Medizinische Zwangsbehandlung: Rechtsgrundlagen und verfassungsrechtliche Grenzen der Heilbehandlung gegen den Willen des Betroffenen [1 ed.] 9783428504718, 9783428104710

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Medizinische Zwangsbehandlung: Rechtsgrundlagen und verfassungsrechtliche Grenzen der Heilbehandlung gegen den Willen des Betroffenen [1 ed.]
 9783428504718, 9783428104710

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JOCHEN HEIDE Medizinische Zwangsbehandlung

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 855

Medizinische Zwangsbehandlung Rechtsgrundlagen und verfassungsrechtliche Grenzen der Heilbehandlung gegen den Willen des Betroffenen

Von Jochen Heide

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Heide, Jochen: Medizinische Zwangsbehandlung : Rechtsgrundlagen und verfassungsrechtliche Grenzen der Heilbehandlung gegen den Willen des Betroffenen / Jochen Heide. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 855) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10471-4

Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10471-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ

Vorwort Diese Arbeit beruht auf einer von Herrn Prof. Dr. J. Burmeister betreuten Dissertation, die i m Frühjahr 2000 von der juristischen Fakultät der Universität zu K ö l n angenommen wurde. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur konnten i m wesentlichen bis zum Sommer 2000 eingearbeitet werden. Mein Dank gilt allen, die zum erfolgreichen Abschluß des Promotionsvorhabens beigetragen haben. A n erster Stelle zu nennen sind Prof. Dr. W. Rüfner und Prof. Dr. St. Muckel. Während meiner Mitarbeit am Institut für Kirchenrecht der Universität zu Köln förderte Prof. Dr. Rüfner die Arbeit mit Rat und Tat und erstellte freundlicherweise das Zweitgutachten. Ebenso zu Dank verpflichtet bin ich Prof. Dr. St. Muckel, der in schwieriger Situation die Betreuung der Arbeit übernahm und in vielerlei Hinsicht entscheidend zum Gelingen beitrug. Frau Richterin Sigrid Kunze ist für die Korrektur des Manuskriptes, Frau Benkmann für die freundliche Hilfe bei den Schreibarbeiten zu danken. Wertvolle Unterstützung fand ich weiterhin bei vielen Praktikern aus Gerichtsbarkeit und Psychiatrie, namentlich bei den Mitarbeitern der Rheinischen Kliniken Köln. Für die Bereitschaft, Einblicke in die praktische Arbeit zu gewähren, danke ich. Meinen Eltern und meiner Frau sei auch an dieser Stelle für jede Unterstützung gedankt. Stürzelberg, November 2000

Jochen Heide

Inhaltsverzeichnis Gegenstand der Untersuchung

19

7. Teil Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

A. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung I. Rechtsgeschichtlicher Überblick

22

22 22

1. Das 19. Jahrhundert

22

2. Anfang des 20. Jahrhunderts

27

3. Nationalsozialismus

30

4. Bundesrepublik Deutschland

32

a) Erste Generation der Unterbringungsgesetze

32

b) Zweite Generation der Unterbringungsgesetze

36

c) Dritte Generation der Unterbringungsgesetze

37

5. Zusammenfassung II. Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen nach geltendem Unterbringungsrecht .. 1. Voraussetzungen und Zweck der Unterbringung

38 39 39

a) Psychische Krankheit

39

b) Fremdgefährdung

43

c) Eigengefährdung

45

Exkurs: Art. 23 HVerf

48

d) Weitere Voraussetzungen

50

e) Zweck der Unterbringung

50

8

nsverzeichnis 2. Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen

51

a) Überblick über die landesrechtlichen Bestimmungen

52

b) Informations- und Beteiligungsrechte

54

c) Beschränkung auf die Anlaßerkrankung

55

3. Schwerwiegende Eingriffe

56

4. Sonstige medizinische Zwangsmaßnahmen

61

a) Ruhigstellung

61

b) Zwangsernährung

62

5. Absolute Grenzen der Behandlung

62

a) Veränderung der Persönlichkeit im Kernbereich

63

b) Erprobung von Behandlungsverfahren

63

6. Weitere Schranken III. Praktische Bedeutung der Zwangsbehandlung

67 68

1. Statistische Angaben zur Unterbringung psychisch Kranker

68

2. Praxis der Zwangsbehandlung

69

a) Zwangsbehandelte Patienten

69

b) Gründe für die Behandlungsverweigerung

70

IV. Zusammenfassung

B. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung I. Rechtsgeschichtlicher Überblick II. Unterbringungsentscheidung

71

72 72 76

1. § 81 StPO

76

2. § 63 StGB

77

3. § 64 StGB

78

4. § 126a StPO

79

nsverzeichnis III. Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen

79

1. § 81 StPO

79

2. § 126a StPO

80

3. §§ 63, 64 StGB

81

a) §§ 136 f. StVollzO, §§ 63 f. StGB

81

b) Landesrechtliche Bestimmungen

83

aa) Überblick

83

bb) Beschränkung auf die Anlaßerkrankung

85

cc) Erörterungspflicht

86

dd) Schwerwiegende Eingriffe

86

ee) Absolute Behandlungsgrenzen

88

ff) Einwilligung des Betreuers

89

gg) Zwangsernährung

93

hh) Sonstige Regelungen

94

IV. Praxis der Zwangsbehandlung

94

V. Zusammenfassung

C. Weitere Rechtsgrundlagen I. Zwangsbehandlung im Strafvollzug (§ 101 StVollzG) 1. Historische Entwicklung

96

98 98 98

2. Systematische Stellung

101

3. Eingriffsermächtigung

101

a) Anwendungsbereich

101

b) Eigengefahrdung

102

c) Fremdgefährdung

103

d) Ausschluß von gefährlichen Eingriffen

103

e) Zumutbarkeit

104

4. Eingriffsverpflichtung (§ 101 Abs. 1 Satz 2 StVollzG)

106

5. Gesundheitsschutz und Hygiene

107

10

nsverzeichnis 6. Zwangsernährung

108

7. Kritik

108

II. Materielles Strafrecht

109

1. Mutmaßliche Einwilligung

109

2. Unterlassungsdelikte

111

a) Allgemeine Heilbehandlung

111

b) Suizidverhinderung

112

3. Notstandsrecht (§ 34 StGB)

114

a) Hoheitliches Handeln

114

b) Rechtfertigung sonstiger Heilbehandlungen

116

III. Polizeirecht

117

IV. Seuchenrecht

120

1. Geschlechtskrankheiten

120

2. Bundes-Seuchengesetz

122

3. Gründe für die Ungleichbehandlung

123

V. Weitere Formen mittelbaren Behandlungszwangs

124

1. Sozialrecht

125

2. Wehrrecht

126

3. Weitere Beispiele

126

D. Betreuungsrechtliches Konzept I. Einführung

127 127

1. Bestellung des Betreuers

128

2. Das betreuungsrechtliche Innenverhältnis

130

a) Rechtsnatur

130

b) § 1901 BGB

131

c) Zwangsbefugnisse des Betreuers

133

nsverzeichnis II. Heilbehandlung und Betreuungsrecht 1. Grundsätze

135 135

a) Bestellung des Betreuers

135

b) Befugnisse im Außenverhältnis

136

aa) Vorrang des Betreuerwillens

136

bb) Entscheidung nach der Einwilligungsfähigkeit

137

2. Einwilligungsfähigkeit

140

a) Rechtsnatur der Einwilligung

141

b) Verhältnis zur Geschäftsfähigkeit

142

c) Verhältnis zum natürlichen Willen

144

d) Intellektuelle Voraussetzungen

146

aa) Einsichtsfähigkeit

146

bb) Urteilsfähigkeit

148

cc) Relativität der Anforderungen

149

e) Krankheitsbedingte Einwilligungsunfähigkeit

150

f) Steuerungsfähigkeit

152

g) Rationalität der Entscheidung

153

h) Zusammenfassung

156

3. Zwangsbehandlung

156

a) Einwilligung gegen den Willen des Betreuten

157

b) Durchsetzung des Betreuerwillens

158

4. Grenzen der Betreuerbefugnisse a)§ 1904 BGB

161 161

aa) Grundsätze

161

bb) Gesundheitlicher Schaden

163

cc) Gefahrbegriff

164

dd) Ausgewählte Einzelfragen

165

ee) § 1904 S. 2 BGB

168

ff) Kritik

169

12

nsverzeichnis b) Heilversuche

170

c) Vetorechte

171

III. Praktische Bedeutung

173

IV. Zusammenfassung

175

2. Teil Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

A. Betroffene Grundrechtspositionen I. Recht auf körperliche Unversehrtheit

177

177 177

1. Grundsätze

177

2. Ausschluß geringfügiger Beeinträchtigungen

178

3. Medizinische Zwangsmaßnahmen

179

II. Recht auf Leben III. Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG IV. Menschenwürde

180 181 182

1. Grundsätze

182

2. Schutzbereich

182

a) Personaler Schutzbereich

183

b) Sachlicher Schutzbereich

183

3. Menschenwürde psychisch Kranker

184

4. Praktische Relevanz

187

a) Humanexperiment

187

b) Heimliche Medikamenten vergäbe

187

c) Zwangsbehandlung an sich

188

d) Zwangsspende von Organen

189

nsverzeichnis V. Das sog. Selbstbestimmungsrecht

189

1. Befund

189

2. Verfassungsrechtliche Verortung des Rechts auf Selbstbestimmung

190

a) Selbstbestimmung im privatrechtlichen Behandlungsverhältnis b) Selbstbestimmungsrecht als negative Seite der Rechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

190 191

c) Das Selbstbestimmungsrecht als Grundlage freiheitsrechtlicher Gewährleistung 193 VI. Allgemeines Persönlichkeitsrecht 1. Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

194 194

a) Schutz der persönlichen Lebenssphäre

195

b) Schutz der Grundbedingungen der Persönlichkeit

195

2. Bezüge zur Heilbehandlung a) Fehlende Abgrenzungsmöglichkeit

196 197

b) Verhältnis des Rechts auf körperliche Unversehrtheit zu anderen Grundrechten 198 VII. Zwischenergebnis

199

B. Rechtfertigung von Eingriffen

200

I. Gesetzes vorbehält

200

II. Systematisierung der bestehenden Eingriffsbefugnisse

200

1. Drittschützende Eingriffe

201

2. Eingriffe zur Wahrung der Ordnung in der Anstalt

202

3. Schutz des Kranken vor sich selbst

203

III. Verfassungsrechtliche Grenzen des Drittschutzes

203

1. Verhältnismäßigkeit

204

2. „Feste" Grenze für Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit

205

3. Wesensgehalt

206

14

nsverzeichnis IV. Anstaltszweck V. Verfassungsrechtliche Grenzen des Schutzes des Kranken vor sich selbst

206 208

1. Der Schutz des Menschen vor sich selbst

210

a) Überblick über die Problemstellung

210

b) Verfassungsunmittelbare Rechtfertigungen

212

aa) Schutzpflichten

212

bb) Grundrechtsmündigkeit

215

cc) Sozialstaatsprinzip

217

c) Der Schutz des Menschen vor sich selbst im Rahmen eines Gesetzesvorbehaltes 220 2. Medizinische Zwangsbehandlung zum Schutz des Kranken

223

a) Problemstellung

223

b) Heilbehandlung als Ausgleich von Defiziten

225

3. Verhältnismäßigkeit

225

a) Heilbehandlung als Kompensation der Freiheitsentziehung

225

b) Alternativen zur Zwangsbehandlung im geltenden Recht

228

aa) Betreuung als milderes Mittel

228

bb) Vergleich der landesrechtlichen Bestimmungen

229

c) Zwangsbehandlung zum Ausgleich individueller Defizite

231

aa) Einsichtsfähigkeit

231

bb) Schwere des Eingriffs

233

cc) Grad der Gefahr

234

4. Konsequenzen

234

C. Zusammenfassung

235

Literaturverzeichnis

238

Anhang: Auszüge aus den landesrechtlichen Bestimmungen

251

Personen-und Sachregister

267

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

a. a. O.

am angegebenen Orte

a.F.

alte Fassung

abgedr.

abgedruckt

ABl.

Amtsblatt

Abs.

Absatz

abw.

abweichend

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

AG

Amtsgericht

allg.

allgemein

ALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794

Alt.

Alternative

Ambi.

Amtsblatt

AMG

Arzneimittelgesetz

amtl.

amtlich

Anm.

Anmerkung

Aufl.

Auflage

bay.

bayerisch

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BayVerfGH

Bayerischer Verfassungsgerichshof

Bbg.

Brandenburg

Bd.

Band

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BK

Bonner Kommentar zum Grundgesetz

brem.

bremer

BSeuchG

Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen, Bundes-Seuchengesetz

BSHG

Bundessozialhilfegesetz

BtÄndG

Betreuungsrechtsänderungsgesetz vom 25. 6. 1998

BT-Drs.

Bundestags-Drucksache

BtMG

Betäubungsmittelgesetz

BtPrax

Betreuungsrechtliche Praxis

BR-Drs.

Bundesrats-Drucksache

Abkürzungsverzeichnis

16 BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

BW

Baden-Württemberg

DJZ

Deutsche Juristen-Zeitung

DVBL

Deutsches Verwaltungsblatt

EinigungsV

Einigungsvertrag vom 31.8. 1990

Erl.

Erläuterung

f. / ff.

folgende / fortfolgende

FamRZ

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

FEVS

Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte

FGG

Reichsgesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit

FN

Fußnote

FuR

Familie und Recht

GBl.

Gesetzblatt

GeschlKrG

Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten

GG

Grundgesetz

GVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

GVOBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

Hamb.

Hamburg

hess.

hessisches

HFEG

Hessisches Gesetz über die Entziehung der Freiheit geisteskranker, geistesschwacher oder alkoholsüchtiger Personen vom 19. 5. 1952

hmb.

hamburgisches

HS

Halbsatz

HVerf

Verfassung des Landes Hessen

JMBl.

Justiz- und Ministerialblatt

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristen-Zeitung

KG KritV

Kammergericht Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

LG

Landgericht

Ls.

Leitsatz

LSA

Land Sachsen-Anhalt

LT-Drs.

Landtags-Drucksachen

M.-V.

Mecklenburg-Vorpommern

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

MedR

Medizinrecht

MPG

Medizinprodukte-Gesetz

Abkürzungsverzeichnis MRVG

Maßregelvollzugsgesetz

MVollzG

Maßregelvollzugsgesetz

mwN.

mit weiteren Nachweisen

n.F.

neue Fassung

NDS

Niedersachsen

neurol.

neurologisch

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

NJW-Rechtsprechungsreport Zivilrecht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NW

Nordrhein-Westfalen

NZWehrR

Neue Zeitschrift für Wehrrecht

OLG

Oberlandesgericht

OVG

Oberverwaltungsgericht

PolG

Polizeigesetz

PrOVG

Preußisches Oberverwaltungsgericht

PrOVGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts

psych. PsychKG

psychiatrisch Psychisch-Kranken-Gesetz/Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten

RG

Reichsgericht

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RhPf.

Rheinland-Pfalz

Rn.

Randnummer

R&P

Recht und Psychiatrie (Zeitschrift)

Rz.

Randziffer

S.

Seite/Satz

s.

siehe

s.o.

siehe oben

s.u.

siehe unten

Saarl.

Saarland

Sächs.

Sächsisches

schl.-h.

schleswig-holsteiner

SGB

Sozialgesetzbuch

SH

Schleswig-Holstein

SoldG

Soldatengesetz

StGB

Strafgesetzbuch

StGH

Staatsgerichtshof

StPO

Strafprozeßordnung

StrÄndG

Strafrechtsänderungsgesetz

StV

Der Strafverteidiger

2 Heide

Abkürzungsverzeichnis

18 StVollzG

Strafvollzugsgesetz

TAZ

Die Tageszeitung

Thür.

Thüringen

UBG

Unterbringungsgesetz

VerfGH

Verfassungsgerichtshof

VersR

Zeitschrift für Versicherungsrecht

VerwahrG VerwArch

Verwahrungsgesetz

Verw.Rspr.

Verwaltungsrechtsprechung

VGH

Verwaltungsgerichtshof

Verwaltungsarchiv

vgl.

vergleiche

Vorb.

Vorbemerkung

VSSR

Vierteljahresschrift für Sozialrecht

VVDStRL

Veröffenlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

z.B.

zum Beispiel

ZfSH/SGB

Zeitschrift für Sozialhilfe / Die Sozialgerichtsbarkeit

ZKH

Zentralkrankenhaus

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Gegenstand der Untersuchung Daß eine Heilbehandlung ohne rechtswirksame Einwilligung des Betroffenen grundsätzlich der Rechtsordnung widerspricht, stellt eine Selbstverständlichkeit dar. Verfassungsrechtlich folgt das Erfordernis einer Einwilligung zu Heileingriffen aus „den grundlegenden Verfassungsprinzipien, die zur Achtung und Schutz der Würde und der Freiheit des Menschen und seines Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit verpflichten". 1 Ärztliches Ethos, das die medizinische Hilfeleistung gebieten könnte, muß gegenüber dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Selbstbestimmungsrecht des Kranken zurücktreten. 2 Im Zivilrecht besteht Einigkeit, daß eine Heilbehandlung ohne rechtswirksame Einwilligung eine unerlaubte Handlung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB ist. 3 Auch im Strafrecht gilt unbeschadet des Streites, ob der lege artis durchgeführte Heileingriff tatbestandlich eine Körperverletzung ist 4 , als „kleinster gemeinsamer Nenner" 5, daß die Einwilligung die Strafbarkeit gemäß §§ 223 ff. StGB beseitigt. Das in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistete Recht auf körperliche Unversehrtheit fordert auch dann Berücksichtigung, wenn ein Mensch ablehnt, sich behandeln zu lassen, selbst wenn er durch die Heilbehandlung von einem lebensgefährlichen Leiden befreit würde.6 Der Grundsatz, daß es ein „Behandlungszwangsrecht"7 nicht gibt, findet Durchbrechungen in vielen Bereichen der Rechtsordnung. Im ersten Teil der Untersuchung wird versucht, die rechtlichen Grundlagen der Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen des Betroffenen darzustellen und zu erläutern. Der Versuch, umfassend und lückenlos auf alle Bereiche einzugehen, in denen Kranke eine Rechtspflicht trifft, sich einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung zu unterziehen, muß dabei recht schnell an die Grenzen stoßen, die einer Dissertation gesetzt sind. Um diese Grenzen nicht zu sprengen, war die Bildung von Schwerpunkten und die Vernachlässigung gewisser Bereiche unumgänglich. Zu letzteren zählt die Heilbehandlung bei Minderjährigen 8, die aufgrund des elter1 BVerfGE 52,131, Sondervotum 171, 175 f. 2 Lorenz, HdbStR VI, § 128 Rn. 65. 3 BGHZ 298,46,49; 29, 176, 179. 4 Zum Streitstand: Schönke/Schröder-E«?/; § 223 Rn. 29 ff. 5

G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 43. 6 B G H S t l l , 111 (113 f.). 7 BGHZ 29,46,49. 2*

Gegenstand der Untersuchung

20

liehen Erziehungsrechts erhebliche Besonderheiten aufweist. Weiterhin mußten aus dem Begriff der Heilbehandlung solche Maßnahmen ausgeschieden werden, die lediglich diagnostischen Zwecken dienen, wie ζ. B. die Eingriffe nach §§ 81 ff. StPO. Auf Vorschriften, die an die Behandlungsverweigerung für den Betroffenen negative Folgen knüpfen, aber keine unmittelbare Durchsetzung vorsehen, konnte nur am Rande und nur insoweit eingegangen werden, als sich Vergleichsmöglichkeiten zu den obengenannten Bereichen ergeben.9 Keinesfalls soll damit nahegelegt werden, daß diese z.T. „versorgungsrechtlich indizierten Zwangsheilungen"10 keine grundrechtlichen Probleme aufweisen, insbesondere keinen Grundrechtseingriff darstellen. Deutlicher treten die spezifischen Probleme der Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen des Betroffenen jedoch dortzu tage, wo unmittelbarer Zwang ausgeübt werden kann und ausgeübt wird. Der Schwerpunkt soll hierbei auf den praktisch wichtigen Bereich der Zwangsbehandlung von nach Landesrecht Untergebrachten und das Maßregelvollzugsrecht gelegt werden. Berücksichtigung fanden darüber hinaus der Strafvollzug, das Gesetz über die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, Zwangsbehandlungsbefugnisse als Kehrseite strafbewehrter Behandlungspflichten sowie Eingriffsmöglichkeiten aufgrund der polizeirechtlichen Generalklauseln. Die Darstellung der Rechtsgrundlagen erwies sich als mühsamer, als zunächst erwartet. Die Bandbreite der landesrechtlichen Regelungen insbesondere im Bereich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung erforderte nicht nur großen Aufwand, sondern löste häufig Verwunderung darüber aus, wie viele sich diametral entgegenstehende Ansätze Gesetz geworden sind. Dem überwiegenden Fehlen zuverlässiger Kommentierungen in diesem Bereich stand eine Fülle von Literatur zu in praktischer Hinsicht fast bedeutungslosen Teilbereichen wie ζ. B. der Zwangsbehandlung nach § 101 StVollzG gegenüber. Auch das betreuungsrechtliche Konzept der Behandlung ohne oder gegen den Willen des Betroffenen erwies sich im Laufe der Bearbeitung schon in Grundfragen als hochproblematisch, so daß eine eingehendere Betrachtung erforderlich wurde. Das Konzept, zunächst rein deskriptiv die bestehende Rechtslage aufzuzeigen und erst später auf die verfassungsrechtlichen Grenzen und Vorgaben einzugehen, mußte stellenweise aus Gründen der Übersichtlichkeit durchbrochen werden. Um den zweiten Teil der Bearbeitung nicht hoffnungslos zu überfrachten, wurden offensichtliche Mängel der Gesetze vorab behandelt. Ahnlich mußte mit in Literatur

8

Zu diesem Thema sind in jüngster Zeit erschienen: Rouka, Stella; Das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen bei ärztlichen Eingriffen; Frankfurt a.M. 1995; rechtsvergleichend: Detlev W. Belling / Christina Eberl/Frank Michlik: Das Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger bei medizinischen Eingriffen; Neuwied, Berlin, Kriftel 1994. 9 Hierunter fallen z. B. §§ 63 ff. SGB I, §§ 35 ff. BtMG, §§ 56c Abs. 3 Nr. 1, 68c Abs. 2 Nr. 2 StGB § 17 Abs. 4 S. 3 SoldG, das BSeuchG, aber auch beamtenrechtliche und arbeitsrechtliche Formen „mittelbaren Heilzwanges". 10 Dürig in: Maunz/Dürig, Art. 2 Rn. 38.

Gegenstand der Untersuchung

oder Rechtsprechung vertretenen Auffassungen verfahren werden, die sich schon mit den einfachrechtlichen oder naheliegenden verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in Einklang bringen ließen. Der zweite Teil der Untersuchung soll die verfassungsrechtlichen Probleme aufzeigen, die den verschiedenen Formen der Zwangsbehandlung gemeinsam sind. Da der weit überwiegende Teil der medizinischen Zwangsbehandlungen nicht dem Schutz Dritter, sondern ausschließlich dem Schutz des Kranken vor sich selbst dient, wird dieser besonderen grundrechtlichen Konstellation besondere Aufmerksamkeit zu widmen sein.

Erster Teil

Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung A. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung Eine nach wie vor bedeutende Rolle spielt die Heilbehandlung gegen oder ohne den Willen des Betroffenen im Rahmen der sog. öffentlich-rechtlichen Unterbringung. Mit der gebräuchlichen, wenn auch wegen der Ungenauigkeit zu Recht kritisierten1 Bezeichnung „öffentlich-rechtliche Unterbringung" ist die Freiheitsentziehung gemeint, die auf den Unterbringungs- bzw. Psychisch-Kranken-Gesetzen der Länder beruht.

I. Rechtsgeschichtlicher Überblick 1. Das 19. Jahrhundert Als Ausgangspunkt für das Recht der Unterbringung psychisch Kranker in gesonderten Anstalten gilt gemeinhin das Preußische Allgemeine Landrecht von 17942. § 10 I I 17 ALR bestimmte, daß die Polizei die Aufgabe habe, „die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico oder einzelnen Mitgliedern derselben bevorstehenden Gefahr zu treffen [ . . . ]". Weitere Befugnisse bestanden mit den §§ 341, 344 II 18 ALR, nach denen die Ortspolizeibehörde gemeingefährliche Geisteskranke auch auf Dauer unterbringen konnte3. Diese Regelungen des ALR stellten ebenso wie die vergleichbaren Bestimmungen der anderen deutschen Partikularrechte lange Zeit die Grundlage für die Unterbringung psychisch Kranker dar. Neben der Unterbringung auf der Grundlage des Polizeirechts existierte stets die „zivile" Unterbringung. Meist durch Anstaltsordnung geregelt, konnten Geistes-

1

Saage/ Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, Kap 4 Rn. 1. Baumann, Unterbringungsrecht, S. 18 f. 3 Baur, Vollzug der Maßregeln, S. 15 unter Hinweis auf PrOVGE 65, 247, 251.

2

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

23

kranke, die eine Gemeingefahr i. S. d. polizeirechtlichen Generalklausel nicht oder nicht mehr darstellten, bei Einverständnis der Angehörigen bzw. Vormünder und Einhaltung weiterer Verfahrensschritte, wie ζ. B. einem ärztlichen Zeugnis, der Kostenübernahmeerklärung durch Anstalts- oder Kassenverwaltung und regional unterschiedlich der Einverständniserklärung durch den Vertreter der Heimatgemeinde, untergebracht werden.4 Ein erstes „Irrengesetz" wurde in Sachsen-Weimar im Jahre 1821 erlassen. In der vorliegenden, aus dem Jahre 1847 stammenden Fassung,5 wurde bestimmt, daß Irre in der Irrenanstalt Jena Aufnahme finden, wenn sie entweder Heilung hoffen lassen oder die Unterbringung zur Sicherheit des Kranken oder im öffentlichen Interesse notwendig erschien (§ 1). Die Aufnahme verlangen konnten die Verwandten, der Vormund und „subsidiarisch" auch die Vertreter des Heimatbezirks. Zwangsweise und gegen den Willen der vorgenannten Personen konnte die Einlieferung nur erfolgen, wenn die Unterbringung zur Sicherheit des Kranken oder im öffentlichen Interesse notwendig erschien und die Heilung in der Heimat „entweder gar nicht oder in unangemessener Weise versucht wird" (§ 3). Bemerkenswert an dieser Regelung ist die Zusammenfassung der polizeirechtlichen Unterbringung, die sich auf die „gemeingefährlichen Geisteskranken" beschränkte, mit der „zivilen" Unterbringung; ein erster Schritt auf dem Wege zu den heutigen Unterbringungsgesetzen. Die im 19. Jahrhundert stetig wachsende Bedeutung der Unterbringung erschließt sich schon durch einen Blick auf die Anzahl der Anstaltsgründungen in dieser Zeit. Für die 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts sind allein 30 Neugründungen nachweisbar6, bis 1860 insgesamt 76 Neugründungen und 18 Umwandlungen von bestehenden Einrichtungen in psychiatrische Anstalten7. Bedenkt man, daß jede dieser Anstalten 300-400 Patienten aufnehmen konnte8, so wird selbst dann, wenn man eine gewisse Quote von freiwillig bzw. auf familienrechtlicher Grundlage Untergebrachten annimmt, die wachsende Bedeutung dieser Vorschriften für die Unterbringung psychisch Kranker deutlich. Angesichts der Anstaltsgründungen ergingen eine Vielzahl von Verordnungen durch die Provinzial-Landtage.9 Diese regelten im wesentlichen die Aufnahme von psychisch Kranken, d. h. das Verfahren, die Zuständigkeiten und Entlassungsvoraussetzungen. Ζ. T. wurde eine strenge Unterscheidung von heilbar und unheilbar Geisteskranken vorgesehen.10 Dementsprechend waren nach den Bestimmungen 4

H.E.Schulz in: Richter und Arzt, S. 39 f. zur Anstaltssatzung von Kaufbeuren-Irsee. 5 Abgedruckt bei Rittershaus, Irrengesetzgebung, Material, S. 241. 6

Ackerknecht, Kurze Geschichte, S. 62. 7 Psychiatrie-Enquete, BT-Drs. 7/4200, S. 58. 8

Psychiatrie-Enquete, a. a. O. Ubersicht bei Rittershaus, Irrengesetzgebung, S. 32 ff. 10 Höchste Kabinettsorder vom 6.VI.1835; Nachweis bei Rittershaus, Irrengesetzgebung, S. 52. 9

24

1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Berlins 11 die Heilbaren in die Charité zu verbringen, während die Unheilbaren in sonstigen Anstalten untergebracht wurden. Keine der genannten Bestimmungen traf eine Aussage über die rechtliche Zulässigkeit von Heilbehandlungen gegen oder ohne den Willen des Betroffenen. Als Erklärung für diesen Befund kommen zwei Umstände in Betracht; das Fehlen von Behandlungsmethoden, die einer Rechtfertigung bedurften, oder der Mangel der rechtlichen Notwendigkeit, den Anstalten und dort tätigen Ärzten eine Befugnis zur Behandlung zu erteilen. Die Behandlungsmethoden waren wesentlich von der Situation der Psychiatrie im 19. Jahrhundert geprägt. Zuvor, im 17. und 18. Jahrhundert, befanden sich Geisteskranke, soweit sie nicht in Familie bzw. dörflicher Gemeinschaft aufgehoben waren, in Einrichtungen, in denen sie mit Bettlern, Krüppeln, Waisen, Prostituierten, Geschlechtskranken und Strafgefangenen verwahrt wurden, ohne ärztliche Aufsicht und nicht selten an Ketten gefesselt 12. In die in der Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründeten, nun Geisteskranken vorbehaltenen Anstalten, wurde das aus den Arbeits-, Zucht- und Tollhäusern bekannte Prinzip der „moralischen Behandlung" übernommen. Damit ist der Versuch umschrieben, Geisteskrankheiten mit pädagogischem Eifer und durch Beeinflussung der Lebensgewohnheiten, regelmäßige Arbeit etc. zu bewältigen und zu heilen. Stand insbesondere die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland unter dem Primat der moralischen Behandlung, so sind doch durchaus drastische körperliche Behandlungsmethoden überliefert. Der Drehstuhl 13, Ekel- und Schmerztherapie und die „Douche", d. h. das Ubergießen des Kranken mit eiskaltem Wasser, gehörten bei allen vorhandenen Unterschieden zu gebräuchlichen Methoden14. Die Befreiung von den Ketten, gemeinhin Philippe Pinel (1745-1826) im Frankreich der Revolutionszeit zugeschrieben15, war erster Schritt und Voraussetzung für die insbesondere in England vertretene Methode des „no-restraint". Während Pinel die Zwangsjacke als vorübergehendes Zwangsmittel verwandte, daneben die Sondenfütterung bei Nahrungsverweigerung und die Behandlung mit Kampfer und Opium zur Sedierung empfahl 16, schaffte man zunächst in England unter maßgeblichem Einfluß von Robert Gordon Hill und John Conolly (1794-1866) die Zwangsjacke weitgehend ab 17 . Das Prinzip des „no-restraint", das später auch in Deutschland Einfluß gewann, sollte nicht dahingehend miß11 Reglement vom 15.11.1902. 12 Psychiatrie-Enquete, BT-Drs. 7/4200, S. 58; Ackerknecht, Kurze Geschichte, S. 29. 13

Eine Erfindung, die auf Erasmus Darwin zurückgeht und bei der der Patient um die Durchblutung des Kopfes zu steigern solange gedreht wird, bis ihm das Blut aus Nase, Mund und Ohren lief. 14 Ackerknecht, Kurze Geschichte, S. 62. 15 Kritisch: Dörner/Plog, S. 468; Winkler, 16

Der Nervenarzt 1966, S. 304.

Ackerknecht, Kurze Geschichte, S. 44 f. 17 Alexander/Selesnick, S. 161; Ackerknecht, Kurze Geschichte, S. 52.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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verstanden werden, daß völlig ohne Zwang behandelt wurde und behandelt werden konnte. Notwendige Voraussetzung für den weitgehenden Verzicht auf Zwangsmittel war die Ausstattung der Einrichtungen mit genügend ausgebildetem und motiviertem Personal 18. Auch aus England wurde von der Existenz von „Gummizellen" berichtet, obwohl zugegeben wurde, daß in englischen Anstalten die Kranken ein viel ruhigeres Bild abgaben19. Von engagierten Vertretern des „no-restraint" wurden bei der Behandlung „unruhiger Geisteskranker" Restfälle angenommen, bei denen eine absolut zwanglose Behandlung auf Schwierigkeiten stieß20. Griesinger, ein Befürworter des „no-restraint", erkannte die „Douche" nur noch als Strafmittel an, empfahl aber die Therapie mit Bädern, Opium, Digitalis und Blausäure 21. Zwang durfte nach Griesingers Ansicht nur dort eingesetzt werden, wo verhindert werden mußte, daß der Patient sich oder anderen Schaden zufügt 22 . Medikamentöse Behandlung fand insgesamt nicht erst seit Einführung der Psychopharmaka seit 1952, sondern in geringerem Ausmaße seit den Anfängen der Psychiatrie in der Antike statt. Auch im 19. Jahrhundert wurden maßgeblich unter dem Gesichtspunkt der Behandlung der Unruhe bei Geisteskranken insbesondere Schlaf- und Beruhigungsmittel verbreitet angewandt23. Gab es also auch im 19. Jahrhundert durchaus Behandlungsmethoden, die nach heutiger Auffassung als Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit des Patienten anzusehen wären, so schlug sich dieses in rechtlicher Hinsicht nicht nieder. Ein Bedürfnis nach rechtlicher Legitimation ärztlicher Eingriffe entstand spätestens zum Ende des 19. Jahrhunderts. Bis zu diesem Zeitpunkt und auch darüber hinaus wurden insbesondere in der Strafrechtslehre höchst unterschiedliche Auffassungen zu der Frage vertreten, ob und in welchen Grenzen ärztliche Behandlungsmaßnahmen gegen den Willen des Betroffenen strafbar waren. Im Rahmen des heute noch bestehenden Streites, ob lege artis durchgeführte Heileingriffe tatbestandlich eine Körperverletzung darstellen können 24 , wurde angeführt, daß die eigenmächtige Heilbehandlung allenfalls als Nötigung 25 strafbar sein könne. Verbreitet wurde zur Rechtfertigung ärztlicher Eingriffe die sog. Berufsrechtstheorie angeführt. Danach folgt aus dem Berufsrecht das Recht des approbierten Arztes, notfalls auch gegen den Willen des Betroffenen, nach den Regeln ärztlicher Kunst is v. Bodelschwingh, S. 158 f. 19 Sauermann, Psych.-Neurol. Wochenschrift 1910/11, S. 447 f. 20 Kerris, Psych.-Neurol. Wochenschrift 1911, S. 395. 21

Ackerknecht, Kurze Geschichte, S. 70; Alexander/Selesnick, S. 203. Alexander/Selesnick, a. a. O. 2 3 Ackerknecht, Kurze Geschichte, S. 104; Winkler, Der Nervenarzt 1966, S. 304; vgl. KU Hofmann, Allg. Zeitschrift für Psychiatrie 1927, S. 156. 22

24 25

Übersicht über den damaligen Meinungsstand bei: Stooss, S. 93 ff. Zu den Ausnahmen: Stooss, S. 28 ff.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

gebotene Heileingriffe vorzunehmen 26. Diese im Hinblick auf die Strafbarkeit ärztlichen Handelns entwickelten Ansichten wurden vom Reichsgericht in einer Entscheidung vom 31. 5. 1894 abgelehnt. Das Reichsgericht entschied, daß auch der lege artis durchgefühlte Heileingriff gegen den Willen des Behandelten bzw. seines gesetzlichen Vertreters eine strafbare Körperverletzung darstellt 27. Im Hinblick auf die hier interessierende Frage nach der Legitimation ärztlicher Eingriffe bei psychisch Kranken führt das Reichsgericht aus: „So werden sich unbedenklich für die vielerörterten Ausnahmefälle, in denen wegen Bewußtlosigkeit, Geisteskrankheit, Unzurechnungsfähigkeit des Patienten, oder aber bei Gefahr im Verzuge wegen Abwesenheit des Vertreters des Kranken sich eine ausdrückliche Willensentschließung der hierfür zuständigen Personen nicht erzielen läßt, oder die Willensäußerung des Kranken oder seiner Angehörigen unklar, unsicher, schwankend lauten, wertvolle praktische Folgerungen zu Gunsten des guten Glaubens und der berechtigten Voraussetzungen des behandelnden Arztes im Sinne eines ihm aktuell zur Seite stehenden Konsens der Beteiligten ergeben". 28 Daraus lassen sich zwei Folgerungen ziehen: Zunächst reduziert das Reichsgericht ein Zustimmungserfordernis bei den genannten Personengruppen im Ergebnis auf ein Widerspruchsrecht des Betroffenen. Weiterhin genießt bei Gefahr im Verzuge der ärztliche Behandlungsauftrag Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Festzuhalten bleibt jedoch, daß es im 19. Jahrhundert ein ausdrücklich anerkanntes, im Zusammenhang mit den Vorschriften über die Unterbringung psychisch Kranker stehendes Behandlungsrecht nicht gab. Eine weit größere Rolle dürften Angehörige und Vormünder bei der Legitimation von Heileingriffen gespielt haben, worauf auch die primäre Zuständigkeit der Angehörigen bzw. Vormünder bei der Unterbringung nach dem Irrengesetz Sachsen-Weimars hindeutet. Nicht zu unterschätzen dürfte weiterhin sein, daß unabhängig von der rechtlichen Ausgangssituation die gesellschaftlich wohl in weit höherem Maße als heute akzeptierte Vernunfthoheit des Arztes über den Patienten kaum Widerspruch zuließ oder vorstellbar machte. Einzig überliefert ist die Verurteilung eines Psychiaters, der in einer Privatirrenanstalt im Jahre 1892 eine „hochgradig hysterische Dame" mit Ohrfeigen und gelegentlichen Stockschlägen auf das Gesäß von ihrem „ungeberdigen Benehmen" und ihrem „übermässig ungezogenen Schreien" abbringen wollte. Begründet hat das Gericht die Verurteilung in erster Linie damit, daß die 26 Vgl. Richard Schmidt, S. 8 f.; Röttgen, S. 35 ff.; Binding, S. 722 f.; ν. Liszt, S. 153 f. begründete die Straflosigkeit mit der staatliche Anerkennung des angestrebten Zweckes ärztlichen Handelns. 27 RGSt 25, 375, 378 ff. Der Entscheidung lag die Amputation des Fußes eines 7jährigen Mädchens zu Grunde, die medizinisch zweifellos indiziert war, aber gegen den ausdrücklichen Willen des Vaters erfolgte. Entgegen Tröndle, MDR 1983, S. 881 ist überliefert, „was mit dem schneidigen und zugleich so wohltätig handelnden Chirurgen passierte". Zu einer Verurteilung kam es nicht, da das Instanzgericht, an das die Sache zurückverwiesen wurde, die Vorgaben des RG umging; vgl. dazu und zur weiteren rechtshistorischen Entwicklung Frost, S. 8 ff. 28 RGSt 25, 375, 381 f.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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Art der Behandlung den allgemein anerkannten Grundsätzen der Psychiatrie nicht entsprach 29, nicht aber mit der fehlenden Zustimmung der Patientin.

2. Anfang des 20. Jahrhunderts Um die Jahrhundertwende und bis in die 20er Jahre hinein wurde die öffentliche Behandlung von Rechtsfragen der Psychiatrie von dem z.T. erbittert geführten Streit um ein Reichsirrengesetz dominiert. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts kamen immer wieder Berichte über unrechtmäßige Internierungen gesunder Bürger und die unhaltbaren Zustände in den psychiatrischen Anstalten auf 30 . Eine einheitliche gesetzliche Grundlage für die Aufnahme und Behandlung von Geisteskranken wurde vehement von den Psychiater-Verbänden gefordert, die infolge der Etablierung der Psychiatrie als medizinische Wissenschaft und der durch die zahlreichen Anstaltsgründungen bedingten Entwicklung ihres Berufsstandes steigendes Selbstbewußtsein zeigten. Demgegenüber verlangten die unterschiedlichen Gruppen, die man unter der Bezeichnung „Irrenreformbewegung" zusammenfassen mag, eine stärkere Kontrolle psychiatrischer Tätigkeit in den Anstalten. Dieses bis in das preußische Abgeordnetenhaus vorgetragene Ansinnen31 wurde von Psychiatern mit Argumenten zurückgewiesen, die auch heute noch nicht ganz ihre Bedeutung verloren haben: Jede Formalisierung des Aufnahmeverfahrens führe zur Behinderung psychiatrischer Tätigkeit und schade letztlich dem behandlungsbedürftigen Kranken. Die Mitwirkung von Laien 32 bei der Entscheidung über die Unterbringung von Geisteskranken sei geradezu widersinnig, da über die Frage des Vorliegens einer Krankheit und der Anstaltsbedürftigkeit nur der Arzt entscheiden könne 33 . Mit gleicher Vehemenz wurde das bestehende Recht unter einem anderen Gesichtspunkt kritisiert. Die Beschränkung der zwangsweisen Unterbringung auf „gemeingefährliche Geisteskranke", wie sie ζ. B. in Ziff. 7 des Entwurfes eines Reichsgesetzes von 1923 34 vorgesehen war und auch der Generalklausel des § 10 II 17 ALR entsprach, widersprach dem ärztlichen Berufs Verständnis, das einen Vorrang fürsorgerischer Gesichtspunkte verlangte 35. Neben der Erweiterung des Kreises der Anstaltsbedürftigen um diejenigen Geisteskranken, die zwar nicht gefahrlich im Sinne der polizeirechtlich geprägten Bestimmungen waren, denen aber die

29 Überliefert von Richard Schmidt, S. 11. 30

Vgl. die umfangreiche Wiedergabe bei B. Beyer, S. 12 ff.; die bekannteste Veröffentlichung, der sog. „Aufruf in der Kreuzzeitung" vom 9 Juli 1892, ist dort auf S. 414 abgedruckt. 3 * Vgl. die detaillierte Darstellung bei B. Beyer, S. 392 ff. 32 Gemeint sind Nicht-Ärzte, also auch Richter, Amtspersonen: vgl. Rittershaus, Irrengesetzgebung, S. 16: „Der Ortsbürgermeister, also ein vollkommen unverständiger Laie, unter umständen ein einfacher Bauer". 33

B. Beyer, S. 12 ff. Abgedr. bei Rittershaus, Irrengesetzgebung, S. 132. 3 5 Vgl. E.Schultze, Irrenrecht, S. 229 ff.; Rittershaus, Irrengesetzgebung, S. 143. 34

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Verwahrlosung drohte, wurde die Möglichkeit, Kranke lediglich zum Zwecke der Heilung aufnehmen zu können, verlangt 36. Eine allgemeine Befugnis, Kranke nur wegen einer allgemeinen Heilbedürftigkeit festzuhalten oder gegen ihren Willen unterzubringen, bestand nicht 37 . Eine Unterbringung auf der Grundlage des § 10 I I 17 ALR, ab 1850 durch § 6 PrPVG ergänzt, und seit 1931 des § 15 PVG war nach der Rechtsprechung nur dann möglich, wenn der Geisteskranke wegen seiner Krankheit eine Gefahr für sich oder andere oder die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Ruhe darstellte 38. Später entschied das PrOVG, daß die bloße Heilbehandlung eines „Trunksüchtigen" die zwangsweise Zurückhaltung nicht rechtfertigte, sondern stets die Beseitigung der Gefahr für die öffentliche Sicherheit Zweck der Unterbringung sein mußte39. Die Unterbringung von Geisteskranken, die nicht gemeingefährlich waren, also zum Zwecke der Behandlung in die Anstalt verbracht werden sollten, war nur durch die „zivile" Unterbringung möglich und damit von der Zustimmung der Verwandten bzw. Vormünder abhängig. Auch gegen diese familienrechtliche Lösung der Unterbringung aus fürsorgerischen Gründen wurden erhebliche Bedenken erhoben. Für die Beachtlichkeit des Einverständnisses der Angehörigen fehle es an einer gesetzlichen Grundlage 40. Zudem sei verwunderlich, daß die staatliche Fürsorge für die Geisteskranken sich heute (1900) noch der Instrumentarien bediene, von denen schon der römische Gesetzgeber im Jahre 450 v. Chr. ausgegangen sei 41 . Entmündigung und Irrenrecht hätten nichts miteinander zu tun. Sie zu trennen liege im unmittelbaren Interesse des Kranken, da nur so die staatliche Fürsorge für den Kranken verwirklicht werden könne 42 . Von der polizeirechtlichen Ausrichtung des öffentlichen Unterbringungsrechts und der damit verbundenen Trennung von der familienrechtlichen Unterbringung machte bereits 1910 das „Badische Gesetz, die Irrenfürsorge betreffend" 43 eine bedeutende Ausnahme. Gemäß § 5 Abs. 1 konnte das Bezirksamt die Unterbringung in einer Irrenanstalt auch dann anordnen, wenn der Geisteskranke „in bezug auf Aufsicht, Schutz, Verpflegung oder ärztlichen Beistand verwahrlost oder gefährdet" ist. Dem Geisteskranken gleichgestellt wurde erstmals der Geistesschwache (§ 1 Abs. 2). Eine ausdrückliche Befugnis des Arztes, Heileingriffe auch ohne den Willen des Betroffenen vorzunehmen, enthielt auch dieses Gesetz nicht. Forderungen nach einer derartigen Bestimmung wurden zwar auch unter dem Eindruck der 36 37 38 39 40

E. Schultze, Irrenrecht, S. 230 f. E. Schultze, Irrenrecht, S. 231. PrOVG OVGE 77, 341, 345; 80, 120,122. OVGE 103, 142, 147. Bernhöft, S. 220.

41 Bernhöft, S. 211. 42 E. Schultze, Irrenrecht, S. 276 ff., 279. 43 Vom 25. 6. 1910, GVB1. S. 299; abgedr. auch in: Psych.-Neurol. Wochenschrift, 1910/11, S. 231.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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erwähnten Entscheidung des Reichsgerichts 44 erhoben 45. Dem Grundsatz nach galt bei der Befugnis zur Unterbringung 46 ebenso wie bei der Heilbehandlung aber die familienrechtliche Lösung, also die Notwendigkeit, bei willensunfähigen Patienten Angehörige bzw. Vormünder zur Zustimmung zu bewegen47. Die erhobene Klage, daß es einfacher sei, einen Kranken zu behandeln, als mit den „fast immer unverständigen Angehörigen" auszukommen48, läßt erkennen, daß diese rechtlichen Anforderungen auf Seiten vieler Psychiater wenig Gegenliebe fand. Nicht erkennbar ist, daß die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begründet wurde 49 , für die Frage nach der Zulässigkeit von Heileingriffen ohne oder gegen den Willen des Betroffenen im Rahmen der Unterbringung fruchtbar gemacht wurde. Vielmehr ging man 1928 mit großer Selbstverständlichkeit davon aus, daß bei Nichteingreifen gesetzlicher Vorschriften eine Zwangsbehandlung „gemeingefährlicher Geisteskranker", soweit sie überhaupt möglich sei, schon deshalb nicht zulässig sei, weil die Internierung zur Beseitigung der Gefahr für die öffentliche Sicherheit bereits ausreiche 50. Dem Stillstand in rechtlicher Hinsicht stand eine Welle neuer körperlicher Behandlungsmethoden gegenüber. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts neben der Verabreichung von Beruhigungsmitteln nur die seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts praktizierte Fiebertherapie bei progressiver Paralyse zur Verfügung stand51, traten seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts körperliche Behandlungsmethoden stark in den Vordergrund. Es begann die sog. „Ära der Schockverfahren" 52 . Nach der Isolierung des Insulins im Jahre 1922 wurde die Anwendbarkeit auf Geisteskrankheiten in den Jahren 1927-33 entdeckt. Die Erzeugung eines Insulinschocks war von Anfang an wegen der erheblichen Risiken nicht unumstritten 53 . Krampfzustände wurden weiterhin durch Kampfer, ab Ende der 20er Jahre mit Cardiazol erzeugt 54. 1938 erfolgte erstmals die Anwendung von Elektroschocks bei schizophrenen Patienten durch U. Cerletti (1877-1963). Sie unterschied sich von dem schon aus römischer Zeit bekannten Einsatz von Elektrizität 55

44 RGSt 25, 375. 45 Aschaffenburg, Neurol. Centraiblatt 1900, S. 680; Rittershaus, Irrengesetzgebung, S. 165; vgl. auch den psychiatrischen Gegenentwurf zum Irrengesetz bei Rittershaus, Irrengesetzgebung, S. 193 f., 216 (§ 14). 46 Bernhöft, S. 220. 47 Aschaffenburg, Neurol. Centralblatt 1900, S. 680. 48 E. Schultze, Irrenrecht, S. 230. 49 Zur Entwicklung: Wenninger, S. 106 ff. 50 Hahn, S. 128. 51 Dazu Ackerknecht, Kurze Geschichte, S. 101 f. 52 Psychiatrie-Enquete, BT-Drs. 7/4200, S. 61 f. 53 Alexander/Selesnick, S. 351 f. 54 Ackerknecht, Kurze Geschichte, S. 102; Alexander/Selesnick, 55 Durch Auflegen eines Zitteraals.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

und die Ende des 19. Jahrhunderts verwendete Form nicht-konvulsiver Elektrobehandlung56 durch den therapeutischen Einsatz des Krampfes. Gerade in der Anfangszeit waren die Risiken einer derartigen Behandlung beachtlich; Wirbel- und Knochenbrüche an den Extremitäten kamen gehäuft vor. Dennoch gelang es der Elektrokrampftherapie, die Insulinschockbehandlung bis in die 40er Jahre weitgehend zu verdrängen. Gegenüber der Elektrokrampftherapie erwies sich die seit den 40er Jahren vereinzelt praktizierte Psychochirurgie, bei der versucht wurde, mittels einer Stirnlappenoperation psychische Krankheiten zu heilen, als kurzlebige Erscheinung. Zu hoch war das Risiko und unübersehbar die vollständige und nachteilige Veränderung des Wesens der Patienten57. Juristische Probleme insbesondere bei der Anwendung der Elektrokrampftherapie wurden in Deutschland erst nach 1945 offensichtlich.

3. Nationalsozialismus Bereits am 14. 7. 1933 begann mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" und seiner Ausführung das dunkelste Kapitel der deutschen Psychiatriegeschichte. Ca. 300.000 psychisch Kranke und geistig Behinderte wurden auf der Grundlage des § 12 des Gesetzes zwangssterilisiert; viele starben an den Folgen des Eingriffs 58 , weitere 100.000 Menschen wurden bei medizinischen Versuchen gefoltert und getötet59. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" basierte auf einem seit 1932 vorliegenden Entwurf des Preußischen Staatsrates. Hinzugefügt wurde die Möglichkeit, die Sterilisation gegen den Willen der Betroffenen mit polizeilichem Zwang durchzusetzen60. Daß ein derartiges Gesetz recht früh erging, ist ein wichtiges Indiz dafür, daß die nationalsozialistischen Machthaber sich Ideen zu eigen machten und umsetzten, die in der psychiatrischen Lehre des beginnenden 20. Jahrhunderts durchaus geteilt wurden. 1912 erwog der bereits mehrfach zitierte Ernst Schultze die Vorteile der Nichtbehandlung von Selbstmördern unter rassehygienischen Gesichtspunkten61. Karl Binding und Alfred Hoche trugen, wenn auch möglicherweise ungewollt, mit der 1922 fertiggestellten Schrift „Zur Frage der Vernichtung lebensunwerten Lebens" zur Entwicklung der geistigen Grundlage des späteren organisierten Krankenmordes bei 62 . Rassenhygienische Deutungen gewannen in den 20er Jahren insbesondere in psychiatrischen Krankheitskonzep56

Alexander/Selesnick, S. 357 f. 57 Alexander/Selesnick, S. 357 f. 58 J. E. Meyer, Psychiatrie, S. 11; Dörner/Plog, 59 di Poli, Deutsches Ärzteblatt 1993, B-2303. 60 Kaminsky, S. 158. 61 E. Schultze, Irrenrecht, S. 229. 62 Hochmuth, S. 4.

S. 472.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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ten Bedeutung63. Auch vor dem Hintergrund der andauernden finanziellen Krise der Weimarer Republik waren Diskussionen über Zwangssterilisationen und die Vernichtung „lebensunwerten Lebens" verbreitet 64. Ideen des Sozialdarwinismus aber auch die immanente Abwehr und Angst gegenüber der Andersartigkeit psychisch Kranker und Behinderter bildeten einen fruchtbaren Boden für die EugenikGesetzgebung65. Der staatlich organisierte Mord an Kranken nahm seinen Anfang mit der durch das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" ermöglichten Abtreibung bis zum sechsten Monat 66 . Es Schloß sich die Tötung von ca. 5000 Kindern an 67 . 1939 gipfelte die Entwicklung in der systematischen und zentral organisierten Tötung psychisch Kranker, technokratisch als T-4-Aktion bezeichnet. Ihr fielen in Deutschland ca. 80.000 Menschen zum Opfer 68 . Öffentlicher Widerstand regte sich in den Kreisen der deutschen Psychiatrie kaum 69 . Die Mehrzahl der kirchlichen Einrichtungen verweigerte konsequent die Mitwirkung, ohne allerdings an die Öffentlichkeit zu treten 70. Diesen Schritt wagte erst 1941 der Münsteraner Bischof Graf von Galen, dessen Kritik als wesentlicher Beitrag für die Beendigung des zentral organisierten Krankenmordes angesehen wird 7 1 . Bis zum Kriegsende wurden eine nicht schätzbare Zahl psychisch Kranker und geistig Behinderter Opfer der „wilden Euthanasie", der nach wie vor staatlichen, jedoch nicht mehr zentral gelenkten Tötung und Mißhandlung durch Medikamentenversuche und Nahrungsentzug72. Die Zahl der Opfer in Polen und der damaligen Sowjetunion wird auf ca. 120.000 geschätzt73. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich die Frage nach der rechtlichen Befugnis zur Zwangsbehandlung in der Psychiatrie nahezu. Dennoch sei der Hinweis erlaubt, daß sich auch in diesem Zeitraum ein allgemeiner Behandlungszwang zumindest für diejenigen, die körperlich in Freiheit lebten, nicht durchsetzen konnte. Zwar gab es Stimmen eifriger Nationalsozialisten, die unter Berufung auf das gemeinsame Interesse des Volksganzen eine Entwicklung zu einer allgemeinen

63 64 65 66

Kaminsky, S. 138. Kaminsky, S. 90, 140. Psychiatrie-Enquete, BT-Drs. 7/4200, S. 62. Kaminsky, S. 322.

67 Kaminsky, S. 328. 68 J. E. Meyer, Psychiatrie, S. 11 ; Psychiatrie-Enquete, BT-Drs. 7/4200, S. 62. 69 J. E. Meyer, S. 13. 70 Ein außerordentlich differenzierte und ausgewogene Darstellung findet sich bei Kaminsky, S. 344 ff., 370 ff.; speziell zu Bethel und der Rolle F. v. Bodelschwinghs: Hochmuth, S. 31 ff.. 71 J. E. Meyer, Psychiatrie, S. 13. 72 Kaminsky, S. 324. 73 Dörner/Plog, S. 473.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Pflicht zur Gesundheit forderten. Zur Begründung wurde auf den in der Reichsärzteordnung vom 13. 12. 1935 festgelegten Auftrag der Ärzteschaft 74, z.T. auch auf das „Interesse des Volksganzen" an der Erhaltung der Gesundheit des einzelnen hingewiesen. Dieses führe zur Verpflichtung desjenigen, der der Gemeinschaft noch nützen könne, sich ärztlich behandeln zu lassen75. Mit der Einschränkung, daß das Interesse der Gemeinschaft, „der öffentliche Zweck, die Gesundheit des Volksganzen zu erhalten" 76, stärkere Beachtung zu finden habe und dem Interesse des Kranken vorgehen könne, wurde von weiten Teilen der Literatur und dem Reichsgericht ein allgemeiner Behandlungszwang jedoch abgelehnt77.

4. Bundesrepublik Deutschland a) Erste Generation der Unterbringungsgesetze Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus wurde mit Art. 104 Abs. 2 GG die Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung dem Richter übertragen. Erforderlich wurde damit eine Neuregelung zumindest der verfahrensrechtlichen Seite der Unterbringung. Anfängliche Diskussionen darüber, ob psychisch Kranken überhaupt die Freiheit entzogen werden könne, oder ob sie nicht durch ihre Krankheit von vornherein unfrei seien78, Art. 104 Abs. 2 GG also nicht greife, erledigten sich recht bald. Entgegen mancher Stimme in der Literatur, die zumindest die familienrechtliche Unterbringung nicht Art. 104 Abs. 2 GG unterworfen wissen wollte 79 , stellte zunächst der BGH klar, daß Art. 104 GG geltendes Recht und auch in diesem Bereich zu beachten sei 80 . Später entschied das BVerfG, daß sowohl die öffentlich-rechtliche als auch die zivilrechtliche Unterbringung gemäß Art. 104 Abs. 2 GG eine richterliche Entscheidung voraussetze81. Der Gesetzgeber, und mangels Tätigwerden des Bundes in diesem Falle die Landesgesetzgeber, waren also aufgerufen, Art. 104 GG umzusetzen. Hamburg erließ das Gesetz zur Ausführung des Art. 104 des Bonner Grundgesetzes82, Niedersach74 So B. Hofmann, Deutsches Recht 1936, S. 502 ff. 75 Kallfelz, JW 1936, S. 3115. 76 RGZ 151, 349, 353. 77 Röttgen, S. 41 f.; RGZ 151, 439, 353; 168, 206 ff.; zur Einwilligung des Stellvertreters für willensunfähige Patienten: Engisch, ZStW 58, S. 38 ff. 78 Mit dieser Tendenz: Zutt, JZ 1951, S. 433; Roß, NJW 1959, S. 2286; zu Recht anderer Ansicht: Franke, NJW 1960, S. 1369; Baumann, Unterbringungsrecht, S. 11 mwN. 79 Roß, NJW 1959, S. 2285. so BGHZ 5,41. si BVerfGE 10, 302, 322 ff. 82 Vom 17. 8. 1949, GVB1. S. 177.

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sen fügte Bestimmungen über die Unterbringung in das Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung 83 ein und die übrigen Bundesländer erließen wenig später eigene Unterbringungs- bzw. Verwahrungsgesetze 84. Diese Unterbringungsgesetze der 1. Generation waren stark polizeirechtlich geprägt. Der auch in der jungen Bundesrepublik erhobenen Forderung nach einer fürsorgerischen Ausrichtung des Unterbringungsrechts entsprachen sie jedoch zumindest in einigen Punkten. Zunächst war die Einbeziehung Geistesschwacher, der Psychopathen und Suchtkranken in entsprechende Gesetze gefordert worden 85 . Zum anderen wurde die Ermöglichung der Unterbringung aus Gründen der Fürsorge, insbesondere um die Heilbehandlung zu ermöglichen, angemahnt86. Während die Einbeziehung Geistesschwacher und Suchtkranker in vielen Gesetzen erfolgte 87, ermöglichte lediglich das Unterbringungsgesetz Baden-Württembergs, ganz in der Tradition des Badischen Irrenfürsorgegesetzes von 1910, die Unterbringung aus Gründen der Anstaltsbedürftigkeit 88. Alle anderen Gesetze hielten an dem Erfordernis der Gemeingefahr fest. Die Gemeingefahr umfaßte nun ausdrücklich, der Auslegung der Generalklauseln § 10 II 17 ALR bzw. § 15 PVG entsprechend89, auch die erhebliche Selbstgefährdung 90, insbesondere die Gefahr der Selbsttötung. Bestimmungen über die Zulässigkeit von Heileingriffen ohne oder gegen den Willen des Betroffenen enthielten die wenigsten Gesetze91. Dort wo eine Regelung getroffen wurde, war diese äußerst knapp 92 , oder aber die Behandlungspflicht wurde als Annex zur Unterworfenheit unter die Anstaltsordnung aufgefaßt 93. 83 Vom 21. 3. 1951, GVB1. S. 79, §§ 9 - 1 2 ; so später auch Hamburg: Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung v. 14. 3. 1966, GVB1. S. 77. 84 Bayerisches Verwahrungsgesetz vom 30. 4. 1952, GVB1. S. 163; Hessisches Gesetz über die Entziehung der Freiheit geisteskranker, geistesschwacher oder alkoholsüchtiger Personen vom 19. 5. 1952 (HFEG), GVB1. S. 60; UnterbringungsG BW vom 16. 5. 1955, GBl. S. 87; UBG NW vom 16. 10. 1956, GVB1. S. 300; Berliner UBG vom 24. 7. 1952, GVB1. S. 630, Neuf, vom 5. 6. 1958, GVB1. S. 521; UBG Schl.-H. vom 26. 8. 1958, GVOB1. S. 271; UBG RhPf. vom 19. 2. 1959, GVB1. S. 91. 85 H.E. Schulz, in: Richter und Arzt, S. 45 f. 86 Insbesondere Zutt, JZ 1951, S. 434; Roß, NJW 1959, S. 2284; später auch H. Erhardt, Der Nervenarzt 1966, S. 108 f.; entgegengesetzt: Janzarik, NJW 1959, S. 2288 f. 87 § 1 UBG BW; Art. 1 Bay VerwahrG; § 1 Abs. 1 Berliner UBG; § 1 UBG Schl.-H.; § 1 UBG RhPf; § 2 UBG NW; auf die Suchterkrankung beschränkend: § 10 Abs. 1 Gesetz über die öff. Sicherheit und Ordnung NDS. 88 Vgl. § 3 Abs. 1 UBG BW. 89 Baumann, Unterbringungsrecht, S. 20. 90 Ausdrücklich: Art. 1 Bay VerwahrungsG, § 1 Abs. 1 Berliner UBG; § 1 Abs. 2 HEFG; § 10 Abs. 1 Gesetz über die öff. Sicherheit und Ordnung NDS; § 1 Abs. 2 UBG RhPf; § 1 Abs. 1 UBG SH. 91 Nur Art. 6 Bay VerwahrungG.; § 22 UBG RhPf; § 17 Hess. UBG, erstaunlicherweise besteht die letztgenannte Bestimmung heute noch nahezu unverändert. 92 So Art. 6 Bayer. VerwahrungsG. 3 Heide

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Die Ansicht, daß deshalb in den übrigen Bundesländern eine Zwangsbehandlung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage unzulässig sei, die Heilbehandlung also der Einwilligung des Betroffenen oder seines gesetzlichen Vertreters bedürfe, wurde jedoch nur vereinzelt vertreten 94. Nahezu einhellig war man der Auffassung, daß die Zwangsbehandlung von Personen, die aufgrund eines richterlichen Beschlusses untergebracht waren, zulässig sei. Gesetzliche Regelungen des Behandlungszwanges seien nützlich, aber nicht erforderlich, da das Recht zur Behandlung sich schon aus der Entscheidung über die Unterbringung ergebe 95. Die Behandlung bewirke schließlich, daß die Unterbringung verkürzt werde. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebiete daher die Zulässigkeit der Heilbehandlung96. Mit dem besonderen Gewaltverhältnis, dem zwangsweise in Heilanstalten Untergebrachte unterlagen 97, wurden vorrangig solche Zwangsbehandlungen gerechtfertigt, die der Ermöglichung der Unterbringung 98 oder der Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung dien.99

ten . Sucht man nach Gründen für die fast einhellige Bejahung der Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen auf der Grundlage des öffentlichen Rechts in dieser Zeit, so stößt man zunächst auf die tiefgreifende Veränderung, die die Psychiatrie Anfang der 50er Jahre mit der Einführung der Psychopharmaka 100 erfahren hat. Die Aufenthaltsdauer in den Anstalten verkürzte sich dadurch deutlich, Methoden der mechanischen Fixierung standen nicht mehr im Vordergrund und die „Wachsaalatmosphäre" verschwand allmählich 101 . Durch diese Entwicklung veränderte sich nicht nur die Atmosphäre in den Anstalten, die stationäre Psychiatrie wurde auch stärker zur Behandlung Suchtkranker, Kranker mit Störungen im Alter oder leichteren Formen psychischer Krankheit eingesetzt102. Die Behandlung von Psychosen wurde ungleich leichter. Heilung oder zumindest die Möglichkeit, die Krankheit so zu beherrschen, daß ein Leben mit der Krankheit erträglich wurde, wurden erreichbar.

93 § 17 HEFG; § 22 UBG PhPf.; später auch in § 21 Abs. 1 UBG Bremen vom 16. 10. 1962, GBl. S. 203. 94 Roß, NJW 1959, S. 2287, FN 10; schwankend: Hans Göppingen Fortschritte der Neurol. und Psych. 1956, S. 100 ff., 105 f.; offengelassen von BGH, NJW 1966, S. 1855. 95 Kern, in: Neumann-Nipperdey-Scheuner, S. 95; Barella, NJW 1959, S. 2291 ff.; Baumann, Unterbringungsrecht, S. 44, 435 f.; BayVerfGH, Verw.Rspr. Bd. 10, 1958, S. 390, 393; Arzt, NJW 1967, S. 668 mwN. 96 Franke, NJW 1960, S: 1373; BayVerfGH, a. a. O., S. 397; Barella, NJW 1959, S. 2291 f. 97 BGHZ 21, 214 (220). 98 Zu medikamentösen Beruhigung KG, NJW 1971, S. 1091. 99 OLG Köln, JMB1. NW 1967, S. 262 f.; weitergehend Arzt, NJW 1967, S. 668, der das Recht zur Zwangsbehandlung insgesamt der Unterworfenheit unter das besondere Gewaltverhältnis entnehmen wollte. 100

Richtiger Neuroleptika, da die zweite wichtige Gruppe der Psychopharmaka, die Antidepressiva, erst seit 1957 eingesetzt wurden, dazu Ackerknecht, Kurze Geschichte, S. 105. ιοί J. E. Meyer, Psychiatrie, S. 3; Psychiatrie-Enquete, BT-Drs. 7/4200, S. 62. 102 Psychiatrie-Enquete, BT-Drs. 7/4200, S. 62 f.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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Der pharmakologische Fortschritt führte auch dazu, daß die Frage nach Zwang und Freiheit in der Psychiatrie neue Bedeutung gewann 103 . Er ermöglichte aber nicht nur eine neue Diskussion, sondern prägte sie auch. Mit der im Vergleich zur Krampftherapie verträglicheren medikamentösen Therapie und den nun erreichbaren Behandlungserfolgen erschien die Zwangsbehandlung in neuem Licht. Geringer wurden die Bedenken gegen die Vertretbarkeit und erheblich stärker die Legitimation durch den ärztlichen Heilauftrag. Humanisierung der Behandlung und Steigerung der Behandlungseffizienz trugen sicher dazu bei, auch die rechtliche Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen eher zu bejahen. Eine andere Möglichkeit der Deutung ist, daß mit den Unterbringungsgesetzen und der Bejahung der Zwangsbehandlungsbefugnisse lediglich die Zustände legalisiert wurden, die ohnehin schon immer in der Psychiatrie bestanden104. Dann wäre die weitgehende Bejahung des Rechts zur Zwangsbehandlung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage als Nachvollziehung und Legitimierung zu verstehen, die nun unter der Geltung des Grundgesetzes notwendig geworden war. Wenig geklärt ist dabei die Verlagerung der Befugnis zur Zwangsbehandlung von der familienrechtlichen 105 auf die öffentlich-rechtliche Ebene; der „Ersetzung des Vormundes durch den Verwaltungsakt" 106. Soziologisch mag hier die schwindende Bedeutung des Familienverbandes und die Tendenz zur Isolierung des Einzelnen eine Rolle spielen. Juristisch trug dazu die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis bei, die in dieser Zeit zwar theoretischen Wandlungen unterworfen war, in der Praxis jedoch eine beachtliche Beharrlichkeit entwickelte 107 . Weiterhin dürften praktische Erwägungen eine erhebliche Rolle gespielt haben. Die Unterbringungsgesetze enthielten und enthalten noch Bestimmungen, nach denen eine zwangsweise Unterbringung schon begrifflich ausgeschlossen ist, wenn der Vormund des Unterzubringenden mit der Maßnahme einverstanden ist 1 0 8 . Die fehlende Konkurrenz von öffentlich-rechtlicher und familienrechtlicher Unterbringung ließ sich aber in dem Zeitpunkt nicht mehr mit der polizeirechtlichen Ausrichtung ersterer und der fürsorglichen Tendenz der zweiten begründen, in dem öffentlichrechtliche Unterbringungsgesetze die fürsorgerischen Ansätze weitgehend übernahmen. Für die Krisenbewältigung, und das dürfte der Hauptanwendungsfall der zwangsweisen Unterbringung sein, eignete sich zudem das „schnellere", weil auch vorläufig durch die Verwaltungsbehörde durchführbare Verfahren der öffentlichrechtlichen Unterbringung in höherem Maße. War ein faktisches Übergewicht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung aber erst vorhanden, so spielte der auf den er103 Winkler, Der Nervenarzt 1966, S. 304. 104 Mit diesem Ansatz: Stolz, R&P 1984, S. 57. 105 Also dem grundsätzlichen Erfordernis, bei einwilligungsunfähigen Patienten die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters einzuholen. 106 Ähnlich: Roß, NJW 1959, S. 2287. 107 Wenninger, S. 222. 108 Dazu Böning, NJW 1960, S. 1375. *

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

sten Blick außerordentlich konsequente Gedanke, daß eine Unterbringung in eine Heilanstalt wenig Sinn machte, wenn man den untergebrachten psychisch Kranken nicht auch der Heilbehandlung unterwarf, die entscheidende Rolle, um ein Zwangsbehandlungsrecht auf öffentlich-rechtlicher Grundlage zu etablieren.

b) Zweite Generation der Unterbringungsgesetze Als Folge der „Strafgefangenen-Entscheidung" des BVerfG 109 und der somit höchstrichterlich festgestellten Erstreckung des Gesetzesvorbehalts auf das sog. besondere Gewaltverhältnis, wurden auch im Bereich der Zwangsbehandlung untergebrachter psychisch Kranker gesetzliche Bestimmungen notwendig 110 . Nach Gewährung gewisser Übergangsfristen 111 ging die Rechtsprechung dazu über, Zwangsbehandlungen in den Ländern für unzulässig zu erklären, die keine gesetzliche Grundlage geschaffen hatten 112 . Soweit gesetzliche Bestimmungen nicht wie in Bayern, Hessen und RheinlandPfalz ohnehin bestanden 113 oder in der Zwischenzeit erlassen worden waren (Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland) 114, wurden sie spätestens jetzt geschaffen 115. Diese Bestimmungen gelten im wesentlichen heute noch 116 . Die Einführung gesetzlicher Bestimmungen über die Zulässigkeit der Zwangsbehandlungen erfolgte damit anläßlich einer Reform des Unterbringungsrechts der Länder in den 70er und 80er Jahren. Diese Neuordnung steht in engem Zusammenhang mit der Psychiatriereform in dieser Zeit, deren umfassende Darstellung weit über den Rahmen dieser Untersuchung hinausgehen würde. Verkürzt kann man sagen, daß die deutsche Anstaltspsychiatrie, auch im Hinblick auf durchgreifende Reformen der Psychiatrie in Italien 117 und den USA, stark in die Kritik geriet. Von 109 BVerfGE 33, 1. no Göppingen FamRZ 1980, S. 858; Baumann, NJW 1980, S. 1873 ff. m OLG Stuttgart v. 18. 10. 1974, Die Justiz (Amtsbl. des Justizministeriums BW) 1974, S. 464. 112 OLG Stuttgart, NJW 1981, S. 638. 113 Art. 6 Bay. UBG; § 17 HEFG; § 22 UBG RhlPf. 114 § 21 UBG HB v. 16. 10. 1962, ersetzt durch § 30 PsychKG Bremen v. 9. 4. 1979, GBl. S. 123; § 26 PsychKG NW v. 2. 12. 1969, GVB1. S. 872; § 19 UBG Saarl. v. 10. 12. 1969, ABl. 1970, S. 22. us § 35 PsychKG Hamb. v. 22. 9. 1977, GVB1. S. 261; § 26 NdsPsychKG v. 30. 5. 1978, GVB1. S. 443; § 26 PsychKG SH v. 26. 7. 1979, GVB1. S. 251; § 18 UBG BW v. 11. 4. 1983, GBl. S. 133; zuletzt: § 30 PsychKG Berlin v. 8. 3. 1985, GVB1. S. 586; wesentliche Änderungen in Bayern durch die Neufassung des UBG v. 20. 4. 1982, GVB1. S. 202, jetzt Art. 21 Bay. UGB. 116

Zu Einzelheiten daher unten bei II. Das Gesetz No. 180 von 1978 („Lex Basaglia") wurde in jüngster Zeit in wesentlichen Punkten wieder geändert; zur „Reform der Psychiatriereform" in Italien: Deutsches Arzteblatt 1993, B-841; W. Raith, Die Geschichte einer sabotierten Reform, in: TAZ v. 19.12. 1990, S. 7. 117

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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der Infragestellung der Psychiatrie als medizinische Wissenschaft durch Hervorheben der gesellschaftspolitischen Funktion der Psychiatrie 118, der Forderung nach Abschaffung der Anstaltspsychiatrie 119 oder der psychiatrischen Großkrankenhäuser 120 bis zu moderateren Ansätzen zur Reform 121 der Psychiatrie reichte und reicht das Spektrum der Positionen. Durchsetzen konnte sich eine deutliche, wenn auch z.T. als nicht hinreichend empfundene 122 Reform. Neben einer erheblichen Modernisierung der Anstalten, der Schaffung kleinerer und gemeindenaher Versorgungseinrichtungen, lag ein Schwerpunkt der Reform auf der Einrichtung ambulanter, vor- und nachsorgender Hilfen für psychisch Kranke. 123 Dementsprechend sehen die neu geschaffenen Unterbringungsgesetze Ansprüche der Kranken auf ambulante Versorgung ebenso vor wie die Möglichkeiten, Kranke zu einer ambulanten Untersuchung zu verpflichten 124 oder für diese Personen die Durchführung einer ambulanten Behandlung zur Auflage zu machen 125 . Als Kehrseite dieses Ausbaus sozialer Hilfen wurde bald die Verstärkung sozialer Kontrolle über psychisch Kranke herausgestellt 126. Zusammen mit der verstärkt fürsorgerischen Konzeption des Unterbringungsrechts 127, ergebe sich die Tendenz, zu Lasten der Freiheitssphäre des Kranken eine Unterbringung nur zur Behandlung, also eine umfassende Bevormundung in Gesundheitsfragen zu etablieren 128.

c) Dritte Generation der Unterbringungsgesetze Die jüngste Generation der Unterbringungsgesetze entstand einerseits durch den Neuerlaß von Unterbringungs- bzw. Psychisch-Kranken-Gesetzen in den Bundesländern des Beitrittsgebietes 129. Andererseits veranlaßte das seit dem 1. 1. 1992 118

So insbesondere: Szasz, in: Basaglia u. a., Befriedigungsverbrechen, S. 237 ff. Wambach/Hellerich, in: Wambach u. a., Museen des Wahnsinns, S. 209 f. 120 Ζ. B. Forderungen der Humanistischen Union, Vorgänge 1980, S. 91 f. 121 So der Tenor der Psychiatrie-Enquete, BT-Drs. 7/4200; vgl. auch Finzen, in: Sim, Hilfe für den psychische Kranken Menschen, S. 102 f. 119

122

Vgl. nur Keupp in: Eisenbach-Stangl, S. 33 ff. ι 2 3 Am deutlichsten tritt der Vorrang ambulanter und gemeindenaher Hilfen nun im BbgPsychKG hervor, vgl. §§ 4 Abs. 3; 6 Abs. 3, Abs. 4; 9 Abs. 2; 10 Abs. 1. 124 Z. B. § 9 Abs. 1 PsychKG NW; § 9 PsychKG Rhl.Pf. 125 Z. B. § 30 Abs. 1 S. 2 PsychKG NW. 126 So insbesondere Stolz, R&P 1984, S. 51; zu diesem Spannungsverhältnis auch Walter, in: Lauter/Schreiber, Rechtsprobleme in der Psychiatrie, S. 58 f. 127 Vgl. Marschner, Psychische Krankheit, S. 72 ff. 128 Zu dieser Gefahr schon Baumann, Unterbringungsrecht, S. 24 f.; zu den Einzelheiten s.u. II 1). 129 PsychKG M.-V. v. 1. 6. 1993, GVOB1. S. 528, 736; neugefaßt durch Gesetz vom 13. 4. 2000; Sachs. UBG v. 16. 6. 1994, GVB1. S. 1097; PsychKG LSA v. 30. 1. 1992, GVB1. S. 432; Thür. PsychKG v. 2. 2. 1994, GVB1. S. 81; in Brandenburg galt das Gesetz über die Einweisung in stationäre Einrichtungen für psychisch Kranke v. 11.6. 1968 (DDR-Gesetzbl.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

geltende neue Betreuungsrecht die meisten Bundesländer, die Unterbringungsgesetze zu ändern 130 . Diese Änderungen wurden z.T. durch die in Art. 5 Betreuungsgesetz erfolgte bundeseinheitliche Regelung des gerichtlichen Unterbringungsverfahrens bedingt (§§ 70 ff. FGG). Für die hier interessierende Frage nach der Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen brachten sie z.T. nur redaktionelle Korrekturen 1 3 1 , teilweise aber auch wichtige inhaltliche Änderungen mit sich. So ist gemäß § 13 Abs. 1 Saarl. UBG, § 30 Abs. 2 Beri. PsychKG, § 23 Abs. 2 PsychKG M.-V., § 18 Abs. 4 PsychKG NW und § 13 Thür. UBG nunmehr die Heilbehandlung nur mit Einwilligung des Untergebrachten bzw. seines gesetzlichen Vertreters zulässig, soweit die Behandlungsmaßnahme nicht unaufschiebbar ist. Damit ist in diesen Bundesländern in etwa die Rechtslage wiederhergestellt, die vor Entstehung der Bundesrepublik bestand. Ob diesen Ansätzen eine allgemeine Entwicklung von der „öffentlich-rechtlichen" zurück zur „familienrechtlichen Lösung" folgt, bleibt allerdings abzuwarten.

5. Zusammenfassung Die Schaffung ausdrücklicher rechtlicher Befugnisse, in psychiatrischen Anstalten untergebrachte Personen auch gegen ihren Willen behandeln zu können, erfolgte außerordentlich spät. Während im 19. Jahrhundert aufgrund der fehlenden Strafdrohung für eigenmächtiges ärztliches Handeln ein praktisches Bedürfnis für eine Regelung weitgehend nicht bestand, ist für die Folgezeit eine Rechtfertigung für Behandlungsmaßnahmen ohne oder gegen den Willen des Untergebrachten nicht erkennbar. Die prinzipiell bestehende „familienrechtliche" Lösung, d. h. die Ersetzung der Einwilligung durch Angehörige bzw. Vormünder, scheint in der psychiatrischen Praxis keine große Rolle gespielt zu haben. In der Bundesrepublik wurden zunächst vereinzelt, in Folge der Strafgefangenen-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dann aber in allen Ländern gesetzliche Grundlagen für die Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen des Untergebrachten in den Unterbringungs- bzw. Psychisch-Kranken-Gesetzen der Länder geschaffen. Die Vermutung, daß mit diesen Regelungen die ohnehin bestehende Praxis in den psychiatrischen Anstalten nachträglich legitimiert wurde, drängt I S. 273) bis 1996 als Landesrecht gemäß Art. 9 I EinigungsV weiter; vgl. dazu: BVerfG, FamRZ 1995, S. 1052, 1054 ff., jetzt BbgPsychKG v. 8. 2. 1996, GVB1.1 1996, S. 26. 130 UBG BW, Fassung v. 2. 12. 1991, GBl. S. 794; Bay. UBG, Fassung v. 5. 4. 1992, GVB1. S. 60; PsychKG Berlin, zuletzt geändert durch Gesetz v. 17. 3. 1994, GVB1. S. 86; PsychKG Bremen, Änderung vom 18. 2. 1992, GBl. S. 31; HFEG, Änderung vom 5. 2. 1992, GVB1.1 S. 66; NdsPsychKG, Änderung vom 17. 12. 1991, GVB1. S. 367, jetzt Neufassung vom 16. 6. 1997, GVB1. S. 272; Saarl. PsychKG v. 11. 11. 1992, ABl. S. 1271; PsychKG Hamb. v. 27. 9. 1995, GVB1. S. 235; PsychKG RhPf v. 17. 11. 1995, GVB1. S. 473; PsychKG NW v. 17. 12. 1999, GVB1. S. 662. 131 So in Bayern und Baden-Württemberg.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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sich auf. Einige Unterbringungsgesetze der neuesten Generation verzichten weitgehend auf ein Zwangsbehandlungsrecht auf öffentlich-rechtlicher Grundlage und kehren beeinflußt vom neuen Betreuungsrecht zur „familienrechtlichen" Konzeption zurück.

II. Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen nach geltendem Unterbringungsrecht 1. Voraussetzungen und Zweck der Unterbringung Mit der Frage nach der Zulässigkeit einer Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen des Betroffenen sind die Voraussetzungen der zwangsweisen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus untrennbar verbunden, da die Unterbringung nicht nur tatbestandliche Voraussetzung der Zwangsbehandlung darstellt, sondern auch wichtige Rückschlüsse auf den Zweck der Unterbringung und damit auf Legitimation und Grenzen der Heilbehandlung zuläßt. Voraussetzung für die Unterbringung nach Landesrecht ist zunächst das Vorliegen einer psychischen Krankheit. Weiterhin wird bei den Unterbringungsvoraussetzungen zwischen der Fremd- und Eigengefährdung unterschieden. Eine Reihe von Unterbringungsgesetzen betonen, daß fehlende Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft allein eine Unterbringung nicht zu rechtfertigen vermögen. Darüber hinaus legen insbesondere die Unterbringungsgesetze neueren Datums den Zweck der Unterbringung ausdrücklich fest.

a) Psychische Krankheit Bei der Umschreibung des Begriffes der psychischen Krankheit weisen die einschlägigen Unterbringungsgesetze eine beachtliche Vielzahl von Unterschieden und Abweichungen auf. Als Ausgangspunkt eines Vergleiches bieten sich die recht jungen Gesetze von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin an, nach denen eine psychische Krankheit im Falle einer Psychose, einer psychischen Störung, die einer Psychose in ihren Auswirkungen gleichkommt, einer Abhängigkeit von Suchtstoffen oder einer geistigen Behinderung vorliegt, bei denen ohne Behandlung keine Aussicht auf Besserung besteht 132 . Anstelle der psychischen Störung, die in ihren Auswirkungen der Psychose gleichkommt, wird in Baden-Württemberg eine Störung von erheblichem Ausmaß verlangt, in Bremen und Hamburg auf die Behandlungsbedürftigkeit 132 § 1 Abs. 2, Abs. 3 PsychKG Berlin; § 1 Abs. 2, Abs. 3 PsychKG M.-V; ebenso, jedoch unter Verzicht auf geistige Behinderung § 1 Abs. 2 BbgPschyKG; § 1 Abs. 2 PsychKG Ph.Pf. erwähnt die Behinderung nicht.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

der Störung und in Thüringen auf eine Störung von erheblichem Ausmaß mit Krankheitswert abgestellt. In Bremen wird der Begriff des Schwachsinns verwendet; in Niedersachsen, Hessen und Bayern werden „geistesschwache"133 Personen dem Anwendungsbereich der Unterbringungsgesetze unterstellt. Suchtkrankheiten werden in Bayern nicht erwähnt. Ebensowenig scheinen die Unterbringungsgesetze des Saarlands, Rheinland-Pfalz, Bayerns und Sachsens auf geistig Behinderte Anwendung zu finden. In Brandenburg unterfallen geistig Behinderte im Gegensatz zu seelisch Behinderten nur noch dann dem PsychKG, wenn sie aufgrund hinzutretender psychischer Störungen besonderer Hilfe bedürfen 1 3 4 . Auf eine Erläuterung des Begriffes der psychischen Krankheit verzichtet das SächsPsychKG weitgehend, differenziert allerdings zwischen Hilfen für von psychischer Krankheit bedrohte Personen und Zwangsmaßnahmen gegenüber bzw. der Unterbringung von psychisch Kranken. Ein ähnlicher Ansatz findet sich in Hamburg und Nordrhein-Westfalen: Während Hilfen bereits für Personen bereitgestellt werden, bei denen Anzeichen für eine psychische Krankheit bestehen oder die an einer psychischen Krankheit gelitten haben, werden für die Durchführung von Maßnahmen Anhaltspunkte für eine psychische Krankheit und für die Unterbringung schließlich das Vorliegen der psychischen Krankheit verlangt 135 . Mit Ausnahme des veralteten HFEG, das im wesentlichen Begriffe des 19. Jahrhunderts verwendet 136 , folgen alle Unterbringungsgesetze dem Beispiel des ersten modernen Psychisch-Kranken-Gesetzes der Bundesrepublik, des PsychKG NW, und versuchen, psychische Krankheit in Anlehnung an die medizinische Terminologie zu umschreiben. Anders dagegen das neue PsychKG Niedersachsen, das auf „ . . . Personen, die aufgrund einer psychischen Störung krank oder behindert sind .. . " 1 3 7 Anwendung findet. Die dort gefundene Formulierung vermag nicht recht einzuleuchten, da gemeinhin die Krankheit den Oberbegriff bildet, Störungen mit Krankheitswert somit nur einen Teilbereich des Begriffs der psychischen Krankheit ausmachen. Eine stärkere Bindung an den medizinischen Sprachgebrauch beabsichtigte offenbar auch der Gesetzgeber in Sachsen und verwendete unter Verzicht auf weitere Erläuterungen und auf Kosten der Bestimmtheit einfach den Begriff des psychischen Krankheit.

133 Zum Begriff der Geisteschwäche BGH, NJW 1970,1974; LG Marburg vom 10.5.1995, Az: 5 Ο 33/90, S. 19, 26 f. 134 § 1 Abs. 3 BbgPsychKG. 135 § 1 Abs. 1 Nr. 1 - 3 PsychKG NW; § 1 Abs. 1 Nr. 1 - 3 PsychKG Hamb; ähnlich § 1 Nr. 1, 2 i.V.m. § 16 NdsPsychKG. 136 Vgl. Saage /Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 1.3 Rn. 2. 137 § 1 Nr. 1 NdsPsychKG.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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Letztere Formulierungen sind Anlehnungen an die anfangs verbreitete Auffassung, nach der den Unterbringungsgesetzen ein medizinischer Krankheitsbegriff zu Grunde liege 138 . Heute ist allgemein anerkannt, daß der Begriff der psychischen Krankheit ein Rechtsbegriff ist und damit im Wege juristischer Auslegung ermittelt werden muß 1 3 9 . Dem medizinischen Verständnis von psychischer Krankheit kommt dabei eine Hilfsfunktion zu 1 4 0 , deren Bedeutung angesichts der Rolle des psychiatrischen Sachverständigen im Unterbringungsverfahren nicht unterschätzt werden sollte. Erschwert wird die Findung eines juristischen Krankheitsbegriffes allerdings dadurch, daß auch der psychiatrischen Wissenschaft nicht gelungen ist, einen allgemeingültigen Begriff der psychischen Krankheit zu etablieren 141. Hilfestellung bieten Klassifizierungen wie die allgemeine anerkannte ICD-10 der WHO 1 4 2 . Unproblematisch als psychische Krankheiten im Sinne der Unterbringungsgesetze sind danach die endogenen und exogenen Psychosen anzusehen. Psychische Störungen, d. h. Neurosen und Persönlichkeitsstörungen, werfen demgegenüber regelmäßig das Problem der Abgrenzung zum „Normalmaß menschlicher Unzulänglichkeiten" 143 auf. Die große Mehrheit der Unterbringungsgesetze verlangt daher eine psychische Störung von erheblichem Ausmaß bzw. eine Störung, die in ihren Auswirkungen einer Psychose gleichkommt 144 . In diesem Grenzbereich verpflichtet das BVerfG zudem zu einer besonders sorgfältigen Prüfung durch den Richter, ob einer Störung tatsächlich Krankheitswert zukommt 145 . Schwierigkeiten ergeben sich bei der Einordnung der Abhängigkeitserkrankungen, die nach psychiatrischer Klassifikation regelmäßig psychische Krankheiten darstellen. Die Formulierungen der Gesetze deuten darauf hin, daß auch die psychische Abhängigkeit vom Gesetzgeber als ausreichend erachtet wird 1 4 6 . Im Bereich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung läßt sich zudem mittels des Krank138 Kulimann, § 1 I 1 (5) ff.; Eberhard/Erdmann/Link, Einführung , S. 5, §§ 1,2 Erl.l; Parensen, § 11 I 1 S. 166 ff. unter Hinweis auf die Begründung des PsychKG NW, LT-Drs. 6/725, S. 214; auch noch Less, S. 66. 139 BVerfGE 58, 208, 225; BGHZ 53, 388, 391 f.; Kokott, S. 185; Pentz, NJW 1990. S. 2779; Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 1.3 Rn. 5; Juchart/Warmbrunn, § 1 Anm. 2. 140

Baumann, Unterbringungsrecht, S. 242; Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 1. 3 Rn. 8. 141 GerdHuber, Psychiatrie, S. 29; Tölle, Psychiatrie, S. 29; Marschner, Psychische Krankheit, S. 144; Übersicht über die verschiedenen Krankheitsbegriffe bei Baer, S. 7 ff. 142 Auszüge bei Tölle, Psychiatrie, S. 32 ff. 143 Bauer/Birk/Rink, 1100, vor § 1896 BGB, Rn. 69. 144 Ζ. Β. § 1 Abs. 2 PsychKG M.-V; § 1 Abs. 2 PsychKG NW. 145 BVerfGE 58, 208, 227. 146 Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 1.3 Rn. 12; auf den Verlust der Selbstkontrolle durch Abhängigkeit stellt das neue PsychKG M.-V. in § 1 Abs. 2 ab.

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heitsbegriffes kaum eine Beschränkung auf bestimmte Formen von Suchterkrankungen oder bestimmte Suchtstoffe vornehmen. Die notwendige Grenzziehung zwischen Abhängigkeitserkrankungen, die eine Unterbringung rechtfertigen, und solchen, bei denen eine Unterbringung unverhältnismäßig ist, haben nach den gesetzlichen Vorgaben in diesem Bereich die weiteren Unterbringungsvoraussetzungen zu leisten 147 . Die Begriffe der geistigen und seelischen Behinderung sind der medizinischen Klassifikation nicht ohne weiteres zuzuordnen. Neben den Oligophrenien als dauerhaft abnormen Verstandeslagen fallen unter den Begriff der Behinderung vor allem chronische Verläufe psychischer Krankheit und Altersdemenzen 148, die allerdings auch ohne besondere gesetzliche Erwähnung als psychische Erkrankungen angesehen werden könnten. Aus den unterschiedlichen und ζ. T. unvollständigen Umschreibungen psychischer Krankheit in den Unterbringungsgesetzen ergeben sich daher bei näherer Betrachtung keine bemerkenswerten Unterschiede. Nicht zu verkennen ist aber, daß durch die Anlehnung an den medizinischen Krankheitsbegriff heute der Kreis der von Unterbringungsgesetzen potentiell Betroffenen gegenüber der Beschränkung auf den „gemeingefährlichen Geisteskranken" 1 4 9 erheblich erweitert ist 1 5 0 . Dieses wird im Hinblick auf die Begründung von Ansprüchen auf Hilfen nach den Psychisch-Kranken-Gesetzen moderner Prägung begrüßenswert sein, sieht sich jedoch unter dem Gesichtspunkt der Freiheitssicherung auch der Kritik ausgesetzt151. Zumindest im Bereich der öffentlichrechtlichen Unterbringung ist die Entziehung der Freiheit und damit die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung jedoch von weiteren Voraussetzungen abhängig. Solange diese in Verbindung mit einem restriktiven, nicht jede Form sozial abweichenden Verhaltens erfassenden Krankheitsbegriff die notwendige Freiheitssicherung gewährleisten, bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen einen an den medizinischen Vorgaben orientierten Krankheitsbegriff. Anders wird man urteilen müssen, wenn man die Notwendigkeit eines „Sonderrechts" für psychisch Kranke generell in Frage stellt. Nimmt man die Existenz der bestehenden Gesetze zunächst einmal hin, erscheint es nur konsequent, daß sich die gesetzlichen Regelungen an dem naturwissenschaftlichen Verständnis von psychischer Krankheit orientieren. Ob aus dem Vorliegen einer psychischen Krankheit unmittelbar eine Legitimation der Zwangsbehandlung abgeleitet werden kann, ist an späterer Stelle zu klären.

147

Saage/Göppingen a. a. O. Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 1.3 Rn. 14. S.o.S. A I . 1. 150 Reichel, in: Wambach, S. 282. 148

151 Reichel, a. a. O.; Marschner, Psychische Krankheit, S. 144 ff.

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b) Fremdgefährdung Die Fremdgefährdung stellt gegenüber der Selbstgefährdung den älteren, praktisch jedoch mittlerweile den weit unbedeutenderen Unterbringungsgrund dar 1 5 2 . Die wenigen in der Bundesrepublik Deutschland existierenden Untersuchungen führen an, daß lediglich 27,7% 153 bzw. 25% 1 5 4 der Unterbringungsanträge mit aggressiven Handlungen oder der Androhung von Gewalt gegen andere begründet werden; eine andere Studie geht von 12% 1 5 5 aus. Bergener/Heiliger/Holzschneider 1 5 6 weisen auf den erstaunlichen Umstand hin, daß bei mehr als einem Drittel der gerontopsychiatrischen Patienten die Androhung oder Ausübung von Gewalt gegen andere als Unterbringungsgrund in den ärztlichen Zeugnissen genannt werden; Alterspatienten erscheinen demnach deutlich gewalttätiger als Personen, bei denen Alkoholabhängigkeit zur Unterbringung geführt hat. Das läßt vermuten, daß den Angaben in ärztlichen Zeugnissen nicht immer eine tatsächlich bestehende Fremdgefährdung zugrunde liegt, die Annahme einer Fremdgefahrdung vielmehr nicht selten eine Hilfsfunktion erfüllt und die obengenannten Quoten eher nach unten zu korrigieren sind. Auch hinsichtlich der Fremdgefährdung weichen die Formulierungen in den Unterbringungsgesetzen der Länder voneinander ab. Die polizeirechtliche Tradition tritt deutlich in den Ländern hervor, in denen bei einer erheblichen und gegenwärtigen bzw. dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eine Unterbringung möglich ist 1 5 7 . Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg orientierten sich am Beispiel einer Vielzahl von Polizeigesetzen der Länder und verzichteten auf das Merkmal der öffentlichen Ordnung 158 . Eine Reihe von Landesgesetzen verlangen demgegenüber eine erhebliche Gefahr für die Mitmenschen 159 bzw. für Rechtsgüter anderer 160. Insbesondere in den neueren Unterbringungsgesetzen wird letztere Voraussetzung weiter eingeengt, indem auf bedeutende Rechtsgüter Dritter

152 Die Begründung des Entwurfs zum BbgPsychKG führt aus, daß auch Zweck der Unterbringung sei, „in einigen Fällen die Öffentlichkeit vor der untergebrachten Person zu schützen", LT-Drs. 2/1190, S. 5, Zu § 9 Absatz 1. 153 Bruns, S. 161; bezogen auf die Unterbringungen im ZKH-Bremen 1984 und 1985. 154 Bergener/Heiliger/Holzschneider, S. 31; bezogen auf die Unterbringungen in Köln 1983. 155 Degkwitz, Der Nervenarzt 1986, S. 416. Die geringere Quote ist vermutlich damit zu erklären, daß nicht die Unterbringungsanträge, sondern die tatsächlich erfolgten Aufnahmen unabhängig von der Rechtsgrundlage untersucht wurden. 156 S. 61. 157 Art. 1 Abs. 1 Bay UBG; § 11 Abs. 1 PsychKG Bremen; § 1 Nr. 2 Nds PsychKG; § 13 Abs. 1 Nr. 2 PsychKG LSA; auch § 11 Abs. 1 PsychKG NW a.F., die in der Neufassung gewählte Reihenfolge entspricht der Rechtswirklichkeit, vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 PsychKG NW.

158 § 11 Abs. 1 PsychKG M.-V; § 8 Abs. 2 2. BbgPsychKG. 159 § 1 Abs. 1 HFEG. 160 § 1 Abs. 4 UBG BW; § 8 Abs. 1 PsychKG SH; § 6 Abs. 1 Thür. PsychKG.

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abgestellt wird 1 6 1 . In Hamburg wird nunmehr die Gefahr einer Schädigung einer anderen Person verlangt 162 . Unstreitig ist der Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in den Unterbringungsgesetzen ebenso wie im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht zu verstehen163. Nach der allgemein anerkannten Definition sind mit der öffentlichen Sicherheit „die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen sowie Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Träger von Hoheitsgewalt" 164 geschützt. Die öffentliche Ordnung ist in Anlehnung an die Begründung zu § 14 PrPVG die „Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerläßliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens betrachtet wird" 1 6 5 . In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg fällt letzterer Bereich als Schutzobjekt weg. Angesichts dieses denkbar weiten Bezugspunktes der Gefährdung ist es notwendig und angesichts der Schwere des Grundrechtseingriffes naheliegend, daß sämtliche Gesetze eine erhebliche Gefährdung für die öffentliche Sicherheit fordern. Praktisch bedeutsam wird diese Einschränkung bei der Aussonderung bloßer Belästigungen166. Bei den anderen Unterbringungsgesetzen sind als Rechtsgüter Dritter zunächst Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Ehre anerkannt 167. Nach weiterer Ansicht sollen hierunter nicht nur die strafrechtlich, sondern auch die „polizeirechtlich" geschützten Rechtsgüter Dritter fallen 168 . Der eigentliche Unterschied zu den Gesetzen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung als Schutzobjekt beibehalten, dürfte darin liegen, daß ausschließlich subjektive Rechte Dritter gefährdet sein müssen169, eine Gefährdung der sonstigen Schutzgüter also nicht reicht. Der ausdrücklichen Einschränkung auf bedeutende Rechtsgüter Dritter kommt praktisch nur eine geringe Bedeutung zu, da auch bei Fehlen dieses Merkmals, z.T. unter Hinweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip, davon ausgegangen wird, daß Stö161 § 8 Abs. 1 S. 2 PsychKG Berlin; § 4 Abs. 1 UBG Saarl.; § 10 Abs. 2 Sachs. PsychKG; § 11 Abs. 1 PsychKG RhPf. 162 § 9 Abs. 1 S. 1 PsychKG Hamb. 163 Baumann, UnterbringungsR, S. 259; Parensen, § 11 Erl. I I 1 b, S. 172. 164 Drews /Wacke/Vogel/Martens, S. 235; vgl. auch die Legaldefinition in § 2 Brem PolG. 165 Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 52 Rn. 93. 166 Allgemeine Ansicht: Saage /Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, III. Rn. 150; Marschner, Psychische Krankheit, S. 68; weitergehend Less, S. 73 f., der lediglich körperliche Gewalt und Verletzung Dritter für ausreichend erachtet.

167 Kulimann, HFEG, § 1 (33), S. 29. 168 Baumann, UnterbringungsR, S. 259 f. 169 Das verkennen Juchart/Warmbrunn, § 1 UBG BW, Erl. 2.4.2.

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rungen des Hausfriedens oder bloße Belästigungen allein keine Unterbringung rechtfertigen können 170 . Nicht ausreichend ist weiterhin die bloße Möglichkeit aggressiven Verhaltens, schon gar nicht nachvollziehbares Abwehrverhalten gegenüber Repressalien und kaum erträglichen Bedingungen während der geschlossenen Unterbringung 171.

c) Eigengefährdung Praktisch bedeutsamer und in weit größerem Maße problematisch ist die Unterbringung von psychisch Kranken, die sich selbst gefährden. Ausnahmslos bestimmen die Unterbringungsgesetze der Länder, daß psychisch Kranke, die ihr Leben oder ihre Gesundheit erheblich gefährden, untergebracht werden können. Ζ. T. wird die Selbstgefährdung als Unterfall der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angesehen172, überwiegend jedoch als eigenständige Unterbringungsvoraussetzung ausgestaltet173. In Hessen wird recht unbestimmt eine Gefahr für sich selbst 174 für ausreichend erachtet, im Saarland zusätzlich bedeutende eigene Rechtsgüter des Unterzubringenden zum Schutzobjekt erklärt 175 und in Bremen die Verwahrlosung als Grund für erhebliche gesundheitliche Schäden des psychisch Kranken exemplarisch angeführt. 176 Als nicht unproblematisch erscheinen zunächst jene Gesetze, die die Selbstgefährdung, insbesondere die Gefahr der Selbsttötung als Unterfall der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgestalten. Schon im allgemeinen Polizeiund Ordnungsrecht bestehen hinsichtlich des polizeilichen Einschreitens zur Selbstmordverhinderung gewisse Schwierigkeiten. Wird zur Begründung der Zulässigkeit polizeilichen Einschreitens einerseits auf den Schutz von Leben und Gesundheit auch gegen den insoweit unbeachtlichen Willen des Suizidenten abgestellt 177 , so steht bei anderen Autoren die aus § 323c StGB folgende allgemeine Hilfeleistungspflicht im Vordergrund 178. Die Schwierigkeiten, eine reine Indiviso BayObLGE 1989, 17, 20; Zimmermann, Thür. PsychKG, § 6 Rn. 7. s i LG Marburg vom 10. 5. 1995, 3 Ο 33/90, S. 24 ff. 172 Art. 1 Abs. 1 S. 2 Bay. UBG; § 11 Abs. 1 S. 2 PsychKG Bremen; früher: § 11 Abs. 1 S. 2 PsychKG NW a.F., jetzt aufgegeben durch § 11 Abs. 1 S. 1 PsychKG NW. 173 § 1 Abs. 4 UBG BW; § 8 Abs. 1 S. 1 PsychKG Berlin; § 8 Abs. 2 1. BbgPsychKG; § 8 Abs. 1 PsychKG SH; § 6 Abs. 1 Thür. PsychKG; § 13 Abs. 1 Nr. 1 PsychKG LSA; § 16 NdsPsychKG; § 11 Abs. 1 S. 2 PsychKG M.-V; § 4 Abs. 1 UBG Saarl; § 9 Abs. 1 PsychKG Hamb.; § 11 Abs. 1 PsychKG RhPf. 174 § 1 Abs. 2 HFEG. 175 § 4 Abs. 1 UBG Saarl. 176 § 11 Abs. 1 S. 2 PsychKG Bremen. 177 Drexvs/Wacke/Vogel/Martens, S. 229 f.; Knemeyer, VVDStRL 35, S. 254 ff. 178 Goetz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 100; vgl. Fink, Selbstbestimmung, S. 25 f.; dazu unten C. II. 2. b).

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dualgefahr als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung anzusehen, schlugen sich bei der Auslegung der Unterbringungsgesetze in der Frage nieder, ob und in welchem Maße eine Selbstgefährdung zumindest die Öffentlichkeit betreffen muß 1 7 9 . Der sich hier manifestierende Streit über die polizeirechtliche oder fürsorgerechtliche Ausrichtung des Rechts der psychisch Kranken ist bis heute nicht befriedigend gelöst 180 . Praktische Auswirkungen dürfte er aber kaum haben. Das ehemals in diesem Zusammenhang relevante Problem der Unterbringung Suchtkranker 181 ist nunmehr von allen Unterbringungsgesetzen angesprochen und gelöst. Auch die Unterbringungsgesetze, die an einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung festhalten, stellen die Selbstgefährdung als bedeutenden Unterbringungsgrund heraus. Ebensowenig dürften sich in der Praxis der Unterbringung bemerkenswerte Unterschiede feststellen lassen 182 . Sieht man als Zweck der Unterbringung bei Selbstgefährdung den Schutz der Allgemeinheit vor den Folgen der Selbstschädigung an 1 8 3 , oder erklärt man die Gefahr des Selbstmordes oder erheblicher Gesundheitsschäden von vornherein zur Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, so ist kein Unterschied zu denjenigen Unterbringungsgesetzen erkennbar, die diese Umstände als eigenständige Unterbringungsgründe ausgestalten. Wenig geklärt ist weiterhin die Frage, auf welche Art von Gesundheitsschäden für den Unterzubringenden sich die Gefahr beziehen muß. Der insgesamt spärlichen und z.T. veralteten Kommentarliteratur sowie der nur selten zu findenden veröffentlichten Rechtsprechung lassen sich kaum allgemeingültige Kriterien entnehmen. Nur noch als Einzelauffassung wird vertreten, daß die Verwahrlosung eines psychisch Kranken ausreichen soll, um „die Behandlung anzuordnen" 184. Für Hessen wird eine erhebliche Selbstgefährdung regelmäßig dann angenommen, wenn ein Verhalten den Tod des Betreffenden zur Folge haben kann, weil eine hochgradige Verwahrlosung vorliegt 185 . Nicht ausreichend soll ein „krankheitsbedingtes Herumvagabundieren" sein, bei dem der Betroffene sich noch ausreichend ernährt, aber seine Kleidung vernachlässigt, keiner Arbeit nachgeht und keinen festen Wohnsitz begründet 186; ebensowenig begründet der Wille, aus der Anstalt zu entweichen, einen Anhaltspunkt für die Annahme einer Selbstgefährdung 187. Etwas 179 OLG Zweibrücken, NJW 1974, S. 610; Parensen, PsychKG NW § 11 2 c, S. 177; zum damaligen Streitstand: Baumann, UnterbringungsR, S. 280 ff. ι 8 0 Vgl. Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 4.2 Rn. 69. 181 Dazu: Parensen, PsychKG NW, § 11 2 c cc). 182 Koch, NJW 1974, S. 611. 183 So Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 4.2 Rn. 76. 184 Deutsch, Arztrecht, S. 251, der insgesamt eine zu restriktive Auslegung und zu seltene Anwendung der Vorschriften beklagt. iss LG Marburg vom 10. 5. 1995, 3 Ο 33/90, Umdruck S. 24. 186 Kulimann, HFEG, § 1 Rn. 41 ff.

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anderes soll gelten, wenn die Verwahrlosung zu einem länger dauernden Siechtum führt. 188 Kaum konkreter ist die Aussage, daß nur schwere gesundheitliche Schäden ausreichen, wie sie bei Selbstmord, Selbstverstümmelung, der unkontrollierten Einnahme giftiger Substanzen oder anderen Formen körperlicher Selbstschädigung vorliegen 189 . Darüber hinaus soll Verwahrlosung zumindest dann ausreichend sein, wenn sie eine akute Gesundheitsgefahr mit sich bringe, was in einem fortgeschrittenen Stadium der Verwahrlosung regelmäßig zu bejahen sei. 190 Von einigen Autoren wird angeführt, daß auch Formen erheblicher Gesundheitsgefährdung erst dann eine Unterbringung rechtfertigen können, wenn sie zu einem Zustand führen, der „in die Nähe der Selbsttötung rückt" 1 9 1 . Im Hinblick auf den Gegenstand der Untersuchung stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit nach dem geltenden Recht die Verweigerung einer ärztlicherseits für notwendig erachteten Heilbehandlung zur Unterbringung führen kann. Eine Reihe von Unterbringungsgesetzen stellen ausdrücklich fest, daß die fehlende Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, allein nicht zur Unterbringung führen darf 192 . Das entspricht der weithin geteilten Ansicht, daß es eine umfassende Zwangsfürsorge des Staates auch für psychisch Kranke nicht geben darf 193 . So wurde § 73 BSHG a.F. für verfassungswidrig erklärt, da die Besserung eines Menschen allein keinen hinreichend gewichtigen Grund für die Entziehung der Freiheit darstelle 194 . Andererseits führt das BVerfG in einer Entscheidung zum UBG BW aus, daß eine Unterbringung, die allein dem Schutze des Kranken vor sich selbst erfolgt, nicht ausgeschlossen sei. Das allgemein bestehende Recht, Hilfe zurückzuweisen, wenn nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit betroffen seien, bestehe nicht uneingeschränkt, wenn jemand aufgrund einer psychischen Krankheit nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sei, die Schwere der Krankheit oder die Notwendigkeit einer Behandlung einzusehen195. Die Grenzen, die die Verfassung einer Zwangsfürsorge für psychisch Kranke setze, seien 187 LG Marburg vom 10. 5. 1995, 3 Ο 33/90, S. 24 in einem Fall, der krasse psychiatrische und juristische Fehlleistungen bei der Unterbringungsentscheidung aufzeigt. 188 BayObLGZ 63, 237. 189 Reckers, PsychKG LSA, § 13, Erl. 2; Eberhard/Erdmann/Link, PsychKG NW, § 11 Erl. 21. 190 Juchart/Warmbrunn, UBG BW § 1, 2.4.2. 191 Zimmermann, Thür. PsychKG § 6 Rn. 6; Marschner, Psychische Krankheit, S. 37. 192 § 8 Abs. 1 PsychKG Berlin; § 8 Abs. 4 BbgPsychKG; § 11 Abs. 1 PsychKG Bremen; § 11 Abs. 1 S. 2 PsychKG M.-V.; § 11 Abs. 1 S. 3 PsychKG NW; § 9 Abs. 1 S. 2 PsychKG Hamb.; § 6 Abs. 2 S. 2 Thür PsychKG; § 11 Abs. 1 S. 3 PsychKG RhPf; jetzt auch § 11 Abs. 1 S. 2 PsychKG NW. 193 BVerfGE 58, 208, 225; Marschner, Psychische Krankheit, S. 69; Baumann, UnterbringungR, S. 25; Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 4.2 Rn. 69. 194 BVerfGE 22, 181, 219 f. 195 BVerfGE 58, 208, 225 f.

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zumindest dann gewahrt, wenn die Gefahr ernster Gesundheitsschäden Voraussetzung der Unterbringung sei. 196 Die Weigerung, sich einer ärztlicherseits für notwendig erachteten Heilbehandlung zu unterziehen, kann demnach Grund für die Unterbringung sein, wenn sich der psychisch Kranke damit der Gefahr erheblicher Gesundheitsschäden aussetzt. 197 Die Heilbehandlung muß demzufolge notwendig sein, um dauerhafte und erhebliche negative Veränderungen der Gesundheit zu verhindern oder günstig zu beeinflussen. Das dürfte regelmäßig der Fall sein, wenn erhebliche Dauerschäden ζ. B. durch eine Chronifizierung zu erwarten sind, oder aber die Krankheit einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen kann. Nicht ausreichend ist demgegenüber eine somatische oder psychische Krankheit, bei der der Heilungsprozeß durch die Behandlung lediglich beschleunigt werden kann, die keine irreversiblen Folgen hat oder regelmäßig nur geringfügige Beeinträchtigungen hervorruft. In diesen Grenzen besteht nach dem geltenden Unterbringungsrecht eine „Freiheit zur Krankheit" 198 . Soweit eine Gefahr für erhebliche Gesundheitsschäden nicht vorliegt, wird die Selbstgefährdung von psychisch Kranken von der Rechtsordnung akzeptiert. Die Verweigerung einer an sich vernünftigen, weil medizinisch indizierten Behandlung, darf demzufolge auch nicht Anhaltspunkt für das Vorliegen einer psychischen Krankheit oder besonderes Indiz für die Behandlungsbedürftigkeit darstellen 199.

Exkurs: Art. 23 HVerf Ein besonderes Problem stellt sich bei der Unterbringung wegen Selbstgefährdung im Lande Hessen. Während § 1 Abs. 2 HFEG ohne weiteres davon ausgeht, daß Personen, die sich in erheblichem Maße selbst gefährden, untergebracht werden können, beschränkt Art. 23 HVerf die Unterbringung auf die Fälle, in denen ein Kranker seine Mitmenschen erheblich gefährdet. Aus Art. 24 HVerf wird deutlich, daß die in Art. 19 ff. HVerf genannten Unterbringungsgründe abschließenden Charakter haben. Dieser offensichtliche Widerspruch zwischen Landesverfassung und einfachem Landesrecht wurde z. Zt. der Entstehung des HFEG damit zu rechtfertigen ver-

196 BVerfGE 58, 208, 226. 197 BVerfG, Kammerbeschi, vom 23. 3. 1998-2 BvR 2270/96, NJW 1998, S. 1774; auch OLG Saarbrücken, R&P 1998, S. 45 f. 198 BVerfG, Kammerbeschi, vom 23. 3. 1998-2 BvR 2270/96, NJW 1998, S. 1774, 1775. 199 Zu diesem unzulässigen Zirkelschluß: OLG Schleswig, R&P 1994, S. 37 = BtPrax 1994, S. 62 = FamRZ 1994, S. 781; auch OLG Saarbrücken, R&P 1998, S. 46; Less, S. 231 f.; sehr deutlich: Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 4.3 Rn. 105.

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sucht, daß Eigengefährdung und Fremdgefährdung letztlich identische Sachverhalte darstellen 200. Zudem bedeute Art. 142 GG, daß Landesgrundrechte nur insoweit aufrechterhalten bleiben, als sie nicht über die Grundrechte des Grundgesetzes hinausgehen201. Weder der Kunstgriff zum Unterschied zwischen Fremd- und Eigengefährdung noch das Verständnis des Art. 142 GG sind heute noch haltbar. Nach allgemeiner Ansicht haben wegen Art. 142 GG solche Landesgrundrechte gegenüber Art. 31 GG grundsätzlich Bestand, die ein Mehr an Schutz gewähren 202. Die gegenüber dieser Grundaussage vorgetragenen Bedenken beziehen sich regelmäßig auf Fälle, in denen landesverfassungsrechtliche Grundrechte auf einen weiteren Personenkreis erstreckt wurden, als das bundesgrundrechtlich der Fall ist. 2 0 3 Sie erschöpfen sich in einem Bereich, in dem nachvollziehbar die Träger bundesrechtlicher Grundrechte in der Form von Teilhaberechten Beeinträchtigungen durch die Erweiterung des personalen Schutzbereichs zu befürchten haben. Eine derartige Konkurrenz ist im Bereich der Unterbringung wegen Selbstgefährdung unter keinem Gesichtspunkt erkennbar, so daß sich aus Art. 142 GG kein Grund ergibt, den weiteren Schutz des Art. 23 HVerf gegenüber den in dieser Frage offenen Art. 104 und Art. 2 Abs. 2 GG zurückzustellen. Die Ansicht von Zinn/Stein, die Unterbringung bei Selbstgefährdung in Hessen sei dennoch zulässig, weil der gesetzliche Eingriff auf den Vorbehalt des Art. 2 Abs. 2 GG zu stützen sei 2 0 4 , überzeugt ebenfalls nicht. Ein Landesgesetzgeber, der ein Bundesgrundrecht einschränkt, kann den weitergehenden Schutz des Landesverfassung nicht dadurch umgehen, daß er sich auf die bundesverfassungsrechtlich gewährten Einschränkungsmöglichkeiten beruft 205 . Jedes freiheitsbeschränkende Landesgesetz wird sich auf eine bundesgrundrechtliche Schranke beziehen müssen. Konsequenterweise wären dann Grundrechte der Landesverfassungen stets umgehbar, also praktisch unverbindlich; jedenfalls wäre aber die Hierarchie zwischen einfachem Landesrecht und der Landesverfassung auf den Kopf gestellt. Die Unterbringung wegen Selbstgefährdung in Hessen wirft daher ganz erhebliche landesverfassungsrechtliche Probleme auf 2 0 6 . Sollte sich ein bundesverfassungsrechtliches Gebot, psychisch Kranke im Falle der Selbstgefährdung unterzubringen, im Laufe der Untersuchung nicht ergeben, so wäre § 1 Abs. 2 HFEG wegen Verstoßes gegen Art. 23 HVerf (landes-)verfassungswidrig.

200 H. Mayer, in: Richter und Arzt, S. 29. 201 H. Mayer, in: Richter und Arzt, S. 28. 202 HessStGH, NJW 1982, S. 1382 f.; Stern, Staatsrecht III/2, S. 1459; Richter, JuS 1982, S. 901; v. Münch, Vorb. 1 -19, Rn. 39; Jarass/Pieroth, Art. 142 Rn. 3. 203 Zur landesverfassungsrechtlichen Einbeziehung von Ausländern in den Schutzbereich des Berufsfreiheit: Quaritsch, HdbStR V, § 120 Rn. 8; VGH Kassel, NVwZ 1988, S. 855 f.; a.A.: SaarlVerfGH, NVwZ 1983, S. 604. 204 Art. 23 HVerf, Anm. 3. 205 So aber: Zinn/Stein, vor Art. 1 Anm. VII 5. 206 Stern, Staatsrecht III/2, § 79IV 4, S. 362, FN 567. 4 Heide

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d) Weitere Voraussetzungen Entscheidend für die Praxis richterlicher Entscheidung in Unterbringungssachen und damit zu Recht als zentraler dogmatischer Ansatzpunkt im Unterbringungsrecht bezeichnet207, ist der Gefahrbegriff. Sämtliche Unterbringungsgesetze verlangen zwar das Vorliegen einer erheblichen Gefahr eines Schadenseintritts. Allerdings wurde der Gefahrengrad insbesondere bei Gesetzen polizeirechtlicher Prägung stark relativiert. Eine Gefahr soll auch vorliegen, wenn sich eine psychische Krankheit so auswirkt, daß der Eintritt eines schadensstiftenden Ereignisses unvorhersehbar ist, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist 2 0 8 . Diese Formulierung, die als Reaktion auf die als zu restriktiv empfundene Rechtsprechung 209 eingefühlt wurde, soll den Eigenarten psychischer Krankheit gerecht werden, sieht sich aber dem verbreiteten Vorwurf ausgesetzt, eine präventive und willkürliche Unterbringung zuzulassen.210 Zu Recht wird betont, daß als besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Recht der Gefahrenabwehr die Eintrittswahrscheinlichkeit umgekehrt proportional zum Ausmaß des zu erwartenden Schadens sein muß. Daher müsse ζ. B. die Eintrittswahrscheinlichkeit bei einer Selbstschädigung höher als die bei einer Gefährdung fremden Lebens sein. 211 Diesem Erfordernis wird die o.g. gesetzliche Formulierung nur unzureichend gerecht. Ebenfalls aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergibt sich der Grundsatz, daß die Unterbringung psychisch Kranker ultima ratio sein muß. 21 2 Der Vorrang der Hilfen nach den Psychisch-Kranken-Gesetzen wird dementsprechend von allen Gesetzen ausdrücklich betont. 213

e) Zweck der Unterbringung Zweck jeder Unterbringung ist zunächst die Beseitigung derjenigen Umstände, die zur Unterbringung führten; im Falle der öffentlichen Unterbringung also der Fremd- bzw. Eigengefährdung, bei den Ländergesetzen, die die polizeirechtliche 207

Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994,4.3 Rn. 87. 208 § 9 Abs. 2 PsychKG Hamb.; § 11 Abs. 1 S. 2 RhPf; § 11 Abs. 1 S. 2 PsychKG M.-V.; § 8 Abs. 2 PsychKG SH; § 6 Abs. 2 S. 1 Thür. PsychKG; § 11 Abs. 2 PsychKG NW; § 8 Abs. 3 BbgPsychKG. 209 ζ . B. OLG Celle, NJW 1963, S. 2377. 210 Kokott, S. 192; Marschner, Psychische Krankheit, S. 68; Reichel, in: Wambach, S. 286 ff.; zur Aufweichung des Gefahrbegriffs im Unterbringungsrecht schon kritisch: Baumann, UnterbringungsR, S. 290. 211 Kokott, S. 190 f.; diese Abstufung liegt unausgesprochen auch der Entscheidung des BVerfG, NJW 1983, S. 2627 zugrunde. 212 Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994,4.2 Rn. 82. 2 13 Ζ. Β. § 1 Abs. 4 UBG BW; Art. 1 Abs. 1 S. 3 Bay. UBG, §§ 9, 11 Abs. 1 PsychKG Bremen; § 9 Abs. 1 S. 1 PsychKG PhPf.

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Diktion aufrechterhalten, die Beseitigung der Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Ergänzend zu dieser naheliegenden Zweckbestimmung bestimmen eine Reihe von Unterbringungsgesetzen jüngeren Datums, daß der Zweck der Unterbringung zudem in der Heilbehandlung des Untergebrachten liege 214 . Ausführlich umschreibt § 9 BbgPsychKG den Zweck der Unterbringung mit Heilung, Besserung, Linderung und „Verhütung der Verschlimmerung" der psychischen Krankheit. Die Sicherung der untergebrachten Personen und der Öffentlichkeit wird nachrangig erwähnt. 215 In Bayern tritt der weiterführende Zweck der Ermöglichung eines eigenverantwortlichen Lebens in der Gemeinschaft hinzu 216 . Damit wird der bei der Unterbringungsentscheidung im Vordergrund stehende Sicherungsgedanke um den fürsorgerischen Aspekt der „Besserung" des Untergebrachten ergänzt. Zurückzuführen ist das auf den vielfach geäußerten und allgemein anerkannten Gedanken, daß eine Unterbringung ohne ein Hinwirken auf Besserung unzulässig wäre, da sie im Ergebnis zur historisch überwundenen Verwahrung psychisch Kranker führe 217 . Diese Legitimation der Unterbringung durch die Aussicht auf Besserung und Heilung, die sich nunmehr auch im Text der genannten Unterbringungsgesetze niederschlägt, besagt für die später zu beantwortende Frage nach der Zulässigkeit der Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen des Untergebrachten wenig. Ebensowenig wie der Aufenthalt eines somatisch Kranken in einem allgemeinen Krankenhaus seinen Zweck dadurch einbüßt, daß den behandelnden Ärzten das Recht zur Zwangsbehandlung nicht zusteht, ist der Zweck der Unterbringung psychisch Kranker durch einen Verzicht auf Zwangsmaßnahmen nicht von vornherein vereitelt. Das Vorhandensein von Behandlungsmöglichkeiten und nicht notwendigerweise die Befugnis zur Zwangsbehandlung begründet den Unterschied zwischen der Verwahrpsychiatrie alter Prägung und modernem, fürsorgerischem Verständnis von öffentlich-rechtlicher Unterbringung.

2. Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen Die landesrechtlichen Regelungen beantworten die Frage nach der Zulässigkeit einer Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen des Untergebrachten recht unterschiedlich.

214 § 9 PsychKG Berlin; § 12 Abs. 1 PsychKG M.-V.; § 6 Thür. PsychKG. 215 Vgl. auch die amtl. Begründung; LT-Drs. Brbg 2/1190, S. 5, Zu § 9 Absatz 1. 216 Art. 2 Bay. UBG. 217 Vgl. nur Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 4.2 Rn 75 f. 4*

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

a) Überblick über die landesrechtlichen Bestimmungen Eine große Gruppe von Landesgesetzen läßt Zwangsbehandlungen nicht nur in Ausnahmefällen zu. Auffällig innerhalb dieser Gruppe sind die Gesetze, in denen sich die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen erst aus dem systematischen Zusammenhang mit den Regelungen erschließt, die für schwerwiegende Eingriffe das Einverständnis des Untergebrachten verlangen 218. Das UBG BW spricht demgegenüber die Duldungspflicht offen an 2 1 9 . § 26 Abs. 2 S. 2 NdsPsychKG a.F. statuierte sogar eine Unterstützungspflicht des Untergebrachten, nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auch bei der nicht einverständlichen Behandlung. Eine zweite Gruppe von Landesgesetzen läßt eine Zwangsbehandlung nur dann zu, wenn die Behandlungsmaßnahmen unaufschiebbar sind. 220 In Thüringen ist gemäß § 13 Abs. 2 PsychKG die Zustimmung des Untergebrachten nur bei unaufschiebbaren Maßnahmen in Krisensituationen entbehrlich. Noch enger zieht § 13 Abs. 1 UBG Saarl. die Voraussetzungen einer Behandlung gegen den Willen: Ohne die Einwilligung des Untergebrachten oder seines gesetzlichen Vertreters darf erst behandelt werden, wenn mit dem Aufschub einer Maßnahme eine akute Gefahr für das Leben oder schwerwiegende und dauernde Gesundheitsbeeinträchtigungen einhergeht. Schwerwiegende medizinische Gründe sind gemäß § 30 Abs. 3 S. 2 PsychKG Hamb, erforderlich, um eine Behandlung gegen den Willen des Betroffenen durchzuführen. Diesem steht ansonsten das Recht zu, Einwendungen gegen die Behandlung zu erheben, welche dann eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Behandlung erforderlich machen (§ 30 Abs. 3 S. 1 PsychKG Hamb.). In Sachsen erfolgen alle Behandlungsmaßnahmen grundsätzlich mit dem Einverständnis des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters (§ 22 Abs. 1 S. 1 Sächs. PsychKG). Fehlt ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge, dann entscheidet das Gericht, welche Maßnahmen zulässig sind (§ 16). Liegt eine derartige Entscheidung nicht oder die Einwilligung des Betreuers nicht vor, so kann nur dann gegen den Willen des Untergebrachten behandelt werden, wenn mit einem Aufschub Leben oder Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet würden (§ 22 Abs. 1 S. 2 Sächs. PsychKG). Das PsychKG M.-V. läßt Behandlungsmaßnahmen gegen oder ohne den Willen des Untergebrachten nur dann zu, wenn dieser einsichts- oder steuerungsunfähig ist und keine gefährliche Maßnahme vorliegt (§ 23 Abs. 2). Eine Behandlung ist allerdings zulässig, wenn sich der Betroffene in einem Zustand befindet, in dem 218 Z. B. § 17 S. 2, 3 HFEG; § 26 Abs. 1 PsychKG NW a.F.; § 17 PsychKG LSA; § 26 PsychKG SH; § 20 UBG RhlPflz.; dazu kritisch: Marschner, R&P 1985, S. 3 f., der insbesondere das Bestimmtheitserfordernis verletzt sieht. 219 § 8 Abs. 2 UBG BW. 220 Art. 13 Abs. 2 Bay. UBG; § 30 Abs. 2 PsychKG Berlin; § 18 Abs. 4 PsychKG NW.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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ohne sofortige Behandlung eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit oder Dritte besteht. Das BbgPsychKG unterscheidet zwischen Behandlungsmaßnahmen und körperlichen Eingriffen und läßt erstere nur mit dem Einvernehmen des Untergebrachten zu, soweit die Maßnahmen nicht unaufschiebbar sind (§17 Abs. 3). Körperliche Eingriffe sind nur mit Einwilligung des Untergebrachten zulässig. Für einwilligungsunfähige Patienten verweist das BbgPsychKG auf das Bürgerliche Recht und das FGG, enthält sich also zunächst einer eigenen Regelung zur Zwangsbehandlung. Einen Mittelweg zwischen Betreuungsrecht und Zwangsbehandlungsrecht versucht das neue NdsPsychK von 1997. Grundsätzlich ist die Heilbehandlung von der Einwilligung des Untergebrachten abhängig. Ist dieser nicht in der Lage einzuwilligen, so kommt es auf die Einwilligung des Betreuers an (§ 21 Abs. 2). Dem fortschrittlich erscheinenden Ansatz trägt der weitere Gesetzestext dann allerdings nicht mehr Rechnung. Gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 NdsPsychKG ist die Behandlung der Anlaßerkrankung nämlich stets ohne Einwilligung möglich, nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 NdsPsychKG auch eine Behandlung, um „die Gesundheit anderer zu schützen". Welche Gründe den Gesetzgeber zu dieser seltsamen Regelungstechnik bewogen haben, mag dahinstehen. Zur Klarheit der getroffenen Regelung trägt sie jedenfalls nicht bei. Neben dem m. E. verwunderlichen Umstand, daß die genannten Regelungen so wesentliche Unterschiede aufzeigen 221, daß sie sich z.T. einer Systematisierung entziehen, bieten viele von ihnen Anlaß zur Kritik. Vom völlig überalterten HFEG, das die Regelungen zur Heilbehandlung in engem Zusammenhang mit der Unterworfenheit unter die Anstaltsordnung sieht, bis zum Sächs.PsychKG, das eine höchst komplexe und für die Praxis kaum noch verständliche oder handhabbare Regelung trifft, werden viele Defizite deutlich. Das Sächs.PsychKG überträgt dem Gericht die Anordnung über zulässige Heilmaßnahmen, ohne aber eine hinreichend konkrete, Umfang und Art der korrespondierenden Duldungspflichten festlegende materielle Rechtsgrundlage zu schaffen. Einer Vielzahl von Gesetzen läßt sich die Zulässigkeit von Heilbehandlungen gegen oder ohne den Willen des Betroffenen nur aus dem systematischen Zusammenhang entnehmen. Baumanns Befund aus dem Jahre 1980, daß Rechtssicherheit bezüglich der Zwangsbehandlung im Unterbringungsrecht der Länder nicht besteht 222 , trifft auch heute - wenn auch eingeschränkt - zu. Gemeinsam ist den Gesetzen, daß sie neben einem Anspruch auf Behandlung mit der genannten Ausnahme des BbgPsychKG eigene Rechtsgrundlagen zur Behandlung untergebrachter psychisch Kranker schaffen. In den noch zu erörternden Grenzen ist nach den genannten Gesetzen auch die Behandlung ohne oder gegen den Willen des Betroffenen möglich. 221 222

Kritisch dazu: Bernsmann, in: Blau/Kammeier, S. 156. Baumann, NJW 1980, S. 1879.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Unklar war die weitergehende Regelung des § 26 Abs. 2 S. 2 Nds. PsychKG a.F., nach dem der Untergebrachte die Behandlungsmaßnahmen zu unterstützen hat. Für den Bereich von Zwangsbehandlungen macht eine derartige Unterstützungspflicht nicht nur praktisch keinen Sinn, da sie nicht vollstreckbar ist, sondern ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit als ungeeignet und übermäßig abzulehnen223. Zu Recht verzichtet das neue NdsPsychKG daher auf diese Formulierung 224 . Ausdrückliche Regelungen zur Durchsetzung der Behandlung im Wege des unmittelbaren Zwanges enthalten nur wenige Landesgesetze225. In den übrigen Ländern erfolgt die Vollstreckung nach den allgemeinen Regeln der jeweiligen Verwaltungsvollstreckungsgesetze. b) Informations-

und Beteiligungsrechte

Einigkeit besteht, daß aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip der Vorrang der konsentierten vor der Zwangsbehandlung folgt. Der Großteil der Landesgesetze enthält daher Bestimmungen, nach denen dem Betroffenen die Behandlung zu erläutern ist. Z.T. wird ein Behandlungsplan aufgestellt, der mit dem Betroffenen zu erörtern ist 2 2 6 , teilweise ein eigenständiges Informationsrecht begründet 227. Auch in den Ländern, in denen ein Informationsrecht nicht ausdrücklich festgeschrieben ist oder sich allenfalls aus dem Zusammenhang entnehmen läßt 2 2 8 , ergibt sich die Pflicht zu informieren 229 nach allgemeiner Ansicht schon aus dem Vorrang der konsentierten Behandlung. Da jede einverständliche Behandlung die Aufklärung des Betroffenen voraussetzt, die einverständliche Behandlung unbedingten Vorrang vor der Zwangsbehandlung hat, läßt sich das Informations- und Beteiligungsrecht unmittelbar aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit ableiten. Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage zu beantworten, ob die heimliche Verabreichung von Medikamenten, etwa durch Beimischung in die Nahrung, zulässig ist. Mit der überwiegenden Auffassung in der Literatur 230 , spricht nicht nur 223 Im Ergebnis ebenso: Zimmermann, § 13 Thür.PsychKG, Erl.5; M. Huber, Rechtsstellung, S. 184 ff.; a.A. zu § 8 Abs. 1 S. 3 Nds. MVollzG Helle, MedR 1993, S. 137 mit kaum tragfähiger Begründung. 224 Vgl. § 21 NdsPsychKG n.F. 22 5 Art. 13 Abs. 2; 19 Bay.UBG; § 12 UBG BW; § 14 Thür.PsychKG; § 42 PsychKG M.-V. 22 6 § 23 Abs. 1 4 PsychKG M.-V.; § 21 Abs. 2 Sächs. PsychKG; § 30 Abs. 1 S. 2 PsychKG Berlin; § 20 Abs. 2 S. 1,2 UBG Rhl.Pflz.; § 18 Abs. 2 PsychKG NW. 227

§ 18 Abs. 2 1 UBG BW; § 17 Abs. 3 PsychKG LSA. 228 Z. B. §§ 11 Abs. 1,13 Abs. 3 S. 2,3 Thür.PsychKG. 229 Im Ergebnis ebenso M.Huber, Rechtsstellung, S. 192 f., die einen Anspruch auf Aufklärung für Baden-Württemberg aus dem systematischen Zusammenhang sowie den Motiven des Gesetzgebers ableitet. 2 30 M. Huber, Rechtsstellung, S. 198; Marschner, R&P 1985, S. 6.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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die Beschneidung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Patienten sondern auch der Vorrang der konsentierten Behandlung gegen die Zulässigkeit der heimlichen Medikation, zumindest bei Patienten, die in der Lage sind zu kommunizieren. Neben dem Informationsrecht des Untergebrachten besteht vielfach eine Informationspflicht gegenüber dem Betreuer, die z.T. vom Einverständnis des Betreuten abhängig gemacht wird 2 3 1 .

c) Beschränkung auf die Anlaßerkrankung Einige Landesgesetze beschränken die genannten Befugnisse zur Behandlung gegen oder ohne den Willen des Untergebrachten ausdrücklich auf die Anlaßerkrankung, also die Krankheit, die zur Unterbringung geführt hat 2 3 2 . Andere Unterbringungsgesetze treffen für interkurrente Erkrankungen besondere Regelungen. So ist in Bayern die Behandlung anderer Krankheiten zulässig, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt notwendig ist (Art. 13 Abs. 2 Bay. UBG). In Hamburg und Sachsen-Anhalt ist die zwangsweise Behandlung interkurrenter Erkrankungen erlaubt, wenn Lebensgefahr für den Untergebrachten oder eine Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht 233 . Niedersachsen hat in § 23 Abs. 3 Nr. 2 PsychKG eine höchst unglückliche Formulierung gewählt. Heilbehandlungen ohne Einwilligung sollen auch dann zulässig sein, wenn sie notwendig sind, „die Gesundheit anderer zu schützen". Diese denkbar weite und unbestimmte Klausel dürfte praktisch kaum handhabbar sein, da man von der Behandlung höchst infektiöser und schwerer Erkrankungen bis zur Grippeschutzimpfung vielerlei, in ihren Auswirkungen höchst unterschiedliche Eingriffe darunter subsumieren kann. Legt man den Begriff der Heilbehandlung weit aus, so ließe sich sogar die medizinisch nicht indizierte Sedierung mit dieser Bestimmung rechtfertigen. § 23 Abs. 3 Nr. 2 Nds.PsychKG schafft daher weder für die behandelnden Ärzte, noch für die Patienten Klarheit. 234 In Brandenburg dürfen aus Gründen der Hygiene und des Gesundheitsschutzes nur Untersuchungen, nicht aber Eingriffe durchgeführt werden. 235 Die Mehrzahl der Unterbringungsgesetze enthält keine ausdrückliche Beschränkung der Zwangsbehandlungsbefugnisse auf die Anlaßerkrankung. Allerdings läßt sich der gesetzlichen Anforderung, daß die Behandlung mit dem Zweck der Unter231 Ausführlich: § 13 Abs. 3 S. 2,3 Thür.PsychKG. 232 § 13 Abs. 3 Thür.PsychKG; § 26 Abs. 1 PsychKG SH; § 17 Abs. 2 Bbg.PsychKG; § 21 Abs. 3 Nr. 1 NdsPsychKG. 233 § 17 Abs. 7 S. 1 PsychKG LSA; § 17 PsychKG Hamb. 234 Vgl. auch die Kritik von Volckart, R&P 1997, S. 178, der die Regelung für kompetenzwidrig hält. 235 § 17 Abs. 3 Bbg.PsychKG.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

bringung vereinbar sein muß 2 3 6 , ein Anhaltspunkt für eine Beschränkung auf die Anlaßerkrankung ebenso entnehmen wie etwa der Formulierung in Baden-Württemberg, wonach die Krankheit Gegenstand einer möglichen Zwangsbehandlung sein kann 237 . In der Literatur wird eine Beschränkung auf die Anlaßerkrankung ganz überwiegend vertreten 238. Die zu § 8 UBG BW vertretene Gegenauffassung, nach der zumindest psychische Erkrankungen anderer Art, die „nicht Einweisungsgrund waren und auch für sich nicht hätten sein können", mitbehandelt werden können, führt zur Begründung im wesentlichen die Gesetzgebungsgeschichte an 2 3 9 . Daß diese geeignet ist, eine Auslegung entgegen dem naheliegenden Verständnis des Wortlautes zu rechtfertigen, kann bezweifelt werden. Schwerer wiegt die unzureichende Trennung zwischen Unterbringungsgrund und Erkrankung. Einweisungsgrund kann nunmehr auch in Baden-Württemberg nicht mehr die Erkrankung, sondern nur noch die durch eine Gefahr i. S. d. § 1 Abs. 4 UBG BW begründete Unterbringungsbedürftigkeit (§ 1 Abs. 1 UBG BW) sein. Nimmt man den in der Praxis höchst seltenen Fall an, daß während einer andauernden Unterbringung durch eine andere psychische Erkrankung eine erneute Gefährdung eintritt, so wird sich die erforderliche Dauer der Unterbringung und die Grundlage, auf der die andauernde Unterbringung erfolgt ist, ändern. Schon um dem richterlichen Entscheidungsprivileg Genüge zu tun, wird ein erneutes Gutachten nebst richterlicher Entscheidung notwendig. Die Auffassung, daß auch psychische Krankheiten anderer Art, oder sogar psychische Krankheiten, die „etwa nach einer erfolgreichen Behandlung der Anlaßerkrankung auftreten und ihrerseits Einweisungsgrund sein könnten" gleich der Einfachheit halber und wo nötig auch zwangsweise behandelt werden können, verkennt die Bedeutung von Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG. Daher wird man auch in den Ländern, in denen die zwangsweise Behandlung interkurrenter Krankheiten nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, von der Beschränkung der Zwangsbehandlungsbefugnisse auf die Anlaßerkrankung ausgehen müssen.

3. Schwerwiegende Eingriffe Besondere Regelungen treffen nahezu alle Unterbringungsgesetze für die zwangsweise Durchführung schwerwiegender, d. h. das Leben oder die Gesundheit des Untergebrachten in besonderer Weise gefährdender Eingriffe. Historisch lassen 236 § 30 Abs. 1 PsychKG Bremen. 237 § 8 Abs. 2 S. 2 UBG BW. 238 Parensen, § 26 PsychKG NW, Erl. Β 5a; Schulte, in: Crefeld u. a., S. 29; Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 4.7 Rn. 319; Göppingen FamRZ 1980, S. 859; M. Huben Rechtsstellung, S. 198; Wigge, MedR 1996, S. 296. 239 Juchart/Warmbrunn, § 8 UBG BW Erl. 2.1.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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sich diese besonderen Regelungen für gefährliche Eingriffe zunächst mit den vormals angenommenen Grenzen des besonderen Gewaltverhältnisses begründen. Die neueren Unterbringungsgesetze vollziehen z.T. das betreuungsrechtliche Vorbild des § 1904 BGB nach, der ganz ähnliche Fragen wie die zu behandelnden landesrechtlichen Regelungen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung aufwirft 2 4 0 Die gesetzlichen Regelungen stimmen darin überein, daß schwerwiegende Eingriffe grundsätzlich nur mit Einwilligung des Untergebrachten und bzw. oder seines gesetzlichen Vertreters durchgeführt werden dürfen. Unterschiede bestehen demgegenüber bei der näheren Ausgestaltung. Die meisten Unterbringungsgesetze sehen einen schwerwiegenden Eingriff in einer Behandlungsmaßnahme, die mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit des Untergebrachten verbunden ist 2 4 1 . In Hessen bestimmt die gemäß § 17 Abs. 3 HFEG erlassene Rechtsverordnung, daß alle hirnchirurgischen Eingriffe gefährliche Maßnahmen i. S. d. Bestimmung darstellen 242. Diese, bereits 1966 scharf kritisierte Regelung 243 , ergibt nur dann einen Sinn, wenn man ihr den abschließenden Charakter, den der Wortlaut nahelegt, abspricht 244 , da hirnchirurgische Eingriffe nach dem heutigen Stand der Wissenschaft kaum als vertretbare Behandlung psychischer Krankheiten in Frage kommen 245 . In Hessen und den übrigen Bundesländern stellt sich damit die Frage, welche Behandlungen gefährlich i. S. d. genannten Bestimmungen sind. Die im Vergleich zum sehr viel jüngeren § 1904 BGB recht spärliche Literatur nennt vorrangig die Schockbehandlungen, insbesondere die Elektrokrampftherapie (EKT) 2 4 6 . Bei der Behandlung mit Psychopharmaka sei nach dem Einzelfall zu entscheiden. Dort wo Medikamente mit bekannt gefährlichen Nebenwirkungen verabreicht werden 247 oder aber bei der dauerhaften, hochdosierten Anwendung von Neuroleptika sollen 24

0 Dazu unten D. II. 4 a). 241 § 8 Abs. 2 UBG BW; Art. 13 Abs. 3 Bay. UBG; § 13 Abs. 4 Thür. PsychKG; § 30 Abs. 3 PsychKG Berlin; § 30 Abs. 2 PsychKG Bremen; § 16 Abs. 2 PsychKG Hamb.; § 23 PsychKG M.-V; § 26 Abs. 2 PsychKG NW; § 26 Abs. 2 PsychKG SH; § 17 HFEG; § 20 Abs. 3 UBG Rhl.Pflz.; § 22 Abs. 2 S. 1 Sächs. PsychKG. 242 Verordnung zur Durchführung des § 17 des Gesetzes über die Entziehung der Freiheit geisteskranker, geistesschwacher, rauschgift- oder alkoholsüchtiger Personen vom 7. 9. 1954. 243 Baumann, UnterbringungsR, S. 98 f. 244 Marschner, R&P 1985, S. 3; Kulimann, § 17 HFEG, Erl. 8; Baumann, Unterbringungsrecht, S. 98 f. 245 Erhardt, BehandlungsVerweigerung, S. 17; Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 4.7 Rn. 296; Marschner, R&P 1985, S. 5; ein unmittelbares gesetzliches Verbot enthält § 23 Abs. 3 PsychKG M.-V. 246 Zimmermann, § 13 Thür. PsychKG Rn. 9; Juchart/Warmbrunn, § 8 UBG BW 3.1; Rüping, JZ 1982, S. 747; str. bei § 1904 BGB: dazu Dodegge, FamRZ 1996, S. 78, s. auch unten D. II. 4 a) dd). 247 Ζ. B. Clozapin (=Leponex), vgl. Juchart/Warmbrunn,

§ 8 UBG BW 3.1.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

wegen der z.T. drastischen Nebenwirkungen gefährliche Eingriffe i. S. d. genannten Bestimmungen vorliegen 248 . Ob diese Auffassung für die EKT in der heutigen Form noch ohne weiteres zutrifft, mag man angesichts des medizinischen Fortschritts gerade in diesem Bereich durchaus bezweifeln 249 . Die längerfristige und hochdosierte Anwendung von Neuroleptika wird man demgegenüber meist als gefährlichen Eingriff bewerten müssen. So wird davon ausgegangen, daß 10-20 % 2 5 0 der so behandelten Patienten unter Spätdyskenesien251 leiden, die z.T. irreversibel sind 252 . An diesem Beispiel wird deutlich, daß im Einzelfall genau zu untersuchen sein wird, ob der zwangsweise Einsatz von Psychopharmaka gefährlich i. S. d. genannten Bestimmungen ist. Operative Eingriffe sind in einem Teil der Unterbringungsgesetze den gefährlichen Eingriffen gleichgestellt253. Hier sind zumindest alle Eingriffe, die eine Vollnarkose erfordern, von der Einwilligung des Untergebrachten bzw. seines gesetzliche Vertreters abhängig 254 . Einige Landesgesetze machen eine Einwilligung auch für solche Eingriffe erforderlich, die die Persönlichkeit wesentlich oder auf Dauer verändern 255. Dieses Kriterium ist zu Recht als mißverständlich kritisiert worden, da die Veränderung der Persönlichkeit Ziel vieler psychiatrischer Konzepte sei 2 5 6 . Die Regelungen in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, nach denen eine Behandlung einer Einwilligung bedarf, wenn sie die Persönlichkeit wesentlich oder auf Dauer nachteilig verändern kann, vermindert dieses Mißverständnis. Unverständlich bleibt demgegenüber Art. 13 Abs. 3 Bay. UBG, nach dem Behandlungen, die die Persönlichkeit in ihrem Kernbereich verändern können, von der Einwilligung des Untergebrachten oder seines gesetzlichen Vertreters abhängig sind 257 .

248 M. Huber, Rechtsstellung, S. 190 f.; Zimmermann, § 13 Thür. PsychKG Rn. 9. 249 Dodegge, FamRZ 1996, S. 76. 250 Jolle, Psychiatrie, S. 345 Rz. 196; Finzen, Medikamentenbehandlung, S. 171 nennt eine Quote von 3-20%. 251 Unwillkürliche Bewegungen von Mund, Zunge, Lippen, Augenmuskeln und Extremitäten; manchmal Schleuderbewegungen erheblichen Ausmaßes; vgl. Tolle, Psychiatrie, Rz. 196 f.; Finzen, Medikamentenbehandlung, S. 171. 252 Gerd Huber, Psychiatrie, S. 589; Tolle, Psychiatrie, Rz. 589; einen allgemeinverständlichen Uberblick über die unerwünschten Wirkungen bei Neuroleptika und Antidepressiva gibt Finzen, Medikamentenbehandlung, S. 165 ff. bzw. S. 89 ff. 253 § 8 Abs. 3 UBG BW; § 30 Abs. 2 PsychKG Bremen; § 16 Abs. 2 PsychKG Hamb.; § 22 Abs. 2 S. 1 Sächs. PsychKG; § 17 Abs. 5 PsychKG LSA. 254 Zimmermann, § 13 Thür. PsychKG Rn. 9; Juchart/Warmbrunn, § 8 UBG BW 3.1. 255 § 30 Abs. 2 PsychKG Bremen; § 13 Thür. PsychKG; § 16 Abs. 2 PsychKG Hamb. 256 Wagner, R&P 1990, S. 168. 257 Zu diesem Merkmal, das in anderen Bundesländern als absolute Grenze der Behandlung genannt wird, unten II.) 5.) a).

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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Liegt eine schwerwiegende Maßnahme i. S. d. genannten Bestimmungen vor, so ist die Einwilligung des Untergebrachten erforderlich. Die meisten Gesetze sehen eine Ersetzung der Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter vor, wenn der Untergebrachte nicht in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite der Behandlung zu erkennen 258. Bei dem hier ausschließlich interessierenden volljährigen Untergebrachten handelt es sich bei dem gesetzlichen Vertreter regelmäßig um den Betreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge. Gemäß § 1904 BGB bedarf die Einwilligung des Betreuers in Eingriffe, bei denen begründete Lebensgefahr oder die Gefahr schwerer und länger dauernder gesundheitlicher Schäden besteht, der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht. Auf den ersten Blick scheinen die landesrechtlichen Unterbringungsgesetze dem Betreuer also mehr abzuverlangen, als ihm betreuungsrechtlich gestattet ist. Zunächst verbleibt allerdings ein gewisser Raum, in dem die landesrechtlichen Bestimmungen über die zwangsweise Durchführung schwerwiegender Eingriffe nicht deckungsgleich mit § 1904 BGB sind. Hierzu zählen nicht nur die Operationen, die nach überwiegender Auffassung nicht ohne weiteres von § 1904 BGB erfaßt werden 259 . Schon dem Wortlaut nach beschränkt § 1904 BGB die Genehmigungspflicht auf die Gefahr schwerer und länger dauernder Gesundheitsschäden und ist somit insgesamt enger als die genannten Bestimmungen. Weiterhin verbleibt ein Anwendungsbereich in Fällen der Eilbedürftigkeit gemäß § 1904 S. 2 BGB. In dem Bereich, in dem Eingriffe nach Landesrecht der stellvertretenden Einwilligung durch den Betreuer, gleichzeitig aber nach § 1904 BGB der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht bedürfen, liegt es auf der Hand, die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zusätzlich zu verlangen 260. Die landesrechtlichen Unterbringungsgesetze sind schon aus kompetenzrechtlichen Gründen 261 und wegen Art. 31 GG nicht in der Lage, dem Betreuer Befugnisse einzuräumen, die er nach dem bundesrechtlichen Betreuungsrecht nicht hat. Unbeschadet der Frage, ob es sich bei der Genehmigung nach § 1904 BGB um eine Innengenehmigung im Betreuungsverhältnis oder aber um eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Heilbehandlung handelt 262 , wird man also in den Fällen, in denen eine Heilbehandlung sowohl unterbringungsrechtlich einen schwerwiegenden Eingriff darstellt als auch dem Anwendungsbereich des § 1904 BGB unterfällt, die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts verlangen müssen. Dementsprechend verweist das neue 258 § 8 Abs. 4 UBG BW; Art. 13 Abs. 3 Bay. UBG; § 17 Abs. 6 PsychKG LSA; § 30 Abs. 3 PsychKG Berlin; § 16 Abs. 3 PsychKG Hamb.; § 30 Abs. 2 PsychKG Bremen; § 21 Abs. 2 NdsPsychKG; § 26 Abs. 2 PsychKG NW; § 22 Abs. 2 S. 1 Sächs. PsychKG; § 13 Abs. 4 Thür. PsychKG; § 20 Abs. 3 UBG RhlPflz.; zum Begriff der Einwilligungsfähigkeit s. unten D. II.) 2.). 259 Dazu unten D. II. 4.) a) dd). 260 Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994,4.7 Rn. 316. 261 Zu den vor dem Betreuungsrecht auftretenden Problemen: Helle, JR 1986, S. 180. 262 Zum Meinungsstand: K.-.G. Mayer, S. 155 ff., zum Ganzen unten D. I I 4. a) aa).

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Unterbringungsgesetz von Rheinland-Pfalz bei der ersetzenden Einwilligung auf möglicherweise erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigungen (§ 20 Abs. 3 UBG RhlPflz.) 263 . Niedersachsen geht in diesem Zusammenhang einen eigenen Weg und schließt die Zwangsbehandlung der Anlaßerkrankung ohne Einwilligung des Betreuers des Untergebrachten in den Fällen aus, in denen eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung „nicht erteilt worden ist". Die Behandlung interkurrenter Erkrankungen nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 NdsPsychKG wird seltsamerweise ausgenommen. Der gesetzgebungstechnisch ohnehin mißlungene § 21 NdsPsychKG wird in diesem Punkte kaum noch nachvollziehbar. § 21 Abs. 3 NdsPsychKG scheint zunächst einen Vorrang der Betreuung zu begründen. Folgerichtig scheint man dann an die Voraussetzungen des § 1904 BGB anzuknüpfen, um dann aber in Abs. 3 den Vorrang der Betreuung zu unterlaufen, der aber - soweit die Anlaßerkrankung betroffen ist - für § 1904 BGB unterfallende Maßnahmen wiederhergestellt wird, für die Behandlung sonstiger Krankheiten aber nicht gelten soll. Schließlich stellt die Formulierung „wenn eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nicht erteilt worden ist" einen höchst bedenklichen sprachlichen Mißgriff dar. Damit kann wohl nur die Erforderlichkeit der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gemeint sein, nicht aber die Frage, ob eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung, obwohl sie erforderlich gewesen wäre, aus welchen Gründen auch immer nicht eingeholt wurde. Andernfalls enthielte das NdsPsychKG die offene Aufforderung zur Umgehung der bundesrechtlichen Betreuungsvorschriften, die auch vor dem Hintergrund der nicht immer überzeugenden Qualität der Unterbringungsgesetze der Länder in dieser Form wohl nicht hinnehmbar ist. 2 6 4 Neben der ersetzenden Einwilligung kennen einige Unterbringungsgesetze zusätzliche Einwilligungen des gesetzlichen Vertreters, die dann erforderlich sind, wenn der Untergebrachte zwar in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung zu erkennen, aber beschränkt geschäftsfähig oder geschäftsunfähig 265 bzw. minderjährig ist 2 6 6 . Derartige zusätzliche Einwilligungen sind nicht in der Lage, die Einwilligung des Untergebrachten zu ersetzen, und können daher eine Behandlung ohne oder gegen den Willen des Untergebrachten nicht rechtfertigen 267. Die entsprechenden Bestimmungen begründen allerdings ein Vetorecht, das auch betreuungsrechtlich Bedeutung erlangt 268 .

263 Das Problem ist auch in § 21 Abs. 2 S. 3 NdsPsychKG sowie in § 18 Abs. 3 S. 3 PsychKG NW mit der Wendung, daß § 1904 BGB unberührt bleibe, erkannt. 264 Deutlich schärfer fällt die Kritik bei Volckart, R&P 1997, S. 178 aus. 265 266 LSA. 267 268

§ 8 Abs. 4 UBG BW. § 16 Abs. 3 PsychKG Hamb.; § 26 Abs. 2 Nds. PsychKG a.F.; § 17 Abs. 6 PsychKG Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, 4.7 Rn. 315. Vgl. unten D. II. 4. c).

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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Auch schwerwiegende Eingriffe bedürfen keiner Einwilligung in Bremen und Schleswig-Holstein, wenn ein Aufschub der Behandlung Leben oder Gesundheit des Untergebrachten erheblich gefährden würde 269 . Gänzlich auf Regelungen für schwerwiegende Eingriffe verzichten das Saarland, Brandenburg und nunmehr auch Nordrhein-Westfalen. Grund dafür ist die vollständige Verweisung auf das Betreuungsrecht 270. Bedenken, daß in diesen Ländern erhebliche Schwierigkeiten auftreten, wenn einwilligungsunfähige Patienten nicht oder noch nicht unter Betreuung stehen, dürften sich in der Praxis kaum niederschlagen, da diese Länder unaufschiebbare Behandlungsmaßnahmen auch ohne rechtswirksame Einwilligung zulassen.

4. Sonstige medizinische Zwangsmaßnahmen

Bezogen sich die genannten gesetzlichen Regelungen auf die Anlaßerkrankung, also die psychische Krankheit, die mittelbar zur Unterbringung geführt hat, so bleibt die Frage zu klären, ob auch medizinische Maßnahmen zulässig sind, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Behandlung dieser Erkrankung stehen. Hierbei spielen neben der bereits erörterten Behandlung interkurrenter psychischer und somatischer Erkrankungen die meist medikamentöse Ruhigstellung und die Zwangsernährung eine Rolle.

a) Ruhigstellung Die medikamentöse Behandlung zur Ruhigstellung ist soweit erkennbar nur in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg gesetzlich geregelt. Gemäß § 70 Abs. 3 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NW und § 30 Abs. 3 VwVG Bbg. dürfen Mittel zur Beruhigung Kranken nur gegeben werden, wenn dies zur Abwendung einer Gefahr für Leben oder Gesundheit des Kranken oder seiner Umgebung erforderlich ist 2 7 1 . Der auf den ersten Blick ungewöhnliche Ort dieser Ermächtigung in Nordrhein-Westfalen, mag damit erklärbar sein, daß diese Ermächtigung nicht nur für die Unterbringung psychisch Kranker auf Grundlage des entsprechenden Psychisch-Kranken-Gesetze gilt (vgl. § 70 Abs. 1 i.V.m. § 68 Abs. 1 Nr. 16 VwVG NW). Überraschend ist allerdings, daß lediglich zwei der 16 Landesgesetzgeber eine derartige Ermächtigung für notwendig erachten. Eine mögliche Erklärung könnte sein, daß in den anderen Bundesländern medikamentöse Behandlung, die nicht vorrangig therapeutischen Zwecken, sondern der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit in der Anstalt dient, schlichtweg 269 § 30 Abs. 2 PsychKG Hamb.; § 26 Abs. 3 PsychKG SH. 270 § 13 Abs. 2 UBG Saarl.; § 17 Abs. 4 Bbg. PsychKG; § 18 Abs. 2 PsychKG NW. 271 Ähnlich jetzt § 20 Abs. 2 Nr. 5 Bbg-PsychKG.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

nicht erlaubt sein soll. Denkbar ist auch, daß sich schlichtweg kein praktisches Bedürfnis ergab. Psychopharmaka, die zur Behandlung von psychischen Krankheiten eingesetzt werden, die mit Unruhezuständen einhergehen, haben regelmäßig die in diesem Zusammenhang erwünschte Nebenwirkung der Sedierung des Patienten. Die Beruhigung derartiger Patienten wird regelmäßig auch Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie sein. Durchaus nicht auszuschließen ist allerdings, daß nicht nur therapeutische Zwecke die Art und Dosierung eines verabreichten Medikaments rechtfertigen. Dem vielfach geäußerten Vorwurf, daß Neuroleptika mißbräuchlich, in zu hoher Dosierung und ohne hinreichende Indikation verabreicht werden 272 , wird man nicht jegliche Berechtigung absprechen können. Daß im Falle personeller Unterbesetzung auch Psychopharmaka in nicht ausschließlich therapeutisch begründbarer Weise eingesetzt werden, um die Pflege zu erleichtern oder die Ordnung und Sicherheit in der Anstalt aufrechtzuerhalten, liegt dabei nahe. Dieser zu vermutenden Vermischung unterschiedlicher Gesichtspunkte bei der Entscheidung über Art und Weise des Einsatzes von Psychopharmaka, tragen die genannten Regelungen in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen Rechnung. Ob die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit in der Anstalt Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Patienten rechtfertigen kann, ist eine andere Frage, die an späterer Stelle erörtert werden wird 2 7 3 .

b) Zwangsernährung Auch zur zwangsweisen Ernährung enthalten die wenigsten Unterbringungsgesetze Vorschriften. Lediglich in Hamburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist geregelt, daß bei gegenwärtiger Gefahr für Leben oder Gesundheit des Untergebrachten eine Zwangsernährung durchgeführt werden darf 274 . Lediglich in diesen Ländern ist somit eine Zwangsernährung ausdrücklich gestattet. Ob in den anderen Bundesländern Notstandsrecht die Zwangsernährung rechtfertigen kann, wird ebenfalls später zu klären sein 275 .

5. Absolute Grenzen der Behandlung Die meisten Unterbringungsgesetze legen weiterhin absolute Behandlungsgrenzen fest. Damit sind Behandlungsmaßnahmen gemeint, die unabhängig vom Einverständnis oder der rechtswirksamen Einwilligung des Untergebrachten bzw. sei272

Finzen, Medikamentenbehandlung, S. 244. ?3 S. unten 2. Teil Β. IV. 2 ?4 § 36 Abs. 1 S. 2 PsychKG Hamb.; § 17 Abs. 7 S. 2 PsychKG LSA; § 13 Abs. 5 Thür.PsychKG; § 22 Abs. 3 Sächs.PsychKG verlangt eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr. 2 ?5 S. unten C. II. 3. 2

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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nes gesetzlichen Vertreters im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung nicht durchgeführt werden dürfen.

a) Veränderung der Persönlichkeit

im Kernbereich

Einige Unterbringungsgesetze bestimmen, daß eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Untergebrachten in ihrem Kernbereich verändern würde, unzulässig i s t 2 7 6 Welche Behandlungen von diesem Verbot erfaßt werden, ist schwer zu sagen. Ist die Veränderung der Persönlichkeit durchaus Ziel psychiatrischer Konzepte, so will der Gesetzgeber Maßnahmen ausschließen, die aus dem untergebrachten Patienten einen „völlig anderen Menschen" machen. Man wird dabei an die Lobotomie und sonstige nicht mehr zeitgemäße operative Eingriffe gedacht haben, die die Persönlichkeit des Patienten zu zerstören geeignet sind. Weiterhin wird die „Gehirnwäsche" genannt 277 . Daß derartige Verfahren ohnehin weder mit dem ärztlichem Berufsethos noch mit der Menschenwürde vereinbar sein können, liegt auf der Hand. Die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen dürften daher eine klarstellende Funktion haben, der große praktische Bedeutung derzeit nicht zukommen dürfte. Der bereits erwähnte Art. 13 Abs. 3 Bay.UBG, nach dem Behandlungen, die die Persönlichkeit in ihrem Kernbereich verändern können, von der Einwilligung des Untergebrachten oder seines gesetzlichen Vertreters abhängen sollen, kann vor diesem Hintergrund keine Befugnis zu persönlichkeitszerstörenden Eingriffen darstellen. Will man die Formulierung nicht als redaktionelles Versehen einstufen, so wird man Art. 13 Abs. 3 Bay.UBG als Vorbehalt für eine Einwilligung des Untergebrachten oder seines gesetzlichen Vertreters für Eingriffe, die die Persönlichkeit auf Dauer und erheblich nachteilig verändern können, verstehen müssen 278 .

b) Erprobung von Behandlungsverfahren Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung haben die Bestimmungen über die Erprobung von Behandlungsverfahren in den Unterbringungsgesetzen. Einige Unterbringungsgesetze bestimmen, daß während der Unterbringung nur rechtlich zulässige Behandlungsverfahren zur Anwendung kommen dürfen 279 . Was zunächst wie eine Tautologie aussieht, erweist sich bei näherer Betrachtung als Verbot, nicht anerkannte Heilverfahren einzusetzen280. 276 § 30 Abs. 4 PsychKG Berlin; § 16 Abs. 4 PsychKG Hamb.; § 17 Abs. 4 PsychKG LSA; § 17 Abs. 5 Bbg. PsychKG. 277 Wagner, R&P 1990, S. 168. 278 Dazu oben II 3.). 279 § 30 Abs. 1 PsychKG Bremen; § 18 Abs. 1 PsychKG NW. 280 Göppingen FamRZ 1980, S. 859; Dodegge/Zimmermann, PsychKG NW, Β § 18 Rn. 1.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Eine derartige Beschränkung ist im übrigen auch für diejenigen Unterbringungsgesetze anerkannt, die entsprechende Bestimmungen nicht aufweisen 281. Andere Unterbringungsgesetze verbieten die Erprobung nicht zugelassener Heilverfahren an untergebrachten Patienten ausdrücklich 282. § 17 Abs. 6 Bbg.PsychKG geht soweit, Arzneimittelerprobungen auch für den Fall ausdrücklich zu verbieten, daß sie nach anderen Vorschriften zulässig wären. Die Frage, ob sich diese landesrechtliche Bestimmung gegen abweichende bundesrechtliche Vorgaben durchsetzen könnte, braucht derzeit nicht beantwortet werden. Verständlich werden die genannten Bestimmungen erst mit Blick auf die §§ 40 f. des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln 283 (AMG) und die §§ 17 f. des Gesetzes über Medizinprodukte 284 (MPG). Gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 3 A M G / § 17 Abs. 1 Nr. 3 MPG ist die klinische Prüfung von Arzneimitteln bei untergebrachten Patienten unzulässig. Damit ist nach allgemeiner Auffassung das sog. Humanexperiment für den Bereich der Unterbringung ausgeschlossen. Unter Humanexperiment oder auch nicht-therapeutischem Versuch versteht man die Vergabe von Medikamenten an einen Probanden, die ihm selbst aller Voraussicht nach nicht nützen werden 285 . Sehr viel schwieriger gestaltet sich die Beurteilung des Heilversuchs ( § 4 1 AMG/§ 18 MPG), also der Verabreichung eines nicht zugelassenen Medikaments, das möglicherweise der Gesundheit des beteiligten Patienten dient 286 . Gemäß § 41 AMG findet § 40 Abs. 1 bis 3 AMG und somit auch § 40 Abs. 1 Nr. 3 A M G 2 8 7 auf Heilversuche Anwendung, so daß nach dem eindeutigen Wortlaut die klinische Prüfung von Arzneimitteln an Untergebrachten auch dann unzulässig ist, wenn sie medizinisch indiziert ist. Zugelassen ist demgegenüber die Ersetzung der Einwilligung des Probanden durch den „Pfleger oder gesetzlichen Vertreter", wenn der Proband Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung nicht erkennen kann (§ 41 Nr. 4 AMG / § 18 Nr. 2 Satz 2 MPG). Sind Heilversuche im Rahmen einer klinischen Prüfung somit zwar an einwiHigungsunfähigen Patienten möglich, so schließt der eindeutige Gesetzeswortlaut sie bei zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlichen Untergebrachten aus. Letzterem folgt der überwiegende Teil in der Literatur 288 . Eine nach wie vor stark vertretene Ansicht geht jedoch davon aus, daß auch untergebrachte Patienten 281 Vgl. Kullmann, § 7 HFEG Erl.7. 282 § 13 Abs. 4 UBG Saarl.; § 17 Abs. 4 PsychKG Hamb., möglicherweise nur für die Behandlung interkurrenter Erkrankungen. 283 Vom 24. 8. 1976, in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. 12. 1998 (BGBl. I S. 3586). 284 Vom 2. 8. 1994, BGBl. I S. 1963. 285 Deutsch, Arztrecht, S. 285. 286 Def. bei: Helmchen/Lauter, S. 13; Deutsch, Arztrecht, S. 279. 287 Ebenso § 18 MPG, der auf § 17 Abs. 1 bis 3 und somit auch auf § 17 Abs. 1 Nr. 3 MPG verweist.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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Probanden bei Heilversuchen i. S. d. § 41 AMG sein können 289 . So hält ζ. B. Deutsch die Verweisung des § 41 AMG auf § 40 Abs. 1 Nr. 3 AMG für überdehnt und nur noch historisch begründbar. Ausnahmen seien daher zwangsläufig zu machen. Zum einen erlaube der übergesetzliche Notstand die Vergabe ungeprüfter und unzugelassener Arzneimittel an Untergebrachte, um deren Gesundheit wiederherzustellen oder sonstige schwerwiegende Nachteile, ζ. B. die Kastration, zu vermeiden 290 Ferner sei eine Ausnahme aus der Natur der Sache oder aber durch eine teleologische Reduktion möglich für Arzneimittelerprobungen, die im wesentlichen oder vorwiegend nur an Verwahrten getestet werden können und sollten, da gerade bei diesen die zu behandelnden Symptome, wie ζ. B. Gewalttätigkeit, auftreten 291 . Eine Prüfung an anderen, nicht unter diesen Symptomen Leidenden sei geradezu unethisch. Inwieweit übergesetzlicher Notstand grundsätzlich geeignet ist, gesetzlich ausdrücklich verbotene Handlungen von öffentlich-rechtlich tätig werdenden Ärzten im Bereich der Unterbringung nach den Landesgesetzen zu rechtfertigen, wird später zu klären sein 292 . Zweifel seien allerdings erlaubt, obschon die Vermeidung von Nachteilen oder lediglich die gute Absicht, die Gesundheit untergebrachter Patienten wiederherzustellen, Anwendungsfälle für den übergesetzlichen Notstand sind. Schon auf den ersten Blick überzeugender scheint da die Ansicht, daß Heilversuche mit noch nicht voll erprobten und zugelassenen Arzneimitteln im einzelnen Ausnahmefall und nur bei vitaler Indikation zulässig sind, wenn die Maßnahme die einzige erfolgversprechende und der Standardbehandlung so eindeutig Überlegene ist, daß das Erprobungsrisiko zurücktreten muß 2 9 3 . Von vornherein nicht zu überzeugen vermag allerdings die schon methodisch nicht überzeugende Ausnahme für Heilversuche, die nach dieser Ansicht vorrangig an untergebrachten Patienten möglich sein sollen. Nicht zu verkennen ist, daß ein wachsendes Bedürfnis besteht, insbesondere für an Altersdemenzen erkrankte Patienten neue Arzneimittel zu entwickeln und zu erproben 294. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Unterbringung besteht jedoch keinesfalls, da die Ersetzung der Einwilligung durch den Betreuer vom AMG bzw. MPG vorgesehen und zugelassen ist. Hintergrund für den gesetzlichen Ausschluß untergebrachter Patienten 288 Staak/Weiser, S. 68; Holzhauer, NJW 1992, S. 2325, 2331; Marschner, R&P 1990, S. 69; vgl. auch zu Art. 13 Abs. 2 Bay. UBG: Bay.VerfGH v. 7. 10. 1992, BayVerfGHE 45, S. 125 ff. = BayVBl 1993, S. 14 ff. = DVB1. 1993, S. 316 ff.= NJW 1993, S. 1520 ff. = NVwZ 1993, 672, Leitsatz 4. 289 Deutsch, Arztrecht, S. 375 f.; Rüping, NStZ 1983, S. 14; Übersicht über den Meinungsstand bei Helmchen/Lauter, S. 34 ff. 290 Deutsch, Arztrecht, S. 375, andererseits hält Deutsch bei Zwangsbehandlungen nur Standardmaßnahmen für geboten, S. 251 . 291 Deutsch, Arztrecht, S. 375 f. 292 Vgl. unten C. II. 3. a). 293 Bork, NJW 1985, S. 659. 294 Helmchen/Lauter, S. 1 f., 6 ff. 5 Heide

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

ist nicht - wie Deutsch vermutet - die unwiderlegliche Vermutung der Willensunfähigkeit der „Verwahrten" 295 . Die amtliche Begründung führt an, daß wegen des bestehenden Gewaltverhältnisses bei untergebrachten Patienten eine freie Willensbestimmung nicht möglich ist 2 9 6 . Nicht die eingeschränkte Einwilligungsfähigkeit, sondern die besondere Situation der geschlossenen Unterbringung, die besondere Abhängigkeit und die damit einhergehende Vermutung, daß eine Einwilligung in die Anwendung nicht zugelassener Heilverfahren und damit in die Inkaufnahme eines erhöhten Risikos nicht völlig autonom ist, liegen § 40 Abs. 1 Nr. 3 AMG/ § 17 Abs. 1 Nr. 3 MPG zugrunde. 297 Der von Deutsch geäußerte Vorwurf einer Überdehnung des Anwendungsbereichs des § 40 Abs. 1 Nr. 3 AMG war im übrigen dem Gesetzgeber bekannt 298 . Mehr spricht dagegen für das Argument, daß das generelle Verbot von Heilversuchen eine Benachteiligung untergebrachter Patienten bedeuten könne; ihnen werde eine Therapiechance vorenthalten, die andere Patienten besitzen 299 . Inwieweit unter diesem Gesichtspunkt Ausnahmen im Rahmen der konsentierten Behandlung möglich und geboten sind, ist hier nicht zu klären. Für den Bereich der Behandlung ohne oder gegen den Willen des Patienten erscheint eine solche Benachteiligung jedoch ausgeschlossen. Die im Falle des Heilversuchs vorzunehmende Risikoabwägung hat der Gesetzgeber für untergebrachte Patienten gleichmäßig getroffen. Dementsprechend haben eine Reihe von Landesgesetzen ausdrücklich die Erprobung neuer Heilverfahren ausgeschlossen. Der ohnehin schwerwiegende Eingriff in die Grundrechte des Untergebrachten soll gerade nicht durch die Risiken eines nicht anerkannten und nicht zugelassenen Heilverfahrens potenziert werden. Für die Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen des Untergebrachten ist demzufolge eine Erprobung neuer Arzneimittel auch als Heilversuch ausgeschlossen. Eine Ausnahme für die Erprobung von Heilverfahren, die nur an Untergebrachten möglich ist, sollte dem Gesetzgeber überlassen werden, soweit er das Bedürfnis für eine derartige Ausnahme anerkennen will. Dem eindeutigen Wortlaut, der Gesetzgebungsgeschichte und dem Telos der jetzigen Fassung der § 40 f. AMG vermag man eine derartige Ausnahme kaum zu unterstellen. Davon unabhängig ist die Frage, ob bei der Ersetzung der Einwilligung durch den Betreuer und einer unter Umständen bestehenden zivilrechtlichen Unterbringung das Gleiche gelten 295 Deutsch, Arztrecht, S. 376. 296 BT-Drs. 7/3060, S. 54. 297 Selbstverständlich wird man insoweit auch die unter A I. 3. dargestellte besondere historische Belastung Deutschlands als Grund für diese Regelung in Betracht ziehen müssen. Allerdings läßt sich die Regelung aus den genannten Gründen nicht einfach als überkommenes, nur noch historisch erklärbares Relikt abqualifizieren. 298 Sander, C AMG Erl. § 40, zu Abs. 1 Nr. 3; Bork, NJW 1985, S. 658. 299 Helmchen/Lauter, S. 34.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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muß 3 0 0 . Für die öffentlich-rechtliche Unterbringung psychisch Kranker, denen die Einwilligungsfähigkeit nur im Ausnahmefall fehlen dürfte, läßt sich diese Frage jedoch eindeutig beantworten. Über den eigentlichen Anwendungsbereich der klinischen Prüfung von Fertigarzneimitteln kommt den §§ 40 f. AMG bzw. §§ 17 f. MPG erhebliche Bedeutung für die weitergehende Frage nach der Zulässigkeit der Erprobung sonstiger Behandlungsverfahren zu. Anerkannt ist, daß § 40 AMG auch auf nicht dem Arzneimittelgesetz unterliegende Erprobungen analog angewendet werden kann 301 . Dem entspricht, daß die Wertungen der §§ 40 f. AMG auch haftungs- und berufsrechtlich und letztlich auch strafrechtlich die Grenzen für die Zulässigkeit sowohl des Humanexperiments als auch des Heilversuchs 302 ziehen. Auch dort, wo die Unterbringungsgesetze der Länder nicht ausdrücklich die Erprobung neuer Heilverfahren an untergebrachten Patienten verbieten oder auf die entsprechenden Vorschriften Bezug nehmen, sind somit sowohl Humanexperiment als auch Heilversuch grundsätzlich unzulässig. Allenfalls für den Heilversuch erscheint in Grenzen eine Rechtfertigung möglich, die noch näher zu untersuchen sein wird.

6. Weitere Schranken Die meisten Unterbringungsgesetze setzen der Behandlung weitere Grenzen. Exemplarisch sei die gesetzliche Forderung genannt, auf den Zustand des Betroffenen während der gesamten Unterbringung Rücksicht zu nehmen 303 , die Würde zu achten 304 , sein Persönlichkeitsrecht zu wahren 305 sowie nur zumutbare Maßnahmen durchzuführen 306. Daneben besteht das Verbot, bei der Behandlung interkurrenter Erkrankungen das Leben des Untergebrachten zu gefährden 307. Ζ. T. werden Zwangsmaßnahmen von ärztlicher Anordnung 308 oder ärztlicher Durchführung 309 abhängig gemacht 310 .

300 Dazu unten D I I 4.) b). 301 Bork, NJW 1985, S. 655, 658; differenzierend, im Ergebnis jedoch ebenso: Hart, MedR 1994, S. 95 ff. 302 Hart, MedR 1994, S. 104. 303 § 2 PsychKG Berlin; Art. 4 Bay.UBG; § 2 PsychKG M.-V. 304 § 22 Abs. 4 Sächs.PsychKG. 305 Art. 4 Bay.UBG; § 2 PsychKG M.-V. 306 307 308 309

§ 17 Abs. 8 PsychKG LSA. § 17 Abs. 8 S. 2 PsychKG LSA; § 17 Abs. 2 PSychKG Hamb. § 12 UBG BW. § 22 Abs. 4 Sächs.PsychKG.

310 § 18 Abs. 5 PsychKG NW kombiniert beide Anforderungen. 5*

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Eine umfassende Pflicht zur Dokumentation von Zwangsmaßnahmen besteht allein in Brandenburg 311.

I I I . Praktische Bedeutung der Zwangsbehandlung Die Unterbringung psychisch Kranker und ihre Behandlung nach den entsprechenden Landesgesetzen erweist sich als ein in rechtstatsächlicher Hinsicht außerordentlich vernachlässigtes Gebiet 312 . Weder lassen sich verläßliche Zahlen über die Anzahl der Untergebrachten noch umfassende Untersuchungen über die Praxis der Zwangsbehandlung ausmachen. Dennoch sei im folgenden kurz auf einige Aspekte hingewiesen.

1. Statistische Angaben zur Unterbringung psychisch Kranker Wieviel psychisch Kranke auf der Grundlage der Landesgesetze im Jahr untergebracht werden, ist unbekannt. Bekannt ist dagegen die Anzahl der anhängig gemachten Unterbringungsverfahren gemäß § 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 FGG. Für die alten Bundesländer inkl. Berlin ergibt die Zusammenstellung der Geschäftsberichte der Amtsgerichte Zahlen von 52.191 (1992) und 49.940 (1993). Für die Jahre zuvor läßt sich eine stetige Zunahme von ca. 35.000 (1983) auf 41.505 (1991) anhängige Verfahren nachweisen313. Rechnet man die durchschnittliche Quote der anhängigen Verfahren in den alten Bundesländern pro 1000 Einwohner von ca. 0,8 auf das gesamte Bundesgebiet hoch, so ergibt sich eine Anzahl von ca. 64.000 anhängigen Verfahren pro Jahr. In wieviel Prozent der Verfahren es tatsächlich zur Anordnung einer Unterbringung kommt, ist nicht zu ermitteln. Die für 1994 erstmals verfügbaren Zahlen für Sachsen und Sachsen-Anhalt sprechen jedoch deutlich gegen eine lineare Hochrechnung der gefundenen Zahlen. In Sachsen wurden 1119 und in Sachsen-Anhalt 536 Verfahren anhängig. Das ergibt eine sehr viel niedrige Quote von 0,24 bzw. 0,19 Verfahren pro 1000 Einwoh„314

ner Deinert 315 kommt daher auf der Grundlage der Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage der SPD 3 1 6 zu ca. 57.000 Unterbringungen für 1995, ge311 § 17 Abs. 3 Bbg.PsychKG. 312 Crefeld, BtPrax 1998, S. 48 f. 313 Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994,1.2 Tabelle 2. 314 Untersuchungen darüber, wie die Entwicklung im Beitrittsgebiet verläuft, liegen nicht vor. Punktuelle Erhebungen legen jedoch den Schluß nahe, daß sich die Rate der Zwangseinweisungen an die der alten Bundesländer annähert, vgl. Konrad, R&P 1996, S. 77. 315 FamRZ 1998, S. 936. 316 BT-Drs. 13/7133.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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messen an 1987 (35.314) und 1992 (52.191) eine trotz allem deutliche Steigerung. Es ist allerdings zu vermuten, daß eine gewisse Abschwächung des kontinuierlichen Anstiegs der Unterbringungsverfahren mit der praktischen Durchsetzung des BetreuungsVerfahrens nach den §§ 1896 ff. BGB erfolgt. Das Verhältnis der zivilrechtlichen Unterbringungen zu den öffentlich-rechtlichen entwickelte sich nämlich im Zeitraum von 1977 bis 1995 von ca. 3:5 zugunsten der öffentlich-rechtlichen Unterbringung auf ein Verhältnis von ca. 1:1.

2. Praxis der Zwangsbehandlung Die Psychotherapie sowie alle Behandlungsformen, die eine aktive Mitarbeit des Patienten voraussetzen, entziehen sich direktem Zwang 317 . Zwangsbehandlungen finden daher vorrangig als Zwangsmedikation sowie u.U. als andere körperlich wirkende Zwangsmaßnahmen318 statt.

a) Zwangsbehandelte Patienten Die Häufigkeit, mit der es zur Durchführung von Zwangsbehandlungen kommt, ist kaum abzuschätzen. Im Gegensatz zu den USA, wo infolge der Rechtsprechung zum „right to refuse treatment" 319 zahlreiche Untersuchungen zur Zwangsbehandlung entstanden, ist im deutschsprachigen Raum bisher nur eine Studie zugänglieh 3 2 0 Dort gaben 31 % der Patienten an, irgendwann in der Psychiatrie unter Zwang mit Medikamenten behandelt worden zu sein 321 . Diese Zahl dürfte - wie die Verfasser selbst ausführen - deutlich über dem Durchschnitt liegen, da in der Studie Patienten mit längerer Verweildauer überrepräsentiert waren 322 . Beachtlich sind demgegenüber die Ergebnisse über das Erleben der Zwangsbehandlung aus Sicht der Patienten. 1/3 der Patienten empfand die Behandlung unter Zwang als Erleichterung, 2/5 als schwere Demütigung, 1/3 als Strafe. 323

317

Erhardt, S. 9; Saage /Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, Rn. 319 m. w. N. 318 M Huber, Rechtsstellung, S. 186. 319 Dazu umfassend Erhardt, Behandlungsverweigerung, S. 98 ff. 320 Finzen u. a., Hilfe wider Willen, Bonn 1993. 321 Finzen u. a., Hilfe wider Willen, S. 76; als Zwangsbehandlung wurde dort nicht nur die unmittelbare Anwendung körperlichen Zwangs, sondern auch die selbsttätige Einnahme von Medikamenten unter Drohung mit körperlichem Zwang oder Ausübung von Druck, angesehen. 322 Finzen u. a., Hilfe wider Willen, S. 132. 323 Finzen u. a., Hilfe wider Willen, S. 133; Mehrfachnennungen waren möglich.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Überdurchschnittlich häufig wurden Patienten mit schizophrenen Psychosen zwangsbehandelt324, bei manisch Kranken mußte sehr häufig körperliche Gewalt eingesetzt werden 325 . Eigene, nicht repräsentative Befragungen von Praktikern ergaben, daß ca. 10% der nach Landesrecht Untergebrachten der Behandlung nicht zustimmen und darunter manisch Kranke und Patienten mit schizophrenen Psychosen überdurchschnittlich häufig zu finden sind. Sämtliche Praktiker wiesen auf die Bedeutung der Zwangsbehandlung zur „Entaktualisierung" und Herstellung der Behandlungsfähigkeit hin und führten zudem die weitgehende Beschränkung der Zwangsbehandlung auf die ersten 24 Stunden nach der Einweisung an.

b) Gründe für die Behandlungsverweigerung Erhardt unterscheidet bei den Motiven für die Behandlungsverweigerung zwischen rationalen und irrationalen Beweggründen 326. Zu den rationalen Gründen werden diejenigen gezählt, die auch regelmäßig bei somatisch Kranken Ausschlag für die Weigerung, sich behandeln zu lassen, sein werden; religiöse Überzeugungen, Angst vor den Risiken der Behandlung oder ein gestörtes Vertrauensverhältnis zum behandelnden Arzt. Irrational erscheinen die Gründe, die in der Krankheit selbst begründet sind; angesprochen ist damit die krankheitsbedingte Verweigerung, die im Regelfall in mangelnder Krankheitseinsicht begründet sein wird. Die von Erhardt angeführten Untersuchungen erzielen keine eindeutigen Ergebnisse darüber, welche Gründe im Vordergrund stehen. Z.T. wird angenommen, rationale Erwägungen spielten die weitaus größere Rolle, ebenfalls vertreten wird das entgegengesetzte Ergebnis; vermittelnd wird von einer gleich großen Bedeutung für die Verweigerung der Behandlung ausgegangen327. Aus der genannten Untersuchung von Finzen u. a. geht hervor, daß 37% der zwangsbehandelten Patienten sich nicht krank fühlten, 30% die Behandlung aus Angst vor Nebenwirkungen ablehnten und 31 % fehlendes Verständnis des Arztes als Grund für die Behandlungsverweigerung angaben328. Eine andere Untersuchung zu Krankheitsgefühl und der Krankheitseinsicht psychisch Kranker hat ergeben, daß insbesondere bei Patienten mit endogener Manie, Schizophrenie und schizoaffektiven Psychosen sowohl Krankheitsgefühl als auch Behandlungsbereitschaft signifikant geringer sind 329 . Wie gezeigt, liegt genau bei

324 325 326 327

Finzen u. a., Hilfe wider Willen, S. 68. Finzen u. a., Hilfe wider Willen, S. 72. Erhardt, Behandlungsverweigerung, S. 27. Nachweise bei Erhardt, Behandlungsverweigerung, S. 32, 33 ff., 36 ff.

328 Finzen u. a., Hilfe wider Willen, S. 73; Mehrfachnennungen waren möglich. 329 Bender, S. 46, 62 bzw. S. 47, 62.

Α. Behandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung

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diesen Patientengruppen die Häufigkeit einer Zwangsbehandlung deutlich über dem Durchschnitt. Daraus läßt sich folgern, daß die krankheitsbedingte Behandlungsweigerung eine nicht ganz unbedeutende Rolle spielt. Daß es sich um wenige Einzelfälle handelt, denen die notwendige Einsichtsfähigkeit fehlt 3 3 0 , erscheint zumindest für den Akutbereich nicht wahrscheinlich. Ebensowenig sollte aber unterstellt werden, daß psychische Krankheit stets die Einsichtsfähigkeit aufhebt oder auch nur mindert 331 . Eine auch nur annähernd fundierte Einschätzung, ob,»rationale" oder krankheitsbedingte Gründe vorrangig zur Behandlungsverweigerung und damit zu Situationen führen, in denen eine Zwangsbehandlung in Erwägung gezogen wird, kann hier jedoch nicht gegeben werden.

IV. Zusammenfassung Die Untersuchung der landesrechtlichen Grundlagen der sog. öffentlich-rechtlichen Unterbringung hat eine beachtliche Vielfalt von inhaltlich höchst unterschiedlichen Regelungen ergeben. Allen Landesgesetzen ist gemeinsam, daß die Voraussetzungen für die Unterbringung auch im historischen Vergleich recht weit gefaßt sind. Sowohl der Krankheits- als auch der Gefahrbegriff, der trotz unterschiedlichen Wortlauts den meisten Gesetzen gemeinsam ist, entspricht dem weithin vertretenen fürsorglichen Konzept der öffentlich-rechtlichen Unterbringung. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, daß praktisch die Eigengefährdung mit deutlichem Abstand der wichtigste Grund für die Unterbringung psychisch Kranker ist. Die Weigerung, sich einer vom ärztlichen Standpunkt aus notwendigen Heilbehandlung zu unterziehen, stellt allerdings - ungeachtet der fürsorglichen Tendenz der Unterbringungsgesetze - allein keinen Unterbringungsgrund dar. Die landesrechtlichen Regelungen über die Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen des Untergebrachten sind ebenfalls höchst unterschiedlich und zum großen Teil wenig zufriedenstellend. Auch den neueren Unterbringungsgesetzen ist die erforderliche Koordinierung mit dem Betreuungsrecht nicht durchgehend gelungen. In Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und nunmehr auch in Nordrhein-Westfalen ist der Vorrang der Betreuung - mit Ausnahme von besonders eilbedürftigen Behandlungen schwerwiegender Erkrankungen - weitgehend anerkannt. Eine ganze Reihe von Gesetzen sehen ein kaum durchschaubares Nebeneinander von Betreuung und öffentlich-rechtlichen Zwangsbehandlungsbefugnissen vor, das sich ζ. T. in auch gesetzestechnisch völlig mißlungenen Formulierungen niederschlägt.

330 Davon gehen offenbar Tondorf, ZRP 1983, 119 und Stolz, R&P 1984, S. 57 f. aus. 331 Helmchen in: Bergener, Rechtsstaat und Psychiatrie, S. 79.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Eine Beschränkung der Zwangsbehandlung auf die Krankheit, die Anlaß für die Unterbringung ist, ist den meisten Gesetzen nur im Wege der Auslegung zu entnehmen. Informations- und Beteiligungsrechte des Patienten stellen die Ausnahme dar; ebensowenig wird durchgängig eine Dokumentationspflicht in diesem grundrechtswesentlichen Bereich begründet. Besondere Regelungen gelten verbreitet für schwerwiegende Eingriffe. Teilweise wird versucht, in Anlehnung an das Betreuungsrecht besondere Verfahren festzuschreiben, ζ. T. sind schwerwiegende Eingriffe nur in besonderen Ausnahmefällen ohne die Einwilligung des Betroffenen zulässig. Persönlichkeitszerstörende und medizinisch fragwürdige Behandlungen werden zu Recht untersagt. Das Gleiche gilt entgegen einiger Stimmen in der Literatur auch für die Erprobung von Behandlungsverfahren in welcher Form auch immer. Der erstaunlichen Vielfalt der nicht durchgängig überzeugenden gesetzlichen Grundlagen steht die erhebliche praktische Bedeutung der Zwangsbehandlung auf landesrechtlicher Grundlage gegenüber, soweit sie sich aus dem vorhandenen Datenmaterial ablesen läßt.

B. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung Ein weiterer wichtiger Anwendungsbereich für medizinische Zwangsmaßnahmen ist die Unterbringung psychisch kranker Straftäter und Süchtiger auf der Grundlage der §§ 63 f. StGB und des Prozeßrechts (§§ 81, 126a StPO).

I. Rechtsgeschichtlicher Überblick Der Grundsatz, daß derjenige, der aufgrund psychischer Krankheit das Unrecht seiner Tat nicht einzusehen vermag, straffrei bleibt, läßt sich bis ins römische Recht zurückverfolgen 332. Besondere Rechtsgrundlagen für die Unterbringung psychisch kranker Straftäter entstanden in Deutschland allerdings erst in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts. Bis dorthin ist eine Trennung zwischen öffentlichrechtlicher und strafrechtlicher Unterbringung nicht feststellbar; unter der Geltung des ALR beispielsweise gehörte die Unterbringung psychisch Kranker insgesamt in den Kreis polizeilicher Aufgaben 333 . Die Trennung von psychisch kranken Straftätern und sonstigen „gemeingefährlichen Geisteskranken" wurde seit Beginn des Jahrhunderts angestrebt. Sämtliche 332 333

Ausführlich zur rechtshistorischen Entwicklung Baur, Vollzug der Maßregeln, S. 4 ff. Baur, Vollzug der Maßregeln, S. 15 ff.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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Entwürfe zum Strafgesetzbuch zwischen 1909 und 1927 enthielten Vorschriften zum Recht der Maßregeln der Besserung und Sicherung 334. Auf diese Vorschläge geht das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und die Maßregeln der Sicherung und Besserung" vom 24. 11. 1933 335 zurück. Art. 2 führte mit den §§ 42a ff. StGB die Maßregeln der Sicherung und Besserung ein. Die Umkehrung der bis dorthin und heute 336 wieder geläufigen Reihenfolge der Zweckbestimmung Besserung und Sicherung brachte die maßgebliche Motivation des Gesetzgebers, „den Schutz der Volksgemeinschaft gegen verbrecherische Schädlinge in den Vordergrund" zu rücken, zum Ausdruck 337 . Art. 3 II, § 5 S. 2 der wenig später erlassenen „Verordnung über den Vollzug der Freiheitsstrafen und von Maßregeln der Sicherung und Besserung, die mit Freiheitsentziehung verbunden sind" (VollzVO) vom 14. 5. 1939 338 bestimmte allerdings, daß neben der Sicherung das Ziel zu verfolgen ist, die Untergebrachten soweit wie möglich zu heilen. Bestimmungen über die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen enthielt das Gesetz mit Ausnahme des § 42k, der die „Entmannung" ermöglichte, nicht. § 5 S. 3 VollzVO besagte lediglich, daß die Untergebrachten nach den Hausordnungen oder den Anordnungen des Arztes zu behandeln sind. Demgemäß war die zwangsweise Behandlung der Untergebrachten ohne besondere Voraussetzungen möglich und anerkannt 339. Die Nachkriegszeit brachte im Gegensatz zum Bereich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zunächst keine neuen gesetzlichen Grundlagen hervor. Art. 104 GG erforderte keine Veränderungen der entsprechenden Gesetze, da dem Erfordernis der richterlichen Entscheidung bei der strafrechtlichen Unterbringung ohnehin Genüge getan war. Die Zwangsbehandlung wurde allgemein für zulässig erachtet, sei es aus „der Natur der Sache" 340 oder mit Hinweis auf die Dienst- und Vollzugsordnung der Länder vom 1. 12. 1961 341 , die in den Jahren 1962-76 die Rechtsgrundlage des Strafvollzuges darstellte 342 . Nr. 193 DVollzO 3 4 3 gab die Möglichkeit zur Zwangsbehandlung und Zwangsernährung und galt durch Verweisung (Nr. 244 DVollzO) auch für die Unterbringung nach § 42b a.F. StGB. Durften schon Strafgefangene gegen ihren Willen medizinisch behandelt und ernährt werden, so ergab sich ein derartiges Recht nach damaliger Auffassung erst recht für 334 G. Hahn, S. 143. 335 RGBl. I, S. 995. 336 Seit dem 2. StrRG vom 4. 7. 1969, in Kraft seit 1975. 337 ßaur, Vollzug der Maßregeln, S. 22 f. 338 RGBl. I S. 383, 386. 339 Vgl. Rinke, Therapeutische Zwangsmaßnahmen, S. 7. 340 BayVerfGH, VerwRspr. 10, 390, 393, 396. 341 Baumann, UnterbringungsR, S. 43 f., Barella, NJW 1959, 2291. 342 Dazu Geißl, S. 76. 343 Abgedruckt bei Baumann, UnterbringungsR, S. 43.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

strafrechtlich Untergebrachte 344. Kontrovers diskutiert wurden lediglich die Fragen der Anwendbarkeit der Unterbringungsgesetze der Länder sowie das Verhältnis der öffentlich-rechtlichen zur strafrechtlichen Unterbringung 345. Nur einzelne Stimmen gelangten zu der für die damalige Zeit beachtlichen Auffassung, daß eine zwangsweise Behandlung ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage nicht zulässig •346

sei . Mit der bekannten „Strafgefangenen-Entscheidung" des BVerfG 347 wurde dieser Streit 1972 hinfällig. Gesetzliche Grundlagen mußten geschaffen werden. Fast fünf Jahre später trat das Strafvollzugsgesetz 348 in Kraft. Ausdrückliche Bestimmungen über Voraussetzungen und Grenzen der Zwangsbehandlung enthalten jedoch auch die §§ 136 ff. StVollzG ebensowenig wie die §§ 63 f. StGB. § 136 S. 1 StVollzG bestimmt, daß die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sich nach ärztlichen Gesichtspunkten richtet. Nähere Regelungen wurden dem Landesrecht überlassen (§ 138 Abs. 1 StVollzG). In der Folgezeit entstand auf Bundesebene ein Musterentwurf für ein Maßregelvollzugsgesetz349, der jedoch nie Gegenstand parlamentarischer Beratung wurde 3 5 0 . § 14 des Musterentwurfes 351 enthält Regelungen über die Heilbehandlung. Nach § 14 Abs. 1 ist bei Behandlungen zur Erreichung des Vollzugsziels eine Einwilligung des Untergebrachten grundsätzlich nicht erforderlich. Das gilt gemäß Abs. 2 nicht, wenn ein operativer Eingriff geplant ist oder mit der Behandlung erhebliche gesundheitliche Risiken oder eine Gefahr für das Leben des Untergebrachten einhergehen. Ist der Untergebrachte in diesen Fällen nicht in der Lage, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung einzusehen oder seinen Willen danach zu bestimmen, so ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters maßgeblich (Abs. 3). Liegt eine schwerwiegende Maßnahme i. S. d. Abs. 2 vor und ist die Ersetzung der Einwilligung gemäß Abs. 3 notwendig, so ist zusätzlich die Genehmigung der Strafvollstreckungskammer oder des Vollstreckungsleiters einzuholen (Abs. 4). Eine Einwilligung in eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Untergebrachten in ihrem Kernbereich verändern würde, wird für unwirksam erklärt (Abs. 5).

344

Baumann, UnterbringungR, S. 43. Vgl. dazu nur Baumann, UnterbringungsR, S. 44 ff.; für die hier interessierende Frage nach der Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen spielt dieser Streit nur eine marginale Rolle, da die Mehrzahl der landesrechtlichen Unterbringungsgesetze ohnehin keine Rechtsgrundlagen für die Zwangsbehandlung aufwiesen, dazu oben Α. I.) a). 34 * In der Beck, NJW 1963, S. 2358. 34 ? BVerfGE 33, 1. 34 « Vom 16. 3. 1976, BGBl. I, 581. 34 9 BT-Drs. 8/2565. 345

350 Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, A 117. 351 BT-Drs. 8/2565, S. 220.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher U n t e r b r i n g u n g 7 5

Der sprachlich nicht sonderlich gelungene § 15 des Musterentwurfs wird wohl dahingehend zu verstehen sein, daß psychotherapeutische Behandlungen nicht gegen den Willen des Untergebrachten durchgeführt werden dürfen. Nicht in allen Bundesländern hat dieser Entwurf Bedeutung erlangt. Eine Übernahme bzw. Anlehnung läßt sich lediglich in Hessen, Niedersachsen, SchleswigHolstein und Bayern ausmachen352. Landesrechtliche Bestimmungen, auf die § 138 Abs. 1 StVollzG verweist, entstanden mit deutlicher Verspätung und trotz des Musterentwurfes uneinheitlich. Etwa die Hälfte der Länder erließ kein eigenes Gesetz über den Vollzug der Maßregeln, sondern begnügte sich damit, die Regelungen der Unterbringungs- bzw. Psychisch-Kranken-Gesetze353 auf die strafrechtlich Untergebrachten zu erstrecken 354. In diesen Ländern sind die Vorschriften über die öffentlich-rechtliche Unterbringung, insbesondere die Bestimmungen über die Heilbehandlung entsprechend anzuwenden. Abweichungen zum Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung ergeben sich daraus nur hinsichtlich besonderer Sicherungsmaßnahmen, nicht jedoch hinsichtlich der Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen, so daß für diese Länder insgesamt auf die Ausführungen unter A I I verwiesen werden kann. Die übrigen Bundesländer erließen eigenständige Regelungen355, die nicht nur untereinander erheblich voneinander abweichen 356 , sondern auch teilweise deutliche Unterschiede zu den Unterbringungs- bzw. Psychisch-Kranken-Gesetzen derselben Länder aufweisen. 352

Rinke, Therapeutische Zwangsmaßnahmen, S. 17. * § 15 UBG BW; Art. 28 Bay. UBG; § 1 Abs. 1 2b PsychKG Berlin; §§ 36 ff. BbgPsychKG; §§ 1 Abs. 1 3b, 37 ff. PsychKG M.-V.; § 38 Sächs. PsychKG; §§ 33 f. PsychKG SH; §§ 1 Abs. 3; 32 Abs. 1 Thür. PsychKG. 3 3

354 Diese Regelungstechnik wird zu Recht kritisiert, da sich Rahmenbedingungen, Bedürfnisse und Ziel der Unterbringung im Maßregelvollzug erheblich von der öffentlich-rechtlichen Unterbringung unterscheiden, vgl. Baur, Vollzug der Maßregeln, S. 101 f. 355 Bremen: Gesetz über den Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 28. 6. 1983, GBl. 407 (MVollzG Bremen); Hamburg: Gesetz über den Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt vom 14. 6. 1989, GVB1. 99 (HmbMVollzG); Niedersächsisches Maßregelvollzugsgesetz vom 1. 6. 1982, GVB1. S. 131 (Nds.MVollzG); Nordrhein-Westfalen: Maßregelvollzugsgesetz vom 15. Juni 1999, GVB1. 402 (MRVG NW); Rheinland-Pfalz: Landesgesetz über den Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln v. 23. 9. 1986, GVB1. 223 (MVollzG RhPf.); Saarland: Gesetz Nr. 1257 über den Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt vom 29. 11. 1989, ABl. 81, i.d.F. vom 28. 2. 1990, ABl. 334 (Saarl MRVG); Maßregelvollzugsgesetz für das Land SachsenAnhalt vom 9. 10. 1992, GVB1. 736 (MVollzG LSA). 356 Ebenso wie im Recht der öffentlichen Unterbringung liegen zwischen den einzelnen Bestimmungen in der Tat „Welten", Bernsmann, in: Blau/Kammeier, S. 152; kritisch dazu auch: Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, A 118; Baur, Vollzug der Maßregeln, S. 98 ff.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Hinsichtlich der tatsächlichen Entwicklung 357 der Behandlung psychisch kranker Straftäter in der Psychiatrie kann weitestgehend auf die Ausführungen zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung verwiesen werden. Nicht zu verkennen ist, daß bereits vor der vollzugsrechtlichen Trennung psychisch kranker Straftäter von den übrigen untergebrachten psychisch Kranken die Versorgung ersterer stets deutlich unter dem Niveau der übrigen psychisch Kranken lag 3 5 8 . Dieser Umstand bedingte eine besondere Akzentuierung der Psychiatrie-Kritik 359 und ist auch heute noch nicht behoben.

II. Unterbringungsentscheidung Auch bei der strafrechtlichen Unterbringung erweist sich ein Blick auf die Grundzüge der jeweiligen Unterbringungsentscheidung als hilfreich, da sie nicht nur Voraussetzung der Behandlung ist, sondern auch Zweck und Grenzen der Behandlung mitbestimmt. Im Gegensatz zu den Voraussetzungen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung sind die der strafrechtlichen Unterbringungsentscheidung in der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur detailliert herausgearbeitet, so daß eine knappe Darstellung der wesentlichen Elemente ausreichen dürfte.

1. § 81 StPO Die Unterbringung nach § 81 StPO erfolgt zur Vorbereitung eines psychiatrischen Gutachtens über den Beschuldigten. Sie setzt voraus, daß dieser einer Tat dringend verdächtig ist (§81 Abs. 2 StPO) und darf höchstens 6 Wochen dauern (§81 Abs. 5 StPO). Zweck der Unterbringung ist die Prüfung der Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB oder, sollte diese feststehen, der Gemeingefährlichkeit i. S. d. §§ 63, 66 StGB 3 6 0 . Nicht erforderlich ist das gegenwärtige Bestehen einer psychischen Erkrankung. Vielmehr ist eine Unterbringung gemäß § 81 StPO auch zulässig, um Rückschlüsse auf den psychischen Zustand zur Tatzeit zu ziehen 361 .

357 Ausführlich: Rinke, Therapeutische Zwangsmaßnahmen, S. 7 ff.; Baur, Vollzug der Maßregeln, S. 36 ff. 3 58 Psychiatrie-Enquete, BT-Drs. 7/4200, S. 281; Schumann, Psychische kranke Rechtsbrecher, S. 1; ausführlich zum Umgang mit dieser Randgruppe innerhalb der Randgruppe der psychisch Kranken Baur, Vollzug der Maßregeln, S. 36 ff. 35

9 Vgl. Rinke, Therapeutische Zwangsmaßnahmen, S. 10 ff. 560 Kleinknecht/Meyer, § 81 Rn. 5. 361 Kleinknecht/Meyer, § 81 Rn. 5 m. w. N.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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2. § 63 StGB Voraussetzungen der Unterbringung gemäß § 63 StGB sind das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat, die im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) begangen wurde, die Erwartung, daß der Täter infolge seines Zustandes weitere erhebliche Taten begehen wird, und die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit. Das Vorliegen einer psychischen Krankheit bei dem Unterzubringenden stellt kein Tatbestandsmerkmal des § 63 StGB dar. Allerdings ergibt sich eine weitgehende Deckungsgleichheit aus folgender Überlegung: Schuldunfähigkeit i. S. d. § 20 f. StGB setzt fehlende Unrechtseinsicht aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, tiefgreifender Bewußtseinsstörung, Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit voraus. Unter krankhafter seelischer Störung werden üblicherweise die verschiedenen Formen der Psychose verstanden 362. Als schwere seelische Abartigkeit werden Psychopathien, Neurosen und Triebstörungen 3 6 3 angesehen, mit der Einschränkung, daß ihnen Krankheitswert zukommen muß 3 6 4 . Dem Tatbestandsmerkmal Schwachsinn wird kaum eigene Bedeutung zuerkannt. Vielmehr handele es sich um einen Unterfall der schweren seelischen Abartigkeit 365 . Nicht deckungsgleich mit dem bereits an anderer Stelle erörterten Begriff psychischer Krankheit sind die tiefgreifenden Bewußtseinsstörungen. Hierunter können vorübergehende Zustände wie Affekte oder Rauschzustände fallen 366 , die für den Zeitpunkt der Unterbringungsentscheidung nicht ohne weiteres das Vorliegen einer psychischen Krankheit begründen können. Für die Unterbringungsentscheidung werden derart vorübergehende Zustände allerdings auch kaum eine Rolle spielen. Die Unterbringung gemäß § 63 StGB setzt nämlich voraus, daß der bei der Tat bestehende Zustand von längerer Dauer ist 3 6 7 . Die Unterbringung „sei nicht bestimmt, an sich gesunde Personen wegen eines vorübergehenden, sei es auch pathologischen Rauschzustandes, zu verwahren" 368 . Weitaus größere Schwierigkeiten bereitet die Gefährlichkeitsprognose, die allerdings im Rahmen dieser Untersuchung keine Rolle spielen kann.

362 Schönke/ Schröder-Lenckner, § 20 Rn. 11 f.; Tröndle, StGB, § 20 Rn. 8 ff. 363 Tröndle, StGB, § 30 Rn. 13-15; Schönke/ Schröder-Lenckner, § 20 Rn. 20. 364 Schönke / Schröder-Lenckner, § 20 Rn. 23; allerdings können in Ausnahmefällen auch nicht pathologisch bedingte Störungen dem Anwendungsbereich des § 63 StGB unterfallen, BGH NStZ 1990, S. 122 f. 365 Schönke / Schrödcr-Lenckner, §20Rn. 18. 366 Schönke / Schröder-Lenckner, § 20 Rn. 12 ff. 367 Tröndle, StGB, § 63 Rn. 12; Schönke / Schröder-Stree, § 63 Rn. 12 mwN. 368 Tröndle, StGB, § 63 Rn. 7.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Zu klären bleibt der Zweck der Unterbringung gemäß § 63 StGB. Vertreten wird, daß insbesondere wegen § 136 StVollzG der Besserungsaspekt deutlichen Vorrang vor dem Sicherungsaspekt habe 369 . Gegen diese Bestimmung des Unterbringungszweckes spricht jedoch ganz entscheidend, daß fehlende Heilungsaussichten der Unterbringung gemäß § 63 StGB nicht entgegenstehen370. Richtigerweise wird man daher zwischen dem Zweck der Unterbringung und den dazu eingesetzten Mitteln, dem Vollzugsziel, unterscheiden müssen. Letztere werden durch §136 StVollzG bestimmt 371 . Allgemeiner Zweck der Unterbringung ist der Schutz der Allgemeinheit durch Sicherung 372, Mittel dazu die Unterbringung und als Vollzugsziel die Besserung auch durch medizinische Heilbehandlung.

3. §64 StGB Anders ist das Verhältnis von Besserung und Sicherung bei der Unterbringung gemäß § 64 StGB zu beurteilen. Bestimmt § 64 Abs. 2 StGB, daß die Anordnung einer Entziehungskur unterbleibt, wenn sie von vornherein aussichtslos erscheint, so verlangt nunmehr das BVerfG die hinreichend konkrete Aussicht, den Süchtigen zu heilen oder doch über eine gewisse Zeit vor dem Rückfall zu bewahren 373. Dementsprechend wurde § 67d Abs. 5 StGB, der einen Mindestaufenthalt von einem Jahr - unabhängig von den Erfolgsaussichten der Therapie - zur Folge hatte, für verfassungswidrig erklärt. Das Vollzugsziel der Besserung ist somit Voraussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; der Besserungsaspekt geht dem mit der Unterbringung gemäß § 64 StGB ebenfalls verfolgten Sicherungsaspekt vor. Die Sicherung stellt m.a.W. keinen eigenständigen, vom Besserungsaspekt losgelösten Zweck dar 3 7 4 . Untergebracht werden Personen, die den Hang haben, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, die aufgrund des Rausches, sei es im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit, rechtswidrige Taten begangen haben und bei denen die Gefahr besteht, daß sie infolge des Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen werden. Unter der gleichen Voraussetzung kann neben einer Strafe untergebracht werden, wer schuldfahig eine Tat begangen hat, die sich auf den beschriebenen Hang zurückführen läßt. 369 Leygraf/Heinz in Blau / Kammeier, S. 44; Ukena, Unterbringung, S. 29 ff., 36,44 f. 370 BGH NStZ 1990, S. 112 mwN.; Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, Β 13; Detter, NStZ 1995, S. 489; Schönke / Schröder-Stre e, § 63 Rn. 1, 20; daran ändert auch die Entscheidung des BVerfG zu § 64 StGB (BVerfGE 91, 1) nichts, vgl. OLG Hamburg, NJW 1995, S. 2424 f.; KG vom 20. 6. 1997, R&P 1998, S. 110. 371 Marschner, Psychische Krankheit und Freiheitsentziehung, S. 97. 372 Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, Β 7 ff., Β 20. 373 BVerfGE 91, l,Ls. 1. 374 Schönke/Schröder-Stree, § 64 Rn. 11; vgl. auch die amtliche Begründung, BT-Drs. V / 4095, S. 26.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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Der Hang, berauschende Mittel zu sich zu nehmen, umfaßt nicht nur als psychische Krankheit anerkannte Suchterkrankungen, sondern auch die „auf Grund psychischer Disposition oder durch Übung gewonnene Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen" 375 . Die Formulierung und Auslegung des § 64 StGB geht insofern deutlich über die Formen von Sucht hinaus, die etwa in den Unterbringungs- und Psychisch-Kranken-Gesetzen der Länder mit den Wendungen „Suchterkrankung" oder „Abhängigkeit von Suchtstoffen" erfaßt sind.

4. § 126a StPO Gemäß § 126a StPO kann jemand einstweilig untergebracht werden, bei dem dringende Gründe für die Annahme vorliegen, daß er im Zustand der §§ 20 f. StGB eine rechtswidrige Tat begangen hat und daß er nach Maßgabe der §§ 63 f. StGB untergebracht werden wird. Voraussetzung ist weiterhin, daß die öffentliche Sicherheit eine einstweilige Unterbringung erforderlich macht, d. h. die Begehung weiterer, schwerwiegender rechtswidriger Taten wahrscheinlich ist 3 7 6 . Vorrangiger Zweck der Unterbringung gemäß § 126a StPO ist der Schutz der Allgemeinheit, nicht wie bei § 112 StPO die Verfahrenssicherung 377. Sie sei gegenüber der Untersuchungshaft die angemessenere Maßnahme, da die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die Möglichkeit der Behandlung biete 378 .

I I I . Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen 1. § 81 StPO Keine gesetzlichen Bestimmungen bestehen hinsichtlich der Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen des gemäß § 81 StPO Untergebrachten. Dementsprechend wird zu Recht und nahezu einhellig vertreten, daß Zwangsbehandlungen in diesem Bereich unzulässig sind 379 . Ohne Zustimmung sind Eingriffe nur mit besonderer Anordnung gemäß § 81a StPO möglich 380 , der allerdings nur diagnostische Maßnahmen zuläßt, die im Rahmen dieser Untersuchung keine Rolle spielen können.

375 Detter, NStZ 1995, S. 489 mwN. 376 Kleinknecht/Meyer, § 126a Rn. 5. 377 Kleinknecht/Meyer, § 126a Rn. 1. 378 Kleinknecht/Meyer, a. a. O. 379 Volckart, Maßregelvollzug, S. 29; Kammeier-Wagner, Maßregelvollzugsrecht, D 48; Kleinknecht/Meyer § 81 Rn. 20 mwN.; a.A. wohl nur Arzt, JZ 1969, S. 440. 380 BGH JZ 1969, S. 437; Kleinknecht/Meyer,

§ 81 Rn. 20.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Abweichend wurde jedoch vertreten, daß Zwangsbehandlungen zumindest im Rahmen des § 34 StGB möglich sind 381 . Zieht man in Betracht, daß die Unterbringung gemäß § 81 StPO lediglich Beweiszwecken dient, so erscheint der Verzicht auf Zwangsbehandlungsbefugnisse recht schlüssig. Allerdings wird es in der Praxis durchaus Fälle geben, in denen die - auch zwangsweise - Heilbehandlung eines nach § 81 StPO Untergebrachten ärztlicherseits nicht nur wünschenswert, sondern dringend geboten erscheint, etwa um Residuen und Chronifizierungen zu vermeiden. Für derartige Fälle erweist sich der Hinweis, man solle eine Unterbringung nach Landesrecht anregen 382, bei näherer Betrachtung als wenig hilfreich. Erscheint es schon begrifflich widersinnig, die geschlossene Unterbringung für einen geschlossen Untergebrachten zu beantragen, so wird die betreffende Person während der Unterbringung gemäß § 81 StPO schon aus tatsächlichen Gründen regelmäßig nicht in der Lage sein, sich oder andere in dem für eine Unterbringung nach den Unterbringungsgesetzen der Länder erforderlichen Ausmaße zu gefährden. Eine landesrechtliche Unterbringung nur zu dem Zwecke, eine Befugnis zur Zwangsbehandlung zu verschaffen, wäre zudem - wie bereits gezeigt - weder mit dem Wortlaut noch Sinn und Zweck der entsprechenden Bestimmungen vereinbar. Die Behandlung gegen oder ohne den Willen eines gemäß § 81 StPO Untergebrachten erscheint daher allenfalls nach der Bestellung eines Betreuers (§§ 1896 ff. BGB) möglich.

2. § 126a StPO Aufgrund der erheblich längeren Unterbringungszeiten stellt sich das Problem fehlender Rechtsgrundlagen für die Zwangsbehandlung in der Praxis der Unterbringung gemäß § 126a StPO deutlich schärfer. Nur ein Teil der Literatur sieht in § 119 Abs. 1 StPO eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Anordnung der Heilbehandlung383. Mag der Richter auch die Bedingungen des Vollzugs gemäß § 119 StPO unter Zuhilfenahme der Untersuchungshaftvollzugsordnung weitgehend frei gestalten können 384 , so schließt § 119 Abs. 3 StPO Beschränkungen aus, die nicht dem Zweck der Untersuchungshaft oder der Ordnung in der Vollzugsanstalt dienen. Die überwiegende Ansicht schließt daraus auf die Unzulässigkeit von Heilbehandlungen ohne oder gegen den Willen des Untergebrachten 385. Zur Begründung wird neben der Unschuldsvermu381 Löwe / Rosenberg-Meyer § 81 Rn. 32; zu § 34 StGB s. unten C. II. 3. 382 So Volckart, Maßregelvollzug, S. 29. 383 Juchart/Warmbrunn, UBG BW, § 15 Erl. 1. 384 Böhm, in: Schwind/Böhm, StVollzG, § 1 Rn. 6. 385

Volckart, Maßregelvollzug, S. 29; Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, A 133; Kammeier-Wagner, Maßregelvollzugsrecht, D 48; Krause, in: AK-StPO, § 126a Rn. 5.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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tung des Art. 6 Abs. 2 EMRK auf die verfahrenssichernde Funktion der Unterbringung verwiesen 386 . Differenzierend wird vertreten, daß nur solche Behandlungsmaßnahmen zulässig sind, die die Gefährlichkeit des Untergebrachten in der Anstalt beheben oder akute gesundheitliche Schäden von ihm abwenden sollen 387 . Im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung gemäß § 126a StPO kann § 119 StPO keine Rechtsgrundlage für die zwangsweise Behandlung der Anlaßerkrankung darstellen. Mit § 119 Abs. 3 StPO noch vereinbar scheinen solche medizinischen Eingriffe, die eine nicht anders abwendbare Gefährdung von anderen Untergebrachten oder des Vollzugspersonals abwenden sollen. Demgegenüber kann die Zulässigkeit von Maßnahmen, die eine erhebliche Gesundheitsgefahr für den Untergebrachten abwenden sollen, allenfalls auf § 101 StVollzG 388 gestützt werden. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, daß das PsychKG SH als einziges Landesgesetz eine Zwangsbehandlung auch für gemäß § 126a StPO Untergebrachte vorsieht (§§1 Abs. 3, 26 Abs. 3). Insoweit kollidiert das PsychKG SH mit § 119 Abs. 3 StPO und ist wegen Art. 31 GG nichtig 389 .

3. §§ 63,64 StGB Ausführliche gesetzliche Grundlagen bestehen demgegenüber für die Heilbehandlung von gemäß §§ 63, 64 StGB Untergebrachten. Größere praktische Bedeutung dürften diese allerdings nur im Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB erlangen. Für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB würde eine Zwangsbehandlung regelmäßig die Beendigung der Unterbringung nach sich ziehen müssen. Ohne die Mitwirkung des Untergebrachten ist eine erfolgversprechende Therapie regelmäßig undurchführbar 390 und ohne hinreichende Aussicht auf Heilung ist die Unterbringung nach § 64 StGB - wie oben gezeigt - abzubrechen.

a) §§ 136 f. StVollzO, §§ 63 f. StGB Nicht nur von rein akademischer Bedeutung ist, ob bereits die §§ 136 f. StVollzO i.V.m. §§ 63 f. StGB Heilbehandlungen gegen oder ohne den Willen des Untergebrachten zulassen. Dieser Streit wurde maßgeblich in den 80er Jahren erörtert 3 9 1 , als eine Reihe von Ländern noch keine Maßregel Vollzugs- bzw. Psychisch386

Volckart, a. a. O.; Kammeier-Wagner, Maßregelvollzugsrecht, D 48. «7 Krause, in: AK-StPO, § 126a Rn. 5. 3 88 Dazu unten C. I. 589 Volckart, Maßregelvollzug, S. 29. 590 BVerfGE 91,1,30 f. » ι Zum Streitstand: Marschner, R&P 1985, S. 5. 3

6 Heide

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Kranken-Gesetze erlassen hatten. Bedeutung kommt ihm aber auch heute noch zu. Würden nämlich bereits die bundesrechtlichen Vorschriften eine Zwangsbehandlung vorsehen, so könnten landesrechtliche Bestimmungen, die die Zwangsbehandlung nicht zulassen oder beschränken, gemäß Art. 31 GG nichtig sein. ΛΛΛ

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Neben dem OLG Hamm vertritt Volckart unter Hinweis auf die systematische und teleologische Auslegung der Bestimmungen das Vorhandensein eines bundesrechtlichen Rechts zur Zwangsbehandlung. Gestützt wird dieses Ergebnis im wesentlichen auf § 136 StVollzG, nach dem sich die Unterbringung nach ärztlichen Gesichtspunkten richtet. Weiterhin gebiete die Verhältnismäßigkeit, die Unterbringung so kurz wie möglich zu halten 394 . Daraus scheint man ein Argument für die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung abzuleiten 395 . Man mag schon bezweifeln, ob gerade die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen zur Verkürzung von Unterbringungszeiten führen kann. Unverständlich bleibt jedenfalls, inwieweit die Erwähnung ärztlicher Gesichtspunkte einen Rückschluß auf die Zulässigkeit von Zwangsmaßnahmen zulassen soll. Zwang und nicht konsentierte Behandlung gehören im Regelfall gerade nicht zu Gesichtspunkten ärztlichen Handelns. Soll im Bereich des Maßregelvollzuges eine Ausnahme von diesem Grundsatz gelten, so wird man diese Ausnahme gesetzlich formulieren müssen. In diesem Bereich angestellte Zweckmäßigkeitserwägungen rechtfertigen jedenfalls nicht ein Normverständnis, das mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht mehr in Einklang zu bringen ist. 3 9 6 Zudem wird man ernsthaft in Frage stellen müssen, ob im Hinblick auf die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen § 136 StVollzG i.V.m. § 63 StGB dem Bestimmtheitsgebot genügen würde. Das Bestimmtheitsgebot verlangt - zumal bei grundrechtsbeschränkenden Normen - , daß der Gesetzgeber die Beschränkungen im wesentlichen selbst festlegen muß 3 9 7 . Wenn deshalb auch nicht detaillierte Regelungen erforderlich sind, so muß der Gesetzgeber zumindest die dem staatlichen Eingriff offenliegende Rechtssphäre selbst abgrenzen 398. Der bei unvoreingenommener Betrachtung neutrale Hinweis auf die ärztlichen Gesichtspunkte in § 136 StVollzG schließt die Möglichkeit von Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit m. E. nicht mit ein. Eine Regelung, bei der der Betroffene die Rechtslage erkennen könnte 399 , also die Pflicht, Behandlungen im Maßregelvollzug zu dulden, liegt nicht vor 4 0 0 . 392 R&p 1987, S. 36 ff. = JR 1987, S. 295. 393 Maßregelvollzug, S. 111. 394 Volckart, Maßregelvollzug, S. 111.; ähnlich Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 140 ff., die allerdings eine „Fürsorgepflicht" für ausschlaggebend hält. 395 Zu diesem Argument insgesamt unten 2. Teil Β. V. 396 KG vom 20. 6. 1997, R&P 1998, S. 110. 397 BVerfGE 20, 150, 158; 57, 295, 326 f.; 62, 169, 182. 398 BVerfGE 20, 150, 158. 399 Vgl. BVerfGE 21, 73, 79; 52, 1, 41.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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Auch aus diesem Grunde ergibt sich aus den § 136 StVollzG, §§ 63 f. StGB kein Recht zu Behandlung ohne oder gegen den Willen des Untergebrachten 401. Maßgeblich sind daher allein die landesrechtlichen Bestimmungen.

b) Landesrechtliche Bestimmungen Wie bereits erwähnt, haben nicht alle Bundesländer ein eigenes Maßregelvollzugsgesetz erlassen. Für die Länder, in denen das Recht des Maßregelvollzugs im Unterbringungs- bzw. Psychisch-Kranken-Gesetz mitgeregelt ist, kann insgesamt auf die Ausführungen dort verwiesen werden. Die eigenständigen Regelungen in Bremen 402 , Hamburg 403 , Hessen 404 , Niedersachsen 405, Nordrhein-Westfalen 406, Rheinland-Pfalz 407, Sachsen-Anhalt408 und dem Saarland 409 werden im folgenden kurz dargestellt. aa) Überblick Jedes der genannten Länder hat eigenständige Regelungen über die ärztliche Behandlung geschaffen. Keine Regelung ist mit der eines anderen Landes identisch. Gleichwohl lassen sie sich zwei Gruppen mit unterschiedlicher Grundtendenz zuordnen. (1) Im Saarland, in Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg ist die Behandlung gegen oder ohne den Willen des Untergebrachten nur im Ausnahmefall vorgesehen. Ohne Einwilligung des Untergebrachten oder seines gesetzlichen Vertreters darf nur bei Lebensgefahr oder bei schwerwiegender Gefahr für seine Gesundheit 4 1 0 bzw. Gefahr für die Gesundheit anderer behandelt werden 411 .

400

Vgl. auch Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 2. Mit überzeugender Begründung, auch im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des § 136 StVollzG: KG vom 20. 6. 1997, R&P 1998, S. 110. 4 02 MVollzG Bremen vom 28. 6. 1983, GBl. 407. 403 HmbMVollzG vom 14. 6. 1989, GVOB1. 99. 401

404 Hess.MVollzG vom 3. 12. 1981, GVB1. 414. 405 Nds MVollzG vom 1. 6. 1982; GVB1. 131. 4 06 MRVG NW vom 18. 12. 1984, GVB1. 1985, 14; neugefaßt durch Gesetz vom 15. 6. 1999, GVB1. 402. 407 MVollzG RhPf. vom 23. 9. 1986, GVB1. 223. 4

08 MVollzG LSA vom 9. 10. 1992, GVB1. 736. 409 Saarl. MRVG vom 29. 11. 1989, Abi. 81. 410 § 8 Abs. 2 S. 1 HmbMVollzG; die Drittgefährdung ist in Hamburg nur bei interkurrenten Erkrankungen von Bedeutung, vgl. § 9 HmbMVollzG. 411 § 9 Abs. 3 Saarl MRVG § 17 Abs. 3 MRVG NW; § 12 Abs. 3 S. 2 MVollzG Bremen. 6*

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Das MVollzG Bremen enthält daneben die Formulierung, daß eine Einwilligung auch dann entbehrlich sei, wenn der Arzt gemäß § 323c StGB zur Hilfeleistung verpflichtet ist 4 1 2 . Dieser Zusatz, der rechtspolitischen Forderungen der Humanistischen Union aus dem Jahre 1982 entspricht 413 , wurde ζ. T. ausdrücklich begrüßt, da er eine Beschränkung der Zwangsbehandlungsbefugnisse auf Notfallsituationen festschreibe 414. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Wendung als ebenso unschädlich wie überflüssig. Sieht man einmal von der später zu erörternden Frage ab, ob und in welchen Grenzen die allgemeine Hilfeleistungspflicht geeignet ist, den entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden 415 , so kann das MVollzG Bremen jedenfalls diese bundesrechtliche Regelung weder erweitern noch ausschließen. Soweit § 323c StGB eine strafbewehrte Pflicht des Arztes statuiert, eine Behandlung gegen den Willen des Untergebrachten durchzuführen, wäre damit ohnehin die Duldungspflicht des Betroffenen zu verbinden. Darüber hinaus ist ein eigenständiger Anwendungsbereich dieses Zusatzes nicht erkennbar 416. Wenn schon bei Lebensgefahr oder bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit bzw. Gefahr für die Gesundheit anderer auch ohne Einwilligung behandelt werden darf, so ist ein Unglücksfall i. S. d. § 323c StGB nicht vorstellbar, bei dem nicht auch diese Voraussetzungen erfüllt wären. (2) In den übrigen Ländern wird die Behandlung gegen oder ohne den Willen des Untergebrachten grundsätzlich zugelassen. In Niedersachsen und Sachsen-Anhalt wird eine Duldungspflicht aufgestellt 417 ; in Hessen und Rheinland-Pfalz die Einwilligung für grundsätzlich entbehrlich erklärt 418 . Aus den recht eindeutigen gesetzlichen Bestimmungen in diesen Ländern wird man zunächst den Schluß ziehen müssen, daß es auf die Einwilligung des Untergebrachten auch dann nicht ankommen kann, wenn er einwilligungsfähig ist. Der insbesondere von Ukena 419 vertretene Ansatz, die Zwangsbehandlung einwilligungsfähiger Untergebrachter sei auch in diesen Ländern de lege lata ausgeschlossen, ist mit Wortlaut und Systematik der entsprechenden Bestimmungen schwer zu vereinbaren 420. Eine später zu klärende Frage ist, ob die Verfassung eine solche Beschränkung gebietet. Niedersachsen und Sachsen-Anhalt statuieren darüber hinaus eine Unterstützungspflicht des Betroffenen 421; eine Regelung, die - wie bereits im Rahmen der 412 § 12 Abs. 3 S. 1 MVollzG Bremen. Kilali, Vorschläge der Humanistischen Union, S. 5. 414 Marschner, R&P 1985, S. 4. 415 Dazu unten C. II. 2. 416 Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 165.

413

417 418 419 420

§ 8 Abs. 1 S. 3 Nds MVollzG, § 8 Abs. 1 S. 3 MVollzG LSA. § 7 Abs. 1 S. 2 Hess MVollzG; § 6 Abs. 1 S. 2 MVollzG RhPf. MedR 1992, S. 202 ff. Helle, MedR 1993, S. 136.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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öffentlich-rechtlichen Unterbringung gezeigt - nicht nur praktisch weitgehend bedeutungslos ist 4 2 2 , sondern auch verfassungsrechtlich bedenklich erscheint, soweit sie sich auf die Zwangsbehandlung bezieht 423 .

bb) Beschränkung auf die Anlaßerkrankung Auch im Recht des Maßregelvollzugs stellt sich die Frage, ob die oben genannten Behandlungsbefugnisse sich nur auf die Anlaßerkrankung beziehen, oder ob auch die Behandlung sog. interkurrenter Erkrankungen, also von Erkrankungen psychischer oder somatischer Art, die nicht den Anlaß für die Unterbringung darstellen, zu dulden ist. Am deutlichsten wird die Beschränkung auf die Anlaßerkrankung in den gesetzlichen Regelungen in Hamburg 424 und Sachsen-Anhalt425, die besondere Bestimmungen für die Behandlung interkurrenter Erkrankungen treffen. Bremen, Hessen und Rheinland-Pfalz legen als Zweck der Behandlung die Erreichung des Vollzugsziels fest 426 . Daraus wird man zumindest mittelbar eine Beschränkung der obengenannten Befugnisse auf die Behandlung der Anlaßerkrankung ableiten können. In Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und im Saarland findet sich keine Beschränkung auf die Anlaßerkrankung. Nahezu wortgleich wird im Saarland und in Nordrhein-Westfalen allerdings die Untersuchung zum Zwecke des Gesundheitsschutzes und der Hygiene zugelassen, soweit diese nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist 4 2 7 . Was immer unter dem Begriff Gesundheitsschutz zu verstehen sein wird, so läßt sich doch aus dem Vorhandensein dieser Bestimmung jedenfalls keine Beschränkung der Zwangsbehandlung auf die Anlaßerkrankung ableiten. Das ergibt sich einerseits daraus, daß auch in den Ländern, in denen zwischen Anlaßerkrankung und sonstigen Erkrankungen deutlich unterschieden wird, nahezu identische Formulierungen hinsichtlich der Untersuchungen aus Gründen der Hygiene bestehen428, man diese Bestimmungen also nicht dem Problem der Behandlung interkurrenter Erkrankungen zuordnet. Zudem werden Untersuchun421 § 8 Abs. 1 S. 3 Nds MVollzG, § 8 Abs. 1 S. 3 MVollzG LSA. 422 Ukena, MedR 1992, S. 204. 423 So auch: Volckart, S. 112. Der Einwand Helles, MedR 1993, S. 138, es gebe eine Vielzahl nicht vollstreckbarer und damit „sanktionsloser" Normen, die durchaus sinnvoll seien, greift im Hinblick auf die nicht konsertierte Behandlung nicht. 424 § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 HmbMVollzG. 425 § 8 Abs. 7 i.V.m. Abs. 2 MVollzG LSA. 426 § 12 Abs. 1 MVollzG Bremen; § 7 Abs. 1 Hess MVollzG; § 6 Abs. 1 S. 2 MVollzG Rh Pf. 427 § 9 Abs. 4 Saarl MRVG; § 17 Abs. 4 MRVG NW. 428 § 6 Abs. 1 S. 2 letzter HS MVollzG RhPf; § 12 Abs. 4 MVollzG Bremen; § 9 Abs. 2 S. 2 Hmb MVollzG, beachte dort die Formulierung „ferner".

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

gen aus Gründen der Hygiene oder des Gesundheitsschutzes nur in bezug auf ansteckende und somit somatische Erkrankungen erforderlich sein. Interkurrente psychische Erkrankungen oder nicht übertragbare sonstige Erkrankungen lassen sich nicht unter diese Bestimmungen subsumieren. Das hat zur Folge, daß sich in diesen Ländern zwischen den beiden Extrempostitionen generelle Zulässigkeit der Behandlung interkurrenter Erkrankungen unter den allgemeinen Voraussetzungen und Unzulässigkeit der Behandlung interkurrenter Erkrankungen zunächst einmal jede Position mit guten Argumenten vertreten läßt. Angesichts der praktischen Relevanz und der Bedeutung des mit einer Zwangsbehandlung verbundenen Grundrechtseingriffs ist dieser Befund recht bedenklich. In den Ländern, in denen interkurrente Erkrankungen in der gesetzlichen Regelung bedacht wurden, wird eine Behandlung ohne Einwilligung vom Bestehen von Lebensgefahr (für den Untergebrachten) 429 oder einer Gefahr für die Gesundheit Dritter abhängig gemacht 430 . In Rheinland-Pfalz und Hessen sind die Voraussetzung etwas weiter; hier reicht auch die schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit des Untergebrachten 431.

cc) Erörterungspflicht Ungewohnte Einigkeit besteht dagegen bei den gesetzlichen Regelungen über die Informations- und Erörterungspflicht. Die Gesetze jüngeren Datums sehen eine umfassende Erörterung im Zusammenhang mit der Aufstellung des sog. Behandlungsplanes vor. Soweit ein solcher nicht aufgestellt wird, bestehen im Rahmen der Heilbehandlung Aufklärungspflichten; ζ. T. werden solche Pflichten auch neben der Erörterung des Behandlungsplanes festgelegt 432. Lediglich in Hessen fehlt eine Regelung über Erörterung und Information völlig.

dd) Schwerwiegende Eingriffe Nach dem Vorbild der Nr. 193 DVollzO, in der festgelegt war, daß Maßnahmen zumutbar sein müssen und insbesondere das Leben des Untergebrachten nicht ernsthaft gefährden dürfen, enthalten eine Reihe von Landesgesetzen besondere Regelungen bezüglich gefährlicher bzw. schwerwiegender Heileingriffe.

429 Nicht ganz eindeutig in § 8 Abs. 7 MVollzG LSA. «ο § 8 Abs. 7 MVollzG LSA; § 9 Abs. 2 S. 1 Hmb MVollzG. « ι § 8 Abs. 1 S. 1 letzter HS MVollzG RhPf; § 29 Abs. 1 Hess MVollzG. 432 Vgl. § 8 Abs. 2 Nds MVollzG; § 17 Abs. 1 S. 2 MRVG NW; § 11 MVollzG Bremen; § 5 Abs. 2 MVollzG RhPf; §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 S. 2 Saarl. MRVG; § 8 Abs. 3 MVollzG LSA.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg, in denen die Heilbehandlung ohne Einwilligung ohnehin nur im Ausnahmefall vorgesehen ist, verzichten allerdings insoweit auf eine nähere Regelung. Im Saarland, das ganz ähnliche Mindestvoraussetzungen für die Heilbehandlung ohne Einwilligung vorsieht, ist demgegenüber ein Eingriff, der mit einer erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit des Patienten verbunden ist, generell nur mit dessen Einwilligung zulässig 433 . Ein sehr viel größeres Bedürfnis für besondere Bestimmungen über gefährliche Eingriffe ergibt sich in den Ländern, die die Zwangsbehandlung generell zulassen, Mindestvoraussetzungen bzw. eine „Untergrenze" also nicht aufstellen. Eine Einwilligung wird dort meist für operative Eingriffe oder solche Maßnahmen, die mit einer Gefahr für Leben oder Gesundheit des Untergebrachten verbunden sind 434 , gefordert. In Rheinland-Pfalz wird eine Behandlung, die mit einem wesentlichen gesundheitlichen Risiko 4 3 5 verbunden ist, von der Einwilligung abhängig gemacht. Darunter sollen - wie aus der weiteren Formulierung deutlich wird - nach dem Willen des rheinland-pfälzischen Gesetzgebers nicht alle operativen Eingriffe fallen, sondern nur solche, die ein besonderes Risiko für Gesundheit oder Leben des Untergebrachten mit sich bringen 436 . In Sachsen-Anhalt und Niedersachsen ist die Einwilligung zudem Voraussetzung für Eingriffe, die die Persönlichkeit wesentlich oder auf Dauer nachteilig verändern können. 437 Welche Behandlungsverfahren als schwerwiegend bzw. gefährlich im Sinne der vorgenannten Bestimmungen angesehen werden müssen, ist im Rahmen des Maßregelvollzugsrechts genauso wie bei den weitgehend gleichlautenden Bestimmungen der Unterbringungsgesetze zu bestimmen, so daß insgesamt nach oben verwiesen werden kann 438 . Hessen schließlich wählt den bereits bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung beschrittenen Weg der Festlegung gefährlicher Eingriffe im Rahmen einer Rechtsverordnung. Nach § 7 Abs. 2 S. 1 Hess MVollzG werden Eingriffe, die mit Lebensgefahr oder erheblicher Gefahr für die Gesundheit des Untergebrachten verbunden sind, von der Einwilligung abhängig gemacht; § 7 Abs. 2 S. 2 stellt diese Voraussetzung auch für solche Eingriffe auf, die die Persönlichkeit des Untergebrachten „auf Dauer tiefgreifend verändern" würden. Die entsprechende Rechtsverordnung 439 führt zu Satz 1 des § 7 HessMVollzG alle Schockbehandlungen, 433 § 9 Abs. 2 S. 2 SaarlMRVG. 434 § 9 Abs. 5 MVollzG LSA; § 8 Abs. 3 Nds MVollzG. 435 § 6 Abs. 1 l.HS MVollzG RhPf. 436 Vgl. § 6 Abs. 1 2.HS MVollzG RhPf. 437 § 9 Abs. 5 MVollzG LSA; § 8 Abs. 3 Nds MVollzG. 438 s.o. Α. II.) 3.); ausführlich auch Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 175 ff. 439 Verordnung zur Ausführung des § 7 Abs. 2 des Maßregelvollzugsgesetzes, vom 29. 9. 1982, GVB1.1 S. 233.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

„bei denen Erregungs- oder Krampfzustände" hervorgerufen werden, zu Satz 2 die psychochirurgischen Eingriffe auf. Die Problematik dieser Regelungstechnik ist bereits dargestellt. Ohne ständige Aktualisierung und Anpassung an die medizinischen Gegebenheiten sind derartige Festlegungen schnell von geringem Wert für die Rechtsanwendung. Die Bedeutung von Schockbehandlungen ist nach wie vor gering, andererseits sind durchaus anderweitige Behandlungsmethoden aufgekommen, die erhebliche Gefahren für den Untergebrachten bedeuten können 440 . Der Hinweis auf psychochirurgische Eingriffe ist ebensowenig hilfreich. Bereits 1980 hat das OLG Hamm zu Recht festgestellt, daß stereotaktische Eingriffe den wissenschaftlich nicht fundierten Heilversuchen zuzuordnen sind, die im Rahmen des Maßregel Vollzuges unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt werden können 441 . Daher wird man die entsprechende Rechtsverordnung in Hessen als nicht abschließend ansehen müssen, wenn man ihr überhaupt einen praktischen Wert zuerkennen möchte.

ee) Absolute Behandlungsgrenzen Einige Landesgesetze untersagen gewisse Behandlungen völlig. So ist in Bremen, Hamburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen eine Behandlung, die die Persönlichkeit im Kernbereich 442 verändern würde, bereits einfachgesetzlich ausgeschlossen. In Hamburg wird zudem die Erprobung von Arzneimitteln oder Heilverfahren, die auch außerhalb des Maßregelvollzuges nicht anerkannt sind 443 , ausdrücklich ausgeschlossen. Diese absolute Behandlungsgrenze wird ausdrücklich auch auf die Behandlung interkurrenter Erkrankungen erstreckt 444 . Angesichts der bundesrechtlichen Vorgaben der §§ 40, 41 AMG und §§ 17 f. MPG wird dieser Bestimmung eher deklaratorischer Charakter zukommen, da auch in den übrigen Bundesländern weder klinische Versuche noch Heilversuche an untergebrachten Patienten zulässig sind 445 . Sachsen-Anhalt schließt ergänzend jede Zwangsmaßnahme aus, die das Leben des Untergebrachten gefährden würde 446 . Entgegen der systematischen Stellung 440

Vgl. nur die Problematik der Behandlung mit Clozapin (=Leponex).

441

OLG Hamm, NJW 1980, 1909; vgl, auch Ukena, Unterbringung, S. 69 f.; auch neuere und offenbar erfolgreiche Ansätze in der Gehirnchirurgie, die vorrangig neurologische Leiden betreffen, dürften derzeit an dieser Einschätzung für den Bereich des Maßregelvollzugs nichts ändern können. 442 § 12 Abs. 6 MVollzG Bremen; § 14 Abs. 4 S. 1 Hmb MVollzG; § 8 Abs. 4 MVollzG LSA; § 8 Abs. 4 Nds. MVollzG. 443 444

§ 14 Abs. 2 S. 2 Hmb MVollzG.

§ 9 Abs. 4 Hmb MVollzG. 445 S.o. A II 5.) b); auch Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 194 mwN. 446 § 8 Abs. 8 S. 2 MVollzG LSA.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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dieses Absatzes bezieht sich diese Behandlungsgrenze nicht nur auf die zuvor geregelte Zwangsbehandlung interkurrenter Erkrankungen, sondern wohl insgesamt auf die Zwangsbehandlungen. Aus § 8 Abs. 5 MVollzG wird jedoch deutlich, daß die konsentierte Behandlung nicht von dieser Grenze erfaßt wird, da dort die schwerwiegenden Eingriffe von der Einwilligung des Untergebrachten abhängig gemacht werden. ff) Einwilligung des Betreuers Eine Einwilligung des Betreuers spielt bei der ärztlichen Behandlung im Rahmen des Maßregelvollzuges in drei unterschiedlichen Konstellationen eine Rolle. (1) Bei denjenigen Landesgesetzen, die eine Zwangsbehandlung an besondere Voraussetzungen knüpfen, stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Betreuer die ansonsten unzulässige Zwangsbehandlung ermöglichen kann. Die in einer Reihe von Gesetzen gebräuchliche Formulierung „Die Behandlung bedarf [ . . . ] der Einwilligung des Patienten." 447 sollte nicht zu dem Schluß verleiten, daß es stets und ausschließlich auf die Einwilligung des Untergebrachten ankomme, der gesetzliche Vertreter die erforderliche Einwilligung nicht anstelle des Untergebrachten erteilen kann 448 . Gegen diesen Schluß spricht nicht nur die ausdrückliche Erwähnung der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bei der Gegenausnahme zu den gefährlichen Heileingriffen 449 , sondern auch der Umstand, daß ein völliger Ausschluß der ersetzenden Einwilligung bei den nicht gefährlichen Standardmaßnahmen letztlich in ein juristisches Vakuum führen würde. Ist der Patient nicht einwilligungsfähig, so muß die Behandlung nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen unterbleiben, wenn der behandelnde Arzt sich nicht empfindlichen straf- und haftungsrechtlichen Konsequenzen aussetzen möchte. Die entsprechenden Regelungen der Maßregelvollzugsgesetze würden die Behandlung nicht einwilligungsfähiger Patienten damit rechtlich ausschließen, wenn sie tatsächlich eine Ersetzung der Einwilligung durch den Betreuer ausschlössen. Es bedarf aber wohl keiner besonderen Begründung, daß die Behandlung eines nicht einwilligungsfähigen Patienten, zumal wenn sie im Konsens erfolgt, auch unterhalb der Schwelle der gefährlichen Eingriffe möglich bleiben muß. Daher ist die Einwilligung des Untergebrachten auch im Maßregelvollzug ersetzbar 450. Ob und inwieweit der Betreuer sich über den natürlichen Willen des Betreuten hinwegsetzen kann, ist dabei ein rein betreuungsrechtliches Problem, das später zu erörtern sein wird. 447 § 17 Abs. 2 S. 1 MRVG NW; § 12 Abs. 2 S. 1 MVollzG Bremen; § 9 Abs. 2 S. 1 Saarl MRVG. 448 Mit dieser Tendenz aber Marschner, R&P 1990, S. 66 ff., 70. 449 Vgl. § 17 Abs. 2 S. 2 MRVG NW; § 12 Abs. 3 S. 2 MVollzG Bremen; § 9 Abs. 3 Saarl MRVG. 450 Ausdrücklich: § 17 Abs. 2 S. 2 MRVG NW; vgl. dazu OLG Hamm, JR 1987, S. 295 = R&P 1987, S. 36 ff.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

(2) In denjenigen Ländern, die eine Einwilligung erst bei schwerwiegenden bzw. gefährlichen Behandlungsmaßnahmen fordern, stellt sich das Problem der ersetzenden Einwilligung erst auf dieser Ebene. Lediglich im Saarland, in dem sowohl eine Untergrenze, also ein grundsätzlicher Ausschluß nicht konsentierter Behandlungen, als auch eine Obergrenze normiert sind, spielt die ersetzende Einwilligung des gesetzlichen Vertreters auf beiden Ebenen eine Rolle 4 5 1 . Die konkrete Ausgestaltung und gesetzliche Formulierung ist wiederum unterschiedlich. Insbesondere die älteren Gesetze erwähnen lediglich die Möglichkeit der Ersetzung der Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter 452 . In Hessen wird aus der wiederum als mißlungen zu bezeichnenden Fassung des Gesetzes leider nicht recht deutlich, ob die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters ersetzend sein kann oder ergänzend vorliegen muß. Bei schwerwiegenden Eingriffen muß nach Maßgabe des § 7 Abs. 2 Hess MVollzG die „Einwilligung des Untergebrachten, seines gesetzlichen Vertreters und des Vollstreckungsleiters (§ 82 Abs. 1 des Jugendgerichtsgesetzes)" vorliegen. Abgesehen davon, daß der Vollstreckungsleiter unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Einwilligung im technischen Sinne erteilen kann, sondern allenfalls seine Zustimmung, soll die Einbeziehung des Vollstreckungsleiters sicherlich kumulativ erfolgen. Unklar bleibt allerdings, ob das auch für den gesetzlichen Vertreter gelten soll. M.E. kann das nicht die Intention des Gesetzgebers gewesen sein, da auch bei Untergebrachten, die in den Anwendungsbereich des JGG fallen, nicht stets ein gesetzlicher Vertreter vorhanden sein wird. Zum anderen scheint mir die alternative Einwilligung des Untergebrachten oder des gesetzlichen Vertreters auch deutlich sinnvoller, um die Behandlung von nicht einwilligungsfähigen Untergebrachten überhaupt zu ermöglichen. Entgegen dem Wortlaut wird man bei § 7 Abs. 2 Hess MVollzG die ersten beiden Einwilligungsmöglichkeiten als Alternativen zu verstehen haben, zu denen die „Einwilligung" des Vollstreckungsleiters hinzutreten muß. Die meisten Landesgesetze stellen auf das Fehlen der natürlichen Einsichtsfahigkeit des Untergebrachten ab, indem sie eine ersetzende Einwilligung nur dann fordern, wenn der Untergebrachte nicht in der Lage ist, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung zu erkennen oder seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen 453 . Die letztgenannte Formulierung trägt den Vorgaben des Betreuungsrechts in weit höherem Maße Rechnung. Im Rahmen des Betreuungsrechts kommt es nach der ganz überwiegenden Meinung nämlich gerade nicht darauf an, ob überhaupt ein Betreuer mit entsprechendem Aufgabenkreis bestellt ist, sondern ob der Betroffene in der konkreten Situation die Einwilligungsfähigkeit besitzt 454 . Im Au451 Vgl. § 9 Abs. 2 S. 3 Saarl MRVG. 452 § 9 Abs. 2 S. 2 Saarl MRVG; § 7 Abs. 2 Hess MVollzG. 453 § 8 Abs. 6 MVollzG LSA; § 6 Abs. 4 MVollzG RhPf; § 8 Abs. 5 Nds MVollzG; aus der zuvor behandelten Gruppe der Landesgesetze, die eine Untergrenze vorsehen: § 17 Abs. 2 S. 2 MRVG NW; § 8 Abs. 2 S. 2 Hmb MVollzG. 454 Bauer/Birk/Rink, § 1902 Rn. 30; Jürgens, BetreuungsR, Rn. 203; Damrau/Zimmermann, § 1904 Rn. 2; Palandt-Diederichsen, § 1904, Rn. 1; MünchenerKommentar-Sc/ivrafc,

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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ßenverhältnis ist daher auf die materielle Einwilligungsfähigkeit, nicht auf die formale Betreuerbestellung abzustellen. Ein ganz wesentliches Problem wird allerdings auch von dieser Gruppe von Gesetzen nicht berücksichtigt. Gemäß § 1904 BGB bedarf die Einwilligung des Betreuers in Eingriffe, bei denen begründete Lebensgefahr oder die Gefahr schwerer und länger dauernder gesundheitlicher Schäden besteht, der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht. Auf den ersten Blick scheinen die landesrechtlichen Maßregelvollzugsgesetze dem Betreuer daher mehr abzuverlangen, als ihm betreuungsrechtlich gestattet ist. Wie bereits im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung dargestellt, verbleibt allerdings ein gewisser Spielraum, da die Voraussetzungen des § 1904 BGB enger als die genannten landesrechtlichen Bestimmungen sind. In dem Bereich, in dem die Bestimmungen der Maßregelvollzugsgesetze über die zwangsweise Durchführung schwerwiegender Eingriffe deckungsgleich mit § 1904 BGB ist, stellt sich aber auch an dieser Stelle das Problem, ob der Betreuer der zusätzlichen vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf 455 . Die landesrechtlichen Maßregelvollzugsgesetze sind schon aus kompetenzrechtlichen Gründen 456 und wegen Art. 31 GG nicht in der Lage, dem Betreuer Befugnisse einzuräumen, die er nach dem bundesrechtlichen Betreuungsrecht nicht hat 4 5 7 . Daher wird man in dem Bereich, in dem sich die Regelungen der Maßregelvollzugsgesetze mit § 1904 BGB überschneiden, die zusätzliche Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zumindest im Wege der verfassungskonformen Auslegung verlangen müssen. Ein klarstellender Hinweis, wie ζ. B. im Unterbringungsgesetz von Rheinland-Pfalz (§ 20 Abs. 3 UBG RhlPflz.) 458 , der leider in sämtlichen Maßregelvollzugsgesetzen fehlt, wäre gleichwohl zu begrüßen. (3) Ebenfalls mit den Anforderungen des Betreuungsrechts hängt die in einer Reihe von Landesgesetzen geforderte zusätzliche Einwilligung des Betreuers in bestimmten Situationen zusammen.

§ 1904 Rn. 4; J.-M. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 143; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 53 ff.; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 169; Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 201; LG Kassel vom 5. 1. 1996, FamrZ 1996, S. 1501 = R&P 1997, S. 42 f.; zur parallelen Problematik bei § 1846 BGB BayObLG vom 15. 3. 1990, NJWRR 1991, S. 774 = FamRZ 1990, S. 1154 = MedR 1990, S. 273. 455 Saage/Göppingen Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994,4.7 Rn. 316. 456 Zu den vor der Schaffung des Betreungsrechts auftretenden Problemen: Helle, JR 1986, S. 180. 4 57 Auch Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 205; allerdings geht es m.E. nicht um eine landesrechtliche „Erweiterung" der Befugnisse des Betreuers, sondern um die Auflösung eines bestehenden Widerspruchs zwischen Landes- und Bundesrecht. 4 58 Das Problem ist auch in § 21 Abs. 2 S. 3 NdsPsychKG mit der Wendung, daß § 1904 BGB unberührt bleibe, erkannt. In Nordrhein-Westfalen wurde ein derartiger Hinweis bei der Neufassung im Jahre 1999 verabsäumt, obwohl das wenig später novellierte PsychKG NW nunmher in § 18 Abs. 3 S. 3 das Verhältnis zu § 1904 BGB klarstellt.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

In Sachsen-Anhalt ist es zumindest weitgehend gelungen, die zusätzliche Einwilligung dem aktuellen Betreuungsrecht entsprechend und allgemeinverständlich zu formulieren. Nach § 8 Abs. 6 S. 3 MVollzG LSA ist die zusätzliche Einwilligung des Betreuers erforderlich, wenn der Untergebrachte in der konkreten Situation zwar fähig ist, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung einzusehen und seinen Willen danach zu bestimmen, ihm aber gleichwohl ein Betreuer für den entsprechenden Aufgabenkreis zur Seite gestellt wurde und ein Einwilligungsvorbehalt 459 angeordnet wurde. Mit dieser Regelung ist insbesondere für die behandelnden Ärzte größtmögliche Rechtssicherheit hergestellt und das Verhältnis zum Betreuungsrecht angemessen gesetzlich berücksichtigt worden. Kommt man bei der im Einzelfall schwierigen Prüfung, ob der untergebrachte Patient im Hinblick auf die beabsichtigte Behandlung einwilligungsfähig ist, zu keinem eindeutigen Ergebnis, so ist - unabhängig davon, ob man die Einwilligungsfähigkeit bejaht oder verneint - der Betreuer einzubeziehen. Stellt sich heraus, daß die Einwilligungsfähigkeit des Untergebrachten zu Unrecht bejaht wurde, so ist der Heileingriff wegen der trotzdem erfolgten Einwilligung des Betreuers nicht rechtswidrig. Kommt man fälschlicherweise zu dem Ergebnis, daß die Einwilligungsfähigkeit doch vorlag, so war die Einbeziehung des Betreuers gleichwohl richtig. Zudem begegnet man der Gefahr, daß die Einwilligungsfähigkeit des Untergebrachten zu großzügig bejaht wird, etwa um die unter Umständen etwas aufwendigere Einbeziehung des Betreuers zu vermeiden. Eine Umgehung der betreuungsrechtlichen Vorgaben ist damit wirksam ausgeschlossen, da der Betreuer in jedem Fall um die Einwilligung ersucht werden muß. Ahnliche Regelungen haben Hamburg und Rheinland-Pfalz geschaffen. § 8 Abs. 2 S. 3 Hamb MVollzG stellt allerdings auf die Rechtslage vor der Einführung des Betreuungsrechts ab, wird aber wie die Regelung in Sachsen-Anhalt auszulegen sein. In Rheinland-Pfalz 460 wird auf die Geschäftsfähigkeit abgestellt. Diese spielt bei der Einwilligung anerkanntermaßen keine Rolle. Gemeint ist wohl ebenso wie in Hamburg die Anordnung der Vormundschaft nach altem Recht, so daß man ebenso wie in Sachsen-Anhalt von dem Erfordernis der zusätzlichen Einwilligung des Betreuers mit dem entsprechenden Aufgabenbereich ausgehen muß.

459

Ein Einwilligungsvorbehalt gem. § 1903 BGB kann für den Bereich der Heilbehandlung allerdings nicht angeordnet werden, da die Einwilligung schon begrifflich keine Willenserklärung darstellt und es sich um eine höchstpersönliche Angelegenheit handelt; Jürgens, BetreuungsR, Rn. 202; MünchenerKommentar-Sc/iwafc, § 1903 Rn. 16, § 1904 Rn. 4; Bauer/Birk/Rink, § 1903 Rn. 52; Ermm-Holzkauer, § 1904 Rn. 9; ausführlich: K.-G.Mayer, S. 59 ff.; anders wohl nur Palandt-Diederichsen, § 1904 Rn. 1, der eine analoge Anwendung des § 1903 vorschlägt. 4 60 § 6 Abs. 4 S. 2 MVollzG RhPf.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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gg) Zwangsernährung In Rheinland-Pfalz, Hessen, Hamburg, Sachsen-Anhalt und neuerdings auch in Nordrhein-Westfalen finden sich unterschiedlich ausführliche Regelungen über die Befugnis, untergebrachte Patienten zwangsweise zu ernähren. In Rheinland-Pfalz sind alternativ Lebensgefahr oder eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit des Patienten, der Verlust des Bewußtseins oder der freien Willensbestimmung aufgrund einer Krankheit ausreichend, um die Zwangsernährung durchführen zu können. Darüber hinaus wird eine Zwangsernährung auch dann zugelassen, wenn der Untergebrachte „aus anderen Gründen zur natürlichen Nahrungsaufnahme nicht in der Lage ist und keinen körperlichen Widerstand leistet" 461 . In den anderen Ländern setzt die Zwangsernährung eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Patienten voraus 462 . In Hessen scheint darüber hinaus eine Zwangsernährung auch bei einer Gefahr für andere Patienten zulässig 463 . Praktische Bedeutung dürfte dieser Erweiterung nicht zukommen, da die Nahrungsverweigerung kaum eine Gefahr für Dritte begründen kann. M.E. dürfte eher die unglückliche Zusammenfassung mit der Behandlung sonstiger interkurrenter Erkrankungen und somit ein Redaktionsversehen der Grund für diese Regelung sein. In den Bundesländern, die keine eigenständigen Regelungen über die Zwangsernährung geschaffen haben, stellt sich die Frage, ob ein Rückgriff auf § 101 StVollzG möglich ist. Die Beantwortung dieser Frage hängt von dem Verhältnis ab, das man § 138 StVollzG, der die Ausgestaltung des Maßregelvollzuges den Ländern überläßt, zu den allgemeinen Bestimmungen des StVollzG beimißt 464 . Werden die auf der Grundlage des § 138 StVollzG getroffenen landesrechtlichen Regelungen als abschließend aufgefaßt, so bleibt für einen Rückgriff auf § 101 StVollzG kein Raum. Der recht fragmentarische Charakter vieler landesrechtlicher Regelungen legt jedoch den Schluß nahe, daß die allgemeinen Regelungen des StVollzG nicht umfassend verdrängt werden sollten. Daher spricht einiges dafür, in den Ländern, die keine eigenen Regelungen über die Zwangsernährung getroffen haben, einen Rückgriff auf § 101 StVollzG zuzulassen465.

461 462 NW. 463 464 465

§ 6 Abs. 2 MVollzG PhPf. § 9 Abs. 2 S. 3 Hmb MVollzG; § 8 Abs. 7 S. 2 MVollzG LSA; § 17 Abs. 4 S. 2 MRVG § 29 Abs. 1 S. 2 HessMVollzG. Umfassend Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 100 ff. A.A. Tondorf, StV 1982, S. 373.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

hh) Sonstige Regelungen In der Vielfalt der Landesgesetze existieren zudem eine Reihe von Regelungen, die noch erwähnenswert erscheinen. So wird ζ. T. vorgeschrieben, daß eine psychotherapeutische Behandlung nur mit Einwilligung erfolgen darf 466 . Diese Regelung ist durchaus sinnvoll. Ihr kommt allerdings angesichts des Umstandes, daß sich Psychotherapie sowie alle Behandlungsformen, die eine aktive Mitarbeit des Patienten voraussetzen, ohnehin nicht unter Zwang durchführen lassen 467 , eher klarstellende Bedeutung zu. Verbreitet ist die Regelung, daß sämtliche Zwangsmaßnahmen unter dem Vorbehalt der ärztlichen Leitung bzw. Durchführung stehen, soweit nicht unaufschiebbar erste Hilfe geleistet werden muß 4 6 8 . Z.T. wird zusätzlich die Anordnung des Leiters der Einrichtung verlangt 469 oder der Vorbehalt auf den ärztlichen Leiter der Anstalt beschränkt 470. Eine umfassende Dokumentationspflicht über Art und Anzahl der durchgeführten Zwangsmaßnahmen findet sich in keinem der Landesgesetze. In RheinlandPfalz ist allerdings bestimmt, daß sowohl die Aufsichtsbehörde (und ein von dieser bestimmter Arzt) als auch der gesetzliche Vertreter des Untergebrachten bei jeder gegen den Willen des untergebrachten Patienten durchgeführten Maßnahme zu unterrichten sind. 471

IV. Praxis der Zwangsbehandlung Die medizinische Behandlung strafrechtlich untergebrachter psychisch Kranker und Süchtiger unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der öffentlich-rechtlich Untergebrachter 472. Im Vordergrund steht auch hier die Behandlung mit Psychopharmaka, genauer mit Neuroleptika 473 . Die Durchführung sterotaktischer Eingriffe ist nicht recht nachweisbar 474, die Elektrokrampftherapie wird schon angesichts 466 § 13 MVollzG Bremen; § 7 Abs. 2 S. 2 Hess MVollzG. 467 Rinke, Therapeutische Zwangsmaßnahmen, S. 37; Kammeier -Wagner, Maßregel vollzugsrecht, D 143; Erhardt, Behandlungsverweigerung, S. 9; Saage/Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl. 1994, Rn. 319 mwN.; Teller, S. 102 ff.; Baur, Vollzug der Maßregeln, S. 208; vgl. auch BVerfGE 91,1, 30 f. 468 § 17 Abs. 5 S. 1 MRVG NW; § 12 Abs. 5 S. 1 MVollzG; § 8 Abs. 3 Hmb MVollzG; § 6 Abs. 5 S. 2 MVollzG RhPf. 469 § 9 Abs. 5 S. 1 Saarl MRVG. 470 § 17 Abs. 5 S. 1 MRVG NW. 471 § 6 Abs. 6 MVollzG RhPf. 472 Vgl. Rinke, Therapeutische Zwangsmaßnahmen, S. 35 ff. 473 Schumann, Psychisch kranke Rechtsbrecher, S. 100; Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 83; Teller, S. 79 mit umfangreichen weiteren Nachweisen.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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der sehr engen Indikationsstellung kaum angewandt475. Zwangsbehandlungen reduzieren sich dementsprechend praktisch aüf die Gabe von Psychopharmaka 476. Gesicherte statistische Angaben lassen sich lediglich über die Zahl der im Maßregelvollzug untergebrachten Patienten machen. Sie lag in den alten Bundesländern mit leicht steigender Tendenz bei ca. 4.000 477 . Die Quote der nach § 63 StGB Untergebrachten beträgt in etwa 60%, während im Mittel ca. 30% auf der Grundlage des § 64 StGB untergebracht sind. Die einstweilige Unterbringung gemäß § 126a StPO war mit leicht steigender Tendenz in ca. 10% der Fälle die Rechtsgrundlage der Unterbringung 478. Statistische Angaben über die Häufigkeit von Zwangsbehandlungen konnte zum Zeitpunkt der Untersuchung keines der befragten Ministerien der Länder und des Bundes machen. Die einzige auffindbare Studie von Schumann, der die Befragung von 312 Patienten des Westfälischen Landeskrankenhauses Eickelborn im Jahre 1979 zu Grunde liegt, weist eine Behandlungsverweigerung bei 5% der Patienten nach 479 ; andere verwertbare Zahlen liegen nicht vor 4 8 0 . Angesichts des Fehlens hinreichend aktueller und repräsentativer Erhebungen verbietet sich schon eine Schätzung von Anzahl und Art der Zwangsbehandlungen. Eine gewisse Schlüssigkeit weist allerdings die Hypothese auf, daß im Maßregelvollzug aufgrund der längeren Unterbringungszeit die Bewältigung von Akutsituationen nicht im Vordergrund stehen wird. Die Vermutung, daß damit auch die Quote der Zwangsbehandlung unter der im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung liegen wird, ist naheliegend. Fehlende Therapiebereitschaft wird zudem weniger als krankheitsbedingt gedeutet, sondern häufiger mit dem „therapiefeindlichen Milieu" erklärt 481 . Bei der Behandlung von gemäß § 64 StGB Untergebrachten bilden psychotherapeutische Ansätze den Schwerpunkt. Zwangsbehandlungen dürften - zumindest hinsichtlich der Erkrankung, die den Anlaß für die Unterbringung gab - kaum anzutreffen sein. 474

Hartmann , Zwangsbehandlung, S. 52, 55; vgl. auch Schumann, Psychisch kranke Rechtsbrecher, S. 100 f. 475 Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 51, 55; wie die anhaltende wissenschaftliche Diskussion zeigt, wäre es aber falsch, Insulinbehandlung und Elektrokrampftherapie nur noch historisches Interesse beizumessen, vgl. nur Ruhwinkel /Tolle, Die „kleine Insulinbehandlung bei therapieresistenten schizophrenen Störungen", Nervenarzt 1994, S. 769 ff.; Sauer/Lauter, Elektrokrampftherapie, Nervenarzt 1987, S. 201 ff.; Höflich/Burghof/Kasper/Möller, Elektrokrampftherapie bei Komorbidität einer therapieresistenten paranoid-halluzinatorischen Psychose mit Morbus Parkinson, Nervenarzt 1994, S. 202 ff. 47 6 Volckart, Maßregelvollzug, S. 107. 477 Von 3.874 (1988) auf 4.151 (1991); Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Reihe 4 Rechtspflege -Fachserie 10- Strafvollzug. 478 Quellen wie Fn. 477. 479 Schumann, Psychisch kranke Rechtsbrecher, S. 100. 480 Erhardt, Behandlungsverweigerung, S. 7. 481 Baur, Vollzug der Maßregeln, S. 213 f.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

V. Zusammenfassung Eine rechtliche Notwendigkeit, die Behandlung der Untergebrachten im Maßregelvollzug gesetzlich auszugestalten, ergab sich erst in Folge der StrafgefangenenEntscheidung des BVerfG 482 . Nur die Hälfte der Bundesländer hat sich dafür entschieden, dem Maßregelvollzug ein eigenes Gesetz zu widmen, die übrige Hälfte erklärt die Unterbringungsgesetze für entsprechend anwendbar. Erhebliche Probleme wirft die Zwangsbehandlung von gemäß §§81 bzw. 126a StPO untergebrachten Personen auf. Im Hinblick auf die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen während des eigentlichen Maßregelvollzuges lassen sich innerhalb der Maßregelvollzugsgesetze zwei unterschiedliche Grundtendenzen ausmachen. Vier der acht Landesgesetze sehen Heilbehandlungen gegen oder ohne den Willen des Untergebrachten nur im Ausnahmefall vor, die übrigen lassen die Heilbehandlung auch unter Zwang generell zu. Bei den letztgenannten Gesetzen spielen die Grenzen, die der Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen bei gefährlichen oder schwerwiegenden Eingriffen gesetzt sind, naturgemäß eine wichtige Rolle. Vereinzelt lassen sich darüber hinaus sogenannte absolute Grenzen der Behandlung ausmachen, wie ζ. B. das Verbot der Erprobung von Behandlungsverfahren oder der Veränderung der Persönlichkeit im Kernbereich. Eine konsequente Anpassung an die Vorgaben des Betreuungsrechts läßt sich nur in einem Bundesland feststellen; in den übrigen Ländern ist das Verhältnis von Betreuungsrecht zum Maßregelvollzugsrecht nicht völlig befriedigend gelöst. Uneinheitlich sind die Regelungen auch für die sog. interkurrenten Erkrankungen; die landesrechtlichen Ausgestaltungen reichen vom Fehlen entsprechender Bestimmungen über die recht weitgehende Zulässigkeit bis zu detaillierten Regelungen, die die Zwangsbehandlung in diesem Bereich auf ein Eingreifen in Notfällen reduzieren. Betrachtet man die Gruppe der Gesetze, die eine Zwangsbehandlung nur im Ausnahmefall vorsehen genauer, so fällt ein bemerkenswerter Unterschied zu den jeweiligen Psychisch-Kranken-Gesetzen derselben Länder auf. Während in Hamburg, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland in beiden Bereichen die Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen nur im Ausnahmefall zugelassen wird, sind in Bremen 483 beide Bereiche mit unterschiedlicher Grundtendenz geregelt. Im Maßregelvollzug wird die Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen nur im Ausnahmefall für zulässig erklärt, in dem Psychisch-Kranken-Gesetz findet sich eine solche Beschränkung nicht. Diese auf den ersten Blick erstaunliche Ungleichbehandlung mag man durch die Behauptung abschwächen, daß die in den Maßregelvollzugsgesetzen errichtete Schwelle für eine Zwangsbehandlung nicht sonderlich hoch sei, da der Arzt stets 482 BVerfGE 33, 1. 483 Bis zur Novelle vom 17. 12. 1999 galt dieses auch für Nordrhein-Westfalen.

Β. Medizinische Zwangsmaßnahmen bei strafrechtlicher Unterbringung

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eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit des Untergebrachten begründen könne 484 . Inwieweit diese Hypothese zutrifft, läßt sich angesichts fehlender statistischer Angaben über Art und Häufigkeit der Zwangsbehandlung nicht beantworten. Sieht man von einer nicht völlig auszuschließenden Gleichbehandlung in rechtstatsächlicher Hinsicht einmal ab, so erscheint die Frage, aus welchem Grunde die rechtliche Ungleichbehandlung von psychisch Kranken und psychisch kranken Straftätern erfolgt, für den weiteren Verlauf der Untersuchung interessant. Die anläßlich einer Diskussion um die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung nach dem NdsMVollzG 485 maßgeblich von Helle 4 8 6 angeführten Argumente treffen die Bedenken gegen die hier festgestellte Ungleichbehandlung recht genau. Die Kernaussage, daß sich Zwangsbehandlungsbefugnisse im Maßregelvollzug sehr viel eher rechtfertigen ließen, wird damit begründet, daß die im Maßregelvollzug Untergebrachten immerhin eine nicht unerhebliche Tat begangen hätten und deshalb für die Allgemeinheit eine sehr viel größere Gefahr darstellen würden. „Den einwilligungsfähigen Untergebrachten im Maßregelvollzug zu ermächtigen, der Heilbehandlung zu widersprechen, den nach dem PsychKG Untergebrachten hingegen nicht, wäre geradezu widersinnig." 487 Diese Schlußfolgerung beruht auf einem verbreiteten, aber recht deutlichen Mißverständnis. Wer geschlossen untergebracht ist, stellt vielleicht ein Gefahr für in der Anstalt beschäftigte oder untergebrachte Personen dar. Die Gefährdung der Allgemeinheit auszuschließen ist Sinn und unmittelbare Folge der geschlossenen Unterbringung. Ob eine gesetzliche Ermächtigung, den Untergebrachten nach dem mit der Unterbringung notwendigerweise verbundenen Wegfall der Drittgefährdung auch gegen seinen Willen medizinisch zu behandeln, notwendig und sinnvoll ist, bestimmt sich allein nach den typischerweise auftretenden Bedürfnissen im Vollzug der Unterbringung. Bedenkt man dabei, daß die Verweildauer im Maßregelvollzug in der Regel mehrere Jahre beträgt, in der allgemeinen Psychiatrie mit 30-40 Tagen zutreffend wiedergegeben sein dürfte, so drängt sich auf, daß die Behandlung akuter psychotischer Erkrankungen im Maßregelvollzug kaum vorkommen dürfte. Das gilt um so mehr, als Patienten im Maßregelvollzug häufig einen mehrmonatigen Aufenthalt in der Psychiatrie auf der Grundlage des § 126a StPO durchlaufen haben. Im Maßregelvollzug steht daher nicht die Entaktualisierung akuter Krankheitsverläufe, sondern die Entwicklung und Durchführung eines nachhaltigen Behandlungskonzepts deutlich im Vordergrund. Daß sich letzteres im Regelfall nur ohne Zwang verwirklichen läßt, dürfte ein Allgemeinplatz sein. Angesichts der besonderen, von der Allgemeinpsychiatrie durchaus unterschiedlichen Situation der Behandlung im Maßregelvollzug liegt es daher nahe, daß in den Maßregelvollzugsgesetzen die Zwangsbehandlung eher restriktiv vorgesehen 484 485 486 487

Zu § 15 MRVG NWa.F.: Tondorf, ZRP 1983, S. 119. Die im übrigen angesichts des eindeutigen Wortlauts von Helle zu Recht bejaht wird. Helle, MedR 1993, S. 137. Helle, MedR 1993, S. 137.

7 Heide

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

wird. Die in Bremen und früher auch in Nordrhein-Westfalen festzustellende rechtliche Ungleichbehandlung von Patienten im Maßregelvollzug und sonstigen psychisch Kranken ist daher nicht „widersinnig", sondern entspricht den unterschiedlichen tatsächlichen Verhältnissen.

C· Weitere Rechtsgrundlagen Neben den praktisch wichtigen Bereichen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung und des Maßregelvollzugs existieren weitere Vorschriften, die Heilbehandlungen gegen oder ohne den Willen des Betroffenen mittelbar oder unmittelbar erlauben.

I. Zwangsbehandlung im Strafvollzug (§ 101 StVollzG) Der mittlerweile zu verzeichnenden praktischen Bedeutungslosigkeit488 der Zwangsbehandlungsbefugnisse im Strafvollzug steht eine breit geführte wissenschaftliche und öffentliche Diskussion in den 70er und 80er Jahren gegenüber. Das junge Strafvollzugsgesetz sah sich in diesem Punkt anläßlich von Hungerstreiks inhaftierter Terroristen und mehrerer Todesfälle einer Bewährungsprobe ausgesetzt, die es nach fast einhelliger Auffassung nicht bestanden hat. Mit dem Abnehmen der politischen Brisanz der Zwangsernährung ist allerdings auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Eingriffsbefugnissen im Strafvollzug nahezu zum Stillstand gekommen. Das ist schon deshalb bedauerlich, weil über den Diskussionen um die Zwangsernährung die allgemeinen Eingriffsbefugnisse auf medizinischen Gebiet stets im Hintergrund geblieben sind. Trotz der nunmehr geringen praktischen Bedeutung der Zwangsbehandlung im Strafvollzug lohnt sich darum ein Überblick über die Rechtslage im Strafvollzug, der eine Reihe von Parallelen mit den zuvor beschriebenen Rechtsgebieten aufzeigen wird.

1. Historische Entwicklung Wie schon im Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung sind erste Bestrebungen, den Strafvollzug auf Reichsebene auf eine gesetzliche Grundlage zu stel488 Für die letzten Jahre konnte keines der befragten Landesministerien Fälle nennen, in denen es zu Zwangsbehandlungen oder Zwangsernährungen im Strafvollzug gekommen war; vgl. auch Schwind/ Böhm-Müller, § 101 Rn. 3.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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len, um die Jahrhundertwende festzustellen 489. Bis 1976 blieben diese Bemühungen allerdings erfolglos. Man behalf sich überwiegend mit Normierungen auf Länderebene, die ζ. T. infolge reichs- bzw. bundeseinheitlicher Gesetzesinitiativen vereinheitlicht wurden. Die in diesem Zusammenhang zu nennenden Bundesratsgrundsätze von 1897 enthielten jedoch ebenso wie die Gefängnisordnungen der Bundesstaaten keine ausdrücklichen Bestimmungen zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen490. An die Stelle eines in mehreren Anläufen gescheiterten Reichsgesetzes trat 1923 eine Vereinbarung zwischen den Landesregierungen, die sog. „Reichsratsgrundsätze" 491, die vorrangig einer Vereinheitlichung der Rechtslage und Vollzugspraxis dienen sollten. Neben ausführlichen Regelungen über die Gesundheitsfürsorge enthielt § 100 der Reichsratsgrundsätze erstmals eine Bestimmung über ärztliche Zwangseingriffe, die sich allerdings auf die Zwangsernährung beschränkte 492. Allgemeine medizinische Zwangsmaßnahmen wurden gleichwohl für rechtmäßig erklärt, indem man aus allgemeinen Bestimmungen über die Gesundheitsfürsorge die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen ableitete 493 . Die Begründung wurde darin gefunden, daß „das Recht, über sich selbst zu bestimmen, ruht, solange man sich als Strafgefangener in einer Strafanstalt befindet" 494 . Die damit zum Ausdruck gebrachte Ableitung aus dem besonderen Gewaltverhältnis, das im Strafvollzug einen der klassischen Anwendungsbereiche fand, die allgemeine Anstaltsgewalt bzw. Strafgewalt 495, wurde durch die in dieser Zeit erstmalig erlassenen Vorschriften über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten 496 ergänzt 497 . Mit der „Verordnung über den Vollzug von Freiheitsstrafen und von Maßregeln der Sicherung und Besserung" vom 14. 5. 1934 entstand erstmals eine Regelung mit Rechtssatzcharakter 498. Für den hier interessierenden Bereich der medizinischen Zwangsbehandlung wurden aber im Vergleich zu den Reichsratsgrundsätzen 489 Ausführlich zur Entwicklung von der römischen Zeit an Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 5 ff. 490 Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 51 ff. 491

„Reichsgrundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen" vom 23. 6. 1923, RGBl. II, S. 263 ff. 492 § 100: „Gefangene, welche die Aufnahme der Nahrung verweigern, sind, wenn Lebensgefahr eintritt und Vorstellungen erfolglos sind, unter Aufsicht des Arztes zwangsweise zu ernähren." 49 3 Hahn, S. 139. 494

Hahn, S. 136. Paech/Trembur, S. 65 f., die allerdings zwischen selbstverschuldeten und unverschuldeten Erkrankungen differenzieren. Bei letzteren sei die Einwilligung auch bei Strafgefangenen unentbehrlich. 496 Als ältestes Regelungswerk läß sich das „Gesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. 6. 1900", RGBl. IS. 306 nennen. 497 Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 54 ff. 495

498

7*

Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 66.

100

1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

keine Fortschritte erreicht. Erst die „Reichs-Dienst- und Vollzugsordnung" vom 22. 7. 1940, eine VerwaltungsVorschrift 499, enthielt in Nr. 195 eine umfassende Regelung der Befugnisse zur Zwangsbehandlung.500 Sie sah gemäß Nr. 195 Ziff. 1 eine Berücksichtigung von Notwendigkeit und Angemessenheit des Zwangseingriffs sowie die Unzulässigkeit von Maßnahmen, die mit ernsthafter Lebensgefahr verbunden waren, vor. Ob diese aus heutiger Sicht fortschrittlich anmutende Bestimmung tatsächlich mit Rücksicht auf die Rechte des Betroffenen erlassen wurde, läßt sich kaum noch beurteilen. Die zeitgenössische Literatur sah darin Einschränkungen, die vorrangig der „Volksgemeinschaft", insbesondere der Erhaltung von Wehr- und Arbeitstauglichkeit dienen sollten, der mit dem sinnlosen Verlust von erhaltenswertem Leben eine schlechter Dienst erbracht worden wäre 501 . Nach 1945 erließen die Länder eine Reihe von Vollzugsordnungen, in denen die Bestimmungen der Nr. 195 der Reichs-Dienst- und Vollzugsordnung weitgehend übernommen wurden 502 . Auf Initiative des Bundes einigten sich die Länder im Jahre 1961 auf eine Vereinheitlichung ihrer Vollzugsordnungen. Die nach dem Muster der Dienst- und Vollzugsordnung erlassenen Landesvorschriften übernahmen die obengenannte Regelung, die allerdings durch eine Zumutbarkeitsklausel ergänzt wurde. Neben dieser Verwaltungsvorschrift bestanden in den meisten Ländern seit Ende der 60er Jahre Gesetze über den unmittelbaren Zwang, die Voraussetzungen und Grenzen der Zwangsbehandlung entsprechend regelten. 503 Für die Zwangsbehandlung im Rahmen der Untersuchungshaft wurde auf § 119 III StPO zurückgegriffen 504. Die bereits bekannte Strafgefangenen-Entscheidung des BVerfG machte den Erlaß eines Gesetzes für den Strafvollzug unausweichlich. Das Strafvollzugsgesetz vom 16. 3. 1976 505 enthielt bereits von Anfang an die umstrittene Vorschrift des § 101 StVollzG. Unter dem Druck erheblicher Kritik wurde allerdings im Jahre 1985 eine Korrektur vorgenommen 506. Die Pflicht zur Zwangsernährung und Zwangsbehandlung wurde deutlich eingeschränkt. Während früher auch bei akuter Gefahr für das Leben behandelt bzw. zwangsernährt werden mußte, besteht nach der heute geltenden Fassung eine Behandlungspflicht nur dann, wenn von der freien Selbstbestimmung des Gefangenen nicht mehr ausgegangen werden kann (§ 101 Abs. 1 Satz 2 StVollzG). 499 Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 68. 500 Abgedruckt bei Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 69. soi Vgl. Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 72 f. mwN. 502

Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 74 f. 503 Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 76 ff. 504 Linck, NJW 1975, S. 19; vgl. auch Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung, S. 143 ff. 505 BGBl. IS. 581. 506 Gesetz vom 27. 2. 1985, BGBl. I S. 461.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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2. Systematische Stellung Eine ausführliche Regelung der Gesundheitsfürsorge findet sich im Strafvollzugsgesetz nicht in der Umgebung des § 101 StVollzG, sondern in den §§ 56 ff. StVollzG. § 56 Abs. 2 StVollzG enthält bereits die Verpflichtung des Gefangenen, Maßnahmen im Rahmen der Heilbehandlung zu unterstützen. Entgegen dem ersten Anschein ist darin jedoch keine Ermächtigungsgrundlage für Zwangsbehandlungen zu erblicken 507 . Diese richten sich ausschließlich nach dem spezielleren § 101 StVollzG 508 . Ob die Einordnung des § 101 StVollzG in den zwölften Titel des StVollzG („Unmittelbarer Zwang") vor diesem Hintergrund sachgerecht ist, mag man im Hinblick darauf, daß es sich um eine materielle Regelung besonderer Sicherungsmaßnahmen handelt, durchaus bezweifeln 509 . Für die Rechtsanwendung dürfte diese gesetzgeberische Ungenauigkeit allerdings ohne Belang sein. Der etwas unsystematische Standort der Vorschrift macht aber zumindest deutlich, daß durch § 96 StVollzG, der den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Anwendung unmittelbaren Zwanges besonders herausstellt, im Bereich der Zwangsbehandlung nach dem StVollzG das Verhältnismäßigkeitsprinzip bereits einfachrechtlich abgesichert ist.

3. Eingriffsermächtigung § 101 Abs. 1 S. 1 StVollzG enthält eine recht weitgehende Ermächtigung zu Zwangsbehandlungen bei Strafgefangenen. Über § 178 StVollzG ist diese Vorschrift auch auf den Vollzug der Untersuchungshaft anwendbar, allerdings mit der Maßgabe, daß Anordnungen vom Gericht ausgesprochen werden. a) Anwendungsbereich § 101 Abs. 1 S. 1 StVollzG setzt keine psychische Erkrankung oder Beeinträchtigung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit voraus. Auch der uneingeschränkt einwilligungsfähige Strafgefangene kann daher grundsätzlich gegen seinen Willen behandelt werden. Als Zwangsbehandlung wird im Rahmen des § 101 StVollzG jede medizinische Maßnahme angesehen, bei der sich der natürliche Wille des Betroffen gegen die Maßnahme richtet510. Im Falle der Bewußtlosigkeit soll demnach nicht § 101 507 Grommek, Zwangsmaßnahmen, S. 105. 508 Calliess/Müller-Dietz, § 101 Rn. 1. 509 Geppert, Freiheit und Zwang, S. 11; a.A. Grommek, Zwangsmaßnahmen, S. 104. 510 Calliess/Müller-Dietz,

§ 101 Rn. 3.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

StVollzG Anwendung finden, sondern ausschließlich die allgemeinen Bestimmungen über die Gesundheitsfürsorge (§§ 56 ff. StVollzG). Bei deren Anwendung seien die allgemeinen Regeln der mutmaßlichen Einwilligung heranzuziehen 511. Als Behandlung im Sinne des § 101 Abs. 1 S. 1 StVollzG kommen unstreitig alle medizinischen Maßnahmen mit entsprechender Indikationslage in Betracht. Maßnahmen wie ζ. B. psychologische Testverfahren, die eine Mitwirkung des Betroffenen voraussetzen, scheiden notwendigerweise aus 512 . Selbstverständlich sind - abgesehen von der standes- und berufsrechtlichen Unzulässigkeit - ärztliche Zwangseingriffe, die ausschließlich disziplinarischen Zwecken dienen, ausgeschlossen513. Keine verwertbare Aussage trifft das Gesetz zu sichernden Maßnahmen, wie z.B. der pharmakologischen Ruhigstellung zur Wahrung der Anstaltsordnung. Eine entsprechende Regelung wurde nicht in das Gesetz aufgenommen 514. § 95 StVollzG läßt sich nicht das Verbot entnehmen, Medikamente als Mittel des unmittelbaren Zwanges einzusetzen, da die dort getroffene Aufzählung erkennbar nicht abschließend ist. Allerdings läßt sich dem Bezug des § 101 StVollzG zur Gesundheitsfürsorge entnehmen, daß die Wahrung der Ordnung in der Anstalt allein keine Zwangsbehandlung rechtfertigen kann 515 . Als Nebeneffekt einer Zwangsbehandlung, die der Abwendung von Lebensgefahr oder einer schwerwiegenden Gefahr für die Gesundheit des Gefangenen dient, wird allerdings auch die medikamentöse Ruhigstellung vorkommen und zulässig sein 516 .

b) Eigengefährdung Die Gefährdung des Strafgefangenen selbst, die eine Zwangsbehandlung rechtfertigen kann, ist in § 101 Abs. 1 S. 1 StVollzG ganz ähnlich wie in einer Reihe von Unterbringungs- und Maßregelvollzugsgesetzen umschrieben. Hier wie dort muß die konkrete Gefahr 517 des Todes bzw. einer schweren Gesundheitsschädigung vorliegen. Der Tod des Gefangenen bzw. der Eintritt der gesundheitlichen Folgen muß mit anderen Worten unmittelbar bevorstehen 518. Eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit liegt vor, wenn ohne Behandlung schwerwiegende gesundheitliche Folgen drohen, also wichtige Funktionen su 512 513 514 515 516

Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 145; Calliess / Müller-Dietz, Calliess/Müller-Dietz, § 101 Rn. 6. Geppert, Freiheit und Zwang, S. 10. Geppert, Freiheit und Zwang, S. 11 ff. AK-StVollzG-Brühl, § 101 Rn. 19; Calliess/Müller-Dietz, Geppert, Freiheit und Zwang, S. 32.

517 Geppert, Jura 1982, S. 179; Calliess /Müller-Dietz, 518 Calliess/Müller-Dietz, § 101 Rn. 7.

§ 101 Rn. 3.

§ 101 Rn. 6.

§ 101 Rn. 7.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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des Körpers ganz oder teilweise von einer dauerhaften Schädigung bedroht sind. Bagatellerkrankungen reichen folglich nicht 5 1 9 . Nicht vertretbar erscheint die Auffassung, daß im Rahmen des § 101 StVollzG eine Zwangsbehandlung bei Eigengefährdung generell unzulässig sei. Die dafür gelieferte Begründung, nach der „verfassungsrechtlichen Regelung" stehe es jedermann frei, bei Selbstgefährdung Hilfe zurückzuweisen 520, ist zwar diskussionswürdig und wird an späterer Stelle aufzugreifen sein. Dem eindeutigen Wortlaut entspricht sie allerdings nicht.

c) Fremdgefährdung Die Fremdgefährdung hat der Gesetzgeber ganz allgemein als Gefahr für die Gesundheit anderer Personen umschrieben. Damit ist ein deutlich niedriger Gefahrengrad als bei der Eigengefährdung zugelassen. Die Formulierung „andere Personen" macht deutlich, daß nicht nur Mitgefangene, sondern auch das Vollzugspersonal sowie andere am Strafvollzug Beteiligte Bezugspunkt der Gefährdung sein können. Schon der in § 96 StVollzG gesondert festgeschriebene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das in § 101 Abs. 1 S. 1 2. Hs. StVollzG genannte Erfordernis der Zumutbarkeit dürften allerdings dazu führen, daß nicht jede noch so abstrakte Gefährdung Dritter eine Zwangsbehandlung rechtfertigen kann. Um die Abgrenzung zu § 101 Abs. 2 StVollzG, der Maßnahmen zum allgemeinen Gesundheitsschutz zuläßt, sicherzustellen, ist bei einer Zwangsbehandlung nach § 101 Abs. 1 S. 1 StVollzG zu fordern, daß die Gefahr von dem betroffenen Gefangenen selbst ausgeht521.

d) Ausschluß von gefährlichen Eingriffen § 101 Abs. 1 S. 1 2. Hs. StVollzG enthält neben der Beschränkung auf zumutbare Eingriffe den generellen Ausschluß von Eingriffen, die mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind. Hier zeigt sich bereits der kompromißhafte Charakter des § 101 StVollzG, der die praktische Anwendung mühsam macht. Muß eine konkrete Lebensgefahr oder die schwerwiegende Gesundheitsgefahr schon vorliegen, um eine Behandlung überhaupt durchführen zu können, so sollen auf der anderen Seite Behandlungen, die eine erhebliche Gefahr mit sich bringen, 519 Calliess/Müller-Dietz, § 101 Rn. 7. 520 AK-StVollzG-Z?rw7i/, § 101 Rn. 10. 521 Calliess/Müller-Dietz,

§ 101 Rn. 7.

104

1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

ausgeschlossen sein. Setzt man die Schwelle dafür recht niedrig an und hält bereits alle operativen Eingriffe wegen des allgemeinen Narkoserisikos 522 für ausgeschlossen, so fragt sich, welche Behandlungen überhaupt noch in Frage kommen. Nicht nur Medizinern wird man den Sinn dieser Regelung kaum verständlich machen können. Nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst ist zur Abwendung konkreter Lebensgefahr die effektivste Behandlungsmethode zu wählen. Eine Abwägung von Nachteilen oder die Berücksichtigung von Nebenwirkungen bzw. Risiken wird regelmäßig nicht stattfinden können, wenn man sich nicht mit dem irreversiblen Ergebnis, daß der Patient über der Suche nach einer schonenden Behandlungsmethode verstorben ist, abfinden möchte. Die Rettung von Leben oder die Behebung schwerster gesundheitlicher Beeinträchtigungen wird vielmehr im Regelfall Maßnahmen erforderlich machen, die nach der Einschränkung des § 101 Abs. 1 S. 1 2. Hs. StVollzG generell ausscheiden. Juristisch mag man sich darauf zurückziehen können, daß die erhebliche Gefahr bei dem Ausschluß einen höheren Gefahrengrad als die schwerwiegende Gefahr bei der Eingriffs Voraussetzung beinhaltet 523 . Diese Gratwanderung zwischen unterschiedlichen Gefahrengraden bleibt gleichwohl unbefriedigend. Als Beispiel sei nur die vieldiskutierte und in § 101 Abs. 1 S. 1 StVollzG ausdrücklich erwähnte Zwangsernährung genannt. Eine Methode, die Zwangsernährung ohne die in § 101 Abs. 1 S. 1 2. Hs. StVollzG genannte erhebliche Gefahr für Leben oder Gesundheit durchzuführen, ist - man denke nur an die Aspirationsgefahr - nicht vorhanden und derzeit auch nicht vorstellbar 524 .

e) Zumutbarkeit Schließlich darf die Zwangsbehandlung für die Beteiligten nicht unzumutbar sein. Mit diesem äußerst vagen Begriff 525 erlangt § 101 StVollzG endgültig eine Beliebigkeit, bei der sich alle, auch sich diametral entgegenstehende Ansätze vertreten lassen526. Beteiligte i. S. d. § 101 Abs. 1 S. 1 2. Hs. StVollzG sind neben dem Gefangenen diejenigen Personen, die den Eingriff vorzunehmen haben 527 ; also Ärzte, deren Hilfskräfte sowie das Vollzugspersonal. Für jeden der Beteiligten soll die Zumutbarkeit einzeln zu prüfen und zu beurteilen sein 528 . 522

Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 158. Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 156 f. 5 24 Bemmann, FS Klug, S. 565. 525 Tröndle, FS Kleinknecht, S. 412. 526 Tröndle, FS Kleinknecht, S. 413; anders Geppert, Jura 1982, S. 183, der diese Wendung im Hinblick auf die Einzelfallgerechtigkeit für notwendig hält. 527 Calliess/Müller-Dietz, § 101 Rn. 10. 523

528

Calliess/Müller-Dietz,

§ 101 Rn. 10.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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Erhebliche Schwierigkeiten bereitet die Umschreibung des Gehalts der Zumutbarkeitsklausel. Wer in diesem Zusammenhang die Kosten der Zwangsernährung nennt 529 , die für einen Abbruch der Behandlung sprechen könnten, dürfte den Bereich ernstzunehmender juristischer Argumentation allerdings weit hinter sich gelassen haben. Aber auch mit der häufig anzutreffenden Umschreibung, daß die Zwangsbehandlung keine Straftat darstellen und die Menschenwürde nicht verletzen dürfe 530 , ist kein Erkenntnisgewinn verbunden, sondern nur die Überflüssigkeit der Klausel eindrucksvoll belegt. Ermächtigungsgrundlagen, die Straftaten ermöglichen, sind ebenso undenkbar wie eine Erlaubnis, die Menschenwürde zu verletzen. Sinn könnte die Klausel allenfalls im Hinblick auf standesrechtliche Überlegungen seitens der behandelnden Ärzte machen 531 . Auch insoweit ist die gesonderte Prüfung der Zumutbarkeit aber kaum notwendig. Eine medizinische Maßnahme, bei der die Indikation hinreichend klar ist und bei der die Belastung für den Betroffenen nicht außer Verhältnis zum erstrebten Ziel steht, ist auch standesrechtlich vertretbar. Fehlen diese Voraussetzungen, ist die Maßnahme bereits unverhältnismäßig und ein Rückgriff auf das Standesrecht überflüssig. Will man demgegenüber Behandlungen gegen den Willen des Betroffenen generell für standeswidrig halten, so braucht man keine Zumutbarkeitsklausel aufzunehmen, da unter dieser Prämisse § 101 StVollzG praktisch kaum noch anwendbar wäre. Entstehungsgeschichtlich wird man die Erwähnung der Zumutbarkeit wohl auf die Diskussion um die Zwangsernährung zurückführen können, wie durchaus kritische Stellungnahmen der Ärzteschaft 532 während des Gesetzgebungsverfahrens belegen. Gerade in dem Bereich der Zwangsernährung zeigt sich aber, wie wenig sinnvoll diese Klausel ist. Wenn sich ein Gefangener andauernd und mit allen Kräften gegen die Zwangsernährung wehrt, dann führt der Versuch, ihn gleichwohl zwangsweise zu ernähren, zu Situationen, bei denen das Wort „Tortur" durchaus angemessen ist 5 3 3 . Man wird also mit guten Argumenten vertreten können, daß eine Zwangsernährung gegen den körperlicher Widerstand stets die Umzumutbarkeit begründet 534. Allerdings wird man sich dann die Frage stellen müssen, aus welchem Grunde der Gesetzgeber im ersten Halbsatz einer Vorschrift die Zwangs529 Abwegig: Linck, NJW 1974, S. 21; zu Recht kritisch: Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung, S. 13. Der Umstand, daß selbst in einer renommierten juristischen Fachzeitschrift derartige Äußerungen auftauchen, belegt allerdings eindrucksvoll, welche politische Brisanz dieses Thema seinerzeit hatte. 530 Calliess/Müller-Dietz, § 101 Rn. 10; Grommek, Zwangsmaßnahmen, S. 107. 531 Grommek, Zwangsmaßnahmen, S. 107; Calliess/Müller-Dietz, § 101 Rn. 10. 532 ζ . B. die Erklärung des Präsidiums des Deutschen Ärztetages, DÄB1. 1974, S. 3661; vgl. dazu Geppert, Freiheit und Zwang, S. 45; Nöldecke/Weichbrodt, NStZ 1981, S. 282; Littwin, Grundrechtsschutz, S. 55 f. 533 Vgl. die Fallschilderungen bei Tröndle, FS Kleinknecht, S. 417. 534 AK-StVollzG-flrw/i/, § 101 Rn. 21; Nöldecke/Weichbrodt, NStZ 1981, S. 284. Zumindest für eine „heikle Frage" hält Geppert, Jura 1982, S. 186 dieses Vorgehen.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

ernährung ausdrücklich zuläßt, im zweiten Halbsatz jedoch für unzulässig erklären sollte.

4. Eingriffsverpflichtung (§ 101 Abs. 1 Satz 2 StVollzG) Daß sich die wissenschaftliche und politische Auseinandersetzung nicht so sehr mit der Eingriffsermächtigung, sondern vorrangig mit der Eingriffsverpflichtung des § 101 Abs. 1 Satz 2 StVollzG befaßte, mag man damit erklären, daß durch die Behandlungsverpflichtung auch eine Garantenpflicht geschaffen wurde und deshalb dieser Bereich im Hinblick auf die straf-, zivil- bzw. amtshaftungsrechtlichen 535 Folgen besondere praktische Relevanz besitzt. Die Verpflichtung zum Eingriff setzt allerdings die Berechtigung zum Eingriff denknotwendig voraus. Daher sind die obengenannten Eingriffsvoraussetzungen Grundlage der Eingriffsverpflichtung. Es muß also die Eigen- bzw. Fremdgefährdung vorliegen, der Eingriff muß zumutbar sein und darf nicht mit erheblicher Gefahr für Leben und Gesundheit des Betroffenen verbunden sein 536 . Hinzutreten muß nach der Neufassung im Jahre 1985 nicht mehr wahlweise die akute Lebensgefahr oder der Ausschluß des freien Willens, sondern nunmehr notwendigerweise der Ausschluß der freien Willensbestimmung beim Gefangenen. Bedenkt man, daß im Falle der Bewußtlosigkeit der Anwendungsbereich des §101 StVollzG schon nicht eröffnet ist 5 3 7 , so wird eine klare Abgrenzung zwischen freier und unfreier Willensbestimmung naturgemäß schwierig. Naheliegend und gut vertretbar erscheint der Ansatz, daß bei Fehlen der natürlichen Einsichtsund Urteilsfähigkeit die freie Willensbestimmung aufgehoben ist 5 3 8 . Damit ist ein Abgrenzungskriterium genannt, daß im wesentlichen der Einwilligungsfähigkeit entspricht und an späterer Stelle ausführlich zu behandeln ist 5 3 9 . Ob darüber hinaus auch „Haftpsychosen" und der insbesondere beim kollektiven Hungerstreik regelmäßig anzutreffende Gruppenzwang zu einem Ausschluß der freien Willensbestimmung führen 540 , ist demgegenüber zweifelhaft. Selbstverständlich sind psychische Krankheiten denkbar, die zu einem Ausschluß der freien Willensbestimmung führen können 541 , und die in einem Zusammenhang mit der besonderen Situation der Haft stehen. Die Haftsituation allein kann aber schon des535

Zur allgemeinen Amtspflicht, den Selbstmord von Strafgefangenen zu verhindern: OLG Hamm, NJW 1989, S. 1809 f. 556 Geppert, Jura 1982, S. 179. 557 Schwind / Böhm-Müller, § 101 Rn. 18. 538 Calliess/Müller-Dietz, § 101 Rn. 8; AK-StVollzG-flrwÄ/, § 101 Rn. 13. 539 S. u. D. I I 2. 540 Nöldecke/Weichbrodt,

NStZ 1981, S. 283.

541 Schwind/ Böhm-Müller, § 101 Rn. 17.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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halb kein hinreichend sicheres Indiz darstellen, weil sonst die Regelung des § 101 Abs. 1 S. 2 StVollzG schlicht überflüssig wäre 542 . Jeder von § 101 StVollzG potentiell Betroffene befindet sich in einer Haftsituation. Vorsicht ist auch im Hinblick auf den sog. Gruppenzwang geboten 543 . Gruppenzwang führt nicht notwendigerweise zum Ausschluß freier Willensbestimmung, sondern kann Ausdruck einer autonomen Entscheidung sein. Die Abgrenzung von akzeptiertem Gruppenzwang, der im Rahmen einer Vereinigung, Partei, eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses sogar unter besonderem verfassungsrechtlichen Schutz stehen kann, und pathologischem Gruppenzwang, der die freie Willensbetätigung ausschließt, dürfte zudem kaum überzeugend durchzuführen sein. Ebensowenig kann man davon ausgehen, daß die Weigerung, sich behandeln oder ernähren zu lassen, im Zweifel für den Ausschluß der freien Willensbestimmung spricht 544 . Dieser Ansatz führt notwendigerweise in einen Zirkelschluß, der auch in anderen Bereichen zu Recht abgelehnt wird 5 4 5 .

5. Gesundheitsschutz und Hygiene § 101 Abs. 2 StVollzG enthält eine Bestimmung, die bereits aus einer Reihe von Psychisch-Kranken- und Maßregelvollzugsgesetzen 546 bekannt ist. Gesundheitsschutz und Hygiene können Untersuchungen rechtfertigen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind. Bei diesen Maßnahmen müssen die allgemeinen Voraussetzungen des Abs. 1 nicht vorliegen; Untersuchungen sind daher auch möglich, wenn eine Gesundheits- oder Lebensgefahr noch nicht besteht 547 . Als Orientierungspunkt für die Frage, wann ein körperlicher Eingriff vorliegt, bietet sich § 81a StPO an 5 4 8 . Allerdings wird zu Recht darauf hingewiesen, daß körperliche Eingriffe unter Umständen nach dem BSeuchenG zulässig sein können, das der rechtshistorischen Entwicklung entsprechend neben dem StVollzG Anwendung finden soll 5 4 9 .

542 AK-StVollzG-Z?rw7i/, § 101 Rn. 12; Schwind/Böhm-Müller, § 101 Rn. 19. 543 Vgl. Schwind / Böhm-Müller, § 101 Rn. 19; AK-StVollzG-Brwfc/, § 101 Rn. 12. 544 AK-StVollzG-£rwÄ/, § 101 Rn. 15; Nöldecke/Weichbrodt, NStZ 1981, S. 283. 545 Vgl. zum unzulässigen Schluß von der Behandlungsverweigerung auf die Einsichtsfähigkeit oben Α. II. 1. c), unten D II. 1. a). 546 Vgl. oben A II. 2. c); Β ΙΠ 3 b) bb). 547 Schwind / Böhm-Müller, § 101 Rn. 31. 548 Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 258; AK-StVollzG-BrwÄ/, § 101 Rn. 16. 549 AK-StVollzG-Brühl, § 101 Rn. 29.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

6. Zwangsernährung Die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten bei der Durchführung der Zwangsernährung sind bereits angesprochen worden. In tatsächlicher Hinsicht sind Zwangsernährungen gegen den körperlichen Widerstand des Gefangenen praktisch nicht durchführbar und medizinisch kaum vertretbar 550. Hinzu kommt, daß eine spät einsetzende Zwangsernährung wegen der regelmäßig bereits eingetretenen massiven Organschäden medizinisch wenig sinnvoll ist 5 5 1 . In der Literatur ist daher die Ansicht, die Zwangsernährung stelle unter Umständen 5 5 2 oder sogar regelmäßig 553 eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG dar, durchaus verbreitet. Andererseits wird vertreten, daß aufgrund der staatlichen Fürsorgepflichten der Eingriff verfassungsgemäß sei, sobald der Gefangene zur freien Willensbestimmung nicht mehr in der Lage ist 5 5 4 . Ob mit der Neufassung die Problematik wirklich entschärft ist, mag man bezweifeln. Läßt man Erwägungen zur Zumutbarkeit einmal außer Betracht, so besteht eine Pflicht zur Zwangsernährung spätestens dann, wenn der Gefangene in Folge der Nahrungsverweigerung in den Zustand der Somnolenz verfällt. Auch bei Erreichen dieses Zustandes wird die Zwangsernährung regelmäßig zu spät einsetzen und für den Betroffenen nicht weniger einschneidend sein.

7. Kritik Die alte Fassung des § 101 StVollzG war nach fast einhelliger Auffassung rechtlich und tatsächlich mißlungen 555 . Grund für diese berechtigte Kritik war nicht nur die Kompromißhaftigkeit, die es ermöglichte, auch sich diametral entgegenstehende Ansätze zu vertreten 556 . Über die allgemeine Unzufriedenheit 557 hinaus, die vermeidbare Unklarheiten in Gesetzestexten generell erzeugen, hatte § 101 StVollzG das Ziel, eine verläßliche

550 Geppert, Jura 1982, S. 181; vgl. auch die Fallschilderungen bei Tröndle, FS Kleinknecht, S. 417. 551 Bemmann, FS Klug, S. 563; Geppert, Freiheit und Zwang, S. 46. 552 Michale, Zwangsernährung, S. 130. 553 Tröndle, FS Kleinknecht, S. 420 ff. 554 Michale, Zwangsernährung, S. 165 ff. 555 Tröndle, FS Kleinknecht, S. 411 mwN; kritisch auch Kirchhof, in: Herfarth/Buhr, S. 43; a.A. wohl nur Herzberg, ZStW 91, S. 575 ff., der die wesentlichen verfassungsrechtlichen Probleme allerdings unberücksichtigt läßt. 556 Tröndle, FS Kleinknecht, S. 413. 557 Vgl. Geppert, Jura 1982, S. 178.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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und hinreichend klare Regelung für alle Beteiligten zu schaffen, in besonders deutlicher Weise verfehlt. Neben diesem Umstand, an dem die Neufassung kaum etwas geändert hat, ist ein weiteres grundsätzliches Problem nicht befriedigend gelöst. § 101 Abs. 1 S. 1 StVollzG enthält eine recht weite Ermächtigungsgrundlage für Zwangsbehandlungen, der durch die überlagernde Diskussion um die Zwangsernährung zu wenig Beachtung geschenkt wurde und wird. Will man der Vorschrift aufgrund der Auslegungsschwierigkeiten nicht jegliche praktische Anwendbarkeit absprechen, so ist festzuhalten, daß das StVollzG Heilbehandlungen gegen den Willen des Betroffenen erlaubt, ohne Rücksicht auf die Fähigkeit des Patienten zu nehmen, Tragweite und Bedeutung des Eingriffs beurteilen zu können. Will man diesen Umstand als Vorteil werten, weil die behandelnden Arzte nicht zwischen Ausschluß und Vorliegen der freien Willensbestimmung zu unterscheiden haben, bei entsprechender Indikation den „Unwillen" des Betroffenen also vernachlässigen können 558 , so wird man sich die Frage stellen müssen, warum ausgerechnet bei Strafgefangenen erlaubt sein soll, was bei in Freiheit lebenden Menschen in jeder Hinsicht undenkbar ist. Ohne die verfassungsrechtliche Bewertung vorwegnehmen zu wollen, seien insoweit schon an dieser Stelle erhebliche Bedenken angemeldet.

II. Materielles Strafrecht Das materielle Strafrecht weist eine ganze Reihe von Berührungspunkten mit dem Thema der Untersuchung auf. Neben der bereits angesprochenen Frage nach Zwangsbehandlungsbefugnissen auf der Grundlage des Notstandes sind dabei sowohl die Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung, die weit über das Strafrecht hinaus Bedeutung erlangt hat, als auch die strafbewehrten Behandlungspflichten, deren Kehrseite notwendigerweise Duldungspflichten auf Seiten des Patienten sind, darzustellen.

1. Mutmaßliche Einwilligung Mit der eigenständigen, gewohnheitsrechtlich anerkannten 559 Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung versucht man, ein ganz praktisches und ζ. B. in der Notfallmedizin alltägliches Problem zu lösen. Der Träger des Rechtsgutes oder der gesetzlich zur Wahrnehmung seiner Interessen berufene Vertreter ist aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage, die erforderliche Einwilligung zu erteilen. Gleichwohl besteht aber die Notwendigkeit, eine Heilbehandlung durchzuführen. Die mutmaßliche Einwilligung dient in derartigen Fällen dazu, die Entscheidung des 558 Schwind / Böhm-Müller, § 101 Rn. 20. 559 Müller-Dietz, JuS 1989, S. 281.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Betroffenen zu ersetzen, und - soweit sie dem hypothetischen Willen entspricht den Heileingriff zu rechtfertigen. Die mutmaßliche Einwilligung stellt sich demnach als Einwilligungssurrogat dar. Diese Feststellung mag banal klingen, hat aber weitreichende Konsequenzen. Zum einen müssen nämlich die übrigen Voraussetzungen der Einwilligung gegeben sein und zum anderen ist sie subsidiär 560 . Es wird nicht eine objektiv vernünftige Entscheidung anstelle der Entscheidung des Betroffenen gefällt, sondern eine Entscheidung, die dem zu vermutenden Willen des Betroffenen entspricht. Der Eingreifende führt keine Güterabwägung durch, wie sie etwa bei einer Verortung im Notstandsrecht naheliegen würde 561 , sondern muß zunächst nur gewissenhaft prüfen, was dem Willen des Betroffenen entsprechen würde 562 , wenn er selbst die Entscheidung fällen könnte. Daraus folgt ein unbedingter Vorrang des hypothetischen Willen des Betroffenen, auch wenn er bei objektiver Betrachtung höchst unvernünftig erscheint 563. Dementsprechend ist anerkannt, daß für die mutmaßliche Einwilligung kein Raum ist, wenn der Betroffene der Behandlung unmißverständlich widersprochen hat 5 6 4 . Bei der Ermittlung des hypothetischen Willens kommt der Meinung von Angehörigen Indizwirkung zu. Eine Stellvertretung mit rechtlich bindender Wirkung ist regelmäßig ausgeschlossen.565 Ebensowenig werden nach der wohl noch h. M. die sog. Patiententestamente als ohne weiteres verbindlich anerkannt. 566 Erst wenn derartige Indizien fehlen oder sich schlicht keine Gelegenheit ergibt, den hypothetischen Willens des Betroffenen gewissenhaft zu ermitteln, wie es ζ. B. in der Notfallmedizin regelmäßig der Fall sein dürfte, kann davon ausgegangen werden, daß der Betroffene eine nach objektiven Maßstäben vernünftige Entscheidung getroffen haben würde 567 .

560 Schönke/Schröder-Lenckner, vor §§ 32 ff., Rn. 54; Müller-Dietz, 561 Vgl. Müller-Dietz, JuS 1989, S. 282. 562 Vgl. Helmchen/Lauter, S. 51.

JuS 1989, S. 282.

563 Schönke/Schiöder-Lenckner, vor §§ 32 ff., Rn. 57. 564 So schon RGSt 25, 375. 565 BGHZ 29, 51 f.; BGH NJW 1989, S. 2318. 566 Schönke / Schröder-Ese/; § 223, Rn. 38; ausführlich Helmchen/Lauter, S. 54 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; vgl. auch BGHSt 32, 367, 378. Zu Recht weist Hillgruber, S. 122 darauf hin, daß die Wirksamkeit sogenannter Vorausverfügungen nicht abgelehnt werden kann, ohne erhebliche Widersprüche zu der wohl unbestrittenen Annahme entstehen zu lassen, daß die Einwilligung als typische vorherige Zustimmung rechtfertigende Wirkung entfaltet. Würde man auch dort die Bewußtlosigkeit als Grenze für die Beachtlichkeit des vorab erklärten Willens ansehen, so verlöre die Einwilligung bei operativen Eingriffen ihre Wirkung, bevor sie diese hätte entfalten können, nämlich mit Einleitung der Narkose. Angesichts dieses zu offensichtlichen Wertungswiderspruchs erscheint es nicht vermessen, der noch überwiegenden Auffassung keine große Zukunft zu attestieren. 567 BGHSt 35, 246, 249 f.; Schönke/Schröder-Lenckner, vor §§ 32 ff., Rn. 57.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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Die mutmaßliche Einwilligung ist daher kein Rechtsinstitut, das Heilbehandlungen gegen den erklärten Willen des Betroffenen rechtfertigen könnte. Es dient lediglich dazu, den nicht vorhandenen Willen des Betroffenen zu ersetzen und letztlich seinem hypothetischen Willen zur Geltung zu verhelfen. Dieser wird sich bei Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte auf die Erhaltung des Lebens und der Gesundheit und damit auf die Durchführung notwendiger und anerkannter Behandlungsverfahren beziehen.

2. Unterlassungsdelikte Kehrseite eines strafrechtlichen Behandlungsgebotes ist zunächst einmal die Handlungserlaubnis des Normadressaten. Ungeachtet möglicherweise unterschiedlicher Auslegung in den unterschiedlichen Rechtsgebieten oder gar bestehenden Widersprüchen zwischen strafrechtlichen Handlungsgeboten und anderweitigen Handlungsgrenzen, liegt es jedenfalls nahe, eine entsprechende Duldungspflicht auf seiten des Betroffenen anzunehmen. Handlungsgebote sind im materiellen Strafrecht sowohl in der Form der echten als auch der unechten Unterlassungsdelikte anzutreffen. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die Strafbarkeit des Unterlassens Heilbehandlungen gegen den Willen des Betroffenen gebietet und damit Duldungspflichten auf seiten des Patienten statuiert. a) Allgemeine Heilbehandlung Für die unechten Unterlassungsdelikte, die insbesondere im Verhältnis von behandelndem Arzt und Patient eine Rolle spielen können, mag eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes eine Garantenpflicht des Arztes begründen, die erforderliche Heilbehandlung einzuleiten. Die Grenzen der Garantenpflicht im Sinne des § 13 StGB werden nach einhelliger Auffassung allerdings durch den Willen des Patienten gesetzt. Lehnt dieser im Bewußtsein der Folgen und der Bedeutung seiner Weigerung eine medizinisch gebotene Behandlung ab, so entfällt die Garantenpflicht 568 . Dieses Ergebnis bedarf kaum näherer Begründung. Wäre der freie Wille des Patienten nicht Grenze strafrechtlicher Behandlungsgebote, so würde durch das materielle Strafrecht das Gebot eingeführt, sich jeder medizinisch notwendigen Behandlung zu unterziehen; ein Ergebnis, das grundrechtliche Positionen des Patienten de facto aufheben würde. Für das echte Unterlassungsdelikt des § 323c StGB gilt das Gleiche. Zwar richtet sich das Hilfeleistungsgebot an jedermann und damit auch an Ärzte 569 . Ein568 Schönke / Schiöder-Stree, vor §§ 13 ff., Rn. 154; speziell zum Maßregelvollzug: Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 115; vgl. auch OLG München, NJW 1987, S. 2943. 569 Hein, Grenzen der Hilfeleistungspflicht, S. 100 mwN.; vgl. auch BGHSt 2, 296,298 f.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

schränkungen ergeben sich aber bereits dadurch, daß eine bestehende Erkrankung im Regelfall kein plötzlich eintretendes Ereignis ist, das eine Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB begründen könnte 570 . Ganz entscheidend ist aber, daß eine gegen den frei verantwortlichen Willen aufgedrängte Hilfeleistung nicht erforderlich im Sinne dieser Bestimmung sein kann 571 . Für die allgemeine Heilbehandlung ist somit das nicht überraschende Ergebnis festzuhalten, daß auch strafrechtliche Handlungsgebote ihre Grenze am freiverantwortlichen Willen des Patienten finden.

b) Suizidverhinderung Ein völlig anderes Bild bietet sich, wenn die Heilbehandlung im Rahmen der Verhinderung eines Selbstmordes notwendig wird. Der Bundesgerichtshof vertritt nach wie vor die Auffassung, daß den behandelnden Arzt eine Garantenpflicht zur Verhinderung des Suizids trifft, sobald der Suizident die Tatherrschaft über sein Tun verloren hat 5 7 2 , also in der Regel bei Eintritt der Bewußtlosigkeit. Diese Rechtsprechung ist zu Recht auf weitgehende Ablehnung gestoßen573, da sie einen nicht überwindbaren WertungsWiderspruch aufweist. Daß der freiverantwortliche Suizid sowie die Beteiligung an diesem straffrei ist, wird kaum zu bezweifeln sein. Dann kann allerdings auch der unterlassende Garant nicht wegen eines Tötungsdelikts strafbar sein 574 . Die Meinungsverschiedenheiten setzen sich konsequenterweise bei der Frage nach der Strafbarkeit nach § 323c StGB fort. Der Bundesgerichtshof hält den Suizidversuch für einen Unglücksfall im Sinne dieser Bestimmung 575 , weite Teil der Literatur halten dieses Ergebnis für den Fall des freiverantwortlichen Suizids für verfehlt 576 . Nach einer weiteren Ansicht soll zumindest die Zumutbarkeit der Hilfeleistung entfallen, wenn der Suizid sich als Abwägungssuizid darstellt 577 .

57 0

Volckart, Maßregelvollzug, S. 110; Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 118. 571 Schönke / ScbiödcT-Cramer, § 323c Rn. 26; SK-Rudolphi, § 323c Rn. 22; mit abweichender Begründung, aber gleichem Ergebnis: Tröndle, § 323c Rn. 6c. 572 BGHSt 2, 150, 156; 13,162, 166; 32, 367, 373 f. 573 Hein, Grenzen der Hilfeleistungspflicht, S. 90 ff.; Niestroj, Suizidbeteiligung, S. 137; Dölling, NJW 1986, S. 1012, jeweils mit weiteren Nachweisen. 574 Dölling, NJW 1986, S. 1012; vgl. auch Littwin, Grundrechtsschutz, S. 30 mwN. 575 BGHSt 6, 147, 152 f. (Gr. Senat); 32, 367, 375; anders noch der 1. Senat in BGHSt 2, 150, 151; zustimmend: Wigge, MedR 1996, S. 299. 576 Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung, S. 46; Niestroj, Suizidbeteiligung, S. 149; monographisch auch Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, 1992; zum Streitstand ausführlich: Hein, Grenzen der Hilfeleistungspflicht, S. 103 ff. 577 Dölling, NJW 1986, S. 1015 ff.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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Entscheidende Vorfrage der strafrechtlichen Bewertung der Nichthinderung des Suizids ist, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Suizid als freiverantwortlich zu gelten hat. Die Abgrenzung von Abwägungssuizid und Affektsuizid ist naturgemäß nicht einfach 578 . Die Abgrenzung könnte in Anlehnung an die bereits dargestellten Unterbringungs- und Psychisch-Kranken-Gesetze nach dem Vorliegen einer psychischen Krankheit erfolgen, sich an den §§ 20, 35 StGB bzw. § 3 JGG oder an § 216 StGB orientieren 579. Diese Möglichkeiten, die zwar keine Sicherheit, aber immerhin einen Anhaltspunkt vermitteln könnten, werden jedoch den Eigenheiten der Situation des Suizids nicht gerecht und daher in diesem Zusammenhang - soweit erkennbar - auch nicht vertreten. Vielmehr gilt ein Suizid unterhalb der Grenze einer krankhaften Störung auch dann als nicht frei verantwortlich, wenn er aus affektiver Verzweiflung erfolgt 580 . Die der Rechtsprechung des BGH zu Grunde liegende Annahme, daß in einer überwiegenden Mehrheit von Fällen kein freiverantwortlicher Suizid vorliegt 581 , darf allerdings nicht zu dem Fehlschluß verleiten, daß stets von einer affektiven Handlung ausgegangen werden kann 582 . Unabhängig von einem nach wie vor möglicherweise mehrheitsfähigen „sittlichen Unwerturteil" oder der religiösen Grundhaltung des Beurteilenden wird man respektieren müssen, daß Menschen sich nach reiflicher Überlegung ernsthaft und selbstbestimmt für den Suizid entscheiden583. In einer bemerkenswerten Entscheidung hat das OLG München in einem derartigen Fall die richtigen strafrechtlichen Konsequenzen gezogen und den Verdacht einer strafbaren Handlung seitens des behandelnden Arztes mit umfassender Begründung verneint 584 . Es bleibt daher insbesondere im Rahmen des § 323c StGB die Schwierigkeit, die Frei Verantwortlichkeit unter Umständen auch in kürzester Zeit zu beurteilen 585 . Insoweit erscheint der Ansatz sinnvoll, daß Zweifel an Freiheit und Fortbestand des Willens im Zeitpunkt des Eintretens der Behandlungsindikation die strafrechtliche Handlungspflicht begründen 586. Unterbleibt die Verhinderung des Suizids, ist die Folge tödlich und damit irreversibel. Die Vermutung, daß der Wille im Zweifelsfall nicht frei verantwortlich ist, sowie die Annahme, daß auch unterhalb der Schwelle der psychischen Krankheit der Wille zum Tode rechtlich unverbindlich sein kann, werden diesem Umstand gerecht. Es gilt daher zu Recht der Grundsatz „in dubio pro vita" 5 8 7 . 578 Vgl. OLG München, NJW 1987, S. 2943 f. 579 Vgl. OLG München, NJW 1987, S. 2942. 580 Dölling, NJW 1986, S. 1014. 581 Vgl. BGHSt 32, 367, 376. 582 OLG München, NJW 1987, S. 2945. 583 Vgl. Dölling, NJW 1986, S. 1014. 584 OLG München, NJW 1987, S. 2940 ff. Dem Verfahren lag ein Fall passiver Sterbehilfe durch den Arzt Julius Hackethal zu Grunde, der für erhebliches öffentliches Aufsehen gesorgt hatte. 585 Vgl. Geppert, Freiheit und Zwang, S. 39. 586 Schöch, ZRP 1986, S. 239; Schreiber, NStZ 1986, S. 345. 8 Heide

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

3. Notstandsrecht (§ 34 StGB) Bereits bei der Frage der Zulässigkeit von Heilversuchen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung wurde die Frage aufgeworfen, ob das Notstandsrecht Zwangsbehandlungen rechtfertigen kann. Die Beantwortung dieser Frage hängt auch davon ab, ob das Notstandsrecht bei der Zwangsbehandlung die Funktion eines straf- und zivilrechtlichen Rechtfertigungsgrundes erfüllen soll oder darüber hinaus als Eingriffsermächtigung im Bereich hoheitlichen Handelns dient.

a) Hoheitliches Handeln Dort wo ärztliches Handeln zugleich die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben ist, stellt sich das grundsätzliche Problem, inwieweit das Notstandsrecht die stets notwendige Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen ersetzen bzw. ergänzen kann. Hoheitliches Handeln ist in den Bereichen, in denen die Zwangsbehandlung praktisch eine Rolle spielt, ganz überwiegend festzustellen. Insbesondere die Behandlung nach den Unterbringungs- bzw. Psychisch-Kranken-Gesetzen, im Maßregelvollzug, Strafvollzug sowie nach Maßgabe des GeschlKrG stellt ohne Zweifel hoheitliches Handeln dar. Die Auffassungen darüber, ob der Staat sich auf Notstandsrechte berufen kann, gehen weit auseinander. Teilweise wird vertreten, im Bereich hoheitlichen Handelns sei für die Anwendung des § 34 StGB kein Raum. Das gelte insbesondere dann, wenn in Individualrechtsgüter eingriffen werde. 588 Nach der Gegenansicht schließt hoheitliches Handeln eine Anwendbarkeit des § 34 StGB nicht von vornherein aus 589 . Allerdings sei § 34 StGB nicht heranzuziehen, wo öffentlich-rechtliche Sondervorschriften eine abschließende Regelung träfen bzw. der Verzicht auf eine Eingriffsnorm gewollt und beabsichtigt sei. 590 Weiter wird im Ergebnis eine Beschränkung auf unvorhersehbare Ausnahmesituationen vertreten. § 34 StGB sei keine Auffangnorm für die Bereiche, in denen einplanbare Interessenkonflikte und bestimmte Eingriffsrechte abschließend geregelt seien. Allerdings sei nicht jede spezielle öffentlich-rechtliche Regelung auch abschließend591. Die rechtsstaatlichen Bedenken gegen eine Heranziehung von § 34 StGB für den Bereich des hoheitlichen Handelns liegen auf der Hand 592 . Weder Wortlaut 587

Schöch, in: Pohlmeier u. a., Suizid zwischen Medizin und Recht, S. 85. 5 88 LK-Hirsch, § 34 Rn. 6 ff.; SK-Samson, § 34 Rn. 10. 5S9 Schönke / Schröder-Lenckner, § 34 Rn. 7; Tröndle, § 34 Rn. 24. 590 Schönke / Schröder-Lenckner, § 34 Rn. 7. 591 Tröndle, § 34 Rn. 24a. 592 Auch die Rechtsprechung scheint diese Bedenken mittlerweile ernst zu nehmen, vgl. nur BGH NJW 1992, S. 3229, wo die Anwendung von § 904 BGB auf hoheitliches Handeln zu Recht abgelehnt wird (S. 3232).

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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noch Systematik entsprechen einer dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht werdenden Eingriffsermächtigung. Das Bedürfnis, Notstandsrechte geltend zu machen, dürfte auch angesichts der hohen Normdichte und der Existenz weitgefaßter Generalklauseln äußerst gering sein. Schwerer wiegt, daß sich letztlich auch kein überzeugendes Argument für eine Anwendung des § 34 StGB finden läßt. Das Argument, man könne ein und dieselbe Handlung nicht als strafrechtlich gerechtfertigt, gleichzeitig aber als rechtswidrig im Sinne des öffentlichen Rechts ansehen593, erweist sich als wenig tragfähig. Es ist nicht nur zirkulär, weil es die Anwendbarkeit des § 34 StGB für hoheitliches Handeln gerade voraussetzt, anstatt sie zu begründen, sondern verkennt auch, daß nicht jedes hoheitliche Handeln einen Straftatbestand erfüllt. Ist hoheitliches Handeln gemessen an öffentlich-rechtlichen Vorschriften rechtswidrig, so mag man allerdings durchaus erwägen, ob die individuell zu beurteilende Strafbarkeit des Amtswalters anders zu beurteilen ist, als die dienst- und amtshaftungsrechtlichen Konsequenzen. Dabei dürfte ein Rückgriff auf § 34 StGB allerdings nicht notwendig sein, wie das Fehlen jedweder Anwendungsbeispiele verdeutlicht. Bezogen auf die Heilbehandlung im Bereich hoheitlichen Handelns ergeben sich neben den grundsätzlichen Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 34 StGB im Bereich hoheitlichen Handelns allerdings weitere Schwierigkeiten, die wohl auch auf der Grundlage der grundsätzlichen Anwendbarkeit von § 34 StGB zu einem Ausschluß von notstandsrechtlichen Befugnissen führen würden. In keinem der genannten Rechtsbereiche, in denen Zwangsbehandlungen eine Rolle spielen, ist das Fehlen einer abschließenden Regelung feststellbar. Im Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung, im Maßregel- und Strafvollzug mögen nicht alle Bestimmungen über die Zwangsbehandlung überzeugen. Eine ergänzende Heranziehung von Notstandsbefugnissen, wie vor Erlaß der entsprechenden Bestimmungen vertretbar 594, scheidet allerdings aus 595 . Auch die Frage nach der Zulässigkeit des Heilversuchs im Rahmen der Unterbringung läßt sich vor diesem Hintergrund eindeutig beantworten. Nach dem unzweideutigen Gesetzeswortlaut des § 41 AMG findet § 40 Abs. 1 bis 3 AMG und somit auch § 40 Abs. 1 Nr. 3 A M G 5 9 6 auf Heilversuche Anwendung, so daß diese bei Untergebrachten auch dann unzulässig sind, wenn sie medizinisch dringend indiziert sein sollten. Vom Fehlen einer abschließenden Regelung kann daher keine Rede sein. Ein Rückgriff auf Notstandsbefugnisse ist damit nach allen vertretenen und vertretbaren Auffassung unzulässig.

593 Vgl. nur Schönke / Schiödei-Lenckner, 594 Vgl. Baumann, NJW 1980, S. 1874.

§ 34 Rn. 7.

595 Marschner, R&P 1990, S. 168, der § 34 StGB ausschließlich als Leitlinie für die Interessenabwägung nutzbar machen möchte. 596 Ebenso § 18 MPG, der auf § 17 Abs. 1 bis 3 und somit auch auf § 17 Abs. 1 Nr. 3 MPG verweist. *

116

1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Dieses Ergebnis mag man mit guten Gründen kritisieren, für sachwidrig und verfassungsrechtlich bedenklich halten 597 . § 34 StGB ist allerdings kein Instrument, die Entscheidung des Gesetzgebers oder das Verwerfungsmonopol des BVerfG auf der Ebene des einfachen Rechts zu unterlaufen. Auch in den übrigen noch darzustellenden Bereichen, wie namentlich dem Seuchen- und Geschlechtskrankheitenrecht, sind abschließende Regelungen getroffen worden. Ein Rückgriff auf das Notstandsrecht scheidet daher aus.

b) Rechtfertigung

sonstiger Heilbehandlungen

Bei wörtlichem Verständnis könnte § 34 StGB eigenmächtige Heilbehandlungen außerhalb des Bereiches des hoheitlichen Handelns ohne weiteres rechtfertigen. Ist der Eingriff zur Abwendung von Lebensgefahr notwendig, so überwiegt das geschützte Rechtsgut Leben das beeinträchtigte Rechtsgut körperliche Unversehrtheit ohne weiteres. Auf eine Einwilligung des Betroffenen käme es zumindest bei dringend oder gar vital indizierten Eingriffen nicht mehr an. Diesem bedenklichen Ergebnis kann man mit unterschiedlichen Ansätzen entgegentreten. Zum einen liegt der zumindest untypische Fall vor, daß geschütztes und beeinträchtigtes Rechtsgut ein und denselben Träger haben. Mit guten Gründen wird daher vertreten, daß diese besondere Konstellation schon außerhalb des Anwendungsbereiches des § 34 StGB liege 598 . Will man § 34 StGB trotz der Interessenkollision beim Träger des Rechtsgutes anwenden, so wird man einen Vorrang des Willens des Betroffenen annehmen und eine Zwangsbehandlung auf der Grundlage des § 34 StGB grundsätzlich ausschließen müssen 599 . Dabei wird zu Recht die Erforderlichkeit der Notstandshandlung600 bzw. die Angemessenheit des Eingriffs verneint 601 . Die Notwendigkeit dieses Ausschlusses der Zwangsbehandlung ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Schon Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit mit dem Ziel, Leben oder Gesundheit Dritter zu schützen, stoßen schnell an die Grenzen, die den Notstandsbefugnissen gesetzt sind. Die zwangsweise Blutentnahme zur Erhaltung des Lebens eines Dritten ist nach der einhelligen Auffassung gemäß § 34 StGB nicht zu rechtfertigen 602. Das Selbstbestimmungsrecht erweist sich insofern zu Recht als notstandsfest. 597 Vgl. Deutsch Arztrecht, S. 375 f.; Rüping, NStZ 1983, S. 14. 598 SK-Samson, § 34 Rn. 2, 12 ff. 599 So Schönke / Schröder-Lenckner, § 34 Rn. 8a; die dort genannte Ausnahme des Suizids ist im Rahmen des § 323c StGB hinreichend behandelt und gelöst. 600 LK-Hirsch, § 34 Rn. 25. 601 Schönke / SchrödeT-Lenckner, § 34 Rn. 33. 602 Schönke / Schröder-Lenckner, § 34 Rn. 4le mwN. Würde man ein anderes Ergebnis vertreten, so wäre selbst die Zwangsspende von Knochenmark oder die Zwangsspende von

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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Was im Verhältnis zu den Rechtsgütern Dritter gilt, muß erst Recht im Falle der Interessenkollision bei demselben Träger von Rechtsgütern anerkannt werden. Individualrechtsgüter sind strafrechtlich gerade in Beziehung zum einzelnen geschützt 603 . Er allein kann durch Einverständnis und Einwilligung auf Rechtsgüter bzw. den strafrechtlichen Schutz derselben verzichten. Die Verzichtbarkeit aufgrund selbstbestimmter Entscheidung setzt die selbstbestimmte Innehabung denknotwendig voraus; wer das Recht hat auf Verzicht, muß notwendigerweise das Recht haben, nicht über das Recht zu verfügen. Aus diesem Grunde sind Unterscheidungen danach, ob die Einwilligung tatsächlich erteilt oder verweigert wird 6 0 4 , schon im Ansatz angreifbar. § 34 StGB rechtfertigt daher keine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Betroffenen. Ein Schutz des Trägers des Rechtsgutes vor den Konsequenzen selbstbestimmter Entscheidung ist, sieht man von dem bereits angesprochenen Sonderfall des Suizids ab, im Rahmen des Notstandsrechts schon einfachrechtlich ausgeschlossen.

I I I . Polizeirecht Läßt man die später zu behandelnden besonderen Bestimmungen des Seuchenrechts außer acht, so war eine Heilbehandlung gegen den Willen des Betroffenen auf der Grundlage des Polizeirechts bereits unter Geltung des ALR nicht möglich. Aus dem Jahre 1904 stammt ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswerter Aufsatz, in dem die „Grenzen der Polizeigewalt beim Schutze gegen sich selbst" wie folgt gezogen wurden. „Die Polizei darf daher, wie nicht hindern, daß sich jemand durch übermäßiges körperliches oder geistiges Arbeiten zugrunde richtet, so auch nicht verbieten, das verdorbene Wasser des Brunnens zu genießen, sich einen krankheitserregenden Stoff einzuimpfen .. . " 6 0 5 . Es bestehe der Grundsatz, „daß niemand gehindert werden kann, sich krank zu machen, noch jemand gezwungen werden kann, seinen Gesundheitszustand feststellen oder, nachdem er krank geworden, sich heilen zu lassen." 606 Damit ist im wesentlichen die heutige Rechtslage zutreffend wiedergegeben. Ein Zwangsbehandlungsrecht auf der Grundlage des allgemeinen Polizeirechts existiert nicht. Zur Begründung sei darauf verwiesen, daß die öffentliche Sicherheit als Schutzgut im Sinne des Polizeirechts nur dann betroffen ist, wenn auch ein öfpaarigen Organen wie der Niere auf der Grundlage des Notstandsrechts denkbar, vgl. Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 125, der insoweit eine „feste" Grenze für Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit vertritt. 603

Schönke / Schröder-Lenckner, § 34 Rn. 33. 604 So Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 128. 605 Schultzenstein, DJZ 1904, Spalte 86. 606 Schultzenstein, DJZ 1904, Spalten 133 f.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

fentliches Interesse am polizeilichen Schutz besteht. Bei reiner Selbstgefährdung wird dieses öffentliche Interesse im Regelfall fehlen 607 . Völlig anders wird der Sonderfall des polizeilichen Einschreitens zur Verhinderung des Selbstmordversuches beurteilt. In dem bereits erwähnten Aufsatz des Oberverwaltungsgerichtsrates Schultzenstein ist zu lesen: „Wer in tödlicher Absicht selbst Hand an sich legt, verstößt nicht nur gegen religiöse und sittliche Gebote, deren Beobachtung oder Verletzung die Polizei nichts angeht, sondern sucht sich auch den Pflichten zu entziehen, die er als Mensch und Staatsbürger [ . . . ] hat. Sein Vorhaben ist deshalb ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, zu deren Wahrung die Polizei nach dem ersten Teile des § 10 II 17 ALR berufen ist." 6 0 8 Wie richtig die Einordnung dieser historischen Auffassung als „nationalstaatliche Begründung" 609 ist, zeigen die weiteren Ausführungen Schultzensteins aus dem Jahre 1904. Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung bleibe es auch, wenn der Suizident „kein Preuße ist" oder seine staatsbürgerlichen Pflichten nicht erfüllt habe oder auch nicht erfüllen werde; „ . . . einen in Gegenwart und für alle Zukunft ganz unnützen Menschen gibt es in Wirklichkeit kaum." 6 1 0 Dieser Begründungsansatz wurde in der Nachkriegszeit naturgemäß aufgegeben. Der im Ansatz angelegte Widerspruch 611 zwischen polizeirechtlichem Einschreiten im öffentlichen Interesse und dem Schutz des Selbstmörders vor sich selbst blieb allerdings bestehen. Die Begründung des Rechts zum polizeilichen Einschreiten mit einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ist seitdem allerdings auf dem Rückzug. Die öffentliche Ordnung ist einerseits als Schutzgut in einer Reihe von Polizeigesetzen aufgegeben. Zudem ist eine deutliche Entwicklung weg von Begründungen mit dem Sittengesetz und hin zur eigentlichen Frage, ob und inwieweit Schutzpflichten gegenüber dem einzelnen bestehen612, festzustellen. Der mittlerweile wohl überwiegenden Ansicht entspricht die Einsicht, daß es gekünstelt ist, im Schutz des Einzelnen vor einer Lebensgefährdung auch den Schutz der Allgemeinheit zu sehen 613 . Ein Rückgriff auf die öffentliche Ordnung 614 mit der problematischen Erwägung, das Sittengesetz mißbillige den Suizid 615 , sei eine „Verkehrung der Werte" 616 . 607 608 609 610

Vgl. nur Tettinger, BesVerwR, Rn. 207. Schultzenstein, DJZ 1904, Spalte 85. Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung, S. 75 ff. Schultzenstein, DJZ 1904, Spalte 85.

611 Vgl. Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung, S. 74 ff. 612 Vgl. Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 25 ff. 613 Knemeyer, VVDStRL 35, S. 252. 614 So immer noch: BayObLG, NJW 1989, S. 1816, das allerdings öffentliche Ordnung mit verfassungsmäßiger Ordnung gleichzusetzen scheint. 615 Drews / Wacke / Vogel /Martens, 616 Götz, Polizeirecht, Rn. 100.

S. 230.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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Die Begründung, die auf dieser Grundlage für das Recht auf polizeiliches Einschreiten gegen Selbstmordversuche gegeben wird, konzentriert sich im wesentlichen auf drei Punkte. Zum einen sei zu berücksichtigen, daß eine globale Schutzpflicht für das Leben in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt ist 6 1 7 . Der eventuell entgegenstehende Wille des Selbstmörders sei unbeachtlich, weil dieser Wille nicht als frei gilt, da meist eine psychische Ausnahmesituation vorliege. Der verbleibende Prozentsatz wirklich frei Entscheidender könne von der Polizei im Normalfall wegen fehlender Zeit und Mittel nicht ausgesondert werden 618 . Schließlich sei zu bedenken, daß ein unbeteiligter Privater sich bei Untätigbleiben gemäß § 323c StGB strafbar machen könne 619 , wenn er den Suizid nicht verhindere. Letzteres ist in diesem Zusammenhang das schwächste Argument, da eine Gleichstellung polizeilicher Aufgaben und Eingriffsbefugnisse mit der jedermann treffenden Hilfeleistungspflicht nicht zulässig ist 6 2 0 . Zur Verhinderung des Suizides ist die Polizei gleichwohl in sämtlichen Ländern der Bundesrepublik berechtigt. Auf der Grundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Musterentwurf PolG enthalten die Polizeigesetze Ermächtigungen 621, um Personen zum Schutz gegen Gefahren für Leib und Leben in Gewahrsam zu nehmen. Der verbreitete Zusatz, daß Maßnahmen insbesondere bei Personen möglich seien, die sich erkennbar in einem Zustand befinden, der die freie Willensbestimmung ausschließt, läßt allerdings nicht den Schluß zu, daß nach dem Polizeirecht nur im Falle des Ausschlusses der freien Willensbestimmung ein Eingriff zugelassen werde 622 . Das Gegenteil ist richtig. Die Polizei kann unabhängig davon einschreiten, ob der Suizid als freiverantwortlich zu gelten hat. Wo die Ingewahrsamnahme des gescheiterten Selbstmörders erlaubt ist, sind natürlich auch die Maßnahmen zulässig, die es ermöglichen, der Person habhaft zu werden. Folglich erlaubt das geltende Polizeirecht eine wirksame Suizidhinderung allemal. Die Heilbehandlung, sei es auch nur die Notfalltherapie, ist davon allerdings nicht erfaßt. Diese wäre mit Ausnahme der Leistung erster Hilfe allerdings auch nicht Aufgabe der Polizeikräfte, sondern der im Rettungsdienst eingesetzten Fachkräfte. Die entsprechenden Rettungsdienstgesetze, soweit sie den Rettungsdienst 617 Tettinger, BesVerwR, Rn. 208 unter Hinweis auf BVerfGE 39, 1,42; 46, 160,164 f. 618 Knemeyer, VVDStRL 35, S. 254 f., vgl. auch BayVerfGH NJW 1989, S. 1791; Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung, S. 135. 619 Tettinger, BesVerwR, Rn 208 unter Hinweis auf BGHSt 6, 147. 620 Gusy, Polizeirecht, Rn. 91; Hein, Grenzen der Hilfeleistungspflicht, S. 120. 621 Z. B. § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG NW; in einigen Ländern wird der Selbstmordversuch ausdrücklich genannt, vgl. nur § 28 PolG BW; § 22 Sächs. PolG; § 15 PolG Bremen. 622 So aber Gusy, Polizeirecht, Rn. 90.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

überhaupt als hoheitliche Betätigung ausgestalten, enthalten keinerlei Eingriffsermächtigungen. Es bleibt daher nur der Rückgriff auf die allgemeinen Regeln der mutmaßlichen Einwilligung und die allgemeine Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB.

IV. Seuchenrecht Bietet das allgemeine Polizeirecht demnach keine Handhabe für Zwangsbehandlungen, so bestehen seit jeher seuchenrechtliche Vorschriften, die auch die Heilbehandlung gegen den Willen des Betroffenen ermöglichen. Erstaunlicherweise ist die Zwangsbehandlung allerdings nicht allgemein bei hochansteckenden gefährlichen Krankheiten, sondern nur im Sonderfall der Geschlechtskrankheit vorgesehen.

1. Geschlechtskrankheiten Schon vor Erlaß des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 18. 2. 1927 war es allgemeine Auffassung, daß aufgrund des allgemeinen Polizeirechts und der einschlägigen sanitätspolizeilichen Vorschriften insbesondere bei Prostituierten Geschlechtskrankheiten notfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwanges behandelt werden konnten 623 . § 2 der Verordnung zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 11. 12. 1918 624 bestimmte erstmals ausdrücklich, daß Geschlechtskranke einem Heilverfahren einschließlich der Unterbringung in einem Krankenhaus zwangsweise unterworfen werden können. Eine gewisse Einschränkung ergab sich daraus, daß nur solche Personen zwangsbehandelt werden konnten, „bei denen die Gefahr besteht, daß sie ihre Krankheit weiterverbreiten"; also vorrangig Prostituierte 625. Zudem durften Eingriffe, die mit „ernsterer Gefahr für Leben oder Gesundheit" verbunden waren, nur mit Einwilligung vorgenommen werden. Diese Verordnung sowie die parallel erlassene „Verordnung über Fürsorge für geschlechtskranke Heeresangehörige" 626 wurden durch das GeschlKrG von 1927 abgelöst. § 2 GeschlKrG 1927 begründete nach damaliger Auffassung eine „echte 623 Vgl. Schultzenstein, DJZ 1904, Spalte 132 f. unter Hinweis auf „§ 69 der durch die Kabinettsorder vom 8. August 1835 (GS. 120) bestätigten sanitätspolizeilichen Vorschriften", wonach die Möglichkeit bestand, daß die „Polizeibehörden, »liederliche und unvermögende Personen, von deren Leichtsinn die weitere Verbreitung des Uebels - nämlich der Syphilis zu befürchten [ . . . ] ist, in die Kur zu geben', also zwangsweise heilen zu lassen". 624 RGBl. S. 1431. 625 Hahn, S. 154. 626 Vom 17. 12. 1918, RGBl. I, S. 1433; Hintergrund dieser Bestimmung war die Furcht vor der Einschleppung der Syphilis aus den „Balkanländern", vgl. Hahn, S. 154.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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Rechtspflicht" 627 , sich im Falle einer Geschlechtskrankheit ärztlich behandeln zu lassen. Die Anwendung unmittelbaren Zwanges hing nach § 4 GeschlKrG nicht mehr von besonderen persönlichen bzw. beruflichen Risiken ab 6 2 8 . Die Einschränkung für gefährliche Eingriffe wurde jedoch übernommen. Als gesetzgeberischer Grund für die Behandlungspflicht wurden „weniger die gesundheitlichen Folgen für den an einer Geschlechtskrankheit Erkrankten, als die Folgen für die Nachkommenschaft und für Dritte" und damit die Ansteckungsgefahr genannt 629 . Eine Zwangsbehandlung sei schon deshalb geboten, weil allein die Enthaltsamkeit beim Geschlechtsverkehr Ansteckungen nicht verhindern könne, wie das Beispiel eines an Syphilis erkrankten Lebensmittelhändlers zeige, der schon durch Berühren der Ware zur Verbreitung der Krankheit betragen könne 630 Diese aus heutiger Sicht überraschend intensive Beschäftigung mit Geschlechtskrankheiten ist nur vor dem Hintergrund der tatsächlichen Verhältnisse erklärbar. Geschlechtskrankheiten und allen voran die Syphilis galten als Volksseuchen. Wirksame und sichere Behandlungsverfahren existierten kaum oder waren für breite Schichten nicht bezahlbar. Auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren Geschlechtskrankheiten ein offensichtlich brennendes Problem. Die Länder verabschiedeten recht bald nach ihrer Gründung eigene Vorschriften 631, die 1953 vom Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 632 (GeschlKrG) abgelöst wurden. Auch in den 50er Jahren wurde „die mit den Geschlechtskrankheiten verbundene Gefährdung der allgemeinen Volksgesundheit" als so groß angesehen, daß das OVG Lüneburg in einer der wenigen Entscheidungen zur Zwangsbehandlung Geschlechtskranker entschied, daß die Weigerung des Betroffenen, sich ärztlich behandeln zu lassen, dahinter zurücktreten müsse 633 . Die in den historischen Vorläufern enthaltene Ermächtigung zur Heilbehandlung gegen den Willen des Betroffenen wurde in das GeschlKrG übernommen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 GeschlkrG). Den Regelungen des GeschlKrG von 1927 634 entsprechend sind gemäß § 17 Abs. 2 GeschlKrG Eingriffe dann nur mit Einwilligung des Betroffenen zulässig, wenn sie mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind. Eine gesetzliche Vermutung 635 für das Vorliegen 627 628 629 630

Hellwig, § 2 Anm. 2, S. 41. Vgl. Paech/Trembur, S. 13, 16 f.; Hahn, S. 155. Hellwig, § 1 Anm. 3, S. 38. Hahn, S. 156.

631 Baden-Württemberg 1946, Bremen 1948, Hessen 1946, Niedersachsen 1949; Rheinland-Pfalz 1947; die anderen Länder ergänzten das Gesetz von 1927 im Verordnungswege. 632 Vom 23. 7. 1953, BGBl. I S. 700; zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. 12. 1997 (BGBl. IS. 3158). 633 OVG Lüneburg, OVGE 5,451,452. 634 Vgl. dazu Paech/Trembur,

S. 16.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

einer derartigen Gefahr wurde im Verordnungswege für die Entnahme von Rükkenmark und Gehirnflüssigkeit, bei Salvarsanbehandlungen, Heilfieberbehandlungen und solchen Eingriffen, die mit einer allgemeinen Betäubung verbunden sind, begründet. 636 Daß eine derartige Verordnung im Regelfall keinen abschließenden Charakter haben kann, ist bereits an anderer Stelle dargelegt worden 637 .

2. Bundes-Seuchengesetz Der Bekämpfung allgemeiner Seuchen dienten neben besonderen Vorschriften über die Impfung 638 insbesondere das „Gesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten" vom 30. 6.1900 6 3 9 sowie das Preußische Seuchengesetz vom 28. 8. 1905. Als mögliche Zwangsmaßnahmen sahen §§12 und 14 des Seuchengesetzes von 1900 ebenso wie die in Preußen geltenden Vorschriften lediglich „Absperrungsund Aufsichtsmaßregeln" vor. Eine Berechtigung, jemanden zwangsweise zu heilen, bestand nicht 6 4 0 . Das 1961 erlassene „Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen" 641 (BSeuchG) hielt an diesem Grundsatz fest. Vorgesehen ist ein Bündel von Maßnahmen, die von der derzeit nicht aktuellen Pflichtimpfung (vgl. § 14 Abs. 1 BSeuchG), der Möglichkeit der Untersuchung (§§ 10 Abs. 3, 32 Abs. 2 BSeuchG) bis hin zur Absonderung (§ 37 Abs. 1 und Abs. 2 BSeuchG) reichen 642 . Selbstverständlich erschien der Verzicht auf die Zwangsbehandlung jedoch nicht. Baumann 643 führt 1968 dazu aus, daß ein Verzicht auf die Heilbehandlung wohl kaum zu einer Absonderung auf Lebenszeit führen könne. Auch wenn § 37 BSeuchG einen Behandlungszwang nicht ausdrücklich vorsehe, so sei dieser Vorschrift doch zumindest ein solcher zu entnehmen. Vor diesem Hintergrund entschied sich der Gesetzgeber dafür, möglichen Fehlinterpretationen vorzubeugen, die auf Grundlage der neu geschaffenen General635

Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 192. Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 5. 7. 1955 (BGBl. III 2126). 657 S.o. A II 3.; Β III 3 b) dd). 636

™ Ζ. B. Impfgesetz vom 8. 4. 1874; dazu ausführlich Paech/Trembur, 659 RGBl. IS. 306. 640 Schultzenstein, DJZ 1904, Spalten 133 f.

S. 19.

641 I.d.F. vom 18. 12. 1979, BGBl. I 2262, zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. 8. 1996, BGBl. I S. 1254. 642 Einen Uberblick über die Instrumente des Seuchenrechts geben: Seewald, NJW 1987, S. 2265 ff. sowie die Kommentierung von Schumacher/Meyn. 643 Unterbringungsrecht, S. 146.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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klausel des § 34 Abs. 1 S. 1 BSeuchG 644 zu erwarten waren. § 34 Abs. 1 S. 3 BSeuchG bestimmt nun ausdrücklich, daß eine Heilbehandlung auch nicht während der Absonderung angeordnet werden kann. Ausweislich der amtlichen Begründung sollten damit nicht nur mögliche Zweifel ausgeräumt werden. Dieser Verzicht beruhe darauf, daß ein Zwangsbehandlungsrecht generell entbehrlich sei, da die bisherigen Erfahrungen einen so weitgehenden Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit selbst im Falle der Absonderung als nicht gerechtfertigt erscheinen ließen 645 .

3. Gründe für die Ungleichbehandlung Die Frage, warum Geschlechtskranke gegen ihren Willen behandelt werden dürfen, man der Verbreitung hochinfektiöser Erkrankungen, die in den Anwendungsbereich des BSeuchG fallen, jedoch allenfalls mit der Absonderung als dem einschneidensten Eingriff begegnet, drängt sich auf, wenngleich die praktischen Auswirkungen der Ungleichbehandlung gering sind. Zwangsbehandlungen nach dem GeschlKrG werden praktisch nicht durchgeführt; die Wirkung des § 17 GeschlKrG dürfte sich damit in der Androhung der Möglichkeit einer Zwangsbehandlung erschöpfen. Eine Zwangsbehandlung nach dem BSeuchG - unterstellt sie wäre gesetzlich vorgesehen - dürfte wohl ebenso selten relevant werden, da zumindest unter dem Eindruck der Absonderung die große Mehrzahl der Betroffenen mit einer medizinischen Behandlung einverstanden sein würde. Der Verzicht auf Zwangsheilungen nach dem BSeuchG wird mit einer konsequenten Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erklärt. Mit der Absonderung sei der Schutzzweck des Gesetzes, die Vermeidung der Weiterverbreitung der Krankheit, bereits erreicht 646 . Den gleichen Zweck erfüllt allerdings auch das GeschlKrG. Dort sei auch nicht die Fürsorge für den Kranken Ziel des Gesetzes, sondern die Abwehr von Gefahren für Dritte 6 4 7 . Warum man in letzterem Fall annimmt, dieses Ziel werde am besten durch die Heilbehandlung gewährleistet 648, ist nicht restlos aufzuklären. Vertretbar erscheint die Auffassung, daß die Übertragung von Geschlechtskrankheiten auf einem Wege vor sich gehe, der nicht zu überwachen sei. Eine Zwangsbehandlung, die im Regelfall mittels einmaliger Verabreichung von Antibiotika erreicht ist, stelle einen relativ geringfügigen Eingriff dar, der als ultima ratio ange644 4. ÄndG vom 18. 12. 1979, BGBl. IS. 2248. 645 BT-Drs. 8/2468, S. 28; auch abgedruckt bei Schumacher/Meyn, S. 102. 646 Schumacher /Meyn, § 35 BSeuchG, S. 105. 647 Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 77. 648 Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 77.

§ 35 BSeuchG,

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

messen sei 6 4 9 . Bei einigen Infektionskrankheiten, die unter den Anwendungsbereich des BSeuchG fallen, seien dagegen nur die Symptome zu behandeln, nicht aber die Krankheitsursache; andere Erkrankungen sollen auch ohne Behandlung nach gewisser Zeit wieder abklingen 650 . Der Schutz der Allgemeinheit rechtfertige daher keine Zwangsbehandlung651. Ob dieser Unterschied durchgängig für alle Krankheiten, auf die das GeschlKrG bzw. das BSeuchG anwendbar sind, zutrifft, läßt sich an dieser Stelle nicht aufarbeiten. Möglicherweise hängt die Ungleichbehandlung aber tatsächlich damit zusammen, daß Geschlechtskrankheiten zumindest in frühem Stadium regelmäßig keinen Krankenhausaufenthalt erforderlich machen, wohingegen die Infektionskrankheiten, die eine Absonderung nach § 37 BSeuchG rechtfertigen können, ohnehin zur Bettlägerigkeit des Erkrankten führen. Damit würde die Absonderung nur die Bedingungen des Krankenaufenthaltes bestimmen, eine ohnehin gegebene Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit verstärken. Bei Geschlechtskrankheiten dürfte eine Absonderung ausscheiden, weil die Freiheit wegen einer Erkrankung entzogen würde, die ambulant behandelt werden könnte. Erweist sich diese Vermutung als unrichtig, so bleiben nur die aufgezeigten historischen Gründe, die eine Ungleichbehandlung heute jedoch nicht mehr rechtfertigen könnten. Daß Geschlechtskrankheiten von Natur aus eher zur Verbreitung geeignet sind, ist jedenfalls unwahrscheinlich, da sie weder in höherem Maße infektiös sind als die Erkrankungen nach dem BSeuchG noch die Art der Verbreitung eine Kontrolle erschwert. Wer an einer Infektionskrankheit nach dem BSeuchG erkrankt ist und trotzdem Geschlechtsverkehr hat, wird sein Gegenüber im Regelfall einem genauso großen Ansteckungsrisiko aussetzen wie ein Geschlechtskranker. Die Einschätzung, daß Personen, die sich mit einer Geschlechtskrankheit infiziert haben, eher zu Promiskuität neigen und daher eine potentiell größeres Ansteckungsgefahr mit sich bringen, dürfte jedenfalls nicht ernsthaft vertretbar sein.

V. Weitere Formen mittelbaren Behandlungszwangs Mit dem BSeuchG ist zugleich ein wichtiger Anwendungsfall mittelbaren Behandlungszwanges dargestellt. Der Betroffene wird sich nicht notwendigerweise freiwillig für eine Heilbehandlung entscheiden, um die Absonderung abzuwenden oder zu verkürzen. Derartige mittelbare Zwänge, sich einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung zu unterziehen, bestehen in einer Vielzahl von Rechtsgebieten. Ohne An649 M. Huber, Rechtsstellung und Rechtswirklichkeit, S. 27. 650 Hübener, NJW 1981, S. 621. 651 Hübener, NJW 1981, S. 621.

C. Weitere Rechtsgrundlagen

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spruch auf Vollständigkeit erheben zu können, seien einige typische Problemfelder aufgezeigt.

1. Sozialrecht § 63 SGB I ist das praktisch wichtigste Beispiel einer sogenannten versorgungsrechtlich indizierten Zwangsheilung. Wer wegen einer Krankheit oder Behinderung Sozialleistungen bezieht, muß sich nach dieser Vorschrift einer Heilbehandlung unterziehen, wenn sie der Verbesserung des Gesundheitszustandes oder der Vermeidung der Verschlechterung dient. Wird die Behandlung ohne Grund verweigert, so kann gemäß § 66 Abs. 2 SGB I die Sozialleistung ganz oder teilweise versagt bzw. entzogen werden. Allerdings stellt § 65 SGB I vergleichsweise hohe Hürden für das Verlangen des Sozialleistungsträgers an den Leistungsempfänger auf, sich einer Behandlung zu unterziehen. Die Verhältnismäßigkeit ist selbstverständlich zu wahren und wichtige Gründe in der Person des Betroffenen können zur Unzumutbarkeit einer Behandlung führen (§ 65 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB I). Darüber hinaus muß ein mit dem Eingriff verbundener Schaden für Leben und Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein; erhebliche Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sind ebenso ausgeschlossen wie Eingriffe, die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind (§ 65 Abs. 2 Nr. 1 - 3 SGB I). Praktische Bedeutung werden diese Bestimmungen also allenfalls bei kleineren Operationen oder bei der Frage, ob eine vom Sozialleistungsträger finanzierte Heilbehandlung wegen mangelnder Mitwirkung des Patienten abgebrochen werden kann, erlangen. 652 Den dauerhaften Entzug der Sozialhilfe und damit jeglicher Unterstützung vermag die Verweigerung einer medizinisch zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit gebotenen Heilbehandlung kaum nach sich ziehen. Die §§ 60 ff. SGB I gelten zwar für alle Sozialleistungen und damit auch für die Sozialhilfe. Daneben enthält das BSHG in § 25 I die Verpflichtung, durch Erwerbstätigkeit ein eigenes Einkommen zu erzielen. Die Weigerung, eine Heilbehandlung zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit vorzunehmen, kann daher im Rahmen des § 25 I BSHG durchaus zu Leistungskürzungen führen 653 . Wo eine Kürzung den Willen zur Durchführung der Heilbehandlung allerdings nicht herbeiführen kann, muß Hilfe zum Lebensunterhalt dennoch gewährt werden 654 . 652 Rüfner, VSSR 5, S. 356. 653 Knopp/Fichtner, § 25 Rn. 2; vgl. auch VGH Bad.-Württ., FEVS 23, S. 117; BVerwGE 29, 99 speziell zu seelischen Fehlhaltungen; dazu auch Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 25 Rn. 12. 654 Knopp/Fichtner, § 25 Rn. 3; gegen den Entzug jeglicher Unterstützung schon Hahn, S. 135 f. im Jahre 1928.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

2. Wehrrecht Ein Wandel von Behandlungen unter unmittelbarem Zwang zur mittelbaren Zwangsbehandlung ist im Wehrrecht feststellbar. In den 20er Jahren diese Jahrhunderts konnte noch eine herrschende Auffassung angeführt werden, nach der ein Befehl zur Duldung einer leichten Operation zulässig und zu befolgen sei 6 5 5 . Eine Ausnahme war nur für erhebliche, also in besonderer Weise gefährliche Eingriffe anerkannt 656. Selbst diese Einschränkung wurde im Vorfeld des zweiten Weltkrieges aufgegeben. Als Folge „des bedingungslosen Einsatzes seiner Person für Volk und Vaterland bis zur Opferung seines Lebens" 657 sei der Soldat unbedingt verpflichtet, sich medizinisch notwendigen Operationen zu unterziehen. Zulässig sei auch die Anwendung unmittelbaren Zwanges 658 . Unter Geltung des Soldatengesetzes ist eine unmittelbare Zwangsheilung von Berufssoldaten oder Wehrpflichtigen nicht mehr zulässig. § 17 IV S. 3 SoldG verpflichtet lediglich, die zum Schutz anderer vor übertragbaren Krankheiten notwendigen Heilmaßnahmen zu dulden. Im Ergebnis ist damit abgesehen von der Schutzimpfung kein ärztlicher Eingriff unmittelbar erzwingbar 659 . Eine Duldungspflicht bei Heilmaßnahmen besteht folglich in keinem größeren Umfang als außerhalb des Soldatenverhältnisses660. Rechtsfolge der Verweigerung einer zumutbaren Behandlung ist der Entzug von Versorgungsbezügen (§ 17 IV S. 5 SoldG). Auch im Wehrrecht besteht somit keine unmittelbar vollstreckbare Pflicht, ärztliche Eingriffe zü dulden, sondern lediglich die Möglichkeit einer „versorgungsrechtlich indizierten Zwangsheilung" 661 .

3. Weitere Beispiele Nur am Rande kann auf weitere Erscheinungsformen mittelbarer Behandlungszwänge hingewiesen werden. Soweit die Psychisch-Kranken- bzw. Unterbringungsgesetze eine vorläufige Entlassung unter Auflagen vorsehen, kann die Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung zur Pflicht gemacht werden 662 . Diese Pflicht ist nicht mit Mitteln des un655 656 657 658

Hahn, S. 86, 100. Hahn, S. 88, 97. Paech/Trembur, Paech/Trembur,

S. 64 f. S. 64.

659 Lingens, Gesundheit im Wehrdienstverhältnis, S. 99; Hermsdörfer, NZWehrR 1997, S. 183. 660 Scherer/Alff, § 17 Rn. 56; Untersuchungen sind dagegen in größerem Umfange zulässig; die Regelungen gehen teilweise über die des BSeuchG hinaus, vgl. Lingens, Gesundheit im Wehrdienstverhältnis, S. 100; Hermsdörfer, NZWehrR 1997, S. 183. 661 Auch Scherer/Alff,

§ 17 Rn. 57.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

127

mittelbaren Zwanges vollstreckbar. Ihre Verletzung kann aber zur erneuten Unterbringung führen. Einem ähnlichen Schema folgt § 35 Abs. 1 BtMG. Dort ist vorgesehen, die Strafvollstreckung zurückzustellen, wenn sich der Täter einer Therapie unterzieht. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Pflicht des Beamten anerkannt ist, sich zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit einer Operation zu unterziehen 663 . Im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis kann die mangelnde Bereitschaft, die Arbeitsfähigkeit durch zumutbare Behandlungen wiederherstellen zu lassen, naturgemäß zur Kündigung führen. Darüber hinaus folgt aus der allgemeinen zivilrechtlichen Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB, daß der Geschädigte die Pflicht hat, sich zumutbaren Behandlungen zu unterziehen, um die Folgen einer Schädigung auszugleichen oder zu vermindern 664 . Eine mittelbare Pflicht zur Wiederherstellung der Gesundheit läßt sich auch § 231a StPO entnehmen, der die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten ermöglicht, wenn dieser die Verhandlungsunfähigkeit schuldhaft herbeigeführt hat oder die Wiederherstellung der Verhandlungsfähigkeit unterläßt 665 .

D. Betreuungsrechtliches Konzept Während die bisher beschriebenen Zwangsbehandlungsbefugnisse aus dem besonderen Verwaltungsrecht, Strafvollzugsrecht und materiellen Strafrecht stammen, also im weiteren Sinne öffentlich-rechtlichen Einschlag haben, ist die Darstellung der Rechtsgrundlagen nunmehr mit der zivilrechtlich geprägten Betreuung zu komplettieren. Was dem Fundort nach reines Zivilrecht zu sein scheint, weist bei näherer Betrachtung allerdings nicht nur eine Reihe von Parallelen zu den bisher dargestellten Rechtsgrundlagen auf, sondern stellt im Kern die Erfüllung einer hoheitlichen Aufgabe dar.

I . Einführung Mit dem Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige vom 12. 9. 1990 666 wurden Entmündigung und Gebrechlichkeitspflegschaft für Volljährige mit Wirkung zum 1.1. 1992 durch das Rechtsinstitut der Betreuung abgelöst. 662 z. B. § 30 Abs. 1 S. 2 PsychKG NW. 663 OVG NW, NJW 1990, S. 2950 f. 664 Vgl. nur Palandt-Heinrichs, § 254 Rn. 35. 665 Dazu BVerfGE 89, 120. 666 BGBl. I, S. 2002.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Die wesentlichen Ziele der Reform lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das starre „Entweder - Oder" der bisherigen Entmündigung wurde durch die flexible, den Umständen des Einzelfalls und den verbleibenden Fähigkeiten des Betreuten gerecht werdende Bestellung eines Betreuers für bestimmte Aufgabenkreise abgelöst. Die Eigenkompetenz des Betreuten soll soweit wie möglich erhalten bleiben und ein Entzug von Rechten nur insoweit erfolgen, wie es erforderlich erscheint 667. Neben der bisher im Vordergrund stehenden Vermögenssorge bekommt die Fürsorge in persönlichen Angelegenheiten ein deutlich höheres Gewicht 6 6 8 .

1. Bestellung des Betreuers Gemäß § 1896 Abs. 1 BGB kann einem Volljährigen, der auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, durch das Gericht ein Betreuer bestellt werden. Die Begriffe psychische Krankheit sowie seelische und geistige Behinderung sind bereits im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung erläutert worden 6 6 9 . Wesentliche Unterschiede ergeben sich nicht, so daß auch im Rahmen des Betreuungsrechts insbesondere die endogenen und exogenen Psychosen, Suchterkrankungen und Neurosen bzw. Persönlichkeitsstörungen, soweit ihnen Krankheitswert zukommt 670 , als psychische Krankheiten anzusehen sind 671 . Als geistige Behinderungen stehen auch im Rahmen des Betreuungsrechts die frühzeitig erworbenen bzw. angeborenen Intelligenzdefekte bzw. -minderungen im Vordergrund 672. Der etwas vage Begriff der seelischen Behinderung, dem bei weitem Verständnis der psychischen Krankheit kaum ein eigenständiger Anwendungsbereich verbleiben dürfte, soll ausweislich der amtlichen Begründung die bleibenden psychischen Beeinträchtigungen als Folge von psychischen Krankheiten erfassen 673. Mit der Wahl des Begriffes sollte vermutlich zum Ausdruck gebracht werden, daß auch nicht bzw. nicht mehr therapierbare Formen psychischer Krankheit Grund für eine Betreuung sein können. 667 Zum Ganzen Taupitz, JuS 1992, S. 9; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 15. 668 Taupitz, JuS 1992, S. 10; A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 1; vgl. §§ 1904 ff. 669 s. ο. Α. I I 1. a). 670 Speziell zu Suchterkrankungen vgl. BayObLG vom 22. 7. 1993, MedR 1994, S. 33. 671 Vgl. Bienwald, § 1896 Rn. 54; MünchKomm-Schwab, § 1896 Rn. 8 ff.; auch BT-Drs. 11/4528, S. 116. 672 Vgl. Bienwald, § 1896 Rn. 55; MünchKomm-Sc/m^, § 1896 Rn. 14.; auch BT-Drs. 11/4528, S. 116. 673 BT-Drs. 11/4528, S. 116; entstehungsgeschichtlich dürfte die Verwendung dieses Begriffes auf Anlehnungen an das Sozialrecht zurückzuführen sein, vgl. dazu Jürgens, BetreuungsR, § 1896 Rn. 5.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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Keine Entsprechung in den vorhergehenden Abschnitten findet die Einbeziehung der körperlichen Behinderung in den Katalog des § 1896 Abs. 1 BGB. Der Gesetzgeber wollte damit ein eigenes Rechtsinstitut für körperlich Behinderte vermeiden. Da die Regelungen des Betreuungsrechts hinreichend flexibel ausgestaltet waren, hielt man es für möglich, daß auch für diesen Personenkreis angemessene Ergebnisse erreichbar waren 674 . Da das Vorliegen einer körperlichen Behinderung natürlich keine Rückschlüsse auf die geistige Fähigkeit erlaubt, selbstbestimmt am Rechtsverkehr teilzunehmen, kommt eine Betreuung in diesen Fällen allenfalls als ergänzende, freiwillige 675 Hilfe in Betracht. § 1896 Abs. 1 S. 3 BGB bestimmt daher, daß bei einem körperlich Behinderten, der in der Lage ist zu kommunizieren, die Anordnung einer Zwangsbetreuung von vornherein auszuscheiden hat. Auch gebietet der in § 1896 Abs. 2 BGB verankerte Grundsatz der Erforderlichkeit, den Aufgabenbereich des Betreuers insbesondere bei körperlich Behinderten eng zu begrenzen. Eine Bestellung eines Betreuers für alle Angelegenheiten, die in § 1896 Abs. 4 BGB genannten Bereiche oder auch für die Einwilligung in eine Heilbehandlung wird schon ausweislich der amtlichen Begründung regelmäßig nicht erforderlich sein 676 . Für den Gegenstand der Untersuchung ist die Bestellung eines Betreuers wegen einer körperlichen Behinderung daher nicht weiterzuverfolgen. Bei multiplen Behinderungen ergeben sich demgegenüber keine Besonderheiten, da in derartigen Fällen nicht die körperliche Behinderung den eigentlichen Grund für die Betreuung darstellt und regelmäßig das Merkmal der seelischen oder geistigen Behinderung erfüllt ist. Bereits bei der Bestellung des Betreuers und der Festlegung des Aufgabenbereiches spielt der Erforderlichkeitsgrundsatz ein entscheidende Rolle. Eingriffe in Rechte des Betroffenen sind nur soweit und solange zulässig, wie dies erforderlich ist. Dem Betreuer wird nur der Aufgabenkreis zugewiesen, in dem der Betroffene der Unterstützung bedarf (§ 1896 Abs. 2 BGB). Bei der Auswahl eines geeigneten Betreuers ist auf Wünsche, sowohl auf die positive als auch die negative Auswahl hinsichtlich einer Person, weitgehend Rücksicht zu nehmen (§ 1897 Abs. 4 BGB). Schließlich ist die Anordnung einer Betreuung subsidiär. Das bedeutet, daß private oder öffentliche Hilfen vorrangig sind. Ebensowenig kann eine Betreuung eingerichtet werden, wenn der Betroffene rechtzeitig eine sog. Altersvorsorge-Vollmacht erteilt hat 6 7 7 .

674 Bienwald, § 1896 Rn. 28. 675 Jürgens, BetreuungsR, § 1896 Rn. 7. 676 BT-Drs. 11/4528, S. 117; vgl. Bienwald, § 1896 Rn. 28. 677 Zur Möglichkeit der Bestellung eines sog. Kontrollbetreuers für diese Fälle vgl. § 1896 Abs. 3 BGB. 9 Heide

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Die Bestellung eines Betreuers hat wie bisher bei der Gebrechlichkeitspflegschaft 678 grundsätzlich keine Auswirkungen auf die rechtliche Handlungsfähigkeit des Betreuten im Außen Verhältnis. Er kann also, soweit es ihm an der notwendigen Einsichtsfähigkeit nicht mangelt, weiterhin wirksame Rechtshandlungen vornehmen. Nur in Ausnahmefällen ist gemäß § 1903 BGB ein Einwilligungsvorbehalt anzuordnen, der die Wirksamkeit von Rechtshandlungen von der Einwilligung des Betreuers abhängig macht. Allerdings ist der Betreuer gemäß § 1902 BGB gesetzlicher Vertreter des Betreuten. Er kann also ebenfalls in dem ihm übertragenen Aufgabenkreis wirksam Rechtsgeschäfte für den Betreuten abschließen. Im Bereich dieser Doppelzuständigkeit kann es naturgemäß zu widersprechenden Erklärungen kommen. Diese Doppelverpflichtungen werden von der h.L. nach dem Prioritätsprinzip gelöst 679 .

2. Das betreuungsrechtliche Innenverhältnis a) Rechtsnatur Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Konstellationen tritt für den betroffenen psychisch Kranken oder Behinderten im vom Gesetz vorgesehenen Normalfall nun ein privater Dritter auf; der Betreuer. Das sollte allerdings insbesondere im Hinblick auf die Grundrechtsbindung nicht zu dem Schluß verleiten, im Betreuungsrecht sei das Verhältnis des Betreuten zum Betreuer rein privatrechtlicher Natur und daher nur eingeschränkt grundrechtlicher Bindung unterworfen. Die Ausübung der Betreuerstellung im Innenverhältnis ist staatliche Fürsorge und auch eine öffentliche Aufgabe, deren Erfüllung unter Aufsicht und Mitwirkung des Staates, aber unter Zuhilfenahme von Privaten mit zivilrechtlichen Instrumenten erfolgt 680 . Den Betreuer kann man im Verhältnis zum Betreuten mit einem Beliehenen 681 vergleichen, zumindest aber wird man den Akt der Betreuerbestellung dem Staat als „wirkungsmächtigste Ursache" für Eingriffe in Rechte des Betreuers zurechnen müssen.682 Zur alten Rechtslage hat das BVerfG 683 recht früh dargelegt, daß das Vormundschaftsrecht von jeher stark öffentlich-rechtlichen Einschlag gehabt habe 684 . Seit Jahrhunderten sei die Vormundschaft Teil der öffentlichen Fürsorge, auch wenn sie 678 Bienwald, § 1902 Rn. 11. 679 Ermaim-Holzhauer, § 1902 Rn. 16; Taupitz, JuS 1992, S. 11 f.; MünchKomm-Schwab, § 1902 Rn. 17. 680 K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 19. 681 Pardey, S. 132. 682 Vgl. Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 83 unter Hinweis auf BVerfGE 66, 39, 63. 683 BVerfGE 10, 302. 684 BVerfGE 10, 302, 311.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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sich zur Ausübung der Fürsorge einer Privatperson bediene.685 Der Staat könne sich aber von der Grundrechtsbindung nicht dadurch befreien, daß er einem Privatmann eine öffentliche Aufgabe übertrage „und ihm die Entscheidung über den Einsatz staatlicher Machtmittel überläßt" 686 . Die Ausübung der Befugnisse des Betreuers ist daher im Innenverhältnis die Ausübung hoheitlicher Gewalt, die in vollem Umfange der Grundrechtsbindung unterliegt 687 .

b) § 1901 BGB

Die Grundlagen der inhaltlichen Ausgestaltung des Betreuungsverhältnisses finden sich in § 1901 BGB. Das Wohl des Betreuten ist wie bereits bei der Vormundschaft Leitlinie jeglichen Handelns des Betreuers (§ 1901 Abs. 2 S. 1 BGB 6 8 8 ). Zum Wohl gehört auch die Berücksichtigung der Wünsche des Betreuten und die Erhaltung seiner Eigenständigkeit (vgl. § 1901 Abs. 2 S. 1 BGB). Nach § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB wird der Betreuer nunmehr verpflichtet, den Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit diese dem Wohl des Betreuten nicht entgegenstehen oder die Befolgung dieser Wünsche für den Betreuer nicht zumutbar ist. § 1901 Abs. 3 S. 3 BGB legt darüber hinaus die Pflicht des Betreuers fest, wichtige Angelegenheiten mit dem Betreuten zu besprechen. Praktische Bedeutung erlangt die Regelung des § 1901 BGB im Rahmen der Beurteilung von Maßnahmen gegen den Betreuer gemäß § 1837 BGB. Sie gibt ein Prüfungsraster für das Vormundschaftsgericht vor 689 und bestimmt die wesentlichen Eckpunkte des erforderlichen Abwägungsvorgangs, läßt aber gleichzeitig viele Einzelfragen offen, die Rechtsprechung und Literatur in der Zukunft beschäftigen dürften. Das Kernproblem, daß im Rahmen des § 1901 BGB zu lösen sein wird, ist die Abwägung von Fürsorge und Selbstbestimmung. Zu Recht wird dabei § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB eine Schlüsselfunktion zuerkannt 690. Die Wünsche des Betreuten sind nach dieser Vorschrift bindend, soweit sie nicht seinem eigenen Wohl zuwiderlaufen 691.

685 BVerfGE 10, 302, 324. 686 BVerfGE 10, 302, 327. 687 Vgl. Kokott, Beweislastverteilung und Prognosemaßstab, S. 188. 688 Vor dem BtÄndG vom 25. 6. 1998 Absatz 1, entsprechendes gilt für Abs. 2 - 4 der alten Fassung. 689 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 22. 690 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 22. 691 Der ebenfalls in § 1902 Abs. 2 BGB genannten Zumutbarkeit für den Betreuer kommt in diesem Zusammenhang keine eigenständige Bedeutung zu. Dieses eher systemfremde Kriterium ist wohl eher als Begrenzung des Leistungsanspruchs gegen den Betreuer zu verstehen, ausführlich dazu Pardey, S. 132 f. *

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Schon der Begriff Wunsch gibt Anlaß zu Erläuterungen. Einigkeit dürfte darüber bestehen, daß Wunsch i. S. d. § 1901 Abs. 3 S. 1 BGB nicht mit Willenserklärung gleichzusetzen ist 6 9 2 . Wunsch ist in diesem Zusammenhang der weitere Begriff oder anders ausgedrückt „ein rechtsgeschäftlich unbeachtliches, betreuungsrechtlich jedoch bedeutsames Minus zur Willenserklärung" 693 . Geschäftsfähigkeit im Sinne des Bürgerlichen Rechts ist daher nicht Voraussetzung für die Beachtlichkeit eines Wunsches. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch gerade im medizinischen Grenzbereich bei der Abgrenzung zu eher unwillkürlichen Reaktionen. A. Frost schließt vom allgemeinen Sprachverständnis darauf, daß auch Wünsche willensgesteuerte Äußerungen seien müssen694. Unbewußte Verhaltensweisen oder Abwehrreaktionen, welche durch unmittelbaren Zwang hervorgerufen werden, seien wegen der fehlenden Willenssteuerung keine Wünsche i. S. d. genannten Vorschrift 695 . Mit dem vorgenannten Versuch einer Definition ist allerdings allenfalls ein Kriterium, nicht aber die Lösung des Problems gewonnen. Schon die Abgrenzung der unbewußten von der bewußten, willensgetragenen Äußerung dürfte in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen. Auf den im Zusammenhang mit dem strafrechtlichen Handlungsbegriff* 596 deutlich werdenden Grenzbereich sei nur hingewiesen. Insbesondere im Rahmen des Betreuungsrechts, in dem nicht selten hochgradig altersdemente oder unter tiefgreifenden Störungen des Bewußtseins leidende Personen betroffen sind, stellt sich dieses Problem in bedeutendem Ausmaß. Der Ausschluß von Abwehrreaktionen vermag zudem nicht völlig zu überzeugen. Mag man auch Reflexe, die sich eher physisch erklären lassen, für unbeachtlich erklären, so sind Abwehrreaktionen nicht notwendigerweise unwillkürlich, sondern möglicherweise Ausdruck eines ganz elementaren Willens, der sich nicht notwendigerweise verbalisieren muß. Im Spannungsverhältnis von Selbstbestimmung und Fürsorge ist daher eine wertende Betrachtung anzustellen, bei der Art und Ursprung des Wunsches als ein erstes Kriterium gelten können. Gleiches gilt für das Wohl des Betreuten, dem in § 1903 Abs. 2 S. 2 BGB der Vorrang vor den Wünschen eingeräumt wird. Bestimmt man das Wohl des Betreuten rein objektiv, also nach dem Maßstab eines durchschnittlichen, vernünftig denkenden und handelnden Dritten, so sind Wünsche des Betreuten stets unbeachtlich, sobald sie sich nicht nur unerheblich vom so ermittelten Wohl unterscheiden. Gegen ein auf diese Weise rein objektiv bestimmtes Wohl spricht allerdings schon § 1901 Abs. 2 S. 2 BGB, nach dem die Selbstbestimmung Bestandteil des Wohls des Betreuten ist 6 9 7 . Schon vom Wortlaut her ist somit eine „objektiv personali692 Bienwald, § 1901 Rn. 31; auch BT-Drs. 11/4528, S. 133, 53. 693 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 27. 694 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 25. 695 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 26. 696 Vgl. Schönke/ Schröder-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 38 ff. 697 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 31.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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sierte" 698 Bestimmung des Betreutenwohls unausweichlich. Gleichwohl ist auch mit diesem Begriff allenfalls eine Annäherung an die Lösung der sich im Einzelfall ergebenden Probleme erreicht. Die Ausübung des Betreueramtes ist grundrechtsgebundene Ausübung staatlicher Gewalt und muß sich folglich uneingeschränkt am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientieren, das im Betreuungsrecht als Erforderlichkeitsgrundsatz besondere Ausprägung gefunden hat. Fürsorgliche Fremdbestimmung ist daher nur insoweit zulässig, wie sie zur Erreichung des in § 1901 Abs. 2 BGB gesetzlich festgelegten Zieles, Wahrung des Wohls unter größtmöglicher Erhaltung und Achtung der Selbstbestimmung des Betreuten, erforderlich ist. Der bei dieser Prüfung unumgängliche, durchaus komplizierte Abwägungsprozeß 699 erfordert die Erarbeitung von Kriterien, die als Konkretisierung der fachgesetzlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Grenzen der Fremdbestimmung notwendige Hilfe bei der Rechtsanwendung darstellen können. Welche Umstände in diese Abwägung einzufließen haben, wird für den Bereich der Heilbehandlung ohne oder gegen den Willen des Betroffenen an späterer Stelle zu klären sein.

c) Zwangsbefugnisse des Betreuers Als Folgeproblem des geschilderten Spannungsverhältnisses von fürsorglicher Fremdbestimmung und Selbstbestimmung ist die Frage aufgeworfen, in welchem Ausmaß und mit welchen Mitteln sich der Betreuer über den Willen des Betreuten hinwegsetzen darf. Die Frage nach dem Ob ist für das Innen Verhältnis in § 1901 BGB beantwortet. Soweit das Wohl des Betreuten Vorrang vor dessen Wünschen genießt, kann sich der Betreuer anders als der Betreute entscheiden. Für das Außenverhältnis, also Rechtsgeschäfte mit und rechtserhebliche Handlungen gegenüber Dritten ist auf § 1902 BGB abzustellen. Soweit der Aufgabenkreis des Betreuers reicht, kann er den Betreuten rechtswirksam vertreten. Ob er dabei den Wünsche des Betreuten hinreichend Rechnung trägt, ist ein Problem des Innenverhältnisses (§ 1901 BGB) und hat für die Wirksamkeit der Erklärungen im Außenverhältnis keine Bedeutung 7 0 0 Erheblich größere Schwierigkeiten wirft die Frage auf, auf welchem Wege und mit welchen Mitteln der Betreuer den entgegenstehenden Willen des Betreuten überwinden kann. Zwangsmaßnahmen, etwa unter Zuhilfenahme der Betreuungsbehörde oder sonstiger Vollzugskräfte, setzen notwendigerweise eine gesetzliche Ermächtigung voraus. Derartige Ermächtigungen sind im Betreuungsrecht nur punktuell anzutreffen. 698 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 45; ähnlich Kollmer, S. 149 ff. 699 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 41. 700 Bienwald, § 1902 Rn. 65; Bork, MDR 1991, S. 97; Schwab, FamRZ 1991, S. 683.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

So kann gemäß § 1896 Abs. 4 BGB der Betreuer Fernmeldeverkehr und Post des Betreuten nach entsprechender Übertragung überwachen. § 70 g Abs. 5 FGG schließlich ermächtigt zur zwangsweisen Durchsetzung der Unterbringung nach § 1906 BGB. Ein Verweis auf § 1631 Abs. 3 BGB findet sich in § 1908 i BGB entgegen der früher bestehenden Rechtslage701 - nicht mehr. § 33 FGG schließlich ist keine Ermächtigungsgrundlage, sondern setzt eine solche voraus 702 . Besondere praktische Bedeutung hat die Frage nach dem Bestehen von Zwangsbefugnissen des Betreuers mittlerweile bei dem Offnen und Betreten der Wohnung des Betreuten gefunden. Die Rechtsprechung ist sich in diesem Punkte uneinig. Die 9. Zivilkammer des LG Frankfurt hielt eine Übertragung des Aufgabenbereiches „zwangsweises Öffnen und Betreten der Wohnung" für möglich und umging die Frage nach einer Ermächtigungsgrundlage durch die analoge Anwendung des § 1896 Abs. 4 BGB 7 0 3 . Nach einer Entscheidung des LG Berlin 7 0 4 ist mangels eigenständiger Regelungen im Betreuungsrecht unmittelbar auf Art. 13 Abs. 2 GG zurückzugreifen. Mit der 28. Zivilkammer des LG Frankfurt 705 hat sich nun das OLG Frankfurt 706 gegen Zwangsbefugnisse in diesem Bereich ausgesprochen. Für die letztgenannten Entscheidungen sprechen die ganz überwiegenden Gründe. Eine Aufgabenzuweisung durch das Gericht auf der Grundlage des § 1896 oder § 1907 BGB ersetzt keine Ermächtigungsgrundlage 707. Daß der Gesetzgeber solche punktuell geschaffen hat (z. B. § 1896 Abs. 4 BGB) spricht nicht nur gegen eine Gleichsetzung von Aufgabenzuweisung und Ermächtigungsgrundlage 708, sondern verbietet auch nach den Grundregeln der Methodenlehre eine Analogie von der Ausnahmevorschrift auf den Regelfall. Art. 13 GG könnte zwar möglicherweise in Abs. 7 n.F. 709 Eingriffe zulassen, ist aber angesichts der engen Voraussetzungen 7 1 0 für die betreuungsrechtlichen Problemfälle kaum einschlägig. Auch der jüngst eingeführte § 1901 Abs. 1 BGB 7 1 1 dürfte mangels Bestimmtheit als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht kommen. Es bleibt die Erkenntnis, daß der Gesetzgeber der Grundrechtsrelevanz möglicher Eingriffe zu wenig Beachtung geschenkt hat 7 1 2 . Mag der Verzicht auf eine ge701 Bauer/Birk/RinJc, § 1901 BGB Rn. 17. 702 Pardey, S. 142; Kemper, FuR 1996, S. 153 mwN. 703 LG Frankfurt vom 9. 6. 1993, Az.: 2/9 Τ 510/93. 704 Vom 8. 2. 1996, Az.: 83 Τ 490/95, BtPrax 96,111 = FamRZ 1996, 821. 705 Vom 29. 3. 1994, Az.: 2 - 2 8 Τ 54/94. 706 28. 11. 1995 Az.: 20 W 507/95; ebenso LG Görlitz vom 1. 12. 1997, Az.: 2 Τ 185/97. 707 Kemper, FuR 1996, S. 153; Pardey, S. 140. 708 Bauer/Birk/Rink, § 1901 Rn. 14; Kemper, FuR 1996, S. 153. 709 Geändert durch Gesetz vom 26. 3. 1998, BGBl. I S. 610, bisher Abs. 3. 710 Gemeine Gefahr oder Gefahr für das Leben. 711 Durch BtÄndG vom 25. 6. 1998, BGBl. IS. 2580. 712 Kemper, FuR 1996, S. 152.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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setzliche Regelung auch nachvollziehbare Gründe gehabt haben 713 , so wurden gleichwohl erhebliche praktische Probleme geschaffen, deren Lösung derzeit nicht abzusehen ist. Der in sich konsequente Vorschlag, die Betreuung notfalls aufzuheben, wenn sie ohne den Einsatz von Zwang nicht mehr dem Wohl des Betreuten dienen kann und damit nicht mehr erforderlich ist 7 1 4 . überzeugt jedenfalls nicht völlig. Die Konsequenz wäre ein Rückgriff auf polizeirechtliches Instrumentarium, das weder dem Betreuten nützt noch dem erklärten Ziel des Betreuungsrechts, die persönliche Fürsorge durch Vertrauenspersonen ausüben zu lassen, gerecht wird.

I I . Heilbehandlung und Betreuungsrecht 1. Grundsätze Für den Bereich der ärztlichen Heilbehandlung gelten weitgehend die obengenannten allgemeinen Grundsätze. Der höchstpersönliche Charakter der Einwilligung in die Heilbehandlung bedingt jedoch einige Unterschiede.

a) Bestellung des Betreuers Ein Betreuer für den Bereich der Heilbehandlung ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu bestellen, wenn der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Ein Betreuer kann also dann bestellt werden, wenn der Betroffene krankheits- bzw. behinderungsbedingt nicht in der Lage ist, die für die Heilbehandlung erforderlichen rechtserheblichen Erklärungen abzugeben. Das Vorliegen einer medizinische Problemlage, der sich der Betroffene verschließt, reicht isoliert weder für die Einrichtung einer Betreuung 715 noch für die Unterbringung gemäß § 1906 BGB 7 1 6 . Der aus dem Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung bereits bekannte Grundsatz, daß der Staat nicht das Recht hat, einen erwachsenen und zur Selbstbestimmung fähigen Bürger zu bessern oder zu erziehen, gilt im Betreuungsrecht ebenso uneingeschränkt 717. Dem Grundsatz der Erforderlichkeit entsprechend ist die Aufgabenzuweisung auch im Bereich der Heilbehandlung hinreichend zu begrenzen. Die Bestellung ei713 Vgl. Pardey, S. 141; kritisch Bauer/Birk/Rink, § 1901 Rn. 16. 714 Bauer/Birk/Rink, § 1901 Rn. 17a; vgl. auch Kemper, FuR 1996, S. 153. 715 OLG Köln, JMB1. 1995, S. 125 ff. = FamRZ 1995, S. 1083 ff. 716 OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 1993, S. 579. 717 OLG Frankfurt a.M., vom 17. 10. 1996, Az.: 20 W 320/96, OLG-Rep. Frankfurt 1997, S. 68 f.; vgl. auch LG Frankfurt, FamRZ 1993, S. 478 f. = R&P 1993, S. 83 f.; vgl. auch Kokott, Beweislastverteilung und Prognosemaßstab, S. 188.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

nes Betreuers für den Bereich Gesundheitsfürsorge oder noch allgemeiner für die Personensorge überhaupt ist demnach nur möglich, wenn dem Betroffenen insgesamt die Fähigkeit fehlt, die entsprechenden Rechtshandlungen vorzunehmen. Häufig wird es ausreichen, für eine bestimmte Behandlung oder für eine bestimmte Art der Behandlung (ζ. B. nervenärztliche Behandlung) einen Betreuer zu bestellen.

b) Befugnisse im Außenverhältnis Richtet sich die Bestellung eines Betreuers für den Bereich der Heilbehandlung somit nach den allgemeinen Grundsätzen, so wirft die Frage nach den Zuständigkeiten im Außenverhältnis einige Problem auf. Wie gezeigt, gilt im rechtsgeschäftlichen Verkehr des Betreuten grundsätzlich eine sog. Doppelzuständigkeit, bei der Konflikte durch sich widersprechende Erklärungen von Betreuer und Betreutem nach dem Prioritätsprinzip gelöst werden. Diese Möglichkeit läßt sich auf die Heilbehandlung nicht übertragen. Der Betreute wird im Bereich der Heilbehandlung stets unmittelbar betroffen sein und schon körperlich involviert. Die Einwilligung in die Heilbehandlung ist nach einhelliger Auffassung 718 jederzeit frei widerruflich, so daß sich zwangsläufig Konflikte ergeben, wenn der im Einzelfall einwilligungsfähige Betreute trotz einer vorab vom Betreuten gegebenen Einwilligung zum Zeitpunkt der Heilbehandlung dieser widerspricht. Aus diesem Grunde geht man zu Recht davon aus, daß im Bereich der Heilbehandlung lediglich eine formelle Doppelkompetenz besteht, nicht dagegen eine materielle Doppelkompetenz wie im Bereich der Vermögenssorge 719. Damit ist allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, welche Einwilligung maßgeblich sein soll bzw. wessen Wille sich letztlich durchsetzt, wenn Betreuer und Betreuter sich nicht einig sind. Das Gesetz hilft in diesem Zusammenhang kaum weiter. Die Heilbehandlung wird zwar in § 1904 BGB angesprochen. Dort werden allerdings die Grundsätze nicht einmal skizziert, sondern nur der Ausnahmefall der gefährlichen Heilbehandlung geregelt. Angesichts dieser Ausgangslage verwundert es nicht, daß die Frage, wie mögliche Konflikte zu lösen sind, umstritten ist.

aa) Vorrang des Betreuerwillens Maßgeblich Holzhauer 720 vertritt die Auffassung, daß in Konfliktfällen dem Willen des Betreuers Vorrang einzuräumen sei. Zur Begründung führt er an, daß 718 Schönke/ Schröder-Lenckner, vor §§ 32 ff. Rn. 44 mwN. 719 Bauer/Birk/Rink, vor § 1904 Rn. 9. 720 Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 2 ff.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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bereits die Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers mit entsprechendem Aufgabenkreis die Entscheidung über die Einwilligungsunfähigkeit des Betreuten beinhalte 721 . In dem Fall, in dem die Einwilligungsfähigkeit des Betreuten trotz entsprechender Bestellung eines Betreuers zu bejahen ist, sei die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts unrichtig oder - etwa durch die Besserung des Gesundheitszustandes des Betreuten - unrichtig geworden 722 und dementsprechend aufzuheben. Soweit die Entscheidung aber richtig sei, fehle es bereits an der materiellen Grundlage für eine Doppelzuständigkeit723. Gehe man von einer Doppelzuständigkeit oder einem Vorrang des Willens des einwilligungsfähigen Betreuten aus, so müsse man die Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall stets prüfen. Das sei ζ. B. für den behandelnden Arzt kaum zumutbar und unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht hinnehmbar. Schließlich seien die Bindungen im Innenverhältnis (§ 1901 Abs. 3 S. 1 BGB) ausreichend, um den Wünschen des Betreuten Rechnung 724

zutragen . Diese Auffassung hat zwei gewichtige Argumente für sich. Zum einen dient die Annahme der Einwilligungsunfähigkeit bei Bestehen einer Betreuung für den entsprechenden Aufgabenkreis tatsächlich der Rechtssicherheit, da der behandelnde Arzt von der nicht immer eindeutig zu beantwortenden Frage befreit wird, ob sein Patient die notwendige Einwilligungsfähigkeit besitzt. Weiterhin ist zutreffend, daß die vorhandene Einwilligungsfähigkeit des Betreuten eigentlich schon Anlaß sein muß, Art und Ausmaß der Betreuerbestellung gerichtlich zu überprüfen und gegebenenfalls einzuschränken bzw. aufzuheben.

bb) Entscheidung nach der Einwilligungsfähigkeit Die ganz überwiegende Meinung geht allerdings davon aus, daß die Betreuerbestellung regelmäßig kein Indiz für die fehlende Einwilligungsfähigkeit des Betreuten darstellt. Entscheidend sei allein, ob der Betreute in der konkreten Situation die Einwilligungsfähigkeit besitze. Wenn das zu bejahen sei, komme es auf die Einwilligung des Betreuers regelmäßig nicht mehr an 7 2 5 .

721 Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 6. 722 Ermm-Holzhauer, § 1904 Rn. 8. 723 Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 9. 724 Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 9. 725 Bauer/Birk/Rink, § 1902 Rn. 30; Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, Rn. 203; Damrau/Zimmermann, § 1904 Rn. 2; Palzndl-Diederichsen, § 1904, Rn. 1; MünchKommSchwab, § 1904 Rn. 4; J.-M. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 143; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 53 ff.; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 169; Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 201; Wigge, MedR 1996, S. 296; LG Kassel vom 5. 1. 1996, FamRZ 1996, S. 1501 = R&P 1997, S. 42 f.; zur parallelen Problematik bei § 1846 BGB BayObLG vom 15. 3. 1990, NJW-RR 1991, S. 774 = FamRZ 1990, S. 1154 = MedR 1990, S.273.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Diese Ansicht stützt sich zu Recht auf die Entstehungsgeschichte des § 1904 BGB. Wurde im 1. Diskussions-Teilentwurf in § 1904 Abs. 1 S. 1 noch vorgeschlagen, daß der Betreuer nicht befugt sein solle, anstelle des Betreuten in eine Heilbehandlung einzuwilligen, wenn der Betreute selbst einwilligen könne, so wurde diese Wendung nicht Gesetz, weil Zweifel an der Notwendigkeit der vorgeschlagenen Regelung für berechtigt gehalten wurden 726 . Dazu heißt es in der amtlichen Begründung, daß die Formulierung gestrichen wurde, weil sie „Selbstverständliches besage, andererseits der Praxis in kritischen Fällen nicht weiterhelfe". „Daß bei einem einwilligungsfähigen Patienten dessen Einwilligung erforderlich ist, wird weitgehend als selbstverständlich angesehen"727. Diese Formulierung läßt wenig Raum für Spekulationen darüber, ob der Gesetzgeber vom Regelungsgehalt der zunächst vorgeschlagenen Fassung des § 1904 Abs. 1 S. 1 BGB abrücken wollte 7 2 8 . Es drängt sich auf, daß der entsprechende Passus als ebenso überflüssig wie selbstverständlich nicht aufgenommen wurde 729 , eine inhaltliche Abweichung also gerade nicht beabsichtigt war. Zudem ist nicht recht verständlich, warum ausgerechnet im Bereich der Heilbehandlung von einer generellen Unfähigkeit des Betreuten zur Wahrnehmung seiner Angelegenheiten ausgegangen werden sollte. Damit führt man die überkommene Entmündigung in einem Bereich höchstpersönlicher Entscheidung wieder ein, die ansonsten durch das Betreuungsrecht gerade abgeschafft werden sollte. Die Flexibilität des Instituts der Betreuung und der auch in der konkreten Entscheidung des Betreuers stets zu wahrende Grundsatz der Erforderlichkeit werden, wenn man der Ansicht Holzhauers folgen möchte, der Rechtssicherheit geopfert. Diese wurde in den übrigen Bereichen der Betreuung durch die Möglichkeit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (§ 1903 BGB) berücksichtigt. Schon dem Wortlaut nach kann ein Einwilligungsvorbehalt gemäß § 1903 BGB für den Bereich Heilbehandlung aber nicht angeordnet werden, da die Einwilligung keine Willenserklärung darstellt und es sich um eine höchstpersönliche Angelegenheit handelt 730 . § 1903 BGB setzt zudem eine materielle Doppelkompetenz voraus, die im Bereich der Heilbehandlung gerade nicht besteht 731 . Hätte der Gesetzgeber also 726 BT-Drs. 11/4528, S. 141. 727 BT-Drs. 11/4528, S. 141. 728 So aber Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 5. 729 UünchKomm-Schwab, § 1904 Rn. 4; Damrau/Zimmermann, § 1904 Rn. 2; Bauer/ Birk/Rink, § 1902 Rn. 34; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 53; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 169. 730 Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, Rn. 202; MünchKomm-Sc/iwafc, § 1903 Rn. 16, § 1904 Rn. 4; Bauer/Birk/Rink, § 1903 Rn. 52; Ennon-Holzhauer, § 1904 Rn. 9; ausführlich: K.-G. Mayer, S. 59 ff.; anders wohl nur Palandt-Diederichsen, § 1904 Rn. 1, der eine analoge Anwendung des § 1903 vorschlägt. Im Arztrecht kann der Einwilligungsvorbehalt allerdings insoweit Bedeutung erlangen, als der Abschluß des Behandlungsvertrages einem Vorbehalt unterliegt; Bienwald, § 1904 Rn. 14. 731 Bauer/Birk/Rink, vor § 1904 BGB, Rn. 9.

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in diesem Bereich der Rechtssicherheit Vorrang einräumen wollen, so wäre doch zumindest zu erwarten gewesen, daß § 1903 BGB entsprechend ausgestaltet oder eine andere, hinreichend klare Vorschrift aufgenommen worden wäre. Beides ist erkennbar nicht geschehen. Damit hat sich der Gesetzgeber aber offensichtlich gegen einen Vorrang der Rechtssicherheit und damit auch gegen den Vorrang des Betreuerwillens in diesem Bereich entschieden. Der Ansatz Holzhauers hat zudem den Nachteil, daß er der betreuungsrechtlichen Praxis nicht entspricht und in letzter Konsequenz auch nicht entsprechen kann. Unabhängig von den später darzustellenden Unsicherheiten bei den Kriterien, nach denen die Einwilligungsfähigkeit zu beurteilen ist, handelt es sich bei der natürlichen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit um einen in zweifacher Hinsicht unscharfen und dynamischen Zustand. Nicht nur in zeitlicher Hinsicht unterliegt die Fähigkeit, rechtswirksam einwilligen zu können, erheblichen Schwankungen. Die Vielfalt der bei der Bestellung des Betreuers weder zu überblickenden noch vorherzusehenden Behandlungsmöglichkeiten für verschiedenartigste Krankheiten erfordert auch je nach Umfang und Schwere durchaus unterschiedliche Fähigkeiten beim Betreuten 732 . Die Anpassung der Betreuerbestellung an den jeweiligen Zustand des Betreuten und die bevorstehende konkrete Behandlungsmaßnahme ist daher vom Vormundschaftsgericht in der Praxis nicht mit letzter Konsequenz zu leisten 733 . Dieser Umstand wird insbesondere bei schubförmig verlaufenden psychischen Erkrankungen deutlich, bei denen schon die Bestellung eines Betreuers und die Eingrenzung des Aufgabenkreises erhebliche praktische Schwierigkeiten aufwirft 734 . Mit der ganz überwiegenden Ansicht 735 ist daher davon auszugehen, daß eine Einwilligung des Betreuers nur beachtlich ist, wenn der Betreute einwilligungsunfähig ist. Besitzt der Betreute die Einwilligungsfähigkeit so ist die Einwilligung des Betreuers nicht nur überflüssig, sondern ohne rechtliche Wirkung. Die Bestellung eines Betreuers für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge läßt dabei regelmäßig keinen zwingenden Schluß auf die Einwilligungsfähigkeit des Betreuten zu. Diese ist grundsätzlich für den konkreten Einzelfall jeweils neu zu beurteilen. Ausnahmen von diesem Grundsatz können gleichwohl anerkannt werden. Liegt eine 732 Bauer/Birk/Rink, § 1902 Rn. 33. 733 Bauer/Birk/Rink, § 1902 Rn. 33. 734 Vgl. J.-M. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 143; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 55 f.; zur Problematik von „Vorratsbeschlüssen" BayObLG vom 2. 5. 1996, Az.: 3Z BR 108/96, FamRZ 1996, S. 1370; BayObLG vom 4. 6. 1993, Az.: 3Z 104/93, BtPrax 1993, S. 171 = FamRZ 1994, S. 319. 735 Bauer/Birk/Rink, § 1902 Rn. 30; Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, Rn. 203; Damrau/Zimmermann, § 1904 Rn. 2; Palandt-Diederichsen, § 1904, Rn. 1; MünchKommSchwab, § 1904 Rn. 4; J.-M. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 143; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 53 ff.; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 169; Hartmann, Zwangsbehandlung, S. 201; LG Kassel vom 5. 1. 1996, FamRZ 1996, S. 1501 = R&P 1997, S. 42 f.; zur parallelen Problematik bei § 1846 BGB BayObLG vom 15. 3. 1990, NJW-RR 1991, S. 774 = FamRZ 1990, S. 1154 = MedR 1990, S. 273.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

hinreichend aktuelle Bestellung eines Betreuers für eine bestimmte Behandlung vor, so liegt der Schluß durchaus nahe, daß der Betreute insoweit einwilligungsunfähig ist 7 3 6 . Schließlich sind Ausnahmefälle, wie ζ. B. bei Patienten mit hochgradiger Demenz, zu berücksichtigen, bei denen von einer generellen Einwilligungsunfähigkeit ausgegangen werden kann 737 . In diesen Fällen läßt die Bestellung eines Betreuers einen sicheren Rückschluß auf die bestehende Einwilligungsunfähigkeit beim Betreuten zu.

2. Einwilligungsfähigkeit Bereits aus den vorstehenden Ausführungen wird deutlich, daß die Einwilligungsfähigkeit im Betreuungsrecht eine ganz zentrale 738 , weichenstellende Rolle spielt. Allerdings geht die Bedeutung weit über den Bereich des Betreuungsrechts hinaus, wie die häufigen Bezüge auf den Begriff der Einwilligungsfähigkeit bei der Zwangsbehandlung psychisch Kranker im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung und im Maßregelvollzug gezeigt haben. Breites wissenschaftliches Interesse hat die Einwilligungsfähigkeit allerdings erst infolge der Einführung des Betreuungsrechts gefunden, wie die Vielzahl der Abhandlungen 739 in jüngster Zeit erkennen lassen, in denen die Frage nach der Einwilligungsfähigkeit breiten Raum einnimmt. Das Konzept der Einwilligungsfähigkeit ist somit relativ jung, allerdings auch noch unzureichend strukturiert 740 . Die sehr viel ältere, sich kasuistische vortastende Rechtsprechung, die zu diesem Bereich existiert, bietet in der Tat ein „buntes B i l d " 7 4 1 und konnte eine systematische Grundlegung bisher nicht leisten. 736

Damrau/Zimmermann, § 1904 Rn. 4. 737 Bauer/Birk/Rink, § 1902 Rn. 32. 738 Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 165. 739 ζ. B. Amelung, Probleme der Einwilligungsfähigkeit, R&P 1995, S. 20 ff.; A. Frost, Arztrechtliche Probleme des neuen Betreuungsrechts, 1994; Kollmer, Selbstbestimmung im Betreuungsrecht, 1992; Kuhlmann, Einwilligung in die Heilbehandlung alter Menschen, 1996; K-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen an Betreuten, §§ 1904, 1905 BGB, 1995; Menter, Die therapeutische Aufklärung als Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen Heilpflichtprimat des Arztes und Selbstbestimmungsrecht des Patienten, 1994; G. Meyer, Die Unfähigkeit des erwachsenen Patienten zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff, 1994; Winkler-Wilfurth, Betreuung und Heilbehandlung, 1992; Th. Zimmermann, Die Auswirkungen des Betreuungsrechts in der ärztlichen Praxis: Einwilligung, Vormundschaftsgerichtliche Genehmigung, Forschung, 1997. 740 Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 165; das sollte allerdings nicht zu der Schlußfolgerung verleiten, daß es sich um einen entbehrlichen Begriff handelt, wie von Winkler-Wilfurth, S. 81 nahegelegt. Die dort vorgebrachten Bedenken sind zwar durchaus berechtigt. Eine überzeugende Alternative, die den gesetzlichen Vorgaben des Betreuungsrechts entspricht, kann jedoch nicht aufgezeigt werden. 741 So zutreffend G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 118 mit umfassender Analyse.

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Gleichwohl haben sich einige Eckpunkte herausgebildet. So kommt es nach ganz einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur bei der Einwilligungsfähigkeit auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Betroffenen an. Einwilligungsfähig ist nach der gängigen, ζ. T. leicht variierten Definition derjenige, der in der Lage ist, Art, Bedeutung und Tragweite eines Eingriffs in seinen wesentlichen Grundzügen zu erkennen und zu beurteilen sowie seine Entscheidung auf der Grundlage dieser Erkenntnis zu treffen 742 . Mit dieser Definition ist vielleicht nicht allzu viel gewonnen 743 , wenn man sie nicht gar als formelhaft und vage kennzeichnen möchte 744 . Allerdings bietet sie eine Basis, um sich dem Problem der Einwilligungsfähigkeit anzunähern.

a) Rechtsnatur der Einwilligung Die Einwilligungsfähigkeit als Rechtsbegriff 745 läßt sich nicht ohne einen Blick auf die Rechtsnatur der Einwilligung bestimmen. Während die Zivilsenate 746 des Reichsgerichts 747 und diesen folgend auch der Bundesgerichtshof 748 zunächst die Auffassung vertraten, es handele sich bei der Einwilligung um eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, so ist der sog. Rechtsgeschäftstheorie heute nur noch historische Bedeutung beizumessen749. Seit der grundlegenden Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1958 750 besteht nunmehr weitgehende Einigkeit darüber, daß es sich bei der Einwilligung nicht um eine Willenserklärung im Sinne des Bürgerlichen Rechts handelt. 751

742 Vgl. nur BGHZ 29, 33, 36; 38, 49, 54; BGH NJW 1964, S. 1177 f.; BGHSt 4, 88, 90; 5, 362, 363; 8, 358; 23, 1, 3; MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn. 6; Palandt-Heinrichs, vor § 104 Rn. 8; Ukena, MedR 1993, S. 203; Kern, MedR 1993, S. 248; G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 131; Schönke / Schröder-Lenckner, vor §§ 32 ff. Rn 40; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 165; K-.G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 57. 743 G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 132. 744 Amelung, R&P 1995, S. 22. 745 Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 183. 746 Die Strafsenate des RG hatten die heutige Auffassung von jeher vertreten, vgl. RGSt 41, 392, 395. 747 RGZ 68,431,433. 748 BGHZ 7, 198,207. 749 G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 43. 750 BGHZ 29, 33, 36; dazu ausführlich G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 44. 751 BGHZ 38, 49, 54; 105, 45, 47; die zwischenzeitliche Verwendung des Begriffes „Willenserklärung" in BGHZ 90, 96, 101 stellt nach allgemeiner Einschätzung eher einen sprachlichen Mißgriff als eine Änderung der Rechtsprechung dar, dazu Deutsch, NJW 1984, S. 1802; G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 46 ff.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Die zivilrechtliche Literatur hat sich dieser Rechtsprechung in weiten Teilen 752 angeschlossen, in dem sie die rechtfertigende Einwilligung als geschäftsähnliche Handlung in Form einer Willensäußerung ansieht. Die bestehenden Unterschiede sind terminologischer Natur, bedeuten aber keine Abweichung in der Sache 753 .

b) Verhältnis zur Geschäftsfähigkeit Mit der Feststellung, daß es sich bei der Einwilligung nicht um eine Willenserklärung im Sinne des Bürgerlichen Rechts handelt, ist auch der Schluß nahegelegt, daß die Geschäftsfähigkeit gemäß § 104 BGB nicht den entscheidenden Maßstab für die Frage nach der Einwilligungsfähigkeit darstellen kann. Die Einwilligungsfähigkeit ist daher nach der einhelligen Auffassung unabhängig von der Geschäftsfähigkeit zu bestimmen 754 . Die Geschäftsfähigkeit ist also keine Voraussetzung für die Einwilligungsfähigkeit 755 . Gleichwohl liegt es nahe, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, wenn man bedenkt, daß eine analoge Anwendung der Regelungen über Willenserklärungen auf die Einwilligung ζ. B. für die §§ 134, 138 BGB allgemein anerkannt ist 7 5 6 . Eine analoge Anwendung der standardisierten Altersgrenze des § 104 Nr. 1 BGB wird jedoch den spezifischen Problemen der Einwilligungsfähigkeit in keinster Weise gerecht und eignet sich schon aus methodischen Gründen nicht, einen Anhaltspunkt für das hier aufgeworfene Problem darzustellen 757. Auch bei § 104 Nr. 2 BGB läßt sich eine Identität von Regelungsziel und Voraussetzungen nicht feststellen. So ist in § 104 Nr. 2 BGB die Dauerhaftigkeit eine entscheidende Voraussetzung, während bei der Einwilligung die Fähigkeit zum Zeitpunkt der Einwilligung und des Eingriffs entscheidet. Darüber hinaus ist der Begriff krankhafte Störung der Geistestätigkeit für den Bereich der Einwilligungsfähigkeit deutlich zu eng 7 5 8 und müßte um die in § 105 Abs. 2 BGB genannten Umstände erweitert werden. Näher 752 MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn. 2; MünchKomm-Mertens, § 823 Rn. 32; PalandtHeinrichs, vor § 104 Rn. 6; Staudinger-Schäfer, § 823 Rn. 456. Die Gegenansicht vertreten maßgeblich Kothe, AcP 185, S. 115 ff. und Erman-Schiemann, § 823 Rn. 147. G. Mayer, S. 43 ff. gelingt es, nicht weniger als 6 unterschiedliche theoretische Ansätze aufzuzeigen, die in diesem Zusammenhang allerdings nicht zu wesentlichen Abweichungen führen, und daher vernachlässigt werden können. 753 K-.G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 27. 754 BGHZ 29, 33, 36; BGH NJW 1964, S. 1177 f.; OLG München, NJW 1958, S. 633 f.; OLG Hamm, NJW 1983, S. 147; Staudinger-Sc/iâ/è>; § 823 Rn. 455 ff.; G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 134; Eberbach, MedR 1986, S. 14; Schünemann, VersR 1981, S. 307. 755 Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 174; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 62 f. 756 Vgl. BGHZ 67, 48, 50; BGH VersR 1980, S. 676; Staudinger-Scta/^ § 823 Rn. 464; Kothe, AcP 185, S. 131; ausführlich K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 29 ff. mwN. 757 G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 141 ff. 758 G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 163 f.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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liegt ein Vergleich mit der Testierfähigkeit gemäß § 2229 Abs. 4 BGB, der allerdings auch nicht von der Notwendigkeit entbindet, die Einwilligungsfähigkeit eigenständig zu bestimmen. Ein ganz entscheidender Unterschied zu den genannten Vorschriften des Bürgerlichen Rechts besteht nämlich darin, daß die Willenserklärung und die Einwilligung Rechtsgüter von höchst unterschiedlicher Qualität betreffen 759. Die für die Abgabe von Willenserklärungen im Hinblick auf die Rechtssicherheit notwendigerweise starren Grenzen werden zudem den Anforderungen, die die komplexe Situation bei der Einwilligung fordert, nicht gerecht. Es besteht kein Zweifel daran, daß sich die Einwilligungsfähigkeit stets an der konkreten Maßnahme messen lassen muß. Je komplexer die medizinische Problemstellung ist, desto höher sind die Anforderungen an die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Notwendigerweise kann ein und dieselbe Person in einem Fall durchaus einwilligungsfähig sein, bei einer ungleich komplizierteren Behandlung dagegen nicht 7 6 0 . Die recht starren Grenzen der Geschäftsfähigkeit sind daher schlicht zu unflexibel 761 . Sie mögen vielleicht einen Anhaltspunkt liefern, machen die eigenständige Bestimmung der Anforderungen für die Einwilligungsfähigkeit aber keinesfalls überflüssig. Eine andere Frage ist, ob man von der bestehenden Geschäftsfähigkeit stets auch auf die Einwilligungsfähigkeit schließen kann. Sicher ist, daß die fehlende Geschäftsfähigkeit keine Aussage über die Einwilligungsfähigkeit zuläßt 762 , wie die allgemein anerkannte Einwilligungsfähigkeit bei Minderjährigen belegt. Nach ganz überwiegender Ansicht ist allerdings der Umkehrschluß zutreffend, ein Geschäftsfähiger daher grundsätzlich einwilligungsfähig 763 . Im sog. „Zahnextraktionsfall" hat der B G H 7 6 4 allerdings gegenteilig entschieden. Die Einwilligung einer zweifellos geschäftsfähigen Patientin wurde als unwirksam erachtet, weil ihr Wunsch, sich sämtliche Zähne ziehen zu lassen, unvernünftig erschien. Diese Entscheidung, die in der Literatur allgemein auf Ablehnung stieß 765 , läßt sich angesichts des eigentümlichen Sachverhaltes sicherlich nicht verallgemeinern. Allerdings sind Bereiche vorstellbar, in denen die Einwilligung höhere Anforderungen an den Betroffenen stellt als ein gewöhnliches Rechtsgeschäft. Holzhauer 766 hält 75 9

Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 19. Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 187, Bauer/Birk/Rink, vor § 1904, Rn. 3; MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn. 7; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 58. 76 0

76 1

Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 20; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 174, 187; Κ -G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 63. 7 62 Amelung, R&P 1995, S. 21. 7 « Amelung, R&P 1995, S. 21; ders., ZStW 1992, S. 529; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 175. 7 64 NJW 1978, S. 1206. 76 5

Hruschka, JR 1978, S. 521; monographisch: G. Meyer, Die Unfähigkeit des erwachsenen Patienten zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff: zugleich eine Besprechung des sogenannten Zahnextraktionsfalles - BGH NJW 1978,1206; Frankfurt a.M. 1994.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

dementsprechend die Gruppe der Einwilligungsfähigen bei der klinischen Prüfung von Medikamenten nach § 40 AMG für deutlich kleiner als die der Geschäftsfähigen. Der Einwand, daß die Vorstellung, der Rechtsbereich persönlicher Güter sei einfacher strukturiert als derjenige in vermögensrechtlicher Beziehung, veraltet sei 7 6 7 , ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Die Anzahl von Personen, die zwar als geschäftsfähig, im Hinblick auf die konkrete Behandlung aber als nicht einwilligungsfähig gelten müssen, wird gleichwohl schon aus Rechtsgründen außerordentlich klein sein. Sieht man von Sonderfällen wie z. B. der klinischen Prüfung von Medikamenten nach § 40 A M G / § 17 MPG oder Akutsituationen, in denen Geschäftsfähige aus körperlichen Gründen vorübergehend nicht in der Lage sind, sich zu äußern 768 , einmal ab, so wird grundsätzlich jedem erwachsenen Menschen das Recht zustehen, über die Heilbehandlung selbst zu entscheiden. Will man ihm diese Fähigkeit aberkennen, so wird man sich die Frage nach den Konsequenzen, insbesondere nach der Person oder Institution, die dieses Recht für ihn ausübt, stellen müssen. Dort wo die Unterbringungsgesetze nicht greifen, kann nur im Rahmen der Bürgerlich-rechtlichen Betreuung Raum für die Ersetzung der Einwilligung sein. Auch deren Voraussetzungen, also psychische Krankheit oder Behinderung, wird ein geschäftsfähiger Erwachsener regelmäßig nicht erfüllen. Die Annahme von Einwilligungsunfähigkeit außerhalb dieser Rechtsinstitute erscheint bedenklich und könnte schließlich die Vernunfthoheit des Arztes in einem Bereich begründen, in dem diese gesetzlich nicht vorgesehen ist. Daher ist unabhängig von 4er Komplexität möglicher Eingriffe und der damit ansteigenden Anforderungen an die Einsichts- und Urteilsfähigkeit an dem Grundsatz der Einwilligungsfähigkeit Geschäftsfähiger festzuhalten. Das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit muß daher als ein sehr starkes Indiz dafür gelten, daß der Betroffene auch einwilligungsfähig ist. Der Schluß, daß jemand, der nicht geschäftsfähig ist, per se einwilligungsfähig ist, ist allerdings abzulehnen. Die Geschäftsunfähigkeit wird stets Anlaß sein, die Einwilligungsfähigkeit einer besonderen Prüfung zu unterziehen, und damit eine positive Feststellung unumgänglich machen, wie sie z. B. für in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Minderjährige stets erfolgen muß.

c) Verhältnis zum natürlichen Willen Die Fähigkeit, den natürlichen Willen zum Ausdruck zu bringen, ist nach ganz allgemeiner Auffassung Mindestvoraussetzung für die Annahme von Einwilli766 NJW 1992, S. 2327. 767 MünchKomm-Schwab, § 1904, Rn. 6. 768 Winkler-Wilfurth, S. 43.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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gungsfähigkeit, nicht aber mit ihr gleichzusetzen769. Im Hinblick auf den Gegenstand der Untersuchung ist es gleichwohl geboten, den Begriff des natürlichen Willens näher zu betrachten. Mit der natürlichen Handlungsfähigkeit bezeichnet man allgemein die Fähigkeit, überhaupt willensgetragen handeln zu können 770 . Sie fehlt regelmäßig bei Bewußtlosen. Bei Kindern wird man sie schon in den ersten Lebensjahren feststellen können. Auch psychisch Kranken oder geistig Behinderten ist die natürliche Handlungsfähigkeit im Regelfall nicht abzusprechen. Die natürliche Handlungsfähigkeit spielt insbesondere im Strafrecht beim tatbestandsausschließenden Einverständnis 771 und im Betreuungsrecht bei der Sterilisation gemäß § 1905 BGB eine Rolle. Die Anforderungen, die in diesem Zusammenhang an die Kundgabe des natürlichen Willens gestellt werden, sind gering. Nicht nur die verbale Äußerung, sondern auch die Artikulation durch Gebärden, Gesten, Gefühlsäußerungen und körperlichen Widerstand, ist möglich 772 . Umstritten ist dagegen, welchen Bezugspunkt der Widerstand haben muß. Im Rahmen des § 1905 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird durchaus vertreten, daß nur solcher Widerstand beachtlich sein soll, der sich gegen die Sterilisation als solche richtet, nicht dagegen Widerstand, der sich unspezifisch gegen Behandlungen jeglicher Art, den „weißen Kittel" oder notwendige Begleiterscheinungen des Eingriffs richtet773. Übertragen auf die allgemeine Heilbehandlung wäre nach dieser Auffassung also nur der Widerstand gegen die Art und Folgen der konkreten Behandlung, nicht aber gegen die Begleiterscheinungen, also die technische Durchführung rechtlich als Ausdruck des natürlichen Willens zu werten. Schon für § 1905 BGB wird die genannte Auffassung mit zutreffendem Hinweis auf die amtliche Begründung 774 nicht geteilt 775 . Auch für die Heilbehandlung im allgemeinen ist eine Differenzierung nach dem Motiv des Betroffenen nicht nur praktisch undurchführbar, sondern auch wenig sachgerecht. Die Äußerung des natürlichen Willens wird zu Recht nicht auf verbale Ausdrucksformen reduziert. Sind aber Gesten und körperlicher Widerstand beachtlich, so kann andererseits nicht nach der Zielrichtung der möglicherweise völlig einschichtigen Äußerung des Willens differenziert werden. Ein bloßes „Nein" läßt wenig Deutungsmöglichkeiten über Motive und Vorstellungen des Erklärenden zu, wird aber 76 9

Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 21 f.; K-.G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 57; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 180, MünchKommSchwab, § 1904 Rn. 6. 7? o K-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 57. 77 1 Vgl. Schönke/Schröder-Lenckner, vor §§ 32 ff. Rn. 32. 77 2 Zu § 1905: Bienwald, BetreuungsR, § 1905 Rn. 31; Hoffmann, S. 100; MünchKommSchwab, § 1905 Rn. 10; vgl. auch BT-Drs. 11/4528 S. 143. 77 3 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 188 f. mwN. ™ BT-Drs. 11/4528, S. 76, 143. 77 5 Bienwald, § 1905 Rn. 32; Hoffmann, S. 101. 10 Heide

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

als willensgetragene Äußerung jedenfalls Ausdruck des natürlichen Willens sein. Im Hinblick auf die Überwindung des natürlichen Willens ist es zudem irrelevant, mit welchen Motiven der entgegenstehende Wille aufrechterhalten wird. Weder für den Träger des Grundrechts noch für die Intensität des Eingriffs macht es einen beachtlichen Unterschied, welche Vorstellungen und Motive einer Weigerung zu Grunde liegen. Daher wird man eine Differenzierung zwischen eingriffsbezogenem und unspezifischem natürlichen Willen, wie er ζ. T. im Rahmen des § 1905 Abs. 1 Nr. 1 BGB vertreten wird, für den Bereich der Heilbehandlung nicht aufrechterhalten können. Jede willensgetragene Äußerung verbaler oder nicht verbaler Art ist somit als Ausdruck des natürlichen Willens anzuerkennen. Lediglich Reflexe bzw. unwillkürliche Abwehrmechanismen werden nicht als Ausdruck des natürlichen Willens in Betracht kommen. Ist somit aufgezeigt, daß das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit ein sehr starkes Indiz für das Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit darstellt, die natürliche Handlungsfähigkeit andererseits die Mindestvoraussetzung ist, so sind damit zwar die Unter- und Obergrenze der Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit gefunden, die Anforderungen aber noch nicht mit Inhalt gefüllt.

d) Intellektuelle

Voraussetzungen

Nach der gängigen Definition nimmt die Fähigkeit zu erkennen und zu beurteilen eine zentrale Rolle bei der Feststellung der Einwilligungsfähigkeit ein.

aa) Einsichtsfähigkeit Die Fähigkeit zur Einsicht weist nach umgangssprachlichem Verständnis einen deutlichen Bezug zur Vernunft auf. Wer einsichtig ist oder handelt, verhält sich vernünftig. Der Einsichtsfähigkeit als Element der Einwilligungsfähigkeit sollte diese Bedeutung allerdings nicht beigemessen werden. Insbesondere Amelung weist zu Recht daraufhin, daß die Einwilligungsentscheidung eine auf Tatsachenerkenntnis gestützte Weitentscheidung ist 7 7 6 . Eine auch praktisch handhabbare Umschreibung der Einwilligungsfähigkeit wird sich daher bemühen müssen, die unterschiedlichen Elemente dieser Entscheidung zu trennen. Das ist um so mehr geboten, als eine Auslegung des Rechtsbegriffs Einwilligungsfähigkeit stets die Frage vor Augen haben muß, welche Elemente dieser Entscheidung sich nach objektiven Maßstäben 776 Amelung, R&P 1995, S. 20 ff., 23.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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beurteilen lassen und welche Elemente höchst subjektiv und damit der Überprüfung durch Dritte entzogen sind. Mit der Einsichtsfähigkeit soll daher nur die Fähigkeit umschrieben werden, die notwendige Tatsachenkenntnis zu erlangen, um zu einem Urteil zu gelangen. Fehlt mit der notwendigen Tatsachenkenntnis die Basis der Wertentscheidung, so ist es müßig, sich über die Urteilsfähigkeit oder die Rationalität der Entscheidung Gedanken zu machen. Die Einwilligungsfähigkeit wäre jedenfalls nicht gegeben. Gegenstand der für die Einsichtsfähigkeit notwendigen Tatsachenerkenntnis sind alle Umstände, die die Situation charakterisieren 777. Grundlage der Entscheidung über die medizinische Behandlung ist also das Wissen um Bedeutung und Funktion der betroffenen Körperteile und Organe sowie die Wirkungsweise der vorgeschlagenen Therapie 778 . Wie bei jedem anderen medizinischen Laien ist allerdings kein spezielles Detailwissen zu verlangen. Es reicht aus, wenn die wesentlichen Grundzüge einer Maßnahme erkannt werden 779 . Die gewonnenen oder bereits vorhanden Kenntnisse müssen einen hinreichenden Bezug zur Realität aufweisen 780. Wesentlich ist auch, daß sich die Kenntnisse nicht allein auf den vorhandenen Zustand beziehen, sondern auch die der Behandlung zugrunde liegenden Kausalverläufe erfassen 781 sowie eine Prognose 782 der Behandlungsfolgen verstanden werden kann. Diese eher abstrakte Umschreibung läßt sich deutlich vereinfachen, wenn man die Einsichtsfähigkeit als notwendiges Gegenstück zur ärztlichen Aufklärungspflicht ansieht. Die Aufklärung, die den selbstbestimmten und informierten Entschluß des Patienten ermöglichen soll, entfaltet nur dann Wirkung, wenn sie einem aufnahmefähigen und mit ausreichendem Erinnerungsvermögen ausgestatteten Patienten zuteil wird. Einsichtsfähig ist also derjenige, der alle Umstände, die notwendigerweise Gegenstand der ärztlichen Aufklärungspflicht 783 sind, erfassen und verstehen kann 784 . Das rein rezeptive Erfassen der Tatsachen ist eine objektive, von Dritten erfaßbare Gegebenheit785. Es ist in Zweifelsfällen unschwer zu überprüfen, etwa indem Verständnisfragen gestellt werden oder um die Zusammenfassung bzw. Wiedergabe 7 8 6 des wesentlichen Inhalts des Aufklärungsgespräches gebeten wird.

777 778 779 780

BGH, NJW 1990, S. 1528. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 27. Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 206 f. Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 204 f.

781 Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 211. 782 Amelung, R&P 1995, S. 23. 783 Ausführlich zum Inhalt der Aufklärungspflicht: Menter, S. 46 ff.; kritisch Tröndle, MDR 1983, S. 881 ff. 784 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 26. 785 Amelung, R&P 1995, S. 23. 786 Helmchen/Lauter, S. 43. 10*

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

bb) Urteilsfähigkeit Als zweite Stufe nach dem rezeptiven Aufnehmen und Verstehen der Tatsachen erfordert die Einwilligungsfähigkeit hinreichendes Urteilsvermögen. Man wird diesen Schritt auf dem Weg zur Einwilligungsentscheidung als Transformation oder Verarbeitung 787 der zuvor gewonnenen Erkenntnisse auf die persönlichen Lebensumstände und Wertvorstellungen des Betroffenen beschreiben können. Neben der rein medizinischen Prognose, die Teil des Erkenntnisprozesses ist, muß der Betroffene nun die Konsequenzen für sich und mögliche Alternativen erkennen 788. Er muß - nach der Formulierung von Engisch 789 - die Folgen einer Behandlung für Körper, Beruf und Lebensglück ermessen können. In dieser Phase des Erkennens geht es folglich nicht nur um die unmittelbaren Auswirkungen auf den Körper und die Gesundheit, sondern auch um mittelbare Folgen für die soziale Ebene menschlicher Existenz 790 . Die Fähigkeit, die beschriebenen Auswirkungen zu erfassen, ist noch ein rein kognitiver Vorgang, der allerdings nicht von Dritten geleistet werden kann. Der aufklärende Arzt kann allenfalls eine wichtige Hilfestellung geben. Die konkreten Auswirkungen auf das notwendigerweise subjektiv zu bestimmende Lebensglück vermag allein der Betroffene zu bestimmen. Die Urteilsfähigkeit bezieht sich über das Erkennen der individuellen Konsequenzen hinaus aber noch auf die Vornahme der eigentlichen, wertenden Entscheidung zwischen Vornahme und Unterlassen der Behandlung 791 . Notwendig für eine selbstbestimmte Entscheidung ist dabei die Möglichkeit, Vergleiche zwischen den Alternativen anzustellen und die Vor- und Nachteile zu bewerten 792 . Es handelt sich folglich um eine Wertentscheidung, bei der sich der Betroffene ähnlich einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse793 zwischen den Folgen der Behandlung und Nichtbehandlung bzw. den Behandlungsalternativen entscheiden muß. Durchaus möglich und sinnvoll ist eine Parallele zur Verhältnismäßigkeitsprüfung. Der Betroffene muß die Problemlage erfassen, die Geeignetheit einer medizinischen Maßnahme beurteilen und sich auf der Stufe der Erforderlichkeit für das mildeste Mittel entscheiden. Welches Mittel im Einzelfall das Mildeste ist, beruht auf einer höchst subjektiven Wertung 794 . Objektiv überprüfbar ist allein, ob die Weitentscheidung auf hinreichender Tatsachenkenntnis und nachvollziehbaren Prognosen beruht. Die Frage, wie schwer die Nachteile einer Behandlung wiegen, ob die Vorteile überwiegen oder ob eine Alternativbehandlung durchzuführen ist, 787 788 789 790

Helmchen/Lauter, S. 43. Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 203. Engisch, Die rechtliche Bedeutung der ärztlichen Operation, S. 14. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 28.

791 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 28. 792 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 28. 793 Amelung, R&P 1995, S. 23 f. 794 Amelung, R&P 1995, S. 24.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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hängt allein davon ab, wie der Betroffene selbst die Wertigkeit der betroffenen Rechtsgüter ansetzt. Zur Verdeutlichung sei ein Beispiel genannt. Einem Patienten, der nach einer schweren Unfallverletzung mit dem Verlust einer Hand zu rechnen hat, wird mitgeteilt, daß eine Amputation den unwiederbringlichen Verlust der Hand nach sich zieht, die Wahrscheinlichkeit aber groß ist, daß bei einer Amputation der Hand aber zumindest der Arm erhalten werden kann. Kommt als Alternativbehandlung der Versuch, die Hand mit einer Vielzahl von Operationen zu erhalten, in Betracht, so wird er das allgemeine Risiko der Eingriffe und die Möglichkeit, daß bei Mißlingen eine Amputation des Armes notwendig werden kann, erkennen und die Prognose nachvollziehen müssen. Objektiv beurteilen kann man nur das Vorhandensein dieser Erkenntnisse, sowie die Frage, ob der Patient die mittelbaren Folgen der Behandlungsalternativen auf seine ganz persönlichen Lebensumstände absehen kann. Für welche Form der Behandlung er sich letztlich entscheidet, hängt aber ausschließlich davon ab, welchen Wert für ihn der Erhalt der Hand und der mögliche Verlust des Armes hat. Ist der Patient Pianist oder Kunsthandwerker, so wird er vermutlich anders entscheiden als jemand, der mit einer Prothese der Hand seinen Beruf weiterhin ausüben könnte. Für die Urteilsfähigkeit folgt daraus, daß die Umsetzung der medizinischen Problemlage unbedingte und überprüfbare Voraussetzung ist. Ist bei dem Betroffenen diese Fähigkeit nicht vorhanden, so ist er einwilligungsunfähig. Die Wertentscheidung, die auf der Grundlage des Erkenntnisprozesses getroffen wird, ist subjektiv. Ihr Ergebnis ist daher kaum geeignet, Rückschlüsse auf die Urteilsfähigkeit und damit auf die Einwilligungsfähigkeit zuzulassen.

cc) Relativität der Anforderungen Die praktische Schwierigkeit einer Umschreibung der Einwilligungsfähigkeit liegt in den inhaltlichen Anforderungen, die man sowohl an die Aufklärung als auch an das Verständnis derselben stellen muß. Anerkanntermaßen hängen Art und Ausmaß der Aufklärungspflicht von Umfang, Bedeutung und Komplexität des Eingriffs ab. Daher bestimmt die Schwere des Eingriffs auch das Maß der intellektuellen Fähigkeiten 795 , die bei dem Einwilligungsfähigen vorhanden sein müssen. Die Einsichtsfähigkeit ist folglich nach den Anforderungen des Einzelfalls zu bestimmen. Eine wichtige Hilfestellung bietet dabei, wie bereits beschrieben, die sehr viel differenziertere Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht. 796 Notwendige Konsequenz der Relativität der Anforderungen ist, daß ein Patient bei einer Behandlung einwilligungsfähig sein kann, bei einer anderen nicht 7 9 7 . 795 Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 189; Amelung, R&P 1995, S. 26. 796 Dazu mit eingehender Analyse der einschlägigen Entscheidungen: Mente r, S. 46 ff.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Für die Urteilsfähigkeit läßt sich zudem ein weiteres Kriterium finden, das mit der medizinischen Indikation des Eingriffs zusammenhängt. Die abwägende Entscheidung als wesentliches Element des Urteils wird um so einfacher ausfallen, je höher die medizinische Indikation anzusetzen ist. Eine klare medizinische Indikation, ohne erwägenswerte Behandlungsalternativen, erfordert naturgemäß einen sehr viel geringeren Abwägungsaufwand. Demgegenüber sind medizinisch nicht oder nur bedingt indizierte Behandlungen mit einem höheren Abwägungsaufwand verknüpft 798 . Dieser Umstand bleibt nicht folgenlos für die Anforderungen, die an die Urteilsfähigkeit des Betroffenen zu stellen sind. Bei einer kosmetischen Operation ohne medizinische Indikation ist das Urteilsvermögen in weit höherem Maße gefordert als bei einer vielfach bewährten Standardmaßnahme, die in einer Akutsituation dringend angezeigt ist 7 9 9 . Folglich ist auch die Schwelle der Einwilligungsunfähigkeit um so höher anzusetzen, je geringer die medizinische Indikation ausfällt.

e) Krankheitsbedingte

Einwilligungsunfähigkeit

Versuche, vom Vorliegen bestimmter Krankheitsbilder auf die Einwilligungsunfähigkeit zu schließen, sind nur von begrenzter Aussagekraft. Für die psychischen Erkrankungen birgt dieser Ansatz allerdings einen interessanten Aspekt. Liegt eine Erkrankung vor, die ihrem Wesen nach nicht als solche erkannt werden kann, so fehlt bereits eine Grundvoraussetzung der Einwilligungsfähigkeit, die Krankheits- oder Indikationseinsicht800. Wer nicht weiß, daß er krank ist, kann über eine Heilbehandlung nicht selbstbestimmt entscheiden801. Stark vereinfacht und laienhaft mag man sich diesen Zusammenhang am Beispiel von Wahnvorstellungen verdeutlichen. Wird die Wahnvorstellung dauerhaft als solche erkannt, verliert sie den Charakter einer Wahnvorstellung. Die Unkenntnis eigener Erkrankung ist daher immanente Voraussetzung des Krankheitsbildes. Der Schluß, daß bei entsprechenden Erkrankungen die Einwilligungsfähigkeit verloren geht, drängt sich auf. Allerdings sind die Erscheinungsformen psychischer Erkrankungen zu vielfältig, um einen sicheren Rückschluß vom Krankheitsbild auf die Einwilligungsfähigkeit zuzulassen. Schon bei Patienten, die an Schizophrenie leiden, hängt es ausschließlich von der konkreten Ausbildung der Krankheit ab 8 0 2 . Wer gelegent797 Bauer/Birk/Rink, vor § 1904 BGB Rn. 3; Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, Rn. 200; Helmchen /Lauter, S. 38. 798 Jh. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 181. 799 Vgl. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 38 ff. 800

Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 29. 801 Erhardt, Behandlungsverweigerung, S. 40. 802 Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 194 f.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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lieh Stimmen hört, die Mitteilungen über Alltägliches machen, in symptomfreien Phasen aber die krankhafte Veränderung seiner Psyche als solche erkennt, wird deshalb nicht als einwilligungsunfähig zu gelten haben. Dagegen ist im Stadium einer perniziösen Katatonie schon die natürliche Handlungsfähigkeit so gravierend beeinträchtigt, daß sich die Frage nach der Einwilligungsfähigkeit kaum noch stellt 803 . Nur in seltenen Fällen wird dagegen die notwendigerweise mit Depressionen einhergehende Antriebslosigkeit zum Verlust der Urteilsfähigkeit führen 804 . Ein starkes Indiz für die Einwilligungsunfähigkeit bildet demgegenüber das Vorliegen einer Manie. Gerade in der manischen Phase wird die Indikationseinsicht nur in seltenen Fällen gegeben sein 805 . Diese Einschätzung deckt sich durchaus mit der Häufigkeit von Zwangsbehandlungen, die im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung beschrieben wurde. Patienten mit schizophrenen Psychosen wurden überdurchschnittlich häufig zwangsbehandelt806; bei manisch Kranken trat die Anwendung körperlicher Gewalt in den Vordergrund 807. Bei diesen Patienten sind sowohl Krankheitsgefühl als auch Behandlungsbereitschaft signifikant geringer 808 . Für den praktisch immer wichtiger werdenden Bereich der Gerontopsychiatrie hat Kuhlmann Zusammenhänge zwischen typischerweise auftretenden Erkrankungen und der Einwilligungsfähigkeit dargestellt. Vom zutreffenden Ausgangspunkt, daß nicht die Krankheit als solche, sondern ihre Symptome Einfluß auf die Einwilligungsfähigkeit haben, kommt er zu dem Ergebnis, daß mit Ausnahme der Antriebslosigkeit sämtliche Erscheinungsformen vom Abbau der intellektuellen Leistungsfähigkeit bis zu Gedächtnisstörungen im Einzelfall Auswirkungen auf die Einwilligungsfähigkeit haben können 809 . Eine strenge Zuordnung zu Krankheitsbildern kann naturgemäß nicht gelingen, da es auch in diesem Bereich auf den Grad der Erkrankung ankommt 810 . Festzuhalten bleibt daher, daß mit Ausnahme der Manie das Krankheitsbild nicht einmal ein einigermaßen sicheres Indiz für die Annahme von Einwilligungsunfähigkeit bieten kann. Entscheidend sind allein die Symptomatik und der Grad der Erkrankung. Eine krankheitsbedingte Einwilligungsunfähigkeit ist möglich, wenn die Krankheit selbst die Krankheitseinsicht aufhebt. In derartigen Fällen ist die Grundvoraussetzung der Einwilligungsfähigkeit nicht gegeben. Allerdings be803 Vgl. Dodegge, FamRZ 1996, S. 77. 804 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 59 f.; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 197; anders wohl Dodegge, FamRZ 1996, S. 77. 805 Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 198. 806 Finzen u. a., Hilfe wider Willen, S. 68. 807 Finzen u. a., Hilfe wider Willen, S. 72. 808 Bender, S. 46, 62 und S. 47, 62. 809 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 77 ff. 810 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 82 ff.; speziell zur Alzheimerschen Krankheit: Helmchen /Lauter, S. 41.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

steht die Einwilligungsunfähigkeit in solchen Fällen nur in Bezug auf die psychische Krankheit 811 , nicht hinsichtlich sonstiger Erkrankungen. Hierin wird der Grund für die Differenzierung zwischen Anlaßerkrankung und interkurrenten Erkrankungen, die in einer Reihe von Psychisch-Kranken- und Maßregelvollzugsgesetzen der Länder getroffen wird, zu sehen sein 812 .

f) Steuerungsfähigkeit Nicht ganz eindeutig ist, ob neben der Einsichts- und Urteilsfähigkeit die Steuerungsfähigkeit als weiteres Element der Einwilligungsfähigkeit anzuerkennen ist. Die Steuerungsfähigkeit bleibt in Untersuchungen über die Einwilligungsfähigkeit teilweise schlicht unbeachtet813, wird in neueren Untersuchungen allerdings stets als Korrektiv der beschriebenen Einsichts- und Urteilsfähigkeit erkannt 814 . Mit dem Begriff Steuerungsfähigkeit wird dort die Fähigkeit umschrieben, sich entsprechend des gebildeten Urteils verhalten zu können. Das Auseinanderfallen von Verstandes- und Willensfähigkeit ist zwar ein durchaus menschliches Phänomen, erreicht aber insbesondere bei Drogen- und Medikamentenabhängigen pathologische Züge. Der Süchtige, der die Schädlichkeit seines Verhaltens erkannt und sich dementsprechend für eine Behandlung entschieden hat, vermag häufig nicht die Willenskraft aufzubringen, sich entsprechend der eigenen Entscheidung zu verhalten und den Konsum einzustellen. Die Einwilligung in die Einnahme des Suchtmittels wird daher im Regelfall als unwirksam angesehen815. Ebensowenig kann bei fehlender Steuerungsfähigkeit die Entscheidung über die Entziehung und Entwöhnung zu jedem Zeitpunkt selbstbestimmt vom Betroffenen gefällt werden. Jede Einwilligungsentscheidung ist nur sinnvoll, wenn sie auf eine gewisse Dauer und mit Beständigkeit getroffen wird 8 1 6 . Eine Entgiftung bei Schwerstabhängigen, in deren Verlauf stets der geäußerte Wille des Betroffenen beachtlich sein sollte, ergäbe keinen Sinn und wäre wohl auch nicht in dessen Interesse. Die Steuerungsfähigkeit ist daher als Element der Einwilligungsfähigkeit anzuerkennen. Sie stellt ein Korrektiv in den Fällen dar, in denen zwar die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit zu bejahen ist, aufgrund eines Defektes in der Per811

Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 29. 812 Dazu oben A II. 2. c) und Β III. 3. b) bb). 813 Vgl. Kothe, AcP 185, S. 151. 814 Vgl. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 30; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 211 f.; Amelung, R&P 1995, S. 25 f. 815 Vgl. OLG Frankfurt, NJW 1991, S. 763; Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 30; vgl. aber auch BGHSt 32, 262. 816 Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 207; Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 31; Helmchen/Lauter, S. 45.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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son des Betroffenen aber eine Vermittlung zwischen Verstand und Willen nicht mehr möglich ist 8 1 7 .

g) Rationalität der Entscheidung Ein Kernproblem der Einwilligungsfähigkeit ist die Beurteilung der Vernünftigkeit der Entscheidung. Die Schwierigkeiten dabei ergeben sich zwangsläufig aus der Natur der Einwilligung als Wertentscheidung. Das Erkennen und Bewerten der Tatsachen läßt sich noch an objektiven Maßstäben messen. Das eigentliche Urteil beruht dagegen auf der Abwägung des Betroffenen, die sich notwendigerweise an dessen subjektiven Wertigkeiten mißt. Die Möglichkeit, diese Wertentscheidung anhand eines objektiv vernünftigen Wertsystems zu beurteilen, entfällt damit 818 . Würde man den Maßstab eines wie auch immer zu ermittelnden durchschnittlichen Wertsystems anlegen, käme das einer Aufhebung der Autonomie 819 in einem Bereich gleich, der wie kaum ein anderer höchstpersönliche Interessen berührt. Die Einwilligungsfähigkeit bzw. ihre Aberkennung ist kein Instrument, allgemeine Ansichten zur verbindlichen Maxime der persönlichen Entscheidung zu machen. Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß insbesondere ältere Menschen nicht nur ein aufgrund der Lebenserfahrung gewachsenes, möglicherweise vom „common sense" abweichendes Wertsystem haben, das sie nur selten aufgeben, sondern auch altersbedingt andere Prioritäten in ihrem Leben setzen 820 . Beides ist Ausdruck der Persönlichkeit und ihr gutes Recht 821 . Vernünftigkeit ist daher stets subjektive Vernünftigkeit als Ergebnis eines Abwägungsprozesses822. Die Einwilligungsfähigkeit ist nicht die Fähigkeit zur vernünftigen Entscheidung, sondern die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung823. Die Unvernunft des Ergebnisses des Abwägungsprozesses hat im Hinblick auf die Einwilligungsfähigkeit daher allenfalls Indizwirkung 824 oder sollte Anlaß sein, die Einwilligungsfähigkeit auf anderer Ebene kritisch zu überprüfen 825. Im Grundsatz hat der Wille des Patienten Vorrang, selbst wenn er objektiv unvernünftig

817 Vgl. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 31; Amelung, R&P 1995, S. 26. sis Amelung, R&P 1995, S. 24. 819 Amelung, R&P 1995, S. 24. 820 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 25. 821 Kuhlmann, a. a. O. 822 Jh. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 209. 823 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 26. 824 G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 115. 825 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 26. 826 Schönke / Schrödcr-Lenckner, vor §§ 32 ff., Rn. 42.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Gleichwohl spielt die in diesem Bereich auch von der medizinischen Wissenschaft geprägte allgemeine Anschauung eine Rolle. Man nehme das Beispiel eines Patienten, der sich nach langer Krankheit und in hohem Alter gegen die Weiteiführung einer Behandlung entscheidet, um das Lebensende in häuslicher Umgebung zu verbringen. Nach dem oben Gesagten ist nur zu verlangen, daß er die bestehende Krankheit und ihre Konsequenzen erkennen kann. Darüber hinaus muß er die Art einer Behandlung und deren Erfolgsaussichten sowie die mit der Behandlung verbundenen Risiken und Nachteile erfassen können. Die Entscheidung, ob er den Tod in häuslicher Umgebung einer notwendigerweise mit einem Aufenthalt im Krankenhaus verbundenen Operation vorzieht, ist ausschließlich Frage seiner eigenen Wertvorstellung. Lehnt er die Behandlung ab, so wird man die Einwilligungsfähigkeit nicht notwendigerweise in Zweifel ziehen, da die allgemeine Anschauung die Entscheidung angesichts des hohen Alters und der nachvollziehbaren Beweggründe tolerieren kann. Würde es sich bei dem Patienten um einen dreißigjährigen Familienvater handeln, so würden erhebliche Zweifel aufkommen, ob es sich um eine eigenverantwortliche Entscheidung handelt. Gleiches ergibt ein Vergleich des Rauchers, dem die allgemeine Anschauung das Recht zubilligt, sich möglicherweise gravierend selbst zu schädigen, mit dem Heroin-Süchtigen. Letzterem wird die allgemeine Anschauung dieses Recht unabhängig von der Frage, ob die Steuerungsfähigkeit in weit höherem Maße eingeschränkt ist, nicht zubilligen. Diese Beispiele belegen, daß es eine nicht immer exakt zu bestimmende Grenze der Toleranz gibt. Jenseits dieser Grenze wird die ungewöhnliche, aber zu respektierende Entscheidung zu einer grob unvernünftigen Entscheidung. Bezogen auf die Einwilligungsfähigkeit liegt die Tendenz nahe, bei grob unvernünftigen Entscheidungen bereits an der Einsichts- und Urteilsfähigkeit zu zweifeln. Dabei sollte man jedoch beachten, daß die Anforderungen, die an die Einwilligungsfähigkeit gestellt werden können, nicht von dem Ausgang der Entscheidung abhängen, sondern von Schwere, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs. Wer die notwendige Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit besitzt, kann folglich nicht deshalb mit anderen Maßstäben gemessen werden, weil das Ergebnis des Entscheidungsprozesses außerhalb des Toleranzbereiches gesellschaftlicher Anschauungen liegt. Diese Problematik findet ihren Niederschlag in höchst unterschiedlichen Aussagen in der Literatur. Dort finden sich Ansätze, bereits auf der Ebene der Einwilligungsfähigkeit der Subjektivität der Wertentscheidung Grenzen zu ziehen. So wird die Einwilligungsfähigkeit verneint, wenn die Grenze zur „unverantwortlichen Selbstschädigung" überschritten sei 8 2 7 . Eine Entscheidung sei auch dann nicht mehr Ausdruck der Autonomie, wenn die Abweichung von allgemeinen Wertvorstellungen Ausdruck einer „defekten" Autonomie sei 8 2 8 . Bei einer krankheitsbe827

Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 26. S2S Amelung, R&P 1995, S. 24; Kuhlmann, a. a. O.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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dingten Veränderung des individuellen Wertesystems 829 bzw. einer nicht beherrschbaren Verzerrung desselben830 sei die Einwilligungsfähigkeit zu verneinen. Als Beispiele werden der Süchtige, für den der nächste „Schuß" krankheitsbedingt allerhöchste Wertigkeit erlangt, sowie der Minderjährige genannt, dessen Wertesystem unfertig sei, was ihn ζ. B. stark von der Meinung anderer abhängig mache 831 . Der Einwand, daß das Problem bei der Einnahme von Drogen eher auf der Ebene der Steuerungsfähigkeit anzusiedeln ist, liegt nahe. Mit dem Beispiel des Minderjährigen ist dagegen ein Kernproblem offenbar geworden. Ein Wertsystem ist nicht nur in jugendlichem Alter unfertig, sondern in unterschiedlichen Ausprägungen im gesamten Leben. Der Unterschied zwischen allgemeiner menschlicher Unzulänglichkeit und jugendlicher Unreife ist gradueller Natur. Ihn hinlänglich von allgemeiner Unvernunft abzugrenzen, ist in letzter Konsequenz nicht möglich. Auch der Umstand, daß gewisse Formen der Unreife jugendspezifisch sind, bietet keinen Ansatzpunkt. Auch bei älteren Menschen mögen sich für die allgemeine Anschauung überkommene Vorstellungen signifikant häufen, umgangssprachlich als „Altersstarrsinn" bekannt. Zudem werden sich unschwer soziale Gruppen finden lassen, deren Wertvorstellungen gruppenspezifisch erheblich von den allgemeinen Anschauungen abweichen. Hier wird man nur an die unterschiedlichsten religiösen und weltanschaulichen Zusammenschlüsse denken müssen, die auch im Bereich der Heilbehandlung ζ. T. unverständliche und grob unvernünftige Wertvorstellungen hegen 832 . Deshalb wird man jedoch nicht per definitionem die Einwilligungsunfähigkeit annehmen können. Ein derartiger Schluß würde auf einfachrechtlicher Ebene zur Entmündigung von Personen führen, die Wertvorstellungen haben, die jenseits der Grenze allgemeiner Anschauungen liegen. Im Rahmen der Prüfung der Einwilligungsfähigkeit müßte man bereits Wertungen vornehmen, die die ganze Bandbreite grundrechtlicher Gewährleistungen beinhalten. Die Einwilligungsfähigkeit dürfte aber weder den geeigneten Rahmen darstellen noch das geeignete Instrument sein, um den Unterschied zwischen einem Extremsportler, der sich mit objektiv unsinnigen Betätigungen in Lebensgefahr begibt, und dem Angehörigen eines Bekenntnisses, der objektiv unvernünftig bestimmte Behandlungsmaßnahmen ablehnt, herauszuarbeiten und an den unterschiedlichen Freiheitsgewährleistungen des Grundgesetzes zu messen. Der Versuch, von der Vernünftigkeit der Entscheidung auf die Einwilligungsfähigkeit des Entscheidenden zu schließen, birgt vielmehr die Gefahr, für den Bereich der Heilbehandlung eine immanente und universelle Begrenzung grundrecht829

Kuhlmann, a. a. Ο. 830 Amelung, R&P 1995, S. 24. 831 Amelung, a. a. O. 832 Man denke nur an das häufig bemühte Beispiel der Einstellung der Zeugen Jehovas zur Bluttransfusion.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

licher Gewährleistungen zu schaffen, die auf die Besonderheiten der jeweiligen Grundrechtsposition keine Rücksicht nehmen kann. Zudem enthält das Recht auf körperliche Unversehrtheit wie jedes Freiheitsrecht das Recht auf objektiv falsche Entscheidungen833. Eine Begrenzung der Einwilligungsfähigkeit aufgrund der objektiven Unvernunft der Entscheidung ist daher abzulehnen. Welche Grenzen der Autonomie bzw. Selbstschädigung in dem Bereich der Heilbehandlung zu ziehen sind, läßt sich nicht bereits auf dieser Ebene beantworten. Festzuhalten bleibt allerdings, daß die Unvernunft Anlaß sein sollte, die Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit zu überprüfen. Genügt die Entscheidung des Betroffenen den zuvor dargestellten Anforderungen, so sollten wertende Betrachtungen bei der Prüfung der Einwilligungsfähigkeit unterbleiben.

h) Zusammenfassung Voraussetzung der Einwilligungsfähigkeit ist die natürliche Handlungsfähigkeit. Wer geschäftsfähig ist, wird in der Regel auch einwilligungsfähig sein. Ein Stufenverhältnis im Sinne einer Gesetzmäßigkeit wird sich allerdings insoweit nicht begründen lassen können, da die Voraussetzungen beider Formen unterschiedlich sind, nicht notwendigerweise aufeinander aufbauen. Die Einwilligungsfähigkeit bezieht sich auf einen Entscheidungsprozeß, der in drei Stufen verläuft. Auf der ersten Stufe hat der Betroffene die Umstände zu erkennen und zu verstehen, die regelmäßig Gegenstand ärztlicher Aufklärungspflicht sind. Danach ist es notwendig, daß der Betroffene fähig ist, die Konsequenzen für seine individuelle Lebenssituation prognostisch zu beurteilen. Schließlich muß der Betroffene eine Wertentscheidung treffen, die notwendigerweise subjektiv geprägt ist und sich im Gegensatz zum Erkenntnis- und Transformationsprozeß auf den ersten beiden Stufen einer Beurteilung anhand objektiver Maßstäbe entzieht. Die Steuerungsfähigkeit als Fähigkeit, das Verhalten weitgehend an dem Willen auszurichten, ist unabdingbare Voraussetzung wirksamer Einwilligungsentscheidungen. Die Unvernunft einer Entscheidung sollte Anlaß sein, die Einsichts-, Urteilsund Steuerungsfähigkeit kritisch zu überprüfen. Die Grenzen der Autonomie lassen sich jedoch nicht im Rahmen der Einwilligungsfähigkeit ziehen.

3. Zwangsbehandlung Auch im Bereich der Heilbehandlung stellt sich die Frage nach Zwangsbefugnissen des Betreuers. Dabei sind zwei Fragen zu unterscheiden, die in der Literatur 833 Dürig in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 37.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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nicht immer voneinander abgegrenzt werden. Erstens ist zu klären, ob der Betreuer entgegen dem Willen des Betreuten in eine Heilbehandlung einwilligen kann (a). Erst im Anschluß daran stellt sich die Frage, ob und wie er den entgegenstehenden Willen des Betreuten überwinden kann (b).

a) Einwilligung

gegen den Willen des Betreuten

Für den einwilligungsunfähigen Betreuten kann der Betreuer in eine Heilbehandlung einwilligen. Das ist seine gesetzliche Aufgabe. Ein entgegenstehender natürlicher Wille des Betreuten ändert an dieser Grundaussage zunächst einmal nichts. Allerdings hat sich wie bereits beschrieben das Handeln des Betreuers am Wohl und den Wünschen des Betreuten zu orientieren (§ 1901 Abs. 2, 3 BGB). In der Literatur wird daher folgerichtig diskutiert, inwieweit der entgegenstehende natürliche Wille des Betreuten Einfluß auf die Betreuerentscheidung im Bereich der Heilbehandlung haben kann. Dabei wird im Ansatz zutreffend danach differenziert, ob die Heilbehandlung notwendig oder lediglich vertretbar erscheint 834. Bei medizinisch notwendigen Behandlungen sollen die Wünsche des Betreuten zurücktreten und das objektiv verstandene Wohl überwiegen 835. Andere Stimmen wollen eine Einwilligung bei entgegenstehendem Willen des Betreuten nur zur Abwendung von Lebensgefahr, Vermeidung schwerer Gesundheitsschäden oder Heilung schwerer Erkrankungen 836 zulassen. Wesentliche Meinungsverschiedenheiten bestehen lediglich darüber, ob ein eventuelles Uberschreiten der betreuungsrechtlichen Bindung aus § 1901 BGB auf Seiten des Betreuers sich auf die Wirksamkeit der Einwilligung auswirkt. Ein Teil der Literatur orientiert sich eng an der Systematik des Gesetzes und hält § 1901 BGB für eine Norm, die lediglich die Bindungen im Innenverhältnis bestimmt; die Wirksamkeit der Einwilligung im Außenverhältnis bleibt also auch bei Verstößen des Betreuers gegen die dortigen Vorgaben unberührt 837 . Andere vertreten mit unterschiedlichem argumentativen Aufwand die Unwirksamkeit der Einwilligung im Außenverhältnis 838. Bei näherer Betrachtung ist die Bedeutung dieser Frage außerordentlich gering; der geschilderte Streit führt nicht zu dem eigentlichen Problem, sondern verdeckt es.

834 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 65 ff. 835 Kollmer, S. 200; A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 67. 836 MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn. 22. 837 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 68. 838 MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn. 22; ausführlich: K-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 99 ff.

158

1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

b) Durchsetzung des Betreuerwillens Unabhängig davon, ob sich entgegenstehende Wünsche des Betreuten auf das Außen- oder Innenverhältnis auswirken, stellt sich nämlich die ganz praktische Frage, wie der Betreuer den entgegenstehenden Willen des Betreuten überwinden soll. Diskussionen über die Wirksamkeit der Einwilligung sind von rein theoretischem Interesse, wenn der Betreute sich - notfalls mit „Händen und Füßen" - gegen die Behandlung wehrt. Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage dafür, den entgegenstehenden Willen des Betreuten notfalls mit Gewalt zu brechen, enthält das Betreuungsrecht nicht. Der neu geschaffene § 1901 Abs. 1 BGB kommt mangels Bestimmtheit nicht ernsthaft in Betracht. Der Normbefund fällt für den Bereich der Heilbehandlung damit nicht anders aus als bei den allgemeinen Zwangsbefugnissen, die ζ. B. beim Betreten der Wohnung eine Rolle spielen 839 . Anders als dort wird jedoch für die Heilbehandlung ganz überwiegend vertreten, daß eine Zwangsbehandlung zulässig ist. Das gelte selbst bei schwerwiegenden Eingriffen, die dem Anwendungsbereich des § 1904 unterfallen 840 . Für diese Auffassung wird häufig auf die amtliche Begründung 841 verwiesen, nach der im Betreuungsrecht auch bei der Heilbehandlung Zwang nicht grundsätzlich verboten sei 8 4 2 . Wer einwilligungsunfähig sei und deshalb die Behandlung ablehne, dem sollte nicht aus diesem Grunde die Behandlung versagt werden 843 . Eine derartige Konsequenz sei völlig undenkbar 844. Daß das Betreuungsgesetz Zwangsbehandlungen nicht verbietet, ist nicht zu bestreiten, besagt aber über die Existenz einer Rechtsgrundlage nichts. Das zweite Argument faßt den Grundgedanken fürsorglichen Zwangs in guter Absicht treffend zusammen. Eine Rechtsgrundlage für die Ausübung von Zwang und den damit verbundenen Grundrechtseingriff wird auf dieser Grundlage vielleicht wünschenswert, aber nicht geschaffen. 839 S. Ο. I 2 C). 840 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 98; Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, Rn. 204; Winkler-Wilfurth, S. 58; von dieser Prämisse scheinen auch das AG Bremen, Beschl. vom 3. 11. 1995, R&P 1997, S. 84 ff. sowie das OLG Bremen vom 3. 11. 1996, R&P 1997, S. 87 f. auszugehen. Anders sind die eingehende Erörterung der Voraussetzungen des § 1906 Abs. 4 BGB und das weitgehende Fehlen von Ausführungen zu der Frage, ob der Betreute überhaupt zwangsweise behandelt werden darf, nicht zu erklären, vgl. Marschner, R&P 1997, S. 88. 841 BT-Drs. 11/4528, S. 72, 141. 842 AG Bremen vom 3. 11. 1995, R&P 1997, S. 86; A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 68, 98; Bienwald, § 1904 Rn. 24; Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, Rn. 204; Damrau/Zimmermann, § 1906 Rn. 8. 843 Auch diese Formulierung geht auf die amtliche Begründung zurück (BT-Drs. 11/4528, S. 141) und wird vielfach übernommen; vgl. Bauer/Birk/Rink, vor § 1904 Rn. 18; A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 98; Bienwald, § 1904 Rn. 25. 844 Winkler-Wilfurth,

S. 57.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

159

Nur ein Teil der Literatur erkennt, daß eine Rechtsgrundlage für die zwangsweise Durchsetzung einer Heilbehandlung gegen den Willen des Betreuten fehlt 8 4 5 . Bedenkt man, daß das BVerfG schon recht früh 846nahegelegt hat, daß die Ausübung der Befugnisse des Betreuers die Ausübung hoheitlicher Gewalt ist, die in vollem Umfange der Grundrechtsbindung unterliegt, so ist das Fehlen einer Rechtsgrundlage im neu geschaffenen Betreuungsrecht in der Tat „überraschend" 847 . Dem Erfordernis einer Rechtsgrundlage wird man auch nicht mit dem Argument begegnen können, daß die Zuweisung der Aufgabe sinnlos sei, wenn nicht gleichzeitig die Möglichkeit bestehe, die Aufgabe auch unter Ausübung von Zwang durchzusetzen. Leerlaufendes Recht sei als sinnwidrig nicht denkbar 848 . Rechtspolitisch ist diese Aussage überzeugend, trägt zur Frage nach dem Bestehen einer Rechtsgrundlage aber nichts bei. Selbstverständlich wäre die Verhängung einer Freiheitsstrafe sinnlos, wenn der Gefangene nicht am Verlassen der Vollzugsanstalt gehindert werden kann, man nicht einmal die Möglichkeit hat, ihm Ausbruchswerkzeug abzunehmen. Das hat das BVerfG nicht gehindert, in der „Strafgefangenen-Entscheidung" 849 Rechtsgrundlagen für den Vollzug der Freiheitsstrafe zu fordern 850 . Eine Vermengung von Aufgabenzuweisung und der Befugnis zur Durchsetzung, wie sie dem Argument Helles 851 zu Grunde liegt, wäre im Bereich des Verwaltungsrechts gar nicht mehr diskutabel, entspricht jedenfalls nicht den eindeutigen verfassungsrechtlichen Vorgaben 852. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, aus welchem Grunde der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Vorgaben mißachtet hat. Jedenfalls steht die Rechtspraxis vor einem ganz erheblichen Problem, das mit wenig Aufwand zu vermeiden gewesen wäre. Zur Lösung dieses Problems werden zwei Ansätze verfolgt. Man kann „ganz pragmatisch" 853 über die Schwierigkeiten hinwegsehen und zu der Auffassung gelangen, daß der Betreuer in seiner Aufgabenerfüllung ohnehin frei sei, also im Zweifel auch Zwang ausüben könne 854 . Das Ergebnis erscheint durchaus vernünftig; die Begründung dagegen bedenklich 855 . 845 Bauer/Birk/Rink, vor § 1904 Rn. 19; A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 72. 846 BVerfGE 10, 302; dazu oben 12 a.). 847 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 72. 848 So Helle, FamRZ 1984, S. 639 ff. 849 BVerfGE 33, 1. 850 Vgl. Pardey, S. 140. 851 FamRZ 1984, S. 639 ff. 852 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 72; Pardey, S. 140. 853 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 72. 854 Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, 855 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 72 f.

Rn. 241.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Auf den ersten Blick überzeugender ist folgende Überlegung, die auch auf dem 5. Vormundschaftsgerichtstag Zustimmung fand 856 : Die ambulante ärztliche Zwangsbehandlung sei ein geringerer Eingriff als die Zwangsbehandlung während der Unterbringung. Daher sei es sinnvoll, § 70 g Abs. 5 FGG analog anzuwenden und auf der Grundlage einer entsprechenden richterlichen Entscheidung auch die Zwangsbehandlung zuzulassen857. Das letztgenannte Argument wäre nicht von der Hand zu weisen, wenn die Prämisse stimmen würde, daß § 70 g Abs. 5 FGG eine Rechtsgrundlage für Zwangsbehandlungen enthält. Das ist nach dem Wortlaut nicht der Fall. Geregelt ist in § 70 g Abs. 5 FGG die zwangsweise Zuführung zur Unterbringung gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FGG, also die Unterbringung gemäß § 1906 BGB. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB bestimmt, daß eine Unterbringung auch deshalb zulässig ist, um eine Heilbehandlung durchführen zu können, wenn der Betreute die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erfassen kann. Auch die Verweisungskette ergibt somit keine unmittelbare Rechtsgrundlage für Zwangsbehandlungen. Es ist daher nicht überraschend, daß die Rechtsprechung auf der Grundlage der nach wie vor berechtigten Annahme, daß eine Rechtsgrundlage auch im Bereich der zivilrechtlichen Unterbringung fehlt 8 5 8 , dazu übergeht, Zwangsbehandlungen für unzulässig zu erklären 859 . In einer bemerkenswerten Entscheidung stellte das LG Kassel fest, daß weder eine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Betreuten zulässig sei noch eine Norm bestehe, nach der die Betreuungsbehörde verpflichtet werden könnte, bei der Durchsetzung der Zwangsbehandlung mittels Gewalt behilflich zu sein 860 . Der Entscheidung liegt zwar offensichtlich ein Fall zu Grunde, in dem der Betreute die natürliche Einsichtsfähigkeit besaß. Die Argumentation ist aber auch für das hier aufgeworfene Problem beachtlich. Das LG führt nämlich aus, daß eine analoge Anwendung des § 1906 BGB nicht Betracht komme, da es sich um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handele, die nicht analogiefähig sei. Das Gleiche gelte für §§68 Abs. 3, 70 g Abs. 5 FGG, was sich schon aus der engen Verknüpfung mit den Verfahrensregelungen ergebe. Bei einer Analogie sei schon unklar, inwieweit und auf welcher Grundlage die verfahrensrechtliche Ab-

856 Vgl. Marschner, R&P 1997, S. 88. 85? Bauer/Birk/Rink, vor § 1904 Rn. 19. 858 OLG Zweibrücken vom 16. 11. 1999, NJW 2000, S. 2750; vgl. auch BayObLG vom 15. 3. 1990, NJW-RR 1991,S. 775; erstaunlicherweise wird die Frage heute aber ausschließlich bei der ambulanten Behandlung als problematisch empfunden, vgl. Marschner, R&P 1997, S. 88. 859 LG Kassel, FamRZ 1996, S. 1501 = R&P 1997, S. 42; OLG Zweibrücken vom 16. 11. 1999, NJW 2000, S. 2750; mit ähnlicher Tendenz: LG Frankfurt vom 12. 11. 1992, FamRZ 1993, S. 478 f. = R&P 1993, S. 83 f. 860 LG Kassel, FamRZ 1996, S. 1501 = R&P 1997, S. 43; jetzt auch OLG Zweibrücken vom 16. 11. 1999, NJW 2000, S. 2750, 2752.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

161

Sicherung bei derart schwerwiegenden Grundrechtseingriffen erhalten werden solle 861 . So überzeugend die Begründung ist, so bedenklich erscheint die Konsequenz. Dem Betreuer bleibe nichts anderes als abzuwarten, bis eines Tages der Zustand der Einwilligungsfähigkeit oder des Notfalls eintrete 862 . Angesichts dieser Schlußfolgerung ist es durchaus verständlich, daß die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur von der Zulässigkeit der Zwangsbehandlung ausgeht. Ob dieses bei der derzeitigen Gesetzeslage einer verfassungsgerichtlichen Uberprüfung standhalten würde, ist allerdings mehr als zweifelhaft.

4. Grenzen der Betreuerbefugnisse Neben der bereits beschriebenen Verpflichtung des Betreuers, die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl und Wünschen entspricht (§ 1901 BGB), ergeben sich im Bereich der Heilbehandlung besondere Beschränkungen. Für den einwilligungsunfähigen Betreuten kann der Betreuer in bestimmten Fällen nur nach Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht, in anderen Fällen gar nicht einwilligen.

a)§ 1904 BGB aa) Grundsätze Die praktisch wichtigste Beschränkung der Befugnisse des Betreuers findet sich in § 1904 BGB. In Eingriffe, bei denen die begründete Gefahr besteht, daß der Betreute stirbt oder einen schweren und länger dauernden Schaden erleidet, kann der Betreuer nur nach Genehmigung des Vormundschaftsgerichts einwilligen. Als Gegenausnahme bestimmt § 1904 Satz 2 BGB, daß die Genehmigung entbehrlich ist, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. Besondere Anforderungen bei gravierenden Eingriffen sind bereits aus dem Bereich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung und des Maßregelvollzuges bekannt. Werden dort schwerwiegende Eingriffe in der Mehrzahl der Landesgesetze von der Einwilligung des Betroffenen bzw. seines gesetzlichen Vertreters abhängig gemacht, so bestimmt nun das Betreuungsrecht, daß der Betreuer in diesem Bereich der unmittelbaren Kontrolle durch das Vormundschaftsgericht unterliegt. Nach den allgemeinen Grundsätzen ist die Einwilligung des Betreuers nur dann maßgeblich, wenn der Betreute für die konkrete Maßnahme einwilligungsunfähig

861 LG Kassel, FamRZ 1996, S. 1502 = R&P 1997, S. 43. 862 LG Kassel, FamRZ 1996, S. 1502 = R&P 1997, S. 43. 11 Heide

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

ist. Die Frage nach einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gemäß § 1904 BGB stellt sich also nur, wenn der Betreute für den geplanten Eingriff einwilligungsunfähig ist 8 6 3 . Der einwilligungsfähige Betreute kann in schwerwiegende Maßnahmen selbstverständlich auch ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung wirksam einwilligen. Die praktische Bedeutung dieser Feststellung dürfte allerdings gering sein. Bei einem Betreuten, der in Bezug auf die schwerwiegenden Eingriffe einwilligungsfähig ist, stellt sich natürlich die Frage nach der Berechtigung der Bestellung eines Betreuers für den Bereich der Gesundheitsfürsorge recht deutlich. Umstritten sind bereits Wirkung und Rechtsnatur der Genehmigung nach § 1904 BGB. Ein Teil der Literatur vertritt den Standpunkt, daß es sich um eine reine Innengenehmigung handele. Das Fehlen der Genehmigung hat danach keine Auswirkung auf die materielle Rechtmäßigkeit des Eingriffs 864 . Liegt die Einwilligung des Betreuers vor, so entfallen für den behandelnden Arzt haftungs- und strafrechtliche Konsequenzen. Das Fehlen der Genehmigung kann nach dieser Auffassung lediglich eine Verletzung der betreuungsrechtlichen Pflichten im Innenverhältnis sein. Die Folge erschöpft sich in Maßnahmen gegen den Betreuer im Rahmen des § 1837 BGB 8 6 5 . Die Gegenansicht ist der Auffassung, es handele sich um echte Rechtmäßigkeitsvoraussetzung. Das Fehlen der Genehmigung entfalte Wirkung im Außenverhältnis 866 . Die Einwilligung des Betreuers ist angesichts des Fehlens der erforderlichen vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung unwirksam und folglich der Eingriff rechtswidrig. Für die Unbeachtlichkeit im Außenverhältnis spricht der erhebliche Gewinn an Rechtssicherheit für die behandelnden Arzte, die sich auf die erteilte Einwilligung des Betreuers verlassen können. Allerdings steht schon der Wortlaut des § 1904 Satz 2 BGB dieser Lösung entgegen. Die Formulierung „ohne Genehmigung darf die Behandlung nur durchgeführt werden" spricht für eine echte Wirksamkeitsvoraussetzung und gegen den Charakter einer Innengenehmigung867. Für eine Beachtlichkeit im Außenverhältnis läßt sich weiterhin der Schutz des Betreuten 868 sowie die naheliegende entsprechende Anwendung des § 1831 S. 1 BGB, auf den § 1908i BGB verweist 869 , anführen.

863 OLG Hamm vom 8. 1. 1997, Az.: 15 W 398/96, R&P 1997, S. 184, 186. 864 Emun-Holzhauer, § 1904 Rn. 26; Bienwald, § 1904 Rn. 27. 865 Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 26. 866 Λ. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 150; MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn. 23; Damrau/Zimmermann, § 1904 Rn. 2. 867 Damrau/Zimmermann, § 1904 Rn. 156. 868 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 150; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 156. 869 Ausführlich:. K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 157 ff.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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Welche Auffassung sich letztlich durchsetzen wird, ist nicht abzusehen. In der Praxis hat diese grundsätzliche Meinungsverschiedenheit bisher allerdings - soweit erkennbar - keine Auswirkungen gehabt. Die Kernprobleme des § 1904 S. 1 BGB, die sich in zahlreichen Publikationen und mittlerweile auch einigen veröffentlichten Entscheidungen abzeichnen, liegen an anderer Stelle. Die praktische Anwendung von § 1904 S. 1 BGB wird erwartungsgemäß von den beiden Merkmale schwerer und länger dauernder gesundheitlicher Schaden und begründete Gefahr wesentlich geprägt. Es ist daher in der gebotenen Kürze darzustellen, welche schwerwiegenden Folgen von der Regelung erfaßt werden und welchen Grad der Gefahr man im Rahmen des § 1904 S. 1 BGB verlangen muß.

bb) Gesundheitlicher Schaden Der in § 1904 S. 1 BGB verwendete Begriff „länger dauernder und schwerer gesundheitlicher Schaden" soll sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers870 maßgeblich an § 224 StGB a.F. 871 , also der schweren Körperverletzung, orientieren. Nach der einhelligen Auffassung kann der Katalog der Folgen einer schweren Körperverletzung 872 für § 1904 BGB jedoch keinen abschließenden Charakter haben. 873 So wird zu Recht die von der schweren Körperverletzung regelmäßig nicht erfaßte Abhängigkeit von Medikamenten als gesundheitlicher Schaden i. S. d. § 1904 S. 1 BGB angesehen874. Der Bezug auf die schwere Körperverletzung vermag allerdings durchaus auch zur Erweiterung des Begriffes gesundheitlicher Schaden führen. Das LG Berlin 8 7 5 maß beispielsweise das Vorliegen eines gesundheitlichen Schadens auch an dem Ausmaß der Beeinträchtigung in der alltäglichen Lebensführung. Beachtlich können danach auch die zu erwartenden negativen Reaktionen der Mitmenschen seien, wie sie etwa bei den im Zusammenhang mit der längerfristigen Vergabe von Neuroleptika auftretenden Spätdyskenesien häufig nicht auszuschließen sind 876 . Die 870 BT-Drs. 11/4528, S. 142. 871 § 226 StGB in der Fassung des 6. StrÄndG vom 26. 1. 1998 (BGBl. IS. 164). 872 Verlust des Sehvermögens auf zumindest einem Auge, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit, eines wichtigen Gliedes des Körpers bzw. dessen dauerhafte Gebrauchsuntauglichkeit; dauernde erhebliche Entstellung, Siechtum, Lähmung, geistige Krankheit oder Behinderung. 873 MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn .13; Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 16; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 310; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 133. 874 Bauer/Birk/Rink, § 1904 Rn. 7; Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 16; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 311. 875 BtPrax 1993, 68. 876 Bauer/Birk/Rink, § 1904 Rn. 4. 1

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

mittelbaren sozialen Folgen eines Eingriffs sind m. E. kein Gesundheitsschaden im wortgetreuen Sinn. Bei einer Anlehnung an § 224 a.F. StGB, der bei der Beurteilung der Schwere der Folgen auch die sozialen Auswirkungen einbezieht, ist diese Erweiterung jedoch durchaus folgerichtig. Daher sollten auch die sozialen Auswirkungen von Therapieschäden Berücksichtigung finden 877 . Der Schaden muß schwer und von längerer Dauer sein. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen 878 . Die amtliche Begründung versteht unter einem Zeitraum, der als dauernd anzusehen ist, etwa ein Jahr 879 . Eine derartige Zeitgrenze wird jedoch allenfalls als Orientierungspunkt zu sehen sein. Verfehlt wäre es, Schwere und Dauer getrennt voneinander zu betrachten und für beide Merkmale feste Grenzen zu entwickeln. Die Schwere der Folge ist bei der Beurteilung der Dauer nämlich durchaus zu berücksichtigen, eine verhältnismäßig kurze Beeinträchtigung kann bei entsprechender Schwere der Folge durchaus die Genehmigungspflicht begründen 880. Die Grenze eines solchen Ausgleichs ist allerdings erreicht, wenn ein Schaden nur vorübergehender Natur ist. Dann unterliegt die Behandlung unabhängig von der Schwere möglicher Beeinträchtigungen nicht der Genehmigungspflicht des § 1904 S. 1 BGB 8 8 1 . Das Merkmal „längere Dauer" ist schon dem Wortsinn nach nicht mit „dauerhaft" gleichzusetzen. Daher kann auch der Ansatz, daß die Möglichkeit von Nebenwirkungen, die reversibel sind, in keinem Fall die Genehmigungspflicht auslösen kann 882 , nicht überzeugen. Reversible Nebenwirkungen sind nicht notwendigerweise vorübergehender Natur 883 , sondern können für viele Jahre gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit des Betroffenen haben.

cc) Gefahrbegriff Schon im Gesetzgebungsverfahren bestanden erhebliche Schwierigkeiten, den Grad der Wahrscheinlichkeit, mit der schwere Nachteile zu erwarten sein müssen, zu umschreiben. Der gefundene Begriff der begründeten Gefahr soll ausdrücken, daß subjektive Befürchtungen nicht ausreichen, es sich vielmehr um eine ernstliche und konkrete Gefahr 884 handeln muß. Die Vorstellungen des Gesetzgebers deuten auf einen Gefahrengrad hin, der zwischen der einfachen und dringenden Gefahr liegen soll 8 8 5 . Zutreffend wird daher angenommen, daß schon der Ausnahmecha877

Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 309.

878

LG Berlin vom 5. 11. 1992, R&P 1993, S. 40; MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn .13. 879 BT-Drs. 11/4528, S. 141; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 318. sso So aber Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 16.

881

Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 315. 552 LG Berlin, BTPrax 1993, S. 66 f. 553 Bauer/Birk/Rink, § 1904 Rn. 6. ss4 Bauer/Birk/Rink, § 1904 Rn. 8; Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 17.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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rakter der Vorschrift dazu zwinge, ein über das übliche Maß der Gefährdung, das jede medizinische Maßnahme mit sich bringt, hinausgehendes Risiko 8 8 6 zu verlangen. Abweichende Ansätze stellen auf das Risiko beim Durchschnittspatienten ab 8 8 7 . Ob eine begründete Gefahr i. S. d. § 1904 S. 1 BGB vorliegt, hängt von zwei Faktoren ab. Zunächst ist die generelle Gefährlichkeit einer bestimmten Maßnahme zu ermitteln, die sich im Idealfall hinreichend empirisch belegen läßt. Eine begründete Gefahr i. S. d. § 1904 S. 1 BGB ergibt sich daraus nur in eindeutigen Fällen, wie ζ. B. bei der Amputation 888 wichtiger Gliedmaßen, bei der der Eintritt einer schweren Folge nicht nur wahrscheinlich, sondern Zweck des Eingriffs ist. Im Regelfall hängt die Gefährlichkeit aber ganz entscheidend von der Konstitution des Patienten, eventuellen Vorschädigungen, dem Alter etc. ab und ist daher am konkreten Fall zu beurteilen 889 . Generell ausgenommen werden können wohl nur untypische Risiken 890 , wie ζ. B. die stets bestehende Möglichkeit eines Kunstfehlers 891.

dd) Ausgewählte Einzelfragen Schon anhand des breiten 892 und erfreulichen wissenschaftlichen Interesses, daß die recht junge Vorschrift des § 1904 BGB gefunden hat, läßt sich die praktische Bedeutung der Vorschrift ermessen. Gleichzeitig belegt das Interesse, wie komplex die aufgeworfenen Probleme sind. Für jede denkbare medizinische Maßnahme eine abschließende Antwort zu finden, ist völlig aussichtslos. Allgemeingültige Maßstäbe zu finden ist dagegen eine Aufgabe, der sich Rechtsprechung und Literatur noch für geraume Zeit zu stellen haben.

885 MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn. 11; Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 17. 886 MünchKomm-Schwab, § 1904Rn. 12. 887 K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 128. 888 Bauer/Birk/Rink, § 1904 Rn. 13. 889 LG Berlin vom 5. 11. 1992, R&P 1993, S. 40; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 325 ff.; A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 142 ff.; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 126 f.; Winkler-Wilfurth, S. 126 f. 890 A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 135. 891 Bauer/Birk/Rink, § 1904 Rn. 4; a.A. offenbar Schreiber, FamRZ 1991, S. 1014 ff., wie an der Einbeziehung der Dauer-Katheterisierung wegen möglicher Infektionen deutlich wird. Eine Einbeziehung des Riskos einer Anfängeroperation wird von Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 322 ff. befürwortet. 892 Das zeigt schon der Vergleich zur Publikationsdichte zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung und dem Maßegelvollzug. Trotz der absolut vergleichbaren Problematik der schwerwiegenden Eingriffe, hat erst das Betreuungsgesetz Anlaß gegeben, sich in Literatur und Rechtsprechung in größerem Umfang mit den einschlägigen Fragen zu beschäftigen.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Schon die Beurteilung operativer Eingriffe bereitet gewisse Schwierigkeiten. So sollen ζ. B. neurochirurgische Eingriffe 893 und Herzoperationen 894 stets die Genehmigungspflicht auslösen. Allerdings ist zu bedenken, daß der umgangssprachliche Begriff Herzoperation höchst unterschiedliche Verfahren erfaßt; vom schweren Eingriff unter Eröffnung des Brustraumes bis zur Katheterbehandlung und Dilatationen 895 etc. Jede dieser Maßnahmen ungeprüft als genehmigungspflichtig anzusehen, erscheint daher gewagt. Einigkeit besteht dagegen bei der Beurteilung des allgemeinen Narkoserisikos. Dieses soll nicht von § 1904 BGB erfaßt sein 896 , bei besonderen Risikogruppen soll die Genehmigung dagegen erforderlich sein 897 . Als breites Problemfeld stellt sich die medikamentöse Behandlung und die Beurteilung von Nebenwirkungen dar. Die „Radikallösung", daß Nebenwirkungen grundsätzlich keine Gefahr i. S. d. § 1904 BGB begründen könnten, weil sämtliche Medikamente nach Prüfung gemäß dem AMG zugelassen seien 898 , wird man kaum ernsthaft vertreten können. Nachteilige und schwere Nebenwirkungen von Medikamenten sind schon in der amtlichen Begründung als Beispiel genannt 899 und werden weder von der Rechtsprechung 900 noch von der Literatur vom Anwendungsbereich des § 1904 BGB ausgenommen. Allerdings stellt sich hier das Problem, vorübergehende Nebenwirkungen von im Rahmen des § 1904 S. 1 BGB beachtlichen Spätfolgen 901 abzugrenzen. Insbesondere für den betreuungsrechtlich wichtigen Bereich der Behandlung mit Psychopharmaka 902 wurde versucht, Listen 903 aufzustellen, die teilweise zwischen einmaliger und langfristiger Einnahme 904 unterschieden, teilweise vorrangig hochpotente Neuroleptika 905 einbezogen. Derartige Listen sind zu Recht auf Vorbehalte gestoßen906. Behandlungsmethoden und mögliche Behandlung von unerwünschten 893 MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn .14; Bauer/Birk/Rink, § 1904 Rn. 13. 894 Jh. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 342 mit weiteren Beispielen. 895 Die Risiken einer solchen Behandlung sind umfassend in BVerfGE 89, 120 ff. dargelegt. Die Entscheidung, die zum § 231a StPO erging, dürfte auch für die Auslegung des § 1904 BGB von Interesse sein. 896 Palandt-Diedrichsen, § 1904 Rn. 5; Holzhauer, BtPrax 1995, S. 84. 897 Bauer/Birk/Rink, § 1904 Rn. 14; Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 17 ; Jürgens/Kröger/ Marschner/Winterstein, Rn. 206. 898 Dose, Nervenarzt 1994, S. 788. 899 BT-Drs. 11/4528, S. 140. 900 OLG Hamm vom 8. 1. 1997, Az.: 15 W 398/96, R&P 1997, S. 184, 186. 901 LG Berlin, vom 5. 11. 1992, R&P 1993, S. 40. 902 Ausführlich: Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 360 ff. 903 Zuerst: Schreiber, FamRZ 1991, S. 1014 ff. 904 Bauer /Birk/Rink, § 1904 Rn. 15; Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 19 ff. 905 Bauer/Birk/Rink,

§ 1904 Rn. 17.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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Nebenwirkungen sind stetem Wandel unterworfen 907. Eine Liste ist daher notwendigerweise unvollständig, schon bei der Veröffentlichung veraltet und stets berechtigter Kritik ausgesetzt. Die Konkretheit einer Checkliste bietet allerdings den unschätzbaren Vorteil, den interdisziplinären Dialog anzuregen, der beim Austausch abstrakter juristischer Formulierungen selten in Gang kommt. Als Diskussionsgrundlage für einen permanenten Austausch sind diese Listen daher fast unentbehrlich. Als Grundlage der Entscheidung im Einzelfall sind sie jedoch nur bedingt geeignet, da sie naturgemäß die Konstitution des jeweiligen Patienten nicht erfassen können. Als Beispiel für den Wandel, dem die Einschätzung der Gefährlichkeit unterliegt, sei die bereits mehrfache erwähnte Behandlung mit Clozapin (= Leponex®) genannt. Bei einer Vielzahl von Gerichten 908 und Einrichtungen stellt diese Behandlung ein prominentes Beispiel einer genehmigungspflichtigen Behandlung dar. Mittlerweile dürfte diese Einschätzung nicht mehr zwingend sein 909 . Gerade die Behandlung mit Clozapin ist heute nur noch unter besonderen Sicherungsmaßnahmen zulässig und üblich. Das Risiko ist mittlerweile als recht gering einzuschätzen910, eine generelle Genehmigungspflicht nach § 1904 S. 1 BGB kaum mehr zu rechtfertigen 911 . Im übrigen ist die Genehmigungspflicht bei medikamentöser Behandlung abhängig von Art der Dosierung, Dauer der Anwendung und schließlich dem Patienten 9 1 2 . Hinsichtlich der Dauer der Behandlung hat beispielsweise das AG Bremen jüngst entschieden, daß eine Behandlung mit Neuroleptika über einen Zeitraum von 6 Monaten wegen der Gefahr von Spätdyskinesien genehmigungspflichtig 913 sei. Bei hochpotenten Neuroleptika sollen schon mehrere Wochen ausreichen 914, wobei allerdings je nach Art und Dosierung des Medikaments nicht jede kurzfristige Behandlung mit Psychopharmaka genehmigungspflichtig sein dürfte 915 .

906 Holzhauer, BtPrax 1995, S. 83; Wolter-Henseler, 1993, S. 1032; Bauer/Birk/Rink, § 1904 Rn. 10.

BtPrax 1994, S. 183 ff.; Dose, FamRZ

907

Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 337. 908 in Köln wird diese Behandlung nach eigenen Befragungen meist als genehmigungsbedürftig angesehen. Die Praxis bei anderen Gerichten ist allerdings recht uneinheitlich, vgl. Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 376 ff. 909 Bauer/Birk/Rink, § 1904 Rn. 19; ausführlich: Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 375 ff. 910 Dose, Nervenarzt 1994, S. 789. 911 912 913 914

Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 380. Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 354 ff. AG Bremen vom 3. 11. 1995, R&P 1997, S. 84 ff. LG Berlin vom 4. 11. 1992, R&P 1993, S. 40.

915 LG Berlin vom 4. 11. 1992, R&P 1993, S. 40.

168

1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Als weiteres Beispiel mit praktischer Relevanz sei die Beurteilung der Elektrokrampftherapie genannt. Die Einschätzungen reichen von der Ansicht, daß viele Fälle der EKT genehmigungspflichtig seien 916 bis zur mit den medizinischen Fortschritten begründeten Auffassung, daß die EKT der Genehmigungspflicht grundsätzlich nicht unterliege 917 . Das LG Hamburg hat mittlerweile zu einer recht differenzierten Beurteilung gefunden. Hatte man dort zunächst wegen der retrograden Gedächtnisstörungen eine Genehmigungspflicht angenommen918, so wird die Genehmigungspflicht nun für die unilaterale 919 EKT grundsätzlich verneint 920 , in der gleichen Entscheidung aber festgestellt, daß bilaterale Behandlungen nach wie vor genehmigungspflichtig seien. 921

ee) § 1904 S. 2 BGB Eine Genehmigung ist nach § 1904 S. 2 BGB nicht notwendig, wenn mit dem Aufschub der Behandlung Gefahr verbunden ist. Das Erfordernis der Einwilligung des Betreuers entfällt natürlich nicht 9 2 2 . Wie dringlich die Behandlung im Falle des § 1904 S. 2 BGB sein muß, wird offengelassen. Fest steht nur, daß nicht der Gefahrbegriff des Satzes 1 zu Grunde zu legen ist. Ob eine Beschränkung auf eine Gefahr für Leib und Leben sinnvoll ist, wird bezweifelt, da sonst die Behandlung psychischer Krankheiten generell ausscheide923. Der Versuch, die Gefahr stets bei medizinisch unaufschiebbaren Behandlungen anzunehmen924, führt ebenfalls nicht recht weiter, da es unter medizinischen Gesichtspunkten fast immer sinnvoll sein wird, die Maßnahme unmittelbar nach Eintreten der Indikationsstellung durchzuführen. Festhalten kann man allerdings, daß Notfall- und Unfallhilfe auch ohne Genehmigungsverfahren zulässig sind 925 .

916

Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, 917 Dodegge, FamRZ 1996, S. 74 ff.

Rn. 207.

918 LG Hamburg vom 31. 3. 1994, FamRZ 1994, S. 1204 = R&P 1995, S. 49. 919 Dabei werden die Elektroden auf einer Seite des Schädels piaziert. Bei vergleichbarer Wirksamkeit sind die Nebenwirkugen deutlich reduziert. Zur medizinischen Seite ausführlich: Dodegge, FamRZ 1996, S. 74 f. 920 LG Hamburg vom 25. 5. 1998, Az.: 301 Τ 194/98; ebenso: Dodegge, FamRZ 1996, S. 79; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 347 f. 921 LG Hamburg vom 25. 5. 1998, Az.: 301 Τ 194/98. 922 MiìnchKomm-Schwab, § 1904 Rn 19. 923 Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 31. 924 Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein, 925 Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 31.

Rn. 208.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

169

ff) Kritik Die Anwendung des § 1904 BGB wirft in der Praxis zahlreiche Schwierigkeiten auf, wie Beispiele aus der Praxis belegen 926 . Die Palette der Probleme reicht von der Überlastung der Gerichte bis zu völlig untauglichen Entscheidungen. Beschlüsse mit dem Inhalt „Die medikamentöse Behandlung wird genehmigt" 927 sind ohne weitere Einschränkung im Hinblick auf die Art und Weise der Behandlung schlicht unbrauchbar, wenn nicht gar Anzeichen offener Rechtsverweigerung. Gutachter sind nicht ausreichend vorhanden oder nicht in der Lage, die Gutachten in einem Zeitraum zu erstellen, der den medizinischen Notwendigkeiten entspricht 928 . Es wird berichtet, daß Ärzte und Einrichtungen angesichts der administrativen Schwierigkeiten eigene Strategien entwickeln 929 , das Genehmigungsverfahren ζ. B. durch großzügige Annahme von Einwilligungsfähigkeit beim Betreuten zu umgehen 930 . Die Einschätzung, daß die Rechtspflege bei problembewußter und konsequenter Anwendung des § 1904 BGB durch Ärzte, Betreuer und Einrichtungen endgültig zum Stillstand kommen würde, erscheint nicht abwegig 931 . Viele Praktiker stehen dem Genehmigungsverfahren auch in Anbetracht der Tatsache, daß viele offensichtlich nicht einwilligungsfähige Menschen nicht einmal einen Betreuer haben, sehr skeptisch gegenüber 932. Es ist daher durchaus die Frage erlaubt, ob die Schaffung des § 1904 BGB rechtspolitisch sinnvoll war. Die Entscheidung über die Genehmigung wirft nämlich nicht nur praktische Schwierigkeiten auf, sondern weist auch ein ernstzunehmendes strukturelles Problem auf. Die Entscheidungen ergehen zwingend auf der Grundlage eines ärztlichen Gutachtens, dem sich das Gericht auch regelmäßig anschließen wird. Die Frage nach der Rechtfertigung des administrativen Aufwandes stellt sich also durchaus 933.

926 Holzhauer, BtPrax 1995, S. 81 ff.; vgl. auch Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 348 ff. 927 Konrad, R&P 1996, S. 78; auch Holzhauer, BtPrax 1995, S. 81 ff. 928

Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 20 ff. Winkler-Wilfurth, S. 141. 930 Konrad, R&P 1996, S. 78. 929

931 Diese Einschätzung bestätigt sich, wenn man bedenkt, wie viele Verfahren nach § 1906 BGB einzuleiten wären, wenn insbesondere im Bereich der Altenpflege konsequent jede freiheitsentziehende Maßnahme zur Entscheidung gebracht würde. 932 Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 23 stellte bei einer Befragung im Landkreis Esslingen fest, daß etwa die Hälfte der Bewohner von Alten-, Pflege- und Behinderteneinrichtungen trotz vorliegender Einwilligungsunfähigkeit keinen Betreuer hat, vgl. dazu auch Klie, BtPrax 1996, S. 38. Eigene Beobachtungen bestätigen diese Einschätzung weitgehend. Allerdings bestehen zwischen verschiedenen Einrichtungen insoweit ganz erhebliche Unterschiede. 933 K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 129.

170

1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Ein nicht unter Betreuung stehender Erwachsener wird bei planbaren schwerwiegenden Eingriffen häufig von der Möglichkeit Gebrauch machen, einen zweiten Arzt zu konsultieren. Es gibt keine gewichtigen Gründe, warum man diesen alltäglichen und praktikablen Weg nicht auch im Betreuungsverhältnis zur Pflicht machen sollte, wenn ein schwerwiegender Eingriff bei dem Betreuten vorgenommen werden soll. Verbunden mit einer entsprechenden Dokumentationspflicht wären Schutz und Interessen des Betreuten gewahrt und der administrative Aufwand auf das Notwendige reduziert. Wie gering Nutzen und Berechtigung des derzeitigen Verfahrens sind, ergibt sich schon aus der geringen Quote der negativen Entscheidungen in Verfahren nach § 1904 BGB 9 3 4 .

b) Heilversuche Nach der amtlichen Begründung soll die Einwilligung in eine klinische Prüfung von Arzneimitteln außerhalb der Befugnisse des Betreuers liegen 935 . Die sich daraus ergebende Meinungsverschiedenheit, ob damit alle Maßnahmen nach § § 4 0 42 AMG ausgenommen sein sollen 936 , oder aber zumindest die Heilversuche nach § 41 AMG zulässig sind 937 , erweist sich bei näherer Betrachtung als sprachliches Mißverständnis. 938 Nicht die mit der Überschrift „Klinische Versuche" bezeichneten §§ 40-42 A M G 9 3 9 , sondern das Humanexperiment nach § 40 AMG soll wie bisher ausgeschlossen sein, wie sich bei unvoreingenommener Betrachtung des Gesetzestextes recht leicht erschließt. Diese Form des klinischen Versuches, bei dem ein potentieller therapeutischer Nutzen des Betroffenen regelmäßig nicht besteht, ist angesichts des eindeutigen Wortlautes des § 40 Abs. 2 Nr. 2 A M G 9 4 0 bei einem volljährigen Betreuten, der einwilligungsunfähig ist, ausgeschlossen941. Eine Einwilligung in einen derartigen Versuch ohne individuellen Nutzen ließe sich schon mit den Bindungen des Betreuers aus § 1901 Abs. 2 BGB nicht vereinbaren. Versuche, das dort genannte Wohl des Betreuten in das Allgemeinwohl umzudeuten, sind schon im Ansatz verfehlt. Ob für das Humanexperiment an Betreuten das Bedürfnis für eine Ausnahmeregelung besteht, soll hier nicht bewertet werden. Eine analoge Anwendung der Regelungen über Minderjährige (§ 40 Abs. 4 AMG), wie sie jüngst vorgeschlagen wurde 942 , steht rechtsdogmatisch auf höchst 934 s. u. III. 935 BT-Drs. 11/4528, S. 142. 936 So wohl MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn. 18. 937 Bauer/Birk/Rink, vor § 1904 Rn. 7; Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 24; A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 118 ff.; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 76 f. 938 Erman-Holzhauer, § 1904 Rn. 24. 939 Bzw. §§ 17, 18 MPG. 940 Entsprechend: § 17 II MPG. 941 K-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 75 mwN. 942 Holzhauer, NJW 1992, S. 2330; vgl. A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 121.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

171

unsicherem Boden, da eine Ausnahmevorschrift nach den allgemeinen Regeln nicht analogiefähig ist 9 4 3 . Anstatt die Grenzen der Rechtsfortbildung erkennbar zu verlassen, sollte man die Entscheidung daher dem Gesetzgeber überlassen 944. Hinsichtlich des Heil Versuches nach § 41 A M G 9 4 5 , also einer nicht anerkannten, aber für den Betroffenen potentiell nützlichen Behandlung, ist durch das Betreuungsrecht keine Änderung eingetreten. Diese Erprobung ist zulässig, wobei die Einschränkung bei Untergebrachten 946 zu beachten ist.

c) Vetorechte Mit dem Begriff Vetorecht werden in der betreuungsrechtlichen Literatur höchst unterschiedliche Einspruchsrechte des Betroffenen gegen eine mögliche Entscheidung des Betreuers bezeichnet. Ein einheitliches Konzept besteht nicht. Gleichwohl verdient der Gedanke Beachtung, daß dem Willen des einwilligungsunfähigen Betreuten trotz der Entscheidungskompetenz des Betreuers in irgendeiner Form rechtliche Bedeutung zukommen sollte. Ausdrücklich normierte Vetorechte des Betreuten finden sich in einer Vielzahl von Vorschriften. Außerhalb des Gegenstandes dieser Untersuchung liegen die Sterilisation bzw. Kastration, die gegen den natürlichen Willen des Betroffenen nicht zulässig sind 947 . Als Vetorechte kann man auch solche Regelungen in den Psychisch-Kranken- 948, Unterbringungs- 949 und Maßregelvollzugsgesetzen 950 ansehen, die den Eingriff von der zusätzlichen, nicht ersetzenden Einwilligung des Betreuers abhängig machen. 951 Einspruchsrechte und deren Übertragbarkeit werden darüber hinaus im Bereich der antizipierten Einwilligung in klinische Versuche 952 oder für die Organspende 953 diskutiert.

943 944 945 946

Helmchen /Lauter, S. 63 f.; A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 122. So auch: A. Frost, Arztrechtliche Probleme, S. 122. Bzw. § 18 MPG. S.o. A. II.) 5 b.).

947 Vgl. § 1905 Abs. 1 Nr. 1 BGB; § 3 Abs. 3 Nr. 2 KastrG; für die Kastration besteht allerdings die Gegenausnahme der Notlage, vgl. §§3 Abs. 4, 4 Abs. 2 KastrG; ausführlicher dazu: Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 226 f. 948 § 16 Abs. 3 PsychKG Hamb.; § 26 Abs. 2 Nds. PsychKG a.F.; § 17 Abs. 6 PsychKG LSA. 949 § 8 Abs. 4 UBG BW. 950 Z. B. § 8 Abs. 6 S. 3 MVollzG LSA; § 8 Abs. 2 S. 3 Hamb MVollzG; § 6 Abs. 4 S. 2 MVollzGRhPf. 951 Vgl. Amelung, R&P 1995, S. 21; ein weiteres Beispiel enthält § 18 Nr. 5 MPG. 952 Helmchen/Lauter, S. 56 f. 953 Vgl. Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 228 ff.

172

1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Neben diesen Vetorechten mit begrenztem Anwendungsbereich wird allerdings auch eine Konzeption diskutiert, die allgemein einen Einfluß des Betreuten auf die Betreuerentscheidung rechtlich sichern soll. Im Kern geht es hierbei um das bereits bei der Frage nach Zwangsbehandlungen954 angesprochene Problem, ob dem einwilligungsunfähigen Betreuten ein im Außenverhältnis beachtliches Mitspracherecht bei Entscheidungen über die Heilbehandlung zusteht. Der Umstand, daß ärztliche Eingriffe im Gegensatz zu Entscheidungen im Bereich der Vermögenssorge sehr viel seltener revidierbar sind, läßt das Bedürfnis entstehen, eine Rechtsfigur zu schaffen, die über die Regelung des § 1901 Abs. 3 BGB hinausgeht955. Diskutiert werden vor diesem Hintergrund Ansätze, je nach Indikationslage, Dringlichkeit und Schwere der Behandlung dem Betreuten ein Mitspracherecht einzuräu956

w

men Voraussetzung für ein solches Mitspracherecht ist allerdings, daß eine Vetomündigkeit etabliert werden könnte, deren Voraussetzungen zwischen denen der Einwilligungsfähigkeit und dem natürlichen Willen liegen müßten 957 . Diese von der Einwilligungsfähigkeit, die ohnehin je nach Einzelfall schwankt, abzugrenzen, birgt erhebliche Probleme 958 . Es stellt sich zudem die Frage, ob die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen der Selbstbestimmung und dem Schutz des Betreuten, unter Umständen auch dem Schutz vor sich selbst 959 , durch die Schaffung neuer Rechtsfiguren wie dem Vetorecht hinreichend gelöst werden können. Es besteht die Gefahr, daß die ζ. T. schwierigen Wertungen, die sich zunächst an den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu orientieren haben, eher verdeckt als herausgearbeitet werden. Ein allgemeines Vetorecht des Betreuten dürfte jedenfalls zur Zeit nur extra legem begründbar sein und damit allenfalls als Gegenstand rechtspolitischer Betrachtungen tauglich sein. 960

954 s.o. II. 3 a.). 955 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 215. 956 Dieser Gedanke geht maßgeblich auf Amelung zurück, vgl. Amelung, R&P 1995, S. 21 f.; der s., Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger im Grenzbereich medizinischer Intervention, Berlin 1995; und wurde seitdem regelmäßig aufgegriffen, vgl. nur Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 231 ff.; K-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 99 ff. 957 958 959 960

Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 215. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 217. Dezidiert: K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 106. Vgl. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 215 ff.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

173

I I I . Praktische Bedeutung Die Anzahl der bestehenden Betreuungen dürfte bis Ende 1997 auf ca. 750.000 angestiegen sein. 961 Die Zunahme der Betreuungen ist beachtlich, wenn man bedenkt, daß im Jahre 1975 lediglich 184.232, im Jahre 1984 233.303 Personen unter Vormundschaft standen. Bereits 1995 war die Zahl der bestehenden Betreuungen auf 624.695 angestiegen. Die Ursachen dafür lassen sich nicht nur in der demographischen Entwicklung finden. Im Beitrittsgebiet bestand erheblicher Nachholbedarf. Durch die Einführung der Pflegeversicherung wurden verstärkt gesetzliche Vertreter benötigt. Möglicherweise hat das Betreuungsrecht auch zu einem Absinken der „Hemmschwelle" gegenüber dem bisherigen Entmündigungsverfahren geführt 962 , was durchaus Intention des Gesetzgebers war. Bei wie vielen Betreuungen der Bereich Gesundheitsfürsorge bzw. Heilbehandlung zum Aufgabenkreis des Betreuers gehört, läßt sich nicht feststellen, da die Zusammenstellungen der Geschäftsübersichten der Amtsgerichte eine derartige Aufschlüsselung bisher nicht vorsehen. Erfaßt wird dagegen die Anzahl der gestellten Anträge gemäß § 1904 BGB. Die absolute Zahl schwankt bei leicht steigender Tendenz zwischen 2.222 (1992) und 2.664 (1996) 963 . Bemerkenswert ist, daß zwischen 80% und 90% der Anträge positiv entschieden wurde. Das bedeutet jedoch nicht, daß in 10% - 20% der Fälle der Antrag abgelehnt wurde. 1994 sind beispielsweise nur 7% der Anträge abgelehnt worden, 11,4% der Verfahren erledigten sich auf „sonstige Weise" 964 , also durch Rücknahme des Antrages. In vielen Fällen der Erledigung in sonstiger Weise dürften Zeitablauf bzw. ein Rückgriff auf § 1904 S. 2 BGB, die Wahl einer Alternativbehandlung oder der zwischenzeitliche Tod des Betreuten eine Rolle gespielt haben. Erwähnenswert sind die deutlichen regionalen Unterschiede bei Verfahren nach § 1904 BGB. Sowohl die Anzahl der gestellten Anträge als auch die Quote der Ablehnungen unterscheiden sich erheblich. 1994 lag die Quote von Anträgen gemäß § 1904 BGB im Bundesdurchschnitt bei 3,16 je 100.000 Einwohner. In Niedersachsen, das mit 663 Anträgen im Jahre 1994 auch bei den absoluten Zahlen führte, liegt diese Quote bei 8,9. Hessen (5,9), Rheinland-Pfalz (4,9), Baden-Württemberg (4,2), Bayern (3,1) und Sachsen (2,8) bewegen sich noch im Mittelfeld. Nordrhein-Westfalen (1,6) und Schleswig-Hol961 Deinert, FamRZ 1998, S. 935. 962 Deinert, FamRZ 1998, S. 934 f. 963 1993 wurden 2.058, 1994 schon 2.525 Anträge gestellt; vgl. auch Deinert, FamRZ 1998, S. 936. 964 Diese und die folgenden Zahlen beruhen auf Angaben des Bundesministeriums der Justiz und der jeweiligen Landesministerien, die sich ihrerseits auf die Zählblätter in Betreuungsverfahren bzw. die Geschäftsübersichten der Amtsgerichte beziehen.

174

1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

stein (1,9) weisen eine deutlich geringere Quote auf, werden aber von den neuen Bundesländern 965 einschließlich Berlin (0,2) und den Stadtstaaten966 noch deutlich unterboten. Ebenso wie bei den höchst unterschiedlichen Quoten bei den öffentlich-rechtlichen Unterbringungen fehlt auch für diese statistischen Unterschiede eine nachvollziehbare Erklärung. Ebenso gravierend sind die Abweichungen hinsichtlich der Quote der Ablehnungen. Der Bundesdurchschnitt liegt bei etwa 7 % 9 6 7 . 1993 wurden in Bayern 212 der insgesamt 730 9 6 8 Anträge abgelehnt, was einen Prozentsatz von ca. 29% ergibt. Die Ursache dafür ist nicht aufzuklären. 1994 jedenfalls sank in Bayern die Quote auf 17%, was neben den 24%, die in Nordrhein-Westfalen für 1994 festgestellt werden konnten, immer noch an der Spitze liegt. In den meisten anderen Ländern, in denen die Anzahl der Verfahren eine Berechnung erlaubt, liegt die Quote deutlich niedriger. Baden-Württemberg liegt mit 4% im Mittel, Rheinland-Pfalz mit 0,5% und Sachsen mit 1,5% deutlich darunter 969 . In Hessen werden zwischen 0,2% und 5% der Anträge abschlägig beschieden.970 In Niedersachsen werden auf gleichbleibendem Niveau nicht mehr als 0,6% der Anträge abgelehnt971. Auffallend ist daran, daß in Ländern, in denen verhältnismäßig wenig Anträge gemäß § 1904 BGB gestellt werden, die Quote der Ablehnungen höher liegt (ζ. B. Nordrhein-Westfalen), als in den Ländern, die eine hohe Zahl von Anträgen aufweisen (ζ. B. Niedersachsen). Dieser Zusammenhang ist bisher nicht untersucht. Es läßt sich allenfalls vermuten, daß etwa in Nordrhein-Westfalen eher nur die Zweifelsfälle den Vormundschaftsgerichten vorgelegt werden, wogegen mit steigender Anzahl der Anträge wie in Niedersachsen auch der Anteil von Genehmigungsverfahren steigt, denen klare Indikationslagen zu Grunde liegen. Unerklärlich bleibt die unterschiedliche Anzahl der Genehmigungsverfahren gemäß § 1904 BGB in den Ländern. Nicht einmal die Vermutung, daß im Beitrittsgebiet zunächst aufgrund administrativer Schwierigkeiten weniger Verfahren zu registrieren sind, als in den sog. alten Ländern, läßt sich aufrechterhalten, wie die Zahlen aus Sachsen zeigen. Sollten die unterschiedlichen Ergebnisse nicht nur Folge der unterschiedlichen Gewissenhaftigkeit der Richterschaft bei der Erhebung der Daten sein, was nicht völlig ausgeschlossen werden kann, so bleibt als Eindruck, daß das Verfahren nach 965 Brandenburg (0,8), Mecklenburg-Vorpommern (0,1), Sachsen-Anhalt (0,6), Thüringen (0,5). 9 66 Hamburg (0,3), Bremen (0,1). 967

Bezogen auf das Jahr 1994. Was einer im Bundesdurchschnitt außerordentlich hohen Quote von 6,9 Anträgen pro 100.000 Einwohner entspricht. Nicht recht zu erklären ist, warum ein Jahr später nur noch 360 Verfahren anhängig gemacht wurden. 969 Bezogen auf 1994. 968

970 1992: 0,2%; 1993: 1,8%; 1994: 5%. 971 0,6% beziehen sich auf 1992; 1993 lag die Quote bei 0,2%, 1994 bei 0,4%.

D. Betreuungsrechtliches Konzept

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§ 1904 BGB höchst unterschiedliche Akzeptanz gefunden hat. Nicht überall scheinen Betreuer, Ärzteschaft und möglicherweise auch die Gerichte der Auffassung zu sein, daß das Genehmigungsverfahren in seiner jetzigen Form praktikabel und sinnvoll ist. Dieser Eindruck mag auf die geschilderten Schwierigkeiten bei der Umsetzung und das strukturelle Problem, daß ein recht hoher Aufwand für ein in vielen Bereichen bescheidenes Ergebnis betrieben wird, zurückzuführen sein.

IV. Zusammenfassung Für psychisch Kranke und geistig bzw. seelisch Behinderte kann im Rahmen des Betreuungsrechts ein Betreuer bestellt werden, der sie auch in Gesundheitsangelegenheiten vertritt. Entsprechend dem betreuungsrechtlichen Erforderlichkeitsgrundsatz ist der Aufgabenbereich auf das Notwendige zu begrenzen. Im Außenverhältnis ist die Einwilligung des Betreuers nur dann maßgeblich, wenn der Betreute selbst nicht einwilligungsfähig ist. Das Bestehen einer Betreuung für den Bereich Heilbehandlung ist kein sicheres Indiz für die Einwilligungsunfähigkeit des Betreuten. Dem Begriff der Einwilligungsfähigkeit kommt nicht nur im Rahmen des Betreuungsrechts eine weichenstellende Rolle zu. Grundvoraussetzung der Einwilligungsfähigkeit ist die Fähigkeit, überhaupt willensgetragen handeln zu können. Der sogenannte natürliche Wille ist unabhängig von der Motivation des Inhabers rechtlich relevant. Die Einwilligungsfähigkeit ist nicht mit der Geschäftsfähigkeit im Sinne des Bürgerlichen Rechts gleichzusetzen. Geschäftsfähige werden allerdings in der Regel auch einwilligungsfähig sein. Als einwilligungsfähig hat derjenige zu gelten, der die notwendige Einsichtsund Urteilsfähigkeit besitzt und im konkreten Fall in der Lage ist, sein Handeln nach seinem Willen zu bestimmen. Eine krankheitsbedingte Einwilligungsunfähigkeit ist möglich, allerdings läßt das Vorliegen eines bestimmten Krankheitsbildes regelmäßig keinen Schluß auf die Einwilligungsfähigkeit zu. Die Schwelle der Einwilligungsfähigkeit ist je nach den Umständen und der Komplexität des Eingriffs unterschiedlich hoch anzusetzen. Die Einsichtsfähigkeit bezieht sich auf das Erkennen und Verstehen der Tatsachen, die notwendigerweise Gegenstand der ärztlichen Aufklärungspflicht sind. Die Fähigkeit, sich ein Urteil zu bilden, setzt nicht nur die Übertragung der gewonnenen Erkenntnisse auf die persönlichen Lebensumstände des Betroffenen voraus, sondern ist auch eine subjektive Wertentscheidung des Betroffenen. Letztere ist nur eingeschränkt überprüfbar. Die Vernünftigkeit des Ergebnisses ist für die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit regelmäßig irrelevant.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen medizinischer Zwangsbehandlung

Trotz Einschaltung eines im gesetzlichen Idealfall privaten Dritten ist die Betreuung öffentliche Fürsorge, die in vollem Umfange der Grundrechtsbindung unterliegt. Für den Bereich der Heilbehandlung fehlt im geltenden Betreuungsrecht eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage, die es erlauben würde, den entgegenstehenden Willen des Betreuten bei Durchführung einer Behandlung zu überwinden. Zwangsbehandlungen sind daher nicht oder angesichts der Alternativen nur auf höchst unsicherer Rechtsgrundlage möglich. Begrenzt werden die Befugnisse des Betreuers unter anderem durch § 1904 BGB. Das Erfordernis der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung für gefährliche Heilbehandlungen wirft in der Praxis eine Reihe von ungelösten Rechtsfragen auf. Ob der mit dem Genehmigungsverfahren verbundene administrative Aufwand in angemessenem Verhältnis zum angestrebten Nutzen steht, ist mehr als fraglich. Die höchst unterschiedliche Umsetzung des § 1904 BGB in der Praxis verstärkt diesen Eindruck.

Zweiter Teil

Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung Der erste Teil der Untersuchung hat gezeigt, daß unmittelbarer Zwang zur Durchsetzung einer Heilbehandlung in unterschiedlichen Rechtsgebieten und mit unterschiedlicher Zielsetzung zugelassen ist. Im zweiten Teil der Untersuchung sind die verfassungsrechtlichen Grenzen derartiger Zwangsbehandlungen zu untersuchen. Dabei ist zunächst zu klären, welche grundrechtliche Positionen des Behandelten betroffen sein können. Das mit einer Zwangsmaßnahme verfolgte Ziel wird im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs Bedeutung erlangen. Die praktischen Konsequenzen der ermittelten verfassungsrechtlichen Grenzen werden am Ende dieses Teils zusammengefaßt.

A. Betroffene Grundrechtspositionen I . Recht auf körperliche Unversehrtheit Eine zentrale Rolle spielt das spezielle Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG, das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

1. Grundsätze

Die in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG genannten Rechte sind ohne unmittelbares Vorbild in den historischen Grundrechtsproklamationen und als Reaktion auf das nationalsozialistische Unrecht, aber auch auf die bereits beschriebenen „rassehygienischen" und eugenischen Überlegungen aus den 20er Jahren dieses Jahrhunderts in das Grundgesetz aufgenommen worden 1. In seinem klassischen Gehalt schützt das Recht auf körperliche Unversehrtheit daher vor gezielten staatlichen Eingriffen wie Zwangsversuchen an lebenden Menschen, Zwangssterilisationen und ähnlichem2. Der so umschriebene „klassische" Gehalt läßt allerdings keinen Rück1

v. Mangoldt/Klein-Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 127; Leisner, Recht auf Leben, S. 52. 2 Leibholz/Rink/Hesselberger, Art. 2 Rn. 513; vgl. auch BVerfGE 79, 174, 201 zu den Grenzen des Anliegerschutzes bei Verkehrslärm. 12 Heide

178

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

schluß auf den Umfang der aktuellen Grundrechtsgewährleistung zu. Der historische Anlaß, aus dem das Recht auf körperliche Unversehrtheit entstanden ist, führt ebensowenig wie ζ. B. bei Art. 104 Abs. 1 GG zu einer Begrenzung des normativen Gehalts des Grundrechts, wie Wortlaut und Gesetzgebungspraxis in der Bundesrepublik belegen3. Heute dürfte unbestritten sein, daß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die körperliche Unversehrtheit umfassend vor allen Einwirkungen schützt, die die menschliche Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne beeinträchtigen4. Der Begriff „körperliche Unversehrtheit" macht jedoch zugleich deutlich, daß nicht allein die Gesundheit Gegenstand der Gewährleistung ist, sondern die umfassendere körperliche Integrität. Der Grundrechtsschutz ist damit nicht auf das Freisein von Krankheit beschränkt. Auch Maßnahmen, die auf Wiederherstellung der Gesundheit gerichtet sind, können Eingriffe in den Schutzbereich darstellen5. Der umfassende Schutz der körperlichen Integrität läßt daher keinen Raum für Differenzierungen nach der Intention des Eingriffs. Folglich ist auch die ärztliche Heilbehandlung, die in die körperliche Substanz eingreift bzw. diese objektiv verändert, an Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu messen6.

2. Ausschluß geringfügiger Beeinträchtigungen Ob eine Geringfügigkeitsgrenze oder der Ausschluß zumutbarer Beeinträchtigungen anzuerkennen sind, wird durchaus unterschiedlich beantwortet7. Betrachtet man allerdings die Bereiche, für die vertreten wird, daß sozialadäquate Belästigungen keinen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG darstellen, so verliert der Meinungsunterschied für diese Untersuchung deutlich an Bedeutung. Eine Geringfügigkeitsgrenze wird ζ. B. zu Recht bei der Frage nach der Abwehr potentiell schädlicher Umwelteinwirkungen angenommen8. In diesem Bereich nicht-finaler Beeinträchtigungen ist es wohl unausweichlich, wertend zwischen 3 BVerfGE 52, 131 - Minderheitenvotum 171, 174 f. 4 Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 45; Lorenz, HbStR VI, § 128 Rn. 16; v.Mangoldt/KleinStarck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 130. 5 v.Münch-Kunig, Art. 2 Rn. 62. 6 BVerfGE 52, 131 - Minderheitenvotum 171, 175; Lorenz, HbStR VI, § 128 Rn. 17; Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 45; Sachs -Murswiek, Art. 2 Rn. 154; Ότειετ -Schulze-Fielitz, Art. 2 II Rn. 22; v.Mangoldt / Kiein-Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 162; Dürig in Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. II Rn. 36; Leisner, Recht auf Leben, S. 55; Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 271; vgl. auch Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 57, der die Problematik auf die griffige Formel bringt, daß Art. 2 Abs. I I 2. Alt. GG den jeweiligen Gesundheitszustand und damit auch den Kranken vor Versehrung schützt. 7

Dagegen: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 45; Sachs -Murswiek, Art. 2 Rn. 163; Dreier-Sc/iw/ze-Fielitz, Art. 2 I I Rn. 31, der von einer „wohl noch herrschenden" Auffassung für den Ausschluß gerinfügiger Eingriffe ausgeht; vgl. dazu auch Lorenz, HbStR Rn. 17; Leisner, Recht auf Leben, S. 53. 8 Vgl. ζ. B. BVerwGE 54, 211, 223.

Α. Betroffene Grundrechtspositionen

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Beeinträchtigungen und Belästigungen zu unterscheiden. Andernfalls ließe sich mit einer gewissen Spitzfindigkeit ein Großteil staatlichen Handelns als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit werten. Man nehme das alltägliche Beispiel, daß ein Passant von einem Einsatzwagen der Feuerwehr mit eingeschaltetem Martinshorn in nächster Nähe überholt wird. Der Passant erfährt nicht nur regelmäßig eine streßbedingte hormonelle Veränderung, die zu einer wohl auch meßbaren Substanzveränderung seines Körpers führt, sondern ist zudem gezwungen - wenn auch vielleicht nicht mehr meßbar - Schadstoffe des Verbrennungsmotors des Einsatzfahrzeuges oder der aufgrund des Einsatzes wartenden Fahrzeuge einzuatmen. Eine dem Zitiergebot genügende Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz der Feuerwehr besteht nicht. Ebenso wird es möglich sein müssen, im Bereich des Nachbar- und Anliegerschutzes lediglich solche Auswirkungen auf die körperliche Unversehrtheit zum Gegenstand der Güterabwägung zu machen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nachteilige Folgen für die körperliche Unversehrtheit haben können. Bei finalen Eingriffen in die körperliche Substanz wird man eine derartige Geringfügigkeitsschwelle weder formulieren können noch brauchen. Auch die in diesem Zusammenhang häufig bemühte Entscheidung des BVerfG 9 zur Beurteilung von Maßnahmen der strafprozessualen Diagnostik, läßt keinen anderen Schluß zu. Dort ließ das Gericht zwar ausdrücklich offen, ob geringfügige oder zumutbare Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt GG eingreifen. Diese einerseits unnötige und andererseits mißverständliche Äußerung steht aber im Zusammenhang mit der Beurteilung einer sog. „hirn-elektrischen Untersuchung", also einer Elektroenzephalographie (EEG). Richtigerweise hätte man sich auf die Feststellung beschränken können, daß ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG ohnehin nicht in Betracht kam. Bei der Durchführung einer EEG wird jedenfalls keine Substanzveränderung herbeigeführt, da lediglich passive Elektroden auf die Kopfhaut des Betroffenen aufgesetzt werden, um die Hirnströme zu messen.

3. Medizinische Zwangsmaßnahmen Für die hier zu untersuchenden ärztlichen Zwangsmaßnahmen ergeben sich im Hinblick auf den vertretenen Ausschluß geringfügiger Beeinträchtigungen wenig Abgrenzungsschwierigkeiten. Die therapeutische Wirksamkeit körperlich wirkender Behandlungen bedingt den Eingriff in die körperliche Integrität, auch wenn eine Verletzung der Substanz nicht immer festzustellen ist. Nicht-körperliche Behandlungsmethoden wie ζ. B. psychotherapeutische Verfahren sind unter der Anwendung unmittelbaren Zwanges praktisch nicht durchführbar und können folglich vernachlässigt werden. 9 BVerfGE 17, 108,115. 12*

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

Die Grundrechtsgebundenheit der Behandelnden ist für alle dargestellten Rechtsbereiche uneingeschränkt zu bejahen. Im Bereich des besonderen Ordnungsrechts (GeschlKrG), Unterbringungs-, Maßregelvollzugs- und Strafvollzugsrecht erübrigt sich eine nähere Begründung. Auch die Ausübung des Betreueramtes ist jedoch wie gezeigt10 die Ausübung hoheitlicher Gewalt und damit ohne Einschränkungen grundrechtsgebunden i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG. Unterstellt man, daß das geltende Betreuungsrecht trotz fehlender Ermächtigungsgrundlagen Zwangsbehandlungen ermöglicht, so wären diese jedenfalls an Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG zu messen. Die wirksame Einwilligung des Betroffenen schließt demgegenüber einen Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit aus11. Für das Einwilligungssurrogat der mutmaßlichen Einwilligung, das im übrigen meist im nicht-hoheitlichen Bereich Anwendung finden dürfte, muß das Gleiche gelten. Es ist daher festzuhalten, daß die zuvor dargestellten Möglichkeiten der medizinischen Zwangsbehandlung jedenfalls Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit darstellen.

I I . Recht auf Leben In unmittelbarer örtlicher und thematischer Nachbarschaft zum Recht auf körperliche Unversehrtheit findet sich das Recht auf Leben. Schützt ersteres die biologisch-physische Gesundheit umfassend, so richtet sich der Schutz des Lebens auf die grundlegende biologisch-physische Existenz. Ein Bezug des in Art. 2 Abs. 2 S. 1 1. Alt. GG enthaltenen Abwehrrechts zu dem Gegenstand der Untersuchung ergibt sich nicht ohne weiteres. Die ärztliche Heilbehandlung, die das Leben beendet und damit die physische Existenz zerstört, ist sinnwidrig. Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit lassen begrifflich keine Zerstörung der Grundlage von Gesundheit zu. Allerdings schützt das Recht auf Leben auch vor nicht finalen Maßnahmen12. Ein Eingriff in den Schutzbereich ist daher schon bei schwerwiegenden, das Leben konkret gefährdenden Maßnahmen möglich 13 . Ebenso betrifft die konkrete Möglichkeit einer nicht unerheblichen Lebensverkürzung das Recht auf Leben unmittelbar 14 . 10 S.o. 1. Teil D I . 2. a). 11

Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 48a; Oreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 I I Rn. 36; vgl. auch BVerfGE 52,131 - Minderheitenvotum 171, 174 ff.; Leisner, Recht auf Leben, S. 55. 12 Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 47. ι 3 Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 49, 71; Dürig in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. I I Rn. 8 ff.; Leisner, Recht auf Leben, S. 20 ff. 14 Dürig in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. II Rn. 26.

Α. Betroffene Grundrechtspositionen

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Angesichts der Bedeutung und des Ranges des Lebensrechts ist der grundrechtliche Schutz also um so intensiver 15, je eher eine konkrete Gefährdung des Lebens festzustellen ist. Dieser verfassungsrechtliche Befund findet seine Entsprechung in den durchgängig festzustellenden Beschränkungen der Zwangsbehandlungsbefugnisse bei schwerwiegenden oder das Leben gefährdenden Behandlungen im einfachen Recht 16 .

I I I . Art. 104 Abs. I S . 2 G G Ein umfassendes und ausnahmslos bestehendes Verbot körperlicher oder seelischer Mißhandlung bei festgehaltenen Personen hat der Verfassungsgeber in Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG aufgestellt. Diese uneingeschränkt für Untergebrachte geltende Bestimmung enthält nach h. M. ein grundrechtsähnliches Recht 17 . Eigenständige Bedeutung dürfte diesem Folter- und Mißhandlungsverbot im Bereich der Heilbehandlung gegen den Willen des Betroffenen nicht zukommen. Die in der Literatur genannten Anwendungsbeispiele wie ζ. B. das Verbot ärztlicher Experimente an Gefangenen, lassen sich unproblematisch als Verletzung der Menschenwürde einordnen 18. Auch unterhalb der Schwelle der Verletzung der Menschenwürde sind keine Mißhandlungen denkbar, die einer Prüfung an den übrigen Grundrechten standhalten würden. Welchem verfassungsrechtlich legitimen Zweck sollten Folter und Mißhandlung auch entsprechen? Selbst wenn man berücksichtigt, daß Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG auch Maßnahmen verbietet, die die körperliche Unversehrtheit nicht notwendigerweise betreffen, vermittelt Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG keinen weitergehenden, allenfalls einen rechtstechnisch spezielleren Schutz. Auch vor dem Hintergrund, daß einfachrechtliche Bestimmungen, die Folter oder Mißhandlung zulassen, selbstverständlich nicht vorhanden sind, kann dieses grundrechtsähnliche Recht somit für den weiteren Gang der Untersuchung vernachlässigt werden.

15

Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 71. 16 Vgl. § 17 Abs. 2 GeschlKrG, § 101 Abs. 1 S. 2 StVollzG sowie die im 1. Teil unter A I I 3. und Β III. 3. b) dd) aufgeführten landesrechtlichen Bestimmungen des Unterbringungsund Maßregelvollzugsrechts. 17

Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 50. So auch Leisner, Recht auf Leben, S. 55, der allerdings für eine eigenständige Bedeutung des Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG plädiert. 18

182

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

IV. Menschenwürde Daß die Menschenwürde nicht nur oberster Wert, sondern auch ein vieldiskutierter Begriff der Verfassung ist, dürfte Allgemeingut sein. Diese Problematik ist pointiert mit der Bemerkung umschrieben, daß auf dem Begriff der Menschenwürde „zweieinhalbtausend Jahre" Philosophiegeschichte lasten19. Der Gegenstand der Untersuchung würde eine Aufarbeitung der unterschiedlichen zum Begriff der Menschenwürde vertretenen Ansätze kaum rechtfertigen. Daher soll lediglich versucht werden, mögliche Problemfelder und Berührungspunkte aufzuzeigen, die sich im wesentlichen auf der Grundlage des Verständnisses des Art. 1 Abs. 1 GG ergeben, die der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen ist.

1. Grundsätze Ihrer Stellung an der Spitze des Grundgesetzes entspricht die in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertretene Einschätzung, daß die in Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Menschenwürde den obersten Wert in der freiheitlichen Demokratie darstellt 20. Zumindest für die Rechtsprechung kann auch die Grundrechtsqualität des Art. 1 Abs. 1 GG und damit die Bindung staatlicher Gewalt an das „oberste Konstitutionsprinzip" als geklärt angesehen werden 21. Art. 1 Abs. 1 GG steht nicht unter Gesetzesvorbehalt. Auch kollidierendes Verfassungsrecht kann einen Eingriff nicht rechtfertigen 22. Jeder Eingriff in die Menschenwürde stellt daher zugleich einen Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie dar 23 ; Schutzbereich und effektiver Garantiebereich sind identisch24.

2. Schutzbereich Der Bestimmung des Schutzbereiches kommt damit entscheidende Bedeutung zu. Mit der Bejahung eines Eingriffs ist die Frage nach der Verfassungswidrigkeit des Eingriffs positiv beantwortet. 19 Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 353. 20 BVerfGE 5, 85, 204; 45, 187, 227. 21 Vgl. BVerfGE 1, 332, 343; 12, 113, 123; 15, 283, 286; 45, 187, 227; 61, 126, 137; BKZippelius, Art. 1 Rn. 24 ff.; Nipperdey in: Nipperdey/Scheuner, Grundrechte II, S: 11 ff.; Höfling, JuS 1995, S. 857. 22 BVerfGE 93, 266, 293; kritisch Neumann, KritV 1993, S. 287, der dem BVerfG in Hinblick auf BVerfGE 30, 1; 45,187, 227 f. nicht zu Unrecht Inkonsequenz vorwirft; diese Kritik dürfte auch auf BVerfGE 80, 367, 369 (Tagebuch) zutreffen, vgl. Höfling, JuS 1995, S. 862. 23 v. Münch-Kunig, Art. 1 Rn. 4; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 365. 24 Liibbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 27 f.; ähnlich: v.Mangoldt/ Klein-Starck, Art. 1 Rn. 20.

Α. Betroffene Grundrechtspositionen

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a) Personaler Schutzbereich Schon die Bestimmung des personalen Schutzbereiches erweist sich als weniger einfach als erwartet. Das naheliegende Ergebnis, daß jeder Mensch, unabhängig von psychischer oder körperlicher Krankheit, Behinderung, geistigen Fähigkeiten und Alter, Träger der Menschenwürde ist 2 5 , scheint in dieser Absolutheit durchaus in Frage gestellt zu werden. Insbesondere Zippelius scheint auf den ersten Blick anderer Auffassung zu sein. Von der Würdegarantie seien zunächst solche Menschen erfaßt, die zur „sittlichen Selbstbestimmung" fähig sind 26 . Damit scheinen schwerstbehinderte Menschen, die zur Autonomie oder gar zur „sittlichen Selbstbestimmung" kaum fähig sind, schon nicht mehr Träger der Menschenwürde zu sein. Dieser zumindest mißverständliche Ansatz wird allerdings auch von Zippelius nicht mit letzter Konsequenz weiterverfolgt, da andererseits vertreten wird, daß die Menschenwürde auch in „Verfallsformen menschlicher Persönlichkeit - im Geisteskranken" zu achten sei 27 , und letztlich sogar auf die Linie der herrschenden Auffassung eingeschwenkt wird. 28

b) Sachlicher Schutzbereich Eine positive Umschreibung des Gehalts der Menschenwürde ist ungleich schwieriger. An naturrechtliche Vorgaben lehnt sich die Bestimmung der Würde als „Eigenwert und die Eigenständigkeit, die Wesenheit, die Natur des Menschen schlechthin"29 an. Die Rechtsprechung des BVerfG orientiert sich an den Bedürfnissen der praktischen Rechtsanwendung und bestimmt den Würdegehalt vom Eingriff her 30 . Das BVerfG bedient sich nach Versuchen, verletzende Eingriffe vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen zu umschreiben 31, nunmehr in ständiger Rechtsprechung der sog. Objektformel, die maßgeblich von Dürig geprägt wurde. Danach widerspricht es der Würde des Menschen, ihn zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu machen32. 25 BVerfGE 87, 209, 228; BGHZ 35, 1, 8; Nipperdey in: Nipperdey / Scheuner, Grundrechte II, S. 3; v. Münch-Kunig, Art. 1 Rn. 12 f.; Jarass/Pieroth, Art. 1 Rn. 5; AK-GG-Podlech, Art. 1 Rn. 56; Geddert-Steinmacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 59 f. mwN. 26 BK-Zippelius, Art. 1 Rn. 49. 27 BK-Zippelius, Art. 1 Rn. 49. 28 Vgl. BK-Zippelius, Art. 1 Rn. 50. 29 Nipperdey, in: Nipperdey / Scheuner, Grundrechte II, S. 1. 30 Höfling, JuS 1995, S. 859; Neumann, KritV 1993, S. 282. 31 So BVerfGE 1, 97, 104 mit der Umschreibung „Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung". 32 BVerfGE 87, 209, 228.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

Versuche der weiteren Präzisierung 33 brachten keinen sonderlichen Erkenntnisgewinn. Greifbar und in sich widerspruchsfrei läßt sich die Objektformel mit der einem Minderheitenvotum entlehnten Wendung wiedergeben, wonach die Menschenwürde verbiete, den Menschen unpersönlich wie einen Gegenstand zu behandeln, „auch wenn es nicht aus Mißachtung des Personenwertes, sondern in guter Absicht geschieht"34.

3. Menschenwürde psychisch Kranker Die besondere Problematik einer Bestimmung des Würdebegriffs nach objektiven Maßstäben zeigt sich mit aller Deutlichkeit an einer Entscheidung des BayVerfGH aus dem Jahre 195735. Das Gericht hatte über die Verfassungsmäßigkeit des damaligen bayerischen Verwahrungsgesetzes zu entscheiden, das trotz Fehlens einer entsprechenden gesetzlichen Bestimmung nach damals herrschender Auffassung Zwangsbehandlungen gestattete. Zum Argument, die Zwangsbehandlung sei mit der in Art. 100 Bay er. Verf. verbürgten Garantie der Menschenwürde unvereinbar, führt das Gericht aus, daß Geisteskrankheiten die Gefahr mit sich bringen, daß sich die Betroffenen „mehr und mehr vom Urbild - der Idee - des Menschentums entfernen, um dessentwillen allein das Recht auf Achtung der Menschenwürde für jedermann, der Menschenantlitz trägt, als vorverfassungsrechtliches Recht und als verfassungsrechtlich geschütztes Grundrecht besteht"36. Von diesem Ausgangspunkt ist zur verneinenden Antwort auf die Frage, ob die Behandlung des Untergebrachten einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellen kann, nur noch ein kleiner Schritt: Die psychiatrische Behandlung bezwecke die Heilung als Rückkehr des Kranken zum zuvor beschriebenen Idealbild. Eine damit verbundene Verletzung der Menschenwürde sei ausgeschlossen, weil sie eben der Herstellung der Menschenwürde diene 37 . Diese Entscheidung ist sicher nicht repräsentativ für die Verfassungsrechtsprechung 38 . Allerdings finden sich Äußerungen, die diesen Ansatz - wenn auch in an33 Wie ζ. B. in BVerfGE 30, 1, 26: Die Menschenwürde sei verletzt bei einer Behandlung des Menschen, „die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt" bzw. in der eine „willkürliche Mißachtung der Würde des Menschen liegt". Weiter wurde auf die „Verächtlichkeit" der Maßnahme abgestellt; dazu mit Recht kritisch: Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 360; in späteren Entscheidungen wurde dieser Versuch nicht mehr aufgegriffen, vgl. BVerfGE 45, 187, 228; 50, 166, 175; 57, 250, 275; 63, 332, 337; 69, 1,34. 3 4 BVerfGE 30, 1 - Minderheitenvotum 33, 39 f.; vgl. auch Höfling, JuS 1995, S. 860. 3 5 Entsch. vom 19. 12. 1957, VerwRspr. 10, S. 390 ff. 36 BayVerfGH, VerwRspr. Bd. 10, S. 396; die Rechtsprechung des BayVerfGH sah sich insoweit von Anfang an berechtigter Kritik ausgesetzt, vgl. Nipperdey, in: Nipperdey / Scheuner, Grundrechte II, S. 3.

37 BayVerfGH, VerwRspr. Bd. 10, S. 396. 38 Neumann, KritV 1993, S. 283.

Α. Betroffene Grundrechtspositionen

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derem Zusammenhang und in abgeschwächter Form - wiedergeben, auch in der neueren Rechtsprechung sowie in der Literatur. So entschied wiederum der BayVerfGH, daß die Fixierung selbstmordgefährdeter Patienten die Menschenwürde schütze und folglich nicht in sie eingreife 39. Auch bei der Zwangsbehandlung psychisch Kranker scheide eine Verletzung der Menschenwürde schon deshalb aus, weil der Eingriff der Wiederherstellung der Gesundheit des Betroffenen diene 40 . In der Literatur läßt sich schließlich die Äußerung finden, daß es für geistig Behinderte nur „einen ihrem Geisteszustand angemessenen Würdeschutz" geben könne 41 . In einem völlig anderen Zusammenhang erreichte die Bestimmung der Menschenwürde nach objektiven Maßstäben jüngst Bedeutung. Das BVerwG setzte in seiner vieldiskutierten „Peep-Show"-Entscheidung die Menschenwürde der Darstellerinnen über deren erklärten Willen und Selbstverständnis. Die Menschenwürde als objektiver, unverfügbarer Wert 42 stütze das Verbot der entsprechenden Veranstaltungen. Es soll an dieser Stelle nicht geklärt werden, ob das BVerwG in dieser Sache zutreffend entschieden und lediglich mit der Begründung deutlich zu hoch gegriffen hat 43 . Das Kernproblem, ob fürsorglicher Zwang in der Absicht, ein objektiv menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG neutral, angesichts der ausdrücklich genannten Schutzverpflichtung in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG möglicherweise sogar geboten ist, bedarf allerdings näherer Betrachtung. Die Menschenwürde ist mit guten Gründen individualistisch zu bestimmen44. Ein Würdebegriff, der sich nicht am Individuum orientiert, würde zwar nicht notwendigerweise auf das Ergebnis hinauslaufen, daß den Menschen, die in ihrem Vernunftgebrauch eingeschränkt sind, keine Würde zukäme.45 Eine Anlehnung des Würdeanspruchs an der Vernünftigkeit der Gattung Mensch, wie sie dem BayVerfGH in der obengenannten Entscheidung46 vorzuschweben scheint, führt allerdings zu einer „Entsubjektivierung" der Menschenwürde. In letzter Konsequenz wäre dann die Würde der Menschheit, nicht mehr die Würde des Individuums Schutzobjekt des Art. 1 Abs. 1 GG 4 7 . Diesem Ansatz wird man schon mit der Er39 BayVerfGH, NJW 1990, S. 2926, 2927 a.E. 40 BayVerfGH, NJW 1993, S. 1520, 1522. 41 BK-Zippelius, Art. 1 Rn. 41 a.E. 42 BVerwGE 64, 274, 279; kritisch Hillgruber, S. 104 ff.

Schutz des Menschen vor sich selbst,

43 Vgl. Höfling, NJW 1983, S. 1584, der zu Recht den Mangel an „methodischer Reflektion" bei dem vom BVerwG in diesem Zusammenhang vertretenen Grundrechtsverständnis kritisiert. 44 Stern, Staatsrecht ΙΠ/1, S. 11 ff. 45 Vgl. Neumann, KritV 1993, S. 283. 46 VerwRspr. Bd. 10, S. 396. 47 Neumann, KritV 1993, S. 284; kritisch zum BayVerfGH mit diesem Argument schon Nipperdey, in: Nipperdey / Scheuner, Grundrechte II, S. 3.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

kenntnis begegnen können, daß die Gattung Mensch sich gerade durch Autonomie des Individuums auszeichnet. Von diesem Ausgangspunkt ist gerade die Würde des abweichenden, möglicherweise nach den Maßstäben der Mehrheit „verrückt" erscheinenden Individuums ihrerseits für die Würde der Gattung konstitutiv 48 . Ein strenger Objektivismus birgt zudem eine kaum abzuschätzende Gefahr der Relativierung grundrechtlich verbürgter Freiheitsrechte. Über die der Menschenwürdegarantie an die Seite gestellte Schutzverpflichtung (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG) läßt sich auf der Grundlage eines objektiven Begriffes der Menschenwürde das Gebot konstruieren, erheblich abweichendes Verhalten in fürsorglicher Absicht korrigieren zu müssen. Die Garantie der Menschenwürde verkehrt sich in eine Ermächtigungsnorm, wenn nicht in ein Eingriffsgebot. Der durch das Grundrecht Berechtigte wird zum Verpflichteten, der ursprünglich verpflichtete Staat zum Berechtigten 49 . Damit ist nicht nur das Kernproblem des Grundrechtsschutzes gegen sich selbst, nämlich die Zerstörung des personalen Gehalts der Grundrechte 50, wenn auch in „guter Absicht", angesprochen. Die Vorstellung der „vernünftigen" Mehrheit würde übergreifender Maßstab und Begrenzung der Freiheitsrechte; eine Konsequenz, die mit einer grundlegenden Funktion grundrechtlicher Verbürgungen, nämlich dem Schutz der Minderheit, unvereinbar ist. Wer demgegenüber die vernunftgeleitete sittliche Autonomie zum Maßstab des Würdebegriffs machen möchte 51 , der muß konsequenterweise Einschränkungen des Schutzes der Würde bei Säuglingen, psychisch Kranken oder geistig Behinderten hinnehmen52. Auch diese Konsequenz wäre mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und würde von dem BVerfG aller Voraussicht nach zu Recht nicht mitgetragen. Aufschlußreich ist insoweit eine neuere Entscheidung des BVerfG, der sich der Standpunkt entnehmen läßt, daß Würde nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern auch die des Menschen als Gattungswesen sei 53 . Einer Relativierung des Schutzes auf dieser Grundlage wird jedoch mit aller Deutlichkeit entgegengetreten. Jeder besitze Würde, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, Leistungen oder den sozialen Status. Würde i. S. d. Art. 1 Abs. 1 GG sei auch demjenigen eigen, der aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht „sinnhaft" handeln könne. Selbst durch „unwürdiges" Verhalten gehe die Würde nicht verloren 54. 48 Vgl. Neumann, KritV 1993, S. 284. 49 Höfling, NJW 1983, S. 1584. so Vgl. v.Münch, FS Ipsen, S. 113 f.; Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 197 f.; Neumann, KritV 1993, S. 286. 51 Vgl. BK-Zippelius, Art. 1 Rn. 6 f. 52 So dann auch BK-Zippelius, Art. 1 Rn. 41 a.E., der unter Berufung auf Quambusch, ZfSH/SGB 1989, S. 10 vertritt, daß es für geistig Behinderte nur „einen ihrem Geisteszustand angemessenen Würdeschutz" geben könne. Diese Auffassung wird zu Recht als „hochproblematisch" angesehen, vgl. Neumann, KritV 1993, S. 283 Fn. 58. 53 BVerfGE 87, 209, 228; allerdings im Zusammenhang mit der Auslegung des § 131 StGB.

Α. Betroffene Grundrechtspositionen

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Die Garantie der Menschenwürde ist daher vorrangig subjektiv und individualistisch zu bestimmen. Auch Menschen, die ζ. B. aufgrund psychischer Krankheit oder geistiger Behinderung tatsächlich nicht in der Lage sind, sich objektiv vernünftig zu entscheiden und zu verhalten, sind nicht nur formal Träger der Menschenwürde. Ein verfassungsrechtliche Legitimation oder gar ein Gebot, diesen durch fürsorglichen Zwang zu einem „objektiv menschenwürdigen" Dasein zu verhelfen, folgt aus Art. 1 Abs. 1 GG nicht.

4. Praktische Relevanz Falsch wäre allerdings der Umkehrschluß, daß jegliche Ausübung fürsorglichen Zwanges einen Eingriff in den Schutzbereich der Menschenwürdegarantie darstellt. Fürsorge im Interesse des Betroffenen im Besonderen und damit Zwangsbehandlungen sind nicht per se verfassungswidrig, sondern im Rahmen der Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs durchaus differenzierter Beurteilung zugänglich. Der Funktion der Menschenwürdegarantie als Tabugrenze55 entspricht, auf der Grundlage der Objektformel des BVerfG nach absoluten Grenzen für mögliche Eingriffe in diesem Bereich zu suchen.

a) Humanexperiment Verbietet die Menschenwürde, den Menschen unpersönlich wie einen Gegenstand zu behandeln56, so drängt sich als praktisches Beispiel der Verletzung das wissenschaftliche Experiment gegen den Willen des Betroffen als typischer Fall der Entwürdigung des Menschen zum Mittel, also zum lebenden Experimentierstoff 57 , geradezu auf. Das geltende Recht schließt - wie bereits gezeigt - folgerichtig wissenschaftliche Experimente insoweit aus. Anders wird auch unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenwürde der Heilversuch zu beurteilen sein, bei dem ein potentieller Nutzen für den Betroffenen im Vordergrund steht. b) Heimliche Medikamentenvergabe Ein bereits angesprochenes58 Problem stellt auch die heimliche Verabreichung von Medikamenten, etwa durch Beimischung in die Nahrung, insbesondere im Be54 BVerfGE 87, 209, 228. 55 Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 358. 56 BVerfGE 30, 1 - Minderheitenvotum 33, 39 f. 57 AK-GG-Podlech, Art. 1 Rn. 48; Dürig in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. I I Rn. 34, der allerdings nicht unmittelbar auf Art. 1 Abs. 1 GG zurückgreift, sondern eine Verletzung des Wesensgehaltes (Art. 19 II GG) annimmt. 58 S.o. 1. Teil A II. 2 b).

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

reich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung und im Maßregelvollzug dar. Neben den auf einfachrechtlicher Ebene bereits durchgreifenden Bedenken, die zu Recht wegen der unzulässigen Beschneidung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Patienten und dem häufig einfachrechtlich abgesicherten Vorrang der konsentierten Behandlung erhoben werden 59, wird hier eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG gegeben sein 60 . Selbst wenn die Motivation der heimlichen Vergabe von Medikamenten nicht auf „Betriebsblindheit" oder Bequemlichkeit innerhalb der Einrichtung, sondern auf der Fürsorge für den Kranken beruht, wird damit dem Betroffenen die Subjektsqualität streitig gemacht. Er wird nicht mehr als Träger von Rechten und Individuum im Sinne der freiheitsverbürgenden Grundrechtsgewährleistungen, sondern als Objekt möglichst reibungslosen Arbeitsablaufs behandelt. Mit anderen Worten wird aus dem behandlungsbedürftigen, aber in seiner Eigenschaft als Mensch und Träger von Rechten zu respektierenden Patienten ein bloßer Faktor der Behandlungsroutine. Die darin zum Ausdruck kommende restlose Entmündigung kann zumindest bei Patienten, die zur Kommunikation fähig sind, keinen Bestand vor der Menschenwürdegarantie haben.

c) Zwangsbehandlung an sich Zu weit dürfte allerdings der Ansatz gehen, daß die Zwangsbehandlung von Patienten im Maßregelvollzug unabhängig von der individuellen Fähigkeit, Krankheitseinsicht zu entwickeln, mit der Menschenwürde kaum vereinbar sei 61 . Es ist zwar zuzugeben, daß der Gefangene im Strafvollzug im Gegensatz zu demjenigen im Maßregelvollzug trotz des vergleichbaren Therapieauftrages nicht in dieser Form als Objekt staatlicher Bemühungen betrachtet wird 6 2 . Neben der festzustellenden Tendenz, im Maßregelvollzug stets die Einwilligung des Untergebrachten zu verlangen, ist zudem festzuhalten, daß die überwiegende Mehrheit der Landesgesetze die Zwangsbehandlung auf die Abwehr schwerwiegender Gefahren für den Untergebrachten beschränkt. Die Zwangsbehandlung macht den Untergebrachten damit nicht zum Objekt grenzenloser Therapiebemühungen, sondern ist von individuellen Gegebenheiten abhängig. Berücksichtigt man darüber hinaus, daß eine wirkungsvolle, das Vollzugsziel erreichende Therapie unter Zwang schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, so wird man die entsprechenden Zwangsbehandlungsbefugnisse bei verfassungskonformer Auslegung als Interventionsmöglichkeiten, die auf die Eigenart psychischer Erkrankung zugeschnitten und letztlich nur zur Krisenintervention geeignet und erforderlich sind, verstehen müssen. Auf

59 Vgl. M.Huber, Rechtsstellung, S. 198; Marschner, R&P 1985, S. 6. 60

Volckart,

Maßregelvollzug, S. 95; vgl. auch Rinke, Therapeutische Zwangsmaßnahmen,

S. 52. 61

Bernsmann, in: Blau/Kammeier, S. 158. 62 Bernsmann, in: Blau/Kammeier, S. 158 unter Hinweis auf BT-Drs. 7/918, S. 46.

Α. Betroffene Grundrechtspositionen

189

der Grundlage einer differenzierten Betrachtungsweise scheidet ein Verstoß gegen die Garantie der Menschenwürde daher aus.

d) Zwangsspende von Organen In engem Zusammenhang mit der Menschenwürdegarantie steht auch die sogenannte „Notstandsfestigkeit des Selbstbestimmungsrechts"63. Eine lebensrettende Zwangsspende von Blut, Knochenmark oder von paarigen Organen wie der Niere würde einer Güterabwägung nach § 34 StGB durchaus standhalten, da dem zu rettenden Leben „lediglich" die körperliche Unversehrtheit bzw. Gesundheit des Spenders gegenüber stünde. Seewald weist zu Recht daraufhin, daß auch die Angemessenheit im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei derartigen Vorgängen durchaus bejaht werden könnte 64 . Eine gesetzliche oder aus dem Notstandsrecht abgeleitete Pflicht, Körperbestandteile scheinbar höherrangigen Rechtsgütern zu opfern, liefe aber in der Tat auf einen Verstoß gegen die Garantie der Menschenwürde hinaus. Mit einer Reduzierung des Menschen auf die Funktion als „Ersatzteillager" ginge der durch Art. 1 Abs. 1 GG für unantastbar erklärte Respekt vor dem Eigenwert menschlicher Existenz verloren.

V. Das sog. Selbstbestimmungsrecht Gemessen an der Häufigkeit der Erwähnung und Behandlung in der Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum scheint dem Selbstbestimmungsrecht eine Schlüsselfunktion bei der Beurteilung ärztlicher Eingriffe zuzukommen.

1. Befund Das BVerwG 65 sah in einer Entscheidung über das Recht der Einsichtnahme in die Krankenunterlagen eine Konfliktlage zwischen staatlicher Schutzverpflichtung und dem Selbstbestimmungsrecht, wenn letzteres mit dem Risiko der Selbstgefährdung ausgeübt werde. Das Selbstbestimmungsrecht wurde offenbar in diesem Falle aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 GG und dem dort verankerten Persönlichkeitsrecht abgeleitet66. In dem bereits mehrfach erwähnten Minderheitenvotum zur Entscheidung des BVerfG zur Reichweite ärztlicher Aufklärungspflicht findet sich ein Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht als ein in den grundlegenden Verfas63 64 65 66

S.o. 1. Teil C I L 3. b). Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 125. BVerwGE 82,45. BVerwGE 82,45,49.

190

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

sungsprinzipien, die zur Achtung und zum Schutz der Würde und der Freiheit des Menschen und seines Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit verpflichten, angelegtes Recht 67 . In der Literatur wird das Recht auf Selbstbestimmung teilweise aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet68. Andererseits sollen Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG die Selbstbestimmung gewährleisten 69. Schließlich wird vertreten, daß das Selbstbestimmungsrecht in dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) enthalten70, gleichzeitig aber in Würde und Freiheit des Menschen verwurzelt 71 sei. Recht unbefangen wird sogar von einem Grundrecht auf Selbstbestimmung ausgegangen72, das allerdings trotz der Nähe zu Art. 1 Abs. 1 GG einschränkbar sei 73 .

2. Verfassungsrechtliche Verortung des Rechts auf Selbstbestimmung Die scheinbar allgemeine Anerkennung eines Rechts auf Selbstbestimmung muß bei unvoreingenommener Betrachtung des Verfassungstextes verwundern. Ein Grundrecht auf Selbstbestimmung ist dort nicht ausdrücklich normiert. Geltungsgrund und Standort des sog. Selbstbestimmungsrechts in der Verfassung sind daher zunächst zu bestimmen, da sich auch über Umfang und Grenzen des Selbstbestimmungsrechts ohne Antwort auf diese Frage keine Klarheit erzielen läßt.

a) Selbstbestimmung im privatrechtlichen

Behandlungsverhältnis

Der Ursprung des Begriffes Selbstbestimmungsrecht liegt in den zivil- und strafrechtlichen Bereichen des Arztrechts. Das Recht, über den eigenen Körper zu verfügen, in eine Behandlung einzuwilligen oder diese abzulehnen, wird zutreffend und plastisch mit dem Begriff Selbstbestimmungsrecht zusammengefaßt. In die verfassungsgerichtliche Judikatur hat das Selbstbestimmungsrecht Einzug anläßlich der Auslegung des Arztrechts, insbesondere bei der Frage nach Umfang und Grenzen der Aufklärungspflicht gefunden 74. Dieser Zusammenhang ist im Blick zu behalten, wenn man die dort angesprochene Verortung des Selbstbestimmungsrechts in den grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 67 BVerfGE 52, 131, 171, 175 f. 68 K-.G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 109; Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 276. 69 Zuck, Grundrechtsschutz und Grundrechtsentfaltung, S. 34. 70 Rinke, NStZ 1988, S. 11. 71 Rinke, NStZ 1988, S. 13. 72 Rinke, Therapeutische Zwangsmaßnahmen, S. 47, 56. 73 Rinke, Therapeutische Zwangsmaßnahmen, S. 59. 74 Vgl. BVerfGE 52, 131, 171, 175 f.

Α. Betroffene Grundrechtspositionen

191

Abs. 2 GG nicht mißverstehen will. Zur Entscheidung stand eine klassische Drittwirkungsproblematik, die unter Rückgriff auf die Grundrechte, die bei der Auslegung des einfachen Rechts als Ausdruck einer objektiven Wertordnung zu beachten sind, gelöst werden sollte. Die Begründung eines ungeschriebenen Grundrechts stand nicht an und wurde auch nicht vertreten. Möglicherweise wird man den in der genannten Entscheidungen angeführten Verfassungsbestimmungen 75 eine darüber hinaus gehende Schutzverpflichtung entnehmen können, die einen effektiven Schutz des Bürgers vor eigenmächtigen Heilbehandlungen auf der Ebene des einfachen Rechts gebietet. Ein ungeschriebenes Grundrecht auf Selbstbestimmung im Bereich der Heilbehandlung ist auf dieser Grundlage jedenfalls nicht begründet worden.

b) Selbstbestimmungsrecht als negative Seite der Rechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Zumindest denkbar erscheint es, daß mit dem Begriff Selbstbestimmungsrecht eine negative Seite des Rechts auf Leben und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit bezeichnet werden soll. Voraussetzung einer derartigen Deutung ist, daß die speziellen Freiheitsrechte des Art. 2 Abs. 2 GG tatsächlich eine negative Seite aufweisen. Mit der negativen Seite eines Freiheitsrechts bezeichnet man gemeinhin den besonderen Schutz des Unterlassens, des Nicht-Gebrauchs bestimmter Freiheitsrechte, der über die bloße abwehrrechtliche Seite der Unterlassensfreiheit als Freiheit, „in Ruhe gelassen zu werden", hinausgeht. Gerade aus der verfassungsrechtlichen Freiheit, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, folgt auf der negativen Seite das Recht, diese zu unterlassen76. Eine negative Komponente ist jeder Verhaltensfreiheit immanent, was aber nicht heißt, daß jedem Grundrecht eine negative Dimension zukommt 77 . Speziell für das hier interessierende Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wird ganz überwiegend vertreten, daß das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Leben keine negative Seite aufweisen 78. Die Geschlossenheit dieser Auffassung mag man auf den Zusammenhang mit der einhellig vertretenen Ablehnung eines Rechts auf Selbsttötung zurückführen. Die besonderen Freiheitsrechte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erweisen sich für die Annahme einer negativen Seite allerdings auch als durchaus untypisch.

75 Vgl. BVerfGE 52, 131, 171, 175 f. 76 Vgl. nur Hellermann, Sog. negative Seite der Freiheitsrechte, S. 16 f. 77 Stern, Staatsrecht III/1, S. 629. 78 Lorenz, HbStR VI, § 128, Rn. 62; Dürig in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. II Rn. 12; Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 44; v.Münch-Kunig, Art. 2 Rn. 50.

192

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

Die negative Dimension einer Grundrechtsverbiirgung wird nämlich durch das Vorhandensein bestimmter Verhaltensalternativen bestimmt 79 . Insbesondere bei dem Recht auf körperliche Unversehrtheit bereitet schon die exakte Umschreibung einer Verhaltensalternative erhebliche Schwierigkeiten. Ein Verhalten, das durch ein „Recht auf Versehrtheit" ermöglicht würde, ist nicht vorstellbar. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die zuletzt von Hellermann vertretene Unterscheidung zwischen Handlungs- und Zustandsrechten sinnvoll. Leben und körperliche Unversehrtheit sind keine Handlungen, sondern Zustände80. Der Schutz von Art. 2 Abs. 2 GG erschöpfe sich daher - so Hellermann - in der staatsabwehrenden Funktion, dem status negativus; eine negative Seite sei nicht anzuerkennen81. So zutreffend der Ansatz erscheint, so wenig überzeugend sind die daraus gezogenen Schlußfolgerungen. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schützt nach der dort vertretenen Auffassung nicht die menschliche Selbstbestimmung oder Verfügungsfreiheit über Leben und Gesundheit82. Dem ist zu Recht entgegengehalten worden, daß insbesondere im Bereich der körperlichen Unversehrtheit status negativus und negative Seite weder praktisch noch theoretisch trennbar sind 83 . Krankheit, insbesondere die schwerwiegende Krankheit läßt sich gegen den Willen des Betroffenen nur durch einen Eingriff in die von Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG geschützte körperliche Unversehrtheit behandeln. Behandlungsverfahren, die ohne Eingriff in die Integrität des Körpers wirksam sind, sind medizinisch nicht vorstellbar, wenn man nicht an die heilende Wirkung des Handauflegens glaubt. Art. 2 Abs. 2 S. 1 1 .Alt. GG gibt nun das Recht, das einem Eingriff in die körperliche Integrität und damit einer Heilung gegen den Willen des Betroffenen entgegensteht. Jede andere Sichtweise würde den abwehrrechtlichen Gehalt des Grundrechts völlig entleeren. Der status negativus des Grundrechts als Recht, „in Ruhe gelassen werden", beinhaltet also notwendigerweise das Recht, über die Gesundheit und die körperliche Integrität zu verfügen - ebenso wie das Recht, medizinische Behandlung zuzulassen. Insoweit enthält gerade das Zustandsrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG eine unübersehbare negative Komponente. Verfehlt wäre es in diesem Zusammenhang auch, darauf hinzuweisen, daß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kein Recht auf Selbsttötung oder Selbstschädigung enthält 84 . Beides sind Verhaltensweisen, die aus einem zutreffend als Zustandsrecht klassifizierten Grundrecht begriffsnotwendig auch nicht als negative Seite folgen können. Durch das von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Recht, eine medizinisch gebotene Heilbehandlung abzulehnen, wird jedoch das „Recht auf Krankheit" als Befugnis, in einem Erkrankungszustand zu verbleiben, und folglich auch das Recht, ohne in79 Stern, Staatsrecht III /1, S. 634. 80 81 82 83 84

Hellermann, Sog. negative Seite der Freiheitsrechte, S. 136, 249. Hellermann, Sog. negative Seite der Freiheitsrechte, S. 80. Hellermann, Sog. negative Seite der Freiheitsrechte, S. 137. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 142 f. Hellermann, Sog. negative Seite der Freiheitsrechte, S. 137.

Α. Betroffene Grundrechtspositionen

193

tensivmedizinische Betreuung zu versterben, ebenso grundsätzlich wie selbstverständlich geschützt85. Die Befugnis zur aktiven Selbsttötung oder Selbstverstümmelung wird demgegenüber zu Recht als eine Frage der allgemeinen Handlungsfreiheit gesehen. Mit der Feststellung, daß das Recht auf körperliche Unversehrtheit eine negative Komponente aufweist und das Recht, durch die Ablehnung medizinisch notwendiger Heilbehandlung über die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu verfügen, zwar mittelbar aber notwendigerweise beinhaltet, ist auch die Ausgangsfrage, ob mit dem Begriff Selbstbestimmungsrecht die negative Seite der Freiheitsrechte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfaßt sein könnte, beantwortet. Für eine ergänzende Heranziehung eines wie auch immer zu verortenden Selbstbestimmungsrechts ist kein Raum. Die häufig mit dem Begriff Selbstbestimmungsrecht umschriebene grundrechtliche Gewährleistung ist bereits notwendiges Element des Rechts auf körperliche Unversehrtheit.

c) Das Selbstbestimmungsrecht als Grundlage freiheitsrechtlicher Gewährleistung Angesichts des bisherigen Befundes verwundert es nicht, daß das Selbstbestimmungsrecht als eigenständige Grundrechtsposition in der verfassungsrechtlichen Literatur weithin unbekannt ist. Das Selbstbestimmungsrecht wird vielmehr als Element bzw. Anwendungsfall der allgemeinen Verhaltensfreiheit begriffen 86. Sie sei über die gesamte Rechtssphäre des einzelnen übergreifend, mithin das Recht, über die Rechtssphäre nach eigener Entscheidung zu bestimmen. Damit ist keine eigenständige Rechtsposition begründet. Selbstbestimmung ist vielmehr als möglicher und notwendiger Gegenstand verschiedener grundrechtlicher „Ausschließlichkeits-" oder Abwehrrechte anerkannt 87. Die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes als eigenes Grundrecht ist weder begründbar noch notwendig. Verfassungsrechtlich ist es als übergreifendes Prinzip, das seinen Niederschlag in unterschiedlichen Gewährleistungen des Grundrechtskataloges gefunden hat, anerkannt. Eine rechtliche Bedeutung hat der Begriff Selbstbestimmungsrecht im Bereich des Arztrechts als Sammelbegriff erlangt, unter dem die unterschiedlichen grundrechtlichen Positionen des Patienten zusammengefaßt werden, die bei der Anwendung des einfachen Rechts für einen umfassenden Schutz vor eigenmächtiger Heilbehandlung sprechen können.

85 Lorenz, HbStR VI, § 128 Rn. 66. 86 Stern, Staatsrecht III/1, S. 641. 87 Stern, Staatsrecht III/1, S. 643. 13 Heide

194

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

VI. Allgemeines Persönlichkeitsrecht Das ursprünglich im Zivilrecht als richterrechtliche Rechtsschöpfung entstandene allgemeine Persönlichkeitsrecht gehört spätestens seit dem sog. Eppler-Beschluß88 zum festen Bestand ungeschriebener grundrechtlicher Gewährleistungen. Der Gedanke, daß Zwangsbehandlungen dieses Recht berühren könnten, mag angesichts der speziellen Freiheitsrechte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zunächst ungewöhnlich erscheinen. Der Zusammenhang wird allerdings deutlich, wenn man bedenkt, daß medizinische Zwangsbehandlung praktisch überwiegend mit der Verabreichung von Psychopharmaka gleichzusetzen ist. Eine solche Behandlung, die final auf die Veränderung von Gemütszuständen und Charaktereigenschaften gerichtet ist, weist somit durchaus einen Bezug zur Persönlichkeit des Betroffenen auf.

1. Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts An den Grundsätzen, die das BVerfG im 54. Band 89 zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht aufgestellt hat, änderte sich auch durch das Hinzutreten weiterer Ausprägungen nichts Wesentliches. Die Aufgabe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird nach wie vor darin gesehen, „im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips der Würde des Menschen die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten" 90. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei Ergänzung zu den speziellen Freiheitsrechten, die ebenfalls dem Schutz der Persönlichkeit dienen, und schütze die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung der Grundbedingungen, die sich durch die traditionellen Freiheitsgarantien nicht erfassen lassen91. Das BVerfG hat damit wesentliche Grundaussagen sowohl zum Schutzbereich als auch zum Konkurrenzverhältnis mit den speziellen Grundrechtsgewährleistungen getroffen. Eine auch nur annähernd greifbare Definition des Schutzbereiches ist allerdings weder in dieser Entscheidung noch in der späteren Rechtsprechung herausgearbeitet worden und angesichts der Weite des Begriffs „Persönlichkeit" auch nicht zu erwarten. Vielmehr sind anhand des konkret zu beurteilenden Falles Konkretisierungen als unselbständige Einzelaspekte herausgebildet worden. 92 Ergänzungen in der künftigen Rechtsprechung liegen damit nahe93.

88 BVerfGE 54,148. 89 BVerfGE 54, 148, 153. 90 BVerfGE 54, 148 ff. 91 BVerfGE 54, 148, 152 f. 92 Stern, Staatsrecht III/1, S. 646. 93 Vgl. Stern, Staatsrecht III/1, S. 648.

Α. Betroffene Grundrechtspositionen

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a) Schutz der persönlichen Lebenssphäre Dem Schutz der persönlichen Lebenssphäre lassen sich eine Vielzahl von Entscheidungen zuordnen, die den Schutz der Privatsphäre vor Offenbarung bzw. Ausforschung zum Gegenstand haben. Neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung94 sind in diesem Zusammenhang eine Reihe von Entscheidungen zu nennen, die die Darstellung der eigenen Person in der Öffentlichkeit 95, das Recht am gesprochenen Wort und eigenen Bild sowie den sozialen Geltungsanspruch96 unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellen. Berührungspunkte zum Gegenstand der Untersuchung weisen zwei Entscheidungen zur Entmündigung auf 97 . Allerdings begründete nicht die Entmündigung als solche, sondern der durch die Offenbarungspflicht beeinträchtigte soziale Geltungsanspruch die Annahme einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 98. Die personale Identität, die als Privatsphäre unter besonderen verfassungsrechtlichen Schutz gestellt wird, erscheint vor diesem Hintergrund als mit sozialer Identität und dem damit verbundenen Recht auf persönlichkeitsentsprechende Selbstdarstellung zutreffend umschrieben 99.

b) Schutz der Grundbedingungen der Persönlichkeit Eine weitere Schutzrichtung läßt sich dem in der Grundsatzentscheidung100 erwähnten Schutz der Grundbedingungen der Persönlichkeit zuordnen. Schon der im allgemeinen Persönlichkeitsrecht angelegte Ehrschutz 101 erfolgt nicht ausschließlich wegen der sozialen Dimension einer Ehrverletzung als möglicher Schmälerung des sozialen Geltungsanspruchs, sondern hat eine darüber hinaus gehende, auf die Auswirkungen in der Person des Beleidigten abstellende Komponente. Ähnliches läßt sich für das vieldiskutierte Recht auf Kenntnis der Abstammung 102 feststellen. Der soziale Geltungsanspruch eines Menschen dürfte von Kenntnis oder Unkenntnis des biologischen Vaters nur unwesentlich berührt werden, die 94 BVerfGE65,1,43-Volkszählung. 95 Ζ. B. BVerfGE 63, 131, 142; 71, 206, 217 ff. 96 BVerfGE 45,148, 154 ff.; 63,131, 142. 97 BVerfGE 78, 77, 84; 84, 192, 194 ff.; vgl. dazu auch Leibholz/Rink/Hesselberger, Art. 2 Rn. 115; v.Mangoldt/Klein-Starc/:, Art. 2 Rn. 131. 98 Vgl. BVerfGE 84, 192, 194 ff. 99 Vgl. Schmitt Glaeser, HbStR VI, § 129, Rn. 32; Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 28. 100 BVerfGE 54,148. ιοί Vgl. BVerfGE 67, 213, 228. 102 Dazu BVerfGE 96, 56; 90, 263; 79, 256, 268 f.; BVerfG, FamRZ 1989, S. 147; Degenhart, JuS 1992, S. 361 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 648 f. Fn 118 mwN.; zuletzt LG Bremen, FamRZ 1998, S. 1039. 13*

196

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

Wahrnehmung der eigenen Identität dagegen in hohem Maße. Vergleichbare Interessen stehen bei dem Recht auf Einsichtnahme in Krankenunterlagen auf dem Spiel 103 . Auch hier gebietet das allgemeine Persönlichkeitsrecht grundsätzlich den Zugang zu Informationen über alle Vorgänge, die die Persönlichkeit unmittelbar betreffen. Zutreffend wird daher herausgestellt, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht über die soziale Dimension hinaus das „Person-Sein" an sich schützt 104 . Es liegt vor diesem Hintergrund nahe, auch eine umfassende Einschränkung der personalen Entfaltung, wie ζ. B. die Entmündigung, als Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzusehen105. Vor Etablierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wurde in der Rechtsprechung des BVerfG die Anordnung der Pflegschaft bzw. Entmündigung als eine „erhebliche Beeinträchtigung" der in Art. 2 Abs. 1 GG zu verortenden freien Entfaltung der Persönlichkeit charakterisiert 106. Eine umfassende Einschränkung der Privatautonomie, wie im Falle der gesetzlichen Vertretung Minderjähriger, berührt nach einer neueren Entscheidung des BVerfG in der Tat das allgemeine Persönlichkeitsrecht 107. Zur Begründung wird ausgeführt, daß insbesondere die Möglichkeit der Eltern, finanzielle Verpflichtungen für die minderjährigen Kinder einzugehen, die Grundbedingungen freier Entfaltung und Entwicklung und damit die persönliche Lebenssphäre der Kinder beeinträch-

2. Bezüge zur Heilbehandlung Zu den Grundbedingungen der Personalität sind zweifellos Gesundheit, körperliche und seelische Integrität zu rechnen. Die unmittelbare und bezweckte Beeinflussung der Psyche berührt diese Grundbedingungen durchaus. Zudem sind dauerhafte Nebenwirkungen von Psychopharmaka, wie ζ. B. die Spätdyskenesien, ohne weiteres geeignet, einen Menschen auf Dauer in seinem sozialen Geltungsanspruch zu beeinträchtigen, da sie den Umgang mit anderen Menschen erheblich erschweren können. Überschneidungen zu Bereichen, in denen ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht angenommen werden kann, sind demnach vorhanden. Ein Rückgriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht muß in diesem Bereich gleichwohl aus Gründen der Konkurrenz ausscheiden. 103 Vgl. BVerwGE 82, 45,49. 104 Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 27. los Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 30 b; der dortige Hinweis auf BVerfGE 78, 77, 84 f. ist allerdings mißverständlich, da nicht die Entmündigung als solche, sondern deren öffentliche Bekanntmachung als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beurteilt wurde. 106 Zur Pflegschaft: BVerfGE 19, 93, 95 f.; vgl. auch v.Mangoldt/Klein-Stardt, Art. 2 Abs. 1 Rn. 131. 107 BVerfGE 72, 155, 170. los BVerfGE 72, 155, 171.

Α. Betroffene Grundrechtspositionen

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In dem Minderheitenvotum der erwähnten Entscheidung des BVerfG zur Reichweite der ärztlichen Aufklärungspflicht aus dem Jahre 1979 wird ausgeführt, daß die Bestimmung über die „leiblich-seelische Integrität" zum „ureigensten Bereich der Personalität des Menschen" gehöre 109 . Allerdings folgt auf diesen, auf das Persönlichkeitsrecht hindeutenden Ansatz kein Rückgriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Vielmehr heißt es weiter, die Freiheit zur Selbstbestimmung sei durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG besonders hervorgehoben und verbürgt 110 . Das BVerfG scheint den dort erkennbaren Ansatz weiterzuverfolgen. In einer neueren Entscheidung zur Grenze der Wiederherstellung der Behandlungsfähigkeit im Rahmen des § 231a StPO wird die Entscheidungsfreiheit des Patienten im Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG angesiedelt 111 . Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als umfassendes Freiheitsrecht im Bereich der körperlichen Integrität wird durch diese Entscheidung bestätigt 112 . Damit ist das Konkurrenzverhältnis des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu den speziellen Freiheitsrechten im Bereich ärztlicher Eingriffe erkannt und m. E. zutreffend gelöst. Zweifellos dienen eine Reihe von Freiheitsrechten ebenfalls dem Schutz der Persönlichkeit. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kommt aber nur dann zur Anwendung, wenn die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung der Grundbedingungen betroffen sind, die sich durch die traditionellen Freiheitsgarantien nicht erfassen lassen113. Ein „Selbstbestimmungsrecht" läßt sich vor diesem Hintergrund nicht als weitere Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts konstruieren 114. Dagegen sprechen sowohl die Identität der Schutzbereiche im Bereich der medizinischen Heilbehandlung als auch allgemeine Erwägungen zum Konkurrenzverhältnis der Rechte aus Art. 2 Abs. 2 GG.

a) Fehlende Abgrenzungsmöglichkeit Die unmittelbaren physischen Auswirkungen eines medizinischen Eingriffs sind ohne weiteres dem ausschließlichen Schutz des Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG zu unterstellen. Problematisch könnten allenfalls die psychischen oder sozialen Folgen körperlich wirkender Behandlungsverfahren sein. Denkbar erscheint es, die Behandlung selbst als Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die erwünschten oder befürchteten Auswirkungen auf die Psyche als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu werten.

109 BVerfGE 52, 131, Minderheitenvotum 171, 175. no BVerfGE 52, 131, Minderheitenvotum 171, 175. m BVerfGE 89, 120, 130. u 2 Vgl. Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 55. 113 BVerfGE 54, 148, 152 f. 1 14 Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 49.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

Eine derartige Trennung scheint in denjenigen Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker angelegt zu sein, die für persönlichkeitsverändernde Maßnahmen die Einwilligung des Betroffenen verlangen 115 bzw. eine nachteilige Veränderung der Persönlichkeit im Kernbereich generell ausschließen116. Gleichwohl ist solch eine Differenzierung praktisch nicht durchführbar und letztlich auch nicht sinnvoll. Es sind kaum ärztliche Heileingriffe denkbar, die nicht in irgendeiner Form positiv oder negativ das psychische Wohlbefinden beeinflussen. Überall wo eine Steigerung oder auch Beeinträchtigung der sog. Lebensqualität die medizinische Notwendigkeit des Eingriffs mitbestimmt, wird man deutliche Auswirkungen auf die Psyche erwarten und letztlich feststellen können. Ist schon bei somatischen Erkrankungen die Trennung von Körper und Psyche kaum zu bewerkstelligen, so wird diese scheinbare Grenze bei der Behandlung psychischer Krankheiten völlig aufgehoben. Körper und Psyche lassen sich auch nicht annähernd nachvollziehbar trennen, wie der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der psychiatrischen Wissenschaft entstandene und fortdauernde Schulenstreit zwischen Psychikern und Somatikern 117 zeigt. An diesen tatsächlichen Gegebenheiten wird sich auch die Bestimmung des Schutzbereiches des Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG orientieren müssen. Der mit einer Etablierung eines Unterfalls des allgemeinen Persönlichkeitsrechts möglicherweise zu erreichenden Schutz vor psychischen Folgen der Behandlung ist durch das Recht auf körperliche Unversehrtheit bereits in vollem Umfange gewährleistet. Die Beurteilung des körperlichen Eingriffs läßt sich nicht unabhängig von den Folgen auf Psyche und Lebensqualität des Betroffenen vornehmen 118.

b) Verhältnis des Rechts auf körperliche zu anderen Grundrechten

Unversehrtheit

Auch das Verhältnis der Rechte aus Art. 2 Abs. 2 GG zu den sonstigen grundrechtlichen Gewährleistungen spricht gegen eine Etablierung eines neuen Aspektes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Bereich der medizinischen Zwangsbehandlung. Die körperliche Integrität als Grundlage der Persönlichkeit und letztlich auch als tatsächliche Voraussetzung des Freiheitsgebrauches ist exklusiv in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt. Dafür läßt sich schon der Kontext anführen, in dem die drei speziellen Freiheitsrechte des Art. 2 Abs. 2 GG stehen. Jeder Eingriff in eines dieser Basisrechte menschlicher Existenz kann regelmäßig Auswirkungen auf die sonstigen grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen haben. Bei dem Recht auf Leben ist dieser us S.o. 1. Teil A.II. 3. 116 S.o. 1. Teil A . I I . 5 a). 117 Vgl. dazu Ackerknecht, Kurze Geschichte der Psychiatrie, S. 59 ff. 1 18 In diesem Sinne auch: Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 55 f.

Α. Betroffene Grundrechtspositionen

199

Befund offensichtlich. Aber auch die Entziehung der Freiheit der Person wird beispielsweise die Wahrnehmung der Rechte aus Art. 8 und 11 GG faktisch vereiteln. Gleichwohl wird die Möglichkeit eines Eingriffs sowohl in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG als auch in Art. 8 bzw. 11 GG überwiegend nicht angenommen119. Ebenso verhält es sich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist zwar nicht grundsätzlich subsidiär zu den speziellen Freiheitsrechten 120. Hinter das speziellere Persönlichkeitsrecht der körperlichen Unversehrtheit wird es aber zurücktreten müssen, wenn mögliche Berührungen auf Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit beruhen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit stellt insoweit das speziellere Persönlichkeitsrecht dar, neben dem das allgemeine Persönlichkeitsrecht keine Anwendung finden kann.

VII. Zwischenergebnis Zwangsbehandlungen sind unabhängig von der medizinischen Indikation oder dem damit verfolgten Zweck Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG). Eine Geringfügigkeitsgrenze ist nicht anzuerkennen. Bei hinreichend konkreter Gefährdung ist zudem ein Eingriff in das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 1. Alt. GG) möglich. Ein Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie ist grundsätzlich sowohl bei der heimlichen Beibringung von Medikamenten als auch bei der (derzeit) nicht zulässigen wissenschaftlichen Forschung gegen den Willen des Betroffenen festzustellen. Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG dürfte demgegenüber keine eigenständige Bedeutung zukommen. Das sog. Selbstbestimmungsrecht stellt kein eigenständiges Grundrecht dar, auch nicht als Unterfall bzw. Teilausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG. Zwangsbehandlungen können zwar Berührungspunkte mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aufweisen. Angesichts des spezielleren Freiheitsrechts der körperlichen Unversehrtheit sind diese einer eigenständigen Bewertung allerdings nicht zugänglich.

119 v. Mangoldt/Klein-Starck, Art. 2 Rn. 233; Grabitz, HbStR VI, § 130 Rn. 13; SachsOsterloh, Art. 2 Rn. 249; anders v.Münch-Kunig, Art. 2 Rn. 74, der von Idealkonkurrenz zwischen Art. 2 Abs. 2 und Art. 11 GG ausgeht; die Problematik löst sich im Zusammenhang des Art. 8 GG meist schon auf der Ebene des Schutzbereiches, vgl. Sachs-Osterloh, Art. 2 Rn. 249. 120 Dreier-Dreier, Art. 21 Rn. 67; differenzierend: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 26.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

B. Rechtfertigung von Eingriffen I. Gesetzesvorbehalt Die Rechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG stehen unter Gesetzesvorbehalt. Gesetz i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG ist nach einhelliger Auffassung das förmliche Gesetz 121 . Wie im ersten Teil der Untersuchung gezeigt, bestehen im Bereich des Unterbringungs- und Maßregelvollzugsrechts durchgängig derartige gesetzliche Grundlagen. Auch das Geschlechtskrankheitengesetz genügt dieser ersten Anforderung an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen. Im Betreuungsrecht ist die Annahme von Zwangsbefugnissen des Betreuers bei der Durchsetzung einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung jedoch schon vor diesem Hintergrund höchst fragwürdig. Mit der Beschränkung auf förmliche Gesetze ist nämlich der Ausschluß von Gewohnheitsrecht 122 zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG notwendigerweise verbunden. Den dargestellten Überlegungen zur Rechtfertigung von Zwangsmaßnahmen im Bereich der Heilbehandlung während der Unterbringung oder Betreuung aus der Natur der Sache heraus oder mit der seit jeher bestehenden Befugnis der Anstalten bzw. der Betreuer sind damit die Grundlage entzogen. Auch angesichts des Erfordernisses eines förmlichen Gesetzes i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG für medizinische Zwangsmaßnahmen, die auf Anordnung des Betreuers oder Gerichts erfolgen, erweist sich das geltende Betreuungsrecht insoweit als mißglückt.

II. Systematisierung der bestehenden Eingriffsbefugnisse Die verfassungsrechtlichen Grenzen, die Grundrechtseingriffen insbesondere durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen sind, hängen entscheidend von der Zielsetzung des Eingriffs ab. Vor der eigentlichen Prüfung der durch die Verfassung gezogenen Grenzen soll daher der Versuch unternommen werden, die im ersten Teil dieser Untersuchung dargestellten Rechtsgrundlagen nach dem mit der Zwangsbehandlung verfolgten Zweck zu systematisieren.

121 Lorenz, HdBStR VI, § 126 Rn. 36; wMünch-Kunig, Art. 2 Rn. 82; Leisner, Recht auf Leben, S. 54. 122 Dürig in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. II Rn 6.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

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1. Drittschützende Eingriffe Für die öffentlich-rechtliche Unterbringung scheinen die Heileingriffe, die dem Schutz außerhalb der Einrichtung stehender Dritter dienen, einfach zu bestimmen sein. Als Unterbringungsvoraussetzungen stehen die Eigen- und die praktisch weniger bedeutende Fremdgefährdung 123 selbständig nebeneinander. Der Zweck der Unterbringung ist zunächst der Beseitigung der Gefährdung, die zur Unterbringung geführt hat, also der Fremd- bzw. Eigengefährdung durch die psychische Krankheit. Der Schluß liegt nahe, daß die Behandlung der Erkrankung je nach vorliegendem Unterbringungsgrund dem Schutz Dritter bzw. dem Schutz des Untergebrachten selbst dient. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Unterscheidung allerdings als unzulässig. Schon früh, als effektive und weitgehend schonende Behandlungsverfahren für psychische Erkrankungen noch nicht zur Verfügung standen und das Unterbringungsrecht noch weitgehend polizeirechtlich geprägt war, erkannte man, daß eine Heilbehandlung während der Unterbringung grundsätzlich nicht dem Schutz Dritter dienen könne. Zu Recht wurde ζ. B. im Jahre 1928 mit großer Selbstverständlichkeit vertreten, daß bei „gemeingefährlichen Geisteskranken" die Internierung zur Vermeidung von Gefahren völlig ausreiche. Eine Zwangsheilung sei unzulässig, soweit sie überhaupt möglich sei 1 2 4 . Dieser Grundgedanke trägt auch heute noch. Wenn die Unterbringung aus fürsorgerischen Gründen erfolgt, geht ohnehin keine Gefahr für die Allgemeinheit von dem psychisch Kranken aus. Bei Unterbringung wegen Fremdgefährdung ist diese mit der Unterbringung ausgeschlossen, der Schutz der Allgemeinheit durch die geschlossene Unterbringung also bereits erreicht 125 . Dementsprechend ist nicht erkennbar, wie durch die Heilbehandlung während der Unterbringung dem Schutz Dritter gedient werden könnte. Die Heilbehandlung bei wegen Fremdgefährdung Untergebrachten mag allenfalls dem langfristigen Ziel dienen, ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Wie später zu erörtern sein wird, ist dieses Ziel mit Mitteln unmittelbaren Zwanges nicht erreichbar. Damit sind Rechte bzw. Interessen des Untergebrachten, nicht aber Rechte Dritter in die Abwägung einzubeziehen. Unabhängig von dem Anlaß der Unterbringung dient die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung somit nicht dem Schutz Dritter, sondern dem Schutz des Untergebrachten. Das gleiche Ergebnis ergibt sich für die Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug. Auch diese läßt sich nicht mit Hinweis auf die Gefahren für die Allgemeinheit rechtfertigen. Der Schutz der Allgemeinheit wird durch die Sicherungsfunktion des Vollzuges, den Entzug der Freiheit des psychisch kranken Straftäters bereits 123 Vgl. oben l.Teil Α. II. 1. b) und c). 124 Hahn, S. 128. 125 Af. Huber, Rechtsstellung, S. 26.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

gewährleistet 126. Auch § 101 StVollzG unterscheidet zwischen Selbst- und Fremdgefährdung 127. Die Fremdgefährdung bezieht sich jedoch nicht auf außerhalb der Vollzugsanstalt stehende Dritte und soll daher erst im Anschluß behandelt werden. Ungeachtet des nicht problemlos zu bestimmenden Geltungsgrundes 128, erweist sich lediglich die Zwangsbehandlung gemäß § 17 GeschlKrG als tatsächlich drittschützend. Nicht die Sorge um den Geschlechtskranken, sondern die Verhütung der Weiterverbreitung von Geschlechtskrankheiten soll nach der einhelligen Auffassung die Zwangsbehandlung rechtfertigen, die im Gegensatz zu den Bestimmungen des BSeuchG im GeschlKrG vorgesehen ist. Als drittschützend wäre wohl auch die derzeit nicht aktuelle Pflichtimpfung einzustufen.

2. Eingriffe zur Wahrung der Ordnung in der Anstalt Bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung sind diejenigen Vorschriften, die die Behandlung interkurrenter Erkrankungen ermöglichen, bei der Systematisierung noch nicht berücksichtigt. Wie bereits dargestellt haben nur einige Länder besondere Bestimmungen für solche Heilbehandlungen getroffen, die nicht die Anlaßerkrankung zum Gegenstand haben. Innerhalb dieser Gruppe von Ländern finden sich wiederum durchaus unterschiedliche gesetzliche Formulierungen. In Bayern etwa wird die Zwangsbehandlung in diesem Bereich pauschal zur Aufrechter1OO

1in

haltung der Sicherheit und Ordnung , in Niedersachsen um „die Gesundheit anderer zu schützen", in Hamburg und Sachsen-Anhalt schon sehr viel enger zur Abwendung von Lebensgefahr für den Untergebrachten oder einer Gefahr für die Gesundheit anderer Personen 131 zugelassen. Im Maßregelvollzug ergibt sich ein ähnliches Bild: In den Ländern, in denen interkurrente Erkrankungen in der gesetzlichen Regelung bedacht wurden, wird eine Behandlung ohne Einwilligung vom Bestehen von Lebensgefahr oder einer Gefahr für die Gesundheit Dritter abhängig gemacht. 132 Diese Regelungen entsprechen weitgehend § 101 Abs. 1 S. 1 StVollzG 133 . Gemeinsam ist all diesen Regelungen die Möglichkeit, Gefahren für alle Personen, die am Leben in der Anstalt teilhaben, durch eine Heilbehandlung abzuwenden. Nicht nur andere Patienten, sondern auch die in der Anstalt beschäftigten Per126

Bernsmann, in: Blau/Kammeier, S. 158 f. 127 s.o. l.Teil C. I. 3 b) und c).

i 2 « Vgl. oben l.Teil C. IV. 3. 129 Art. 13 Abs. 2 Bay. UBG. 130 § 23 Abs. 3 Nr. 2 PsychKG. 131 § 17 Abs. 7 S. 1 PsychKG LSA; § 17 PsychKG Hamb. 132 § 8 Abs. 7 MVollzG LSA; § 9 Abs. 2 S. 1 Hmb MVollzG; § 8 Abs. 1 S. 1 letzter HS MVollzG RhPf; § 29 Abs. 1 Hess MVollzG. 133 S.o. l.Teil C.I. 3 c).

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

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sonen sollen durch Heileingriffe geschützt werden. Dabei spielen nicht nur übertragbare Krankheiten, sondern auch Gefährdungen, die auf pathologisch-aggressivem Verhalten des Untergebrachten beruhen, eine Rolle. Der etwas antiquiert anmutende Begriff „Wahrung der Anstaltsordnung", der so nur noch in Art. 13 Bay.UBG verwendet wird, sollte in diesem Zusammenhang nicht die Vorstellung erwecken, diese Eingriffe dienten jedem Zweck, der in irgendeiner Form von der jeweiligen Anstaltsleitung für nützlich oder gut befunden wird. Es geht nach dem zeitgemäßen Verständnis nicht um Sauberkeit, Anstand oder das reibungslose Funktionieren der Einrichtung, sondern, wie die neueren Bestimmungen allesamt zum Ausdruck bringen, um den Schutz von Gesundheit und Leben der in welcher Form auch immer an der Unterbringung und deren Vollzug beteiligten Personen.

3. Schutz des Kranken vor sich selbst Der weit überwiegende Teil der Zwangsbehandlungsbefugnisse dient somit ausschließlich dem Schutz des Kranken. Dieses mag man in Zusammenhang mit der fürsorgerischen Ausrichtung ζ. B. des Rechts der öffentlich-rechtlichen Unterbringung setzen, die sich seit dem „Badischen Gesetz, die Irrenfürsorge betreffend" 134 , erkennbar durchgesetzt hat 1 3 5 . Die polizeirechtlichen Wurzeln dieses Rechtsbereiches, die noch im Jahre 1974 von der Rechtsprechung hochgehalten wurden 136 , stehen heute weder in der Praxis noch nach der gesetzlichen Ausgangslage im Vordergrund. Unabhängig von dem Paradigmawechsel bei den Vorschriften, die den Rahmen einer Unterbringung bedingen, dürfte bei der Heilbehandlung selbst von jeher deutlich der Schutz des Kranken, insbesondere des psychisch Kranken, den Ausschlag für die Etablierung von Zwangsbehandlungsbefugnissen gegeben haben, wie die Parallelentwicklung von hinreichend effektiven und vergleichsweise schonenden Behandlungsverfahren und der juristischen Absicherung von Zwangsbehandlungen deutlich macht 137 .

I I I . Verfassungsrechtliche Grenzen des Drittschutzes Wenig grundsätzliche Probleme ergeben sich bei Zwangsbehandlungen zum Schutz Dritter. 134 Vom 25. 6. 1910, GVB1. S. 299; abgedr. auch in Psych.-Neurol. Wochenschrift, 1910/ 11, S. 231. 135 Vgl. oben l.Teil A.I. 136 So ζ. B. OLG Zweibrücken, NJW 1974, 610: Ziel des Unterbringungsverfahrens sei es nicht, dem Kranken zu helfen, sondern die öffentliche Ordnung zu schützen. 137 Vgl. dazu oben 1. Teil Α. I. 2.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

1. Verhältnismäßigkeit Rechtsprechung und Literatur sind sich trotz unterschiedlicher Formulierungen einig, daß Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit zum Schutz Dritter grundsätzlich zulässig sind 138 . Das eigentliche Problem liegt in der Begrenzung durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie mit Formulierungen, die eine Beschränkung auf erhebliche Gefahren für die Volksgesundheit139 oder erhebliche Gefahren für Dritte 1 4 0 fordern, deutlich wird. Derartigen Ansätzen ist im Grundsatz zuzustimmen. Mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind nur solche Eingriffe vereinbar, die geeignet, erforderlich und angemessen sind. Das Gebot der Geeignetheit verlangt den Einsatz solcher Mittel, die das erstrebte Ziel fördern 141 , nicht aber den Einsatz des bestmöglichen oder geeignetsten Mittels 142 . Die Erforderlichkeit verlangt, das Mittel zu wählen, das bei gleicher Geeignetheit das betroffene Grundrecht nicht oder weniger einschränkt 143. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne oder auch Angemessenheit gebietet eine Güterabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und Art und Qualität der ihn rechtfertigenden Gründe unter Berücksichtigung der Grenze der Zumutbarkeit 144 . Verletzt ist das Gebot der Angemessenheit allerdings nur, wenn die betroffenen Interessen des Grundrechtsträgers ersichtlich schwerer wiegen 145 . Die einzige Eingriffsermächtigung, die Zwangsbehandlungen ausschließlich zum Schutz Dritter zuläßt, erweist sich an dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gemessen als weitgehend unproblematisch. An der Geeignetheit der Zwangsbehandlung nach § 17 GeschlKrG, die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten zu verhindern, besteht kein Zweifel. Erweist sich im übrigen die Prämisse als richtig, daß die Zwangsbehandlung im Regelfall mittels einmaliger Verabreichung von Antibiotika o.ä. erfolgt, so dürfte die Entziehung der Freiheit, wie im BSeuchG vorgesehen, kein milderes Mittel darstellen. Daß eine auf diese Weise durchgeführte Behandlung, die ausweislich § 17 Abs. 2 GeschlKrG keine Gefahren für Leben und Gesundheit des Betroffenen mit sich bringen darf, auch nicht außer Verhältnis zum erstrebten Zweck steht, bedarf keiner näheren Begründung.

138

Diirig in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. II Rn. 39; Leisner, Recht auf Leben, S. 55; Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 57a; v.Mangoldt / Klein-Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 205; Dreier-ScWze-Fielitz, Art. 2 I I Rn. 45; zur Impfung BVerwGE 9, 78, 79. 139

Leisner, Recht auf Leben, S. 55; ähnlich Dürig in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. II Rn. 39. 140 Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 57a; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 I I Rn. 45. 141 BVerfGE 30, 292, 316; 33, 171, 187; 67, 157, 173. 142 Herzog in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII Rn. 74. 143 BVerfGE 53, 135, 145 f.; 68, 193, 219. 144 Vgl. BVerfGE 30, 292, 316; 67, 157, 173, 178; 68, 193, 219. 145 BVerfGE 44, 353, 373.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

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2. „Feste46 Grenze für Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit Über die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der praktisch wenig bedeutsamen Zwangsbehandlung nach § 17 GeschlKrG hinaus stellt sich die Frage nach generellen, speziell für das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit geltenden Grenzen der Zwangsbehandlung. Namentlich Seewald vertritt in diesem Zusammenhang, daß nur Gefahren für die Gesundheit oder das Leben Dritter Zwangsbehandlungen rechtfertigen könnten 146 . Erst gleich- oder höherrangige Rechtsgüter Dritter könnten einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit rechtfertigen 147. Zudem bestehe eine „feste" Grenze bei solchen Eingriffen, die nicht nur geringfügige Gesundheitsgefahren für den Betroffenen bedeuten 1 4 8 . Begründet wird letzteres insbesondere unter Hinweis auf die bereits angesprochene Problematik der Zwangsspende von Blut oder Organen 149. Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip läßt sich eine solche „feste" Grenze nicht entnehmen, da die dort vorzunehmende Abwägung naturgemäß nur mit Blick auf das geschützte Interesse sowie Art und Ausmaß der ihm drohenden Gefahr möglich ist. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als wesensgemäß dynamisches Instrument läßt je nach zu schützendem Interesse durchaus auch schwerwiegende, möglicherweise auch mit Spätfolgen verbundene Eingriffe zu. Das angeführte Beispiel der Zwangsspenden markiert allerdings in der Tat eine Eingriffsgrenze, die jedoch nicht notwendigerweise nur im Hinblick auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit anzuerkennen ist. Vielmehr ist diese Problematik durchaus im Rahmen der Menschenwürdegarantie lösbar 150 . Offen bleibt in dem genannten Ansatz auch, weshalb ausschließlich der Schutz gleich- oder höherrangiger Rechtsgüter Eingriff in die körperliche Unversehrtheit erlauben sollte. Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG steht unter Gesetzesvorbehalt. Ein Eingriff ist nicht erst durch die Heranziehung kollidierenden Verfassungsrechts zu rechtfertigen, sondern muß sich den allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen stellen, die jedes grundrechtsbeschränkende Gesetz erfüllen muß. Ein numerus clausus der zu schützenden Interessen erscheint insofern nicht vertretbar und ließe sich mit Blick auf die vielfältigen Formen mittelbaren Heilzwanges 151 , die zwar durchweg als Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit anzusehen sind, aber höchst unterschiedlichen Interessen bis hin zur Entlastung der Sozialkassen dienen, auch nicht recht erklären. Eine „feste Grenze" oder ein numerus clausus der Eingriffszwecke ist daher auch im Rahmen des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit nicht anzuerkennen. 146 Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 123 ff. 147

Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 124. 148 Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 125. 149 Vgl. oben Α. IV 4.; auch 1. Teil C II. 3. b) Fn 602. 150 Vgl. oben Α. IV 4. 151 Vgl. oben 1. Teil C.V.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

3. Wesensgehalt Wenig fruchtbar sind erwartungsgemäß Versuche, anhand des Art. 19 Abs. 2 GG handhabbare Grenzen der Zwangsbehandlung aufzuzeigen. Ein Rückgriff auf die Wesensgehaltssperre scheint vielmehr mit einer gewissen Beliebigkeit des jeweils vertretenen Ergebnisses einherzugehen. So wird einerseits vertreten, daß die Heilbehandlung ohne Einwilligung stets einen Eingriff in den Wesensgehalt von Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG darstelle 152 . Das BVerwG begnügte sich andererseits in einer frühen Entscheidung zum Impfzwang mit der Feststellung, daß der Wesensgehalt des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit nicht angetastet werde, da der Zweck des Eingriffs gerade die Erhaltung der körperlichen Unversehrtheit sei 1 5 3 . Die Einwände gegen die erstgenannte Auffassung liegen auf der Hand. Die Einwilligung schließt den Eingriff aus, der durch den Gesetzesvorbehalt aber gerade zugelassen ist. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG enthielte nach dieser Auffassung entgegen dem unzweideutigen Text der Verfassung schrankenlose Grundrechte. Daß die Äußerung des BVerwG Allgemeingültigkeit beanspruchen könnte, ist ebenfalls zu bezweifeln. Ungeachtet der erheblichen Schwierigkeiten, die eine Bestimmung des Wesensgehalts eines Grundrechts mit sich bringt 154 , kann eine Verletzung der Wesensgehaltssperre wohl kaum davon abhängen, ob der gute Wille vorliegt, die Gesundheit wiederherzustellen oder zu fördern. Geschützt wird nicht die Gesundheit, sondern die körperliche Integrität. Eine uneingeschränkte und umfassende Bevormundung in Gesundheitsfragen dürfte ungeachtet der besten Absichten wohl nach jedem vertretenen Ansatz den Wesensgehalt von Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG antasten. Angesichts der geringen praktischen Relevanz und fehlenden Konturen der Wesensgehaltsgarantie155 verwundert es nicht, daß sich auch für den Bereich der medizinischen Zwangsbehandlung keine Ansätze oder Bereiche ausmachen lassen, die zu hinreichend konkreten und schlüssig begründbaren Grenzen für Zwangsbehandlungen führen könnten.

IV. Anstaltszweck Die Unterscheidung zwischen drittschützenden und im weitesten Sinne dem Anstaltszweck dienenden Zwangsbehandlungen folgt der in der Strafgefangenen-Ent152 Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 272. 153 BVerwGE 9, 78,79. 154 Vgl. nur die Übersichten bei Lerche, HdBStR V, § 122 Rn. 26 ff.; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 324 ff., sowie die unterschiedlichen Ansätze bei Stern, Staatsrecht III/2, S. 865 ff. und Dürig in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. I I Rn. 16 ff. 155 Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 327; Lerche, HdBStR V, § 122 Rn. 32.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

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Scheidung des BVerfG getroffenen Einschätzung, daß die Ordnung der Anstalt Freiheitsbeschränkungen bedingen kann, die mit der Enge des zur Verfügung gestellten Raumes, der notwendig „engen" Gemeinschaft der Gefangenen zusammenhängen156. Die „Aufhebung der Distanz durch Staatseingliederung" 157sowie die große Anzahl der Personen, die in einer Anstalt zusammenleben müssen, können Maßnahmen zum Gesundheitsschutz unabdingbar machen, die außerhalb der Anstalt nicht zu dulden wären 158 . Regelungen wie § 101 Abs. 1 S. 1 1. Hs. StVollzG oder die verschiedenen Bestimmungen des Landesrechts 159, die Zwangsbehandlungen interkurrenter Erkrankungen zulassen, um erhebliche Gefahren für die Gesundheit anderer Personen abzuwenden, beziehen sich auf Rechtsgüter, die schon außerhalb der Anstalt geeignet wären, einen Heileingriff zu rechtfertigen. Diese Bestimmungen sind daher unproblematisch. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip muß seine Wirkungen vielmehr bei der praktischen Umsetzung dieser Bestimmungen entfalten. Erforderlich sind Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit angesichts der Stellung der grundrechtlichen Gewährleistung nämlich nur dann, wenn andere Maßnahmen nicht mehr in gleichem Maße geeignet sind, die Gefährdung effektiv auszuschließen. Bei dem Schutz vor übertragbaren Krankheiten sind das vor allem Maßnahmen im Bereich der Hygiene, aber auch besondere Sicherungsmaßnahmen, wie ζ. B. die Absonderung oder Kontaktverbote, die Grundrechte des Gefangenen bzw. Untergebrachten möglicherweise in geringerem Maße beeinträchtigen. Gleiches gilt hinsichtlich des Schutzes vor pathologisch-aggressivem Verhalten. Praktiker berichten in diesem Zusammenhang von Patienten, die durch schwerste Hirnverletzungen jegliche Triebkontrolle verloren haben und daher eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit des Pflegepersonals und der Mitpatienten darstellen. In derartigen Ausnahmefällen wird man auch eine medikamentöse Ruhigstellung von Verfassungs wegen nicht ausschließen können, zumal eine rein mechanische Ruhigstellung die Durchführung elementarer Grundpflege vereiteln würde. In den übrigen Fällen der krankheitsbedingten Gefährdungen wird sich ein Vorrang mechanischer Sicherungsmaßnahmen, jedoch kein generelles Verbot medikamentöser Ruhigstellung rechtlich begründen lassen. Die Entscheidung, welches Mittel das mildeste im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt, kann nur am konkreten Einzelfall getroffen werden. Kriterien, die gegen eine Einsatz von Medikamenten sprechen, mögen dabei die geringe Dauer oder das seltene Auftreten von derartigen Zuständen sein. Schließlich wird die Verträglichkeit und 156 BVerfGE 33, 1, 15. 157 Loschelder, HdBStRV, § 123 Rn. 17. 158 Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 321 f.; Michale, Zwangsernährung, S. 154. 159 § 17 Abs. 7 S. 1 PsychKG LSA; § 17 PsychKG Hamb; § 8 Abs. 7 MVollzG LSA; § 9 Abs. 2 S. 1 Hmb MVollzG; § 8 Abs. 1 S. 1 letzter HS MVollzG RhPf; § 29 Abs. 1 Hess MVollzG.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

Wirkungsweise der einzusetzenden Medikamente eine entscheidende Rolle bei der Abwägung spielen. Beachtet man den in den genannten Rechtsgrundlagen ausdrücklich vorgesehenen Ausschluß schwerwiegender oder sogar lebensbedrohlicher Eingriffe konsequent, so werfen auch diese Bestimmungen keine grundsätzlichen Problem auf. Durchaus problematisch erscheinen im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Regelungen wie die in Niedersachsen getroffenen 160, die Zwangsbehandlungen zulassen, um „die Gesundheit anderer zu schützen", oder die in Bayern, wo pauschal die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung 161 eine Zwangsbehandlung rechtfertigen soll. Die Frage, warum man in diesen Ländern abweichende, sehr viel weitere Ermächtigungen in das Gesetz aufgenommen hat, wird sich an dieser Stelle nicht beantworten lassen, soweit überhaupt ein nachvollziehbarer Grund bestehen sollte. Im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Ubermaßverbot liegt es allerdings auf der Hand, daß nicht jegliche Gefahr für die Gesundheit der Mitpatienten oder des Pflegepersonals einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zu rechtfertigen vermag. Auch die besondere Situation der Unterbringung bzw. Strafhaft wird es unter keinen Umständen rechtfertigen, jede noch so alltägliche ansteckende Erkrankung unter Berufung auf den Schutz Dritter gegen den Willen des Betroffenen zu behandeln. Auf den Kern der Vermeidung erheblicher Gefahren für Dritte wird man daher auch die Generalklausel des Art. 13 Abs. 2 Bay.UBG im Wege verfassungskonformer Auslegung zurückführen müssen. Eine Zwangsmedikation, nur um einen reibungslosen Ablauf des Vollzugs zu erleichtern, stünde in keinem Verhältnis zur Bedeutung des betroffenen Grundrechts.

V. Verfassungsrechtliche Grenzen des Schutzes des Kranken vor sich selbst Werfen die Bereiche des Schutzes Dritter sowie die Eingriffe aufgrund der besonderen Situation der Unterbringung bzw. des Strafvollzuges eher Probleme bei der praktischen Anwendung auf, so stellt sich bei den weitaus häufigeren Eingriffen zum Schutz des Kranken recht deutlich ein grundsätzliches Problem. Die praktisch relevanten Befugnisse zur Zwangsbehandlung dienen ausschließlich dem Schutz des betroffenen Kranken. Rechte Dritter 162 oder Interessen der Allgemeinheit sind nicht erkennbar. Die zumindest ungewöhnliche Konstellation, daß der Staat in ein Grundrecht eingreift, um ausschließlich Interessen des Trägers des Grundrechts zu schützen, wird zu Recht als problematisch empfunden und ist 160 § 23 Abs. 3 Nr. 2 PsychKG. 161 Art. 13 Abs. 2 Bay. UBG. 162 Zur Zwangsernährung ausdrücklich: v.Münch, FS Ipsen, S. 121.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

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dementsprechend in jüngster Zeit Gegenstand einer Reihe von Untersuchungen geworden 163 . Trotz unterschiedlicher Ansätze und allgemeiner Skepsis gegenüber der Zulässigkeit des „Schutzes des Menschen vor sich selbst" herrscht allerdings in einem Punkte Einigkeit: Psychisch Kranke, bei denen die Fähigkeit zur Selbstbestimmung ausgeschlossen ist, dürfen auch vor sich selbst geschützt werden 164 . Daran bestehe „kein Zweifel" 1 6 5 , dieses stehe „außer Streit" 166 . Bei so viel Selbstverständlichkeiten verwundert es, daß eine durchgängig nachvollziehbare Begründung nicht mit wenigen Sätzen gefunden werden kann. Bei näherer Betrachtung erweisen sich die für die vermeintliche Selbstverständlichkeit gegebenen Begründungen zwar als tatsächlich recht kurz, aber auch als nicht weniger diffus. So hält beispielsweise der BayVerfGH die Beeinträchtigung der Selbstbestimmung bei dem psychisch Kranken für entscheidend und begründet die Zulässigkeit fürsorglichen Zwangs damit, daß die Handlungen psychisch Kranker sich nicht als „frei verantwortliche Ausübung von Grundrechten darstellen". Der Eingriff beruhe daher auf einer sachgerechten Abwägung der Rechte des Betroffenen mit dem Gemeinwohl 167 . Das BVerfG wägt in seiner Entscheidung zur Freiheitsentziehung aufgrund des UBG Bad.-Württ. zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Gemeinwohl ab, stellt aber zuvor fest, daß die Unterbringung nicht nur dann zulässig sei, wenn sie dem Schutz der Allgemeinheit dient, sondern auch durch den Schutz des Betroffenen vor sich selbst legitimiert werden könne 168 . Das Gewicht des Freiheitsanspruches darf nach Ansicht des BVerfG nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Untergebrachten, sich frei zu entschließen, bestimmt werden. Unter Geltung des Sozialstaatsgedankens sei kein Grund ersichtlich, der die Fürsorge für psychisch Kranke hindern könne 169 . In den Kommentierungen des Grundgesetzes findet sich verbreitet die Auffassung, daß Zwangsheilungen außer bei ansteckenden Krankheiten, die das Leben und die Gesundheit anderer Menschen schwer gefährden, unzulässig seien. Dieser Grundsatz gelte auch für zwangsweise untergebrachte Personen. Der Wille, sich 163 v.Münch, Gundrechtsschutz gegen sich selbst?, FS Ipsen, 1977, S. 113 ff.; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, 1992; Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, 1993; Singer, JZ 1995, S. 1133 ff.; Schwabe, JZ 1998, S. 66 ff. Das Grundproblem besteht zumindest im Bereich des Polizeirechts allerdings sehr viel länger und ist dort auch unter dem nun wiederentdeckten Begriff behandelt worden, vgl. nur Schultzenstein, „Die Grenzen der Polizeigewalt beim Schutze gegen sich selbst", DJZ 1904, Spalten 81 ff. 164 Vgl. BVerfGE 58, 208, 225 f.; BayVerfGH NJW 1993, S. 1520, 1521; Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, S. 37 f.; Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 121 f. 165 BayVerfGH NJW 1989, S. 1790, 1791; Stern, Staatsrecht III/2, S. 361. 166 Schwabe, JZ 1998, S. 70. 167 BayVerfGH, NJW 1993, 1520, 1521. 168 BVerfGE 58, 208, 225. 169 BVerfGE 58, 208, 226.

14 Heide

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

nicht behandeln zu lassen, sei auch in diesem Bereich zu beachten, es sei denn, „die Behandlung werde mit Sicherheit eine erhebliche Erkrankung beseitigen" 170 . Hillgruber vertritt, daß das Schutzgut des Art. 2 Abs. 1 GG die Fähigkeit zur Selbstbestimmung voraussetze. Befinde sich der Betroffene nicht im vollen Besitz seiner intellektuellen und voluntativen Fähigkeiten, so sei die Bildung eines freien Willens ausgeschlossen, sein Verhalten nicht als „Ausdruck von Selbstbestimmung staatlicherseits unbedingt anzuerkennen" 171. Als gemeinsames Grundmotiv dieser Auffassungen läßt sich ein Zusammenhang zwischen der Berechtigung, aus fürsorgerischen Gründen einzugreifen, und der Fähigkeit des Betroffenen, einen wie auch immer zu bestimmenden freien Willen zu entwickeln, ausmachen. Der Sozialstaatsgedanke spielt ebenso eine Rolle wie die Frage, ob dem Betroffenen erhebliche Schäden drohen. Insgesamt werden jedoch mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Es wird daher zunächst zu klären sein, inwieweit das Grundgesetz den Schutz des Menschen vor sich selbst überhaupt zuläßt. Soweit diese Frage zu bejahen ist, werden die Grenzen derartigen Schutzes, insbesondere die bei der Zwangsbehandlung psychisch Kranker zu beachtenden, zu ziehen sein.

1. Der Schutz des Menschen vor sich selbst a) Überblick über die Problemstellung Die Strafgefangenen-Entscheidung des BVerfG enthält den Passus, daß Einschränkungen der Rechtsstellung Strafgefangener nur dann in Betracht kommen, wenn sie „zur Erreichung eines von der Weitordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweckes unerläßlich" sind 172 . Damit ist die Grundkonstellation der Legitimation staatlicher Grundrechtsbegrenzung treffend beschrieben. Im Regelfall wird in Grundrechte eingegriffen, um Interessen der Gemeinschaft zu schützen; erst der übergeordnete Zweck legitimiert die Einschränkung. Interessen der Gemeinschaft müssen dabei nicht notwendigerweise solche einer Personenmehrheit oder der Allgemeinheit sein. Unter den Gemeinwohlzweck wird man auch Individualrechtsgüter fassen können, die durchaus geeignet sind, durch „Pluralisierung auf alle Bürger zu Gemeinschaftsgütern zu werden" 173 . Gemeint ist allerdings zunächst nur der Schutz von Individualinteressen überhaupt, nicht speziell der Schutz von Interessen desjenigen, der gleichzeitig Betroffener des Grundrechtseingriffs ist.

170 Jarass/Pieroth,

Art. 2 Rn. 57a; Dreier-Schulze-Fielitz,

171

Art. 2 Abs. 2 Rn. 45.

Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 121. 172 BVerfGE 33, 1, 11. 173 H. Schneider, Güterabwägung, S. 134.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

211

Dem Verfassungstext sind Gesetzesvorbehalte, die den Schutz des Grundrechtsträgers vor sich selbst ausdrücklich ermöglichen, allerdings nicht fremd. Diese stehen vorrangig im Zusammenhang mit dem Jugendschutz174. Nicht auf den Jugendschutz bezieht sich die Seuchengefahrklausel des Art. 11 Abs. 2 GG, die allerdings kaum eigenständige Bedeutung erlangt, da in diesem Bereich Eingriffe schon wegen des Schutzes Dritter vor der Weiterverbreitung notwendig erscheinen 175. Außerhalb dieser Begrenzungsregeln wird man den Schutz des Menschen vor sich selbst als durchaus problematisch ansehen können 176 . Man denke nur an die Schwierigkeiten, die die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne notwendigerweise aufwirft. Verletzt ist das Gebot der Angemessenheit nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG, wenn die betroffenen Interessen des Grundrechtsträgers ersichtlich schwerer wiegen als die mit dem Eingriff geschützten Interessen 177. Die vergleichende Abwägung verliert ihren Bezugspunkt, wenn der Eingriff gerade und ausschließlich den Schutz der Interessen des Grundrechtsträgers bezweckt. In der Rechtsprechung des BVerfG läßt sich nur eine Entscheidung ausmachen, die dem Schutz des Menschen vor sich selbst in dem hier interessierenden Zusammenhang eine absolute Grenze gesetzt hat. Das BVerfG 178 erklärte § 73 BSHG a.F. für verfassungswidrig. Die dort vorgesehene Anstaltsunterbringung zur Besserung taste das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG in seinem Wesensgehalt an. Die Freiheit der Person sei ein so hohes Rechtsgut, daß sie nur aus besonders wichtigem Grund eingeschränkt werden dürfe. Eingriffe in die persönliche Freiheit des Einzelnen, dazu gehöre auch die Anstaltsunterbringung von gemeingefährlichen Geisteskranken, dienten generell dem Schutz der Allgemeinheit. Eingriffe fürsorgerischen Charakters seien zwar auch zulässig, wenn sie dem Schutz des Betroffenen vor Zufügung größeren Schadens dienten. Bei § 73 I I und III BSHG a.F. sei es aber weder um den Schutz der Allgemeinheit noch um Schutz des Betroffenen, sondern lediglich um Besserung gegangen179. Ob die vom BVerfG gewählte Begründung mit einem Eingriff in den Wesensgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG einer kritischen Uberprüfung standhält, mag dahinstehen. Zumindest läßt sich dieser Entscheidung das Verbot des „missionarischen Eingriffszwecks" 180 entnehmen. Unbestritten dürfte nämlich sein, daß der Staat seine allgemeinen Zielvorstellungen nicht durch Grundrechtseingriffe Π4 Vgl. Art. 11 Abs. 2; Art. 5 Abs. 2 2.Alt; Art. 13 Abs. 7 3. Hs. 3.Alt. GG. 175 Stern, Staatsrecht III/2, S. 363. 176 Stern, III/2, S. 361; der Einwand, daß derartige Eingriffe vielfach von Gemeinschaftsinteressen anderer Art begleitet würden, ist für den Bereich der Zwangsbehandlung im Rahmen des Unterbringungs- bzw. Psychisch-Kranken-Rechts allerdings nicht zutreffend. 177 BVerfGE 44, 353, 373. 178 BVerfGE 22, 180. 179 BVerfGE 22, 180,219. 180 Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 119. 1

212

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

zu Lasten der Rechtsunterworfenen unbeschränkt für diese verbindlich machen darf 181 . Die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zur Zulässigkeit der fürsorglichen Unterbringung legen andererseits nahe, daß nicht jeder Eingriff, der dem Schutz des Grundrechtsträgers selbst dient, per se als verfassungswidrig einzustufen ist.

b) Verfassungsunmittelbare

Rechtfertigungen

Die Grundfrage, ob der Staat im ausschließlichen Eigeninteresse des Betroffenen in dessen Grundrechte eingreifen darf, wäre jedenfalls dann positiv beantwortet, wenn sich der Verfassung unmittelbare Eingriffsermächtigungen bzw. Eingriffsgebote entnehmen ließen.

aa) Schutzpflichten Angesichts der Gesundheits- bzw. Lebensgefahr, die durch die medizinische Zwangsbehandlung von dem Betroffenen selbst abgewendet werden soll, liegt der Gedanke an staatliche Schutzpflichten nahe. Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergibt sich nach einhelliger Auffassung die Verpflichtung des Staates, Leben 182 und Gesundheit 1 8 3 der Bürger zu schützen. Eine Verpflichtung und die damit verbundene Berechtigung des Staates, aufgrund der aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG abgeleiteten Schutzpflichten im ausschließlichen Interesse des Kranken in dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit einzugreifen, wird allerdings nur vereinzelt vertreten. Im Rahmen des § 101 StVollzG wird eine „Schutzpflicht gegen sich selbst" angenommen, wenn der Betroffene psychisch krank ist oder aus sonstigen Gründen nicht über die erforderliche Urteils- und Einsichtsfähigkeit verfügt 184 . Seewald verfolgt einen weitaus differenzierteren und breiter angelegten Ansatz. Bei psychischer Krankheit sei wegen der fehlenden tatsächlichen Möglichkeit des Betroffenen, sich für eine Heilbehandlung zu entscheiden, von einem Überwiegen der staatlichen Schutzpflichten auszugehen185. Lebensgefährliche Erkrankungen seien, soweit sie sich als behandelbar erweisen, ebenfalls staatlichen Eingreifens eben wegen der Schutzverpflichtung zugänglich 186 . Weitere Schutzverpflichtungen 181 Pardey, S. 78. 182 Vgl. nur BVerfGE 39, 1,42 (Abtreibung 1975). 183 Vgl. Lorenz, HbStR VI, § 128 Rn. 65 mwN., der zu Recht auch eine Schutzpflicht vor eigenmächtiger Heilbehandlung annimmt. 184 Michale, Zwangsernährung, S. 164, der im übrigen eine Zwangsernährung für zulässig hält, weil der Hungerstreikende gerade nicht sterben wolle. 185 Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 214. 186 Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 215 ff.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

213

seien Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zu entnehmen, so daß bei einer Erkrankung, die eine Bedrohung für die menschenwürdige Existenz darstelle, staatliches Einschreiten sogar geboten sei 187 . Als weitere Fallgruppe sei die Gefahr der Verletzung des Wesensgehaltes von Grundrechten anzuerkennen. Auch Art. 19 Abs. 2 GG lasse sich insoweit ein Eingriffsgebot entnehmen188. Bei Gesundheitsgefahren, die diesen Fallgruppen nicht zuzuordnen seien, sei der Konflikt zwischen staatlicher Schutzverpflichtung und den Grundrechten des Kranken wie folgt zu lösen: Eine Maßnahme, die gleichzeitig eine Gefährdung der Gesundheit bedeute, sei ausgeschlossen, wohingegen ungefährliche, lediglich vorteilhafte Behandlungen zulässig seien. Insoweit sei allerdings eine Pflicht des Staates zum Einschreiten nicht feststellbar, was die Berechtigung zur Durchführung solcher Eingriffe jedoch unberührt lasse 189 Letztgenannter Auffassung liegt nicht nur ein bereits an anderer Stelle als problematisch erkannter Würdebegriff 190 zu Grunde. Begründungen mit dem Wesensgehalt des Grundrechts sind mit einer Vielzahl unsicherer Prämissen behaftet, die eine schlüssige Argumentation erheblich erschweren 191. Das Grundproblem der dargestellten Auffassung ist allerdings unabhängig von der konkreten Ableitung möglicher Schutzpflichten. Man wird sich nämlich fragen müssen, ob die aus dem Grundrecht abgeleitete Schutzpflicht überhaupt geeignet ist, Aussagen über die Beschränkbarkeit desselben Grundrechts zu treffen. Das erscheint in den Konstellationen, in denen man die Schutzpflicht heranzieht, um ausschließlich den Träger des Abwehrrechts zu schützen, höchst problematisch. Der auch von Seewald vertretene Ansatz, daß Schutzpflichten in einem Konkurrenzverhältnis zu Grundrechten desselben Rechtsträgers stehen können, stellt durchaus keine Außenseiterposition dar, sondern ist bis in die Rechtsprechung der Bundesgerichte vorgedrungen. Das BVerwG beispielsweise argumentiert zum Recht auf Einsichtnahme in die Krankenunterlagen wie folgt: Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG leite sich das Persönlichkeitsrecht ab, das nicht nur ein subjektives Recht, sondern auch eine objektive Wertentscheidung darstelle 192 . Die daraus resultierende Schutzpflicht trete „in einen Gegensatz zum Selbstbestimmungsrecht, wenn dieses Recht mit dem Risiko der Selbstgefährdung ausgeübt wird". Ein Überwiegen der Schutzpflicht sei insbesondere dann anzunehmen, wenn die Kenntnisnahme der Krankenunterlagen ζ. B. Anlaß zum Selbstmord ge187

Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 220. Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 220 ff. 189 Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 222 f. 190 s.o. A IV. 4. 188

191

Gerade bei dem Recht auf Leben ist eine positive Bestimmung auf der Grundlage der Theorie des relativen Wesensgehalts unmöglich, da jeder Eingriff den Wesensgehalt antastet. Nur auf dieser Grundlage werden sich aber für den Einzelfall Folgerungen aus der Garantie des Wesensgehalts ziehen lassen. Die unsichere Grundlage des Ansatzes wird daher auch von Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 221, eingeräumt. 192 BVerwGE 82,45,49.

214

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

ben könne oder aber der Betroffene in der Fähigkeit zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechts krankhaft eingeschränkt wäre, seinen Willen frei zu bestimmen. Bei Selbstgefährdungen im staatsfreien, rein gesellschaftlichen Bereich müsse sich dagegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber der staatlichen Schutzverpflichtung nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durchsetzen 193. Schon bei vordergründiger Betrachtung wird deutlich, daß man mit diesem Verständnis grundrechtlicher Gewährleistungen wohl jedes Ergebnis begründen kann, daß aber hinreichend nachvollziehbare Kriterien für die Bestimmung des abwehrrechtlichen Gehaltes des Grundrechts gleichzeitig weitgehend verloren gehen. Dieser Eindruck ist keine am Einzelfall entstandene Zufälligkeit, sondern führt zum Kern des Problems bei der Konstruktion von Konkurrenzverhältnissen zwischen abwehrrechtlichem Gehalt und grundrechtlicher Schutzverpflichtung bei ein und demselben Rechtsträger. Zu Recht wird nämlich darauf hingewiesen, daß grundrechtliche Schutzpflichten für Leben und Gesundheit Schutz vor Eingriffen anderer bieten sollen 194 . In der Rechtsprechung des BVerfG wurden Schutzpflichten ausschließlich anhand von „Dreiecksverhältnissen" 195 herausgebildet 196. Der Staat als Verpflichteter schützt z. B. das ungeborene Leben vor der von dritter Seite vorgenommenen Abtreibung. Die Schutzpflicht dient insoweit der Effektuierung des subjektiven Rechts des Betroffenen, das aus dem Grundrecht folgt 1 9 7 . Sobald staatlicher Schutz durch einen Eingriff gegenüber demselben Rechtsträger verwirklicht werden soll, stoßen aber leistungsstaatlicher und freiheitsverbürgender Gehalt auf gleicher grundrechtlicher Ebene aufeinander 198. Die Schutzpflicht verselbständigt sich, löst sich vom abwehrrechtlichen Gehalt und ist schließlich in der Lage, diesen bis zur inhaltlichen Beliebigkeit 199 zu relativieren. Auf die erste Dimension der Grundrechte als Abwehrrechte, die zweite Dimension der Grundrechte als Leistungsrechte wird nun eine dritte Dimension gesetzt, die 193 BVerwGE 82,45, 50. 194 Michale, Zwangsernährung, S. 164. 195 Vgl. Wahl/Masing, JZ 1990, S. 553. 196 Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, S. 186, weist allerdings zu Recht darauf hin, daß sich der Rechtsprechung des BVerfG insoweit keine ausdrückliche Beschränkung auf „Dreiecksverhältnisse" entnehmen läßt. Dort wird herausgestellt, daß die Schutzpflicht sich „vor allem" (BVerfGE 39, 1, 42) oder „insbesondere" (BVerfGE 53, 30, 57; 56, 54, 73) auf die Abwehr rechtswidriger Angriffe Dritter beziehe. Ob mit diesen Formulierungen deutlich gemacht werden sollte, daß nur ein Teilaspekt der Schutzpflicht behandelt wird, oder ob die Offenheit der Schutzpflicht bei Gefährdungen durch den Geschützten selbst zum Ausdruck gebracht werden sollte, ist nicht zu klären; Littwin, a. a. O. Zur Rechtfertigung der Unterbringung psychisch Kranker wurde jedenfalls nicht auf grundrechtliche Schutzpflichten zurückgegriffen, vgl. BVerfGE 58, 208, 224 ff. 197 Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 107. 198 Lorenz, HbStR VI, § 128 Rn. 61. 199 Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 107.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

215

nicht dem Grundrechtsträger dient, sondern über ihn herrscht. Darin wird man nicht nur auf den ersten Blick eine Umkehrung der Grundrechtsidee sehen können 2 0 0 Die Möglichkeit der grundrechtlichen Schutzpflicht gegen sich selbst wird daher vom ganz überwiegenden Teil der Literatur zu Recht abgelehnt201. Weil sich die Schutzpflicht des Staates aus dem Recht des einzelnen auf Schutz ergibt, bleibt der Wille des Einzelnen für die Gewährleistung von Schutz bestimmend. Nur so läßt sich die Gefahr einer wohlfahrtsstaatlichen Bevormundung vermeiden 202 . Grundrechtliche Schutzpflichten sind daher nicht geeignet, Eingriffe gegen den Träger eben des Grundrechts zu rechtfertigen, aus dem sich eine Schutzpflicht ableiten ließe. Eine verfassungsunmittelbare Rechtfertigung des Schutzes des Kranken vor sich selbst kann sich unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Schutzpflichten somit nicht ergeben.

bb) Grundrechtsmündigkeit In Rechtsprechung und Literatur wird häufig der Schutz psychisch Kranker vor sich selbst mit dem Hinweis auf die fehlende Fähigkeit zur Selbstbestimmung gerechtfertigt 203 . Insbesondere in der Rechtsprechung des BayVerfGH wiederholt sich die Formulierung, daß der Staat solche Personen, die psychisch krank oder gestört sind, vor sich selbst in Schutz zu nehmen dürfe, weil deren Handlungen sich nicht als freiverantwortliche Ausübung von Grundrechten darstellen 204. In der Literatur wird vertreten, daß derjenige, der nicht über die erforderliche Urteils- und Einsichtsfähigkeit verfüge, in seiner Grundrechtsausübungsfähigkeit beschränkt sei 2 0 5 . Gerade die letztgenannten Formulierungen scheinen sich deutlich an die sog. Grundrechtsmündigkeit anzulehnen. Mit der Grundrechtsmündigkeit wird gemeinhin die Fähigkeit umschrieben, von einer Grundrechtsberechtigung eigenverantwortlich Gebrauch zu machen 206 . Sie ist streng von der Grundrechtsfähigkeit oder auch Grundrechtsträgerschaft zu tren200 v.Münch, FS Ipsen, S. 114. 201 Schwabe, JZ 1998, S. 70; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 221; Neumann, KritV 1993, S. 286; Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, S. 187; Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 197 f., 228 ff.; zweifelnd auch Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 52a. 202 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 221. 203 Vgl. BVerfGE 58, 208, 225 f.; BayVerfGH NJW 1993, S. 1520, 1521; Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, S. 37 f.; Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 121 f. 204 Aus neuerer Zeit: BayVerfGH NJW 1989, 1790, 1791; BayVerfGH, NJW 1993, 1520, 1521 jeweils mwN aus der Rechtsprechung des BayVerfGH. 205 Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung, S. 135. 206 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1065, der allerdings die Begriffe Grundrechtswahrnehmungs- oder Grundrechtsausübungsfähigkeit vorzieht, vgl. S. 1066.

216

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

nen, die vom Lebensalter oder natürlichen Fähigkeiten unabhängig ist 2 0 7 . Die Grundrechtsmündigkeit hat demgegenüber Bedeutung bei der prozessualen Geltendmachung von Grundrechten durch Minderjährige 208 sowie traditionell im Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern oder genauer im Dreiecksverhältnis Staat-ElternKind 2 0 9 . Ist dort die Unselbständigkeit der Minderjährigen grundsätzlich schon aus dem Elternrecht gerechtfertigt 210, so wird die Grundrechtsmündigkeit auch herangezogen, um je nach Grundverständnis flexible oder starre Altersgrenzen zu ziehen, in denen Minderjährige auch gegenüber ihren Eltern und auch ohne Vertretung durch die Eltern grundrechtliche Gewährleistungen ausüben können. Das Verhältnis des Minderjährigen zur öffentlichen Gewalt wird demnach - abgesehen von der Möglichkeit der eigenständigen prozessualen Geltendmachung der Rechte - durch die Grundrechtsmündigkeit nicht unmittelbar berührt 211 . Für den Gegenstand der Untersuchung, der das Problem der Heilbehandlung Minderjähriger nicht umfaßt, wäre die Grundrechtsmündigkeit daher irrelevant, wenn die obengenannten Grundsätze nicht auf die Grundrechtsausübung bei psychisch Kranken übertragen würden. Stern vertritt in diesem Zusammenhang, daß auch für „Geisteskranke" eine Grundrechtsausübung nicht in gleicher Weise wie für einen Gesunden in Frage komme, was sich aus der Natur der Sache ergebe 212. Rüfner sieht - sehr viel vorsichtiger - eine Verwandtschaft der Grundrechtsmündigkeit zu der Problematik der Rechtsstellung geschäftsunfähiger Erwachsener gegenüber ihrem gesetzlichen Vertreter. 213 Die Konsequenzen, die mit einer Übertragung des Instituts der Grundrechtsmündigkeit auf die Gruppe der psychisch Kranken oder geistig Behinderten einhergehen, bleiben allerdings unklar. Sollte damit ein grundrechtsübergreifendes Prinzip konstruiert sein, das allen Personen, die Defizite hinsichtlich der Einsichts- und Urteilsfähigkeit aufweisen, die eigenverantwortliche Wahrnehmung ihrer Grundrechte versperrt, so wäre diesem Ansatz allerdings zu widersprechen. Es würde sich dann nämlich die ganz praktische Frage stellen, wer die Wahrnehmung oder Ausübung der Grundrechte übernehmen sollte. Wäre das der Staat, dem auch der Betreuer nach Bürgerlichem Recht zuzurechnen ist 2 1 4 , so würde der Grundrechtseingreifende gleichzeitig über die Geltendmachung der grundrechtlichen Eingriffsbegrenzungen disponieren. Der psychisch Kranke wäre Trä207 Rüjher, HdBStR V, § 116, Rn. 20; Dürig in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. III Rn. 13. 208 Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 129, die hier den eigentlichen Anwendungsbereich sehen. 209 Dürig in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. III Rn. 18. 210 Rüfner, HdBStR V, § 116, Rn. 24. 211 Vgl. Rüfner, HdBStR V, § 116, Rn. 23. 212 Stern, Staatsrecht III/1, S. 1066. 213 Rüfner, HdBStR V, § 116, Rn. 27, der zu Recht vorrangig auf die praktischen Probleme bei der Durchsetzung des Rechts verweist. 214 Vgl. oben l.Teil D. I 2 a).

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

217

ger eines Grundrechts, das ihm nichts nützt; der abwehrrechtliche Gehalt des Grundrechts liefe ins Leere. Einem derartigen Ergebnis wird man mit einer Reihe von Einwänden entgegentreten müssen. Zunächst erscheint gut vertretbar, daß die Ausübung von Grundrechten, die an die menschliche Existenz anknüpfen, an keine Altersgrenze und damit auch nicht an das Vorhandensein intellektueller oder voluntativer Fähigkeiten geknüpft sind 215 . Bei Rechten, die das Kind von vornherein innehat und bei denen es das tatsächliche Vermögen zur Abwehr innehabe, sei es unabhängig vom Alter im rechtlichen Sinne handlungsfähig 216. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit entzöge sich damit dem Anwendungsbereich der Grundrechtsmündigkeit. Hinsichtlich der dogmatischen Grundlagen der Grundrechtsmündigkeit stellt sich die Frage, welche normative Rechtfertigung es für die ganz erhebliche Einschränkung von Freiheitsgebrauch und Handlungsfreiheit geben könnte. Man wird nur feststellen können, daß eben eine normative Grundlage für diese generelle Einschränkung von Grundrechten schlicht fehlt 217 . Die Figur der Grundrechtsmündigkeit ist aber geeignet, Freiheitsgebrauch und Handlungsmacht empfindlich einzuschränken 218, was eine Rechtfertigung erforderlich macht. Für volljährige psychisch Kranke, bei denen das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG keine Wirkung mehr entfaltet, gilt dieser Einwand um so mehr. Die Voraussetzung der Grundrechtsmündigkeit wird daher angesichts der Gefahr einer Relativierung der Grundrechte 219 von der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum auch abgelehnt220. Die Grundrechtsmündigkeit ist daher nicht geeignet, eine verfassungsunmittelbare Beschränkung der Rechte psychisch Kranker zu begründen.

cc) Das Sozialstaatsprinzip Als dritter verfassungsunmittelbarer Begründungsansatz bleibt das Sozialstaatsprinzip. In den einschlägigen Entscheidungen zur Unterbringung psychisch Kranker 2 2 1 oder zur Suizidhinderung 222 wird auf das Sozialstaatsprinzip meist ergän215 Vgl. v.Münch-v.Münch, Vorb. Art. 1 - 1 9 Rn. 13. 216 Fehnemann, Grundrechte im Kindesalter, S. 37. Als Beispiel wird dort die Abwehr der Zwangsimpfung genannt. 217 Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 126; Robbers, DVB1. 1987, S. 713; kritisch auch: Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 184 ff. 218 Robbers, DVB1. 1987, S. 713. 219 Pardey, S. 74. 220 Bernsmann, in: Blau / Kammeier, S. 158; Marschner, Psychische Krankheit und Freiheitsentziehung, S. 156; Pardey, S. 71 ff., insb. 74; Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 214. 221 BVerfGE 58, 208, 225.

218

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

zend Bezug genommen. Die Berechtigung zur Suizidhinderung wird in der Literatur teilweise mit einer „aus Art. 2 II 1 GG in Verbindung mit der aus dem Sozialstaatsprinzip sich ergebenden Fürsorgepflicht des Staates für Leben und Gesundheit seiner Bürger" begründet 223. Speziell zur Zwangsbehandlung wird vertreten, daß es Pflicht und Aufgabe des Sozialstaates sei, den nicht einsichtsfähigen Patienten notfalls auch mit der Zwangsbehandlung in die Lage zu versetzen, die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Ausübung seiner Rechte wiederzuerlangen 224. Der in Rechtsprechung und Literatur festzustellende Bezug zu dem in Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verankerten Sozialstaatsprinzip ist durchaus naheliegend. Der Begriff Sozialstaat ist nicht nur inhaltlich relativ unbestimmt 225 und bietet sich daher für die verfassungsrechtliche Verankerung durchaus unterschiedlicher Ansätze gerade zu an. Auch das fürsorgerische Motiv, das der Zwangsbehandlung in den praktisch relevanten Bereiche zu Grunde liegt, scheint hier zutreffend verortet. Von jeher wird die Fürsorge als Hilfe für Mitbürger, die wegen körperlicher, geistiger und sozialer Gebrechen an persönlicher und sozialer Entfaltung gehindert sind 226 , verstanden und damit als wesentliches Element des Sozialstaatsprinzips angesehen. Dieser offenkundige Zusammenhang zwischen Sozialstaatsprinzip und fürsorgerischem Handeln besagt über die verfassungsrechtliche Gebotenheit fürsorglichen Zwanges und insbesondere der medizinischen Zwangsbehandlung recht wenig. Als problematisch wird schon die Verknüpfung von Zwang und Fürsorge empfunden. Zur Zwangsbehandlung nach § 101 StVollzG wird ζ. B. vertreten, daß sich die besondere Fürsorgeverpflichtung im Vollzugsverhältnis in dem Leistungsanspruch 227 des Gefangenen erschöpft, aber keine Duldungsverpflichtung beinhalte 228 . Die Heranziehung des Fürsorgegedankens als Rechtfertigung für Zwangsmaßnahmen sei eine „Pervertierung" des Fürsorgegedankens; Fürsorge könne nur angeboten, nicht aufgedrängt werden, schon gar nicht mit Brachialgewalt 229 . Diese Überlegung wird für das Vollzugsverhältnis eine hohe Berechtigung haben, zumal ein Rückgriff auf Institute wie das Fürsorgeverhältnis ein Einfallstor für gewohnheitsrechtliche Begründungen von Grundrechtseingriffen darstellt, denen seit der Strafgefangenen-Entscheidung 230 des BVerfG zu Recht mit größter Skepsis zu begegnen ist.

222 223 224 225 226 227 228 229

BayVerfGH NJW 1989, 1790, 1791. Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung, S. 134 f. Erhardt, Behandlung und Behandlungsverweigerung, S. 76. vMünch-Schnapp, Art. 20 Rn. 16. BVerfGE 40, 121, 133; Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 74. Michale, Zwangsernährung, S. 137. Zum Strafvollzug: Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 314 f. Tröndle, FS Kleinknecht, S. 421.

230 BVerfGE 33, 1.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

219

Allerdings läßt sich die für das Fürsorgeprinzip im Strafgefangenenverhältnis vertretene Beschränkung auf gewährendes Handeln auf das Sozialstaatsprinzip nicht vollständig übertragen. Wie schon die Zwangsmitgliedschaft in sozialen Sicherungsystemen deutlich macht, stellen Fürsorge und Eingriff nicht notwendigerweise einen Widerspruch dar, sondern ergänzen und bedingen einander. Das Sozialstaatsprinzip vermag daher die Beschränkung von Grundrechten durchaus legitimieren 231 . Eine verfassungsunmittelbare Ermächtigung oder gar ein Gebot, fürsorgerisch einzugreifen, ist damit allerdings nicht begründet. Das BVerfG steht vielmehr zu Recht auf dem Standpunkt, daß das Sozialstaatsprinzip nicht geeignet sei, Grundrechte ohne nähere Konkretisierung durch den Gesetzgeber zu beschränken 232. Daraus wird überwiegend der Schluß gezogen, daß eine Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen durch das Sozialstaatsprinzip als kollidierendes Verfassungsrecht nicht zulässig ist 2 3 3 . Eine unmittelbare Grundrechtsschranke läßt sich dem Sozialstaatsprinzip insoweit nicht entnehmen234. Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG wird allerdings als Handlungsauftrag verstanden 235, aus dem sich ζ. B. eine Verstärkung von Fürsorge-, Schutz und Gefahrenabwehrpflichten ergeben kann 236 . Zudem soll das Sozialstaatsprinzip eine nicht näher definierte Rolle bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Grundrechtseingriffs 237 bzw. bei der Auslegung der Grundrechte spielen 238 . Bezogen auf die Frage nach der Zulässigkeit des Heileingriffes zum Schutz des Kranken vor sich selbst scheidet das Sozialstaatsprinzip als verfassungsunmittelbare Rechtfertigung aus. Daraus sollte allerdings nicht der Schluß gezogen werden, daß das Sozialstaatsprinzip in diesem Zusammenhang keine Bedeutung entfaltet. Dem u. a. vom BVerfG in seiner Entscheidung zum UBG Bad.-Württ. vorgenommenen Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip 239 ist eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen. Dort wird ausgeführt, daß unter Geltung des Sozialstaatsprinzips kein Grund ersichtlich sei, die Fürsorge für psychisch Kranke nicht als staatliche Aufgabe auszugestalten. Auch die zwangsweise Unterbringung sei zumindest dann Teil der staatlichen Fürsorge, wenn dem Betroffenen die notwendige Einsichtsfähigkeit fehle 240 . Auf einen kurzen Nenner gebracht umschreibt das BVerfG die verfassungsrechtliche Ausgangslage damit wie folgt: Dem Grundgesetz ist die 231 Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 80. 232 BVerfGE 59, 231, 263. 233 Neumann, DVB1. 1997, S. 98 f. 234 Stern, Staatsrecht I, S. 924. 235 Neumann, DVB1. 1997, S. 99. 236 Stern, Staatsrecht I, S. 928. 237 Vgl. Neumann, DVB1. 1997, S. 99. 238 Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, S. 193. 239 BVerfGE 58, 208, 225. 240 BVerfGE 58, 208, 225 f.

220

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

Zwangsfürsorge nicht fremd, wie insbesondere die Existenz des Sozialstaatsprinzips belegt. Ein verfassungsunmittelbarer Ansatz, mit dem sich der Schutz des Kranken vor sich selbst rechtfertigen ließe, ergibt sich allerdings auch aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG nicht.

c) Der Schutz des Menschen vor sich selbst im Rahmen eines Gesetzesvorbehaltes Das Fehlen einer verfassungsunmittelbaren Rechtfertigung von Eingriffen, die ausschließlich dem Schutz des Kranken dienen, besagt über ihre verfassungsrechtliche Legitimation noch nichts. Die Grundfrage, ob der Staat im ausschließlichen Eigeninteresse des Betroffenen in dessen Grundrechte eingreifen darf, stellt sich nach wie vor. Die staatsrechtliche Literatur ist im Hinblick auf die Frage, ob Eingriffe auch zum Schutz des Grundrechtsträgers vor sich selbst zulässig sein können, wenig ergiebig. Soweit erkennbar hat sich in jüngerer Zeit lediglich Hillgruber 24Eingehend mit dieser Frage auseinandergesetzt. Er gelangt zu der Annahme, daß der einfache Gesetzesvorbehalt um eine ungeschriebene Qualifizierung - ein „Neutralitätsgebot" - zu ergänzen sei 2 4 2 . Die Schranke der allgemeinen Gesetze im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 GG gebe einen Anhaltspunkt und den Maßstab für die sog. ungeschriebene Qualifizierung bei der Einschränkbarkeit der allgemeinen Handlungsfreiheit. Auch die Handlungsfreiheit begrenzende Gesetze dürften sich nicht gegen eine bestimmte Handlung als solche richten, sondern hätten dem Schutz eines Gemeinschaftsgutes zu dienen 243 . Eingreifende Gesetze müßten sich auch zur Selbstschädigung neutral stellen. Legitim sei erst das Verbot sozialschädlicher Handlungen 2 4 4 . Der Rückgriff auf die Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG ist zunächst methodisch angreifbar. Aus dem überwiegend als qualifiziert eingestuften Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG eine Qualifizierung der einfachen Vorbehalte ableiten zu wollen, erscheint wenig überzeugend. Nicht auf diesen Aspekt bezieht sich allerdings die deutliche Kritik, die insbesondere aus der Zivilrechtslehre an dieser Auffassung geäußert wurde. Dort wird vorrangig eine Verabsolutierung des „liberalen Glaubens an die Vernunftfähigkeit des Menschen und die daraus resultierende Entscheidungsfreiheit" gerügt 245 . Der Bereich der Drittwirkung von Grundrechten im Privatrecht und der damit verbun-

241 242 243

Der Schutz des Menschen vor sich selbst, München 1992. Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 116 ff.

Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 118 f. Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 119. 24 5 Singer, JZ 1995, S. 1140. 244

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

221

denen richterlichen Inhaltskontrolle, aus dem sich diese Kritik nährt, ist jedoch denkbar ungeeignet, um Argumente gegen ein Neutralitätsgebot gegenüber selbstschädigendem Verhalten zu liefern. Die Frage nach der Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht stellt sich erst dann, wenn Dritte involviert sind, also klassische Dreiecksverhältnisse vorliegen, in denen der Staat selbstverständlich schützend zugunsten des Schwächeren, Unvernünftigen oder ansonsten Schutzlosen eingreifen darf. Die Balance und die Grenzen der Zulässigkeit von Eingriffen in die Privatautonomie wird man in diesem Zusammenhang ausgiebig diskutieren können. Die Grundfrage, ob überhaupt eingegriffen werden darf, bleibt bei dieser Fragestellung allerdings ungeklärt. Völlig anders stellt sich die Situation bei ausschließlich selbstschützenden Eingriffen dar. Dort wo sich Eingriffe als Akt staatlicher Fürsorge darstellen, sich nicht durch Interessen Dritter oder der Allgemeinheit unmittelbar legitimieren lassen, stellt sich das Problem einer staatlichen Neutralitätspflicht mit voller Klarheit und Schärfe. Genau in diesem Bereich weicht allerdings auch Hillgruber von seiner nur mit Mühe begründbaren Grundaussage ab. Der „Geisteskranken-" und Jugendschutz sei selbstverständlich als Ausnahme von dem aufgestellten Grundsatz der Neutralität staatlicher Eingriffe anzuerkennen 246. Bei „Geisteskranken" sei schon aus dem Schutzgut der allgemeine Handlungsfreiheit eine Beschränkung gerechtfertigt. Art. 2 Abs. 1 GG setze die Fähigkeit zur Selbstbestimmung voraus. Bei Personen, denen die Fähigkeit zur Bestimmung eines freien Willens fehle, sei das Verhalten daher staatlicherseits auch nicht „unbedingt anzuerkennen" 247. Die Zulässigkeit des Jugendschutzes wird dagegen unter Hinweis auf die im Text der Verfassung enthaltenen Gesetzesvorbehalte248 gerechtfertigt 249. Diese, zum hier ausschließlich interessierenden Schutz psychisch und körperlich Kranker vor sich selbst konstruierte Ausnahme, vermag nicht zu überzeugen. Eine tatbestandsimmanente Grenze des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit dürfte wohl nicht ausreichen, der Problematik gerecht zu werden. Der Schutz psychisch Kranker betrifft nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern höchst unterschiedliche grundrechtliche Gewährleistungen, von Art. 14 Abs. 1 GG (ζ. B. bei der Anordnung einer Betreuung) bis hin zu den speziellen Freiheitsrechten des Art. 2 Abs. 2 GG. Jeweils eine tatbestandsimmanente Schranke aufstellen zu wollen, dürfte weder begründbar noch praktikabel sein. Andererseits wird die Kernfrage, unter welchen Voraussetzungen die „Fähigkeit zur Selbstbestimmung" soweit eingeschränkt ist, daß der Staat fürsorgerisch eingreifen darf, nicht einmal im Ansatz gelöst. Das Vorliegen einer psychischen Krankheit führt nicht notwendigerweise zum Verlust der Fähigkeit zur Selbstbestimmung 250 . Die genannte Ausnahme „Geisteskrankenschutz" leistet damit schon 246

Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 121 ff. Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 121. 24 « Vgl. Art. 11 Abs. 2; Art. 5 Abs. 2 2. Alt; Art. 13 Abs. 7 3. Hs. 3. Alt. GG. 247

249

Hillgruber,

Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 123.

222

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

keine hinreichend klare Abgrenzung zu anderen Formen und Bereichen fürsorgerischen Eingreifens. In Frage gestellt wird der gesamte Ansatz auch dadurch, daß die beiden in der Vergangenheit und Gegenwart wohl wichtigsten Anwendungsbereiche des Schutzes des Menschen vor sich selbst gerade als Ausnahmen von einem nicht recht begründbaren Neutralitätsgebot angesehen werden. Nicht beachtet wird auch, daß fürsorgerisches Eingreifen zumal „unter der Geltung des Sozialstaatsprinzips dem Grundgesetz nicht fremd" 251 ist. Die Konstruktion eines Neutralitätsgebots wird den bereits vorkonstitutionell bestehenden Möglichkeiten, fürsorgerisch einzugreifen, nicht gerecht. Man denke insoweit nur an das „Badische Gesetz, die Irrenfürsorge betreffend" 252 , das bereits 1910 den Schutz des Kranken durch Eingriff zuließ. Insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG sind grundsätzliche Bedenken gegen derartige Eingriffsbefugnisse daher auch nicht festzustellen, obwohl das Gericht in der Entscheidung zu dem in der Tendenz durchaus vergleichbaren UBG Bad.-Württ. 253 sowohl Anlaß als auch Gelegenheit gehabt hätte, die Frage nach einem Neutralitätsgebot aufzuwerfen und zu beantworten. Zu Recht wurde ein derartiges Verbot des Schutzes des Menschen vor sich selbst auch in den genannten Entscheidungen nicht aufgestellt. Es ist der Verfassung schlicht unbekannt. Die notwendigen Grenzen der Befugnisse zum fürsorgerischen Eingriff werden insbesondere von der Rechtsprechung vielmehr aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip abgeleitet254. Dort und nicht etwa in der Wesensgehaltsgarantie ist auch das zu Recht angenommene Verbot eines „missionarischen Eingriffszwecks" zutreffend verortet, wie eine Analyse der einschlägigen Entscheidung zeigt. Das BVerfG 255 erklärte § 73 BSHG a.F. für verfassungswidrig, weil die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut sei, daß sie nur aus besonders wichtigem Grund eingeschränkt werden dürfe. Zweck der Freiheitsentziehung gemäß § 73 I I und III BSHG a.F. sei aber weder der Schutz der Allgemeinheit noch der Schutz des Betroffenen, sondern lediglich dessen Besserung gewesen256. Es fehlte also ein hinreichend gewichtiger und plausibler Grund, um die Freiheit zu entziehen. Die Auswirkungen des Eingriffs standen somit in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck des Eingriffs. Die Verfassungswidrigkeit des § 73 BSHG a.F. war Folge des nahezu klassischen Gehalts des Verhältnismäßigkeitsprinzips.

250 Zur Einwilligungsfähigkeit s.o. 1. Teil, D. I I 2. e). 251 BVerfGE 58, 208, 225 f. 252 Vom 25. 6. 1910, GVB1. S. 299; abgedr. auch in Psych.-Neurol. Wochenschrift, 1910/11, S. 231; dazu oben 1. Teil Α. I. 2. 253 BVerfGE 58, 208. 254 Vgl. nur 2270/96, NJW 255 BVerfGE 256 BVerfGE

BVerfGE 58, 208; 63, 340, 342; zuletzt: BVerfG, 23. 3. 1998-2 BvR 1998, S. 1774; auch OLG Saarbrücken, R&P 1998, S. 45 f. 22, 180. 22, 180,219.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

223

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß kein Grund erkennbar ist, fürsorgerisches Eingreifen des Staates im Rahmen eines Gesetzesvorbehaltes generell für unzulässig zu erklären. In den vorrangig durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip gesetzten Grenzen ist es durchaus möglich, ausschließlich zum Schutz des Grundrechtsträgers in dessen grundrechtliche Positionen einzugreifen.

2. Medizinische Zwangsbehandlung zum Schutz des Kranken Vor diesem Hintergrund erweist sich die Auffassung, nur der Schutz Dritter rechtfertige eine Heilbehandlung ohne Einwilligung des Betroffenen 257, als nicht haltbar. Im Rahmen eines Gesetzesvorbehaltes ist dem Gesetzgeber nicht aufgegeben, ausschließlich verfassungsrechtliche Positionen Dritter oder der Allgemeinheit zum Anlaß für grundrechtseinschränkende Bestimmungen zu nehmen 258 . Er kann vielmehr auch Regelungen erlassen, die ausschließlich dem Schutz des Betroffenen selbst dienen.

a) Problemstellung Die verfassungsrechtlichen Besonderheiten des Eingriffs im ausschließlichen Interesse des Betroffenen sind damit allerdings noch nicht bewältigt. Eine wesentliche Schwierigkeit ergibt sich schon im Hinblick auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Das Gebot der Angemessenheit erfordert eine Abwägung der betroffenen Interessen des Grundrechtsträgers mit den durch den Eingriff geschützten Interessen 259. Bei Identität des Trägers des Grundrechts und des geschützten Interesses verliert diese vergleichende Abwägung ihren Bezugspunkt. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit medizinischer Zwangsbehandlungen im ausschließlichen Interesse des Erkrankten ergibt sich ein weiteres Problem. Wie der erste Teil der Untersuchung gezeigt hat, besteht mit den genannten Ausnahmen 260 kein Recht, körperlich Kranke gegen ihren Willen zu behandeln. Im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG stellt sich daher die Frage nach einem tragfähigen Differenzierungskriterium, d. h. einem sachlichen Grund, der die Zwangsbehandlung von psychisch Kranken einerseits und die ausnahmslose Anerkennung eines „Rechts zur Krankheit" bei körperlich Kranken anderseits rechtfertigen könnte.

257 Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 274. 258 So aber Geißl, Zwangsmaßnahmen, S. 275. 259 BVerfGE 44, 353, 373. 260 Wesentliche Ausnahme ist § 17 GeschlKrG. Die dort vorgesehene Möglichkeit zur Zwangsbehandlung ist allerdings ausschließlich mit dem Schutz der Allgemeinheit vor der Übertragungen von Geschlechtskrankheiten zu rechtfertigen.

224

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

In den einschlägigen Entscheidungen klingt ein derartiges Kriterium immer wieder an. Mit dem Hinweis darauf, daß sich die Handlungen psychisch Kranker nicht als „frei verantwortliche Ausübung von Grundrechten" darstellen 261, das Gewicht des Freiheitsanspruches nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Untergebrachten, sich „frei zu entschließen", bestimmt werden dürfe 262 , wird zum Ausdruck gebracht, daß Art und Ausmaß staatlicher (Zwangs-)Fürsorge davon abhängig sind, inwieweit der Betroffene in der Lage ist, die anstehenden Entscheidungen selbst zu treffen. Mögen die Formulierungen auch im Einzelfall auf ein eher übergreifendes, der Grundrechtsmündigkeit ähnliches Prinzip hindeuten, so gehört der Hinweis auf den Ausgleich bestehender Defizite bei dem Betroffenen durchgängig zu den tragenden Erwägungen der Gerichte. Auch in der Literatur wird diesem Kriterium Bedeutung beigemessen. Der an sich unzulässige Grundrechtsschutz gegen sich selbst werde bei Eingriffen, die Defizite bei der Fähigkeit, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, ausgleichen, zu einem „Grundrechtsschutz für sich, der lediglich von einem anderen wahrgenommen wird" 2 6 3 . Littwin sieht gerade in dem Ausschluß der Fähigkeit zur Selbstbestimmung das entscheidende Kriterium, um unzulässige Bevormundung von zulässiger Fürsorge abzugrenzen 264. Ein allgemeines, übergreifendes Prinzip der Grundrechtsmündigkeit begegnet wie bereits gezeigt - durchaus Bedenken. Auch mit der Formel, daß im Falle fehlender Entscheidungsfähigkeit lediglich für den Betroffenen entschieden werde, verlagert man das Problem lediglich, löst es aber nicht. Eine Entscheidung anstelle des Betroffenen ist - soweit sie staatlicher Gewalt zugerechnet werden kann - nach wie vor ein Eingriff, dessen Voraussetzungen und Grenzen geklärt werden müssen. Vertreten wird allerdings auch, daß die Beeinträchtigung der Willensfreiheit für sich genommen kein Grund zur „Beschränkung der Freiheitsrechte" sei, daß Einschränkungen sich nur aufgrund von konkreten Gefährdungen rechtfertigen ließen 265 . Diese Auffassung kann ebenso wenig überzeugen, da auch eine hochgradige Gefährdung nicht zum Eingriff berechtigt, wenn der betroffene Grundrechtsträger die angebotene Hilfe zurückweist. Der Grad der Gefahr wird allenfalls Einfluß auf Art und Weise einer Zwangsbehandlung haben können. Für die Beantwortung der Frage, ob überhaupt gegen den Willen des Betroffenen behandelt werden darf, erweist sich dieses Kriterium als untauglich.

261 BayVerfGH, NJW 1993, 1520, 1521. 262 BVerfGE 58, 208, 226. 263 v.Münch, FS Ipsen, S. 125. 264 Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, S. 37 f. 265 Marschner, Psychische Krankheit und Freiheitsentziehung, S. 157.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

225

b) Heilbehandlung als Ausgleich von Defiziten In den Defiziten des Betroffenen liegt hingegen ein entscheidender Aspekt, mit dem sich auch die Unterscheidung zwischen körperlich und psychisch Kranken erklären läßt. Die Abgrenzung von „missionarischem Eifer" oder Bevormundung und notwendiger Fürsorge scheint auf der Grundlage dieses Kriteriums durchaus möglich. Für den weiteren Gang der Untersuchung sind daher die verschiedenen Formen der Zwangsbehandlung daran zu messen, ob sie dem Ausgleich krankheits- oder behinderungsbedingter Defizite dienen. Damit ist auch ein entscheidender Bezugspunkt der Abwägung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips wiedergewonnen, der eine Unterscheidung zwischen dem Eingriff ausschließlich zur Besserung und dem grundsätzlich zulässigen Eingriff zum Schutze des Betroffenen vor sich selbst vom Ansatz her ermöglicht.

3. Verhältnismäßigkeit Die Grenzen der Zwangsbehandlung zum Schutze des Kranken vor sich selbst und seiner Krankheit sind vorrangig im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu ziehen. Die Prüfung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit ist ohne Bezugspunkt unvollständig. Wie bereits gezeigt, kann dieser nur in dem Ausgleich krankheits- bzw. behinderungsbedingter Defizite liegen.

a) Heilbehandlung als Kompensation der Freiheitsentziehung Zumindest bei zwangsweise Untergebrachten wird der gesetzliche Behandlungszwang häufig damit begründet, daß die Heilbehandlung gerade dazu dient, die Unterbringungsdauer zu verkürzen. Die Zwangsbehandlung sei nicht nur unbedenklich, sondern ihre Verfassungslegitimität folge unmittelbar aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip 266. Eine Beschränkung auf den Ausgleich krankheitsbedingter Defizite bei der Entscheidungsfindung wäre unter dieser Prämisse hinfällig. Der Gedanke einer Kompensation der Freiheitsentziehung durch Heilbehandlung ist ebenso verbreitet wie unhaltbar. Ein Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist nach diesem Argumentationsmuster schon deshalb unbedenklich, weil als Vorteil der bereits bestehende Zustand der Entziehung der persönlichen Freiheit aufgehoben werden könnte. Gegen dieses verbreitete Argument ist zu Recht eingewandt worden, daß die Entscheidung über die Durchführung einer Heilbehandlung auch unter den Bedingungen einer geschlossenen Unterbringung dem Betroffenen überlassen bleiben muß 2 6 7 . Die Zwangsbehandlung stelle einen weiteren Eingriff in die Lebenssphäre 266 Statt aller: Neumann, KritV 1993, S. 278. 15 Heide

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

des Untergebrachten dar. Daher müsse der Wille sich nicht behandeln zu lassen, beachtlich bleiben 268 . Der Untergebrachte solle die Möglichkeit behalten, sich zwischen Wiedererlangung der Bewegungsfreiheit und der Verfügung über den Körper frei zu entscheiden269. Die Rechtfertigung der Zwangsbehandlung mit der Möglichkeit, die Freiheit in kürzerer Zeit wiederzuerlangen, sei eine „wohlmeinende Begründung", die den Grundrechtseingriff aber nicht trage 270 . Man wird nicht bestreiten können, daß die Möglichkeit der Behandlung ein Vorteil ist, der wesentliche Auswirkungen auf die Rechtfertigung der Freiheitsentziehung haben kann 271 . Sie stellt zwar kein „Äquivalent" für die Entziehung der Freiheit dar 2 7 2 . Die Behandlungsmöglichkeit ist gleichwohl Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung, da eine reine Verwahrpsychiatrie nach dem Leitbild des 19. Jahrhunderts auch verfassungsrechtlich nicht in Betracht käme. Über die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen besagt dieser offenkundige Zusammenhang allerdings nichts. Fiskalische Erwägungen, die gegen eine längere Unterbringung sprechen könnten, werden angesichts der Schwere der Eingriffe und des Ranges des betroffenen Grundrechts, nicht den Ausschlag geben können 273 . Das Bestehen einer geschlossenen Unterbringung und die - unterstellte Möglichkeit einer Verkürzung derselben durch die unter Zwang durchgeführte Heilbehandlung wäre folglich nur dann für die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung beachtlich, wenn sich die Möglichkeit einer „Saldierung" der grundrechtlichen Positionen des Betroffenen ergeben würde. Der Gedanke, daß ein Grundrechtseingriff durch einen anderen aufgehoben bzw. gemildert werden kann und letzterer unter dieser Voraussetzung verfassungsrechtlich unbedenklich ist, leuchtet nur bei oberflächlicher Betrachtung ein. Eine „Saldierung" grundrechtlicher Positionen ist weder unter rechtlichen noch tatsächlichen Gesichtspunkten zulässig 274 . Die Rechtsstellung des untergebrachten Patienten verbessert sich im Zeitpunkt der Heilbehandlung in keiner Weise. Zu dem Eingriff in die Freiheit der Person tritt der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit hinzu. Ein tatsächlicher Vorteil, der etwa in der Wiederherstellung der Gesundheit liegen könnte, ist schon deshalb unbeachtlich, weil Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die körperliche Unversehrtheit schützt, nicht etwa die Gesundheit. Wie bereits gezeigt, ist 267 Schulte, in: Recht und Psychiatrie, S. 30. 268 Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 57a mit der allerdings nicht recht verständlichen Einschränkung, daß eine Zwangsbehandlung gleichwohl zulässig sei, wenn sie mit Sicherheit eine erhebliche Erkrankung beseitigen werde. 269 Kammeier, in: „Psychisch kranke Rechtsbrecher", S. 13. 270 Steinle, BtPrax 1996, S. 140. 271 Less, Unterbringung, S. 222 f. 272 Bernsmann, in: Dörner, Edelpsychiatrie, S. 83. 273 Schulte, in: Recht und Psychiatrie, S. 30; Holtus, Aspekte der Verhältnismäßigkeit, S. 129. 274 Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 205 f.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

227

es für die Frage nach dem Vorliegen eines Eingriffs in das genannte Recht völlig belanglos, mit welcher Intention eine Maßnahme durchgeführt wird. Die Möglichkeit einer Anrechnung von Vorteilen tatsächlicher oder rechtlicher Art bei der Rechtfertigung von Eingriffen in grundrechtliche Positionen begegnet darüber hinaus grundsätzlichen Bedenken. Eine Saldierung, die im Bereich ein und derselben grundrechtlichen Gewährleistung vorgenommen würde, ließe ein „perpetuum mobile" entstehen275. Jeder neue Eingriff, auch in die körperliche Unversehrtheit, würde sich schon aus der Intention rechtfertigen, die Gesundheit des Betroffenen wiederherzustellen oder zu erhalten. Dem Betroffenen wird die Entscheidung darüber abgenommen, welche Voroder Nachteile er hinnehmen möchte. Die Saldierung führt also letztlich nur zu einer nachhaltigen Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf den Eingreifenden. Ebensowenig ist eine grundrechtsübergreifende Saldierung zulässig. Sie bringt Wertungen und Entscheidungen des Eingreifenden mit sich, die ausschließlich dem Träger des Abwehrrechtes zustehen. Bei der Zwangsbehandlung untergebrachter psychisch Kranker müßte anstelle des Betroffenen bewertet werden, ob der Verlust der Freiheit oder die Verfügung über die körperliche Unversehrtheit höherwertig ist. Damit würde man dem Abwehrrecht des Betroffenen die Dispositionsbefugnis als ganz entscheidendes Element nehmen. Das Grundrecht wäre mit anderen Worten „seiner wesensmäßigen Funktion entkleidet" 276 . Außerhalb des Bereiches der Zwangsbehandlung geschlossen Untergebrachter wird die Möglichkeit einer grundrechtsübergreifenden Anrechnung von Vorteilen folgerichtig nicht einmal erwogen. Niemand käme auf den Gedanken, den Entzug eines Vermögenswerten Rechts i. S. d. Art. 14 Abs. 1 GG damit zu rechtfertigen, daß der Enteignete damit auch von steuerlichen Belastungen befreit wird, die sein Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigen. Undenkbar wäre es, bei der Ausbürgerung eines Deutschen den möglichen Vorteil, der Wehrpflicht zu entgehen, in die Abwägung einzubeziehen. Die Liste abwegig anmutender Beispiele ließe sich endlos fortsetzen. In jedem Falle würde sich der aus den Grundrechten abgeleitete „Vorteil" als höchst konstruierte Umgehung des zur Entscheidung stehenden Problems darstellen. Der Grund für diesen Eindruck ist bereits genannt. Die Dispositionsbefugnis als Entscheidungsfreiheit kann dem Grundrechtsträgers nicht durch Saldierung grundrechtlicher Positionen entzogen werden. Das gilt uneingeschränkt auch für die Zwangsbehandlung untergebrachter psychisch Kranker. Mit dem Hinweis auf eine Verkürzung der Unterbringungsdauer mag man den guten Willen des Eingreifenden belegen. Als verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit ist dieser Aspekt jedoch denkbar ungeeignet. Auch bei der Zwangsbehandlung im Rahmen der geschlossenen Unterbringung wird in die ver275 Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 205. 276 Seewald, Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 205. 15'

228

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

fassungsrechtlich garantierte Entscheidungsfreiheit des Betroffenen eingegriffen. Unter dem Gesichtspunkt der Verkürzung der Unterbringung kann ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit folglich nur dann gerechtfertigt sein, wenn er auch ohne das Bestehen der geschlossenen Unterbringung zu rechtfertigen wäre. Dabei kann es - wie bereits gezeigt - nur auf die Fähigkeit des Betroffenen, diese Entscheidung selbst zu treffen, ankommen.

b) Alternativen zur Zwangsbehandlung im geltenden Recht Bevor die Grenzen der Zwangsbehandlung insbesondere bei untergebrachten psychisch Kranken im einzelnen untersucht werden, sollen zwei grundsätzliche Überlegungen vorab behandelt werden.

aa) Betreuung als milderes Mittel Im Zuge der Reform des Vormundschaftsrechts ist wiederholt vertreten worden, daß eine Zwangsbehandlung von untergebrachten psychisch Kranken in der bestehenden Form nicht mehr zu rechtfertigen sei. Bei Patienten, die nicht in der Lage seien, die notwendigen Entscheidungen selbst zu treffen, sei grundsätzlich ein Betreuer zu bestellen, der stellvertretend für den Untergebrachten die Entscheidung über die Einwilligung zu treffen habe. Die Einschaltung eines Betreuers sei angesichts der Möglichkeiten des Betroffenen bei der Auswahl des Betreuers und der im Betreuungsrecht verankerten besonderen Bindungen das mildere Mittel gegenüber den bestehenden Grundlagen der Zwangsbehandlung277. Lediglich in Akutsituationen könne von der Einschaltung eines Betreuers abgesehen werden 278 . Auf den ersten Blick erscheint dieser Gedanke als durchaus überzeugend. Nach dem geltenden Unterbringungs- und Maßregelvollzugsrecht ist mit der Unterbringungsentscheidung in der Mehrzahl der Länder zugleich das Recht zur Zwangsbehandlung begründet 279. Die Entscheidung über die Durchführung einer Heilbehandlung trifft grundsätzlich der Arzt, der zugleich die medizinische Indikation stellt. Die Zwischenschaltung eines unbeteiligten Dritten könnte in diesem Zusammenhang Interessen des Untergebrachten verfahrensrechtlich absichern. Wie in einem „normalen" Behandlungsverhältnis ist der behandelnde Arzt gezwungen, Notwendigkeit und Tragweite der geplanten Behandlung zu erläutern und den Betreuer stellvertretend für den Betroffenen zu überzeugen. Der im gesetzlichen Idealfall mit dem besonderen Vertrauen des Untergebrachten ausgestattete Betreuer könnte 277 Neumann, KritV 1993, S. 279; ähnlich Wiehe, in: Bergener, Psychiatrie und Rechtsstaat, S. 123 ff. 278 Neumann, KritV 1993, S. 279. 279 S.o. l.Teil A . I I 2., B.III. 3 b).

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

229

im Sinne und Interesse des Untergebrachten über die Durchführung der Behandlung entscheiden. Die Verlagerung der Entscheidungsbefugnis vom behandelnden Arzt auf einen Betreuer ist zumindest bei längerfristigen Unterbringungen ebenso wünschenswert wie naheliegend. Ob sie im Ergebnis auch unter dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit das mildere Mittel darstellt, kann allerdings offenbleiben. Angesichts der bereits beschriebenen Insuffizienz des Betreuungsrechts ist sie zur Zeit jedenfalls nicht als gleich geeignet einzustufen. Im Betreuungsrecht fehlt eine Rechtsgrundlage, die es ermöglichen würde, eine Heilbehandlung auch gegen den Willen des Betreuten durchzusetzen 280. In seiner gegenwärtigen Form ist das Betreuungsrecht daher nicht geeignet, die bestehenden Zwangsbehandlungsbefugnisse des Unterbringungsrechts zu ersetzen. Ein verfassungsrechtliches Gebot, die Betreuung entsprechend auszugestalten, läßt sich angesichts des Entscheidungsspielraums des Gesetzgebers nicht begründen.

bb) Vergleich der landesrechtlichen Bestimmungen Im ersten Teil der Untersuchung wurde festgestellt, daß die Landesgesetzgeber sowohl im Bereich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung als auch bei dem Maßregelvollzug höchst unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen über die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen geschaffen haben. Bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung läßt die Mehrzahl der Länder die Zwangsbehandlung ohne weitere nennenswerte Einschränkung zu 2 8 1 . Daneben finden sich Beschränkungen auf unaufschiebbare Behandlungsmaßnahmen282. In Thüringen ist gemäß § 13 Abs. 2 PsychKG die Zustimmung des Untergebrachten nur bei unaufschiebbaren Maßnahmen in Krisensituationen entbehrlich und im Saarland (§13 Abs. 1 UBG Saarl.) muß mit dem Aufschub einer Maßnahme eine akute Gefahr für das Leben oder die Gefahr schwerwiegender und dauernder Gesundheitsbeeinträchtigungen einhergehen. Schwerwiegende medizinische Gründe sind gemäß § 30 Abs. 3 S. 2 PsychKG Hamb, erforderlich, um eine Behandlung gegen den Willen des Betroffenen durchzuführen. Das PsychKG M.-V. läßt Behandlungsmaßnahmen gegen oder ohne den Willen des Untergebrachten nur dann zu, wenn dieser einsichts- oder steuerungsunfähig ist und der Betroffene sich in einem Zustand befindet, in dem ohne sofortige Behandlung eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit oder Dritte besteht. Ein ähnlich uneinheitliches Bild bieten die Landesgesetze über den Maßregelvollzug. Im Saarland, in Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg ist die Be280 s.o. 1. Teil D.I. 2. c), 3. b). 281 Vgl. § 17 S. 2, 3 HFEG; § 8 Abs. 2 UBG BW; § 17 PsychKG LSA; § 26 PsychKG SH; § 20 UBG RhlPflz. 282 Art. 13 Abs. 2 Bay. UBG; § 30 Abs. 2 PsychKG Berlin; § 18 Abs. 4 PsychKG NW.

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2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

handlung gegen oder ohne den Willen des Untergebrachten nur im Ausnahmefall, d. h. bei Vorliegen von Lebensgefahr oder schwerwiegender Gefahren für die Gesundheit anderer, zulässig 283 . In Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Rheinland-Pfalz wird die Einwilligung für grundsätzlich entbehrlich erklärt 284 . Diese Unterschiede sind nicht nur sprachlicher Natur, sondern begründen Eingriffsbefugnisse in höchst unterschiedlichem Ausmaß. Zwar wird in keinem der Länder auf die Möglichkeit einer Zwangsbehandlung völlig verzichtet. Für die Rechtsstellung eines Untergebrachten macht es aber einen erheblichen Unterschied, ob Zwangsbehandlungen generell oder nur unter den Voraussetzungen, daß er selbst nicht einsichtsfähig ist und die Behandlung dringend geboten ist, um eine konkrete Gefahr von ihm abzuwenden, zulässig sind. Angesichts der unterschiedlichen Normgeber sind die unterschiedlichen landesrechtlichen Bestimmungen über die Zwangsbehandlung psychisch Kranker nicht am allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) zu messen. Unterschiede innerhalb eines Bundeslandes, wie sie ζ. B. in Nordrhein-Westfalen bei dem Psychisch-Kranken-Gesetz einerseits und dem Maßregelvollzugsgesetz andererseits festgestellt werden konnten, lassen sich auf die unterschiedlichen Bedingungen in den beiden Bereichen zurückführen 285. Die zwischen den Bundesländern bestehenden Unterschiede sind gleichwohl nicht bedeutungslos. Es ist weder erkennbar noch wahrscheinlich, daß in den Ländern Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern oder dem Saarland, die allesamt sehr enge Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen aufstellen, irgendwelche Abstriche bei der Effizienz des Vollzuges oder den Behandlungserfolgen gemacht werden. Schwierigkeiten sind nicht erkennbar und auch nicht zu erwarten, da sich die zwangsweise Heilbehandlung nach modernem psychiatrischen Selbstverständnis ohnehin auf den Ausnahmefall der Intervention bei akuten Krisensituationen beschränken wird. Länder, die Zwangsbehandlungen nach dem eindeutigen Text der Landesgesetze in sehr viel weiterem Rahmen zulassen, werden sich daher fragen lassen müssen, aus welchem Grunde der von ihnen gewählte Weg das mildeste Mittel darstellen sollte. Selbst unter Berücksichtigung eines anzuerkennenden Beurteilungsspielraums werden insoweit Schwierigkeiten entstehen, die Abweichung von praktisch offensichtlich unproblematischen Begrenzungen in den genannten Ländern zu rechtfertigen.

283 § 8 Abs. 2 S. 1 HmbMVollzG; § 9 Abs. 3 Saarl MRVG § 15 Abs. 3 MRVG NW; § 12 Abs. 3 S. 2 MVollzG Bremen. 284 § 8 Abs. 1 S. 3 Nds MVollzG, § 8 Abs. 1 S. 3 MVollzG LSA; § 7 Abs. 1 S. 2 Hess MVollzG; § 6 Abs. 1 S. 2 MVollzG RhPf. 285 Vgl. oben 1. Teil Β. V.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

c) Zwangsbehandlung zum Ausgleich individueller

231

Defizite

Die medizinische Zwangsbehandlung zum Schutz des Kranken vor sich selbst ist - wie gezeigt - verfassungsrechtlich nur als Ausgleich krankheits- bzw. behinderungsbedingter Defizite bei der Entscheidungsfähigkeit zu rechtfertigen. Diese Beschränkung folgt nicht aus einem verfassungsunmittelbaren Ansatz wie ζ. B. der Grundrechtsmündigkeit, sondern ist Ausfluß des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Gesetzliche Regelungen, die einen generellen Behandlungszwang ohne Differenzierung nach dem Vorhandensein und dem Grad der Einsichtsfähigkeit bei dem Betroffenen vorsehen, werden diesem Grundsatz nicht gerecht 286 . Für die praktische Rechtsanwendung ist mit dieser Feststellung allerdings nicht viel mehr als ein Ansatzpunkt gewonnen. Dort wird sich stets die schwierige Frage stellen, unter welchen Voraussetzungen von einer fehlenden Einsichts- bzw. Urteilsfähigkeit auszugehen ist. Eine feste Grenze läßt sich schon angesichts der nicht vorhersehbaren Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles nicht aufstellen. Möglich und auch geboten ist es allerdings, gewisse Kriterien aufzuzeigen, an denen sich die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen, die ausschließlich dem Schutz des Kranken dienen, im Einzelfall orientieren kann.

aa) Einsichtsfähigkeit Wer nach der gängigen Definition nicht in der Lage ist, Art, Bedeutung und Tragweite eines Eingriffs in seinen wesentlichen Grundzügen zu erkennen und zu beurteilen 287 , ist rechtlich nicht in der Lage, sich für oder gegen eine Heilbehandlung zu entscheiden. Unter diesen Voraussetzungen ergibt sich nicht nur die tatsächliche Notwendigkeit, zum Schutz des Kranken vor sich selbst einzugreifen. Da der Eingriff gerade dem Ausgleich bestehender Defizite dient, begegnet er keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang auf die insbesondere im Zuge der Reform des Betreuungsrechts entwickelten Ansätze zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit zurückzugreifen. Wie im Zusammenhang mit dem Betreuungsrecht bereits dargestellt wurde, ist für die Einwilligungsfähigkeit zunächst nur die natürliche Handlungsfähigkeit zu fordern 288 . Die Geschäftsfähigkeit ist keine Vorausset286

Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, S. 38; Rinke, Zwangsmaßnahmen, S. 171 f.; Erhardt, Behandlung und BehandlungsVerweigerung, S. 76 f.; speziell zum Maßregelvollzug: Bernsmann, in: Blau / Kammeier, S. 159 f. 2 »7 Vgl. nur BGHZ 29, 33, 36; 38, 49, 54; BGH NJW 1964, S. 1177 f.; BGHSt 4, 88, 90; 5, 362, 363; 8, 358; 23, 1, 3; MünchKomm-Schwab, § 1904 Rn. 6; Palandt-Heinrichs, vor § 104 Rn. 8; Ukena, MedR 1993, S. 203; Kern, MedR 1993, S. 248; G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 131; Schönke/Schröder-Lenckner, vor §§ 32 ff. Rn 40; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 165; K-.G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 57.

232

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

zung 289 , jedoch starkes Indiz für das Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit. Innerhalb dieses Rahmens kommt es entscheidend darauf an, die intellektuellen und voluntativen Fähigkeiten des Betroffenen im Hinblick auf Schwere und Bedeutung des Eingriffes angemessen zu bestimmen. Die Einsichtsfähigkeit ist dabei nur die Fähigkeit, die notwendige Tatsachenerkenntnis zu erlangen, um zu einem Urteil zu gelangen. Insoweit bietet sich die Anlehnung an die durchaus differenzierte Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht 290 an. Wer in der Lage ist, die Umstände, die notwendigerweise Gegenstand der ärztlichen Aufklärungspflicht sind, aufzunehmen und zu verstehen, ist ohne weiteres einsichtsfähig 291. Während die Einsichtsfähigkeit durch Wiedergabe der Informationen unschwer zu beurteilen ist, so setzt die Urteilsfähigkeit voraus, daß der Betroffene die Folgen einer Behandlung „für Körper, Beruf und Lebensglück ermessen" 292 kann. Die vom Betroffenen notwendigerweise vorzunehmende Abwägung ist nur schwer objektiv nachprüfbar 293, da die Wertigkeit der betroffenen Rechtsgüter notwendigerweise von seinen individuellen Wertvorstellungen abhängt. Das Ergebnis dieses Abwägungsprozesses ist nur bedingt geeignet, Rückschlüsse auf die Urteilsfähigkeit zu ziehen 294 . Ein nach gängiger Auffassung unvernünftiges Ergebnis mag zwar ein Indiz 2 9 5 für die fehlende Urteilsfähigkeit sein. Auch in diesem Zusammenhang besteht jedoch keine Vernunfthoheit 296, da eine solche der Aufhebung der Autonomie in diesem Bereich gleichkäme 297 . Die Einwilligungsfähigkeit ist daher nicht die Fähigkeit zur vernünftigen Entscheidung, sondern die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung298. Das Vorliegen bestimmter Krankheitsbilder hat wie gezeigt für die Frage des Vorliegens von Defiziten bei der Entscheidungs- und Urteilsfindung nur bedingt Aussagekraft. Feststehen dürfte, daß psychische Erkrankungen durchaus zur Folge haben können, daß der Betroffene das Vorliegen einer Krankheit nicht mehr erkennt 299 . In diesem Falle ist eine Heilbehandlung gegen den Willen des Betroffe-

288 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 21 f.; K-.G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 57; Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 180, MünchKommSchwab, § 1904 Rn. 6. 289 Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 174; K.-G. Mayer, Medizinische Maßnahmen, S. 62 f. 290 Ausführlich zum Inhalt der Aufklärungspflicht: Menter, S. 46 ff. 291 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 26. 292 Engisch, Die rechtliche Bedeutung der ärztlichen Operation, S. 14. 29 3 Amelung, R&P 1995, S. 24. 294

Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 26.

295

G. Meyer, Unfähigkeit zur Einwilligung, S. 115. 6 Schönke/Schröder-Lenckner, vor §§ 32 ff., Rn. 42. 297 Amelung, R&P 1995, S. 24. 29

298 299

Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 26. Vgl. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 29.

Β. Rechtfertigung von Eingriffen

233

nen grundsätzlich möglich 300 . Insoweit ist allerdings nicht das Krankheitsbild, sondern die konkrete Ausprägung der Krankheit 301 und damit die Symptomatik entscheidend302. Nach den vorliegenden Untersuchungen wird man allenfalls annehmen können, daß bei bestimmten Krankheitsbildern die Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Einwilligung- und Urteilsfähigkeit fehlt, höher sein wird. Die Konzeption der Mehrzahl der landesrechtlichen Bestimmungen, die von dem Vorliegen einer psychischen Erkrankung auf die Notwendigkeit und Zulässigkeit der Zwangsbehandlung schließen, ist vor diesem Hintergrund als verfehlt einzuschätzen.

bb) Schwere des Eingriffs Der Maßstab, nach dem die Einwilligungsfähigkeit zu beurteilen ist, hängt entscheidend von Art und Schwere des Eingriffs ab 3 0 3 . Je schwerer der Eingriff, desto höher sind die an die Einwilligungsfähigkeit zu stellenden Anforderungen 304. Ein krankheitsbedingtes Defizit, das eine Zwangsbehandlung rechtfertigen könnte, scheint unter dieser Voraussetzung um so eher vorzuliegen, je schwerer der Eingriff ist. Dieses Ergebnis ist nur scheinbar paradox, wie im folgenden zu zeigen sein wird. Die mit dem Kriterium der Einwilligungsfähigkeit notwendigerweise verbundene Konsequenz, daß ein Eingriff zum Ausgleich individueller Defizite um so eher möglich wird, je komplexer und schwerwiegender der Eingriff ist, wird dadurch ausgeglichen, daß bei der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs die Risiken und die Tragweite einer medizinischen Behandlung notwendigerweise zu berücksichtigen sind. Der fürsorgerische Eingriff ist kein Selbstzweck, sondern muß sich an der Abwägung zwischen den mit dem Eingriff verbundenen Gefahren und dem angestrebten Erfolg messen lassen. Diese Zweck-Mittel-Relation ist Grundlage jeglicher Behandlungsentscheidung und schon bei der Stellung der medizinischen Indikation unverzichtbar. Es ist daher durchaus folgerichtig, wenn riskante Eingriffe in den bestehenden Gesetzen in weit höherem Maße von der Einwilligung des Betroffenen abhängig gemacht werden. Mit dem Risiko eines Eingriffs steigen die Anforderungen, die an die Indikation zu stellen sind. Folglich ist von einer Zwangsbehandlung um so eher Abstand zu nehmen, je unsicherer sich die Notwendigkeit der Behandlung im Hinblick auf ihren möglichen oder wahrscheinlichen Erfolg darstellt. 300 Vgl. Erhardt, 301

Behandlungsverweigerung, S. 40.

Vgl. Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 82 ff.; speziell zur Alzheimerschen Krankheit: Helmchen /Lauter, S. 41. 302 Kuhlmann, Einwilligung alter Menschen, S. 77 ff. 3 3 ° Th. Zimmermann, Auswirkungen Betreuungsrecht, S. 189; Amelung, R&P 1995, S. 26. 304 Die Parallele zur steigenden Intensität der Aufklärung drängt sich auch insoweit auf.

234

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

cc) Grad der Gefahr Eine Reihe von Gesetzen sehen Gegenausnahmen von dem Gebot, riskante Eingriffe nur mit Einwilligung des Betroffenen vorzunehmen, für den Fall vor, daß eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Betroffenen besteht. Unverkennbar ist auch, daß für die Verhinderung des Suizids allgemein recht weitgehende Befugnisse zur Zwangsbehandlung angenommen werden. Insoweit wird ein weiteres Kriterium erkennbar, das sich unmittelbar auf die Umstände der Entscheidungsfindung auf Seiten des Eingreifenden bezieht. Je konkreter die Gefahr und je dringlicher die Abwendung gravierender Folgen erscheint, desto eher ist fürsorgerisches Eingreifen zulässig. Dieses Kriterium ist verfahrensbezogen und bestimmt maßgeblich die Anforderungen an die Prognoseentscheidung des Eingreifenden. Droht ζ. B. im Falle des Suizidversuches die irreversible Folge des Todes, so kann schon aufgrund der Dringlichkeit des fürsorgerischen Eingriffes nicht eine umfassende Prüfung der Ernstlichkeit bzw. Selbstbestimmungsfähigkeit stattfinden. Insoweit gilt der Grundsatz in dubio pro vita. Ganz ähnlich verhält sich die Entscheidung über dringend indizierte therapeutische Maßnahmen, die nicht reversible Folgen der Krankheit verhindern sollen. In diesen Fällen ist es zulässig und geboten, die Erforschung der Fähigkeit zur Selbstbestimmung auf das in der jeweiligen Situation Mögliche zu reduzieren. Damit ist allerdings nicht die Gesetzmäßigkeit begründet, daß die Verhinderung gravierender Folgen per se die Zwangsbehandlung rechtfertigt 305 . Es ist lediglich eine Leitlinie für Zweifelsfälle aufgestellt. Bestehen keine Zweifel an der Autonomie der Entscheidungen, so ist auch der auf selbstbestimmtem Verhalten beruhende Eintritt gravierender Folgen für den Erkrankten hinzunehmen.

4. Konsequenzen Medizinische Zwangsmaßnahmen, die dem Schutz des Betroffenen selbst dienen, sind nur zum Ausgleich von Defiziten bei der Entscheidungsfindung zulässig. Unter Rückgriff auf die Ansätze, die zur Einwilligungsfähigkeit im Arztrecht entwickelt wurden, ist insoweit nicht die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen, sondern seine natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit entscheidend. Eine krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit ist eher die Ausnahme als die Regel. Zulässig ist es, die Prüfung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit auf das in der jeweiligen Situation Mögliche zu beschränken, d. h. daß in solchen Situationen, in denen Eile geboten ist, um irreversible und gravierenden Folgen für den Betroffenen zu vermeiden, eher von der fehlenden Entscheidungsmöglichkeit des Betroffenen ausgegangen werden kann.

305 So aber Jarass/Pieroth,

Art. 2 Rn. 57a; Dr&itT-Schulze-Fielitz,

Art. 2 Abs. 2 Rn. 45.

C. Zusammenfassung

235

Die Mehrzahl der Unterbringungs- und Maßregelvollzugsgesetze der Länder entspricht diesen Anforderungen nicht. Dort wird überwiegend von dem Vorliegen einer psychischen Krankheit unter Einbeziehung des Grades der Gefahr auf die Zulässigkeit der Zwangsbehandlung geschlossen und dadurch auch die medizinische Zwangsbehandlung bei einsichts- und urteilsfähigen Kranken zugelassen. Derartige Regelungen sind nicht nur im Hinblick auf die sachwidrige Ungleichbehandlung von körperlich und psychisch Kranken bedenklich, sondern verkennen auch die besonderen verfassungsrechtlichen Bedingungen, unter denen ein Eingriff zum Schutz des Grundrechtsträgers vor sich selbst zulässig ist.

C. Zusammenfassung Die gegen oder ohne den Willen des Betroffenen durchgeführte Heilbehandlung stellt regelmäßig einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG) dar (Α. I.). Das sog. Selbstbestimmungsrecht weist nicht den Charakter eines eigenständigen Grundrechts auf, auch nicht als negative Seite des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Α. V.) oder Unterfall bzw. Teilausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG. Insbesondere die Behandlung psychischer Erkrankungen kann zwar zu Berührungspunkten mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht führen. Angesichts des spezielleren Freiheitsrechts der körperlichen Unversehrtheit sind diese einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Bewertung allerdings nicht zugänglich (Α. VI.). Als Eingriff in die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) und damit als verfassungsrechtlich unzulässig erweisen sich das gegen den Willen des Betroffenen durchgeführte Humanexperiment sowie die heimliche Beibringung von Medikamenten (Α. IV. 4.). Die im ersten Teil der Untersuchung dargestellten unterschiedlichen Erscheinungsformen medizinischer Zwangsbehandlung lassen sich auf drei unterschiedliche Zielsetzungen zurückführen. Dem Schutz der Allgemeinheit bzw. Dritter dient lediglich die Zwangsbehandlung nach § 17 GeschlKrG (Β. II. 1.). Ungeachtet der festzustellenden und vorrangig historisch begründbaren Ungleichbehandlung von Geschlechtskrankheiten einerseits und den sonstigen, vom Anwendungsbereich des BSeuchG erfaßten ansteckenden Erkrankungen andererseits, bestehen insoweit keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken (B. III.). Im Rahmen von Unterbringungs- und Vollzugsverhältnissen sind medizinische Zwangsbehandlungen auch zugelassen, um Gefahren von den an dem Vollzug bzw. der Durchführung der Unterbringung beteiligten Personen sowie Mitpatienten abzuwenden (Β. II. 2.). Anzuerkennen ist, daß die besondere Enge der Gemeinschaft Maßnahmen des Gesundheitsschutzes rechtfertigen kann, die außerhalb der Anstalt nicht zu dulden wären. Gleichwohl sind derartige Bestimmungen restriktiv auszu-

236

2. Teil: Verfassungsrechtliche Grenzen medizinischer Zwangsbehandlung

legen und anzuwenden. Als Rechtfertigung für Zwangsbehandlungen reicht keinesfalls eine Erleichterung des Vollzuges oder ein allgemeiner Nutzen für den Anstaltsbetrieb. Zulässig sind nur Eingriffe, mit denen erhebliche Gefahren von den Mitpatienten oder den in sonstiger Weise an der Unterbringung beteiligten Personen abgewendet werden können (Β. IV.). Der ganz überwiegende Teil der gesetzlich zugelassenen Zwangsbehandlungen dient nicht dem Schutz Dritter bzw. der Allgemeinheit, sondern ausschließlich dem Schutz des Kranken vor sich selbst. Insbesondere bei der Zwangsbehandlung von untergebrachten psychisch Kranken wird dieser Umstand daran deutlich, daß bereits mit der geschlossenen Unterbringung des Betroffenen eine Gefährdung Dritter ausgeschlossen ist (Β. II. 3.). Eine verfassungsunmittelbare Rechtfertigung für diese Eingriffe zum Schutz des Kranken vor sich selbst ist nicht erkennbar. Grundrechtliche Schutzpflichten können bei Identität des Trägers des zu schützenden Interesses und des Abwehrrechts nicht zur Rechtfertigung eines Eingriffs herangezogen werden (Β. V. 1. b. aa). Ein grundrechtsübergreifendes Prinzip der Grundrechtsmündigkeit ist zumindest bei erwachsenen psychisch Kranken weder begründbar noch anzuerkennen (Β. V. 1. b. bb). Ebensowenig vermag das Sozialstaatsprinzip Eingriffe zum Schutze des Kranken vor sich selbst unmittelbar rechtfertigen (Β. V. 1. b. cc). Fürsorgerisches Eingreifen des Staates zum Schutze des Kranken vor sich selbst ist gleichwohl im Rahmen eines Gesetzesvorbehaltes zulässig (Β. V. 1. c). Auch in Anbetracht der festzustellenden Ungleichbehandlung von psychisch Kranken und körperlich Kranken sind derartige Eingriffe allerdings nur dann zu rechtfertigen, wenn sie gerade dem Ausgleich individueller Defizite bei der Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit auf Seiten des Betroffenen dienen (Β V. 2.). Diesen Vorgaben wird die Mehrzahl der landesrechtlichen Bestimmungen über die öffentlich-rechtlichen Unterbringung bzw. den Maßregelvollzug nicht gerecht (Β V. 4.). Die Frage, ob der Betroffene die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt, ist anhand einer Reihe von Kriterien zu bestimmen. Neben den individuellen, in Anlehnung an die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit im Arztrecht zu ermittelnden kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten des Betroffenen, spielen dabei sowohl die Schwere des Eingriffs als auch die Dringlichkeit der Behandlung eine wesentliche Rolle (Β. V. 3. c). Als untauglich erweist sich das verbreitete Argument, die Zwangsbehandlung Untergebrachter sei als Ausgleich für die verordnete Freiheitsentziehung zu rechtfertigen. Diese Auffassung basiert auf der verfassungsrechtlich unzulässigen Annahme, man könne grundrechtliche Positionen des Betroffenen beliebig saldieren (Β. V. 3. a). Keine Alternative zu den vorhandenen landesrechtlichen Bestimmungen stellt derzeit das Betreuungsrecht dar, da es keine den verfassungsrechtlichen Anforde-

C. Zusammenfassung

237

rungen genügende Ermächtigungsgrundlagen für medizinischen Zwangsbehandlungen beinhaltet (Β. V. 3. b. aa). Die bereits im ersten Teil der Untersuchung aufgezeigten erheblichen Unterschiede zwischen den landesrechtlichen Bestimmungen über die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung und des Maßregelvollzuges sind zwar wegen der unterschiedlichen Normgeber nicht am allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) zu messen, werfen allerdings eine Vielzahl nicht nur rechtspolitischer Fragen auf (Β. V. 3. b. aa). Die Bundesländer, die Zwangsbehandlungen nach wie vor sehr weitgehend zulassen, sind auch mit Blick auf die deutlich restriktiveren Bestimmungen der anderen Länder aufgefordert, die Notwendigkeit und Aktualität der eigenen gesetzlichen Bestimmungen kritisch hinterfragen.

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Anhang Auszüge aus den landesrechtlichen Bestimmungen Baden-Württemberg Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz zember 1991

- UBG) vom 2. De-

§ 8 Heilbehandlung (1) Wer aufgrund dieses Gesetzes in einer anerkannten Einrichtung untergebracht ist, hat Anspruch auf notwendige Heilbehandlung. Die Heilbehandlung umfaßt auch Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Untergebrachten nach seiner Entlassung ein eigenverantwortliches Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. (2) Der Untergebrachte ist über die beabsichtigte Untersuchung oder Behandlung angemessen aufzuklären. Er hat diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, soweit die Untersuchung oder Behandlung nicht unter Absatz 3 fällt. (3) Erfordert die Untersuchung oder Behandlung einen operativen Eingriff oder ist sie mit einer erheblichen Gefahr für Leben und Gesundheit verbunden, darf sie nur mit der Einwilligung des Untergebrachten vorgenommen werden. (4) Ist der Untergebrachte in den Fällen des Absatzes 3 nicht fähig, Grund, Bedeutung oder Tragweite der Untersuchung oder Behandlung einzusehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, so ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters maßgeblich. Besitzt der Untergebrachte die in Satz 1 genannten Fähigkeiten, ist er aber geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig, so ist neben der Einwilligung des Untergebrachten die des gesetzlichen Vertreters erforderlich.

Bayern Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker und deren Betreuung ( Unterbringungsgesetz - UnterbrG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. April 1992 Art. 13 Heilbehandlung (1) Wer auf Grund dieses Gesetzes in einer Einrichtung nach Art. 1 Abs. 1 untergebracht ist, hat Anspruch auf notwendige Heilbehandlung. Die Heilbehandlung umfaßt auch Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Kranken nach seiner Entlassung ein eigenverantwortliches Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. (2) Der in der Einrichtung nach Art. 1 Abs. 1 Untergebrachte hat unaufschiebbare Behandlungsmaßnahmen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst geboten sind, zu dulden, soweit sie sich auf die psychische Erkrankung oder Störung des Untergebrachten beziehen

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Anhang oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung in der Einrichtung notwendig sind. In diesem Rahmen kann unmittelbarer Zwang angewandt werden.

(3) Ärztliche Eingriffe und Behandlungsverfahren nach Absatz 2, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind oder die Persönlichkeit in ihrem Kernbereich verändern können, dürfen nur mit rechtswirksamer Einwilligung des Untergebrachten oder, falls er die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung nicht beurteilen kann, desjenigen, dem die Sorge für die Person obliegt, vorgenommen werden.

Berlin Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG) vom 8. März 1985 § 30 Behandlung (1) Der Untergebrachte hat Anspruch auf die notwendige Behandlung. Die Behandlung schließt die dazu notwendigen Untersuchungen sowie beschäftigungs- und arbeitstherapeutische, heilpädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen ein. Die Behandlung wegen der Erkrankung, die zu seiner Unterbringung geführt hat, erfolgt nach einem Behandlungsplan. Der Behandlungsplan soll mit dem Untergebrachten und auf seinen Wunsch mit seinem gesetzlichen Vertreter erörtert werden. (2) Behandlungsmaßnahmen bedürfen des Einvernehmens mit dem Untergebrachten oder seinem gesetzlichen Vertreter. Unaufschiebbare Behandlungsmaßnahmen hat der Untergebrachte zu dulden, soweit sie sich auf die Erkrankung, die zu seiner Unterbringung geführt hat, beziehen. Der Rechtsanwalt des Untergebrachten ist unverzüglich zu informieren. (3) Ärztliche Eingriffe und Behandlungsverfahren nach Absatz 2 Satz 2, die mit Lebensgefahr oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit verbunden sind, dürfen nur mit rechtswirksamer Einwilligung des Untergebrachten oder, falls er die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung nicht beurteilen kann, des gesetzlichen Vertreters in den persönlichen Angelegenheiten vorgenommen werden. (4) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Untergebrachten in ihrem Kernbereich ändern würde, ist unzulässig.

Brandenburg Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen sowie über den Vollzug gerichtlich angeordneter Unterbringung für psychisch Kranke (Brandenburgisches Psychisch-Kranken-Gesetz BbgPsychKG) vom 08. Februar 1996 § 17 Behandlung

(1) ... (2) Behandlungsmaßnahmen bedürfen des Einvernehmens mit der untergebrachten Person, ihrer gesetzlichen Vertretung oder der mit ihrer Betreuung betrauten Person. Unaufschiebbare Behandlungsmaßnahmen hat die untergebrachte Person zu dulden, soweit sie sich auf die Erkrankung, die zu den Voraussetzungen der Unterbringung geführt hat, beziehen. Sie dürfen nur von einem Arzt vorgenommen werden. Die gesetzliche Vertretung

Auszüge aus den landesrechtlichen Bestimmungen

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der untergebrachten Person, die mit ihrer Betreuung betraute Person oder ihr Rechtsanwalt ist unverzüglich zu informieren. (3) Aus Gründen des Gesundheitsschutzes und der Hygiene ist die körperliche Untersuchung zulässig, soweit sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. (4) Körperliche Eingriffe bedürfen der Einwilligung der untergebrachten Person oder ihrer gesetzlichen Vertretung. Ist die betroffene Person nicht einwilligungsfähig, so gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches in Verbindung mit den Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. (5) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit der untergebrachten Person dauerhaft in ihrem Kernbereich ändern würde, ist unzulässig. (6) Untergebrachte Personen dürfen auch dann nicht in Arzneimittelprobungen einbezogen werden, wenn dies nach anderen Vorschriften ansonsten zulässig wäre. (7) Alle Behandlungsmaßnahmen und die erteilten Einwilligungen sind zu dokumentieren und zu den Patientenakten zu nehmen.

Bremen 1. Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten 9. April 1979

(PsychKG) vom

§ 30 Ärztliche Heilbehandlung und psychosoziale Beratung (1) Während der Unterbringung wird eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst gebotene und rechtlich zulässige Heilbehandlung sowie eine psychosoziale Beratung vorgenommen, soweit dies mit dem Zweck der Unterbringung vereinbar ist; die Behandlung schließt die dazu notwendige Untersuchung ein. Die Menschenwürde des Betroffenen ist in jeder Hinsicht zu achten und zu schützen. (2) Handelt es sich bei der Behandlung um einen operativen Eingriff oder ist sie mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit des Betroffenen verbunden oder würde sie die Persönlichkeit des Betroffenen wesentlich oder auf Dauer verändern, so darf sie nur mit der rechtswirksamen Einwilligung des Betroffenen und nur dann vorgenommen werden, wenn sie nicht außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg steht. Kann der Betroffene die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung nicht beurteilen, so ist der Wille des Personensorgeberechtigten maßgebend. Einer Einwilligung bedarf es nicht, wenn sie nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, ohne daß durch den Aufschub das Leben oder die Gesundheit des Betroffenen erheblich gefährdet wird. (3) Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 sind, soweit der Betroffene Einwendungen erhebt, nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes zulässig. Bestehen schwerwiegende medizinische Gründe für die Einleitung einer sofortigen Heilbehandlung, ist umgehend die nachträgliche Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes einzuholen. 2.

Gesetz über den Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (Maßregelvollzuggesetz) vom 28. Juni 1983, GBL, 407

§12 Ärztliche Behandlung des Patienten (1) Der Patient erhält die zur Erreichung des Behandlungsziels erforderliche ärztliche Behandlung; die Behandlung schließt die notwendigen Untersuchungen ein.

254

Anhang

(2) Die Behandlung bedarf vorbehaltlich der Regelungen in den Absätzen 3 und 5 der Einwilligung des Patienten. Hat der Patient einen gesetzlichen Vertreter, so bedarf es zur ärztlichen Behandlung dessen Einwilligung. (3) Einer Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters in seine Behandlung bedarf es dann nicht, wenn der Arzt gemäß § 323c des Strafgesetzbuches zur Hilfeleistung verpflichtet ist. Die Behandlung des Patienten ist ohne seine Einwilligung oder die seines gesetzlichen Vertreters bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für seine Gesundheit oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig. (4) Zum Gesundheitszustand und zur Hygiene ist die zwangsweise körperliche Untersuchung zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. Die Maßnahmen müssen für die Beteiligten zumutbar sein. (5) Die Behandlungsmaßnahmen, die ohne Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters durchgeführt werden, dürfen nur unter Leitung eines Arztes vorgenommen werden. Die Leistung Erster Hilfe ist auch ohne die Voraussetzung des Satzes 1 zulässig, wenn ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist. (6) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Patienten in ihrem Kernbereich verändern würde, ist unzulässig.

§ 13 Psychotherapeutische, soziotherapeutische und heilpädagogische Maßnahmen zur Erreichung des Vollzugszieles Der Patient erhält eine zur Erreichung des Behandlungszieles erforderliche psychotherapeutische, soziotherapeutische oder heilpädagogische Behandlung. Die Behandlung darf nur mit Einwilligung des Patienten durchgeführt werden.

Hamburg 1. Gesetz zur Neuregelung des Hamburgischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten und zur Änderung des Hamburgischen Rettungsdienstgesetzes vom 27. September 1995 § 16 Behandlung der psychischen Krankheit (1) Die untergebrachte Person wird wegen der psychischen Krankheit, die zu ihrer Unterbringung geführt hat, nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst behandelt; die Behandlung schließt die dazu notwendigen Untersuchungen sowie die gebotene psychotherapeutischen und soziotherapeutischen Maßnahmen ein. Maßnahmen ohne Einwilligung der untergebrachten Person oder ihres gesetzlichen Vertreters dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden, unbeschadet der Leistung erster Hilfe für den Fall, daß ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist. Die Anordnung und ihre Gründe sind aufzuzeichnen. (2) Ist die Behandlung mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit der untergebrachten Person verbunden oder würde sie die Persönlichkeit der untergebrachten Person auf Dauer wesentlich verändern, so darf sie nur mit Einwilligung der untergebrachten Person und nur dann vorgenommen werden, wenn sie nicht außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg steht.

Auszüge aus den landesrechtlichen Bestimmungen

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(3) Ist die untergebrachte Person in den Fällen des Absatzes 2 nicht fähig, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung einzusehen oder ihren Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, so ist die Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters maßgebend. Besitzt die untergebrachte Person zwar die in Satz 1 genannte Fähigkeit, ist sie aber mindeqährig, so ist neben ihrer Einwilligung die Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters in den persönlichen Angelegenheiten erforderlich. (4) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit der untergebrachten Person in ihrem Kernbereich verändern würde, ist unzulässig. Ebenfalls unzulässig ist eine Behandlung, die der Erprobung von Arzneimitteln oder Verfahren dient. (5) Die Behandlung ist der untergebrachten Person in einer ihrem Gesundheitszustand angemessenen Weise zu erläutern. § 17 Andere Arztliche Behandlungen (1) Wegen einer anderen als der in § 16 genannten Krankheit ist eine ärztliche Untersuchung und Behandlung bei Lebensgefahr oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen auch ohne Einwilligung der untergebrachten Person oder ihres gesetzlichen Vertreters zulässig. (2) Die Zwangsmaßnahme muß für die Beteiligten zumutbar sein. Sie darf insbesondere das Leben der untergebrachten Person nicht gefährden. (3) Die Maßnahmen dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden, unbeschadet der Leistung erster Hilfe für den Fall, daß ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist. Die Anordnung und ihre Gründe sind aufzuzeichnen. (4) Eine Behandlung, die der Erprobung von Arzneimitteln oder Verfahren dient, ist unzulässig. 2.

Gesetz über den Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (Hamburgisches Maßregelvollzugsgesetz - HmbMVollzG vom 14. Juni 1989

§ 8 Behandlung zur Erreichung des Vollzugsziels (1) Der Patient wird wegen der seelischen Störung, die zur Anordnung der Maßregel geführt hat, behandelt. Die Behandlung umfaßt die gebotenen medizinischeh, psychotherapeutischen, soziotherapeutischen und heilpädagogischen Maßnahmen sowie die dazu notwendigen Untersuchen. (2) Die Behandlung ist ohne Einwilligung des Patienten nur bei Lebensgefahr oder bei schwerwiegender Gefahr für seine Gesundheit zulässig. Ist der Patient nicht fähig, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung einzusehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, so ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters maßgebend. Besitzt der Patient zwar die in Satz 2 genannten Fähigkeiten, ist er aber mindeqährig wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigt oder nach § 1906 des Bürgerlichen Gesetzbuches unter vorläufige Vormundschaft gestellt, so ist neben seiner Einwilligung die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters erforderlich. (3) Maßnahmen ohne Einwilligung dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden, unbeschadet der Leistung erster Hilfe für den Fall, daß ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist.

256

Anhang

(4) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Patienten in ihrem Kembereich auf Dauer verändern würde, ist unzulässig. Ebenfalls unzulässig ist eine Behandlung, die der Erprobung von Arzneimitteln oder der Erprobung solcher Verfahren dient, die auch außerhalb des Maßregelvollzugs bisher nicht anerkannt sind. (5) Die Behandlung ist dem Patienten zu erläutern. Er soll die Behandlung unterstützen.

§ 9 Andere Behandlungen

(1) ... (2) Wegen einer Erkrankung, die nicht Anlaß für die Anordnung der Maßregel war, ist eine ärztliche Untersuchung und Behandlung bei Lebensgefahr für den Patienten oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen auch ohne Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters zulässig. Ohne Einwilligung dürfen ferner dem Gesundheitsschutz oder der Hygiene dienende körperliche Untersuchungen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind, Blutentnahmen für Untersuchungszwecke sowie Röntgenuntersuchungen ohne Kontrastmittelgabe vorgenommen werden. Eine zwangsweise Ernährung ist zulässig, wenn dies zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Patienten erforderlich ist. (3) Zwangsmaßnahmen nach Absatz 2 müssen für die Beteiligten zumutbar sein. Sie dürfen insbesondere das Leben des Patienten nicht gefährden. Sie dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden, unbeschadet der Leistung erster Hilfe für den Fall, daß ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist. (4) § 8 Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

Hessen 1. Gesetz über die Entziehung der Freiheit geisteskranker, oder alkoholsüchtiger Personen vom 19. Mai 1952

geistesschwacher,

rauschgift-

§ 17 Der Untergebrachte unterliegt der Anstaltsordnung. Die Unterbringung umfaßt auch die Behandlung mittels eines Heil- oder Entziehungsverfahrens. Ärztliche Eingriffe, die mit erheblicher Gefahr für Leben und Gesundheit verbunden sind, dürfen nur mit Einwilligung des Untergebrachten oder seines gesetzlichen Vertreters vorgenommen werden. Bei welchen ärztlichen Eingriffen diese Voraussetzungen vorliegen, bestimmt die Landesregierung durch Rechtsverordnung. 2.

Gesetz über den Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (Maßregelvollzugsgesetz) vom 3. Dezember 1981

§ 7 Ärztliche Behandlung zur Erreichung des Vollzugsziels (1) Der Untergebrachte erhält die zur Erreichung des Vollzugsziels nach § 136 Satz 2 und § 137 des Strafvollzugsgesetzes erforderliche ärztliche Behandlung; sie schließt die notwendige Untersuchung ein. Einer Einwilligung des Untergebrachten in die Behandlung bedarf es unbeschadet des Abs. 2 nicht.

Auszüge aus den landesrechtlichen Bestimmungen

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(2) Operative Eingriffe oder eine ärztliche Behandlung, die mit Lebensgefahr oder mit erheblicher Gefahr für die Gesundheit des Untergebrachten verbunden ist, dürfen nur mit Einwilligung des Untergebrachten, seines gesetzlichen Vertreters und des Vollstreckungsleiters (§ 82 Abs. 1 des Jugendgerichtsgesetzes) vorgenommen werden. Gleiches gilt für psychotherapeutische Maßnahmen. Der Einwilligung nach Satz 1 bedarf auch eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Untergebrachten auf Dauer tiefgreifend verändern würde; sie ist nur zulässig, wenn sie nicht außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg steht. (3) Die Landesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung, welche Eingriffe und Behandlungen 1. mit Lebensgefahr oder mit erheblicher Gefahr für die Gesundheit des Untergebrachten verbunden sind, 2. die Persönlichkeit auf Dauer tiefgreifend verändern.

3.

Verordnung zur Ausßhrung des § 7 Abs. 2 des Maßregelvollzugsgesetzes tember 1982

vom 29. Sep-

Auf Grund des § 7 Abs. 3 des Maßregelvollzugsgesetzes vom 3. Dezember 1981 (GVB1. I S. 414, 440) wird verordnet: §1 (1) Ärztliche Behandlungen, die nach § 7 Abs. 2 S. 1 des Maßregelvollzugsgesetzes nur mit Einwilligung des Untergebrachten, seines gesetzlichen Vertreters und in den Fällen des § 82 Abs. 1 des Jugendgerichtsgesetzes des Vollstreckungsleiters vorgenommen werden dürfen, sind alle Schockbehandlungen, bei denen Erregungs- oder Krampfzustände hervorgerufen werden. (2) Ärztliche Behandlungen, die nach § 7 Abs. 2 Satz 3 des Maßregelvollzugsgesetzes der Einwilligung bedürfen, sind alle psychochirurgischen Eingriffe.

Mecklenburg-Vorpommern Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (Psychischkrankengesetz PsychKG M-V) in der Fassung vom 13. April 2000 § 23 Behandlung (1) Die Betroffenen haben Anspruch auf die notwendige Behandlung und psychosoziale Beratung. Die Behandlung schließt die dazu erforderlichen Untersuchungen sowie beschäftigungs- und arbeitstherapeutische, heilpädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen mit ein. Die Behandlung soll außerhalb der Einrichtung durchgeführt werden, wenn dadurch ihre Erfolgsaussichten verbessert werden. Die Behandlung wegen der Erkrankung, die zu der Unterbringung geführt hat, erfolgt nach einem Behandlungsplan. Der Behandlungsplan soll mit dem Betroffenen und auf seinen Wunsch mit den gesetzlichen Vertretern oder Betreuern erörtert werden. (2) Behandlungsmaßnahmen bedürfen der Einwilligung des Betroffenen oder der gesetzlichen Vertreter. Ohne Einwilligung darf eine Behandlung nur durchgeführt werden, wenn der Betroffene aufgrund der Krankheit einsichts- oder steuerungsunfähig ist und die Be17 Heide

-

Anhang

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handlung nicht mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit verbunden ist oder er sich in einem Zustand befindet, in dem ohne sofortige Behandlung eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit der kranken Person oder Dritter besteht. Der Rechtsanwalt des Betroffenen ist unverzüglich zu informieren. (3) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Betroffenen dauerhaft in ihrem Kernbereich ändern würde, insbesondere ein psychochirurgischer Eingriff, ist unzulässig.

Niedersachsen 1. Niedersächsisches Gesetz über Hilfen für psychisch Kranke und Schutzmaßnahmen (Nds. PsychKG) vom 16. Juni 1997 § 21 Ärztliche Behandlung (1) Die untergebrachte Person erhält während der Unterbringung die nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst gebotene Heilbehandlung. Diese kann die Förderung durch heilpädagogische und psychotherapeutische sowie durch beschäftigungs- und arbeitstherapeutische Maßnahmen einschließen. (2) Die Heilbehandlung bedarf der Einwilligung der untergebrachten Person. Ist die untergebrachte Person nicht fähig, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung einzusehen oder ihren Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, so ist die Einwilligung der Personensorgeberechtigten oder des Personensorgeberechtigten oder die Einwilligung der Person einzuholen, die zur Betreuung oder Pflege bestellt ist und deren Aufgabenkreis diese Einwilligung umfaßt. § 1904 des Bürgerlichen Gesetzbuches bleibt unberührt. (3) Ist eine Einwilligung im Sinne des Absatzes 2 nicht erteilt, so hat die untergebrachte Person eine Heilbehandlung zu dulden, wenn diese notwendig ist, um 1. diejenige Krankheit oder Behinderung zu heilen oder zu lindern, wegen derer sie untergebracht ist, oder 2. die Gesundheit anderer zu schützen. Satz 1 ist im Falle der Nummer 1 nicht anzuwenden, wenn die nach § 1904 des Bürgerlichen Gesetzbuches erforderliche Genehmigung des Vormundschaftsgerichts nicht erteilt worden ist. 2. Niedersächsisches Maßregelvollzugsgesetz

(Nds. MVollzG) vom 1. Juni 1982

§8 (1) Der Untergebrachte erhält die nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst gebotene Behandlung. Diese schließt die Förderung durch heilpädagogische, durch psychotherapeutische sowie durch beschäftigungs- und arbeitstherapeutische Maßnahmen ein. Der Untergebrachte hat die Behandlung zu dulden und zu unterstützen. (2) Die Behandlung ist dem Untergebrachten zu erläutern. Ist er fähig, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung einzusehen und seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, so soll die Erläuterung auch darauf hinzielen, daß er der Behandlung zustimmt. (3) Erfordert die Behandlung einen operativen Eingriff oder ist sei mit Gefahr für Leben oder Gesundheit des Untergebrachten verbunden oder würde sie seine Persönlichkeit wesentlich oder auf Dauer nachteilig verändern, so darf sie nur mit seiner Einwilligung vorgenommen werden.

Auszüge aus den landesrechtlichen Bestimmungen

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(4) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Untergebrachten in ihrem Kernbereich verändern würde, ist unzulässig.

Nordrhein-Westfalen 1. Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten 17. 12.1999

(PsychKG) vom

§ 18 Behandlung (1) Während der Unterbringung wird eine ärztlich und psychotherapeutisch gebotene und rechtlich zulässige Heilbehandlung vorgenommen. (2) Unverzüglich nach der Aufnahme ist für die Betroffenen ein individueller Behandlungsplan zu erstellen. Die Behandlung und der Plan sind den Betroffenen und ihrer gesetzlichen Vertretung zu erläutern. Befinden sich die Betroffenen in einer akuten Krise, sind Zeitpunkt und Form der Erläuterung des Behandlungsplanes nach therapeutischen Kriterien zu bestimmen. Betroffenen, ihren Verfahrenspflegerinnen, Verfahrenspflegern, Verfahrensbevollmächtigten und ihrer gesetzlichen Vertretung ist auf Verlangen unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen Einsicht in die Krankenunterlagen zu gewähren. Wenn gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einsicht in die Krankenunterlagen zu erheblichen Nachteilen für die Gesundheit der Betroffenen führt, kann sie unterbleiben. (3) Die Behandlung bedarf vorbehaltlich der Regelungen in den Absätzen 4 und 5 der Einwilligung der Betroffenen. Können die Betroffenen bei einer erforderlichen Einwilligung Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung nicht einsehen oder sich nicht nach dieser Einsicht verhalten, ist die Einwilligung der gesetzlichen Vertretung oder der rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten erforderlich. § 1904 BGB bleibt unberührt. (4) Nur in den Fällen von Lebensgefahr, von erheblicher Gefahr für die eigene und für die Gesundheit anderer Personen ist die Behandlung ohne oder gegen den Willen Betroffener oder deren gesetzlicher Vertretung oder der rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten zulässig. (5) Maßnahmen nach Absatz 4, die ohne Einwilligung der Betroffenen, ihrer gesetzlichen Vertretung oder ihrer Bevollmächtigten durchgeführt werden, dürfen nur durch die ärztliche Leitung, bei deren Verhinderung durch deren Vertretung angeordnet werden und nur durch Ärztinnen oder Ärzte vorgenommen werden. 2. Maßregelvollzugsgesetz

- MRVG vom 15. 06. 1999

§ 17 Behandlung, Hygiene (1) Die Patientinnen und Patienten erhalten die erforderliche ärztliche, sozial- und psychotherapeutische Behandlung. Die Behandlung ist ihnen zu erläutern. Sie haben die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu unterstützen. (2) Die Behandlung bedarf vorbehaltlich der Regelung in den Absätzen 3 bis 5 der Einwilligung der Patientinnen und Patienten. Können diese bei einer erforderlichen Einwilligung Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung nicht einsehen oder sich nicht nach dieser Einsicht verhalten, ist die Einwilligung der gesetzlichen Vertretung erforderlich. 17*

260

Anhang

(3) Die Behandlung der Patientinnen und Patienten ist ohne ihre ausdrückliche Einwilligung oder die ihrer gesetzlichen Vertretung bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für ihre Gesundheit oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig. Aus zwingenden Behandlungsgründen darf eine Fesselung ärztlich angeordnet werden. Eine Fesselung, die länger als 72 Stunden dauert, bedarf jeweils der Erlaubnis des Trägers der Einrichtung. (4) Zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene ist die zwangsweise körperliche Untersuchung außer in den Fällen der Sätze 2 und 3 nur zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. Eine zwangsweise Ernährung ist zulässig, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für das Leben oder einer schwerwiegenden Gefahr für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten erforderlich ist. Zur Durchführung einer zwangsweisen Ernährung ist das psychiatrische Krankenhaus oder die Entziehungsanstalt nicht verpflichtet, solange von einer freien Willensbestimmung der Patientinnen und Patienten ausgegangen werden muß. (5) Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 4, die ohne Einwilligung der Patientinnen und Patienten oder ihrer gesetzlichen Vertretung durchgeführt werden, dürfen nur durch die therapeutische Leitung, bei ihrer Verhinderung durch ihre Vertretung angeordnet und nur durch Arztinnen oder Ärzte vorgenommen werden. Die Leistung Erster Hilfe ist auch ohne die Voraussetzungen des Satzes 1 zulässig, wenn eine Ärztin oder ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist.

Rheinland-Pfalz 1. Landesgesetz für psychisch kranke Personen (PsychKG) vom 17. November 1995 § 20 Behandlung (1) Die untergebrachte Person hat Anspruch auf die notwendige Behandlung; sie ist bei der Aufnahme in die Einrichtung zur Feststellung der erforderlichen Behandlungsmaßnahmen durch einen Arzt für Psychiatrie oder für Kinder- und Jugendpsychiatrie zu untersuchen. Soweit erforderlich, schließt die Behandlung sonstige Untersuchungen sowie beschäftigungs- und arbeitstherapeutische, heilpädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen ein. Die Behandlung der Erkrankung, die zur Unterbringung geführt hat, erfolgt nach einem Behandlungsplan. Den Wünschen der untergebrachten Person soll im Rahmen der Behandlung soweit wie möglich Rechnung getragen werden. (2) Der Behandlungsplan und die Behandlung sind der untergebrachten Person zu erläutern. Ist sie in der Lage, den Grund, die Art, den Umfang und die Tragweite der Behandlung einzusehen, so soll die Erläuterung darauf gerichtet sein, ihre Zustimmung zur Behandlung zu erreichen. Der Person, der die gesetzliche Vertretung obliegt, ist Gelegenheit zu geben, im Rahmen ihres Aufgabenbereichs an der Erläuterung teilzunehmen. (3) Ärztliche Eingriffe und sonstige Behandlungsmaßnahmen, die mit Lebensgefahr oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit verbunden sind, dürfen nur mit rechtswirksamer Einwilligung der untergebrachten Person oder, falls sie die Bedeutung und Tragweite der Maßnahme und der Einwilligung nicht beurteilen kann, der Person, der die gesetzliche Vertretung obliegt und, soweit erforderlich, mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes vorgenommen werden.

Auszüge aus den landesrechtlichen Bestimmungen 2. Landesgesetz über den Vollzug freiheitsentziehender - MVollzG) vom 23. September 1986, GVBL, 223

261

Maßregeln (Maßregelvollzugsgesetz

§ 5 Behandlung (1) Der untergebrachte Patient erhält eine umfassende, auf das Vollzugsziel ausgerichtete Behandlung. Über diese Behandlung hinaus hat der untergebrachte Patient Anspruch auf weitere gesundheitliche Betreuung nach Maßgabe der Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes über die Gesundheitsfürsorge und über die Mutterschaftshilfe. (2) Die Behandlung ist dem untergebrachten Patienten zu erläutern. Ist er in der Lage, den Grund, die Art, den Umfang und die Tragweite der Behandlung einzusehen, so soll die Erläuterung darauf gerichtet sein, seine Zustimmung zur Behandlung zu erreichen.

§ 6 Zulässigkeit von Maßnahmen (1) Operative Eingriffe, Behandlungen und Untersuchungen, die mit einem wesentlichen gesundheitlichen Risiko oder einer Gefahr für das Leben des untergebrachten Patienten verbunden sind, sind nur mit seiner Einwilligung zulässig; sonstige operative Eingriffe, Behandlungen und Untersuchungen sind ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten zulässig bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des untergebrachten Patienten oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen. Im übrigen können Behandlungen und Untersuchungen zur Erreichung des Vollzugsziels ohne Einwilligung des untergebrachten Patienten durchgeführt werden; zum allgemeinen Gesundheitsschutz oder zur Hygiene sind sie zulässig, wenn sie nicht mit einem Eingriff verbunden sind. (2) Eine zwangsweise Ernährung des untergebrachten Patienten ist zulässig, wenn und solange 1. Lebensgefahr oder eine schwerwiegende Gefahr für seine Gesundheit besteht, 2. er ohne Bewußtsein ist; 3. er aus anderen Gründen zur natürlichen Nahrungsaufnahme nicht in der Lage ist und keinen körperlichen Widerstand leistet oder 4. er seinen Willen infolge Krankheit nicht frei bestimmen kann. Der untergebrachte Patient, der die Nahrungsaufnahme verweigert, ist über die Gefahren und Folgen seines Verhaltens zu belehren. (3) Zur zwangsweisen Durchführung von Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ist die Einrichtung nicht verpflichtet, solange von einer freien Willensbestimmung des untergebrachten Patienten ausgegangen werden kann; dies gilt nicht bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen. (4) Ist der untergebrachte Patient nicht in der Lage, Grund, Bedeutung und Tragweite der Maßnahmen einzusehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, so ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters maßgebend. Besitzt der untergebrachte Patient zwar die in Satz 1 genannten Fähigkeiten, ist aber in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so ist neben seiner Einwilligung die seines gesetzlichen Vertreters erforderlich.

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Anhang

(5) Die Maßnahmen müssen für den untergebrachten Patienten zumutbar sein und dürfen nicht außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg stehen. Sie dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden. Die Leistung Erster Hilfe bleibt hiervon unberührt; der gesetzliche Vertreter des untergebrachten Patienten ist über den Vorfall, der die Leistung Erster Hilfe erforderlich machte, zu unterrichten. (6) Über eine gegen den Willen des untergebrachten Patienten durchgeführte Maßnahme sind die Aufsichtsbehörden und ein von der obersten Aufsichtsbehörde zu bestimmender Arzt sowie der gesetzliche Vertreter des untergebrachten Patienten zu unterrichten.

Saarland 1. Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranken (Unterbringungsgesetz setz Nr. 1301 vom 11. November 1992

- UBG); Ge-

§ 12 Betreuung und Heilbehandlung

(1) ... (2) Die nach diesem Gesetz untergebrachten Personen haben Anspruch auf die notwendige Heilbehandlung; diese umfaßt alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die Behandlung im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung, und die erforderlich sind, um der untergebrachten Person nach ihrer Entlassung ein eigenverantwortliches Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Die Behandlung ist der untergebrachten Person nach Möglichkeit zu erläutern. § 13 Einwilligung in Behandlungsmaßnahmen (1) Medizinische Eingriffe oder Behandlungsmaßnahmen im Sinne des § 12 Abs. 2 dürfen nur mit Einwilligung der untergebrachten Person oder, falls diese die Behandlung und Tragweite der Maßnahme oder der Einwilligung nicht beurteilen kann, mit Einwilligung ihres(r) gesetzlichen Vertreters / in vorgenommen werden. (2) Ohne Einwilligung darf eine Maßnahme nach Absatz 1 nur vorgenommen werden, wenn mit einem Aufschub eine akute Gefahr für das Leben oder eine schwerwiegende und dauernde Gesundheitsbeeinträchtigung verbunden wären. (3) Für die Fälle, in denen die untergebrachte Person unter Betreuung steht, wird auf § 1904 BGB verwiesen. (4) Medizinische Experimente dürfen an untergebrachten Personen nicht vorgenommen werden. 2.

Gesetz Nr. 1257 über den Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt (Maßregelvollzugsgesetz MRVG) vom 29. November 1989, ABl., 81; in der Fassung der Berichtigung vom 28. Februar 1990, ABl 334

§ 9 Behandlung (1) Der Patient erhält die erforderliche Behandlung; diese schließt die notwendigen Untersuchungen ein. Die Behandlung ist dem Patienten sowie seinem gesetzlichen Vertreter zu erläutern.

Auszüge aus den landesrechtlichen Bestimmungen

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(2) Die Behandlung bedarf vorbehaltlich der Regelungen in den Absätzen 3 bis 5 der Einwilligung des Patienten. Eine Behandlung, die mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit des Patienten verbunden ist, darf nicht ohne seine Einwilligung durchgeführt werden. Bei Minderjährigen, Entmündigten oder unter vorläufige Vormundschaft Gestellten muß die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bzw. Vormunds eingeholt werden. (3) Die Behandlung des Patienten ist ohne seine Einwilligung oder die seines gesetzlichen Vertreters bei Lebensgefahr oder bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Patienten oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig. Die Behandlung ist unverzüglich zu beenden, sobald die Gefährdung nicht mehr besteht. (4) Eine körperliche Untersuchung zum Zwecke des Gesundheitsschutzes und der Hygiene ist auch ohne Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. (5) Die Behandlungsmaßnahmen, die auch ohne Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters zulässig sind, dürfen nur durch einen Arzt und auf Anordnung des Leiters der Einrichtung vorgenommen werden. Die Leistung erster Hilfe ist auch ohne die Voraussetzungen des Satzes 1 zulässig, wenn ein Arzt nicht erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist.

Sachsen Sächsisches Gesetz über die Hilfen und die Unterbringung (SächsPsychKG) vom 16. Juni 1994 (SächsGVBl. S. 1097)

bei psychischen Krankheiten

§ 22 Behandlung ohne Einwilligung des Patienten (1) Zu allen nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst erforderlichen Behandlungsmaßnahmen ist grundsätzlich das Einverständnis des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters einzuholen. Liegt eine Zustimmung nach § 16, eine Einwilligung eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitssorge oder bei Minderjährigen des Sorgeberechtigten nicht vor, so dürfen die Behandlung und die dafür notwendigen Untersuchungen ohne Einwilligung des Patienten nur durchgeführt werden, wenn durch den Aufschub das Leben oder die Gesundheit des Patienten erheblich gefährdet wird. (2) Ärztliche Eingriffe und Behandlungsverfahren im Sinne des Absatzes 1, die mit einem operativen Eingriff oder einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind, sind nur nach rechtswirksamer Einwilligung des Patienten oder, falls er die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung nicht beurteilen kann, des gesetzlichen Vertreters erlaubt. (3) Eine Ernährung gegen den Willen des Patienten ist nur zulässig, wenn sie erforderlich ist, um eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Patienten abzuwenden. (4) Sämtliche Maßnahmen dürfen die Würde des Patienten nicht verletzen und nur auf Anordnung und unter unmittelbarer Leitung und Verantwortung eines Arztes durchgeführt werden.

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Anhang

Sachsen-Anhalt 1. Gesetz über Hilfen für psychisch Kranke und Schutzmaßnahmen des Landes Sachsen-Anhalt (PsychKG LSA) vom 30. Januar 1992 § 17 Arztliche Behandlung (1) Während einer Unterbringung erhält der Untergebrachte die nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst gebotene Heilbehandlung. Diese kann weitere Untersuchungen einschließen, soweit sie im Rahmen der Behandlung oder zum Schutz der Gesundheit des Untergebrachten oder anderer Personen erforderlich sind. (2) Für die Behandlung wegen der Erkrankung, die zur Unterbringung geführt hat, ist auf Grund der Untersuchungsergebnisse ein Behandlungsplan aufzustellen. Dieser umfaßt auch die die gebotene Heilbehandlung fördernden heilpädagogischen und psychotherapeutischen sowie beschäftigungs- und arbeitstherapeutischen Maßnahmen. (3) Das Ergebnis der Untersuchungen, die vorgesehene Heilbehandlung und der Behandlungsplan sind dem Untergebrachten zu erläutern, soweit dies ärztlich zu verantworten ist. Ist der Untergebrachte fähig, Grund, Bedeutung und Tragweit der Behandlungs- und Förderungsmaßnahmen einzusehen, soll die Erläuterung auch dem Ziel dienen, die Zustimmung des Untergebrachten zur Behandlung zu erhalten. (4) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Untergebrachten in ihrem Kernbereich verändern würde, ist unzulässig. (5) Erfordert die Behandlung einen operativen Eingriff oder ist sie mit Gefahr für Leben und Gesundheit des Untergebrachten verbunden oder würde sie seine Persönlichkeit wesentlich oder auf Dauer nachteilig verändern, so darf sie nur mit seiner Einwilligung und nur dann vorgenommen werden, wenn sie nicht außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg steht. (6) Ist der Untergebrachte in den Fällen des Absatzes 5 nicht fähig, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung einzusehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters maßgebend. Besitzt der Untergebrachte zwar die in Satz 1 genannten Fähigkeiten, ist er aber minderjährig, so ist zusätzlich die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters erforderlich. Entsprechendes gilt bei Volljährigen, die nach § 1896 des Bürgerlichen Gesetzbuches ein Betreuer für diesen Aufgabenkreis bestellt und ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden ist. (7) Wegen anderer akuter Erkrankungen ist eine ärztliche Untersuchung und Behandlung bei Lebensgefahr oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen auch ohne Einwilligung des Untergebrachten oder seines gesetzlichen Vertreters zulässig. Eine zwangsweise Ernährung ist zulässig, wenn dies zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Untergebrachten erforderlich ist. (8) Die Zwangsmaßnahme muß für die Beteiligten zumutbar sein. Sie darf insbesondere das Leben des Untergebrachten nicht gefährden. 2. Maßregelvollzugsgesetz 1992

für das Land Sachsen-Anhalt (MVollzG

LSA) vom 9. Oktober

§ 8 Arztliche und therapeutische Behandlung (1) Während seiner Unterbringung erhält der Untergebrachte die nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst gebotene Heilbehandlung. Diese kann weitere Untersuchungen

Auszüge aus den landesrechtlichen Bestimmungen

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einschließen, soweit sie im Rahmen der Behandlung oder zum Schutz der Gesundheit des Untergebrachten oder anderer Personen erforderlich sind. Der Untergebrachte hat die Behandlung zu dulden und zu unterstützen. (2) Für die Behandlung wegen der Erkrankung oder Sucht, die zur Unterbringung geführt hat, ist auf Grund der Untersuchungsergebnisse ein Behandlungsplan aufzustellen. Dieser umfaßt auch die die gebotene Heilbehandlung fördernden heilpädagogischen und psychotherapeutischen sowie beschäftigungs- und arbeitstherapeutischen Maßnahmen. (3) Das Ergebnis der Untersuchungen, die vorgesehene Heilbehandlung und der Behandlungsplan sind dem Untergebrachten zu erläutern, soweit dies ärztlich zu verantworten ist. Ist der Untergebrachte fähig, Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlungs- und Fördermaßnahmen einzusehen, soll die Erläuterung auch dem Ziel dienen, die Zustimmung des Untergebrachten zur Behandlung zu erhalten. (4) Eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Untergebrachten in ihrem Kernbereich verändern würde, ist unzulässig. (5) Erfordert die Behandlung einen operativen Eingriff oder ist sie mit Gefahr für Leber oder Gesundheit des Untergebrachten verbunden oder würde sie seine Persönlichkeit wesentlich oder auf Dauer nachteilig verändern, so darf sie nur mit seiner Einwilligung und nur dann vorgenommen werden, wenn sie nicht außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolgt steht. (6) Ist der Untergebrachte in den Fällen des Absatzes 5 nicht fähig, Grund, Bedeutung oder Tragweite der Behandlung einzusehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters maßgebend. Besitzt der Untergebrachte zwar die in Satz 1 genannten Fähigkeiten, ist er aber minderjährig, so ist zusätzlich die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters erforderlich. Entsprechendes gilt bei Volljährigen, für die nach § 1896 des Bürgerlichen Gesetzbuches ein Betreuer für diesen Aufgabenkreis bestellt und ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden ist. (7) Wegen anderer akuter Erkrankungen ist eine ärztliche Untersuchung und Behandlung bei Lebensgefahr oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen auch ohne Einwilligung des Untergebrachten oder seines gesetzlichen Vertreters zulässig. Eine zwangsweise Ernährung ist zulässig, wenn dies zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Untergebrachten erforderlich ist. (8) Die Zwangsmaßnahme muß für die Beteiligten zumutbar sein. Sie darf insbesondere das Leben des Untergebrachten nicht gefährden. (9) ... Schleswig-Holstein Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG) vom 26. März 1979 § 26 Ärztliche Heilbehandlung (1) Der Betroffene wird wegen der Leiden, die zu seiner Unterbringung geführt haben, nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst behandelt; die Behandlung schließt die dazu notwendigen Untersuchungen sowie Beschäftigungs- und Arbeitstherapie ein. (2) Ärztliche Eingriffe, die mit Lebensgefahr oder erheblicher Gefahr für die Gesundheit des Betroffenen verbunden sind, dürfen nur mit Einwilligung des Betroffenen vorgenommen werden. Bei Volljährigen, welche die Bedeutung und Tragweite der Heilbehandlung und

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der Einwilligung nicht beurteilen können, und bei Mindeijährigen ist für die Einwilligung der Wille des gesetzlichen Vertreters maßgebend. (3) Ärztliche Eingriffe sind auch ohne Einwilligung zulässig, wenn sie erforderlich sind, um von dem Betroffenen eine nicht anders abwendbare gegenwärtige Gefahr einer erheblichen Schädigung seiner Gesundheit oder für sein Leben abzuwenden. (4) Bei der Aufnahme ist der Betroffene unverzüglich ärztlich zu untersuchen. Thüringen Thüringer Gesetz zur Hilfe und Unterbringung psychisch Kranker (ThürPsychKG) bruar 1994 § 13 Heilbehandlung (1) Der untergebrachte psychisch Kranke hat Anspruch auf notwendige Heilbehandlung. Die Behandlung der Erkrankung, die zur Unterbringung geführt hat, erfolgt nach einem Behandlungsplan. Die Heilbehandlung schließt die dazu notwendigen Untersuchungen sowie beschäftigungs- und arbeitstherapeutische, heilpädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen ein. (2) Behandlungsmaßnahmen bedürfen der Zustimmung des untergebrachten psychisch Kranken oder des gesetzlichen Vertreters oder Betreuers. (3) Unaufschiebbare Behandlungsmaßnahmen in Krisensituationen hat der untergebrachte psychisch Kranke zu dulden, soweit sie sich auf die Erkrankung, die zur Unterbringung geführt hat, beziehen. Auf Wunsch des untergebrachten psychisch Kranken ist sein Rechtsbeistand, Pfleger, Betreuer oder gesetzlicher Vertreter zu informieren. Der untergebrachte psychisch Kranke ist auf diese Möglichkeit hinzuweisen. (4) Ärztliche Eingriffe und Behandlungsverfahren, welche mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind oder welche die Persönlichkeit auf Dauer verändern können, dürfen nur mit rechtswirksamer Einwilligung des untergebrachten psychisch Kranken oder, falls er die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und der Einwilligung nicht beurteilen kann, desjenigen, dem die Sorge für die Person obliegt, vorgenommen werden. (5) Eine zwangsweise Ernährung ist zulässig, wenn dies zu Abwendung einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des untergebrachten psychisch Kranken erforderlich ist. Die Zwangsmaßnahme muß für die Beteiligten zumutbar sein. Sie darf insbesondere das Leben des untergebrachten psychisch Kranken nicht gefährden. Die Maßnahmen dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden. Erste Hilfe muß davon unbeschadet dann erfolgen, wenn ärztliche Behandlung nicht rechtzeitig erreichbar und mit einem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist.

vom 2. Fe-

Personen- und Sachregister Abhängigkeit, s. Suchterkrankung Absonderung, 124 Altersdemenz, 41 Anlaßerkrankung, 54 f., 85 Anstaltsordnung, 54,209 f. Aufklärungspflicht, 151 Beamtenrecht, 128 Behandlungsverweigerung, 68 Behinderung, 131 Beleihung, 133 Besonderes Gewaltverhältnis, 28, 33 Betäubungsmittel, 128 Beteiligungsrechte, 182 v. Bodelschwingh, 31 Cerletti, 29 Clozapin, 173 Depression, 156 Dokumentation, 67 Dokumentationspflicht, 94 Doppelkompetenz, 139

Garantenpflicht, 112 f. Gebrechlichkeitspflegschaft, 132 Gefahrbegriff, 49 Gehirnwäsche, 62 Gerontopsychiatrie, 155 Geschäftsfähigkeit, 35, 145 Geschlechtskrankheit, 122 ff. Gewohnheitsverbrecher, 72 Griesinger, Wilhelm, 24 Grundrechtsbindung, 134 Grundrechtsmündigkeit, 224 ff. Gummizelle, 24 Haftsituation, 107 f. Handlungsfähigkeit, 149 ff. Heilversuch, 63 ff., 116 f., 176 Humanexperiment, 63, 176, 194 Hygiene, 86,108 Impfzwang, 214 Informationspflicht, 86 Informationsrecht, 53 f. Insulinschock, 29 Irrenreformbewegung, 26

Ehrschutz, 203 ff. Eigengefährdung, 44 f., 102, 210 ff., 216 ff. Einsichtsfähigkeit, 150 ff., 224 ff., 241 Einwilligungsfähigkeit, 141 ff., 143 ff., 231 ff. Ein willigungs vorbehält, 142 Elektroenzephalographie, 186 Elektrokrampftherapie, 29, 56,94, 180 Entmündigung, 203 Eugenik, 30

Manie, 57 Medikamentenerprobung, 176 Medikamentenforschung, 62 ff. Medikamentenversuch, 88, 116 f., 195 Menschenwürde, 187 ff. Mißhandlung, 188 Mutmaßliche Einwilligung, 110 ff.

Fiebertherapie, 29 Folterverbot, 188 Freiheit zur Krankheit, 47 Fremdgefährdung, 42 ff., 103, 208

Narkoserisiko, 103 Nationalsozialismus, 29 Neuroleptika, 57, 61, 94, 175 Neurose, 40

Kastration, 64,73 Körperverletzung, 25

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Personen- und Sachregister

no-restraint, 24 Notstand, 115 ff. Öffentliche Ordnung, 43, 120 Öffentliche Sicherheit, 3 Oligophrenien, 41 Organspende, 196 Persönlichkeitsrecht, 196 ff., 201 ff. Persönlichkeitsveränderung, 57,61, 88 Pinel, Philippe, 24 Polizeirecht, 119 ff. Preußisches Allgemeines Landrecht, 21, 72 Prioritätsprinzip, 139 Privatsphäre, 202 Psychiatriereform, 36, 76 Psychische Krankheit, 37 ff., 131 Psychochirurgie, 29, 87,171 Psychopharmaka, 33, 56, 94,173 f. Psychotherapie, 93 Rechtsgeschäftstheorie, 144 Reichs-Dienst- und Vollzugsordnung, 99 f. Reichsirrengesetz, 26 Schizophrenie, 156 Schockverfahren, 29 Schuldunfähigkeit, 77 Schutzimpfung, 55 Schutzpflichten, 220 ff. Sedierung, 61, 103, 216 Selbstgefährdung, s. Eigengefährdung Selbsttötung, s. Suizid

Seuchenrecht, 123 ff. Soldatengesetz, 127 Sozialhilfe, 127 Sozialrecht, 126 Sozialstaatsprinzip, 227 ff. Spätdyskenesien, 57, 169,174 Sterilisation, 149 Steuerungsfähigkeit, 155 ff. Strafgefangenen-Entscheidung, 35, 74 Strafvollzug, 82 f., 98, 100 ff., 209, 215 Suchterkrankung, 41,78 f., 131, 157 Suizid, 47,113 ff., 121 T-4-Aktion, 30 f. Tollhäuser, 23 Unterbringungsquote, 67, 178 f. Unterbringungzweck, 50 Unterlassene Hilfeleistung, 113 Untersuchungshaft, 100 Urteilsfähigkeit, 152 ff. Verwahrlosung, 45 f. Verweildauer, 67 Vollzugsziel, 78 von Galen, 30 f. Wehrrecht, 127 Zwangsernährung, 60, 62, 93 f., 98 ff., 104, 108 ff. Zwangsjacke, 24 Zwangssterilisation, 30, 149, 184