutzung neuer Technologien aus der Flugzeug-, Kriegs- oder Autoindustrie konnten Möbel noch effizienter hergestellt werden.270 1948 entwarfen Charles und Ray Eames ihre ersten Sitzschalen aus Fiberglas, einem mit Glasfasern verstärkten Kunststoff. Sie wurden ab dem

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links Verschiedene SesselModelle, Charles und Ray Eames: oben links: Plywood Chair um 1945; oben rechts: Bikini Chair um 1951; Mitte links: Plastic Chair um 1948; Mitte rechts: Rocket Chair um 1948; unten: Lounge Chair Wood um 1956, Sammlung CW

271

Vgl. Thillmann/Willscheid (2011), S. 198; Koenig (2005), S. 11 ff. 272 Vgl. Wilhide (2017), S. 287 ff. 273 Vgl. 274 Vgl.

Hauffe (2014), S. 186. Koenig (2005), S. 11 ff.

275 Vgl.

Koenig (2005), S. 13, 67.

276 Vgl.

https://www.moma.org/ calendar/exhibitions/1722 (Stand: 1.8.2021). 277 Vgl. http://www.georgenelson foundation.org/george-nelson/ works/brentwood-or-laminatedchair-pretzel-chair-57.html (Stand: 1.8.2021). Der Sessel wurde in den 1950er Jahren von Henry Miller und später von der italienischen Möbeldesignfirma ICF hergestellt und wird seit 2008 in einer Neuauflage von Vitra seriell gefertigt.

Jahr 1950 von der Firma Zenith Plastic produziert, die während des Krieges ein spezielles Verfahren für die Herstellung von Flugzeug-Radarkuppeln entwickelt hatte. Mit ihrem Plastic Chair wurde das Designerpaar weltberühmt, er wurde millionenfach verkauft. Die Sitzschalen des Sessels wurden aus einem Guss aus Fiberglas hergestellt.271 Charles und Ray Eames waren bei der Gestaltung ihrer neuen Kunststoffstühle enorm erfinderisch. Ihre Entwürfe wurden im Low-Cost-FurnitureDesign-Wettbewerb im MoMA gezeigt, die Sessel gab es in unterschiedlichen Farben, Varianten und mit unterschiedlichen Gestellen, mit Metalloder Holzfüßen oder auch als Schaukelstuhl.272 Die beiden DesignerInnen experimentierten mit den unterschiedlichsten Materialien wie Kunststoff, Fiberglas, Holz, Aluminium, Drahtgeflecht oder Sperrholz und konzipierten ihre Möbel sowohl für den privaten als auch den öffentlichen Bereich. 273 Die Arbeiten von Charles und Ray Eames und Eero Saarinen waren auch von Richard Neutras Gestaltungsprinzipien und dessen Möbeldesign geprägt. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kaufte der amerikanische Journalist, Zeitungsverleger und Herausgeber der Zeitschrift Arts & Architecture, John Entenza, ein zwei Hektar großes Baugrundstück an der Pazifikküste in Pacific Palisades, einem Vorort von Los Angeles. Richard Neutra, Eero Saarinen und Charles und Ray Eames wurden neben anderen ArchitektInnen beauftragt, Case Study Houses, also Fallstudienhäuser, zu bauen. Charles und Ray Eames bauten zwei Häuser, eines bezog John Entenza, in das andere zog das Ehepaar selbst ein. Auch Richard Neutra baute für John Entenza einige Häuser – die ArchitektInnen und MöbeldesignerInnen verband eine enge Freundschaft.274 
 So wie Richard Neutra richtete auch das Ehepaar Eames seine Häuser mit selbstentworfenen Möbeln ein, unter anderem mit dem Eames Lounge Chair aus dem Jahr 1956. Der komfortable Ledersessel mit Fußhocker entstand auf Wunsch von Billy Wilder, der eng mit dem Ehepaar Eames befreundet war. Billy Wilder, der 1906 in Galizien geboren wurde, verbrachte seine Schulzeit und Jugendjahre in Wien und später in Berlin. 1933 floh er vor den Nazis nach Paris und von dort weiter in die USA. Billy Wilder wünschte sich einen bequemen Sessel, auf dem er sich während der Drehpausen ausruhen und sogar schlafen konnte. Den ersten gefertigten Lounge Chair bekam Billy Wilder von Charles und Ray Eames als Geschenk. Das Modell ging in Serienproduktion und, obwohl der Sessel damals mit einem Verkaufspreis von ca. 400 US-Dollar teuer war, wurde er sofort zum Bestseller und weltweit verkauft.275 
 Zwei weitere amerikanische Möbeldesigner ließen sich in den 1950er Jahren vom Möbeldesign aus Wien inspirieren: George Nelson und Norman Cherner. 
 Von August bis Oktober 1953 veranstaltete das MoMA eine umfassende Thonet-Ausstellung: Thonet Furniture 1830–1953. Gezeigt wurden zahlreiche Thonet-Modelle von den ersten Bugholzsesseln aus Wien über die Freischwinger aus Stahlrohr bis hin zu modernen Thonet-Entwürfen der 1950er Jahre.276 
 Der Wiener Sessel von Thonet wurde zum Vorbild für George Nelsons Pretzel Chair im Jahr 1952. Auch Norman Cherner ließ sich vom Design dieser beiden Sessel inspirieren und erlangte 1958 mit seinem Cherner Chair aus gebogenem Sperr- und Massivholz mit prägnanten geschwungenen Armlehnen als Möbeldesigner internationale Bekanntheit.277

Die vertriebenen VisionärInnen – von Wien in die USA

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OBen

Möbel in der Werk-

bund-Ausstellung im Österreichischen Museum für angewandte Kunst und Industrie, Wien 1950, © MAK rechts Stadthallensessel, Entwurf: Roland Rainer, Ausführung: Wiesner-Hagner, Wien um 1950, Sammlung CW

114

Die vertriebenen VisionärInnen – von Wien in die USA

10

Möbeldesign der 1950er Jahre in Wien

Die Jahre nach 1945 in Wien waren vom Wiederaufbau der Stadt geprägt. An Möbeldesign war unmittelbar nach Kriegsende nicht zu denken – Gebäude und Wohnungen mussten gebaut und saniert, bei den Einrichtungen und Möbeln vor allem improvisiert werden. In Wien herrschte eine unglaubliche Wohnungsnot, das soziale Wohnbauprogramm der Stadt Wien wurde wieder aufgenommen. Rund 40 Prozent der Gebäude sowie die städtische Infrastruktur waren zerstört; auch kulturelle Institutionen, historische Gebäude sowie die Wahrzeichen der Metropole, die Oper, der Stephansdom oder das Burgtheater, wurden in den letzten Kriegstagen schwer beschädigt. In Zusammenarbeit mit der Stadt Wien, der Arbeiterkammer, der Handelskammer und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund wurde 1952 das Möbelprojekt Soziale Wohnkultur ins Leben gerufen. Menschen mit einem niedrigen Einkommen sollten schöne, zweckmäßige und praktische Möbelstücke für Kleinwohnungen zu günstigen Preisen erwerben können. Eine gesamte Möbelserie wurde damals entworfen – das Angebot reichte von Regalen, Betten, Sitzbänken und Lampen bis zu Küchenmöbeln. Das Design kam unter anderem von Oskar Payer, Roland Rainer und Franz Schuster. Die Möbelproduzenten wurden vom Verein Soziale Wohnkultur unter Vertrag genommen, Design und Qualitätsansprüche festgelegt und die Möbelproduktionen vorfinanziert. Sämtliche Einrichtungsgegenstände wurden mit einem SW-Möbel-Logo gekennzeichnet; die Marke stand für günstiges, qualitätsvolles und modernes Möbeldesign.278 In den 1950er Jahren gingen im Bereich des Möbeldesigns wesentliche Impulse von den in Wien verbliebenen ArchitektInnen aus. Bei ihren Entwürfen griffen sie auf die künstlerisch produktive Zeit der 1920er und 1930er Jahre zurück und damit auf die visionären Ideen und Gestaltungsprinzipien der ProtagonistInnen der Wiener Wohnraumkultur, der vertriebenen oder ermordeten ArchitektInnen. Nur ganz wenige der vom NS-Regime verfolgten, überlebenden ArchitektInnen und DesignerInnen kehrten nach dem Krieg wieder nach Wien zurück. Ernst Lichtblau ging erst 1961 im Alter von 78 Jahren aus den USA in seine Geburtsstadt zurück und nahm seine Tätigkeit als Architekt wieder 278 Vgl. Eva B. Ottillinger (Hg.), auf; kurz danach starb er an einem Herzinfarkt.279 Ernst Plischke zog 1963 Möbeldesign der 50er Jahre. Wien aus Neuseeland wieder zurück nach Wien und wurde Professor für Archiim internationalen Kontext, Wien/ tektur an der Akademie der bildenden Künste Wien. Wesentliche Aufträge Köln/Weimar: Böhlau 2005, S. 48 ff. 279 Vgl. http://www. als Architekt blieben jedoch aus. Auch Oskar Payer kam nach dem Krieg architektenlexikon.at/de/357.htm aus Palästina wieder nach Wien. Mit seinem Einrichtungsgeschäft prägte (Stand: 15.7.2021). er das Möbeldesign der 1950er Jahre. Oskar Payer, der in Wien eine Tischler280 Marianne Payer/Oskar Payer/ ausbildung absolviert und die Staatsgewerbeschule besucht hatte, setzte Peter Payer: Payer-Decor. Die Wiener Einrichtung, Wien: Eigensich in der Nachkriegszeit für den sozialen Wohnbau und ein modernes verlag 1957; Oskar Payer/Peter Möbeldesign ein. Daneben schrieb er mehrere Einrichtungsbücher wie Die Payer: Praktische Wohnungskunde, Wiener Einrichtung oder Praktische Wohnungskunde und beteiligte sich Wien: Eigenverlag 1960. auch an der Entwicklung und Gestaltung der SW-Möbel-Aktion.280 Gemeinsam mit seiner Frau Marianne Payer eröffnete er Anfang der 1950er Jahre das Einrichtungsgeschäft Die Wiener Wohnung, das Anfang der

Möbeldesign der 1950er Jahre in Wien

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Oben L. Armlehnsessel, Entwurf: Oswald Haerdtl, Stoff Primavera, Entwurf: Josef Frank, Ausführung: TON, Wien um 1950, Sammlung CW Oben R. Tischlampe Stilfix mit schwarzem Eisenfuß, Messingschaft und rot lackiertem Metallschirm, Ausführung: J.T. Kalmar, Wien um 1950, © Dorotheum Wien, 2010 Mitte L.  Couchtisch aus Messingguss und Nussholz mit schwarzer Resopalplatte, Entwurf: Oswald Haerdtl, Ausführung: Werkstätte Hagenauer, Wien um 1950, © Dorotheum Wien, 2016 Mitte R.  Stehlampe Dornstab, Entwurf und Ausführung: J.T. Kalmar, Wien um 1952, © Dorotheum Wien, 2012 unten Hausbar aus Nussholz, Entwurf: Oswald Haerdtl, Ausführung: Max Welz, Wien 1952, © Dorotheum Wien, 2017

281 Vgl.

Köhldorfer (2019), S. 86. Holzschuh/Platzer (2015), S. 86. 282 Vgl.

283 Ausgeführt wurden Roland Rainers Möbel von der Firma Vienna Sitzmöbel und Tischfabrik Emil & Alfred Pollak. 284 Vgl. http://www. architektenlexikon.at/de/1393.htm (Stand: 10.8.2021). 285 Erst in einem von der Stadt Wien in Auftrag gegebenen Forschungsbericht einer HistorikerIn-

nenkommission aus dem Jahr 2013 wurde Roland Rainers Rolle während der Herrschaft des NS-Regimes beleuchtet. In der Ausstellung Roland Rainer. (Un)Umstritten. Neue Erkenntnisse zum Werk (1936–1963) des Architekturzentrum Wien im Jahr 2018 wurden diese Jahre seines Schaffens ausführlich beleuchtet und hinterfragt. 286 Vgl. http://www. architektenlexikon.at/de/577.htm (Stand: 10.8.2021). 287 Die ehemalige Kunstgewerbeschule wurde 1945 in Hochschule für angewandte Kunst umbenannt. 288 Vgl. Ottillinger (2005), S. 50.

1970er Jahre in Payer-Decor umbenannt wurde. 1958 kaufte Marianne Payer von Julius Kalmar Haus & Garten, das von diesem seit Mai 1938 als „Ariseur“ weitergeführt worden war. Neben eigenen Möbelentwürfen verkauften die Payers auch Möbel aus Skandinavien und Stoffe von Josef Frank von Svenskt Tenn. Über die ArchitektInnen und MöbeldesignerInnen, die von 1938 bis 1945 unter der Herrschaft der Nationalsozialisten in Wien weiterhin aktiv tätig waren, wurde in Österreich lange Zeit geschwiegen. In den Biografien, Publikationen und Ausstellungskatalogen von Roland Rainer, Franz Schuster oder Oswald Haerdtl war über ihre Arbeit während des Zweiten Weltkrieges lange Zeit kaum etwas zu finden. Franz Schuster war Mitglied der nationalsozialistischen Deutschen Akademie für Wohnungswesen, Roland Rainer Mitglied der NSDAP.281 Oswald Haerdtl erhielt einer Reihe prominenter Aufträge des NS-Regimes und unterrichtete weiterhin an der Kunstgewerbeschule. Zu Beginn der 1940er Jahre war er als selbstständiger Architekt und Möbeldesigner äußerst erfolgreich.282 Roland Rainer prägte mit seinen Werken das Wien der 1950er Jahre. Nach seinem Studium der Architektur an der Technischen Hochschule in Wien arbeitete er ab 1936 in Berlin; nach Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte er nach Wien zurück und machte sich als Architekt selbstständig. 1953 wurde er als Professor an die Technische Hochschule in Hannover berufen und in den Folgejahren als Professor an die Technische Hochschule in Graz. 1956 wurde er an der Akademie der bildenden Künste Wien zum Professor für Architektur ernannt. Ende der 1950er Jahre entstand in Wien eines seiner wichtigsten Werke – die Wiener Stadthalle. Neben seiner Tätigkeit als Professor für Architektur war er von 1958 bis 1963 in Wien als oberster Stadtplaner tätig. In den 1950er Jahren gestaltete er zahlreiche Möbel und stattete damit nicht nur die Wiener Stadthalle, sondern auch viele Kaffeehäuser in Wien aus. 283 Der Architekt erhielt für seine Werke mehrere Auszeichnungen, unter anderem 1954 den Preis der Stadt Wien für Architektur und 1962 den Großen Österreichischen Staatspreis für Architektur.284 Seine Rolle unter der Herrschaft der Nationalsozialisten wurde dabei jahrzehntelang vollkommen ausgeblendet.285 Franz Schuster, der bei Oskar Strnad an der Kunstgewerbeschule Architektur studiert hatte, arbeitete von 1927 bis 1936 für Ernst May in Frankfurt, kehrte aber vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nach Wien zurück. In Frankfurt entwickelte er sein sogenanntes „Aufbaumöbelprogramm“, das er 1929 unter dem Titel Ein Möbelbuch: Ein Beitrag zum Problem des zeitgemäßen Möbels publizierte.286 Nach seiner Rückkehr nach Wien wurde er Leiter der Fachklasse für Architektur an der Kunstgewerbeschule. In den 1950er Jahren engagierte er sich für den sozialen Wohnbau und wurde Wiens führender Experte für Wohnbaufragen. Neben seiner Tätigkeit als Professor für Architektur an der Hochschule für angewandte Kunst287, die er bis 1967 ausübte, leitete er von 1952 bis 1957 die Forschungsstelle der Stadt Wien für Wohnen und Bauen. Franz Schuster engagierte sich maßgeblich in der SW-Möbel-Aktion. Seine Wiener Küche der SW-Möbelserie war eine Weiterentwicklung von Margarete SchütteLihotzkys Küchenentwurf aus dem Jahr 1927.288 Oswald Haerdtl blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg ein erfolgreicher Möbeldesigner. Die Herrschaft der Nationalsozialisten hatte seiner

Möbeldesign der 1950er Jahre in Wien

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links Arabia Espresso, Entwurf: Oswald Haerdtl, Wien um 1951, Logo: Joseph Binder, Fotograf: Julius Scherb, © MAK Oben L. Zeitungsständer aus patiniertem Messing und Leder, Entwurf und Ausführung: Carl Auböck, Wien um 1955, © Dorotheum Wien, 2015 Oben R. Baumtisch, Entwurf und Ausführung: Carl Auböck, Wien um 1950, Sammlung CW mitte Beistelltisch, Entwurf und Ausführung: Werkstätte Carl Auböck, Wien 1949, © Dorotheum Wien, 2016 Unten L. Korbsessel mit abnehmbarer Sitzschale aus Weidengeflecht, Entwurf und Ausführung: Carl Auböck, Wien um 1950, © Dorotheum Wien, 2014 Unten R. Servierwagen aus Eisenrohr mit Rattangeflecht, Entwurf und Ausführung: Carl Auböck, Wien um 1953, © Dorotheum Wien, 2019

beruflichen Laufbahn als Architekt, Möbeldesigner und Professor überhaupt nicht geschadet – im Gegenteil.289 Er unterrichtete bis zu seinem Tod 1959 Architektur und leitete die Fachklasse für gewerbliche und industrielle Entwürfe der Hochschule für angewandte Kunst. Seine Kaffeehauseinrichtungen prägten ganz besonders das Möbeldesign der 1950er Jahre in Wien. Mit dem Arabia Espresso am Kohlmarkt 5 brachte er 1951 das erste italienische Espresso in die Metropole. Im Unterschied zum traditionellen Wiener Kaffeehaus war dieses nur für ein kurzes Verbleiben der Gäste eingerichtet. Bei seiner Neueröffnung wurde das moderne Espresso schon bald zum Stadtgespräch. Die Art der Möblierung unterschied sich grundlegend von jener eines traditionellen Wiener Kaffeehauses. Oswald Haerdtl, der mit dem Eigentümer der österreichischen Firma Arabia Café, dem Unternehmer Alfred Weiss, eng befreundet war, gestaltete nicht nur das gesamte Arabia Espresso, sondern auch sämtliche Sessel, Tische und Lampen. Die Stoffe, die Kleidung des Servierpersonals und die Kaffee- und Teetassen entwarf Carmela Haerdtl-Prati, Oswald Haerdtls Ehefrau.290 Anfang der 1950er Jahre gestaltete er neben vielen anderen Kaffeehäusern das Pavillon im Wiener Volksgarten und das Café Prückel am Stubenring.291 Auch Carl Auböck prägte das Design der 1950er Jahre in Wien. Als Sohn des gleichnamigen Kunsthandwerkers und Malers Carl Auböck 1924 in Wien geboren, absolvierte er eine Handwerksausbildung in der elterlichen Werkstatt und studierte Architektur an der Technischen Hochschule in Wien. 1952 besuchte er einen dreimonatigen Sommerkurs am Massachusetts Institute of Technology in den USA. In dieser Zeit besuchte Carl

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289 Vgl. Holzschuh/Platzer (2015), S. 86. 290 Vgl. Stiller (2000), S. 123. 291 Vgl.

Ottillinger (2005), S. 76.

Möbeldesign der 1950er Jahre in Wien

Auböck das damals bereits sehr erfolgreiche Designer-Ehepaar Charles und Ray Eames in deren Haus in San Francisco. Während seines Aufenthalts in den USA lernte er auch den amerikanischen Möbeldesigner George Nelson kennen, der ihn in den darauffolgenden Jahren mehrmals in Wien besuchte.292 Nach seiner Rückkehr nach Wien beschäftigte sich der junge Designer intensiv mit der industriellen Fertigung von Häusern und dem Fertigteilbau. Gemeinsam mit Roland Rainer arbeitete er an einer Fertigteilsiedlung in der Veitingergasse im 13. Bezirk. Ab Anfang der 1950er Jahre unterrichtete er als Assistent an der Technischen Hochschule in Wien und ab Mitte der 1950er Jahre war er als freischaffender Architekt, Möbeldesigner und Industriedesigner tätig. Neben Möbel- und Lampenentwürfen designte er zahlreiche Gebrauchsgegenstände – von Besteck über Türgriffe bis hin zur ersten Skibindung für Tyrolia der österreichischen Unternehmerfamilie Smolka. Sein bekanntestes Möbelstück, der sogenannte „Baumtisch“, wurde sowohl in den 1930er und 1940er Jahren als auch in der Nachkriegszeit gemeinsam mit Carl Auböck sen. gefertigt. Die Werkstätte Carl Auböck war in der Nachkriegszeit stark von der Zusammenarbeit zwischen Vater und Sohn geprägt. Der Tisch ist ein Recyclingprodukt: Die Tischplatten wurden aus Baumwurzelabschnitten gefertigt, die in Tischlereien oder Sägewerken nicht mehr verwendet bzw. verkauft werden konnten. Carl Auböcks Möbelentwürfe waren weit über die Grenzen Wiens hinaus beliebt und wurden auch bei Bloomingdale’s in Manhattan verkauft. 1977 wurde Carl Auböck als Professor und Leiter der Meisterklasse für Produktgestaltung Metall an die Hochschule für angewandte Kunst berufen, eine Tätigkeit, die er, von seinen Studierenden auch „Mister Design“ genannt, bis zu seinem Tod im Jahr 1993 ausübte.293 Wie kaum eine andere Frau prägte sie das Möbeldesign Mitte des 20. Jahrhunderts in Wien: Anna-Lülja Praun. Als Anna-Lülja Simidoff 1906 in St. Petersburg geboren, studierte sie ab 1924 Architektur an der Technischen Hochschule in Graz. Nach ihrem Studium arbeitete sie als freie Mitarbeiterin in einem Grazer Atelier in einer Bürogemeinschaft mit Herbert Eichholzer, ihrem späteren Lebensgefährten; ab 1937 war sie in Clemens Holzmeisters Atelier in Wien tätig. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges lebte sie in Frankreich und Bulgarien, kehrte aber 1942 wieder nach Wien zurück und heiratete den Wiener Architekten Richard Praun. 1952 eröffnete Anna-Lülja Praun ihr eigenes Atelier in Wien, plante Häuser und gestaltete Einrichtungen und Möbel sowie Lampen und Keramik. Ihre Möbel waren schlicht, funktional, elegant und handwerklich hervorragend verarbeitet. Von 1953 bis 1959 arbeitete sie zudem als Möbeldesignerin für Haus &  Garten. Ihre Möbelentwürfe waren auch unter Design Praun im Einrichtungsgeschäft Payer-Decor erhältlich.294 In ihrem Möbeldesign ist die geistige Botschaft Oskar Strnads und Josef Franks deutlich erkennbar. Sie gestaltete auch die leichte, filigrane Metallmöbelserie Sonett für den Garten, die von der Metallmöbelfirma Karl Fostel Sen.’s Erben mit Sitz im 18. Bezirk in Wien in kleinen Serien gefertigt wurde. Ähnliche Modelle hatte Josef Frank 1928 bei der Gestaltung des Gartens des Hauses Krasny auf der Hohen Warte eingesetzt und bei Haus & Garten verkauft. Der Organic Style aus den USA wurde von den DesignerInnen in Wien begeistert angenommen und ebenso die Verwendung von neuen Kunststoffmaterialien. Geschwungene Nierentische, niedrige Cocktailsessel,

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OBen

Stehlampe Fliegen-

bein mit schwarzem Eisenfuß und originalem Schirm, Ausführung: J.T. Kalmar, Wien um 1950, © Dorotheum Wien, 2012

292 Vgl. Clemens Kois, Carl Auböck. The Workshop, Brooklyn, NY: powerHouse Books 2012, S. 9. 293 Vgl. Interview mit Prof. Dipl. Ing. Maria Auböck, aufgezeichnet am 21.11.2018 im Atelier in der Bernardgasse im 7. Wiener Gemeindebezirk. Die Werkstätte Carl Auböck wird bis heute als Familienunternehmen und mittlerweile von der fünften Generation der Auböcks geführt. 294 Vgl.

Ottillinger (2005), S. 59 ff.

Links Armlehnsessel Lyra aus Stahldraht und gestanztem Lochblech, Entwurf: AnnaLülja Praun und Thomas Lauterbach, Ausführung: Karl Fostel Sen.’s Erben, Wien um 1955, © Dorotheum Wien, 2014 rechts Armsessel Triennale aus Kirschholz mit gepolstertem Sitz und Lehne aus Leder, Entwurf: Anna-Lülja Praun, Ausführung: Karl Krejsa, Wien 1955, © Dorotheum Wien, 2012

295 Vgl. 296 Vgl.

Ottillinger (2005), S. 68 ff. ebd., S. 68, 70.

297 Vgl.

ebd., S. 68.

kleine dreibeinige Hocker und farbenfrohe Lampen in Tulpenform gehörten zu den typischen Möbeln der 1950er Jahre. Auch in dieser Zeit wurde auf eine kreative Zusammenarbeit zwischen ArchitektInnen und kleinen, hochspezialisierten Handwerksbetrieben gesetzt. In Wien produzierte die Firma Vienna Sitzmöbel und Tischfabrik Emil & Alfred Pollak in den 1950er Jahren zahlreiche Möbel in kleinen Serien, darunter auch Roland Rainers sogenannten „Stadthallensessel“. 1835 in Prag gegründet, hatte die Firma 1867 ihren Sitz nach Wien verlegt und bezog 1912 eine Möbelwerkstatt in der Meidlinger Hauptstraße. Die Zusammenarbeit mit Roland Rainer hatte zur Folge, dass in den 1950er Jahren eine große Möbelfabrik auf dem Wienerberg eröffnet wurde.295 Ein weiteres Unternehmen setzte in Wien in den 1950er Jahren ebenfalls vermehrt auf Möbeldesign: die Kunstwerkstätte Hagenauer. 1898 in Wien von Carl Hagenauer gegründet, stellte die Firma bis in die 1930er Jahre vor allem Kunstgegenstände aus Messing oder Bronze her. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann sie, auch eine Vielzahl von Möbeln zu produzieren. Julius Jirasek, der bei Oskar Strnad und Josef Frank an der Kunstgewerbeschule studiert hatte, war ab 1930 viele Jahre Mitarbeiter der Werkstätte und dort für Möbeldesign zuständig.296 Die Firma Karl Fostel Sen.’s Erben in Wien fertigte unter anderem die zarte Metallmöbelserie Sonett von Anna-Lülja Praun. Die Metallmöbelfirma produzierte auch – ganz inspiriert von Charles und Ray Eames aus den USA – Sessel aus Stahlrohrgestell mit bunten Sitzschalen aus glasfaserverstärktem Kunststoff, das Modell City.297

Möbeldesign der 1950er Jahre in Wien

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links Wohnräume auf der Werkbund-Ausstellung im Österreichischen Museum für angewandte Kunst und Industrie, Wien 1950, © MAK Oben L.  Gartensessel Sonett, Ausführung: Karl Fostel Sen.’s Erben, Wien um 1955, Sammlung CW Oben R. Tischlampe, Entwurf und Ausführung: J.T. Kalmar, Wien um 1950, mit einem Lampenschirm aus Stoff von Josef Frank, Sammlung CW mitte Sessel aus Nussholz mit Sitzfläche aus schwarzem Leder, Entwurf: Julius Jirasek, Ausführung: Werkstätte Hagenauer, Wien um 1950, © Dorotheum Wien, 2014 unten Gartentische und Stapelsessel, Entwurf: Julius Jirasek, Ausführung: Werkstätte Hagenauer, Wien um 1955, © Dorotheum Wien, 2010

Auch Thonet nahm die Möbelproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf. Thonet Industries in den USA, Thonet Frères in Frankreich, Thonet Frankenberg in Deutschland sowie die Gebrüder Thonet in Wien produzierten unabhängig voneinander. Die Fabriken in Polen, Tschechien und Ungarn waren 1945 enteignet worden und nunmehr staatliche Betriebe. In Tschechien wurde ab 1953 unter dem Namen TON weiterproduziert. Die Firmenzentrale in Wien war während des Krieges komplett zerstört worden. Das Werk in Frankenberg in Deutschland wurde nach Kriegsende wieder aufgebaut, daneben gab es Vertretungen in der Schweiz und in Frankreich. Leopold Pilzer kam nicht mehr nach Österreich zurück. Er blieb in den USA, wo er die Firma Thonet Industries weiterbetrieb. In Österreich wurde erst 1962 mit einem Werk in der Steiermark die Produktion wieder aufgenommen.298 Josef Franks und Oskar Strnads Prinzipien der Möbelgestaltung sind in den Entwürfen der MöbeldesignerInnen, die in Wien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aktiv wurden, deutlich zu sehen. Letztere ließen die Ideen und die Philosophie der ProtagonistInnen Neuen Wiener Wohnens in ihre Werke miteinfließen. Im Möbeldesign der jüngeren Generation wie Anna-Lülja Praun, Julius Jirasek, Johannes Spalt oder auch Hermann Czech lebt die geistige Botschaft der aus Wien vertriebenen MöbeldesignerInnen weiter.299

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298 Vgl. https://www.gebrueder thonetvienna.com/de/storia/ (Stand: 10.7.2021). 299 Vgl. Friedrich Kurrent, Die „Rückkehr“ von Josef Frank aus der Emigration, in: Meder (2008), S. 97 ff.

Möbeldesign der 1950er Jahre in Wien

Skandinavische Möbel und Wiener Möbeldesign in Schweden: Josef Frank

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Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Möbel aus Dänemark, Schweden, Finnland und Norwegen in Europa und den USA bekannt. Im Scandinavian Design waren die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen der nordeuropäischen Länder der damaligen Zeit deutlich erkennbar – die Länder konnten auf eine jahrhundertealte handwerkliche Tradition zurückgreifen. Die Industrialisierung setzte hier im Vergleich zu anderen europäischen Staaten erst spät ein. Skandinavisches Möbeldesign ist bis heute von Funktionalität, Schlichtheit, natürlichen Materialien und einer preisgünstigen Massenproduktion geprägt. Pioniere des skandinavischen Möbeldesigns waren der finnische Architekt und Designer Alvar Aalto sowie der dänische Industriedesigner und Architekt Arne Jacobsen. Ihre Idee, dass formschöne, langlebige und funktionale Möbel und Alltagsgegenstände für jedermann erschwinglich sein sollten, wurde im skandinavischen Möbeldesign nach dem Zweiten Weltkrieg umgesetzt. Die MöbeldesignerInnen waren davon überzeugt, dass gutes Design sowie einfache und gut verarbeitete Produkte das Leben der Menschen verbessern könnten. Natürliche, organische Formen und Materialien wie Holz und Leinen wurden bei der Möbelgestaltung eingesetzt, der Mensch mit seinen Bedürfnissen stand dabei im Vordergrund.300 Auch wenn die Gestaltungsprinzipien des Bauhauses ab den 1930er Jahren international weit verbreitet waren, so galten die Wiener Möbel der Zwischenkriegszeit dennoch als entscheidende Vorbilder für modernes skandinavisches Möbeldesign. Die Wiener Möbel der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und jene aus Schweden, Dänemark oder Norwegen hatten eines gemeinsam: Die Gestaltung moderner Möbel war das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen kreativen MöbeldesignerInnen einerseits sowie sehr gut ausgebildeten HandwerkerInnen und kleinen Möbelproduzenten andererseits. Wie auch in Wien in den 1930er Jahren wurde im Möbelbau das natürliche Material Holz weiterhin anstelle von Stahlrohr oder Glas bevorzugt.301 Die Ideen der Wiener MöbeldesignerInnen fanden auch durch die Veröffentlichungen in Architekturzeitschriften ihren Weg nach Nordeuropa. Einerseits übten die industrielle Fertigung sowie die dadurch entstandenen modernen Möbelformen von Thonet einen entscheidenden Einfluss auf das Design moderner skandinavischer Möbel aus – in diesen Ländern werden Thonet-Sessel bis heute Wiener Stühle genannt. Andererseits waren es auch die theoretischen und praktischen Arbeiten der Wiener MöbeldesignerInnen, die die Arbeit der skandinavischen DesignerInnen entscheidend beeinflussten.302 Alvar Aalto betonte immer wieder, wie sehr ihn die Vorlesungen über 300 Vgl. Mang (1978), S. 118 f.; die Arbeiten der Wiener Werkstätte oder die Ideen Josef Hoffmanns, die er Bradbury (2014), S. 22. während seiner Ausbildung an der Universität in Helsinki gehört hatte, 301 Vgl. ebd. prägten.303 Auch der dänische Designer, Architekt und Autor Poul Hen302 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 140. 303 Vgl. Mang (1978), S. 118. ningsen schwärmte über den Wiener Sessel, den Schreibtischfauteuil Nr. 9 von Thonet. 1927 schrieb er über diesen Sessel: „Dieser Stuhl löst zur Vollkommenheit seine Aufgabe, ein leichter, bequemer Armstuhl mit niedriger Lehne zu sein. Wenn ein Architekt diesen Stuhl fünfmal so teuer, dreimal

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rechts Sessel Grand Prix, Entwurf: Arne Jacobsen, Dänemark 1957, Ausführung: Fritz Hansen, Sammlung CW

so schwer, halb so bequem und ein Viertel so schön machte, könnte er sich damit einen Namen machen.“304 Alvar Aalto entwickelte das Bugholzverfahren von Thonet in den 1930er Jahren weiter, um seinen ersten Freischwinger aus Holz zu gestalten.305 Das kalte Stahlrohr lehnte er für seine Möbel ab, er experimentierte hingegen mit dem Biegen von Sperr- und Schichtholz.306 Der dänische Möbelproduzent Fritz Hansen, der mit den Möbeldesignern Arne Jacobsen und Verner Panton zusammenarbeitete, experimentierte in der Zwischenkriegszeit ebenfalls mit der Herstellung von Möbeln aus gebogenem Holz nach dem Vorbild des Thonet-Verfahrens.307 Nicht nur die theoretischen Ansätze und Werke der MöbeldesignerInnen aus Wien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflussten die Entwicklung des Möbeldesigns im Norden, sondern auch die einzigartigen Entwürfe eines Architekten: Josef Frank. Dieser arbeitete ab den 1930er Jahren als Designer für das schwedische Einrichtungsunternehmen Svenskt 304 https://www.thonet.de/de/ Tenn. Mit seiner Übersiedlung nach Stockholm brachte er seinen spielerimagazin/geschichte-marke/ schen Möbelstil, seine fröhlichen Muster und Farben und seine Vorliebe für detail/209-liebling-der-architekten (Stand: 1.8.2021). Holz nach Schweden.308 Josef Franks Möbel- und Stoffdesign waren eine 305 Vgl. Thillmann/Willscheid Fortsetzung seiner Arbeit aus Wien; er nahm seine Entwürfe aus seiner Wie(2011), S. 197. 306 Vgl. Wilhide (2017), S. 174. ner Zeit mit zu Svenskt Tenn nach Stockholm. In Zusammenarbeit mit Estrid 307 Vgl. Mang (1978), S. 125. Ericson, der schwedischen Designerin und Gründerin von Svenskt Tenn, 308 Vgl. Thillmann/Willscheid wurde die Haus & Garten-Linie weitergeführt und nach den alten Entwürfen (2011), S. 120. 309 Vgl. Maria Welzig, Josef Frank weiterproduziert; daneben enstanden laufend neue. 309 Der Architekt aus 1885–1967. Das architektonische Wien gilt als der Begründer des modernen schwedischen Einrichtungsstils Werk, Wien: Böhlau 1998, S. 165. und als einer der bedeutendsten MöbeldesignerInnen, der Möbel im neuen 310 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 137 f. 311 Vgl. Jan Norrman, Stil der schwedischen Moderne gestaltete.310 Sein farbenfrohes Möbel- und Schwedisches Möbeldesign 1930– Stoffdesign unterschied sich maßgeblich vom schlichten Design der Moder1960 und Josef Frank, in: Thunne der damaligen Zeit. Vergleicht man heutzutage die bunten und fröhlichen Hohenstein/Czech/Hackenschmidt Stoffentwürfe der 1943 vom 17-jährigen Ingvar Kamprad in Schweden ge(2015), S. 316. gründeten Firma IKEA mit Josef Franks Entwürfen, sind Ähnlichkeiten deutlich sichtbar. Die Möbelentwürfe und Stoffe des vielseitigen und hochbegabten Designers aus Wien gelten heute als typisch schwedisch.311

Skandinavische Möbel und Wiener Möbeldesign in Schweden: Josef Frank

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unten L. Kommode, Entwurf: Josef

unten r. Sessel aus Holz, Bambus und

Frank, Stockholm um 1938, Ausführung:

Leder, Entwurf: Josef Frank, Stockholm um

Svenskt Tenn, © ST

1947, Ausführung: Svenskt Tenn, © KAUAK

links Estrid Ericson und Josef Frank im Geschäft von Svenskt Tenn in Strandvägen 5 in Stockholm, 1964, Fotograf: Lennart Nilsson, © ST rechts Zeichnung für Stoff Naschmarkt, Josef Frank, Wien um 1920, © MAK Unten R. Stoff Primavera, Entwurf: Josef Frank, Wien um 1920, Ausführung: Svenskt Tenn, © ST Unten L. Stehlampe, Entwurf: Josef Frank, Wien um 1930, Ausführung: Svenskt Tenn, Sammlung K

Skandinavische Möbel und Wiener Möbeldesign in Schweden: Josef Frank

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Bel Design aus Italien

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelte sich in Europa ein Land zur Design-Nation schlechthin: Italien. Der Übergang von der handwerklichen zur industriellen Produktion hatte sich in Italien nur sehr langsam und zumeist erst nach dem Zweiten Weltkrieg vollzogen. Im Bereich des Möbelbaus blickte Italien auf eine jahrhundertelange Handwerkstradition zurück. Bis heute zeichnet sich die italienische Möbelindustrie durch kleinere Familienbetriebe aus, die mit viel Erfahrung und Liebe zum Detail exklusive Möbel in kleinen Serien produzieren. Ganz im Gegenteil zur amerikanischen marktorientierten Auffassung von Design lag und liegt das Geheimnis des italienischen Möbeldesigns vielleicht in der Improvisation und in der alten Tradition, Schönheit und Funktion miteinander zu verbinden. Besonders in der Mitte des 20. Jahrhunderts machte sich das Zusammenwirken künstlerischer Kreativität und die langjährige Erfahrung im Möbelbau von kleinen, flexiblen, hochspezialisierten Familienbetrieben bemerkbar. In den 1940er Jahren gab es in Italien keine besondere Ausbildung für Möbel- oder Industriedesign, die italienischen Möbelfirmen arbeiteten mit KünstlerInnen oder ArchitektInnen zusammen. Auch die Verbindung von industrieller und handwerklicher Fertigung und das Interesse für neue Materialien und technische Innovationen im Bereich der industriellen Fertigung machten italienisches Möbeldesign in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts international erfolgreich. Bel Design aus Italien wurde in der Nachkriegszeit zum Synonym für modernes, innovatives und ästhetisches Möbeldesign.312 Es stand für die Kombination von edlen Materialien und zeitlosen Formen, Experimentierfreudigkeit sowie die Zusammenarbeit mit einer Industrie, die Innovationen gegenüber aufgeschlossen war. Das Zen­ trum dieser Entwicklung des modernen Möbeldesigns war Mailand, in dessen Umgebung mehrere kleinere Möbelfirmen ansässig waren.313 Eine entscheidende Rolle für die Entwicklung des modernen Möbeldesigns in Italien spielten neben der wirtschaftlichen Situation des Landes, dem italienischen Wirtschaftswunder in den 1950er Jahren, Zeitschriften, Designwettbewerbe, Designpreise und internationale Ausstellungen. Bereits ab dem Jahr 1928 gab der Mailänder Architekt und Möbeldesigner Gio Ponti monatlich die Architektur- und Designzeitschrift Domus heraus, die modernes italienisches Möbeldesign weit über die Grenzen Italiens hinaus bekannt machte. Domus wurde zur einflussreichsten Zeitschrift für moderne Architektur und Möbeldesign nicht nur in Italien, sondern auch international und setzte wichtige Impulse für deren Entwicklung.314 Die Mailänder Triennale wurde ab 1933 alle drei Jahre veranstaltet und bald zur wichtigsten Designausstellung der Welt.315 Gio Pontis Sessel Superleggera, den der Architekt 1957 für die Mailänder Firma Cassina designte, war ein gelungenes Beispiel für das kreative Zusammenspiel eines Möbeldesigners, der handwerklichen Tradition im

128

OBen

Zwei Fauteuils Lady

mit Messingbeinen, Entwurf: Marco Zanuso, Italien 1951, Sammlung CW unten Kleine Hausbar mit zwei Hockern, Italien um 1950, Sammlung CW

312

Vgl. Hauffe (2014), S. 198, 201, 230 ff.

313

Vgl. Michael Erlhoff/Tim Marshall, Wörterbuch Design. Begriffliche Perspektiven des Design, Basel/Boston/Berlin: Birkhäuser 2008, S. 48; Mang (1978), S. 152, 154, 197, 200. 314 Vgl. Charlotte Fiell/Peter Fiell, Domus 1940–1949, Köln:Taschen Bibliotheca Universalis 2016, S. 18. 315 Vgl. Hauffe (2014), S. 198, 201.

Bel Design aus Italien

Möbelbau und einer innovativen Industrie. Bereits Ende der 1940er Jahre, bedingt durch die Materialknappheit in der Nachkriegszeit, entstand Gio Pontis Idee, einen leichten Sessel aus Holz mit einer geknickten Rückenlehne zu gestalten. Gio Ponti setzte bei der Gestaltung dieses Sessels auf natürliche, traditionelle Materialien: Eschenholz und Rohrgeflecht. Der Architekt beschäftigte sich intensiv mit neuen Technologien in der Möbelproduktion. Sein Ziel war es, handwerkliches Können und moderne industrielle Fertigung miteinander zu verbinden. 1951 hatte er gemeinsam mit Cassina den Sessel Leggera herausgebracht. Gio Ponti optimierte sein Design und gestaltete sechs Jahre später den Sessel in einer noch leichteren Ausführung: Sein Superleggera – nur 1,66 Kilogramm leicht, exzellent verarbeitet und gleichzeitig stabil – wurde zur Ikone des modernen italienischen Möbeldesigns. Um die Stabilität seines leichten Sessels zu beweisen, warf er diesen vor den Augen seiner MitarbeiterInnen vom Dach des Fabriksgebäudes auf die Straße – der Superleggera überlebte den Sturz und wurde zu einem der bekanntesten Designermöbel der 1950er Jahre. Bis heute wird er ohne Unterbrechung von Cassina gefertigt.316 Auch Josef Frank hatte bereits Mitte der 1920er Jahre einen schlichten, grazilen Sessel aus Holz mit einer Sitzfläche aus Rohrgeflecht gestaltet. Dieser Sessel zählte zu den bekanntesten Modellen von Haus & Garten. Der Designer scheint mit diesem Modell Gio Pontis Idee des Leggera bzw. Superleggera vorweggenommen zu haben. Das Modell aus Wien aus dem Jahr 1925 wird heute noch von Svenskt Tenn in Schweden hergestellt.317 Zwischen Mailand und Wien, zwischen Gio Ponti und Haus & Garten, gab es Verbindungen. Gio Ponti schwärmte bereits in den 1930er Jahren von den raffinierten Möbel- und Stoffdesigns von Josef Frank und Oskar Wlach. In der dritten Ausgabe von Domus im Jahr 1936 veröffentlichte er unter dem Titel Frank e Wlach aktuelle Einrichtungsprojekte von Haus & Garten und zeigte die moderne Innenarchitektur sowie Möbel und Stoffe des Hauses Krasny und des Hauses Beer in Wien.318 Gio Ponti war auch mit Oswald Haerdtl und dessen Ehefrau Carmela Haerdtl-Prati, einer italienischen Stoffdesignerin, die an der Kunstgewerbeschule bei Josef Hoffmann studiert hatte, eng befreundet. Diese war wiederum mit Gio Pontis Ehefrau verwandt. Carmela Haerdtl-Prati arbeitete unter anderem als Bühnenausstatterin an der Mailänder Scala. In den 1950er Jahren publizierten sowohl Oswald Haerdtl als auch seine Frau zahlreiche Artikel in Gio Pontis Zeitschrift Domus.319

OBen

Sessel aus rot lackier-

tem Buchenholz und Rattan, Entwurf: Josef Frank für Haus & Garten, Wien um 1925, © MAK

316 Vgl. Graziella Roccella, Gio Ponti 1891–1979. La légèreté de la matière, Köln: Taschen 2021, S. 54. 317 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 281. 318 Vgl. Claudia Cavallar/Sebastian Hackenschmidt, Cover Versions, in: Thun-Hohenstein/Czech/ Hackenschmidt (2015), S. 234. 319 Vgl. Stiller (2000), S. 117.

130

Bel Design aus Italien

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Industriell gefertigte Möbel im englischen Exil

Eine Gruppe von ArchitektInnen und DesignerInnen aus Wien prägte Mitte des 20. Jahrhunderts das moderne Möbel- und Stoffdesign Großbritanniens. Ella Briggs wanderte 1936 nach London aus. Obwohl sie über ausgezeichnete Englischkenntnisse verfügte, war ihr Leben im Exil zunächst mit Schwierigkeiten verbunden, da sie keine Architektenbefugnis erhielt. Wann sie ihre Tätigkeit als freie Architektin wieder aufnehmen konnte, ist nicht eindeutig. Nach dem Zweiten Weltkrieg realisierte sie Projekte gemeinsam mit Otto Neurath, der 1938 ebenfalls von Wien nach London emigriert war, und beteiligte sich an einem Wiederaufbauprojekt der britischen Regierung im sozialen Wohnbau.320 Ernst Freud ging 1933 von Berlin nach London, arbeitete als selbstständiger Architekt und Designer und entwarf Häuser im International Style. Daneben kümmerte er sich mit großem Engagement um den Nachlass seines Vaters und gab auch dessen Korrespondenz heraus.321 Auch das junge Designer-Ehepaar Jacques und Jacqueline Groag lebte ab 1939 in London im Exil. Dort mussten sich beide eine neue Existenz aufbauen: Jacques Groag, der keine Aufträge für Architekturprojekte erhielt, arbeitete als Innenarchitekt und Möbeldesigner, seine Frau wurde als Stoff-, Teppich- und Tapetendesignerin erfolgreich. Der Architekt gestaltete platzsparende, multifunktionale Möbel und wurde für das von der britischen Regierung initiierte Utility Furniture-Programm tätig, das nach dem Zweiten Weltkrieg die serienmäßige Produktion von preiswerten Möbeln unterstützte.322 Jacqueline Groag arbeitete als selbstständige Designerin unter anderem für die britischen Unternehmen Hallmark Design und Cavendish Textiles. Mit ihren Stoffen stattete sie London Transport, British Railways, die Fluglinie BOAC und Passagierschiffe aus. Sogar die britische Thronfolgerin Prinzessin Elizabeth ließ sich 1946 in einem Kleid mit Jacqueline Groags Stoffmuster Tulip fotografieren, das von Edward Molyneux entworfen worden war.323 Jacqueline Groag wurde zu einer der bekanntesten DesignerInnen Großbritanniens. Ihre extravaganten Stoff- und Möbelentwürfe prägten die britische Wohnkultur der 1950er und 1960er Jahre maßgeblich und bis heute gilt sie als Pionierin des modernen Stoffdesigns. 320 Vgl. Prokop (2016), S. 197. 1984 erhielt sie die Auszeichnung Royal Designer for Industry, die höchste 321 Vgl. https://deu.archinform.net/ Auszeichnung für DesignerInnen in Großbritannien.324 arch/3326.htm (Stand: 10.7.2021). Auch die kreativen Köpfe hinter der visionären Ateliergemeinschaft 322 Vgl. Prokop (2005), S. 70. 323 Vgl. Thun-Hohenstein/Rossberg/ Singer & Dicker verließen Mitte der 1930er Jahre Wien und gingen nach GroßSchmuttermeier (2020), S. 209. britannien. Franz Singer lebte ab 1934 überwiegend in London. Der Architekt 324 Vgl. https://doppelhouse.com/ arbeitete zunächst von Großbritannien weiter für das Wiener Atelier, daneursula-prokop-and-shmuelben war er für das englische Einrichtungsunternehmen John Lewis in London groag-book-presentation-remarks/ (Stand: 19.7.2021). als Berater tätig.325 Franz Singer gestaltete weiterhin Möbel, insbesondere 325 Vgl. Hövelmann (2018), stapelbare Sessel und Kindermöbel. Sein Sperrholzsessel mit dem geS. 195, 207. 326 Vgl. ebd., S. 201, 215. kreuzten Fußteil, der X-Stuhl, Prototyp Nr. 44/2, wurde 1936 in England in einer kleinen Serie von rund 220 Stück produziert. Auch Franz Singers langjähriger Mitarbeiter aus Wien, Hans Biel, wanderte 1934 nach London aus; die beiden arbeiteten weiterhin gemeinsam als Möbeldesigner.326

Industriell gefertigte Möbel im englischen Exil

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links Seriell gefertigte Sperrholzsessel von Franz Singer, Großbritannien um 1936, Sammlung GS

Bruno Pollak übersiedelte Mitte der 1930er Jahre von Wien nach London. Die britische Möbelfirma Practical Equipment Ltd. erwarb von ihm das Recht, seinen 1927 in Wien entworfenen stapelbaren Stahlrohrsessel herzustellen. PEL verkaufte den Sessel einmal als Modell RP6 ohne Armlehnen und einmal als Modell RP7 mit Armlehnen. Auch zwei weitere britische Stahlrohrmöbelproduzenten kopierten Pollaks Sessel, die Firmen Cox & Co und Steelchrome Ltd., und mussten in weiterer Folge an PEL eine Lizenzgebühr entrichten. Die von PEL industriell gefertigten Sessel hatten ein geringes Gewicht, wurden lackiert und verschweißt und zu einem günstigen Preis weltweit verkauft.327 Mit seinem einzigartigen Sessel wurden zahlreiche öffentliche Gebäude in England wie jenes der BBC sowie Flughäfen, Schulen und Parks ausgestattet. In der Sammlung des Victoria and Albert Museum sind Modelle des Stahlrohrsessels von Bruno Pollak in unterschiedlicher Ausführung zu sehen.328 Weder Ella Briggs noch das Ehepaar Groag oder die ehemaligen MitarbeiterInnen des Ateliers Singer & Dicker Franz Singer, Bruno Pollak, Hans Biel oder Anna Szabo kehrten nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrem Exil in London wieder nach Wien zurück.

132

327 Vgl.

ebd., S. 195 ff. https://collections.vam. ac.uk/item/O372425/modelrp6-chair-pollak-bruno/ (Stand: 19.7.2021). 328 Vgl.

Industriell gefertigte Möbel im englischen Exil

14

Von Wien nach Palästina – Möbeldesign für den neu gegründeten Staat Israel

329 Vgl. Matthias Dorfstetter, Österreichische Architekturschaffende im entstehenden Staat

Israel, Diplomarbeit, Technische Universität Wien, 2019, S. 23, 28. 330 Eine Gruppe von ArchitektInnen emigrierte in den 1920/30er Jahren von Wien nach Palästina: Josef Tischler, Jacques Ornstein, Leopold Krakauer, Carl Rubin, Jakob Pinkerfeld, Alfred Goldberger, Gideon Kaminka, Theodor Menkes, Paul Engelmann, Uriel Schiller, Robert Hoff, Moshe Gerstel, Dora Gad und Helene Roth. Vgl. Dorfstetter (2019), S. 23 ff. 331 Vgl. Theodor Herzl, Altneuland. Ein utopischer Roman, Leipzig: Hermann Seemann Nachfolger 1902. 332 Vgl. Dorfstetter (2019), S. 23, 28; https://davidkultur.at/ artikel/altneuland (Stand: 1.8.2021). 333 Vgl. Plakolm-Forsthuber in: Bois/ Reinhold (2019), S. 47; Warhaftig (1996), S. 384. 334 Vgl. https://jwa.org/ encyclopedia/article/gad-dorah (Stand: 22.7.2021). 335 Vgl. Dorfstetter (2019), S. 120.

Als überzeugte ZionistInnen zog eine Gruppe von ArchitektInnen in den 1920er und 1930er Jahren aus Wien in ihre Heimat Palästina. 329 Einige konnten als MöbeldesigerInnen erstaunliche Karrieren machen und leisteten Mitte des 20. Jahrhunderts einen wesentlichen Beitrag in der Architektur und im Möbeldesign des neu gegründeten Staates Israel.330 Oskar Marmorek gilt als einer der ersten Zionisten unter Wiens Architekten. Nach seinem Studium der Architektur an der Technischen Hochschule wurde er für sein Ausstellungsprojekt Venedig in Wien bekannt, dem Nachbau der Lagunenstadt im Wiener Prater mit venezianischen Straßenzügen, Plätzen und Kanälen im Jahr 1895. Oskar Marmorek war ein enger Freund und Wegbegleiter Theodor Herzls und dürfte auch das Vorbild für den Architekten Steineck in Herzls utopischem Roman Altneuland gewesen sein.331 Der Architekt zählte zu den Gründungsmitgliedern der modernen zionistischen Bewegung in Wien. Obwohl er selbst nie in Palästina gebaut hatte, verfasste Oskar Marmorek als Mitbegründer und Journalist der zionistischen Zeitschrift Die Welt zahlreiche Artikel über städtebauliche Konzepte und die Besiedlung Palästinas.332 Helene Roth, eine der ersten Architekturstudentinnen Wiens, wanderte 1933 nach Palästina aus. Zunächst arbeitete sie für den in Deutschland geborenen Innenarchitekten Alfred Abraham, danach machte sie sich in Tel Aviv als eine der ersten Frauen des Landes als Innenarchitektin und Möbeldesignerin erfolgreich selbstständig.333 Auch Dora Gad, geborene Siegel, studierte von 1930 bis 1934 Architektur an der Technischen Hochschule in Wien. Gemeinsam mit ihrem Mann, Heinrich Goldberg, der dort ebenfalls Architektur studiert hatte, ging sie 1936 nach Tel Aviv. Heinrich Goldberg nahm den hebräischen Vornamen Yehezkel an und beide trugen dann den geänderten Nachnamen Gad, was „Glück“ oder „günstige Führung“ bedeutet. Yehezkel Gad arbeitete gemeinsam mit Helene Roth als Innenarchitekt und Möbeldesigner für Alfred Abraham. Dora Gad fand zunächst eine Anstellung bei Oskar Kauffmann, einem bekannten Theaterarchitekten aus Deutschland, der 1933 vor den Nazis nach Palästina geflohen war. 1938 gründete sie ihr eigenes Architektur- und Designatelier. Dora Gad war eine der ersten Architektinnen, die in den 1930er Jahren in Palästina tätig waren, und nahm dort als erste Innenarchitektin und Möbeldesignerin eine Pionierrolle ein. 334 In den 1940er und 1950er wurden Dora und Yehezkel Gad, die nun gemeinsam arbeiteten, zu den prominentesten InnenarchitektInnen Israels. Für den neu gegründeten Staat realisierten sie zahlreiche Projekte: Sie gestalteten die Residenz des Ministerpräsidenten und des Außenministers sowie die Nationalbibliothek in Jerusalem, die Inneneinrichtung der israelischen Botschaften in Ankara und Washington, D.C. und den Flughafen Ben Gurion.335 Auch nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahr 1958 setzte Dora Gad ihre Arbeit fort und

Von Wien nach Palästina – Möbeldesign für den neu gegründeten Staat Israel

133

gestaltete zahlreiche Luxushotels in Israel sowie die Innenausstattung des israelischen Parlaments, der Knesset. Gemeinsam mit dem Architekten Alfred Mansfeld plante sie das Israel Museum, Jerusalem, das 1965 fertiggestellt wurde.336 Als erste Frau Israels gewann sie für dieses Projekt den Israel Prize für Architektur.337 Mit ihrem leichten und modernen Möbeldesign ging Dora Gad einen eigenen Weg und entwickelte einen ganz individuellen, neuen Stil. Ihre Möbel sollten die lokalen Besonderheiten ihres Landes widerspiegeln. Als Innenarchitektin setzte sie auf starke Farben wie Orange, Lila, Gelb und Türkis, viel Licht und bei ihren Möbeln auf zeitlose und schlichte Formen sowie auf Materialien, die vor Ort in Israel zur Verfügung standen: Holz, Wollteppiche, gewebte Stoffe und Stroh. Die Designerin kombinierte lokales Handwerk und israelische Kunst mit ihrer Philosophie von zeitlosem Design, die sie während ihrer Ausbildung als Architektin in Wien entwickelt hatte.338 Dora Gads Entwürfe spiegeln eines wider: die Atmosphäre Israels. In den 1950er und 1960er Jahren repräsentierte ihr Design wie kein anderes das Selbstverständnis und die Identität des jungen Staates. Die Architektin prägte mit ihrer Innenarchitektur und ihrem Möbeldesign die Israeliness und entwickelte das Corporate Design des neu gegründeten Staates Israel in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit.339 Ein weiterer Architekt brachte seine Ideen und Gestaltungsprinzipien von Wien nach Israel: Paul Engelmann hatte 1910/11 kurze Zeit an der Technischen Hochschule in Wien Architektur studiert und besuchte als einer der ersten Studenten Adolf Loos’ private Bauschule. Er zählte zum engsten Freundeskreis rund um Adolf Loos, Ernst Freud und Ludwig Wittgenstein und war als Privatsekretär von Karl Kraus tätig. In Wien erlangte der Student Bekanntheit durch sein Gedicht über das Looshaus am Michaelerplatz, in dem er über die Entrüstung der WienerInnen über das sogenannte „Haus ohne Augenbrauen“ schrieb. Engelmanns Gedicht wurde in Karl Kraus’ Zeitschrift Die Fackel veröffentlicht und damit begann auch eine enge Freundschaft der beiden.340 In seiner Heimatstadt Olmütz gestaltete Paul Engelmann in den 1920er und 1930er Jahren zahlreiche Inneneinrichtungen und Möbel. Sein bekanntestes Projekt in Wien war die Planung des Hauses Wittgenstein. Margaret Stonborough-Wittgenstein, die Schwester des Philosophen Ludwig Wittgenstein, gab ihm 1926 den Auftrag, ein modernes Stadthaus für ihre Familie in der Kundmanngasse im 3. Bezirk zu bauen. Ludwig Wittgenstein, der zu der Zeit gerade seine Lehrstelle in Niederösterreich verloren hatte, engagierte sich sehr in der Planung des Hauses und ließ dem jungen Architekten kaum Spielraum. Wittgenstein, der auch eine Ausbildung als Maschinenbauingenieur hatte, hielt sich an Engelmanns Grundrisse und Raumaufteilung, plante jedoch von den Steckdosen und Lichtschaltern 336 Vgl. Warhaftig (1996), S. 157. 337 Vgl. https://www.jewish über die Bodenbeläge und Fußbodenheizung bis hin zu den Wand- und virtuallibrary.org/israel-prizeDeckenoberflächen alles selbst. Jacques Groag wurde als Bautechniker winners (Stand: 22.7.2021). herangezogen; er hatte die Kalkulation und die Durchführung des Baus zu 338 Vgl. https://jwa.org/ beaufsichtigen. Das rund 1000 Quadratmeter große, kubische Haus wurde encyclopedia/article/gad-dorah (Stand: 22.7.2021). 1928 fertiggestellt.341 339 Vgl. Dorfstetter (2019), S. 121. 1934 zog Paul Engelmann nach Tel Aviv und arbeitete dort als Möbel340 Vgl. ebd., S. 96. 341 Vgl. Prokop (2016), S. 136. designer für das Unternehmen The Cultivated Home. Er richtete unter ande342 Vgl. ebd., S. 137. rem das King David Hotel und den Presseclub in Jerusalem ein.342 Der 343 Vgl. https://deu.archinform. Designer soll auch die Inneneinrichtung des jordanischen Parlaments sowie net/arch/16668.htm  den Thronsaal in Amman gestaltet haben.343 In Israel plante Paul Engel(Stand: 21.7.2021). mann ganz im Sinne seines ehemaligen Lehrers und Mentors Adolf Loos mehrere Einfamilienhäuser, doch widmete er sich in erster Linie und mit großem Engagement dem Schreiben über Stadtplanung und Städtebau. Er

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rechts Zeichnung für ein Wohnhaus mit Tanzschule in Tel Aviv, Josef Frank, Wien 1927, © MAK

344 Vgl. Warhaftig (1996), S. 253; http://www.architektenlexikon.at/ de/108.htm (Stand: 21.7.2021). 345 Vgl. Dorfstetter (2019), S. 20. 346

Vgl. ebd.; Boeckl (1995), S. 336.

verfasste Beiträge über Fragen des Wohnens und der Besiedlung im neu gegründeten Staat Israel, aber auch über Literatur und Philosophie und publizierte biografische Texte über Adolf Loos, Ludwig Wittgenstein und Karl Kraus.344 Drei weitere Architekten aus Wien arbeiteten noch vor der Gründung des Staates Israel an städtebaulichen Projekten: Richard Neutra nahm 1922 gemeinsam mit dem in Deutschland geborenen Architekten Erich Mendelsohn an einem Architekturwettbewerb für ein Geschäftsviertel in Haifa teil. Im selben Jahr entwarf Josef Frank eine Volksschule in Tiberias. Auch Franz Singer arbeitete Mitte der 1930er Jahre von London aus an einem Entwurf einer Wohnsiedlung in Palästina. Doch diese drei Projekte wurden nicht realisiert.345 Zu Beginn der 1960er Jahre entwarf Friedrich Kiesler als Teil des Israel Museum, Jerusalem den Shrine of the Book und damit ein Meisterwerk der modernen Architektur Israels.346

Von Wien nach Palästina – Möbeldesign für den neu gegründeten Staat Israel

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15

Die geistige Botschaft aus Wien

Die ehemals blühende jüdische Gemeinde Wiens war bis auf ganz wenige Überlebende der Shoah vollkommen ausgelöscht. Von den vertriebenen, im Exil lebenden ÖsterreicherInnen kamen nur sehr wenige wieder zurück. Widerwillig begann die österreichische Regierung auf Druck der Alliierten mit der Restitution und den Entschädigungen an die zahllosen jüdischen Opfer des NS-Regimes. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es von der Republik Österreich so gut wie keine Rückholbemühungen der EmigrantInnen. 347 Der Großteil der MöbeldesignerInnen aus Wien, die unter dem NS-Regime zur Flucht und Emigration gezwungenen worden waren, kam nie wieder nach Wien zurück. Namen wie Friedl Dicker, Franz Singer, Bruno Pollak, Ernst Schwadron, Ella Briggs oder Liane Zimbler sind heute hierzulande vergessen. Was nach 1945 in Wien unwiederbringlich fehlte, war der jüdische Bevölkerungsanteil, der so bestimmend und bereichernd für die Metropole zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewesen war. Begriffe wie „liberal“, „modern“ oder „weltoffen“ hatten nach 1945 in Österreich über eine sehr lange Zeit keine Chance mehr, da die TrägerInnen liberalen Gedankengutes zwangsweise emigrieren mussten oder ermordet wurden.348 Die Vertreibung der Wiener MöbeldesignerInnen, ihrer Familien und ihrer AuftraggeberInnen hinterließ in Österreich eine große Leere und bedeutete einen enormen Verlust. Sie waren die „feine Monarchiemischung“349 aus Wien, wie es der österreichische Schriftsteller Friedrich Torberg, der ab 1938 im Exil in New York City lebte, in Anspielung an die sogenannten „Zuckerltüten“, die es damals in Wien vor Theatervorstellungen zu kaufen gab, über sich selbst sagte. Neben all den tragischen Schicksalen bedeutete das Jahr 1938 ein abruptes Ende der Blüte des Wiener Möbeldesigns. Auch wenn es nur wenigen gelang, so konnten einige der vertriebenen MöbeldesignerInnen im Exil an ihre Erfolge in Österreich anknüpfen. Sie griffen auf ihre Gestaltungsprinzipien, ihre Ideen und ihr Know-how aus ihrer Zeit aus Wien zurück und machten in den USA, in Großbritannien, in Brasilien oder in Schweden erstaunliche Karrieren. Ihre visionären Gestaltungsideen und ihre geistige Botschaft gingen um die Welt. Die frühen Auswandernden wie Richard Neutra oder Friedrich Kiesler unterstützten ihre FreundInnen sowie andere ArchitektInnen und Möbelde347 Vgl. Herbert Lackner, Rückkehr signerInnen, die 1938/39 aus Wien in die USA kamen. Friedrich Kieslers in die fremde Heimat, Wien: Ueberreuter 2021, S. 7 ff. geschwungene und biomorphe Möbelformen läuteten den Organic Style 348 Vgl. Gombrich (2011), S. 20. im Möbeldesign der 1950er Jahre ein. Kieslers originaler Multi-Use Chair 349 Friedrich Torberg, Die Tante aus dem Jahr 1942 erzielte bei einer Design-Auktion von Christie’s im DeJolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten, 2. Aufl., zember 2011 den Rekordpreis von 200 500 US-Dollar.350 Richard Neutras München: DTV 2004, S. 387. Häuser und Möbel wurden zum Inbegriff der kalifornischen Moderne, sein 350 Vgl. https://www.christies. Boomerang Chair und sein Lovell Easy Chair zu Design-Ikonen im Midcom/lot/lot-frederick-j-kiesler1890-1965-an-oak-andCentury Modern Style. 5521299/?from=salesummary&int Josef Frank hatte bereits vor hundert Jahren, zu seiner Zeit in Wien in ObjectID=5521299&lid=1 den 1920er Jahren, vieles von dem vorausgedacht, wie wir heute leben und (Stand: 15.9.2021). wohnen. Seine leichten und farbenfrohen Möbel- und Stoffentwürfe setzten ab den 1930er Jahren wichtige Impulse im internationalen Möbeldesign und inspirierten Stardesigner wie Gio Ponti oder Arne Jacobsen. Seine

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Entwürfe aus seiner Zeit aus Wien werden seit Mitte der 1930er Jahre durchgängig von Svenskt Tenn in Schweden produziert und weltweit verkauft. Martin Eisler wurde in den 1950er Jahren zu einem der gefragtesten MöbeldesignerInnen Südamerikas. Ende der 1990er Jahre entdeckte das Auktionshaus Christie’s den bis zu diesem Zeitpunkt in Europa unbekannten Designer, seine Möbel sind heute beliebte Sammlerobjekte. Die italienische Möbelfirma Tacchini brachte Martin Eislers Reversível Chair als Neuauflage auf den Markt und gewann hierfür den Archiproducts Design Award 2019 und den German Design Award 2021.351 Auch Bruno Pollaks stapelbarer Stahlrohrsessel aus dem Jahr 1927, in Wien gestaltet und in Großbritannien in den 1930er Jahren industriell gefertigt und millionenfach verkauft, wurde 2021 als Neuauflage von PEL in Zusammenarbeit mit dem britischen Designer Jasper Morrison herausgebracht.352 Doch nicht nur die zeitlosen und industrietauglichen Entwürfe der DesignerInnen aus Wien verbreiteten sich weltweit, sondern auch ihre Ideen und Theorien: Der Designtheoretiker Victor J. Papanek, 1923 in Wien geboren, ging in Großbritannien zur Schule und floh als 15-jähriger Bub 1939 vor den Nationalsozialisten in die USA. Viktor J. Papanek studierte Architektur und Design und lehrte an renommierten amerikanischen Universitäten. Sein Buch Design for the Real World. Human Ecology und Social Change wurde in 23 Sprachen übersetzt und zählt heute zu den meistgelesenen Designbüchern weltweit.353 Liane Zimbler und Lisl Scheu Close wurden mit ihren Einrichtungen und Häusern zu den ersten erfolgreichen Architektinnen der USA und damit zu Vorbildern für zahlreiche Frauen der kommenden Generation. Jacqueline Groag prägte mit ihren farbenfrohen Mustern und Stoffen die britische Wohnkultur der 1950er Jahre und Dora Gad wurde zu einer der einflussreichsten InnenarchitektInnen und MöbeldesignerInnen Israels. Ihre Ideen wurden weit über Wiens Grenzen hinaus bekannt und beeinflussten die Entwicklung des Möbeldesigns der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weltweit. Die Gestaltungsideen und die geistige Botschaft der vertriebenen MöbeldesignerInnen leben bis heute weiter – auch in Wien. Sie sind in vielen Wohnungen, Häusern und öffentlichen Plätzen sichtbar. Ihre Entwürfe stehen für zeitloses Design, eine gewisse Leichtigkeit, Fröhlichkeit, Buntheit und Unbeschwertheit. Die traumatischen Folgen der Flucht, der schmerzhafte Verlust von Familienangehörigen und FreundInnen, Wohnungen und Lebensgewohnheiten, und damit die vollkommene Entwurzelung bewegten die vertriebenen MöbeldesignerInnen dazu, für sich und ihre AuftraggeberInnen 351 Vgl. https://www.tacchini.it/ und FreundInnen, oft andere EmigrantInnen aus Wien, mit ihren Einen/journal/reversivel-won-the2021-german-design-award/ richtungen und Möbeln ein neues Zuhause, Orte der Ruhe und Gelassen(Stand: 20.9.2021). heit zu schaffen. 352 Vgl. https://typ.land/ pel-by-jasper-morisson/ (Stand: 20.9.2021). 353 Vgl. Victor J. Papanek, Design for the Real World. Human Ecology und Social Change, Chicago: Academy Chicago Publishers 1985. Der Nachlass des Designers wurde von der Universität für angewandte Kunst Wien nach Wien geholt.

Die geistige Botschaft aus Wien

137

138

Die geistige Botschaft aus Wien

oben L. Joseph und Carla Binder mit Friedrich Kiesler, USA 1943, © MAK unten L. Entwurf eines Wohnund Schlafraums für die Golden Gate International Exhibition, San Francisco 1939, Josef Frank für Svenskt Tenn, © ST oben r. Josef Frank, © ST

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oben Die Welt der Muster von Josef Frank, © ST

Die geistige Botschaft aus Wien

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„Menschen meines Alters haben ihren Kindern nur sehr wenig von ihrem früheren Zuhause erzählt und davon, was ihnen im Krieg widerfahren ist. Ihre Lebensgeschichte lag in ihnen verborgen, doch sie verheilte nicht. Sie wussten nicht, wie sie zu dem Dunkel ihres Lebens ein Tor öffnen sollten, und so entstand die Mauer zwischen ihnen und ihren Nachkommen.“ — Aharon Appelfeld in Geschichte eines Lebens 01    

01 Aharon Appelfeld, Geschichte eines Lebens, Berlin: Rowohlt 2005, S. 184.

MOBELDESIGNERINNEN

Biografien

Er vertrat eine unkonventionelle und moderne Auffassung von Wohnen, plante Häuser, malte Aquarelle, entwarf Möbel, Keramiken und Gläser, gestaltete Bühnenbilder und Kostüme, stattete Filme aus und publizierte zahlreiche Schriften über Architektur und Möbeldesign. Mit großem Enthusiasmus unterrichtete Oskar Strnad 26 Jahre an der Kunstgewerbeschule in Wien. Gemeinsam mit Josef Frank zählt er zu den Begründern der Wiener Wohnraumkultur und prägte eine ganze Generation von jungen MöbeldesignerInnen. 144

1879 – 1935 †

Architekt

Oskar STRNAD Wien Bad Aussee

Oskar Strnad wurde am 26. Oktober 1879 als

zuerkannt.06 Die Lehrtätigkeit an der Kunst-

Designer

Sohn einer kinderreichen, jüdischen Familie

gewerbeschule wurde zu einem wesentlichen

Bühnenbildner

in Wien geboren. Seine Eltern, Samuel

Bestandteil im Leben des hochbegabten

Professor

und Therese, geborene Loury, kamen ur-

Architekten, die er bis an sein Lebensende

sprünglich aus Tschechien, übersiedelten

ausführte.

aber noch vor der Geburt ihrer sieben Kinder Mit seinen Theorien über Architektur und Möbelnach Wien; Oskar hatte fünf Schwestern

design schaffte er eine wesentliche Basis

und einen Bruder. Bereits während seiner

für die Wiener Wohnraumkultur der Zwischen-

Schulzeit zeigte sich sein besonderes

kriegszeit.07 Der Wiener Kunsthistoriker Max

Zeichentalent. Von 1900 bis 1903 studierte

Eisler bezeichnete Oskar Strnad gemein-

er Architektur an der Technischen Hoch-

sam mit Josef Frank als den Begründer der

schule in Wien, die zweite Staatsprüfung

Neuen Wiener Wohnkultur.08

legte er 1903 mit Auszeichnung ab und erlangte den Titel „Doctor architecturae“.

Aufgrund der schlechten Wirtschaftslage blie02

ben große Bauaufträge aus – Oskar Strnad

Im Laufe seiner Studienzeit lernte er seine

hatte jedoch beachtlichen Erfolg bei der

späteren Berufskollegen und lebenslan-

Gestaltung von Ausstellungen, als Innen-

gen Freunde Josef Frank, Oskar Wlach und

architekt sowie als Möbeldesigner. Er

Walter Sobotka kennen. Am 6. Juli 1906

entwarf zahlreiche Möbel und Lampen und

heiratete Oskar Strnad Mathilde Zipper, eine

spielte eine maßgebliche Rolle im Öster-

Kunsthandwerkerin aus Wien; ihre Ehe

reichischen Werkbund, dessen Gründungs-

blieb kinderlos. Noch im selben Jahr machte

mitglied er war. Im Rahmen der Wiener

er sich als freiberuflicher Architekt, Innen-

Werkbundsiedlung errichtete er die Häuser

architekt und Möbeldesigner in Wien selbst-

Nr. 13 und 14 am Engelbrechtweg 5–7, die

ständig und gründete gemeinsam mit Oskar

jedoch während des Zweiten Weltkrieges

Wlach eine Bürogemeinschaft, der sich

zerstört wurden.09

1913 auch Josef Frank anschloss.03 In diesen Oskar Strnad wurde in dieser Zeit auch zu Jahren realisierte Oskar Strnad seine wich-

einem international gefragten Bühnenaus-

tigsten Bauten: das Haus für Oskar Hock

statter. Er entwarf unzählige Bühnenbilder

und die Villa des Schriftstellers Jakob Wasser-

für das Volkstheater in Wien, für die Staats-

mann, beide in Döbling.04 Die Atelierge-

oper und die Salzburger Festspiele, aber

meinschaft wurde während des Ersten Welt-

auch für Bühnen in New York City und in

krieges aufgelöst, die drei jungen Architek-

Moskau, unter anderem in enger Zusammen-

ten arbeiteten jedoch weiterhin gemeinsam.05

arbeit mit Max Reinhardt.10

Im Alter von 30 Jahren begann Oskar Strnad

Der vielseitige Architekt prägte eine ganze Ge-

an der Kunstgewerbeschule zu unterrichten.

neration von jungen MöbeldesignerInnen

Ab 1909 lehrte er allgemeine Formenlehre,

und als Lehrer veränderte Oskar Strnad das

ab 1914 unterrichtete er Architektur; am 1. Ok-

Denken seiner Studierenden von Grund

tober 1920 wurde ihm der Professorentitel

auf.11 Zu seinen bekanntesten StudentInnen

MöbeldesignerInnen – Biografien

145

zählten Margarete Schütte-Lihotzky, Oswald

Oskar Strnad blieben die Gräueltaten der Nazis

Haerdtl, Felix Augenfeld, Otto Niedermoser,

erspart, er starb im Alter von 56 Jahren am

Erich Boltenstern, Franz Schuster und Ernst

3. September 1935 in Bad Aussee an einem

Plischke. In ihrem Buch Warum ich Archi-

Herzversagen. Seine Ehefrau Mathilde

tektin wurde schwärmte Margarete Schütte-

Strnad wollte sich nach dem „Anschluss“ im

Lihotzky über ihren ehemaligen Professor:

Jahr 1938 mit einem Sprung in die Donau

„Strnad war voller Phantasie, voller Einfälle,

das Leben nehmen. An jenem Morgen kam

zeichnerisch außerordentlich begabt, sen-

zufällig Hertha Larisch-Ramsauer vorbei,

sibel, musikalisch – er spielte gut Geige –,

eine ehemalige Studentin ihres Mannes und

umfassend gebildet und ein außerordent-

Studienkollegin Margarete Schütte-Lihotzkys,

licher Lehrer. (...) Wäre ich damals nicht bei

erfuhr von ihren Absichten und rettete ihr

Strnad in die Vorbereitungsklasse ein-

das Leben. Hertha Larisch-Ramsauer ver-

gewiesen worden, ich wäre nie auf die Idee

steckte Mathilde Strnad in ihrem kleinen

gekommen, Architektin zu werden. Vor

Haus und so konnte sie das NS-Regime als

allem aber wäre ich ein anderer Mensch

„U-Boot“ in Wien überleben. Oskar Strnads

geworden.“12

Schwestern Hermine Schulz, Melanie Borges und Hilda Zipper wurden Opfer der Shoah.13

01

146

Oskar Strnad

02

01

03



Entwurf einer Wohnzimmer-

einrichtung, Oskar Strnad, Wien um 1930, © MAK 02

04

Armlehnsessel, Entwurf:

Oskar Strnad, Wien um 1912, © KAUAK 03

Entwurf eines Teppichs,

Oskar Strnad, Wien 1915, © Backhausen-Archiv 04

Entwurf eines Fauteuils für

den Wintergarten der Wohnung von Dr. Wilhelm Freund, Oskar Strnad, Wien 1935, © MAK 05

Entwurf eines Armlehn-

sessels, Oskar Strnad, Wien um 1930, © MAK

05

MöbeldesignerInnen – Biografien

147

Sie war 1921 das erste weibliche Mitglied des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins und neben Margarete Schütte-Lihotzky als einzige Frau am Wohnbauprogramm des „Roten Wien“ beteiligt. Ihr vielfältiges Schaffen umfasste mehrere Disziplinen: Nach einer kunstgewerblichen Ausbildung war sie als Innenarchitektin tätig, erwarb bautechnische Kenntnisse und studierte Architektur. Ella Briggs war eine der wenigen Architektinnen, deren Tätigkeit sich nicht auf die Innenarchitektur beschränkte. Nach ihrer Emigration 1936 arbeitete sie in London weiterhin erfolgreich als Architektin im sozialen Wohnbau. 148

1880 – 1977 †

Ella BRIGGS

Wien London

Architektin

Ella Baumfeld wurde am 5. März 1880 in Wien

Designerin

als jüngstes Kind des Rechtsanwalts Josef

in Salzburg. 1918 inskribierte sie an der

Malerin

Baumfeld und dessen Frau Caroline, ge-

Technischen Hochschule in München und

borene Bryk, in eine jüdische Familie geboren.

beendete 1920, bereits 40-jährig, ihr Stu-

Ihre Eltern stammten ursprünglich aus Polen

dium als Architektin.18 1921 wurde sie als

und hatten drei weitere Kinder: Maurice,

erste Frau Österreichs Mitglied des Öster-

Friedrich und Friederike. Als junges Mädchen

reichischen Ingenieur- und Architekten-

besuchte Ella Baumfeld die private Malschule

Vereins.19

von Albert Seligman.14 Von 1901 bis 1906

Ella Briggs besuchte die Staatsgewerbeschule

Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen

studierte sie Malerei an der Kunstgewerbe-

Situation in Österreich und Deutschland

schule bei Koloman Moser.15

ging Ella Briggs erneut in die USA, um für

Nach ihrem Studium lebte sie einige Jahre in

das amerikanische Baubüro Kahn &

New York City, wo sie Erfahrungen im

Gregory zu arbeiten. Mitte der 1920er Jahre

Möbeldesign und Möbelbau sammeln konnte.

kam sie wieder nach Wien und erhielt

Auch Ellas Bruder Maurice Baumfeld lebte

1925 von der Gemeinde Wien den Bauauf-

dort; er war der Gründer und Leiter des

trag für den Pestalozzi-Hof in Döbling

deutschen Theaters in New York, des Irving

mit fix möblierten Kleinwohnungen. Sie war

Place Theatre. Auf dessen Vermittlung

damit neben Margarete Schütte-Lihotzky

gestaltete sie die Gesellschaftsräume des

die einzige Frau, die Aufträge für Gemeinde-

Theaters sowie des New York Press Club

bauten des „Roten Wien“ erhielt.20

in Manhattan. In New York heiratete sie am

Ende der 1920er Jahre übersiedelte Ella Briggs

6. September 1907 den aus Wien stam-

nach Berlin und engagierte sich weiterhin im

menden Journalisten und österreichischen

sozialen Wohnbau. Nachdem für sie dort

Militärattaché in den USA Walter Briggs. Die

das Leben nach der Machtergreifung der

Ehe blieb kinderlos. Nach fünf Jahren ließ

Nazis unerträglich geworden war, kehrte sie

sich das Ehepaar scheiden und die junge

1935 nach Wien zurück und emigrierte 1936

Künstlerin übersiedelte nach Wien.

nach London.21 Obwohl Ella Briggs aus-

16

Nach ihrer Rückkehr entwarf Ella Briggs, die

gezeichnet Englisch sprach, war das Leben

sich selbst als „Architektin“ bezeichnete,

in London anfangs schwierig, da sie zu-

Möbel, war als Innenarchitektin tätig und en-

nächst keine Architektenbefugnis erhielt.22

gagierte sich in feministischen Frauenclubs.

Nach 1945 beteiligte sie sich an einem

Sie zeigte ihre Entwürfe 1914 in Wien in

Wiederaufbauprojekt der britischen Regie-

einer Kunstgewerbeausstellung im Neuen

rung. 1947 erhielt sie die britische Staats-

Wiener Frauenclub sowie bei der Aus-

bürgerschaft und wurde in das Royal Institute

stellung der Vereinigung bildender Künst-

of British Architects aufgenommen. Auch

lerinnen Österreichs. In dieser Zeit arbei-

Ellas Geschwister, Friedrich und Friederike,

tete sie auch in der Möbelfabrik Sigmund

überlebten die Shoah im Londoner Exil.

Jaray in Wien und in den Architektur-

Ella Briggs starb im Alter von 97 Jahren am

büros von Alfred Keller und Karl Holey.

MöbeldesignerInnen – Biografien

17

20. Juni 1977 in London.23

149

1925 gründete er gemeinsam mit Josef Frank Haus & Garten, das zu einem der schönsten und erfolgreichsten Einrichtungsunternehmen Europas wurde. Oskar Wlachs elegante und zeitlose Möbelentwürfe wurden vielfach international ausgestellt, dennoch stand er immer im Schatten seines Geschäftspartners und Freundes Josef Frank. Im New Yorker Exil hatte der Architekt und Designer stets Heimweh nach Wien und konnte an seine früheren Erfolge nicht mehr anknüpfen. 150

1881 – 1963 †

Architekt Möbeldesigner

Oskar WLACH Wien New York

Oskar Wlach wurde am 18. April 1881 in Wien

Doppelhaus in der Veitingergasse 99–101 in

in eine gutbürgerliche jüdische Familie

Hietzing.27 Nachdem Josef Frank 1933 nach

geboren. Sein Vater Albert Wlach war Uhren-

Schweden emigriert war, führte Oskar Wlach

händler und verheiratet mit Fanni, gebore-

das Geschäft in Wien erfolgreich bis 1938

ne Hermann. Die Familie hatte vier Kinder:

weiter. Nach der Machtübernahme der Natio-

zwei weitere Söhne, Eugen und Hermann,

nalsozialisten im März 1938 wurde Haus &

und eine Tochter, Olga. Oskar Wlach studier-

Garten „arisiert“ und von Julius Theodor

te von 1889 bis 1903 Architektur an der

Kalmar und dessen Bruder Josef Kalmar als

Technischen Hochschule und schloss 1906

sogenannte „Ariseure“ übernommen.28

sein Doktoratsstudium ab. Nach seinen

Im November 1938 flohen Oskar und Klari

Studienjahren machte er sich als freiberuf-

Wlach mit Hilfe des befreundeten österreichi-

licher Architekt selbstständig und gründete

schen Architekten Eugen Wörle über die

eine Bürogemeinschaft mit Oskar Strnad, der

Schweiz nach Großbritannien. Nach einem

sich 1913 auch Josef Frank anschloss.

Aufenthalt in London erreichte das Ehe-

Während des Ersten Weltkrieges wurde der

paar am 1. Mai 1939 an Bord der Normandie

Architekt eingezogen und in Istanbul sta-

New York City.29 Der 59-jährige Architekt

tioniert, wo er einige Wohnhäuser realisierte.

konnte sich im Exil nur schwer zurechtfinden.

Obwohl die Bürogemeinschaft während

Er erwarb zwar nach Abschluss einer kom-

des Krieges aufgelöst worden war, arbeiteten

missionellen Prüfung im Jahr 1940 eine

die drei jungen Architekten weiterhin lose

Architektenlizenz, konnte sich beruflich je-

zusammen. Oskar Wlach heiratete die Wie-

doch kaum etablieren. Oskar Wlach stattete

ner Malerin und Kunsthandwerkerin Klari

in Manhattan einzelne Wohnungen zumeist

Krausz; die Ehe blieb kinderlos.24

anderer EmigrantInnen aus Wien aus und

Als überzeugter Sozialdemokrat engagierte er

arbeitete als Zeichner in einem Einrich-

sich Mitte der 1920er Jahre im sozialen Wohn-

tungsbüro.30 Seine Frau Klari führte wenig

bau für die Gemeinde Wien. 1925 gründete

erfolgreich einen Modesalon in Manhattan.

Oskar Wlach gemeinsam mit Josef Frank ein

All das führte zu finanziellen Schwierig-

Einrichtungsunternehmen, an dem beide

keiten. Oskar Wlach stellte zu Beginn der

Architekten je zur Hälfte beteiligt waren:

1950er einen Restituierungsantrag für Haus

Haus & Garten. Oskar Wlach fungierte als

& Garten in Wien, jedoch ohne Erfolg.31

Geschäftsführer, Josef Frank als künstleri-

An seine Erfolge als Möbeldesigner, Archi-

scher Leiter. Oskar Wlach entwarf zahl-

tekt und Unternehmer in Wien vor 1938

reiche Möbel und Inneneinrichtungen, seine

konnte Oskar Wlach nicht mehr anknüpfen.

Entwürfe zeichneten sich durch Eleganz

Er starb 1963 im Alter von 82 Jahren verarmt

und Behaglichkeit aus. Er stand jedoch im-

in New York City in einem Altersheim.32

25

mer im Schatten seines Freundes und Geschäftspartners Josef Frank.26 Für die Wiener Werkbundsiedlung entwarf er ein

MöbeldesignerInnen – Biografien

151

Als Architekt des „Schokoladenhauses“ in Wien Hietzing schuf er 1914 ein außergewöhnliches Gebäude, das durch seine Fassadengestaltung auffiel. In den 1920er Jahren entwarf Ernst Lichtblau soziale Wohnbauten, richtete Geschäfte ein, designte Möbel und Alltagsgegenstände und unterrichtete. Nach seiner Emigration in die USA prägte er als Professor eine ganze Generation junger DesignerInnen. Als einer der wenigen 1938 aus Wien vertriebenen ArchitektInnen kehrte er 1962 in seine Geburtsstadt zurück. 152

1883 – 1963 †

Ernst LICHTBLAU Wien Wien

Architekt

Ernst Lichtblau wurde am 24. Juni 1883 in Wien

Als Möbeldesigner hatte Ernst Lichtblau eine

Designer

in eine wohlhabende jüdische Familie als

Vorliebe für behagliche, leichte Möbel aus

Professor

jüngster dreier Brüder geboren. Sein Vater,

Holz. 1925 gründete er die Ernst Lichtblau

Johann Lichtblau, war Geschäftsführer der

Werkstätte Ges.m.b.H und gestaltete De-

größten Meerschaumpfeifenfabrik des

signprodukte für den täglichen Gebrauch.35

damaligen Habsburgerreiches. Nach dem

Ernst Lichtblau war ein sozial engagierter

Besuch der Staatsgewerbeschule in Wien

Architekt und beteiligte sich an mehreren

studierte Ernst Lichtblau von 1902 bis 1905

sozialen Wohnbauprojekten der Stadt Wien.

Architektur an der Akademie der bildenden

1929 übernahm er die Leitung der neu

Künste Wien bei Otto Wagner. Nach seinem

gegründeten BEST, der Beratungsstelle für

Studium unterrichtete der junge Architekt

Inneneinrichtung des Österreichischen

technisches Zeichnen für Möbeltischlerei an

Verbandes für Wohnungsreform, die sich im

der Staatsgewerbeschule in Wien. Ab 1924

Karl-Marx-Hof befand. In einer Daueraus-

war Ernst Lichtblau hauptsächlich als frei-

stellung wurden dort Musterwohnungen

beruflicher Architekt und Designer tätig. In

sowie günstige Möbel und Haushaltsgegen-

dieser Zeit realisierte er mehrere Häuser

stände gezeigt. Ernst Lichtblau nahm auch

in Wien, unter anderem das Haus in der Watt-

an zahlreichen Ausstellungen des Österrei-

manngasse 29 in Hietzing, das aufgrund

chischen Werkbundes teil, dessen Grün-

seiner schokoladenfarbigen Keramikfassade

dungsmitglied er war.36 Für die Wiener Werk-

unter dem Namen „Schokoladenhaus“ be-

bundsiedlung entwarf er ein schlichtes,

kannt wurde.33 Von 1910 bis 1920 war er als

kubisches Doppelhaus in der Jagdschloss-

freier Mitarbeiter der Wiener Werkstätte

gasse 88–90 und richtete drei weitere Häuser

unter Josef Hoffmann tätig und fertigte Ent-

anderer Architekten ein.37

würfe für kunstgewerbliche Gegenstände

Unter schwierigsten Umständen floh Ernst

an. Als Designer entwarf Ernst Lichtblau

Lichtblau am 21. August 1939 vor den Natio-

unter anderem Stoffmuster für den Wiener

nalsozialisten aus Wien über London nach

Stoffproduzenten Backhausen sowie Gläser,

New York City; er war damals 56 Jahre alt.

die von der Glasmanufaktur J. & L. Lobmeyr

Der bekannte Architekt und Designer aus

gefertigt wurden. Bereits während seines

Wien kam mit lediglich fünf englischen

Studiums wurden die Arbeiten des jungen

Pfund in New York City an.38 Er begann, als

Architekten mit Preisen ausgezeichnet

Designkonsulent für das bekannte Waren-

und vom Beginn seiner Karriere an beteiligte

haus Macy’s in Manhattan zu arbeiten. Am

er sich erfolgreich an nationalen und inter-

4. Juli 1945 erhielt Ernst Lichtblau die

nationalen Ausstellungen. Bei der Exposition

amerikanische Staatsbürgerschaft. Im selben

des Arts Décoratifs und Industriels Modernes

Jahr begann er, an der renommierten The

1925 in Paris wurde seine Arbeit mit einer

Cooper Union Art School, einer Universität

Goldmedaille ausgezeichnet.

für Architektur und Design in Manhattan,

MöbeldesignerInnen – Biografien

34

153

Textildesign zu unterrichten. Im Herbst 1947

In den 1950er Jahren reiste der erfolgreiche

wurde er Lektor, später Professor für Innen-

Architekt einige Male nach Wien und stellte

architektur an der Rhode Island School of

dabei auch einen Rückstellungsantrag

Design in Providence in Rhode Island. Ernst

auf das „arisierte“ Eigentum seiner Familie.

Lichtblau strukturierte den Unterricht für

Ob Ernst Lichtblau etwas zurückbekam, ist

Innenarchitektur komplett um, wurde schon

nicht bekannt. Als einer der wenigen ver-

bald zum Vorstand der Abteilung für Innen-

triebenen ArchitektInnen kehrte er 1962 aus

architektur an der Universität ernannt und

dem amerikanischen Exil nach Wien zu-

Mitte der 1950er Jahre schließlich zum Dekan

rück. Er erhielt einen Auftrag der Gemeinde

der Fakultät für Architektur. Für das Mu-

Wien zum Entwurf einer Schule in der Grund-

seum seiner Universität kuratierte er in den

steingasse im 16. Bezirk. Ernst Lichtblau

1950er Jahren die Ausstellung Furniture of

starb am 8. Jänner 1963 im 80. Lebensjahr

Today, eine Ausstellung für moderne Möbel

an einem Herzinfarkt, den er in Folge der

und Inneneinrichtung.40

Aufregung über den Brand des Parkhotels

39

in Hietzing erlitten hatte. Die Einweihung seiner Schule erlebte er tragischerweise nicht mehr.41

01

Satztische aus Nussholz, Entwurf:

Ernst Lichtblau (zugeschrieben), Wien um 1920, © Dorotheum Wien, 2018

154

Ernst Lichtblau

02

02

Entwürfe für Druckstoffe, Ernst Lichtblau,

Wien 1911/13, © Backhausen-Archiv

155

Leicht, bunt, fantasievoll – der Architekt und Designer Josef Frank setzte sich Zeit seines Lebens für Möbel aus Holz und farbenfrohe Stoffmuster ein. Die BewohnerInnen seiner Häuser sollten Glück und Zufriedenheit finden, er wollte Räume und Möbel für die Seele schaffen. Sein Einrichtungsgeschäft Haus & Garten in Wien zählte zu den schönsten Europas. Er gestaltete über tausend Möbel und mehr als zweihundert Stoffmuster, viele werden heute noch vom schwedischen Unternehmen Svenskt Tenn nach Franks Originalentwürfen hergestellt. 156

1885 – 1967 †

Architekt

Josef FRANK

Baden bei Wien Stockholm

Am 15. Juli 1885 wurde Josef Frank in eine

1912 rief Josef Frank als Gründungsmitglied den

Designer

großbürgerliche jüdische Familie geboren. Er

Österreichischen Werkbund ins Leben.

Publizist

kam in Baden bei Wien zur Welt, wo sich

1913 schloss er sich der Bürogemeinschaft

Professor

seine Familie in den Sommerferien aufhielt.

seiner beiden Studienfreunde Oskar Strnad

Maler

Sein Vater Ignaz Isak Frank, ein Textilwaren-

und Oskar Wlach an, die während des

händler in Wien, stammte ursprünglich

Ersten Weltkrieges jedoch wieder aufgelöst

aus Ungarn; seine Mutter Jenny, geborene

wurde. 1915 wurde er als Reserveleutnant

Feilendorf, kam aus Wien. Josef Frank

zum Kriegsdienst an der Balkanfront einge-

wuchs mit einem älteren Bruder, Philipp, und

zogen. Der Erste Weltkrieg mit seinen

zwei jüngeren Geschwistern, Hedwig

katastrophalen Auswirkungen für die öster-

und Rudolf, auf. 1903 begann er Architektur

reichische Bevölkerung prägte den jungen

an der Technischen Hochschule zu stu-

Architekten. Nach Kriegsende engagierte

dieren. An seinem 23. Geburtstag im Juli 1908 legte er die zweite Staatsprüfung ab.

sich Frank im sozialen Wohnbau der Stadt 42

Wien und befasste sich in seinen zahlrei­

Am 23. Dezember 1910 promovierte

chen Schriften mit der Wohnungsnot der

Frank zum Doktor der Architektur und über-

ArbeiterInnen.44

siedelte kurz darauf nach Berlin, um im

Von 1919 bis 1925 unterrichtete Josef Frank an

Atelier des Architekten Bruno Möhring zu

der Kunstgewerbeschule Baukonstruktions-

arbeiten. Dort kam der junge Architekt

lehre.45 Zu Beginn der 1920er Jahre enga-

mit den Ideen der Gartenstadtbewegung

gierte er sich als Architekt im Österreichischen

und der Werkbundidee in Berührung. In

Verband für Siedlungs- und Kleingarten-

Berlin lernte er auch die um fünf Jahre älte-

wesen gemeinsam mit Adolf Loos, Otto Neu-

re Musikstudentin Anna Sebenius aus

rath und Margarete Schütte-Lihotzky.

Schweden kennen; die beiden heirateten

Josef Frank war „einer der interessantesten

1912. Das junge Ehepaar kehrte zurück

Menschen, denen ich je begegnet bin“,

nach Wien und bezog eine Dachgeschoss-

schwärmte Margarete Schütte-Lihotzky in

wohnung in der Wiedner Hauptstraße 64

ihren Erinnerungen, „geistreich und sehr

im 4. Bezirk, die Josef Frank einrichtete.

gebildet auf den verschiedensten Wissens-

Frank schwärmte für das zur damaligen Zeit

gebieten, sarkastisch, voll von beißender

eher unübliche Wohnen in einem Dachge-

Kritik und Ironie“.46

schoss und sagte darüber, das „(…) Bo-

1925 gründete der damals 40-jährige Architekt

hèmeatelier im Mansardendach“ vereinbare

gemeinsam mit Oskar Wlach das Ein-

alles, „was wir in den darunterliegenden,

richtungsunternehmen Haus & Garten, das

planvoll und rationell eingerichteten Woh-

innerhalb weniger Jahre zu einem der

nungen vergeblich suchen: Leben. Große

schönsten Einrichtungsgeschäfte Europas

Räume, große Fenster, viele Ecken, krumme

wurde. Als künstlerischer Leiter entwarf

Wände, Stufen und Niveauunterschiede,

Josef Frank Möbel, Stoffe, Lampen und Tep-

Säulen und Balken.“43

piche und gestaltete Einrichtungen, Häuser

MöbeldesignerInnen – Biografien

157

und Gärten. Bei seiner Innenarchitektur ging

1938 reiste Josef Frank noch einige Male in

es dem Architekten immer um das Wohl-

seine Heimatstadt. Am 15. Juli 1935 feierte

befinden der BewohnerInnen eines Hauses;

er in Wien seinen 50. Geburtstag im Kreise

seine organisch geformten, leichten und

seiner engsten FreundInnen Soma Mor-

zeitlosen Möbel sollten zum Entspannen

genstern, Walter Sobotka, Felix Augenfeld,

und Ausruhen einladen. Als Möbeldesigner

Jacques Groag, Karl Hofmann, Otto Breuer,

war Josef Frank jedoch nicht nur für das

Jacqueline Groag und Oskar Strnads Witwe,

eigene Unternehmen, sondern auch für die

Mathilde Strnad. Im August 1938 verlegte

Thonet Mundus AG tätig.47

er seinen Wohnsitz offiziell nach Stockholm

1927 realisierte er als einziger österreichischer

führte Haus & Garten in Wien bis zur „Arisie-

Rohe für die Weissenhofsiedlung in Stuttgart

rung“ im Frühling 1938 erfolgreich weiter.51

ein Doppelhaus. Ganz anders als seine

Mit seiner Emigration nach Stockholm begann

internationalen Kollegen und Kolleginnen

eine sehr kreative und intensive Zusammen-

richtete er sein Haus mit verspielten, farben-

arbeit mit der schwedischen Firma Svenskt

frohen Möbeln und fantasievoll bedruckten

Tenn, die bis zu Josef Franks Tod anhielt.

Leinenstoffen von Haus & Garten ein. Josef

Svenskt Tenn wurde 1924 von Estrid Ericson,

Frank, dessen Innenarchitektur auf die

einer schwedischen Textilkünstlerin und

menschlichen Bedürfnisse ausgerichtet war,

Freundin Anna Franks, gegründet. In Zusam-

wurde von anderen ArchitektInnen teilweise

menarbeit mit Estrid Ericson wurde die

heftig kritisiert. Der niederländische Archi-

Haus & Garten-Linie weitergeführt und es

tekt Theo van Doesburg bezeichnete Franks

wurden Möbel und Stoffe nach Josef Franks

Einrichtungen mit den vielen farbigen

Entwürfen aus Wien weiterproduziert; da-

Kissen und bunt lackierten Holzsesseln als

neben entstanden laufend neue Entwürfe.52

zu „feminin“ , ein weiterer Kritiker sprach 48

sogar vom „Bordell Frank“49. Kurz danach folgten zwei prestigeträchtige

Josef Frank wurde 1939 schwedischer Staatsbürger. Als das Leben in Schweden für das jüdische Ehepaar zu unsicher wurde, emi-

Projekte in Wien: 1928 die komplette

grierten die beiden im Dezember 1941 nach

Inneneinrichtung, Möblierung und Garten-

New York City. Im Frühling 1942 begann

architektur des Hauses Krasny auf der

Josef Frank an der New School for Social

Hohen Warte und 1929 die Planung des

Research in Manhattan im Rahmen der

Hauses Beer in Hietzing. Beide Häuser

University in Exile Architektur und Design zu

wurden zu Paradebeispielen moderner Archi-

unterrichten.53 In seinem Exil in New York

tektur und Innenarchitektur in Wien und in

entwarf Josef Frank in erster Linie Stoffe, so-

zahlreichen internationalen Architekturzeit-

wohl für Svenskt Tenn als auch für das

schriften wie Domus gezeigt.

amerikanische Einrichtungsunternehmen

Zu Beginn der 1930er Jahre initiierte Josef Frank den Bau der Wiener Werkbund-

158

und meldete sich in Wien ab. Oskar Wlach

Architekt auf Einladung von Mies van der

F. Schumacher & Co.54 Josef und Anna Frank kehrten 1947 wieder

siedlung, die, den Ideen der Gartenstadt-

nach Schweden zurück, reisten aber weiter-

bewegung folgend, den Höhepunkt in Josef

hin häufig nach New York.55 1949 er-

Franks Werk in Wien darstellt. Frank, der

arbeitete Josef Frank einige Vorschläge zur

die Gesamtplanung übernahm, lud 76

Neugestaltung des Stephansplatzes in

ArchitektInnen, InnenarchitektInnen und

Wien, die jedoch in Wien unbeachtet blieben.

GartengestalterInnen ein, 70 individuelle

Josef Frank fühlte sich, so Margarete

Musterhäuser samt Innenausstattung zu ge-

Schütte-Lihotzky „(…) zutiefst verletzt von

stalten.50 Aufgrund der massiven Ver-

allem, was geschehen war. Er wußte

schärfung des politischen Klimas und des

natürlich, daß die vielen Nazis und auch

deutlich spürbaren Antisemitismus in

Antisemiten sich nicht über Nacht ändern

Wien beschlossen Josef und Anna Frank

würden, und fühlte sich zu alt, um den

im Dezember 1933 Wien zu verlassen und

Kampf mit den völlig Andersdenkenden

nach Stockholm zu ziehen. Von 1934 bis

noch aufzunehmen.“56

Josef Frank

1965 organisierte die Österreichische Gesell-

Josef Frank zählt heute zu den bedeutendsten

schaft für Architektur in Wien eine Aus-

österreichischen ArchitektInnen und Möbel-

stellung über den vertriebenen Architekten.

designerInnen des 20. Jahrhunderts.58

Zu dieser Zeit wurde Josef Frank auch

Der Architekt und Designer hat vieles von

der Große Österreichische Staatspreis für

dem vorausgedacht, wie wir heute leben

Architektur verliehen. Den Preis konnte er

und wohnen. Seine Entwürfe setzten

jedoch aufgrund seines schlechten Gesund-

wichtige Impulse im internationalen Möbel-

heitszustandes nicht mehr selbst entge-

design und sind heute weltweit bekannt.59

gennehmen. In einem Brief vom 20. Dezember

Anna und Josef Frank blieben kinderlos. Josef

1965 an die Österreichische Gesellschaft

Frank starb mit 82 Jahren am 8. Jänner 1967

für Architektur schrieb der damals bereits

in Stockholm, seine Frau war bereits zehn

fast 80-Jährige, der bis zuletzt Heimweh

Jahre vor ihm gestorben. Josef Franks

nach Wien hatte: „Leider ist es ja so, daß ich

älterer Bruder, der Philosoph Philipp Frank,

schon seit sehr vielen Jahren nichts zur

ein enger Freund Albert Einsteins, lebte

österreichischen Architektur habe beitragen

ab 1938 in New York und kehrte nicht mehr

können, (…), da ja meine Tätigkeitszeit

nach Wien zurück.60 Franks jüngere Schwes-

meist mit sehr ungünstigen Verhältnissen

ter Hedwig Tedesko überlebte die Shoah

zusammengefallen ist. Und hier in Schweden

im Schweizer Exil. Der jüngste Bruder Rudolf

habe ich mich ja fast nur mit Inneneinrich-

überlebte die Shoah nicht und wurde 1944 in

tung befasst, so daß es überall ganz ver-

einem Konzentrationslager ermordet.

gessen ist, daß all das im Grunde in Wien und lang vorher entstanden ist.“57

01

01

Entwurf eines Teppichs,

Josef Frank für Haus & Garten, Wien 1929, © Backhausen-Archiv 02

Teppich, Entwurf: Josef

Frank, Stockholm 1938, Ausführung: Svenskt Tenn, © ST

MöbeldesignerInnen – Biografien

02

159

03

Sessel aus rot lackiertem Buchenholz,

Entwurf: Josef Frank für Thonet-Mundus, Wien um 1927, Ausführung: Svenskt Tenn, © ST 04

Armsessel aus Nussholz und Bambus-

sprossen, Stoffbezug Notturno, Entwurf: Josef Frank für Haus & Garten, Wien um 1927, © Dorotheum Wien, 2016

03

04

05

160

Josef Frank

05

Barschrank aus Nussholz,

Entwurf: Josef Frank für Haus & Garten, Wien um 1927, © Dorotheum Wien, 2019 06

Couchtisch aus Nussholz,

Entwurf: Josef Frank für Haus & Garten, Wien um 1925, © KAUAK 07

Stehlampe aus Messing

und Bambus, Entwurf: Josef Frank, Wien um 1930, Ausführung: Svenskt Tenn © Dorotheum Wien, 2019 08

Entwurf eines Teppichs,

Josef Frank für Haus & Garten, Wien 1927, © Backhausen-Archiv 09

Kommode, Entwurf: Josef

Frank, Ausführung: Svenskt Tenn, beides Stockholm um 1940; Lampe, Entwurf: Josef Frank, Wien um 1930, Sammlung K

06

08

07

09

MöbeldesignerInnen – Biografien

161

01

02

01

Couch mit braunem Samtbezug, Entwurf:

Josef Frank, Stockholm 1934, Ausführung: Svenskt Tenn, © ST 02

Stehlampe, Entwurf: Josef Frank, Stockholm

um 1938, Ausführung: Svenskt Tenn, Sammlung K 03

Bücherregal, Entwurf: Josef Frank, Stock-

holm 1950, Ausführung: Svenskt Tenn, © ST

162

03

Josef Frank

04

Sideboard, Entwurf: Josef

Frank, Stockholm 1950, ähnliche Modelle verwendete Josef Frank im Haus Krasny und im Haus Beer, Ausführung: Svenskt Tenn, © ST 05

Cabinet, Entwurf: Josef

Frank, um 1935, Ausführung: Svenskt Tenn, © ST 06

Zwei Puffs, Entwurf: Josef

Frank, Wien um 1925, Ausführung: Svenskt Tenn, © ST 07

Couch mit grünem Samt-

bezug, Entwurf: Josef Frank, Stockholm um 1940, Aus-

04

führung: Svenskt Tenn, © ST

05

06

07

MöbeldesignerInnen – Biografien

163

Der junge Architekt war bereits 1914 in die USA ausgewandert und hatte dort als Möbeldesigner großen Erfolg. Paul Theodore Frankls Arbeiten wurden vielfach publiziert, und seine von Wolkenkratzern inspirierten und mehrfach kopierten Möbel erlangten Kultstatus und standen in den eleganten Wohnungen der Hollywoodstars. Seine Galerie Frankl Galleries in Manhattan verkaufte neben seinen hochwertigen Möbeln auch Kunsthandwerk aus Wien und Japan. Seine Möbel sind heute begehrte Sammlerobjekte. 164

Paul Theodore FRANKL

1886 – 1958 †

Architekt

Wien Los Angeles

Paul Theodore Frankl wurde am 14. Oktober

Fauteuils, Schränke und Schreibtische,

Publizist

1886 in Wien in eine großbürgerliche

waren in Manhattan sehr beliebt und wurden

Möbeldesigner

jüdische Familie geboren. Er hatte zwei

in zahlreichen Einrichtungs- und Architek-

ältere Brüder, Otto und Robert, und einen

turmagazinen gezeigt. Seine Galerie wurde

jüngeren, Wilhelm. Sein Vater Julius Frankl

bald zum gesellschaftlichen Treffpunkt der

war ein wohlhabender Immobilienunter-

Stadt, auch Eleanor Roosevelt, die Frau des

nehmer, der während des Gründerzeit-Bau-

ehemaligen Präsidenten der Vereinigten

booms ein Vermögen aufbauen konnte.

Staaten, kaufte hier ihre Einrichtung. Frankls

Seine Mutter Emma, geborene Friedmann,

Möbel waren so populär, dass sie gegen

stammte aus einer bekannten Wiener

Ende der 1920er Jahre von anderen Herstel-

Kaufmannsfamilie.61 Frankl wollte eigentlich

lern kopiert, in Serie produziert und billig

Malerei studieren, begann jedoch auf

verkauft wurden.63 Die Originale waren im

Wunsch des Vaters 1904 mit dem Architektur-

Gegensatz zu den Kopien sehr hochwertig

studium an der Technischen Hochschule.

verarbeitet, aus kostbaren Hölzern gefertigt,

Ein Jahr später übersiedelte er nach Berlin

die Oberflächen wurden oft lackiert.64

und schloss sein Studium 1911 ab. Der

Frankl hielt zahlreiche Vorträge zum Thema

Architekt heiratete Paula König, eine Konzert-

Möbeldesign und Innenarchitektur und ver-

pianistin aus Berlin. Das junge Ehepaar

fasste in den 1930er Jahren mehrere Bücher.

reiste 1914 in die USA. Nach Ausbruch des

1934 übersiedelte er nach Los Angeles,

Ersten Weltkrieges blieben sie in New York

unterrichtete an der University of Southern

und Frankl nahm eine Stelle als Grafiker

California und leitete die Frankl Galleries

an. 1915 erhielt er den Auftrag, einen Schön-

in Beverly Hills. Zu seinen Kunden und Kun-

heitssalon für Helena Rubinstein in der

dinnen zählten Hollywoodstars wie Fred

Madison Avenue umzubauen und einzurich-

Astaire, Charlie Chaplin, Cary Grant, Katha-

ten. Weitere Innenarchitektur-Aufträge

rine Hepburn oder Alfred Hitchcock.65 Frankls

folgten, die in zahlreichen amerikanischen

Möbel zählten bis in die 1950er Jahre zu den

und europäischen Architekturzeitschriften

beliebtesten Möbeln der Hollywoodstars.66

publiziert wurden.

62

1922 eröffnete Paul Theodore Frankl eine Gale-

Paul Theodore Frankl starb am 21. März 1958 in Los Angeles.67

rie, die Frankl Galleries, in der 48th Street in Manhattan. Er gestaltete Möbel und verkaufte neben seinen eigenen Entwürfen Kunsthandwerk aus Wien sowie Tapeten und Stoffe, die er großteils aus Japan importierte. In dieser Zeit entwarf er einen Bücherschrank, der in seiner Form an die Wolkenkratzer Manhattans erinnerte. Frankls Skyscraper Furniture, seine Bücherregale,

MöbeldesignerInnen – Biografien

165

Seine Möbelentwürfe wurden international prämiert und seine langjährigen Erfahrungen im Bereich der Innenarchitektur und des Möbeldesigns, die Walter Sobotka in Wien sammeln konnte, kamen ihm im Exil in den Vereinigten Staaten zugute. Er konnte weiterhin als Designer und Architekt arbeiten und als Professor sein Wissen einer neuen Generation von InnenarchitektInnen vermitteln. Seine didaktischen Erfahrungen, die er in Principles of Design niederschrieb, wurden jedoch nie veröffentlicht. Die geplante Rückkehr nach Wien scheiterte an bürokratischen Hürden. 166

1888 – 1972 †

Architekt

Walter SOBOTKA Wien New York

Walter Sobotka wurde am 1. Juli 1888 in Wien

richten. Zunächst war er Assistent für Archi-

Möbeldesigner

in eine wohlhabende jüdische Familie ge-

tektur, Textilien und Kunstgewerbe und ab

Professor

boren. Seine Eltern Ignaz und Hedwig

1946 Professor für Innenarchitektur. Neben

Sobotka, geborene Hauser, waren Teilha-

seiner Unterrichtstätigkeit arbeitet er weiter-

berInnen einer großen Malzfabrik in Wien-

hin als Möbeldesigner, Innenarchitekt und

Stadlau. Sie hatten drei weitere Kinder:

erfolgreicher Bühnenausstatter. So richtete

Georg, Marianne und Harry. Walter Sobotka

er das Haus für die damals berühmte öster-

studierte von 1907 bis 1912 Architektur an

reichische Filmschauspielerin Hedy Lamarr

der Technischen Hochschule. Am 22. No-

ein.73 In den 1950er Jahren versuchte Walter

vember 1912 legte er seine zweite Staats-

Sobotka, in Wien als Architekt gemeinsam

prüfung ab.68 Von 1919 bis 1923 arbeitete

mit Erich Boltenstern tätig zu werden. Doch

der junge Architekt bei der Wiener Baufirma

die Bürokratie der österreichischen Be-

Karl Korn. Ab 1923 war Walter Sobotka als

hörden, die Walter Sobotka als sehr kränkend

selbstständiger Architekt und Möbeldesigner

empfand, verhinderte seinen beruflichen

tätig. Er richtete zahlreiche Wohnungen

Wiedereinstieg in Österreich, seine „aus-

und Häuser ein und entwarf zwei Wohnhaus-

ländische“ Architektenbefugnis wurde nicht

anlagen für die Gemeinde Wien. 1919

anerkannt.74 Walter Sobotkas Leben wurde

heiratete er Gisela Schönau, 1925 kam ihre

zusätzlich zur erzwungenen Emigration von

Tochter Ruth zur Welt. Walter Sobotka war

einer weiteren Tragödie überschattet. Seine

mit Josef Frank, Jacques Groag, Felix Augen-

Tochter Ruth starb 1967 mit 41 Jahren an

feld und Karl Hofmann befreundet, zeitweise

Krebs. Er widmete ihr das Buch Ruth Sobot-

wurde auch gemeinsam gearbeitet. 1925

ka75, das 1968 in New York publiziert wurde.

war Sobotka für kurze Zeit an Josef Franks

Walter Sobotkas Schriften The Principles

und Oskar Wlachs Einrichtungsfirma Haus &

of Design wurden hingegen nie veröffentlicht.

Garten beteiligt.70 Auch im Rahmen des Öster-

Sie beinhalten auch eine umfangreiche

reichischen Werkbundes arbeitete er eng

Korrespondenz mit Josef Frank, die die lang-

69

mit Josef Frank zusammen. Für die Wiener

jährige Freundschaft und geistige Verbun-

Werkbundsiedlung entwarf er zwei Häuser

denheit zeigt.76 Sobotka, der bis zu seinem

sowie deren gesamte Inneneinrichtung.72

Tod als Architekt und Designer tätig war,

71

Im Juli 1938 floh der 50-jährige Walter Sobotka

starb am 8. Mai 1972 mit 83 Jahren an einem

mit seiner Familie von Wien nach New York

Herzinfarkt in seiner New Yorker Wohnung.77

City. Noch im selben Jahr begann er als

In einem Nachruf schrieb die New York

Möbeldesigner für die Firma Thonet Brothers

Times am 10. Mai 1972: „Mr. Sobotka, who

New York zu arbeiten und entwarf Bugholz-

had studied under Carl Koenig in Vienna,

möbel und war darüber hinaus auch als

was one of the last survivors of the Austrian

Mitarbeiter des amerikanischen Designers

school of architecture, a pioneer in mo-

Russel Wright tätig. 1941 übersiedelte

dern functional design and a forerunner of

Walter Sobotka nach Pittsburgh, um dort

the Bauhaus in Germany.“78

am Carnegie Institute of Technology zu unter-

MöbeldesignerInnen – Biografien

167

Seiner Zeit weit voraus gestaltete Friedrich Kiesler spektakuläre Bühnenbilder und Ausstellungen. Er war bereits 1926 nach New York ausgewandert und konnte in seiner neuen Heimat visionäre Gestaltungen in der Ausstellungsarchitektur und im Möbeldesign realisieren. Seine multifunktionalen und biomorphen Möbel fanden internationale Beachtung, waren wegweisend für den organischen Stil der 1950er Jahre und sind heute begehrte Sammlerstücke. Mit dem Shrine of the Book in Jerusalem schuf er ein Meisterwerk der modernen Architektur Israels. 168

1890 – 1965 †

Bühnenbildner

Friedrich KIESLER Czernowitz New York

Friedrich Kiesler wurde am 22. September

Mit seinen skulpturalen Möbeldesigns war

Designer

1890 in Czernowitz in eine jüdische Familie

der Designer seiner Zeit weit voraus. Sein

Publizist

geboren. Von 1908 bis 1909 studierte er

1935 entworfener nierenförmiger Two-

an der Technischen Hochschule in Wien, legte

Part Nesting Table aus Aluminium ist ein

jedoch keinerlei Prüfungen ab.79 Ein Jahr

Vorläufer der populären Nierentische

später wechselte er an die Akademie der bil-

der 1950er Jahre. Für Peggy Guggenheim

denden Künste Wien, die er 1913 ebenfalls

gestaltete er 1942 die legendäre Aus-

ohne Abschluss verließ. Am 19. August 1920

stellung Art of This Century und designte

heiratete der junge Künstler die Philologin

hierfür ein multifunktionales Möbelstück,

Stephanie Frischer 80 im Wiener Stadttempel.

den Multi-Use Chair.85 Das Design der

Kiesler arbeitete in Wien für kurze Zeit

Ausstellung stellte einen Meilenstein in der

gemeinsam mit Adolf Loos. 1924 gestaltete

surrealistischen Gestaltungskunst dar

er die Internationale Ausstellung neuer

und eröffnete radikale neue Präsentations-

Theatertechniken, die im Wiener Konzert-

formen in der Kunst. Zusammen mit André

haus gezeigt wurde. Für die österreichische

Breton und Marcel Duchamp gestaltete

Theatersektion auf der Exposition Inter-

Kiesler 1947 auch die Exposition Internationale

nationale des Arts Décoratifs et Industriels

du Surréalisme in Paris.86

Modernes entwarf er 1925 die futuristische Vision einer schwebenden Raumstadt.

Gemeinsam mit dem amerikanischen Architekten Armand Bartos gründete Friedrich

81

1926 reiste das Ehepaar auf Einladung von Jane

Kiesler 1954 ein Architekturbüro in Manhat-

Heap, der Herausgeberin der Zeitschrift

tan, entwarf weiterhin Bühnenbilder, be-

The Little Review, nach New York City, um

schäftigte sich aber auch mit Skulptur und

die International Theatre Exposition zu

Malerei. Im Herbst 1957 begann er zu-

organisieren. Friedrich Kiesler gestaltete

sammen mit seinem Partner mit der Planung

Bühnenbilder für Theater- und Opern-

des Shrine of the Book in Jerusalem. Mit

produktionen, unter anderem auch für die

diesem Teil des Israel Museum, Jerusalem

Metropolitan Opera in Manhattan. Im New

schufen Friedrich Kiesler und Armand

Yorker Möbelhaus Modernage Furniture

Bartos ein Meisterwerk der modernen Archi-

Company errichtete er 1933 ein 1:1 Modell

tektur Israels. Im April 1965 nahm Kiesler

seines Space House, ein Schlüsselwerk in

an der Eröffnung in Jerusalem teil. Es sollte

Kieslers architektonischem Werk, für das

sein einziges realisiertes Gebäude und

82

er erstmals biomorphe Formen verwendete.

83

Friedrich Kiesler erhielt 1936 die amerikanische Staatsbürgerschaft und leitete von 1937 bis 1941 als Professor für Architektur das

der Höhepunkt seines Werkes bleiben. Er starb acht Monate später am 27. Dezember 1965 im Alter von 76 Jahren in New York.87 Seine futuristischen Möbelentwürfe werden

Laboratory for Design Correlation an der

heute in Kooperation mit der Österreichischen

School of Architecture der Columbia Uni-

Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung

versity in New York City.84

vom Möbelhersteller Wittmann produziert.

MöbeldesignerInnen – Biografien

169

Paul Engelmann war eine äußerst vielseitige Persönlichkeit. Seine breit gefächerten Begabungen reichten von Architektur und Inneneinrichtung über Möbeldesign bis hin zu Philosophie und Publizistik. Seine Freundschaft mit Ludwig Wittgenstein verschaffte ihm einen vielbeachteten Architekturauftrag in Wien. In Israel plante er ganz im Sinne seines ehemaligen Lehrers und Mentors Adolf Loos Einfamilienhäuser, widmete sich mit großem Engagement dem Schreiben über Stadtplanung und publizierte biografische Texte über Adolf Loos, Ludwig Wittgenstein und Karl Kraus. 170

1891 – 1985 †

Paul ENGELMANN

Philosoph

Olmütz Tel Aviv

Paul Engelmann kam am 14. Juni 1891 in Olmütz

gasse im 3. Bezirk in Wien. Ludwig Wittgen-

Möbeldesigner

als Sohn des Kaufmanns Max Engelmann

stein engagierte sich sehr in der Planung

Publizist

und dessen Frau Ernestine, geborene Brecher,

des Hauses und ließ dem jungen Architekten

in einer jüdischen Familie zur Welt. 1910

kaum Spielraum. Da Paul Engelmann

inskribierte er an der Technischen Hochschule

wenig praktische Erfahrung hatte, wurde ein

in Wien, brach sein Studium jedoch nach

weiterer Architekt hinzugezogen: Jacques

einem Jahr wieder ab. Sein Interesse galt

Groag übernahm die bautechnische Leitung.

neben der Architektur der Literatur und der

Zwischen Engelmann, Groag und Wittgen-

Philosophie. Der Student lernte in Wien Karl

stein gab es regelmäßig Konflikte und

Kraus kennen und wurde dessen Privat-

Streitereien, so dass die beiden Architekten

sekretär. Zu seinen Aufgaben zählte unter

das Projekt immer wieder aufgeben wollten.

anderem die Recherchearbeit für Karl Kraus’

Das rund 1000 Quadratmeter große Haus

Drama Die letzten Tage der Menschheit.

wurde 1928 fertiggestellt.90

88

In Wien erlangte Paul Engelmann 1911 erst-

1934 zog Paul Engelmann nach Palästina und

mals öffentliche Bekanntheit durch sein

widmete sich dort in erster Linie dem Ent-

lobendes Gedicht über das Looshaus am

wurf von Möbeln. Er arbeitete als Designer

Michaelerplatz, das „Haus ohne Augen-

für das Möbelgeschäft The Cultivated Home

brauen“, das von den WienerInnen massiv

in Tel Aviv und richtete unter anderem das

kritisiert wurde. Engelmanns Gedicht wurde

King David Hotel und den Presseclub in

in Karl Kraus’ Zeitschrift Die Fackel ver-

Jerusalem ein.91 Ihm wird auch die Innenein-

öffentlicht, womit eine enge Freundschaft

richtung des jordanischen Parlaments sowie

der beiden begann. Ab 1912 besuchte er als

des Thronsaals in Amman zugeschrieben.92

einer der ersten Studenten Adolf Loos’

In Israel plante er im Sinne seines ehemaligen

private Bauschule. Über Loos lernte er auch

Lehrers und Mentors Adolf Loos einige

den Philosophen Ludwig Wittgenstein

Einfamilienhäuser, doch widmete er sich in

kennen, mit dem ihn eine jahrelange Freund-

erster Linie dem Schreiben. Er verfasste

schaft verband. In den späten 1920er und

Beiträge über Stadtplanung und Fragen des

frühen 1930er Jahren gestaltete Paul Engel-

Wohnens im neu gegründeten Staat Israel,

mann in Olmütz und Wien Inneneinrichtungen

aber auch über Literatur und Philosophie

und Möbel.89

und publizierte biografische Texte über Adolf

Paul Engelmann wollte bereits Mitte der 1920er Jahre nach Palästina emigrieren, doch aus

Loos, Ludwig Wittgenstein und Karl Kraus.93 Paul Engelmann starb 1965 mit 73 Jahren in

beruflichen Gründen blieb er vorerst in Wien:

Tel Aviv. Als einziges Mitglied seiner Familie

Margaret Stonborough-Wittgenstein,

überlebte er die Shoah.94

Ludwig Wittgensteins Schwester, gab dem damals 35-jährigen Architekten 1926 den Auftrag für den Entwurf eines modernen Familien-Stadthauses in der Kundmann-

MöbeldesignerInnen – Biografien

171

Richard Neutra wuchs in der Leopoldstadt auf und wanderte nach seinen Studienjahren in Wien und beruflichen Aufenthalten in Zürich und Berlin 1923 in die USA aus. In Los Angeles plante er Villen, Schulen, Geschäftshäuser und Wohnsiedlungen, die bei aller Unterschiedlichkeit immer ein Motiv aufnahmen: die Verbindung von Haus und Garten. Seine lichtdurchfluteten Häuser und Räume prägten das Bild der kalifornischen Moderne, und sein Cantilever Chair und Boomerang Chair sind heute Design-Ikonen im Mid-Century Modern Style. 172

1892 – 1970 †

Architekt

Richard NEUTRA Wien Wuppertal

Am 8. April 1892 kam Richard Neutra in einer

Richard Neutra und Dione Niedermann heirate-

Möbeldesigner

jüdischen Familie in Wien zur Welt. Sein

ten am 23. Dezember 1922 und beschlossen,

Publizist

Vater Samuel Neutra, Besitzer einer Metall-

in die Vereinigten Staaten auszuwandern,

gießerei, und seine Mutter Elisabeth, ge-

wo bereits Neutras Studienfreund aus Wien

borene Glazer, lebten in der Leopoldstadt.

Rudolph Michael Schindler lebte. Am 24.

Richard Neutra, der zwei Brüder und eine

Oktober 1923 kam das junge Ehepaar von

Schwester hatte, maturierte am Sophiengym-

Hamburg per Schiff in Manhattan an; Neutra

nasium in der Zirkusgasse. Begeistert von

war damals 31 Jahre alt. Die beiden zogen

Otto Wagners Bauten in Wien beschloss er

weiter nach Chicago, wo er für die Baufirma

Architektur zu studieren und inskribierte

Holabird & Roche arbeitete.98 Neutra lern-

1910 an der Technischen Hochschule. Ab

te Frank Lloyd Wright kennen, der das junge

Oktober 1912 besuchte er auch die private

Ehepaar in dessen Studio in Taliesin bei

Bauschule von Adolf Loos, der Neutras

Spring Green in Wisconsin einlud, in dem

Interesse für die moderne amerikanische

die beiden auch einige Zeit wohnen durften.

Architektur weckte.95 Richard Neutras

1924 kam ihr erstes Kind Frank Lloyd zur

bester Freund aus Kindheitstagen war Ernst

Welt. Zu dieser Zeit entstand auch Neutras

Freud, Sigmund Freuds jüngster Sohn,

Entwurf im Rahmen einer internationalen

der ebenfalls Architektur an der Technischen

Ausschreibung für die Synagoge in Hietzing

Hochschule und bei Adolf Loos studierte.

in Wien, der jedoch, insbesondere von

Gemeinsam unternahmen die beiden längere

Josef Hoffmann, der damals in der Wettbe-

Studienreisen nach Italien und in den Bal-

werbsjury saß, abgelehnt wurde.99 Anfang

kan. Während des Ersten Weltkrieges absol-

1925 übersiedelte die Familie nach Los

vierte Neutra seinen Militärdienst und

Angeles und lebte in Rudolph Michael Schin-

konnte erst im Sommer 1918 sein Architektur-

dlers Wohnhaus. Richard Neutra arbeitete in

studium abschließen. Am 26. Juli 1918

Schindlers Büro als Zeichner und die bei-

bestand er die zweite Staatsprüfung mit Aus-

den Architekten beteiligten sich gemeinsam

zeichnung. Der junge Architekt zog in

an Wettbewerben.100

96

die Schweiz und arbeitete beim Garten- und

1927 gründete Neutra sein eigenes Atelier in

Landschaftsarchitekten Gustav Ammann,

Los Angeles. Im selben Jahr kam auch

dessen Arbeit Richard Neutras gesamtes

sein zweiter Sohn Dion zur Welt. Für den

weiteres Werk prägte. In Zürich lernte er auch

amerikanischen Arzt Dr. Philip Lovell errich-

seine zukünftige Ehefrau, die Sängerin und

tete Richard Neutra in Los Angeles von

Cellistin Dione Niedermann, kennen. Über

1927 bis 1929 das Lovell Health House, mit

Vermittlung seines Freundes Ernst Freud

dessen Entwurf ihm international der Durch-

übersiedelte Richard Neutra nach Berlin, um

bruch als Architekt gelang. Es war eines

zunächst im Bauamt der Stadt Luckenwalde

der ersten Wohnhäuser in den Vereinigten

und ab Herbst 1921 im Büro des Architekten

Staaten, das als Stahlskelettkonstruktion

Erich Mendelsohn zu arbeiten.97

aus industriell vorgefertigten Teilen gebaut

MöbeldesignerInnen – Biografien

173

wurde. Neutras Haus wurde weltweit in

InnenarchitektInnen und MöbeldesignerInnen

zahlreichen Fachzeitschriften publiziert und

Kaliforniens. Auch für die von ihm realisier-

1932, neben Bauten von acht weiteren

ten Wohnsiedlungen gestaltete er schlichte,

ArchitektInnen wie Frank Lloyd Wright, Le

moderne Möbel. Der Tremaine Side Chair

Corbusier, Mies van der Rohe oder Walter

sowie der wandelbare Camel Table entspra-

Gropius, bei der Ausstellung Modern Archi-

chen dem Zeitgeist der 1950er Jahre. Einige

tecture: International Exhibition im MoMA

von Neutras Möbelentwürfen wurden erst

gezeigt.101 1929 wurde Richard Neutra

lange nach seinem Tod von der deutschen

amerikanischer Staatsbürger. Im darauffol-

Möbelfirma VS unter dem Namen Neutra

genden Jahr unternahm er eine längere

Furniture Collection in Zusammenarbeit mit

Studien- und Vortragsreise nach Japan und

dessen Sohn Dion produziert.107

Europa zum Bauhaus nach Dessau und kam In den 1960er Jahren versuchte Richard Neutra auch nach Wien.102

wieder in Wien Fuß zu fassen und reiste

Zu Beginn der 1930er Jahre plante Neutra auf

zu Vorträgen in seine alte Heimat. 1962 er-

Einladung Josef Franks auch ein Haus

schien seine Biografie Life and Shape108

für die Wiener Werkbundsiedlung, das Haus

und in dieser Zeit plante er auch Häuser in

Nr. 47 in der Woinovichgasse 9.

Deutschland und der Schweiz.109

103

In Silver Lake in Los Angeles errichtete er 1931 Neutra, der sich trotz seiner Erfolge in den sein eigenes Haus und ein Studio, das

USA mit seiner Geburtsstadt Wien stets

VDL Research House. In den darauffolgenden

innig verbunden fühlte, kehrte Ende der

Jahren plante Neutra für die intellektuelle

1960er Jahre wieder zurück, jedoch nur für

Elite Hollywoods zahlreiche Privathäuser

knapp drei Jahre. Ab 1966 lebte das Ehe-

und Wohngebäude in Kalifornien. Er entwarf

paar Neutra in Wien, während ihr Sohn

auch mehrere Wohnsiedlungen sowie

Dion das Büro in Los Angeles leitete, doch

Geschäftshäuser und Schulen einschließlich

kehrten die beiden 1969 resigniert wieder

deren Möblierung.104

nach Los Angeles zurück. Neutra, der in den

Richard Neutra gestaltete für seine Häuser zu-

Vereinigten Staaten zu einem der be-

meist die gesamte Inneneinrichtung und

kanntesten ArchitektInnen des 20. Jahrhun-

Möblierung – Architektur und Möbeldesign

derts geworden war, erhielt in Wien keine

waren für ihn untrennbar verbunden. Sein

Aufträge und wurde von der heimischen

Leitmotiv war die Einbindung des Hauses und

ArchitektInnenszene abgelehnt; sein Haus

des Menschen in die Natur, er wollte eine

in der Werkbundsiedlung blieb Neutras

Verbindung von Innen und Außen herstellen.

einziges Werk in dessen Geburtsstadt. Am

Wichtig war ihm dabei auch der Komfort:

16. April 1970 starb Richard Neutra kurz

Die Menschen sollten sich in seinen Häusern

nach seinem 78. Geburtstag während einer

und mit den Möbeln wohlfühlen. Haus,

Vortragsreise in Deutschland an einem

Möbel und Garten sollten sich zu einem harmonischen Lebensraum zusammenfügen.

Herzversagen.110

105

Neutras Möbel entstanden als Einzelstücke für seine BauherrInnen in Kalifornien oder wurden in kleinen Serien produziert. Für das Lovell Health House entwarf Richard Neutra das Sofa Alpha Seating sowie den Lovell Easy Chair. Den Cantilever Chair designte er ebenfalls für dieses Haus und ließ dessen Entwurf auch patentieren.106 Sein Boomerang Chair, den er 1942 für das Nesbitt House gestaltete, wurde zu einer Design-Ikone der kalifornischen Moderne. Neutras Möbel wurden in zahlreichen Zeitungen abgebildet und er wurde zu einem der führenden

174

Richard Neutra

01

01

Entwurf der Synagoge in

Hietzing von Richard Neutra anlässlich eines internationalen Wettbewerbs, Los Angeles 1924, © JMW 02

Skizze von Richard Neutra

des Lovell Easy Chair, Los Angeles um 1928, © Richard Neutra/VS

02

MöbeldesignerInnen – Biografien

175

03

176

Richard Neutra

04

05

03

Bücherwand aus Eisen-

stehern und Nussholz, Entwurf: Richard Neutra, Ausführung: Victoria Möbel, Schweiz, beides um 1960, © Dorotheum Wien, 2015 04

Skizze des Boomerang

Chair, Richard Neutra, Los Angeles 1943, © Richard Neutra/VS 05

Boomerang Chair, Entwurf:

Richard Neutra, Los Angeles 1942, Ausführung VS, © VS

MöbeldesignerInnen – Biografien

177

Für seinen Vater Sigmund Freud galt er als Glückskind. Als Sohn des weltberühmten Arztes begegnete Ernst Freud schon früh der intellektuellen Elite Europas. Er wuchs mit seinem Schulfreund Richard Neutra in Wien auf, die beiden studierten gemeinsam Architektur. Bei seinen schlichten und raffinierten Einrichtungen und Möbeln orientierte er sich an den Bedürfnissen seiner AuftraggeberInnen und wollte für sie auch im Exil ein echtes Zuhause schaffen. Er war eng mit seinem Vater verbunden und bis zu seinem Tod mit dessen Nachlass und der Herausgabe von Sigmund Freuds Korrespondenz beschäftigt. 178

1892 – 1970 †

Ernst FREUD

Wien London

Architekt

Ernst Freud kam am 6. April 1892 als viertes

baute er zu dieser Zeit auch gemeinsam mit

Designer

von sechs Kindern des weltberühmten

Karl Hofmann und Felix Augenfeld das Wo-

Publizist

Wiener Arztes und Begründers der Psycho-

chenendhaus seiner Schwester Anna Freud

analyse Sigmund Freud und dessen Ehe-

in Niederösterreich um.113

frau Martha, geborene Bernays, in der Berg-

Nach der Machtergreifung der Nationalsozia-

gasse 19 in Wien zur Welt. Ernst Freud, der

listen in Deutschland emigrierte Ernst Freud

eigentlich Maler werden wollte, studierte von

mit seiner Familie Ende 1933 nach London.

1911 bis 1913 Architektur an der Technischen

Dort konnte er weiterhin als Architekt

Hochschule in Wien und besuchte ge-

arbeiten und realisierte vor allem Innenein-

meinsam mit seinem Schulfreund Richard

richtungen und Umbauten für andere Emi-

Neutra und Felix Augenfeld Adolf Loos’

grantInnen und FreundInnen der Familie. Die

private Bauschule. 1913 übersiedelte er nach

Folgen der Emigration, der Entwurzelung und

München, um dort sein Studium an der Tech-

des Verlusts von FreundInnen, Wohnungen

nischen Hochschule fortzusetzen. Wäh-

und Lebensgewohnheiten bewegten Freud

rend des Ersten Weltkrieges diente er als

dazu, für seine AuftraggeberInnen im Exil ein

Soldat und kämpfte mit gesundheitlichen

echtes Zuhause schaffen zu wollen.114

Problemen; sein Studium in München konnte Sigmund Freud verließ Wien mit seiner Eheer erst 1919 abschließen.111 frau und seiner Tochter Anna am 4. Juni 1938 Dort lernte Ernst Freud die aus einer wohlhaben-

und emigrierte dank internationaler Hilfe

den Berliner Kaufmannsfamilie stammende

nach London. Ernst Freud hatte für seine

Lucie Brasch kennen und heiratete sie im Mai

Eltern in Hamstead, Maresfield Gardens, ein

1920. Das Ehepaar übersiedelte nach Berlin

Haus gefunden und umgebaut und die Fa-

und bekam drei Söhne: Stefan Gabriel, Lucian

milie konnte einen Großteil ihrer Möbel aus

Michael und Clemens Rafael – die Buben

der Berggasse und Anna Freuds Wochen-

wurden in der Familie scherzhaft „die Erz-

endhaus mit nach London nehmen. Ernst

engel“ genannt. Ernst Freud arbeitete zu-

und Lucie Freud und deren Kinder erhielten

nächst beim Architekten Alexander Baerwald,

Ende August 1939 die britische Staats-

einem überzeugten Zionisten, der auch viel

bürgerschaft.115

in Palästina baute. Freud konnte sich aber

Sigmund Freud starb am 23. September 1939

bald selbstständig machen und bekam eine

in London. Seine Schwestern Rosa, Marie,

Reihe von Aufträgen als Innenarchitekt, vor

Adolfine und Pauline, Ernsts Tanten, wurden

allem für Wohnhäuser und Arztpraxen so-

Opfer der Shoah. Ernst und Lucie Freud

wie psychoanalytische Sprechzimmer, und

kehrten nie mehr nach Wien zurück. Ab den

plante in dieser Zeit ungefähr zehn Häuser

1960er Jahren widmete sich Ernst Freud

in und um Berlin.112

mit großem Engagement der Herausgabe

Die schlechte Wirtschaftslage zu Beginn der

der Korrespondenz seines Vaters. Der

1930er Jahre machte auch dem Architekten

Architekt starb am 7. April 1970, einen Tag

zu schaffen. Mangels Aufträgen in Berlin

nach seinem 78. Geburtstag, in London.116

MöbeldesignerInnen – Biografien

179

Die Zweckmäßigkeit des Wohnens war der überzeugten Feministin ein großes Anliegen. Beruf und Familie sollten sich auch mithilfe der Einrichtung vereinbaren lassen. Nach ihrer Flucht 1938 spezialisierte sich Liane Zimbler in Los Angeles erfolgreich auf Interior Design und arbeitete weiterhin als Architektin. Sie experimentierte bis ins hohe Alter mit modernen Materialien, Formen und Mustern –  ihre Einrichtungen und Möbel zeichneten sich durch Funktionalität und Eleganz aus. 180

1892 – 1987 †

Architektin Designerin

Liane ZIMBLER Prerau Los Angeles

Am 31. Mai 1892 wurde Liane Zimbler unter

Wiener Schottentor, eines 1872/73 von

dem Mädchennamen Juliane Angela Fischer

Theophil Hansen erbauten Gebäudes.

in eine jüdische Familie in Preurau, heute

In diesem Jahr kam auch ihr einziges Kind,

Přerov, im damaligen Mähren geboren. Ihr

Eva, auf die Welt.119

Vater Robert Fischer war Beamter; ihre

1924 machte sich Liane Zimbler als Architektin

Mutter Johanna Fischer, geborene Harpner,

und Möbeldesignerin selbstständig und er-

stammte aus eine Brünner Kaufmanns-

öffnete ihr eigenes Atelier in der Schleifmühl-

familie. Ihre Kindheit verbrachte sie mit den

gasse 5 in Wieden und war bald so erfolg-

Eltern und ihrer Schwester Magda bereits

reich, dass sie ein weiteres Büro in Prag

in Wien. Über Liane Zimblers Ausbildung in

gemeinsam mit der Architektin Annie Herrn-

Wien gibt es unterschiedliche Informatio-

heiser eröffnete. Sie engagierte sich im

nen. Eine formale Ausbildung als Architektin

Verein Wiener Frauenkunst und war Vorsit-

absolvierte sie dort vorerst nicht. Erst in den

zende des Verbandes für Wohnungsreform.120

Jahren 1930/31 inskribierte sie als außer-

Liane Zimbler war nicht nur eine erfolgreiche

ordentliche Hörerin an der Technischen

Architektin und Möbeldesignerin, sondern

Hochschule in Wien; sie war damals bereits

auch eine überzeugte Feministin. Bei der

38 Jahre alt.

Gestaltung ihrer Räume und Möbel ging es

117

Als Designerin entwarf sie ab 1911 Kleider für

ihr in erster Linie darum, den Wohnraum, die

den in Wien bekannten Modesalon der

Küche und die Möbel von berufstätigen

österreichischen Modeschöpferin Emilie

Frauen oder Ehepaaren zweckmäßig zu

Flöge, einer Lebensgefährtin Gustav Klimts,

gestalten. Ein zentrales Thema war für sie

und illustrierte Bücher. Im Alter von 24 Jah-

die Gestaltung von Kleinstwohnungen für

ren heiratete Juliane Fischer den Wiener

Berufstätige, die sie mit multifunktionalen

Rechtsanwalt Otto Zimbler. Ab 1916 arbei-

Möbeln ausstattete. Zu ihrem Markenzeichen

tete sie als Möbeldesignerin für die Firma

gehörten fließende Raumaufteilungen, die

Carl Bamberger AG in der Schönbrunner

oft mit flexiblen Wänden oder Vorhängen

Straße 25 im 5. Wiener Gemeindebezirk

erzielt wurden, und der Entwurf von modisch-

und ab 1918 für das Architekturbüro Rosen-

eleganten und zweckmäßigen Möbeln.121

berger in Wien.118 Zu dieser Zeit plante

Am 21. Februar 1938, rund drei Wochen vor

sie auch ihr erstes Haus, ein Landhaus in

dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland,

Bad Aussee für Paul Hellmann, einen ent-

legte Liane Zimbler als erste Frau Öster-

fernten Verwandten. In den darauffolgenden

reichs die Ziviltechnikerprüfung in Wien ab.122

Jahren widmete sie sich der Gestaltung

Anfang April 1938 floh sie mit ihrer Familie vor

von Innenräumen, adaptierte und moderni-

den Nazis von Wien über London in die

sierte zahlreiche Wohnungen in Wien und

USA. Liane Zimbler war damals 46 und ihre

richtete Geschäftslokale ein. Ein Großauf-

Tochter Eva 16 Jahre alt. Nach einer fünf-

trag 1922 war die Umgestaltung und Reno-

monatigen Flucht erreichten die Zimblers

vierung des Bankhauses Ephrussi am

am 10. September 1938 New York City und

MöbeldesignerInnen – Biografien

181

übersiedelten noch im Herbst nach Los

Ab den 1960er Jahren arbeitete ihre Tochter

Angeles. Liane Zimbler nahm Kontakt mit

Eva Huebscher im Atelier ihrer Mutter als

Rudolph Michael Schindler auf; in einem

Innenarchitektin mit. Liane Zimbler wurde

Brief vom 24. November 1938 schrieb sie

nach Ende des Zweiten Weltkrieges von

ihm: „I am a refugee from Vienna and a

Österreich weder öffentlich eingeladen, noch

newcomer in Los Angeles.“123 Ob Schindler

wurde in Wien ihr Werk gewürdigt. Obwohl

Liane Zimbler helfen konnte, ist jedoch

sie eine Vorreiterin für zahlreiche Archi-

nicht bekannt.

tektinnen war, wurde sie in Wien vollkommen

Der unermüdlichen Architektin gelang der

ignoriert und vergessen. Liane Zimbler

Wiedereinstieg in ihren Beruf: Sie begann

war über diese Tatsache bis an ihr Lebens-

als Designerin bei Anita Toor zu arbeiten,

ende sehr enttäuscht und kehrte nie mehr

einer bekannten Innenarchitektin in Los

nach Wien zurück. Sie blieb bis ins hohe

Angeles, deren Atelier sie 1941 auch über-

Alter berufstätig und starb mit 95 Jahren am

nahm. Zwei Jahre nach ihrer Ankunft in

11. November 1987 in Los Angeles.128 Eva

den USA starb Liane Zimblers Ehemann

Huebscher übergab 2016 den kompletten

Otto bei einem Verkehrsunfall.124 1942

Nachlass ihrer Mutter dem International

entwarf sie in Santa Monica ein Haus für

Archive of Women in Architecture an der

den ebenfalls aus Wien emigrierten Kom-

Virginia Tech in Blacksburg in den USA.129

ponisten Ernst Toch und widmete sich in den Folgejahren dem Umbau von Häusern und Wohnungen, der Gestaltung von Innenräumen sowie der Einrichtung von Geschäften und Büros in Los Angeles.125 Liane Zimbler griff dabei auf ihre Erfahrungen und Fähigkeiten zurück, die sie sich als Architektin und Möbeldesignerin in Wien erworben hatte. Ihre Einrichtungen sowohl in Wien als auch in Los Angeles zeichneten sich durch Funktionalität und Eleganz aus – und stets durch eine persönliche Note ihrer AuftraggeberInnen. Die Möbel gestaltete sie individuell für jedes Projekt, ließ diese aber nie seriell produzieren. 1943 erhielt die Architektin die amerikanische Staatsbürgerschaft. Sie wurde Mitglied der American Society of Interior Decorators sowie der Association for Women in Architecture und beteiligte sich an zahlreichen Ausstellungen. Ab den 1950er Jahren arbeitete sie als Innenarchitektin gemeinsam mit den bekannten Architekten Paul László und Maurice Fleischman.126 Bei ihrem Möbeldesign erkannte sie stets neue Trends und experimentierte mit modernen Materialien, Formen und Mustern: Ihr Washable Living Room, den sie für eine Ausstellung für die Firma DuPont im Jahr 1961 gestaltete, war ein Wohnzimmer, das sie vom Boden über die Möbel bis zu den Wänden aus modernen Kunststoffen und Korkplatten designte.127

182

01

Liane Zimbler

02

01

03

Entwurf eines Läufer, Liane

Zimbler, abgestempelt mit „Architekt Liane Zimbler“, Wien 1915, © Backhausen-Archiv 02

Entwurf einer Einrichtung

von Liane und Eva Zimbler, 1975, © VT 03

Entwurf einer Einrichtung

von Liane Zimbler, © VT 04

Entwurf eines Vorraums

von Liane Zimbler, 1936, © VT

04

MöbeldesignerInnen – Biografien

183

Er hatte schon früh Erfolg als Architekt und galt als einer der wichtigsten NachfolgerInnen von Adolf Loos. In Wien arbeitete er als dessen Assistent, aber auch an Projekten gemeinsam mit Paul Engelmann und dem Atelier Singer & Dicker. Das Gesamterscheinungsbild eines Hauses stand für ihn im Zentrum, und so gestaltete er zu seinen Inneneinrichtungen auch die passenden Möbel. Im Londoner Exil spezialisierte sich Jacques Groag auf Innenarchitektur und funktionales Design und entwarf Möbel für das Utility Furniture-Programm der britischen Regierung. 184

1892 – 1962 †

Architekt Möbeldesigner

Jacques GROAG Olmütz London

Jacques Groag wurde am 5. Februar 1892 in

Einfamilienhäusern an der Wiener Werk-

Olmütz als jüngster Sohn in eine wohl-

bundsiedlung. Er entwarf die Häuser Nr. 45

habende jüdische Familie geboren. Nach

und 46 in der Woinovichgasse 5 und 7,

seiner Schulzeit zog er nach Wien, um ab

die auch nach seinen Entwürfen möbliert

1909 an der Ingenieurschule der Techni-

wurden. Beide Häuser zählten aufgrund

schen Hochschule zu studieren; parallel

ihrer geglückten Konzeption zu den wenigen,

dazu besuchte er Adolf Loos’ private Bau-

die KäuferInnen fanden.133 Ende der 1930er

schule. Aufgrund des Ersten Weltkrieges

Jahre war Jacques Groag in Wien ein er-

konnte der Student sein Studium erst im

folgreicher und etablierter Architekt und galt

Sommer 1919 abschließen und legte am

als einer der wichtigsten NachfolgerInnen

25. Juni 1919 die zweite Staatsprüfung aus

von Adolf Loos.134

dem Bauingenieurfach ab.

130

Zu Jacques

1937 heiratete er Hilde Blumberger. Hilde, die

Groags FreundInnen zählte der Kreis um

sich später Jacqueline nannte, hatte bei Franz

Ludwig Wittgenstein und Adolf Loos. Nach

Čižek und Josef Hoffmann an der Kunst

seinem Studium arbeitete er als Loos’ As-

gewerbeschule studiert und arbeitete als

sistent und Bauführer und war unter anderem

Stoffdesignerin für die Wiener Werkstätte

1927 an der Gestaltung des Hauses Moller in

und namhafte Pariser Modehäuser. Nach

der Starkfriedgasse 19 in Währing betei-

dem „Anschluss“ 1938 floh das Ehepaar aus

ligt. Gemeinsam mit Ludwig Wittgenstein

Wien nach Prag und im Herbst 1939 wei-

und Paul Engelmann plante er das Haus

ter nach London. Im Exil mussten sich die

Wittgenstein in der Kundmanngasse 19 im

beiden eine neue Existenz aufbauen:

3. Bezirk, das 1928 fertiggestellt wurde,

Jacques Groag arbeitete als Innenarchitekt

und kooperierte mit dem Atelier Singer &

und Möbeldesigner, seine Frau als Stoff-,

Dicker bei der Errichtung des Tennisclub-

Teppich- und Tapetendesignerin. Das

hauses von Dr. Hans Heller in Hietzing.131

DesignerInnen-Duo nahm an zahlreichen

Bereits 1926 hatte Jacques Groag ein eigenes

Ausstellungen teil; unter anderem an der

Büro gegründete und realisierte eine be-

British Industries Fair 1950 oder dem Festival

achtliche Anzahl bedeutender Architektur-

of Britain 1951. Jacques Groag gestaltete

projekte in Wien und im heutigen Tschechien,

platzsparende, multifunktionale Möbel und

darunter ein Haus für die Schauspielerin

wurde für das von der britischen Regierung

Paula Wessely in Grinzing. Seine Arbeit

initiierte Utility Furniture-Programm tätig,

beschränkte sich aber nicht auf den Entwurf

das die Produktion günstiger Massenmöbel

von Häusern, sondern er designte auch

für die vielen Bombenopfer nach dem

die passenden Möbel, die sich geschickt und

Zweiten Weltkrieg unterstützte. Der Architekt

platzsparend in die Räume einfügten.132

starb am 28. Jänner 1962 an einem Herz-

Zu Beginn der 1930er Jahre beteiligte sich Groag auf Einladung Josef Franks mit zwei

MöbeldesignerInnen – Biografien

infarkt in einem Bus in London auf dem Weg in die Oper.135

185

01

01

Werkbundsiedlung, Haus Nr. 46, Kinder-

zimmer, Entwurf: Jacques Groag, Wien 1932, Fotograf: Martin Gerlach jun., © Wien Museum 02

Werkbundsiedlung, Haus Nr. 46, Wohn-

raum, Entwurf: Jacques Groag, Wien 1932, Fotograf: Martin Gerlach jun., © Wien Museum

186

Jacques Groag

02

02

MöbeldesignerInnen – Biografien

187

Sie absolvierte eine künstlerische Ausbildung, studierte Architektur bei Josef Hoffmann und arbeitete bereits während ihres Studiums an der Kunstgewerbeschule als Designerin für die Wiener Werkstätte. Felice Rix-Ueno entwarf Stoffmuster, die international ausgezeichnet wurden. In Zusammenarbeit mit ihrem Mann, dem japanischen Architekten Isaburo Ueno, arbeitete sie in Kyoto als Designerin und Innenarchitektin und unterrichtete als Professorin eine neue Generation von jungen DesignerInnen. 188

1893 – 1967 †

Felice RIX-UENO Wien Kyoto

Stoffdesignerin

Felice „Lizzi“ Rix kam am 1. Juni 1893 in Wien

Innenarchitektin

als Tochter einer wohlhabenden jüdischen

Stoff-, Produkt- und Möbeldesignerin. Von

Professorin

Industriellenfamilie zur Welt. Die Familie

1926 bis 1930 reiste Lizzi Rix-Ueno einige

lebte in der Praterstraße 16 in der Leopold-

Male nach Wien, um weiterhin für die Wiener

stadt.136 Ihr Vater Julius Rix, verheiratet

Werkstätte zu arbeiten, und beteiligte sich

mit Valerie, geborene Löwy, war kurze Zeit

an Ausstellungen in Österreich, unter an-

Geschäftsführer der Wiener Werkstätte.

derem 1929 an der Ausstellung Wiener

Nach Lizzi kamen noch drei weitere Schwes-

Raumkünstler und 1930 an der Werkbund-

tern zur Welt. Lizzi Rix besuchte die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt in Wien,

antwortlich und arbeitete weiterhin als

Ausstellung. Richard Neutra traf das Ehepaar in Japan und

wo sie auch die später erfolgreiche Archi-

hielt in Osaka und Tokyo Vorträge für die

tektin und Möbeldesignerin Liane Zimbler

von Isaburo Ueno mitbegründete International

kennenlernte; die beiden waren Klassen-

Architecture Society Japan.141 In dieser

kameradinnen.137 1912 inskribierte Lizzi Rix

Zeit gestaltete Lizzi Rix-Ueno die gesamte

an der Kunstgewerbeschule und besuchte

Inneneinrichtung der von Isaburo Ueno ge-

vorerst die Textilklasse von Rosalia Rothansl

planten Star Bar in Kyoto; ihre gemeinsamen

sowie die Fachklasse für allgemeines

Entwürfe wurden 1932 bei der Ausstellung

Aktzeichen von Anton Kenner. Ab dem

Modern Architecture: International Exhibition

Folgejahr studierte sie Architektur bei Josef

im MoMA in Manhattan gezeigt.142

Hoffmann.

138

Noch während ihres Stu-

Mitte der 1930er Jahre hielt sich Lizzi Rix-Ueno

diums arbeitete sie als Stoffdesignerin und

nochmals für ein Jahr in Wien auf. Nach

Buchgestalterin für die Wiener Werkstätte.

Ende des Zweiten Weltkrieges wurde sie Pro-

Nach ihrem Studienabschluss im Juni 1916

fessorin für Design am Kyoto College of

machte sie sich als Designerin selbststän-

Art, heute die Kyoto University of the Arts.

dig und entwarf zahlreiche Stoffe.139 Lizzi Rix

1963 gründete Lizzi Rix-Ueno gemeinsam

lernte in Wien den japanischen Architekten

mit ihrem Mann eine private Universität,

Isaburo Ueno kennen, der Anfang der 1920er

die International Design School, sowie ein

Jahre an der Technischen Hochschule in

internationales Design-Forschungsinstitut,

Berlin Architektur studiert hatte.

heute The Kyoto Interactive School of Art.143

140

Auch er

studierte Architektur bei Josef Hoffmann

Lizzi Rix-Ueno starb am 15. Oktober 1967 im

an der Kunstgewerbeschule und arbeitete in

Alter von 74 Jahren in Kyoto. Ihr Mann lebte

dessen Atelier. 1925 heirateten die beiden

und arbeitete bis 1972 in Japan. Ihre jüngere

und im darauffolgenden Jahr übersiedelten

Schwester Kitty Rix wurde zu einer inter-

sie nach Kyoto.

national bekannten Keramikkünstlerin.144

Das junge Ehepaar gründete das Architekturstudio Ueno Architectural Office; Isaburo Ueno plante die Gebäude, Lizzi Rix-Ueno war für die gesamte Innenarchitektur ver-

MöbeldesignerInnen – Biografien

189

Als Meister des Planens auf kleinstem Raum spezialisierte sich Felix Augenfeld bereits in Wien auf Wohnungen für berufstätige Singles. Sein Markenzeichen waren seine bis ins kleinste Detail geplanten Entwürfe, die sowohl praktisch und platzsparend als auch ästhetisch waren. Im Exil konnte er an seine Erfolge als Architekt und Möbeldesigner anknüpfen. 190

1893 – 1984 †

Architekt Möbeldesigner

Felix AUGENFELD Wien New York

Felix Augenfeld wurde am 10. Jänner 1893 in

über die in zahlreichen internationalen Archi-

Wien in eine jüdische Familie geboren.

tekturzeitschriften berichtet wurde. Die beiden

Sein Vater Isidor, der Kaufmann war, und

jungen Architekten richteten mit ihren Mö-

seine Mutter Paula, geborene Bediener,

beln auch das von Oskar Strnad entworfene

hatten keine weiteren Kinder. Felix Augen-

Haus in der Wiener Werkbundsiedlung ein.148

feld studierte ab 1910 Architektur an der

Bei seinen Einrichtungen – besonders von

Technischen Hochschule und besuchte als

kleinen Wohnungen – setzte Felix Augenfeld

einer der ersten Schüler die private Bau-

auf multifunktionale Möbel und schuf Räume,

schule von Adolf Loos gemeinsam mit

die vielfältig genutzt werden konnten. Er

Rudolph Michael Schindler, Richard Neutra,

entwarf fix eingebaute Möbelstücke, auf-

Paul Engelmann und Ernst Freud.145 Wäh-

klappbare Schränke, leichte transportable

rend des Ersten Weltkrieges musste er sein

Sessel und verwendete bewusst kräftige

Studium unterbrechen. Er kämpfte als

Farben. Felix Augenfeld, der eng mit Ernst

Soldat und geriet in italienische Gefangen-

Freud und der Familie Freud befreundet

schaft. Erst im Juli 1920 konnte er dieses

war, designte unter anderem Sigmund

abschließen.146

Freuds Schreibtischsessel, der auf die Sitz-

1922 machte sich Augenfeld als Architekt und Möbeldesigner selbstständig und gründete mit seinem Freund und Studienkollegen

gewohnheiten des weltberühmten Arztes abgestimmt war.149 Nach dem „Anschluss“ floh Felix Augenfeld

Karl Hofmann ein gemeinsames Atelier in

1938 von Wien nach London, wo er sich ein

Döbling. Die beiden jungen Architekten

Jahr lang aufhielt. 1939 emigrierte er nach

gestalteten in Brünn und Wien zahlreiche

New York City. Seine amerikanische Freun-

Wohnungseinrichtungen. Auch Kleinst-

din Muriel Gardiner stellte ihm das benötigte

wohnungen für berufstätige Singles bauten

Affidavit aus; Felix Augenfeld war damals

sie um und richteten sie mit eigens ent-

46 Jahre alt. 1940 erhielt er die Architekten-

worfenen Möbeln ein.147

lizenz des Staates New York und wurde

Das erfolgreiche Atelier gestaltete auch Bühnen-

Mitglied des American Institute of Architects.

bilder unter der Regie von Max Reinhardt

Im Jahr 1941 eröffnete er ein Architektur-

und arbeitete bei mehreren Theaterinsze-

büro in Manhattan in der 66th Street und

nierungen mit Oskar Strnad zusammen.

arbeitete vorrangig als Möbeldesigner und

1926 übersiedelte das Atelier in die Wipplin-

Innenarchitekt. New York City und Wien

gerstraße 33 in der Wiener Innenstadt. Für

hatten etwas gemeinsam: der Wohnraum

Felix Augenfelds amerikanische Freundin

war knapp und teuer. So gelang es Felix

Muriel Gardiner, die damals in Wien Medizin

Augenfeld, sich als Interior Designer für

studierte, bauten die beiden Architekten

schwierige Raumsituationen und vor allem

1930 ein Wochenendhaus im Wienerwald.

kleine Räume zu etablieren.150

Im selben Jahr entwarfen sie die Espresso Bar für die Werkbund-Ausstellung in Wien,

MöbeldesignerInnen – Biografien

Felix Augenfeld, der auf seine weitreichende Erfahrung als Architekt und Möbeldesigner

191

aus Wien zurückgreifen konnte, gestaltete

Felix Augenfeld verbrachte nach dem Zweiten

Möbelentwürfe unter anderem für Thonet

Weltkrieg einige Urlaube in Deutschland,

Brothers New York sowie Einrichtungen für

in seine Geburtsstadt Wien kehrte er nie

andere EmigrantInnen, oft seine ehemaligen

wieder zurück. Obwohl der Architekt für ame-

AuftraggeberInnen aus Wien, die eben-

rikanische Kunden und Kundinnen arbeitete,

falls vor den Nazis nach New York City ge-

blieb er sein ganzes Leben – sowohl be-

flohen waren. Für den Süßwarenfabrikanten

ruflich als auch privat – in engstem Kontakt

Wilhelm Heller richtete er den La Reine

mit anderen Wiener EmigrantInnen. 1966

Candy Shop in Manhattan ein. Von 1945 bis

heiratete er die aus Wien stammende Kunst-

1950 war er als Möbeldesigner für das

handwerkerin und Designerin Anna Epstein-

traditionsreiche amerikanische Möbelunter-

Gutmann. Auch sie hatte in Wien an der

nehmen Henredon tätig. Für seine Wohnungs-

Kunstgewerbeschule studiert und musste

einrichtungen verwendete Augenfeld oft

1938 aus ihrer Heimatstadt fliehen. Anna

eigene Möbelentwürfe; zu seinem Marken-

Epstein-Gutmann gründete in Manhattan

zeichen wurden sogenannte „Medienmöbel“

das Lampenstudio Studio Plus, das neben

für den Fernseher und versteckt unter-

ihren eigenen Entwürfen auch Einrichtungs-

gebrachte Plattenspieler oder Radiogeräte.

gegenstände von Josef Frank verkaufte.153

Felix Augenfeld realisierte zahlreiche Strand-

Felix Augenfeld starb am 21. Juli 1984 im Alter

151

und Wochenendhäuser, wo er sein Talent

von 90 Jahren an Krebs. Auch Anna Augen-

des Planens auf engstem Raum perfekt

feld kam nicht mehr nach Wien zurück,

einsetzen konnte. Sein wichtigstes Werk in

sie starb neun Jahre nach ihrem Ehemann

Manhattan konnte der mittlerweile 65-

in New York.154

jährige Architekt Ende 1958 umsetzen. Für das Ehepaar Buttinger, Muriel GardinerButtinger und ihr Mann waren enge Freunde, errichtete er ein privates Stadt- und Bibliothekshaus in der Nähe des Central Park, die Buttinger Library.152

02

192

Felix Augenfeld

01

Schreibtischsessel für

Sigmund Freud, Entwurf: Felix Augenfeld, Wien um 1926, 01

© KAUAK

02

Armlehnsessel und Sofa

mit Füßen aus Mahagoniholz und originalem Bezugstoff, Entwurf: Felix Augenfeld und Karl Hofmann (zugeschrieben), Wien um 1930, © Dorotheum Wien, 2019

02

MöbeldesignerInnen – Biografien

193

Ernst Schwadron wuchs im Wiener ArchitektInnenund KünstlerInnenmilieu auf und spezialisierte sich früh auf das Gestalten und Einrichten von Privathäusern und Geschäften. Seine Entwürfe waren vielseitig verwendbar, raumsparend und modern. Nach seiner Vertreibung aus Wien 1938 entwarf er in New York City vor allem Möbel und gründete sein eigenes Unternehmen. Trotz seiner Erfolge als Architekt und Möbeldesigner im Exil war die Sehnsucht nach seiner alten Heimat Österreich bis an sein Lebensende groß. 194

Ernst SCHWADRON

1896 – 1979 †

Architekt Möbeldesigner

Wien New York

Ernst Schwadron kam am 1. Juli 1896 in Wien

Anfang der 1930er Jahre erbaute Ernst Schwa-

als Sohn einer jüdischen Familie zur Welt,

dron für sich ein Penthouse im obersten

die ursprünglich aus Galizien stammte. Sein

Stock am Franz-Josefs-Kai und richtete es

Vater, Viktor Schwadron, war ein erfolg-

mit selbstentworfenen Möbeln ein. Er setzte

reicher Bauunternehmer, Begründer der

platzsparende und leichte Möbel ein, maß-

Bau- und Keramikfirma Brüder Schwadron

geschneiderte Anrichten, Raumteiler und

mit Sitz in Wien und verheiratet mit Ernes-

faltbare Türen. Seine Dachwohnung wurde

tine, geborene Nassau. Die Familie lebte am

als ein gelungenes Beispiel modernen

Franz-Josefs-Kai 3 in der Wiener Innen-

Wohndesigns in der Zeitschrift Innendeko­

stadt, das Haus diente sowohl als Wohnsitz

ration gezeigt. Ernst Schwadron arbeitete

als auch als Geschäftshaus und Firmen-

auch in der väterlichen Firma mit, schied je-

sitz. Ernst Schwadron besuchte die Staats-

doch 1934 als Gesellschafter aus dem

gewerbeschule und studierte 1918/19 ein

Familienunternehmen aus.158

Jahr an der Kunstgewerbeschule in der Werk- Unmittelbar nach dem „Anschluss“ im März stätte für Keramik bei Michael Powolny.

1938 floh der damals 41-jährige Architekt aus

Bereits bei Eintritt in die Schule gab er als

Wien über Paris nach New York City; sein

Berufswunsch „Architekt“ an; eine formelle

gesamter Besitz wurde von den Nazis

Ausbildung hierfür schloss Ernst Schwadron

beschlagnahmt.159 Im Gegensatz zu vielen

jedoch nicht ab.155 Sein jüngerer Bruder

anderen EmigrantInnen gelang ihm eine

Walter studierte an der Ingenieurschule der

zweite erfolgreiche Karriere als Innenarchi-

Technischen Hochschule und wurde eben-

tekt und Möbeldesigner: Im Juni 1939

falls Architekt. Für das 1899 gegründete

wurde er Chefdesigner der Einrichtungsfirma

erfolgreiche Familienunternehmen Brüder

Rena Rosenthal und entwarf vorrangig

Schwadron waren zahlreiche namhafte Archi-

Möbel.160 1944 machte er sich mit einem ei-

tektInnen aus Wien tätig, unter anderem

genen Einrichtungsgeschäft selbstständig

Arthur Baron, Julius Goldschläger oder Oskar

und gründete die Firma Ernst Schwadron Inc.

Marmorek. Auch mit zahlreichen KünstlerIn-

mit Sitz in der Madison Avenue, die er bis

nen, wie Michael Powolny, Otto Prutscher

Ende der 1950er Jahre erfolgreich leitete.

oder Viktor Lurje arbeitete man zusammen.

So gestaltete er beispielsweise die Büro-

156

In den 1920er und 1930er Jahren arbeitete

räume von The American Crayon Company

Ernst Schwadron als Innenarchitekt und Mö-

im Rockefeller Center. In New York City

beldesigner in Wien. Einer seiner ersten

arbeitete er unter anderem mit der Wiener

Entwürfe, ein Strandhaus für das Ehepaar

Keramikkünstlerin Emmy Zweybrück zu-

Lederer in Greifenstein in Niederösterreich

sammen und richtete ihre Wohnung ein. Bei

im Jahr 1927, brachte ihm Anerkennung

seinen Möbeln und Einrichtungen setzte

als Architekt ein. Er heiratete seine Bauherrin,

er auf organische Formen und verwendete

Erna Lederer, die Ehe wurde jedoch nach

oftmals bunte Stoffe von Josef Frank. Seine

einem Jahr wieder geschieden.157

Entwürfe wurden in amerikanischen

MöbeldesignerInnen – Biografien

195

Zeitschriften wie Interiors, House & Garden

1950er Jahre plante er für sich und Gladys ein

oder Town & Country publiziert.

Haus in Connecticut und richtete es mit

161

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten die

unzähligen Bildern und Erinnerungsstücken

Überlebenden der Familie Schwadron das

an seine verlorene Heimat ein.162 Das Ehe-

Unternehmen in Wien nicht mehr zurück.

paar unternahm mehrmals Reisen nach

Auch Ernst Schwadrons Bruder Walter war

Österreich, unter anderem nach Bad Aussee;

1938 mit seiner Ehefrau Elisabeth und

nach Wien kehrte Ernst Schwadron nicht

dem gemeinsamen Sohn Peter nach New

mehr zurück. Der Architekt und Designer

York City geflohen. Der Vater, Viktor

starb am 3. Februar 1979 im 83. Lebensjahr

Schwadron, der beiden Söhnen 1938 zur

in New York City.163

Flucht verholfen hatte, aber selbst in Wien

In den Vereinigten Staaten sind Originale

geblieben war, starb 1942. In New York

von Ernst Schwadron begehrte Sammler-

heiratete Ernst Schwadron seine zweite Frau

objekte. Seine Möbel werden heute für

Gladys. Über den Verlust seiner Heimat-

Wohnkultur 66 in Hamburg produziert.164

stadt Wien kam er nie hinweg. Anfang der

01

196

Ernst Schwadron

01

Pläne für die Möblierung

der Wohnung Dósza, Theresianumgasse 11, 1040 Wien, Entwurf: Ernst Schwadron, Wien 1933, © MAK 02

Sofa Dreamlake, Entwurf:

Ernst Schwadron, USA 1946, Ausführung: Wohnkultur 66, © Wohnkultur 66/Andreas Weiss 03

Armsessel aus Kirschholz

mit Stoffbezug Terrazzo von Josef Frank, Entwurf: Ernst Schwadron, Wien um 1927/28, © Dorotheum Wien, 2016 04

Easy Chair, Entwurf:

02

Ernst Schwadron, USA 1946, Ausführung: Wohnkultur 66, © Wohnkultur 66/Andreas Weiss 05

Puff, Entwurf: Ernst

Schwadron, Wien 1934, Ausführung: Wohnkultur 66, © Wohnkultur 66/Andreas Weiss 06

Dining Chair, Entwurf:

Ernst Schwadron, USA 1946, Ausführung: Wohnkultur 66, © Wohnkultur 66/Andreas Weiss

03

05

04

06

MöbeldesignerInnen – Biografien

197

Er war einer der wenigen ÖsterreicherInnen, die am Bauhaus studieren konnten. Seine Erfahrung als Bühnenbildner war für die Inszenierung der von ihm gestalteten Räume sehr wertvoll. Franz Singers Möbelentwürfe waren „Verwandlungskünstler“ und wurden in kleinen Serien hergestellt. Nach seiner Emigration konnte er in London seine Arbeit als Architekt und Möbeldesigner fortsetzen und ausbauen. 198

1896 – 1954 †

Bauhaus-Student

Franz SINGER Wien Berlin

Franz Singer wurde am 8. Februar 1896 in Wien

und Berlin, insbesondere für Berthold Vier-

Architekt

in eine großbürgerliche jüdische Familie

tels Theater Die Truppe. Nach Beendigung

Möbeldesigner

geboren. Sein Vater Dr. Siegmund Singer

seines Studiums gründete Singer 1923 mit

war Textilunternehmer und Inhaber einer

Friedl Dicker in Berlin die Werkstätten

Färberei in Stockerau, seine Mutter Hermine

Bildender Kunst und gemeinsam entwarfen

war eine geborene Haurowitz. Franz Singer

sie Inneneinrichtungen, kunsthandwerkliche

hatte eine jüngere Schwester, Frieda, und

Objekte und Bühnenausstattungen.167

zwei ältere Brüder, Julius und Paul. Sein Vater 1925 kehrte Franz Singer nach Wien zurück verstarb früh, Franz war damals erst 14 Jahre

und schloss sich in der Folge Friedl Dickers

alt. Franz Singers Zeichenbegabung wurde

Atelier in der Wasserburggasse 2 im Alser-

schon früh erkannt und so besuchte er

grund an. Ihre Ateliergemeinschaft war trotz

1905/06 einen Kinderzeichenkurs im Atelier

der wirtschaftlich angespannten Zeiten in den

der Malerin Emma Schlangenhausen unter

darauffolgenden Jahren sehr erfolgreich.168

der Leitung des Malers und Bühnenbildners

Die beiden DesignerInnen spezialisierten

Alfred Roller.165

sich auf die Gestaltung von Wohnungen,

Während des Ersten Weltkrieges wurde er zum

Geschäftslokalen und Möbeln. Bei den ge-

Militärdienst eingezogen und begann ein

meinsamen Projekten war Franz Singer

Studium der Philosophie und Kunstgeschich-

für die Architektur zuständig, Friedl Dicker

te an der Universität Wien, das er jedoch

für die Atmosphäre, die Farbgestaltung

nicht abschloss. Ab 1917 besuchte er die

und die Stoffe.169 Zusammen entwarfen sie

private Kunstschule von Johannes Itten, wo

klappbare, stapelbare und multifunktionale

er auch seine spätere Partnerin Friedl Dicker

Möbel, Lampen und andere Einrichtungs-

kennenlernte. Als Johannes Itten seine

gegenstände. Bei seinen Entwürfen experi-

Kunstschule in Wien schloss, um ans Bau-

mentierte Franz Singer mit Sperrholz und

haus zu gehen, folgten ihm Franz Singer

Stahlrohr. Es entstand eine Serie stapelbarer

und Friedl Dicker im Jahr 1919 nach Weimar.

Sessel und Freischwinger sowohl für Kinder

Franz Singer blieb bis 1923 am Bauhaus,

als auch für Erwachsene mit einem be-

besuchte dort die Tischlerei- und Bühnen-

sonderen, für Franz Singer typischen

werkstatt und arbeitete für verschiedene

Kennzeichen, dem überkreuzten Fußteil, die

Theaterproduktionen. Noch während seiner

zu Beginn der 1930er Jahre auch in kleinen

Ausbildung heiratete er am 17. März 1921 die

Serien produziert wurden.170 Franz Singer

um 11 Jahre ältere Wiener Sängerin Emmy

und Friedl Dicker engagierten sich auch für

Heim, es war bereits deren zweite Ehe. Sie

das Gemeinwohl; sie arbeiteten für das

bekamen einen Sohn, Michael „Bibi“, der

Sozialprogramm der Gemeinde Wien, stat-

jedoch mit ca. zehn Jahren in Wien starb.166

teten Kindergärten aus und entwickelten

Zu Beginn der 1920er Jahre arbeitete Franz

stapelbare Möbel für engste Räume.171

Singer gemeinsam mit Friedl Dicker für ver- Friedl Dicker verließ 1931 nach privaten Konschiedene Theaterproduktionen in Dresden

MöbeldesignerInnen – Biografien

flikten das gemeinsame Atelier; die beiden

199

kreativen DesignerInnen arbeiteten aber

Nach dem „Anschluss“ 1938 durfte Singer in

weiterhin zusammen an Einrichtungs-

Wien nicht mehr arbeiten. In London war

projekten. Singers Ehefrau Emmy lebte ab

er weiterhin als Architekt und Möbeldesigner,

Beginn der 1930er Jahre in England und

insbesondere für Kindermöbel und Spiel-

wanderte später von dort nach Kanada aus.

zeug, tätig und engagierte sich im sozialen

Ab 1934 hielt sich Franz Singer überwie-

Wohnbau.173

gend in London auf, arbeitete aber von Groß- Nach dem Krieg verbrachte Franz Singer britannien aus weiterhin für sein Atelier in

einige Jahre in Salzburg, in seine Geburts-

Wien. Neben seiner freiberuflichen Tätigkeit

stadt Wien kehrte er jedoch nie mehr wieder

als Architekt und Möbeldesigner arbeitete

zurück. Er starb am 5. Oktober 1954 bei

Singer ab 1934 auch als Berater für die

einem Besuch seiner langjährigen Freundin

Londoner Einrichtungsunternehmen John

Margit Téry-Buschmann in Berlin.174

Lewis und Peter Jones. 1936 lud ihn sein Bruder Paul ein, sich an einem Architekturprojekt in Palästina zu beteiligen.172

01

Lampe aus Messing, Entwurf: Franz Singer,

Wien 1929, Sammlung GS 02

Lampe aus Messing und Glas, Entwurf:

Franz Singer, Wien um 1925, Sammlung GS

01

200

02

Franz Singer

03

Sessel aus Birnenholz mit

schwarzer Jutegurtbespannung und Wiener Geflecht, Entwurf: Franz Singer und Friedl Dicker, Wien um 1927, © Dorotheum, 2019 04

Prototyp eines V-Arm-

lehnsessels aus Stahlrohr, Holz und Wiener Geflecht, Entwurf: Franz Singer, Wien 1933, Sammlung GS 05

Stapelbarer Holzsessel

aus Buchenholz mit Jutegurtbespannung, Entwurf: Franz Singer und Friedl Dicker, Wien um 1930, © KAUAK 06

Stapelbarer Sessel aus rot

lackiertem Stahlrohr und Sperrholz mit gekreuztem Fußteil in

03

04

05

06

08

09

X-Form, Entwurf: Franz Singer, Wien 1936, Sammlung GS 07

Prototyp eines Beistell-

tisches aus Stahlrohr und Holz, Entwurf: Franz Singer, Wien 1936, Sammlung GS 08

Freischwinger Hériot aus

Stahlrohr mit gekreuztem Fußteil, Holz und Wiener Geflecht, Entwurf: Franz Singer, Wien 1932, Sammlung GS 09

Stapelbarer Sperrholz-

sessel mit gekreuztem Fußteil in X-Form, Entwurf: Franz Singer, Wien 1936, Sammlung GS

07

MöbeldesignerInnen – Biografien

201

Als eine der begabtesten Bauhaus-StudentInnen bezeichneten sie Walter Gropius und Johannes Itten. Schon als Kind war sie durch ihr zeichnerisches Talent und ihre Kreativität aufgefallen. Als Innenarchitektin und Möbeldesignerin hatte sie großen Erfolg und konnte ihre vielseitigen Talente einsetzen. Selbst ohne Mutter aufgewachsen und kinderlos geblieben, widmete Friedl Dicker ihr gesamtes Leben der Kunstvermittlung und dem Zeichenunterricht von jungen Talenten. Die Kinderzeichnungen ihrer SchülerInnen aus Theresienstadt gingen nach dem Zweiten Weltkrieg um die Welt. 202

1898 – 1944 †

Bauhaus-Studentin

Friedl DICKER Wien Auschwitz

Friedericke „Friedl“ Dicker wurde am 30. Juli

begleiteten ihn auch einige seiner Wiener

Innenarchitektin

1898 in Wien in eine jüdische Familie

SchülerInnen dorthin, darunter auch die

Designerin

geboren. Ihr Vater Simon stammte aus der

damals 21-jährige Friedl Dicker, Anny Wottitz

Malerin

heutigen Ukraine und arbeitete in einem

und Franz Singer.178

Kunstpädagogin

Papiergeschäft; ihre Mutter Karolina, gebo-

Am Bauhaus fertigte Friedl Dicker unter ande-

rene Fanta, kam aus Wien. Friedl hatte keine

rem Buchbindearbeiten sowie Kinderspiel-

einfache Kindheit; ihre Mutter starb, als sie

zeug und erlernte die Technik der Lithografie.

erst vier Jahre alt war. Geschwister hatte sie

Ihr Lieblingsmaler Paul Klee wurde 1921

keine, so wurde sie liebevoll von ihrem

als Lehrer ans Bauhaus berufen. Ab da sah

Vater alleine großgezogen. Bereits in frühen

sie ihn täglich, schaute ihm beim Malen zu

Jahren entdeckte Friedl ihr kreatives und

und besuchte seine Vorlesungen über das

künstlerisches Talent. Im Papiergeschäft

Wesen der Kunst und die kindliche Fantasie.

ihres Vaters verbrachte das junge Mädchen

Die Bekanntschaft mit Klee und dessen

ihre freie Zeit neben der Schule und dort

Kunst beinflussten Friedl Dickers gesamtes

fand sie auch alles, um ihrer Fantasie und

Leben. Zu dieser Zeit arbeitete sie gemein-

Kreativität freien Lauf zu lassen – Ton, Stifte,

sam mit ihrem Freund Franz Singer auch

Farben und Papier. Sie ging in die Bürger-

in der Theaterabteilung des Bauhauses.179

schule für Mädchen und nahm von 1905 bis

Walter Gropius schwärmte über die junge

1907 an einem privaten Kinderzeichenkurs

Künstlerin: „Fräulein Dicker war in der Zeit

von Alfred Roller in Wien teil.175 Von 1912

vom Juni 1919 bis September 1923 Studie-

bis 1914 besuchte sie die Graphische Lehr-

rende des Staatlichen Bauhauses in Weimar.

und Versuchsanstalt in Wien, an der ab

Sie hat sich während dieser Zeit durch ihre

1908 auch Frauen offiziell zugelassen waren.

seltene und außerordentliche künstlerische

Im Anschluss daran studierte sie von 1915

Begabung stets hervorgetan und das beson-

bis 1916 an der Kunstgewerbeschule und be-

dere Augenmerk der ganzen Lehrerschaft

suchte die Werkstätte für Textil von Rosalia

auf ihre Arbeiten gerichtet. Die Vielseitigkeit

Rothansl.

ihrer Begabung und ihre große Energie

176

Um Geld dazuzuverdienen,

arbeitete die junge Studentin fürs Theater,

hatten zur Folge, daß ihre Leistungen und

nähte Kostüme und stellte Requisiten

Arbeiten zu den allerbesten des Instituts

zusammen.177

gehörten und daß sie schon während ihrer

Von 1916 bis 1919 besuchte Friedl Dicker die

Studienzeit zur Tätigkeit als Lehrerin mit

private Kunstschule von Johannes Itten

herangezogen werden konnte. Als ehemali-

in Wien. Dort lernte sie auch Anny Wottitz

ger Leiter und Begründer des Staatlichen

und ihren späteren Geschäftspartner und

Bauhauses in Weimar verfolge ich mit

Freund Franz Singer kennen, die beide

großem Interesse die künstlerische Tätigkeit

ebenfalls bei Itten studierten. Als Johannes

des Fräulein Dicker.“180

Itten die Schule 1919 schloss und mit seiner

Nach ihrem Studium gründeten Friedl Dicker

Lehrtätigkeit am Bauhaus in Weimar begann,

und Franz Singer in Berlin die Werkstätten

MöbeldesignerInnen – Biografien

203

Bildender Kunst, die sich auf Spielsachen,

und heiratete ihn im Jahr 1936. Friedl, die

Schmuck, Buchbindearbeiten, Textilien,

sich von da an Brandeis nannte, war

Grafiken und vor allem auch auf Ausstattun-

in Prag weiterhin als Architektin und Möbel-

gen fürs Theater spezialisierten. 1925 zog

designerin tätig, ihre Arbeiten signierte

Friedl Dicker wieder zurück nach Wien und

sie mit „FB“. Sie entwarf Inneneinrichtungen,

eröffnete ein Atelier, wo sie Stoffe gestal-

renovierte Wohnungen gemeinsam mit

tete und Buchbindearbeiten übernahm. Bald

Karola Bloch und Greta Bauer-Fröhlich,

darauf folgte Franz Singer ihr nach und

einer ehemaligen Bauhaus-Studentin, und

ab 1926 arbeiteten sie gemeinsam in einer

entwarf Textilien in Zusammenarbeit mit

Ateliergemeinschaft in der Wasserburg-

Frieda Stork, Franz Singers Schwester. Außer-

gasse im Alsergrund. Bei den gemeinsamen

dem gab sie Zeichenkurse, bei denen sie

Projekten war Friedl Dicker in erster Linie für

auch kunsttherapeutisch arbeitete. Darüber

die Innenarchitektur und Möblierung sowie

hinaus war Friedl Brandeis zu dieser Zeit

für die Farbgestaltung und Stoffe und Franz

weiterhin an gemeinsamen Projekten mit

Singer für die Architektur zuständig. Im

Franz Singer in Wien beteiligt.184

Atelier fertigte Friedl auch Möbelstoffe,

Im Sommer 1938 übersiedelte sie mit ihrem

Teppiche und Tagesdecken in Handarbeit.

Mann nach Hronov, einer Kleinstadt in

Gemeinsam entwarfen sie zahlreiche Innen-

der Nähe der polnischen Grenze. FreundIn-

einrichtungen und innovative und vor allem

nen versuchten sie zur Emigration zu über-

multifunktionale Möbel. Die visionären

reden. Auch Franz Singer, der bereits nach

Entwürfe aus dem Atelier Singer & Dicker,

London gezogen war, wollte, dass sie dort-

bei denen der Bezug zum Bauhaus erkenn-

hin nachkam. Friedl Brandeis erhielt ein

bar war, wurden bald zum Inbegriff des

Visum für Palästina, doch nachdem ihr

modernen Möbeldesigns in Wien und auf

Mann keines bekam, blieb sie bei ihm. Am

zahlreichen Ausstellungen und in interna-

16. Dezember 1942 wurde sie gemeinsam

tionalen Zeitschriften wie Domus gezeigt.181

mit ihrem Ehemann in das Konzentrations-

Die Zusammenarbeit und die Beziehung der

lager Theresienstadt deportiert. Pavel

beiden MöbeldesignerInnen war jedoch

Brandeis arbeitete dort als Zimmermann,

kompliziert und von privaten Konflikten ge-

Friedl Brandeis wurde Betreuerin in einem

kennzeichnet; sie hatten eine dramatische

der Mädchenheime in Theresienstadt.

Liebesbeziehung und kamen nicht von-

Sie organisierte geheime Zeichenkurse für

einander los. Franz Singer war seit 1921 mit

hunderte inhaftierte Kinder des Lagers

der Sängerin Emmy Heim verheiratet, mit

und arbeitete mit den Kindern auch als Kos-

der er einen Sohn hatte, der mit ca. zehn Jah-

tümbildnerin für ein Theaterstück, Käferlein.

ren starb. Nachdem sich Friedl Dicker

Sie hoffte, dass die Kinder durch den

von Franz Singer getrennt hatte, eröffnete

Kunstunterricht mit ihren Emotionen und

sie 1931 ihr eigenes Atelier in Wien. Zu

ihrer Umgebung besser umgehen können

dieser Zeit begann sie sich auch der Kunst-

würden. Selbst in Theresienstadt versuchte

pädagogik zu widmen; sie hielt Zeichen-

sie, mit ganz einfachen Mitteln die Räume

kurse für Kindergärtnerinnen und Kinder ab.

182

Friedl Dicker wurde 1931 Mitglied der Kommu-

„ihrer“ Kinder eine Spur angenehmer und wärmer zu gestalten – sie färbte mit ihnen ge-

nistischen Partei in Wien. Nach einer Haus-

meinsam die Bettwäsche und verzierte

durchsuchung 1934 in ihrem Atelier, bei

die Wände.185

der falsche Pässe gefunden wurden, wurde Friedl Dicker verhaftet.

183

Franz Singer

Im September 1944 wurde Pavel Brandeis nach Auschwitz deportiert. Friedl bestand

intervenierte für sie und sie kam wieder frei.

darauf, bei ihm zu bleiben, und meldete sich

Nach ihrer Haftentlassung floh sie nach

freiwillig für den nächsten Transport, um

Prag, wo ihre Tante Adela Brandeis mit drei

ihrem Ehemann zu folgen. Bevor sie Theresien-

Söhnen lebte. Friedl Dicker verliebte sich

stadt verließ, übergab sie Raja Englande-

in ihren jüngsten Cousin Pavel Brandeis, der

rova, einer ihrer SchülerInnen, zwei Koffer

um knapp sieben Jahre jünger war als sie,

mit rund 4500 Zeichnungen der Kinder.

204

Friedl Dicker

Am 8. Oktober erreichte ihr Zug Auschwitz.

Groag, einem Neffen Jacques Groags, der

Einen Tag nach ihrer Ankunft, am 9. Oktober

ebenfalls dort inhaftiert war.188 Die Zeichnun-

1944, wurde Friedl Brandeis ermordet; sie

gen der Kinder aus Theresienstadt, die unter

war damals 46 Jahre alt.186 Ihr Ehemann

der Leitung von Friedl Brandeis entstanden

Pavel Brandeis überlebte die Shoah. Ihr Vater

waren, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg

starb am 13. August 1942 in Theresienstadt.187

in Ausstellungen auf der gesamten Welt gezeigt. Sie befinden sich heute im Jüdi-

Raja Englanderova versteckte die Koffer mit den Kinderzeichnungen bis zur Befreiung

schen Museum in Prag und sind unauslösch-

von Theresienstadt und übergab sie Willy

liche Dokumente eines Lebens in Angst.189

02

01

01

Entwurf der Plastik Anna Selbdritt, Friedl Dicker,

Sammlung GS 02

Sessel aus Ahorn- und Buchenholz, teilweise rot lackiert,

mit Gurtbespannung, Entwurf: Friedl Dicker und Franz Singer,

03

Ausführung: Möbelfabrik Professor Hartmann, Wien um 1927, © MAK/Nathan Murrell 03

Zeichnung eines Armlehnsessels mit bunter, geflochtener

Bespannung von Friedl Dicker und Franz Singer, Sammlung GS

205

Der junge Architekt erkannte früh, dass Möbelstücke funktional und platzsparend sein müssen. Er entwarf einen stapelbaren Sessel aus Stahlrohr und kämpfte zunächst in Wien, dann auch in Großbritannien um die rechtliche Anerkennung seines Designs. Zahlreiche öffentliche Gebäude wurden mit Bruno Pollaks modernen Entwürfen ausgestattet, seine Sessel gelten schon längst als Design-Ikonen. 206

1902 – 1975 †

Architekt Möbeldesigner

Bruno POLLAK Tysmenitz London

Bruno Pollak wurde am 30. September 1902

Ateliers, der das Patent auf seinen Namen

in Tysmenitz in Polen in eine jüdische Fa-

anmelden lassen wollte.193 Im Februar 1929

milie geboren. Sein Vater Moritz Pollak war

meldete Bruno Pollak das Patent für die

Handelsangestellter. Die Familie über-

Stapelbarkeit seiner Stühle durch waag-

siedelte bereits während Brunos Schulzeit

rechtes Ineinanderschieben auf seinen

nach Wien. Er besuchte das Akademische

eigenen Namen in Österreich und in weiterer

Gymnasium, wo er im Jahr 1920 auch

Folge auch in Dänemark, Frankreich, Groß-

maturierte. Ab dem Jahr 1921 studierte er

britannien, Deutschland, der Schweiz und

mit einigen Unterbrechungen bis 1930/31

den USA an.194

an der Technischen Hochschule in Wien.

Die britische Möbelfirma Practical Equipment

Während seines gesamten Studiums

Ltd. (PEL) erwarb 1934 von Bruno Pollak

wohnte Bruno Pollak in der elterlichen Woh-

das Recht, dessen Sessel serienmäßig zu

nung in der Albertgasse 59 in der Josef-

produzieren. Das in der Nähe von Birmingham

stadt. 1924 erlangte er die österreichische

ansässige Unternehmen wurde 1931 ge-

Staatsbürgerschaft.190

gründet und wollte Thonet bei der Herstellung

Ab 1927 begann Bruno Pollak gemeinsam mit

von günstig produzierten Stahlrohrmöbeln

anderen Studierenden der Technischen

Konkurrenz machen. PEL hatte Pollaks

Hochschule im Atelier Singer & Dicker in

Sessel bereits 1932 ohne dessen Genehmi-

Wien mitzuarbeiten.

gung produziert. Nachdem eine rechtliche

191

In dieser Zeit entwarf

er das erste Stahlrohrmöbel, das innerhalb

Einigung zwischen Pollak und PEL erzielt wur-

der Ateliergemeinschaft entstand: einen

de, verkauften sie dessen Entwurf ab 1934

stapelbaren Sessel, den er in Wien vom Mö-

in den verschiedensten Ausführungen zu

belhersteller Josef & Leopold Quittner in

günstigen Preisen weltweit. Zahlreiche öffent-

einer kleinen Serie produzieren ließ. Pollaks

liche Gebäude und Bürohäuser wie jenes der

Sessel gab es in unterschiedlichen Aus-

BBC sowie Flughäfen, Schulen und Parks

führungen aus verchromtem oder lackiertem

wurden mit Pollaks Modellen ausgestattet.195

Stahlrohr mit Sitzflächen aus Rohrgeflecht,

Bruno Pollak führte unter der Adresse des

Lattenhölzern oder Stoff. Der Designer

Ateliers Singer & Dicker in der Wasserburg-

entwarf eine ganze Stahlrohrmöbelserie, be-

gasse 2 im Alsergrund auch seine eigene Fir-

stehend aus seinem Sessel mit oder ohne

ma unter dem Namen BP Stühle u. Tische.196

Armlehnen, einem Hocker und einem Tisch.

Wann Bruno Pollak die Ateliergemeinschaft

Das Besondere an Bruno Pollaks Sessel

Singer & Dicker in Wien verließ, ist nicht

war, im Gegensatz zu anderen Stahlrohr-

bekannt. Der Möbeldesigner reiste bereits

modellen aus dieser Zeit, die Stapelbarkeit;

ab 1930 häufig beruflich nach London und

diese war nicht zuletzt in Zeiten knappen

zog Mitte der 1930er Jahre endgültig dort-

Wohnraums sehr wertvoll.192

hin. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte der

Pollaks Entwurf führte zu einer Auseinandersetzung mit Franz Singer, dem Leiter des

MöbeldesignerInnen – Biografien

Designer nicht mehr nach Wien zurück. Er starb 1975 im Alter von 73 Jahren in London.197

207

01

01

Brief von Bruno Pollak

aus Wien 1931, Sammlung GS 02

Stapelbare Sessel aus

Stahlrohr und Holz, Entwurf: Bruno Pollak, Wien um 1927, Ausführung: PEL, Großbritannien, © Dorotheum Wien, 2010

02

208

Bruno Pollak

03

Sessel aus Stahlrohr und

06

Holzsessel, Entwurf:

Stoff, Entwurf: Bruno Pollak,

Bruno Pollak, Wien um 1927,

Wien um 1927, Ausführung:

Sammlung GS

PEL, Großbritannien, © Dorotheum Wien, 2010 04

Stahlrohrsessel, Ent-

07

Stapelbarer Sessel aus

Stahlrohr und Weidengeflecht, Entwurf: Bruno Pollak, Wien

wurf: Bruno Pollak, Wien um

um 1927, Ausführung: Josef &

1927, Ausführung: Josef &

Leopold Quittner, Wien,

Leopold Quittner, © Doro-

© Dorotheum Wien, 2014

theum Wien, 2019 05

Stapelbarer Sessel aus

Stahlrohr und Stoff, Entwurf: Bruno Pollak, Wien um 1927, Ausführung: Josef & Leopold Quittner, Wien, © Dorotheum Wien, 2015 03

04

05

06

07

MöbeldesignerInnen – Biografien

209

Jacqueline Groag gilt als Pionierin des modernen Textildesigns und hat mit ihren ausgefallenen Stoff-, Tapeten- und Kunststoffdesigns Fluglinien, Züge und Schiffe ausgestattet. Durch ihre Arbeit als Designerin für die Wiener Werkstätte und ihre Zusammenarbeit mit den bekanntesten Pariser Modehäusern entwickelte sie ein einzigartiges Gespür für Farben und Formen und schöpfte ein Leben lang aus ihrem reichen Schatz an Ideen. 210

1903 – 1986 †

Jacqueline GROAG Prag London

Innenarchitektin

Jacqueline Groag wurde am 16. April 1903 als

Stoffdesignerin

Hilde Pick in Prag in eine jüdische Familie

Werkstätte geprägt waren, wurde sie zu

geboren. 1926 inskribierte sie an der Kunst-

einer der erfolgreichsten StoffdesignerInnen

gewerbeschule in Wien und studierte zu-

Englands im 20. Jahrhundert. Sie designte

nächst allgemeine Formenlehre bei Franz

Muster für Möbelstoffe und Tapeten bis hin

Čižek und von 1927 bis 1929 Architektur

zu ausgefallenen bedruckten Kunststoffen,

bei Josef Hoffmann.

die in der Möbelproduktion eingesetzt

198

Nach ihrem Studium

die von den grafischen Mustern der Wiener

und dem frühen Tod ihres ersten Mannes

wurden. Bis Ende der 1970er Jahre arbeitete

Karl Ludwig Blumberger arbeitete sie als

sie als selbstständige Designerin unter ande-

Designerin für die Wiener Werkstätte. Als

rem für die britischen Unternehmen Hall-

Hilde Blumberger bzw. Hilde Bloomberg

mark Design und Cavendish Textiles und

machte sie sich international als gefragte

stattete mit ihren Designs London Transport,

Stoffdesignerin einen Namen. Anfang der

British Railways und die Fluglinie BOAC

1930er Jahre ging sie nach Paris und er-

aus. Jacqueline Groags Arbeit war sehr viel-

hielt große Aufträge berühmter Modeschöp-

fältig; so designte sie auch Keramiken und

ferInnen wie Coco Chanel, Jeanne Lanvin

Papierwaren. Sogar die britische Thronfolge-

und Elsa Schiaparelli. Im Jahr 1931 verlobte

rin Prinzessin Elizabeth trug 1946 ein Kleid

sie sich mit Jacques Groag und zog mit

mit Jacqueline Groags Stoffmuster Tulip.200

ihm zurück nach Wien. Ihre farbenprächti-

Gemeinsam mit ihrem Mann gestaltete sie

gen und originellen Stoffmuster wurden bei

Innenräume und Möbel und prägte mit ihren

zahlreichen internationalen Ausstellungen

extravaganten Stoffentwürfen die britische

prämiert. 1933 gewann sie für ihr Stoffdesign

Wohnkultur der 1950er und 1960er Jahre.

bei der Mailänder Triennale einen Preis

Sie gilt bis heute als Pionierin des modernen

und anlässlich der Pariser Weltausstellung

Textildesigns. 1984 wurde sie zum Royal

1937 wurden ihre bedruckten Stoffe sogar

Designer for Industry ernannt, der höchsten

mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Im

Auszeichnung für DesignerInnen in Groß-

selben Jahr heiratete sie Jacques Groag.

britannien.201

199

Nach dem „Anschluss“ Österreichs flohen

Jacqueline Groag war bis ins hohe Alter als De-

Jacques und Hilde Groag im März 1938 zu-

signerin erfolgreich. Sie überlebte ihren Mann

nächst nach Prag und 1939 über Frankreich

um 24 Jahre und starb am 13. Jänner 1986

und die Niederlande weiter nach London.

im Alter von 82 Jahren in London an Krebs.202

Hilde änderte im Exil ihren Namen auf Jacqueline Groag und gründete ihr eigenes Designstudio. Als Team nahm sie gemeinsam mit ihrem Mann in Großbritannien an zahlreichen Ausstellungen teil, unter anderem 1950 an der British Industries Fair und 1951 am Festival of Britain. Mit ihren Entwürfen,

MöbeldesignerInnen – Biografien

211

01

02

212

Jacqueline Groag

01

03

01

Drei Stoffmuster Quartett,

Entwurf: Jacqueline Groag für die Wiener Werkstätte, Wien 1928, © MAK/Branislav Djordjevic 02

Stoffentwurf Quartett von

Jacqueline Groag für die Wiener Werkstätte, Wien 1928, © MAK 03

Stoffentwürfe von Jacque-

line Groag für die Wiener Werkstätte, Wien 1928, © MAK

MöbeldesignerInnen – Biografien

213

Der vergessene Loos: Er studierte Architektur bei Josef Hoffmann und besuchte Josef Franks Vorlesungen an der Kunstgewerbeschule. In Paris arbeitete er gemeinsam mit seinem Namensvetter Adolf Loos und lernte Le Corbusier kennen. Walter Loos engagierte sich im Österreichischen Werkbund und plante ein Haus in der Wiener Werkbundsiedlung. Als überzeugter Gegner des Nationalsozialismus kehrte der junge Architekt 1938 Österreich für immer den Rücken. In Südamerika designte er Möbel und Inneneinrichtungen, die ein modernes und bequemes Leben ermöglichen sollten. 214

1905 – 1974 †

Philosoph

Walter LOOS

Wien Buenos Aires

Am 12. Jänner 1905 in Wien als Sohn eines Mö-

siedelten die beiden nach New York City,

Möbeldesigner

belhändlers geboren, studierte Walter Loos ab

wo Loos als Designer für Rena Rosenthal

Publizist

1921 an der Kunstgewerbeschule bei Rudolf

arbeitete. Das DesignerInnen-Paar hei-

Larisch und Franz Čižek sowie von 1923

ratete 1939, und da die beiden keine Arbeits-

bis 1925 Architektur bei Josef Hoffmann und

erlaubnis erhielten, zogen Walter und

besuchte Josef Franks Vorlesungen über

Fridl Loos 1940 weiter nach Buenos Aires.

Baukonstruktionslehre.

Doch auch hier war das Leben anfangs

203

Dort lernte er auch

seine zukünftige Frau Fridl Steininger

mit Schwierigkeiten verbunden, da Loos’

kennen, die Textilkunst bei Rosalia Rothansl

Architekturdiplom zunächst nicht aner-

und ebenfalls Architektur bei Josef Hoffmann

kannt wurde. Als Möbeldesigner und Innen-

studierte.204 1930/31 war er als außer-

architekt konnte er sich jedoch schon bald

ordentlicher Hörer an der Technischen Hoch-

einen Namen machen, seine Ehefrau

schule inskribiert. Mitte der 1920er lebte

führte einen bekannten Modesalon.208

der junge Architekt einige Zeit in Paris und

Gemeinsam mit Max Thurn gründete Walter

arbeitete in Adolf Loos’ Atelier, mit dem er

Loos das Atelier Ltda, das Möbel und Lam-

jedoch nicht verwandt war. Nach seiner

pen herstellte, und ab 1950 designte er

Rückkehr nach Wien machte er sich als Archi-

zusammen mit seinem jüngeren Halbbruder

tekt und Möbeldesigner selbstständig und

Hermann, der ebenfalls nach Buenos

gestaltete moderne Häuser und Möbel, auch

Aires emigriert war, Möbel. Zu seinen wich-

in Zusammenarbeit mit Jacques Groag

tigsten Entwürfen zählen neben diversen

und Walter Sobotka.205 Gemeinsam mit Josef

Inneneinrichtungen jene für die Gestal-

Frank engagierte er sich im Österreichischen

tung der Modeateliers seiner Frau Fridl. Da-

Werkbund und nahm als Architekt an der

rüber hinaus plante er Ferienhäuser, Hotels

Wiener Werkbundsiedlung teil; die beiden

und Büros und richtete diese mit seinen

Häuser, die er in der Woinovichgasse Nr. 24

Möbeln ein. Walter und Fridl Loos besuchten

und 26 auf kleinstem Grundriss plante,

Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg nur

zählten aufgrund der wohldurchdachten

ein einziges Mal. Walter Loos starb am 11.

Raumgliederung zu den gelungensten.206

März 1974 mit 69 Jahren in Buenos Aires.209

Für die Familie des Wiener Komponisten und Dirigenten Alexander Zemlinsky entwarf Walter Loos ein würfelförmiges Haus in Döbling am Kaasgraben Nr. 24, das bei der Mailänder Triennale 1933 mit einem Preis ausgezeichnet wurde.207 Im März 1938 emigrierte Walter Loos gemeinsam mit seiner Freundin Fridl als überzeugte GegnerInnen des Nationalsozialismus zunächst nach London; ein Jahr später über-

MöbeldesignerInnen – Biografien

215

Als eine der ersten Frauen studierte sie an der Technischen Hochschule in Wien und arbeitete bereits während ihres Studiums für die Ateliergemeinschaft Singer & Dicker. Sie entwarf für namhafte AuftraggeberInnen Einrichtungen und Möbel in Wien und beteiligte sich auch an sozialen Projekten. Den Zweiten Weltkrieg überlebte Anna Szabo als „U-Boot“ unter schwierigsten Umständen in Budapest und musste danach nochmals aus ihrer Heimat fliehen. In Großbritannien konnte sie sich im sozialen Wohnbau einen Namen machen. Mit Budapest und Wien fühlte sich die Architektin bis an ihr Lebensende verbunden. 216

1907 – 1988 †

Architektin Möbeldesignerin

Anna SZABO

Budapest London

Anna Szabo wurde 1907 in Budapest in der

dort unter schrecklichen Umständen als

damaligen österreichisch-ungarischen

„U-Boot“ versteckt auf einem Dachboden.

Doppelmonarchie in eine jüdische Familie

Unmittelbar nach dem Krieg eröffnete sie in

geboren. Sie übersiedelte nach Wien, um

Budapest ein Architekturatelier und inskri-

an der Technischen Hochschule Architektur

bierte von 1946 bis 1947 erneut an der Tech-

zu studieren. Sie zählte zu den wenigen

nischen Hochschule Wien.214

Frauen, die von 1925 bis 1930 an der Bauschule inskribiert waren und legte am 1. Juli 1929 die erste Staatsprüfung ab.

Anna Szabo arbeitete bis 1956 in Budapest als Architektin. Nach dem Ungarn-Aufstand

210

Noch während ihres Studiums arbeitete „Nusi“,

im Oktober 1956 floh sie nach Wien und lebte für kurze Zeit als Flüchtling in Leopoldine

wie sie von ihren FreundInnen genannt

Schroms Atelier und unterstützte diese bei

wurde, für das Atelier Singer & Dicker in

einigen Projekten. Noch im selben Jahr

Wien.211 Anna Szabo entwarf Einrichtungen

wanderte Anna Szabo nach London aus. Sie

und Geschäftsumbauten, fertigte Perspek-

wurde Mitglied des Royal Institute of British

tivzeichnungen für Möbel an und war in

Architects und arbeitete weiterhin erfolgreich

deren Entwurfsprozess stark eingebunden.

als Architektin, unter anderem im sozialen

Sie war unter anderem an der Planung

Wohnbau für den London County Council und

des Montessori-Kindergartens im Goethehof

den Greater London Council.215

und am Bau vom Gästehaus AuerspergHériot in der Leopoldstadt beteiligt.212 Nachdem Franz Singer bereits 1934 nach Groß-

Einmal jährlich kehrte Anna Szabo stets nach Wien zurück. Von dort fuhr sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1988 immer mit dem Schiff nach

britannien ausgewandert und Friedl Dicker

Budapest. Sie starb im Alter von 80 Jahren

1931 aus der Arbeitsgemeinschaft ausge-

in London an den Folgen eines Autounfalls.216

schieden war bzw. in Prag lebte, führte Leopoldine Schrom das Atelier in Wien weiter. Anna Szabo arbeitete einerseits selbstständig als Innenarchitektin, half aber auch weiterhin im Atelier aus. Die beiden Architektinnen waren Mitte der 1930er Jahre die einzig verbliebenen Mitarbeiterinnen im Atelier Singer & Dicker in Wien. Anna Szabo, die bis dahin ihr Studium noch nicht beendet hatte, wollte im Sommersemester 1938 neuerlich inskribieren; ihr Antrag wurde jedoch von der Technischen Hochschule abgelehnt, da sie Jüdin war.213 Im März 1938 floh sie nach Budapest. Den Zweiten Weltkrieg überlebte die junge Architektin

MöbeldesignerInnen – Biografien

217

Ihre Entwürfe spiegeln die Atmosphäre Israels wider. Als eine der ersten InnenarchitektInnen und MöbeldesignerInnen ihres Landes gestaltete Dora Gad das Corporate Design des neu gegründeten Staates mit. Die von ihr entworfenen Räume waren einzigartig und visualisierten die neue israelische Identität. Als Designerin setzte sie auf starke Farben, zeitlose Formen und lokales Handwerk sowie auf Materialien, die vor Ort zur Verfügung standen. 218

1912 – 2003 †

Innenarchitektin Möbeldesignerin

Dora GAD

Langenau Caesarea

Dora Gad, geborene Siegel, wurde 1912 in Lan-

In den 1940er und 1950er Jahren wurden Dora

genau, heute Câmpulung, in Siebenbürgen

und Yehezkel Gad zu den prominentesten

in eine jüdische Familie geboren. Ihre Mutter

InnenarchitektInnen Israels. Sie realisierten

dürfte kurz nach Doras Geburt gestorben

zahlreiche private, aber auch öffentliche

sein und so wuchs sie bei ihrem Großvater

Projekte für den neu gegründeten Staat:

auf, einem Schneider, mit dem sie viel Zeit

1950 richteten sie unter anderem die Resi-

verbrachte und der ihre Liebe zur Archi-

denzen des Ministerpräsidenten und des

tektur weckte. Dora Gad besuchte eine hebrä-

Außenministers ein und 1956 die National-

ische und eine staatliche Schule und über-

bibliothek in Jerusalem.222 Nach dem Tod

siedelte 1930 nach Wien, um an der Techni-

ihres Ehemanns 1958 heiratete sie ein Jahr

schen Hochschule Architektur zu studie-

später den General Efraim Ben-Artzi. Ihre

ren.

Arbeit als Designerin setzte sie unermüdlich

217

Sie schloss das Studium 1934 mit

einem Diplom für Architektur und Maschinen-

fort und begründete eine Partnerschaft

bau ab.

mit Arieh Noy, einem ehemaligen Mitarbeiter

218

In Wien lernte sie Heinrich Gold-

berg kennen, der ebenfalls Architektur an

ihres Ateliers. Als Team richteten die bei-

der Technischen Hochschule studierte und

den zahlreiche Luxushotels in Israel ein

ein überzeugter Zionist war.

wie das Hilton Tel Aviv und gestalteten die

219

Die beiden heirateten 1936 und zogen noch

Innenausstattung der Knesset sowie den

im selben Jahr nach Tel Aviv; Dora war

Flughafen Ben Gurion oder die Büros der

damals 24 Jahre alt. Heinrich Goldberg

nationalen Fluglinie EL AL.223 In Zusammen-

nahm den hebräischen Vornamen Yehezkel

arbeit mit dem israelischen Architekten

an und beide änderten ihren Nachnamen

Alfred Mansfeld gestaltete Dora Gad das

auf Gad. Dora Gad arbeitete zunächst als

Israel Museum, Jerusalem, das 1965 fertig-

Innenarchitektin bei Oskar Kaufmann,

gestellt wurde.224 Als erste Frau Israels

einem renommierten aus Deutschland

gewann sie 1967 für dieses Projekt den Israel

stammenden Theaterarchitekten, der 1933

Prize für Architektur.225

nach Palästina ausgewandert war. 1938

Durch mehr als ein halbes Jahrhundert inten-

machte sie sich dort als eine der ersten

siver Tätigkeit wurde Dora Gad zu einer

Innenarchitektinnen und Möbeldesigne-

der bekanntesten DesignerInnen Israels. Im

rinnen selbstständig.220

Jahr 1994 widmete ihr das Tel Aviv Museum

Die junge Designerin entwickelte einen indivi-

of Art als erster und einziger Architektin

duellen, neuen Einrichtungsstil, der die

des Landes eine umfassende Retrospektive,

lokalen Besonderheiten ihres Landes wider-

die sie selbst gestaltete; Dora Gad war

spiegelte. Sie setzte auf kräftige Farben

damals bereits 82 Jahre alt. Am 31. Dezember

wie Orange, Lila, Gelb und Türkis, schlichte

2003 starb sie im Alter von 91 Jahren in

Formen, lokales Handwerk und auf Materia-

Caesarea in Israel.226

lien, die vor Ort zur Verfügung standen: Holz, Wollteppiche, gewebte Stoffe und Stroh.221

MöbeldesignerInnen – Biografien

219

In den 1950er Jahren wurde er zu einem der bekanntesten MöbeldesignerInnen der brasilianischen Moderne. Mit einem abgeschlossenen Architekturstudium kam der 25-jährige Martin Eisler ohne Geld in Buenos Aires an und begann sofort, als Möbeldesigner zu arbeiten. Der Sohn des berühmten Wiener Kunsthistorikers Max Eisler wurde zu einem der führenden InnenarchitektInnen Argentiniens und Brasiliens und entwarf für Oscar Niemeyers Bauten die Einrichtung. Heute erzielen seine Möbel bei Auktionen Rekordpreise. 220

1913 – 1977 †

Architekt

Martin EISLER Wien Brasilia

Martin Eisler kam am 27. Oktober 1913 in Wien

weiter und eröffneten eine weitere Nieder-

Möbeldesigner

in einer jüdischen Familie zur Welt. Sein

lassung in Buenos Aires, die bis heute unter

Unternehmer

Vater Max Eisler, ein bekannter Professor

dem Namen Interieur Forma tätig ist.231

für Kunstgeschichte an der Universität

Eisler war von den brasilianischen Tropen-

Wien, Gründungsmitglied des Österreichi-

hölzern sowie von modernen Lackier- und

schen Werkbundes, Publizist und über-

Beschichtungstechniken auf Holz, Glas

zeugter Zionist, war verheiratet mit Elsa,

und Bronze begeistert, die er oft bei seinen

geborene Tieber.227 Max Eisler war eng mit

Entwürfen verwendete. Ende der 1950er

Oskar Strnad und Josef Frank befreundet

Jahre wurde Knoll International auf ihn auf-

und durch seine vielen Beiträge über mo-

merksam. Das Unternehmen verkaufte

dernes Wohnen das Sprachrohr der Neuen

Eislers Möbelentwürfe in den Vereinigten

Wiener Wohnkultur. Martin Eisler, der durch

Staaten und verhalf dadurch dem Designer

sein familiäres Umfeld schon früh mit Kunst-

zu internationaler Bekanntheit. Zur glei-

und Designtheorie in Berührung kam, stu-

chen Zeit erreichte auch der Bauboom in

dierte ab 1931 Architektur bei Oskar Strnad

Brasilia seinen Höhepunkt und Eisler stat-

an der Kunstgewerbeschule, die er 1934 mit

tete in Kooperation mit dem brasiliani-

einem Diplom abschloss.

schen Architekten Oscar Niemeyer zahl-

228

Sein Vater starb im Dezember 1937 in Wien

reiche Bauten mit den von ihm entworfenen

und kurz danach, im März 1938, floh der

Möbeln aus. Zu Eislers bekanntesten

junge Architekt vor den Nazis nach Argenti-

Entwürfen zählen die Stühle Reversível und

nien. Eisler kam nach einer langen Flucht

Costela, die mit dem Compasso d’Oro,

ohne Geld in Buenos Aires an und begann

einem von Gio Ponti ins Leben gerufenen

sofort, als Möbeldesigner zu arbeiten.229

Designpreis, ausgezeichnet wurden.232

Bereits 1940 stellte er seine Entwürfe bei

Martin Eisler heiratete im Exil die aus Stuttgart

einer Designausstellung der Mueller

stammende Rosl Wolf, deren gesamte

Gallery aus. Gemeinsam mit Arnold Hakel

Familie aus Deutschland vor den Nazis

gründete Eisler 1945 die Firma Interieur,

ebenfalls nach Buenos Aires geflohen war.

die Möbel der beiden Designer verkaufte.

Die beiden bekamen zwei Kinder, Ruth

Anfang der 1950er Jahre lernte Martin Eisler

und Alberto. Martins Mutter Elsa Eisler

bei einer Reise nach Brasilien den aus

wurde am 23. September 1942 im Alter von

Italien stammenden Möbeldesigner Carlo

50 Jahren im Vernichtungslager Treblinka

Hauner kennen und 1955 gründeten die

ermordet. Das Ehepaar kehrte nie wieder

beiden in Brasilia das Möbeldesign-Unter-

nach Wien zurück. Martin Eisler starb

nehmen Forma.

am 21. April 1977 im Alter von 63 Jahren in

230

Carlo Hauner ging Ende

der 1950er Jahre zurück nach Italien und verkaufte seine Firmenanteile an Eisler. Martin Eisler und sein Schwager Ernesto

Brasilia.233 Seine Möbel werden heute von der italienischen Firma Tacchini neu herausgebracht.234

Wolf führten Forma in Brasilien erfolgreich

MöbeldesignerInnen – Biografien

221

01

Reversível Chair, Entwurf:

Martin Eisler, Brasilien um 1950, Ausführung: Tacchini, © Tacchini/Andrea Ferrari 02

Shell Lounge Chair,

Entwurf: Martin Eisler, Brasilien um 1955 © H. Gallery 03

Sideboard, Entwurf:

Martin Eisler und Carlo Hauner für Forma, Brasilien um 1950, © Dorotheum Wien, 2018 04

Costela Chair, Entwurf:

Martin Eisler, Brasilien um 1953, Ausführung: Tacchini, © H. Gallery 05

01

Costela Chair, Entwurf:

Martin Eisler, Brasilien um 1953, Ausführung: Tacchini, © Tacchini/Andrea Ferrari 06

Coffee Table, Entwurf:

Martin Eisler, Brasilien um 1950 © H. Gallery

01

01

222

02

Martin Eisler

03

04

05

06

MöbeldesignerInnen – Biografien

223

Vergessene Namen

JOSEF BERGER

wo sie unter anderem Henri Matisse begeg-

wurde am 13. September 1898 in Wien ge-

nete. 1926/27 arbeitete sie als Oskar

boren, studierte Architektur an der Techni-

Strnads Privatassistentin und half ihm bei

schen Hochschule und besuchte Adolf

der Gestaltung von Bühnenbildern. Für die

Loos’ private Bauschule. 1921 gründete er

Wiener Werkbundsiedlung entwarf sie

in Wien gemeinsam mit seinem Studien-

die Inneneinrichtung der von Anton Brenner

kollegen Martin Ziegler das Atelier Berger &

entworfenen Häuser Nr. 15 und 16 und

Ziegler, das sich auf Inneneinrichtungen

richtete diese mit modernen Stahlrohrmöbeln

und Möbeldesign spezialisierte und Mitte der

ein.237 Nach dem „Anschluss“ floh die da-

1920er Jahre mehrere Bauten für die Stadt

mals 46-jährige Künstlerin mit ihren Eltern

Wien plante. 1923 gründete Berger mit

vor den Nazis nach Triest. Ab 1950 lebte Ilse

seinem Bruder Arthur und seinem Schwager,

Bernheimer in Venedig und ab 1952 unter-

dem österreichischen Schriftsteller Fritz

richtete sie in der Glasfachschule Zanetti auf

Lampl, die Bimini-Werkstätten, die Lampen,

der Insel Murano. llse Bernheimers Werke

Gläser und Vasen herstellten. 1934 zog

wurden 1920 und 1976 auf der Biennale

Josef Berger mit seiner Familie nach Paläs-

in Venedig gezeigt.238 Am 28. Februar 1985

tina, 1937 übersiedelten sie nach London.

starb sie in Venedig einige Wochen vor

Josef Berger arbeitete auch dort als frei-

ihrem 93. Geburtstag.239

beruflicher Architekt und Designer teilweise gemeinsam mit Martin Ziegler, der 1939

OTTO BREUER

aus Wien nach London geflohen war. Mit Fritz geboren am 26. Juli 1897 in Wien, studierte Lampl gestaltete Josef Berger im Exil weiter-

Architektur an der Technischen Hochschule

hin Gläser. Er starb am 22. August 1989

in Wien und besuchte Adolfs Loos’ private

im Alter von 91 Jahren in London. Das Atelier

Bauschule. 1919 ging er – allerdings nur für

Berger & Ziegler in Wien wurde von Leo-

die Dauer eines Semesters – an das Bau-

poldine Schrom, der ehemaligen Mitarbeiterin

haus in Weimar. In den 1920er Jahren betrieb

des Ateliers Singer & Dicker, weitergeführt.

Otto Breuer ein Einrichtungsunternehmen

235

in Wien und entwarf zahlreiche Möbel. Für die ILSE BERNHEIMER

Wiener Werkbundsiedlung baute er ein

kam am 20. März 1892 in Wien zur Welt, stu-

Doppelhaus, die Nr. 59 und 60. Nach dem

dierte ab 1909 an der Kunstgewerbeschule

„Anschluss“ im März 1938 wurden seine

bei Rudolf Larisch, Anton Kenner und

Firma und sein gesamter Besitz in Wien von

Franz Čižek und besuchte von 1912 bis 1916

den Nazis beschlagnahmt. Der Architekt

die Fachklasse für Malerei von Koloman

versuchte sich am 9. November, in der Nacht

Moser.236 Sie wurde Malerin und unterrichtete

der Novemberpogrome, das Leben zu

an einer privaten Kunstschule in Wien. 1919

nehmen, doch es gelang ihm nicht. Wenige

lebte die junge Künstlerin in Zürich und Paris

Tage später erhängte er sich im Alter von

und Anfang der 1920er Jahre in St. Tropez,

41 Jahren im Sanatorium Purkersdorf.240

224

HUGO GORGE

beteiligt.243 Nach dem „Anschluss“ 1938 floh

geboren am 31. Jänner 1883 in Mähren, stu-

Kulka mit seiner Familie zu Verwandten

dierte als außerordentlicher Hörer Archi-

seiner Ehefrau nach Königgrätz. 1939 emi-

tektur an der Technischen Hochschule und

grierten die Kulkas mit ihren beiden Kindern

ab 1907 an der Akademie der bildenden

nach Großbritannien und von dort 1940

Künste Wien. 1911 wurde er Oskar Strnads

weiter nach Neuseeland. Kulka, der im Exil

Assistent an der Kunstgewerbeschule.

weiterhin als Architekt arbeiten konnte,

Der junge Architekt erlangte den ersten Platz

starb 1971 in Auckland.244

bei einem Architekturwettbewerb für den Entwurf einer Synagoge in Hietzing, die

MARIA LIKARZ

jedoch aufgrund des Ausbruchs des Ersten

Die Stoffdesignerin Maria Likarz, geboren am

Weltkrieges nicht gebaut wurde. In der

28. März 1893 in Przemyśl, studierte von

Zwischenkriegszeit widmete er sich dem Ent-

1911 bis 1916 an der Kunstgewerbeschule

wurf von Möbeln, die auf vielen Ausstel-

bei Rosalia Rothansl, Franz Čižek, Josef

lungen gezeigt wurden, und richtete Woh-

Hoffmann und Adele von Stark. In den 1920er

nungen und Häuser ein. Auf Einladung Josef

Jahren entwarf sie für die Wiener Werk-

Franks plante er auch ein Doppelwohn-

stätte mehr als 200 Stoffmuster. In Zusam-

haus in der Wiener Werkbundsiedlung. Hugo

menarbeit mit Liane Zimbler und Helene

Gorge starb im Alter von 51 Jahren nach

Roth gestaltete die Designerin Wandmale-

langer Krankheit in Wien, seine Frau Lili floh

reien für zahlreiche Wohnungen, Häuser

1938 mit den drei gemeinsamen Kindern

und öffentliche Räume in Wien. Gemeinsam

vor den Nazis aus Wien nach London.

mit ihrem Ehemann Dr. Richard Strauss,

241

einem Wiener Arzt, floh sie 1938 vor den Nazis KARL HOFMANN

aus Wien auf die Insel Korčula, die sich

wurde am 3. Oktober 1890 in Wien geboren

im Familienbesitz ihres Mannes befand, und

und studierte Architektur an der Techni-

lebte nach dem Zweiten Weltkrieg in Rom.245

schen Hochschule. Dort lernte er auch Felix Augenfeld kennen, mit dem er 1922 ein

VIKTOR LURJE

erfolgreiches Atelier für Innenarchitektur

kam am 28. Juli 1883 in Wien in einer wohl-

und Möbeldesign gründete. Für ihre Auftrag-

habenden Fabrikantenfamilie zur Welt.

geberInnen bauten sie Wohnungen um,

Gemeinsam mit Oskar Strnad, Josef Frank

insbesondere Kleinstwohnungen, und ent-

und Oskar Wlach studierte er Architektur

warfen die Möbel dazu. Im September 1938

an der Technischen Hochschule. Nach dem

floh Karl Hofmann nach Brünn und von

Studium arbeiteten die jungen Architekten

dort vermutlich weiter nach Australien.

lose zusammen und nahmen gemeinsam

242

an Ausstellungen teil. Lurje machte sich in HEINRICH KULKA

Wien als Designer selbstständig und ent-

wurde am 29. März 1900 in eine Kaufmanns-

warf kunsthandwerkliche Gegenstände aus

familie geboren. Von 1918 bis 1923 studierte

Keramik, Glas und Bronze sowie Stoffe

er Architektur an der Technischen Hoch-

und Möbel. Im Herbst 1938 floh er gemein-

schule in Wien und besuchte auch Adolf Loos’

sam mit seiner Ehefrau Leopoldine aus

private Bauschule. Nach seinem Studium

Wien vor den Nazis nach Schanghai. An-

arbeitete Kulka als Zeichner und Assistent

fang der 1940er Jahre zog er nach Indien,

in Loos’ Wiener Atelier, folgte ihm später

wo er als Innenarchitekt und Möbeldesigner

nach Paris und richtete dort unter anderem

tätig war. Viktor Lurje starb noch während

den Herrenausstatter Knize in der Avenue

des Krieges 1944 in Jaipur.246

des Champs-Élysées ein. Heinrich Kulka wurde 1928 Adolf Loos’ Partner und dessen

FRITZ NAGEL

Büroleiter in Wien und war maßgeblich

kam am 19. Juni 1885 als Sohn eines Möbel-

an der Planung von Loos’ Häusern Nr. 49

fabrikanten in Wien zur Welt. Sein Vater

bis 52 in der Wiener Werkbundsiedlung

Adolf Nagel besaß die Möbelfabrik A. Nagel

MöbeldesignerInnen – Biografien

225

Wien IX in der Porzellangasse 27/Liechten-

Architektur am Massachusetts Institute

steinstraße 38a. Fritz Nagel studierte von

of Technology (MIT) in Boston zu absolvieren.

1903 bis 1906 Architektur an der Kunstge-

1938 eröffnete die junge Architektin ge-

werbeschule bei Josef Hoffmann und entwarf

meinsam mit ihrem Studienkollegen und

Möbel, die in der väterlichen Werkstatt

späteren Ehemann Winston Close ein

gefertigt wurden. Fritz Nagel überlebte die

Atelier für moderne Architektur, Close &

Shoah und starb am 31. Oktober 1963 im

Scheu Architects, und wurde zu einer

Alter von 78 Jahren in Wien.

der ersten erfolgreichen Architektinnen in

247

den USA. Elizabeth Scheu Close starb HELENE ROTH

am 29. November 2011 im Alter von fast 100

geboren am 13. Mai 1904 in Mähren, studierte

Jahren in Minneapolis.249

als eine der ersten Frauen Architektur an der Technischen Hochschule in Wien. Als

MARTIN ZIEGLER

überzeugte Zionistin wanderte sie Mitte

wurde am 14. Juni 1896 in Wien geboren und

der 1930er Jahre nach Palästina aus und wur-

studierte von 1917 bis 1921 Architektur an

de in Israel zu einer bekannten Innenarchi-

der Technischen Hochschule. Unmittelbar

tektin und Möbeldesignerin. Sie starb 1995

nach dem Studium gründete er gemein-

in Tel Aviv.

sam mit seinem Studienkollegen Josef Berger das Atelier Berger & Ziegler in Wien,

ELIZABETH SCHEU CLOSE

das sich auf Inneneinrichtungen und Möbel-

Elisabeth248 „Lisl“ Scheu kam am 4. Juni 1912

design spezialisierte. Im August 1939 emi-

in Wien als Tochter der Schriftstellerin und

grierte er mit seiner Familie nach London,

Verlegerin Helene Scheu-Riesz und des

1940 wanderten die Zieglers in die USA

Rechtsanwalts Dr. Gustav Scheu zur Welt.

aus.250

Lisl Scheu wuchs in einer von Adolf Loos erbauten Villa in Hietzing auf und beschloss bereits während ihrer Schulzeit, Architektin zu werden. Ab 1930 studierte sie Architektur an der Technischen Hochschule, brach jedoch ihr Studium bereits nach zwei Jahren ab und wanderte aufgrund der frauenfeindlichen Stimmung an der Hochschule und des deutlich spürbaren Antisemitismus in Wien in die USA aus, um einen Master in

226

Vergessene Namen

02

Vgl. Oskar Strnad, Auszug aus

dem Personalakt, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien. 03 Vgl. Prokop (2016), S. 121. 04

Vgl. https://www.

architektenlexikon.at/de/635.htm (Stand: 15.8.2021). 05 06

Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 77. Vgl. Oskar Strnad, Auszug aus

67

Vgl. Boeckl (1995), S. 331.

at/de/357.htm (Stand: 21.7.2021).

35

Vgl. http://www.architektenlexikon.

68

Vgl. TUWA, Hauptkatalog der

36

Vgl. ebd.

37

Vgl. https://www.

o. Hörer (HK) 1907/08, Matr. Nr. 643, Walther Sobotka. Der Architekt änderte

werkbundsiedlung-wien.at/biografien/ ernst-lichtblau (Stand: 21.7.2021). 38

Vgl. Sarnitz in: Boeckl (1995),

S. 285. 39 Vgl. Boeckl (1995), S. 337. 40 Vgl. Sarnitz in: Boeckl (1995),

die Schreibweise seines Namens in den USA auf „Walter“. 69

Vgl. http://www.architektenlexikon.

at/de/612.htm (Stand: 1.8.2021). 70 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 51 ff. 71 Vgl. Prokop (2016), S. 130.

dem Personalakt, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte

S. 291.

72

41

Kunst Wien. 07

at/de/357.htm (Stand: 1.8.2021). 42 Vgl. Archiv der Technischen

werkbundsiedlung-wien.at/biografien/ walter-sobotka (Stand: 1.8.2021).

09

Universität Wien (kurz: TUWA), Hauptkatalog der o. Hörer (HK)

Vgl. Prokop (2016), S. 122. 08 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 368. Vgl. https://www.

Vgl. http://www.architektenlexikon.

werkbundsiedlung-wien.at/biografien/ oskar-strnad (Stand: 1.8.2021).

1903/04, Josef Frank. 43 Josef Frank, Das Haus als Weg und

10

at/de/635.htm (Stand: 1.8.2021). 11 Vgl. Schütte-Lihotzky in: Stadler

Platz, in: Der Baumeister, Nr. 29, 1931, S. 316 ff. 44 Vgl. Wilfried Posch, Josef Frank, in:

(2004), S. 629.

Stadler (2004), S. 645.

12

Vgl. http://www.architektenlexikon.

Karin Zogmayer (Hg.)/Margarete

45

Vgl. Josef Frank, Auszug aus

Schütte-Lihotzky, Warum ich Architektin wurde, Salzburg: Residenz Verlag 2019,

dem Personalakt, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte

S. 20.

Kunst Wien.

13

46

Vgl. Schütte-Lihotzky in: Stadler (2004), S. 630. 14 Vgl. Prokop (2016), S. 194. 15 Vgl. Ella Baumfeld, Auszug aus dem Studiengang, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte

Kunst Wien. 16 Vgl. https://davidkultur.at/artikel/ judinnen-als-pionierinnen-derfrauenemanzipation (Stand: 1.8.2021). 17

49 Ebd. 50

Vgl. Meder (2008), S. 62; Ott-Wodni (2015), S. 104. 51 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 54; Prokop (2016), S. 129. 52

Vgl. Welzig (1998), S. 165. Vgl. Weibel/Stadler (1993), S. 19.

53

xml;internal&action=hilite. action&Parameter=Briggs (Stand: 1.8.2021).

56 Schütte-Lihotzky in: Stadler (2004), S. 631. 57 Meder (2008), S. 99.

18 Vgl. Maasberg/Prinz (2005), S. 97, 99. 19 Vgl. Prokop (2016), S. 195.

58 Vgl. Thun-Hohenstein/Czech/ Hackenschmidt (2015), S. 14. 59 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 138.

20

30

60 Philipp Frank wurde auf Albert Einsteins Empfehlung dessen Nachfolger an der Deutschen Universität Prag, wo er bis 1938 lehrte. Philipp Frank floh nach New York und wurde Dozent in Physik und Mathematik an der Harvard University. Mitte der 1940er Jahre schrieb er eine Biografie über Albert Einstein: Einstein: Sein Leben und seine Zeit. Zwischen den beiden Wissenschaftlern bestand ein intensiver Austausch und eine lebenslange Freundschaft. 61 Vgl. Christopher Long, Paul T. Frankl and Modern American Design, New Haven/London: Yale University Press 2007, S. 5.

31

62

Vgl. ebd. Vgl. Plakolm-Forsthuber in: Bois/ Reinhold (2019), S. 42. 22 Vgl. Prokop (2016), S. 196. 23

Vgl. ebd.

24

Vgl. http://www.architektenlexikon. at/de/695.htm (Stand: 1.8.2021). 25 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 51 ff. 26 Vgl. Boeckl (1995), S. 348. 27 Vgl. https://www. werkbundsiedlung-wien.at/biografien/ oskar-wlach (Stand:1.8.2021). 28 Vgl. Prokop (2016), S. 128; OttWodni (2015), S. 54. 29 Vgl. http://www.architektenlexikon. at/de/695.htm (Stand: 1.8.2021).

Vgl. Prokop (2016), S. 129. Vgl. Boeckl (1995), S. 348. 32 Vgl. Prokop (2016), S. 127. 33 Vgl. http://www.architektenlexikon. at/de/357.htm (Stand: 1.8.2021). 34

Vgl. Boeckl (1995), S. 337.

MöbeldesignerInnen – Biografien

Vgl. http://www.architektenlexikon.

at/de/612.htm (Stand: 1.8.2021). 74 Vgl. Prokop (2016), S. 130. 75

Walter Sobotka/Gisela Sobotka,

Ruth Sobotka, New York: Self-published 1968. 76 Vgl. Boeckl (1995), S. 344. 77

Vgl. https://library.columbia.edu/

libraries/avery/da/collections/sobotka. html (Stand: 1.8.2021). Der gesamte Nachlass von Walter Sobotka wird heute in der Columbia University in New York

City aufbewahrt. Schütte-Lihotzky in: Stadler (2004), 78 Vgl. https://www.nytimes. S. 631. com/1972/05/10/archives/walter-s47 Vgl. Ott-Wodni (2015), S. 106, 305 ff. sobotka-architect-teacher.html 48 Ott-Wodni (2015), S. 100. (Stand: 1.8.2021).

Vgl. https://www.biographien. ac.at/oebl/oebl_B/Briggs_ Ella_1880_1977.

21

73

Vgl. http://www.

54

Vgl. Ottillinger (2009), S. 136. 55 Vgl. Boeckl (1995), S. 330.

Vgl. Boeckl (1995), S. 331. 63 Vgl. Wilhide (2017), S. 159. 64 Vgl. ebd., S. 159. 65 Vgl. Long (2007), S. 148 ff. 66

Vgl. Fiell/Fiell (2016), S. 256.

79 Vgl. TUWA, Hauptkatalog der o. Hörer (HK) 1908/09, Matr. Nr. 309, Friedrich Kiesler. 80 Stephanie Kiesler, geborene Frischer, änderte ihren Namen im Zuge der Verleihung der amerikanischen

Staatsbürgerschaft im Jahr 1936 auf Stefi Kiesler. Vgl. Boeckl (1995), S. 335. 81 Vgl. Boeckl (1995), S. 335; Prokop (2016), S. 232. 82 Vgl. Alison J. Clarke/Elana Shapira, Émigré Cultures in Design and Architecture, London/New York:

Bloomsbury 2017, S. 142 ff.; Boeckl (1995), S. 335. 83 Vgl. Dieter Bogner, Architecture as Biotechnique, in: Boeckl (1995), S. 144. 84

Vgl. Boeckl (1995), S. 336. Vgl. https://www.kiesler.org/de/ (Stand: 1.8.2021). 85 86

Vgl. Prokop (2016), S. 234.

87

Vgl. Barbara Lesák/Thomas Trabitsch, Frederick Kiesler. Theatervisionär – Architekt – Künstler, Wien: Österreichisches Theatermuseum, Brandstätter 2012, S. 249; Boeckl (1995), S. 336. 88 Vgl. TUWA, Hauptkatalog der o. Hörer (HK) 1910/11, Matr. Nr. 146, Paul Engelmann. 89 Vgl. Dorfstetter (2019), S. 96. 90

Vgl. ebd., S. 98. Vgl. Prokop (2016), S. 136 f. 92 Vgl. https://deu.archinform.net/ arch/16668.htm (Stand: 21.7.2021). 93 Vgl. Warhaftig (1996), S. 253. 91

94 Vgl. http://www.architektenlexikon. at/de/108.htm (Stand: 21.7.2021).

227

95

Vgl. http://www.voglhofer.at/_rtf-

121 Vgl.

http://www.architektenlexikon.

153 Vgl.

Hanisch in: Ottillinger (2009),

voglhofer/CMS_fg4e735474df264_ at/de/727.htm (Stand: 17.8.2021). orig_1187.pdf (Stand: 1.8.2021); http:// 122 Vgl. http://www.liane-zimbler.de

S. 131 ff.

www.architektenlexikon.at/de/431.htm (Stand: 20.8.2021).

S. 247. 155 Vgl. Ernst Schwadron, Auszug aus

96

Vgl. TUWA, Hauptkatalog der

o. Hörer (HK) 1910/11, Matr. Nr. 728, Richard Neutra.

(Stand: 17.8.2021); Boeckl (1995), S. 349. 123 Vgl. Plakolm-Forsthuber in: Boeckl

98 99

dem Studiengang, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst

124 Vgl.

Wien; Boeckl (1995), S. 343.

http://www.architektenlexikon.

Vgl. Boeckl (1995), S. 339; http://

Vgl. Boeckl (1995), S. 339. Vgl. http://david.juden.at/

157 Vgl.

ebd., S. 300.

158 Vgl.

128 Vgl.

http://www.architektenlexikon.

oebl/biographien-des-monats/2016/juli (Stand: 15.8.2021). 159 Vgl. http://www.biographien.ac.at/

S. 13.

(Stand: 17.8.2021); http://iawaomeka.

documents/moma_ catalogue_2044_300061855.pdf

lib.vt.edu (Stand: 17.8.2021). 130 Vgl.

TUWA, Hauptkatalog der

(Stand: 1.8.2021).

o. Hörer (HK) 1909/10, Matr. Nr. 100, Jacques Groag.

102 Vgl.

131 Vgl.

http://www.neutra-

http://www.architektenlexikon.

gesellschaft.de/Biographie.html at/de/182.htm (Stand: 15.8.2021). 132 Vgl. Prokop (2005), S. 70. (Stand: 1.8.2021). 103 Vgl. http://www.werkbundsiedlung- 133 Vgl. https://www. wien.at/haeuser/haus-47 (Stand: 1.8.2021).

werkbundsiedlung-wien.at/haeuser/ haus-45-und-46 (Stand: 15.8.2021).

104 Vgl.

134 Vgl.

Fiell/Fiell (2016), S. 510. 105 Vgl. https://neutra.vs.de/ neutracollection/de/ (Stand: 1.8.2021). 106 Vgl. 107 Vgl.

ebd. ebd.

108 Richard Joseph Neutra, Life and Shape, New York: Appleton-CenturyCrofts 1962. 109 Vgl. http://www.neutragesellschaft.de/Biographie.html (Stand: 1.8.2021). 110 Vgl. https://magazin.wienmuseum. at/richard-neutras-letzte-wiener-jahre (Stand: 15.8.2021). 111 Michael

Schröter (Hg.), Sigmund Freud, Unterdeß halten wir zusammen. Briefe an die Kinder, 2. Aufl., Berlin: Aufbau Verlag 2011, S. 258 f. 112 Vgl.

ebd., S. 263. 113 Vgl. ebd., S. 266. 114 Vgl.

ebd., S. 267. 115 Vgl. ebd.; Carol Seigel, Sigmund Freud in London 1938/39, in: Monika Pessler/Daniela Finzi, Freud. Berggasse 19. Ursprungsort der Psychoanalyse, Berlin: Hatje Cantz 2020, S. 313 ff.; https://www. volkskundemuseum.at/freuds_dining_ room_2015-10-02 (Stand: 17.8.2021).

http://www.architektenlexikon. at/de/182.htm (Stand: 15.8.2021). 135 Vgl. https://doppelhouse.com/ ursula-prokop-and-shmuel-groag-bookpresentation-remarks/ (Stand: 15.8.2021). 136 Vgl. Sander (2018), S. 3. 137 Vgl.

140 Vgl. http://www.momak.go.jp/ English/exhibitionArchive/2008/370. html (Stand: 15.8.2021). 141 Vgl. ebd. 142 Vgl. https://www.moma.org/ artists/61481 (Stand: 15.8.2021). 143 Vgl. Winklbauer/Fellner (2016), S. 97. 144 Vgl. Thun-Hohenstein/Rossberg/ Schmuttermeier (2020), S. 256 f. 145 Vgl. Hanisch in: Boeckl (1995), S. 228. 146 Vgl. TUWA, Hauptkatalog der o. Hörer (HK) 1910/11, Matr. Nr. 644,

148 Vgl.

228

(Stand: 15.8.2021). 160 Vgl. Hanisch in: Ottillinger (2009), S. 138. 161 Vgl. 162 Vgl.

Boeckl (1995), S. 343. Prokop (2016), S. 155.

163 Vgl.

http://www.architektenlexikon.

at/de/728.htm (Stand: 15.8.2021). 164 Vgl. https://www.wohnkultur66.de (Stand: 15.8.2021). 165 Vgl.

Hövelmann (2018), S. 1157. http://www.architektenlexikon. at/de/723.htm (Stand: 19.8.2021). 166 Vgl. 167 Vgl.

Hövelmann (2018), S. 1157. Schrom/Trauttmansdorff (1988), S. 10. 169 Vgl. Maasberg/Prinz (2005), S. 79. 168 Vgl.

170 Vgl. Hövelmann (2018), S. 176 ff. 171 Vgl. ebd., S. 336. Felice Rix, Auszug aus dem 172 Vgl. http://www.architektenlexikon. Studiengang, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst at/de/723.htm (Stand: 19.8.2021). 173 Vgl. Schrom/Trauttmansdorff Wien. 139 Vgl. Sander (2018), S. 23 ff. (1988), S. 12.

117 In

Prokop (2016), S. 198.

oebl/oebl_S/Schwadron_ Ernst_1896_1979.xml

ebd.

116 Vgl.

120 Vgl.

Prokop (2016), S. 155. https://www.oeaw.ac.at/acdh/

138 Vgl.

Felix Augenfeld. 147 Vgl. Hanisch in: Boeckl (1995), S. 229.

ebd. einigen Biografien wird das Studium an der Kunstgewerbeschule erwähnt, an der sie jedoch nach Auskunft des Archivs und der Sammlung der Universität für angewandte Kunst Wien nicht studiert hat. 118 Vgl. Plakolm-Forsthuber in: Boeckl (1995) S. 296. 119 Vgl. ebd.

https://www.oeaw.ac.at/acdh/

127 Vgl.

at/de/727.htm (Stand: 17.8.2021). 129 Vgl. http://www.liane-zimbler.de

https://www.moma.org/

156 Vgl.

oebl/biographien-des-monats/2016/juli (Stand: 15.8.2021).

(1995), S. 304.

kulturzeitschrift/66-70/70-unterweger. htm (Stand: 1.8.2021). 100 Vgl. Schreyer/Nierhaus (2019), 101 Vgl.

Hanisch in: Boeckl (1995),

(1995), S. 303.

at/de/727.htm (Stand: 17.8.2021). www.neutra-gesellschaft.de/Biographie. 125 Vgl. Boeckl (1995), S. 349. 126 Vgl. Plakolm-Forsthuber in: Boeckl html (Stand: 1.8.2021). 97

154 Vgl.

Boeckl (1995), S. 327. 149 Vgl. Ruth Hanisch, Vom Wienerwald zum Central Park: Wiener Wohnen im New Yorker Exil, in: Ottillinger (2009), S. 131 ff. 150 Vgl.

Hanisch in: Boeckl (1995),

S. 240. 151 Vgl. ebd., S. 241. 152 Vgl. http://www.biographien.ac.at/ oebl/oebl_A/Augenfeld_Felix_1893_ 1984.xml (Stand:15.8.2021).

174 Vgl.

Hövelmann (2018), S. 1158. http://www.makarovainit.com/ friedl/leben.pdf (Stand: 18.8.2021). 176 Vgl. Friedl Dicker, Auszug aus dem Studiengang, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst 175 Vgl.

Wien. 177 Vgl. Hövelmann (2018), S. 29; https://www.bauhauskooperation.de/ wissen/das-bauhaus/koepfe/ studierende/friedl-dicker/ (Stand: 18.8.2021). 178 Vgl. Schrom/Trauttmansdorff (1988), S. 8. 179 Vgl. http://www.makarovainit.com/ friedl/leben.pdf (Stand: 18.8.2021). 180 Walter Gropius, 29.4.1931, Bauhaus-Archiv in Darmstadt, in: http:// www.makarovainit.com/friedl/leben.pdf (Stand: 18.8.2021). 181 Vgl. Hövelmann (2018), S. 105. 182 Vgl. https://www. bauhauskooperation.de/wissen/dasbauhaus/koepfe/studierende/friedldicker/ (Stand: 19.8.2021). 183 Vgl. Hövelmann (2018), S. 1157. 184 Vgl. http://www.makarovainit.com/ friedl/leben.pdf (Stand: 18.8.2021).

185 Vgl.

https://www.

214 Vgl.

TUWA, Hauptkatalog der

bauhauskooperation.de/wissen/dasbauhaus/koepfe/studierende/friedl-

o. Hörer (HK) 1946/47, Matr. Nr. 718/46, Anna Szabo.

dicker/ (Stand: 19.8.2021). 186 Vgl. Hövelmann (2018), S. 1157.

215 Vgl.

187 Vgl.

https://jwa.org/encyclopedia/

article/dicker-brandeis-friedl (Stand: 19.8.2021). 188 Vgl.

https://www.butterfliesinthe

ghetto.com/?s=Raja+Englan (Stand: 19.8.2021). 189 Vgl.

Schrom/Trauttmansdorff

240 Vgl.

Ott-Wodni (2015), S. 359.

241 Vgl.

http://www.architektenlexikon.

at/de/178.htm (Stand: 20.8.2021). 242 Vgl. http://www.architektenlexikon.

Hövelmann (2018), S. 116. Interview mit Georg Schrom am at/de/235.htm (Stand: 21.8.2021). 243 Vgl. https://www. 21.2.2021. 216 Vgl. 217 Vgl.

https://jwa.org/encyclopedia/

article/gad-dorah#pid-10228 (Stand: 20.9.2021). 218 Vgl. TUWA, Hauptkatalog der

werkbundsiedlung-wien.at/haeuser/ haus-49-50-51-und-52 (Stand: 20.8.2021). 244 Vgl. http://www.architektenlexikon.

o. Hörer (HK) 1930/31, Matr. Nr. 771/30, at/de/340.htm (Stand: 20.8.2021); Prokop (2016), S. 159 ff. Dora Gad, geb. Siegel. 219 Vgl.

Plakolm-Forsthuber in: Bois/

245 Vgl.

Thun-Hohenstein/Rossberg/

(1988), S. 14. 190 Vgl. TUWA, Hauptkatalog der o. Hörer (HK) 1921/22,

Reinhold (2019), S. 48. 220 Vgl. https://jwa.org/encyclopedia/

Schmuttermeier (2020), S. 239. 246 Vgl. http://www.architektenlexikon.

Matr. Nr. 1293/21 bzw. Nr. 688/28,

article/gad-dorah (Stand: 22.7.2021).

at/de/1437.htm (Stand: 20.8.2021).

Bruno Pollak. 191 Vgl. Hövelmann (2018), S. 114.

221 Vgl.

247 Vgl.

223 Vgl.

Studiengang, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst

192 Vgl. 193 Vgl.

ebd., S. 195. ebd., S. 114.

194 Vgl.

ebd., S. 195.

195 Vgl.

ebd., S. 197. ebd., S. 102.

196 Vgl.

ebd. 222 Vgl. Dorfstetter (2019), S. 120. https://deu.archinform.net/

Fritz Nagel, Auszug aus dem

arch/70590.htm (Stand: 20.8.2021). 224 Vgl. Warhaftig (1996), S. 157.

Wien. 248 Elisabeth Scheu änderte ihren

225 Vgl.

Namen in den USA auf Elizabeth mit „z“.

https://www.

jewishvirtuallibrary.org/israel-prize197 Vgl. Interview mit Georg Schrom am winners (Stand: 22.7.2021). 226 Vgl. https://jwa.org/encyclopedia/ 21.2.2021.

249 Vgl.

Hession (2020), S. 5 ff.

250 Vgl.

http://www.architektenlexikon.

at/de/718.htm (Stand: 20.8.2021).

198 Vgl. Hilde Blumberger, Auszug aus article/gad-dorah (Stand: 20.8.2021). dem Studiengang, Kunstsammlung und 227 Vgl. https://www.biographien. Archiv, Universität für angewandte Kunst ac.at/oebl/oebl_E/Eisler_ Wien. Max_1881_1937.xml 199 Vgl. Prokop (2005), S. 111. (Stand: 20.8.2021). 200 Vgl. Thun-Hohenstein/Rossberg/ Schmuttermeier (2020), S. 209. 201 Vgl. https://doppelhouse.com/ ursula-prokop-and-shmuel-groag-bookpresentation-remarks/

228 Vgl. Martin Eisler, Auszug aus dem Studiengang, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst

Wien. 229 Vgl. https://www.tacchini.it/en/ designers/martin-eisler/ (Stand: 20.8.2021).

(Stand: 19.7.2021). 202 Vgl. https://blogs.brighton.ac.uk/ royaldesigners/2016/06/06/jacqueline- 230 Vgl. https://www.fundacionida.org/ groag/ (Stand: 19.8.2021). en/node/1139 (Stand: 20.8.2021). 203 Vgl. Walter Loos, Auszug aus dem 231 Vgl. http://www.interieurforma. Studiengang, Kunstsammlung und com.ar/empresa/ (Stand: 20.8.2021); Archiv, Universität für angewandte Kunst https://www.r-and-company.com/ Wien. 204 Vgl. Elfriede Steininger, Auszug aus dem Studiengang, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien. 205 Vgl. http://www.architektenlexikon. at/de/363.htm (Stand: 20.8.2021). 206 Vgl. https://www. werkbundsiedlung-wien.at/haeuser/ haus-19-und-20 (Stand: 20.8.2021). 207 Vgl.

https://daten.digitalesammlungen.de/0001/bsb00016333/ images/index.html?seite=168 (Stand: 20.8.2021). 208 Vgl.

ebd. http://www.architektenlexikon. at/de/363.htm (Stand: 20.8.2021). 210 Vgl. TUWA, Hauptkatalog der o. Hörer (HK) 1925/26, Matr. Nr. 675/25, Anna Szabo. 209 Vgl.

211 Vgl. Hövelmann (2018), S. 116, 118. 212 Vgl. ebd. 213 Vgl. TUWA, Hauptkatalog der o. Hörer (HK) 1908/09, Matr. Nr. 675/25, Anna Szabo.

MöbeldesignerInnen – Biografien

designers/martin-eisler-and-carlohauner/ (Stand: 20.8.2021). 232 Vgl. http://www.tacchini.it/en/ designers/martin-eisler/ (Stand: 20.8.2021). 233 Vgl. http://www.tacchini.it/en/ savoir-faire/una-conversazione-conalberto-and-ruth-eisler/ (Stand: 20.8.2021). 234 Vgl. http://www.tacchini.it/en/ designers/martin-eisler/ (Stand: 20.8.2021). 235 Vgl. http://www.architektenlexikon. at/de/43.htm (Stand: 20.8.2021). 236 Vgl. Ilse Bernheimer, Auszug aus dem Studiengang, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien. 237 Vgl. http://www.werkbundsiedlungwien.at/haeuser/haus-15-und-16 (Stand: 21.8.2021). 238 Vgl. https://www.labiennale. at/2013/archiv/de/chronologie/1976. html (Stand: 20.8.2021). 239 Vgl. Thun-Hohenstein/Rossberg/ Schmuttermeier (2020), S. 207.

229

INTERVIEWS

mit ExpertInnen, SammlerInnen & DesignerInnen

Friedl Dicker & Franz Singer Georg Schrom spricht über die visionäre Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker & Franz Singer. Er studierte Architektur und Design an der Universität für angewandte Kunst Wien und an der Harvard Graduate School of Design. Georg Schrom lebt und arbeitet als Architekt in Wien.

232

C W

Kannst Du mir etwas über die Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer in Wien erzählen?

Franz Singer und Friederike („Friedl“) Dicker kannten sich aus Wien, wo beide an der Kunstschule von Johannes Itten studiert hatten. Beide folgten Itten nach Weimar und studierten von 1919 bis 1923 am Bauhaus. Danach arbeiteten sie für Theater in Dresden und Berlin, entwarfen Bühnenbilder und Kostüme und gründeten 1923 die Werkstätten Bildender Kunst in Berlin. Friedl Dicker kehrte 1925 nach Wien zurück und gründete ein Atelier im 9. Bezirk in der Wasserburggasse 2, das sie mit Martha Döberl betrieb und in dem kunstgewerbliche Produkte wie Webmuster, Taschen und Lederwaren hergestellt wurden. Nachdem die Werkstätten Bildender Kunst in Berlin 1925 aufgelöst wurden, kehrte auch Franz Singer nach Wien zurück und mietete eine Atelierwohnung in der Schadekgasse 18 im 6. Bezirk. Ungefähr ein Jahr später übersiedelte er in Friedls Atelier. Zu diesem Zeitpunkt fing die innenarchitektonische und architektonische Arbeit der beiden an. Weder Franz Singer noch Friedl Dicker hatten eine Architektenausbildung. Sie engagierten ab 1926 StudentInnen und AbsolventInnen der Technischen Hochschule, die im Atelier mitarbeiteten und die einzelnen technischen Pläne ausführten. Um es mit den Worten Friedrich Achleitners zu sagen, der anlässlich einer Ausstellung, die ich im Jahr 1988 organisierte, in seinem Vorwort zu meinem Katalog Franz Singer – Friedl Dicker, 2 × Bauhaus in Wien schrieb: „... daß das architektonisch-rationale und das funktionale Moment eher von Singer in die Zusammenarbeit eingebracht wurde, und das offene, unorthodoxe (...) mit einer kontrollierten Materialsinnlichkeit ausgestattete Temperament eher von Dicker.“ Franz Singer war laut meiner Tante Leopoldine Schrom, die ab 1929 im Atelier mitarbeitete, für die Architektur verantwortlich, Friedl Dicker für die Materialien, Farben und Stoffe. Gerade im Bereich des Möbeldesigns hat Friedl Dicker eine wesentliche Rolle in der Ateliergemeinschaft gespielt. Franz Singer hat alles dokumentiert, abgestempelt und gezeichnet, doch bis 1933 war der Einfluss von Friedl Dicker auf die gemeinsamen Arbeiten sehr groß! In den Publikationen und Zeitschriften, wie z. B. Architectural Review und The Studio, englischen Architekturzeitschriften der damaligen Zeit, G S

links Georg Schrom im Atelier in der Lerchenfelder Straße in Wien

Interviews mit ExpertInnen, SammlerInnen & DesignerInnen

233

wurde Dicker nie erwähnt, alles lief immer unter dem Namen Franz Singer. Durch die mündliche Überlieferung meiner Tante, ihrer ehemaligen Mitarbeiterin, wissen wir jedoch, dass Friedl Dicker einen sehr großen Einfluss hatte. So sagte meine Tante: „Vergesst nicht auf die Friedl Dicker, sie hat einen wesentlichen Beitrag im Atelier geleistet!“ C W Wer waren die MitarbeiterInnen in der Ateliergemeinschaft Singer & Dicker und wie war die Arbeitsaufteilung? G S Es gab eine Vielzahl von MitarbeiterInnen im Atelier. Zwei davon waren Bruno Pollak, der später mit einer eigenen Möbelproduktion sehr erfolgreich wurde, und der Architekt Hans Biel, der neben seinem eigenen Büro einige Projekte der Ateliergemeinschaft betreute. Bruno Pollak dürfte ab 1927 im Atelier mitgearbeitet haben. Beide sind sehr früh nach England emigriert. Dann kam später aus Berlin der Bühnenbildner Wolfgang Roth, der nach seiner Emigration Mitte der 1930er Jahre in New York und Dallas als Bühnenbildner sehr erfolgreich wurde. Die beständigste Mitarbeiterin im Atelier über viele Jahre hindurch war eigentlich Anna Szabo aus Budapest, die wie meine Tante Leopoldine Schrom an der Technischen Hochschule Architektur studiert hatte. Anna Szabo hat bereits während ihrer Studienzeit ab 1927 im Atelier Singer & Dicker mitgearbeitet, um 1929 dürfte sie zu meiner Tante gesagt haben: „Komm auch ins Atelier, es gibt so viel Arbeit.“ Ab dieser Zeit haben die beiden dort gemeinsam gearbeitet. Dann gab es einen weiteren Mitarbeiter, Ladislaus Foltyn-Fussmann, er wurde nach dem Krieg als Architekt, Professor für Architekturgeschichte an der Technischen Hochschule in Bratislava und als Fotograf sehr erfolgreich. Aus dem Atelier sind spätestens 1938 alle bis auf meine Tante emigriert. Noch vor dieser Zeit hat auch mein Onkel Richard Erdös, der Grafiker, Illustrator und Fotograf war, im Atelier mitgearbeitet. Er hatte an der Kunstgewerbeschule studiert und ist 1938 nach New York geflohen. Jenny Pillat war eine weitere Mitarbeiterin. Sie gehörte zu den wenigen Frauen, die vor dem Krieg die Baumeisterbefugnis erworben hatten, und betrieb nach dem Krieg eine Baumeisterfirma in Wien. Weder Bruno Pollak noch Hans Biel sind nach dem Krieg wieder zurück nach Österreich gekommen. Auch Franz Singer ist nicht mehr

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Friedl Dicker & Franz Singer

„Das Design, die Oberflächen, die Materialien, die Farbigkeit, die Stoffe – das war der Einfluss von Friedl Dicker!“ — Georg Schrom

nach Wien zurückgekehrt. Er ist einmal zur Sommerfrische nach Aigen bei Salzburg gefahren. Nach Wien sind sie alle nie mehr zurückgekehrt. C W Wie haben sich die Möbelentwürfe allgemein im Lauf der Jahre entwickelt? Waren es eher Einzelanfertigungen oder wurde bereits für eine Massenproduktion entworfen? G S Sieht man sich die Arbeiten des Ateliers an, erkennt man eine deutliche Veränderung im Vergleich zu den Anfängen in den Jahren 1925/26 – weg von den sehr färbigen, voluminösen Möbelentwürfen ging es immer mehr hin zu technischeren Lösungen mit stapelbaren, multifunktionalen Möbeln. Die Entwürfe des Ateliers haben sich zwischen 1925 und 1938 stark verändert. Was man zu den Möbeln allgemein sagen kann: Es war eine Tüftelei. Über die ganzen Jahre von 1926 bis 1938 ist mit Prototypen gearbeitet worden, mit Verbesserungen, mit Formveränderungen. Die Absicht von Franz Singer war es, mit seinen Möbeln in eine Massenproduktion zu gehen. Das ist in dieser Zeit jedoch nie wirklich geglückt, zumeist blieb es bei Einzelanfertigungen für einzelne Projekte mit einer Auflage von 10 oder 20 Stück. Erst nach seiner Emigration nach England dürfte eine stapelbare Sperrholztype in größerer Serie produziert worden sein. Bruno Pollak hat um 1927 in Wien seinen stapelbaren Stahlrohrsessel entworfen. Er wurde dann nach seiner Emigration in England in Massenproduktion als Modell RP7 industriell von der Firma PEL hergestellt. Dieser Sessel wurde in Schulen und öffentlichen Gebäuden verwendet, z. B. für die Tennisplätze in Wimbledon und auch im Flughafen Graz-Thalerhof. C W Wie ging es nach 1938 weiter? G S Meine Tante Poldi führte das Atelier Singer bis 1938 weiter. Aus Franz Singers Wohnung haben auch Möbel „überlebt“. Meine Tante hat für den Theaterregisseur Berthold Viertel und dessen Frau Elisabeth Neumann-Viertel, die nach dem Krieg wieder nach

Interviews mit ExpertInnen, SammlerInnen & DesignerInnen

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Wien zurückgekehrt sind, im Jahr 1948 eine Wohnung in der Riemergasse renoviert und diese mit Franz Singers Möbeln aus der Schadekgasse ausgestattet. Zwischen Berthold Viertel, Franz Singer und Friedl Dicker bestand eine langjährige Freundschaft, sicher seit 1919. Singer und Dicker hatten bereits in Berlin Theaterstücke von Berthold Viertel ausgestattet. Es gab einen sehr engen Freund von Friedl Dicker, den Komponisten Stefan Wolpe. Als Berthold Viertel 1923 Der Kaufmann von Venedig in Dresden aufführte, hat Stefan Wolpe die Musik dazu komponiert, sie gilt jedoch heute als verschollen. Auch Robert Musils Komödie Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer ist von Berthold Viertel uraufgeführt worden. Friedl Dicker und Franz Singer haben dazu die Kostüme und das Bühnenbild gestaltet. Was kannst Du mir über Deine Tante Leopoldine Schrom erzählen? Meine Tante hat an der Technischen Hochschule als eine der ersten Frauen in Wien Architektur studiert. Sie war vier Jahre jünger als Franz Singer und zwei Jahre jünger als Friedl Dicker. Trotzdem waren alle per Sie, aber das war einfach auch eine andere Zeit. Mit den KlientInnen war es freundschaftlich per Du, aber innerhalb des Büros waren sie per Sie. Meine Tante war sehr eng mit Anna Szabo, genannt „Nusi“, befreundet. Poldi hat das Atelier Berger & Ziegler übernommen, die beiden Architekten waren 1934 nach Palästina emigriert. Es gab auch die Idee eines gemeinsamen Büros mit Anna Szabo, doch dazu ist es leider nicht mehr gekommen, Anna Szabo musste 1938 fliehen. Und über Anna Szabo? Anna Szabo war wie Franz Singer und Friedl Dicker Jüdin und musste 1938 fliehen. Sie hat den Krieg unter horriblen Umständen überlebt. Nach Erzählungen meiner Familie lebte sie als „U-Boot“; sie hat sich zum Ende des Krieges auf einem Dachboden in Budapest versteckt und die Schießereien zwischen den Russen und den Nazis unmittelbar miterlebt. Anna Szabo hat dann gleich nach dem Krieg 1945 ein Büro in Budapest eröffnet und war auch noch in Wien, um hier die zweite Staatsprüfung an der Technischen Hochschule nachzuholen. Sie war dann offiziell Architektin und hat bis 1956 in Budapest gearbeitet. Nach dem Ungarn-Aufstand ist sie von Budapest nach Wien geflohen und hat bei meiner Tante im

Friedl Dicker & Franz Singer

oben Originale und Prototypen von Franz Singer, Bruno Pollak und Anna Szabo im Atelier Schrom

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Atelier als Flüchtling gelebt und auch mitgearbeitet. Sie war „zäh“. Sie ist dann weiter nach England gegangen, hat sich ihre Prüfungen nostrifizieren lassen und wurde Mitglied des Royal Institute of British Architects. Außerdem war sie als Architektin für den Greater City Council in England tätig, insbesondere im sozialen Wohnbau, und zwar von 1955 bis 1980. Der Council existiert heute nicht mehr. Anna Szabo ist aber einmal pro Jahr nach Wien gekommen, damals habe ich sie auch kennengelernt. Sie ist immer von Wien aus mit dem Schiff nach Budapest gefahren, das war ihr Ritual bis zu ihrem Tod 1988. Ich habe sie noch sehr gut gekannt und war öfter bei ihr in London. Sie war nie verheiratet und hatte keine Kinder; sie ist in England nach einem Autounfall gestorben. Deine Tante war nicht Jüdin, doch auch sie wurde inhaftiert. Warum? Meine Tante war selbst nicht Jüdin, doch hatte sie einige jüdische Verwandte. Sie galt unter den Nazis als „politisch unverlässlich“. Man hat sie im Herbst 1944 nach Neudorf (Novo Selo) im heutigen Burgenland zu Grabungsarbeiten am „Ostwall“ abkommandiert.

Interviews mit ExpertInnen, SammlerInnen & DesignerInnen

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Die Familien Bauer-Huisza haben sie, obwohl meine Tante überhaupt keine Ahnung vom Kochen hatte, als Köchin engagiert und ihr damit womöglich das Leben gerettet. Was weißt Du über das Atelier Berger & Ziegler? Josef Berger und Martin Ziegler waren Studienkollegen und kannten sich von der Technischen Hochschule. Sie gründeten 1921 ein gemeinsames Atelier in der Lerchenfelder Straße 54 und sind beide 1934 nach Palästina emigriert. Meine Tante hat damals ihr Atelier übernommen und ich habe es dann von meiner Tante übernommen. Berger & Ziegler haben ganz andere Möbel als Singer & Dicker entworfen. Sie haben Gemeindebauten geplant und es gab auch Möbelentwürfe. In ihren Bauten in Israel haben sie sich dann am International Style orientiert. Später sind Josef Berger und seine Frau nach England gegangen. Als meine Tante am „Ostwall“ zur Zwangsarbeit war, gab es im Atelier eine Zwangseinquartierung. Nach dem Krieg hat meine Tante ihre Tätigkeit im Atelier wieder aufgenommen und war bis zu ihrem Tod als Innenarchitektin aktiv; sie hat in den 1960er Jahren Einrichtungen für Supermärkte, Arztpraxen und einige Geschäfte in Wien entworfen. Für einzelne Projekte hat sie auch weiterhin eigene Möbel entworfen, einen Prototyp aus den späten 1950er habe ich noch. Poldi ist 1984 gestorben. Wie rettete Leopoldine Schrom alle Unterlagen aus dem Atelier Singer & Dicker ? Gab es dabei Schwierigkeiten? Für Franz Singer war es klar, dass er nicht mehr nach Wien zurückkommen würde. Seine ehemalige Ateliermitarbeiterin Irma Stadler und deren Mann Dr. Josef Stadler, ein Chemiker, haben die Atelierwohnung in der Schadekgasse als UntermieterInnen übernommen. Richard Erdös hat meiner Tante geholfen, sie haben alle Akten, Zeichnungen und Sesselentwürfe und Prototypen von der Schadekgasse in das Atelier in der Lerchenfelder Straße getragen. Ein Teil der Möbel kam in ein Möbellager. In der Schadekgasse waren noch lange Zeit Singer-Möbel vorhanden. Offiziell wurde das Atelier Singer & Dicker dann 1938 aufgelöst. Was kannst Du über Franz Singer erzählen? Singer hat meines Wissens nicht auf der damaligen Kunstgewerbeschule, der heutigen Universität für angewandte Kunst

Friedl Dicker & Franz Singer

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Wien, studiert. Er hatte Alfred Roller, der dort Professor war, lediglich ein Empfehlungsschreiben geschickt, war aber kein Student bei Roller. Er dürfte zunächst einige Semester Philosophie und Kunstgeschichte an der Universität Wien studiert haben und war Privatschüler bei Johannes Itten und beim Komponisten Arnold Schönberg. Dann war er von 1919 bis 1923 am Bauhaus. Einen offiziellen Studienabschluss dürfte es nicht geben, denn Singer und Walter Gropius sind im Streit auseinandergegangen. Franz Singer war ab 1921 mit der Sängerin Emmy Heim verheiratet, die später nach Kanada emigrierte. Sie hatten einen gemeinsamen Sohn, Michael, der tragischerweise mit ungefähr zehn Jahren plötzlich gestorben ist – heute vermutet man eine Gehirnhautentzündung. Dadurch kam es auch zu einem Bruch in der Beziehung zwischen Friedl Dicker und Franz Singer. Wie das Verhältnis der beiden war, ist nicht ganz klar, es dürfte jedoch kompliziert gewesen sein. Der Schicksalsschlag dürfte für alle schwer zu verkraften gewesen sein. Die 1930er Jahre waren in wirtschaftlicher Hinsicht schwierig für das Atelier. Ich vermute, dass Franz Singer ab 1934 nur etwa einmal im Jahr nach Wien gereist ist. Auch Dein Onkel Richard Erdös hat sich hier im Atelier versteckt und ist mit den Skiern über die Grenze geflohen. Er hat darüber ein Buch geschrieben – kannst Du mir sein Buch nennen? Mein Onkel ist in Frankfurt aufgewachsen und ging in die Odenwaldschule. Danach studierte er an der Akademie der bildenden Künste in Berlin. 1933 floh er von Berlin nach Wien und studierte dann an der Kunstgewerbeschule bei Professor Müller-Hofmann. Neben seinem Studium entwarf er Karikaturen für einzelne Zeitschriften. 1938 hat er sich im Atelier meiner Tante versteckt und ist einige Wochen nach dem „Anschluss“ im April 1938 mit seinen Skiern und einem Rucksack über die grüne Grenze von Vorarlberg in die Schweiz geflohen und von dort aus nach Paris, dann weiter nach London und 1940 schließlich nach New York City. Wie es ihm gelungen ist, ein Affidavit für die USA zu bekommen, wissen wir bis heute nicht. Er war der Cousin ersten Grades meiner Tante Poldi und hat sowohl in der Ateliergemeinschaft Singer & Dicker als auch im Atelier meiner Tante mitgearbeitet. Seine Erinnerungen hat er in seinem Buch Der Donnerträumer 01 festgehalten.

01 Richard Erdoes, Der Donnerträumer, Wien: Picus 1999.

Interviews mit ExpertInnen, SammlerInnen & DesignerInnen

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Maria Auböck, die Tochter des Architekten und Designers Carl Auböck, spricht über ihre Familie, Kunsthandwerk und Design aus Wien im vergangenen Jahrhundert und heute.

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Die Geschichte des Unternehmens und der Werkstätte Carl Auböck Nfg. ist sehr eng mit der Familiengeschichte der Auböcks verbunden. Das Unternehmen besteht seit vielen Generationen. Ihr Urgroßvater Karl Auböck I war Gürtler und Ziseleur, dann folgten Carl Auböck II, Designer und Künstler, Carl Auböck III, Architekt und Designer, und Ihr Bruder Carl Auböck IV. Sie sind Landschaftsarchitektin?

Mein Urgroßvater Karl Auböck I (Karl damals noch mit „K“) wurde 1872 in Wien geboren, er war Gürtler und Ziseleur und arbeitete in England und den USA, wo er Quäker wurde. Nach seiner Rückkehr heiratete er Elisabeth Ritter, die aus einer Wiener Gürtlerfamilie stammte. Angeblich hat mein Urgroßvater die Bronzeadler auf den Obelisken vor dem Schloss Schönbrunn renoviert. Vor 1914 beteiligte er sich mit seinen Entwürfen mehrfach an Kunsthandwerksausstellungen. Mein Urgroßvater starb 1925, seine Frau Elisabeth führte die Werkstätte gemeinsam mit ihrem Sohn weiter. Mein Großvater Carl Auböck II (1900–1957) war handwerklich sehr geschickt; er arbeitete bereits als 14-Jähriger in der Werkstatt der Familie mit und absolvierte dort seine handwerkliche Ausbildung. Daneben studierte er an der Graphischen 01 sowie an der Akademie der bildenden Künste Wien. Mein Urgroßvater ermöglichte ihm zusätzlich das Studium an der Privatschule bei Johannes Itten. Da Carl sehr talentiert war, wurde er von Itten gemeinsam mit etwa 17–20 weiteren ÖsterreicherInnen an das Bauhaus in Weimar empfohlen; Itten ersuchte sogar um ein Stipendium für ihn. Es war eine wirtschaftlich und politisch turbulente Zeit. Das Studium kostete viel Geld und so hat mein Großvater auch für das Bauhaus gearbeitet und unter anderem die Wandfresken in der Aula gemeinsam mit Franz Skala geschaffen. In Weimar lernte er meine Großmutter Mara Uckunowa kennen. Sie stammte aus Bulgarien, hatte zuvor an der Kunstgewerbeschule in München studiert und arbeitete für Georg Muche als Hilfsassistentin und in der Küche des Bauhauses; sie musste aber bald das Studium aus Geldmangel abbrechen. Mein Großvater war in den SchülerInnen-Streit rund um Johannes Itten 1921 involviert und ging – nach einem kurzen Aufenthalt in M A

links Carl Auböck, mit einem Baumtisch, © Carl Auböck Archiv

01 Kurzbezeichnung für die heutige Höhere Graphische Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt

Interviews mit ExpertInnen, SammlerInnen & DesignerInnen

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Florenz – für einige Zeit in die Tschechoslowakei, um als Silberschmied zu arbeiten. Meine Großmutter Mara übersiedelte nach einem beruflichen Aufenthalt in Italien nach Wien. 1924 kam mein Vater Carl Auböck III zur Welt. Später studierte sie an der Kunstgewerbeschule in der Modeklasse bei Prof. Wimmer. Mein Großvater hatte zwei Schwestern, Elisabeth Auböck-Streit und Valerie Auböck-Gallet, die ebenfalls künstlerisch begabt waren: Elisabeth studierte zeitgleich mit ihrem Bruder an der Graphischen und gründete 1921 in Wien das Atelier ESBESTA gemeinsam mit ihrem Ehemann Adolph Streit und dem später international bekannten Grafiker Joseph Binder. Elisabeth war Modedesignerin und Grafikerin und arbeitete von 1935 bis 1937 unter anderem für das KaDeWe in Berlin. Die jüngere Auböck-Schwester Valerie war gelernte Hutmacherin und hatte in die bekannte Textilfabrikanten-Familie Bernhard Altmann eingeheiratet. Sie konnte 1935 mit ihrem Ehemann nach Paris auswandern. Als die Nazis in Paris einmarschierten, gelang es Valerie und ihrem Mann mit Unterstützung von Bernhard Altmann im letzten Moment in die USA zu emigrieren, die beiden gründeten in Pennsylvania eine Textilfabrik. Die Zwischenkriegszeit war für meinen Großvater wirtschaftlich sehr schwierig, wie der rege Briefwechsel mit der Schwester in den USA belegt. Die lebensnotwendigen Exporte und Ausstellungsbeteiligungen konnten nur mit Zustimmung der parteinahen Institutionen gelingen. Dies erklärt seine frühe Parteizugehörigkeit, die ihn nach 1945 schwer belastet hat. Mein Großvater verstarb 1957. Mein Vater Carl Auböck III wurde kurz nach der Matura 1942 zum Kriegsdienst eingezogen und im Kaukasus schwer verwundet. Er begann erst danach an der Technischen Hochschule Architektur zu studieren. Mein Vater hatte von Jugend an viel in der Werkstatt mitgearbeitet und dadurch einen großen Bezug zum Material und zum Handwerk. 1943 absolvierte er die Meisterprüfung als Gürtler und Ziseleur. In all den Jahren, in denen er die Werkstätte leitete, von 1957 nach dem Tod seines Vaters bis zu seinem eigenen Tod 1993, hat er sich sehr um Industrial Design bemüht, und zwar nicht nur in Österreich, sondern auch international durch seine Tätigkeit im Vorstand und als Präsident von ICSID, dem International Council of Societies of Industrial Designers, der 1957 gegründet worden war.

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Über fünf Generationen Design aus Wien

„Die Treffen mit den damals bereits sehr erfolgreichen DesignerInnen wie Charles und Ray Eames oder George Nelson bedeutete für meinen Vater vor allem Inspiration für sein eigenes Werk.“— Maria Auböck

Mein Vater hat auch das Österreichische Institut für Formgebung mit anderen designaffinen Kollegen und Kolleginnen gegründet und versucht, über dieses den Input von Industriedesign in die Wirtschaft zu bringen. Das war eine ausgesprochene Pionierarbeit in Österreich, denn hier gab es damals keine Förderung für Industriedesign. Er erarbeitete konsequent neue Kollektionen für die Werkstätte – neben seinen vielen Architekturprojekten. Über die UNIDO, die United Nations Industrial Development Organization mit Sitz in Wien, konnte er internationale Kontakte herstellen und wurde als Chief Technical Advisor z. B. nach Indien, Indonesien und Brasilien entsandt, um nationale Konzepte zur Stärkung der Bedeutung von Industriedesign für Länder der sogenannten „Dritten Welt“ zu entwickeln. Als mein Vater 1993 verstorben ist, hat meine Mutter Justine, die ausgebildete Hotelmanagerin war, die Werkstätte bis 2004 weitergeführt, danach haben sie mein Bruder und ich übernommen. Ich bin Landschaftsarchitektin, mein Bruder Carl Auböck IV ist Architekt und Designer. Er ist der Werkstattleiter, Meister und Geschäftsführer unseres Familienunternehmens. Auch sein Sohn Carl Auböck V arbeitet inzwischen selbstständig als Architekt und Designer. Sowohl mein Vater als auch mein Bruder haben jährlich einerseits Kollektionen für die eigene Werkstatt, aber auch Entwürfe für andere Unternehmen gemacht. Vieles in unserem Unternehmen ist von den einzelnen Personen geprägt. Wir sind ein Familienbetrieb, in dem alle mitgearbeitet haben. Meine Mutter ist z. B. immer auf Messen in Frankfurt, Mailand, Paris, Tokyo oder New York gefahren, denen nach dem Zweiten Weltkrieg enorme Bedeutung zukam. Meine Mutter kümmerte sich in erster Linie um Kollektionskonzepte und um den Verkauf, mein Vater um das Design und mein Bruder um die Produktion. Die Bestellkataloge wurden bis in die 1960er Jahre handgezeichnet. Wir haben keine kompletten Aufzeichnungen aus den 1920er oder 1930er Jahren, daher

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ist die Kenntnis der Produkte auf die Kataloge beschränkt. Mein Bruder hat sehr viel wiedergefunden und zusammengestellt. Ich selbst habe, neben meiner Arbeit als Landschaftsarchitektin, in der Werkstätte im Verkauf mitgeholfen. Die Werkstatt ist bis heute am selben Ort, im 7. Wiener Bezirk in der Bernardgasse. In dieser Gegend siedelten sich traditionell handwerkliche Betriebe an. Unter Maria Theresia gab es für diesen Bezirk Steuerbe­günstigungen für neu gebaute Häuser und angesiedelte Handwerksbetriebe. Am sogenannten „Brillantengrund“ gab es eine ganz eigene Kultur von Erzeugungen. Es waren hier z. B. auch die Familien Hagenauer und Kalmar tätig. Die Produktionsstätten waren nebeneinander, so gab es ein Naheverhältnis und eine fruchtbare Zusammenarbeit. 1926 übernahm Ihr Großvater die Werkstatt Ihres Urgroßvaters – war es ein Kunsthandwerksbetrieb oder ein Designbetrieb? Das Spannende an der Wortverwendung ist, dass Design im Deutschen etwas komplett anderes bedeutet als im angelsächsischen Raum. Design war in Wien und in Österreich in den 1920er und 1930er Jahren kein gängiger Begriff, sondern man verwendete das Wort Kunsthandwerk und den französischen Begriff Dessin für Textilentwürfe. Der Unterschied zwischen dieser kunsthandwerklichen Gestaltung und dem Handwerk wird z. B. von Adolf Loos beschrieben. Auch später verstand man unter Textildesign einen Musterentwurf. Meine Großeltern verstanden sich als KünstlerInnen. Die Zeit am Bauhaus – wie beeinflusste diese das Werk Ihres Großvaters, insbesondere im Möbeldesign? Die Zeit am Bauhaus bedeutete für meine beiden Großeltern Inspiration, eine starke Wertebildung sowie auch internationale Kontakte über internationale StudentInnen. Objekte, Möbel, Grafiken – alles war selbst machbar. Die Zeit prägte sie in ihrem Gesamtbild, dabei ging es um Werte, Einstellungen bis hin zur Ernährung. Es entwickelte sich eine Freundschaft zwischen meinem Großvater und Johannes Itten und Walter Gropius, sie waren mehrfach in Wien zu Besuch. Doch die Umstände am Bauhaus waren sehr schwierig. Die politische Situation war in Weimar sehr radikal, viel extremer als in Wien. Mein Großvater konnte aber trotz Stipendium das

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oben Carl Auböck in seiner Werkstatt, © Carl Auböck Archiv

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Studium in Weimar nicht länger als zwei Jahre finanzieren und ging zum Arbeiten nach Tschechien. Meine Großmutter konnte mehrfach Stipendien aus Bulgarien erhalten, musste aber zwischendurch auch als Au-Pair-Mädchen in Italien arbeiten, bevor sie nach Wien übersiedelte. Wer waren in den 1920er und 1930er Jahren die AuftraggeberInnen Ihres Großvaters? Meine Großeltern hatten zu dieser Zeit zahlreiche Kunden und Kundinnen in Wien, aber auch international. Bereits in den 1930er Jahren wurde sehr viel in Europa und in die USA verkauft. Der Freund und Trauzeuge meines Großvaters Charlie Berg, ein Bruder des Komponisten Alban Berg, stellte die Kontakte zu amerikanischen Department Stores her; die amerikanischen GroßkundInnen kamen zeitweise nach Wien, sie fuhren vom Bahnhof mit einem Taxi direkt in die Bernardgasse. Im Gespräch wurden dann die speziellen

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links Carl Auböck in seiner Werkstatt, © Carl Auböck Archiv

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Kollektionen für die amerikanischen Department Stores entworfen. Viele der heute noch produzierten Objekte entstanden bei diesen Gesprächen. Wie war die Zusammenarbeit zwischen Ihrem Großvater und Ihrem Vater – welche Unterschiede im Design gab es? Sie war sehr eng, intensiv, manchmal auch lautstark, aber jedenfalls lustig. Es gab jedoch ganz wesentliche Unterschiede im Design. Mein Großvater liebte organisches Design, die Entwürfe meines Vaters hingegen sind abstrakt, symbolhaft, geometrisch, gemacht für eine neue Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

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Welche Werke wurden bei den Triennalen in Mailand in den Jahren 1941 bis 1954 mit einer Goldmedaille ausgezeichnet?

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Vor allem die Bestecke #2060 und #2080 und ihre Verpackung. Auch die sogenannte „Umkehrlampe“ wurde mit einem Preis ausgezeichnet. Der „Baumtisch“ aus Baumwurzelabschnitten wurde weltberühmt – in welcher Stückzahl und in welchen Jahren wurde er produziert? Woran erkennt man heute ein Original? Die „Baumtische“ wurden bereits von meinem Großvater produziert und auch von meinem Vater. Eine genaue Stückzahl ist jedoch nicht bekannt. Man erkennt die Echtheit an der Art der Verankerung der Füße im Holz und anderen Details, die das Archiv erläutern kann. Ab den 1930er Jahren wurden in der Werkstatt auch Kleinmöbel und Leuchten produziert, meist direkt auf Anfrage von AuftraggeberInnen. Ihr Vater hat kurze Zeit in den USA am MIT, dem Massachusetts Institute of Technology, studiert. Wie veränderte diese Ausbildung sein Werk sowie die Produktion in der Werkstätte in Wien? Mein Vater absolvierte 1952 ein dreimonatiges Sommerstipendium am MIT. Er beschäftigte sich damals intensiv mit dem Fertigteilbau. Nach seiner Rückkehr begann die Zusammenarbeit mit Roland Rainer, gemeinsam arbeiteten sie an der Fertigteilsiedlung in Holzbauweise in Hietzing. Diese Tätigkeit und die Ausbildung in den USA bewirkten in der Werkstätte z. B. eine Produktionslinie zerlegbarer Kleinmöbel. Ihr Vater war mit internationalen DesignerInnen wie dem Ehepaar Charles und Ray Eames oder George Nelson befreundet. Hat das sein Werk beeinflusst? Mein Vater besuchte Charles und Ray Eames in ihrem Haus in San Francisco gemeinsam mit seinem Freund Henning Larsen während seines Studienaufenthaltes in den USA. Die beiden mieteten sich ein Auto und fuhren quer durch die USA, um das Ehepaar zu besuchen. Mein Vater war auch mit dem Designer George Nelson befreundet, der auch in Wien in der Bernardgasse zu Besuch war. Die Treffen mit den damals sehr erfolgreichen DesignerInnen bedeutete für meinen Vater vor allem Inspiration für sein eigenes Werk.

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Gab es während und nach dem Krieg Auswirkungen auf die Arbeit Ihres Großvaters und Vaters?

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Mein Großvater war durch seine frühe Mitgliedschaft bei der NSDAP in der Nazizeit belastet; er wurde aber nicht eingezogen, sondern musste in den Kriegsjahren Polizeidienst leisten. Die Werkstätte wurde längere Zeit geschlossen. Er desertierte im Frühjahr 1945 und wurde im Sommer 1945 mehrfach inhaftiert, die MitarbeiterInnen der Werkstätte bestätigten als ZeugInnen sein unbedenkliches Mitläufertum für seine Entlassung. Es war eine schreckliche Zeit für unsere Familie, die dank der konsequenten Unterstützung durch seine Schwester in den USA überwunden werden konnte. Ihr Vater unterrichtete an der Universität für angewandte Kunst Wien, er leitete die Meisterklasse für Metallgestaltung, ab 1977 Meisterklasse für Produktentwicklung Metall. Daneben engagierte er sich in internationalen Vereinigungen. Er prägte eine neue Generation – nicht nur in Österreich, sondern auch international? Ja, seine StudentInnen bezeichneten ihn als „Mister Design“. Er war sehr stolz, viele Talente wie z. B. Anita Münz (Hornschmuck) oder Marion Kuzmany (Architektur) in seiner Klasse gehabt zu haben. Auböck-Design wird vor allem von internationalen SammlerInnen aus den USA, Japan und England gesammelt. Gibt es auch SammlerInnen in Österreich? Es gibt einige große lokale Sammlungen im Raum Österreich. Viele SammlerInnen sind jedoch aus den USA oder auch Japan, eigentlich international. Wurden und werden immer noch alle Produkte in der Werkstatt produziert? Es gibt etwa 450 Entwürfe aus den verschiedenen Generationen, die aktuell noch immer bzw. wieder produziert werden. Mein Bruder Carl Auböck trifft die Auswahl, welche Produkte heute produziert werden. Er wird dabei von seiner Familie, insbesondere seiner Tochter Zola Auböck, unterstützt.

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EINBLICKE

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Eine Villa und ein Garten für die Seele – das Haus Krasny heute

Für den Kunsthistoriker Max Eisler war sie 1928 die schönste und modernste Villa Österreichs. Auch Gio Ponti schwärmte von der einzigartigen Innenarchitektur, der Möblierung, den Stoffen und dem Garten des Hauses Krasny auf der Hohen Warte in Döbling. Der neue Eigentümer kaufte das Haus 1953 und renovierte es mit Gespür und ganz im Sinne der ursprünglichen Innenarchitekten Josef Frank und Oskar Wlach. Auch wenn nach dem Krieg kaum noch Möbel der Originaleinrichtung von Haus & Garten vorhanden waren, blieb glücklicherweise die komplette Raumgestaltung bestehen: Die Holzböden, Türen und großzügigen Fenster sowie die von Josef Frank gestalteten Treppen, Garderoben, Einbauschränke und Badezimmer bis hin zur Küche und sogar der Speiselift sowie der Bügelraum der ehemaligen Hausherrin sind im Original erhalten. Tritt man aus dem Haus auf eine der vielen Terrassen, so scheint man Links

Eine harmonische

Verbindung von Haus und Garten – von dem an den Wohnraum anschließenden Balkon führt eine Außentreppe auf eine ovale Terrasse, die an ein Boot erinnert.

förmlich über der Stadt zu schweben. Im Garten lädt ein kleiner Teepavillon von Josef Frank zum Verweilen ein. Zeitlose Eleganz und Schönheit sowie ein atemberaubender Blick über Wien machen das Haus zu einem Ort der Ruhe, der Gelassenheit und des Glücks.

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links Der originale Teepavillon von Josef Frank aus dem Jahr 1928 im Garten lädt zum Ausruhen ein. oben Die Gartenansicht des Hauses Krasny inmitten des von Josef Frank und der Gärtnerin Hanny Strauß großzügig angelegten, terrassenförmigen Gartens unten Der Blick von der Terrasse in den Garten mit den mittlerweile fast 100 Jahre alten Bäumen S 254 Der großzügige Salon im Haus Krasny heute mit originalen Fenstern, Türen und Holzböden und einem von Josef Frank gestalteten offenen Kamin

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oben Die originalen großen Fenster aus dem Jahr 1928 schaffen ganz im Sinne Josef Franks eine Verbindung von Haus und Garten. unten Die Kommode und die Lampe sind beide Originalentwürfe von Josef Frank, ausgeführt von Svenskt Tenn um 1940. rechts Der Salon im Haus Krasny mit vielen unterschiedlichen Plätzen zum Lesen und Rasten und verschiedenen Stehlampen von Josef Frank

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links In der originalen Küche von Josef Frank mit einer Anrichte und den Fliesen von 1928 wird auch heute noch gekocht. oben Der elegante OriginalAnkleideraum des Hausherrn, 1928 von Josef Frank gestaltet, befindet sich im ersten Stock. unten Die im Original erhaltene, von Josef Frank entworfene Holztreppe im Entrée des Hauses Krasny führt in den ersten Stock.

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Das Haus der hundert Stiegen – die Villa Beer

In der fast 650 Quadratmeter großen Villa in Hietzing verwirklichten die beiden Architekten Josef Frank und Oskar Wlach zu Beginn der 1930er Jahre ihre Philosophie des offenen Raumkonzeptes und einer harmonischen Verbindung von Haus und Garten. Unterschiedliche Raumhöhen, übergroße Fenster, unzählige Stiegen und ein atemberaubender offener Wohnraum machen die Wege durch das Haus zu einem einzigartigen Erlebnis. Das Zentrum der Villa ist wie ein Schiffbug samt Reling gestaltet. Im ersten Stock stand der Flügel der ehemaligen Hausherrin Margarethe Beer; sie war eine begeisterte Pianistin und ihr Klavierspiel sollte man von überall hören können. Josef Frank und Oskar Wlach planten das gesamte Haus, die Innenarchitektur und den Garten und richteten dieses mit Möbeln und Stoffen von Haus & Garten ein. Die komplette Raumgestaltung bis hin zu einzelnen Möbeln blieben im Original erlinks Durch die über-

halten – sämtliche Treppen, Badezimmer, Küchenre-

dimensionalen, im Original

gale, Wandverbauten oder Türschnallen stammen

erhaltenen Fenster scheint man im Haus Beer förmlich im Garten zu leben. Die Fensterbank sowie der Fauteuil von Haus & Garten sind aus dem Jahr 1931.

aus Josef Franks und Oskar Wlachs Federn. Lange Zeit stand die Villa Beer leer. 2021 fand sie mit Lothar Trierenberg einen neuen Eigentümer, der nun das Haus zu einem einzigartigen Museum umgestalten möchte.

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oben Der offene Wohnraum mit Treppe im Haus Beer unten Der Teesalon im ersten Stock des Hauses Beer mit einem runden Fenster; unmittelbar daneben stand der Konzertflügel der ehemaligen Hausherrin. rechts Der offene Wohnraum, wie ein Schiffbug samt Reling gestaltet, verbindet sämtliche Wohnräume und den ersten Stock.

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Designwohnzimmer im Museum: Salonplafond

Der weite Plafond des von Heinrich von Ferstel entworfenen Gebäudes am Stubenring ist Namensgeber der Brasserie im Museum für angewandte Kunst in Wien. Der trotz seiner imposanten Größe gemütliche Raum wurde 2015 vom österreichischen Architekten Michael Embacher neu gestaltet. Raffiniert gegliedert, ist die Brasserie heute durch Regale, Vitrinen und Nischen unterteilt. Die originalen Thonet-Sessel von Oswald Haerdtl aus den frühen 1950er Jahren sowie Ernst Schwadrons Dining Chairs von 1946, vom Hamburger Unternehmen Wohnkultur 66 neu aufgelegt, ergänzen die Einrichtung. Die Sessel und Sitzbänke wurlinks Die Luster Admont,

den mit den farbenprächtigen Stoffen Mirakel,

ein Design von J.T. Kalmar

Baranquilla und Hawai von Josef Frank bezogen

aus den 1930er Jahren, erzeugen mit den cremefarbenen Seidenschirmen auf Gestellen aus Eichenholz und geschwärzter Bronze ein angenehmes, warmes Licht.

und heben sich vom im Original erhaltenen Parkettboden ab. Die Deckenluster von J.T. Kalmar verleihen dem Raum trotz seiner Größe eine gemütliche und intime Atmosphäre.

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oben Die Sessel und Sitzbänke wurden teils mit dunkelrotem Samt, teils mit dem Stoff Baranquilla von Josef Frank bezogen. unten Ernst Schwadrons Dining Chairs, ein Entwurf aus dem Jahr 1946, wurden von Wohnkultur 66 neu aufgelegt. rechts Die originalen Armlehnstühle aus Buchensperrholz von Oswald Haerdtl für Thonet aus den 1950ern wurden mit blauem Stoff neu gepolstert. Die Rückenlehnen der Bänke sind mit Josef Franks Stoff Hawai bezogen.

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Eine Zeitreise in die 1950er: Café Prückel

Das Café Prückel gilt in Wien als Ikone des Kaffeehaus-Designs der 1950er Jahre und steht unter Denkmalschutz. 1903 wurde es vom ehemaligen Radrenn-Europameister Maxime Lurion als Café Lurion eröffnet und später in Café Prückel umbenannt. Schon damals fanden im Souterrain auf einer Bühne Veranstaltungen statt und 1931 wurde hier von der Schauspielerin Stella Kadmon die erste zeitkritische Kleinkunstbühne Der liebe Augustin gegründet, an der bis 1938 auch zahlreiche vor den Nazis aus Deutschland geflohene KünstlerInnen spielten. Bis heute wird im Café Prückel Theater und Kabarett gespielt. 1955 beauftragte der neue Eigentümer, Fritz Palouda, Oswald Haerdtl mit dem Umbau des Cafés. Dieser schuf einen großzügigen, lichtdurchfluteten Raum und entwarf auch die gesamte Einrichtung: Die Kristallluster fertigte die Wiener Glasmanufaktur J. & L. Lobmeyr, die Stehlampen wurden von J.T. Kalmar produziert, die Sitzmöbel von Vienna Sitzmöbel und Tischfabrik Emil & Alfred Pollak. Haerdtl achtet auf kleine Details: Er stattete die Fauteuils am oberen Ende der Rückenlehne mit einer „Handhabe“ aus, so dass man den Sessel einhändig hinund herschieben kann. Die Armlehnen haben Holzauflagen, die verhindern, dass sich der Stoff abnutzt. Viele links Der imposante Kristall-Deckenluster der Wiener Glasmanufaktur J. & L. Lobmeyr beleuchtet das Kaffeehaus.

kleine Details lassen erkennen, dass Haerdtl bei der Gestaltung auf die Gewohnheiten der Kaffeehausbesucher Rücksicht nahm, so dass sich der Gast bis heute im Café Prückel „zu Hause“ fühlt.

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Die markanten

Stehlampen mit den gelochten Metallschirmen und Bambusstäben wurden von J.T. Kalmar eigens für das Café Prückel produziert. unten Oswald Haerdtls Sprossensessel sind ebenso wie die Kaffeehaustische an den Beinen mit Metallenden versehen. Schwenkbare Schwanenhals-Lampen an der Wand beleuchten die Tische und die mit Samt gepolsterten Sitzbänke. rechts Die Fauteuils haben am oberen Ende der Rückenlehne einen Griff, mit dem man den Sessel bequem verschieben kann. Die Holzauflagen der Armlehnen verhindern, dass sich der Stoff abnutzt.

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Wenn die Zeit stillsteht: Original-Möbeldesign aus den 1950er Jahren

Wie richtungsweisend und modern Wiener Möbeldesign der 1920er und 1930er Jahre war, zeigen die ästhetischen Rückgriffe der 1950er Jahre auf diese künstlerisch so produktive Zeit. Raumsparende und multifunktionale Möbel aus Holz, Tischchen oder Hocker mit konisch zulaufenden Beinen oder Lampen in Tulpenform mit bunten Schirmen aus lackiertem Metall erinnern an die Entwürfe der ProtagonistInnen des Neuen Wiener Wohnens. Für die Familie Oblegorski gestaltete der Wiener Architekt Oskar Riedel zu Beginn der 1950er Jahre die gesamte Inneneinrichtung einer Wohnung in der Bognergasse in der Wiener Innenstadt – von den Einbauschränken, Stehlampen und Spiegeln bis hin zu den Fauteuils und Sesseln im Speisezimmer, der Hausbar und einem links Toilettentisch im Schlafzimmer der Dame mit verstellbarem Spiegel und einer Platte aus schwarzem Glas. Die Fronten der Schubladen und Fächer sind cremefarben abgesetzt.

Toilettentisch im Schlafzimmer der Dame. Die komplette Einrichtung ist im Original erhalten geblieben. Die Kinder der Wiener Familie, die heute in New York leben, haben die Wohnung vor kurzem aufgelöst, die Möbel wurden über das Designgeschäft Lichterloh verkauft.

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oben Typisch für die Innenarchitektur dieser Zeit ist der Einbauschrank, der sich geschickt und platzsparend in den Raum einfügt. unten Die von Oskar Riedel entworfene Lampe ist ein in der Höhe verstellbarer Beleuchtungskörper, aber gleichzeitig auch Raumteiler und bietet mit einem Tischchen aus Glas eine Ablagefläche neben der Chaiselongue. OBen R. Vor den Fenstern im Salon ranken sich an Raumteilern Grünpflanzen. Der Couchtisch, dessen Glasplatte zweifarbig gearbeitet ist, wird durch einen passenden Teppich ergänzt, dessen Muster die Streifen des Tisches aufnimmt. Unten R. Oskar Riedel stattete das Esszimmer mit bequemen, stapelbaren Polstersesseln aus, die in der Lehne einen Griff aus Messing haben. Die einzelnen Sessel lassen sich zu einer Sitzbank umfunktionieren.

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The Guesthouse Vienna – eine Brasserie mit Wiener Möbeldesign

Das ehemalige Studentenheim in der Führichgasse, ursprünglich ein Bau der 1950er Jahre, der inmitten der Prachtbauten der Wiener Innenstadt steht, wurde 2013 vom britischen „Designpapst“ Sir Terence Conran zu einem Boutiquehotel mit 39 Zimmern umgebaut. Die Liebe des Hotelmanagers Manfred Stallmajer zu Designklassikern zieht sich durch die gesamte Inneneinrichtung: Für das Restaurant wurden Thonet-Sessel von Oswald Haerdtl – ein Entwurf aus dem Jahr 1951 – adaptiert, die Lampen stammen vom französischen Designer Serge Mouille, die Schirmständer und Kleiderhaken im Restaurant sowie die Buchstützen für die kleine, aber feine Bibliolinks Die Armlehnsessel aus dunkel gebeiztem Bugholz sind ein Model von Oswald Haerdtl für Thonet aus den frühen 1950er Jahren.

thek in den Zimmern von der Werkstätte Carl Auböck. Designklassiker wurden geschickt mit neuen Elementen kombiniert, so dass das Hotel Wiener Charme mit internationalem Flair verbindet.

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links Die Original-Cocktailsessel von 1950 aus Wien wurden mit grauem Stoff neu bezogen. oben

Die beweglichen

Lampen stammen vom französischen Designer Serge Mouille, die Schirmständer aus Bronze, seitlich an die Sitzbänke montiert, von der Werkstätte Carl Auböck. unten Die Farben Lindgrün, Braun und Schwarz der aus Leder und Holz gestalteten Sitznischen verleihen dem Raum ein harmonisches Gesamtbild.

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Ein Bohème-Leben über den Dächern Wiens

Bereits Josef Frank schwärmte über das Bohème-Leben in einer Dachwohnung mit großen Fenstern, hohen Räumen, vielen Ecken, Säulen und Balken, die zu seiner Zeit in Wien noch ganz ungewöhnlich war. In einem vom Architekten Richard Modern 1909 entworfenen Zinshaus in Döbling wurden mehrere Wohnungen und das Dach zu einer lichtdurchfluteten Wohnung und einem Dachgarten mit Blick über ganz Wien zusammengefügt. Die von dem Wiener Architekten gestalteten übergroßen Fenster, die Türen, Treppen und Wandverbauten sowie Parkettböden sind heute noch im Original erhalten. 1940 musste Richard Modern im Alter von 67 Jahren vor den Nazis aus Wien fliehen und emigrierte nach New York. Die neuen EigentümerInnen renovierten im Jahr 2000 das Haus mit viel Gespür für die historische Bausubstanz und richteten die Wohnung mit Möbeln, Lampen und Stoffen von Josef Frank, links Die Original-Wendeltreppe führt auf eine Galerie, darunter befindet sich ein Sitzplatz mit einem Fauteuil Lady von Marco Zanuso und einem Puff von Josef Frank.

Carl Auböck, Oskar Payer, Oswald Haerdtl, Charles und Ray Eames, Gabriella Crespi und Serge Mouille ein. Das Ergebnis ist ein wunderbarer Mix aus Einrichtungsgegenständen der 1930er bis 1960er Jahre aus Wien, Mailand, Paris, Stockholm und den USA.

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oben Der großzügige Salon im ausgebauten Dach mit einem Tisch von Carl Auböck und Sesseln von Oswald Haerdtl sowie Charles und Ray Eames unten Ein Schemel mit Messingfüßen und blauem Fellbezug aus Wien (um 1950) oben r. Im Originalerker von Richard Modern aus dem Jahr 1909 lädt ein Sofa von Johannes Spalt sowie ein kleiner Baumtisch von Carl Auböck zum Ausruhen und Lesen ein. unten r. Neben einem alten Ledersofa aus Wien aus der Zeit um 1930 sorgen Lampen von Louis Kalff und Serge Mouille für angenehmes Licht beim Lesen. Der Couchtisch stammt von Nanna Ditzel, die Tischlampe von Gabriella Crespi und der Fauteuil von Marco Zanuso. Die Original-Cocktailsessel aus den 1950er Jahren wurden in Wien gefertigt.

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Mid-Century-Modern-Möbeldesign im eleganten Palais

Einer der größten privaten Kunst- und DesignsammlerInnen Österreichs erweckte vor einigen Jahren in Wien ein denkmalgeschütztes Palais aus den 1880er Jahren aus seinem jahrelangen Dornröschenschlaf. Der neue Eigentümer hat die elegante Villa nach alten Plänen aufwendig restauriert und eine atemberaubende Kulisse für seine einzigartige Kunst- und Designsammlung geschaffen. Original-Möbelentwürfe aus den 1950er bis 1970er Jahren von Charles und Ray Eames, De links Orangerie mit Blick über den großzügig angelegten Park, im Vordergrund ein Baumtisch von Carl Auböck

Sede, Knoll, Martin Eisler oder Carl Auböck machen die Wege durch das Haus zu einer sensationellen Zeitreise in die Mid-Century-Modern-Ära.

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Links Der Salon in Braun und Orange mit dem aufwendig restaurierten Plafond wird mit Sputnik-Lampen beleuchtet. oben Möbeldesign und Kunst vor Originaltüren und auf Parkettböden von 1881 in einem der vielen Salons des Hauses unten Ein sehr seltener, hellbrauner Lounge Chair Wood von Eames aus dem Jahr 1956 bietet einen gemütlichen Sitzplatz zum Lesen. S 288 Das Speisezimmer mit einem Tisch und Sesseln von Knoll und einem Reversível Chair von Martin Eisler bietet einen umwerfenden Blick in den Park.

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BILDNACHWEIS Cover-Bild: Entwurf eines Gartenzimmers von Friedl Dicker und Franz Singer, Sammlung Sammlung GS, © Friedl Dicker & Franz Singer © Backhausen-Archiv: S. 29 alle Bilder, S. 147 oben rechts; S. 155 alle Bilder; S. 159 links; S. 161 unten links; S. 182. © Carl Auböck Archiv Wien: S. 240; S. 245; S. 246. © Dorotheum Wien: S. 33 links; S. 38 unten; S. 40 oben; S. 57; S. 59 rechts beide Bilder; S. 88 rechts; S. 89 rechts; S. 116 alle Bilder (ausgenommen oben links); S. 119 alle Bilder (ausgenommen oben rechts); S. 120; S. 121 beide Bilder; S. 123 Mitte, unten; S. 154; S. 160 oben rechts, unten beide Bilder; S. 161 oben rechts; S. 176; S. 192; S. 193 unten; S. 197 Mitte links; S. 201 oben links; S. 208 unten; S. 209 alle Bilder (ausgenommen unten links); S. 223 oben beide Bilder. © FS, Franz Singer: Cover-Bild; S. 71; S. 73; S. 74 beide Bilder; S. 75 alle Bilder; S. 76 rechts; S. 77 beide Bilder. © JMW, Jüdisches Museum Wien/ Archiv: S. 175 oben. © Joseph Binder/MAK: S. 81; S. 99 beide Bilder. © H. Gallery: S. 222 unten rechts; S. 223 Mitte links, unten beide Bilder. © KAUAK, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien: S. 40 unten; S. 45 oben; S. 48; S. 51 unten; S. 55; S. 90 unten; S. 93 beide Bilder; S. 126 unten rechts; S. 144; S. 147 oben links; S. 161 oben links; S. 193 oben; S. 201 Mitte links; S. 210. © MAK, Museum für angewandte Kunst: S. 16 unten; S. 18 beide Bilder; S. 20 beide Bilder; S. 23; S. 24 alle Bilder; S. 27; S. 31 beide Bilder; S. 33 rechts; S. 34 alle Bilder; S. 37 beide Bilder, S. 38 oben; S. 45 unten; S. 51 oben; S. 58 und 59 großes Bild; S. 60 alle Bilder; S. 61; S. 62 beide Bilder; S. 63; S. 64; S. 65; S. 66; S. 67; S. 68 beide Bilder; S. 80 beide Bilder; S. 81; S. 88 links; S. 89 links; S. 90 oben; S. 99 beide Bilder; S. 114 oben; S. 118; S. 122; S. 127 oben; S. 130; S. 135; S. 138 oben; S. 146; S. 147 Mitte rechts, unten rechts; S. 188; S. 196; S. 205 Mitte rechts; S. 212 alle Bilder; S. 213 alle Bilder.

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© Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien: S. 104; S. 105 beide Bilder; S. 106; S. 168. © Sammlung CW, Caroline Wohlgemuth/Fotografin Stephanie Weinhappel: S. 100; S. 112 alle Bilder; S. 114 unten; S. 116 oben links; S. 119 oben rechts; S. 123 oben; S. 125; S. 129 alle Bilder; S. 232; S. 237; S. 250 bis S. 288 alle Bilder. Sammlung GS, Georg Schrom: CoverBild; S. 71; S. 73; S. 74 beide Bilder; S. 75 alle Bilder; S. 76 beide Bilder; S. 77 beide Bilder; S. 132; S. 198; S. 200 beide Bilder; S. 201 oben rechts, Mitte rechts, unten alle Bilder; S. 202; S. 205 Mitte links, unten rechts; S. 206; S. 208 oben; S. 209 unten links; S. 216. Sammlung K, Alexander Kahane: S. 127 unten links; S. 161 unten rechts; S. 162 unten links, beide Lampen. © ST, Svenskt Tenn: S. 109; S. 126 oben, unten links; S. 127 unten rechts; S. 138 unten; S. 139; S. 140 und 141 großes Bild; S. 156; S. 159 rechts; S. 160 oben links; S. 162 oben, unten rechts; S. 163 alle Bilder. © Tacchini: S. 220. © Tacchini/Andrea Ferrari: S. 222 oben, Mitte, unten links; S. 223 Mitte rechts. © VT, Liane Zimbler Architectural Collection, Ms1988-005, Special Collections and University Archives, Virginia Tech, Blacksburg: S. 180; S. 183 alle Bilder. © VS, Vereinigte Spezialmöbelfabriken: S. 177 rechts. © VS, Vereinigte Spezialmöbelfabriken/ Fotograf: Klaus Meier-Ude: S. 102 beide Bilder; S. 172. © VS, Vereinigte Spezialmöbelfabriken/ Richard Neutra: S. 175 unten; S. 177 oben links. © Wien Museum: S. 83 beide Bilder; S. 84 und 85 großes Bild; S. 86 beide Bilder; S. 87; S. 186; S. 187 beide Bilder. © Wien Museum/Wiener Photographen-Association: S. 16 oben. © Wohnkultur 66/Andreas Weiss: S. 197 oben, Mitte rechts, unten alle Bilder. Sämtliche Rechte, Urheberrechte, Copyright-InhaberInnen und FotografInnen wurden nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert. Sollten ohne unsere Absicht etwaige Rechte nicht eingeholt worden sein, bitten wir um Mitteilung unter [email protected].

ÜBER DIE AUTORIN Mag. Dr. Caroline Wohlgemuth, MAS studierte Rechtswissenschaften und Kunstmanagement in Wien und in London. Im Rahmen ihres Studiums an der Universität für angewandte Kunst Wien befasste sie sich wissenschaftlich mit der Geschichte des Wiener Möbeldesigns und der Vertreibung unzähliger jüdischer ArchitektInnen und MöbeldesignerInnen aus Wien im Jahr 1938.

DANKSAGUNG

Christian Einwaller, Einwaller Ateliers, Wien Matthias Dorfstetter, Wien

Mein besonderer Dank gilt folgenden Per-

Andrew und Dorothea Demmer, Wien

sonen und Institutionen, ohne deren groß-

Konrad Friedel, Wien

artige Hilfe und Unterstützung dieses Buch

Agnes und Michael Schaumann, Wien

nicht zustande gekommen wäre:

Katharina und Sebastien de Ganay, Wien Marina Schmutzer, New York

Marion Elias und Roswitha Janowski-Fritsch, Universität für angewandte Kunst Wien

Für die Arbeit am Buch:

Für die Bereitstellung zahlreicher Informa-

David Einwaller, Grafische Gestaltung

tionen, Daten, Unterlagen, Fotos, Skizzen

Stephanie Weinhappel, Fotografie

und Bücher:

Ela Angerer, Fotografie Irina Pálffy-Daun-Seiler, Lektorat und

Nathalie Feitsch, Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien Paulus Ebner, Archiv der Technischen Universität Wien Thomas Matyk, Museum für angewandte Kunst Wien Martin Böhm, Dorotheum Wien Maria Elisabeth Ritter-Lipp, Dorotheum Wien

Korrektorat (DE) Douglas Deitemyer, Übersetzung und Korrektorat (EN) Kinga Liechtenstein für die kreative Unterstützung bei den Fototerminen Catharina Rosenauer für die Hilfe beim Recherchieren Katharina Holas, Birkhäuser Verlag, Wien

Felicitas Thurn-Valsassina, Dorotheum Wien Florian Pollack, Wien Museum

Mein ganz besonderer Dank gilt meinen

Gerd Zillner, Österreichische Friedrich und

lieben Freunden Marcel Javor und Reza

Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien

Akhavan für die großzügige Unterstützung

Katharina Lischka, Jüdisches Museum Wien

des Projektes und Alexander Kahane

Georg Schrom, Atelier Georg Schrom, Wien

für seine Gastfreundschaft und die vielen

Dani Singer, London

interessanten Gespräche sowie meiner

Maria Auböck, Auböck + Kárász Landscape

Familie, meinem lieben Mann und unseren

Architects, Wien

drei Kindern, für ihren Humor.

Christine Zwingl, Margarete Schütte-Lihotzky Raum, Wien Ursula Graf, Backhausen-Archiv, Wien Marc Brodsky, Virginia Tech, Blacksburg Alexander Kahane, Haus Krasny, Wien Lothar Trierenberg, Haus Beer, Wien Familie Sedlar, Café Prückel, Wien Barbara Fabiankovits, Salonplafond, Wien Manfred Stallmajer, The Guesthouse Vienna, Wien Elin Lervik, Svenskt Tenn, Stockholm Manfred Werner, Wohnkultur 66, Hamburg Helen und Percy Thonet, Thonet Vienna, Wien Dorothy Singer, Book Shop Singer, Wien Dagmar Wolf und Christian Pernhaupt, Lichterloh, Wien Christian Puffer, Design Lichtblick, Wien Peter Lindenberg, Vintagerie, Wien Jelmar Hufen, H. Gallery, Utrecht Stefania Evans, Tacchini, Baruccana di Seveso

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IMPRESSUM

ISSN 1866-248X ISBN 978-3-0356-2177-8

Autorin: Caroline Wohlgemuth

e-ISBN (PDF) 978-3-0356-2239-3

Konzept: Caroline Wohlgemuth Project Management „Edition Angewandte“ für die Universität für angewandte Kunst Wien: Roswitha Janowski-Fritsch, A-Wien Content & Production Editor für den Verlag:

Englisch Print-ISBN 978-3-0356-2409-0 © 2022 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Katharina Holas, A-Wien Lektorat und Korrektorat:

9 8 7 6 5 4 3 2 1 www.birkhauser.com

Irina Pálffy-Daun-Seiler Layout, Covergestaltung und Satz: David Einwaller Lithografie: Stephanie Weinhappel Druck: Holzhausen, die Buchmarke der Gerin Druck GmbH, A-Wolkersdorf Printed in Austria Library of Congress Control Number: 2021934391 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

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