Metamorphosen oder der Goldene Esel [5., durchgeseh. u. erw. Aufl., Reprint 2021] 9783112582442, 9783112582435

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Metamorphosen oder der Goldene Esel [5., durchgeseh. u. erw. Aufl., Reprint 2021]
 9783112582442, 9783112582435

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SCHRIFTEN UND

QUELLEN

DER ALTEN WELT HERAUSGEGEBEN VON DER SEKTION FÜR ALTERTUMSWISSENSCHAFT BEI DER DEUTSCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN

BAND I

A K A D E M I E - V E R L A G 1961



BERLIN

APULEIU S

METAMORPHOSEN ODER

DER G O L D E N E ESEL

LATEINISCH

UND

DEUTSCH

VON

RUDOLF

HELM

Fünfte durchgesehene und erweiterte Auflage

A K A D E M I E - V E R L A G 1961



B E R L I N

Redaktor der Reihe: Johannes Innscher Redaktor dieses Bandes: Bruno Doer

Alle Redite vorbehalten Copyright 1956 by Akademie-Verlag GmbH, Berlin Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Straße 3—4 Lizenz-Nr. 202 • 100/92/61 Offsetnachdruck: VEB Drudcerei Thomas Müntzer, Bad Langensalza Bestellnummer: 1066/1 Printed in Germany ES 7 M

INHALTSANGABE Vorwort Einleitung . Buch I. Wanderung des Lucius nach Hypata zu Milo . . Buch II. Begegnung mit seiner Verwandten Byrrhena, Kap. 2-5 Verabredung mit Photis, der Magd Müos' Kap. 6-10 Liebesszene mit ihr, Kap. 1 5 - 1 7 Festmahl bei Byrrhena, Kap. 19-31 Kampf mit den Schläuchen, Kap. 32 . . . . . Buch I I I . Fest des Lachgottes, Scheingericht über Lucius, Kap. I - I 2 Neue Liebesszene mit Photis, Verwandlung des Lucius in einen Esel und seine Entführung durch Räuber, Kap. 13-29 Buch IV. Peinvolle Wanderung zur Räuberhöhle, Einbringung einer Prinzessin, Kap. 1-27 Buch V Buch VI. Vergeblicher Fluchtversuch der Prinzessin und des Esels, Kap. 25-32 Buch VII. Rettung beider durch den Bräutigam, Kap. 1 - 1 4 Leiden des Esels und drohende Kastrierung, Kap. 15-27 Buch VIII. Flucht der Gutsleute mit dem Esel, Kap. 15-22 Der Esel bei den Kybelepriestern, Kap. 2 3 - 3 1 ; Buch I X , Kap. 1 - 1 0 Buch I X . Rettung des Esels aus Lebensgefahr, Kap. 1-4 . . Der Esel in der Mühle, Kap. 10-31 Der Esel beim Gärtner, Kap. 32 Der Esel als Beute eines Soldatea, Kap. 39-42

VII I 28 52 56 64 66 78 80

90 104 136 164 192 204 230 238 248 256 274 282

VI Buch

Buch

X . Der Esel beim Zuckerbäcker und Koch, Kap. 1 3 - 1 9 Der Esel in Korinth, Liebesabenteuer mit einer Dame, seine Bestimmung zur öffentlichen Schaustellung, Kap. 19-29 Der Esel als Zuschauer bei den Vorführungen und seine Flucht nach Kenchrea, Kap. 29-35 . X I . Das Frühlingsfest und die Erlösung durch Isis, Kap. 1 - 2 1 Einweihung des Lucius in die Mysterien der Isis und des Osiris, Kap. 22-30

298

306 314 324 342

NOVELLEN Die Hexen Panthia und Meroe und das entwendete Herz, Buch I, Kap. 5 - 1 9 Marktszene, Buch II, Kap. 24-25 ' Der entlarvte Chaldaer Diophanes, Buch II, Kap. n - 1 5 . . Thelyphron und die Totenwacht, Buch II, Kap. 19-31 . . . Räubernovellen, Buch IV, Kap. 6-27 Erzählung von Amor und Psyche, Buch IV, Kap. 28 bis Buch VI, Kap. 24 Ende der Prinzessin und ihres Mannes, Buch V I I I , Kap. 1 - 1 4 (Siegfriedmotiv) Bestrafung eines seiner Frau untreu gewordenen Sklaven, Buch V I I I , Kap. 22 Der Galan im Faß, Buch I X , Kap. 5-7 Der Galan und die vergessenen Sandalen, Buch I X , Kap. 1 7 - 3 1 Der Galan im Getreidetrog, Buch I X , Kap. 22-28 Der Galan unter dem Walkergestell, Buch I X , Kap. 24-25 Die Rache der Bäckersfrau, Buch I X , Kap. 29-31 Der habgierige und brutale Gutsnachbar, Buch I X , Kap. 35-38 Verschmähte Liebe der Stiefmutter und ihre Rache, Buch X , Kap. 2 - 1 2 (Phaedramotiv) Die Mörderin aus Eifersucht, Buch X , Kap. 23-28

30 72 60 66 108 128 218 236 250 262 266 268 272 278 288 308

Anmerkungen

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Namensverzeichnis

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VORWORT Die neue Reihe der zweisprachigen Ausgaben eröffnet ein einzigartiges Werk des Altertums, der einzige ganz erhaltene komische oder SittenRoman, den wir besitzen; denn Petrons realistischer und satirischer Roman ist ja nur in Bruchstücken überliefert. Apuleius' Metamorphosen aber besitzen wir vollständig und haben in ihnen ein lebendiges Bild des antiken Lebens in seiner ganzen Mannigfaltigkeit und seiner schillernden Buntheit. Wir sehen die vornehme Gesellschaft wie die bittere Armut, Edelmut und Lüsternheit, Frivolität und Priestertrug, Zauberei und fromme, religiöse Hingabe, das qualvolle Dasein der Sklaven und Volksbelustigungen, Räuberwesen und Frechheit der Soldateska, kurz, während wir den zum Esel verwandelten Menschen auf seiner Wallfahrt begleiten, rollt sich ein wesentlicher Teil des menschlichen Lebens in all seinen Schattierungen bis in seine tiefsten Tiefen vor uns ab. In die Mitte aber und unmittelbar hinter den Räubernovellen, so den Wechsel deutlich markierend, hat der Verfasser die halb satirische, halb märchenhafte und halb burleske Erzählung von Amor und Psyche gestellt, die zu einem Schatz der Weltliteratur geworden ist. Man darf hoffen, daß auch der moderne Leser der Mahnung folgen wird, mit welcher der Autor seine Vorrede schließt: „Leser, merk auf! Du wirst deinen Spaß daran haben." Der Stil der Darstellung ist nicht einheitlich; denn oft läßt sich det Schriftsteller von der Strömung seiner Zeit dazu verleiten, schwulstig und manieriert zu reden, und so sehr man sich auch bemüht, in der Übersetzung das wiederzugeben, um eine richtige Vorstellung von der Schreibweise zu erwecken, immer läßt die Verschiedenheit der Sprachen es nicht zu, im Deutschen völlig die Wortspiele und Künsteleien nachzumachen, auf welche Apuleius Gewicht gelegt hat. Aber der Leser wird es empfinden, wo Gleichklang und Reime die Sprache würzen sollen. Der benutzte Text ist der bei B. G. Teubner erschienene. Sein kritischer Apparat ist gekürzt und auf das Wesentliche beschränkt, seine lateinische Schreibung modernisiert. Dabei hat vor allem Dr. Doer mitgewirkt, der auch sonst die Arbeit der Drucklegung überwacht hat. Dafür gebührt ihm aufrichtiger Dank, nicht nur von mir, sondern auch von allen, die an dieser Ausgabe ihre Freude haben. R. Helm

EINLEITUNG Das zweite nachchristliche Jahrhundert war in besonderem Maße ein Zeitalter innerer Zerrissenheit und inneren Ringens. Dem Verlangen nach Befriedigung der Sinne gesellte sich ein tief innerlicher Drang nach Erlösung aus dem Elend des Erdendaseins. Tierhatzen und blutige Spiele lockten die Menge ebenso wie die weltfremden, schöngedrechselten und mit einem Schein von Wissenschaft verbrämten Reden der Vertreter der sogenannten zweiten Sophistik mit ihren aus der Vergangenheit geholten oder sich um irgendwelchen Tand drehenden Stoffen, obwohl nicht alle so witzig waren wie Lukians Loblied auf die Fliege oder so fesselnd wie Apuleius' Apologie. Der zersetzenden Richtimg der epikureischen und dem Nihilismus der kynischen Lehre stand der Schicksalsglaube der Stoiker gegenüber, die einen Anwalt auf dem Kaiserthron fanden, und der Mystizismus des mit pythagoreischen Vorstellungen durchsetzten und dem Dämonenglauben huldigenden Neuplatonismus. Die Sehnsucht der Menschen nach einem festen Halt im Leben und einer Gewähr für eine bessere Zukunft suchte in den verschiedensten Mysterien Befriedigung, Schwärmer wie Peregrinus Proteus und Betrüger wie Alexander von Abonuteichos konnten Anhänger finden, Zauber- und Okkultistenwesen blühte, Isis- und Mithraskult verbreiteten sich, und die junge christliche Religion war mit Kampfeseifer dagegen auf den Plan getreten. Apologeten wie Justin, Minucius Felix und Tertullian bei den Römern, Aristides und Tatian unter den Griechen erhoben ihre Stimme. In diese Zeit fällt das Leben des Afrikaners Apuleius. Er ist ein Gegenbild zu seinem Zeitgenossen, dem Spötter Lukian, mit dem er bei aller Verschiedenheit des Charakters doch manches Gemeinsame in Schicksal und Wirken aufweist, da beide lernend und lehrend die Welt durchzogen, beide als Verteidiger vor Gericht oder als Lehrer der Rhetorik wirkten, beide mehr oder minder sich mit Philosophie befaßten und beide ihren Hauptruhm dem glücklichen Umstand verdanken, ein geeignetes älteres Vorbild gefunden zu haben. Apuleius ist in der römischen Kolonie Madaura in der Provinz Afrika (heute Mdauruch in Algier) geboren als Sohn eines dortigen hochstehenden Beamten in bester Vermögenslage. Seine erste Ausbildung erhielt er in der Heimat, um dann in Karthago und später in Athen sich in allen damals beliebten Wissenszweigen zu vervollkommnen. Dort ist er auch m die Platonische Philosophie eingeweiht worden,zu der er sich hinfort bekannte,wenn er sich als,,philosophus Platonicus" bezeichnen läßt. Vielleicht hat er in Athen denselben Nigrinus gehört, den Lukian in seiner kurzen philosophischen Periode so überschwenglich gepriesen hat. Die in der Philosophie herrschende mystische Richtung mußte auch sein Interesse für die Mysterien wecken, die dem religiösen Verlangen des Helm 1

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bedrückten Menschen entgegenkamen. E r rühmt sich selber, daß er sich in die meisten Mysterien in Griechenland habe aufnehmen lassen, und in dem Schlußbuch seiner Metamorphosen mit der eingehenden Schilderung des Isiskultes spiegeln sich auf alle Fälle eigene Erlebnisse wider. Weit ausgedehnte lange Reisen, die ihn auch nach Asien führten, verstärkten seine Hinneigung zu den mit Geheimnissen umgebenen Kulten des Ostens. Nach einem Aufenthalt in Rom, wo er als Rhetor, sei es lehrend, sei es als Sachwalter, wirkte, kehrte er nach Afrika in die Heimat zurück. Auf einer Reise von dort nach Alexandria berührte er das Städtchen Oea in Tripolis. Aus einer kurzen Unterbrechung der Fahrt, wie er geplant hatte, wurde ein langes Verweilen, und ein verhängnisvoller Roman nahm seinen Anfang. E r erkrankte, und ein jüngerer Studiengenosse seiner Athener Zeit, Pontianus, lud ihn in das Haus seiner Mutter Aemilia Pudentilla, die nach dem Tode ihres Gatten als Witwe lebte. Vierzehn Jahre hatte sie sich dem Drängen ihres Schwiegervaters widersetzt, der sie mit ihrem Schwager Sioinius Claras vermählen wollte unter der Drohung, anderenfalls ihre Söhne zu enterben. Auch nach dem Tode des Alten hatte sie den zahlreichen Freiern widerstanden. Jetzt aber suchte Pontianus ihre Ehe mit seinem älteren Studienfreund zu vermitteln, zumal ein Vortrag des Apuleius so viel Begeisterung weckte, daß man ihn aufforderte, Bürger in Oea zu werden. Nach einigem Sträuben willigte er ein, die Hochzeit mit der älteren, etwa vierzigjährigen Pudentilla zu feiern, sobald Pontianus selber seine beabsichtigte Vermählung vollzogen hätte. Plötzlich einsetzende Intrigen, durch dessen Schwiegervater Herennius Rufus hervorgerufen, entfremdeten ihm dann vorübergehend seinen jungen Freund, der die erst angeregte Verbindung auf einmal zu verhindern suchte. Allein Apuleius blieb fest, und auf einem Landgut wurde die Ehe geschlossen. Nun begann die Verdächtigung, daß hier magische Künste mitgewirkt hätten, um die Witwe zu gewinnen, und als bald darauf Pontianus nach reumütiger Aussöhnung mit seinem Stiefvater starb, wurde selbst dessen Tod in die Vorwürfe miteinbezogen. Aber wenn auch Herennius der eigentliche Anstifter war, die gerichtliche Verfolgung kam doch erst zustande, als der zweite Sohn der Pudentilla, Pudens, von ihm verleitet, das Haus seiner Mutter verlassen und eine Stütze in seinem Oheim Aemilianus gefunden hatte, der nun im Namen seines Neffen eine Anklage wegen Zauberei gegen Apuleius einreichte. Der Prozeß fand während der Regierung des Antoninus Pius etwa im Jahre 158 unter dem Vorsitz des Proconsuls Claudius Maximus zu Sabrata statt. Die Behauptung unlauterer Motive bei Eingehung der Ehe mit der reichen Witwe konnte der Angeklagte leicht durch sein uneigennütziges Verhalten gegenüber seinen Stiefsöhnen widerlegen. Dagegen darf die selbstbewußte, stark überhebliche und die Gegner spöttisch herabsetzende Art des Redners, welcher alle Register der Sophistik aufzieht, sich geistreich und witzig bei Nebensächlichem aufhält, ohne den Kernpunkt der Anklage wirklich zu berühren, und die Lektüre der Apologie dadurch zu einer so amüsanten macht, nicht darüber hinwegtäuschen, daß die übrige Beschuldigung nach der Auffassung jener Zeiten vielleicht doch nicht ganz unberechtigt war. Daß ihm die Beschäftigung mit dem, was als Magie galt, nicht fremd war, ergibt sich aus den einzelnen Punkten der Anklage sowie aus der Kenntnis, die er bei seiner Verteidigung verrät, und ent-

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spricht auch seinem ganzen Streben, transzendenten Einflüssen nachzuspüren. Die Gefahr für ihn war also nicht gering, da Zauberei in Rom mit dem Tode bestraft wurde. Wenn in der Rede vor Gericht auch nicht die geringste Spur von Besorgnis zu beobachten ist, so liegt natürlich die Möglichkeit vor, daß sie ihre jetzige Form erst nach der Freisprechung erhalten hat. Darf man einer späten Nachricht glauben, so ist Pudentilla hinfort dem Schriftsteller und Redner eine treue Helferin geworden. Der Aufenthalt in Oea aber war ihm vielleicht durch dieses Erlebnis verleidet. Wir finden ihn später in Karthago, wo er Priester des Äskulap war und wo man ihn zum sacerdos provinciae machte. Dort hielt er vor dem Proconsul Severianus etwa 162 einen Vortrag. In die gleiche Zeit der Kaiser Marcus und Verus weist eine andere Rede, die sich an den Proconsul Scipio Orfitus richtet. Derartige Erzeugnisse sophistischer Rhetorik, die begeisterten Beifall fanden, füllten sein Leben aus und trugen ihm Ehrendekrete und Statuen ein. Daneben aber entwickelte er eine äußerst fruchtbare Schriftstellerei, getrieben von dem Ehrgeiz, auf den verschiedensten Gebieten, in Vers und in Prosa, zu glänzen. E r schrieb und sprach über alles und jedes. Mit falscher Bescheidenheit hat er selber in einer seiner Reden öffentlich darüber berichtet und sich gebrüstet, daß er dem Ideal der Sophisten mit Erfolg nachgestrebt habe. Poesie jeder Art in ernstem und heiterem Stil, Satiren, Rätsel, Geschichtsdarstellungen, philosophische Dialoge, Reden, und zwar ebensowohl in griechischer wie in lateinischer Sprache zählt er als seine ausgeführten oder beabsichtigten Werke auf, wie er auch betont, daß er allen neun Musen diene, nicht nur einer einzelnen. Für den Wechsel zwischen lateinischer und griechischer Sprache haben wir noch einen Beleg in der Rede über das Daimonion des Sokrates, in welcher er angibt, nun weiter lateinisch zu reden, nachdem er bisher dem Wunsch eines Teils seiner Hörer und seinem Versprechen gemäß griechisch gesprochen hatte. Ebenso hören wir von einem Hymnus auf Äskulap in beiden Sprachen, der in einen gleichfalls zweisprachig abgefaßten Dialog eingelegt war. Selbst seine wissenschaftlichen Arbeiten waren so aufs Lateinische und Griechische verteilt. Nicht alles war dabei lediglich aus Büchern erlesen, sondern er experimentierte und untersuchte selber. Erhalten sind von den Poesien nur die Proben spielerischer und erotischer Art, welche in die Apologie aufgenommen sind, die letzten bezeichnenderweise der päderastischen Literatur angehörig. Zahlreicher waren jedenfalls die prosaischen Werke, von denen die meisten verlorengegangen sind, darunter ein zweiter Roman, Hermagoras betitelt, naturwissenschaftliche Forschungen, Historisches, Schriften über Arithmetik und Musik, Übersetzungen u. a. Die Unbilden der Zeit überstanden haben aber außer den Metamorphosen nur die Verteidigungsrede in dem Prozeß wegen Magie sowie Bruchstücke epideiktischer Vorträge, sodann einiges von der philosophischen Schriftstellerei. Die Apologie, die einzige uns überlieferte Gerichtsrede der Kaiserzeit, ist als Hauptquelle für das Leben des Apuleius von Bedeutung, nicht minder aber als Beispiel einer sophistischen Rede, die mit den mannigfachsten Kenntnissen prunkt, Geschichten aller Art anbringt und Witz und Spott als stets bereite, fein geschliffene Waffen gegen die Gegner zur Verfügung hat. Von den sonstigen Erzeugnissen seiner Beredsamkeit sind unter dem Titel „Florida" bald kürzere, bald längere Stilblüten erhalten, die offenbar hervor1•

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ragend erschienen, teils besonders schön ausgeführte Bilder, teils Erzählungen aller Art, auch Bemerkenswertes aus Geographie und Naturkunde, in einem barocken, durch Künsteleien und Wortgeklingel übermäßig gezierten Stil, wie ihn die Metamorphosen und die Apologie nicht in dem gleichen Maße zeigen, die ersten wegen des anders gearteten Stoffes, die zweite wegen des trotz allem nachwirkenden Einflusses Ciceros. Sie sind trotz ihres fragmentarischen Charakters bezeichnend für den Sophisten, der auf allen Gebieten menschlichen Wissens zu Hause sein will und mit seinen Kenntnissen vor dem Publikum sich brüstet. Die philosophischen Arbeiten des Platonikers Apuleius sind für uns jetzt durch eine nicht sehr tief durchdachte Zusammenfassung platonischer Anschauungen, wie sie sich in dem Piatonismus des zweiten Jahrhunderts darstellten, der Rede über das Daimonion des Sokrates und einer nicht ganz tadellosen Bearbeitung bzw. Übersetzung der fälschlich unter Aristoteles' Namen gehenden Schrift Über das Weltall' vertreten. Ein philosophischer Geist war der Verfasser dieser Bücher nicht. Bei seiner Neigung zur Mystik zog ihn der Dämonenglaube besonders an, wie er sich seit Xenokrates in der Platonischen Schule entwickelt hatte. Ihn sucht er zu verbreiten. So hat er in der Vorstellung der nächsten Jahrhunderte als Magier und Zauberer fortgelebt. Als Kind einer stark dekadenten, innerlich zerrissenen Zeit huldigt er all ihren Fehlern. E r spreizt sich als Philosoph, ohne es wirklich zu sein. E r treibt Wissenschaft auf allen Gebieten; allein, wenn er auch bei seinen Zeitgenossen etwas galt, wir haben keinen Grund, ihm tiefere Entdeckungen zuzutrauen. Er prunkt mit seiner Beredsamkeit, ohne seinen Reden wirklichen Gehalt zu geben. Ein hervorragend gewandter Sprachkünstler und Beherrscher des Worts, ist er doch nur ein Verehrer des äußeren Scheins, der in der Manieriertheit die Kunst sieht. Ihm schafft es Ansehen, daß zwei seiner Werke jetzt vereinzelt in der römischen Literatur dastehen, da Petrons Roman ja nur verstümmelt vorliegt; und seine Verbindung mit der Magie hat ihm das Fortleben gesichert. Aber es ist eine Verkennung dieser eitlen Persönlichkeit, wenn man ihn wegen seiner phantastischen Schwärmerei gleichsam zu einem Propheten und Künder einer Heilswahrheit machen will. So interessant seine Apologie ist und so reizvoll als Kulturbild seine Metamorphosen für uns auch sind, wahre Originalität mangelt doch trotz der zutage tretenden Neigung zum Humor, und wie Lukian in Menipp den Führer für seine besten Schöpfungen fand und ihm im Grunde seinen Nachruhm verdankt, so hatte er das Glück, für seinen Roman in den Erzählungen des Lukios von Patrai passendes Material zu erhalten, und wie jener, dem Ideal seines Jahrhunderts entsprechend, stets Rhetor und Sophist geblieben ist, so hat man in Apuleius vor allem einen Vertreter der zweiten Sophistik zu sehen, der mit seiner Vorliebe für unnatürliche, bis ins Geschmacklose gesteigerte Ausdrucksweise all ihre Schwächen teilt. Die Metamorphosen des Apuleius mit der bezeichnenden Einleitung „lector intende: laetaberis" bringen eine Anzahl von Abenteuern und unterhaltenden Geschichten, zusammengehalten dadurch, daß der Held des Romans sie erlebt oder auf seiner Wanderung erfährt. Die Wanderung selber unternimmt er in Gestalt eines Esels, in den er verwandelt wird, ein Motiv, das auch sonst in der Weltliteratur vorkommt. In den Grimmschen Märchen zeigt das vom Krautesel (122)

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einen ähnlichen Stoff; anderes hat Weinhold in seinem Aufsatz über das Märchen vom Eselmenschen gesammelt. Möglich ist, daß bei der ursprünglichen Verwendung des Motivs eine Parodie Pythagoreischer Seelenwanderungslehre beabsichtigt war, wie sie Lukian so drastisch im „Hahn" vorgenommen hat; denn daß der Held gerade die Gestalt eines so niedrigen Tieres erhält und daß gerade dessen hervortretende Eigenschaft, die, wie Ed. Schwartz sagt, für den Griechen Meister Langohr zum komischen Tier par excellence machte, schließlich die Entwicklung herbeiführt, die ihn aus seiner struppigen Hülle befreit, kann von beabsichtigter Verspottung zeugen. Bei Lukian wird in der Unterweltswanderung der Beschluß gefaßt, die Reichen dadurch zu bestrafen, daß sie Myriaden von Jahren immer wieder als Esel leben müssen, wie andererseits der Esel für ihn auch der Vertreter besonderer Geilheit ist. Auch Piaton läßt schon die Seelen aller den sinnlichen Genüssen Hingegebenen in Eselsgestalt wandeln. Immerhin, wenn schon das Märchenmotiv der Verwandlung in ein Tier benutzt werden sollte, so ergab sich der Gedanke an den Esel als naheliegend; denn, um es die verschiedenen Abel teuer wandernd erleben zu lassen und die verschiedenen Situationen menschlichen Daseins damit in Verbindung zu bringen, mußte es ein Tier sein, das mit dem Menschen in engster Berührung und Hausgemeinschaft lebte. Aber was auch immer ursprünglich bei der Schaffung der Erzählung mitgewirkt haben mag, Apuleius lagen diese Erwägungen völlig fern. Denn die Metamorphosen stellen ja kein Originalwerk dar, sondern sind die Bearbeitung eines griechischen Werkes, das sich seinerseits in die Entwicklung griechischer Erzählerliteratur einreiht und mit seiner lebendigen Schilderung von Menschen und Dingen als einziges erkennbares Überbleibsel dieser realistischen Gattung — falls man nicht auch für Petron schon eine griechische Vorlage anzunehmen hat — in einem beachtlichen Gegensatz steht zu den uns sonst erhaltenen sophistischen Liebesromanen. Der Patriarch Photius (Mitte des 9. Jahrhunderts) berichtet uns nämlich von einem Werke des Lukios von Patrai, dessen erste beiden Bücher mit der unter Lukians Namen gehenden, der Sprache nach aber ihm nicht gehörenden Erzählung Aovxioq ¡1 ovo; übereinstimmten. Das Werk, das den Titel, .Metamorphosen" trug, ist verloren. Die pseudolukianische Schrift besitzen wir und können durch Vergleich mit Apuleius und Untersuchung der Darstellung selber feststellen, was dem Patriarchen nicht ganz sicher war, daß der Aovxiog ein Auszug aus einer etwas umfassenderen Erzählung ist, die auch dem Afrikaner vorgelegen hat. Die beiden erhaltenen Schriften gehen also auf die gleiche Quelle zurück. Aus dieser ist offenbar auch der Titel Metamorphosen genommen; der von Augustin gegebene „Der Goldene Esel" kann unmöglich von dem Verfasser stammen, sondern ist das Erzeugnis eines Lesers, der sich an der Geschichte begeistert und seinem Entzücken durch das Adjektivum Ausdruck verliehen hat. Die griechische Vorlage in ihrer Gesamtheit hat man sich als eine Sammlung von amüsanten Novellen zu denken, vielleicht durch einen Rahmen zusammengehalten in der Art von „Tausendundeine Nacht", Boccaccios „Decamerone" und Chaucers „Canterbury Tales", wenn man annehmen will, daß dies schon im ersten Buch des Apuleius sich findende Kunstmittel dem Original seine Entstehung verdankt. An der Hand dieses Originals hat der lateinische Schriftsteller seine eigene Darstellung gestaltet. Er hat aber zahlreiche mehr oder minder ausgeführte Novellen

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eingefügt und damit unsere Kenntnis der leichten Erzählungsliteratur auf lateinischem Gebiet mit diesen Parallelen zuPetrons beiden Novellen vom „Werwolf" und von der „Matrone von Ephesus" wesentlich bereichert. Sie reihen sich den Herodotischen Novellen würdig an, mit deren einer die eine Räubergeschichte deutliche Berührimg zeigt. Apuleius hat aber auch da aus griechischer Quelle entlehnt, wie er auch die Herkunft des Ganzen nicht verheimlicht. E r spricht zu Beginn von einer „Fabula Graecanica" und stellt Milesische Geschichten in Aussicht. Die Bezeichnung stammt von dem Werk des Aristides von Milet, der seine Sammlung höchstpikanter, schlüpfriger Erzählungen mit dem Titel Milesiaca versehen hatte und im ersten vorchristlichen Jahrhundert auch in Rom durch die Übertragung des Cornelius Sisenna populär geworden war. Als Punische, d. h. aus Afrika stammende Milesiae werden des Apuleius Bücher bezeichnet, als Septimius Severus dem Clodius Albinus zum Vorwurf machte, er habe nur derartige kurzweilige Lektüre getrieben. Auch bei Aristides fand sich nach dem Zeugnis Ovids eine Aneinanderreihung verschiedener Geschichten zu einem Ganzen, sowie Apuleius in dem Prolog hervorhebt, daß er mannigfache Erzählungen miteinander verknüpfen will. Daß durch solche Einschübe, wie er sie vorgenommen hat, auch Änderungen gegenüber der Darstellung des Originals erforderlich wurden, ist selbstverständlich; besonders deutlich ist das bei der Einfügung der Psycheerzählung, die statt des einmaligen einen doppelten Auszug der Räuber zur Folge hatte. Geändert sind dem griechischen Vorbild gegenüber auch die Namen, die ebenso wie bei Petron und in der Komödie meist redende sind, selbst derjenige der Palästra, der mindestens ebenso eindeutig war wie des Apuleius Photis, um den nächtlichen Nebenberuf der Magd zu kennzeichnen. Manchmal ist auf die Bedeutung des Namens noch besonders hingewiesen und eine Begründung für ihn hinzugefügt. So benennt sich der Bräutigam der Charite mit dem Räubernamen Haemus (VII 5), weil er von Menschenblut, wie er behauptet, genährt ist, und bei seinem Nebenbuhler Thrasyllus wird ausdrücklich die Übereinstimmung von Charakter und Namen hervorgehoben (VIII 8). Mehrfach ist römisches Kolorit hineingetragen. Der wesentlichste Unterschied ist aber der völlig geänderte Schluß im I i . Buche. In dem Original ging er folgerichtig und in dem gleichen Geiste vor sich. Der Esel, der zur Vorstellung im Amphitheater dienen soll, raubt einem vorübergehenden Diener aus dem Korbe Rosen, wird entzaubert und kehrt zu der Dame zurück, die ihn vorher so lieb gewonnen hatte, in der Meinung, daß sie ihn nun als Menschen erst recht schätzen werde. Aber darin sieht er sich schwer getäuscht; da er jetzt in allem nur menschliche Formen hat, ist sie in ihren sodomitischen Gelüsten empört über seine Dreistigkeit, zu ihr zu kommen, und läßt ihn durch ihre Diener kurzerhand vor die Tür weifen. Diese Burleske, die dem Ton des ganzen Werkes entspricht und ihm eine Krönung gibt, hat Apuleius umgewandelt, gleich als ob er des frivolen Tones plötzlich satt geworden wäre, und hat an das Ende eine stimmungsmäßig durch die vorhergegangenen Bücher in nichts vorbereitete hochfeierliche Darstellung des Isiskultes gesetzt und damit seinem Sittenroman einen unerwarteten und grell abstechenden Abschluß gegeben. Denn ein Sittenroman ist es, der sich unter dem Motto: „Lector, laetaberis" aus Abenteuern aufbaut und so eine bunte Reihe von Situationen ohne zwangsläufigen Zusammenhang ermöglichte. Lebendige Bilder mit den verschiedensten

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Typen rollen sich vor unseren Augen ab und bieten uns mit ihrem oft köstlichen, oft erschreckenden Realismus Einblick in die verschiedensten Verhältnisse des menschlichen Lebens. Wir sehen den Helden des Romans selber in Geschäften nach Thessalien reisen, einen anderen mit Honig und Käse Handel treiben und umherziehen, um billig Waren aufzukaufen, wobei ihm ein Großhändler den Rang abläuft, sehen das Treiben auf dem Fischmarkt und das Wirken der Marktpolizei, erleben an anderer Stelle den Verkauf des Esels und die anrüchigen Anreißerwitze des Verkäufers mit; wir sehen auch das unselige Dasein von Mensch und Tier in dem entsetzlichen Sklavendienst der Mühle. Der Gutsbetrieb mit großem Gestüt und Pferdezucht, das kümmerliche Leben eines kleinen Kätners wird uns gezeigt. Wir kommen in eine jämmerliche Kneipe mit dürftiger Unterkunft, wohnen einer pikanten Küchenszene bei, ziehen mit auf die Jagd, hören nicht nur das Gespräch in kleinem Kreise im Hause des Gastfreundes, der den Reisenden aufnimmt, sondern teilen auch die vornehme Unterhaltimg, wie sie sich bei zufälligem Zusammentreffen auf der Straße in der Wiedererkennungsszene des Lucius mit seiner Verwandten entwickelt oder wie sie dann in ihrem prachtvoll eingerichteten Heim stattfindet, das wir ebenso Gelegenheit haben zu bewundern wie die fürstliche Ausstattung des Tisches bei dem von ihr veranstalteten Festmahl. Wir erfahren, daß beim Handel falsches Geld im Umlauf ist und man sich dagegen schützen muß. Volksbelustigungen durch Spiele, selbst in kleinen Städten, Vorstellungen im Amphitheater, Gaukler und Degenschlucker werden erwähnt. Chaldäer mit ihren trügerischen Prophezeiungen ziehen durch Stadt und Dorf, Räuber üben ihr Unwesen auf den Landstraßen aus und brandschatzen Gehöfte lind kleine Orte. Man erfährt, wie die vornehme Jugend des Nachts in mehr als übermütigem Treiben die späten Wanderer belästigt und angreift — ganz entsprechend der Schilderung Juvenals vom Treiben in Rom —. Bettelpriester der syrischen Göttin treten auf, jeder Unzucht ergeben, in orgiastischer Selbstzerf leischung sich berauschend, die nötigen Lebensmittel von der Mildtätigkeit der Gläubigen erbettelnd oder auch mit Hilfe sinnloser Weissagungen von der törichten Menge sich verschaffend, dem Diebstahl nicht abgeneigt, wo es sich fügt, und doch von ihren abergläubischen Verehrern hoch geschätzt. Der Aberglaube spielt überhaupt eine besondere Rolle; nicht nur Chaldäer und orientalische Priester finden Gehör. Wahrsagungen aus der Lampe werden beachtet, Träume werden erzählt und ihre Bedeutung erörtert. Besonders aber die Vorstellung nicht allein von Wundern, welche ein Unheil vorherkünden, sondern von Hexen und Zauberei durchdringt das ganze Werk. Menschen werden in Frösche, Widder, Vögel und Esel verwandelt. Lebenden wird das Herz aus der Brust geholt. Tote werden durch Beschwörung zu vorübergehendem Leben erweckt. Schläuche können Menschengestalt annehmen. Gespenster treiben den Bedrängten zum Tode. Drachen locken als Menschen, um den Verführten zu verschlingen, und der Liebeszauber gilt als etwas, dem man nur schwer und zu seinem eigenen Unheil widersteht. Dazu kommt dann im Schlußbuch als edlere Form der Hingabe an das Übersinnliche der Isiskult mit seiner Feier, seinen Mysterien, seinen Verpflichtungen und seinen Verheißungen. Daß die Erotik in mannigfachster Form in einem Sittenroman nicht fehlen kann, versteht sich von selbst. Wir treffen sie in der edelsten Art, der bräutlichen und der Gatten-

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liebe, in der ehebrecherischen Leidenschaft lüsterner Frauen, die sich die A b wesenheit des Ehemannes zunutze machen, die mit Zaubermitteln den Galan herbeizuziehen suchen und selbst vor dem Fehltritt innerhalb der Familie nicht zurückscheuen, in den lockeren Abenteuern der Magd bis zu der perversen Art, die als Strafvollzug bei dem ertappten Buhlen von dem beleidigten Ehemann ausgeübt wird, und der Sodomie, welche die Abenteuer des Esels abschließt. Der Fülle der Situationen entspricht die Menge der menschlichen Typen, die in diesen naturgetreuen Gemälden handelnd auftreten. An der Spitze steht der Held, der zwar als vornehmen Aussehens, von hoher Bildung und jugendlicher Schüchternheit geschildert wird (I 2 3 ; I I 2), im Grunde aber von einer sträflichen Leichtfertigkeit ist und mit einer starken Sinnlichkeit und Lüsternheit — nicht eine Wißbegier, die dem Wesen aller Dinge nachzuspüren sucht, wie man es hat deuten wollen, sondern eine ganz gewöhnliche, geradezu eselhafte Neugier verbindet. Die Hervorhebung dieser Eigenschaft zieht sich deshalb durch dasganze Werk. Nach jeder Neuigkeit dürstet er (I 2, 4); und wenn er auf der Wanderung auch zu den Gefährten sagt: „Ich bin zwar nicht neugierig, aber ich möchte doch gern alles wissen", so ist das nur eine Verbrämung, und an anderen Stellen schreibt er sich ausdrücklich eine angeborene Neugier zu (III 14, 1 ; I X 12, 2 ; 1 3 , 4), die selbst den Hunger zurücktreten läßt (IX 12, 2), die ihn veranlaßt, fremden Fehltritten aufzulauern (IX 1 5 , 2), die ihm so viel Spaß macht, daß er darüber sein eigenes Leid vergißt (IX 1 3 , 3). Noch unmittelbar bevor er der größten Gefahr ausgesetzt ist, mitsamt dem verurteilten Weibe im Amphitheater von den Bestien zerrissen zu werden, bereitet seine Neugier ihm das Vergnügen, die Pantomime des Parisurteils durch das geöffnete Tor mit anzuschauen (X 29, 3). Einen schlimmen Streich aber spielt sie ihm, als sie ihn treibt, aus der Dachluke den Kopf herauszustrecken, um nach dem Grund des Getümmels auf der Straße zu forschen, und er auf diese Weise das Versteck seines geflüchteten Herrn verrät. Mit Recht betont er da nicht nur seine Eselhaftigkeit, sondern auch seine Frechheit, wenn er sagt (IX 42, 2): ,,Ich, ein übrigens neugieriger Esel von aufdringlicher Dreistigkeit." Dabei ist von einer Entwicklung des Charakters oder einer Besserung ebensowenig die Rede wie in der Psycheerzählung bei der Heldin, die zum Schluß wieder ihrer Neugier zum Opfer fällt. Um so erstaunlicher ist der Widerspruch, wenn im 1 1 . Buch (16, 2) die Menge den Entzauberten preist, weil er offenbar durch die Unschuld seines früheren Lebens und seine redliche Gesinnung sich den Schutz des Himmels erworben habe. Neben der Hauptperson treten die apderen natürlich in einem Abenteuerroman wesentlich zurück und erscheinen nur vorübergehend. So der geizige Gastfreund Milo, der Geld zu Wucherzinsen ausleiht, aber nur gegen kostbare Pfänder, der aufgeblasene Leiter der Marktpolizei, der in höchst seltsamer Weise Händler bestraft, welche den Fremden übervorteilen, der betrügerische Chaldäer Diophanes, der in einem unüberlegten Augenblick sich vergißt und so seine eigenen Prophezeiungen Lügen straft. Eine Parallele zu dem Helden selber bildet der leichtfertige Thelyphron, der ähnlich wie dieser auf sein Vergnügen bedacht ist und dabei den Hexen in die Hände gerät wie der unglückliche Sokrates in der Expositionsszene im ersten Buch. Besonders plastisch tritt die Schar der Räuber heraus, tapfer und verschlagen, gierig im Essen und dem Trunk ergeben, der gefangenen Jungfrau gegenüber rücksichtsvoll, solange sie nur an das Lösegeld denken, aber grausam

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bis aufs äußerste, als ihr Groll durch den Fluchtversuch erregt ist. Auch ihr Treiben, so sehr auch die Romantik ihren Schimmer über die Erzählung ausbreitet, ist bis zu einem gewissen Grade der Wirklichkeit nachgezeichnet. Lebendig wird durch die Darstellung auch der Bräutigam des geraubten Mädchens, der sich, um seine Braut zu befreien, mutig in die Höhle der Banditen wagt und schließlich als Opfer seiner edlen Vertrauensseligkeit durch Meuchelmord von der Hand des falschen Freundes fällt. Dieser, sein Gegenspieler, der vornehme, aber durch und durch verderbte Thrasyllus, der, wie Hagen den Siegfried, den Jagdgefährten hinterlistig tötet und dafür selber ein schlimmes Ende findet, wird vom Schriftsteller sogar einer besonderen Charakteristik gewürdigt, um seine Bedeutung zu heben. Unter den zahlreichen Quälgeistern des armen Esels zeichnet sich der bösartige Junge aus, der ein sadistisches Vergnügen daran hat, immer neue Foltern für ihn zu ersinnen und das ihm anvertraute Tier durch Erschwerung der Last, durch Schläge, ja sogar durch Feuer zu peinigen. Der unzuverlässige Sklave begegnet uns in dem zur Bewachung seiner Herrin Bestellten, der nach anfänglichem Sträuben doch der Verlockung des Goldes erliegt, wie in dem andern, der seiner Herrin bei dem beabsichtigten Giftmord an ihrem Stiefsohn Beihilfe leistet. Das Opfer des Anschlags, das ja dann gerettet wird, vertritt die Reihe der edlen Jünglinge, da er allen unsittlichen Werbungen gegenüber standhält. Der gewissenlose Arzt, der an einem solchen ruchlosen Pran beteiligt ist und dabei selber zugrunde geht, findet sein Gegenstück in dem gewissenhaften, der alles tut, um den Mord zu hintertreiben und die verbrecherische Absicht aufzudecken. Solche Gegensätze bilden auch der unzüchtige Priester der syrischen Göttin mit dem bezeichnenden Namen Philebus (Jugendfreund), der rechte Führer der ganzen geilen Gesellschaft, die ihn umgibt, und auf der anderen Seite der ehrwürdige Oberpriester der Isis, der die Einweihung des Lucius vollzieht. Zu dem armen Kätner, der den geringen Ertrag seines Gartens in die Stadt bringt, um so ein kümmerliches Leben zu fristen, gesellt sich der reiche Gutsherr, der sich dem weniger Bemittelten wohlwollend und mildtätig zeigt, und diesem steht wieder der brutale Großgrundbesitzer gegenüber, der auf Kosten seines Nachbarn sein eigenes Besitztum gewaltsam zu vergrößern bemüht ist. Zweimal begegnen uns die vornehmen Herren, die der Sucht des Volkes nach blutigen Spielen entgegenkommen und deshalb wilde Tiere aufkaufen, um sie zur Befriedigung des rohen Verlangens im Amphitheater auftreten zu lassen. Bäcker, Walker, Zuckerbäcker und Koch ziehen an uns vorüber. Die Soldateska erhält ihren Vertreter in einem gegen den armen Landmann roh und unverschämt vorgehenden Centurio, der doch handfesten bäuerlichen Schlägen gegenüber den kürzeren zieht. Unter dem weiblichen Personal des Romans spielen nur die leichtfertige, zur Liebelei sofort bereite Magd Photis, deren sinnliche Reize anschaulich gemalt werden, und die unglückliche, aber noch rechtzeitig aus den Händen der Räuber befreite Braut eine besondere Rolle. Mit der ersten erleben wir recht deutlich ausgeführte Liebesstunden, mit der anderen teilen wir den Kummer und die Sehnsucht, mit der sie an ihr Haus und den Geliebten denkt, und freuen uns, daß sie auch dem Esel, der sie aus der Höhle hat entführen wollen und der sie ja schließlich auch heimträgt, den Dank dafür abstatten möchte; in dem weiteren Verlauf der Handlung, bei der Ermordung ihres Gatten und der frivolen Wer-

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bung des Mörders wächst sie dann zu tragischer Größe empor. Die ehrwürdigen Matronen erscheinen nur in der Gestalt der Verwandten des Lucius, Byrrhena, die in großem Stile lebt, ein sehr vornehmes Haus mit prachtvollem, künstlerisch ausgeschmücktem Atrium besitzt und große Gesellschaften gibt, sowie in der Plotina, die ihrem Manne getreulich in die Verbannung folgt, in der Gefahr Geistesgegenwart beweist und durch ihre Bitten beim Kaiser die Begnadigung ihres Gatten erreicht, eine Gestalt, die offenbar in bewußtem Gegensatz als Lichtgestalt geschaffen ist. Denn im übrigen schneiden die Frauen in dem Sittenroman begreiflicherweise sehr schlecht ab. Wenn man auch absieht von den Hexen, die sich an Lebenden und Toten vergreifen, von der in allen Zauberkünsten erfahrenen Frau des Gastfreundes, Pamphile, der, wie ihr Name andeutet, ein jeder Jüngling recht ist, um ihn in ihren Liebesbann zu zwingen, oder von der verrückten, trunksüchtigen Alten, welche den Räubern in ihrer Behausung als Magd dient, so zeichnen sich eigentlich sämtliche Frauen durch Treulosigkeit, Eifersucht, Bosheit und ein Übermaß von Sinnlichkeit aus. Höchstens könnte man noch ein Beispiel ehelichen Zusammenhaltes erkennen, wenn die Frau des Kochs, dem ein Hund die zum Mahle bestimmte Hirschkeule entführt hat, ihrem Mann, um ihn am beabsichtigten Selbstmord zu hindern, den guten Rat gibt, einfach den Esel zu schlachten und so den Verlust zu ersetzen; und der V> rfasser lobt diese Treue, obwohl sie auf Kosten der Ehrlichkeit geht. Aber sonst, ob es die Frau des Arbeiters ist, die, beim Ehebruch ertappt, sich noch vor dem Manne aufspielt und in unglaublicher Frechheit in seiner Gegenwart ihrem Galan Gelegenheit gibt, sein Liebesspiel fortzusetzen, ob die Frau des Müllers oder des Walkers, die, sobald der Mann fern ist, immer bereit sind, einer Liebschaft zu fröhnen, alle gleichen sich in der Unsittlichkeit, und es ist noch wenig, wenn sie nur ihrer Leidenschaft sich hingeben und nicht zu Mörderinnen werden, wie die Matrone in der Thelyphronepisode oder die Stiefmutter in der Novelle mit dem Phädramotiv. Den Gipfel der Schamlosigkeit aber erreicht die Dame in Korinth, die allein in sodomitischer Betätigung ihre Befriedigung findet. Andere führt ihre Eifersucht zum Verbrechen, wie jene Sklavin, die aus Zorn über die Untreue ihres Gefährten das Haus mit dem Verräter anzündet und sich und ihr Kind ertränkt. Am schlimmsten ist das Weib, das im Verein mit dem Esel durch seine Todesqual zur Belustigung der Zuschauer im Amphitheater wirken soll; aus Eifersucht wird es zur Furie, und, einmal in Frevel verstrickt, schreitet es auf der Bahn des Verbrechens fort und reiht Mord an Mord. Demgegenüber ist die Habgier und Bosheit der Verwaltersfrau oder der Rachedurst, welchen die Mutter des von einem Bären zerrissenen Jimgen an dem schuldlosen Esel löscht, oder auch die Freude an der Tierquälerei bei der Müllerin noch etwas Geringes; für die Stimmung jener Zeit ist dabei bezeichnend, daß das vom Schriftsteller als Ausbund von Lasterhaftigkeit charakterisierte Weib, nach seinen Andeutungen zu schließen, als Christin gedacht ist (IX, 14, 3). Sogar in dem Phantasiereich der Psycheerzählung macht sich diese düstere, an Juvenals Schilderung erinnernde Beurteilung der Frauen bemerkbar; Neid und Gehässigkeit erfüllen die Schwestern, sie selbst in ihrer kindlichen Harmlosigkeit verrät eine Torheit, wie sie nur im Märchen vorkommt, ist voll der niedrigsten Rachsucht und erliegt immer wieder ihier unbezwinglichen Neugier. Schließlich macht die absprechende Darstellung auch vor den Göttinnen nicht Halt, uud

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gerade Venus ist nichts weniger als die liebliche, alle erfreuende Spenderin höchsten Glückes. Vollkommen an die römische Satire und Juvenal erinnert es auch, wenn das Treiben der Bettelpriester, die sich in Ekstase versetzen und das Erfülltsein von der Gottheit vorspiegeln, kritisiert wird mit den Worten: „gerade als ob die Anwesenheit der Götter die Menschen schwach und krank machte und nicht viel mehr besser als sonst" (VIII, 27, 4). Dieser bei aller Phantastik der Umrahmung und mancher Einzelheit durchaus lebensnahe Sittenroman ist aber trotz eingestreuter ernster Novellen ebenso wie der Petrons auch ein komischer Roman. „Lector intende: laetaberis" ist als Motto vorangesetzt, und das wird wahrgemacht. Man hat das Ganze als übermütige Eselsposse bezeichnet, und sie verrät sich überall im Gang der Handlung, welche die Abenteuer dieses Pechvogels ausfüllen. Freilich streift die Komik, wie in Shakespeares Kaufmann von Venedig, oftmals hart ans Tragische. Was in dieser Hinsicht nach Ansicht des Verfassers dem Leser als komisch zugemutet werden kann, beweist die Thelyphronepisode, da die Zuhörer sich ausschütten vor Lachen über den törichten Gesellen, der sich so großartig sicher vorkam und dann bei der Totenwacht durch die Hexen Nase und Ohren einbüßt, ebenso auch die Gerichtsszene gegen Lucius selber, die zu Ehren des Lachgottes stattfindet und bei der man sich an der Angst des Angeklagten weidet, wenn er mit allen erdenkbaren Foltern bedroht wird, weil er drei Schläuche tapfer durchbohrt hat. Bei den Abenteuern des Esels läuft es im Grunde immer darauf hinaus, daß der dumme Kerl, der er trotz seiner Bildung ist, von unabänderlichem Unglück verfolgt und geprügelt wird, und das Spaßige ist, daß er sich das selbst durch seine maßlose Neugier eingebrockt hat. Er möchte es einmal probieren, als Vogel sich in die Lüfte zu schwingen und wird statt dessen zum struppigen Grautier. Rosen können ihn aus seiner Hülle wieder befreien, aber sie sind im Augenblick nicht zur Hand, und als er im Stall glaubt ihrer habhaft zu werden, gerbt man ihm das Fell. E r vertröstet sich auf den Morgen, da kommen die Räuber und führen ihn als Lasttier fort. Unterwegs meint er Rosen zu finden, aber es sind Rhododendronblüten, und obendrein erntet er Schläge. Betont wird dabei die Komik der Vorstellung noch durch den immer wachgehaltenen Gedanken an den Gegensatz zwischen dem reichlich törichten und neugierigen Esel und dem ihm innewohnenden Menschen mit menschlichem Denkvermögen und menschlichem Empfinden. Der Erzähler treibt mit dieser Eselsgestalt, in der er gesteckt haben will, beständig selbst seinen Spott. Auch ein Esel, heißt es, konnte aus der Art der Begrüßung der Räuber durch die Dorfbewohner wahrnehmen, daß sie miteinander bekannt waren (IV 1 , 1). Wenn er den blumenbedeckten Hain mustert, so beruft er sich darauf, daß er doch nicht so völlig zum Tier geworden war, um sich nicht Venus und die Grazien dort weilend zu denken (IV 2, 2). Die Schilderung der Räuberhöhle, die zu einer Probe rhetorischer Darstellungsfähigkeit wird, leitet er ein mit der Aufforderung festzustellen, ob er auch nach Verstand und Empfinden ein Esel gewesen sei (IV 6,1). Eselhafte Scheu ist es, die ihn veranlaßt, endlich mit dem Fressen aufzuhören (IV 23, 1). Andererseits ist er nicht so völlig Esel, daß er die Leckerbissen bei dem Zuckerbäcker verschmäht hätte (X 13, 5). Wenn er einen Augenblick Bedenken hegt, wer ihn wohl aufnehmen wird, falls er den Räubern ausreißt, so nennt er das selber eine ganz eselhafte Erwägung (VI 26, 6). Die geraubte

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Jungfrau ist so schön und vornahm, daß sie selbst einem solchen Esel, wie er ist, begehrenswert erscheint (IV 23, 2). Ihr hemmungsloses, verzweifeltes Schluchzen entlockt auch ihm Tränen (IV 24, 2), und im Gedanken an die entsetzliche Bestrafung, die ihm für seine Flucht droht, bleibt ihm nichts anderes, als sich auszuweinen (VI 32, 3). Als er die Erzählung von Amor und Psyche mit anhört, bedauert er, nicht Schreibtafel und Griffel zu haben, um eine so nette Geschichte aufzuschreiben (VI 25, 1). Da der Erzähler sie ja trotzdem bringt, liegt eine bewußte Illusionsstörung zum Zweck der komischen Wirkimg vor. Daß die geraubte Jungfrau sich erheitert, als der angebliche Räuberhauptmann, in Wahrheit ihr Verlobter, der Bande vorschlägt, statt sie zu töten, sie lieber einem Kuppler zu verkaufen, ruft einen Tadel für das ganze Weibergeschlecht hervor, und philosophierend fügt er hinzu: „So hing damals die Anschauung über alle Frauen und ihren Charakter von dem Urteil eines Esels ab" (VII 2, 10); endlich erkennt er aus den Worten des Jünglings, die einem klugen Esel nicht dunkel bleiben konnten, den wahren Sachverhalt (VII 12, 1), nachdem er vorher noch sein lebhaftes Mißfallen über das zärtliche Benehmen der beiden ausführlich geäußert hat (VII 1 1 , 4). So wirkt es auch komisch, daß der Esel an den Anblick des Pantomimus von dem Urteil des Paris eine Betrachtung über die Bestechlichkeit der Richter im allgemeinen knüpft und sich dann selber zur Ordnung ruft: „Aber wer wird sich einen philosophierenden Esel gefallen lassen?" (X 33, 5). Das ist die gleiche Art von Betrachtung, wie sie die Räuber anstellen, als sie die geraubten Schätze in den Grabmälern verstecken und dabei erwägen, daß auf die Lebenden doch gar kein Verlaß mehr ist, sondern Treue und Zuverlässigkeit nur noch bei den Toten vorkommt (IV 2 1 , 4), oder wie sie in der Psycheerzählung sich findet, wo die dem Toten mitgegebene Münze mit dem Geiz des Gottes der Unterwelt in Verbindung gebracht wird und sich eine allgemeine Beobachtimg über die Habsucht damit verbindet (VI 299). Ganz ausführlich spielt der Verfasser mit dem Gegensatz zwischen menschlichem Denken und dem Äußern des als töricht geltenden Tieres, als der nach dem Überfall auf Hypata zurückgelassene Späher zurückkommt und nun berichtet, Lucius sei auf Grund eines klaren Indizienbeweises als der Schuldige erkannt worden. Da fällt dem Esel ein, daß man Fortuna mit Recht als blind dargestellt habe, weil sie ihre Gaben ohne Rücksicht auf Würdigkeit verteile (VII 2, 3); und zur Posse wird die Erzählung, wenn er nun seine Unschuld beteuern will und über die Negation nicht hinauskommt, deren Klang ja, freilich mehr im Griechischen, dem Brüllen des Esels etwa entspricht (VII 3, 2), sowie er vordem kurz nach seiner Verwandlung bei dem Anruf des Kaisers, der ihm helfen soll, nichts weiter als das O zustande bringt (III 29, 3). Der gleiche Scherz kehrt noch ein drittes Mal wieder, als der Esel seine Empörung über das unsittliche Gebahren der Bettelpriester zum Ausdruck bringen will; auch da gelingt ihm von dem ganzen Entrüstungsruf nur das O. Aber das melodische Schreien hat zur Folge, daß er seine Herren verrät und zur Bestrafung dann weidlich durchgeprügelt wird (VIII 29, 4; 30, 2). Mit Schmunzeln verfolgt der Leser es auch, wenn die Personen des Romans mit dem Gedanken spielen, der Esel könne menschliche Stimme annehmen und als Zeuge auftreten oder ihn spöttisch wie einen Menschen behandeln, ohne, zu ahnen, daß hinter dem Langohr ein Mensch steckt (VII 25, 5 ; 27, 4, auch V I 29, 3 ; V I I I 24, 4; 25, 1).

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Spaßig ist ebenso die verschiedene Beurteilung, welche die Eselsgestalt bei dem Verwandelten selber findet. Als ihm nach der Befreiung der Jungfrau und ihrer Rückkehr zu den Eltern Gerste vorgeschüttet wird in einer Masse, die für ein Kamel aus dem Baktrerland genügt hätte, verwünscht er Photis, daß sie ihn nicht lieber zu einem Hunde gemacht hat, da er dann am Tisch mitgefüttert würde ( V I I 1 4 , 1). An anderer Stelle dagegen freut er sich, daß er als Esel wenigstens mit so langen Ohren versehen ist, um selbst entfernte Gespräche leicht aufnehmen zu können, und tröstet sich so über das Versehen der Magd (IX 15, 5), oder er gratuliert sich, daß er in seiner Verwandlung seine angeborene Neugier hat befriedigen und viele Erfahrungen sammeln können (IX 13, 6). Der groteske Vergleich, der so entsteht zwischen dem Helden der Sage, Odysseus, und dem des Romans, zieht die ganze Erzählung ins Burleske, das noch betont wird, wenn das Homerzitat mit den pompösen Worten eingeleitet wird: „Der göttliche Sänger altehrwürdiger Poesie bei den Griechen." Homeranspielung trifft man auch sonst. Lucius überlegt bei sich, ob er die leichtsinnige Photis, die ihn ins Unglück gestürzt hat, nicht mit Huftritten oder Bissen ins Jenseits befördern soll, aber dann siegt die bessere Einsicht, daß er sich nicht durch ihre Bestrafung selber die Aussicht auf baldige Rettimg raube, auf die er ja noch hoffen kann (III 26, 1 ; vgl. I I I 29, 5). Das ist bewußt nach dem Vorbild des homerischen Odysseus geformt, der in der Höhle des Polyphem sich von den gleichen Erwägungen leiten läßt (Od. IX). Wenn ein Sklave im Hause des reichen Herrn zur Unzeit wach wird und den schlauen Anschlag der Räuber durchkreuzt (IV 19, 1), so geschieht es nur, weil das Geräusch ihn weckt, oder auch durch göttliche Einwirkung, mit deutlicher Erinnerung an einen ähnlichen homerischen Gedanken (Od. I X 339). Der homerischen Ausdrucksweise, mit welcher der Kyklop des Odysseus Mahnung, die Götter zu achten, ablehnt (IX 273): „Du bist ein Tor oder von ferne gekommen", entspricht genau das, was der junge Thelyphron zu hören bekommt, als er über die Sitte der Totenwacht erstaunt ist (II 21, 4). Den Humor empfindet man auch, wenn die Schilderung der Räuberbehausung mit einem Satz eingeleitet wird, wie ihn der Historiker für eine Digression verwendet (IV 6, 1 ; vgl. auch I X 32, 1) oder wenn die Zeitbestimmungen in parodistischer Art mit Wendungen gegeben werden, welche der Poesie abgelauscht sind (II 26, 1 ; I I I 1 , 2; V I I 1, 1 ; 1 1 , 3; I X 22, 5; 28, 2; 32, 3). Das steht auf gleicher Stufe wie die scherzhafte Benutzung juristischer Formeln und Vorstellungen, die nicht nur die Erzählung von Psyche, sondern auch der eigentliche Roman aufweist, z. B. bei dem Streit zwischen •dem Esel und seiner Reiterin am Kreuzweg (VI 29, 5), oder der Gebrauch der militärischen Ausdrücke, die ebenso reichlich über das Ganze verstreut sind, am stärksten freilich wirksam, wo sie in obszönem Sinne sich finden, in der erotischen Szene zwischen Lucius und Photis. Das sind nicht einfache Metaphern, sondern bewußt komisch verwertete Ausdrücke, welche die Vorstellung von dem Gegensatz zwischen der im niedrigen Milieu spielenden Szene und der ernsten oder bedeutsamen Handlung, für die sie geprägt sind, erwecken sollen. Und nicht anders ist es, wenn von dem Atrium der Räuber die Rede ist (IV 6, 4) und die Bauern die Gefangenen in ihr Tullianum schleppen (IX 10, 4). Am stärksten aber verrät sich diese Neigung in der Hereinziehung des Mythologischen.

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Es ist schon komisch, daß der Erzähler behauptet, Apollo habe ihm zu Liebe dem Vater der Psyche den Orakelspruch in lateinischer Sprache gegeben. Aber auch die komischen Vergleiche mit mythologischen Persönlichkeiten durchziehen den ganzen Roman, ganz abgesehen von dem Sprichwörtlichen, wie wenn von den Irrfahrten des Odysseus die Rede ist oder jemand scharfsichtiger als Lynkeus und Argus genannt wird (II 14, 1 ; 23, 2). Wenn die Hexe einen Tag Aufschub erhält und so Zeit gewinnt, ihre Rache auszuüben, so wird an Medea erinnert, die ebenso noch Gelegenheit fand, Kreon und sein Haus zu vernichten (I 10, 2). Den ungetreuen, doch nicht mehr sehr jugendlichen Liebhaber bezeichnet sie als Endymion oder Ganymed. Sie will auch nicht wie eine zweite Kalypso von ihrem listigen Odysseus verlassen werden, um ihm nachzutrauern (I 12, 3). Der geprügelte Totenwächter, der durch ein ungeschicktes Wort von böser Vorbedeutung den Zorn des Gesindes herausfordert und dafür nahezu zerrissen wird, gemahnt den Erzähler an Pentheus und Orpheus, die dieses Schicksal erfuhren (II 26, 5). Das Gelage der Räuber ähnelt dem Tumult der Lapithen und Kentauren bei der Hochzeitsfeier des Peirithoos (IV 8, 3). Der Zank zwischen zwei Sklaven wird dem haßerfüllten Streit der feindlichen Brüder Eteokles und Polyneikes verglichen (X 14, 7). Aber auch der Held des Romans selber fordert immer wieder Beziehungen zu den alten Sagen heraus. Die Parallele mit den Abenteuern des Odysseus, der vieler Menschen Städte sah und viel auf seinen Fahrten erfuhr, wird witzig angedeutet, wenn der Esel sich ebenfalls, wenn auch nicht klug, so doch als vielwissend erscheint (IX 13, 6). Wenn beim Zuckerbäcker die Leckerbissen heimlich verschwinden, weil sie der Esel verschlingt, so gibt das Anlaß, der Harpyien und des Mahles des Phineus zu gedenken (X 15, 2). Auch Iphigenie wird in spaßiger Weise herangezogen, wenn das von dem Oberpriester auf dem Markt erstandene Grautier bei den Bettelpriestern erscheint — nicht eine Hirschkuh statt der Agamemnonstochter, sondern ein Esel statt des von den Wüstlingen erwarteten jungen Mannes (VIII 26, 3). Der Kampf des Lucius mit den drei Schläuchen, die er für Räuber hält, gleicht dem des Herkules mit dem dreileibigen Geryones (II 32, 4) oder mit dem dreiköpfigen Cerberus (III 19, 1); und wie Ajax sich auf die Herde in seinem Wahnsinn, so hat er sich noch weit tapferer in seinem tollen Mut auf die drei aufgeblasenen Ziegenschläuche gestürzt (III 18, 3). Die Szene des davoneilenden Esels, der die ihn festhaltende Alte mit sich fortschleift, erinnert den Erzähler an die bekannte Gruppe der Dirke, die an den Stier gefesselt wird (VI 27, 3); und als die Alte, deren Jimgen der Bär gefressen hat, ihre Wut an dem unschuldigen Esel ausläßt und er sich nur durch ein nicht gerade wohlriechendes Mittel ihrer erwehren kann, da kommt er sich vor wie Meleager, dessen Leben von dem Scheit der Althäa abhing wie sein eigenes von dem Feuerbrand, mit dem ihn die Megäre verfolgt (VII 28, 2). Die verliebte Dame aus Korinth vergleicht er der Mutter des Minotaurus. Als er die geraubte Jungfrau aus der Räuberhöhle fortträgt, drängt sich dieser die Ähnlichkeit mit Bildern der Sage auf: Phrixus auf dem Widder, Arion auf dem Delphin und Europa auf dem Stier (VI 29, 2). Besonders tritt die komische Wirkung in der Benutzung der Pegasussage zutage, wenn ein Räuber behauptet, der Esel habe das Flügelroß an Schnelligkeit übertroffen (VI 30, 3), oder wenn er sich selber dem Pegasus gleichstellt und dabei noch die rationalistische Deutung hinzufügt, auch dessen Geschwindigkeit sei ja nur durch die Angst vor der

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Chimära veranlaßt (VIII 16, 3). So nennt er auch den Wanderer, der sich seiner bemächtigt hat und auf ihm reitet, seinen Bellerophon (VII 26, 2). Wie beim Pegasus, so ergeht sich der kluge Esel auch sonst noch in Mythendeutung; denn die bösen Hengste, die seine schönen Hoffnungen auf ein fröhliches Liebesspiel mit den Stuten auf der Weide zunichte machen, lassen ihm die Geschichte von dem Thrakerkönig durchaus glaublich erscheinen, der seinen Pferden die Fremdlinge vorwarf, offenbar, wie vermutet wird, weil es ihm an dem nötigen Vorrat an Gerste gebrach (VII16,5). Diese Verwendung der Mythologie zum Zwecke der Komik teilt der Roman mit Komödie und Satire, und sie erscheint in gleicher Weise bei Petron. Hinzu kommt schließlich zu diesem humoristisch-satirischen Ton die Ironie, welche das Ganze beherrscht. Der Chaldäer, der im übrigen als Betrüger entlarvt wird, hat Lucius geweissagt, er werde eine Berühmtheit werden und den Stoff zu einer Geschichte bieten, und sein Gastfreund Milo wünscht ihm, der Chaldäer möge in diesem Falle einmal die Wahrheit getroffen haben (II 12, 3; 14, 5). Das erfüllt sich dann, freilich in anderem Sinne als der junge Reisende erwartet hatte. Die gleiche Ironie des Schicksals begegnet noch einmal, als er den Wunsch der freundlichen Hausherrin Byrrhena, er möge auch etwas zum Fest des Lachgotts beitragen, seinerseits mit der größten Bereitwilligkeit beantwortet, ohne zu ahnen, wie sehr er auch ohne seine Absicht zur Belustigung der Stadtbewohner mitwirken wird (II 3 1 , 3). Aber auch in manchem kleinen Zug verrät sich die Neigung zum Tragikomischen, wenn z. B. der Esel sich vor Verzweiflung das Leben nehmen möchte, um nicht mit der Mörderin öffentlich auftreten zu müssen, aber mit seinen Hufen sich außerstande fühlt, ein Schwert zu zücken (X 29, 1 ; vgl. V I I 24,' 1), oder wenn der Alte, der drei Söhne verloren hat, sich die Gurgel durchschneidet mit dem Messer, das er eben zum Käseschneiden benutzt hat (IX 38, 7). Schließlich gehört auch die Ironie hierher, mit welcher die Personen charakterisiert werden, wenn die Räuber als gut, die ungetreuen oder boshaften Frauen als trefflich, die dreiste Kupplerin als furchtsam bezeichnet werden (z. B. I I 29, 5; V 9, 1 ; I 7, 6; I X 16, 1). Zum Überfluß hat der Schriftsteller selbst den komischen Gehalt seiner Erzählung betont, wenn er ihr den Soccus, den Schauspielerschuh in der Komödie, zuschreibt (X 2, 3), von dem er sich ausnahmsweise einmal erhebt. Der Roman des Apuleius ist ein Ichroman, wiedererzählt von demjenigen, der fingiert, ihn erlebt zu haben, wie Lucians „Wahre Geschichten", des Achilles Tatios Roman von „Leukippe" oder Petrons „Satirikon", und leidet infolgedessen an der Schwierigkeit, alle Vorgänge, die der Leser wissen soll, mit einiger Wahrscheinlichkeit anzubringen; so muß ein „wie ich später erfuhr" (IX 41, 1), wodurch es dem Leser überlassen bleibt, seine eigene Phantasie walten zu lassen, oder scherzhafte Ausführung (X 7, 2) darüber hinweghelfen. Auch das ist nicht klar, wie es dem Esel möglich war, die Erzählung von Psyche mit anzuhören, welche die Alte doch innerhalb der Höhle vorträgt und nicht in dem Vorraum (IV 7, 1 ; 23, 3), oder wie er die Ehebruchsgeschichte bei der Müllersfrau miterleben und dabei rächend eingreifen konnte (IX 27), während man den Vorgang im ganzen doch weder ins Haus noch auf den Hof verlegen kann. Der Schriftsteller scheucht auch die auftauchenden Bedenken des Lesers fort, indem er ihnen scheinbar nachgeht, ohne doch in Wirklichkeit eine Aufklärung zu geben, wie er zu seiner Kenntnis gekommen ist (IX 30, 1).

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Da es sich um die Anreihung von Abenteuern handelt, ist die Komposition im ganzen kunstlos. Es geht nur darum, eine Verbindung zwischen den einzelnen zu schaffen. Und das war ja durch die Vorlage bereits geschehen. Ob immer ganz passend, kann man nur fragen. Die Flucht der Hirten und Landarbeiter mit Kind und Kegel nach dem Tode der Charite und ihres Mannes hat etwas Unmotiviertes. Einzelne Geschichten hat Apuleius gegenüber seiner Vorlage, wie wir sahen, eingeschaltet oder auch in den Gang der Handlung selber verflochten; freilich ist nicht immer festzustellen, besonders bei den für die Entwicklung des Romans bedeutsamen Novellen, ob sie nicht schon im griechischen Text gestanden haben. Zur Einfügung in den Gesamtrahmen hat er sich der gleichen Mittel bedient, wie sie etwa Ovid im Anschluß an seine alexandrinischen Vorbilder verwandt hat, und ist wie dieser dabei mit mehr oder minder großer Geschicklichkeit oder Sorgfalt verfahren. Der natürlichste Kunstgriff ist es, sich dabei der Form des Gespräches zu bedienen. So erzählt Aristomenes (I 5) auf dem Wege nach Hypata sein Erlebnis mit seinem Gefährten Sokrates, Thelyphron berichtet (II 21) sein Unglück bei der Totenwacht auf einem festlichen Gelage, die garstige Vettel, welche den Räubern dient, bringt dem gefangenen Mädchen zum Trost die Geschichte von Amor und Psyche an (IV 28), vielleicht etwas weniger passend in Hinsicht auf den Charakter der Alten. Ist es doch, als habe der Schriftsteller selber den Vorwurf, den man ihm machen könnte, im voraus entkräften wollen, wenn er gleich von sich aus den Gegensatz zugibt und bemerkt: „Das erzählte die verrückte, trunksüchtige Alte dem gefangenen Mädchen." Wie Ovid hier und da räumlich oder sachlich zusammengehörige Mythen zusammenstellt, wie etwa im vierten Buch der Metamorphosen die Töchter des Minyas beim Spinnen sich allerlei Geschichten erzählen oder im achten Buch in einer Tischgesellschaft der Helden verschiedene Sagen berichtet werden, so gibt die Zusammenkunft der Räuber Gelegenheit, drei Novellen aus der Räuberromantik zu bringen (IV 9—21). Der Bräutigam der entführten Charite schildert in der Versammlung der Banditen die von ihm fingierten Raubzüge und die Tapferkeit der Plotina (VII 5), die ihrem Gatten aufopferungsvoll in die Verbannung gefolgt ist. Den tragischen Tod des nach dem Entkommen aus der Räuberhöhle glücklich vereinten Paares, der für die weitere Irrfahrt des Helden ein neuer Antrieb ist, meldet einer von den Dienern der Charite (VIII 1). Anderes ist nur mangelhaft vermittelt. Ganz locker ist die Anknüpfung bei •der kurzen Erzählung von der Bestrafung des ehebrecherischen Sklaven (VIII 22) sowie bei der Novelle von dem Galan im Faß (IX 5). Auch die drei miteinander verknüpften Novellen des neunten Buches (14—31) sind nur lose eingeschaltet, obwohl der unglückliche Ausgang der Rahmengeschichte von dem Bäcker gerade den Anlaß zu den weiteren Schicksalen des Esels bietet, weil er nach dessen Tode seine Wanderschaft fortsetzen muß. Zu dieser Bedeutimg stimmt aber die nichtssagende Einleitung: „Ich möchte euch eine besonders treffliche Geschichte erzählen" in keiner Weise. Ebenso wird die Erzählung mit dem Phädra-Hippolytus-Motiv (X 2) ganz äußerlich angefügt: „Ich entsinne mich da einer grausen Tat und bringe sie vor, damit auch ihr sie lest." Schließlich, wenn der Grund zur Bestrafung des ruchlosen Weibes, mit welchem der Esel öffentlich im Amphitheater auftreten soll, ausführlich berichtet wird (X 23), so kann der Schriftsteller auch hier nichts sagen als: „Ich hatte als Anlaß zu ihrer Bestrafung folgende Geschichte vernommen", ohne doch anzugeben, wie das geschehen.

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Die nüchterne Einleitung bei manchen dieser Episoden in der zweiten Hälfte des Werkes oder die gezwungene Erklärung dafür, wie es dem Esel möglich war, sie zu bemerken oder sie zu erfahren (vgl. I X 15, 5), zeigt ganz deutlich, daß es sich um eingeschobenes Gut handelt und wir hier des Apuleius eigenes Schalten beobachten können. Wenn er I X 30 den Leser selbst einwenden läßt: „Wie konntest du superkluger Esel das erfahren, da du doch in die Mühle gebannt warst?", so macht er witzig auf diese Schwäche aufmerksam, um eben dadurch über die Unwahrscheinlichkeit hinwegzuhelfen. Nur bei den ersten dieser eingeschobenen Novellen mit Ausnahme der Marktszene im ersten Buch kann man sagen, daß Apuleius sie geschickt eingefügt hat, um die Spannung bis zur Verwandlung des Helden zu erhöhen und so auf die Verzauberung vorzubereiten, während der Ablauf der Handlung am Schluß mit Hilfe der öffentlichen Schaustellung ja schon durch den griechischen Text nahegelegt war. Von allen übrigen Novellen läßt sich nicht behaupten, daß sie in der Ökonomie des Romans eine Rolle spielten, und man bemüht sich umsonst, in der Anordnung eine gewisse Regelmäßigkeit oder gar Kunst zu erkennen. Verständig war es, die umfangreiche Erzählung von Amor und Psyche in die Mitte zu stellen, wo sie allein angebracht werden konnte, ohne das Gesamtgefüge ganz auseinanderzureißen. Die romantischen Räubergeschichten konnten nur im Anschluß an die Heimkehr der Räuber in ihre Höhle berichtet werden. Daß es drei sind, ist gewiß überlegt; eine größere Anzahl würde leicht den Zusammenhang sprengen und ermüden. Die vierte Räubergeschichte, mit welcher der Bräutigam der Charité sich bei den Spießgesellen gut einführen will, trotz aller Flunkerei diejenige, welche sich am meisten in den Grenzen der Wahrscheinlichkeit hält, steht völlig abseits. Sie wegen der hehren Gestalt der aufopferungsvollen Plotina mit der Chariteepisode und der Psycheerzählung zu einer Dreiheit vereinen zu wollen, ist Spintisiererei. Im achten Buch ist neben dem mit der Haupthandlung verbundenen Bericht über die Rache der Charité und ihren Tod nur die kurze Erzählung von der grausamen Bestrafung eines ehebrecherischen Sklaven eingelegt, deren Zweck man selbst vom Standpunkt der Unterhaltung nicht recht einsieht und die nur als Kulturbild von Bedeutimg ist. Dagegen stehen im neunten Buch vier Liebesgeschichten: zunächst die spaßige vom Liebhaber im Faß und dem Faßverkauf, von Boccaccio und La Fontaine übernommen, dann gesondert davon die drei ineinandergeschachtelten, zwei davon ebenfalls durch Boccaccio entlehnt. Die erste vom Liebhaber, der seine Sandalen zurückgelassen, erzählt die Kupplerin der Müllersfrau. Die zweite vom Galan unter dem Walkergestell und dem zu früh heimgekehrten Gatten und die dritte von dem gestörten Liebesstündchen der Müllerin bilden die Umrahmung und dienen zur Fortführung der Handlung. Das ist zwar sehr verzwickt, aber eine besondere Kunst ist darin nicht zu erkennen; ja es ist dem Verfasser sogar nicht einmal ganz gelungen, die Verschmelzung zu vollbringen und Widersprüche auszugleichen. Denn die Charakteristik des energischen Draufgängers Philesitherus aus der ersten Novelle, der jede weibliche Festung zu stürmen bereit ist, paßt nicht zu der Zeichnung des knabenhaften Liebhabers der dritten, obwohl er derselbe sein soll. Gewiß ist es kein Zufall, daß auch der Name des Philesitherus in dieser dritten Novelle nicht wiederkehrt. Diesen erotischen Erzählungen, die doch immerhin mit einer Belm

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gewissen Komik ausgestattet sind, wenn auch die letzte eine tragische Folge hat, stehen im zehnten Buch ganz ernste oder gar tragische gegenüber, welche an die von der Witwe in der Thelyphronepisode erinnern: Die Liebe zum Stiefsohn und der Mordversuch an ihm, sowie die aus der Eifersucht sich entwickelnde Reihe von Morden durch die Verbrecherin, die dann bei der öffentlichen Schaustellung zum Tode durch die wilden Tiere verurteilt ist. So ist diese letzte Geschichte wieder eng mit der Haupthandlung verbunden. Beides sind geradezu selbständige Romane, auf knappem Raum zusammengedrängt, immerhin durch ihre Länge den eigentlichen Hergang zerreißend. Besonders gilt das von der ersten Erzählung, die dazu noch in wenig kunstvoller Weise angefügt ist. Der Schriftsteller kennzeichnet die ganz andere Art dieser Einschübe selber, indem er zugleich den komischen Charakter der übrigen Darstellung betont, wenn er bemerkt, er steige nun vom Soccus zum Kothurn empor (X 2, 3). Auch hier kam es ihm mehr darauf an, den Rahmen zu füllen als einen organischen Zusammenhang herzustellen. Man darf durch die Lebendigkeit der einzelnen Bilder und die Frische der Darstellung sich nicht dazu verleiten lassen, die künstlerischen Absichten und Fähigkeiten des Apuleius zu überschätzen. Widersprüche kleinerer Art mag man dabei hinnehmen oder zu erklären suchen. So wechselt die Zahl der Diener des Lucius. Bei seinem Eintreffen in Hypata hat er mehrere (II 15, 4), und nach seiner Entzauberung ist die Rede von denen, die er dort zurückgelassen hat (XI 20, 5); dagegen zum Gelage bei Byrrhena begleitet ihn nur einer (II 31, 4), der als Zeuge dienen kann (III 8, 1). Das könnte man verstehen; aber auch der von den Räubern beauftragte Späher weiß nur von einem Sklaven zu berichten, der bei Milo gefunden sei (VII 2, 2). Als er bei dem Müller seine Arbeit beginnen soll, führt der Esel seine Kenntnis von der Tätigkeit am Mühlstein auf Beobachtungen zurück, die er früher als Mensch gemacht hat (IX I i , 4). Dabei hat er vergessen, daß er in diesem Frondienst schon eigene Erfahrungen besaß, da ihn die geizige Verwaltersfrau dazu gezwungen hatte (VII 15, 3). Daß der Gastfreund als Geizhals geschildert wird und Lucius sich deshalb das eigene Essen auf dem Markte beschaffen muß (I 21, 4), er dann aber Byrrhena gegenüber sagt, er habe keinen Grund, sich über die Aufnahme im Hause Milos zu beklagen, könnte man aus der Situation heraus begreifen, da die Einladung der Verwandten in höflicher Form abgelehnt werden soll, wenn nicht in der griechischen Vorlage die zu jener Behauptung besser passende Darstellung (42) besagte: „Das Mahl war nicht ganz schlicht, der Wein aber süß und ein alter Jahrgang." Da ist also offenbar der Widerspruch bei Apuleius durch dessen gesteigerte Charakteristik des Milo und das Bemühen, die Marktszene und die komische Bestrafung des Fischhändlers hineinzubringen, entstanden. Außer den erzählenden Einschüben hat der Sophist es sich nicht versagen können, hier und da seine Kunst als Rhetor zu beweisen, und an diesen Stellen verrät er sich meist auch im Stil. So wird das Atrium im Haus der Byrrhena mit der Plastik der Aktäongruppe ausführlich geschildert (II 4); der Zug der Venus durchs Meer (IV 31) erinnert ebenfalls an eine künstlerische Darstellung der Malerei. Die Behausung der Räuber (IV 6), sodann in der Psycheerzählung der Wunderpalast Amors (V 1), der schlummernde Liebesgott (V 22) haben in gleicher Weise den Schriftsteller gereizt, sophistisch kunstvolle Beschreibungen

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in der Art des Philostratos zu geben. Eingehend und in allen Einzelheiten wird der Pantomimus des Parisurteils (X 30 ff.) vorgeführt, um von den Schilderungen des elften Buches, der Isiserscheinung (XI 4), der Prozession (XI 8), des Mystenmantels (XI 24) abzusehen. Aber all diese Stellen stehen doch mit der Handlung selber im engsten Zusammenhang und sind nur Ausweitungen der Erzählung. Aber die Deklamation über das Haar als Schmuck der Frau (II 8) und die Erörterung über die Ungerechtigkeit und Parteilichkeit der Richter im Anschluß an den Parismimus (X 33) sind Abschweifungen. Die letzte auch dadurch echt sophistisch, daß sie mit mythologischen und historischen Beziehungen prunkt. Freilich hat der Verfasser das ins Komische gewandt, wenn er auf den Gegensatz zwischen diesen von Welterfahiung zeugenden Beobachtungen und der Person des Esels, der sie vorbringt, eigens aufmerksam macht. Die Komposition des Ganzen ist also eine durchaus lockere, wie das bei dem Abenteuerroman natürlich ist und wie sie ja auch den ernsten sophistischen Erzeugnissen dieser Gattung eigen ist, wenn man von der wirklich kunstvollen Gestaltung bei Heliodor absieht, der darin einem modernen Kriminalroman ähnelt. Wie die Novellen ganz ungleichmäßig auf die Bücher verteilt sind, so ist auch sonst das Gleichmaß in keiner Weise gewahrt. Drei Bücher braucht der Verfasser als Einleitung bis zum Beginn der Irrfahrten des Esels, etwa zwei Bücher nimmt die Psycheerzählung ein; das elfte Buch scheidet aus als Zusatz nach der Entzauberung. So bleiben im Grunde nur vier Bücher für die eigentliche Handlung, die auch noch durch die zum Teil recht langen Novellen beschränkt sind. Die Einheit wird auch nicht durch eine treibende Kraft bewirkt. Gewiß ist die Triebfeder Fortuna, auf deren bösen oder guten Willen immer wieder hingewiesen wird, so wie Tyche im griechischen Roman die bewegende Kraft ist. Sie spielt auch bei Petron ihre Rolle, und selbst in der mit christlichem Firnis überzogenen Form des Apolloniusromans ist noch eine Spur ihrer Einwirkung vorhanden, wie auch Lazarillo in dem Schelmenroman (Kap. 3) noch darüber klagt, daß das feindliche Geschick nicht müde wird, ihn zu verfolgen. Wie der Tyche in der Geschichtsschreibung ein Einfluß eingeräumt wird, so erhält sie auch in diesen Geschichten der Phantasie eine besondere Stellung. Sie ist aber bei Apuleius doch nicht an die Stelle der Gottheiten getreten, die sonst etwa die Irrfahrten des Helden durch ihren Zorn veranlassen oder ihn verfolgen, wie der grollende Poseidon in der Odyssee oder bei Petron der erboste Priap. Ein Überbleibsel dieser Vorstellung findet sich noch, wenn Lucius im Gebet an Isis sagt (XI 2, 7): ,,Falls ich irgendeine Gottheit gekränkt habe und sie mich mit ihrem unerbittlichen Grimm verfolgt", aber als Motiv ausgenutzt ist dieser Gedanke in den ersten zehn Büchern nicht. So ist auch Fortuna keine dauernde Feindin, sie kann auch einmal gütig lächeln. Ihre Macht wird auch ebenso in den Nebenerzählungen wie in der Haupthandlung bemerkt. Sie verfolgt den Esel, wenn er glaubt Rosen zu finden (IV 2, 3) und wenn er zu den Pferden auf die Koppel gelassen wird (VII 16, 1). Sie ist unersättlich wie der Dämon bei Heliodor (V 2, 39), wenn er zum mühseligen Holztragen bestimmt wird (VII 17, 1). Sie ist hartnäckig, selbst wenn er seinem Peiniger entronnen zu sein meint (VII 25, 2). Die grimme Fortuna war es, die ihn mit seinem eigenen Pferd auf die gleiche Stufe gestellt hat (VII 3, 4). Ihr kann er nicht entgehen. Und 2*

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sie läßt ihn in die Hände des sittenlosen Bettelpriesters gelangen (VIII 24, 1), da sie ihre blinden Augen feindselig auf ihn richtet. Sie. bringt ihn, als er dem Messer des Schlächters entrinnt, in eine neue Lebensgefahr, der Tollwut verdächtig zu scheinen (IX 1 , 4). Aber sie schaut auch einmal etwas freundlicher auf ihn, wenn sie ihn vor dem Feuertod rettet (VII 20, 1) oder wenn sie ihm gestattet, sich an den erfreulichen Sachen beim Koch und dem Kuchenbäcker gütlich zu tun (X 13, 3; 16, 2). Im übrigen schmälen auch die Schwestern der Psyche sie als blind (V 9, 2) sowie der Esel selber über ihren Mangel an Gerechtigkeit philosophiert, der auf ihre Blindheit zurückzuführen sei (VII 2, 3), und sich dafür witzig auf die Aussprüche der Weisen beruft. So ist es verständlich, daß er sich nach der Entzauberung von ihr und ihrer Grausamkeit erlöst glaubt, da er sich in die Hände der Isis gibt ( X I 1 2 , 2; 15). Auch sonst spielt ja im Roman eine Göttin die Rolle der Retterin; so bei Xenophon von Ephesus die gleiche Isis (V 4, 6; 13, 4), bei Chariton Aphrodite mit ihrem Heiligtum. Da aber Isis mit Fortuna identifiziert wird, so konnte sich der Gegensatz einer blinden und einer sehenden Fortuna leicht ergeben, und da die erste aus der Vorlage und dem allgemeinen Romanstil übernommen war, lag es nahe, das Motiv zu benutzen, um die eine Fortuna der anderen mit Betonung rhetorisch gegenüberzustellen. Der Gegensatz ist aber um so weniger bedeutsam für die Erklärimg des ganzen Romans, als die Mitwirkung der Isis völlig überflüssig ist. Wir wissen ja von Beginn an, daß Rosen das Heilmittel sind, die sich mit dem Frühling von selber einstellen müssen. Der Verfasser weist auch selber nicht nur im siebenten (VII 15, 1), sondern noch im zehnten Buch darauf hin (X 29, 3), daß jetzt, da die Erde sich mit der bunten Blütenpracht bekleidet, auch die Rosenknospen sich entfalten und ihm seine frühere Gestalt wiedergeben werden. Auch da ist von göttlicher Einwirkung noch nicht die Rede, ein deutlicher Beweis, daß das Motiv der erlösenden Göttin erst nachträglich nach dem üblichen Romanschema aufgepfropft ist. Die Vorstellung der alles beherrschenden Fortuna ist in den ersten zehn Büchern auch weder als die einer Feindin noch sonst konsequent durchgeführt. An ihre Stelle tritt sors (IV 5,1), Fatum (V 2 2 , 1 ; X 1 3 , 1 ) , eventus (IV19,1), und mehrfach ist statt dessen auch von der Providentia divina oder caelestis die Rede, wie sie nachher der Isis selber zugeschrieben wird (XI 12, 2). In der Psycheerzählung ist es die divina Providentia oder Providentia bona (V 3, 1 ; VI 15, 1), die sie schützt. In der Novelle von der Giftmischerin (X 12, 4) führt sie den glücklichen Ausgang herbei; die caelestis Providentia hilft dem Esel, die Müllersfrau zu entlarven (IX 27, 1), und einmal (IX 1, 4) wird sogar die böse Fortuna mit der Schicksalsbestimmung der divina Providentia gleichgesetzt. Von einem bewußt durchgeführten Gegensatz zwischen der blinden, bösen Fortuna in Buch eins bis zehn und der sehenden, guten in Buch elf ist also nichts zu spüren. Und wenn er im Anschluß an vorhandene religiöse Anschauungen nachträglich im Schlußbuch aufgestellt wird, so ist das ebenso unvermittelt wie der Gegensatz zwischen dem aus Griechenland stammenden Lucius und dem Mann aus Madaura (XI27,7), zwischen dem Reisenden, der in eigenen Geschäften Hypata aufsucht, und dem Rhetor und Advokaten, der dann auf dem römischen Forum tätig ist, zwischen dem Ton der komisch-satirischen Szenen der ersten zehn Bücher und dem religiös gestimmten des elften Buches.

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Denn ganz und gai verrät sich dieser Mangel einer von Anfang an wohldurchdachten, einheitlichen Komposition in der Änderung des Schlusses gegenüber dem griechischen Original und der Zufügung des elften Buches, das nach Stil und Inhalt so völlig anders geartet ist. Mit Recht hat man diesen mystischerbaulichen Schluß, der so völlig gegen den humorvollen Ton der ersten zehn Bücher absticht und nichts mehr von dem „laetaberis" verspüren läßt, als unpassend und unorganisch bezeichnet. Nichts deutet in den vorhergehenden Abenteuern auf einen religiösen Ausgang dieser Art. Denn trotz Reitzensteins vergeblichem Bemühen läßt sich auch in der Psycheerzählung nicht die geringste Andeutung finden, daß der Fall der Psyche oder ihr Leiden einen tieferen Sinn berge. An dieser Auffassung kann auch die Stellung in der Mitte des Romans nicht irre machen. Daß sie gerade diesen Platz wegen ihres Umfangs gefunden hat, mag man als geschickte Komposition anerkennen, obwohl schwer zu sehen ist, welch andere Gelegenheit der Verfasser hätte finden können. Auch daß der Verbindung von Eros und Psyche ursprünglich ein tieferer Sinn zugrunde lag, mag man zugeben. Aber Apuleius hat nicht daran gedacht, ihn zum Ausdruck zu bringen, er hat im Gegenteil alles getan, ihn zu unterdrücken und nicht aufkommen zu lassen. Sehr richtig faßt P. Monceaux das Wesentliche zusammen, wenn er sagt: „In den Metamorphosen ist sicherlich diese lange Geschichte, die in einer Räuberhöhle vorgetragen wird von einem trunksüchtigen Küchenweib und die aufgezeichnet wird von einem Esel, nur eine Geschichte zum Lachen." Apuleius hat sie zu einer rechten Götterburleske im Stile der Lukianischen Dialoge gestaltet. Die eifersüchtige, wie ein Marktweib keifende Venus, die in der gemeinsten Weise ihrem leidenschaftlichen Zorn gegenüber der Nebenbuhlerin die Zügel schießen läßt, die beiden Göttinnen Ceres und Juno, die wie zwei Gevatterinnen zu ihr zum Besuch kommen und die gegen die Wünsche der braven Verwandten nichts zugunsten des unglücklichen Mädchens zu unternehmen wagen, der Ausrufer Merkur, der Göttervater, der im Augenblick, da er Psyche die Unsterblichkeit zusagt, seine Natur als Don Juan nicht verleugnet, die Einberufung der Götter zur Ratssitzung bei Strafe unentschuldigten Ausbleibens, die Vorstellung von Psyche als einer entlaufenen Sklavin, die durch Steckbrief verfolgt wird, und der Lohn, der für ihre Auffindung in Aussicht gestellt wird, sieben Küsse der Venus, darunter ein Zungenkuß, die Einmischung römischen Kolorits, das in dieser Zauberwelt besonders komisch wirkt, kurz, der ganze Ton, mit dem der Götter Auftreten und Reden ins Niedrige gezogen wird, beseitigt bei unbefangener Lektüre die Annahme, der Schriftsteller habe tiefsinnige religiöse Ideen in die Erzählung legen oder beim Leser damit erwecken wollen. Und wer noch zweifeln könnte, den müßte der Ausgang belehren. Denn nicht die Vereinigung der Psyche mit Eros, nicht das Aufgehen der Seele im Göttlichen bildet den Schluß der Erzählung, sondern, ganz menschlich, die Geburt einer Tochter, „die wir Wollust nennen". Wo ist da noch von religiösem Empfinden die Rede? Es ist eine Milesische Geschichte unter anderen. Es ist auch kein Zufall, daß wir innerhalb derselben noch einmal an den Charakter des ganzen Werkes erinnert werden, wenn scherzhaft und unter Störung der Illusion zur Erklärung der lateinischen Verse des Orakelspruchs bemerkt wird, Apollo, obwohl Grieche und Ionier, habe dem Verfasser des Milesischen Romans zuliebe

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diesmal dem Vater der Psyche lateinisch geantwortet. Und zum Schluß stellt der Esel fest, daß dies eine nette Geschichte war, weiter nichts (VI 25, 1). Der gänzlich unvorbereitete und unmotivierte mystisch-religiöse Schluß mit seiner vielfach hochpoetischen Redeweise wirkt also wie ein dunkler Flicken auf einem buntscheckigen Gewand. Die Milesischen Geschichten sind vergessen, vergessen ist der Lucius, der aus Thessalien stammen soll und Plutarch und Sextus zu seinen Ahnen zählt. Statt dessen ist der Held plötzlich aus Madaura (XI 27). Die Sache wird auch nicht anders, wenn der Verfasser, wie man geglaubt hat, seine Metamorphosen anonym herausgegeben hätte und durch diese Andeutung seiner Heimat sich die Autorschaft hätte sichern wollen. So wenig Wert legt er auf den Zusammenhang. Mit souveräner Gleichgültigkeit gegen konsequente Durchführung seines Planes folgt er einer plötzlichen Eingebung, die ihm offenbar durch eigenes Erleben nahegelegt wurde, und ergeht sich in Darstellung der Mysterien, soweit dies vor Uneingeweihten gestattet ist. Man muß glauben, daß Apuleius der Gedanke an diesen Schluß und diese Art der Erlösung erst spät gekommen ist. Daß dann der Versuch gemacht wird, das Buch nachträglich mit dem heterogenen Bestandteil der ersten Bücher zu verketten, ist selbstverständlich. Die Aufzählung der Leiden des Lucius in der Rede des Priesters (XI 15, 3) mag also wohl die Verbindung herstellen, erklärt aber nicht im geringsten, wie der Schriftsteller dazu gekommen ist, gerade die Geschichte von Lucius, dem Esel, seiner Verherrlichung des Isiskultes zugrunde zu legen. Stellt die Einweihungsgeschichte des elften Buches in ganzem Umfang Apuleius eigenes Erlebnis dar, so könnte man vermuten, der Priester Asinius Marcellus, dessen Namen er selber (XI 27, 6) zu der Verwandlung in Eselsgestalt in Beziehung setzt, habe ihn auf den Einfall gebracht, diese Form der Lösung zu wählen und deshalb auch den Schauplatz der Handlung von Thessalonike, wo die Geschichte bei Ps.-Lukian endet, nach Korinth zu verlegen. So sehr man also auch im Schlußbuch die rein religiöse Stimmung empfindet, so unmöglich ist es mit Rücksicht auf die ersten zehn Bücher in dem Ganzen einen Erziehungs- oder Bildungsroman zu erkennen, unmöglich auch, in dieser Erzählung von Abenteuern schlüpfrigster Art, in dieser Ausmalung allergröbster Unsittlichkeiten, wie sie nur bei Petron noch wiederkehren, einen erbaulich religiösen Roman zu sehen entgegen der deutlichen Ankündigung des Verfassers am Anfang, daß er einen Milesischen Roman zum Ergötzen der Leser schreiben wolle, den er durch das Wort „Graecanicus" noch ausdrücklich als leichtfertig charakterisiert. Mit demselben Recht könnte man Grimmelshausens „Simplizissimus" und „Springinsfeld" oder den „Lazarillo de Tornies für ein Erbauungsbuch ausgeben. Wir. haben nichts als einen Sittenroman mit komisch-satirischer Tendenz in den ersten zehn Büchern, dem ein Schluß angehängt ist, auf welchen, so wertvoll er für unsere Kenntnis der religiösen Zustände des zweiten Jahrhunderts auch sein mag, Horaz zweifellos das „turpiterdesinitinpisum" angewandt haben würde, weil er nicht im geringsten irgendwie bestimmend und zielsetzend auf die Darstellung der ersten zehn Bücher eingewirkt hat. Nur in einem Punkte ist eine gewisse Sorgfalt der Komposition zu beachten, in der Buchtrennung. So ungleich die Bücher auch sind — das kürzeste erste hat an 540 Zeilen, das längste achte etwas über 900 Zeilen und auch die anderen variieren beträchtlich — und so wenig geschickt es scheint, daß die Geschichte

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der Psyche im vierten Buch gegen Ende anhebt und dann bis über die Mitte des sechsten hinausreicht, der Abschluß der einzelnen Bücher verrät doch die Absicht des Schriftstellers, an spannenden Stellen eine Pause eintreten zu lassen. So schließt Buch eins mit der Ankunft des Lucius in Hypata und dem ersten Abend dort, Buch zwei mit seiner Heldentat gegen die vermeintlichen drei Räuber, deren wahre Natur ja der Leser noch nicht ahnt, Buch drei mit der Entführung des Esels und seinem ersten durch Klugheit gebotenen Verzicht auf die erlösenden Rosen. Und wenn auch die Verteilung der Psycheerzählung auf drei Bücher auffällig ist, so ist doch nicht zu leugnen, daß Buch vier mit der Aussetzung der Jungfrau und ihrer Fahrt in das Wunderland ebenso gut abschließt wie Buch fünf mit dem Zorn der Venus und der beginnenden Verfolgung der von Amor Verlassenen. Mit dem Ende von Buch sechs bleiben wir in der schrecklichen Sorge, ob der unglückliche Esel wirklich der angedrohten Ermordung anheimfällt, die ihn in so grausamer Weise zugleich mit der geraubten Braut treffen soll. Am Schluß von Buch sieben sehen wir ihn aus den Händen der wütenden Alten befreit, die ihn mit einem brennenden Holzscheit martern will, während wir Buch acht verlassen, wie der Schlächter gerade sein Messer wetzt, um den Esel zu schlachten und so Ersatz für die vom Hund gestohlene Hirschkeule zu erhalten. Buch neun endet mit dem Tableau des aus der Dachluke schauenden Esels, der so in seiner Neugierde zum Verräter an seinem Herrn wird, während Buch-zehn am Schluß die Flucht aus dem Amphitheater an den Strand vorführt und damit in uns die Spannung erweckt, ob nun endlich sich die Erlösung vollziehen wird. Wenn der Verfasser seinen Roman in einzelnen Teilen vorgelesen hätte, so hätte er, abgesehen freilich von der Psychegeschichte, kaum geschickter verfahren können, um seine Zuhörer anzuspornen, nun auch die Fortsetzung das nächste Mal zu vernehmen. Die Sprache des Romans ist durchaus wechselnd. Neben schlicht Erzählendem finden sich prunkvoll aufgeputzte Schilderungen, neben vornehmer Umgangssprache in den Gesprächen die einfache Ausdrucksweise des Volkes. Im ganzen überwiegt aber der Eindruck gesuchten Schwulstes und affektierter Worthascherei. Zu der einfachen Erzählungsart gehört der Mangel an Perioden und die häufige Anreihung der Sätze mit „et", während „autem" auffällig selten ist, zur Volkssprache die massenhafte Verwendung der Deminutiva ohne besondere Absicht und der Gebrauch sprichwörtlicher Redewendungen. Andererseits sind sämtliche erdenkbaren Kunstmittel, die der Gorgianischen Prosa und der Poesie eigen sind, über die Darstellung ausgebreitet, Parallelismus mit Gleichklang, Antithesen, Wortspiele, Vertauschimg der Adjektiva, Wechsel zwischen Singular und Plural, Metaphern, vor allem aus der Juristen- und der Soldatensprache usw. Auch Beobachtung der Klauselgesetze ist, wenn auch nicht regelmäßig und nicht streng, durchgeführt. Ebenso schillernd ist die Wortwahl. Hochpoetische und gesuchte Wörter-wechseln mit so prosaischen und vulgären wie das „facessit" oder „sefacit" statt „abire". Wie der Sophist sich in allen Künsteleien betätigt, so verrät sich auch der Anhänger der archaistischen Richtung Frontos in der Nachahmung der Schriftsteller vergangener Jahrhunderte sowohl in den einzelnen Wörtern wie in der Syntax; und mit den archaisierenden Wendungen mischen sich auffällige Neubildungen. Auch Gräcismen kommen hinzu, um dem Stil sein buntfarbiges Gepräge zu geben. Wenn dieser bis aufs äußerste manierierte Stil auch

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erst in den Reden des Apuleius seinen Höhepunkt erreicht hat, so ist doch auch sein Roman in vielem schon ein Muster dieser vor lauter Bemühen, Gefallen und Aufsehen zu erregen, ins Geschmacklose gesteigerten Redeweise, in welcher bombastischer Schwulst und tändelnde Zierlichkeit sich die Hand reichen. Die Abfassungszeit der Metamorphosen läßt sich nicht sicher bestimmen, falls man nicht aus den etwas dunkel angedeuteten Familienbeziehungen des Helden zum Philosophen Sextus einen Schluß ziehen kann. Nur das ist sicher nach dem Gebet des Priesters bei dem Frühlingsfest zur Eröffnung der Schiffahrt ( X I 1 7 , 2), daß dieser Abschnitt nicht während des Condominats zweier Herrscher geschrieben sein kann, also nicht während der gemeinsamen Regierung Mark Aurels mit seinem Bruder L. Verus 161—69 oder mit seinem Sohn Commodus (177—80). Da auch in der Apologie, etwa 158, des Romans nicht gedacht ist, obwohl er den Gegnern so viele Anhaltspunkte bieten konnte, so verengt sich der für die Abfassung in Frage kommende Zeitraum noch weiter, und es wird wahrscheinlich, daß er frühestens 169—77 geschrieben ist. Dazu stimmt auch der Hinweis auf den wissenschaftlichen Ruhm des Verfassers (XI27,8) besser als auf eine Zeit vor 158. Daß der Roman des Apuleius in der Folgezeit beliebt gewesen ist, dafür bürgen die Zeugnisse, ganz abgesehen von Grammatikerzitaten und der erkennbaren sprachlichen Einwirkung auf spätere Schriftsteller. Clodius Albinus wurde es von Septimius Severus verdacht, daß er ihn las, so wie man es einst den Soldaten des Crassus zum Vorwurf gemacht hatte, daß sie des Aristides Milesiaca mit ins Feld nahmen. Der Kirchenvater Augustin, der häufig den Zauberer Apuleius erwähnt, auch von seinen zahlreichen Lobrednern mit Geringschätzung spricht, verrät ebenfalls eine Kenntnis des „Goldenen Esels". Macrobius in seinem Kommentar zu Ciceros somn. Scipion. I 2, 8 zeigt genaue Bekanntschaft mit ihm, wenn er ihn mit Petron zusammenstellt, und charakterisiert die Art der Metamorphosen richtig als allein auf den Ohrenschmaus berechnet. Hundert Jahre später hat Fulgentius (um 500) zumindest die Erzählung von Amor und Psyche noch gelesen, da er ihren Inhalt angibt und sie in seinerWeise allegorisch zu deuten sucht, wie er auch sonst den „Goldenen Esel" zitiert. Für das Jahr 395 ist durch die Angabe der Konsuln Olibrius und Probinus eine Rezension der Metamorphosen und der Apologie in einer Subskription der Handschrift F bezeugt, die sich am ausführlichsten hinter Buch neun der Metamorphosen findet. Sie wurde von einem Sallustius Crispus vorgenommen, der sich als Schüler des Rhetors Endelechius in Rom bekennt, und ist dann im Jahre 397 zu Konstantinopel noch einmal nachgeprüft. Auf diese Arbeit geht die Erhaltung der drei zusammen überlieferten Werke zurück, wife sie uns heute vorliegen. Einzelne Novellen sind seit der Humanistenzeit in eigene Sammlungen aufgenommen oder sonst verwertet worden. So haben Boccaccio, Ser Giovanni Fiorentino, Lesage, Lafontaine Anregungen von Apuleius erhalten. Ein eigenes Nachleben hat begreiflicherweise die eingeschobene Erzählung von Amor und Psyche gehabt, wie sie ja auch schon im ausgehenden Altertum der rein allegorischen Deutung verfiel. Sie hat vcm Altertum bis auf die Neuzeit auf Maler und Bildhauer ebenso wie auf Dichter befruchtend gewirkt und sie zur Nachschaffung angeregt. Unter den künstlerischen Darstellungen ist der Psychezyklus Raffaels in der Farnesina zu Rom die bedeutendste. In der deutschen Literatur

EINLEITUNG

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hat, wie die Zusammenstellung von H. Blümner zeigt, die feine in ideal gesinnten Herzen hellenWiderklang findende Geschichte, vor allem sobald sie von der barocken Sprachverbrämung befreit und des burlesken Charakters entkleidet war, den die apuleianische Darstellung aufweist, mehrfach in der verschiedensten Form Bearbeitung gefunden. So hat Wieland ein allegorisches Gedicht Psyche geplant, von dem freilich nur einige in dem bei ihm üblichen Stile verfaßten Bruchstücke vorliegen (Ges. Werke, hrsg. von der Preuß. Akad. d. Wiss., Abt. I, Bd. 7, Berlin 1 9 1 1 , S. 208), und in Wielandscher Manier hat Ernst Schulze (Sämtl. Poet. Werke, Bd. 3, Leipzig 1882) ein Werk gleichen Titels in mehreren Gesängen verfaßt. Völlig idealisiert hat die Erzählung R. Hamerling in seiner Dichtung „Amor und Psyche" und in eigenartiger Versetzung in nordische Landschaft H. G. Meyer in dem Epos ,,Eros und Psyche", Berlin 1899. Die Geschichte des Textes seit Erfindung der Buchdruckerkunst hat Oudendorp gegeben. Die Editio princeps erschien 1469 zu Rom; sie zeigt nahe Verwandtschaft zu Handschriften des 15. Jahrhunderts, welche immerhin der besseren Klasse angehören. Im Jahre 1500 folgte dazu der Kommentar des Philipp Beroaldus. Die Aldina vom Jahre 1521 wurde dann von der zweiten Juntina Florenz 1522 abgelöst, die dank dem Bemühen des Bernardus Philomathes aus Pisa wesentliche Fortschritte aufwies. Dann geht die Beschäftigung mit Apuleius über zu den Niederlanden, wo in der Plantinschen Offizin Gottschalk Stewech 1586 zu Antwerpen seine Quaestiones et coniecturae erscheinen ließ. Peter Colvius Leyden 1588, Bonaventura Vulcanius ebendort 1594, Joh. Wowerius 1606 (van der Wonwere), Gewerhart Elmenhorst Frankfurt 1621, Joh. Pricaeus (Price aus London) Gouda 1650 haben einzelne Berichtigungen vorgenommen, aber bis auf Philomathes und Elmenhorst durch Heranziehung minderwertiger Handschriften die Grundlage nicht gerade verbessert. In der zweiten Juntina dagegen und bei Elmenhorst sind schon die Florentiner Handschriften zur Verwertung gekommen. Die Ausgabe des Floridus in usum Delphini Paris 1688 enthält außer einer erklärenden lateinischen Paraphrase einen Index verborum, der erst durch den trefflichen Index Apuleianus von W. A. Oldfather, H. V. Canter und B. E . Perry, Middletown, Conn., 1934, überflüssig geworden ist. Was an Erklärungen und kritischen Bemerkungen im Laufe der Jahre beigesteuert wurde, ist dann in der Ausgabe von Oudendorp gesammelt, die Ruhnken 1786 in Leyden herausgab. An ihn hat sich Hildebrand im ganzen angeschlossen, Leipzig 1842, der nur einige Konjekturen beigetragen hat. Nach Keils Nachweis, daß der Laurent. F die Quelle der Überlieferung sei, hat Otto Jahn die Erzählung von Amor und Psyche Leipzig 1851, dann F. Eyssenhardt die gesamten Metamorphosen Berlin 1869 herausgegeben, jener nach einer Keilschen, dieser nach eigener Collation der maßgebenden Florentiner Handschrift; freilich läßt Eyssenhardt die gewünschte Sorgfalt vermissen. Während diese aber richtig von F ausgingen und die Abschrift (p nur daneben zur Kontrolle einsahen, kehrte van der Vliet, Leipzig 1897, die Methode um, indem er