Medien Frauen Macht: Erfolgreiche Frauen in der Medienwelt [1 ed.] 9783205208952, 9783205208938

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Medien Frauen Macht: Erfolgreiche Frauen in der Medienwelt [1 ed.]
 9783205208952, 9783205208938

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MEDIEN

NADJA SARWAT

FRAUEN

MACHT

ERFOLGREICHE FRAUEN IN DER MEDIENWELT

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR



Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Kölblgasse 8–10, A-1030 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Korrektorat: Dore Wilken, Freiburg Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien Druck und Bindung: Finidr, Cesky Tesin Printed in the EU Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprechtverlage.com ISBN 978-3-205-20895-2



Inhalt

ZUM GELEIT

1

#MeToo – ein Jahrhundert-Medienereignis als Zäsur

SUPERHELDINNEN 5.0 Wer rettet die Medienwelt?

1.1 1.2 1.3

1.4

2 2.1

11

Menschen, Mächte und Maschinen – Medien im digitalen Wandel Lügen Männer mehr und sind Frauen womöglich bessere Medienmenschen? Beruf JournalistIn, das unbeliebte Wesen – ein altes Phänomen und der neue Wettbewerb um die Wahrheit Zu diesem Buch und einer Kardinalfrage: Macht Erfolg Frauen glücklich?

DIE MACHT DER MEDIEN – WER REGIERT DIE WELT?

14

14 17

20 23

27

2.2

Die Intimität der Öffentlichkeit – Show, Skandal, Shitstorm 28 Das globale Entertainment-Regime und die Frauen 31

3

FEMINISTISCHE MEDIENFORSCHUNG

35

3.1

Drei Paradigmen: Gleichheit – Differenz – Dekonstruktion

36

3.2

Hegemoniale Männlichkeit und die Spielfelder der Macht Solidarität ist sexy – über die Konspiration der Komplizinnen Laura Karasek – Autorin, Anwältin, Medien-Multitalent

4

DIE NEUEN STARKEN MEDIENFRAUEN

4.1

Er ist wieder da – Gender-Diskurs als Causa prima Ein Hashtag geht um die Welt Sheryl Sandberg – Superstar des Silicon Valley „Lean In“ – eine Karriere-Bibel in elf Geboten Machiavelli im Matriarchat „Bitch Doktrin“ – die feministische Gegen-Dystopie „Global Media Watch“ – die Hälfte der Welt? Die Kunst der Selbstoptimierung Nana Siebert – ein Shooting-Star in der „Standard“-Chefredaktion Pro Quote – „Hosen runter, Röcke hoch!“ Wider die publizistische Heimatlosigkeit der weiblichen Intelligenz Susanne Beyer – die Frau im „Spiegel“ des Weltgeschehens

4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

4.7

39

41

53

53 56 57 59 61 62 64 69 69 78

81

5

HERSTORY – BERUFSGESCHICHTE/N GESTERN UND HEUTE 92

5.1

Pionierinnen – Frauen, die schreiben, sind gefährlich 5.1.1 Rasende Reporterinnen auf Weltreise und im Krieg

94 96

5.2 5.3

5.4 5.5

5.6.

6 6.1 6.2 6.3 6.4

5.1.2 Weibliche Investigativ-Ikonen Große Töchter braucht das Land! Feministisches Rollenmodell Armgard Seegers – wie man Mut und Selbstvertrauen vorlebt „Manspreading“ und „She-Bagging“ im Newsroom Böse Weibsbilder auf Bildschirmen und im Boulevard Gender Mainstreaming auf dem Boulevard Top-Medienmanager Hans Mahr – unser Mann bei RTL „It’s a man’s world“ – der Feind in meiner Branche Seilschaften, Segregation, sexuelle Belästigung Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt Eva Schreiber-Urthaler – die Art-Direktorin als sanfte Rebellin Tu felix Austria – große Töchter, kleine Chancen? 5.6.1 Gläserne Decke, Lohnschere, Frauenfalle Teilzeit 5.6.2 Der ORF und der Gleichstellungsplan Wenn es nicht klappt mit der Männerkarenz – ORF-Kultur im Wandel Simon Hadler – der Mann für die Quote

FRAUEN IN DER POPULÄRKULTUR – „MEHR SUPERHELDINNEN, BITTE!“ Weibsbilder und „Mansplaining“ Stars und Stereotype – Filmwelt im Reality-Check „Fuck U Quote“ – der Aufstand der Filmfrauen „Celluloid Ceiling“ – der Hollywood-Report

98

100 109 113

116 123 124

125 133 136 140

141

146 146 149 151 154

6.5

6.6

7

Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood „Aufstehen, Krone richten, weitergehen“ – Rebellin, Regiepionierin, Kämpferin Sabine Derflinger – die erste am Austro-„Tatort“ Göttinnen der Postmoderne 6.6.1 Julia Roberts – Gagen-Queen der Jahrtausendwende 6.6.2 Emma Watson – feministische Anti-Prinzessin

„Reden ist leben“ – über Kinder, Karriere und ihren Kampf gegen den Rassismus TV-Star Arabella Kiesbauer – eine Botschafterin der Liebe und der Toleranz

8.1 8.2 8.3 8.4

161 177 179 181

DIVERSITÄT IN DEN MEDIEN – MEHR ALS EINE GENDERFRAGE Vielfalt als Zukunftsressource

8

156

VERGLEICHSHORIZONT NAHOST – DIE „RIOT GIRLS“ DES ORIENTS Fashion und Film in Saudi Arabien – mit dem Fahrrad in die Freiheit? Die Töchter des Nils – vom Papyrus zum Pamphlet Macht und Mythos einer Diva – Oum Kulthum Shirin Neshat – Mittlerin zwischen Orient und Okzident

184

186

198

198 199 203 207

9 9.1 9.2 9.3

9.4 9.5 9.6 9.7

MÜTTER.MACHT.MEDIEN – DAS PRIVATE IST POLITISCH Die Mutter als Machtfaktor und Forschungssubjekt Die neuen Narrative – Mütter als (Anti-)Heldinnen Es war einmal – Mütter, Märchen und Film „Mütter sind die Besten“ – sei ein Star und nimm die Kinder mit Conny Bischofberger – die Königin der „Krone“ als Markenbotschafterin Der Mythos der bösen Mutter „Motherhood Penalty“, „Fatherhood Bonus“ und „Maternal Wall“ Eskalation des „Urkonflikts“ – Kind und/oder Karriere Medienmütter – am Rande des Nervenzusammenbruchs? Die österreichische Journalistin des Jahres 2017 Corinna Milborn

214

214 216 219

221 229 230 234 237

240

NACHWORT

245

KURZBIOGRAFIEN

248

DANK

251

LITERATUR UND QUELLEN

252

Literatur Online-Quellen

252

ANMERKUNGEN

264

256



Zum Geleit #MeToo – ein JahrhundertMedienereignis als Zäsur

Es war der „Scoop“1 ihres Lebens: Die Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor deckten im Oktober 2017 in der „New York Times“ den Missbrauchsskandal um Harvey Weinstein auf, der Journalist und Anwalt Ronan Farrow legte im „New Yorker“ mit weiteren Enthüllungen nach. Ein ebenso gut gehütetes wie offenes Branchengeheimnis gelangte ins Scheinwerferlicht: Über Dekaden soll der Filmmogul massenhaft und massiv Frauen sexuell bedrängt haben, wie teilweise schon 20 Jahre zurückliegende juristische Vergleiche mit Opfern zeigten. Damit wurde einer der mächtigsten Männer Hollywoods zu Fall gebracht, der bis dahin unangreifbar schien. Und sein Fall war – im doppelten Wortsinn – tief: Weinstein wurde Persona non grata, seine einst mächtige Firma ging in Konkurs, seine Frau reichte die Scheidung ein. Mehr als hundert Frauen werfen ihm vor, sie sexuell belästigt oder genötigt zu haben, darunter Superstars wie Angelina Jolie. Auch Vergewaltigungsanschuldigungen wurden laut. Weinstein habe es über Jahrzehnte geschafft, eine Schweigespirale der Scham in Gang zu halten, durch Einschüchterung, Macht und Geld. Seine Umtriebe seien in der Branche allgemein bekannt gewesen, genützt hat es den Opfern nichts. Er selbst rechtfertigte sein Verhalten als Kavaliersdelikt eines in der Kultur der Swinging Sixties Sozialisierten. Erzwungene Sexhandlungen stritt er ab. Die AufdeckerInnen haben das lautstarke Schweigen der Branche nachdrücklich und endgültig gebrochen. Ein weltweiter Aufschrei war die Folge. Über die Sozialen Medien formierte sich der Widerstand der Frauen gegen sexualisierte Gewalt und Diskriminierung unter den Hashtags #MeToo und 

11

#TimesUp. Aus den Untiefen des Herzens Hollywoods hatte sich eine Bewegung ausgebreitet, die weit über die Grenzen der Branche und des Landes ihre Wirkmächtigkeit entfaltete. Megan Twohey und Jodi Kantor wurden, ebenso wie Farrow, für ihre investigative Glanzleistung mit dem Pulitzer-Preis geehrt, dem wichtigsten Journalistenpreis der Welt. Dessen Juryvorsitzender musste übrigens zurücktreten: Ihm wurde in mehreren Fällen sexuelle Belästigung vorgeworfen. Hollywood hat sich längst die Rechte an der Weinstein-Story gesichert und profitiert so mittels Umwegrentabilität in jedem Fall von der Causa. Eine direkte Folge investigativer Publizistik ist eine deutliche Erhöhung des Tempos und der Intensität, mit der sich gesellschaftliche Sensibilisierung für und Sanktionierung von verschiedenen Formen der Diskriminierung von Frauen etabliert. Mit dem nun hergestellten Konsens für die Ächtung von sexualisierter Gewalt gegen Frauen ist auch eine der wichtigsten Forderungen der Frauenbewegung im Mainstream von Medien und Gesellschaft angekommen. Genau hier, entlang der Schnittstellen zwischen Medien, Macht und Populärkultur möchte ich ansetzen, und der Frage nachgehen, welche Rolle Frauen heute im modernen Mediengefüge einnehmen. Ist ein Wandel abzusehen? Ist die Zukunft weiblich? Wer in den Medien präsent ist, bestimmt, wie wir die Welt sehen. Immer öfter amtieren Frauen als neue Macht im „Newsroom“, d.h. in der Nachrichtenwelt 4. 0. Und es ist relevant für demokratische Gesellschaften, ob und wie Frauen in den Medien zu Wort kommen, zu Reichweite, Sichtbarkeit und Stimme gelangen – vor und hinter den Kulissen. Unsere Pionierinnen, die Stars, die Superheldinnen in den Medien machen vor, was möglich ist. Wir sind die Hälfte der Welt, und viele von uns sind ausgezogen, um sie zu erobern. Doch wie nachhaltig ist der Paradigmenwechsel?

12

Zum Geleit

Wie ein ganzes Land einen plötzlichen Emanzipationsschub erlebt, zeigte sich am 3. Juni 2019 bei der Angelobung der ersten Österreichischen Kanzlerin. Ein frauenpolitischer Paukenschlag von historischer Relevanz und mit weitreichenden Folgen. Im Interims-Kabinett von Brigitte Bierlein herrscht erstmals Geschlechter-Parität unter den MinisterInnen. Und niemand, so Bundespräsident Alexander Van der Bellen, könne in Zukunft sagen, das sei nicht möglich. Ich habe spannende Fakten aus der Welt der Medienfrauen zusammengetragen, zahlreiche Interviews geben Einblicke in und Ausblicke auf die Praxis. Dies ist ein faktenbasiertes populärwissenschaftliches Sachbuch. Es ist nach journalistischen Gesichtspunkten konzipiert, beruht aber auf akribisch recherchierten Quellen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ich möchte damit zentrale Phänomene der Medienwelt im Kontext der Macht und Ermächtigung von Frauen beleuchten und in teils neue Perspektiven und Zusammenhänge einbetten. Seine Inhalte möchte ich, neben interessierten FachkollegInnen, einem breiteren Publikum zur Verfügung stellen und damit zum weiteren Diskurs anregen. Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Den Kern des Buches bilden die Porträts starker Frauen aus der Medienpraxis. Für mich waren diese Gespräche sehr spannend und inspirierend, und ich hoffe, es möge den LeserInnen genauso ergehen.

Zum Geleit

13

1

Superheldinnen 5.0 Wer rettet die Medienwelt? „Sapere aude.“2 (Horaz) „With great power comes great responsibility.“3 (aus „Spiderman“)

1.1

Menschen, Mächte und Maschinen – Medien im digitalen Wandel

Auf dem Daten-Highway ist bekanntlich die Hölle los. Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Robotik – Maschine-gewordene Utopien zählen zu den Megatrends unserer hochtechnologisierten Gesellschaft. Die Gegenwart hat die Science Fiction vielfach eingeholt, die kühnsten Zukunftsträume scheinen zum Greifen nah. Die Relikte „vorsintflutlicher“ Mobilität wie Führerschein oder Fahrprüfung wird schon bald kein Mensch mehr brauchen oder kennen. Ja mehr noch, sie könnten in absehbarer Zeit sogar verboten werden, sobald uns nämlich die smarten Gefährte an Fahrsicherheit überboten haben werden. Schon heute sind wir dank E-Mobilität und integrierter autonomer Fahrzeugtechnik in der Lage, freihändig durch den Verkehr zu navigieren. Bald schon wird die Selbstfahrtechnik nach dem Ende des Probebetriebs für die Massen freigeschaltet. Wir werden dann von Tesla & Co. bequem durch die Straßen chauffiert, während wir entspannt unseren Kaffee trinken und die Nachrichten abrufen, natürlich via E-Paper. Im österreichischen Verkehrsministerium träumt man sogar schon laut von fliegenden Autopiloten. Flugtaxis sollen in nicht allzu ferner Zeit elegant über unser urbanes Verkehrschaos hinweg gleiten. 14

Superheldinnen 5.0

In der Pflege spielt die Robotertechnik ihre humanoiden Kollegen für höhere Fürsorgedienste frei. In Japan werden wahre Wunderwerke der Robotik vollbracht. Im Vergleich zu den Robotern nimmt sich manch menschliche Kreatur wie ein hölzerner Terminator aus. Dass Nippon als Epizentrum der neuen Technik amtiert, folgt einer paradoxen Logik. Hier verbinden sich uralte spirituelle Traditionen mit modernstem Hightech. Im japanischen Shinto-Glauben gelten auch leblose Dinge als beseelt und sind daher besonders pfleglich zu behandeln. Die Zukunftsarchitekten des Fachs sagen der Berufswelt, wie wir sie kennen, eine völlig neue Zukunft vorher. Ganze Berufsstände seien vom Aussterben bedroht. Weit vorn im Ranking der Professionen mit geringen Zukunftschancen befinden sich neben Taxilenkenden auch AutorInnen und JournalistInnen. Längst schreiben intelligente Computer für die „Los Angeles Times“ oder „Forbes“. Im deutschsprachigen Raum wird der schreibende Algorithmus angeblich erst spärlich eingesetzt. Die von der Firma „Narrative Science“ entwickelte und von der CIA finanzierte Technik, die schreiben kann, ist nur auf Englisch verfügbar. Für das Ziel der Unternehmer, für eines ihrer Werke einmal den Pulitzer-Preis zu bekommen, reicht das aus. Studien zeigen, dass LeserInnen nicht zwischen von Menschen und „Schreibmaschinen“ generierten Berichten unterscheiden können. Datenintensive Themen – Stichwort „Big Data“, – vom Wetter bis zu Wahlen – lassen sich so ohne großen Personalaufwand billig in Berichten aufbereiten. Selbst die menschlichen LohnschreiberInnen sogenannter „Troll-Fabriken“, der Zentralorgane der manipulativen Meinungsmache im Internet, werden schon von billigeren und effizienteren Robotern ersetzt. „Social Bots“ genannte Algorithmen „liken“ und teilen Beiträge auf Facebook, Twitter & Co. Die Social-Media-Kanäle werden so zu neuen Einfallstoren für entfesselte PR und Propaganda. Die Computer-Kampf-Poster Menschen, Mächte und Maschinen – Medien im digitalen Wandel

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machen Stimmung im Internet – zugunsten ihrer Auftraggeber aus Wirtschaft und Politik. Im Zweifelsfall kann das wahlentscheidend werden. Die Social Bots interagieren mit uns, als wären sie menschliche Wesen und reale NutzerInnen im Internet. Als „Fakes“, also als nichtmenschliche Akteure, sind sie kaum identifizierbar. 10.000 falsche Twitter-„Follower“ lassen sich billig einkaufen und für eine Handvoll Dollar zu künstlichen Intelligenzbestien aufrüsten. Im Jahr 2016 sollen Bots schon 52 Prozent des Internet-Traffics ausgemacht haben. (Russ-Mohl, 2017) Das Heer der künftig so arbeitslos Gewordenen soll in Zukunft auch maschinell verwaltet werden. Bei der österreichischen Arbeitsvermittlung AMS berechnet ab 2019 ein Computer die Chancen der Arbeitssuchenden. George Orwell und Aldous Huxley haben mit ihren gespenstischen Dystopien Hochsaison. Neusprech, Diktatur und Doppeldenk, wie in 1984 prophezeit, der Terror des totalen Entertainments einer (un)schönen neuen Medienwelt, wie sie Huxley vorhersah – sind wir nicht schon mittendrin statt nur dabei? Für die Medien und die Medienwissenschaft stellen sich viele Fragen, die es zu überdenken gilt. Die Medienlandschaft ist in einem revolutionären Wandel begriffen. Auch darin, wie sie ihre zentrale Funktion, Informationen für den demokratischen Diskurs zur Verfügung zu stellen, wahrnimmt. Die alten Medien stehen vor neuen Herausforderungen. Im Wettbewerb um die Wahrheit werden nur jene erfolgreich sein, die sich proaktiv um Authentizität und Qualität bemühen. Dabei wird auch die Kultur der Vielfalt in den Medien eine Rolle spielen – auch und gerade bei jenen, die sie produzieren. Geschlechtergerechtigkeit und andere Formen gelebter Diversitätskultur werden mitentscheidend dafür sein, wie sich die Medienzukunft gestaltet – und damit die Zukunft unserer demokratischen Gesellschaften.

16

Superheldinnen 5.0

1.2

Lügen Männer mehr und sind Frauen womöglich bessere Medienmenschen? „Fake news, fake news, fake news.“ Donald Trump

Für das Jahr 2017 kürte das österreichische Nachrichtenmagazin „Profil“ „die Frau“ zum Menschen des Jahres in seinem Rückschauheft. Für 2018 fiel die Wahl auf den „Roboter“. Was sagt das über die Verfasstheit unserer Gesellschaft aus, auch und vor allem über die Medien? Man könnte sich fragen: Wird die Zukunft der Menschheit zurzeit bei jenen am wenigsten verortet, die die Vergangenheit bisher beinah allein bestimmten: unseren Männern? Die Branche selbst ist im Umbruch begriffen, der digitale Wandel und der „disruptive“4 Wettbewerb mit den Internetgiganten Google, Facebook & Co. macht den Traditionshäusern zu schaffen, für viele geht es ums wirtschaftliche Überleben. Wie weiblich ist angesichts solcher Aussichten die Medienzukunft? Angesichts tendenziell immer autoritärer agierender Populisten wird mancherorts eine Renaissance des Machismo heraufbeschworen. Das schon als Postdemokratie diagnostizierte Phänomen der Abkehr von den Idealen der Aufklärung geht mit einem weiteren Megatrend unserer Gesellschaft einher: dem sogenannten Postfaktizismus. Demnach spielt heute nicht mehr der Wahrheitsgehalt einer Nachricht die entscheidende Rolle, sondern nur deren Emotionsgehalt. In Deutschland und in Österreich wurde der Begriff „Alternative Fakten“ zum ­Unwort des Jahres 2017 gewählt. Geprägt hat den Begriff eine Beraterin von US-Präsident Donald Trump, die damit Falschangaben des Präsidentensprechers verteidigte und einen Proteststurm hervorrief: Der Ausdruck sei nichts als eine euphemistische Umschreibung des altbekannten Begriffs Lüge. Wahr geworden sei lediglich der Orwell’sche Alptraum totalitärer Sprachpolitik.

Lügen Männer mehr

17

Dazu gehört das in vielen Formen auftretende Phänomen der „Fake News“. Übermotivierte verorten das Phänomen wenn schon nicht bei Adam und Eva, so doch bei den alten Ägyptern, jedenfalls, wenn man der nicht ganz ernst zu nehmenden Argumentation des Autors Peter Köhler folgt, der die ersten Fake News bei den in Hieroglyphen gemeißelten Schilderungen der Ergebnisse einer Schlacht verortet, die der Pharao Ramses II. übertrieben positiv schildern habe lassen. Wahr ist: Seine aufgrund des Gleichstands in der Schlacht herbeigeführte Einigung mit den Hethitern führte zum ersten Friedensvertrag der Menschheitsgeschichte. Desinformation durch Fake News lauert, so die heute gängigere Meinung, vor allem auf unseriösen Seiten im Internet. Viele Menschen setzen ihre Hoffnungen daher auf die etablierten Qualitätsmedien, die sich als besonders in die Pflicht genommen sehen sollten, verlässliche Informationen zu liefern. Doch selbst Qualitätsmedien sind vor Fehlleistungen nicht gefeit. So sorgte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ im Dezember 2018 für ein mediales Erdbeben. Ausgerechnet das deutsche Leitmedium par excellence hatte mit dem Fall Claas Relotius einen Fälschungsskandal ersten Ranges produziert. Auslandsreportagen eines jungen Redakteurs hatten sich als Fake News entpuppt. Wie war das möglich? Der Spiritus Rektor deutschsprachiger Medienqualitätsforschung, Stephan Russ-Mohl, warnt seit Jahrzehnten vor den Folgen nicht aufgearbeiteter und nicht sanktionierter Fehlleistungen, mangelnder Qualität und Transparenz, den Journalismus überlagernde PR, Deprofessionalisierung und einem fahrlässigen Umgang mit der Wahrheit. In seinem jüngsten Werk „Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde“ benannte er, lange bevor der Spiegel-Skandal implodierte, explizit den Bereich Auslandsberichterstattung als fehleranfällig. Um transkulturelle Kompetenz ist es aufgrund mangelnder Diversität in den Heimatredaktionen ebenfalls nicht zum Besten bestellt. Nicht zuletzt gelten Korrespondenten medienintern als diejenigen, auf die zuerst verzichtet wer18

Superheldinnen 5.0

den kann. Die Kombination aus Dilettantismus und mangelnder Kontrolle ist mitunter explosiv. Ein ähnlicher Fall ist auch aus dem Entertainment-Bereich überliefert. Tom Kummer stolperte über zum Teil frei erfundene Star-Interviews und verkaufte die Ergebnisse seiner überbordenden Fantasie als „Borderline-Journalismus“. Fakt ist: Sämtliche prominente deutsche Fälschungsskandale sind spätestens seit den vermeintlichen Hitler-Tagebüchern 1983 im „Stern“ von Männern dominiert. Ausnahmen bestätigen die Regel. Eine könnte auf das Konto von Alice Schwarzer gehen, als Initiatorin des spektakulären „Stern“-Covers von 1971. Das Magazin titelte mit den Bekenntnissen vieler, auch prominenter Frauen: „Wir haben abgetrieben“. Heute liegt der Verdacht nahe, dass „Wir haben nicht abgetrieben“ zwar weniger aufregend, aber ehrlicher gewesen wäre. Denn 30 Jahre später wurde die Aktion in der „Berliner Zeitung“ von einer ehemaligen Unterzeichnerin zumindest teilweise als Bluff enttarnt. (BZ, 2001) Ihr Foto sei zwar echt, ihre Lebens- und Berufsbiografie aber bewusst gefälscht gewesen, gab sie zu Protokoll. Und sie hätte, wie „die meisten“ Teilnehmerinnen der Aktion, nie einen Abbruch vorgenommen. Auch Alice Schwarzer selbst soll das für sich und „einige wenige Teilnehmerinnen“ bestätigt haben. Könnten also mehr Frauen in den Redaktionen weniger Fälschungs-Anfälligkeit bedeuten? Nicht dass ich es als Indiz für diese – zugegeben etwas provokante – Frage heranziehen möchte, aber Männer lügen offenbar häufiger als Frauen. Es wurden 565 Studien mit insgesamt 44.050 ProbandInnen zum Thema mittels Metastudie ausgewertet. Die Erkenntnis der Studie „Die Wahrheit über Lügen“: Die Tendenz zu Unehrlichkeit hängt von Alter und Geschlecht ab. Insgesamt logen bei den untersuchten Experimenten 42 Prozent aller Männer, aber nur 38 Prozent der Frauen. Außerdem lügen Jüngere häufiger als Ältere. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand lügt, ist bei Teenagern bis 19 am höchsten, bei 20-Jährigen liegt sie bei Lügen Männer mehr

19

etwa 47, bei 60-Jährigen nur noch bei 36 Prozent (SWR Wissen, 2018), was übrigens als ein Argument für mehr Alters-Diversität in Medien gelten könnte. Und wo bleibt bei all dem die Publika, jene Öffentlichkeit, die ja immerhin für den „Spaß“ auf die eine oder andere Weise bezahlt? Die, so möchte man meinen, wünscht sich weniger Borderline und mehr Journalismus. Tatsache ist: Unsere Medien werden mehrheitlich von einer weißen männlichen Elite dominiert. Kann ein Aufbrechen dieser Strukturen, und damit mehr Heterogenität in den Medien, zu einem Wertewandel und einer maßgeblichen Qualitätssteigerung führen? Könnte etwa eine sozial und kulturell diverse Redaktion als Korrektiv fungieren? Der Fall Relotius legt das für das Auslandsressort jedenfalls nahe. Den Fälschungsskandal hatte ein in Spanien gebürtiger Spiegel-Redakteur intern aufgedeckt. Juan Moreno ist der Sohn andalusischer Gastarbeitender, die in den 1970er Jahren nach Deutschland kamen und als Fabrikarbeitende tätig waren. Erst seine Leistung bei dem Outing des fälschenden Kollegen machte ihn bekannt. Dass Vielfalt zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen kann, ist für viele internationale Unternehmens-Politiken längst Konsens. Maßnahmen zu mehr Gleichberechtigung laufen dort unter dem Titel Gender Mainstreaming und Diversity Management. Wie es um die Medienunternehmen bezüglich Geschlechtergerechtigkeit, aber auch im Kontext kultureller und anderer Diversitäten bestellt ist, wird auch in diesem Buch beleuchtet.

1.3

Beruf JournalistIn, das unbeliebte Wesen – ein altes Phänomen und der neue Wettbewerb um die Wahrheit

Feuerwehrmann müsste man sein! Feuerwehrleute sind Österreichs Berufsgruppe mit den höchsten Vertrauenswerten, dicht gefolgt von ApothekerInnen. Leider gehört meine Profession 20

Superheldinnen 5.0

nicht zu den hochangesehen Berufen, die sich der Rettung von Menschenleben verschrieben haben. Ich bin als Journalistin eher am anderen Ende der Skala angesiedelt. Man erwartet von den Medien offenbar geradezu, belogen zu werden. Folgerichtig sind JournalistInnen im Vertrauens-Ranking ganz weit unten, kurz vor weiteren „Schmuddelkindern“. Nur PolitikerInnen, PR- und Werbeleuten oder ImmobilienmaklerInnen wird noch weniger Vertrauen geschenkt als Medienleuten. Einen neuen Höhepunkt der Unbeliebtheit erreichte die Branche mit Beginn der Präsidentschaft Donald Trumps, dessen Verhältnis zur Traditionspresse sich mit dem Begriff Hassbeziehung nur unzureichend beschreiben lässt. Der Vorwurf der Produktion sogenannter Fake News wird durchaus gegenseitig bemüht. Gerade in Zeiten großer Unübersichtlichkeit, einer starken Tendenz zur Deprofessionalisierung sowie eines enormen Vertrauensverlustes beim Publikum, das durch Fake News und eine Überfülle schwer einzuordnender Informationen in Sozialen Medien verunsichert ist, wird der Wettbewerb um Wahrhaftigkeit zum entscheidenden Faktor im Überlebenskampf der alten Medien. Das Image des Journalismus und der JournalistInnen ist auf dem Tiefpunkt angelangt. In Europa war es traditionell deutlich schlechter als in den USA. Und es gibt auch heute noch Länder, in denen Journalismus durchaus als Prestigeberuf gilt. Doch nicht nur der digitale Medienwandel ist für die Misere zur Rechenschaft zu ziehen. Wie fragil journalistische Ethik und Moral sein können, zeigen Beispiele frühen journalistischen Fehlverhaltens. So ist ausgerechnet vom Journalismusgiganten, dem „rasenden Reporter“ Egon Erwin Kisch eine weniger erfreuliche Geschichte überliefert. Der habe, so heißt es, am Start seiner Karriere seinem Prager Blatt eine zum Teil erfundene Reportage über einen Brand präsentiert. Was einen Chefredakteur einem Kollegen gegenüber zu der Aussage verleitet habe: „Komisch, dass sich die anderen immer die interessantesten Lügen ausdenken, und Sie immer nur die Beruf JournalistIn, das unbeliebte Wesen

21

langweiligste Wahrheit wissen.“ (Kilz 1996 u.a., zitiert nach Kunczik/Zipfl, 2005: 221) Das Phänomen ist also nicht neu. Schon 1863 sagte der sozialistische Politiker Ferdinand Lasalle in einer Rede vor einem Arbeiterverein Bezeichnendes: Ihr, Proletarier, verkauft euch doch nur zu einem Geschäft, das ihr kennt und versteht, jene aber, die geistigen Proletarier, müssen täglich lange Spalten füllen über tausend Dinge, über Politik, Recht, Ökonomie, Wissenschaft, über alle Fächer der Gesetzgebung, über diplomatische und geschichtliche Verhältnisse aller Völker. Ob man das Hinreichende, ob man das Geringste davon verstehe oder nicht – die Sache muß behandelt, die Zeitung gefüllt sein, das Geschäft bringt es so mit sich! Dazu der Mangel an Zeit, die Dinge näher zu studieren, in Quellen und Büchern nachzuforschen, ja selbst nur sich einigermaßen zu sammeln und nachzudenken. Der Artikel muß fertig sein, das Geschäft bringt es so mit sich! Alle Unwissenheit, alle Unbekanntschaft mit den Dingen, alles, alles muß möglichst versteckt werden unter der abgefeimten routinierten Phrase. Daher kommt es, daß, wer heute mit einer halben Bildung in die Zeitungsschreiberkarriere eintritt, in zwei oder drei Jahren auch das wenige noch verlernt hat, was er wußte, sich geistig und sittlich zugrunde gerichtet hat und zu einem blasierten, ernstlosen, an nichts Großes mehr glaubenden, noch erstrebenden und nur auf die Macht der Clique schwörenden Menschen geworden ist! Aus all diesen Ursachen ist es gekommen, daß sich alle tüchtigen Elemente, die sich früher an der Presse beteiligt haben, allmählich von derselben bis auf sehr vereinzelte Ausnahmen zurückgezogen haben und die Presse zu einem Sammelplatz aller Mittelmäßigkeiten, aller ruinierten Existenzen, aller Arbeitsscheuen und Nichtswisser geworden ist, 22

Superheldinnen 5.0

die zu keiner reellen Arbeit tüchtig, in der Presse immer noch eine mühelosere und auskömmlichere Existenz finden als irgend sonst. (zitiert nach Kunczik/ Zipfl, 2005: 150)

1.4

Zu diesem Buch und einer Kardinalfrage: Macht Erfolg Frauen glücklich?

Immer öfter werden wir in den Medien mit neuen starken Frauenbildern konfrontiert. Die „Alpha Girls“ haben Laufen gelernt, sind zur „Wonder Woman“ gereift oder geben als „Working Mom“ neue Standards der Identifikation oder der sozialen Erwünschtheit vor. Auf der anderen Seite steht die Lebensrealität vieler Frauen, die im Job an gläserne Decken stoßen, mitunter aus Panzerglas. Im Arbeitsalltag halten sich Ungleichbehandlungen der Geschlechter, Pay Gap, minimale Frauenquote in Führungsjobs sowie ein erhöhtes Armutsrisiko für viele Frauen hartnäckig. Stereotype in Darstellung und Repräsentation von Frauen äußern sich in Diskrepanzen und Paradoxa und spiegeln die wahren Verhältnisse in der Realität oft nicht angemessen wider. Nicht nur aus medienwissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage: Wie und unter welchen strukturellen Bedingungen arbeiten Frauen, die in den Massenmedien Inhalte vermitteln und prägen, heute? Diese Funktion gesellschaftlicher Kommunikation erfüllen auf der einen Seite Journalistinnen und Medienmanagerinnen, die intern und aktiv im Mediensystem agieren. Als Vergleichshorizont lohnt andererseits ein Blick auf weibliche Stars, die als Objekte medialer Berichterstattung Inhalte aus einer externen Position heraus wesentlich mitbestimmen und damit das Bild der Frau in der Gesellschaft – in der Funktion von, will man Branchen-Neusprech bemühen, „Influencerinnen“. Ebenso spannend sind die Produkte der Filmindustrie wie auch die Situation weiblicher Kreativer in dieser Macht Erfolg Frauen glücklich?

23

Branche. Die Bilder, die uns Hollywood über Film, Internet-Streaming oder TV frei Haus liefert, bestimmen wesentlich mit, wie unsere Gesellschaft sich konstituiert. Frauen in den Medien respektive Medienfrauen: Diese beiden sozialen Felder, den zentralen „Habitus“, ihre Orientierungen und Kommunikationsmuster habe ich am Beispiel einzelner Vertreterinnen der Branche analysiert und auf Zusammenhänge und Synergien im Medienkontext überprüft. Ein Schwerpunkt wird bei der Situation der Journalistinnen im deutschsprachigen Raum, vorwiegend aus Österreich, aber auch aus Deutschland, gesetzt. Deren Vertreterinnen sind in Zeiten einer galoppierenden Medienkrise in Redaktionen von einem Backlash im Sinne steigender Benachteiligung bedroht. Indizien finden sich etwa bei symbolträchtigen Jobrochaden. Im Jahr 2017 räumten zwei Chefredakteurinnen von Tageszeitungen, die jeweils als Pionierinnen amtierten, ihre Sessel. Die Chefredakteurinnen vom „Standard“ in Österreich und der deutschen „Bild“ wurden jeweils von jungen Männern abgelöst. In Österreich ist derzeit (2019) nur eine Frau Chefin eines relevanten Leitmediums und das erst seit Kurzem. Mit Martina Salomon wurde 2018 erstmals eine Frau Chefredakteurin des Traditionshauses „Kurier“. Einen weiteren zentralen Punkt der Analyse bildet der Themenkomplex „Mutterschaft in den Medien“. Während von den Titelbildern der High-End-Magazine erfolgreiche „Working Moms“, also werktätige Mütter aus Hollywood lächeln, sieht die Realität anders aus. Die soziologischen Theorien zur sogenannten „Motherhood Penalty“, auf Deutsch nur unzureichend mit „Mutterschafts-Bestrafung“ übersetzt, zeigen, dass Mütter die am stärksten systematisch diskriminierte Gruppe unter arbeitenden Frauen sind. Alleinerziehende haben von allen gesellschaftlichen Gruppen das höchste Armutsrisiko. Mit diesem Buch wird auch und gerade über die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere für Medienfrauen reflektiert. 24

Superheldinnen 5.0

Mutterschaftsforschung stellt eine kommunikationswissenschaftliche Forschungslücke dar und kommt auch in feministischen Forschungskontexten kaum vor. Sie wird im deutschen Sprachraum besonders vernachlässigt und verdrängt. Möglicherweise ist das dem missbräuchlichen Mutterkult der Nazizeit geschuldet. Das erklärt jedoch nicht das Phänomen, das im Kontext des akademischen Feminismus weltweit zu beobachten ist. Die kanadische Universitätsprofessorin Andrea O’Reilly, eine der wenigen Mütterforscherinnen weltweit, postulierte dringenden Nachholbedarf: „Mutterschaft ist die unerledigte Aufgabe des Feminismus.“ Zu Medien im Kontext von Gender und Diversität tut sich ein breites Feld für Fragen auf: Wie weit sind Medienfrauen von einer Gleichstellung im Berufsleben entfernt? Wer sind die Feinde der Emanzipation in den Medien? Wie gelingen Frauenkarrieren in den Medien starken Widerständen zum Trotz? Dieses Buch stützt sich auf Ergebnisse meiner Magistra-Arbeit an der Universität Wien. Forschungsfragen waren: Wie arbeiten Medienfrauen heute in der Praxis? Welche Strategien führen zum Erfolg, wo liegen Diskriminierungsfallen und wie lassen sich Kinder und Karriere vereinbaren? Welche Praktiken können von den Strategien von medialen Vorzeigefrauen und Filmprotagonistinnen als Paradigmen für die Mediengesellschaft abgeleitet und für die alltägliche Berufspraxis von Frauen übernommen werden? Diesen Fragen im Sinne eines auf Empowerment und Selbstermächtigung von Frauen in den Medien gerichteten Fokus bin ich am Beispiel von Frauen in der Praxis nachgegangen. Hinterfragt wird auch das Bild der Frau in den Medien: Wie werden Frauen in den Medien repräsentiert? Welche Diskrepanzen zeigen sich zwischen Mythos und Realität? Wie kann Authentizität hergestellt werden? Ebenso wird die Rolle von Prominenz und Exzellenz für die Frauen analysiert und deren Beitrag auf die Berufszufriedenheit sowie die Sinnstif-

Macht Erfolg Frauen glücklich?

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tung für ein „gelungenes Leben“ im Sinne einer Ars vivendi. Oder – einfacher gefragt: Macht Erfolg Frauen glücklich? Selbstverständlich war die Recherche auch durch mein persönliches Berufsleben als Journalistin motiviert. Dass frauenpolitisch relevante Themen, über die ich vor Jahren berichtet habe, heute erneut an Brisanz gewinnen, scheint mir ein alarmierender Befund – besonders, was eskalierende Gewaltphänomene gegen Frauen betrifft. Am anderen Ende meines beruflichen Erfahrungshorizonts liegen spannende Begegnungen mit heimischen und internationalen Stars aus Kunst und Kultur. In vielen Hunderten Gesprächen habe ich den Geheimnissen ihres Erfolgs nachgespürt. Ausgewählte Artikel, die daraus entstanden sind, werden in diesem Buch zitiert. Das Kernstück dieses Buches bilden jedoch die Interviews mit Medienstars und PraktikerInnen, die ich als „Best Practice“-Beispiele präsentiere. Mein Ziel ist es, positive Praxis von Medienfrauen anhand von Fallbeispielen darzustellen und auf ihre Mechanismen hin umfassend zu analysieren. Die Kurzbiografien meiner Gesprächspartnerinnen finden sich im hinteren Teil dieses Buches. Es sind dies: Laura Karasek und ihre Mutter, Dr. Armgard Seegers, Susanne Beyer, die erste Frau, die es zur stellvertretenden Chefredakteurin des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ brachte, Starmoderatorin und Integrationsbotschafterin Arabella Kiesbauer, Nana Siebert und ihre Zwillingsschwester Eva Schreiber-Urthaler, die österreichischen Star-Journalistinnen Conny Bischofberger und Corinna Milborn sowie die preisgekrönte Regisseurin Sabine Derflinger. Um auch die männliche Perspektive zu berücksichtigen, habe ich zwei Kollegen zum Interview gebeten: den prominenten Medienmanager Hans Mahr sowie Simon Hadler von ORF Online.

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Superheldinnen 5.0

2 Die Macht der Medien – wer regiert die Welt?

„Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht. Darum verblasst der Reichtum neben der Prominenz.“ (Georg Franck)

„Und heute spricht schon der Film die einzige gemeinsame Weltsprache“, postulierte der Filmtheorie-Papst Österreich-­ Ungarns, Bela Balazs, bereits 1924 die gewaltige Wirkmacht des neuen Mediums erahnend. In seinem Werk „Der sichtbare Mensch und die Kultur des Films“ betonte er den Einfluss, den der Film auf die Gesellschaft habe. Jahrzehnte vor Marshall McLuhan habe Balazs die Entwicklung einer neuen, visuellen Kultur vorausgesehen, konstatierte viel später der Filmtheoretiker James Monaco. (Monaco, 1980) „Get ist first, but get it right“,5 heißt wiederum jene Maxime, die seit hundert Jahren für das Nachrichtengeschäft gilt. Sie steht aktuell auf dem Prüfstand. Was ist Fakt, was ist Fiktion? Zu den sogenannten Nachrichtenwertfaktoren zählen jene Eigenschaften, die zentral für eine Nachricht sein müssen, damit sie in die Medien gelangen. Ein Faktor, der immer wichtiger wird, ist Personalisierung. Expertise und/oder Prominenz von bekannten Persönlichkeiten ist von großem „News-Value“. Doch längst ist der Begriff dehnbar, spätestens seit im Reality-TV oder in den Sozialen Medien jeder zu seinen Warhol’schen 15 Minuten Ruhm gelangen kann. Besondere Leistungen sind hierfür nicht mehr notwendig. Was zählt, ist allein die Präsenz in den Medien, je öfter, desto besser. Denn unser Gedächtnis spiele uns mitunter Streiche, wie WirtMacht Erfolg Frauen glücklich?

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schaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman in seinem Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ erklärt: Der Mensch strebe stets nach kognitiver Leichtigkeit. Was wenig kognitive Anstrengung erfordere, werde besser erinnert und auch eher geglaubt. Der Psychologe Larry Jacoby, der als erster die Gedächtnis-Illusion im Labor nachwies, nannte seine Studie „Über Nacht berühmt werden“. Den Probanden genügte es, einen für das Experiment wahllos erfundenen Namen bereits gehört zu haben, um diesen später irrigerweise als einem Prominenten zugehörig einzuordnen.

2.1

Die Intimität der Öffentlichkeit – Show, Skandal, Shitstorm

Luhmann schuf das signifikante konstruktivistische „Apodiktum“6 der Kommunikationswissenschaft: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (Luhmann 1996). Und wies damit auf das Paradigma einer neuen (Un-)Kultur einer zweifelhaften Sekundärerfahrung hin. Das bedeutet nach Neil Postman, dass Medien die gesamte Erlebniswelt des Menschen diktieren: Wissen, Erfahrung, sogar Fremd- und Selbstreflexion. Zum ersten Mal in der Mensch­ heitsgeschichte seien wir daran gewöhnt, nicht die Welt selbst, sondern nur Bilder von der Welt ernst zu nehmen (Postman, 1988: 2). Jürgen Habermas hat in seinem Werk „Strukturwandel in der Öffentlichkeit“ die Umkehrung des Verhältnisses von öffentlich zu privat festgehalten: Öffentlichkeit wird zur Sphäre der Veröffentlichung privater Lebensgeschichten, sei es, dass die zufälligen Schicksale des sogenannten kleinen Mannes oder die planmäßig aufgebauter Stars Publizität erlangen, sei es, 28

Die Macht der Medien – wer regiert die Welt?

dass die öffentlich relevanten Entwicklungen und Unterscheidungen ins private Kostüm gekleidet und durch Personalisierung bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. (Habermas, 2013 (1962)) In „Das Verschwinden der Kindheit“ wandte sich Postman 1982 gegen das „Medium der totalen Enthüllung“ auch des Trivialsten oder Intimsten als Erzeuger von Pseudoereignissen (Postman, 1989). Spätestens seit seinem Bestseller von 1985 „Wir amüsieren uns zu Tode“ wissen wir jedoch: Wir leben im „Zeitalter des Showbusiness“ (Postman, 1988) – ein Lamento zu einer Unkultur des „totalen Entertainments“, dessen Bilder uns in ein geistig-kulturelles Mittelalter zurück teleportieren. Problematisch sei nicht die Unterhaltung an sich, sondern, dass alles zur Unterhaltung wird, von der Kochshow bis zum Kriegsschauplatz. Dies alles deutet darauf hin, dass unsere Kultur begonnen hat, ihre Angelegenheiten, vor allem ihre wichtigen Angelegenheiten, auf eine neue Art und Weise zu regeln. Das Wesen ihres Diskurses verändert sich, wenn es mit jedem Tag schwieriger wird zu erkennen, wo das Schaugeschäft aufhört und etwas anderes anfängt. Unsere Priester und Präsidenten, unsere Chirurgen und Anwälte, unsere Pädagogen und Nachrichtensprecher brauchen sich nicht sonderlich zu mühen, um den Anforderungen ihrer Fachgebiete zu genügen, sie müssen vor allem den Anforderungen gewachsen sein, die an eine gute Show gestellt werden. Hätte Irving Berlin im Titel seines berühmten Songs nur ein Wörtchen verändert, so wäre er zwar knapper, aber ebenso prophetisch gewesen wie Aldous Huxley. Er hätte nur zu schreiben brauchen: There’s No Business BUT Show Business. (Postman, 1988: 122)

Die Intimität der Öffentlichkeit

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Doch können wir unseren Augen noch trauen, wenn sie nur noch in eine Bilderwelt blicken, die nach der Logik des „totalen Entertainments“ (Postman) und seiner Profiteure, der „Kulturindustrie“ funktioniert, in der Medien eine unheilige Allianz eingehen, und Rezipienten nur noch als Konsumenten funktionieren sollen? Horkheimer/Adorno haben diese schon 1944 in ihrem Jahrhundertwerk „Die Dialektik der Aufklärung“ als gigantischen „Massenbetrug“ entlarvt, als giftiges Opium fürs werktätige Volk, ja als Zerstörer der menschlichen Seele. (Adorno/Horkheimer, 2013) Die Vertreter der kritischen Theorie der Frankfurter Schule hatten wenig Freundliches über multimediales Medienpotential zu sagen: „Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit. Film, Radio, Magazine machen ein System aus. Jede Sparte ist einstimmig in sich und alle zusammen.“ Mit Folgen für das Meinungsklima in der Gesellschaft: „Ihr Sieg ist doppelt: was sie als Wahrheit draußen auslöscht, kann sie drinnen als Lüge beliebig reproduzieren.“ Ergebnis sei eine weltumspannende Supermacht des Grauens, eine globale „ökonomische Riesenmaschine“ mit nur einem einzigen Ziel und Zweck – der Profitmaximierung: „Die ganze Welt wird durch das Filter der Kulturindustrie geleitet.“ „Die neue elektrische Interdependenz verwandelt die Welt in ein globales Dorf.“ So lautet McLuhans Postulat einer Dystopie von 1968. Die Dorfgemeinschaft hat sich als Intrigantenstadel auf einem virtuellen Marktplatz der Eitelkeiten entpuppt. Postman beklagte die Schamlosigkeit und das Fehlen jeglicher Distanz in der Showgesellschaft, Habermas die Umkehrung von Öffentlichkeit zu Privatheit, McLuhan die Gefahr eines primitiven Alarmismus im globalen Dorf. Der Philosoph Byung-Chul Han schlägt eine Brücke zu diesen Diagnosen, die direkt in die Skandal- und Empörungsgesellschaft der Shitstorm-Society führe. Und über allem schwebt der Geist von McLuhans berühmtem Postulat von 1964: „Das Medium ist die Botschaft.“ In einer Kultur der Respektlosigkeit und Indis30

Die Macht der Medien – wer regiert die Welt?

kretion gedeihen Phänomene wie der Shitstorm. „Gerade da, wo der Respekt schwindet, entsteht der lärmende Shitstorm.“ Der sei wiederum vor allem ein genuines Phänomen digitaler Kommunikation mit allen bekannten Konsequenzen. (Vgl. Byung-Chul Han, 2013) Wir erleben fundamentale Transformationsprozesse, die in die „informierte Verwirrtheit“ des 21. Jahrhunderts münden, konstatiert Manuel Castells in seiner Trilogie über die „Netzwerkgesellschaft“: das globale Finanzsystem im Geschwindigkeitsrausch, die Arbeitszeit bis zum Anschlag flexibilisiert, Lebenszyklen verschwimmen, der Tod werde negiert. Allerdings gilt das stets in Abhängigkeit davon, wo wir uns gerade auf dem Globus befinden: in den reichen westlichen Ländern oder einem Schwellenland des ökonomischen Südens. Die Taktung des Alltags übernehmen Medieninszenierungen der neuen „Instant-Kriege“. (Castells 2003) Zu viel Information, zu wenig Zeit: Für Medienkonsum bleiben uns nur noch Mikromomente. Die Bilder der universellen Showkultur hätten uns veranlasst, in Luftschlösser, die wir uns seit jeher gebaut haben, einzuziehen, um dauerhaft darin zu wohnen, meint Postman. Man muss nicht erst auf eine US-Karriere verweisen, die vom Reality-Trash-TV an die Staatsspitze im Weißen Haus führte, um Postman & Co. als Propheten massenmedialen Unheils auszumachen.

2.2 Das globale Entertainment-Regime und die Frauen Verflechtungen von Politik und Entertainment lassen sich nicht nur entlang Donald Trumps Weg ins Weiße Haus ausmachen, sondern vielleicht noch besser am Beispiel der Obamas, des Ex-US-First-Couple. Schon seine Wahl zum Präsidenten hatte Barack Obamas Facebook-Strategie befeuert. Nun hat das Paar eine eigene Produktionsfirma namens „Higher Ground“ gegründet, in Kooperation mit Netflix. Über den Das globale Entertainment-Regime und die Frauen

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Streamingdienst will man Dokumentationen und Filme zu den Themen Gesundheitspolitik, Migration oder Wahlrecht senden. Michelle Obama sagt dazu: „Barack und ich haben immer an die Macht des Geschichtenerzählens geglaubt. Um uns zu inspirieren und unser Denken über die Welt zu verändern.“ (ORF on: 22.5.2018) Geschichten, die die Welt bewegen, werden immer öfter über die neuen Streaminganbieter frei Haus in unsere Wohnzimmer geliefert. Michelle Obama wurde schon zuvor als Anwärterin auf eine Präsidentschaftskandidatur gehandelt. Inwieweit Netflix daran Anteil haben sollte, wird die Zukunft zeigen. Fakt ist: Netflix ist mit weltweit 120 Millionen Abonnenten im ersten Quartal 2018 der größte Streamingdienst der Welt. Welche Narrative im „neuen virtuellen Hyperraum“ der Castell’schen Netzwerkgesellschaft massenmedial vermittelt und perpetuiert werden, bestimmt das Meinungsklima in der Gesellschaft maßgeblich mit. Narrative und Erzählungen beeinflussen auch, wie sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft manifestiert. Um Frauen Relevanz, Sichtbarkeit und Authentizität in Partizipation und Abbildung in den Medien zu verschaffen, müssen Narrative zumindest soweit dem Massengeschmack entsprechen, dass sie für die Medien als Produzenten einen gewissen Profit generieren. Dieses Potential muss zuvor aber von den – derzeit noch mehrheitlich männlichen – Executives in den Managementetagen der großen Häuser überhaupt erst wahrgenommen und akzeptiert werden. In Zeiten eines Verdrängungswettbewerbs mit neuen agileren Akteuren, der klassisches Medienmanagement in Frage stellt und gleichzeitig wenig Spielraum für Experimente lässt, wird das zur Herausforderung. Die Nachfrage ist, wie alte und neue Studien zeigen, da. Bis in alle Ewigkeit lässt sich am Publikum, das zu mehr als der Hälfte aus Rezipientinnen besteht, nicht vorbei produzieren. Auch die Macht der stärksten Bilder gelangt ir-

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Die Macht der Medien – wer regiert die Welt?

gendwann an eine Grenze, wenn die Kluft zwischen Fakt und Fiktion zum unüberwindbaren Abgrund wird. Hat sich die feministische Medienwissenschaft bisher zu wenig mit der politischen Ökonomie weltweit agierender Medienkonzerne und ihrem Einfluss auf die Frauen in den Medien auseinandergesetzt? Die österreichische Medienforscherin Johanna Dorer meint: Ja. Sie weist darauf hin, dass in einer globalisierten, digitalisierten Welt crossmediale Inhalte immer relevanter werden. Crossmedialität zeigt sich jedoch auch in der Inhaberschaft der Medien durch Großkonzerne. Die führte, wie sie meint, zu den entsprechenden Synergien: Magazine, TV-Sender, Zeitungen und Filmgeschäft in einem einzigen global agierenden Großkonzern konzentrieren den Einfluss auf die Inhalte an einer einzigen Stelle. Wie Dorer zu Recht konstatiert, beeinflusst dies auch das Frauenbild in den Medien des jeweiligen Konzerns ebenso wie die Anzahl und die Funktionen der dort werktätigen Frauen. Es drohe die Gefahr zahlreicher demokratiepolitisch bedenklicher Vorgänge: Von der Kontrollmöglichkeit über die Arbeitsplätze bis hin zur Durchsetzung entsprechender Interessen der Konzerne auf jedem einzelnen ihrer Kanäle. Kostensparende Synergien ließen sich auch in intransparenten Vorgängen in Werbung, PR und Merchandising nutzen. Neoliberale Entwicklungen hätten insbesondere seit der Krise 2008 die Konzentrationstendenzen im Mediensektor begünstigt. Die Medienkonglomerate haben direkte Auswirkungen auf die Medien. (Vgl. Dorer, 2017) Insgesamt wurden Stellen im Journalismus reduziert, die Medieninhalte wurden weniger divers und Frauen in Führungspositionen wurden ebenfalls weniger. Eine Studie von 2014 von Carolyn Byerly weist in den zehn größten Konzernen nur 17 Prozent Vorstandsmitglieder aus, einzig der Disney-Konzern konnte auf 40 Prozent verweisen. Auf Platz zwei im Ranking der größten Medienkonzerne, bei der US-News Corporation, sind nur sechs Prozent Frauen im Vorstand, bei Das globale Entertainment-Regime und die Frauen

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Time Warner 18 Prozent und beim deutschen, international agierenden Konzern Bertelsmann 24 Prozent. (Vgl. Byerly, 2014 nach Dorer)

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Die Macht der Medien – wer regiert die Welt?

3 Feministische Medienforschung „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.“ Simone de Beauvoir

In Ungarn sollen sie aus dem akademischen Bereich entfernt werden. An der Universität Wien sind die „Gender Studies“ erst seit 2006 als eigenes Studienfach etabliert. Am Publizistik-Institut hat die feministische Medienforschung als Teilgebiet der Kommunikationswissenschaft eine vergleichsweise lange Tradition. Sie wird aber seit 2018 deutlich neu und neutraler positioniert. Worum geht es? Nach ihrer Eigendefinition will die Gender-Medienforschung die Geschlechterverhältnisse in Kommunikationsprozessen aufzeigen und kritisch analysieren. Sie zeigt, wie die tradierte Ordnung mitkonstruiert und aufrechterhalten wird – innerhalb der Medien und außen, in der Gesellschaft. Diese Kritik ist kein Selbstzweck, sondern soll dazu dienen, konkrete Impulse zur nachhaltigen Veränderung in Medien, Gesellschaft und Wissenschaft zu liefern. Im deutschsprachigen Raum startete man mit der Frauen-Medienforschung in den 1970er Jahren und war dabei sehr stark mit der Frauenbewegung verbunden. Die frühe Frauenforschung belegte das verzerrte Bild der Frau in Medien und Werbung, zeigte Stereotype auf, und offenbarte, dass Frauen in den Medien in der Minderheit waren. In den 1980ern wiesen relevante Studien die Marginalisierung von Frauen im männlich dominierten Journalismus nach. Später richtete sich der Fokus stark auf die Sichtbarmachung besonderer Leistungen von Frauen: Die Entdeckung historischer Pionierinnen begann, die heute wieder ein Revival erfährt, denn weibliche Vorbilder vor den Vorhang zu holen,

Das globale Entertainment-Regime und die Frauen

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trägt nachweislich zum Empowerment jüngerer Generationen bei. Kimberlé Crenshaw prägte für den „black feminism“ einen Begriff, der zum zentralen Schlagwort in der Ungleichheits-Forschung wurde: die sogenannte „Intersektionalität“. Diese definiert Überschneidungen von Diskriminierungkategorien: Zu den Klassikern Herkunft, soziale Klasse und Geschlecht kamen später Faktoren wie Alter, körperliche Fähigkeiten oder sexuelle Identität. Als privilegierter „Prototyp“ des Menschen gilt in der vom Neoliberalismus geprägten Gesellschaft, wer nicht zu jung und nicht zu alt, „weiß“, reich und männlich ist. Wer umgekehrt zu jung, zu alt, arm, weiblich, nicht „weiß“ und womöglich noch anderweitig benachteiligt ist, hat deutlich schlechtere Chancen. Standpunkttheorien definieren die sozialpolitische Sicht der Frau als „von unten“, die aber wiederum, so sie bewusst eingenommen wird, als Kraftquelle zur Emanzipation eingesetzt werden kann. Neue Impulse kommen, wie oben beschrieben, immer öfter von der Gender-Forschung zu multimedialer Konzernökonomie. Aber der Reihe nach:

3.1

Drei Paradigmen: Gleichheit – Differenz – Dekonstruktion

Feminismus-Ikone Simone de Beauvoir stellt 1949 in ihrem Grundlagenwerk „Das andere Geschlecht“ fest: „On ne naît pas femme, on le devient.“ Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht. Das Männliche ist im Patriarchat die Norm. Frauen werden darin systematisch zum „anderen Geschlecht“ degradiert. Auch für den Journalismus haben Studien das bestätigt: Als Maß der Branche gilt der Mann. Die Frau wird als das „andere“, „Besondere“ oder – wenig charmant – das „Mindere“ immer jedoch als Gegensatz am Mann

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Feministische Medienforschung

gemessen, und somit stets in Abgrenzung zum Mann definiert. Daraus entwickelte sich der sogenannte „Gleichheitsansatz“. Am Beginn der Frauenforschung stand die Diskussion um Gleichheit oder Differenz der Frau. Diskursgrundlagen lieferten de Beauvoir oder Alice Schwarzers „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ von 1975. Untersucht wurde die Rolle der Frau als Opfer im Patriarchat. Diese Studien waren die nötige Grundlage, um das Verständnis von Frauenfragen in den Medien herauszubilden. Sie bestätigten für die Branche laut Elisabeth Klaus zwei zentrale Fakten: - Medienfrauen sind in der Minderheit und von vielen Diskriminierungen betroffen. - Medieninhalte spiegeln die Benachteiligung der Frauen in der Gesellschaft nicht nur, sie tragen zu ihrer Aufrechterhaltung bei, ja, verstärken sie sogar (Klaus, 2005), etwa, indem sie alte Rollenmodelle und Stereotype noch rigider darstellen, als sie in der Realität gelebt werden. Das sei, so Alice Schwarzer 1979 in der „Emma“: „doppelt gravierend“. Denn die Folgen beträfen „nicht nur die Frauen, die in diesen Medien handeln wollen, sondern auch die, die darin behandelt werden“. (Schwarzer nach Klaus, Ebd.) Von Gaye Tuchmann, also aus dem englischsprachigen Raum, kommt dazu die „Trivialisierungs-Hypothese“. Demnach werden Frauen in den Medien trivialisiert und „symbolisch annulliert“. Der Fokus dieser frühen Forschung liegt auf der Darstellung der Frau in den Medien und der Werbung. Eine Pionierleistung erbrachte die Küchenhoff-Studie von 1975 über das Frauenbild im Fernsehen. Studien über Frauenzeitschriften u.a. folgten. Bahnbrechend für deutsche Journalistinnenforschung war die Untersuchung von Irene Neverla und Gerda Kanzleiter 1984, die Marginalisierung von Frauen im männlichen System Journalismus nachweist, etwa mittels zentraler Machtmechanismen wie horizontaler und vertikaler Segmentierung. Beweise für ein Phänomen, das bis heute gültig ist: Je weiter es in der Hierarchie nach oben geht, desto weniger Drei Paradigmen:

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Frauen finden sich im Job. Dazu folgt mehr im Kapitel 5.5 über Segregation. Die US-Film- und Medienwissenschaftlerin Laura Mulvey postulierte 1986 ihre These vom „männlichen Blick“ im Hollywoodfilm: RezipientInnen müssten sich mit männlicher Perspektive und Kameraführung identifizieren. Spätestens ab den 1980er Jahren wurde Kritik am Gleichheitsansatz laut: Ungleiche würden fälschlicherweise gleich behandelt, Frauen als Defizitwesen gesehen, Orientierung an männlichen Normen geübt. Der „Differenzansatz“ wurde zum Trend. Ab da stand die Verschiedenartigkeit von Frauen und Männern bewusst im Mittelpunkt der Forschung. Das zentrale Postulat: Ungleichheiten der Geschlechter werden im hierarchischen System produziert. Gleichwertigkeit, nicht Gleichheit, wird das neue Ziel. Förderung könne nur geschlechterspezifisch wirken. Auch Unterschiede zwischen den Frauen werden jetzt betont, z.B. in Alter, Bildung oder Herkunft. Die Frage, ob es einen explizit „weiblichen Journalismus“ gibt, konnte die Forschung nicht eindeutig mit ja beantworten. Sehr wohl aber wurde angenommen, dass Frauen in Interviews andere Fragen stellen, da sie einen anderen Blickwinkel auf die Welt, auch durch ihren anderen Alltag haben. Probleme, die männliche Journalisten oder Politiker übersehen, werden dadurch überhaupt erst zu Medienthemen. Dass Frauen mehr für Sozialreportagen geeignet, teamfähiger oder besser im Zuhören oder Kommunizieren sind, konnte diese Forschung nicht belegen. Für Medienfrauen jedoch, die sich explizit der Frauenbewegung zugehörig fühlten, Emanzipation oder weibliche Lebensart als Themen wählten, konnten tatsächlich eigene Ausdrucksformen nachgewiesen werden. Ein Paradebeispiel ist Elfriede Jelinek in der Literatur. Es gab Forschungen, die bewiesen, dass es Frauen verstanden, selbst die als trivial und kitschig geltenden „Soap Operas“, zu Deutsch Seifenopern, einer widerständigen weiblichen Les38

Feministische Medienforschung

art zu unterziehen, sie sich damit entgegen der Intentionen der Macher zu eigen zu machen und als Expertinnen auch eine ganz eigene Kompetenz zu entwickeln, was das Wissen um Inhalte und Figuren der Soaps betraf. Die Rezeption der „Soap Operas“ zeigte einen subversiven Umgang der Frauen mit Medieninhalten. Sie identifizierten sich statt mit den vorgegebenen Protagonistinnen mit den Antagonistinnen oder interpretierten die Narrative „gegen den Strich“. (Klaus 2005) Es folgte die sogenannte „De/Kontruktivistische Wende“: Ab den 1990er Jahren wurde das Geschlecht als „historisches, soziales und kulturelles Konstrukt“ bezeichnet. Judith Butler war damals eine prominiente De/Konstruktivistin. Schon allein das Benennen zweier Geschlechter sei problematisch, so lautete eine ihrer Kernaussagen. (Dorer/Klaus 2008 u.a.) Dem voraus gegangen war die Kritik am sogenannten „Sex/Gender“-Modell. Lana Rakow formulierte 1986 so: „Gender is not something we think with, but something we do.“ Diese Forschung geht davon aus, dass Geschlecht nicht etwas ist, das wir „haben“, oder eine Kategorie ist, in der wir denken, sondern etwas, das wir „tun“: Beim sogenannten „Un/Doing Gender“ in den Medien geht es um ebendiese Konstruktion von Geschlecht in der Produktion und Reproduktion von Massenmedien. Zum Beispiel untersucht man hier Gendering-Prozesse bei der Programmplanung oder Genres mit ihren jeweiligen Auswirkungen. Medien werden von dieser Forschungsrichtung als „technologies of gender“ definiert. (De Laurentis nach Dorer/Klaus 2008)

3.2

Hegemoniale Männlichkeit und die Spielfelder der Macht

Geschlechterforschung ist auch Männlichkeitsforschung, eine eigene „Soziologie der Männlichkeit“ entstand. Die „Men’s studies“ dominierten die Mitte der 1980er Jahre, die sogeHegemoniale Männlichkeit und die Spielfelder der Macht

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nannte „hegemoniale Männlichkeit“ wurde ihr zentraler Begriff. Nach R. Connell – aus Robert wurde später Raewyn – leiden auch Männer am patriarchalen Unterdrückungssystem. Das Hegemoniemodell übernahm Connell von Antonio Gramsci. Die Hauptachse der Unterdrückung von Frauen durch Männer wird ergänzt durch Unterdrückungsmechanismen zwischen Männern: Zentrale Thesen der Männlichkeitsforschung, für Einsteiger kompakt und informativ zusammengefasst, finden sich bei Micheal Meuser (Meuser 2013). Das Machterhaltungregime fußt demnach auf folgenden zentralen Mechanismen: - Komplizenschaft – die Mehrheit der Männer profitiert vom System, wenn auch nur wenige an der Spitze der Pyramide stehen. - Ausgrenzung (z.B. Homosexueller) - Unterordnung, wie sie sich prototypisch bei Männerbünden zeigt. Die drei klassischen Bewältigungsstrategien von Männern im patriarchalen System sind: - Außenorientierung: sich mit Emotionen und dem eigenen Innenleben auseinanderzusetzen, ist tabu. - Aggression und Gewalt gegen Frauen, andere Männer und sich selbst wird als natürlicher Bestandteil von Männlichkeit gesehen. - Stummheit, Körperferne, Kontrolle sind ebenfalls typisch. Auch die Ikone der Soziologie Pierre Bourdieu hat zur männlichen Herrschaft geforscht, und den Begriff des sogenannten „männlichen Habitus“ geprägt. Der Habitus sei bei Frauen wie Männern gleichermaßen so fest verankert, dass er auch in modernen Gesellschaften Emanzipation verhindere. Frauen hätten die männlichen Hierarchiesysteme unbewusst derart internalisiert, dass sie aktiv zu deren Aufrechterhaltung beitrügen. Männer dagegen übernehmen typische Leitbilder z.B. als Ernährer auch oder gerade dann, wenn sie dieser Rolle nicht gerecht werden. Es seien demnach beide Geschlechter, 40

Feministische Medienforschung

die höchst aktiv dazu beitragen, dass die Geschlechterrollen ungleich verteilt werden und bleiben. Dieser Habitus werde wie in einem großen „Spiel“ als Wettbewerb ausgetragen. Der findet allerdings nur unter Männern statt. Die stünden einander in einer Doppelrolle als „Partner-Gegner“ gegenüber. Die Gegnerschaft manifestiert sich im Trennenden, in den Hierarchien, die Partnerschaft in gelebter Solidarität. Männlichkeit sei Ausdruck eines Narzissmus, der sich selbst in Relation zu anderen setzt, „der vor und für die anderen Männer konstruiert ist, gegen die Weiblichkeit, aus einer Art Angst vor dem Weiblichen“. Diese Rolle werde vielfältig gelebt: als „Beschützer, als Ernährer, aber auch über Gewalt gegen Frauen“. (Bourdieu nach Meuser, 2013) Auf den großen Spielfeldern der Macht bleiben Männer unter sich. Informelle Seilschaften in Clubs, Verbindungen oder bei Freimaurern werden zu Schaltstellen dieser Macht. Frauen sind in den zentralen männlichen Aktionsräumen nicht zugelassen oder marginalisiert. Sie erfüllen die Rolle als „Zuschauerinnen“ im Sinne von Virginia Woolfs „schmeichelnden Spiegeln“, die „dem Mann das vergrößerte Bild seiner selbst zurückwerfen, an das er sich angleichen soll und will“. (Ebd.) Als Beispiele gelten die typischen Felder der Ökonomie, Politik, Wissenschaft, Klerus, Militär. Und wie steht es um die Medien? An dieser Stelle möchte ich eine Medienfrau vorstellen, die das Konzept einer weiblichen Komplizenschaft für sich entdeckt hat. Solidarität ist sexy – über die Konspiration der Komplizinnen Laura Karasek – Autorin, Anwältin, Medien-Multitalent

Sie ist der designierte Shooting-Star der deutschen Medienszene, 2019 ihr Jahr der Sternstunden: Laura Karasek. Nach Hegemoniale Männlichkeit und die Spielfelder der Macht

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ihrem neuen Sachbuch, einer Sammlung ihrer besten Kolumnen im „Stern“, erscheint 2019 ihr zweiter Roman. Ihr Erstling „Verspielte Jahre“ war ein Bestseller und führte die Autorin als Gast quer durch die deutsche Talkshow-Szene. Eins war schnell klar: Diese Frau hat etwas zu sagen. Und: Sie gehört ins Fernsehen wie Merkel ins Kanzleramt. Karasek will 2019 mit ihrer ersten eigenen Talkshow die TV-Welt aufmischen. Im Sommer 2019 übernimmt sie mit ihrer Show „Zart am Limit“ auf ZDF Neo den Sendeplatz von Jan Böhmermann. Auf VOX gibt sie die Gastgeberin für die neue Doku-Serie „Sieben Töchter“, die Promi-Sprösslinge ins Scheinwerferlicht rückt. Wie macht das die Frau mit dem berühmten Familien­ namen eigentlich? Die Mutter dreijähriger Zwillinge hatte ursprünglich Jura studiert. Sechs Jahre war die heute 37-Jährige erfolgreich als Anwältin tätig. Dass sie diesen Beruf als ­Brotberuf gelernt hat, hat viel mit ihrem prominenten Vater zu tun: Hellmuth Karasek, einst Kulturkritik-Instanz, neben Marcel Reich-Ranicki im legendären „Literarischen Quartett“ zu TV-Prominenz gelangt, Starjournalist beim „Spiegel“ und Buchautor. Dem sei viel daran gelegen gewesen, dass die Tochter „etwas Gescheites“ lernt, zur Sicherheit. Um sich ihren Kreativ-Projekten ganz zuwenden zu können, nahm sich die vielfach begabte Tochter eine Auszeit als Anwältin. Dass sie sich nun doch für ihren eigentlichen Traumberuf in den Medien entschieden hat, hat gleichfalls mit dem Vater zu tun. Denn, wie so oft im Leben, liegen auch hier Freud und Leid nur allzu nah beieinander. Just als die Zwillinge zur Welt kamen, ist Laura Karaseks geliebter Vater gestorben. Und für die Tochter hieß seitdem: jetzt oder nie! Heute hat sie das Gefühl, keine Zeit mehr verlieren zu dürfen. Die Uhr tickt bei ihr – nur eben etwas anders. Karasek „wollte eigentlich immer in die Medien“, etwa als Anwältin für Medienrecht. Es kam anders: „In der Kanzleiwelt muss man doch etwas konventioneller und angepasster sein, als ich es von meinem Wesen her bin. 42

Feministische Medienforschung

Die Wilde, die Unangepasste in mir hat sich gedacht, ich muss jetzt in die Medienwelt. Ich bin 36, das kam auch durch den Tod meines Vaters, dass dieses Gefühl plötzlich da war: Mach alle Dinge, die du tun willst jetzt! Warte nicht so lange damit – und dann war der Zeitpunkt gekommen. Ich hatte das Thema Kinder erledigt, ich war Mama. Ich habe die Kanzlei für mich erledigt. Ich war da sechs Jahre und ich hatte wirklich Sehnsucht und Bock, mal was anderes zu machen. Man will ja immer was Neues und sucht ja dann auch immer so einen neuen Reiz oder neues Adrenalin. Ich hatte das Gefühl, ich habe alles schon gesehen und erlebt, was ich zu erleben vorhatte. Der Drang war noch da: Ich möchte was veröffentlichen! Ich habe etwas zu erzählen, ich habe – vielleicht, hoffentlich – etwas zu sagen, ich möchte reden, ich möchte Interviews führen, ich möchte mich mehr mit Geistigem und Kunst beschäftigen als mit Wirtschaftsrecht.“

Die Botschaft, die sie anderen Frauen vermitteln möchte, ist eine des Muts zur Selbstermächtigung: andere Frauen mit anderen Lebenskonzepten nicht zu verurteilen, sondern als Vorbilder zu sehen, und als Komplizinnen zu entdecken. „Ich merke, dass es für Frauen immer noch ganz schön viel Bewertung und Verurteilung gibt. Von Seiten der Männer, aber leider auch zum Teil von anderen Frauen. Ich möchte Frauen gerne vermitteln: Habt keine Angst, anders zu sein! Habt keine Angst, einen anderen Weg zu gehen, vergleicht euch nicht. Ich finde, wir müssen auch noch mehr Komplizinnen sein. Nicht Konkurrentinnen, die immer denken: Ah, die macht es anders als ich, also macht sie es falsch oder ich muss meine eigene Position neu definieren. Sondern dass man bewusst sagt: Ich fördere Frauen und ich lasse mich von Frauen fördern. Ich habe weibliche Vorbilder und das sind meine Komplizinnen, wir helfen uns gegenseitig. Weil

Hegemoniale Männlichkeit und die Spielfelder der Macht

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die Männer es im Zweifelsfall nicht tun werden. Die werden uns doch irgendwo aufhalten.“

Besonders als Mutter sei man mit zu vielen Vorurteilen konfrontiert. Ihre Empfehlung, da man es ohnehin niemals richtig machen könne: mehr Gelassenheit! „Wenn du als Mutter arbeitest, machst du auf jeden Fall das Falsche. Wenn du zu viel arbeitest, vernachlässigst du deine Kinder. Und wenn du nicht arbeitest, bist du wieder ein Heimchen und eine Mutti und keiner nimmt dich ernst. Und wenn du als Mutter noch ausgehst, oder auch gerne mal ein Glas Wein trinkst, bist du total die Schlampe und die Vergnügungssüchtige. Also, du hast auch keinen Weg, es richtig zu machen, und ich möchte einfach, dass dieser Mut da ist, auch ein bisschen drauf zu scheißen. Zu sagen: Ich mache das, wie ich es will und das ist cool, und ich mache es nicht so, wie vielleicht andere oder ich selber es von mir erwarten.“

Die Maxime soll sich auch in ihrer eigenen Talkshow „Zart am Limit“ widerspiegeln. Die erste Staffel für 2019 ist fix. Ihre Show sieht Laura Karasek als Kontrastprogramm zum Herkömmlichen: „Erstens mal finde ich es gut, dass es eine Talkshow wird. Ich mag die Formate wie Böhmermann, Klaas Heufer-Umlauf, auch Markus Lanz total, aber es sind halt sehr, sehr viele Männer, die Talkshows machen. Die Frauen sind auch vertreten, aber eher bei den politischen Talkshows, wie Anne Will, z.B. Ina Müller ist großartig! Ich möchte eine Talkshow machen, die viele Frauen anspricht. Die auch Kontraste verbindet: Man kann Kafka mögen und trotzdem Miniröcke tragen. Es wird eine Kombination aus Opernball meets Arschgeweih. Warum muss ich als Intellektuelle einem bestimmten Bild entsprechen? Ich finde das immer so erschreckend, wenn Leute sagen: Du siehst aber nicht aus 44

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wie eine Anwältin. Ich frage mich: Wie hat man als Anwältin denn auszusehen? Diese ganzen Vorurteile gegen Frauen werden bei mir hinterfragt. Der Titel für uns alle sollte lauten: Don’t judge a book by it’s cover. Wir sollten davon weggehen, dass man etwas sieht und in eine Schublade steckt. In meiner Show wird es auch um Frauenthemen gehen, wobei ich den Begriff auch doof finde. Ich werde weibliche Gäste haben und die werden sagen dürfen, was sie wollen bei mir. Und trinken dürfen sie auch!“

Dieser Beurteilungswahn gehört zu den Nachteilen, die sich in einem Medienberuf – gerade für Frauen – ergeben. Der wird, ebenso wie die Popularität, via Bildschirm potenziert. Auch die Sozialen Medien tragen nicht unwesentlich zum Phänomen bei. Der Umgang mit Hass-Postings im Internet gehört zu den großen Herausforderungen. Frauen sind dabei sehr oft sexualisierter verbaler Gewalt ausgesetzt.
 „Es ist gerade heutzutage mit den Sozialen Medien sehr problematisch. Das Internet macht es allen sehr, sehr schwer, weil du keine Unterscheidung mehr hast zwischen Menschen, die den Beruf gelernt haben und eine Ausbildung haben, und Menschen, die einfach wahllos irgendeinen Scheiß posten. Und der Hass, der im Netz herrscht, ist erschreckend. Jeder fühlt sich befugt, zu kommentieren. Es gibt viele Frauen, die über Angriffe berichten, – und das habe ich auch schon erlebt nach einem Fernsehauftritt, dass mir Männer über Facebook geschrieben haben: ‚Du gehörst nicht ins Fernsehen, du gehörst auf den Strich, Du Nutte.‘ Es gibt da sicher auch viel Frauenfeindlichkeit: Wenn man schlecht aussieht, ist man untervögelt, und wenn man gut aussieht, ist man eine Schlampe. Es ist als Frau schwierig, in der Öffentlichkeit zu stehen. Es wird immer auch das Äußere kommentiert. Du gibst immer ein Gesamtbild ab, du bist nicht nur Moderatorin oder Journalistin. Nicht deine Funktion wird beurteilt, sondern es erfolgt immer auch eine Hegemoniale Männlichkeit und die Spielfelder der Macht

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Bewertung über dich als Frau und vielleicht auch noch als Mutter und als Mensch.“

Diesem Manko zum Trotz ist der Medienberuf für Frauen attraktiv, weil er die Möglichkeit bietet, am demokratischen Diskurs teilzunehmen. Außerdem bietet er neue Räume der Öffentlichkeit für Frauen, um mit einem großen Publikum in Dialog zu treten und ebenfalls eine Plattform, Stellung zu beziehen, sich zur Wehr zu setzen. „Die Vorteile sind, dass man eine Plattform hat, dass man ein Medium ist oder zum Medium wird. Dass man Menschen berühren kann und bewegen kann und denen etwas mitgeben kann. Dass man etwas mitzuteilen hat und das auch öffentlich sagen kann, und dadurch macht man vielleicht die eine oder andere Sache besser in der Welt – sei es politisch, sei es kulturell. Man kann sagen: Ich habe ein tolles Buch gelesen, das ist meine Empfehlung. Dass man Einfluss nehmen kann auf Menschen im positivsten Sinne – das finde ich das Spannende daran. Und dass man die Möglichkeit hat, sich zu wehren und eine Reichweite hat, um Menschen zu erreichen und denen das mitzugeben.“

Da könne man schon mal dem Papst Paroli bieten, wenn der sich gegen Abtreibung äußere, oder sich an der #MeToo-Debatte beteiligen. Sie selbst finde Inspiration bei anderen Medienfrauen: „Man hat in den Medien die Möglichkeit, dass mehr Leute einem zuhören. Ich folge auch tollen Freunden, die in den Medien sind. Das inspiriert mich auch und da muss man sich gegenseitig befruchten und sagen: ‚Wow, der musst du folgen‘, oder ‚Das musst du lesen, das ist ganz fantastisch.‘ Das finde ich unheimlich schön, wenn ich in eine solche Frauenreihe gehören würde und es bedeutet mir unglaublich viel, wenn mir Frauen nach einer Kolumne schreiben: ‚Du sprichst mir aus der Seele und danke für diesen tollen Text 46

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und endlich sagt es mal eine.‘ Das ist unglaublich krass schön.“

Sieht sie die #MeToo-Debatte als Zäsur, als Wendepunkt? Verleiht sie dem in Vergessenheit geratenen Begriff der Solidarität eine neue Relevanz? Hier zeigt sich schließlich, dass moderne Frauen etwas gemeinsam bewegen können. Und wie geht Laura Karasek selbst mit sexueller Belästigung um? „Also, ich habe sexuelle Belästigung schon erlebt in verschiedenen Abstufungen. Manches hat mich geängstigt, bei anderen habe ich gesagt, gut, das ist halt so. Wenn du beim Karneval angegrapscht wirst, ist das ja fast schon normal. Ich finde, es gibt inzwischen eine größere Komplizenschaft oder Solidarität, wie du es nennst. Ich nenne es immer Komplizenschaft. Also dieses Verbündete, dass man sich nicht als Konkurrent sieht, dass man nicht sagt okay, die macht es anders als ich, ich bewerte das, ich empfinde mein System, zu arbeiten oder mich zu kleiden, davon in Frage gestellt: Teilzeit, Vollzeit, Homeoffice, gar nicht, es gibt ja so viele Varianten inzwischen und zu sagen, ich mache es so, wie ich es möchte, ohne eine Bewertung abzugeben, wie andere Frauen arbeiten und leben. Ich habe in einer Männerwelt gearbeitet, ich liebe auch Männer, das muss man auch sagen. Ich habe drei Brüder, ich habe einen tollen Vater gehabt, also es gibt wunderbare Männer. Ich liebe den Austausch mit ihnen, aber es ist sicherlich so, dass dieses #MeToo etwas bewegt hat. Das merke ich gerade in politischen Debatten und in gesellschaftlichen Debatten, dass Frauen gerade auf Twitter wahnsinnig zusammenhalten, wenn da etwas geschieht, das nicht okay ist. Denken wir an den Papst und die Positionen zur Abtreibung. Denken wir an eine SPD-Politikerin, die eine Rolex trägt und dafür im Netz komplett fertig gemacht wird. Was einem Mann, wenn er Rolex trägt, nicht widerHegemoniale Männlichkeit und die Spielfelder der Macht

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fahren würde. Ein männlicher Politiker muss sich nicht dauernd Statements über sein Äußeres anhören. Frauen kassieren viel schneller einen Shitstorm. Also, da gibt es wahnsinnig viele und immer noch Situationen, bei denen man den betroffenen Frauen zur Seite springen möchte.“

Ihr Bewusstsein für Feminismus ist allerdings nicht vom Himmel gefallen. Das ist vielmehr ihrer Mutter zu verdanken, einem Vorbild, wie die Tochter sagt: „Je älter ich werde, desto feministischer werde ich auch. Meine Mutter war das schon immer, die war ein Vorbild für mich, hat auch immer Frauen gefördert und immer gearbeitet. Ich habe das früher gar nicht verstanden: Frauen und Männer? Na und? Aber je älter man wird, desto mehr spürt man es dann doch auch selber. Dass es so kleine Sprüche gibt, wenn man gerade mal im Büro lauter wird, dann hat man seine Tage oder, wenn man dominant ist, ist man ein Mannsweib oder eine Zicke. Das sind so kleine MobbingUND Unterdrückungsmaschinerien, die Männer – manche Männer wohlgemerkt, nicht alle –gerne anwenden.“

Welche Qualitäten braucht man für eine Bildschirmkarriere im Unterschied zum Print-Journalismus. Gibt es das gewisse Etwas? „Also ich glaube, um als schreibende Journalistin oder Autorin tätig zu sein, ist es ganz wichtig, dass man eine Liebesbeziehung zur Sprache hat. Dass man es einfach richtig geil findet, wenn man auch nur eine gut formulierte WhatsApp bekommt. Dass man total darauf abgeht, sich auszudrücken. Und natürlich ist es auch eine gewisse Form von Narzissmus. Dass man denkt, meine eigenen Gedanken sind mitteilungswürdig. Es ist aber genauso eine Form des Auslebens von Abgründigkeit und Komplexen. Dass man offen sagt, wenn die Gedanken so schwer sein können. Zu sagen, ich traue mich, auch meine Nacktheit zu zeigen, meine Psy48

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che offenzulegen und meine menschlichen Seiten zu beschreiben, die hässlich sind. Man braucht dafür beides. Ich glaube, für das Fernsehen ist es ähnlich. Man muss sich selber auch richtig geil finden. Sich zu sagen: Ich bin lustig und schlagfertig und ich habe mega Spaß daran und bin authentisch. Ich versuche nicht, etwas darzustellen, zu inszenieren oder affektiert zu sein, sondern ich rede halt so, wie ich lebe. Auf der anderen Seite muss man auch genug Schwächen haben, mit denen man kokettieren kann. Mit denen man spielerisch sagen kann: Hey, ich bin eine wie ihr! Eine wie du und ich. Ich hab meine Marke. Dieses Glatte im Fernsehen ist total langweilig, man möchte ja echte Menschen sehen, die auch ihre Kämpfe führen, die auch mal stolpern, scheitern. Man will sehen, wie sie damit umgehen. Und ich glaube, wenn man diese Mischung hat und wenn man darüber sprechen kann, auf eine echte Art und Weise, auf eine unterhaltsame, kurzweilige Art und Weise, dann sollte man ins Fernsehen gehen.“

Manchmal haben Superheldinnen auch Schwächen. Karasek leidet an Diabetes und geht damit auch offen um. Die Krankheit begreift sie als Chance, nicht als Handicap: „Ich glaube, was auch immer ein riesiger Glücksfaktor ist, ein Katapult fürs Glück, sind die Kinder und für die reißt man sich auch zusammen und die sind eine Bremse, dass man nicht völlig ausrastet, weil ich ein sehr exzessiver Mensch bin. Ich habe seit ich 13 bin Diabetes und ich glaube, die Krankheit war ganz gut für mich. Weil ich mir gesagt habe, ich trotze dem und ich lasse mir von meinem Körper nichts sagen. Darum reagiere ich aggressiv, wenn Leute einen Schnupfen haben und dann so rumschwächeln, weil ich immer denke: Nein, du musst halt so auch an deine Grenzen gehen und du musst das auch besiegen. Natürlich soll man lieb und gut zu seinem Körper sein, aber man sollte auch Hegemoniale Männlichkeit und die Spielfelder der Macht

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nicht zu bequem werden. Trotz Krankheit so zu leben, höher, schneller, weiter als es manchmal gut für mich wäre. Weil das eine Trotzreaktion ist. Ich sehe die Krankheit nicht als Handicap und ich möchte mich davon nicht beeinträchtigen oder aufhalten lassen.“

Wie fügen sich die Kinder in die Karriere und umgekehrt? „Es ist unheimlich schwer, weil man immer Schuldgefühle hat. Den Kindern gegenüber, wenn man weg ist, und dem Arbeitgeber gegenüber, weil man bei den Kindern ist. Nicht, weil man müsste, sondern, weil man auch Sehnsucht nach den Kindern hat und denkt: Ich will ja auch früher gehen! Und das kollidiert total mit dem Leben, wie man vorher gelebt hat. Als Arbeitnehmerin hat man immer hundert Prozent gegeben, ja, ich trete jede Geschäftsreise an, bleibe bis nachts um drei im Büro, dass man auf einmal ‚etwas Besseres‘ zu tun hat: einen Sinn, einen Grund hat, nach Hause zu gehen. Und der eben nicht darin besteht, wie es einem oft ausgelegt wird, dass man fauler oder bequemer ist als andere, sondern einfach, weil man Bock hat, seine Kinder zu sehen. Das find ich so ein Zwiespalt, ‚Ach, die macht Teilzeit‘, da ist immer so eine Wertung mit drin. Wie, so, naja, die hat es sich halt leicht gemacht, bequem, die will halt nicht so Gas geben. Doch, will ich schon, diese Annahme ist fatal und ist wirklich ein Dilemma für Frauen, weil die Natur das so eingerichtet hat und es da keinen Weg hinaus gibt und wenn man schwanger ist, so dass man es schon sieht, dann sehen es eben auch die Männer beim Meeting, ‚Oh Gott, jetzt kriegt sie noch ein zweites oder drittes Kind‘, das ist für den Arbeitgeber schwer und natürlich sieht man die Männer an sich vorbeiziehen und denkt sich ‚What the fuck ...‘“.

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Wieso eigentlich empfinden wir Frauen es als normal, wenn man an uns vorbeizieht bei der Karriere? Es ist eben alles eine Frage des flexiblen gedanklichen Framings: „Aber ich will nicht jammern, ich habe das Beste beider Welten, ich habe die Welt als Mama und die Welt als arbeitende Frau und das ist ein wahnsinnig schöner Kontrast, den ich selber sehr genieße. Zu Hause erlebe ich das Liebevolle und Schöne. Aber du kriegst Zuhause kein Feedback, du kriegt ganz viel Liebe, aber du brauchst auch die Erwachsenenwelt, um deinem intellektuellen Anspruch gerecht zu werden, wo man fragen kann: ‚Hier war das Produkt scheiße, wie ist mein Artikel gewesen oder wie ist mein Schriftsatz vor Gericht angekommen?‘. Ich glaube, das ist eine ganz schöne Kombination, die aber sicherlich auch nur machbar ist, wenn man sich Hilfe holt.“

Im Fall von Laura Karasek ist das eine Kinderfrau, die ein Angestelltengehalt bezieht. Karasek versucht stets, rechtzeitig heimzukommen, um die Kinder noch ins Bett zu bringen, gemeinsam Abendessen zu können. Ist sie auf einer Geschäftsreise länger unterwegs, hat sie vorgesorgt. Die nervigste Standardfrage kennt jede anspruchsvoll berufstätige Frau mit Kind: „Ich finde ja die Frage an Frauen, die man bei Geschäftsreisen zu hören bekommt, – ‚Und wer ist denn jetzt mit deinen Kindern?‘ – absurd. Ich denke dann: Es gibt auch noch einen Kindsvater, Leute! Es ist ja nicht so, als wäre man alleine. Ein Mann wird auf Geschäftsreise nie gefragt, wer dann auf die Kinder aufpasst. Als könne man nicht nach Berlin oder London fliegen auf eine Konferenz, ohne dass daheim die Welt untergeht. Das wird bei einem Mann nicht gefragt, das finde ich erstaunlich. Mein Mann kümmert sich auch ganz toll um die Kinder. Er arbeitet zwar Vollzeit, aber er versucht auch immer, abends früh nach Hause zu kommen. Und wenn ich ein bisschen früher raus muss als er, kümmert er sich morgens um die Kinder. Also du brauchst schon ein gutes NetzHegemoniale Männlichkeit und die Spielfelder der Macht

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werk an Mann, Kinderfrau, Mutter, Schwiegermutter, Tagesmutter. Jemand, der dir hilft. Sonst wäre es ein Ding der Unmöglichkeit.“

Das Fazit einer in den Medien arbeitenden Mutter: „Es ist hart und natürlich denk ich mir manchmal, warum tue ich mir das an? Wenn ich total aufgeregt bin und mir mulmig ist vor einem Auftritt! Oder du bist auf einer Reise und steckst fest, weil du zu einem Dreh musst und dann sitzt du da ewig, denkst du dir so: ‚Ich bin aufgeregt, ich bin nervös, Warum bleib ich nicht einfach zuhause?‘ Wenn man immer sagt: ‚Ist alles zu anstrengend‘, was bleibt dann? Das Leben ist halt anstrengend! Ohne Anstrengung ist das Leben ja reizlos. Und eine Anstrengung erfährt ja auch oft eine Belohnung.“

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Die neuen starken Medienfrauen

„Write with your eyes like painters, with your ears like musicians, with your feet like dancers. You are the Truthsayer with quill and torch. Write with your tongues of fire. Find the muse within you. The voice that lies buried under you, dig it up. Do not fake it, try to sell it for a handclap or your name in print.“ (Gloria Anzaldua)

4.1

Er ist wieder da – Gender-Diskurs als Causa prima

Margaret Mead zählt zu den VorreiterInnen der sexuellen Revolution. Ihre Forschungsergebnisse aus Neuguinea postulierten 1931 erstmals, dass Geschlechterrollen kulturell erlernt, und nicht, wie bis dahin angenommen, biologisch vorgegeben seien. Von der berühmten wie umstrittenen Anthropologin sind zahlreiche Zitate überliefert. Eines davon lautet: „Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann – tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde.“ Mitunter genügt sogar eine engagierte Frau. Ein Jahr lang stand die Aktivistin Maria Stern jeden Mittwoch vor dem Parlament in Wien, mutterseelenallein und nur mit einem Schild bewaffnet – eine fleischgewordene moderne Suffragette. Sie wollte damit auf ein in Europa einzigartiges Unterhaltsgesetz aufmerksam machen: Es hatte die Mutter dreier Kinder einst beinahe um ihre Existenz gebracht und ist bis heute mit ein Grund für Armutsgefährdung von Familien in Österreich. Am 8.  März 2017 stand Maria Stern wieder vor dem Parlament. Er ist wieder da – Gender-Diskurs als Causa prima

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Doch diesmal nicht allein: Die im Brotberuf als Lehrerin sowie als Sängerin und Autorin Aktive hatte anlässlich des Internationalen Frauentags via Social Media zum „Streik der Alleinerziehenden“ aufgerufen. Eine Causa, der die Autorin dieses Buches auf der Online-Plattform des ORF eine Story widmete, die Folgen hatte. Für Maria Stern wurde ihre Protestaktion vor dem Parlament zum Karrieresprungbrett ins Hohe Haus: Sie wechselte in die Parteipolitik. Heute steht Maria Stern als Chefin an der Spitze der Oppositionspartei „Jetzt“. Der Beitrag (Sarwat, 7.3.2017) hatte auch für mich selbst Folgen. Er rief bei Erscheinen ein enormes Echo hervor und wurde mit dem Journalistenpreis „von Unten“ für „respektvolle Armutsberichterstattung“ ausgezeichnet (Hauptpreis in der Kategorie Online). Die Jury würdigte u.a. den Anteil am Themen-Setting der Autorin. Politisch kam es zum Wendepunkt: Die aktuelle Regierung hat die dringend notwendige Reform in ihrem Regierungsprogramm festgeschrieben. Kurz vor Weihnachten durfte ich mich gleich über einen doppelten Preissegen freuen. Eine ebenfalls recht breit diskutierte Story wurde im Dezember 2017 mit dem „Journalistenpreis für ­Integration“ des österreichischen Außenministeriums und des österreichischen Integrationsfonds bedacht. (Vgl. ORF.at: 14.12.2017) Die Jury begründete den Preis u.a. damit, dass die Autorin neue Perspektiven eröffne: Das Thema über die regen Aktivitäten von Feministinnen in mehrheitlich muslimischen Gesellschaften sei ein hierzulande weitgehend unbekanntes. Für mich war es umso erfreulicher, als 2017 eine Rekordzahl an Einreichungen für den Preis verzeichnet wurde. (VÖZ, 2018) Dass frauenpolitisch relevante Themen in jenem Jahr vielleicht eher als zuvor als preiswürdig erachtet wurden, korreliert­mit den Ergebnissen einer Studie von MediaAffairs: ­Selten fanden frauenpolitische Themen in der jüngeren Vergangenheit Österreich eine höhere Aufmerksamkeit als 2017. In der Untersuchung stellt Maria Pernegger für Österreich fest: „Al54

Die neuen starken Medienfrauen

lein 2017 erreichten frauenpolitische Inhalte auf bundespolitischer Ebene so viel Aufmerksamkeit wie in den gesamten drei Jahren zuvor zusammen.“ (Pernegger, 2018: 6) Im medialen Diskurs geradezu explosionsartig vermehrten sich im Vergleich zu den letzten Jahren folgende Themen: „Frauenanteil in der Politik“, „Alleinerzieherinnen“, „Frauen am Arbeitsmarkt“ und „Lohngerechtigkeit“. Die ORF-Sendung „Zeit im Bild“ (ZIB) mit im Schnitt einer Million SeherInnen und die ZIB 2 (ca. 500.000 SeherInnen) werden zu den reichweitenstärksten Informationsformaten gezählt. Und sie waren dennoch laut Pernegger „kein gutes Pflaster“ für frauenpolitische Themen. Im Jahr 2017 ist alles anders: Im Vergleich zu 2016 sind diese Frauenthemen von fünf Minuten Sendezeit auf 25 Minuten hinaufgeschnellt. Dies sei allerdings aufs Jahr gerechnet immer noch wenig. Bei den Tageszeitungen hat „Österreich“ 2017 den bisherigen Rekordhalter „Der Standard“ mit frauenpolitischer Berichterstattung überholt. Mit den Boulevardmedien gelangt das Thema in die Breite und in die Mitte der Gesellschaft. (Vgl. ebd.) Das manifestiert sich immer öfter auch in der Implementierung frauenpolitischer Forderungen. Am 28.  Juni 2017 wurde das „Gleichstellungsgesetz von Männern und Frauen im Aufsichtsrat“, das GFMA-Gesetz beschlossen. (AK, 2018) Dass im selben Jahr, exakt 20 Jahre nach dem ersten Frauenvolksbegehren, mit dem „Frauenvolksbegehren 2.0“ eine Wiederholung auf den Weg gebracht und viel diskutiert wurde, entspricht dem Zeitgeist. Wie sich einige der vielfältigen neuen Perspektiven in Zukunft manifestieren, wird mit Spannung erwartet: „Der Frauenanteil steigt mit der Regierung Kurz auf 37,5 Prozent an. Deshalb wird spannend, ob und wie sich der erhöhte Frauenanteil in der neuen Regierung auf Präsenz und Sichtbarkeit der Politikerinnen in den Medien im Jahr 2018 auswirken wird“, so Studienautorin Pernegger.

Er ist wieder da – Gender-Diskurs als Causa prima

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4.2

Ein Hashtag geht um die Welt

Das Phänomen lässt sich global beobachten: In Europas hohem Norden, in Island, wurde am Frauentag 2017 das erste Gesetz der Welt beschlossen, das ungleiche Löhne für Frauen und Männer per Gesetz verbietet und Verstöße streng sanktioniert. (Handelsblatt, 2018) Das weltweit einzigartige Gesetz gegen den Gender Pay Gap sieht strenge Geldstrafen gegen alle Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeitern vor, die sich nicht daran halten. Tradition verpflichtet: 20 der letzten 50 Jahre wurde Island von einer Frau regiert. Die aktuelle Premierministerin ist die erst 42 Jahre junge Katrin Jakobsdottir, Vorsitzende der Links-Grünen-Bewegung. Mit Inkrafttreten des Gesetzes 2018 dürfte Island endgültig als Mekka der Emanzipation gelten. In Ägypten erklärte der Präsident 2017 zum Jahr der Frauen, hievte Frauen gezielt in Führungspositionen (Frefel, 2018) und installierte erstmals 144 Frauen als Imaminnen in Moscheen – ein Tabubruch (Global Voices, 2017). In Berlin ging die prominente Menschenrechtsanwältin Seyran Ates noch weiter: Die Feministin gründete eine liberale Moschee, in der Imaminnen ohne Kopftuch Frauen und Männern vorbeten. Der Autorin gab sie dazu schon vorab ein Interview (vgl. Sarwat, 10.3.2017), vermutlich das erste dazu in Österreich. Im Iran gingen die Frauen mit Aktionismus gegen den Schleierzwang auf die Straße. Ausgerechnet im restriktiven Saudi-Arabien kündigte sich 2017 eine Revolution in Bezug auf Frauenrechte an: Frauen sollen künftig die Verhüllungen ablegen, Auto fahren und Geschäfte gründen dürfen. In den USA begann das Jahr 2017 mit dem „Women’s March on Washington“ im Januar, dem lautstarken Protest gegen den Neo-Machismo im Weißen Haus. Es endete mit der Aufdeckung des Missbrauchsskandals um Filmmogul7 Harvey Weinstein. Der löste ein mediales Erdbeben aus, das weit über die Grenzen des Landes und der Branche für Erschütterung 56

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sorgte. Unter dem Hashtag #MeToo berichteten weltweit betroffene Frauen über sexualisierte Gewalt. Es offenbarte sich ein Massenphänomen. Das investigative JournalistInnen-Team von „New York Times“ und „New Yorker“ wurde 2018 für seine Leistung mit dem Pulitzer-Preis geehrt, dem wichtigsten Journalistenpreis der Welt. (Zeit.de, 16.4.2018) In Österreich wurde im Fahrwasser von #MeToo ein Fall sexueller Belästigung publik, der zur Absetzung von Reinhard Göweil, dem Chefredakteur der im Eigentum der Republik Österreich befindlichen „Wiener Zeitung“ führte. Eine emanzipatorische Aufbruchstimmung machte sich bemerkbar, wie es seit den siebziger Jahren kaum mehr der Fall war. Das hatte durchaus realpolitische Folgen: „Durch die derzeitigen Entwicklungen, in denen zumindest in der westlichen Welt Frauenpolitik und Feminismus wieder offensiver und kämpferischer auftreten und sowohl der Women’s March als auch #MeToo gezeigt haben, dass Frauensolidarität wieder ‚en vogue‘ ist, verbessern sich auch die Verhandlungspositionen für Frauen.“ (Pernegger, 2018: 19) Die Autorin möchte den Befund um einen Aspekt erweitern: Der Aufbruch war, wie oben ausgeführt, nicht nur in der westlichen Welt zu beobachten. Ganz im Gegenteil.

4.3

Sheryl Sandberg – Superstar des Silicon Valley

Unter die zehn mächtigsten Frauen der Welt hat sie es gerade nicht mehr geschafft: Sheryl Sandberg muss sich aktuell mit Platz 11 begnügen. Die Forbes-Liste von 2017 listete sie noch auf dem sensationellen Platz  4 der mächtigsten Frauen der Welt, direkt hinter den Staatschefinnen aus Deutschland Angela Merkel und Großbritannien Theresa May sowie der Philanthropin Melinda Gates, einer Medienfrau. Sheryl Sandberg, COO des Social-Media-Giganten Facebook, ist eine Hoffnungsträgerin der neuen starken Frauenbewegungen. Die Sheryl Sandberg – Superstar des Silicon Valley

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1969 in Washington in einer jüdischen Familie Geborene war bei der Weltbank und Stabschefin im US-Finanzministerium. Ab 2001 war sie Sales-Vizechefin bei Google, 2007 wechselte sie zu Facebook und wurde 2008 als Co-Geschäftsführerin (COO) Mark Zuckerbergs Stellvertreterin. Sandberg gehört laut Forbes zu den einflussreichsten Managerinnen überhaupt. Sie kann es sich erlauben, auch einen US-Präsidenten scharf zu kritisieren – etwa für dessen US-Einreise-Bann oder die Anti-Abtreibungs-Bestrebungen – und wurde selbst schon als kompetente Kandidatin für das Weiße Haus gehandelt. Sandberg gehört laut dem Branchenblatt auch zu den reichsten Frauen der Welt. Ihr Vermögen schätzt Forbes auf 1,59 Milliarden Dollar, ein großer Teil bestehe aus Facebook-Aktien. Ihr Gehalt 2011 betrug demnach 30 Millionen Dollar. (Vgl. Forbes, 2018) Vor einigen Jahren musste sie einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen. Ihr Mann Dave Goldberg, CEO einer Company, starb 2015 mit nur 47 Jahren an einem Herzinfarkt. Sandberg verarbeitete ihre Trauer in einem Buch über Resilienz, das 2017 erschien: „Option B“. Schon 2013 kam ihr Buchbestseller auf den Markt und die zugehörige Emanzipations-Plattform für Frauen ging online: „Lean In“. Im englischen Original heißt es „Lean In: Women, Work and the Will to Lead“. Das wortwörtlich übersetzte „Frauen, Arbeit und der Wille zum Führen“ ist im Deutschen mit „Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg“ umschrieben. Der Originaltitel formuliert eher den Willen der Frauen zur Macht, die Übersetzung – euphemistischer – „zum Erfolg“. Sandbergs Karriere-Bibel ist jedenfalls nicht als Ratgeber gedacht, sondern ein feministisches und zugleich humanistisches Manifest. Das Credo des 11-Punkte-Programms zur Änderung einer Geisteshaltung, entstanden im Spirit des Silicon Valley, wo die Harvard-Absolventin beruflich sozialisiert ist, lautet: „Lean In“ – hängt euch rein. Mehr Frauen an die Macht, bitte. Gemeinsam sind wir stark – oder zumindest weniger allein. (Vgl. Sandberg, 2016) 58

Die neuen starken Medienfrauen

„Lean In“ – eine Karriere-Bibel in elf Geboten

Die High-Tech-Karrieristin aus Zuckerbergs Social-Media-­ Kosmos beginnt mit einer Beschreibung des aktuellen Status quo und fasst das Übel kurz und schmerzvoll zusammen: „Die ungeschminkte Wahrheit lautet: Männer regieren nach wie vor die Welt.“ Im Rest des Buches werden innere und äußere Faktoren beschrieben und analysiert, die Frauen eine Teilhabe an der Macht möglich machen und gleichzeitig ein normales Familienleben in Aussicht stellen, das also das Glückspotential von Frauen – mit Männern und Kindern – insgesamt im Blick hat. Sie zitiert Studien zur Work-Life-Balance, die belegen, dass Frauen, die mehrere Rollen leben dürfen, Familienfrauen, die im Berufsleben stehen, nicht nur mit mehr Geld, sondern auch besseren Partnerschaften und einer besseren Gesundheit sowie insgesamt mehr Glück belohnt werden. Sie zeigt nicht nur Selbstoptimierungs-Strategien auf, die im neoliberalen Kontext nur allzu oft mehr an den Bedürfnissen der Arbeitgeber orientiert sind, sondern setzt diese auch in Relation zu den Bedingungen, die Frauen in der Arbeitswelt vorfinden und den Möglichkeiten der Familienvereinbarkeit. Der Relevanz gleichberechtigter Aufteilung von Familienarbeit misst die Top-Karrierefrau naturgemäß große Bedeutung bei – als zweifache Mutter gehört sie zu denen, die es wissen müssen. Sie fordert nicht nur Frauenförderung in Medienjobs, sondern kritisiert auch die Darstellung speziell der sogenannten „Working Mom“. Die Rolle der Medien und des Entertainments für die Entwicklung von Selbstoptimierungskräften von Familienfrauen beschreibt sie z.B. so: Wir brauchen mehr Darstellungen von Frauen als kompetente Berufstätige und glückliche Mütter, oder sogar als glückliche Berufstätige und kompetente Mütter. Die derzeit vorherrschenden negativen Bilder bringen uns vielleicht zum Lachen, aber sie jagen Frauen auch unSheryl Sandberg – Superstar des Silicon Valley

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nötig Angst ein, weil die Herausforderungen des Lebens unüberwindbar wirken. Unsere Gesellschaft bleibt erstaunt zurück: keine Ahnung, wie sie das schafft. Angst aber ist bekanntlich ein schlechter Emanzipationsmotor. Sheryl Sandberg zitiert einen internen Bericht der Computerfirma Hewlett-Packard, nach dem sich Frauen nur dann bewerben, wenn sie 100 Prozent der gefragten Kompetenzen erfüllen, Männer dagegen bei 60 Prozent. Weibliches „Ich-kann-das-noch-nicht“ muss „Das-will-ich-machen“ weichen und dem Mut zum Learning by Doing. Sie ruft Frauen dazu auf, mittels authentischer Kommunikation ihnen Zustehendes einzufordern, sich einzubringen, sich zu Wort zu melden. Arbeitgeber müssten aber auch das entsprechende Umfeld dazu schaffen. Als sehr wichtigen Faktor bezeichnet sie Solidarität unter Frauen, vom gemeinsamen Mittagstisch bis zur Zusammenarbeit. Sandberg spricht auch ein Tabu an: Frauen sind nicht nur Opfer, sondern auch Täterinnen des Sexismus in Redaktionen. Das Phänomen, dass erfolgreiche Frauen nachkommende Geschlechtsgenossinnen behindern, wurde in den 1970er Jahren Bienenkönigin-Syndrom genannt. Die Frauen mit Alleinstellungsmerkmal in der Chefetage wurden dafür belohnt, den Ist-Zustand aufrechtzuerhalten. Nachgewiesen sei das auch in einer Studie über Uni-Professorinnen, die Studenten besser beurteilten als deren Kolleginnen, trotz gleicher Leistung. Wer das Phänomen als im vorigen Jahrhundert entsorgt verortet, irrt. Ich jedenfalls staunte nicht schlecht, als bei Infoveranstaltungen für Doktorandinnen der Universität Wien Statistiken zum sogenannten „Uni-Docs“-Förderprogramm präsentiert wurden. Interessant daran war: Der Anteil der Frauen, die das gut dotierte Stipendium erhielten, stieg plötzlich von einem Jahr aufs andere signifikant. Obwohl die Zahl der weiblichen Bewerbungen die der Männer stets deutlich übertraf, wurden im Jahr 2014 mehr Männer als Frauen ge60

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fördert. Im Jahr darauf erhielten mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer die Förderung: Es sei das Jahr der Einführung der Anonym-Bewerbung gewesen, ohne Foto oder Geschlechtsangabe. Folgende Erklärung wurde den Neu-DoktorandInnen dazu abgegeben: Es habe sich im Vorfeld herausgestellt, dass vor allem ältere weibliche Gutachterinnen männliche Kandidaten überproportional bevorzugt hätten, völlig unabhängig von der Qualifikation. Das Verhalten der weiblichen Universitäts-Professorinnen habe die Anonym-Bewerbung notwendig gemacht. Zurück zu Sheryl Sandberg: Sie zitiert eine Studie, die belegt, dass die Wahrnehmung von Frauendiskriminierung abnimmt, je höher die Frau in der Hierarchie steigt. Madeleine Albright schuf das entsprechende Bonmot: „Für Frauen, die andere Frauen nicht unterstützen, gibt es in der Hölle einen ganz besonderen Platz.“

4.4

Machiavelli im Matriarchat

In der Liste der Welt-Powerfrauen befinden sich nicht nur High-Tech-Spezialistinnen oder Politikerinnen, sondern auch zahlreiche Medien- und Entertainment-Größen. Alte Bekannte sind Oprah Winfrey, zuletzt auf Platz 21, oder Anna Wintour auf Platz  27, künstlerische Direktorin bei Condé Nast. Die Grand Dame der Modewelt zelebrierte kürzlich 125 Jahre „Vogue“. Bonnie Hammer, Platz 41, ist Chefin bei NBC Comcast. Ihre Abteilung hat mehrere Sender und Studios unter sich und trägt am meisten zum Umsatz des TV-Senders bei. Stacy Snider, Platz  47, ist CEO der Filmfirma 20th  Century Fox. Sie ist seit 2016 im Amt und ersetzte einen Mann: Jim Gianopulos. 2,5 Milliarden spielte Fox 2017 am Box Office ein. Katharine Viner lag zuletzt auf Platz 61, die erste Chefredakteurin des „Guardian“ in der fast 200-jährigen Geschichte des Verlags. Als sie 2015 übernahm, kämpfte der Verlag gegen Machiavelli im Matriarchat

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sinkende Werbeeinnahmen und enttäuschende Digital-Performance. Doch statt eine Paywall zu installieren, suchte der Guardian „kreative Lösungen“. Im Jahr 2017 hatte das Blatt 800.000 Unterstützer aus 140 Ländern gefunden, die die fehlenden Werbeeinnahmen ausglichen. 150 Millionen „unique visitors“ sind Viners Erfolgsbilanz. Inwieweit eine andere Maßnahme zur besseren Performance beitrug, der Konzern strich 300 Jobs, wird in der Berichterstattung nicht näher erläutert. (Forbes, Guardian, 2018) Auf Platz 72: Zanny Minton Beddoes, Chefredakteurin einer 174 Jahre alten Marke, des „Economist“. Seit ihrer Beförderung 2015 schaffte sie es, die Zahl der Digital-Abos um 20 Prozent zu steigern. Platz 77: Kathleen Kennedy, die Präsidentin von Lucasfilm. Die Produzentin ist eine der mächtigsten Frauen in Hollywood. Jüngste Machtdemonstration: Sie feuerte die Regisseure Phil Lord und Chris Miller aus dem „Han Solo“-Film-Spin-off und holte den Regie-„Haudegen“ Ron Howard an Bord. Seit sie 2012 zu Lucasfilm stieß, ist das „Star-Wars“-Universum erfolgreich abgehoben. „Das Erwachen der Macht“ spielte weltweit zwei Milliarden Dollar ein, „Rogue One“ eine Milliarde. Sie habe bewiesen, dass eine neue Generation für neue Storys aus dem „Star-Wars“-Kosmos zu begeistern ist, in der auch Frauen stärkere Rollen spielen als zuvor, konstatierte Forbes.

4.5

„Bitch Doktrin“ – die feministische GegenDystopie

Die junge Journalistin, Bloggerin und Radikal-Feministin Laurie Penny findet sich allerdings nicht in der Machtliste. Der Einfluss der 31-jährigen britischen Rebellin, die oft als eine der wichtigsten jungen Vertreterinnen des Feminismus apostrophiert wird, sollte aber nicht unterschätzt werden. Gerade von jungen Frauen und Minderheiten wird sie als lautstarke 62

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Stimme einer medialen Gegenkultur rezipiert. In ihrem Buch „Fleischmarkt“ prangerte sie die weiblichen Stereotype in Werbung und Medien an. Ihre radikale Kritik am Patriarchat verbindet sie mit einer nicht minder radikalen Kapitalismuskritik. Auch und gerade für den Journalismus und für Medienunternehmen sieht sie durch die digitale Revolution neue Chancen für Frauen und Minderheiten. In ihrer „Bitch Doktrin“ hält sie fest: Der distanzierte weiße Schlipsträger aus dem Westen gilt deshalb als journalistische Universallinse, weil wir die Welt schon seit Jahrhunderten ausschließlich durch die Augen weißer Männer sehen. Im Moment verändert sich das. Der Journalismus verändert sich und dank des Internets entstehen in aller Welt explosionsartig Medienprodukte von Menschen, die wissen, dass Subjektivität nicht mit Ungenauigkeit zu verwechseln ist. Gerade, wenn man Geschichten erzählt. (Penny, 2017:98) So plädiert Penny für eine radikale Standpunktpraxis der Medienfrauen „von unten“. Im Bruch des Objektivitätsdogmas traditioneller Medien, wie ihn neue Internet-Start-ups für sie authentisch vollziehen, sieht sie die Zukunft des Journalismus und mehr Chancengleichheit für Frauen und Minderheiten. Auch Penny nimmt starken Bezug zu den Entertainment-Produkten, die unsere Weltsicht prägen. Explizit nennt sie z.B. Lena Dunham und ihre HBO-Serie „Girls“ sowie den gesellschaftlichen Diskurs, der sich darum entsponnen hat: „Es wurde kaum unverhohlene Wut laut, weil eine Frau, die nicht dem Schönheitsideal von Hollywood entspricht, die ihren Körper in der Öffentlichkeit zeigt, ihr nicht perfektes Fleisch in den Mittelpunkt einer Serie stellen, und eine Figur spielen darf, die mit gutaussehenden Männern schläft.“ Das Manko der Medien spiegle sich als gesamtgesellschaftliches Dilemma: „Über Jahrtausende blieb das Potenzial min„Bitch Doktrin“ – die feministische Gegen-Dystopie

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destens der Hälfte der Menschheit auf allen gesellschaftlichen Ebenen aus lauter Borniertheit ungenutzt  …“ Eine Vergeudung an Ressourcen, die sich der Planet in der Krise nicht mehr leisten könne: „…  durch die fehlende Förderung von Frauen haben wir als Gesellschaft und als Spezies unglaublich viel verloren. Es ist höchste Zeit, das Versäumte aufzuholen. Es ist höchste Zeit für Gleichheit. Es geht nicht nur um Gerechtigkeit, es geht ums Überleben.“ Dass die Quoten bei der Beteiligung von Frauen seit Jahren, teils Jahrzehnten auf niedrigem Niveau stagnierten, habe handfeste Gründe: „Der Widerstand gegen volle Gleichberechtigung ist tief verwurzelt. Das Patriarchat steckt es weg, wenn es ein paar Frauen nach oben schaffen, aber nicht, wenn es 50 Prozent oder auch nur annähernd so viele sind. Das würde ja bedeuten, dass Frauen in der Politik und der Finanzwelt keine Spezialgruppe mehr bilden. Wir hätten echte Macht und die Männer müssten sie mit uns teilen.“

4.6 „Global Media Watch“ – die Hälfte der Welt? Bei der vierten UNO-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking wurden mit der „Pekinger Aktionsplattform für Gleichstellung, Entwicklung und Frieden“ neue Weichen zur weltweiten Gleichberechtigung der Frau gestellt. Die Rechte von Frauen und Mädchen werden darin als „unveräußerliche, wesentliche und unteilbare Bestandteile der allgemeinen Menschenrechte“ betont. Es wurden zwölf zu bearbeitende Problembereiche definiert, von der „Frauenarmut“ bis zum Punkt „Frauen und die Medien“. Begründet wird der Bedarf, die Medienszene genderpolitisch zu optimieren, mit der Bedeutung, die sie als „Instanz der Vermittlung von Information, Bildung und Unterhaltung“ hat. (EIGE, 2013: 4) „Die Medien spiegeln soziokulturelle Muster, Normen und Stereotype wider, produzieren und reproduzieren sie. Sie stel64

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len auch eine treibende Kraft des gesellschaftlichen Wandels dar. Dieses Potenzial für die Herbeiführung sozialer Veränderungen könnte wirksamer genutzt werden, wenn mehr Frauen in die Entscheidungsstrukturen von Medienorganisationen aufgenommen würden …“ Das Ziel: Sowohl was die Präsenz als auch die Repräsentation von Frauen in den Medien betrifft, muss mehr Geschlechtergerechtigkeit einkehren. Es sollen also Frauen intern genauso wie Männer an der Produktion von Medieninhalten beteiligt sein. Und Frauen sollten auch in gleichem Maße in den Medien dargestellt werden. Betont wird die „besondere Verantwortung“ aufgrund ihrer „zentralen Rolle bei der Vermittlung der Problematik“. Die teilnehmenden Regierungen und alle anderen Akteure und Akteurinnen der Aktion verpflichteten sich dazu, eine „ausgewogene und nichtstereotype Darstellung der Frauen in den Medien zu fördern“ und „die Mitwirkung und den Zugang von Frauen in Bezug auf Ausdrucksmöglichkeiten und Entscheidungsprozesse in und durch die Medien und neue Kommunikationstechnologien zu erhöhen“. Seit 1995 misst das „Global Media Monitoring Project“ (GMMP) alle fünf Jahre, wie weit diese Ziele erfüllt sind. Untersuchungsobjekte sind Zeitungen, Fernseh- und Radiosendungen aus dem tagesaktuellen Bereich. Neu kam zuletzt auch das Internet hinzu, etwa Twitter-Meldungen, aktuell aus 114 Staaten. Für die GMMP-Studie 2015 sind es Daten aus Afrika, Asien, Amerika, der Karibik, von den Pazifischen Inseln und aus Europa. 22.136 Beiträge aus 2030 Medienhäusern und 45.402 Personen, die von 26.010 JournalistInnen interviewt oder erwähnt wurden, wurden analysiert. Das Ergebnis offenbart eine seit vielen Jahren anhaltende Stagnation: - Nur ein Viertel der Personen, die in den weltweiten Medien vorkommen, sind Frauen. - Nur ein Drittel der Mitarbeitenden in den weltweiten Redaktionen sind Frauen. „Global Media Watch“ – die Hälfte der Welt?

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Im Jahr 1995 ergab das Monitoring, dass Frauen mit nur 17 Prozent in den Nachrichten untervertreten sind. 2015 stieg ihr Anteil zwar auf 24 Prozent, doch kommt auf drei Männer immer noch nur eine Frau. Diese Zahl hat sich im Vergleich zu 2010 nicht verändert. Der Anteil der von Frauen gezeichneten Meldungen ist in den drei ersten Ausgaben der Studie angestiegen, verharrt aber seit 2005 auf dem Niveau von 37 Prozent. Ergebnisse einer anderen Untersuchung, des von der „International Women’s Media Foundation“ 2011 veröffentlichten „Global Report on the Status of Women in the News Media“ sind: - Nur 33 Prozent, also ein Drittel der Vollzeitpositionen, sind in den 522 untersuchten Betrieben in 60 Ländern mit Frauen besetzt. (Byerly, 2011: 6) - Das mittlere Management ist meist zu 71 Prozent mit Männern, nur zu 28,7 Prozent mit Frauen besetzt. Die „Gläserne Decke“ bleibt ab dem mittleren Management undurchdringbar. Die Studie nennt als Hinderungsgründe für das Weiterkommen starke Vorurteile bei der Einstellung und Beförderung von Frauen. Allerdings gibt es länderspezifische Ausnahmen von der Regel, die sehr interessant sind, weil sie den westzentristischen Blick auf das Weltgeschehen relativieren. Besonders spannend ist der Blick auf den Nahen Osten. In der ägyptischen Medienszene ist ein 50-Prozent-Anteil von Frauen auf der Ebene der mittleren Positionen in Medien mit 49,5 Prozent de facto schon Realität. Bei höheren Positionen sind sie nahe dran: Im Senior Management sind es 42,9 Prozent. Das gleichfalls in der Region gelegene Israel liegt weit darunter, weist aber dafür höhere Frauenanteile in der obersten Hierarchiestufe, der Geschäftsführung aus.

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Selbst im sonst so fortschrittlichen Skandinavien wird die Geschlechterparität 2011 im mittleren Management noch nicht erreicht. Und noch ein Vergleich: Auf dieser Ebene finden sich in Japan nur rund fünf Prozent der Frauen. Der EIGE-Report zu Frauen in den Medien liefert für den europäischen Raum erstmals verlässliche vergleichbare Daten. (EIGE, 2013) Zwischen Juni und Oktober 2012 wurden 99 Medienorganisationen befragt, mehrheitlich öffentliche Sendeanstalten sowie ausgewählte private Medienorganisationen (elektronisch und print) aus den damals 27 EU-Mitgliedstaaten und aus Kroatien. Begleitend wurden Tiefeninterviews mit 65 weiblichen Führungskräften geführt. Die Ergebnisse decken sich weitgehend mit anderen Studien zur Causa. - Während die weit überwiegende Mehrheit der AbsolventInnen der Journalismusstudien Frauen sind (68 Prozent), sind nur 40 Prozent in der Medienbranche Beschäftigte Frauen. Der 40 Prozent-Anteil verharrt seit Jahren in etwa auf dem gleichen niedrigen Niveau. - Diese Zahl sinkt, je höher der Machtfaktor steigt. Über alle Hierarchiestufen hinweg sind Frauen der EU 27 in Medien nur zu 32 Prozent an Entscheidungsprozessen beteiligt. - Gar nur 16 Prozent Frauen finden sich in den obersten Chefetagen, also den höchsten Stufen. - Der stärkste Gender-Gap zwischen Frauen und Männern ist in Spitzenpositionen zu verzeichnen, wobei die öffentlich-rechtlichen Medien in diesem Segment einen höheren Frauenanteil aufweisen als private. In einigen Mitgliedstaaten liegt dieser Wert signifikant über dem EU-Durchschnitt: In Bulgarien und Lettland überwiegt die Zahl der Frauen auf allen Ebenen der Entscheidungsprozesse. Anderswo sind Frauen zu 40 bis 50 Prozent bei den Entscheidungsträgern vertreten, z.B. in Estland, Litauen, Rumänien, Slowenien, Finnland und Schweden. Am unteren Ende

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der Skala befinden sich Irland, Griechenland, Italien und Malta als Schlusslichter. Hindernisse für die Aufstiegschancen von Frauen in „Spitzenpositionen von Entscheidungsprozessen“ schildern die Frauen in Interviews, die von „eklatanten Diskriminierungen“ zeugen. In dem „männerdominierten Umfeld prägen männliche Standards, Regeln und Agenden“ den Job. Von Frauen werden im Vergleich zu Männern „Mehrleistungen“ bei „geringerer Anerkennung“ verlangt. „Demütigungen, Sexismus und Ausschluss aus informellen Netzwerken“ sind an der Tagesordnung, „Asymmetrien entstehen aufgrund von Mutterschaft und Familienarbeit“ und die „gläserne Decke begrenzt Aufstiegschancen von Frauen“. Der „Pay-gap liegt zwischen 17 und 20 Prozent.“ In der Medienbranche ist die „Bindung von Frauen geringer als in anderen Branchen“, das „Phänomen der Leaky Pipeline“ entsteht. „Mehr Frauen als Männer planen, ihren Job innerhalb von fünf Jahren aufzugeben.“ Als Gründe nennen sie: „geringes Entgelt, Unsicherheit des Arbeitsplatzes und Burnout“. Ihre Bewältigungsstrategien äußern sich in Schadensbegrenzung: Frauen, die es an die Spitze geschafft haben, sagen, dass nur Zähigkeit, Durchhaltevermögen und eine an buddhistische Mönche gemahnende Gleichmut diesen Zumutungen gegenüber wirksam waren. „Gemeinheiten“ werden weggelächelt, „Stolz hinuntergeschluckt“. Folgende allgemeine politische Postulate und Strategien leitet die Studie zwecks Beseitigung dieser medialen Schieflage der Geschlechter ab: - Politiken zur Förderung der Gleichstellung, Verhaltenskodizes - Chancengleichheit und (Geschlechter-)Diversität herstellen - Würde am Arbeitsplatz fördern, sexuelle Belästigung verhindern - Karenzregelungen für Mütter und Väter 68

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Ganz konkret sollten diese Maßnahamen zum Ziel führen: - Zuweisung von Führungsaufgaben an Frauen - mit Durchführungs- und Überwachungsmechanismen Kontrolle ausüben. Als „zentrale und wirkmächtigste Kategorien“ der Geschlechterungleichheit in den Medien erweisen sich auch in dieser Studie die durchaus „zusammenhängenden“ Phänomene Pay Gap und der „eklatante Mangel von Frauen in Führungspositionen“. Diese machen sich in privaten Medienunternehmen stärker bemerkbar als im öffentlich-rechtlichen. Das lässt darauf schließen, dass Regulierungen der Politik offenbar greifen. Der ORF wurde als „Good-Practice“-Beispiel für Gleichstellungsmaßnahmen in zwei Untersuchungen lobend erwähnt. Aber selbst hier wurde das Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen über alle Hierarchie-Ebenen noch nicht erreicht (siehe Kapitel 5.6.2). Auch der öffentlich-rechtliche Bereich zeigt also noch Reformbedarf. Die Kunst der Selbstoptimierung Nana Siebert – ein Shooting-Star in der „Standard“Chefredaktion

Nana Siebert hat einen Karrieresprung geschafft, der seinesgleichen sucht. Die Digital-Chefin des bunten Frauenmagazins „Woman“ wechselte am 1. Mai 2018 in die Chefredaktion der Qualitätstageszeitung „Der Standard“. Das Interview, das ich mit ihr geführt habe, entstand kurz davor, die Passagen über das Magazin sind daher noch als Gegenwart zitiert. Ihr leiblicher Sohn ist bereits erwachsen, zwei jüngere „Bonus-Kinder“, wie sie sagt, hat ihr aktueller Lebensgefährte mit in die Beziehung gebracht. Dieser ist als „Profil“-Journalist im selben Verlag tätig gewesen. Der Verlag heißt heute VGN (Verlagsgruppe News) dazu gehören zahlreiche Magazin wie News, profil, tv-media, Woman u.v.a. Er gehörte einige Jahre lang auch zur Bertelsmann-Tochter Gruner & Jahr. „Global Media Watch“ – die Hälfte der Welt?

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Ihr Einstieg in den Beruf erfolgte sehr früh: Bereits mit 14 wollte sie nicht nur Journalistin werden, sondern setzte auch konkrete Karriereschritte. Sie begann eine Ausbildung, die damals neu angeboten wurde: „Matura und Journalismus“ in der VHS Stöbergasse, Wien. Nach diversen Praktika bewarb sie sich mit nur 17 Jahren für die Lehrredaktion des News-Verlags und fand in deren Leiter und Aufdecker-Star Alfred Worm einen Förderer. „Ich war die Jüngste in der Gruppe. Der Worm hat mich da richtig ins kalte Wasser geschubst, ohne Vorbereitung. Er sagte: Du gehst jetzt in einer halben Stunde mit mir zum Michael Häupl. Das war mein Einstig, mein allererstes Interview bei News. Mit dem Bürgermeister, der jetzt seinen Abschied nimmt. Dann stand der Fellner8 vor mir, mit seinem Bleistift hinter dem Ohr, und hat gesagt: ‚Heast9, du bist a Superstar!‘ Und ich habe gedacht: ‚Ja! Er hat recht.‘ Leider habe ich dann später erkannt, dass er das jedem gesagt hat, der für sehr, sehr wenig Geld sehr viel gehackelt10 hat.“ (lacht)

Sie wurde in die „Chronik“ übernommen, damals unter der Ressortleitung von Euke Frank, der späteren „Woman“-Chefredakteurin. „Ich bin dann tatsächlich mit der Schultasche jeden Tag in die Redaktion gekommen, habe die Geschichten gemacht und Hausaufgaben. Irgendwann sind dann die Hausaufgaben immer weniger geworden, und dann hab ich etwas gemacht, was meine Eltern nie toll fanden. Ich habe die Schule abgebrochen. Nur ein paar Monate vor der Matura. Ich sagte: ‚Das interessiert mich alles nicht mehr, weil mein Leben ist bei News.‘ Das war dann aber auch so.“

Sie durchlief dann zahlreiche Stationen im Verlag von TV-Media und e-media, über die Leitung der Entwicklung mobiler Anwendungen im Verlag bis zur Digitalchefin bei „Woman“. 70

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Sie wurde für zahlreiche Führungsseminare ausgewählt, bei der Konzernmutter Bertelsmann ebenso wie beim Haupteigentümer Gruner & Jahr. Beim ersten, dem internationalen „Young Executive Meeting“ fasste sie den Entschluss, sich künftig mehr im oberen Management einzubringen: „Das hat bei mir irrsinnig viel ausgelöst, weil es meinen Ehrgeiz geweckt hat. Die Erkenntnis, dass meine Zukunft nicht darin liegt, Geschichten zu produzieren, sondern Medien zu gestalten, was ja zum Teil doch eine andere Aufgabe ist als Journalismus.“ Es folgten für ein Jahr monatliche Nachwuchs-Seminare im Hauptquartier in Hamburg, wo Führungskräfte-Skills gelehrt wurden. „Das Jahr hat bei allen Teilnehmern irrsinnig viel bewegt, manche sind danach ausgestiegen aus dem Verlagswesen. Dir wird in dieser Zeit einfach bewusst, wo du dich hin entwickeln könntest.“ Gibt es hierbei entscheidende Geschlechter-Unterschiede? Frauen schreiben nicht anders als Männer, bis auf Sozialreportagen, wo Frauen teilweise besser seien, weil sie die „Fähigkeit zum Zuhören mehr verfeinert haben“, wie sie meint. Führen Frauen auch anders? „Ja das definitiv, das kann ich hundertprozentig unterschreiben. Bei den Soft Skills, wo es darum geht: Wie führe ich ein Team, und wie hole ich alle ab, sind Frauen besser als Männer. Frauen sind integrativer im Team. Frauen wissen sehr wohl, wie sie kommunizieren können, ohne den anderen komplett vor den Kopf zu stoßen. Männer checken oft nicht, warum jemand emotional wird. Frauen setzen auch mehr Vertrauen in ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und geben ihnen eher das Gefühl, dass sie Eigenverantwortung übernehmen können, weil Männer gern entscheiden und sagen: So ist es, du machst es so, und Frauen sagen: Wie würdest du es machen?“ Für die Teamzusammensetzung haben Frauen ein feineres Gespür und entscheiden nicht nach Lebenslauf, sondern nach „Global Media Watch“ – die Hälfte der Welt?

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Chemie. Auch ihren eigenen Führungsstil verortet sie in diesem Bereich: Motivation zur Eigenverantwortung in ihrem sehr jungen Team aus Frauen beim Online-Auftritt von „Woman“ sei besonders wichtig, denn: „Es wird auch nicht gut gezahlt.“ Bei ihrem zukünftigen Arbeitgeber, der neuen Führung des „Standard“ durch Martin Kotynek, ortet sie einen neuen Typus des Medienmanagers, der Frauen bewusst fördert und sich auch weiblich konnotierter Soft Skills bedient: „Ich glaube, beim Standard ist jetzt ein sehr, sehr junger Mann, der eine Frau abgelöst hat, die seit vielen, vielen Jahren den Standard mehr oder weniger alleine geführt hat, auch sehr autokratisch geführt hat. Ich habe die Hoffnung und auch den Eindruck, dass junge Männer nicht mehr nach dem Alphatier-Modus, wie wir es von Fellner und Co. kennen, agieren, sondern viel partizipativer in ihrer Führung. Die auch Frauen viel mehr schätzen und fördern, und sich auch bewusst sind, dass Frauenförderung etwas ist, das nicht nur Firmen, sondern auch Verlagen gut tut, dass diverse Teams eine Notwendigkeit sind. Also das glaube ich und hoffe auch, dass das beim Standard so sein wird.“

Einer expliziten Frauenquote steht sie hingegen skeptisch gegenüber. Der Faktor Mutterschaft ist für sie wiederum sehr positiv besetzt, auch weil der Kindesvater zum Teil die Betreuung übernommen hat: „Ich habe meinen Sohn mit neunzehn bekommen, also wahnsinnig früh, und hatte drei Vorteile: dass der Erzeuger meines Sohnes selbstständig war und ich so wahnsinnig jung, dass ich nicht groß drüber nachgedacht habe. Ich wollte schreiben, ich wollte Journalistin sein, das war das, was mir Spaß gemacht hat, und das habe ich dann auch sehr schnell wieder durchgezogen. Ich muss das fast einen Luxus nennen, dass das so gut hingehauen hat.“

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Immer übernahmen Kindesväter und Familie auch Betreuungsarbeit, was auch in ihrer aktuellen Patchwork-Familie funktioniert, wo ein dichtes Netzwerk in der Arbeitswoche aktiv ist, während am Wochenende Familienzeit reserviert ist: „Die Wochenenden sind ganz cool, ich würde mich sonst langweilen ohne Kinder. Was macht man an einem Wochenende, wenn man nicht am Eislaufplatz oder in der Therme oder im Bogipark11 ist?“ (lacht). Ihr Bild von Müttern als Journalistinnen ist entsprechend positiv: „Ich finde Mütter sind super Mitarbeiterinnen, weil die lernen, irrsinnig effizient zu sein. Wofür Kollegen eine Woche brauchen, erledigt man an einem Vormittag, neben allen anderen Aufgaben. Befreit das von einem schlechten Gewissen? Nein, aber das hat nichts mit Journalismus zu tun. Jede Mutter denkt sich permanent: Ich habe viel zu wenig Zeit für das Kind, für den Job, für meinen Partner, und ich für mich hab sowieso überhaupt gar kein Zeit.“

Effizienz, die sie als Mutter perfektioniert hat, gehört zu ihrem Erfolgsrezept. Ebenso wie: „dass ich Leute motivieren kann, auf eine spielerische Art und Weise, dass ich sehr analytisch sein kann und trotzdem Zukunft spinnen kann, im Sinne von Maßnahmen, die man ergreifen muss“. Der Unterschied zu weniger erfolgreichen Kolleginnen: „Dass ich einen Plan habe.“ Zu den Eigenschaften, die eine Medienkarriere als Frau begünstigen, zählt sie: „Ehrgeiz und Ziele klar kommunizieren zu können. Und Komplimente annehmen können. Zu sagen: ‚Danke, ich weiß, dass ich das gut gemacht habe.‘ Ohne: ‚Ja, aber das Team war so toll.‘ Genauso wie die Männer: lästig sein und hingehen und sagen: Ich will das. Es gibt Anerkennung, wenn man sich für etwas bewirbt. Wir Frauen müssen auch ertragen, dass es vielleicht auch mal eine Ablehnung gibt.“

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Diskriminierungen erfuhr sie, als sie zum wiederholten Male bei einer Beförderung übergangen wurde. „Das lag aber, das muss man leider auch zugeben, zum Teil an mir. Das sehe ich bei vielen anderen Frauen, auch bei jungen Mädchen, nach wie vor: Wir Frauen haben die dumme Angewohnheit, zu glauben, wenn wir ganz viel arbeiten, emsig und brav sind, wird das irgendjemand erkennen und sagen: ‚Du bist die brave Arbeiterin, du bekommst die Beförderung und du bekommst die Gehaltserhöhung obendrauf.‘ Und so ist es nicht. Ich bin dieser blödsinnigen Illusion sehr, sehr lange nachgehangen, und habe zugesehen, wie mich links und rechts die Kollegen überholt haben, und bevorzugt wurden, in Anstellung und Gehaltserhöhungen, während ich gearbeitet habe, und mir gedacht habe: ‚Wann fragt man mich denn endlich?‘ Die Männer hingegen standen permanent auf der Matte, waren lästig oder drohten mit Abgang. Die sagten, sie hätten ein Angebot von XY, und plötzlich hatten die tausend Euro mehr am Konto. Ich war mir immer zu gut, zu lügen oder zu pokern.“

Wie sie sich erstmals dagegen zur Wehr setzte, beschreibt sie so: „Und irgendwann mal hat mich dann die Wut gepackt. Da bin ich, zum ersten Mal, und mit einer echten Wut im Bauch, zum damaligen Chefredakteur hingegangen und hab, glaube ich, sogar vor Wut kurz geweint, wofür ich mich jetzt noch beißen könnte. Zum ersten Mal habe ich mit Nachdruck und Vehemenz eingefordert, dass das jetzt mein Job ist, und nicht der von dem Kollegen, den ich damals eingeschult habe.“

Ihr Karrieretipp an junge Journalistinnen: „Ein Rat: Ihr müsst sagen, wenn ihr was wollt, keiner wird euch fragen, sagt es, – echt.“ Auch Mobbing in der Redaktion ist ihr nicht fremd. Sie erlebte es als „brutalen Machtkampf “ durch einen männlichen 74

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Vorgesetzten: „Da habe ich erstmal gemerkt, wie man es schafft, jemanden rauszudrängen. Plötzlich war ich bei Sitzungen nicht mehr dabei, plötzlich habe ich Informationen nicht mehr bekommen. Obwohl ich einen guten Job gemacht habe.“ Ein Jobwechsel im Verlag war die Folge: „Ich habe mir damals meine Nische gesucht, das war die Flucht vor einem Mann, weil ich einfach gemerkt habe, ich ziehe da den Kürzeren. Das war sehr stark männlich dominiertes Mobbing, ein echter Mann-Frau-Fight, der an die Substanz gegangen ist.“ Auf ihrer persönlichen Glücksskala spielt der Beruf dennoch eine übergroße Rolle: „Das finde ich zum Teil erschreckend, wie stark ich mich über meinen Job definiere. Weil ich, seit ich vierzehn bin, in diesem Job bin. Ich wollte immer im Medienbereich tätig sein. Ich merke, dass ich total viel Selbstbestätigung und Glück darüber beziehe, wenn mir etwas gut gelungen ist. Das ist für mich ein irrsinnig starker Trigger, möglicherweise sogar ein stärkerer Trigger als manche Dinge im Privatleben. Wenn man sich aber einen Menschen ideal malt, dann findet der doch Mutterschaft oder Vaterschaft wahnsinnig toll, der hat eine ausgeglichene Work-Life-Balance, der hat Interessen und Hobbys. Ich hab’ erschreckender Weise keine Hobbys. Der Beruf ist mein Hobby, mein Ehrgeiz ist mein Beruf, mein Glücksbringer. Schon mein Freund, zu einem großen Teil, und mein Sohn auch, aber mein Beruf auch zu einem großen Teil.“

Und zwar trotz des Gender Pay Gap: „Journalismus ist ein Beruf für Einzelkämpfer, was das Gehalt betrifft. Ich habe gemerkt, dass Männer viel easyer damit umgehen, viel mehr mit einem Selbstverständnis die Summe verlangen, die viel zu hoch ist. Das ist etwas, worüber ich mich zigmal hinterher geärgert habe, und gemerkt habe, dass ich das gar nicht gut kann. Ich bin überzeugt davon, dass Frauen viel weniger Geld verdienen als Männer, „Global Media Watch“ – die Hälfte der Welt?

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gerade im Journalismus. Und das liegt schrecklicher Weise nicht an den Verlagen, sondern an den Frauen selbst, die es nicht einfordern.“

Sexuelle Belästigung im Journalismus hat sie ebenfalls beobachtet: als verbale Entgleisungen, aber auch als Phänomen von Übergriffen: „Vor allem in dieser alten News-Zeit, als die Strukturen noch ganz anders, und die Männer noch Machos waren. Grindige Alphaviecher, die Kolleginnen belästigt haben, zum Teil wirklich widerlich. Ich kenne Geschichten von Weihnachtsfeiern, wo Blusen aufgerissen wurden und so weiter.“ Auch heute noch verbreitet sei: „Alltagssexismus, der sich nicht wirklich auf die sexuelle Ebene bezieht, Männer in höheren Positionen, die Frauen sehr gerne klein reden. Es kann sein, dass in Verlagsabteilungen Männer herumhüpfen, die der Ansicht sind, sie können zu Kolleginnen Schatzerl sagen. Oder es glauben echt viele, es ist wahnsinnig witzig, zu rufen: ‚Na schau, da steht er.‘ Genau wenn eine Frau bei der Türe reinkommt. Und diese Frau fühlt sich dann, auch wenn sie nicht direkt angesprochen wurde, beschmutzt. Sie muss dann durch den Raum gehen und fühlt sich unwohl, klein gemacht. Wie soll eine Frau in so einem Umfeld, in so einer Situation handeln? Da musst du schon eine sehr starke Persönlichkeit sein, um so einem Belästiger den Kopf zu waschen.“

Fazit: „Es ist in dieser Welt nach wie vor für Frauen nicht einfach, sich gegen diese Männerschmähs und diesen Alltagssexismus zu behaupten.“ Da brauche es schon „Eierstöcke“, um sich zu wehren, quasi „weibliche Cochones“. Auch die Storyauswahl hat, etwa am Beispiel von „Woman online“, gesellschaftspolitische Wirkmacht. Nana Siebert erzählt über die Art von Themen, die beim Frauenmagazin online erfolgreich seien. Women.at sei ihre „Spielwiese“ gewesen, sie konnte „komplett frei thematisch entscheiden“. Und weiter: 76

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„Wir können im Digitalbereich alles mit Zahlen messen, und ich schwöre, die Geschichten über Frauenpolitik und feministische Themen machen null Quote. Gemessen an anderen Geschichten wie z.B. ‚Zehn Tipps, wie du einen Mann rumkriegst – so machst du jeden Mann verrückt‘. Die haben wir vor fünf Jahren gemacht und sie ist nach wie vor einer der Traffic-Bringer. Weil Frauen bei Google, oder auch Männer möglicherweise, eingeben: Wie mache ich einen Mann verrückt. Das ist ein ganz, ganz hoher Suchbegriff. Das ist als Story ein Renner, obwohl ich rein nach feministischen Kriterien sage: why?“

„Solche Geschichten“ würden heute bei „Woman“ nicht mehr gemacht. „Unter anderem, weil ich nicht mehr dieses püppchenhafte Verhalten fördern möchte. Storys zu #MeToo machen bei Woman Traffic, den Gender Pay Gap bejammern wird keinen Traffic machen.“ Trotzdem seien in ihrer Ära auch bei „Woman“ Storys zum Gender Pay Gap gemacht worden. „Warum? Weil ich das für das Markenbild und auch aus gesellschaftlicher Verantwortung wichtig finde. Wir haben also auch diese Geschichten.“ Hier zeigt es sich, dass es eine Kunst ist, frauenpolitische Themen so spannend zu vermitteln, dass sie auch gelesen werden. Eine Kunst, die nicht jede/r beherrscht. Die Stoßrichtung ging aber offenbar in die Richtung, das boulevardeske „Woman“-Konzept, das ein eher traditionelles Frauenbild pflegt, online jünger und moderner zu gestalten, und sich auch an Plattformen anzunähern, die der Frauenpolitik schon länger und erfolgreich Raum geben. Ansetzen müsste Förderung für Frauen schon vor dem Berufseintritt, meint Siebert, die ihre Erfahrungen schildert, wenn Schulklassen zur Exkursion in die Redaktion kamen. Eines sei ihr immer eklatant aufgefallen: „Dass es einen sehr großen Unterschied zwischen Jungs und Mädchen gibt. Die Buben sind immer die ersten, die sich „Global Media Watch“ – die Hälfte der Welt?

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melden. Die Mädchen sitzen da und wollen gebeten werden. Das ist so tief in unserer DNA verankert. Obwohl wir alle aufgeklärte Eltern sind, wir sagen ja nicht mehr: Bleib sitzen und warte, bis jemand fragt. Ich wüsste das gerne mal, warum so viele Frauen so sehr, so lange schweigen und so lange hoffen, dass gesehen wird, was sie tun. Weil ich glaube, das ist der riesige Gap, der dazu führt, dass Frauen, nach wie vor noch benachteiligt werden. Oft kommt es von oben, aber ganz oft kommt es auch von unten, dass wir es einfach nicht aktiv angehen und sagen, was wir brauchen und was wir wollen. Und dass wir auch laut sind und die frechen Pippi-Langstrumpfs sind, die einfordern, dass die Welt so ist, wie sie uns gefällt.“

Fazit: „Das Schlimme ist, das wir Frauen so sehr hoffen, über unserer Leistung und über unser Faktenwissen zu punkten, und oftmals noch nicht verstanden haben, dass ein großer Teil verdammtes Selbstmarketing ist, und Jungs haben das aus Spielplatzgründen viel mehr drauf: Der am lautesten schreit, kriegt am schnellsten was, das ist irgendwie wie in einer italienischen Großfamilie.“

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Pro Quote – „Hosen runter, Röcke hoch!“ „Keiner mag die Quote. Aber ohne sie ändert sich gar nichts.“ Anne Will12

Immer öfter formiert sich in den Redaktionen Widerstand der Frauen. Am 26. Februar 2012 ging per E-Mail ein offener Brief von Medienfrauen an die Chefetagen deutscher Medienhäuser. Die Forderung: Bis 2017 sollten 30 Prozent weibliche Führungskräften in deutschen Leitmedien etabliert werden. Bei den Initiatorinnen der Initiative handelte es sich um die späteren Gründungsmitglieder des Vereins „Pro Quote Medien“. (Pro Quote, 2018) 78

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Die Begründung der Proponentinnen: „Eine angemessene Repräsentation von Frauen“ sei in den Medien „als vierte Gewalt“ demokratiepolitisch Pflicht. Es gehe um nichts weniger als die Frage: „Wer bestimmt eigentlich, was in der Zeitung steht, was Fernsehen, Radio und Online-Medien senden? Welche Konsequenz hat die männliche Dominanz für unsere Gesellschaft, in der Frauen als potentielle Rezipientinnen sogar mehr als die Hälfte darstellen?“ Zu den Unterstützerinnen zählen prominente Medienfrauen wie Anne Will, Sandra Maischberger, Antonia Rados, Wibke Bruhns, die als erste Nachrichtensprecherin der Bundesrepublik 1971 zur feministischen Ikone wurde, oder auch „Emma“-Gründerin Alice Schwarzer. Am 17. Oktober des Gründungsjahres 2012 übte man sich in medienwirksamem Aktionismus. Die Aktion „Hosen runter von den Chefsesseln – Röcke hoch“ manifestierte sich als Wochenendausgabe der TAZ mit entsprechender Schlagzeile. Das Berliner Blatt hatte Pro Quote seine Redaktionsräume überlassen, um eine Sonderausgabe unter ausschließlich weiblicher Leitung zu produzieren. Im September 2015 veröffentlichte Pro Quote eine Umfrage, mit der der Verein das Emnid-Institut beauftragt hatte. 56 Prozent der Befragten halten eine 30-Prozent-Quote für Frauen in Führungspositionen in den Medien für „wichtig“ bis „sehr wichtig“. 52 Prozent der Männer und 60 Prozent der Frauen und bei den jüngeren Befragten (zwischen 14 und 29) sehen in der Quote ein Instrument zur Chancengleichheit. Seit 2017 fordert Pro Quote inzwischen 50 Prozent der Führungspositionen in deutschen Redaktionen. Der bisher geforderte „Frauenmachtanteil“ von 30 Prozent wurde von deutschen Medienhäusern in Summe nicht erreicht. „Deutsche Print-Redaktionen sind immer noch zu 95 Prozent von Männern dominiert. Drei Prozent aller Chefredakteure der rund 360 Tages- und Wochenzeitungen sind weiblich, zwei Prozent der Intendantinnen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und

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fünf Prozent der Regionalzeitungs-Chefs“, konstatiert Pro Quote. Seit Februar 2012 misst Pro Quote den Frauenanteil in Führungspositionen bei den acht größten deutschen Medien: „Bild“, „Spiegel“, „Focus“, „Stern“, „Zeit“, „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Welt“. Seit Mai 2015 zählt sie die Online-Portale dazu. Gerechnet wird nach „Machtfaktor“ statt in absoluten Zahlen. Halbjährlich wird das Geschlechterverhältnis in den Chefetagen deutscher Leitmedien neu evaluiert. Die Zählungen erfolgen auf Grundlage der Impressen, wobei nach Hierarchie-Ebenen gewichtet wird – je höher die Position, desto größer die Machtfülle. Die Entwicklung der Zahlen seit der ersten Zählung ist als Kamele- (Print) und Straußenrennen (online) online mitzuverfolgen. Bilanz im Januar 2018: Mit „Spiegel“ und „Zeit“ liegen zwei von acht untersuchten Printredaktionen über der 30-Prozent-Marke, zwei weitere, nämlich „Bild“ und „Stern“ knapp darunter. Mit 37,5 Prozent weiblichem Machtanteil ist „Der Spiegel“ Nr. 1 und löst „Die Zeit“ (35,1 Prozent) an der Spitze der Printmedien ab. „Größter Verlierer ist der ‚Focus‘ mit nur 9,1 Prozent gewichtetem Frauenanteil. Dort gibt es derzeit auf Chefredaktions-, Textchef- und Ressortleiterebene keine einzige Frau“, lautet der Kommentar von Pro Quote. Online-Redaktionen punkten hingegen. Stern Online knackt mit 52,4 Prozent als erstes Medium die 50-Prozent Hürde weiblicher Führungskräfte. Chefredakteurin und Stellvertreterin amtieren dort seit Herbst 2017. Weitere Werte sind: Zeit online 41,1 Prozent, Focus online 37 Prozent, Spiegel online 37,5 Prozent und Süddeutsche online 31,1 Prozent (die Zeitung berief eine stellvertretende Chefredakteurin). Nicht alle Onliner sind so emanzipiert: Bild und FAZ grundeln13 online bei mageren 15 Prozent herum.

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Die neuen starken Medienfrauen

Wider die publizistische Heimatlosigkeit der weiblichen Intelligenz Susanne Beyer – die Frau im „Spiegel“ des Weltgeschehens

Geboren und aufgewachsen ist die Tochter eines Hochschullehrers auf Sumatra. Mit fünf kam sie zurück nach Deutschland und der Kulturschock war groß. Vielleicht, so glaubt es jedenfalls ihr Mann, rührt daher ihr Weg in den Journalismus. Denn jene Grunddistanz zur Welt, eine Fremdheit, die sie damals in der neuen Heimat empfunden habe, hat sie sich erhalten. Heute ist die Welt ihr Zuhause. Und Susanne Beyer eine moderne Pionierin. Sie ist die erste Frau der Mediengeschichte, die es in die Chefredaktion des „Spiegel“ geschafft hat und damit in das Print-Leitmedium deutscher Sprache. Seit 22 Jahren ist die Veteranin dabei, lange als Redakteurin im Kulturressort. Die letzten vier Jahre, bis zum Jänner 2019, gestaltete sie als stellvertretende Chefredakteurin die Arbeit im Mutterhaus in Hamburg mit. Was das für sie und die Branche bedeutet, formuliert sie so: „Es bedeutet, dass es geht! Über viele Jahrzehnte hat es geheißen: Können das Frauen überhaupt? Dass es geht, dafür stehe ich hoffentlich und damit ist auch das ganze Haus ein Stück weitergekommen. Das ist ja der Vorteil der Gleichstellung: dass Vielfalt möglich und die Auswahl größer geworden ist“. Angestrebt habe sie mangels weiblicher Vorbilder weder die Rolle als Pionierin noch die Karriere. Lange war klar, dass sie Redakteurin bleibe, da etwas anderes gar nicht möglich ist. An Karriere verschwendete sie keinen Gedanken, arbeitete nur umso härter. Offenbar nicht ganz unbemerkt: Der Chefredakteur fragte sie für den Posten als Stellvertreterin an. Und Beyer steckte ihre Rolle ab. Keinesfalls wolle sie ein Nachspiel einer Vorstellung davon inszenieren, wie eine Frau in der Chefredaktion sein müsste:

Pro Quote – „Hosen runter, Röcke hoch!“

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„Ich habe ihm gleich gesagt, dass es mir das Wichtigste wäre, dass ich mir selbst treu bleiben kann. So kann jede, die nachfolgt, später auch sie selber bleiben. Wenn man gleichzeitig mit einer Vorreiterinnenrolle versucht, stereotype Erwartungen ausfüllen zu wollen, dann bleibt man nicht bei seiner Kraft und letztendlich ändert sich dadurch nichts. Denn was wäre das für eine Rolle gewesen? Ich hätte mich nah an dem orientiert, was ich kannte: einer männlichen Art zu führen. Und dann muss man keine Frau berufen, wenn man nicht auch das Wagnis eingehen will, dass Dinge anders werden.“ Dass es neben dem Männlichen des Führens eine weibliche Art gibt, die absolut anders ist und mit irgendwelchen weiblichen stereotypen Eigenschaften verbunden ist, glaubt sie nicht. Wer Alphafrau ist, soll es bleiben, wer, wie sie selbst, lieber partizipativ führen will, auch. Ziel sei Vielfalt statt Bewertung dessen, was Erfolg für Frauen bedeute, im Leben wie im Beruf: „Mein Punkt ist: Jeder soll sein, wie er ist, und es als legitim empfinden. Alles, was die Arbeit mit sich bringt, muss man erfüllen. Aber auf die Weise, wie es einem gemäß ist. Darum wollen wir Vielfalt in Führungspositionen. Nicht aus einem Selbstzweck heraus, sondern weil es für die ganze Gesellschaft eine Bereicherung ist. Für Frauen ist es gut zu sehen, es gibt verschiedene Wege, durchs Leben zu gehen. Und das bedeutet überhaupt nicht, dass man diese Lebenswege jeweils beurteilt. Wenn eine Mutter gerne bei ihren Kindern bleibt und das finanziell möglich ist und sie kein Armutsrisiko in Kauf nimmt, ist das ja auch in Ordnung. Genauso wie es in Ordnung ist, Kinder und Beruf auszubalancieren oder auf Kinder zu verzichten.“

Zum unverzichtbaren Instrument habe sich die Quote entwickelt. Das war nicht immer so. Als junge Redakteurinnen lehnten die Frauen im „Spiegel“, genauso wie die Männer, das Wort „Quote“ ab. In einem „Arbeitskreis Gleichstellung“, kurz nach der Jahrtausendwende, legten dessen Mitglieder gemeinsam 82

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mit Personalabteilung, Chefredaktion und Geschäftsführung eine Mindestanzahl an Frauen als schreibende Redakteurinnen fest, das Wort „Quote“ wurde dezidiert vermieden, aus Sorge vor zu großer Abwehr. Doch man sah sich zu einer Strategieänderung gezwungen. Im Jahr 2011 verfasste Beyer gemeinsam mit einer Kollegin eine Titelgeschichte: „Eine Streitschrift für die Quote, weil wir einfach festgestellt haben, ohne dieses Mittel geht es nicht voran.“ Die Quote solle kein für immer bleibendes Mittel sein, sondern dann, wenn eine gewisse Zahl erreicht ist, sollte sie sich selbst abschaffen und nicht mehr nötig sein. „Wir haben durch Studien gewusst, es braucht eine gewisse Anzahl von Frauen, damit Frausein in solchen Runden überhaupt erst möglich ist. Denn im Spiegel sind einzelne Ressortleiterinnen immer mal wieder berufen worden, aber hatten zu sehr zu kämpfen allein unter Männern. Es musste selbstverständlich werden, dass Frauen Führungspositionen übernehmen, damit nicht immer die Kollegen den Atem anhielten, wenn eine hohe, vielleicht leise Stimme erklingt, das musste normal werden.“

Was ist spannend und herausfordernd, vielleicht auch Glück bringend, am Journalismus? „Ich bin sehr, sehr neugierig, und ich glaube, ich werde das auch nicht ablegen, wenn ich den Beruf nicht mehr habe, in den Ruhestand gehe. Diese Neugier kann man ja in vielerlei Hinsicht stillen. Aber dieser Beruf gibt einem eben die Möglichkeit, in die Wohnzimmer zu kommen und alle Fragen zu stellen, die interessant sind: politisch, kulturell, ganz grundsätzlich, was die Welt zusammenhält. Das kann man mit jedem debattieren, mit dem man Lust hat zu sprechen. Das ist zumindest im Spiegel möglich, da stehen einem viele Türen offen und das ist ein großes Geschenk, das zu dürfen und diesen Einblick haben zu können. Wenn wir die historische und soziologische Perspektive einnehmen, möchte ich eine Pro Quote – „Hosen runter, Röcke hoch!“

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These wagen: Ich nehme an, dass der unmittelbare Kontakt mit Menschen Frauen entgegenkommt, weil Frauen in den Familien seit vielen Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden die sozialen Rollen innehatten. Bis heute ist das so, dass die Frau mehrheitlich für den Freundeskreis zuständig ist und für die Pflege sozialer Kontakte. Ich glaube, dass wir Frauen uns – historisch, soziologisch gelernt – für andere Menschen interessieren. Das kann man in diesem Beruf exzessiv tun, und das macht mir bis zum heutigen Tag große Freude.“

Das bedeutet auch eine gewisse Macht, selbst außerhalb einer Hierarchieposition, oder zumindest eine Möglichkeit, Meinungsführerschaft zu erlangen. Gibt es für den Weg an die Spitze ein Erfolgsrezept? „Kann man das so planen? Das wäre meine Frage. Ich glaube tatsächlich, dass Frauen nach wie vor viel mehr darauf aufpassen müssen, wie wir an die Spitze gelangen. Zu viel Nähe zu mächtigen Männern schadet uns. Die eigene Leistung wird dann schnell nicht mehr als die eigene Leistung gesehen. Und es ist noch heute so, dass wir letztlich nur unsere Leistung haben sollten und nichts anderes. Da haben es junge Männer vielleicht eine Spur leichter, wenn die sich mit ihren Chefs befreunden und abends ein Bier trinken gehen. Doch eines gilt für Männer wie für Frauen und das ist wichtig zu wissen: Letztlich ist man in unserem Beruf alleine. Mit seinem Text, mit seinen Recherchen. Man muss sich auf die eigenen Kräfte verlassen können und sich eher nicht zu sehr helfen lassen. Sondern auf sich selber vertrauen und dann kucken: Bin ich das? Und ob man Karriere machen will, das ist dann noch einmal eine ganz eigene Frage: Ich halte Karriere nicht für einen absoluten Selbstzweck. Es gibt nur ein Leben, und da muss jede und jeder wählen, was für ihn und für sie richtig ist.“

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Sehr hoch schätzt sie das soziale Lernpotential für Frauen in Führungspositionen ein, besonders im Erkennen eines übersteigerten Perfektionismus: „Über Karriereposten in unserem Beruf eröffnen sich ganz neue Dimensionen. Das Schreiben ist die eine Seite, und man wird darin hoffentlich immer besser und findet immer neue Themen. Aber in Führungspositionen geht es darum, andere Leute anzuführen, Teams zu bilden, und das sind dann nochmal ganz neue Herausforderungen, die auch neue Seiten in einem eröffnen. Für die Persönlichkeitsentwicklung ist es etwas Schönes, Führungspositionen zu übernehmen, weil Herausforderungen immer gut sind fürs Leben. Denn es geht immer etwas schief, wenn man handelt, und das muss man dann aushalten. Ich glaube, das ist für uns Frauen besonders schwer, da wir schon so früh extremen Bewertungen ausgesetzt sind – was unser Aussehen betrifft, was unser Auftreten betrifft. Letztlich werden wir sehr stark auf dem Markt der Sexualität, des Begehrens, des Sich-Liebens wahrgenommen und beurteilt. Es geht bei uns häufig um das, was wir ausstrahlen, und wie perfekt wir sind.“

Frauen müssten lernen, Fehler nicht für einen Weltuntergang zu halten: „Ich habe den Eindruck, es fällt Frauen schwerer, Fehler zu machen. Gerade unsere Generation, die die Chance hatte, sich in unbekannte berufliche Terrains vorzuwagen, neigt zum Perfektionismus, ich auch, weil wir denken, Fehler würden uns nicht verziehen, unser gesamtes Können stünde über Fehler in Frage. Fehler dann auszuhalten, und zu sehen, man überlebt das, und es gibt ein weiteres Spiel und ein neues Feld. Es gibt vielleicht sogar eine Karrieredelle, dann macht man etwas Anderes und überlebt dennoch den Fehler. Das ist, glaube ich, eine sehr gute, wichtige Erfahrung. Pro Quote – „Hosen runter, Röcke hoch!“

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Womöglich habe ich das an den Schulen meiner Töchter gesehen. Wenn man sich da auf den Höfen tummelt, sieht man, dass die Jungs Fußballspiele spielen und sich sportlich messen. Mal gewinnt die eine, mal die andere Mannschaft, mal schießt jemand ein Eigentor. In meiner Generation war Fußball noch ein reiner Jungensport, Mädchen machten diese Sportarten nicht. Mein Gefühl ist, dass sich Frauen mit offenem Wettbewerb, mit Kräftemessen noch schwertun und sich Fehler vor allem selbst absolut übelnehmen.“

Was hat sich über die Jahrzehnte verändert in der Entwicklung von Karriere als einem fast männlichen Sperrgebiet zur weiblichen Teilhabe? Gab es Meilensteine der Veränderung? „Dass das so außer Frage war, dass Frauen keine Karriere machen würden, das war ja schon eine Diskriminierung, die ich aber selber mehr oder weniger hingenommen habe. Da habe ich gar nicht darüber nachgedacht. Und es gab auch lange Zeit Leute an entscheidenden Positionen, auch Blattmacher, die das grundsätzliche Urteil hatten, Frauen können nicht schreiben, das ist ja die Diskriminierung schlechthin! Davon selbst nicht zu viel anzunehmen, das ist schon ein langer Prozess gewesen.“

Die Misere sei teils in den historischen Besonderheiten begründet gewesen: „Es war eben so, dass der Spiegel aus der Adenauerzeit kam und den Nationalsozialismus im Rücken hatte. Er ist gegründet worden im Auftrag der Alliierten, der Besatzungsmächte. Der Auftrag war letztlich, die Demokratie zu kontrollieren, zu verteidigen, und da war in der Adenauerzeit, in den 60er bis in die 80er Jahre, ja auch viel zu enthüllen und aufzudecken. Und scharf zu sein, weil das Land durchdrungen war von NS-Ideologie, das war ja nicht weg 1945, die berühmte Stunde Null konnte es ja nicht geben. Sondern da gab es Kontinuitäten und daraus ist ein sehr scharfer 86

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Schreibstil entstanden, der kaum etwas, was es gab, gelten ließ und eigentlich alles kritisierte. In der Zeit, in der ich dann zum Spiegel kam, wurde dieser Schreibstil langsam zum Selbstzweck. Die Gesellschaft entwickelte sich, öffnete sich. Man reiste, das Leben wurde internationaler. Man hatte ein langes Stück Demokratie miteinander geschafft, und das war so eine Phase, wo wir Frauen im Spiegel, aber auch Leserinnen den Eindruck hatten, es müsse auch eine Vielfalt an Schreibstilen her. Natürlich ist kritischer Journalismus unser Markenkern, da will ich auch nicht falsch verstanden werden. Aber manchmal kommt man mit Zweifeln und auch Selbstzweifeln weiter. Es gibt nicht nur einen Weg zur Erkenntnis. Und Erkenntnis ist ja das Ziel.“

Es waren die Frauen, die dabei entscheidende Weichenstellungen bewirkten. „Diese Vielfalt des Tons, die haben wir Frauen, das wird kein Zufall sein, sehr stark eingefordert und ich glaube im Nachhinein, dass das eine gewisse Bedrohung war. Wir waren anders, wir sprachen anders und wir waren eben Vorboten einer Zeit der Vielfalt. Dem Spiegel hängt immer noch an, boshaft zu sein, das stimmt aber nicht mehr. Daran sieht man, wie lange Klischees erhalten bleiben. Wir alle, Männer wie Frauen, verbinden kritischen Journalismus mit einer Vielfalt im Ton.“

Durchaus auch selbstkritisch reflektierte der „Spiegel“ unter dem Eindruck von #MeToo über entsprechende Phänomene der Magazingeschichte. „Wir müssen über Augstein sprechen“, hieß es da. Warum war das wichtig? „Weil wir Kritik ja nur nachvollziehbar und berechtigt nach außen anwenden können, wenn wir auch nach innen bereit sind, an die Schmerzpunkte zu rühren. Es ist weithin bekannt gewesen, dass Augstein Frauen im Bademantel begrüßt hat, dass der Spiegel ein Männerladen war. Es gab gar Pro Quote – „Hosen runter, Röcke hoch!“

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nichts zu verschweigen und es ist ja manchmal auch ein Vorteil, wenn die Dinge so offensichtlich sind. Wir haben im Laufe des vergangenen Jahres mehrere investigative Recherchen gehabt, auch bei anderen Medienhäuser wie dem WDR, und da fand ich es notwendig, dass wir auch unsere eigene Geschichte erzählen, uns stellen und uns nicht die kritische Sicht auf uns selbst ersparen.“

Warum war Beyer der Spezial-„Spiegel“ „Frauenland“ ein Anliegen? „Der Spiegel möchte ein Massenmedium sein. Diesen Auftrag haben wir immer noch, den pflegen wir, die Demokratie zu bewahren durch Kritik, und sie zu verteidigen. Da geht es um einen wesentlichen Artikel unseres Grundgesetzes, nämlich dass Männer und Frauen gleich sind. Das ist aber durch unsere Leserschaft nicht repräsentiert, wir haben 72 Prozent Leser und 28 Prozent Leserinnen. Wir müssen herausfinden, woran das liegt, und Frauen ein Angebot machen. Und damit meine ich nicht: mehr Mode! Ich glaube, dass sich Frauen genauso für Politik interessieren, aber vielleicht auch andere Zugänge interessant finden, darüber müssen wir nachdenken. Ich finde aber auch, das habe ich in meinem Leitartikel so geschrieben in diesem besonderen Spiegel, dass Frauen das Politische auch selbstverständlicher auf sich beziehen sollten und das Angebot, sich zu informieren und Teil des Gesprächs sein zu wollen, auch wirklich annehmen sollten. Das ist also ein Appell an beide Seiten, erstmal an uns, die Medienleute, aber auch an die Frauen, ihnen zu sagen, kuckt mal, das Politische ist auch eure Verantwortung, ihr steht auch in der Geschichte und in der Gesellschaft und jetzt macht mal mit. Das Sonderheft war eine Aufforderung zum Mitmachen.“

Warum wagt sich niemand an ein intelligentes politisches Frauenmagazin? Das habe in erste Linie mit der äußerst mani88

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pulativen Werbewirtschaft zu tun. Die verhindere damit aktiv die Emanzipation der Frau in der Gesellschaft. „Ich finde auch, dass da etwas fehlt, es gibt einen großen Teil Frauen, die publizistisch heimatlos sind. In Deutschland gibt es diese Kategorien: Zeitleser, Spiegelleser usw. und wo ist eigentlich das Angebot für eine bestimmte Gruppe von Frauen, die es jetzt vermehrt gibt und früher nicht so häufig gegeben hat: also Ärztinnen, Richterinnen, Rechtsanwältinnen, von denen wir jetzt sehr viel mehr haben. Tatsächlich war unser „Frauenland“-Projekt ein Angebot auch an Anzeigenkunden. Kuck mal, das gibt es und diese Frauen müssen auch wissen, wie sie sich anziehen und wo sich die Mode hin entwickelt und ist das nicht auch interessant? Es hat sich aber herausgestellt, dass die Anzeigenkunden eher desinteressiert waren, weil – und das ist auch eine Sache, über die viel zu wenig geschrieben wird – der Anzeigenmarkt inzwischen schon fragwürdig geworden ist. Die Kunden wollen redaktionelle Berichterstattung in ihrem Sinne, sonst schalten sie keine Anzeigen. Und das ist dann etwas, wo der Spiegel gar nicht mitmachen kann, da müssen wir dann unsere Grenzen ziehen. Mit dem Ergebnis, dass wir so ein Magazin auch nicht finanzieren können. Das ist schon schade.“ Wie sieht Susanne Beyer die Zukunft des Journalismus in Bezug auf Karrierechancen für Frauen? Derzeit verorte sie die Medien in einem historischen Moment, die Branche sei in einem sagenhaften Umbruch begriffen: „Wären wir in den 80er Jahren, würde ich sagen, das wird ganz großartig für Frauen. Aber die Beschäftigungsbedingungen werden immer prekärer, es gibt immer mehr freie Mitarbeit. Ich sehe kaum noch Verlage, die so zuverlässig sind wie wir. Wir wissen, dass Frauen da eher Opfer sind, weil sie durch Schwangerschaften benachteiligt sind, und es danach nicht anderes hinkriegen mit ihren Kindern als mit Teilzeit. Das meine ich jetzt völlig wertfrei, aber sie kriegen es nicht anders hin, denn Familienarbeit ist tatsächlich viel Pro Quote – „Hosen runter, Röcke hoch!“

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Arbeit, so schön sie auch ist. Viele Frauen starten furios, aber wenn dann Kinder da sind, sind sie gezwungen, den Job quasi nebenbei zu machen. Da müssen wir darauf achten, dass wir im Zentrum des Geschehens bleiben. Journalismus – das ist kein Beruf für nebenbei, wir müssen schon mitmischen. Deswegen sind Frauen in Führungspositionen, die auf ihre Kolleginnen achtgeben, auch so wichtig. Sie sollten es gut meinen mit Frauen, deren Talente sehen und fördern! Ich finde, Chefinnen der heutigen Generation sollten sich regelrecht zum Auftrag machen, Frauen vorkommen zu lassen. Es gibt aber leider Frauen, die von einer gewissen feministischen Welle jetzt grade profitieren und kaum haben sie Karrierejobs, sind sie nicht besonders gut zu ihren Kolleginnen. Es hängt stark von den einzelnen Frauen ab, ob sie bereit sind, ihre Rollen mit Geradlinigkeit und Anstand zu füllen.“

Durch disruptiven Wettbewerb, Medienwandel und Digitalisierung schreitet auch Deprofessionalisierung in der Branche voran. Medienforscher wie Russ-Mohl äußerten sich sehr skeptisch gegenüber trügerischen Trends wie dem sogenannten „Entrepeneur-Journalismus“, der Journalisten zu Unternehmern machen soll. Wie schätzt Beyer das Potential ein für Frauen als neue Selbstständige mit Blogs, Podcasts usw. lukrative Nischen zu finden. Kann das für mehr als ein paar Einzelfälle aus dem Prekariat hinausführen? „Es birgt größere Gefahren, aber es ist auch eine Form, sich das Leben so zurecht zu legen, dass es auch dem Leben gemäßer ist, da gibt es unterschiedliche Ausprägungen. Natürlich, bei so einem Blog kann man sich die Zeit selber einteilen. Zu einem Unternehmen zu gehen und Teil eines Teams zu werden, bedeutet auch immer, dass man große Stücke der Autonomie abgibt, so ein großes Team wie hier im Spiegel kann nicht auf alle möglichen privaten Umstände Rücksicht nehmen. Im Digitalen entstehen neue, flexiblere Be90

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rufs- und Lebensbilder, die ich jetzt noch gar nicht so kenne.“

Den klassischen Medienhäusern gehen die Jobs aus. Man fragt sich, wo die Heerscharen an Journalisten unterkommen sollen, die in immer mehr Fachhochschulen Ausbildungen absolvieren. Einige versuchen es als sogenannte Influencer, also weniger als JournalistInnen denn als Werbeträger. Beyer meint dazu: „Das ist eine Frage und im Moment sieht es jedenfalls so aus, als würden Marketingmächte die Oberhand gewinnen, weil alle so Angst haben vor dem Untergang. Das ist immer ein Ringen zwischen Interessen eines Verlags und einer Redaktion und das ist auch gesund. Aber ich sehe allerorten, dass die Verlage stark versuchen, an die Nr. 1 zu rücken. Damit verändert sich unser Beruf. Je mehr wir uns an die Werbewirtschaft anpassen, desto weniger sind wir das, was wir sein sollten. Ich sehe viele, viele Gefährdungen für unseren Beruf und da hängen auch die Frauen mit drin. In der bunten Welt der Frauenmagazine sehe ich nur noch wenig Journalismus, sondern ein einziges großes Entgegenkommen an die Werbeindustrie und eine sehr aktive Schere in den Köpfen, was man noch schreiben kann, damit man den Inseraten-Kunden nicht vergrätzt. Und das soll unser Beruf nicht sein. Da rede ich natürlich aus einer Luxusperspektive, weil es dem Spiegel vergleichsweise noch gut geht, dass er die Mauern noch hochhalten kann. Aber das kann ja nicht jedes Medienhaus.“

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HERStory – Berufsgeschichte/n gestern und heute

Als eine Art „Prototyp“ des Menschen galt in der Geschichtsschreibung lange der Mann. Dem machte die historische Frauenforschung ein Ende, indem sie ein neues Kapitel eröffnete: Sie fügte historische Frauen und deren Leistungen der bislang rein männlichen Historie hinzu – sowohl als Heldinnen als auch als Opfer. Die frühe Frauengeschichte übte Kritik an der Unsichtbarkeit von Frauen. Eine zentrale Figur in den sogenannten „Womens Studies“, die aus den USA kamen, war Gerda Lerner, eine Wienerin, die 1938 vor den Nazis flüchten musste. Sie kritisierte die „androzentristische Verzerrung der Vergangenheit“. Also eine Vergangenheit, die nur von männlichen Leistungen erzählt. Aus einer Vorlesung im Jahr 1977 ist ihr Lamento überliefert, Geschichte werde einzig von Männern nach deren Werten geschrieben. Frauen kämen darin kaum vor. (Lerner nach Kinnebrock 2008) Ende der sechziger Jahre formierte sich in den USA Frauengeschichte als „HERStory“, einer Abwandlung des englischen Terminus „HIStory“, Geschichte. Sie sah als ihre Aufgabe, die Geschichte der Frauen zu entdecken und damit die Menschheitsgeschichte ganz neu zu schreiben. Ziel war das Sichtbarmachen und Hinzufügen weiblicher Protagonistinnen und ihrer Leistungen. Die Heldinnen der Frauengeschichte wurden entdeckt, die Pionierinnen der Emanzipation und der Frauenbewegung gewürdigt. Die frühen Studien widmeten sich den zahlreichen Diskriminierungen von Frauen. Bezogen auf die Berufsgeschichte von Frauen in den Medien ging es darum, männlichen Journalistengrößen weibliche Pendants an die Seite zu stellen. Und es ging um das Aufzeigen

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der Diskriminierungen im Berufsfeld: hinsichtlich des erschwerten Zugangs ebenso wie der ungleichen Entlohnung. Die feministische Medienforschung setzte dann für Frauen eigene Maßstäbe. Nur angestellte Redakteure zur journalistischen Berufsgruppe zu zählen, blendete die meisten Frauen aus, denn die fanden anfangs als Freie Jobs. Nur Leitmedien der bürgerlichen Tagespresse zu analysieren, war nicht zielführend, die Pionierinnen begannen ihre Karriere oft in Frauenzeitschriften. Auch wurden von männlichen Historikern weibliche Werke oft irrtümlich Männern zugeschrieben. Die Praxis der männlichen Pseudonyme früher Schreiberinnen gab oft wenig sachdienliche Hinweise für die Forschung. Susanne Kinnebrock fand heraus: Jörg Requates Standardwerk der Berufsgeschichte des 19. Jahrhunderts liste 781 Männer, jedoch nur drei Frauen auf. Sophie Patakys „Lexikon der Feder“ sei für das 19. Jahrhundert auf 1133 Frauen gekommen. Periodika und freie Mitarbeiterinnen seien hier mitgezählt. Zuschreibungen bürgerten sich ein, was für Frauen denn typisch sei, und die sind in der Rückschau stets mitzudenken. Im Berufsfeld Medien herrschte ein strenger Dualismus. Die Trennlinien zwischen Kunst und Kommerz, Information und Unterhaltung und Fakt und Fiktion waren scharf. Das jeweils Negative dieser Aufzählung wurde in die Domäne des Weiblichen verbannt. Historische Frauenforschung leistet wertvolle Arbeit zum Empowerment weiblicher Journalistinnen. Wissenslücken um die Geschichte der Frauen im Journalismus werden geschlossen, eine neue, weibliche Erinnerungskultur mobilisiert, um weibliche Vorbilder und Identifikationsmöglichkeiten im Beruf zu schaffen. Die traditionelle Journalismusgeschichte folgte meist einem weitgehend männlichen Fokus und Narrativ. Schreibende Frauen waren gesellschaftlich nicht akzeptiert, daher mussten oft männliche Pseudonyme gewählt werden. Das erschwerte die historische Biografieforschung. Journalistinnen sorgten jedoch trotz dieser Widerstände für neue, innoPro Quote – „Hosen runter, Röcke hoch!“

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vative Zugänge. Erwerbs- oder Hausarbeit, Sexualität und Gewalt gerieten thematisch in den Fokus. (Klaus/Wischermann, 2013: 9 ff.) Dass Frauen überhaupt in den Medien vertreten sind, ist keine Selbstverständlichkeit und das wurde, ebenso wie das Wahlrecht und andere Frauenrechte, hart erkämpft. Frauen begannen in vermeintlich Frauen-spezifischen Randbereichen und Nischen des Faches. Am Journalismus der 1920er Jahre wird das gut verdeutlicht, da aus dieser Zeit die ersten Daten zu Frauen im Berufsfeld vorliegen. Damals herrschte ein Arbeitskräftemangel im Beruf. Er sorgte dafür, dass Frauen überhaupt einen Einstieg in die Branche fanden. (Vgl. Klaus, 2005 u.a.) Doch schon lange davor gab es medienaktive Frauen.

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Pionierinnen – Frauen, die schreiben, sind gefährlich

Die Publizistik prägte für die Zeit zwischen 1750 und 1850 den Begriff „schriftstellerischer Journalismus“. Das Berufsbild war noch nicht ausgeprägt, die Übergänge fließend. Freie SchriftstellerInnen produzierten Medieninhalte. Ab dem Revolutionsjahr 1848 entstand redaktioneller Journalismus, separiert von Schriftstellerei. Unter den angestellten Redakteuren fanden sich immer mehr Frauen, stellen Klaus/Wischermann in ihrer spannenden Biografiensammlung fest. Beispielhaft für frühe Pionierinnen waren die Schriftstellerin „Gottschedin“ Luise Gottsched, geb. Kultus (1713–1762), eine Vordenkerin der Aufklärung. Oder die Schriftstellerin und erste Redakteurin Therese Huber, geb. Heyne, die von 1817 bis 1823 Leiterin des „Morgenblatt für gebildet Stände“ war und nebenbei zehn Kindern das Leben schenkte. Viele Frauen gaben an, als Brotberuf Journalismus zu wählen, um frei der schriftstellerischen Tätigkeit nachgehen zu können. Die erste Frauenbewegung brachte um die Wende zum 19.  Jahrhundert eine Blüte der 94

HERStory – Berufsgeschichte/n gestern und heute

Frauenpublikationen mit sich. Clara Zetkin (1857–1933), Helene Stöcker (1869–1943) oder auch Gertrud Bäumer (1873– 1954) waren ihre Protagonistinnen. (Klaus/Wischermann, 2013: 23 f.) Milena Jesenská ist eine der herausragenden Frauenfiguren. Sie kam am 10.  August 1896 in Prag zur Welt. Weltberühmt wurde ihr Liebesbriefwechsel mit Franz Kafka, dessen Werk sie erstmals auch ins Tschechische übersetzte. Eine journalistische Karriere sollte sie aber in Wien machen. Nach Aussage der Biografie von Dorothea Rein (Rein, 1984) wurde sie von ihrem Vater dorthin verbannt, weil sie gegen seinen Willen den jüdischen Lebemann Ernst Pollack geheiratet hatte. Zuvor hatte der Vater Jesenská noch ein Jahr in der Psychiatrie wegsperren lassen. Am 30.  Dezember 1919 erscheint in der Prager „Tribuna“, wo auch Egon Erwin Kisch publiziert, ihr erster Artikel: „Ein Brief aus Wien: Weihnachten in der gebeutelten Stadt“. Zwei Jahre später wechselt sie das Blatt, etabliert sich von da an auf Frauenseiten, als Feuilletonistin, Modeexpertin, aber auch mit Filmkritiken, Reisereportagen und sozialen und politischen Beobachtungen als begabte Chronistin der Zeit. Nach fünf Jahren zurück in Prag, feierte man ihren „Wiener Chic“, Jesenská fühlte sich wohl im Kreise der Kaffeehausliteraten und Avantgardisten und ging zeitweise täglich ins Kino. Später entdeckte sie auch den Sozialismus für sich und arbeitete weiter als Journalistin. Nach der Geburt ihrer Tochter kämpfte sie mit gesundheitlichen Problemen, die die lebenslustige Frau in eine tiefe Krise stürzten. Immer wieder erlebte sie Phasen von Morphinsucht. Doch die schlimmste Katastrophe bricht mit der Barbarei der Nazis über sie herein. Als die Hitler-Truppen in Prag einmarschieren, ist sie schon im Widerstand aktiv. Die Zeitung, bei der sie arbeitet, wird verboten, existiert weiter in der Illegalität. Milena Jesenská weigert sich, das Land zu verlassen, veröffentlicht weiter ihre Meinung, hilft vielen anderen zur Flucht. Ihr Todesmut kostet sie das Leben. Im November 1939 wird sie von den Pionierinnen – Frauen, die schreiben, sind gefährlich

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Nazis verhaftet und wenig später deportiert. Am 17. Mai 1944 stirbt Milena Jesenská noch vor ihrem 48. Geburtstag nach einer Nierenoperation im Konzentrationslager Ravensbrück. (Vgl. Rein, 1984) 5.1.1 Rasende Reporterinnen auf Weltreise und im Krieg

Adelheid Popp (1869–1939) war die Austro-Ikone der proletarischen Frauenbewegung. Vom Armenhaus arbeitete sie sich zur Chefredakteurin der Arbeiterinnen-Zeitung hoch, die anfangs nur als Supplement der Arbeiter-Zeitung erschienen war. Doch dieses temporäre Blatt hatte derartigen Erfolg, dass es sich fest etablierte. Popp setzte sich darin für die Gleichstellung der Frau ein und vor allem für die unterprivilegierten Arbeiterinnen, bis es 1934 zum Verbot der Zeitung kam. Sie schrieb daneben Bücher, 1911 organisierte sie den ersten internationalen Frauentag und übte hohe politische Ämter aus. Im Ersten Weltkrieg wurde Alice Schalek (1874–1956) erste österreichische Kriegsberichterstatterin. Sie war 1915 einzige akkreditierte Frau des k.u.k. Kriegspressequartiers. Sie gilt auch als eine der Pionierinnen der Reisereportage und Lieblingsfeindin von Karl Kraus. Frauen eroberten fortan Redaktionen der renommierten Zeitungen und vereinzelt auch bis dahin ausschließlich Männern vorbehaltene Ressorts. Betty Piaoli, eigentlich Barbara (Babette) Glück, wurde 1814 in Wien geboren und gilt als erste Feuilletonistin Österreichs. Mit der verwitweten Mutter war sie, bis sie 14 wurde, viel auf Reisen und lernte zahlreiche Sprachen. Sie verkehrte in den Salons des Adels und der Literaturszene. 1832 veröffentlichte sie erstmals als Lyrikerin, ab 1848 schrieb sie als Journalistin für Medien wie die „Presse“, 1853 übernahm sie das Theater- und Kunstreferat des Lloyd, der späteren Österreichischen Zeitung und wurde als maßgebliche Literatur- und Kunstkritikerin zur Entdeckerin der Schriftstellerin Annette Droste-Hülshoff. Für die „neue freie Presse“ schrieb sie erst96

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mals Essays zur Situation der Frau, in denen sie sich für die Bildung von Mädchen engagierte und für das Recht auf Erwerbsarbeit für Unverheiratete. Irma von Troll-Broostyani war eine Salzburger Frauenrechtlerin, die als eine der ersten Frauen direkt im Prostituiertenmilieu recherchierte. 1893 veröffentlichte sie ihren politischen Appell, sich mit der sozialen Situation dieser Frauen auseinanderzusetzen. Zu den deutschen Schreiberinnen zählte Louise Aston (1814–71). Sie war eine Rebellin und „Femme scandaleuse“, trug Hosen, rauchte Zigarren und sorgte regelmäßig mit ihren Schriften zur Emanzipation als Schriftstellerin und Journalistin für Skandale. Ihre Zeitschrift „Der Freischärler“, die sie als Herausgeberin in Berlin gründete, erschien 1848 siebenmal, bevor sie verboten wurde. Mathilde Franziska Anneke (1817–84) schrieb 1847 ihre erste feministische Streitschrift: „Das Weib im Conflikt mit den socialen Verhältnissen“. 1848 gründete sie mit ihrem Mann ein Revolutionsblatt, das umgehend verboten wurde. Ihr Engagement brachte ihr die Verfolgung durch den Staat ein. Gemeinsam mit 1,2 Millionen weiteren politisch Verfolgten, den sogenannten „Fourtyeighters“, emigrierte sie in die USA, wo die Publizistin zu einer unermüdlichen Kämpferin für das Frauenwahlrecht und gegen die Sklaverei wurde. Louise Otto-Peters (1819–95) verstand sich ab 1843 „als Erste selbstbewusst als Journalistin“ mit Leidenschaft. Im selben Jahr entstand ihr erster Roman, dem 26 weitere folgten. Bei vielen Publikationen nutzte sie das Pseudonym Otto Stern. Da die veröffentlichte Meinung einer Frau zu politischen Themen immer noch „lächerlich gemacht und bekämpft“ wurde, wollte sie sich so Seriosität verschaffen. Sie gründete 1849 die „Frauen-Zeitschrift“, mit der sie später nach Gera umzog, um einem durch ein neues Pressegesetz geplanten Schreibverbot für Frauen am bisherigen Standort Sachsen zuvorzukommen.

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Bis zu ihrem Tod war sie aktiv als Herausgeberin von Zeitschriften, Publizistin und Chronistin ihrer Zeit. Auch Louise Dittmar (1807–84) fungierte als Herausgeberin politischer Frauenzeitschriften. Hedwig Dohm (1831– 1919) galt als radikalste Frauenkämpferin und war ihrer Zeit weit voraus. Schon früh forderte sie, selbst familienorientierte Mutter und Großmutter, die Öffnung der Bildung für Mädchen und Frauen. Sie schrieb in Zeitungen und Romanen über die Vereinbarkeit von Kind und Karriere, Ehe und Sexualität und die Rechte von Arbeiterinnen. 5.1.2 Weibliche Investigativ-Ikonen

Zu den journalistischen Größen der ersten Stunde gehörte die weibliche Pionierin der Aufdecker-Reportage, die US-Amerikanerin Elisabeth Jane Cochrane. Im Jahr 1887 wurde unter ihrem Pseudonym Nelly Bly die berühmte Reportage „Ten Days in a Madhouse“ veröffentlicht. Sie ließ sich dafür selbst zehn Tage in die Psychiatrie einweisen, um so die Behandlung der Patientinnen am eigenen Leib zu erfahren. Der Bericht führte auch tatsächlich zu Reformen in der Causa. Die verdeckte Rollenreportage zur Recherche wurde zum Markenzeichen ihrer journalistischen Arbeit. Ein Jahr später erhielt sie den Auftrag, Jules Vernes Reise um die Welt in 80 Tagen nachzustellen. Nach 72 Tagen gelang ihr das in Rekordzeit als erster Frau allein. Laurie Penny weist darauf hin, dass gerade im Investigativbereich Männer bis heute die dominante Journalistenspezies darstellen. Katharine Graham schrieb nicht nur als erste Frau Geschichte, die in den USA als oberste Chefin ein Leitmedium übernahm, Sie galt einst auch als mächtigste Frau Amerikas. 1971 ließ sie auch die streng geheimen „Pentagon-Papiere“ drucken. Ihre Reporter enthüllten die „Watergate-Affäre“. „Die Zeit“ titelte über sie mit der Schlagzeile: „Sie stürzte Richard Nixon.“ 98

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Medientycoonin wurde sie spät und nicht ganz freiwillig. Zwar war sie in eine Medienelite-Dynastie hineingeboren, ihr Vater kaufte den Verlag der „Washington Post“, zu dem auch die renommierte „Newsweek“ zählte, doch Graham war traditionell sozialisiert, sie war bereits 46, Mutter von vier Kindern und Witwe, als sie Verlagschefin wurde. Nach dem Tod ihres Vaters hatte ihr Mann diesen Job übernommen. Doch der, unter Depressionen und Alkoholismus leidend, nahm sich das Leben. Die Branche in dieser Zeit beschreibt sie als ein Bollwerk der Männlichkeit, das Teilhabe und Aufstieg von Frauen systematisch verhinderte. Und sie brauchte selbst einige Zeit, bis sie begann, die Emanzipationsbestrebungen der Frauen in den Medien zu verstehen und zu unterstützen. Im zur Gänze männlichen Arbeitsumfeld der Entscheidungsträger stets die einzige Frau zu sein, irritierte sie. Ihre via Interview geäußerte Ansicht „Für den Job, den ich habe, wäre ein Mann besser geeignet“, bereute sie allerdings später. Nachzulesen ist er in ihrer neu aufgelegten Biografie. (Graham, 2017) In Robert Redfords Verfilmung der Aufdeckung des Watergate-Skandals kommt sie gar nicht vor. Ein Film von Steven Spielberg holt die 2001 verstorbene Graham ins kollektive Weltgedächtnis zurück. Meryl Streep ist „Die Verlegerin“ – eine Paraderolle für die Rekordhalterin an Oscar-Nominierungen. Schon einmal hatte sie als ikonische Mediengigantin im Kino amtiert: In „Der Teufel trägt Prada“ gab sie die legendäre Vogue-Chefin und Zwillingsmutter Anna Wintour. Eine Ikone, die allerdings im Ruf steht, die der titelspendenden Figur zugeschriebenen Verhaltensweisen besonders lebensecht zu verkörpern.

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Große Töchter braucht das Land! Feministisches Rollenmodell Armgard Seegers – wie man Mut und Selbstvertrauen vorlebt

Ihre Dissertation schrieb Dr. Armgard Seegers über Komik bei Karl Valentin. Aufgewachsen in Berlin, wurde sie mit der „Schaubühne“ groß, die bei ihr die Leidenschaft fürs Theater entfachte. Bühnenstars wie Bernhard Minetti eröffneten ihr eine ganz neue Welt. Nach ein paar Stunden Schauspielunterricht hatte sich das Thema allerdings erübrigt. Als Alternative bot sich Theaterkritik an: Seegers begann noch während der Schulzeit beim „Sender Freies Berlin“ (SFB) damit. Ihr Traum: den Journalismus und das Theater zu verbinden. Seither habe sie „eigentlich immer was geschrieben“: anfangs Filmkritiken für das „Hamburger Abendblatt“, Interviews für die „Brigitte“ oder das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“. Daneben absolvierte sie ein Studium der Theaterwissenschaft, Publizistik und Germanistik, promovierte und war zwei Jahre lang Regieund Dramaturgieassistentin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Sie hat Woody Allen und eine Richard-Burton-Biografie übersetzt und als Lektorin an einer Journalistenschule unterrichtet. Dem Journalismus blieb die Witwe Hellmuth Karaseks ein Leben lang treu. 27 Jahre lang war sie Kulturredakteurin beim „Hamburger Abendblatt“ und wurde selbst zu einer lokalen Institution: „Das Hamburger Abendblatt ist eine sehr, sehr große Regionalzeitung in Deutschland. Und wenn man da viel schreibt, was ich getan habe, dann kann man auch, wie man so neudeutsch sagt, seine Leser mitnehmen auf eine Reise. In das, was man erkunden sollte, durch das, was man ihnen vorschlägt. Da kriegt man auch sehr viel Feedback. Die Leser haben mich sehr viel angesprochen, wenn sie mich gesehen haben: danke für diesen Tipp für ein Theaterstück, oder ein 100

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Buch, das hätten sie zu Weihnachten verschenkt. Man ist sehr verwurzelt. Das ist sicherlich anders, wenn man bei einer überregionalen Zeitung arbeitet. Wenn man aber für eine lokale Zeitung arbeitet, ist man sehr mit der Leserschaft der Stadt verbunden.“

Meinungsstark sein, Akzente setzen: „Das finde ich attraktiv am Beruf, dass man eine Stimme hat in der Öffentlichkeit.“ Was hat sich seit den siebziger Jahren für Medienfrauen geändert? Das Kulturressort war laut Studien eines der Einfallstore für Frauen in die Medienberufe, die bis dahin viel stärker männlich dominiert waren. Das Theater selbst blieb weitaus länger Sperrgebiet für Frauen: „Als ich beim Theater war, wo ich eigentlich auch gerne geblieben wäre, hat man mir sehr stark zu verstehen gegeben, dass ich als Regisseurin nichts werden kann am Theater. Regisseurinnen gab es nicht am Theater. Andrea Breth, die etwa zwei, drei Jahre älter ist als ich, ist die einzige Regisseurin, die es damals geschafft hat. Die das aber auch sehr stark bezahlt hat mit einer psychischen Krankheit. Sie ist sehr stark beschädigt worden. Der Beruf Regisseurin, der mir vorgeschwebt hätte, war nicht zugänglich für mich als Frau. Damals gab es nur Männer, das wurde zehn Jahre später schon anders.“

Im Journalismus, so Seegers Eindruck, hätte es immer auch Frauen gegeben, wenn auch in den weichen Ressorts: Mode, Gesellschaft, Kultur. Aber es sei zumindest nicht ausgeschlossen gewesen, dass man als Journalistin arbeiten konnte. Einige hätten es sogar in die harten Ressorts geschafft: „Es war schwer, sich durchzubeißen, aber es war nicht unmöglich.“ Was heute gar keine Frage mehr sei, ob eine Frau oder ein Mann schreibt, hätte früher immer noch einen Exotenbonus bedeutet. „Für mich war das hingegen selbstverständlich. Mein Vater hat mir immer gesagt: Du kannst alles werden! Doch als Pionierinnen – Frauen, die schreiben, sind gefährlich

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ich zum Theater kam und man mir sagte, du kannst nicht Regisseurin werden, war ich natürlich sehr verdutzt. Das hat mich schon irritiert, das wusste ich vorher nicht. Im Journalismus war es deutlich einfacher. Frauen können ja schreiben und das wurde ihnen auch zugestanden.“ Was sich ihrer Meinung nach geändert hat? „Es gibt viel mehr Frauen in den meisten Redaktionen. Im Verhältnis zu den Männern etwa 50:50 würde ich sagen. Ich habe auch selbst sehr stark daran mitgearbeitet, dass eine junge Kollegin Ressortleiterin wird. Ich denke, wenn eine Frau signalisiert, sie will sich 100 Prozent beruflich einsetzen, also nicht nur halbtags, sondern Vollzeit, dann kann sie auch im Journalismus alles erreichen. Das war Anfang der 80er Jahre nicht so.“ Ihre Tochter Laura Karasek, selbst in den Medien erfolgreich, nennt sie als Vorbild, was das feministische Weltbild und den Zugang zum Beruf betrifft. Welche Werte hat sie vermittelt, wie hat sie ihr Mut und Selbstvertrauen mitgegeben? „Vor allen Dingen habe ich immer gesagt, versuch’ deine Wünsche umzusetzen, du bist hier nicht in zweiter Spur, es ist ja geradezu unmöglich, dass für Männer andere Regeln gelten sollten. Wenn du das bemerkst, dass andere Regeln gelten, dann geh’ dagegen an und wehre dich und setz dich durch. Ich habe ihr immer vermittelt, ganz platt gesagt, du musst Vollzeit arbeiten, gib nicht nach, lass dich auf keine halben Modelle ein. Ich habe ihr vermittelt, ich habe ja auch meinen Namen behalten, behalte deinen Namen, mach’ dich nicht abhängig und sieh zu, dass du mit einem Mann zusammen bist, der ein Partner ist und nicht jemand, der für sich andere Rechte beansprucht. Ich habe versucht, sie zu sensibilisieren gegenüber Ungerechtigkeiten oder Werten, die für einige Menschen anders gelten sollen, Werte der Gleichberechtigung. Das muss selbstverständlich sein, wenn du das irgendwo feststellst, dass dich irgendjemand, weil du eine Frau bist, schlechter behandeln will oder bezahlen will oder dir irgendwelche Sachen zuschanzt, die angeblich nur 102

HERStory – Berufsgeschichte/n gestern und heute

Frauen machen sollen, dann mach das nicht, das geht nicht. Das kann genauso ein Mann machen. Da muss ich auch selbstkritisch sagen, das hat leider dazu geführt, dass Laura im Haushalt gar nichts kann. Das ist der Nachteil, das ist leider sehr in die andere Richtung ausgeschlagen. Mein Sohn kann ja kochen, aber Laura kann das nicht, ich habe da zu sehr darauf geachtet, dass sie keinerlei handwerkliche Tätigkeiten ausübt.“

Auch Laura Karaseks Brüder sind erfolgreich in Medien und Kultur. Ist das auch familiäres Erbe zweier Menschen, die sich mit Kultur, mit Sprache befassen? „Das sehe ich auch so, Laura hat ja eigentlich was anderes gelernt, sie ist ja Juristin. Mein Mann war darüber sehr glücklich: ein anständiger Beruf – das hilft, denn du kannst immer für dich selbst sorgen. Aber letztendlich ist sie ja doch in die Kultur zurückgekehrt, weil sie sehr, sehr viele schöne Seiten vorfindet. Mein Beruf, auch der Beruf meines Mannes, hat uns sehr viel Abwechslung gebracht, sehr viele Interessen, die man ausleben kann, wir haben wahnsinnig viel gelesen, gespielt, gehört, gesehen, tolle Leute getroffen und viel gefeiert. So ein Leben ist natürlich für jemanden, der morgens in die Kanzlei gehen soll, zehn Stunden arbeitet und dann abends wieder nach Hause geht und noch Akten mitnimmt, auf die Dauer unwahrscheinlich. Ich glaube, Laura hat gedacht, sie erinnert sich an ihre Jugend. Bei uns war immer was los, es gab immer anregende, aufregende, teilweise heftige Diskussionen und wahrscheinlich haben es die Kinder als schön empfunden, wir haben es ja auch als schön empfunden.“

Wie viel Glückspotential für Frauen steckt in einem Medienberuf – zumal mit Erfolg – ausgeübt? „Man kann Akzente setzen, Meinungen mitbilden, man kann sich öffentlich äußern, das ist ein Privileg. Jeder kann sagen ‚Mir hat es im Theater nicht gefallen‘. Aber ich kann Pionierinnen – Frauen, die schreiben, sind gefährlich

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es öffentlich sagen und es lesen dann ganz viele Leute. Wenn es den Leuten total gegen den Strich gegangen wäre und alle Leser gesagt hätten ‚Was die da absondert, das will ich aber nicht mehr lesen‘, dann wäre ich damit sicherlich angeeckt, aber ich habe sehr viel Zuspruch bekommen. Die Leser fanden das sehr, sehr interessant und wollten mit mir darüber diskutieren. Der Beruf ist sehr anregend, abwechslungsreich, sehr unterhaltsam auch. Man muss schnell sein und Belastungen gewachsen sein, was nicht jeder ist. Das ist oft eine charakterliche oder physische Disposition, dass man schnell und unter Druck arbeiten können muss. Ich bin von Natur aus ungeduldig, das kommt dem vielleicht entgegen, aber ich glaube, der Beruf hat sehr viele Glücksmomente, weil man sehr viele spannende Menschen trifft, die einen mit Ideen konfrontieren, die neu sind, die anregend sind. Ich würde mich hingegen nicht so gerne z.B. mit Zahlenkolonnen beschäftigen.“

Was versteht die Expertin unter exzellentem Kulturjournalismus und wo sieht sie dessen Zukunft? Seegers über ihr Fachgebiet: „Ich glaube, man soll versuchen, die Interessen der Künstler, der Macher, der Theater- oder Filmleute, derjenigen, die das Produkt hergestellt haben, zu berücksichtigen und einigermaßen gerecht zu beurteilen. Ich halte überhaupt nichts davon, zu schreiben, ein Sänger sei unterirdisch und schlecht, weil einem dessen Stimme nicht gefällt oder dessen politische Haltung oder dessen Umgang mit anderen Künstlern. Deswegen bin ich auch froh, dass ich, bevor ich Theaterkritikerin geworden bin, am Theater gearbeitet habe. Weil ich den Produktionsprozess kenne. Wie mühsam sich manche Sachen erarbeiten und wie schwierig das ist, für Schauspieler Sachen darzustellen. Deswegen muss man versuchen, einigermaßen gerecht zu sein mit dem Produkt. Wenn es aber misslungen ist, muss man das auch deutlich 104

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schreiben. Also man muss sich zum Anwalt der Künstler machen, muss aber ehrlich sein und sagen, nee, Leute in diesem Fall habt ihr völlig danebengegriffen, und das begründen. Damit es die Leser auch nachvollziehen können, warum es nicht gelungen ist. Ich bin immer als Schreiberin A – der Anwalt der Künstler und B  – natürlich in erster Linie für meine Leser da. Die müssen, wenn sie was lesen, verstehen, warum mein Urteil so ausfällt.“

Gibt es ein Erfolgsrezept für eine Medienkarriere, bei der man nebenbei auch mehrere glückliche Kinder großzieht? „Es macht sich nicht von selbst. Es ist sehr, sehr anstrengend. Man muss sehr viel Energie haben und aufwenden und man muss eigentlich beides zu hundert Prozent machen, aber man hat ja keine zweihundert Prozent. Man muss immer wissen, ich mache alles für meine Kinder. Ich habe meine Kinder sehr früh mitgenommen ins Theater oder zu Veranstaltungen, ich habe sie sehr viel mit Leuten zusammengebracht, die schauspielen, oder sie mit ins Kino genommen, sehr viele Bücher gelesen. Also ich glaube, das Angebot ist wichtig für Kinder. Dass man ihnen zeigt, das und das gibt es auf der Welt, ich hoffe du interessierst dich auch dafür, weil es so spannend ist, und im Beruf muss man auch in dem Moment, wo man aus der Tür gegangen ist, mit dem Kopf im Job sein. Im Beruf muss man auch alles geben. Ich glaube ein Erfolgsrezept ist, dass man nichts halb macht und alles ganz und dass man selber auch mit seiner Leistung, sowohl privat wie auch beruflich, zufrieden ist.“

An einer Stelle des Schlüsselromans „Das Magazin“ über den „Spiegel“ beschreibt Hellmuth Karasek, wie nach einem langen Interview mit einem „großen deutschen Dichter“, gemeint ist Günter Grass, die Tonbandaufnahme unbrauchbar ist. Er rekonstruiert das Interview aus dem Gedächtnis. Der als Grass-Anspielung gezeichnete Dichter meint nach Lektüre der Pionierinnen – Frauen, die schreiben, sind gefährlich

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gedruckten Interviews, er könne sich gar nicht mehr erinnern, dass er das so brillant formuliert hätte, merkt aber ansonsten nichts. Seegers dazu: „Grass war ja mit meinem Mann lange Zeit befreundet, bevor es zum Zerwürfnis kam. Ab da wurde nur noch gestichelt, und jeder musste ans andere Ende des Raumes gehen, wenn sie sich zufällig begegneten. Die Szene ist ein Konglomerat aus dem, was man als Journalist erlebt oder fürchtet, also journalistischen Ängsten und den Eitelkeiten eines Großschriftstellers. Mir ist selber mal was Ähnliches passiert. Ich habe mal ein Tonbandgerät, auf dem ein Interview war, aufs Autodach gestellt und bin losgefahren. Das war unwiederbringlich dahin.“

Sexuelle Diskriminierung hat sie gleichfalls hautnah erlebt: „Als junge Frau habe ich beim Rundfunk angefangen, da war ich noch in der Schule, in der 12-, 13ten Klasse, da hat mich ein Redakteur vom SFB, ein Rundfunkredakteur, der auch Fernsehen gemacht hat, wirklich sehr, sehr, sehr, sehr stark sexuell belästigt. Dann die Erfahrung am Theater. Da wurden auch sehr viele anzügliche Bemerkungen gemacht und gut, das nahm man dann so hin, das gehörte irgendwie so dazu, man hat halt versucht, sich zu wehren.“

Später habe sie sich mit anderen Formen der Diskriminierung am Arbeitsplatz konfrontiert gesehen, und hält daher die Quote für ein unverzichtbares Mittel für Chancengleichheit in den Medien: „Ich bin auch für eine Quote, absolut, weil es gibt ja auch eine Männerquote, die Männer befördern sich ja gegenseitig selbst, also warum sollte es keine Frauenquote geben? Das wär ja noch schöner! Ich habe mit einem Anwalt über die Quote gestritten. Der hat gesagt, das ist ein Quatsch und ich habe gesagt, ne, das ist überhaupt kein Quatsch. Ich habe Männer beruflich an mit vorbeiziehen sehen, die deut106

HERStory – Berufsgeschichte/n gestern und heute

lich weniger konnten als ich, und die haben bessere Jobs gekriegt, und damit auch bessere Bezahlungen, das ist einfach so. Man konnte viele Jahre als Frau nicht Ressortleiterin werden und schon gar nicht in die höhere Ebene einrücken, Stellvertreterin des Chefredakteurs zum Beispiel. Ich will gar nicht sagen, dass ich die Qualifikation dazu gehabt hätte. Aber es sind Männer, die mit mir zur selben Zeit gearbeitet haben, auf diese Posten gekommen, die hundert Prozent weniger konnten als ich.“

Für ebenso richtungsweisend hält sie die #MeToo-Debatte. Seegers meint: „Ich finde auch die #MeToo-Debatte sehr, sehr wichtig. Das sind Themen, mit denen beschäftige ich mich, seit ich ins Berufsleben eingetreten bin, seit Ende der Siebzigerjahre. Vierzig Jahre später wird das endlich öffentlich diskutiert. Das ist das erste Mal, dass größere Teile der Bevölkerung an solchen Themen Anteil nehmen. Vorher hieß es, die ist Feministin, die ist verbissen oder was will die? Mensch, die hat doch alle Privilegien, die soll sich nicht so haben und diese blöden Sprüche, die man sich immer anhören musste. Jetzt ist es zum ersten Mal, dass etwa 50 Prozent der Menschen schon mal gehört haben von #MeToo und dass es da um sexuelle Belästigung geht. Da fällt plötzlich sehr vielen Frauen ein, dass in ihrem Job, ob sie jetzt im Friseurladen arbeiten oder sonst wo, dass ihnen das auch schon passiert ist. Vorher haben sie das als gottgegeben hingenommen.“

Noch schreibt sie, auch nach ihrem Ausscheiden beim „Hamburger Abendblatt“ für Festivalmagazine, gelegentlich für die „Welt am Sonntag“. Seegers sagt dazu: „Ja, ich schreibe noch, aber ehrlich gesagt – ich möchte noch was Neues machen. Ich habe so viel geschrieben in meinem Leben und ich möchte meine Lebenszeit noch mit neuen Sachen verbringen, Sachen, zu denen ich nicht gePionierinnen – Frauen, die schreiben, sind gefährlich

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kommen bin. Also Sprachen, Musik, Reisen, Ehrenamt, ich engagiere mich auch sozial. Sachen, von denen ich gedacht hab, das machst du noch mal.“

Dazu gehört ein neues Hobby, sie hat sich kürzlich einen Traum erfüllt: ist als D-Jane aufgetreten. „Das macht mir großen Spaß. Aber es ist auch eine große Verantwortung, vor so vielen Menschen bei Großveranstaltungen zu spielen, die nichts Anderes wollen, als gut unterhalten zu werden. Im Gegensatz zum Schreiben, das kann ich zu jeder Tages- und Nachtzeit, aber ob ich jetzt tausend Gäste bespaßen kann, das weiß ich nicht und kann ich auch noch nicht und insofern ist es auch mit sehr viel Aufregung und Lampenfieber verbunden.“

Mehr Freizeit wird allerdings wohl nicht zu ihren Zukunftsaussichten gehören. Seegers ist Oma von dreijährigen Zwillingen. Ihre erste Reaktion darauf: „Als ich das erfahren habe, war ich geschockt! Ich saß in der Redaktionskonferenz und Laura schickte mir ein Ultraschallfoto, auf dem zwei Blasen zu erkennen waren. Mir ist fast das Handy aus der Hand gefallen. Um Gottes Willen, habe ich gedacht. Aber jetzt ist es so, wenn man die zusammen erlebt, die sind ja so süß miteinander. Eines wäre ja total langweilig!“

Es ist ihr ein wichtiges Anliegen, die Situation von Frauen weltweit zu verbessern. Daher engagiert sie sich ehrenamtlich im Kuratorium des internationalen Kinderhilfswerks „Plan“: „‚Girls get equal‘ heißt die neue Kampagne. Das Ziel war zuletzt, zehn Millionen Mädchen in 70 Ländern in Ausbildung zu bringen. Das wurde auch erreicht. Bei der Präsentation der aktuellen Bilanz hat die ‚Plan‘-Chefin ein neues Ziel formuliert: Wir wollen jetzt 100 Millionen Mädchen weltweit zu einem Schulabschluss bringen! Und das werden wir schaffen. Es ist leider so schrecklich für viele Frauen auf der Welt. Ich habe 108

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meinen Kindern immer gesagt: In Ländern, in denen es Frauen gut geht, geht es allen gut. Wenn sie den Fall Asia Bibi betrachten, dann bin ich skeptisch. Auf welchem Planeten leben jene Pakistani, die für die Hinrichtung ihrer Landsmännin auf die Straße gehen? Ich glaube, in einem Punkt sind sich alle Männer dieser Welt einig, die keine Frau sein wollen. Warum nicht? Weil sie Frauen verachten. Und in manchen Ländern, wie Mali oder Pakistan, ist es besonders schlimm. Es wäre schön, wenn das weltweit so wäre, dass Frauen mehr Bildung bekommen könnten. Sie geben 70 Prozent ihres Einkommens in die Familie zurück, Männer hingegen nur 10 Prozent.“ Seegers warnt davor, derartige Tendenzen in den Westen zu transportieren: „Diese Woche war eine Story, ich glaube im Spiegel, zur Rückkehr des Machotums. Da geht es wieder um die ganz jungen Männer, die hier jetzt auf den Putz hauen, auch muslimisch geprägte Männer, die noch meinen, irgendwelche Privilegien zu haben. Da muss man sich wieder mit diesen Behauptungen, dass Männern etwas Anderes zusteht als Frauen, auseinandersetzen. Darauf habe ich schon seit langem keine Lust mehr. Die Mehrzahl der Bevölkerung, wenn man nicht nur in Journalisten- und Theaterkreisen unterwegs ist, sagt immer noch, habt euch nicht so, ist doch gar nichts, die Männer sind nun mal so, wie sie sind. Bis das Bewusstsein über Gleichberechtigung mal die Gesamtbevölkerung erreicht, das wird noch 20 Jahre dauern.“

5.2

„Manspreading“14 und „She-Bagging“15 im Newsroom

In den 1920er Jahren bildete sich der heutige Massenmedien-Journalismus aus. Das Bild, das man sich seither vom Journalisten machte, war vom klassischen Macho-Gehabe der Hollywood-Helden dieser Zeit geprägt. „Abgebrüht, furchtlos, „Manspreading“ und „She-Bagging“ im Newsroom

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trinkfest, hemmungslos und neugierig“, und „vor allem männlich, wurde das Bild des urbanen Reporters gezeichnet“. (Seidl nach Klaus, 2002) Regisseure wie der österreichische Gigant Billy Wilder, selbst vor seiner Emigration Reporter, waren daran nicht unmaßgeblich beteiligt. Er schuf 1974 den unvergesslichen Klassiker „Extrablatt“, der in den 1920ern angesiedelt ist und Einblick in das Setting des damals vorherrschenden Journalisten-Biotops gibt. Die Story, die auf dem Stück „The Front Page“ beruht, wurde schon zuvor, 1931 und 1940, u.a. mit Cary Grant verfilmt. Bei Wilder brilliert das kongeniale Duo Walter Matthau und Jack Lemmon als journalistische Bluthunde des Boulevards. Die Frau als Zielgruppe, die durch Geschlechtsgenossinnen stärker anzusprechen war, wurde auch im Gefolge der Frauenrechtsbewegung um das Wahlrecht neu entdeckt, das konstatiert die Medienforscherin Elisabeth Klaus über die Forschungsergebnisse zur Causa. Sie konstatiert weiterhin: Die Zulassung von Frauen zum Beruf erfolgte aufgrund stereotyper Zuweisungen, derzufolge die „weibliche Natur“ oder der „weibliche Charakter“ nur für wenige Berufsgruppen geeignet schienen. Als Redakteurinnen in Frauenbeilagen seien sie geduldet, ebenso im Lokalen oder im Feuilleton, wo aber schon starke männliche Konkurrenz drohe. Unglaublich umstritten war das Feld der politischen Kommunikation. Die Rolle eines Nachrichtensprechers war in den siebziger Jahren noch männlich konnotiert, Frauen in dieser Rolle undenkbar. „Eine Nachricht verlangt vom Sprecher schlicht unterkühlte Distanz. Frauen aber sind emotionale Wesen.“ (Küchenhoff nach Klaus) So äußerte sich ein Exemplar dieser Spezies, ein gewisser Karl-Heinz Köpcke 1975. Nur wenig Unterschied gibt es bei der Aussage des Medienkundlers Otto Groth von 1939: „Der reine Nachrichtendienst liegt der Frau wenig, da ihr gefühlsbetonter Charakter kaum Geschmack an der unpersönlichen, sachlichen Wiedergabe von Tatsachen und Beobachtungen findet.“ (Groth nach Klaus) 110

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Weiblichkeit und politischer Journalismus – das gehe keinesfalls zusammen. Wibke Bruhns „durfte“ als erste Frau in der Bundesrepublik die Nachrichten sprechen – 1971. Eine Flut empörter Reaktionen war die Folge. Diskutiert wurden Kleidung und Frisur, bis hin zu den Fingernägeln, wie bei Klaus nachzulesen ist. Bis heute wird das Äußere der im TV politisch prominent agierenden Frauen zum Diskussionsthema. Ein öffentlicher Schlagabtausch zwischen „Puls-4“-Info-Chefin Corinna Milborn und Stratosphären-Springer Felix Baumgartner auf Facebook gehört in diese Kategorie. Im Zuge eines Shitstorms, der sich für den Wäschehersteller „Palmers“ zum „Osterhäschen-Gate“ 16 auswuchs, hatte auch Milborn die „Palmers“-Kampagne als sexistisch kritisiert. Die Ästhetik erinnere an Bilder des Frauenhandels. Felix Baumgartner stellte zwischen der Kritik und den Körpermaßen Milborns einen kausalen Zusammenhang her. Implizit unterstellte er, ihre Äußerungen seien motiviert von Defiziten ihrer eigenen Figur im Vergleich zu jener der Models. Ihre Kritik sei, so Baumgartner wörtlich, „… bei der Figur auch kein Wunder“. Im späteren Verlauf der Debatte konterte Baumgartner mit einem Gegenangriff auf den Sender: Er warf dem Privatsender „Puls 4“, vor, eine Folge von dessen Sendung „Austrias next Topmodel“ weise so viel Sexismus auf, wie die „Palmers“-Plakate „der letzten 100 Jahre“. (Baumgartner, 24.4.2017) Milborn hatte ihm zuvor mit einem Facebook-Posting am 19. April 2017 folgenden Inhalts Paroli geboten: „Lieber Felix Baumgartner, ich habe eine Einladung für Sie. Sie haben mich in einem Facebook-Posting erwähnt, weil ich das Werbefoto eines Unterwäscheherstellers kritisiert habe. Ich erkläre Ihnen gerne nochmal warum: Man sieht darauf Frauen, die kaum bekleidet auf einem schmutzigen Boden liegen und mit „Manspreading“ und „She-Bagging“ im Newsroom

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dem Gesicht gegen die Wand auf einen Haufen Dreck schauen. Das erinnert mich an meine Recherchen zu Menschenhandel – nämlich an die Fotos, die Frauenhändler von ihren Opfern machen, um dem nächsten Abnehmer die „Ware“ zu zeigen: Man sieht da Frauen, wenig oder nicht bekleidet, in Abbruchhäusern oder Kellern, oft von hinten fotografiert, damit man das Gesicht nicht erkennt und die Frauen nicht gefunden werden können. Das ist eine Realität. Und ich finde so eine Ästhetik sehr unpassend für eine Werbung für Unterwäsche zu Ostern. Sie sind aber nicht auf diese Kritik eingegangen, sondern haben behauptet, ich hätte das Sujet wegen meiner eigenen Figur kritisiert, was überhaupt keinen Sinn ergibt. Ich wollte deswegen zunächst auch gar nicht darauf eingehen. Es haben aber so gut wie alle Medien Ihr Facebook-Posting aufgegriffen, und deswegen antworte ich jetzt doch: Was Sie da getan haben, ist nämlich sehr typisch. Sie haben nicht einen der Männer kritisiert, die das Sujet ebenso gesehen haben, sondern haben sich eine Frau herausgepickt. Und Sie sind nicht auf den Inhalt eingegangen, sondern haben zusammenhanglos mein Aussehen, meinen Körper thematisiert. Das passiert Frauen dauernd, und es trifft alle: Zu hübsch, um ernst genommen zu werden, zu blond, um gescheit zu sein, zu sexy oder zu unweiblich, zu stark geschminkt oder zu hässlich, zu dünn oder zu dick, zu alt oder zu dunkelhäutig (oder mit der falschen Figur, um eine Meinung zu äußern – was, mit Verlaub, wirklich zum Deppertsten gehört). Ich will nicht, dass Ihr Facebook-Posting – mit dieser Reichweite – dazu führt, dass irgendeine Frau da draußen das Gefühl hat, sie müsse sich erst irgendwelchen Schönheitsvorstellungen von Leuten wie Ihnen beugen, bevor sie in der Öffentlichkeit den Mund aufmacht. Deshalb möchte ich das gerne mit Ihnen besprechen. Ich möchte Sie einladen in meine Sendung „Pro und Contra“ auf PULS 4, um mit Ihnen über Ihr Frauenbild und die Auswirkungen zu diskutieren. Sie sind ja schon aus dem All gesprungen, Sie 112

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sind also sicher nicht zu feig dafür – oder, um es in Ihrer Sprache zu sagen: Sie haben doch sicher die Eier, sich der Diskussion zu stellen. Ich freue mich darauf. ps weil das unklar berichtet wurde: Ich habe nie etwas über die Frauen auf dem Sujet gesagt und schon gar nicht über ihre Körper, sondern das Setting kritisiert. Ich hab auch das Posting nicht gelöscht, sondern die Sichtbarkeit auf „nur Bekannte“ gestellt – ich habe hier die Information einer TV-Sendergruppe zu leiten und kann mich nicht den ganzen Tag um die Kommentare kümmern.“ Noch bis Mitte der Neunziger gab es Diskussionen darüber, ob Frauen als Nachrichtensprecherinnen, heute eher als Bagatellfunktion wahrgenommen, geeignet seien. Damals behauptete ein gewisser Alexander Niemetz vom ZDF-Heute-Journal: „Frauen werden vom Publikum als Moderatoren von News-Sendungen nicht akzeptiert.“ (zitiert nach Klaus) Aussagen von PraktikerInnen, was angeblich alles vom Publikum nicht akzeptiert werde, ist, wie die Journalismusgeschichte zeigt, durchaus bis heute mit Skepsis zu begegnen. Im Sportbereich hieß es gleichfalls, Frauen seien nicht qualifiziert. Peter Jensen, damals Sport-Chef der Fußballberichte zur EM bei der ARD meinte 1992 angesichts fehlender Journalistinnen, diese müssten nicht nur gut, sondern auch überaus hübsch sein, „sonst können wir sie nicht auf den Bildschirm lassen“. (Jensen nach Klaus)

5.3

Böse Weibsbilder auf Bildschirmen und im Boulevard

Als Sabine Christiansen 1987 zur Tagesthemen-Moderatorin der ARD ernannt wurde, stand Deutschland Kopf. Der Furor entzündete sich später an den Polittalk-Formaten mit Frauen Böse Weibsbilder auf Bildschirmen und im Boulevard

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als Gastgeberinnen, wie es auch Christiansen wurde. Der 2014 einem Herzinfarkt erlegene Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der „FAZ“, schrieb 2003 einen Leitartikel, den er mit „Männerdämmerung“ betitelte – Untertitel: „Wer uns denkt: Frauen übernehmen die Bewußtseinsindustrie.“ (Schirrmacher, 2003) Der konservative Meinungsmacher über Christiansen: Die Frau, deren ersten Auftritt in den ‚Tagesthemen‘ man laut ‚Tagesspiegel‘ einst die ‚Sendung mit der Maus‘ nannte, ist ein Symbol für eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung. Nicht viele Männer haben bislang begriffen, was da vor sich geht, wenngleich sich die Notrufe entgeisterter Manager, fassungsloser Patriarchen und ängstlicher Staatsmänner häufen. Die Gesellschaft werde nun von Frauen bestimmt: Sie ist offensichtlich im Begriff, die Macht neu zu verteilen, weil sich nicht nur die Diskurse, sondern auch die Anforderungen an die Vermittler verändern. Diese Operation ist sehr viel umfassender als bislang bekannt. Die entscheidenden Produktionsmittel zur Massen- und Bewußtseinsbildung in Deutschland liegen mittlerweile in der Hand von Frauen. Neben Sabine Christiansen zählte er die Chefin des Weltmedienkonzerns Bertelsmann, Liz Mohn, die Verlegerin Friede Springer, Ulla Berkéwicz, Chefin von Suhrkamp, oder Elke Heidenreich vom „Literarischen Quartett“ zu den neuen Powerfrauen. Insgesamt seien damit „fast achtzig Prozent der Bewußtseinsindustrie in weiblicher Hand. Eine Telefonistin, ein Kindermädchen, eine Schauspielerin und Schriftstellerin und eine Stewardeß definieren das Land. Was einer heute denkt, läuft vorher über die Fließbänder dieser Frauen.“ 114

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Herablassungen, die seine Diagnose des drohenden Medien-Matriarchats umrahmen, deuten eine gewisse Verzweiflung an, die den Autor bei seiner Vorahnung der künftigen Obsoleszenz sogenannter „alter weißer Männer“ in der Meinungsmacht ereilt haben mag. Ein Kreis mächtiger Frauen hätte seiner Meinung nach auch Angela Merkel an die Macht geputscht. Sein Fazit: Eine solche Akkumulation weiblicher Macht ist noch nicht dagewesen in der Geschichte des Landes, das einst als ‚vaterlose Gesellschaft‘ begann … Die Patriarchen verdämmern, und die Nachfrage nach ihnen sinkt. Frauen übernehmen die Vermittlung und sogar die Macht in einer zerfallenden Gesellschaft … je zivilisierter eine Gesellschaft, je komplexer und subtiler die Notwendigkeit, unlösbare Konflikte ohne Aggression zu lösen, desto stärker setze eine solche Gesellschaft auf die Frauen als Vermittler; ja sie delegiert ihnen sogar die wirtschaftliche Macht. Es mag sein, dass wir uns heute einem solchen Zustand nähern. Die Entwicklung wurde nicht ganz unzutreffend auf den Punkt gebracht. Wenn sie wohl mehr durch wirtschaftliche und demokratiepolitische Notwendigkeiten motiviert war, denn aus den vom Autor angeführten Gründen. Die Medienforscherin Margarete Lünenborg fasst zusammen: Wie in den 1920er Jahren kam mit den neuen privaten TV-Anbietern ab 1984 ein neuer Arbeitskräftebedarf in den Medien auf. „Erst mit den Anbietern im kommerziellen Bereich“, besonders der Privatsender und Lifestyle-Magazine, „öffnete sich die Branche wirklich breit für Frauen“. (Lünenborg, 2009). RTL, Sat 1 & Co. hatten einerseits Bedarf nach Arbeitskräften und könnten andererseits, so die Forschung, bewusst Frauen gewählt haben, da sie sich, im Gegensatz zu den Öffentlich-Rechtlichen, auf der Jagd nach der Quote thematisch „stärker im privaten und Böse Weibsbilder auf Bildschirmen und im Boulevard

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Boulevard-Bereich“ orientierten und „das Private der Lebenswelt der Frau zugeschrieben“ werde (Van Zoonen nach Klaus, 2005). Sichere Arbeitsplätze, Prestige-Jobs und die Möglichkeit, in Nischen Qualitätsjournalismus zu machen, „boten aber weiterhin die Öffentlich-Rechtlichen“. Die Journalismusforschung ortet in der Entwicklung der Infotainment-Gesellschaft einen massiven Qualitätsverlust, ausgelöst durch Faktoren wie Boulevardisierung und Trivialisierung. Die Schuldigen sind schnell ausgemacht – wieder einmal sind es die Frauen, die den Untergang des Abendlandes herbeiführen. Experte Weischenberg fasst die Causa unter dem Begriff „Schreinermakisierung“17 zusammen. Statt männlicher Seriosität und Expertise zähle nur noch weibliche Attraktivität. „Wer jung und hübsch sei, hätte es gut, der käme ins Fernsehen.“ Die Boulevardisierung gehe mit einem Prestigeverlust und einer weiblichen Zuschreibung des Phänomens einher, so Lünenborg, Doch der sogenannte „gender switch“, also mehr Frauen als Männer im Berufsfeld, wie es etwa in der PR-Forschung mit dem Begriff des „velvet Ghetto“ beschrieben wurde, sei im Journalismus ausgeblieben. Der Anteil von Frauen steigt anfangs, stagniert aber dann jahrzehntelang auf ungefähr demselben Niveau, äußerst stabil bleibt die gläserne Decke und der geringe Anteil von Frauen in den oberen Etagen der Medien. Gender Mainstreaming auf dem Boulevard Top-Medienmanager Hans Mahr – unser Mann bei RTL

Hans Mahr, Jahrgang 1949, gilt als Spitzenmanager im Medienbereich mit internationaler Erfahrung. Der gebürtige Wiener hat sich über Jahrzehnte als exzellenter Kenner der Branche etabliert und die Medienauftritte von Boulevard-Giganten wie der „Kronen Zeitung“ („Krone“) wesentlich mitbestimmt. Nach seinem Wechsel nach Deutschland hat er lange Zeit die Geschicke des Privatsenders RTL geleitet. 2006 machte er sich 116

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mit seiner eigenen Firma „Mahrmedia“ selbstständig, u.a. als Manager von Ralf Schumacher. Begonnen hat seine Laufbahn in den siebziger Jahren in mehreren leitenden Funktionen in Redaktion und Geschäftsführung des österreichischen Auflagenriesen „Krone“. Nach einem Intermezzo als Büroleiter des Wiener Bürgermeisters Leopold Gratz und als Wahlkampfmanager des österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky schaffte er den Sprung nach Deutschland. Die Erkenntnisse der Wissenschaft, dass erst mit dem Siegeszug der Privatsender und einer bunten Magazinlandschaft der breite Einstieg für Frauen in den Journalistinnenberuf erfolgte, kann er nicht nur bestätigen, denn er hat diese Entwicklungen aktiv mitgestaltet. Die Veränderung in der Medienlandschaft, die sich mit dem breiteren Zugang für Frauen in den Journalismus ergaben, was Themensetzung und Zielgruppendenken betrifft, analysiert Mahr auch als Reaktion auf den Zeitgeist einer politischen Aufbruchstimmung. Sich dem anzupassen, war logisches unternehmerisches Kalkül. Er betont die Vorreiterrolle, die Medien wie „Krone“ und „RTL“ bei dieser Entwicklung hatten. Bei der „Krone“ sei dies vor allem dem Gespür des legendären „Krone“-Gründers Hans Dichand zu verdanken gewesen. Der vergleichsweise hohe Frauenanteil bei der „Krone“ sei einer der Gründe für den bis heute einzigartigen Erfolg des Kleinformats, inspiriert von der Politik Kreiskys mit Signalwirkung. „Die Kronen Zeitung war die erste in Österreich, die es mit der Gleichberechtigung in den Medien richtig ernst meinte. Die siebziger Jahre waren noch sehr maskulin dominiert. Doch Bundeskanzler Kreisky hat mitten in dieser Zeit vier weibliche Staatssekretärinnen bestellt. Hans Dichand hat parallel dazu vier weibliche Kolumnistinnen bestellt. Üblich ist bei Tageszeitungen ein Geschlechterverhältnis von 2/3 Männern zu 1/3 Frauen. Bei der Krone hat man ein ausgeglichenes Verhältnis hergestellt. Ein Grund, warum die Krone so erfolgreich geworden ist, und auch, warum sie ihre LeserBöse Weibsbilder auf Bildschirmen und im Boulevard

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bindung so stark halten konnte, war ihr hoher Frauenanteil. Es gab dort schon früh das Bewusstsein, dass man den Bedürfnissen der Leserinnen entgegenkommen musste. Hans Dichand war der Erste, der das getan hat. Mit einem einfachen Argument, an das ich mich immer erinnern werde: 50 Prozent unserer Leser sind Frauen, wir müssen uns stark darum bemühen, zu wissen, was die Frauen interessiert. Damit tun sich Frauen selber naturgemäß leichter. Daher müssen wir den Anteil an Frauen bei uns im Haus erhöhen. Bis heute hat die Kronen Zeitung einen hohen Frauenanteil zu verzeichnen, wahrscheinlich sogar den größten in österreichischen Zeitungen.“

Im Jahr 1993 wurde Mahr Vizepräsident des „Verbandes Österreichischer Zeitungen“ (VÖZ). Ab 1994 war er in verschiedenen Top-Positionen als Chefredakteur, später als stellvertretender Geschäftsführer des deutschen Privatsenders RTL tätig. In Köln habe er Strategien und Philosophien umgesetzt, die er schon in Wien bei Dichand und Kreisky mitgetragen hatte: „Als ich in den neunziger Jahren zu RTL gegangen bin, habe ich Dichands Konzept übernommen. Zumal im Fernsehen das Phänomen noch stärker ausgeprägt ist, weil der weibliche Zuschaueranteil noch höher ist. Gerade bei Nachrichtensendungen war es notwendig, den Frauenanteil zu stärken. Alle Nachrichtensendungen waren damals männlich dominiert und die Inhalte vor allem politisch. Meine These war: Wenn RTL Erfolg haben wollte, dann mussten wir auf die Frauen setzen und Sendungen machen, die auch weibliche Seherinnen ansprechen: mehr Berichte zu den Themen Familie oder Umwelt, weniger über Autos und Politik. Das haben wir auch umgesetzt. Unter den Redakteuren und Mitarbeitern bei RTL hatten wir damals schon mehr als 40 Prozent Frauen, nicht nur Moderatorinnen, sondern auch Frauen mit redaktioneller Verantwortung, in einer Zeit, als das noch außergewöhnlich war. Ich gehe davon aus, dass 118

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sich die Zahlen seit den neunziger Jahren noch etwas verbessert haben.“

Wie erklärt Mahr den Widerstand gegen diese Entwicklung? Das Argument der Kritiker war, der Boulevard öffne zwar die Branche für Frauen, aber das wäre minderwertiger Journalismus. RTL wird noch heute als „Unterschichtfernsehen“ bezeichnet. Lange galt auch das Vorurteil: Frauen seien für politische Nachrichten nicht geeignet. Wibke Bruhns, die erste deutsche Nachrichtensprecherin, oder auch Sabine Christiansen, die politische Talkshow-Pionierin, wurden heftig kritisiert. „Das war natürlich hanebüchener Unsinn. Diese Kritik war nicht ernst zu nehmen. Gerade Christiansen moderierte die zweite wichtige Nachrichtensendung, die ‚Tagesthemen‘, und hat auch eine ausgezeichnete politische Diskussionssendung geleitet. Das Argument der Boulevardisierung ist eine Ausrede für diejenigen, die vergessen haben, dass sie Programm für die Menschen machen müssen und nicht für einige Politologen. Gute Nachrichten, ob in der Zeitung oder im Fernsehen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie erstens den großen Überblick über die Geschehnisse des Tages abbilden, zweitens auch Hintergrundinfos liefern, damit man das Geschehen verstehen und einordnen kann. Drittens ist auch eine Erweiterung der Themen notwendig, über die primärtypischen Genres wie Politik, Kultur und Wirtschaft hinaus. Themen wie Familie und Gesundheit interessieren Menschen genauso stark, wenn nicht noch mehr als die Politik. Das als Boulevardisierung zu bezeichnen, ist einfach dumm. Diese Kritik ist im Laufe der Jahre aber auch leiser geworden, denn man hat gesehen, dass Zeitungen, wie die Kronen Zeitung oder Sender wie RTL durchaus seriöse Nachrichten bringen können, wenn auch über das gewohnte Themenspektrum hinaus.“

Böse Weibsbilder auf Bildschirmen und im Boulevard

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Heute hätten sich die Qualitätsmedien an den Boulevard nicht nur angenähert, sondern dessen Konzepte sogar übernommen: „Im Bereich der Nachrichten, etwa bei den großen Öffentlich-Rechtlichen hat sich sogar eine Trendumkehr bemerkbar gemacht. Diese Sender haben die erweiterte Themenauswahl, wie sie Privatsender wie RTL vorgezeigt haben, übernommen, und zum Teil ihrer Nachrichtenlandschaft gemacht. Gerade jene Tageszeitungen, die eher für eine elitäre Leserschicht gedacht sind, wie Presse oder Standard, bringen wöchentlich Magazine heraus, die sich zur Gänze ‚Frauenthemen‘ widmen. Und sind stolz darauf, damit Leserinnen gewinnen zu können. Bei der Presse ist es das „Schaufenster‘. Beim Standard ist es ‚Rondo‘. In diesen Wochenmagazinen finden sich mehr Inserate als unter der gesamten Woche in deren Zeitungen.“

Wie lautet der Rat vom Profi für Frauen, die eine Medienkarriere anstreben? Neben Exzellenz erfordere diese vor allem eine ausgeklügelte Lebensplanung. „Frauen müssen einfach nur gut sein! Kein Mann wird heute mehr einer Frau vorgezogen. Das Wichtigste für die Frauen ist, ihre Lebensplanung gut zu organisieren. Frauen sind in der Frage des Nachwuchses natürlich weit mehr betroffen als Männer. Das ist heute noch der große Nachteil für die Frauen im Berufsleben. Die große Gefahr ist aus dem Berufsprozess auszuscheiden. Wer nach langer Karenz wieder einsteigt, fängt im Prinzip von vorne an. Drei Jahre auszusteigen in einem so stressigen, fordernden Beruf wie dem Journalismus, das gibt eine arge Karrieredelle.“

Die aufzuholen, dauere Jahre. Nach drei Beziehungen, aus der insgesamt fünf Kinder hervorgegangen sind, kenne er das Problem aus nächster Nähe. Sein ältester Sohn stammt aus seiner ersten Ehe. Aus der Beziehung mit der „Krone“-Journalistin 120

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Conny Bischofberger hat er zwei Söhne. (Bischofberger, der in diesem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet ist, hat auf Karenz verzichtet.) Mahr, der seit 1998 mit der „Punkt 12“-Moderatorin Katja Burkard in einer Beziehung ist, hat mit dem RTL-Star zwei Töchter. In Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf empfiehlt Mahr Pragmatik. Man müsse sich gemeinsam bemühen, Lösungen zu finden, die Frauen einen raschen Wiedereinstieg ermöglichen: ob mithilfe der Großeltern, einer Nanny oder mit „ordentlichen“ Kindergärten, das sei den Eltern überlassen. Wie das Medienmanagement seiner Verantwortung, für Familienfreundlichkeit zu sorgen, mit Erfolg nachkommt, zeigte Mahr persönlich. Er ließ bei RTL einen Betriebskindergarten gründen, um Frauen die Möglichkeit zu geben, auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten ihren Nachwuchs gut untergebracht zu wissen. „Auch als Unternehmen kann man Maßnahmen setzen. Ich habe bei RTL einen Kindergarten eingerichtet. Das war deswegen notwendig, weil unsere Abendnachrichtensendungen erst um 19 Uhr begannen, was natürlich außerhalb der üblichen Öffnungszeiten von Kindergärten lag. Mir war es aber wichtig, dass mir die Mitarbeiterinnen erhalten bleiben. Weil ich das für eine notwendige Investition des Unternehmens hielt, haben wir einen RTL-Kindergarten eröffnet, direkt im Haus, der vom Unternehmen mit mehr als einer Million Euro unterstützt wurde. Da war es dann möglich, die Kinder einfach abends nach der Sendung bequem abzuholen. Bei einem normalen Kindergarten wäre sich das zeitlich niemals ausgegangen.“

Einer Quote als Instrument für Gender-Mainstreaming im Journalismus kann Mahr hingegen nichts abgewinnen. Der Weg an die Spitze sei für Frauen nur eine Frage der Zeit, und die sei absehbar:

Böse Weibsbilder auf Bildschirmen und im Boulevard

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„Prinzipiell habe ich gar nichts gegen eine Quote. Im Journalismus halte ich sie aber nicht mehr für notwendig, weil wir die 50-Prozent-Parität in den Medien bereits fast durchgehend erreicht haben. Wo wir sie noch nicht erreicht haben, ist bei den Spitzenpositionen. Das dauert eben seine Zeit. Sobald Frauen mal oben angelangt sind, ebnen sie aber auch den Weg für nachkommende Frauen. Ich glaube, die Gleichberechtigung in Führungspositionen werden wir relativ bald erreicht haben. Ab dem Jahr 2020 wird das kein Thema mehr sein im Journalismus.“ Mit einer Quote für Spitzenpositionen in Medien würden sich Frauen ein Eigentor einfangen, wie er glaubt. Diese würde sie um die zur Entwicklung von Führungspotential nötige Zeit bringen: „Die zwei, drei Jahre Erfahrung, die man braucht, um die Spitzenpositionen zu erreichen, die sind gut investiert.“ Bei RTL nennt Mahr Anke Schäferkordt als Beispiel, die in zehn Jahren an der Spitze zahlreiche Kolleginnen befördert habe. Schäferkordt, die zuletzt die Gesamtleitung der RTLGruppe innehatte, war 27 Jahre bei RTL. Sie gab im November 2018 übrigens überraschend alle ihre Funktionen ab, auch im Vorstand bei Bertelsmann. Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Medienwandel für Frauen? Ist im härter werdenden Kampf um Arbeitsplätze ein Backlash zu befürchten? Dazu sagt Mahr: „Dem Wandel müssen wir gelassen entgegensehen. Denn es wird ihn geben, ob wir es nun wollen oder nicht. Daher müssen wir den Wandel gestalten, statt uns davor zu fürchten. Ob es gleich viele Arbeitsplätze geben wird oder nicht, kann ich nicht sagen. Die Gefahr besteht, dass es zwar gleich viele Arbeitsplätze geben wird, aber nicht gleich qualifizierte Arbeitsplätze. Das ist keine Frage, welche die Frauen bedroht, sondern das ist eine Frage, die den gesamten Journalismus bedroht. Nämlich, dass man qualifizierte journalistische Arbeitsplätze auf die Dauer durch relativ weniger qualifizierte Online-Journalisten ersetzt, die weniger 122

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Ausbildung haben und weniger Zeit und Möglichkeiten, gründlich zu recherchieren, um sich einem Thema intensiv zu widmen. Aber das ist keine Genderfrage, das ist eine Frage, die die gesamte Branche betrifft.“

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„It’s a man’s world“ – der Feind in meiner Branche

Neverla und Kanzlreiter bestimmten für das Ende der siebziger Jahre einen Frauenanteil von 20 Prozent in den Medien, der hatte sich in den Neunzigern auf 30 Prozent erhöht. Sie stellten 1984 in ihrer elementaren Studie fest, dass vor allem zwei hierarchische Mechanismen den Journalismus als Männerberuf definieren: vertikale und horizontale Segmentierung. (Neverla/Kanzlreiter nach Klaus 2005 u.a.) - Vertikale Segregation meint, dass Frauen sich mehrheitlich auf den unteren Stufen der Hierarchie sammeln, geringere Karrierechancen haben und ein niedrigeres Gehalt. - Horizontale Segregation meint, dass sie überproportional in weniger prestigeträchtigeren Ressorts arbeiten und darin auch noch die schlechteren Tätigkeiten ausüben. Beide Phänomene, vor allem die vertikale Pyramide, sind bis heute Medienrealität. Welches die wahren Kernbereiche des Journalismus sind, sieht man, damals wie heute, am besten im Bereich der Chefredaktionen der Leitmedien der überregionalen Tageszeitungen. In Österreich ist seit 2018 eine dieser Positionen wieder mit einer Frau besetzt, mit Martina Salomon erstmals im großen Traditionsblatt „Kurier“. Wie in den siebziger Jahren werden Frauen eher an den Rändern der Branche sattelfest als im Zentrum. Chefredakteurinnen finden sich vor allem in den Special-Interest-Magazinen ohne Relevanz oder bei gleichfalls nicht prestigeträchtigen Frauenmagazinen. (Vgl. ebd.)

„It’s a man’s world“ – der Feind in meiner Branche

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Elisabeth Klaus schreibt dazu: „Je prestigeträchtiger eine Position im Medienbereich, je höher die Macht und Weisungsbefugnisse und je besser die Bezahlung, umso weniger Frauen finden sich dort.“ (Klaus, 2002). Noch in den Siebzigern, bei Neverla/Kanzlreiter waren die Ressorts Politik, Wirtschaft und Sport männliche „Sperrbezirke“ (Klaus. 2005), Frauen vor allem im Familien-, Frauen- und Kulturbereich tätig. Heute sind Frauen immer noch in Sport- und Technik-Ressorts stark unterrepräsentiert. Fazit: Bei der „Bewertung der Qualifikation und der Arbeitsleistung von Journalistinnen wirkt es sich Status-senkend aus, eine Frau zu sein.“ (Klaus, 2005)

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Seilschaften, Segregation, sexuelle Belästigung

Verschiedene Forschungen haben, wie in vorherigen Kapiteln gezeigt, das Arbeitsumfeld als eine hohe Barriere für die Arbeit von Medienfrauen diagnostiziert. Im männlich geprägten Arbeitsumfeld werden die Leistungen der Frauen herabgesetzt und ihre Arbeit systematisch behindert. (Klaus, 2005) Schlechte Umgangsformen, Männerbündnisse, übersteigertes Konkurrenzverhalten, Alkoholismus, aber auch sexuelle Belästigung gehören in diese Kategorie. Peinliche Selbstinszenierungen, sinnentleerte Konferenzrituale, Mobbing und Intrigen prägen die Redaktionsunkultur, wie Elisabeth Klaus zusammenfasst. Von informellen Entscheidungstreffen am Stammtisch und anderswo sind Frauen bis heute ausgeschlossen. Seilschaften werden laut Organisationsforschung von einer „Führungsperson am oberen Ende gekrönt, die bestimmt, wer neu hinzukommen oder aufsteigen darf “. (Paris nach Klaus, 2005) Der Soziologe Rainer Paris nennt die Person den ­„Obermann“. Im Medienbereich wie anderswo unterstütze der Obermann eher Personen des eigenen Geschlechts. Frauennetzwerke wären demgegenüber eher „zahnlose Überlebensgemeinschaften“, die Frauen in ihren Karrieren nicht weiter124

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bringen. Als hilfreich schätzten Journalistinnen demnach hingegen „gute Beziehungen zu Vorgesetzten und politischen Entscheidungsträgern ein“. Wiewohl das Thema sexuelle Belästigung spätestens seit #MeToo in aller Munde ist, ist auffällig, wie wenig darüber in Bezug auf interne Fälle aus den Redaktionen an die Öffentlichkeit dringt. Ausgerechnet die Medien als Informationsinstanzen, deren zentrale Aufgabe es ist, Missstände bei anderen aufzudecken, haben in der Nabelschau ein Transparenzproblem und geben ungern Interna preis. Der Fall des „Wiener-Zeitung“-Chefredakteurs, der im Zuge der #MeToo-Debatte aufgedeckt wurde, endete in der Absetzung des Geouteten. Für den Journalismus gibt es bislang nur wenige Studien zu dem Tabuthema, insbesondere aus Österreich. Die wenigen Studien zeigen, dass sexuelle Belästigung als „effizientes Mittel zur Durchsetzung von Karrierezielen von Männern in Redaktionen angewandt wird“ (Dorer, 2017). Die Studie „Violence and Harrassment against Women in the News Media“ belegt: Knapp die Hälfte der Journalistinnen erlebt sexuelle Belästigung, vor allem in der eigenen Redaktion. Zwei Drittel berichten über „Einschüchterungen, Drohungen und Missbrauch durch männliche Vorgesetzte und Mitarbeiter am Arbeitsplatz“. (Barton, 2014 nach Dorer, 2017) Eine hohe Dunkelziffer ist zu befürchten. Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt Eva Schreiber-Urthaler – die Art-Direktorin als sanfte Rebellin

Nana Siebert sieht in der Selbstoptimierung die größte Karrierechance für Frauen. Eva Schreiber-Urthaler, wie ihre Zwillingsschwester Siebert 41, betont auch äußere Faktoren stark: welche Voraussetzungen Frauen vorfinden (sollten), in denen sie sich entfalten können. Schreiber-Urthaler machte, im Gegensatz zu Siebert, die Matura18, bevor sie direkt danach ins Seilschaften, Segregation, sexuelle Belästigung

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Mediengeschäft einstieg. Nach Praktika beim Film und in Redaktionen begann sie einen Ferienjob beim Nachrichtenmagazin „News“, wo das Talent der Grafikerin, die sich ihr Können autodidaktisch beibrachte, von Uschi Fellner entdeckt und über viele Jahre und mehrere Medien hinweg als Mentorin begleitet wurde. Die damalige Frau des News-Verlagsgründers Wolfgang Fellner erfand das Frauenmagazin „Woman“ und machte Schreiber-Urthaler mit nur 20 Jahren zur Art-Direktorin. Nebenbei drehte Schreiber-Urthaler als Regisseurin einen Film nach eigenem Drehbuch. Sie folgte dem Ruf Uschi Fellners zu diversen Medien, wie der Verlagsgruppe Österreich, und machte auch Station in Berlin. Heute ist die Mutter zweier Töchter selbstständige Art-Direktorin und gestaltet zahlreiche Publikumsmagazine. Ihren Startvorteil sieht sie in ihrem autodidaktischen Lernen ebenso wie in weiblich konnotierten Kompetenzen: „Ich habe innerhalb eines Monats Grafik am Computer gelernt, das war damals noch X-Press, und den Seitenaufbau von News. Dadurch, dass ich keine herkömmliche Grafikerausbildung habe und in diesem News-Grafik-Layouting noch nicht so verhaftet war, habe ich halt ein paar Sachen anders ausprobiert und das hat Uschi Fellner irrsinnig getaugt. Wahrscheinlich auch, weil ich als Frau modeaffiner war als der Mann, mit dem sie vorher immer gearbeitet hat.“

Uschi Fellner wechselte mit ihrem Mann zu dessen Neugründung „Österreich“ und entwickelte dort ein neues Frauenmagazin. „Da war ich schon hochschwanger und da hat mich die Uschi fürs Layout von ‚Life und Style‘ angefragt. Da hab ich bei News gekündigt, hochschwanger (lacht), um das Layout für die Uschi zu machen. Dann war ich mal drei Jahre zuhause und habe nichts gemacht. Eigentlich habe ich mir im-

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mer vorgestellt, dass ich Drehbücher schreiben würde, wenn ich ein kleines Kind habe.“

Sie entwickelte weitere Magazine, wurde alleinerziehende Mutter einer zweiten Tochter: „Da habe ich dann in der Nacht immer gearbeitet. Das war super, denn meinem damaligen Auftraggeber war wurst, wann ich arbeite, und ich konnte meine Sachen fertig machen. Also ich konnte untertags die Kinder haben, und kaum waren die im Bett, habe ich gearbeitet. Das war zwar damals ein ziemlicher Raubbau, von vielleicht drei Stunden Schlaf, aber das schaffst du ja. Wenn es sein muss, haut ja alles hin.“

Zeitweise holte sie Lo Breier19 nach Berlin zur „Bild am Sonntag“. Das Angebot, fest nach Berlin zu gehen, lehnte sie der Kinder wegen ab. Zurück in Wien war es wieder Uschi Fellner, die sie zu „Look“ holte, einem neuen Magazin, nun beim Echoverlag, in den Fellner ihrem zweiten Ehemann, dort führend tätig, gefolgt war. Dass sie auch mit Kindern Karriere machen konnte, führt sie auf die Sonderstellung zurück, die ihr ihr Arbeitgeber erlaubte, insbesondere aber Uschi Fellner, und die Flexibilität der Arbeitszeiten. „Die wussten aber auch, ich erledige meine Arbeit immer top, bis sie – rechtzeitig – fertig ist.“ Auch die Familie half bei der Betreuung im Notfall mit. Dass Frauen einander solidarisch fördern, ist Schreiber-Urthaler ein Anliegen. „Ich finde, das ist unglaublich wichtig, ich habe das wirklich oft erfahren, dass sich Frauen fördern. Obwohl: In kompletten Frauenredaktionen ist es schon ein bisschen anstrengend, aus anderen Gründen. Grafiker sind heutzutage fast mehr Frauen, auch das letzte Team, das unter mir gearbeitet hat, hat nur aus Frauen bestanden. Ich habe auch immer die Frauen, die direkt unter mir gearbeitet haben, als Art-Direktorin empfohlen, wenn ich einen Job aufgegeben habe, Seilschaften, Segregation, sexuelle Belästigung

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und sie auch entsprechend eingeschult. Erstens fand ich es toll, weil es für dich selber auch eine Entlastung ist, wenn du mit jemandem in einem guten Team arbeitest. Wenn du mal ausfällst, weil du ein krankes Kind hast, bricht nicht alles zusammen, sondern es gibt jemanden, der dich ersetzt. Alle Leute klein zu halten, zu demütigen und der einzige König am Platz zu sein, das ist sowas von hirnrissig. Es fällt dir irgendwann selber auf den Kopf.“

Das Mentoring, das sie selbst genossen hat, habe sie stets an andere Frauen, auch nach unten, weitergegeben. Führungskompetenz ist für sie vor allem in Teamgeist und Vertrauen begründet: „Am besten führst du, wenn du deinen Leuten was zutraust, und ihnen auch positiven Response gibst. Ich glaube, nichts ist frustrierender, das weiß ich auch von mir selber, wenn du gar kein Feedback kriegst. Fast noch negativer als schlechtes Feedback, ist gar kein Feedback. Ich glaube, dass Leute tatsächlich mehr über sich hinauswachsen, wenn sie das Gefühl haben, sie sind in Sicherheit. In dem Moment, wo Leute Angst haben, verunsichert und unterdrückt werden, kriegst du nicht das Beste aus ihnen heraus. Du kriegst das Nötige aus ihnen heraus. Weil sie bereit sind, alles zu tun, weil sie Angst haben, aber nicht das Beste. Das gibt man nur, wenn man das Gefühl hat: Ich darf mich trauen, ich darf etwas vorschlagen. Wenn jemand kleingehalten wird, tut er zwar viel, aber das funktioniert echt nicht.“

Ihr Erfolgsrezept sieht sie im Vertrauen, das ihr ihre Arbeitgeber entgegengebracht haben, und damit die Möglichkeit zur freien Entfaltung: „Ich hatte immer das Glück, dass Leute in mir was gesehen haben, und mir die Freiheit gelassen haben, mich wursteln lassen. Das waren natürlich auch andere Zeiten, wo die Medienlandschaft besser aufgestellt war, und man noch Sa128

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chen ausprobieren konnte. Ich glaube, das ist für die jetzt Nachrückenden viel, viel schwieriger. Ich glaube nicht, dass jetzt jemand mit knapp zwanzig die Chance kriegt, ein Frauenmagazin zu entwickeln, der nicht einmal Grafik gelernt hat und sich so dilettantisch alles zusammenschustert, da glaube ich, das wird immer schwieriger.“

Grundsätzliche Voraussetzung sei enorme Disziplin, erworben beim Synchronschwimmen: „Also sich hinzusetzen und zu wissen, ich muss heute ins kalte Wasser springen, obwohl es mir nicht taugt. Dieses Sich-Hinsetzen und einfach wissen: Ich mache diese Arbeit fertig.“ Bei Abbildungen von Frauen sei Bildbearbeitung die Norm. Beim Magazin „TV-Media“ wurde etwa selbst bei einem Cover mit Pamela Anderson, die schon über entsprechende Anatomie verfügte, zusätzlich optisch nachgeholfen und die Brust vergrößert. „Es herrschte ein zynischer Zugang in Magazinredaktionen. Man lacht drüber und erzählt lustige Geschichten, wie das halt so ist: dass man die Brüste größer gemacht hat. Oder da kam noch ein Glanzeffekt drauf, damit sie einem noch üppiger entgegenspringt. Es war überhaupt kein Bewusstsein da, von meiner Seite, was das für das Bild der Frau bedeutet, welche Auswirkung für junge Mädchen das hat. Was wir bei Magazinen wie News oder TV-Media gemacht haben, war ästhetisch nicht schön, es wurde echt ins Comichafte überzeichnet.“

Die Sehgewohnheiten hätten sich seither noch stärker verändert. Inzwischen sei kein unretouchiertes Bild mehr in Medien zu sehen: „Jeder will sein Bild retuschiert haben, nicht nur Superstars, sondern auch Otto-Normalverbraucher. Das Bewusstsein der Leute, dass etwas machbar ist, hat sich geändert, und inzwischen hast du ja auch Apps, mit denen du dich selber schöner, schlanker, mit besserer Haut, machen kannst. JeSeilschaften, Segregation, sexuelle Belästigung

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der weiß, dass das gang und gäbe ist, und verlangt es auch. Ich kann das bis zu einem gewissen Grad auch nachvollziehen. Wer will in einem Magazin die nackte Wahrheit sehen, die wir jeden Morgen im Spiegel sehen? Der Mensch ist grundsätzlich ein ästhetischer Mensch. Eine gewisse Form von Schönheit, als Vorstellung und Ideal, das verkauft einfach.“

Die Kampagnen, die bei Models auf Realität gesetzt haben, wie die „Dove“-Werbung oder auch „Brigitte Woman“, hätten daher nicht funktioniert. Beim Publikum sei das Konzept gescheitert. Menschen wollen auch visuell Märchen erzählt bekommen. Mit sexueller Belästigung hat sie sehr früh sehr schlechte Bekanntschaft gemacht: Mit sechzehn hatte sie beim Neujahrskonzert volontiert und wurde einem Live-Regisseur von der BBC beigestellt. Der habe sie auf eine Ausstellung als seine Begleitung eingeladen. „Ich dachte natürlich, das ist ‚part of my job‘. Außerdem, er war 70, wie ein Opa für mich. Dann waren wir in einer Keith-Haring-Ausstellung und er hat die ganze Zeit meine Hand gehalten, ganz fest. Da dachte ich mir auch: Das ist ganz komisch, warum will er neben mir sitzen und hält meine Hand (lacht)? Und als wir dann im Lift runtergefahren sind, hat er versucht, mich zu küssen. Ich bin dann ausgewichen und fand das irrsinnig widerlich, wusste aber auch nicht, wie damit umgehen. Und auf die Idee, das beim ORF zu melden und zu sagen: ‚Der Typ hat versucht, mich anzusteigen‘, bin ich nicht gekommen. Am nächsten Tag im ORF-Zentrum hat er immer versucht, mir die Tür aufzuhalten, und mir an den Hintern zu greifen. Ich war wirklich jung. Das war so eine komische Mischung: aus Angst, das wird auf mich zurückfallen, weil, das ist der BBC-Regisseur, und auch Peinlichkeit und ein unangenehmes Gefühl. Solche Sachen sind mir – nicht in der Drastik, aber immer wieder – passiert. 130

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Sei es eine Hand, die irgendwie zu lange auf der Schulter liegen bleibt, oder eine Einladung zum Essen, wo du denkst: Das muss nicht sein. Ich habe dann, im Laufe der Zeit, bessere Strategien entwickelt.“

Heute hätte sich schon viel geändert, wenn auch nicht genug. Die #MeToo-Bewegung ist für Schreiber-Urthaler daher extrem wichtig: „Ich finde diese #MeToo-Bewegung unfassbar wichtig. Auch, weil es genau die Frechheit ist: Wie kommen wir Frauen dazu, dass wir lernen, damit umzugehen? Wieso müssen wir es aushalten, dass uns ein Mann die Hand auf die Schulter legt? Aber ich glaube, dass das jetzt ganz anders ist. Damals war es ein ‚Boys Club‘, wo du gewusst hast: keine Chance. Jeder hat gewusst, wer grapscht. Und dann gab es die Strategien: Dann bist du halt nicht mit dem in den Lift gestiegen, und dann bist du halt automatisch anders gesessen, wenn der gekommen ist. Aber wie kommen wir dazu? Ich komme ja auch nicht auf die Idee, zu irgendeinem Typen zu gehen und ihm die Hand zwischen die Beine zu legen, nur weil ich es leinwand20 finde. Und dann davon auszugehen: Geh damit um. Finde es leinwand. Und wenn du es nicht leinwand findest, halt die Klappe.“

Den Pay Gap kann sie für sich in der Branche voll bestätigen: „Furchtbar! Ich war immer definitiv viel schlechter bezahlt als Männer. Das habe ich immer irgendwie akzeptiert, weil ich den Komplex hatte: ‚Ich habe den Beruf ja nicht gelernt.‘ Und weil ich auch tatsächlich nie verhandeln gelernt habe. Bis heute werde ich furchtbar emotional, und bin dann wirklich in Tränen aufgelöst, mit japsender Stimme und schreibe dann später SMS. Oder ich sitze da, wenn jemand sagt: ‚Das kriegst du‘, und bin dann immer froh, wenn das Thema erledigt ist.“

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Abhilfe könnte ihrer Meinung nach volle Gehaltstransparenz in Verlagen schaffen: „Ich bin dafür, dass man das Gehalt offenlegt. Damit auch Frauen sehen, wie groß der Unterschied ist für die gleiche Leistung. Das finde ich unumgänglich. Oder dass Mädchen lernen, einzufordern, was ihnen zusteht. Ich weiß noch, damals, als ich angefangen habe, als Art-Direktorin eines der erfolgreichsten Magazine des News-Verlags zu machen, habe ich immer noch die Hälfte verdient von dem, was jeder Angestellte als männlicher Art-Direktor verdient hat. Wahrscheinlich sogar nur ein Viertel oder ein Drittel. Und das hat sich auch nie geändert, egal wie groß mein Portfolio ist. Auch wenn ich auf einer Stufe mit bestimmten anderen Art-Direktoren stehen müsste, gehaltsmäßig: no way.“

Ebenso plädiert sie für eine Quote in den Medien: „Ich bin absolut dafür, und zwar aus einem ganz simplen Grund. Ich glaube, wenn mal eine Quote eingeführt ist, kommt es zumindest so weit, dass Frauen, die in so eine Position kommen, sich ausprobieren, und zeigen, was sie schaffen. Viele Frauen bekommen sonst nicht die Möglichkeit. Es herrscht ja die Meinung, die unterqualifizierten Frauen kommen dann in irgendwelche Positionen. Das glaube ich nicht. Wenn eine Frau dem Job nicht gewachsen ist, wird sie den Job nicht halten können. Derzeit bekommen Frauen in den seltensten Fällen die Möglichkeit, sich auszuprobieren. Eine Quote würde den Druck wegnehmen, ich muss etwas einfordern, denn das würde sich dann einfach ergeben. Also nicht dieses Gehabe, das den Mädchen antrainiert wird, wir sind lieb und artig, immer Lächeln. Sondern: Du musst nicht dreimal so viel kämpfen wie bisher. Du musst dich einfach beweisen, so wie es in einem fairen Wettbewerb üblich wäre. Nur: Die Fairness wird nicht hergestellt, leider. Derzeit noch nicht.“

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5.6. Tu felix Austria – große Töchter, kleine Chancen? Österreich hat eine in der EU weit überdurchschnittliche Teilzeitquote von Frauen. Unbezahlte Familienarbeit ist in Österreich immer noch Frauensache. Frauen erhalten in Österreich infolgedessen weniger Pension als Männer und befinden sich damit auf dem besten Weg in weibliche Altersarmut. Zudem sind sie insgesamt stärker von Armut bedroht, besonders als Alleinerzieherinnen. Die Arbeitskammer (AK) Wien informiert seit 2018 über den riskanten Pensions-Gender-Gap in einer eigenen Broschüre (AK Wien, 2018): Problem Nr. 1: Viel mehr Frauen als Männer unterbrechen ihre Arbeit oder arbeiten Teilzeit! Knapp die Hälfte aller beschäftigten Frauen arbeitet in einem Teilzeitverhältnis oder geringfügig. Bei Männern sind es nur 9 Prozent. Der Grund: Frauen übernehmen wesentlich häufiger die Betreuung der Kinder und von Angehörigen ... Problem Nr. 2: Teilzeitarbeit reduziert die Pension! … Drei von vier Frauen mit Kindern unter 15 Jahren arbeiten in Teilzeit. Die Teilzeitphasen dauern durchschnittlich 10 Jahre. Je länger sie sind, desto geringer wird die Pension. (AK Wien, 2018) Als Uni-Absolventinnen liegen demnach junge Frauen noch auf der Pole-Position, eine weibliche Mehrheit schließt das Studium ab. Ab dem Alter von etwa 30 bauen Männer ihren Karrierevorsprung auf. Der ist ein Frauenleben lang kaum aufholbar. Im Jahr 2016 haben 19 Prozent der Väter Kinderbetreuungsgeld in Anspruch genommen. Sie sind in etwa so selten wie der Anteil an weiblichen Aufsichtsräten. Rund 18,5 Prozent der Aufsichtsratsmandate aller österreichischen Unternehmen sind von Frauen besetzt, errechnet eine weitere

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Untersuchung der Arbeiterkammer, der AK-Management-Report. (AK Report, 2018) In der Geschäftsführung der 200 untersuchten Unternehmen sind auch 2018 noch 91,6 Prozent Männer. Frauen haben einen Anteil von 8,4 Prozent. 155 der 200 untersuchten österreichischen Unternehmen weisen keine einzige Geschäftsführerin auf, nur drei Unternehmen werden ausschließlich von Frauen geführt. Seit 2008 hat sich der Frauenanteil kaum verändert. Erst von 2017 auf 2018 ist ein Anstieg um 1,2 Prozentpunkte zu verzeichnen. In den 200 Top-Unternehmen gibt es 52 Frauen in Positionen der Geschäftsführung. Eine davon, Monika Fuhrheer, befände sich demnach im Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag GmbH. Im Report heißt es: Einen Frauenanteil von mindestens 40 % – wie es ein entsprechender EU-Richtlinienentwurf aus 2012 bzw. Quotenregelungen in Ländern wie Norwegen, Island, Frankreich bereits vorsehen – weisen lediglich 13 der 200 umsatzstärksten Unternehmen auf, unter sämtlichen börsennotierten sind es überhaupt nur drei Gesellschaften. Noch immer kommt ein Viertel der 200 größten Unternehmen des Landes ohne Frauen in Geschäftsführung und Aufsichtsrat aus. (AK Report, 2018:33) Am 28. Juni 2017 beschloss der Nationalrat das „Gleichstellungsgesetz von Männern und Frauen im Aufsichtsrat“, das GFMA-Gesetz, nach deutschem Vorbild. Zehn europäische Länder wollen damit der „eklatanten Unterrepräsentanz von Frauen in der Unternehmensführung und -kontrolle der europäischen Wirtschaft“ ein Ende bereiten. Eine Frauenquote von 30 Prozent soll in den Aufsichtsratsgremien großer börsennotierter Unternehmen gelten, so weiter in dem Report der AK. Von Experten werden darin die vielfachen Schlupflöcher kritisiert, und dass, außer einem unbesetzten Platz im Aufsichtsrat, keine Konsequenzen drohen. Zum Vergleich: Die schärfsten 134

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Sanktionen verhängt Norwegen. Dort drohen Bußgelder. Bei hartnäckigen Verstößen sei sogar eine Zwangsliquidation möglich. Dennoch sei die Quote wichtig und habe Signalwirkung: Dies ist gerade vor dem Hintergrund entscheidend, dass die Aufsichtsratsbestellung sehr informell und unstrukturiert abläuft. Insbesondere für Frauen ist es schwierig, als Kandidatinnen wahrgenommen zu werden, zumal sie nur selten Teil der relevanten Netzwerke sind. Demzufolge enden Laufbahnen von Frauen zumeist in der zweiten oder dritten Führungsebene, während Männer dank der richtigen Beziehungen, ausgeprägter Präsenzkultur und hoher Sichtbarkeit vergleichsweise ‚geschmeidig‘ an die Spitze gelangen. (Ebd. 2018:2) Die gläserne Decke sei in Österreichs Unternehmen sehr stabil. Die Hierarchiepyramide spitze sich nach oben extrem zu. Frauen bleiben spätestens im mittleren Management stecken. Die oberste Etage sei so gut wie frauenfrei: „Im Aufsichtsrat sind Frauen traditionell stärker vertreten als in der Geschäftsleitung, diese bleibt ein Männernetzwerk: In den umsatzstärksten Unternehmen des Landes sind lediglich 8,4 % Geschäftsführerinnen vertreten, in den Vorständen der börsennotierten Gesellschaften sind es überhaupt nur zehn Frauen (5,1 %).“ Die neue Quote sei trotz Schlupflöchern nachweisbar als Mittel zur Gleichstellung erprobt und daher zur Anwendung zu bringen und … als wichtiger erster Schritt für die Gleichstellung von aufstiegsorientierten Frauen zu sehen. Denn die Erfahrung in anderen Ländern zeigt: Eine gesetzliche Quote macht Frauen nicht nur sichtbar, sondern verstärkt Gleichstellungsstrategien und kann gendersensibles Tu felix Austria – große Töchter, kleine Chancen?

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Nachfolgemanagement schärfen. Mehr Vielfalt an der Führungsspitze verändert damit langfristig die Organisationskultur. (Ebd.) Bei staatsnahen Unternehmen und Universitäten hätten verpflichtende Zielvorgaben innerhalb relativ kurzer Zeit zu einer Anhebung des Frauenanteils in Führungspositionen geführt. Am Beispiel Universitäten: Durch die Quote verdoppelten sich Professuren z.B. von 11 Prozent im Jahr 2000 auf 22 Prozent im Jahr 2014. Aber: 2016 bremst sich die Entwicklung bei 24 Prozent wieder ein. Am schnellsten ändern sich Ungleichheiten, wenn sie Frauen zuvor bevorzugt hatten: Die Angleichung des Pensionsalters geht vergleichsweise rasant voran. Die Wehrpflicht für Frauen ist, im Gegensatz zu anderen Ländern der Welt wie Israel oder Norwegen, in Österreich aber kein Thema. Seit der Zeit der Europäischen Gemeinschaft, seit den 1950er Jahren, ist Gleichberechtigung ein zentraler Grundsatz. Bereits in den Gründungsverträgen von 1957 ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit festgehalten. Der Artikel  23 der Europäischen Grundrechtecharta „institutionalisiert die Gleichheit von Frauen und Männern in allen Bereichen“. Wann wir am Ziel sein werden, wird davon abhängen, ob sich die Bemühungen intensivieren. „Den Erwartungen der Europäischen Kommission zufolge kann es bei gleichbleibenden Anstrengungen noch eine ganze Generation und damit wohl ‚eine halbe Ewigkeit‘ dauern, bis es zum Ausgleich dieser Schieflagen kommt“, bilanziert der AK-Report. 5.6.1 Gläserne Decke, Lohnschere, Frauenfalle Teilzeit

Wie wir gesehen haben, liegt der Frauenanteil in den EU-Medien mit Ausnahmen einzelner Länder unter 50 Prozent, ­obwohl die Ausbildung in den Medien schon mehr als zwei Drittel Frauen hervorbringt (EIGE, 2013). Die weltweit ver136

HERStory – Berufsgeschichte/n gestern und heute

gleichende Studie von 2011 hat gezeigt, dass Mitteleuropa und Amerika, aber auch Japan, größere Defizite aufweisen als man annehmen würde. Im Vergleich zu diesen Ländern ist etwa in Ägypten in mittleren Positionen Parität erreicht und Nordoder Osteuropa haben einen höheren Gesamtanteil an Frauen in den Medien. (Byerly, 2011) Für Österreich ging Dorer auf Basis von Daten aus dem Jahr 1999 noch von einem Frauenanteil von 30 Prozent in den Redaktionen aus. Sie hatte als Erste Daten zur Situation der Austro-Journalistinnen gesammelt. (Dorer, 2002) Und sie hat sich in ihrer Arbeit mit dem Thema Vereinbarkeit auseinandergesetzt. Da Journalismus mit seinen besonderen Herausforderungen an unregelmäßige Arbeitszeiten und ständiger Bereitschaft einer „männlichen Normalbiografie“ zugeordnet werde, sind es „nicht die Männer, die sich zwischen Beruf und Karriere entscheiden“ müssten, sondern mehrheitlich Frauen. Im Jahr 1985 waren laut einer Studie (Jentzsch/Schilcher 1991) 65 Prozent der Journalistinnen kinderlos, 88,4 Prozent hatten keine Kinder unter 14 Jahren. Der Doppel- und Dreifachbelastung sei nur beizukommen, wenn Haushalt und Kindererziehung delegiert werden könnten. Ein Pausieren aus dem Beruf sei gerade in Führungspositionen nicht möglich. Das sogenannte „Familienargument“ werde zur „Legitimation für Diskriminierung“ von Frauen verwendet. Ein weiteres effizientes Karrierehindernis ist die Festlegung auf „weiblich kodierte körperliche Kriterien wie Schönheit und Alter“. Sie werden oft als Argument gegen den Aufstieg missbraucht. „Frauen bis 37 erklärt man, sie sind zu jung, und ab 37 erklärt man ihnen, sie seien zu alt“, schreibt Dorer. Eine spätere Studie (Hummel et al, 2013) errechnete 39,5 Prozent Frauenanteil in den Medien. Die Diagnosen: eine „deutliche Schlechterstellung“ von Frauen im Berufsfeld, was Führungspositionen und Gehalt betrifft. Dass Frauen nicht im Kern, sondern „in der Peripherie des österreichischen JournaTu felix Austria – große Töchter, kleine Chancen?

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lismus tätig sind“, in einem „statistisch signifikanten Ausmaß jünger, besser ausgebildet“ und dennoch „schlechter verdienend sind“. Eine Studie von OGM (OGM, 2013) für den Österreichischen Journalistenclub errechnete 2013 einen Anteil von 37 Prozent, im Journalismus sind demnach zu 63 Prozent Männer tätig. Der Anteil von Frauen im Beruf sei deutlich niedriger als im Durchschnitt anderer Berufe in Österreich. Nur bei den unter 30-Jährigen herrsche Gleichstand. Der „Journalistenreport“ (Karmasin et al, 2007) errechnete 2007 noch einen Anteil von 42 Prozent. In leitenden Positionen fanden sich auch damals nur neun Prozent der Journalistinnen. „In den Top-Positionen der Medien sind Journalistinnen immer noch die Ausnahme“, hieß es. Zudem verdienten 68 Prozent der Journalistinnen weniger als 3000 Euro. Über 5000 Euro brutto verdienten nur sechs Prozent der Journalistinnen. Im Fernsehen ortet die Studie den höchsten Frauenanteil (46 Prozent). Zum Vergleich: In den Anfängen des Fernsehens, bis etwa 1964, waren beim ORF nur 14 Frauen (als Sprecherinnen, Cutterinnen, Regieassistentinnen, Redakteurinnen) tätig. Bei Dorer (Dorer, 2002) ist nachzulesen: Das waren nur zehn Prozent aller ORF-MitarbeiterInnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren nur sieben Prozent der Tageszeitungsjournalisten Frauen, davon null in leitender Position. 1965 bekam „Die Presse“ die erste Ressortleiterin, 1970 gab es bei den „Salzburger Nachrichten“ drei Ressortleiterinnen: für Außenpolitik, Kultur und Lokales. Traditionell arbeiten bei Zeitschriften und Magazinen mehr Frauen als bei den prestigeträchtigen Tageszeitungen. Journalistinnen kommen am leichtesten in Frauenmagazinen unter. Die Redaktion der Frauenzeitschrift „Wienerin“ bestand zur Zeit der Studie aus 20 Frauen und drei Männern. Boulevardmedien und Privat-TV bieten Frauen auch in Österreich Arbeitsplätze und bestätigen die Forschungsergebnisse. Die Berichterstattung über Lifestyle sei in Österreich zu 72 Prozent 138

HERStory – Berufsgeschichte/n gestern und heute

in Frauenhand. Die Ressortverteilung von Frauen im Print liege relativ gleichmäßig zwischen 39 Prozent (Chronik) und 46 Prozent (Politik), Ressort-Ausreißer gäbe es nicht nur nach oben, wie die 72 Prozent Frauen im Lifestyle, sondern auch nach unten: zehn Prozent Frauen im Sport und 19 Prozent im Technikressort. Gegenläufig zur journalistischen Praxis in Österreich ist der Trend bei arbeitslosen JournalistInnen: Der Frauenanteil beträgt unter arbeitslosen Journalistinnen 49 Prozent und liegt damit über dem Gesamtanteil aller weiblichen Arbeitslosen (43 Prozent). Bei Männern ist es anders herum: Männliche Journalisten sind mit einer Quote von 51 Prozent weniger oft arbeitslos als Männer allgemein, deren Anteil an der Gesamtarbeitslosenzahl 59 Prozent beträgt, wie eine Studie belegt. (Lachmayr/Dornmayr, 2015) Der Anteil von Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft liegt bei arbeitslosen JournalistInnen mit 89 Prozent mehr als deutlich über jenem der Arbeitslosen insgesamt (75 Prozent). Erhoben hat die Daten eine Studie, die das Arbeitsmarktservice (AMS) extra angefordert hatte, weil die Entwicklung im Journalismus als dramatisch wahrgenommen wurde. Die Studie zeigte, dass der Arbeitsmarkt für JournalistInnen nach der Finanzkrise 2008 durch die speziellen „Veränderungen in der Medienwelt von besonders intensiven Umwälzungen betroffen ist und auch in den nächsten Jahren sein wird“. Trotz relativ hohen Ausbildungsniveaus stieg die Zahl der arbeitslosen JournalistInnen seit 2007 nicht nur stärker als der anderer Berufsgruppen, auch die Dauer ihrer Arbeitslosigkeit ist überdurchschnittlich. Insgesamt waren im Jahr 2014 durchschnittlich rund 640 JournalistInnen beim AMS arbeitslos vorgemerkt, demgegenüber standen sechs offene Stellen. (Ebd.) Im Jahr 2017 waren bereits 863 JournalistInnen arbeitslos. Stellen werden nicht nur in den alten, sondern auch in den neuen digitalen Medien abgebaut. Die Arbeitslosigkeit unter JournalistInnen wächst also weiter

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rasant und weit schneller als unter allen anderen Berufsgruppen. (Standard: 22.5.2018) 5.6.2 Der ORF und der Gleichstellungsplan

Der ORF ist durch die Gleichstellungsgesetze auf europäischer und österreichischer Ebene zu Gleichstellungsmaßnahmen verpflichtet. Im Juli 2011 zeigte eine interne Überprüfung signifikante Geschlechterdisparität auf: 1455 Frauen, aber 2030 Männer, das entsprach einem Frauenanteil von 41,8 Prozent. Keine einzige Position in der Geschäftsführung war mit einer Frau besetzt. Bei den DirektorInnen der Regionalstudios war der Frauenanteil elf Prozent, in den Abteilungsleitungen 22 Prozent. Bei den Teilzeitbeschäftigten hingegen waren Frauen mit 68 Prozent in der Mehrheit, wird im Gleichstellungsplan (ORF, 2016) konstatiert. Der Gleichstellungsplan sollte als Selbstregulierungsinstrument das Ungleichgewicht beseitigen. Die Ziele: Gleichstellung der Geschlechter und berufliche Entwicklung fördern, Diskriminierung beseitigen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer ermöglichen. Einen Frauenanteil von 45 Prozent erzielen in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind. Den Frauenanteil in technischen Berufen erhöhen. Drei Gleichstellungsbeauftragte seien mit den Agenden betraut. Seit 2012 werden Daten analysiert und Maßnahmen entwickelt. Die gesetzlich verordnete Quote beträgt 45 Prozent und wurde bisher nur in einzelnen Abteilungen erreicht oder übertroffen. Im technischen Bereich ist sie sogar gesunken. Die Entwicklung geht relativ langsam voran: 2015 waren im ORF 1485 Frauen und 1945 Männer beschäftigt, ein Frauenanteil von 43,3 Prozent. Von 2013 auf 2015 sank der Anteil an Führungspositionen bei den Hauptabteilungsleiterinnen auf 18 Prozent (von rund 22 Prozent). Auf allen anderen Ebenen blieb er konstant niedrig. Vollzeit arbeiten nur 32,2 Prozent 140

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Frauen. Bei den Teilzeitbeschäftigten ist der Frauenanteil im Gesamtunternehmen auf 71,3 Prozent sogar noch gestiegen. Die Teilzeitquote ist demnach enorm. Keine andere staatliche Rundfunkanstalt in der EU hat eine vergleichbare Maßnahme vorzuweisen, weshalb diese in den in dieser Arbeit zitierten Frauenreports der EU und weltweit als „Good-Practice“-Beispiel lobend erwähnt wurde. Dennoch lässt sich durchaus Luft nach oben diagnostizieren. Wenn es nicht klappt mit der Männerkarenz – ORF-Kultur im Wandel Simon Hadler – der Mann für die Quote

Simon Hadler, 42, ist seit knapp 20 Jahren in der Redaktion des Online-Ablegers des ORF tätig. Ein Nachrichtenportal, das in vielerlei Hinsicht stilbildend war und sich zur erfolgreichsten Online-Medien-Plattform Österreichs entwickelt hat, mit großem Abstand zur Konkurrenz. Auffällig ist, dass auf relevanter Ressortleiterebene des Marktführers mit den Traumquoten hauptsächlich Männer tätig sind. Hadler koordiniert dort die Kulturagenden und hat ein Buch über Fake News geschrieben. Der studierte Publizistikabsolvent freut sich zwar über die „leichten Fortschritte für Frauen“ durch den Gleichstellungsplan im ORF, findet aber, dass die „Veränderungen viel zu langsam“ vor sich gingen. Der Ressortleiter der Kulturredaktion von „ORF on“ verortet eine deutliche Änderung der Berichterstattung über Frauen in jüngster Zeit, auch durch die aktuelle #MeToo-Debatte. Dies äußere sich ganz besonders bei der optischen Gestaltung, bei der Abbildung von Frauen in den Medien. Bei „ORF on“ hatte man immer schon den Anspruch, möglichst gleich viele Frauen auf dem Cover (intern „Grid“) zu zeigen wie Männer. Das hatte in der Vergangenheit aber oft zur Folge, dass andere Maßstäbe bei Frauen angesetzt wurden:

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„Man will dann zwar genau so viele Frauen am Cover haben wie Männer, aber die sollen dann bitte jung und fesch sein, während der Männeranteil, schätze ich, zu 80 Prozent aus Politikern besteht, die nach diesen Kriterien niemals auf unserem Cover sein dürften.“

Das hätte sich grundlegend geändert: „Wenn ich jetzt Storys habe, die schwer zu verkaufen sind, probiere ich das nicht mehr über die sexuelle Schiene.“ Als konkretes Beispiel nennt er die Bebilderung des Filmfestivals „Diagonale“: „Früher habe ich das hin und wieder mit der Sexkeule zu verkaufen versucht, und es hat funktioniert.“ Frauen zu „benutzen“, um Storys zu verkaufen, mit der „hehren Absicht“, schwer vermittelbare Kultur zu pushen und dabei noch „Gutes im Gendersinn zu tun, das geht sich moralisch vielleicht doch nicht so aus, wie ich mir das jahrelang eingeredet habe“. Die zweite Ebene der Veränderung ortet er in den Textinhalten, also z.B. explizit über Genderthemen zu berichten: Da gäbe es weitaus mehr Berichterstattung, „nicht nur bei ORF on, sondern insgesamt in den Medien“, was Hadler „enorm wichtig“ findet. Denn der Umgang mit Frauen im Journalismus spiegele sich auch im Alltag. Die vermehrte Berichterstattung komme bei den Leuten an und mache uns alle „vorsichtiger im Umgang miteinander“. „Ich habe gar nicht so wenige, ältere Männer, die zur intellektuellen Elite dieses Landes gehören, im letzten halben Jahr getroffen. Das Erste, worauf ich angesprochen wurde, war die #MeToo-Debatte. Das Narrativ, das sich da durchgezogen hat, war: Das sei eine schreckliche Hexenjagd auf die Männer. Sie waren völlig verunsichert, ich glaube, weil sie alle Panik haben, dass sich irgendwelche Frauen melden, die von diesen Männern vor zwanzig Jahren aufs Ungute abgebaggert worden sind. Und wo es Wortmeldungen gegeben hat, die sicher unter der Gürtellinie waren. Früher

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HERStory – Berufsgeschichte/n gestern und heute

war das leider Gottes weit verbreitet und nichts Besonderes.“

Am schwierigsten sei es, in der Berichterstattung Gleichstellung zu erreichen, wo es nicht um explizite Gender- oder Frauenthemen geht, dort Frauen als Expertinnen genauso oft zum Zug kommen zu lassen: „Der Klassiker ist, wir haben ein Wirtschaftsthema und alle Experten, die wir dazu interviewen, sind Männer. Das soll natürlich nicht passieren, es gibt auch ganz tolle Expertinnen. Da glaube ich, zu beobachten, dass sich, viel zu langsam, aber doch, etwas ändert. Bei der Einladungspolitik im Fernsehen und darüber hinaus gibt es mittlerweile einen Aufschrei, wenn nur Männer in einer Runde sitzen, das war früher der absolute Alltag und Realität.“

Besonders problematisch schätzt er das Ranking in den Literaturlisten der ORF-Kultur-Redaktionen ein, in dem immer noch mehr Männer als Frauen präsent sind. Hier suche man noch nach Lösungswegen. Was die Chancengleichheit betrifft, sieht er Verbesserungen: Früher rein männlich dominierte Seilschaften würden langsam von gut ausgebildeten jüngeren Frauen durchbrochen, die neu in die Redaktionen nachrückten. Großes Verbesserungspotential sieht Hadler durch die Einführung verbindlicher Frauenquoten, nicht nur im Journalismus. Es müsse „verbindliche Gesetze und Regelungen geben, die zu möglichst wenig Chaos führen, und Entscheidungen, die inhaltlich nicht immer hundertprozentig nachvollziehbar sind, verhindern“ sollen. „Die gesamte Berufswelt würde sich zum Positiven verändern“ durch eine Quote. „Ich glaube, dass so eine Quote zu sehr, sehr vielen Ungerechtigkeiten führen würde, kurzfristig bis mittelfristig, ich bin aber trotzdem unbedingt dafür. Denn es ändert sich sonst nichts. Auch wenn ich mich persönlich davor fürchten Tu felix Austria – große Töchter, kleine Chancen?

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müsste, weil ich jetzt knapp über vierzig bin, in der Mitte meiner beruflichen Laufbahn, oder meiner Karriere, wenn man will. Es ist durchaus möglich, dass ich in Zukunft benachteiligt werde, und darüber jammern und mich bitter beschweren werde.“

Das ändere aber nichts an seiner Haltung pro Quote. Hadler wurde bereits mit 21 Vater, und studierte noch, als er bereits eine Festanstellung bei „ORF on“ bekam. „Das war dann auch der Grund, warum ich nicht in Karenz gegangen bin, worunter ich wahnsinnig gelitten habe und was mir auch wahnsinnig leidtut. Also ich habe zwei Kinder, zwei Söhne, und war bei keinem von ihnen jemals in Karenz.“ Es habe damals vor 18 Jahren in allen Redaktionen „ganz, ganz deutlich, ganz, ganz stark spürbar weniger Verständnis gegeben für Mitarbeiter mit Kindern“. O-Ton eines Kollegen, als Hadler bei einer der seltenen Gelegenheiten mit einem seiner Kinder zum Arzt gehen musste: „‚Na super, dann kauf ich mir einen Hund, und wenn ich mit dem Gassi geh, dann sag ich a des is a Grund, dass ich ned in die Arbeit komm.‘ Und das war jetzt eine recht extreme Aussage, aber die hat durchaus der Stimmungslage entsprochen bei uns in der Redaktion, auch bei den Verantwortlichen.“ Später, beim zweiten Kind, beantragte Hadler in Elternteilzeit zu gehen: „Es gab damals noch nicht die gesetzlich verankerte Möglichkeit, in Teilzeit zu gehen, die war bereits in Diskussion, aber noch nicht beschlossen. Ich habe damals von einem der Verantwortlichen, bei dem ich diesen Antrag gestellt habe, eine seitenlange E-Mail mit einer Absage erhalten, wenn ich so wenig Solidarität mit meiner Kollegenschaft empfinde, kann ich gleich das Weite suchen. In durchaus echt deftigen Worten hat man es jemanden mit Kind damals, egal ob Mann oder Frau, nicht leicht gemacht.“

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HERStory – Berufsgeschichte/n gestern und heute

Sein Fazit ist, dass, dadurch dass er sehr früh unter den geschilderten Umständen Karriere gemacht hat und seine Frau später in den Beruf eingestiegen ist, sich sein Wunsch nach gleichberechtigter Familienarbeit nicht erfüllt hat: „Wenn man einen sehr fordernden Job hat, egal ob man Mann oder Frau ist, bleibt weniger Zeit, um sich einzubringen. In meiner Beziehung ist eine unglaubliche Schieflage an Engagement für meine Familie entstanden, also überspitzt gesagt, ich nix und meine Frau alles. Was noch halbwegs gerechtfertigt war, als sie studiert hat, obwohl das ja auch eine Arbeit ist. Ich habe, obwohl ich gearbeitet habe, persönlich darum gekämpft, und jeden Tag weiter gekämpft, um mich auch in ähnlicher Art und Weise einbringen zu können wie sie. Aber mit der Zeit hat sich die Verteilung eingeschliffen, dass mein Engagement ein viel zu Geringes ist und wir eigentlich ein sehr konservatives Gesellschaftsmodell leben. Aber das ist nicht der Einfluss meiner Kinder auf den Job, sondern der Einfluss meines Jobs auf die Kinder.“

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Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“ „Nun ja! Ich kenne Menschen, die täglich im Kino sein können. Nicht, dass sie nicht arbeiten wollen oder nichts zu tun hätten. Sondern deshalb, weil es für die Seele so bequem ist, im Kino zu sitzen.“ Milena Jesenská

6.1

Weibsbilder und „Mansplaining“21

Die Autorin dieses Buches war anlässlich der Premiere eines neuen „Spiderman“-Abenteuers zum Gespräch mit Emma Stone, die im Film an der Seite ihres damaligen Freundes im echten Leben, Andrew Garfield, auch die Freundin des Superhelden gab, in London geladen, wo sich folgender Dialog entspann (zitiert wird aus dem Artikel, der daraus für das Nachrichtenmagazin „News“ entstand): Frage: „Sollen die Studios Frauen in Superhelden-Filmen fördern? Die alte Regel vom Kassengift ist längst widerlegt.“ Stone: „Mit gutem Grund: Die Hälfte des Kinopublikums ist weiblich! Es bewegt sich auch schon etwas: Scarlett Johansson in ,Captain America‘ oder Jennifer Lawrence in ,X-men‘ zeigen vor, wie es geht. Nur: Ein paar Superheldinnen in Hauptrollen wären fein! Die Filmstudios halten alle Karten in der Hand, vor allem hunderte Millionen Euro, um dies zu ermöglichen. Es ist doch toll, Filme wie ,Divergent‘ oder ,Tribute von Panem‘ zu sehen, die Frauen in Hauptrollen zeigen und an der Kasse Riesen-Erfolge sind. Das ist so inspirierend, nicht nur für junge Mädchen, auch für Buben. Das sind doch wichtige Vorbilder!“ (Sarwat, 20.4.2014) 146

Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

Weitere Frage: „Haben Sie die als Kind vermisst?“ Stone: „Natürlich! Meine Vorbilder waren alle Männer: Steve Martin, John Candy, Gene Wilder, Bill Murray. Im Comedy-Bereich, wo ich künstlerisch herkomme, waren damals hauptsächlich Männer Stars. Für Frauen war es früher fast unmöglich, Comedy-Karriere zu machen. Heute sind sie omnipräsent!“ (Ebd.) Im Jahr 2017 war es soweit: Mit „Wonder Woman“ eroberten Frauen das bisher exklusiv männliche Genre der Superhelden-Filme. Und: Der Film bot mit Patty Jenkins eine Frau als Regisseurin auf. Die größten US-Box-Office-Hits im Jahr 2017 waren „Star Wars – der letzte Jedi“, „Wonder Woman“ und „Die Schöne und das Biest.“ Alle drei Top-US-Filme hatten Frauen in führenden Hauptrollen. Hollywoods gläserne Decke bleibt dennoch intakt, das zeigt die neue Studie der Abteilung „Women in Television and Film“ der San Diego State University. Die Studie „It’s a man’s world“ (Lauzen, 2018a) misst Anteil und Gewichtung der Frauencharaktere in den Top-Filmen 2017. Lauzen lieferte auch den zugehörigen „Celluloid-Ceiling“Report. (Lauzen, 2018b) Der misst seit 20 Jahren den Frauenanteil hinter den Kulissen bei den erfolgreichsten Hollywood-Produktionen und ist damit das am längsten laufende Studienprojekt zu Frauen in der Filmbranche. Ergebnis der Man’s World-Studie ist u.a.: 2017 waren nur 24 Prozent in den 100 Top-Filmen weibliche Protagonistinnen, satte fünf Prozentpunkte weniger als die 29 Prozent vom Jahr davor. Dass die weibliche Nominiertenliste für die Oscars mehr preiswürdige Kandidatinnen hervorbrachte als Kandidaten, wurde hingegen in der Branche als positives Zeichen gewertet, ebenso wie starke Frauen-Narrative, etwa in „Die Verlegerin“. Apropos Oscars: Kathryn Bigelow hat vor gerade einmal acht Jahren Filmgeschichte geschrieben. Mit dem Kriegsfilm „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ eroberte sie in der Oscar-Nacht im März 2010 als erste Frau einen Regie-Oscar, Weibsbilder und „Mansplaining“

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trotzte dabei Regiegrößen wie James Cameron oder Quentin Tarantino. Mit der Oscar-Verleihung 2018 setzte die Traumfabrik erneut Maßstäbe. Erstmals in der Filmgeschichte war mit Rachel Morrison („Mudbound“) eine Kamerafrau für einen Oscar nominiert. Außerdem war zum ersten Mal ein Film, der eine Transgender-Frau ins Zentrum stellt, nominiert: „Eine fantastische Frau“ konnte das begehrte Goldmännlein in der Kategorie bester ausländischer Film auch erobern. Mit Greta Gerwig war erneut eine Regisseurin für ihr Werk „Ladybird“ nominiert. Allein die Nominierung einer Frau in der Kategorie kommt einer Sensation gleich, denn in der 90-jährigen Geschichte des Glamour-Events lassen sie sich an einer Hand abzählen: Lina Wertmüller (1977), Jane Campion (1994), Sofia Coppola (2004), Kathryn Bigelow (2010). Im Schnitt kommen damit seit Beginn auf jede nominierte Frau knapp 90 Männer. Eine Gewinnerin des Abends, Frances McDermond, nutzte ihren Triumph für eine feministische Miniatur-Brandrede. Ein Hauch von Hoffnung weht aus dem Allerheiligsten Hollywoods hinaus in die Welt. Jurypräsidentin Cate Blanchett gab im Mai 2018 bei der Eröffnung des Filmfestivals von Cannes eine Solidaritätserklärung der Filmfrauen ab, die sie mit einer Mahnung einleitete: „Frauen sind keine Minderheit auf der Welt, aber die Filmindustrie sendet eine andere Botschaft.“ In 70 Jahren Festivalgeschichte sind erst 82 Filme von Frauen im offiziellen Wettbewerb gelaufen, im Vergleich dazu waren es 1645 Werke von männlichen Regisseuren. 71 Männer wurden mit der Goldenen Palme geehrt, jedoch nur zwei Frauen: Agnes Várda und Jane Campion. Auch 2018 ging die Goldene Palme nicht an eine Frau. Aber die Regisseurin Nadine Labaki bekam für den libanesischen Beitrag „Capernaum“ den Preis der Jury, die Filmemacherin Alice Rohrwacher erhielt einen Drehbuchpreis. (ORF on: 19.5.2018) Mit einer „gesalzenen“ Rede zum Finale berührte die italienische Schauspielerin Asia Argento im Finale des Festivals: „1997 wurde ich hier in Cannes von Harvey 148

Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

Weinstein vergewaltigt. Ich war 21 Jahre alt und Cannes war sein Jagdgebiet.“ Sie sprach auch die zweifelhafte Rolle an, die die Film-Community bei derartigen Verfehlungen spielte und immer noch spiele, indem sie diese decke. Zudem seien noch weitere Fälle offen, deren Protagonisten damit jedoch „nicht davonkommen würden“. (Argento: 19.5.2018) Die Botschaft vom Empowerment für Frauen wird neuerdings gehört und auch von der Entertainment-Industrie für sich entdeckt. Gerade im Serienkosmos der Streaminganbieter wie Netflix & Co. wird Diversität breit gestreut. Transgender-Personen beispielsweise sind damit in der Mitte der Populärkultur angelangt. Der Netflix-Hit „Orange is the New Black“ um ein Frauengefängnis bekam den ersten Emmy in einer Schauspielkategorie für eine Transfrau. Laverne Cox kam aufs Cover des „Time Magazin“, das mit dem Titel auch gleich „Amerikas nächste Bürgerrechtsbewegung“ ausgerufen hat. Cox wurde zur Ikone dieser Bewegung. Die Streaminganbieter fungieren dabei als neue Avantgarde, als Plattformen für die Abhandlung der neuen, demokratischen Diskurse. (Vgl. Sarwat, 11.10.2017) Diese Vermittlerfunktion des neuen Mediums machen sich politische Akteure neuerdings aktiv zunutze, wie das Beispiel des Engagements der Obamas auf Netflix zeigt. (siehe Kapitel 1)

6.2

Stars und Stereotype – Filmwelt im Reality-Check

Bilder prägen unsere Wertvorstellungen, unsere Ideen und Ideale. In ihnen spiegelt sich die Kultur einer Gesellschaft. Wer die Bilder macht, hat die Macht, transportiert Werte und beeinflusst unsere Zukunft. Frauen und Männer nehmen sich selbst in ihren Geschlechterrollen unterschiedlich wahr und nur ein faires Geschlechterverhältnis vor und hinter der Kamera bildet Stars und Stereotype – Filmwelt im Reality-Check

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die Gesellschaft in ihrer Vielfalt ab. Die Perspektiven von Frauen müssen vorkommen! (ProQuote Film, 2018) So formuliert Pro Quote Film auf der Homepage (Pro Quote Film, 2018). Der sogenannte Bechdel-Test, benannt nach seiner Erfinderin, einer Cartoonistin, gilt als Indikator für die Präsenz von Frauen im Film. Er untersucht folgende Fragen: Gibt es mehr als zwei Frauen im Film, die auch einen Namen haben? Sprechen sie miteinander? Und sprechen sie über etwas anderes als einen Mann? In deutschsprachigen Filmen bestehen nur knapp 14 Prozent der Filme diesen Test. In überdurchschnittlich vielen Filmen haben Frauen hingegen weder Namen noch Beruf und bei der sexualisierten Darstellung von Mädchen und Frauen sei Deutschland ganz vorne mit dabei. Die Studie „Audiovisuelle Diversität?“ (Prommer, 2018) lieferte 2017 erstmals nach 20 Jahren eine umfassende Untersuchung zu Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland. Grundlage der Analyse waren über 3000 Stunden TV-Programm aus dem Jahr 2016 und über 800 deutschsprachige Kinofilme aus sechs Jahren. Dabei wurden Rollenbilder von Frauen und Männern in fiktionalen Formaten analysiert, ebenso das Vorkommen von Expertinnen in journalistischen Beiträgen. Das wenig überraschende Ergebnis: Frauen sind deutlich unterrepräsentiert. Auf eine Frau kommen zwei Männer. Ausgerechnet Telenovelas und Daily Soaps sind als einzige repräsentativ für reale Verhältnisse. Weitere Ergebnisse der Studie: Ein Drittel der TV-Programme kommt ganz ohne weibliche Protagonistinnen aus, nur 15 Prozent ohne männliche Protagonisten. Wenn Frauen gezeigt werden, kommen sie häufiger im Kontext von Beziehung und Partnerschaft vor. Ganz junge Frauen und Mädchen sind noch knapp überrepräsentiert. Ab 30 Jahren jedoch geht es für Frauen im Bewegtbild bergab. Ab 50 sind sie nur noch mit einem Verhältnis 20 zu 80

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Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

Prozent im Vergleich zu Männern auf den Bildschirmen geduldet. Die demografische Realität zeigt das Gegenteil. In den Infoformaten erklären Männer die Welt, nur jede dritte Akteurin bei „TV-Info“ ist weiblich. Moderatoren wie Journalisten sind mehrheitlich männlich, besonders unter Moderatoren non-fiktionaler Unterhaltung mit 80 Prozent. Experten sind männlich, zu 79 Prozent in der TV-Information und zu 69 Prozent in non-fiktionalem Entertainment. Die Mehrheit der Sprecher ist männlich: 72 Prozent in „TV-Info“ und 96 Prozent im Infotainment. Ähnlich trist fällt auch die Bilanz zur Repräsentation der Frau in den Medien in Österreich aus, wie eine Studie (Pernegger, 2018) zeigt. Frauen seien demnach medial am meisten als „optischer Aufputz gefragt“, als Models, Stars und Promis. Im Kontext von Körper und Nacktheit sind Frauen extrem überrepräsentiert, vor allem in Boulevard-Medien, aber auch auf Facebook. Auf dem Boulevard erklären fast nur Männer die Welt: Unter den Top-15 der bunten Tageszeitungen „Österreich“ und „Heute“ findet sich die Kategorie Expertin nicht, in der „Krone“ erst auf Platz 15. Auch bei den sogenannten Qualitätsblättern gibt es Ausreißer nach unten: In der Tageszeitung „Die Presse“ sind doppelt so viele Experten wie Expertinnen abgebildet. Gut schneidet „Der Standard“ ab: Hier herrsche laut der Studie zumindest annähernd ExpertInnen-Parität.

6.3

„Fuck U Quote“ – der Aufstand der Filmfrauen

Zur Arbeit von Frauen hinter den Kulissen im Filmgeschäft ist auch wenig Positives zu vermelden. Die deutsche Initiative „Pro Quote Film“ veröffentlichte die Ergebnisse neuerer Studien über die Geschlechterverteilung beim Film. Eine jüngere Studie (Hochfeld et.al, 2017) zu Schlüsselpositionen im Film zeigt: 21 Prozent ist der Frauenanteil an der Regie, 10 Prozent bei Kamerafrauen und gar nur vier Prozent Frauen gibt es „Fuck U Quote“ – der Aufstand der Filmfrauen

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beim Ton. Einzig im Kostümbereich sind Frauen überrepräsentiert mit 81 Prozent plus. Frauen werden in der Branche seltener beschäftigt und verdienen deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen, Produzentinnen haben weniger Budgets zur Verfügung. Der Gender Pay Gap beträgt in der Filmbranche bis zu 73 Prozent. Regisseurinnen bekommen maximal zehn Prozent der Fördergelder, obwohl Frauen knapp die Hälfte der Hochschulabschlüsse im Fach Regie machen, sagt Pro Quote Film. Das sei besonders brisant, da in Deutschland, ebenso wie in Österreich, Film- und Fernsehproduktionen zu 95 Prozent aus öffentlichen Geldern finanziert werden. Die Film- und Medienbranche ist ‚frauenfeindlich‘, die ‚Gläserne Decke‘ existiert oder etwas nüchterner ausgedrückt: Frauen sind auch 2018 noch strukturell benachteiligt. Die mangelnde Beschäftigung von Frauen in den kreativen Schlüsselpositionen hinter der Kamera spiegelt sich auch in den Bildern und Geschichten vor der Kamera wider. Das Fernsehen liefert vorwiegend stereotype Rollenklischees, Perspektiven von Frauen, ihre Erfahrungen und Geschichten kommen kaum vor. Diversität wird nicht abgebildet und Männer erklären uns die Welt. (ProQuote Film, 2018) Pro Quote Film fordert daher u.a. eine 50-Prozent-Quote, das Ende des Pay Gaps und gesetzliches Gender Monitoring. Als erste österreichische Filmförderung erhebt und veröffentlicht der Filmfonds Wien seit 2012 den Frauenanteil (Filmfonds Wien, 2018). Als Maßnahme gegen den geringen Frauenanteil am TV-Förderbudget wurden 2015 die Richtlinien adaptiert. Anträge sind nur möglich, wenn mindestens eine der Positionen Regie, Drehbuch und Produktion nicht männlich besetzt ist. Der Frauenanteil wuchs von 11 Prozent 2015 auf 24 Prozent 2017.

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Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

In Österreich wurde der erste Film-Gender-Report (ÖFI, 2018) am 7. Mai 2018 präsentiert. Die zentralen Ergebnisse: - 80 Prozent der Fördergelder, immerhin 115 Mio. Euro, gingen an Projekte mit Männern in Regie, Produktion oder Drehbuch. Nur 20 Prozent der Mittel gingen an Projekte mit Frauen. Entschieden haben das Männer: Weniger als ein Viertel des Aufsichtsrates des Gremiums ÖFI sind Frauen. - Im TV-Bereich ist der Pay Gap noch höher als im Kino. Obwohl 23 Prozent Frauen an den Produktionen beteiligt waren, erreichten die Honorare in der Gesamthöhe von 6.172.090 Euro nur 12 Prozent der Frauen. - Nur jeder fünfte Kinofilm wurde von einer Frau inszeniert. War das der Fall, stieg auch der Anteil weiblicher Stabstellen. Drei Viertel der Filme, die zwischen 2012 und 2016 ins Kino gelangten, wurden von Regisseuren gedreht, 21 Prozent von Regisseurinnen, vier Prozent durch gemischte Teams. - Nur 14 Prozent der Filme hatten einen mehrheitlich weiblichen Anteil an Stabstellen. Nur ein einziger Film („Maikäfer flieg“) erreichte 75 Prozent Frauen in Stabstellen. Obwohl nur ein Viertel der Frauen-Filme auf Festivals laufen, gewinnen sie dort weitaus mehr Preise als Männer. (Ebd.) - An der Filmakademie sind zwar 44 Prozent Studentinnen, doch nur zehn Prozent Professorinnen. Zur Abbildung der Realität im österreichischen Kinofilm ist zu sagen, dass diese stark verzerrt ist: Väter sind im Film zu einem Fünftel alleinerziehend, .in der Realität tendiert der Anteil alleinerziehender Väter gegen Null. Alleinerziehende sind in Österreich zu weit über 90 Prozent Mütter: 291.414 alleinerziehenden Müttern stehen nur 48.476 Väter gegenüber. (BMfGF, 2018: 15). Dafür wurden im österreichischen Film 30 Prozent der sexualisierten Gewalttaten Frauen zugeschrieben. (ÖFI: 7.5.2018) Einer österreichischen Studie zufolge sieht die Realität so aus: „Fuck U Quote“ – der Aufstand der Filmfrauen

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Sexuelle Gewalt und Belästigung erleben Frauen zu nahezu 100 Prozent (98,9 Prozent) durch Männer. Und auch Männer geben zu einem hohen Anteil andere Männer als Täter an. (BMfGF, 2018: 60 f.). Die journalistische Maxime „Mann beißt Hund ist interessanter als Hund beißt Mann“ gilt eben auch im Film.

6.4

„Celluloid Ceiling“22 – der Hollywood-Report

Das Phänomen ist global. Jährlich liefert der „Celluloid-Ceiling“-Report“ Zahlen, die den Bedarf an Emanzipation in der Filmindustrie aufzeigen. Er zeigt den Anteil von Männern und Frauen hinter den Kulissen der Top-250-Filmproduktionen in den letzten 20 Jahren, deren Verhältnis sich kaum verändert: Konstant blieb der Anteil der Männer über diesen langen Zeitraum bei rund 80 Prozent. (Lauzen, 2018b) Der Anteil an Regisseurinnen, Drehbuchschreiberinnen und vor allem in den technischen Kategorien wie Kamera ist gering. Nur 18 Prozent ist der Frauenanteil hinter den Kulissen 2017, nur 11 Prozent sind Regisseurinnen. Gegen Null tendiert der Anteil der Frauen in der Kategorie Cinematographie: vier Prozent im Jahr 2017. Executive Producers sind immerhin zu 18 Prozent weiblich. (Ebd.) Natalie Portman traf die Autorin mehrmals, u.a. zum Interview im Berliner Hotel Ritz, wo die Oscar-Preisträgerin auch ihren neuen Superhelden-Film „Thor“ vorstellte. Der Star arbeite nebenbei auch an seiner ersten Regiearbeit und merkte zur Frage, warum Regisseurinnen derart selten seien, an: „Es ist mir ein Rätsel. In den USA ist die Situation besonders krass, obwohl es massenhaft talentierte Frauen in der Branche gibt und Frauen auch immer öfter Chefposten in den Studios einnehmen. Deshalb bin ich froh, nach Paris zu ziehen. Hier wächst eine neue Generation von Filmemachern heran, die Frauen als wirklich gleichberechtigt betrachten.

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Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

Es ist aufregend zu sehen, was da alles möglich ist. Aber ich beginne ja gerade erst als Regisseurin.“ (Sarwat, 2.11.2013)

Schon für „Thor“ hatte sich Portman für Patty Jenkins als Regisseurin eingesetzt, die jedoch erst bei „Wonder Woman“ zum Zug kam. Das „Geena Davis Institute on Gender in Media“ veröffentlichte 2014 die erste globale Studie zu weiblichen Charakteren in populären Filmen. Die Studie „Gender Bias without Borders“, (Smith, 2014) in der die zehn erfolgreichsten Filme unterschiedlicher Länder untersucht werden, wählte sie nach den zehn profitabelsten internationalen Territorien aus: Australien, Brasilien, China, Frankreich, Deutschland, Indien, Japan, Russland, Südkorea, England, definiert nach den Kriterien der „Motion Picture Association of America“. Die Studie bestätigt Stereotype in der Darstellung. In fiktionalen Rollen sieht man nur 20 Prozent der Frauen in Jobs arbeiten und nur ein Prozent in Top-Jobs. Die Untersuchungsleiterin Stacy L. Smith sagt dazu: „Die Ergebnisse zeigen, dass wir weltweit mehr haben als nur ein Filmproblem ... Wir haben ein Menschheitsproblem.“ Die Schlüsselergebnisse demonstrieren eine Realitätsferne im Film, die die Gender-Ungleichheiten im realen Leben noch übertrifft: Nur 30,9 Prozent aller sprechenden Charaktere sind weiblich. Nur 23 Prozent der Sprechrollen in Action- und Abenteuerfilmen sind mit Frauen besetzt. Stereotype Rollenbilder marginalisieren Frauen in repräsentativen Berufen. Männliche Charaktere glänzen als Anwälte und Richter (13 Prozent), Professoren (16 Prozent), in Wissenschaft, Technologie, Ingenieurswesen und Mathematik (7 Prozent) und als Ärzte (5 Prozent). Frauen in angesehenen Berufen sind nur zu einem Prozent zu sehen: als Managerinnen, Politikerinnen oder Wissenschaft­ lerinnen usw. Weibliche Charaktere stellen nur 22,7 Prozent aller Angestellten in Filmen dar, 77,5 Prozent sind männliche „Celluloid Ceiling“ – der Hollywood-Report

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Charaktere. Chefs in Filmen werden fast nur mit Männern besetzt, nur 13,9 Prozent der Verantwortungsträger und 9,5 Prozent von wichtigen Politikern sind Frauen. Überproportional ist bei Frauen im Film nur die Übersexualisierung. Mädchen und Frauen werden über doppelt so oft wie Jungen und Männer halbnackt oder nackt gezeigt. Und hinter der Kamera? Von 1452 Filmemachern sind nur 20,5 Prozent weiblich, 79,5 Prozent sind männlich. Frauen stellen 11 Prozent der Regisseurinnen, 19,7 Prozent der Drehbuchautorinnen und 22,7 Prozent der Produzentinnen. Filme mit weiblichen Regisseurinnen oder Drehbuchautorinnen erreichen jedoch deutlich mehr Mädchen und Frauen als Filme ohne weibliche Regisseurinnen oder Autorinnen.

6.5

Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood

Als die Bilder laufen lernten, war die Branche ganz anders und noch deutlich von kreativen Frauen dominiert. Die Technik war neu, es existierte viel Spielraum für Experimente, das große Geld ließ sich damals noch nicht machen mit Filmen. Vor 1920 waren mehr Frauen in führenden Positionen beim Film aktiv als zu jeder anderen Zeit der Filmgeschichte – quer durch alle Berufsgruppen: als Drehbuchautorinnen, Cutterinnen, Produzentinnen, Regisseurinnen und Studio-Chefinnen, oft in mehreren Funktionen gleichzeitig. Daher zog der Film, damals neu, riskant und für Normalbürger unattraktiv, Frauen magisch an. Hier fanden sie eine Chance, zu arbeiten, und eine kreative Spielwiese. Die Columbia University holt mit einem Web-Projekt bedeutende Frauen der Filmgeschichte aus dem Vergessen. Die Online-Datenbank „Women Film Pioneers Project“ (WFPP, 2018) hat die Biografien hunderter Filmfrauen versammelt. Mit Projekten wie diesen werde eine ganz andere, völlig neue und doch alte Ge156

Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

schichte des Kinos neu erzählt. Im Folgenden seien nur einige der Frauen genannt: Cleo Madison (1883–1964) ist ein Paradebeispiel. Sie begann ihre Karriere als Bühnenschauspielerin und war als Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin im frühen Film bis Mitte der 1920er Jahre aktiv. In nur einem Jahr schuf sie 16 Kurzfilme und zwei Langfilme. Ob tatsächlich die Implementierung neuer Themen wie Macht, Gewalt und Unterdrückung aus einer weiblichen Perspektive in Hollywood ihre Leistung war, ist noch nicht hinreichend belegt. Sie war jedenfalls der Meinung, dass Weiblichkeit sich auf die Regiearbeit positiv auswirke. Jeder ihrer Filme hätte einen „weiblichen Touch“. (SilentEra, 2018) Lois Weber (1881–1939) war Straßenmissionarin, bevor sie zum Film kam. Ab 1911 begann sie, als Regisseurin und Drehbuchautorin mit ihrem Ehemann Filme zu produzieren. Ihr „Kaufmann von Venedig“ war der erste Langfilm, bei dem eine Frau Regie führte. Schon zuvor hatte sie sich als US-Avantgardistin etabliert, 1913 bei ihrem Kurzfilm „Suspence“ mit der erstmaligen Verwendung der Split-ScreenTechnik in den USA. Lois Weber schuf in nur zehn Jahren mehr als 300 Filme und zeichnete für den ersten Farbfilm mitverantwortlich. Ihre Arbeit war von sozialen Topics geprägt, die kontrovers erzählt wurden, aber Erfolg am Box Office hatten. 1916 wechselte sie von Gaumont zu Universal und wurde zur Gagen-Queen unter allen RegisseurInnen. 5000 Dollar pro Woche soll sie bekommen haben. 1917 gründete sie die erste Filmproduktion, die den Namen einer Frau trug: Lois Weber Production. In den 1920er Jahren bekam ihre Karriere einen Knick, ein Comeback im Tonfilm misslang, ihr alkoholkranker Ehemann sorgte für private Probleme. Sie fristete ihr Dasein als Script-Doctor für Universal und starb verarmt mit nur 58 Jahren. Mabel Normand stand nicht nur als Schauspielerin vor der Kamera, sondern auch als Regisseurin dahinter. Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood

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Alice Guy-Blasché (1873–1968) war die erste Filmregisseurin. Berufstätig war sie seit ihrem 17. Lebensjahr als Stenotypistin, bis ihre Firma Pleite ging. Sie begann daraufhin ihre Karriere als erfolgreiche Regisseurin und Produktionsleiterin bei der Gaumont-Filmproduktion in Frankreich, eine Regiekarriere, die 25 Jahre dauern sollte und 700 Filme hervorbrachte. Zur Zeit der Filmpioniere Georges Méliès und den Brüdern Lumière, 1896, entstand ihr erster Film „La Fee aux Choux“. Sie reihte sich damit ein unter die ersten Regisseure, die überhaupt je einen fiktionalen Film machten. Von 1897 bis 1906 leitete sie die Produktion bei Gaumont und war die erste Filmemacherin der Welt, die systematisch den Spielfilm entwickelte. 1906 drehte sie ihren ersten langen Spielfilm, für die damalige Zeit eine Großproduktion mit über 300 Statisten, im selben Jahr einen der ersten Farbfilme. Gaumont hatte eine Tochterfirma in den USA, die ihr Mann leitete, sie selbst hatte bald eine eigene Firma: Solar. Bis 1914 wurden dort über 300 Filme produziert, bei mehr als 40 führte Alice Guy Regie. Besonders erfolgreich waren Abenteuerfilme, sie machte sich damit einen Namen in den USA, wo sie bald auch an der Columbia University unterrichtete. Der Niedergang ihrer Geschäfte an der Ostküste führte sie nach Hollywood, doch ab 1918 produzierte sie eine Serie von Flops, ihre Scheidung folgte. Sie kehrte mit ihren beiden Kindern nach Frankreich zurück und machte nie wieder einen Film. Dass ihre Pionierleistung in Vergessenheit geriet, ist männlichen Filmhistorikern zuzurechnen, die ihre frühen Filme männlichen Regisseuren zuschrieben. 1952 erschienen ihre Memoiren, die die Fakten richtig stellten. Die US-Kanadierin Mary Pickford (1892–1979), die als eine der ersten weiblichen Darstellerinnen zum Megastar wurde, war in der Stummfilmzeit und der Zeit der ersten Tonfilme ebenso als Regisseurin aktiv, und wurde als Produzentin Topmanagerin. Sie war die einzige Frau im Team der legendären United Artists sowie unter den 36 Gründungsmitgliedern 158

Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

der Academy, die die Oscars vergibt. Die als „Americas Sweetheart“ Apostrophierte, die auch mit 30 Jahren noch als 12-Jährige besetzt wurde, entwickelte das Hollywood-Star-System maßgeblich mit. Bereits 1914 schaffte sie es als eine der ersten Frauen, dass ihr Name auf der Leinwand angezeigt wurde, zuvor war es nicht üblich, dass SchauspielerInnen mit Namen gewürdigt wurden. Sie überzeugte bereits mit nur 14 Jahren die Intendanten am Broadway und später Filmgiganten wie D. W. Griffith, ihr Hauptrollen zu geben. Ihre Gagen stiegen in astronomische Höhen. Und sie war eine überzeugte Workaholic. Allein im Jahr 1909 war sie in 50 Filmen zu sehen, pro Woche einer, weil sie glaubte, durch Präsenz ihren Marktwert zu steigern. Sie etablierte das Rollenfach der archetypischen jungen Naiven im Film. Mary Pickford amtierte ab 1916 mit ihrer Firma, der Mary Pickford Film Corporation als Produzentin in Hollywoods Gründerzeit. Für ihre Rollen kassierte sie ab 1917 die Gage von damals astronomischen 350.000 $ pro Film plus Beteiligung, und handelte völlige Gestaltungsfreiheit aus, vom Skript bis zum Final Cut. Gemeinsam mit Charlie Chaplin, D. W. Griffith und Douglas Fairbanks senior, ihrem späteren Ehemann, gründete sie 1919 die Filmfirma United Artists. Francis Marion, selbst eine begnadete Filmpionierin, war ihre Lieblingsdrehbuchautorin. Wie Chaplin überwachte sie jedes Detail beim Film und arbeitete nur mit der Elite ihres Faches. Der Film „Der kleine Lord“ zeigte sie 1921 in einer Doppelrolle als kleinen Lord sowie als dessen Mutter. Mit einer Szene, in der sie sich quasi selbst umarmt, setzte sie Maßstäbe. Die zweifache Mutter erntete Oscar-Ehren, verfiel jedoch nach dem Karriereende dem Alkoholismus, der in der Familie lag. Francis Marion (1888–1973) begann ihre Karriere als Journalistin für den „San Francisco Examiner“ als Pionierin der weiblichen Kriegskorrespondentinnen. 1915 begann sie als Drehbuchautorin in Hollywood, wo sie auch als Regisseurin arbeitete. In der 1920er Jahren stieg sie zum Star ihrer Zunft Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood

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auf und wurde zu einer der bestbezahlten Regisseurinnen. Als erste Frau bekam sie zwei Drehbuch-Oscars. Sie schrieb Drehbücher zu mehr als 130 Filmen und gehört zu den relevanten AutorInnen der Filmgeschichte. Ihr Name taucht 400mal im Abspann von Filmen auf. Nach 1946 schrieb sie Romane und Theaterstücke. Anita Loos (1888–1981) war die erste große Drehbuchautorin Hollywoods. Ihr größter Erfolg war „Blondinen bevorzugt“ mit Marylin Monroe in der Hauptrolle. Dorothy Arzner (1897–1979) wurde gleichfalls als kreativer Star des frühen Kinos gefeiert. Sie begann als Stenographin in der Drehbuchabteilung von Famous Players und arbeitete sich von dort aus erfolgreich hoch. In der Umbruchphase vom Stummfilm zum Tonfilm war sie als Cutterin und Regisseurin sehr erfolgreich. 1927 drehte sie ihren ersten eigenen Film als Regisseurin, viele weitere folgten bis 1943. Sie selbst stellte keine Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts fest, und empfand Männer als hilfreich für ihre Karriere. In der feministischen Rezeption ihrer Filme wird auch auf die Thematisierung von Beziehungen zwischen Frauen sowie ihre Unkonventionalität Bezug genommen, etwa in Filmen wie „Working Girls“. Arzner lebte eine lesbische Beziehung. June Mathis, die begnadete Drehbuchautorin, darf als Entdeckerin Rudolph Valentinos gelten. Sie erlangte mit Drehbüchern zu seinen Filmen Weltruhm. Den Durchbruch hatte sie durch die Zusammenarbeit mit Buster Keaton. Sie starb völlig überraschend im Alter von nur 35 Jahren, während sie mit ihrer Mutter ein Theaterstück besuchte, an einem Infarkt. Ihre letzten Worte: „Mutter, ich sterbe.“

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Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

„Aufstehen, Krone richten, weitergehen“ – Rebellin, Regiepionierin, Kämpferin Sabine Derflinger – die erste am Austro-„Tatort“

Sabine Derflinger, 1963 in Wels geboren, hat alle Höhen und Tiefen erlebt, die das Showgeschäft für Frauen haben kann, von höchsten Auszeichnungen bis zum tiefsten Prekariat. Wie kommt man gegen alle Widerstände als Regisseurin deutscher Sprache in einem so männlich dominierten Berufsfeld so weit? Die Oberösterreicherin hat dafür ein Drei-Punkte-Programm: „Bei Misserfolgen nicht aufgeben, immer weitermachen, nach diesem altmodischen Motto: wenn du hinfällst – aufstehen, Krone richten, weitergehen, das ist das Um und Auf. Das Zweite ist: zu wissen, dass es das Wichtigste auf der Welt ist, Filme zu machen und gleichzeitig zu wissen, dass das nicht stimmt. Dass man neben der Karriere ein anderes Leben auch noch hat und eine andere Identität, dass man persönlich immer wieder Abstand nehmen kann. Das Dritte ist Humor.“

Zwar habe es ähnliche Filmemacherinnen vor ihr gegeben, von Käthe Kratz bis Margareta Heinrich, aber nach diesen habe sie ein Vakuum gefüllt. Beim Film habe sie früh, ab ihrem 18ten Lebensjahr, zu arbeiten begonnen. Sie absolvierte ein Studium an der renommierten Wiener Filmakademie, Fachrichtung Drehbuch und arbeitete sich dann an eigenen Dokumentarfilmen und Spielfilmen ab. Sie habe es geschafft, in das österreichische Fernsehen zu kommen, dort auch regelmäßig zu arbeiten, und nach vierzig Jahren die erste Frau gewesen zu sein, die einen österreichischen Tatort inszenierte. Sie habe im Laufe ihrer Karriere auch vielen anderen Frauen die Türen zum Geschäft geöffnet, in verschiedenen Positionen. Auch als Regisseurin des TV-Hits „Vorstadtweiber“ habe sie Pionierinnenarbeit geleistet. Denn die Serienwelt sei stark Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood

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männlich dominiert. Die Argumente gegen Frauen als EntwicklerInnen solcher Formate seien im Komödienfach ebenso geschlechtsspezifisch gewesen wie beim Krimi: Es mangle Frauen an Humor. Derflinger dazu: „‚Vorstadtweiber‘ bot eine gute Gelegenheit als Frau. Vorher war das eine Männerdomäne: von den ersten Büchern an, die ersten Folgen zu konzipieren, maßgeblich mitzuwirken an der Besetzung, am Look, der Ausstattung, am ganzen Drive einer solchen Serie. Das war, ähnlich wie beim Krimi-Segment und dem Tatort, für das komödiantische Segment ein Novum. Bei Serien wie ‚Vorstadtweiber‘ gab es immer das Argument, das kann eine Frau nicht machen, weil das Komödie ist, und Frauen nicht den richtigen Humor haben.“

Die Serie stelle Frauenleben in den Mittelpunkt. Deren Erfolgsgeheimnis: Das Urösterreichische ähnlich wie in dem Serienklassiker „Kaisermühlen-Blues“ habe das ältere Publikum ins Boot geholt. Der stylishe Look der Serie habe die jüngeren Seher begeistert. Das Ergebnis sei ein Hybrid aus Moderne und Klassiker der Komik: Man schaue gern beim Nachbarn rein, man mache sich gern lustig, Beziehungssachen seien immer lustig. „Als Frau kann man sagen, mein Mann ist nicht gar so blöd, wie der aus ‚Vorstadtweiber‘, als Mann kann man das auch umgekehrt sagen. Es haben ja besonders gern auch Männer ‚Vorstadtweiber‘ geschaut.“ Das Potential erkannte sie sofort: „Das Problem ist ja mittlerweile, dass so wenig Kunst und Kultur in den Medien stattfindet, so gut wie gar nichts. Keine ernsthafte Diskussion, auch nicht über Populärkultur. ‚Vorstadtweiber‘ bietet Stoff für Storys. Das war mir einfach klar, dass das super zu vermarkten ist. Das braucht es ja auch! Das Format selber muss natürlich angenommen werden vom Publikum und lässig umgesetzt werden. Aber es braucht auch die mediale Aufmerksamkeit, sonst geht gar 162

Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

nichts. So ein Hype entsteht nur aus der Kombination von Publikumsreaktionen und Aufmerksamkeit in den Medien.“

Jetzt widme sie sich mit Verve der Biografie der ehemaligen österreichischen Frauenministerin Johanna Dohnal. Ein Projekt, in dem alles kulminiere, was auch ihre persönliche Anstrengung sei, als Frau im Leben Fuß zu fassen. Im historischen Kampf der Politikerin Dohnal ließen sich Parallelen zur heutigen Zeit ablesen. Die feministische Kultfigur der siebziger Jahre fasziniere auf vielen Ebenen: „Ihr Humor, an den ich mich gerne erinnern will, ihre Unbeugsamkeit, aber auch ihre originellen Ideen in der Umsetzung von Dingen. Ihre Bodenständigkeit, ihre Verbindung mit den Menschen, auf einer breiten Basis. Ihre absolute Solidarität mit Frauen.“ Inhaltlich sei ihr Kampf für die Quote heute vorbildhaft: „Den Kampf haben wir immer noch. Obwohl Angela Merkel längst von einer Parität spricht.“ Parallelen ortet sie bei der modernen #MeeToo-Bewegung und Dohnals Kampf für Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe. Gegenargumente erschienen damals so absurd wie heute. „Wenn es um Gewalt in der Familie ging, kam der Widerstand von konservativen Parteien wie der ÖVP. Der ging es um die Aufrechterhaltung der Hierarchie in der Familie um jeden Preis. Während natürlich von der Sozialdemokratie der größte Widerstand kam, wenn es um die Quoten ging. Weil die Sozialdemokraten die Frauen in der eigenen Partei als größte Konkurrenz sahen. Weil Sozialdemokraten aus eher einfacheren Verhältnissen stammten und um ihr wirtschaftliches Vorankommen kämpfen mussten. Während die bürgerliche Partei die Themen priorisierte, die die Familie betreffen.“

Die Quote sei auch heute noch wichtig, weil sie als kurzfristiges oder mittelfristiges Regulativ notwendig sei, da sich sonst die Machtverhältnisse nicht änderten. Wenn wir in einer Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood

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„gleichberechtigten Gesellschaft leben wollen, wo Parität, also die Gleichwertigkeit, in allen wichtigen Funktionen“ herrsche, dann gehe es nicht ohne Quote. „Da kann man hundert Mal sagen: ‚Das ist ein Blödsinn‘, aber Tatsache ist: Man sieht es.“ Selbst als in Deutschland nur eine zwanzigprozentige Quote eingeführt wurde, hätten sich Angebote für Regiearbeiten für sie verdreifacht. „In einer Gesellschaft, in der die Macht gleich verteilt ist, ist die Quote ein wirksames Mittel und sie funktioniert. Alles andere wirkt und funktioniert nicht.“ Natürlich kenne sie auch das ewige Gegenargument, in Kultur und Medien wäre eine Quote nicht möglich, da spräche die Talentfrage dagegen. Ein Widerstand gegen die Quote, der mitunter auch von Frauen selber kommt, der sich durch faktenbasiertes Wissen leicht entkräften lasse: „Wenn es so wäre, müssten wir ja ausschließlich tolle Filme von Männern haben und von Frauen nicht. Aber viele der interessantesten Filme kommen von Frauen, obwohl sie viel weniger Filme gemacht haben. Von der ‚Diagonale‘ bis zur ‚Viennale‘ haben Frauen die Festivalpreise gewonnen, weil sie einfach besser waren. Frauen, die das Gefühl haben, aus eigener Kraft auserwählt zu werden, würde ich eine gewisse Naivität zusprechen. Die sind entweder zu jung oder aus einer Gesellschaftsschicht, wo es nicht wichtig ist. Aber es ist einfach naiv und je länger man in der Branche ist, desto klarer ist, dass man die Quote braucht. Das ist ja beim Theater auch immer das Argument. Als man Castorf fragte, warum so wenige Frauen unter seiner Intendanz sind, die Stücke gemacht haben, sagte er: ‚Wir wissen, was Frauenfußball ist, und wir wissen, was Männerfußball ist, und wir kennen den Unterschied‘. Das ist alles so schwachsinnig! Die Wahrheit ist, dass Frauen ziemlich gut sind. Das wollen sie sich weder selbst eingestehen, noch wird das öffentlich klar gemacht.“

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Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

Die Frauenunterdrückung finde schon so lange statt und die Frauen haben so wenig Möglichkeiten, ihre ureigenen Geschichten zu erzählen, dass es logisch sei, dass sie jetzt die interessanteren Sachen anböten. Jetzt sei die Chance, dass unter den Frauenfilmen ein größerer Prozentsatz besserer Filme ist, relativ hoch. Weil das Bedürfnis zu erzählen so groß sei: „Viele Männer machen viele Filme, die toll ausschauen, ‚leinwand‘ funktionieren, alles ist supergeil, aber sie erzählen nichts. Vor allem nichts Neues! Sie bestätigen nur das, was wir ohnehin schon wissen. Frauen erzählen uns etwas Neues. Vielleicht haben die Frauen nach 250 Jahren Filmemachen auch nichts mehr zu sagen, und dann sind die Männer wieder interessant. Aber jetzt haben Frauen viel mehr zu erzählen als die meisten Männer. Es gibt natürlich auch noch andere Aspekte. Wenn man kreativ ist, ist das Geschlecht ja nur eine Sache und es kommt drauf an, wo man herkommt und was man erlebt hat. Im Moment machen so viele Männer, gerade in der TV-Landschaft, so viele Sachen im deutschsprachigen Raum, die so tun ‚als ob‘, und das ist nur ein aufgeblasenes Nichts.“

Über die Diskriminierungen im Fach, denen Sabine Derflinger ausgesetzt war, könne sie ganze Bibliotheken füllen. Dass sie sie überwunden habe, habe gar nichts mit Glück, aber viel mit Kampfgeist zu tun: „Ich habe überhaupt nie Glück gehabt. Was mein berufliches Vorankommen betrifft, war es immer ein Kampf und es waren immer Widerstände und es hat auch nicht aufgehört. Dort, wo ich jetzt bin, stehe ich, weil ich eine Frau bin. Als Mann wäre ich woanders, also ich bin sicher zehn Jahre dem hintennach, wo ich eigentlich sein will. Ich habe bestimmt zehn Jahre verloren, weil die Widerstände so groß waren. Ich bin zwar wo angekommen, aber längst nicht dort, wo ich sein will. Es geht um Möglichkeiten, das umzusetzen, was ich umsetzen will. Das hat nichts mit dem äußerlichen Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood

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Erfolg zu tun, ob ich bekannt bin, das ist mir völlig wurscht. Es interessiert mich nur peripher, weil sich dadurch neue Möglichkeiten ergeben.“

Im neoliberalen Kontext habe sich eine Verschlechterung eingestellt: „Zum Filmemachen brauche ich Raum und Möglichkeiten und ich muss ja auch davon leben können. Die Einschränkung ist, dass ich mir nicht so lange Zeit nehmen kann wie andere Kolleginnen. Weil ich Geld brauche, dass ich überlebe und meine Miete zahle und alles am Laufen halte. Da die Gesellschaft mittlerweile so ist, dass die Grundbedürfnisse so teuer geworden sind. Als ich jung gewesen bin, war das Wohnen und das Essen billiger. Da habe ich sagen können, da bin ich großzügiger mit der Zeit und habe etwas entwickeln können. Aber da das Grundsätzliche immer mehr kommerzialisiert worden ist, ist der Druck viel größer, dass man kommerzielle Dinge machen muss, die man fabrikmäßig produziert, und wenig Freiraum hat, Dinge zu entwickeln, die Zeit brauchen. Das Geld ist gar nicht so der wichtigste Faktor. Das sieht man ja bei so vielen Filmen, die so viel Geld haben und schlecht sind. Aber die Zeit, sich intensiv mit etwas zu beschäftigen und einzutauchen, das ist ja in der Kunst oder allen kreativen Tätigkeiten die wichtigste Komponente.“

Die Diskriminierungen im Beruf seien vielfältig: „Es hieß: Dieses Projekt kriege ich nicht, weil ich eine Frau bin, und jenes Projekt kriege ich auch nicht, weil ich eine Frau bin. Oder: wenn ich noch einmal den Mund aufmache zu den Frauenthemen, dann kriege ich das erst recht nicht. Das hat schon an der Filmakademie begonnen. Wie man wahrgenommen wurde, von Menschen, die über meine Bücher Aussagen getätigt haben, die sehr anzüglich waren. Bei den ersten Filmen hieß es: ‚Diese Frau kann so nicht beim 166

Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

Sex gezeigt werden, weil sie schaut aus wie eine Frau und nicht wie eine Projektionsfläche.‘ Oder: ‚Diese Frau kann beim Sex nicht oben liegen, weil dann ist sie kein Opfer. Und wenn sie kein Opfer ist, dann kann sich keine Zuschauerin identifizieren.‘ Oder: Drei Mal abgefragt zu werden, weil man mir nicht zutraut, dass ich eine Komödie machen kann. Mit dem Argument, Frauen haben kein komisches Talent. Wie oft waren die Argumente, dass die Männer mit Aufträgen bedient werden müssen, weil die müssen jetzt Häuselbauen und Kinder kriegen, die brauchen jetzt das Geld, daher kriegen die die Jobs und nicht ich. Früher war ich immer ‚zu jung‘, jetzt bin ich schon zu alt.“

Mit dem Alter sei seit ihrer Jugend Ablehnung begründet worden. Nun heiße es eben, zurückzustecken, denn „die Jungen kommen nach“. Sie habe in dieser Hinsicht „das ganze Programm“ erlebt. Heute noch bekäme sie Regieverträge als ‚Regisseur‘ vorgelegt. Das empört die Filmemacherin: „Man muss das dann durchstreichen, ‚die Regisseurin‘ schreiben, und sagen, könnt ihr das bitte gendern? Es gibt leider ein mangelndes Bewusstsein dafür. Und wahrscheinlich auch viele Frauen, die das so hinnehmen, weil, wenn man sich diese ‚Rebellennummer‘ anzieht, und sagt, ich lege darauf Wert, sowohl bei meiner Arbeit als auch persönlich, dass ich für Gleichberechtigung kämpfe, dann macht man sich natürlich unbeliebt bei vielen Menschen. Dann hat man schnell einen schlechten Ruf weg, nicht pflegeleicht zu sein. Dann stellt sich auch die Frage: Hat man die Kraft, solidarisieren sich die Frauen? Weil viele Frauen doch davon ausgehen: Das Leben ist kurz, vielleicht ist es doch geschickter, ich solidarisiere mich mit den Mächtigen. Und das sind in der Regel die Männer und nicht die Frauen. Das ist Teil der ganzen Sache, dass das halt so ist und natürlich der Wind von allen Seiten entgegenschlägt. Von den Männern, die sich nichts wegnehmen lassen wollen, von denen, die Frauen Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood

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verachten. Von den Frauen, die Angst haben, wenn sie sich mit Frauen solidarisieren, dass sie ihren Platz in der Gesellschaft verlieren oder dass sie in eine Außenseiterposition kommen.“

Man braucht stark ausgeprägte Steherqualitäten: „Jeder Mensch will nicht rebellisch sein, das ist ja verständlich. Jeder Mensch will geliebt und anerkannt und in der Mitte der Gesellschaft sein. Mir ist das aber vollkommen wurscht. Mir ist es wurscht, ob mich jemand liebt, außer natürlich meine Familie. Mein Naturell ist so. Wenn man auf die Erde kommt, zieht man eine Karte. Der eine zieht die Rebellenkarte, der andere zieht die Königskarte, wieder andere ziehen die untertänige Karte. Man hat dann eine Rolle, und für die ist man prädestiniert. Schon als Kind war ich dagegen. Wenn ich nicht das tun durfte, was ich wollte, dann bin ich mit dem Kopf solange gegen die Wand gelaufen, bis ich ohnmächtig wurde. Und dann durfte ich doch tun, was ich wollte.“

Rannte sie später ebenso gegen die Türen der Fernsehproduzenten im ORF? Derflingers Antwort: „Ich habe schon öfter gesagt, ich springe aus dem Fenster, damit ich einen Job kriege. Das war mein Ernst, da sind sie alle grün geworden im Gesicht. Ich habe schon mit Erpressung gearbeitet und habe auch schon gedroht, an die Presse zu gehen, wenn ich etwas durchdrückten wollte, um die Situation von Frauen im Film zu verbessern. Erpressung, Unterdrückung, Gemeinheit: habe ich alles schon angewendet. Das ist vielleicht auch ein Tipp. Einerseits bin ich sehr authentisch, bin ich sehr solidarisch und ‚down to earth‘23. Aber andererseits gibt es Momente – und dazu habe ich mich coachen lassen –, in denen ich lügen muss, so tun muss ‚als ob‘, die ich aussitzen muss. Und das hat immer prächtig mit Menschen funktioniert, die nur an Macht interessiert 168

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sind. Auch mit solchen Frauen. Mit Menschen, die nur machtbesessen sind, und sich nicht dafür interessieren, was man gemeinsam macht, kommt man am besten zurande, indem man lauter unauthentische Maßnahmen trifft. Solchen Menschen kann man nur beinhart vorlügen, man würde tun, was sie verlangen.“

Starke Konflikte in ihrem Arbeitsleben hätten dieses radikale Vorgehen erfordert. Auf Dauer möchte sie nicht in Arbeitsverhältnissen sein, wo „solche Tricksereien notwendig sind“. Sie arbeite lieber partnerschaftlich, auf Augenhöhe. Usus sei das aber nicht: „Manche haben das Kämpfen so gerne. Da wird am Set immer gestritten. Ein guter Film ist für sie nur, wenn alle am Boden herumruarcheln24, als wäre man im dritten Weltkrieg. Davon halte ich gar nichts. Ein guter Film kann unter Scheiß-Bedingungen entstehen und unter guten Bedingungen. Ich habe lieber gute Bedingungen, weil ich weiß, das stärkt meine Kreativität, wenn ich mich sicher fühle und wenn wir uns alle geborgen fühlen. Und ich keine Angst haben muss, dass mich jemand austrickst. Und ich ihn am nächsten Morgen anschreien muss, damit es so aussieht, als wäre ich der Chef oder die Chefin, ich mag das nicht. Das ist eine klassisch gewachsene patriarchale Unsitte. Auch in Kombination mit der Nazivergangenheit und dem Zweiten Weltkrieg. Eine Attitüde im Kunst- und Kulturbereich, diese Dämonen und Monster als Führungspersönlichkeiten, die sich zu Gott erklären wollen. Alle müssen vor ihnen kriechen, und dann wird es große Kunst. Davon halte ich genau nix.“

Echte Führungsqualität beim Film zeigt sich anders, wie Sabine Derflinger meint: „Regie führen ist wie in einem Orchester, der Dirigent gibt vor, aber es spielen auch die anderen. Nichtsdestotrotz Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood

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muss ich auch Vorgaben machen wie: höher, tiefer, heißer, kälter! Man muss den Überblick haben, dass man das kreativ umsetzt und dabei brauche ich meinen Freiraum. Ich habe einen demokratischen Zugang, aber beim Film kann nicht alles basisdemokratisch beschlossen werden. Man hat also die künstlerische Leitung, und wenn das dann am Ende irgendwem nicht gefällt, kann mir das gleich sein. Ich lass mir nichts dreinreden. Ich weiß, welchen Auftrag ich zu erfüllen habe, wenn es ein Auftrag ist. Ich bin dankbar für alles Kreative, was ich von Anderen aufnehmen kann, aber die Chefin bin ich und sonst niemand.“

Zu ihrer Tochter, heute 35 und aktuell Kostümbildnerin bei „Vorstadtweiber“, hatte sie stets eine sehr spezielle Beziehung, „weil sie eine tolle Frau ist, und sie war auch schon ein tolles Kind, war immer schon so gescheit. Sie hat immer schon viel gewusst, ich habe sie oft um Rat gefragt.“ Derflinger wurde sehr früh Mutter, mit 20, und die Tochter sei von Anfang an in die Filmwelt hineingewachsen. Das Kind habe sie anfangs verleugnet, aus der womöglich nicht ganz unbegründeten Angst, das könne ihre Jobchancen mindern. „Als sie ganz klein war, habe ich tatsächlich niemandem gesagt, dass ich ein Kind habe, weil ich gedacht habe, dass ich die Jobs nicht kriege, als ich noch als Produktionsassistentin gearbeitet habe. Ich hatte nicht die finanziellen Ressourcen, dass so viele Menschen aufpassen auf das Kind. Und dann hatte sie Heimweh und musste abgeholt werden, wenn sie fremdbetreut war. Gleichzeitig hatte sie keine Großeltern in Wien, die lebten in Oberösterreich. Ich würde sagen, dass meine Tochter in sehr chaotischen Verhältnissen aufgewachsen ist, aber das war halt damals so. Man ist mit den Mädels in die Disco gegangen und wir haben die Kinder im Nebenzimmer hingelegt und abgefeiert und um drei in der Früh haben wir sie wieder umgeschnallt und sind heimgegangen. – Unmöglich!“ 170

Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

Heute als stolze Großmutter, der große Enkel ist sechs, der kleine zweieinhalb, will sie den Kindern auch viel Freiheit lassen. „Das Gute war, wann man jung ist, dass man die Kinder in Ruhe gelassen hat. Selbst wenn die Enkelkinder heute zu mir kommen, schaue ich, dass sie nicht nur mit mir spielen. Das Wichtigste ist, dass Kinder Ruhe von den Erwachsenen haben. Man muss für sei da sein, man muss sich um sie kümmern, man muss ihnen Wärme geben und sie unterstützen und individuell fördern, so wie sie sind. Nicht sagen: ‚Ich hätte gerne ein Kind, das das auslebt, was ich nicht gelebt habe.‘ Das sind kleine Menschen, auf die man aufpassen darf. Sie bringen schon irrsinnig viel mit, man muss ihnen möglichst viel Raum geben, so wie SchauspielerInnen, um sich entfalten zu dürfen. Geborgenheit bieten, und dann natürlich Grenzen setzen, die sie auch überschreiten können. Damit sie wissen, wo ihre eigenen Grenzen sind, und die von der Person, die sich um sie kümmert. Damit sie überhaupt eigene Grenzen festlegen können, um herauszufinden, ob sie die gleichen Grenzen oder andere Grenzen haben. Ich finde, dass man die Verantwortung hat, und man sich trotzdem auf Augenhöhe begegnet und Dinge bespricht und ausspricht.“

Das Haus voller Kinder, „weil wir durch die Isa oft sieben oder acht Kinder bei uns hatten“, habe sie trotzdem daneben ihre Diplomarbeit geschrieben. Was hat das Muttersein darüber hinaus bewirkt? „Das Muttersein hat natürlich bewirkt, dass man einerseits Verantwortung übernehmen kann und gut mit Chaos zurechtkommen kann, genau wie ein Regisseur. Die Tätigkeit als Mutter bringt vieles mit, was man dann im Beruf gut brauchen kann: dass man sich trotzdem konzentrieren kann, obwohl sich so viel tut rundherum. Dass man weiß, wie man sich durchsetzt, wenn es hart auf hart geht. Das Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood

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braucht eine Regisseurin auch. Und dass trotzdem klar ist: Wenn Schluss ist, ist Schluss. Als Frau im Berufsleben ist das Interessante und das Blöde: Es gibt kaum Männer, bei den Jüngeren schon, aber bis zu meiner Generation, die es schaffen, mit Frauen auf Augenhöhe zu arbeiten. Was natürlich immer funktioniert, ist die Mutternummer und die Großmutternummer. Wenn ich zu den größten, wichtigsten, einflussreichsten Männern sage: ‚He Burschen, gebt Ruhe!‘ Dann funktioniert das immer, weil ich so tue, als wäre ich die Mama. Dann folgen sie auch, aber das ist natürlich nicht das, was ich will.“

Ihre Diplomarbeit enthält drei zentrale Punkte der Filmkultur, die sie noch heute interessieren: erstens: Wo steht der Autor, die Autorin im Verhältnis zu dem, was im Film vorkommt? Zweitens: Wie verhält sich die Vorlage für den Film zum fertigen Film? Beispiele für RegisseurInnen, die kein Drehbuch brauchten: Agnes Varda verwendete Tonbandinterviews, abfotografierte Gemälde als Vorlagen. Fellini habe seine Figuren gezeichnet, und mit Zeitungsannoncen solange Darsteller gesucht, bis jemand genau zu den Zeichnungen passte. Coppola habe bei „Der Pate“ mit Romanausschnitten gearbeitet. „Ich glaube, was für eine Vorlage du hast, und wie du das vorstrukturierst, macht dann auch aus, wie der Film wird. Der Film kann mehr als das, was er gemeinhin heute kann. Weil er ja sein kann wie ein Traum, wie ein Gedicht. Aber wir sind heute viel zu sehr in eine klare Erzählstruktur hineingeraten. Wie ich eine Geschichte erzähle, ist ja auch politisch. Wie erzähle ich was. So wie ich erzähle, ist die Welt.“

Der dritte Punkt: Wie bindet man Menschen an den Film? Film sei ein Kommunikationsmittel: „Für mich war das total wichtig, dass sich Menschen meinen Film anschauen. Deswegen war ich auch im Fernsehen immer so glücklich. Weil es mich wahnsinnig gemacht hat, mit 172

Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

den Arthouse-Filmen, wenn ich dann selber Kinokarten gekauft habe, damit irgendwer in den Film geht. Oder wenn ich meine DVDs dann im Laden nach vorne gestellt habe, damit sie wer sieht. Für mich ist es uninteressant, wenn sich das niemand anschaut.“

Sie brauche die Resonanz als Dialog mit dem Publikum, sagt Sabine Derflinger: „Ich bin viel einsam, viel alleine, das möchte man gar nicht so glauben. Der Film ist dann erst fertig, wenn ihn jemand anschaut. Für mich ist es dann erst spannend: aha, das nehmen alle so wahr, oder nur die Chinesen oder nur die Frauen oder sonst wer. Was geht über alles drüber, was braucht eine Vorbildung, wer nimmt wie was wahr? Ich bin auch gerne bei meinen Arthouse-Filmen am Land herumgefahren und habe geschaut, wie sie aufgenommen werden in den Kinos oder beim Festival. Man sitzt am Land und denkt, das hätte man schon dreimal wegschneiden können, weil man spürt, die langweilen sich schon. Wie die Filme, die keine sogenannten Mainstream-Filme sind, ihre Zuschauer binden. Wie sie was erzählen. Dass sie keine klassische Dramaturgie haben, aber zum Beispiel eine Dramaturgie entwickeln, wo es immer emotionaler wird in einer sogenannten Und-und-Erzählung, die nicht so stark ist wie eine klassische Dramaturgie. Wie diese Kommunikation mit dem oder der ZuschauerIn ist: Kann man andocken oder geht es nur über optische Reize? Damit habe ich mich beschäftigt.“

Aus einer Doktorarbeit zu diesen Themen wurde nichts: „Mir ist das Geld ausgegangen. Es gab eine Phase, wo ich alles Geld verloren habe. Da hatte ich keine zehn Euro mehr, wollte auch nicht mehr studieren. Ich war zwar schon Anfang 40, aber ich hatte einfach überhaupt kein Geld mehr.“ Das Prekariat ist nicht untypisch für Kreative und Künstler. Gerade für Frauen

Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood

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ist es ein großes Problem. Sabine Derflinger erzählt über Armutserfahrung: „Das war sehr schwierig. Da hatte ich nichts mehr und musste alles verkaufen. Ich habe Leute gefragt, wer borgt mir heute zehn Euro? Zu der Zeit bin ich zu einer Preisverleihung gefahren, und habe das Sparschwein geschlachtet, damit ich den Bus zahlen kann, weil keine Kreditkarte mehr funktioniert hat. Dann bin ich dort hingeflogen, wo ich einen Preis gewonnen habe, und Oscar Lafontaine war dort Ehrengast. Die Stadt Saarbrücken hat eine Party für die PreisträgerInnen gegeben. Die haben gedacht, ich hätte es geschafft, aber ich hatte nicht mal was zu fressen. Das war total extrem, aber das Gute war, ich habe gemerkt, ich kann das überwinden. Da gab es Tage, da habe ich mich in Berlin auf den Boden gelegt, und habe mir gedacht: Ich gebe auf. Dann habe ich eine Stunde aufgegeben und bin wieder aufgestanden und habe wieder weiter gemacht.“

Nach der Armutserfahrung sei Sabine Derflinger vorbereitet: „Wenn wieder so eine Zeit kommt, wo es möglicherweise schwierig ist. So habe ich das kennengelernt, wie es ist, wenn existenziell nichts mehr ist. Das macht mir keine Angst mehr. Irgendwas würde ich immer arbeiten. Geh ich halt was verkaufen, oder stell mich in einen Waschsalon. Ich kann nicht so viele andere Sachen wie Regie, aber ich habe keine Skrupel, wenn einer sagt, oh Gott, die verkauft jetzt am Weihnachtsmarkt. Das ist mir wurscht, was die Leute denken, und das befreit mich. Ich habe auch gerne einen gewissen Wohlstand und ich arbeite auch lieber mehr, anstatt jeden Euro umzudrehen. Aber ich habe keine Angst vor einem Verlust des äußerlichen Status. Das ist eine unglaubliche Befreiung. Da man ja auch nicht weiß, wie das mit meiner Firma weitergeht. Da ich ja meine eigene Filmfirma für die Realisierung meiner eigenen Projekte habe, bin ich selbstständig und bekomme ja auch kein Arbeitslosengeld. 174

Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

Also ich versuche mir natürlich Konzepte zu überlegen, damit ich auch im Alter versorgt bin, und die anzugehen. Aber ob man jetzt äußerlich einen bestimmten Status hat, ist mir wurscht.“

Wer schon ganz unten war, kennt keine Angst vor dem Abstieg: „Ich war oft angestellt als Regisseurin, auch als Produktionsassistentin, auch oft arbeitslos. Sonst wäre das gar nicht gegangen zwischen den Produktionen. Da war ich auch im Notstand25. Aber jetzt mit der eigenen Firma brauch ich das nicht, es geht nicht, und ich will es auch nicht. Es gibt Leute, die das dringender brauchen. Aber ich hätte nie zehn Jahre angestellt sein können. Ich bin schon im Herzen frei. Ein Freigeist und in jeder Hinsicht selbstständig.“

Mut gehöre dazu. Der Berufserfolg sei ein Balanceakt zwischen Größenwahn und Demut: „Ich habe viele Ängste, im Aufzug, beim Runterschauen von einem Berg, vor bissigen Hunden. Normale Ängste habe ich schon, aber die existenzielle Angst nicht. Ich denke mir, eine Lösung finde ich immer irgendwie. Ich hatte aber auch Zeiten, wo ich gedacht habe, jetzt finde ich keine mehr. Was wichtig ist, die Dinge anzunehmen, aber auch so größenwahnsinnig sein, dass man etwas will, etwas Neues machen will. Aber auch in den Momenten, in denen es einem gut geht, Demut zu zeigen. Man braucht eine gesunde Balance zwischen Selbstüberschätzung und Demut.“

Das Glückspotential im Beruf sei hoch: „Es macht mich glücklich, wenn ich Dinge umsetzen kann, wenn ich arbeiten kann. Ich inszeniere ja nicht – aber das Schauen, dass Menschen etwas tun, das dann ein Film wird. Der kreative Prozess, der Austausch, die Begegnung mit vielen Menschen, das Eröffnen neuer Horizonte, und immer Zurück in die Zukunft – Pionierinnen in Hollywood

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weiter zu gehen, was ich in meinem Alter auch immer neu lerne. In die Tiefe von Dingen vordringen zu können, viel zu erfahren. Das macht mich sehr glücklich, auf so vielen Ebenen.“

Es mache aber nur dann glücklich, wenn der Preis nicht Selbstausbeutung und Selbsterschöpfung heiße: „Bei ‚Vorstadtweiber‘ gab es viele, sehr lange Drehtage. Ich konnte mir manchmal nicht einmal die Schule ausziehen, bevor ich ins Bett gefallen bin, weil die Drehtage so lange waren – das ist nix. Wenn der Moment kommt, wo man immer das Gefühl hat, die Zeit reicht nicht, man ist immer zu spät dran, egal was man tut, es geht sich nicht aus. Dann ist das, was man am liebsten macht, nicht mehr das Liebste, sondern dann macht einen das plötzlich unglücklich. Wenn man etwa nicht mehr schlafen darf.“

Das hält sie für einen wichtigen Karrieretipp: „Man muss schauen, dass man gute Bedingungen hat. In dem Moment muss man natürlich immer abwägen. Man kriegt Möglichkeiten vielleicht nur einmal, und wie gehe ich damit um. Mir ist es immer ganz wichtig, zu sagen, dass ich nichts Unmögliches mache. Dass ich realistisch, pragmatisch bleibe. Wenn ich sehe, um das Geld lässt sich der Film nicht machen, dann wird das mitgeteilt. Ich glaube, es gibt im Kreativen, in der Kunst so viel Stress, weil sich die Leute selber belügen und sagen, es geht trotzdem. Nein, es geht eben nicht trotzdem. Ich finde es toll, wenn man das macht, aber es gibt so viele Leute, die so tun, als wenn sie im Krieg wären. Es gibt so viele Leute, die sagen: Wir haben den Film trotzdem gemacht und dann hat er halb so viel gekostet! Da kann ich nur fragen: wie denn? Hast du die Leute nicht gezahlt, oder was? Weil faire Arbeit kostet immer das, was es kostet. Zahlst du dem Team nur die Hälfte – was gibt’s

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Frauen in der Populärkultur – „Mehr Superheldinnen, bitte!“

dann? Das goldene Ehrenkreuz für Verdienste um den Film mit der höchsten Ausbeutung?“

Es mache sie auch glücklich, wenn sie in einer guten Atmosphäre arbeiten könne: „Ich habe den Verdacht: Wenn ich ständig im Ausnahmezustand bin, dann brauche ich keine Angst davor zu haben, ob das schlecht wird oder gut, weil ich bin so beschäftigt, dass ich es überhaupt machen kann, dass ich die Qualitätsfrage nicht stellen kann. Und im Nachhinein kann ich dann beteuern: Wir haben nicht so viel Zeit gehabt! Wenn ich aber so viel Zeit gehabt habe, und wenn ich es unter guten Umständen machen kann, dann schaut es halt so aus, wie es ausschaut und dann muss ich mich dem stellen, ob es gut genug ist, oder nicht, dann habe ich keine Ausrede. Wenn ich mich aber in den Ausnahmezustand versetze, und trotzdem haben wir das gemacht, das ist wie eine Ausrede, ein zusätzliches Element. Das kenne ich von vielen Männern auch, alles im letzten Moment entscheiden. ich bereite mich gern und lange vor und ich entscheide mich schnell und rechtzeitig. Ich überlege immer die Konsequenzen mit, die meine Arbeit für andere hat. Dass nicht die anderen meinetwegen in Stress kommen. Das macht mich glücklich. Das anderer brauche ich nicht.“

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Göttinnen der Postmoderne

Stars als Role Models gab es schon lange, bevor der Begriff in den USA aufkam und als Anglizismus in unseren Sprachgebrauch überging. Die „personifizierte Außeralltäglichkeit“ gab es schon in der Kulturgeschichte der alten Ägypter, den Mythologien antiker Kulturen der Römer oder Griechen. Wie Forscher Peter Ludes (Ludes, 1997) zur Causa schreibt: „Götter, Helden und Staatsoberhäupter. Sie bieten symbolisch ProGöttinnen der Postmoderne

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jektionsoberflächen, die tiefliegende Ungleichheiten und Konflikte medial überspielen.“ Greta Garbo sei später nicht umsonst als „Die Göttliche“ apostrophiert worden. Der Star im klassischen Sinne wurde in Hollywood geboren. Die Entstehung des Phänomens wird zwischen 1909 und 1911 in den USA, der genuinen Heimat des modernen Entertainments, datiert. Als erster Star der Filmhistorie gilt eine Frau: Florence Lawrence, die erste Filmschauspielerin, die im Stummfilm „The Broken Oath“ bei der Premiere am 14. März 1910 mit Namensnennung auf der Leinwand erschien. In der Zeitschrift der „Independent Movie Pictures Company“ wurde sie als „Amerikas führender Filmstar“ gepriesen. Die Filmindustrie hatte damit das „Star-System“ eingeführt, eine strategische Methode zur Etablierung, Promotion und intensiver Nutzung von Filmstars. Auch Agenturen und Medien begannen, sich auf einzelne Filmschauspieler zu konzentrieren und ihnen ein herausragendes Image zu verpassen. Die Stars dienten fortan als profitable Werbeträger – nicht nur für die entsprechenden Filmprodukte. Der Star soll Millionengewinne generieren, indem er ein Massenpublikum in die Kinos lockt und nebenbei weitere Produkte gewinnbringend vermarktet. Als Mechanismus für den Star-Kult lässt sich die Rolle des Stars als Identifikationsobjekt nennen. Dass positiv konnotierte Persönlichkeiten mehr Aufmerksamkeit erregen und zur Nachahmung anregen als negative, sei erwiesen, schreibt Rustenmyer (Rustenmyer, 1997). Schon im Märchen werde Schönheit mit Güte gleichgesetzt, in der Werbung sei es nicht anders. Das Element der physischen Attraktivität von Gesicht und Gestalt sei ein begehrtes Merkmal und nehme insbesondere für Frauen im Film einen immens hohen Stellenwert ein. Die Werbeforschung zu sogenannten „Celebrity Endorsern“ (McCracken, 1989, Erdogan, 1999, Kamins, 1990 u.a.) zeigt: Der Werbeanteil mit Stars wurde im Laufe der Zeit immer höher und die Stars aus Film und Sport haben dabei die 178

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Nase vorne. Die Forschungen haben bewiesen: „Celebrities“, Berühmtheiten, generieren Aufmerksamkeit für die Werbung, sie fungieren als Eye-Catcher und können Marken- und Produkteinstellungen positiv beeinflussen. Nach der sogenannten „Match-up“-Hypothese ist die „Passung“ zwischen Image des Stars und der beworbenen Marke zentral und muss stimmig sein. Das Ziel: Image des Stars, Lebensstil, Persönlichkeit und Charakter, Status und soziale Klasse sowie Sexappeal sollen sich auf die Marke übertragen. Die Wirkmacht beruht auf dem „evaluativen Konditionieren“: Ein neutral bewertetes Produkt wird mit einem Star, der ein Image transportiert, mehrfach gemeinsam präsentiert. Aus der wiederholten Paarung von Produkt und Star-Image „lernt“ der Konsument eine Bewertungsreaktion gegenüber dem Produkt. Die schlechte Nachricht für Werber: Benimmt sich der Star daneben, sinken Markenwert und Umsatz rasant. Was in der Werbung funktioniert, ist der sogenannte „Bedeutungs-Transfer“. Das (positive) Image des Stars soll sich auf die Marke übertragen. (Vgl. McCracken, 1989 u.a.) Diese Werbe-Wirksamkeit von Stars und Celebrities kann folgerichtig auch für die Medienrezeption ganz allgemein angenommen werden. 6.6.1 Julia Roberts – Gagen-Queen der Jahrtausendwende

Das „People“-Magazin bricht mit einer alten Tradition und die Weltpresse steht Kopf. Seit 1990 hatte „People“ am Titel jährlich die schönste Frau der Welt gekürt. Doch mit dem Wettbewerb soll nun Schluss sein. Das Heft der „Schönheitsausgabe“ im Jahr 2018 gibt sich alternativ. Das Cover ziert die Sängerin Pink (!) mit ihren zwei kleinen Kindern, die im Heft Erziehungstipps gibt. Titel: „Pink! How I’m Raising Strong Kids.“ (USA Today, 2018)

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Bisherige Rekordhalterin der schönsten Frau am Cover der medialen Entertainment-Institution ist Julia Roberts. 1991, 2000, 2005, 2010 und zuletzt 2017 holte sie den Titel. Vom „Forbes“-Magazin wurde sie zur Jahrtausendwende zur mächtigsten Person der Entertainment-Industrie gekürt. Ein Titel, der Frauen davor eher sporadisch verleihen wurde. Grund: Die Tochter eines Staubsaugervertreters hatte ein Jahreseinkommen von 50 Mio. Dollar erreicht. Roberts verwies damit die Milliardäre George Lucas (Platz  2) und Steven Spielberg (Platz 10) auf die Ränge. Für „Erin Brockovich“ kassierte die „Pretty Woman“ 20 Mio. Dollar und drang damit als erste Frau in den vormals exklusiv männlichen Club der Spitzenverdiener des Films ein. Ich traf Julia Roberts und ihre Kollegen anlässlich der Premiere des Films in New York zu Interviews und zitiere im Folgenden aus dem Ergebnis meiner Reportage, die in einen Artikel für das Nachrichtenmagazin „News“ einfloss. Albert Finney, charmant: „Ich habe mit großen Stars gearbeitet. Doch ihr Charisma übertrifft sie alle: Ingrid Bergman, Vanessa Redgrave und Audrey Hepburn. Ich habe gehört, sie bekommt 20 Millionen Dollar für unseren Film. Ich bin der Ansicht: Das ist noch viel zu wenig.“ (Sarwat, 2000) Regisseur Steven Soderbergh assistierte: „Sie ist jeden Groschen ihrer Gage wert. Sie ist nicht grundlos der größte Filmstar der Welt. Sie hat einfach das gewisse Etwas, das jeder spürt.“ (Ebd.) Die Gepriesene selbst zeigt sich im Gespräch frauenpolitisch firm: „Grundsätzlich ist es verrückt, was Hollywood-Stars verdienen. Aber warum soll eine Frau für denselben Job weniger verdienen?“ (Ebd.) In der „True Story“ tritt sie als unterprivilegierte Alleinerzieherin, die zur Aufdeckerin eines Umweltskandals wird, gegen einen Großkonzern an. Wird zur Jahrtausendwende das neue Aufbegehren der Frauen bereits cineastisch eingeläutet? Roberts, pragmatisch: „Wir sind alle fähig, die Probleme des Planeten zu lösen, egal ob wir einen Penis haben oder nicht. Es ist eine Frage des Einsatzes von Fähigkeiten. Ich glaube jedenfalls nicht an ge180

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schlechtsspezifische Vorteile. Wer für einen Job besser geeignet ist, soll ihn machen.“ (Ebd.) So plädiert Roberts für Exzellenz. Heute dreifache Mutter, u.a. von Zwillingen, war sie damals noch kinderlos. Sah sie in Alleinerzieherinnen neue Alltagsheldinnen? „Sie sind definitiv unterschätzt. Sie und die Schwierigkeiten, die sie haben, ihr tägliches Leben zu meistern, im Fall von Erin sogar mit drei Kindern. Der Film zeigt, was unzählige Frauen heute tatsächlich betrifft: Wenn sie keinen Job bekommen, oder einen haben, aber keine Zeit mehr für ihre Kinder.“ (Ebd.) Im Film löst ein Hausmann das Betreuungsproblem. Roberts dazu: „Statt den Männern alles anzulasten, könnte man mehr gute Betreuungsplätze zur Verfügung stellen. Das wäre ein eindeutigeres Signal. Die Regierung sollte definitiv mehr Geld dafür locker machen.“ (Ebd.) 6.6.2 Emma Watson – feministische Anti-Prinzessin

Dem Glaubwürdigkeitsranking 2017 zufolge ist Emma Watson der weibliche Hollywood-Star, dem Österreich vertraut. (Marketagent: 16.5.2017). Die Österreicher fällten ihr Urteil genau in dem Jahr, in dem die Britin mit der Realverfilmung „Die Schöne und das Biest“ einen Kassenschlager am Box Office landete. Zur Premiere des Films war ich nach London gereist, um die ProtagonistInnen zum Gespräch zu treffen. Im Folgenden zitiere ich aus einem Bericht, welcher daraus für „ORF.at“ entstand. Watson entpuppte sich als logische wie glaubwürdige Verkörperung der Belle aus dem Animationsklassiker von 1991, die als Disneys erste feministische Heldin gilt. (Vgl. Sarwat, 16.3.2017) Dahinter steckte beinhartes Kalkül. Trick-Chef Jeffrey Katzenberg bestellte den feministischen Twist bei Autorin Linda Woolverton. Die nahm sich Katherine Hepburns Performance als Jo March in „Little Women“ als Vorbild. Belle sollte nach Arielle die Wende einläuten. Passive Prinzessinnen wie Cinderella waren passé, mussten Kämpferinnen wie Mulan weichen. Im Disney-Kosmos dominieren heute selbstbeGöttinnen der Postmoderne

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stimmte Frauenfiguren. Warum Watson die Idealbesetzung ist, erklärt Regisseur Bill Condon so: „Ihre Intelligenz, ihr Aktivismus, die Liebe zu Büchern und der Umstand, dass sie ein zeitgenössisches weibliches Role Model ist – all das war ungemein wichtig für die Rolle, die einst wegweisend war.“ Dass Watson als Kind das Märchen auf Band hörte, bis das Band riss, schloss für ihn einen Kreis: „Vielleicht hat die Story sie zu jener starken Frau gemacht, die sie heute ist: eine Feministin des 21. Jahrhunderts.“ (Ebd.) Mit der Rolle des bezaubernden Bücherwurms Hermine in der „Harry Potter“-Serie gelangte Watson als Kind schon zu Weltruhm und wurde zum Role-Model für Millionen junger Mädchen. Die Autorin hat sie schon damals mehrmals zu Interviews getroffen, etwa auf dem beeindruckenden Set der Filmserie nahe London, an dem Hogwarts äußerst lebensecht nachgebaut war. Ihre Entwicklung ist durchaus beeindruckend. Watson kultivierte seither das Image der Klugen, das schon der Rolle der Hermine immanent war, aktiv, machte ihren Bachelor-Abschluss in Literaturwissenschaft. 2014 wird die Top-Verdienerin und Aktivistin, im Januar 2017 war sie beim „Women’s March on Washington“ dabei, UNO-Sonderbotschafterin für Frauen- und Mädchenrechte. 2016 gründet sie den feministischen Lesezirkel „My Shared Shelf “. (Ebd.) Die Botschaften, die sie jungen Mädchen mit der Rolle der Belle vermitteln wolle, sind: „Die Grundbotschaft ist: Du hast Power! Auch wenn deine Umgebung bestimmte Vorstellungen von dir hat, wie du bist oder zu sein hast, musst du sie nicht erfüllen. Du hast immer eine Wahl. Du bist perfekt wie du bist, hast ein Alleinstellungsmerkmal. Du brauchst keinen Mann zur Selbstbestätigung. Dein Schicksal hängt von dir ab. Bleib dir treu. Sei neugierig, sei forschend. Lerne und ermächtige dich selbst, so gut du nur kannst.“ (Ebd.)

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Watson empören Phänomene wie Kinderehen. Diese „... raubt Mädchen ihre Zukunft. Beraubt sie ihrer Möglichkeiten, sich zu bilden, ihre Fähigkeiten zu stärken und sich zu ermächtigen. Es gibt etwa 18 Millionen Mädchen auf der Welt, die nicht zur Schule gehen können. Genau für solche Phänomene ist die Kinderehe verantwortlich.“ (Ebd.) Bildung und Alphabetisierung von Frauen ist ihr ein großes Anliegen. Film schlägt Politik, wenn es um die Umsetzung frauenpolitischer Agenden geht, meint eine, die es wissen könnte: „So toll es ist, ein Gesetz auf den Weg zu bringen oder zu ändern. Was auf lange Sicht wichtig ist, ist das Bewusstsein der Menschen zu verändern, die Art wie sie denken. Über ihre Kultur, ihre kulturelle Tradition. Filme zeigen den Menschen, wie Dinge aussehen könnten, wenn sie anders sind, es regt ihre Fantasie an. Genau dafür ist ein Märchen perfekt. Es kann zeigen, was dahintersteckt.“ (Ebd.)

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Diversität in den Medien – mehr als eine Genderfrage Vielfalt als Zukunftsressource

Dass auch Universitäten in der Praxis ihrer öffentlichen Kommunikation nicht frei von Klischeedenken sind, zeigt ein skurriler Vorfall aus dem Jahr 2014. Der Publizistik-Student Toni Reichel wurde immer wieder darauf angesprochen, warum sein Konterfei auf der Homepage der Universität Wien im Zusammenhang mit dem Austauschprogramm Erasmus geführt wurde. Der junge Mann verwahrte sich dagegen, als Werbesujet für die Internationalität der Uni Wien herhalten zu müssen. Denn er ist ein waschechter Flachgauer. Dass er schwarzer Hautfarbe ist, also zu den heute korrekt mit dem Begriff „People of Color“ (PoC) bezeichneten Menschen gehört, sah er offenbar nicht ausreichend als Grund für eine Quasi-Ausbürgerung mittels zweifelhafter Bildsprache an. In einem offenen Brief wehrte er sich gegen die unfreiwillige Instrumentalisierung und stellte klar: „Das einzige an mir, das irgendwie exotisch ist, ist nämlich mein ausgeprägter Flachgauer Dialekt.“ (Reichel 2014, zitiert nach Goethe-Universität, 2016) Unsere Gesellschaften haben sich zuletzt stark verändert, auch was die kulturelle Herkunft der Individuen einer bürgerlichen Öffentlichkeit betrifft. Deutschland und Österreich sind Einwanderungsländer geworden. Auf dem Papier sorgen entsprechende Gesetze (Gleichbehandlungsgesetz, UN-Behindertenrechtskonvention u.a.) für eine verpflichtende antidiskriminierende Politik und Praxis. Auch der deutsche Pressekodex schreibt beispielsweise in Ziffer  12 Satz  1 fest: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethni184

Diversität in den Medien – mehr als eine Genderfrage

schen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“ Es gehört schlicht zur journalistischen Sorgfaltspflicht, Diskriminierung zu vermeiden und mediale Vielfalt ebenso abzubilden wie zu leben. Diversität in den Medien kann als Qualitätskriterium und als Zeichen der Professionalität gewertet werden. Sowohl in der Darstellung der medialen Inhalte wie intern in der redaktionellen Arbeitspraxis ist hier noch Verbesserungspotential zu vermuten. Dass deutschsprachige Medienhäuser, was soziale Durchmischung betrifft, eher homogen sind, wurde bereits konstatiert. Im Gender-Bereich geht es, wie dieses Buch u.a. zeigt, bereits vielfach, wenn auch nicht in allen Bereichen, in Richtung Gleichstellung. Doch auch, was die kulturelle Diversität betrifft, sind noch Marginalisierungstendenzen zu beobachten. Wie im gesamtgesellschaftlichen Kontext stellt sich auch medienpolitisch die Frage, ob kulturelle Diversität eher als Bedrohung denn als Ressource wahrgenommen und begriffen wird. In vielen großen internationalen Konzernen wird schon neben dem Gender Mainstreaming gezielt auch Diversity-Management betrieben. Dabei haben sich im Arbeitsleben sechs Kernkategorien von Diskriminierung herauskristallisiert, die es zu bekämpfen gilt: Geschlecht, kulturelle Herkunft, Alter, sexuelle Orientierung, Religionszugehörigkeit sowie Dis/Ability26. Defizite gibt es nicht nur bei der Gleichstellung der Geschlechter, sondern auch in anderen Diversitätskategorien. Mehr Vielfalt herzustellen, um Ungleichheiten auszugleichen, ist jedoch ein für die Medien demokratiepolitisch wichtiges Ziel, da sie die Öffentlichkeit in ihrer Gesamtheit widerspiegeln sollten, nicht nur ausgewählte Gruppen. Die Teilhabe an einem hierarchiefreien Dialog in unserer Gesellschaft nach den Habermas’schen Grundregeln für die ideale Diskurssitua-

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tion in der Demokratie ist von demokratiepolitischer Relevanz. Ein entsprechendes Interesse in den hiesigen Medien-Chefetagen an der Causa, das auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht vernünftig wäre, um ein breiteres Publikum zu erreichen, ist noch nicht zu beobachten. Nach wie vor gehen die Schätzungen von einem sehr geringen Anteil von kulturell diversen Medienmitarbeitern aus. An dieser Stelle möchte ich eine prominente Protagonistin aus den Medien zu Wort kommen lassen, die Spannendes aus der Medienpraxis zu berichten weiß, und die allen Widerständen zum Trotz eine steile Karriere als Fernsehstar hinlegte. Wie Arabella Kiesbauer den rassistisch motivierten Terroranschlag von Franz Fuchs auf sie verarbeitete und zur Integrationsbotschafterin wurde, zeigt sich im Interview mit ihr. „Reden ist leben“ – über Kinder, Karriere und ihren Kampf gegen den Rassismus TV-Star Arabella Kiesbauer – eine Botschafterin der Liebe und der Toleranz

Ihre Vornamen verdankt sie der Opernleidenschaft ihrer Mutter, von der sie auch den Nachnamen hat. Sollte sich aus dem Baby ein ruhiges Kind entwickeln, schien Hannelore Kiesbauer Cosima passend, doch als Rufname etablierte sich bald die für ein lebhaftes Mädchen gedachte Alternative Arabella. „Wobei: Als Kind war ich eher ruhig und zurückhaltend und auch heute habe ich viele stille Momente. Ich laufe also nicht den ganzen Tag auf ‚Fullspeed‘. Das würde auf Dauer nicht funktionieren, irgendwann müssen sich die Batterien auch aufladen“, stellt Arabella Kiesbauer klar. Doch Monotonie erträgt sie schlecht. Das Schönste an ihrem Beruf sei daher die Begegnung und das Gespräch mit den Menschen. Und das sei gleichzeitig die größte Herausforderung, denn deren Reaktionen seien eben nicht vorauszusehen. 186

Diversität in den Medien – mehr als eine Genderfrage

Sie selbst hat Mediengeschichte geschrieben. In den neunziger Jahren legte die Tochter eines Ghanaers und einer bundesdeutschen Schauspielerin eine beachtliche TV-Karriere hin. Zehn Jahre bestimmte sie mit ihrer Nachmittags-Talkshow „Arabella“ die deutsche Medienlandschaft wesentlich mit. Heute moderiert der TV-Star Großereignisse wie den Life-Ball oder den Eurovision Song Contest sowie den Österreich-Ableger der Sendung „Bauer sucht Frau“. Kiesbauer ist mit mehreren Preisen bedacht worden und engagiert sich ehrenamtlich als Integrationsbotschafterin. Sie hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Wien, wo sie auch aufgewachsen ist. Da die Mutter ihre Engagements in Deutschland hatte, wuchs sie bei der Großmutter auf, besuchte eine Schule mit internationalem Umfeld, das vornehme „Lycée Français“. Ihr Studium der Theaterwissenschaft in Wien hat sie abgebrochen, als es als Moderatorin ihrer eigenen TV-Show in Deutschland ernst wurde. Das unerledigte Studium verfolgt sie bis heute mit Albträumen. Denn das Interesse war groß. Die Mutter des „Theaterkindes“ Kiesbauer besaß gemeinsam mit ihrem Stiefvater ein Theater in Berlin. Ihr Vater, der starb, bevor sich eine engere Beziehung herstellen ließ, war übrigens einst zum Studieren aus Afrika in den deutschsprachigen Raum gekommen. Doch Kiesbauer gehörte auf die Weltbühne. Für eine Karriere zum Medienstar habe ein Studienabschluss seinerzeit keine Rolle gespielt. Arabella Kiesbauer schrieb später auch Erfolgsratgeber. Was können junge Frauen von ihr lernen? „Vielleicht können wir es drauf herunterbrechen: Wie wird man generell erfolgreich? Viel ist Glück, viel ist Talent und Können. Und dass man sich gut verkauft! Ich bin mir sicher, dass sich Männer generell besser verkaufen. Die können nicht unbedingt mehr, haben aber das überzeugendere ­Auftreten. Frauen neigen dazu, das eigene Licht ein wenig unter den Scheffel zu stellen. Wir nehmen uns leider gerne zurück. Das würde ich jungen Frauen vermitteln: selbstbeGöttinnen der Postmoderne

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wusst sein von Anfang an! Stark zu sein, und auch so aufzutreten. Die weibliche Art, die emphatische Seite, die ist ja da bei uns Frauen ohnehin ausgeprägt. Die müssen wir nicht weiter ausbauen, die pflegen wir schon genetisch bedingt. Zielstrebig zu sein, selbstbewusst zu sein, mit Rückgrat für sich einzustehen und durchaus auch zu fordern – das muss noch gestärkt werden. Ich denke dabei auch an meine eigene Tochter, die ist jetzt elf.“

Die Entwicklung, was kulturelle Diversität betrifft, sieht Arabella Kiesbauer in deutschsprachigen Medienhäusern im Wandel begriffen, wenn auch schleppend. „Es hat sich sicherlich schon einiges getan, aber wir sind noch nicht angelangt, wo wir hinwollen. Doch sehen wir es positiv! Dass ich als dunkelhäutige Frau heute ein Format wie „Bauer sucht Frau“ moderiere, bei dem ich im Dirndl durch Österreich reise, das wäre vor 30 Jahren wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Zumindest bei der Landbevölkerung wäre es nicht gut angekommen, in Wien vielleicht eher. Heute echauffiert sich darüber kein Mensch. So soll es ja eigentlich sein, es soll nämlich KEIN Thema sein. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, es gibt immer Ewiggestrige, aber die nehme ich jetzt mal nicht zur Kenntnis, die wird es wahrscheinlich immer geben.“

Deutliche Vorbehalte verortet Kiesbauer jedoch auch intern, bei Entscheidungsträgern in den Medienhäusern selbst. Dort sei man sehr stark auf den Typus autochthoner Herkunft fokussiert, der sich leichter verkaufen lässt. Gelingt die Integration besser, hat es Vorteile, wenn zumindest ein Elternteil der Landeskultur entspricht? Sprachlich, aber auch kulturell? „Wahrscheinlich haben es jene, die beide Kulturen in sich tragen, leichter, aber da spielen viele Faktoren mit. Das beginnt schon beim Namen, ob dir Türen offen stehen. Ein ausländisch klingender Name kann schon ein Grund sein, dass 188

Diversität in den Medien – mehr als eine Genderfrage

Türen verschlossen bleiben. Am Telefon z.B. oder wenn nur die Namen zu lesen sind. Als dunkelhäutige Frau mit einem österreichischen Hintergrund hatte ich es wahrscheinlich leichter, als etwa mein Papa, der als dunkelhäutiger Afrikaner zum Studieren in den deutschsprachigen Raum gekommen ist. Auf der anderen Seite habe ich es sicher schwerer als eine Blondine, weil dieser Typ sich im Fernsehen und in den Medien in unseren Breitengraden generell leichter verkaufen lässt. Hellhäutig, blond, blauäugig: Das ist gängig, gefragt, easy. Es ist z.B. in Bezug auf Werbeverträge sicherlich einfacher, wenn du dem Durchschnitt, dem österreichisch-deutschen ‚Idealbild‘ entsprichst.“

Sieht sie sich von Diskriminierungen betroffen: Als Frau, sexueller oder ethnischer Art? Arabella Kiesbauer: „Wer nicht? Als ich angefangen habe beim Fernsehen, waren ja mehrere Faktoren bei mir gegeben, die Anlass zur Diskriminierung gaben. Erstens als Frau, zweitens als junge Frau, drittens als junge dunkelhäutige Frau. Ich hatte viel mit weißen älteren Herren zu tun, bei denen du als Frau als Dummchen galtest und nicht ganz ernst genommen wurdest. Als junge Frau sowieso, und dann kam noch das Dunkelhäutig-Sein dazu. Da ist teilweise immer noch etwas Sexistisches mit eingeflossen. Am Anfang war das nicht einfach, aber was mir immer geholfen hat, war, dass ich rhetorisch sehr gut war und immer kontern konnte, wenn mir jemand blöd kam.“

Der Weg an die Spitze war steinig und von zahlreichen Stolperfallen gesäumt. „Ich musste mich definitiv durchkämpfen. Ein weiterer Aspekt war: Viel hat in den Medien mit Netzwerk und Seilschaften zu tun, und das macht es für mich als Individualistin auch nicht einfacher. Ich bin nicht so der ‚Hawara27‘-Typ, wie man in Wien sagt. Wenn ich jemand nicht mag oder unGöttinnen der Postmoderne

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möglich finde, werde ich dem nicht auf die Schulter klopfen, nur damit ich weiterkomme.“

Dass sie Avancen bestimmter Seilschaften konsequent ignorierte, sich „nicht verbrüderte und anbiederte“ habe ihr den Karriereweg sehr erschwert. Das einschneidendste Erlebnis war ein rassistisch motivierter Terroranschlag, bei dem sie nur knapp unbeschadet an Leib und Leben davonkam. Eine Assistentin wurde am Tatort im Sender verletzt. Kiesbauer war eine der AdressatInnen des rechten Briefbombenattentäters Franz Fuchs. Das rüttelte an den Grundfesten ihrer Existenz, stellte ihr gesamtes Leben und auch ihre Karriere in Frage. Arabella Kiesbauer dazu: „Ich hatte im Vorfeld natürlich darüber gelesen, aber selber betroffen zu sein, hat mich völlig unerwartet getroffen. Damit hätte ich nicht gerechnet, dass ich selber zur Zielscheibe werde! Das hat sehr stark bei mir die Frage aufgeworfen: Gibt es denn Menschen, die mich nur aufgrund der Hautfarbe und dessen, was ich mache, so hassen, dass sie nicht davor zurückschrecken, mir oder Menschen aus meinem Umfeld nach dem Leben zu trachten? Das kann man rational überhaupt nicht nachvollziehen. Wenn jemand sagt, er mag mich nicht, okay. Aber dass man so weit geht, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Und das hat mich natürlich auch überdenken lassen, ob ich in der Öffentlichkeit weiter präsent sein soll. Diese Frage habe ich mir mit ‚ja‘ beantwortet und gehofft, dass ich so weitermachen kann wie zuvor. Kurz nach dem Briefbombenattentat hatte ich eine Außenproduktion mit meiner Talkshow ‚Arabella‘. Wir waren auf Sylt mit Tausenden von Zuschauern in einer offenen Arena. Ich habe sehr viel Security vom Sender bekommen. Damals fragte ich mich, ob ich den Job so weitermachen kann, ob ich jemals wieder so offen zugehen kann auf Leute, wie es meine Art ist. Ich hatte, ehrlich gesagt, erstmal Angst. Aber 190

Diversität in den Medien – mehr als eine Genderfrage

zum Glück hat das mein Naturell nicht verändert, ich habe es überwunden. Ich musste aber sehr wohl an mir arbeiten. Für mich war wichtig, dass ich aus meiner Opferrolle raustrete und wieder die Power übernehme. Deswegen habe ich danach angefangen, mich zu engagieren, an Schulen zu gehen und über Rassismus zu sprechen. Das war meine Möglichkeit, mit dem Erlebten umzugehen, so habe ich es verarbeitet. Aber es ist trotzdem etwas, das sehr, sehr präsent ist und mein ganzes Leben lang präsent sein wird.“

Das Attentat hat ihr Leben auf den Kopf gestellt. Kiesbauer beantwortete Fuchs’ Hassbotschaft mit Widerstand. Sie beschloss, sich aktiv gegen Rassismus zu engagieren. Es war der Beginn ihrer Arbeit als ehrenamtliche Integrationsbotschafterin. Ihre Besuche in Schulen wurden für Arabella Kiesbauer zur Vergangenheitsbewältigung und Selbsttherapie. „Ich bin schon in Deutschland in Schulen gegangen und habe mit Jugendlichen über Rassismus und Integration gesprochen, da gab es die Bezeichnung ‚Integrationsbotschafterin‘ noch gar nicht. Damals ist jemand an mich herangetreten und hat mich gefragt: Würdest du das ausprobieren? Ich habe gesagt: ja, das Gespräch mit jungen Leuten tut auch mir gut, das Feedback, zu erfahren, was die Jugend bewegt. Dann bin ich quasi durch Deutschland getourt. Mittlerweile gibt es diese ehrenamtliche Arbeit in Deutschland und in Österreich. In Österreich war ich von Anfang an beim Integrationsteam dabei. Mittlerweile haben die meisten Integrationsbotschafter aufgrund ihrer beeindruckenden Karrieren eine große Vorbildfunktion.“

Der jungen Generation müsse sie ihre Biografie erklären. Die Attentate eines Franz Fuchs, der die Republik so lange in Geiselhaft nahm, kenne man heute nicht mehr. Die SchülerInnen interessiere ihre Familiengeschichte. Wie ihr Vater aus Afrika in den deutschsprachigen Raum gekommen ist, wie er ihre Göttinnen der Postmoderne

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Mutter kennengelernt hat. Bis hin zu ihren Rassismuserfahrungen. Hier sähe sie ihre Vorbildfunktion. „Zu vermitteln: Man kann es trotzdem schaffen! Wie habe ich das gepackt? Was sind meine Tipps und Anregungen?“ Dann frage sie nach dem Background der SchülerInnen, nach Herkunftsländern und -sprachen: „Feiert ihr die Feste von zwei Kulturen? Das ist doch ein Gewinn, das ist doch toll! Ihr kennt euch in zwei Kulturen aus! Die Jugendlichen zu stärken, ist mein Ziel. Das ist ja meine ureigenste Überzeugung, dass es ein ungeheurer Gewinn ist, mit zwei Kulturen groß zu werden. Konstruktives Miteinander-Wollen ist wichtig, für sich selbst und für die Gesellschaft. Wir leben hier zusammen – keiner sitzt allein auf seiner Insel.“

Kiesbauer hat – auch für jemand mit deutlich österreichischem Idiom nicht unbedingt üblich – mit „Arabella“ bei Pro Sieben eine großartige Karriere hingelegt in Deutschland. Sie zählt zu den PionierInnen der Nachmittags-Talkshow der Neunziger. Und wurde dafür zuerst mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Später wurden diese Formate stark kritisiert. Arabella Kiesbauer sagt dazu: „Das Format, mit einfachen Leuten zu sprechen, habe ich nicht erfunden, das kam, wie so vieles aus Amerika. Auch wenn viele denken, ich sei die Erfinderin der Nachmittags-Talkshows. Angefangen haben damit aber Hans Meiser und Ilona Christen auf RTL etwa ein halbes Jahr vor uns, das hat voll eingeschlagen. Wir waren bei Pro 7 dann die ersten, die so ein Format für junge Leute entwickelt haben. Das war unser großer Credit.“

Wie es dazu kam, das war ein glücklicher Zufall. „Ich hatte viel Glück, ich muss mich wirklich beim Universum bedanken. Ein deutscher Chefredakteur von Pro 7, der lange in Amerika gelebt hat, hat mich entdeckt, Jörg van Hooven, genauer, seine 192

Diversität in den Medien – mehr als eine Genderfrage

Frau.“ Besagter Herr van Hooven sah gemeinsam mit seiner amerikanischen Frau fern. Die zappte sich durch das deutsche Programm, das sie grauenvoll gefunden habe. Beim österreichischen ORF bliebt sie hängen. Da lief gerade die Jugendsendung „X-Large“ mit Arabella Kiesbauer. „Und sie hat gesagt: Ich verstehe zwar nicht, was die erzählt, aber die ist gut.“ Die Chefredakteurs-Gattin war begeistert, der Chefredakteur ebenfalls. Er warb das Talent vom ORF ab. „Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Im Laufe meiner Karriere habe ich gemerkt: Auch wenn Männer in Schlüsselpositionen sind, sehr oft sind doch die Ehefrauen und Partnerinnen diejenigen, die die Meinung dieser Bosse beeinflussen. Wenn die Frau zu Hause sagt: ‚Die Sendung ist nicht gut für unsere Kinder‘, oder: ‚Das schauen wir uns jetzt an‘, hat das auch bei Fernsehbossen an oberster Stelle großes Gewicht.“

Sie selbst gäbe diese Unterstützung aus Überzeugung heute an andere Frauen weiter. Arabella Kiesbauer dazu: „Ich liebe Frauen! Ich bin mit Frauen groß geworden, bei meiner Oma aufgewachsen. Mein Vater war nicht präsent. Ich komme aus einem richtigen Weiberhaushalt. Ich bin eine Frauenmenage gewöhnt, für mich sind Frauen das Größte, schon alleine, weil ja meine Mama und meine Großmutter unglaublich starke Frauen waren bzw. sind. Von denen habe ich mir natürlich alles abgeschaut. Mama war mehr oder weniger alleinerziehend und meine Großmutter hat mich wirklich alleine großgezogen, weil mein Großvater schon lange tot war, bevor ich zur Welt gekommen bin.“

Kiesbauer ist auch eine Befürworterin der Quote. Warum? „Frauen muss man manchmal ein bisschen schubsen. Weil sie sonst in der zweiten Reihe stehenbleiben und nicht in die erste Reihe treten.“ Frauen als Führungskräfte seien Männern bei emotionaler Intelligenz überlegen, hätten mehr Empathie und Göttinnen der Postmoderne

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nützten die auch. Sie selbst sieht sich als „Freigeist“ in ihrer Rolle als Selbstständige, die stets „300 Prozent“ im Job gebe, gut aufgehoben. Angestellt war sie noch nie. Das ließe sich auch perfekt mit Mutterschaft verbinden. Dass sie sich in einer sehr privilegierten Situation befindet, ist ihr klar. Zum Glück sei auch ihr Mann Unternehmer und als einer von denen, die auch delegieren können, durchaus für Familienarbeit einsatzbereit. „Da muss ich ihn sehr loben. Es gibt ja Leute, die glauben, sie sind unersetzlich. Blödsinn! Wenn ich eine heiße Phase im Job habe, sage ich zu meinem Mann: ,Ich muss jetzt extrem viel arbeiten, du bist mehr gefordert. Und dann übernimmt er auch.“ Als Entertainerin könne sie mehr bewegen als im Politzirkus: „Der Entertainment-Bereich ist zu 100 Prozent meins. Bei politischem Talk wird mir zu viel in Worthülsen geredet. Im Zwischenmenschlichen kann ich schon eher etwas bewegen: Ich kann Leute zusammenbringen, ich kann ihr Selbstbewusstsein stärken, ich kann sie motivieren. Da geht wirklich was weiter.“

Sich beruflich als Amor zu betätigen, sei eine schöne Aufgabe, wenn auch nur im Rahmen einer TV-Show: „Ärztin würde ich zum Beispiel nicht sein wollen, weil ein Arzt sehr viel mit Krankheit und Siechtum zu tun hat. Das würde ein Arzt jetzt natürlich anders sehen, aber zum Arzt geht man, wenn man krank ist. Da schwingt etwas Negatives mit, ich bin da sehr sensibel. Zu mir hingegen kommen die Leute, weil sie die Liebe suchen, das hat schon mal was Positives. In dieser Staffel hatten wir 16 Bauern am Start und die Hälfte hat sich in eine der BewerberInnen verliebt! Wenn wir Ende April anfangen zu drehen, dann sage ich den KandidatInnen: Ich kann vermitteln, aber ich kann nichts versprechen. Ein halbes Jahr später ziehen wir Bilanz. Wenn mir dann die Hälfte der Bauern erzählt, ich habe meinen 194

Diversität in den Medien – mehr als eine Genderfrage

Schatz gefunden, sind sie sehr happy. Und ich freue mich natürlich mit ihnen.“

Wie geht der TV-Star mit Kritik an seinen Formaten um? „Ich mache das schon so lange. Kritik wird immer geübt, man kann es nie allen recht machen. Das betrifft das ganze Leben. Egal wie du aussiehst, egal wie du tickst. Man muss sich ein dickes Fell zulegen. Natürlich höre ich mir Kritik an. Entscheide, was ich daraus ziehen kann, was mich weiterbringt. Den Rest muss ich verwerfen und nicht persönlich nehmen. Man darf nicht vergessen: Solche Sendungen sind auch ein Spiegel für die Gesellschaft. Manchmal will man in diesen Spiegel aber vielleicht gar nicht hineinschauen. In Bezug auf meine Sendung ist das auch eine Diskrepanz zwischen Stadt und Land. ‚Bauer sucht Frau‘ ist eine ländliche Sendung. Ein Wiener denkt vielleicht: Ist das wirklich so am Land? Kann ich mir gar nicht vorstellen! Woher soll ein typischer Wiener, der in seiner Altbauwohnung im dritten Stock sitzt, denn auch wissen, wie das Leben am Bauernhof funktioniert? Doch Österreich ist mehrheitlich ländlich, da sind eher wir die Exoten hier in Wien.“

Untertitel gibt es, anders als in der deutschen Ausgabe von „Bauer sucht Frau“, nicht. Das würde in Österreich als Affront gesehen werden, wie sie meint. Wie beurteilt sie wiederum neue Konkurrenz, ein Format wie „Naked Attraction“, wo die TV-Partnersuche komplett unbekleidet stattfindet? „Was soll ich sagen? Da sind ein paar, die sich ausziehen – so what? Es ist zwar ein Tabubruch, aber ein großer Aufschrei ist da auch nicht durch die Medien gegangen. Letztendlich sind das Entwicklungen, die wir als Talkshows initiiert haben. Wir haben Demokratie im Fernsehen initiiert, sodass jeder auftreten kann. Wir haben damit angefangen, Tabus zu brechen. Nacktheit ist sicher nicht das letzte Tabu, das im Göttinnen der Postmoderne

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TV gebrochen wird. Da wird noch einiges folgen. ‚Die Teufel, die ich rief, die werd ich nicht mehr los.‘ Wobei sich das Fernsehen schwer tut, wegen der Konkurrenz des Internets. Also dieser Marktplatz für den Tabubrüche ist schon abgelöst. Ich glaube nicht, dass das Format so wahnsinnig erfolgreich ist, sonst wäre es schon kopiert worden.“

Wo zieht Kiesbauer eine Niveaugrenze für sich – beim „Dschun­ gel­camp“? „Es muss mich interessieren, das ist mein Asset. Ich will meine Zeit nicht verplempern. Tabubrüche mag ich, ich bin jemand, der gerne Grenzen auslotet, aber das Dschungelcamp interessiert mich nicht mehr. Am Anfang fand ich den Aspekt spannend, wie fremde Menschen damit umgehen, in einer Extremsituation miteinander zurechtkommen zu müssen. Mittlerweile ist es nur noch inszeniert.“

Sehr wichtig ist ihr wiederum, die jungen Frauen von heute zur Selbstermächtigung zu animieren. „Frauen zu stärken, ist ganz wichtig, weil Frauen dazu neigen, sich unter Wert zu verkaufen, und im Gespräch mit meiner Tochter hab ich gemerkt: Unsere Großmütter haben gekämpft, unsere Mütter auch, und ich kämpfe auch noch. Es ist selbst heute noch nicht so, dass wir die gleichen Chancen haben wie Männer! Wir sind schon sehr weit, trotzdem ist es wichtig, junge Frauen zu motivieren und aufzubauen und fast ein bissl kämpferisch auszustatten, weil Frauen das ja generell wieder abschwächen und abmildern.“

#MeToo und die Debatte um sexualisierte Gewalt gegen Frauen im Showgeschäft sieht sie als wichtige Zäsur. „Ich hoffe es! Was mich verwundert, ist, dass das einige wieder abgeschwächt haben! Ich meine, dass es diese Besetzungscouch gibt, das weiß doch wirklich jeder, der in der Branche ist. Ich gehöre nicht zu jenen, die ein Interesse da196

Diversität in den Medien – mehr als eine Genderfrage

ran haben, das unter den Teppich zu kehren. Sexuelle Belästigung gab es und gibt es heute auch noch. Und ich finde es gut, dass darauf aufmerksam gemacht wurde. Dass mutige Frauen gesagt haben: Das darf nicht sein! Das Abschwächen und Abmildern im Nachhinein ist mir unbegreiflich. Und bitte: Das ändert nichts daran, dass es ein flirtives Zusammenspiel zwischen Frau und Mann geben kann und soll. Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Da müssen wir vielleicht unsere Söhne, ich habe ja auch einen, mehr sensibilisieren. Erziehen ist ja letztendlich auch vorleben. Wie du zuhause bist, wie das Verhältnis zwischen dir und deinem Partner ist, das schnappen die Kinder auf und leiten ihr Weltbild davon ab.“

In diesem Sinne kann auch eine Talkshow ein Emanzipationsund Demokratisierungsinstrument sein, Diskussionskulturpflege als Brücke zwischen den Menschen. Solange wir im Dialog bleiben, bleibe die Gefahr für Gewalt kleiner. Arabella Kiesbauer: „Ich habe immer gesagt, Reden ist Leben. Setzen wir uns zusammen, reden wir darüber, dann ist man einen Schritt weiter. Man ist einen Schritt aufeinander zugegangen. Und hat sich nicht die Köpfe eingeschlagen.“ Ein Trend, den Kiesbauer mit etablierte. Ist sie stolz auf ihre Leistung als Botschafterin des Dialogs? „Eigentlich nicht wirklich, aber wenn du das so sagst – warum nicht? Wenn ich darüber nachdenke, dann fällt mir ein: Manche Leute, die mir auf der Straße entgegen kommen, sehen mich und fangen an zu lächeln. Ich merke, sie verbinden mit mir nette Erinnerungen aus ihrer Jugend. Das hat mit mir eigentlich gar nicht viel zu tun, ich bin ja nicht Teil ihres persönlichen Lebens. Aber trotzdem löse ich diese Erinnerungen aus. Das finde ich dann schon nett. Jedes Lächeln, für das du verantwortlich bist, ist doch etwas Positives.“

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8.1

Vergleichshorizont Nahost – die „Riot Girls“ des Orients

Fashion und Film in Saudi Arabien – mit dem Fahrrad in die Freiheit?

Von der Jugend seines Landes werde der junge „Prinz Charming“ schon gefeiert wie ein Popstar, wurde kolportiert. Der erst 31-jährige Thronfolger Mohammed bin Salman habe seinem Land einen Reform-Crash-Kurs verordnet, der seinesgleichen suche. Und damit einen Machtkampf mit dem saudischen Establishment riskiert, dessen Ausgang noch ungewiss ist. Ausgerechnet im Land der restriktivsten Unterdrückung von Frauen soll im Rekordtempo die Moderne einziehen, 35 Jahre archaischer Rückwärtsgewandtheit annullieren. Die US-Entertainment-Industrie ist daran nicht ganz unbeteiligt. Wenn am 18.  April 2018 in Riad das erste Kino in Saudi-Arabien mit dem Film „Black Panther“ seine Pforten öffnet, ist das eine Sensation. 35 Jahre lang waren Kinos in dem Land, in dem die ultrareligiösen Wahhabiten die Regeln diktieren, tabu. Bis 2030 sollen 350 US-Multiplexe eröffnen. Die „Vision 2030“ des neuen Monarchen öffnet das Land gen Westen. Davon profitieren in erster Line die Frauen, sollten die Reformen greifen. Ab Juni 2018 sollte Frauen das Autofahren erlaubt werden, Saudi-Arabien war das letzte Land der Welt, wo das bisher verboten war. Frauen sollen ohne Erlaubnis ihres Mannes ein Unternehmen gründen dürfen, selbst die Zwangsverschleierung soll fallen. (Tagesschau.de, 2018 u.a.) Den Boden für den längst fälligen Modernisierungsschub könnte auch der Film mit bereitet haben. In einem der spannendsten Paradoxa der 198

Vergleichshorizont Nahost – die „Riot Girls“ des Orients

jüngsten Filmgeschichte bezauberte „Das Mädchen Wadjda“ mit ihrem Kampf für die Freiheit, ein Fahrrad besitzen zu dürfen. Ausgerechnet eine Frau, Regisseurin Haifaa Al Mansour, schuf damit 2012 den ersten Kinospielfilm Saudi-Arabiens überhaupt. Saudi-Arabien schickte den Film als ersten Beitrag sogar ins Oscar-Rennen für den besten fremdsprachigen Film. Die Academy hat die Möglichkeit, mit einer Nominierung ein Signal zu setzen, allerdings großräumig umschifft.

8.2

Die Töchter des Nils – vom Papyrus zum Pamphlet

In Ägypten gibt es eine lange Tradition weiblicher Einflussnahme auf das öffentliche Leben. Bis heute gelten Gesetze aus der sozialistischen Nasser-Ära (1952–70), die Frauen ein Arrangement mit ihrer Doppelrolle als Berufstätige und Mutter garantieren. Jede Firma und Fabrik, die mehr als 99 Arbeiterinnen hat, soll einen Betriebskindergarten haben, in den auch die Kinder männlicher Mitarbeiter gehen dürfen. Ägyptische Frauen demonstrierten während der Revolution 1919 gegen die britische Kolonialmacht, in der arabischen Welt erhielten zuerst die ägyptischen Frauen das Wahlrecht (nach Erlangen der Unabhängigkeit 1956), Frauen beteiligten sich an allen politischen Demonstrationen. Die ägyptische Frauenbewegung entstand 1923, als eine der ältesten in der arabischen Welt hat sie viele andere Frauenbewegungen beeinflusst. (Salah, 2013: 158) So rückt die Berliner Genderforscherin Hoda Salah gängige Vorurteile zurecht. In vielen Bereichen, wie etwa gerade dem Medienbereich, ist Ägypten dem Westen sogar voraus, was die Stellung der Frau anbelangt. Die Töchter des Nils – vom Papyrus zum Pamphlet

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Stellen Frauen auch nur max. 2 % der Abgeordneten im Parlament, sind sie in der Öffentlichkeit jedoch sehr sichtbar. Zwar sind nach dem Arab Human Rights Report nur 18 % der ägyptischen Frauen berufstätig, aber dieser Bericht erweckt den falschen Eindruck, Frauen blieben zu Hause. Ägypten ist ein armes Land und viele Frauen – wie auch Männer – arbeiten im informellen Bereich, als TagelöhnerInnen, in Geschäften, Büros, Haushalten, im Handel oder auf dem Feld. An den Universitäten studieren Frauen und Männer gemeinsam, ca. 25 % der ProfessorInnen, 30 % der LehrInnen und ÄrztInnen sind Frauen, in den Medien sind Frauen bis zu 50  % vertreten. Die Kunstszene ist deutlich von Frauen geprägt, 35 % der ägyptischen Haushalte werden allein von Frauen ernährt. (Ebd.) Es ist kaum Zufall, dass sich Ägypten als Epizentrum des arabischen Feminismus entwickelte. Bereits 4000 bis 3000 Jahre vor Christus, also schon in vordynastischer Zeit, haben Königinnen als Alleinregentinnen das Land beherrscht. Neithhotep oder Meritneith gelten als frühe eigenständige Herrscherinnen, denen später zahlreiche folgen sollten, darunter Hatschepsut oder Nofretete. (Vgl. Tyldesly, 1996: 239 f.) Als Herodot nach Ägypten kam, kannte seine Verwunderung keine Grenzen. Das Land und seine Menschen seien gerade das Gegenteil von allem, was er bisher auf der Welt gesehen hätte. Vor allem die Freiheiten und die Gleichberechtigung der Frauen verblüfften ihn, wie Joyce Tyldesly in „Töchter der Isis – Die Ägypterin“ beschreibt. In der Kulturgeschichte der Pharaonen verfügten Frauen über weitaus mehr Rechte als in den antiken Kulturen der Griechen und Mesopotamier. Sie durften ihren Gatten frei wählen, waren ebenbürtige Partnerinnen, übten Berufe aus. Frauen, anders als in den antiken Kulturen, waren selbstständige Rechtssubjekte, die sowohl vor Gericht klagen durften, wie verklagt werden konnten. (Ebd. 9 ff.). Bereits die 200

Vergleichshorizont Nahost – die „Riot Girls“ des Orients

Herrschaft Roms brachte Verschlechterungen, und die Ausbreitung des Islam hatte Folgen. Nach der türkisch-osmanischen Eroberung zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden die Frauen ihrer Rechte beraubt und sie waren bis in die neueste Zeit von gesellschaftlichen Aktivitäten ausgeschlossen. (Vgl. Tyldesly, 1996, Huber, 1986 u.a. nach Sarwat, 12.6.2017) Bis heute verfügt Ägypten über eine starke Frauenbewegung, die die Rechte der Frau erneut erkämpfte. Wie in der Frauenbewegung des Westens gab es auch in Ägypten historisch einen starken Zusammenhang zwischen literarischem Schaffen, dem Engagement für Frauenrechte und dem Journalismus. Erste Frauenrechtsbestrebungen kamen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der weiblichen literarisch-kulturellen Erneuerungsbewegung auf. Eine Welle zahlreicher Publikationen feministischer Inhalte war die Folge. Die revolutionäre Intellektuellenbewegung für Frauenrechte war also ursprünglich eine literarische Strömung und nannte sich „alnahda al-nisa’iyya“ (Das Erwachen der Frauen). Sie gab den Feministinnen die Möglichkeit, zu Papier zu bringen, womit sie die Welt verändern wollten. Bücher und Zeitschriften, aber auch viele Salons und Frauenvereinigungen wurden zu wichtigen Sprachrohren. (Vgl. Bräckelmann, 2004, 33 ff. u.a. nach Sarwat, 12.6.2017) 1892 entstand die erste Frauenzeitschrift „al-Fatat“ („junges Mädchen“) in der Stadt Alexandrien als die erste Frauenzeitschrift im arabischen Raum. Es war gleichzeitig eine der ersten Zeitschriften überhaupt im arabischen Sprachraum. Die erste Ausgabe erschien am 30. November 1892. Herausgeberin und Gründerin war die syrische Christin Hind Nawfal. Die Zeitschrift war ungeheuer ambitioniert. Sie galt nicht nur als Qualitätszeitschrift im besten Sinne, enthielt Kultur- und Buchkritiken, sondern bot auch ein Forum für politischen Diskurs. Ihre Inhalte waren klassische feministische Themen. Die Zeitschrift wurde 1894 eingestellt – wegen Heirat der Herausgeberin. (Vgl. ebd. nach Sarwat, 12.6.2017). Die Töchter des Nils – vom Papyrus zum Pamphlet

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Susanne Bräckelmann forschte in ihrer Untersuchung „Wir sind die Hälfte der Welt“ zu Publizistinnen dieser Zeit. Sie konstatiert, dass viele der ersten Publizistinnen eingewanderte Christinnen waren. Dazu gehört Zaynab Fawwaz. 1860 im Süd-Libanon geboren, ging sie zu Ausbildungszwecken mit ihrem Bruder nach Ägypten. Ende des 19.  Jahrhunderts erstellte sie ein umfangreiches biografisches Frauenlexikon, schrieb in Zeitungen und Zeitschriften. Ihr breites literarisches Werk umfasst auch das Buch Ar-Ras’il al-Zaynabya („Zaynabs Briefe“) zu Frauenbildung und Frauenrechten. Sie arbeitete für die erste arabische Frauenzeitschrift. (Vgl. Bräckelmann, 2004, 48 ff. nach Sarwat, 12.6.2017) Ihr Werk „al-Hawā wa-al-Wafā“ („Liebe und Treue“) war das erste Theaterstück, das von einer Frau in Arabisch verfasst wurde. (Zeidan, 1995, 66  ff., nach Sarwat, 12.6.2017) 1919 positionierte sich Hoda Shaarawi als prominente Anführerin der Bewegung mit der Organisation der ersten großen Frauendemo Ägyptens. Vier Jahre später wurde sie erste Vorsitzende der „Ittihad an-nisa al-arabi“, der ersten ägyptischen Frauenorganisation, auf Englisch „Egyptian Feminist Union“ (EFU). Wie Beth Baron in „The Women’s awakening in Egypt“ zeichneten auch andere ihren Lebensweg nach. Von der Pionierin ist eine legendäre Anekdote überliefert. Mit spektakulärem Aktionismus soll sie auf der Rückreise von einem Kongress für die Abschaffung des Schleierzwangs geworben haben. So habe die Aktivistin unter großem Applaus ihrer Anhängerinnen bei der Ankunft in Alexandrien ihren Schleier demonstrativ ins Meer geworfen. (Vgl. Baron 1994, Spiegel 2017, u.a. nach Sarwat, 12.6.2017) Mit Erfolg: Bis heute gibt es in Ägypten keinen Kopftuchzwang. Doria Shafik war die erste Ägypterin, die an der Sorbonne promovierte. Ihr Leben ist in Arbeiten vieler Wissenschaftler wie Cynthia Nelson oder Mohammed Kein erforscht. Sie gründete 1948 die erste Frauenrechtspartei im Nahen Osten: „Bint El Nil“ („Die Töchter des Nils“). Die Feministin 202

Vergleichshorizont Nahost – die „Riot Girls“ des Orients

wurde zur Anführerin von 1500 Frauen, die in den 1950er Jahren das ägyptische Parlament stürmten und für das Wahlrecht der Frauen in den Hungerstreik traten. Die Partei wurde 1957 verboten und Shafīq 18 Jahre lang unter Hausarrest gestellt. 1975 stürzte sie sich vom Balkon ihres Hauses und starb. (Vgl. Nelson, 1996 u.a. nach Sarwat, 12.6.2017) Eine Besonderheit des Orients sind männliche Feministen. 1899 publizierte Quasim Amin in Ägypten das einflussreiche Werk „Die Befreiung der Frau“. Im selben Jahr in Tunesien geboren, setzte der Frauenrechtler At Tahir al Haddad mit seinen Schriften das Verbot der Polygamie und der Vollverschleierung in Tunesien durch. (Vgl. Sarwat, 12.6.2017)

8.3

Macht und Mythos einer Diva – Oum Kulthum

Eine Machtinstanz der besonderen Art war die ägyptische Sängerin Oum Kulthum. Maria Callas zählte zu ihren Verehrerinnen, noch heute sind Bob Dylan oder auch Bono Fans dieser Gigantin des Orients. Geboren um 1900, genau kennt man das Datum nicht, zog sie als kleines Mädchen mit dem Vater, einem Dorf-Imam, durchs Niltal, um ihre gefeierten Gesangsdarbietungen zu geben. Einige Jahre musste sie sich dabei als Junge verkleiden, da der Vater mit dem Heranwachsen der Tochter Bedenken bezüglich der Schicklichkeit bekam. Abenteuerlich begann die Karriere dieser besonderen Frau, die später zur „Stimme Ägyptens“, zu einer Art Nationalheiligtum werden sollte, weit über die Grenzen des Landes hinaus. (Vgl. Al Mashriqu u.a. nach Sarwat, 14.3.2018) Sie war eine Künstlerin, deren Werk auch politische Sprengkraft innewohnte. „Nachtigall des Nils“ und „Stern des Orients“ waren blumige Umschreibungen für die Diva Assoluta. Bei ihrem feierlichen Staatsbegräbnis 1975 säumten Millionen verzweifelte Trauernde die Straßen von Kairo, jener Stadt, in der sie reich und berühmt wurde. Ägyptens damaliger sozialistischer Präsident Macht und Mythos einer Diva – Oum Kulthum

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Gamal Abdel Nasser war ihr größter Fan, er nannte sie „die vierte Pyramide Ägyptens“ und – seine „Geheimwaffe“. Die Foto-, Video- und Filmkünstlerin Shrin Neshat, 62, widmet der Ikone des Nahen Ostens einen Film. „Auf der Suche nach Oum Kulthum“. Im März 2018 traf ich Shirin Neshat zum Interview, das im Juni in gekürzter Form auf orf.at erstmals veröffentlicht wurde. Die Langfassung findet sich in meiner Magistraarbeit vom Mai desselben Jahres. Den historischen Background der Diva beschreibt sie im Interview so: „Oum Kulthum wurde in eine hochsignifikante Periode Ägyptens hineingeboren. Zwischen 1900 und 1975 befand sich Ägypten auf dem Weg von der Monarchie König Faruks über die britische Intervention hin zur sozialen Revolution 1952 und Nasser. Dann kam der Krieg mit Israel und Ägyptens Niederlage. In dieser Zeit wurde sie zu einer Art Königin Ägyptens. Bei Aufenthalten in anderen Ländern wurde sie wie ein Staatsbesuch mit Pomp empfangen. Als wäre sie mit Präsident Nasser verheiratet.“ (Sarwat, 2018)

Sie bot Trost in schweren Zeiten, wurde zum Superstar, zur Übermutter der ägyptischen Nation. Eine Verehrung, die bis in unsere Zeit anhält. Sogar während der Revolution in Ägypten, dem Arabischen Frühling, habe ihre Musik auf dem Tahrir-Platz aus jedem Lautsprecher geklungen. „Es ist irgendetwas an ihr, das den Menschen ein gutes Gefühl gibt. Ein Gefühl der Liebe und des Friedens, sie verkörpert all das Gute der Menschheit wie keine andere zuvor oder danach.“ Konfligierende Kräfte habe sie unvergleichlich leicht ausbalanciert: „Vor allem die Anti-Israel-Fraktion mag es nicht, wenn ich das sage. Aber die Wahrheit ist: Ihre späten Jahre widmete sie der Solidarität zur panarabischen Einheit. Sie wurde zum Symbol der Einheit, sie performte auch in Israel. Viele Israelis sagen, sie hegten schon von Kindesbeinen an eine Obsession für sie. Ebenso ist es in der arabischen Welt und sogar im Iran.“ (Ebd.) 204

Vergleichshorizont Nahost – die „Riot Girls“ des Orients

Oum Kulthum integriert verschiedene politische Perspektiven, soziale Schichten, Religionen und Kulturen mühelos: Bei allem Ruhm, Reichtum und kosmopolitischer Weltlichkeit war sie dabei durchaus auch „religiös und behandelte Muslime mit Respekt“. (Ebd.) Arm und Reich, Israelis und Araber verehrten sie gleichermaßen. Sie war nicht nur eine begnadete Sängerin, sondern wurde so auch zu einem besonderen Friedenssymbol der Einheit im Nahen Osten: „Wenn es etwas gibt, auf das sich der gesamte Nahe Osten einigen kann, dann ist es Oum. Selbst innerhalb der Muslime gibt es keine Diskussion: Egal ob Fundamentalist oder säkularer Muslim: Alle lieben Oum. Und nicht nur Muslime. Sie ist bis heute das einzige und wichtigste Symbol der Einheit und des Friedens, durch die Macht ihrer Musik. Ihr Erbe, das was sie uns hinterlassen wollte, war ihr wichtiger als die materielle Welt oder ihr persönliches Leben.“ (Ebd.)

Die Mechanismen dieser einzigartigen Frauenkarriere waren für Neshat schwer zu fassen, aufgrund der Datenlage, was Primärquellen anbelangt, wie sie sagt. Sie fand nur wenige Anhaltspunkte, da Oum Kulthum wenige Kommentare dazu abgab. In Neshats Interpretation führte sie ein Leben, das eher einer männlichen Biografie zugeordnet wurde: Neshat glaubt, dass ihre Karriere auf eine sehr moderne Art strategisch bis ins kleinste Detail von ihr durchorganisiert wurde. Oum Kulthum war ehrgeizig und hatte einen Plan: (Ebd.) „Sie war sehr intelligent und wusste genau, was sie wollte. Der übliche Konflikt zwischen Mutterrolle, Job und Partnerschaft stellte sich gar nicht. Sie war voll fokussiert auf ihre Karriere, und wählte ein Leben, das komplett gegen jede Tradition war. Sie hat auf Kinder verzichtet, agierte in einer Welt voller Männer. Ihre Sexualität ist gar kein Thema. Ihr Privatleben hielt sie immer sehr bedeckt, sprach kaum darüber in der Öffentlichkeit. Das war eine der Schwierigkeiten, die ich bei der Recherche hatte. Ich fand kaum aussagekräfMacht und Mythos einer Diva – Oum Kulthum

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tige Quellen. Bei einem Heiligtum, wie sie eines geworden war, ist es tabu, ihr Privatleben oder gar ihr Sexualleben öffentlich zu thematisieren.“ (Ebd.)

Oum Kulthum kontrollierte ihr Image und ihre Karriere also sehr sorgfältig. Man könnte fast sagen, über ihren Tod hinaus. Niemand sollte hinter die Kulissen blicken können. Auf der Bühne aber gab sie alles. Ihre Musik übte eine ganz eigene, fast überirdische Macht über die Menschen aus. Ihre Konzerte dauerten lange, ein einziges Lied dauerte oft fast zwei Stunden: „Sie soll ihrem Orchester und den Musikern gegenüber extrem dominant gewesen sein, da würde man einen kalten, stoischen und berechnenden Menschen dahinter vermuten. Aber andererseits war ihr musikalischer Ausdruck derartig emotional, dass es das Publikum völlig überwältig hat. Die Menschen fielen in eine regelrechte Ekstase, vergaßen Zeit und Raum. Es gibt dafür einen eigenen Ausdruck im Arabischen. Der bedeutet, dass die Leute in eine Art Trancezustand durch die musikalische Erfahrung gelangten, so wie es die Derwische in ihrem Tanz erleben. Ihr Publikum erfuhr durch ihre Musik eine spirituelle mystische Erfahrung, die man fast als orgasmisch bezeichnen kann.“ (Ebd.)

Das Publikum, so Neshat, bedeutete ihr alles. Sie hatte Vertraute, die immer spezielle Sitze in der ersten Reihe reservierten, auf deren Anwesenheit habe sie sich verlassen. Schwäche habe sie, die wie eine Landesmutter verehrt wurde, in der Öffentlichkeit niemals gezeigt und sich auch gar nicht leisten können. Nach außen hin wollte sie sehr bewusst das Image der starken Frau, eines Felsen in der Brandung, kultivieren. Zur Recherche sprach Neshat mit einem Cousin und anderen Verwandten der Diva. Diese erzählten ihr, Oum hätte in ihrer Villa einen privaten Raum im Erdgeschoss gehabt. War sie verzweifelt oder deprimiert, habe sie sich tagelang in dem verdunkelten Raum eingeschlossen. „Allein. Niemand durfte hin206

Vergleichshorizont Nahost – die „Riot Girls“ des Orients

ein außer das Zimmermädchen. Sie hat also durchaus gelitten, sehr oft und aus verschiedenen Gründen, aber niemals durfte das jemand beobachten. Denn sie wollte ein anderes Bild von sich in der Öffentlichkeit: als Fels in der Brandung.“ (Ebd.)

8.4

Shirin Neshat – Mittlerin zwischen Orient und Okzident

Doch wer ist die Frau, die sich cinematografisch „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ abarbeitete? Ein Weltstar wie Natalie Portman, man kennt einander aus der Zusammenarbeit für Dior sowie einem gemeinsamen Viennale-Trailer, hat im Interview mit der Autorin dieser Arbeit nur das Beste über Shirin Neshat, zu sagen: „Shirin ist eine unglaubliche Künstlerin und auch eine wundervolle Frau. Ich bewundere sie unendlich. Ich arbeite sehr gerne mit ihr. Die Annäherung einer bildenden Künstlerin und ihres Teams an das Werk zu begleiten, das so ganz anders arbeitet, als ich es vom klassischen Filmemachen kenne, wo ich zu Hause bin, war spannend zu beobachten.“ (Sarwat, 27.10.2013) Shirin Neshat stammt aus einem gehobenen, liberalen Elternhaus im Iran. Ihr Vater war Mediziner, und schickte die Tochter, ebenso wie deren Brüder, in eine gute Ausbildung. Neshat verließ den Iran mit 17 Jahren, besuchte ein Internat und studierte in den USA, heiratete dort und bekam einen Sohn. Sie reiste nach der Revolution 1979 noch einige Male in den Iran, aber nach einer Kollision mit dem Regime begab sie sich ins Exil. Ihr Werk widmet sie ikonischen Frauen des Orients, die Künstlerin sieht sich als Botschafterin zwischen den Welten: dem Westen und dem Nahen Osten. Ihre Karriere begann sie als gefeierte Fotografin, 2017 hat sie ihre erste Oper bei den Salzburger Festspielen inszeniert. Die „Huffington Post“ wählte sie zur Künstlerin des Jahrzehnts. In ihrem ersten Film „Women without Men“, für den sie 2009 den Silbernen Shirin Neshat – Mittlerin zwischen Orient und Okzident

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Löwen für Regie in Venedig errang, wandte sie sich der Zeit vor der Revolution 1979 zu, um die iranische Kultur zu zeigen, wie sie vor dem Gottesstaat war. Ihr aktueller Film umkreist eine weibliche ägyptische Ikone. Weiter aus dem Interview mit Neshat, das erstmals auf „ORF on“ in gekürzter Fassung veröffentlicht wurde: „In diesem Film wollte ich die ägyptische Kultur in modernen Zeiten zeigen – in all ihrer Komplexität, ihrem Glamour und ihrer Schönheit. Oum Kulthums wunderbare Konzerte offenbaren, wie glamourös und modebewusst die Ägypter zu dieser Zeit waren. Zuerst in den 30er Jahren für König Faruk und später, in den 60er Jahren, an derselben Location für Präsident Nasser. Es zeigt einen von vielen Momenten der Größe in der ägyptischen Kultur, von denen viele heute übersehen werden.“ (Sarwat 2018)

Ikonische Frauen der Kultur des Nahen Ostens stellen für sie immer ein Faszinosum dar. Bilder dieser starken selbstbestimmten Frauen und die Errungenschaften ihrer Kulturen auch einem westlichen Publikum näherzubringen, sei eines ihrer Anliegen. „Da ich selbst Künstlerin der Region bin, entwickelte ich eine Obsession für andere interessante Frauen des Nahen Ostens. Für die Ikonen der arabischen Welt. Oum Kulthum fasziniert mich: wegen ihrer machtvollen Musik, die Millionen Menschen bewegte, aber auch, weil sie sich einen ungewöhnlichen Lebensstil als Frau gestattete. Ihr Vermächtnis, ihre Karriere und wie sich diese Karriere entwickelte, fand ich spannend. Gerade wegen der politischen Atmosphäre der letzten Dekaden wollte ich diese Hommage an eine große Künstlerin schaffen. Um der westlichen Welt zu zeigen: Unsere Kultur bringt großartige weibliche Künstlerinnen hervor. Heute verbindet man mit dem Nahen Osten nur noch Bilder von Barbarei, Gewalt, Fanatismus und Krieg. Als könnte er nicht auf eine großartige kulturelle Vergan208

Vergleichshorizont Nahost – die „Riot Girls“ des Orients

genheit zurückblicken. Ich wollte ein anderes Bild zeigen. Und gerade Ägypten hat eine so fantastische, kosmopolitische Kultur.“ (Ebd.)

Ägypten eignet sich auch deshalb besonders gut, den Fokus auf den „Orient“ zurechtzurücken, weil hier, im Gegensatz zum Iran, auch in der Gegenwart kein islamistisches Regime die Freiheitsrechte der Frauen minimiert. Der Film ist kein Biopic, sondern kreist vor allem um den Existenzkampf einer weiblichen Regisseurin in einer Männerwelt, exemplifiziert an Neshats Alter Ego. Auch im wahren Leben kämpfte sie als Pionierin im männlichen Regie-Geschäft um ihren Platz in diesem künstlerischen Gefüge, doppelt und dreifach belastet: als Frau, als Fremde im Exil und als Mutter. „Das Filmgeschäft ist ein sehr Männer-dominiertes System und es ist schwer, der Boss zu sein als Frau. Man muss quasi zum Mann werden. Man darf sich nicht die geringste Schwäche leisten. Weibliche Regisseurinnen müssen vermännlichen, um in der Branche ernst genommen zu werden, wenn sie nicht riskieren wollen, die Kontrolle zu verlieren. Filmemachen ist auch physisch sehr anstrengend: der Zeitaufwand, das ganze Equipment, der Stresslevel. All das hat mir natürlich auch persönlich zu schaffen gemacht. Und das habe ich im Film verarbeitet. Ich habe das Glück, dass mein Mann auch Filmemacher ist, und einer meiner größten Unterstützer. Martin Gschlacht, der Kameramann, alle Leute, mit denen ich arbeite, kennen meine Stärken und meine Schwächen und unterstützen mich.“ (Ebd.)

Sich eine männliche Attitude zuzulegen und mit der konfligierenden Mutterrolle zu jonglieren, sei ein Kraftakt für sich, den einzig Mütter auszutragen haben, niemals Väter: „Als mein Sohn noch klein war, und ich ihn wegen der Schule zu Hause zurücklassen musste, wenn ich unterwegs war, um zu arbeiten, kam ich mir vor, als hätte ich ihn verShirin Neshat – Mittlerin zwischen Orient und Okzident

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raten. Ich war eine Alleinerziehende. Verheiratete Männer in der Branche, die Kinder haben, müssen sich nie Sorgen machen, wo ihre Kinder während der Arbeit bleiben. Die haben ja die Kindesmutter, wo das Kind gut aufgehoben ist. Diese Erfahrung hat dazu geführt, dass ich starke Schuldgefühle meinem Sohn gegenüber entwickelt habe. Der Grund war, dass ich mich zu einem Zeitpunkt, als er noch sehr klein war, von ihm getrennt habe. Ich hatte mich für die Karriere entschieden.“ (Ebd.)

Eine 50-Prozent-Quote fände Neshat sehr spannend. Sie glaubt, das würde sich sehr stark darauf auswirken, welche Filme wir in Zukunft im Kino sehen werden, welche Geschichten wir erzählt bekommen, nämlich durchaus andere: „Geschichten, die Männer erzählen, gelten oft als populärer beim Publikum. Vielleicht weil sie einen höheren Entertainment-Faktor oder auch mehr Action bieten. Doch auch Filme von Frauen waren schon erfolgreich in der Populärkultur. Vielleicht hat das mit den ganz eigenen Narrativen zu tun, die Frauen einbringen. Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Dynamik der Filme ändern würde, die wir im Kino in Zukunft sehen, wenn es eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Filmemachen gäbe. Wir würden emotionalere Geschichten sehen, die Menschen stark ansprechen. Es gäbe sicher Storys, die zwar auch einen hohen Level an Unterhaltung bieten, allerdings auf einem psychologisch spannenderen Niveau.“ (Ebd.)

Der Aufwind, den Hollywood nach #MeToo und den letzten Oscars – die erste Kamerafrau wurde nominiert, auch eine Regisseurin – erfasste, wird von Neshat eher als Lufthauch wahrgenommen. Neshat glaubt noch nicht an eine fundamentale Reform des Systems und bleibt in diesem Punkt vorerst skeptisch, wenn auch mit einer gewissen Hoffnung:

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Vergleichshorizont Nahost – die „Riot Girls“ des Orients

„Es ist großartig, was sich schon alles verändert hat. Aber ich glaube, den Impact werden wir erst in ein paar Jahren beurteilen können. Derzeit kann ich keine großartigen Chancen für Frauen im Filmgeschäft erkennen. Nur eine einzige Regisseurin war nominiert, Greta Gerwig mit „Ladybird“. Es ist sicher eine Novität, dass eine Regisseurin, die so jung ist, mit 30, 40 schon nominiert wird. Aber hinter solchen Projekten stehen eben meist auch Schwergewichte in Hollywood. Einer der Gründe, dass „Ladybird“ bei den Oscars so erfolgreich war, ist sein Star-Produzent, Scott Rudin. Der Film ist ganz gut, aber nicht jede Frau bekommt so eine Chance. Da muss man schon sehr gute Beziehungen haben. Es kommt für Frauen immer noch darauf an, in welchen Netzwerken du aktiv bist, wie du aussiehst, wie alt du bist.“ (Ebd.)

Die verkrusteten Strukturen in den von den sogenannten alten weißen Männern dominierten Machtzirkeln Hollywoods hält sie für schwer aufzubrechen, insbesondere von Außenseitern. Neshat übt heftige Kritik am System Hollywood, das sie als rigides Netzwerk der Freunderlwirtschaft und Diskriminierungen beschreibt: „Das System hat eine strenge Hierarchie und ist voller Diskriminierungen, nicht nur des Geschlechts. Man muss die richtigen Leute an den Machthebeln kennen. Hollywood ist ein höchst schwieriges und sehr undemokratisches System, das vor allem etwas mit guten Beziehungen zu tun hat. Als jemand, der immer viel in Europa gearbeitet hat, jemand, der zwar in Amerika lebt, aber hier nicht geboren ist, ist es sehr schwer, den Durchbruch in diesem System zu schaffen, egal ob man Frau oder Mann ist. Ich glaube nicht, dass die Protestbewegung gegen die sexuelle Belästigung hier Abhilfe schaffen kann.“ (Ebd.)

Ihre Kunst hat sie einmal als ihre „Waffe des Widerstandes“ bezeichnet. Ihrem Werk wird auch ein sozialpolitischer Impact Shirin Neshat – Mittlerin zwischen Orient und Okzident

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zugeschrieben, außerhalb von Museen und Kinosälen, und das erfährt Neshat auch über die Rezeption ihrer Arbeit. Film kann ein machtvolles Instrument zur Veränderung in der Gesellschaft sein. Dass Neshats Werk das Regime im Iran irritiert, ist für sie eine Bestätigung: „Ich habe für mich einen sehr speziellen Platz in der Kunstwelt gefunden. In beiden Welten: der iranischen und der westlichen Community. Es freut mich, dass mein Werk die Menschen anspricht und auch außerhalb von Galerien und Museen eine Wirkung zeigt. Und dass es für die iranische Regierung ein gewisser Störfaktor ist. Das bestärkt mich.“ (Ebd.)

Dass die Frauen trotz der sich verschärfenden Restriktionsmaßnahmen des Regimes den Mut aufbringen, mit Aktionismus gegen den Schleierzwang zu protestieren, begeistert sie. Erst kürzlich habe sie auf Instagram eine entsprechende Szene fasziniert, als zwei Frauen mitten auf der Straße zu Musikbegleitung tanzten und ihre Schleier fallen ließen. „In den letzten zwei Monaten sieht man überall im Land Frauen, die sich zum Beispiel irgendwo an erhöhter Stelle postieren und dann ihre Schleier fallen lassen. Es ist gerade eine hochsensible Phase im Iran. Und weil es wieder mehr Aufruhr gibt, hat die Regierung mit schärferen Restriktionen reagiert. Sie zieht den Ring deutlich enger um jegliches Protestverhalten. Doch je mehr sich die Restriktionen verschärfen, desto mehr Wege finden die Frauen, zu protestieren. Ich finde es total faszinierend.“ (Ebd.)

Auch in ihrem im Dreh befindlichen nächsten Projekt „Dreamland“ wird wieder eine weibliche Protagonistin zwischen zwei Welten stehen. Es geht um eine Iranerin im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Sie dreht ihren neuen Film erstmals in den USA und gleich im Herzen Amerikas, im Mittelwesten. 
Welche Probleme eine Frau in der Kunst und im Exil 212

Vergleichshorizont Nahost – die „Riot Girls“ des Orients

hat, war auch im aktuellen Film dominant zu spüren. In der Existenz zwischen zwei Welten sieht Neshat aber auch ihre größte Stärke, es befeuert ihre Inspiration und ihre Kraft: Gerade das Unstete, das Diverse, bezeichnet sie als ihre einzige Konstante. „Wenn ich jetzt zurückblicke auf mein Werk, dann ist diese Dichotomie immer da. Psychologisch und politisch ging es bei mir immer um solche Konflikte zwischen Identitäten. Ich war erst 17 Jahre, als ich meine Heimat verließ, und daher nie lange genug an einem Ort, an dem alle gleich sind, denken, sprechen. Ich war stets an Orten multipler Kulturen, Sprachen, Religionen. Wo Menschen verschieden aussehen und denken. Das ist es, das meine Lebenserfahrung ausmacht und das reflektiere ich auch in meinen Arbeiten. Dieses ständige Zwischen-den-Welten-Sein, das ist die Konstante meines Lebens.“ (Ebd.)

Shirin Neshat – Mittlerin zwischen Orient und Okzident

213

9

9.1

Mütter.Macht.Medien – das Private ist politisch

Die Mutter als Machtfaktor und Forschungssubjekt

Andrea O’Reilly, Professorin für Frauenforschung an der York University in Toronto (Kanada) und renommierte Mutterschaftsforscherin, stellte in ihren Publikationen immer wieder fest: „Auch nach vierzig Jahren Frauenbewegung sind Mütter immer noch jene Frauengruppe, die am wenigsten davon profitiert. Mutterschaft, so könnte man sagen, ist die unerfüllte Aufgabe des Feminismus.“ (O’Reilly, 2016, 2018: 2) Als Konsequenz stellt sie in ihrem aktuellen Werk zum Thema, „Matricentric Feminism“ (2016), ihr Konzept des „Mütterzentrierten Feminismus“ vor, der für diese einen eigenen Feminismus fordert, der sie als Mütter ins Zentrum stellt. Mutterschaft sieht sie nicht biologisch, sondern sozial. Nach Jahrzehnten der Forschung steht für sie fest: Mutterschaft kommt für Mütter als Kategorie vor dem Geschlecht. Dies soll als Ausgangspunkt zu mehr Empowerment verstanden werden, nicht als Ersatz für herkömmlichen Feminismus. Nötig ist der besondere Feminismus für Mütter, da die Unterdrückungsmechanismen – sozial, politisch, ökonomisch usw. –, unter denen Mütter im Patriarchat leiden, spezifisch sind. Und sie leiden doppelt: als Frauen und Mütter. (Vgl. O’Reilly, 2016, 2018: 9) Zu welchen neuen Erkenntnissen wir gelangen, wenn sich Mütterforscherinnen historischer Frauenphänomene annehmen, zeigt sich am Beispiel einer neuen Analyse der Herrschaft Maria Theresias. Hier findet sich Mutterschaft durchaus 214

Mütter.Macht.Medien – das Private ist politisch

als Machtfaktor im Sinne eines gelebten Matriarchats wieder. Just zum Jubiläumsjahr 2017, dem 300. Geburtstag der Habsburger Monarchin, wirft die französische Historikerin, Mütterforscherin und Philosophin Elisabeth Badinter einen feministischen Blick auf eine historische Figur als moderne „Working Mom“. Sie analysiert in „Maria Theresia – die Macht der Frau“ die österreichische Regentin, die es wie keine andere verstand, das Private mit dem Politischen zu vereinen, als Prototyp der Powerfrau zeitgenössischen Zuschnitts. Wie keine andere mächtige Frau vor ihr habe sie die Dreifachrolle der Frau mit Leben erfüllt: im Beruf, als Ehefrau und als Mutter. All dies unter Extrembedingungen. Sie herrschte erfolgreich über ein gigantisches Reich, ihr Ehemann war flatterhaft und sie schenkte 16 Kindern das Leben. (Vgl. Badinter, 2017: 9 ff.) Ganz im Gegensatz zu damaliger Adelsgepflogenheit überließ sie diese keineswegs nur dem umsorgenden Personal, sondern nahm in höchstem Maß Anteil am Leben der Kinder. Die Herausforderungen, denen sie sich zu stellen hatte, hatten sich in Summe kaum je einer Frau gestellt. Vergleichbare Herrscherinnen wie Elisabeth I. oder Katharina II. von Russland „lebten und regierten wie Männer“: die jungfräuliche Briten-Königin hatte weder Mann noch Kind, Katharina ließ ihren Ehemann töten und hatte nur einen einzigen Sohn, den sie schlecht behandelte. (Vgl. Badinter, 2017: 274) Zu Maria Theresias Errungenschaften zählt auch die Gründung der Wiener Börse. Als diese 1771 feierlich eröffnet wurde, war „Bankrotteuren, Hunden, Behinderten und Frauen“ der Zutritt verboten. Frauen durften erst 1922 den Geldtempel betreten. (Schwarzer, 2000: 197) Eine positive Einstellung zum Geld(-verdienen) ist nicht nur für Österreichs Frauen ein relativ junges Phänomen.

Die Mutter als Machtfaktor und Forschungssubjekt

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9.2

Die neuen Narrative – Mütter als (Anti-)Heldinnen

Eine Besonderheit stellt die Serie „Big Little Lies“ dar. Das vielfach Emmy-preisgekrönte Werk aus dem Hause HBO stellt nämlich gleich vier Mütter ins Zentrum des – durchaus mörderischen – Geschehens. Die Mütter haben zwar Dysfunktionalitäten, es wird ihnen aber ein kreativer Umgang damit sowie Bewältigungsstrategien zugestanden. Fakt ist: Die Mütter werden nicht nur prominent als Hauptdarstellerinnen in großer Zahl hervorgehoben, sondern auch als aktiv Handelnde dargestellt. Zwar gibt es hier auch Konkurrenz unter Müttern, die befreundeten Mütter überwinden diese jedoch und solidarisieren sich gegen männliche Aggression, insbesondere im Moment drohender Gefahr. Das Thema sexualisierte Gewalt, das hier auch abgehandelt wird, ist hochbrisant. Normalerweise werden Geschichten von Müttern meist aus der Perspektive von Söhnen, Töchtern oder anderen dargestellt. Hier ist es die der Mütter selbst. Die Serie wartet zudem mit mehreren weiblichen Superstars auf. Die zwei größten unter ihnen, Reese Witherspoon und Nicole Kidman, waren als Excecutive-Producer federführend an der Serie beteiligt. In weiteren prominenten Rollen sind Top-Akteurinnen wie Shailene Woodley, Laura Dern und Zoe Kravitz zu sehen. Inhaltlich geht es um eine sozial schwache Alleinerzieherin, die mit ihrem Sohn in einen elitären Küstenort zieht. Als ein Mobbingfall unter den Kindern der örtlichen Schule eskaliert, kommen die Schicksale der Frauen und Familien ans Licht, Lügen und Geheimnisse, die um sexuelle und häusliche Gewalt entstanden sind, werden offenbar. Die Serie greift damit gleich mehrere relevante Frauenprobleme der Gegenwart auf. Prominent wird das Thema Alleinerzieherinnen behandelt, im Zentrum der Handlung stehen die Phänomene sexuelle sowie häusliche Gewalt gegen Frauen. Frauen werden aber nicht nur als Opfer dargestellt, sondern auch als Handelnde, die sich strategisch und solida216

Mütter.Macht.Medien – das Private ist politisch

risch gegen die ihnen zugefügten Verletzungen in Stellung bringen. Dass es dabei zu Kollateralschäden kommt, ist auf Notwehr unter Lebensgefahr zurückzuführen, nicht auf vorsätzliche Gewalt als Antwort auf Gewalt. Ebenso wird das Problem Mobbing in der Schule aufgegriffen, aber es werden auch aktuelle Erziehungsdiskurse geführt, etwa zum Thema überbeschützende Helikoptereltern. Neue, diverse Mütterbilder finden Eingang in die Entertainment-Industrie. Gerade bei den Serien der Streaminganbieter ist ein deutlich stärkerer Realitätsbezug eingekehrt. Und wieder einmal dient Skandinavien als Role Model. Neueste Forschungen zeigen, dass die Wikingerfrauen in weit größerem Ausmaß als bisher angenommen emanzipiert waren. Die Forschung ist dabei, das Wikinger-Frauenbild zu revidieren. So fand man in Schweden zuletzt heraus, dass das Grab, das jahrzehntelang einem hochrangigen Wikingerkrieger zugerechnet wurde, in Wahrheit eine Frau samt Kriegsutensilien beherbergte. (National Geographic, 9.11.2017). Es wird nun davon ausgegangen, dass die „Schildmaiden“ auch in den Heeren der Wikinger gekämpft haben und auch Anführerinnen waren. In der Populärkultur heißt es ab sofort: Wiki und die starken Frauen. In der History-Serie „Vikings“ wird dementsprechend ein völlig neues Mutterbild präsentiert. In der Hauptrolle als Gefährtin des tatsächlich legendären Wikingerchefs Ragnar Lodbrock ist die nicht minder kämpferische Schildmaid Lagherta zu sehen. Sie steht als liebende Mutter mehrerer Nachkommen ebenso wie als Amazone im Kampf ihre Frau, und assistiert ihrem Mann bei seinen Beutezügen als Anführerin des Heeres auf Augenhöhe. Gesellschaftskritische Reflexionen zu Reproduktionspolitik und Macht werden in der neuen Serie nach Margaret Atwoods Dystopie-Klassiker „The Handmaid’s Tail“ (Der Report der Magd) abgehandelt. Hier wendet sich der Aufstand der Frauen gegen ihre Versklavung als Gebärmaschinen und menschliche Haushaltsroboter. Der Hintergrund: In einer dysDie neuen Narrative – Mütter als (Anti-)Heldinnen

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topischen Zukunft, in der die Menschheit nach einem Atomschlag unfruchtbar geworden ist, macht sich die Elite die letzten fruchtbaren Frauen zwecks Ausbeutung zu eigen. Eine radikale christliche Sekte führt ein autoritäres Gewaltregime, die „Mägde“ verlieren alle Menschenrechte und gehen als Sklavinnen in den Besitz vermögender Männer über. Besitz oder Bildung sind für sie verboten, Lesen wird zur Straftat. Ganz neue Familienmodelle finden sich ebenfalls im Serienbereich. Hierzu zählen Serien mit homosexuellen Eltern, die im Laufe mehrerer Staffeln zwei Kinder adoptieren, wie in „Modern Family“. Eine Serie, die ansonsten jedoch mit einem eher konservativen Frauenbild aufwartet. Emmy-preisgekrönt ist auch die Serie um einen Vater, der sich im Alter als Transfrau outet: „Transparent“. Nach wie vor sind jedoch auch traditionelle Stereotype im Filmkosmos heimisch. Der Typus der dysfunktionalen und/ oder abwesenden Mutter ist in Film und TV ein beliebter Topos. (siehe Kapitel  5.1.2) Prototypisch dafür steht die Serie „Shameless – nicht ganz nüchtern“. Die Dramedy28 kreist um eine Großfamilie aus dem Elendsviertel Chicagos und deren Überlebenskampf, der von der ältesten Tochter angeführt wird, die ihre jüngeren Geschwister allein aufzieht. Die Mutter hat die Familie früh verlassen. Ihre Dysfunktionalität ist bedingt durch Drogensucht, psychische Erkrankung und Kriminalität. Schon in einer frühen Staffel stirbt sie. Der Vater steht ihr zwar an Dysfunktionalität in nichts nach, bleibt aber, im Gegensatz zur Mutter, zumindest zeitweise im Familienverbund anwesend – wenn auch mehr als Belastung als in väterlicher Funktion. Ein hartnäckiges Stereotyp, das sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben dürfte, bezieht sich auf die mütterliche Physiognomie. Ein Klischee bemühte z.B. Modezar Karl Lagerfeld, der behauptete, Kritik an sogenannten „Mager-Models“ käme vornehmlich von „dicken Muttis“, die neidvoll vor den Bildschirmen auf der Couch säßen und Chips verschlän218

Mütter.Macht.Medien – das Private ist politisch

gen, während die Models über die Laufstege schwebten. Bei Interviews erhält die Autorin auf die Frage nach der Vorbereitung ihrer Gesprächspartnerin auf eine Mutterrolle regelmäßig dieselbe Antwort: „Gewichtszunahme“. Der Film „Tully“ lieferte die Schlagzeilen, bevor er überhaupt im Kino startete. Hauptdarstellerin Charlize Theron hat sich für die Rolle einer „überforderten alleinerziehenden Mutter“ nach dem Drehbuch von Diabolo Cody eine Wampe von 23 kg plus „angefressen“, wie mittels Vorher/Nachher-Illustrierung kolportiert wurde. (people, 25.4.2018, u.a.) Paradoxerweise hat die Autorin in Jahrzehnten in der Filmbranche ausnahmslos gertenschlanke Star-Mütter zu Interviews getroffen. Angelina Jolie, Mutter von sechs Kindern, zählt mit einem an Magersucht grenzenden Minimalgewicht – neuerdings ist auch sie alleinerziehend – als Prototyp zu ebendieser Spezies.

9.3

Es war einmal – Mütter, Märchen und Film

Nach wie vor spielen Märchen eine entscheidende Rolle im Film, insbesondere dann, wenn es um die Darstellung von Müttern geht. Hier herrscht das Paradigma dysfunktional und/ oder abwesend vor. Überhaupt ist in der abendländischen Kulturgeschichte die Mutter als fiktionale Figur mehrheitlich „entstellt, dysfunktional oder marginalisiert“. Renate Möhrmann (1996) kommt zu dem Schluss, sie sei zuweilen sogar völlig absent. Die Mutter spiele als Subjekt in der Kunst seit Jahrhunderten nur eine Statistenrolle: „Wo sie vorkommen, dienen Mutterbilder verklärenden, verkitschenden oder anderen, der mütterlich-weiblichen Wirklichkeit unangemessenen Zwecken.“ (Möhrmann, 1996: 4) Ausgerechnet am Heimatfilm ließ sich die Malaise besonders gut ausmachen: Nach meiner Auseinandersetzung mit etwa 90 Filmen dieses Genres aus der Zeit von 1947 bis 1960 war kein Es war einmal – Mütter, Märchen und Film

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Irrtum mehr möglich: Im Heimatfilm fehlte die Mutter. Geht man von den üblichen Konnotationen aus, die sich zwangsläufig bei dem Begriff Heimat einstellen, nämlich Verlässlichkeit, Geborgenheit und Vertrautheit, garantiert durch die Präsenz der Mutter, so ist das ein verblüffender Befund. (Ebd. 1996: 1) Den einzigen Film mit einer Mutterfigur in zeitgeschichtlichem Setting hat eine Frau, Helma Sanders-Brahms gedreht. „Deutschland, bleiche Mutter“ sei in einer beispiellosen Hetzkampagne verrissen und verlacht worden. Es mangle nicht nur zahlenmäßig an fiktiven Müttern als Hauptfiguren, die wenigen hätten zudem keinen Realitätsbezug. Künstler seien an Müttern nur im Extremfall interessiert: „Sie schlachten ihre Kinder wie Medea und morden ihre Gatten wie Klytämnestra.“ (Ebd. 1996: 6). Vom bürgerlichen Trauerspiel bis zu den Melodramen Hollywoods dominieren Väter die Familien. Taucht die Mutter auf, stört sie die Entwicklung ihrer Tochter. (Ebd.  15). Elke Lieb reflektiert in Möhrmanns Genre-Sammelband über „Un-Mütter“ in Märchen. Sie beginnen meist mit dem Tod der guten Mutter wie in Aschenputtel, Schneewittchen u.v.m. Das Weibliche taucht hingegen als dämonisch auf: als böse Stiefmütter, Stiefschwestern und Hexen. Eine der wenigen leiblichen Mütter, die von Hänsel und Gretel, setzt ihre eigenen Kinder im Wald aus. Viele Märchen beginnen so: „Es war einmal ein Vater, er hatte drei Söhne.“ (Ebd. 39 ff.). Auch Hollywood kam in den meisten Mainstream-Genres lange ohne Mütterparadigma aus, so Möhrmann. (Ebd. 372 ff.) Kein anderes Kunstmedium hat dann die „Stereotypisierung der Frauen- und Mutterrollen so weit und so kontinuierlich betrieben wie der Film“, nirgends wurden Klischeeverstöße strenger geahndet. „Es wundert mich manchmal“, zitiert sie die Filmpublizistin Bice Curiger, „wie sehr man als Mann oder

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Mütter.Macht.Medien – das Private ist politisch

Frau aus dem Kino herauskommen kann, wo man geglaubt hat als Mensch hineingegangen zu sein.“ (Ebd. 383) Noch heute funktionieren viele Filme nach dem Märchenprinzip: Die Filmwelt ist voller dysfunktionaler, schwerkranker und verstorbener Mütter, verwaister Kinder und männlicher Witwer und Alleinerzieher. Sie sind also Lichtjahre von jeglicher Realität entfernt, in der die Männer die höhere Sterblichkeitsrate aufweisen und Alleinerzieher zu 90 Prozent plus Frauen sind. „Mann beißt Hund“ ist nicht nur im Journalismus, sondern auch in Kunst und Kultur vermeintlich spannender als „Hund beißt Mann“. Als beliebter Typ findet sich im Film auch heute die böse, lächerliche oder überforderte Karrieremutter. Beispiele: „Der Teufel trägt Prada“ mit Meryl Streep als titelgebende Bestie und Zwillingsmutter oder Sarah Jessica Parker, die als „Working Mom“ von einem Desaster ins nächste stolpert. Neue diverse Narrative wurden in diesem Buch weiter oben aber auch behandelt. „Mütter sind die Besten“ – sei ein Star und nimm die Kinder mit Conny Bischofberger – die Königin der „Krone“ als Markenbotschafterin

Conny Bischofberger, 59, ist eine prominente österreichische Star-Journalistin und vor allem bekannt für ihre Interviews, deren Zahl bereits in die Tausende geht. Sie ist die Chefinterviewerin der „Kronenzeitung“ und verbrachte mit Unterbrechungen die längste Zeit ihrer Karriere in dieser Redaktion. Seit 2019 bespielt sie eine regelmäßige Politkolumne mit dem Titel „Momente“ im wichtigen vordersten Teil des Blattes, nachdem sie zuvor schon viele Jahre als Alltagskolumnistin im meinungsjournalistischen Bereich aktiv war. Bischofberger gilt als das „gute Gewissen“ der „Krone“, die als größtes österreichisches Boulevardblatt häufig für ein reaktionäres Frauenbild und offen ausländerfeindliche Berichterstattung in der Kritik Es war einmal – Mütter, Märchen und Film

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steht. Bischofberger hebt sich von derartigen Tendenzen mehr als deutlich ab. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hat sie sogar einen jungen Flüchtling aus Syrien bei sich aufgenommen. Die gebürtige Vorarlbergerin hat zwei erwachsene Söhne aus der Beziehung mit dem Medienmanager Hans Mahr, die bereits aus dem Haus sind. Begonnen hat die Printjournalistin in Vorarlberg und kam über die Schweiz zuerst zum „Kurier“, später zur „Krone“ und machte auch kurz beim Frauenmagazin „Woman“ Station. Sie startete sehr früh, 1978, direkt nach der Matura, bei der „Neuen Vorarlberger Tageszeitung“ als Redaktionsaspirantin. Nach drei Jahren war sie Redakteurin und ging in die Schweiz zum „St.  Galler Tagblatt“ und zur „Weltwoche“ in Zürich und von dort nach Wien. Bischofberger ist zudem ausgebildete Mediatorin, Buchautorin und leitet auch Interviewlehrgänge. Ihr Bruder ist der erfolgreiche Wissenschaftler Norbert Bischofberger. Wie kommt man so weit im Beruf wie Bischofberger? „Mein Erfolgsrezept ist Neugier, gepaart mit wirklich großer Disziplin und dem ständigen Versuch, die Qualität hochzuhalten.“ Bischofberger hat sich zudem als Marke auf einem umkämpften Markt etabliert. Diese Markenbildung und Etablierung als prominente Journalistin war nur durch ständige Medienpräsenz zu erreichen, wie sie glaubt: „Am Anfang, wenn man eine Marke aufbaut, geht’s nicht, dass man sagt, man fährt auf Urlaub. Darum habe ich, ich glaube, zehn Jahre lang, immer, zu Ostern, Weihnachten und im Sommer, für jeden Sonntag, den ich nicht da war, ein „aktuelles“ Interview vorproduziert. Das war ein Wahnsinn. Also bevor ich auf Urlaub gefahren bin, war ich völlig fertig, aber ich habe jeden Sonntag das Interview gehabt. Und es gibt ganz wenige Sonntage, an denen ich nicht erschienen bin in mehr als dreißig Jahren. Vielleicht sind es zwanzig gewesen.“

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Mütter.Macht.Medien – das Private ist politisch

Zu dem Prinzip der andauernden Präsenz gehörte auch, dass sie auf Karenz verzichtet hat, aus Sorge, diese würde die Karriere unterbrechen. Die finanzielle Absicherung, die aus dem Spitzenjob beim österreichischen Boulevardriesen erwuchs sowie aus der Beziehung mit einem als Top-Medienmanager finanziell überdurchschnittlich starken Kindesvater, spielte dabei auch eine Rolle. Sowohl als Partnerin in einer Beziehung als auch später als Alleinerzieherin konnte Bischofberger fest angestellte Kinderfrauen finanzieren. Mit Kindern zählt soziale und/oder finanzielle Privilegierung doppelt. Sie habe zudem die Kinder in den Arbeitsalltag integriert. Die Kinder sind buchstäblich in der Redaktion aufgewachsen, was zu dieser Zeit noch möglich war, da eine familiäre Atmosphäre in der Redaktion herrschte. Die Kinder haben Bischofberger auch zu den hochrangigen Interviewpartnern begleitet, wie Österreichs Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel, und die Gespräche bereichert: „Damals waren Handys, die Fotos machen können, eine Sensation, aber ganz neu waren solche, die schon Filmen konnten. Und Schüssel sagte zu meinem Sohn: Schau, mein Handy kann Fotos machen. Und dann hat der Tilly seines rausgezogen und hat gesagt: Aber meines kann filmen. Er hat also dem Bundeskanzler gezeigt, was ein Handy kann. Das war in Urzeiten. Aber das hat eine ganz andere Dimension oder Atmosphäre in diese Gespräche gebracht.“

Ihre Kinder hätten ihr zudem immer den besten Ideen-Input für die richtigen Fragen gegeben. Keiner stelle so gute einfache Fragen wie Kinder. „Das Wichtigste ist, dass man die Kinder einbezieht, dass man sie nicht als Belastung sieht, sondern als Bereicherung, als Begleitung. Man muss das einfach positiv sehen: Man hat zwei Ansichten mehr, zwei Horizonte mehr, zwei Stimmen mehr.“

Es war einmal – Mütter, Märchen und Film

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Mütter in den Medien seien vor allem von finanzieller Diskriminierung betroffen: „Das ist irrsinnig ungerecht, weil Männer büßen kein Geld ein … Wenn ich daran denke, wie viel Geld ich in 20 Jahren an Kinderfrauen bezahlt habe! Obwohl der Kindesvater auch viel Geld verdient hat und natürlich mitgezahlt hat. Das abgerechnet, was ich persönlich, von dem was ich verdient habe, für Kinderbetreuung ausgeben musste, dafür hätte ich mir eine tolle Sechszimmerwohnung in Wien im 1. Bezirk kaufen können. Finanzielle Diskriminierung – niemand ist so sehr davon betroffen wie Frauen.“

Die Mütter selbst, aber auch Arbeitgeber ziehen auch Vorteile aus der Mutterschaft, denn man würde niemals schlechter im Job: „Sondern im Gegenteil. Man wird ja als Mutter immer besser, weil sich der Horizont erweitert, weil man jung bleibt, weil man mit neuen Themen konfrontiert wird, weil man andere Dimensionen im Denken dazu bekommt. Meine Interviews und meine Geschichten hat das unglaublich bereichert. Mein Chef hat das auch gemerkt und sehr geschätzt.“

Selbstausbeutung und Rund-um-die-Uhr-Einsatz gehören gleichfalls zu den typischen mütterlichen Qualifikationen, die gerade im Journalismus besonders gefragt sind. Dies den Chefs gegenüber besonders zu betonen, sei für Mütter heute unerlässlich: „Solche Frauen sind unbezahlbar. Sie lernen Multitasking, sie lernen Stressmanagement. Sie lernen mit allen möglichen Problemen fertig zu werden. Sie lernen, fünf Sachen gleichzeitig in kürzester Zeit zu erledigen. Chefs können sich alle fünf Finger abschlecken, dass sie sie haben.“

Allgemeine Diskriminierungen für Frauen sieht sie im Interview für die aktuelle Arbeit der Autorin mehr im Redaktions224

Mütter.Macht.Medien – das Private ist politisch

klima und in den verbalen Ausfällen als in aktiver Verhinderungspolitik. „Vielleicht müssen sich Frauen manchmal mehr durchbeißen als Männer.“ Aber Diskriminierungen äußern sich weniger darin, „dass Frauen gehindert worden wären, aufzusteigen, oder ein Format zu entwickeln“. Diese laufen unterschwellig ab: „Ich habe eher das Gefühl bekommen, in all diesen Jahren, dass sich Männer wahnsinnig leicht tun, über Frauen blöde Witze zu machen, hinter ihrem Rücken Blödes über ihr Aussehen zu sagen, oder sie zu bewerten – nach der Frisur oder nach irgendwelchen Äußerlichkeiten, was sie bei Männern nie machen würden.“

Den Tonfall habe man zwar seit #MeToo gemäßigt, aber nur widerwillig: „Sie sind nicht reflektierter, sie sind eher beleidigt, dass diese Initiative weltweit gekommen ist und sie jetzt ein bisserl aufpassen müssen. Also der Tonfall ändert sich schon, aber nicht wirklich, weil sie überzeugt davon sind, dass es richtig ist – so erlebe ich es.“

Offener Sexismus wäre heute verpönt und nicht mehr in dieser Form möglich, wie der Fall Reinhard Göweil zeige: „Heute würde sich das keiner mehr trauen. Der Wiener Zeitung-Chefredakteur, der besoffen mit einer auf Facebook – zugegebenermaßen blöd – hin und hergeschrieben hat, ist entlassen worden. Das ist auch richtig so, ich finde es ganz in Ordnung. Wenn du Chefredakteur bist, kannst du nicht flirten mit Leuten, die du dann vielleicht beschäftigen willst, das geht halt einfach nicht.“

Das Wording war vor Jahren noch ganz anders. So habe ein hoher Vorgesetzter ihre Forderung, für die gleiche Leistung dasselbe Geld wie eine Kollegin zu bekommen, mit der Begründung abgewiesen, diese Kollegin pflege sexuellen Kontakt Es war einmal – Mütter, Märchen und Film

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mit einem Herren der Führungsebene. Bischofberger konterte: Dies würde er wohl nie über einen Mann sagen, und wurde dafür aus dem Chefbüro geworfen. Er konnte es nicht verkraften, „dass ich ihn aufmerksam gemacht habe, dass das zutiefst sexistisch ist“. Sexuelle Belästigung beobachtet sie als Zeugin noch heute und war auch selbst damit konfrontiert: „Sexuelle Belästigung habe ich natürlich erlebt, verbal und auch tätliche, aber ich habe mich Gottseidank immer wehren können. Ich bin, ich war, immer mutig genug, zu sagen: Das geht jetzt überhaupt nicht.“ Sie habe aber Verständnis für jene Frauen, die sich nicht trauen, sich zur Wehr zu setzen, wenn es sich um einen Vorgesetzten handelt. Bischofberger bezeichnet sich als „altmodische Gegnerin der Quote“. Sowohl im Journalismus als auch in der Politik stelle die Quote kein geeignetes Instrument der Frauenförderung dar: „Ich bin einfach dafür, dass man Leistung einkauft und nicht, dass das Geschlecht die Rolle spielen soll.“ Dafür lebt sie weibliches Mentoring, gibt persönlich gerne etwas aus ihrem beruflichen Erfahrungsschatz weiter: „Ich glaube, dass ich für sehr viele Frauen schon Mentorin war, weil ich viele Frauen kenne, und wenn mich jemand um einen Rat oder einen Tipp bittet, mache ich das natürlich, weil ich mir denke, ich habe so viel Erfahrung, wieso soll ich die nicht weitergeben. Ich freue mich dann immer irrsinnig, wenn es funktioniert und wenn sie was mitnehmen können.“

Selbst hatte sie vor allem männliche Mentoren alter Schule wie Hans Dichand oder Hans Mahr. Die Beziehung zu dem Medienmanager, damals ein schon sehr erfahrener Innenpolitikexperte, hatte auch den Nebeneffekt, dass ihr Protektion unterstellt wurde, was sie als ungerecht empfand: „Damals hat es ja auch böse Stimmen gegeben, die gesagt haben, naja, wenn die mit dem Mahr zusammen ist, wird sie 226

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natürlich was erreichen. Nur: Der Mahr hat mir nicht die Interviews vorgeschrieben, bevor ich auf Urlaub gefahren bin, und der Mahr hat sie auch nicht redigiert, sondern ich habe das selber, jede Woche, unter Beweis stellen müssen.“

Als besondere Fähigkeiten von Frauen, die sie für einen Beruf in den Medien prädestinieren, schätzt sie soziale Kompetenzen ein. In einem Beruf, in dem es darum gehe, „heikle Themen anzusprechen“, überhaupt erst „ins Gespräch zu kommen“, und „in die Tiefe zu gehen“, zählt vor allem Kommunikationsfähigkeit dazu: „Die Fähigkeit zu kommunizieren, Empathie, Neugier, echtes Interesse und eine Art mit Menschen umzugehen, die von Respekt und von echtem Interesse getragen ist. Ich glaube, dass da Frauen vielfach geeigneter sind, aufgrund ihrer Art. Aber es gibt natürlich auch Männer, die es genauso gut können. Es sind auf jeden Fall Soft Skills, die Frauen mehr prädestinieren.“

Sie hält Frauen auch für die besseren Führungskräfte, zumindest dann, wenn sie die oben erwähnten Eigenschaften kultivieren: „Ich glaube, dass Frauen in Führungspositionen mehr auf Teamwork achten, sich mehr die einzelnen Positionen anhören, geduldiger sind, weniger von oben herab, keinen autoritären Stil pflegen, sondern kommunikativ führen. Zumindest kenne ich einige, die das tun. Es gibt allerdings auch Frauen, die glauben, sie müssen sich besonders männliche Fähigkeiten aneignen, und die sind dann eigentlich schlimmer als Männer. Aber Frauen im besten Sinn können viel besser führen.“

Ihren eigenen Stil als Führungsfrau beschreibt sie so: „Fest in der Haltung, was meine Meinung und Überzeugung betrifft, aber umgänglich, sowohl im Ton als auch in der Methode. Es war einmal – Mütter, Märchen und Film

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Also, dass man über das ‚Wie‘ diskutieren kann, aber es steht außer Frage, worum es geht – immer um die beste Geschichte.“ Der persönliche Glücksfaktor im Beruf ist für Bischofberger sehr hoch: „Ich unterscheide nicht zwischen Job und Privatleben: Journalist bist du immer. Wenn ich in der Früh aufwache, in der Nacht und im Urlaub. Das kann man nicht ablegen, das ist eine Geisteshaltung und Lebenseinstellung und insofern bringt es mir natürlich auch viele Glücksmomente. Zum Beispiel, wenn ein Gespräch besonders gut gelaufen ist, wenn zitiert wird, wenn es Anerkennung gibt, oder wenn es kontroversielle Diskussionen auslöst, das freut mich dann schon.“

Die stereotype Darstellung von Frauen in den Medien hält sie für ein großes Problem: „Das ist wirklich eine Katastrophe. Da wimmelt es von Stereotypen und zwar nicht nur im Boulevard, sondern durchaus in Qualitätsmedien, und da hätten Medien und Journalisten und auch Journalistinnen noch irrsinnig viel zu lernen.“ Als Kennerin im Bereich der Frauenmagazine und ehemalige Mitarbeiterin von „Woman“ verortet sie ebendort den Transport eines bestimmten Frauentyps als Ideal, der mit der Realität nichts zu tun habe, und trotzdem bei den LeserInnen erfolgreich sei: „Die Frauen tragen weiße Blusen, sie sind nicht dick, sie haben kein Doppelkinn, sie sind geschminkt, sie haben alle irgendwie dieselbe Anmutung. Als wenn sie jemanden gecastet hätte, und nur bestimmte Typen kommen in diese Zeitung hinein. Das hat mit Leben nichts zu tun. Und trotzdem ist es total erfolgreich, weil die Leute sich das gerne anschauen. Denn es gibt dort nur schöne Frauen. Die dürfen zwar schon Probleme haben, die sie aber auch lösen. Hauptsache, sie sind alle schön, mit weißen Blusen, mit Jeans und ja kein Übergewicht. Wenn sie Übergewicht haben, dann 228

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müssen sie sagen, wie sie es losgeworden sind oder was sie jetzt tun, damit sie eben ihre Figur verbessern, weil das ja eine Katastrophe ist.“

Die Zukunft der Frauen im Journalismus sieht sie anderswo: „Vielleicht mutiger zu sein als die Männer, emphatischer zu sein, mehr zu spüren, was zwischen den Zeilen steht, was bei Gesprächen die Metaebene ist. ich glaube, Frauen müssen es einfach besser machen. Auf Missstände aufmerksam machen, die Fehler die Männer machen, bewusst versuchen nicht zu machen.“

9.4

Der Mythos der bösen Mutter

„Das Aufziehen von Kindern, die damit einhergehenden ständigen Pflichten und Emotionen, die dabei hochkommen, sind in der Tat so nervenaufreibend und vielschichtig, dass sich viele Leute, wenn sie die Wahl haben, nicht ganzzeitig um ihre Kinder kümmern: zum Beispiel die meisten Männer“, schreibt Jane Swigart pointiert in ihrem Werk „The Myth of the Bad Mother“, das, sprachlich holprig, mit „Von wegen Rabenmutter ... Die harte Realität der Mutterliebe“ ins Deutsche übersetzt wurde. Jahrhundertelang holte sich die europäische Oberschicht Leute ins Haus, die sie in der Kinderpflege und -aufzucht ersetzten. Selbst für so intime Tätigkeiten wie das Stillen holte man sich eine Amme. Unterschichtsfrauen, die gezwungen waren zu arbeiten, gaben Kinder in Kost und Pflege. Dass die exklusive Rundumversorgung durch die Mutter ein neueres Phänomen ist, weist auch Elisabeth Badinter in ihrer „Geschichte der Mutterliebe“ historisch nach. Unsere Omnipotenz-Vorstellungen der Mutterschaft sind von den psychologischen Erkenntnissen Freuds beeinflusst. Jede Arbeit, so Swigart, die einen von Kindern fernhalte, biete eine Art Sicherheit: vor der Plackerei des Altruismus, den emotioDer Mythos der bösen Mutter

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nalen Achterbahnfahrten, den körperlichen und seelischen Strapazen. (Swigart, 1993: 45) Selbst wenn Mütter arbeiten müssen, fühlen sie sich dennoch schuldig. Obwohl es gesellschaftlich akzeptiert sei, dass Frauen Ambitionen haben, glauben sie dennoch, dass sie trotz Beruf gleichzeitig als Mutter perfekt sein müssen. Es fiele vielen Müttern schwer, zuzugeben, dass die Aufzucht der Kinder diesen Ambitionen ernstlich in die Quere komme: „Zuzugeben, dass man sich nicht um sein Kind kümmern will (außer man hat gerade Lust dazu), trifft viele Mütter im Kern ihres Selbstverständnisses.“ (Ebd. 46) Was für den Mann die Erektionsstörung sei bei der Frau der mangelnde Wunsch, für das Kind da zu sein. „Was ist das für eine Mutter, die das Versorgen der Kinder langweilig findet?“ So definiert sie das Phänomen einer gefühlten „mütterlichen Impotenz“. (Ebd.) Und wer spricht schon gern über Impotenz? Berufstätige Mütter schweigen sich gerne über die Spannungen aus, die Kinder in ihnen erzeugen. (Swigart, 1993: 47). Doch auch die Freuden der Mutterschaft scheinen mit einem seltsamen Tabu behaftet. Das emotional aufgeladene und spannungsreiche Thema Mutterschaft scheint insgesamt ein Thema, das offenbar nur wenige angehen wollen, nicht einmal die Mütter selbst. Emotional hochaufgeladene Mutterbilder in unseren Köpfen scheinen eine entscheidende Rolle dafür zu spielen, dass Mütter im Erwerbsleben benachteiligt sind. Und das nicht nur aufgrund von Selbst-Sabotage der Mütter, sondern auch weil diese Stereotype im Arbeitsumfeld wirksam sind.

9.5

„Motherhood Penalty“, „Fatherhood Bonus“ und „Maternal Wall“

„Die Ergebnisse zum Thema Familie und Arbeitsmarkt zeigen, dass es vor allem Mütter sind, die nach der Geburt eines Kindes die Erwerbstätigkeit unterbrechen und später nur in Teil230

Mütter.Macht.Medien – das Private ist politisch

zeit auf den Arbeitsmarkt zurückkehren. Im Gegensatz zu Frauen wird das berufliche Engagement von Männern oft von der Geburt eines Kindes kaum beeinflusst.“ (Statistik Austria, 2017) So fasst der Bericht der Statistik Austria 2017 die Fakten am Arbeitsmarkt zusammen. Im Jahr 2017 nahmen so gut wie 100 Prozent (exakt 92,9) der Männer, jedoch nur 66 Prozent der Frauen mit Kindern unter 15 Jahren aktiv am Arbeitsmarkt teil. Die Teilzeitquote dieser Frauen liegt bei 73,4 Prozent, (Ebd.) der Männer bei 6,8 Prozent. Das macht uns zu einem der Schlusslichter in der EU, was die Gendergerechtigkeit bei Teilzeit am Arbeitsplatz betrifft. Motherhood Penalty, übersetzt so viel wie Mutterschafts-Bestrafung, ist die drastische Bezeichnung für das Phänomen, dass Mütter systematische Diskriminierung im Berufsleben erfahren. Diese Nachteile äußern sich auf allen Ebenen, insbesondere auch der Bezahlung. Der Pay Gap zwischen Müttern und Nicht-Müttern ist um ein vielfaches höher als der zwischen Männern und Frauen. Bahnbrechende Studien dazu kommen aus den USA: von Bodig und England 2001, insbesondere zum Pay Gap, und von der Standford-Soziologin Shelley Cornell und ihrem Kollegen Stephen Bernard 2007. Deren Ergebnisse: Man traut Müttern weniger zu, ihre Jobchancen und Aufstiegsmöglichkeiten sind schlechter als jene von Frauen ohne Kinder. Dies konnten bereits Bodig und England nicht nur mit Karenzzeiten und ähnlichen Faktoren erklären. Vielmehr stellte sich heraus, dass Mütter systematischen, statusbasierten Diskriminierungen ausgesetzt sind, dass etwa Arbeitgeber Mütter diskriminieren. Gänge Vorurteile sind: Mütter seien weniger engagiert im Job, weniger verlässlich und weniger kompetent. Daraus ergeben sich für die Mütter große Nachteile, einen Job zu bekommen, in der Bezahlung und in der täglichen Job-Routine. (Corell/Bernard, 2007, 1332) Als Einstiegsgehalt wird Müttern in den USA im Durchschnitt um 11.000 Dollar weniger angeboten als kinderlosen „Motherhood Penalty“, „Fatherhood Bonus“ und „Maternal Wall“

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Frauen. (Ebd. 1316) Mütter werden nach Vorstellungsgesprächen auch weniger oft zurückgerufen. (Ebd. 1330) Dieses Phänomen, das sich rational nicht begründen lässt, wurde inzwischen auch in anderen industrialisierten Ländern der Welt nachgewiesen. Motherhood Penalty zeigte sich u.a. in Kanada, England. Deutschland, Finnland, Schweden, und in einer Untersuchung 2005 auch für Österreich, Frankreich, Belgien u.v.m. Es handele sich um ein weltweites Phänomen, das eine ungeheure Zahl von Menschen betreffe. Hinweise auf eine Rückläufigkeit des Phänomens fänden sich bislang nicht. (Ebd. 1334). Fatherhood Bonus bedeutet, dass Männer entweder gar keine Nachteile durch Vaterschaft haben oder sogar davon profitieren. „Sherlock Holmes“-Darsteller Benedict Cumberbatch beschreibt das Phänomen beim Interview mit der Autorin so: „Es gibt unglaublich viele Leute, die mich vorab gewarnt haben: Das wird deine Karriere beeinflussen. Das hat mein Sohn auch tatsächlich getan, aber nur zum Positiven! Ich weiß, ich bin in einer privilegierten Situation. Aber ich glaube, auch wenn jemand in einer herausfordernden Phase seines Lebens ist: Du gewinnst so viel Stärke durch deine Kinder. Und Inspiration. Sie sind in jeder Hinsicht bereichernd.“ (Sarwat, 28.10.2016)

Während Frauen als Mütter von enormen Nachteilen betroffen sind, wirkt sich Vaterschaft auf die Karriere gar nicht oder sogar positiv aus: Väter werden öfter befördert und verdienen mehr. Corell und Bernard fanden etwa heraus, dass Arbeitgeber Mütter als weniger kompetent und engagiert einschätzen als kinderlose Frauen, umgekehrt aber kinderlose Männer als weniger kompetent und engagiert als Väter. (Corell/Bernard, 2007, 1318, 1332) Väter werden 1,83mal öfter fürs Management empfohlen als Nicht-Väter. Für weibliche Management-Bewerberinnen gilt: Kinderlose Frauen werden 8,1mal 232

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mehr als Mütter fürs Management empfohlen. Insgesamt konstatierten sie für Frauen einen „Kinderlosen-Bonus“ einen „Childless Bonus“ (Corell/Bernard, 2007, 1319, 1320), der durchaus dazu führen kann, dass Frauen Männern vorgezogen werden. Niemals jedoch gelte dies für Mütter. In einem Laborexperiment sollten die Teilnehmer Bewerbungen von Bewerber-Paaren gleicher Ethnie, gleichen Geschlechts und gleicher Qualifikation evaluieren, eine Audit-Studie bezog auch echte Arbeitgeber mit ein. Die Ergebnisse sprechen stark für die Diskriminierungshypothese: Die Mütter wurden in allen Punkten als schlechter eingeschätzt: weniger kompetent, engagiert, weniger geeignet, angestellt, befördert und ins Managementtraining aufgenommen zu werden. Sie alle sollten weniger Gehalt bekommen. In puncto Beförderung wurden Mütter gar zu 100 Prozent als weniger geeignet eingeschätzt. (Corell/Bernard, 2007, 1327  ff.) Die Diskriminierung fand auch dann statt, wenn die Mütter Kompetenz und Engagement bewiesen hatten. Hoch erfolgreiche Mütter wurden als weniger warmherzig und liebenswert eingeschätzt. Interessanterweise wurden erfolgreiche Mütter im Punkt Sympathie als gleich schlecht eingeschätzt wie Nicht-Mütter, aber signifikant schlechter als Väter. Das heißt: Karrierefrauen wirken offenbar mit oder ohne Kind immer unsympathisch – Männer, die Karriere machen, nicht. Lapidares Fazit der Studie: „The results suggest that real employers do discriminate against mothers.“ (Ebd. 1328) Kulturelle Vorstellungen über die Rolle der Mutter dürften für normative Diskriminierungen eine entscheidende Rolle spielen. Nach Kricheli-Katz (2012) ist die normative Erwartungshaltung gegenüber der Mutter: Sie stelle ihr Kind über alles. Nach dieser Definition sei die „gute Mutter“ im Totaleinsatz für ihr Kind und könne daher nicht gleich engagiert und kompetent sein wie Kinderlose. Diese kulturelle Norm, dass Mütter immer für ihre Kinder da sein müssten, steht in einem Spannungsverhältnis mit der normativen Erwartungshaltung „Motherhood Penalty“, „Fatherhood Bonus“ und „Maternal Wall“

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an den perfekten Arbeitnehmer, der immer für den Arbeitgeber da sein muss. (Kricheli-Katz, 2012: 557 ff.)
Die normativen Konzepte des idealen Arbeitnehmers und der guten Mutter erzeugen eine Spannung zwischen der Rolle des Arbeitnehmers und der der Mutter. Diese konfligierenden Rollenmuster können beim Arbeitgeber zu normativen Diskriminierungshaltungen führen: Sie wissen ganz genau, wie kompetent die Mutter ist, glauben aber, es wäre deren Pflicht, daheim zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern (Corell/Bernard, 2007).

9.6

Eskalation des „Urkonflikts“ – Kind und/oder Karriere

„Der Grad der Emanzipation der Frauen lässt sich in der Geschichte exakt am Grad der Mystifizierung oder Nicht-Mystifizierung der Mutterschaft ablesen.“ (Schwarzer, 2000: 218). Alice Schwarzer warnte immer wieder vor der „Mutterschaftsfalle“: Mutterschaft und Kinderkult seien die effektivste Waffe gegen die Emanzipation. Daraus erkläre sich aber umgekehrt auch der Kinderboykott und die immer niedrigeren Geburtenraten (Ebd.  119). Untersuchungen zeigten, dass verheiratete Männer den ersten Karrieresprung in der Zeit der Karenz der Mütter beim ersten Kind machen, während Frauen oft den Anschluss verlieren. Die Berufspause bedeute oft den „Abschied aus dem Berufsleben“. Ab dem zweiten Kind werde die Sache quasi aussichtslos, es werde zur „endgültigen Frauenfalle. Und ab dem dritten Kind müssen die meisten Frauen ganz passen“. (Ebd.  117). Während etwa in Frankreich eine andere Mutterkultur herrscht, dort sind Karenzen minimal und Ganztagsschulen und Krippen Normalität, hat sich im deutschsprachigen Raum keine Berufskultur von Frauen mit Kindern entwickelt. Das Kind gehört zur Mutter – so der gesellschaftliche Grundkonsens.

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„Die westliche Kultur ist gegen die Mutterschaft eingestellt“, konstatiert Sheila Kitzinger in ihrem Buch „Mütter sind das Salz der Erde“, während traditionelle Kulturen unfruchtbare Frauen aus der Gesellschaft ausschließen oder als Opfer des bösen Blicks bedauern. Die umfassende, niemals enden wollende Umsorgung eines Kindes erfordert völlig andere Kulturtechniken, als wir sie in Schule und Beruf erlernen, wo Leistung nach einem Zeitplan erbracht und gemessen wird. Diese beiden Welten stehen einander diametral entgegen. (Kitzinger, 1993: 19). Gerade gut ausgebildete Frauen erkennen das und reagieren darauf auf unterschiedliche Weise. „Sie ist wieder da“ höhnte der „Spiegel“ in seiner Coverstory im März 2016 in Anspielung auf den satirischen Bestseller um Hitler, der im heutigen Berlin plötzlich wieder auf der Bildfläche erscheint. Nur holte der Spiegel ein anderes Phantom aus der Mottenkiste, das vermeintlich längst ausgespukt hat. Das führende Nachrichtenmagazin Deutschlands diagnostizierte die „Rückkehr der Hausfrau“. (Clauß, 2016: 44) Soziologen und Geschlechterforscher registrieren den Trend schon seit einigen Jahren. Frauen laufen vorneweg, machen das bessere Abitur, studieren eifriger, und plötzlich, wenn Kinder kommen, kippt das Lebensmodell zurück in traditionelle Strukturen. Das ‚modernisierte Hausfrauenmodell‘ – der Mann arbeitet Vollzeit, die Frau Teilzeit – sei die häufigste Erwerbskonstellation in Deutschland, sagt die Soziologin Cornelia Koppetsch. Ihr Fazit nach 20 Jahren Genderstudien klingt düster: ‚Ein grundsätzlicher Wandel der Geschlechterrollen in Familie und Paarbeziehung hat nicht stattgefunden.‘ Während Frauen im öffentlichen Leben akademische Berufe und Führungspositionen erobern, ‚findet im Privaten paradoxerweise eine ideologische Wiederkehr des bürgerlichen Familienmodells statt‘. (Ebd.) Eskalation des „Urkonflikts“ – Kind und/oder Karriere

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Der Trend sei spürbar, aber weil er vor allem eine Bildungselite beträfe, kaum statistisch messbar. Zwar seien heute 68 Prozent aller Frauen erwerbstätig, aber die von Frauen geleistete durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche lag vor 20 Jahren etwa drei Stunden höher als heute. Viel mehr Frauen arbeiten, aber sie arbeiten weniger Stunden. (Ebd.) Das erhöhte Erwerbsvolumen von Müttern habe das „Bruttoinlandsprodukt im Land, das von einer Frau regiert wird“, um 4,7 Milliarden Euro gesteigert. (Ebd. 45) Als Wortführerin der Bewegung amtiere Alina Bronsky mit ihrer Streitschrift „ Die Abschaffung der Mutter“, über die der „Spiegel“ nicht ohne Häme anmerkt, sie sei nur die Speerspitze einer „emanzipatorischen Rolle rückwärts auf dem Buchmarkt“. (Ebd.) In Werken wie „Die Alles ist möglich-Lüge“, „Feindbild Mutterglück“ oder „Geht alles gar nicht“ würde Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Illusion entlarvt. (Ebd.) „Die Hausfrau feiert als Lebensmodell junger Akademikerinnen ein Comeback. Ihnen stehen alle Türen offen, doch mit der Geburt der Kinder tauschen viele die Karriere gegen die Kittelschürze.“ So konstatiert der „Spiegel“ und stellt den drohenden Untergang des Abendlandes in den Raum: „Ist die Emanzipation am Ende?“ (Ebd. 44). Die Mutter und die Werktätige werden traditionell gern gegeneinander ausgespielt, doch nie erfolgreicher als heute und nirgendwo mehr als im deutschsprachigen Raum. So konstatiert die feministische Philosophin Elisabeth Badinter in „Der Konflikt. Die Frau und die Mutter“. (Badinter, 2010) Bereits in ihrem Standardwerk über die „Mutterliebe“, einer umfassenden historischen Studie, stellte die Feministin in der Tradition von Simone de Beauvoir fest, dass die Mutterliebe kein angeborener Instinkt ist, sondern sich je nach Lebenssituation erst entwickelt. Oder eben nicht. Heute befänden wir uns in einem „hedonistischen Dilemma: Mutterschaft versus Freiheit“. (Badinter, 2010: 24  ff.) Seit die Empfängnisverhütung mit der Pille vor über 50 Jahren die Möglichkeit eröffnete, 236

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selbst über Fortpflanzung zu entscheiden, spräche man nicht mehr von einem „Geschenk der Mutterschaft“, sondern von einer universellen „Schuld dem Kind gegenüber“. (Ebd.) Perfektion ist für die Mutter die einzige Option. Aufgerieben zwischen den konfligierenden Aufträgen zur Selbstoptimierung, der totalen Opferbereitschaft auf der einen Seite und der verlangten Selbstverwirklichung auf der anderen Seite, erscheint vielen Frauen der Spagat zu groß, sie verweigern sich dem einen oder dem anderen total. (Vgl. ebd.) „In einer Kultur, die das Ich zuerst zum Prinzip erhoben hat, ist Mutterschaft eine Herausforderung, ja ein Widerspruch. Was für eine kinderlose Frau legitim ist, ist es nicht mehr, sobald ein Kind da ist“. (Ebd.) „Mütter, die in einem anspruchsvollen Beruf Karriere machen“ wollten, könnten der Frage nicht ausweichen, „ob und wie dies vereinbar“ sei. (Badinter, 2010: 25). Selbst Mutter dreier Kinder, wendet sie sich gegen den neuen „Zwang zum Perfektionismus“, der nur Schuldgefühle erzeuge, und fordert eine „nonchalante Haltung zur Mutterschaft“. (Ebd.)

9.7

Medienmütter – am Rande des Nervenzusammenbruchs?

Wie im Kapitel 2 über Medienfrauen beschrieben, weisen alle verfügbaren Studien, sowohl für Österreich als auch international, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf insbesondere für Frauen im Berufsfeld der Medien enorme Herausforderungen aus. Im Folgenden seien einige interessante Forschungen hinzugefügt. Auch Runge (2012) kommt zu dem Ergebnis: Familie und Journalismus sind schwer zu vereinbaren. Befragt wurden 1000 Journalisten beiderlei Geschlechts aus 25 Medienunternehmen in Deutschland. 86 Prozent beklagen die unflexiblen Öffnungszeiten von Schulen und Kindergärten, die mit journalistischen Anforderungen nach Wochenend- oder Nachtarbeit nicht kompatibel sind. Redaktionen Medienmütter – am Rande des Nervenzusammenbruchs?

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werden als „familienpolitsches Niemandsland“ beschreiben. (Runge, 2012: 73) Knapp 90 Prozent der Journalisten halten ihren Job für wichtiger als ihr Privatleben, unter den Eltern sogar noch etwas mehr als unter Nicht-Eltern. Nur sieben Prozent der Väter gingen in Karenz. Dafür erledigen 90 Prozent der Mütter Haushalt und Kinderarbeit neben dem Job. (Ebd. 78) 83 Prozent der Männer geben an, Hauptverdiener zu sein, unter den Vätern ist der Anteil noch höher. Nur 13 Prozent der Frauen geben an, mehr zu verdienen als ihr Partner. Johanna Schwenks (2006) Untersuchung, eine schriftliche Befragung von 1128 Journalisten im Jahr 2003, ergab: Journalistinnen sind besser qualifiziert, schlechter bezahlt, in oberen Hierarchien deutlich unterrepräsentiert und eher kinderlos als Männer. Nur etwa ein Drittel der Journalistinnen in Deutschland werden Mütter und bleiben auch Journalistinnen. Mit zunehmendem Alter verschwinden die Frauen ebenfalls aus dem Journalismus. Nur knapp 19 Prozent der Journalistinnen sind älter als 45 Jahre, im Gegensatz zu 43 Prozent ihrer männlichen Kollegen. (Schwenk, 2006: 249) Journalistinnen sind nicht nur häufiger ledig und kinderlos oder haben weniger Kinder als ihre männlichen Kollegen, sondern sie haben auch weniger Nachwuchs als Akademikerinnen in anderen Jobs. (Fröhlich/Schwenk, 2004)
Dieser Effekt wird stärker, je höher die Hierarchiestufe ist. Journalistinnen „verschwinden“ in der Familienphase aus dem journalistischen Beruf, ein Wiedereinstieg erfolgt oft nicht. (Ebd.) Die digitale Revolution in den Medien hat jedoch auch für Familienfrauen neue Formen des journalistischen Ausdrucks geschaffen. Als freie Mitarbeiterinnen im Online-Bereich klassischer Medienhäuser oder als Gründerinnen eigener Websites sind sie von der redaktionellen Taktung und Hierarchie unabhängige Medienproduzentinnen geworden. Die Produkte selbstständiger BloggerInnen oder VloggerInnen stellen für RezipientInnen wie für die Werbewirtschaft attraktive neue Plattformen dar. Sehr stark ist hier, wie wir es schon beim Ein238

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stieg der Frauen in den traditionellen Journalismus beobachtet haben, der Mode und Lifestyle-Bereich vertreten. Das Internet erlaubt es explizit auch Müttern, neue Formen des medialen Ausdrucks zu kultivieren, in denen gerade das scheinbare Medien-Manko Mutterschaft zu einem Plus in Form von Expertentum verwertet werden kann. Familienblogs und Webseiten werden auch in Österreich immer beliebter und finden über die Social-Media-Kanäle neue Verbreitungswege. Protypisch für diese neue Form ist Christina Troppers äußerst beliebter Zwillingsblog „Einer schreit immer“, mit 200.000 Klicks im Monat der erfolgreichste von 120 Familienblogs in Österreich. (Tropper: 6.5.2018) Unter Bloggern sind allerdings die für die neuen Selbstständigen im Internet typischen Synergien zum Bereich PR zu verzeichnen. Die Grenzen zur PR-Auftragsschreiberei und zur verdeckten Werbeplattform sind bei Blogs allgemein oft fließend, was der klassischen Definition von Journalismus widerspricht. Auf Troppers Blog findet sich nicht nur klassische Werbung von Windelherstellern. Auch Storys wie ihre Tipps zu Kinderbüchern, die sie aus Lesermeinungen generiert, sind direkt zu Amazon verlinkt, woran die Autorin nach eigenen Angaben mitverdient. (Tropper, 2018) Allerdings erlauben Blogs mit einer gewissen Reichweite ehemaligen Printjournalistinnen mittels Umwegrentabilität einen Weg zurück in die klassischen Redaktionen. Die Linzerin Tropper schreibt aufgrund ihres Blog-Erfolgs regelmäßig für das deutsche Blatt „Eltern“. Auch ein Buchvertrag wurde ihr angeboten. (Tropper, 2018) So löst eine Bloggerin das Mütter-Dilemma in den Medien elegant: Sie wird ihre eigene Chefin. Das letzte Wort möchte ich Corinna Milborn überlassen, einer Spitzenfrau aus Österreichs Medienlandschaft par excellence.

Medienmütter – am Rande des Nervenzusammenbruchs?

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Die österreichische Journalistin des Jahres 2017 Corinna Milborn

Corinna Milborn war als die designierte Journalistin des Jahres 2017 auf dem Cover des Branchenmagazins „Der österreichische Journalist“. Dass das österreichische Branchenblatt den Anachronismus einer rein männlichen Berufsbezeichnung schon im Titel trägt, steht auf einem anderen Blatt. Für Corinna Milborn, 46, Infochefin bei „Puls 4“ und seit kurzem auch Teil der Geschäftsführung des Privatsenders der Pro- Sieben-Gruppe, ist es ohnehin nur eine von vielen Auszeichnungen. Die gebürtige Tirolerin lebt mit ihrer Familie in Wien und zählt zu den bekanntesten Mediengesichtern des Landes. Sie gilt besonders beim studentischen Publikum als Gallionsfigur einer eher jungen, linksliberalen, urbanen Öffentlichkeit. Auf Social Media spricht sie sich oft und sehr deutlich für Toleranz in Fragen des Feminismus oder der Migration aus. Die Quereinsteigerin, die als einzige der Interviewten erst spät, mit 31, in den Journalismus einstieg, machte eine beachtliche Turbokarriere. Davor war die studierte Politikwissenschaftlerin und Historikerin als selbstständige Lobbyistin für Unternehmen und Organisationen tätig. Als Autorin schrieb sie Sachbücher, wie „Schmerzenskinder“ mit Waris Dirie, „Gestürmte Festung Europa“, ein Reportagebuch über Migration, oder „Ware Frau“ über Frauenhandel. Ihr jüngstes Buch schrieb sie zum Medienwandel: „Change the Game“, eine Streitschrift gegen die Medienmonopole der Internet-Giganten wie Google. Ihr Co-Autor war Markus Breitenecker, Gründer des Senders „Puls  4“ und ihr Chef in der Geschäftsführung der Pro-SiebenSat 1-Puls 4-Österreich-Gruppe. Mit Erwin Wagenhofer schuf sie den Dokumentarfilmhit „Let’s Make Money“. Als „Club 2“-Moderatorin war sie auch für den ORF tätig. Obwohl sie nie eine Moderatorenausbildung genoss, ist sie auch heute wieder bei „Puls 4“ als Moderatorin tätig, etwa für die Polit-Talks des Senders. Ihr Einstieg in den Journalismus 240

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erfolgte als Magazinjournalistin für „Format“. Von da an ging es rasant bergauf. Von der damals noch weitgehend unbekannten freien Journalistin bei „Format“ wurde sie verlagsintern direkt zur stellvertretenden Chefredakteurin bei „News“ befördert, ein für die Branche äußerst ungewöhnlicher Karrieresprung. Sie begleitete Peter Pelinka, der als Chefredakteur zu „News“ wechselte. Nach zwei Jahren wurde die Chefredaktion Pelinka und Milborn abberufen. „Puls  4“ übernahm Corinna Milborn als Infochefin, als sie im fünften Monat schwanger war. Milborn findet auch diesen Vorgang untypisch für die Medien: „Das wäre in keinem anderen Unternehmen in Österreich möglich gewesen, hat’s auch noch nie gegeben. In den meisten Unternehmen wird eine Frau in dem Moment, wenn sie schwanger wird, abgeschrieben. Es redet niemand mehr mit ihr, sie bekommt keine Projekte mehr, wird nicht mehr wahnsinnig ernst genommen. Man denkt, die ist dann eh gleich weg – und das ist bei Puls 4 nicht so.“

Im direkten Vergleich ihrer Arbeitgeber stuft sie „Puls 4“ als das „mit Abstand familienfreundlichste Unternehmen“ ein: „Wir sind ein junges Unternehmen mit vielen Jungen unter dreißig. Wir haben auch viele Eltern, junge Mütter mit kleinen Kindern und Karenzväter.“ Mit finanzieller Stärke des Senders habe das nichts zu tun, das sei Einstellungssache: „Das muss von Oben kommen, das ist Unternehmenskultur.“ Corinna Milborn lebt das Modell auch als Familienkultur. Beide Töchter, von verschiedenen Vätern, durften sich über Karenzväter freuen. Die Familienarbeit wird mehr als partnerschaftlich aufgeteilt. Für Betreuungsnotfälle hat die progressive Familie ein Netzwerk aus Freunden, Familie und Babysittern gesponnen. „Karriere und Kinder sind organisierbar, auch mit einem Spitzenjob. Eine Art von Netzwerk, sei es professionell oder privat, braucht man aber auf jeden Fall. Auch AlleinerzieherInnen machen dann tolle Karrieren.“ Grundsätzlich sei MutMedienmütter – am Rande des Nervenzusammenbruchs?

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terschaft ebenso mit Karriere vereinbar, wie man Vaterschaft mit Karriere vereinen kann. „Ich war auch Chefin und hab gestillt, das geht sich alles aus.“ Kritisch wird es dort, wo die soziale Rollenverteilung ins Traditionelle kippt. Corinna Milborn zum Dilemma der traditionellen Familienmodelle: „Dass sozial die Frauen zuständiger sind für Kinder, findet man in Familien, in denen Männer einen Vollzeitjob haben, und den auf gar keinen Fall aufgeben. Die nicht weniger, sondern mehr arbeiten, wenn sie eine Familie gründen, weil sie die traditionelle Verantwortung, die Familie zu erhalten, sehr stark spüren. Und auch durchaus drunter leiden. Das ist ja auch nicht die lustigste Rolle: immer für alle zuständig zu sein.“

Ändert sich der Fokus der Frau für mehrere Jahre komplett auf Kinder, sei Karriere nicht möglich: „Wenn die Frau alleine zuständig ist und die ganze Verantwortung für die Kinder bei ihr liegt, wird sie sich nicht auf etwas anderes konzentrieren können.“ Denn eines sei schon klar: „Kinder sind ein Riesen-Job.“ „In Hintergrundgesprächen der Chefredakteure, dort, wo es um Macht und Geld geht, bin ich sehr oft die Einzige.“ Dort ließen sich bestimmte Mechanismen beobachten: „gegenseitiges Zuschanzen von Informationen oder Aufträgen unter Alphamännern“. Corinna Milborn ist daher eine vehemente Befürworterin der Quote „Die Quote ist notwendig und sinnvoll, denn von alleine geht es nicht. Es gibt sehr viele gut ausgebildete und qualifizierte Frauen, die trotzdem nicht an die entscheidenden Posten kommen, aufgrund der herrschenden Machtmechanismen und Netzwerke. Das verhindert dann die Reihe darüber. Weil Männer in Chefpositionen die Tendenz haben, Männer besser zu bewerten, oder Männer zu fördern, weil sie sich in ihnen selbst wiedererkennen, wie sie früher waren. Das heißt: Allein, dass die Chefetagen rein männlich besetzt sind, erschwert das Weiterkommen von Frauen.“ 242

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Dass Frauen einen anderen Führungsstil haben, glaubt sie nicht. Ihren eigenen Führungsstil beschreibt sie als partizipativ: „Ich sehe meine Aufgabe darin, dass ich ein gutes Team zusammenstelle, und dessen Potential voll zur Entfaltung bringe: Denn in der Gruppe ist es noch höher als die Summe der Einzelteile.“ Den Rahmen zu schaffen für volle Motivation und „dass sich jeder mitverantwortlich fühlt für das Ganze und voll brennt dafür“. Karriere im Journalismus hat für sie hohes Glückspotential: „Für mich ist das wirklich wichtig. Weil’s Spaß macht, weil ich es gerne mache, weil es die eigene Wirksamkeit in der Welt erhöht. Für mich ist es der perfekteste Job der Welt.“ Als Erfolgsrezept nennt sie: „in Hierarchien arbeiten zu können und sich selbst anbieten zu können“. Hier sieht sie auch einen bedeutenden Geschlechterunterschied: „Wenn man Talkshows moderiert, merkt man, wie Männer sich als Gäste anbieten, und Frauen – nämlich Frauen gar nicht. Da zeigt sich wirklich ein riesen Geschlechterunterschied. Männer bewerben sich ganz extrem. Sie reklamieren sich einfach rein, auch Männer, die ganz weit oben stehen. Die haben überhaupt keine Scheu zu sagen: Ich will da oben auf dem Podium sitzen. Und auch keine Scheu, wenn sie abgelehnt werden, noch dreimal zu fragen, und jedes Mal zu sagen: Warum sitzt der da, und nicht ich? Frauen haben eine riesige Scheu davor, und wollen eher dreimal gefragt werden, bevor sie ja sagen, also genau das Gegenteil.“

Corinna Milborn kritisiert im Zusammenhang mit der Frage der sexuellen Belästigung die männlich geprägte Kommunikations-(Un-)kultur im Redaktionsalltag. Körperliche Übergriffe habe sie „zum Glück nie selbst erlebt“, aber von anderen mitbekommen. „Alltagssexismus als verbale Bemerkungen habe auch ich erfahren. Das ist ebenso bedeutsam, weil er den Boden bereitet für ein Klima, in dem auch körperliche Übergriffe Medienmütter – am Rande des Nervenzusammenbruchs?

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möglich werden. Diese sexistischen Witze und Bemerkungen tragen auch sehr stark dazu bei, dass Frauen in der zweiten Reihe bleiben. Wenn man sich über sie lustig macht z.B. Viele kritisieren, dass da alles in einen Topf geworfen wird, aber ich finde, das gehört zusammen. Dass es ganz normal ist, sexistische Witze zu machen, über Frauen und ihr Äußeres zu lachen. Ganz klare Klischees anzuwenden, bei Layouts oder bei der Bilderauswahl zum Beispiel – das ist einfach normal und es ist ziemlich mühsam, dagegen etwas zu sagen. Dass in Medienhäusern ein ständiges Klima für solche Bemerkungen herrscht: in Redaktionskonferenzen, bei Hintergrundgesprächen und in der Kollegenschaft, das betrifft die gesamte Unternehmenskultur. Und das war vor zehn Jahren noch viel heftiger als jetzt.“

Frauennetzwerke und Mentoringprogramme findet sie wichtig, hat sie persönlich aber nie genutzt. Wohl aber dürfte es für ihre Karriere zielführend sein, im Menschenrechtsbereich tragfähige Netzwerke zu haben: „Wenn es um Karriereplanung geht, dann ist Geschlecht nur ein Faktor von vielen. Man fördert Menschen, die man toll findet im Job, von denen man gern mehr sehen würde. Ich hab’ mich immer mehr für inhaltliche Netzwerke als für Frauennetzwerke interessiert, weil es mir nie ganz eingängig war, warum der Faktor Frau allein dazu führen soll, dass ich mich mit andern Leuten zusammensetze. Männer fördern sich, wenn sie einander sympathisch oder ideologisch ähnlich sind, aber nicht nur, weil es Männer sind. Das ist nicht der Grund, sich zusammenzusetzen, und ich habe nie ganz verstanden, warum es bei Frauen anders sein soll. Es war mir zum Beispiel total wichtig, mich mit Leuten aus dem Menschenrechtsbereich zusammenzusetzen. Das war total nützlich, man lernt etwas und kann sich gegenseitig etwas weitergeben.“

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Nachwort

VisionärInnen wird mitunter empfohlen, einen Arzt aufzusuchen. Und doch darf als Binsenweisheit gelten: es sind oft gerade die multiperspektivisch orientierten QuerdenkerInnen, die positive Innovationen anregen. So gesehen ist es kaum Zufall, dass ausgerechnet eine späte Quereinsteigerin im Journalismus so erfolgreich wurde. Als solche brachte Corinna Milborn auch einen neuen Blick auf die Profession mit ein. Als Medienfrau, deren Horizont weit über die Branche reicht, die Gesellschaft im Kontext von Leadership und Empowerment für Frauen neu und anders denkt. Leadership bedeutet so gesehen, Verantwortung zu übernehmen. Auch und zuerst für uns selbst. Der Abschied von der homogenen Gesellschaft öffnet uns allen neue Spielräume. Wir sind alle einzigartige Individuen und haben alle nur dieses eine Leben. Die beste Version von uns zum Vorschein zu bringen, ist unser wertvollster Beitrag für die Gesellschaft. Und Mut gehört dazu, besonders für Frauen. Mut, wir selbst zu sein, Mut, unser volles Potenzial auszuschöpfen. Die Gegenwart kreativ zu gestalten, mit Blick auf die Vision von einer besseren Zukunft. In diesem Sinne wünsche ich uns allen Mut zur Eigenständigkeit. Leben Sie Leadership, werden Sie AgentIn des Wandels. Die Gesellschaft wird folgen. Mit freundlicher Genehmigung von Corinna Milborn darf ich Ihnen zum Abschluss ein Plädoyer für weibliches Empowerment zum Weltfrauentag mitgeben, das sie in eine Anekdote aus ihrem beruflichen Alltag verpackt hat. Es ist ein schönes Schlusswort. Eines, das für sich selbst spricht. Noch eine abschließende (wahre) Geschichte zum Weltfrauentag. Als ich noch nicht lange im TV arbeitete, spendierte mir

Medienmütter – am Rande des Nervenzusammenbruchs?

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der ORF ein Training. Der Trainer lässt das Video laufen deutet auf mein Gesicht. Trainer (Expertenstimme im Richterurteil-Modus): „Du hast eine zu männliche Mimik“ ich: hä? Trainer: „Du bewegst zu wenige Gesichtsmuskeln.“
 ich: hä??
 Trainer (Erklärmodus): DAS IST NÄMLICH SO: in der URZEIT jagten die MÄNNER mit starrem entschlossenem Blick den MAMMUTS nach, die Frauen aber saßen in der HÖHLE und TRATSCHTEN und bewegten dabei ganz viele Gesichtsmuskeln. Und wenn du dreinschaust wie ein Mammutjäger irritiert das die Zuseher. 
 ich: hä????? 
 Trainer: Das ist so. Das sitzt tief im Hirn der Zuseher, das kannst du nicht ändern. Du musst trainieren, weiblicher zu wirken, sonst wirst du nicht weiterkommen. Du musst deine weiblichen Ressourcen nützen, nicht verstecken.
 Ich: Ich habe Geschichte studiert. Diese Geschlechterrollen sind überhaupt nicht belegt.
 (...)
 Trainer (stoppt das Video und zeigt auf meinen Ausschnitt. Kollegialer best-buddy-Ton): Und da müssen wir auch was machen. Da müsste ja schon längst das Dekolleté sein und da ist nichts, das ist irritierend. Trag einen Pushup. Wer der Trainer war, ist unwichtig, er ist ein netter Mensch und er hat wohl - was die Erwartungen der Seher an eine Moderatorin betrifft - recht. Ich hab daraus auch was wichtiges gelernt: Tipps, Trainings, Coachings für Frauen beziehen sich oft auf erfolgreiches Arbeiten in einer Gesellschaft, in der ich gar nicht mehr leben will. Sie verlangen, sich Regeln anzupassen, die ich eigentlich ändern will. Sie sind sehr, sehr oft kontraproduktiv. (Lach doch mehr! Zieh was frisches, farbiges an! Sei nicht so verbissen! Red leiser, bei Frauen kommt das halt anders an als bei Männern! Wenn du so zielstrebig bist machst 246

Nachwort

du ihnen Angst, sei freundlich!) Ich lerne seither lieber an Vorbildern. Ich hab daraus gelernt, dass ich meine Rolle lieber für die Gesellschaft entwickle, in der ich leben will, statt mich an die jetzigen Erwartungen anzupassen. Wir müssen den Weg nicht nur gehen, wir müssen ihn teilweise auch erst ausbauen. Das ist oft anstrengend, aber auch ein Privileg. In dem Sinne: tretet die guten Tipps in die Tonne und seid die Person, die ihr in eurer Wunschumgebung wärt. Die Umgebung wird sich anpassen. Und dann ist wieder ein Stück des Weges gebaut.“ (Corinna Milborn, 8.3.2019, 21.03 Uhr auf Facebook)

Nachwort

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Kurzbiografien

Susanne Beyer – geboren 1969 als Tochter eines deutschen Hochschullehrers auf Sumatra – Die erste Frau, die im Magazin „Der Spiegel“ in die Chefredaktion gelangte. (Stellvertr. Chefredakteurin von 2015 bis Januar 2019.) Seit 1996 beim „Spiegel“ Kulturredakteurin. Diplomierte Germanistin und Historikerin. Zwei Töchter. Lebt in Hamburg. Conny Bischofberger, geboren 1960 in Mellau, Vorarlberg. Chefinterviewerin und Kolumnistin bei der „Kronenzeitung“, Österreichs auflagenstärkstem Kleinformat. Sie war auch als Interviewerin beim „Kurier“ und der „Bild am Sonntag“ tätig, sowie in der Chefredaktion von „Woman“. Sachbuchautorin, ausgebildete Mediatorin. Zwei Söhne. Ihr Bruder ist der Biochemiker Norbert Bischofberger. Sie lebt in Wien. Sabine Derflinger, Jahrgang 1963. Absolventin der renommierten Filmakademie Wien. Regisseurin, Produzentin und die erste Frau, die einen Österreich-Tatort inszenierte. Zahlreiche Auszeichnungen, eine Tochter, stolze Großmutter zweier Enkelkinder. Lebt in Wien und Berlin. Simon Hadler, Jahrgang 1976. Ab 1999 20 Jahre bei „orf.at“, ab 2009 Leiter der Kulturredaktion von orf.at. Sachbuchautor. Studienabschluss (Magister) in Publizistik- und Kommunikationswissenschaften. Lebt in Wien und im Burgenland. Laura Karasek, Jahrgang 1982. Talkshow-Gastgeberin auf ZDF Neo, Roman- und Sachbuchautorin, „Stern“-Kolumnistin, Podcasterin, Rechtsanwältin, VOX-Moderatorin, Zwillingsmutter, Tochter von Dr.  Armgard Seegers-Karasek und Prof. Dr. Hellmuth Karasek. Lebt in Frankfurt am Main. 248

Kurzbiografien

Arabella Kiesbauer, Jahrgang 1969. Star-Moderatorin, wurde mit ihrer Nachmittags-Talkshow „Arabella“ berühmt, die von 1994 bis 2004 bei Pro Sieben lief. Ihre Mutter ist eine deutsche Schauspielerin, ihr Vater war Ghanaer. Wuchs bei der Großmutter in Wien auf, besuchte das Lycée Français. Moderiert Großereignisse wie den Life-Ball oder den Eurovision Song Contest. Bei ATV „Bauer sucht Frau“. Sie ist auch Autorin, österreichische Integrationsbotschafterin und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Zwei Kinder, lebt in Wien. Hans Mahr, Jahrgang 1949. Österreichischer Journalist und Topmanager bei der „Kronenzeitung“, ab 1994 in wechselnden Positionen (Chefredakteur, stellvertr. Geschäftsführer u.a.) beim Privatsender RTL, seit 2006 mit MahrMedia selbständig. Fünf Kinder, zwei Söhne mit Ex-Lebensgefährtin Conny Bischofberger. Lebt jetzt mit RTL-Moderatorin Katja Burkard und zwei Töchtern in Köln. Corinna Milborn, 1972 in Innsbruck geboren. Info-Chefin und in der Geschäftsführung von „Puls 4“ Österreich (Pro-Sieben-Gruppe). Zuvor moderierte sie den Club 2, war Stellvertr. Chefredakteurin bei „News“. Mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Journalistin und Sachbuchautorin. Diplomierte Politikwissenschaftlerin. Zwei Töchter, lebt in Wien. Eva Schreiber-Urthaler. Jahrgang 1977. Art-Direktorin für diverse Hochglanzmagazine. Früher: „Woman“, „Madonna“, „News“, „Bild am Sonntag“ u.a., Regisseurin des Kinofilms „Im Keller. Teenage Wasteland“. Zwei Töchter. Nana Siebert ist ihre Zwillingsschwester. Lebt in Wien. Dr. Armgard Seegers, Jahrgang 1953 – 27 Jahre Kulturredakteurin beim „Hamburger Abendblatt“. Übersetzerin, promovierte Germanistin mit Schwerpunkt Theaterwissenschaft. Kurzbiografien

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Neo-D-Jane. Witwe von Hellmuth Karasek, Mutter von Laura Karasek. Lebt in Hamburg. Nana Siebert, Jahrgang 1977. Stellvertr. Chefredakteurin bei der Tageszeitung „Der Standard“. Davor Digital-Chefin beim Frauenmagazin „Woman“ u.a. Funktionen im „News“-Verlag. Karrierestart mit 14. Zwillingsschwester von Eva Schreiber-Urthaler. Ein Sohn. Lebt in Wien.

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Kurzbiografien

Dank

Ich danke dem Böhlau Verlag, besonders Frau Dr. Ursula Huber für ihr Vertrauen und ihr Engagement. Danke an meine FreundInnen und InterviewpartnerInnen für die Zeit und die inspirierenden Gespräche für dieses Buch. Danke an Lernende und Lehrende der Uni Wien, die ihr Wissen mit mir geteilt haben, besonders an meinen Doktorvater Univ.-Prof. Dr. Fritz Hausjell. Danke an die Medienprofis, die mich beruflich gefördert und gefordert haben. Danke an meine Eltern und meine Söhne, die besten der Welt, für ihre Liebe und Inspiration. Und an alle Frauen, die vor uns kamen und den Weg bereitet haben.

Dank

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Literatur und Quellen

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Literatur

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Anm.: journalistische Glanzleistung, „Knüller“. Wage es, weise zu sein! (lat.) Später Leitsatz der Aufklärung. Aus großer Macht erwächst große Verantwortung (Engl., Ben Parker in „Spiderman“). Aus dem engl. disruptive: zerstörerisch, störend. Disruption beschreibt die Verdrängung alter, etablierter Unternehmen, die durch innovative Unternehmen mit neuen Ideen/Technologien herausgefordert werden. Eine Theorie des Harvard-Business-School Professors Clayton M. Christensen. Sinngemäß übersetzt: Berichte als erste/r, aber bleibe bei der Wahrheit. Die Autorin bezeichnet mit dem Begriff eine Lehrmeinung in der Wissenschaft an der Grenze zur Unumstößlichkeit. Wortkombination aus „Diktum“ (schwer widerlegbare Lehrmeinung) und „apodiktisch“ (keinen Widerspruch duldend). In der Medienberichterstattung übliche Bezeichnung für eine besonders mächtige und (einfluss-)reiche Führungsperson der Filmindustrie. Wolfgang Fellner: sehr erfolgreicher Österreichischer Medienmacher. Gründete das Magazin News und baute den Verlag auf, der heute VGN heißt. Gründete später die Tageszeitung Österreich sowie TV- und Radiosender. https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Fellner (zuletzt abgerufen am 22.3.2019) Heast: österreichisch für „Hör mal“. Hackeln: österreichisch für arbeiten. Bogipark: Indoorspielplatz in Wien, ab März 2019 geschlossen, laut Betreiber wegen des Klimawandels. Es sei nicht mehr lange genug kalt, um das Unternehmen rentabel führen zu können. Zitiert nach Pro Quote. Herumgrundeln (österreichisch): längerfristig auf einem konstant niedrigen Wert oder Prozentsatz schwanken. Manspreading (Engl.): räumliches Ausbreiten von Männern, z.B. durch breitbeinige Sitzhaltung. . She-bagging (Engl.) weibliches Pendant zum Manspreading, z.B. durch Besetzen des Nebensitzes durch die Handtasche. „Osterhäschen“ nach dem Titel der Werbekampagne. Nach der Talkshow von Margarethe Schreinemakers, ein Quoten-Hit der achtziger Jahre bei Sat 1. Österreichisch für Abitur. https://de.wikipedia.org/wiki/Lo_Breier (zuletzt abgerufen am 22.3.2019) Leinwand: österreichisch für toll. Mansplaining (Engl.): wenn Männer Frauen die Welt erklären. Englisch für Zelluloid-Plafond. Als Anspielung auf das Phänomen der gläsernen Decke (Frauen kommen nicht in die Chefetagen). Down to earth (Engl.): bodenständig. Anmerkungen

24 Ruarcheln: österreichisch für schwer anstrengen, hart arbeiten, ums Überleben kämpfen. 25 Notstandhilfe: staatliche Versicherungsleistung. Kann in Österreich nach der Ausschöpfung des Arbeitslosengeldes bezogen werden. 26 Politisch korrekter Ausdruck für den veralteten Begriff Behinderung, aus dem Engl. übernommen. 27 Wienerisch für Kumpel. 28 Mix aus Drama und Komödie.

Anmerkungen

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