METANOMIE [1. Aufl.] 9783839406243

(gr. méta 'inmitten, zwischen, hinter nach'; gr. némein 'teilen, zuteilen; verwalten') 1. die Lehre

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METANOMIE [1. Aufl.]
 9783839406243

Table of contents :
Inhalt
Entry: stille post 00
Ein dialog findet ( nicht ) statt
Müssig und gebannt durch einen hauch von welt
Mach doch deine auss tellung selbst !
Spielen und verderben
Ausstellungn 182–185 / 188–189
Kurzbiografien
Impressum
Exit: stille post 11

Citation preview

entry 28-01-06

stille post 00: konkurrenzlos n Auftakt zur Weitergabe eines ersten Ausstellungsthemas nach den Prinzipien der Stillen Post.nDem lexikalischen Eintrag folgend, setzt sich der Begriff der Metanomie aus zwei Wortstämmen griechischer Abstammung zusammen, die sich mit der Frage des dazwischen Liegenden, d.h. dem Verbindenden befassen: n Me|t a … no|mien[gr. méta „inmitten, zwischen, hinter nach; gr. némein „teilen, zuteilen; verwalten“] n Metanomie, die; 1. Lehre von dem Dazwischen / den Zwischenräumen / den Verbindungen; 2. Lehre von dem / den Konjunktiven (Vorstellungen, Möglichkeitsformen); 3. ästhetisch: Lehre von der sinngemäßen Transformation und Autogenese von Bedeutungen. Grundgedanke der zeitgenössischen Metanomie ist das im Wortstamm „me|ta“ angelegte dialogische Verhältnis zwischen mir/mich und deine, das in diskursiven Zusammenhängen erprobt wird, bspw. in Ausstellungen, Diskussionsforen, Ateliertreffen, Symposien und Gemeinschaftsproduktionen von Künstlerinnen. n Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, dem Thema des Mit-, Gegen- und Füreinanders im Kunstbetrieb unter dem Stichwort „konkurrenzlos“ eine Ausstellung zu widmen: n Der isolierte Begriff „konkurrenzlos“ ist doppeldeutig: Er weist sowohl auf die mögliche Distanz des weit überlegenen Siegers zum übrigen Feld hin wie auf die Möglichkeit des außer KonkurrenzSeins – d.h. auf ein Außerhalb des Wettbewerbs, auf etwas, das nicht einberechnet wird. Somit kann er auch als ein Hinweis auf eine privilegierte Position gelesen werden. Vielleicht ist es hilfreich, sich in Erinnerung zu rufen, wie die Naturwissenschaftler, in diesem Fall die Ökologen, den Begriff der Konkurrenz definieren. Demnach bezeichnet „Konkurrenz“ eine „Interaktion zwischen Individuen via

Raumbesetzung (d.h. Verhinderung des Aufkommens von Nachbarn), Raumerschließung und Ressourcenausbeutung.)“ n Ein konkurrenzloser Zustand wäre demgegenüber also auch ein utopischer Entwurf einer gemeinsamen Raumnutzung. Befrage ich das lexikalische Allgemeinwissen via Wikipedia, so werde ich darüber aufgeklärt, dass der Begriff der Konkurrenz vom lateinischen Verb „concurrere“, d. h. „zusammenlaufen“ abzuleiten ist – was zunächst nicht sonderlich aggressiv klingt. Interessanterweise ist unter den danach angeführten Definitionen für bestimmte gesellschaftliche Felder ein Link zu „Konkurrenz in der Kunst“ gelegt, der auf eine Seite führt, auf der es heißt, dass diese Seite noch nicht existiere, aber von „mir“ angelegt werden könne … nDas Thema „konkurrenzlos“ bedeutet für mich auch eine Annäherung an Licht und Schatten von Wettbewerbsprinzipien: Seit Hartz IV erhöht sich auch hierzulande wieder der Druck auf die Glücksschmiede der Einzelnen. Positiv gilt Wettbewerb als sportliche Stimulans – negativ als darwinistische Ausschlussdefinition. n Wer ist die / der Stärkere? n Wer die Gemeinschaft? n Individualismus gilt als Gegenmittel zur manipulativen Kollektividentität – Kollektive gelten als Mittel gegen die Schwäche des Einzelnen … auf genereller Ebene lässt sich das Dilemma nicht lösen. Aber eine Auseinandersetzung mit „Konkurrenz“ als dem dominanten Leitthema unserer Gesellschaft scheint mir ein lohnendes Ausstellungsthema für eine Gruppenausstellung – scheint mir eine Möglichkeit, mit ihren Regeln ein ernsthaftes Spiel zu treiben. Sigrid Adorf

Me| ta …no|mie ( gr. mé ta ›inmi t ten, zwischen, hin ter, nach‹; gr. némein ›teilen, zu teilen, verwalten‹ ) Ein Auss tell ungspro jek t des Küns tlerinnenverbandes bremen in der S täd tischen Galerie Bremen sigrid adorf / mona schieren ( hg. )

inhalt en try: s tille pos t 00 n 002 sigrid adorf, mona schieren / ein dial og f inde t ( nich t ) s tat t n 015 rober t pfaller / müssig und gebann t durch einen hauch von welt n 055 fr ancisk a zólyom / mach doch deine auss tell ung selbs t ! n 111 insa här tel / spielen und verderben n 137 auss tell ung n 182–185 / 188–189 / 192 k urzbiogr af ien n 195 impressum n 201 e x i t: s tille pos t 11 n 202 judi th dürolf n 010–013 / 048 cl audia medeiros cardoso n 047 / 109 anja f ussbach n 053 / 097–098 cl audia chris tof f el n 097–098 / 102 dile t tan tin produk tionsbüro n 104–105 bärbel zindler n 129–131 je t te sl angerod n 135 / 161 manf red kir schner n 165–169 veronik a schumacher n 171–172 derk cl a assen n 177–179 er an t wor ten n 050 gurken n 100 anfangen n 106 vor schl ag zur regel ung kommunik ativer l au t s tärke n 132 ver an t wor ten : gef r ag t sein n 162 me andern {equisse } n 174 ver an t wor ten, gef r ag t zu sein ? n 180 nich t s t un ( und nich t s wird nicht ge tan ) n 186 … und sie sind auch nich t gef r ag t ( worden ) n 190

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010–011



ni c h t. d ie e i ge n t ü me r in

»man sieht sie* immer nie«

*Claudia M.C. [judith]

012–013

man kann hierhin kommen, man kann aber nicht dorthin gehen [judith] [anja] hoch die wand [judith] reinkommen =/ ausbreiten [judith] platz einräumen [SpielverderberIn] hier platz [judith] in zürich buchbar … in bremen brauchbar [SpielverderberIn] ja, platz nehmen [judith] anfangen [judith]

014–015

rid g

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Si

Ein Dialog findet statt

ier

Ad

h

ona

Sc

sigrid Adorf / mona Schieren 016–017

01

http://www.helmut-hille.de/ gadamer.html. [10.08.06]

thcin

Metanomie – ein nur scheinbar bekanntes Fremdwort wird zum Ausgangspunkt einer ungewissen Form. Die lexikalische Realfiktion erklärt den Begriff zu einem dialogischen Prinzip. Er soll ein Verhältnis bezeichnen zwischen einem „Du“ und einem „Ich“ und zwar gerade nicht, in dem er eine Aussage über das eine oder das andere produziert, sondern in dem er das bezeichnet, was zwischen ihnen passiert. Ein Dialog findet statt, wie Gadamer betont, wenn die Bereitschaft besteht, sich auf etwas oder jemanden einzulassen und sich dem Anderen auszusetzen. So definiert der Philosoph eine offene Geste zum dialogischen Grundprinzip: „Was beim Sprechen herauskommt, ist nicht eine bloße Fixierung von intendiertem Sinn, sondern ein sich beständig wandelnder Versuch oder besser, eine ständig sich wiederholende Versuchung, sich auf etwas einzulassen und sich mit jemandem einzulassen. Das aber heißt, sich aussetzen.“01 Die am Dialog Beteiligten lassen sich auf etwas ein, das den Sinn ihrer Rede einem Prozess der Veränderung aussetzt. Was könnte es heißen, diese scheinbar passive Fähigkeit, sich einem Miteinander auszusetzen, auf Kunst zu beziehen? Ein aufmerksames Zuhören gilt einerseits zwar als große Kunst, ist andererseits aber nichts, durch das sich große Kunst auszeichnen soll. Gleichwohl Künstlerinnen und Künstler als wache Zeitgeister, sensible Aufzeichner und Beobachter, Forscher, Kritiker, Wächter, Seismografen, Skeptiker oder Medien charakterisiert werden, gelten sie nicht als reaktiv. Idealisierende Vorstellungen von Aktion und Produktion bleiben die stillen Begleiter des seit Jahrzehnten zur Disposition gestellten Kunstbegriffes. Mögen Kategorien wie Werk, Autor, Original, Schöpfung, Wesen, Genie u.v.m. längst ausgediente Zeichen eines zurücklie-

02

Ein von der Anlage her ähnliches Projekt war „Dialoge – ästhetische Praxis in Kunst und Wissenschaft von Frauen“ (Kiel 1989–1991), dessen Schwierigkeiten Sigrid Schade in ihrem Beitrag Differenzen im Blick reflektiert. Damals war ein über ein Jahr stattfindender Dialog zwischen jeweils einer Künstlerin und einer Kunsthistorikerin vorgesehen, der an dem gegenseitigen Verständnis der Felder für die jeweiligen Produktionsbedingungen arbeiten sollte. Die offenbar nicht unproduktiven (An)Spannungen, die sich ebenso aus projektiven Annahmen von der je Anderen und ent-täuschten Harmonisierungsversuchen wie

018–019

sigrid Adorf / mona Schieren

aus dem Erwartungsdruck, den die institutionellen Rahmenbedingungen (Ausstellung und Katalog als Ergebnis fest vorgesehen) ergaben, machen deutlich, welchen Schwierigkeiten sich ein solches Projekt explizit aussetzt. Vgl. schade 1991.

genden Kunstverständnisses sein, so zeigen aktuelle Konzepte oft doch noch äußerst verwandte Züge, die zumindest eine feste Ordnung aufrecht erhalten: Künstlerinnen und Künstler machen den Anfang, ihr Handeln soll sich immer wieder aufs Neue als neu beweisen – als eigensinnig, andersartig, ungewöhnlich, visionär usw. Das Modell des Dialoges, eine Qualität des sich aufeinander Einlassens und sich Verändernlassens, scheint nach wie vor ungeeignet, das Wesen einer Produktion zu erklären, auch wenn niemand bestreiten möchte, wie produktiv ein intensiver Austausch ist. Die Kategorie Einfluss ist dem System Kunst sehr wohl bekannt, aber nahezu ausschließlich in der Logik seiner immanenten, scheinbar autopoetischen Entwicklung, in der bestimmte Namen und Werke als wichtige Einflussgrößen honoriert werden. Einflüsse von Außen setzen sich dagegen dem Verdacht des Modischen und/oder Ideologischen aus – daran hat auch der seit den 1970er Jahren diskutierte und im Feld der Kunsttheorie fruchtbar gemachte Begriff des Kontextes nicht viel ändern können. Das Projekt me | ta … no | mie des Künstlerinnenverbandes Bremen setzt an diesem Punkt an und versucht den Austausch über die Wechselbeziehungen zwischen dem Feld zeitgenössischer Kunstproduktion und dem Feld der Theorie, der Kuration und institutionellen Förderung zu intensivieren. Zwar verlässt auch dieser Dialog nicht den Rahmen und beschränkt sich auf die bekannten Re-Akteure des Kunstfeldes, gleichzeitig aber rückt er das Thema der Wechselwirksamkeit in ein Zentrum, das ansonsten leer bleibt.02 Es begann im Dezember 2005 mit einer Ausschreibung, die das metanomische Prinzip erklärte und vorausschickte, auf

03

Anscheinend liegen Themen und Verfahren in der Luft – die Stille Post des Äthers. Zeitgleich entstand ein Ausstellungsprojekt mit dem Titel Stille Post! 11 Disziplinen, 22 Wochen, 33 Transformationen des Mentoring-

020–021

sigrid Adorf / mona Schieren

Programms der Universität der Künste Berlin. Vgl. haase 2006. 04

Vgl. entry , S. 002

05

Vgl. exit , S. 202

welches Spiel sich alle Beteiligten einlassen würden: Nach den Regeln der Stillen Post sollte unter den einjurierten KünstlerInnen eine Ausgangsidee für eine Ausstellung weitergereicht werden, zu deren Realisierung sich der Künstlerinnenverband Bremen verpflichtete.03 Die beteiligten KünstlerInnen wurden zu einem ersten Workshop eingeladen, bei dem nach einer Einführung zum Thema, Assoziationen zu Spiel diskutiert und bekannte Spielarten gesammelt wurden – wobei die Frage im Zentrum stand, um was es in den jeweiligen Spielen gehe. Dass Spiele regelhafte Übereinkommen mit eigenen Gesetzmäßigeiten voraussetzen, um ebenso lust- wie leidvoll Erfahrungen mit Grenzen zu machen, war dabei eines der Hauptthemen. Am Ende des Workshops wurde die Skizze „konkurrenzlos“04 (in Form von gesprochenem Text auf CD) an die erste Künstlerin weitergegeben, die vorher per Los bestimmt worden war. Die MitspielerInnen hatten 3–4 Tage Zeit, das Gehörte weiterzuflüstern. Über den Prozess wurde Stillschweigen vereinbart. Es bestand lediglich die Regel, das Weitergegebene auch an den Künstlerinnenverband zu übermitteln, damit die Organisatorinnen über ein mögliches Abbrechen der Kette informiert würden. Falls die Kette abbrechen würde, sollte die erste Ausstellungsskizze umgesetzt werden. Bei einem zweiten Workshop gab die Künstlerin am Ende der Flüsterkette bekannt, was als letztes Ausstellungsthema herauskam: „Alles Spielverderber“.05 Sie erklärte, dass das von ihr entgegengenommene Konzept tatsächlich im Sinne des aus der Kindheit bekannten „Stille Post“-Witzes durch eine völlige Unverständlichkeit gekennzeichnet gewesen sei, die eine Collage vieler vorangegangener Etappen erkennen ließ und ihr nur eines möglich gemacht habe: den Bruch

022–023

sigrid Adorf / mona Schieren

www.metanomie.de

06

mit der Kette – das Spielverderben – eine Neusetzung. Nach einer ersten Begeisterung machte sich Ratlosigkeit breit: Welches Spiel sollen wir verderben? Ist die Rolle des Spielverderbers nicht vielmehr eine flüchtige? Ist die Figur des Spielverderbers nicht sehr nahe an traditionellen und auch mythischen Vorstellungen von der Figur des modernen Künstlers? Die Gruppe trennte sich mit dem Wunsch, über das Thema weiter zu beraten. Es wurde ein Stammtisch und ein Weblog zur Diskussion eingerichtet.06 Zur Diskussion des Projekts in einem erweiterten Kontext baten wir drei AutorInnen für diese Publikation, sich mit der Frage des ernsthaften Spiels, der Utopie einer Konkurrenzlosigkeit und den wechselseitigen Abhängigkeiten im Ausstellungsbetrieb sowie dem Moment des Spielverderbens zu befassen. „Müßig und gebannt durch einen Hauch von Welt“ lautet die genussvolle Richtungsvorgabe, die robert pfaller seinen Überlegungen zur Bedeutung des „heiligen Ernsts“ (Huizinga) im Spiel in seinem Beitrag in dieser Publikation voranstellt. Das Spiel zeichnet sich durch die in ihm zur Wirkung gebrachte „Illusion“ aus, einer ebenso lustvollen wie vereinnahmenden und beherrschenden Form des „als ob“, die sich dem realen Leben, der Wirklichkeit der Arbeit widersetzt. Der These Huizingas, dass das Spiel in unserer Kultur im Verschwinden begriffen sei, durch verschiedene Argumentationsformen nachgehend (bei Adorno, McLuhan, Mannoni und Sennett), kommt Pfaller zu dem Schluss: dass Kunst ein ernsthaftes Spiel mit der Form bleiben müsse, um etwas Unpersönliches im Spiel zu halten, das sich der Entzauberung der Welt ebenso wie der narzisstischen Ich-Fixierung unserer Gesellschaften widersetzt.

024–025

sigrid Adorf / mona Schieren

Der darin formulierten Kritik an den partizipativen und performativen Ansätzen der anti-formalistischen Kunstkonzepte seit den 1960er Jahren, die das Verhältnis zwischen Produktion und Rezeption anders zur Wirkung zu bringen such(t)en, antwortet der Beitrag von franciska zólyoms regelrecht mit einer Erinnerung an die politische Intention der diskreditierten „Mitmachspiele“ (Pfaller). In „Mach doch Deine Ausstellung selbst!“ führt sie eine Reihe von Projekten an, welche die eigene Ökonomie des Kunstfeldes durch Praktiken der Partizipation u. ä. durchbrechen wollen und deren Entzauberungsanliegen mit einer konkreten Machtkritik verbunden ist. Auch insa härtel widmet ihren Beitrag „Spielen und Verderben“ nicht zuletzt der Figur des „interesselosen Interesses“ reiner Kunst, das heißt dem Ideal einer ökonomischen Uneigennützigkeit. Sie betont die Ambivalenz zwischen der reizvollen Idee, es handele sich dabei tatsächlich um eine Kunst des Spielverderbens gegenüber der Macht des Geldes und der Täuschung über die machtvolle Ökonomie des eigenen Feldes. Bourdieu erklärt die „illusio“ des ernsthaften Spiels zur konstitutiven Bedingung für die (unbewusste), vollständige Eingenommenheit der Spieler – was auch das Feld der Kunst und seine Akteure betrifft. Vor dem Hintergrund der Bourdieuschen Auffassung von einem vollkommen inkorporierendem Spiel fragt Härtel nach den anderen Figuren des Spielverderbens, jenem Abweichen, Scheitern oder Verpassen, das die Regeln des eigenen Spiels bemerkbar macht. So zeichnet sich in der Spannung zwischen den drei Texten jene Paradoxie ab, die wohl die wichtigste Regel der Kunst ist:

07

Vgl. Nachwort

026–027

sigrid Adorf / mona Schieren

alain 2006: 228–229.

Sich als etwas Anderes in einer Kultur zu behaupten, die gleichzeitig in und durch dieses Andere reflektiert werden soll. Als Anmerkung zu unterschiedlichen Aspekten des Projektprozesses der Metanomie sind propos an unterschiedlichen Stellen der Publikation eingeschoben. Pate stand hierbei Alain, der diese „unübersetzbare“ Gattung Propos seit 1906 in der radikalsozialistischen Zeitung Dêpeche de Rouen veröffentlichte. Der französische Literat charakterisiert den Propos als Prosa, „die ganz Bewegung ist und in der der Gedanke jeweils sich erst bildet. Als Antrieb des Schreibens nennt Alain die „Neugier, was einem dabei aufstoßen wird“.07 Was ursprünglich als farbige Abbildungen von Ausstellungsansichten in der Publikation konzipiert war, haben sich die KünstlerInnen angeeignet. Entstanden ist eine Edition von aufklebern, auf denen die KünstlerInnen ihre Arbeiten kommentieren oder „ausdehnen“ – mit der potentiellen Offenheit, nicht zu wissen, wo sie den eigenen Motiven wieder begegnen werden, wer sie sich zu eigen machen wird und an welcher Stelle sie Verwendung finden und geklebt werden – im Katalog, in der Ausstellung, auf der Straße, in fremden Büchern, auf der Herrentoilette, auf dem Amt … überhaupt. Die Me|ta…no|mie, „1. Lehre von dem Dazwischen /den Zwischenräumen / den Verbindungen ; 2. Lehre von dem/den Konjunktiven (Vorstellungen, Möglichkeitsformen); 3. ästhetisch: Lehre von der sinngemäßen Transformation und Autogenese von Bedeutungen“, bot den beteiligten Künstlerinnen von Anfang an einen Raum: das Versprechen, eine Ausstellung und ein Buch zu realisieren. Per Definition aber setzte sie auch etwas Geteiltes

„anfangen […] weitergehen durch dunkle Korridore, vorbei an Zimmern mit deutlichen Spuren ihrer ehemaligen Bewohner.“

028–029

sigrid Adorf / mona Schieren

judith dürolf

„venho por meio desta expressar a minha incompreensao“ claudia medeiros

voraus, das es erst noch zu gestalten galt – einen Denkraum, der größer sein sollte als die Galerie: „Betreten das Grundstück in der Ungewissheit, ob nicht möglicherweise die Erde auseinander klafft“ beginnt judith dürolf ihre erste Annäherung an das gemeinsame Projekt und zeigt eine Wand – die schnell zum Bild wird: Abrissspuren zeichnen ein Raster, alte Farbe rinnt in Tränen und wahllos verstreute Schnipsel am Boden verweisen auf ein Eindringen und Verlassen. Ein Raum tut sich auf, in den Andere einziehen, Dinge einfügen, sich einrichten, auf den Tisch klettern – „ja, Platz nehmen“ (21. Mai). Langsam zeichnet sich etwas ab. Es wächst. Später dann der Blick auf eine Figur, ein Sprayer von hinten – oder sie selbst? –, der sich wie ferngesteuert in einem schwarzen Nichts bewegt. Das Bild ist nicht da. claudia medeiros zeichnet es weiter, dreht die Figur um, zeigt eine Hand, die eine wie von selbst sprühende Dose hält. Sie geht auf die Straße, hinterlässt rätselhafte Zeichen – hier wie dort – bewegte Bilder, tönende Bilder, Sprachbilder. Sie präpariert kleine ausgestanzte Details und lockt zum Verstecken. j. d. begegnet ihnen und spielt mit. Geheimsprachlich setzt sich der Reiz fort und fordert auch alle Anderen zum Suchen auf. Immer wieder jedoch sind die gebotenen Sequenzen zu klein, zu kurz, zu schnell – um freimütig ihr Geheimnis preiszugeben. Doch Pathos und Geste des Schweigens sind ihnen ebenso fremd. Vielmehr sind sie ständig schon da und sprechen in einer Sprache, die nur als Andeutung zu verstehen ist. Ihr Reiz liegt in der Decodierung – in der Schwierigkeit, richtig zu übersetzen und damit die Schwelle zu überschreiten – Einlass zu finden.

„falls es probleme gibt, erledigen wir die unterwegs aus der bewegung“

030–031

sigrid Adorf / mona Schieren

anja fussbach

anja fussbach entwirft ein „metanomisches golf spielen mit hindernissen für ca. 20 leute“ (29. Mai): „der golfparkur ist die ausstellung. einzelne arbeiten werden direkt als hindernisse einbezogen“. Zum Auftakt lädt sie ein, vom Künstlerhaus Güterabfertigung einmal quer durch die Bremer Innenstadt zur Städtischen Galerie zu golfen. „morgen, halb acht bei den gelben säcken“ lautet schließlich die Verabredung am 14. Juli, die sie mit einem erklärenden Hinweis zur erforderlichen Ausrüstung verbindet: „im prinzip kann man natürlich mit allem spielen das einen stielartigen griff hat. die chancen, sollte eine z.b. einen suppenlöffel oder ähnliches bevorzugen, verringern sich allerdings mindestens proportional zur länge des griffs […]“ Cross Golf, der rebellische Spross des elitären Club Sports auf englischem Rasen, scheint ein idealer Ausgangspunkt fürs Metanomieren: Es gibt keine Regeln, außer denen, die die jeweiligen Mitspieler untereinander für ihre nächste Partie vereinbaren. Das Spielfeld ist potentiell unbegrenzt und die Ziele für den Ball werden gemeinsam abgesteckt. Sie sind eingebunden in eine meist urbane Hindernislandschaft, die zum Bild für ein Gegebenes wird, das sich zwar nicht dem eigenen Spiel entsprechend gestalten, das aber eine eigene Linie legen lässt, die – wenn auch über Umwege – auf die vorhandenen Strukturen reagiert, ihnen ausweicht, sie anvisiert, über sie hinweggeht. Doch auch für Cross Golf gilt: Schnell werden Kontrast, Regellosigkeit und Andersartigkeit zur Pose. Worin also besteht die Kunst? Anja Fußbachs Zitat eines Großstadttrends zielt auf Beweglichkeit, auf eine bewegte Zwischenräumlichkeit, auf etwas, das Alles einbezieht und miteinander in Beziehung bringt – das selbst gewissermaßen wörtlich nur in „riskanten Anspielungen“ existiert.

„P.S.: Für alle meine Arbeiten in der Ausstellung gilt: begolfen ausdrücklich erwünscht!“

032–033

sigrid Adorf / mona Schieren

claudia christoffel

„63.) Sich nicht an die Regeln halten“ dilettantin produktionsbüro

claudia christoffel reagiert. Sie spielt mit – quer durch die Stadt und weiter in der Städtischen Galerie. Sie spielt Spielverderberin, indem sie eigene Ziele absteckt und eine Route durch die Ausstellung zur Wettkampfstrecke für ein von ihr ausgerufenes „crossgolf art cup“ erklärt. Das Video einer Wahrsagerin an einer Straße in Chile, die der Künstlerin die Karten für ihre Zukunft legt, wird selbst ausdrücklich zum Begolfen freigegeben. Umgekehrt aber wirft die Wahrsagerin auch den Betrachtenden einen Ball zu, den sie annehmen können, wenn sie sich in die leer gehaltene Stelle des Gegenübers einrücken und das Video auf eine Frage antworten lassen, die sie nicht gestellt haben. Der Blick in die Zukunft ist der größte Spielverderber. „Denn wer an das Schicksal glaubt, […] macht sich abhängig von etwas, das sich nicht beeinflussen lässt“, erklärt c. c. So ironisch es ist, eine chilenische Frau von der Straße nach dem Schicksal der eigenen künstlerischen Karriere zu befragen, so ernsthaft gehört die Frage zu den unausgesprochenen Regeln des Ausstellens. Das dilettantin produktionsbüro formuliert das Ausgangsthema „Alles Spielverderber“ zu 66 Regeln des Spielverderbens aus, die sich wie eine kuriose Mischung aus „Was ich schon immer gerne einmal tun wollte“-Ideen, institutionskritischen Randbemerkungen zum Ausstellen und charmanten Infragestellungen kultureller Konventionalitäten lesen: „1. In fremden Büchern Sätze unterstreichen. 2. Die Ausstellung verändern. 3. Sich in der Schlange des Supermarkts vordrängeln“. Gemeinsam ist ihnen lediglich Geste der Überschreitung. Dabei deuten sich Handlungsspielräume an, die – so lautet die ange-

08

034–035

sigrid Adorf / mona Schieren

Vgl. Graw 1994: 230–237

„In meiner Vorstellung taucht irgendwann eine Grenze auf – keine sichtbare wie ein Schlagbaum –, sondern eher das Ende eines Systems.“ bärbel zindler

merkte Regel 67 – während des Ausstellungszeitraums wahrgenommen werden sollen. Die Selbstverpflichtung zur Einhaltung aller 66 Regeln des Spielverderbens aber spielt auf das Paradox des Spielverderberthemas für den Kunstbetrieb generell an: Wo das Brechen von Regeln zur Regel erklärt wird, kann es nur auf ein wiederholtes Mitspielen hinauslaufen.08 Und so öffnet sich die Tür zu einem anderen Raum, der den gegebenen Rahmen – und auch den Radius der Ausstellungssucher – erweitert: „ 48.) Die Arbeit an einem anderen Ort als der Ausstellung stattfinden lassen.“ Das dp betreibt während der Ausstellung ein vorübergehendes Hotel in einem zum Abriss freigegebenem Zollamt am Hafen. bärbel zindler greift die Crux der Figur steter Wiederholung auf, indem sie gleich nach der Unendlichkeit fragt. Sie stellt sich vor, den Golf ball so stark anzuschlagen, dass er selbst die als Naturgesetz gültige Regel der Erdanziehung überschreitet und „in unbestimmte Weite“ fliegt, „vorbei an Planeten, Monden und Sternen“. Irgendwann, so kann sie sich es nicht anders vorstellen, würde er an eine Grenze treffen, die nicht zu überwinden ist – auch wenn diese Grenze gar nicht zu definieren ist. Sie befragt Andere nach ihren Vorstellungen von Unendlichkeit. Und so weit die Gedanken dabei in die Ferne zu zielen scheinen, so nah liegt die Erkenntnis: Das Denken einer Unendlichkeit stößt an die Grenzen der eigenen Existenz – an die eigene, unumgängliche Endlichkeit. Ist aus diesem Blickwinkel die Frage nach Unendlichkeit eine entgrenzende Figur der Erfahrung von ständigen Einschränkungen und zugleich Triebfeder für verschiedenste Perspektivwechsel?

„[…] Schicht über Schicht wurde es gelebt und dann erlebt und dann lebt es sich erneut, aber anders“

sigrid Adorf / mona Schieren

jette slangerod

09

lacan 1996: 107.

„Der vorliegende Katalog soll einen Eindruck über das Gesamtwerk der Projekte in der Ausstellung geben“

036–037

manfred kirschner

Als Malerin beschäftigt sich auch jette slangerod mit den Fragen der Wiederholung, Grenzerfahrung und Veränderung und reagiert auf den gegebenen Raum. Schon früh beginnt sie mit etwas, das das anfängliche Eindringen in ungewisse Räume in eine malerische Form übersetzt und dabei auch auf ein unheimliches Moment reagiert: „Etwas will hinein, die Wand runterklettern / kriechen“ (30. Mai) … ein Gespinst von amorphen Schichten scheint sich fleckenartig auszubreiten und Raum zu nehmen. Dabei beschreibt sie die verstörende Begegnung mit dem Anderen der eigenen Arbeit – jenem unheimlichen Doppelgänger, der auf die Grenzen des Ichs verweist: „Es lebt sich wieder auf der Leinwand, dem Bild –! Es war vorher im vielschichtigen Leben, Schicht über Schicht .“ Das Eigenleben des Bildes bezeichnet sie als „Bildern“. Lacan sprach davon, dass das gemalte Bild eine Blickfalle wäre.09 Augenzwinkernd nimmt j. s. es beim Wort und bietet dem metanomischen Golfen mit Rattenfallen eine surreal anmutende Form zum Einlochen – eine Form, die das Spiel unterbricht, wenigstens für einen Moment. manfred kirschner nimmt das Format Katalogtext – das häufig in ellenlangen Ergüssen nicht so sehr über die Kunst sondern auch über den Künstler schwadroniert – auf ’s Korn. Als Mitspieler aus der Ferne wählt er alias Lydia Karstadt im Duktus der Kunstkritik eine subversive Strategie: Wie kann ich bei einer Ausstellung mitmachen, die ein bestimmtes Konzept hat und dies gleichzeitig korrumpieren und die eigenen Interessen weiterverfolgen? Damit wird dem ambitionierten durch Diskursivität und Kooperation charakterisierten Kunstprojekt ein freches Schnippchen geschlagen. Die Erläuterungen von im Ausstellungskontext nicht zu sehenden

10

Vgl. den Katalog der Ausstellung Ich sehe was, was Du nicht siehst, pfeffer 2005. In der Ausstellung waren Beschriftungsschilder angebracht mit Texten zu (imaginären) Arbeiten.

038–039

sigrid Adorf / mona Schieren

„all diese mails und treffen und am ende eine ausstellung, die man nicht sieht? heißes statement. so gesehen bin ich vermutlich eine spielverderberin.“ veronika schumacher

Arbeiten des Künstlers „verleiten zum Ausschmücken, zur Visualisierung einer Idee“ im „White Cube als konstitutive(m) Raum.“10 „ich muss zugeben, dass ich dazu neige, diese art von gruppenarbeit für zeitverschwendung zu halten“ (14. August) resümiert veronika schumacher den aus Berlin als stille Zuschauerin verfolgten Prozess und verwendet ihn für eine ironische Stellungnahme zu der,„von der gesellschaft nicht anerkannte[n] idealismusarbeit, die künstler leisten“. In den Slogans „feed the poor artist“ und „be twice as good. get nothing. artist“, die sie für die Edition der Aufkleber konzipiert, spielt sie auf das unheimliche Fortleben problematischer Klischees an. Von c. m. dazu eingeladen, mit ihr eine Wand zu tapezieren, nutzt sie den noch verbleibenden Raum zum Anbringen ihrer Position (siehe links). Mit der Befürchtung einer am Ende nicht sichtbaren Ausstellung reagiert v. s. auf derk claassens „Ankündigung: White Cube als Black Box“ aus dem Weblog vom 30. Juli. d. c. plant, alle Fensterflächen der Galerieräume mit Molton, jenem Stoff zu verhängen, der einen Raum zur Bühne werden lässt. Die Inversion des White Cube in eine Black Box schafft einen Innenraum, der sich in verschiedene Richtungen ‚äußert‘: Er greift das Moment der Ungewissheit auf, das im Behaviourismus an das Modell der Black Box gekoppelt, ein Reiz-Reaktionsschema für einen Prozess mit offenem Ausgang liefert. Die Black Box ist das Moment der Interferenz. Aus dem gleichen Grund hat sich der Begriff der Black Box auch in der Medientheorie zur Bezeichnung jenes Faktors durchgesetzt, mit dem sich die Medien selbst an der Herstellung von Sinn beteiligen: Die Kamera als Black Box verbirgt eine raumzeitliche Unterbrechung und Übersetzung

„eine reale Verdunklung wird es kaum sein/werden – wenn nicht über Text / Deutung und rhetorische Beleuchtung, welche mehr die Verdunklung zeigt als Dinge.“

040–041

sigrid Adorf / mona Schieren

derk claassen

11

Vgl. beil 2001.

zwischen dem Ereignis und seinem Bild – weswegen das Foto schließlich selbst zum Ereignis wird. Gespannt erwartet man das Unerwartete. Seit Freud aber ist die Kamera als Black Box auch als Metapher für die Undurchsichtigkeit des psychischen Apparates bekannt. Was sie verbirgt und gleichzeitig doch auch erst möglich macht, scheint dem Wesen des Unbewussten zu entsprechen. d. c. zitiert ein Interview mit dem „Meister des Dunklen: Lynch“, der seine filmischen Erzählungen zu jener unheimlichen Black Box zu machen versteht, der die Phantome entfleuchen. Das aufgezeichnete Gespräch aber ist den lichten Erfahrungen der Meditation gewidmet. Unerwartet lesen wir: „mein Selbst, dein Selbst, unser aller Selbst! Maharishi nennt es auch das Einheitliche Feld, das Energiefeld aller Existenz, das uns alle miteinander verbindet. […] Es ist dein Potenzial. Stellen Sie sich bitte einen Donut vor! Wenn die Welt ein Donut ist, guck nicht durchs Loch, iss den Donut!“ Was kann es bedeuten, den Ausstellungsraum nicht nur metaphorisch zu einer Black Box zu erklären, sondern ihn als ein abgedunkeltes Ganzes betretbar zu machen? Der Katalog „Black Box. Schwarzraum in der Kunst“11 zeichnet Implikationen der Verdunkelungsstrategie für den Betrieb und die Betrachtungssituation nach: Die Tendenz zu großformatigen Videoprojektionen in abgedunkelten Räumen wird ebenso als performative Wendung zu einer bewegten Betrachtersituation angesprochen, wie der Aspekt zu Sprache kommt, dass die (künstlerische) Herrschaft über das Licht eine Geste der Macht impliziert: zum einen weil sie die Werke noch stärker als eine weiße Wand isoliert, einen singulären Erfahrungsraum zu schaffen sucht und die Beziehung zum

042–043

sigrid Adorf / mona Schieren

übrigen Raum verweigert; zum anderen weil sie die Betrachtenden ihren unsicheren Schritten in einem dunklen Raum aussetzt. Die Dunkelheit ist zwielichtig. Sie lässt erscheinen und stellt in den Schatten. Die Geste, einen gemeinsamen Raum einer Gruppenausstellung abzudunkeln aber kehrt die Isolation einzelner Werke erneut um: sie integriert. Sie schafft einen gemeinsamen, atmosphärischen Raum – der es erforderlich macht, die ‚Dinge ins rechte Licht zu rücken‘. c. m. und j. d. reagieren: Mit Warmlichtblitzen, wie sie an Hochhäusern und Sendemasten für Flugzeuge Verwendung finden, wollen sie die Black Box 1/1000 sek erneut zum White Cube erleuchten. Das flüchtige, schmerzende Licht wird Nachbilder hinterlassen: fluoreszierende Flächen bilden die Spuren eines nicht festzuhaltenden Moments und die Vorahnung seiner Wiederkehr. Auch das metanomische Golfen passt sich an. a. f. verwendet leuchtende Bälle, die ihre schnellen Bewegungen durch die Ausstellung förmlich in den Raum zeichnen werden. Spärlich leuchtende Leselampen an den Stehpulten der Installation von b. z. markieren die Hindernisse. Die Projektionen von c. c., j. d. und dp werden ihr Übriges zu der Ausleuchtung und Raumgewinnung beitragen. m. k. will Kerzen benutzen. Licht und Schatten bewegen sich und gestalten einen gemeinsamen Raum, der keine klaren Grenzen möglich macht – weder in Form weißer noch schwarzer Wände. Diverse Strahler sind erfragt. In der Ausstellung als Black Box verdichtet sich der metanomische Prozess zu einer für Außenstehende zugängigen Innenräumlichkeit.

Dank an: Sabine Albers, Smaine Bahi, Stefan Bargstedt, Barbara Claassen-Schmal, Lola Castro Ruiz,

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valie export, den Erweiterten Vorstand des Künstlerinnenverbandes Bremen, Kathrin Hager, Michael Hennig, David Lindemann, Gesa Mietzner, Paulskloster, Rose Pfister, Anke Sander, Friederike Torney, Tom Trost, Urban Screen, Johann Wadephul, Alexander Weber, Dr. Karin Werner, Gero Wierichs, Elisabeth Wischeropp, 203, die AutorInnen und KünstlerInnen.

Literatur

À propos

alain: Die Pflicht glücklich zu

lacan, Jaques: Der Blick als Objekt

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Ich bin nicht ich, wenn ich sehe.

formationen. Ein Ausstellungs-

Dialoge – Ästhetische Praxis in

projekt in Zusammenarbeit mit

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der UdK Berlin und der Karl Hofer

Katalog, Kiel / Berlin 1991.

Gesellschaft, Berlin, 2006.

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Müssig und gebannt durch einen Hauch von Welt

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„Die Halle ist ein Bienenstock oder eine Fabrikshalle; es sieht aus, als arbeiteten die Spieler am Fließband.“ – Mit diesen auf den ersten Blick eher wenig anmutenden Vergleichen beschreibt Roland Barthes die Situation der Ausübenden des japanischen AutomatenSpiels „Pachinko“ (barthes 1981: 44). Das von Barthes beobachtete populäre Spiel in diesem 1970 veröffentlichten Text ähnelt offenbar noch der fordistischen Fabriksarbeit. Heutige Spiele hingegen, ob am Computer, der Playstation oder anderen Maschinen scheinen (nicht nur in Japan) die Spielenden zunehmend in die Isolation der eigenen vier Wände zu führen und lassen sie offenbar, ähnlich wie es auch in bestimmten Teilen der aktuellen Arbeitswelt der Fall ist, zu so genannten „Otakus“ ohne jeden – und sei es auch nur räumlichen – Bezug zur Gesellschaft werden. Barthes fährt fort: „Der beherrschende Eindruck, den die Szene vermittelt, ist der einer angestrengten, die Aufmerksamkeit vollkommen beanspruchenden Arbeit .“(Ebd.) Zwei Aspekte erscheinen an dieser Miniatur bezeichnend und interessant für eine allgemeine Theorie des Spiels: erstens das Moment der Angestrengtheit bzw. Beanspruchtheit der Spieler durch das Spiel; und zweitens das spiegelhafte, abbildende Verhältnis des Spiels zu den entscheidenden Alltagssituationen der Spielenden (zum Beispiel eben zum jeweils dominierenden Typ gesellschaftlicher Arbeitsorganisation). Aus diesen beiden Aspekten ergibt sich eine grundlegende kulturtheoretische Frage: welche Funktion erfüllt das Spiel, indem es die Spielenden bis hin zur Besessenheit fasziniert und indem es zugleich jene Wirklichkeit abbildet, von der es sich als Spiel

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doch abhebt, gerade gegenüber dieser Wirklichkeit? Wie verhält sich sozusagen die wirklichkeitsferne Besessenheitsfunktion des Spiels zu seiner wirklichkeitsnahen Abbildfunktion? Und durch welche der beiden (bzw. durch welches spezifische Verhältnis der beiden) erhält das Spiel seine zentrale Bedeutung innerhalb jener Praktiken, die der Reproduktion der Arbeitskraft dienen? Davon ausgehend lässt sich überlegen, in welchem Verhältnis das Spiel zur Kunst steht – und was die unterschiedlichen Konjunkturen, d.h. die schwankende Wertschätzung, die es in diesem Feld erfährt, bedeuten. 1

Huizinga: der „heilige Ernst“ des Spiels

Wie kein anderer Theoretiker des Spiels vor und nach ihm hat der niederländische Kulturwissenschaftler Johan Huizinga eine bestimmte, charakteristische Besonderheit des Spiels erkannt und betont. In seiner 1938 erschienenen Studie „homo ludens“ (der spielende Mensch), zeigt Huizinga, dass das Spiel eine spezifische, ihm allein eigene Kraft besitzt, Menschen in Erregung zu versetzen und zu begeistern. Huizinga schreibt: „‚Nun gut, was ist nun eigentlich der Witz des Spiels? Warum kräht das Baby vor Vergnügen? Warum bringt der Wettkampf eine tausendköpfige Menge zur Raserei?‘“ (huizinga, 1956: 10) Diese vom Spiel allein hervorgerufene exzessive Freude bezeichnet Huizinga auch als „heiligen Ernst“ (huizinga 1956: 25). Damit der heilige Ernst zustandekommt, ist es notwendig, zu wissen, dass es sich bei der jeweiligen Sache um ein Spiel handelt. Denn wenn wir es nicht wissen, oder wenn wir es kurz mal vergessen haben, dass es ein Spiel ist, dann verlassen wir den heiligen Ernst und die Sphäre exzessiver Freude und fal-

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len zurück in den profanen Ernst sowie in die eben bloß mäßige Freude oder Gelangweiltheit, mit der wir unseren alltäglichen Geschäften nachgehen. Das Spiel kann also zu einer äußerst ernsten, faszinierenden Sache werden; und zwar eben nur dann, wenn man es von der übrigen Wirklichkeit unterschieden hat. In Übereinstimmung mit Huizinga hatte darum auch Sigmund Freud festgestellt: „Der Gegensatz zu Spiel ist nicht Ernst, sondern – Wirklichkeit.“ (freud [1908e]: 171). 2

Die Bezauberung

Die exzessive Freude, von der die Spielenden erfasst werden, ist allerdings, wie Huizinga hellsichtig bemerkt, alles andere als harmlos. Der „heilige Ernst“ des Spiels besitzt eine gewaltige Faszinationskraft: er vermag die Spieler in seinen Bann zu ziehen. Das „Heilige“ dieses Ernsts trägt insofern Züge der Magie. Huizinga schreibt: „Das Spiel [...] fesselt. Es bannt, das heißt, es bezaubert.“ (huizinga 1956: 18) Mit dieser Feststellung widerspricht Huizinga all jenen beschönigenden und idealistischen Darstellungen, denen zufolge man im Spiel völlig „frei“, „ganz Mensch“ (Schiller) oder „Herr seines Schicksals“ (Caillois) wäre. Schonungslos deckt Huizinga jene dunkle Seite des Spiels auf, von der aus allein sich die diversen Abhängigkeiten erklären lassen, die auf diesem Feld – bis hin zur Spielsucht – beobachtbar sind. In milderer Form zeigen sie sich dort, wo wir das Computerspiel noch einmal spielen müssen, obwohl es schon spät ist und wir wissen, dass wir eigentlich schlafen sollten; oder wo wir uns plötzlich und abrupt von unse-

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ren Freunden verabschieden müssen, um das Fußballmatch live im Fernsehen zu verfolgen. 3

Feiern müssen: Spiel als Ursprung jeglicher Kultur

Aus dieser Beobachtung ergibt sich für Huizinga eine entscheidende und außerordentlich kühne Schlussfolgerung: Aufgrund dieser besonderen Wirkungsmacht des heiligen Ernstes – seiner erstaunlichen Fähigkeit, eine alltägliche Ordnung augenblicklich zu sistieren – betrachtet Huizinga das Spiel als den Ursprung jeglicher Kultur. Alle kulturellen Felder – wie Religion, Kunst, Sport, Mode etc. – sind, Huizinga zufolge, in ihrem Wesen durch die vom Spiel hervorgerufene, außer-alltägliche Feierlichkeit des heiligen Ernstes konstituiert. Wegen dieses universellen, allen Kulturformen gemeinsamen spielerischen Grundprinzips gelangt Huizinga zu der unfrommen Feststellung, „dass die geweihte Stätte im Grunde ein Spielplatz ist“ (huizinga 1956: 27). Zu oft haben sich die Kulturtheoretiker, wie Huizinga kritisch anmerkt, vom Selbstverständnis dieser jeweiligen Praktiken – die sich selbst natürlich gern als etwas vom Spiel völlig Verschiedenes betrachten – täuschen lassen und es verabsäumt, zu untersuchen, inwiefern sie alle in der besonderen Stimmung des Spiels ausgeübt werden (huizinga, ebd.). 4

Das Rätsel vom Verschwinden des Spiels

Obwohl alle Kultur aus dem heiligen Ernst des Spiels hervorgeht, gibt es jedoch, wie Huizinga bemerkt, eine paradoxe, gegenläufige Tendenz in der Kultur: die aus dem Spiel entstandene Kultur bringt ihrerseits das Spiel zum Verschwinden. Huizinga schreibt: „In dem Maße, wie die Kultur sich geistig entfaltet, breiten sich die Gebiete, auf denen der spielhafte Zug nicht oder kaum

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wahrnehmbar ist, auf Kosten der Gebiete aus, in denen das Spiel freie Bahn hat.“ (huizinga 1956: 131) Diese von Huizinga an vielen Beispielen genau untersuchte asketische Tendenz zum „Ernstwerden“ der Kultur – d. h. zur Ersetzung von freudigem, heiligem Ernst durch nüchternen, profanen – bildet das zentrale Rätsel für seine Theorie. Im Anschluss an diese (von Huizinga weitgehend ungelöst gebliebene) Frage, welche Kräfte in der Kultur sich dem Spiel so sehr widersetzen (und aus welchen Gründen), lässt sich ein Folgeproblem formulieren: Bedeutet die Zurückdrängung des Spiels eine Befreiung von den Zwängen und magischen Verhaftungen, die es ausübt? Bildet das Profanwerden der Kultur also eine befreiende, emanzipatorische Tendenz? 5

Adorno: Spiel, Wiederholungszwang, unfreie Arbeit

In seiner „Ästhetischen Theorie“ gibt Theodor W. Adorno eine entschiedene, pessimistische Antwort auf diese Fragen. Für ihn ist das Spiel ein perfides Instrument zur Herstellung von Gehorsam, Arbeitswilligkeit und Leistungsfähigkeit. Durch seinen Charakter als „Nachbild von Praxis“ (den Huizinga, wie Adorno meint, übersehen habe) macht das Spiel die Leute, ohne dass sie es bemerken, fit und bereit für die Arbeit. Es „schmuggelt“ Arbeitserfordernisse in ihre bloß zum Schein arbeitsfernen Freizeitvergnügungen ein: „Das Wiederholungsmoment im Spiel ist das Nachbild unfreier Arbeit, so wie die außerkünstlerische dominierende Gestalt des Spiels, der Sport, an praktische Verrichtungen gemahnt und die Funktion erfüllt, Menschen auf die Anforderungen der Praxis, vor allem durch reaktive Umfunktionierung physischer Unlust in

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sekundäre Lust, unablässig zu gewöhnen, ohne dass sie die Kontrebande von Praxis bemerkten.“ (adorno 2003: 471) In dieser Konzeption Adornos finden sich allerdings genaugenommen zwei Theorien. Die erste, sozusagen die „Abbildtheorie“, geht davon aus, dass das Spiel den erforderlichen Verrichtungen der Arbeit genau gleicht. Dies aber bleibt den Ausübenden (aus übrigens etwas rätselhaften, von Adorno nicht näher erläuterten Gründen) verborgen: sie halten es offenbar – trotz der ins Auge springenden Ähnlichkeit – für etwas ganz anderes. Dadurch gewöhnen sie sich im Spiel sozusagen freiwillig daran, jene Dinge zu tun, die sie in der unfreien Arbeit tun müssen. Ob die körperliche Betätigung allerdings zunächst immer „physische Unlust“ darstellt und erst sekundär zur Lust wird, wie Adorno – in der typisch sportfremden Attitüde der Intellektuellen seiner Generation – meint, mag hier dahingestellt bleiben. (Ein spinozistischer Ansatz hätte hier wohl eher die Unmittelbarkeit einer körperlichen Freude angenommen und, wie es Louis Althusser und Michel Foucault taten, die „sekundäre“, ideologische Funktion vielmehr in der besonderen Inbesitznahme und Kanalisierung dieser Freude durch die Macht gesehen.) Daneben aber steht bei Adorno eine zweite Theorie – die von der „Wiederholung“: „Spielformen sind ausnahmslos solche von Wiederholung.“ (adorno 2003: 469). Die Wiederholung sollte nicht mit Abbildung verwechselt werden. Denn das Spiel wiederholt nicht insofern, als es Arbeit abbildet. Sondern es folgt dem Wiederholungszwang und „sanktioniert ihn als Norm“: es „deutet den Gehorsam in psychologischer Anlehnung an den Todestrieb in Glück um“ (ebd.: 470).

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Dieser zweite Ansatz Adornos entspricht der von Sigmund Freud in „Jenseits des Lustprinzips“ vorgelegten Theorie: im Spiel, im Traum oder auch durch Agieren im Leben werden traumatische oder unlustvolle Situationen des Lebens zwanghaft wiederholt; diese unlustvolle, schicksalhafte Wiederholung steht nicht unter dem Diktat des Lustprinzips, sondern einer von diesem verschiedenen, durch Freud 1920 erstmals angenommenen Kraft: des Todestriebes (freud [1920 g]: 228 f.). Nicht etwa die primäre Unlust körperlicher Anstrengung (wie Adorno in der Abbildtheorie annahm), sondern vielmehr das Unlustvolle und Zwanghafte des Todestriebes wäre somit nun der Ausgangspunkt und Motor des Spieles. Und das Spiel wäre insofern eine Bastion des Todestriebes, als es diesen Zwängen zum Durchbruch verhilft. Deren Erfordernisse werden dann von den Individuen verfolgt und um jeden Preis zu befriedigen versucht, als wären sie ein Glück. Dadurch wird das Spiel sozusagen zum Vorbild für die Arbeit (anstatt lediglich deren Nachbild zu sein): Auch die unlustvollen Momente von Arbeit (wie etwa Gehorsam) können nun von den Arbeitern als Wiederholungen, als „Nötigungen zum Immergleichen“ (adorno, ebd.: 470) agiert werden; auch in ihnen kann der Todestrieb sich, wie im Spiel, betätigen. Das Spiel wiederholt also nicht die Arbeit; es leitet vielmehr dazu an, in der Arbeit ebenso zwanghaft zu wiederholen, wie es bereits im Spiel getan wird. Auch die monotone, unfreie Arbeit wird dadurch als Betätigungsfeld des Todestriebes zugänglich und attraktiv. (Eine Überlegung, die durch die aktuellen, offenbar immer zahlreicher werdenden „nerds“ und „workaholics“, die ihre Arbeit ähnlich süchtig und maßlos

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betreiben wie andere ihre Spiele, wohl einige Plausibilität erhält. Allerdings bleibt in dieser Konzeption Adornos ungeklärt, ob Arbeit unter anderen, befreiten Produktionsverhältnissen sich nicht ebensogut für die Ausübung des Wiederholungszwanges eignen würde wie die „unfreie“.) Aufgrund dieser – von ihm zweifach konzipierten – stützenden Funktion des Spiels für die „unfreie Arbeit“ zieht Adorno eine wichtige Schlussfolgerung in Bezug auf die Kunst. Er lehnt das Spiel-Moment in der Kunst entschieden ab: „Im spezifischen Spielcharakter verbündet sich Kunst, schroff der Schillerschen Ideologie entgegengesetzt, mit Unfreiheit. Damit gerät ein Kunstfeindliches in sie hinein; die jüngste Entkunstung der Kunst bedient sich versteckt des Spielmoments auf Kosten aller anderen.“ (adorno ebd.: 470) Das Spiel ist für Adorno ein Agent der Unfreiheit. Befreiung kann innerhalb der Kunst somit nur darin bestehen, dass die Kunst auf Distanz zum Spiel, insbesondere zu ihren eigenen Spielformen, geht. „Ist Kunst so wenig ganz ohne Spiel denkbar wie ganz ohne Wiederholung, so vermag sie doch den furchtbaren Rest in sich als negativ zu bestimmen.“ (Ebd.) Ein emanzipatorischer Fortschritt in der Kunst würde für Adorno also in der Zurückdrängung bzw. reflexiven Distanzierung des Spiel-Elements bestehen. Jenes Verschwinden des Spiels, das Huizinga mit Bedauern und einem gewissen Entsetzen in der Kultur beobachtete, wäre für Adorno Indiz eines politischen Gewinns – allerdings deutet für ihn nur wenig auf eine solche Entwicklung hin. Adorno sieht vielmehr, zu seinem Missfallen, in der Kunst das Spiel-Element im Vormarsch begriffen.

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M C Luhan: Heisse Arbeit, kaltes Spiel

Nahezu gleichzeitig mit Adorno untersucht auch Marshall McLuhan in seinem 1964 erschienenen Werk „Understanding Media“ das Verhältnis von Spiel, Kunst und Arbeit. Er gelangt dabei allerdings in mehrfacher Hinsicht zu entgegengesetzten Einschätzungen. Zunächst beobachtet McLuhan, ähnlich wie Adorno, eine gewisse Analogie zwischen der vorherrschenden Arbeitsorganisation und den beliebtesten Spielformen einer gegebenen Gesellschaft: Er bemerkt, dass jene Spiele am meisten Spaß machen, „die Situationen aus unserem Arbeits- oder Geschäftsleben nachahmen“. Denn sie befreien „aus der monopolistischen Gewaltherrschaft des Gesellschaftsapparates“ („social machine“) (mc luhan 1968: 258). Den abbildenden Charakter der Spiele gegenüber der Arbeit bestätigt McLuhan also; aber er sieht ihn im Dienst der Befreiung davon, nicht (wie Adorno) in dem der Abrichtung dafür. Beziehungsweise besteht für ihn diesbezüglich eine eigentümliche (offenbar durch Ambivalenz bestimmte) Doppelfunktion: „Unsere Spiele helfen uns sowohl dabei, diese Art von Einordnung zu lernen als auch uns davon zu befreien.“ (Ebd.: 259). Diese wenigstens partielle emanzipatorische Funktion der Spiele gegenüber der Arbeit könnte daher rühren, dass es, McLuhan zufolge, eine „Ungleichzeitigkeit“ zwischen den beiden gibt. Nicht die aktuelle Arbeitsform wird nämlich im Spiel abgebildet, sondern eine frühere: „The social practices of one generation tend to get codified into the „game“ of the next.“ (mc luhan 1987: 239) So werden zum Beispiel die berühmten Jagdszenen der Höhlenmale-

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reien von einer Gesellschaft angefertigt, die nicht mehr in der Jagd, sondern im Ackerbau ihre vorherrschende Produktionsform hat. Die neue Technologie „umhüllt“, wie McLuhan schreibt, „die alte und verwandelt sie in eine Kunstform“ (mc luhan 2001: 113). Spiele können darum ihre reproduzierende und gesellschaftserhaltende Funktion nur dann erfüllen, wenn sie das vorherrschende Produktionsprinzip der Gesellschaft eben nicht abbilden. Das Glücksspiel ist, so McLuhan, „heiß“ und individualistisch und erfüllt darum in einer „kalten“ Stammesgesellschaft eine belebende Funktion, während es in einer „heißen“ alphabetisierten Gesellschaft deren zersetzendes Prinzip auf die Spitze treibt und dadurch die soziale Ordnung bedroht. Der Alkohol im Gegensatz dazu ist „kalt“, d. h. er bewirkt gemeinschaftliche Verbindung und bedroht eben dadurch gemeinschaftliche Stammeskulturen, während er in atomistischen westlichen Gesellschaften verbindend wirkt. Daraus erklärt McLuhan die Prohibition nach dem ersten Weltkrieg: Die westlichen Gesellschaften waren durch den Krieg so weit gemeinschaftlich „fraternisiert“, dass der Alkohol auf sie ähnlich bedrohlich gewirkt hätte wie auf eine Stammeskultur (s. mc luhan 1987: 234 f.). Auch wenn Spiele, wie McLuhan feststellt, „popular art forms“, sozusagen „Volkskunst“ sind (mc luhan 1987: 238), begreift er Spiel und Kunst als gleichermaßen abgehobene, spezialisierte Praktiken: „Kunst und Spiel brauchen Regeln, Vereinbarungen und Zuschauer. Sie müssen sich von der Gesamtsituation als deren Modell abheben, damit der Spielcharakter gewahrt bleibt.“ (mc luhan 1968: 261)

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Darum können Spiel und Kunst nur in einer atomisierten, spezialisierten Gesellschaft existieren (während Stammeskulturen sich beim Übergang zur Alphabetisierung oft unfähig zeigen, Spiele als „antidotes“ zu entwickeln, s. mc luhan 1987: 2 41). In einer Stammeskultur gibt es sie nicht: „[…] in a native society there is no true art because everybody is engaged in making art.“ (mc luhan 1987: 2 40) Oder, wie ein balinesischer Informant erklärt, den McLuhan mit Amüsement zitiert: „‚Wir haben keine Kunst: wir machen einfach alles so gut wie möglich.‘“ (mc luhan 2001: 108). Da die westlichen Gesellschaften sich, entsprechend McLuhans hellsichtiger Grundthese, im 20. Jahrhundert durch die Vorherrschaft der elektrischen Medien in neuer Abkühlung befinden, müssen in ihnen Spiel und Kunst als abgeschiedene Teilsysteme ähnlich zum Verschwinden gelangen, wie sie es in der kalten balinesischen Kultur sind: „In the electric age, the closing of the gaps between art and business […] are part of the overall implosion that closes the ranks of specialists at all levels.“ (mc luhan 1987: 2 43) Im Gegensatz zu Adorno beobachtet McLuhan also keine „Entkunstung“, keine Ausbreitung des Spiels auf Kosten der Kunst. Vielmehr sieht er Spiel und Kunst gleichermaßen untergehen. An ihrer Stelle entsteht, wie er bemerkt, eine Gesellschaft totaler Partizipation – eine Gesellschaft, die durch ihre totale Beteiligung aller Anwesenden wieder stark einer Stammeskultur gleicht. Jene Tendenzen, die in der Kunst seit den 60er Jahren gemäß dem so genannten „performative turn“ auf Partizipation, Interaktivität und Aufhebung der Differenz von Produzierenden und Rezipierenden

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abzielen (s. dazu ullrich 2003), begrüßt McLuhan als adäquaten Umgang mit einer abgekühlten Kultur (s. mc luhan 2001: 122). Kunst und Spiel gibt es dann zwar nicht mehr. Aber die Implosion zur Stammeskultur – jenen Verlust von Distanz, den Adorno so sehr verabscheute – begrüßt McLuhan optimistisch als Aufhebung einer schmerzlichen Spezialisierung und als Wiedergewinnung einer „gesamtpersönlichen Einbeziehung“ (mc luhan 1968: 337). Adornos Widerwille wird ihm begreiflich als Angst des „heißen“, westlichen, alphabetisierten Menschen vor den Ansprüchen der „kalten“ Stammesgemeinschaft – vor dem „personal surrender to collective demands“ (s. mc luhan 1987: 238). Übereinstimmend mit Huizinga beurteilt McLuhan die Tendenzen in der Gegenwartskultur als Verlust des Spiel-Elements. Im Gegensatz zum Theoretiker des „Heiligen Ernsts“ fasst er jedoch das Verschwinden des Spiels nicht als Effekt einer Profanisierung auf, sondern vielmehr als Wirkung der Verallgemeinerung des spielerischen und magischen Anteils in der Kultur: In einer Stammesgesellschaft gibt es kein Spiel, weil es kein Gegenteil davon gibt – ebensowenig wie es profane Räume gibt (s. mc luhan 2001: 109). Hier ist alles heilig und alles Spiel bzw. Kunst; darum fällt es nicht als Besonderes auf. 7

Mannoni: L’illusion ludique. Das Spiel und die Einbildung ohne Eigentümer

Im Gegensatz zu McLuhans Optimismus sowie zu Adornos Pessimismus scheint es jedoch möglich, die von allen angeführten Theoretikern übereinstimmend wahrgenommenen Prozesse noch etwas präziser auf Begriffe zu bringen und dadurch die entstandenen Antinomien auszuräumen.

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Wenn es etwas gibt, das alle Spiele auszeichnet, dann ist es ein „als ob“ – eine fiktive Dimension, die sich in erster Linie als Distanz zwischen Person und Rolle zeigt. Wie Huizinga zu Recht betonte, müssen alle, die am Spiel Freude haben sollen, diese fiktive Dimension durchschauen. Die Freude des Heiligen Ernsts kommt nur auf, wenn die Illusion des Spiels suspendiert ist: das heißt, Spieler wie Zuschauer müssen diese Illusion durchschauen, aber sie trotzdem aufrechterhalten. Damit erhält die Illusion einen eigentümlichen Status: man kann – wie Huizinga in Bezug auf westliche Erwachsene ebenso wie auf „Wilde“, Kinder und sogar Tiere präzise feststellt – kaum sagen, wer Träger dieser Illusion sein könnte. „Ein hintergründiges Bewußtsein von ‚Nichtechtsein‘ fehlt nicht.“ (huizinga 1956: 29). Die Illusion des Spiels ist sozusagen niemandes Illusion, eine Einbildung ohne Eigentümer (vgl. dazu mannoni 1985, pfaller 2002). Diese Eigentümlichkeit unterscheidet die suspendierte Illusion des Spiels von den übrigen Illusionen – jenen, die als Überzeugungen und Gesinnungen durchaus stolze Besitzer aufweisen und die dadurch spürbarer in Erscheinung treten. Genau an diesem Punkt – dem Verhältnis dieser aufgehobenen Illusion zu den Illusionen, die Eigentümer haben – muss das Problem vom Verschwinden des Spiels kulturtheoretisch situiert werden. Dann lassen sich auch die Folgen für die Kunst klarer erkennen. 8

Sennett: Durch Implosion zur ausweglosen Intimität

Wie Richard Sennett in seiner 1974 veröffentlichten Studie Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität bemerkt, hatten westliche Gesellschaften seit der Renaissance eine ausgeprägte Kultur der öffentlichen Darstellung entwickelt.

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Es war eine Kultur des „als ob“, die deutlich zwischen Person und Rolle unterschied. Man kleidete sich für die Öffentlichkeit anders als zu Hause, und man agierte und sprach anders etc. Durch diese theatralische Ordnung des Augenscheins erhielten zum Beispiel die Plätze kleiner italienischer Städte eine Mondänität, über die heutige Besucher staunen. Genau dieser spielerische, auf dem Prinzip der aufgehobenen Illusion beruhende Unterschied zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten aber ist, wie Sennett präzise beobachtet, seit den 60er Jahren im Verschwinden begriffen. Westliche Gesellschaften verändern sich seither von „außen- zu innengeleiteten Verhältnissen“ (sennett [1974]: 18). Sie verlieren (oder beseitigen) jegliche Dimension von öffentlicher Darstellung und forcieren stattdessen ausschließlich die von dieser öffentlichen Figur unterschiedene, als authentisch erachtete private Person. Insofern werden westliche Kulturen zunehmend Ich-bezogen und narzisstisch: Die „bohrende Frage, was diese Person, dieses Ereignis ‚für mich bedeuten‘“, wird zum entscheidenden Kriterium für die Beurteilung von allem (sennett ebd.: 22). Alles, was mit dem eigenen Ich (bzw. dem idealisierten Bild von diesem) nicht völlig übereinzustimmen scheint, wird als „Entfremdung“ oder „Heteronomie“ empfunden. Dies führt zu einer Ablehnung und Bekämpfung sämtlicher auf öffentliche Darstellung zielender und auf dem Prinzip der aufgehobenen Illusionen beruhender Formen des Spiels. Stattdessen werden nur noch jene Einbildungen geduldet, mit denen man sich zur Gänze identifizieren kann. Ein spürbarer Verlust von Glamour und Mondänität auf allen Ebenen ist eine der deutlichsten Fol-

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gen dieser narzisstischen Kulturentwicklung. Genau insofern muss der Verlust des Spiel-Elements in der Kultur doch (mit Huizinga und gegen McLuhan) als Profanisierung – oder, um mit Max Weber zu sprechen, als „Entzauberung der Welt“ – begriffen werden. 9

Die Magie der Form. Und die spielfeindlichen Spiele in der Kunst

In der aktuellen Kunst kommt es aufgrund dieser narzisstischen Entwicklung zu einer massiven Unterdrückung dessen, was in ihr das „magische“ Element bildet: ihrer Form. Die Tatsache, dass bestimmte Kulturvorgänge auf Formen beruhen, die sich nicht sofort in Inhalte übersetzen lassen, wird nun als beunruhigend empfunden. Denn die Formen erscheinen als etwas Ich-Fremdes; als ein Element, von dem Zwänge ausgehen können (so kann es passieren, dass man ständig dieselbe Melodie summen muss oder den ganzen Tag einen bestimmten Reim nicht aus dem Ohr kriegt); ein Element also, mit dem nicht ohne weiteres Identifizierung möglich ist. Der „Primat des Signifikanten“ wird darum in der Kunst seit den 90er Jahren zunehmend unterdrückt, und die Inhalte gegenüber der Form privilegiert. Dies wird unter narzisstischen Bedingungen als Befreiung erlebt und als emanzipatorischer Fortschritt aufgefasst bzw. propagiert. Als „politisierte“ Kunst gilt heute darum eine, die die Form und die Arbeit am Signifikanten vernachlässigt und stattdessen (wie es einst Sartre in seinem naiven, von Handke mit Bravour zerlegten Konzept „engagierter Literatur“ gefordert hatte) Transparenz auf die Inhalte herzustellen versucht – während die klassischen Avantgarden, z. B. in der jungen Sowjet-

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union, ganz im Gegenteil, die Politisierung der Kunst auf dem Weg über die Form betrieben hatten. Die Liebe zur Form, der Primat des Signifikanten, ist das Spiel-Element in der Kunst. Denn es führt zur Differenz zwischen Person und Rolle – dazu, dass die Kunstschaffenden in ihrer Kunst mehr sagen, als sie wissen, und dass etwas Ich-Fremdes, Unvorhergesehenes passieren kann, das geeignet ist, wirksam ins gesellschaftliche Imaginäre einzugreifen (denn dieses wird, wie die Psychoanalyse gezeigt hat, ausschließlich über Signifikanten, nicht über Inhalte bewegt). Genau auf dieser Ebene kann das auftreten, was Roland Barthes als den „Tod des Autors“ bezeichnet hat (s. barthes 2006). Denn die Beschäftigung mit der Form und der Buchstäblichkeit dient der Veräußerlichung: nicht der Aneignung und Identifizierung, sondern dem Unpersönlichwerden. „Man schreibt, um unpersönlich zu werden“, hat Giorgio Agamben in seinem schönen Text über den Genius geschrieben (agamben 2005: 11). Die in der aktuellen Kunst verbreiteten Versuche, durch Beteiligung des Publikums Interesse zu wecken, durch bescheidene Gestaltung und epistemologisch „flache“ Praktiken (wie Kochen oder Gesellschaftsspiele) jeglichen Anspruch auf Autorschaft zu vermeiden und durch partizipative Mechanismen die Differenz zwischen Produzierenden und Rezipierenden aufzuheben, erscheinen demgegenüber in sehr problematischer Weise als zeitgemäß. Möglicherweise kann man unter prekären ökonomischen Bedingungen und in einer stark abgekühlten Medienöffentlichkeit nicht anders arbeiten; aber diese Arbeitsweise ist jedenfalls überhaupt nicht in der Lage, jenen utopischen Forderungen, etwa

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von Barthes, zu entsprechen, mit denen sie meist gerechtfertigt und propagiert wird. Die partizipatorischen Praktiken sind alles andere als der Tod des Autors. Denn es muss ein Autor her, damit der Autor sterben kann; es braucht eine Form, damit sie sich gegenüber der Person, die sie gemacht hat, verselbständigen kann. Und es muss die spielerische Fiktion der Trennung von Künstlern und Publikum aufgebaut werden, damit überhaupt jemand unpersönlich werden kann. Eine große Zahl der gegenwärtigen Mitmachspiele in der Kunst muss darum als Abwehr gerade gegenüber dem Spiel-Element begriffen werden: Man baut intime communities auf, in denen alle miteinander persönlich verkehren und in denen garantiert überhaupt nichts passieren kann, was sich – den Gesetzen des Spiels entsprechend – der Identifizierung entziehen und eine unpersönliche Distanz zwischen Person und Rolle auf bauen würde. 10 Das mondäne Unpersönliche

Max Weber hat zu Recht bemerkt, dass die Entzauberung der Welt nicht von der Wissenschaft oder der materialistischen Philosophie ausgeht, sondern vielmehr von der (radikalisierten, protestantischen) christlichen Religion (s. weber [1905]). Vor dem Hintergrund der von Bela Grunberger und Pierre Dessuant verfassten grandiosen Studie „Narzißmus – Christentum – Antisemitismus“ (grunberger/dessuant 2000) wird dies verständlich: das Zauberhafte des Spiels, das immer ein Spiel der Formen ist, wird vom Narzissmus einer Ich-fixierten Religion getilgt. Und selbst der postmoderne Relativismus, der angeblich an gar nichts glaubt, tut dies ja gerade deshalb, weil er so stark an sich selbst (und an nichts sonst) glauben möchte. Insofern ist er der legitime Erbe

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einer narzisstischen Religionsentwicklung und einer der Hauptagenten heutiger „Tyrannei der Intimität“. Die magischen Tabu-Religionen der Stammeskulturen pflegten, im Gegensatz dazu (und im Gegensatz zu dem, was McLuhans Theorie vermuten lässt), durchaus ein spielerisches Element. Sie waren nämlich offensichtlich Kulturen des Augenscheins und der aufgehobenen Illusion. Es kam dort, wie Sigmund Freud in „Totem und Tabu“ beschreibt, für die Beurteilung einer Handlung immer darauf an, wie sie aussah, nicht darauf, wie sie gemeint war. TabuGesellschaften sind darum präzise Beispiele für das, was Sennett als „außen-geleitete“ Kulturen bezeichnet. Dementsprechend beruhen ihre Ordnungen auf dem Prinzip der automatischen Selbststrafe: Wer in der Stammesgesellschaft von einer tabuisierten Speise ist, stirbt, als ob er Gift genommen hätte; er braucht nicht von irgendwelchen Gendarmen dafür verhaftet zu werden (s. freud [1912–13]: 334). Genauso straft sich auch in noch in den uns vertrauten Kulturen der Verstoß gegen die Regeln eines Spiels: auch hier wird die Übertretung nicht durch irgendwelche Bestrafungsinstanzen sanktioniert; sie straft sich vielmehr, ähnlich wie das Tabu, ganz von selbst – in der Peinlichkeit des fauxpas oder durch die finstere Gemütsstimmung des Spielverderbers. Die Grenzziehung des Spiels nicht zu respektieren, bedeutet eben, gegen das Prinzip kultureller Lust zu verstoßen und sich von denjenigen abzusondern, die diese Lust teilen. Offensichtlich verfügen die Stammesgesellschaften also in der Ordnung des Augenscheins, die ihre Tabus regelt, über ein spielerisches Prinzip. Es erlaubt ihnen, dieses Unpersönliche – das was die Individuen an sich selbst nicht zur vollen Identifizierung

092–093

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bringen können – als etwas Allgemeines zu würdigen und es als etwas für die Gesellschaft Erfreuliches zu feiern. Was es für sie leistet, ist schließlich nichts Geringes: Das Unpersönliche des Spiels erspart einer Gesellschaft ein Gefühl der Enge und verleiht ihr einen Hauch von Welt.

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096–097

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20.00 bei den gelben säcken am güterbahnhof 22.30 in der städtischen galerie eingelocht handycap 133 / 147

098–099

p o p. g m x . d e ( 3 0 . 0 4 . 0 6 )

gurken n Um der Vorgabe ‚Spielverderber‘ nicht auf ihren paradoxen Leim zu gehen und im Nichtstun („garnichts zeigen“) kleben zu bleiben, einigten wir uns für einen Moment darauf, sie einzulösen und damit loszuwerden: Sie liefert die netteste Begründung, um aus dem Thema-Spiel (zumindest aus diesem) auszusteigen. Damit haben wir die luxuriöse Situation, eine Ausstellung + Support + Katalog zu bestreiten und machen zu können, was wir wollen. n […] n n Boff. Was tun ? : dass jeder auch sein eigenes Ding, aber auch alle an einem gemeinsamen drehen? n […] n Das klingt erstmal merkwürdig […] ; es meint aber die Idee, gemeinsam an einer Szenerie zu bauen, und zwar jeder mit seinen Mitteln/seiner Arbeit. Dies schließt ein, dass die Sachen spätestens auf dieser Ebene miteinander zu tun bekommen; ob sie sich nun ergänzen, kommentieren, gegenseitig wiederholen, daneben stellen oder sich abgrenzen, weggucken, beziehungslos im Raum stehen und eine andere Baustelle aufmachen. – Ausgehend von der eigenen Vorstellung dieses/r Innenraums/Szene, je nachdem was andere dort schon platziert haben (oder vermeintlich noch zurückhalten), bastelt man daran mit – unterstützt Mikroszenen, macht andere auf oder stellt etwas testhalber oder

100–101

einfach so hinein. n Jemand meinte, das sei wie eine Art gemeinsames Einräumen einer Bude – mit Vorlauf, wo sich womöglich aus den einzelnen Ideen ein RichtungsCharakter ergibt. n D.h zunächst, dass es ein vorgestellter Innenaum ist, der gar nicht zu klein sein kann und nicht nur so und so viel Räume hat; damit haben erstmal alle möglichen Arbeiten, Ideen, Gespenster, Bilder, Lügen und Hüte Platz. Man beginnt also den Auf bau (der Wunschausstellung?) viel zu früh mit ‚unfertigen‘ Sachen (– denn der ‚echte‘ Auf bau ist wohl der späteste Moment, wo man anfängt darüber zu sprechen, wie die Sachen zusammengehen könnten). n Und der versuchte Trick, das eher als Einräumen / Innenarchitektur von etwas denn als AusstellungsAuf bau aufzufassen, könnte ein bisschen das Innere Auge ablenken, immer schon eine entsprechende Vorstellung davon zu haben wie eine Ausstellung sich macht und wie man selber dort zu suchen oder zeigen hat. – Vielleicht wird das eher ein HundeHotel oder KünstlerInnenHimmel – oder doch wieder ein KunsteisCafe. n Jedenfalls gilt die Brille aufs Ganze; ob sich Zusammenhängendes entwickelt oder es alleinstehende Positionen bleiben, wird sich zeigen und wär dann so. n Das ‚Problem‘, wie was dann real aufgebaut wird, wird vertagt. n

Konzept zum Nadelbild (Aufkleber)

Como sera mi carrera artistica y como sera la proxima exposicion?

Die Arbeit ist eine Fortsetzung meiner Werkreihe der

[Wie sieht meine künstlerische Lauf bahn aus und wie wird

Nadelarbeiten. Dabei handelt es sich um temporäre skulp-

die nächste Ausstellung?] habe ich eine Wahrsagerin in

turale Setzungen, die ich an verschiedenen Orten vor-

den Straßen von Santiago de Chile gefragt, wie sie dort

nehme. Hier: Im Büro von Rose Pfister, der Leitung der

zuhauf sitzen. Ausgangspunkt dieser Arbeit war das von

Städtischen Galerie. Diese Arbeit hätte ich auch für eine

mir formulierte Konzept des Spielverderbers. Denn wer

andere Ausstellung in der Städtischen Galerie machen kön-

könnte ein größerer Spielverderber sein als das Schicksal,

nen. Es gilt: Wer kein Spielverderber sein will ist Spielver-

wenn man denn daran glaubt? Was, wenn man wie ich

derber. Alles Spielverderber.

(ganz Spielverderberin), sich weissagen lässt, ohne daran zu glauben? Was, wenn die Wahrsagerin mein ironisches Spiel mit ihrer Kunst des Kartenlegens mit unheilvollen Zukunftsaussichten verdirbt? Doch nein. Die Wahrsagerin ist geschäftssinnig. Sie weiß die Karten den Wünschen ihrer Kunden entsprechend, zu interpretieren. Nicht zuletzt verdirbt auch sie dem Schicksal sein Spiel. Wer genau hinschaut, bemerkt in dem Video, dass die Karten von ihr nicht richtig gemischt

l C 102–103

mein Schicksal selbst in die Hand. Oder wie Cees Nootetof

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werden. Auf diese Weise nimmt die Kartenlegerin ihr und Chr

boom sagt: „Kartenleger, Frauen, die dem Schicksal vorsagten, was es zu tun habe.“

ro

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Für die Dauer der Ausstellung (vom 09.09.–03.10.06) hat das dilettantin produktionsbüro die 66 Regeln des Spielverderbens eingehalten.

02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12

13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

In fremden Büchern Sätze unterstreichen Die Ausstellung verändern Sich in der Schlange des Supermarkts vordrängeln Den Kopf auf einer fremden Schulter ausruhen Die Zähne nicht putzen Nicht ans Telefon gehen, wenn bestimmte Personen anrufen Zu spät zu Verabredungen kommen Dreck im Hausflur hinterlassen Anderen ins Wort fallen Micoud gehen lassen Nicht zur eigenen Vernissage erscheinen An einem schönen Sonntag hinter heruntergelassenen Rolläden Computerspiele spielen Kein Trinkgeld geben Nachsalzen Schwarz fahren Bei Regenwetter freundlich Passanten anlächeln Einladungen ausschlagen Sich nach der Toilette nicht die Hände waschen Das Licht in der Ausstellung anschalten Auf der entgegengesetzten Spur Fahrrad fahren Restmüll im gelben Sack entsorgen Alexander Kluge wegschalten

23 24 25

26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45

Das Handy nie dabei haben In den Deichtorhallen wegen einer Einzelausstellung anfragen Blumen an fremden Windschutzscheiben wegnehmen und zu Hause in die Vase stellen Fremde Briefe öffnen Stehlen Bei Rot über die Ampel fahren Im Schwimmbad fremdes Duschgel benutzen In der Ausstellung eine Ratte freilassen Mit abgelecktem Löffel in die Marmelade gehen Auf Fragen keine Antwort geben Die Unterhose nicht wechseln Rückwärts durch die Stadt laufen Die Suppe nicht essen Die Idee von jemand anderem verwirklichen Geburtstage vergessen Zu spät zur Arbeit erscheinen Jemanden einparken Im Supermarkt das Obst probieren Im Kino das Handy nicht ausschalten Den Hund auf die Straße kacken lassen Ungefragt zu Besuch kommen und eine Woche bleiben Unangenehme Fragen stellen Nicht zur eigenen Finissage erscheinen

46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66

Auf dem Mutter-Kind-Parkplatz parken Preisschilder vertauschen Die Arbeit an einem anderen Ort als der Ausstellung stattfinden lassen Abschreiben Geburtstagsgeschenke einen Tag vorher auspacken Nicht klatschen Sich in der Bahn die Fingernägel schneiden Negerkuss sagen Nicht aufräumen Sich in aller Ruhe bei Rossmann schminken Kettenbriefe weiterleiten Im Kühlregal die Milch von ganz hinten nehmen Die Toilette nicht abziehen Die Türen bei Karstadt nicht auf halten In einer Gruppenausstellung nur an die eigenen Bedürfnisse denken Bier auf Wein trinken Ein fremdes Geheimnis verraten Sich nicht an die Regeln halten Das eigene Fahrrad an ein anderes anschließen Bei der Wursttheke verschiedene Sorten probieren und keine kaufen Einen fremden Menschen auf der Straße umarmen

66 r e ge l n d e s s p ie lv e r d e r b e n s

01

stella (19.05.06)

anfangen n Betreten das Grundstück in der Ungewissheit, ob nicht möglicherweise die Erde auseinander klafft und ungewollte Eindringlinge sich eine Etage tiefer, unter der zugewucherten Landschaft, in angelegten Labyrinthen wieder finden; so zumindest auf den Schildern gewarnt. Dazu könnten Reste irgend überflüssiger Waffen, damals stets gegen den Klassenfeind gerichtet, auftauchen Ruhe, andächtige Ruhe, friedlich, mit Konzentration versetzte Luft. n splitter sind auch die Überbleibsel ellenlanger, in Klinkerbauten eingelassener Fensterbänder, die restverankert in morschen Holzrahmen, eine zackige Kontur, ähnlich der einer Fieberkurve bilden. n Hierrübersteigen n er hat sich den licht-

106–107

n

und winddurchfluteten Raum hinter diesen Scherbenkulissen erobert. n eindringen wird aufscheuchen und führt zu dem Missverständnis, dass er sich bedroht fühlt. Er möchte fliehen und fliegt mit Wucht gegen eine letztverbliebene Fensterscheibe – stürzt zu Boden. n Das laute Flattern seiner Schwingen, die ihm nicht mehr den Auftrieb zu geben scheinen, ist nicht zu ertragen. n Pedro ist da, Zeit vergeht [ ] n Weitergehen durch dunkle Korridore, vorbei an Zimmern mit deutlichen Spuren ihrer ehemaligen Bewohner: kitschige Tapeten, Wandmalereien, alte Zeitungen, vergilbte Pinups, hier ein Stuhl, da ein Sportgerät. n Suchen. n

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Mach doch Deine Ausstellung selbst!

01

Ausstellungsmacher früherer Zeiten, wie z.B. Alexander Dorner, Leiter des F r a nc isk a Zólyom

Provinzialmuseums in Hannover in den 1920er Jahren, oder Arnold Bode, Gründer der documenta im Jahr 1955, werden mitunter auch Kuratoren genannt. Vgl.: block 2001: 28. Beatrice von Bismarck spricht in Bezug auf die Rolle von Harald Szeemann bei der documenta 5 (1972) von der „Genese einer

112–113

neuen Position im Kunstfeld, der des Ausstellungsmachers“, bismarck 2000: 221.

Als Medium sozialer Prozesse spielen Ausstellungen der zeitgenössischen Kunst eine Schlüsselrolle in der Untersuchung des Kunstsystems, dieses komplexen Gefüges aus Mechanismen der Produktion, Präsentation, Vermittlung, Rezeption und Vermarktung. Werden Ausstellungen auf der einen Seite als Ergebnis, Höhepunkt oder Abschluss einer spezifischen Auseinandersetzung gewertet, so gibt es auf der anderen Seite die Tendenz, Ausstellungen als öffentliche, halb-öffentliche Foren der Diskussion zu betrachten, als einen Abschnitt, einen gegebenen Stand in komplexen, diskursiven Arbeitsprozessen zu definieren. In beiden Fällen sind sie das Ergebnis der Zusammenarbeit von zahlreichen, teils konkurrierenden Akteuren und spiegeln institutionelle, autoritäre und personelle Kräfteverhältnisse wieder. Der in den letzten Jahrzehnten und vor allem in den 1990er Jahren sprunghaft angewachsene internationale Ausstellungsbetrieb trug nicht unwesentlich zur kritischen Analyse der Funktionsmechanismen im Kunstbetrieb bei. Stand zunächst die Gründung von immer neuen Biennalen, der „Kunstelitentourismus“ und die Selbstbezogenheit der Szene im Mittelpunkt, so richtete sich die Diskussion später verstärkt auf das Verhältnis von Kunst, KünstlerInnen, Institutionen, Markt und Kunstkritik, und genauer, auf die Positionierung der einzelnen Akteure innerhalb des Kunstsystems. Als eine der umstrittensten Positionen gilt dabei die der KuratorInnen, ein Berufsfeld, das sich seit seiner Erscheinung in den 1960er Jahren vielfältig ausgeweitet hat. 01 Bereits früh kam der Verdacht auf, dass KuratorInnen ihre Vermittlungstätigkeit und die von ihnen konzipierten Ausstellungen zum Anlass nähmen, sich eine überaus wirkungsmächtige Stel-

02

Siehe dazu: fietzek 1995. Beatrice von Bismarck liefert eine ausführliche Beschreibung dieses Konflikts in: bismarck 2000: 215–229.

114–115

F r a nc isk a Zólyom

Siehe auch: grammel 2005.

03

Im Jahr 2003 bat Jens Hoffmann 25 internationale KünstlerInnen einen Beitrag zum Thema The Next Documenta Should be Curated by an Artist zu liefern. Näheres dazu in: www.e-flux.com/projects

lung in der Bedeutungs- und Werteproduktion sowie im Umverteilungsapparat des Kunstbetriebs zu sichern. Mit der Bündelung von symbolischem und finanziellem Kapital schienen KuratorInnen nicht nur der Kunstkritik ihren Rang abzulaufen, vielmehr wurde man darauf aufmerksam, dass fortan selbst KünstlerInnen nicht immer möglich war, ihre Arbeiten vor Missdeutungen, vor ideeller, karrieristischer und institutioneller Vereinnahmung zu schützen. Einer der bekanntesten Fälle, bei dem es zu einem Konflikt zwischen Künstler und Kurator gekommen war, ist die Auseinandersetzung von Daniel Buren mit Harald Szeemann anlässlich der documenta 5 im Jahr 1972.02 Schon damals galt Burens Kritik der Art und Weise, in der Szeemann die ausgewählten Werke in den Dienst seiner Konzeption stellte. Buren erkannte, dass die documenta 5 als Kunstwerk (des in der Geschichte der Kasseler Großausstellung erstmals allein entscheidenden Ausstellungmachers) inszeniert war, dass die KünstlerInnen und ihre Kunstwerke lediglich dazu bestimmt waren, die Ausstellungsidee Szeemanns zu illustrieren. Wird die Ausstellung zum eigentlichen Kunstwerk erklärt, so heißt das auch, dass der Ausstellungsmacher die Rolle des Künstlers übernimmt. Auch dreißig Jahre später begründet Buren die Krise von internationalen Großausstellungen mit der Umkehrung der Rollenverhältnisse, „die es zulässt, dass der Organisator der Autor und der Künstler sein Interpret wird.“03 Während sich Burens Kritik gegen die Bedeutungsproduktion durch den mit Sprachgewalt einseitig ausgestatteten Kurator wendete, setzen sich KünstlerInnen wie Hans Haacke und Louise Lawler mit allgemeinen Mechanismen der Wert- und Bedeutungs-

04

Als historische Vorbilder sind u. a. Marcel Duchamp und Marcel Broodthaers zu nennen.

05

116–117

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babias 2001: 45.

06

hoffmann 1996: 49.

produktion im Kunstbetrieb auseinander. Andere vollzogen und vollziehen die Arbeit von KuratorInnen nach, indem sie selber Ausstellungen organisieren04, oder die Ausstellung als Medium ihrer künstlerischen Arbeit wählen. So entwirft Bertrand Lavier komplexe räumliche Anordnungen, deren Bestandteile sich durch das Verhältnis zueinander mit unterschiedlichen Konzepten von Präsentation und Bedeutungsproduktion auseinandersetzen, und auch Stephen Prina stellt seine Arbeiten (und teilweise die von anderen KünstlerInnen) in immer neue Sinnzusammenhänge und ordnet sie oft so an, als ob es sich um Gruppenausstellungen handeln würde. Dass das Verhältnis von KünstlerInnen und KuratorInnen ein nach wie vor aktuelles Konfliktfeld darstellt und dass Kunst und Kultur weiterhin nicht immer als kollektive Leistung dargestellt werden (können), liegt nicht zuletzt darin begründet, dass Vermittlungsarbeit, wie es Szeemanns Agentur für geistige Gastarbeit schon 1969 angekündigt hatte, zur marktfähigen Ware schlechthin avanciert ist. „Die Subjektivität ist zur größten Ausbeutungsressource der Neuen Ökonomie geworden“05 stellt Marius Babias in Bezug auf die Entwicklungen der letzten anderthalb Jahzehnte fest. Professionelle Kontakte sind das Kapital, Modelle der kulturellen Identitätskonstruktion und Kommunikationsdienstleistungen werden angeboten. Galt einst das Kollektiv als „eine grundlegende kunstpolitische Entscheidung, welche die Produktionsbedingungen im Kunstsystem in Frage stellt“06, so begegnet man in dem von Ereignishaftigkeit geprägten Ausstellungsbetrieb immer wieder der Figur von StarkuratorInnen und PopkünstlerInnen, die sich in ihren Positionen gegenseitig bestärken. Lässt sich

07

Das dialogisch aufgebaute Projekt, bestehend aus mehreren Workshops und der Präsentation einer (historischen) Materialsammlung (zusammenfassend auch Arbeitgruppen-Ausstellung genannt) sprach eine spezifische Gruppe von KulturproduzentInnen an und stellte aus dem Arbeitsprozess heraus unter anderem die Ausstellung als Präsentationsform in Frage. Ausführliche Darstellung des Projekts Services siehe in: bismarck, stoller, wuggenig 1996.

Die so genannte Arbeitsgruppen-Ausstellung ist ein Medium, das beispielsweise von der New Yorker KünstlerInnengruppe Group Material bereits in den 1970er Jahren verwendet wurde. Siehe dazu:

118–119

F r a nc isk a Zólyom

ault, beck 2003. Beispiele von internationalen selbstorganisierten KünstlerInnenkollektiven werden auch in folgender Publikation dargestellt: bürobert 1993.

die Bemerkung von Justin Hoffmann, die sich 1996 auf KünstlerInnenkollektive bezog, dennoch auf die Zusammenarbeit von Institutionen, KuratorInnen, KünstlerInnen und sonstigen KulturproduzentInnen übertragen? Lassen sich auch heute Modelle von kollektiver Kunst- und Kulturproduktion denken? Werden konventionelle Modelle von Ausstellungen hinterfragt und erweitert, so eröffnen sich neue, neuartige Handlungsräume. Konflikte über Räume und respektive Einflusssphären können sich konstruktiv auf die Diskursivität von Ausstellungen und von Kunst allgemein auswirken. Die dem Feld innewohnenden Konkurrenz- und Rivalitätsverhältnisse, die Positionierung und Wirkungsmächtigkeit der einzelnen Akteure (KünstlerIn, KuratorIn, BesucherIn etc.) lassen sich in der Diskussion von bestehenden Grenzen aktivieren. In Anlehnung an frühere Praktiken von selbstorganisierten KünstlerInnenkollektiven haben Helmut Draxler und Andrea Fraser 1994 im Kunstraum Lüneburg das Projekt Services. Bedingungen und Verhältnisse projektorinetierter Praktiken initiiert.07 Es ist bezeichnend, dass Services auf Erfahrungen von KünstlerInnen basierte, deren künstlerische Produktion nicht oder nur beschränkt im Kunstmarkt verwertet werden kann. Der finanzielle und persönliche Aufwand ihrer Projekte (dialogische Recherchen, Sammlungs- und Dokumentationstätigkeit, Visualisierung der aus dem Arbeitsprozess gewonnen Ergebnisse) gerät nicht nur in Konflikt mit der Verteilungslogik der meisten Institutionen, vielmehr lässt er auch die Frage nach der Existenzsicherung gänzlich außen vor. Während solche Projekte verhältnismäßig hohe Budgets benötigen, werden die Lebenshaltungs- und zum Teil

08

Vergleiche das Statement von Andrea Fraser in: bismarck, stoller, wuggenig 1996: 94– 98.

09

Neben weiteren Anliegen zielt die Idee der ‚kulturellen Demokratie‘ auf die Wahrung und Vermittlung von kultureller Diversität, auf die Stärkung der sozialen und kulturellen Beteiligung sowie auf die Einbeziehung von verschiedenen

120–121

F r a nc isk a Zólyom

Teilöffentlichkeiten ab.

10

Vergleiche dazu: lind 2004.

die Produktionskosten der KunstproduzentInnen weitgehend ausgeklammert.08 In diesem Punkt lässt sich die Situation von KünstlerInnen und freien KuratorInnen vergleichen: Von beiden werden immer neue Strategien (Teilzeit- und Nebenjobs, professionelle Vielseitigkeit) erwartet, mit denen sie die Existenzsicherung während und zwischen den (Ausstellungs-)Projekten erbringen. Wo aber auf der einen Seite hohe Mobilität und Offenheit gegenüber immer neuen Arbeitsverhältnissen verlangt wird, wächst auf der anderen Seite die Gefahr, einen Verlust der Sozialanbindung zu erleiden. Dass Ausschreibungsthemen und Stipendiumsmöglichkeiten hier nicht nur die Lebensumstände sondern auch die inhaltliche Ausrichtung der Kulturproduktion beeinflussen, stellt zudem ein mehrfaches Abhängigkeitsverhältnis her und ist aus der Perspektive der ‚kulturellen Demokratie‘ äußerst problematisch.09 Dass Institutionen selbst zur Demokratisierung der Produktionsverhältnisse beitragen können, zeigt die Zusammenarbeit des Münchener Kunstvereins mit den so genannten Sputniks, ReisebegleiterInnen. 2002 wurden KünstlerInnen, KunstkritikerInnen und KuratorInnen dazu eingeladen, die Arbeit des Kunstvereins drei Jahre lang diskursiv, kritisch und kreativ zu begleiten. Ihre Mitarbeit wurde in Form von Honoraren bezahlt, ohne jedoch einen Leistungsdruck aufzubauen. Die lange Laufzeit und die offene Prozesshaftigkeit sind als Arbeitsbedingungen selten anzutreffen und stellten für die TeilnehmerInnen die mitunter größte Herausforderung dar. 10 Soft Room, eine Ausstellung von Franz Ackermann in Hannoversch Münden, die 1996 von Florian Waldvogel organisiert

11

Als Spielregel wurde lediglich festgesetzt, dass die jeweiligen Schlüssel innerhalb von vier Wochen weitergegeben werden sollten. 12

2001 ging es in Arbeit Essen Angst um ArbeiterInnenkultur und Rechtsradikalismus. 2002 folgte das Jahresprojekt Campus, das Fragen nach dem Zusammenhang von Bildung und politischer Mündigkeit stellte, und schließlich das Projekt Die Offene Stadt: Anwen-

F r a nc isk a Zólyom

dungsmodelle zum Thema Kunst und Öffentlichkeit.

122–123

13

In: esche 2004.

wurde, fragte wiederum nach der Zugänglichkeit von Kunst(ausstellungen). Während der einjährigen Laufzeit des Projekts zirkulierten 20 Schlüssel, die von BesucherInnen der Ausstellung an interessierte Personen weitergegeben werden sollten. Die Öffnungszeiten der Ausstellung, sowie die Häufigkeit des Besuchs und auch die Gestaltung des Publikums wurde den BesucherInnen selbst überlassen. 11 Parallel zu diskursiven Arbeitsweisen und Ausstellungsmodellen ist jedoch auch die Tendenz zu beobachten, dass Kunstinstitutionen ihren Arbeitsschwerpunkt vom Ausstellungsbetrieb auf andere bzw. alternative Formen der Kultur- und Wissensproduktion verlagern. Die Essener Produktionsstätte Kokerei Zollverein | Zeitgenössische Kunst und Kritik hat zwischen 2001 und 2003 drei thematisch ausgerichtete Jahresprojekte durchgeführt. 12 Die verhältnismäßig lange Laufzeit der Projekte machte die Zusammenarbeit von internationalen KünstlerInnen, Studierenden und Jugendlichen möglich und setzte neben der Realisierung von künstlerischen Arbeiten vor allem auf die Wissensvermittlung. Charles Esche, damaliger Leiter der Kunsthalle Rooseum in Malmö entwarf im Jahr 2001 eine vergleichbare Perspektive: „Viele unserer Ansätze ziehen langfristige und stille Beharrlichkeit künstlerischer Arbeit dem Spektakel der Ausstellung vor. […] Um die Institution in der besten Weise zu nützen, müssen wir ein Gleichgewicht zwischen dem Bedürfnis nach nicht-öffentlichem Experiment und öffentlicher Diskussion herstellen, besonders da die Foren allgemeiner Intervention weniger werden durch die Privatisierung öffentlichen Raums.“13 Schließlich widmet auch die Uttrechter Basis voor Actuele Kunst einen bedeutenden Teil

14

Vgl. dazu: hiller 2000 –2002 (die fünf bändige Publikation dokumentiert die Gespräche, die im Vorfeld der Eröffnung von BALTIC stattgefunden haben. Die von der Künstlerin Susan Hiller initierte Veranstaltungsreihe sollte der Klärung der Funktionsmechanismen der zweitgrößten britischen Institution für zeitgenössische Kunst dienen), außerdem: tannert 2004, bismarck 2006: 47–57.

124–125

F r a nc isk a Zólyom

15

In: rollig 2002: 206.

ihrer Arbeit der kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Projekten. Neben Publikationen und Veranstaltungsreihen stellen hier Ausstellungen ganz bewusst nur eine Form der Präsentation von Arbeitsprozessen dar. Durch die Analyse und Dekonstruktion von Ausstellungskonventionen und den ihnen inhärenten Machtverhältnissen können nicht nur Modelle der Grenzüberschreitung erarbeitet werden. Vielmehr eröffnet sich die Möglichkeit, Zuständigkeitsbereiche (der Produktion, Realisierung, Vermittlung) aus einem dialogischen Prozess heraus immer wieder neu zu definieren. In diesem Sinne betrifft Kritikalität, die derzeit verstärkt aus der Perspektive der KuratorInnen, KunstvermittlerInnen betrachtet wird, gleichermaßen auch KünstlerInnen, KulturproduzentInnen und RezipientInnen. 14 Mit Eva Sturm gesprochen geht es also um „Mitschrift am Text, egal an welcher Stelle in der Hierarchie des Diskurses man sich befindet. [Um] Verhandlung der eigenen Rolle im Spiel.“15

Die Autorin möchte sich bei Judith Dürolf, Anneli Käsmayr, Jenny Kropp, Marion Porten und Bärbel Zindler für die anregenden Hinweise bedanken.

F r a nc isk a Zólyom 126–127

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128–129

rbe r Bä

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in u nb e s t imm t e w e i t e

130–131

bärbel zindler

in unbestimmte Weite

Sonnabend abend mache ich meistens sehr spät noch einen

Dank an: Dr. Ilja Bohnet; Deutsches Elektronen-Synchro-

Spaziergang. Die Sterne funkeln am Himmel. Der Mond

ton DESY, Hamburg; Pastor Ulrich Hentschel,St. Johan-

erscheint als helle, blasse Sichel oder als orangefarbener

nis Altona, Hamburg; Thomas W. Kraupe, Planetarium

Kreis, manchmal auch gar nicht. Zu Hause angekommen,

Hamburg; Antje Oertling-Kappenberg, Aumühle; Prof.

habe ich diese Bilder wieder vor Augen. Ich stelle mir vor,

Dr. Birgit Recki, Philosophisches Seminar der Univer-

wie das Universum beschaffen sein mag: gehe in meiner

sität Hamburg; Corinna Siebert, Köln; Prof. Dr. Dr. h.c.

Vorstellung weiter, vorbei an Sternen, Monden, Planeten,

Albrecht Wagner, Deutsches Elektronen-Synchroton

Galaxien. Irgendwann stoße ich an eine (un-)sichtbare

DESY, Hamburg

Grenze, die – nicht wie ein Schlagbaum – materiell und greif bar ist, sondern eher transparent. Ich blicke – wie von außen – auf eine dunkle Kugel mit leuchtenden Himmelskörpern – STOP! Das kann nicht sein. Das Universum ist unendlich. Also stelle ich mir weitere Sphären vor. Aber immer wieder stoße ich, sobald meine Vorstellungen konkreter werden, an „Grenzen“, die „etwas“ vom „nichts“ trennen. Kann das sein? Bärbel Zindler

Valie E xpor t (1969)

vorschl ag zur regelung kommu nik ativer l au t stär k e n „ein fotoelektronischer verstärker wird in die stimmritze (glottis) einoperiert und mit einem lichtempfindlichen widerstand verbunden, der an der außenhaut unterhalb des ohres angebracht wird. besteht viel licht, kommt viel strom in den verstärker und die lautbildung ist sehr stark. der fotoelektronische

132–133

verstärker regelt nämlich die lautstärke. besteht wenig licht, kommt wenig strom in den verstärker, ist die lautstärke sehr gering. n dieser life tonfilm liefe also so ab, dass die leute nachts stumm sind, beim morgengrauen allgemeines stimmengewirr anhebt und sich zu mittag die leute kräftig anschreien. bei strahlendem sonnenschein erstünde also das bild einer schreienden menschheit, kilometerweit verständlich, der schaum und geifer aus dem mund tröpfelte. tonfilm – endlich ein film zum hören!“ n

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134–135

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Spielen

138–139

Insa Härtel

dnu nebredreV

I.

Auch wenn das Spiel nicht selten als ein Gegenstück zum Ernst angenommen wird, scheint doch klar: Spiele werden, manchmal entgegen dem ‚eigenen‘ Willen, auf besondere Weise ‚ernst‘ genommen und affektiv stark besetzt. Sucht der Ernst das Spiel auszuschließen, so kann das Spiel „sehr wohl den Ernst in sich einbeschließen“ (huizinga 2004: 56). Spielen, in gewisser Differenz zum ‚Ernstgemeinten‘, kann man „mit dem größten Ernst […], ja mit einer Hingabe, die in Begeisterung übergeht […]“ (ebd.: 17). So kann das Spiel nach Huizinga „völlig in Beschlag nehmen“ (ebd.: 22); die Rede ist auch von einem ‚heiligen Ernst‘ (ebd.: 27). Bourdieu, dessen Spielzüge im Folgenden nachvollzogen werden sollen, spricht von einem „kollektive[n] Glaube[n] an das Spiel (die illusio ) und den geheiligten Wert dessen, was auf dem Spiel steht“ (bourdieu 2001: 363). Es scheint etwas im Spiel zu sein, was heilig und gefährdet ist. Auf den Spuren Huizingas findet Bourdieu von ludus zu illusio – ernst genommen wird hier zunächst eine spielerisch etymologische Ableitung: „In seinem berühmten Buch homo ludens sagt Huizinga, man könne, ausgehend von einer falschen Etymologie, so tun, als bedeute das von der Wurzel ludus (Spiel) abgeleitete lateinische Wort illusio, dass man im Spiel sei, sich auf das Spiel eingelassen habe, das Spiel ernst nehme“ (bourdieu 1998: 140). Man könne so tun … als bedeute ‚illusio‘ ein Eingelassensein, ein Ernstnehmen des Spiels … Das ‚so tun, als‘ in dieser Formulierung verweist nicht nur auf mögliche wortgeschichtliche Raffinessen, sondern potentiell auch auf die Dynamik des Spiels selbst: Die Bedeutung der illusio als das Ernste, Einbindende des Spiels begründet sich

01

Pfaller hat (mit Huizinga) herausgearbeitet, dass die „Illusion, dass es mehr als ein Spiel wäre, […] seitens der Spieler durch das Wissen aufgehoben sein [muß], dass es doch nur ein Spiel ist, damit die Faszination des Spiels und die gesteigerte Anteilnahme, der ‚heilige Ernst‘, entstehen können“. (Ohne solches Wissen bleibt der Spieler „dem profanen Ernst verhaftet“.) „Mit der Annahme einer sol-

140–141

Insa Härtel

chen Korrelation zwischen Faszination und Wissen widerspricht Huizinga nahezu allen klassischen Theorien des Spiels“ (pfaller 2002: 113 f.). – Allen Spielen gemeinsam wäre dann „eine Illusion (des Ernstseins); der Anspruch auf das Durchschauen dieser Illusion; in der Folge verstärkter, heiliger Ernst“ (ebd.: 117 mit Bezug auf Huizinga).

in einem Als ob – sprachlich-assoziativ deutet sich ein Zusammenwirken eines spielerischen Ernstes und einer konstitutiven ‚Falschheit‘ an. Doch gerade das charakteristische Als Ob wird in den von Bourdieu betrachteten ‚Gesellschaftsspielen‘ vergessen: Die sozialen Spiele sind, so schreibt er, „Spiele, bei denen man vergißt, dass sie Spiele sind“ (bourdieu 1998: 140 f.). Ist das Spiel damit nicht auch schon verdorben? 01 Ich möchte nun versuchsweise das eigen-artige bourdieusche Spiel, sprachlich eher wenig verspielt anmutend, nach- und mitspielen. Der Ansatz Bourdieus ermöglicht es, die illusio im Rahmen des Handelns, der Routine zu eruieren; es geht etwa um das, was „man halt tut“ (bourdieu 2001 b: 129). Im Zuge des Zugangs zum Spiel setzt sich die (An)Erkenntnis der ihm innewohnenden Regel durch (vgl. bourdieu 2001: 427). Illusio beschreibt hier den Zustand eines gewissen Gefangenseins. Begibt man sich in ein soziales Feld hinein, so entwickelt sich dieses spezifische Verhältnis zu dem z. B. wissenschaftlichen, künstlerischen, politischen […] Feld, das sich eben als illusio, oder auch in Begriffen der libido, fassen lässt (bourdieu 1998: 142). Man ist „vom Spiel gefangen“ und glaubt „dass sich das Spielen lohnt“ (ebd.: 140 f.). Es entsteht ein „verzauberte[s] Verhältnis“ zum Spiel – und zwar dann, wenn zwischen „den objektiven Strukturen des sozialen Raums“ und den „mentalen Strukturen“ eine Art ontologischübereinstimmender Beziehung gegeben ist (ebd.: 141). Bourdieu spricht auch von einem „Körper gewordene[n] Spiel“ (ebd.: 145). Ist das Spiel bzw. der ‚Sinn‘ für dieses erst einmal in Körper und Kopf gesetzt (vgl. ebd.: 141) und ist letzterer also entsprechend der Spiel-Welt strukturiert, dann erscheint alles wichtig und

02

Ich verwende hier die männliche

142–143

Insa Härtel

Form entsprechend den Vorlagen.

selbstverständlich; „die Frage, ob denn das Spiel den Einsatz lohnt, stellt sich […] gar nicht erst“ (bourdieu 1998: 141). Der gemeinsame Glaube, für den die illusio steht, ist ebenso Voraussetzung für das Funktionieren des Spiels wie dessen Resultat (vgl. bourdieu 2001: 363). Die illusio, die das Feld produziert, entreißt die Akteure der Gleichgültigkeit […] und u.a. der spezifische Glaube an das Spiel lässt dieses erst funktionieren (vgl. ebd.: 360). – In einem einigermaßen zirkulären Prozess ruft das Spiel seine eigene libidinöse Besetzung (illusio) durch den – mit Sinn für das Spiel begabten, weil durch es geformten – Spieler hervor, der das Spiel, indem er es spielt, ins Leben ruft (vgl. ebd.: 456). – Läuft alles wie geschmiert, dann wird der Welt ein nicht als Glaube gedachter Glaube geschenkt (bourdieu 1998: 146). Schlechte Spieler wären in diesem Spielverständnis hingegen solche, die immer schon „aus dem Takt“ (ebd.: 145) geraten.02 Spielverderber destruieren nach Huizinga wiederum die „Zauberwelt“. Der Spielverderber ist zunächst einer, der dem Spiel die Illusion, die „Einspielung“ nimmt und „die Spielgemeinschaft in ihrem Bestand“ bedroht (huizinga 2004: 20). – Möglich ist, dass die Spielverderber „sogleich wieder eine neue Gemeinschaft mit einer neuen Spielregel bilden“ (ebd.). II.

Jedes Feld, jedes im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungs- und Differenzierungsprozesse entstandene Universum bildet eigene Gesetze und eine ihm eigene Form der libido oder illusio aus (vgl. bourdieu 1998: 150; bourdieu 2001: 360). Z. B. treibt uns im wissenschaftlichen Feld anderes um als im ökonomischen; schla-

03

„Der Prozeß, der bereits in der Renaissance einsetzt und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem, was man l’art pour l’art nennt, zum Abschluß kommt, läuft – beispielsweise mit dem Gegensatz von kommerzieller und reiner Kunst – darauf hinaus, die wirtschaftlichen Zwecke völlig von den spezifischen Zwecken dieses Universums zu trennen“

144–145

Insa Härtel

(bourdieu 1998: 149).

gendstes Beispiel ist nach Bourdieu „das künstlerische Feld, das sich im 19. Jahrhundert konstituiert, indem es die Umkehrung des ökonomischen Gesetzes zu seinem Grundgesetz erhebt“ (bourdieu 1998: 149).03 Im Falle der ‚reinen‘ Kunst (in Differenz etwa zur Massenproduktion) (vgl. bourdieu 2001) ist der „Eintritt für alle kommerziell Interessierten verboten.“ Grundlegend wird das (ökonomische) Interesse negiert (bourdieu 1998: 149) – was in einer gewissen ‚Interessenfreiheit‘ resultiert. Diese wird denkbar, wenn ein entsprechend prädisponierter Habitus auf ein die Interessensfreiheit belohnendes Universum trifft (vgl. ebd.: 153 f.). Wie im Falle der Wissenschaft scheint dieses ‚interesselose Interesse‘ als spezifische illusio in „den herkömmlichen Interessen des Alltags“ und vor allem „denen des ökonomischen Feldes“ (bourdieu 1998 b: 27) nicht aufzugehen. Solch ein Universum baut auf „auf einem Bruch mit dem Common sense“ (bourdieu 2001: 518) und das Interesse in einer „antiökonomische[n] Ökonomie“ (d. h. auch einer spezifischen Form von Ökonomie) ist letztlich eines an einer – sich ‚auszahlenden‘ – Uneigennützigkeit (bourdieu 1998 b: 27). Früchte trägt gleichsam ein (wohl weniger berechnendes als leidenschaftliches) Interesse , uneigennützig, interesselos zu sein. Leugnung der ‚Ökonomie‘ (vgl. bourdieu 1998: 1 49) und „Provokation jeder Form von Ökonomismus“ (bourdieu 2001: 3 42, Herv. I.H.). Das Spiel der Kunst fordert die alltäglich-ökonomische Welt heraus. Folgerichtig wird es durch eine sich verstärkt durchsetzende Logik kommerzieller Produktion (ebd.: 531) verdorben: Mit der Durchdringung von Kunst- und Geldwelt ist nach Bourdieu die zu verteidigende Autonomie

146–147

Insa Härtel

von Universen kultureller Produktion bedroht (vgl. bourdieu 2001: 530). Eine ‚wirtschaftliche Orientierung‘ scheint etwa die Dimension des Kritischen zu paralysieren – womit die Theorie, in gewisser Weise für ein „modernistische[s] Kunstverständnis“ (zahner 2006: 289 mit Bezug auf Prior) die Lanze bricht. Bei aller gebotenen kritischen Aufmerksamkeit gegenüber der Logik des Marktes, wie ich meine, kann dann zugleich etwa der „ideologische[n] Gehalt“ einer mit dem Anspruch von Autonomie auftretenden Kunst tendenziell aus dem Blickfeld geraten (vgl. ebd.: 290). Was für die weitere Kunstentwicklung so nicht behauptet werden kann: Dort, wo sich die zuvor als gegensätzlich entworfenen (Sub-)Felder von ‚reiner‘ und kommerziell orientierter Massen-Produktion überschneiden, hat sich ein neues Feld mit neuem Regelwerk gebildet, wie Zahner deutlich macht; die Annahme eines „Gegensatz[es] von Kunst und Profit“ ist in Zweifel gezogen (ebd.: 282, vgl. ebd.: 2 41, 27 7). Ein Blick etwa auf die Pop Art zeigt: Hier kommen – in Differenz zur Vorstellung von einer ‚autonomen‘ Kunst, die ökonomisches Denken verbannt und sich „jenseits des Alltäglichen“ (ebd.: 279) situiert – z.B. quasi-alltagsweltliche Bildsprachen zum Zuge, hier wird eine ökonomische Gewinnorientierung mit einkalkuliert (vgl. ebd.: 2 45, 281). Eben dadurch wird aber auch eine Logik ‚reiner‘ Produktion aufgenommen: Werden doch auf eben diesem Wege etablierte Kunstkonventionen provoziert (vgl. ebd.: 2 45). Dieserart Provokation also kann als ein Zug moderner Kunstkonzeptionen gelten, um zu dem von Bourdieu vornehmlich fokussierten Feld zurückzukehren: Ein konstitutiv ‚spielverderbender‘ Zug, der eben in der Herausforderung dessen besteht,

04

Bourdieu geht von einer Art homologen Beziehung zwischen den Werkund den (Autoren-)Positionen-Räumen im literarischen Feld aus. Dabei können „innovative und maßstabsetzende Werke selbst wiederum die objektiven Strukturen des Feldes wie auch die ‚legitime‘ Sicht der Welt verändern“ (wolf 2002: 397). 05

Gelungen ist eine literarische oder bildend-künstlerische ‚Revolution‘ vor allem dann, wenn etwa die jungen Häretiker unterstützt durch externe Veränderungen zur Anerkennung ihrer Produkte gelangen (bourdieu 2001: 401; für

148–149

Insa Härtel

solche Veränderungen werden neu auftauchende Konsumentengruppen oder politische Transformationen wie die Revolution von 1848 angeführt).

was gegeben ist. – Das sich als autonom zeigende Feld konstituiert sich im Falle der Kunst, wie Bourdieu etwa ausgehend vom literarischen Feld im Frankreich des 19. Jahrhunderts zeigt, im (bereits betrachteten) ‚Bruch‘ mit der herkömmlichen, ökonomischen Logik und ist gekennzeichnet durch spezifische Positionskämpfe. In beharrlichen Abgrenzungsmanövern kommt es zu einem fortwährenden Umformungsprozess. Im Verlauf dieser Entwicklung sind es dann insbesondere die „Neulinge“ (mit wenig feld-spezifischem Kapital), die sich durch neue, „mit den geltenden Gewohnheiten“ brechende „Denk- und Ausdrucksweisen“ potentiell einen ‚Namen‘, Anerkennung bzw. Existenz verschaffen. „Geste der Herausforderung, der Verweigerung, des Bruchs“;04 das existentielle Absetzungsgebot kann am Werk wirken (bourdieu 2001: 379 f.). Der Kampf um Legitimität und Definitionsmacht macht demnach die Geschichte des Feldes aus; den Neuankömmlingen geht es dabei (im Ringen mit den Herrschenden) um „Diskontinuität, Bruch , Differenz, Revolution“ (ebd.: 253).05 Wird in dieser Konstellation der ‚häretische‘ Bruch, die Revolution gleichsam zu einem Charakteristikum, einem Prinzip literarisch-künstlerischer Spiele, dann ließe sich folgern: Gerade die, die, strukturell am ‚jüngsten‘ (vgl. bourdieu 2001: 379), den Aufstand proben, sich absetzen oder auflehnen, verhalten sich einer Tradition entsprechend regel-gerecht. Das Spielverderben als eine nicht eben neue Spielregel ? Eine Spielvariante der Kunst: ein Interesse an der Interesselosigkeit und ein Spiel des Spielverderbens? Ist eine abgewandelte Form dessen heute weiter wirksam? Das bliebe weiter zu denken aufgegeben.

150–151

Insa Härtel

Beobachtbar ist, dass die Feld-Positionierung mittlerweile auch Gegenstand von Kunst selbst geworden ist: Man arbeitet mit den bewusst übernommenen und auf diese Weise identifizierenden Situierungen (vgl. waltz 2001: 116) … in allgemein eher weniger verpflichtend erscheinenden Spielen. Beobachtbar ist auch – neben einem gestiegenen ökonomischen Einfluss –, dass sich etwa seit Mitte des 20. Jahrhunderts verschiedene Richtungen, Formen etc. von Kunst „weitgehend unabhängig voneinander“ entfalten: „Eine den Kunstbetrieb dominierende Kunstrichtung stellt andere in den Hintergrund, nicht in Frage“ (zahner 2006: 288, 280). III

Bourdieu folgend also führt der in seinem Spielraum durch seine Habitus-Disposition eingeschränkte, wenn auch nicht gänzlich determinierte (literarisch-künstlerische) Autor seine Produktionen als „Medium des (nicht notwendig bewußt geführten) Kampfes um Legitimität“ (wolf 2002: 398 f.) ins Feld. Wie aber erwerben „Neulinge“ in der bourdieuschen Konzeption feldspezifisch unentbehrliche Dispositionen? Diese sind nämlich nicht einfach gegeben, sondern komplex geformt. Die Einbindung, der Einsatz in ein Spiel ergibt sich über eine Art Libido- oder Triebsozialisation: Den Meditationen zufolge stellt die Besetzung des familiären Raumes die „ursprüngliche Form der illusio“ dar (bourdieu 2001 b: 210 ff.). Ein Feld sozialer Beziehungen wird interessant – etwa durch Anerkennungsbezeugungen, die das Kind einhandelt gegen „Verzicht und Opfer“ an anderer Stelle (ebd.: 212 f.); die sozialen Auswirkungen des „Familien-fatum[s]“ wären deshalb so mächtig, weil solche Prozesse „mit Wünschen überfrachtet“ und – verdrängt

152–153

Insa Härtel

– in den Körper „versenkt“ sind. So dass auch das, was „als Leidenschaft“ im „Innerste[n] des Körpers“ fortlebt, wie Bourdieu formuliert (bourdieu 2001 b: 214), zur Ausbildung passender Dispositionen beiträgt. Die im häuslich-familiären Feld konstituierten Affekte und Dispositionen werden „nach und nach in feldspezifische“ umgewandelt (ebd.: 210 ff.). Der langwierige und allmähliche Transformationsprozess, der jemanden z. B. zum Musiker – oder auch bildenden Künstler – macht, beginnt demnach spätestens mit der Kindheit und setzt sich, wie es heißt, „meist ohne Krisen und Konflikte fort – was nicht heißt ohne Phasen moralischen oder physischen Leidens, die als Prüfungen zu den Entwicklungsbedingungen der illusio gehören […]“ (ebd.: 211) – Der Weg erscheint nicht leidensfrei, kann demnach aber annähernd bruchlos verlaufen. Leiden und Leidenschaft bilden den Sinn für das Spiel quasi mit aus bzw. werden Bestandteil des Prozesses, welcher Akteur und soziale Strukturen tendenziell in Übereinstimmung bringt. Nun gehen, wie Rose in anderem Zusammenhang schreibt, gewisse soziologische Theorien von der Annahme aus, „dass die Internalisierung von Normen im großen und ganzen funktioniert“. Hingegen „besteht die grundsätzliche Voraussetzung und der Anfang aller Psychoanalyse in der Erkenntnis, dass sie nicht funktioniert“ (rose 1997: 94). Lässt sich in Anlehnung daran, zugespitzt, auch für die bourdieusche Theorie die These wagen, dass hier ein konstitutives Nicht-Funktionieren etwas aus dem Blick gerät – im ‚feinen Unterschied‘ zu psychoanalytischen Akzentuierungen?

Insa Härtel 154–155

06

Auf die Frage nach gerade dem Trieb als potentiellem ‚Spielverderber‘ kann ich hier leider nicht mehr eingehen.

Bourdieu führt eine mit den Strukturen gesellschaftlicher Universen verzurrte unbewusste Dimension ein. Das, was unsere Praktiken bestimmt, unsere Betrachtungsweisen formt bzw. das komplizenhafte Einverständnis mit dem, was diesen Strukturen eigen ist, ist nicht bewusst. Wenn sich davon ausgehen lässt, dass sich das Subjekt sozialen und zugleich unbewussten Ordnungen ausgesetzt sieht, die – ‚inkorporiert‘ – sein Erfassen und Handeln prägen, so liegt der Akzent einer psychoanalytischen Lesart darüber hinaus auch auf dem durch das Unbewusste beharrlich offenbarten ‚Scheitern‘ – ein ‚Scheitern‘, das sich etwa manifestiert in Symptomen, Versprechern, bestimmten Formen der Lust (vgl. mit Bezug auf Identitätsfragen: rose 1997: 94 f.). Das Subjekt wird durch (in sich niemals konsistente) überindividuelle Ordnungen strukturiert, in denen es handelnd mitwirkt – und es verspricht sich darin, um eine Bemerkung Elfriede Löchels zu paraphrasieren. Ein Unbewusstes wäre so nicht nur Träger des Spiels, sondern auch sein ‚Verderben‘. Es ist, so würde ich sagen, als der beste Mitspieler auch ein Spielverderber.06 Das ‚Spielverderben‘ hat sich nun in einigen Figuren gezeigt: z. B. als ‚Illusionszerstörung‘, als eine ‚Kunst‘ des Spiels, als zu Tage tretender Aussetzer. – Festzuhalten bleibt: Mit bourdieuschen Ansätzen lässt sich das komplexe, nicht einfach deterministisch zu denkende Wechselspiel zwischen Feld, Position, Disposition, Positionierung in seiner Vielschichtigkeit analysieren. Er betrachtet sozusagen bestimmte Spielregel-Systeme gesellschaftlicher Felder und Prozesse der ‚Identifizierung‘ oder Inkorporierung darin; weniger fassbar werden dabei die solchen Prozessen immer schon innewohnenden Ambivalenzen bzw. Instabilitäten

07

Vgl. dazu z. B. Pfallers Ausführungen zur Ambivalenz, zum Zwingenden

156–157

Insa Härtel

des Spiels etc. (pfaller 2002).

(vgl. dazu adkins 2003) – Wider-Strebungen, die ein besonderes Ergriffensein vom Spiel bewirken07 und zugleich als Spielverderberinnen auftreten können. Weniger fassbar werden wohl auch mögliche neue Identifizierungs- und Spielformen. Und so stellt sich für die Kunst-Welt die Frage: Wann ist das zeitgenössisch-künstlerische Feld mit einer (durchaus in Frage stehenden) Tradition des regelhaften Bruchs und einer gewissen Erschöpfung fortgesetzt-heroischer Absetzungsbewegungen ein heilig-ernstes Spiel? Kommt in ihm weiter eine potentiell destabilisierende Dimension des Spielverderbens zum Tragen? Lassen Sie uns sehen.

Literatur adkins, Lisa: Reflexivity. Freedom or Habit of Gender? In: Theory, Culture & Society, Vol. 20, 2003, No. 6, S. 21–42.

158–159

Insa Härtel

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160–161

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r at t e nfa l l e z u m ( ni c h t ) e inl o c he n

connected (08.08.06)

v e r a n t wor t e n : g e f r ag t s e i n n n Nimmt man es beim Wort, so setzt eine Verantwortung eine Frage voraus. Aber welche? Es ist im Englischen und Französischen nicht anders: Sich oder etwas zu verantworten heißt, auf etwas zu antworten – heißt also, gefragt zu sein. Die Google-Indizien sprechen für sich: Verantworten muss man sich vor allem vor Gericht, d.h, vor einer Instanz, die die Regeln kennt und überwacht und die eine Brechung oder Überschreitung selbiger zu einem Fall von Schuld werden lässt. Was aber, wenn der Befragte das Urteil vorwegnimmt und sich für schuldig erklärt – mit oder ohne Anklage? Das Geständnis mildert die Strafe – d.h. das Anerkennen der eigenen Schuld besänftigt die Wächter, weil es das Regelwerk beglaubigt. An diesem Punkt lohnt es kurz stehen zu bleiben. n Die Sprache zeichnet eine Bewegung nach – sie bewegt sich und sie ist diese Bewegung. Was heißt es, dass es sich lohnt, stehen zu bleiben? Gewöhnlich, dass etwas unsere Aufmerksamkeit verdient – eine schöne Aussicht oder das rote Licht einer Ampel. Wenn wir

162–163

ins Gespräch vertieft plötzlich an einer Stelle ankommen, an der wir uns womöglich etwas gestehen – auch hier bewegt sich der Gedanke in gewohntem Schritt –, halten wir unwillkürlich an. Im „Gestehen“ also wird eine Bewegung unterbrochen. Diese Beziehung zwischen „Gehen“ und „Stehen“, die schon die antiken Philosophen beschäftigte, führt mich zu einem Verharren, bis die Wörter verstanden werden – wobei ich nicht behaupten kann, die Beziehung zwischen Verstand und Stehen schon ganz begriffen zu haben. Die Metaphernkette für das, worin sich der Gedanke denkt, reißt nicht ab. Ich schlage nach: Gestehen zu Mittelhochdeutsch: gestén – dichter könnten Körper und Sprache sich nicht auf den Leib rücken. Aber was haben Gesten, was hat Körpersprache und Sprachkörper mit Verantwortung zu tun? Das Wörterbuch legt die Position des sich Gegenüberstehens zugrunde. Demnach ist das Verantworten eine Gegenrede – ein Standpunkt, den man etwas oder jemandem gegenüber einnimmt und vertritt. Standpunkte, Positionen, Perspektiven, Schritte, Fortlauf … n

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164–165

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Kir

about:blank

Das Flache vor dem Hügel

Aktion, bis hin zu einem durch die Person des „Promoters“ befürchteten Anthrax-Attentates. Kirschner untersucht mit seinen philosophischen Per-

Vor kurzem traf ich den Künstler Manfred Kirschner in

formances die Deutungen und Bedeutungen von Kunst, in

Berlin, als er gerade damit beschäftigt war, unplakatierte

Erweiterung um den Interpretationswillen des Zuschau-

Werbeflächen und weiße Wände für seine „about:blank“

ers, indem er diesen bewusst in dessen Hände gibt. Um

Werkreihe zu fotografieren. Diese Serie folgt als Ergänzung

aber überhaupt unbespielte Plattform und Reagenz dieser

seinen Aktionen in den großen Einkaufsstraßen in Lon-

Deutungen werden zu können, bedarf es dazu, dass sich

don und New York. Der Titel „about:blank“ ist dabei dem

die durch den Autor eingeschriebenen Interpretationen

bekannten Zeilentext des Internet-Explorers entliehen der,

aus dem Kunstwerk entfernen.

noch bevor er eine gewählte Adresse enthält oder aufruft, diesen Titel zu der noch nicht gefüllten Seite anzeigt. Es ist der Kommentar der noch leeren blanken Seite. In

zeigt deutlich, dass Kunst ohne ihre enthaltene Interpreta-

den Bedeutungen des Wortes „blank“ lese ich weiter: „Das

tion, ihren autorisierten Kommentar, am Ende manchmal

Bare, das Reine.“ So wie in der Bedeutung im Englischen,

nicht erkannt werden kann.

Manfred Kirschner

ist es jener Raum, der den Zwischenraum zwischen den

166–167

Nur die leeren Blätter der Performance sind mit zahllosen Bedeutungsmöglichkeiten zu füllen. „about:blank“

Worten bezeichnet. Das Blanke ist also der Name der Leerstelle und des noch ungefüllten freien Raumes. In seinen Performanceaktionen, die auch unter dem Titel „Promotion für Nichts“ laufen, hat er freundlich lächelnd in den Einkaufspassagen Hunderte von „Blanko“

Das Gesamtgerüst der Aktionshandlung der Performance allerdings verdeutlicht die Sichtweise des Autors und vollführt, wie in einer planhaften Provokation, den Weg der Noch-Nicht-Kunst zur Kunst, also ihren eigenen Interpretationsweg. Kirschner verlegte seine Arbeit in den letzten Mona-

– Papierzetteln an vorbeilaufende Passanten verteilt und als

ten immer stärker auf diese Suche nach dem Unsichtbaren

Promoter für das nicht Sichtbare gearbeitet.

und dem scheinbar Bedeutungslosen. Eine weitere foto-

Wie sich dabei zeigte, füllten die so beschenkten Pas-

grafische Serie, die er auch in Berlin fortführte, ist die der

santen die unkommentierte Aktion mit dem Sinn ihrer

„abgeschlossenen Welt“, eine Bildsammlung von Fahr-

eigenen Imagination. So lagen die vermuteten Interpreta-

radschlössern, die er auf der ganzen Welt im angeschlos-

tionen der Zuschauer über die stumm ablaufende Perfor-

senen Zustand ohne dazugehöriges Rad in vereinsamter

mance bei der Annahme, es handle sich um eine politische

Situation findet und dokumentiert. Die Schlösser sind an

Bäume, Haltestangen oder andere dafür geeignete urbane

In einer weiteren Videoarbeit sehen wir ihn, sich in einer

Objekte dieser Welt gekettet und sprechen neben ihrer

Boutique oder einem Outlet Store an einem drehbaren

wartenden Position von ihrem funktionellen Verlust, ihrer

Kleidungsständer, zu einer nervenden Konsum-Muzak,

verlorenen Aufgabe, ein Rad zu beschützen. Hier fügt der

Jacken, Hemden und Hosen mit manischer aber gelassener

Künstler, auch in diesem weltweit verbreiteten Phänomen

Ausdauer immer wieder an- und ausziehen.

der Schlösser und durch seine sensible Beobachtung dar-

Lange bevor ich den Künstler auch persönlich kennen

auf, eine neue hoffnungsvollere Aufgabe hinzu, nämlich

lernte, bin ich seiner Arbeit und ihm schon einmal begeg-

die, unseren Planeten an bestimmten Orten, mit ihrem

net ohne es zu wissen. Einmal im Jahr 2004, als ich mit

Anschließen zu sichern. Der Keim einer fast kindlichen

befreundeten Künstlern und Kunstwissenschaftlern an

religiösen Hoffnung, die sich für uns als trügerisch erwei-

einem Grillfest in Selfoss, Island teilnahm. Bei der Grill-

sen muss. Seine performativen Arbeiten aus gleicher Zeit entwer-

party saßen wir auf einer der großen Zeichnungen, einem ca. 3 ×4 Meter großem gezeichneten „Kunsttheorieuntersetzer“

fen scheinbar sinnlose Aktionskunst mit gesellschaftlich

des Künstlers. Die große Zeichnung, die mit ihren Häkel-

konformem, aber absurdem Verhalten. Zum Beispiel kauft er

maschen an eine Entwurfsgrafik für einen überdimensiona-

in seiner Arbeit „Shopping“ eine Einkaufstüte, die er im fol-

len Topflappen erinnert, diente uns dort als Unterlage und

genden Geschäft seiner Einkaufstour in eine neue gekaufte

Basis für unsere Gespräche und unser Zusammensein.

Tasche steckt, welche er solange als Behältnis benutzt bis er

Der „Kunsttheorieuntersetzer“ per unique ist das

sie im folgenden wiederum in eine weitere Einkaufstüte

künstlerische Produkt, das Plateau, die Basis. Ein Produkt,

steckt, fort trägt und so weiter. In der Dokumentation endet

das aber anzeigt und sagt, dass alles, was mit ihm passiert,

seine Aktion in einem Videoloop, dem Tragen einer Tasche,

nur auf ihm auf bauen kann. In seinen zarten lieblichen

die Dutzende von weiteren Tragetaschen enthält oder tra-

Maschen ist, also auch von Hand eine kritische Verweige-

gen kann. In diesem Einkaufsspiel der Inhalte, wird ähnlich

rung eingehäkelt, die mit einer sperrigen Eigenständigkeit

der Perspektivik der russischen Matroschka-Puppen in den

von den Projektionen und Erwartungen spricht, die darauf

Innenraum gespiegelt. Die Handlung thematisiert mehr den

gesetzt werden.

Transport einer Leere, über die sinnlose Anhäufung und den

Das andere Mal ist noch länger her. 1987 nahm ich an

Transport unserer Transportmittel. Mit der Desorganisation

einem Canasta Wettkampf der C.W. A. (canasta worldwide

unseres kommerziellen Jagdverhaltens verschiebt sich der

association) in Brügge teil und spielte, ohne es zu wissen

inhaltliche Sinn bis auf weiteres.

mit Manfred, der einer der aufstrebenden Profitalente war.

Kirschner beendete allerdings 1988 seine Canasta Obses-

nutzbaren Bauwerk der Moderne, gibt ihre Noch-Gegen-

sion zugunsten seines Kunststudiums in Bremen und spielt

wart Rätsel auf. Ihre Anwesenheit lässt erkennen, dass man

seither nur noch sporadisch im Urlaub.

es bisher wohl einfach vergessen hat, sie vollkommen und

In Berlin nun, laufen alle Pfade auseinander und zuein-

zu entfernen. Kirschner bietet hier wieder, durch seine

bot eine vereinsamte, seit Jahren unbenutzte Litfasssäule,

visuelle Strategie des Aufspürens der verlassenen Objekte

die er am Wannsee entdeckte, beim Internet-Warenhaus

und unsichtbaren Bildträger, seine Patenschaft und holt sie

Ebay an oder verkaufte zusammen mit dem Designer Jens

zudem als objet trouvé, eines dokumentarischen Lapidari-

Engel selbst hergestelltes Parfüm während der Festspielsai-

ums, in sein Oeuvre.

Manfred Kirschner

son in Bayreuth an die Wagnerianer und Festspieltouristen

168–169

im Ganzen, außer den sie enthaltenen DDR-Emblemen,

ander. Er übernahm eine illegale Objekt-Patenschaft und

Direkt in Berlin in diesem Jahrhundertsommer nun,

am grünen Hügel. Die angebotenen Düfte „Wahnfried“

trinkt er, der Behüter der unsichtbaren Bedeutungen mit

„Wagner“ und „Russ“ (letzterer war übrigens Richard

befreundeten Künstlern solange Kaffee auf der Terrasse,

Wagners Hund, dessen Grabstätte im Gegensatz zu sei-

bis er einen Sonnenbrand mit nach Hause nehmen kann

nem Herrn auch beschriftet ist) enthalten, nach Aussage

oder versteigt sich in zeichnerischen Darstellungen und

der Künstler, Original- Inhaltsstoffe des Efeu, welches

Reisebeschreibungen des berühmtesten aller Berge auf

Wagners Grab im Garten seiner Privatvilla in Bayreuth

Erden, dem Paramount.

üppig umrankt. Herausragend wiederum seine Fotografien von den

Diese subtilen sinnschärfenden Aktionen fern des businessumwitterten Galerie- und Kunstbetriebes doku-

Restmonumenten; die alten Begrüßungs- Stelen der Deut-

mentieren eine eigene Unsichtbarkeit. Im Focus auf das

schen Demokratischen Republik, welche man aktuell zum

Nebensächliche, Vergessene und Erdachte, eignet sich

Beispiel noch an der einstigen und heute umgebauten Tran-

Kirschner die lapidaren Dinge der Welt an. Die defunkti-

sitstrecke in Helmstedt und der Stadtgrenze Berlin Dreilin-

onalisierten unsichtbaren Objekte sind mit dem Kunstwerk

den an der Autobahn betrachten kann. Zu Zeiten einer poli-

verwandt.

thistorischen Bereinigung, nicht allein dargestellt durch

Aber erst der Blick darauf, die Option einer neuartigen

den Abriss des Palastes der Republik, dem Ausstreichen des

Interpretation ohne ihre Bestimmungsfunktionen, machen

stärksten Symbols der DDR-Ära schlechthin, wirken sie

die leeren Blätter, die Litfasssäule, die Fahrradschlösser und

herrenlos und zwischen den Zeiten fast schwebend. Im Ver-

Stelen in einer Veredelung wieder sichtbar und legendär.

gleich zu dem Palast, einem multifunktionalen und variabel

Kirschners nicht kommentierte künstlerische Strategie

erzeugt durch ihre angebotene Sehschärfe das Interesse auf das Abwesende, denn an dem Verlust an den Dingen und ihrer Abwesenheit werden uns unsere eigenen inhaltlichen Besetzungen klar. Für das Metanomie Projekt der gedok in Bremen hat Manfred Kirschner 11 Künstler/innen eingeladen seine Projektideen einzeln und in Teams zu realisieren. Der vorliegende Katalog soll einen Eindruck über das Gesamtwerk der Projekte in der Ausstellung geben. Lydia Karstadt

Lapidarium 1

Juli 2006

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transmet teuse (08.08.06)

me a n der n {equ is se } n Begeisterung für die Idee | Faszination der Querverbindungen | welch ein Thema | sprühende Gedanken | hat noch Zeit | gelegentliches Auff lackern | Tagesgeschäft | ist bald Zeit | Meandern durch Nebenschauplätze | es gärt | Lähmung, eigentlich sollte man mal zu Potte kommen | putzen | schreiben, machen,

174–175

wenigstens mal was | ins Machen kommen | Holzwege weglegen | nicht verzagen, weiter schlagen | verwerfen | wiederaufnehmen | ein Wust | zähe Verhandlungen mit dem selbst | die Schmach des noch nicht fertigen | neue Ideen | noch mal ganz anders | der Kampf mit der Zeit | und dann wirds doch was mit Spaß n

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176–177

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Textauszug der übernächsten Seite: Thomas Bernhard, Goethe schtirbt.

MEHR NICHT .

Goethe

habe Goethe zuerst nur gesagt, daß der Gickelhahn schuld sei, mehrere Male soll Goethe gesagt haben: DER GICKELHAHN IST SCHULD. Kräuter soll, noch ganz von seinem Englandauftrag hergenommen, so Riemer, ein Leinentuch in kaltes Wasser getaucht haben, welches in einem Lavoir auf einem kleinen weißgestrichenen Küchensessel am Fenster gestanden sei und das Leinentuch solange über dem Lavoir ausgedrückt haben, daß es Riemer wie eine Ewigkeit vorgekommen sei, eine von Kräuter, so Riemer, tatsächlich ungeheuerlich in die Länge gezogene Zeit. Während Kräuter das Leinentuch über dem Lavoir ausdrückte, soll Goethe, schon ganz schwach, so Riemer, durch das offene Fenster in den Garten hinausgeschaut haben, während er, Riemer, die ganze Zeit unter der Tür der goetheschen Kammer gestanden sei. Goethe zu sagen, daß Wittgenstein nicht komme, habe er nicht die Kraft gehabt, so Riemer, und auch Kräuter hütete sich davor, Goethe diese entsetzliche Mitteilung zu machen, nie hätten sie beide gesagt, Wittgenstein sei längst TOT. Und obwohl den Leuten um Wittgenstein Goethe unbekannt war, hatte Kräuter, um Goethe zu schonen, mehrere Male, weil er danach gefragt worden war, Goethe geantwortet: ALLE KENNEN GOETHE, ALLE. Darauf sei Goethe immer recht angenehm berührt gewesen. Goethe habe Riemers Eintreten in die Kammer zuerst nicht bemerkt gehabt und ganz ruhig zu Kräuter gesagt, daß, wenn er jetzt bestimmen könne, wen von allen, die ihm IN SEINEM LEBEN (nicht: IN SEINER EXISTENZ!) begegnet seien, tatsächlich von allen, er sich jetzt an seinem Bett wünschte, er nur den Namen ECKERMANN aussprechen könne, was uns, Kräuter und mich, so Riemer, naturgemäß überraschte. Bei dem Namen Eckermann, den Goethe aufeinmal wieder ganz ruhig ausgesprochen habe, sei Kräuter erschrocken und habe Goethe den Rücken gekehrt. Mir war diese Bemerkung als solche wie die eines Umnachteten vorgekommen, so Riemer jetzt. KRÄUTER, IST NICHT RIEMER DA? hat dann Goethe plötzlich gesagt, worauf Goethe einen Blick auf mich geworfen hat, so Riemer, aber anders als sonst. Mir war klar, daß dieser zweiundzwanzigste der letzte Tag Goethes sei. Acht Tage waren seitdem vergangen, daß Wittgenstein gestorben war. Nun auch er, habe ich gedacht. Kräuter gestand mir später, auch er habe diesen Gedanken in diesem Augenblick gehabt. Kräuter hat darauf Goethe wieder sofort das naßkühle Leinentuch auf die Stirn gedrückt, AUF DIESE ABSTOSSENDE THEATRALISCHE ART, so Riemer, DIE WIR VON KRÄUTER KENNEN. UND AUCH VON ECKERMANN. Darauf, so Riemer, habe Goethe gesagt, daß er, indem er sich so groß gemacht habe, wie er jetzt sei, alles andere neben sich und um sich vollkommen vernichtet habe. Er habe Deuschland in Wahrheit nicht erhöht, sondern vernichtet. Aber die Augen der Welt seien für diesen Gedanken blind. Er, Goethe, habe alle an sich gezogen, um sie zu zerstören, im tiefsten Sinne unglücklich zu machen. Systematisch. DIE DEUTSCHEN VEREHREN MICH, OBWOHL ICH IHNEN WIE KEIN ZWEITER SO SCHÄDLICH BIN AUF JAHRHUNDERTE. Kräuter verbürgt sich, daß Goethe diesen Ausspruch GANZ RUHIG getan hat. Ich hatte, so Riemer, die ganze Zeit den Eindruck, Goethe habe sich einen Schauspieler des Nationaltheaters zu seinem letzten Pfleger bestellt, indem er sich letztenendes an Kräuter gebunden hat und ich dachte, während er Kräuter so an der Seite Goethes agieren sah, wie er das Tuch auf Goethes Stirn drückte, wie Kräuter dastand, als Goethe sagte: ICH BIN DER VERNICHTER DES DEUTSCHEN! und gleich darauf: ICH HABE ABER KEIN SCHLECHTES GEWISSEN!, wie er Goethes Hand, weil dieser selbst nicht mehr die Kraft dazu gehabt hatte, etwas höher auf die Bettdecke legte, seinem, Kräuters Ästhetizismus entsprechend, so Riemer, aber doch nicht so, daß beide goetheschen Hände zusammengelegt wurden wie bei einem Toten, was selbst Kräuter als geschmacklos empfunden haben mußte, wie Kräuter schließlich mit einem Taschentuch eine Schweißperle aus Goethes Gesicht wischte und überhaupt eine solche widerwärtige Betulichkeit an den Tag legte, die ihn, Riemer, wenigstens treffen, wenn nicht tödlich verletzen sollte; daß möglicherweise gerade zu einem Geist wie Goethe, den wir als groß, ja wahrscheinlich sogar als den größten begreifen müssen am Ende, ein solcher verkommener Kräuter paßte, der die Niedertracht und die Scharlatanerie seiner selbst gerade an einer solchen Geistesgröße wie Goethe, wenn sie an ihrem Ende angekommen ist, auf das Entschiedenste zu steigern noch befähigt sei. Bis zum äußersten Grade des Verrats, so Riemer. NICHT IM ELEFANTEN WOHNT WITTGENSTEIN, soll Goethe immer noch gesagt haben, auch wie er selbst schon auf dem Totenbett gelegen war, SONDERN IN MEINEM HAUS, GLEICH NEBEN MEINER KAMMER. ES GIBT KEINEN ANDERN, DER DAFÜR GEEIGNET IST. ICH WILL WITTGENSTEIN NEBEN MIR! soll Goethe zu Riemer selbst gesagt haben. Als Goethe dann starb, eben am zweiundzwanzigsten, dachte ich sofort, was für eine Schicksalsfügung, daß Goethe genau für diesen Tag Wittgenstein zu sich nach Weimar eingeladen hatte. Was für ein Himmelszeichen. DAS ZWEIFELNDE UND DAS NICHTZWEIFELNDE, soll Goethe als VORletztes gesagt haben. Also einen wittgensteinschen Satz. Und kurz darauf jene zwei Wörter, die seine berühmtesten sind: MEHR LICHT! Aber tatsächlich hat Goethe als Letztes nicht MEHR LICHT, sondern MEHR NICHT! gesagt. Nur Riemer und ich – und Kräuter – waren dabei anwesend. Wir, Riemer, Kräuter und ich einigten uns darauf, der Welt mitzuteilen, Goethe habe MEHR LICHT gesagt als Letztes und nicht MEHR NICHT! An dieser Lüge als Verfälschung leide ich, nachdem Riemer und Kräuter längst daran gestorben sind, noch heute.

connected (08.08.06)

v er an t wort en, gefr agt zu sein? n n Kontext – „mit Text“ – hier löst sich das Wissen von Körper und Boden. Genau das scheint spannend. Relativität versus Gravitation? Er stimmt Foucault, den er nicht kennt, zu, dass ein Zeitalter, ohne es zu wissen, in dem, was es an Wissen schafft, begrenzt ist und eine je spezifische Problematik umkreist, die darin zur Sichtbarkeit drängt. Mit Ausnahme vielleicht der Naturgesetze, so sagt er, vor allem dem der Erdanziehung. Und wenn wir uns auf den Kopf stellen – daran ändert sich nichts. Sie hat gelesen, politisch sei, Körper zu bewegen – auch wenn die Katze immer auf die Füße fällt. Sie gehen weiter. Schwindel – eine Figur der Irritation des Sinns für die Erdanziehung. n Aber wo stehen wir? Der Tanz auf der Spitze sei die Phantasie einer Überwindung der Erdenschwere, sagte man mir. Die afrikanischen Tänze seien anders – so die Phantasie von einem Gefühl für den Boden unter den Füßen. Neulich sah ich ein Video in einer Ausstellung am See: eine junge Frau im Bikini auf einem

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10-Meter-Sprungturm. Sie zögert, weicht aus, lässt andere vorbei, geht zurück, geht vor, schaut runter, klettert nach außen an das Geländer. Klettert am Rand des Turmes entlang, bleibt stehen, klettert zurück an die Spitze ... und springt. In Martin Morlocks „Regeln für Spielverderber“ lese ich zu beginn „Die Ballade von der progressiven Ertüchtigung“: Mit Lehrer und Klassenkameraden macht Arthur, einer der anders ist als die anderen, einen Ausflug. Sie steigen auf einen hohen Turm. Oben angekommen lockt des Lehrers versprechen: „Wer von euch den Mut hat, runterzuspringen, bekommt eine Eins in Turnen und Singen ...“ – alle tun es und nur Arthur, den sie Spielverderber schimpfen, bleibt allein zurück. Welch ein Versprechen. Eine Feigheit, die sich lohnt – die sich, sich selbst gegenüber, verantwortlich zeigt. Aber hätte er nicht auch mit den anderen sprechen können, ob es Sinn macht, zu springen? Wie antwortet man, wo niemand fragt? Die Einsamkeit der zögerlichen Turmspringerin war eine andere. n

ausstellung 09-09-06

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ausstellung

transmet teuse (02.08.06)

nich t s t u n (u nd nich t s w ir d nich t ge ta n) n Ein Projekt mit zehn unterschiedlichen künstlerischen Positionen ruft als ersten Impuls den starken Mann auf den Plan, der die Geschicke lenkt. Doch was, wenn es bei dem Projekt darum geht, gegenwärtige Produktionsbedingungen künstlerischer Arbeit zu befragen und althergebrachte (Macht)verhältnisse von KuratorInnen und KünstlerInnen zur Disposition zu stellen? Nicht eingreifen war die Devise. n Indem man nichts tut, hütet man sich davor, einzugreifen, um durch die eigene Aktivität nicht den laufenden Vorgang zu stören. Ohne zu handeln bedeutet in diesem Fall, man macht sich disponibel für die Situation und versucht nicht, eigene Ideen oder Absichten auf die Situation zu projizieren. n Die Schrift „Über die Wirksamkeit“ von François Julien von 1999 argumentiert mit taoistischen chinesi-

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schen Philosophien und empfiehlt das Handeln nicht mehr in Begriffen der Aktion, sondern vielmehr der Reaktion zu begreifen. Der französische Philosoph führt aus: Während das Handeln, durch sein Vorhaben verhärtet, an einem bestimmten Punkt stehen bleiben und sich auf ihn beschränken muss, hält die Reaktivität der Reaktion die Situation lebendig und beweglich. n Ähnlich beschreibt es Nietzsche, der es als Privileg auffasst, „auf den Versuch hin leben und sich dem Abenteuer anbieten zu dürfen“. Damit meint er, statt blind in Strukturen und Gewohnheiten eingebunden zu bleiben, kann man bewusst wählen, „reich an Erfahrungen“ zu werden und seine „Versuchsjahre“ zu durchleben. Auf den Versuch hinzuleben kann man auch verstehen als sich versuchen zu lassen, also sich offenzuhalten für dass, was ungerufen kommt und einem Versuch gleichkommt. n

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ausstellung

connected (05.08.06)

… u nd sie sind auch nicht n ge f r ag t (wor de n) n (Ich wiederhole) Zum Spielverderber wird man mehr durch die anderen erklärt, als dass man sich selber dazu machen kann … n Das Spiel der anderen könnte immer schon ein anderes sein, als das, das man verderben will … z. B. Kunst: Seit Jahrzehnten ist klar, dass die Duchamp’sche Grenzüberschreitungsgeste dazu führt, die eigenen Spielsteine geschickt nach vorne zu führen – und dann ist das Spiel plötzlich immer schon

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wieder ein anderes (wenn auch nur scheinbar) und hat die Geste integriert – hat sie auch vorausgesehen, geplant, angelegt … (siehe noch einmal Regel 63 auf S. 105) und plötzlich ist das alles auch gar nicht mehr schlimm, weil man das Spiel ja nie verderben wollte … nur endlich mitspielen und zwar ganz vorne! … Schwieriger wird es, wenn man sich das eigene Spiel verderben möchte, um sich davor zu schützen, als Spielverderber doch nur der bessere Mitspieler zu sein – immer schon. n

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ausstellung

bis 03-10-06

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Kurzbiografien

Sigrid Adorf

*1972 in Marburg. Kunstwissenschaftlerin. Derzeit Wiss. Mitarbeiterin am Institut Cultural Studies in Art, Media and Design und Co-Leiterin des Nachdiplomstudiums Cultural/Gender Studies der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich (http://ics.hgkz.ch). Erarbeitung eines digitalen Werkverzeichnisses von VALIE EXPORT (Wien 1998–99), Zentrum für feministische Studien Uni Bremen (2000 –2003) mit Lehre im Studiengang Kunstwissenschaft / Kunstpädagogik. mitarbeit an konzept und organisation (Auswahl): Im (Be)Griff des Bildes I-III, Künstlerhaus Bremen (2001– 2002); Was ist politisch? Das Beispiel Kunst (2005), UEBERLEBEN. Biografie, Biologie und Biopolitik (2006), Is it now? Gegenwart in den Künsten (2006), alle HGKZ. Schreibt, lehrt und forscht zu MedienkünstlerInnen des 20. Jahrhunderts, Repräsentationstheorie /-kritik, Geschlechterkonstruktionen, Bild- und Medientheorie, z. Zt. Abschluss der Dissertation Operation Video. Videokünstlerinnen und Medienpolitiken der 70er Jahre. veröffentlichungen (Auswahl): „ Zwischen den Zeichen gelesen. VALIE EXPORTs Schnittechniken im Medienverbund Körper-Bild-Sprache-Apparat.“ In: VALIE EXPORT. Mediale Anagramme, NGBK Berlin 2003; „Eine Frage der Geste? Der Akt, das Bild, seine Sprache und ihre Bewegung in der Body Art der 70er Jahre.“ In: Schmutz / Widmann (Hg.): Dass die Körper sprechen, auch das wissen wir seit langem. Generali Foundation Wien 2004.

Claudia Christoffel

*1971 in Lübeck. 2002 Magistra Artium in Kulturwissenschaften, Kunstwissenschaften und Deutscher Sprachund Literaturwissenschaft. 2003 Erasmustipendium bei Roni Horn in Reykjavik, Island. 2004 Diplom in der Visuellen Kommunikation an der Hf bK Hamburg bei Prof. Silke Grossmann und Prof. Michael Lingner. 2005/2006 Meisterschülerin bei Prof. Silke Grossmann. stipendien/preise: 2005 Artist in Residence Ballum, Dänemark; 2005/2006 Diplompreis gute aussichten – junge fotografie, Wanderausstellung u. a. im Museum für Fotografie, Berlin und in den Deichtorhallen, Hamburg; 2006 Reisestipendium der Dietze Stiftung für Chile; ausstellungen (Auswahl): 2000 Futur Perfekt, GAK, Bremen; 2003 Dort triffst Du mich, Galeri Nema Hvad, Reykjavik; 2004 VerOrten, Kunstverein Hildesheim; Grauwert, Galerie Greige, Berlin; 2005 Material Fotografie, Fototriennale Hamburg, KX, Hamburg; Kunstfrühling, Städtische Galerie, Bremen. Derk Claassen

*1973 in Köln, Studium Humangenetik /Berlin, Studium Freie Bildende Kunst an der HfK Bremen bei Rolf Thiele, Jean-François Guiton und David Baade; Papa seit 2000; 2003 Meisterschüler bei Rolf Thiele und Jean-François Guiton; 2004 Förderpreis für Bildende Kunst Bremen; 2005 Künstlerförderung Bremen; 2006 Atelierstipendium Land Schleswig-Holstein; 2007 Atelierstipendium Berlin des Landes Bremen. ausstellungen / projekte (Auswahl, seit 1998): 1998 , 2004 Förderpreis Bremen; 1999 Futur Perfekt, GAK Bremen; 2001 Breiting, Kopenhagen; 2004 Panorama, Kunstverein Hannover; 2005 YoungBremishArtists, Städtische

Galerie Bremen, 2003–2006 smc (mit Michael Rieken, Stefan Demming). Claassen arbeitet an intermedialen Konzepten zu Verdrängungs-, Vermeidungsstrategien, ProjektgruppenFlops und verbogener Programmierung.

(Bremen und Berlin). Mit unterschiedlichen Medien untersucht sie soziale Konfigurationen, Wahrnehmungs- und Aneignungsweisen in der Stadt. Anja Fussbach

Kurzbiografien

dilettantin produktionsbüro

Das dilettantin produktionsbüro (www.dilettantin.de) besteht seit 2003 als Plattform für junge Künstlerinnen und Künstler, die im Grenzbereich von Kunst und Alltag agieren. Es wurde gegründet durch Anneli Käsmayr (*1980 in Dachau) und Jenny Kropp (*1978 in Frankfurt a. M.), beide seit 2006 Meisterschüler an der HfK Bremen. ausstellungen (Auswahl): 2005 site-scenes, Nishiharu, Nagoya, Japan; 2006 Bremer Förderpreis für Bildende Kunst 2005, Städtische Galerie, Bremen; Diplomausstellung, Galerie der HfK, Bremen. projekte / aktionen (Auswahl): 2003–2004 dilettantin menue, Bremen / Berlin / Sylt; 2005 Im Cafe Parisienne auf Jochen Gerz warten, Marseille / Hamburg; Das unsichtbare Vorhandene, Barcelona / Bremen / Marseille; 2006 Archiv der erlebten Momente, Formine, Italien; Hotel, ehemalige Zollabfertigung, Bremen. preise: 2006 Bremer Förderpreis für Bildende Kunst 2005 (in Kooperation mit Branka Colic und Michael Rieken), 2. Hochschulpreis der Hochschule für Künste Bremen. Judith Dürolf

196–197

*1970 in Bad Ems. Sie lebt in Bremen. Studium der Bildenden Kunst / Kunsttherapie /-pädagogik an der Fachhochschule Ottersberg von 1992–1996; seit 2003 regelmäßig Ausstellungen – innen und außen. Sie arbeitet unter anderem in projektorientierten Kooperationen zu den Themenbereichen Stadt und Alltagskultur

1965* in Soltau. einzelausstellungen: 2006 boulevard of broken dream, Galerie des Westens, Bremen; 2005 pimp it up, Galerie Greige, Berlin; Zajaca-Dworek Artura, Gdansk, Polen; unsere kleine farm, Galerie im Park, Bremen; 2004 krebsschere – kunst im öffentlichen raum – Werderland-Bremen;2003 Cervantes 03 – kunst im öffentlichen raum – Cuxhavener Str. 112, Bremen; 1994 phase 5, Galerie Querformat, Berlin; phase 6, ufa-Fabrik, Berlin; 1993 Schrottcollagen 1+2, Bad und Werkhof, Hannover; 1992 Klangskulpturen, European Mediaart Festival, Osnabrück. gruppenausstellungen: 2006 kunst und anti., Deichtorhallen, Hamburg; 2005 position und poesie, Galerie Hertz, Bremen; 2004 Tierkreis, Atelierhaus Friesenstraße, Bremen; 2000 Kunstmeile Wall, Bremen; 1998 Motortotem, Gdansk, Polen. Preise / stipendien: 2004/05 Berlinstipendium der Stadt Bremen; 2004 we love family, Belobigung im Wettbewerb für Kunst im öffentlichen Raum, Bremen; 2003 Häschen-Preis für Kunst im öffentlichen Raum Bremen; Künstlerförderung des Landes Bremen; 2001 Robot-Preis für das Modell- Ausschreibung Gröpelingen-Bremen; 1999 Arbeitsstipendium der Stadt Soltau. Insa Härtel

Dr. phil., derzeit wissenschaftliche Assistentin am Fachbereich Kulturwissenschaften und am Zentrum für feministische Studien (zfs) der Universität Bremen. Studium

der Psychologie (Hauptfach), Kunstgeschichte und Soziologie (Nebenfächer) an der Universität Hamburg. Dissertation: Zur Produktion des Mütterlichen (in) der Architektur, Wien, 1999. Koordination der Bremer Studienphase der Internationalen Frauenuniversität (ifu) (2000), wissenschaftliche Geschäftsführung des zfs (2001). veröffentlichungen (Auswahl): „Ergriffensein, ergreifen, begreifen. Freuds ‚Der Moses des Michelangelo‘“. In: E. Löchel, I. Härtel (Hg.): Verwicklungen. Psychoanalyse und Wissenschaft / Psychoanalytische Blätter Bd. 27. Göttingen 2006; „Verrückte Phantasie, paranoide Autorität, politische Psychose. Ein Lektüreversuch (Homi K. Bhabha).“ In: K.-J. Pazzini, M. Schuller, M. Wimmer (Hg.) unter Mitarbeit von J. Moser: Wahn – Wissen – Institution. Undisziplinierbare Näherungen, Bielefeld 2005, S. 91–113. Manfred Kirschner

*1967 in Bremen; erster Kuss ca.1972; Erster Preis Canasta Worldcup, Brügge 1987; Studium Freie Kunst 1988–1996; 1994 Sparkassengratiskommunikation; 1997 Meisterschüler bei Prof. Rolf Thiele an der HfK Bremen; Essbare Gedichte und Zeichnungen, Kunstverein Bremerhaven; 1996 Stipendiat Haus Coburg in Delmenhorst; 1997 / 98 Goldsuche in der Delme, die Erfindung des konkreten Pointilismus; 1999 Die Liebe im öffentlichen Raum, Bremen/Rotterdam; Kunsttheorieuntersetzer mit Systemlysis, Dansateliers, Rotterdam; 2001 Der menschliche Spirograph, Galerie für Gegenwartskunst, Barbara Claassen-Schmal, Bremen; ruimte bezetten, Stadthuis Rotterdam, mit Marc Haverkort; Scherenschnittaktion in der Bremer Straßenbahn; 2002 thank you Manfred Kirschner!, Galerie 19 rouge, Luxemburg; Die Berühmt-

heitsversicherung für Künstler, Künstlerhaus Bremen; Perspektiven, Herbstausstellung, Kunstverein Hannover; 2003 Sabine Albers und Manfred Kirschner sägen einen Ast durch, Performance, Bürgerpark Bremen; 2004 Save the Stadthalle!; 12.000 Tränen für die Kunst, artig e.v., Hannover ; Aufnahme in das Viewing Programm, Drawing Center, New York; 2005 about:blank, Performance, New York; A star is born, Galerie 149, Bremerhaven; 2006 Stipendium Berlin, Senator für Kultur, Bremen; Galerie Crystal Ball, New York. Claudia Medeiros Cardoso

* in São Paulo, Brasilien. Lebt und arbeitet in Bremen und São Paulo. Studium der Architektur in Santos, Brasilien. Studium der Freien Kunst an der Hochschule für Künste Bremen, Meisterschülerin. Seit 1997 fanden Ausstellungen in Deutschland und u. a. in Eindhoven, Havanna, Beijing, Belfort, Salvador und Rio de Janeiro statt. In ihren Arbeiten bewegt sie sich in den Medien Lenticular Fotografie, Videos, Computerinstallationen und Plakate. Im Moment versucht sie verborgene Messages auf Mauern und Stadtmöbeln zu lesen. Robert Pfaller

lehrt Philosophie und Kulturwissenschaft an der Kunstuniversität Linz sowie an der Technischen Universität Wien. Gastprofessuren u. a. in Berlin, Chicago, Oslo, Strasbourg, Zürich. Mitglied der Neuen Wiener Gruppe – Lacan-Schule und der Forschungsgruppe Psychoanalyse stuzzicadenti. veröffentlichungen (Auswahl): Die Illusionen der anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur, Frankfurt a. M., 2002; Althusser – Das Schweigen im Text. München 1997;

(Hg.): Interpassivität. Studien über delegiertes Genießen, Wien / New York 2000. (Hg.:) Schluß mit der Komödie! Über die schleichende Vorherrschaft des Tragischen in unserer Kultur, Wien 2005. Mona Schieren

Kurzbiografien / impressum

*1973 in Aachen. Seit 2002 Leitung des Forschungsprojektes iMediathek an der Hochschule für Künste Bremen. (www.iMediathek.org), Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Politik, Hamburg (Dipl.-Betriebswirtin). Studium der Kunstgeschichte an der Universität Hamburg und der École Nationale Supérieure d’Art de Nice. Galerietätigkeit und Projekte u.a. am Suermondt-LudwigMuseum, Aachen; Musée Picasso, Antibes und Tecnobyblos. Servizi e Technologie per i Beni Culturali, Rom. Lehrtätigkeit am Fachbereich Kulturgeschichte der Universität Hamburg und der Hochschule für Künste Bremen. Kuratierung von Ausstellungen und Programmen, zuletzt stadt – rand – fluss, Lothringer 13, München 2006. veröffentlichungen und Übersetzungen (franz.) zu Annette Messager, Otto Mueller, Vermittlungsfragen und Projektfinanzierung. Letzte Veröffentlichung: Ursula Frohne/Mona Schieren/Jean-François Guiton (Hg.): Present Continuous Past(s). Media Art. Strategies of Presentation, Mediation and Dissemination, Wien/New York 2005. Veronika Schumacher

198–199

*in Berchtesgaden. Holzbildhauerlehre an der Fachhochschule für Holzbildhauerei und Schreinerei in Berchtesgaden, Gesellenprüfung; Malereistudium an der Hochschule für Künste Bremen bei Prof. Rolf Thiele. Diplom an der HfK Bremen, Meisterschülerprüfung; Bremer Förderpreis für

bildende Künste; Stipendium an der Cité des Arts, Paris. galerietätigkeit und projekte (Auswahl): Immer Ärger mit der Unendlichkeit, Galerie Birner + Wittmann, Nürnberg; Hell;deconstructing, Kunstverein Cuxhaven; 77.000.000 Jahre Pech, Galerie Greige, Berlin; Return of the Art Zombies, Filmprojekt mit Silke Thoss, Künstlerhaus am Deich, Bremen; Desidolize now, Grad Halle de la Vilette, Paris; MusterHaus, Kunstverein Tiergarten, Berlin; 2005 Lehrtätigkeit am Fachbereich Malerei in der Hochschule für Künste Bremen. veröffentlichungen: REVOLVER BLANCO (Schriftenreihe zur aktuellen Kunst); Raimar Stange, SUR.FACES, Interviews 2001/2002; Artist nr. 41, Jan Verwoert über Veronika Schumacher; FlashArt nr. 207 Review der Ausstellung „V.“ von Raimar Stange Jette Slangerod

*1946 in Dänemark. 1991–1995 Studium Freie Kunst, Fachrichtung Malerei, bei Prof. Michael Kohr, Fachhochschule Ottersberg; seit 1996 tätig als freischaffende Künstlerin; Dozentin für Bildnerisches Gestalten an der Fachschule Delmenhorst; 1997 Gründung der Ateliergemeinschaft Nordstrasse in Bremen; 1997 Einzelausstellung in der Galerie des BBK, Bremen; 2001 Gruppenausstellung VorSicht auf Gleis 9, Kunstverein Bremen-Nord; 2002 Stipendiatin der Stiftung Kulturfonds, Künstlerhaus Lukas, Ahrenshoop; 2003 Teilnehmerin des Malerei-Symposions in Riga/Lettland, organisiert von BBK Bremen in Kooperation mit dem Künstlerverband Lettland; 2003 Gruppenausstellungen: Galerie Daugava, Riga; 2004 Frequenzverschiebung, Kubus, Städtische Galerie Hannover; 2006 Galerie Herold, Bremen. Visitors, Ausstellung mit Kornelia Hofmann, Malerei / Video.

Bärbel Zindler

2001–2003 Studium Freie Kunst Fachhochschule Ottersberg; 2003 Fortsetzung des Studiums an der Hochschule für Künste Bremen, seit 2005 im Rahmen des Projekts Kunst des Forschens bei Prof. Dr. Elke Bippus und Prof. Katharina Hinsberg. Ausgangspunkt für Arbeiten sind Themen, die im Umfeld von Philosophie, Akustik, Biologie und Physik angesiedelt sind. Kommunikation und Transdisziplinarität spielen für die Arbeiten eine wichtige Rolle. ausstellungen (Beteiligungen): 2005 Auf der Pirsch – Freiheit im Visier, Installation mit Hörtexten, Forschungsjagd, Schiller-Festival, Weimar; 2005 C 6 H5COOCH3 (Petunien), Video, Forschungssammelstelle, Black Boxes Bremen; 2006 Archiv der Gefühle, Installation, Video, Hochschultage. Text und – demnächst – Arbeiten auf Website http://www.institut-syn.de/sp-site/ unter Kunst des Forschens („Texte“, „Archiv“, „Kunst-Projekte“). Franciska Zólyom

*1973, Kunsthistorikerin, Kuratorin. Seit Januar 2005 Direktorin des Institute of Contemporary Art in Dunaújváros, Ungarn. Davor Kuratorin am Museum Ludwig, Budapest (1997–1999), wo sie u. a. die Ausstellungen Cindy Sherman: The Complete Untitled Film Stills (1998); Rondo. Werke mittel- und osteuropäischer Künstler (1999) und die Retrospektive von Orshi Drozdik (2001/02) kuratiert hat (gemeinsam mit Dóra Hegyi). Zu ihren Projekten im öffentlichen Raum in Budapest gehören: Right: Here: Now. Temporäre Monumente im Stadtraum (jährlich seit 2004) sowie Cinemascope. Raumbezogenes Arbeiten im Kino Atrium (2004). In 2001 und 2003/2004 war sie Mitarbeiterin im Hamburger Bahnhhof, Museum für Gegenwart, Berlin und übernahm dort u. a.

die Projektleitung für Stan Douglas: Le Détroit (2001) und Berlin North. Zeitgenössische Künstler aus den nordischen Ländern in Berlin (2003/2004). Seit 1999 ist sie Dozentin an der Ungarischen Universität der bildenden Künste in Budapest, sie war Gründungsmitglied des Curators’ Association Budapest und ist seit 2005 Vorstandsmitglied von tranzit.hu.

gefördert von

Städtische Galerie im Buntentor Bremen

200–201

Senator für Kultur der Freien Hansestadt Bremen

Künstlerinnenverband Bremen, gedok e.V.

impressum die publik ation erscheint anl ässlich der auss tellung „me|ta...no|mie“ (09.09.–03.10.2006) . ein ausstellungsprojek t des küns tlerinnenverbandes bremen in der städtischen galerie im buntentor, geförder t durch den senator für kultur bremen. herausgegeben von n sigrid adorf (sigrid.adorf@ hgkz.ch), n mona schieren (m.schieren @ hfk-bremen.de) ges taltung n s tefan bargs tedt (mail@ s tefanbargstedt.de), n david lindemann (mail@ davidlindemann.de) lek torat n k athrin hager grafik organisation n anke sander technik organisation n gesa mietzner geschäf tsführung n friederike torney (buero @ kuenstlerinnenverband.de) druck n majuskel medienproduk tion gmbh, wetzl ar bibliografische information der deutschen bibliothek: die deutsche bibliothek verzeichnet diese publik ation in der deutschen nationalbibliografie; detaillier te bibliografische daten sind im internet über : ht tp://dnb.ddb.de abrufbar. gedruck t auf alterungsbes tändigem papier mit chlorfrei gebleichtem zellstoff n © 2006 transcrip t verl ag, bielefeld besuchen sie uns im internet n ht tp:// www.transcrip t-verl ag.de bit te fordern sie unser gesamt verzeichnis und andere broschüren unter info @transcrip t-verl ag.de die verwer tung der tex te und bilder is t ohne zustimmung des verl ages urheberrechtswidrig und strafbar. das gilt auch für vervielfältigung, übersetzung, mikroverfilmung und für die verarbeitung mit elek tronischen sys temen. isbn 3-89942-624-x

s t il l e p o s t 11 : a l l e s s p ielv er der ber n Die Elf: Leider konnte ich mit der Botschaft, die bei mir als Stille Post ankam, teils nicht arbeiten und teils wollte ich es auch nicht. So war ein großer Teil davon, in einer Vorstufe zur Formulierung eines Konzeptes stehen geblieben. Denn lediglich die Ergebnisse verschiedener Brainstormings waren aufgelistet. Auch gegen das einzig formulierte Konzept eines Fußballspiels musste ich mich entscheiden, weil ich unsere Ausstellung nicht in einer Reihe mit weiteren bereits stattfindenden Kunstausstellungen zum Thema Fußball anlässlich der wm in Deutschland sehen wollte. Daher blieb mir nur noch die Entscheidung, die Kette abbrechen zu lassen, um auf das erste Konzept zurückzugreifen, oder aber ein eigenes Konzept zu entwickeln. Entschieden habe ich mich nach reiflicher Überlegung für letzteres. nDamit bin ich ein Spielverderber, was die Weiterenwicklung eines Gedankens via Stille Post angeht, aber vielleicht auch nicht der einzige unter uns elf. Ich denke, dass es einigen von euch beim Lesen der „Post“ ähnlich ging wie mir, und ich daher auf Verständnis für meine Entscheidung hoffen kann. n Und jetzt bleibt nur noch das Konzept. Das Thema der Ausstellung: Alles Spielverderber. n Der Begriff „Spielverderber“, wird in der Kindheit meist abwertend als Schimpfwort verwendet, wenn ein Mitspieler gegen die Regeln des Spieles verstößt, nicht das nötige Engagement für ein Spiel auf bringt oder es gar nicht erst spielen möchte. Dadurch mindert der Spielverderber das Vergnügen der anderen Spieler an der Tätigkeit des Spiels. Daraus ergibt sich die Ansicht, „Spielverderber sind doof “. Dies ist der verbale Ausdruck dafür, dass die Gruppe der Spieler dem so genannten Spielverderber als Außenseiter mit sozialem Boykott droht, so lange er nicht bereit ist, sein Verhalten an die Spielregeln anzupassen. n

Doch die Kindheit ist lange her und heute ist der Spielverderber für mich nicht mehr negativ konnotiert. Denn wenn sich das Spiel des Menschen dadurch definieren läßt, dass es ein durch unterschiedliche Faktoren bestimmtes Verhalten ist, das im Wechselverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft eine wesentliche Vermittlerrolle einnimmt (Meyers Taschenlexikon von 1983, Band 20, Seite 353), dann ist der Spielverderber derjenige, der durch das in Frage stellen der Regeln zum Nachdenken über bestehende Machtverhältnisse anregt. Dem Spielverderber wohnt also ein anarchistisches Potential inne, weil er mit seinem Verhalten die gegebene Ordnung hinterfragt. Gemäß dem Leitspruch der 68er-Generation: „Aus der Rolle fallen, um aus der Falle zu Rollen“ gilt dem Spielverderber die Regel: Brich die Regel! Dies ist für mich zunächst einmal ein positiver Grundsatz, gerade für den künstlerischen Arbeitsprozess. Wird diese Haltung übersteigert, indem gar keine Regeln mehr anerkannt werden, endet der Spielverderber im extremen Radikalindividualismus, der keine sinnvollen gesamtgesellschaftlichen Lösungen mit sich bringt. Das Schwierige am Spielverderber ist also das Ausbalancieren von Regeln: n die beibehalten werden, die verworfen werden oder die neu kreiert werden. Genau dies aber beschreibt für mich die spezifische künstlerische Arbeitsweise. Oder anders ausgedrückt: Künstler suchen neue Lösungen für bekannte Fragestellungen, indem beispielsweise die bisherige Sichtweise hinterfragt und möglicherweise durch eine neue ersetzt wird, die wiederum ihrerseits von jemand anderem ersetzt worden ist oder werden wird. Durch die Bereitschaft des Künstlers, sich nicht an vorgegeben Regeln zu halten, kann überhaupt erst Neues entstehen. Claudia Christoffel

18-03-06 exit

Lass uns Spielverderber spielen Ich bin Spielverderber Du bist Spielverderber Er / Sie ist Spielverderber Wir sind Spielverderber Ihr seid Spielverderber Sie sind Spielverderber Alles Spielverderber Wer das Thema der Ausstellung boykottiert, ist Spielverderber Wer kein Spielverderber sein will, ist Spielverderber Alles Spielverderber