Michael von Savoyen und der Fassadenriss des Kölner Doms [1 ed.]
 9783412500993, 9783412500986

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Johann Josef Böker

Michael von Savoyen und der Fassadenriss des Kölner Domes

Johann Josef Böker

Michael von Savoyen und der Fassadenriss des Kölner Doms

Böhlau Verlag wien köln weimar

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. © 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung und Frontispiz: Köln, Dom, Fassadenplan mit Eintragung der Blattgrenzen (Köln, Archiv der Dombauverwaltung, Riß F.) Korrektorat : Rainer Landvogt, Hanau Einbandgestaltung : Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Satz : Michael Rauscher, Wien

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-50099-3

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zur Datierungsgeschichte des Kölner Fassadenplans . . . . . . . . . . .

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Ein gotischer ›Masterplan‹ ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zur Aktualität gotischer Formensprache im ausgehenden Mittelalter . .

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Die Kölner Domfassade als spätgotisches Bauwerk . . . . . . . . . . . .

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Der zeichentechnische Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zur Autorschaft des Kölner Fassadenrisses . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Kölner Fassadenriss im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Kölner Domfassade in seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Kölner Fassadenriss und sein Auftraggeber Friedrich von Saarwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

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eit dem Beginn meines Studiums in Köln vor nunmehr 45 Jahren hat der gotische Dom mit seinem gewaltigen Westbau seine Faszination auf mich ausgeübt. Seither erfolgte – meist aus der Außenperspektive – unter verschiedenen Aspekten immer wieder eine erneute Beschäftigung mit dem Kölner Dombau und seinem Einfluss auf die gotische, vor allem aber die spätgotische Architekturentwicklung, für welche der Dombau bislang als weniger bedeutend angesehen wurde. Innerhalb dieses Zeitraums hat sich zugleich auch unser Bild vom Kölner Dom selbst einem entscheidenden Wandel unterzogen : Stand zunächst nach der damals gerade erst erschienenen mustergültigen Dissertation von Arnold Wolff noch der hochgotische Chorbau in der französischen Kathedralbautradition im Vordergrund, so öffnete 1978 die Kölner Ausstellung »Die Parler und der Schöne Stil 1350–1400« den Blick auf die durchaus spätgotischen Qualitäten des Westbaus, dessen einziges im Mittelalter ausgeführtes Portal den entsprechenden Einfluss der aus Köln stammenden Baumeister- und Bildhauerfamilie der Parler anschaulich macht. So hat die Beschäftigung mit der Kirchenbaukunst der Spätgotik  – ob nun mit der Lambertikirche in Münster, dem Augsburger Domostchor oder dem Wiener Stephansdom – immer wieder gezeigt, wie sehr das Spätmittelalter ab 1350 von beiden Komponenten  – der innovativen Formerfindung der Parler und dem bewahrenden Moment der Kölner Dombauhütte – beherrscht wurde und die Frage »Köln oder Prag« geradezu die Ambiguität in der Architektur dieser Zeit aufzeigt. Die Untersuchung der gotischen Architekturzeichnung  – zunächst in Wien, und dann von Karlsruhe aus im Südwesten – zeigte noch deutlicher den Kölner Einfluss in einer Zeit, die nur scheinbar von einer dezidiert spätgotischen Formensprache bestimmt war. So stand am Ende eines zunächst vom Social Sciences and Humanities Research Council of Canada (SSHRCC), danach vom Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), dem Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, und schließlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts der systematischen Erfassung aller gotischen Baurisse im deutschsprachigen Raum die Beschäftigung mit den Bauzeichnungen auch des Kölner Domes, nun aus der Perspektive des Gesamtbestandes dieser Gattung.

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Vorwort

Dieses geschah nun gerade zu dem Zeitpunkt, als der bis dahin geltende allgemeine Konsens hinsichtlich der Zeitstellung der Kölner Fassadenpläne selbst fragwürdig geworden war  – zum einen durch den archäologischen Nachweis eines späten Baubeginns und zum andern durch eine stilgeschichtlich begründete Frühdatierung, wobei die beiden Daten – ein ausgesprochenes Unikum in der Architekturgeschichtsschreibung  – um fast ein Jahrhundert auseinanderklaffen. Unter diesen Umständen war eine konkrete Entscheidung hinsichtlich der Datierung des großen Fassadenplanes des Kölner Domes und damit einer Stellungnahme in der laufenden Diskussion um das Schlüsselbauwerk der deutschen Gotik unvermeidlich. So wie der Kölner Dom als Bauwerk selbst das Ergebnis zahlreicher Generationen von Baumeistern, Handwerkern und Künstlern war, so versteht sich auch dieses Werk als ein Beitrag in dessen nicht abgeschlossenen Forschungsgeschichte, die nicht erst mit der Publikation des Faksimiles des Kölner Domfassadenplans durch Georg Moller vor genau zweihundert Jahren begann. Zeitlich voraus ging ihr Herrmann Crombachs Erstveröffentlichung des Domplans – vierhundert Jahre nach dem Dombaubeginn – im Jahre 1647. Dass dabei  – wie auch in diesem Beitrag  – immer wieder das Bemühen um die Identität des entwerfenden Baumeisters in den Vordergrund rückte, ist ein durchaus legitimes Anliegen einer modernen architekturgeschichtlichen Forschung, die das Mittelalter nicht mehr unter der romantischen Prämisse einer hinter das Werk zurücktretenden künstlerischen Anonymität sieht. Danken möchte ich an dieser Stelle zunächst meinem ersten akademischen Lehrer, Prof. Dr. Dr.-Ing. Günther Binding, der zu Beginn meines Studiums meine Augen für das Monument »Kölner Dom« geöffnet hat, sowie des Weiteren meinem (1999 verstorbenen) Doktorvater, Prof. Dr. Hans Erich Kubach, der meine Überlegungen zur Architektur der englischen Spätgotik mit kritischem Interesse verfolgte, wie auch Prof. Dr.-Ing. Cord Meckseper für die Betreuung meines Habilitationsprojekts, das die Köln-Rezeption in der spätgotischen Architektur zum Thema hatte. Meinem Straßburger Kollegen Marc Carel Schurr danke ich für zahlreiche Gespräche, in denen zuerst die Frage nach der Person Michael von Savoyens angesprochen wurde. Ein weiterer und nicht unwesentlicher Dank gilt meinen Mitarbeitern an dem Projekt einer umfassenden Bestandsaufnahme der gotischen Architekturzeichnungen, Anne-Christine Brehm, Julian Hanschke, Jean-Sébastien Sauvé, Dominic Boulerice und Nikolaus Koch. Die außerordentlich produktive wie offene Zusammenarbeit mit diesen jungen Architekturhistorikern hat es ermöglicht, zahlreiche etablierte Positionen neu zu überdenken, aber auch die eigenen Hy-

Vorwort

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pothesen immer wieder kritisch zu hinterfragen. Danken möchte ich ferner Kamila Storz für die Erstellung der Abbildungen. Nicht zuletzt gilt mein besonderer Dank meiner Frau Regina, deren Interesse mich über die lange Zeit der Beschäftigung mit der gotischen Kirchenbaukunst – vor den Denkmälern, den Baurissen und schließlich in der gedanklichen Auseinandersetzung mit ihnen – begleitet hat. Admont, Ostern 2018

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Einleitung

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er gotische Fassadenplan des Kölner Domes  – nach Arnold Wolff »unumstritten die größte, schönste und bedeutendste Architekturzeichnung des Mittelalters«,¹ die, in den Worten von Hans Kauffmann, »in der erschöpfenden Genauigkeit und nichts auslassenden Gleichmäßigkeit seiner Durchzeichnung, in der plastischen Kraft und Klarheit der Darstellung wie in der Meisterlichkeit [ihrer] freihändigen Eintragung wohl von keiner anderen der vorperspektivischen Architekturzeichnungen des Mittelalters übertroffen« werde²  – ist zugleich auch mit Abstand diejenige unter den aus dem Mittelalter erhaltenen Architekturzeichnungen, die die größte Aufmerksamkeit für sich beanspruchen konnte (Abb. 1). Schon 1647 hatte der Kölner Jesuitenpater Herrmann Crombach (1598–1680) – zu dieser Zeit entstand in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kölner Dom die nachgotische Jesuitenkirche St.  Maria Himmelfahrt³ – in seinem Werk Primitia gentium seu historia sanctorum trium regum magorum eine Nachzeichnung des gotischen Fassadenplans veröffentlicht, um damit den Weiterbau des seit einem Jahrhundert ruhenden Dombauprojekts zu initiieren.4 Vor allem aber die detektivische Geschichte der Wiedergewinnung des in der französischen Revolution verschollenen Plans durch Georg Moller (1784–1852)5 und Sulpiz Boisserée (1783–1854)6 verlieh ihm eine

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Arnold Wolff : Köln, Dom, Fassadenplan F. In : Anton Legner (Hrsg.) : Die Parler und der schöne Stil 1350–1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern – ein Handbuch zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Kunsthalle Köln. Bd. 1, Köln 1978, S. 147. Hans Kauffmann : Die Kölner Domfassade. Untersuchung zu ihrer Entstehungsgeschichte. In : Hans Vogts (Hrsg.) : Der Kölner Dom. Festschrift zur Siebenhundertjahrfeier 1248–1948. Köln, 1948, S. 101. Hans Peter Hilger : Die ehemalige Jesuitenkirche St. Mariae Himmelfahrt in Köln. In : Udo Mainzer (Hrsg.) : Die Jesuitenkirche St.  Mariae Himmelfahrt in Köln. Dokumentation und Beiträge zum Abschluß ihrer Wiederherstellung 1980 (Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland, Bd. 28). Düsseldorf 1982, S. 9–30. Ute Verstegen : Wahrnehmung und Bewertung der gotischen Architektur des Kölner Domes in der zweiten Hälfte des 16. und im 17. Jahrhundert. In : Stefanie Lieb (Hrsg.) : Form und Stil. Festschrift Günther Binding zum 65. Geburtstag. Darmstadt 2001, S. 237–252. Georg Moller : Bemerkungen über die aufgefundene Originalzeichnung des Domes zu Koeln. Darmstadt 1818. Arnold Wolff : Die Wiederauffindung des Fassadenplanes F und seine Ausstellung im Kölner

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Einleitung

besondere Aura, die sich in einem außerordentlichen Interesse an dem Plan äußerte. Von dem Faksimile, das Moller 1818 veröffentlicht hatte, stellte Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) eine Kopie sowie Einzelpausen her, um die Details des Fassadenrisses zu studieren.7 Desgleichen verfolgte auch Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), der mit seinem Erstlingswerk Von deutscher Baukunst von 1773 mit einer Besprechung der Straßburger Münsterfassade die Gotik-Begeisterung der Romantik angestoßen hatte,8 das Projekt der Kölner Planedition mit seinem Interesse. So ließ er durch den Weimarer Architekten Clemens Wenzeslaus Coudray (1775–1845) einen illuminirten Riß anfertigen, »um damit für den Domauf bau zu werben und ein größeres Publikum zu gewinnen«9. 1848 schließlich publizierte der Trierer Architekt Christian Wilhelm Schmidt (1806–83) in einer Sammlung von Originalplänen deutscher Kathedralen ein auf die halbe Größe des etwas über vier Meter großen Plans reduziertes Faksimile, das somit einer allgemeinen Öffentlichkeit zur Verfügung stand.¹0 In der Folgezeit wurde der Riss die wichtigste Planungsgrundlage für das Projekt der Fertigstellung des im Mittelalter nicht mehr vollendeten Dombaus.¹¹ Die Bedeutung des Kölner Fassadenrisses wird vor allem deutlich, wenn man ihn im Zusammenhang der Turmvollendungen des 19. Jahrhunderts betrachtet.¹² Zwar wird es später vor allem noch ein großes Turmvollendungsprojekt geben, das ganz bewusst auch mit dem Kölner Domausbau in Konkurrenz zu stehen suchte – nämlich das des Ulmer Münsters, das gleichfalls einen mittelalterlichen Bauriss zur Grundlage hatte ;¹³ anders aber als in Köln hanDom. In : Kölner Domblatt 72, 2007, S. 275–304 ; Arnold Wolff (Hrsg.) : Sulpiz Boisserée : Der Briefwechsel mit Moller, Schinkel und Zwirner. Köln 2008 ; Renate Matthaei : Sulpiz Boisserée und die Vollendung des Kölner Doms. Eine Biographie. Norderstedt 2016. 7 Eva Brües : Die Rheinlande (Karl Friedrich Schinkel – Das Lebenswerk). München 1968, S. 320. 8 Reinhard Liess : Goethe vor dem Straßburger Münster. Zum Wissenschaftsbild der Kunst. Leipzig 1985, S. 80–83. 9 Rolf Bothe : Clemens Wenzeslaus Coudray, 1775–1845. Ein deutscher Architekt des Klassizismus. Köln 2013, S. 375. 10 Christian Wilhelm Schmidt : Originalpläne Deutscher Kathedralen. Trier 1848–51 ; vgl. Mario Simmer : Der Architekt und Architekturhistoriker Christian Wilhelm Schmidt (1806–1883). Regensburg 2014, S. 442–452. 11 Arnold Wolff : Der Kölner Dom. In : Eduard Trier und Willy Weyres (Hrsg.) : Kunst des 19. Jahrhunderts im Rheinland. Bd. 1, Düsseldorf, 1980, S. 55–73. 12 Nicola Borger-Keweloh : Die mittelalterlichen Dome im 19. Jahrhundert. München 1986. 13 Hubert Fink : Restaurierung und Ausbau des Ulmer Münsters. In : Hans Eugen Specker (Hrsg.) : Ulm im 19. Jahrhundert (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm/Reihe Dokumentation VII). Ulm 1990, S. 13–104.

Einleitung

Abb. 1€€: Köln, Dom. Fassadenplan

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Einleitung

delte es sich bei dem dabei zur Umsetzung gekommenen Turmriss des Matthäus Böblinger von 1494 nicht um den frühesten der überlieferten Turmrisse, sondern lediglich um eine letzte ganzheitliche Turmplanung in einer Folge von mehreren erhaltenen Entwürfen, wobei es darum ging, den Plan des letzten, nicht des ersten Meisters zur Vollendung zu bringen.¹4 In Wien erfuhren die gleichfalls erhaltenen Baurisse für den unvollendet gebliebenen Nordturm des Stephansdomes von Laurenz Spenning aus dem mittleren 15. Jahrhundert nie dieselbe Aufmerksamkeit, da sich hier das Forschungsinteresse auf den vollendeten Südturm konzentrierte.¹5 Nach der vollständigen Neuerrichtung des Maßwerkhelms über dem Südturm durch Friedrich von Schmidt wurde das von ihm betriebene Projekt der Turmvollendung des Nordturms, für das immerhin zwei mittelalterliche Alternativprojekte existierten, nicht mehr realisiert.¹6 Auch in Straßburg gelangte die Frage der Errichtung des zweiten Turmes nicht über die Diskussionsphase hinaus, obgleich auch hierfür mit dem Turmriss von Hans Hammer ein bedeutender, heute verschollener spätgotischer Entwurf vorgelegen hatte. In gleicher Weise kam es in Belgien, wo im mittleren 19.  Jahrhundert in Bergen und Löwen zwei wichtige spätgotische Turmrisse entdeckt wurden, die in ihrer Höhenentwicklung den Ulmer Münsterturm noch übertroffen hatten,¹7 zu keiner vergleichbaren Initiative für eine Turmvollendung, indem sich die Turmprojekte von Antwerpen, Mechelen und Bergen auch heute noch als Torso präsentieren. Umgekehrt aber griff Franz Josef Denzinger (1821–94) für sein Ausbauprojekt des Regensburger Domes, für das der vorhandene spätgotische Fassadenplan keinerlei Angaben über die intendierten Turmabschlüsse enthielt¹8 und 14 Johann Josef Böker u. a.: Die Architektur der Gotik. Ein Bestandskatalog der mittelalterlichen Architekturzeichnungen. Bd. 2 : Ulm und der Donauraum. Salzburg 2011, Nr. 10. 15 Marlene Zykan : Zur Baugeschichte des Hochturmes von St. Stephan. In : Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 23, 1970, S. 28–65. 16 Friedrich Schmidt : Der Neubau des Turmhelmes zu St. Stephan. In : Zeitschrift des österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins 18, 1866, S. 63 f. 17 Léopold Devillers : Mémoire historique et descriptif sur l’église de Sainte-Waudru à Mons. Bergen (Mons) 1857 ; Edward van Even : Monographie de l’église de Saint-Pierre à Louvain. Brüssel/Löwen 1858. Vgl. Klaus Jan Philipp : Sainte-Waudru in Mons (Bergen, Hennegau). Die Planungsgeschichte einer Stiftskirche 1449–1450. In : Zeitschrift für Kunstgeschichte 52, 1988, S. 372–413. 18 Heinz Rosemann : Die zwei Entwürfe im Regensburger Domschatz. In : Münchner Jahrbuch, NF 1, 1924, S. 230–262 ; Jaroslav Bureš : Der Regensburger Doppelturmplan. Untersuchungen zur Architektur der Nachparlerzeit. In : Zeitschrift für Kunstgeschichte 49, 1986, S. 1–28 ; Johann Josef Böker : Die mittelalterlichen Baurisse zum Regensburger Dom. In : Achim Hubel und

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der sogenannte Einturmriss mit seinem phantastisch wirkenden Helmauf bau keinerlei Bezug zum dortigen Dombau aufwies,¹9 wie selbstverständlich auf den mittelalterlichen Fassadenriss des Kölner Domes zurück, der damit einen geradezu normativen Charakter erhielt. Für den Ausbau der Wiesenkirche in Soest, zu der sich selbst keine mittelalterlichen Planungen erhalten hatten, nahm August Soller (1805–35) konkret die gerade im Entstehen begriffenen Kölner Domtürme zum Vorbild für den Turmausbau mit durchbrochenen Maßwerkhelmen.²0 Ähnliches gilt auch für den Prager Veitsdom, dessen von Joseph Mocker (1835–99) errichtete Zweiturmfront das Vorbild der Kölner Domfassade erkennen lässt, während der unvollendet gebliebene Südturm, zu dem nur teilweise mittelalterliches Planmaterial vorlag und für den gleichfalls ein Auf bau zunächst mit abschließendem Maßwerkhelm vorgesehen war, nicht mehr ausgebaut wurde.²¹ Was aber die besondere Bedeutung des Kölner Planes ausmachte, war die Tatsache, dass sich mit ihm  – anders als in den übrigen Bauhütten  – offensichtlich der verbindliche Erstentwurf erhalten hatte, der in stilistischer Einheit mit dem gesamten übrigen Bauwerk, namentlich dem im Mittelalter noch vollendeten Chorbau, stand. Anders als die spätgotischen Turmrisse in Straßburg, Ulm, Frankfurt und Wien sowie die berühmte Einturmplanung in Regensburg vertrat der Kölner Fassadenplan zudem eine Entwicklungsphase der gotischen Architektur, die noch nicht von den damals als Verfallsstufe gewerteten Extravaganzen der Spätgotik bestimmt war.²² In seiner hochgotischen Formenreinheit besaß der Kölner Fassadenriss – im Gegensatz zu den in größerer Zahl erhaltenen spätgotischen Turmrissen – daher eine prägende Bedeutung für das Bild der gotischen Architektur und erfuhr schon dadurch

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Manfred Schuller (Hrsg.) : Der Dom zu Regensburg (Kunstdenkmäler in Bayern, Teil  5). Regensburg 2013, S. 339–350. Friedrich Fuchs : Zwei mittelalterliche Aufriß-Zeichnungen zur Westfassade des Regensburger Domes. In : Der Dom zu Regensburg. Ausgrabung, Restaurierung, Forschung (Kunstsammlungen des Bistums Regensburg. Diözesanmuseum Regensburg, Kataloge und Schriften, Bd. 8). München und Zürich 1990, S. 224–230. Günther Grundmann : August Soller (1805–1853). Ein Berliner Architekt im Geiste Schinkels (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts, Bd. 18). München 1973, S. 200–204. Alexander von Knorre : Turmvollendungen deutscher gotischer Kirchen im 19.  Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung von Turmabschlüssen mit Maßwerkhelmen (5.  Veröffentlichung der Abteilung Architektur des Kunsthistorischen Instituts der Universität Köln). Köln 1974, S. 155– 166. Georg Dehio : Über die Grenze der Renaissance gegen die Gotik (1900). In : ders.: Kunsthistorische Aufsätze. München 1914, S. 49–60.

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Einleitung

ein größeres wissenschaftliches Interesse, das über die Zeit der Fertigstellung der Kölner Domfassade im Jahre 1880 hinausreichte, vielmehr gerade erst einsetzte, nachdem die grundsätzlichen Fragen der Umsetzung des Fassadenrisses in die gebaute Wirklichkeit gelöst waren.

Zur Datierungsgeschichte des Kölner Fassadenplans

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eitdem Georg Moller den Fassadenriss des Kölner Domes 1818 publiziert hat, sind inzwischen zwei Jahrhunderte vergangen, in denen sich die architekturgeschichtliche Forschung intensiv mit dem Riss auseinandersetzen konnte. Ab 1823 veröffentlichte Sulpiz Boisserée in mehreren Lieferungen sein Domwerk, in dem die Chronologie der Bauabfolge des Kölner Domes in seinen wesentlichen Grundzügen bereits dargestellt ist : Nach der Vollendung des Chores scheinen die Fortschritte rasch vorgerückt zu seyn, so daß man die Säulen des Kreuzes bis zu den Kapitälen der Nebengänge aufführte, und die Thüre zu dem nördlichen Kreuzflügel anlegte ; welcher Raum dann, einstweilen mit einem Dache bedeckt, zu einer Vorhalle mag gedient haben. Auch arbeitete man an dem Schiff und vorzüglich an der Aufführung eines der beiden mächtigen Hauptthürme.²³

Boisserée äußerte sich zwar nicht konkret zur Zeitstellung des Fassadenrisses, scheint aber aufgrund seiner relativen Chronologie des Baugeschehens eine Entstehung im mittleren 14.  Jahrhundert zu implizieren. So fasste auch Johann Jakob Merlo (1810–90) 1882 – der Dom war soeben vollendet worden – den damaligen Forschungsstand dahingehend zusammen, »dass der in Rede stehende Thurmriss, gemäss dem bei dem gegenwärtigen Stand der Forschungen über die Baugeschichte des Domes kaum noch auf Widerspruch stossenden Urtheile, mindestens ein Jahrhundert nach dem Beginne des Neubaues erst angefertigt worden ist«,²4 was konkret eine Entstehungszeit um oder nach 1350 impliziert.

23 Sulpiz Boisserée : Geschichte und Beschreibung des Doms von Köln, nebst Untersuchungen über die alte Kirchenbaukunst. Stuttgart 1823, sowie in fünf Lieferungen : Ansichten, Risse und einzelne Teile des Domes von Köln. Darin : Der Dom zu Köln. Erste Abtheilung, Köln 1823–31, S. 14. 24 Johann Jakob Merlo : Die Dombaumeister von Köln nach den Urkunden. In : Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande 73, 1882, S. 125.

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Zur Datierungsgeschichte des Kölner Fassadenplans

Entsprechend wurde auch nach Georg Dehio »mit Überspringung des Langhauses um 1350 der Westbau von Meister Michael […] nach dem damals neuen Freiburger Vorbild« begonnen, dessen »leichte Grazie« er dabei »zu majestätischer Pracht gewendet« habe.²5 Für Marcel Aubert schließlich ist es konkret »maître Michel, successeur de Rutger, et beau-père du fameux architecte Heinrich Parler de Gmünd«, der nach 1350 für Planung und Ausführung der Domfassade verantwortlich zeichnete,²6und ebenfalls nach KarlHeinz Clasen begann »um 1350 […] Meister Michael den Westbau«²7. Die Forschungssituation der Zeit fasste Wilhelm Kisky wie folgt zusammen : Ein Originalplan aus der Zeit des Baubeginns existiert nicht. Man hat schon im 14. Jahrhundert nicht mehr nach ihm gebaut. Die erhaltenen, heute im Dom aufbewahrten Originalrisse der Türme stammen erst aus dem 14. Jahrhundert und stellen bereits eine Überarbeitung des ursprünglichen Planes des Turmsystems dar, wenn ein solcher überhaupt existiert hat.²8

Galt bis zu diesem Zeitpunkt eine aus der Logik des Baugeschehens abgeleitete Datierung des Kölner Fassadenplanes als allgemein akzeptiert, so setzte in der Folgezeit die Tendenz ein, schrittweise von diesem Konsens abzurücken. Schon 1930 war bei Erwin Panofsky die Hamburger Dissertation von Helen Rosenau zur Baugeschichte des Kölner Domes entstanden, in der erstmals die Begründung für eine Früherdatierung des Fassadenrisses vorgetragen wurde. Im Vorfeld der Veröffentlichung ihrer Dissertation hatte Rosenau zunächst postuliert, »den Fassadenriß zeitlich nicht allzuweit von der Vollendung und Weihe des Chores im Jahre 1322 abzurücken«²9. Anschließend präzisierte sie dann ihren ausschließlich formenstilistisch motivierten Datierungsansatz aus der Relation zum »frühestens um 1310« angesetzten Helmauf bau des Freiburger Münsterturmes, der »in seiner Einzelformulierung weniger vorgeschritten 25 Georg Dehio : Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. 5. Bd.: Nordwestdeutschland. 2. Auflage, Berlin 1928, S. 251 und 254. 26 Marcel Aubert : Cologne. In : Rhénanie (Congrès archéologique de France, LXXXVe session). Paris 1924, S. 323. 27 Karl-Heinz Clasen : Baukunst des Mittelalters Teil  2 : Die Gotische Baukunst (Handbuch der Kunstwissenschaft). Wildpark-Potsdam 1931, S. 109. 28 Wilhelm Kisky : Aus der Geschichte des Dombaus. In : Zeitschrift des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz 19, 1927, Heft 3, S. 13. 29 Helen Rosenau : Zur Baugeschichte des Kölner Domes. In : Erich Kuphal : Der Dom zu Köln. Festschrift zur 50. Wiederkehr des Tages seiner Vollendung am 15. Oktober 1880 (Veröffentlichungen des Kölner Geschichtsvereins, Bd. 5). Köln, 1930, S. 47.

Zur Datierungsgeschichte des Kölner Fassadenplans

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als der Kölner Riß« erscheine, »trotzdem aber im Auf bau und Details mit ihm« übereinstimme und entsprechend »als Vorbild für den Fassadenaufriß in Betracht komme«, wohingegen die um 1350 zu datierenden östlichen Hahnentürme in Freiburg bereits »eine entwickeltere Stufe« verkörperten.³0 In der Architekturgeschichte traf dieser erste Versuch der Frühdatierung, für den es weder eine bauarchäologische noch chronikalische Rechtfertigung gibt, zunächst auf keine Akzeptanz. So äußerte sich der rheinische Provinzialkonservator Paul Clemen wenig später in seinem 1937 erschienenen Inventarband zum Kölner Dom, dass »um 1350 […] vielleicht die Errichtung der westlichen Turmpartien in Angriff« genommen und »um jene Zeit […] wohl auch die noch erhaltenen Grund- und Aufrisse der Westfassade und der Türme« anzusetzen seien.³¹ In gleicher Weise datierte auch Werner Gross in seiner stilistischen Analyse über die »abendländische Architektur um 1300« den Kölner Fassadenentwurf in die Zeit »um 1350«, während die »Ausführung seit etwa 1380« erfolgt sei.³² Hatte bis zu diesem Zeitpunkt in der Forschung eine relative Einigkeit über die Zeitstellung des Kölner Fassadenrisses geherrscht, so brachte das Dombaujubiläum von 1948 einen entschiedenen Anstoß für die Weiterbeschäftigung mit dem Kölner Domfassadenriss. In seinem Beitrag über die Domfassade setzte Hans Kauffmann trotz der bereits von Clemen geäußerten Bedenken den Fassadenriss in Übereinstimmung mit den Überlegungen Rosenaus im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts an.³³ Etwas später – in einem Aufsatz über die Relation der Maßwerkhelme des Freiburger Münsters und des Kölner Domes – präzisierte er seine Datierung auf das Jahrzehnt 1320–30, wobei auch er die zeitliche Priorität Freiburgs unbestritten ließ.³4 Herbert Rode rückte den, wie er meinte, in der »Zeit des Dombaumeisters Johannes« entstandenen 30 Helen Rosenau : Der Kölner Dom. Seine Baugeschichte und historische Stellung (Veröffentlichungen des Kölner Geschichtsvereins, Bd. 7). Köln 1931, S. 114 f.; vgl. auch Helen Rosenau : Design and Medieval Architecture. London 1934. 31 Paul Clemen : Der Dom zu Köln (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, VI, III. Abteilung : Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, Bd. 1). Düsseldorf 1937, S. 62. 32 Werner Gross : Die abendländische Architektur um 1300. Stuttgart 1948, S. 31. 33 Hans Kauffmann : Die Kölner Domfassade. Untersuchung zu ihrer Entstehungsgeschichte. In : Hans Vogts (Hrsg.) : Der Kölner Dom. Festschrift zur Siebenhundertjahrfeier 1248–1948. Köln, 1948, S. 127. 34 Hans Kauffmann : Die Maßwerkhelme des Freiburger Münsters und des Kölner Domes. In : Berthold Hackelsberger und Georg Himmelheber (Hrsg.) : Festschrift Kurt Bauch. Kunstgeschichtliche Beiträge zum 25. November 1957. München 1957, S. 117.

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Fassadenriss bereits in die Zeit »um 1310–1320«,³5 und auch Eva Zimmermann-Deissler folgte mit der Datierung »ins zweite Jahrzehnt« des 14.  Jahrhunderts diesem Zeitansatz, während entsprechend »die Errichtung des unteren Turmgeschosses […] zwischen 1320 und 1330« erfolgt sei, also nachdem die Kapazitäten der Bauhütte mit der Chorweihe für andere Aufgaben frei geworden seien.³6 Methodologisch bedenklich an dieser Datierung ist vor allem die Verknüpfung mit der Baugeschichte des Freiburger Münsterturms, dessen angenommene Fertigstellung um 1310 keineswegs gesichert ist, sondern heute meist später, um oder nach 1330/40, angesetzt wird.³7 Als dann hier im Jahre 1354 unter Johannes Parler mit dem Bau des neuen Chores begonnen wurde, geschah dieses nach Ausweis der Steinmetzzeichen offensichtlich sogar von denselben Steinmetzen, die kurz zuvor noch am Turmhelm beschäftigt gewesen waren, so dass sich das Datum der Fertigstellung damit noch weiter verschieben würde.³8 Für einen relativ späten Zeitansatz der Turmvollendung in Freiburg sprechen vor allem auch die an den Diagonalseiten des Oktogongeschosses vorkommenden sogenannten »aufgebrochenen Pässe«, entwicklungsgeschichtlich fortgeschrittene Maßwerkformen, die, worauf Marc Carel Schurr verwiesen hat, ihre unmittelbare Entsprechung am 1351 von Heinrich Parler begonnenen Chorbau in Schwäbisch Gmünd besitzen.³9 Auf den sich zwangsläufig dadurch ergebenden Widerspruch zwischen Planung und Baubeginn machte Paul Frankl aufmerksam, indem »the lower storeys of the towers could not have been begun before 1388, when the vaults in the nave were completed, but Kaufmann’s research led to the conclusion that 35 Herbert Rode : Zur Baugeschichte des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 8/9, 1954, Nr. 36. 36 Eva Zimmermann-Deissler : Das Erdgeschoß des Südturms vom Kölner Dom. In : Kölner Domblatt 14/15, 1958, S. 96. 37 Bernhard Laule : Die Fertigstellung des Langhauses und der Bau des Westturms. In : Yvonne Faller, Heike Mittmann, Stephanie Zumbrink und Wolfgang Stopfel : Das Freiburger Münster. Regensburg 2011, S. 61–77. 38 Thomas Flum : Der spätgotische Chor des Freiburger Münsters. Baugeschichte und Baugestalt (Neue Forschungen zur Deutschen Kunst  5). Berlin, 2001 ; ders.: Der Letzte könnte der Erste sein. Stammen Turm und Chor des Freiburger Münsters vom selben Meister ? Vortrag an der Internationalen Tagung : »Der Freiburger Münsterturm und sein europäischer Kontext«, 9. bis 11. September 2010, veranstaltet vom Kunstgeschichtlichen Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, Freiburg i. Br., 10. September 2010. 39 Marc Carel Schurr : Die Baukunst Peter Parlers. Der Prager Veitsdom, das Heiligkreuzmünster in Schwäbisch Gmünd und die Bartholomäuskirche zu Kolin im Spannungsfeld von Kunst und Geschichte. Ostfildern 2003, S. 45 f.

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the great plan F for the façade was drawn as early as 1320«40. Diesen Widerspruch suchte schließlich Arnold Wolff dadurch zu lösen, dass er im Gegenzug das Datum des Turmbaubeginns noch weiter hinaufrückte und dadurch von den Bauarbeiten am südlichen Seitenschiff trennte. So habe man, wie er in seiner hypothetischen Abfolge der Bauabschnitte des Dombaus postulierte, »nachdem mit Errichtung der großen provisorischen Westtrennwand kurz vor 1304 die Rohbauarbeiten am Chor beendet« gewesen seien, ohne bauliche Verbindung zum fertiggestellten Chorbau »im frühen vierzehnten Jahrhundert zunächst mit dem Bau des Südturmes« begonnen, dessen Unterbau entsprechend im ersten Jahrhundertviertel entstanden sei, da sich für diesen Zeitraum sonst keine Bautätigkeit nachweisen ließe. Erst nachdem um 1325 auch »die Fundamente für die südlichen Teile des Langhauses und die Westteile des südlichen Querhauses angelegt« worden seien, »wandte man sich wieder dem Südturm zu, dessen Erdgeschoß möglicherweise um 1325 noch nicht fertiggestellt gewesen ist, und führte ihn bis über die Fensterbank des dritten Stockwerks auf«4¹. Zeitlich vor die Wende zum 14. Jahrhundert rückte erstmals Bernhard Schütz den Kölner Fassadenplan, indem dieser »offensichtlich schon um 1297 dem [aus Köln stammenden] Architekten, der das Oppenheimer Querhaus zuendeführte, bekannt«, so dass »Planung und Baubeginn der Kölner Turmfront […] also in unmittelbare Nähe zum Baubeginn der Straßburger Fassade 1277« rückten.4² Auch seitens der Untersuchung der mittelalterlichen Glasmalereien des Kölner Domes schien sich ein Entstehungsdatum des Fassadenrisses vor dem Zeitpunkt der Chorweihe 1322 zu ergeben, indem für die Ornamentverglasung des Hochchores die Maßwerkformen des Fassadenrisses vorbildlich gewesen seien.4³ Von Michael Burger wurde demgegenüber auf die grundsätzliche Möglichkeit verwiesen, dass die Formerfindung der Maßwerkfigurationen in gleicher Weise auch auf den Glasmaler zurückgeführt werden könne.44 Der Versuch der Frühdatierung musste jedoch eine entscheidende Relativierung erfahren, als die dendrochronologische Datierung eines in den Chor40 Paul Frankl : Gothic Architecture (Pelican History of Art). Harmondsworth 1962, S. 137. 41 Arnold Wolff : Mittelalterliche Planzeichnungen für das Langhaus des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 30 1969, S. 143. 42 Bernhard Schütz : Die Katharinenkirche in Oppenheim. Berlin 1982, S. 241. 43 Herbert Rode : Die mittelalterlichen Glasmalereien des Kölner Domes (Corpus Vitrearum Medii Aevi, Deutschland, Bd. 4,1). Berlin 1972, S. 59. 44 Michael Burger : Die ornamentale Kathedralverglasung des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 82, 2017, S. 108.

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gewölben entdeckten Rüstholzes in die Zeit 1310–30 eine Fertigstellung der Bauarbeiten am Hochchor und auch eine Errichtung von dessen westlicher Abschlusswand nicht schon 1304, sondern tatsächlich erst zum Zeitpunkt der überlieferten Chorweihe 1322 belegt.45 Die Annahme einer Bauunterbrechung im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts, in die hinein man die Errichtung des Turmerdgeschosses hätte verlegen können, erwies sich damit als unbegründet. Die Errichtung eines Turmbaus in räumlichem Abstand zum Chor bei dazwischen fortbestehender älterer Bausubstanz dürfte vermessungstechnisch zudem als nicht unproblematisch einzustufen sein, zumal sich am Bauwerk selbst keinerlei Hinweise für dieses Verfahren finden lassen. Im Versuch, den Fassadenriss in der Chronologie des Domes weiter nach oben zu verschieben, stellte der Zeitraum zwischen 1330 und 1350 insoweit eine prekäre Phase dar, indem für diesen Zeitraum, abgesehen von dem nur zwei Jahre, 1331–33, amtierenden Rutger kein Baumeistername überliefert schien. Wollte man also in der Lage sein, den Fassadenriss mit einem konkreten Entwerfernamen zu versehen, so musste man logischerweise vor diese Zeitlinie und damit in die nächste Nähe der für 1322 überlieferten Chorweihe rücken. Dieses aber brachte die  – nicht durch bauarchäologische Beobachtungen oder quellenkundliche Überlieferung gestützte  – Schlussfolgerung mit sich, dass nach Fertigstellung des Hochchores gleich mit dem Bau der Westfassade begonnen worden sei. Die Bautätigkeit am Langhaus, konkret die Errichtung der beiden südlichen Seitenschiffe, die die Verbindung zwischen Querhaus und Westbau herstellten, wurde dabei zu einer quantité négligeable in der Baugeschichte. Einigkeit hatte bis zu diesem Zeitpunkt in der Forschungsgeschichte zum Kölner Fassadenriss in der relativen Gleichzeitigkeit von Entwurf und Baubeginn der Fassade bestanden, da es keinerlei Hinweise auf eine zeitliche Differenz gab. So hatte Arnold Wolff gerade aufgrund seiner Beobachtungen am Südturmfundament nachweisen können, dass Planung und Arbeitsbeginn parallel zueinander erfolgt waren und sich der Wechsel im Entwurf von der Erstplanung, die in der Wiener Grundrisszeichnung überliefert ist, zu der anspruchsvolleren Gestaltung des Kölner Fassadenrisses sofort Änderungen an den bereits in Ausführung befindlichen Fundamenten nach sich gezogen hatten.46 45 Ulrich Back : Archäologische Befunde zur Baugeschichte des Kölner Domes. In : Ulrich Back und Thomas Höltken : Die Baugeschichte des Kölner Domes nach den archäologischen Quellen. Befunde und Funde aus der gotischen Bauzeit (Studien zum Kölner Dom, Bd. 10). Köln 2008, S. 49. 46 Arnold Wolff : 32. Dombaubericht. In : Kölner Domblatt 56, 1991, S. 60.

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Die Diskussion hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt auf den Versuch beschränkt, den Baubeginn der Westfassade nach Möglichkeit hinaufzuschieben, wobei das Datum der Chorweihe 1322 einen gewissen Fixpunkt darstellte. Für denkbar wurde dabei eine Entstehung des Planes vor und ein Baubeginn unmittelbar nach diesem Zeitpunkt gehalten. Eine Trennung von beiden – Planung und Baubeginn – stand jedoch nicht zur Diskussion. Die in Ermangelung genauerer bauarchäologischer Anhaltspunkte vorwiegend stilistisch begründeten Datierungsangebote reichten dabei, je nach Ansicht des Verfassers, von 1310/20 bis 1340/50, wobei konkrete externe Belege für eine Datierung des Baurisses und des Baubeginns von der Forschung nicht erbracht worden sind. Diese Frühdatierung aber war umso problematischer, als mit dem so rekonstruierten Baugeschehen der stilistische Befund der Bauplastik im Petersportal mit seinen bereits deutlich parlerisch beeinflussten Archivoltenfiguren nicht mehr in Einklang zu bringen war.47 In ähnliche Zeit, also in deutlichem Abstand zu dem jetzt angenommenen Baubeginn der Westfassade, also in den Zeitraum »von etwa 1360–1370«, wurden auch die fünf erhaltenen Apostelfiguren im Portalgewände gerückt.48 1977 hatte zudem Rainer Palm unter Verweis auf eine »Konsolfigur von 1388 am Rheinturm in Zons«49 und im darauffolgenden Jahr Rolf Lauer auf einen »Wasserspeier der Parlerzeit am Südturm des Kölner Domes«50 und zugleich damit auf die Problematik der Datierung hingewiesen. Vielmehr wäre, wie Rolf Lauer die Diskussion zusammenfasste, »bei einem hypothetischen Baubeginn um 1340/50 […] um 1360/70 […] die Höhe des Portalwimperges erreicht« und »der Figurenschmuck der Baldachine […] mit dem Bau versetzt« worden.5¹ Desgleichen führte Rolf Lauer als ein bezeichnendes Indiz an, dass die Maßwerkfüllungen an den Thronwangen der Archivoltenfiguren dieses Portals parlerische Figurationen zeigen, wie sie erstmals am Prager Domchor Peter Parlers vorkommen.5² Dieses bedeutete 47 Wilhelm Quincke : Das Petersportal am Dom zu Köln. Bonn 1938. 48 Oskar Karpa : Die hochgotische Plastik des Kölner Domes. In : Erich Kuphal : Der Dom zu Köln. Festschrift zur 50. Wiederkehr des Tages seiner Vollendung am 15. Oktober 1880 (Veröffentlichungen des Kölner Geschichtsvereins, Bd. 5). Köln 1930, S. 130. 49 Rainer Palm : Die Konsolfigur von 1388 am Rheinturm in Zons. In : Kölner Domblatt 42, 1977, S. 310–313. 50 Rolf Lauer : Ein Wasserspeier der Parlerzeit am Südturm des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 43, 1978, S. 206–211. 51 Rolf Lauer : Skulpturfragmente vom Südturm des Kölner Domes. In : Anton Legner (Hrsg.) : Die Parler und der schöne Stil 1350–1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern – ein Handbuch zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Kunsthalle Köln. Bd. 1, Köln 1978, S. 159. 52 Rolf Lauer : Die Parler stecken im Detail (Teil II). Maßwerk am Petersportal des Kölner Domes.

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zugleich, auch aus der Sicht der Bauplastik, eine Entscheidung für die von Paul Clemen vertretene Chronologie des Westbaus. Auch wenn die fünf mittelalterlichen Standfiguren erst nachträglich ihre Aufstellung in den Laibungsnischen des Petersportals gefunden haben können, so müssen gerade die Archivoltenfiguren wie auch der Wasserspeier im Verband versetzt worden sein und geben damit ein verlässliches Datum für die Errichtung des Turmerdgeschosses im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts. Angesichts dieser komplexen, von unterschiedlichen methodischen Ansätzen aus geführten Diskussion zum Kölner Fassadenriss verwundert es daher nicht, wenn dieser 1985 selbst zum Ziel einer Wissenschaftssatire wurde.5³ In dieser unbefriedigenden Forschungssituation aber musste der archäologisch erbrachte Nachweis des tatsächlichen Baubeginns erstmals eine eindeutige Grundlage für alle weiteren Bemühungen um die Datierung des Fassadenrisses schaffen. Diese Gelegenheit ergab sich unzweideutig im Jahre 1994 durch den Fund einer nach 1357 geprägten Münze vier Meter unterhalb des Bodenniveaus in der Verfüllung der Fundamentgrube des Südturms.54 Das bedeutete unmissverständlich einen Baubeginn der Fassade frühestens um das Jahr 1360 und damit eine nachträgliche Bestätigung der bis zu Paul Clemen und Werner Gross gültigen Forschungsmeinung, von der die kunsthistorische Forschung im Bemühen um einen möglichst frühen Zeitansatz seither schrittweise bis zu mehreren Jahrzehnten abgewichen war. Dabei stellt, wie betont werden muss, die aus der letzten Amtsperiode des 1362 verstorbenen Kölner Erzbischofs Wilhelm von Gennep stammende Münze nur den allerfrühesten Zeitpunkt für den Abschluss der Fundamentierungs- und den Beginn der Bauarbeiten am Kölner Westbau dar, ohne dass sich hieraus ein konkretes, vor allem aber nicht umgekehrt ein spätestmögliches Baudatum ableiten ließ. Für die relative Bauabfolge ergab sich damit in Konsequenz ein sukzessiver Bauvorgang von Ost nach West und damit ein Baubeginn des Südturms nach In : Richard Strobel und Annette Siefert (Hrsg.) : Parlerbauten. Architektur – Skulptur – Restaurierung. Internationales Kolloquium zum Heiligkreuzmünster in Schwäbisch Gmünd 17.–19.  Juli 2001 (Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Arbeitsheft 13). Stuttgart 2004, S. 63–72. 53 Bernhard Schütz : Der Kölner Dom. Trilogie der Türme oder die Macht der Architektur (Werners Kunst am Stück I). Worms 1985. 54 Ulrich Back : Die Domgrabung XXXIII. Die Ausgrabungen im Bereich des Südturmes. In : Kölner Domblatt 59, 1994, S. 200–202 ; Bernd Päffken und Günter Quarg : Fundmünzen aus dem gotischen Kölner Dom. In : Ulrich Back und Thomas Höltken : Die Baugeschichte des Kölner Domes nach den archäologischen Quellen. Befunde und Funde aus der gotischen Bauzeit (Studien zum Kölner Dom, Bd. 10). Köln 2008, S. 250, Nr. 7

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der Teilfertigstellung des südlichen Seitenschiffspaars nicht vor der Mitte des 14. Jahrhunderts. War mit diesem archäologischen Beleg der wichtigste Fixpunkt in der Datierungsfrage des Kölner Dombaus im 14.  Jahrhundert gegeben, der Baugeschichte und stilistische Zuordnung der Skulpturen zwanglos zusammenzuführen vermochte, so wurde im Folgenden die Gelegenheit, die neugewonnene Datierungsmöglichkeit zum Ausgangspunkt von neuen Überlegungen zur zeitstilistischen Einordnung des zugehörigen Fassadenrisses zu nehmen, nicht einmal hypothetisch in Erwägung gezogen. Statt daraufhin nun die Forschungsentwicklung, die zu dieser Diskrepanz geführt hatte, kritisch zu hinterfragen, wurde vielmehr versucht, eine Erklärung für die dadurch auftretende zeitliche Differenz zwischen der zuletzt angenommenen frühen Entstehungszeit des Fassadenrisses und dem tatsächlichen Baubeginn des Westbaus zu finden, auch unter offener Infragestellung des archäologischen Befundes. In dieser entscheidenden Forschungssituation konzedierte Christian Freigang lediglich, dass »die zeitliche Stellung der Fundamente für den Südturm«, wie er es formulierte, durchaus »noch Fragen« berge. So spreche »einiges dafür«, »daß sie im Anschluß an die Langhausmauern errichtet wurden«, doch sei es immerhin »auch denkbar, daß sie schon kurz vor diesen begonnen wurden«, so dass »offenbar sehr lange allein bzw. hauptsächlich an den Fundamenten gearbeitet« worden sei.55 Dieses setze jedoch, wie er meint, voraus, »daß zu diesem Zeitpunkt die Konzeption des Aufgehenden in wesentlichen Punkten« festgestanden habe und entsprechend »die Planung für den Südwestturm […] schon sehr früh begonnen haben« müsse, »denn der erste Teil seiner Fundamente wurde ja offensichtlich um bzw. schon vor 1325 gelegt«56. Mit diesem methodologisch bedenklichen Kunstgriff, der das für 1325 belegte Arbeiten an den östlichen Langhausfundamenten auch auf deren westliche Teile und zugleich, unter Negierung des Münzfundes, auch auf das Südturmfundament selbst ausdehnte, sollte offensichtlich versucht werden, die ältere Datierung des Fassadenrisses in die Zeit der Chorvollendung 1322 zu retten. So habe letztlich nur die außerordentliche, durch nichts begründete Verzögerung der 55 Christian Freigang : Köln und Prag. Der Prager Veitsdom als Nachfolgebau des Kölner Domes. In : Ludger Honnefelder, Norbert Trippen und Arnold Wolff (Hrsg.) : Dombau und Theologie im mittelalterlichen Köln. Festschrift zur 750-Jahrfeier der Grundsteinlegung des Kölner Domes und zum 65. Geburtstag von Joachim Kardinal Meisner (Studien zum Kölner Dom, Bd. 6). Köln 1998, S. 57. 56 Ebd., S. 57.

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Arbeit an den Langhaus- und Turmfundamenten die verspätete Ausführung des Turmplanes bewirkt : Wir haben es also mit dem interessanten Phänomen zu tun, daß die umfangreiche zeichnerische Vorplanung und die bauliche Realisierung in einem zeitlichen Abstand von über einer Generation erfolgten. Auch wenn die Pergamentpläne nur eine von mehreren Folgeerscheinungen einer weit vorausgreifenden Vorplanung sind und deshalb nicht unbedingt als Baupläne im modernen Sinne interpretiert werden dürfen, so machen sie doch deutlich, daß in Köln in einem äußerst aufwendigen Verfahren der Langhaus- und Westfassadenbau im Ganzen vorprojektiert wurde, um damit auch die Vorgaben der technischen Ausführung (Fundamente) und der Gestaltung festzulegen. Das offensichtlich sehr viel schrittweisere Vorgehen der Straßburger Hütte unterscheidet sich deutlich von dem Kölner Planungsprozeß. Eine solch weitreichende Vorausplanung hat auch wichtige Auswirkungen auf die Baugestalt, denn die im Medium der Zeichnung aufwendig und detailliert ermittelte Angleichung etwa von Anschlußhöhen, Bogenkrümmungen, Maßwerken usw. konnte nicht einfach neueren Entwicklungen angepaßt werden, ohne durchgreifende Umplanungen zu bewirken.57

Letztlich wurde mit dieser Annahme die Relevanz des Kölner Fassadenrisses als originärer Bestandteil der Planungs- und Baugeschichte negiert und ein vermeintlicher Gegensatz zur Vorgehensweise aller übrigen Dom- und Münsterbauhütten konstruiert.58 Die Situation verschärfte sich nochmals durch die vor allem stilistisch motivierte Frühdatierung des Kölner Fassadenrisses durch Marc Steinmann, der in seiner Untersuchung des Risses noch entschieden über die bis dahin akzeptierte zeitliche Grenze von 1300 hinauszugehen suchte. Unter der Annahme nämlich, dass »das Kölner Planmaterial […] in der Zeit von um 1277 und vor 1283 entstanden sein« müsse, sei innerhalb dieses so ausgegrenzten, 57 Ebd., S. 58. 58 In ähnlicher Weise verfuhr Freigang später auch bei der Interpretation des Turmplans für den Frankfurter Domturm, den er  – trotz widersprechender Wasserzeichendatierung und unter Negierung der übrigen Turmplanungen – im Gegensatz zur bisherigen Interpretation als Generalplan an den Anfang der Planungsgeschichte setzte ; Christian Freigang : Madern Gerthener und der Domturm ab 1413. Bemerkungen zur architektonischen Stellung des Frankfurter Domturmes. In : Der Frankfurter Domturm. Stadtbild, Geschichte, Restaurierung. Frankfurt 2009, S. 30 ; ders.: Der Frankfurter Domturm und Madern Gerthener. In : Bettina Schmitt und Ulrike Schubert (Hrsg.) : Madern Gerthener und der Pfarrturm von St. Bartholomäus. München, 2015, S. 15.

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doch relativ engen Zeitrahmens von nur fünf Jahren »für den Riß F […] eine Datierung vor 1280 ebenso wie eine Einordnung nach 1280 möglich«59. Die beiden Begrenzungspunkte dieses Zeitrahmens ergäben sich, wie Steinmann annimmt, zum einen aus der Datierung des korrespondierenden Straßburger Fassadenplans, dessen Anbindung an den für dieses Jahr bezeugten Baubeginn unter Erwin von Steinbach in der Forschung seit langem Gegenstand einer hart geführten Kontroverse ist,60 und dem Datum der Schlussweihe der Marburger Elisabethkirche, deren Westfenster, wie auch schon zuvor angenommen worden ist,6¹ eine vereinfachende Replik des Mittelfensters der Kölner Fassade darstelle. Aber auch diese beiden scheinbar gesicherten Daten sind nicht als Fixpunkte zu verstehen. Zum einen wird der Straßburger Fassadenriss heute entschieden vor dem überlieferten Baubeginn im Jahre 1277 datiert,6² und zum andern dürfte das Marburger Westfenster nicht notwendigerweise im Jahr der überlieferten Kirchenweihe, sondern erst später entstanden sein.6³ So haben sich die Bauarbeiten an der Elisabethkirche noch entschieden über diesen Zeitpunkt hinausgezogen, indem der Dachstuhl gerade des westlichen Langhausabschlusses zwischen den beiden Westtürmen dendrochronologisch auf 1323±10 datiert wurde.64 Vor allem aber wäre in diesem Fall zu fragen, warum das Marburger Fassadenprojekt zwar ein isoliertes Fenstermotiv des Kölner Domplanes rezipiert hat, aber nicht dessen außergewöhnlichstes Element, die durchbrochenen Maßwerkhelme, sondern stattdessen vollständig geschlossene und ungegliederte Steinhelme verwendet – ganz abgesehen vom jeglichen Fehlen weiterer formaler Anknüpfungspunkte. Beide Daten müssen

59 Marc Steinmann : Funktion und Bedeutung mittelalterlicher Architekturzeichnungen am Beispiel des Kölner Fassadenplanes F. In : Hallesche Beiträge zur Kunstgeschichte 7, 2005, S. 62. 60 Reinhard Wortmann : Der Westbau des Straßburger Münsters und Erwin von Steinbach. In : Bonner Jahrbücher 169, 1969, S. 290–318 ; Reinhard Liess : Der Riss B der Straßburger Münsterfassade. Eine baugeschichtliche Revision. In : Orient und Okzident im Spiegel der Kunst. Festschrift Heinrich Gerhard Franz zum 70. Geburtstag. Graz 1986, S. 171–202. 61 Richard Hamann und Kurt Wilhelm-Kästner : Die Elisabethkirche zu Marburg und ihre künstlerische Nachfolge. Bd. 1 : Die Architektur, Marburg, 1924, S. 27. 62 Reinhard Liess : Eine Beobachtung am Sockel der Straßburger Westfassade. In : Bulletin de la Société des Amis de la Cathédrale de Strasbourg 25, 2002, S. 213–215. 63 Günther Binding : Maßwerk. Darmstadt 1989, S. 240. 64 Angus Fowler und Ulrich Klein : Der Dachstuhl der Elisabethkirche. Ergebnisse der dendrochronologischen Datierung. In : Hans-Joachim Kunst (Hrsg.) : 700 Jahre Elisabethkirche in Marburg 1283–1983. Katalog 1 : Die Elisabethkirche – Architektur in der Geschichte. Ein Handbuch zur Ausstellung. Marburg 1983, S. 163–176.

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daher für die scheinbar so präzise Zeitbestimmung des Kölner Fassadenrisses entfallen. Letztlich setzt die Datierungshypothese voraus, dass beide miteinander in Beziehung gesetzten Fassadenrisse – der Straßburger wie der Kölner – schon unmittelbar nach ihrer zeichnerischen Fixierung und vor ihrer architektonischen Umsetzung allgemein, das heißt : auch für nicht der jeweiligen Bauhütte angehörende Steinmetzen, zugänglich gewesen sein müssen, was nach unserer Kenntnis mittelalterlicher Hüttengepflogenheiten kaum vorstellbar ist. Zwar ist in späterer Zeit der umfassende Austausch von Bauzeichnungen belegt, doch stand dieser stets im Zusammenhang mit einer Wanderung von Arbeitskräften und vor allem der Berufung von Baumeistern an andere Hütten.65 Eine Einsichtnahme in das Planungsmaterial einer fremden Hütte zum Zwecke der eigenen Planungsarbeit aber musste  – ohne das vielstrapazierte »Hüttengeheimnis« zu beschwören – verständlicherweise am ausgeprägten Konkurrenzdenken der Hütten untereinander scheitern. Die bis dahin geltende zeitliche Relation zwischen dem Kölner Dom und dem Freiburger Münsterturm sowie der Straßburger Münsterfassade suchte Leonhard Helten durch eine weitere zeitliche Verschiebung des Kölner Fassadenplans nach oben überhaupt umzukehren. So seien – abgesehen von dem Maßwerkhelm  – die »signifikante[n] Hauptformen« in Freiburg, namentlich »das große Bogenviereck mit stehendem Vierpaß, die genasten Pässe und der Dreistrahl« zunächst in Köln ausgebildet gewesen – er nennt hierfür »die Zäsur um 1271« –, um erst von Freiburg aufgegriffen zu werden. »In Straßburg hingegen«, dessen Fassadenplan Helten nun überhaupt in die Nachfolge des Kölner Domrisses zu setzen suchte, erschienen diese »an ganz untergeordneter Stelle und völlig unabhängig voneinander«66. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob neue Formenmotive bevorzugt an weniger auffälligen Stellen getestet und anschließend in ihrer vollen Wirksamkeit eingesetzt werden, oder von einer plakativen Verwendung im großen Entwurf in Randbereiche absinken, ist zu konstatieren, dass die Freiburger wie Straßburger Formenmotive in Köln ihre erste Verwendung im Chorobergaden gefunden hatten, um erst anschließend auf den Westfassadenentwurf übertragen zu werden. Für die Datierung des Letzteren ergibt sich dadurch noch nicht zwangsläufig die 65 Anne-Christine Brehm : Organisation und Netzwerk spätmittelalterlicher Bauhütten. Die Regensburger Ordnung und ihre Initiatoren. In : Ulm und Oberschwaben 58, 2013, S. 79–81. 66 Leonhard Helten : Mittelalterliches Maßwerk. Entstehung  – Syntax  – Topologie. Berlin 2006, S. 223.

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Notwendigkeit eines frühen Zeitansatzes, da die Formenrezeption zu jedem späteren Zeitpunkt erfolgt sein kann. Mit der Problematik einer verspäteten Ausführung des Fassadenplanes nach fast einem Jahrhundert konfrontiert, argumentierte Helten, dass die spezifischen Maßwerkfigurationen der »Kölner Obergadenfenster […] im großen Fassadenplan […] im ersten Obergeschoß des Süd- und des Nordturmes« eingesetzt erscheinen ; der »ab 1360 hochgeführte Bau« hingegen zeige »an dieser Stelle eine Wiederholung der vierbahnigen Erdgeschoßfenster«, indem »geradezu zwanghaft […] jede, noch die kleinste Paßfigur, mit einem Kreis oder einem Bogenvieleck gerahmt« werde.67 Die zeitliche Differenz zwischen Entwurf und Ausführung habe sich damit, so vermutet Helten, lediglich in der Egalisierung der Maßwerksysteme geäußert. Dass jedoch die zunächst zitierten Maßwerkformen des Chorobergadens im Verlaufe des 14. Jahrhunderts nicht mehr zeitgemäß erschienen seien, um entsprechend wieder durch die – an sich konservativere – Form der Kreiseinfassung von Pässen abgelöst zu werden, ist letztlich wenig aussagekräftig für die Zeitstellung der Planung als solche, indem die Idee des Wiederaufgreifens der älteren Obergadenfenster im Sinne einer zitathaften Verwendung im Fassadenkontext zu verstehen ist. In den nachfolgenden Besprechungen der Arbeit Steinmanns wurde die neue Frühdatierung des Kölner Fassadenrisses nur reserviert aufgenommen. Christian Freigang, der selbst für eine Trennung von Bauplanung und Ausführung plädiert hatte, hielt den Datierungsvorschlag »um 1280« in vorsichtiger Formulierung zwar für »nicht unwahrscheinlich« (»n’est pas invraisemblable«),68 wohingegen Marc Carel Schurr unter Zurückweisung »der kategorischen Frühdatierung des Risses  F ›vor 1283‹« in dem Riss »eine zu Beginn des 14.  Jahrhunderts entstandene, zusammenfassende Endredaktion älterer Entwurfsarbeiten« sah.69 Namentlich der Verweis auf das Marburger Westfenster als ein angenommener sicherer terminus ante quem müsse als problematisch gewertet werden, da die Ähnlichkeiten mit dem Kölner Westfenster – es handelt sich lediglich um die modifizierte Wiederholung einer Untergruppe des in Köln verdoppelten sechsbahnigen Fensters, das zudem in einfacheren Maßwerkformen gehalten ist – letztlich zu allgemein seien, um zwingend eine unmittelbare Abhängigkeit zu ergeben. So hatte auch Norbert Nußbaum diese Verknüpfung zu Recht als »riskantes Unterfangen« bezeichnet, »das nicht nur 67 Ebd., S. 177. 68 Christian Freigang. In : Bulletin Monumentale 164, 2006, S. 314. 69 Marc Carel Schurr. In : Kunstchronik 58, 2005, S. 106 f.

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eine Kette unscharfer Interdependenzen knüpft, sondern die Möglichkeit außer Acht lässt, dass Marburg und Köln zu unterschiedlichen Zeiten aus gemeinsamen Quellen geschöpft haben mögen«70. Die Häufigkeit des Vorkommens dieser dreibahnigen Maßwerkgruppe  – schon an der Straßburger Westfassade – unterstützt diese Bedenken. Entsprechend hatte auch Marc Carel Schurr die Annahme eines »Köln-Meisters« für Marburg zugunsten einer direkten Einflussnahme aus dem lothringischen Kunstraum, konkret von der Bauhütte der Kathedrale von Metz, zurückgewiesen, wo diese Formen bereits um 1250 auftreten.7¹ In einem anderen Zusammenhang konzedierte Schurr, »daß gewisse Erfindungen wie das Maßwerk im Marburger Westfenster […] durchaus ihren Weg über Marburg nach Köln genommen haben können, selbst wenn insgesamt gesehen der Kölner Einfluß auf die Marburger Elisabethkirche überwiegt«7². »So gesehen trägt die Ableitung des Marburger Fensters vom Kölner Dombau einen in erster Linie spekulativen Charakter und vermag sich auf kaum mehr zu stützen als das Dogma einer einseitigen Einflußrichtung und einer quasi automatischen Kölner Priorität.«7³ Das scheinbar zwingende formengeschichtliche Argument, das aus dem Marburger Westfenster die Zeitstellung des Kölner Fassadenrisses abzuleiten sucht, relativiert sich damit angesichts der allgemeinen Entwicklungslinien des Maßwerks. Ähnliches gilt für den zweiten angenommenen Nachfolgebau des Kölner Domes, die Stiftskirche in Wetzlar, deren nördliche Querhausfassade »ein prägnantes Beispiel für die Kölner Fassadenrezeption vor 1300 darstelle und damit »die Datierung von Riß F vor 1300« sicherstelle.74 Dass sich die hier vorkommenden Maßwerkformen – anders als bei den Maßwerkformen der nördlichen Schiffsseite  – von denen »des Kölner Domchorobergadens […] durch den fehlenden Kreis um den zentralen stehenden Vierpaß im Couronnement sowie die Kreisfüllungen über den Fensterbahnen« unterschieden,75 muss als 70 Norbert Nußbaum. In : Sehepunkte. Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaften  5, 2005, Nr. 11. 71 Marc Carel Schurr : The East Choir of the Church of St Catherine (Oppenheim), the Church of St Stephen (Mainz), and the Problem of ›German High Gothic Architecture‹. In : Ute Engel (Hrsg.) : Mainz and the Middle Rhine Valley : medieval art, architecture and archaeology (The British Archaeological Association Conference Transactions 30). Leeds 2007, S. 142–155. 72 Marc Carel Schurr : Gotische Architektur im mittleren Europa 1220–1340. Von Metz bis Wien. München 2007, S. 118. 73 Ebd. Anm. 251. 74 Leonhard Helten : Mittelalterliches Maßwerk. Entstehung – Syntax – Topologie. Berlin 2006, S. 197. 75 Marc Steinmann : Die Westfassade des Kölner Domes. Der mittelalterliche Fassadenplan  F (Forschungen zum Kölner Dom, Bd. 1). Köln 2003, S. 85 f.

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Kriterium ausfallen, wenn man den vollständig anderen Strukturzusammenhang berücksichtigt, der beide Fassaden voneinander unterscheidet. Dieses betrifft vor allem die gekehlten Fensterlaibungen in Wetzlar, die mit dem Kölner Domchorobergaden konform gehen, gegenüber der ausgeprägten Profildichte der Laibungen in der Kölner Fassade, der gegenüber das Detail des umschließenden oder fehlenden Kreises weniger stark ins Gewicht fallen muss. Aber auch die Vorstellung, dass in Köln der entscheidende Schritt von der Fensterrose wie in Straßburg hin zu der Marburger Lösung eines mehrbahnigen Westfensters vollzogen worden sei, überzeugt nicht : Im unmittelbaren Umkreis des Kölner Domes hatte beispielsweise der bereits 1275 durch Albertus Magnus geweihte Umbau der Stiftskirche von Essen-Werden ein  – diesmal vierbahniges  – Westfenster erhalten,76 ohne dass sich aus diesem Fakt zwangsläufig eine Priorität der Kölner Fassadenzeichnung ableiten ließe. Gerade dieses Fenster aber belegt in seiner einfachen Formulierung unter Verwendung von zwei gerundeten Dreipässen und eines bekrönenden Sechspasses im Kreisrahmen die zeitliche Diskrepanz zum Kölner Fassadenriss. Entsprechend bezweifelt Klaus Gereon Beuckers in seiner Besprechung des Werks, ob die »grundlegende These, nämlich die Datierung von Riss F in die Zeit um 1280, […] die bisherige zeitliche Ansetzung in das frühe 14. Jahrhundert ad acta legen wird. […] Ein wirklich schlagendes Argument dafür sucht man […] nämlich leider vergebens«77. Eine Konsequenz aus dieser Frühdatierung war zum einen, »dass die beiden Fassadenprojekte von Köln und Straßburg fast gleichzeitig entstanden«, sowie zum andern, dass auch »die Planung von durchbrochenen Turmhelmen in Köln kurz vor derjenigen in Freiburg entstanden sein« könnte.78 Beide Punkte jedoch  – die Gleichzeitigkeit mit Straßburg und die angenommene Vorbildwirkung für Freiburg –, die eine drastische Umkehr unserer Vorstellungen von der Entwicklung gotischer Architektur bedeuten würden, lassen sich schon aufgrund der rein optischen Wirkung der Kölner Domfassade sowohl in ihrer zeichnerischen wie auch gebauten Form ausschließen, zu groß sind die Unterschiede zwischen dem zeitgleichen Straßburg und Freiburg auf der einen und Köln auf der anderen Seite. Wie Steinmann zu Recht konstatiert hat, stelle der 76 Günter Bandmann : Die Werdener Abteikirche (1256–1275). Studie zum Ausgang der staufischen Baukunst am Niederrhein. Bonn 1953. 77 Klaus Gereon Beuckers in : Geschichte in Köln. Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte  51, 2004, S. 246. 78 Marc Steinmann : Die Westfassade des Kölner Domes. Der mittelalterliche Fassadenplan F (Forschungen zum Kölner Dom, Bd. 1). Köln 2003, S. 127.

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Kölner Riss ohnedies »für die Zeit um 1280 einen Solitär« dar, da erst der dem 14. Jahrhundert angehörende Riß des Mittelteils der Straßburger Münsterfassade »mit seinen ebenso beeindruckenden Maßen […] vergleichbar« sei.79 Die sich aus der Frühdatierung ergebende Trennung von fast einem Jahrhundert zwischen Planung und Ausführung des Kölner Westbaus verlangte eine Erklärung, da sich für eine derartige zeitliche Distanz zwischen dem Erstellen der Bauzeichnungen und ihrer baulichen Umsetzung nach unserer Kenntnis im mittelalterlichen Baubetrieb keinerlei Parallele finden lässt. Die Annahme einer Planung in völliger Unabhängigkeit vom baulichen Geschehen stellt daher eine Provokation architekturgeschichtlicher Forschung dar, die einer besseren methodologischen Grundlage als die des traditionellen Formenvergleichs bedarf : Die Tatsache, dass die Einzelformen des Risses um 1280 möglich sind, beweist daher keineswegs, dass Letzterer zwangsläufig auch zu diesem Zeitpunkt entstanden sein muss. Entscheidend für eine Bewertung des Kölner Fassadenrisses ist vor allem die umfassendere Einbeziehung des Mediums Architekturzeichnung, dessen Entwicklungsgeschichte erst mit dem mittleren 13. Jahrhundert nachvollziehbar ist und in dem sich gerade in den überschaubaren ersten anderthalb Jahrhunderten eine sehr starke Wandlung von vergleichsweise schematisch-abstrakten zu detailliert ausgearbeiteten Bauplänen vollzogen hat. Unter diesen Umständen für die Bauzeichnungen der Kölner Hütte eine lokale Sonderentwicklung anzunehmen, die von anderen Hüttenzentren erst im Verlaufe des 14. Jahrhundert nachvollzogen worden sei, ist vor allem dann problematisch, wenn gleichzeitig eine direkte Abhängigkeit von dem in seiner ästhetischen Wirkung so andersartigen Straßburger Fassadenplan postuliert wird. Dennoch lässt sich die Frage der zeitlichen Stellung aus der Planabfolge für den Kölner Westbau beantworten. Ein gewichtiges Argument für die Datierung der Kölner Turmplanung erst im Anschluss an die Errichtung der südlichen Langhausseitenschiffe schließlich stammt dabei von Marc Steinmann selbst, der die Systematik der Entwicklung der verschiedenen Pfeilertypen im Domlanghaus untersucht hat. Hierbei betonte er, dass die in Wien erhaltene Grundrisszeichnung des Kölner Südturms, die, da sie noch eine frühere Fassadenplanung mit fünfteiliger Portalgruppe repräsentiert, letztlich bereits »die ›modernste‹ Pfeilerform« in den »Freipfeiler[n] und Wandpfeilervorlagen des südlichsten Seitenschiffes« darstellte und sich »der Grundriß eines solchen Freipfeilers, der zu dem einzigen asymmetrischen Pfeilertypus im Kölner Dom 79 Ebd., S. 202 f.

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gehört«, gerade auf dem Wiener Grundriss wiederfände.80 Dass sich aber »mit dem Riß […] eine jüngere Zeichnung aus dem 14. Jahrhundert erhalten haben« könnte, die in geradezu retrospektiver Weise »eine ältere Fassadenplanung des Kölner Domes mit den aktuellen südlichen Seitenschiffen kombiniert« habe, ist außerordentlich unwahrscheinlich und durch kein Beispiel unter den mittelalterlichen Baurisszeichnungen belegt. Falls es sich hierbei um eine gleichsam zu Studienzwecken entstandene idealisierte Grundrisszeichnung gehandelt hätte, so würde sich der Planverfasser gerade um eine Vereinheitlichung der Pfeilertypen bemüht haben, statt deren verschiedene Ausformulierungen nebeneinander bestehen zu lassen. »Weshalb die nun schon überholte Fassadenplanung mit fünf Portalen im 14. Jahrhundert erneut rezipiert wurde«, blieb dabei vielmehr, wie auch Steinmann zu Recht betont, völlig »erklärungsbedürftig«.8¹ Die letztlich einzig mögliche Deutung dieses Sachverhalts ist die Datierung des Wiener Grundrisses  – und damit zwangsläufig aller nachfolgenden Planzeichnungen für die Kölner Domwestfassade – um die Mitte des 14. Jahrhunderts, eben nach Errichtung der südlichen Seitenschiffspfeiler. Wenn Marc Steinmann, später auf diesen Punkt zurückkommend, zwar konzediert, dass der betreffende Freipfeiler »bisher nicht in das 13. Jahrhundert eingeordnet werden« konnte, es »allerdings durchaus denkbar« sei, dass – zumindest auf dem Papier – »in Köln im 13.  Jahrhundert schon Formen entstanden« seien, die erst im 14.  Jahrhundert gängige Baupraxis wurden«, und er zur Bekräftigung seines Arguments ein ähnliches Beispiel aus der Kathedrale von Metz anführt,8² so zeigt sich hierin die Problematik der Argumentation, die  – ohne Belege am Bauwerk  – auf einen möglichst frühen Zeitansatz für die Fassadenplanung beharrte. Dass jedoch »Vorschläge aus jüngster Zeit zu einer zeitlichen Einordnung in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts […] mit dem durch einen Münzfund bestätigten Baubeginn um 1360« zusammenhingen, »ohne daß eine unmittelbare zeitliche Verknüpfung der Entstehungsgeschichte des Risses mit der Ausführung des Südturms nachgewiesen werden konnte«, trifft gerade nicht den Sachverhalt, da der erst später erfolgte Münzfund die bisherige frühe Datierung ausschließen musste.8³ 80 Marc Steinmann : Überlegungen zum gotischen Querschiff des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 72, 2007, S. 145. 81 Ebd., S. 146. 82 Marc Steinmann : Die mittelalterlichen Planzeichnungen des Kölner Domes. Zum Versuch einer Spätdatierung im Corpuswerk der mittelalterlichen Architekturzeichnungen. In : Kölner Domblatt 79, 2014, S. 296 f. 83 Marc Steinmann : Die Westfassade des Kölner Domes. Der mittelalterliche Fassadenplan  F (Forschungen zum Kölner Dom, Bd. 1). Köln 2003, S. 253.

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Die Möglichkeit des überregionalen Vergleichs aller mittelalterlichen Architekturzeichnungen im deutschsprachigen Bereich ergab sich mit dem Karlsruher Forschungsprojekt der katalogmäßigen Erfassung des erhaltenen Gesamtbestandes. Dabei wurde, basierend auf den ohnedies bereits zwei Jahrzehnte zurückliegenden Münzfund und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Baugeschichte, für den Kölner Fassadenriss eine Datierung in die Zeit um oder nach 1370 und entsprechend – einschließlich seiner Vorplanung  – eine Zuschreibung an Michael von Savoyen in Vorschlag gebracht.84 Dieses kommt faktisch einer Rückkehr auf den zuletzt von Paul Clemen vertretenen Forschungsstand gleich, der spätestens seit der archäologischen Untersuchung von 1994 und in Zusammenhang mit den früheren Fundamentbeobachtungen durch Arnold Wolff wieder eine neuerliche Relevanz bekommen hatte. Die Auffindung zweier bislang unentdeckter Fragmente mittelalterlicher Grundrisszeichnungen der Kölner Domtürme nahm gleichzeitig auch Norbert Nußbaum zum Anlass, die von Steinmann aufgeworfene Datierungsfrage erneut zu erörtern. So lasse sich »die ganze Gruppe um das Datum 1357 herum periodisieren, ohne dass hiermit Präziseres über die Zeitspanne ausgesagt wäre, über die sich die Pläne insgesamt verteilen mögen«85. Demgegenüber wurde von Steinmann in einer Replik in demselben Band des »Kölner Domblattes« nochmals betont, dass »sämtliche Einzelformen auf den Plänen aus dem späten 13. Jahrhundert stammen und darüber hinaus die gesamte Planungsgeschichte unter Beibehaltung der relativen Chronologie in einen völlig anderen architekturgeschichtlichen Zusammenhang rückt«86. Völlig zu Recht konstatiert Steinmann dabei aber auch, dass »ein Vergleich der beiden Fassaden [von Straßburg und Köln] unterschiedliche Vorstellungen von Architektur offenbart : Das Straßburger Schleiermaßwerk ist in Köln z. B. nicht zu finden, ein Unterschied, der sich dann in einer anderen Weise in der Planung niederschlagen kann«87. Seinem hauptsächlichen Argument, dass das hochgotische Formenrepertoire des Fassadenrisses um 1280 möglich ist, kann grundsätzlich nicht widersprochen werden, es ergibt sich dadurch aber noch 84 Johann Josef Böker u. a.: Die Architektur der Gotik. Ein Bestandskatalog der mittelalterlichen Architekturzeichnungen. Bd. 3 : Die Rheinlande. Salzburg 2013, Nr. 129. 85 Norbert Nußbaum : Neues zu den Turmplanungen des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 79, 2014, S. 109. 86 Marc Steinmann : Die mittelalterlichen Planzeichnungen des Kölner Domes. Zum Versuch einer Spätdatierung im Corpuswerk der mittelalterlichen Architekturzeichnungen. In : Kölner Domblatt 79, 2014, S. 295. 87 Ebd., S. 296.

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keine feste Argumentation für eine notwendigerweise frühe Entstehungszeit des Risses. Vor allem aber muss der Versuch Steinmanns, aus der Verwendung von Formenelementen des Kölner Fassadenrisses bei anderen Bauten des ausgehenden 13. Jahrhunderts einen scheinbar sicheren Zeitpunkt für dessen spätestmögliche Datierung zu gewinnen, scheitern, da die im Riss verwendeten Einzelformen schon seit dem Hochchorobergaden zum festen Repertoire der Kölner Dombauhütte gehört hatten. Da am Kölner Dombau einmal die Entscheidung gefallen war, ein eingangs festgelegtes Formensystem ohne wesentliche Änderungen fortzuführen, so können formengeschichtliche Argumente entsprechend nicht zur Grundlage von Datierungsversuchen genommen werden. In der Forschung wurde die Rückkehr zu der ursprünglichen Datierung des Kölner Fassadenrisses auf die Mitte des 14. Jahrhunderts weitgehend positiv aufgenommen. So konstatierte Peter Kurmann, dass »die Einordnung des berühmten Kölner Risses  ›F‹ in die Zeit des Baubeginns der Domfassade (um 1360) und seine Zuschreibung an Michael von Savoyen […] nach den jüngsten, extrem frühen Datierungsvorschlägen (um 1280) das Bild der Planungsabfolge wieder zurechtrückt«88. Für Hans W. Hubert gebe es aus Freiburger Perspektive hinsichtlich der neuen Datierung des Kölner Fassadenplans »wenig zu diskutieren : […] Wurde die Zeichnung zuletzt noch um 1280 und damit sicher vor Errichtung des Freiburger Münsterturms datiert«, so sei nunmehr »wahrscheinlich, dass sie erst fast hundert Jahre später, um 1370, entstanden sein kann und von Michael von Savoyen stammt. Dem Freiburger [Turmhelm] […] gebührt also auch zeitlich ein deutlicher Vorrang vor Köln«89. Auch Günther Binding hielt den Kölner Fassadenriss für »ausreichend begründet und überzeugend um oder nach 1370 (Werkmeister Michael von Savoyen) datiert«.90 So spreche, unter Berücksichtigung aller Faktoren, auch nach der vorsichtigen Abwägung der Argumente durch Udo Mainzer, zum gegenwärtigen Zeitpunkt schließlich »manches gegen die Frühdatierung, etliches hingegen für eine spätere Einordnung« des Kölner Fassadenrisses.9¹ Im Prinzip stellt sich damit die Alternative einer Zeitstellung des Kölner Fassadenrisses entweder, wenn man das Formenvokabular als Datierungs88 Peter Kurmann. In : Francia-Recensio 2014/4 Mittelalter – Moyen Âge (500–1500). 89 Hans W. Hubert, Meister Erwin ins Spiel gebracht. Die Architektur der Gotik von den Zeichnungen her betrachtet. In : Badische Zeitung vom 7. Juni 2013. 90 Günther Binding : Bauvermessung und Proportion im frühen und hohen Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 61), Stuttgart 2015, S. 114, Anm. 24. 91 Udo Mainzer. In : Denkmalpflege im Rheinland 33, 2016, S. 155.

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grundlage nimmt, um 1280 oder, unter Maßgabe des archäologischen Befundes, nach 1360, wobei die Frühdatierung eine Negierung der bisherigen Forschungsgeschichte des 20. Jahrhunderts, die Spätdatierung hingegen eine Rückkehr zu den Anfängen der Diskussion im 19.  Jahrhundert bedeuten würde. Eine kompromissartige Lösung (»um 1320« o. ä.), wie sie in der Zwischenzeit vorgeschlagen worden war, ist nicht mehr möglich, da sich die Argumente, die dem formalen oder dem archäologischen Befund die Präferenz geben, gegenseitig ausschließen müssen. Auch Hilfskonstruktionen wie die Annahme einer verschollenen Erstplanung, die bereits das gesamte formale System der Domfassade vorgezeichnet habe, das in der späteren Endredaktion aufgegangen wäre, bringen letztlich nur eine weitere Unbekannte ins Spiel, ohne aber grundsätzlich die Frage der enormen zeitlichen Divergenz zwischen den beiden weit auseinanderliegenden Daten zu erklären.

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ie Datierung des Fassadenrisses in die Frühphase der Baugeschichte des Domes, aber auch die Annahme früherer Planungsstufen in Vorbereitung des Risses setzt voraus, dass dem Kölner Dombau von Anfang an eine Gesamtplanung zugrunde gelegen haben muss, die dann schrittweise umgesetzt wurde. Zu dieser hätte entsprechend die Planung des Langhauses in seiner realisierten fünfschiffigen Form mit den beiden mächtigen Turmbauten über jeweils vier Gewölbequadraten gehört. Die doppelten Seitenschiffe des Langhauses hätten dabei diejenigen des Chores fortgesetzt und damit zwangsläufig die Grundlage für die heutige Turmgestalt ergeben. Als Beweis für diese Annahme wird meist der 1647 von Herrmann Crombach veröffentlichte Domgrundriss angeführt, der den Dom in seiner ausgeführten Form zeigt.9² Dass es sich dabei jedoch nicht, wie angenommen, um die Wiedergabe einer verlorenen mittelalterlichen Planzeichnung,9³ sondern lediglich um ein zeitgenössisches Aufmaß des bis dahin erreichten Baubestandes handeln kann, zu dem bereits die verdoppelten Seitenschiffe gehörten, ergibt sich zweifelsfrei daraus, dass der Westbau ganz konkret in der realisierten Form statt in der voraufgegangenen Planung mit der Fünfportalgruppe wiedergegeben ist, wie sie die Wiener Grundrisszeichnung zeigt. Einen Fingerzeig in dieser Frage vermag die Grundrisszeichnung des Kölner Domchores zu geben, die Hans Hammer im ausgehenden 15. Jahrhundert in sein Musterbuch kopiert und der offensichtlich ein französisch beschrifteter Originalplan zugrunde gelegen hat (Abb. 2).94 Dieser Grundriss nun zeigt den Domchor bis zum Ansatz der Querhaushochwand, also in der Form, wie er bis 1322 umgesetzt worden war, aber ohne den Ansatz einer Weiterführung. Es entspricht bei größeren Bauunternehmungen durchaus gängiger mittelalterlicher Praxis, die einzelnen Bereiche für sich zu entwerfen. Dass zu diesem 92 Matthias Deml : ›Die Ersten der Heiden‹. Überlegungen zu den Kupferstichen in Herrmann Crombachs ›Primitiae gentium‹. In : Kölner Domblatt 79, 2014, S. 244. 93 So Marc Steinmann : Überlegungen zum gotischen Querschiff des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 72, 2007, S. 145 f. 94 Johann Josef Böker : Ein mittelalterlicher Grundriß des Kölner Domchores. In : Kölner Domblatt 74, 2009, S. 268–275.

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Zeitpunkt bereits die Absicht zur Errichtung eines fünfschiffigen Langhauses bestand, geht weder aus diesem Plan noch aus anderen Indizien hervor und muss daher hypothetisch bleiben. In ähnlicher Weise zeigen die beiden zeitgenössischen Kopien der Grundrisszeichnungen von Notre-Dame in Paris und der Kathedrale von Orléans aus dem 13.  Jahrhundert, die sich in der Straßburger Münsterbauhütte erhalten haben,95 jeweils nur den Chorbereich, und auch die ein Jahrhundert jüngere Zeichnung des Prager Veitsdoms aus der Wiener Dombauhütte beschränkt sich auf diesen Bereich. Für die Fortsetzung des im Chor angelegten Formensystems über das Querhaus hinaus in das Langhaus, und namentlich für die Einbindung des Westbaus, waren dann, wie das Straßburger Münster anschaulich macht, jeweils neue Planserien zu erstellen, sobald der Baufortgang den entsprechenden Abschnitt erreicht hatte. Die doppelten Seitenschiffe, die den Nachfolgebau des Kölner Domes, den Utrechter Dom, ausgezeichnet hatten, kamen zusammen mit dem Querschiff erst gegen Mitte des 15. Jahrhunderts  – und gleichfalls nach neu vorgelegter Planung, die offensichtlich den bereits erreichten Bauzustand des Kölner Domes berücksichtigte  – zur Ausführung.96 Lediglich für den Mailänder Dom hat sich der einzige überlieferte Gesamtplan einer mittelalterlichen Kathedrale, gleichfalls mit doppelten Seitenschiffen, erhalten, aber auch hier nur als ein Vorprojekt, das in dieser Größenordnung nicht umgesetzt wurde.97 Vor allem aber kann sich die Annahme einer Erstplanung eines fünfschiffigen Langhauses nicht auf Vorbilder unter den französischen Kathedralen berufen. So finden sich in den Kathedralen von Chartres, Reims und Amiens, die für den Kölner Dombau normative Bedeutung besessen hatten, die doppelten Seitenschiffe des Langchores gerade nicht in das Langhaus fortgeführt. Während in Beauvais die Planung im Mittelalter bekanntlich nicht über Chor und Querhaus hinauskam, wurde in Amiens die Fünfschiffigkeit 95 Otto Kletzl : Ein Werkriß des Frauenhauses in Straßburg. In : Marburger Jahrbuch für Kunstgeschichte 11/12 1938/39, S. 103–158. 96 E. J. Haslinghuis und C. J. A. C. Peeters : De Dom van Utrecht (De Nederlandse monumenten van geschiedenis en kunst, Bd. 2/1). ’s-Gravenhage 1965, S. 332–344 ; Pepijn van Doesburg : De bouwgeschiedenis van het transept en het schip van de Utrechtse Dom. Een nieuwe methode voor reconstructie op basis van de bouwrekeningen. In : Bulletin van den Nederlandschen Oudheidkundigen Bond 113, 2014, S. 188–208. 97 Anne-Christine Brehm und Jean-Sébastien Sauvé : »Fantasie dell’ autore« oder Erstplan des Mailänder Domes ? Eine mittelalterliche Grundrisszeichnung aus Mailand. In : Insitu – Zeitschrift für Architekturgeschichte 9, 2017, S. 195–210.

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Abb. 2€€: Köln, Dom. Chorgrundriss von Hans Hammer

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des Langhauses gleichsam nachträglich zwischen 1288 und 1375 durch den Anbau von Einsatzkapellen auf der Nord- und Südseite des Langhauses vollzogen. In gleicher Weise verhält sich daher auch der erste Nachfolgebau des Kölner Domes, der 1259 begonnene Altenberger Dom.98 Die fünfschiffigen Langhäuser der Kathedralen von Paris und Bourges bilden in dieser Hinsicht eher eine Ausnahme, auch und vor allem was die Anlage der Westtürme betrifft : In Paris übernehmen sie vier Quadrate der Jochfolge, ohne diese aber auch in ihrem Innenraum anzulegen, in Bourges hingegen rücken die Türme über die äußeren Seitenschiffsjoche und verhindern dadurch eine zusammenhängende Fassadenwirkung. Erst mit der Kathedrale von Antwerpen wurde, wohl schon unter dem Einfluss des Kölner Domes, ein zunächst fünfschiffiges Langhaus begonnen, das im Westen mit einer vergleichbaren Doppelturmfront abschloss. Ungewöhnlich ist in dieser Hinsicht der einer Bauinschrift zufolge im Jahre 1421 durch Johannes Verlach begonnene Westbau der Soester Wiesenkirche, der in direkter Anlehnung an den Kölner Dom durch die Anbringung von Zwischenstrebepfeilern nach außen eine Fünfschiffigkeit suggeriert, die im Hallenraum selbst nicht gegeben ist.99 Dass bereits der karolingisch-ottonische Vorgängerbau des Kölner Domes doppelte Seitenschiffe besessen hatte,¹00 mag den Anstoß dazu gegeben haben, diese auch im gotischen Neubau wieder aufzugreifen, beweist aber keineswegs, dass diese von Anfang an auch Bestandteil des gotischen Neubaukonzepts gewesen sind. Erst zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Domchores ist mit dem Baubeginn des Langhauses eindeutig eine fünfschiffige Langhausplanung belegbar. Insbesondere aber lässt sich von hier aus nicht der Beweis führen, dass der Kölner Domwestbau in seiner heutigen Form zum ursprünglichen Planungskonzept gehört hatte und dass für ihn zwangsläufig bereits eine vollständig oder auch nur teilweise ausgearbeitete Planung vorgelegen haben müsse. Die 98 Sabine Lepsky und Norbert Nußbaum : Gotische Konstruktion und Baupraxis an der Zisterzienserkirche Altenberg : Die Choranlage (Veröffentlichungen des Altenberger Dom-Vereins, Bd. 6). Altenberg 2005. 99 Richard Hoppe-Sailer : Die Kirche St.  Maria zur Wiese in Soest (Bochumer Schriften zur Kunstgeschichte, Bd. 2). Frankfurt am Main 1983, S. 25 ; Johann Josef Böker : Gotische Sakralarchitektur in Soest. In : Heinz-Dieter Heimann (Hrsg.) : Soest – Geschichte der Stadt, Bd. 2 : Die Welt der Bürger : Politik, Gesellschaft und Kultur im spätmittelalterlichen Soest (Soester Beiträge 53). Soest 1996, S. 499 f. 100 Otto Doppelfeld : Die Ausgrabung des karolingischen Doms (1948). Abgedruckt in : Otto Doppelfeld und Willy Weyres (Hrsg.) : Die Ausgrabungen im Dom zu Köln (Kölner Forschungen, Bd. 1), Mainz 1980 ; Günther Binding : Die Datierung des karolingischen Kölner Doms. In : Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 52, 1981, S. 191–210.

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letztlich wahrscheinlichste Lösung bleibt vielmehr eine dreischiffige Langhausplanung mit vergleichsweise schlanken Türmen über den Seitenschiffsjochen – letztlich, wie schon Franz Kugler angenommen hatte, nicht unähnlich den Westtürmen der Marburger Elisabethkirche,¹0¹ deren formaler Zusammenhang mit der Kölner Dombauhütte wiederholt betont worden ist.¹0² Die turmartigen Fialenaufsätze der Kölner Chorpfeilerstatuen¹0³ vermögen hier vielleicht eine modellhafte Vorstellung von dem zunächst intendierten Turmauf bau zu geben, ganz ähnlich, wie die Turmlösung des Freiburger Münsterturms in den Baldachinen der Pfeilerstatuen des Freiburger Münsterlanghauses vorgebildet erscheinen.¹04

101 Franz Kugler : Geschichte der Baukunst, Bd. 3. Stuttgart 1859, S. 223. 102 Jürgen Michler : Marburg und Köln. Wechselseitige Beziehungen in der Baukunst des 13. Jahrhunderts. In : Hessische Heimat 22, 1972, S. 73–88. 103 Norbert Nußbaum : Die Figurenbaldachine der Kölner Chorpfeilerfiguren. Zur Programmatik ihres baugeometrischen Entwurfs. In : Kölner Domblatt 77, 2012, S. 149–167. 104 Marc Carel Schurr : Symbolhafter Verweis oder Experimentierfeld des Architekten ? Die Skulpturenbaldachine im Langhaus des Freiburger Münsters. In : Mikroarchitektur im Mittelalter. Ein gattungsübergreifendes Phänomen zwischen Realität und Imagination. Beiträge der gleichnamigen Tagung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg vom 26. bis 29. Oktober 2005. Leipzig 2008, S.119–133 ; vgl. auch Peter Kurmann : Mikroarchitektur im 13. Jahrhundert. Zur Frage nach Architekturmodellen zur Zeit der Hochgotik. In : Ebd., S. 83–97.

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ass es bei unserem Kenntnisstand zur Geschichte der gotischen Architektur überhaupt noch möglich ist, Datierungsfragen in der Größenordnung von fast einem Jahrhundert zu diskutieren, erscheint überraschend, da an sich, wie Ernst Petrasch für das 15. Jahrhundert postuliert hatte, inzwischen eine jahrzehntgenaue Zuordnung von Projekten anhand der sich entwickelnden Formensprache möglich sein sollte.¹05 Gerade im Bereich des gotischen Maßwerks hat sich die architekturgeschichtliche Forschung seit ihren Anfängen mit der Erstellung von Entwicklungslinien befasst, die sichere Parameter für eine Feindatierung zur Verfügung stellt. Dieses setzt zugleich die Annahme voraus, dass zu jedem Zeitpunkt die jeweils »modernsten« Maßwerkformen Anwendung gefunden hatten, dass mithin Rückgriffe auf bereits historische Formensysteme der mittelalterlichen Architekturpraxis wesensfremd gewesen seien, da sie ein modernes Geschichtsbild voraussetzten. Dass der Historismus des 19. Jahrhunderts den Dombau ganz im Sinne seiner ersten Entwurfsphase im mittleren 13. Jahrhundert zu Ende führte, musste unter dieser Prämisse plausibler erscheinen als die Annahme, dass das Spätmittelalter sich einer Historizität bedient hätte, und sei es auch nur, um die stilistische Einheitlichkeit eines Bauwerks zu garantieren, dessen Baubeginn bereits ein Jahrhundert zurücklag. Von Udo Mainzer war entsprechend in seiner Besprechung des Corpus-Werks der gotischen Baurisse die naheliegende Frage aufgeworfen worden, »weshalb in der […] vergleichsweise sehr späten zeitlichen Zuordnung um 1370 noch nach der Mitte des 14. Jahrhunderts für die Westfassade des Kölner Domes eine im Detail längst überwundene Formensprache« anklinge ; wobei bezweifelt werden dürfe, »ob dafür allein die für Köln während des Mittelalters auffallend konservative Architekturhaltung bemüht werden« könne.¹06 105 Ernst Petrasch : Weicher und eckiger Stil in der deutschen spätgotischen Architektur. In : Zeitschrift für Kunstgeschichte 14, 1951, S. 7–31 ; vgl. hingegen Norbert Nußbaum : Stilabfolge und Stilpluralismus in der süddeutschen Sakralarchitektur des 15. Jahrhunderts. Zur Tragfähigkeit kunsthistorischer Ordnungsversuche. In : Archiv für Kulturgeschichte 65, 1983 S. 43–88. 106 Udo Mainzer. In : Denkmalpflege im Rheinland 33, 2016, S. 155.

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In ähnlicher Weise hatte auch Norbert Nußbaum die Frage gestellt, »warum […] die Entwerfer des anspruchsvollsten Westbaus der Christenheit noch nach 1350 Formen« favorisiert hätten, die, wie er es formulierte, »schon Jahrzehnte zuvor zum alten Eisen [sic !]« gezählt hätten. »Der Konformitätsgedanke liefert an dieser Stelle nur dann ein Argument, wenn man vorausgehende, jene Konformität einfordernde Fassadenplanungen postuliert, deren Dokumente sich nicht erhalten haben.«¹07 Aber selbst dieses verlagert das Problem nur auf eine andere Ebene, ohne tatsächlich zu erklären, warum im 14. Jahrhundert überhaupt die Entscheidung zugunsten einer scheinbar historischen, wenn nicht antiquierten Formensprache  – ob in einem bestehenden Plan vorformuliert oder erst im Zuge einer Neuplanung aufgegriffen, ist dabei gleichgültig – gefallen ist. Damit berühren beide Autoren einen entscheidenden Punkt, der unser Verständnis der Entwicklungslinie gotischer Architektur überhaupt tangiert : Es geht konkret um die Frage, wie aktuell ein Bauprojekt die neueste formale Entwicklung widerspiegeln muss oder inwieweit bei einem einheitlich über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführten Bauprojekt das einmal gewählte Formensystem seine Verbindlichkeit behaupten konnte. Schon ein Blick auf die französischen Kathedralbauten der Hochgotik vermag dabei als Korrektiv zu dienen : Der Westfassade der Kathedrale von Reims beispielsweise sieht man eine Entstehungszeit, die bis in das beginnende 15. Jahrhundert reicht – abgesehen von der Verwendung eines spätgotischen Zweischneußes im oberen Turmbereich – keineswegs an. Wie heterogen der Versuch einer Aktualisierung der Fassade für einen gotischen Kathedralbau in dieser Zeit ausfallen konnte, veranschaulicht der Regensburger Dom. Als 1380 – also in relativer zeitlicher Nähe zum Baubeginn der Kölner Domfassade  – der Weg frei war für den Ausbau der bereits ein Jahrhundert zuvor begonnenen Westfassade, versuchte man durch Integration von älteren Formenelementen bei gleichzeitiger Rezeption moderner Bauformen parlerischer Provenienz eine stilistische Aufwertung des Fassadenkonzepts zu erreichen, das jedoch, wie Mark Huber zurecht betont, »formal in mehrere Teile zu zerfallen droht und nur durch wenige, aber entscheidende übergreifende Formen verklammert wird«¹08. Dieses Verfahren ging in Re107 Norbert Nußbaum : Neues zu den Turmplanungen des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 79, 2014, S. 108. 108 Markus T. Huber : Die Westfassade des Regensburger Doms. Konvention und Innovation in einem spätmittelalterlichen Hüttenbetrieb. Regensburg 2014, S. 223.

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gensburg offensichtlich soweit, dass selbst der überlieferte Fassadenplan über einen längeren Zeitraum in Einzelabschnitten entstanden ist, die jeweils nur die anstehende Bauaufgabe zu lösen suchen (Abb.  3).¹09 Hier war ganz offensichtlich die Möglichkeit, die beiden bereits bestehenden Untergeschosse des südwestlichen Fassadenturms als Ausgangspunkt einer stilistisch homogenen Fassadenkonzeption zu nehmen, nicht aufgegriffen worden, um nicht einem unzeitgemäß erscheinenden Historismus zu verfallen. Die Konsequenz der zeitstilistischen Aufwertung innerhalb eines bestehenden Systems aber schuf letztlich eine Lösung, die künstlerisch nur bedingt zu überzeugen vermochte (Abb. 4). Vor allem aber entschied man sich in Regensburg dazu, auf die weitere Umsetzung eines einhundert Jahre alten Fassadenplanes – ein solcher muss hier selbstverständlich vorhanden gewesen sein – zu verzichten und stattdessen, mit allen Konsequenzen für das Ergebnis, eine schrittweise Aktualisierung der Formensprache vorzunehmen, die an der gebauten Fassade schließlich noch heterogener ausfallen sollte. Die Problematik einer Aktualisierung der Formensprache eines bestehenden Fassadenentwurfs zeigt sich deutlich am Erstentwurf der Straßburger Münsterfassade, in deren Überarbeitung alle Maßwerkelemente ›modernisiert‹ wurden, bevor man sich hier zu einem vollständigen Neuentwurf entschloss.¹¹0 Wie wenig sich gotische Einzelformen für eine präzise Datierung eignen, belegt anschaulich die Westfassade des Magdeburger Domes (Abb. 5), auf deren Beziehung zum Kölner Fassadenplan – wie auch zur Straßburger Münsterfassade  – schon Jaroslav Bureš aufmerksam gemacht hatte.¹¹¹ Von Steinmann wieder aufgegriffen, zeigte sich jedoch die Unsicherheit bereits in der Datierungsfrage des Westportals, das er in die Jahre vor 1318 – dieses Datum betrifft vielmehr die dendrochronologische Datierung des Langhausdachs  – ansetzt, während der Mittelabschnitt der Fassade bis zur überlieferten Domweihe im Jahre 1363 fertiggestellt gewesen sei.¹¹² Hier verweist Steinmann auf die Ähn109 Johann Josef Böker u.  a.: Die Architektur der Gotik. Ein Bestandskatalog der mittelalterlichen Architekturzeichnungen, Bd. 2 : Ulm und der Donauraum. Salzburg 2011, Nr. 75. 110 Jean-Sébastien Sauvé : Notre-Dame de Strasbourg : les façades gothiques. (Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 10). Korb 2012. 111 Jaroslav Bureš : Der Westbau des Magdeburger Domes. Ein Beitrag zu den Ausstrahlungen der kölnischen und straßburgischen Hüttenkunst nach Niedersachsen. In : Jahrbuch des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 3, 1987, S. 77–107. 112 Marc Steinmann : Der Magdeburger Dom und die Westfassaden der Kathedralen in Straßburg und Köln. In : Wolfgang Schenkluhn und Andreas Waschbüsch (Hrsg.) : Der Magdeburger Dom im Europäischen Kontext : Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg vom 1. bis 4.  Oktober 2009. Regensburg 2011,

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lichkeit der Maßwerkfüllung des Portalwimpergs mit dem Maßwerkfeld auf der Innenseite über dem Kölner Petersportal, das von der Bauausführung her gesehen aber erst der Zeit um 1375 angehören kann. Dass man »nach 1363 […] in Magdeburg die Portalzonen mit einem Maßwerkgitter zwischen den Strebepfeilern und dem Wimperg« vervollständigt habe, »wobei die Formen der Dachgalerie am [erst 1384 geweihten ! Anm. des Verf.] Chor des Prager Veitsdomes entsprechen«, und dass »mit dem Maßwerkgitter […] auch die [spätgotische Buckellaubformen aufweisenden ! Anm. des Verf.] Krabben auf dem Wimperg erneuert worden sein« könnten,¹¹³ zeigt vielmehr, dass wir für den gesamten Mittelabschnitt der Magdeburger Domfassade aufgrund der deutlichen Bezüge zur parlerischen Architektur in Prag doch wohl ein Datum nach 1363 annehmen müssen. Zur Gewinnung eines sicheren terminus ante quem für den Kölner Domriss muss die Magdeburger Domfassade damit allerdings konkret ausscheiden. Aber selbst unter der  – rein formengeschichtlich zunächst vertretbaren  – Annahme einer Entstehung der Kölner Fassadenzeichnung im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts bleibt die Tatsache einer unrevidierten Umsetzung nach einer Distanz von doch fast einem Jahrhundert gleicherweise erklärungsbedürftig und lässt sich kaum mit dem Respekt vor einer aus der frühen Bauzeit des Domes stammenden Gesamtplanung begründen. So verwies zuletzt Klaus Gereon Beuckers darauf, dass sowohl auf der Planzeichnung wie in der Ausführung die »sich durchdringende[n] Formen sowie Fischblasen […], die in der sog. Parlergotik seit den 1340er Jahren bei ambitionierten Plänen auch in Köln Standard werden«, gänzlich fehlen.¹¹4 Immerhin hätte die Möglichkeit bestanden, innerhalb der vorgegebenen Fassadenstruktur – und überzeugender, als dieses in Regensburg geschehen ist – eine Aktualisierung der Formensprache im Sinne der beginnenden Spätgotik vorzunehmen, um so die Kenntnis der neuesten stilistischen Entwicklung sichtbar zu demonstrieren. Wie eine solche Aktualisierung hätte geschehen können, belegen deutlich die Reste des im ausgehenden 15.  Jahrhundert begonnenen, aber nicht über die ersten Strebepfeileransätze hinaus gediehenen Nordturms, bei denen die klassischen Passformen durch ebenso gerundete Fischblasenkonfigurationen ersetzt wurden (Abb. 6).¹¹5 Aber auch der 1407 bis 1414 erbaute Kölner RatS. 229–242. 113 Ebd., S.237 f. 114 Klaus Gereon Beuckers : Der Kölner Dom (Baukunst des Mittelalters). Darmstadt 2004, S. 96. 115 Arnold Wolff : Der Kölner Dombau in der Spätgotik. In : Beiträge zur rheinischen Kunstge-

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Abb. 3€€: Regensburg, Dom. Fassadenplan

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Abb. 4€€: Regensburg, Dom, Westfassade

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Abb. 5€€: Magdeburg, Dom, Westfassade

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hausturm¹¹6 zeigt  – bei ansonsten einfacher gotischer Formensprache  – anstelle von Passfiguren gegenständige oder rotierende Fischblasenpaare, ohne dass sich damit das klare Grundkonzept des Auf baus ändert (Abb.  7). Gleiches gilt mit der Anwendung des Dreischneußes für den 1413 begonnenen Chor der Kölner Stiftskirche St. Andreas, dessen inneres Gliederungssystem mit kämpferlos durchlaufenden Birnstabrippen im Übrigen das Untergeschoss des Kölner Domsüdturms rezipiert.¹¹7 Gerade Peter Parlers Prager Domchor belegt sehr deutlich die Affinität zwischen der hochgotischen Formensprache des Kölner Domes und den modernen Fischblasenfigurationen. So hat Robert Suckale gerade Peter Parlers Fähigkeit betont, jede Bauaufgabe ihren Traditionen gemäß zu gestalten, indem er am Obergaden des Prager Domchores einen vollplastischen Stil einsetzte, der seine Voraussetzungen in der klassischen Hochgotik besitzt.¹¹8 Das damit erzielte Ergebnis hätte immerhin eine überzeugendere stilistische Homogenität der Gesamtfassade als die in Regensburg angewandte Lösung erreicht. Die Entscheidung aber, einen an sich schon historischen Fassadenplan nachträglich umzusetzen, bleibt letztlich genauso ungewöhnlich und erklärungsbedürftig wie diejenige, einen neuen Fassadenentwurf in scheinbar bereits historischen Formen zu entwickeln. Ein ausgeprägter gotischer Historismus stellt jedoch innerhalb der spätgotischen Architekturentwicklung nach 1350 ein seit langem bekanntes Phänomen dar. Hierzu gehört beispielsweise – ein Jahrhundert später – die österreichische Architektur unter Kaiser Friedrich III. (1440–93), in dessen Bauten bewusst auf die Hochgotik des mittleren 13.  Jahrhunderts unter vollständigem Verzicht auf zeitgemäßere Einzelformen wie etwa der sonst überall angewandten Fischblase zurückgegriffen wurde.¹¹9 Besonders deutlich ist dies am schichte und Denkmalpflege. Bd. 2, Düsseldorf 1972, S. 137–150. 116 Hiltrud Kier, Bernd Ernsting und Ulrich Krings (Hrsg.) : Köln. Der Ratsturm, seine Geschichte und sein Figurenprogramm (Stadtspuren 21). Köln 1996. 117 Klaus Gereon Beuckers : Köln : Die Kirchen in gotischer Zeit. Zur spätmittelalterlichen Sakralbautätigkeit an den Kloster-, Stifts- und Pfarrkirchen in Köln (Stadtspuren  24). Köln 1998, S. 302. 118 Robert Suckale : Peter Parler und das Problem der Stillagen. In : Anton Legner (Hrsg.) : Die Parler und der schöne Stil 1350–1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern – ein Handbuch zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Kunsthalle Köln. Bd. 4, Köln 1980, S. 178. 119 Mario Schwarz : Stilfragen und Nachwirkungen des ›Friderizianischen Historismus‹ in der Architektur. In : Unsere Heimat. Zeitschrift des Vereins für Landeskunde von Niederösterreich 52, 1981, S. 243–264 ; generell zu diesem Thema : Michael Schmidt : ›reverentia und magnificentia‹. Historizität in der Architektur Süddeutschlands, Österreichs und Böhmens vom 14. bis 17. Jahrhundert. Regensburg 1999.

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Abb. 6€€: Köln Dom, spätgotische Strebepfeilergliederung am Nordturm

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Abb. 7€€: Köln, Rathausturm

1400 begonnenen spätgotischen Langhaus des Wiener Stephansdomes, das in seinen Maßwerkformen ausschließlich die Formensprache des ausgehenden 13.  Jahrhunderts mit deutlichen Anklängen an das Kölner Formenrepertoire rezipiert.¹²0 In der englischen Sakralarchitektur ist es der Parallelfall von Westminster Abbey, deren Langhaus ab 1378 gänzlich im Sinne der Hochgotik Reimser Prägung errichtet wurde,¹²¹ in ähnlicher Weise verhält sich gleichzeitig auch der weitere Ausbau von Beverley Minster. In gleicher Weise gäbe es, wie Peter Kurmann feststellte, am 1385 begonnenen Mailänder Dom »mit Ausnahme einiger sehr ›moderner‹ Maßwerkformen […] keine Vokabeln des style flamboyant. Vielmehr vertreten die Mailänder Detailformen insgesamt trotz ihrer späten Ausführung die Gestaltungsweise, die weitgehend mit der des europäischen style rayonnant um 1300 identisch ist«¹²². 120 Johann Josef Böker : Der Wiener Stephansdom. Architektur als Sinnbild für das Haus Österreich. Salzburg 2007, S. 142–157. 121 Johann Josef Böker : Englische Sakralarchitektur des Mittelalters. Darmstadt 1984, S. 284 f. 122 Peter Kurmann : Der Mailänder Dom und der Prager Veitsdom. Zwei »gekrönte« Kathedralen. In : Markéta Jarošová, Jiří Kuthan und Stephan Scholz (Hrsg.) : Prag und die großen Kulturzentren Europas in der Zeit der Luxemburger (1310–1437). (Opera Facultatis Theologiae catholicae

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Deutlich wird diese ausgeprägte Form des Historismus vor allem an einem Fassadenprojekt, das bis dahin zur Avantgarde der stilistischen Entwicklung gehört hatte, nämlich der Westfassade des Straßburger Münsters. Nach Fertigstellung der Turmfreigeschosse wurde zwischen ihnen nach dem für 1384 überlieferten Münsterbrand durch den zu den »Junkern von Prag« zählenden Michael Parler¹²³ – einem Neffen Peter Parlers – eine Glockenstube eingebaut, die die bisherige Zweiturmfassade in eine Schirmfassade umwandelte.¹²4 Die erhaltene Entwurfszeichnung hatte zunächst eine Zweiergruppe von dreibahnig gestaffelten Maßwerköffnungen mit bekrönendem Dreipass¹²5 und somit »sehr viel grazilere Formen […] als die Ausführung« vorgesehen.¹²6 Stattdessen ersetzte der nachfolgende Ausführungsentwurf diese Gruppe in geradezu retrospektiver Weise durch zwei vierbahnig hierarchische Maßwerkfigurationen mit Vierpässen in den beiden Untergruppen und einem gefüllten Vierpass im Couronnement, völlig identisch mit dem Maßwerkentwurf im ersten Turmfreigeschoss des Kölner Fassadenplans (Abb.  8). Fast noch retrospektiver erscheint der Maßwerkverzicht des nun scheibenartigen Wimpergs, der in dieser Hinsicht an den Erstentwurf für die Straßburger Westfassade, den sogenannten Riss A, erinnert. Die »Modernität« des revidierten Entwurfs liegt vielmehr in der körperhaften Plastizität des Glockengeschosses, die sich namentlich im Skulpturenbesatz des Fensterrahmens in einer Weltgerichtsgruppe ausdrückt. Geradezu wie ein Denkmal dieser retrospektiven Architekturauffassung bei gleichzeitigem spätgotischem Skulpturenstil wirkt der »Schöne Brunnen« auf dem Nürnberger Hauptmarkt, errichtet zwischen 1385 und 1396 von Heinrich

Universitatis Carolinae Pragensis. Historia et historia atrium, Bd. 9). Prag 2009, S. 416. 123 Marc Carel Schurr : Die Münster von Freiburg i. Üe., Strassburg und Bern im Spiegel der europäischen Baukunst um 1400 – Gedanken zur Legende der ›Junker von Prag‹. In : Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 61, 2004, S. 95–11 ; dazu Richard Němec : Die ›Junker‹ am Bau : nur Legende ? Zwischen Prag, Strassburg, Bern und Ulm an der Schwelle zur Frühen Neuzeit. In : Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 74, 2017, S. 131–144. 124 Jean-Sébastien Sauvé : Notre-Dame de Strasbourg : les façades gothiques (Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 10). Korb 2012, S. 192. 125 Hans-Adalbert von Stockhausen : Der erste Entwurf zum Straßburger Glockengeschoß und seine künstlerischen Grundlagen. In : Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 11/12, 1938/39, S. 579–618. 126 Bruno Klein : Der Fassadenplan 5 für das Straßburger Münster und der Beginn des fiktiven Architekturentwurfs. In : Stephanie Lieb (Hrsg.) : Form und Stil. Festschrift für Günther Binding zum 65. Geburtstag. Darmstadt 2001, S. 166.

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Abb. 8€€: Straßburg, Münsterfassade, Glockenstube zwischen den Turmfreigeschossen

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Abb. 9€€: Nürnberg, Schöner Brunnen

Beheim Parler (H[einrich] Bheihaim Parlir).¹²7 Der dreigeschossige Auf bau der Oktogongeschosse wird, namentlich in den Wimpergen der Bogenstellungen wie auch, im Kleinen, in den Figurenbaldachinen von einem einfachen klassischen Maßwerk bestimmt, wobei Fischblasenformen nur peripher an wenig markanten Stellen vorkommen. Abgeschlossen wird der Auf bau von einem Maßwerkhelm (auch hier mit diminutiven Fischblasen), dessen Holme – wie schon die Wimperge  – mit stark plastisch ausgebildeten, in naturalistischer Weise mit Astansätzen versehenen Kriechblumen besetzt sind (Abb. 9). Eine unmittelbare Kenntnis des Kölner Fassadenplanes kann hier angenommen werden. Aber selbst im Fall des Kölner Domes lässt sich auf die formalstilistische Diskrepanz verweisen, die zwischen den Maßwerkfigurationen am Chorgestühl und denen des zeitlich späteren südlichen Domturms besteht. Wenn, wie Peter Palm annimmt, »mit einer Ausführung des Maßwerks am Südturm um 1320/30 gerechnet werden« könne, so scheine »die Bauhütte nicht in gleichem 127 Ludwig Zintl : Der Schöne Brunnen in Nürnberg und seine Figuren. Geschichte und Bedeutung eines Kunstwerkes. Nürnberg 1993, S. 19.

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Maße wie die ihr sicher angegliederte Gestühlswerkstatt den zur Verfügung stehenden Formenvorrat an Maßwerk ausgeschöpft zu haben«¹²8. Bei dem inzwischen belegten späteren Baubeginn hingegen muss diese stilistische Diskrepanz noch markanter ausfallen und – statt einer »Stilverspätung« zu einem bewussten Rückgriff auf eine frühere Zeitschicht werden. Das Phänomen einer zeitstilistischen Retrospektive aber zeigt sich am Kölner Domwestbau selbst in der Innenraumgestaltung der beiden Turmgeschosse, wo, wie es Arnold Wolff formulierte, scheinbar »Altes über Neuem, 13.  Jahrhundert über 14.  Jahrhundert« zu stehen kam.¹²9 Hier waren  – wohl ab 1390 – die an sich moderneren kämpferlos durchlaufenden Birnstabrippen des Erdgeschosses, die immerhin schon der Wiener Grundrissplan vorgesehen hatte (siehe Abb. 30), in der Obergeschosshalle wieder durch traditionelle Runddienste ersetzt und der Mittelpfeiler – wie auch die zugehörige Grundrisszeichnung bestimmte (siehe Abb. 27) – entsprechend als klassischer Bündelpfeiler ausgeführt worden. Das Vorgehen erinnert deutlich an die ähnliche Situation im 1385 vollendeten Chor des Prager Veitsdom, wo Peter Parler zunächst das linearisierte Pfeiler- und Vorlagensystem französischer Provenienz des Matthias von Arras fortgeführt, dann aber demonstrativ und kompromisslos den klassischen Bündelpfeiler Kölner Prägung eingesetzt hatte.¹³0 Mag sein, dass der für 1387 belegte Aufenthalt des jüngeren Heinrich Parlers in Köln hier die Kenntnis des entscheidenden Formenwechsels vermittelt hat, auf jeden Fall aber wurde der klassische hochgotische Pfeilertypus jetzt auch in Köln wieder als zeitgemäß und durchaus im Einklang mit der stilistischen Entwicklung der gotischen Architektur um 1400 mit ihrer Tendenz zu körperhafter Gestaltung gesehen. Dass im Gegenzug die Übernahme einer bereits seit Jahrzehnten vorliegenden älteren Planung für ein neu zu beginnendes Bauprojekt ein in der mittelalterlichen Architektur singuläres Phänomen darstellen würde, ist, wie zitiert, von Freigang und Steinmann gleichermaßen betont worden. Dieses lässt sich für 128 Rainer Palm : Das Maßwerk am Chorgestühl des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 41, 1976, S. 79. 129 Arnold Wolff : Im Obergeschoß des Südturms des Kölner Domes. In : Anton Legner (Hrsg.) : Die Parler und der schöne Stil 1350–1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern  – ein Handbuch zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Kunsthalle Köln. Bd.  4, Köln 1980, S. 29. 130 Barbara Baumüller : Der Chor des Veitsdomes in Prag. Die Krönungskirche Karls  IV. Strukturanalyse mit Untersuchung der baukünstlerischen und historischen Zusammenhänge. Berlin 1994, S. 37 f.

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alle mittelalterlichen Turmprojekte, zu denen Planrisse vorliegen, bestätigen. Nicht nur erfolgten die Planungen immer zeitnah zum Baubeginn des Turmes, es finden auch schon bald, und namentlich bei Wechseln in der Bauleitung, Überplanungen der Erstkonzeption statt, die das Bauprojekt den neuen architektonischen Tendenzen anpassen sollten. Für den Freiburger Münsterturm war immer von einer solchen Projektänderung während der Bauausführung ausgegangen worden, auch wenn sich dessen Planungsgeschichte heute durchaus komplexer darstellt.¹³¹ Ähnliches gilt für den Frankfurter Domturm, für den zumindest eine einheitliche Gesamtplanung angenommen worden war, die sich inzwischen aber auch in eine Folge von Planungsschritten auflösen ließ.¹³² Die Folge von sich gegenseitig in vergleichsweise kurzen Zeitabständen ablösenden Turmrissen für das Ulmer Münster ist bekannt,¹³³ und auch für die Straßburger Münsterfassade konnte eine zeitliche Nähe zum Erstplan und ein bereits unmittelbar anschließendes Abgehen davon konstatiert werden.¹³4 Gleiches wiederholte sich in Straßburg beim Bau des Nordturms, für den immerhin ein verbindlicher Bauplan des Ulrich von Ensingen vorgelegen hatte.¹³5 Hier fiel zum Zeitpunkt seines Todes der Entschluss zur Erhöhung des Turmbaus, um anschließend ein völlig neues Helmkonzept zu verwirklichen. Für den – nicht realisierten – Südturm hingegen wurde überhaupt ein neuer Turmentwurf ausgearbeitet, der sich nur in seinem allgemeinen Auf bau an seinem Gegenüber orientiert. In gleicher Weise wären für die Kölner Domfassade sicher in der Folgezeit weitere entscheidende Korrekturen am Gesamtplan vorgenommen worden, wenn der Bau im 15. Jahrhundert über den südlichen Turmstumpf hinaus 131 Johann Josef Böker und Anne-Christine Brehm : Die gotischen Architekturzeichnungen des Freiburger Münsterturms. In : Yvonne Faller, Heike Mittmann, Stephanie Zumbrink und Wolfgang Stopfel : Das Freiburger Münster. Regensburg 2011, S. 322–327. 132 Johann Josef Böker und Julian Hanschke : Ein Turmriss des Ulrich von Ensingen für den Frankfurter Pfarrturm. In : Insitu – Zeitschrift für Architekturgeschichte 2, 2010, S. 191–202 ; Julian Hanschke : Ein unbekannter mittelalterlicher Grundrissplan des Frankfurter Domturms. In : Insitu – Zeitschrift für Architekturgeschichte 4, 2012, S. 193–204 ; Johann Josef Böker : Madern Gerthener und die Frage der Autorschaft der Frankfurter Domturmpläne. In : Insitu – Zeitschrift für Architekturgeschichte 8, 2016, S. 163–180. 133 Karl Friederich : Die Risse zum Hauptturm des Ulmer Münsters. In : Ulm und Oberschwaben 36, 1961, S. 19–38. 134 Jean-Sébastien Sauvé : Notre-Dame de Strasbourg. Les façades gothiques (Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 10). Korb 2012, S. 123–126. 135 Jonas Kallenbach : Ulrich d’Ensingen, maître d’œuvre de la cathédrale de Strasbourg. In : Bulletin de la Cathédrale de Strasbourg 18, 2008, S. 49–66.

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weitergeführt worden wäre. In keinem der Fälle aber lässt sich in irgendeiner Weise eine größere zeitliche Distanz zwischen Planung und Baugeschehen feststellen, sondern vielmehr immer eine spontane Bereitschaft, einen auch noch so rezenten Plan zu überformen oder gänzlich durch eine neue Planung zu ersetzen. Für die unveränderte Umsetzung eines bereits ein Jahrhundert alten Fassadenprojekts bietet die Architekturgeschichte schlichtweg kein Beispiel. Dieses zeigt sich selbst in Köln. Dem Baubeginn des Westbaus ging bekanntlich die Wiener Grundrisszeichnung voraus, die zeitlich nicht viel früher als der Beginn der Fundierungsarbeiten gelegen haben kann und vor allem die Fertigstellung der südlichen Langhausseitenschiffe voraussetzen. Auch wenn zu diesem Grundriss keine zugehörige Aufrisszeichnung überliefert ist, so lässt sich diese immerhin in den wesentlichen Grundzügen festlegen. Abgesehen von der Anlage einer Fünfportalgruppe, waren die Turmbauten schlanker geplant und sollte sich der Baudekor auf die reine Westansicht beschränken und nicht den gesamten Turmkörper umfassen. Es ist offensichtlich, wie hier ein fertig ausgearbeiteter Entwurf vorgelegen hat, der in der nachfolgenden Diskussion zwischen Bauherrn und Baumeister entscheidende Modifikationen erfahren hat, um schließlich durch den endgültigen Fassadenentwurf ersetzt zu werden. Das Nicht-Akzeptieren bestehender Planungen stellte offensichtlich ein derartiges Problem dar, dass 1459 auf dem Regensburger Hüttentag verordnet wurde, dass Baumeister an die Planungen ihrer Vorgänger gebunden seien und diese nicht nach eigenem Gutdünken verändern dürften.¹³6 Wenn diese Regelung eingeführt wurde, dann eben nicht, weil sie zur gängigen Hüttenpraxis gehörte, sondern weil es für neuberufene Baumeister üblich geworden war und auch weiterhin blieb, ihre eigenen architektonischen Vorstellungen in den Entwurfsprozess einzubringen. Das vielleicht krasseste Beispiel dieser Art findet sich in der Baugeschichte des Wiener Stephansdomes. Hier seien nach einer zeitgenössischen Quelle im Jahre 1407 »in der Kunst erfahrene und in unseren Tagen berühmte [Baumeister] im Auf bau [structura] des genannten Turms derart [vom Originalplan] abgewichen, dass alles, was in mehreren Jahren kostspielig an ihm gebaut worden war, umgekehrt wieder bis dahin, wo 136 Peter Morsbach : in gütigkait und nach gewonhait des hantwerchs. Beiträge und Forschungen zur Organisation und Geschichte des Regensburger Steinmetzhandwerks im späten Mittelalter und in der Neuzeit. In : Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 141, 2001, S. 15.

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der erste [Baumeister] ihn hinterlassen habe, im Jahre 1407 abgetragen worden ist«¹³7. Selbst in diesem Fall bedeutete der Rückbau nicht, wie meist angenommen,¹³8 die Rückkehr zum älteren Turmprojekt, sondern die Einführung einer völlig neuen Planung für die Freigeschosse und den Turmhelm. Noch eklatanter aber hatte sich die Situation anschließend beim Bau des Wiener Nordturms gestaltet : Im Jahre 1450 waren durch Hanns Puchsbaum, der selbst vertraglich mit einer eigenen Turmplanung beauftragt worden war, die Fundamente für das neue Turmprojekt gelegt worden. Als dann, situationsbedingt, erst 1466 durch Laurenz Spenning mit dem tatsächlichen Ausbau begonnen werden konnte, so geschah dieses nach neu angefertigten Plänen, von denen sich sowohl die Gesamtplanung wie auch die Detailzeichnungen der Einzelabschnitte bis hin zu den Profilzeichnungen erhalten haben.¹³9 Ähnlich drastische Maßnahmen wird es insgesamt seltener gegeben haben, aber selbst am Kölner Dombau lässt sich feststellen, wie das erste Obergeschoss des Südturms bereits hinsichtlich der Detaillierung wie auch der Proportionierung vom Planriss abgewichen ist, der Entwurf also keinesfalls mit sklavischer Treue umgesetzt wurde. Nicht nur das : schon die Wimperge des Turmerdgeschosses und vor allem des Petersportals unterscheiden sich deutlich von der Risszeichnung, indem beispielsweise das Dreistrahlmotiv des Portalwimpergs in den darüberliegenden Fensterwimperg rückt, um einer komplexeren und dichteren Konfiguration Platz zu machen (Abb.  10). Die wichtigste Änderung aber ist an den Hauptstrebepfeilern im Bereich des ersten Obergeschosses zu sehen, deren Masse sich in der Ausführung nicht, wie vorgesehen, reduziert, sondern ohne Zäsur fortgeführt ist, so dass die an dieser Stelle vorgesehenen offenen Baldachine  – auch sie gehören bereits auf dem Riss einer Plankorrektur an  – als geschlossene Blendfelder ohne Baldachinaufsatz gestaltet werden mussten. Kleinere Detailabweichungen wie etwa die Vereinfachungen der Blendmaßwerke in den Brüstungsbereichen der unteren Fenster fallen demgegenüber schon weniger ins Gewicht. Als Versuche, einen als veraltet angesehenen Entwurf stilistisch zu aktualisieren, aber reichen diese Revisionen, die sich innerhalb des üblichen Rahmens bewegen, nicht aus. 137 Johann Josef Böker : Der Wiener Stephansdom. Architektur als Sinnbild für das Haus Österreich. Salzburg 2007, S. 97 f. 138 Josef Zykan : Zur Baugeschichte des Stephansturmes. In : Mitteilungen der Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung in Wien 8, 1955, S.  57  f.; Marlene Zykan : Zur Baugeschichte des Hochturmes von St. Stephan. In : Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 23, 1970, S. 150. 139 Johann Josef Böker : Der Wiener Stephansdom. Architektur als Sinnbild für das Haus Österreich. Salzburg 2007, S. 257–284.

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Dies belegt, dass die Umsetzung des Kölner Fassadenplanes schon von Anfang an als ein lebendiger Prozess verstanden wurde, in welchem die Planvorlage einer freien Weiterentwicklung unterlag. Entscheidend wurde dabei nicht der Ersatz der nachklassisch-hochgotischen Formensprache durch eine Neuformulierung im Sinne einer beginnenden Spätgotik, sondern die Weiterverfolgung der formalen Gedanken innerhalb des vorgegebenen Systems. Bereits dies lässt nicht nur auf einen relativ geringen zeitlichen Abstand zwischen Entwurf und Ausführung, sondern auch auf dieselbe Persönlichkeit schließen, die während des Umsetzungsprozesses die Modifikationen vornehmen konnte. Für einen Zeitabstand von einem Jahrhundert aber sind die Unterschiede zu geringfügig, um aus ihnen auf die Hand eines den Ursprungsplan revidierenden neuen Meisters schließen zu dürfen. Nur unter Zugrundelegung der frühen Maßwerkvariationen des Prager Veitsdomes unter Peter Parler als entwicklungsgeschichtliche Norm lassen sich die Formen der Kölner Domfassade als unzeitgemäß einstufen. So findet sich im unmittelbaren Umkreis der Kölner Bauhütte, das heißt in den frühen Bauten der Parlerfamilie, eine ähnliche Ausrichtung auf den in Köln zur Anwendung gekommenen Maßwerkstil. Am Chor des Heiligkreuzmünsters in Schwäbisch Gmünd, begonnen 1351 von dem älteren Heinrich Parler, sind im Kapellenkranz dieselben gefüllten Vierpässe in Kombination mit den zweibahnigen Maßwerkgruppen mit Vierblattbekrönung wie in Köln eingesetzt, und selbst der Obergaden variiert diese Grundform. Das Grundprinzip zeigt sich auch am Chor der Nürnberger Sebaldkirche, nur dass hier anstelle des Vierpasses neue Variationen auftreten. Und selbst die 1352 bis 1362 errichtete Nürnberger Frauenkirche, die oft in die Nähe des jungen Peter Parler gebracht wird,¹40 bewegt sich mit dem Formenrepertoire seiner Maßwerkfenster völlig im traditionellen Rahmen. Im regionalen Umkreis von Köln ist es die Soester Wiesenkirche, deren Südportal im Tympanonmaßwerk dasselbe Grundmotiv mit vereinfachtem Vierpassmotiv zeigt. Auch wenn diese Bauten keinesfalls derselben Bedeutungsebene wie die Kölner Domfassade angehören, so bezeichnen sie doch zugleich die Allgemeingültigkeit der nachklassisch-hochgotischen Formensprache im mittleren 14. Jahrhundert. Der große Paradigmenwechsel dieser Zeit stellt hingegen bekanntermaßen der Prager Veitsdom dar, wo Peter Parler seit 1356 ein neues, dezidiert spätgotisches Formensystem entwickelte. Aber selbst hier lässt sich deutlich die Her140 Günther Bräutigam : Die Nürnberger Frauenkirche. In : Ursula Schlegel und Claus Zoege von Manteuffel (Hrsg.) : Festschrift für Peter Metz. Berlin 1965, S. 170–190.

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Abb. 10€€: Köln, Dom, südlicher Turmstumpf vor dem Ausbau im 19. Jahrhundert

kunft aus dem Kölner Formenrepertoire erkennen, indem die dortigen Formenmotive, wie oft beschrieben wurde, in eine Bewegung überführt sind. Den Ansatzpunkt bezeichnet das Maßwerk der Martinizkapelle auf der Südseite des Domchores, wo der gefüllte Vierpass mit seinen Lilienendungen mit den nun gebogenen Maßwerkstrahlen des Kölner Dreistrahlmotivs zu einer in sich bewegten Grundstruktur verändert wird, die dann in den Fenstermaßwerken des Obergadens ihre Kulmination erfahren werden (Abb. 11). Diese Auflistung ähnlich gelagerter Fälle verdeutlicht, dass es sich hierbei keinesfalls um eine einfache »Stilverspätung« im Sinne einer traditionellen Kunstgeschichtsschreibung, sondern um ganz bewusste Auseinandersetzungen mit einer historischen Architektur auf inhaltlicher Ebene handelt, ähnlich, wie es für die Zeit der Renaissance nachgewiesen wurde.¹4¹ In allen Fällen vor allem handelt es sich keineswegs um mehr oder weniger periphere Bauwerke, sondern um solche eines oberen Anspruchsniveaus, bei dem eine Reflexion über die vollzogene Stilwahl angenommen werden darf. Dies gilt umso mehr, 141 Stephan Hoppe, Matthias Müller und Norbert Nußbaum (Hrsg.) : Stil als Bedeutung in der nordalpinen Renaissance. Wiederentdeckung einer methodischen Nachbarschaft. Regensburg 2008.

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Abb. 11€€: Prag, Veitsdom, Martinizkapelle

als die Entscheidung in einigen der genannten Fälle konkret nach einer Phase der Bevorzugung modernerer Formen getroffen wurde. Die Rückkehr zu einer älteren Formensprache verleiht dem Bauwerk zugleich eine besondere Historizität und damit Ernsthaftigkeit, die die Verwendung zeitgenössischer Formen nicht zu geben vermag. Der Rezeption eines älteren Formensystems kommt damit eine semantische Bedeutung zu, die entschieden über die formal-künstlerische Ebene hinausgeht und die Kölner Domfassade zu einem Denkmal politischer Ambitionen macht.¹4²

142 Günter Bandmann : Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger. Berlin 1951 ; ders.: Ikonologie der Architektur. Darmstadt 1969 ; Wiederabdruck in : Martin Warnke (Hrsg.) : Politische Architektur in Europa vom Mittelalter bis heute. Repräsentation und Gemeinschaft. Köln 1984, S. 19–71.

Die Kölner Domfassade als spätgotisches Bauwerk

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egegnet man der Kölner Domfassade in gewohnter Weise nach rein formengeschichtlichen Aspekten, so stellt sich die Einheitlichkeit mit dem Gesamtbau des Domes als ihr bestimmendes Element dar, der gegenüber ihre Planung im 13. oder 14. Jahrhundert wie auch ihre tatsächliche Ausführung im 14./15. wie im 19.  Jahrhundert wenig ins Gewicht zu fallen scheint. Unter diesem Blickwinkel musste der Fassadenplan wie ein zeitloses Abstraktum wirken, das sich einer genaueren zeitlichen Bestimmung enthebt und die divergierenden Datierungsansätze letztlich erklärbar macht. Nun handelt es sich aber bei dem Kölner Fassadenplan keinesfalls um die strikte Wiederholung eines Formensystems, wie es ein Jahrhundert zuvor am Chorobergaden zur Anwendung gebracht worden ist. Ein Vergleich zwischen Letzterem und der Domfassade macht vielmehr deutlich, wie weit beide in gestalterischer Hinsicht auseinanderliegen. Nimmt man den Chorobergaden, so besteht er zunächst aus einer dünnen Wandmembrane, der nach Ausweis der Laibungsprofile keine große Tiefenerstreckung zukommt (Abb. 12). Die Jochgrenzen werden durch Sporne markiert, die keinerlei plastisches Volumen aufweisen und aus denen die Wimperge der Fensterbekrönung ohne besondere Kämpfermarkierung herauswachsen. Das äußere, mit Blattwerk besetzte Bogenprofil des Fensterrahmens tritt als eigenes Element in gleicher Weise wie das Maßwerk des Wimpergs vor die Wandfläche. Mit den Spornen verschneiden sich auch die Strebebögen, die auf eigenen vorgesetzten Säulen abgefangen sind. Insgesamt herrscht der Eindruck einer flächigen Ausbreitung linearer Formen vor einer tafelartig verfestigten Wandebene vor, die selbst wenig Substanz aufzuweisen scheint. Eine völlig gleiche Gestaltungsweise hatte, wie der später beseitigte Rest des nördlichen Querhausportals mit seiner Sporneinfassung belegt, auch die Querhausfassaden bestimmt (Abb. 13). Ein gleiches Bild bietet der Innenraum, bei dem die Wandmasse ab Triforiumshöhe auf die Stabformen von Fenstermaßwerk und Gewölbedienste reduziert ist. Auch hier zeigen die Laibungen keinerlei Plastizität, selbst nicht in den Arkaden, an denen die Laibungsprofile auf ein Minimum reduziert erscheinen (Abb. 14). Das Missbehagen der Spätgotik an dieser Lösung kommt

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Abb. 12€€: Köln, Dom. Chorobergaden Abb. 13€€: Köln, Dom, nördliches Querhausportal (Zeichnung Zwirner)

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Abb. 14€€: Köln, Dom, Chorraum Abb. 15€€: Köln, Dom, Langhausarkaden

dann bei Errichtung der nördlichen Arkadenreihe des Domlanghauses im späten 15. Jahrhundert zum Ausdruck, als man die Bogenform mit einem Bogenbegleitprofil mit plastisch ausgearbeiteten Krabben und bekrönender Kreuzblume umgab und damit in gegenständlicher Weise akzentuierte (Abb. 15). Völlig anders dagegen stellt sich die Situation in der Westfassade dar. Hier sind zunächst einmal die substanzlosen Sporne durch gestaffelte Fialengruppen als Zwischenpfeiler ersetzt, um an den Hauptpfeilern zu eigenen Massiven entwickelt zu werden. Bezeichnend ist die Situation an den Turmkanten, die im Winkel der Strebepfeiler als eigene Pfeilerformen in Erscheinung treten und in der Diagonalansicht den Eindruck von außerordentlicher Massigkeit hervorbringen, der sich nach oben durch die Auflösung in die Fialentürme noch steigert. Wie schon zuvor betont worden ist, erscheint als ein Charakteristikum der Westfassade des Kölner Doms die Konkretisation der Blockform in den Einzelformen seines Aufrißsystems, das nicht als flächig ausgebreitete ›Scheinarchitektur‹ über einen vorgegebenen Block gezogen ist, so daß

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Die Kölner Domfassade als spätgotisches Bauwerk

hier eine Vorstufe der spätgotischen Körperlichkeit faßbar ist. Dies wird deutlich im Übergang zu den (erst neugotisch ausgeführten) folgenden Freigeschossen der Turmfront, wo die seitlichen Strebepfeiler als kompakte Fialentürme hochgezogen, aber mit dem oktogonal gedachten Turmkörper durch Zwickelausfüllung und Blendengliederung in eine gemeinsame Masse eingebunden sind, welche sich zunehmend in Teilbereiche eigener Körperlichkeit auflöst.¹4³

Gerade dadurch, dass die Fialentürme die Diagonalseiten der oberen Turmoktogone fast völlig verstellen, bleibt der Eindruck von Massigkeit und Volumen bis oben hin erhalten (Abb. 16). Der Unterschied zu dem schlanken und filigranen Turmauf bau in Freiburg, an dessen Oktogon  – anders als an den Kölner Domtürmen  – der schlanke Pfeilersporn eingesetzt ist, könnte nicht größer sein (Abb. 17). Schon die Überleitung vom Unterbau zum Oktogon erfolgt in Freiburg in einer anderen Weise als in Köln. Nachdem die Entscheidung gefallen war, auf das in den ersten Projekten vorgesehene Zwischengeschoss zu verzichten und das Oktogon bis auf den Unterbau herabzuziehen, wurden zur Überleitung spornförmige Fialentürme über dreieckigem Grundriss an das Turmoktogon herangeschoben, die aber die Oktogonkanten sichtbar belassen, sich also als additive Elemente darstellen. In Köln hingegen verwächst das untere der beiden Freigeschosse vollständig mit den Fialentürmen zu einer körperhaften Einheit, indem die Zwischenräume zu den Fialenauf bauten durch Masse geschlossen und durch einen kleineren Wimperg an diese herangezogen sind. Das Oktogon löst sich durch diese Anordnung erst langsam aus der Turmmasse heraus, statt wie in Freiburg als selbständiger Kern bestehen zu bleiben. In äußerst ungewöhnlicher Weise vollzieht sich der Übergang vom Vierzum Achtort auf dem bereits dem ausgehenden 14. Jahrhundert angehörenden sogenannten Regensburger Einturmriss, wo der Einschnitt in Kämpferhöhe des unteren Fensters erfolgt (Abb. 18). Bis zu dieser Linie ist das Fenster mittels blendengegliederter Mauermasse an die Eckstrebepfeiler herangezogen, während darüber die Differenzierung der Baukörperform mit den schräggestellten Oktogonpfeilern bei freistehenden Fialentürmen einsetzt. Es handelt sich hierbei zweifellos um eine Weiterentwicklung der in Köln angewandten Lösung. 143 Johann Josef Böker : Prag oder Köln ? Das architektonische Beziehungsfeld der südniedersächsischen Stadtpfarrkirche zu Beginn der Spätgotik. In : Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 22, 1983, S. 9–27.

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Abb. 16€€: Köln, Dom. Westbau Abb. 17€€: Freiburg, Münsterturm. Oktogon und Maßwerkhelm

Aber auch der Freiburger Turmabschluss zeigt gerade die zeitliche Diskrepanz, die sich zu seinen Kölner Nachbauten auftut : Schon der Vergleich der beiden Zeichnungen, mehr aber noch die ausgeführte Gestalt, offenbart den erheblichen stilistischen Unterschied, der zwischen beiden besteht (Abb. 19). Während in Freiburg die Maßwerkebene bündig mit den sehr wenig vortretenden und mit relativ kleinen Krabben besetzten Holmen hervortritt, so dass der Eindruck der Flächigkeit wie bei der Straßburger Fassade dominiert, so werden diese in Köln zu den statisch dominierenden Stützen des Systems und geben den Turmhelmen eine markante Plastizität, die nicht erst das Ergebnis des Realisierungsprozesses von 1880 ist. Der grundsätzliche Unterschied in der Auffassung von Bauvolumen zwischen Westbau und Domchor wird noch deutlicher, wenn es um die Gestaltung der Wandöffnungen geht. An der Domfassade ist die Wimpergebene gegenüber der Wand noch vorgerückt und das zugehörige Bogenprofil als Kehle gegen die Bogenlaibung gesetzt, die selbst sowohl eine größere Tiefe wie auch eine kompakte Verdichtung der Profilelemente erhält. Das Einsetzen einer

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Abb. 18€€: Regensburg, Einturmriss, Detail des Oktogonansatzes

Abb. 19€€: Freiburg, Turmriss, Helm

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Abb. 20€€: Oppenheim, Katharinenkirche. Langhaussüdseite

vorderen Maßwerkebene in den tiefen Fensternischen bewirkte dabei nicht eine Verflächigung des Fassadenkontinuums, sondern gerade dessen Durchklüftung, da durch sie die Distanz zur eigentlichen hinteren Fensterebene noch stärker hervorgehoben wurde. Auch hier ist der Vergleich zur Straßburger Münsterfassade mit ihrem flächigen Maßwerkvorhang und der geringen Tiefenentwicklung kaum größer vorstellbar. Auch ein Vergleich mit der zwischen 1317 und 1340 errichteten südlichen Langhausseite der Oppenheimer Katharinenkirche offenbart die zeitliche Distanz, die zwischen ihr und der Kölner Domfassade besteht, zu der immer eine Verbindung gesehen worden ist (Abb. 20). Hier sei »zunächst eine fünfjochige Maßwerkfassade in enger Anlehnung an Kölner Formen« geplant gewesen, doch wurde schon 1322 »der Kölner Entwurf fallengelassen und Freiburger, Straßburger und mittelrheinische Maßwerkformen bevorzugt«¹44. Aber auch hier herrscht der Eindruck einer außerordentlichen Flächigkeit vor. Von der tiefenräumlich wirksamen Massivität der Kölner Domfassade jedenfalls trennt diese völlig den Vorstellungen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts angehö144 Günther Binding : Maßwerk. Darmstadt 1989, S. 275.

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renden Flächigkeit des Maßwerkstils eine stilistische Kluft, die belegt, dass nicht der Kölner Fassadenplan, sondern nur eine Risszeichnung des dortigen Chorobergadens für die Vermittlung kölnischer Ideen nach Oppenheim maßgebend gewesen war. Die besondere Gestaltungsweise der Baukörperform äußert sich unmissverständlich im ersten Turmfreigeschoss, in dem sich der Übergang vom rechteckigen Unterbau zum Oktogon vollzieht. Dieses wird dadurch erreicht, dass das nun mittig gesetzte Maßwerkfenster von Lisenen eingefasst wird, die durch ihre Schrägstellung bereits die Strebepfeiler des Turmoktogons vorbereiten und daher wie die Stirnseiten von in der Mauermasse steckenden Strebepfeilern wirken. Die zu den Turmeckpfeilern verbleibende Distanz wird durch Mauermasse angefüllt und ihre Nischung durch einen Wimperg abgeschlossen, der eine formale Verstrebung bewirkt. Dadurch ergibt sich der Eindruck, dass sich das Turmoktogon wie auch die begleitenden Fialenpfeiler allmählich aus der Masse des Unterbaus zu lösen beginnen. Nimmt man im Vergleich dazu den Westbau des Straßburger Münsters, dessen das nachfolgende Oktogon vorbereitenden Turmobergeschosse 1365 vollendet worden waren, so zeigt sich sogleich der entscheidende Unterschied (Abb. 21) : Auch hier haben wir die Einfassung des mittleren Maßwerkfensters durch Lisenen sowie seitliche schmale Fensteröffnungen, doch ist die gesamte Anordnung ohne Schrägstellungen in die Fläche gebreitet. Vor allem aber sind die seitlichen Felder in Maßwerkfenster geöffnet, so dass auch hier wieder der Eindruck der Flächigkeit statt eines bauplastischen Volumens vorherrscht. Was aber den entscheidenden Unterschied zwischen der Straßburger und der Kölner Fassade ausmacht, ist die dort dem Baukörper als eine selbständige Ebene vorgesetzte Maßwerkschicht, die sich zwischen die vortretenden Strebepfeiler spannt und vom Baukörper unabhängig erscheint. Um die sich aus »der enormen Mauerstärke des Westbaus für den Innenraum« ergebenden gestalterische[n] Probleme […] zu umgehen, führte man wie auch beim Straßburger Westbau eine Verdoppelung der Maßwerkschichten ein und verglaste die innen liegende Schicht. Das jetzt außen als reines Stabwerk ungefüllt stehende Maßwerk führte zu einer Verschattung der Fensteröffnungen, durch die sie der insgesamt eher flächigen Fassade, deren plastische Elemente durch die Bekleidung mit Blendmaßwerk optisch reduziert erscheinen, ein Volumen gaben, das in seiner Mehrschichtigkeit dem gleichzeitigen Straßburger Schleiermaßwerk verwandt ist¹45 145 Klaus Gereon Beuckers : Der Kölner Dom (Baukunst des Mittelalters). Darmstadt 2004, S. 92.

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Abb. 21€€: Straßburg, Münsterfassade

Der resultierende Effekt ist aber doch ein entschieden anderer als in Straßburg, als diese vordere Maßwerkebene innerhalb der Fensterlaibung verbleibt und sich eben nicht mit den über ihnen sitzenden Wimpergen zu einer einheitlichen Ebene verbindet, sondern im Gegenteil der Steigerung des plastischen Effekts dient. Eine Vorbereitung der kölnischen Lösung war nach verschiedenen planerischen Vorstufen im Freiburger Münsterturm vollzogen worden, wo in der ausgeführten Version die Spornpfeiler des Oktogons ungehindert durchlaufen und die Fialentürme mit ihren kompakten Unterbauten an die Diagonalseiten herangeschoben sind. Hier sind es klare stereometrische Körper, die nebeneinanderstehen, ohne miteinander zu verschmelzen. Auf der anderen Seite hingegen steht der 1415 begonnene Frankfurter Domturm, bei dem sich der Übergang vom Vier- zum Achtort im ersten Turmobergeschoss mittels eines risalitartigen Mittelfeldes vollzieht (Abb. 22), das die Massigkeit des Turmes betont, was letztlich nicht ohne die Kölner Lösung vorstellbar ist. Insgesamt lässt sich feststellen, dass im Westbau des Kölner Domes in Einzelheiten ein dem ausgehenden 13.  Jahrhundert angehörender Formenkanon verwendet wurde, wie er in flächiger Anordnung am Obergaden des Domchores vorgebildet ist. Dieser aber erfährt am Baukörper eine Umsetzung in eine

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Abb. 22€€: Frankfurt, Domturm

Massivität und Körperhaftigkeit, die der Architektur der Hochgotik fremd ist. Dass es sich hierbei nicht einfach um eine Frage der Übertragung des Baurisses in die dritte Dimension handelt, die sich ganz einfach während der Umsetzung des Entwurfs in die gebaute Form ergeben musste, ist daran ablesbar, dass diese Massivität in allen Einzelheiten auf dem Riss vorgebildet erscheint. Mit dieser körperhaften Verfestigung der architektonischen Erscheinung aber bewegen wir uns zweifelsfrei im Bereich der beginnenden Spätgotik in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Auf die zeitstilistische Diskrepanz zwischen dem Kölner Westbau und den französischen Kathedralen der Hochgotik hatte auch Peter Kurmann im Vergleich mit der Westfassade von Reims verwiesen, die deutlich zeige, »daß sich in Köln weder Auftraggeber noch Dombauhütte in gestalterischer Hinsicht von der Metropolitankirche in der Champagne inspirieren ließen«. Vielmehr seien die verwendeten Elemente »in Köln in einer Weise formuliert, welche die Quelle ihrer Anregung ohne moderne kunsthistorische Analyse kaum erkennen« lasse.¹46 Zwar liegt in den Portalen der Reimser Fassade eine ähnliche 146 Peter Kurmann : Köln und Reims im 13. Jahrhundert. In : Kölner Domblatt 72, 2007, S. 103 f.

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tiefenräumliche Wirkung vor, der entscheidende Unterschied aber ist, dass es sich hier letztlich um eine gleichmäßige Reihung des Wimpergmotivs in einer Ebene handelt, während in Köln das Zusammenspiel von Pfeilermassiven, zwischengespannten Bogenöffnungen mit Giebelbekrönungen und tiefen Einnischungen mit gedoppelten Maßwerkebenen bestimmend wird, abgesehen davon, dass die Reimser Fassade in keiner Weise die Kompaktheit der Kölner Lösung erreicht. Und auch im Vergleich zu den Querhausfronten des mittleren 13. Jahrhunderts von Notre-Dame in Paris habe, wie es Peter Kurmann formuliert, »der Kölner Meister das freie Spiel mit verschiedenen Wandebenen partiell noch weiter getrieben als seine Pariser Kollegen, indem er Maßwerke und Giebelkulissen hintereinander doppelt gestaffelt hat«¹47. In den Pariser Querhausfassaden haben wir eine flächige Ausbreitung der steilen Giebelformen vor uns, die nur von schlanken Fialen  – den Spornen der Kölner Obergadenwand  – voneinander abgegrenzt werden. Auch hier ist die  – immer gesehene  – Beziehung zwischen Paris und der Straßburger Münsterfassade mit ihrer engen Reihung von Wimpergformen zwischen schlanken Fialen sehr viel offensichtlicher als bei einem Vergleich mit der Kölner Domfassade. Auch wenn hier die Wimpergmotive wie in Straßburg auf die Strebepfeilerstirnen und -flanken übertragen werden, so stellen sie nicht einen Bestandteil derselben Reihung dar, sondern sind als Blendmotive der Pfeilergestaltung prinzipiell von den Giebelformen der großen Öffnungen unterschieden. Die Kölner Westfassade bildet auch in dieser Hinsicht ein festes Gefüge von Pfeilerelementen, dem die sehr gedrängt wirkenden tiefen Bogenöffnungen mit ihren Steilgiebeln in einer spannungsreichen Weise untergeordnet werden. Im Vergleich dazu ergibt die Straßburger Münsterfassade eine gleichmäßige Breitung von fragil wirkenden Maßwerkformen, was zugleich die zeitstilistische Distanz zwischen beiden verdeutlicht. In ähnlicher Weise charakterisierte auch Werner Gross in seiner Untersuchung der »Architektur um 1300« den entscheidenden Unterschied zwischen dem Kölner Fassadenentwurf und den Querschifffassaden in Paris : Ihre Fronten sind abgeplattet durch das Vorziehen der Wand bis zu den Spiegeln der Strebepfeiler, ihre Geschosse trennen sich reinlich voneinander, und alle Gliederungen liegen zeichnerisch dünn in einer Ebene. […] Andere Fassaden streben nach mehr bewegter Großlinigkeit und gewinnen sie durch einseitige Vertikalisierung. So mag 147 Ebd., S. 103.

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in Köln schon im [hypothetischen] Plan der Chormeister die steile Fensterreihe in den zwei ersten Geschossen ähnlich geherrscht haben, wie es der Ausführungsplan zur Parlerzeit hundert Jahre später vorsah.¹48

Es ist aber schließlich ein Detail, das die Datierung des Kölner Fassadenplans unmissverständlich nicht in die Chorbauphase, sondern in entschieden spätere Zeit belegt, nämlich die gotische Krabbenzier aller Wimperge wie auch der Helmkanten. Während die Wimperge des 1284 vollendeten Chorobergadens wie der nachfolgend errichteten Strebebögen¹49 durchweg straffe knospenartige Frühformen tragen, so zeigen die Wimperge der Fassadenzeichnung nebeneinander die unterschiedlichsten entwickelten Blattformen, die von federartig ausgreifenden Blattstrukturen bis hin zu deutlichen Buckellaubformen reichen, am Mittelschiffsgiebel zudem mit naturalistisch ausgebildeten Astansätzen versehen. Auf diesen entscheidenden Unterschied machte bereits Arnold Wolff im Zusammenhang mit den Planrissen für das Kölner Domlanghaus aufmerksam, indem »die straffen, aus dem Wimpergprofil herauswachsenden Blütenstengel des Chores« im Gegensatz zu den »züngelnde[n] Farnkrabben« der späteren Planzeichnungen des Langhausstrebewerks stehen, deren »Wimpergschräge mit Laubwerk bedeckt« sind.¹50 Wenn Steinmann hingegen unter Verweis auf die Krabbenformen des »um 1290 entstandenen« Hochaltars der Marburger Elisabethkirche den Kölner Fassadenriss »der Strömung am Ende des 13. Jahrhunderts« zuweist, »die sich von der Naturnachahmung abwandte«,¹5¹ so übersieht er dabei die doch enorme stilistische Distanz zwischen den straffen Blattstengeln des Marburger Altars und den geschweiften Blattformen der Kölner Fassadenzeichnung. Aber auch die Blattformen in den Kehlen der Horizontalgesimse wie auch der Bogenlaibungen haben wenig mehr mit den tendenziell noch naturalistischen Blattformen des Hochchores gemein. Desgleichen findet sich auch das dreilappige »Marburger Blatt«,¹5² das um 1270 von der Elisabethkirche nach 148 Werner Gross : Die abendländische Architektur um 1300. Stuttgart 1948, S. 31. 149 Maren Lüpnitz : Die Chorobergeschosse des Kölner Domes. Beobachtungen zur mittelalterlichen Bauabfolge und Bautechnik (Forschungen zum Kölner Dom, Bd. 3). Köln 2011, S. 249. 150 Arnold Wolff : Mittelalterliche Planzeichnungen für das Langhaus des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 30, 1969, S. 148 f. 151 Marc Steinmann : Die Westfassade des Kölner Domes. Der mittelalterliche Fassadenplan F (Forschungen zum Kölner Dom, Bd. 1). Köln 2003, S. 87 f. 152 Kurt Wilhelm-Kästner : Die Elisabethkirche zu Marburg und ihre künstlerische Nachfolge. Leipzig 1924, S. 239.

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Köln übernommen wurde,¹5³ unter den durchweg feingliedrigeren Blattformen des Fassadenrisses nicht vertreten. Mehr noch als die dargestellten Maßwerkformen des architektonischen Entwurfs aber sind es diese Eigenheiten der künstlerischen Handschrift, die am ehesten Auskunft über die Zeitstellung des Fassadenentwurfs zu geben vermögen. Es sind aber diese geschweiften abstrahierten Blattformen, die sich – auch noch in der Erneuerung des 19. Jahrhunderts – am Unterbau des Südturms wiederfinden und keine zeitliche Distanz zwischen Entwurf und Bauausführung annehmen lassen.

153 Maren Lüpnitz : Die Chorobergeschosse des Kölner Domes. Beobachtungen zur mittelalterlichen Bauabfolge und Bautechnik (Forschungen zum Kölner Dom, Bd. 3). Köln 2011, S. 183 f.

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Abb. 23€€: Köln, Dom, Fassadenplan mit Eintragung der Blattgrenzen

Der zeichentechnische Befund

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ass der Kölner Fassadenriss einheitlich in einer Handschrift entstanden und nicht das Werk mehrerer Autoren ist, wurde wiederholt konstatiert. Dennoch ließen sich einzelne Punkte beobachten, die auf Unregelmäßigkeiten im Ausführungsprozess schließen lassen. Der Plan besteht im Prinzip aus elf großen Pergamentblättern, denen noch weitere elf kleinere Teilstücke angefügt wurden (Abb.  23). Als problematisch erweist sich dabei vor allem der Anschluss zwischen den beiden Turmhälften im Bereich des Mittelbaus : Eine senkrechte Naht zwischen dem Nordturm auf der einen und dem Südturm samt Mittelbau auf der anderen Seite ist deutlich sichtbar. […] An dieser Naht differieren zwischen dem südlichen und nördlichen Teil die Farben einiger Tintenstriche und die Geschoßhöhen. So finden sich hier nicht die sauberen, bruchlosen Übergänge von einem Stück zum andern wie bei den waagerechten Nähten. […] Im großen Giebel des Mittelbaus folgt die Trennlinie dem senkrechten rechten Rand einer Blendbahn. Sie trifft dann auf den Wimperg des Westfensters, wo sie ihre Richtung so ändert, daß sie zwischen den Profilen und dem Rücken des Fensterwimpergs weiterläuft bis sie auf die Außenkante des Strebepfeilers trifft.¹54

Gegenüber dieser deskriptiven Darstellung des Sachverhalts hatte schon zuvor Peter Pause darauf verwiesen, dass im Fall des ersten Obergeschosses des Nordturms der Fensterwimperg des Mittelbaus, entlang dem der Schnitt erfolgte, ursprünglich »weiter als bis zu dieser Grenze, also auch auf dem von Klebestreifen verdeckten Teil, gezeichnet« worden sei. Das so beschnittene Blatt »war demnach ursprünglich größer« und das hinzugefügte Zwischenstück wurde so beschnitten, daß es entlang einer Wimperglinie […] angeschlossen werden konnte. […] Es dürfte kaum ausreichen, die Unstimmigkeiten [im Übergang der beiden Hälften] mit der Schrumpfung der Pergamente erklären zu wollen, da sie durch 154 Marc Steinmann : Die Westfassade des Kölner Domes. Der mittelalterliche Fassadenplan F (Forschungen zum Kölner Dom, Bd. 1). Köln 2003, S. 45.

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nachweisliche Veränderungen der ursprünglich größeren Blätter ergänzt werden, vielmehr handelt es sich um einen Fehler, der aus der getrennten Herstellung der Nordund der Südhälfte des Risses mit dem Mittelstück abzuleiten ist.¹55

Der hier beschriebene Befund deutet auf den wohl entscheidendsten Eingriff in den Planungsprozess des zeichnerisch bereits ausgeführten gesamten Mittelbereichs der Westfassade mit Hauptportal und Westfenster hin. Der Schnitt erfolgte entlang der Kante des Strebepfeilers, wobei der schon gezeichnete mittelschiffseitige Wasserspeier ausgespart und an einer weiteren Stelle der Ansatz einer breiteren Profilierung des anschließenden Blendenfeldes erkennbar ist. Im Erstzustand war demnach eine abweichende Gestaltung des gesamten Hauptportalbereiches intendiert gewesen. Anstelle des abgeschnittenen Teiles des ersten Blattes, das mithin auch das Hauptportal dargestellt haben muss, trat nun ein großes querliegendes Blatt, das gleichzeitig die korrigierte Fassung des Hauptportales und des Erdgeschosses des Südturmes beinhaltete. Kleinere Ausbesserungen, ermöglicht über eingefügte Pergamentzwickel, betrafen das linke Gewände des Hauptportals und den Sockel seines Trumeaupfeilers. Die unterschiedliche Strichstärke des linken Portalgewändes lässt zudem vermuten, dass zunächst nur drei der vier Archivolten ausgeführt werden sollten und die Portalöffnung nachträglich verengt wurde. Gerade Änderungen dieser Art, die deutlich den Entwurfscharakter des in Schreibrichtung von links nach rechts gezeichneten Risses belegen, finden sich häufig auf mittelalterlichen Baurissen, so dem Prager Turmplan Peter Parlers in Wien, bei dem in ähnlicher Weise korrigierte Teile im Pergament ausgewechselt wurden.¹56 Auch im Bereich des Westfensters lassen sich diese Änderungen verfolgen, indem dieses mitsamt seinem Wimperg  – die zugehörigen Krabben befinden sich noch auf dem angrenzenden Blattabschnitt  – so herausgeschnitten worden ist, dass zum links anschließenden Turmstrebepfeiler mit dem ausgeschnittenen Stück für den Figurenbaldachin lediglich ein schmaler Pergamentstreifen verbleibt. Daraus ergibt sich zweifelsfrei, dass dieser Eingriff in die Planung erst erfolgt sein kann, nachdem ein größerer Teil des nördlichen Turmes und auch der Fassadenmittelabschnitt bereits fertiggezeichnet gewesen war. Letzterer wurde daher – unter Belassung des bereits gezeichneten Was155 Peter Pause : Gotische Architekturzeichnungen in Deutschland. Diss. Bonn 1973, S. 162. 156 Johann Josef Böker : Architektur der Gotik. Bestandskatalog der weltgrößten Sammlung an gotischen Baurissen der Akademie der Bildenden Künste Wien. Salzburg 2005, Nr. 16.817.

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serspeiers  – in einem zweiten Planungsschritt wieder abgetrennt und durch die nachfolgende Neufassung ersetzt. Erst, nachdem diese Neukonzeption des Fassadenmittelabschnitts feststand, wurde mit der Zeichnung des südlichen Fassadenturmes in einem einheitlichen Durchgang begonnen. Somit ist diese als die Reinzeichnung des überarbeiteten Entwurfs auf der linken Risshälfte anzusehen. Der zeichentechnische Befund belegt, dass der mittlere Fassadenabschnitt zur Gänze einer späteren Phase im Entwurfsprozess zugehört und hier die beiden Hauptelemente – Hauptportal und Mittelfenster einschließlich seines Maßwerkwimpergs  – ursprünglich ein anderes Konzept vorgetragen hatten. Da der entscheidende Abschnitt heute fehlt, kann der Versuch einer Rekonstruktion lediglich aus dem Vergleich mit dem übrigen Fassadenentwurf erfolgen, indem hier Elemente eingeführt wurden, die nicht von Anfang an Bestandteil der Planung gewesen waren. Im Fall des Mittelportals ist diese Entscheidung vergleichsweise einfach zu treffen : Während alle Wimperge der Fassade mit durchbrochenem Maßwerk gefüllt sind, zeigt das neue Mittelportal im Wimperg eine Staffelung von Figurennischen mit Baldachinen und vor allem entlang des äußeren Portalrahmens eine Stufenfolge. Es ist diese spezifische Anordnung, die sich in der gotischen Sakralarchitektur noch ein zweites Mal findet, nämlich am Mittelportal der Westfassade des Straßburger Münsters, wo sie integraler Bestandteil der ikonographischen Darstellung des Thrones Salomons ist. Nun wurde von Steinmann zur Untermauerung seiner Frühdatierung auf mögliche Zusammenhänge mit der Straßburger Münsterfassade hingewiesen, doch findet sich dieser Portalentwurf, wie auch Steinmann konstatiert, ausgerechnet nicht auf dem von ihm herangezogenen Gesamtriss von 1277, sondern erst auf dem Mittelstück der Fassade mit dem Entwurf des Rosenfensters, das bereits dem 14. Jahrhundert angehört (Abb. 24).¹57 Gerade die Übereinstimmung des Kölner Portalentwurfs mit dem ausgeführten Straßburger Portal schließt damit konkret die Frühdatierung des Kölner Risses aus, anstatt sie zu bestätigen ! Stattdessen muss der erste Portalentwurf in formaler Übereinstimmung mit dem übrigen Fassadenriss einen Maßwerkwimperg – wahrscheinlich mit einer Dreistrahlfigur – gezeigt haben. Anders als die beiden Nebenportale, die in ihrem Tympanon leer bleiben, zeigt das Hauptportal an dieser Stelle eine zweizeilige Blendengliederung, die aufgrund der Schnittführung gleichfalls zur Überarbeitung gehört. Auch eine so klare formale Aussage muss, ohne dass wir die inhaltlichen Intentionen kennen, 157 Marc Steinmann : Die Westfassade des Kölner Domes. Der mittelalterliche Fassadenplan F (Forschungen zum Kölner Dom, Bd. 1). Köln 2003, S. 63.

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mit der ikonographischen Bestimmung des Westportals und dem Thron Salomons im Wimperg in Zusammenhang gestanden haben. Aber nicht nur das Portal, auch das Mittelfenster mit seinem Wimperg ist durch diese Maßnahme vollständig ersetzt worden. Die Annahme einer an dieser Stelle zunächst geplanten Fensterrose wäre damit prinzipiell möglich, verbietet sich aber aufgrund der sich aus stehenden Arkadenbögen konstituierenden Systematik der Fassade. Das neue Westfenster besteht aus zwei Dreiergruppen von Maßwerken, überhöht von einem kreuzförmigen Vierstrahl im Couronnement. Alle anderen Turmfenster hingegen besitzen eine gerade Achszahl von zweimal zwei Maßwerken mit einem bekrönenden Vierpass. In dem doppelt so breiten Mittelfenster hätten somit zwei der Turmfenstermaßwerke nebeneinander Platz gefunden, zusammen also ein acht- statt sechsbahniges Fenster ergeben. In gleicher Weise ist auch anzunehmen, dass die Triforiumszone des Fensters und in den seitlich anschließenden Turmfenstern, wie dann auch ausgeführt, in die Laibung zurückversetzt und nicht, wie auf dem Plan angegeben, vorgezogen und mit einer eigenen Maßwerkbrüstung abgeschlossen ist.

Abb. 24€€: Straßburg, Münsterfassade, Risszeichnung des mittleren Fassadenabschnitts

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Abb. 25€€: Altenberg, Westfenster der Abteikirche

Mit der Einführung eines sechsbahnigen Mittelfensters wurde die Breite der einzelnen Bahnen gegenüber den übrigen Maßwerkfenstern der Westfassade leicht vergrößert. Legt man die Grundform der vierbahnigen Turmfenster zugrunde, so würden zwei ihrer Maßwerke in dem Laibungsrahmen des Mittelfensters Platz gefunden, also insgesamt acht Fensterbahnen mit bekrönendem Vierpass ausgemacht haben. Ein solches achtbahniges Fenster aber besitzt  – bereits dem ausgehenden 14. Jahrhundert angehörend – auf ihrer Westseite die Abteikirche von Altenberg.¹58 Hier enthält das Couronnement eine gestalterisch weniger dichte Anordnung aus sphärischen Dreipässen, wie sie ähnlich auch der Erstentwurf des Mittelfensters auf dem Kölner Fassadenriss gezeigt haben dürfte (Abb. 25). Ein ähnlich aufgebautes achtbahniges Maßwerkfenster weist auch die Nordquerhausfassade des Salemer Münsters auf, dessen Maßwerke insgesamt 158 Brigitte Lymant : Die mittelalterlichen Glasmalereien der ehemaligen Zisterzienserkirche Altenberg. Bergisch Gladbach 1979, S. 111 f.; Sabine Lepsky und Norbert Nußbaum : Die Westfassade der Zisterzienserkirche Altenberg. Beobachtungen zur gotischen Bautechnik (Veröffentlichungen des Altenberger Dom-Vereins, Bd. 5). Altenberg 1999.

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Abb. 26€€: Salem, Münster, Maßwerkfenster des Nordquerarms

»das Vorbild der Straßburger Westfassade durchscheinen lassen«¹59 (Abb. 26). Der wichtigste Unterschied zu der Kölner Lösung besteht darin, dass die von einer Zwickelblase umgebene achtteilige Rose des Couronnement auf dem Planriss zu einer kreuzförmigen vierteiligen Form in einem sphärischen Quadrat vereinfacht wurde, während selbst Details wie die als Füllelemente eingebrachten seitlichen kleinen Kreismotive übernommen sind. Gegenüber der zwei- bzw. vierbahnigen Anordnung ist die dreibahnige Form die jüngere. Die neue Fensterform, die ansonsten die einzige dreibahnige Maßwerkgruppe des gesamten Fassadenrisses darstellt, rekurriert hier ebenfalls in ihrer Dreibahnigkeit auf die Straßburger Westfassade, bei der dieses Motiv erstmals in dieser Häufigkeit Anwendung gefunden hatte.¹60 Die vergleichbare Formulierung des Motivs begegnet aber erst in einem der Fenster der 1349 vollendeten Katharinenkapelle auf der Südseite des Straßburger

159 Marc Carel Schurr : Gotische Architektur im mittleren Europa 1220–1340. Von Metz bis Wien. München 2007, S. 233. 160 Ebd., S. 245.

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Münsters.¹6¹ Dass außerdem die Maßwerkzeichnung des Couronnements von dieser Überplanung betroffen gewesen sein muss, lässt sich daraus vermuten, dass diese in ihrer formalen Dichte über die übrigen Maßwerkfenster des Risses hinausgeht. Auch hier wäre das ansonsten im Fassadenriss unverändert verwendete Motiv des gefüllten Vierpasses oder eine Gruppierung von Passmotiven als ursprünglich vorhandene Binnenzeichnung anzunehmen. Dass die Reminiszenz der vierstrahligen Figur des Couronnements an das mit ähnlicher Binnenzeichnung versehene Straßburger Rosenfenster mitgewirkt habe, ist wiederholt angesprochen worden.¹6² Wie die Schnittführung des Risses bezeugt, wurde auch das Maßwerkfeld des Fensterwimpergs ersetzt, ohne dass eine Aussage über die ursprüngliche Anordnung getroffen werden kann. Aus der alternierenden Anordnung der Wimperge auf dieser Ebene lässt sich wohl auf eine Rosette schließen, so dass das jetzige Motiv des Dreistrahls ursprünglich im Tympanonfeld des Mittelportals seinen Platz gefunden haben mag. Eine weitere Änderung betrifft den Strebepfeilerauf bau, dessen Systematik im zweiten Fassadengeschoss an den Stirnseiten unterbrochen wird, indem anstelle der Blendengliederung in Fensterhöhe eine die volle Pfeilerbreite einnehmende und von einem Wimperg übergriffene Baldachinnische tritt. Wie die zugehörige Grundrisszeichnung ausweist, war diese geöffnet und damit zur Aufnahme einer Statue vorgesehen (Abb. 27). Der technische Befund des Risses belegt, dass diese Nischen auf dem zuerst entstandenen linken, den nördlichen Fassadenturm darstellenden Teil des Risses, der in allem einen stärkeren Entwurfscharakter aufweist, nachträglich auf einzelnen Pergamentstücken anstelle einer bereits ausgeführten, offensichtlich abweichenden Strebepfeilergliederung eingefügt worden waren, also nicht der Erstfassung des Risses angehören (Abb. 28). Auf dem äußeren Strebepfeilerblock wurde dabei der ganze Abschnitt bis hinunter zum Geschossgesims ausgewechselt, bei dem inneren Strebepfeiler seitlich des Mittelfensters lediglich bis einschließlich des Couronnements des darunterliegenden Blendenfelds, was bedeutet, dass dessen Gliederung ursprünglich wie im darüber folgenden Geschoss (und auch wie in den Turmkanten zwischen den Strebepfeilern) ununterbrochen bis zur Höhe des Wimpergs aufsteigen sollte. Eingefügt aber wurden diese beiden Korrekturen während des 161 Roland Recht : L’architecture de la chapelle Sainte-Catherine au XIVe siècle. In : Bulletin de la Société des Amis de la Cathédrale de Strasbourg 9, 1970, S. 95–101. 162 Helen Rosenau : Der Kölner Dom. Seine Baugeschichte und historische Stellung (Veröffentlichungen des Kölner Geschichtsvereins, Bd. 7). Köln 1931, S. 110.

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Abb. 27€€: Köln, Dom. Grundrisszeichnung des Südturmobergeschosses

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Abb. 28€€: Köln, Dom, Fassadenplan, Detail der Pfeilernischen

Planungsvorgangs, noch bevor das nach oben anschließende Pergamentblatt angesetzt worden war. Auf der rechten Fassadenhälfte, die in sich der Reinzeichnung des Entwurfs entspricht, fehlt entsprechend diese Korrektur. Bei der Ausführung im frühen 15. Jahrhundert wurde diese Planänderung wieder dahingehend zurückgenommen, dass der Nischenraum massiv ausgemauert und die Pfeilerstirn von einem nun dreibahnigen Blendmaßwerk wie im Westfenster überzogen wurde, ohne jedoch auf die ursprünglich an dieser Stelle intendierte Formgebung zurückzugreifen. Darüber wurde zudem der Strebepfeiler unter Verzicht auf die Baldachinbekrönung der Nische ohne Absatz weitergeführt, wobei die Baldachinbekrönung in gleicher Form nun auf der Höhe des Geschossgesimses am Ansatz der Freigeschosse zu stehen kam. Zu dem Zeitpunkt, als dieser Fassadenabschnitt zur Ausführung anstand, war der Anlass für die Anbringung dieser Folge von Nischen also offensichtlich entfallen, so dass man sich zu dieser Korrektur des Aufrisses entschloss. Auch für dieses Element lässt sich als Vorbild die Fassade des Straßburger Münsters namhaft machen, die an gleicher Stelle  – am Ansatz des zweiten Turmgeschosses  – ganz ähnliche Baldachinnischen besitzt. Schon Boisserée hatte (mit offensichtlichem Bezug auf Straßburg) darauf hingewiesen, dass

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»an den Hauptpfeilern in gleicher Linie mit dem Anfang der Fenster breite Lauben für Reiterstatuen entworfen« worden seien ; »an dem Gebäude hingegen wurden statt dieser Lauben Füllungen angebracht, und das verzierende Thurmwerk, welches auf den Lauben errichtet werden sollte, wurde in die erste Abtheilung des dritten Geschosses versetzt«¹6³. Auf diesen Zusammenhang mit Straßburg hingegen hatte explizit erstmals der Straßburger Archivar Louis Schneegans anlässlich der Faksimileausgabe des Kölner Fassadenrisses durch Christian Wilhelm Schmidt¹64 in einem unveröffentlichten Manuskript verwiesen, indem in den »Nischen der Strebepfeiler oben am 2ten Stockwerk […] wie an unserm Münster große Reiterstatuen aufgestellt werden sollten«¹65. Diese finden sich wiederum nicht auf dem ersten Straßburger Fassadenplan von 1277, sondern erst auf dem bereits dem beginnenden 14. Jahrhundert angehörenden, nur in einer Nürnberger Kopie überlieferten und unvollständigen sogenannten Durlacher Plan (Abb.  29), stellen also wie die Modifikationen am Mittelportal gleichfalls eine auf die Vorgabe des Bauherrn zurückgehende inhaltliche Änderung am Plan dar. Die Tatsache, dass diese Nischenformen auch auf der Detailzeichnung mit der Ostansicht des ersten Turmobergeschosses vorkommen, ist ein klares Indiz für die zeitliche Relation dieses meist vor dem Fassadenriss angesetzten »Risses E«. Offensichtlich handelte es sich bei diesen Nischen um ein wichtiges Element, das erst während des Entwurfsprozesses – und möglicherweise infolge einer Diskussion zwischen Planverfasser und Auftraggeber – eingefügt wurde. Es ist gerade dieser Befund, der deutlich belegt, wie sehr mittelalterliche Architekturzeichnungen nicht als reine »Präsentationszeichnungen« für den Bauherrn zu verstehen sind, der erst durch sie zum Bau eines Projekts motiviert werden sollte, sondern tatsächlich als Medium der Kommunikation zwischen Entwerfer und Bauherrn dienten. Beispiele für ein solches inhaltliches – weniger formales – Eingreifen des Bauherrn in einen Planungsvorgang finden sich mehrfach auf gotischen Baurissen, etwa der Fassadenzeichnung für das Wiener Rathaus sowie einer Aufrisszeichnung für ein Kapellenprojekt, auf denen die Folge der Wappenschilde jeweils nachträglich eingefügt wurde, offensichtlich um die ratsfähigen Familien sichtbar zu präsentieren.¹66 163 Sulpiz Boisserée : Geschichte und Beschreibung des Doms von Köln nebst Untersuchungen über die alte Kirchenbaukunst. Textband, Stuttgart 1823, S. 7. 164 Christian Wilhelm Schmidt : Faksimile der Originalpläne Deutscher Kathedralen. Trier 1851. 165 Strasbourg, Médiathèque Malraux, Ms 856 : fol. 163. 166 Johann Josef Böker : Architektur der Gotik. Bestandskatalog der weltgrößten Sammlung an gotischen Baurissen der Akademie der Bildenden Künste Wien. Salzburg 2005, Nr. 16.826 und 16.836.

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Abb. 29€€: Straßburg, Münster, sogenannter Durlacher Riss

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Vermutlich wurde zur Anbringung der Detailzeichnungen der Nischen auch ein bereits gezeichnetes nachfolgendes Blatt abgenommen und durch eine Neuzeichnung ersetzt, da es den weitergezeichneten ursprünglichen Strebepfeilerauf bau enthalten hatte, was ein in mittelalterlichen Planrissen übliches Verfahren darstellt. Auch hierfür gibt es in der Wiener Sammlung an Baurissen den Parallelfall eines unfertigen zweiten Turmrissabschnitts, der sich, nachdem er von dem in anderer Form fortgesetzten Turmplan abgelöst worden war, als Einzelstück erhalten hat.¹67 In Ulm wurde in ähnlicher Weise der Erstplan Matthäus Böblingers nachträglich beschnitten und mit einem geänderten Auf bau versehen,¹68 und in Straßburg erfuhr der Mittelabschnitt des Fassadenplans eine spätere Beschneidung, als anstelle der ursprünglichen Giebelplanung, die dadurch nicht überliefert ist, die Glockenstube zugefügt wurde.¹69 Die Tatsache, dass durch Beschneiden des in Ausarbeitung begriffenen Kölner Fassadenrisses einzelne obsolet gewordene Abschnitte anfielen, die offensichtlich anderweitig noch eine Weiterverwendung finden konnten, führt uns zurück nach Altenberg, wo das achtbahnige Westfenster der Abteikirche offensichtlich den verworfenen Fensterriss des Kölner Domes realisiert hat (siehe Abb. 25). Die wichtigste Förderung erfuhr der Endausbau der Abteikirche in dieser Zeit durch den im Altenberger Hof in Köln lebenden exilierten Kulmer Bischof Wikbold Doppelstein, der 1379 auch die Weihe der Kirche vollzogen hatte. Eine zeitgenössische Gedenktafel in der Kirche sowie eine Urkunde von 1386 bezeugen seine Stiftung größerer Geldsummen für das Kirchendach, die Vollendung der Wölbung und vor allem für das Maßwerk des großen Westfensters (pro forma fenestre maioris ad ornatam faciei templi versus occidentem).¹70 Dessen Ausführung erfolgte durch den Steinmetzen und Altenberger Laienbruder Reinoldus (qui permagnificam illam fenestram occidentem confecit). Es ist aber gerade dieser Bischof Wikbold, in dem Norbert Nußbaum den möglichen Vermittler von gotischen Architekturzeichnungen von Köln nach Altenberg sieht. So sei es 167 Ebd. Nr. 16.865. 168 Johann Josef Böker u.  a.: Die Architektur der Gotik. Ein Bestandskatalog der mittelalterlichen Architekturzeichnungen. Bd. 2 : Ulm und der Donauraum. Salzburg 2011, Nr. 10. 169 Johann Josef Böker u.  a.: Die Architektur der Gotik. Ein Bestandskatalog der mittelalterlichen Architekturzeichnungen. Bd. 3 : Die Rheinlande. Salzburg 2013, Nr. 50. 170 Gerd Steinwascher : Wikbold Doppelstein, Bischof von Kulm. In : Brigitte Lymant : Die mittelalterlichen Glasmalereien der ehemaligen Zisterzienserkirche Altenberg. Bergisch Gladbach 1979, S. 17.

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gut möglich, dass sich Wikbold  – ein Mann vielfältiger Kontakte und bester Beziehungen – persönlich in Köln um einen Bauleiter für jene Kirche bemühte, deren Fertigstellung ihm ein besonders dringliches Anliegen gewesen sein muss. Träfe dieses Szenario zu, dann dürften die Pergamentrisse nach 1375 von Köln aus nach Altenberg gelangt sein. Als sie einige Generationen später zu Makulatur zerschnitten wurden, war die zisterziensische Bauhütte längst in alle Winde zerstreut, und nur ihr bloßer Materialwert bewahrte sie vor dem restlosen Verschwinden¹7¹.

Entsprechend mag ihm dabei zugleich mit den übrigen Fragmenten das aus dem Kölner Fassadenriss herausgetrennte verworfene Stück des Mittelbaus mit dem ersten Fensterentwurf zur Verfügung gestanden haben. So ist es letztlich weniger das auf 1283 angesetzte Westfenster der Marburger Elisabethkirche als vielmehr dasjenige von 1386 in Altenberg, das einen verlässlichen Terminus ante quem für die Datierung des Kölner Fassadenriss darstellt.

171 Norbert Nußbaum : Neues zu den Turmplanungen des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 79, 2014, S. 119.

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eit seiner Wiederentdeckung vor zwei Jahrhunderten  – und namentlich in der kunsthistorischen Forschung des 20.  Jahrhunderts  – bestand ein berechtigtes Interesse, den Kölner Fassadenriss mit einem konkreten Verfassernamen in Verbindung setzen zu können. Anders als beim Straßburger Münster, an dessen 1277 begonnener Westfassade bis zum 18.  Jahrhundert eine Inschrift den Namen ihres Entwerfers und ersten Baumeisters, Erwin von Steinbach, der Nachwelt überliefert hatte,¹7² oder – im Kölner Umkreis – der Soester Wiesenkirche, deren Westbau laut Inschrift 1421 durch Johannes Verlach begonnen worden war,¹7³ nennt am Kölner Dombau jedoch keine Inschrift den Namen des Entwerfers einer seiner Bauabschnitte. Dabei schien es ein wichtiges Indiz für die Identifizierung der Autorschaft des Fassadenrisses zu geben. Noch zu Beginn des 19. Jahrhundert hätten sich, wie Boisserée berichtete, »an der Seite neben der Thurmspitze […] noch unverkennbare Spuren eines gleichfalls schon vor langer Zeit weggeschabten Namens mit diesem noch deutlich sichtbaren Handzeichen« gezeigt, von dem heute jedoch keine Spur mehr erkennbar ist.¹74 »Es war ohne Zweifel der Name des Baumeisters, welcher, wie damals üblich, seiner Unterschrift statt eines Siegels sein Zeichen beigefügt hatte.«¹75 Unnötig zu sagen, dass die Überlieferung des Namens alle Spekulation über Zuschreibung und Datierung des Kölner Fassadenrisses erübrigt hätte. Auch das bei Boisserée überlieferte Zeichen führt in dieser Hinsicht nicht weiter, da es nicht in die Kategorie eines Steinmetzzeichens fällt und auch sonst nicht identifizierbar ist. Die Anbringung des Namens und Zeichens eines Baumeisters auf einem Bauriss ist ein spätmittelalterliches Phänomen. Es findet sich auf dem Konstanzer Brunnenriss des Hans Böblinger von 1435, dem Ulmer Turmriss des 172 Reinhard Liess und Andrea Köpke : Zur ehemaligen Erwin-Inschrift von 1277 an der Westfassade des Strassburger Münsters. In : Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins  137/138, 1989, S. 105–173. 173 Theodor Rensing : Die Baumeister der Wiesenkirche. In : Westfalen 47, 1969, S. 212. 174 Peter Pause : Gotische Architekturzeichnungen in Deutschland. Diss. Bonn 1973, S. 159 f. 175 Sulpiz Boisserée : Geschichte und Beschreibung des Doms von Köln nebst Untersuchungen über die alte Kirchenbaukunst. Textband, Stuttgart 1823, S. 7.

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Matthäus Böblinger von 1494 und zwei Wiener Turmplänen des Gregor Hauser von 1516. Mit seinem Meisterzeichen ist der vor 1490 entstandene Entwurf von Hans Hammer für den Turmauf bau des Straßburger Münsters bezeichnet ; mit (nicht identifiziertem) Zeichen und der Jahreszahl 1507 versehen ist der Berliner Riss des Freiburger Münsterturms. Schon von hier aus gesehen verweist die Beschriftung des Plans – sofern es sich nicht um einen späteren Besitzervermerk gehandelt hat – auf eine spätmittelalterliche Entstehung. Da eine Zuschreibung vom Plan her selbst nicht erfolgen konnte, so blieb als einzige Möglichkeit der Weg über dessen zeitliche Zuordnung, die  – je nach Argumentation des jeweiligen Autors  – zu einem jeweils anderen Ergebnis führen musste. Da die Liste der Kölner Dombaumeister im Wesentlichen feststand, so schien es leicht, den Plan entsprechend der in Vorschlag gebrachten Datierung mit einem der überlieferten Namen zu versehen, auch wenn letztlich über die künstlerische Identität des jeweiligen Dombaumeisters wenig bekannt war. Dass der Fassadenplan aufgrund seiner entwickelteren Formensprache nicht aus der ersten Bauzeit des Kölner Domes stammen und daher auch nicht dem ersten der Dombaumeister, also Meister Gerhard, zugeschrieben werden konnte, war von Anfang an Konsens in der Forschung, zumal es offenbleiben musste, ob der entwerfende Meister des Chorbaus tatsächlich bereits eine Konzeption für den Westbau hinterlassen haben dürfte. Dass wir mit dem aus einem rheinischen Ministerialengeschlecht stammenden und 1268 als magister operis genannten Kölner Domherrn Gerhard von Rile den ersten Baumeister des Kölner Domes vor uns haben,¹76 muss ausgeschlossen werden, da es sich bei diesem unmissverständlich um den seitens des Domkapitels bestellten Bauverwalter gehandelt hat.¹77 Von seiner Person ist vielmehr der erstmals 1257 als Dombaumeister genannte Meister Gerhard zu unterscheiden, unter dessen Leitung Teile des Kapellenkranzes des Kölner Domchores errichtet

176 Hans Jürgen Rieckenberg : Der erste Kölner Dombaumeister Gerhard. In : Archiv für Kulturgeschichte 44, 1962, S. 335–349. 177 Günther Binding : Wer war Meister Gerhard, der vor 750 Jahren den Kölner Dom geplant und gebaut hat ? In : Ulrich Krings, Wolfgang Schmitz und Hiltrud Westermann-Angerhausen (Hrsg.) : Thesaurus Coloniensis. Beiträge zur mittelalterlichen Kunstgeschichte Kölns. Festschrift für Anton von Euw. Köln 1999, S. 189–203 ; Günther Binding : Meister der Baukunst. Geschichte des Architekten- und Ingenieurberufes. Darmstadt 2004, S.  83. Vgl. Günther Binding : architectus, magister operis, wercmeistere : Baumeister oder Bauverwalter im Mittelalter. In : Mittellateinisches Jahrbuch 34, 1999, S. 13.

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worden sind.¹78 Dieser jedenfalls liefert in seiner klaren Einfachheit keinerlei Hinweis auf einen irgendwie gearteten stilistischen Zusammenhang mit dem außerordentlich reich detaillierten Fassadenplan. Für Meister Gerhard wird seitens der Forschung meist von einer deutschen Herkunft ausgegangen, wobei er seine detaillierte Kenntnis französischer Gotik bei einem längeren Aufenthalt in Paris erworben habe.¹79 Demgegenüber konnte Marc Carel Schurr auf die entscheidende Vermittlerrolle der lothringischen Kathedralen von Toul und Metz verweisen, in denen sich ganz wesentliche Gestaltungselemente von Köln vorformuliert finden, so dass Schurr zu Recht die Frage aufwirft, »ob nicht Meister Gerhard sogar aus dem deutschsprachigen Teil Lothringens stammte. […] Die künstlerischen Voraussetzungen für seine Architektur sind in Paris und Amiens zu suchen – ihre Vermittlung nach Köln kann jedoch sehr gut über die Zwischenstation Metz erfolgt sein«.¹80 Ein Indiz für die Herkunft aus dem deutsch-französischen Grenzraum mag hier die bereits genannte Grundrisszeichnung des Kölner Domchores bieten, die Hans Hammer im ausgehenden 15. Jahrhundert in sein Musterbuch kopierte und die eine gemischtsprachige Beschriftung aufweist.¹8¹ In Metz habe vor allem ein »filigranes Gitterwerk, voll durchlichtet und flach in einer Ebene angeordnet, […] die plastisch und mehrschalig gegliederte Wandvorstellung«, wie sie zuvor den Entwurf beherrscht hatte, verdrängt.¹8² Dass von dieser filigranen Gestaltungsweise kein Weg zu dem die Baumassenform betonenden Entwurf der Kölner Westfassade zu führen vermag, ist umso offensichtlicher, wenn man die beiden seitlich stehenden außerordentlich schlanken und offenen Turmbauten der Metzer Kathedrale hinzuzieht, die kaum als Modell für Köln infrage gekommen wären.

178 Arnold Wolff : Chronologie der ersten Bauzeit des Kölner Domes 1248–1277. In : Kölner Domblatt 28/29, 1968, S. 215. 179 Arnold Wolff : Die vollkommene Kathedrale. Der Kölner Dom und die Kathedralen der Îlede-France. In : Ludger Honnefelder, Norbert Trippen und Arnold Wolff (Hrsg.) : Dombau und Theologie im mittelalterlichen Köln. Festschrift zur 750-Jahrfeier der Grundsteinlegung des Kölner Domes und zum 65. Geburtstag von Joachim Kardinal Meisner (Studien zum Kölner Dom, Bd. 6). Köln, 1998, S. 44. 180 Marc Carel Schurr : Von Meister Gerhard zu Heinrich Parler. Gedanken zur architekturgeschichtlichen Stellung des Kölner Domchores. In : Kölner Domblatt 68, 2003, S. 135 f. 181 Johann Josef Böker : Ein mittelalterlicher Grundriß des Kölner Domchores. In : Kölner Domblatt 74, 2009, S. 268–275. 182 Marc Carel Schurr : Von Meister Gerhard zu Heinrich Parler. Gedanken zur architekturgeschichtlichen Stellung des Kölner Domchores. In : Kölner Domblatt 68, 2003, S. 123.

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Aber auch seitens der Kathedrale von Amiens, die immer als Vorbild für die Chordisposition in Köln herangezogen wurde,¹8³ ergibt sich keine Möglichkeit der Ableitung der Kölner Domfassade, da sich die Amienser Fassade als ein flacher Baukörper gänzlich auf die vorgestellten Strebepfeiler beschränkt, ohne im eigentlichen Sinne Turmkörper auszubilden. Innerhalb des Erfahrungshorizontes, der dem Entwurfsverfasser des Kölner Domes zur Verfügung gestanden hatte, bot sich damit kein überzeugendes Vorbild für eine Fassadengestaltung. Vielmehr lässt sich in diesem Zeitraum eher die Tendenz zur Reduktion traditioneller Fassadenauf bauten erkennen. Zudem dürfte der ungeheure Entwurfsaufwand des Chorbaus in den ersten Jahrzehnten alle Kräfte der Dombauhütte unter Meister Gerhard gebunden haben. Dafür jedenfalls, dass der, wie es Steinmann formulierte, »von Meister Arnold entworfene Westbau den ursprünglichen, von Meister Gerhard geplanten« ersetzt habe, so dass, wie angenommen, bereits »viele der verlorenen Zwischenschritte auf dem Weg zum Riß F schon von Meister Gerhard geschaffen« worden seien,¹84 gibt es keinerlei Hinweise. Aufgrund der Frühdatierung des Fassadenplans durch Marc Steinmann rückte aber Gerhards Nachfolger, Meister Arnold, als möglicher Planverfasser in den Fokus. Ob aber nun dieser Meister Arnold, der zuvor als Parlier unter dem ersten Dombaumeister gearbeitet hatte, die Persönlichkeit gewesen war, schon wenige Jahre nach seinem Amtsantritt – er ist 1271 erstmals in seiner neuen Funktion genannt¹85  – einen vollständig ausgearbeiteten Gesamtplan für ein Fassadenprojekt auszuarbeiten, an dessen Realisierung für Jahrzehnte nicht zu denken war, bleibt fraglich. Seine Tätigkeit musste sich zunächst auf die Errichtung des Chorobergadens einschließlich der Wölbung und damit des außerordentlich diffizilen Strebewerks konzentrieren, was für eine zusätzliche Planungsaufgabe wie einen komplexen Westbau und dessen Anschluss an den noch zu errichtenden Langhausobergaden  – auch dieser ist in einer mit dem Fassadenentwurf gleichzeitigen Planzeichnung erhalten¹86 – letztlich wenig Kapazitäten frei ließ. 183 Georg Schelbert : Die Chorgrundrisse der Kathedralen von Köln und Amiens. In : Kölner Domblatt 62, 1997, S. 85–110. 184 Marc Steinmann : Die Westfassade des Kölner Domes. Der mittelalterliche Fassadenplan F (Forschungen zum Kölner Dom, Bd. 1). Köln 2003, S. 203. 185 Herbert Rode : Meister Arnold bereits 1271 Kölner Dombaumeister. In : Kölner Domblatt 21/22, 1963, S. 164. 186 Arnold Wolff : Mittelalterliche Planzeichnungen für das Langhaus des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 30, 1969, S. 137–178.

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Insbesondere aber muss bezweifelt werden, ob der neu ernannte Dombaumeister und bisherige Kölner Parlier, der also als Steinmetz aus der Kölner Dombauhütte hervorgegangen ist und hier bereits längere Zeit tätig gewesen sein muss, tatsächlich den erforderlichen Zugang zu den genau gleichzeitig entstandenen Fassadenplanungen des Erwin von Steinbach für das Straßburger Münster besessen hat, deren Kenntnis für den Zeichner des Kölner Fassadenplans unverzichtbar war. Mit Letzterem liegt vielmehr das reife Werk eines erfahrenen Baumeisters vor, dem eine grundlegende Kenntnis gotischer Sakralarchitektur – nicht nur des Straßburger und des Freiburger Münsters – sondern auch der französischen Kathedralen, wie Reims, Troyes oder Rouen – zur Verfügung stand. Aus der formalen Logik des Hochchores mit seinem feingliedrigen Formensystem allein jedenfalls lässt sich das Massiv des Kölner Westbaus mit seiner baukörperhaften Präsenz nicht erklären. Für beide Bauaufgaben denselben Entwurfsverfasser anzunehmen, verbietet sich daher schon aus offensichtlichen stilistischen Gründen. Wenn Meister Arnold auf Planmaterial seines Vorgängers zurückgreifen konnte, dann für den Vollendungsbau des Hochchores und nicht für den noch lange zurückgestellten Westbau. Dass aber dieser Meister Arnold gegenüber Meister Gerhard der eigentliche »Praktiker« war, erhellt schon daraus, dass er auch nach seiner Ernennung zum Dombaumeister seine frühere Berufsbezeichnung »Parlier« als Beinamen weiterführte (Magister Arnoldus lapicida dictus poleyr).¹87 Mit ihm haben wir, wie bereits Andreas Huppertz vermutete, vielleicht sogar den Stammvater der aus Köln stammenden Baumeisterfamilie »Parler« vor uns.¹88 Wie sehr Arnolds Position in Köln gefestigt war, erhellt sich daraus, dass seine beiden Söhne Johannes und Rutger ihm im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts in diesem Amt nachfolgten. Bei dem älteren Heinrich Parler, dem Dombaumeister in Augsburg und Münsterbaumeister von Schwäbisch Gmünd, könnte es sich somit um den Sohn eines dieser beiden gehandelt haben. Die ältere Kunstgeschichte hatte demgegenüber einen der beiden Söhne Meister Arnolds, Johannes, als Entwerfer der Westfassade postuliert, was insoweit logisch erschien, als unter ihm der Bau des Hochchores fertiggestellt und damit, wie man meinte, der Weg für den Baubeginn des Westbaus frei gewesen sei. Im Anschluss an die Weihe des Hochchores im Jahre 1322 kon187 Leonard Ennen : Der Dom zu Köln von seinem Beginne bis zu seiner Vollendung. Köln 1880, S. 85 f., 91. 188 Andreas Huppertz : Die Künstlersippe der Parler und der Dom zu Köln. In : Hans Vogts (Hrsg.) : Der Kölner Dom. Festschrift zur Siebenhundertjahrfeier 1248–1948. Köln 1948, S. 142.

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zentrierte sich, wie man inzwischen weiß, die Bautätigkeit zunächst jedoch auf den Baubeginn am Querhaus, das kaum über die Ansätze seiner Portale hinaus gedieh, vor allem aber auf die Errichtung der beiden südlichen Seitenschiffe, die offensichtlich jetzt die vordringlichste Bauaufgabe darstellten. Ihr Bau erfolgte ab 1325 abschnittweise von Ost nach West und war, wie der genannte Münzfund belegt, um oder nach 1360 soweit gediehen, dass auch die Fundamente des anschließenden Südwestturms gelegt werden konnten. Damit war es immerhin möglich geworden, in einem ersten Bauabschnitt auf der Südseite eine Hallenkirche zu errichten, die als interimistische Gemeindekirche zu dienen vermochte. Dass ein von der übrigen Baustelle abgetrennter Teilraum, der in Kämpferhöhe der Pfeiler mit einer vorläufigen Dachkonstruktion abgeschlossen war, bis zur Fertigstellung des Gesamtbaus als provisorischer Kirchenraum genutzt werden konnte, zeigt die Kathedrale von Amiens, wo zunächst das Südschiff des Langhauses bis zum Jahre 1227 als ein immerhin vollständig gewölbter Sonderraum entstand.¹89 Vor allem aber ist die Form der gotischen Hallenkirche etwa des Mindener Domlanghauses, wie Hans-Joachim Kunst nachgewiesen hat, räumlich hier vorgebildet,¹90 Gleiches gilt für das Langhaus der 1340 begonnenen Überwasserkirche in Münster. Hier lässt sich ein entscheidender Einfluss der Kölner Dombauhütte auf die Entwicklung der nordwestdeutschen Sakralarchitektur feststellen. Die Errichtung dieser immerhin sechsjochigen »Hallenkirche« am Kölner Domlanghaus muss die beiden Söhne des 1308 verstorbenen Arnold, Johannes und Rutger, wie auch Bartholomäus von Hamm, der bis 1353 belegt ist, über drei Jahrzehnte hinreichend beschäftigt haben. Dass während dieses Zeitraums schon Überlegungen hinsichtlich des Westabschlusses angestellt worden sein müssen, ist selbstverständlich. Dass sich diese aber erst relativ spät in einer tatsächlichen Planung niedergeschlagen haben, zeigt der bekannte, in Wien auf bewahrte Grundriss des Südturms (Abb.  30), der der eigentlichen Fassadenplanung vorausging und den Anschluss an die beiden als vollendet angenommenen südlichen Seitenschiffe des Domlanghauses zeigt.¹9¹ Nach diesem Plan aber seien, wie auch Arnold Wolff betont hat, die Fundamente des Westbaus gelegt worden, die dann für den endgültigen Fassadenentwurf mit 189 Stephen Murray : Notre Dame, Cathedral of Amiens : The Power of Change in Gothic. Cambridge 1996, S. 147. 190 Hans-Joachim Kunst : Der Domchor zu Köln und die hochgotische Kirchenarchitektur in Norddeutschland. In : Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 8, 1969, S. 9–40. 191 Julius Bankó : Grundriß des südlichen Thurmes des Cölner Domes. Facsimile einer alten Pergamentzeichnung der Bauhütte zu St. Stephan. In : Wiener Bauhütte 4, 1865, Teil II, S. 2.

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Abb. 30€€: Köln, Dom. Grundrisszeichnung des Südturms in Wien

seinen ausgreifenden Strebepfeilern angestückt werden mussten.¹9² Die Überlagerung des Wiener Plans mit dem bestehenden Turmgrundriss (Abb.  31) verdeutlicht die zwischen beiden bestehenden Divergenzen. Der Grundriss ist auch achsenmäßig stärker als der nachfolgende Fassadenplan auf die beiden 192 Der Versuch Steinmanns, die Authentizität und Richtigkeit der durch Arnold Wolff ermittelten Grabungsergebnisse infrage zu stellen und ihnen eine verfälschende Absicht zu unterlegen, zeigt die Problematik der Argumentation.

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Abb. 31€€: Köln, Dom. Überlagerung der Wiener Grundrisszeichnung mit dem bestehenden Südturm

Seitenschiffe bezogen, die er zudem mit jeweils einem eigenen Portal einer insgesamt fünfteiligen Portalgruppe erschließt. Der Grundgedanke zeigt ein völlig anderes Konzept als der ausgeführte Plan der Westfassade, indem es stärker auf Reihung denn auf Hierarchisierung zielt. Die Wiener Grundrisszeichnung unterscheidet sich in ihrer kräftigen Strichführung deutlich von der sehr viel feineren Zeichenweise der Grundrisse, die im Zusammenhang mit dem großen Fassadenplan stehen, so dass sie nicht von demselben Zeichner stammen können. Der Zusammenhang mit

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Abb. 32€€: Prag, Veitsdom, Aufrisszeichnung des Strebewerks Abb. 33€€: Köln, Domlanghaus, Aufrisszeichnung des Strebewerks (Kopie des 19. Jahrhunderts)

der späten Planungsphase des südlichen Seitenschiffspaars lässt an die Zeit des Bartholomäus von Hamm denken. Eine sehr ähnliche Zeichenweise aber bestimmt die Baurisse, die aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts für den Prager Veitsdom erhalten sind und sich  – genau wie die Wiener Grundrisszeichnung – in der Wiener Sammlung erhalten haben. Es dürfte sich demnach bei diesen Zeichnungen um einen zusammenhängenden Bestand gehandelt haben, der mit der Berufung Wenzel Parlers bzw. spätestens mit Auflösung der Prager Dombauhütte an die des Wiener Stephansdomes gelangt ist und damit letztlich auf den Besitz Peter Parlers zurückgehen muss. Den engen Zusammenhang zwischen der Kölner Bauhütte und den Planungen Peter Parlers in Prag beweist dabei die Aufrisszeichnung des Strebewerks des Veitsdomes, das in seinem Auf bau vollständig dem Kölner Strebewerk gleicht (Abb.  32).

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Zudem existierte von dem Strebewerk des Kölner Domlanghauses noch im mittleren 19. Jahrhundert in der Ulmer Münsterbauhütte eine heute verschollene Zeichnung, von der damals eine Kopie hergestellt wurde (Abb. 33). Diese lasse, wie Arnold Wolff betonte, selbst noch in der Umzeichnung deutlich die Handschrift der Parlerzeit erkennen : »Man mag annehmen, daß ein reisender Parler um 1390 in Köln einen älteren Plan kopierte und dabei zwar die Struktur beibehielt, Krabben und Kreuzblumen aber in der ihm geläufigen Weise und damit den ganzen Plan modernisierte.«¹9³ Offensichtlich bezieht Wolff sich hier auf den noch zu besprechenden jüngeren Heinrich Parler, dem Neffen Peter Parlers, der sich nachweislich 1387 in Köln aufgehalten hat, bevor er noch in demselben Jahr die Stelle als Ulmer Münsterbaumeister antrat. In diese Zeit fällt vor allem die Tätigkeit des älteren Heinrich Parler, der im Jahre 1351 zum Bau des Chores des Heiligkreuzmünsters von Schwäbisch Gmünd berufen wurde und dessen Herkunft aus der Kölner Dombauhütte die bekannte Prager Bauinschrift seines Sohnes Peter Parler bezeugt. Am Chor des Heiligkreuzmünsters von Schwäbisch Gmünd sprechen vor allem die Fenstermaßwerke des Kapellenkranzes, die eine Variation der Formensprache des Kölner Domes sind, für die Beziehung. Fast leitmotivisch eingesetzt ist hier das Motiv der wimpergbekrönten Figurennischen an den Strebepfeilerstirnen, das dann in Köln bei der Ausführung zu einer Blendenform vereinfacht wurde. Und auch für den nur wenig später begonnenen Nürnberger Sebaldchor verwies Werner Gross auf die Ähnlichkeiten mit der Kölner Domfassade, indem »die Geschoßmarkierung durch Tabernakel- und Wimpergreihen, die Fenstereinbettung durch Blendengliederstreifen und die breit hinterfangende Dachgalerie, dazu die vielfache Motivresponsion« ein verwandtes strukturelles Gefüge entstehen lasse.¹94 Mehr noch als der Baubeginn des Chores von Schwäbisch Gmünd aber scheint ein anderes prestigeträchtiges Bauprojekt den Fortgang Heinrich Parlers nach Schwaben veranlasst zu haben, nämlich der Bau des Ostchores des Augsburger Domes, zu dem Bischof Marquard von Randeck im Jahre 1356 den Grundstein gelegt hatte.¹95 Seine ursprüngliche Konzeption hatte, angelegt in den Umfassungsmauern, eine Nachbildung des monumentalen Kölner 193 Arnold Wolff : Mittelalterliche Planzeichnungen für das Langhaus des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 30, 1969, S. 168. 194 Werner Gross : Mitteldeutsche Chorfassaden um 1400. In : Elisabeth Hütter u.  a. (Hrsg.) : Kunst des Mittelalters in Sachsen. Festschrift Wolf Schubert. Weimar 1967, S. 123. 195 Georg Himmelheber : Der Ostchor des Augsburger Doms  – Ein Beitrag zur Baugeschichte (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 15). Augsburg 1963.

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Domchores vorgesehen.¹96 Als Baumeister des Augsburger Ostchores konnte entsprechend der bisherige Parlier an der Kölner Dombauhütte namhaft gemacht werden.¹97 Da umgekehrt Bischof Marquard als Berater Kaiser Karls IV. ihn auf seinem ersten Romzug im Jahre 1354/55 begleitet hatte, und dieser 1356 Peter Parler als Dombaumeister nach Prag berief, schließt sich hier ein Kreis der von Köln ausgehenden Personalbeziehungen. Die enge Verbindung Peter Parlers zur Kölner Dombauhütte ist bekannt. Die wichtigste Quelle hierzu ist die Triforiumsinschrift des Prager Doms, in der er sich als Sohn des Henrici Parleri de Colonia Magistri de Gemunden in Suebia, also als Sohn des Heinrich Parler von Köln, des Meisters von Schwäbisch Gmünd, bezeichnet.¹98 Bevor er – erst dreiundzwanzigjährig – 1356 von Karl  IV. auf die Prager Dombaumeisterstelle berufen wurde, hatte er seine Ausbildung am Kölner Dom erhalten und in erster Ehe Gertrud, die Tochter des Kölner Werkmeisters Bartholomäus von Hamm, geheiratet. Die Ausbildung zum Werkmeister beinhaltete nach den aus dem 15. Jahrhundert erhaltenen Regeln auch die Unterweisung im Entwurf,¹99 den er entsprechend bei seiner Berufung nach Prag beherrscht haben muss. Dass er dabei zu den Entwurfsarbeiten für die jetzt anstehende Errichtung des Westbaus hinzugezogen wurde, ist anzunehmen, ob nun als Zeichner oder bereits als selbständiger Entwerfer. Die Tatsache, dass der Grundriss mit ihm nach Prag ging, belegt immerhin ein gewisses geistiges Eigentumsrecht an ihm, etwa, indem es sich um sein in Köln vorgelegtes Meisterstück gehandelt haben dürfte. Vor allem lässt sich, wie schon immer gesehen wurde, die parlerische Komponente bekanntlich am Kölner Dom greifen, namentlich in den parlerischen 196 Johann Josef Böker : Der Augsburger Dom-Ostchor : Überlegungen zu seiner Planungsgeschichte im 14.  Jahrhundert. In : Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben  77, 1983, S. 90–102 ; Hubert Hufnagel : Zur Baugeschichte des Ostchors des Augsburger Domes. In : Architectura – Zeitschrift für Geschichte der Baukunst, Jg. 1987, S. 32–44. 197 Marc Carel Schurr : Die Erneuerung des Augsburger Domes im 14. Jahrhundert und die Parler. In : Martin Kaufhold (Hrsg.) : Der Augsburger Dom im Mittelalter. Augsburg 2006, S. 49– 59 ; Marc Carel Schurr : Die Baukunst Peter Parlers. Der Prager Veitsdom, das Heiligkreuzmünster in Schwäbisch Gmünd und die Bartholomäuskirche zu Kolin im Spannungsfeld von Kunst und Geschichte. Ostfildern 2003, S. 50 f. 198 Marc Carel Schurr : Heinrich und Peter Parler am Heiligkreuzmünster in Schwäbisch Gmünd. In : Richard Strobel und Annette Siefert (Hrsg.) : Parlerbauten. Architektur – Skulptur – Restaurierung. Internationales Kolloquium zum Heiligkreuzmünster in Schwäbisch Gmünd 17.–19. Juli 2001 (Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Arbeitsheft 13). Stuttgart 2004, S. 29–38. 199 Paul Booz : Der Baumeister der Gotik (Kunstwissenschaftliche Studien, Bd.  27). München 1956, S. 19.

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Archivoltenfiguren des Petersportals²00 und natürlich in der Parlerkonsole selbst, die das Wappen der Familie, den gewinkelten Pfahl, trägt. Darüber hinaus weisen, wie Barbara Schock-Werner betonte, »die Sockel der Wenzelskapelle am Prager Veitsdom […] ein annähernd gleiches Profil auf«, wie es auch die Birnstabbündelpfeiler der Kölner Südturmhalle zeigen. »Nun entstanden beide Bauteile, Südturmhalle und Wenzelskapelle, im Jahrzehnt nach 1360, keine der beiden ist genauer zu datieren. Man kann also nicht sagen, in welcher Stadt das Vorbild und wo die Nachfolge steht. Wichtig ist, dass die Grundlage für diese charakteristische Sockelbildung in der Sakramentskapelle des Kölner Domes zu finden ist.«²0¹ Die Bündelpfeilerformation findet sich bereits auf der schon genannten Wiener Grundrisszeichnung des Kölner Domsüdturms eingetragen, die noch im Mittelalter – und vielleicht über Prag – an die dortige Dombauhütte gelangt ist. Da  – im Gegensatz zur Prager Dombauhütte  – in Köln die Dombaurechnungen nicht erhalten sind, fehlen Angaben über Mitglieder der Parlerfamilie, die zumindest zeitweise hier mitgearbeitet hatten. Auch im weiteren Umkreis der Kölner Dombauhütte zeigt sich in dieser Zeit der parlerische Einfluss, so an der Münsteraner Lambertikirche, deren Chorbau 1375 begonnen worden war.²0² In dessen Fenstermaßwerk, das 1387 – in demselben Jahr hält sich der jüngere Heinrich Parler in Köln auf  – beim Einbau der Verglasung im Wesentlichen fertiggestellt gewesen sein muss, sind deutlich die geteilten Fischblasenfigurationen des Prager Veitsdomes, konkret eines Blendmaßwerks am Strebewerk des 1384 fertiggestellten Obergadens, zitiert.²0³ Ähnliche Fischblasenmaßwerke parlerischer Prägung zeigen die spätgotischen Chorbauten von St. Martini (ab 1394) und St. Ludgeri, aber auch der Westbau der Braunschweiger Andreaskirche oder die 1395 von Wilhelm Knoke begonnene Cyriakuskirche von Duderstadt vertreten einen dezidierten parlerischen Einfluss.²04 200 Joseph Lange : Die Quirinusskulptur von Heinrich Parler am Petersportal des Kölner Domes. In : Neusser Jahrbuch für Kunst, Kulturgeschichte und Heimatkunde 1980, S. 31–36. 201 Barbara Schock-Werner : Die Parler stecken im Detail (Teil I). Birnstabprofile in Köln und Prag. In : Richard Strobel und Annette Siefert (Hrsg.) : Parlerbauten. Architektur  – Skulptur – Restaurierung. Internationales Kolloquium zum Heiligkreuzmünster in Schwäbisch Gmünd 17.–19. Juli 2001 (Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Arbeitsheft 13). Stuttgart 2004, S. 60. 202 Johann Josef Böker : Die Marktpfarrkirche St.  Lamberti in Münster : Die Bau- und Restaurierungsgeschichte einer spätgotischen Stadtkirche (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen, Bd. 18). Bonn 1989, S. 33 f. 203 Lottlisa Behling : Gestalt und Geschichte des Maßwerks. Halle 1944, S. 48. 204 Heinz Rosemann : Ausstrahlungen der Parler-Bauhütte im südlichen Niedersachsen. In : Kunstchronik 7, 1954, S. 284 f.

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Nicht Peter Parler wurde schließlich auf die Stelle des Kölner Dombaumeisters berufen, sondern der etwas ältere Michael von Savoyen, der, wohl um 1320 geboren, nach 1387 verstorben ist. Seine erste Erwähnung als magister fabricae ecclesiae Coloniensis findet sich, zusammen mit seiner Frau Druda, anlässlich eines Hauskaufs von 1353 verzeichnet, ebenso wie die Tatsache, dass er zehn Jahre später die auf diesem Haus lastende Hypothek abbezahlt hatte. Der Hauskauf zu Beginn seiner Amtszeit deutet auf einen Zuzug von außerhalb, zugleich aber auch auf einen gewissen Wohlstand, den er sich bereits zu diesem Zeitpunkt erworben hatte. In ähnlicher Weise hatte der erste namentlich bekannte Kölner Dombaumeister Gerhard nach neun Jahren sich ein eigenes Haus errichten lassen können, und auch für Peter Parler sind nach relativ kurzer Tätigkeit als Prager Dombaumeister Hauskäufe überliefert.²05 Die Herkunftsangabe von Savoyen (Savoiye bzw., in mundartlicher Umformung, Sabogen) ist zwar erst für zwei seiner Kinder belegt, entsprechend aber auch für Meister Michael selbst zu erschließen.²06 Schon Andreas Huppertz hatte 1948 betont, »daß die Beziehungen zwischen den Parlern und den Savoyen noch ausgedehnter und älter waren als bisher angenommen, und daß sie außer durch spätere Heiraten auch durch Patenschaften hin und her befestigt wurden«²07. So war ein Sohn des Kölner Dombaumeisters, gleichfalls mit dem Namen Michael und der Herkunftsbezeichnung »aus Köln am Rhein« (de Colonia Renis), zwischen 1373 und 1384 als Steinmetz am Prager Dombau beschäftigt²08 und heiratete dort 1381 die Tochter Peter Parlers. Überhaupt spielte die Vervollständigung der Ausbildung der Söhne des Kölner Dombaumeisters an der Prager Dombauhütte eine wichtige Rolle, indem ein lathomus Johannes de Colonia hier in den Baurechnungen geführt ist. Das Gleiche gilt für einen weiteren Sohn Meister Michaels, Rutger van Kampen (bzw. Rotgher Micheelszoon van Colen), der 1369 als Baumeister der Nikolai- und der Liebfrauenkirche von Kampen und schließlich 1391 auch der Liebfrauenkirche in Leiden angestellt wurde ; im Winter 1372/73 arbeitete

205 Barbara Schock-Werner : Die Entlohnung der Werkmeister an Bauhütten des späten Mittelalters. In : Kölner Domblatt 41, 1976, S. 125 f. 206 Otto Kletzl : Savoyen. In : Ulrich Thieme und Felix Becker : Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Bd. 29, Leipzig 1935, S. 514. 207 Andreas Huppertz : Die Künstlersippe der Parler und der Dom zu Köln. In : Hans Vogts (Hrsg.) : Der Kölner Dom. Festschrift zur Siebenhundertjahrfeier 1248–1948. Köln 1948, S. 142. 208 Josef Neuwirth : Die Wochenrechnungen und der Betrieb des Prager Dombaues in den Jahren 1372– 1378. Prag 1890, S. 418 f.

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er in der Prager Dombauhütte mit.²09 Geradezu schlagartig macht sich diese neue Prager Erfahrung am Chor der Kampener Bovenkerk, bemerkbar, deren Kapellenfenster noch den Kölner Prototyp verarbeiten, während sich in den Maßwerken des Obergadens entschieden der parlerische Einfluss manifestiert. Als weitere direkte Nachkommen Michaels von Savoyen werden 1364 eine Tochter Lisa und in den Jahren 1365 bis 1368 ein Sohn Petrus genannt, bei dem wohl Peter Parler namensgebender Taufpate gewesen sein dürfte. Umgekehrt war der jüngere Heinrich Parler von Gmünd, ein Neffe Peter Parlers, mit einer Tochter Meister Michaels, Drutginis, verheiratet und hielt sich 1387 zur Regelung ihrer Erbschaftsangelegenheit in Köln auf.²¹0 Mit der Person Heinrich Parlers wird gerne die sogenannte Kölner Parlerbüste in Beziehung gesetzt und diese entsprechend als Portrait seiner Frau Drutginis gedeutet (Abb.  34). Offensichtlich bis 1378 hatte Heinrich unter Michael von Savoyen an der Kölner Dombauhütte gearbeitet, um in diesem Jahr als Mitarbeiter unter Peter Parler an die Prager Dombauhütte zu wechseln.²¹¹ Von 1381 bis 1387 stand er in Brünn im Dienst des Markgrafen Jobst von Mähren – eines Neffen Karls  IV., der noch in seinem Todesjahr 1410 zum deutschen König gewählt werden sollte.²¹² Als Jobst von Mähren die Herrschaft über die Markgrafschaft Brandenburg und kurz darauf auch über das Herzogtum Luxemburg antrat, schied Heinrich Parler im Jahre 1387 aus seinen Diensten aus und übernahm das Amt des Münsterbaumeisters in Ulm. In die Amtszeit dieses jüngeren Heinrich Parler am Ulmer Münster fallen u.  a. die Fenstermaßwerke, die, wie es Marc Carel Schurr formulierte, »mit ihren aufgebrochenen Passformen und Fischblasenmustern […] unmittelbar die originellen 209 Ruud Meischke : Drie kerken van Rutger van Kampen. In : H.  W.  M. van der Wijk, C.  Boschma und Herma M. van den Berg (Hrsg.) : Opus Musivum. Een bundel studies aangeboden aan Professor Doctor M. D. Osinga ter gelegenheid van zijn zestigste verjaardag op 10 november 1962. Assen 1964, S. 115–160 ; Leonhard Helten : Kathedralen für Bürger. Die St. Nikolauskirche in Kampen und der Wandel der architektonischen Leitbilder städtischer Repräsentation im 14.  Jahrhundert. Amsterdam 1994 ; ders.: »Reizende Bouwmeester« – der Werkvertrag zwischen den Kirchherren von St. Peter zu Leiden und dem Werkmeister Rutger aus Köln aus dem Jahre 1391. In : Stefan Bürger und Bruno Klein (Hrsg.) : Werkmeister der Spätgotik. Position und Rolle der Architekten im Bauwesen des 14. bis 16. Jahrhunderts. Darmstadt 2009, S. 129–144 und 229–233. 210 Alfred Klemm : Württembergische Baumeister und Bildhauer bis zum Jahr 1750. In : Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 5, 1882, S. 51. 211 Dieter Großmann : Überlegungen zur Person von »Heinrich« in den Prager Dombaurechnungen. In : Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 46/27, 1993/94, S. 235. 212 Berthold Bretholz : Zur Biographie des Markgrafen Jodok von Mähren. In : Zeitschrift des Vereins für Geschichte Mährens und Schlesiens 3, 1899, S. 237–265.

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Abb. 34€€: Köln, Schnütgen-Museum, Parlerbüste

Entwürfe Peter Parlers für den Prager Veitsdom und die Bartholomäuskirche in Kolin« rezipieren.²¹³ Am 27.  November 1391 schließlich wurde Heinrich Parler als Henricus da Gamundia theutonicus bzw. als Henricho de Ulma inzignerio fabricae, also als Heinrich von Gmünd bzw. von Ulm, als Werkmeister am Mailänder Dom eingestellt. Im Vorfeld dieser Berufung Heinrich Parlers war am 12. März 1391 Hans von Fernach nach Köln gesandt worden, um dort nach einem geeigneten Werkmeister für den Mailänder Dombau zu suchen.²¹4 Allein dies spricht für 213 Marc Carel Schurr : Stil und Politik. Die Skulpturen der Parlerzeit am Ulmer Münster. In : Markéta Jarošová, Jiři Kuthan und Stephan Scholz (Hrsg.) : Prag und die großen Kulturzentren Europas in der Zeit der Luxemburger (1310–1437), Internationale Konferenz aus Anlaß des 660. Jubiläums der Gründung der Karlsuniversität in Prag. Prag 2008, S. 163–181. 214 Herbert Siebenhüner : Deutsche Künstler am Mailänder Dom. München 1944, S. 65 ; »Item quod dentur Anni de Fernach, teutonico, magistro a lapidibus vivis super dicta fabrica mutuo flor. 12 auri, de quibus satisdet, pro eundo Colloniam, et in casu quo ducat unum maximum inzignerium pro dicta fabrica, ut promisit, fiant bonae expensae quas fecit in ducendo ipsum, et in casu quo ipsum non ducat teneatur ipsos denarios restituiere.« Annali della Fabrica del Duomo di Milano. Bd. 1, Mailand 1877, S. 45.

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eine Wertschätzung der Kölner Dombauhütte unter Michael von Savoyen, der hier offensichtlich nicht einen seiner Söhne, sondern seinen Schwiegersohn Heinrich Parler für diese prestigeträchtige Position empfohlen hatte. In Mailand aber stieß er auf Schwierigkeiten, die auch spätere Baumeister nach ihm erfuhren, so dass er bereits nach kurzer, erfolglos verlaufender Tätigkeit, bei der er seine Planungen und auch ein Holzmodell seines Projekts vorstellte, entlassen wurde, was in einem Brief des Jahres 1401 an Gian Galeazzo Visconti ausdrücklich als Fehlentscheidung bedauert wurde.²¹5 Immerhin suchte Visconti im Jahre 1400 den bisherigen Prager Dombaumeister Wenzel Parler für seinen Dombau zu berufen, doch erreichte ihn sein Brief hier nicht mehr : Er war ein Jahr zuvor mit der Absetzung König Wenzels vom österreichischen Erzherzog Albrecht für den Wiener Dombau angeworben worden, hier aber zwischenzeitlich bereits verstorben.²¹6 Als Herkunft der Baumeisterfamilie Savoyen hatte Otto Kletzl den südwestdeutschen Raum als den Bereich angesehen, in dem Angehörige der Familie zunächst tätig gewesen seien, konkret das Münster zu Salem, mit dem die Familie auch später noch durch mehrere Baumeister wie auch durch ihr Erbbegräbnis verbunden war.²¹7 Eine mögliche Vermittlerrolle wies Kletzl dabei der 1336 verstorbenen Katharina von Savoyen, der Gemahlin des die österreichischen Vorlande regierenden Erzherzogs Leopold I., zu, durch die die Berufung eines Baumeisters an das von ihr finanziell geförderte Kloster erfolgt sein könnte. Zugleich erwähnt Kletzl in diesem Zusammenhang einen Peter von Savoyen, der im 13.  Jahrhundert das westlich von Bern gelegene Schloss von Murten errichtet hatte und bei dem es sich, wie er vermutet, um den Stammvater des Geschlechts gehandelt haben könnte. Auch wenn diese Argumentation in Ermanglung konkreter Quellen letztlich im Bereich des Hypothetischen bleiben muss, so geht sie immerhin mit dem Bild konform, das der Oberrhein hinsichtlich seiner Bedeutung für die gotische Architekturentwicklung und -vermittlung bietet. Im 14.  Jahrhundert hatte sich das Territorium des Fürstentums Savoyen auf die heutige Westschweiz ausgedehnt und umfasste u. a. später auch Freiburg im Üechtland, dessen Münsterbau ein wichtiger Umschlagplatz der Ver215 Herbert Siebenhüner : Deutsche Künstler am Mailänder Dom. München 1944, S. 68. 216 Otto Kletzl : Zur Identität der Dombaumeister Wenzel Parler d. Ä. von Prag und Wenzel von Wien. In : Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 9, 1934, S. 49–52. 217 Otto Kletzl : Savoyen, Michael. In : Ulrich Thieme und Felix Becker : Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Bd. 29, Leipzig 1935, S. 514.

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mittlung architektonischer Ideen aus Frankreich und ihrer Verbindung mit der oberdeutschen Bautradition war. »Die im frühen 14.  Jahrhundert an der Nikolauskirche tätigen Baumeister aber kamen ohne Zweifel aus dem Netzwerk der elsässisch-schwäbischen Hütten, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat zumindest der Entwerfer des Südportals eine Zeitlang in Straßburg gearbeitet«, in der zweiten Jahrhunderthälfte gefolgt von einem deutlich parlerischen Einfluss.²¹8 Im 15. Jahrhundert schließlich tritt einer der Fürsten von Savoyen, Herzog Amadeus VIII., als Bauherr in Erscheinung, bevor er 1439 vom Basler Konzil als Felix V. zum Papst gewählt wurde. Dieser hatte 1435 den Werkmeister des Berner Münsters, Matthäus Ensinger, als Architekten für seine Kirchenstiftung in Ripaille berufen.²¹9 Neben seiner anzunehmenden Herkunft aus der Westschweiz muss die Tätigkeit am Oberrhein für Meister Michael prägend gewesen sein. Die Straßburger Bauhütte, die nach dem Tode Erwins von Steinbach im Jahre 1319 von seinem Sohn Johannes (verstorben 1339) weitergeführt worden war, besaß hier das entscheidende Gewicht. Dass hier vor allem von den späteren der Straßburger Fassadenrisse aus dem frühen 14. Jahrhundert – und weniger von dem großen Gesamtentwurf von 1277  – in darstellungstechnischer Hinsicht ein entscheidender Einfluss auf den Kölner Fassadenriss ausgegangen ist, wurde schon betont. Neben Straßburg aber ist es der Freiburger Münsterturm gewesen, dessen genaue Kenntnis für Meister Michael vorausgesetzt werden darf. Dass sein Turmhelm die wichtigste Voraussetzung für den Entwurf der Kölner Fassadentürme darstellt, ist immer gesehen worden. Auch der Versuch, durch ein Früherdatieren des Kölner Risses auf 1280 bei gleichzeitiger Annahme eines entscheidenden Planwechsels um 1290 in Freiburg, aufgrund dessen die Idee des durchbrochenen Maßwerkhelms hier erst sekundär zum Tragen gekommen sei, verfängt nicht. Alle erhaltenen Freiburger Turmrisse zeigen vielmehr von Anfang an den Maßwerkhelm nahezu in der ausgeführten Form, während sich ihre jeweilige Planungsaufgabe auf die Gestaltung des Zwischengeschosses konzentriert. Dieses gilt namentlich von dem in Nürnberg auf bewahrten Freiburger Turmriss, der auf seiner Rückseite den ausradierten »Grundriss eines frühen Entwurfes für die 218 Marc Carel Schurr : Die Architektur von St.  Nikolaus im europäischen Kontext. In : Peter Kurmann (Hrsg.) : Die Kathedrale St. Nikolaus in Freiburg. Brennspiegel der europäischen Gotik. Freiburg 2007, S. 100. 219 Luc Mojon : Der Münsterbaumeister Matthäus Ensinger. Studien zu seinem Werk (Berner Schriften zur Kunst, Bd. 10). Bern 1967, S. 64.

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Westfassade des Straßburger Münsters« zeigt und entsprechend »in die Frühzeit der Baugeschichte des Münsterturms um oder nach 1270 gehört und vermutlich sogar dessen Erstentwurf darstellt, der für die früheste Bauphase maßgeblich war«²²0. Nimmt man eine Fertigstellung des Freiburger Münsterturmes um oder nach 1330/40 an (ein genaues Datum lässt sich bekanntlich nicht nachweisen), so gehörte dieses Wunderwerk gotischer Architektur zu den Bauwerken, die Meister Michael im soeben vollendeten Zustand am Oberrhein gesehen hatte. Wie sehr der Entwurf selbst noch in der beginnenden Spätgotik mit Interesse rechnen konnte, belegt der erst kürzlich aufgefundene, aus der Straßburger Ensinger-Schule stammende Turmplan der Zeit um 1430.²²¹ Am Kölner Dom endete mit dem Tod Michaels von Savoyen sein Einfluss, indem als sein Nachfolger als Kölner Dombaumeister nicht einer seiner Söhne, sondern ein Jakob von Metz berufen wurde,²²² was wiederum auf eine bewusste Orientierung auf die Grenzregion zu Frankreich verweist.²²³ An dieser lothringischen Kathedrale, die sich im mittleren 13. Jahrhundert zu einem wichtigen Ort der Vermittlung der französischen Gotik entwickelt hatte,²²4 war im Jahre 1380 das Langhaus fertiggestellt worden. Als 1419 nach dem Tode Ulrichs von Ensingen ein Nachfolger für die prestigeträchtige Stelle des Straßburger Münsterbaumeisters gesucht wurde, fiel umgekehrt die Wahl auf Johannes Hültz aus der Kölner Dombauhütte (Meister Johann Hiltzen von Kölle),²²5 der vielleicht schon nach dem Tode des Andreas von Everdingen im Jahre 1412 die Leitung der Kölner Dombauhütte, zumindest aber die Position eines Parliers eingenommen haben muss. Gegenüber dem bis dahin verbind220 Johann Josef Böker und Anne-Christine Brehm : Die gotischen Architekturzeichnungen des Freiburger Münsterturms. In : Yvonne Faller, Heike Mittmann, Stephanie Zumbrink und Wolfgang Stopfel : Das Freiburger Münster. Regensburg, 2011, S. 325. 221 Johann Josef Böker : Ein neuaufgefundener Bauriss des Freiburger Münsterturms. In : Insitu – Zeitschrift für Architekturgeschichte 10, 2018, S. 25–36. 222 Leonard Ennen : Der Dom zu Köln von seinem Beginne bis zu seiner Vollendung. Köln 1880, S. 89. 223 Friedhelm Wilhelm Fischer : Unser Bild von der deutschen spätgotischen Architektur des XV. Jahrhunderts (mit Ausnahme des norddeutschen Backsteingebiets). Heidelberg 1964 (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse 1964, 4.  Abhandlung) ; vgl. Gerhard Ringshausen : Die spätgotische Architektur in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung ihrer Beziehungen zu Burgund im Anfang des 15.  Jahrhunderts. In : Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 27, 1973, S. 63–78. 224 Christoph Brachmann : Gotische Architektur in Metz unter Bischof Jacques de Lorraine (1239–60). Der Neubau der Kathedrale und seine Folgen. Berlin 1998. 225 Franz Xaver Kraus : Kunst und Alterthum im Unter-Elsass (Kunst und Altherthum in Elsass-Lothringen, Bd. 1). Straßburg 1876, S. 394

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Abb. 35€€: Straßburg, Münster, Turmplan des Johannes Hültz

lichen ensingerischen Turmprojekt legte Hültz in Straßburg die Alternativplanung eines Maßwerkhelms vor, die ihre deutliche Orientierung an den Turmabschlüssen des Kölner Fassadenrisses zeigt (Abb. 35).²²6 Die personelle Anbindung der Kölner Dombauhütte an den Oberrhein blieb auch im weiteren Verlauf bestehen. Um die Mitte des 15.  Jahrhunderts begleitete der spätere Ulmer Münsterbaumeister Matthäus Böblinger als Parlier (parlatore Matheus de Boblingen) sogar den (namentlich nicht genannten) Kölner Dombaumeister  – den wohl gleichfalls aus der Ulmer Münsterbauhütte stammenden und 1469 verstorbenen Konrad Kuyn²²7 – bei seiner Berufung an den Mailänder Dom.²²8 Auf dem Regensburger Hüttentag von 1459 war diesem Meister Cunradt von Kölle, meister der stift daselbst und alle sine Nachkumen glicher wise die Dominanz der Kölner Hütte für den nordwestdeutschen Raum bestätigt worden, da von Köln aus alles übrig landt hinab, was do ufstoft von Fürdrung und hütten, die in der Bruederschaft sein oder darein komen möchten.²²9 Wie angesehen die Köl226 Jean-Sébastien Sauvé : Les écus de la flèche attribués à Hans Hültz. In : Bulletin de la Cathédrale de Strasbourg 30, 2012, S. 225–226. 227 Petra Böttcher : Das Epitaph für Konrad Kuyn im Kölner Dom. In : Kölner Domblatt 60, 1995, S. 47–102. 228 Friedrich von Schmidt : Die Pergamentzeichnungen der alten Bauhütte zu Wien. In : Mitteilungen der CentralCommission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale 12, 1867, S. 3. 229 Rudolf Wissel : Die älteste Ordnung des großen Hüttenbundes der Steinmetzen von 1459 (nach der Thanner Handschrift). In : Zeitschrift für die Geschichte des Oberrhein 94, 1942, S. 61, Nr. 45.

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ner Dombauhütte im mittleren 15. Jahrhundert war, zeigt sich auch darin, dass beispielsweise der Regensburger Dombaumeister Andreas Engel sowie sein Bruder Hans, der unter ihm als Parlier diente, aus der Kölner Dombauhütte berufen wurde,²³0 was sich inzwischen durch einen Rechnungsbeleg von 1436, in dem er als Andre Kollner genannt wird, bestätigte.²³¹ Bekannt ist schließlich auch der Fall des Johannes von Köln, der, von der Basler Münsterbauhütte kommend, ab 1442 die Turmauf bauten der Kathedrale von Burgos mit ihren Maßwerkhelmen nach Kölner Vorbild ausführte.²³² Umgekehrt aber wurde Michael von Savoyen offensichtlich der Stammvater einer Reihe von Baumeistern, die sich über die nächsten zwei Jahrhunderte nachweisen lassen. Einen Michael von Safoy, der sicher auf den Kölner Dombaumeister zurückzuführen ist, findet sich 1415 am Bau des Klosters Salem belegt, wo noch über die Schlussweihe im Jahr zuvor bis 1418 an der Errichtung des Westgiebels gearbeitet wurde. 1418 wurde dieser Michael von Savoyen zum Bau der Pfarrkirche in St. Gallen berufen, wohin er einen Plan für Kirche und Glockenturm gesandt hatte. Zwar nicht belegt, aber immerhin wahrscheinlich ist, dass es sich bei diesem Michael von Savoyen um den Sohn des gleichnamigen, mit einer Tochter Peter Parlers verheirateten Sohns des Kölner Dombaumeisters handelt, der zum Zeitpunkt der Auflösung der Prager Dombauhütte zu Beginn der Hussitenunruhen eine Anstellung im Westen gesucht hatte. Immerhin war ein Wissen um diese Zusammenhänge beider Familien  – der Parler und der Savoyens  – in dieser Zeit offensichtlich noch vorhanden gewesen. Ein Hans von Savoyen nämlich, der im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts als Baumeister des Salemer Münsters belegt ist und von hier an die Stadtpfarrkirche von Pfullendorf berufen wird, hinterlässt im Gewölbe der oberen Sakristei einen auf 1481 datierten Wappenschlussstein mit dem charakteristischen Winkelpfahl der Parler, während ein in Salem erhaltener Konsolstein mit seinem Porträt, bezeichnet M. Hans vō Safoi, daneben auch einen zweiten Wappenschild mit dem Zirkel führt (Abb. 36). »Das Vorkommen des Parlerzeichens bei einem Angehörigen der Savoyen-Familie scheint«, so Jürgen Michler, »immerhin dafür zu sprechen, daß zwischen den beiden 230 Rolf Schmidt : Hans Engel von Köln der Parlierer und sein Bruder Andreas der Dommeister zu Regensburg. In : Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 112, 1972, S. 131–156. 231 Peter Morsbach : Die Erbauer des Doms. Die Geschichte der Regensburger Dommeisterfamilie Roriczer-Engel. Regensburg 2009, S. 51. 232 Anne-Christine Brehm : Netzwerk Gotik. Das Ulmer Münster im Zentrum von Architektur- und Bautechniktransfer. Ulm 2018, S. 23.

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Abb. 36€€: Salem, Klosterkirche, Epitaph des Hans Saphoy

Baumeisterfamilien tatsächlich Verbindungen bestanden. […] Vielleicht fühlte er sich tatsächlich als Erbe dieser beiden Baumeisterfamilien, so daß er auf seinem (Selbst-)Bildnisrelief beide Wappen allianzartig nebeneinander anordnen konnte.«²³³ »Vielleicht«, so vermutete auch Barbara Schock-Werner, »fühlten sich die von Savoyen durch ihre Heirat mit den Parlern berechtigt, auch dieses Zeichen zu führen. Da dieser vom Ende des 15. Jahrhunderts stammende Beleg der einzige ist«, so sei es jedoch »fraglich, ob schon frühere Mitglieder der von Savoyen das Zeichen verwendet haben (etwa in Köln), oder ob erst in der

233 Jürgen Michler : Hans von Savoyen. Klosterbaumeister von Salem vor 500 Jahren. In : Denkmalpflege in Baden-Württemberg 10, 1981, S. 111–117.

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Spätzeit, als es keine ›richtigen Parler‹ mehr gab, diese Übernahme erfolgte«²³4. Da jedoch das Wissen um das Parlerzeichen zu diesem Zeitpunkt allgemein erloschen gewesen war, so muss sich in dessen Verwendung letztlich eine ältere Tradition widerspiegeln, die nach dem Aussterben der Parler-Familie zu Beginn des 15.  Jahrhunderts deren Zeichen auf die Baumeister der Familie Savoyen übergehen ließ. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts schließlich wird der zuvor am Ulmer Münster tätige Salemer Werkmeister Marx von Savoyen zu Beratungen am Dombau in Konstanz hinzugezogen.²³5 Noch in der zweiten Hälfte des 16.  Jahrhunderts finden sich zwei weitere Vertreter des Namens  – Kaspar und Hans Saphoy – als die beiden letzten Dombaumeister am Wiener Stephansdom belegt. Von ihnen stiftete Letzterer, der auch als Architekt des Niederösterreichischen Landhauses belegt ist,²³6 1570 für das Erbbegräbnis seiner Familie in der Klosterkirche Salem ein Epitaph. Durch den bereits angeführten Münzfund in der Verfüllung der Aushubgrube für den Südturm, deren Prägung allerfrühestens 1357 erfolgt sein kann, besitzen wir einen deutlichen terminus post quem für den Baubeginn des ersten Abschnitts der Westfassade. Da zudem die Fundamente zunächst für eine Erstplanung gelegt worden waren, die – wie die nachträglichen Anstückungen belegen  – schon bald korrigiert wurde, bedeutet es zugleich, dass selbst der einfachere Erstplan, von dem sich die Originalzeichnung in Wien erhalten hat, nicht viel früher als dieses Datum liegen kann. Die Planung war demnach zum Zeitpunkt des Beginns der Fundamentierungsarbeiten keinesfalls abgeschlossen, sondern noch im Fluss. Zudem lassen sich während des Baus des südlichen Turmuntergeschosses – von kleineren Modifikationen abgesehen – keinerlei Umplanungen feststellen, die auf einen Meisterwechsel schließen lassen. Der Bau des Erdgeschosses aber muss spätestens 1388 zum Abschluss gekommen sein, als am Tag nach dem Dreikönigsfest anlässlich der Gründung

234 Barbara Schock-Werner : Die Parler. In : Anton Legner (Hrsg.) : Die Parler und der schöne Stil 1350–1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern – ein Handbuch zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Kunsthalle Köln. Bd. 3, Köln 1978, S. 7. 235 Elisabeth Reiners-Ernst : Regesten zur Bau- und Kunstgeschichte des Münsters zu Konstanz (Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung). Lindau/Konstanz 1956, Nr. 375. 236 Rupert Feuchtmüller : Das Niederösterreichische Landhaus. Ein kunsthistorisches Denkmal 1513– 1850. Wien 1949.

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der Kölner Universität im »Neuen Dom« – den südlichen Seitenschiffen und dem Südturmerdgeschoss – eine Messfeier begangen wurde.²³7 Dieses bedeutet letztlich, dass Planung und Ausführung des Westbaus von der Fundierung des Südturms bis zur Fertigstellung seines Erdgeschosses über einen längeren Zeitraum hinweg – das heißt mindestens von 1353 bis 1387 – in den Händen eines Baumeisters, nämlich Meister Michaels von Savoyen, gelegen hat. In ihm, der wie Peter Parler unter die »Stararchitekten«²³8 des späten Mittelalters zu rechnen ist, dürfen wir daher auch dessen Planverfasser sehen. Dass dieser Dombaumeister, der mit der Familie der Parler durch verwandtschaftliche Beziehungen eng verbunden war, nach einer Planung gearbeitet habe, die bei ihrer Umsetzung bereits ein Jahrhundert zurückgelegen und kaum mehr dem neuesten Entwicklungsstand entsprochen hatte, ist schon aufgrund des Naheverhältnisses zu der führenden Baumeisterfamilie der Zeit, deren Mitglieder, wie die Wiener Grundrisszeichnung, vor allem aber die Skulptur des Petersportals beweist, teilweise selbst im Bau der Kölner Westfassade involviert waren, auszuschließen. Wenn daher der Fassadenentwurf stilgeschichtlich als ein Werk der nachklassischen Hochgotik der zweiten Hälfte des 13. und nicht der beginnenden Spätgotik des 14. Jahrhunderts angesehen werden konnte, dann ergibt sich die Frage nach der Gültigkeit der verwendeten Parameter dessen, was unter den beiden Stilbezeichnungen verstanden wird. Das adäquate Fortführen des großartigen Chorbaus aus dem 13. Jahrhundert bedeutete zweifellos bereits für die Baumeister des 14. Jahrhunderts eine künstlerische Gratwanderung. Mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit wurde am Kölner Dombau jedoch über Jahrhunderte hinweg die ästhetische Integrität des ganzen gewahrt. Aus diesem Traditionsbewußtsein heraus vermögen auch die unter dem Parlier Heinrich errichteten Pfeiler das bedeutende Erbe Meister Gerhards in ehrenvollem Andenken zu bewahren.²³9

237 Paul Clemen : Der Dom zu Köln (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, VI, III. Abteilung : Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, Bd. 1). Düsseldorf 1937, S. 62. 238 Peter Kurmann : »Stararchitekten« des 14. und 15. Jahrhunderts. In : Rainer Schwinges, Christian Hesse und Peter Moraw (Hrsg.) : Europa im späten Mittelalter. Politik – Gesellschaft – Kultur (Beihefte der Historischen Zeitschrift, Bd. 40). München 2006, S. 539–557. 239 Marc Carel Schurr : Von Meister Gerhard zu Heinrich Parler. Gedanken zur architekturgeschichtlichen Stellung des Kölner Domchores. In : Kölner Domblatt 68, 2003, S. 146.

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Diese von Schurr für die erste Hälfte des 14.  Jahrhunderts für den Kölner Dombau herausgearbeitete Haltung aber trifft in besonderem Maße für die Zeit Michaels von Savoyen zu, der es verstand, das hochgotische Formensystem des Hochchores aufzunehmen und in eine komplexe spätgotische Gestaltungsweise zu überführen.

Der Kölner Fassadenriss im Vergleich

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er Kölner Fassadenriss gehört zweifelsfrei zu den großartigsten Architekturzeichnungen, die das Mittelalter hinterlassen hat. Schon seine außerordentliche graphische Qualität und der detaillierte Ausarbeitungsgrad weist ihn als eine reife Leistung aus, die auf eine längere Tradition gotischer Planzeichnungen zurückgreifen konnte. In dieser Hinsicht, vor allem aber in seiner Größe hat der Kölner Fassadenriss seine nächsten vergleichbaren Stücke in dem sogenannten Berner Riss des Straßburger Münsters, der ihn sogar noch um 60  cm übertrifft, dem mit 4,42  m gleichfalls etwas größeren Regensburger Einturmriss und den beiden, bis zu fünf Meter hohen Turmrissen für den Wiener Stephansdom. Mit etwa zwei Metern fallen hingegen die erhaltenen Freiburger Turmrisse sowie diejenigen des Frankfurter Domturms weitaus bescheidener aus. In seiner graphischen Qualität übertrifft der Kölner Fassadenriss deutlich die meist Madern Gerthener zugewiesene und als eine der »schönsten erhaltenen Architekturzeichnungen des Mittelalters« beschriebene Aufrisszeichnung des Frankfurter Domturms,²40 die gegenüber Köln lediglich die Eintragung des Figurenschmucks und die leichte Kolorierung voraushat. Alle diese genannten Turmrisse gehören dem ausgehenden 14. sowie dem 15. Jahrhundert an und dokumentieren damit den außerordentlich hohen Standard, den das Medium Architekturzeichnung in dieser Zeit erreicht hat. Was diese Gruppe zudem untereinander verbindet, ist wie in Köln unter Berücksichtigung der Schwindmaße die einheitliche Verwendung des Maßstabs 1 :36, der sich im ausgehenden Mittelalter als Konvention herausgebildet hatte.²4¹ Lediglich die Frankfurter Turmpläne sind als eine eigene Gruppe im Maßstab 1 :48 angelegt. Die Anfänge der gotischen Architekturzeichnung im 13. Jahrhundert hingegen sind sehr überschaubar und umfassen, sieht man von dem bekannten 240 Friedhelm Wilhelm Fischer : Die spätgotische Kirchenbaukunst am Mittelrhein 1410–1520, an charakteristischen Beispielen dargestellt, nach Schulen geordnet und mit historisch-topographischen Darlegungen verknüpft (Heidelberger Kunstgeschichtliche Abhandlungen, NF 7). Heidelberg 1962, S. 43. 241 Konrad Hecht : Zur Maßstäblichkeit der mittelalterlichen Bauzeichnung. In : Bonner Jahrbücher 166, 1966, S. 267.

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Musterbuch des Villard de Honnecourt²4² und den sogenannten »Reimser Palimpsesten«²4³ ab, im Prinzip die älteren der Straßburger und der Freiburger Baurisse, darunter auch die beiden in denselben Zusammenhang gehörenden sogenannten Rahn’schen Risse in Fribourg.²44 Aus der Zeit vor der Mitte des 13. Jahrhunderts sind keine Architekturzeichnungen erhalten, und es darf mit Günther Binding bezweifelt werden, ob das Medium vor dieser Zeit in ausgebildeter Form existiert hat.²45 Allen in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts fallenden Baurissen ist eine graphische Darstellungsweise gemeinsam, die sich auf die wesentlichen Linien des Aufrisses beschränkt. Die Linienführung ist einfach und klar ohne Differenzierung der Strichstärke, Details werden zum großen Teil freihändig eingetragen, was ihnen oft eine mangelnde Präzision gibt. Hinsichtlich der tiefenräumlichen Entwicklung bleiben diese Zeichnungen oft unentschieden, indem die einzelnen Bereiche so auf eine Projektionsebene gesetzt werden, dass ihr Bezug zum Baukörper offen bleiben muss. Dieses zeigt sich als Problem besonders deutlich an dem vor 1277 entstandenen Fassadenplan des Straßburger Münsters, bei dem für den Betrachter nicht evident ist, ob es sich bei dem obersten Turmgeschoss tatsächlich – was die wahrscheinlichere Lesart ist – um ein Oktogon oder vielleicht doch um ein weiteres quadratisches Turmgeschoss mit drei ungleichen Jocheinheiten, vergleichbar dem ersten Freigeschoss der Kölner Domtürme, handelt (Abb. 37). Die von diesem Plan hergestellte spätere Kopie in Wien verkompliziert die Situation eher noch, indem sich der Zeichner des 14. Jahrhunderts, der offensichtlich nicht mehr mit der Darstellungsweise seines Vorgängers zurechtkam, eben für die quadratische Lösung entschied und entsprechend mittig ein vier-, seitlich jeweils ein dreibahniges Maßwerk eingetragen hat (Abb.  38). Geradezu unverständlich aber wird die Zeichnung im Bereich des zentralen Elements des Straßburger Fassadenentwurfs, des Rosenfensters, auf dessen Rahmen die Vertikalstäbe des weiteren Maßwerkschleiers ansetzen. Erst die spätere Ausführungszeich242 Carl F. Barnes : The Portfolio of Villard de Honnecourt. (Paris, Bibliothèque Nationale de France, MS Fr 19.093). A new critical edition and color facsimile. Burlington 2009. 243 Robert Branner, Drawings from a Thirteenth-Century Architect’s Shop : The Reims Palimpsest. In : Journal of the Society of Architectural Historians 17, 1958, S. 9–21. 244 Reinhard Liess : Der Rahnsche Riß A des Freiburger Münsterturms und seine Straßburger Herkunft. In : Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 45, 1991, S. 7–66. 245 Günther Binding : In mente conceptum. Seit wann gibt es Baupläne ? In : Maike Kozok (Hrsg.) : Architektur – Struktur – Symbol. Streifzüge durch die Architekturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Festschrift für Cord Meckseper zum 65. Geburtstag. Petersberg 1999, S. 77–84.

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Abb. 37€€: Straßburg, Münster. Fassadenplan des Erwin von Steinbach Abb. 38€€: Straßburg, Münster. Fassadenplan, Kopie des 14. Jahrhunderts in Wien

nung des Mittelteils der Fassade wird dieses Problem lösen, indem die Rose in eine quadratische Rahmenform gesetzt und die verbleibenden Zwickel mit Passformen ausgefüllt sind. Gerade dieser Straßburger Fassadenriss, der bereits als mögliches Vorbild des Kölner Fassadenrisses zum Vergleich herangezogen wurde, macht schlagartig die Unterschiede zum Kölner Fassadenplan deutlich : In seinem Formenrepertoire in durchaus ähnlicher Weise dem Formenkanon der nachklassischen Hochgotik verpflichtet, zeigt er in seiner graphischen Ausarbeitung ein gleichmäßiges Liniensystem, das keinerlei Tiefendimension erkennen lässt. Die Zeichnung ist mit sehr feiner Strichstärke ausgeführt, die nicht zwischen

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den Darstellungsebenen differenziert. Laibungstiefen und damit Mauerstärken sind nicht dargestellt, indem die Fenstermaßwerke bündig mit den Wandflächen zu liegen kommen. Im oberen Turmauf bau, das heißt mit der Überleitung zum Oktogon und Helmauf bau, wird die Zeichnung zudem so abstrakt, dass kaum noch eine Vorstellung von der tatsächlichen Dreidimensionalität des Entwurfs gewonnen werden kann. Ganz im Unterschied dazu vermittelt der Kölner Fassadenriss den Eindruck eines plastisch durchgearbeiteten Gefüges : Hauptträger der Struktur in allen Geschossebenen sind die prononciert ausgebildeten Arkadenlaibungen der Fenster- und Portalbögen (Abb. 39). Dies zeigt sich deutlich in der Art, wie die beiden Turmportale als selbständige massive Elemente mit ihren Wimpergen in die jeweiligen Fensterbögen gesetzt sind, während sie in Straßburg der Maßwerkebene vor der Mauerfläche angehören. Dass auf der Fassadenzeichnung tatsächlich verdoppelte Maßwerke gemeint sind, obgleich sie durch die orthogonale Projektion nicht zur Darstellung kommen, ergibt sich unzweideutig daraus, dass alle zugehörigen Grundrisszeichnungen – und selbst die Wiener Zeichnung des Vorprojekts  – diese Anordnung zeigen. Gerade diese Verdoppelung der Maßwerkebenen in den Fensteröffnungen aber diente hier nicht dazu, wie in Straßburg ein flächiges Kontinuum vor der Wandebene zu erzeugen, sondern die Tiefenwirkung der die Mauermasse aushöhlenden Fensternischen noch stärker zu betonen, indem sie, wie es Klaus Gereon Beuckers formulierte, »der insgesamt eher flächigen Fassade, deren plastische Elemente durch die Bekleidung mit Blendmaßwerk optisch reduziert erscheinen, ein Volumen geben«²46. In allen Bereichen des Aufrisses ist die Tiefenstaffelung der Formen deutlich ablesbar. So treten die Portalwimperge mit ihrem Fialenbesatz vor die Fensterebene und die Fensterwimperge vor die Blendenstruktur der Brüstungsfelder, während die Rückstaffelung der vorderen Ebene der Fenstermaßwerke vermittels der Sohlbankschräge und der Laibungsprofile konkret ablesbar ist. An keiner Stelle ist daher der Betrachter über die Relation der einzelnen Schichtung zur Projektionsebene des Blattes im Zweifel gelassen. Gleiches gilt für den Strebepfeilerauf bau : Nicht nur, dass die seitlich stehenden Strebepfeiler genau deren geschossweise Rückstaffelung ablesbar machen, auch die stirnseitige Darstellung zeigt genauestens ihre Zergliederung in Fialenkörper. Ein Detail vor allem macht im oberen Fassadenauf bau die Körperhaftigkeit wie Tiefenräumlichkeit des Entwurfs deutlich : Hier sind die Dienstsockel der 246 Klaus Gereon Beuckers : Der Kölner Dom (Baukunst des Mittelalters). Darmstadt 2004, S. 92.

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Abb. 39€€: Köln, Dom. Fassadenplan. Ausschnitt des südlichen Turms, unterer Bereich

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Abb. 40€€: Köln, Dom. Fassadenplan. Ausschnitt des südlichen Turms, oberer Bereich

Laibungsprofile und der Maßwerkstäbe so gestaffelt, dass ihre Position auf der Sohlbankschräge unmittelbar anschaulich wird (Abb. 40). Vergleicht man hiermit die Oktogondarstellung auf dem Straßburger Fassadenriss, so wird der Unterschied evident, indem hier das Achteckgeschoss auf ein substanzloses, gestängehaft abstraktes Gebilde reduziert ist. Das gleiche Ergebnis liefert auch der Vergleich mit den frühen Freiburger Turmrissen, die dieselbe abstrakte Darstellungsweise zeigen (Abb.  41). Auch hier bleibt das Turmoktogon  – was selbst für die spätmittelalterlichen Turmkopien gilt – ohne jegliche plastische Präsenz. Diese Turmpläne bieten sich gerade durch die Darstellung ihrer Maßwerkhelme zum Vergleich mit

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dem Kölner Fassadenriss an, indem diese vollständig flächig angelegt sind, während in Köln sowohl die Holme als auch die Querstege die tragenden Elemente des Auf baus und die Maßwerkfelder entsprechend eingefügte, in ihrem Profilquerschnitt deutlich kräftiger ausgebildete Einzelmotive sind. Dass dieser stilistische Befund auch dem ausgeführten Maßwerkhelm entspricht, unterstreicht nur die zeitliche Distanz, die zwischen Freiburg und Köln besteht. Ein Hauptthema in der Entwicklungsreihe der Freiburger Turmrisse war die Überleitung des quadratischen Turmunterbaus in das freistehende Oktogon gewesen. Auf dem Straßburger Fassadenplan war dieses in einfacher Weise noch dadurch gelöst worden, dass dem letzten Freigeschoss unvermittelt das Oktogon aufgesetzt wurde, wobei die Turmkanten von vier freistehenden Treppenspindeln eingenommen wurden. Der Turmentwurf des Ulrich von Ensingen von 1400 wird diese Anordnung übernehmen und lediglich ins Monumentale übersetzen. In Freiburg war in den ersten Planungen eine ähnliche Zäsur zwischen Vier- und Achtort intendiert gewesen, nur dass anstelle der Treppenspindeln Fialentürme gesetzt wurden. Die Reihe der nachfolgenden Turmrisse konzentrierte sich dann auf die Versuche, durch Reduzierung bei gleichzeitiger Durchgliederung des Zwischengeschosses eine logischere Verbindung zwischen Turmunterbau und Oktogongeschoss herzustellen, was in geschickter Weise als Durchdringungsform im Ausführungsentwurf der Zeit um 1290 erreicht war. Im Vergleich dazu stellt der Übergang zwischen Vier- und Achtort, wie er auf dem Kölner Plan vollzogen wurde, eine ausgesprochen reife Lösung dar : Hier bereitet sich das Oktogon vollständig im ersten Freigeschoss vor, indem die Zweiachsigkeit des Unterbaus aufgegeben und die Oktogonseite durch leichte Schrägstellung der Strebepfeiler bereits angelegt ist. Die Turmkanten verschmelzen an dieser Stelle mit den Strebepfeilerauf bauten, die sich darüber im OktogongeAbb. 41€€: Freiburg, Münsterturm. Sog. erster Wiener Riss, Ausschnitt

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schoss als massive, fast mit den Oktogonseiten verschmelzende Fialentürme fortsetzen. Der Unterschied aber zwischen dem aus geometrisch selbständigen Elementen bestehenden additiven Auf bau des Freiburger Münsterturms und dem verkörperlichten kompakten Auf bau der Kölner Fassadentürme könnte nicht größer ausfallen. Eine vergleichbare Lösung zeigt entsprechend auch keine der französischen Fassadenlösungen aus der Zeit der Hochgotik. Eine vollständig andere Darstellungsweise findet sich unter den Straßburger Rissen erst mit dem Turmauf bau des sogenannten Berner Risses, entworfen 1418 durch Matthäus Ensinger, bei dem der Helmauf bau durch die kräftig ausgebildeten Holme und die deutlich differenzierten Maßwerke eine plastische Qualität erhalten, die sich bezeichnenderweise auf dem Kölner Fassadenplan wiederfindet (Abb. 42).²47 Dass auch die Fialen entsprechend ihrer Stellung im Gefüge auf beiden Rissen im korrekten Winkel gedreht wiedergegeben sind, unterstreicht die Ähnlichkeit in der Darstellungsweise beider Risse. Der Maßwerkhelm des nur wenig später, um 1420 entstandenen Konkurrenzentwurfs von Johannes Hültz aus Köln, der lediglich in einer Kopie des 19.  Jahrhunderts überliefert ist, macht in der betont plastischen Wiedergabe des Helmaufbaus, namentlich in den Querstäben, diese Beziehung noch deutlicher (siehe Abb.  35). Gerade dieser letztere Riss rekurriert zweifelsfrei auf eine genaue Kenntnis des Kölner Fassadenplans und verdeutlicht gleichzeitig auch dessen Nähe zu den beiden Straßburger Turmentwürfen des frühen 15. Jahrhunderts. Gleiches gilt auch für den ensingerischen Turmentwurf für den 1415 begonnenen Frankfurter Domturm, der trotz einiger Kielbogenformen im Ganzen eine klassische Formensprache mit kräftig ausgearbeiteten Maßwerkelementen zeigt (Abb. 43).²48 Wie in Köln verwachsen die seitlichen Fialentürme mit dem Oktogon, das zeitstilistisch bedingt durch Zusammenziehung von Zwischen- und Achteckgeschoss eine sehr betonte Vertikalität erhielt. Auch hier ist die Zeichenweise darauf angelegt, die plastische Wirkung des Turmauf baus zur Darstellung zu bringen. In darstellungstechnischer Hinsicht ist der Kölner Fassadenplan der früheste bekannte Riss in der neuen, nicht vor der Mitte des 14.  Jahrhunderts nachweisbaren dreidimensional-plastischen Wiedergabe, die unter den spätgotischen Turmentwürfen des 15. Jahrhunderts zur gestalterischen Norm wird. 247 Johann Josef Böker und Jean-Sébastien Sauvé : Der Berner Riß des Matthäus Ensinger für die Straßburger Münsterfassade. In : Insitu – Zeitschrift für Architekturgeschichte 5, 2013, S. 5–16. 248 Johann Josef Böker und Julian Hanschke : Ein Turmriß des Ulrich von Ensingen für den Frankfurter Pfarrturm. In : Insitu – Zeitschrift für Architekturgeschichte 2, 2010, S. 149–160.

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Abb. 42 (l.)€€: Straßburg, Münster. Sog. Berner Riss, Ausschnitt Abb. 43€€: Frankfurt, Domturm, Erstentwurf des Ulrich von Ensingen

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Schon in dieser Hinsicht betritt der Kölner Fassadenriss Neuland. Entwicklungsgeschichtlich ist der Kölner Riss dabei selbst den etwas früher anzusetzenden parlerischen Baurissen des Prager Veitsdomes überlegen, namentlich dem Fragment des Turmplans, dem inneren Querhausaufriss und der Querschnittzeichnung des Strebewerks,²49 die selbst wieder mit den Aufrisszeichnungen vom Obergaden des Kölner Domlanghauses zusammengehen. Mit dem Kölner Fassadenriss lässt sich jedoch unmittelbar eine Bauzeichnung verbinden, die neben ihm als eine der bedeutendsten Architekturzeichnungen des Mittelalters gelten muss und mit ihren fast viereinhalb Metern Höhe noch die Kölner Zeichnung übertrifft (Abb. 44). Auf bewahrt wird der Turmriss heute im Regensburger Domarchiv, doch bezweifelte bereits 1869 Seeberg zu Recht eine Zugehörigkeit zum Regensburger Domprojekt. Zwar zeige dieser Turmriss »bezüglich des Hauptportals einige Ähnlichkeit mit dem gegenwärtigen Regensburger [Portal], doch ist dieser ganze jüngere Plan von der Art, daß er gar nie auf dem Grunde des Doms hätte aufgeführt werden können, und es liegt daher wohl zu Tage, dass er selbst nie für den Regensburger Dom bestimmt war !«²50 Allerdings geht es fehl, den Regensburger Einturmplan, wie Dagobert Frey es getan hatte, in die Gruppe der »Idealentwürfe« bei den theoretischen Studien, Musterentwürfen oder Idealprojekten einzuordnen, wobei »eine bestimmte Bauaufgabe […] den Anlaß zu Entwürfen gegeben« haben könnte, »die sich so sehr von der Realisierungsmöglichkeit entfernen, daß sie als Idealentwürfe anzusprechen seien«²5¹. Wurde bislang meist die baugeschichtliche Relevanz des Turmrisses bezweifelt, dessen Ausführung für den Regensburger Dom aufgrund von dessen Planungsgeschichte ausschied, so konnte der Riss inzwischen als Erstentwurf des Heinrich Parler für das Ulmer Münster wahrscheinlich gemacht werden.²5² Dieser Heinrich Parler ist in der Ulmer Jahresabrechnung für 1387, und damit unmittelbar vor der Grundsteinlegung des Ulmer Münsterturms, 249 Johann Josef Böker : Architektur der Gotik. Bestandskatalog der weltgrößten Sammlung an gotischen Baurissen der Akademie der Bildenden Künste Wien. Salzburg, 2005, Nr. 16.818 und 16.821. 250 J. Seeberg : Die beiden Juncker von Prag. Dombaumeister um 1400. In : Archiv für die zeichnenden Künste 15, 1869, S. 183 f.; ähnlich auch Achim Hubel und Manfred Schuller : Der Dom zu Regensburg. Vom Bauen und Gestalten einer gotischen Kathedrale. Regensburg 1995, S. 123. 251 Dagobert Frey : Architekturzeichnung. In : Otto Schmitt (Hrsg.) : Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1937, Sp. 999 ; vgl. Josef Ponten : Architektur die nicht gebaut wurde. Stuttgart 1925, S. 146. 252 Johann Josef Böker : Die mittelalterlichen Baurisse zum Regensburger Dom. In : Achim Hubel und Manfred Schuller (Hrsg.) : Der Dom zu Regensburg (Kunstdenkmäler in Bayern. Tl. 5). Regensburg 2013, S. 339–350.

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Abb. 44€€: Ulm, Münsterturm. Erstentwurf des Heinrich Parler d. J.

als Nachfolger seines soeben verstorbenen gleichnamigen Vaters zusammen mit einem weiteren Meister Michael als Baumeister genannt (von maister hainrichs vnsers werkmanns seligen wegen von maister michels vnd von maister hainrichs wegen der bestellt ist worden zu dem werk),²5³ um dann mit seinem Fortgang nach Mailand von Ulrich von Ensingen abgelöst zu werden. Bei diesem Heinrich Parler, der sich nachweislich im Jahre 1387  – also zeitgleich mit seiner Berufung in Ulm – in Köln aufgehalten hatte, um die Erbschaftsangelegenheit seiner Frau zu regeln, handelt es sich um den Schwiegersohn des Michael von Savoyen, der entsprechend  – um dessen Tochter zu ehelichen  – bereits vorher einen Teil seiner Ausbildung in der Kölner Dombauhütte erhalten haben muss.²54 Ob es sich bei dem als zweiten Meister genannten Michael hingegen um den Sohn des Kölner Dombaumeisters – und damit um seinen Schwager – gehandelt haben mag, der zuvor am Prager Dombau beschäftigt war und dort wiederum die Tochter Peter Parlers geheiratet hatte, sei in Ermangelung konkreter Hinweise dahingestellt, doch könnte ihm eine Mitwirkung an dem Turmriss zugekommen sein. 253 Konrad Dieterich Hassler : Urkunden zur Baugeschichte des Mittelalters. In : Jahrbücher für Kunstwissenschaft 2, 1869, Nr. I. 254 Andreas Huppertz : Die Künstlersippe der Parler und der Dom zu Köln. In : Hans Vogts (Hrsg.) : Der Kölner Dom. Festschrift zur Siebenhundertjahrfeier 1248–1948. Köln 1948, S. 141.

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Hinsichtlich der im Regensburger Einturmriss verwendeten Formenmotive lässt sich eine genaue Kenntnis des Kölner Fassadenrisses mit seiner dezidiert klassischen Formensprache beobachten. Kölnisch ist zunächst das Hauptportal selbst, aber auch die Wimperge der vorgesetzten Vorhalle mit ihren Dreipassgruppen im Kreis und den eingesetzten Dreistrahlmotiven zeigen den Einfluss der dortigen Seitenportale. Ein kölnisches Leitmotiv sind die gefüllten Vierpässe, die auf dem Riss in Reihung an der Maßwerkbrüstung des Untergeschosses sowie, halbiert als offener Maßwerksaum, am Strebewerk und in der Vergitterung des Martinsfensters auftreten. Der seitliche Strebepfeilerauf bau des Unterbaus entspricht dem des Strebewerks des Domchores. Die einfacheren Wimpergformen der Vergitterung der Seitenfenster hingegen finden sich wörtlich in den Blendmaßwerken der Kölner Turmstrebepfeiler wieder. Zur älteren Formenschicht des Kölner Fassadenrisses gehören die einfachen Dreiund Vierpassmotive, wobei namentlich die leitmotivisch im Regensburger Riss vorkommende Verwendung der von einem Kreis umschlossenen Dreiergruppe von Dreipässen in Köln identisch im Bereich des Turmhelmmaßwerks begegnet, dessen Motive gleichfalls die Regensburger Helmgestaltung bestimmen. Selbst das ungewöhnliche Motiv des Fialenbesatzes des Turmhelms mag sein Vorbild letztlich in dem Fialenbesatz der drei Portalwimperge der Kölner Fassadenzeichnung haben. Vor allem aber ist es die Zeichentechnik, die eine direkte Verbindung zwischen dem Kölner und dem Regensburger Riss herstellt. Die Ähnlichkeiten in der Handschrift sind dabei so groß, dass der Regensburger Riss nicht ohne eine genaue Kenntnis des Kölner Risses entstanden sein kann. Einzelne Formenmotive sind dabei identisch gezeichnet, so etwa das sphärische Dreipassmotiv in den seitlichen Wimpergen des Turmoktogons, das auf dem Regensburger Riss mehrfach im Turmhelm vorkommt. Insbesondere in den freihändig gezeichneten Elementen wie den Kreuz- und Kriechblumen der Wimperge und Helmgrate manifestiert sich dieser Schulzusammenhang. So findet sich die schlangenförmige Ausgestaltung der Krabbenenden in Köln vor allem am Turmhelm, in Regensburg an den Portalwimpergen, während die auseinandergeklappten dreilappigen Blätter am Kölner Mittelgiebel, in Regensburg am Giebelkranz des Helmansatzes begegnen. Das eindeutig spätgotische Element, die naturalistischen Astansätze der Krabben, kommen auf der Kölner Fassadenriss erst am Mittelschiffsgiebel, auf dem Regensburger Turmriss hingegen bereits in der Portalzone vor. Es ist nun gerade dieses letztgenannte Element des beginnenden Astwerks, das den Kölner Fassadenriss (und mit ihm den Regensburger Turmriss) zeit-

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lich am Beginn der Spätgotik im ausgehenden 14.  Jahrhundert verortet.²55 Eine ausgeprägte Astwerkkrone zeigt vor allem die parlerische Porträtbüste in Köln (wie auch ihre Äquivalente in Regensburg und Ulm), verbunden mit »wunderbar bewegte[n] Blattzungen« (siehe Abb. 34).²56 Insgesamt aber geht der Regensburger Riss in seiner Kleinteiligkeit und der verwirrenden Formenfülle deutlich über die Gleichmäßigkeit der Kölner Zeichnung hinaus. Dieser Eindruck entsteht vor allem auch dadurch, dass hier die klassischen Formen immer wieder mit den neuartigen Fischblasen- und Kielbogenformen Prager Provenienz in Widerstreit treten. Schon hierin gibt sich der Regensburger Riss, der beim Amtsantritt Heinrich Parlers auf der Stelle des Ulmer Münsterbaumeisters im Jahre 1387 ausgearbeitet worden sein muss, als das Werk eines jüngeren Zeichners zu erkennen, der die Gestaltungsweisen seiner beiden Lehrmeister  – Peter Parler und Michael von Savoyen  – miteinander in Einklang zu bringen und sie durch neuartige Ideen wie das Stabwerk des Turmhelms oder der ungewöhnlichen Überführung des Vier- in das Achteck noch zu übertreffen suchte.

255 Margot Braun-Reichenbacher : Das Ast- und Laubwerk. Entwicklung, Merkmale und Bedeutung einer spätgotischen Ornamentform (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft, Bd. 24). Nürnberg 1966, S. 14. 256 Lottlisa Behling : Die Pflanzenwelt der mittelalterlichen Kathedralen. Köln 1964, S. 135.

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ie Entscheidung zum Bau der monumentalen zweitürmigen Domfassade anstelle einer vielleicht zunächst intendierten kleineren Lösung ist primär eine Entscheidung des Bauherrn, dem es um die Außenwirkung seiner Kathedrale gehen musste, und erst sekundär eine Aufgabe des Baumeisters, der die entsprechenden Vorplanungen auszuarbeiten hatte. Die oft wiederholte Differenzierung zwischen eigentlichen, das heißt konkret zum Bau bestimmten Planzeichnungen und sogenannten Präsentationszeichnungen, deren Aufgabe es gewesen sei, einen potentiellen Bauherrn zur Ausführung eines Bauprojektes zu motivieren,²57 geht dabei entschieden an der historischen Wirklichkeit vorbei. Die wochenlange Ausarbeitung einer Fassadenzeichnung wird nicht unternommen ohne einen konkreten Auftrag, sondern ist bereits ein wichtiger Schritt in der Realisierungsphase eines Projekts. Aus einer Kenntnis des Gesamtbestandes an mittelalterlichen Architekturzeichnungen lässt sich erschließen, dass kein einziger Bauriss unabhängig von einem intendierten Bauvorhaben oder ohne einen präzisen Auftrag erstellt worden ist. Zwar gibt es – wie im Fall des Frankfurter Domturms oder des Ulmer Münsterturms – Planungen, die im Vorfeld durch bekannte Baumeister erstellt worden sind, um dann aus offensichtlichen Kostengründen in der Ausführung einer vereinfachten Lösung Platz zu machen ; Konkurrenzentwürfe oder Alternativplanungen im modernen Sinn kommen hingegen nicht vor, da immer die konkrete Bauaufgabe im Vordergrund steht. Im Fall des Kölner Domes ist entsprechend die Ausarbeitung eines Fassadenplanes ohne die unmittelbare Initiative des Bauherrn – also des Erzbischofs oder des Domkapitels – nicht vorstellbar. Vom Bauherrn wurde stets das Bauprogramm formuliert und der architektonische Anspruch festgelegt, und erst aufgrund dieser Vorgabe entstand der Plan, in dessen schrittweisen Entwurfsprozess immer wieder seitens des Bauherrn oder des Bauherrnkollektivs korrigierend eingegriffen wurde. Der dabei entstan257 Klaus Jan Philipp : Die Imagination des Realen. Eine kurze Geschichte der Architekturzeichnung. In : Jörg H. Gleiter u. a. (Hrsg.) : Die Realität des Imaginären. Architektur und das digitale Bild. Wissenschaftliches Kolloquium vom 19. bis 22. April 2007 in Weimar an der Bauhaus-Universität. Weimar 2008, S. 149 f.

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dene Bauplan blieb verbindlich, es sei denn, er wurde während des weiteren Baufortschritts durch eine Nachfolgeplanung ersetzt. Zwischen diesem und den für die Bauausführung bestimmten Detailzeichnungen hingegen gab es keine weiteren Zwischenstufen. Einen davon unabhängigen Ausführungsplan im eigentlichen Sinne, der wegen seiner Abnutzung durch täglichen Gebrauch auf der Baustelle nicht erhalten sei, hat es, wie wir insbesondere aus dem außerordentlich umfangreich erhaltenen Wiener Bestand wissen, nicht gegeben. Wenn wir davon ausgehen, dass ein Fassadenplan des Kölner Domes nicht anders denn in engem Austausch zwischen Bauherrn und Werkmeister entstanden sein kann, dann kann dessen Betrachtung nicht ohne Berücksichtigung der historischen Bedingungen erfolgen, unter denen er entstanden ist. Ein solches Projekt erfolgte keinesfalls in einem politikfreien Raum als eine rein architektonisch-ästhetische Aufgabe, sondern immer mit einer präzisen Darstellungsabsicht. Dies gilt umso mehr, als sich das monumentale Fassadenprojekt – mehr noch als der über die rheinseitige Stadtmauer hinausweisende Chorbau – ja unmittelbar an die Stadt Köln richten musste. Das über die gesamte Bauzeit des Kölner Domes angespannte Verhältnis zwischen Stadtherrn und Stadt spielt damit ebenso in das Geschehen hinein wie das Verhältnis zwischen dem Erzbischof als Reichsfürsten und der kaiserlichen Zentralgewalt. Dass sich während der Ausbauarbeiten am Kölner Dom im 19.  Jahrhundert ähnliche Konflikte zwischen dem rheinischen Katholizismus und dem preußischen Königtum abspielten,²58 bestätigt nur die Brisanz des monumental angelegten Bauprojekts in einer politischen Krisensituation. Wie die Kathedralbauten von Chartres und Reims belegen, konnte ein ehrgeiziges Bauprojekt durchaus zum Auslöser sozialer Konflikte werden,²59 ihm aber auch wie im Fall von Amiens eine durchaus konsensstiftende Kraft innewohnen.²60 Dass der Initiator des Kölner Dombauprojekts, Konrad von Hochstaden (1238–61), bereits die Ausarbeitung eines Fassadenprojektes in Auftrag gegeben habe, ist auszuschließen : Seine Interessen zielten vielmehr auf die Errichtung des Hochchores, dem die Aufgabe einer Krönungskirche zugedacht war. Am 258 Michael J. Lewis : The Politics of the German Gothic Revival : August Reichensperger. London 1993. 259 Peter Kurmann : Baustelle und Barrikaden. Die Kathedrale von Reims im Spannungsfeld kirchlichen Machtanspruchs und unternehmerischer Freiheit. In : Bruno Klein, Katja Schröck und Stefan Bürger (Hrsg.) : Kirche als Baustelle. Große Sakralbauten des Mittelalters. Köln 2013, S. 73–87. 260 Stephen Murray : Notre Dame, Cathedral of Amiens. The Power of Change in Gothic. Cambridge, Mass. 1996, S. 23–27.

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Ausgang der Stauferzeit war Konrad die Persönlichkeit, die durch seinen Einfluss auf das Wahlkollegium die Königswahlen des Interregnums, namentlich Wilhelms von Holland, beherrschte.²6¹ Unter ihm kündeten sich jedoch die ersten Schwierigkeiten mit der Stadtgemeinde an, die von ihm noch 1252 durch Vermittlung von Albertus Magnus gelöst werden konnten, die unter seinen Nachfolgern aber zu einer offenen Auseinandersetzung kulminierten. Schon sein direkter Nachfolger, Engelbert von Valkenburg (1261–74), war in zäher Auseinandersetzung mit der Stadt Köln mehrfach gefangengesetzt und schließlich aus Köln vertrieben worden, bis Siegfried von Westerburg (1275–97) 1288 in der Schlacht von Worringen mit seiner Niederlage die Verfügungsgewalt über die Stadt Köln vollends einbüßte.²6² Demgegenüber betrieb König Rudolf von Habsburg (1273–91) eine betont städtefreundliche Politik, die sich nicht zuletzt darin äußerte, dass er die Stadt Straßburg nach der Schlacht von Hausbergen 1262 gegen ihren bischöflichen Stadtherrn durch die Verleihung des Status einer Reichsstadt in direkten Schutz nahm.²6³ Wenngleich er auch nach 1288 in Köln keine ähnliche Position bezog, so wohl deshalb, weil die letzten Jahre seiner Herrschaft mit eigenen politischen Problemen und der Sicherung der Herrschaftsnachfolge angefüllt waren. Die schon damals angestrebte Anerkennung Kölns als freie Reichsstadt, und damit die vollständige Lösung aus dem Verband des Erzbistums, jedenfalls erfolgte erst zwei Jahrhunderte später, 1475, und auch da wieder in einer außerordentlichen Konfliktsituation zwischen Erzbischof und Stadt. Hingegen vermochte Siegfried von Westerburg, der in Opposition zu Rudolf von Habsburg gestanden hatte, während der nachfolgenden kurzen Regentschaft seines Schwagers Adolf von Nassau (1291–98) als römischer König einen wichtigen Einfluss auf die Reichspolitik zu gewinnen.²64 Unverändert blieb die Situation unter Erzbischof Wigbold von Holte (1297–1304), dessen einstimmige Wahl durch das Domkapitel »unter maßgeblichem Einfluß des Königs und einiger Territorialherren zustande gekommen« war.²65 In seiner Amtszeit ließen 261 Jacob Burckhardt : Conrad von Hochstaden. Erzbischof von Köln 1238–1261. Bonn 1843. 262 Hugo Stehkämper : Die Stadt Köln und die Schlacht bei Worringen. In : Blätter für deutsche Landesgeschichte 124, 1988, S. 311–406. 263 Jean-Sébastien Sauvé : Der Kaiser und das Straßburger Münster. In : Bruno Klein, Katja Schröck und Stefan Bürger (Hrsg.) : Kirche als Baustelle. Große Sakralbauten des Mittelalters. Köln 2013, S. 271–284. 264 Franz-Reiner Erkens : Territorium und Reich in Politik und Vorstellung des Kölner Erzbischofs Siegfried von Westerburg. In : Nassauische Annalen 94, 1983, S. 25–46. 265 Ulrike Höroldt : Die Wahl des Kölner Erzbischofs Wikbold von Holte und die Rolle des Domkapitels bei der Union des Kölner Klerus von 1297. In : Kölner Domblatt 61, 1996, S. 88.

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jedoch »die Kriegsstürme, welche während seiner kurzen Regierung fast andauernd tobten, […] die Sorge für die Landesverwaltung nothgedrungen in den Hintergrund treten«²66. Dass diese Phase, in der zudem ein Interdikt über die Stadt Köln verhängt war, keineswegs für die Planung eines derartigen Fassadenprojekts im Auftrag des Erzbischofs günstig sein konnte, liegt auf der Hand, zumal die Vollendung des Domchores jetzt unter den schwierigeren Zeitumständen vordringliches Ziel sein musste. Die Situation ist insoweit anders als in Straßburg, als dort die Auseinandersetzungen zwischen Stadt und Bischof ein Vierteljahrhundert zuvor gerade dazu geführt hatte, dass die Verantwortlichkeit für die anschließend begonnene Westfassade des Münsters nun in die Hände der Stadt überging²67 und jene geradezu zu einem »Ort kommunaler Repräsentation« machte,²68 während in Köln ein vergleichbarer Wechsel nicht stattfand. Die Kölner Erzbischöfe residierten seither in Bonn, so auch Heinrich von Virneburg (1304–32), unter dem 1322 die Hochaltarweihe des Chores vollzogen wurde. Vor seiner Ernennung zum Kölner Erzbischof hatte Heinrich als Kaplan König Adolphs von Nassau gedient und besaß damit eine besondere Königsnähe.²69 Wenn er jedoch 1314 die umstrittene Krönung des Habsburgers Friedrichs des Schönen zum deutschen König nicht im Kölner Dom vollzogen hatte, dessen von Heinrich von Virneburg gestiftetes Fensterprogramm ihn geradezu zu einer Königskathedrale machte,²70 sondern im Bonner Münster, so ist dies vermutlich der Tatsache geschuldet, dass zu diesem Zeitpunkt noch an der Einwölbung des Domchores gearbeitet wurde.²7¹ »Ein schweres 266 Hermann Keussen : Wigbold, Erzbischof von Köln. In : Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 42. München 1897, S. 460 f. 267 Peter Wieck : Das Straßburger Münster : Untersuchungen über die Mitwirkung des Stadtbürgertums am Bau bischöflicher Kathedralkirchen im Spätmittelalter. In : Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 107, 1959, S. 40–113. 268 Bruno Klein : Das Straßburger Münster als Ort kommunaler Repräsentation. In : Jörg Oberste (Hrsg.) : Repräsentationen der mittelalterlichen Stadt (Forum Mittelalter, Studien Bd.  4). Regensburg 2008, S. 83–93. 269 Ulrich Seng : Heinrich II. von Virneburg als Erzbischof von Köln (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 13). Siegburg 1977. 270 Peter Kurmann : Heinrich II. von Virneburg, der Koronator Friedrichs des Schönen als Donator des Dreikönigsfensters im Hochchor des Kölner Domes. In : Matthias Becher und Harald Wolter-von dem Knesebeck (Hrsg.) : Die Königserhebung Friedrichs des Schönen im Jahr 1314. Krönung, Krieg und Kompromiss. Köln 2017, S. 209–228. 271 Maren Lüpnitz : Der Ringanker im Chorobergaden des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 62, 1997, S. 66 ; dies.: Die Chorobergeschosse des Kölner Domes. Beobachtungen zur mittelalterlichen Bauabfolge und Bautechnik (Forschungen zum Kölner Dom, Bd. 3). Köln 2011, S. 245.

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Hemmnis seiner Territorialpolitik bildete« hingegen, so Erich Wisplinghoff, »die chronische Finanznot, die trotz intensiver Besteuerung seines Klerus und der Juden, der Wahlgeschenke Heinrichs VII. und Friedrichs von Habsburg, der Verpfändung von Rechten und Einkünften und der Anleihen bei Lombarden und Kölner Bürgern nicht behoben werden konnte.«²7² Eine Initiative zur Planung und Errichtung eines monumentalen Westbaus, wie sie namentlich die ältere Forschung angenommen hatte, ist in der Amtsperiode des Heinrich von Virneburg jedoch kaum vorstellbar. Ähnliches gilt auch für seinen Nachfolger Walram von Jülich (1332–49), dessen militärische Unternehmungen sich als derart kostspielig erwiesen, dass er sich in seiner Regierungsfreiheit zu Konzessionen gegenüber dem Domkapitel bereiterklären musste.²7³ Während »bis dahin […] die eigentliche Leitung der fabrica Coloniensis unangefochten in den Händen des Kapitels gelegen« hatte,²74 gelang es Walram, gegenüber diesem seine Rechte geltend zu machen und damit auch wieder Einfluss auf den weiteren Domausbau zu gewinnen.²75 Im Rahmen seiner Bemühungen um eine Förderung des Projekts führte er 1337 Klage darüber, »daß die Frömmigkeit des Volkes erkalte und darum die Opfer und Gaben für den Dombau allzu spärlich eingingen«, und auch Papst Clemens IV. bestätigte 1351, »daß Bedrückungen und Vergewaltigungen, unter denen das Capitel andauernd seufze, die Mittel für den Dombau in hohem Maße schmälerten«²76. Wenn Clemen konstatierte, dass zu diesem Zeitpunkt »eine nicht unwahrscheinliche Stockung im Bau eingetreten sein« müsse,²77 so fällt immerhin die Teilerrichtung des südlichen Seitenschiffspaares in diese Zeit, durch die erst über den soeben vollendeten Chor hinaus ein benutzbarer Sakralraum geschaf272 Erich Wisplinghoff : Heinrich II. In : Neue Deutsche Biographie 8, 1969, S. 364 f. 273 Wilhelm Janssen : Walram von Jülich (1304–1349) In : Rheinische Lebensbilder, Bd.  4, Düsseldorf 1970, S. 37–56 ; ders.: Zur Verwaltung des Erzstiftes Köln unter Erzbischof Walram von Jülich (1332–1349). In : Hans Blum (Hrsg.) : Aus kölnischer und rheinischer Geschichte. Festgabe Arnold Güttsches (Veröffentlichungen des Kölner Geschichtsvereins, Bd. 29). Köln 1969, S. 1–40. 274 Wolfgang Schöller : Die rechtliche Organisation des Kirchenbaues im Mittelalter vornehmlich des Kathedralbaues. Baulast – Bauherrenschaft – Baufinanzierung. Köln 1989, S. 192 f. 275 Hugo Stehkämper : Die Kölner Erzbischöfe und das Domkapitel zwischen Grundsteinlegung und Chorweihe des gotischen Domes (1248–1322). In : Kölner Domblatt 44/45, 1979/80. S. 18 f. 276 Leonard Ennen : Der Dom zu Köln von seinem Beginne bis zu seiner Vollendung. Köln 1880, S. 60 f. 277 Paul Clemen : Der Dom zu Köln (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. VI, III. Abteilung : Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, Bd. 1). Düsseldorf 1937, S. 60.

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Abb. 45€€: Köln, Dom, Grabmal des Walram von Jülich (Detail)

fen wurde. Dass jedoch unter diesen Umständen nicht mit Planung und Bau der Westfassade zu rechnen war, ist selbstverständlich, und so ist auch bislang von keinem der Autoren eine Entstehung des Risses in dieser Zeitphase angenommen worden. Das Interesse Walrams an seinem Dombau zeigt sich aber darin, dass er sich als erster Erzbischof seit Konrad von Hochstaden wieder in einer Kapelle des Kölner Domchores bestatten ließ.²78 Der Baldachin seines Grabmals folgt der allgemeinen Formensprache des Kölner Domes, lediglich bereichert um die zeittypischen Buckellaubformen (Abb. 45). Von ihm wurde immerhin um 1340 das Hochkreuz zwischen Bonn und Bad Godesberg als ein klassischer gotischer Fialenpfeiler errichtet, in dem man fast einen Aufruf für den wiederaufzunehmenden Kölner Turmbau erblicken kann.²79 In seiner 278 Wolfgang Georgi : Die Grablegen der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter. In : Ludger Honnefelder, Norbert Trippen und Arnold Wolff (Hrsg.) : Dombau und Theologie im mittelalterlichen Köln. Festschrift zur 750-Jahrfeier des Kölner Doms und zum 65.  Geburtstag von Joachim Kardinal Meisner. Köln 1998, S. 262. 279 Adolf Berchem : Das Hochkreuz. Ein gotisches Baudenkmal aus dem 14.  Jahrhundert. In : Godesberger Heimatblätter. Jahresheft des Vereins für Heimatpflege und Heimatgeschichte Bad Godesberg 20, 1982, S. 37–63.

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Abb. 46€€: Bad Godesberg, Hochkreuz

kubischen Einfachheit und Kompaktheit aber steht dessen Auf bau, der sich an dem Strebepfeilerauf bau des Hochchores orientiert und noch nicht die differenzierte Gestaltung der Fassadenstrebepfeiler kennt, fast symbolisch für die Spannungen seiner Zeit (Abb. 46). Die Situation änderte sich erst wieder um die Mitte des 14. Jahrhunderts, als Wilhelm von Gennep (1349–62) den Kölner Bischofsthron innehatte und ihm während seines Episkopats eine wirtschaftliche Konsolidierung des Erzstifts gelang.²80 Zunächst gegen den Willen Karls  IV. zum Erzbischof gewählt, hatte er wesentlichen Anteil an der Formulierung der Goldenen Bulle 1356, die zugleich das bestehende Krönungsrecht des Kölner Erzbischofs festschrieb.²8¹ Da die für die Datierung des Baubeginns des Kölner Domwestbaus so wichtige Münze aus den letzten fünf Jahren der Amtszeit Wilhelms von 280 Wilhelm Janssen : »Under dem volk verhast«. Zum Episkopat des Kölner Erzbischofs Wilhelm von Gennep (1349–62). In : Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein  177, 1975, S. 41–61. 281 Martin Lenz : Konsens und Dissens : deutsche Königswahl (1273–1349) und zeitgenössische Geschichtsschreibung (Formen der Geschichtsschreibung, Bd. 5). Göttingen 2002, S. 42.

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Gennep stammt, der »nach eigenen Worten während seines Episkopates den Bau der Domkirche besonders eindrucksvoll in die Höhe wachsen sehen wollte«,²8² so kann unter ihm kaum mit den eigentlichen Bauarbeiten begonnen worden sein. Seiner Initiative ist – neben der darauf bezogenen Fundamentierung des Südturms – am ehesten der Plan zuzuschreiben, der sich in dem eine fünfteilige Portalgruppe vorsehenden Wiener Turmgrundriss erhalten hat. Im Grunde aber war die Amtsperiode Wilhelms von wenig mehr als zwölf Jahren zu kurz, um das frühestens in der Spätzeit seiner Amtszeit begonnene Projekt des Domwestbaus über die Fundamentierungsarbeiten hinauszuführen. Auf den Tod Wilhelms folgte zwischen 1363 und 1368 zunächst das unglückliche Intermezzo der beiden unmittelbar nacheinander regierenden Erzbischöfe Adolf und Engelbert von der Mark, von denen Ersterer auf den Bischofsstuhl Verzicht leistete und Letzterer schließlich aus Altersgründen nicht die Amtsgeschäfte weiterzuführen vermochte, so dass an seiner Statt der Trierer Erzbischof Kuno II. von Falkenstein das Erzbistum verwaltete. Mehr in den eigenen dynastischen Interessen verwickelt, hinterließen sie das Bistum verschuldet, so dass auch nicht mit einer Weiterführung des ehrgeizigen, und wohl schon unter Wilhelm von Gennep begonnenen Fassadenprojekts zu rechnen ist. Immerhin gelang unter Engelbert 1365 die für den Fortbau des Domes notwendige rechtliche Einigung zwischen Erzbischof und Domkapitel über die gegenseitige Zuständigkeit, indem beide Seiten je einen Domherrn bestimmen sollten, der jeweils dafür Sorge zu tragen habe, dass alle verfügbaren Baumittel dem Dombau zukommen würden.²8³ Der Dombau wurde damit wieder der gemeinsamen Verantwortung von Erzbischof und Domkapitel unterstellt, von denen dem ersteren die Initiative zukam. Waren damit zumindest die rechtlichen Voraussetzungen für den Weiterbau des Domes geschaffen, so ergaben sich erst in den nachfolgenden Jahrzehnten ideale Rahmenbedingungen für die Inangriffnahme des Projekts. Nach einer zweijährigen Sedisvakanz, in der der Trierer Erzbischof Kuno II. von Falkenstein das Erzbistum weiterhin verwaltete, hatte dieser 1370 – nachdem er selbst einstimmig in Köln gewählt worden war – statt seiner die Wahl seines Neffen Friedrich von Saarwerden (1370–1414) durchsetzen können.²84 In der diesem 282 Wolfgang Schöller : Die Kölner Domfabrik im 13. und 14.  Jahrhundert. In : Kölner Domblatt 53, 1988, S. 87. 283 Urkunden und Regesten zur Geschichte des Kölner Dombaues. In : Archiv für die Geschichte des Niederrheins 9, 1868, S. 51. 284 Peter Moraw : Konrad II. von Falkenstein. In : Neue Deutsche Biographie 12, 1979, S. 530 f.

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verbleibenden Amtszeit von fast einem halben Jahrhundert betrieb Friedrich von Saarwerden, finanziell und politisch unterstützt von Kaiser Karl IV., dessen Wunschkandidat er gewesen war, eine erfolgreiche Wirtschafts- und Territorialpolitik, die vor allem zu einer Entschuldung des Erzstifts führte.²85 Auch im Schöffenkrieg von 1374–77 mit der Stadt Köln konnte Friedrich auf die Unterstützung des Kaisers rechnen, der die Stadt in die Reichsacht setzte und ihr die städtischen Privilegien entzog. 1376 vollzog Friedrich im Aachener Münster die Krönung Wenzels als Nachfolger Karls  IV., am Dreikönigstag 1401 schließlich, nach der inzwischen erfolgten Absetzung Wenzels, im Kölner Dom statt in Aachen die Krönung Ruprechts von der Pfalz. Diese Krönung sollte die einzige Königskrönung bleiben, die in dieser Kathedrale vorgenommen wurde, »und zwar mit der Besonderheit eines doppelten Einzugs, da die Stadt dem neuen König erst nach dessen Krönung den Einritt durch das übliche Tor und in eins Roemischen coeninx wise gestattete«²86. Die Nachfolge Friedrichs von Saarwerden trat, wieder mit fast fünfzigjähriger Amtszeit, dessen Neffe Dietrich von Moers (1414–63) an, der trotz hoher finanzieller Aufwendungen, die er durch Kreditaufnahme sowie Verpfändung fast aller landesherrlichen Einnahmen zu decken suchte, die erfolgreiche Territorialpolitik seines Onkels letztlich nicht fortzusetzen vermochte.²87 Der Versuch der Einverleibung des Bistums Paderborn im Jahre 1429 scheiterte, hinzu kam der Verlust der Stadt Soest 1444/49, anschließend in der Münsterschen Stiftsfehde 1450 bis 1457 der vollständige Verlust des Einflusses auf die westfälischen Bistümer.²88 Reichspolitisch hingegen gehörte Dietrich der Opposition der Kurfürsten gegen König Sigismund an, dessen Krönungsfeier in Aachen zugleich die Primizfeier des soeben erst zum Priester geweihten designierten Erzbischofs war.²89 In sein Episkopat fällt die Vollendung des 285 Karlotto Bogumil : Die Stadt Köln, Erzbischof Friedrich von Saarwerden und die päpstliche Kurie während der ersten Jahre des großen abendländischen Schismas (1375–1387). In : Hugo Stehkämper (Hrsg.) : Köln, das Reich und Europa. Abhandlungen über weiträumige Verflechtungen der Stadt Köln in Politik, Recht und Wirtschaft im Mittelalter (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Bd. 60). Köln 1971, S. 279–303. 286 Andreas Büttner : Der Weg zur Krone. Rituale der Herrschererhebung im spätmittelalterlichen Reich (Mittelalter-Forschungen, Bd. 35,2). Ostfildern 2012, S. 675. 287 Georg Droege : Verfassung und Wirtschaft in Kurköln unter Dietrich von Moers (1414–1463). Bonn 1957. 288 Hans J. Brandt und Karl Hengst : Die Bischöfe und Erzbischöfe von Paderborn. Paderborn 1984, S. 179–182. 289 Aloys Schulte : Die Kaiser- und Königskrönungen zu Aachen 813–1531 (Rheinische Neujahrsblätter, Heft 3). Bonn 1924 (Nachdruck Darmstadt 1965), S. 16.

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zweiten Geschosses des Südturms, der in diesem Zustand als Bauruine bis zur Wiederaufnahme der Bauarbeiten im 19.  Jahrhundert bestand. Danach konzentrierten sich die Bauarbeiten auf die beiden nördlichen Langhausseitenschiffe, von denen sieben ihrer Joche gewölbt werden konnten, sowie auf die unteren spätgotischen Pfeilerabschnitte des Nordturms, dessen Bau jedoch nicht mehr über die ersten Anfänge hinaus gedieh. Nach dem Tod Dietrichs im Jahre 1463 vor allem wurden die Voraussetzungen für die Fortführung des Fassadenprojekts unter seinem Nachfolger Ruprecht von der Pfalz (1463–1480) entschieden ungünstiger, und so lässt sich für das letzte Drittel des 15. Jahrhundert eine deutliche Unterbrechung der Bauarbeiten am Dom feststellen.²90 Durch sein militantes Vorgehen war Ruprecht schon bald mit seinem Domkapitel in Konflikt geraten, das nun 1473 Hermann von Hessen zum Stiftsverweser wählte.²9¹ An der Belagerung von Neuss durch Karl den Kühnen 1474/75 nahm Ruprecht auf burgundischer Seite teil, während Hermann von Hessen auf kölnischer Seite die Verteidigung der Stadt leitete. Beendet wurde die Belagerung der Stadt durch den Einsatz des Reichsheeres unter Kaiser Friedrich III., der im Gegenzug der Stadt Köln 1475 den schon lange angestrebten Status einer freien Reichsstadt verlieh und damit den alten Konflikt zwischen Erzbischof und Stadt zugunsten von Letzterer entschied. Erzbischof Ruprecht, 1478 mit Stadtkölner Hilfe gefangengesetzt, resignierte kurz vor seinem Tod im Jahre 1480 zugunsten Hermanns von Hessen, der fast drei Jahrzehnte bis 1508, seit 1498 auch als Bischof von Paderborn, regierte.²9² Tatsächlich wurde in dieser Zeit nochmals ein Versuch unternommen, den Dombau zu fördern, und so hatte Philipp von Daun, der seit 1504 als Verwalter der Domfabrik amtierte und 1508 Hermann von Hessen auf dem erzbischöflichen Thron nachfolgte, »Neues am Dom bauen und Verfallenes wiederherstellen« lassen.²9³ Aber schon die Arbeiten am Nordturm kamen 290 Dorothea Hochkirchen : Steinfunde vom provisorischen Westportal. Beobachtungen zur Baugeschichte. In : Ulrich Back und Thomas Höltken : Die Baugeschichte des Kölner Domes nach den archäologischen Quellen. Befunde und Funde aus der gotischen Bauzeit (Studien zum Kölner Dom, Bd. 10). Köln 2008, S. 231. 291 Ellen Widder : Karriere im Windschatten. Zur Biographie Erzbischof Ruprechts von Köln (1427–1478). In : Ellen Widder, Mark Mersiowsky und Peter Johanek (Hrsg.) : Vestigia Monasteriensia. Westfalen – Rheinland – Niederlande (Studien zur Regionalgeschichte, Bd. 7). Bielefeld 1995, S. 29–72. 292 Maria Fuhs : Hermann  IV. von Hessen. Erzbischof von Köln 1480–1508 (Kölner Historische Abhandlungen, Bd. 40). Köln 1995. 293 Paul Clemen : Der Dom zu Köln (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, VI, III. Abteilung : Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, Bd. 1). Düsseldorf 1937, S. 64.

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nicht mehr über die ersten Anfänge hinaus, bevor um 1510 die Arbeiten zunächst eingeschränkt wurden. Der dem Protestantismus zugeneigte und 1546 suspendierte Hermann von Wied²94 besaß ebenso wenig wie seine Nachfolger das Interesse und die finanziellen Mittel zur Fortsetzung der Arbeiten am Dombau, so dass dieser 1560 unter Gebhard von Mansfeld gänzlich eingestellt und im Westen mit einem provisorischen Eingang abgeschlossen wurde.²95 Zu diesem Zeitpunkt wurde auch das Krönungsprivileg der Kölner Erzbischöfe ausgesetzt und die Krönungen in den nachfolgenden zwei Jahrhunderten unmittelbar nach der Wahl im Frankfurter Dom durch den Mainzer Erzbischof vollzogen.²96 Unter Zugrundelegung des Baufortschritts am Südturm, dessen Unterbau in weniger als einem Jahrhundert ausgeführt worden war, hätte der gesamte Westbau über das 16. Jahrhundert bis in Traufhöhe des Domes ausgeführt und auch das Langhaus, dessen Seitenschiffe bereits weitgehend standen, mit seinem Obergaden fertiggestellt sein können. Die Errichtung der postgotischen Jesuitenkirche während des nachfolgenden 17. Jahrhunderts unmittelbar nördlich des Domes und die gleichzeitig von jesuitischer Seite erfolgte Publikation des Fassadenrisses lassen erkennen, dass durchaus eine Bereitschaft zur Fortführung und Vollendung des Dombaus bestand. Dass eine solche Fortführung des gotischen Dombaus technisch wie künstlerisch möglich gewesen wäre, belegt die während der religiösen Auseinandersetzungen des 16.  Jahrhunderts zerstörte Kathedrale von Orléans, die zwischen 1601 und 1773 einschließlich ihres Westbaus in gotischen Formen wieder errichtet wurde.²97 Die tatsächliche Fertigstellung des Kölner Domes erfolgte dann – unter den nicht vergleichbaren technischen wie wirtschaftlichen Möglichkeiten des 19.  Jahrhunderts  – immerhin in einer Zeitspanne von weniger als vierzig Jahren bis 1880 – fünfhundert Jahre nach Baubeginn seiner Westfassade.

294 Andreea Badea : Kurfürstliche Präeminenz, Landesherrschaft und Reform. Das Scheitern der Kölner Reformation unter Hermann von Wied (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Bd. 154). Münster 2009. 295 Dorothea Hochkirchen : Das provisorische Westportal des gotischen Domes. In : Kölner Domblatt 44/45, 1979/80, S. 65–86. 296 Hans-Otto Schembs : Kaiserkrönungen im historischen Frankfurt. Frankfurt 1987. 297 Peter Kurmann : Köln und Orleans. In : Kölner Domblatt 44/45, 1979/80, S. 255–276.

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Der Kölner Fassadenriss und sein Auftraggeber Friedrich von Saarwerden

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ie Initiative zum Bau der Kölner Domfassade ging, nach nur langsamem Baufortschritt im zweiten Viertel des 14.  Jahrhunderts, offensichtlich von Wilhelm von Gennep aus, der einen entscheidenden neuen Anstoß zum Weiterbau des Domes unternahm. Ob und wie weit aber die Fundamente des Südturms zwischen dem durch den Münzfund belegten frühestmöglichen Datum von 1357 und seinem Todesdatum 1362 gelegt wurden, muss letztlich unentschieden bleiben. Unabhängig von der Frage, ob und in welcher Form es bereits vor diesem Zeitpunkt definitive Planungen für eine Domfassade gegeben hatte, ist mit dem tatsächlichen Baubeginn die Vorplanung in Verbindung zu setzen, die in der Wiener Grundrisszeichnung überliefert ist. Die unruhige und wirtschaftlich unsichere Zeit nach dem Tode Erzbischof Wilhelms jedoch musste den Beginn der Bauarbeiten um ein Jahrzehnt verzögern, währenddessen in der Vereinbarung von 1365 zumindest die rechtlichen Grundlagen für den Weiterbau geklärt wurden. Erst mit der Wahl des noch jungen Friedrich von Saarwerden besetzte diejenige Persönlichkeit den Kölner Erzbischofsthron, die das in den Anfängen steckengebliebene Werk wieder aufnehmen konnte. Bei seinem Amtsantritt im Jahre 1370 erst zwanzigjährig, stand ihm mit seinem fast fünfzigjährigen Episkopat eine hinreichende Zeitspanne, vor allem aber auch das finanzielle Vermögen zur Verfügung, das nun begonnene Werk zu fördern. Als Friedrich daher 1401 – bezeichnenderweise am Dreikönigstag  – die Krönung Ruprechts von der Pfalz im Kölner Dom vollzog, war das Turmerdgeschoss mit dem Petersportal bereits fertiggestellt und konnte für einen feierlichen Einzug durch das Südschiff genutzt werden. Die dem Kölner Dom zugedachte Funktion als Krönungskathedrale war damit noch einmal manifest geworden. Unter der Vorgabe der formalen Einheitlichkeit des Gesamtbaus entstand jetzt unter der Feder Michaels von Savoyen ein Projekt, das hinsichtlich der Baukörperformation in völligem Einklang mit den zeitstilistischen Tendenzen der Parlerzeit steht. Noch vor Beginn der Bauarbeiten aber, der frühestens im Jahre 1370 erfolgt sein kann, wurde der Erstplan, dessen zugehörige Aufrisszeichnung verloren ist, durch die Planrevision ersetzt, wie sie der überlieferte Fassadenriss darstellt.

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Schon die Entscheidung gegen den in der Wiener Grundrisszeichnung überlieferten Erstentwurf mit seiner Fünfportalgruppe (siehe Abb.  31) kann nur vom Bauherrn und nicht vom beauftragten Baumeister ausgegangen sein, da sie primär funktional und nicht baukünstlerisch motiviert war. Das Herumführen der Fassadengliederung – die sich zunächst nur auf die Westseite beschränken sollte  – um den gesamten Turmkörper ist dabei, da sie primär einen Kostenfaktor darstellte, als eine genuin bauherrliche Entscheidung anzusehen, mit der das Prestige des Bauprojekts entschieden aufgewertet werden sollte. Wichtiger hingegen wurden die Änderungen, die am Gesamtkonzept der Domfassade vorgenommen wurden. Die in der Vorplanung vorgesehene Anlage von insgesamt fünf Portalen, von denen jeweils zwei in die Turmbauten führten, hätte eine Gleichförmigkeit in der Reihung der Portale bewirkt, wie sie auch der Gesamtentwurf der Fassade mit der gleichmäßigen Folge von Bogen- und Giebelformen zeigt. Anstelle dieser trat nun mit der Beschränkung auf die Dreiergruppe der Portale eine deutliche Hierarchisierung der Portalzone zur Fassadenmitte hin. Diese Planänderung hatte vor allem inhaltliche Konsequenzen, die insbesondere das ikonographische Programm betrafen. Das Hauptportal konnte nun dem Hauptpatrozinium des Doms, der Heiligen Maria, das südliche Turmportal, wie ausgeführt, dem Heiligen Petrus und das nördliche den Heiligen Drei Königen gewidmet werden. In derselben Weise, wie am Petersportal im unteren Register unter einer Folge von sieben Baldachinen das Martyrium des Heiligen Petrus zur Darstellung kam, hätte hier – ganz in Entsprechung zum Kölner Universitätssiegel von 1388 – die Anbetung der Könige vorgesehen gewesen sein können. Eine Fünfportalgruppe hingegen, für das offensichtlich noch kein klares Programm ausgearbeitet gewesen war, hätte sich für die Erstellung eines kohärenten ikonographischen Konzepts als problematisch erwiesen. Aber nicht nur der Ersatz der noch rezenten Vorplanung durch den nachfolgenden Ausführungsplan lässt sich auf die Entscheidung des Bauherrn zurückführen, sondern auch die am Fassadenriss selbst vorgenommenen Änderungen während seines Entstehungsprozesses (Abb.  47, 48). Wie der zeichentechnische Befund des Risses unzweideutig belegt, wurde der Strebepfeilerauf bau nachträglich durch die Einfügung von Nischenrahmen geändert, die die Vertikalität der Pfeilergliederung unterbrechen und wie ein Fremdkörper in dem ansonsten flüssigen Auf bau wirken. Die nachträgliche Einfügung dieser Nischen in die Zeichnung kann daher nur inhaltlich motiviert gewesen sein, indem sie den Raum für Skulpturen zur Verfügung stellte, die in dieser Form zunächst nicht intendiert gewesen waren.

Der Kölner Fassadenriss und sein Auftraggeber

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Abb. 47€€: Köln, Dom, Fassadenplan. Ausschnitt des nördlichen Turmunterbaus mit Angabe der Einzelblätter

Von Interesse ist an dieser Stelle der Bauriss mit der Ostansicht des Südturmobergeschosses, dessen Aufgabe es war, die Anbindung des Langhausobergadens an den Turmbau wie auch an das Wasserableitungssystem über den Seitenschiffen zu lösen, was der Planung einen sehr konkreten Realitätsbezug gibt. Entsprechend sei der Riss laut Arnold Wolff »nach Fertigstellung des Südturm-Erdgeschosses für das Obergeschoß angefertigt« worden, wobei es

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Abb. 48€€: Köln Dom, Fassadenplan. Rekonstruktion der ursprünglich geplanten Pfeilergliederung im ersten Obergeschoss

sich »mehr um eine Studie, eine Skizze, vielleicht sogar […] um eine Übungsarbeit eines Meisterschülers gehandelt haben« dürfe.²98 In unserem Zusammenhang ist der Plan dadurch von Interesse, als er die Reiternischen in der zuletzt geplanten und dann auch begonnenen Version zeigt (Abb.  49). Wie ausgeführt erhält nun der Sockelbereich ein drei- statt zweibahniges Blendmaßwerk, das sich auch auf dem eingezeichneten Statuensockel wiederfindet.

298 Arnold Wolff : Mittelalterliche Planzeichnungen für das Langhaus des Kölner Domes. In : Kölner Domblatt 30, 1969, S. 157 f.

Der Kölner Fassadenriss und sein Auftraggeber

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Abb. 49€€: Köln Dom, Plan der Ostseite des Turmobergeschosses

Es ist aber gerade dieses Detail, das eine Entstehung des Fassadenrisses unter Friedrich von Saarwerden und dessen unmittelbare Einflussnahme auf die Planung belegt. Die querrechteckige Grundrissform der Nische schließt eine Bestimmung für einfache Standfiguren, wie sie sonst an der Fassade vorkommen, aus. Dass hier wie zuvor in Straßburg vielmehr der Platz für Reiterstandbilder vorgesehen war, hatte, wie zitiert, bereits Boisserée festgestellt. Auch in Straßburg war die Zweckbestimmung dieser Nischen von Anfang an klar : Die

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Nische des Strebepfeilers zur Rechten des Rosenfensters erhielt schon bald, wie der Straßburger Festungsbaumeister Daniel Specklin (1536–89)²99 in seiner Bautenchronik Straßburgs berichtet, die Reiterstaue des 1291 verstorbenen Rudolfs von Habsburg, dem die Stadt Straßburg ihre Erhebung in den reichsfreien Stand verdankt hatte. An den beiden korrespondierenden Strebepfeilern des Nordturms hingegen fanden die Reiterstatuen der beiden merovingischen Könige Chlodwig als dem Kirchen- und Dagobert als dem Bistumsgründer Aufstellung : Damals baute bischof Conrad [Konrad III. von Lichtenberg (1273–99)] ganz streng am münster fort, und als man die vier columnen und streben auswendig aufführte, da wurde mit des bischofs bewilligung, von dem rath erkannt, dass man alle fürnehmsten könige, so stadt und land die grossen gutthaten gethan, ihre bildnisse auf triumpfpferde setzen sollte, welches geschehen und noch zu sehen ist. Am vordern pfeiler gegen den Salzmarkt sitzt auf einem pferd könig Chlodoveus, so erstlich das münster erbaut, und den christenglauben hat angenommen, mit goldener krone und szepter. Am andern pfeiler sitzt könig Dagobertus mit einer krone und szepter, auch auf einem pferd, der erstlich das bisthum gestiftet, die stadt gefreit und dem land viel gutes gethan und das bisthum hoch begabt. Auf dem dritten sitzt könig Rudolf von Habsburg auf einem pferd mit goldener krone und szepter, welcher stadt und land viel gutthaten bewiesen, auch viele freiheiten gegeben und vor dem bischof erhalten, sonst wären sie eigene leute geworden.³00

Wie die chronikalische Notiz verrät, war die Entscheidung zum Einbau des Reiterstandbilds Rudolfs als einem Garanten städtischer Freiheit gegenüber dem bischöflichen Landesherrn vom Rat der Stadt gefordert und vom Bischof zugestanden worden. Die vierte Nische hingegen erhielt schließlich nach der Einnahme der Stadt 1681 durch Ludwig XIV. die Statue des »Allerchristlichen Königs«, seinen neuen Rechtsanspruch damit reklamierend. Mit dem 1365 abgeschlossenen Bau der Freigeschosse schließlich verdoppelte sich die Zahl der Nischen für Reiterstandbilder nochmals.

299 Albert Fischer : Daniel Specklin aus Straßburg (1536–1589). Festungsbaumeister, Ingenieur und Kartograph. Sigmaringen 1996. 300 Rodolphe Reuss (Hrsg.) : Les Collectanées de Daniel Specklin. Fragments recueillis et publiés pour la première fois. In : Bulletin de la Société pour la conservation des monuments historiques d’Alsace 13, 1887, S. 157–360 ; 14, 1889, S. 1–178, 201–404 ; 17, 1895, S. 57 f., Nr. 1116.

Der Kölner Fassadenriss und sein Auftraggeber

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Abb. 50€€: York Minster, Westfassade

Baldachinnischen nach Straßburger Vorbild mit Reiterstatuen von Königen, von denen sich immerhin noch Fragmente erhalten haben, zeigt hingegen auch die bis 1338 errichtete Westfassade von York Minster (Abb. 50), begonnen 1291 unter König Edward I. (reg. 1272–1307),³0¹ während dessen kriegerischer Auseinandersetzung mit Schottland York für einige Zeit zum englischen Herrschaftszentrum avanciert war.³0² Dass unter ihm, der mit Adolf von Nassau in engem Bündnisverhältnis stand und seine Königswahl finanziert hatte,³0³ ein Neubau des Langhauses nach Kölner Formensystem zur Ausführung kam,³04 wirft zugleich ein Schlaglicht auf die durchaus weitreichenden architektonischen Beziehungen der Zeit. 301 John H. Harvey : The Architectural History 1291–1558. In : G. E. Aylmer und Reginald Cant (Hrsg.) : A History of York Minster. Oxford 1977, S. 157. 302 Marc Morris : A Great and Terrible King. Edward I and the Forging of Britain. London 2008. 303 Michael Prestwich : Edward I and Adolf of Nassau. In : Thirteenth Century England 3, 1991, S. 127–136. 304 Johann Josef Böker : York Minster’s Nave : The Cologne Connection. In : Journal of the Society of Architectural Historians 50, 1991, S. 167–180.

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Reiterstandbilder an gotischen Kirchenfassaden wie in Straßburg und York sind eine ikonographische Seltenheit. Der Gedanke an die Standfigur des »Bamberger Reiters« im Innern des Bamberger Doms mag letztlich als Auslöser für diese Anbringung von Kaiserbildnissen gedient haben, auch wenn es sich bei diesem um die Darstellung einer allgemeinen Idee des mittelalterlichen Königtums handelt.³05 Aber auch die Königsgalerien französischer Kathedralen wie an Notre-Dame in Paris sowie den Kathedralen von Chartres, Reims und Amiens sind als Vorformulierungen zu nennen, wenngleich diese als Standfiguren ausgebildet sind.³06 Am Freiburger Münsterturm befinden sich an ähnlicher Stelle die sitzenden Figuren der Grafen von Zähringen als den Stadt- und Gerichtsherren Freiburgs.³07 Dass sich die Fassade des Kölner Domes nach Straßburger Vorbild als Anbringungsort von Kaiserstatuen anbot  – in ihrer Zahl gegenüber Straßburg zudem von acht auf zehn vergrößert  –, ergibt sich aus der Geschichte des Erzbistums. Während sein erster Bischof unter Kaiser Konstantin für das Jahr 313 bezeugt ist, der damit als Bistumsgründer gelten konnte, hatte Köln seinen Status als Erzbistum im Jahre 794/5 durch Karl den Großen erhalten. Die Belehnung des Kölner Erzbischofs Brun mit dem Herzogtum Lothringen durch Otto  I. im Jahre 953 mag als weiterer Meilenstein im Verhältnis zwischen Erzbistum und Kaiser angesehen werden, wie auch der als heilig verehrte Heinrich  II., indem dem von ihm eingesetzten Erzbischof Pilgrim erstmals das Amt des Erzkanzlers von Italien übertragen wurde.³08 Durch Friedrich Barbarossa, der wiederum 1180 dem Erzbischof Philipp von Heinsberg das Herzogtum Westfalen übereignete,³09 waren 1164 die Reliquien der 305 Achim Hubel : Der Bamberger Reiter. Beschreibung – Befundauswertung – Ikonographie. In : Berichte des Historischen Vereins Bamberg 143, 2007, S. 121–157. 306 Johann Georg Prinz von Hohenzollern : Die Königsgalerie der französischen Kathedrale. Herkunft, Bedeutung, Nachfolge. München 1965. 307 Peter Kurmann : Garanten der Heilsordnung. Zu den vier Grafenstatuen am Münster zu Freiburg im Breisgau. In : Andreas Bihrer (Hrsg.) : Adel und Königtum im mittelalterlichen Schwaben. Festschrift für Thomas Zotz zum 65. Geburtstag (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Reihe  B/175). Stuttgart 2009, S.  359– 374. 308 Heribert Müller : Die Kölner Erzbischöfe von Bruno I. bis Hermann II. (953–1056). In : Anton von Euw und Peter Schreiner (Hrsg.) : Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin. Bd. l, Köln 1991, S. 15–32. 309 Georg Droege : Die Herzogsgewalt in Westfalen. In : Köln – Westfalen 1180–1980. Landesgeschichte zwischen Rhein und Weser. Bd. 1, Münster 1981, S. 220–225.

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Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln überführt worden. Der 1378 verstorbene Karl  IV. schließlich, dessen Statue sich zeitgleich beispielsweise auch am Turm des Wiener Stephansdoms eingesetzt findet,³¹0 hatte mit seiner Goldenen Bulle die kurfürstliche Stellung des Kölner Erzbischofs bekräftigt. Dass in dieser Zeit des mittleren 14.  Jahrhunderts die Darstellung einer zeitgenössischen Herrscherpersönlichkeit an einem Kirchenbau eine wichtige Möglichkeit war, fürstliche Präsenz zu veranschaulichen, belegen – abgesehen vom Straßburger Münster – die Fürstenportale des Wiener Stephansdomes, an deren Gewände Statuen Erzherzog Rudolfs IV. und seiner Gattin Katharina von Böhmen eingesetzt sind.³¹¹ In gleicher Weise sind in der südlichen Querhausfassade der Marienkirche von Mühlhausen in Thüringen die Statuen von Kaiser Karl  IV. und seiner Gemahlin, begleitet von Angehörigen des Hofes, angebracht, so dass sie sich in effigie über die Brüstung zu neigen scheinen.³¹² Mit einer angenommenen Reihe von Konstantin bis Karl IV. wären bereits die sechs zur eigentlichen Westfassade gehörenden Strebepfeiler mit möglichen Kaiserstatuen besetzt gewesen, während die verbleibenden, nach Südosten und Nordosten gerichteten rückwärtigen vier Strebepfeiler, für die nach Ausweis des Risses mit der östlichen Turmansicht, gleiche Nischen vorgesehen waren, für ähnliche Statuen freigehaltenen worden wären. Die weitere Entwicklung im Verlauf des 15. Jahrhunderts mag dann – namentlich unter Friedrich III., der 1475 die Anerkennung der Stadt Köln als Reichsstadt vollzog – den Verweis auf das Kaisertum nicht mehr als opportun erscheinen haben lassen, so dass, als die Realisierung des ersten Turmobergeschosses anstand, die für die Reiterstatuen vorgesehenen Nischen konsequent mit massivem Mauerwerk geschlossen wurden. Die Kaiser- und Königsstatuen von »mächtigen Herrschern, als Beschützern der Kirche […], so Constantin, Carl dem Großen und Friedrich von Hohenstaufen«, fanden nach Boisserées Plan schließlich ihren Platz an den beiden Zwischenpfeilern der Westfassade.³¹³ Als vierte Herrscherper310 Antje Kosegarten : Parlerische Bildwerke am Wiener Stephansdom aus der Zeit Rudolphs des Stifters. In : Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 20, 1966, S. 47–78 ; Gerhard Schmidt : Peter Parler und Heinrich IV. Parler als Bildhauer. In : Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 23, 1970, S. 108–153. 311 Karl Ginhart : Die Fürstenstatuen von St. Stephan in Wien und die Bildwerke aus Grosslobming (Aus Forschung und Kunst, Bd. 15). Klagenfurt 1972 ; Thomas Flum : Das Paulus-Portal von Sankt Stephan in Wien. In : Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 67, 2013, S. 9–31. 312 Hans Peter Hilger : Die Skulpturen an der südlichen Querhausfassade von St.  Marien in Mühlhausen in Thüringen. In : Wallraf-Richartz-Jahrbuch 22, 1960, S. 159–164. 313 Herbert Rode : Sulpiz Boisserée, Vorschlag, die heiligen Bildwerke zum Dom von Köln betreffend. In : Kölner Domblatt 16/17, 1959, S. 144.

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sönlichkeit war zunächst Wilhelm von Holland, unter dem 1248 der gotische Dombau begonnen worden war, dann aber Friedrich Wilhelm IV. von Preußen als Förderer des Dombaus vorgesehen gewesen,³¹4 bevor man sich letztlich auf Stephan von Ungarn als eine neutrale Persönlichkeit einigte. Das zweite Element des Kölner Fassadenrisses, das einen direkten ikonographischen Bezug zur Straßburger Westfassade besitzt – und auch hier wieder nicht zum Fassadenriss B, sondern zur gebauten Fassung und ihrer Darstellung auf dem sogenannten Durlacher Riss (siehe Abb. 29) – ist die Einarbeitung des sechsstufigen Löwenthrons König Salomons³¹5 in den Wimperg des Hauptportals. Im Mittelalter ist die Darstellung ein fester Bestandteil der offiziellen Herrscherikonographie,³¹6 die nicht zuletzt im sechsstufigen Karlsthron im Aachener Münster vorgegeben war.³¹7 Durch Verbindung mit der Statue der thronenden Maria über ihm wird sie im 13. Jahrhundert, wie es auch das Kölner Universitätssiegel von 1392 zeigt, zum »Thron der Weisheit«. Noch vor der Mitte des 14. Jahrhunderts entstand die Darstellung in einem von Kaiser Ludwig dem Bayer gestifteten Fenster des Augsburger Domes.³¹8 Aber auch in einem Bildfenster des Kölner Domchores, das Rüdiger Becksmann der Zweitverglasung der Chorkapellen unter Erzbischof Walram von Jülich zuweist, findet sich – und zwar bezeichnenderweise in dessen Bestattungskapelle, der Michaelskapelle  – das Thema der Marienkrönung »in eine Bildkomposition integriert, die bis dahin der Darstellung Mariens als Thron Salomons vorbe314 Jochen Becker : Das Plastikprogramm des Kölner Domes 1845–57. In : Kölner Domblatt 31/32, 1970, S. 18 f. 315 »Und der König machte einen großen Stuhl von Elfenbein und überzog ihn mit dem edelsten Golde. Und der Stuhl hatte sechs Stufen, und das Haupt hinten am Stuhl war rund, und waren Lehnen auf beiden Seiten um den Sitz, und zwei Löwen standen an den Lehnen. Und zwölf Löwen standen auf den sechs Stufen auf beiden Seiten. Solches ist nie gemacht in allen Königreichen.« (1. Kön. 10, 18–20). 316 Dirk Jäckel : Der Herrscher als Löwe : Ursprung und Gebrauch eines politischen Symbols im Frühund Hochmittelalter. Köln 2006, S. 153 und 282–294. 317 Katharina Corsepius : Der Aachener »Karlsthron« zwischen Zeremoniell und Herrschermemoria. In : Marion Steinicke und Stefan Weinfurter (Hrsg.) : Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich. Köln 2005, S. 359–375. 318 Hans-Rudolf Meier : Das Thron-Salomonis-Fenster im Augsburger Dom. In : Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 23, 1989, S. 134–161 ; Rüdiger Becksmann : Das Thron-Salomonis-Fenster im Augsburger Dom. Ein Fall von deletio memoriae ? In : Hans-Rudolf Meier (Hrsg.) : Für irdischen Ruhm und himmlischen Lohn. Stifter und Auftraggeber in der mittelalterlichen Kunst. Berlin 1995, S. S. 247–263 ; vgl. ders.: Das Thron-Salomonis-Fenster aus der Bopparder Karmeliterkirche – eine Stiftung des Trierer Erzbischofs Jakob von Sierck (1439–1456). In : Kunst in Hessen und am Mittelrhein N.F 2, 2006, S. 7–22.

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halten geblieben war«³¹9. Gerade mit dieser Fokussierung auf den Löwenthron König Salomons aber musste die Domfassade symbolhaft die Funktion des Kölner Domes als Königskathedrale und Kaiserdom veranschaulichen. Das Kölner Portal kam im Mittelalter nur noch mit seinem rechten Laibungsgewände zur Ausführung, zeigte aber bereits den Ansatz des Wimpergs, der dann bei der Ausführung im 19.  Jahrhundert unter Verzicht auf die ursprünglich intendierte und von Boisserée richtig erkannte Ikonographie des Throns König Salomons³²0 und Auslassung des sechsstufigen Thronunterbaus zu einer Staffelung von Figurennischen von Christus als Weltenrichter und die vier Großen Propheten verändert wurde. Auch in diesem Fall lässt sich feststellen, dass die Zeichnung des linken, nördlichen Fassadenturms zunächst mit dem Ansatz eines Mittelportals angelegt worden ist, dass dieses aber vermittels eines Schrägschnitts in Höhe der Gewändestatuen wieder abgetrennt und durch die neue Portalfassung ersetzt wurde. Das neu eingezeichnete Portal selbst besitzt eine ungewöhnliche Tympanongestaltung mit zwei Reihen von insgesamt dreizehn Figurennischen, wobei die obere Reihe seitlich unschön beschnitten ist. Auch hier hat die Ausführung des 19. Jahrhunderts, die nichts mit der Idee von gereihten Einzelstatuetten, wie sie die Planrevision eingeführt hatte, anzufangen vermochte, stattdessen auf die traditionellere Form erzählender Reliefstreifen zurückgegriffen. Die Ausstattung eines gotischen Portaltympanons mit einer Reihung von Figurennischen ist so ungewöhnlich, dass ihrer Einfügung eine ganz konkrete Darstellungsabsicht zugrunde liegen muss. Hier ist es etwa das um 1500 entstandene südliche Querhausportal der Kathedrale von Beauvais, das – seiner Skulpturen beraubt – eine ähnliche Anordnung besitzt. Über die intendierte Besetzung der Figurennischen des Kölner Portals kann nur spekuliert werden, doch legt ihre Dreizehnzahl Christus oder Maria zusammen mit den Zwölf Aposteln nahe. Auch bei der Ausführung des Portals im 19. Jahrhundert ging die Idee nicht verloren, als die Reihe der Apostel unter Arkaden als Reliefstreifen auf dem Portalsturz angebracht wurde. Aber auch dieses Thema verweist wieder auf die Straßburger Westfassade, die oberhalb ihres Rosenfensters, und auch hier erst in der Neufassung des 319 Rüdiger Becksmann : Bildfenster für Pilger. Zur Rekonstruktion der Zweitverglasung der Chorkapellen des Kölner Domes unter Erzbischof Walram von Jülich (1332–1349). In : Kölner Domblatt 67, 2002, S. 137–194. 320 Jochen Becker : Das Plastikprogramm des Kölner Domes 1845–57. In : Kölner Domblatt 31/32, 1970, S. 19.

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Entwurfs in der Zeichnung des Mittelabschnitts (siehe Abb.  21), eine Marienfigur mit der Apostelfolge als Bestandteil der Himmelfahrt Christi besitzt.³²¹ Das Thema der Himmelfahrt Mariens aber würde sich inhaltlich mit dem Thron Salomons als Sedes Sapientiae verbunden haben, wie es schließlich auch in Straßburg zum Ausdruck kam. Da die Änderungen des Hauptportals und des Strebepfeilerauf baus einem konkreten inhaltlichen Plan folgen, so müssen entsprechende Intentionen gleichfalls für das Westfenster angenommen werden. Was aber konkret als inhaltliche Begründung hinter dieser Änderung der Fensterform gestanden hat, lässt sich nur darin vermuten, dass die Fensterform einem bestimmten vorgegebenen Bildprogramm angepasst werden sollte, für das sich die Verbreiterung der Maßwerkbahnen oder auch deren Sechszahl als notwendig erwies. Schon im mittleren 19. Jahrhundert war auf die Schwierigkeit verwiesen worden, ein entsprechendes Programm mit der architektonischen Rahmenform in Einklang zu bringen : Im westlichen Hauptfenster müßte eigentlich das jüngste Gericht angebracht werden, doch wird die malerische Anordnung hier auf Schwierigkeiten stoßen, da das Maßwerk aus einer Zeit herrührt, wo die Baumeister […] nur Fenstermaßwerke zeichneten, um ihre Combinationen geltend zu machen, nicht zur Aufnahme von Glasgemälden und zur Festigung der Scheiben. In diesem Fenstermaßwerke ist in der Eintheilung kein mittlerer Raum für die Gestalt unseres Heilandes als Richter.³²²

Dass jedoch die Ausarbeitung der Bildprogramme der Glasfenster entgegen allgemeiner Vorstellungen keinesfalls erst nach der baulichen Fertigstellung eines Kirchenbaus, sondern bereits während des eigentlichen Planungsprozesses erfolgte und dabei, um die Vorgaben des Bauherrn zu erfüllen, Auswirkungen auf die Baugestalt hatte, konnte anhand des Regensburger Domes belegt werden.³²³ So ist in Entsprechung auch für das Kölner Westfenster, dem im spätmittelalterlichen Ausbau des Domes eine entscheidende darstellende Funktion zugedacht gewesen sein muss, eine ähnliche Wechselbeziehung zwi321 Victor Beyer : La sculpture strasbourgeoise au quatorzième siècle. Straßburg/Paris, 1955, S. 49. 322 August Reichensperger : Die Ausschmückung des Domes betreffend. In : Kölner Domblatt Nr. 149, 1857 ; abgedruckt in Kölner Domblatt 31/32, 1970, S. 13 f. 323 Achim Hubel : Das Verhältnis von Glasmalereiwerkstatt, Bauhütte und Auftraggeber  – am Beispiel des Regensburger Domes. In : Ute Bednarz, Leonhard Helten und Guido Siebert (Hrsg.) : »Im Rahmen bleiben«. Glasmalerei in der Architektur des 13. Jahrhunderts. Berlin 2017, S. 13–40.

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schen dem letztlich unbekannt bleibenden Bildprogramm und dem auf dieses ausgerichteten architektonischen Rahmen anzunehmen. Wie ein solches Bildprogramm ausgesehen haben könnte, zeigt die vor 1400 durch Herzog Wilhelm II. von Jülich-Berg und seiner Gemahlin Anna von der Pfalz gestiftete Verglasung des Westfensters der Altenberger Abteikirche, die in zwei Registern Heiligenfiguren unter vergoldeten Baldachinen zeigt.³²4 Die sich daraus ergebende Zwölfzahl von Heiligenfiguren in Köln wird entsprechend ikonographisch begründet gewesen sein. Einen Fingerzeig für die Rekonstruktion des intendierten Bildprogramms mag das 1338 verglaste Westfenster der erzbischöflichen Kathedrale von York geben. Dessen acht Bahnen stellen in ihrem unteren Register die als heilig verehrten Erzbischöfe Yorks dar, darüber im nachfolgenden Register (teilweise in Zweiergruppen zusammengefasst) die Zwölf Apostel  – »a particularly effective piece of religious propaganda, well suited to one of the major windows of the church«³²5. Da in Köln zwölf der Erzbischöfe im Mittelalter als heilig verehrt wurden (Maternus, Severin, Evergislus, Kunibert, Agilolf, Hildegar, Hildebald, Bruno, Heribert, Anno und Engelbert),³²6 so bietet sich hier ein ähnliches Programm an, indem zwölf Einzelfiguren auf zwei Register verteilt worden wären. Möglich, wenngleich weniger wahrscheinlich, wäre, ähnlich wie in York, auch die Anordnung als Paare in Parallelsetzung zu den Zwölf Aposteln im oberen Register, um auf diese Weise die Apostolische Sukzession zur Anschauung zu bringen. Das Anbringen sowohl der Baldachine für Reiterstatuen wie auch die Ausgestaltung des Hauptportals zum Thron Salomons auf dem Kölner Fassadenriss, die nachträglich während des Zeichenprozesses erfolgte, lassen sich sinnvoll nur während der Regierungszeit Friedrichs von Saarwerden erklären (Abb. 51). Unter den Kölner Erzbischöfen des späten Mittelalters verfügte er als einziger über die entsprechende Königsnähe, die eine derart explizite Herrscherikonographie vertreten konnte. Zudem besaß Friedrich, der 1368 von Ur324 Brigitte Lymant : Die mittelalterlichen Glasmalereien der ehemaligen Zisterzienserkirche Altenberg. Bergisch Gladbach, 1979, S. 111 f.; Götz J. Pfeiffer : Schenken für Ruhm und Seele. Die Kunststiftungen des ersten bergischen Herzogspaares Wilhelm von Jülich († 1408) und Anna von Bayern († 1415). In : Rheinisch-Bergischer Kalender 78, 2008, S. 8–19. 325 David E. O’Connor und Jeremy Haselock : The Stained and Painted Glass. In : G. E. Aylmer und Reginald Cant (Hrsg.) : A History of York Minster. Oxford 1977, S. 361. 326 Heinz Finger und Werner Wessel : Heilige Kölner Bischöfe. Eine Ausstellung der Diözesan- und Dombibliothek Köln im Jubiläumsjahr 2013–1700 Jahre Kirche von Köln (5.  März bis 13.  Juli 2013). Köln 2013.

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Abb. 51€€: Köln, Domchor. Grabdenkmal des Friedrich von Saarwerden. Portrait

ban V. zunächst für den Straßburger Bischofsthron vorgesehen gewesen war, schon durch die geographische Nähe seines Herkunftsortes, dem elsässischen Saarwerden, eine genaue Kenntnis der Straßburger Münsterfassade, die gerade zuvor, 1365, bis zum Ansatz des spätgotischen Turmaufsatzes fertiggestellt gewesen war.³²7 Von hier bezog Friedrich den entscheidenden Impuls zur Ausgestaltung des Kölner Fassadenprojekts mit einer imperialen Ikonographie, nur dass die auf Wahrung der kommunalen Rechte zielende Grundtendenz der Straßburger Fassade nun in ein betont kirchliches Programm umgedeutet wurde. Auch in Straßburg selbst war es zu diesem Zeitpunkt zu einer Ausweitung des Fassadenprojekts gekommen, die einen Einfluss auf die Entscheidung in Köln gehabt haben dürfte, indem unmittelbar nach Fertigstellung des Nordturms im Jahre 1365 mit dem Bau der Glockenstube zwischen den Turmfreigeschossen begonnen wurde. Regierender Bischof war zu dieser Zeit Johann 327 »… und wart vollenbroht untz an den helm noch gotz gebürte 1365 jor« zitiert nach Karl Hegel (Hrsg.) : Chronik des Jacob Twinger von Königshofen, 1400 (1415). In : ders.: Die Chroniken der oberrheinischen Städte : Straßburg. Göttingen 1961, S. 722 f.

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Abb. 52€€: Straßburg, Münsterfassade, Bauriss der Glockenstube

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von Luxemburg-Ligny aus einer Seitenlinie des regierenden Kaiserhauses, der vom Kaiser 1365 als Bischof von Straßburg, 1371 als Erzbischof von Mainz durchgesetzt worden war, nachdem zuvor seine Berufung auf den Kölner Erzbischofsthron gescheitert war. Sein Nachfolger in Straßburg wurde der spätere einflussreiche Ratgeber Kaiser Karls IV., der 1399 als Bischof von Bamberg verstorbene Lamprecht von Brunn.³²8 Bezeichnend für die unmittelbaren Wechselbeziehungen zwischen Straßburg und Köln ist dabei, dass die für diesen Bauteil zunächst auf dem zugehörigen Bauriss vorgesehene charakteristisch straßburgische dreigliedrige Maßwerklösung bei der Ausführung zugunsten eines vierbahnigen Systems in enger Anlehnung an die im Kölner Fassadenriss angelegten – scheinbar historischen – vierbahnigen Fensterformen verändert wurde (Abb. 52, vgl. Abb. 8).³²9 In die gleiche Zielrichtung führt aber auch die Rezeption eines historischen, inzwischen mehr als ein Jahrhundert alten Formensystems, das durch seinen Rückgriff auf eine andere zeitliche Bezugsebene zugleich eine legitimistische Absicht erkennen lässt. In gleicher Weise wie die Reiterstatuen historischer Herrscherpersönlichkeiten ein eigenes Geschichtsbild auf bauen, so unterstützt der Rückgriff auf eine klassisch-hochgotische Formenebene den Eindruck der Historizität des Bauwerks. Bezeichnend für die stilistische Situation der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist, dass das Konzept einer historischen Rückorientierung zeitgleich mit Planung und Bau der Kölner Domfassade als politisches Programm an dem wichtigsten Kirchenbauprojekt der Zeit, dem Prager Veitsdom Karls  IV., artikuliert wurde. Hier wurde die an französischen Kathedralbauten orientierte Modernität des ersten Baukonzepts des Matthias von Arras unter der Leitung von Peter Parler – bei aller Innovation in den Maßwerkformen – schrittweise in eine konservativere Gestaltungsweise umgebildet, die ihre Bezugsebene gerade im Kölner Dom fand, indem sich, wie Otto Kletzl betonte, namentlich »im Bereich des Fassadenwerks allenthalben Verbindungen zwischen den Hütten in Prag und Köln feststellen lassen«³³0. Architektonische Historizität wurde hier im Sinne eines geschichtlichen Anspruchs eingesetzt, der die bei328 Anton Ph. Brück : Johann  I. von Luxemburg-Ligny. In : Neue Deutsche Biographie  10, 1974, S.  496 ; Alfred Wendehorst : Lamprecht von Brunn. In : Neue Deutsche Biographie  13, 1982, S. 463 f. 329 Jean-Sébastien Sauvé : Notre-Dame de Strasbourg. Les façades gothiques (Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 10). Korb 2012, S. 169. 330 Otto Kletzl : Plan-Fragmente aus der deutschen Dombauhütte von Prag in Stuttgart und Ulm (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart, Bd. 3). Stuttgart 1939, S. 43–48.

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Abb. 53€€: Köln, Domchor. Grabdenkmal des Friedrich von Saarwerden. Tumba

den unter Karl  IV. hinzugekommenen neuen Funktionen des Veitsdoms als erzbischöfliche Kathedrale wie auch als Kaiserdom anschaulich zur Geltung bringen sollte. Das wichtigste Zeugnis für die Kunstauffassung Friedrichs von Saarwerden aber stellt sein Grabmal im Kölner Domchor dar, das, wie Marc Steinmann zu Recht argumentierte, noch zu Lebzeiten Friedrichs vor 1414 erstellt worden sein dürfte (Abb. 53).³³¹ Die Tumbawände dieses Grabmals sind von einer Blendarkatur umgeben, die mit sitzenden Figuren, darunter dem knienden Erzbischof selbst, besetzt sind. Wie Steinmann hinsichtlich der formalstilistischen Komponente des Grabdenkmals weiter betont, sei »das in Köln um 331 Marc Steinmann : Das Grabmal des Erzbischofs Friedrich von Saarwerden im Kölner Dom. In : Kölner Domblatt 58, 1993, S. 105.

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1410/1414 verbreitete Motiv der Fischblase […] am Grab nicht zu finden«, wobei vielmehr »der mit Pässen gefüllte, gespitzte Dreipass der Tumbenarkaden […] in der Architektur des Kölner Domes«, namentlich dem Obergaden des Domchores, vorkommt.³³² Schon darin drückt sich ein formaler Konservatismus aus, der, wie die Grabtumba beweist, offensichtlich für die Haltung Erzbischof Friedrichs charakteristisch ist. Aber damit nicht genug : Die gestaffelte Dreiergruppe von Fialen, die die Tumbenarkaden voneinander trennt, erscheint in Form der Zwischenpfeiler der Domtürme auf dem Fassadenriss, vor allem aber der Dreipassbogen mit klassischer Maßwerkfüllung, gerade wie sie der infrage stehende und wohl auf die Anregung Friedrichs zurückgehende Nischenrahmen der Strebepfeilerstirnseiten auf dem Plan aufweist. Kurioserweise aber, und das stellt nochmals eine Verbindung zwischen dem Saarwerdengrabmal und dem Fassadenriss her, findet sich die neunachsige Blendengliederung der Tumbaseiten als unteres Register im Tympanon des Hauptportals angelegt, so als ob von hier aus die direkte Anregung zur Gestaltung des Grabmals erfolgt sei. Der einzige Unterschied – und gleichzeitig die Konzession an die Spätgotik – ist hierbei, dass der Dreieckswimperg des Grabdenkmals durch konkaves Einbiegen seiner Seiten zu einem »Vorhangbogen« modifiziert wurde. Unter Erzbischof Friedrich von Saarwerden kamen demnach alle Voraussetzungen zusammen, unter denen ein Projekt wie der Westbau des Kölner Domes entworfen und in Teilen auch ausgeführt werden konnte. Er verfügte über die Energie, vor allem aber auch die hinreichenden finanziellen Mittel, ein solches Projekt zu beginnen, das zu den größten Bauunternehmungen des Mittelalters zählte. Mit dem kaiserlichen Hof Karls  IV. in Prag stand er in einem engen Kontakt, so dass die Ausführung eines Prestigeprojekts, das mit dem Prager Veitsdom in Wettbewerb stehen konnte, ein sinnvolles Mittel war, die Nähe zum Kaisertum nach außen sichtbar zu machen. Sein eigenes, sicher noch zu seinen Lebzeiten in Auftrag gegebenes Grabdenkmal belegt seine stilistische Präferenz für die schon historische Formensprache der klassischen Hochgotik, die geradezu als Idiom des Kölner Dombaus gelten konnte und zugleich die historische Priorität des Kölner Domes gegenüber der Kathedrale des Erzbischofs von Prag sichtbar machte. Vor allem aber stand ihm mit Michael von Savoyen die künstlerische Persönlichkeit mit internationalem Hintergrund zur Verfügung, die ein solches Projekt entwerfen und auch umsetzen konnte, das nur scheinbar einem stilistischen Anachronismus verpflichtet war. 332 Ebd., S. 69.

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Durch sein Verwandtschaftsverhältnis mit den Parlern war er sowohl über die neuesten Architekturtendenzen wie auch die kaiserlichen Intentionen am Prager Hof informiert, die in ähnlicher Weise auf die klassische Formensprache der Hochgotik zurückgriff und diese zur Entwicklung einer körperhaft-plastischen Gestaltungsweise der beginnenden Spätgotik zu nutzen vermochte.

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Literaturverzeichnis

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Literaturverzeichnis

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Abbildungsnachweis

Abb. 1 : Abb. 2 : Abb. 3 : Abb. 4 : Abb. 5 : Abb. 6 : Abb. 7 : Abb. 8 : Abb. 9 : Abb. 10 : Abb. 11 : Abb. 12 : Abb. 13 : Abb. 14 : Abb. 15 : Abb. 16 : Abb. 17 : Abb. 18 : Abb. 19 : Abb. 20 : Abb. 21 : Abb. 22 : Abb. 23 : Abb. 24 : Abb. 25 : Abb. 26 :

nach C. W. Schmidt, 1848. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. 114.1 Extrav., fol. 24v. Bauaufnahme der Westfassade des Regensburger Domes, Messbildarchiv Berlin, 1935. Regensburg, Diözesanarchiv, Inv.-Nr. D 1974/124a. Institut für Baugeschichte, KIT. nach Franz Schmitz, 1868. Rheinisches Bildarchiv Köln, C. Körber-Leupold, 1995, Stadtkonservator Köln. nach C. W. Schmidt, 1848. Institut für Baugeschichte, KIT. Institut für Baugeschichte, KIT. Institut für Baugeschichte, KIT. Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_603539. Clemen, Paul : Der Dom zu Köln. Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Düsseldorf 1937, S. 105. Hoster, Joseph : Der Dom zu Köln, Köln 1965, S. 17. Hoster, Joseph : Der Dom zu Köln, Köln 1965, S. 16. Institut für Baugeschichte, KIT. Institut für Baugeschichte, KIT. Regensburg, Diözesanarchiv, Inv.-Nr. D 1974/124b. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. HZ 38 18. Institut für Baugeschichte, KIT. Graphik : P. D. Dr. Julian Hanschke. Bauaufnahme des Westbaus, Fondation de l’Œuvre Notre-Dame de Strasbourg. Ansicht nach Wolff, Carl : Der Kaiserdom in Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 1892, Fig. 47. Köln, Archiv der Dombauverwaltung, Riß F. Faksimile von C. W. Schmidt, 1850. Bildarchiv Foto Marburg. Foto : Helga Schmidt-Glassner. Binding, G.: Was ist Gotik ?, Darmstadt 2000, Abb. 455.

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Abbildungsnachweis

Abb. 27 : Abb. 28 : Abb. 29 : Abb. 30 :

Köln, Stadtmuseum im Zeughaus, Inv.-Nr. A I 1 / 131. nach C. W. Schmidt, 1848. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Inv.-Nr. HB 3093. Wien, Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste, Inv.-Nr. 16.873. Abb. 31 : Institut für Baugeschichte, KIT. Graphik : Darius und Elena Lenz. Abb. 32 : Wien, Akademie der bildenden Künste, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 16.821. Abb. 33 : Köln, Archiv der Dombauverwaltung Mappe XIV, Nr. 17. Abb. 34 : Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland, Bd.  3, hrsg. von Bruno Klein, München 2007. Abb. 35 : Straßburg, Musée de l’Œuvre Notre-Dame, Inv.-Nr. 8, D.22.995.0.17. Abb. 36 : Institut für Baugeschichte, KIT. Abb. 37 : Straßburg, Musée de l’Œuvre Notre-Dame, Inv.-Nr. 2, D 22.995.0.12. Abb. 38 : Wien, Wien Museum Karlsplatz, Inv.-Nr. 105.069. Abb. 39 : nach C. W. Schmidt, 1848. Abb. 40 : nach C. W. Schmidt, 1848. Abb. 41 : Wien, Akademie der bildenden Künste, Inv.-Nr. 16.869. Abb. 42 : Bern, Bernisches Historisches Museum, Inv.-Nr.1962. Abb. 43 : Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. Hz 2667. Abb. 44 : Regensburg, Diözesanarchiv, Inv.-Nr. D 1974/124b. Abb. 45 : Bildarchiv Marburg. Abb. 46 : Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn. Foto : Daniel Friedrich Voigt, 1925. Abb. 47 : nach C. W. Schmidt, 1848. Abb. 48 : nach C. W. Schmidt, 1848. Abb. 49 : Köln, Archiv der Dombauverwaltung, Riß E. Abb. 50 : Institut für Baugeschichte, KIT. Abb. 51 : Clemen, Paul : Der Dom zu Köln. Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Düsseldorf 1937, S. 263. Abb. 52 : Straßburg, Musée de l’Œuvre Notre-Dame, Inv.-Nr. 5 [D.22.995.0. 14]. Abb. 53 : Clemen, Paul : Der Dom zu Köln. Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Düsseldorf 1937, S. 264.

Index

A Aachen, Münster 137 Altenberg, Abteikirche 40, 81, 88, 89, 153 Amiens, Kathedrale 38, 93, 94, 96, 148 Antwerpen, Kathedrale 14, 40 Augsburg, Dom 95, 100, 150 B Bad Godesberg, Hochkreuz 134 Bamberg, Dom 148 Basel, Münster 110 Beauvais, Kathedrale 38, 151 Bergen, Waltraudkirche 14 Beverley, Minster 52 Bonn, Münster 132 Bourges, Kathedrale 40 Braunschweig, Andreaskirche 102 Burgos, Kathedrale 110 C Chartres, Kathedrale 38, 148 D Duderstadt, Cyriakuskirche 102 E Essen-Werden, Abteikirche 31 F Frankfurt, Dom 15, 57, 71, 115, 122, 129, 139 Freiburg, Münster 18 – 20, 28, 31, 35, 41, 66, 69, 71, 92, 95, 107, 108, 115, 121, 148 Freiburg (Schweiz), Münster 106 K Kampen, Liebfrauenkirche 103 Kampen, Nikolaikirche 103, 104 Kolin, Bartholomäuskirche 105

Köln, Jesuitenkirche St. Maria Himmelfahrt 11 Köln, Rathausturm 50 Konstanz, Brunnen 91 Konstanz, Münster 112 L Leiden, Liebfrauenkirche 103 Löwen, Peterskirche 14 M Magdeburg, Dom 45, 46 Mailand, Dom 38, 52, 105, 109 Marburg, Elisabethkirche 27, 30, 41, 74, 89 Mechelen, Rumoldkirche 14 Metz, Kathedrale 30, 33, 93, 108 Minden, Dom 96 Mühlhausen, Marienkirche 149 Münster, Lambertikirche 102 Münster, Ludgerikirche 102 Münster, Martinikirche 102 Münster, Überwasserkirche 96 Murten, Schloss 106 N Nürnberg, Frauenkirche 60 Nürnberg, Schöner Brunnen 53 Nürnberg, Sebaldkirche 60, 100 O Oppenheim, Katharinenkirche 21, 69 Orléans, Kathedrale 38, 139 P Paris, Notre-Dame 38, 40, 73, 93, 148 Pfullendorf, Pfarrkirche 110 Prag, Veitsdom 15, 23, 38, 46, 50, 56, 60, 61, 78, 99, 101 – 105, 110, 124, 125, 156

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Index

R Regensburg, Dom 14, 15, 44 – 46, 50, 66, 110, 124, 126, 127, 152 Reims, Kathedrale 38, 44, 72, 95, 148 Ripaille, Stiftskirche 107 Rouen, Kathedrale 95

Troyes, Kathedrale 95

S Salem, Münster 81, 106, 110, 112 Schwäbisch Gmünd, Münster 20, 60, 95, 100, 101 Soest, Wiesenkirche 15, 40, 60 St. Gallen, Pfarrkirche 110 Straßburg, Münster 14, 15, 27, 28, 30 – 32, 34, 38, 45, 53, 57, 67, 69, 70, 79, 82, 85, 86, 88, 92, 95, 107, 109, 115 – 118, 121, 122, 145, 148, 149, 151, 154

W Westminster Abbey 52 Wetzlar, Stiftskirche 30 Wien, Niederösterreichisches Landhaus 112 Wien, Stephansdom 14, 15, 58, 59, 92, 112, 115, 149

T Toul, Kathedrale 93

U Ulm, Münster 12, 15, 57, 88, 91, 100, 104, 109, 112, 124, 127, 129 Utrecht, Dom 38

Y York, Minster 147, 153 Z Zons, Rheinturm 23

PHASEN, ORGANISATION UND LITURGISCHE PRAXIS BEI DER ENTSTEHUNG ST. STEPHANS

Barbara Schedl St. Stephan in Wien Der Bau der gotischen Kirche (1200–1500) 2018. 324 S. mit 20 s/w- und farb. Abb., gebunden. € 29,– D | 30,– A ISBN 978-3-205-20202-8

Über mehrere Jahrhunderte ist St. Stephan in Wien gewachsen und erfüllte verschiedene Funktionen: Pfarrkirche der Stadtbevölkerung, Repräsentationsobjekt der Landesfürsten und schließlich Bischofskirche. Die Baustelle bildete über Generationen hinweg einen wichtigen ökonomischen Faktor für die Stadt und blieb auch während der Bauarbeiten für die Liturgie zugänglich. Dafür wurden fertige, halbfertige und die noch nicht abgerissenen Bauteile der alten Kirche benutzt, indem diese mit Holzlatten abgetrennt, mit Schindeln gedeckt und Fenster oft mit Tierhäuten verschlossen wurden. Messfeiern, Prozessionen, Gesänge, Orgelspiel und Glockengeläute mussten auf die Arbeiten Rücksicht nehmen, weshalb bewegliche Gegenstände wie Altäre, Orgel und Predigtbühne immer wieder verschoben wurden.

WISSENSCHAFTLICHE NEUBEWERTUNG EINES DER BEDEUTENDSTEN MONUMENTE ÖSTERREICHS

Renate Kohn Der Kaiser und sein Grabmal 1517–2017 Neue Forschungen zum Hochgrab Friedrichs III. im Wiener Stephansdom 2017. 521 S. mit 410 s/w- und farb. Abb., gebunden mit SU. € 70,– D | 72,– A ISBN 978-3-205-20640-8

Das Grabmal Kaiser Friedrichs III. (1415–1493) im Wiener Stephansdom ist eines der bedeutendsten Kunstwerke des Spätmittelalters in Österreich. Durch eine interessante Stilvielfalt gekennzeichnet ist es zu einem einzigartigen Memorialdenkmal geworden, das in seiner Gesamtheit jedoch bisher kaum erforscht wurde. Lediglich die Deckplatte, die eines der wenigen archivalisch gesicherten Werke des berühmten Bildhauers Niklas Gerhaert van Leyden darstellt, wurde immer wieder thematisiert. Die 500. Wiederkehr des Jahres 1517, in dem das Hochgrab endgültig fertiggestellt wurde, bot den Anlass für eine von Grund auf neue Analyse nach modernen methodischen Ansätzen. Die Herausgeberin hat eine Expertengruppe von Historikern, Kunsthistorikern, Epigraphikern, Heraldikern und Theologen versammelt, die im vorliegenden, opulent ausgestatteten und reich bebilderten Band eine wissenschaftliche Neubewertung dieses singulären Monuments vorlegen.

FESTSCHRIFT FÜR MARIO SCHWARZ

Günther Buchinger | Friedmund Hueber (Hg.) Bauforschung und Denkmalpflege Festschrift für Mario Schwarz 2015. 514 S. mit 256 s/w- und 16 farb. Abb., gebunden mit SU. € 75,– D | 78,– A ISBN 978-3-205-79677-0

Aus Anlass des 70. Geburtstages von Univ.-Prof. Dr. Mario Schwarz haben sein ehemaliger Schüler Dr. Günther Buchinger und der Präsident der Österr. Gesellschaft für Denkmal- und Ortsbildpflege, Univ. Prof. DI Dr. Friedmund Hueber, diese Festschrift herausgegeben. Sie beinhaltet neben einem ausführlichen Curriculum und einer Auflistung des Oeuvres des Jubilars hervorragende Artikel zu Archäologie, Denkmalpflege, Bauforschung und Architektur des Mittelalters, der Frühen Neuzeit und des Historismus. Dank der Arbeitsgebiete von Mario Schwarz sind unter den Autoren namhafte Persönlichkeiten von Universitäten und Akademien aus Österreich, Polen, Tschechien, Ungarn und Slowenien.

DIE GESCHICHTE DER STIFTSKIRCHE XANTEN

Jens Lieven (Hg.) Die Stiftskirche des heiligen Viktor in Xanten Geschichte - Architektur - Ausstattung 2014. 312 S. mit 115 s/w- und 38 farb. Abb., gebunden. € 40,– D | 42,– A ISBN 978-3-412-22281-9

Die Geschichte der Stiftskirche in Xanten stellt der vorliegende Band aus der Perspektive von Archäologen, Historikern, Kunsthistorikern und Theologen dar. Neben den spätantiken und frühmittelalterlichen Grundlagen des Viktorkultes werden vor allem die Baugeschichte und die Ausstattung des gotischen Gotteshauses in den Blick genommen. Die Beiträge thematisieren u. a. einzelne Bauabschnitte und herausragende Ausstattungsstücke des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Darüber hinaus bringen sie die Restaurierungen des 19. Jahrhunderts, die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und den Wiederaufbau, die gegenwärtigen Herausforderungen der Denkmalpflege sowie die Aufbereitung des kulturellen Erbes für die Zukunft zur Sprache.

ARCHITEKTURIKONOLOGISCHE GESAMTDARSTELLUNG

Mario Schwarz Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich 2013. 496 S. mit zahlr. s/w- und farb. Abb., gebunden. € 75,– D | 78,– A ISBN 978-3-205-78866-9

Das Buch bietet erstmalig eine Gesamtdarstellung der Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich. In dieser Zeit erfolgte nicht nur der Übergang vom romanischen zum gotischen Baustil, sondern eine weite Öffnung gegenüber künstlerischen Einflüssen von höchster Qualität aus Frankreich, Deutschland und Italien. Der Schwerpunkt des Buches ist architekturikonologisch: Beschrieben und erklärt wird die regionale Bauentwicklung als Konsequenz der Bauziele ihrer Auftraggeber. Formalanalytisch werden die Bauziele auf ihre wirkungsästhetischen Effekte untersucht. Das umfassend mit Fotos und Planzeichnungen ausgestattete Werk bietet nicht nur einen kohärenten Überblick des neuesten Forschungsstandes, sondern soll mit seinen reichen wissenschaftlichen Belegen zu weiterführenden Forschungen anregen.

DIE VIELFALT UND EINZIGARTIGKEIT DES EVANGELISCHEN KIRCHENBAUS IM HABSBURGER REICH

Reiner Sörries Von Kaisers Gnaden Protestantische Kirchenbauten im Habsburger Reich 2008. 225 S. mit 111 s/w- und 16 farb. Abb. auf 16 Taf., gebunden. € 35,– D | 36,– A ISBN 978-3-412-20154-8

Seit der Reformation sind die Konfessionen auf der Suche nach einer Kirchenarchitektur, die ihrem Glauben und ihrer Liturgie entspricht. Da das protestantische Bekenntnis im Habsburger Imperium zur Bedeutungslosigkeit verurteilt war, ließe sich vermuten, dass es einen evangelischen Kirchenbau unter der Regie der streng katholischen Habsburger nicht gegeben haben kann. Das Gegenteil ist der Fall. In den Ländern des ehemaligen Habsburger Reiches drückt ihr Kirchenbau mehr von der protestantischen Identität aus als in den Kernländern der Reformation.