Mathematik für Ingenieure: Eine Einführung mit Anwendungs- und Alltagsbeispielen [3 ed.] 3658322306, 9783658322304

Anschaulich und praktisch werden die grundlegenden mathematischen Kenntnisse für Studierende der Ingenieurwissenschaften

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Mathematik für Ingenieure: Eine Einführung mit Anwendungs- und Alltagsbeispielen [3 ed.]
 3658322306, 9783658322304

Table of contents :
Vorwort zur 3. Auflage
Was ist neu in dieser Auflage?
Warum dieses Buch?
Welches Konzept steckt hinter diesem Buch?
Danke!
Inhaltsverzeichnis
1 Zahlenbereiche
1.1 Mengen
1.2 Natürliche, ganze und rationale Zahlen
1.3 Reelle Zahlen
1.4 Komplexe Zahlen
Aufgaben
2 Funktionen
2.1 Funktionen als Modelle der Wirklichkeit
2.2 Der Funktionsbegriff
2.3 Eigenschaften von Funktionen
Aufgaben
3 Elementare Funktionen
3.1 Signum- und Betragsfunktion
3.2 Ganze rationale Funktionen
3.3 Gebrochene rationale Funktionen
3.4 Allgemeine Potenz- und algebraische Funktionen
3.5 Trigonometrische Funktionen
3.6 Exponentialfunktion und Logarithmus
Aufgaben
4 Lineare Gleichungssysteme
4.1 Problemstellung
4.2 Das Gauß'sche Eliminationsverfahren
Aufgaben
5 Vektorrechnung
5.1 Vektorielle Größen in Alltag und Technik
5.2 Vektoren im Anschauungsraum
5.3 Allgemeine Vektorräume
5.4 Lineare Abhängigkeit und Unabhängigkeit
5.5 Basis und Dimension
Aufgaben
6 Produkte von Vektoren
6.1 Das Skalarprodukt
6.2 Das Vektorprodukt
6.3 Das Spatprodukt
Aufgaben
7 Analytische Geometrie
7.1 Probleme im Raum
7.2 Parameterdarstellung von Geraden
7.3 Parameterdarstellung von Ebenen
7.4 Hyperebenen in Gleichungsform
7.5 Schnittprobleme
7.6 Abstandsberechnungen
7.7 Winkelberechnungen
7.8 Kreis und Kugel
Aufgaben
8 Matrizen
8.1 Transformationen in der Ebene und im Raum
8.2 Matrizenaddition und Matrizenmultiplikation
8.3 Invertieren von Matrizen
8.4 Koordinatentransformation
8.5 Abbildungen
8.6 Determinanten
Aufgaben
9 Eigenwerte
9.1 Problemstellungen in der Anwendung
9.2 Eigenwerte und Eigenvektoren
Aufgaben
10 Grenzwerte
10.1 Folgen
10.2 Der Grenzwertbegriff bei Folgen
10.3 Die Euler'sche Zahl e
10.4 Der Grenzwertbegriff bei Funktionen
10.5 Stetigkeit
Aufgaben
11 Differenzialrechnung
11.1 Der Ableitungsbegriff
11.2 Ableitungsregeln
11.3 Mittelwertsatz und stetige Differenzierbarkeit
Aufgaben
12 Anwendungen der Differenzialrechnung
12.1 Monotonieuntersuchungen
12.2 Extremwertprobleme
12.3 Der Regenbogen
12.4 Wendepunkte und Kurvendiskussion
12.5 Regel von Bernoulli-de l'Hospital
12.6 Das Newton-Verfahren
Aufgaben
13 Unbestimmtes Integral
13.1 Stammfunktionen und unbestimmtes Integral
13.2 Integrationsmethoden
Aufgaben
14 Bestimmtes Integral
14.1 Flächeninhaltsproblem und bestimmtes Integrals
14.2 Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung
14.3 Uneigentliche Integrale
Aufgaben
15 Numerische Integration
15.1 Problemstellung
15.2 Trapezregel
15.3 Kepler-Fassregel und Simpson-Regel
Aufgaben
16 Anwendungen der Integralrechnung
16.1 Flächenberechnungen
16.2 Volumina von Rotationskörpern
16.3 Physikalische Anwendungen
16.4 Wahrscheinlichkeitsrechnung
Aufgaben
17 Reihen
17.1 Der Reihenbegriff
17.2 Konvergenzkriterien
Aufgaben
18 Potenzreihen
18.1 Der Begriff der Potenzreihe
18.2 Potenzreihen und Funktionen – Satz von Taylor
18.3 Wichtige Potenzreihenentwicklungen
18.4 Anwendungen
Aufgaben
19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation
19.1 Trigonometrische Reihen
19.2 Fourier-Reihen
19.3 Komplexe Schreibweise der Fourier-Reihen
19.4 Fourier-Transformation
Aufgaben
20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Veränderlicher
20.1 Funktionen mehrerer Veränderlicher
20.2 Der Stetigkeitsbegriff
20.3 Partielle Ableitungen
20.4 Totales Differenzial
20.5 Richtungsableitung
20.6 Partielle Ableitungen höherer Ordnung
20.7 Divergenz und Rotation
Aufgaben
21 Extrema bei Funktionen mehrerer Veränderlicher
21.1 Extrema ohne Nebenbedingungen
21.2 Anwendung: Lineare Regression
21.3 Extrema mit Nebenbedingungen
Aufgaben
22 Bereichsintegrale
22.1 Bereichsintegrale
22.2 Bereichsintegrale über Normalbereichen
22.3 Polar-, Zylinder und Kugelkoordinaten
Aufgaben
23 Allgemeine Kurven
23.1 Der Kurvenbegriff
23.2 Tangentenvektor und Tangente
23.3 Bogenlänge und Bogenlängenparametrisierung
23.4 Die Krümmung
23.5 Das allgemeine Kurvenintegral
Aufgaben
24 Gewöhnliche Differenzialgleichungen
24.1 Der Begriff der Differenzialgleichung
24.2 Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung
24.3 Schwingungsdifferenzialgleichung
Aufgaben
Sachverzeichnis

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Klaus Dürrschnabel

Mathematik für Ingenieure Eine Einführung mit Anwendungsund Alltagsbeispielen 3. Auflage

Mathematik für Ingenieure

Klaus Dürrschnabel

Mathematik für Ingenieure Eine Einführung mit Anwendungsund Alltagsbeispielen 3. Auflage

Klaus Dürrschnabel Informationsmanagement und Medien Karlsruhe University of Applied Sciences Karlsruhe, Deutschland

Ergänzendes Material zu diesem Buch finden Sie auf Springer Link. ISBN 978-3-658-32230-4 ISBN 978-3-658-32231-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2004, 2012, 2021 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Annika Denkert Einbandabbildung: Klaus Dürrschnabel Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort zur 3. Auflage Was ist neu in dieser Auflage? Vor Ihnen liegt nunmehr die dritte Auflage meines Buchs Mathematik f¨ur Ingenieure“. Dank der ” erweiterten technischen M¨oglichkeiten erscheint diese Neuauflage in einem ansprechenden Layout im Vierfarbendruck, was viele neue M¨oglichkeiten zum effektiven Arbeiten mit diesem Buch und zur Visualisierung von mathematischen Sachverhalten mit sich bringt. Die Marginalienspalte erlaubt einen schnellen und zielgerichteten Zugriff auf Begriffe und Themen.

Warum dieses Buch? Viele Studienanf¨anger haben Probleme mit Mathematik. Die abstrakten Inhalte fallen den Studierenden zunehmend schwer. Hinzu kommt, dass angehende Ingenieure keine Studierende des Studienfachs Mathematik sind, sondern die unbestritten notwendige Mathematik als Servicewissenschaft einsetzen. Aus dieser Tatsache resultiert ein gewisses Motivationsproblem f¨ur dieses Fach, welches es zus¨atzlich zu u¨ berwinden gilt. Eine weitere Schwierigkeit bilden die zunehmend heterogenen Vorkenntnisse der Studienanf¨angerinnen und -anf¨anger. Der Mathematikunterricht in der Schule hat sich auch infolge der internationalen Studien grundlegend gewandelt. Aufgrund der ver¨anderten Unterrichtsmethoden mit Projekten und selbstentdeckendem Lernen sowie der Verk¨urzung der Gymnasialzeit wurden die Bildungspl¨ane inhaltlich ausged¨unnt. Themen wie Logarithmusfunktion, Kreis- und Kugelgleichung, Quotientenregel der Differenzialrechnung oder Matrizenrechnung d¨urfen an der Hochschule nicht mehr als selbstverst¨andlich bekannt vorausgesetzt werden.

Welches Konzept steckt hinter diesem Buch? Dieses Buch m¨ochte den Studienanf¨angerinnen und -anf¨angern eine Hilfe beim Einstieg in die sog. H¨ohere Mathematik“ bieten. Dabei orientiert sich das Vorgehen an folgender Strategie: Zun¨achst ” wird in Anwendungsbeispielen formuliert, wozu die neu einzuf¨uhrende Theorie u¨ berhaupt gewinnbringend eingesetzt werden kann. Es werden Fragen aus Technik und Alltag gestellt, die es zu beantworten gilt. In einem zweiten Schritt wird die grundlegende Idee der Theorie entwickelt, um erst anschließend die abstrakten mathematischen Definitionen und S¨atze zu formulieren. Schließlich werden Beispiele gerechnet und insbesondere die anfangs aufgeworfenen Fragestellungen mithilfe der entwickelten Mathematik gel¨ost. Gegebenenfalls wird die Theorie noch weiter gef¨uhrt und f¨ur spezielle, beispielhafte Anwendungen konkretisiert. Die vielf¨altigen Anwendungsbeispiele kommen gew¨ohnlich nicht aus einem speziellen Ingenieurbereich. Vielmehr werden sie u¨ berwiegend aus dem Alltag und dem physikalischen Umfeld gew¨ahlt. v

vi

Vorwort

Zum einen kann man davon ausgehen, dass diese Beispiele f¨ur die Studierenden jeder Ingenieurrichtung verst¨andlich und von Interesse sind, zum anderen sind sie sehr anschaulich und belegen, wie unser Alltag mit Mathematik durchzogen ist. So ist es sicher f¨ur viele u¨ berraschend, dass das Ph¨anomen des Regenbogens mit der Differenzialrechnung erkl¨art werden kann (Abschnitt 12.3) oder dass man mithilfe von Potenzreihen im freien Feld große Kreise in einer einfachen Weise ohne Zirkel bestimmen kann (Abschnitt 18.4). Sehr wohl orientieren sich aber die mathematischen Inhalte an den erforderlichen mathematischen Kenntnissen, welche f¨ur das erfolgreiche Absolvieren eines Ingenieurstudiums ben¨otigt werden. Das mathematische Kalk¨ul ist in diesem Buch bewusst knapp gehalten, es wird weitgehend auf den mathematischen Formalismus verzichtet. Die Mathematiker m¨ogen mir verzeihen, dass in mathematischen S¨atzen die ben¨otigten Voraussetzungen nicht alle exakt formuliert, sondern die Inhalte auf die zentralen Aussagen reduziert sind. In Anbetracht der Zielgruppe erscheint mir dieses Vorgehen legitim. Es werden dar¨uber hinaus nur die unbedingt notwendigen und in den Ingenieurwissenschaften allgemein verwendeten mathematischen Zeichen und Symbole eingef¨uhrt. Wo immer m¨oglich, habe ich stattdessen eine Beschreibung mittels Alltagssprache gew¨ahlt. Digitale Hilfsmittel halten vermehrt Einzug in den Schul- und Hochschulbereich. Den neuen M¨oglichkeiten dieser Programmsysteme wird in diesem Buch Rechnung getragen, indem Beispiele und Aufgaben auch mit Computeralgebrasystemen gel¨ost und mathematische Sachverhalte damit visualisiert werden. Gerade der Einsatz von derartigen Systemen erlaubt es auch, gewisse rechenintensive Inhalte und Themen abzuk¨urzen. So wurde z. B. das Thema Differenzialgleichungen auf das unbedingt erforderliche Maß beschr¨ankt. Die einzelnen Abschnitte werden durch Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeit abgerundet, deren L¨osungen als PDFs im Anhang der Kapitel auf Springer Link (link.springer.com) zu finden sind. Auf diese L¨osungen haben auch Leserinnen und Leser des gedruckten Buches Zugriff. Auf vielfachen Wunsch wurden zudem ausf¨uhrliche L¨osungen erstellt, welche als Zusatzmaterial vom Autor bereitgestellt werden, Sie finden den entsprechenden Link auf der Produktseite zum Buch auf der Website des Verlags.

Danke! Zum Schluss m¨ochte ich mich bei verschiedenen Personen bedanken, die mich w¨ahrend der Erstellung dieses Buches unterst¨utzt haben. Hier sind zuerst die Studierenden sowie die Leserinnen und Leser zu nennen, die dieses Buch dankbar angenommen und mich auf einige Unzul¨anglichkeiten in den ersten beiden Auflagen hingewiesen haben. Explizit m¨ochte ich Jean-Marie Wittwer erw¨ahnen, der mir etliche Hinweise gegeben hat und mit dem ich in einem anregenden Austausch stehe. Ein herzliches Dankesch¨on geht auch an Fabian G¨artner, der etliche Fotos zu diesem Buch beigesteuert hat. Die Zusammenarbeit mit dem Verlag verlief reibungslos, Annika Denkert und Anja Groth hatten immer ein offenes Ohr f¨ur meine Probleme. Nicht zuletzt m¨ochte ich mich bei meiner Frau Simone ¨ und meinen Kindern bedanken, die w¨ahrend der Erstellung des Buches und der Uberarbeitung zu Neuauflagen etliche Entbehrungen in Kauf nehmen mussten. Karlsruhe, im November 2020

Klaus D¨urrschnabel

Inhaltsverzeichnis 1

2

3

Zahlenbereiche

1

1.1

Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

1.2

Nat¨urliche, ganze und rationale Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4

1.3

Reelle Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

1.4

Komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Funktionen

27

2.1

Funktionen als Modelle der Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

2.2

Der Funktionsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

2.3

Eigenschaften von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

Elementare Funktionen

53

3.1

Signum- und Betragsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

3.2

Ganze rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

3.3

Gebrochene rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

3.4

Allgemeine Potenz- und algebraische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

3.5

Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

3.6

Exponentialfunktion und Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 vii

viii

Inhaltsverzeichnis

4

Lineare Gleichungssysteme

117

4.1

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

4.2

Das Gauß’sche Eliminationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5

Vektorrechnung

139

5.1

Vektorielle Gr¨oßen in Alltag und Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

5.2

Vektoren im Anschauungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

5.3

Allgemeine Vektorr¨aume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

5.4

Lineare Abh¨angigkeit und Unabh¨angigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

5.5

Basis und Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 6

Produkte von Vektoren

173

6.1

Das Skalarprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

6.2

Das Vektorprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

6.3

Das Spatprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 7

Analytische Geometrie

197

7.1

Probleme im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

7.2

Parameterdarstellung von Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

7.3

Parameterdarstellung von Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

7.4

Hyperebenen in Gleichungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

7.5

Schnittprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

7.6

Abstandsberechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

7.7

Winkelberechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

7.8

Kreis und Kugel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Inhaltsverzeichnis

8

Matrizen

249

8.1

Transformationen in der Ebene und im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

8.2

Matrizenaddition und Matrizenmultiplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

8.3

Invertieren von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

8.4

Koordinatentransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

8.5

Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

8.6

Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 9

Eigenwerte

299

9.1

Problemstellungen in der Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300

9.2

Eigenwerte und Eigenvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 10 Grenzwerte

315

10.1 Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 10.2 Der Grenzwertbegriff bei Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 10.3 Die Euler’sche Zahl e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 10.4 Der Grenzwertbegriff bei Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 10.5 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 11 Differenzialrechnung

349

11.1 Der Ableitungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 11.2 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 11.3 Mittelwertsatz und stetige Differenzierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390

ix

x

Inhaltsverzeichnis

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

395

12.1 Monotonieuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 12.2 Extremwertprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 12.3 Der Regenbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 12.4 Wendepunkte und Kurvendiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 12.5 Regel von Bernoulli-de l’Hospital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 12.6 Das Newton-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 13 Unbestimmtes Integral

437

13.1 Stammfunktionen und unbestimmtes Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 13.2 Integrationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 14 Bestimmtes Integral

459

14.1 Fl¨acheninhaltsproblem und bestimmtes Integrals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 14.2 Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 14.3 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 15 Numerische Integration

483

15.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 15.2 Trapezregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 15.3 Kepler-Fassregel und Simpson-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

Inhaltsverzeichnis

16 Anwendungen der Integralrechnung

497

16.1 Fl¨achenberechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 16.2 Volumina von Rotationsk¨orpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 16.3 Physikalische Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 16.4 Wahrscheinlichkeitsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 17 Reihen

521

17.1 Der Reihenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 17.2 Konvergenzkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 18 Potenzreihen

543

18.1 Der Begriff der Potenzreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 18.2 Potenzreihen und Funktionen – Satz von Taylor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 18.3 Wichtige Potenzreihenentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 18.4 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

583

19.1 Trigonometrische Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 19.2 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 19.3 Komplexe Schreibweise der Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 19.4 Fourier-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613

xi

xii

Inhaltsverzeichnis

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

617

20.1 Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 20.2 Der Stetigkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 20.3 Partielle Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 20.4 Totales Differenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 20.5 Richtungsableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 20.6 Partielle Ableitungen h¨oherer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 20.7 Divergenz und Rotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

663

21.1 Extrema ohne Nebenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664 21.2 Anwendung: Lineare Regression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 21.3 Extrema mit Nebenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 22 Bereichsintegrale

695

22.1 Bereichsintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 22.2 Bereichsintegrale u¨ ber Normalbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 22.3 Polar-, Zylinder und Kugelkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 23 Allgemeine Kurven

717

23.1 Der Kurvenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 23.2 Tangentenvektor und Tangente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723 23.3 Bogenl¨ange und Bogenl¨angenparametrisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728 23.4 Die Kr¨ummung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 23.5 Das allgemeine Kurvenintegral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751

Inhaltsverzeichnis

24 Gew¨ohnliche Differenzialgleichungen

757

24.1 Der Begriff der Differenzialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 758 24.2 Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761 24.3 Schwingungsdifferenzialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789 Sachverzeichnis

791

xiii

Zahlenbereiche

1

Was sind Mengen? Was sind nat¨ urliche, ganze und rationale Zahlen? Was sind reelle Zahlen und warum arbeitet man gew¨ ohnlich mit ihnen? Wann ben¨ otigt man komplexe Zahlen und wie rechnet man mit ihnen? Blick auf St. Martin in Passeier

1.1 1.2 1.3 1.4

Mengen . . . . . Nat¨ urliche, ganze Reelle Zahlen . . Komplexe Zahlen Aufgaben . . . .

. . . . . . . . und rationale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . Zahlen . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

2 4 5 10 23

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_1 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_1

1

2

1 Zahlenbereiche Mengen sind die zentrale Grundlage der Mathematik. Insbesondere Zahlenmengen spielen eine bedeutende Rolle. Ausgehend von den nat¨ urlichen Zahlen wird der Zahlenraum ¨ uber die ganzen und rationalen Zahlen hin zu den reellen Zahlen, mit denen man u ¨blicherweise in der Mathematik arbeitet, erweitert. Bei manchen Problemen ben¨ otigt man nochmals eine Erweiterung der Zahlenmenge zu den komplexen Zahlen.

1.1 Menge

Mengen

Mengen spielen in allen Bereichen des t¨aglichen Lebens eine Rolle und sind uns wohlvertraut. So spricht man von einer Menge von 80 000 Zuschauern bei einem Fußballspiel, von einer Menge von 250 g Zucker zum Backen eines Kuchens oder von einer gewissen Menge von Weinsorten. Diese vollkommen verschiedenen Arten von Mengen werden von der Mathematik in einem einheitlichen, wertneutralen Kalk¨ul beschrieben. Von besonderem Interesse sind hierbei Zahlenmengen, da durch diese relativ viele Dinge der realen Welt beschrieben werden k¨onnen. Wir wollen hier nur einige wenige n¨utzliche Schreibweisen f¨ur Mengen einf¨uhren, auf die wir im Folgenden immer wieder zur¨uckgreifen werden. Zur Charakterisierung von Mengen verwendet man entweder die aufz¨ahlende oder die beschreibende Schreibweise: A = {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 0} = {x | x ist eine arabische Ziffer} B = {Rot, Gr¨un, Blau} = {x | x ist eine Grundfarbe der additiven Farbmischung}

Element

Die einzelnen Objekte in einer Menge werden in der Mathematik als Elemente bezeichnet. Die Zugeh¨origkeit eines Elements zu einer Menge wird durch das Elementzeichen ∈ gekennzeichnet, die Nichtzugeh¨origkeit durch das durchgestrichene Elementzeichen 6∈: 7 ∈ A w 6∈ A

Euler-Diagramm Venn-Diagramm

Blau ∈ B Gelb 6∈ B

Die Zugeh¨origkeit bzw. Nichtzugeh¨origkeit eines Elements zu einer Menge wird oft mithilfe sogenannter Euler1 - oder Venn2 -Diagramme veranschaulicht.

1

Leonhard Euler, 1707–1783, schweizer Mathematiker, wirkte in St. Petersburg und Berlin. 2

John Venn, 1824–1923, britischer Priester und Mathematiker.

1.1

Mengen

A b

7∈A b

w 6∈ A

¨ Wenn man von einer Menge von 3 Apfeln alle isst, besitzt man eigentlich ¨ keine Menge von Apfeln mehr. Um derartige Sonderf¨alle nicht separat behandeln zu m¨ussen, f¨uhrt man neben den Mengen mit Elementen noch die Menge ohne irgendwelche Elemente, die sog. leere Menge ein. Diese wird mit 0/ oder {} bezeichnet.

Leere Menge

Zwischen Mengen werden folgende Operationen ben¨otigt: • die Vereinigung zweier Mengen

Vereinigung

A ∪ B = {x | x ∈ A oder x ∈ B} A

B

• der Durchschnitt zweier Mengen

Durchschnitt

A ∩ B = {x | x ∈ A und x ∈ B} A

B

• die Differenz zweier Mengen

Differenz

A\B = {x | x ∈ A und x 6∈ B} A

B

3

4

1 Zahlenbereiche

Teilmenge

H¨aufig hat man es auch mit Teil- oder Untermengen zu tun. So ist die Menge der Apfelsorten eine Teilmenge der Obstsorten oder die Menge der Studierenden im 1. Semester eine Teilmenge innerhalb der Menge aller Studierenden. Mathematisch wird dies u¨ ber das Symbol ⊂ beschrieben. Ist die Teilmengenbeziehung falsch, benutzt man das Symbol 6⊂. A B A⊂B

Beispiel 1.1 Wir betrachten die Mengen A = {2,4,6,8,10}

und

B = {3,6,9}.

Dann ergibt sich A∪B A∩B A\B B

= = = 6⊂

{2,3,4,6,8,9,10} {6} {2,4,8,10} A. ◭

1.2 Naturliche ¨ Zahlen N

Nat¨ urliche, ganze und rationale Zahlen

Der erste Zahlenbereich, mit dem man in der Kindheit in Ber¨uhrung kommt, ist der Bereich der nat¨urlichen Zahlen. Dies sind die Zahlen, mit welchen man die Anzahl der Elemente einer Menge allt¨aglicher Elemente beschreiben kann. So spricht man von den 3 Musketieren, den 7 Zwergen oder von Ali Baba und den 40 R¨aubern. Als naturliche ¨ Zahlen bezeichnet man also die Menge3 N = {0,1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12, . . .}. 3

In fr¨uheren Zeiten wurde die Zahl 0 nicht den nat¨urlichen Zahlen zugeordnet, doch wurde in der DIN 5473 festgelegt, dass auch diese Zahl eine nat¨urliche Zahl ist. Dieser Vereinbarung wollen wir folgen.

1.3

Reelle Zahlen

Wird die Zahl 0 ausgeschlossen, so benennen wir den entstehenden Zahlenbereich als N∗ = {1,2,3,4,5,6, . . .} = N\{0}. Innerhalb der nat¨urlichen Zahlen kann man problemlos addieren und multiplizieren. Bei der Subtraktion treten jedoch erste Probleme auf. Man kann zwar die Differenz 4 − 3, nicht aber 3 − 4 innerhalb der nat¨urlichen Zahlen bilden. Aus diesem Grund wird der Zahlenbereich der nat¨urlichen Zahlen um die negativen ganzen Zahlen zum Zahlenbereich der ganzen Zahlen

Ganze Zahlen Z

Z = {. . ., − 4, − 3, − 2, − 1,0,1,2,3,4, . . .} erweitert. Leider ist es innerhalb dieses Zahlenbereichs im Allgemeinen immer noch nicht m¨oglich, die Division durchzuf¨uhren. So ist die Division von 4 durch die Zahl 3 innerhalb der ganzen Zahlen nicht l¨osbar. Daher muss man diesen Zahlenbereich nochmals, jetzt um die Br¨uche qp , zu den rationalen Zahlen   p Q = | p ∈ Z, q ∈ N∗ q erweitern. Damit ist die sogenannte Abgeschlossenheit bzgl. aller vier Grundrechenarten, der Addition, der Multiplikation, der Subtraktion und der Division, gew¨ahrleistet. Es wird sich aber im n¨achsten Abschnitt herausstellen, dass dieser Zahlenbereich noch immer nicht alle gew¨unschten Abgeschlossenheitseigenschaften aufweist und abermals erweitert werden muss.

1.3

Reelle Zahlen

Wurzeln spielen innerhalb der Geometrie eine zentrale Rolle. M¨ochte man z. B. die L¨ange d der Diagonale in einem Quadrat der Seitenl¨ange 1 bestimmen, so ergibt sich diese nach dem Satz des Pythagoras4 u¨ ber die Beziehung in einem rechtwinkligen Dreieck d 2 = 12 + 12 zu √ d = 2.

d

1

1 4

Dieser Sachverhalt ist benannt nach dem griechischen Mathematiker und Philosophen Pythagoras von Samos, ca. 570 – ca. 475 v. Chr., welcher den Satz erstmals bewies. Der ¨ Sachverhalt an sich war schon den Babyloniern und Agyptern bekannt.

Rationale Zahlen Q

5

6

1 Zahlenbereiche

Und genau an dieser √ Stelle reichen die rationalen Zahlen nicht mehr aus. Die L¨ange d = 2 der Diagonalen ist keine rationale Zahl.

Irrationalit¨at von

√ 2

Satz

√ 2 ist keine rationale Zahl.

√ Beweis Dass 2 eine irrationale Zahl ist, weist man mit folgender Argumentation nach, welche als Beweis durch Widerspruch bezeichnet √ wird. Wir gehen entgegen der Aussage des Satzes davon aus, dass 2 doch eine rationale Zahl ist, und werden daraus einen Sachverhalt folgern, der offensichtlich nicht richtig ist. Da die gemachten Schl¨usse alle korrekt sind und trotzdem das Ergebnis einen Fehler beinhaltet, muss die gemachte Annahme falsch sein. Dies bedeutet dann aber genau, dass die Aussage des Satzes gilt. Wir gehen also jetzt davon aus, dass es einen Bruch schaft  2 p p2 = 2 = 2. q q

p q

gibt mit der Eigen-

Wir k¨onnen ohne Einschr¨ankung annehmen, dass dieser Bruch vollst¨andig gek¨urzt ist, also dass insbesondere p und q nicht beide gerade Zahlen sind. Aus der obigen Gleichung l¨asst sich sofort p2 = 2q2 folgern, d. h. insbesondere ist die ganze Zahl p2 eine gerade Zahl. W¨are nun p eine ungerade Zahl, so ließe sich p in der Form p = 2k+1 (k ∈ Z) darstellen, und damit w¨are p2 = (2k+1)2 = 4k2 +4k+1 ebenfalls ungerade. Demzufolge kann also p nur eine gerade Zahl sein, d. h. wir k¨onnen p schreiben als p = 2k,

k ∈ Z.

Wegen p2 = 2q2 ist damit 4k2 = 2q2 bzw. q2 = 2k2 . Dies wiederum bedeutet, dass q2 eine gerade Zahl ist und damit, nach der f¨ur p bereits durchgef¨uhrten Argumentation, auch q selbst. Zusammenfassend k¨onnen wir feststellen, dass sowohl p als auch q gerade Zahlen sind. Dies steht aber in Widerspruch dazu, dass wir den Bruch als vollst¨andig gek¨urzt vorausgesetzt hatten. Da die gemachten Schl¨usse

1.3

Reelle Zahlen

alle richtig sind, das Ergebnis aber offensichtlich nicht gehalten werden kann, muss der Fehler ganz√ am Anfang gemacht worden sein, d. h. in der gemachten Annahme, dass 2 rational ist.  Die rationalen Zahlen reichen also zur Wurzelbildung nicht aus. Neben den Wurzeln gibt es noch weitere irrationale Zahlen wie z. B. die Kreiszahl π . Bekanntlich ist der Quotient aus Umfang U eines Kreises und dessen Durchmesser d f¨ur alle Kreise konstant: U = π = 3,141 592 653 589 793 . . . d

d

U

Es l¨asst sich zeigen, dass diese Zahl sich nicht als ein Bruch und auch nicht als eine Wurzel darstellen l¨asst. Wir m¨ussen demzufolge unsere vertrauten rationalen Zahlen um die irrationalen Zahlen erweitern. Unter den irrationalen Zahlen verstehen wir die nicht rationalen Zahlen, denen man mithilfe von Dezimalzahlen beliebig nahe kommen kann. Den neu entstehenden Zahlenbereich nennt man den Bereich der reellen Zahlen

Reelle Zahlen R

R = {x | x ist rational oder irrational} . Die reellen Zahlen lassen sich auf √ der gerichteten Zahlengeraden anordnen. Auch die irrationale Zahl 2 findet dort ihren Platz und l¨asst sich sogar geometrisch konstruieren.

−3

−2

−1

0

1



2

2

3 x

In der Praxis ist man h¨aufig gezwungen, innerhalb der reellen Zahlen Ungleichungen zu l¨osen, wie folgendes Anwendungsbeispiel zeigt.

Zahlengerade

7

8

1 Zahlenbereiche

Stromtarife

Beispiel 1.2 Der Preis f¨ur den bezogenen elektrischen Strom besteht aus einer monatlichen Grundgeb¨uhr und einem variablen Verbrauchsteil. Ein Elektrizit¨atswerk bietet folgende Tarife an: Tarif A: Tarif B:

Grundgeb¨uhr: 10 e Grundgeb¨uhr: 15 e

Geb¨uhr pro kWh: 0,25 e Geb¨uhr pro kWh: 0,23 e

F¨ur welche monatlichen Energieverbrauchsmengen ist der Tarif A g¨unstiger als Tarif B? Zur L¨osung dieses Problems beschreiben wir zun¨achst die Kosten im mathematischen Kalk¨ul. Bezeichnen wir mit x die Anzahl der verbrauchten Kilowattstunden, so berechnen sich die Kosten in e folgendermaßen: Tarif A: Tarif B:

10 + 0,25 · x

15 + 0,23 · x

Um zu bestimmen, f¨ur welche Verbrauchswerte x der Tarif A der g¨unstigere ist, m¨ussen wir die Ungleichung 10 + 0,25 · x < 15 + 0,23 · x l¨osen. Wir isolieren die Variable x auf einer Seite, subtrahieren also auf beiden Seiten 10 sowie 0,23 · x. Es ergibt sich 0,02 · x < 5 bzw. nach Multiplikation mit 50 x < 250. Da der Stromverbrauch nie negativ werden kann, ergibt sich als L¨osungsmenge L = {x | 0 ≤ x < 250}, d. h. bei einem Stromverbrauch zwischen 0 und 250 kWh im Monat ist der Tarif A der g¨unstigere. ◭

Intervalle

Wie in diesem Beispiel ben¨otigt man in der Analysis h¨aufig Ausschnitte der Zahlengeraden, welche man als Intervalle bezeichnet. Man unterscheidet

1.3

abgeschlossene Intervalle, bei welchen die Randpunkte zur Menge geh¨oren:

Reelle Zahlen

Abgeschlossenes Intervall

[a,b] = {x ∈ R | a ≤ x ≤ b} offene Intervalle, bei welchen die Randpunkte nicht zur Menge geh¨oren:

Offenes Intervall

]a,b[ = {x ∈ R | a < x < b} halboffene Intervalle, bei welchen nur ein Randpunkt zur Menge geh¨ort: [a,b[ = {x ∈ R | a ≤ x < b}

]a,b] = {x ∈ R | a < x ≤ b}

An den offenen Enden sind auch die nicht zur R geh¨orenden Gr¨oßen ±∞ m¨oglich. Mithilfe solcher Intervalle lassen sich L¨osungsmengen von Ungleichungen sehr elegant beschreiben. So ergibt sich die L¨osungsmenge im obigen Beispiel 1.2 k¨urzer als L = [0,250[. Wir wollen noch zwei weitere Beispiele zu Ungleichungen l¨osen.

Beispiel 1.3 x2 − 2x − 3 < 0 Die gestellte Aufgabe l¨asst sich folgendermaßen umformen: x2 − 2x + 1 (x − 1)2 |x − 1| −2 −1

< < < <
4 ist: In diesem Fall ergibt sich nach Multiplikation mit dem Nenner folgende Argumentationskette: x < 2x − 8 8 < x Als Teill¨osungsmenge f¨ur diesen Fall erhalten wir somit L1 = ]8,∞[. 2. Fall: 2x − 8 < 0, was gleichbedeutend mit x < 4 ist: Jetzt dreht sich aufgrund der Multiplikation der Ungleichung mit der negativen Gr¨oße 2x − 8 das Ungleichheitszeichen um. x > 2x − 8 8 > x Da x < 4 vorausgesetzt wurde, ergibt sich als Teill¨osungsmenge dieses Falls L2 = ]−∞,4[. Als Gesamtl¨osungsmenge der Ungleichung haben wir somit L = L1 ∪ L2 = ]8,∞[ ∪ ]−∞,4[ . ◭

Derartige Ungleichungen lassen sich auch mithilfe von Computeralgebrasystemen wie Maple, Mathematica oder Maxima l¨osen. Der Leserin bzw. dem Leser wird empfohlen, die L¨osungsf¨ahigkeiten eines Computeralgebrasystems mittels der Beispiele auszutesten.

1.4

Komplexe Zahlen

F¨ur bestimmte Zwecke sind die reellen Zahlen immer noch nicht ausreichend. Mithilfe der nachfolgend geschilderten Erweiterung lassen sich

1.4

Komplexe Zahlen

viele Ph¨anomene in der Natur hervorragend beschreiben, so z. B. die ¨ Uberlagerung zweier Schwingungen in zueinander orthogonalen Richtungen oder der Strom-/Spannungsverlauf im Wechselstromkreis mit ohmschen und kapazitiven Widerst¨anden. Manchmal m¨ochte man auch negativen Zahlen eine Wurzel zuordnen, was innerhalb der reellen Zahlen nicht m¨oglich ist. Um dies zu erm¨oglichen, definiert man als neue sog. imagin¨are Einheit5 √ i := −1.

Imagin¨are Einheit

Hiermit ergeben sich neben den reellen Zahlen neue Zahlen wie 3i, 3 + i oder −2 + 17i. Allgemein definiert man die komplexen Zahlen als

Komplexe Zahlen C

C := {a + bi | a,b ∈ R} . Innerhalb dieses erweiterten Zahlenbereichs darf man mit den bekannten Rechenregeln wie gewohnt operieren. Man muss lediglich ber¨ucksichtigen, dass i2 = −1 gilt.

Beispiel 1.5 (3 − 4i) · (−2 + i) = 3 · (−2) + 3 · i + (−4i) · (−2) + (−4i) · i = −6 + 3i + 8i − 4i2 = −6 + 11i − 4 · (−1) = −2 + 11i



Oft steht man vor dem Problem, durch eine komplexe Zahl z = a + bi dividieren zu m¨ussen. Hier hilft die Erweiterung des bestehenden Bruchs mit der konjugiert komplexen Zahl z¯ := a − bi, wie folgendes Beispiel belegt.

5

Die Zeichenkombination := bzw. =: bedeutet, dass der Ausdruck auf der Seite des Doppelpunkts durch die andere Seite erkl¨art, also definiert wird.

Konjugiert komplexe Zahl

11

12

1 Zahlenbereiche

Beispiel 1.6 5 + 15i (5 + 15i)(−2 − i) = −2 + i (−2 + i)(−2 − i)

−10 − 5i − 30i − 15i2 4 − i2 5 − 35i = 5 = 1 − 7i =



Gauß’sche Zahlenebene

Die Lage der komplexen Zahlen lassen sich in einem kartesischen Koordinatensystem, der sog. Gauß’schen6 Zahlenebene, veranschaulichen. Erweitert man die reelle Zahlengerade um eine dazu orthogonale imagin¨are Achse, lassen sich alle komplexen Zahlen einzeichnen. Im(z) −2 + 4i

4i b

2 + 3i

3i b

2i −1 + i b

−4 −3 −2 −1 −2 − 2i b

1 −1i

Realteil Imagin¨arteil

b

b

2

3

−2i −3i

−3 − 4i

4+i

i

4 Re(z)

b

b

4 − 2i

2 − 3i

−4i

Den reellen Anteil einer komplexen Zahl z = a + bi bezeichnet man als Realteil a = Re(z), den komplexen Anteil als Imagin¨arteil b = Im(z).

6

Carl Friedrich Gauß, 1777–1855, gilt als der bedeutendste deutsche Mathematiker u¨ berhaupt. Er besch¨aftigte sich neben Mathematik auch mit Geod¨asie, Astronomie und Physik.

1.4

Lissajous-Figuren

Beispiel 1.7 An einem Oszilloskop wird an das horizontal ablenkende Plattenpaar eine von der Zeit t abh¨angige, sinusf¨ormige Wechselspannung U1 = Umax · sin(ω1t) angelegt. Gleichzeitig wird der Elektronenstrahl durch die vertikal ablenkenden Platten mit einer zweiten um den Phasenwinkel ϕ verschobenen Schwingung U2 = Umax · sin(ω2 t + ϕ ) u¨ berlagert. Auf dem Bildschirm entstehen sog. Lissajous7 -Figuren. Aufgrund der M¨oglichkeit, komplexe Zahlen als Orte in der Gauß’schen Zahlenebene zu charakterisieren, ist es m¨oglich, ¨ die entstehende Uberlagerungsfigur mithilfe der von der Zeit t abh¨angigen komplexen Darstellung z = Umax · sin(ω1t) + i ·Umax · sin(ω2t + ϕ ) zu beschreiben. Mithilfe eines Computeralgebrasystems k¨onnen wir uns die entstehenden Kurven zeichnen lassen. Die folgenden Bilder zeigen die entstehenden Figuren f¨ur verschiedene Frequenzverh¨altnisse ω1 : ω2 und verschiedene Phasenwinkel ϕ .

ω1 : ω2 = 1 : 1 ϕ = π4

ω1 : ω2 = 1 : 2 ϕ =0

ω1 : ω2 = 1 : 3 ϕ =0

ω1 : ω2 = 1 : 3 ϕ = π4 ◭

7

Komplexe Zahlen

Jules Antoine Lissajous, 1822–1880, franz¨osischer Mathematiker und Physiker.

13

14

1 Zahlenbereiche

Betrag einer komplexen Zahl

Ebenso wie im Reellen k¨onnen wir auch von einer komplexen Zahl z = a + bi den Betrag als Abstand vom Nullpunkt einf¨uhren. Nach dem Satz des Pythagoras ergibt sich dieser als p |z| = a2 + b2 . Im(z)

bi b

z = a + bi

|z |

ϕ a Argument einer komplexen Zahl

Re(z)

Der Winkel ϕ , welcher von der reellen Achse und der Verbindung des Ursprungs zur komplexen Zahl eingeschlossen wird, wird als Argument arg (z) der komplexen Zahl bezeichnet. Dabei gilt tan (ϕ ) =

b . a

Im(z)

bi −a

z2

b

b

ϕ +π

z1

ϕ a

−bi

Leider gilt auch tan (ϕ + π ) =

b −b = = tan (ϕ ) −a a

Re(z)

1.4

Komplexe Zahlen

d. h. der Tangenswert wiederholt sich bei einer Erh¨ohung des Winkels um π . F¨ur die Berechnung des Winkels ϕ ist es somit von Bedeutung, ob man sich in der rechten Halbebene (a > 0) oder in der linken Halbebene (a < 0) der Gauß’schen Zahlenebene befindet. Es existieren offensichtlich die Beziehungen a = |z| · cos (ϕ ) und b = |z| · sin (ϕ ). Demzufolge l¨asst sich eine komplexe Zahl neben der algebraischen Form z = a + bi zus¨atzlich in der trigonometrischen Form

Algebraische und trigonometrische Form

z = |z| · (cos (ϕ ) + i sin (ϕ )) darstellen. Man spricht auch von der Polardarstellung.

Polardarstellung

Beispiel 1.8 Wir berechnen die trigonometrische Darstellung der komplexen Zahl z1 = 1 + i. Es ist |z1 | =

p √ 12 + 12 = 2

tan (ϕ1 ) =

1 = 1. 1

Wir befinden uns in der rechten Halbebene, d. h. es gilt − π2 < ϕ1 < π π 2 . Demzufolge ist ϕ1 = 4 und damit lautet die trigonometrische Darstellung  π  √  π  + i sin . z1 = 2 · cos 4 4 Dagegen gelten f¨ur die Zahl √ z2 = −1 + 3i die Beziehungen q √ 2 |z2 | = (−1)2 + 3 = 2

√ √ − 3 tan (ϕ2 ) = = − 3 1

Dieses Mal befinden wir uns in der linken Halbebene, d. h. es gilt wegen π2 < ϕ2 < 23 π

ϕ2 =

2 π 3

und damit      2 2 π + i sin π z2 = 2 · cos . 3 3 ◭

15

16

1 Zahlenbereiche

Beispiel 1.9 Nun wollen wir umgekehrt die algebraische Darstellung der komplexen Zahl   π  π  z2 = 2 · cos − + i sin − 6 6 bestimmen. Es gilt  π 1√ cos − = 3 6 2

 π 1 sin − = − 6 2

und damit

z2 = 2 ·



1√ 1 3−i 2 2



=



3 − i. ◭

Mithilfe der Polardarstellung ist es m¨oglich, die Multiplikation in der Gauß’schen Zahlenebene zu interpretieren. Multipliziert man zwei komplexe Zahlen z1 , z2 , so ergibt sich   z1 ·z2 = |z1 | (cos (ϕ1 )+i sin (ϕ1 )) · |z2 | (cos (ϕ2 )+i sin (ϕ2 )) = |z1 | · |z2 | · (cos (ϕ1 ) cos (ϕ2 ) − sin(ϕ1 ) sin (ϕ2 ))

+ i (cos (ϕ1 ) sin (ϕ2 ) + sin(ϕ1 ) cos (ϕ2 ))



bzw. unter Ausnutzung der Additionstheoreme f¨ur Kosinus und Sinus (vgl. Abschnitt 3.5)   z1 · z2 = |z1 | · |z2 | · cos (ϕ1 + ϕ2 ) + i sin (ϕ1 + ϕ2 ) . Diese letzte Formel besagt, dass beim Produkt zweier komplexer Zahlen die Betr¨age multipliziert und die Argumente addiert werden. In der Gauß’schen Zahlenebene handelt es sich also um eine Drehstreckung der Zahl z1 mit dem Skalierungsfaktor |z2 | und dem Drehwinkel ϕ2 = arg (z2 ). Im(z) z1 · z2 b b

z2

|· |z 1 b

| |z 2

ϕ1+ϕ2

z1

ϕ2 ϕ1 Re(z)

1.4

Komplexe Zahlen

Durch wiederholte Anwendung der obigen Multiplikationsformel in Polardarstellung lassen sich jetzt problemlos beliebige Potenzen komplexer Zahlen berechnen. Ist z = |z| · (cos (ϕ ) + i sin(ϕ )) , so ergibt sich nacheinander z2 = |z|2 · (cos (2ϕ ) + i sin (2ϕ )) z3 = |z|3 · (cos (3ϕ ) + i sin (3ϕ )) z4 = |z|4 · (cos (4ϕ ) + i sin (4ϕ )) Die nahe liegende Verallgemeinerung ist Inhalt des folgenden Satzes.

De Moivre’sche8 Formel Ist z = |z| · (cos (ϕ ) + i sin (ϕ )) eine komplexe Zahl und n ∈ N, so berechnet sich die n-te Potenz von z als zn = |z|n · (cos (nϕ ) + i sin (nϕ )) .

Beispiel 1.10 Zur Berechnung von (1+i)14 bestimmt man zun¨achst √ die Polardar√ stellung der Basis 1+i. Der Betrag dieser Zahl ist 12 +12 = 2. Da der Imagin¨arteil dieser Zahl genau so groß ist wie der Realteil, betr¨agt der Wert des Arguments arg(1+i) = π4 . Damit ergibt sich 14

(1 + i)

= = = =

     π  14 √ π 2 cos + i sin 4 4  π  √ 14   π  2 cos 14 + i sin 14   4  4 7 7 27 cos π + i sin π 2 2  128 0 + i · (−1)

= −128i



8

Abraham de Moivre, 1667–1754, geb¨urtig in Frankreich, emigrierte nach England.

De Moivre’sche Formel fur ¨ das Potenzieren komplexer Zahlen

17

18

1 Zahlenbereiche

n -te Wurzeln aus komplexen Zahlen

Mithilfe der Moivre’schen Formel ist es auch m¨oglich, die n-ten Wurzeln einer komplexen Zahl z = |z| · (cos (ϕ ) + i sin (ϕ )) zu finden, also Zahlen w = |w| · (cos (ϑ ) + i sin (ϑ )) zu suchen mit der Eigenschaft wn = |w|n (cos (nϑ ) + i sin (nϑ )) = z = |z| · (cos (ϕ ) + i sin(ϕ )) . Diese Zahlen w m¨ussen folgende Eigenschaften haben: |w|n = |z|

nϑ = ϕ + 2kπ

Daraus ergibt sich eine eindeutige L¨osung f¨ur den Betrag p |w| = n |z|,

aber mehrere M¨oglichkeiten f¨ur den Winkel

ϑ =

ϕ +2kπ . n

Da die eindeutige Winkelmessung durch den Winkel 2π begrenzt ist, gilt hierbei 0 ≤ ϑ < 2π . Demzufolge sind nur die Werte k = 0, 1, 2, . . ., n − 1 m¨oglich, sodass wir n verschiedene n-te Wurzeln von z erhalten, n¨amlich      p ϕ +2kπ ϕ +2kπ wk = n |z| · cos + i sin , n n k = 0, 1, 2, . . . , n−1.

Beispiel 1.11 Wir wollen die dritten Wurzeln aus z = −8 bestimmen. Die polare Darstellung hierzu lautet z = 8 · (cos(π ) + i sin(π )) . Damit ergeben sich die dritten Wurzeln zu      √ π +2kπ π +2kπ 3 + i sin , wk = 8 · cos 3 3

k = 0,1,2

1.4

bzw.  π   π  w0 = 2 cos + i sin 3  3  1√ 1 +i· 3 = 2 2 2 √ = 1 + 3i      3π 3π w1 = 2 cos + i sin 3 3 = 2 (−1 + i · 0) = −2      5π 5π w2 = 2 cos + i sin 3 3    √ 1 1 +i· − 3 = 2 2 2 √ = 1 − 3i. In der Gauß’schen Zahlenebene sind die L¨osungen – wie in der Figur angedeutet – jeweils um den Winkel 23π versetzt auf einem Kreis mit dem Radius 2 angeordnet. Im(z) √ w0 = 1 + 3i

2 b

w1 = −2 b

2π 3 2π 3

2

2π 3

Re(z)

√ w2 = 1 − 3i b



Komplexe Zahlen

19

20

1 Zahlenbereiche

Beispiel aus der Elektrotechnik

Beispiel 1.12 An einen ohmschen Widerstand wird die von der Zeit t abh¨angige Wechselspannung U = U0 · sin(ω t) angelegt.

bc

U∼ bc

R

Die Gr¨oße ω ist hierbei die sog. Kreisfrequenz und steht mit der angelegten Frequenz f u¨ ber die Formel ω = 2π f in Verbindung. Bei diesem Versuchsaufbau ergibt sich aufgrund des ohmschen9 Gesetzes als Stromst¨arke I =

U U0 = sin (ω t) = I0 sin (ω t) . R R

Man sagt, dass Spannung und Stromst¨arke in Phase sind. Befindet sich an der Stelle des ohmschen Widerstandes R ein Kondensator mit der Kapazit¨at C, so wird der Stromfluss wieder durch einen Widerstand begrenzt, n¨amlich durch die entgegengesetzte Aufladung des Kondensators zur Spannungsquelle U = U0 · sin (ω t).

bc

U∼

C

bc

Zum Zeitpunkt der Maximalspannung U0 ist die Spannung am Kondensator praktisch konstant. Folglich fließt in den Kondensator weder Ladung zu noch ab. Der Stromfluss I ist also zum Erliegen

1.4

gekommen. F¨allt danach die Spannung ab, so wird der Kondensator durch einen Strom in umgekehrter Richtung entladen. Die Stromst¨arke erreicht ihr Maximum, wenn sich die Spannung am schnellsten a¨ ndert, also beim Wechsel des Vorzeichens. Dies bedeutet aber, dass die Stromst¨arke der Spannung um π2 vorauseilt, d. h. die Stromst¨arke l¨asst sich darstellen in der Gestalt I = I0 · cos (ω t) . Die Physik lehrt, dass der Maximalwert der Stromst¨arke gerade I0 = ω C ·U0 betr¨agt.

Wir k¨onnen das Vorauseilen des Stroms um den Winkel π2 mit komplexen Zahlen beschreiben. Interpretieren wir den Kondensator als komplexen, kapazitiven Widerstand mit der Gr¨oße RC = iω1C , so ergibt sich unter Verwendung des ohmschen Gesetzes I =

U U0 sin (ω t) = iω C ·U0 sin (ω t) = 1 RC iω C

= iI0 sin (ω t) . Als Winkel zwischen Strom I und Spannung U erhalten wir damit arg(I) − arg(U) = arg(i) − arg(1) π π = −0 = , 2 2 d. h. aus der komplexen Rechnung ergibt sich unter der formalen Verwendung des ohmschen Gesetzes das Vorauseilen der Stromst¨arke gegen¨uber der Spannung um π2 . Mit der komplexen Rechnung l¨asst sich jetzt auch die Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung bei einer Reihenschaltung aus einem ohmschen und einem kapazitiven Widerstand berechnen.

R bc

U∼ bc

C

Komplexe Zahlen

21

22

1 Zahlenbereiche

Die momentane Stromst¨arke bei einer angelegten Spannung U0 sin (ω t) ergibt sich durch die formale Verwendung des ohmschen Gesetzes zu I = =

U U0 sin (ω t) U0 sin (ω t) = = 1 R + RC R − ωiC R + iωC

U0 sin (ω t) ω CR−i ωC

=

ω CU0 sin (ω t) ω CR − i

ω CU0 sin (ω t) (ω CR + i) (ω CR − i) (ω CR + i) ω CU0 sin (ω t) = (ω CR + i) . ω 2C2 R2 + 1 =

Daraus ergibt sich die Phasenverschiebung ϕ zwischen Strom und Spannung als

ϕ = arg(I) − arg(U) = arg(ω CR + i) − arg(1) = arg(ω CR + i) − 0, d. h. es ist  tan(ϕ ) = tan arg(ω CR + i) =

1 . ω CR

Zum Abschluss dieses Beispiels sei noch bemerkt, dass ganz ¨ a¨ hnliche Uberlegungen bei einer Reihenschaltung eines ohmschen Widerstandes mit einer Spule m¨oglich sind (vgl. → Aufgabe 1.18). ◭

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 1.1 1.1 Es seien A, B,C Mengen. Skizzieren Sie die Ergebnisse folgender Mengenoperationen in einem Euler-Diagramm. a) A ∪ B ∪C b) A ∩ B ∩C c) (A ∪ B) ∩C d) (A ∩ B) ∪C e) (A\B) ∪ (B\A) f) (A ∪ B) \ (B ∩ A) 1.2 Es sei A die Menge der V¨ogel, B die Menge der Wirbeltiere, C die Menge der S¨augetiere, D die Menge der Raubv¨ogel und E die Menge der Insekten. a) Skizzieren Sie die obigen Mengen in einem Euler-Diagramm. Welche Teilmengenbeziehungen bestehen zwischen den Mengen? b) Es seien a die Kohlmeise, b der L¨owe, c der Maik¨afer und d der Frosch. Untersuchen Sie, zu welchen der obigen Mengen diese Elemente geh¨oren. Benutzen Sie die Mengenschreibweise.

Abschnitt 1.3 1.3

Skizzieren Sie folgende Mengen auf der Zahlengeraden.

a) {x ∈ R | 4 ≤ x ≤ 6}   d) − 21 , 12

b) {x ∈ R | x < 0 oder x > 7} h √ i e) 34 , 2 h) [4,∞[ \ [π ,5]

g) [0,5] \ [1,4]

1.4

c) ]−3, − 1[

Welche der folgenden Mengen ist Teilmenge einer der u¨ brigen? [1,3]

]1,3[

[1,3[

]1,3]

[1,2] ∪ ]2,3]

f) [−7, − 4] ∪ [−5, − 1] n √ o i) [−1,3]\ 0, 2

]1,2[ ∪ ]2,3[

¨ 1.5 Berechnen Sie die L¨osungsmenge der folgenden Ungleichungen. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse jeweils mithilfe eines Computeralgebrasystems. 5 1 a) x + 4 ≥ 3x − 6 b) 2x + < 1 − x c) x2 + 2x − 3 ≤ 0 2 4 5 3 x2 − 6 d) x2 − 4x > 0 e) > f) > 2 x x−3 x−5 2x x+3 x g) > 0 h) ≥ i) (x − a)(a − x) ≤ 2ax 2x + 3 x x+3

1.6 Sie wollen bei Ihrer Bank ein Depot u¨ ber die Laufzeit von einem Jahr er¨offnen. Es werden Ihnen drei Alternativen angeboten: Geb¨uhr 20 e

Zinsen 4 %/Jahr

Alternative B:

Geb¨uhr 150 e

Zinsen 5 %/Jahr

Alternative C:

Geb¨uhr 900 e

Zinsen 6,5 %/Jahr

Alternative A:

Die Geb¨uhren werden jeweils vorab zu Beginn der Laufzeit f¨allig. F¨ur welche Betr¨age x ist welche Variante zu empfehlen? F¨ur welche Variante entscheiden Sie sich, wenn Sie 40 000 e (60 000 e) anlegen wollen?

23

24

1 Zahlenbereiche

1.7 Bei einer Baulandumlegung sollen mehrere rechteckige Grundst¨ucke der Gr¨oße 400 m2 erzeugt werden. In welchen Bereichen d¨urfen sich die Seitenl¨angen bewegen, wenn der Umfang der Baugrundst¨ucke h¨ochstens 100 m betragen soll?

Abschnitt 1.4 ¨ 1.8 Berechnen Sie folgende Ausdr¨ucke in der Form a + bi. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse mit einem Computeralgebrasystem. a) (3 + 2i) + (5 − 7i) b) (−3 + 7i) − (1 − i) c) (1 + 2i)(2 + i) √ 2 √ √   d) (3 − i) (−2 − 3i) e) 3 + i −3 + 3 i f) 2 − 2i √ g) −4 h) 7 − 12i i) (3 + i)(1 + 3i) 5 − 10i −2 − 5i 1 j) k) l) 3 + 4i 8 − 6i 1+i

1.9

Zeichnen Sie folgende komplexen Zahlen in die Gauß’sche Zahlenebene ein.

a) 4 + i d) 3i

b) 2 − 3i √ e) − 3

g) −3 + 4i

h) i (3 − i)

c) −5 + 4i √ f) 1 − −8 3−i i) −i

1.10 Lassen Sie sich die Lissajous-Figuren z = Umax · sin (ω1 t) + i ·Umax · sin (ω2 t + ϕ ) mit folgenden Frequenzverh¨altnissen ω1 : ω2 jeweils f¨ur die Phasenwinkel ϕ = 0, π3 , π2 , π von einem Computeralgebrasystem zeichnen. a) ω1 : ω2 = 1 : 1 b) ω1 : ω2 = 1 : 2 c) ω1 : ω2 = 2 : 3 1.11 Berechnen Sie von folgenden komplexen Zahlen den Betrag sowie die Gr¨oße des Arguments. ¨ Uberpr¨ ufen Sie Ihre Rechnung mit einem Computeralgebrasystem. √ √ 3 1 a) 1 − i b) 1 + 3i c) − − i d) −4i 2 2 1.12 Formen Sie die komplexen Zahlen z mit den nachfolgenden Eigenschaften in die algebraische ¨ Form a + bi um. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Rechnung mit einem Computeralgebrasystem. √ a) |z| = 2 arg(z) = π b) |z| = 2 arg(z) = π4 c) |z| = 4

arg(z) = 23 π

d) |z| = 8

arg(z) =

11 6 π

1.13 Skizzieren Sie die durch folgende Bedingungen beschriebenen Mengen in der Gauß’schen Zahlenebene. π a) 0 < Re(z) < 2 b) Im(z) = −Re(z) c) < arg(z) < π 3 z d) |z| ≤ 3 e) =1 f) z · z¯ ≥ 4 z¯ 1.14 Berechnen Sie mithilfe der trigonometrischen Darstellung komplexer Zahlen folgende Potenzen. Kontrollieren Sie Ihre Ergebnisse mit einem Computeralgebrasystem.  √  25 √ 1000 √ 12 a) i93 b) 12 2 + 12 2 i c) −1 + 3 i d) √51 (1 − i) 2

Aufgaben

1.15 Bestimmen Sie alle komplexen Wurzeln. Skizzieren Sie die Lage der Wurzeln in der ¨ Gauß’schen Zahlenebene. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse mit einem Computeralgebrasystem. √ √ √ a) i b) 4 1 + i c) 5 −32 q p √ √  √ 4 d) 3 + 27i e) 5 16 1− 3 i f) 8 1 1.16

a) Bestimmen Sie alle komplexen dritten Wurzeln aus 1. b) Bestimmen Sie mit Ihrem Ergebnis aus Aufgabenteil (a) alle komplexen L¨osungen der Gleichung (1 + z)3 = (1 − z)3 .

1.17 In einem Wechselstromkreis werden eine Lampe mit dem Widerstand 885 Ω und ein Kondensator der Gr¨oße 20 µ F = 20 · 10−6 F in Reihe geschaltet. Die angelegte Frequenz betr¨agt f = 50 Hz = 50 1s . Berechnen Sie den Phasenwinkel ϕ zwischen Strom I und Spannung U. 1.18 Wird an eine Spule eine Wechselspannung U = U0 · sin(ω t) angelegt, so wird in der Spule eine Gegenspannung induziert, die umso gr¨oßer ist, je st¨arker sich der Strom zeitlich a¨ ndert. Ande¨ rerseits wird der Stromfluss am st¨arksten zu einem Anderungsverhalten angeregt, wenn die angelegte Spannung U maximal ist. Demzufolge hinkt die Stromst¨arke I der angelegten Spannung U um den Winkel π2 nach. Die resultierende Stromst¨arke folgt also der Gleichung I = −I0 · cos(ω t). Aus der Physik ist bekannt, dass bei einer Spule mit der Induktivit¨at L der Maximalwert der Stromst¨arke gerade I0 = ω1L · U0 betr¨agt. Das Nachhinken des Stroms um den Winkel π2 l¨asst sich unter Verwendung komplexer Zahlen durch das ohmsche Gesetz beschreiben. Setzt man den induktiven Widerstand RL = iω L, so ergibt sich die Stromst¨arke zu I =

U U0 sin(ω t) 1 = = −i ·U0 sin(ω t) = −iI0 sin(ω t). RL iω L ωL

Als Winkel zwischen Strom I und Spannung U erhalten wir somit arg(I) − arg(U) = arg(−i) − arg(1) = −

π π −0 = − . 2 2

Nun werden ein ohmscher Widerstand sowie eine Spule in Reihe geschaltet. Berechnen Sie analog zur Vorgehensweise in Beispiel 1.12 die komplexe Stromst¨arke I sowie die Phasenverschiebung ϕ zwischen Stromst¨arke I und angelegter Spannung U. Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

25

Funktionen

2

Warum besch¨ aftigen wir uns mit Funktionen? Was sind Funktionen? Welche Eigenschaften k¨ onnen Funktionen haben?

Haus der Kulturen der Welt in Berlin

2.1 2.2 2.3

Funktionen als Modelle der Wirklichkeit Der Funktionsbegriff . . . . . . . . . . . Eigenschaften von Funktionen . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

28 31 35 49

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_2 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_2

27

28

2 Funktionen Funktionen sind die Grundlage der Analysis schlechthin. Reale Vorg¨ange im Alltag und in der Technik m¨ ussen beschrieben und modelliert werden. In diesem Kapitel werden Funktionen als zweckm¨aßige Beschreibung dieser Vorg¨ange eingef¨ uhrt und die wichtigsten Eigenschaften, die Funktionen haben k¨ onnen, vorgestellt.

2.1

Funktionen als Modelle der Wirklichkeit

In unserem Umfeld gibt es viele Gr¨oßen, die von anderen Gr¨oßen abh¨angig sind. Diese Abh¨angigkeiten sind uns so sehr vertraut, dass wir sie kaum noch wahrnehmen.

Briefporto

Beispiel 2.1 Das Briefporto ist abh¨angig vom Gewicht des aufgegebenen Briefs. Inlandsbriefe kosten zurzeit (Stand 1. 1. 2020) bis 20 g: bis 50 g: bis 500 g: u¨ ber 500 g:

0,80 e 0,95 e 1,55 e 2,70 e.

¨ Aus dieser Ubersicht kann jeder Postkunde ermitteln, welche Briefmarke er auf seinen Brief kleben muss. Abh¨angig vom Gewicht des Briefes ergibt sich stets das zu zahlende Briefporto. Ein Standardbrief mit 2 DIN A4-Seiten besitzt ein Gewicht von ca. 10 g, liegt also unter der Grenze von 20 g. Daher gen¨ugt eine Briefmarke zu 0,80 e. Ein 6-seitiger Vertrag hat ein Gewicht von 30 g und erfordert damit eine Briefmarke zu 0,95 e. ◭

Lufttemperatur

Beispiel 2.2 Die durchschnittliche Lufttemperatur wird oftmals tabellarisch angegeben. So ergibt sich aus langj¨ahrigen Messungen f¨ur Frankfurt/Main die nachfolgende Tabelle.

2.1

Monat Januar Februar M¨arz April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember

Funktionen als Modelle der Wirklichkeit

Temperatur 1,9 ◦ C 4,6 ◦ C 7,7 ◦ C 10,2 ◦ C 15,7 ◦ C 18,1 ◦ C 18,9 ◦ C 20,1 ◦ C 16,5 ◦ C 10,5 ◦ C 5,1 ◦ C 3,5 ◦ C

Jedem Monat des Jahres wird durch den entsprechenden Tabelleneintrag eine durchschnittliche Temperatur zugeordnet. Beispielsweise betr¨agt in Frankfurt die durchschnittliche Lufttemperatur im Sommermonat August 20,1 ◦ C und im Monat Dezember nur 3,5 ◦ C. ◭

Bev¨olkerungsentwicklung

Beispiel 2.3 Die Entwicklung der Weltbev¨olkerung wird meistens in Form eines Schaubilds dargestellt. F¨ur die Jahre 1800 bis 2050 haben die Wissenschaftler folgende Kurve ermittelt bzw. hochgerechnet. 10 8 M 6 r d. 4 2 0 1800

1850

1900

Jahr

1950

2000

2050

Man erkennt, dass im Jahr 1950 knapp 3 Milliarden Menschen auf der Erde lebten und im Jahr 2000 ziemlich genau 6 Milliarden. Auch hier ist eine Abh¨angigkeit beschrieben, n¨amlich die Abh¨angigkeit der Weltbev¨olkerung von der Jahreszahl. ◭

29

30

2 Funktionen

Fl¨acheninhalt eines Kreises

Beispiel 2.4 Der Fl¨acheninhalt A eines Kreises berechnet sich gem¨aß der Formel A = π r2 , wobei r der Radius des Kreises ist.

r

Durch Einsetzen konkreter Kreisradien kann man u¨ ber diese Formel den entsprechenden Fl¨acheninhalt berechnen. Wir haben also wieder eine Abh¨angigkeit, jetzt die des Fl¨acheninhalts A vom Kreisradius r. ◭

Grundidee einer Funktion

All diesen Beispielen ist gemeinsam, dass eine Gr¨oße vom Wert einer anderen Gr¨oße abh¨angt. Diese allgegenw¨artigen Abh¨angigkeiten werden in der Mathematik als Funktionen bezeichnet. Man kann f¨ormlich sagen, dass einer variablen Eingangsgr¨oße x durch einen Automaten f eine Ausgabegr¨oße f (x) zugewiesen wird.

x

f

f (x)

Eine Funktion ordnet also einer Eingangsgr¨oße aus einer Menge A mittels einer entsprechenden Vorschrift eine Ausgabegr¨oße aus einer Menge B zu. Im Beispiel 2.1 wird konkret dem jeweiligen Briefgewicht das erforderliche Briefporto zugeordnet, im Beispiel 2.2 dem Monat die entsprechende durchschnittliche Lufttemperatur, im Beispiel 2.3 der Jahreszahl die zugeh¨orige Weltbev¨olkerung und im Beispiel 2.4 dem Kreisradius der entsprechende Fl¨acheninhalt des Kreises. Bemerkenswert ist, dass die Zuordnungsvorschrift f der Funktion auf verschiedene Arten beschrieben werden kann. Wie die einf¨uhrenden Beispiele 2.1 bis 2.4 zeigen, kann eine Funktion auf mindestens vier verschiedene Arten gegeben sein, n¨amlich durch

2.2

Der Funktionsbegriff

eine verbale Beschreibung (Beispiel 2.1); eine Wertetabelle (Beispiel 2.2); ein Schaubild (Beispiel 2.3); einen analytischen Ausdruck (Beispiel 2.4).

2.2

Der Funktionsbegriff

Wie wir festgestellt haben, ist eine Funktion eine im Alltag h¨aufig vorkommende und uns wohlvertraute Abh¨angigkeit. Sie ordnet einer Eingangsgr¨oße nach einer gewissen Vorschrift eine Ausgabegr¨oße zu. In der Schreibweise der Mathematik werden Funktionen folgendermaßen dargestellt.

Definition Es seien A, B zwei nicht leere Mengen. Unter einer Funktion oder Abbildung f versteht man eine Vorschrift, welche jedem Element x ∈ A genau ein y = f (x) ∈ B zuordnet. Formal wird diese Zuordnungsvorschrift durch  A −→ B f: x 7−→ y = f (x) beschrieben. Die Menge A heißt Definitionsmenge oder Definitionsbereich, die Menge B Zielmenge oder Zielbereich der Funktion f . Die Menge der in B erreichten Bilder W = f (A) := { f (x) | x ∈ A} ⊂ B heißt Bildmenge oder Wertebereich der Funktion.

Bei Funktionen handelt es sich also um Zuordnungen aus einer Menge A in eine Menge B, die in einem Euler-Diagramm in der nachfolgenden Weise symbolisiert werden kann.

b

b

B

A x b

b

b

f (x)

b

b

b

b

Funktion Abbildung Definitionsmenge Definitionsbereich Zielmenge Zielbereich Bildmenge Wertebereich

31

32

2 Funktionen

Beispiel 2.5 Die Portofunktion aus Beispiel 2.1 in Abschnitt 2.1 kann in dem geschilderten Kalk¨ul folgendermaßen beschrieben werden:  Gewichte −→ Preise Porto : x 7−→ Porto(x) mit  0,80 e   0,95 e Porto(x) := 1,55 e   2,70 e

Reelle Funktion

f¨ur f¨ur f¨ur f¨ur

x ≤ 20 g 20 g < x ≤ 50 g 50 g < x ≤ 500 g 500 g < x. ◭

Sind Definitions- und Zielmenge Teilmengen der reellen Zahlen, so spricht man von einer reellen Funktion. Da sich reale Problemstellungen h¨aufig durch derartige Funktionen beschreiben lassen und man mit reellen Zahlen gut arbeiten kann, hat man es in der Mathematik fast immer mit reellen Funktionen zu tun. Auch das Beispiel 2.1 l¨asst sich auf eine reelle Funktion zur¨uckf¨uhren, indem man die Maßeinheiten g bzw. e wegl¨asst.

Beispiel 2.6 Die in Abschnitt 2.1, Beispiel 2.4 geschilderte Abh¨angigkeit der Kreisfl¨ache A vom Kreisradius r l¨asst sich mit folgender reellen Funktion beschreiben:  ]0,∞[ −→ R A: r 7−→ A(r) := π r2 ◭

Funktionen als Beschreibung der realen Welt

Ziel dieser formalen Schreibweise ist es, vielf¨altige und unterschiedlichste Abh¨angigkeiten in der realen Wirklichkeit in den einheitlichen, wertneutralen Kalk¨ul der Mathematik zu u¨ bersetzen. Mit den dort bekannten Verfahren werden R¨uckschl¨usse auf die Eigenschaften dieser Funktionen gezogen und Vorhersagen getroffen. Diese Vorhersagen werden anschließend wieder in die Sprache der konkreten Anwendung zur¨uck¨ubersetzt und in der realen Welt getestet. Es ergeben sich weitere Abh¨angigkeiten, und so beginnt der Kreislauf von neuem.

2.2

reale Welt

Beschreibung

mathematische Funktion

Test

Schl¨usse

Vorhersagen in der realen Welt

Interpretation

mathematische Schlussfolgerungen

Beispiel 2.7 Die Funktion, welche jede reelle Zahl um 1 erh¨oht, wird beschrieben durch  R −→ R f: x 7−→ y = x + 1. Diese Funktion l¨asst sich in einem kartesischen Koordinatensystem veranschaulichen. Interpretiert man die horizontale x-Achse als reelle Zahlengerade, so kann man orthogonal hierzu in Richtung der vertikalen y-Achse jeweils den zum entsprechenden x-Wert geh¨origen Funktionswert y = f (x) grafisch abtragen. Im konkreten Fall ergibt sich das folgende Bild. y f (x0 )

x0 | f (x0 )



1 1

x0

x

f (x)



Der Funktionsbegriff

33

34

2 Funktionen

Graph Unabh¨angige und abh¨angige Variable Abszisse und Ordinate

Eine derartige Visualisierung einer reellen Funktion wird als Graph bezeichnet. Letztendlich handelt es sich um eine Darstellung der Funktion in einem Schaubild (vgl. Beispiel 2.3 in Abschnitt 2.1). Die frei w¨ahlbare Variable x, welche durch die Funktion f abgebildet wird, nennt man unabh¨angige Variable oder Abszisse, die durch f festgelegte Gr¨oße y abh¨angige Variable oder Ordinate. Die Graphen reeller Funktionen k¨onnen mithilfe einer Wertetabelle  skizziert werden, also indem man einzelne Kurvenpunkte xi | f (xi ) explizit berechnet. Einfacher ist es aber, Computeralgebrasysteme einzusetzen, und es ist durchaus sinnvoll, derartige Hilfsmittel zu benutzen. So erh¨alt √ man als Schaubild der Funktion f (x) = x etwa das nachfolgende Bild. y 1

1 Keine explizite Angabe von Definitions- und Zielbereich

x

In diesem Beispiel der Wurzelfunktion haben wir bereits eine Konvention verwendet, die in der Mathematik u¨ blich ist. Man gibt im Allgemeinen Definitions- und Zielbereich nicht explizit an. Meistens werden Funktionen nur durch die Angabe der Abbildungsvorschrift y = f (x) festgelegt. Definitions- und Zielbereich werden dann maximal groß angenommen.

Beispiel 2.8 Eine Funktion f wird kurz durch die Abbildungsvorschrift 1 f (x) = 3−x gegeben. Definitions- und Zielbereich sind in diesem Fall nicht ausdr¨ucklich gegeben, werden also maximal groß angenommen. Da es sich um eine reelle Funktion handelt, bedeutet dies, dass der Zielbereich B den ganzen Bereich der reellen Zahlen umfasst: B = R. Zur Bestimmung des Definitionsbereichs A untersucht man, f¨ur welche Werte der unabh¨angigen Variablen x die Abbildungsvorschrift f (x) sinnvoll ist. Bei unserem Problem ist das der Fall, wenn der Nenner nicht verschwindet, also wenn x 6= 3 gilt. Dementsprechend w¨ahlt man als Definitionsbereich A = R\{3}. Die Funktion lautet folglich in ihrer ausf¨uhrlichen Form   R\{3} −→ R f: 1  x 7−→ . 3−x ◭

2.3

Eigenschaften von Funktionen

Beispiel 2.9 Ist die Funktion f nur durch den Ausdruck p f (x) = 16 − x2

gegeben, so w¨ahlt man als Zielbereich wieder B = R. Die Abbildungsvorschrift ist nur dann sinnvoll, wenn der Ausdruck unter der Wurzel nicht negativ ist, wenn also 16 − x2 ≥ 0 bzw. −4 ≤ x ≤ 4 gilt. Dementsprechend ergibt sich als maximal m¨oglicher Definitionsbereich das Intervall A = [−4,4]. Die ausf¨uhrliche Schreibweise der Funktion lautet dementsprechend

f:

(

[−4,4]

−→

x

7−→

R √ 16 − x2 . ◭

2.3

Eigenschaften von Funktionen

Umkehrbare Funktionen H¨aufig steht man vor dem Problem, zu dem Bild einer gegebene Funktion das Urbild bestimmen zu m¨ussen.

Beispiel 2.10 Ein Kind l¨asst von einem 80 m hohen Turm einen Stein fallen. Man kann sich fragen, wie lange es dauert, bis dieser Stein auf dem Boden aufschl¨agt. Die Physik lehrt, dass ein zum Zeitpunkt t0 = 0 s aus der Ruhe fallen gelassener K¨orper abh¨angig von der Zeit t die Strecke s(t) =

1 2 gt 2

35

36

2 Funktionen

mit der konstanten Erdbeschleunigung g = 9,81 sm2 zur¨ucklegt. In unserem konkreten Fall haben wir das Bild s(t) = 80 m gegeben und suchen nach dem zugeh¨origen Urbild t. Wir haben also die Gleichung 80 m =

1 2 gt 2

nach der Variablen t aufzul¨osen. Es ergibt sich s 2 · 80 m t = ≈ 4,04 s, g d. h. nach etwas mehr als 4 Sekunden trifft der Stein auf der Erde auf. ◭

In diesem Beispiel mussten wir zum Bild der Funktion s(t) das zugeh¨orige Urbild konstruieren. Dies ist nat¨urlich nur dann eindeutig m¨oglich, wenn es zum Bild keine zwei unterschiedlichen Urbilder gibt. Damit zu jedem Wert eine zugeh¨orige Zeit berechnet werden kann, m¨ussen dar¨uber hinaus durch die Funktion s(t) alle Wegstrecken zwischen Anfang und Ende erreicht werden, d. h. es d¨urfen keine Spr¨unge auftreten. Im Euler-Diagramm f¨ur eine allgemeine Funktion f (x) bedeutet dies, dass nicht die folgende Konstellation vorliegen darf. Wir k¨onnen in dem skizzierten Bild nicht zu jedem Element der Zielmenge ein eindeutiges Urbild rekonstruieren.

b

b

B

A x b

b

b

f (x)

b

b

b

b

¨ Aus diesen Uberlegungen resultieren die folgenden Sprechweisen.

2.3

Definition

Eigenschaften von Funktionen

Es sei f : A −→ B eine Funktion.

a) f heißt injektiv, wenn es keine zwei verschiedenen Elemente in der Definitionsmenge A gibt, die auf das gleiche Bild in der Zielmenge B abgebildet werden.

injektiv surjektiv bijektiv

b) f heißt surjektiv, wenn jedes Element y der Zielmenge das Bild eines Elements der Definitionsmenge A ist. c) f heißt bijektiv, wenn f injektiv und surjektiv ist.

Es ist einleuchtend, dass sich bei bijektiven Funktionen f zu jedem Element des Zielbereichs sein Urbild bestimmen l¨asst. Auch bei injektiven Funktionen ist dies m¨oglich, sofern man sich auf Elemente des Wertebereichs von f beschr¨ankt. Diese Bestimmung des Urbilds kann als neue Funktion aufgefasst werden.

Definition Es sei f : A −→ B eine injektive Funktion. Dann heißt die Abbildung f −1 : f (A) −→ A, die jedem Element y = f (x) das Urbild unter der Funktion f zuordnet, die Umkehrfunktion oder Umkehrabbildung von f .

Beispiel 2.11 Wir wollen die Umkehrfunktion folgender Abbildung bestimmen.   R\{−3} −→ R f: 2x − 1  x 7−→ y = x+3

Zur L¨osung dieser Aufgabe ben¨otigen wir die Abh¨angigkeit der Variablen x von der Bildvariablen y, d. h. wir m¨ussen die Abbildungsvorschrift y =

2x − 1 x+3

Umkehrfunktion

37

38

2 Funktionen

nach der Variablen x aufl¨osen. Hierzu multiplizieren wir die Gleichung mit dem Nenner x + 3 und erhalten yx + 3y = 2x − 1. Durch Separieren der Summanden mit der Variablen x auf der linken Seite bekommen wir nach Ausklammern von x x(y − 2) = −1 − 3y. Man erkennt, dass sich dieser Ausdruck nur dann nach x aufl¨osen l¨asst, wenn y 6= 2 ist. Im Fall y = 2 ist dieser Ausdruck aber unsinnig, was letztendlich bedeutet, dass das Element y = 2 durch die Funktion f nicht erreicht wird. Demzufolge geh¨ort y = 2 nicht zum Wertebereich der gegebenen Funktion. Im Fall y 6= 2 k¨onnen wir den letzten Ausdruck mittels Division durch y − 2 weiter umformen: x = −

1 + 3y 1 + 3y = y−2 2−y

Also lautet die Umkehrfunktion unserer gegebenen Funktion f   R\{2} −→ R\{−3} f −1 : 1 + 3y  . y 7−→ x = 2−y

Nun ist es innerhalb der Mathematik durchweg u¨ blich, die unabh¨angige Variable stets mit dem Buchstaben x und die abh¨angige Variable mit dem nachfolgenden Buchstaben y zu belegen. Diese Konvention wurde bei der obigen Formulierung der Umkehrfunktion f −1 durchbrochen. Um diesen Stilbruch zu umgehen, vertauscht man gew¨ohnlich bei der Angabe der Umkehrfunktion die Buchstaben x und y, da diese nur Platzhalter f¨ur reelle Zahlen sind. Wir erhalten damit schließlich als Umkehrfunktion von f   R\{2} −→ R\{−3} f −1 : 1 + 3x  x 7−→ y = . 2−x ◭

Graph der Umkehrfunktion

Es bleibt noch die Frage zu kl¨aren, auf welche Weise sich im Schaubild die vorgenommene Vertauschung der Bezeichner x und y auswirkt. Ohne die Vertauschung w¨aren jetzt auf der y-Achse die unabh¨angige Variable und in Richtung der horizontalen x-Achse die Funktionswerte von f −1 abgetragen.

2.3

Eigenschaften von Funktionen

Durch die Vertauschung liegt die unabh¨angige Variable wieder auf der horizontalen Achse und die abh¨angige Variable in vertikaler Richtung. Diese Vertauschung bedeutet aber auch, dass ein Punkt mit den Koordinaten (p1 | p2 ) in den Punkt (p2 | p1 ) u¨ bergeht. Geometrisch l¨asst sich diese Vertauschung der Koordinaten als eine Spiegelung an der ersten Winkelhalbierenden y = x interpretieren.

(p2 |p1 )

y=

x

y

(p1 |p2 ) x

¨ Unsere Uberlegungen ziehen den Schluss nach sich, dass der Graph der Umkehrfunktion durch Spiegelung der urspr¨unglichen Funktion an der ersten Winkelhalbierenden entsteht. Dies l¨asst sich auch dadurch verifizieren, dass man sich durch ein Computeralgebrasystem den Graphen der Funktion und der Umkehrfunktion zusammen mit der Winkelhalbierenden zeichnen l¨asst. Bei unserem Beispiel 2.11 ergibt sich folgendes Bild. y

f −1 (x)

f (x) x

Wir beschließen diesen Unterabschnitt mit einem Anwendungsbeispiel.

39

40

2 Funktionen

Tauchtiefe abh¨angig vom Druck

Beispiel 2.12 Taucher haben kein Messger¨at, welches direkt die Tauchtiefe misst. Stattdessen wird von einem entsprechenden Messger¨at der Druck gemessen. Da der Druck durch das oberhalb des K¨orpers befindliche Wasser erzeugt wird, berechnet sich dieser Druck als p =

Gewichtskraft des u¨ berdeckenden Wassers . horizontaler Querschnitt

Bezeichnen wir die Wassermasse u¨ ber dem K¨orper mit m, den horizontalen Querschnitt des K¨orpers mit A und die Tauchtiefe mit h, so ergibt sich der Druck als p = mit g = 9,81 sm2 und ρ =

mg ρ Ahg = A A

103 kg m3

= Dichte des Wassers.

Damit berechnet sich der Druck mit wachsender Tiefe h gem¨aß der Abbildungsvorschrift p(h) = ρ gh. Durch Bestimmung der Umkehrabbildung erhalten wir die Tauchtiefe h abh¨angig vom Druck p als h(p) =

p . ρg

Mit dieser Funktion wird das Anzeigeger¨at am Handgelenk des Tauchers skaliert. Beispielsweise berechnet sich bei einem gemessenen Druck von p = 200 000 mN2 gem¨aß der Umkehrfunktion die angezeigte Tiefe als   N h 200 000 2 = m

200 000 mN2 103 kg m3

· 9,81 sm2

≈ 20,40 m. ◭

Verkettung von Funktionen H¨aufig wird man mit der Notwendigkeit konfrontiert, Funktionen zu verketten. So ergibt sich der Benzinverbrauch eines Autos als Funktion der gefahrenen Gesamtstrecke und das an der Tankstelle zu zahlende Geld als

2.3

Eigenschaften von Funktionen

Funktion des verbrauchten und damit aufzuf¨ullenden Benzins. Wir haben also eine Verkettung zweier Funktionen der Form gefahrene Gesamtstrecke f −→ g −→

Benzinverbrauch zu zahlendes Geld.

Im Euler-Diagramm ergibt sich folgendes in die Sprache der Mathematik abstrahiertes Bild:

f

A

g

B

b b

x

u = f (x)

C b

y = g(u) = g f (x) = (g◦ f )(x)



g◦ f Durch die zuerst ausgef¨uhrte Funktion f wird zun¨achst das urspr¨ungliche Element x ∈ A auf ein Element u ∈ B abgebildet. Dieses Element wird durch die zweite Funktion g auf ein weiteres Element y ∈ C abgebildet. Durch die Ausf¨uhrung dieser beiden Funktionen in der geschilderten Reihenfolge ergibt sich eine neue Funktion mit dem Namen g ◦ f :  A −→ C  g◦ f : x 7−→ y = (g ◦ f )(x) := g f (x)

Beispiel 2.13 Die Funktion f:



R x

−→ 7−→

R f (x) := x3 − 1

soll mit der Funktion g:



R x

−→ 7−→

R √ g(x) := 3 x

41

42

2 Funktionen

verkettet werden. Es ergibt sich folgende neue Abbildung:   R −→ R  x 7−→ y = (g ◦ f )(x) = g f (x) g◦ f : √  = g(x3 −1) = 3 x3 −1.

Im allgemeinen Fall verschiedener Mengen A, B,C ist nur die eine Art g ◦ f der Verkettung m¨oglich. Aufgrund der Mengenidentit¨at A = B = C = R ist jedoch hier auch die Verkettung f ◦ g denkbar. Sie lautet   R −→ R  x 7−→ y = ( f ◦ g)(x) = f g(x) f ◦g : √ √  = f ( 3 x) = 3 x 3 − 1 = x − 1. Man erkennt an diesem Beispiel, dass bei reellen Zahlen die Verkettung in beide Richtungen erfolgen kann, dass aber die Verkettungsreihenfolge einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis hat. ◭

Beschr¨ anktheit und absolute Extrema In der Praxis treten h¨aufig Funktionen auf, die nicht u¨ ber alle Maßen stei¨ gen oder fallen. So ist die Menge des Heiz¨ols im heimischen Oltank eine von der Zeit abh¨angige Funktion, die nie negativ werden kann. Andererseits ist der Heiz¨olvorrat durch die Gr¨oße des Tanks auch begrenzt, d. h. die Heiz¨olmenge wird zu keinem Zeitpunkt beliebig groß. Die angenommenen Funktionswerte liegen also in gewissen Grenzen. Es gibt auch Beispiele f¨ur Funktionen, die nur in eine Richtung begrenzt sind. So kann die Temperatur zwar beliebig groß werden, ist aber nach unten durch den absoluten Nullpunkt −273 ◦ C begrenzt. Dementsprechend sind Temperaturverl¨aufe m¨oglich, die beliebig groß aber nicht beliebig klein werden. Diese Beispiele geben Anlass zur Vereinbarung der folgenden Sprechweise.

Beschr¨anktheit von Funktionen

Definition Eine reelle Funktion f heißt nach unten beschr¨ankt bzw. nach oben beschr¨ankt, wenn es eine Zahl c bzw. d gibt, sodass f¨ur alle x f (x) ≥ c

bzw.

f (x) ≤ d

gilt. Ist eine Funktion nach unten und nach oben beschr¨ankt, so heißt die Funktion beschr¨ankt.

2.3

Eigenschaften von Funktionen

Beispiel 2.14 Dass durchaus nicht alle Funktionen beschr¨ankt sein m¨ussen, sieht man z. B. an der Funktion ( R\{0} −→ R 1 f: x 7−→ f (x) := . x Zeichnet man den Graphen, so ergibt sich folgendes Bild. y

1 1

x

F¨ur kleine positive Werte von x werden die Funktionswerte f (x) beliebig groß, w¨ahrend f¨ur negative Werte von x nahe bei 0 die zugeh¨origen Funktionswerte beliebig weit ins Negative reichen. Demnach ist diese Funktion weder nach oben noch nach unten beschr¨ankt. Schr¨ankt man allerdings den Definitionsbereich auf das Intervall [1,∞[ ein, betrachtet man also die Funktion ( [1,∞[ −→ R 1 g: x 7−→ f (x) := , x so liegen die Funktionswerte g(x) nur noch zwischen den Werten 0 ◭ und 1. Dementsprechend ist diese Funktion g beschr¨ankt.

Bei beschr¨ankten Funktionen kann man sich die Frage stellen, ob und wo die Funktion einen maximalen bzw. minimalen Wert annimmt.

43

44

2 Funktionen

Bestimmung der maximalen Wurfh¨ohe

Beispiel 2.15 Wird ein Ball zum Zeitpunkt t0 = 0 s mit der Geschwindigkeit von v0 = 15 ms senkrecht in die Luft geworfen, so ergibt sich die H¨ohe abh¨angig von der Zeit t gem¨aß der Funktion 1 h(t) = v0 t − gt 2 2 mit der Naturkonstanten g = 9,81 sm2 . Es ist einleuchtend, dass die H¨ohe nicht beliebig groß wird, und damit stellt sich die Frage, wann die maximale H¨ohe erreicht wird und wie groß diese ist. Zur Beantwortung dieser Frage u¨ berlegt man sich, dass zum Zeitpunkt maximaler H¨ohe der Ball sich nicht bewegt, also in Ruhe ist. Aus der Physik weiß man, dass sich die Geschwindigkeit beim senkrechten Wurf als v(t) = v0 − gt berechnet. Diese Geschwindigkeit verschwindet offensichtlich f¨ur tmax =

15 ms v0 ≈ 1,53 s. = g 9,81 sm2

Damit ergibt sich als Maximalh¨ohe 1 2 hmax = v0tmax − gtmax 2 1 m m ≈ 15 · 1,53s − · 9,81 2 · (1,53 s)2 s 2 s ≈ 11,47 m. ◭

Nat¨urlich sind Fragestellungen wie im vorhergegangenen Beispiel auch f¨ur Minima m¨oglich, z. B. die Frage, mit welchem minimalen Abstand ein Komet die Erde passiert. Dies gibt Anlass f¨ur die nachfolgende Definition.

Maximum Minimum Extremum

Definition Eine reelle Funktion f : A −→ R hat an der Stelle xM ihr (absolutes) Maximum M := f (xM ), wenn f (x) ≤ f (xM )

f¨ur alle x ∈ A.

2.3

Eigenschaften von Funktionen

Die Funktion hat an der Stelle xm ihr (absolutes) Minimum m := f (xm ), wenn f (x) ≥ f (xm )

f¨ur alle x ∈ A.

Ein (absolutes) Extremum von f ist ein absolutes Maximum oder Minimum der Funktion f .

Beispiel 2.16 Wir betrachten die Funktion  R −→ f: x 7−→

R 1 2

2 x2 − 2 .

L¨asst man sich den Graphen dieser Funktion z. B. von einem Computeralgebrasystem zeichnen, so erh¨alt man das folgende Bild. y

1

1

x

Man erkennt aus dem Graphen, dass diese Funktion nicht nach oben beschr¨ankt ist, da offensichtlich f¨ur große bzw. f¨ur kleine Werte der Variablen x die Funktionswerte f (x) u¨ ber alle Maßen anwachsen. Auf der anderen Seite werden aber die Funktionswerte nicht negativ, d. h. f ist nach unten beschr¨ √ außerdem, dass die √ankt. Man sieht Funktion f¨ur die Werte x1 = − 2 und x2 = 2 ein absolutes Minimum mit dem Wert m := f (x1 ) = f (x2 ) = 0 besitzt. Schr¨ankt man den Definitionsbereich auf das abgeschlossene Intervall [0,1] ein, betrachtet man also die Funktion  [0,1] −→ R 2 g: x 7−→ 21 x2 − 2 ,

45

46

2 Funktionen

so liegen die Funktionswerte zwischen 2 und 12 . Die Funktion g ist also beschr¨ankt. Ferner hat g ein Maximum M und ein Minimum m, n¨amlich M = f (0) = 2

m = f (1) =

1 . 2

Entfernt man aus dem Definitionsbereich dar¨uber hinaus die Randpunkte 0 und 1, so erh¨alt man die Funktion  ]0,1[ −→ R 2 h: x 7−→ 21 x2 − 2 .

Diese Funktion ist als Einschr¨ankung von g nat¨urlich auch beschr¨ankt, besitzt aber weder Maximum noch Minimum. ◭

Monotonie In Natur und Technik treten h¨aufig Funktionen auf, die innerhalb gewisser Phasen nur zu- oder abnehmen. So nimmt w¨ahrend der Beschleunigungs¨ phase eines Autos die Geschwindigkeit permanent zu und die Olreserven auf der Erde nehmen aufgrund des Verbrauchs stetig ab.

Geschwindigkeitsverlauf eines Autos

Beispiel 2.17 Ein Auto f¨ahrt mit einer konstanten Beschleunigung an, f¨ahrt anschließend mit konstanter Geschwindigkeit v0 weiter und bremst am Ende der Fahrt wieder ab. Fasst man den Geschwindigkeitsverlauf als Funktion von der Zeit t auf, so ergibt sich etwa der skizzierte Funktionsverlauf. v(t) v0

0

t1

t2

t3

t

Die Geschwindigkeit nimmt zwischen t0 = 0 s und t1 st¨andig zu und zwischen den Zeitpunkten t2 und t3 permanent ab. Mathematisch spricht man von monotonen Abschnitten der Funktion. ◭

2.3

Eigenschaften von Funktionen

Wir wollen diese anschaulich gewonnene Beschreibung der Monotonie in der Sprache der Mathematik formulieren.

Definition

Monotonie und strenge Monotonie

Eine reelle Funktion f heißt auf dem Intervall I

monoton wachsend, wenn f¨ur alle x1 < x2 stets f (x1 ) ≤ f (x2 ) streng monoton wachsend, wenn f¨ur alle x1 < x2 stets f (x1 ) < f (x2 ) monoton fallend, wenn f¨ur alle x1 < x2 stets f (x1 ) ≥ f (x2 ) streng monoton fallend, wenn f¨ur alle x1 < x2 f (x1 ) > f (x2 )

stets

gilt, wobei x1 , x2 jeweils im Intervall I liegen.

Im obigen Beispiel ist also die Funktion v(t) im Intervall [0,t1 ] streng monoton wachsend und im Intervall [t2 ,t3 ] streng monoton fallend. Auf dem mittleren Intervall [t1 ,t2 ] ist die Funktion konstant und damit laut Definition monoton wachsend und monoton fallend. Funktionen, die auf dem ganzen Definitionsbereich ein streng monotones Verhalten haben, sind nat¨urlich injektiv und damit auch umkehrbar.

Beispiel 2.18 Wir untersuchen die Funktion f (x) =

1 x2

auf Monotonie. Der Graph dieser Funktion hat folgende Gestalt. y

1

1

x

47

48

2 Funktionen

Dem Graphen kann man entnehmen, dass die Funktion f¨ur negative x streng monoton wachsend und f¨ur positive x streng monoton fallend ist. Wir wollen nun explizit nachpr¨ufen, ob unsere anschaulich gewonnene Erkenntnis sich mit der Definition verifizieren l¨asst. Hierzu w¨ahlen wir zun¨achst zwei beliebige positive Variablenwerte x1 und x2 mit x1 < x2 . Laut Definition m¨ussen wir nachweisen, dass f (x1 ) > f (x2 ) gilt. Nun folgt aus 0 < x1 < x2 durch Multiplikation mit x1 bzw. mit x2 x21 < x1 x2

und

x1 x2 < x22

und damit x21 < x22 . Daraus ergibt sich nach Division der Ungleichung durch x21 und x22 und Vertauschung der beiden Seiten tats¨achlich f (x1 ) =

1 1 > 2 = f (x2 ), x21 x2

d. h. die durch die Definition geforderte Eigenschaft ist erf¨ullt, f ist f¨ur positive x streng monoton fallend. Nun nehmen wir zwei negative Variablenwerte x1 < x2 < 0. Durch Multiplikation mit den negativen Werten x1 bzw. x2 erhalten wir daraus x21 > x1 x2

und

x1 x2 > x22

und damit x21 > x22 . Daraus ergibt sich wiederum f (x1 ) =

1 1 < 2 = f (x2 ), x21 x2

was gem¨aß der Definition besagt, dass die Funktion f¨ur negative x streng monoton wachsend ist. ◭

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 2.1 2.1 Ein Hausbesitzer m¨aht w¨ochentlich am Samstagmorgen seinen Rasen. Skizzieren Sie grob das Schaubild der Rasenh¨ohe u¨ ber einen Zeitraum von 4 Wochen. 2.2 Ein Mann verl¨asst morgens um 7:30 Uhr seine Wohnung, um zur Arbeit in der 20 km entfernten Stadt zu fahren. Dort kommt er um 8:00 Uhr an. Er arbeitet bis um 17:00 Uhr, f¨ahrt anschließend zur¨uck und ist um 17:30 Uhr zu Hause. Abends geht er um 19:45 Uhr zur 6 km entfernten Sporthalle, wo er von 20:00 Uhr bis 21:30 Uhr Volleyball spielt. Nach dem Duschen tritt er von 21:45 Uhr bis 22:00 Uhr die Heimreise an. Skizzieren Sie das Schaubild der Entfernung des Aufenthaltsorts des Mannes von seiner Wohnung u¨ ber den Tag hinweg. 2.3 In diesem Kapitel wurden diverse Beispiele f¨ur Funktionen aus dem t¨aglichen Umfeld beschrieben. Beschreiben Sie weitere Funktionen aus dem Alltag verbal. Zeichnen Sie zu jeder Funktion ein typisches Schaubild. 2.4 Die Bev¨olkerungsentwicklung in Deutschland in den Jahren 1985 – 2015 kann folgender Tabelle entnommen werden (Angaben in Millionen Einwohner, Quelle Statistisches Bundesamt). 1985 77,7

1990 79,8

1995 81,8

2000 82,3

2005 82,4

2010 81,8

2015 82,2

Zeichnen Sie ein Schaubild f¨ur die Bev¨olkerungsentwicklung in Deutschland. Sch¨atzen Sie die Bev¨olkerungszahl in den nicht angegebenen Jahren. Auf welche Gr¨oße sch¨atzen Sie die Bev¨olkerungszahl im Jahr 1980 bzw. 2020 und 2030?

Abschnitt 2.2 2.5

Welche der folgenden Schaubilder sind Graphen einer Funktion? Begr¨unden Sie Ihre Antwort. y

y

x

y

x

y b b

x

x bc

bc

2.6 Berechnen Sie jeweils den maximalen Definitionsbereich folgender Funktionen y = f (x). Lassen Sie sich von einem Computeralgebrasystem die Graphen zeichnen. √ 1 a) y = x2 b) y = x + 1 c) y = x−2  p 4−x −x2 + 3 f¨ur x < 1 2 d) y = x − 4 e) y = 2 f) y = x+2 f¨ur x ≥ 1 x −4

49

50

2 Funktionen

2.7

Durch welche der folgenden Gleichungen sind Funktionen y = f (x) gegeben? 2

a) y = x   sin(x) x c) y =  1

f¨ur

x 6= 0

f¨ur

x=0

b) y3 = x3 (

d) y =

x2 + 1,04

f¨ur

x ≤ 1,6

3x − 1,2

f¨ur

x ≥ 1,6

2.8 Berechnen Sie f¨ur ein Rechteck mit dem Fl¨acheninhalt 12 die L¨ange der Diagonalen d abh¨angig von der ersten Seitenl¨ange a. Schreiben Sie die entstehende Funktion d(a) in der vollst¨andigen Form inklusive Definitions- und Zielbereich auf. 2.9 Berechnen Sie f¨ur ein gleichseitiges Dreieck den Fl¨acheninhalt A abh¨angig von der Seitenl¨ange a. Wie groß sind Definitions-, Ziel- und Wertebereich der entstehenden Funktion A(a)? Wie groß ist der Fl¨acheninhalt im Fall der Seitenl¨ange a = 2?

2.10 Eine Fl¨ussigkeit der Dichte ρ wird durch eine Verengung gepresst. Vor der Verengung herrscht der variable Druck p, danach der konstante Druck p0 (vgl. Skizze).

p

p0 v

Nach einem physikalischen Gesetz berechnet sich Durchflussgeschwindigkeit durch die Verengung gem¨aß der Formel s 2 (p − p0 ) v = . ρ F¨ur welche Druckwerte p ist dieser Ausdruck definiert? Welche physikalische Bedeutung hat diese Einschr¨ankung?

2.11 Ein kugelf¨ormiger Luftballon mit Radius r besitzt das Volumen V (r) = 43 π r3 . Um den Radius des Ballons um 1 zu erh¨ohen, ben¨otigt man ein gewisses zus¨atzliches Volumen Z(r). Bestimmen Sie abh¨angig von r die analytische Form dieser Funktion Z(r). Wie groß sind Definitions-, Ziel- und Wertebereich? Wie groß ist das zus¨atzliche Volumen, wenn man einen Luftballon mit dem Radius 8 um 1 erh¨oht?

Abschnitt 2.3 2.12 Lassen Sie sich die Graphen folgender Funktionen durch ein Computeralgebrasystem zeichnen. Welche Funktionen sind injektiv, welche surjektiv und welche bijektiv? √ a) f (x) = x2 b) f (x) = x3 c) f (x) = 3 x 1 x3 d) f (x) = x3 − 3x e) f (x) = f) f (x) = x−2 6(x−2)

Aufgaben

2.13 Berechnen Sie die Abbildungsvorschrift der Umkehrfunktion f −1 . Wie groß ist jeweils der Definitionsbereich der Umkehrfunktion? x+3 x−7 a) f (x) = 3x − 2 b) f (x) = c) f (x) = x−3 3x − 6 r √ 5x − 2 3 d) f (x) = 8 − 2x e) f (x) = 6 − 3x f) f (x) = 3x + 1 2.14 Unter welchen Bedingungen stimmt die Funktion f (x) =

ax + b cx + d

mit ihrer Umkehrfunktion u¨ berein? 2.15 Worin besteht die Besonderheit der Bildkurve einer Funktion, die mit ihrer Umkehrfunktion identisch ist? Skizzieren Sie einige Graphen derartiger Funktionen.

2.16 Die Physik lehrt, dass ein aus Ruhe konstant beschleunigtes Auto abh¨angig von der Zeit t die Wegstrecke s(t) =

1 2 at 2

mit der konstanten Beschleunigung a zur¨ucklegt. Welche Wegstrecke legt ein Wagen innerhalb 10 Sekunden zur¨uck, wenn er mit der konstanten Beschleunigung a = 3 sm2 anf¨ahrt? Zu welchem Zeitpunkt hat er 25, 50, 75 bzw. 100 m zur¨uckgelegt?

2.17 Geben Sie jeweils die Abbildungsvorschriften der Verkettungen g ◦ f und f ◦ g an. √ a) f (x) = x + 1, g(x) = x2 b) f (x) = 3x4 − 2, g(x) = x + 2 √ √ x2 + x − 3 c) f (x) = x2 , g(x) = 3 x d) f (x) = x, g(x) = x2 − 1 2.18 Lassen Sie sich von einem Computeralgebrasystem die Graphen folgender Funktionen zeichnen. Beantworten Sie mithilfe der Graphen die Frage nach der Beschr¨anktheit und der absoluten Extrema dieser Funktionen. p 1 a) f (x) = (x − 2)2 − 1 b) f (x) = c) f (x) = 4 − x2 1 + x2 2.19 Durch die Abbildungsvorschrift y =

 1 4 x + 2x2 + 4 , 10

x ≥ 0.

ist eine Funktion f : [0,∞[−→ R gegeben.

a) Zeigen Sie, dass f streng monoton wachsend ist. b) Berechnen Sie die Abbildungsvorschrift der Umkehrfunktion f −1 . Wie groß ist der maximale Definitionsbereich von f −1 ? c) Lassen Sie sich die Graphen der Funktionen f und f −1 durch ein Computeralgebrasystem zusammen mit der ersten Winkelhalbierenden des Koordinatensystems zeichnen. Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

51

Elementare Funktionen

3

Mit welchen elementaren Funktionen arbeitet man gew¨ ohnlich? Wie sind die elementaren Funktionen definiert? Welche Eigenschaften haben die elementaren Funktionen?

Br¨ ucke im Passeiertal

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6

Signum- und Betragsfunktion . . . . . . . . . . . Ganze rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . Gebrochene rationale Funktionen . . . . . . . . . Allgemeine Potenz- und algebraische Funktionen Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . Exponentialfunktion und Logarithmus . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 56 73 75 78 91 108

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_3 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_3

53

54

3 Elementare Funktionen In diesem Kapitel werden die elementaren Funktionen behandelt, mit denen man im Allgemeinen in Technik, Wirtschaft und Alltag arbeitet. Neben der Definition werden die wichtigsten Eigenschaften dieser Funktionen sowie einige Einsatzbeispiele vorgestellt.

3.1

Signum- und Betragsfunktion

Manchmal ist es sinnvoll, Funktionen zu benutzen, welche einer reellen Zahl ihr Vorzeichen bzw. ihren Abstand vom Nullpunkt zuordnen. Aus diesem Grund wollen wir uns kurz diesen Funktionstypen zuwenden.

Signumfunktion Vorzeichenfunktion

Definition Die Funktion sgn : R −→ R, welche jeder reellen Zahl im Wesentlichen ihr Vorzeichen zuordnet, heißt Signumfunktion oder Vorzeichenfunktion. Genauer gilt   +1 f¨ur x > 0 0 f¨ur x = 0 sgn(x) :=  −1 f¨ur x < 0.

Es soll an dieser Stelle bemerkt werden, dass im Gegensatz zur allgemeinen Schreibweise f (x), bei welcher die unabh¨angige Variable x in Klammern gesetzt wird, bei konkreten Funktionen diese Variable h¨aufig ohne Klammern an den Funktionsnamen angef¨ugt wird. So schreibt man hier anstatt sgn(x) h¨aufig k¨urzer sgn x. Wir wollen jedoch von dieser abk¨urzenden Schreibweise im Folgenden keinen Gebrauch machen. Der Funktionsgraph dieser Funktion ist wenig spektakul¨ar. Man erh¨alt nachfolgendes Schaubild. y 1 bc

b

1 bc

−1

Signumfunktion

x

3.1

Signum- und Betragsfunktion

Betragsfunktion Definition Die Funktion | · | : R −→ R, welche jeder reellen Zahl ihren Abstand vom Nullpunkt zuordnet, heißt Betragsfunktion. Genauer gilt  x f¨ur x ≥ 0 |x| := −x f¨ur x < 0.

Man ist vielleicht u¨ berrascht, dass innerhalb der Definition der Betragsfunktion ein negatives Vorzeichen auftritt, da der Betrag einer Zahl als Abstand doch nie negativ werden kann. Diesen Sachverhalt macht man sich am einfachsten an einem Beispiel klar. Der Betrag der Zahl −7 ist nat¨urlich 7, d. h. es ist | − 7| = 7. Dasselbe Ergebnis ergibt sich, wenn man die Zahl −7 mit einem weiteren negativen Vorzeichen versieht, denn es ist −(−7) = 7 = | − 7|. Der Graph der Betragsfunktion ist f¨ur positive Werte von x die erste Winkelhalbierende und f¨ur negative Werte von x die zweite Winkelhalbierende der Koordinatenachsen. y

1

1 Betragsfunktion

x

Mithilfe der Betragsfunktion lassen sich gewisse Sachverhalte kurz und elegant beschreiben. Sucht man z. B. alle Zahlen, welche von einer vorgegebenen Zahl a weniger als ε entfernt sind, so sind dies die Zahlen x mit der Eigenschaft |x − a| < ε . Es ist plausibel, dass im Umgang mit Betr¨agen nachfolgende Rechenregeln gelten: |a · b| = |a| · |b| a |a| = b |b|

55

56

3 Elementare Funktionen

Man sieht auch sofort ein, dass bei der Addition und Subtraktion entsprechende Eigenschaften nicht richtig sind. So ist beispielsweise |3 + (−2)| 6= |3| + | − 2| und |3 − (−2)| = 6 |3| − | − 2|. Es gilt aber eine gewisse Modifikation.

Betragssummenungleichung Dreiecksungleichung

Satz (Betragssummenungleichung, Dreiecksungleichung) alle reellen Zahlen a, b gilt

F¨ur

|a + b| ≤ |a| + |b|.

Beweis Je nachdem, welches Vorzeichen die Zahl a hat, gilt a = |a| bzw. a = −|a|. Entsprechendes gilt nat¨urlich auch f¨ur b. Wir k¨onnen damit Folgendes feststellen: −|a| ≤ a ≤ |a| −|b| ≤ b ≤ |b| Durch Addition der beiden Ungleichungsketten erhalten wir − (|a| + |b|) ≤ a + b ≤ |a| + |b|. Dies bedeutet aber, dass die Summe a + b auf der Zahlengeraden h¨ochstens |a| + |b| links oder rechts vom Nullpunkt liegt, d. h. der Betrag ist maximal so groß. Es gilt also tats¨achlich |a + b| ≤ |a| + |b|. 

3.2

Ganze rationale Funktionen

Modellierung realer Vorg¨ ange mittels Potenzfunktionen Potenzfunktion

In den Anwendungen trifft man h¨aufig F¨alle an, bei welchen die Potenzfunktionen mit der Gestalt x 7−→ xn und Kombinationen daraus mit der Form x 7−→ a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn eine zentrale Rolle spielen.

3.2

Ganze rationale Funktionen

Senkrechter Wurf

Beispiel 3.1 Wirft man zum Zeitpunkt t = 0 s einen Ball mit der Geschwindigkeit v0 senkrecht nach oben, so berechnet sich die augenblickliche H¨ohe gem¨aß der Formel 1 h(t) = v0 t − gt 2 , 2

g = 9,81

m . s2

Es handelt sich hierbei offensichtlich um eine Funktion der Form h : t 7−→ a0 + a1t + a2t 2 mit den Konstanten a0 = 0, a1 = v0 und a2 = − 21 g.



Kurve durch vorgegebene Stellen

Beispiel 3.2 ¨ In verschiedenen Bereichen der Technik muss man des Ofteren durch gewisse vorgegebene Stellen eine geeignete Kurve legen. M¨ochte man z. B. in einem kartesischen Koordinatensystem eine Straße durch die Punkte (0 | 3), (1 | 1) und (2 | 1) planen, so bietet sich als ein nahe liegender Ansatz eine Funktion der Form f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 an. Aufgrund der Vorgaben f (0) = 3

f (1) = 1

f (2) = 1

ergeben sich 3 Gleichungen f¨ur die 3 zu bestimmenden Gr¨oßen a0 , a1 und a2 . Als eindeutige L¨osung erh¨alt man f (x) = 3 − 3x + x2 . ◭

57

58

3 Elementare Funktionen

B´ezier-Kurven

Beispiel 3.3 In der Automobilindustrie werden Fahrzeugkarosserien u¨ blicherweise mithilfe von B´ezier1 -Kurven konstruiert. Diese Kurven k¨onnen in einem CAD-System u¨ ber sog. Kontrollpunkte Pi (i = 1 . . .n) interaktiv ver¨andert werden. In der nachstehenden Abbildung ist eine B´ezier-Kurve mit vier Steuerpunkten P0 , P1 , P2 , P3 skizziert. b

b

P1

P2

b

b

P0

P3

Die Kurvenpunkte werden u¨ ber die Formel B0 (t) · P0 + B1 (t) · P1 + . . . + Bn (t) · Pn mit den Kontrollpunkten Pi und den Bernstein2 -Polynomen   n(n−1)(n−2)···(n−i+1) t i (1−t)(n−i) f¨ur i ≥ 1 1·2·3···i Bi (t) :=  (1−t)n f¨ur i = 0

berechnet. Dabei bedeutet die Multiplikation der BernsteinPolynome Bi (t) mit den Punkten Pi , dass das Produkt f¨ur jede Komponente gebildet wird. Die Bernstein-Polynome lassen sich nat¨urlich durch Ausmultiplizieren in die Form a0 + a1 t + a2 t 2 + . . . + an t n mit geeigneten Konstanten ak bringen.



1 Pierre B´ ezier, 1910–1999, franz¨osischer Mathematiker und Ingenieur, entwickelte bei Renault die nach ihm benannten Kurven. 2

Felix Bernstein, 1878–1956, deutscher Mathematiker.

3.2

Ganze rationale Funktionen

Definition ganzer rationaler Funktionen Unsere Beispiele aus dem vorangegangenen Abschnitt legen nahe, folgenden Funktionstyp genauer zu untersuchen.

Definition Funktionen der Form  R −→ R f: x 7−→ a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn

Ganze rationale Funktion (an 6= 0)

Polynom

heißen ganze rationale Funktionen oder Polynome. Die Konstanten ak heißen die Koeffizienten, die h¨ochste auftretende Potenz n der Grad der ganzen rationalen Funktion.

Man kann eine ganze rationale Funktion auch formal in der Weise f (x) = a0 x0 + a1 x1 + a2 x2 + . . . + an xn schreiben, d. h. innerhalb eines Polynoms treten nur Summanden der gleichen Art ak xk auf. Derartige Summen mit gleichartigen Summanden sind in der Mathematik relativ h¨aufig anzutreffen. Man f¨uhrt daher folgende abk¨urzende Schreibweise mithilfe des Summenzeichens ∑ ein:

Summenzeichen

n

f (x) =

∑ ak xk k=0

Gemeint ist, dass nur gleichartige Summanden aufzusummieren sind, n¨amlich Summanden der Form ak xk , wobei man f¨ur den Laufindex k alle ganzen Zahlen beginnend bei 0 und endend bei n einsetzt. Von besonderem Interesse sind die ganzen rationalen Funktionen vom Grad 1, 2 und 3. Dementsprechend sind diese Funktionstypen mit eigenen Namen belegt. Man spricht beim Grad n = 1, also bei Funktionen der Form f (x) = a0 + a1 x, von affinen Funktionen oder auch von linearen Funktionen;

Lineare Funktion Affine Funktion

Grad n = 2, also bei Funktionen der Form f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 , von quadratischen Funktionen;

Quadratische Funktion

Grad n = 3, also bei Funktionen der Form f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + a3 x3 , von kubischen Funktionen.

Kubische Funktion

Wir werden uns in den folgenden Abschnitten zun¨achst mit den Eigenschaften affiner und quadratischer Funktionen besch¨aftigen, bevor wir uns den ganzen rationalen Funktionen beliebigen Grades zuwenden.

59

60

3 Elementare Funktionen

Affine Funktionen Eine affine oder lineare Funktion hat die Form f (x) = a0 + a1 x mit den konstanten Koeffizienten a0 und a1 . Der Graph einer derartigen Funktion ist eine Gerade. Im Folgenden sind die Graphen der beiden affinen Funktionen f (x) = 1 + 2x und g(x) = 23 − 21 x dargestellt. y f (x) = 1 + 2x

2 1

−2

−1

1

2

x

−1 −2 y 2 1

g(x) = 23 − 21 x x

−1

1

2

3

−1 −2 Das Absolutglied a0 ist der Funktionswert f¨ur x = 0, gibt also den Schnittpunkt der Geraden mit der y-Achse an. Dementsprechend spricht man auch vom y-Achsenabschnitt a0 . Der Funktionswert der Geraden steigt bzw. f¨allt je nach Vorzeichen bei Erh¨ohung des Abszissenwerts x um 1 gerade um den Koeffizienten a1 . Daher nennt man a1 auch die Steigung der Geraden bzw. der affinen Funktion. Aus dem Steigungsdreieck erkennt man, dass diese Gr¨oße a1 dar¨uber hinaus der Tangens des Neigungswinkels ϕ ist.

3.2

y

a0 y=

Ganze rationale Funktionen

x + a1

a1 a0

ϕ 1 1

x

Affine Funktionen treten in vielerlei Anwendungen auf. Im Folgenden soll dies anhand zweier Beispiele demonstriert werden.

Streckenzug

Beispiel 3.4 In CAD-Systemen werden Kurven u¨ blicherweise durch Streckenz¨uge angen¨ahert. Derartige Streckenz¨uge sind abschnittsweise definierte affine Funktionen. Ein Kreis mit dem Radius r = 4 erf¨ullt die Gleichung x2 + y2 = 42 . M¨ochte man den oberen Halbkreis mit y > 0 darstellen, so l¨asst sich diese Gleichung aufl¨osen in die Form p y = 42 − x2 .

Man kann jetzt den Halbkreis durch affine Funktionen ann¨ahern, indem man die unabh¨angige Variable x diskretisiert und die Kreisb¨ogen in Abst¨anden von z. B. ∆x = 0,1 durch entsprechende Geraden ann¨ erste Gerade geht also durch die Punkahert. Die  p te (−4 | 0) und −3,9 | 42 −3,92 ≈ (−3,9 | 0,89). Gesucht wird somit eine affine Funktion y = a0 + a1 x mit 0 = a0 + a1 · (−4) 0,89 = a0 + a1 · (−3,9). Durch Subtraktion der ersten Gleichung von der zweiten erh¨alt man 0,89 = a1 · 0,1

61

62

3 Elementare Funktionen

bzw. a1 = 8,9. Aus der ersten Gleichung erh¨alt man daraus 0 = a0 + 8,9 · (−4) bzw. a0 = 8,9 · 4 = 35,6. Die entsprechende Geradengleichung lautet somit y = 35,6 + 8,9 · x, wobei diese Gerade auf den Bereich −4 ≤ x ≤ −3,9 eingeschr¨ankt werden muss. Auf die gleiche Weise werden die u¨ brigen, den Kreis ann¨ahernden Geraden bestimmt. ◭

L¨angenausdehnung eines Stabs

Beispiel 3.5 Die L¨ange l eines Stabes ver¨andert sich abh¨angig von der Umgebungstemperatur ϑ . Bei hoher Temperatur ist der Stab l¨anger, bei geringer Temperatur k¨urzer. Die Ausdehnung erfolgt bei den uns umgebenden Temperaturen gem¨aß l(ϑ ) = l0 (1 + αϑ ) mit einer Materialkonstanten α . Die Gr¨oße l0 gibt die L¨ange des Stabes bei der Temperatur 0 ◦ C an. Durch Ausmultiplizieren erh¨alt man l(ϑ ) = l0 + l0 αϑ , d. h. wir haben es mit einer affinen Funktion mit der unabh¨angigen Variablen ϑ und den Koeffizienten a0 = l0 und a1 = l0 α zu tun. ◭

Quadratische Funktionen Wir besch¨aftigen uns jetzt mit ganzen rationalen Funktionen der Form f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 .

3.2

Ganze rationale Funktionen

Mit derartigen Funktionen wird oft gearbeitet, sodass es sich lohnt, diesen Funktionstyp genauer zu untersuchen. Beim Graphen der speziellen quadratischen Funktion f1 (x) = x2 handelt es sich um die sog. Normalparabel. Die Multiplikation mit a2 dieser Normalparabel f¨uhrt auf den Funktionstyp f2 (x) = a2 x2 . Hierdurch wird die Normalparabel mit dem Faktor a2 in Richtung der y-Achse gestreckt bzw. gestaucht. Ist a2 negativ, so ist die Parabel nach unten ge¨offnet. Im skizzierten Schaubild sind diverse derartige Parabeln mit unterschiedlichen Koeffizienten a2 dargestellt. y

a2 = 1 a2 > 1

1

0 < a2 < 1

1

x

a2 < 0

Offen ist die Frage, welche Gestalt der Graph der allgemeinen quadratischen Funktion besitzt. Zur Kl¨arung wenden wir das Verfahren der quadratischen Erg¨anzung an. f (x) = a2 x2 + a1 x + a0   a1 = a2 x2 + x + a0 a2   !   a1 2 a1 2 a1 2 + a0 − a2 = a2 x + x + a2 2a2 2a2  2   a2 a1 = a2 x + + a0 − 1 2a2 4a2

63

64

3 Elementare Funktionen

Die letzte Gleichung besagt, dass es sich bei dem Graphen wieder um eine a2

a1 Parabel handelt, jetzt aber um − 2a in x- und um a0 − 4a12 in y-Richtung 2 verschoben.

2  a1 a2 x+ 2a 2

y

a2 x2

1 a1 − 2a 2

1

x

a2

a2 Nullstelle einer Funktion



a1 x+ 2a 2

2

a0 − 4a12

  a2 + a0 − 4a12

Aufgrund der Parabelform des Graphen einer quadratischen Funktion ist es offensichtlich, dass eine derartige Funktion maximal zweimal die xAchse schneiden kann, also dass eine derartige Funktion zwei, eine oder keine Nullstellen haben kann. Diese Nullstellen erh¨alt man durch L¨osen der Gleichung a0 + a1 x + a2 x2 = 0. Mit der oben bereits durchgef¨uhrten quadratischen Erg¨anzung l¨asst sich die linke Seite der Gleichung in folgende Gestalt umformen:     a2 a1 2 a2 x + + a0 − 1 = 0 2a2 4a2 Daraus erh¨alt man   a1 2 a2 − 4a2 a0 x+ = 1 2a2 4a22 bzw. a1 x+ = ± 2a2

q a21 − 4a2 a0 2a2

.

3.2

Ganze rationale Funktionen

Aus dieser letzten Gleichung ergibt sich die ber¨uhmte, manchmal mit dem Namen Mitternachtsformel“ 3 belegte L¨osungsformel f¨ur quadrati” sche Gleichungen: q −a1 ± a21 − 4a2 a0 x1/2 = 2a2

Mitternachtsformel

Je nachdem, ob der Ausdruck unter der Wurzel positiv, null oder negativ ist, gibt es zwei, eine oder keine reelle Nullstellen der zugeh¨origen quadratischen Funktion.

Beispiel aus dem Bauwesen

Beispiel 3.6 ¨ Uber einen Fluss soll eine Br¨ucke geplant werden, deren Untergurt aus statischen Gr¨unden die Form einer Parabel haben soll. Die beiden Auflagepunkte des Untergurts liegen jeweils 60 Meter links und rechts von der Schifffahrtslinie. Die H¨ohe des linken Auflagepunkts liegt 25 Meter u¨ ber der Wasseroberfl¨ache, die H¨ohe des rechten Auflagepunkts 15 Meter u¨ ber der Wasseroberfl¨ache. Die lichte H¨ohe u¨ ber den auf dem Fluss fahrenden Schiffen soll 40 Meter betragen. y

x 40 m 25 m

15 m

60 m

60 m

Gesucht ist die Gleichung der Parabel, nach welcher die Br¨ucke gefertigt werden muss. Hierzu ben¨otigen wir zun¨achst ein geeignetes Koordinatensystem. Nahe liegend w¨are, den Ursprung genau in die Schifffahrtsrinne zu legen. Wir legen diesen jedoch in den ersten Auflagepunkt des Untergurts, da sich hierdurch die Rechnung wesentlich vereinfachen wird.

3

Manche Mathematiker behaupten, diese Formel heiße deshalb Mitternachtsformel“, ” weil man sie auch aufsagen k¨onnen m¨usse, wenn man um Mitternacht aus dem Schlaf geweckt und danach gefragt wird.

65

66

3 Elementare Funktionen

Wir setzen in unserem Koordinatensystem die Gleichung der Parabel als quadratische Funktion an: y = f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 Da die Parabel durch den ersten Auflagepunkt, also durch den Ursprung geht, gilt 0 = a0 . ¨ Uber der Schifffahrtslinie betr¨agt die lichte H¨ohe 40 Meter, d. h. aufgrund der Lage des Koordinatensystems ist der zugeh¨orige Funktionswert y = 15. Es gilt also 15 = a0 + a1 · 60 + a2 · 602 . Letztendlich geht die Parabel noch durch Auflagepunkt, was die G¨ultigkeit der Gleichung

den

zweiten

−10 = a0 + a1 · 120 + a2 · 1202 bedeutet. Wir haben somit drei Gleichungen mit den drei Unbekannten a0 , a1 , a2 vorliegen. Setzen wir die Gleichung a0 = 0 in die u¨ brigen Gleichungen ein, so erhalten wir 15 = 60 a1 + 3 600 a2 −10 = 120 a1 + 14 400 a2 . Multiplizieren wir die erste dieser Gleichungen mit dem Faktor 2 und subtrahieren davon die zweite Gleichung, so bekommen wir als Ergebnis 40 = −7 200 a2 bzw. 40 1 = − = −0,005. 7 200 180 Aus der ersten obigen Gleichung erhalten wir schließlich   1 15 = 60 a1 + 3 600 · − , 180 a2 = −

d. h. es ist 15 + 20 7 = = 0,583. 60 12 Wir erhalten somit als Gleichung der gesuchten Parabel in dem gew¨ahlten Koordinatensystem a1 =

y =

7 1 2 x− x 12 180

= 0,583x − 0,005x2 .

3.2

Ganze rationale Funktionen

Bemerkenswert ist, dass sich der Scheitel, also der h¨ochste Punkt der Parabel, nicht u¨ ber der Fahrrinne befindet. Genauer betr¨agt die x-Koordinate des Scheitels a1 xs = − = 52,50. 2a2 Der Scheitel liegt also 7,50 Meter links von der Schifffahrtslinie. Der zugeh¨orige Funktionswert lautet ys = f (xs ) ≈ 15,31. Dies bedeutet, dass der Scheitel der Parabel 40,31 Meter u¨ ber der Wasseroberfl¨ache liegt. ◭

Ganze rationale Funktionen beliebigen Grades Wir wenden uns nun ganzen rationalen Funktionen beliebigen Grades zu, also Funktionen der Form f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn =

n

∑ ak xk . k=1

Man ist oft gezwungen, derartige Funktionen an verschiedenen Stellen auszuwerten. Legt man z. B. ein Polynom durch vorgegebene St¨utzstellen (vgl. Beispiel 3.2 und die Anwendung aus dem Bauwesen 3.6 in diesem Abschnitt 3.2), so m¨ochte man damit nat¨urlich die Funktionswerte zwischen den St¨utzstellen bestimmen. Derartige Berechnungen werden heute von Rechenmaschinen wie Taschenrechner oder PC vorgenommen, doch verf¨ugen diese aufgrund ihrer Technik zun¨achst nur u¨ ber die vier Grundrechenarten und leider nicht u¨ ber die erforderlichen Potenzfunktionen. Die Auswertem¨oglichkeit von Polynomen muss erst durch geeignete Programmbibliotheken realisiert werden. Um ein Polynom an einer vorgegebenen Stelle x0 berechnen zu k¨onnen, muss man also diese Funktion in eine Form, bestehend aus m¨oglichst wenig Additionen/Subtraktionen sowie Multiplikationen/Divisionen, umformen. Dies kann man durch sukzessives Ausklammern eines Faktors x in folgender Weise bewerkstelligen: f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an−2 xn−2 + an−1 xn−1 + an xn = an xn + an−1 xn−1 + an−2 xn−2 + . . . + a2 x2 + a1 x + a0  = an xn−1 + an−1 xn−2 + an−2 xn−3 + . . . + a2 x + a1 x + a0   = an xn−2 + an−1 xn−3 + an−2 xn−4 + . . . + a2 x + a1 x + a0 = ...... = ((. . . ((an x + an−1 ) x + an−2 ) x + . . . + a2 ) x + a1 ) x + a0

67

68

3 Elementare Funktionen

Im letzten Schritt haben wir zur Auswertung an einer Stelle x0 nur noch n Additionen und ebenso viele Multiplikationen durchzuf¨uhren. Wir k¨onnen die schrittweise Auswertung der Klammern von innen nach außen in einem Schema aufschreiben, welches u¨ blicherweise als HornerSchema4 bezeichnet wird. an −

·x0

an−1 an x0

·x0

an−2 (an x0 +an−1 )x0·x

0

· · · a2 a1 a0 · · · ·x· · ·x · 0

an an x0 +an−1 (an x0 +an−1 )x0 +an−2 · · · ·

0

·

f (x0 )

Formal wird von links beginnend immer die Summe u¨ bereinander stehender Ausdr¨ucke gebildet, das Ergebnis mit der auszuwertenden Stelle x0 multipliziert und in die zweite Zeile der n¨achsten Spalte eingetragen. Tats¨achlich wird in jeder Spalte dieses Schemas eine Klammer des obigen Ausdrucks ausgewertet.

Horner-Schema

Beispiel 3.7 Wir wollen das Polynom f (x) = 2x4 − x3 + 3x − 10 an der Stelle x0 = 1,5 auswerten, d. h. wir suchen f (1,5). Hierzu stellen wir das entsprechende Horner-Schema auf. 2 −1 − ·1,5 3 ·1,5 2

2

0 3 3 ·1,5 4,5 3

7,5

−10 11,25 ·1,5 1,25

Damit ist f (1,5) = 1,25. ◭

Dieses Horner-Schema ist leicht programmierbar. Man kann folgenden Algorithmus zur Auswertung eines beliebigen Polynoms an einer beliebigen Stelle formulieren, welcher nur mit Addition und Multiplikation auskommt.

4

William Horner, 1786–1837, englischer Mathematiker.

3.2

Ganze rationale Funktionen

read Grad n; read Koeffizienten a0 , a1 , . . . , an ; read Auswertestelle x0 ; i := n; Hilfe := 0; while i ≥ 0 do Hilfe := ai + Hilfe; if i > 0 do Hilfe := Hilfe · x0 end if i := i − 1; end while; f (x0 ) := Hilfe;

¨ Wie schon mehrmals angedeutet, ist man des Ofteren vor das Problem gestellt, durch eine gewisse Anzahl von vorgegebenen Punkten ein Polynom zu legen, welches einen m¨oglichst geringen Grad haben soll.

Beispiel 3.8 Durch die St¨utzstellen mit den Koordinaten (−1 | 2)

(0 | 1)

(1 | − 2)

(2 | 5)

soll ein Polynom vom maximalen Grad 3 gelegt werden. Setzt man diese vorgegebenen St¨utzstellen in den allgemeinen Ansatz der ganzen rationalen Funktion f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + a3 x3 ein, so erh¨alt man die Gleichungen 2 1 −2 5

= = = =

a0 − a1 + a2 − a3 a0 a0 + a1 + a2 + a3 a0 + 2a1 + 4a2 + 8a3 .

Wir haben also ein Gleichungssystem von 4 Gleichungen f¨ur 4 zu bestimmende Koeffizienten a0 , a1 , a2 , a3 zu l¨osen. Dieses Gleichungssystem ist eindeutig l¨osbar. Die L¨osung soll hier ohne Rechnung angegeben werden: a0 = 1

a1 = −4

a2 = −1

a3 = 2

Das gesuchte Polynom ist also eindeutig bestimmt und lautet f (x) = 1 − 4x − x2 + 2x3 . ◭

69

70

3 Elementare Funktionen

Man kann die nahe liegende Vermutung a¨ ußern, dass eine derartige Aussage auch f¨ur beliebige Grade gilt, also dass man durch n + 1 St¨utzstellen genau ein Polynom von h¨ochstens dem Grad n legen kann. Dies ist tats¨achlich richtig.

Eindeutigkeit des interpolierenden Polynoms

Satz Sind (x0 ,y0 ), (x1 ,y1 ), . . ., (xn ,yn ) Punkte mit paarweise verschiedenen x-Werten, so existiert genau eine ganze rationale Funktion f vom maximalen Grad n, welche die vorgegebenen Stellen interpoliert: f (xi ) = yi ,

i = 0, . . ., n

Auf den allgemeinen Beweis dieses Sachverhalts verzichten wir. Stattdessen wollen wir eine nicht selbstverst¨andliche Folgerung daraus ziehen.

Anzahl der Nullstellen eines Polynoms

Satz Jede ganze rationale Funktion vom Grad n ≥ 1 hat maximal n Nullstellen.

Beweis Der Beweis erfolgt indirekt, d. h. dadurch, dass wir die Unm¨oglichkeit des Gegenteils nachweisen. Nehmen wir folglich an, dass die Behauptung nicht richtig ist, also dass es ein Polynom f von einem Grad n ≥ 1 gibt, welches mehr als n Nullstellen und somit mindestens n+1 paarweise verschiedene Nullstellen x0 , x1 , . . . xn besitzt. Nach dem vorangegangenen Satz existiert genau eine ganze rationale Funktion vom Grad h¨ochstens n, welche diese Nullstellen interpoliert, also welche f (xi ) = 0,

i = 0, . . ., n

erf¨ullt. Da aber auch das Nullpolynom O : x 7−→ 0 diese Voraussetzung erf¨ullt und es nur ein derartiges Polynom geben kann, muss f mit dem Nullpolynom u¨ bereinstimmen. Damit hat die ganze rationale Funktion f nicht mehr den Grad n ≥ 1, was im Widerspruch zur gemachten Voraussetzung von f steht.  Abspalten von Nullstellen

Bekanntlich l¨asst sich ein Polynom der Form x2 + a1 x + a0 mit den Nullstellen x1 und x2 faktorisieren in der Form x2 + a1 x + a0 = (x − x1 ) (x − x2 ) .

3.2

Ganze rationale Funktionen

Dass dies kein Zufall ist, sondern auch f¨ur Polynome h¨oheren Grades ¨ gilt, zeigt folgende Uberlegung, die wir exemplarisch f¨ur ganze rationale Funktionen dritten Grades durchf¨uhren. Wir gehen also von einem derartigen Polynom a3 x3 + a2 x2 + a1 x + a0 mit den Nullstellen x1 , x2 und x3 aus. Mittels Polynomdivision erh¨alt man (a3 x3 + a2 x2 + a1 x + a0 ) : (x − x1 ) = a3 x2 + (a2 +a3 x1 )x a3 x3 − a3 x1 x2 + (a1 +a2 x1 +a3 x21 ) 2 (a2 +a3 x1 )x + a1 x (a2 +a3 x1 )x2 − (a2 x1 +a3 x21 )x (a1 +a2 x1 +a3 x21 )x + a0 (a1 +a2 x1 +a3 x21 )x − (a1 x1 +a2 x21 +a3 x31 ) a0 +a1 x1 +a2 x21 +a3 x31 | {z } = 0.

Demzufolge ist

a3 x3 + a2 x2 + a1 x1 + a0  = (x − x1 ) · a3 x2 + (a2 +a3 x1 )x + (a1 +a2 x1 +a3 x21 ) .

F¨uhren wir nun die abk¨urzenden Schreibweisen b1 := (a2 +a3 x1 )

b2 := a3

b0 := (a1 +a2 x1 +a3 x21 )

ein, so ergibt sich als Ausdruck in der zweiten Klammer a3 x2 + (a2 +a3 x1 )x + (a1 +a2 x1 +a3 x21 ) = b2 x2 + b1 x + b0 . Dieses neue Polynom hat die Nullstellen x2 und x3 . Eine erneute Polynomdivision dieses Ausdrucks durch den Linearfaktor (x − x2 ) ergibt  b2 x2 + b1 x + b0 = (x − x2 ) · b2 x + (b1 +b2 x2 ) .

Mit den Bezeichnungen c1 := b2

c0 := (b1 +b2 x2 )

folgt daraus b2 x2 + b1 x + b0 = (x − x2 ) (c1 x + c0 ) . Die affine Funktion in der rechten Klammer hat die Nullstelle x3 , d. h. es ist c1 x + c0 = c1 (x − x3 ) = b2 (x − x3 ) = a3 (x − x3 ).

71

72

3 Elementare Funktionen

Unter der Ausnutzung unserer Identit¨aten ergibt sich somit insgesamt   a3 x3 + a2 x2 + a1 x + a0 = (x − x1 ) b2 x2 + b1 x + b0   = (x − x1 ) (x − x2 ) c1 x + c0   = (x − x1 ) (x − x2 ) a3 (x − x3 ) = a3 (x − x1 )(x − x2 )(x − x3 ).

Diese Argumentation l¨asst sich auf gleiche Weise f¨ur Polynome beliebigen Grades ausdehnen.

Zerlegung eines Polynoms in Linearfaktoren

Satz Jede ganze rationale Funktion vom Grad n ≥ 1 mit den n Nullstellen x1 , x2 , . . . , xn l¨asst sich auf folgende Weise in Linearfaktoren zerlegen: a0 +a1 x+a2 x2 +. . .+an xn = an (x−x1 )(x−x2 ) · · ·(x−xn )

Mehrfache Nullstelle

Hierbei ist es durchaus m¨oglich, dass eine Nullstelle innerhalb der Linearzerlegung mehrfach auftritt. Man spricht dann von einer mehrfachen Nullstelle des Polynoms.

Beispiel 3.9 Wir betrachten die ganze rationale Funktion f (x) = x3 − 67x − 126. Dieses Polynom hat die Nullstellen x1 = 9, x2 = −2 und x3 = −7. Demzufolge l¨asst sich diese ganze rationale Funktion auch darstellen in der Form x3 − 67x − 126 = (x − 9)(x + 2)(x + 7). Die ganze rationale Funktion g(x) = −3x3 − 21x2 + 15x + 225 gestattet eine Linearfaktorzerlegung der Gestalt −3x3 − 21x2 + 15x + 225 = (−3)(x − 3)(x + 5)(x + 5) = (−3)(x − 3)(x + 5)2.

Demzufolge hat dieses Polynom die Nullstellen x1 = 3 und x2 = −5, wobei die letzte eine doppelte ist. ◭

3.3

3.3

Gebrochene rationale Funktionen

Gebrochene rationale Funktionen

Es gibt Anwendungen, bei welchen der Quotient zweier ganzer rationaler Funktionen ben¨otigt wird.

Beispiel 3.10 F¨ur die Herstellung eines Werbekatalogs werden f¨ur die Erstellung der Druckvorlage 450 e veranschlagt. Die Kosten f¨ur die Erstellung eines Exemplars belaufen sich dann auf 2 e je St¨uck. Demzufolge ergibt sich der vom Auftraggeber zu entrichtende Gesamtbetrag abh¨angig von der Auflagenzahl x als Gesamtkosten = 450 e + 2 e · x. M¨ochte man nun die angefallenen Kosten auf die bestellte Anzahl x umlegen, so ergeben sich die durchschnittlichen Kosten je Katalog abh¨angig von der bestellten Menge x als Gesamtkosten x 450 e + 2 e · x = . x

Durchschnittskosten =

Die Durchschnittskosten sind also der Quotient der affinen Funktion der Gesamtkosten durch das Polynom der Auflagenzahl x. ◭

Definition Eine gebrochene rationale Funktion ist der Quotient zweier ganzer rationaler Funktionen: f (x) =

a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn b0 + b1 x + b2 x2 + . . . + bm xm

Der Definitionsbereich einer gebrochenen rationalen Funktion wird u¨ blicherweise maximal, also ohne die Nullstellen des Nenners, gew¨ahlt. An den entstehenden Definitionsl¨ucken k¨onnen verschiedene Effekte auftreten, wie folgendes Beispiel zeigt.

Gebrochene rationale Funktion

73

74

3 Elementare Funktionen

Polstelle

Beispiel 3.11

Hebbare Lucke ¨ Stetige Fortsetzbarkeit

Die gebrochene rationale Funktion f (x) =

1 x−1

hat 1 als einzige Nullstelle des Nennerpolynoms. Dementsprechend ist der Definitionsbereich in diesem Fall A f = R\{1}. Zeichnet man den Graphen dieser Funktion, so erh¨alt man folgendes Bild. y

1 1

x

Man erkennt, dass die Funktionswerte bei Ann¨aherung an die Definitionsl¨ucke x = 1 entweder u¨ ber alle Grenzen wachsen oder fallen, je nachdem, von welcher Seite man sich n¨ahert. Man spricht in diesem Fall auch von einer Polstelle der Funktion. Wir betrachten nun die Funktion g(x) =

x+1 . x2 − 1

Das Nennerpolynom hat hier die Nullstellen 1 und −1, sodass sich als Definitionsbereich dieser Funktion g Ag = R\{1, −1} ergibt. Die Abbildungsvorschrift der Funktion g l¨asst sich mithilfe der dritten binomischen Formel5 folgendermaßen umformen: g(x) =

x+1 x+1 1 = = x2 − 1 (x + 1)(x − 1) x−1

3.4

Allgemeine Potenz- und algebraische Funktionen

Demzufolge stimmt die gebrochene rationale Funktion g mit der ersten gebrochenen rationalen Funktion f u¨ berein – mit der einen Ausnahme, dass g an der Stelle x = −1 nicht definiert ist. Dementsprechend ist die Ausgabe des Graphen aus einem Computeralgebrasystem identisch zum obigen Bild. An der Definitionsl¨ucke x = −1 haben wir also eine hebbare Lucke ¨ im Graphen der Funktion. Man sagt auch, dass die Funktion g an der Stelle x = −1 stetig fortsetzbar ist. ◭

Es ist durchaus auch m¨oglich, dass sich als Definitionsbereich einer gebrochenen rationalen Funktion der Bereich der ganzen reellen Zahlen R x ergibt. Dies ist z. B. bei f (x) = 1+x 2 der Fall.

3.4

Allgemeine Potenz- und algebraische Funktionen

Bekanntlich ist xn (n ∈ N∗ ) die Kurzschreibweise f¨ur eine n-malige Multiplikation. xn := x| · x · x{z · · · · · · x} n Faktoren

Diese Schreibweise wird um negative Exponenten erweitert. Man definiert x−n :=

1 . xn

Setzt man zus¨atzlich noch x0 := 1, so gelten die bekannten Potenzregeln.

5

Die drei binomischen Formeln lauten: (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 (a − b)2 = a2 − 2ab + b2

(a + b) (a − b) = a2 − b2

75

76

3 Elementare Funktionen

Potenzgesetze

Satz

Es gelten folgende Potenzgesetze: xn = xn−m xm

xn · xm = xn+m

(xn )m = xn·m

Diese Potenzgesetze sind auch noch g¨ultig, wenn man 1

x n :=

√ n

m

x n :=

x,

√ n

x

m

m 1 x− n := m xn

und

einf¨uhrt. Um sicherzustellen, dass der Ausdruck stets definiert ist, setzt man voraus, dass bei nicht ganzzahligen Exponenten mn die Basis x nicht negativ ist. Eine spezielle Potenzfunktion ist nat¨urlich die Wurzelfunktion √ 1 x 2 = x. Potenzfunktion

Wir k¨onnen die allgemeine Potenzfunktion x 7−→ f (x) = xα f¨ur verschiedene Exponenten durch ein Computeralgebrasystem zeichnen lassen. Es ergeben sich beispielsweise nachfolgende Graphen. y

y

1

1

y = x−2

1

x

1

2

x

y = x3

m

Die Potenzfunktion mit rationalen Exponenten y = x n l¨asst sich mit folgender Argumentationskette umformen: m

y = xn yn = xm xm − yn = 0

Dies ist eine spezielle Form einer algebraischen Funktion.

3.4

Allgemeine Potenz- und algebraische Funktionen

Definition Es seien p0 (x), p1 (x), . . . , pn (x) Polynome. Dann heißt die Funktion f : x 7−→ y, wobei sich das Bild y durch L¨osung der Gleichung

Algebraische Funktion

p0 (x) + p1 (x) · y + p2 (x) · y2 + . . . . . . + pn (x) · yn = 0 ergibt, eine algebraische Funktion. Durch geeignete Zusatzbedingungen muss ggf. sichergestellt werden, dass jedem x nur genau ein y zugeordnet wird.

Implizite Darstellung einer Funktion

Beispiel 3.12 Ein wichtiges, nicht triviales Beispiel ist die algebraische Funktion x2 + y2 = r2 ,

y ≥ 0.

Durch die Zusatzbedingung y ≥ 0 l¨asst sich diese implizite Darstellung umformen in die explizite Gestalt p y = r2 − x2 .

Man u¨ berlegt sich mithilfe des Pythagor¨aischen Satzes im rechtwinkligen Dreieck, dass es sich bei dem Graphen um die Punkte der oberen Halbebene handelt, die vom Ursprung den konstanten Abstand r besitzen. Der Graph dieser algebraischen Funktion ist folglich der obere Halbkreis mit dem Radius r. r

r

y

x r



77

78

3 Elementare Funktionen

3.5

Trigonometrische Funktionen

Trigonometrie In der Praxis treten h¨aufig Probleme auf, bei welchen Entfernungen und Winkel eine Rolle spielen. Bevor wir uns derartigen Problemen zuwenden, sollen aber zun¨achst die verschiedenen Arten der Winkelmessung genauer betrachtet werden. Aus historischen Gr¨unden wird der Vollwinkel u¨ blicherweise in 360◦ eingeteilt. Diese Einteilung ist allerdings k¨unstlich und f¨ur die Anwendung in der Mathematik wenig geeignet. Man w¨ahlt stattdessen als nat¨urliches Winkelmaß die L¨ange des entsprechenden Bogenst¨ucks auf dem Einheitskreis. 1 x x 1

Bogenmaß

Diese Winkelmessung x nennt man die Messung in Bogenmaß. Da sich der Umfang eines Kreises nach der Formel U = 2π r berechnet, ist der entsprechende Umfang des Einheitskreises 2π , was im klassischen Gradmaß 360◦ entspricht. Somit ergibt sich als Umrechnungsformel zwischen der Gradmessung α und dem Bogenmaß x x =

2π ·α 360◦

bzw.

α =

360◦ · x. 2π

Beispiel 3.13 Bei der Fahrt mit dem Auto findet man am Straßenrand h¨aufig Schilder, auf welchen die Steigung angegeben wird.

7%

3.5

Trigonometrische Funktionen

In der Fahrschule lernt man, dass die Angabe einer Steigung von 7 % besagt, dass auf einer Entfernung von 100 m die Fahrbahn um 7 m ansteigt. Gemeint ist damit, dass man bei einer Bewegung von 100 m in der Horizontalen eine H¨ohe von 7 m gewinnt.

7m

α 100 m Dies bedeutet, dass im entsprechenden rechtwinkligen Dreieck das Verh¨altnis der L¨ange der Vertikalen zur L¨ange der Horizontalen 7 m : 100 m = 0,07 = 7 % betr¨agt. Dies ist aber gerade der Tangens des Neigungswinkels α . Auf dem Verkehrsschild ist also der Tangens des Neigungswinkels angegeben, der in unserem Fall 4◦ bzw. im Bogenmaß 0,07 betr¨agt. ◭

Die Definition der trigonometrischen Gr¨oßen erfolgt u¨ ber die L¨angenverh¨altnisse im rechtwinkligen Dreieck. Wir wollen diese bekannten Definitionen hier nochmals kurz zusammenfassen.

c

a

α b Im rechtwinkligen Dreieck mit den Kathetenl¨angen a, b und der Hypotenuse c gilt:

Gegenkathete Hypotenuse Ankathete cos(α ) = Hypotenuse Gegenkathete tan(α ) = Ankathete Ankathete cot(α ) = Gegenkathete sin(α ) =

a c b = c a = b b = a =

Sinus Kosinus Tangens Kotangens

79

80

3 Elementare Funktionen

F¨ur diese trigonometrischen Gr¨oßen gelten vielerlei Beziehungen. Die wichtigsten sind die folgenden, die ohne Herleitung einfach wiedergegeben werden. Additionstheoreme Doppelwinkelformeln

Additionstheoreme sin(α ± β ) = sin(α ) cos(β ) ± cos(α ) sin(β ) cos(α ± β ) = cos(α ) cos(β ) ∓ sin(α ) sin(β ) Doppelwinkelformeln sin(2α ) = 2 sin(α ) cos(α ) cos(2α ) = cos2 (α ) − sin2 (α ) Von Interesse sind ferner die Beziehungen im allgemeinen Dreieck.

γ b

a

α c

Sinussatz Kosinussatz

β

Sinussatz a b c = = sin(α ) sin(β ) sin(γ ) Kosinussatz c2 = a2 + b2 − 2ab cos(γ ) Gerade die zuletzt genannten Beziehungen sind in der Praxis von großer Bedeutung, wie folgendes Beispiel belegt.

Beispiel aus der Geod¨asie

Beispiel 3.14 Ein Geod¨at m¨ochte die Entfernung d vom Punkt P1 zum Punkt P2 bestimmen. Leider ist durch ein dazwischen stehendes Haus eine direkte Sichtverbindung zwischen den beiden Punkten nicht m¨oglich.

3.5

Trigonometrische Funktionen

P2 b

d

P1 b

b a

γ b

H Es stellt sich die Frage, ob der Vermesser die Entfernung d zwischen den Punkten P1 und P2 trotzdem bestimmen kann. Beide Endpunkte sind von einem Hilfspunkt H außerhalb der direkten Verbindung einsehbar. Der Geod¨at misst die Entfernungen a und b von diesem Hilfspunkt H zu den beiden Endpunkten P1 und P2 : a = 15,50 m

b = 21,20 m

Mit einem Theodoliten misst er den Winkel γ zwischen den gemessenen Strecken: ∧

γ = 1,833 = 105◦ Jetzt berechnet sich die gesuchte Entfernung mithilfe des Kosinussatzes zu q d = a2 + b2 − 2ab cos(γ ) q = 15,502 + 21,202 − 2 · 15,50 · 21,20 · cos(1,833)m = 29,33 m.



Trigonometrische Funktionen Der Sinuswert eines Winkels ist stets eindeutig bestimmt. Es ist daher nahe liegend, jedem Winkel x seinen Sinuswert zuzuordnen. Man erh¨alt ¨ hierdurch eine Funktion sin : R −→ R. Entsprechende Uberlegungen sind auch f¨ur Kosinus, Tangens und Kotangens m¨oglich.

81

3 Elementare Funktionen

Sinusfunktion Kosinusfunktion Tangensfunktion Kotangensfunktion

Sinus und Kosinus im Einheitskreis

Definition Unter den trigonometrischen Funktionen versteht man die Funktionen mit folgenden Abbildungsvorschriften: sin : cos : tan : cot :

x 7−→ sin(x) x 7−→ cos(x) x 7−→ tan(x) x 7−→ cot(x)

Sinusfunktion Kosinusfunktion Tangensfunktion Kotangensfunktion

Um den Verlauf der Graphen dieser Funktionen zu veranschaulichen, ist es sinnvoll, sich zun¨achst die trigonometrischen Gr¨oßen im Einheitskreis klar zu machen. Man erh¨alt nachfolgendes Bild.

1

1 x2 cos(x2 )

x1 cos(x1 )

sin(x1 )

Trigonometrische Funktionen

sin(x2 )

82

1

1

Bemerkenswert ist, dass hierdurch auch Sinus- und Kosinuswerte von ∧ Winkeln u¨ ber 90◦ = π2 erkl¨art werden. Da der Sinus die H¨ohe des entsprechenden Punktes auf dem Einheitskreis widerspiegelt, hat die Sinusfunktion beim Winkel 0 den Wert 0 und beim Winkel π2 den Wert 1. Beim Winkel π erreicht sie wieder den Wert 0 und beim Winkel 23 π den Wert −1. Der Kosinus ist gerade die horizontale Auslenkung, hat also beim Winkel 0 den Wert 1 und beim Winkel π2 den Wert 0 usw. Genauer lassen die wichtigsten Sinus- und Kosinuswerte der folgenden Tabelle entnehmen.

3.5

Winkel in Bogenmaß

0

π 6

π 4

π 3

Winkel in Grad

0◦

30◦

45◦

60◦

sin

0

1 2

1

√ 1

cos

2



2

√ 1

2

1 2

3

2

1 2



π 2

3 2π

π

Trigonometrische Funktionen



Wichtige Sinus- und Kosinuswerte

90◦ 180◦ 270◦ 360◦

3

1 2

1

0

−1

0

0

−1

0

1

Zeichnet man die Graphen der Sinus- bzw. der Kosinusfunktion, so erh¨alt man die nachstehenden Bilder. y 1

Sinuskurve π 2

3 2π

π

2π x

-1 Sinusfunktion y 1

Kosinuskurve π 2

3 2π

π

2π x

-1 Kosinusfunktion Aufgrund des Bildes im Einheitskreis ist offensichtlich, dass sich die Werte der Sinus- und Kosinusfunktion nach einer Vollumdrehung des Winkels wiederholen. Es gilt also sin(x+2π ) = sin(x)

cos(x+2π ) = cos(x).

Man sagt, dass diese beiden trigonometrischen Funktionen die Periode 2π besitzen.

Periode

Weiter kann man dem Bild im Einheitskreis sofort folgende wichtige Beziehung entnehmen, welche aus nahe liegenden Gr¨unden oft als trigono” metrischer Satz des Pythagoras“ bezeichnet wird.

Trigonometrischer Satz des Pythagoras F¨ur alle Werte x gilt cos2 (x) + sin2 (x) = 1.

Trigonometrischer Satz des Pythagoras

83

84

3 Elementare Funktionen

Anwendung Federpendel

Die Sinus- und Kosinusfunktion spielen in der Anwendung eine zentrale Rolle unter den Funktionen. Z. B. ergibt sich die von der Zeit t abh¨angige Auslenkung einer an einer Spiralfeder schwingenden Masse m als ! r D s(t) = s0 · cos t , m wobei D die von der speziellen Feder abh¨angige Federkonstante und s0 die maximale Auslenkung aus der Gleichgewichtslage ist.

0 s0 s Anwendung Wechselspannung

Und der Wechselstrom aus der Steckdose hat als momentane Spannung in Volt   √ 1 U(t) = 230 2 · sin 2π · 50 · t . s

Anwendung Einheitskreis

Mithilfe von Sinus- und Kosinusfunktion kann man dar¨uber hinaus Kreise sehr einfach darstellen. Der Einheitskreis ist die Menge aller der Punkte, die vom Ursprung den Abstand 1 haben. Nun liegen alle Punkte mit den Koordinaten (cos(t), sin(t)) auf dem Einheitskreis. Dabei spielt es keine Rolle, welchen konkreten Wert der Winkel t ∈ [0,2π [ hat. Wir k¨onnen umgekehrt den Kreis sogar als die Menge aller der Punkte mit der xKoordinate cos(t) und der y-Koordinate sin(t) beschreiben, wobei der Winkel t alle Werte zwischen 0 und 2π durchl¨auft.

b

r t

3.5

Trigonometrische Funktionen

Ein Kreis mit dem Radius r ist der um den Faktor r zentrisch gestreckte Einheitskreis und ergibt sich dementsprechend mittels der Darstellung  r · cos(t), r · sin(t) , 0 ≤ t < 2π .

Als Graphen der Tangens- und Kotangensfunktion erh¨alt man die folgenden Bilder. y

Tangenskurve

π 2

3 2π

x

Tangensfunktion y

Kotangenskurve

π

x

Kotangensfunktion sin(x)

Man erkennt, dass die Tangensfunktion wegen tan(x) = cos(x) an den Nullstellen des Nenners cos(x) nicht definiert ist. Die Funktionswerte wachsen bzw. fallen in der Umgebung dieser Definitionsl¨ucken x = π2 + kπ (k ∈ Z) u¨ ber alle Grenzen. Der gleiche Effekt stellt sich an den Definitionsl¨ucken x = kπ (k ∈ Z) der Kotangensfunktion ein. Ferner sieht man, dass beide Funktionen sogar die Periode π haben, dass sich also die Funktionswerte gegen¨uber der Sinus- und der Kosinusfunktion noch fr¨uher wiederholen.

85

3 Elementare Funktionen

Inverse trigonometrische Funktionen Manchmal muss man zu dem Bild einer trigonometrischen Funktion das zugeh¨orige Urbild finden.

Beispiel 3.15 Ein Schwerlastkran kann seinen Hubarm auf maximal 50 Meter ausfahren. 25 m

m

Schwerlastkran

50

86

α

Um welchen Winkel gegen¨uber der Vertikalen muss er diesen Hubarm neigen, um ein Betonteil im Abstand 25 Meter von der Lagerung des Krans ablassen zu k¨onnen? Um diese Frage zu beantworten, ben¨otigen wir den Winkel α , f¨ur welchen die Beziehung sin(α ) =

1 25 m = 50 m 2

gilt. Wir suchen also das Urbild des Wertes tion. Dieses ist in unserem Fall der Winkel

α =

1 2

unter der Sinusfunk-

π ∧ = 30◦ . 6 ◭

Wir ben¨otigten im vorhergehenden Beispiel die Umkehrung der Sinusfunktion. Leider ist diese nicht injektiv. Um die Sinusfunktion umkehren zu k¨onnen, muss man den Definitionsbereich der Sinusfunktion zun¨achst auf einen Bereich einschr¨anken, auf welchem die Funktion  injektiv, d. h. umkehrbar ist. Ein solcher Bereich ist das Intervall − π2 , π2 . Als Umkehrfunktion erh¨alt man dann den sog. Arkussinus“. ”

3.5

Trigonometrische Funktionen

y 1 − π2 π 2

x

−1 Eingeschr¨ankter Sinus Entsprechend kann man die Umkehrfunktionen der Kosinusfunktion, der Tangensfunktion und der Kotangensfunktion einf¨uhren, wenn man die entsprechenden Definitionsbereiche einschr¨ankt.

Definition Unter den inversen trigonometrischen Funktionen versteht man die Umkehrfunktionen der eingeschr¨ankten trigonometrischen Funktionen: Arkussinus  arcsin :

[−1,1] x = sin(y)

−→ 7−→

 − π2 , π2 y = arcsin(x)



Arkuskosinus  [−1,1] arccos : x = cos(y)

−→ 7−→

[0, π ] y = arccos(x)

Arkustangens  R arctan : x = tan(y)

−→ 7−→



Arkuskotangens  R arccot : x = cot(y)

−→ 7−→

]0, π [ y = arccot(x)

 − π2 , π2 y = arctan(x)

Zeichnet man die Graphen, so erh¨alt man die nachfolgenden Bilder.

Inverse trigonometrische Funktionen Arkusfunktionen

87

88

3 Elementare Funktionen π 2

Arcussinus

y

1 x

−1

− π2 Arkussinus Arcuskosinus

π

y

π 2

−1 Arcustangens

Arkuskosinus 1 x π 2

y

1

x

− π2 Arkustangens Arcuskotangens

π

y

π 2

1 Arkuskotangens

x

3.5

Trigonometrische Funktionen

Den Arkustangens hatten wir implizit bereits bei den komplexen Zahlen verwendet (vgl. Abschnitt 1.4). Im(z)

z = a + bi

bi

b

|z |

ϕ a Re(z) Zur Bestimmung des Arguments ϕ in der trigonometrischen Darstellung  z = a + bi = |z| · cos(ϕ ) + i sin(ϕ ) muss man n¨amlich die Gleichung

tan(ϕ ) = l¨osen, d. h. es ist f¨ur a > 0 bzw. a < 0   b ϕ = arctan bzw. a

b a

ϕ = π + arctan

  b . a

Wir wollen uns die Notwendigkeit f¨ur die Einf¨uhrung dieser Funktionen an folgenden weiteren Beispielen klar machen.

Grenzwinkel zur Totalreflexion

Beispiel 3.16 Wenn ein Lichtstrahl von Luft in Wasser u¨ bergeht, so wird er nach dem Snellius6 -Brechungsgesetz gem¨aß der Formel n =

sin(α ) sin(β )

zum Lot hin gebrochen. Hierbei ist n der Brechungsindex des Mediums, im Fall von Wasser ist n = 1,33.

Luft

α

Wasser

β

89

90

3 Elementare Funktionen

Bei Umkehrung des Lichtwegs wird der Lichtstrahl in entsprechender Weise vom Lot weg gebrochen. Allerdings ist die obige Brechungsformel f¨ur große Werte von β nicht mehr erf¨ullbar, da dann sin(α ) > 1 sein m¨usste. Dementsprechend kann f¨ur diese Werte der Lichtstrahl nicht mehr aus dem Wasser austreten, der Strahl wird dann vollst¨andig an der Grenzfl¨ache reflektiert.

Luft

ββ

Wasser

Uns interessiert nun der Grenzwinkel. Ab welchem Winkel β tritt Totalreflexion ein? Dies ist dann der Fall, wenn sin(α ) = 1 gilt. Wir m¨ussen demzufolge die Gleichung 1 = n sin(β ) l¨osen, d. h. es ist

β = arcsin

    1 1 = arcsin = arcsin(0,75) n 1,33 ∧

≈ 0,848 = 48,6◦ .



Blickwinkel des Auges im Kino

Beispiel 3.17 Ein Besucher eines speziellen Kinos sitzt im Extremfall in der ersten Reihe zentral im Abstand d = 8 m von der b = 10 m breiten Leinwand entfernt. Es stellt sich die Frage, welchen Blickwinkel das Auge des Besuchers haben muss, um die ganze Leinwand erfassen zu k¨onnen, und ob der durchschnittliche Erfassungswinkel des menschlichen Auges von 50◦ ausreichend ist.

6

benannt nach Willebrord van Roijen Snell, genannt Snellius, 1580–1626, holl¨andischer Mathematiker und Physiker.

3.6

Exponentialfunktion und Logarithmus

Leinwand b 2

d ϕ 2

···

···

Die Skizze zeigt, dass die Beziehung tan

ϕ 

b 2

=

2

d

gelten muss. Dementsprechend ergibt sich nat¨urlich !

ϕmin = 2 · arctan = 2 · arctan

b 2

d

10 m 2

8m

!

= 2 · arctan

  5 8



≈ 2 · 0,559 = 1,118 = 64◦ . Der durchschnittliche Blickwinkel eines menschlichen Auges reicht demnach nicht vollst¨andig aus, um die ganze Leinwand zu erfassen. ◭

3.6

Exponentialfunktion und Logarithmus

Allgemeine und nat¨ urliche Exponentialfunktion In Abschnitt 3.4 hatten wir die Potenzschreibweise an = a · · ·· · · a} | · a · a{z n Faktoren

so durch die weiteren Potenzen (m,n ∈ N∗ ) a0 = 1

a−n =

1 an

m

an =

√ n

a

m

m

a− n =

1 m

an

91

92

3 Elementare Funktionen

erweitert, dass die Rechenregeln an · am = a(n+m)

an = a(n−m) am

(an )m = a(n·m)

weiterhin g¨ultig sind. Damit haben wir bei positiver Basis a die Potenzen f¨ur alle rationalen Exponenten definiert. Man kann die Potenzen in nahe liegender Weise sogar auf irrationale Exponenten ausdehnen. Man definiert hierzu grob gesagt ax so, dass sich das Ergebnis fast nicht von den Potenzen der gleichen Basis mit den umliegenden rationalen Exponenten unterscheidet.7 Die zitierten Potenzgesetze gelten dann immer noch. Neben der bereits eingef¨uhrten allgemeinen Potenzfunktion xα , bei welcher die Basis x die unabh¨angige Variable und der Exponent α eine feste Zahl ist, ist es auch m¨oglich, die Basis konstant zu halten und den Exponenten als unabh¨angige Variable zu behandeln.

Exponentialfunktion zur Basis a

Definition

Es sei a > 0. Dann heißt die Funktion  R −→ R expa : x 7−→ ax

die Exponentialfunktion zur Basis a .

Die Graphen derartiger Exponentialfunktionen haben je nach Gr¨oße der Basis a eine unterschiedliche Gestalt. Es ist auffallend, dass f¨ur Werte der Basis a, die gr¨oßer als 1 sind, die Graphen streng monoton wachsend und im Fall 0 < a < 1 die Graphen streng monoton fallend sind. Im Fall der Basis a = 1 ergibt sich die konstante Funktion exp1 (x) = 1x = 1. Diese Funktion ist im Rahmen der Behandlung der Exponentialfunktionen von wenig Interesse und wird im Folgenden nicht weiter betrachtet.

7

Genauer handelt es sich um die sog. stetige Fortsetzung auf irrationale Exponenten; vgl. auch Kapitel 10.5.

3.6

Exponentialfunktion und Logarithmus

y a1

1

a=1

x Dass allgemeine Potenzfunktionen von großer praktischer Bedeutung sind, sieht man an folgenden Beispielen.

Preissteigerung

Beispiel 3.18 Die j¨ahrliche Preissteigerungsrate in Deutschland betr¨agt im Schnitt ca. 2 %, d. h. ein Produkt, welches zurzeit 100,00 e kostet, hat in einem Jahr einen Preis von 100,00 e · 1,02 = 102,00 e. Nach zwei Jahren betragen die Kosten 102,00 e · 1,02 = 100 e · 1,022 = 104,04 e und nach 3 Jahren 104,04 e · 1,02 = 100 e · 1,023 = 106,12 e. Es ist offensichtlich, dass sich nach n Jahren ein Preis von 100,00 e · 1,02n ergibt, also nach 35 Jahren ein Preis von 100,00 e · 1,0235 = 199,99 e. Der urspr¨ungliche Preis hat sich zu diesem Zeitpunkt also nahezu verdoppelt. ◭

93

94

3 Elementare Funktionen

Wissenswachstum

Beispiel 3.19 Das Wissen der Menschheit verdoppelt sich nach wissenschaftlichen Sch¨atzungen zurzeit etwa alle f¨unf Jahre. Wenn wir den heutigen Wissensstand mit der Zahl 1 belegen, so haben wir demnach in 5 Jahren einen Wissensstand von 2, in 10 Jahren von 4 = 22 und in 15 Jahren von 8 = 23 . Nach 50 Jahren ergibt sich somit ein Wissensstand von 2

50 5

= 210 = 1 024,

d. h. das Wissen hat sich in diesem Zeitraum mehr als vertausendfacht. ◭

Eine sehr wichtige und sehr h¨aufig auftretende Basis der Exponentialfunktion ax ist die Basis a = e, wobei e eine irrationale Zahl8 ist mit den beginnenden Dezimalen e = 2,718 281 828 459....

Naturliche ¨ Exponentialfunktion

Definition

Euler’sche e -Funktion

Die Exponentialfunktion zur Basis e  R −→ R exp : x 7−→ ex

heißt naturliche ¨ Exponentialfunktion9 oder (Euler’sche) e Funktion.

Der Graph der nat¨urlichen Exponentialfunktion hat die nachfolgende Gestalt.

8

Die exakte Definition folgt in Abschnitt 10.3 im Zusammenhang mit Folgen.

9 Der Beiname nat¨ urlich“ basiert auf der Tatsache, dass sich viele Wachstums- und ” Zerfallsvorg¨ange in der Natur mithilfe dieser Exponentialfunktion beschreiben lassen.

3.6

y

Exponentialfunktion und Logarithmus

e -Funktion

ex

1 1

x

Dass die Basis e und damit die Funktion expe (x) = ex eine wichtige Rolle spielt, belegt exemplarisch nachfolgendes Beispiel.

Beispiel 3.20

Reaktorkatastrophe Tschernobyl

Bei der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl im Jahr 1986 wurde auch das radioaktive C¨asium-Isotop 137 55 Cs freigesetzt. Nach der Kontamination einer gewissen Region in Deutschland wurde damals f¨ur 137 at von 55 Cs eine Aktivit¨   Bq 1 Zerfall A0 = 45 000 2 1 Bq10 = m s gemessen. Aus der Physik weiß man, dass die Aktivit¨at dieser radioaktiven Substanz gem¨aß A(t) = A0 · e−λ t abnimmt, wobei die seit dem Reaktorungl¨uck t verstrichene Zeit in Jahren (Abk¨urzung a) gemessen wird. Bei unserem C¨asium-Isotop betr¨agt die dabei auftretende Zerfallskonstante 1 λ = 0,023 . a Damit ergeben sich nach folgenden verstrichenen Zeiten nachfolgende Aktivit¨aten in dieser Region: t = 0a : t = 10 a : t = 25 a : t = 50 a :

Bq A(0 a) = A0 e−λ ·0 a = 45 000 m 2 = A0 Bq A(10 a) = A0 e−λ ·10 a = 35 754 m 2 ≈ 0,79 · A0 Bq A(25 a) = A0 e−λ ·25 a = 25 321 m 2 ≈ 0,56 · A0 Bq A(50 a) = A0 e−λ ·50 a = 14 249 m 2 ≈ 0,32 · A0

Bq t = 100 a : A(100 a) = A0 e−λ ·100 a = 4 512 m 2 ≈ 0,10 · A0

95

96

3 Elementare Funktionen

Offensichtlich kommt die von der Reaktorkatastrophe erzeugte Radioaktivit¨at nie zum Erliegen. Sie wird permanent kleiner, hat aber z. B. im Jahr 2036 nach 50 Jahren mit 32 % fast noch ein Drittel der urspr¨unglichen Aktivit¨at. ◭

Logarithmusfunktionen Beispiel 3.21

Halbwertszeit Reaktorkatastrophe Tschernobyl

(Fortf¨uhrung von Beispiel 3.20) Man kann sich bei dem Beispiel 3.20 im vorangegangenen Abschnitt fragen, zu welchem Zeitpunkt sich die urspr¨ungliche Aktivit¨at halbiert hat. Da sich die Radioaktivit¨at abh¨angig von der Zeit gem¨aß dem Gesetz A(t) = A0 · e−λ t entwickelt, f¨uhrt dies auf die nach der Zeit t aufzul¨osenden Gleichung A0 · e−λ t =

1 A0 2

bzw. e−λ t =

1 . 2

Um die gefragte Halbwertszeit zu bestimmen, m¨ussen wir demzufolge f¨ur die Funktion y = f (x) = ex (x = −λ t) das Urbild von y = 12 bestimmen. Hierzu ben¨otigen wir die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion. ◭

Logarithmusfunktion zur Basis a

Definition Die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion y = ax (a = 6 1) heißt Logarithmusfunktion zur Basis a :  ]0,∞[ −→ R loga : x = ay 7−→ y =: loga (x)

10

1 Bq = 1 Becquerel; benannt nach Antoine Henri Becquerel, 1852–1908, franz¨osischer Physiker.

3.6

Exponentialfunktion und Logarithmus

Durch Spiegelung der entsprechenden Exponentialfunktionen an der ersten Winkelhalbierenden erh¨alt man die Graphen der Logarithmusfunktionen. y a>1

Logarithmuskurven

x

1

a 0}

d) {x ∈ R | |x−1| − sgn(x) ≤ 1}

3.2 Lassen Sie sich die Graphen folgender auf R definierten Funktionen durch ein Computeralgebrasystem zeichnen. Berechnen Sie die Stellen, an welchen die Funktionswerte verschwinden, und u¨ berpr¨ufen Sie Ihre Ergebnisse mit dem Computeralgebrasystem. f (x) = x − 2|x| + (sgn(x))2 g(x) =

x(x+|x|) + 2(x−|x|) − 2 sgn(x) 2

Abschnitt 3.2 3.3 Geben Sie die y-Achsenabschnitte, die Steigungen und die Nullstellen folgender affiner Funktionen an. Fertigen Sie anschließend jeweils eine Skizze des Graphen und u¨ berpr¨ufen Sie diese anhand eines Computeralgebrasystems. 3 a) f (x) = x + 3 b) f (x) = −2x + 7 c) f (x) = − x + 2 2 1 d) f (x) = −0,6x + π e) f (x) = x f) f (x) = 100x − 1 100 3.4 Die Umrechnung zwischen der Temperaturmessung ϑC in ◦ Celsius und ϑF in ◦ Fahrenheit ist gegeben durch den Zusammenhang ϑF =

9 ϑC + 32. 5

a) Zeichnen Sie den Graphen der hierdurch gegebenen Funktion. b) Welche physikalische Bedeutung haben die Koeffizienten

9 5

und 32?

c) Wie berechnet sich die Gradangabe in Celsius aus derjenigen in Fahrenheit?

3.5

Nach einem Gesetz der Physik betr¨agt die L¨ange l eines Stabs abh¨angig von der Temperatur l(ϑ ) = l0 (1 + αϑ ).

Hierbei ist ϑ die Temperatur in ◦ Celsius und α eine Materialkonstante, der sog. Ausdehnungskoeffizient. a) Welche physikalische Bedeutung hat die Gr¨oße l0 ? b) Ein Stab hat bei einer Temperatur von 38 ◦ C eine L¨ange von 6,4007 m. Nach einer Erw¨armung des Stabs auf 95 ◦ C erh¨oht sich die L¨ange um 4,4 mm. Wie lang ist der Stab beim Gefrierpunkt 0 ◦ C und bei Zimmertemperatur 20 ◦ C? Wie groß ist die Materialkonstante α und um welches Material handelt es sich demzufolge?

Aufgaben

3.6 Innerhalb der Kostenrechnung unterscheidet man Fixkosten, also Kosten, welche unabh¨angig von der produzierten Menge anfallen, und variable Kosten, linear abh¨angig von der produzierten Anzahl. Ein Hersteller von M¨obeln muss bei der Herstellung von St¨uhlen bei einer monatlichen Produktion von 800 St¨uhlen 102 200 e an Investitionskosten bereitstellen, w¨ahrend er bei einer Produktion von 3 500 St¨uhlen 342 500 e ben¨otigt. Wie hoch sind die Fixkosten und wie hoch die variablen Herstellungskosten pro Stuhl? 3.7 Berechnen Sie die Nullstellen und die Koordinaten des Scheitels folgender Parabeln. Zeichnen ¨ Sie anschließend den Graphen. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse jeweils mithilfe eines Computeralgebrasystems. a) y = x2 − 9 b) y = x2 + 4x + 3 c) y = −0,5x2 + 1,5x − 1,125 ¨ 3.8 Berechnen Sie die Nullstellen folgender sog. biquadratischer Funktionen. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse mit einem Computeralgebrasystem. a) f (x) = x4 − 8x2 + 16

b) f (x) = x4 − 20x2 + 64

c) f (x) = −4x4 + 6x2 + 18

Hinweis Substituieren (ersetzen) Sie z = x2 und l¨osen Sie die entsprechende Gleichung f¨ur z.

3.9 Der Luftwiderstand, welcher bei einer Fahrt mit der Geschwindigkeit v u¨ berwunden werden muss, ergibt sich gem¨aß der Formel Fw =

1 cw Aρ v2 . 2

Dabei ist A der Querschnitt des Fahrzeugs senkrecht zur Bewegungsrichtung, ρ die Dichte der Luft und cw eine von der Form des Fahrzeugs abh¨angige Konstante. Die Geschwindigkeit v wird in ms gemessen. a) Skizzieren Sie den Graphen des Luftwiderstands abh¨angig von der gefahrenen Geschwindigkeit. b) Auf das Wievielfache erh¨oht sich der Luftwiderstand bei einer Verdoppelung der Geschwindigkeit? Auf das Wievielfache muss man die Geschwindigkeit erh¨ohen, damit sich der Luftwiderstand verdoppelt? c) Ein Auto hat den Querschnitt A = 2,2 m2 und einen cw -Wert von cw = 0,27. Die Luftdichte betr¨agt ρ = 1,25 mkg3 . Berechnen Sie jeweils den Luftwiderstand bei einer Geschwindigkeit von 50 km h , km km , 120 und 180 . 90 km h h h d) Erl¨autern Sie ein Verfahren, wie man in einem Windkanal experimentell den cw -Wert einer Fahrzeugkonstruktion bestimmen kann.

3.10 Skizzieren Sie die Graphen folgender auf R definierter Funktionen und u¨ berpr¨ufen Sie Ihre Schaubilder mithilfe eines Computeralgebrasystems. Berechnen Sie ferner die Nullstellen dieser Funktionen. f (x) = x + |x| g(x) = x − 2 |x| + (sgn(x))2 h(x) =

x (x + |x|) + 2 (x − |x|) − 2 sgn(x) 2

109

110

3 Elementare Funktionen

3.11 Gegeben ist die ganze rationale Funktion f (x) = 2x3 + x2 − 5x + 2,

x ∈ R.

a) Berechnen Sie mithilfe des Horner-Schemas die Werte f (−1), f (0), f (1), f (2), f (3). b) Wie lauten die Nullstellen von f ? c) Zerlegen Sie f in Linearfaktoren.

3.12 Konstruieren Sie jeweils eine ganze rationale Funktion mit folgenden Nullstellen. Gibt es jeweils auch ein derartiges Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten? a) x1 = 1, x2 = −1, x3 = 2, x4 = −2 √ √ b) x1 = 0, x2 = 3, x3 = − 3, x4 =

4 5

doppelt, x5 = −2 dreifach

Abschnitt 3.3 3.13 Bestimmen Sie die maximalen Definitionsbereiche folgender gebrochener rationaler Funktionen. Lassen Sie sich jeweils durch ein Computeralgebrasystem die Graphen zeichnen und entscheiden Sie, ob es sich an den Definitionsl¨ucken um Pole oder hebbare L¨ucken handelt. x+1 x2 − 9 x2 + 1 a) f (x) = b) f (x) = c) f (x) = 2 x−1 6 − 2x x −4 x2 x2 + 4x + 4 −x2 + 4x − 4 d) f (x) = e) f (x) = f) f (x) = (x + 2)2 x2 − 4x + 4 x3 + 2x2 − 8x

3.14 Die Anziehungskraft eines Gegenstands durch einen Planeten berechnet sich in Abh¨angigkeit des Abstands r vom Planetenmittelpunkt gem¨aß der gebrochenen rationalen Funktion F(r) = G

Mm , r2 3

m wobei M die Planetenmasse, m die Gegenstandsmasse und G = 6,67 · 10−11 kg·s 2 die Gravitationskonstante sind.

a) Skizzieren Sie den Graphen der Anziehungskraft auf einen Gegenstand abh¨angig von der Entfernung r vom Planetenmittelpunkt. Wie groß wird die Anziehungskraft an der Planetenoberfl¨ache, wenn der Planetenradius beliebig klein wird, also gegen null geht, die Planetenmasse aber unver¨andert bleibt? b) Wie viel wiegt ein Mann mit 75 kg K¨orpermasse auf der Spitze des Mount Everest, d. h. mit welcher Kraft wird er von der Erde angezogen? Die Erdmasse betr¨agt 5,973 · 1024 kg, der Erdradius 6 370 km und die H¨ohe des Mount Everest 8 872 m.

Abschnitt 3.4 3.15 Vereinfachen Sie: a) x3 · x2 2 e) x(3 )

9

b) x−3 · x 2

x2 f) √ x3

x17 x19 5 3x 2 g) √ x 9x c)

d) h)

x3

2

x2m

x(m+n)

111

Aufgaben

3.16 Lassen Sie sich von einem Computeralgebrasystem die Graphen folgender Potenzfunktionen zeichnen. 1 a) f (x) = x3 b) f (x) = x−1 c) f (x) = x 2 3

d) f (x) = x50

3

f) f (x) = x− 2

e) f (x) = x 2

3.17 Zeigen Sie, dass sowohl die ganzen rationalen Funktionen als auch die gebrochenen rationalen Funktionen zu der Klasse der algebraischen Funktionen geh¨oren.

Abschnitt 3.5 3.18 Die Geod¨aten nehmen die Winkelmessung meistens in gon vor. Hierzu wird der Vollwinkel in 400 gon eingeteilt, d. h. dem Winkel 2π bzw. 360◦ entspricht die Gr¨oße 400 gon. a) Stellen Sie die Umrechnungsformeln der Winkelmessung von Bogenmaß bzw. Grad (◦ ) in gon auf. Wie lauten die Umrechnungsformeln in umgekehrter Richtung? b) Berechnen Sie folgende Winkelgr¨oßen in den jeweils anderen Winkelmessungen.

π 2

180◦

50 gon

30◦

π 3

10 gon

330◦

11 π 9

359◦

450 gon

3.19 Ein Auto f¨ahrt mit der Geschwindigkeit 60 km arts. Welchen h eine Steigung von 7 % aufw¨ H¨ohenunterschied hat es nach einer Minute u¨ berwunden? 3.20 Es sollen die Koordinaten eines nicht zug¨anglichen Punktes C bestimmt werden. Hierzu legt man in einem geeigneten lokalen Koordinatensystem zwei zug¨angliche Punkte A und B fest und misst die Winkel α und β des entstehenden Dreiecks ABC. Der Punkt A hat die Koordinaten A(3,30 | 5,80) und der Punkt B die Werte B(45,10 | 3,90). Als Winkel werden α = 73◦ und β = 55◦ gemessen. y

C γ b A

a

α c

β

B x

a) Berechnen Sie die Gr¨oße des fehlenden Winkels γ sowie die Entfernung c zwischen den Punkten A und B. b) Wie groß sind die Entfernungen a und b des unzug¨anglichen Punktes C zu den bekannten Punkten A und B? c) Bestimmen Sie zeichnerisch n¨aherungsweise die Koordinaten des Punktes C in dem lokalen Koordinatensystem. K¨onnen Sie die Koordinaten durch eine Rechnung best¨atigen?

112

3 Elementare Funktionen

3.21 Bestimmen Sie jeweils die L¨osungsmenge der folgenden trigonometrischen Gleichungen:  1 π a) cos(x) = − b) tan(x) = 1 c) sin 2x + = 0,5 2 6 r  q    1 π π cos x− =√ =1 e) d) tan 2 x+ f) sin(x) = 1 − sin2 (x) 4 3 2

3.22 Visualisieren Sie mithilfe eines Computeralgebrasystems die Graphen folgender Funktionen.     π π π π a) (i) sin(x) sin x + sin x + sin x + sin x − 6 4 2 4     π π π π (ii) cos(x) cos x + cos x + cos x + cos x − 6 4 2 4     π π π π (iii) tan(x) tan x + tan x + tan x + tan x − 6 4 2 4 Was bewirkt demnach der Summand b in der Darstellung sin(x + b), cos(x + b) und tan(x + b)? Ist dieser Effekt bei jeder Funktion f (x + b) zu erwarten?  sin(−x) b) (i) sin(x) sin(2x) sin(3x) sin 12 x  1 (ii) cos(x) cos(2x) cos(3x) cos 2 x cos(−x)  tan(−x) (iii) tan(x) tan(2x) tan(3x) tan 12 x

Was bewirkt demnach der Faktor a in der Darstellung sin(ax), cos(ax) und tan(ax)? Ist auch dieser Effekt bei jeder Funktion f (ax) zu erwarten?

¨ c) Uberlegen Sie aufgrund der Ergebnisse der Aufgabenteile (a) und (b), wie sich aus dem Graphen ¨ der Funktion f (x) der Graph der Funktion f (ax+b) gewinnen l¨asst. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Vermutung mittels Darstellung einiger Graphen im Computeralgebrasystem.

3.23 Eine Glimmlampe beginnt zu leuchten, wenn der Betrag der Spannung eine gewisse Z¨undspannung UZ u¨ bersteigt. Sie erlischt wieder, wenn die angelegte Spannung die sog. L¨oschspannung UL betragsm¨aßig unterschreitet. Eine Glimmlampe mit den technischen Gr¨oßen UZ = 150 V

UL = 90 V

wird an die gew¨ohnliche Wechselspannung √ U(t) = 230 2 · sin(2π f t),

f = 50 s−1

angeschlossen. Zu wie viel Prozent der Zeit leuchtet die Glimmlampe?

Aufgaben

3.24 Die jahreszeitliche Abh¨angigkeit der L¨ange eines Tages in Stunden l¨asst sich mit hinreichender Genauigkeit mittels einer Funktion der Form L(t) = 12 + c · sin(at +b), mit geeigneten Zahlen a, b, c beschreiben. Hierbei bedeutet t der entsprechende Tag im Jahresablauf (1. Januar: t = 1; 31. Dezember: t = 365). a) Bekanntlich h¨angt die Tagesl¨ange neben dem Datum auch von der geographischen Breite ϕ des Beobachtungspunkts ab. Weltweit sind am 21. M¨arz Tages- und Nachtdauer gleich lang. Zeigen Sie, dass die Gr¨oßen a und b nicht von der geographischen Breite abh¨angen. Wie groß sind diese Konstanten? An welchen Daten ist nach diesem Modell die Tagesdauer extremal? b) In Frankfurt am Main hat der l¨angste Tag im Jahr eine Dauer von 16,5 Stunden. Wie lang ist nach unserem Modell der k¨urzeste Tag? Wie groß ist in Frankfurt die Konstante c? c) F¨ur welche Werte von c kann man im Sommer bzw. im Winter die Mitternachtssonne beobachten (d. h. die Sonne geht nicht unter)? Wie ist in diesem Fall der Graph der Tagesl¨angenfunktion L(t) zu interpretieren?

3.25 Beweisen Sie: F¨ur alle x ∈ [−1,1] gilt p sin (arccos(x)) = 1 − x2

cos (arcsin(x)) =

p 1 − x2 .

3.26 Das Wachstum einer Eichensorte l¨asst sich in einem Modell n¨aherungsweise u¨ ber die Formel   50 t −40 h(t) = 25 + arctan π 8 beschreiben. Hierbei bedeutet h die H¨ohe und t das Alter des Baumes in Jahren. a) Lassen Sie sich die Baumh¨ohe abh¨angig vom Alter durch ein Computeralgebrasystem zeichnen. b) Wie groß kann der Baum werden? Wie viel der Maximalh¨ohe hat der Baum nach 200 bzw. zum Zeitpunkt seines nat¨urlichen Todes nach 1 000 Jahren erreicht? Wann hat der Baum 90 % (95 %) seiner Maximalh¨ohe erreicht? c) Wie groß ist der Baum zum Zeitpunkt der Pflanzung? Nach wie vielen Jahren ist das Wachstum maximal?

Abschnitt 3.6 3.27 Berechnen Sie folgende Potenzen. a) 25

b) 43

c) 210

d) 3−1

e) 10−3

f) 162,5

g) 811,25

h) 2,25 0,5

3.28 Den Speicherplatz, den man f¨ur ein ASCII-Zeichen ben¨otigt, nennt man ein Byte. Da man in der Informatik alles auf die Basis 2 bezieht, bezeichnet man nicht 1 000 Byte als ein Kilobyte (KB), sondern definiert 1 KB = 210 Byte. Entsprechend werden die weiteren Gr¨oßen Megabyte (MB) und Gigabyte (GB) u¨ ber 1 MB = 210 KB und 1 GB = 210 MB festgelegt. Aus wie vielen Byte besteht demzufolge ein KB, ein MB bzw. ein GB?

113

114

3 Elementare Funktionen

¨ 3.29 Uberlegen Sie sich den qualitativen Verlauf folgender Funktionen und lassen Sie sich anschließend die Graphen durch ein Computeralgebrasystem zeichnen. a) y = 2x b) y = 0,9x c) y = 3ex d) y = −5e−x e) y = 2e2x

f)

y = ex + 2

g) y = ex+2

h) y = e−(x+2)

3.30 Suchen Sie mit einem Taschenrechner oder einem Computeralgebrasystem die kleinste bzw. gr¨oßte ganzzahlige Zahl mit b) e2x ≥ 1 000

a) ex ≥ 100

c) e20x ≤ 0,001

e) e−x ≤ 10

d) ex ≥ 109

√ − x

g) −2e−5x ≥ −10−6

h) 3e

f) 3e10x ≤ 88 √

≤ 1012

i) ex · e

x

≥ 104

3.31 Die durchschnittliche Inflationsrate w¨ahrend der Existenz der D-Mark in den Jahren 1948 bis Ende 2001 betrug 2,7 %. Auf das Wievielfache sind demzufolge in dieser Zeit die Preise gestiegen? Wie viel Prozent der urspr¨unglichen Kaufkraft hatte die D-Mark bei ihrer Abl¨osung? Zu welchem Zeitpunkt betrug die Kaufkraft der D-Mark gerade 50 % der urspr¨unglichen Kaufkraft? 3.32 Ein Kondensator C wird gem¨aß der skizzierten Schaltung in Reihe mit einem Widerstand R gelegt und an eine Spannungsquelle U angeschlossen. S R C

U

I Zum Zeitpunkt t = 0 s wird der zun¨achst offene Schalter S geschlossen. Aufgrund der angelegten Spannung wird der Kondensator C aufgeladen. Der hierzu ben¨otigte Strom I wird mit einem Strommessger¨at gemessen. Im Lauf der Zeit entsteht am Kondensator eine Gegenspannung, die den Stromfluss behindert. Die Physik lehrt, dass sich die zum Zeitpunkt t fließende Stromst¨arke I gem¨aß dem Gesetz I(t) =

U − t · e RC R

berechnet. Im konkreten Experiment hat der Widerstand den Wert R = 5 MΩ = 5 · 106 Ω, der Kondensator die Kapazit¨at C = 50 nF = 50 · 10−9 F. Die angelegte Spannung betr¨agt U = 12 V. a) Berechnen Sie die Stromst¨arken zu den Zeitpunkten 0 s, 0,25 s, 0,5 s, 1 s und 10 s. b) Zu welchem Zeitpunkt hat sich die Ausgangsstromst¨arke halbiert?

Aufgaben

3.33 Wie gehen die folgenden Funktionen grafisch aus der nat¨urlichen Logarithmusfunktion ¨ y = ln(x) hervor? Verifizieren Sie Ihre Uberlegungen, indem Sie sich die Graphen durch ein Computeralgebrasystem zeichnen lassen. a) y = ln(x) + 3 b) y = 2 ln(x) c) y = − ln(x) d) y = ln(−x)   1 g) y = ln x

e) y = − ln(−x) √  h) y = 2 ln x

f) y = ln(x − 2)

i) y = ln(2) · log2 (x)

3.34 In der H¨ulse des Uranstabs eines Uranbrenners verl¨auft die Temperatur ϑ gem¨aß der Funktion   r ϑ (r) = ϑi − k ln . ri Dabei ist ϑi die Innentemperatur, ri der Radius der Innenseite der H¨ulse und r der Radius zum betreffenden Punkt in der H¨ulse. F¨ur einen speziellen wassergek¨uhlten Uranstab ist ϑi = 357 ◦ C, k = 993 ◦ C und ri = 12,6 mm. Wie groß sind die Temperaturen an der Außenseite der H¨ulse mit dem Radius ra = 13,6 mm und in der H¨ulsenwandmitte? Wie groß m¨usste der Außenradius ra sein, damit an der Außenwand eine Temperatur von 80 ◦ C herrscht?

3.35 Der Seismologe Charles Francis Richter14 f¨uhrte 1935 die nach ihm benannte Richterskala“ ” zur Messung der St¨arke von Erdbeben ein. Er definierte ein Erdbeben mit einer Schwingungsauslen−4 kung von I0 = 10 cm in 100 km Entfernung vom Erdbebenzentrum als Standarderdbeben“. Die ” St¨arke eines Erdbebens wird dann auf der Richterskala bei einer Auslenkung I in 100 km Entfernung vom Zentrum definiert als   I FR = lg . I0 Das verheerende Erdbeben von 1906 in San Francisco hatte eine Intensit¨at von 8,3 auf der Richterskala. Das bis heute st¨arkste Erdbeben war 1960 in Chile mit einem Wert von 9,5. Um wie viel st¨arker war dieses Erdbeben gegen¨uber demjenigen in San Francisco? 14

Charles Francis Richter, 1900–1985, amerikanischer Geologe.

3.36 Die Lautst¨arke wird u¨ blicherweise in Dezibel (dB) gemessen. Die H¨orbarkeitsschwelle wird bei einer physikalischen Schallintensit¨at von I0 = 10−12 Watt erreicht. Die Lautst¨arke eines Tones mit m2 der Intensit¨at I ergibt sich dann als   I L = 10 · lg dB. I0 a) Wie groß ist nach obiger Definition die Lautst¨arke der H¨orbarkeitsschwelle I0 ? b) Ein Staubsauger hat eine Lautst¨arke von ca. 80 dB, laute Rockmusik bis zu 120 dB. Um wie viel h¨oher ist die Schallintensit¨at IR der Rockmusik gegen¨uber der des Staubsaugers IS ? Kontrollieren Sie Ihr Ergebnis, indem Sie die Intensit¨aten ausrechnen.

115

116

3 Elementare Funktionen

3.37 Weisen Sie folgende Eigenschaften der hyperbolischen Funktionen nach. a) sinh(−x) = − sinh(x)

b) cosh(−x) = cosh(x) d) cosh(x) − sinh(x) = e−x

x

c) cosh(x) + sinh(x) = e

e) sinh(x + y) = sinh(x) cosh(y) + cosh(x) sinh(y)

f) sinh(2x) = 2 sinh(x) cosh(x) h) cosh(2x) = cosh2 (x) + sinh2 (x)

g) cosh(x + y) = cosh(x) cosh(y) + sinh(x) sinh(y)

3.38 Lassen Sie sich durch ein Computeralgebrasystem die Graphen der inversen hyperbolischen Funktionen Arsinh(x), Arcosh(x), Artanh(x) und Arcoth(x) zeichnen. 3.39 Berechnen Sie folgende Werte in der Form a + bi. a) eπ i

π

b) e 2 i

π

c) e 4 i

π

d) e1− 3 i

e) e2+4π i

f) e1+i

3.40 Zeigen Sie mithilfe der Definition der komplexen Exponentialfunktion folgende Eigenschaften. a) Die nat¨urliche Exponentialfunktion ist 2π i-periodisch. b) F¨ur reelle y gelten die Beziehungen cos(y) = cosh(iy)

sin(y) = −i sinh(iy)

cosh(y) = cos(iy)

sinh(y) = −i sin(iy)

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Lineare Gleichungssysteme

4

Was ist ein lineares Gleichungssystem? Wo treten lineare Gleichungssysteme auf? Wie l¨ ost man lineare Gleichungssysteme systematisch?

Silberdistel

4.1 4.2

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Das Gauß’sche Eliminationsverfahren . . . . . . 121 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_4 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_4

117

118

4 Lineare Gleichungssysteme ¨ In praktischen Anwendungen muss man des Ofteren diverse Unbekannte aus mehreren Gleichungen bestimmen. Besonders h¨aufig kommen hier Probleme vor, bei welchen lediglich gewisse Vielfache der Unbekannten addiert werden, sog. lineare Gleichungssysteme“. Derartige Glei” chungssysteme erlauben ein systematisches Vorgehen zur Bestimmung der L¨ osung, welches in diesem Kapitel anhand diverser Beispiele vorgestellt wird.

4.1

Zahlenr¨atsel

Problemstellung

Beispiel 4.1 Fritzchen sagt: Ich denke mir zwei Zahlen. Wenn ich sie addiere, ” erhalte ich 93, und wenn ich das Doppelte der zweiten Zahl von der ersten subtrahiere, erhalte ich 30. Wie lauten meine zwei Zahlen?“ Diese Art recht verbreiteter Zahlenr¨atsel l¨asst sich auf folgende Weise formalisieren. Bezeichnet man die Zahlen mit x1 und x2 , so ist nachstehendes Gleichungssystem zu l¨osen: x1 + x2 = 93 x1 − 2 x2 = 30 Hier handelt es sich um ein Gleichungssystem mit den zwei Unbekannten x1 und x2 . Da diese Unbekannten lediglich mit gewissen Konstanten, n¨amlich 1 bzw. −2, multipliziert werden, ist dieses Gleichungssystem sogar ein lineares Gleichungssystem. Man kann es z. B. dadurch l¨osen, dass man die erste Gleichung nach einer Variablen aufl¨ost und das Ergebnis in die zweite einsetzt. Aus der ersten Gleichung erh¨alt man x2 = 93 − x1 und damit sukzessive aus der zweiten Gleichung x1 − 2 (93 − x1 ) 3x1 − 186 3x1 x1

= = = =

30 30 216 72.

Durch Einsetzen dieses Ergebnisses in die erste Gleichung ergibt sich schließlich x2 = 93 − 72 = 21. Fritzchen hatte also die Zahlen x1 = 72 und x2 = 21 gew¨ahlt.



4.1

Problemstellung

W¨ahrend f¨ur allgemeine Gleichungssysteme keine allgemein g¨ultigen L¨osungsstrategien existieren, ist es sehr wohl m¨oglich, lineare Gleichungssysteme mit einem effizienten Verfahren zu l¨osen. Wir wenden uns jedoch zun¨achst einer weiteren Aufgabe zu. Man wird h¨aufig vor das Problem gestellt, durch gewisse vorgegebene St¨utzstellen ein Polynom m¨oglichst niedrigen Grades zu legen (vgl. auch die Anwendung aus dem Bauwesen in Beispiel 3.6).

Beispiel 4.2

Windenergie

Die durch Windkraftanlagen erzeugte Leistung ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Diese Steigerung ist in folgender Tabelle1 wiedergegeben (Leistung in Megawatt). Jahr Leistung

2006 20 474

2010 26 903

2014 38 614

2018 58 843

Will man nun die Leistung in den nicht aufgef¨uhrten Jahren erhalten bzw. z. B. f¨ur das Jahr 2022 hochrechnen, ist es notwendig, eine Funktion durch die 4 St¨utzstellen zu legen. Um mit kleineren Zahlen rechnen zu k¨onnen, vereinbaren wir, dass das Jahr 2006 das Jahr null der Windenergie darstellt. Dementsprechend werden die folgenden aufgef¨uhrten Jahre mit den Zahlen 4, 8 und 12 belegt. Als einfachster Ansatz zur L¨osung unseres Problems bietet sich ein Interpolationspolynom vom Grad 3 an: p(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + a3 x3 Durch Einsetzen der bekannten Werte erh¨alt man das folgende lineare Gleichungssystem f¨ur die Koeffizienten a0 , a1 , a2 , a3 des Polynoms: a0 a0 + 4 a1 + 42 a2 + 43 a3 a0 + 8 a1 + 82 a2 + 83 a3 a0 + 12 a1 + 122 a2 + 123 a3

= = = =

20 474 26 903 38 614 58 843

bzw. a0 a0 + 4 a1 + 16 a2 + 64 a3 a0 + 8 a1 + 64 a2 + 512 a3 a0 + 12 a1 + 144 a2 + 1 728 a3

= = = =

20 474 26 903 38 614 58 843

Es ist offensichtlich, dass die Methode des mehrmaligen Aufl¨osens einer Gleichung nach einer Variablen und anschließendes Einsetzen in die u¨ brigen Gleichungen eine m¨uhselige Angelegenheit ist. Man ben¨otigt ein geeigneteres Verfahren zur L¨osung des Gleichungssystems. Wir werden sp¨ater auf das Beispiel zur¨uckkommen. ◭

119

120

4 Lineare Gleichungssysteme

Es ist auch durchaus m¨oglich, dass die Anzahl der auftretenden Gleichungen nicht mit der Anzahl der zu bestimmenden Gleichungen u¨ bereinstimmt.

Di¨atkuche ¨

Beispiel 4.3 In einer Di¨atk¨uche soll aus Fleisch, Teigwaren und Gem¨use eine Mahlzeit zusammengestellt werden. Als Getr¨ank wird Milch gereicht. Ein Essen soll inklusive Getr¨ank aus 50 g Eiweiß, 10 g Fett und 150 g Kohlehydrate bestehen. Die gewichtsm¨aßigen prozentualen Anteile dieser Inhaltsstoffe in den eingekauften Lebensmitteln sind der folgenden Tabelle zu entnehmen.

Fleisch Teigwaren Gem¨use Milch

Eiweiß 22% 12% 3% 3%

Fett 4% 2% 3%

Kohlehydrate 70% 5% 4%

Es stellt sich die Frage, wie die vier Lebensmittel kombiniert werden k¨onnen. Hierzu bezeichnen wir die auszuw¨ahlenden Anteile mit den Variablen x1 , x2 , x3 , x4 . Die Mahlzeit muss dann folgende Gleichungen erf¨ullen: 0,22 x1 + 0,12 x2 + 0,03 x3 + 0,03 x4 = 50 0,04 x1 + 0,02 x2 + 0,03 x4 = 10 0,70 x2 + 0,05 x3 + 0,04 x4 = 150 Offensichtlich haben wir es hier wieder mit einem linearen Gleichungssystem zu tun. Aber dieses Mal ist die Anzahl der Gleichungen geringer als die Anzahl der Unbekannten. Vermutlich wird es mehrere M¨oglichkeiten geben, die Mahlzeit zusammenzustellen. Wir werden das Problem sp¨ater diskutieren. ◭

Die angef¨uhrten Beispiele belegen, dass es sinnvoll ist, sich mit der L¨osungstheorie derartiger Gleichungssysteme zu besch¨aftigen.

1

Quelle: Zeitreihen zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland unter Verwendung von Daten der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEEStat), Bundesministerium f¨ur Wirtschaft und Energie, 2019

4.2

4.2

Das Gauß’sche Eliminationsverfahren

Das Gauß’sche Eliminationsverfahren

Bevor wir mit der L¨osungstheorie beginnen, wollen wir zun¨achst allgemein definieren, was man unter einem linearen Gleichungssystem versteht.

Definition Es seien αi j , βi beliebige reelle Zahlen. Dann heißt das System der folgenden Gleichungen

Lineares Gleichungssystem Koeffizienten

α11 x1 + α12 x2 + . . . + α1n xn = β1 α21 x1 + α22 x2 + . . . + α2n xn = β2 .. .. .. .. .. . . . . . αm1 x1 + αm2 x2 + . . . + αmn xn = βm

St¨orglieder

ein lineares Gleichungssystem f¨ur die Unbekannten x1 , x2 , . . . , xn . Die Zahlen αi j heißen Koeffizienten, die βi St¨orglieder des linearen Gleichungssystems.

Hat man ein L¨osungstupel (x1 , x2 , . . . , xn ) des Gleichungssystems gefunden, so erf¨ullt dieses L¨osungstupel nat¨urlich alle Gleichungen

αi1 x1 + αi2 x2 + · · · + αin xn = βi . Diese G¨ultigkeit bleibt auch erhalten, wenn man eine derartige Gleichung mit einer Konstanten c 6= 0 multipliziert, d. h. es gilt auch cαi1 x1 + cαi2 x2 + · · · + cαin xn = cβi . Es ist auch m¨oglich, zwei solche Gleichungen zu addieren, ohne dass die Richtigkeit des Ergebnisses in Frage gestellt werden k¨onnte: (αi1 + αk1 )x1 + (αi2 + αk2 )x2 + · · · + (αin + αkn )xn = βi + βk . Man kann sogar beide Varianten miteinander kombinieren, indem man das Vielfache einer Gleichung zu einer anderen hinzu addiert: (cαi1 + αk1 )x1 + (cαi2 + αk2 )x2 + · · · + (c αin + αkn )xn = cβi + βk Auf Basis dieser Tatsache l¨asst sich ein Algorithmus zur L¨osung linearer Gleichungssysteme entwickeln, welcher als Gauß’sches Eliminationsverfahren bezeichnet wird. Man erzeugt sukzessive in den verschiedenen Spalten durch die geschilderten sog. elementaren Zeilenoperationen Nullen. Da alle durchgef¨uhrten Umformungen auch r¨uckg¨angig

Gauß’sches Eliminiationsverfahren Elementare Zeilenoperationen

121

122

4 Lineare Gleichungssysteme

gemacht werden k¨onnen, kann aus dem umgeformten Gleichungssystem auch die L¨osung des urspr¨unglichen linearen Gleichungssystems abgelesen werden. Das konkrete Verfahren soll anhand von Beispielen erl¨autert werden.

Beispiel 4.4 Wir wollen folgendes lineare Gleichungssystem l¨osen: x1 + x2 + x3 = 2 − x1 + x2 + 3 x3 = −2 2 x1 − x2 + x3 = −1 Nach den obigen Bemerkungen darf man eine Gleichung zu einer anderen addieren, ohne die L¨osungsmenge zu ver¨andern. Wir addieren hier die erste Gleichung zur zweiten und erhalten x1 + x2 + x3 = 2 2 x2 + 4 x3 = 0 2 x1 − x2 + x3 = −1. Ebenso k¨onnen wir das (−2)-Fache der ersten Gleichung zur letzten addieren. x1 + x2 + x3 = 2 2 x2 + 4 x3 = 0 − 3 x2 − x3 = −5 Nun multiplizieren wir die zweite Gleichung mit dem Faktor 12 . x1 + x2 + x3 = 2 x2 + 2 x3 = 0 − 3 x2 − x3 = −5 Im n¨achsten Schritt erzeugen wir oberhalb und unterhalb der soeben erzeugten Gr¨oße x2 jeweils eine Null, indem wir das (−1)-Fache der zweiten Gleichung zur ersten bzw. das 3-Fache der zweiten Gleichung zur dritten addieren. Die Gesamtl¨osung des Gleichungssystems bleibt unver¨andert. x1

− x3 = 2 x2 + 2 x3 = 0 5 x3 = −5

Der letzten Gleichung geben wir durch Multiplikation mit noch einfachere Gestalt. x1

− x3 = 2 x2 + 2 x3 = 0 x3 = −1

1 5

eine

4.2

Das Gauß’sche Eliminationsverfahren

Durch Addition dieser dritten Gleichung zur ersten sowie dem (−2)-Fachen zur zweiten Gleichung erhalten wir schließlich x1 x2

= 1 = 2 x3 = −1.

Aus diesem letzten Gleichungssystem, der sog. vollst¨andigen Gauß’schen Normalform, l¨asst sich nat¨urlich jetzt die Gesamtl¨osung x1 = 1

x2 = 2

Gauß’sche Normalform

x3 = −1

ablesen. Da durch die durchgef¨uhrten elementaren Zeilenumformungen die Gesamtl¨osungsmenge nicht ver¨andert wurde, stimmt diese L¨osung mit der des urspr¨unglichen Gleichungssystems u¨ berein. Dies l¨asst sich auch durch Einsetzen nochmals verifizieren: 1 + 2 + (−1) = 2 − 1 + 2 + 3 · (−1) = −2 2 · 1 − 2 + (−1) = −1 ◭

Das im vorangegangenen Beispiel durchgef¨uhrte Gauß’sche Eliminationsverfahren l¨asst sich etwas u¨ bersichtlicher aufschreiben, indem man die Koeffizienten der Unbekannten in ein Schema schreibt. Wir werden dieses Verfahren im n¨achsten Beispiel n¨aher erl¨autern.

Matrizenschreibweise

Beispiel 4.5 Wir wollen jetzt das folgende lineare Gleichungssystem l¨osen: 2 x1 − 2 x2 − 2 x3 − x4 x1 + x2 + x3 2 x1 − 2 x2 + x3 − 3 x4 x1 + 2 x2 + 2 x4

= 1 = −1 = 4 = 0

Hierzu f¨uhren wir wie im vorhergehenden Beispiel Schritt f¨ur Schritt elementare Zeilenumformungen durch. Wir erzeugen durch eine geeignete Multiplikation oder auch durch Vertauschung zweier Zeilen immer eine 1“ vor dem entsprechenden xi einer Gleichung ” und anschließend durch Addition entsprechender Vielfacher zu den

123

124

4 Lineare Gleichungssysteme

anderen Zeilen in der entsprechenden Spalte u¨ berall eine Null. Dieses Vorgehen systematisieren wir aber nun dahingehend, dass wir nicht mehr die kompletten Gleichungen aufschreiben, sondern nur noch die Koeffizienten in einer Matrix notieren.   2 −2 −2 −1 1 ← − 1 1  1 0 −1 ← −    2 −2 1 −3 4  1 2 0 2 0

Die Umformungen erfolgen nun analog zum Beispiel 4.4. Um einfachere Zahlen zu erhalten, vertauschen wir zun¨achst die ersten beiden Zeilen, was nat¨urlich die Gesamtl¨osung des linearen Gleichungssystems unver¨andert l¨asst. Die Umformungen werden u¨ blicherweise durch eine Kennung hinter der Matrix kenntlich gemacht.   1 1 1 0 −1 (−2) (−2) (−1) 2 −2 −2 −1 1  ←   −+   2 −2 1 −3 4  ←−−−−−−− + 1 2 0 2 0 ←−−−−−−−−−−−− +

Durch Addition des (−2)- bzw. (−1)-Fachen der ersten Zeile zu den u¨ brigen erzeugt man die gew¨unschten Nullen, d. h. die Unbekannte x1 bleibt lediglich in der ersten Gleichung stehen.   1 1 1 0 −1 0 −4 −4 −1 3  ←   −   0 −4 −1 −3 6  0 1 −1 2 1 ← − Im n¨achsten Schritt vertauschen wir die Zeilen 2 und 4 und bringen hierdurch die vorhandene Zahl 1 in die zweite Spalte der zweiten Zeile. Von hier aus werden im n¨achsten Schritt die weiteren Nullen erzeugt.   1 1 1 0 −1 ← −+ 0 1 −1 2 1  (−1) (4) (4)     0 −4 −1 −3 6  ←−−−−−−− + 0 −4 −4 −1 3 ←−−−−−−−−−−− + Durch Addition entsprechender Vielfacher zu den u¨ brigen Zeilen erh¨alt man folgendes Ergebnis.   1 0 2 −2 −2 0 1 −1 2 1       0 0 −5 5 10  | · − 15 0 0 −8 7 7

4.2

Das Gauß’sche Eliminationsverfahren

Multipliziert man nun die dritte Zeile mit − 15 , so erh¨alt man eine gute Basis f¨ur die weiteren Umformungen.   −+ 1 0 2 −2 −2 ← 0 1 −1 2 1  ← −+     0 0 1 −1 −2 (−2) (1) (8) ←−−−−−−−−−−−− + 0 0 −8 7 7 Somit ist es m¨oglich, durch Addition entsprechender Vielfacher weitere Nullen zu erzeugen.   1 0 0 0 2 0 1 0 1 −1     0 0 1 −1 −2 0 0 0 −1 −9 | · (−1)

Durch Multiplikation der letzten Zeile mit (−1) erh¨alt man wieder die gew¨unschte 1 in der Diagonalen.   1 0 0 0 2 0 1 0 1 −1 ←  −+    0 0 1 −1 −2 ← −+ 9 0 0 0 1 (−1) (1)

Durch Addition geeigneter Vielfacher der letzten Zeile zu den u¨ brigen erzeugt man schließlich die letzten Nullen.   1 0 0 0 2 0 1 0 0 −10     0 0 1 0 7  0 0 0 1 9

Diese letzte Matrix bedeutet in ausf¨uhrlicher Schreibweise die durch elementare Zeilenumformungen erreichte Gauß’sche Normalform x1 x2

= 2 = −10 x3 = 7 x4 = 9,

d. h. wir haben die L¨osung unseres Ausgangsgleichungssystems gefunden. ◭

125

126

4 Lineare Gleichungssysteme

Fortsetzung Windenergie

Beispiel 4.6 Wir kommen nun auf das Beispiel 4.2 des vorherigen Abschnitts zur¨uck. Dort hatten wir festgestellt, dass sich die durch Windkraftanlagen erzeugte Leistung in den vergangenen Jahren enorm gesteigert hat. Dies wird durch die nachfolgende Tabelle eindrucksvoll best¨atigt (angegebene Leistungen in Megawatt). Jahr Leistung

2006 20 474

2010 26 903

2014 38 614

2018 58 843

Um die Leistung in den nicht aufgef¨uhrten Jahren zu interpolieren bzw. f¨ur die nahe Zukunft hochzurechnen, hatten wir uns u¨ berlegt, dass es sinnvoll ist, wenn man ein Polynom 3. Grades p(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + a3 x3 ansetzt und durch die bekannten St¨utzstellen legt. Um mit kleineren Zahlen operieren zu k¨onnen, wird ferner das Jahr 2006 mit dem Windkraftjahr 0 gleichgesetzt. Man erh¨alt dann durch Einsetzen der bekannten St¨utzstellen (0 | 20 474), (4 | 26 903), (8 | 38 614) und (12 | 58 843) das lineare Gleichungssystem a0 a0 + 4 a1 + 16 a2 + 64 a3 a0 + 8 a1 + 64 a2 + 512 a3 a0 + 12 a1 + 144 a2 + 1 728 a3

= = = =

20 474 26 903 38 614 58 843

f¨ur die Koeffizienten des Polynoms. Zur L¨osung dieses Gleichungssystems verwenden wir wieder das Gauß’sche Eliminationsverfahren in Matrixschreibweise. Wir erhalten nacheinander:   1 0 0 0 20 474 (−1) (−1) (−1) 1 4 16 26 903← 64 −   +   1 8 64 512 38 614←−−−−−− + 1 12 144 1 728 58 843 ←−−−−−−−−−−− +   1 0 0 0 20 474 0 4 16 1 64 6 429   | · 4   0 8 64 512 18 140 0 12 144 1 728 38 369   1 0 0 0 20 474 0 1  (−8) (−12) 4 16 6 429    4  0 8 64 512 18 140← −+ 0 12 144 1 728 38 369 ←−−−−−− +

4.2



1 0   0 0  1 0   0 0  1 0   0 0  1 0   0 0  1 0   0 0

Das Gauß’sche Eliminationsverfahren

 0 0 0 20 474  1 4 16 6 429  4  1 0 32 384 5 282 | · 32 0 96 1 536 19 082  0 0 0 20 474 ← 1 4 16 6 429  −+ 4 2 641  0 1 12 16  (−4) (−96) 0 96 1 536 19 082 ←−−−−−− +  0 0 0 20 474 1 0 −32 947   641   0 1 12 2 16 1 0 0 384 3 236 | · 384  0 0 0 20 474  ← −+ 1 0 −32 947  2 641   ← −+ 0 1 12 16  809 0 0 1 (32) (−12) 96 20 474 0 0 0 3 650  1 0 0 3  023   0 1 0 1 16  0 0 1 809 96

Dementsprechend heißt die L¨osung des urspr¨unglichen Gleichungssystems a0 a1

= 20 474 = 3 650 3 023 a2 = 1 16 809 a3 = 96 ,

d. h. das gesuchte, die Entwicklung der Windenergieleistung beschreibende Polynom lautet 3 650 1 023 2 809 3 x+ x + x . 3 16 96 Damit ist es nun m¨oglich, die durch Windenergie erzeugte Leistung in den nicht aufgef¨uhrten Jahren abzusch¨atzen. So betrug die erzeugte Leistung im Jahr 2016, also im Jahr 10 nach dem Nullpunktjahr 2006 sch¨atzungsweise p(x) = 20 474 +

3 650 1 023 809 · 10 + · 102 + · 103 3 16 96 ≈ 47 461,5 [MW].

p(10) = 20 474 +

127

128

4 Lineare Gleichungssysteme

Die erzeugte Windleistung im Jahr 2022 l¨asst sich nach diesem Modell hochrechnen zu 3 650 1 023 809 · 16 + · 162 + · 163 3 16 96 ≈ 90 826 [MW].

p(16) = 20 474 +



Es ist durchaus auch m¨oglich, dass die Anzahl der Gleichungen nicht mit der Anzahl der Unbekannten u¨ bereinstimmt und dass es mehrere L¨osungen eines Gleichungssystems gibt.

Fortsetzung Di¨atkuche ¨

Beispiel 4.7 Wir f¨uhren nun das Beispiel der Di¨atk¨uche aus Beispiel 4.3 des vorangegangenen Abschnitts weiter. Es geht darum, aus vier Grundnahrungsmitteln eine Mahlzeit zusammenzustellen, sodass 50 g Eiweiß, 10 g Fett und 150 g Kohlehydrate gereicht werden. Die gewichtsm¨aßigen prozentualen Anteile der Inhaltsstoffe sind in der folgenden Tabelle aufgef¨uhrt.

Fleisch Teigwaren Gem¨use Milch

Eiweiß 22% 12% 3% 3%

Fett 4% 2% 3%

Kohlehydrate 70% 5% 4%

Bezeichnen wir die auszuw¨ahlenden Anteile mit den Variablen x1 , x2 , x3 , x4 , so sind die nachstehenden Gleichungen zu erf¨ullen: 0,22 x1 + 0,12 x2 + 0,03 x3 + 0,03 x4 = 50 0,04 x1 + 0,02 x2 + 0,03 x4 = 10 0,70 x2 + 0,05 x3 + 0,04 x4 = 150 Wir haben also jetzt nur noch 3 Gleichungen mit 4 Unbekannten. Trotzdem l¨asst sich das Gauß’sche Elimininationsverfahren auch in diesem Fall durchf¨uhren. In Matrizenschreibweise hat das Gleichungssystem folgende Gestalt:   1 0,22 0,12 0,03 0,03 50 | · 0,22   1 0 0,03 10 | · 0,04 0,04 0,02 1 0 0,70 0,05 0,04 150 | · 0,70

4.2

Das Gauß’sche Eliminationsverfahren

Daraus ergibt sich dann sukzessive mittels elementarer Zeilenumformungen:  3 3 2 500  6 1 11 (−1) 22 22 11   3 1 1 0 − −+ ← 2 4 250 ←  1 2 1 500 ←−−−−−−− 0 1 14 7 35   6 3 3 2 500 ← −+ 1 11 22 22 11    1 2 1 500  1 6 0 1 − 11 14 35 7  22  1 3 27 250 0 − 22 − 22 + ← − − − − − − − 44 11   81 8 500 15 1 0 154 770 77   1 2 1 500  0 1 14 35 7    41 949 2 500 | · − 308 0 0 − 308 1 540 77 41   15 81 8 500 1 0 154 ← −+ 770 77   2 1 500  1 0 1 ← −+ 14 35 7     949 10 000 15 1 0 0 1 − 205 − 41 − 154 − 14   114 5 500 1 0 0 205 41   159 9 500  0 1 0 410 41   000 949 − 1041 0 0 1 − 205

An dieser Stelle bricht das Gauß’sche Eliminationsverfahren ab. Es lassen sich keine weiteren Einsen oder Nullen erzeugen, ohne die vorhandenen zu zerst¨oren. Das entstandene Gleichungssystem lautet ausf¨uhrlich x1

+ x2 + x3 −

114 205 x4 159 410 x4 949 205 x4

500 = 5 41 500 = 9 41 10 000 = − 41 .

Offensichtlich gibt es keine weiteren Beschr¨ankungen f¨ur die Unbekannte x4 . Man kann sie frei w¨ahlen. Benennen wir diese Unbekannte zur Kenntlichmachung der freien W¨ahlbarkeit mit λ , so ergibt sich aus dem obigen Gleichungssystem x1 x2 x3 x4

5 500 = 41 − 9 500 = 41 − 10 000 = − 41 + =

114 205 159 410 949 205

λ λ λ λ.

Demzufolge gibt es unendlich viele M¨oglichkeiten, die gegebenen Grundnahrungsmittel zusammenzustellen, sodass die geforderten

129

130

4 Lineare Gleichungssysteme

50 g Eiweiß, 10 g Fett und 150 g Kohlehydrate erreicht werden. Die Gr¨oße λ = x4 gibt den gewichtsm¨aßigen Anteil an Milch wieder, den man frei w¨ahlen kann. Nach Wahl dieser Gr¨oße sind die anderen Anteile eindeutig bestimmt. Man spricht hier von einer eindimensionalen L¨osungsvielfalt, da eine Unbekannte frei gew¨ahlt werden kann und erst dann die u¨ brigen festgelegt sind. Nimmt man z. B. 200 g Milch (1 Glas), so ergeben sich die Anteile ¨ der u¨ brigen Lebensmittel aus folgender Ubersicht: Milch:

λ

x4 =

= 200 g

500 114 Fleisch: x1 = 5 41 − 205 · 200 = 159 9 500 Teigwaren: x2 = 41 − 410 · 200 = Gem¨use: x3 = − 1041000 + 949 205 · 200 =

940 41 6 320 41 27 960 41

≈ 23 [g] ≈ 154 [g] ≈ 682 [g]

Reicht man dagegen keine, also 0 g Milch, so ergibt sich die nachfolgende Tabelle. Milch:

x4 =

λ

= 0 g

114 500 500 − 205 · 0 = 5 41 ≈ 134 [g] Fleisch: x1 = 5 41 159 9 500 9 500 Teigwaren: x2 = 41 − 410 · 0 = 41 ≈ 232 [g] 000 949 000 Gem¨use: x3 = − 1041 + 205 · 0 = − 1041 ≈ −244 [g]

Hier ergibt sich zwar eine theoretische L¨osung, doch ist diese wenig praktikabel, da eine negative Menge Gem¨use nicht m¨oglich ist. Die rechnerischen L¨osungen k¨onnen also durch praktische Bedingungen ◭ (Gewichtsangaben m¨ussen positiv sein) begrenzt sein.

Wir wollen im n¨achsten Beispiel belegen, dass es durchaus auch m¨oglich ist, dass sich bei n Gleichungen mit n Unbekannten eine unendliche L¨osungsvielfalt ergibt.

Planung eines Kreisverkehrs

Beispiel 4.8 In einer Stadt wird eine zentrale Kreuzung als Kreisverkehr umgeplant. Verkehrsz¨ahlungen ergaben, dass zu den Hauptverkehrszeiten mit Verkehrsdichten des zu- und abfließenden Verkehrs zu rechnen ist, die in der nachfolgenden Skizze angegeben sind (Angabe in Fahrzeuge pro Stunde). Wir wollen wissen, mit welchen Verkehrsdichten wir innerhalb des Kreisverkehrs rechnen m¨ussen.

4.2

Das Gauß’sche Eliminationsverfahren

650 600 D x4 500 1000

x3 C

A x1

700 850

x2 B 750 350

Bezeichnet man – wie in der Skizze angedeutet – die Verkehrsfl¨usse mit x1 , x2 , x3 , x4 , so ergeben sich aufgrund der Tatsache, dass in jedem Knoten A, B,C, D die Summe der hineinfahrenden Fahrzeuge gleich der Summe der herausfahrenden Fahrzeuge sein muss, die folgenden Gleichungen: A: B: C: D:

x4 + 1000 x1 + 350 x2 + 700 x3 + 650

= = = =

x1 + 500 x2 + 750 x3 + 850 x4 + 600

Daraus ergibt sich das lineare Gleichungssystem −x1 + x4 x1 − x2 x2 − x3 x3 − x4

= −500 = 400 = 150 = −50.

In Matrizenschreibweise hat das Gleichungssystem die nachfolgende Gestalt. Es wird dann wieder mithilfe elementarer Zeilenoperationen umgeformt.   −1 0 0 1 −500 ← −+ ← −   1 −1 0 0 400  (1) ← −    0 1 −1 0 150  0 0 1 −1 −50   ← −+ 1 −1 0 0 400 −100 0 −1 0 1 ← −+ ← −     0 1 −1 0 150  (1) (1) ← − 0 0 1 −1 −50

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4 Lineare Gleichungssysteme

 1 0   0 0  1 0   0 0

0 1 0 0

−1 −1 −1 1

0 1 0 0

0 0 1 0

 ← −+ 0 550 ← −+ 0 150    ← −+ ← 1 50  − −1 −50 (1) (1) (1) ← −  −1 500 −1 100    −1 −50 0 0

Dieses letzte Gleichungssystem hat ausf¨uhrlich geschrieben die Form x1 x2

− x4 − x4 x3 − x4 0

= 500 = 100 = −50 = 0.

Es gibt keine weitere Beschr¨ankung f¨ur die Variable x4 , d. h. sie ist frei w¨ahlbar. Zur Kenntlichmachung dieses Sachverhalts belegen wir sie wieder mit dem Namen λ . Es ergibt sich somit als L¨osung x1 x2 x3 x4

= 500 + λ = 100 + λ = −50 + λ = λ.

Man kann also den Verkehrsfluss innerhalb des Kreisverkehrs nicht exakt vorherbestimmen. Er h¨angt davon ab, wie stark der Verkehrs◭ fluss innerhalb eines Abschnitts des Kreisels ist.

Es kann auch durchaus vorkommen, dass es innerhalb der GaußNormalform gr¨oßere Treppenspr¨unge gibt oder dass ein Gleichungssystem unl¨osbar ist.

Lineares Gleichungssystem mit Parameter

Beispiel 4.9 Schlaumeier sagt: Ich denke mir drei Zahlen. Die Summe dieser ” drei Zahlen ist 18 und die Summe der ersten beiden Zahlen ist gerade das Doppelte der dritten Zahl. Ich behaupte, dass aufgrund dieser Vorgaben das Ergebnis der Subtraktion der dritten Zahl von der Summe der ersten beiden Zahlen bereits festgelegt ist, obwohl die Zahlen noch nicht eindeutig bestimmt sind.“

4.2

Das Gauß’sche Eliminationsverfahren

Zu Kl¨arung der Frage, ob Schlaumeier recht hat, bezeichnen wir zun¨achst die drei gesuchten Zahlen mit x1 , x2 und x3 . Da die Summe 18 ist, gilt x1 + x2 + x3 = 18. Die Summe der ersten beiden Zahlen ist gerade das Doppelte der dritten Zahl, d. h. es ist x1 + x2 = 2x3 . Letztendlich bezeichnen wir das Ergebnis der Subtraktion der dritten Zahl von der Summe der ersten beiden Zahlen mit dem sog. Parameter α . Es ergibt sich damit x1 + x2 − x3 = α . Insgesamt haben wir also das Gleichungssystem x1 + x2 + x3 = 18 x1 + x2 − 2x3 = 0 x1 + x2 − x3 = α . Zur L¨osung dieses Gleichungssystems verwenden wir wieder die Matrizenschreibweise.   (−1) (−1) 1 1 1 18   −+ 1 1 −2 0  ← ←−−−−−−− + 1 1 −1 α   1 1 1 18    0 0 −3 18  | · − 31 0 0 −2 α −18

Da in der zweiten Spalte keine weiteren Nullen erzeugt werden k¨onnen, m¨ussen wir uns bei den weiteren Zeilenumformungen auf die dritte Spalte konzentrieren.   1 1 1 18 ← −+   (−1) (2) 0 0 1 6  0 0 −2 α −18 ←−−−−−−− +   1 1 0 12   0 0 1 6  0 0 0 α −6

Die letzte Zeile in der Matrix bedeutet ausgeschrieben 0 · x1 + 0 · x2 + 0 · x3 = α − 6

133

134

4 Lineare Gleichungssysteme

bzw. 0 = α − 6. Dies heißt aber, dass

α = 6 gelten muss, damit es u¨ berhaupt eine L¨osung des Gleichungssystems gibt. Die Behauptung, dass aufgrund der Vorgaben das Ergebnis der Subtraktion der dritten Zahl von der Summe der ersten beiden Zahlen bereits eindeutig festgelegt ist, ist also korrekt. Bei Wahl von α = 6 lauten die beiden u¨ brig gebliebenen Gleichungen x1 + x2

= 12 x3 = 6.

Es ergibt sich also keine eindeutige L¨osung, d. h. Schlaumeier hat auch in diesem Punkt recht. Bezeichnen wir dieses Mal die frei w¨ahlbare Variable x2 mit λ , so ergibt sich x1 = 12 − λ x2 = λ x3 = 6 . Obwohl die Differenz von der Summe der ersten beiden Summanden und der dritten Unbekannten eindeutig festgelegt ist, gibt es also eine eindimensionale Vielfalt von L¨osungen. ◭

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 4.2 ¨ 4.1 L¨osen Sie folgende lineare Gleichungssysteme. Uberpr¨ ufen Sie die erhaltenen L¨osungen mit einem Computeralgebrasystem. a)

x1 − 2x2 + x3 = −1 x2 − x3 = 0 3x1 + x2 = 5

b) 2x1 + 5x2 + 3x3 = 17 x1 − 2x2 − x3 = −1 3x1 + 2x3 = 8 c)

x1 − 2x2 + 2x3 − x4 2x2 + x3 + x4 2x1 + 2x2 + 5x3 − 10x4 −2x1 + 2x3 + 2x4

d)

3x1 − x2 + 5x3 − x4 + 3x5 − x2 + 2x4 + 3x5 3x1 − x2 − x3 + 3x4 − 2x5 x1 + 2x2 + x3 − x4 − x5 −2x1 + 2x2 − 5x3 + x5

4.2

= −42 = 40 = 14 = 8 = 48 = 0 = 32 = −64 = 0

Legen Sie durch folgende Punkte eine ganze rationale Funktion m¨oglichst niedrigen Grades.

a) P0 (0|0), P1 (1|6), P2 (2|0) b) P0 (−1|2), P1 (0|1), P2 (1| − 2), P3 (2|5) c) P0 (−3|63), P1 (1| − 1), P2 (2| − 7), P3 (4| − 49) d) P0 (−3|114), P1 (−1| − 4), P2 (1| − 2), P3 (2|14), P4 (3|120)

4.3 Die Eltern und ihre beiden T¨ochter sind zusammen 150 Jahre alt. Der Vater ist 3 Jahre a¨ lter als die Mutter und doppelt so alt wie die a¨ ltere Tochter. Die T¨ochter sind zusammen genau so alt wie die Mutter. Wie alt sind die Mitglieder der Familie? 4.4 Max verbringt zusammen mit seinen Eltern Urlaub auf dem Bauernhof. Der Bauer besitzt K¨uhe, Schweine, H¨uhner und Enten. Max m¨ochte wissen, wie viele Tiere jeder Gattung auf dem Hof leben. Der Bauer antwortet mit folgenden Angaben: Ich besitze insgesamt 630 Tiere mit 1680 ” Beinen. Ferner sind auf dem Hof doppelt so viele Kuhh¨orner wie Schweineohren und 18-mal so viele H¨uhnerbeine wie Entenschn¨abel.“ Wie viele Tiere jeder Gattung besitzt der Bauer?

135

136

4 Lineare Gleichungssysteme

4.5 In einem elektrischen Netzwerk mit elektrischen Widerst¨anden Rk gelten die sog. Kirchhoff’schen2 Regeln: Knotenregel: In einem Knoten ist die Summe der Stromst¨arken Ik gleich null.

∑ Ik

= 0

k

Maschenregel: Innerhalb einer Masche ist die Summe der abfallenden Spannungen Uk = Rk Ik gleich null.

∑ Uk

=

∑ Rk Ik = 0

k

k

Berechnen Sie f¨ur die skizzierte Schaltung die Einzelstromst¨arken I1 , . . . , I5 , wobei die angelegte Spannung 12 V betr¨agt und die Widerst¨ande die Gr¨oßen R1 = R5 = 5 Ω und R2 = R3 = R4 = 10 Ω haben. R1

Knoten

I1 Masche R2

R3

I3

b

Knoten

I2

Masche

+

2

R4

b

U

I4 Masche R5 I5



Gustav Robert Kirchhoff, 1824–1887, deutscher Physiker.

4.6 L¨osen Sie folgende lineare Gleichungssysteme. Geben Sie die L¨osung ggf. in Abh¨angigkeit vom Parameter α an. a)

x1 + x2 + 2x3 = 8 3x1 + 2x2 − x3 = 0 2x1 + x2 − 3x3 = −8

b)

x1 + x2 + x3 + 2x4 = 11 3x1 + x2 − 3x3 + 5x4 = 37 −4x1 + 8x3 − 3x4 = −34

c)

4x2 + 5x3 = 6 4x1 − 54 x2 − x3 = α5 x1 + 4x2 + 5x3 = 25 4

d)

3x3 − x4 − 7x5 = −3 2x1 − 6x2 − x3 − x4 + x5 = 7 −2x1 + 6x2 + 7x3 + x4 − 7x5 = −19

Aufgaben

4.7 In chemischen Reaktionsgleichungen wird angegeben, wie viele Molek¨ule der Ausgangsstoffe in wie viele Molek¨ule der Endstoffe u¨ bergehen. So lautet z. B. die Reaktionsgleichung zur Erzeugung von Wasser H2 O aus den Ausgangsstoffen Wasserstoff H2 und Sauerstoff O2 2H2 + O2 −→ 2H2 O. Bestimmen Sie f¨ur folgende Reaktionen die m¨oglichen Koeffizienten xi . Welches sind die kleinsten m¨oglichen Zahlen? a) Rosten von Eisen x1 Fe + x2 O2 −→ x3 Fe2 O3 b) Verbrennen von Traubenzucker x1 C6 H12 O6 + x2 O2 −→ x3 CO2 + x4 H2 O c) Explosion von Nitroglyzerin x1 C3 H5 N3 O9 −→ x2 CO2 + x3 H2 O + x4 N2 + x5 O2

4.8

Ein lineares Gleichungssystem

α11 x1 + α12 x2 + · · · + α1n xn = β1 α21 x1 + α22 x2 + · · · + α2n xn = β2 .. .. .. .. .. . . . . . αm1 x1 + αm2 x2 + · · · + αmn xn = βm , bei welchem alle St¨orglieder βi verschwinden, heißt ein homogenes lineares Gleichungssystem. Zeigen Sie: a) Ein homogenes LGS hat immer mindestens eine L¨osung, n¨amlich die triviale L¨osung (x1 , x2 , . . . , xn ) = (0, 0, . . . , 0). Wenn es eine weitere L¨osung (x¯1 , x¯2 , . . . , x¯n ) = 6 (0, 0, . . . , 0) gibt, sind auch alle Vielfache davon L¨osung des homogenen LGS.  b) Ist (x1 , x2 , . . . , xn ) eine spezielle L¨osung eines beliebigen LGS und x1,h , x2,h , . . . , xn,h eine L¨osung des zugeh¨origen homogenen LGS, so ist  x1 +x1,h , x2 +x2,h , . . . , xn +xn,h eine weitere L¨osung des urspr¨unglichen LGS.

c) Ist (x1 , x2 , . . . , xn ) eine L¨osung eines beliebigen LGS, so l¨asst sich jede weitere L¨osung (x¯1 , x¯2 , . . . , x¯n ) als Summe dieser speziellen L¨osung mit einer homogenen L¨osung darstellen:  (x¯1 , x¯2 , . . . , x¯n ) = x1 +x1,h , x2 +x2,h , . . . , xn +xn,h Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

137

Vektorrechnung

5

Was sind Vektoren? Welche Vektoren gibt es zus¨ atzlich zu den Vektoren im Anschauungsraum? Was charakterisiert einen Vektorraum? Was bedeuten Lineare Unabh¨ angigkeit, Basis und Dimension?

Gipfelkreuz

5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Vektorielle Gr¨ oßen in Alltag und Technik . Vektoren im Anschauungsraum . . . . . . . Allgemeine Vektorr¨ aume . . . . . . . . . . . Lineare Abh¨ angigkeit und Unabh¨ angigkeit . Basis und Dimension . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

140 142 152 157 163 167

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_5 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_5

139

140

5 Vektorrechnung Vektoren sind in der Anschauungsgeometrie, aber auch in abstrakten Zusammenh¨angen von großer Bedeutung. In diesem Kapitel werden ausgehend von der anschaulichen Geometrie die zentralen Eigenschaften von Vektoren abgeleitet und auf andere Konstrukte u ¨bertragen. Daraus resultiert der Begriff des Vektorraums mit seinen vielf¨altigen Anwendungen.

5.1

Vektorielle Gr¨ oßen in Alltag und Technik

Zwar lassen sich Gewichte, Entfernungen o. a¨ . durch reelle Zahlen quantifizieren, doch gibt es auch viele Gr¨oßen, die sich nicht mit einer Zahl allein beschreiben lassen. Man ben¨otigt h¨aufig eine Kombination mehrerer Zahlen.

Koordinatensystem

Beispiel 5.1 Die Position in der Ebene wird nach Wahl eines Koordinatensystems durch zwei Koordinatenwerte, der x- und der y-Koordinate, beschrieben. Erst durch Angabe eines Zahlenpaares wie (5 | 1) findet man den Punkt in der Ebene wieder. y b

b

(3|4)

(0|2) b

(5|1) x

In ganz analoger Weise werden Positionen im Raum nach Festlegung eines dreidimensionalen Koordinatensystems mithilfe dreier Koordinaten festgelegt. Durch Angabe eines Zahlentripels findet man den Punkt im Raum. ◭

Kuchenm¨ ¨ obel

Beispiel 5.2 Kauft man K¨uchenm¨obel, so werden die Normschr¨anke durch Breite, H¨ohe und Tiefe beschrieben. So versteht man unter einem

5.1

Vektorielle Gr¨ oßen in Alltag und Technik

(900, 780, 560)-Schrank einen Schrank mit der Breite 900 mm, der H¨ohe 780 mm und der Tiefe 560 mm. Die Ausmaße der Schr¨anke sind also durch ein Tripel mit den Komponenten (Breite, H¨ohe, Tiefe) festgelegt. ◭

Geschwindigkeit

Beispiel 5.3 Geschwindigkeiten von Autos sind nicht nur durch die am Tacho wiedergegebene Absolutgeschwindigkeit gegeben, sondern mit einer Richtung verbunden. So kann man sich nach Norden, S¨uden, Westen oder Osten oder in irgendeine Richtung dazwischen bewegen. Diese Denkweise ist uns von der Windst¨arke wohl bekannt. Die Richtung, in welche man f¨ahrt, kann man dadurch ber¨ucksichtigen, dass man in einem Koordinatensystem den Anteil der Geschwindigkeit in x- und in y-Richtung angibt. y vy

~v b

Auto

vx x

Die Geschwindigkeit selbst ist die Kombination dieser beiden Gr¨oßen: ~v = (vx , vy ) Der Betrag der Gesamtgeschwindigkeit ergibt sich dann aufgrund des Pythagor¨aischen Satzes als q v = |~v| = v2x + v2y . ◭

141

142

5 Vektorrechnung

Kraft

Beispiel 5.4 Mit einem Ziehwagen wird ein schwerer Gegenstand von einer Stelle zu einer anderen transportiert. Da der Ansatzpunkt der Deichsel sich in einer H¨ohe von 20 cm befindet und der Angriffspunkt aufgrund der Anatomie des Menschen bedeutend h¨oher liegt, wirkt die bewegende Kraft schr¨ag nach oben.

Fy

~ F b

Fx

Nur der horizontale Anteil Fx ist f¨ur die Fortbewegung wirksam, der vertikale Anteil Fy versucht den Wagen von der Straße abzuheben und verpufft wirkungslos. Die am Wagen angreifende Kraft l¨asst sich aufgrund der Richtungsabh¨angigkeit wieder durch einen Koordinatenpaar beschreiben: ~F = (Fx , Fy ) ◭

Alle Beispiele belegen, dass neben den skalaren Gr¨oßen“ mit einer reel” len Zahl als Resultat weitere Gr¨oßen existieren, die durch mehrere Komponenten beschrieben werden, sog. vektorielle Gr¨oßen“. ”

5.2 Vektoren im Anschauungsraum

Vektoren im Anschauungsraum

Bevor wir uns der allgemeinen Definition von Vektoren zuwenden, wollen wir uns mit vektoriellen Gr¨oßen im Anschauungsraum besch¨aftigen. Hierzu betrachten wir zun¨achst die Ebene. Als vektorielle Gr¨oßen bezeichnen wir in Anlehnung an die Beispiele 5.3 und 5.4 des vorausgegangenen Abschnitts Pfeile mit einem Anfangs- und einem Endpunkt. Da die Geschwindigkeit bzw. die Kraft allein durch den Betrag und die Richtung festgelegt, vom Ort des Geschehens jedoch unabh¨angig ist, bezeichnen wir die Menge aller parallelen, aber ansonsten identischen Pfeile als einen Vektor.

5.2

Vektoren im Anschauungsraum

~a

Derartige Vektoren werden durch lateinische Buchstaben mit Pfeil (z. B. ~a) gekennzeichnet. In Skizzen wird im Allgemeinen nur ein Pfeil gezeichnet, wohl wissend, dass es sich um eine ganze Pfeilklasse gleich gerichteter Pfeile handelt. Man spricht von einem Repr¨asentanten des Vektors. Verbindet ein Vektor die Punkte P und Q, so verwendet man h¨aufig auch −→ die Bezeichnung PQ. Nat¨urlich ist es auch m¨oglich, Vektoren in analoger Weise im dreidimensionalen Raum als Pfeilklasse paralleler, gleich gerichteter und gleich langer Pfeile zu definieren. Q z −→ PQ b

b

P y

x Wir k¨onnen zwei Vektoren ~a und ~b addieren, indem wir einen Repr¨asentanten der Vektorklasse~a w¨ahlen und den geeigneten Pfeil der Vektorklasse~b daran anh¨angen. Der entstehende Ergebnispfeil~c wird dann als Repr¨asentant der Vektoraddition interpretiert: ~c = ~a +~b

~b

~a

+~b ~c = ~a

Vektoraddition im Anschauungsraum

143

5 Vektorrechnung

Kommutativgesetz

Das unten skizzierte Bild zeigt, dass bei der so definierten Addition das Kommutativgesetz gilt: ~a +~b = ~b +~a

b~ +

~a

~b ~a

b~ =

~a

~a +

144

~b Assoziativgesetz

Ebenso gilt das Assoziativgesetz     ~a +~b +~c = ~a + ~b +~c .

~c =

~a

~c) ~b +~c

~ )+ +b (~a

~b + +(

~a +~b

~b

~a

Nullvektor

~c

Eine besondere Rolle spielt der Vektor mit der L¨ange 0, der sog. Nullvektor ~00. Dieser hat die Eigenschaft, dass er bei der Vektoraddition den anderen Vektor unver¨andert l¨asst, d. h. es gilt f¨ur jeden Vektor ~a die Beziehung ~a +~0 = ~a.

Gegenvektor Inverser Vektor

Weiter besitzt jeder Vektor ~a einen sog. Gegenvektor“ oder inversen ” ” Vektor“, welcher die gleiche L¨ange wie ~a besitzt, jedoch in die entgegengesetzte Richtung zeigt. Dieser Gegenvektor wird mit −~a bezeichnet. ~a −~a

5.2

Vektoren im Anschauungsraum

Es ist ~a + (−~a) = ~0. Diese Schreibweise negativer“ Vektoren erlaubt jetzt auch die Definition ” der Differenz zweier Vektoren ~b −~a := ~b + (−~a). Damit gilt   ~a + ~b −~a = ~b.

Dementsprechend weist ein Repr¨asentant dieser Pfeilklasse ~b −~a bei gleichem Ansatzpunkt der Repr¨asentanten ~a und ~b von der Spitze des Pfeils ~a zu der des Pfeils ~b.

~b − ~a ~a

~b

Es ist auch m¨oglich, Vektoren mit einem Faktor α zu strecken. Man bezeichnet mit α ·~a = α ~a einen Vektor, der in die gleiche Richtung wie ~a weist, aber α -mal so lang ist, und spricht in diesem Zusammenhang von der skalaren Multiplikation1 oder der S-Multiplikation des Vektors ~a mit dem Skalar α .

2~a ~a

− 23~a

In einem Koordinatensystem der Ebene l¨asst sich ein Vektor durch die Komponenten in x- und y-Koordinaten beschreiben. y ~a

a2

a1 x

1

nicht zu verwechseln mit dem Skalarprodukt, welches wir in Abschnitt 6.1 einf¨uhren werden.

Skalare Multiplikation S-Multiplikation

145

146

5 Vektorrechnung

Spaltenvektor

Diese Koordinaten werden in Form eines Spaltenvektors geschrieben:   a1 ~a = a2 Die L¨ange eines Vektors ergibt sich nach dem Satz des Pythagoras als q |~a| = a21 + a22 .

Die Addition zweier Vektoren sowie die S-Multiplikation mit einem Skalar erfolgt in der Koordinatenschreibweise nat¨urlich komponentenweise:       b1 a1 + b1 a1 + = a2 + b2 b2 a2     a1 α a1 = α· α a2 a2 Analog zu den Vektoren in der Ebene werden die Vektoren im dreidimensionalen Raum nach Wahl eines entsprechenden Koordinatensystems durch ein Tripel   a1 ~a =  a2  a3

dargestellt.

Die L¨ange eines Vektors ergibt sich hier durch doppelte Anwendung des Pythagor¨aischen Lehrsatzes als r q 2 |~a| = a21 + a22 + a23 q = a21 + a22 + a23 . z

~a

q a12+

a1

x

a2

a3 y

a22

5.2

Vektoren im Anschauungsraum

Nat¨urlich erfolgt die Addition zweier Vektoren und die S-Multiplikation auch hier komponentenweise:       a1 + b1 b1 a1  a2  +  b2  =  a2 + b2  a3 + b3 b3 a3     α a1 a1 α ·  a2  =  α a2  α a3 a3 Wir wollen diesen Abschnitt mit einigen Beispielen abrunden.

Beispiel 5.5

Parallelogramm im Raum

In einem r¨aumlichen Koordinatensystem ist das Viereck ABCD gegeben, wobei die Eckpunkte die Koordinaten A(1 | 4 | − 1)

B(8 | 8 | 4)

C(4 | 4 | 3)

D(−3 | 0 | − 2)

haben. Wir wollen untersuchen, ob es sich bei diesem Viereck um ein Parallelogramm handelt. Zur Beantwortung dieser Fragestellung m¨ussen wir nachpr¨ufen, ob die Verbindungsvektoren der gegen¨uberliegenden Seiten zueinander parallel sind. Als Verbindungsvektoren der Punkte von A nach B und von D nach C ergeben sich     7 8−1 − → AB =  8 − 4  =  4  5 4 − (−1)     7 4 − (−3) −→ DC =  4 − 0  =  4  . 5 3 − (−2)

Da diese beiden Verbindungsvektoren sogar identisch sind, sind also die zwei Seiten AB und DC insbesondere parallel. Die beiden anderen Seiten haben die Verbindungsvektoren     −4 4−8 − → BC =  4 − 8  =  −4  −1 3−4     −3 − 1 −4 −→  =  −4  . 0−4 AD =  −2 − (−1) −1

Offensichtlich sind auch die beiden anderen Seiten parallel, sodass insgesamt tats¨achlich ein Parallelogramm im Raum vorliegt. ◭

147

148

5 Vektorrechnung

Schwerpunkt im Dreieck

Beispiel 5.6 Bekanntlich schneiden sich die Seitenhalbierenden in einem beliebigen Dreieck ABC immer in einem Punkt S im Verh¨altnis 2 : 1, dem sog. Schwerpunkt. Mit der Vektorrechnung im Anschauungsraum k¨onnen wir diese Tatsache einfach beweisen. C

~b −~a

~b ~w S b

~u A

~v B ~a

− → Wir bezeichnen die Verbindungsvektoren von A nach B mit AB = ~a − → ~ und von A nach C mit AC = b. Der Verbindungsvektor von B nach − → C ergibt sich dann als BC = ~b −~a.

Wir berechnen – startend vom Eckpunkt A – jeweils den Endpunkt, welchen man erreicht, wenn man u¨ ber die Dreiecksecken A, B bzw. C zwei Drittel auf der entsprechenden Seitenhalbierenden abschreitet. Wir erhalten:     2 1 1 1 2 = · ~a + ~b ~u = · ~a + ~b −~a 3 2 3 2 2 1 1~ = ~a + b 3 3   − → 2 1 2 1 AB +~v = ~a + · −~a + ~b = ~a − ~a + ~b 3 2 3 3 1 1~ = ~a + b 3 3   − → 2 1 2 1 ~ ~ AC + ~w = b + · −b + ~a = ~b − ~b + ~a 3 2 3 3 1 1 = ~a + ~b 3 3 Offensichtlich sind die entstehenden Vektoren zu den Endpunkten u¨ ber alle drei Wege gleich, wir erreichen also u¨ ber alle drei Seitenhalbierenden den gleichen Punkt S. Damit haben wir gezeigt, dass sich die Seitenhalbierenden tats¨achlich in einem Punkt schneiden und dies dar¨uber hinaus auch im Verh¨altnis 2 : 1 tun. ◭

5.2

Vektoren im Anschauungsraum

Die Vektorgeometrie im Anschauungsraum kann man auch auf allgemeinere Probleme wie z. B. resultierende Geschwindigkeiten u¨ bertragen.

Geschwindigkeit beim Landeanflug

Beispiel 5.7 Ein Flugzeug bewegt sich beim Landeanflug mit 360 km h in horizontaler Richtung und verliert pro Minute 300 H¨ohenmeter. Wir stellen uns die Frage nach der Gesamtgeschwindigkeit. vx vy

~v

Zur L¨osung dieser Aufgabe m¨ussen wir zun¨achst die Horizontalgeschwindigkeit vx und die Vertikalgeschwindigkeit vy in die gleiche Maßeinheit ms umwandeln. Es ergibt sich: 1 000 m m km = 360 = 100 h 3 600 s s m m m = 300 = 5 vy = 300 min 60 s s vx = 360

Man erh¨alt somit als Geschwindigkeitsvektor     100 ms vx . = ~v = vy 5 ms Die Gesamtgeschwindigkeit des Flugzeugs ergibt sich damit zu r q m 2  m 2 2 2 v = |~v| = vx + vy = 100 + 5 s s √ m m = 10 000 + 25 ≈ 100,1 . s s Eine Umrechnung in die uns gel¨aufige Einheit als Betrag der Gesamtgeschwindigkeit v = 100,1

m = 100,1 s

1 1000 km 1 3600 h

km h

liefert schließlich

≈ 360,4

km . h ◭

149

5 Vektorrechnung

Auch Kr¨afte k¨onnen mithilfe der Vektorgeometrie modelliert werden.

Beispiel 5.8 An einen Stahlausleger der skizzierten Form wird am Punkt A eine Masse von 50 kg angeh¨angt. Der horizontale Tr¨ager hat eine L¨ange von 50 cm, der schr¨ag nach unten verlaufende Tr¨ager misst 100 cm. Damit stellt sich die Frage nach den auf die beiden Komponenten wirkenden Kr¨aften. 50 cm

B

A

α

~ Fh

0c m

Kr¨afte in einem Stahlausleger

10

150

~ Fs

~ F

C

α

Nach dem Newton’schen2 Grundgesetz wirkt aufgrund der angeh¨angten Masse auf den Stahlausleger eine vertikal nach unten gerichtete Kraft von m F = mg = 50 kg · 9,81 2 = 490,5 N. s Diese Kraft muss auf die beiden Teile der Vorrichtung aufgeteilt werden. Wegen der Konstruktion wirkt auf den horizontalen Tr¨ager eine horizontale Zugkraft ~ Fh nach rechts, w¨ahrend auf den schr¨agen Tr¨ager eine Schubkraft ~Fs wirkt. Zusammen m¨ussen diese beiden Kr¨afte in Vektoraddition gerade die angeh¨angte Gesamtkraft ~ F ergeben: ~ Fh + ~Fs = ~F Nach Wahl eines Koordinatensystems mit horizontaler x- und vertikaler y-Achse ergibt sich in Koordinatenschreibweise       Fh,x Fs,x 0 + = . 0 Fs,y −490,5 Daraus resultiert als Vertikalkomponente der schr¨ag gerichteten Kraft Fs,y = −490,5 N.

5.2

Vektoren im Anschauungsraum

Die Horizontalkomponente ergibt sich aufgrund der Geometrie des Tr¨agers u¨ ber die Beziehung |Fs,y | = tan(α ), |Fs,x | wobei sich der Winkel α wegen der Abmessungen der Tr¨ager u¨ ber cos(α ) =

50 cm = 0,5 100 cm

als

α =

π 3

ergibt. Damit erh¨alt man cos |Fs,y |  = |Fs,y | · |Fs,x | = π tan 3 sin 490,5 N = √ = 283,2 N 3



π 3 π 3

1 2 = |Fs,y | · 1 √ 2

3

bzw. nach Ber¨ucksichtigung der negativen Richtung Fs,x = −283,2 N. Wegen der notwendigen Beziehung Fh,x + Fs,x = 0 ergibt sich somit als Zugkraft auf den horizontalen Tr¨ager Fh = ~ Fh = Fh,x = −Fs,x = 283,2 N. Als Schubkraft auf den schr¨ag stehenden Tr¨ager resultiert letztendlich q 2 + F2 Fs = ~Fs = Fs,x s,y q = (−283,2 N)2 + (−490,5 N)2 = 566,4 N. ◭

2

Sir Isaac Newton, 1642–1727, englischer Physiker und Mathematiker.

151

152

5 Vektorrechnung

5.3 Abgeschlossenheit Assoziativgesetz Neutrales Element Inverses Element

Allgemeine Vektorr¨ aume

Die Beispiele des vorangegangenen Abschnitts belegen, dass f¨ur Vektoren des Anschauungsraums gewisse Eigenschaften gelten, die wir auch von den gew¨ohnlichen reellen Zahlen her kennen. Zun¨achst gilt, dass das Ergebnis der Addition zweier Vektoren wieder ein Vektor ist. Man nennt diesen Sachverhalt Abgeschlossenheit. Ferner gilt das Assioziativgesetz, d. h. es gilt f¨ur alle Vektoren     ~a +~b +~c = ~a + ~b +~c .

Dar¨uber hinaus existiert der Nullvektor ~0 mit der Eigenschaft, dass f¨ur alle Vektoren ~a ~a +~0 = ~0 +~a = ~a

ist. Man spricht in diesem Zusammenhang vom neutralen Element ~0. Außerdem gibt es zu jedem Vektor ~a einen Gegenvektor −~a, also einen Vektor mit der Eigenschaft ~a + (−~a) = (−~a) +~a = ~0. Es existiert also stets ein Vektor, der zu dem anderen addiert gerade das neutrale Element ergibt. Man sagt, jeder Vektor ~a besitzt ein inverses Element −~a. Verkn¨upfungen mit all den obigen Eigenschaften treten in der Mathematik und in den Anwendungen relativ h¨aufig auf und haben daher eine entsprechende Bedeutung.

Gruppe

Definition Eine Gruppe ist eine Menge M und eine Verkn¨upfung ◦, sodass f¨ur alle Elemente a, b, c die folgenden Eigenschaften gelten: Die Verkn¨upfung ist abgeschlossen, d. h. es gilt immer a ◦ b ∈ M; Es gilt das Assoziativgesetz, d. h. es gilt stets (a ◦ b) ◦ c = a ◦ (b ◦ c); Es gibt ein neutrales Element e, d. h. es gilt f¨ur alle Elemente a a ◦ e = e ◦ a = a; Zu jedem Element a gibt es ein inverses Element a¯ mit der Eigenschaft a ◦ a¯ = a¯ ◦ a = e.

5.3

Allgemeine Vektorr¨aume

Ist die Gruppe zudem kommutativ, d. h. gilt allgemein a ◦ b = b ◦ a, so spricht man von einer kommutativen oder abelschen3 Gruppe.

Kommutative Gruppe Abelsche Gruppe

Dass es neben den Vektoren im Anschauungsraum viele derartige Gruppengebilde gibt, zeigen nachfolgende Beispiele.

Beispiel 5.9

Reelle Zahlen

Die bekannten Rechenregeln belegen, dass die reellen Zahlen R bzgl. der Addition eine kommutative Gruppe bilden. Die G¨ultigkeit von Abgeschlossenheit, Assoziativ- und Kommutativgesetz kennt man zur Gen¨uge. Das neutrale Element bildet die 0, und das zur Zahl a inverse Element ist die zugeh¨orige negative Zahl −a. Aber auch bzgl. der Multiplikation bilden die reellen Zahlen eine Gruppe – allerdings muss man hier die Null aufgrund des fehlenden inversen Elements ausnehmen. Das neutrale Element ist in diesem Fall die 1, das zu einer reellen Zahl a inverse Element 1a . ◭

Beispiel 5.10 In der Informatik spielen aufgrund der Endlichkeit der im Computer darstellbaren Zahlen die Restklassen eine zentrale Rolle. Bei der Darstellung von Zahlen in einem Byte (= 8 Bit) sind z. B. lediglich die Zahlen von 0 bis 28 − 1 = 255 darstellbar. Alle u¨ brigen ganzen Zahlen werden u¨ ber sog. Restklassen mit den Zahlen 0 bis 255 identifiziert, indem man festlegt, dass a = b, wenn sich a und b um ein ganzzahliges Vielfaches von 256 unterscheiden. Man kann jetzt addieren und multiplizieren, indem man die entsprechenden gew¨ohnlichen Operationen der nat¨urlichen Zahlen verwendet und das Ergebnis entsprechend interpretiert. Es gilt dann z. B. 236 + 96 = 332 = 332 − 256 = 76 123 · 12 = 1476 = 1476 − 5 · 256 = 196. Es ist einleuchtend, dass man sich bei dieser Definition nicht auf die Zahl 256 beschr¨anken muss, sondern jede beliebige positive nat¨urliche Zahl n w¨ahlen kann. Man erh¨alt die sog. Restklassenverkn¨upfung (Zn , +). Aufgrund der g¨ultigen Gesetze f¨ur die

3

benannt nach Niels Henrik Abel, 1802–1829, norwegischer Mathematiker. Abel bewies mithilfe von Gruppen, dass sich Gleichungen h¨oher als 4. Grades im Allgemeinen nicht exakt l¨osen lassen.

Restklassen

153

154

5 Vektorrechnung

gew¨ohnliche Addition kann man nachweisen, dass die Restklasse Zn bzgl. der Addition eine kommutative Gruppe bildet. Ist n eine Primzahl, so l¨asst sich zeigen, dass auch die Restklassen ohne die Null bez¨uglich der Multiplikation eine kommutative Gruppe (Zn \{0},·) bilden (vgl. auch Aufgabe 5.9). Ist n keine Primzahl, scheitert die Gruppeneigenschaft am fehlenden inversen Element. So hat z. B. in (Z4 \{0}, ·) die Zahl 2 kein inverses Element. Das neutrale Element ist in diesem Fall nat¨urlich 1, aber es gilt 2·1 = 2 2·2 = 4 = 0 2 · 3 = 6 = 2, d. h. das Produkt von 2 mit einem anderen Element wird nie 1. Zudem ist wegen 2 · 2 = 0 auch die Abgeschlossenheit der Multiplikation innerhalb (Zn \{0},·) verletzt. Dies hat zur Folge, dass das von R gewohnte Rechnen wie das Aufl¨osen von 2·x = 3 nach der Unbekannten x nicht m¨oglich ist.



Neben den Gruppeneigenschaften bzgl. der Addition bieten Vektoren im Anschauungsraum eine weitere Operation, die Multiplikation mit einer reellen Zahl α . Diese S-Multiplikation α ~a streckt die L¨ange eines Vektors um den Faktor α , l¨asst aber die Richtung unver¨andert. Es ist einsichtig, dass hier folgende Rechenregeln gelten: 1~a α (β~a) (α + β )~a   α ~a +~b

= ~a = (αβ )~a = α~a + β~a = α~a + α~b

Insbesondere ist das Ergebnis der S-Multiplikation immer definiert, d. h. diese Verkn¨upfung ist abgeschlossen. Die G¨ultigkeit dieser Eigenschaften geben Anlass zur folgenden Definition.

5.3

Allgemeine Vektorr¨aume

Vektorraum Definition Eine nicht leere Menge V zusammen mit einer Addition + sowie einer in V abgeschlossenen S-Multiplikation nennt man Vektorraum, wenn (V,+) eine kommutative Gruppe bildet und zudem die folgenden 4 Vektorraumaxiome gelten: F¨ur alle Vektoren ~a ∈ V gilt 1~a = ~a;

F¨ur alle Zahlen α , β und alle Vektoren ~a ∈ V gilt

α (β~a) = (αβ )~a;

F¨ur alle Zahlen α , β und alle Vektoren ~a ∈ V gilt (α + β )~a = α~a + β~a;

F¨ur alle Zahlen α und alle Vektoren ~a,~b ∈ V gilt   α ~a +~b = α~a + α~b.

Neben den Vektoren im Anschauungsraum mit der eingef¨uhrten Addition und S-Multiplikation gibt es viele weitere abstrakte Vektorr¨aume, die den geschilderten Gesetzen folgen.

Beispiel 5.11 In Erweiterung der Darstellung der Vektoren in der Ebene bzw. im Raum bildet die Menge aller n-Tupel   a1  a2     ..   .  an

Vektorraum Rn

155

156

5 Vektorrechnung

einen Vektorraum, wenn man Addition und S-Multiplikation komponentenweise definiert:       a1 b1 a1 + b1  a2   b2   a2 + b2         ..  +  ..  =   ..  .   .    . an bn an + bn     a1 α a1  a2   α a2      α .  =  .   ..   ..  an

α an

Dieser Vektorraum der n-Tupel wird mit Rn bezeichnet. Er spielt in den Anwendungen eine bedeutende Rolle. So k¨onnen die Maße der K¨uchenm¨obel (Beispiel 5.2 in Abschnitt 5.1) als Tripel im Vektorraum R3 aufgefasst werden. Messreihen, bei welchen jede Messgr¨oße zur Erzielung h¨oherer Genauigkeiten mehrfach (n-fach) gemessen wird, k¨onnen ebenfalls als Vektoren im entsprechenden Vektorraum Rn interpretiert werden. Es wird der Leserin bzw. dem Leser empfohlen, sich klar zu machen, dass im Rn alle Voraussetzungen eines Vektorraums (abelsche Gruppe, Abgeschlossenheit der S-Multiplikation und die 4 Vektorraumaxiome) erf¨ullt sind. ◭

Vektorraum der Polynome

Beispiel 5.12 Die Menge der Polynome bildet mit der gew¨ohnlichen Addition  p(x) + q(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn  + b0 + b1 x + b2 x2 + . . . + bm xm = (a0 +b0 ) + (a1 +b1 ) x + (a2 +b2 ) x2 + . . .

sowie der nat¨urlichen S-Multiplikation

α p(x) = α a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn



= α a0 + α a1 x + α a2 x2 + . . . + α an xn einen Vektorraum. Zum Beweis dieser Behauptung m¨ussten wir eigentlich alle Gruppeneigenschaften, die Kommutativit¨at der Addition, die Abgeschlossenheit der S-Multiplikation sowie die 4 Vektor-

5.4

Lineare Abh¨angigkeit und Unabh¨angigkeit

raumaxiome nachweisen. Wir wollen uns hier auf die 3. Vektorraumeigenschaft beschr¨anken. Es ist (α + β ) p(x) = (α + β ) a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn



= (α + β ) a0 + (α + β ) a1 x + (α + β ) a2 x2 + . . . + (α + β ) an xn = α a0 + β a0 + α a1 x + β a1 x + α a2 x2 + β a2 x2 + . . . + α an xn + β an xn = α a0 + α a1 x + α a2 x2 + . . . + α an xn + β a0 + β a1 x + β a2 x2 + . . . + β an xn  = α a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn  + β a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn = α p(x) + β q(x).

Analog werden die u¨ brigen Eigenschaften eines Vektorraums nach◭ gewiesen.

5.4

Lineare Abh¨ angigkeit und Unabh¨ angigkeit

In der Ebene kann man aus den Einheitsvektoren in Richtung der Koordinatenachsen mithilfe von S-Multiplikation und Addition jeden beliebigen Vektor konstruieren.       λ 1 0 = λ +µ µ 0 1



0 1



 λ



1 0



µ



Eine solche Darstellung aus mehreren Vektoren wird als Linearkombination bezeichnet. Die Koeffizienten λ und µ in dieser Linearkombination sind eindeutig bestimmt.

Linearkombination

157

158

5 Vektorrechnung

Eine derartige eindeutige Darstellung einesbeliebigen   Vektors ist nicht 1 0 nur mithilfe der Koordinatenvektoren , m¨oglich, sondern 0 1 klappt immer, wenn die beiden Vektoren nicht parallel zueinander sind.

Beispiel 5.13 Wir wollen in der Ebene aus den beiden Vektoren   5 den Vektor linear kombinieren. 4 y 

−1 2



 

3 1

5 4



3 1

   −1 , 2





x Hierzu machen wir den Ansatz       3 −1 5 +µ = . λ 1 2 4 Da die Gleichheit f¨ur beide Koordinaten erf¨ullt sein muss, bedeutet dies 3λ − µ = 5 λ + 2µ = 4. Offensichtlich haben wir es mit einem linearen Gleichungssystem f¨ur die Unbekannten λ und µ zu tun, welches wir mithilfe des Gauß’schen Elimininationsverfahren l¨osen k¨onnen. In Matrizenschreibweise ergibt sich nacheinander: ! − 3 −1 5 ← − 1 2 4 ← ! 1 2 4 (−3) −+ 3 −1 5 ← ! 1 2 4  0 −7 −7 | · − 71 ! −+ 1 2 4 ← (−2) 0 1 1

5.4

1 0

0 1

Lineare Abh¨angigkeit und Unabh¨angigkeit

! 2 1

Diese letzte Matrix bedeutet in ausf¨uhrlicher Schreibweise

λ

= 2 µ = 1.

Dementsprechend l¨asst sich der Ergebnisvektor in der eindeutigen Weise       5 3 −1 = 2 +1 4 1 2 ◭

aus den gegebenen Vektoren linear kombinieren.

Man kann nicht immer einen Ergebnisvektor nur auf eine einzige Weise als Linearkombination gegebener Vektoren darstellen.

Beispiel 5.14 

1 0

     0 1 der , , 1 1

In der Ebene soll aus den Vektoren   3 Ergebnisvektor linear kombiniert werden. Dies ist u. a. 1 m¨oglich als       3 1 1 = 2 + , 1 0 1 aber auch als 

3 1



=



1 0



+2



1 1







0 1



.

Die Darstellung des Ergebnisvektors als Linearkombination der vorgegebenen Vektoren ist also in diesem Fall nicht eindeutig. ◭

Es gibt also durchaus F¨alle, in welchen sich ein Vektor eindeutig als Linearkombination von zuvor festgelegten Vektoren darstellen l¨asst, wogegen dies in anderen F¨allen auf mehrere Arten m¨oglich ist. ¨ Diese Uberlegungen f¨uhren zur nachfolgenden Definition.

159

160

5 Vektorrechnung

linear unabh¨angig linear abh¨angig

Definition Die Vektoren ~a1 ,~a2 , . . . ,~ak heißen linear unabh¨angig, wenn jeder durch eine Linearkombination erzeugte Ergebnisvektor ~b = λ1~a1 + λ2~a2 + . . . + λk~ak nur auf diese eine Weise aus den Vektoren ~a1 ,~a2 , . . . ,~ak erzeugt werden kann. Gibt es eine zweite Darstellungsart des Ergebnisvektors ~b durch die Vektoren ~a1 ,~a2 , . . . ,~ak , so nennt man die Vektoren ~a1 ,~a2 , . . . ,~ak linear abh¨angig.

Man beachte, dass bei der linearen Unabh¨angigkeit die eindeutige Darstellbarkeit durch die gegebenen Vektoren f¨ur jeden denkbaren Ergebnisvektor gefordert wird. Leider ist die Definition damit nicht rechentauglich. Es ist im konkreten Fall schwierig nachzupr¨ufen, ob jeder aus den Vektoren ~a1 ,~a2 , . . . ,~ak linear kombinierbare Vektor nur auf eine Weise konstruierbar ist. Es stellt sich die Frage, ob es ein einfaches Kriterium gibt, mit welchem man nachpr¨ufen kann, ob gegebene Vektoren linear unabh¨angig sind.

Kriterium fur ¨ die lineare Unabh¨angigkeit

Satz Die Vektoren ~a1 ,~a2 , . . . ,~ak sind genau dann linear unabh¨angig, wenn sich der Nullvektor ~0 nur in der trivialen Weise ~0 = 0~a1 + 0~a2 + . . . + 0~ak linear kombinieren l¨asst.

Beweis Wir m¨ussen zwei Dinge beweisen. Es ist zu zeigen, dass 1. aus der linearen Unabh¨angigkeit folgt, dass sich der Nullvektor nur in der zitierten trivialen Darstellung linear kombinieren l¨asst und 2. aus der Tatsache, dass sich der Nullvektor nur trivial aus den Vektoren ~a1 ,~a2 , . . . ,~ak linear kombinieren l¨asst, die lineare Unabh¨angigkeit dieser Vektoren folgt. Wir beginnen mit dem ersten Teil und nehmen also an, dass die Vektoren ~a1 ,~a2 , . . . ,~ak linear unabh¨angig sind. Dies bedeutet, dass sich jeder Ergebnisvektor einer Linearkombination nur in einer einzigen Weise erzielen l¨asst. Das gilt insbesondere auch f¨ur den Nullvektor, den man jedoch aus den vorgegebenen Vektoren stets in der Weise ~0 = 0~a1 + 0~a2 + . . . + 0~ak

5.4

Lineare Abh¨angigkeit und Unabh¨angigkeit

linear kombinieren kann. Eine andere Linearkombination des Nullvektors existiert demzufolge nicht. Wir nehmen jetzt an, dass sich der Nullvektor nur in der trivialen Weise aus den Vektoren ~a1 ,~a2 , . . . ,~ak linear kombinieren l¨asst. Den Beweis daf¨ur, dass dann die Vektoren linear unabh¨angig sind, f¨uhren wir indirekt. Wir nehmen das Gegenteil der Behauptung an und gehen davon aus, dass es einen Vektor ~b gibt, der auf zwei verschiedene Arten aus den Vektoren ~a1 ,~a2 , . . . ,~ak linear kombiniert werden kann: ~b = λ1~a1 + λ2~a2 + . . . + λk~ak ~b = µ1~a1 + µ2~a2 + . . . + µk~ak Dabei gibt es mindestens ein i mit λi 6= µi . Durch Differenzenbildung der beiden Darstellungen erhalten wir ~0 = (λ1 − µ1 )~a1 + (λ2 − µ2 )~a2 + . . . + (λk − µk )~ak , also eine nicht triviale Linearkombination des Nullvektors. Dies widerspricht der Voraussetzung, dass sich der Nullvektor nur in der trivialen Weise aus den gegebenen Vektoren darstellen l¨asst. Die Annahme war also falsch. Folglich ist jeder beliebige Ergebnisvektor nur in einer Weise aus den vorgegebenen Vektoren ~a1 ,~a2 , . . . ,~ak linear kombinierbar.  Mit diesem Satz haben wir jetzt ein m¨achtiges Werkzeug, mit welchem wir die lineare Unabh¨angigkeit und damit die eindeutige Darstellung der Linearkombinationen nachweisen k¨onnen.

Beispiel 5.15 Wir wollen u¨ berpr¨ufen, ob im Anschauungsraum die drei Vektoren       3 0 1  −7   1   −2  9 3 4

linear unabh¨angig sind. Wir untersuchen hierzu, auf welche Arten wir den Nullvektor linear kombinieren k¨onnen und setzten         0 1 0 3 ~0 =  0  = λ1  −2  + λ2  1  + λ3  −7  . 0 4 3 9

Wir m¨ussen pr¨ufen, ob diese Vektorgleichung nur die triviale L¨osung λ1 = λ2 = λ3 = 0 besitzt. Dazu betrachten wir die drei Koordinaten und erhalten

λ1 + 3λ3 = 0 −2λ1 + λ2 − 7λ3 = 0 4λ1 + 3λ2 + 9λ3 = 0.

161

162

5 Vektorrechnung

Dieses lineare Gleichungssystem l¨osen wir wie u¨ blich mit dem Gauß’schen Eliminationsverfahren in Matrizenschreibweise.   (2) (−4) 1 0 3 0   0 + −2 1 −7 ← −   4 3 9 0 ←−−−−− +   1 0 3 0   (−3) 0 1 −1 0 0 3 −3 0 ← −+   1 0 3 0   0 1 −1 0 0 0 0 0 An dieser Stelle bricht der Algorithmus ab. Das entstandene Gleichungssystem lautet ausf¨uhrlich

λ1

+ 3λ3 = 0 λ2 − λ3 = 0 0 = 0

bzw.

λ1 = −3λ3 λ2 = λ3 . Wir k¨onnen demzufolge die dritte Gr¨oße λ3 beliebig w¨ahlen. Es gibt also unendlich viele nicht triviale L¨osungen, z. B.

λ1 = −3 λ2 = 1 λ3 = 1, d. h. es ist        0 3 0 1 −3  −2  +  1  +  −7  =  0  . 0 9 3 4 

Wir haben damit eine nicht triviale Linearkombination des Nullvektors, die Vektoren sind linear abh¨angig. ◭

5.5

5.5

Basis und Dimension

Man spricht im Alltag h¨aufig von der zweidimensionalen Ebene“ ” oder vom dreidimensionalen Raum“, ohne sich u¨ ber den tieferen Sinn ” dieser Begriffe im Klaren zu sein. Wir wollen in diesem Abschnitt kl¨aren, worauf diese Adjektive zweidimensional“ und dreidimensional“ ” ” zur¨uckzuf¨uhren sind. Es ist plausibel, dass in der Ebene zwei nicht parallele Vektoren ~a,~b linear unabh¨angig sind und damit jeder weitere Vektor ~v in eindeutiger Weise linear kombiniert werden kann. y ~a ~v 1

~b

~b ~a x

1

     c1 b1 a1 ~ , ~c = ,b= Dagegen k¨onnen drei Vektoren ~a = c2 b2 a2 in der Ebene nie linear unabh¨angig sein. Setzt man n¨amlich eine Linearkombination des Nullvektors 

~0 = λ~a + µ~b + ν~c       a1 b1 c1 +µ +ν = λ a2 b2 c2 an, so ergibt sich bei Betrachtung der einzelnen Koordinaten ein lineares Gleichungssystem f¨ur die Koeffizienten λ , µ und ν : a1 λ + b1 µ + c1 ν = 0 a2 λ + b2 µ + b2 ν = 0 Wir haben nur zwei Gleichungen f¨ur die drei Unbekannten erhalten, d. h. dieses Gleichungssystem ist unterbestimmt und hat auf jeden Fall mehr als eine L¨osung. Insbesondere existiert eine L¨osung, welche nicht die triviale Nulll¨osung ist, was die lineare Abh¨angigkeit der drei Vektoren ~a,~b,~c impliziert. Wir k¨onnen also zusammenfassend feststellen, dass in der Ebene nur zwei Vektoren linear unabh¨angig sein k¨onnen und in diesem Fall jeder weitere Vektor der Ebene in eindeutiger Weise linear kombiniert werden kann. ¨ Entsprechende Uberlegungen gelten auch im Raum. Jeder Vektor im Raum kann durch drei Vektoren, die nicht in einer Ebene liegen, eindeutig linear kombiniert werden.

Basis und Dimension

163

164

5 Vektorrechnung

~v ~c

~b ~a

Nimmt man einen vierten Vektor hinzu, geht die eindeutige Darstellung des Ergebnisvektors~v verloren, da die Linearkombination des Nullvektors in Koordinatenschreibweise auf 3 Gleichungen f¨ur 4 Koeffizienten f¨uhrt. Erzeugendensystem

Basis Dimension

Die Tatsache, dass jedes linear unabh¨angige Erzeugendensystem der Ebene bzw. des Raumes die gleiche Anzahl von Vektoren umfasst, kann man auf beliebige Vektorr¨aume u¨ bertragen. Man belegt derartige linear unabh¨angige und den Vektorraum erzeugende Vektoren mit einem eigenen Namen.

Definition Eine Menge linear unabh¨angiger Vektoren, aus denen sich alle Vektoren des Vektorraums V linear kombinieren lassen, heißt Basis des Vektorraums V . Die stets gleiche Anzahl n der Basisvektoren heißt Dimension des Vektorraums.

Damit haben wir die Erkl¨arung, warum man die Ebene u¨ blicherweise mit dem Attribut zweidimensional“ belegt: Jeden Vektor der Ebene kann ” man mithilfe zweier linear unabh¨angiger Vektoren erzeugen – oder anders ausgedr¨uckt: Jede Basis der Ebene umfasst zwei Vektoren. Entsprechend umfasst jede Basis des Anschauungsraums drei Vektoren, d. h. der Anschschauungsraum ist dreidimensional.

Standardbasis

Beispiel 5.16 In der Ebene bilden die Vektoren der L¨ange 1in Richtung der   Ko 1 0 ordinatenachsen eine Basis. Diese Basis ~e1 = , ~e2 = 0 1 wird als Standardbasis bezeichnet. Ein Vektor ~v hat dann die eindeutige Basisdarstellung       0 1 v1 . + v2 = v1 ~v = 1 0 v2

5.5

y 1 ~v ~e2

~e1

x

1

Ebenso kann man im Raum die Vektoren der L¨ange 1 in Richtung der Koordinatenachsen als ausgezeichnete Basis w¨ahlen. Man spricht auch hier von der Standardbasis. Selbst im Vektorraum Rn der n-Tupel gibt es die Standardbasis. Es handelt sich um die n-Tupel, die nur an einer Stelle eine 1 und ansonsten die Koordinaten 0 haben.       0 0 1  0   1   0           ..   ..  ~e1 =  .  , ~e2 =  .  , · · · , ~en =  ...         0   0   0  1 0 0

Damit ist die Dimension des Vektorraums Rn nat¨urlich n.



Implizit haben wir bei der Einf¨uhrung des Koordinatensystems in der Ebene bzw. im Raum schon den Basisbegriff verwendet. Man f¨uhrt, ausgehend von einem Ursprung O, zwei bzw. drei orthogonale Koordinatenachsen ein und definiert auf ihnen jeweils den Abstand 1. Hierdurch ist jeder Punkt im Raum eindeutig durch seine Koordinaten festgelegt. Man kann dies auch so interpretieren, dass man ausgehend von einem Ursprung zwei bzw. drei orthogonale Basisvektoren der L¨ange 1 definiert −→ und hierdurch jeder Verbindungsvektor OP vom Ursprung aus eindeutig durch die Basis festgelegt ist. z 1 ~e3

−→P O

b

P

O 1 x

~e1

~e2 1

y

Basis und Dimension

165

166

5 Vektorrechnung

Es gibt auch Vektorr¨aume mit unendlich vielen Basisvektoren, wie folgendes Beispiel belegt.

Basispolynome Monome

Beispiel 5.17 Der Vektorraum der Polynome hat als Basis die sog. Basispolynome oder Monome e0 (x) = 1,

e1 (x) = x,

e2 (x) = x2 ,

e3 (x) = x3 ,

...

Man u¨ berzeugt sich, dass diese Monome linear unabh¨angig sind. Aus 0 = λ0 e0 (x) + λ1 e1 (x) + λ2 e2 (x) + . . . + λk ek (x) = λ0 + λ1 x + λ2 x2 + . . . + λk xk folgt n¨amlich sofort, dass

λ0 = λ1 = λ2 = . . . = λk = 0. Ferner kann man jedes beliebige Polynom p(x) aus diesen Monomen linear kombinieren als p(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn = a0 e0 (x) + a1 e1 (x) + a2 e2 (x) + . . . + an en (x). Da die Anzahl der Basisvektoren unendlich groß ist, hat dieser Vektorraum die Dimension unendlich. Ein Vektorraum muss also nicht ◭ immer endliche Dimension haben.

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 5.2 5.1 a)

5.2



Skizzieren Sie einige Repr¨asentanten folgender Vektoren in der Ebene.      2 b) 1 c) 2 1 2 −1 Berechnen Sie f¨ur die Vektoren     3 −2 ~b =  4  ~a =  1  2 −3



d)





 −1 ~c =  −5  1

die folgenden Vektoroperationen. a) ~a +~b

b) ~a +~c

c) ~a +~b +~c

d) ~a −~b

e) ~b −~a −~c

f) 3~a

g) 2~b + 3~c

−2 1

h) ~a − 2~b + 3~c

i) 2~a −



 1~ 3 b − ~c 2 2

¨ 5.3 Uberpr¨ ufen Sie, ob die Dreiecke mit folgenden Ecken gleichschenklig oder sogar gleichseitig sind. √ √ a) A(1|3) B(7|2) C(4|5) b) A(1|0) B(2| 3) C(0| 3) √ √ c) A(1|1|1) B(4|6|5) C(−4|5|4) d) A(0|0|0) B(4|4 3|6) C(6|4 3|4)

5.4

Gegeben sind die Punkte A(6|5|4), B(2|0| − 2) und C(3|3|3).

a) Bestimmen Sie die Koordinaten des Punktes D so, dass das Viereck ABCD ein Parallelogramm ist. b) Berechnen Sie die Koordinaten des Diagonalenschnittpunkts M des Parallelogramms ABCD.   rx 5.5 Ein Lichtstrahl mit der Richtung ~r =  ry  wird in der skizzierten Weise nacheinander rz an den drei Koordinatenebenen (x,z), (x,y) und (y,z) gespiegelt. An den Reflexionspunkten gilt stets das Reflexionsgesetz, d. h. dass sich z. B. bei der ersten Reflexion die y-Koordinate ry des Richtungsvektors umkehrt und alle u¨ brigen Komponenten gleich bleiben. Entsprechendes gilt bei den u¨ brigen Reflexionspunkten. z

y ~r x

Zeigen Sie, dass der ausfallende Strahl parallel zum einfallenden Strahl~r ist, aber in die umgekehrte Richtung weist.

167

168

5 Vektorrechnung

5.6 Eine F¨ahre hat im ruhenden Gew¨asser eine Fahrleistung von 9 ms . Sie u¨ berquert einen Fluss mit der Breite 200 m, wobei das Wasser mit einer Geschwindigkeit von 3 ms stromabw¨arts fließt, so dass die F¨ahre gegensteuern muss, um den Fluss orthogonal zu u¨ berqueren. In welchem Winkel zur Fahrtrichtung muss die F¨ahre steuern? Wie hoch ist die resultierende Geschwindigkeit? Wie lange ¨ braucht die F¨ahre zur Uberquerung des Flusses? Fertigen Sie eine Skizze an. 5.7 Eine Leuchte mit dem Gewicht 30 N h¨angt u¨ ber der Straßenmitte und ist u¨ ber ein Stahlseil an zwei Masten am Straßenrand links und rechts in gleicher H¨ohe befestigt. Der Abstand zwischen den Tr¨agermasten betr¨agt exakt 8 m. Berechnen Sie die im Stahlseil wirkenden Kr¨afte, wenn der Durchhang der Leuchte gegen¨uber der Aufh¨angung an den Masten 0,5 m betr¨agt. 5.8 In einem Kaufhaus wird ein Weihnachsstern mithilfe von 3 Seilen befestigt. Die Aufh¨angepunkte an der horizontalen Decke befinden sich symmetrisch jeweils um 120◦ versetzt im horizontalen Abstand von 4 m vom Zentrum entfernt. Der vertikale Durchhang betr¨agt 2 m. Wie groß sind die Kr¨afte in den Seilen, wenn der Stern ein Gewicht von 240 N besitzt?

Abschnitt 5.3 5.9 Zeigen Sie, dass die Restklasse Z7 ohne die Null zusammen mit der Multiplikation eine kommutative Gruppe (Z7 \{0},·) bildet. Hinweis. Argumentieren Sie u. a. mit der Verkn¨upfungstafel. 5.10 Weisen Sie alle Vektorraumgesetze f¨ur den Vektorraum der Polynome nach. 5.11 Ein trigonometrisches Polynom hat die Form p(x) = a0 + a1 cos(x) + b1 sin(x) + a2 cos(2x) + b2 sin(2x) + . . . + an cos(nx) + bn sin(nx). Zeigen Sie, dass die trigonometrischen Polynome mit der gew¨ohnlichen Addition sowie der nat¨urlichen Multiplikation mit einem Skalar einen Vektorraum bilden.

5.12 Zeigen Sie, dass die Menge aller Paare    1 |λ ∈R λ mit der u¨ blichen Addition und S-Multiplikation keinen Vektorraum bilden. Welche Bedingungen werden verletzt? n o 5.13 Es sei V ein Vektorraum. Ist dann die einelementige Menge U = ~0 , bestehend lediglich aus dem Nullvektor, auch ein Vektorraum?

Aufgaben

Abschnitt 5.4 ¨ 5.14 Uberpr¨ ufen Sie, ob folgende Vektoren linear unabh¨angig oder linear ¨ Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse auch mit einem Computeralgebrasystem.         −1 a) 2 1 b) 4 , , 5 −1 −1 −10 2            d) 1 −1 −2 c) 1 −1 −5  0 , 2 , 1 , , 3 4 −6 1 1 0            e) 3 4 4 f) 1 1 0  −4   3   3   0   −4   −7  −4  ,  −3  ,  3   4 , 0 , 4 3 −4 4 2 3 0

abh¨angig sind.

 

 

 1   −1   ,  −8  4

5.15 F¨ur welche Werte von a sind die nachfolgenden Vektoren linear unabh¨angig bzw. abh¨angig? 

 1  a   0  1



 2  −1   3  0



 2 + 3a  −1    3 0

5.16 Ist der Nullvektor ~0 linear unabh¨angig oder linear abh¨angig? Begr¨unden Sie Ihre Antwort. 5.17 Machen Sie sich anhand einer Skizze klar, dass folgende Aussagen korrekt sind: a) Zwei Vektoren in der Ebene sind genau dann linear unabh¨angig, wenn sie nicht parallel sind. b) Drei Vektoren im Anschauungsraum sind genau dann linear unabh¨angig, wenn sie nicht in einer Ebene liegen. ¨ 5.18 Uberpr¨ ufen Sie im Vektorraum der Polynome, ob die Vektoren p1 (x) = 1 + x + x2

p2 (x) = 2 + 2x2

p3 (x) = x

linear unabh¨angig oder linear abh¨angig sind.

5.19 Zeigen Sie, dass im Vektorraum der trigonometrischen Polynome (vgl. Aufgabe 5.11) p(x) = a0 + a1 cos(x) + b1 sin(x) + a2 cos(2x) + b2 sin(2x) + . . . + an cos(nx) + bn sin(nx) die Vektoren p1 (x) = sin(x)

p2 (x) = cos(x)

p3 (x) = sin(2x)

p4 (x) = cos(2x)

linear unabh¨angig sind.

5.20 An einem K¨orper greifen k Kr¨afte ~F1 , ~F2 , . . . , ~Fk mit unterschiedlichen Richtungen an. Der ¨ K¨orper selbst bleibt in Ruhe. Uberlegen Sie sich, ob die vektoriellen Kr¨afte linear unabh¨angig oder abh¨angig sind.

169

170

5 Vektorrechnung

Abschnitt 5.5 5.21 Bilden die folgenden Vektoren eine Basis des Anschauungsraums?           a) 1 1 b) 1 1 0  0 , 1   0 , 1 , 1  1 0 1 0 1 c)



     1 1 0  0 , 1 , 1  1 1 0

d)



       1 1 1 0  0 , 1 , 1 , 1  1 0 1 1

5.22 F¨ur welche Werte von a bilden die folgenden Vektoren eine Basis des R3 ?             a) 2 1 0 b) 6 −a 3  0  ,  1  ,  −1   a  ,  −1  ,  a  1 0 a 7 2 4 5.23 In der Ebene ist die Basis   1 ~b1 = 1

~b2 =



1 −1



gegeben. Stellen Sie folgende Vektoren durch diese Basis ~b1 ,~b2 dar.         a) 6 b) 7 c) −1 d) −4 0 3 5 −6

e)



−4 −3



5.24 In einen W¨urfel wird in der skizzierten Weise ein Achtflach (Oktaeder) einbeschrieben. Die Ecken des Achtflachs liegen auf den Fl¨achenmitten der W¨urfelquadrate.

~b3 ~b2 ~b1 Dr¨ucken Sie alle durch die Kanten des Achtflachs gegebenen Vektoren durch die drei skizzierten Basisvektoren ~b1 ,~b2 ,~b3 auf dem W¨urfel aus.

Aufgaben

5.25 Bestimmen Sie jeweils eine Basis des Vektorraums V . Wie groß ist demzufolge jeweils die Dimension?       a) b)  a   a  V =  a | a ∈ R V =  0  | a,b ∈ R  0   b  c)

   a   V =  a + b  | a,b,c ∈ R   c

d) V =

 a0 + a2 x2 + a4 x4 | a0 ,a2 ,a4 ∈ R

5.26 Bestimmen Sie die Dimension und eine Basis des durch folgende Vektoren erzeugten Untervektorraums des R5 .           1 1 0 0 1  0   −4   3   −7   −1   4   0   −8   4   −8  2 3 1 0 4

5.27 Ein magisches Quadrat ist eine quadratische Anordnung von Zahlen, bei welchen die Summe jeder Zeile und jeder Spalte sowie der zwei Diagonalen gleich ist. Im Folgenden ist ein Beispiel eines magischen (3,3)-Quadrats mit drei Zeilen und 3 Spalten in Matrizenschreibweise aufgef¨uhrt.   1 3 2  3 2 1  2 1 3

Man kann nachweisen, dass mit der komponentenweisen Addition und der komponentenweisen S-Multiplikation die Menge solcher magischen (3,3)-Quadrate einen Vektorraum bildet. a) Stellen Sie das lineare Gleichungssystem f¨ur die 9 Matrizenelemente eines magischen Quadrats   α11 α12 α13  α21 α22 α23  α31 α32 α33

sowie der stets identischen Summe s auf. L¨osen Sie mit einem Computeralgebrasystem das entstehende Gleichungssystem f¨ur die Unbekannten αi j und s und schließen Sie daraus, dass der Vektorraum der magischen (3,3)-Quadrate einen Vektorraum der Dimension 3 bildet.

b) Zeigen Sie, dass die (3,3)-Quadrate   1 0 2  2 1 0  0 2 1



2  0 1

0 1 2

 1 2  0



0  2 1

2 1 0

 1 0  2

eine Basis des dreidimensionalen Vektorraums der magischen (3,3)-Quadrate bilden.

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

171

Produkte von Vektoren

6

Was ist das Skalarprodukt und wo kann man es geometrisch einsetzen? Was ist das Vektorprodukt und wo wird es ben¨ otigt? Was versteht man unter dem Spatprodukt?

Felsendom auf dem Tempelberg in Jerusalem

6.1 6.2 6.3

Das Skalarprodukt Das Vektorprodukt Das Spatprodukt . Aufgaben . . . . .

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Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_6 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_6

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174

6 Produkte von Vektoren Mithilfe von Vektoren kann man diverse Produkte bilden, die geometrisch motiviert und einsetzbar sind. In diesem Kapitel werden namentlich das Skalarprodukt, das Vektorprodukt und das Spatprodukt behandelt, wobei auch geometrische und physikalische Anwendungen zur Sprache kommen.

6.1

Das Skalarprodukt

Es gibt oft Situationen, in welchen nur der in eine gewisse Richtung weisende Anteil eines Vektors zu einem Ergebnis beitr¨agt.

Beispiel 6.1 Bei der Bewegung eines Ziehwagens greift die Kraft ~F aufgrund der Anatomie des Menschen schr¨ag nach oben an. F¨ur die Fortbewegung ist lediglich die horizontale Kraft ~Fx relevant, w¨ahrend der vertikale Anteil wirkungslos bleibt.

~F

ϕ

~Fx ~s

Der Betrag des horizontalen Anteils berechnet sich als ~ Fx = ~F · cos(ϕ ).

Entsprechend ergibt sich dann die geleistete physikalische Arbeit bei einer horizontalen Bewegung, die durch den Wegvektor ~s beschrieben wird, als W = ~Fx · |~s| = ~F · |~s| · cos(ϕ ). ◭

Dieses Beispiel legt die folgende Definition f¨ur den Anschauungsraum nahe.

6.1

Definition Ist ϕ der Winkel zwischen zwei Vektoren ~a und ~b des Anschauungsraums, so heißt ~a ·~b = ~a · ~b · cos(ϕ )

Das Skalarprodukt

Skalarprodukt im Anschauungsraum

das Skalarprodukt der Vektoren ~a und ~b.

Analog zur gew¨ohnlichen Multiplikation reeller Zahlen wird auch beim Skalarprodukt der Punkt zwischen den Vektoren oftmals weggelassen: ~a ·~b = ~a ~b Ebenso schreibt man h¨aufig in Analogie zu den reellen Zahlen f¨ur ein Skalarprodukt eines Vektors mit sich selbst ~a ·~a = ~a 2 . Aufgrund der Definition des Skalarprodukts ist es offensichtlich, dass der folgende Sachverhalt richtig ist.

Satz Zwei Vektoren ~a und ~b sind genau dann zueinander orthogonal, wenn das Skalarprodukt verschwindet:

Orthogonalit¨at mit Skalarprodukt

~a ·~b = 0

Ferner ergibt sich aus der Skalarproduktdefinition ~a ·~a = |~a| · |~a| · cos(0) = |~a| · |~a| · 1 = |~a|2 und damit der folgende Satz.

Satz

Die L¨ange eines Vektors ~a berechnet sich als p √ |~a| = ~a ·~a = ~a 2 .

L¨ange eines Vektors mit Skalarprodukt

175

176

6 Produkte von Vektoren

Beispiel 6.2 Wir k¨onnen mithilfe des Skalarprodukts in einfacher Weise den Satz des Pythagoras beweisen. Dieser sagt bekanntlich aus, dass im rechtwinkligen Dreieck mit den Kathetenl¨angen a und b sowie der Hypotenusenl¨ange c die Beziehung a2 + b2 = c2 gilt.

~c

~b a+ ~ =

~b

~a Beschreiben wir die beiden Katheten in der skizzierten Weise mit den Vektoren ~a und ~b, so l¨asst sich die Hypotenuse durch den Summenvektor~c =~a +~b ausdr¨ucken. Es ergibt sich aufgrund der Orthogonalit¨at der Vektoren ~a und ~b  2 2 2 c2 = ~c = ~a +~b = ~a 2 + 2 · |{z} ~a ·~b + ~b =0 2 2 2 2 ~ ~ = ~a + b = ~a + b = a + b2 . 2



Nach Einf¨uhrung eines Koordinatensystems l¨asst sich das Skalarprodukt in Komponentenschreibweise auf folgende Weise berechnen.

Skalarprodukt in Koordinatenschreibweise

Satz In Koordinatenschreibweise berechnet sich das Skalarprodukt zwischen zwei Vektoren des Anschauungsraums als     b1 a1 = a1 b1 + a2 b2 · ~a ·~b = b2 a2 bzw. 

   a1 b1 ~a ·~b =  a2  ·  b2  = a1 b1 + a2 b2 + a3 b3 . a3 b3

6.1

Beweis Wir beweisen den Sachverhalt lediglich f¨ur die allgemeinere Dimension 3. Er kann in analoger Weise auf das Zweidimensionale u¨ bertragen werden.

~b

ϕ

~a

~a −~b

Nach dem Kosinussatz (vgl. Abschnitt 3.5) gilt ~a −~b 2 = ~a 2 + ~b 2 − 2|~a |~b cos(ϕ )

und damit

~a ·~b = ~a · ~b · cos(ϕ ) 1  2 ~ 2 ~ 2  = ~a + b − ~a − b 2 q q 2 2 1 = a21 + a22 + a23 + b21 + b22 + b23 2 q 2 − (a1 −b1 )2 + (a2 −b2 )2 + (a3 −b3 )2

   1  2 2 2 a1 +a2 +a3 + b21 +b22 +b23 − a21 −2a1 b1 +b21 2    + a22 −2a2 b2 +b22 + a23 −2a3 b3 +b23 1 2 = a + a22 + a23 + b21 + b22 + b23 − a21 + 2a1 b1 − b21 2 1  − a22 + 2a2 b2 − b22 − a23 + 2a3 b3 − b23  1 = 2a1 b1 + 2a2 b2 + 2a3 b3 2 =

= a1 b1 + a2 b2 + a3 b3 ,

womit der Sachverhalt im Dreidimensionalen bewiesen ist.



Mit diesem Satz ist es m¨oglich, die Definition des Skalarprodukts auch auf den allgemeinen Vektorraum Rn zu erweitern.

Das Skalarprodukt

177

178

6 Produkte von Vektoren

Skalarprodukt im Rn

Definition Das Skalarprodukt zweier Vektoren ~a ·~b im Vektorraum Rn ist     b1 a1  a2   b2      ~a ·~b =  .  ·  .  = a1 b1 + a2 b2 + . . . + an bn .  ..   ..  bn an

Aufgrund dieser Berechnungsformel des Skalarprodukts ist es jetzt problemlos m¨oglich, Winkel zwischen Vektoren zu berechnen.

Beispiel 6.3 Wir wollen den Winkel zwischen den Vektoren         1 a1 2 b1 ~a =  a2  =  2  , ~b =  b2  =  √1  a3 0 b3 2 bestimmen.

Die L¨angen dieser Vektoren betragen q √ √ √ ~a = a2 + a2 + a2 = 22 + 22 + 02 = 8 = 2 2 1 2 3 q q √ √ ~b = b2 + b2 + b2 = 12 + 12 + 22 = 4 = 2. 3 1 2

Damit ist aufgrund der beiden Darstellungsarten des Skalarprodukts ~a ·~b = ~a ~b cos(ϕ ) = a1 b1 + a2 b2 + a3 b3 bzw.

~a ·~b a1 b1 + a2 b2 + a3 b3 cos(ϕ ) = = ~a ~b ~a ~b √ 2·1+2·1+0· 2 √ = 2 2·2 1 4 1√ = √ = √ = 2. 2 4 2 2

Der von den Vektoren ~a und ~b eingeschlossene Winkel betr¨agt demzufolge

ϕ =

π . 4 ◭

6.1

Das Skalarprodukt

Methan-Molekul ¨

Beispiel 6.4 Das Methan-Molek¨ul CH4 hat die Gestalt eines regelm¨aßigen Tetraeders mit den 4 Wasserstoffatomen H in den Ecken und dem Kohlenstoffatom C im Zentrum. In einem geeigneten Koordinatensystem kann man den Wasserstoffatomen die Koordinaten (1 | 0 | 0), (0 | 1 | 0), (0 | 0 | 1), (1 | 1 | 1) sowie dem Kohlenstoffatom den Wert 1 1 1 2 | 2 | 2 zuordnen. z

b

H

ϕ

C b

b

H b

H

y

b

H x Wir stellen uns die Frage, unter welchem Winkel ϕ vom zentralen Kohlenstoffatom die Wasserstoffatome erscheinen. Hierzu bestimmen wir die Koordinatendarstellung zweier Verbindungsvektoren vom zentralen Kohlenstoffatom zu den Wasserstoffatomen. Der Verbindungsvektor zu dem Wasserstoffatom auf der x-Achse hat die Koordinatendarstellung   1    1  1 2 2 ~a =  0  −  12  =  − 21  . 1 0 − 21 2

Entsprechend erh¨alt man als Koordinatendarstellung des Verbindungsvektors vom Kohlenstoffatom zum Wasserstoffatom auf der z-Achse   1    1  −2 0 2 ~b =  0  −  1  =  − 1  . 2 2 1 1 1 2 2

179

180

6 Produkte von Vektoren

Damit ist aufgrund der beiden verschiedenen Darstellungen des Skalarprodukts ~a ·~b cos(ϕ ) = ~a · ~b     1 · − 12 + − 21 · − 12 + − 21 · 12 2 = q    q 1 2 2 2 1 2 1 2 1 2 − 2 + − 21 + 12 + − + − · 2 2 2 =

−1 − 41 + 41 − 14 1 q q = 34 = − , 3 3 3 4 4· 4

was folgenden Bindungswinkel des Kohlenstoffatoms zu den Wasserstoffatomen bedeutet:   1 ∧ ϕ = arccos − ≈ 1,911 = 109,5◦ 3 ◭

6.2

Das Vektorprodukt

Ergebnisvektoren, die orthogonal zu zwei gegebenen Vektoren sind und deren L¨ange von den urspr¨unglichen Vektorbetr¨agen sowie dem eingeschlossenen Winkel abh¨angig sind, spielen in Physik und Technik eine wichtige Rolle. Wir wollen dies anhand zweier Beispiele demonstrieren.

Fernsehr¨ohre

Beispiel 6.5 In den vor der Zeit der Flachbildschirme eingesetzten Fernsehr¨ohren werden Elektronen mit der Geschwindigkeit ~v durch ein zur Geschwindigkeitsrichtung orthogonales Magnetfeld ~B so in eine zu beiden Vektoren orthogonale Richtung abgelenkt, dass sie an der gew¨unschten Stelle der fluoreszierenden Mattscheibe auftreffen und einen Leuchtpunkt erzeugen. ~F

~v b

~B

e

6.2

Der Betrag der ablenkenden Kraft ~ F berechnet sich nach physikalischen Gesetzen als ~ e = 1,602 · 10−19 As. F = e · ~B · |~v| , Stehen das magnetische Feld B und der Geschwindigkeitsvektor ~v der Elektronen nicht senkrecht aufeinander, so kommt nur der zu ~B orthogonale Anteil ~v⊥ der Geschwindigkeit f¨ur die Berechnung der ablenkenden Kraft zum Tragen. ~ F

e

~v⊥

b

ϕ ~B

~v

ϕ

Die auf das Elektron wirkende Kraft berechnet sich dann als ~ F = e · ~B · |~v⊥ | = e · ~B · |~v| · sin(ϕ ),

wobei ϕ der vom Magnetfeld ~B und dem Geschwindigkeitsvektor~v eingeschlossene Winkel ist. Die Richtung der ablenkenden Kraft ~F ist stets orthogonal zu dem Magnetfeld ~B und der Geschwindigkeit~v und weist in die Richtung, sodass die drei Vektoren ~B, ~v und ~F ein sog. Rechtssystem bilden, d. h. dass sie richtungsm¨aßig in der Reihenfolge auftreten wie der Daumen, der Zeigefinger und der Mittelfinger der rechten Hand. ~v ~B

~ F



Das Vektorprodukt

181

182

6 Produkte von Vektoren

Hebel

Beispiel 6.6 An einem Hebel erzeugt ein Gewicht mit der Gewichtskraft FG im Abstand s vom Auflagepunkt ein sog. Drehmoment M, welches den Hebel um die Aufh¨angung drehen will. s bc

b

FG Im Fall eines horizontalen Hebels berechnet sich das Drehmoment u¨ ber die Formel M = FG · s. Hat der Hebel eine Neigung, so tr¨agt nat¨urlich nur der horizontale Anteil des Weges zum Drehmoment bei. Dieser berechnet sich als s⊥ = s · sin(ϕ ), wobei ϕ der Winkel zwischen der angreifenden Kraft und dem Hebel ist. b

s bc

ϕ

s⊥ FG

Das Drehmoment ergibt sich somit zu M = FG · s · sin(ϕ ). Nun kann man die Gewichtskraft sowie die Strecke von der Angriffsstelle der Kraft zum Drehpunkt als vektorielle Gr¨oßen auffassen. Ebenso kann man das Drehmoment mit der Richtung der Drehachse versehen, die nat¨urlich orthogonal zur angreifenden

6.2

Das Vektorprodukt

~ und zum Hebelarm ~s ist. Insgesamt ergibt sich dann eine Kraft F zum Beispiel 6.5 analoge Formel ~ FG · |~s| · sin(ϕ ), M = ~

~ berechnet sich als das Prod. h. die L¨ange des Ergebnisvektors M dukt der Betr¨age der urspr¨unglichen Vektoren ~FG und~s multipliziert mit dem Sinus des eingeschlossenen Winkels ϕ . ◭

Bei beiden behandelten Beispielen ist das Ergebnis eine gerichtete Gr¨oße, deren Betrag von den L¨angen der beiden gegebenen Vektoren und dem Sinuswert des eingeschlossenen Winkels abh¨angt und welche zus¨atzlich orthogonal zu den zwei Ausgangsvektoren ist. Dieses Ph¨anomen gibt Anlass f¨ur die nachfolgende Definition.

Definition Ist ϕ der Winkel zwischen zwei Vektoren ~a und ~b des dreidimensionalen Anschauungsraums, so heißt der Vektor ~c = ~a ×~b

(gesprochen: a Kreuz b)

mit den Eigenschaften der Vektor ~c ist orthogonal zu den Vektoren ~a und ~b der Vektor ~c hat die L¨ange ~c = ~a ×~b = ~a · ~b · sin(ϕ )

die Vektoren ~a, ~b, ~c bilden in dieser Reihenfolge ein Rechtssystem das Vektorprodukt oder Kreuzprodukt der Vektoren ~a und ~b.

Mithilfe dieser Schreibweise lassen sich die Ergebnisse der obigen Beispiele folgendermaßen formulieren. Die resultierende Kraft auf ein bewegtes Elektron im Magnetfeld ~B ergibt sich als ~ F = e · ~B ×~v.

Vektorprodukt Kreuzprodukt

183

184

6 Produkte von Vektoren

Das Drehmoment auf einen Hebel bei einer angreifenden Gewichtskraft ~ FG im gerichteten Abstand ~s vom Drehpunkt berechnet sich als ~ = ~FG ×~s. M Das Vektorprodukt l¨asst sich in folgender Weise geometrisch interpretieren. Der Betrag ~a ×~b = ~a · ~b · sin(ϕ )

ist gerade der Fl¨acheninhalt des Parallelogramms, welches durch die Vektoren ~a und ~b aufgespannt wird. Der Vektor selbst weist orthogonal hierzu in die Richtung, sodass sich insgesamt ein Rechtssystem ergibt.

~a ×~b ~b

ϕ

~a

Arbeitet man in einem Koordinatensystem, so gibt es eine einfache Berechnungsformel f¨ur das Vektorprodukt.

Vektorprodukt in Koordinaten

Satz In einem Koordinatensystem berechnet sich das Vektorprodukt u¨ ber die Formel       a2 b3 − a3 b2 b1 a1 ~a ×~b =  a2  ×  b2  =  a3 b1 − a1 b3  . a1 b2 − a2 b1 b3 a3

Beweis Wir m¨ussen 3 Dinge zeigen, n¨amlich dass 1. der zitierte Ergebnisvektor orthogonal zu den urspr¨unglichen Vektoren ~a und ~b ist und 2. die L¨ange des Ergebnisvektors gerade ~a ~b sin(ϕ ) betr¨agt und

3. die drei Vektoren in dieser Reihenfolge ein Rechtssystem bilden.

6.2

Die Orthogonalit¨at des Ergebnisvektors zu den urspr¨unglichen Vektoren ist leicht nachweisbar. Es ist     a1 a2 b3 − a3 b2  a3 b1 − a1 b3  ·  a2  a3 a1 b2 − a2 b1 = a2 b3 a1 −a3 b2 a1 +a3 b1 a2 −a1 b3 a2 +a1 b2 a3 −a2 b1 a3 = 0

und ebenso 

   a2 b3 − a3 b2 b1  a3 b1 − a1 b3  ·  b2  a1 b2 − a2 b1 b3

= a2 b3 b1 −a3 b2 b1 +a3 b1 b2 −a1 b3 b2 +a1 b2 b3 −a2 b1 b3 = 0.

Die zweite Eigenschaft ergibt sich u¨ ber die Argumentationskette    2 a2 b3 − a3 b2 2 a2 b3 − a3 b2  a3 b1 − a1 b3  =  a3 b1 − a1 b3  a1 b2 − a2 b1 a1 b2 − a2 b1 = (a2 b3 − a3 b2 )2 + (a3 b1 − a1 b3 )2 + (a1 b2 − a2 b1 )2

= a22 b23 − 2a2 a3 b2 b3 + a23 b22 + a23 b21 − 2a1 a3 b1 b3 + a21 b23 + a21 b22 − 2a1 a2 b1 b2 + a22 b21    = a21 +a22 +a23 b21 +b22 +b23 − a21 b21 +a22 b22 +a23 b23

= = = = = =

− (2a2 a3 b2 b3 +2a1 a3 b1 b3 +2a1 a2 b1 b2 )   a21 +a22 +a23 b21 +b22 +b23 − (a1 b1 +a2 b2 +a3 b3 )2  2 2 ~a 2 · ~b − ~a ·~b 2 2 2  ~a · ~b − ~a · ~b · cos(ϕ ) 2 2 2 2 ~a · ~b − ~a · ~b · cos2 (ϕ ) 2 2  ~a · ~b · 1 − cos2 (ϕ ) 2 2 ~a · ~b · sin2 (ϕ ).

Da f¨ur den Winkel ϕ zwischen den Vektoren ~a und ~b die Eigenschaft 0 ≤ ϕ ≤ π gilt, ist sin(ϕ ) ≥ 0 und damit   a2 b3 − a3 b2  a3 b1 − a1 b3  = ~a · ~b · sin(ϕ ). a1 b2 − a2 b1 F¨ur den Beweis des dritten Punktes k¨onnen wir uns auf den Fall beschr¨anken, das 0 < ϕ < π gilt, weil ansonsten das Vektorprodukt verschwindet. Wir f¨uhren ein neues Koordinatensystem ein, sodass die erste

Das Vektorprodukt

185

186

6 Produkte von Vektoren

Koordinatenachse x¯ in Richtung des Vektors ~a weist. Die zweite Koordinatenachse y¯ liegt in der Ebene, die durch die Vektoren ~a und ~b aufgespannt wird, und hat die gleiche Orientierung wie diese Vektoren. Die dritte Koordinatenachse z¯ w¨ahlen wir orthogonal zu den ersten beiden Achsen derart, dass sich insgesamt ein Rechtssystem ergibt. z¯ ~a ×~b y¯ ~a

~b

x¯ In diesem Koordinatensystem haben die Vektoren ~a, ~b die Darstellung     a¯1 a¯1 ~a =  a¯2  =  0  0 a¯3     ¯b1 ¯b1 ~b =  b¯ 2  =  b¯ 2  0 b¯ 3 (a¯1 , b¯ 2 > 0). Gem¨aß der Berechnungsmethode des Ergebnisvektors ergibt sich in diesem Koordinatensystem       0 0 · 0 − 0 · b¯ 2 a¯2 b¯ 3 − a¯3 b¯ 2  a¯3 b¯ 1 − a¯1 b¯ 3  =  0 · b¯ 1 − a¯1 · 0  =  0  . a¯1 b¯ 2 a¯1 b¯ 2 − 0 · b¯ 1 a¯1 b¯ 2 − a¯2 b¯ 1

Dies bedeutet, dass die dritte Komponente positiv ist und damit insgesamt die drei Vektoren ~a,~b und der Ergebnisvektor ein Rechtssystem bilden.  Aufgrund der Koordinatendarstellung des Vektorprodukts ist es einsichtig, dass folgende Rechengesetze f¨ur die Bildung des Kreuzprodukts gelten.

6.2

Satz F¨ur alle Vektoren ~a,~b,~c des dreidimensionalen Anschauungsraums gelten die folgenden Identit¨aten: ~a ×~a = ~0

  ~a ×~b = − ~b ×~a   ~a × ~b +~c = ~a ×~b +~a ×~c

Mithilfe des Kreuzprodukts k¨onnen wir verschiedene geometrische Aufgaben l¨osen.

Beispiel 6.7 Wir wollen den Fl¨acheninhalt des Dreiecks berechnen, welches durch die Ecken A(1 | 2 | − 2), B(2 | 3 | − 1) und C(4 | 0 | 1) gegeben ist. C ~b A ~a

B

Der Fl¨acheninhalt A△ des Dreiecks ist die H¨alfte des Fl¨acheninhalts A♦ des Parallelogramms, welches durch die Vektoren     1 3 − → − → ~b = AC =  −2  ~a = AB =  1  1 3

aufgespannt wird:

A△ =

1 1 A♦ = ~a ×~b 2 2

Das Vektorprodukt

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188

6 Produkte von Vektoren

Das ben¨otigte Vektorprodukt berechnet sich als     1 3 ~a ×~b =  1  ×  −2  1 3   1 · 3 − 1 · (−2) =  1·3−1·3  1 · (−2) − 1 · 3   5 =  0 . −5

Der Fl¨acheninhalt des Dreiecks betr¨agt damit r 1 ~ 1  ~ 2 A△ = ~a × b = ~a × b 2 2 p 1 1√ = 52 + 02 + 52 = 50 2 2 √ 5 = 2. 2 ◭

Beweis des Sinussatzes

Beispiel 6.8 Mithilfe des Vektorprodukts l¨asst sich der Sinussatz im allgemeinen Dreieck beweisen (vgl. Abschnitt 3.5). Dieser lautet in Vektorschreibweise und mit den Bezeichnungen in der unten stehenden Skizze ~a ~b ~c = = . sin α sin β sin γ

α ~c

~b

β

γ ~a

Es ist nat¨urlich ~a +~b +~c = ~0.

6.3

Das Spatprodukt

Durch Bildung des Vektorprodukts mit dem Vektor ~c erh¨alt man unter Ber¨ucksichtigung von ~c ×~c = ~0   ~a ×~c +~b ×~c = ~a +~b +~c ×~c = ~0 ×~c = ~0. Daraus ergibt sich

~a ×~c = −~b ×~c = ~c ×~b und damit

bzw.

~a ×~c = ~c ×~b ~a · ~c · sin (π − β ) = ~c · ~b · sin (π − α ) .

Es resultiert schließlich wegen der allgemein g¨ultigen Beziehung sin(ϕ ) = sin (π − ϕ ) ~a ~b = , sin(α ) sin(β ) was die erste H¨alfte des Sinussatzes umfasst. Durch zyklische Vertauschung der Vektoren ~a,~b,~c sowie der Winkel α , β , γ erh¨alt man mit der gleichen Argumentation die jetzt noch fehlende Beziehung ~b ~c = . sin(β ) sin(γ ) ◭

6.3

Das Spatprodukt

Unter einem Spat oder Parallelflach versteht man einen dreidimensionalen K¨orper, der durch 6 Parallelogramme begrenzt wird. Man kann einen Spat salopp gesprochen als einen etwas verschobenen Quader bezeichnen. Wir m¨ochten das Volumen eines solchen Spates bestimmen. Hierzu bezeichnen wir die drei den Spat aufspannenden, linear unabh¨angigen Kanten mit den Vektoren ~a, ~b und ~c.

Spat Parallelflach

189

190

6 Produkte von Vektoren

~a ×~b

~c h

ϕ

~b ~a

Das Volumen eines derartigen Spates ist das Produkt der Grundfl¨ache A mit der H¨ohe h. Die Grundfl¨ache ergibt sich bekanntlich als der Betrag des Vektorprodukts der Vektoren ~a und ~b: A = ~a ×~b . Die H¨ohe h erh¨alt man u¨ ber die Beziehung h = ~c · cos(ϕ ),

wobei ϕ der Winkel zwischen dem Vektor ~c und der Orthogonalen zur Grundfl¨ache und somit auch der Winkel zwischen~c und dem Vektor ~a ×~b ist. Damit berechnet sich aufgrund der Definition des Skalarprodukts das Volumen des Spates als   V = ~a ×~b · ~c · cos(ϕ ) = ~a ×~b ·~c.

Bemerkenswert ist, dass in dem Fall, dass die Vektoren ~a,~b,~c kein Rechtssystem bilden, die Vektoren ~a ×~b und ~c von der Grundfl¨ache A aus gesehen in zwei unterschiedliche Richtungen weisen. Dementsprechend ergibt sich in diesem Fall ein negatives Volumen, d. h. die zitierte Formel berechnet das sog. orientierte Volumen des Spates. ¨ Die durchgef¨uhrten Uberlegungen f¨uhren zu der Definition einer neuen Vektoroperation.

Spatprodukt

Definition Unter dem Spatprodukt der Vektoren ~a,~b,~c des dreidimensionalen Anschauungsraums versteht man die Zahl h i   ~a,~b,~c = ~a ×~b ·~c.

6.3

Das Spatprodukt

In Vektorschreibweise kann man das Spatprodukt leicht berechnen. Es ergibt sich h i   ~a,~b,~c = ~a ×~b ·~c       a1 b1 c1 =  a2  ×  b2  ·  c2  a3 b3 c3     a2 b3 − a3 b2 c1 =  a3 b1 − a1 b3  ·  c2  a1 b2 − a2 b1 c3 = a2 b3 c1 − a3 b2 c1 + a3 b1 c2 − a1 b3 c2 + a1 b2 c3 − a2 b1 c3 = a1 b2 c3 + b1 c2 a3 + c1 a2 b3 − a3 b2 c1 − b3 c2 a1 − c3 a2 b1 .

Satz In einem Koordinatensystem berechnet sich das Spatprodukt u¨ ber die Formel     a1 b1 c1  a2 , b2 , c2  a3 b3 c3 = a1 b2 c3 + b1 c2 a3 + c1 a2 b3 − a3 b2 c1 − b3 c2 a1 − c3 a2 b1 .

Die Formel des Spatprodukts l¨asst sich u¨ ber folgendes Schema leicht im Ged¨achtnis behalten: Man schreibt die Koordinaten der drei Vektoren spaltenweise auf und f¨ugt daran die Koordinaten der ersten beiden Vektoren nochmals an. Nun addiert man das Produkt der Zahlen in den drei Hauptdiagonalen und subtrahiert davon das Produkt der Elemente in den drei Nebendiagonalen.1

1



⊕ a1 a2 a3







b1 b2 b3 ⊖

c1 c2 c3

a1 a2 a3

b1 b2 b3

Wir werden in Abschnitt 8.6 diese Art der Berechnung eines Schemas unter dem Namen Determinante genauer studieren. Die zitierte Merkregel ist unter dem Namen Sarrus-Regel bekannt.

Spatprodukt in Koordinaten

191

192

6 Produkte von Vektoren

Mithilfe des Spatprodukts ist es m¨oglich, Volumina von K¨orpern zu berechnen, die nur eine entfernte Verwandtschaft zum Spat haben.

Volumen einer dreiseitigen Pyramide

Beispiel 6.9 Wir wollen das Volumen einer dreiseitigen Pyramide mit den Ecken A(0 | 0 | 0), B(2 | 0 | 0), C(0 | 2 | 0) und der Spitze S(1 | 1 | 2) berechnen. Aus der elementaren Raumgeometrie der K¨orper weiß man, dass sich dieses Volumen u¨ ber die Formel V =

1 · AG · h 3

berechnet, wobei AG der Fl¨acheninhalt des Grunddreiecks ABC und h die H¨ohe der Pyramide ist. ~a ×~b S ~c h

ϕ

C ~b

A ~a

B

Bezeichnen wir die Verbindungsvektoren der Ecken mit   2 − → AB = ~a =  0  0   0 − → ~ AC = b =  2  0   1 − → AS = ~c =  1  , 2

so berechnet sich die Grundfl¨ache als die H¨alfte der von den Vektoren ~a, ~b aufgespannten Parallogrammfl¨ache: AG =

1 ~ ~a × b 2

Die H¨ohe ergibt sich u¨ ber die Beziehung h = ~c · cos(ϕ ),

6.3

wobei ϕ der Neigungswinkel des Vektors ~c gegen¨uber der Orthogonalen zur Grundfl¨ache ist. Als Formel f¨ur das Volumen der Pyramide ergibt sich somit 1 1 ~ · ~a × b · ~c · cos(ϕ ) 3 2  1  = · ~a ×~b ·~c 6 1h ~ i = ~a,b,~c . 6

V =

Das Volumen einer dreiseitigen Pyramide ist demzufolge gerade ein Sechstel des Volumens des Spates, welcher von den Vektoren ~a, ~b und ~c aufgespannt wird. Bei unseren konkreten Koordinaten erhalten wir als Volumen der Pyramide       1  2   0   1  1 2 0 , V = , 6 2 0 0 1 (2·2·2 + 0·1·0 + 1·0·0 − 0·2·1 − 0·1·2 − 2·0·0) 6 4 = . 3

=



Das Spatprodukt

193

194

6 Produkte von Vektoren

Aufgaben Abschnitt 6.1 6.1 Ein Ziehwagen wird mit einer Kraft von 80 N u¨ ber eine Strecke von 1 km gezogen. Der Neigungswinkel der Deichsel zur Horizontalen betr¨agt 30◦ . Berechnen Sie die geleistete physikalische Arbeit. 6.2 Berechnen Sie den Winkel ϕ zwischen den folgenden Vektoren.             1 1 3 12 −3 −2 a) , √ b) , c) , 0 4 5 1 −4 3             1 0 2 −1 5 1 d)  1  ,  1  e)  1  ,  4  f)  3  ,  0  0 1 2 2 −1 5 Bestimmen Sie den Parameter t so, dass die Vektoren ~a und ~b zueinander orthogonal sind.         −3 2 6 8 a) ~a =  3  , ~b =  t  b) ~a =  t 2  , ~b =  4  1 0 t 4t

6.3

6.4 Beweisen Sie mithilfe der Definition des Skalarprodukts im Anschauungsraum die Cauchy2 Schwarz’sche3 Ungleichung 2 ~ 2 ~a · b ≤ ~a 2 · ~b 2

Augustin Louis Cauchy, 1789–1857, franz¨osischer Mathematiker.

3

Hermann Amandus Schwarz, 1843–1921, deutscher Mathematiker.

6.5 Welche der folgenden Ausdr¨ucke sind sinnvoll und welche sinnlos?     a) ~a +~b ·~c b) ~a ·~b ·~c     d) ~a ~b ·~c e) ~a ~b ·~c

c) ~a +~b ·~c f) ~a ~b + ~a ~c

6.6 Zeigen Sie: Die Innen- und die Außenwinkelhalbierende zweier durch die Richtungsvektoren ~a,~b gegebenen sich schneidender Geraden sind zueinander orthogonal. 6.7

Berechnen Sie den Schnittwinkel, unter dem sich die Diagonalen eines W¨urfels schneiden.

6.8 gilt:

Die Parallelogrammgleichung sagt aus, dass f¨ur alle Vektoren ~a und ~b folgende Beziehung ~a +~b 2 + ~a −~b 2 = 2 ~a 2 + 2 ~b 2

a) Interpretieren Sie diese Gleichung geometrisch. Warum heißt diese Gleichung Parallelogramm” gleichung“? b) Beweisen Sie die Parallelogrammgleichung.

Aufgaben

Abschnitt 6.2 6.9 Das Pedal eines Fahrrads hat die L¨ange 18 cm und befindet sich in einem Winkel von 30◦ u¨ ber der Horizontalen. Berechnen Sie das resultierende Drehmoment, wenn das Pedal mit einer Kraft von 60 N vertikal in einem Winkel von 20◦ zur Vertikalen ~1 F

20◦

belastet wird. ~2 F

18

cm

30◦

6.10 Berechnen Sie das Vektorprodukt ~a ×~b f¨ur folgende Vektoren ~a,~b.         a) 1 1 b) 2 3 ~a =  1  , ~b =  −1  ~a =  0  , ~b =  1  0 0 1 0        1  c) 2 0 d) −1 2 ~a =  −3  , ~b =  8  ~a =  3  , ~b =  − 12  6 −6 −2 3 ¨ 6.11 Uberlegen Sie sich, unter welchen Bedingungen das Vektorprodukt ~a ×~b = ~0 ist.

6.12 Bestimmen Sie t so, dass das Viereck mit den Ecken A(3 | 4|0), B(0|3|4), C(t| − 1|7), D(4|0|3) ein Parallelogramm ist und bestimmen Sie den Fl¨acheninhalt dieses Parallelogramms. 6.13 Berechnen Sie die Oberfl¨ache des Tetraeders mit den Ecken a) A(1|0|0), B(0|1|0), C(0|0|1), D(1|1|1) b) A(1|0|1), B(2|1|2), C(3|0|2), D(2| − 1|0) 6.14 Weisen Sie folgende Rechenregeln nach:     ~a · ~b ×~c = ~a ×~b ·~c

    ~a × ~b ×~c = (~a ·~c)~b − ~a ·~b ~c

6.15 Eine Schraube soll mit einem 20 cm langen Schraubenschl¨ussel mit einem Drehmoment von 40 Nm angezogen werden. Das Koordinatensystem wird so gew¨ahlt, dass der Kopf der Schraube sich im Ursprung befindet, das Gewinde in Richtung der x-Achse weist und der Schraubenschl¨ussel entlang der y-Achse liegt. Aufgrund der o¨ rtlichen Gegebenheit kann die Kraft nur in Richtung   0 ~r =  −3  4 angreifen.

a) Fertigen Sie eine Skizze des gegebenen Sachverhalts an. b) Wie groß ist die ben¨otigte angreifende Kraft?

195

196

6 Produkte von Vektoren

Abschnitt 6.3 6.16 Berechnen Sie das Volumen des Spates, der durch die folgenden Vektoren aufgespannt wird:       −2 2 1 ~b =  0  ~a =  1  ~c =  −2  −2 1 1

6.17 Gegeben ist ein r¨aumlicher K¨orper mit den Ecken A(1|1|1), B(4| − 2|2), C(2|1|0), D(−1|4| − 1), E(2|3|2), F(5|0|3), G(3|3|1), H(0|6|0). a) Zeigen Sie, dass es sich bei dem K¨orper um einen Spat handelt. b) Berechnen Sie das Volumen V des Spates.

6.18 Leiten Sie folgende Rechenregeln f¨ur das Spatprodukt her. h i   a) ~a,~b,~c = ~a · ~b ×~c . h i h i h i b) ~a,~b,~c = ~b,~c,~a = ~c,~a,~b

h i h i h i h i c) ~a,~b,~c = − ~b,~a,~c = − ~c,~b,~a = − ~a,~c,~b

6.19 ~ ¨ a) Uberlegen Sie sich, dass folgende Aussage richtig ist: Drei hVektoren i ~a, b,~c des Anschauungs” ~ raums sind genau dann linear abh¨angig, wenn das Spatprodukt ~a,b,~c dieser Vektoren verschwindet.“ b) Pr¨ufen Sie mithilfe des Aufgabenteils (a) nach, f¨ur welche Werte von t folgende drei Vektoren linear abh¨angig sind:       6 t 3 ~b =  −1  ~a =  t  ~c =  t  7 2 4

6.20 Berechnen Sie das Volumen der Pyramide, die als Grundfl¨ache

a) das Dreieck A(1|2|0), B(1|2|1), C(2|3|1) und als Spitze S(2|6|1) hat; b) das Viereck A(2|2|0), B(7|4|0), C(4|8|0), D(2|5|0) und als Spitze S(2|2|3) hat.

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Analytische Geometrie

7

Wie stellt man Geraden und Ebenen dar? Wie l¨ ost man Schnittprobleme? Wie berechnet man Abst¨ ande und Winkel? Wie beschreibt man Kreise und Kugeln?

Fernsehturm in Berlin

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 7.8

Probleme im Raum . . . . . . . . . Parameterdarstellung von Geraden Parameterdarstellung von Ebenen Hyperebenen in Gleichungsform . Schnittprobleme . . . . . . . . . . . Abstandsberechnungen . . . . . . . Winkelberechnungen . . . . . . . . Kreis und Kugel . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . .

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198 201 204 209 213 221 229 234 241

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_7 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_7

197

198

7 Analytische Geometrie Viele Objekte sind durch Geraden- und Ebenenst¨ ucke begrenzt. Von daher stellt sich die Frage, wie man diese Gebilde mathematisch beschreibt. Vektoren bilden hier eine große Hilfestellung, zumal man Abst¨ande und Winkel zwischen Geraden und Ebenen mithilfe von Vektoren berechnen kann. Auch Kreise und Ebenen lassen sich mit Vektoren beschreiben.

7.1

Probleme im Raum

Im Berufsleben und bei allt¨aglichen Gegebenheiten ist man oft vor das Problem gestellt, gewisse Sachverhalte geometrisch mithilfe von Geraden und Ebenen, aber auch mit Kreisen und Kugeln zu beschreiben.

Fluglinien

Beispiel 7.1 In einem geeigneten Koordinatensystem haben die Flugh¨afen Frankfurt, Hamburg, M¨unchen und Berlin die Koordinaten Frankfurt Hamburg M¨unchen Berlin

(8,6 | 50,0) (10,0 | 53,6) (11,8 | 48,3) (13,3 | 52,6).

Hamburg Berlin

Frankfurt

M¨unchen Ein Flugzeug fliegt von Frankfurt nach Berlin und ein zweites Flugzeug in gleicher Flugh¨ohe von M¨unchen nach Hamburg. Um zu kl¨aren, ob sich aufgrund der Abflugzeiten die Flugzeuge treffen und ob damit eine Unfallgefahr besteht, muss zun¨achst der Schnittpunkt der beiden Fluglinien bestimmt werden. Hierzu m¨ussen wir die geradlinigen Fluglinien in einer geeigneten Weise beschreiben. ◭

7.1

Probleme im Raum

Haus in Hanglage

Beispiel 7.2 Ein Architekt projektiert ein Haus auf ein Grundst¨uck mit Hanglage. Das Haus soll einen rechteckigen Grundriss mit 12 m Breite und 10 m Tiefe haben. Das Gel¨ande kann durch eine Ebene beschrieben werden. Eine Messung hat ergeben, dass gegen¨uber der am h¨ochsten gelegenen Ecke A die Ecke B um 1,10 m und die Ecke D um 1,40 m tiefer liegen. Wir suchen nach einer Beschreibung der Gel¨andeebene und fragen uns, wie weit die Sohle des Hauses unter die H¨ohe des Punktes A reichen muss, d. h. um wie viel die vierte Ecke C gegen¨uber dem Punkt A tiefer liegt.

A

D

B C



Beispiel 7.3 Ein Haus wird in der skizzierten Eckform gebaut. Das Dach hat an allen Stellen einen Neigungswinkel von 30◦ . Wir fragen uns, wie stark die Schnittlinie, die sog. Dachkehle, zwischen den Dachfl¨achen zur Horizontalen geneigt ist.

Dachkehle

199

200

7 Analytische Geometrie



¨ Offnungswinkel einer Antenne eines geostation¨aren Satelliten

Beispiel 7.4 Die Erde l¨asst sich bekanntlich als eine Kugel mit dem Radius r = 6 370 km beschreiben. Als geostation¨are Satelliten bezeichnet man Satelliten, welche bzgl. der Erde immer die gleiche relative Position einnehmen, d. h. die sich simultan mit der Erde innerhalb von 24 Stunden einmal um dieselbe drehen. Derartige Satelliten sind insbesondere bei Fernseh- und Wettersatelliten von Bedeutung. Die Physik zeigt, dass sich geostation¨are Satelliten in einer H¨ohe von h = 35 860 km u¨ ber der Erdoberfl¨ache bewegen m¨ussen. Es stellt sich nun die Frage, wie groß man den Winkel ϕ einer Satellitenantenne bzgl. der Achse Satellit–Erdmittelpunkt w¨ahlen muss, um den ganzen sichtbaren Teil der Erde erfassen zu k¨onnen.

ϕ



7.2

Parameterdarstellung von Geraden

All diese Beispiele belegen die Notwendigkeit, sich mit geometrischen Problemen zu besch¨aftigen. Wir werden in den nachfolgenden Kapiteln auf die gestellten Probleme zur¨uckkommen.

7.2

Parameterdarstellung von Geraden

¨ Man wird des Ofteren vor das Problem gestellt, Geraden in der Ebene bzw. im Raum zu beschreiben. So werden die Begrenzungen von Grundst¨ucken, Straßen, Flugbahnen von Flugzeugen oder auch Leiterbahnen bei elektronischen Leiterplatten durch Geradenst¨ucke festgelegt. F¨ur Abstandsberechnungen zwischen zwei Geb¨auden sucht man die L¨ange eines Geradenst¨ucks minimaler L¨ange, welche die beiden Geb¨aude verbindet. Bei Funkverbindungen spielt es eine Rolle, ob zwischen Sender und Empf¨anger Sichtverbindung besteht, also ob das Geradenst¨uck, welches Sender und Empf¨anger verbindet, durch irgendwelche Objekte wie Berge geschnitten wird. Zun¨achst u¨ berlegen wir uns, wie wir Geraden beschreiben k¨onnen. In der Ebene ist dies mithilfe affiner Funktionen der Form y = a0 + a1 x in einem geeigneten Koordinatensystem m¨oglich, doch im Raum versagt diese Methode. Hier muss nach einer anderen M¨oglichkeit gesucht werden. g ~r P

Zeichnen wir eine Gerade g, so l¨asst sich zun¨achst feststellen, dass ausgehend von einem festen Punkt P auf der Geraden sich die Verbindungen zu den u¨ brigen Punkten auf der Geraden immer als Vielfache eines bestimmten Pfeils, also auch als Vielfache eines Vektors~r beschreiben lassen. g ~r b

P

~p b

O

201

202

7 Analytische Geometrie

Ortsvektor

−→ Nach Wahl eines Ursprungs O kann man den Verbindungspfeil OP als einen Repr¨asentanten eines Vektors interpretieren. Dieser Repr¨asentant wird auch gerne als Ortsvektor bezeichnet (obwohl es sich streng genommen um keinen Vektor handelt). Mithilfe dieses Ortsvektors ~p lassen sich die Punkte auf der Geraden u¨ ber ~x = ~p + λ ·~r darstellen, wobei die Gr¨oße λ alle reellen Zahlen durchl¨auft. Dadurch werden ausgehend von dem Punkt P die Endpunkte aller Vielfachen des Vektors~r erreicht, also genau die Punkte auf der Geraden g.

Parameterdarstellung/ Punkt-Richtungsform einer Geraden

Definition

Die Darstellung einer Geraden g g:

~x = ~p + λ ·~r,

λ ∈R

mit ~r 6= ~0 heißt Parameterdarstellung oder Punkt-RichtungsForm der Geraden g.

Die Parameterdarstellung einer Geraden ist nicht eindeutig. Durch Wahl eines anderen Startpunkts P′ auf der Geraden oder eines anderen Richtungsvektors~r ′ , welcher nat¨urlich ein Vielfaches des urspr¨unglichen Vektors~r sein muss, erh¨alt man weitere Parameterdarstellungen. Wir wollen die N¨utzlichkeit dieser Darstellungsart anhand zweier Beispiele belegen.

Beispiel 7.5 Wir bestimmen eine Punkt-Richtungs-Form der Geraden durch die Punkte mit den Koordinaten P(0 | − 1 | 2) und Q(3 | 1 | 1). Ferner soll u¨ berpr¨uft werden, ob der Punkt R(−6 | − 5 | 4) auf der Geraden liegt. Als Basispunkt der Geraden w¨ahlen wir vern¨unftigerweise den Punkt P:   0 −→ ~p = OP =  −1  2

Die Richtung~r gibt uns die Differenz der Koordinaten der Punkte P und Q vor:       3 0 3 −→ ~r = PQ =  1  −  −1  =  2  −1 2 1

7.2

Parameterdarstellung von Geraden

Damit ergibt sich als Punkt-Richtungs-Form der Geraden     0 3 g : ~x = ~p + λ ·~r =  −1  + λ  2  . 2 −1 Um zu u¨ berpr¨ufen, ob der Punkt R auf der Geraden liegt, m¨ussen wir untersuchen, ob die Koordinaten des Punktes R mittels der Parameterdarstellung erreichbar sind, d. h. wir m¨ussen folgende Vektorgleichung l¨osen:       0 3 −6  −1  + λ  2  =  −5  2 −1 4 Daraus ergibt sich

   −6 3 λ  2  =  −4  2 −1 

bzw. in Koordinaten

3λ = −6 2λ = −4 −λ = 2. Dieses lineare Gleichungssystem f¨ur die Unbekannte λ hat die eindeutige L¨osung

λ = −2 und ist damit l¨osbar. Der Punkt R liegt also auf der Geraden.



Beispiel 7.6 Eine Grafik kann in einem Computer als sog. Rastergrafik und als Vektorgrafik abgespeichert werden. Bei der Speicherungsform als Rastergrafik werden f¨ur jedes Pixel die Farbwerte f¨ur Rot, Gr¨un und Blau gespeichert. Bei einer Speicherungsform als Vektorgrafik wird hingegen die Grafik durch Geradenst¨ucke und Fl¨achenbeschreibungen mit Farbangabe im Rechner abgelegt. Es ist einleuchtend, dass die zweite Speicherungsart viel flexibler bear-

Vektorgrafik

203

204

7 Analytische Geometrie

beitbar ist und weniger Speicherplatz ben¨otigt. Aus diesem Grund ist man daran interessiert, Grafiken im Vektorformat zu speichern. y 1.

5

2. 3. 1 1

7 x

Wir wollen nun den in der Skizze gezeichneten, um 90◦ gedrehten Buchstaben K im Vektorformat beschreiben. Hierzu m¨ussen wir f¨ur die drei nummerierten Strecken eine Darstellungsform finden. Geraden lassen sich in der Paramterform ~x = ~p + λ ~r festlegen, wobei der Parameter λ vollst¨andig die reellen Zahlen durchl¨auft. Schr¨ankt man den Parameter auf ein Intervall [a, b] ein, so werden nur noch die Punkte erreicht, die zwischen den Punkten mit den Ortsvektoren ~p + a~r und ~p + b~r liegen, also genau die Punkte einer Strecke. In unserem Fall lassen sich die drei Strecken z. B. folgendermaßen beschreiben:     1 1 1. ~x = +λ , λ ∈ [0,6] 5 0     3 1 2. ~x = +µ , µ ∈ [0,4] 5 −1   1 3. ~x = ν , ν ∈ [1,4] 1 ◭

7.3

Parameterdarstellung von Ebenen

Ebenen im Raum treten ebenso wie Geraden u¨ berall in unserer Umgebung auf, so z. B. bei Dachfl¨achen oder Gel¨andeebenen. Sie lassen sich wie Geraden mit einer Parameterdarstellung beschreiben. Hierzu rufen wir uns zun¨achst in Erinnerung, dass sich gem¨aß Abschnitt 5.5 jeder Vektor ~q der Ebene durch zwei linear unabh¨angige Vektoren ~r und ~s in der Form ~q = λ ·~r + µ ·~s linear kombinieren l¨asst. Dies wiederum bedeutet, dass man ausgehend von einem festen Punkt P in der Ebene ε mithil-

7.3

Parameterdarstellung von Ebenen

fe dieser beiden Vektoren jeden weiteren Punkt Q der Ebene erreichen kann: −→ PQ = λ ·~r + µ ·~s W¨ahlen wir einen Ursprung O im Raum und bezeichnen den Ortsvektor −→ OP mit dem Buchstaben ~p, so lassen sich alle Punkte der Ebene u¨ ber ~x = ~p + λ ·~r + µ ·~s darstellen.

~s P

ε

b

~r

~p

b

Definition

O

Die Darstellung einer Ebene ε

ε:

~x = ~p + λ ·~r + µ ·~s,

λ,µ ∈ R

mit zwei linear unabh¨angigen Vektoren ~r,~s heißt Parameterdarstellung oder Punkt-Richtungs-Form der Ebene ε .

Nat¨urlich ist die Parameterdarstellung einer Ebene nicht eindeutig bestimmt. Durch Variation des Startvektors ~p bzw. der aufspannenden Vektoren~r,~s erh¨alt man beliebig viele weitere Darstellungen dieser Art. Auch hier wollen wir die N¨utzlichkeit der Punkt-Richtungs-Form mit Beispielen belegen.

Beispiel 7.7 Eine Ebene ε ist durch die drei Punkte P(1 | 2 | − 1), Q(4 | 0 | 0), R(3 | 2 | − 2) gegeben. Wir wollen eine Parameterdarstellung der Ebene bestimmen sowie u¨ berpr¨ufen, ob der Punkt A(−2 | 4 | 1) in dieser Ebene liegt. Zur Bestimmung einer Parameterdarstellung brauchen wir einen Punkt und zwei linear unabh¨angige Vektoren in der Ebene. Als

Parameterdarstellung/ Punkt-Richtungsform einer Ebene

205

206

7 Analytische Geometrie

Startpunkt in der Ebene w¨ahlen wir den Punkt P mit dem zugeh¨origen Ortsvektor   1 −→ ~p = OP =  2  . −1

Die beiden ben¨otigten Spannvektoren der Ebene k¨onnen wir als       1 3 4 −→ ~r = PQ =  0  −  2  =  −2  0 −1 1       3 1 2 − → ~s = PR =  2  −  2  =  0  −1 −2 −1

ansetzen. Man pr¨uft leicht nach, dass diese Vektoren linear unabh¨angig sind. Damit ergibt sich die Parameterdarstellung der Ebene zu

ε:

~x = ~p + λ ·~r + µ ·~s       3 2 1 =  2  + λ  −2  + µ  0  . 1 −1 −1

Um zu testen, ob der Punkt A(−2 | 4 | 1) in der Ebene ε liegt, m¨ussen wir nachpr¨ufen, ob es m¨oglich ist, diesen Punkt mittels der Parameterdarstellung zu erreichen. Dies bedeutet, dass wir untersuchen m¨ussen, ob wir die Parameter λ , µ so w¨ahlen k¨onnen, dass         1 3 2 −2  2  + λ  −2  + µ  0  =  4  −1 1 −1 1 gilt. Dies wiederum bedeutet in Komponentenschreibweise 1 + 3λ + 2 µ = −2 2 − 2λ = 4 −1 + λ − µ = 1. Daraus ergibt sich das lineare Gleichungssystem 3λ + 2 µ = −3 = 2 −2λ λ− µ = 2 f¨ur λ , µ . Dieses Gleichungssystem kann man nat¨urlich mit dem Gauß’schen Eliminationsverfahren l¨osen, doch geht in diesem Fall

7.3

Parameterdarstellung von Ebenen

der direkte Weg schneller. Aus der zweiten Gleichung erh¨alt man n¨amlich sofort

λ = −1. Setzt man dies in die beiden u¨ brigen Gleichungen ein, so stellt man fest, dass gleichzeitig −3 + 2 µ = −3 −1 − µ = 2 bzw.

µ = 0 µ = −3 gelten muss, was nat¨urlich nicht m¨oglich ist. Das obige lineare Gleichungssystem besitzt also keine L¨osung. Das bedeutet wiederum, dass der Punkt A nicht mithilfe der Parameterdarstellung erreichbar ist und damit nicht in der gegebenen Ebene ε liegt. ◭

Beispiel 7.8 Wir kommen auf das einleitende Beispiel 7.2 aus Abschnitt 7.1 zur¨uck. Dort plant ein Architekt ein 12 m breites und 10 m tiefes Haus. Das Gel¨ande ist eben abfallend. Der Punkt B liegt um 1,10 m und der Punkt D um 1,40 m unterhalb des am h¨ochsten gelegenen Punktes A. Gesucht ist eine Gel¨andedarstellung sowie die H¨ohe, um welche der am tiefsten gelegene Punkt C unterhalb des Punktes A liegt. Wir beschreiben die Gel¨andeebene durch eine Parameterdarstellung in einem geeigneten Koordinatensystem. Hierzu w¨ahlen wir als Ursprung die am h¨ochsten gelegene Ecke A, die x-Achse horizontal in Richtung der Haustiefe, die y-Achse horizontal in Richtung der Breite und die z-Achse vertikal. Als Skalierung w¨ahlen wir auf jeder Achse die Einheit 1 m.

Fortfuhrung ¨ Haus in Hanglage

207

208

7 Analytische Geometrie

z

y A ~r

~s

D

x B C

Als n¨achstes ben¨otigen wir in diesem Koordinatensystem eine Punkt-Richtungs-Form ~x = ~p + λ~r + µ~s der Gel¨andeebene. Da der Ursprung in der Gel¨andeebene liegt, bietet es sich an, den Punkt A als Startpunkt und damit den Nullvektor ~0 als zugeh¨origen Ortsvektor zu w¨ahlen. Als ersten Richtungsvek− → tor nehmen wir die Hausunterkante~r = AB l¨angs der Gel¨andeebene unterhalb der x-Achse. Dieser Vektor hat aufgrund der gegebenen H¨ohendifferenz zwischen A und B die Komponenten   10 − → . 0 ~r = AB =  −1,10 Analog nehmen wir als zweiten Richtungsvektor die Hausunterkan−→ te ~s = AD unterhalb der y-Achse:   0 −→ ~s = AD =  12  −1,40 Als Parameterdarstellung der Gel¨andeebene haben wir somit     10 0  + µ  12  . 0 ~x = λ  −1,10 −1,40

Nun ist es m¨oglich, auch die Koordinaten des zu bestimmenden Eckpunkts C zu berechnen. Der zugeh¨orige Ortsvektor ergibt sich f¨ur die Parameterwerte λ = 1 und µ = 1:

7.4

Hyperebenen in Gleichungsform

− → − → −→ AC = 1 · AB + 1 · AD     0 10  + 1 ·  12  0 = 1· −1,40 −1,10   10 =  12  −2,50

Demzufolge liegt der vierte Eckpunkt D um exakt 2,50 m tiefer als der Eckpunkt A. ◭

7.4

Hyperebenen in Gleichungsform

Geraden sind eindimensionale Gebilde. Liegen diese in der zweidimensionalen Ebene, so liegt die Dimension damit genau um 1 unterhalb der Dimension der Ebene. Ebenso verh¨alt es sich bei Ebenen im Raum. Die Dimension einer Ebene ist 2 und liegt damit exakt um 1 unterhalb der Dimension des dreidimensionalen Raumes. Derartige Gebilde, welche diese Eigenschaften haben, eine um 1 niedrigere Dimension gegen¨uber der des umgebenden Raumes zu besitzen, bezeichnet man als Hyperebenen. Solche Hyperebenen erlauben neben der u¨ blichen Punkt-Richtungs-Form ¨ noch eine weitere Darstellung, die des Ofteren n¨utzlich ist.

Hyperebene

Wir betrachten zun¨achst Geraden in der Ebene und hier ein spezielles Beispiel.

Beispiel 7.9

Koordinatengleichung einer Geraden

Eine Gerade g in der Ebene ist mittels der Parameterdarstellung       x −3 1 = +λ , λ ∈R 1 y 2 gegeben. Wir wissen aus der Theorie der affinen Funktionen, dass eine nicht zur y-Achse parallele Gerade sich in der Form y = a0 + a1 x, also in Form einer Gleichung der Koordinaten x, y, beschreiben l¨asst. Es stellt sich damit die Frage, wie wir von der obigen Punkt-Richtungs-Form zu dieser Darstellung kommen. Hierzu l¨osen wir in der Koordinatendarstellung x = −3 + λ y = 1 + 2λ

209

210

7 Analytische Geometrie

die erste Gleichung nach dem Parameter λ auf und erhalten zun¨achst

λ = 3 + x. Setzen wir diese Beziehung in die zweite Gleichung ein, so ergibt sich y = 1 + 2(3+x) = 7 + 2x oder auch 2x − y = −7. Diese Gleichung nennt man eine Koordinatengleichung der Geraden. Da man diese Gleichung nat¨urlich noch mit beliebigen Zahlen multiplizieren kann, ist sie nur bis auf ein Vielfaches bestimmt. Aus der Koordinatengleichung l¨asst sich durch Umstellen auch die von den affinen Funktionen bekannte Darstellung y = 2x + 7 gewinnen. Es ist nun umgekehrt von Interesse, ob und wie man ggf. aus der Koordinatengleichung wieder die urspr¨ungliche Punkt-RichtungsForm gewinnen kann. Hierzu machen wir die obigen Schritte r¨uckg¨angig. Wir setzen

λ := 3 + x und erhalten somit x = −3 + λ y = 7 + 2(−3+ λ ) = 1 + 2λ . Da die Variable x die ganzen reellen Zahlen durchl¨auft, ist dies auch f¨ur die Gr¨oße λ richtig. Wir haben somit die urspr¨ungliche Parameterdarstellung       x 1 −3 = +λ λ ∈R , y 1 2 wiedergewonnen. Nat¨urlich lassen sich aus der affinen Funktionsgleichung y = 7 + 2x auch weitere Parameterdarstellungen der Geraden herleiten. Nahe liegender als die obige Einf¨uhrung des Parameters λ ist die Einf¨uhrung eines neuen Parameters λ¯ u¨ ber die Beziehung

λ¯ := x.

7.4

Hyperebenen in Gleichungsform

Es ergibt sich dann y = 7 + 2λ¯ und als Parameterdarstellung       1 0 x , = + λ¯ 2 y 7

λ¯ ∈ R.

Diese Parameterdarstellung beschreibt selbstverst¨andlich die gleiche Punktmenge wie die erste. Wir haben lediglich einen anderen Basispunkt auf der Geraden g. ◭

Es ist einleuchtend, dass es mit dem im obigen Beispiel geschilderten Verfahren immer m¨oglich ist, aus einer Parameterdarstellung einer Geraden die Koordinatengleichung zu gewinnen. In dem Fall, dass sich die erste Gleichung nicht nach dem Parameter λ aufl¨osen l¨asst, kann man aufgrund der Tatsache, dass f¨ur den Richtungsvektor ~r 6= ~0 gilt, die zweite Gleichung nach λ aufl¨osen. Man erh¨alt durch Elimination des Parameters λ stets eine Koordinatengleichung der Form ax + by = c. Alle Punkte der Ebene, die diese Koordinatengleichung erf¨ullen, liegen auf der Geraden. Umgekehrt kann man durch die Einf¨uhrung einer Variablen x oder y als Parameter λ aus der Koordinatengleichung immer wieder eine Punkt-Richtungs-Form der Geraden herleiten. Wir werden nun auch f¨ur Ebenen im Raum eine derartige Koordinatengleichung einf¨uhren. Die Vorgehensweise orientiert sich an derjenigen, welche wir bei Geraden in Ebenen verwendet haben. Das Verfahren soll wieder anhand eines Beispiels demonstriert werden.

Beispiel 7.10 Wir wollen eine Koordinatengleichung der Ebene ε mit der Parameterdarstellung         1 1 1 x  y  =  −2  + λ  0  + µ  −1  , λ ,µ ∈ R 1 3 0 z

Koordinatengleichung einer Ebene

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212

7 Analytische Geometrie

bestimmen. Hierzu m¨ussen wir in der Koordinatendarstellung x = 1+λ +µ y = −2 − µ z = λ + 3µ die Parameter λ und µ eliminieren. Man erh¨alt aus der zweiten Gleichung

µ = −2 − y und damit aus der ersten

λ = −1 + x − µ = −1 + x − (−2 − y) = 1 + x + y. Setzt man diese beiden Beziehungen in die verbleibende dritte Gleichung ein, so ergibt sich als Koordinatengleichung der Ebene z = 1 + x + y + 3(−2−y) = −5 + x − 2y bzw. x − 2y − z = 5. Umgekehrt kann man aus der Koordinatengleichung die urspr¨ungliche Punkt-Richtungsform der Ebene wiedergewinnen, indem man die Parameter entsprechend

λ := 1 + x + y µ := −2 − y w¨ahlt. Nahe liegender ist aber die Wahl

λ¯ := x µ¯ := y. Man erh¨alt dann die Darstellung x = λ¯ y = µ¯ z = −5 + λ¯ − 2 µ¯ bzw. als zweite m¨ogliche Punkt-Richtungs-Form         0 x 1 0  y  =  0  + λ¯  0  + µ¯  1  . −5 z 1 −2

Nat¨urlich wird auch durch diese Darstellung die urspr¨ungliche Ebene ε repr¨asentiert. ◭

7.5

Schnittprobleme

Zur Berechnung der Koordinatengleichung einer Ebene aus einer Parameterdarstellung eliminiert man also die Parameter λ und µ und erh¨alt letztendlich eine Gleichung ax + by + cz = d der Variablen x, y, z. Alle Punkte des Raumes, welche diese Koordinatengleichung erf¨ullen, liegen in der Ebene. Umgekehrt l¨asst sich durch Einf¨uhrung von Parametern λ und µ aus der Koordinatengleichung eine Punkt-Richtungs-Form der Ebene rekonstruieren.

7.5

Schnittprobleme

In der Praxis muss man oft Geraden und Ebenen schneiden. Das prinzipielle Vorgehen zur L¨osung dieser Schnittprobleme soll anhand einiger Beispiele vorgestellt werden.

Beispiel 7.11

Fortfuhrung ¨ Fluglinien

Wir greifen das Beispiel 7.1 in Abschnitt 7.1 auf und bestimmen, wo sich die beiden Fluglinien von Frankfurt nach Berlin und von M¨unchen nach Hamburg schneiden. Die Flugh¨afen haben in dem gegebenen Koordinatensystem die Koordinaten Frankfurt Berlin

(8,6 | 50,0) (13,3 | 52,6)

M¨unchen Hamburg

(11,8 | 48,3) (10,0 | 53,6).

Damit ergibt sich als Parameterdarstellung der ersten Fluglinie g von Frankfurt nach Berlin      ! 8,6 13,3 8,6 g : ~x = +λ · − 50,0 52,6 50,0     8,6 4,7 = +λ . 50,0 2,6 Als Parameterdarstellung der zweiten Fluglinie h von M¨unchen nach Hamburg erhalten wir entsprechend      ! 11,8 10,0 11,8 h : ~x = +µ· − 48,3 53,6 48,3     11,8 −1,8 = +µ 48,3 5,3 mit einem zweiten Parameter µ . Wir suchen den Schnittpunkt beider Fluglinien, also einen Punkt P, der auf beiden Geraden g und h

Schnitt zweier Geraden

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214

7 Analytische Geometrie

liegt. Der zugeh¨orige Ortsvektor ~p l¨asst sich demzufolge u¨ ber beide Parameterdarstellungen erreichen:       p1 8,6 4,7 = +λ · ~p = 50,0 p2 2,6     −1,8 11,8 = +µ· 5,3 48,3 Aus dieser Gleichheit resultiert       4,7 1,8 3,2 +µ = . λ 2,6 −5,3 −1,7 bzw. das lineare Gleichungssystem 4,7 λ + 1,8 µ = 3,2 2,6 λ − 5,3 µ = −1,7 f¨ur die Parameter λ und µ . Die eindeutige L¨osung dieses Gleichungssystems berechnet sich u¨ ber das Gauß’sche Eliminationsverfahren oder unter Ausnutzung eines Computeralgebrasystems n¨aherungsweise als

λ = 0,47 µ = 0,55. Dies bedeutet, dass sich beide Geraden in dem Punkt mit dem Ortsvektor     8,6 4,7 ~p = + 0,47 · 50,0 2,6     −1,8 11,8 = + 0,55 · 5,3 48,3   10,8 = 51,2 schneiden, also im Punkt mit den Koordinaten P(10,8 | 51,2). Nat¨urlich h¨atte es gen¨ugt, diesen Punkt u¨ ber die Parameterdarstellung einer Geraden zu bestimmen, die Rechnung u¨ ber die zweite Gerade best¨atigt nur das Ergebnis. ◭

7.5

Beispiel 7.12 Wir wollen u¨ berpr¨ufen, f¨ur welche Konstante c sich im dreidimensionalen Raum die zwei Geraden mit den Parameterdarstellungen     1 −1 g : ~x =  0  + λ  2  −1 1     −2 −3 h : ~x =  5  + µ  c  −1 0 schneiden.

Zur L¨osung dieses Problems m¨ussen wir einen Punkt P suchen, der auf beiden Geraden liegt. Der zugeh¨orige Ortsvektor ~p muss also der Bedingung       p1 1 −1 ~p =  p2  =  0  + λ  2  p3 −1 1     −3 −2 =  5 +µ c  0 −1

gen¨ugen, d. h. insbesondere, dass die drei Gleichungen 1 − λ = −3 − 2 µ 2λ = 5 + cµ −1 + λ = −µ

gleichzeitig erf¨ullt sein m¨ussen. Dies f¨uhrt auf das lineare Gleichungssystem −λ + 2 µ = −4 2λ − cµ = 5 λ + µ = 1. Um die L¨osbarkeit dieses linearen Gleichungssystems zu diskutieren, m¨ussen wir das Gauß-Eliminationsverfahrens durchf¨uhren. Wir erhalten nacheinander in Matrizenschreibweise:   − −1 2 −4 ←   ← −  2 −c 5  ← −← − 1 1 1   (1) (−2) 1 1 1   −+ −1 2 −4 ← ←−−−−− + 2 −c 5

Schnittprobleme

Schnitt zweier Geraden mit Parameter

215

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7 Analytische Geometrie

 1  0 0  1  0 0  1  0 0

 1  −3 | · 13 3  1 1 ← −+  1 (−1) (c + 2) −1 −c − 2 3 ←−−−−−−− +  0 2  1 −1  0 −c + 1 1 3 −c − 2

Die ersten beiden Gleichungen liefern die Bedingungen

λ = 2 µ = −1, w¨ahrend die letzte Gleichung besagt, dass zus¨atzlich 0 = −c + 1 gelten muss. Dies bedeutet, dass das Gleichungssystem nur dann l¨osbar ist und damit sich die zwei Geraden nur unter der Bedingung schneiden, falls c = 1 gilt. Der Ortsvektor zum Schnittpunkt ergibt sich dann u¨ ber die Parameterdarstellungen der beiden Geraden zu       −1 1 p1 ~p =  p2  =  0  + 2  2  1 −1 p3     −2 −3 =  5 −1 1  −1 0   −1 =  4 , 1

d.h˙ der Punkt hat die Koordinaten P(−1 | 4 | 1). Auch hier h¨atte f¨ur die Bestimmung des Schnittpunkts das Einsetzen der L¨osung in eine Parameterdarstellung gen¨ugt. Da die beiden Richtungsvektoren nie Vielfache voneinander sein k¨onnen, sind die beiden Geraden f¨ur keinen Wert von c parallel. Demzufolge laufen im Fall c 6= 1 die beiden Geraden g und h aneinander vorbei. Man sagt, dass dann die Geraden windschief sind. ◭

7.5

Schnittprobleme

Schnitt Gerade-Ebene

Beispiel 7.13 Ein Hobbyastronom m¨ochte von seinem Zimmer aus mit seinem Fernrohr eine Mondfinsternis beobachten. Er weiß, dass er zu dem besagten Zeitpunkt die Zielrichtung des Fernrohrs so einstellen muss, dass es sich in einem geeigneten Meter-Koordinatensystem durch die Geradengleichung     0 −10 ~x = ~p + λ ~r =  0  + λ  3  6 1 beschreiben l¨asst.

Leider befindet sich vor seinem Fenster ein Haus mit einer Dachfl¨ache, welche ihm m¨oglicherweise die Sicht auf den Mond versperrt. In dem gew¨ahlten Koordinatensystem hat ein Endpunkt A des Dachfirstes die Koordinaten A(−34 | 6 | 10). Die Dachbegrenzungen sind durch die Vektoren     5 6 ~a =  10  , ~b =  −3  −6 0 A

~r

~a

~b

gegeben (vgl. Skizze). Uns interessiert, ob der Hobbyastronom mit seinem Fernrohr die Mondfinsternis beobachten kann oder ob ihm die Dachfl¨ache im Weg ist. Dazu pr¨ufen wir, ob der Beobachtungsstrahl die Dachfl¨ache mit der Parameterdarstellung       −34 6 5 ~x =  6  + µ  10  + ν  −3  , 0 ≤ µ , ν ≤ 1 10 0 −6

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7 Analytische Geometrie

schneidet. Dies l¨auft auf eine Gleichsetzung der Parameterdarstellungen von Gerade und Ebene hinaus. Man erh¨alt in Koordinaten − 10 λ = −34 + 6 µ + 5 ν 3λ = 6 + 10 µ − 3 ν 6 + λ = 10 − 6ν bzw. das lineare Gleichungssystem −10 λ − 6 µ − 5 ν = −34 3 λ − 10 µ + 3 ν = 6 λ + 6ν = 4. L¨ost man dieses lineare Gleichungssystem z. B. mithilfe eines Computeralgebrasystems, so erh¨alt man

λ =

31 10

µ =

3 8

ν =

3 . 20

Offensichtlich liegen die Parameter µ , ν zwischen 0 und 1, d. h. die Dachfl¨ache wird von dem Sehstrahl getroffen, der Hobbyastronom kann von seinem Standpunkt aus die Mondfinsternis nicht beobachten. Die Koordinaten des Schnittpunkts erh¨alt man durch Einsetzen der gefundenen Parameter z. B. in die Geradengleichung.     0 −10 31 ~x =  0  +  3  10 6 1     −31 −31,00 93 =  10  =  9,30  91 9,10 10

Diesem Ergebnis kann man insbesondere entnehmen, dass das als Hindernis auftretende Haus um 90 cm zu hoch ist, um die Mondfinsternis beobachten zu k¨onnen. ◭

Fortfuhrung ¨ Dachkehle

Beispiel 7.14

Schnitt zweier Ebenen

Wir kommen auf das Beispiel 7.3 im einleitenden Abschnitt 7.1 zur¨uck und betrachten die zwei schraffierten, mit 30◦ geneigten Dachfl¨achen ε1 , ε2 , welche sich in der skizzierten Art schneiden. Wir fragen nach dem Neigungswinkel der Dachkehle, also der Schnittgeraden g.

7.5

z g

ε1

ε2 O

x y

Zur Beantwortung dieser Frage ben¨otigen wir zun¨achst eine Parameterdarstellung der Ebene in einem geeigneten Koordinatensystem. Hierzu w¨ahlen wir den Ursprung O am unteren Beginn der Schnittkehle und die x- und y-Achse in Richtung der beiden Dachtraufen (vgl. Skizze). In diesem Koordinatensystem lassen sich die beiden Dachfl¨achen aufgrund der gleichen Steigung von tan (ϕ ) = tan (30◦ ) =

sin (30◦ ) = cos (30◦ )

folgendermaßen parametrisieren:  1 ε1 : ~x = λ1  0 0  0 ε2 : ~x = λ2  1 0









1 2 √ 1 2

1 = √ 3 3

 0  + µ1  −1  √1 3

 −1  + µ2  0  √1 3

F¨ur die Berechnung der Schnittlinie g m¨ussen die beiden Parameterdarstellungen gleichgesetzt werden:         0 −1 1 0 λ1  0  + µ1  −1  = λ2  1  + µ2  0  √1 √1 0 0 3 3

Dies f¨uhrt auf das folgende lineare Gleichungssystem f¨ur die Parameter λ1 , µ1 , λ2 , µ2 :

λ1 −

+ µ1 − λ2 √1 µ1 − 3

µ2 = 0 = 0 √1 µ2 = 0 3

Schnittprobleme

219

220

7 Analytische Geometrie

Man k¨onnte dieses Gleichungssystem wieder mithilfe des Gauß-Eliminationsverfahrens l¨osen, doch sieht man bei der einfachen Bauart des Gleichungssystems sofort, dass man z. B. den Parameter µ2 frei w¨ahlen kann und dadurch alle weiteren Unbekannten festgelegt sind. Kennzeichnen wir diesen freien Parameter mit ν , so erhalten wir als eindimensionale L¨osungsvielfalt

λ1 µ1 λ2 µ2

= = = =

−ν ν −ν ν.

Durch Einsetzen dieser Parameter in die Parameterdarstellung der Ebene ε1 erh¨alt man als Darstellung der Schnittgeraden     0 1 g : ~x = −ν ·  0  + ν ·  −1  √1 0 3   −1 = ν ·  −1  , ν ∈ R, √1 3

also eine Gerade mit dem Ursprung als Basispunkt. Nat¨urlich k¨amen wir auf die identische Parameterdarstellung der Schnittgeraden, wenn wir die Gr¨oßen λ2 , µ2 in der zweiten Ebenendarstellung ersetzen w¨urden. Gesucht ist der Neigungswinkel ϕ der Schnittgeraden. Hierzu brauchen wir die Steigung tan(ϕ ) des Richtungsvektors. ~r

√1 3

ϕ 1 1 Dieser berechnet sich gem¨aß der Skizze als tan(ϕ ) = √

√1 3 12 + 12

1 = √ . 6

Daraus ergibt sich als gesuchter Neigungswinkel der Schnittgeraden g   1 ∧ ϕ = arctan √ ≈ 0,388 = 22,2◦ . 6 ◭

7.6

7.6

Abstandsberechnungen

Abstandsberechnungen

Mithilfe der Vektorrechnung ist es m¨oglich, Abst¨ande zwischen Punkten, Geraden und Ebenen zu bestimmen. Derartige Probleme sind in der Anwendung durchaus von Bedeutung, wie nachfolgende Beispiele belegen. Das prinzipielle Vorgehen zur L¨osung von Abstandsproblemen wird anhand dieser Beispiele vorgestellt.

Abstand zur Grundstucksgrenze ¨

Beispiel 7.15 Geb¨aude m¨ussen aus baurechtlichen Gr¨unden zur Grundst¨ucksgrenze einen gewissen Mindestabstand dmin einhalten. In einem konkreten Beispiel ist in einem geeigneten Koordinatensystem (Einheiten in Meter) die Grundst¨ucksgrenze durch die Grenzsteine mit den Koordinaten A(1,25 | 3,50) und B(6,70 | 23,20) gegeben. Es ist geplant, ein Haus auf das rechts liegende Grundst¨uck zu bauen, welches eine Ecke mit den Koordinaten P(6,80 | 15,50) besitzt (vgl. untenstehende nicht maßst¨abliche Skizze). Wir wollen u¨ berpr¨ufen, ob an dieser Stelle der o¨ rtlich vorgeschriebene Grenzabstand von dmin = 2,50 eingehalten ist. b

y

F

B

d b

b

A

P

x

O Nat¨urlich wird der minimale Abstand senkrecht zur Grundst¨ucksgrenze angenommen. Wir m¨ussen also auf der Strecke AB einen Punkt F derart suchen, dass der Verbindungsvek− → −→ tor PF orthogonal zum Verbindungsvektor AB ist. Dies bedeutet, dass das entsprechende Skalarprodukt null ist.

Abstand zwischen Punkt und Gerade

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222

7 Analytische Geometrie

− → −→ 0 = AB · PF − → −→ −→ = AB · OF − OP − → h−→ − →i −→ = AB · OA + λ AB − OP       !  5,45 1,25 5,45 6,80 +λ = · − 3,50 19,70 19,70 15,50 !       −5,55 5,45 5,45 +λ = · 19,70 −12,00 19,70 = 5,45 · (−5,55 + 5,45 λ )+ 19,70 · (−12,00 + 19,70 λ )

≈ −30,25 + 29,70 λ − 236,40 + 388,09 λ = 417,79 λ − 266,65 Daraus resultiert

λ =

266,65 ≈ 0,638 417,79

und damit als Ortsvektor zum Lotfußpunkt F −→ −→ − → OF = OA + λ · AB     1,25 5,45 + 0,638 · = 3,50 19,70   4,73 ≈ . 16,07 Die k¨urzeste Verbindungslinie zwischen Hausecke P und Grenzlinie ist damit gegeben durch den Verbindungsvektor −→ −→ −→ PF = OF − OP     6,80 4,73 − = 15,50 16,07   −2,07 = . 0,57 Als Abstand des Punktes P zur Grenzlinie ergibt sich demzufolge q −→ d = PF = (−2,07)2 + 0,572 ≈ 2,15.

Der geforderte Mindestabstand dmin = 2,50 wird also nicht eingehalten. ◭

7.6

Abstandsberechnungen

Abstand zur Dachfl¨ache

Beispiel 7.16 Ein Architekt plant ein Haus mit Pultdach. In dem skizzierten Koordinatensystem (Einheiten in Meter) l¨asst sich das Dach beschreiben mithilfe der Punkt-Richtungs-Form ~x = ~p + λ ~r + µ ~s       12,50 0 0 =  0  + λ  0  + µ  9,00  , 0 −3,00 10,50

wobei aufgrund der der Dachbegrenzung λ , µ ∈ [0,1] gilt. Aus dem Pultdach ragt an der Grundrissstelle (4,00 | 5,50) ein Schornstein. Es stellt sich die Frage, wie hoch dieser Schornstein sein muss, damit das Ende den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von 1,50 zur Dachfl¨ache einh¨alt. z E ~s ~r

~p

F

O y

x

Bezeichnen wir die zu bestimmende H¨ohe mit h, so hat das Ende des Schornsteins die Koordinaten E(4,00 | 5,50 | h). Nat¨urlich wird der minimale Abstand orthogonal zur Dachfl¨ache angenommen. Wir ben¨otigen also einen Punkt F auf dem Dach derart, dass der Verbin−→ dungsvektor EF senkrecht auf der Dachebene steht. Nun ist dieser Verbindungsvektor genau dann orthogonal zur Dachfl¨ache, wenn er orthogonal zu den beiden linear unabh¨angigen Spannvektoren der Ebene ist, also wenn −→ −→ ~r · EF = 0 und ~s · EF = 0.

Abstand zwischen Punkt und Ebene

223

224

7 Analytische Geometrie

Die erste Orthogonalit¨atsbeziehung f¨uhrt auf −→ 0 =~r  · EF −→ −→ =~r · OF − OE  −→ =~r · [~p + λ ~r + µ ~s ] − OE         0 12,50 12,50 0 =  0  · 0 + λ  0  + µ  9,00  10,50 0 0 −3,00   4,00 − 5,50 h         12,50 −4,00 12,50 0 =  0  · −5,50  + λ  0  + µ  9,00  0 10,50 − h 0 −3,00 = 12,50 · (−4,00 + 12,50 λ )+ 0 · (−5,50 + 9,00 µ ) + 0 · (10,50 − h − 3,00 µ ) = 156,25 λ − 50,00.

Ebenso erh¨alt man u¨ ber die zweite obige Orthogonalit¨atsbeziehung −→ 0 =~s  · EF −→ −→ =~s · OF − OE  −→ =~s · [~p + λ ~r + µ ~s ] − OE         0 0 12,50 0 =  9,00  · 0  + λ  0  + µ  9,00  10,50 −3,00 0 −3,00   4,00 −5,50 h         0 12,50 0 −4,00 =  9,00  · −5,50 + λ  0  + µ  9,00  −3,00 0 −3,00 10,50−h = 0 · (−4,00 + 12,50 λ )+ 9,00 · (−5,50 + 9,00 µ ) − 3,00 · (10,50 − h − 3,00 µ ) = −49,50 + 81,00 µ − 31,50 + 3,00 h + 9,00 µ = 90,00 µ − 81,00 + 3,00 h.

Insgesamt erhalten wir folgendes und in diesem speziellen Fall leicht zu l¨osende lineare Gleichungssystem: 156,25 λ

= 50,00 90,00 µ = 81,00 − 3,00 h

7.6

Als L¨osung ergibt sich abh¨angig von der noch festzulegenden H¨ohe h

λ = 0,320 µ ≈ 0,900 − 0,0333 h, sodass wir den Lotfußpunkt F u¨ ber den Ortsvektor −→ OF = ~p + λ ~r + µ ~s     12,50 0 =  0  + 0,320  0  10,50 0   0 + (0,900 − 0,0333 h)  9,00  −3,00   4,00 ≈  8,10 − 0,3 h  7,80 + 0,1 h

bekommen. Den k¨urzesten Abstand zwischen Schornsteinende E und Dachfl¨ache erhalten wir u¨ ber den Verbindungsvektor

als

−→ −→ −→ EF = OF − OE     4,00 4,00 =  8,10 − 0,3 h  −  5,50  h 7,80 + 0,1 h   0 =  2,60 − 0,3 h  7,80 − 0,9 h q −→ d = EF = 02 + (2,60 − 0,3 h)2 + (7,80 − 0,9 h)2.

Damit dieser Abstand die erforderliche Mindestgr¨oße von 1,50 einh¨alt, ergibt sich die Mindesth¨ohe u¨ ber die Beziehung 2 dmin = 1,502 = (2,60 − 0,3 h)2 + (7,80 − 0,9 h)2

= 0,9 h2 − 15,60 h + 67,60.

Diese quadratische Gleichung kann man entweder mit der L¨osungsformel oder einem Computeralgebrasystem l¨osen. Es ergeben sich auf jeden Fall die zwei m¨oglichen H¨ohen h1 ≈ 10,25

und

h2 ≈ 7,09.

Abstandsberechnungen

225

226

7 Analytische Geometrie

Da der Schornstein u¨ ber und nicht unter der Dachfl¨ache endet, m¨ussen wir die gr¨oßere der beiden M¨oglichkeiten w¨ahlen. Wir erhalten also als notwendige Schornsteinh¨ohe h = 10,25. Obwohl nicht notwendig, ist es jetzt problemlos m¨oglich, auch die Koordinaten des Lotfußpunkts F zu bestimmen. Es ist       4,00 4,00 4,00 −→  OF = 8,10 − 0,3 h  =  8,10 − 0,3 · 10,25  =  5,03  . 7,80 + 0,1 h 7,80 + 0,1 · 10,25 8,83 Insbesondere liegt also der Lotfußpunkt tats¨achlich innerhalb der Dachfl¨ache. Ansonsten w¨are nat¨urlich eine andere Aufgabe zu l¨osen, n¨amlich die Bestimmung des k¨urzesten Abstands eines Punkts zum Dachfirst, also zu einer Geraden. ◭

Aus der Diskussion der ersten beiden Beispiele l¨asst sich bereits das prinzipielle Vorgehen zur Bestimmung minimaler Abst¨ande zwischen Punkten, Geraden und Ebenen ableiten. Man bestimmt zun¨achst einen Verbindungsvektor, welcher zu der Geraden bzw. Ebene orthogonal ist. Die L¨ange dieses Verbindungsvektors ist dann der gesuchte Abstand. Dieses Verfahren l¨asst sich auch zur Bestimmung des minimalen Abstands zwischen zwei windschiefen Geraden anwenden, wie folgendes Beispiel belegt.

Abstand im Tetraeder

Beispiel 7.17

Abstand zwischen zwei windschiefen Geraden

Viele chemische Molek¨ule (z. B. das Molek¨ul CH4 , vgl. Beispiel 6.4 in Abschnitt 6.1) haben die Form eines regelm¨aßigen Tetraeders. Die Ecken eines solchen Tetraeders haben in einem geeigneten Koordinatensystem die Koordinaten A(1 | 0 | 0), B(0 | 1 | 0), C(0 | 0 | 1) und D(1 | 1 | 1). z C

D

g O

h B

x A

y

7.6

Wir fragen uns, wie weit die jeweils gegen¨uber liegenden Kanten voneinander entfernt sind. Aufgrund der Symmetrie ist es einleuchtend, dass nur ein Geradenpaar untersucht werden muss. Die anderen Geradenpaare haben den gleichen Abstand. Wir betrachten z. B. das Geradenpaar g = AC und h = BD. Diese beiden Geraden haben die Parameterdarstellungen     1 −1 −→ − → g : ~x = OA + λ AC =  0  + λ  0  0 1     1 0 −→ −→ h : ~x = OB + µ BD =  1  + µ  0  . 1 0 Der Verbindungsvektor zwischen den beiden Geraden, welcher den k¨urzesten Abstand repr¨asentiert, muss zu beiden Geraden orthogonal sein. W¨are dies n¨amlich nicht der Fall, k¨onnte man den Abstand der Verbindungslinie dadurch verk¨urzen, dass man ein Ende in Richtung zur Orthogonalit¨at hin bewegt. b

b

Wir suchen also einen Verbindungsvektor zwischen den beiden windschiefen Geraden, der orthogonal zu den beiden Geradenrichtungen ist. Bezeichnen wir die Lotfußpunkte mit Fg und Fh , so f¨uhrt dies auf die Bedingungen − → −−→ 0 = AC · Fg Fh − → −−→ −−→ = AC · OFh − OFg − → h−→ − →i −→i h−→ = AC · OB + µ BD − OA + λ AC            −1 0 1 −1 1 =  0 ·1+ µ 0− 0 + λ  0  1 0 1 1 0         −1 1 1 −1 =  0 · 1  + λ  0 + µ 0 0 −1 1 1 = (−1) · (−1 + λ + µ ) + 0 · 1 + 1 · (−λ + µ ) = −2λ + 1

Abstandsberechnungen

227

228

7 Analytische Geometrie

und −→ −−→ 0 = BD · Fg Fh −→ −−→ −−→ = BD · OFh − OFg − →i −→ h−→ −→i h−→ = BD · OB + µ BD − OA + λ AC           0 1 1 1 −1 = 0 ·1+ µ  0 − 0 + λ  0  0 0 1 1 1         −1 1 1 1 = 0 ·  1  + λ  0 + µ 0 0 1 −1 1 = 1 · (−1 + λ + µ ) + 0 · 1 + 1 · (−λ + µ ) = 2 µ − 1.

Das entstandene lineare Gleichungssystem 2λ

= 1 2µ = 1

ist einfach l¨osbar. Wir erhalten

λ = µ =

1 2 1 2,

d. h. die Lotfußpunkte liegen genau in der Mitte der Kanten: 1     1 −1 2 −−→ −→ − → OFg = OA + λ AC =  0  + 12  0  =  0  1  21  1 0  1 0 2 −−→ −→ −→ OFh = OB + µ BD =  1  + 12  0  =  1  1 0 1 2

Als minimalen Abstand zwischen den beiden windschiefen Geraden g und h erhalten wir  1   1    0 −−→ 2 2 d = Fg Fh =  1  −  0  =  1  = 1. 1 1 0 2 2

Aus Symmetriegr¨unden betr¨agt auch der Abstand zwischen den anderen gegen¨uberliegenden Kanten jeweils 1 und die Lotfußpunkte liegen auch dort genau in der Mitte der Kanten. ◭

7.7

7.7

Winkelberechnungen

Winkelberechnungen

Aufgrund der Definition des Skalarprodukts ist es problemlos m¨oglich, den Winkel ϕ zwischen zwei Geraden g: h:

Winkel zwischen zwei Geraden

~x = ~p + λ ~r ~x = ~q + µ ~s

zu berechnen. Er ergibt sich als Winkel zwischen den beiden Richtungsvektoren, also gem¨aß Abschnitt 6.1 u¨ ber cos(ϕ ) =

~r ·~s . |~r| · |~s|

Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Geraden sich schneiden oder nicht. Mit unseren Kenntnissen ist es auch m¨oglich, den Winkel zwischen einer Geraden und einer Ebene zu bestimmen. Da Winkel zun¨achst nur zwischen Vektoren bzw. Geraden definiert sind, m¨ussen wir uns zuerst dar¨uber klar werden, was wir unter dem Schnittwinkel zwischen einer Geraden g und einer Ebene ε verstehen. Hierzu legen wir orthogonal zur Ebene ε eine Ebene η durch die Gerade g. Diese Ebene η schneidet die urspr¨ungliche Ebene ε in einer Geraden h. Der Winkel zwischen den beiden Geraden g und h wird dann als Winkel ϕ zwischen der Geraden g und der Ebene ε bezeichnet.

Winkel zwischen Gerade und Ebene

g

η ~n π 2 −ϕ

~r

h

ϕ

ε

Ein Vektor, der orthogonal zu den Richtungsvektoren einer Ebene ist, wird ein Normalenvektor der Ebene genannt. Aufgrund der Skizze ist es einleuchtend, dass der Winkel zwischen dem Richtungsvektor~r der Geraden g und einem Normalenvektor ~n der Ebene ε gerade π2 − ϕ betr¨agt. Diesen Sachverhalt kann man sich f¨ur die Berechnung des Schnittwinkels ϕ zwischen Gerade und Ebene zunutze machen. Man berechnet u¨ ber die Beziehung π  ~r ·~n cos −ϕ = 2 |~r| · |~n|

Normalenvektor

229

230

7 Analytische Geometrie

den Winkel π2 − ϕ zwischen der Geradenrichtung und der Normalenrichtung und kann daraus den Schnittwinkel ϕ zwischen der Geraden und der Ebene ableiten.

Beispiel 7.18 Wir wollen den Schnittwinkel ϕ zwischen der Geraden     1 −1 g : ~x = ~p + λ ~r =  −1  + λ  2  −1 4 und der Ebene

ε:

     1 2 −1 ~x = ~q + µ ~s + ν~t =  1  + µ  0  + ν  4  4 0 −1 

bestimmen.

Hierzu ben¨otigen wir zun¨achst einen Normalenvektor ~n der Ebene ε . Diesen erhalten wir am einfachsten u¨ ber das Vektorprodukt       −16 2 1 ~n = ~s ×~t =  0  ×  4  =  8  . 4 0 4

Damit ergibt sich der Winkel u¨ ber

π 2

− ϕ der Geraden g zur Normalen

   −16 −1  2 · 8   π 4 4 ~r ·~n    cos −ϕ = =  2 |~r| · |~n| −1 −16  2  ·  8  4 4 

zu

(−1) · (−16) + 2 · 8 + 4 · 4 p = p (−1)2 + 22 + 42 · (−16)2 + 82 + 42 48 48 48 4 √ = √ = √ = = 84 7 21 · 336 7 056

  4 π ∧ ≈ 0,963 = 55,2◦ . − ϕ = arccos 2 7 Der Schnittwinkel zwischen der Geraden g und der Ebene ε betr¨agt demzufolge   π 4 ∧ ≈ 0,608 = 34,8◦ . ϕ = − arccos 2 7 ◭

7.7

H¨aufig ben¨otigt man auch den Winkel zwischen zwei Ebenen ε1 und ε2 . Dieser Schnittwinkel wird folgendermaßen definiert. Man legt orthogonal zu beiden Ebenen ε1 , ε2 (und damit auch zur Schnittgeraden) eine Hilfsebene η , welche aus ε1 und ε2 zwei Geraden g1 und g2 ausschneidet. Der Winkel ϕ zwischen diesen beiden Geraden ist dann der Schnittwinkel zwischen den zwei Ebenen ε1 und ε2 .

η g2

~n1

ϕ

ϕ

~n2

g1

ε1

ε2

Wie beim Winkel zwischen Gerade und Ebene gibt es auch hier eine recht einfache Methode zur Bestimmung des Winkels ϕ . Man bestimmt zu jeder der beiden Ebenen ε1 , ε2 einen Normalenvektor n1 bzw. n2 , also einen Vektor, der orthogonal zu der entsprechenden Ebene ist. Der Winkel zwischen diesen beiden Vektoren entspricht dann dem Schnittwinkel der beiden Ebenen. Man erh¨alt demzufolge den gesuchten Schnittwinkel ϕ u¨ ber die Formel cos(ϕ ) =

~n1 ·~n2 . |~n1 | · |~n2 |

Beispiel 7.19 Ein Kirchturm besitzt als Dach eine vierseitige Pyramide mit quadratischem Grundriss. Die Seitenl¨ange des Grundrissquadrats betr¨agt 10 m. Die Spitze liegt zentral genau 20 m u¨ ber dem Grundquadrat. Wir fragen nach dem Neigungswinkel sowie dem Schnittwinkel der Pyramidenseiten.

Winkelberechnungen

Winkel zwischen zwei Ebenen

231

232

7 Analytische Geometrie

z

ε1

γ

ε2

y

x

Zur L¨osung dieses Problems beschreiben wir den Sachverhalt im skizzierten Koordinatensystem. Darin haben die dem Betrachter zugewandten Seiten die Parameterdarstellungen       10 0 −5 ε1 : ~x =  0  + λ1  10  + µ1  5  0 0 20

und

ε2 :

     0 10 5 ~x =  10  + λ2  0  + µ2  −5  . 0 0 20 

Die Grundfl¨ache hat die triviale Parameterdarstellung     1 0 γ : ~x = λ3  0  + µ3  1  . 0 0

Als n¨achstes bestimmen wir zu den drei Ebenen orthogonale Normalenvektoren. Dies realisieren wir am einfachsten wieder u¨ ber das Vektorprodukt der Spannvektoren. Wir erhalten somit als Normalenvektor auf die Ebene ε1       200 −5 0 ~n1 =  10  ×  5  =  0  . 50 20 0

Ebenso erhalten wir einen Normalenvektor auf die Ebene ε2 als       0 5 10 ~n2 =  0  ×  −5  =  −200  −50 20 0

7.7

und einen Normalenvektor auf die Grundfl¨ache γ als       1 0 0 ~n3 =  0  ×  1  =  0  . 0 0 1

Jetzt lassen sich die gestellten Fragen beantworten. Der Neigungswinkel der Seitenfl¨achen ergibt sich als Schnittwinkel ϕ der Ebene ε1 mit der Grundfl¨ache γ . Es ergibt sich ~n1 ·~n3 200 · 0 + 0 · 0 + 50 · 1 √ = √ 2 |~n1 | · |~n3 | 200 + 02 + 502 · 02 + 02 + 12 50 50 1 √ = √ = = √ . 42 500 50 · 17 17 Damit ergibt sich der gesuchte Neigungswinkel zu   1 ∧ ≈ 1,326 = 76,0◦ . ϕ = arccos √ 17 Aufgrund der Symmetrie sind die Neigungswinkel der u¨ brigen Seitenfl¨achen nat¨urlich ebenso groß. Der Schnittwinkel ψ zweier benachbarter Pyramidenseiten ergibt sich u¨ ber cos(ϕ ) =

~n1 ·~n2 |~n1 | · |~n2 | 200 · 0 + 0 · (−200) + 50 · (−50) p = √ 2002 + 02 + 502 · 02 + (−200)2 + (−50)2 −2 500 = 42 500 1 = − 17

cos(ψ ) =

zu

  1 ∧ ψ = arccos − ≈ 1,630 = 93,4◦ . 17

π −ψ ψ

Da es immer zwei Schnittwinkel gibt, die sich zusammen zu ∧ π = 180◦ erg¨anzen, und man u¨ blicherweise den Winkel kleiner π ∧ ◦ 2 = 90 als Schnittwinkel angibt, ergibt sich somit als Schnittwinkel der Pyramidenseiten ε1 und ε2 ∧

ψ¯ = π − ψ ≈ 1,512 = 86,6◦ . Wegen der Symmetrie sind die u¨ brigen Schnittwinkel angrenzender ◭ Pyramidenseiten genau so groß.

Winkelberechnungen

233

234

7 Analytische Geometrie

7.8

Kreis und Kugel

Kreise begegnen uns h¨aufig im Alltag und spielen in der Anwendung eine wichtige Rolle. Dies ergibt sich allein schon aus der Bedeutung des Rades f¨ur die Zivilisation. Hinzu kommen viele Gebilde mit kreisf¨ormigem Querschnitt wie Trinkgl¨aser, Tonnen oder R¨ohren. Oftmals muss man sogar ganze Systeme von Kreisen betrachten, so z. B. bei Zahnradgetrieben. Aber nicht nur bei der Beschreibung von Objekten kommen vielfach Kreise vor, auch bei der Angabe von Reichweiten elektronischer Ger¨ate treten Kreise auf. So bedeutet bei einem schnurlosen Telefon mit der Reichweite von 300 m, dass man sich mit dem H¨orer innerhalb eines Kreises mit der Basisstation als Mittelpunkt und einem Radius von 300 m bewegen darf. Wenn eine Baumverordnung vorschreibt, dass zur Pflanzung weiterer B¨aume ein Mindestabstand von 5 m zu einem bestehenden Baum einzuhalten ist, bedeutet dies, dass in einem Kreis mit einem Radius von 5 m um den bestehenden Baum keine weiteren B¨aume gepflanzt werden d¨urfen. Ebenso spielen Kugeln in der Anwendung eine zentrale Rolle. Neben kugelf¨ormigen Gebilden wie B¨allen oder Gasbeh¨altern oder auch der Erde treten Kugeln z. B. bei der dreidimensionalen Ausbreitung von Signalen auf. Wir wollen uns zun¨achst der Beschreibung von Kreisen in der zweidimensionalen Ebene zuwenden. X

y

d(X,M) = r b

~x

O

M ~m

x

Ein Kreis mit dem Mittelpunkt M und dem Radius r besteht aus allen Punkten X, die von M den Abstand d(M,X) = r haben. In einem kartesischen Koordinatensystem mit dem Koordinatenursprung O gilt demzufolge −→ −−→ d(X,M) = OX − OM = r. −→ −−→ Benennen wir nun OX =~x und OM = ~m, so ergibt sich q |~x − ~m| = (~x − ~m)2 = r.

Durch Quadrieren erh¨alt man daraus die Kreisgleichung in der Ebene.

7.8

Kreisgleichung Alle Punkte des Kreises k mit dem Radius r und dem Mittelpunkt M(m1 | m2 ) mit dem Ortsvektor ~m sind gegeben durch (~x − ~m)2 = r2

k: bzw. in Koordinaten k:

(x − m1 )2 + (y − m2 )2 = r2 .

Beispiel 7.20 Wir wollen ausgehend vom Ursprung O die Tangenten an den Kreis mit dem Mittelpunkt M(15 | − 5) und dem Radius r = 9 legen. y g1 X1 b

15

x

O −5 b

X2

b

g2 Die Gleichung des Kreises ist nach dem obigen Satz gegeben durch k:

(x − 15)2 + (y + 5)2 = 92 .

Geraden durch den Ursprung erlauben den Koordinatenursprung als Basispunkt der Geraden. Sie lassen sich somit parametrisieren in der Form g:

~x = λ ~r.

Da die Tangenten nicht parallel zur y-Achse sind, k¨onnen wir die Gerade speziell in der Form     x 1 = λ g : ~x = y c

Kreis und Kugel

Kreisgleichung

235

236

7 Analytische Geometrie

ansetzen. Als Tangente muss die Gerade g mit dem Kreis genau einen Schnittpunkt besitzen. Wir m¨ussen demzufolge den Richtungsvektor~r so einrichten, dass sich beim Einsetzen der Geradenparametrisierung in die Kreisgleichung nur eine einzige L¨osung f¨ur λ ergibt: (λ −15)2 + (cλ +5)2 = 92 Durch Ausmultiplizieren erhalten wir

λ 2 − 30λ + 225 + c2 λ 2 + 10cλ + 25 = 81 bzw.  c2 +1 λ 2 + (10c−30) λ + 169 = 0.

Als L¨osung dieser quadratischen Gleichung ergibt sich mit der L¨osungsformel oder einem Computeralgebrasystem √ −5c + 15 ± −144c2 − 150c + 56 . λ1/2 = c2 + 1 Damit sich f¨ur die Gerade nur ein Schnittpunkt mit dem Kreis ergibt, muss der Ausdruck unter der Wurzel verschwinden: −144c2 − 150c + 56 = 0 Als L¨osungen dieser quadratischen Gleichung ergeben sich c1 =

7 ≈ 0,29 24

c2 = −

4 ≈ −1,33. 3

Demzufolge lauten die Gleichungen der beiden Tangenten     1 1 , g1 : ~x = λ ≈ λ 7 0,29 24     1 1 g2 : ~x = λ . ≈ λ −1,33 − 43 Die Ber¨uhrpunkte mit dem Kreis erhalten wir durch Einsetzen der konkreten Werte des Parameters λ . Im Fall der ersten Tangente g1 ergibt sich nach der obigen Formel √ 7 + 15 −5 · 24 −5c1 + 15 ± 0 312 λ = = 12,48 = = 2 2 7 25 c1 + 1 + 1 2 24

und als Ortsvektor zum Ber¨uhrpunkt X1      312  312 1 12,48 25 = . ~x1 = = 7 91 3,64 25 24 25

7.8

Ebenso ergibt sich im Fall der zweiten Tangente g2  √ −5 · − 34 + 15 −5c2 + 15 ± 0 39 λ = = = = 7,80 42 5 c22 + 1 2 +1 3

und als Ortsvektor zum Ber¨uhrpunkt X2    39    39 1 7,80 5 = ~x2 = = . −10,40 − 34 − 52 5 5 ◭

Punkte von Kugeln im Raum haben wie Kreise in der Ebene einen festen Abstand r vom Mittelpunkt M. Von daher verl¨auft die Argumentation vollst¨andig analog. z X d(X,M) = r

~x

b

M ~m O y x

In einem kartesischen Koordinatensystem mit dem Ursprung O gilt also f¨ur alle Punkte X auf der Kugel −→ −−→ d(X,M) = OX − OM = r

bzw.

|~x − ~m| =

q (~x − ~m)2 = r,

wobei ~m der Ortsvektor zum Kugelmittelpunkt M und ~x der Ortsvektor zum Kugelpunkt X ist. Daraus ergibt sich durch Quadrieren die nachfolgende Kugelgleichung.

Kreis und Kugel

237

238

7 Analytische Geometrie

Kugelgleichung

Kugelgleichung Alle Punkte der Kugel K mit dem Radius r und dem Mittelpunkt M(m1 | m2 | m3 ) mit dem Ortsvektor ~m sind gegeben durch K:

(~x − ~m)2 = r2

bzw. in Koordinaten K:

Fortfuhrung ¨ ¨ Offnungswinkel einer Antenne eines geostation¨aren Satelliten

(x − m1 )2 + (y − m2 )2 + (z − m3 )2 = r2 .

Beispiel 7.21 Wir greifen das Beispiel 7.4 in Abschnitt 7.1 auf und betrachten einen Satelliten, der in einer geostation¨aren H¨ohe von h = 35 860 km die Erde umkreist. Da die Erde selbst eine Kugel mit dem Radius r = 6 370 km ist, bedeutet dies, dass sich der Satellit in einer Entfernung von r + h = 42 230 km vom Erdmittelpunkt befin¨ det. Gefragt ist nach dem ben¨otigten Offnungswinkel ϕ der Antenne, um den ganzen beobachtbaren Teil der Erde erfassen zu k¨onnen. z

O y

ϕ x

Wir ben¨otigen zun¨achst ein geeignetes kartesisches Koordinatensystem, in dem sich der Sachverhalt einfach berechnen l¨asst. Hierzu legen wir den Ursprung O in den Erdmittelpunkt und den Satelliten auf die x-Achse. Als Einheit w¨ahlen wir naheliegenderweise km.

7.8

In diesem Koordinatensystem hat der Satellit die Koordinaten S(42 230 | 0 | 0) und die Erde die Gleichung ~x2 = x2 + y2 + z2 = 6 3702 . Die Antenne des Satelliten muss den ganzen von ihr aus sichtbaren Teil der Erde beobachten k¨onnen. Sie muss demzufolge einen Drehkegel erfassen, der die Erde l¨angs eines Kreises ber¨uhrt. ¨ Um den ben¨otigten Offnungswinkel der Antenne zu erhalten, brauchen wir nur den Winkel einer Mantellinie zur Drehachse zu bestimmen. Wir setzen diese Mantellinie so an, dass sie in der (x,z)-Ebene liegt. Wir machen also einen Ansatz der Form       x 42 230 −1  + λ  0 . 0 g : ~x =  y  =  z 0 c

Die Mantellinie darf als Tangente an die Kugel mit derselben nur einen gemeinsamen Punkt haben. Wir k¨onnen demzufolge genau so wie in Beispiel 7.20 vorgehen. Beim Einsetzen der Geradengleichung in die Kugelgleichung darf sich nur eine L¨osung f¨ur λ ergeben: (42 230 − λ )2 + (0 + 0 · λ )2 + (0 + cλ )2 = 6 3702 Multiplizieren wir die linke Seite aus, so ergibt sich 42 2302 − 84 460 λ + λ 2 + c2 λ 2 = 6 3702 bzw.  c2 +1 λ 2 − 84 460 λ + 1 742 796 000 = 0.

Als L¨osung dieser quadratischen Gleichung erhalten wir   √ 10 4 223 ± 405 769 − 17 427 960 c2 λ1/2 = . c2 + 1 Damit wir nur einen Ber¨uhrpunkt mit der Kugel erhalten, muss der Ausdruck unter der Wurzel verschwinden: 405 769 − 17 427 960 c2 = 0 Dies f¨uhrt auf c = ±

r

405 769 ≈ ±0,1526. 17 427 960

Kreis und Kugel

239

240

7 Analytische Geometrie

Da wir uns nur f¨ur eine Mantellinie interessieren, k¨onnen wir uns auf eine der beiden L¨osungen beschr¨anken. Eine Mantellinie des die Erde ber¨uhrenden Drehkegels hat also die Parameterdarstellung       42 230 x −1 +λ  . 0 0 g : ~x =  y  =  0 z 0,1526 ¨ Der gesuchte Offnungswinkel ϕ zur Achse ergibt sich nun als Winkel zwischen dieser Mantellinie und der Drehachse, welche aufgrund unserer Wahl des Koordinatensystems mit der negativ gerichteten x-Achse zusammenf¨allt. Wir erhalten     −1 −1  · 0  0 0,1526 0    cos (ϕ ) =  −1 −1   ·  0  0 0,1526 0 (−1) · (−1) + 0 · 0 + 0,1526 · 0 p (−1)2 + 02 + 0,15262 · 1 1 = p 1 + 0,15262 ≈ 0,989

=

und damit ∧

ϕ = arccos(0,989) ≈ 0,151 = 8,7◦ . Die Antenne des Satelliten muss also gegen¨uber der Achse einen ¨ Offnungswinkel von mindestens 8,7◦ besitzen. Nur dann kann sie auf einmal den ganzen vom Satelliten erreichbaren Teil der Erde erfassen. ◭

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 7.2 7.1

Bestimmen Sie jeweils eine Parameterdarstellung der Geraden durch die Punkte P und Q.

a) P (1|3), Q (5|4)

b) P (3|0), Q (1|1)

d) P (1|0|2), Q (2|0|4)

e) P (1|0| − 2), Q (1|0|2)

c) P (0|0), Q 2| − 21



f) P (3|0|π ), Q (0|0|0)

7.2 Berechnen Sie eine Parameterdarstellung der Geraden durch die Punkte P und Q. Wie kann man bestimmen, wo diese Geraden die Koordinatenebenen schneiden? Berechnen Sie jeweils diese Schnittpunkte. a) P (4|6|2), Q (5|7|3) b) P (4|3| − 1), Q (2|1| − 1) c) P (1| − 2|4), Q (−2|4| − 8) 7.3

Welche Beziehung muss zwischen den Parameterdarstellungen der beiden Geraden g:

~x = ~p + λ ·~r

~x = ~q + µ ·~s

h:

vorliegen, damit sie parallel sind? Unter welcher Voraussetzung sind die beiden Geraden identisch? ¨ 7.4 Uberlegen Sie sich, welche der folgenden Aussagen korrekt und welche falsch sind. Begr¨unden Sie die richtigen Aussagen mithilfe der Punkt-Richtungs-Form von Geraden bzw. widerlegen Sie die falschen mit einem Gegenbeispiel. a) Zwei Geraden, die zu einer dritten Geraden parallel sind, sind auch zueinander parallel. b) Zwei Geraden im Raum, welche orthogonal zu einer dritten sind, sind parallel. c) Zwei sich schneidende, parallele Geraden sind identisch. ¨ 7.5 Uberpr¨ ufen Sie jeweils, ob folgende Punkte auf einer Geraden liegen. a) P (1|2), Q (3|3), R (7|5)

b) P (3| − 1), Q (2|1), R (1|0)

c) P (2|0|3), Q (3|1|2), R (0| − 2|1)

7.6

d) P (1|2| − 3), Q (−2,5| − 5|7,5), R(0|0|0)

Geben Sie f¨ur die durch eine affine Funktion y = a0 + a1 x

beschriebene Gerade eine Parameterdarstellung an. Wann l¨asst sich umgekehrt die Parameterdarstellung einer Geraden in der Ebene in die Form einer affinen Funktion umformen? Wie sieht ggf. die affine Funktion aus? 7.7 In dem skizzierten Koordinatensystem sind die Koordinaten dreier Ecken eines Hauses gegeben. Beschreiben Sie alle Kanten des Hauses in Punkt-Richtungs-Form. z

(5|12|12)

(10|12|7) y

x

(10|12|0)

241

242

7 Analytische Geometrie

Abschnitt 7.3 7.8 Bestimmen Sie jeweils eine Parameterdarstellung der Ebene durch die Punkte P, Q und R. a) P (2|0|1), Q (2|3|4), R (3|1|0) b) P (1|0| − 1), Q (2| − 3|1), R (0| − 2| − 1) √   √   c) P (0|0|0), Q (1|0|0), R (0|0|1) d) P 0|17| π , Q 1| 21 | − 2 , R −π |0| 23 7.9

¨ Uberlegen Sie sich, warum ein dreibeiniger Tisch nie wackeln kann.

7.10 a) Unter welcher Bedingung sind die Gerade g und die Ebene ε mit den Parameterdarstellungen g : ~x = ~q + ν ·~a ε : ~x = ~p + λ ·~r + µ ·~s parallel? Unter welcher Zusatzbedingung liegt die Gerade g sogar in der Ebene ε ? b) Unter welcher Bedingung sind die beiden Ebenen ε1 und ε2 mit den Parameterdarstellungen

ε1 : ~x = ~p1 + λ1 ·~r1 + µ1 ·~s1 ε2 : ~x = ~p2 + λ2 ·~r2 + µ2 ·~s2 parallel? Unter welcher Zusatzbedingung sind die beiden Ebenen identisch? ¨ 7.11 Uberpr¨ ufen Sie jeweils, ob die vier Punkte A, B,C, D in einer Ebene liegen. a) A (1|2|0), B (2|2|1), C (2|4|3), D (3|4|4) b) A (0|0|0), B (1|0|0), C (0|1| − 1), D (0|0|2) c) A (1| − 1|0), B (0| − 2|0), C (0|1| − 1), D (1|2| − 1)

7.12 In dem skizzierten Koordinatensystem wird dem Einheitsw¨urfel ein Achtflach (Oktaeder) einbeschrieben. Die Ecken des Achtflachs liegen auf den Fl¨achenmitten der W¨urfelquadrate. Beschreiben Sie alle durch die Seitenfl¨achen des Achtflachs bestimmten Ebenen in Punkt-Richtungs-Form. z 1

O x

1

1 y

Aufgaben

7.13 Durch die Parameterdarstellung ~x = ~p + λ~r + µ~s ¨ ist eine Ebene gegeben. Skizzieren Sie in einer Uberlegungsfigur die Teilmengen der Ebene, welche durch die folgenden Bedingungen festgelegt werden. a) λ ≥ 0 b) λ ≥ 0 und µ ≥ 0 c) 0 ≤ λ ≤ 1 und 0 ≤ µ ≤ 1 d) λ + µ = 1

e) λ + µ ≤ 1

f) λ ≥ 0 und µ ≥ 0 und λ + µ ≤ 1

Abschnitt 7.4 7.14 Bestimmen Sie jeweils eine Koordinatengleichung der folgenden Geraden.         a) 0 2 b) 2 −1 ~x = +λ ~x = +λ 1 1 1 4 c)

~x =



1 3







0 1



d)

~x =



1 2

−1







− 23 −4



7.15 Berechnen Sie eine Parameterdarstellung folgender Geraden, die jeweils durch eine Koordinatengleichung gegeben sind. Fertigen Sie eine Skizze an. a) x − y = 3 b) 2x + 3y = 1 c) − 12 x + 23 y = 0 c) x = −1 7.16 Zeigen Sie, dass die beiden Geraden mit den Koordinatengleichungen g : ax + by = c

h : ax + by = d

(a, b, c, d = const.)

parallel sind.

7.17 Bestimmen Sie jeweils eine Koordinatengleichung der Ebene und leiten Sie aus dieser wieder eine einfache Punkt-Richtungs-Form der Ebene her.       a) 0 1 0 ~x =  1  + λ  0  + µ  −1  2 2 2       b) 0 1 0 ~x =  1  + λ  1  + µ  1  2 0 2       c) 0 −1 3 ~x =  1  + λ  4  + µ  −2  −1 2 0    1    1 1 d) 2 −3  + λ  0  + µ  0  ~x =  √ −1 − 21 2 7.18 Die Punkte P (−3|0|0), Q (2| − 1|0), R (0|4|0) und S (0|0|3) bestimmen eine dreiseitige Pyramide im Raum. a) Fertigen Sie eine Skizze der Pyramide an. b) Bestimmen Sie die Koordinatengleichungen der vier Ebenen, welche die Pyramide begrenzen.

243

244

7 Analytische Geometrie

Abschnitt 7.5 7.19 Berechnen Sie jeweils den Schnittpunkt der beiden Geraden g1 , g2 . Fertigen Sie zun¨achst eine Skizze an.         a) 1 1 3 −1 g1 : ~x = +λ g2 : ~x = +µ 2 −1 1 2 b) c)

g1 :

x − 3y = 1

g1 :

~x =



5 −1







−3 2



g2 :

−2x + y = 3

g2 :

2x + y = 1

7.20 Wir betrachten im Anschauungsraum das Dreieck mit den Ecken A(4|2|1), B(8|0|6) und C(6|10|2). Berechnen Sie die Koordinaten des Schwerpunkts S, also den Schnittpunkt der drei Seitenhalbierenden. Pr¨ufen Sie insbesondere f¨ur diesen Fall explizit nach, dass sich die drei Geraden in einem Punkt schneiden. 7.21 F¨ur welche Zahlen c sind die beiden Geraden parallel, f¨ur welche c schneiden sie sich in genau einem Punkt und f¨ur welche c sind sie windschief? K¨onnen die Geraden auch identisch sein?     c c g1 : ~x =  −2  + λ  −1  c 1     −c −2c g2 : ~x =  1  + µ  2  c −c ¨ 7.22 Berechnen Sie jeweils die Schnittmenge der Geraden g mit der Ebene ε . Uberpr¨ ufen Sie Ihr Ergebnis mit einem Computeralgebrasystem. Was bedeutet das Ergebnis geometrisch?           a) 0 1 2 −1 −1 g : ~x =  1  + λ  1  ε : ~x =  1  + µ  0  + ν  1  2 −1 3 1 2           b) 1 0 0 1 −1 g : ~x =  1  + λ  −1  ε : ~x =  1  + µ  −1  + ν  0  0 2 0 0 2     c) 1 2 g : ~x =  −1  + λ  −1  ε : 2x + y − z = −2 5 2     d) −4 1 g : ~x =  −1  + λ  2  ε : x − 3y + 2z = 1 1 3

7.23 Bestimmen Sie jeweils eine Parameterdarstellung der Schnittgeraden der Ebene ε mit den drei Koordinatenebenen.       a) −3 2 1 ε : ~x =  2  + λ  −1  + µ  2  4 1 −2 b)

ε:

3x − 4y + 12z = 12

Aufgaben

7.24 Eine Gel¨andeebene ist durch eine Parameterdarstellung ~x = ~p + λ ~r + µ ~s gegeben. Eine H¨ohenlinie dieser Ebene ist eine Gerade in dieser Ebene mit der konstanten H¨ohe h. Man kann eine H¨ohenlinie als die Schnittgerade der beiden Ebenen ~x = ~p + λ ~r + µ ~s und z = h interpretieren. a) Berechnen Sie Parameterdarstellungen der H¨ohenlinien f¨ur die Ebene       2 1 0 ~x =  1  + λ  0  + µ  −1  . 3 −1 1 ¨ b) Uberlegen Sie sich allgemein, dass die H¨ohenlinien einer nicht horizontalen Ebene immer parallel sind. Weisen Sie diesen Sachverhalt auch rechnerisch nach.

Abschnitt 7.6 7.25 Bestimmen Sie jeweils den Abstand des Punktes A von der Geraden g.     a) 2 1 A(1|0) g : ~x = +λ 0 −1     b) 4 −3 A(1| − 2) g : ~x = +λ 2 1 c) d)

A(−3|2)

g:

A(7| − 3|6)

g:

3x + 4y = 9     1 0 ~x =  2  + λ  2  5 −3

7.26 Gegeben ist das Dreieck mit den Ecken A(6|5), B(−1|6), C(4| − 2). a) Skizzieren Sie das Dreieck in der Koordinatenebene. b) Berechnen Sie die Abst¨ande der Ecken zur jeweils gegen¨uberliegenden Seite des Dreiecks. c) Bestimmen Sie jeweils eine Parameterdarstellung der H¨ohen des Dreiecks und weisen Sie f¨ur dieses Dreieck explizit nach, dass sich die drei H¨ohen in einem Punkt schneiden.

7.27 Eine geradlinige Straße durch den Punkt P(−2|5) soll so gelegt werden, dass sie von den zwei markanten Punkten A(−4|1) und B(3| − 7) den gleichen Abstand hat. Bestimmen Sie eine Parameterdarstellung der Straße. Ist die L¨osung eindeutig? Fertigen Sie zun¨achst eine Skizze an. 7.28 Berechnen Sie jeweils den Abstand des Punktes A von der Ebene ε .       a) 0 2 0 A(−2|3| − 1) ε : ~x =  0  + λ  0  + µ  3  27 1 1       b) 3 4 2 A(8|3|4) ε : ~x =  5  + λ  −4  + µ  −8  −1 −2 2 c) A(1|5|12)

ε:

−2x + y + 2z = 9

245

246

7 Analytische Geometrie

7.29 Berechnen Sie die H¨ohe der Pyramide mit dem Grunddreieck A(2|0|1), B(6| − 2|3), C(0| − 6| − 7) und der Spitze S(−1| − 8|2). 7.30 Zeigen Sie, dass die Gerade g: zu der Ebene



   3 −1 ~x =  3  + λ  2  −2 1

ε:

x + 2y − 3z = 1

parallel ist. Wie groß ist der Abstand zwischen diesen beiden Gebilden?

7.31 Berechnen Sie den Abstand zwischen den beiden windschiefen Geraden     5 15 g : ~x =  −2  + λ  6  1 2     1 6 h : ~x =  0  + µ  2  1 1

sowie eine Parameterdarstellung des Gemeinlots, also der Verbindungslinie zwischen den beiden Lotfußpunkten auf den beiden Geraden.

7.32 In einem Meter-Koordinatensystem soll ein Roboterarm geradlinig vom Punkt A(0|0|0) zum Punkt B(1,60|1,60|1,40) und gleichzeitig ein zweiter Arm geradlinig vom Punkt C(0|0|1,20) zum Punkt D(1,60|1,40|0) bewegt werden. Der vorgeschriebene Mindestsicherheitsabstand zwischen den beiden Bahnen betr¨agt 0,10 m. Wird dieser Mindestabstand eingehalten?

Abschnitt 7.7 7.33 Berechnen Sie jeweils den Winkel zwischen den Geraden g und h.         a) 2 1 1 1 g : ~x = +λ h : ~x = +µ 1 0 0 −1       b) −1 1 1 g : ~x = +λ h : ~x = µ 3 2 −2     c) 2 5 g : ~x = +λ h : 5x + 3y = 7 −5 3         d) 1 1 6 1 g : ~x =  −4  + λ  −1  h : ~x =  4  + µ  0  0 3 −7 3         e) −2 1 1 −3 g : ~x =  −9  + λ  3  h : ~x =  0  + µ  −9  1 −2 1 6

Aufgaben

7.34 Berechnen Sie jeweils den Winkel zwischen der Geraden g und der Ebene ε .           a) 1 1 0 1 0 g : ~x =  1  + λ  1  ε : ~x =  0  + µ  0  + ν  1  −1 1 1 0 1         b) −1 1 0 5 g : ~x =  5  + λ  5  ε : ~x = µ  1  + ν  −3  2 4 7 −6     c) 3 2 g : ~x =  0  + λ  1  ε : −3x + 4y + 2z = 1 −2 1

7.35 Ein vertikaler Sendemast der H¨ohe 120 Meter steht in einem eben ansteigenden Gel¨ande, welches in einem geeigneten lokalen Koordinatensystem (Einheiten in Meter) durch die Gleichung y + z = 0 angen¨ahert werden kann. Dieser Sendemast hat seinen Fußpunkt im Ursprung und wird durch drei an der Spitze angreifende Stahlseile stabilisiert. Ein Stahlseil liegt in der (x,z)-Ebene, die beiden anderen sind symmetrisch im Winkel von 120◦ angeordnet. Alle Seile treffen auf der Erde in einem Abstand von 30 m vom Fußpunkt des Mastes auf. Fertigen Sie zun¨achst eine Skizze an und berechnen Sie dann die Winkel der drei Stahlseile zum Sendemasten und zur Gel¨andeebene. 7.36 Eine Ebene ε soll durch den Ursprung gehen und mit allen drei Koordinatenebenen den gleichen Schnittwinkel haben. Bestimmen Sie eine Punkt-Richtungsform sowie eine Koordinatengleichung der Ebene. Ist die L¨osung eindeutig? Wie groß ist der Winkel zu den Koordinatenebenen? 7.37 Ein Tetraeder ist eine dreiseitige Pyramide, deren Kanten alle die gleiche L¨ange haben. a) Skizzieren und beschreiben Sie ein Tetraeder in einem geeigneten Koordinatensystem. b) Berechnen Sie die Schnittwinkel aneinander stoßender Kanten. c) Wie groß sind die Neigungswinkel der Kanten zu den entsprechenden Ebenen? d) In welchem Winkel schneiden sich die aneinander grenzenden Tetraederfl¨achen?

Abschnitt 7.8 7.38 Welche Gleichung hat ein Kreis mit dem Mittelpunkt M(2|3) und dem Radius r = 5? Liegen die Punkte P(−1| − 1) und Q(5|6) auf dem Kreis? Fertigen Sie zun¨achst eine Skizze an. ¨ 7.39 Uberpr¨ ufen Sie, ob sich die folgenden Kreise schneiden. Betrachten Sie hierzu die Mittelpunk¨ te und die Radien. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse mit einem Computeralgebrasystem und mittels einer Zeichnung. a) k1 : (x − 1)2 + (y + 3)2 = 16

k2 : (x + 3)2 + y2 = 9

b) k1 : (x + 6)2 + (y + 4)2 = 64 c) k1 : x2 − 26x + y2 + 22y + 34 = 0

k2 : x2 + 2x + y2 − 16y + 40 = 0 k2 : x2 + 16x + y2 − 30y = 0

7.40 Drei ehemalige Studienkollegen wohnen in K¨oln, M¨unchen und Berlin. In einem geeigneten Koordinatensystem l¨asst sich die Lage der St¨adte folgendermaßen beschreiben: K¨oln (7,0 | 50,9)

M¨unchen (11,8 | 48,3)

Berlin (13,3 | 52,6)

Die drei wollen sich wiedersehen und vereinbaren einen Treffpunkt, zu dem es jeder der drei Freunde via Luftlinie gleich weit hat. Welche Koordinaten hat der vereinbarte Treffpunkt?

247

248

7 Analytische Geometrie

7.41 Berechnen Sie die Gleichung der Kugel, welche den Mittelpunkt M(1|3| − 1) hat und die Ebene       1 1 0 ε : ~x =  −2  + λ  2  + µ  1  1 −1 −1 ber¨uhrt. Wie groß ist der Radius r und wo liegt der Ber¨uhrpunkt?

7.42 Berechnen Sie die Schnittpunkte der Geraden g mit der Kugel K.     a) 0 2 g : ~x =  −1  + λ  2  K : (x − 2)2 + (y − 1)2 + (z − 3)2 = 9 4 −1     b) 11 −7 g : ~x =  −6  + λ  8  K : x2 − 2x + y2 + 4y + z2 − 6z − 155 = 0 −24 15

7.43 Die Sonne erreicht zur Sommersonnenwende am 21./22. Juni ihren Zenit in 23,5◦ n¨ordlicher ¨ Breite, d. h. die Sonnenstrahlen treffen unter einem Winkel von 23,5◦ zur Aquatorebene geneigt auf der Erde auf. Ab welcher geografischen Breite ist demnach zur Sommersonnenwende die Mitternachtssonne zu beobachten, d. h. ab welcher geografischen Breite geht die Sonne nicht unter? Fertigen Sie zun¨achst eine Skizze an. Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Matrizen

8

Was sind Matrizen und wozu sind sie n¨ utzlich? Wie addiert und multipliziert man Matrizen? Kann man Matrizen invertieren? Und wenn ja, wie? Was ist die Determinante einer Matrix?

Anflug auf die K¨ uste von Andalusien

8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6

Transformationen in der Ebene und im Raum . Matrizenaddition und Matrizenmultiplikation . Invertieren von Matrizen . . . . . . . . . . . . . Koordinatentransformation . . . . . . . . . . . Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

250 252 263 268 272 283 293

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_8 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_8

249

8 Matrizen Matrizen, das sind im Wesentlichen Tabellen, sind z B. hilfreich zur Beschreibung von Koordinatentransformationen und Abbildungen. Von daher ist es sinnig, sich zun¨achst einmal damit zu besch¨aftigen, welche Operationen es f¨ ur Matrizen gibt. Zudem kann man quadratischen Matrizen eine Maßzahl, die sog. Determinante zuordnen, die in vielen Zusammenh¨angen hilfreich ist.

8.1

Transformationen in der Ebene und im Raum

¨ Des Ofteren ist man gezwungen, geometrische Sachverhalte in verschiedenen Koordinatensystemen darzustellen bzw. Objekte im Raum zu ver¨andern.

Beispiel 8.1 Die Grenzpunkte von Flurst¨ucken werden in Deutschland im sog. großfl¨achigen Gauß-Kr¨uger1 -Koordinatensystem verwaltet. Hierbei werden im Wesentlichen die um 500 000 erh¨ohte Meterzahl von einem gewissen Meridian (in Karlsruhe 9◦ o¨ stlicher L¨ange) als ¨ Rechtswert, also als x-Koordinate, und die Meterzahl vom Aquator 2 als Hochwert, d. h. als y-Wert, angegeben. In diesem globalen Koordinatensystem gibt es nat¨urlich riesige Koordinaten. So hat z. B. ein gewisser Punkt in Karlsruhe die Gauß-Kr¨uger-Koordinaten (3 455 230 | 5 429 185). ian

y

qu ator

Gauß-Kruger¨ Koordinaten

Me rid

250

¨ A

x

Derartige Koordinaten sind f¨ur die praktische Arbeit vollkommen ungeeignet. F¨ur die Vermessung vor Ort benutzt man ein lokales Koordinatensystem (x′ ,y′ ), dessen Ursprung in einem

8.1

Transformationen in der Ebene und im Raum

Grenzpunkt liegt und dessen Achsen im Idealfall entlang der Grundst¨ucksgrenzen verlaufen. In diesem lokalen Koordinatensystem werden z. B. die Maße eines neu gebauten Hauses aufgenommen. y y′ lokale s Koord inaten system x′

Gauß-Kr¨ugerKoordinatensystem

x

Um die lokalen Koordinaten in das u¨ bergeordnete Gauss-Kr¨ugerKoordinatensystem umzurechnen, ben¨otigt man eine geeignete Transformationsvorschrift. Wir werden sehen, dass sich diese Transformationsvorschrift vom lokalen System in das GaußKr¨uger-System und umgekehrt hervorragend mithilfe von Matrizen beschreiben l¨asst. ◭

Beispiel 8.2 3D-CAD-Systeme erlauben die Konstruktion eines dreidimensionalen K¨orpers in einer Grundposition. Anschließend kann das Objekt per Maus an beliebige Stellen und in beliebige Lagen bewegt werden. Sogar Vergr¨oßerungen und Verzerrungen sind m¨oglich.

1 2

Johann Heinrich Louis Kr¨uger, 1857–1923, deutscher Geod¨at.

Geod¨aten nennen oft den Hochwert die x-Koordinate und den Rechtswert die yKoordinate, d. h. sie arbeiten dann in einem Linkssystem. Wir wollen von dieser ansonsten nicht u¨ blichen Konvention hier keinen Gebrauch machen. Dar¨uber hinaus werden im Gauß-Kr¨uger-System aufgrund der Kugelgestalt der Erde die Koordinaten ortsabh¨angig mit einem Korrekturfaktor versehen. Auch das ber¨ucksichtigen wir bei unse¨ ren Uberlegungen der Einfachheit wegen nicht.

Transformationen von Objekten mit der Maus

251

252

8 Matrizen

z

y

x Wir werden sehen, dass wir auch derartige Bewegungen mithilfe von Matrizen beschreiben k¨onnen. Das CAD-System wandelt die Mausbewegung in eine Matrizenoperation um, wendet diese auf die markanten Punkte des K¨orpers an und visualisiert dann die entstehende Transformation auf dem Bildschirm. ◭

8.2 Matrix

Matrizenaddition und Matrizenmultiplikation

Matrizen sind uns bereits in Kapitel 4 begegnet. Zur L¨osung von linearen Gleichungssystemen hatten wir bei der Verwendung des GaußEliminationsverfahrens zur Vereinfachung der Schreibweise tabellarische Systeme der Form   α11 α12 · · · α1n  α21 α22 · · · α2n     .. .. ..  ..  . . . .  αm1 αm2 · · · αmn verwendet. Dabei waren die αi j die Koeffizienten des linearen Gleichungssystems. Es ist aber durchaus auch m¨oglich, Matrizen in vollkommen anderen Zusammenh¨angen zu verwenden. Letztendlich ist n¨amlich eine Matrix A nichts anderes, als eine Tabelle mit Zeilen und Spalten. Eine Matrix mit m Zeilen und n Spalten nennen wir kurz eine (m,n) (m,n)-Matrix.

8.2

Matrizenaddition und Matrizenmultiplikation

Beispiel 8.3 Bei Bundestagswahlen haben die wahlberechtigten B¨urger zwei Stimmen. Mit der Erststimme wird der Direktkandidat des Wahlkreises gew¨ahlt, mit der Zweitstimme bestimmt man die prozentuale Zusammensetzung des Bundestags. Dabei ist es durchaus u¨ blich, dass Erst- und Zweitstimme auf verschiedene Parteien verteilt werden. Am Wahlabend z¨ahlen die Wahlhelfer in den verschiedenen Wahlbezirken eines Wahlkreises die Stimmzettel aus und erstellen daraus eine Tabelle. Diese hat z. B. die folgende Form: Partei Partei Partei · · · Partei ung¨ultig C A B X Erststimmen 345 407 52 · · · 3 20 Zweitstimmen 353 385 78 · · · 2 24 Jeder Wahlbezirk erstellt eine derartige Tabelle. Wenn man sich auf den Aufbau der Tabelle geeinigt hat, gen¨ugt es, wenn man die konkreten Zahlen kennt. Die Zeilen- und Spalten¨uberschriften sind u¨ berfl¨ussig. Letztendlich stellt jeder Wahlbezirk eine Matrix der Gestalt   α11 α12 α13 · · · α1n α21 α22 α23 · · · α2n auf. M¨ochte man nun das Gesamtergebnis des Wahlkreises, so muss man alle Ergebnisse der Wahlbezirke zusammenz¨ahlen. Dies bedeutet, dass man alle Matrizen der Wahlbezirke komponentenweise aufsummieren muss.   ∑ α11 ∑ α12 ∑ α13 · · · ∑ α1n ∑ α21 ∑ α22 ∑ α23 · · · ∑ α2n ◭

Das Vorgehen der komponentenweisen Addition kommt in vielen Anwendungen von Tabellen zum Tragen und legt folgende Definition der Matrizenaddition nahe.

253

254

8 Matrizen

Matrizenaddition

Definition Die Addition zweier (m,n) (m,n)-Matrizen erfolgt komponentenweise:     α11 α12 · · · α1n β11 β12 · · · β1n  α21 α22 · · · α2n   β21 β22 · · · β2n       .. .. .. ..  +  .. ..  .. ..  . . . . . .   . . 

αm1 

αm2

···

α11 + β11  α21 + β21  :=  ..  . αm1 + βm1

αmn

βm1

βm2

α12 + β12 α22 + β22 .. .

··· ··· .. . ···

α1n + β1n α2n + β2n .. .

αm2 + βm2

···

αmn + βmn

βmn     

Nat¨urlich kann man gem¨aß dieser Definition nur Matrizen addieren, welche die gleiche Zeilen- und Spaltenanzahl besitzen. Es ist in Analogie zur S-Multiplikation eines Vektors nahe liegend, auch das Produkt einer Matrix mit einem Skalar γ komponentenweise zu definieren.

Matrizenmultiplikation mit einem Skalar

Definition Die Multiplikation eines Skalars γ mit einer (m,n) (m,n)Matrix erfolgt komponentenweise:     α11 α12 · · · α1n γ α11 γ α12 · · · γ α1n  γ α21 γ α22 · · · γ α2n   α21 α22 · · · α2n      :=  . γ .  . . .. . . ..  . .. . . ..   ..  .. . .  .

αm1 αm2 · · · αmn

γ αm1 γ αm2 · · · γ αmn

Diese Definition ist umso sinnvoller, da auch z. B. die Regel A + A= 2A  gilt, wobei nat¨urlich der Buchstabe A f¨ur eine ganze Matrix A = αi j steht. Wir ben¨otigen jetzt noch die Multiplikation zweier Matrizen. Wie diese sinnvoll eingef¨uhrt wird, machen wir uns wieder an einem Beispiel klar.

8.2

Matrizenaddition und Matrizenmultiplikation

Beispiel 8.4 Drei Energieversorger A, B und C teilen sich den Markt einer Region. Momentan hat die Firma A einen Marktanteil von 60 %, die Firma B einen Marktanteil von 30 % und die neu am Markt vertretene Firma C einen Anteil von 10 %. Eine Studie ergab, dass in den kommenden 2 Jahren jeweils Kundenbewegungen zu erwarten sind, die sich in folgenden Tabelle wiederfinden. im 1. Jahr von nach A B C

A

B

C

0,6 0,1 0,3

0,2 0,6 0,2

0,1 0,1 0,8

im 2. Jahr von nach A B C

A

B

C

0,8 0,1 0,1

0,1 0,7 0,2

0,3 0,2 0,5

Diese Tabellen sind so zu interpretieren, dass z. B. im ersten Jahr ein Anteil von 0,6 der Kunden von A bei dieser Firma bleibt, ein Anteil von 0,1 zu der Firma B und ein Anteil von 0,3 zur Firma C wechseln ¨ wird. In Matrizenform lauten die j¨ahrlichen Ubergangsmatrizen“ ”   0,6 0,2 0,1 1. Jahr: M1 =  0,1 0,6 0,1  0,3 0,2 0,8 

0,8 2. Jahr: M2 =  0,1 0,1

0,1 0,7 0,2

 0,3 0,2  . 0,5

Wir fragen uns, wie die Marktanteile der Firmen nach zwei Jahren sein werden. Hierzu berechnen wir zun¨achst die Marktanteile nach einem Jahr.

Entwicklung der Marktanteile von Energieversorgern uber ¨ zwei Jahre

255

256

8 Matrizen

Firma A: 0,6 · 60 % + 0,2 · 30 % + 0,1 · 10 % = 0,6 · 0,6 + 0,2 · 0,3 + 0,1 · 0,1 = 0,43 = 43 % Firma B: 0,1 · 60 % + 0,6 · 30 % + 0,1 · 10 % = 0,1 · 0,6 + 0,6 · 0,3 + 0,1 · 0,1 = 0,25 = 25 % Firma C: 0,3 · 60 % + 0,2 · 30 % + 0,8 · 10 % = 0,3 · 0,6 + 0,2 · 0,3 + 0,8 · 0,1 = 0,32 = 32 % Man schreibt diese durchgef¨uhrten Operationen gerne kurz in der Form      0,43 0,6 0,6 0,2 0,1  0,1 0,6 0,1   0,3  =  0,25  . 0,32 0,1 0,3 0,2 0,8

Hierbei stehen auf der rechten Seite in einem Vektor die Ergebnisse der Marktanteile der Firmen nach einem Jahr. Diese Ergebnisse ergeben sich, indem man die Elemente der Matrix zeilenweise mit den Vektorelementen der urspr¨unglichen Marktanteile multipliziert und anschließend aufaddiert, z. B. im Fall der Firma B    0,6 0,2 0,1 0,6  0,1 0,6 0,1   0,3  0,1 0,3 0,2 0,8   0,6 · 0,6 + 0,2 · 0,3 + 0,1 · 0,1 =  0,1 · 0,6 + 0,6 · 0,3 + 0,1 · 0,1  . 0,3 · 0,6 + 0,2 · 0,3 + 0,8 · 0,1

Letztendlich ergibt sich die i-te Komponente des Ergebnisvektors ¨ als Skalarprodukt der i-ten Zeile der Ubergangsmatrix M1 mit dem Vektor der urspr¨unglichen Marktanteile. Da wir die Marktanteile nach zwei Jahren ben¨otigen, m¨ussen wir das obige Verfahren mit der Matrix M2 und dem Ergebnisvektor wiederholen. Es ergibt sich    0,43 0,8 0,1 0,3  0,1 0,7 0,2   0,25  0,32 0,1 0,2 0,5   0,8 · 0,43 + 0,1 · 0,25 + 0,3 · 0,32 =  0,1 · 0,43 + 0,7 · 0,25 + 0,2 · 0,32  0,1 · 0,43 + 0,2 · 0,25 + 0,5 · 0,32     46,5 % 0,465 =  0,282  =  28,2 %  . 25,3 % 0,253 Das gleiche Ergebnis erhalten wir, wenn wir ein anderes Verfahren w¨ahlen. Wir verkn¨upfen analog zum obigen Verfahren die beiden

8.2

Matrizenaddition und Matrizenmultiplikation

Matrizen M2 und M1 in der Art, dass wir jeweils das Skalarprodukt der Zeilen in Matrix M2 mit den Spalten der Matrix M1 berechnen (Beispiel in Rot). Als Ergebnis ergibt sich aufgrund drei m¨oglicher Zeilen in Matrix M2 und drei m¨oglicher Spalten in Matrix M1 eine (3,3)-Matrix: 

M2 M1 =  

0,8

0,1

0,3

0,1

0,7

0,2

0,1

0,2

0,5

 

0,6

0,2

0,1

0,1

0,6

0,1

0,3

0,2

0,8

0,8·0,6+0,1·0,1+0,3·0,3

0,8·0,2+0,1·0,6+0,3·0,2

= 0,1·0,6+0,7·0,1+0,2·0,3

0,1·0,2+0,2·0,6+0,5·0,2



=

0,1·0,6+0,2·0,1+0,5·0,3 0,58

0,28

0,33

0,19

0,48

0,24

0,23

0,24

0,43



0,1·0,2+0,7·0,6+0,2·0,2

 

0,8·0,1+0,1·0,1+0,3·0,8



0,1·0,1+0,7·0,1+0,2·0,8 

0,1·0,1+0,2·0,1+0,5·0,8



Verkn¨upfen wir nun diese Matrix mit dem Vektor der Ausgangsanteile, so erhalten wir    0,6 0,58 0,28 0,33  0,19 0,48 0,24   0,3  0,1 0,23 0,24 0,43     46,5 % 0,465 =  0,282  =  28,2 %  , 25,3 % 0,253

also das gleiche Ergebnis wie bei der stufenweisen Berechnung. Diese Gleichheit ist nicht zuf¨allig. Wir h¨atten auf das Zwischenergebnis nach einem Jahr verzichten und sofort u¨ ber M2 M1 die Marktanteile nach zwei Jahren berechnen k¨onnen. H¨aufig ist diese zweite Methode vorteilhafter, da bei einer kleinen Variation der Ausgangsgr¨oßen sich das Matrizenprodukt M2 M1 nicht a¨ ndert, also nicht neu berechnet werden muss. ◭

Dieses Beispiel legt folgende Definition f¨ur das Produkt zweier Matrizen nahe.

257

258

8 Matrizen

Matrizenprodukt Definition Das Matrizenprodukt einer (m,n)-Matrix A mit einer (n,p)-Matrix B ist eine (m,p)-Matrix C, deren Komponenten γik sich u¨ ber das Skalarprodukt der i-ten Zeile der Matrix A mit der k-ten Spalte der Matrix B ergeben. Formelm¨aßig gilt   α11 α12 · · · α1n   β11 · · · β1k · · · β1p  .. ..  .. . .  . . .  .    β21 · · · β2k · · · β2p    αi1 αi2 · · · αin   .. .. ..  .. ..    . . . . .   . .. ..  ..  .. . . .  βn1 · · · βnk · · · βnp αm1 αm2 · · · αmn   γ11 · · · γ1k · · · γ1p  .. ..  .. .. ..  . . . .  .    :=  γi1 · · · γik · · · γip    . ..  .. .. ..  .. . . .  . γm1 · · · γmk · · · γmp mit

γik = αi1 β1k + αi2 β2k + · · · + αin βnk n

=

∑ αi j β jk

(i = 1, . . . ,m; k = 1, . . .,p).

j=1

Die Definition ist auch korrekt, wenn die zweite Matrix nur eine Spalte besitzt. In diesem Fall wird mit dem obigen Verfahren das Produkt einer Matrix mit einem Vektor definiert. Nat¨urlich kann man nur das Matrizenprodukt zwischen zwei Matrizen bilden, wenn die Anzahl der Spalten der ersten Matrix mit der Anzahl der Zeilen der zweiten Matrix u¨ bereinstimmt. Die Anzahl der Zeilen der ersten Matrix und die Anzahl der Spalten der zweiten Matrix d¨urfen durchaus verschieden sein.

Beispiel 8.5 Wir wollen die Matrizen   1 2  3 0  A =  −1 1  0 1

B =



2 −3

−2 0

1 4



8.2

Matrizenaddition und Matrizenmultiplikation

miteinander multiplizieren. Da die Matrix A 4 Zeilen und 2 Spalten, die Matrix B jedoch 2 Zeilen und 3 Spalten besitzt, kann man sehr wohl das Matrizenprodukt AB, nicht aber BA bilden. Es ergibt sich  1 2   2 −2 1  3 0  AB =   −3 0 4 −1 1 0 1   1·2+2·(−3) 1·(−2)+2·0 1·1+2·4 3·(−2)+0·0 3·1+0·4   3·2+0·(−3) = (−1)·2+1·(−3) (−1)·(−2)+1·0 (−1)·1+1·4  0·2+1·(−3) 0·(−2)+1·0 0·1+1·4   −4 −2 9  6 −6 3  . = −5 2 3  −3 0 4 



Wie man den bisherigen Beispielen bereits entnehmen kann, gestaltet sich die Berechnung von Matrizenprodukten als eine sehr aufwendige Operation. Hinzu kommt, dass aufgrund der Vielzahl von Multiplikationen und Additionen die Operation sehr anf¨allig f¨ur Rechenfehler ist. Von daher ist es n¨utzlich, wenn man sich im praktischen Einsatz Matrizenprodukte durch ein Computeralgebrasystem oder einen Taschenrechner mit Matrizenoperationen berechnen l¨asst. Wenden wir uns nun Rechenregeln zu, die in Verbindung mit Matrizenaddition und Matrizenmultiplikation gelten.

Satz

F¨ur Matrizen gelten folgende Rechenregeln:

A+B = B+A (A + B) +C = A + (B +C) (AB)C = A(BC) A(B +C) = AB + AC (A + B)C = AC + BC

Kommutativgesetz Addition Assoziativgesetz Addition Assoziativgesetz Multiplikation 1. Distributivgesetz 2. Distributivgesetz

Beweis Wir wollen exemplarisch nur das 1. Distributivgesetz  be weisen. Hierzu bezeichnen wir die drei Matrizen gem¨aß A = αi j ,

Rechenregeln fur ¨ Matrizenoperationen

259

260

8 Matrizen

    B = β jk , C = γ jk , d. h die Matrix A besteht aus den Elementen αi j , die Matrix B aus den Elementen β jk und die Matrix C aus den Elementen γ jk . Es ergibt sich dann !          A(B+C) = αi j = αi j β jk + γ jk β jk + γ jk n

∑ αi j

=

β jk + γ jk

j=1

n

n

!

n

j=1

j=1



=

αi j β jk + αi j γ jk

j=1

∑ αi j β jk + ∑ αi j γ jk

= =



!

n

=

∑ αi j β jk

j=1

!

+



!

n

∑ αi j γ jk

j=1

!

      αi j β jk + αi j γ jk

= AB + AC.

Entsprechend werden auch die u¨ brigen Regeln u¨ ber die Komponenten der Matrizen bewiesen.  Quadratische Matrix

Das Kommutativgesetz ist f¨ur die Matrizenmultiplikation nicht g¨ultig. Zum einen kann man bei ungleicher Spalten- und Zeilenzahl sowieso nicht beide Matrizenprodukte bilden. Doch sogar in dem Fall, dass Zeilenund Spaltenzahl gleich groß sind, also bei sog. quadratischen Matrizen, versagt das Kommutativgesetz.

Keine Kommutativit¨at fur ¨ das Matrizenprodukt

Satz F¨ur das Matrizenprodukt quadratischer (n,n)-Matrizen gilt im Allgemeinen nicht das Kommutativgesetz: AB 6= BA

Beweis Zum Beweis des Versagens des Kommutativgesetzes gen¨ugt ein Gegenbeispiel. W¨ahlen wir z.B.     1 1 1 0 A = B = , 0 1 1 1 so ergibt sich  AB =  =  BA =  =

1 0

1 1

2 1

1 1

1 1

0 1

1 1

1 2



1 1

0 1



=



1·1+1·1 0·1+1·1

1·0+1·1 0·0+1·1





1 0

1 1



=



1·1+0·0 1·1+1·0

1·1+0·1 1·1+1·1



 

.

8.2

Matrizenaddition und Matrizenmultiplikation

Da sich offensichtlich beide Ergebnisse unterscheiden, ist die Nichtg¨ultigkeit des Kommutativgesetzes bewiesen.  Von besonderem Interesse und sp¨ater sehr von Nutzen ist eine Matrizenoperation, bei welcher die Zeilen und Spalten vertauscht werden.

Definition

Transponierte einer Matrix

Unter der Transponierten einer Matrix   α11 α12 · · · α1n  α21 α22 · · · α2n    A =  . .. ..  ..  .. . . .  αm1 αm2 · · · αmn

versteht man die Matrix AT , welche aus der Matrix A durch Vertauschung von Spalten und Zeilen entsteht:   α11 α21 · · · αm1  α12 α22 · · · αm2    AT =  . ..  .. ..  .. . .  . α1n α2n · · · αmn

Beispiel 8.6 

1  −1   0  −2 −1

3 0 −1 1 0

T −2  1 0  1 = 3 −2 4 0

−1 0 0

0 −1 1

−2 1 4

 −1 0 0 ◭

mithilfe der Transposition ist es m¨oglich, das Skalarprodukt ~a ·~b zweier n-dimensionaler Vektoren als Matrizenprodukt darzustellen. Fasst man reelle Zahlen als (1,1)-Matrizen auf, so gilt n¨amlich       b1 b1 a1  b2   a2   b2  n       ~a ·~b =  .  ·  .  = ∑ a j b j = (a1 ,a2 , . . . ,an )  .  = ~aT~b.  ..   ..   ..  j=1 bn bn bn

Skalarprodukt als Matrizenprodukt

261

262

8 Matrizen

In Zusammenhang mit der Transposition ist der nachfolgende, allgemein g¨ultige Sachverhalt von Interesse.

Transpositionsregel fur ¨ Matrizenprodukte

Satz

F¨ur alle Matrizenprodukte gilt die Beziehung (AB)T = BT AT .

Beweis Wir wollen diesen Sachverhalt lediglich f¨ur den Spezialfall einer (3,2)-Matrix A und einer (2,2)-Matrix B nachpr¨ufen. Es ergibt sich     T α11 α12  β β 11 12  (AB)T =  α21 α22  β21 β22 α31 α32  T α11 β11 + α12 β21 α11 β12 + α12 β22 =  α21 β11 + α22 β21 α21 β12 + α22 β22  α31 β11 + α32 β21 α31 β12 + α32 β22   α11 β11 + α12 β21 α21 β11 + α22 β21 α31 β11 + α32 β21 = . α11 β12 + α12 β22 α21 β12 + α22 β22 α31 β12 + α32 β22 Andererseits ist T

T

B A = = =





β11 β12



  T α11 α12 T β12  α21 α22  β22 α31 α32   β21 α11 α21 α31 β22 α12 α22 α32

β11 β21

β11 α11 + β21 α12 β12 α11 + β22 α12

β11 α21 + β21 α22 β12 α21 + β22 α22

β11 α31 + β21 α32 β12 α31 + β22 α32



.

Damit gilt offensichtlich tats¨achlich (AB)T = BT AT . Entsprechend dieser Vorgehensweise kann auch der allgemeine Fall einer (m,n)-Matrix A und einer (n,p)-Matrix B behandelt werden.  Es gibt durchaus auch Matrizen, bei welchen die Transponierte AT mit der Ausgangsmatrix A u¨ bereinstimmt. Derartige Matrizen werden in den folgenden Kapiteln noch von zentraler Bedeutung sein.

Symmetrische Matrix

Definition Eine Matrix A, welche die Eigenschaft hat, dass ihre Transponierte AT mit der Ausgangsmatrix A u¨ bereinstimmt, heißt symmetrische Matrix: AT = A

8.3

Invertieren von Matrizen

Beispiel 8.7 Wir betrachten die Matrizen   3 −1 1 5 0  A =  −1 1 0 −2



3 B= 1 −1

−1 5 0

Die Matrix A ist symmetrisch, die Matrix B nicht.

8.3

 1 0 . −2



Invertieren von Matrizen

Von besonderem Interesse sind quadratische (n,n)-Matrizen, also Matrizen mit gleicher Zeilen- und Spaltenzahl n. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die sog. Einheitsmatrix   1 0 0 ··· 0  0 1 0 ··· 0      E =  0 0 1 ··· 0 ,  .. .. .. . . ..   . . . . .  0 0 0 ··· 1

Einheitsmatrix

deren Diagonalelemente 1 sind und deren weitere Matrizenelemente alle verschwinden. Diese Einheitsmatrix hat die Eigenschaft, dass sie bei einer Multiplikation mit einer Matrix A diese unver¨andert l¨asst. Es gilt stets AE = EA = A. Die Einheitsmatrix spielt demnach die Rolle des neutralen Elements der Matrizenmultiplikation (vgl. Abschnitt 5.3). Damit stellt sich die Frage nach dem inversen Element einer Matrix A. Gibt es also zu einer (n,n)Matrix A eine Matrix A−1 , mit der Eigenschaft AA−1 = E = A−1 A ? Wenn es solch eine Matrix A−1 gibt, hat dies enorme praktische Vorteile, wie folgendes Beispiel belegt.

Beispiel 8.8 Gegeben ist ein lineares Gleichungssystem mit n Gleichungen und n Unbekannten x1 , x2 , . . . , xn :

α11 x1 + α12 x2 + · · · + α1n xn = β1 α21 x1 + α22 x2 + · · · + α2n xn = β2 .. .. .. .. .. . . . . . αn1 x1 + αn2 x2 + · · · + αnn xn = βn

Lineares Gleichungssystem als Matrizenprodukt

263

264

8 Matrizen

Dieses Gleichungssystem kann man mithilfe des Matrizenprodukts auch in folgender Form schreiben:      α11 α12 · · · α1n β1 x1  α21 α22 · · · α2n   x2   β2       =  .   ..    .. . . . . . . .  .     . . . .  . αn1 αn2 · · · αnn βn xn | | {z } {z } | {z } A ~x ~b Wir haben also eine Matrizengleichung der Form A~x = ~b nach dem Vektor ~x aufzul¨osen. H¨atten wir nun eine inverse Matrix zur Matrix A, so k¨onnten wir die Matrizengleichung von links mit dieser Inversen A−1 multiplizieren: A−1 A~x = A−1~b Wegen A−1 A = E haben wir damit die gesuchte L¨osung des Gleichungssystems   x1  x2     ..  = ~x = E~x = A−1 A~x = A−1~b  .  xn



  =  

α11 α21 .. .

α12 α22 .. .

··· ··· .. .

α1n α2n .. .

αn1

αn2

···

αnn

Leider hat nicht jede Matrix A eine inverse Nullmatrix  0 0 ···  0 0 ···  O =  . . . ..  .. .. 0

0

−1     

   

β1 β2 .. . βn



  . 



Matrix A−1 . So hat z. B. die

···

keine Inverse, da f¨ur alle Matrizen X

OX = O = XO

0 0 .. . 0

    

8.3

Invertieren von Matrizen

gilt, also nie die Einheitsmatrix als Ergebnis auftritt. Es gibt auch Matrizen A 6= O, die keine Inverse besitzen. So ergibt sich im Fall der (2,2)Matrix   1 0 A = 0 0 bei einer Multiplikation mit einer Matrix X     ξ11 ξ12 ξ11 1 0 AX = = ξ21 ξ22 0 0 0

ξ12 0



,

also nie die Einheitsmatrix E. ¨ Diese Uberlegungen f¨uhren uns zu folgender Definition.

Definition Eine quadratische (n,n)-Matrix A heißt regul¨ar, wenn sie eine Inverse besitzt, d. h. wenn es eine Matrix A−1 mit der Eigenschaft AA−1 = A−1 A = E gibt, wobei E die (n,n)-Einheitsmatrix ist.

Es stellt sich nun das Problem, wie man ggf. zu dieser inversen Matrix kommt. Man kann zeigen, dass eine rechtsinverse Matrix auch linksinvers ist, also dass aus AA−1 = E automatisch A−1 A = E folgt. Von daher gen¨ugt es,  die Rechtsinverse zu berechnen. Wir setzen die Inverse von A = αi j in der Form A−1



ξ11  ξ21  =  .  ..

ξn1

ξ12 ξ22 .. .

··· ··· .. .

ξn2

···

an. Es ist also das Matrizenproblem   α11 α12 · · · α1n ξ11 ξ12  α21 α22 · · · α2n   ξ21 ξ22    .. .. . . ..   .. ..  . . .  . . .

αn1 αn2 · · · αnn

··· ··· .. .

 ξ1n ξ2n   ..  . 

ξnn

  ξ1n 1  ξ2n   0 ..  =  .. .  .

ξn1 ξn2 · · · ξnn

0 1 .. .

··· ··· .. .

 0 0  ..  .

0 0 ··· 1

zu l¨osen. Multipliziert man die beiden Matrizen, so ergibt sich daraus

Regul¨are Matrix

265

266

8 Matrizen



n

n

∑ α1 j ξ j1 ∑ α1 j ξ j2  j=1 j=1  n n   ∑ α2 j ξ j1 ∑ α2 j ξ j2  j=1 j=1   .. ..  .  n . n  ∑ αn j ξ j1 ∑ αn j ξ j2 j=1

j=1

 n  · · · ∑ α1 j ξ jn 1  j=1   n   · · · ∑ α2 j ξ jn   0   j=1 = .  . .. ..  . . .   n  · · · ∑ αn j ξ jn 0 j=1

0 ··· 0



 1 ··· 0    . .. . . ..    . . . 0 ··· 1

Betrachtet man nur die erste Spalte, so erkennt man, dass das lineare Gleichungssystem  n       α1 j ξ j1 α11 α12 · · · α1n ξ11 1 ∑  j=1   n            0  ∑ α2 j ξ j1   α21 α22 · · · α2n   ξ21     j=1       =    = .    .. . . ..   ..     .  ..  ..    . . . .  .  .  n .         α ξ ∑ n j j1 αn1 αn2 · · · αnn ξn1 0 j=1

zu l¨osen ist. Ein solches Gleichungssystem bearbeitet man nach Abschnitt 4.2 mit dem Gauß-Eliminationsverfahren mithilfe elementarer Zeilenoperationen:     α11 α12 · · · α1n 1 1 0 · · · 0 ξ11  α21 α22 · · · α2n 0  −→  0 1 · · · 0 ξ21       ..  . . .. .. . . .. ..  . ..   . . . . .. . .  Gauß  .. .. . 

αn1 αn2 · · · αnn

0

0

0

···

1

ξn1

Auf der rechten Seite der Gauß-Normalform steht also letztendlich die erste Spalte der inversen Matrix. Die Betrachtung der weiteren Spalten verl¨auft ganz analog. Die Koeffizienten αi j des entstehenden Gleichungssystems bleiben auf der linken Seite immer gleich, lediglich die St¨orglieder der rechten Seite a¨ ndern sich. Dies bedeutet, dass bei allen Gleichungssystemen die gleichen elementaren Zeilenoperationen durchzuf¨uhren sind. Diese k¨onnen wir auch simultan aufschreiben:     α11 α12 · · · α1n 1 0 · · · 0 1 0 · · · 0 ξ11 ξ12 · · · ξ1n  α21 α22 · · · α2n 0 1 · · · 0  −→  0 1 · · · 0 ξ21 ξ22 · · · ξ2n       .. .. . . .. .. .. . . ..   .. .. . . .. .. .. . . ..  Gauß  . .   . . . . .. . .  . . . . . . αn1 αn2 · · · αnn 0 0 · · · 1 0 0 · · · 1 ξn1 ξn2 · · · ξnn Damit haben wir nachfolgenden Sachverhalt hergeleitet. Verfahren zum Invertieren einer Matrix

Satz Die Inverse einer regul¨aren quadratischen (n,n)-Matrix A kann man dadurch bestimmen, indem man an A rechts die Einheitsmatrix anf¨ugt und mithilfe des Gauß’schen Eliminationsverfahrens die Einheitsmatrix auf der linken Seite erzeugt. Im Ergebnis stehen dann auf der rechten Seite die Komponenten der inversen Matrix A−1 .

8.3

Invertieren von Matrizen

Beispiel 8.9 Wir wollen die Inverse der Matrix  1 2 4 A =  3 −2 −3

 −3 −7  4

berechnen. Hierzu erweitern wir gem¨aß dem oben geschilderten Verfahren die Matrix um die Einheitsmatrix und f¨uhren elementare Zeilenumformungen durch.   1 2 −3 1 0 0 (−3) (2)   4 −7 0 1 0 ← −+ 3 −2 −3 4 0 0 1 ←−−−−−−− +   1 2 −3 1 0 0   − 0 −2 2 −3 1 0 ← 0 1 −2 2 0 1 ← −   1 2 −3 1 0 0 ← −+   (−2) (2) 0 1 −2 2 0 1 0 −2 2 −3 1 0 ←−−−−−−− +   1 0 1 −3 0 −2   0 1 −2 2 0 1   | · − 21 0 0 −2 1 1 2   0 −2 ← −+ 1 0 1 −3 2   0 1 ← −+ 0 1 −2 (−1) (2) 0 0 1 − 21 − 21 −1   1 1 0 0 − 52 −1 2   −1 −1 0 1 0 1 1 0 0 1 − 2 − 21 −1

Die Inverse der Matrix A lautet somit  5 1 −2 2 A−1 =  1 −1 − 21 − 21

 −1 −1  . −1



Nat¨urlich ist die manuelle Berechnung der inversen Matrix eine m¨uhselige Angelegenheit. Hier ist der Einsatz von Computeralgebrasys-

267

268

8 Matrizen

temen oder Taschenrechnern mit der F¨ahigkeit der automatischen Inversenberechnung von großem Vorteil. Von besonderem Interesse sind noch folgende Sachverhalte im Zusammenhang mit der Inversenbildung.

Inversionsregel fur ¨ Transponierte und Matrizenprodukte

Satz

F¨ur alle regul¨are quadratische (n,n)-Matrizen A, B gilt AT

−1

= A−1

T

(AB)−1 = B−1 A−1 .

Beweis Nach Abschnitt 8.2 gilt allgemein (AB)T = BT AT und damit speziell T T AT A−1 = A−1 A = E T = E, T d. h. A−1 ist die Inverse von AT . Damit gilt tats¨achlich −1 T AT = A−1 . Ferner gilt wegen der Assoziativit¨at der Matrizenmultiplikation   (AB) · B−1 A−1 = A BB−1 A−1 = AA−1 = E. | {z } =E

Also ist B−1 A−1 die Inverse zu AB, d. h. es gilt

(AB)−1 = B−1 A−1 . 

8.4

Koordinatentransformation

Wir kommen auf das einleitende Beispiel 8.1 in Abschnitt 8.1 zur¨uck und ¨ wollen den Ubergang von einem Koordinatensystem in das andere beschreiben. Hierzu beschr¨anken wir uns auf den Fall der Ebene. Wir haben also zwei Koordinatensysteme K(x,y) und K ′ (x′ ,y′ ), welche zum einen zueinander verschoben und zum anderen um einen Winkel ϕ verdreht sind. Wir f¨uhren noch ein drittes Hilfskoordinatensystem K ′′ (x′′ ,y′′ ) ein, das aus dem ersten K(x,y) durch Verschiebung des Ursprungs O in den Ursprung O′ des Koordinatensystems K ′ (x′ ,y′ ) entsteht, aber die Richtung der Achsen unver¨andert l¨asst.

8.4

y

y′′ ′

y b

sin ϕ

P

1

1

O′

1 v1

ϕ cos ϕ

sin ϕ

O

ϕ



x

1

cos ϕ

1 v2

Koordinatentransformation

1

x′′

x

Nun dr¨ucken wir die Koordinaten ein und desselben Punktes P in den verschiedenen Koordinatensystemen K ′ (x′ ,y′ ), K ′′ (x′′ ,y′′ ) und K(x,y) aus. Es gilt  ′  ′ ′  ′ 0 x 1 + y′ = x′ ′ 1 0 y   ′′ ′′ cos(ϕ ) − sin(ϕ ) = x′ + y′ sin(ϕ ) cos(ϕ )  ′  ′′ x cos(ϕ ) − y′ sin(ϕ ) = ′ ′ x sin(ϕ ) + y cos(ϕ )     ′ v1 x cos(ϕ ) − y′ sin(ϕ ) + = x′ sin(ϕ ) + y′ cos(ϕ ) v2   x = . y Daraus resultiert insbesondere, dass sich die Koordinaten (x,y) im Koordinatensystem K aus den Koordinaten (x′ ,y′ ) im Koordinatensystem K ′ gem¨aß     ′   v1 x cos(ϕ ) − y′ sin(ϕ ) x + = v2 y x′ sin(ϕ ) + y′ cos(ϕ ) berechnen. Diese Umrechnungsformel l¨asst sich mithilfe von Matrizen auch in der Form      ′   x cos(ϕ ) − sin(ϕ ) x v1 = + sin(ϕ ) y cos(ϕ ) y′ v2 schreiben. Nat¨urlich kann man aus dieser Koordinatentransformation auch ableiten, wie sich umgekehrt die Koordinaten (x′ ,y′ ) aus den Koordinaten (x,y) berechnen. Es gilt n¨amlich     ′    x x cos(ϕ ) − sin(ϕ ) v1 = − sin(ϕ ) cos(ϕ ) y′ y v2

269

270

8 Matrizen

und damit 

x′ y′



=



cos(ϕ ) sin(ϕ )

− sin(ϕ ) cos(ϕ )

−1 

x−v1 y−v2



.

Man rechnet leicht nach (z. B. mit einem Computeralgebrasystem oder durch Ausmultiplizieren des Matrizenprodukts), dass die Inverse der obigen Matrix die Gestalt  −1   cos(ϕ ) − sin(ϕ ) cos(ϕ ) sin(ϕ ) = sin(ϕ ) − sin(ϕ ) cos(ϕ ) cos(ϕ ) hat. Damit lautet die umgekehrte Richtung der Transformationsformel     ′ x cos(ϕ ) sin(ϕ ) x−v1 = − sin(ϕ ) cos(ϕ ) y′ y−v2       x cos(ϕ ) sin(ϕ ) v1 cos(ϕ ) sin(ϕ ) − . = y v2 − sin(ϕ ) cos(ϕ ) − sin(ϕ ) cos(ϕ ) Koordinatentransformation

Satz Hat ein Koordinatensystem K ′ (x′ ,y′ ) in einem anderen Koordinatensystem K(x,y) einen um (v1 ,v2 ) verschobenen Ursprung und sind die Koordinatenachsen von K ′ gegen¨uber denjenigen von K um den Winkel ϕ verdreht, so berechnen sich die Koordinaten (x,y) in K aus den Koordinaten (x′ ,y′ ) in K ′ gem¨aß      ′   v x cos(ϕ ) − sin(ϕ ) x + 1 . = v2 y cos(ϕ ) y′ sin(ϕ ) Umgekehrt berechnen sich die Koordinaten im Koordinatensystem K ′ (x′ ,y′ ) aus denjenigen in K(x,y) gem¨aß  ′       x cos(ϕ ) sin(ϕ ) x cos(ϕ ) sin(ϕ ) v1 = . − y′ y v2 − sin(ϕ ) cos(ϕ ) − sin(ϕ ) cos(ϕ )

Anwendungsbeispiel Baugrundstuck ¨

Beispiel 8.10 Ein Baugrundst¨uck hat entlang der Straße Grenzpunkte mit den global verwendeten Gauß-Kr¨uger-Koordinaten G1 (3 455 230,25 | 5 429 185,04) und G2 (3 455 244,75 | 5 429 191,80). Zur Bauaufnahme wird ein lokales Koordinatensystem K ′ (x′ ,y′ ) mit dem Ursprung O′ im ersten Grenzpunkt und der x-Achse entlang der Straße eingef¨uhrt. In diesem lokalen Koordinatensystem hat eine Hausecke P die Koordinaten (3,00 | 3,50). Wir fragen uns nach der Lage dieser Hausecke im Gauß-Kr¨uger-Koordinatensystem.

8.4

y ′

y



x b

G2 b

P O′ = G1

aße Str

b

x

O

Wir ben¨otigen zur Anwendung der Transformationsformel zun¨achst den Verschiebungsvektor ~v im u¨ bergeordneten Gauß-Kr¨uger-Koordinatensystem. Dieser ergibt sich aus den Koordinaten des ersten Grenzpunkts G1 , welcher ja zugleich Ursprung O′ des lokalen Koordinatensystems ist.   3 455 230,25 ~v = 5 429 185,04 Als Zweites ben¨otigen wir noch den Verdrehungswinkel ϕ . Diesen bestimmen wir u¨ ber den Winkel zwischen den beiden Abszissenachsen. In dem u¨ bergeordneten Gauß-Kr¨uger-Koordinatensystem haben diese die Richtungen   1 ~rGK = 0   −−−→ 14,50 ~rlok = G1 G2 = . 6,76 Damit ergibt sich der Verdrehungswinkel u¨ ber die Formel 1 · 14,50 + 0 · 6,76 ~rGK ·~rlok p = √ |~rGK | · |~rlok | 12 + 02 · 14,502 + 6,762 ≈ 0,906

cos(ϕ ) =

zu ∧

ϕ = 0,436 = 25,0◦ . Die Koordinaten der Hausecke P im u¨ bergeordneten Gauß-Kr¨ugerSystem ergeben sich mithilfe der Matrizenrechnung zu        3 455 230,25 3,00 cos(0,436) − sin(0,436) x + = 5 429 185,04 3,50 sin(0,436) cos(0,436) y       1,24 3 455 230,25 3 455 231,49 = + = . 4,44 5 429 185,04 5 429 189,48 Die Hausecke P hat also P(3 455 231,49 | 5 429 189,48).

die

Gauß-Kr¨uger-Koordinaten ◭

Koordinatentransformation

271

272

8 Matrizen

Ausblick auf die dreidimensionale Koordinatentransformation

Bei einer Koordinatentransformation im dreidimensionalen Raum l¨auft die Argumentation in einer a¨ hnlichen Weise. Man stellt einen Zusammenhang zwischen den Koordinaten (x,y,z) eines Punktes P in einem Koordinatensystem K und den Koordinaten (x′ ,y′ ,z′ ) desselben Punktes in einem dazu verschobenen und verdrehten Koordinatensystem K ′ dar. Es ergibt sich wieder, dass man die Koordinatentransformation mithilfe eines Matrizenprodukts in der Form  ′       α11 α12 α13 x v1 x  y  =  α21 α22 α23   y′  +  v2  α31 α32 α33 z′ v3 z darstellen kann. Hier spielen dann allerdings 3 Winkel eine Rolle, sodass die Transformationsmatrix gegen¨uber dem Zweidimensionalen eine kompliziertere Form annimmt. Auf eine ausf¨uhrliche Diskussion dieser dreidimensionalen Koordinatentransformation wird hier verzichtet.3

8.5

Abbildungen

In der Computergrafik werden Gebilde in einer einfachen Lage konstruiert und dann mithilfe von Spiegelungen, Drehungen Vergr¨oßerungen und Verschiebungen transformiert (vgl. Beispiel 8.2 in Abschnitt 8.1). Mit der Beschreibung dieser Transformationen wollen wir uns in diesem Abschnitt besch¨aftigen. Hierbei werden wir den Fall der Ebene und des Raumes getrennt behandeln.

Abbildungen in der Ebene Achsenspiegelung

Achsenspiegelung an den Koordinatenachsen Im Fall der Spiegelung an der x-Achse wechselt die y-Koordinate ihr Vorzeichen, im Fall der Spiegelung an der y-Achse die x-Koordinate. y P′′

b

P

b

x b

P′

3

Eine Darstellung findet man z. B. in der Formelsammlung von Bronstein/Semendjajew/Musiol/M¨uhlig, 10. Auflage, S. 219 f.

8.5

Abbildungen

Diese Transformationen kann man mit folgenden Matrizenmultiplikationen beschreiben, wobei in diesem Zusammenhang x′ und y′ die Koordinaten des Bildpunkts im gegebenen Koordinatensystem sind. Achsenspiegelung an der x-Achse:  ′     x 1 0 x = 0 −1 y y′ Achsenspiegelung an der y-Achse:  ′     x −1 0 x = 0 1 y y′ Drehung um den Koordinatenursprung Als n¨achstes wollen wir die Drehung mit dem Drehzentrum O um den Winkel ϕ beschreiben. Ein zu drehender Punkt P hat vom Ursprung den Abstand d(O,P) = r und gegen¨uber der x-Achse den Neigungswinkel α , also die Koordinaten P(r cos α | r sin α ).

Drehung

y P′ b

b

ϕ α

P

r x

Der Bildpunkt P′ l¨asst sich dann folgendermaßen bestimmen:  ′    x r cos(α + ϕ ) = ′ y r sin(α + ϕ )   r (cos(α ) cos(ϕ ) − sin(α ) sin(ϕ )) = r (sin(α ) cos(ϕ ) + cos(α ) sin(ϕ ))   r cos(α ) cos(ϕ ) − r sin(α ) sin(ϕ ) = r sin(α ) cos(ϕ ) + r cos(α ) sin(ϕ )   x cos(ϕ ) − y sin(ϕ ) = x sin(ϕ ) + y cos(ϕ )    cos(ϕ ) − sin(ϕ ) x = sin(ϕ ) cos(ϕ ) y Skalierung in Richtung der Koordinatenachsen Die Skalierung kann in Richtung der x- und y-Achse unterschiedlich groß sein.

Skalierung

273

274

8 Matrizen

y P′ b

b

P

x Die entstehende Abbildung l¨asst sich in der Form    ′   α 0 x x = 0 β y y′ Zentrische Streckung

darstellen. F¨ur α = β ergibt sich der Sonderfall einer zentrischen Streckung mit dem Streckzentrum O. Auch die Spiegelungen an den Koordinatenachsen sind ein Sonderfall dieser Skalierungsabbildung.

Scherung

Scherung entlang einer Koordinatenachse Bei der Scherung in Richtung der x-Achse wird jeder Punkt proportional zum Wert der yKoordinate in Richtung der x-Achse verschoben. Scherung in x-Richtung y P b

b

P′

x Die entstehende Abbildung l¨asst sich beschreiben in der Form   ′   x x + αy = y y′ bzw. mithilfe von Matrizen  ′   x 1 = y′ 0

α 1



x y



.

Entsprechend ergibt sich die Scherung in Richtung der y-Achse als   ′    1 0 x x = . ′ y α 1 y

8.5

Verschiebung Zur Darstellung von Verschiebungen um einen Verschiebungsvektor ~v = vv1 ben¨otigt man lediglich die Vektoraddition. 2

Abbildungen

Verschiebung Translation

y

b

P′

~v b

b

P

Q′

~v b

Q x Es gilt 



x′ y′

=



x y



+



v1 v2



.

Verschiebungen werden h¨aufig auch mit dem Begriff Translation belegt. Die geschilderten Abbildungen lassen sich in beliebiger Weise auch kombinieren. Es lassen sich sogar alle u¨ blichen Transformationen auf die geschilderten einfachen Abbildungen zur¨uckf¨uhren.

Beispiel 8.11 Ein Dreieck mit den Ecken A(2 | 1), B(5 | 2), C(4 | 3) soll um um die Ecke A gedreht werden. y

B′

C′

C

B

ϕ 1

O

A = A′ 1

x

π ∧ ◦ 3 = 60

Kombination der elementaren Transformationen in der Ebene

275

276

8 Matrizen

Diese Drehung l¨asst sich in folgender Weise mit den obigen Operationen durchf¨uhren. Man verschiebt zun¨achst das Dreieck so, dass der Eckpunkt A im Ursprung O zum Liegen kommt, f¨uhrt anschließend um den Koordinatenursprung eine Drehung um den Winkel ϕ = 60◦ aus, um schließlich die Verschiebung wieder r¨uckg¨angig zu machen. −→ Die erste Translation mit dem Verschiebungsvektor AO ist die Transformation  ′′      x x −2 . = + y′′ y −1 Die anschließende Rotation hat die Gestalt     ′′   ′′′   x cos π3  − sin π3 x = y′′′ y′′ cos π3 sin π3 √ !  1 x′′ − 23 . = √23 1 y′′ 2

2

−→ Die zweite Translation mit dem Verschiebungsvektor OA lautet letztendlich  ′   ′′′    2 x x + . = 1 y′′′ y′ Als Abbildungsvorschrift der Gesamttransformation erh¨alt man somit durch sukzessives Einsetzen √ !     ′ !   1 x − 23 −2 x 2 2 √ = + + 3 1 y′ y −1 1 2 2 {z } | =

| =

1 √2 3 2



=

1 √2 3 2



=

1 √2 3 2



= √

3 2

1 2 √

3 2

1 2 √

3 2

1 2

!  x + y !  x + y !  x + y

{z

x′′′ y′′′

x′′ y′′

!

}

! √

!

   2 −2 + 1 −1 1 2 √ !   3 2 −1 √+ 2 1 + 1 − 3− 2 √ ! 1 + √23 . 1 2− 3 1 √2 3 2



3 2

Mit dieser Abbildungsvorschrift k¨onnen wir jetzt die Koordinaten der Bilder B′ ,C′ der gesuchten Ecken berechnen. Es ergibt sich f¨ur B′

8.5



und f¨ur C′ 



b′1 b′2



!  √ ! 5 1 + √23 = + 1 1 2 2− 3 2 √     1 7− 3 2,63 √ = ≈ 4,10 2 3+3 3

c′1 c′2



!  √ ! 4 1 + √23 = + 1 3 2− 3 √     3 − √3 1,27 = ≈ . 3,73 2+ 3

1 √2 3 2

1 √2 3 2





Abbildungen

3 2

√ 3 2 1 2

Dies bedeutet, dass die Ecken des Bilddreiecks n¨aherungsweise die Koordinaten A′ (2 | 1), B′ (2,63 | 4,10), C′ (1,27 | 3,73) besitzen. ◭

Wenn man sich vor Augen f¨uhrt, welche Berechnungen durchgef¨uhrt werden, erscheint es unglaublich, dass ein CAD-System diese per drag and ” drop“ (also durch Ziehen der Maus) permanent online durchf¨uhrt und das 4 Ergebnis st¨andig wieder anzeigt.

Abbildungen im Raum Im dreidimensionalen Raum wird mit den analogen Grundabbildungen zur Ebene gearbeitet, also mit Spiegelung, Drehung, Skalierung, Scherung und Verschiebung. Wir schauen uns auch hier die einzelnen Bewegungen separat an. Spiegelung an den Koordinatenebenen Man hat im Raum drei M¨oglichkeiten der Spiegelung, n¨amlich an der (x,y)-Ebene, an der (x,z)Ebene und an der (y,z)-Ebene.

4

Die eigentliche Berechnung im CAD-System ist noch etwas komplexer. Durch die Einf¨uhrung sog. homogener Koordinaten wird auch die Verschiebung auf eine reine Matrizenmultiplikation zur¨uckgef¨uhrt. Dadurch kann das CAD-System ausschließlich mit Matrizenmultiplikationen arbeiten und auf Vektoradditionen verzichten.

Spiegelung an den Koordinatenebenen

277

278

8 Matrizen

Spiegelung an der (x,y)-Ebene z P b

y b

x b

P′ Dementsprechend gibt es drei verschiedene Abbildungsvorschriften. Spiegelung an der (x,y)-Ebene:  ′     x x 1 0 0  y′  =  0 1 0  y  z′ z 0 0 −1

Spiegelung an der (x,z)-Ebene:  ′     x x 1 0 0 ′  y  =  0 −1 0   y  z z′ 0 0 1

Spiegelung an der (y,z)-Ebene:    ′   x −1 0 0 x  y′  =  0 1 0   y  z 0 0 1 z′ Drehung um die Koordinatenachenachsen

Drehung um die Koordinatenachsen Im Gegensatz zur Ebene, wo es nur eine M¨oglichkeit der Rotation gibt, k¨onnen wir im Raum um drei Koordinatenachsen drehen. z

y

x

8.5

Abbildungen

Bei der Rotation um die x-Achse bleibt die x-Koordinate fest, w¨ahrend die y- und z-Koordinaten sich wie bei einer Drehung in der Ebene verhalten. Dementsprechend hat die Abbildungsvorschrift bei einer Drehung um den Winkel ϕ nachfolgende Gestalt. Drehung um die x-Achse:  ′     1 0 0 x x  y′  =  0 cos ϕ − sin ϕ   y  z′ 0 sin ϕ cos ϕ z Die u¨ brigen Rotationsvorschriften ergeben sich entsprechend durch zyklisches Vertauschen der Koordinaten. Drehung um die y-Achse:  ′   cos ϕ 0 x  y′  =  0 1 z′ − sin ϕ 0

  x sin ϕ 0  y  cos ϕ z

Drehung um die z-Achse:  ′   cos ϕ − sin ϕ x  y′  =  sin ϕ cos ϕ z′ 0 0

  x 0 0  y  z 1

Skalierung in Richtung der Koordinatenachsen.

Skalierung in Richtung der Koordinatenachsen

z

b

b

P

P′ y

x

Die Skalierung kann in Richtung der verschiedenen Koordinatenachsen unterschiedlich gew¨ahlt werden:   ′    x x α 0 0  y′  =  0 β 0   y  0 0 γ z z′ In dem Fall, dass alle drei Diagonalelemente α , β und γ gleich sind, haben wir es mit dem Fall einer zentrischen Streckung mit dem Streckzentrum O zu tun.

279

280

8 Matrizen

Scherung entlang einer Koordinatenebene

Scherung entlang einer Koordinatenebene Im Raum haben wir mehrere M¨oglichkeiten der grundlegenden Scherung. Wir k¨onnen jede der drei Koordinatenebenen fix lassen und l¨angs einer Richtung in dieser Ebene scheren. Scherung entlang der (x,y)-Ebene z P b

b

P′ y

x

Bei einer Scherung entlang der (x,y)-Ebene bleibt die z-Koordinate fest, w¨ahrend horizontal die Punkte proportional zum Wert der z-Koordinate in eine konstante Richtung verschoben werden. Entsprechend erfolgt durch zyklisches Vertauschen der Koordinaten die Scherung entlang der anderen Koordinatenebenen. Es ergeben sich folgende Abbildungsvorschriften. Scherung entlang der (x,y)-Ebene:  ′     x 1 0 α x  y′  =  0 1 β   y  z′ z 0 0 1 Scherung entlang der (x,z)-Ebene:    ′   x x 1 β 0  y′  =  0 1 0   y  z z′ 0 α 1

Scherung entlang der (y,z)-Ebene:  ′     1 0 0 x x  y′  =  α 1 0   y  z z′ β 0 1 Verschiebung/ Translation im Raum

Verschiebung Die Translation wird wie in der Ebene durch die Addition des Verschiebungsvektors ~v realisiert:      ′  v1 x x  y′  =  y  +  v2  v3 z z′

8.5

z b

Abbildungen

P′

~v P

Q

b

b

~v b

R′

y

~v b

x

Q′

R

b

Mit den dargestellten Grundoperationen kann man alle u¨ blichen Transformationen im Raum durchf¨uhren. Dies wollen wir wieder mit einem Beispiel belegen.

Beispiel 8.12 Wir wollen die Abbildungsvorschrift aufstellen, welche eine Rotation um π2 um die Achse a mit der Parameterdarstellung     1 0 a : ~x =  0  + λ  √1  1 2

beschreibt.

Diese Operation l¨asst sich folgendermaßen in unsere elementaren Abbildungen zerlegen. Zun¨achst verschiebt man die Gerade a l¨angs der z-Achse in den Ursprung, dreht sie dann um die z-Achse in die (x,z)-Ebene und anschließend um die y-Achse auf die x-Achse. Nun ∧ kann man die gew¨unschte Drehung um π2 = 90◦ vornehmen. Anschließend muss man die zuvor durchgef¨uhrten Transformationen in umgekehrter Reihenfolge r¨uckg¨angig machen. z a 1.

3. x

2.

y

Kombination der elementaren Transformationen im Raum

281

282

8 Matrizen

Der erste Schritt der Translation wird beschrieben durch     ′′     x 0 x x  y′′  =  y  +  0  =  y  . z−1 −1 z z′′ Im zweiten Schritt drehen wir nun die verschobene Gerade um die z-Achse in die (x,z)-Ebene. Hierzu ben¨otigen wir aber zun¨achst den Winkel zwischen der vertikalen Ebene durch die verschobene Achse und der (x,z)-Ebene. Die verschobene Achse liegt in der vertikalen Ebene y = x und schließt daher mit der (x,z)-Ebene einen ∧ Winkel von π4 = 45◦ ein. Die oben eingef¨uhrten Standardrotationen um die Achsen drehen immer im Rechtssinn, w¨ahrend wir hier eine Drehung entgegen dieser Richtung vorliegen haben. Demzufolge ∧ m¨ussen wir die verschobene Achse um den Winkel α = − π4 = −45◦ um die z-Achse drehen:   ′′   ′′′   x x cos(− π4 ) − sin(− π4 ) 0 π π ′′′  y  =  sin(− ) cos(− ) 0   y′′  4 4 0 0 1 z′′ z′′′  √  √  2 2 0 x′′  2√2 √22   ′′  y =  − 0  2 2 z′′ 0 0 1 {z } | =: A

Als n¨achstes folgt nun die Drehung der so erhaltenen Geraden um die y-Achse auf die x-Achse. Die Gerade hat jetzt den Richtungsvektor  √  2 ~r ′′′ =  √0  . 2 ∧

Der ben¨otigte Drehwinkel auf die x-Achse betr¨agt somit β = π4 = 45◦ . Damit lautet die Abbildungsvorschrift dieser Rechtsdrehung    cos π4 x′′′′ 0  y′′′′  =  0  1 z′′′′ − sin π4 0  √ √ 2 0 22  2 1 √0 =  0√ − 22 0 22 {z | =: B 

 x′′′ 0    y′′′  z′′′ cos π4   x′′′   ′′′  y .  z′′′ } sin

π 4

 

8.6

Jetzt kann die gew¨unschte Drehung von π2 um die x-Achse durchgef¨uhrt werden.   ′′′′     x 1 0 0 x¯ π π  y¯  =  0 cos( ) − sin( )   y′′′′  2 2 0 sin( π2 ) cos( π2 ) z′′′′ z¯   ′′′′   1 0 0 x =  0 0 −1   y′′′′  0 1 0 z′′′′ | {z } =: C Anschließend m¨ussen wir noch die zuvor durchgef¨uhrten Elementaroperationen r¨uckg¨angig machen. Es ergibt sich insgesamt      ′  0 x x  y′  = A−1 B−1CBA  y  +  0  1 z−1 z′

mit den obigen (3,3)-Matrizen A, B,C. Die Berechnung dieses Matrizenprodukts ist m¨uhselig, hier lohnt sich der Einsatz eines Computeralgebrasystems. Es ergibt sich letztendlich als Abbildungsvorschrift der Drehung um die gegebene Achse a √ √   ′     2 1 2 1 1 − + x x 0 4√ 4 2 2 4√ 1 1 2  y +  0   y′  =   41 + 2√2  − + 4√ 2 4 z′ 1 z−1 1 − 21 + 42 21 + 42 2 √ √     √  1 1 − 2 1+ 2 −1 − 2 x  1 4 √2 4 1 2 21 4√2     12 √24  = 4+ 2  y + 2 − 4  4 √ −2 + 4 √ 1 z 1 2 1 2 1 −2 + 4 2 + 4 2 2      x −0,854 0,250 −0,457 0,854 ≈  0,957 0,250 −0,146   y  +  0,146  . 0,500 z −0,146 0,854 0,500 ◭

8.6

Determinanten

Mit Determinanten wird quadratischen Matrizen eine reelle Zahl zugeordnet. Aus dem Wert dieser reellen Zahl lassen sich Aussagen u¨ ber die Matrix selbst, aber auch f¨ur weitergehende Probleme ableiten.

Determinanten

283

284

8 Matrizen

Beispiel 8.13 Wir wollen ein Gleichungssystem mit zwei Gleichungen und zwei Unbekannten

α11 x1 + α12 x2 = β1 α21 x1 + α22 x2 = β2 l¨osen. Hierzu multiplizieren wir die erste Gleichung mit α22 und die zweite Gleichung mit α12 und subtrahieren die beiden entstehenden Gleichungen voneinander. Es ergibt sich

α11 α22 x1 + α12 α22 x2 = β1 α22 α21 α12 x1 + α22 α12 x2 = β2 α12 (α11 α22 − α21 α12 ) x1 = β1 α22 − β2 α12 und damit im Fall α11 α22 − α21 α12 6= 0 x1 =

β1 α22 − β2 α12 . α11 α22 − α21 α12

Entsprechend ergibt sich durch Multiplikation der zweiten Gleichung des obigen Gleichungssystems mit α11 und durch Multiplikation der ersten Gleichung mit α21 und anschließender Subtraktion

α11 α21 x1 + α11 α22 x2 = α11 β2 α21 α11 x1 + α21 α12 x2 = α21 β1 (α11 α22 − α21 α12 ) x2 = α11 β2 − α21 β1 , woraus sich f¨ur α11 α22 − α21 α12 6= 0 x2 =

α11 β2 − α21 β1 α11 α22 − α21 α12

ergibt. Wir haben also das lineare Gleichungssystem ohne Benutzung des Gauß’schen Eliminationsverfahrens gel¨ost. ◭

Betrachtet man das obige Beispiel genauer, so stellt man fest, dass die beiden Ausdr¨ucke im Nenner die gleichen sind. Dieser Nenner berechnet sich nach einem gewissen Schema aus der Koeffizientenmatrix   α11 α12 A = . α21 α22 Man multipliziert die beiden Elemente α11 · α22 der Hauptdiagonalen“ ” und subtrahiert davon das Produkt der Nebendiagonalen“ α21 · α12 . Auch ” die beiden Z¨ahler berechnen sich nach diesem Schema, wobei in der Matrix A einmal die erste Spalte und einmal die zweite Spalte durch die rechte Seite des Gleichungssystems, also durch β1 und β2 ersetzt wird.

8.6

Definition Unter der Determinante einer (2,2) (2,2)-Matrix versteht man die Zahl   α α11 α12 α12 det = 11 := α11 α22 − α21 α12 . α21 α22 α21 α22

Determinanten

Determinante einer (2,2) (2,2)-Matrix

Mit dieser Schreibweise lauten die L¨osungen des Gleichungssystems aus Beispiel 8.13 β1 α12 α11 β1 β2 α22 α21 β2 x1 = x = 2 α11 α12 . α11 α12 α21 α22 α21 α22

Das geschilderte Verfahren ist auch auf lineare Gleichungssysteme mit drei Gleichungen und drei Unbekannten u¨ bertragbar. Dazu muss man die Determinante einer (3,3)-Matrix folgendermaßen erkl¨aren.

Unter der Determinante einer (3,3) (3,3)-Matrix versteht man die Zahl   α11 α12 α13 α11 α12 α13 det  α21 α22 α23  = α21 α22 α23 α31 α32 α33 α31 α32 α33

Determinante einer (3,3) (3,3)-Matrix

:= α11 α22 α33 + α12 α23 α31 + α13 α21 α32 − α31 α22 α13 − α32 α23 α11 − α33 α21 α12 .

Die Berechnung der (3,3)-Determinante l¨asst sich mit folgendem Schema leicht merken: ⊕

⊕ a1 a2 a3







b1 b2 b3 ⊖

c1 c2 c3

a1 a2 a3

b1 b2 b3

Man f¨ugt also die ersten beiden Spalten nochmals an die Matrix an und addiert dann die Produkte der Zahlen in den drei Hauptdiagonalen und subtrahiert davon die Produkte der Zahlen in den drei Nebendiagonalen.5 Diese Merkregel ist unter dem Namen Sarrus-Regel6 bekannt. 5

vgl. auch die Berechnungsformel des Spatprodukts in Abschnitt 6.3

6

Pierre Sarrus, 1798–1861, franz¨osischer Mathematiker.

Sarrus-Regel

285

286

8 Matrizen

Durch einfaches Nachrechnen stellt man fest, dass man eine (3,3)Determinanten auf folgende Weise mithilfe von (2,2)-Determinanten berechnen kann: α11 α12 α13 α21 α22 α23 = α11 α22 α23 − α21 α12 α13 + α31 α12 α13 α32 α33 α32 α33 α22 α23 α31 α32 α33

Man nimmt also zun¨achst das Element α11 der ersten Spalte, streicht die erste Spalte und Zeile, berechnet die Determinante der verbleibenden (2,2)-Determinante und multipliziert diese mit dem Matrixelelement α11 . Anschließend wiederholt man dieses Verfahren mit dem zweiten Element α21 der ersten Spalte. Man streicht jetzt die erste Spalte und die zweite Zeile, berechnet die Determinante der verbleibenden Matrix und multipliziert das Ergebnis mit α21 . Schließlich nimmt man das dritte Element der ersten Spalte α31 , streicht wieder die entsprechende Zeile und Spalte, berechnet die verbleibende Determinante und multipliziert das Ergebnis mit α31 . Zuletzt werden die 3 berechneten Ergebnisse mit alternierendem Vorzeichen +, − ,+ addiert. Aufbauend auf dieser Berechnungsformel lassen sich jetzt auch die Determinanten von h¨oherdimensionalen (n,n)-Matrizen erkl¨aren.

Determinante einer (n,n) (n,n)-Matrix

Definition Unter der Determinante einer (n,n) (n,n)-Matrix versteht man die  Zahl  α11 α12 α13 · · · α1n α11 α12 α13 · · · α1n  α21 α22 α23 · · · α2n  α21 α22 α23 · · · α2n  α α α ··· α  α α α ··· α  31 32 33 31 32 33 3n  3n  det   α41 α42 α43 · · · α4n  = α41 α42 α43 · · · α4n  .  .. . . ..  .. .. . . .. .. ..  .. . . . . . . . . . α α α ··· α αn1 αn2 αn3 · · · αnn n1 n2 n3 nn α22 α23 · · · α2n α12 α13 · · · α1n α32 α33 · · · α3n α32 α33 · · · α3n α α ··· α α α ··· α 4n − α 42 43 4n := α11 42 43 21 .. .. . . .. .. . . .. .. . . . . . . . . α α ··· α α α ··· α n2 n3 nn n2 n3 nn α12 α13 · · · α1n α22 α23 · · · α2n α α ··· α 4n − . . . + α31 42 43 .. . . .. .. . . . . α α ··· α n2 n3 nn α12 · · · α1n α13 α23 · · · α2n α22 α · · · α α 32 33 3n . ± αn1 . . . . .. . . .. .. α (n−1)2 α(n−1)3 · · · α(n−1)n

8.6

Die verwendeten (n−1,n−1)-Determinanten mit (n−1) Zeilen und (n−1) Spalten entstehen also aus der urspr¨unglichen (n,n)-Matrix durch Streichung der ersten Spalte und der entsprechenden i-ten Zeile.

α11 .. .

α12 .. .

α13 .. .

α(i−1)1 αi1 α(i+1)1 .. . αn1

α(i−1)2 αi2 α(i+1)2 .. . αn2

α(i−1)3 αi3 α(i+1)3 .. . αn3

··· .. . ··· ··· ··· .. . ···

α1n .. . α(i−1)n αin α(i+1)n .. . αnn



Die Berechnungsformel h¨oherdimensionaler Determinanten soll mit einem Beispiel verdeutlicht werden.

Beispiel 8.14 Wir berechnen die folgende (4,4)-Determinante unter R¨uckf¨uhrung auf (3,3)-Determinanten, welche wir dann mit der Sarrus-Regel auswerten. 4 0 2 3 0 2 3 2 0 2 3 2 0 2 = 4 · 2 1 2 − 3 · 2 1 2 1 2 1 2 1 1 1 1 1 1 −2 1 1 1 0 2 3 0 2 3 + 1 · 2 0 2 − (−2) · 2 0 2 2 1 2 1 1 1 = 4 · (2·1·1 + 0·2·1 + 2·2·1 − 1·1·2 − 1·2·2 − 1·2·0) − 3 · (0·1·1 + 2·2·1 + 3·2·1 − 1·1·3 − 1·2·0 − 1·2·2) + 1 · (0·0·1 + 2·2·1 + 3·2·1 − 1·0·3 − 1·2·0 − 1·2·2) − (−2) · (0·0·2 + 2·2·2 + 3·2·1 − 2·0·3 − 1·2·0 − 2·2·2) = 4 · 0 − 3 · 3 + 1 · 6 − (−2) · 6 = 9 ◭

Determinanten haben Eigenschaften, welche die Berechnung derselben h¨aufig vereinfachen.

Determinanten

287

288

8 Matrizen

Satz Determinanten von quadratischen (n,n)-Matrizen haben folgende Eigenschaften: • Der Wert der Determinante a¨ ndert sich durch die Transposition

der Matrix A nicht:

det A = det AT • Werden zwei Zeilen oder zwei Spalten vertauscht, so a¨ ndert sich

das Vorzeichen der Determinante.

• Werden die Elemente einer Zeile oder einer Spalte mit einem

gemeinsamen Skalar γ multipliziert, multipliziert sich auch der Wert der Determinante mit dem Faktor γ .

• Addiert man ein Vielfaches einer Zeile zu einer anderen Zeile

oder addiert man ein Vielfaches einer Spalte zu einer anderen Spalte, so a¨ ndert sich der Wert der Determinante nicht.

• Sind die Zeilen oder die Spalten als Vektoren linear abh¨angig, ist

der Wert der Determinante 0. Ist umgekehrt der Wert der Determinante 0, so sind sowohl die Zeilen als auch die Spalten linear abh¨angig.

• Die Determinante des Produkts zweier Matrizen ist gleich dem

Produkt der beiden Determinanten:

det(AB) = det A · det B Auf die Beweise dieser Tatsachen verzichten wir. Stattdessen wollen wir noch eine weitere, sehr n¨utzliche Eigenschaft von Determinanten formulieren, welche sich aus den obigen Eigenschaften folgern l¨asst.

Laplace’scher Entwicklungssatz

Laplace’scher7 Entwicklungssatz Mit Di j wird die Determinante bezeichnet, welche durch Streichung der i-ten Zeile und der j-ten Spalte in der urspr¨unglichen Matrix A entsteht: α11 .. . α(i−1)1 Di j = αi1 α(i+1)1 . .. αn1

· · · α1( j−1) α1 j α1( j+1) .. .. .. .. . . . . · · · α(i−1)( j−1) α(i−1) j α(i−1)( j+1) · · · αi( j−1) αi j αi( j+1) · · · α(i+1)( j−1) α(i+1) j α(i+1)( j+1) .. .. .. .. . . . . · · · αn( j−1) αn j αn( j+1)

· · · α1n .. .. . . · · · α(i−1)n · · · αin · · · α(i+1)n .. .. . . · · · αnn

8.6

Dann l¨asst sich die Determinante der Matrix A in den folgenden Weisen entwickeln: n

det A =

∑ (−1)i+ j αi j Di j

Entwicklung nach der i-ten Zeile

j=1 n

det A = ∑ (−1)i+ j αi j Di j

Entwicklung nach der j-ten Spalte

i=1

Das alternierende Vorzeichen (−1)i+ j der Summanden bei der Entwicklung nach Zeilen und Spalten orientiert sich nach einem Schachbrettmuster:   + − + − ···  − + − + ···     + − + − ···     − + − + ···    .. .. .. .. . . . . . . .

Die N¨utzlichkeit der geschilderten Rechenregeln soll an einem weiteren Beispiel demonstriert werden.

Beispiel 8.15 Wir wollen die Determinante der Matrix  2 0 0  2 2 0 A =  1 1 3 1 3 0

 1 1  0  4

berechnen. Aufgrund der vielen Nullen in der dritten Spalte bietet sich zun¨achst eine Entwicklung nach dieser Spalte an. 2 0 1 2 2 1 det A = 0 · 1 1 0 − 0 · 1 1 0 1 3 4 1 3 4 2 0 1 2 0 1 + 3 · 2 2 1 − 0 · 2 2 1 1 1 0 1 3 4 2 0 1 = 3 · 2 2 1 1 3 4 7 Pierre Simon Marquis de Laplace, 1749–1827, franz¨ osischer Mathematiker und Astronom.

Determinanten

289

290

8 Matrizen

Addiert man nun in der verbleibenden (3,3)-Determinante das (−1)-Fache der ersten Zeile zur zweiten hinzu, so ver¨andert man den Wert der Determinante nicht, erzeugt jedoch in der zweiten Zeile fast durchweg Nullen. Somit lohnt sich eine Entwicklung nach der zweiten Zeile. Es ergibt sich also 2 0 1 2 0 1 det A = 3 · 2 2 1 = 3 · 0 2 0 1 3 4 1 3 4   0 1 2 1 2 0 = 3 · −0 · +2· −0· 3 4 1 4 1 3  = 3 · 2 · (2 · 4 − 1 · 1) = 42. ◭ Es gilt in Verallgemeinerung von Beispiel 8.13 der folgende Satz. Cramer’sche Regel

Cramer’sche8 Regel Hat das lineare Gleichungssystem      α11 α12 · · · α1n x1 β1  α21 α22 · · · α2n   x2   β2       =  .   ..    .. . . . .. ..   ..   .  ..  . αn1 αn1 · · · αnn xn βn

eine Koeffizientenmatrix (αi j ) mit nicht verschwindender Determinante, so ist es eindeutig l¨osbar und die Komponenten dieser eindeutigen L¨osung berechnen sich gem¨aß α11 · · · α1( j−1) β1 α1( j+1) · · · α1n α21 · · · α2( j−1) β2 α2( j+1) · · · α2n .. .. .. .. .. .. .. . . . . . . . αn1 · · · αn( j−1) βn αn( j+1) · · · αnn xj = , α11 α12 · · · α1n α21 α22 · · · α2n .. .. .. .. . . . . αn1 αn1 · · · αnn j = 1,2, . . . ,n.

Auf den allgemeinen Beweis dieses Sachverhalts verzichten wir. 8

Gabriel Cramer, 1704–1752, schweizer Mathematiker.

8.6

Es gilt auch, dass, sofern ein LGS eindeutig l¨osbar ist, die Determinante der Koeffizientenmatrix nicht verschwindet (vgl. Aufgabe 8.19). Mithilfe von Determinanten kann man also eindeutig l¨osbare lineare Gleichungssysteme mit n Gleichungen und n Unbekannten l¨osen. Man ersetzt bei der Berechnung der j-ten Variablen die j-te Spalte der Koeffizientenmatrix (αi j ) durch die rechte Seite, berechnet die Determinante davon und dividiert dies durch die Determinante der urspr¨unglichen Koeffizientenmatrix A. Computeralgebrasysteme versuchen bei der L¨osung von linearen Gleichungssystemen h¨aufig zun¨achst die Cramer’sche Regel, bevor auf andere M¨oglichkeiten wie z. B. das Gauß’sche Eliminationsverfahren zur¨uckgegriffen wird.

Beispiel 8.16 Das lineare Gleichungssystem x1 + 3x2 + 2x3 = 1 −2x1 − 4x2 − 3x3 = −3 3x1 + 8x2 + 5x3 = 2 l¨asst sich auch in der Form      1 3 2 x1 1  −2 −4 −3   x2  =  −3  3 8 5 x3 2 ausdr¨ucken. Nach der Cramer’schen Regel ergibt sich 1 3 2 −3 −4 −3 2 8 5 −1 = x1 = = 1 −1 3 2 1 −2 −4 −3 3 8 5 1 1 2 −2 −3 −3 3 2 5 2 = x2 = = −2 −1 1 3 2 −2 −4 −3 3 8 5 1 3 1 −2 −4 −3 3 8 2 −3 = x3 = = 3, −1 1 3 2 −2 −4 −3 3 8 5

wobei die explizite Berechnung der (3,3)-Determinanten hier u¨ bergangen wurde. ◭

Determinanten

291

292

8 Matrizen

Der gesamte Nutzen dieses Kalk¨uls ist nat¨urlich nicht nur in einer L¨osungsmethode linearer Gleichungssysteme begr¨undet. Das System der Determinante nutzten wir auch schon bei der Berechnung des Spatprodukts in Abschnitt 6.3. Man kann n¨amlich das Spatprodukt dreier Vektoren im Raum auch mithilfe von Determinanten in der Form    a1 h i ~a,~b,~c =  a2  ,  a3 a1 b1 c1 = a2 b2 c2 a3 b3 c3   = det ~a,~b,~c

   b1 c1 b2  ,  c2  b3 c3

schreiben. Wie wir in den weiteren Abschnitten sehen werden, treten Determinanten immer wieder in den verschiedensten Bereichen der Mathematik als ein n¨utzliches Instrumentarium auf (vgl. z. B. Abschnitte 9.2, 21.1 und 23.4).

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 8.2 8.1

F¨uhren Sie f¨ur die Matrizen 

4  −1 A =  2 0  4 C =  −1 2

−2 3 1 −3

 6 0  −1  5 

−2 3  1



−3  −1 B =  1 7 −1

D =

2 −4 0 0 2

 −5 1  −1  0

−5

3



¨ die folgenden Matrizenoperationen durch. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse mit einem Computeralgebrasystem. a) 3A b) −A + 2B c) AC d) (A + B)C e) DA f) (2A − B)C g) DAC h) (2D)(2A − 3B)(−C)

8.2

Berechnen Sie f¨ur die Matrizen   cos α − sin α A = sin α cos α

B =



− cos α sin α

sin α cos α



die Matrizenprodukte AB und BA. F¨ur welche Werte von α sind die beiden Matrizenprodukte gleich?

8.3 Vier Superm¨arkte S1 , S2 , S3 und S4 mit vergleichbarem Sortiment teilen sich den Markt einer Stadt. Eine Untersuchung ergab, dass die Kunden w¨ochentlich nach folgenden Zahlen die M¨arkte wechseln. S1 : S2 : S3 : S4 :

60 % bleiben bei S1 , 10 % wechseln zu S2 , 10 % zu S3 und 20 % zu S4 75 % bleiben bei S2 , 10 % wechseln zu S1 , 10 % zu S3 und 5 % zu S4 60 % bleiben bei S3 , 20 % wechseln zu S1 , 10 % zu S2 und 10 % zu S4 70 % bleiben bei S4 , 10 % wechseln zu S1 , 10 % zu S2 und 10 % zu S3

¨ a) Dr¨ucken Sie das w¨ochentliche Anderungsverhalten mithilfe einer Matrix A aus. Wie groß werden die Marktanteile in ein bzw. zwei Wochen sein, wenn momentan jeder Markt ein Viertel der Kunden hat? b) Im Laufe der Jahre hat sich der Marktanteil stabilisiert, d. h. die Marktanteile a¨ ndern sich w¨ochentlich nicht, obwohl das Wechselverhalten unver¨andert ist. Wie groß sind die Marktanteile der einzelnen M¨arkte? Benutzen Sie f¨ur die Rechnung ein Computeralgebrasystem. c) Nach der Stabilisierung der Marktanteile hat der Markt S4 durch eine Marktforschung festgestellt, dass er durch w¨ochentliche Sonderangebote und Aktionen das Abwandern seiner Kunden zu den anderen M¨arkten jeweils halbieren kann. Auf welchem Niveau werden sich jetzt die Marktanteile langfristig stabilisieren?

293

294

8 Matrizen

8.4 Weisen Sie die Beziehung (AB)T = BT AT f¨ur beliebige (2,4)-Matrizen A und beliebige (4,3)Matrizen B nach. ¨ 8.5 Uberlegen Sie sich, dass symmetrische Matrizen immer quadratische Matrizen sein m¨ussen.

Abschnitt 8.3 ¨ 8.6 Berechnen Sie manuell die inverse Matrix folgender Matrizen. Uberpr¨ ufen Sie Ihr Ergebnis mit einem Computeralgebrasystem. √   1 3   − 1 2  2  A= B =  √2  3 4 3 1 2 2     1 2 2 −3 0 3 −6 5 −8   4 5 3  C =  1 −1 D= −6 0 −3 7  2 −5 9 2 1 3 −6

8.7

Schreiben Sie das lineare Gleichungssystem

x1 + 3x2 + 2x3 = 1 −2x1 − 4x2 − 3x3 = −3 3x1 + 8x2 + 5x3 = 2 als Matrizenprodukt und berechnen Sie die L¨osung mithilfe der Inversenberechnung.

Abschnitt 8.4 8.8 Ein Koordinatensystem K ′ (x′ ,y′ ) hat gegen¨uber dem Koordinatensystem K(x,y) einen um ~v verschobenen Ursprung (Darstellung im Koordinatensystem K) und ist um den Winkel ϕ verdreht. Fertigen Sie zun¨achst eine Skizze mit den beiden Koordinatensystemen an. Berechnen Sie dann jeweils, wie sich die Koordinaten (x,y) des Koordinatensystems K aus den Koordinaten (x′ ,y′ ) des Koordinatensystems K ′ berechnen und umgekehrt.     π 2 a) 0 b) 1 ~v = , ϕ= ~v = , ϕ= π 0 0 3 3     π π c) 2 d) 1 ~v = , ϕ =− ~v = , ϕ= 4 −1 6 2 8.9 Ein keisrundes Zahnrad hat in einem geeigneten Koordinatensystem seinen Mittelpunkt M an der Stelle (5|3). Ein Zahn Z dieses Zahnrads liegt zum Zeitpunkt t = 0 s genau um 2 Einheiten rechts vom Mittelpunkt. Das Zahnrad dreht sich dreimal in 60 Sekunden. a) Fertigen Sie eine Skizze an. Welchen Radius hat das Zahnrad? b) Beschreiben Sie mithilfe der Formeln der Koordinatentransformation, welche Koordinaten der Zahn Z abh¨angig von der Zeit t besitzt. Welche Koordinaten hat Z nach 1, 5, 8, 16 bzw. 24 Sekunden?

Aufgaben

8.10 Im Anschauungsraum haben zwei Koordinatensysteme K(x,y,z) und K ′ (x′ ,y′ ,z′ ) den gleichen Ursprung, das Koordinatensystem K ′ ist aber l¨angs der gemeinsamen x = x′ -Achse um einen Winkel ¨ ϕ verdreht. Uberlegen Sie sich, wie die Formeln der Koordinatentransformation (x′ ,y′ ,z′ ) 7→ (x,y,z) und (x,y,z) 7→ (x′ ,y′ ,z′ ) lauten. Dr¨ucken Sie die Transformationen mithilfe von Matrizen aus. z



z



y

ϕ ϕ y x = x′

Abschnitt 8.5 8.11 Berechnen Sie die Abbildungsvorschriften folgender Transformationen in der Ebene. a) Drehung um

π 3

um den Ursprung O.

b) Drehung um 32 π um den Punkt P(3|2). c) Zentrische Streckung mit dem Faktor 2 und dem Zentrum Z(−1|5). d) Scherung entlang der Achse y = −1, sodass der Punkt P(−4|2) in den Punkt P′ (5|2) u¨ bergeht. e) Spiegelung an der y-Achse und anschließende Drehung um den Winkel man die Reihenfolge von Spiegelung und Drehung vertauschen?

π 4

um den Ursprung. Kann

f) Achsenspiegelung an der Geraden g mit der Parameterdarstellung     1 1 g : ~x = +λ . 0 −1

8.12 In einem CAD-System soll durch eine Transformation das Dreieck mit den Ecken A(10|0), B(5|0), C(0|10) auf das Dreieck A′ (2| − 4), B′ (−1|0), C′ (4|10) abgebildet werden. Welche elementaren Operationen ben¨otigt man, um das Ursprungsdreieck ABC in das Bilddreieck A′ B′C′ zu u¨ berf¨uhren? Bestimmen Sie die Abbildungsvorschrift dieser Transformation. 8.13 Berechnen Sie die Abbildungsvorschriften der nachfolgenden Transformationen im Raum. Setzen Sie hierbei sinnvoll ein Computeralgebrasystem ein. a) Drehung um die y-Achse um den Winkel π . b) Punktspiegelung am Ursprung O. c) Drehung um 23 π um die Achse mit der Parameterdarstellung     1 1 a : ~x =  1  + λ  −1  . 1 0 d) Spiegelung an der Ebene

ε:

x + z = 2.

295

296

8 Matrizen

8.14 a) Zeigen Sie rechnerisch, dass alle Verschiebungen ~x′ =~x +~v mit einem festen Verschiebungsvektor ~v geradentreu sind, also Geraden in Geraden u¨ berf¨uhren. b) Zeigen Sie, dass auch alle Matrizentransformationen der Form ~x ′ = A~x mit einer Matrix A geradentreu sind. ¨ c) Uberlegen Sie sich unter Zuhilfenahme der Aufgabenteile (a) und (b), dass alle elementaren Transformationen der Ebene und des Raumes geradentreu sind. Sind dann auch die daraus zusammengesetzten Transformationen geradentreu?

Abschnitt 8.6 ¨ 8.15 Berechnen Sie die Werte folgender Determinanten. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse mit einem Computeralgebrasystem. c) 1 0 −1 a) 3 2 b) −2 3 −4 3 2 4 5 −1 0 2 1 3 d)

1 3 5

1 2 7

1 −25 −9



e)

2 1 2 −1

0 2 0 0

3 −2 5 −3

1 0 0 −5



8.16 Zeigen Sie mithilfe des Laplace’schen Entwicklungssatzes.

f)



2 1 1 4

a) Die Determinante einer Diagonalmatrix berechnet sich als α11 0 0 ··· 0 0 α22 0 ··· 0 0 0 α · · · 0 = α · α · α · · · · α . 33 11 22 33 nn .. .. .. .. .. . . . . . 0 0 0 · · · αnn

b) Die Determinante einer oberen Dreiecksmatrix berechnet sich als α11 α12 α13 · · · α1n 0 α22 α23 · · · α2n 0 0 α33 · · · α3n = α · α · α · · · · α . 11 22 33 nn .. .. .. .. .. . . . . . 0 0 0 · · · αnn c) Die Determinante einer unteren Dreiecksmatrix berechnet sich als α11 0 0 ··· 0 α21 α22 0 ··· 0 α31 α32 α33 · · · 0 = α · α · α · · · · α . 11 22 33 nn .. .. .. .. . .. . . . . αn1 αn2 αn3 · · · αnn

1 0 −1 2

4 3 0 1

−1 2 3 0



Aufgaben

8.17 Weisen Sie mit den Eigenschaften von Determinanten nach, dass die Determinante der Inversen einer Matrix A sich berechnet als  det A−1 =

1 . det A

8.18 Welchen Wert hat die Determinante einer Matrix A, wenn a) die Matrix eine Zeile oder eine Spalte mit lauter Nullen enth¨alt; b) zwei Spalten oder Zeilen identisch sind; c) eine Spalte die Summe zweier anderer Spalten ist? ¨ 8.19 Uberlegen Sie sich, dass folgender Sachverhalt richtig ist. Hat die Koeffizientenmatrix eines linearen Gleichungssystems      α11 α12 · · · α1n x1 β1  α21 α22 · · · α2n   x2   β2       =  .   ..    .. . . . . . . .  .     . . . . .  αn1 αn2 · · · αnn xn βn eine verschwindende Determinante, so ist das lineare Gleichungssystem nicht eindeutig l¨osbar, d. h. es hat keine oder unendlich viele L¨osungen.

8.20 Berechnen Sie mithilfe der Cramer’schen Regel die L¨osung folgender eindeutig l¨osbarer linearer Gleichungssysteme. a) x1 − 2x2 = −5 b) 7x1 + 7x2 = 10 5x1 + 2x2 = 3 x1 − x2 = 2 c)

x1 + 2x2 + x3 = 5 3x1 + x2 − 3x3 = −2 2x1 − x2 + x3 = 3

e)

x1 + x2 + x3 − x4 2x1 − x2 + 3x3 − x2 + 3x3 + x4 x1 − 2x4

d)

x1 + x2 − x3 = 2 2x1 − x2 = 0 x1 + x3 = 1

= 3 = 6 = 0 = −3

8.21 Zeigen Sie: Die Inverse einer regul¨aren (2,2)-Matrix   α11 α12 A = α21 α22 berechnet sich als A−1 =

1 det A



α22 −α21

−α12 α11



.

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

297

Eigenwerte

9

Wozu ben¨ otigt man Eigenwerte in der Anwendung? Was sind Eigenwerte und Eigenvektoren? Wie kann man Eigenwerte und Eigenvektoren berechnen?

Torre Finestra im Rosengarten-Massiv

9.1 9.2

Problemstellungen in der Anwendung . . . . . . 300 Eigenwerte und Eigenvektoren . . . . . . . . . . 306 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_9 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_9

299

300

9 Eigenwerte Eigenwerte sind Maßzahlen f¨ ur quadratische Matrizen, die bei vielen Problemstellungen richtungsweisende Erkenntnisse liefern. Die zugeh¨ origen Eigenvektoren liefern Informationen ¨ uber den geometrischen Sachverhalt. Wo Eigenwerte eine Rolle spielen und wie man diese effektiv berechnet, ist Inhalt dieses Kapitels.

9.1

Problemstellungen in der Anwendung

In Anwendungen der Mathematik, der Naturwissenschaften und der Technik treten immer wieder Vektoren ~x auf, welche durch eine Matrix A auf ein Vielfaches desselben Vektors abgebildet werden, bei welchen also A~x = λ~x mit einem gewissen λ ∈ R gilt. Achsenspiegelung

Beispiel 9.1 Wir betrachten nochmals die Abbildungen in der Ebene und dort speziell die Spiegelung an der x-Achse. y X

0 1 b

1 0

x b

X′

Diese Achsenspiegelung kann nach Abschnitt 8.5 mittels ~x ′ = A~x mit der Abbildungsmatrix   1 0 A = 0 −1 beschrieben werden. Zu dieser Matrix gibt es Vektoren, die auf sich selbst oder auf den entsprechenden negativen Vektor abgebildet werden. Genauer gilt      1 0 1 1 = 0 −1 0 0      1 0 0 0 = − . 0 −1 1 1

9.1

Problemstellungen in der Anwendung

Diese Vektoren ~r1 =



1 0



und

~r2 =



0 1



geben genau die Richtungen der Spiegelachse und der Spiegelrichtung an. Hat man es nun mit einer Achsenspiegelung zu tun, welche eine Spiegelachse hat, die nicht mit einer Koordinatenachse zusammenf¨allt, so kann man zum Auffinden der Richtung der Spiegelachse und der Spiegelrichtung die obigen Eigenschaften verwenden. Man sucht die Vektoren, welche durch die Abbildungsmatrix A auf sich bzw. genau auf das Negative abgebildet werden. Z. B. ist durch die Abbildungsvorschrift √ !  ′   3 1 x x 2 2 √ = ′ 3 y y − 21 2 eine Achsenspiegelung gegeben. Man pr¨uft durch einfaches Nachrechnen, dass √ √ ! √ !  3 1 3 1 · 3 + 3 2 2 · 3 2 2 √ √ √ = √ 3 3 1 3 − 21 2 2 ·3− 2 · 3   3 √ = 3 gilt, d. h. dass offensichtlich hierdurch die Richtung der Spiegelachse vorgegeben ist. Ferner ist √ √ ! ! √ √  3 1 1 · (− 3) + 23 · 3 3 − 2 2 2 √ √ = √ 3 3 3 − 21 · (− 3) − 21 · 3 2  √2  3 = −3  √  − 3 , = − 3 was bedeutet, dass dies die Spiegelrichtung ist.



301

302

9 Eigenwerte

Fehlerellipse

Beispiel 9.2 Messgr¨oßen in der Ebene k¨onnen immer nur bis auf eine Restungenauigkeit aufgenommen werden, wobei diese Ungenauigkeit von der Richtung abh¨angt. Meistens sind die Richtungen maximaler und minimaler Ungenauigkeit zueinander orthogonal und der Ungenauigkeitsbereich bildet eine Ellipse, die sog. Fehlerellipse. y b

a x

Nun lassen sich Ellipsen in Normallage (Mittelpunkt im Ursprung O, l¨angster Durchmesser auf der x-Achse, k¨urzester Durchmesser auf der y-Achse) beschreiben durch die Gleichung x2 y2 + = 1 a2 b2

(a > b).

Dabei sind a und b gerade die extremalen Werte des halben Durchmessers der Ellipse. Diese Gleichung l¨asst sich mithilfe von Matrizen auch in der Form  1   0 x 2 a (x, y) = 1 1 y 0 2 b

beschreiben, wobei die entstehende (1,1)-Matrix mit der entsprechenden reellen Zahl identifiziert wird.  Die Richtung des l¨angsten Durchmessers ist durch den Vektor 10 gegeben und f¨ur diesen Vektor gilt  1      1  0 1 1 1 2 a2 a = 2 . = 1 0 0 0 0 a 2 b

 Entsprechend ergibt sich f¨ur die Richtung 01 des k¨urzesten Durchmessers       1  0 0 1 0 0 a2 . = = 1 1 1 1 0 b2 2 b2 b

Leider befinden sich die oben geschilderten Fehlerellipsen im Allgemeinen nicht in Normallage, sondern sind in irgendeiner Weise

9.1

Problemstellungen in der Anwendung

verschoben und gedreht. Es gibt Computerprogramme, welche aufgrund der aufgenommenen Daten die Gleichungen der Fehlerellipsen ausgeben. Nehmen wir einmal an, ein derartiges Programm gibt eine Fehlerellipse in der Form 5 2 3 5 x − xy + y2 = 1 32 16 32 aus, und wir fragen uns nach der Richtung und der L¨ange der beiden Hauptachsen. Hierzu schreiben wir die Gleichung wieder in Matrizenform um: 

(x, y)

|

5 32 3 − 32

3 − 32

{z =: A

5 32



x y

}



= 1

Die Richtungen des gr¨oßten und des kleinsten Durchmessers sowie die Gr¨oße der zugeh¨origen Halbachsen ergeben sich wieder durch die Bedingung, dass das Matrizenprodukt der Matrix mit der entsprechenden Richtung ~r ein Vielfaches dieser Richtung sein muss, also dass A~r = λ ~r mit einem geeigneten Skalar λ gilt. Man stellt durch Nachrechnen fest, dass 

5 32 3 − 32

3 − 32 5 32

1 1



−1 1





=



1 16 1 16

=



− 14



1 16



1 1

1 = 4



−1 1

=



und 

5 32 3 − 32

3 − 32 5 32



1 4





ist. Demzufolge sind die Richtungen des gr¨oßten und des kleinsten Durchmessers durch die Vektoren     1 −1 ~r1 = ~r2 = . 1 1 gegeben. Die zugeh¨origen Halbmesser ergeben sich u¨ ber die Bezie1 und b12 = 41 zu hung a12 = 16 a = 4

b = 2.

303

9 Eigenwerte

4

y

2

304

x



Gekoppelte Massenpunkte

Beispiel 9.3 Molekularbewegungen in einem Festk¨orper kann man sich in einem vereinfachten Modell als Massenpunkte vorstellen, die mittels Spiralfedern verbunden sind. Wir wollen die Wirkung der dadurch wirkenden Kr¨afte an dem sehr einfachen Beispiel zweier gekoppelter Massenpunkte diskutieren, welche beidseitig an einem festen Rand befestigt sind.

D

D x1

D x2

Die Molek¨ule werden aus der Ruhelage um x1 bzw. x2 ausgelenkt und durch die angreifenden Federn mit der jeweils identischen Federkonstanten D zur¨uckgezogen. F¨ur die zwei Molek¨ule ergeben sich die R¨uckstellkr¨afte F1 = −D x1 + D (x2 − x1 ) F2 = −D x2 − D (x2 − x1 ) bzw. in Matrizenschreibweise    −2D F1 = D F2

D −2D



x1 x2



.

Ausgehend von den Startbedingungen schwingen die beiden Molek¨ule zeitlich unterschiedlich stark, einmal st¨arker und einmal

9.1

Problemstellungen in der Anwendung

schw¨acher. Die zus¨atzlich ben¨otigte bzw. u¨ bersch¨ussige Energie wird immer der jeweils anderen Schwingung entnommen bzw. zugef¨uhrt. Es gibt aber auch Zust¨ande, in welchen keine zeitliche ¨ Anderung des Schwingungsverhaltens eintritt, in welchen also die einzelnen Molek¨ule gleichf¨ormig schwingen. Die Physik lehrt, dass dies dann der Fall ist, wenn beide angreifende Kr¨afte F1 und F2 immer ein gemeinsames Vielfaches der Auslenkungen x1 und x2 sind, wenn also     F1 x1 = λ F2 x2 gilt. Dann gibt es keinen Anlass dazu, dass zwischen den beiden schwingenden Molek¨ulen Energie ausgetauscht wird. Es zeigt sich, dass zum einen      −2D D x −Dx = D −2D x −Dx   x = −D x gilt. Wenn also die beiden Auslenkungen stets gleich groß sind, schwingt das System stabil. Die Molek¨ule schwingen dann in Phase hin und her. Dadurch bleibt die Feder zwischen den beiden Molek¨ulen entspannt, es wirkt lediglich die R¨uckstellkraft F = −Dx der linken bzw. der rechten Feder. Es gilt aber zum anderen auch, dass      3Dx −2D D −x = −3Dx x D −2D   −x = −3D . x In diesem Fall sind die Auslenkungen betragsm¨aßig gleich groß, haben aber verschiedenes Vorzeichen. Das System schwingt dann entgegengesetzt, d. h. es gilt stets x1 = −x2 . Als R¨uckstellkraft auf die einzelnen Molek¨ule ergibt sich hier die identische Gr¨oße F = −3Dx auf die beiden Molek¨ule. ◭

Die drei Beispiele belegen, dass es in unterschiedlichen Bereichen notwendig ist, L¨osungen der Gleichung A~x = λ ~x zu suchen, wobei A eine quadratische (n,n)-Matrix ist. Wie man konkret auf derartige L¨osungen kommt, werden wir im n¨achsten Abschnitt untersuchen.

305

306

9 Eigenwerte

9.2

Eigenwerte und Eigenvektoren

Die Beispiele des vorhergehenden Abschnitts legen nahe, folgende Sprechweise zu vereinbaren.

Eigenwert und Eigenvektor

Definition Unter einem Eigenwert einer quadratischen (n,n)Matrix A versteht man eine Zahl λ , zu der es mindestens einen Vektor ~x 6= ~0 gibt mit der Eigenschaft, dass A~x = λ ~x gilt. Jeder Vektor ~x 6= ~0, der diese Eigenwertgleichung erf¨ullt, heißt ein Eigenvektor zum Eigenwert λ .

Der Nullvektor ~0 muss sinnvollerweise aus der Definition des Eigenvektors ausgeschlossen werden, da stets A~0 = ~0 = λ ~0 gilt und ansonsten jede reelle Zahl λ ein Eigenwert w¨are. Auf der anderen Seite ist der Eigenwert λ = 0 durchaus m¨oglich.

Beispiel 9.4 Wir wollen die Eigenwerte der Matrix   2 −4 A = −3 6 sowie die zugeh¨origen Eigenvektoren bestimmen. Wir m¨ussen hierzu f¨ur die Gleichung      2 −4 x1 x1 = λ A~x = −3 6 x2 x2 eine L¨osung ungleich dem Nullvektor finden. Dies bedeutet in Komponenten, dass das Gleichungssystem 2 x1 − 4 x2 = λ x1 −3 x1 + 6 x2 = λ x2

9.2

Eigenwerte und Eigenvektoren

eine L¨osung ungleich (0,0) besitzen muss. Dieses Gleichungssystem kann man in die Form (2− λ )x1 − 4 x2 = 0 −3 x1 + (6− λ )x2 = 0 bzw. 

2− λ −3

−4 6− λ



x1 x2



=



0 0



umformen. Das letztgenannte lineare Gleichungssystem muss neben der trivialen Nulll¨osung weitere L¨osungen besitzen, d. h. es muss mehrere L¨osungen geben. Dies bedeutet nach der Cramer’schen Regel, dass die Determinante der Koeffizientenmatrix verschwinden muss. Nun ist 2− λ −4 −3 6− λ = (2− λ ) · (6− λ ) − (−3) · (−4) = λ 2 − 8λ = 0.

Die L¨osungen dieser quadratischen Gleichung in λ lauten

λ1 = 8

λ2 = 0.

Wir haben also zwei Eigenwerte gefunden. Die zugeh¨origen Eigenvektoren ergeben sich als L¨osungsmenge des obigen linearen Gleichungssystems mit den konkreten Werten von λ . Im Fall des Eigenwerts λ1 = 8 haben wir das folgende Gleichungssystem zu l¨osen: −6 x1 − 4 x2 = 0 −3 x1 − 2 x2 = 0 Da die erste Gleichung das Doppelte der zweiten ist, gen¨ugt es, eine der beiden Gleichungen zu betrachten. Es ergibt sich als eindimensionale L¨osungsvielfalt x1 = −2 µ x2 = 3 µ mit variablem µ ∈ R. Damit lautet ein zum Eigenwert λ1 = 8 geh¨origer Eigenvektor   −2 . ~x8 = 3 Nat¨urlich sind auch alle nicht verschwindende Vielfache dieses Vektors Eigenvektoren zum Eigenwert λ1 = 8. Einen Eigenvektor

307

308

9 Eigenwerte

zum Eigenwert λ2 = 0 erh¨alt man u¨ ber das L¨osen des Gleichungssystems 2 x1 − 4 x2 = 0 −3 x1 + 6 x2 = 0. Die zweite Gleichung ist wieder ein Vielfaches der ersten. Als allgemeine L¨osung ergibt sich x1 = 2 µ x2 = µ mit wieder variablem µ ∈ R. Alle Eigenvektoren zum Eigenwert λ2 = 0 bestehen demzufolge aus den nicht verschwindenden Vielfachen des speziellen Eigenvektors

~x0 =



2 1



. ◭

Mit dem vorgestellten Verfahren lassen sich auch allgemein die Eigenwerte und Eigenvektoren einer beliebigen (n,n)-Matrix A berechnen.

Bestimmung von Eigenwerten und Eigenvektoren

Bestimmung von Eigenwerten und Eigenvektoren Die Eigenwerte einer (n,n)-Matrix A ergeben sich u¨ ber das L¨osen der Gleichung1 det (A − λ E) = 0, wobei E die (n,n)-Einheitsmatrix ist. Die zu einem Eigenwert λi geh¨origen Eigenvektoren erh¨alt man durch L¨osung des linearen Gleichungssystems (A − λi E)~x = ~0.

Die allgemeine Herleitung dieses Sachverhalts verl¨auft ganz analog zur Argumentationsweise in Beispiel 9.4 und soll hier u¨ bergangen werden. Stattdessen wenden wir uns einem komplexeren Beispiel zu. 1

det (A− λ E) wird h¨aufig auch als charakteristisches Polynom bezeichnet.

9.2

Eigenwerte und Eigenvektoren

Beispiel 9.5 Wir fragen nach den Eigenwerten und Eigenvektoren der Matrix 

2  1 A =  0 0

0 2 0 0

0 0 −3 1

 0 0  . −5  3

Gem¨aß dem geschilderten Verfahren m¨ussen wir die Gleichung 0 0 0 2− λ 0 0 2− λ 1 det (A − λ E) = = 0 0 −3− λ −5 0 0 0 1 3−λ

l¨osen. Die Determinante l¨asst sich zweimal jeweils nach der ersten Zeile entwickeln. Es ergibt sich 0 0 0 2− λ 2− λ 0 0 1 0 −3− λ −5 0 0 0 1 3− λ 2− λ 0 0 −3− λ −5 = (2− λ ) 0 0 1 3− λ −3− λ −5 = (2− λ )2 1 3− λ  = (2− λ )2 (−3− λ ) (3− λ ) − 1 · (−5)  = (2− λ )2 λ 2 −4 = (2− λ )2 (λ −2) (λ +2) = − (2− λ )3 (2+ λ ) !

= 0. Die Eigenwerte sind demzufolge

λ1 = 2

λ2 = −2.

Die zugeh¨origen Eigenvektoren ergeben sich u¨ ber die zugeh¨origen linearen Gleichungssysteme. Im Fall λ1 = 2 ist also das folgende Gleichungssystem zu l¨osen: 0 x1

= = − 5 x3 − 5 x4 = x3 + x4 =

0 0 0 0

309

310

9 Eigenwerte

Als L¨osung ergibt sich x1 x2 x3 x4

= 0 = µ = −ν = ν.

Wir haben es hier mit einer zweidimensionalen Vielfalt von Eigenvektoren zu tun. Eigenvektoren sind

~x2,1



 0  1  =  0  0

und

~x2,2

 0  0  =  −1  1 

sowie alle Linearkombinationen dieser beiden Vektoren, die ungleich dem Nullvektor sind. Die Eigenvektoren zum Eigenwert λ2 = −2 erh¨alt man aus dem linearen Gleichungssystem 4 x1 x1 + 4 x2

= = − x3 − 5 x4 = x3 + 5 x4 =

0 0 0 0.

Daraus resultiert x1 x2 x3 x4

= 0 = 0 = −5 µ = µ,

d. h. die zugeh¨origen Eigenvektoren ergeben sich als nicht verschwindende Vielfache des Vektors   0  0  . ~x−2 =  −5  1 ◭ Von besonderem Interesse ist noch folgender Sachverhalt f¨ur symmetrische Matrizen, den wir allerdings nicht beweisen werden. Orthogonale Basis aus Eigenvektoren bei symmetrischen Matrizen

Satz Zu einer symmetrischen (n,n)-Matrix A gibt es eine Basis aus n zueinander orthogonalen Eigenvektoren. Insbesondere stehen die Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten aufeinander senkrecht.

9.2

Eigenwerte und Eigenvektoren

Beispiel 9.6 Wir suchen eine Basis aus zueinander orthogonalen Eigenvektoren der symmetrischen (3,3)-Matrix 

−3 √ A =  √2 2



2 −2 −1



 2 −1  . −2

Zur Bestimmung der Eigenwerte muss man wie gewohnt die Gleichung −3− λ √ 2 2



2 −2− λ −1



2 −1 −2− λ

= 0

l¨osen. Die hier nicht ausgef¨uhrte Rechnung liefert zwei Eigenwerte mit folgenden zugeh¨origen Eigenvektoren:

λ1 = −5 : λ2 = −1 :

~x−5 ~x−1,1

 √

 2 =  −1  −1   √1 =  2  0

~x−1,2

 0 =  −1  1 

Man pr¨uft leicht nach, dass die beiden aufgef¨uhrten Eigenvektoren zum Eigenwert λ2 = −1 orthogonal zu dem Eigenvektor ~x−5 sind. Neben den aufgef¨uhrten Eigenvektoren zum Eigenwert λ2 = −1 sind alle aus diesen Vektoren gebildeten Linearkombinationen Eigenvektoren zu diesem Eigenwert. Somit m¨ussen wir zur Konstruktion einer Basis aus orthogonalen Eigenvektoren lediglich aus diesen zwei Eigenvektoren zwei zueinander orthogonale Vektoren linear kombinieren. Das wiederum machen wir z. B. in der Weise, dass wir einen Vektor ~c aus den beiden aufgef¨uhrten Vektoren konstruieren, der orthogonal zum Vektor ~x−1,1 ist. Hierzu machen wir den Ansatz 0 = ~x−1,1 · (α~x−1,1 + β~x−1,2 ) | {z } =~c     √1 √ α =  2 · 2α −β  0 β √ = 3α − 2β.

311

312

9 Eigenwerte

Eine L¨osung dieser entstandenen Gleichung ist z. B. α = β = 3, sodass wir einen Vektor der gesuchten Art als     √   0 2 √ √1 ~c = 2  2  + 3  −1  =  −1  1 0 3

√ 2 und

erhalten. Eine Basis aus zueinander orthogonalen Eigenvektoren besteht damit aus   √    √  2 2 √1 ~x−1,1 =  2  ~c =  −1  . ~x−5 =  −1  −1 3 0 ◭

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 9.2 9.1 

a)



d)

9.2

Berechnen Sie die Eigenwerte und Eigenvektoren folgender Matrizen.    2 1 b) 0 −2 c) 0 −4 −6 −4

6  −2 0

−2 3 0

 0 0  7



e)

5  −1 3

−6 4 −6

 −6 2  −4

f)

 

4

7

− 27

− 13 2

3  2 2

1 2 2



 −1 −1  0

a) Berechnen Sie die Eigenwerte und die Eigenvektoren der (2,2)-Matrix, welche eine Scherung in x- bzw. in y-Richtung repr¨asentiert. Interpretieren Sie das Ergebnis geometrisch. b) Durch die Matrix A =



0 −1

1 2



ist eine Scherung gegeben. Berechnen Sie die Scherungsrichtung. c) Welche Eigenwerte und Eigenvektoren haben die grundlegenden 3-dimensionalen Scherungsmatrizen? Was repr¨asentieren die Eigenvektoren geometrisch?

9.3

F¨ur welche Werte von ϕ hat die Drehmatrix   cos(ϕ ) − sin(ϕ ) A = sin(ϕ ) cos(ϕ )

Eigenwerte? Berechnen Sie ggf. die Eigenwerte und die zugeh¨origen Eigenvektoren. Interpretieren Sie das Ergebnis geometrisch.

9.4 Ein Programmsystem zur Bestimmung der Lage eines Punktes gibt als Unsicherheit der Lage des Punktes eine Ellipse mit der Gleichung √ 31 2 3 7 2 x + xy + y = 1 3 600 360 1 200 aus. In welcher Richtung wird die gr¨oßte und in welcher Richtung die kleinste Unsicherheit angenommen und wie groß sind diese Unsicherheiten?

9.5

Im Raum ist eine Abbildung f :~x 7−→~x ′ = A~x mit der Matrix 

A = 

7 2 √

− 3

2 4 √ 2 3

√  −√ 3 2 3  5

gegeben. Bestimmen Sie eine Basis aus 3 zueinander orthogonalen Eigenvektoren~e1 ,~e2 ,~e3 der L¨ange 1. Wie sieht die obige Abbildung in einem Koordinatensystems mit Achsen in Richtung dieser Eigenvektoren aus?

313

314

9 Eigenwerte

9.6 Verallgemeinern Sie das Beispiel 9.3 in Abschnitt 9.1 in folgender Weise. Drei Massenpunkte sind durch Federn mit gleicher Federkonstante zwischen zwei festen W¨anden eingespannt. Wie k¨onnen diese Massenpunkte stabil schwingen, also ohne Energie untereinander auszutauschen? Diskutieren Sie diese Fragestellung mithilfe der Eigenwerttheorie. D

D x1

D x2

D x3

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Grenzwerte

10

Was sind Folgen? Wie werden Grenzwerte von Folgen definiert? Was verbirgt sich hinter der Zahl e ? Wie werden Grenzwerte von Funktionen erkl¨ art? Was versteht man unter Stetigkeit einer Funktion? Holzsteg

10.1 10.2 10.3 10.4 10.5

Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Grenzwertbegriff bei Folgen . . . Die Euler’sche Zahl e . . . . . . . . . Der Grenzwertbegriff bei Funktionen . Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

316 319 326 331 339 344

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_10 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_10

315

316

10 Grenzwerte Die Stetigkeit von Funktionen ist ein zentraler Begriff zur Vorbereitung der Differenzialrechnung. F¨ ur die Definition der Stetigkeit ben¨ otigt man den Grenzwertbegriff bei Funktionen, der wiederum u ¨ber Grenzwerte von Folgen erkl¨art wird. Aus diesem Grund werden wir uns zun¨achst mit Folgen besch¨aftigen, dann mit Grenzwerten von Folgen, um mit diesen dann Grenzwerte von Funktionen und letztendlich die Stetigkeit zu definieren.

10.1

Folgen

Wir beginnen diesen Abschnitt gleich mit einem einf¨uhrenden Beispiel. Zinsrechnung

Beispiel 10.1 Gehen wir einmal davon aus, dass Kaiser Augustus exakt zur Zeitenwende auf einer Bank ein Konto er¨offnet, einen Euro eingezahlt und einen stabilen Zins von 4% pro Jahr vereinbart h¨atte, welcher immer zum ersten Januar eines Jahres dem Konto gut geschrieben wird. Wir k¨onnen uns dann fragen, wie viel Geld sich nach 100 Jahren, zum Zeitpunkt des Endes des Westr¨omischen Reiches im Jahr 476, am Ende des Byzantinischen Reiches im Jahr 1453 oder auch heute auf dem Konto angeh¨auft h¨atte. Diese Frage l¨asst sich verallgemeinern: Wie viel Geld befindet sich n Jahre nach Er¨offnung auf dem Konto? Zur Beantwortung fertigt man naiv eine Tabelle mit den Betr¨agen an, welche sich j¨ahrlich angesammelt haben. Es ergibt sich letztendlich eine Tabelle der nachfolgenden Form. Jahr n 0 1 2 3 4 5 .. . 99 100 101 .. . 475 476 477 .. .

Saldo [e] 1,00 1,04 1,08 1,12 1,17 1,22 .. . 48,56 50,50 52,53 .. . 123 263 974,50 128 194 533,48 133 322 314,82 .. .

Wir k¨onnen die Folge der Kontosalden auch einfach abgek¨urzt in eine Anreihung der Form (1,00; 1,04; 1,08; 1,12; 1,17; 1,22; . . .)

10.1

Folgen

auflisten. Schaut man sich das Bildungsgesetz dieser Zahlen genauer an, so erkennt man, dass sich die Nachfolgezahl stets als Produkt der Vorg¨angerzahl mit 1,04 ergibt. Damit ergibt sich als Kontosaldo nach einem Jahr 1,04, nach zwei Jahren 1,04 · 1,04 = 1,042 , nach drei Jahren 1,042 · 1,04 = 1,043 und allgemein nach n Jahren 1,04n . Wir k¨onnen die obige Folge von Kontosalden auch schreiben in der Form (an ) = (a0 , a1 , a2 , a3 , a4 , a5 , . . .) mit an = 1,04n ,

n = 0,1,2, . . .. ◭

Dieses Beispiel legt die folgende Definition einer Folge nahe.

Definition Eine Folge ist eine unendliche Menge von nicht notwendig verschiedenen Zahlen, die in einer gewissen Reihenfolge angeordnet sind.

Folge

(an ) = (an )∞ n=0 = (a0 , a1 , a2 , a3 , a4 , a5 , . . .)

Beispiel 10.2 In der sog. fraktalen Geometrie wird der Umriss einer Schneeflocke durch folgendes Bildungsgesetz simuliert. Man beginnt mit einem gleichseitigen Dreieck des Seitenl¨ange 1, teilt dann die Seiten in drei gleiche Teile und f¨ugt jeweils an das mittlere Drittel ein neues gleichseitiges Dreieck an. Die Umrandung der entstehenden Figur ist die neue Ausgangskurve. Nun unterteilt man wieder die Seiten in drei gleiche Teile, f¨ugt in der Mitte wieder gleichseitige Dreiecke an und nimmt wieder die einh¨ullende Kurve. Dieses Verfahren wird stufenweise wiederholt.1

Beispiel aus der fraktalen Geometrie: Koch’sche Kurve

317

318

10 Grenzwerte

Wir fragen nach der L¨ange der Berandungskurven der enstehenden Schneeflocken. Das Ausgangsdreieck hat aufgrund der Seitenl¨ange 1 die Gesamtl¨ange a0 = 3. Bei der ersten Bildungsstufe erh¨oht sich jede Seitenl¨ange des Dreiecks um die L¨ange eines Drittels, d. h. die Gesamtl¨ange betr¨agt a1 = 43 · 3 = 4. Bei der darauf folgenden Stufe wird wiederum jede Seite um den Faktor 43 erh¨oht. Es ergibt sich eine Gesamtl¨ange von a2 = 43 a1 = 16 asst 3 usw. Es l¨ sich feststellen, dass mit jedem Schritt sich die Gesamtl¨ange der Berandungskurve um den Faktor 43 erh¨oht. Wir erhalten als Folge der Kurvenl¨angen   16 64 256 (an ) = 3, 4, , , , ... 3 9 27   2 3 4 = 3, 43 ·3, 43 ·3, 43 ·3, 43 ·3, . . .    4 n = 3 ·3 . ◭

Folgen (an ) kann man in einem Koordinatensystem veranschaulichen, a¨ hnlich wie man Funktionen in der Form eines Graphen visualisiert. Man tr¨agt auf der horizontalen Achse die Stellen in der Folge und in Richtung der vertikalen Achse die Werte der Folgenglieder ab. Im obigen Beispiel 10.2 entsteht das nachfolgende Bild: an 27 24 21 18 15 12 9 6 3 0

1

bb

bb

b

b

bb

b b b b

1

2

3

4

5

6

7

8

n

Die Kurve, welcher sich die Berandung ann¨ahert, heißt Koch’sche Kurve. Sie ist benannt nach Niels Fabian Helge von Koch, 1870–1924, schwedischer Mathematiker.

10.2

Der Grenzwertbegriff bei Folgen

Die Folge besteht eigentlich nur aus den skizzierten Punkten, doch ist man gewillt, diese durch die gestrichelte Linie zu verbinden. Die Analogie zum Graphen einer Funktion liegt auf der Hand.2

10.2

Der Grenzwertbegriff bei Folgen

Beispiel 10.3 Wir betrachten die Folge   n + (−1)n ∞ (an ) = n n=1   3 2 5 4 7 6 9 8 11 10 = 0, , , , , , , , , , , ... , 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 wobei wir aus nahe liegenden Gr¨unden (Division durch null) die Nummerierung mit n = 1 beginnen. Es ist plausibel, dass aufgrund n n der Tatsache n+(−1) = 1+ (−1) n n die Folgenglieder sich immer mehr dem Wert 1 ann¨ahern und diesem Wert beliebig nahe kommen. Dies wird noch deutlicher, wenn wir das Schaubild dieser Folge zeichnen. an b

ε 1 ε

b b

b

b b

b b

b

b

b

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10 11 n

Offensichtlich wird jeder noch so enge ε -Streifen um die H¨ohe 1 durch die Folgenglieder irgendwann erreicht und nicht mehr verlassen. ◭

2

Die eingef¨uhrte Veranschaulichung legt eine weitere Zugangsm¨oglichkeit f¨ur den Begriff der Folge nahe, von der manchmal Gebrauch gemacht wird. Man ordnet jeder Stelle n einen Wert an zu, betrachtet also Funktionen auf den nat¨urlichen Zahlen f : N −→ R; n 7−→ an .

319

320

10 Grenzwerte

Grenzwert oder Limes einer Folge

Definition Eine Folge (an ) hat den Grenzwert oder Limes3 a ∈ R, wenn es zu jedem ε > 0 eine nat¨urliche Zahl n0 gibt mit der Eigenschaft, dass f¨ur alle n ≥ n0 stets |an − a| < ε gilt. Man schreibt in diesem Fall lim an = a.

n→∞

Uneigentlicher Grenzwert

Nat¨urlich m¨ussen nicht alle Folgen einen Grenzwert besitzen, wie schon das Beispiel 10.1 aus dem Abschnitt 10.1 belegt. Die dortige Folge (an ) = (1,04n ) wird beliebig groß, w¨achst also u¨ ber alle Grenzen. Man sagt, dass dann der Grenzwert nicht existiert und schreibt trotzdem lim an = ∞,

n→∞

eine gewisse Paradoxie. Man spricht manchmal auch vom uneigentlichen Grenzwert ∞. Es ist aber durchaus auch m¨oglich, dass eine Folge nicht gegen ±∞ strebt und trotzdem keinen Grenzwert hat, wie das folgende einfache Beispiel belegt.

Beispiel 10.4 Die Folge  (an ) = (−1)n = (1, − 1, 1, − 1, 1, − 1, 1, − 1, . . .)

oszilliert permanent zwischen 1 und −1 hin und her und hat damit keinen Grenzwert. Auf der anderen Seite sind ihre Werte beschr¨ankt, gehen also insbesondere nicht gegen ±∞. Im Schaubild a¨ ußert sich dies in der Form eines permanenten Hin- und Herspringens, ohne auf einen konkreten Wert einzuschwingen. an 1

0 −1

3

b

b

1 b

2

b

3 b

4

b

5 b

6

b

7 b

8

b

9

10 n

b

Der Begriff stammt aus dem Lateinischen: Limes = die Grenze.



10.2

Der Grenzwertbegriff bei Folgen

Definition Hat eine Folge (an ) einen endlichen Grenzwert a ∈ R, so heißt sie konvergent, ansonsten divergent.

Es sei nochmals ausdr¨ucklich darauf hingewiesen, dass man Folgen mit dem uneigentlichen Grenzwert lim an = ±∞ divergent nennt. Die Definition des Grenzwerts ist f¨ur die praktische Berechnung von Grenzwerten sehr umst¨andlich, wie folgendes Beispiel belegt.

Beispiel 10.5 Wir wollen den Grenzwert der Folge   1 (an ) = nc mit einer beliebigen positiven Konstanten c bestimmen. Um mit der Definition arbeiten zu k¨onnen, ben¨otigt man zun¨achst eine Vermutung. Schreibt man die ersten Glieder der Folge f¨ur den Spezialfall c = 2 oder c = 21 auf, so gelangt man relativ rasch zu der Einsch¨atzung, dass wohl lim

n→∞

1 = 0 nc

gilt. Diese Vermutung m¨ussen wir nachweisen. Wir m¨ussen dazu zeigen, dass es zu jedem noch so kleinen ε > 0 eine Stelle n0 gibt, ab der die Glieder an = n1c weniger als ε von null entfernt sind. Zum Beweis geben wir uns also ein beliebiges ε > 0 vor. Die Folgenglieder sind n¨aher als dieses ε bei der Null, wenn |an − 0| < ε gilt. Diese Ungleichung wird nun in folgender Weise a¨ quivalent, d. h. gleichbedeutend, umgeformt: 1 < ε nc 1 −ε < c < ε n Da die linke Seite der letzten Ungleichung wegen n1c > 0 trivialerweise erf¨ullt ist, l¨asst sich die Ungleichung folgendermaßen weiter

Konvergente und divergente Folgen

321

322

10 Grenzwerte

umformen: 1 < ε nc 1 < nc ε  1 1 c n > ε Diese letzte Ungleichung bedeutet, dass f¨ur alle Stellen 1 n > 1ε c = 11 der Abstand des Folgenglieds an = n1c von εc

null kleiner als das vorgegebene ε ist. Wir k¨onnen also als Startstelle n0 einfach die erste nat¨urliche Zahl jenseits von 11 w¨ahlen und εc

sind dann sicher, dass alle darauf folgenden Folgenglieder an n¨aher als das vorgegebene ε bei null sind. Da das vorgegebene ε beliebig war, ist die Aussage bewiesen. ◭

Nat¨urlich ist eine derartige Berechnungsmethode von Grenzwerten im t¨aglichen Einsatz absolut untauglich. Man ist auf einfachere Methoden der Grenzwertbestimmung angewiesen, die es gl¨ucklicherweise gibt.

Rechenregeln zur Berechnung von Grenzwerten von Folgen

Rechenregeln zur Berechnung von Grenzwerten von Folgen Es seien (an ) und (bn ) zwei konvergente Folgen. Unter der Voraussetzung, dass die entsprechenden Grenzwerte existieren, gelten folgende Regeln: lim (an + bn ) = lim an + lim bn

n→∞

n→∞

n→∞

lim (an − bn ) = lim an − lim bn

n→∞

n→∞

n→∞

lim (c · an ) = c · lim an

n→∞

n→∞

(c ∈ R)

lim (an · bn ) = lim an · lim bn

n→∞

n→∞

lim

an

n→∞

lim an

=

n→∞

lim bn n→∞  c lim (an )c = lim an n→∞ bn

n→∞

n→∞

(c ∈ R)

Salopp gesprochen darf man den Grenzwert u¨ berall dorthin ziehen, wo man ihn gerade ben¨otigt – er verh¨alt sich also so, wie man es erwartet.

10.2

Der Grenzwertbegriff bei Folgen

Insbesondere besagt die letzte Regel f¨ur den Fall c = 12 , dass man den Grenzwert auch unter die Wurzel ziehen darf, also dass q √ lim an = lim an n→∞

n→∞

gilt. Der Beweis all der Regeln wird mithilfe der Grenzwertdefinition gef¨uhrt. Er verl¨auft formal, tr¨agt wenig zum Verst¨andnis bei und soll aus diesem Grund nicht weiter besprochen werden. Die N¨utzlichkeit dieser Rechenregeln wird allerdings anhand einiger Beispiele ausf¨uhrlich belegt.

Beispiel 10.6

lim

n→∞

5n2 − 7 3 − 2n2

= lim

n→∞ 3 n2

=

  lim 5 − n72 n→∞   = −2 lim n32 − 2

5 − n72

n→∞

lim 5 − lim n72 n→∞ n→∞ lim n32 − lim 2 n→∞ n→∞

=

=0

=5 z }| { z }| { lim 5 − 7 lim n12

n→∞

n→∞

3 lim n12 − lim 2 n→∞ n→∞ | {z } | {z } =0

5 5−7·0 = − = 3·0−2 2

=2



Diese ausf¨uhrliche Schreibweise, in welcher wir den Grenzwert Schritt f¨ur Schritt zu den einzelnen Operanden f¨uhren, werden wir k¨unftig abk¨urzen.

Beispiel 10.7 √ 3 an3 − 3n 2 + 1 an3 − 3n n + 1 √ = lim n→∞ 2n3 − 17a n 21 n→∞ 2n3 − 17a n lim

→0

→0

z}|{ z}|{ 1 1 a−3 3 + 3 n n2 = lim 1 n→∞ 2 − 17a 5 n2 |{z} →0

a a−3·0+0 = = 2 − 17a · 0 2



323

324

10 Grenzwerte

Grenzwerte mit polynomartigen Ausdrucken ¨ in Z¨ahler und Nenner

Aufgrund der beiden soeben durchgerechneten Beispiele k¨onnen wir ein einfaches Verfahren zur Berechnung von Grenzwerten von Folgen mit polynomartigen Ausdr¨ucken4 in Z¨ahler und Nenner formulieren. Man k¨urzt zun¨achst durch die h¨ochste Nennerpotenz und wertet dann in Z¨ahler und Nenner die Grenzwerte summandenweise“ aus. ” Wie wir in den vorangegangenen Beispielen gesehen haben und in den folgenden Abschnitten auch noch feststellen werden, spielen Folgen mit dem Grenzwert null eine herausragende Rolle. Aus diesem Grund werden derartige Folgen mit einem eigenen Namen belegt.

Nullfolge

Eine Folge (an ) mit dem Grenzwert

Definition

lim an = 0

n→∞

heißt Nullfolge.

Es gibt noch eine weitere Methode, um Grenzwerte von Folgen zu berechnen, insbesondere wenn Wurzeln im Spiel sind. Man benutzt dabei die dritte binomische Formel, um Differenzen der Form ∞ − ∞“ in den ” Griff zu bekommen.

Beispiel 10.8

lim √

n→∞

1 n2 +n − n



n2 +n + n  √  n2 +n − n n2 +n + n √ √ n2 +n + n n2 +n + n = lim 2 = lim n→∞ (n + n) − n2 n→∞ n ! ! r r 2 n +n 1 = lim + 1 = lim 1+ + 1 n→∞ n→∞ n2 n √ = 1+0 + 1 = 2 = lim √ n→∞



4

Unter polynomartigen Ausdr¨ucken wollen wir Summen mit Summanden der Form ak nk verstehen, wobei die Exponenten k durchaus auch keine nat¨urliche Zahlen, also z. B. Br¨uche sein d¨urfen.

10.2

Der Grenzwertbegriff bei Folgen

Wir wollen den Abschnitt mit einem Anwendungsbeispiel beenden. Der Grenzwert der auftretenden Folge wird dabei mit nochmals einem anderen Verfahren berechnet.

Rekursiv definierte Folge

Beispiel 10.9 Der j¨ahrliche Bestand einer Population mit wachstumsbeschr¨ankten Ressourcen wird in der Biologie h¨aufig durch eine Folge (an ) modelliert, wobei sich die Folgenglieder ausgehend von einem Startwert a0 folgendermaßen rekursiv berechnen:  an  an+1 = c 1 − an d Hierbei beschreiben die Konstanten c > 1 die j¨ahrliche Vermehrungsrate ohne a¨ ußere Einfl¨usse und d > 0 die Begrenzung der Population aufgrund des begrenzten Lebensraums bzw. der begrenzten Nahrungsressourcen. Diese so definierte Folge ist nicht, wie bisher, formelm¨aßig geschlossen in der Form an = f (n) ausgedr¨uckt. Die geschlossene Darstellung ist in diesem Fall auch gar nicht auf eine einfache Weise m¨oglich, sodass wir mit der obigen Rekursionsformel arbeiten m¨ussen. Aufgrund der beschr¨ankten Ressourcen ist es plausibel, dass bei einem Ausgangsbestand a0 sich die Population einem gewissen Grenzwert a ann¨ahern wird, dass also die Folge konvergiert.5 Allerdings ist nicht klar, wie groß der Grenzwert a ist. Nun bedeutet die Definition des Grenzwerts, dass die Folgenglieder an sich dem Wert a ann¨ahern. Damit streben nat¨urlich auch die Nachfolgeglieder an+1 mit wachsendem n ebenfalls gegen diesen Wert a. Dies heißt aber, dass Folgendes gilt: an+1

 a  = c 1 − n an d

n→∞

a

n→∞

 a = c 1− a d

Wir haben demzufolge zur Berechnung des Grenzwerts die untere Gleichung nach a aufzul¨osen. Als L¨osungen der entstehenden quadratischen Gleichung ergeben sich a(1) = 0

und

a(2) =

c−1 d. c

325

326

10 Grenzwerte

Die erste L¨osung ist nat¨urlich keine L¨osung des Problems. Dies w¨are der Grenzfall f¨ur c < 1, also wenn die Population auch ohne die a¨ ußeren Begrenzungen schrumpfen w¨urde. Unsere gesuchte Grenzpopulation ist damit lim an =

n→∞

c−1 d. c ◭

10.3

Verzinsungszeitpunkt

Die Euler’sche Zahl e

Beispiel 10.10 Eine Bank bietet einen Zinssatz von 4,8 %, wobei j¨ahrlich verzinst wird. Eine Konkurrenzbank bietet den gleichen j¨ahrlichen Zinssatz an, schreibt aber die Zinsen viertelj¨ahrlich gut. Eine dritte Bank bietet schließlich ebenfalls 4,8 % Jahreszins, schreibt die Zinsen aber sogar monatlich gut. Welche Bank hat die besten Konditionen? Zur Beantwortung dieser Frage, m¨ussen wir uns u¨ berlegen, auf das Wievielfache sich das eingezahlte Kapital K innerhalb eines Jahres erh¨oht. Bei der ersten Bank berechnet sich das Endkapital nat¨urlich u¨ ber die Formel K1,e = K · (1 + 0,048) = 1,048 K. Bei der zweiten Bank hat man nach einem Vierteljahr ein Kontosaldo von   0,048 K2,1 = K · 1 + . 4 Dieses Kapital ist dann die Grundlage f¨ur die Verzinsung nach einem halben Jahr.  !   0,048 0,048 K2,2 = K · 1 + · 1+ 4 4  2 0,048 = K · 1+ 4

5 Denkbar w¨ are auch, dass die Folge im Grenzfall zwischen gewissen Werten hin und her pendelt, ohne sich auf einen Grenzwert einzuschwingen, doch l¨asst es sich zeigen, dass dies hier nicht der Fall ist.

10.3

¨ F¨uhrt man diese Uberlegung fort, so ergibt sich letztendlich als Endkapital K2,e = K2,4



0,048 = K · 1+ 4

4

≈ 1,04887 K.

Entsprechend erh¨alt man bei der dritten Bank ein Endsaldo von   0,048 12 K3,e = K3,12 = K · 1 + ≈ 1,04907 K. 12



Das Beispiel legt die Vermutung nahe, dass bei Verk¨urzung der Verzinsungsdauern das effektive Kapital zum Jahresende steigt. Es stellt sich damit die Frage, auf das Wievielfache das eingesetzte Kapital bei einem nominalen Jahreszins x und einer st¨andigen Verk¨urzung der Verzinsungszeit ansteigen kann. Dazu ben¨otigen wir den Grenzwert  x n lim 1 + . n→∞ n Wir beschr¨anken uns erst einmal auf den Sonderfall  n x= 1. Es ist zun¨achst offen, ob die entstehende Folge (an ) = 1 + 1n u¨ berhaupt konvergiert. Satz

Die Folge (an ) mit   1 n an = 1 + n

ist konvergent.

Beweis Eine Folge, deren Folgenglieder immer gr¨oßer bzw. zum Mindesten nicht kleiner werden, heißt monoton wachsend“. Wir u¨ berlegen ” uns zuerst, dass eine derartige monoton wachsende Folge, die zus¨atzlich nach oben beschr¨ankt ist, immer konvergent ist. Dass diese Behauptung richtig ist, sieht man ein, wenn man sich das untenstehende Schaubild einer solchen Folge anschaut. an

b

b

b

b

b

b

b

b

b

b

b

b

n

Die Euler’sche Zahl e

327

328

10 Grenzwerte

Offensichtlich m¨ussen sich die st¨andig wachsenden Folgenglieder aufgrund der Beschr¨anktheit in einer gewissen H¨ohe stabilisieren. Der Grenzwert ergibt sich als kleinste obere Schranke“.6 ” Aufgrund des geschilderten Sachverhalts gen¨ugt es nachzuweisen, dass die Folge monoton w¨achst und nach oben beschr¨ankt ist. Wir beginnen mit dem zweiten Teil. Beschr¨anktheit von (an ) nach oben Mit der Verallgemeinerung der binomischen Formel7 l¨asst sich nachfolgende Ungleichungskette erstellen.

an =



1+

1 n

n

1 n 1 n(n−1) n−2 1 n(n−1)(n−2) n−3 1 + ·1n−1 · 1 + ·1 · 2 + ·1 · 3 0 n 1 n 1·2 n 1·2·3 n n(n−1) · · ·1 0 1 + ...... + ·1 · n 1 · 2 · · ·n n 1 n−1 1 n−1 n−2 = 1+1+ · + · · 1 · 2 | {z n } 1 · 2 · 3 | {z n } | {z n} = 1n ·

0. Wegen h(1) < 0 und h(1,5) > 0 bedeutet dies, dass f¨ur die gesuchte Nullstelle 1 < x2 < 1,5 gilt. Nun wiederholen wir das Verfahren und gehen in die Mitte des Intervalls [1; 1,5]: h(1,25) = e1,25 − 2 · 1,25 − 1 ≈ −0,010 < 0 Die Lage der Nullstelle x2 kann demzufolge auf den Bereich zwischen 1,25 und 1,5 eingeschr¨ankt werden. Durch permanentes Wiederholen dieses Verfahrens kann das Intervall, in welchem die Nullstelle von h und damit der zweite Schnittpunkt der beiden urspr¨unglichen Kurven liegt, immer enger gefasst werden. Es ist also zwar nicht m¨oglich, die Nullstelle exakt zu bestimmen, aber doch beliebig genau einzugrenzen. Es ergibt sich letztendlich n¨aherungsweise x2 ≈ 1,256 431 209. ◭

Stetigkeit

341

342

10 Grenzwerte

Bisektionsverfahren Intervallhalbierungsverfahren

Zwischenwertsatz

Das im vorhergehenden Beispiel geschilderte Verfahren zur n¨aherungsweisen Bestimmung von Nullstellen einer Funktion ist unter dem Namen Bisektionsverfahren oder Intervallhalbierungsverfahren bekannt. Es beruht auf der Tatsache, dass bei einer stetigen Funktion f : [a,b] −→ R sich die Funktionswerte kontinuierlich a¨ ndern und keine Spr¨unge aufweisen. Wir wollen die zugrunde liegenden Sachverhalte in mathematischen S¨atzen formulieren.

Zwischenwertsatz Eine auf dem abgeschlossenen Intervall [a,b] definierte stetige Funktion f nimmt jeden Wert zwischen f (a) und f (b) an mindestens einer Stelle an.

Diesen Sachverhalt sieht man sofort ein, wenn man sich die Graphen einer stetigen Funktion aufzeichnet. y f (b)

y b

f (a) y0 f (a)

b

y0 b

b

b

b

f (b) b

a

x0

b x

b

a

x0

x1 x2 b x

Wohlgemerkt k¨onnen sowohl ein bestimmter Wert mehrfach als auch weitere Werte außerhalb [ f (a), f (b)] als Funktionswert angenommen werden. Ein Spezialfall des Zwischenwertsatzes ist der wichtige Fall mit dem Zwischenwert null, den wir bereits im obigen Beispiel 10.20 ausgenutzt haben. Er ist mit einem eigenen Namen versehen.

Nullstellensatz von Bolzano

Nullstellensatz von Bolzano8 Jede auf dem abgeschlossenen Intervall [a,b] stetige Funktion f mit der Eigenschaft, dass f (a) und f (b) unterschiedliche Vorzeichen haben, besitzt mindestens eine Nullstelle in [a,b].

8 Bernhard Bolzano, 1781–1848, b¨ ohmischer katholischer Priester, Philosoph und Mathematiker.

10.5

Stetigkeit

Oft ist man an Optimierungsaufgaben interessiert, deren Zielgr¨oße durch Funktionen modelliert werden. Gem¨aß Abschnitt 2.3 m¨ussen aber Funktionen weder ein Maximum noch ein Minimum besitzen. Bei stetigen Funktionen auf abgeschlossenen Intervallen sieht der Sachverhalt jedoch anders aus.

Satz vom Maximum und Minimum Eine auf einem abgeschlossenen Intervall [a,b] definierte stetige Funktion f besitzt im Definitionsbereich [a,b] sowohl ein Maximum als auch ein Minimum.

Auch dieser Existenzsatz ist einsichtig, wenn man sich die m¨oglichen Schaubilder einer stetigen Funktion auf einem abgeschlossenen Intervall aufzeichnet. Selbstverst¨andlich k¨onnen das Maximum und das Minimum auch an mehreren Stellen angenommen werden. Die Extrema k¨onnen sogar an den R¨andern angenommen werden, was u¨ brigens der Normalfall ist. y y M M b

b

b b b

b

m a

b x

m a

b x

Satz vom Maximum und Minimum

343

344

10 Grenzwerte

Aufgaben Abschnitt 10.1 10.1 Leonardo von Pisa, besser bekannt unter dem Namen Fibonacci,9 entwickelte folgendes Modell zur Vermehrung von Kaninchen. Zu Beginn existiert ein junges Kaninchenpaar. Dieses Kaninchenpaar ist nach zwei Monaten geschlechtsreif und bekommt ein junges Kaninchenpaar und ab diesem Monat monatlich ein weiteres. Die neugeborenen Kaninchenpaare entwickeln sich auf die gleiche Weise. Die Anzahl der Kaninchenpaare in einem Monat ergibt sich nach diesem Modell stets als Summe der vor einem Monat und vor zwei Monaten vorhandenen Kaninchenpaare. Schreiben Sie die ersten 20 Glieder der so definierten Fibonacci-Folge explizit auf und visualisieren Sie diese Folge in einem Schaubild. 9

Leonardo von Pisa, ca. 1170 – ca. 1250, italienischer Mathematiker. Der Name Fibonacci“ r¨uhrt von dem Beinamen ” Filius Bonacci“, also Sohn des Bonacci“, welcher zu Fibonacci“ verk¨urzt wurde. ” ” ”

10.2 In der fraktalen Geometrie gibt es das sog. Sierpinski10 -Dreieck. Dabei hat man zun¨achst ein gleichseitiges Dreieck der Seitenl¨ange 1. Aus diesem wird das durch die Seitenmitten festgelegte Dreieck ausgeschnitten, sodass drei gleichseitige Dreiecke u¨ brig bleiben. Mit diesen Dreiecken wird in der gleichen Weise verfahren usw. (vgl. Skizze). Wie lauten die ersten Folgenglieder der Fl¨acheninhalte der nach und nach entstehenden Figuren? Gibt es ein Bildungsgesetz, nach dem sich der n-te Fl¨acheninhalt an berechnet?

10

Waclaw Sierpinski, 1882–1969, polnischer Mathematiker.

Abschnitt 10.2 ¨ 10.3 Uberlegen Sie, ob folgende Aussagen richtig sind. Begr¨unden Sie Ihre Antwort bzw. geben Sie ein Gegenbeispiel an. a) Die Betr¨age der Folgenglieder einer divergenten Folge werden beliebig groß. b) Die gliedweise Summe zweier konvergenter Folgen ist konvergent. c) Die gliedweise Differenz zweier divergenter Folgen ist divergent. d) Jede Folge mit st¨andig wachsenden Gliedern hat den Grenzwert ∞. e) Die Glieder einer konvergenten Folge befinden sich alle in einem abgeschlossenen Intervall [a,b], sind also betragsm¨aßig nicht beliebig groß.

Aufgaben

10.4 Berechnen Sie die nachstehenden Grenzwerte. 1 − 2n + 3n2 n→∞ 4 + 5n2 √ √ 2n n − n + π n √ √ c) lim √ n→∞ −π n n + 2 n + e   3n + 1 8 e) lim n→∞ 2n − 1   n2 3n2 g) lim − n→∞ 2n2 + 1 4n + 1 a) lim

√ 3n2 − 7 n n→∞ 4n − 2n3    5 6 d) lim 2 + 3− n→∞ 2n n b) lim

f) lim

(2n + 1)6

3

(2n2 − n + 1) √ √  h) lim n+a− n n→∞

n→∞

10.5 Ein Fahrradschlauch mit dem Prallvolumen VS wird mithilfe einer Luftpumpe mit dem Volumen ∆V aufgepumpt. Der Umgebungsluftdruck wird mit p0 bezeichnet. Nach dem BoyleMariotte’schen11 Gesetz pV = const. berechnet sich der Luftdruck pn im Reifen nach n Kolbenst¨oßen angen¨ahert gem¨aß der Formel pn VS = n ∆V p0 . Berechnen Sie die ersten Glieder der hierdurch definierten Folge (pn ). Wie groß wird der Luftdruck im Grenzfall n → ∞? Begr¨unden Sie Ihre Antwort. 11

Robert Boyle, 1627–1691, britischer Chemiker; Edm´e Mariotte, 1620-1684, franz¨osischer Physiker.

10.6 Berechnen Sie die Grenzwerte folgender rekursiv definierter konvergenter Folgen (an ). r 2 64 a) an+1 = 1 − an , a0 = 1 b) an+1 = , a0 = 10 3 an 1 a2 − 2 c) an+1 = an (2 − an ) , a0 = d) an+1 = n , a0 = 0 2 an + 3 10.7 a) Zeigen Sie mithilfe der ε -Definition des Grenzwerts, dass die Folge (an ) = (qn ) im Fall |q| < 1 eine Nullfolge ist. Was geschieht in den F¨allen q > 1, q < −1 und q = ±1? b) Aus einem Quadrat mit der Seitenl¨ange 1 werden sukzessive kleinere Quadrate ausgeschnitten. Die Seitenl¨ange der im Folgeschritt ausgeschnittenen Quadrate betr¨agt stets ein Drittel der vorhergehenden Seitenl¨ange. Wie groß ist der Fl¨acheninhalt des im Grenzfall entstehenden Fraktals?

345

346

10 Grenzwerte

Abschnitt 10.3 10.8 Berechnen Sie mit einem Computeralgebrasystem die folgenden Grenzwerte und best¨atigen ¨ Sie die Ergebnisse durch eine eigene Uberlegung.  2n  n   1 n 1 n a) lim 1 + b) lim c) lim 1 − n→∞ n→∞ n − 1 n→∞ n n 10.9 Eine Bank bietet folgende Alternativen der Baufinanzierung: Typ A: 6,7 % Jahreszins, j¨ahrliche Zinsberechnung Typ B: 6,6 % Jahreszins, viertelj¨ahrliche Zinsberechnung Typ C: 6,5 % Jahreszins, permanente Zinsberechnung F¨ur welche Finanzierungsart entscheiden Sie sich? Begr¨unden Sie Ihre Entscheidung.

Abschnitt 10.4 10.10 Erl¨autern Sie mit eigenen Worten die Bedeutung folgender mathematischer Schreibweisen. Beantworten Sie ggf. auch die Zusatzfragen. a) lim f (x) = −2 x→3

Ist es m¨oglich, dass f (3) = 0 ist?

b) lim f (x) = −2 x→−∞

c) lim f (x) = −2 x→3−

und

lim f (x) = 1

x→3+

Existiert in diesem Fall der Grenzwert lim f (x)? Begr¨unden Sie Ihre Antwort. x→3

d) lim f (x) = −2 x→3−

und

lim f (x) = −2

x→−3

Erl¨autern Sie den Bedeutungsunterschied.

¨ 10.11 Berechnen Sie folgende Grenzwerte. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse auch mit einem Computeralgebrasystem. √ 1 3 − 14 x2 + 3x x 2 + 2x 2x4 + x6 (2+x)2 a) lim 2 b) lim c) lim d) lim x→0 2x − x x→0 x→0 x→0 x x2 x

10.12 Berechnen Sie den Grenzwert

x2 + x − 2 x→1 x2 + 2x − 3 lim

a) mithilfe einer Zerlegung von Z¨ahler und Nenner in Linearfaktoren; b) mittels einer geeigneten Substitution, sodass man einen Grenzwert an der Stelle 0 auswerten kann.

Aufgaben

10.13 Berechnen Sie mit einem Computeralgebrasystem die Grenzwerte. sin2 x x→0 x2

a) lim

b) lim

x→0

sin(2x) x

c) lim

x→0

Weisen Sie die Ergebnisse mithilfe des Grenzwerts lim

x→0

sin(x) x

tan(x) x

d) limπ

x→ 2

cos(x) x − π2

= 1 nach.

10.14 Beim zentralen elastischen Stoß zweier Kugeln mit den Massen m1 , m2 und den Anfangsgeschwindigkeiten v1 , v2 berechnen sich die Geschwindigkeiten u1 , u2 nach dem Stoß u¨ ber die Beziehungen m1 v1 + m2 v2 1 1 2 2 2 m1 v1 + 2 m2 v2

= m1 u1 + m2 u2 =

(Impulserhaltungssatz)

1 1 2 2 2 m1 u1 + 2 m2 u2

m1

(Energieerhaltungssatz). m2

v1

v2

a) Zeigen Sie, dass sich die Geschwindigkeiten der Kugeln nach dem Stoß berechnen als (m1 −m2 )v1 + 2m2 v2 m1 + m2 (m2 −m1 )v2 + 2m1 v1 u2 = . m1 + m2 u1 =

b) Untersuchen Sie die Geschwindigkeiten nach dem Stoß f¨ur die Grenzf¨alle m1 → 0, m2 → 0, m1 → ∞ sowie m2 → ∞. Interpretieren Sie jeweils das Ergebnis.

Abschnitt 10.5 10.15 Welche der folgenden Funktionen aus dem Alltag sind stetig? Begr¨unden Sie Ihre Antwort. a) Der Temperaturverlauf innerhalb eines Tages an einer Wetterstation. b) Die H¨ohe eines Flugzeugs u¨ ber NN im Verlauf eines Flugs von Hamburg nach Frankfurt in Abh¨angigkeit von der Zeit. c) Die Parkgeb¨uhr in einer Tiefgarage in Abh¨angigkeit von der Parkdauer. d) Die Geschwindigkeit bei einer Fahrt mit dem Auto in Abh¨angigkeit von der Zeit.

10.16 Zeichnen Sie jeweils den Graphen der Funktion f . Untersuchen Sie, ob die Funktion f an der Stelle x0 stetig ist.  −x2 + 3 f¨ur x < 1 a) f (x) = , x0 = 1 x+1 f¨ur x ≥ 1 b) f (x) = sgn x · x2 , x0 = 0  x2 + |x−1| f¨ur x 6= 1 x−1 , c) f (x) = 2 f¨ur x = 1

x0 = 1

347

348

10 Grenzwerte

10.17 Die Gravitationskraft der Erde auf einen Massenpunkt mit der Masse m betr¨agt ( G Mm f¨ur r ≥ R r2 F(r) = Mmr G R3 f¨ur r < R. Dabei ist M die Masse der Erde, R der Erdradius, G die Gravitationskonstante und r der Abstand vom Erdmittelpunkt. Ist die Gravitationskraft eine stetige Funktion in r? Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Differenzialrechnung

11

Warum wird die Ableitung ben¨ otigt? Wie ist die Ableitung definiert? Welche Ableitungsregeln gibt es? Wie lauten die Ableitungen der elementaren Funktionen?

Fußg¨ angerbr¨ ucke ¨ uber die Passer

11.1 11.2 11.3

Der Ableitungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertsatz und stetige Differenzierbarkeit Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

350 360 387 390

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_11 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_11

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350

11 Differenzialrechnung Die Differenzialrechnung ist ein zentrales Instrument zur Beschreibung unendlich kleiner Ver¨anderungsprozesse. Zun¨achst werden zwei historisch bedeutsame Motivationsbeispiele f¨ ur die Ableitung besprochen, um dann den Begriff des Differenzialquotienten einzuf¨ uhren. Um nicht immer diesen Grenzwert umst¨andlich ausrechnen zu m¨ ussen, werden anschließend Ableitungsregeln hergeleitet. Mithilfe der Ableitungen der elementaren Funktionen lassen sich somit beliebig komplizierte Funktionen rechentechnisch einfach differenzieren.

11.1

Der Ableitungsbegriff

Das Tangentenproblem Wir kommen nochmals auf den Begriff der affinen Funktion zur¨uck, welcher bereits in Abschnitt 3.2 diskutiert wurde. y f (x0 +∆x)

∆x

x0 Steigung einer Geraden

∆y

ϕ

f (x0 ) a0

x0 +∆x

x

Es handelt sich hierbei um Funktionen der Form f (x) = a0 + a1 x. Dabei ist a0 der y-Achsenabschnitt und a1 die sog. Steigung. Diese Steigung steht mit dem Tangens des Neigungswinkels ϕ zur Horizontalen in Beziehung. Genauer gilt a1 = tan(ϕ ) =

Steigung einer Funktion an einer Stelle x0

∆y f (x0 +∆x) − f (x0 ) = . ∆x ∆x

Wir versuchen nun diesen Sachverhalt auf beliebige Funktionen zu u¨ bertragen. Wir haben es also mit einer nicht notwendigerweise geradlinigen Funktion f zu tun und fragen nach der Steigung derselben. Diese ist sicherlich abh¨angig von der Stelle x0 , an welcher wir die Steigung bestimmen wollen.

11.1

y

Der Ableitungsbegriff

f (x) s

f (x0 +∆x) ∆y

ϕs

f (x0 )

∆x x0

x

x0 +∆x

In einem ersten Schritt berechnen wir zun¨achst die Steigung der Sekanten s, welche durch die beiden Kurvenpunkte mit den Koordinaten  x0 | f (x0 ) sowie x0 +∆x | f (x0 +∆x) mit einem festen diskreten ∆x gegeben ist. Diese Steigung ergibt sich als Steigung einer Geraden in der Form tan(ϕs ) =

∆y f (x0 +∆x) − f (x0 ) = . ∆x ∆x

Wir suchen aber eigentlich nicht die Steigung einer Sekanten, sondern die der Kurve an der ausgew¨ahlten Stelle x0 . Hierzu lassen wir die Abszissendifferenz ∆x gegen null gehen. Die Konsequenz ist, dass die Sekante mehr und mehr in die Tangente t an der Stelle x0 u¨ bergeht. y

f (x)

t

ϕt ∆x x0

x

Die Steigung dieser Tangente ergibt sich schließlich als tan(ϕt ) = lim

∆x→0

f (x0 +∆x) − f (x0 ) ∆y = lim . ∆x→0 ∆x ∆x

f (x0 ) ∆y bzw. lim f (x0 +∆x)− benutzt ∆x ∆x→0 ∆x ∆x→0 df man u¨ blicherweise die Kurzform dy dx bzw. dx (x0 ). Dies bedeutet, dass man

Anstatt der langen Schreibweise lim

anstatt der expliziten Angabe des Grenzwertes in Verbindung mit der aus

Schreibweise der Differenziale

351

352

11 Differenzialrechnung

der Physik entlehnten ∆-Schreibweise f¨ur Differenzen den lateinischen Buchstaben d verwendet:1 dy ∆y : = lim ∆x→0 ∆x dx df ∆f f (x0 +∆x) − f (x0 ) (x0 ) : = lim (x0 ) = lim ∆x→0 ∆x ∆x→0 dx ∆x Man nennt diese Schreibweise mit den unendlich kleinen Differenzen dx und dy bzw. d f auch gerne die Schreibweise der Differenziale. Die oben dargestellte Tangentensteigung wird als Steigung der Funktion f (x) an der Stelle x0 bezeichnet. F¨ur den genannten Grenzwert hat sich eine eigene Sprechweise etabliert.

Differenzierbarkeit an einer Stelle x0

Definition Eine Funktion f heißt differenzierbar an der Stelle x0 , wenn der Grenzwert

Differenzialquotient f ′ (x0 ) =

1. Ableitung

df f (x0 +∆x) − f (x0 ) (x0 ) := lim ∆x→0 dx ∆x

existiert. Dieser Grenzwert heißt Differenzialquotient oder (1.) Ableitung der Funktion an der Stelle x0 .

Beispiel 11.1 Wir wollen die Tangente an die Parabel f (x) = x2 an einer beliebigen Stelle x0 konstruieren. Hierzu ben¨otigen wir nat¨urlich die Stei¨ gung derselben. Sie berechnet sich gem¨aß der obigen Uberlegung als (x0 + ∆x)2 − x20 f (x0 +∆x) − f (x0 ) = lim ∆x→0 ∆x→0 ∆x ∆x x20 + 2x0 ∆x + (∆x)2 − x20 2x0 ∆x + (∆x)2 = lim = lim ∆x→0 ∆x→0 ∆x ∆x = lim (2x0 + ∆x) = 2x0 .

f ′ (x0 ) = lim

∆x→0

Dies bedeutet also, dass sich auf der Tangente bei einer Erh¨ohung des x-Werts um 1 der y-Wert gerade um 2x0 erh¨oht. Damit haben wir

1

Diese Schreibweise stammt von Leibniz, der neben Newton die Differenzialrechnung entwickelt hat. Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz, 1646–1716, deutscher Mathematiker und Philosoph, war 40 Jahre Bibliothekar und Geheimrat am Hof von Hannover.

11.1

die gew¨unschte Konstruktionsm¨oglichkeit der Tangente an einer be- liebigen Stelle. Man bestimmt ausgehend vom Ber¨uhrpunkt x0 | x20 nach dem soeben geschilderten Verfahren einen zweiten Punkt auf der Tangente. y t

b

2x0 b

1 x0

x ◭

Beispiel 11.2 Wir wollen jetzt die Steigung der Tangente der Funktion 1 (a ∈ R) x−a an einer beliebigen Stelle x0 berechnen. Hierzu berechnen wir wieder den Differenzialquotienten: f (x) =

f ′ (x0 ) = lim

∆x→0

= lim

= = = =

0

∆x (x0 −a) − (x0 +∆x−a) lim ∆x→0 ∆x(x0 +∆x−a)(x0 −a) −∆x lim ∆x→0 ∆x(x0 +∆x−a)(x0 −a) −1 lim ∆x→0 (x0 +∆x−a)(x0 −a) −1 (x0 −a)(x0 −a) 1 − (x0 −a)2 ∆x→0

=

f (x0 +∆x) − f (x0 ) ∆x 1 1 (x +∆x)−a − x0 −a



Der Ableitungsbegriff

353

354

11 Differenzialrechnung

Neben der in der Definition eingef¨uhrten Schreibweise des Differenzialquotienten gibt es noch eine zweite Form, die o¨ fters n¨utzlich ist. Hierzu ersetzt man den Ausdruck x0 +∆x durch x und erh¨alt f (x0 +∆x) − f (x0 ) ∆x f (x) − f (x0 ) = lim x − x0 (x−x0 )→0 f (x) − f (x0) . = lim x→x0 x − x0

f ′ (x0 ) = lim

∆x→0

2. Schreibweise des Differenzialquotienten

Satz Der Differenzialquotient einer Funktion f an der Stelle x0 ist darstellbar in der Form f ′ (x0 ) = lim

x→x0

f (x) − f (x0 ) . x − x0

Die Momentangeschwindigkeit In der Physik lernt man, dass man die Geschwindigkeit v eines Fahrzeugs berechnet u¨ ber die Gleichung v =

s(t0 +∆t) − s(t0 ) zur¨uckgelegter Weg ∆s = = . ∆t ∆t verstrichene Zeit v0

s(t0 ) Momentangeschwindigkeit

s(t0 +∆t)

s

Allerdings ist diese Messung nur dann korrekt, wenn sich die Geschwindigkeit des Fahrzeugs nicht a¨ ndert, wenn also das Vehikel sich gleichf¨ormig bewegt. Nun ist im Alltag dieser Sachverhalt selten gegeben. Ein Auto beschleunigt und bremst permanent und trotzdem wird auf dem Tacho eine Geschwindigkeit angezeigt. Wie erh¨alt man diese Momen¨ tangeschwindigkeit? Die Uberlegung ist eigentlich recht nahe liegend. Man verk¨urzt den Zeitraum, in welchem die zur¨uckgelegte Wegstrecke gemessen wird, und geht davon aus, dass in diesem kurzen Zeitraum die Geschwindigkeit sich fast nicht a¨ ndert. Dann l¨asst sich die Momentangeschwindigkeit mit dem oben geschilderten Verfahren n¨aherungsweise

11.1

Der Ableitungsbegriff

messen. Dieses Verfahren wird um so genauer, je kleiner man die Zeitdifferenz ∆t w¨ahlt. Im Grenzfall ergibt sich ∆s s(t0 +∆t) − s(t0 ) = lim . ∆t→0 ∆t ∆t Vergleicht man diesen Grenzwert mit demjenigen bei der Definition des Differenzialquotienten v(t0 ) = lim

∆t→0

∆f f (x0 +∆x) − f (x0 ) = lim ∆x→0 ∆x ∆x im vorangegangenen Abschnitt, so stellt man fest, dass es sich um den gleichen Grenzwert handelt. Lediglich wurde die Variable x durch t und die Funktionsbezeichnung f durch s ersetzt. Tats¨achlich wurde der Begriff des Differenzialquotienten von zwei ber¨uhmten Pers¨onlichkeiten unabh¨angig voneinander gefunden. W¨ahrend Leibniz u¨ ber die Frage nach der Tangentensteigung zu diesem Grenzwert kam, entwickelte Newton2 den Ableitungsbegriff u¨ ber die Frage nach der Geschwindigkeit. Als Ableitungssymbol verwendete Newton anstatt des heute u¨ blichen Strichs einen aufgesetzten Punkt: f ′ (x0 ) = lim

∆x→0

v(t0 ) = s(t ˙ 0)

Ableitungspunkt

In Erinnerung an Newton werden auch heute noch Ableitungen nach t (= die Zeit) allgemein mit einem Punkt symbolisiert.

Die Ableitungsfunktionen Nat¨urlich ist es nicht sinnvoll, die Momentangeschwindigkeit nur zu einem fixen Zeitpunkt zu bestimmen. Vielmehr wird auf dem Tacho st¨andig die Momentangeschwindigkeit angezeigt, d. h. sinnvollerweise wird der Differenzialquotient zu jedem Zeitpunkt t gebildet. Ebenso kann die Tangentensteigung an jeder beliebigen Stelle einer Funktion bestimmt werden. Dies gibt Anlass f¨ur die folgende Definition.

Definition Eine Funktion f : A −→ R heißt differenzierbar, wenn f an jeder Stelle des Definitionsbereichs differenzierbar ist. Die dann existierende Funktion   A −→ R f (x+∆x) − f (x) f′ :  x 7−→ f ′ (x) = lim , ∆x→0 ∆x

welche jedem x die entsprechende Ableitung f ′ (x) zuordnet, heißt die Ableitungsfunktion der Funktion f .

2

Sir Isaac Newton, 1642–1727, englischer Physiker und Mathematiker, entwickelte die Differenzialrechnung u¨ ber die sog. Fluxionsmethode.

Differenzierbarkeit einer Funktion Ableitungsfunktion

355

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11 Differenzialrechnung

Meistens werden die Begriffe Ableitung und Ableitungsfunktion synonym verwendet. Aus dem Zusammenhang wird stets klar, ob es sich um die Ableitung f ′ (x0 ) an einer festen Stelle x0 handelt oder ob die Ableitungsfunktion f ′ gemeint ist. Es ist durchaus auch m¨oglich, die Ableitungsfunktion f ′ nochmals zu differenzieren. Man erh¨alt dann die Ableitungsfunktion der Ableitungsfunktion, die sog. 2. Ableitung.

2. Ableitung n -te Ableitung

Definition Unter der 2. Ableitung f ′′ der Funktion f versteht man die Ableitungsfunktion der 1. Ableitungsfunktion f ′ . Entsprechend definiert man die n -te Ableitung f (n) als n-malige Ableitung der Funktion f .

F¨ur die h¨oheren Ableitungen hat sich neben dem mehrfachen Strich oder einer Hochzahl in Klammern eine weitere Schreibweise etabliert. Diese ¨ r¨uhrt aus der Uberlegung, dass man die 1. Ableitung auch in der Form der Differenziale als f′ =

df d = f dx dx

schreibt. Aufgrund dieser Tatsache kann man die 2. Ableitung formal folgendermaßen darstellen: f ′′ =

d2 dd d2 d2 f d d f = f = f = f = 2 2 dx dx (dx)(dx) dx dx2 (dx)

Hierbei wird das Differenzial dx als Einheit gesehen, sodass man die Klammern um dx wegl¨asst. Aus diesem Grund schreibt man die zweite und die h¨oheren Ableitungen auch als d2 f dx2 dn f . = dxn

f ′′ = f (n)

Weitere Anwendungen Neben dem Tangentenproblem und der Momentangeschwindigkeit gibt es weitere vielf¨altige Anwendungsm¨oglichkeiten, in welchen der Grenzwert des Differenzialquotienten eine Rolle spielt.

11.1

Der Ableitungsbegriff

Betonpfeiler

Beispiel 11.3 Ein zylinderf¨ormiger Betonpfeiler hat das Volumen V (r) = π r2 · h, wobei r der Radius des Betonpfeilers und h die H¨ohe des Pfeilers ist. Bei der Planung eines solchen Pfeilers spielt es eine Rolle, welchen Radius man f¨ur den Pfeiler w¨ahlt. Oft hat man die Alternative zwischen einem gr¨oßeren Radius r und einer st¨arkeren Stahlbewehrung. Zur Beurteilung der Frage, welche Alternative kosteng¨unstiger ist, ist es nat¨urlich notwendig, den Bedarf an zus¨atzlichem Beton bei einer Erh¨ohung des Radius zu berechnen.

b

r0

∆r

h

Man ben¨otigt bei einer Erh¨ohung des Radius r von einer Gr¨oße r0 um ∆r einen zus¨atzlichen Bedarf von ∆V = V (r0 +∆r) −V (r0 )

= π (r0 +∆r)2 h − π r02 h   = π 2r0 ∆r + (∆r)2 h.

Bezieht man die Volumen¨anderung auf die Radius¨anderung ∆r, so ergibt sich als Volumen¨anderungsrate ∆V V (r0 +∆r) −V (r0 ) = ∆r ∆r   π 2r0 ∆r + (∆r)2 h = ∆r = π (2r0 +∆r) h Die Volumen¨anderung f¨allt bei gr¨oßeren Werten von r0 und glei¨ cher Anderungsrate ∆r immer gr¨oßer aus. Dies bedeutet aber

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358

11 Differenzialrechnung

auch, dass die zweite H¨alfte der Radius¨anderung ∆r mehr zur Volumenvergr¨oßerung beitr¨agt als die erste H¨alfte. Um die Volumen¨anderungsrate nur auf den Startwert r0 zu beziehen, bildet man daher den Grenzwert lim

∆r→0

∆V V (r0 +∆r) −V (r0 ) = lim ∆r→0 ∆r ∆r dV = (r0 ) dr

und erh¨alt so die nur auf den Ausgangsradius r0 bezogene momen¨ tane Anderungsrate des Volumens. Es hat sich also wieder der Differenzialquotient ergeben, dieses Mal als Ableitung der Funktion V (r) an der Stelle r0 . In unserem Fall ergibt sich konkret dV ∆V (r0 ) = lim ∆r→0 ∆r dr = lim π (2r0 +∆r) h ∆r→0

= π (2r0 +0) h = 2π r0 h. ◭

Grenzsteuersatz

Beispiel 11.4 Die auf das Jahreseinkommen x zu entrichtende Einkommensteuer s(x) berechnet sich im Jahr 2020 im Bereich von 14 533 e bis 57 051 e gem¨aß der Berechnungformel3   x−14 532 x−14 532 s(x) = 212,02 + 2 397 + 972,79. 10 000 10 000 Nun erh¨alt ein Mitarbeiter mit einem Jahresgehalt von x0 e eine Gehaltserh¨ohung von ∆x e. Es stellt sich die Frage, wie stark diese Gehaltserh¨ohung besteuert wird. Die Absolutsumme ergibt sich nat¨urlich als ∆s = s(x0 +∆x) − s(x0 ). M¨ochten wir den prozentualen Anteil der Gehaltserh¨ohung wissen, welcher als Einkommensteuer abgegeben werden muss, so ben¨otigen wir den Quotienten ∆s s(x0 +∆x) − s(x0 ) = . ∆x ∆x

11.1

Der Ableitungsbegriff

Dieser Satz beschreibt nat¨urlich nur die mittlere Besteuerung f¨ur die gesamte Gehaltserh¨ohung. Ist man dagegen daran interessiert, wie stark der erste Euro, der erste Cent oder ein noch kleinere Anteil einer Gehaltserh¨ohung besteuert wird, so muss man im Grenzfall lim

∆x→0

∆s ds s(x0 +∆x) − s(x0 ) = lim = (x0 ) ∆x→0 ∆x ∆x dx

berechnen. Dieser Grenzwert ist als Grenzsteuersatz bekannt und gibt die momentane Besteuerung einer Erh¨ohung an. Wir haben es offensichtlich wieder mit einem Differenzialquotienten zu tun. Eine hier nicht durchgef¨uhrte Rechnung zeigt, dass dieser Grenzsteuersatz f¨ur unser Beispiel des Jahres 2020 x0 −14 532 ds (x0 ) = 424,04 + 0,2397 dx 10 0002 betr¨agt. Nat¨urlich ist das Ausgangsgehalt x0 eines jeden Angestell¨ tem unterschiedlich, doch l¨asst sich die obige Uberlegung f¨ur jedes beliebige Ausgangsgehalt identisch durchf¨uhren. Insgesamt ergibt sich damit der vom Gehalt x abh¨angige Grenzsteuersatz als x 7−→

ds x−14 532 = 424,04 + 0,2397. dx 10 0002 ◭

¨ Offensichtlich tritt die Ableitung u¨ berall dort auf, wo das Anderungsverhalten einer gewissen Gr¨oße eine Rolle spielt. Dies ist z. B. auch bei der ¨ Anderung der Geschwindigkeit der Fall. Je st¨arker man beschleunigt, desto schneller a¨ ndert sich die Geschwindigkeit.

Beschleunigung

Beispiel 11.5 ¨ Die relative Anderung der Geschwindigkeit eines Fahrzeugs innerhalb einer Zeit ∆t berechnet sich als ∆v v(t +∆t) − v(t) = . ∆t ∆t Auch hier l¨asst sich diese Gr¨oße durch den Grenz¨ubergang ∆t → 0 auf den konkreten Startzeitpunkt reduzieren. Den entstehenden Differenzialquotienten

3

Einkommensteuergesetz (EStG) §32a.

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360

11 Differenzialrechnung

lim

∆t→0

∆v v(t +∆t) − v(t) dv = lim = (t) = v(t) ˙ =: a(t) ∆t→0 ∆t ∆t dt

nennt man die Beschleunigung des Fahrzeugs zum Zeitpunkt t. Durch Variation des Startzeitpunkts t ergibt sich somit eine neue Funktion a(t), eben die von der Zeit t abh¨angige Beschleunigung.4 Da sich die Geschwindigkeit v(t) als die Ableitungsfunktion der Wegfunktion s(t) ergibt, bedeutet dies, dass die Beschleunigung sich als die zweite Ableitung der Funktion s(t) darstellt: a(t) = v(t) ˙ = s(t) ¨ =

d2s (t) dt 2 ◭

11.2

Ableitungsregeln

Notwendigkeit von Ableitungsregeln In der Praxis ist es fast immer sehr m¨uhselig, den Wert der Ableitung mithilfe der Definition der Ableitung als Differenzialquotient f ′ (x0 ) =

df f (x0 +∆x) − f (x0 ) (x0 ) = lim ∆x→0 dx ∆x

¨ zu bestimmen. Des Ofteren ist dies auch gar nicht so ohne Weiteres m¨oglich.

Momentangeschwindigkeit eines Federpendels

Beispiel 11.6 An einer Spiralfeder mit der Federkonstanten D h¨angt eine Masse m. Diese wird zum Zeitpunkt t = 0 s um s0 aus der Ruhelage ausgelenkt und losgelassen.

4

Der Buchstabe a steht f¨ur das englische Wort acceleration = Beschleunigung. ¨ Ubrigens leitet sich die u¨ bliche Bezeichnung v der Geschwindigkeit auch aus dem Englischen ab. Der Buchstabe v steht f¨ur velocity = Geschwindigkeit.

11.2

0 s0 s Im Fall fehlender D¨ampfung schwingt das System gem¨aß r ! D s(t) = s0 cos t . m Um die Momentangeschwindigkeit der Masse m zu berechnen, ben¨otigt man die Ableitung der genannten Funktion s(t). Man muss also den Differenzialquotienten ds s(t +∆t) − s(t) = lim ∆t→0 dt ∆t  q  q D D s0 cos m (t +∆t) − s0 cos mt = lim ∆t→0 ∆t berechnen. Die Berechnung dieses Grenzwertes mit elementaren Mitteln ist alles andere als einfach. Noch schlimmer wird es, wenn man die D¨ampfung z. B. durch Luftreibung ber¨ucksichtigt. Die Reibungskraft FR ist proportional zur Geschwindigkeit, die ben¨otigte Proportionalit¨atskonstante wird mit k bezeichnet. Genauer gilt unter Ber¨ucksichtigung der Tatsache, dass Reibungskraft und Geschwindigkeit entgegen gerichtet sind, FR = −kv. Die zeitabh¨angige Auslenkung der Masse berechnet sich dann als ! r k k2 D − t − t . s(t) = s0 e 2m cos m 4m2 v(t) =

Um jetzt die Momentangeschwindigkeit des Massenpunktes zu bestimmen, m¨ussen wir den Grenzwert v(t) =

ds s(t +∆t) − s(t) = lim ∆t→0 dt ∆t r k 2 (t + ∆t) − D cos s e 2m − k 0

= lim

∆t→0

m

4m2

r   − kt D k2 (t+∆t) −s0 e 2m cos m− 2 t 4m

∆t

bestimmen. Die Berechnung dieses Grenzwerts ist mit elementaren Mitteln nicht mehr m¨oglich. Wir werden nach der Herleitung diver◭ ser Ableitungsregeln auf dieses Beispiel zur¨uckkommen.

Ableitungsregeln

361

362

11 Differenzialrechnung

Grundlegende Eigenschaften der Ableitung Wenn man das Schaubild einer Funktion betrachtet, so ist es plausibel, dass eine differenzierbare Funktion automatisch stetig sein muss. y

x0

x

An Sprungstellen ist es nicht m¨oglich, eine Tangente an die Kurve zu legen. Dieser Sachverhalt l¨asst sich aber auch formal beweisen.

Differenzierbarkeit und Stetigkeit

Satz Ist eine Funktion f an der Stelle x0 differenzierbar, so ist sie dort auch stetig.

Beweis Wir betrachten die Differenz f (x) − f (x0 ), die wir in folgender Weise umformen: f (x) − f (x0 ) =

f (x) − f (x0 ) · (x − x0 ) x − x0

F¨uhren wir nun den Grenz¨ubergang ∆x → 0 durch, so geht der Bruch auf der rechten Seite in den Differenzialquotienten u¨ ber. Es ergibt sich  f (x) − f (x0 ) lim f (x) − f (x0) = lim · lim (x − x0 ) x→x0 x→x0 x→x0 x − x0 = f ′ (x0 ) · (x0 − x0 ) = f ′ (x0 ) · 0 = 0.

Daraus folgt lim f (x) = f (x0 ),

x→x0

was gem¨aß der Definition von Stetigkeit dieselbe an der Stelle x0 bedeutet.  Die Umkehrung des obigen Satzes ist allerdings nicht richtig. Aus der Stetigkeit einer Funktion muss noch lange nicht die Differenzierbarkeit der Funktion an der entsprechenden Stelle x0 folgen. Das sieht man exemplarisch an der Betragsfunktion f (x) = |x|. Diese ist an der Stelle x0 = 0 zwar stetig, aber nicht differenzierbar.

11.2

Ableitungsregeln

y

x0 = 0

x

Zwei Funktionen f und g auf dem gleichen Definitionsbereich A kann man addieren. Es entsteht dann eine neue Funktion  A −→ R f +g : x 7−→ f (x) + g(x). Diese Funktion kann man ggf. auch differenzieren und es stellt sich die Frage, wie man die Ableitung dieser Funktion auf diejenigen der urspr¨unglichen Funktionen f und g zur¨uckf¨uhren kann. Die gleiche Frage stellt sich nat¨urlich auch bei der Differenz f −g zweier Funktionen und auch bei der Multiplikation mit einer Konstanten c. Gl¨ucklicherweise ist es in allen geschilderten F¨allen so, dass sich die Ableitung in der Weise verh¨alt, wie man es erwartet, dass man sie also einzeln zu den Funktionen ziehen darf. Diese Regeln werden auch gerne unter dem Namen Summen- und Faktorregel“ zusammengefasst. ”

Summenregel

Summen- und Faktorregel. Es gelten folgende Differenziationsregeln: ( f +g)′(x) = f ′ (x) + g′ (x)

Summenregel

( f −g)′(x) = f ′ (x) − g′ (x)

Differenzenregel

(c · f )′ (x) = c · f ′ (x)

(c = const.)

Differenzenregel Faktorregel

Faktorregel

Beweis Es soll exemplarisch nur die erste Regel gezeigt werden. ( f +g)(x+∆x) − ( f +g)(x) ∆x→0 ∆x   f (x+∆x) + g(x+∆x) − f (x) + g(x) lim ∆x→0 ∆x   f (x+∆x) − f (x) g(x+∆x) − g(x) lim + ∆x→0 ∆x ∆x g(x+∆x) − g(x) f (x+∆x) − f (x) + lim lim ∆x→0 ∆x→0 ∆x ∆x ′ ′ f (x) + g (x).

( f +g)′(x) = lim = = = =

Ganz entsprechend werden die beiden anderen Regeln bewiesen.



363

364

11 Differenzialrechnung

Beispiel 11.7 Mithilfe dieser Regeln k¨onnen wir bei der Kenntnis bekannter Ableitungen weitere Funktionen differenzieren. So gilt nach den Beispielen 11.1 und 11.2 des vorangegangenen Abschnitts  ′ ′ 1 1 x2 = 2x und = − . x−a (x − a)2 Aufgrund der obigen Regeln gilt damit  ′  ′ ′ 3 1 x2 − = x2 − 3 x−a x−a  ′  1 2 ′ = x −3 x−a   1 = 2x − 3 − (x − a)2 3 = 2x + . (x − a)2



Eine der Summen- und Faktorregel entsprechende Regel f¨ur die Multiplikation f · g bzw. Division gf zweier Funktionen ist leider nicht g¨ultig. Es ist nicht m¨oglich, die Differenziation zu zwei beliebigen Faktoren bzw. zu Z¨ahler und Nenner zu ziehen. Ebenso wenig ist es m¨oglich, die Ableitung unter eine Potenz zu ziehen. Es gibt allerdings gewisse Ersatzformeln f¨ur diese nicht g¨ultigen Differenziationsregeln, die wir in den folgenden Abschnitten kennen lernen werden.

Ableitung elementarer Funktionen Nun werden wir f¨ur einige bekannte elementare Funktionen die Ableitungsfunktionen herleiten. Wir m¨ussen dann k¨unftig beim Auftreten dieser Funktionen nicht mehr auf die Definition des Differenzialquotienten zur¨uckgreifen, sondern k¨onnen die hergeleiteten Ergebnisse nutzen. Wir beginnen mit der einfachsten Funktion u¨ berhaupt, der konstanten Funktion.

11.2

Satz

Ableitungsregeln

Ableitung einer Konstanten

Gilt f (x) = c = const., so ist f ′ (x) = 0.

Beweis Es gilt nach der Definition des Differenzialquotienten f ′ (x) = lim

∆x→0

f (x+∆x) − f (x) c−c = lim = lim 0 = 0. ∆x→0 ∆x ∆x→0 ∆x 

Satz

Ableitung von xn

F¨ur alle nat¨urlichen Zahlen n ∈ N∗ gilt (xn )′ = n xn−1 .

Beweis Es gilt nach der Definition des Differenzialquotienten sowie der verallgemeinerten binomischen Formel (x+∆x)n − xn ∆x→0 ∆x

(xn )′ = lim

n−2 (∆x)2 + . . . + n(n−1)···1 (∆x)n − xn xn + 1n xn−1 ∆x + n(n−1) 1·2 x 1·2···n ∆x→0 ∆x

= lim = lim

n n−1 n−2 (∆x)2 + . . . + n(n−1)···1 (∆x)n ∆x + n(n−1) 1x 1·2 x 1·2···n

∆x→0

= lim

∆x→0

=



∆x  n n−1 n(n−1) n−2 n(n−1) · · ·1 n−1 x + x ∆x + . . . + (∆x) 1 1·2 1 · 2 · · ·n

n n−1 x = n xn−1 . 1

 Mit diesem Satz kennen wir also alle Ableitungen der Potenzfunktionen. So lautet z. B. die Ableitung der Funktion f (x) = x17 x17

′

= 17 x16 .

Aber auch ganze rationale Funktionen sind jetzt problemlos differenzierbar, ohne auf die Definition der Ableitung als Differenzialquotient zur¨uckgreifen zu m¨ussen.

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366

11 Differenzialrechnung

Beispiel 11.8 Nach der Summen- und Faktorregel des vorangegangenen Abschnitts gilt ′ 3x4 − 2x3 + 2x − 1 ′ ′ = 3x4 − 2x3 + (2x)′ − (1)′ ′ ′ ′ = 3 · x4 − 2 · x3 + 2 · x1 − (1)′

= 3 · 4x3 − 2 · 3x2 + 2 · x0 − 0

= 12x3 − 6x2 + 2.



Die Ableitungsregel f¨ur Potenzfunktionen l¨asst sich auch auf negative ganzzahlige Exponenten u¨ bertragen.

Ableitung von x−n

F¨ur alle nat¨urlichen Zahlen n ∈ N∗ gilt ′ x−n = −n x−n−1 .

Satz

Beweis Der Beweis verl¨auft ganz a¨ hnlich zum Beweis der Ableitung der Potenzfunktionen mit nat¨urlichen Exponenten. Es ist x−n

′

 1 − x1n 1 ′ xn − (x+∆x)n (x+∆x)n = lim = lim n ∆x→0 ∆x→0 ∆x (x+∆x) xn xn ∆x   n(n−1) n(n−1)···1 xn − xn + 1n xn−1 ∆x + 1·2 xn−2 (∆x)2 + . . . + 1·2···n (∆x)n

=

= lim

∆x→0



∆x (x+∆x)n xn

n n−1 n−2 (∆x)2 + . . . + n(n−1)···1 (∆x)n ∆x + n(n−1) 1x 1·2 x 1·2···n ∆x→0 ∆x (x+∆x)n xn

= − lim

n n−1 n−2 ∆x + . . . + n(n−1)···1 (∆x)n−1 + n(n−1) 1x 1·2 x 1·2···n ∆x→0 (x+∆x)n xn

= − lim

n n−1 x n = − 1n n = − n+1 = −nx−(n+1) x ·x x = −nx−n−1 .



11.2

Satz

Ableitung von

Die Ableitung der Wurzelfunktion lautet √ ′ x =

367

Ableitungsregeln

√ x

1 √ . 2 x

Beweis Der Beweis dieser Ableitungsregel erfolgt wieder durch R¨uckf¨uhrung auf die Definition des Differenzialquotienten und unter Ausnutzung der dritten binomischen Formel: √ √ √  √ √  √ √ ′ x+∆x − x x+∆x + x x+∆x − x √ = lim x = lim √  ∆x→0 ∆x→0 ∆x ∆x x+∆x + x ∆x (x + ∆x) − x √ √ = lim √  = lim √  ∆x→0 ∆x→0 ∆x x+∆x + x ∆x x+∆x + x 1 1 √ = lim √ √ = √ ∆x→0 x+∆x + x x+ x 1 = √ 2 x 

Satz Die Ableitungen der grundlegenden trigonometrischen Funktionen lauten (sin(x))′ = cos(x) (cos(x))′ = − sin(x).

Beweis Wir beschr¨anken uns auf den Beweis der ersten Regel. Hier ben¨otigen wir allerdings eine Additionsformel f¨ur trigonometrische Funktionen, die man in jeder mathematischen Formelsammlung finden kann. Sie lautet     α +β α −β sin . sin(α ) − sin(β ) = 2 cos 2 2

Ableitung von sin(x) und cos(x)

368

11 Differenzialrechnung

Unter Ausnutzung dieser Tatsache ergibt sich (sin(x))′ = lim

∆x→0

= lim

sin(x+∆x) − sin(x) ∆x     (x+∆x)−x (x+∆x)+x sin 2 cos 2 2

∆x   sin ∆x 2x+∆x 2 = lim 2 cos · ∆x→0 2 ∆x    2x+∆x sin ∆x 2 = lim cos · ∆x ∆x→0 2 2 | {z } | {z } → cos(x) →1 = cos(x). ∆x→0





Die zweite Ableitungsformel wird analog bewiesen.

Die Aussage des vorhergehenden Satzes besagt, dass an jeder Stelle die Steigung der Sinuskurve genau durch den entsprechenden Wert der Kosinuskurve gegeben ist – ein verbl¨uffendes Ergebnis. Umgekehrt ist die Steigung der Kosinuskurve das Negative der Sinuskurve. y 1

sin(x)

x

1 cos(x)

Ableitung von ln(x)

Satz

Die Ableitung der nat¨urlichen Logarithmusfunktion lautet (ln(x))′ =

1 . x

11.2

Beweis Diese Ableitungsregel ergibt sich u¨ ber folgende raffinierte Umformungen:  ln x+∆x ln(x+∆x) − ln(x) x (ln(x))′ = lim = lim ∆x→0 ∆x→0 ∆x ∆x   x ∆x ∆x  ln 1+ x x ln 1+ ∆x x = lim ∆x = lim ∆x→0 ∆x→0 x x x !  ∆x lim ln 1+ 1x ∆x→0

∆x

=

x

x Ersetzt man jetzt im Z¨ahler den Ausdruck ∆x durch n, so strebt dieses n f¨ur ∆x → 0 gegen ∞. Dementsprechend gilt

(ln(x))′ =

e z → }| {  n lim ln 1 + 1n

n→∞

x

=

ln(e) 1 = . x x 

Auch hier haben wir ein erstaunliches Ergebnis erhalten. Die Ableitung der nicht algebraischen Logarithmusfunktion ist eine extrem einfache gebrochene rationale Funktion. Aufgrund der hergeleiteten Ableitungsformeln sowie der Summen- und Faktorregel k¨onnen wir jetzt bereits die Ableitung diverser Funktionen berechnen, ohne auf die Grenzwertdefinition des Differenzialquotienten zur¨uckgreifen zu m¨ussen.

Beispiel 11.9 Die Ableitung der Funktion √ f (x) = 5x4 − 3 x − 2 cos(x) + lg(x) lautet unter Ber¨ucksichtigung von lg(x) =

ln(x) ln(10)

1 1 1 · f ′ (x) = 5 · 4x3 − 3 √ − 2 (− sin(x)) + 2 x ln(10) x 1 3 . = 20x3 − √ + 2 sin(x) + 2 x x ln(10) ◭

Ableitungsregeln

369

370

11 Differenzialrechnung

Produkt- und Quotientenregel Wir haben im vorangegangenen Abschnitt allerlei Ableitungen elementarer Funktionen hergeleitet. Aufgrund der Summen- und Faktorregel kennen wir damit auch die Ableitungen von Summen, Differenzen und skalaren Vielfachen dieser Funktionen. Es ist durchaus auch m¨oglich, Produkte und Quotienten von Funktionen zu differenzieren, ohne auf die Grenzwertdefinition zur¨uckgreifen zu m¨ussen. Allerdings sind die Regeln etwas komplizierter als die Summen- und Faktorregel. Produkte und Quotienten von Funktionen d¨urfen nicht gliedweise differenziert werden, wie folgendes Beispiel belegt.

Beispiel 11.10 Es ist f¨ur f (x) = x2 und g(x) = x: ) ′ ′ ( f · g)′ (x) = x2 · x = x3 = 3x2 6= ′ f ′ (x) · g′ (x) = x2 · x′ = 2x · 1 = 2x

Ebenso gilt:

 2 ′  ′ x f (x) = = x′ = 1 g x ′ x2 2x f ′ (x) = ′ = = 2x g′ (x) x 1

Produktregel Quotientenregel

        

6=



Produkt- und Quotientenregel F¨ur das Produkt und den Quotienten zweier differenzierbarer Funktionen f und g gelten folgende Differenziationsregeln: ( f · g)′ = f ′ · g + f · g′  ′ f g · f ′ − f · g′ = g g2

Produktregel Quotientenregel

11.2

Beweis Der Beweis der Produktregel erfolgt mit einem raffinierten, aber nachvollziehbaren Kunstgriff: f (x+∆x)g(x+∆x) − f (x)g(x) ∆x f (x+∆x)g(x+∆x) − f (x)g(x+∆x) + f (x)g(x+∆x) − f (x)g(x) = lim ∆x→0 ∆x   f (x+∆x)g(x+∆x) − f (x)g(x+∆x) f (x)g(x+∆x) − f (x)g(x) = lim + ∆x→0 ∆x ∆x     g(x+∆x) − g(x) f (x+∆x) − f (x) g(x+∆x) + lim f (x) = lim ∆x→0 ∆x→0 ∆x ∆x | {z } | {z } | {z } → g(x) ′ → f (x) → g′ (x)

( f · g)′ = lim

∆x→0

= f ′ (x) · g(x) + f (x) · g′(x)

Der Beweis der Quotientenregel kann mit einer analogen Argumentation gef¨uhrt werden. Setzt man allerdings voraus, dass die Ableitung des Quotienten gf existiert, so kann man die Quotientenregel mit der Produktregel f g

·g  ′ f f ′ · g + · g′ . f = g g  ′ Daraus ergibt sich durch Aufl¨osen nach gf

beweisen. Es ist wegen f =

 ′ f ′ − gf · g′ f = = g g

g· f ′ − f ·g′ g

g

=

g · f ′ − f · g′ . g2 

Beispiel 11.11 Anhand einiger Rechenbeispiele soll die Arbeit mit der Produktund Quotientenregel verdeutlicht werden. ′  ′ 2 2 ′ 2 a) x · sin(x) = x · sin(x) + x · (sin(x))

= 2x · sin(x) + x2 · cos(x) !′   √ 1 b) 2 x+ · ln(x) x    √ √ 1 −1 ′ = 2 x+x · (ln(x))′ · ln(x) + 2 x + x     √ 1 1 1 · = 2 √ + (−1)x−2 · ln(x) + 2 x + 2 x x x   1 2 1 1 = √ − 2 · ln(x) + √ + 2 x x x x

Ableitungsregeln

371

372

11 Differenzialrechnung

c)



x−1 x2 +1

= =

d)

′

 ′ x2 +1 · (x−1)′ − (x−1) · x2 +1 2

(x2 +1)



x2 +1 · 1 − (x−1) · 2x (x2 +1)2

=

x2 + 1 − 2x2 + 2x

=

−x2 + 2x + 1 x4 + 2x2 + 1



2

(x2 +1)

cos(x) · sin(x) ln(x)

′

=

ln(x) · (cos(x) · sin(x))′ − (cos(x) · sin(x)) · (ln(x))′

=

ln(x) · (− sin(x) · sin(x)+cos(x) · cos(x)) − (cos(x) · sin(x)) · 1x

= =

(ln(x))2

(ln(x))2



ln(x) cos2 (x) − sin2 (x) − cos(x)xsin(x) (ln(x))2

cos2 (x) − sin2 (x) cos(x) sin(x) − ln(x) x (ln(x))2 ◭

In allen oben durchgerechneten Beispielen ist die Ableitung komplizierter als die Ausgangsfunktion. Dies ist aufgrund der Form der Differenziationsregeln entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil der Normalfall.

Kettenregel Es gibt eine weitere Differenziationsregel, die es erlaubt Ableitungen zu berechnen, ohne auf die Definition als Grenzwert zur¨uckgehen zu m¨ussen. L¨asst sich eine Funktion als Verkettung zweier Funktionen mit bekannten Ableitungen schreiben, so kennt man auch die Ableitung der Verkettung.

11.2

Kettenregel Die Verkettung g ◦ f zweier differenzierbarer Funktionen f : x 7−→ u = f (x) und g : u 7−→ y = g(u) wird folgendermaßen differenziert:  (g ◦ f )′ (x) = g′ f (x) · f ′ (x) In der Leibniz’schen Schreibweise der Differenziale lautet diese Regel dy dy du = · . dx du dx

Bevor wir zum Beweis der Kettenregel kommen, wollen wir uns verdeutlichen, was diese eigentlich aussagt.

A

f

B

b b

x

u = f (x)

g

C b

y = g(u) = g f (x) = (g◦ f )(x)



g◦ f Offensichtlich berechnet sich die Ableitung der verketteten Funktion als Produkt der Ableitung der nachgeschalteten Funktion g mit der Ableitung der vorgeschalteten Funktion f . Man spricht wegen der Schreibweise g f (x) f¨ur die verkettete Funktion auch von dem Produkt der Ableitung der a¨ ußeren Funktion“ g mit der Ableitung der inneren Funktion“ f . ” ” Die St¨arke der Leibniz’schen Schreibweise der Differenziale zeigt sich erstmals hier bei der Kettenregel. Man darf bei der Kettenregel die Differenziale wie normale Br¨uche behandeln. Obwohl es sich eigentlich um eine Kurzschreibweise f¨ur Differenzialquotienten handelt, kann man er” weitern“ bzw. k¨urzen“. ”

Beweis (Beweis der Kettenregel) Wir betrachten eine beliebige feste Stelle x0 und bezeichnen das Bild f (x0 ) unter der ersten Funktion mit u0 .

Ableitungsregeln

Kettenregel

373

374

11 Differenzialrechnung

Nun legen wir eine Hilfsfunktion h folgendermaßen fest:   g(u) − g(u0) f¨ur u 6= u 0 u − u0 h(u) :=  g′ (u0 ) f¨ur u = u0

Aufgrund dieser Vereinbarung gilt

g(u) − g(u0) = h(u) · (u − u0) nat¨urlich f¨ur u 6= u0 , aber auch f¨ur den Fall u = u0 . Damit ergibt sich unter Ausnutzung der Abk¨urzung u = f (x0 +∆x)   g f (x0 +∆x) − g f (x0 ) ′ (g ◦ f ) (x0 ) = lim ∆x→0 ∆x g(u) − g(u0) = lim ∆x→0 ∆x u − u0 = lim h(u) · ∆x→0 ∆x  f (x0 +∆x) − f (x0 ) = lim h f (x0 +∆x) · ∆x→0 | ∆x {z } {z }  | ′ → g f (x0 ) → f ′ (x0 )  = g′ f (x0 ) · f ′ (x0 ). Da die Ausgangsstelle x0 beliebig war, ist die Aussage des Satzes bewiesen. Die zweite Darstellung mithilfe der Leibniz’schen Schreibweidy se der Differenziale ergibt sich durch die Ersetzung (g ◦ f )′ (x) = dx ,  dy du ′ ′  g f (x) = du und f (x) = dx .

Beispiel 11.12 Auch die Anwendung der Kettenregel soll durch Rechenbeispiele verdeutlicht werden. √ a) Wir wollen die Funktion y = 4x−x2 differenzieren. Diese Funktion ist die Verkettung √ der zwei Funktionen u = f (x) = 4x−x2 und y = g(u) = u, deren Ableitungen wir bereits kennen. Dementsprechend ist  √ ′ p dy du d u d 4x−x2 dy 2 = · = · 4x−x = dx du dx du dx 1 1 · (4−2x) = √ · (4−2x) = √ 2 u 2 4x−x2 2−x = √ . 4x−x2

11.2

b) Nun differenzieren wir die Funktion y = sin(x2 +1). Hier handelt es sich wieder um die Verkettung zweier Funktionen, deren Ableitungen wir kennen, n¨amlich u = x2 +1 und y = sin(u). Die Einf¨uhrung der neuen Variablen u mit anschließender Resubstitution wird meistens nicht explizit aufgeschrieben:  ′  sin x2 +1 2x = cos x2 +1 · |{z} | {z } | {z } du u dy dx

du

c) Man kann die Kettenregel durchaus auch in Verbindung mit anderen Regeln anwenden:   ′ 2 ′ x · (ln(x))2 = x′ · (ln(x))2 + x · ln(x) | {z} u 1 = 1 · (ln(x))2 + x · 2 ln(x) · x | {z } |{z} dy du

du dx

= (ln(x))2 + 2 ln(x)

d) Es ist sogar m¨oglich, die Kettenregel f¨ur drei- und mehrfache Verkettungen zu nutzen:   10 ′ 1 − sin 1x | {z } u  9  ′ · 1 − sin 1x = 10 1 − sin 1x | {z } |{z} v dy du

= 10 1 − sin

1 x

 9

= −10 1 − sin

1 x

= −10 1 − sin

1 x

=

10 1 − sin

9

· cos

1 x

· cos

1 x

· cos

1 x



 1 ′ x

1 x





· x−1

du dv

9

9

1 x x2

· − cos | {z



}

·

′

· (−1) · x−2



Ableitungsregeln

375

376

11 Differenzialrechnung

Ableitung der Umkehrfunktion In Abschnitt 2.3 hatten wir uns mit Funktionen besch¨aftigt, die sich umkehren lassen, und den Begriff der Umkehrfunktion gepr¨agt. Bekannte Umkehrfunktionen sind die Arkusfunktionen als Umkehrung der trigonometrischen Funktionen. Ebenso sind aber auch die nat¨urliche Exponentialfunktion ex und der zugeh¨orige nat¨urliche Logarithmus ln(x) zueinander inverse Funktionen. Man kann die Ableitung der Umkehrfunktion f −1 berechnen, wenn man die Ableitung der urspr¨unglichen Funktion f kennt. Wie diese Ableitung aussehen wird, kann man relativ leicht dem Schaubild der Funktion f und der zugeh¨origen Umkehrfunktion f −1 entnehmen. Der Graph der Funktion f −1 ergibt sich aus dem Graphen von f durch Spiegelung an der Winkelhalbierenden y = x. y

t

f

∆yt b

∆xt

∆yt ∆xt

∆xt b

f −1

∆yt x

Entsprechend spiegelt sich auch eine Tangente t an die Kurve. Dies bedeutet aber, dass die Steigung der Tangente der Funktion f dy ∆yt = dx ∆xt in die Steigung der Tangente von f −1 dx ∆xt 1 1 = = ∆y = dy t dy ∆yt ∆xt

dx

¨ an der gespiegelten Stelle u¨ bergeht. Aus dieser Uberlegung resultiert der nachfolgende Satz.

11.2

Ableitung der Umkehrfunktion Ist f : x 7−→ y eine umkehrbare und differenzierbare Funktion mit f ′ (x) 6= 0, so berechnet sich die Ableitung der Umkehrfunktion f −1 : y 7−→ x als ′ f −1 (y) =

1 . f ′ (x)

In der Leibniz’schen Schreibweise der Differenziale lautet diese Regel dx 1 = dy . dy dx

Wieder einmal hat sich die N¨utzlichkeit der Leibniz’schen Schreibweise gezeigt. Man darf bei der Ableitung der Umkehrfunktion die Differenziale wie Br¨uche behandeln. Wir wollen auch die Ableitung der Umkehrfunktion mit einem Beispiel unterlegen.

Beispiel 11.13 Die Funktion f (x) = ln(x) + 3x − 1

(x > 0)

hat als Ableitung

1 + 3. x Da offensichtlich f¨ur x > 0 stets die Bedingung f ′ (x) > 0 erf¨ullt ist, hat die Funktion f u¨ berall positive Steigung. Dies wiederum bedeutet, dass die Funktion f streng monoton w¨achst und damit auch umkehrbar ist. Allerdings ist die Abbildungsvorschrift der Umkehrfunktion f −1 nicht explizit berechenbar, da sich die Gleichung f ′ (x) =

y = ln(x) + 3x − 1

nicht elementar nach der Variablen x aufl¨osen l¨asst. Trotzdem ist es m¨oglich, die Ableitung der Umkehrfunktion f −1 : y 7−→ x an der Stelle y0 = 2 zu bestimmen. Es ist n¨amlich und damit

f (1) = ln(1) + 3 · 1 − 1 = 0 + 3 − 1 = 2 ′ f −1 (2) =

1 = f ′ (1)

1 1

1 1 = . 4 +3 ◭

Ableitungsregeln

Ableitung der Umkehrfunktion

377

378

11 Differenzialrechnung

Weitere Ableitungen elementarer Funktionen Mithilfe der hergeleiteten Produkt-, Quotienten- und Kettenregel sowie der Ableitungsregel f¨ur die Umkehrfunktion ist es nun m¨oglich, f¨ur weitere elementare Funktionen die Ableitung zu berechnen.

Ableitung von tan(x) und cot(x)

Satz

Die Ableitungen der Tangens- und Kotangensfunktion lauten 1 cos2 (x)  1 (cot(x))′ = − 1 + cot2 (x) = − 2 . sin (x) (tan(x))′ =

1 + tan2 (x)

=

Beweis Da beide Ableitungsregeln analog hergeleitet werden, beschr¨anken wir uns auf den Beweis der ersten Regel. Nach der Quotientenregel ist   cos(x) (sin(x))′ − sin(x) (cos(x))′ sin(x) ′ = (tan(x))′ = cos(x) cos2 (x) cos(x) · cos(x) − sin(x) · (− sin(x)) cos2 (x) + sin2 (x) = cos2 (x) cos2 (x)   2 sin(x) cos2 (x) sin2 (x) = 1 + tan2 (x), + = 1+ = cos2 (x) cos2 (x) cos(x)

=

womit der erste Teil der Formel bewiesen ist. Der zweite Teil ergibt sich durch ein anderes Vorgehen am Ende der zweiten Zeile der obigen Berechnung: =1 z }| { cos2 (x) + sin2 (x) 1 ′ (tan(x)) = = cos2 (x) cos2 (x)  Unter den wichtigen elementaren Funktionen fehlt uns noch die Ableitung der e-Funktion.

Ableitung von ex

Satz Die Ableitung der nat¨urlichen Exponentialfunktion stimmt mit derselben u¨ berein: (ex )′ = ex

11.2

Ableitungsregeln

Beweis Die nat¨urliche Exponentialfunktion y = ex ist definitionsgem¨aß die Umkehrfunktion der nat¨urlichen Logarithmusfunktion x = ln(y). Damit ergibt sich (ex )′ =

dy 1 = dx = dx dy

1 d ln(y) dy

=

1 1 y

= y = ex . 

Mit diesem Ergebnis lassen sich die Ableitungen der hyperbolischen Funktionen herleiten.

Satz

Ableitung der hyperbolischen Funktionen

Die Ableitungen der hyperbolischen Funktionen lauten (sinh(x))′ = cosh(x) (cosh(x))′ = sinh(x) 1 cosh2 (x) 1 (coth(x))′ = 1 − coth2 (x) = − . sinh2 (x)

(tanh(x))′ = 1 − tanh2 (x) =

Beweis Es ist aufgrund der Definition der hyperbolischen Funktionen sowie der bereits bekannten Ableitungsregeln ′  x ′  1 x 1 x e − e−x e − e−x = e − e−x · (−1) = (sinh(x))′ = 2 2 2 ex + e−x = = cosh(x). 2 Ganz analog wird die Ableitung der cosh-Funktion hergeleitet. Die Ableitung der tanh-Funktion ergibt sich mit der Quotientenregel zu   sinh(x) ′ cosh(x) · (sinh(x))′ − sinh(x) · (cosh(x))′ (tanh(x))′ = = cosh(x) cosh2 (x)   cosh2 (x) − sinh2 (x) sinh(x) 2 = 1 − tanh2 (x). = = 1− cosh(x) cosh2 (x) Nutzt man in der Mitte der obigen Rechnung das f¨ur die hyperbolischen Funktionen g¨ultige Analogon zum trigonometrischen Satz des Pythagoras aus, so ergibt sich andererseits die zweite Ableitungsregel =1 z }| { 2 2 cosh (x) − sinh (x) 1 (tanh(x))′ = = . 2 cosh (x) cosh2 (x) Die Ableitungsregel der coth-Funktion wird analog bewiesen.



379

380

11 Differenzialrechnung

Man sieht, dass die Ableitungsformeln der hyperbolischen Funktionen sehr a¨ hnlich zu denjenigen der trigonometrischen Funktionen sind. Von daher haben wir eine weitere Begr¨undung f¨ur die Namensgebung dieser Funktionen. Wir k¨onnen die Ableitungsregel der Potenzfunktion xn auch f¨ur Wurzeln beliebiger Ordnung verallgemeinern.

Ableitung der allgemeinen Wurzelfunktion

Satz

Die Ableitung der allgemeinen Wurzelfunktion lautet  ′   1 ′ √ 1 1 −1 n x = xn = x n . n

√ 1 Beweis Die n-te Wurzelfunktion y = f (x) = n x = x n ist definitions−1 n gem¨aß die Umkehrfunktion von x = f (y) = y . Damit ergibt sich aufgrund der Ableitungsregel f¨ur die Umkehrfunktion sowie der Potenzgesetze ′ √ dy 1 1 1 1 n x = = dx = d(yn ) = =  n−1 n−1 1 dx n y dy n xn dy =

1

nx

n−1 n

=



1 − n−1 1 1−n 1 x n = x n = x n n n

 1 −1 n .

 In dieser soeben bewiesenen verallgemeinerten Potenzregel gliedert sich √ auch die schon bewiesene Ableitung der gew¨ohnlichen Quadratwurzel x ein. Die Ableitungsregel f¨ur Potenzen l¨asst sich sogar f¨ur beliebige Exponenten erweitern.

Ableitung der allgemeinen Potenzfunktion

Satz

Die Ableitung der allgemeinen Potenzfunktion lautet (xα )′ = α xα −1 .

Beweis Aufgrund der Tatsache, dass man die allgemeine Potenzfunktion in der Form xα = eα ln(x) mittels der nat¨urlichen Exponentialfunktion ausdr¨ucken kann (vgl. Abschnitt 3.6), gilt nach der Kettenregel  ′ 1 (xα )′ = eα ln(x) = eα ln(x) · (α ln(x))′ = eα ln(x) · α · x α α α −1 = x · = αx x 

11.2

Ableitungsregeln

Zum Schluss wollen wir noch die Ableitungen der inversen trigonometrischen Funktionen bestimmen.

Satz

Ableitung der Arkusfunktionen

Die Ableitungen der Arkusfunktionen lauten 1 1 − x2 1 (arccos(x))′ = − √ 1 − x2 1 (arctan(x))′ = 1 + x2 1 (arccot (x))′ = − . 1 + x2 (arcsin(x))′ = √

Beweis Wir beginnen zun¨achst mit der Ableitung der Arkustangensfunktion y = arctan(x). Da diese die Umkehrfunktion der Tangensfunktion x = tan(y) ist, ergibt sich mit der Ableitung der Umkehrfunktion (arctan(x))′ =

1 dy = dx = dx dy

1 d tan(y) dy

=

1 1 = . 1 + tan2 (y) 1 + x2

Die analoge Ableitung des Arkuskotangens wollen wir u¨ bergehen und nun zur Ableitung der Arkussinusfunktion y = arcsin(x) kommen. Diese ist die Umkehrfunktion von x = sin(y) im Bereich − π2 ≤ y ≤ π2 . Damit ist (arcsin(x))′ =

dy 1 = dx = dx dy 1

1 d sin(y) dy

=

1

1 cos(y) | {z }

. = q = √ 1 − x2 1−sin2 (y)

≥0

Die Ableitungsregel f¨ur den Arkuskosinus wird analog bewiesen.



Beispiele Wir haben in den vorangegangenen Abschnitten f¨ur alle wichtigen elementaren Funktionen die Ableitungen hergeleitet und k¨onnen diese k¨unftig verwenden, ohne auf die Definition der Ableitung als Differenzialquotient zur¨uckgreifen zu m¨ussen. Wir k¨onnen dar¨uber hinaus aufgrund der Summen- und Faktorregel, der Produkt- und Quotientenregel sowie der Kettenregel beliebige Kombinationen der grundlegenden elementaren Funktionen differenzieren. Die Anwendung dieser Regeln wollen wir nun anhand einiger Beispiele u¨ ben und vertiefen.

381

382

11 Differenzialrechnung

Beispiel 11.14 Zun¨achst berechnen wir einige Ableitungen mithilfe der Ableitungsregeln.   1   !′   x3 1 1    √  1 −1 x3 x3 e 1 3x ′ a) e = = e = e · x 3 2 3 3x3 √ 3

e x = √ 3 3 x2  3 ′ ′ √ b) x x ln (ln(x)) = x 2 ln (ln(x))  3 ′ 3 = x 2 ln (ln(x)) + x 2 (ln (ln(x)))′ 3 1 1 3 1 x 2 ln (ln(x)) + x 2 2 ln(x) x 1 1 3 1 = x 2 ln (ln(x)) + x 2 2 ln(x)   √ 3 1 ln (ln(x)) + = x 2 ln(x) s !!′ 1 − cos(x) c) −2 · arccot 1 + cos(x)   s !′ 1 1−cos(x)   · = −2 · − q 2 1+cos(x) 1 + 1−cos(x) 1+cos(x)   1 1 1−cos(x) ′ q = 2· · · 1−cos(x) 1+cos(x) 1 + 1−cos(x) 1+cos(x) 2 1+cos(x)

=

=

1

1+cos(x)+1−cos(x) 1+cos(x)

·

1 ·√ 1−cos(x) √ 1+cos(x)

(1+cos(x)) sin(x) − (1−cos(x)) (− sin(x))

(1+cos(x))2 p 1+cos(x) 1+cos(x) = ·p 2 1−cos(x) sin(x) + cos(x) sin(x) + sin(x) − cos(x) sin(x) · (1+cos(x))2 1

= =

(1+cos(x)) · (1+cos(x)) 2 · 2 sin(x) 1

2 · (1−cos(x)) 2 · (1+cos(x))2 sin(x) 1

1

(1−cos(x)) 2 (1+cos(x)) 2

11.2

sin(x)

=

(1−cos(x)) (1+cos(x)) = p

sin(x)

1 2

1−cos2 (x) sin(x) = q sin2 (x)

= =

sin(x) |sin(x)| ( 1 f¨ur −1

2kπ < x < (2k+1)π (2k−1)π < x < 2kπ

f¨ur

,

k∈Z



Beispiel 11.15 Wir betrachten die Graphen der Funktionenschar   x−a (a 6= 0) fa (x) = a arctan a und fragen nach dem Schnittwinkel dieser Funktion mit der xAchse. Einige Graphen der Funktionenschar sind in der untenstehenden Skizze gezeichnet. y f−3 f−1

1 1

x

f1 f2 Um den Schnittwinkel mit der x-Achse zu bestimmen, ben¨otigen wir zun¨achst die Nullstellen der Funktion fa . Es ist   x−a = 0, fa (x) = a arctan a

Ableitungsregeln

383

384

11 Differenzialrechnung

wenn das Argument x−a a verschwindet. Dementsprechend hat jede Funktion fa ihre Nullstelle an der Stelle x0 = a. Den Schnittwinkel ϕ bestimmen wir u¨ ber die Steigung tan(ϕ ) an dieser Nullstelle. Bekanntlich berechnet sich aber die Steigung an einer beliebigen Stelle u¨ ber die Ableitung fa′ und es ist fa′ (x) = a · = a·

1 1+

 · x−a 2 a



x−a a

a2

a2 + x2 − 2xa + a2

·

′

= a·

1 a2 +(x−a)2 a2 a2

·

x

a

−1

′

1 = 2 . a x − 2ax + 2a2

Damit ist tan(ϕ ) = fa′ (x0 ) = fa′ (a) =

a2 = 1 a2 − 2aa + 2a2

bzw.

ϕ = arctan(1) =

π . 4

Also schneiden alle Graphen der Funktionenschar fa die x-Achse ∧ unter dem gleichen Winkel ϕ = π4 = 45◦ . ◭

Fortfuhrung ¨ Momentangeschwindigkeit eines Federpendels

Beispiel 11.16 (Fortf¨uhrung von Beispiel 11.6). Wir kehren zu dem schwingenden Federpendel zur¨uck und fragen nach der momentanen Geschwindigkeit der oszillierenden Masse m.

0 s0 s

11.2

Im unged¨ampften Fall berechnet sich die Auslenkung als r ! D s(t) = s0 cos t , m wobei D die Federkonstante der Spiralfeder ist. Die Geschwindigkeit der Masse ergibt sich u¨ ber die Ableitung der Wegfunktion s(t). r ! r !! d ds D D = s(t) ˙ = s0 · − sin t · t v(t) = dt m dt m r ! r r r ! D D D D = −s0 · sin t · = −s0 · sin t m m m m Mithilfe der Differenziationsregeln ist es also m¨oglich, die Momentangeschwindigkeit der angeh¨angten Masse zu bestimmen – eine Aufgabe, die zu Beginn des Kapitels aussichtslos erschien. Offensichtlich ist die Geschwindigkeit beim Durchschwingen durch die Ruhelage maximal und wird an den Wendestellen mit maximaler Auslenkung null. Wir k¨onnen sogar die Momentangeschwindigkeit im Fall einer ged¨ampften Schwingung berechnen. In diesem Fall lautet die Auslenkungsfunktion ! r k D k2 − t s(t) = s0 e 2m cos − t . m 4m2 Die Geschwindigkeit v ergibt sich wieder als Ableitung, wobei wir jetzt die Produkt- und Kettenregel in einem Zug anwenden: !! r k D k2 ds d − t v(t) = = s0 e 2m · cos − t dt dt m 4m2 ! r   k k D k2 t − = s0 e 2m · − · cos − t 2m m 4m2 !! r r k D k2 D k2 − t + s0 e 2m · − sin − 2t · − m 4m m 4m2 ! r k k D k2 t − 2m = −s0 e cos − t 2m m 4m2 !! r r D k2 D k2 + − sin − t m 4m2 m 4m2 ◭

Ableitungsregeln

385

386

11 Differenzialrechnung

Logistisches Wachstum

Beispiel 11.17 Neue technische Produkte wie Smartwatches oder E-Scooter verbreiten sich ebenso wie Bakterienkulturen oder Krankheiten zun¨achst langsam und steigern dann die Geschwindigkeit. Sp¨ater verlangsamt sich das Verbreitungstempo, bis letztendlich eine gewisse S¨attigung erreicht ist. f (t)

t Derartige Wachstumsvorg¨ange mit beschr¨ankten Ressourcen werden in den Wirtschaftswissenschaften und der Biologie gerne durch die sog. logistische Wachstumsfunktion f (t) =

ag a + (g−a)e−gkt

mit gewissen Konstanten a, g, k > 0 modelliert. Hierbei ist f (0) =

ag ag ag = = = a, a + (g−a)e0 a + (g−a) g

d. h. die Konstante a ist gerade Ausgangspopulation zum Zeitpunkt t = 0. Ferner ist ag ag = lim f (t) = lim = g, t→∞ t→∞ a + (g−a) e−gkt a |{z } →0

d. h. die Gr¨oße g beschreibt die S¨attigungsgrenze, die nur im Grenzfall erreicht werden kann. Wir fragen nach der Wachstumsgeschwindigkeit, also nach dem Grenzwert lim

∆t→0

df f (t +∆t) − f (t) = (t). ∆t dt

Nun ist nach den Regeln der Differenzialrechnung −1  df d  = ag · a + (g−a)e−gkt dt dt −2 = ag · (−1) · a + (g−a)e−gkt · (g−a)e−gkt · (−gk) =

ag2 k(g−a)e−gkt 2 . a + (g−a)e−gkt

11.3

Mittelwertsatz und stetige Differenzierbarkeit

Dieses Ergebnis l¨asst sich in folgender Weise weiter umformen: df ag g(g−a)e−gkt = k· · −gkt dt a + (g−a)e a + (g−a)e−gkt ag ag + g(g−a)e−gkt − ag · −gkt a + (g−a)e a + (g−a)e−gkt   ag ag = k· · g − a + (g−a)e−gkt a + (g−a)e−gkt | | {z } {z } = f (t) = f (t)  = k · f (t) · g − f (t) = k·

Dies bedeutet also, dass die Geschwindigkeit des Wachstums stets proportional zum Produkt des aktuellen Bestands f (t) mit dem verbleibenden Potenzial g − f (t) ist, was den Sinn der logistischen Wachstumsformel belegt. Die noch nicht gedeutete Konstante k spiegelt die Proportionalit¨atskonstante wider. ◭

11.3

Mittelwertsatz und stetige Differenzierbarkeit

Von großer Bedeutung werden in den folgenden Abschnitten zwei Dinge sein, von denen man sich zun¨achst fragt, was hiervon der Nutzen sein soll. Wir beginnen mit einem Sachverhalt, der sofort einsichtig ist. y

f (x)

f (b)

b

f (a) a

ξ

b

x

Es ist anschaulich klar, dass bei einer differenzierbaren Funktion   die Steigung der Sekante durch die Punkte a | f (a) und b | f (b) an mindestens einer Stelle ξ ∈ ]a,b[ mit der Steigung der Tangente, also der Ableitung u¨ bereinstimmt. Diese Tatsache ist f¨ur die Herleitung vieler wichtiger S¨atze mit vielf¨altigen praktischen Anwendungen von so zentraler Bedeutung, dass man den entsprechenden Satz mit einem eigenen Namen belegt hat.

387

388

11 Differenzialrechnung

Mittelwertsatz der Differenzialrechnung

Mittelwertsatz der Differenzialrechnung Zu einer auf dem Intervall [a,b] differenzierbaren Funktion f gibt es stets eine Stelle ξ ∈ ]a,b[ mit der Eigenschaft f (b) − f (a) . b−a

f ′ (ξ ) =

Wie bereits erw¨ahnt, hat dieser anschaulich einsichtige Satz eine zentrale Bedeutung. Wir werden ihn z. B. bei der Berechnung von Fl¨acheninhalten und bei der Berechnung von L¨angen von Kurven ben¨otigen. Ein zweiter wichtiger Sachverhalt betrifft die Differenzierbarkeit. Aus der Differenzierbarkeit einer Funktion folgt n¨amlich in Spezialf¨allen noch nicht die Stetigkeit der Ableitungsfunktion.

Beispiel 11.18 Wir betrachten die Funktion ( x2 · sin f (x) = 0

1 x



f¨ur f¨ur

x 6= 0

x = 0.

Das Schaubild dieser Funktion ist in der nachfolgenden Skizze gezeichnet. Der Graph oszilliert umso schneller, je mehr man sich der Stelle x = 0 n¨ahert. Andererseits wird die Amplitude durch die Funktion y = x2 eingeh¨ullt. y 0,04

0,2 x

11.3

Mittelwertsatz und stetige Differenzierbarkeit

Diese so definierte Funktion ist an der Stelle x = 0 differenzierbar, denn es ist  1 (∆x)2 · sin ∆x f (0+∆x) − f (0) ′ f (0) = lim = lim ∆x→0 ∆x→0 ∆x ∆x   1 = lim ∆x · sin = 0. ∆x→0 ∆x | {z } ≤1, ≥−1

Die Ableitung an den Stellen x 6= 0 l¨asst sich mit den u¨ blichen Differenziationsregeln berechnen. Die Funktion f ist also u¨ berall differenzierbar und die Ableitungsfunktion lautet (   2x sin 1x − cos 1x f¨ur x 6= 0 ′ f (x) = 0 f¨ur x = 0. Die Ableitungsfunktion ist aber nicht stetig, da der Grenzwert      1 1 lim f (x) = lim 2x sin − cos x→0 x→0 x x nicht existiert (vgl. Beispiel 10.14 in Abschnitt 10.4).



Zugegebenermaßen ist dieses Beispiel exotisch. Im Normalfall folgt aus der Differenzierbarkeit einer Funktion auch die Stetigkeit der Ableitung. Wie das geschilderte Beispiel belegt, ist es jedoch notwendig, derartige Funktionen mit einem neuen Namen zu belegen.

Definition Eine Funktion heißt stetig differenzierbar oder von der Klasse C1 , wenn sie differenzierbar und die Ableitung dar¨uber hinaus stetig ist. Eine Funktion heißt p -mal stetig differenzierbar oder von der Klasse C p , wenn sie p-mal differenzierbar und die p-te Ableitung dar¨uber hinaus stetig ist. Eine Funktion heißt von der Klasse C0 oder von der Klasse C , wenn sie stetig ist.5

5

Der Buchstabe C steht f¨ur das englische Wort continuous = stetig.

Stetige Differenzierbarkeit

389

390

11 Differenzialrechnung

Aufgaben Abschnitt 11.1 11.1 Berechnen Sie mithilfe der Grenzwertdefinition der Ableitung den Differenzialquotienten der Funktion f an der Stelle x0 . √ 2 x a) f (x) = x3 b) f (x) = 3 + c) f (x) = d) f (x) = 1 + 2x x 1−x

11.2 Lassen Sie sich den Graphen der folgenden Funktionen durch ein Computeralgebrasystem zeichnen und a¨ ußern Sie eine Vermutung, ob die Funktion f an der Nahtstelle differenzierbar ist. Untersuchen Sie anschließend formal, ob die Ableitung von f an der Stelle x0 existiert. Wie groß ist ggf. der Wert der Ableitung?  0 f¨ur x < 0 a) f (x) = , x0 = 0 x2 f¨ur x ≥ 0  3x − 1 f¨ur x ≤ 2 b) f (x) = , x0 = 2 x + 3 f¨ur x > 2  x+1 f¨ur x < 0 c) f (x) = , x0 = 0 sin(x) + 1 f¨ur x ≥ 0 11.3 Formulieren Sie eine Vermutung, ob die Betragsfunktion f (x) = |x| an der Stelle x0 = 0 differenzierbar ist. Weisen Sie diese Vermutung mithilfe der Definition der Ableitung nach. 11.4 Die Physik lehrt, dass sich die momentane H¨ohe eines von der Erdoberfl¨ache mit der Anfangsgeschwindigkeit v0 vertikal nach oben geworfenen Balls gem¨aß 1 h(t) = v0 t − gt 2 , 2

g = 9,81

m s2

berechnet. Bestimmen Sie abh¨angig von der Zeit die Geschwindigkeit v(t) des Balls. Welche maximale H¨ohe erreicht der Ball? Welche Geschwindigkeit besitzt der Ball zum Zeitpunkt des Aufpralls auf der Erde?

11.5 Beim Eintauchen eines Steins in Wasser entstehen Wellen, die sich kreisf¨ormig mit einer Ge¨ schwindigkeit von 0,6 ms ausbreiten. Uberlegen Sie sich, wie groß der von der Welle erfasste Bereich A nach 1, 2, 3, 4 und 5 Sekunden nach dem Eintauchen ist. Wie groß ist in den jeweiligen Abschnitten die Vergr¨oßerungsrate ∆A achengeschwindigkeit“ dA angig von der ∆t ? Berechnen Sie die ”Fl¨ dt abh¨ verstrichenen Zeit t.

Aufgaben

11.6 Bei Geschwindigkeitskontrollen werden oft drei Lichtschranken eingesetzt, die jeweils um 25 cm versetzt sind. F¨ahrt ein Auto vorbei, werden die Sichtverbindungen zu drei verschiedenen Zeitpunkten unterbrochen und hierdurch die Geschwindigkeit bestimmt.

a) Wird durch diese Vorrichtung tats¨achlich die Momentangeschwindigkeit der vorbeifahrenden Autos gemessen? Erl¨autern Sie, welche Gr¨oßen mit diesem Verfahren gemessen werden k¨onnen. b) Wie k¨onnte man tendenziell die Messung der Momentangeschwindigkeit verbessern? Warum macht man hiervon in der Praxis keinen Gebrauch? c) Ein Autofahrer entdeckt kurz vor Durchqueren der Messanlage die Geschwindigkeitsmessung und bremst ab. Sein Fahrzeug durchquert mit einer Anfangsgeschwindigkeit von v0 = 72 km h die erste Lichtschranke. Nach physikalischen Gesetzen berechnet sich sein von der ersten Lichtschranke gemessene Ort s abh¨angig von der verstrichenen Zeit t gem¨aß 1 s(t) = v0t − at 2 , 2 wobei a die konstante Verz¨ogerung ist. Eine Messung gilt nur dann als zuverl¨assig, wenn sich die drei Geschwindigkeitsmessungen um weniger als 3% unterscheiden. Wie groß m¨usste die Verz¨ogerung a sein, damit trotz Geschwindigkeits¨uberschreitung keine Anzeige erfolgt? Nehmen Sie f¨ur die aufwendigen Berechnungen ein Computeralgebrasystem zu Hilfe.

11.7 Beim Durchfluss einer Fl¨ussigkeit mit der Z¨ahigkeit η durch eine zylindrische R¨ohre bewegt sich die Fl¨ussigkeit in der Mitte schneller als am Rand.

Nach einem physikalischen Gesetz betr¨agt die Geschwindigkeit abh¨angig vom Abstand r von der Rohrmitte v(r) =

pA − pE 2 (R − r2 ), 4η L

wobei pA und pE den Druck am Rohranfang und Rohrende angeben sowie L die L¨ange und R der ¨ Radius des Rohrs sind. Berechnen Sie die Anderungsrate der Geschwindigkeit dv angig von r. dr abh¨

Abschnitt 11.2 11.8 Welchen Neigungswinkel hat der Graph der ganzen rationalen Funktion f (x) = 6x3 − 5x2 + 2x − 6 in den Punkten mit den Abszissen x0 = 0, x1 = 1, x2 = 2 und x3 = 3?

391

392

11 Differenzialrechnung

11.9 Bei frei tragenden Balkonen kommen einseitig eingespannte Tr¨ager zum Einsatz. Die Gleichung der Biegelinie eines derartigen Tr¨agers hat bei gleichm¨aßiger Belastung die Gleichung     x 3  x 2  qL4 x 4 y = − , +4 −6 24EI L L L wobei L die frei schwebende L¨ange des Tr¨agers, q die Last pro Meter und E, I Tr¨agerkonstanten sind. Wie groß ist die Durchbiegung und die Steigung tan ϕ am Ende des Tr¨agers?

11.10 Unter welchem Winkel schneiden sich die Sinus- und die Kosinuskurve? 11.11 Leiten Sie folgende Produktregeln her. a) ( f · g · h)′ = f ′ · g · h + f · g′ · h + f · g · h′

b) ( f · g)′′ = f ′′ g + 2 f ′ g′ + f g′′

11.12 Beweisen Sie folgende Differenziationsregeln. 1 sin2 (x)  1 c) (cosh(x))′ = sinh(x) d) (coth(x))′ = 1 − coth2 (x) = − sinh2 (x) 1 1 ′ ′ e) (arccot (x)) = − f) (arccos(x)) = − √ 1 + x2 1 − x2 ¨ 11.13 Berechnen Sie die Ableitungen folgender Funktionen y = f (x). Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse mit einem Computeralgebrasystem. √ b) y = x · ln(x) c) y = x2 · sin(x) · cos(x) a) y = x2 · x √ 2 √ x 1− x √ d) y = e) y = f) y = 3x+2 1 + 3x 1+ x p p 4 √ h) y = 2 x + x3 i) y = sin(2x) g) y = a2 −x2 p p √  √ √  k) y = x x4 +10 l) y = sin x − x cos x j) y = 3 tan(3x)   1 m) y = esin(x) n) y = ln(ln(ln(x))) o) y = arcsin x ! r √  1 1+x p) y = arctan x q) y = √ r) y = 2 arctan 1−x a2 +x2 s ! √ ! √   1+sin(x) ax+b − b x √ t) y = ln s) y = arctan(x) − arcsin √ u) y = ln √ 1−sin(x) ax+b + b 1+x2

a) (cos(x))′ = − sin(x)

 b) (cot(x))′ = − 1 + cot2 (x) = −

11.14 Berechnen Sie die Ableitungen folgender Funktionen. Formen Sie hierzu den Funktionsausdruck f (x) zun¨achst geeignet um. a) y = ax b) y = loga (x) c) y = xx d) y = logx (x)

Aufgaben

11.15 Ein aus der Ruhe losgelassener K¨orper legt beim freien Fall unter Ber¨ucksichtigung des Luftwiderstands abh¨angig von der Zeit t den Weg    v20 gt m s(t) = ln cosh , g = 9,81 2 g v0 s mit einer vom speziellen K¨orper abh¨angigen Konstanten v0 zur¨uck. Berechnen Sie die Momentangeschwindigkeit v(t) sowie die Beschleunigung a(t). Wogegen streben die Geschwindigkeit und die Beschleunigung f¨ur t → ∞? Welche physikalische Bedeutung hat demzufolge die Konstante v0 ?

11.16 Ein mit der Ladung Q0 geladener Kondensator mit der Kapazit¨at C wird ab dem Zeitpunkt t = 0 s u¨ ber einen Widerstand der Gr¨oße R entladen.

C R

Nach einem physikalischen Gesetz berechnet sich die zum Zeitpunkt t auf dem Kondensator befindliche Ladung als t Q(t) = Q0 · e− RC .

Berechnen Sie den von der Zeit t abh¨angigen Entladestrom I(t) = lim

∆t→0

Q(t +∆t) − Q(t) dQ ˙ = (t) = Q(t). ∆t dt

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

393

Anwendungen der Differenzialrechnung

12

F¨ ur welche Problemstellungen sind Ableitungen n¨ utzlich? Wie kann man mit Differenzialrechnung optimieren? Was hat die Ableitung mit dem Regenbogen zu tun? Wie l¨ ost man mit Ableitungen n¨ aherungsweise nicht l¨ osbare Gleichungen?

Regenbogen ¨ uber Bietigheim (Baden)

12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6

Monotonieuntersuchungen . . . . . . Extremwertprobleme . . . . . . . . . Der Regenbogen . . . . . . . . . . . Wendepunkte und Kurvendiskussion Regel von Bernoulli-de l’Hospital . . Das Newton-Verfahren . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

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396 398 409 415 421 427 432

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_12 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_12

395

396

12 Anwendungen der Differenzialrechnung Die Differenzialrechnung ist ein wichtiges Hilfsmittel f¨ ur praktische Probleme. Ganz egal, ob es sich um innermathematische, technische oder Problemstellungen aus dem Alltag handelt, h¨aufig ist die Differenzialrechnung die Methode der Wahl. In diesem Kapitel werden exemplarisch einige Anwendungen besprochen, die man mithilfe von Ableitungen l¨ osen kann.

12.1

Monotonieuntersuchungen

Es ist einsichtig, dass eine streng monoton wachsende, differenzierbare Funktion bis auf evtl. isolierte Ausnahmestellen u¨ berall positive Steigungen und damit eine u¨ berall positive Ableitungsfunktion besitzt.1 Umgekehrt bedeutet nat¨urlich eine positive Ableitungsfunktion, dass die zugeh¨orige stetige Funktion permanent steigende Tangente hat und damit ¨ streng monoton w¨achst. Entsprechende Uberlegungen gelten nat¨urlich auch f¨ur streng monoton fallende Funktionen. y f (x)

x y f ′ (x)

x

Monotonieuntersuchung mithilfe der Ableitung

  positiver Eine dem Intervall I definierte Funktion f mit negativer n o Ableitungsfunktion f ′ ist streng monoton wachsend . fallend Satz

1

Es ist m¨oglich, dass an isolierten Stellen die Ableitung verschwindet. Ein klassisches Beispiel ist die Funktion f (x) = x3 mit der Stelle x0 = 0.

12.1

Monotonieuntersuchungen

Mit diesem Sachverhalt ist es m¨oglich, monotone Abschnitte von Funktionen zu bestimmen.

Beispiel 12.1 Wir untersuchen die Funktion f (x) =

x + sin(x) 2

auf monotone Abschnitte. y

1 x

1

Es ist nach den Regeln der Differenzialrechnung f ′ (x) =

1 + cos(x). 2

Damit k¨onnen wir entscheiden, in welchen Abschnitten die Funktion monoton wachsend und in welchen sie monoton fallend ist. Es ist f ′ (x) > 0, wenn 1 cos(x) > − , 2 also wenn 2 2 − π + 2kπ < x < π + 2kπ , 3 3

k ∈ Z.

In diesen Bereichen ist die Funktion streng monoton wachsend. Umgekehrt ist in den Bereichen 2 4 π + 2kπ < x < π + 2kπ , 3 3

k∈Z

die Ableitung negativ und die Funktion damit streng monoton fallend. ◭

397

398

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

12.2

Extremwertprobleme

Ein Hauptanliegen in Wirtschaft, Technik, Naturwissenschaft und Freizeit ist es, Zielgr¨oßen zu optimieren. So m¨ochte man die Kosten, den Materialverbrauch oder den Energieverbrauch minimieren. Beim Weitwurf sucht man den optimalen Abwurfwinkel, damit man bei fester Abwurfgeschwindigkeit die maximale Weite erreicht. Aufgrund eines optimierten Lichteinfalls in das Auge l¨asst sich sogar das Ph¨anomen des Regenbogens erkl¨aren. Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. All den Beispielen gemeinsam ist, dass stets das Extremum einer Zielgr¨oße ben¨otigt wird, welche sich durch eine Funktion f modellieren l¨asst. An dieser Stelle ist die Differenzialrechnung ein sehr n¨utzliches Hilfsmittel. Mit ihr ist es m¨oglich, sog. lokale Extrema zu bestimmen.

Lokale Extrema

Definition Eine Funktion f hat an der Stelle x0 das lokale Maximum bzw. das lokale Minimum f (x0 ), wenn in einer Umgebung der Stelle x0 die Beziehung f (x) ≤ f (x0 )

f (x) ≥ f (x0 )

bzw.

gilt. Ein lokales Extremum von f ist ein lokales Maximum oder lokales Minimum der Funktion f .

Diese Definition besagt, dass es durchaus m¨oglich ist, dass ein lokales Maximum an einer entfernten Stelle noch u¨ bertroffen wird, jedoch sicher nicht in der Nachbarschaft. Im nachfolgenden Graphen nimmt die Funktion an der Stelle x0 ein lokales Maximum an, obwohl dieses Maximum kein absolutes Maximum ist. Ebenso haben wir an der Stelle x1 ein lokales Minimum, aber kein absolutes Minimum. Aber nat¨urlich ist ein absolutes Extremum automatisch auch ein lokales Extremum. y

b

x1 x0

x b

Es leuchtet unmittelbar ein, dass der folgende Sachverhalt richtig ist.

12.2

Satz Hat eine differenzierbare Funktion f an einer Stelle x0 , die nicht am Rand des Definitionsbereichs liegt, ein lokales Extremum, so verschwindet dort die Ableitung:

Extremwertprobleme

Notwendige Bedingung fur ¨ ein lokales Extremum im Innern

f ′ (x0 ) = 0

Die Aussage des obigen Satzes ist an den R¨andern des Definitionsbereichs nicht richtig. Dort hat man im Normalfall immer lokale Extrema, auch wenn die Ableitung nicht verschwindet. y

M1 b

b

P b

m1

M2 b

b

m2 a

b x

Dar¨uber hinaus kann es durchaus Punkte mit verschwindender Ableitung und damit horizontaler Tangente geben, die nicht lokale Extrema sind (vgl. Punkt P in der Skizze). Man spricht dann von einem Sattelpunkt. Obwohl lokale Extrema nicht unbedingt absolute Extrema sind und Punkte mit verschwindender Ableitung nicht einmal lokale Extrema sein m¨ussen, ist der obige Satz hilfreich, wenn man die Extrema einer Zielfunktion sucht.

Beispiel 12.2 Wir suchen die lokalen und absoluten Extrema der Funktion  [0,2π ] −→ R f: x 7−→ f (x) = x + cos(2x). L¨asst man sich den Graphen dieser Funktion z. B. von einem Computeralgebrasystem zeichnen, ergibt sich nachfolgendes Bild.

Sattelpunkt

399

400

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

y f (x)

1 2π x

1

Da wir wissen, dass an den lokalen Extremalstellen im Innern des Definitionsintervalls die erste Ableitung der Funktion verschwindet, k¨onnen wir diese Eigenschaft ausnutzen, um die in Frage kommenden Stellen einzugrenzen. Wir suchen alle Stellen mit verschwindender Ableitung. Es ist f ′ (x) = 1 − 2 sin(2x)

und damit ist f ′ (x) = 0, wenn

1 2 gilt. Aufgrund der Einschr¨ankung des Definitionsintervalls auf [0,2π ] bedeutet dies, dass sin(2x) =

x1 = x3 =

π 6

2

=

13 6 π

2

π 12 =

13 π 12

x2 = x4 =

5 6π

2

=

17 6 π

2

=

5 π 12 17 π 12

alle Stellen sind, an welchen die Ableitung f ′ den Wert null hat. Somit kommen nur diese Werte sowie die beiden Randpunkte x0 = 0

x5 = 2π

als Stellen lokaler Extrema und damit auch als Stellen absoluter Extrema in Frage. Ein gangbarer Weg zur Suche der beiden absoluten Extrema w¨are, nun die 6 Funktionswerte zu bestimmen und zu vergleichen. Der gr¨oßte dieser Funktionswerte ist das absolute Maximum, der kleinste das absolute Minimum der Funktion. Wir wissen aber dann noch nicht, ob an den u¨ brigen Stellen lokale Maxima oder Minima oder Sattelpunkte vorliegen, was aber sehr viel u¨ ber das Verhalten der Funktion in einer Umgebung dieser Stellen aussagt. Wir werden die Theorie zun¨achst weiterentwickeln, um dann auf dieses Beispiel zur¨uckzukommen. ◭

12.2

Extremwertprobleme

Wir beginnen bei der Suche nach hinreichenden Kriterien f¨ur lokale Extrema mit einem anschaulichen, sofort einleuchtenden Satz.

Satz Ist eine Funktion f stetig differenzierbar und wechselt die Ableitungsfunktion f ′ an der Stelle x0 ihr Vorzeichen von   plus nach minus , so hat f an dieser Stelle x0 ein lokales minus nach plus o n Maximum . Minimum

Die Korrektheit dieses Sachverhalts ist sofort klar, wenn man sich den Kurvenverlauf einer Funktion mit lokalen Extrema anschaut. y

b

x b

In dem Fall, dass die Steigungen links einer festen Stelle positiv und rechts davon negativ sind, hat die Kurve an der betreffenden Stelle ein lokales Maximum. Umgekehrt liegt im Fall links negativer und rechts positiver Steigungen ein lokales Minimum vor. Aus diesem Satz l¨asst sich jetzt ein leicht handhabbares Kriterium ableiten, mit dem man entscheiden kann, ob an einer Stelle x0 mit verschwindender Ableitung ein lokales Maximum oder ein lokales Minimum vorliegt.

Satz

Ist die Funktion f zweimal stetig differenzierbar und gilt  ′′  f (x0 ) < 0 ′ f (x0 ) = 0 und , f ′′ (x0 ) > 0 n o Maximum so hat die Funktion f an dieser Stelle x0 ein lokales . Minimum

Kriterium fur ¨ lokale Extrema

401

402

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

Beweis Wie in solchen F¨allen u¨ blich, weisen wir nur die erste Variante des Satzes nach, da die zweite ganz analog bewiesen werden kann. Wir gehen also davon aus, dass die Funktion f an der Stelle x0 eine verschwindende Ableitung und einen negativen Wert der zweiten Ableitung besitzt, also dass f ′ (x0 ) = 0

f ′′ (x0 ) < 0

und

gilt. Da die zweite Ableitung f ′′ an der Stelle x0 negativ und f ′′ dar¨uber hinaus stetig ist, bedeutet dies, dass f ′′ auch in einer Umgebung von x0 noch negativ sein muss. Dies wiederum heißt, dass die Ableitung der Funktion f ′ in einer Umgebung von x0 negativ ist, also dass die Funktion f ′ in dieser Umgebung streng monoton f¨allt. Wegen f ′ (x0 ) = 0 bedeutet aber dies, dass die Funktion f ′ an der Stelle x0 ihr Vorzeichen von plus nach minus wechselt. Nach dem vorangegangenen Satz hat die Funktion f damit an der Stelle x0 ein lokales Maximum. 

Beispiel 12.3 (Fortf¨uhrung von Beispiel 12.2). Im vorherigen Beispiel ging es um die lokalen und absoluten Extrema der Funktion  [0,2π ] −→ R f: x 7−→ f (x) = x + cos(2x). Hierzu suchten wir zun¨achst die Stellen, an welchen die Ableitung f ′ (x) = 1 − 2 sin(2x) verschwindet, und erhielten x1 = Station¨are Stellen

π 12

x2 =

5 π 12

x3 =

13 π 12

x4 =

17 π. 12

Nur diese Stellen kommen als innere Extremwertstellen in Frage. Man spricht in diesem Zusammenhang auch gerne von station¨aren Stellen. Um entscheiden zu k¨onnen, ob an diesen Stellen lokale Maxima oder Minima vorliegen, ben¨otigen wir die zweite Ableitung der Funktion f : f ′′ (x) = −4 cos(2x) Nun ist ′′

f (x1 ) = f

′′

π  12

= −4 cos

π  6

= −4 ·



√ 3 = −2 3 < 0. 2

Nach dem obigen Satz liegt also an der Stelle x1 ein lokales Maximum vor. Der Wert dieses lokalen Maximums betr¨agt √ π π  π π 3 f (x1 ) = f = + cos = + ≈ 1,128. 12 12 6 12 2

12.2

Entsprechend ergeben sich f¨ur die anderen Stellen ′′

f (x2 ) = f (x2 ) = f ′′ (x3 ) = f (x3 ) = f ′′ (x4 ) = f (x4 ) =

 √ 5 f π =2 3>0 12 √   5 3 5 ≈ 0,443 π = π− f 12 12 2   √ 13 π = −2 3 < 0 f ′′ 12 √   3 13 13 f ≈ 4,269 π = π+ 12 12 2   √ 17 π =2 3>0 f ′′ 12 √   17 3 17 π = π− ≈ 3,585. f 12 12 2 ′′



Dies bedeutet also, dass an den Stellen x2 und x4 jeweils ein lokales Minimum und an der Stelle x3 ein weiteres lokales Maximum mit den entsprechenden Funktionswerten vorliegt. Es bleiben jetzt noch die Randstellen x0 = 0

x5 = 2π

zu untersuchen, an welchen ja normalerweise lokale Extrema mit nicht verschwindender Ableitung sind. Um entscheiden zu k¨onnen, ob an den Randstellen ein lokales Maximum oder ein lokales Minimum vorliegt, schauen wir, ob die Funktion dort w¨achst oder f¨allt. Dies pr¨uft man am einfachsten u¨ ber die erste Ableitung. Wir erhalten in unserem Fall f ′ (x0 ) = f ′ (0) = 1−2 sin(0) = 1 > 0 f ′ (x5 ) = f ′ (2π ) = 1−2 sin(4π ) = 1 > 0. Also ist der Funktionsverlauf von f an beiden R¨andern steigend, d. h. am linken Rand liegt ein lokales Minimum und am rechten Rand ein lokales Maximum vor. Die zugeh¨origen Funktionswerte sind f (x0 ) = f (0) = 1 f (x5 ) = f (2π ) = 2π + 1 ≈ 7,283. Zusammenfassend haben wir also drei lokale Maxima an den Stellen x1 , x3 , x5 und drei lokale Minima an den Stellen x0 , x2 , x4 . Die zugeh¨origen Koordinaten lauten:

Extremwertprobleme

403

404

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

Maxima:

Minima:

√  π π 3 M1 + 12 12 2 √   13 13 3 π π+ M2 12 12 2   M3 2π 2π +1 

  m1 0 1

√  5 5 3 π π− 12 12 2 √   17 17 3 m3 π π− 12 12 2 m2



Das absolute Maximum ist nat¨urlich das lokale Maximum mit dem gr¨oßten Funktionswert. Ebenso ist das absolute Minimum das kleinste lokale Minimum. Man stellt sofort fest, dass durch M3 das absolute Maximum und m2 das absolute Minimum gegeben sind. ◭

Die Suche nach Extrema mithilfe der Differenzialrechnung ist bei vielen Optimierungsproblemen n¨utzlich.

Minimale Oberfl¨ache eines Kastens

Beispiel 12.4 Aus einem quadratischen Blech mit der Kantenl¨ange a soll nach Herausstanzen quadratischer Teile mit der Seitenl¨ange x ein Kasten mit m¨oglichst großem Volumen gebogen werden. x x x a − 2x a

12.2

Das Volumen V des entstehenden Kastens berechnet sich gem¨aß der Formel V (x) = (a−2x)2 · x

= a2 x − 4ax2 + 4x3 ,

wobei sich die Gr¨oße x zwischen den Grenzen 0 und a2 bewegt. Um den maximal erreichbaren Inhalt Vmax zu bestimmen, suchen wir zun¨achst die station¨aren Stellen, d. h. die Werte von x mit verschwindender Ableitung. Wir l¨osen also die Gleichung V ′ (x) = a2 − 8ax + 12x2 = 0. ¨ Uber die L¨osungsformel f¨ur quadratische Gleichungen (Abschnitt 3.2) ergibt sich √ √ 8a ± 64a2 − 4 · 12 · a2 8a ± 16a2 8a ± 4a x1/2 = = = , 2 · 12 24 24 d. h. die Stellen mit verschwindender Ableitung lauten x1 =

a 2

x2 =

a . 6

Um entscheiden zu k¨onnen, ob an diesen station¨aren Stellen lokale Extrema des Volumens vorliegen, ben¨otigen wir die zweite Ableitung von V . Es ist V ′′ (x) = −8a + 24x und damit a

a = −8a + 24 · = 4a > 0 2 2   a ′′ ′′ a V (x2 ) = V = −8a + 24 · = −4a < 0 . 6 6 V ′′ (x1 ) = V ′′

Demzufolge liegt an der Stelle x1 = a2 ein lokales Minimum und an der Stelle x2 = a6 ein lokales Maximum des Volumens vor. Wir sind am maximalen Volumen interessiert, sodass wir lediglich das lokale Maximum weiter untersuchen m¨ussen. Es ist a  a 2 a 2 3 V (x2 ) = V = a−2· · = a . 6 6 6 27

Dieses lokale Maximum im Innern des Definitionsintervalls kann lediglich noch an den R¨andern“ u¨ bertroffen werden. Es ist aber ” a V (0) = (a−2·0)2 · 0 = 0 < V 6 a  a a 2 a V = a−2· · = 0 0 gilt. Dies bedeutet, dass die erste Ableitung von f ′ an dieser Stelle verschwindet und die zweite Ableitung positiv ist, also dass die Funktion f ′ an der Stelle x0 ein lokales Minimum hat. Das wiederum heißt, dass f ′ links von der Stelle x0 in einer Umgebung monoton f¨allt und rechts davon monoton w¨achst. Laut obiger Definition der Kr¨ummungsarten bedeutet aber dies, dass die Ausgangsfunktion f links von der Stelle x0 rechts- und rechts von der Stelle x0 linksgekr¨ummt ist. Demzufolge haben wir an der Stelle x0 einen Wendepunkt der Funktion f vorliegen. Der Fall f ′′ (x0 ) = 0 und f ′′′ (x0 ) < 0 wird analog bewiesen.



Die Behandlung eines Beispiels wollen wir noch etwas zur¨uckstellen und zun¨achst das prinzipielle Vorgehen einer Kurvendiskussion vorstellen. Um den Kurvenverlauf des Graphen einer Funktion f skizzieren zu k¨onnen, hat sich ein Vorgehen etabliert, das sich meistens an folgenden Schritten orientiert: 1. Bestimmung des zul¨assigen Definitionsbereichs 2. Untersuchung auf Symmetrieeigenschaften und Periodizit¨at 3. Untersuchung des Verhaltens f¨ur x → ±∞ 4. Verhalten bei Definitionsl¨ucken 5. Bestimmung der Nullstellen f (x) = 0 6. Berechnung des Schnittpunkts f (0) mit der y-Achse 7. Bestimmung der lokalen Extrema der Funktion (x- und y-Werte) 8. Bestimmung der Wendepunkte (x- und y-Werte) samt zugeh¨origer Steigungen 9. ggf. weitere Wertepaare bestimmen 10. Graph skizzieren Wir wollen das geschilderte Verfahren an einem Beispiel demonstrieren. Dabei wird auch die praktische Berechnung der Wendepunkte integriert.

Kurvendiskussion

417

418

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

GaußNormalverteilung

Beispiel 12.6 In der Statistik spielt die sog. Gauß-Normalverteilung eine zentrale Rolle. Diese hat bis auf normierende Faktoren die Gestalt 2

f (x) = e−x . Dabei machen wir von der Vereinbarung Gebrauch, dass im Normalfall der Exponent st¨arker bindet, d. h. wir untersuchen genau ge2 nommen die Funktion f (x) = e(−x ) . Diese Funktion wollen wir jetzt nach dem oben geschilderten Schema diskutieren. 1. Zul¨assiger Definitionsbereich Da die nat¨urliche Exponentialfunktion f¨ur alle reellen Zahlen erkl¨art ist, gibt es auch keine Einschr¨ankungen bzgl. der Funktion f . Demzufolge ist der Definitionsbereich A = R. 2. Symmetrieeigenschaften und Periodizit¨at 2

Es gilt

2

f (−x) = e−(−x) = e−x = f (x), d. h. die Funktionswerte stimmen f¨ur positive und negative x-Werte u¨ berein. Dies bedeutet, dass der Funktionsgraph spiegelsymmetrisch zur y-Achse ist. Eine Periodizit¨at ist nicht erkennbar. 3. Verhalten fur ¨ x → ±∞ Es ist 1

2

lim f (x) = lim e−x = lim

x→∞

x→∞

x→∞

2

ex |{z}

= 0.

→∞

Wegen der Achsensymmetrie zur y-Achse gilt damit auch 2

lim f (x) = lim e−x = 0.

x→−∞

x→−∞

4. Verhalten bei Definitionslucken ¨ onsl¨ucken gibt, entf¨allt dieser Punkt.

Da es keine Definiti-

5. Nullstellen f (x) = 0 Die nat¨urliche Exponentialfunktion ist u¨ berall positiv, d. h. es gilt auch u¨ berall 2

f (x) = e−x > 0. Folglich gibt es keine Nullstellen. 6. Ordinatenschnittpunkt f (0) Der Schnittpunkt mit der yAchse berechnet sich u¨ ber 2

f (0) = e−0 = e0 = 1,

12.4

Wendepunkte und Kurvendiskussion

d. h. der Graph der Funktion schneidet die y-Achse in der H¨ohe 1. 7. Lokale Extrema tung.

Hier ben¨otigen wir zun¨achst die erste Ablei2

f ′ (x) = e−x · (−2x) 2

= −2x · e−x

Diese Ableitung verschwindet lediglich f¨ur x = 0, d. h. wir haben nur eine station¨are Stelle f¨ur ein lokales Extremum. Weiter ist 2

2

f ′′ (x) = −2 · e−x + (−2x) · e−x · (−2x)  2 = −2 + 4x2 · e−x .

An der station¨aren Stelle ist

2

f ′′ (0) = −2 · e−0 = −2 < 0, was ein lokales Maximum an dieser Stelle bedeutet. Der Wert des lokalen Maximums betr¨agt nach obiger Rechnung f (0) = 1, sodass wir als lokale Maximalstelle den Punkt M mit den Koordinaten M(0 | 1) erhalten. 8. Wendepunkte samt zugeh¨origer Steigungen Wir l¨osen zun¨achst die Gleichung f ′′ (x) = 0, um die wendepunktverd¨achtigen Stellen zu finden. Es ergibt sich

2

 2 f ′′ (x) = −2 + 4x2 · e−x = 0

bzw. wegen e−x > 0

−2 + 4x2 = 0. Damit haben wir zwei x-Werte, an welchen Wendepunkte u¨ berhaupt m¨oglich sind, n¨amlich 1 x1 = √ 2

und

1 x2 = − √ . 2

Um zu u¨ berpr¨ufen, ob an diesen Stellen tats¨achlich Wendepunkte vorliegen, ben¨otigen wir die dritte Ableitung: 2

2

f ′′′ (x) = 8x · e−x + (−2 + 4x2) · e−x · (−2x)  2 = 12x − 8x3 · e−x

419

420

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

Nun ist 

  1 1 1 12 · √ − 8 · √ · e− 2 2 2 2 8 1 = √ ·√ e 2 6= 0     1 1 1 1 f ′′′ − √ = −12 · √ + 8 · √ · e− 2 2 2 2 2 8 1 = −√ · √ e 2 6= 0, f ′′′

1 √ 2



=

d. h. es liegen tats¨achlich an beiden Stellen Wendepunkte vor. Nat¨urlich h¨atte man sich aufgrund der Achsensymmetrie den Nachweis f¨ur die zweite Stelle sparen k¨onnen. Die zugeh¨origen Funktionswerte sind ebenfalls wegen der Achsensymmetrie gleich und betragen 1 1 f (x1 ) = f (x2 ) = e− 2 = √ . e

Damit haben die Wendepunkte die Koordinaten   1 1 ≈ (0,707 | 0,607) W1 √ √ e 2   1 1 W2 − √ √ ≈ (−0,707 | 0,607). e 2

Die zugeh¨origen Wendetangenten haben die Steigung r   1 1 2 1 − ′ 2 √ √ = −2 · ·e ≈ −0,858 = − f e 2 2 r   1 1 1 2 = 2 · √ · e− 2 = f′ −√ ≈ 0,858. e 2 2

9. Weitere Wertepaare Obwohl der prinzipielle Kurvenverlauf aufgrund der durchgef¨uhrten Untersuchungen inzwischen klar ist, ist es f¨ur die Skizze sinnvoll, die Funktionswerte noch an einigen weiteren Stellen zu berechnen. So ist z. B. f (0,5) = f (−0,5) = e−0,25 ≈ 0,779 f (1) = f (−1) = e−1 ≈ 0,368

f (1,5) = f (−1,5) = e−2,25 ≈ 0,105

f (2) = f (−2) = e−4 ≈ 0,018 .

12.5

Regel von Bernoulli-de l’Hospital

10. Graph skizzieren Aufgrund der durchgef¨uhrten Untersuchungen k¨onnen wir nun den Verlauf des Graphen skizzieren. Es ergibt sich nachfolgendes Bild. y   W2 − √12 √1e

1 M(1|0) b

W1 b

b



1



√1 √1 e 2

 x



12.5

Regel von Bernoulli-de l’Hospital

Die Berechnung von Grenzwerten mit elementaren Methoden war bisher eine recht m¨uhselige Angelegenheit.

Beispiel 12.7 Wir wollen den Grenzwert x2 − 6x − 7 x→−1 x3 + 7x2 + 15x + 9 lim

bestimmen. Z¨ahler und Nenner streben im Grenzfall beide gegen null, sodass ohne Rechnung keine Aussage u¨ ber das Grenzverhalten getroffen werden kann. Dadurch, dass Z¨ahler und Nenner an der Stelle x = −1 eine Nullstelle besitzen, ist es gem¨aß Abschnitt 3.2 m¨oglich, diese Nullstelle jeweils als Linearfaktor der Form x − (−1) = x + 1 abzuspalten. Durch Polynomdivision erh¨alt man  x2 −6x − 7 : (x+1) = x−7  x3 +7x2 +15x+9 : (x+1) = x2 +6x+9.

421

422

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

Damit ergibt sich lim

x2 − 6x − 7

x→−1 x3 + 7x2 + 15x + 9

(x+1) (x−7) (x+1) (x2 +6x+9) x−7 = lim 2 x→−1 x + 6x + 9 −8 = 4 = −2. = lim

x→−1



Dieses praktizierte Verfahren ist sehr aufwendig und l¨asst sich mit einer Methode, welche auf der Differenzialrechnung beruht, abk¨urzen.

Regel von Bernoullide l’Hospital

Regel von Bernoulli-de l’Hospital4 wertes lim

x→x0

Zur Berechnung des Grenz-

f (x) g(x)

mit lim f (x) = lim g(x) = 0

x→x0

x→x0

oder lim f (x) = lim g(x) = ±∞

x→x0

x→x0

kann man Z¨ahler und Nenner durch die Ableitung ersetzen, d. h. es gilt lim

x→x0

f (x) f ′ (x) = lim ′ . x→x0 g (x) g(x)

Dabei spielt es keine Rolle, ob x0 ∈ R oder x0 = ±∞ ist.

4

Johann Bernoulli, 1667–1748, ein Mitglied einer schweizer Mathematikerdynastie; Guillaume Franc¸ois Antoine Marquis de l’Hospital, 1661–1704, franz¨osischer Mathematiker. Die Regel wurde eigentlich von Bernoulli gefunden, aber von de l’Hospital ver¨offentlicht.

12.5

Regel von Bernoulli-de l’Hospital

Beweisskizze Wir k¨onnen den Beweis nicht exakt f¨uhren, aber doch f¨ur einen Fall plausibel machen. Wir gehen davon aus, dass die Z¨ahlerund Nennerfunktion an der Stelle x0 definiert sind und dar¨uber hinaus lim f (x) = f (x0 ) = 0

x→x0

lim g(x) = g(x0 ) = 0

x→x0

gilt. Nach dem Mittelwertsatz der Differenzialrechnung gibt es jeweils eine Zwischenstelle ξ und η im Intervall ]x0 ,x[ mit der Eigenschaft, dass f (x) − f (x0 ) x − x0 g(x) − g(x0 ) ′ g (η ) = . x − x0 f ′ (ξ ) =

Wegen f (x0 ) = g(x0 ) = 0 folgt daraus f (x) = f ′ (ξ ) · (x − x0 )

g(x) = g′ (η ) · (x − x0 ) . Somit ergibt sich wegen ξ , η ∈ ]x0 ,x[ und x → x0 lim

x→x0

f (x) f ′ (ξ ) · (x−x0 ) = lim ′ x→x0 g (η ) · (x−x0 ) g(x) f ′ (ξ ) = lim ′ x→x0 g (η ) f ′ (x) = lim ′ . x→x0 g (x) 

Mit der Regel von Bernoulli-de l’Hospital kann man also salopp gesprochen Grenzwerte der Form 00 “ und ∞ “ berechnen. ” ”∞

Beispiel 12.8 (Fortf¨uhrung von Beispiel 12.7). Wir berechnen den Grenzwert aus Beispiel 12.7 mithilfe der Regel von Bernoulli-de l’Hospital. lim

x2 − 6x − 7

x→−1 x3 + 7x2 + 15x + 9

0

2x − 6 3x2 + 14x + 15 −2 − 6 = 3 − 14 + 15 = −2 0 = lim

x→−1



423

424

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

Mehrmalige Anwendung der Regel von Bernoullide l’Hospital Exponentialfunktion als asymptotisch steilste Funktion

Beispiel 12.9 Die Regel von Bernoulli-de l’Hospital kann auch mehrfach angewendet werden. So gilt x2 ∞∞ 2x ∞∞ 2 = 0, = lim x = lim x x→∞ e x→∞ e x→∞ ex lim

d. h. die Exponentialfunktion w¨achst asymptotisch, also f¨ur große x, bedeutend schneller als die Parabel y = x2 . Man kann dieses Problem sogar f¨ur beliebige Potenzfunktionen y = xn (n ∈ N∗ ) verallgemeinern. Man erh¨alt durch wiederholtes Anwenden der Regel von Bernoulli-de l’Hospital xn ∞∞ n · xn−1 = lim x→∞ ex x→∞ ex ∞ n · (n−1) · xn−2 ∞ = lim x→∞ ex ∞ n · (n−1) · (n−2) · xn−3 ∞ = lim x→∞ ex = ...... lim



n · (n−1) · (n−2) · · ·2 · x ex ∞ n · (n−1) · (n−2) · · ·2 · 1 ∞ = lim x→∞ ex = 0. ∞ = lim

x→∞

Demzufolge w¨achst die Exponentialfunktion asymptotisch st¨arker als jede Potenzfunktion, ein Sachverhalt, welcher – wenn man die Graphen der Funktionen in der N¨ahe der Ursprungs betrachtet – der Anschauung widerspricht. In der N¨ahe des Ursprungs y

x1000

ex

1 1

x

12.5

Regel von Bernoulli-de l’Hospital

Allerdings gibt es in vielen Computeralgebrasystemen die M¨oglichkeit, sich die Graphen bis ins Unendliche mit einer geeigneten Skalierung der Achsen zeichnen zu lassen. Man kann dann erahnen, dass die Exponentialfunktion tats¨achlich irgendwann die entsprechende Potenzfunktion u¨ berholt. Bis ins Unendliche y→∞

x1000 ex

x→∞ ◭

Logarithmusfunktion als asymptotisch flachste Funktion

Beispiel 12.10 Es ist √ n

1

1

1 · x n −1 1 1 x n ∞∞ x = lim n 1 = lim · x n −1 · x = lim lim x→∞ x→∞ n x→∞ ln(x) x→∞ ln(x) x 1 √ 1 1 = lim · x n = lim · n x = ∞, x→∞ n x→∞ n

d. h. jede Wurzelfunktion w¨achst asymptotisch schneller als der nat¨urlich Logarithmus. Dies ist wie im vorangegangenen Beispiel eine Erkenntnis, die der gew¨ohnlichen Anschauung widerspricht. Das h¨angt nat¨urlich damit zusammen, dass wir u¨ blicherweise Funktionen in einer Umgebung des Ursprungs betrachten und riesige Werte von x bei der Betrachtung vernachl¨assigen. Dass wirklich jede Wurzelfunktion f¨ur große Werte von x die Logarithmusfunktion u¨ berholt, sieht man wieder, wenn man sich die Graphen der Funktionen durch ein Computeralgebrasystem bis ins Unendliche zeichnen l¨asst.

425

426

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

In der N¨ahe des Ursprungs y ln(x) 1



1000

x x

1

Bis ins Unendliche y→∞ √

1000

ln(x) x x→∞



Mithilfe der Regel von Bernoulli-de l’Hospital ist es ggf. auch m¨oglich, Produkte der Form 0 · ∞ “ bzw. Differenzen der Form ∞ − ∞ “ zu be” ” rechnen.

Beispiel 12.11  tan(ax) tan(ax) lim tan(ax) · cot(bx) = lim = lim 1 x→0 x→0 tan(bx) | {z } | {z } cot(bx)

x→0

→±∞  1+tan2 (ax) · a

→0

0 0

= lim

x→0

(1+tan2 (bx)) · b

=

 1 + 02 · a a = (1 + 02 ) · b b



12.6

Beispiel 12.12

lim

x→0



1 1 − x x e −1 |{z} | {z }

→±∞

→±∞



(ex −1) − x 00 ex − 1 = lim x→0 x · (ex −1) x→0 1 · (ex −1) + x · ex

= lim

0 ex − 1 ex ex 0 = lim x = lim = lim x→0 e − 1 + x · ex x→0 ex + 1 · ex + x · ex x→0 2ex + x · ex 1 1 = = 2·1+0·1 2



12.6

Das Newton-Verfahren

In den seltensten F¨allen ist es m¨oglich, Gleichungen exakt zu l¨osen. So kennt man die L¨osungsformel quadratischer Gleichungen, doch schon bei der L¨osung Gleichungen dritten Grades versagt das mathematische Allgemeinwissen.5 Ab Gleichungen 5. Grades gibt es bis auf Spezialf¨alle keine L¨osungsformel mehr, sodass man auf N¨aherungsl¨osungen angewiesen ist. Auf solche N¨aherungsl¨osungen muss man erst recht zur¨uckgreifen, wenn zus¨atzlich andere Funktionen wie Exponentialfunktionen, trigonometrische Funktionen u. a¨ . auftreten. Eine Methode zur Bestimmung einer N¨aherungsl¨osung hatten wir bereits im Beispiel 10.20 in Abschnitt 10.5 mit dem Bisektionsverfahren kennengelernt. Nun soll eine zweite, nach Newton benannte Methode zur n¨aherungsweisen L¨osung der Gleichung f (x) = 0 vorgestellt werden. Die Idee des Verfahrens ist recht einfach. Man geht von einer N¨aherung x0 der gesuchten Nullstelle der Funktion f aus, legt dort die Tangente an die Funktion f und bestimmt die Nullstelle x1 dieser Tangente. Diese Nullstelle liegt im Normalfall n¨aher an der gesuchten Nullstelle x¯ als x0 . Nun wiederholt man dieses Verfahren mit der neuen besseren N¨aherung x1 . Man legt also wieder die Tangente an f , bestimmt deren Nullstelle und erh¨alt eine erneut bessere N¨aherung x2 usw. Da sich die Tangente bei jedem Schritt immer weniger von der Kurve l¨ost, geht dieses Verfahren umso schneller gegen die gesuchte Nullstelle x, ¯ je mehr 5

Es gibt zwar die sog. Cardano’schen Formeln zur L¨osung derartiger Gleichungen, doch sind diese relativ kompliziert und werden aus diesem Grund i. Allg. nicht verwendet. Große Teile der Formeln waren bereits del Ferro und Tartaglia bekannt. Girolamo Cardano, 1501–1576, Scipione del Ferro, 1465–1526, Niccolo Fontana Tartaglia, 1499– 1557, italienische Mathematiker.

Das Newton-Verfahren

427

428

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

man sich dieser n¨ahert, d. h. das Verfahren beschleunigt sogar seine Konvergenz. y

f (x) b

b

b

x¯ x3

x2

x1

x0

x

Wir leiten eine Formel f¨ur das geschilderte Verfahren her. Dazu bestimmen wir zun¨achst die Gleichung der Tangente an der Stelle x0 . Diese hat als affine Funktion zun¨achst einmal eine Darstellung der Form y = a0 + a1 x. Die Steigung der Tangente ist f ′ (x0 ), sodass wir die Tangentengleichung in y = a0 + f ′ (x0 ) · x pr¨azisieren k¨onnen. Den y-Achsenabschnitt a0 erhalten wir durch Einset zen des Ber¨uhrpunkts x0 | f (x0 ) , der ja auf der Tangente liegt: f (x0 ) = a0 + f ′ (x0 ) · x0

Daraus ergibt sich a0 = f (x0 ) − f ′ (x0 ) · x0 . Somit lautet die Gleichung der Tangente in x0 y = f (x0 ) − f ′ (x0 ) · x0 + f ′ (x0 ) ·x. | {z } | {z } a0 a1

Die n¨achste N¨aherung x1 erhalten wir als Nullstelle dieser Tangente. Wir haben also die Gleichung 0 = f (x0 ) − f ′ (x0 ) x0 + f ′ (x0 ) x1 nach x1 aufzul¨osen. Es ergibt sich x1 = x0 −

f (x0 ) . f ′ (x0 )

Wir wissen jetzt, wie sich die erste N¨aherung x1 aus der urspr¨unglichen N¨aherung x0 berechnet. Nat¨urlich gilt die gleiche Formel f¨ur die Berechnung der N¨aherung x2 . Man muss lediglich in der obigen Rekursionsformel x0 durch x1 und x1 durch x2 ersetzen. Allgemein l¨asst sich die nachfolgende Iteration formulieren.

12.6

Newton-Verfahren

Sucht man eine L¨osung x¯ der Gleichung f (x) = 0

mit der differenzierbaren Funktion f , so erh¨alt man diese im Allgemeinen n¨aherungsweise mithilfe der Iteration xn+1 = xn −

f (xn ) . f ′ (xn )

Hierbei muss der Startwert x0 gen¨ugend nahe bei der gesuchten Nullstelle x¯ gew¨ahlt werden.

Es sei bemerkt, dass die Newton-Iteration nat¨urlich nur dann funktioniert, wenn die Ableitungen f ′ (xn ) nicht verschwinden. Im Sonderfall f ′ (xn ) = 0 ist die angelegte Tangente horizontal und hat damit keine Nullstelle, d. h. das Newton-Verfahren versagt. Wir wollen auch das Newton-Verfahren mit Beispielen unterlegen. Hierzu greifen wir zun¨achst das Beispiel 10.20 in Abschnitt 10.5 auf.

Beispiel 12.13 Wir suchen die nicht triviale L¨osung x¯ > 1 der Gleichung ex = 2x + 1. y

ex

2x + 1

b

1 b

1 x¯

x

Das Newton-Verfahren

Newton-Verfahren zur n¨aherungsweisen Bestimmung einer Nullstelle

429

430

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

Diese Gleichung kann man in ex − 2x − 1 = 0 u¨ berf¨uhren, womit wir die gew¨unschte Form einer Nullstellenbestimmung haben. Die Newton-Iteration lautet xn+1 = xn −

exn − 2xn − 1 . exn − 2

Beginnt man mit dem Startwert x0 = 2 und rechnet mit 15 Nachkommastellen Genauigkeit, so ergibt sich als N¨aherungsfolge f¨ur die gew¨unschte Nullstelle x: ¯ x0 x1 x2 x3 x4 x5 x6 x7

= = = = = = = =

2,000 000 000 000 000 1,556 683 757 772 588 1,327 123 671 047 440 1,261 629 812 671 701 1,256 462 317 632 391 1,256 431 209 749 692 1,256 431 208 626 169 1,256 431 208 626 170

In den folgenden Iterationsschritten a¨ ndert sich der Wert nicht mehr. Wir haben also eine N¨aherung der L¨osung auf 15 Nachkommastellen genau als x¯ = 1,256 431 208 626 170 gefunden. Dar¨uber hinaus erkennt man an diesem Beispiel, dass die Konvergenz um so rascher vonstatten geht, je mehr man sich der Nullstelle n¨ahert. Die Anzahl der sich nicht mehr a¨ ndernden Dezimalstellen verdoppelt sich ungef¨ahr mit jedem Schritt. ◭

Leider gibt es auch F¨alle, in welchen das Newton-Verfahren versagt.

Newton-Verfahren kann versagen

Beispiel 12.14 Im Atomkern hat das Potenzial abh¨angig von der Entfernung vom Atomzentrum etwa den skizzierten Verlauf. Man ist an der Nullstelle des Potenzials interessiert, weil man ab dieser Stelle Energie gewinnen kann. W¨ahlt man als Startpunkt des Newton-Verfahrens einen Punkt jenseits des Maximums, so n¨ahert man sich nicht der gesuchten Nullstelle, sondern entfernt sich sogar davon.

12.6

Das Newton-Verfahren

E b

b b

x0

x1

x2

x



Dieses Beispiel legt folgendes, aus Bisektionsverfahren und NewtonVerfahren zusammengesetzte Verfahren nahe. Man bestimmt zun¨achst mithilfe des Bisektionsverfahrens eine nahe an der gesuchten Nullstelle gelegene N¨aherung x0 . Erst wenn man die gesuchte Nullstelle gen¨ugend genau eingegrenzt hat, steigt man auf das Newton-Verfahren um. Der Effizienzverlust ist minimal, da das Newton-Verfahren erst in der N¨ahe der gesuchten Nullstelle richtig schnell wird. Man erreicht durch dieses Vorgehen, dass solche Effekte wie in dem vorangegangenen Beispiel vermieden werden.

Kombination aus Bisektions- und Newton-Verfahren

431

432

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

Aufgaben Abschnitt 12.1 12.1 Im folgenden Schaubild sind die Graphen von 4 Funktionen abgebildet. y

x

a) Beschreiben Sie, in welchen Bereichen die Funktionen monoton wachsend bzw. monoton fallend sind. b) Bei den 4 Funktionen handelt es sich um eine Funktion f und deren ersten drei Ableitungen. Identifizieren Sie diese Funktionen im Schaubild. c) Verifizieren Sie den obigen Satz u¨ ber die strenge Monotonie jeweils anhand der Funktionenpaare ( f , f ′ ), ( f ′ , f ′′ ) und ( f ′′ , f ′′′ ).

12.2 Untersuchen Sie jeweils mithilfe der Ableitung, in welchen Bereichen die Funktion f streng monoton wachsend bzw. fallend ist. Lassen Sie sich hierzu den Graphen zun¨achst durch ein Computeralgebrasystem zeichnen. x a) f (x) = −x2 + 6x − 1 b) f (x) = ex − x c) f (x) = + cos(x) 2 1 2 d) f (x) = e) f (x) = x − f) f (x) = ln(|x|) −x 1 + x2 x

Abschnitt 12.2 12.3 Berechnen Sie alle lokalen Extrema der folgenden Funktionen. Sind diese Extrema absolut? ¨ Uberpr¨ ufen Sie die Plausibilit¨at Ihrer Ergebnisse, indem Sie sich die Graphen durch ein Computeralgebrasystem zeichnen lassen.  a) y = x3 + 3x2 + 1 b) y = x2 − 3 ex c) y = ln(x) − (ln(x))2 √ √ x2 + 4x − 21 d) y = e) y = e−x (cos(x) + sin(x)) f) y = x + 2 4 − x 2 x −4

Aufgaben

12.4 Zerlegen Sie die Zahl 12 so in zwei reelle nicht negative Summanden, dass a) ihr Produkt m¨oglich groß ist; b) die Summe ihrer Quadrate m¨oglichst klein ist.

12.5 a) Bestimmen Sie unter allen Rechtecken mit dem gegebenen Umfang U dasjenige mit dem maximalen Fl¨acheninhalt. b) Bestimmen Sie unter allen Rechtecken mit dem gegebenen Fl¨acheninhalt A dasjenige mit dem minimalen Umfang.

12.6 Aus drei Brettern der Breite b wird gem¨aß der Skizze eine Rinne gebaut. Wie ist der ¨ ϕ (0 ≤ ϕ ≤ π2 ) zu w¨ahlen, damit das Fassungsverm¨ogen der Rinne maximal wird? Offnungswinkel b ϕ

ϕ b

b 12.7 Die quaderf¨ormige Kartonverpackung von Frischmilch hat einen quadratischen Grundriss und fasst einen Liter, hat also das Volumen von 1 dm3 . Aufgrund der Faltungstechnik ben¨otigt man f¨ur die obere Bedeckung sowie den Boden jeweils die doppelte Kartonfl¨ache des Grundrisses. Berechnen Sie die optimale Breite und H¨ohe des Milchkartons, sodass m¨oglichst wenig Material ben¨otigt wird.

12.8 Der oberen H¨alfte des Einheitskreises wird in der skizzierten Weise eine zur y-Achse symmetrische Figur einbeschrieben, welche aus einem Rechteck und einem gleichschenkligen Dreieck zusammengesetzt ist. F¨ur welchen Winkel α (0 < α < π2 ) nimmt der Fl¨acheninhalt A der Figur ein lokales Extremum an? Um welche Art eines Extremums handelt es sich? Welcher Teil der Halbkreisfl¨ache wird ausgef¨ullt? Ist das gefundene lokale Extremum ein absolutes Extremum? y

α x

12.9 An eine Stromquelle mit der Quellenspannung U0 und dem inneren Widerstand Ri wird ein Verbrauchswiderstand R angeschlossen. Nach dem ohmschen Gesetz fließt ein Strom von I =

U0 . Ri + R

Die am Verbrauchswiderstand R entnommene Leistung berechnet sich als Produkt der am Widerstand R abfallenden Spannung UR mit der Stromst¨arke I, also als P = UR · I = RI · I =

RU02 (Ri +R)2

.

Wie muss man den Verbrauchswiderstand w¨ahlen, um der Stromquelle eine m¨oglichst große Leistung zu entnehmen?

433

434

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

12.10 Ein Gel¨andewagen m¨ochte m¨oglichst schnell vom Punkt A zum Punkt B gelangen. Der Startpunkt A liegt auf einer geradlinig verlaufenden Straße, der Zielpunkt B nach 40 km rechtwinklig um 10 km links der Straße. Der Gel¨andewagen kann auf der Straße 80 km ande 40 km h und im Gel¨ h zur¨ucklegen. a) Fertigen Sie eine Skizze an und legen Sie ein geeignetes Koordinatensystem fest. b) An welcher Stelle muss der Gel¨andewagen abbiegen? In welchem Winkel zur Straße muss er weiterfahren?

12.11 Bei der n-maligen Messung ein und derselben Gr¨oße ergeben sich die Messwerte x1 , x2 , ..., xn . Die Fehlertheorie lehrt, dass die Stelle x, ¯ an der die Funktion n

f (x) =

∑ (x − xk )2

k=1

das Minimum annimmt, eine g¨unstige N¨aherung f¨ur den exakten Wert der gemessenen Gr¨oße ist ( Methode der kleinsten Quadrate“). Wie groß ist dieser Wert x? ¯ ”

Abschnitt 12.3 12.12 Licht breitet sich in Luft mit einer Geschwindigkeit von c0 = 300 000

km s

aus. In einem Medium mit dem Brechungsindex n reduziert sich die Lichtgeschwindigkeit auf c =

c0 . n

Zeigen Sie, dass der nach dem Snellius-Brechungsgesetz gew¨ahlte Weg von einem Punkt A in Luft zu einem Punkt B im Medium das Minimum an Laufzeit unter allen denkbaren geradlinigen Wegen von A nach B ben¨otigt.6 Hinweis. Weisen Sie nur die notwendige Bedingung nach, dass also bei G¨ultigkeit des Snellius¨ Brechungsgesetzes die Ableitung der Zielfunktion verschwindet. Uberlegen Sie sich anschließend ohne Rechnung, dass es sich um ein Minimum der Laufzeit handeln muss. A b

α β b

B 6

Das Ph¨anomen, dass das Licht immer den Weg mit der k¨urzesten Zeitdauer w¨ahlt, ist unter dem Namen Fermat’sches Prinzip bekannt. Pierre de Fermat, 1601–1665, franz¨osischer Jurist und Mathematiker.

Aufgaben

12.13 Der manchmal beobachtbare zweite schw¨achere Regenbogen entsteht durch zweimalige Reflexion des Lichtstrahls im Wassertropfen in der skizzierten Weise.

ϕ α a) Zeigen Sie, dass sich der gegen Uhrzeigersinn gemessene Umlenkungswinkel ϕ als   sin(α ) ϕ = 2π + 2α − 6 arcsin n berechnet, wobei n der Brechungsindex und α der Einfallswinkel des Lichts ist. b) Weisen Sie nach, dass der Umlenkungswinkel ϕ der Lichtstrahlen f¨ur ! r n2 − 1 α = arccos 8 eine station¨are Stelle hat. Um welche Art eines lokalen Extremums handelt es sich? In welcher Richtung wird demzufolge der Beobachter den Sekund¨arregenbogen beobachten k¨onnen? Wie gestaltet sich die Farbreihenfolge?

Abschnitt 12.4 ¨ 12.14 Uberlegen Sie sich einige Beispiele, bei welchen an einer Stelle x0 die zweite Ableitung verschwindet und trotzdem kein Wendepunkt vorliegt. Gibt es auch Beispiele mit nicht verschwindender erster Ableitung?

12.15 Diskutieren Sie folgende Funktionen nach dem vorgestellten Schema. 6x − 9 a) f (x) = x3 − 12x b) f (x) = c) f (x) = 2 sin(x) + sin(2x) (x − 3)2

Abschnitt 12.5 12.16 Berechnen Sie die nachfolgenden Grenzwerte mit der Regel von Bernoulli-de l’Hospital. x2 + x − 2 x→1 x2 + 2x − 3 sin(ax) d) lim x→0 sin(bx) √ g) lim x · ln(x) a) lim

x→0

ln(x) b) lim √ x→∞ x ln (ln(x)) e) lim x→∞ x2   x 1 h) lim − x→1 x − 1 ln(x)

1 − cos(x) ln(1+x2 ) ln(x+a) f) lim x→∞ ln(x)   1 1 i) lim 2 1 − x→0 x cos(x) c) lim

x→0

12.17 Berechnen Sie die nachfolgenden Grenzwerte mit und ohne Verwendung der Regel von Bernoulli-de l’Hospital. √ √ 1+2x − 1−2x tan(2x) + x3 cos(x) √ p a) lim b) lim √ c) limπ 3 x→0 x→0 1+x − 1−x x + sin(x) x→ 2 x − x2 −cos(x)

435

436

12 Anwendungen der Differenzialrechnung

12.18 Berechnen Sie mithilfe der Regel von Bernoulli-de l’Hospital den Grenzwert sin(x) . x Warum war trotzdem die Herleitung in Abschnitt 10.4 nicht u¨ berfl¨ussig? Betrachten Sie hierzu auch die Herleitung der Ableitung der Sinus-Funktion. lim

x→0

¨ 12.19 Einem Kreissektor mit dem Radius 1 und dem Offnungswinkel ϕ wird in der skizzierten Weise ein Dreieck einbeschrieben. Berechnen Sie die Fl¨ache des Dreiecks AD sowie des dadurch bestimmten Kreisabschnitts AS abh¨angig von ϕ . Wogegen strebt das Verh¨altnis AD : AS f¨ur ϕ → 0? AS

1 AD

ϕ

Abschnitt 12.6 12.20 Berechnen Sie mithilfe des Newton-Verfahrens alle L¨osungen der folgenden Gleichungen. Bestimmen Sie die Anzahl der L¨osungen sowie einen geeigneten Startwert, indem Sie sich zun¨achst die Graphen durch ein Computeralgebrasystem zeichnen lassen. 1 a) 2x3 + x − 1 = 0 b) cos(x) = x c) x4 = 2x3 + d) x3 − 1,5 = e−x x √ 12.21 Die Zahl a (a > 0) ist L¨osung der Gleichung x2 − a = 0 a) Bereits seit der Antike ist das Iterationsverfahren   1 a xn+1 = xn + , 2 xn

x0 = 1

√ zur Bestimmung von a bekannt. Zeigen Sie, dass sich hinter diesem unter dem Namen Heron7 Verfahren bekannten Iterationsverfahren das Newton-Verfahren verbirgt. √ b) Bestimmen Sie mit diesem Verfahren 8 auf neun Nachkommastellen genau. 7

Heron von Alexandria, ca. 20 – ca. 72 n. Chr., griechischer Mathematiker und Physiker, wirkte in Alexandria.

12.22 Nach dem Prinzip des Archimedes8 ist die Masse eines auf einer Fl¨ussigkeit schwimmenden Gegenstandes gleich der Masse der verdr¨angten Fl¨ussigkeit. Wie tief taucht demnach eine Holzkugel mit der Dichte ρH = 750 mkg3 und dem Radius r = 9 cm in Wasser (ρW = 1 000 mkg3 ) ein? Hinweis. Das Volumen einer Kugel mit dem Radius r betr¨agt VKugel = 43 π r3 , das Volumen des eintauchenden Kugelteils VKappe = 13 π h2 (3r−h), wobei h die Eintauchtiefe ist. 8

Archimedes von Syrakus, ca. 287 – ca. 212 v. Chr., griechischer Mathematiker und Physiker, u. a. Erfinder des Hebelgesetzes.

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Unbestimmtes Integral

13

Kann man den Vorgang der Ableitung umkehren? Was versteht man unter einer Stammfunktion und dem unbestimmten Integral? Welche Verfahren gibt es, Stammfunktionen zu bestimmen?

Nebelschwaden

13.1 13.2

Stammfunktionen und unbestimmtes Integral . 438 Integrationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . 442 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_13 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_13

437

438

13 Unbestimmtes Integral In manchem F¨allen ben¨ otigt man die Umkehrung der Ableitung. Dies f¨ uhrt zum Begriff einer Stammfunktion. Stammfunktionen sind jedoch leider nicht eindeutig bestimmt. Die Gesamtheit aller Stammfunktionen bezeichnet man als das unbestimmte Integral der entsprechenden Funktion. Zudem ist die Berechnung von Stammfunktionen viel aufwendiger als die Bestimmung von Ableitungen. Mehr noch, man kann nur zu einigen wenigen Funktionen Stammfunktionen explizit bestimmen. In diesem Kapitel werden die gebr¨auchlichen Methoden zur Berechnung von Stammfunktionen vorgestellt.

13.1

Stammfunktionen und unbestimmtes Integral

Es gibt Situationen, in welchen man den Vorgang der Differenziation umkehren muss.

Freier Fall

Beispiel 13.1 Das Newton’sche Grundgesetz besagt, dass die Beschleunigung a eines K¨orpers proportional zur angreifenden Kraft F mit der Masse m als Proportionalit¨atskonstante ist: F = m·a Beim freien Fall in der N¨ahe der Erdoberfl¨ache ist die angreifende Kraft die Gewichtskraft FG , welche nat¨urlich proportional zur Masse m des K¨orpers ist.

m FG

s Das bedeutet aber, dass die Beschleunigung des K¨orpers a =

FG m

13.1

Stammfunktionen und unbestimmtes Integral

konstant ist. Diese konstante Beschleunigung wird als Erdbeschleunigung bezeichnet, ist eine Naturkonstante und wird u¨ blicherweise mit dem Buchstaben g bezeichnet.1 Sie betr¨agt g := a = 9,81

m . s2

Wir stellen uns nun die Frage, ob wir aus dieser Tatsache die Momentangeschwindigkeit sowie den momentanen Ort eines K¨orpers beim freien Fall ohne Luftwiderstand berechnen k¨onnen. Gem¨aß dem Beispiel 11.5 in Abschnitt 11.1 ist die Beschleunigung gerade die Ableitung der Momentangeschwindigkeit v(t), d. h. es gilt dv = v(t) ˙ = g = const. dt Wir suchen also eine Funktion v(t), deren Ableitung die Konstante g ergibt. Eine solche Funktion ist z. B. durch g · t gegeben, doch wissen wir auch, dass eine additive Konstante beim Differenzieren wegf¨allt. Von daher lautet die allgemeine L¨osung v(t) = g · t + v0 ,

v0 = const.

Die Konstante v0 hat eine ganz praktische Bedeutung. Man erh¨alt n¨amlich durch Einsetzen von t = 0 v0 = v(0), d. h. v0 ist die Anfangsgeschwindigkeit, die dem K¨orper beim freien Fall mitgegeben wird. Um den momentanen Ort zu bestimmen, brauchen wir jetzt gem¨aß Abschnitt 11.1 eine Funktion s(t) mit der Eigenschaft ds = s(t) ˙ = v(t) = g · t + v0 . dt Eine derartige Funktion ist durch s(t) =

1 2 g · t + v0 · t + s0 , 2

s0 = const.

gegeben. Hierbei ist die neu eingef¨uhrte additive Konstante wieder von praktischer Bedeutung. Es handelt sich um den Startort s0 = s(0). ◭

1

g steht f¨ur das englische Wort gravity = Gravitation.

439

440

13 Unbestimmtes Integral

Stammfunktion Definition Es sei f eine auf einem Intervall I definierte Funktion. Eine Funktion F : I −→ R heißt Stammfunktion der Funktion f , wenn f die Ableitungsfunktion von F ist, also wenn F′ = f gilt.

Im Beispiel 13.1 haben wir bereits gesehen, dass Stammfunktionen einer Funktion f nicht eindeutig bestimmt sind. So ist in dem Fall, dass F(x) eine Stammfunktion von f (x) ist, jede Funktion der Form F(x) +C mit einer beliebigen Konstanten C ebenfalls eine Stammfunktion. Es stellt sich die Frage, ob es dar¨uber hinaus weitere Stammfunktionen ganz anderer Art gibt. Dies ist gl¨ucklicherweise nicht der Fall.

Gesamtheit aller Stammfunktionen

Satz Zwei Stammfunktionen F, G einer Funktion f unterscheiden sich lediglich durch eine additive Konstante C, d. h. es ist G(x) = F(x) +C,

C = const.

Beweis Gehen wir davon aus, dass wir zwei Stammfunktionen F und G der gleichen Funktion f haben. Wir bilden die Differenz dieser beiden Stammfunktionen D(x) = G(x) − F(x) und erhalten durch Differenzieren D′ (x) = G′ (x) − F ′ (x) = f (x) − f (x) = 0. Dies bedeutet, dass auf dem ganzen Definitionsintervall die Ableitung und damit die Steigung der Funktion D verschwindet. Es ist offensichtlich, dass dann die Funktion D(x) konstant sein muss, d. h. dass D(x) = G(x) − F(x) = C,

C = const.

gilt. Demzufolge ist tats¨achlich G(x) = F(x) +C. 

13.1

Stammfunktionen und unbestimmtes Integral

Die zentrale Aussage des obigen Satzes ist, dass wir alle Stammfunktionen von f kennen, wenn nur eine einzige Stammfunktion F bekannt ist. Man erh¨alt die Gesamtheit aller Stammfunktionen, wenn man beliebige Konstanten zur bereits gefundenen Stammfunktion F addiert. Dies gibt Anlass zu der folgenden Definition.

Definition Das unbestimmte Integral einer Funktion f ist die Gesamtheit aller Stammfunktionen F(x)+C, wobei F eine spezielle Stammfunktion von f ist. Man schreibt2 Z

f (x) dx = F(x) +C.

Aufgrund unserer Differenziationsregeln aus Kapitel 11 k¨onnen wir sofort einige unbestimmte Integrale angeben:3 Z Z

1 dx = x +C

1 2 x +C 2 Z 1 x2 dx = x3 +C 3 Z 1 α +1 α x dx = x +C α +1 Z Z Z Z Z Z

x dx =

(α 6= −1)

ex dx = ex +C cos(x) dx = sin(x) +C sin(x) dx = − cos(x) +C cosh(x) dx = sinh(x) +C sinh(x) dx = cosh(x) +C 1 dx = arctan(x) +C 1+x2

2

Diese Schreibweise geht wie die Schreibweise der Differenziale f¨ur die Ableitung auf Leibniz zur¨uck. 3

In Formelsammlungen und Computeralgebrasystemen wird bei der unbestimmten Integration meistens die additive Konstante nicht mit angegeben. Man muss deshalb wissen, dass Stammfunktionen immer nur bis auf eine additive Konstante bestimmt sind.

Das unbestimmte Integral

441

442

13 Unbestimmtes Integral R

R

¨ In der obigen Ubersicht fehlt das unbestimmte Integral x−1 dx = 1x dx. Wir wissen zwar dass (ln(x))′ = 1x ist, doch ist die Funktion f (x) = 1x auch f¨ur negative Werte von x definiert, die Logarithmusfunktion aber nicht. Wir k¨onnen aber zeigen, dass Z

1 dx = ln(|x|) +C x

ist, und haben damit die Stammfunktion von f (x) = 1x f¨ur positive und negative Werte von x. Wir m¨ussen hierzu nur noch f¨ur negative x nachweisen, dass die Ableitung von ln(|x|) + C gerade 1x ergibt. Nun ist aber f¨ur x < 0 ′ 1 1 (ln(|x|) +C)′ = ln(−x) = · (−1) = , −x x womit die Behauptung bereits bewiesen ist.

13.2

Integrationsmethoden

Die praktische Durchf¨uhrung der Integration ist entgegen der Differenziation leider nicht einfach. Man muss im Gegenteil feststellen, dass f¨ur viele Funktionen recht simpler Bauart die Stammfunktionen nur schwer zu berechnen sind bzw. u¨ berhaupt keine Stammfunktionen im Bereich der elementaren Funktionen existieren. Trotz alledem wurden Integrationsmethoden entwickelt, die f¨ur einige Funktionen die Berechnung des unbestimmten Integrals erm¨oglichen. Wenngleich viele Stammfunktionen in Formelsammlungen tabuliert sind und durch den Einsatz von Computeralgebrasystemen die Notwendigkeit der manuellen Berechnung von unbestimmten Integralen nur noch selten ben¨otigt wird, sollen diese Berechnungsmethoden hier doch kurz vorgestellt werden.

Produktintegration Auf einer etwas seltsam anmutenden Formel, deren Nutzen man zun¨achst nicht durchschaut, beruht die Produktintegration oder partielle Integration.

Produktintegration Partielle Integration

Satz R ′ Sind f und g zwei differenzierbare Funktionen und existiert f (x) · g(x) dx, so ist Z

f (x) · g′ (x) dx = f (x) · g(x) −

Z

f ′ (x) · g(x) dx.

13.2

Beweis Der Beweis ergibt sich unmittelbar aus der Produktregel der Differenzialrechnung. Es ist ′ f (x) · g(x) = f ′ (x) · g(x) + f (x) · g′(x).

Daraus ergibt sich durch Umstellen f (x) · g′ (x) = bzw. durch Integration Z

f (x) · g′ (x) dx = =

Z  Z

′ f (x) · g(x) − f ′ (x) · g(x)  ′ f (x) · g(x) − f ′ (x) · g(x) dx

Z ′ f (x) · g(x) dx − f ′ (x) · g(x) dx

= f (x) · g(x) −

Z

f ′ (x) · g(x) dx.

 In diesem Satz haben wir implizit von der Vereinbarung Gebrauch gemacht, dass unbestimmte Integrale immer nur bis auf eine additive Konstante bestimmt sind. Sobald auf einer R Seite die Integration durchgef¨uhrt wird und damit das Integralzeichen entf¨allt, wird gew¨ohnlich die Konstante mitgef¨uhrt. Obwohl man den Sinn der obigen Formel nicht sofort u¨ bersieht, ist sie von enormem Nutzen zur Bestimmung von Stammfunktionen von Produkten, insbesondere wenn ein Faktor ein Polynom ist. Sinn und Zweck dieser Integrationsmethode ist es, ein Integral durch ein anderes auszutauschen, welches leichter auswertbar ist.

Beispiel 13.2 Z

x · sin(x) dx = |{z} x · (− cos(x)) − |{z} | {z } | {z } f f g g′ = −x cos(x) +

Z

Z

1 · (− cos(x)) dx |{z} | {z } g f′

cos(x) dx

= −x cos(x) + sin(x) +C ◭

Integrationsmethoden

443

444

13 Unbestimmtes Integral

Beispiel 13.3 Z

ex dx (x2 −2x+1) |{z} | {z } g′ f

Z

= (x2 −2x+1) |{z} ex − (2x−2) |{z} ex dx | {z } | {z } ′ g f f ′ = f¯ g = g¯   Z ex − |{z} 2 |{z} ex dx = (x2 −2x+1)ex − (2x−2) |{z} | {z } g¯ f¯′ g¯ f¯ = (x2 −2x+1)ex − (2x−2)ex + 2ex +C

= (x2 −4x+5)ex +C



Mit einer Raffinesse k¨onnen wir sogar die Logarithmusfunktion mithilfe der Produktintegration integrieren.

Beispiel 13.4 Z

ln(x) dx =

Z

1 · ln(x) dx |{z} |{z} g′ f

= |{z} x · ln(x) − |{z } g f = x · ln(x) −

Z

Z

1 x · dx |{z} x g |{z} f′

1 dx

= x · ln(x) − x +C ◭

13.2

Beispiel 13.5 Unter Umst¨anden gen¨ugt die Produktintegration nicht alleine, um die Stammfunktion zu bestimmen. Z

cos2 (x) dx =

Z

cos(x) · cos(x) dx | {z } | {z } f g′

= cos(x) · sin(x) − | {z } | {z } g f

Z

= sin(x) · cos(x) +

Z

(− sin(x)) · sin(x) dx | {z } | {z } g f′ sin2 (x) dx R

Nahe liegend w¨are nun, das entstandene Integral sin2 (x) dx in der gleichen Weise mittels Produktintegration zu behandeln. F¨uhrt man dies Rdurch, so erh¨alt man jedoch gerade wieder das Ausgangsintegral cos2 (x) dx, was uns nat¨urlich nicht weiterhilft. Aus diesem Grund m¨ussen wir einen anderen Weg suchen. Hierzu verwenden wir die Formel des trigonometrischen Pythagoras-Satzes und erhalten Z

cos2 (x) dx = sin(x) · cos(x) + = sin(x) · cos(x) + = sin(x) · cos(x) +

Z

sin2 (x) dx

Z

1 dx −

Z

= sin(x) · cos(x) + x −

 1 − cos2 (x) dx Z

Z

cos2 (x) dx

cos2 (x) dx.

Addiert man nun das Integral auf beiden Seiten und ber¨ucksichtigt, dass aufgrund der Unbestimmtheit des Integrals auf der rechten Seite eine additive Konstante m¨oglich ist, so erh¨alt man zun¨achst 2

Z

cos2 (x) dx = sin(x) · cos(x) + x +C

bzw. nach einer Division durch 2 letztendlich die in jeder Formelsammlung aufgelistete Integrationsformel Z

cos2 (x) dx =

1 1 x + sin(x) cos(x) + C¯ 2 2

mit einer neuen beliebigen Konstanten C¯ = C2 .



Integrationsmethoden

445

446

13 Unbestimmtes Integral

Substitutionsregel Den Nutzen der Substitutionsregel durchschaut man wie bei der Produktintegration erst, wenn man einige Integrale mit ihr gel¨ost hat. Wir beginnen deshalb vor der allgemeinen Formulierung der Regel gleich mit einem Beispiel, welches die Vorgehensweise verdeutlicht.

Beispiel 13.6 Wir wollen das Integral Z

2x (1 + x2 )2

dx

l¨osen. Wir versuchen, das Integral durch Einf¨uhrung einer neue Variable u zu vereinfachen und auf ein bekanntes zur¨uckzuf¨uhren. Hierzu setzen wir u := 1 + x2 . Nun m¨ussen wir die Integrationskennung dx ebenfalls durch die neue Kennung mit der Variablen u ersetzen. Wie schon bei der Kettenregel der Differenzialrechnung bzw. der Ableitung der Umkehrfunktion machen wir dies ganz formal, indem wir mit Differenzialen wie mit Br¨uchen rechnen. Es ist du = 2x dx und damit du = 2x dx. Wenn diese Umformung zul¨assig ist, erhalten wir Z

2x 2 (1 + x2 )

dx =

Z

=

Z

(1 + x2 ) | {z } u

u

−2

−2

du

· 2x | {zdx} du

= −u−1 +C 1 = − +C u 1 = − +C, 1 + x2 womit wir unser Integral gel¨ost haben.



13.2

Integrationsmethoden

Es stellt sich die Frage, ob das praktizierte Verfahren mit dem formalen Rechnen mit Differenzialen so m¨oglich ist. Die positive Antwort gibt der folgende Satz.

Satz gilt

Substitutionsregel

Ist g : x 7−→ u eine differenzierbare umkehrbare Funktion, so Z

Z  f g(x) · g′ (x) dx = f (u) du,

sofern die gebildeten Ausdr¨ucke definiert sind. In der Leibniz’schen Schreibweise der Differenziale lautet diese Regel du dx = du. dx

Beweis Hinter dieser Formel verbirgt sich in Realit¨at nur die Kettenregel der Differenzialrechnung. Ist u = g(x) und bezeichnen wir mit F eine Stammfunktion der Funktion f , so ergibt sich    du dF d g(x) · g′ (x) = f g(x) · g′ (x) = f (u) · . F g(x) = dx du dx Durch unbestimmte Integration nach der Variablen x ergibt sich damit Z

Z Z   d du dx = F g(x) dx f g(x) · g′ (x) dx = f (u) · dx dx Z  = F g(x) +C = F(u) +C = f (u) du.

Beispiel 13.7 Mit der Substitutionsregel l¨asst sich z. B. das unbestimmte Integral der Tangensfunktion berechnen. Z

tan(x) dx =

Z

sin(x) dx cos(x)

Wir substituieren u := cos(x) und erhalten du = − sin(x). dx



447

448

13 Unbestimmtes Integral

Nach der Substitutionsregel ist damit du =

du dx = − sin(x) dx. dx

Als gesuchtes Integral erhalten wir Z

Z

Z

1 sin(x) dx = − · (− sin(x)) dx cos(x) cos(x) Z 1 du = − ln(|u|) +C = − u = − ln (| cos(x)|) +C.

tan(x) dx =



Beispiel 13.8 Wir bestimmen jetzt das unbestimmte Integral Z

sin

√  x dx.

Naheliegenderweise substituieren wir in diesem Fall die Wurzel √ u := x. Damit ist 1 du = √ dx 2 x bzw. nach der Substitutionsregel 1

dx =

du dx

√ du = 2 x du.

Bei der Substitution unter dem Integral bleibt somit zun¨achst noch ein Ausdruck in Abh¨angigkeit der urspr¨unglichen Variablen x u¨ brig, doch kann dieser Ausdruck durch u ersetzt werden: Z

sin

Z Z √  √ 1 x dx = sin(u) · du du = sin(u) · 2 x du √ u= x

=

dx

Z

sin(u) · 2u du = 2

Z

u · sin(u) du

13.2

In Beispiel 13.2 hatten wir im Rahmen der Produktintegration das zuletzt aufgef¨uhrte Integral berechnet. Mit dem dortigen Ergebnis erhalten wir Z

sin

√  x dx = 2 (−u cos(u) + sin(u) +C)  √ √  √  = 2 − x cos x + sin x +C √ √  √  = −2 x cos x + 2 sin x + C¯

mit der neuen Konstanten C¯ = 2C.



Wie wir an diesem Beispiel gesehen haben, ist die Berechnung von Integralen teilweise sehr trickreich und erfolgt nicht wie die Differenziation sequenziell nach fest vorgegebenen Regeln. Es ist sogar m¨oglich, dass Substitutionen zum Ziel f¨uhren, die man zun¨achst nicht f¨ur sinnvoll h¨alt.

Beispiel 13.9 Bei der Berechnung des Integrals Z p 1 − x2 dx

f¨uhrt die zun¨achst nicht nahe liegende Substitution u = arcsin(x)

x = sin(u)

bzw.

zum Ziel. In diesem Fall ist dx = cos(u) du und damit nach der Substitutionsregel und der Regel von der Ableitung der Umkehrfunktion dx =

1 du dx

du =

dx du = cos(u) du. du

Insgesamt ergibt sich somit Z p Z q 1 1 − x2 dx = 1 − sin2 (u) · du du dx

=

Z q

cos2 (u) · cos(u) du

− π2 ≤u≤ π2

=

=

Z

Z

cos(u) · cos(u) du

cos2 (u) du.

Integrationsmethoden

449

450

13 Unbestimmtes Integral

Dieses Integral haben wir in Beispiel 13.5 mittels Produktintegration bereits berechnet. Wir k¨onnen also das Ergebnis einsetzen und erhalten Z p 1 1 1 − x2 dx = u + sin(u) cos(u) +C 2 2 q 1 1 = u + sin(u) 1 − sin2 (u) +C 2 2 1 1 p = arcsin(x) + x 1 − x2 +C. 2 2 ◭

Partialbruchzerlegung Die Partialbruchzerlegung ist eine Methode, mit der man unbestimmte Integrale von gebrochenen rationalen Funktionen berechnen kann. Wir bestimmen also unbestimmte Integrale der Form Z

Voraussetzungen fur ¨ das Anwenden der Partialbruchzerlegung

a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn dx = b0 + b1 x + b2 x2 + . . . + bm xm

Z

p(x) dx. q(x)

Um die Methode der Partialbruchzerlegung anwenden zu k¨onnen, m¨ussen zwei Bedingungen erf¨ullt sein: 1. Der h¨ochste Koeffizient des Nennerpolynoms ist 1: bm = 1 2. Der Grad des Z¨ahlerpolynoms ist kleiner als der Grad des Nennerpolynoms: n < m Diese beiden Bedingungen bilden keine wesentliche Einschr¨ankung. Zum einen kann man den Bruch ggf. durch bm k¨urzen und erh¨alt dadurch die Bedingung, dass der h¨ochste Koeffizient des Nennerpolynoms den Wert 1 hat. Falls dar¨uber hinaus das Z¨ahlerpolynom p(x) einen Grad hat, der gr¨oßer oder gleich dem Grad des Nennerpolynoms q(x) ist, so kann man eine Polynomdivision durchf¨uhren. Es ergibt sich ein Polynom s(x) und ein Rest r(x), der dann durch das Nennerpolynom zu dividieren ist: p(x) r(x) = s(x) + q(x) q(x) Die Integration des Polynoms s(x) bereitet keine Probleme, w¨ahrend r(x) die gebrochene rationale Funktion q(x) die zweite geforderte Eigenschaft Grad r(x) < Grad q(x) erf¨ullt und damit mit der nun vorzustellenden Methode integriert werden kann.

13.2

Integrationsmethoden

Unter den genannten Umst¨anden l¨asst sich die gebrochene rationale Funkp(x) tion q(x) in eine einfacher zu behandelnde Art umformen. Hat n¨amlich das Nennerpolynom die maximale Anzahl von m verschiedenen Nullstellen x1 , x2 , . . . , xm , so l¨asst sich die gebrochene rationale Funktion immer darstellen in der Form p(x) A1 A2 Am = + +...+ . q(x) x − x1 x − x2 x − xm Dabei sind A1 , A2 , . . . , Am geeignet zu bestimmende Konstanten. Auf den Beweis dieser Tatsache verzichten wir. Das Verfahren der Partialbruchzerlegung wird am deutlichsten, wenn man es anhand eines Beispiels erl¨autert.

Partialbruchzerlegung mit m verschiedenen Nennernullstellen

Beispiel 13.10 Wir wollen das Integral Z

6x2 − x + 1 dx x3 − x

berechnen und bestimmen zun¨achst die Nullstellen des Nennerpolynoms. Nun ist x3 − x = x(x2 − 1) = x(x − 1)(x + 1), d. h. das Nennerpolynom besitzt die Nullstellen x1 = 0, x2 = 1 und x3 = −1. Demzufolge l¨asst sich die gebrochene rationale Funktion darstellen in der Form 6x2 − x + 1 A1 A2 A3 = + + x3 − x x x−1 x+1 mit noch zu bestimmenden Konstanten A1 , A2 , A3 . Diese Konstanten bestimmen wir dadurch, dass wir die Summe auf der rechten Seite auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Es ergibt sich 6x2 − x + 1 A1 A2 A3 = + + 3 x −x x x−1 x+1 A1 (x − 1)(x + 1) + A2x(x + 1) + A3 x(x − 1) = x(x − 1)(x + 1) A1 (x2 − 1) + A2 (x2 + x) + A3 (x2 − x) x3 − x 2 (A1 +A2 +A3 )x + (A2 −A3 )x + (−A1 ) . = x3 − x

=

451

452

13 Unbestimmtes Integral

Durch Koeffizientenvergleich sieht man, dass offensichtlich A1 + A2 + A3 = 6 A2 − A3 = −1 −A1 = 1 gelten muss. Wir haben es mit einem linearen Gleichungssystem f¨ur die Gr¨oßen A1 , A2 , A3 zu tun, welches man entweder mit dem Gauß’schen Eliminationsverfahren oder mit einem Computeralgebrasystem l¨osen kann. Als eindeutige L¨osung ergibt sich A1 = −1

A2 = 3

A3 = 4,

d. h. es ist 6x2 − x + 1 −1 3 4 = + + . 3 x −x x x−1 x+1 Die Stammfunktionen der rechts stehenden Summanden sind relativ leicht z. B. mittels Substitution bestimmbar. Es ergibt sich letztendlich Z

Z

Z

Z

6x2 − x + 1 1 1 1 dx = − dx + 3 dx + 4 dx x3 − x x x−1 x+1 = − ln(|x|) + 3 ln(|x−1|) + 4 ln(|x+1|) +C. ◭

Das geschilderte Verfahren kann immer dann angewendet werden, wenn das Nennerpolynom genau m = Grad q(x) verschiedene Nullstellen besitzt. Nun kann es auch vorkommen, dass das Nennerpolynom zwar unter Ber¨ucksichtigung der Vielfachheit m Nullstellen hat, davon aber manche mehrfach auftreten. In diesem Fall kann man den gebrochenen rationalen Integranden wieder in eine Summe von m einfacheren Funktionen zerlegen. Eine Nullstelle xk mit der Vielfachheit r tr¨agt hierbei zu r Summanden der Form p(x) Ak1 Ak2 Akr = ...+ + +...+ +... 2 q(x) x − xk (x − xk ) (x − xk )r mit den Konstanten Ak1 , Ak2 , . . . , Akr bei. Auch in diesem Fall wollen wir das Vorgehen mit einem Beispiel verdeutlichen.

13.2

Integrationsmethoden

Partialbruchzerlegung mit m Nennernullstellen, von denen einige zusammenfallen

Beispiel 13.11 Wir suchen Z

5x2 − 37x + 54 dx. x3 − 6x2 + 9x

Das Nennerpolynom l¨asst sich darstellen in der Form x3 − 6x2 + 9x = x(x2 − 6x + 9) = x(x − 3)2 , d. h. x1 = 0 ist einfache Nullstelle und x2 = 3 ist doppelte Nullstelle des Nenners. Dementsprechend gibt es eine Zerlegung der Form 5x2 − 37x + 54 A1 A21 A22 = + + . x3 − 6x2 + 9x x x − 3 (x − 3)2 Der einfacheren Lesbarkeit wegen bezeichnen wir die Konstanten jetzt mit den Buchstaben A, B,C. Um diese Konstanten zu bestimmen, bringen wir die rechte Seite wieder auf den Hauptnenner. Wir erhalten A B C 5x2 − 37x + 54 = + + x3 − 6x2 + 9x x x − 3 (x − 3)2 =

A(x − 3)2 + Bx(x − 3) +Cx x(x − 3)2

A(x2 − 6x + 9) + B(x2 − 3x) +Cx x3 − 6x2 + 9x 2 (A+B)x + (−6A−3B+C)x + 9A . = x3 − 6x2 + 9x

=

Durch Koeffizientenvergleich bekommen wir als zu l¨osendes lineares Gleichungssystem A+ B = 5 −6A − 3B + C = −37 9A = 54, welches als eindeutige L¨osung A=6

B = −1

C = −4

besitzt. Demzufolge gilt 5x2 − 37x + 54 6 −1 −4 = + + . x3 − 6x2 + 9x x x − 3 (x − 3)2

453

454

13 Unbestimmtes Integral

Die unbestimmten Integrale der rechts stehenden Summanden erh¨alt man wieder im Wesentlichen durch Substitution. Man erh¨alt schließlich Z

5x2 − 37x + 54 dx = 6 x3 − 6x2 + 9x

Z

1 dx − x

Z

Z

1 1 dx − 4 dx x−3 (x − 3)2 4 +C. = 6 ln(|x|) − ln(|x−3|) + x−3 ◭

Fundamentalsatz der Algebra

Nat¨urlich k¨onnen im Reellen weniger als m Nullstellen des Nennerpolynoms auftreten. Dies ist allerdings nicht im Komplexen der Fall. In C hat jedes Polynom unter Ber¨ucksichtigung der Vielfachheit genau so viele Nullstellen wie der Grad. Dieser Sachverhalt ist unter dem Namen Fundamentalsatz der Algebra bekannt. Wir k¨onnen also davon ausgehen, dass das Nennerpolynom q(x) unter Ber¨ucksichtigung der Vielfachheit exakt m komplexe Nullstellen z1 , z2 , . . . , zm besitzt. Sind z. B. alle Nullstellen verschieden, so bedeutet dies, dass sich die gebrochene rationale Funktion zerlegen l¨asst in die Form p(x) A1 A2 An = + +...+ . q(x) x − z1 x − z2 x − zn Dabei sind die Konstanten Ak sowie die Nullstellen zk im Allgemeinen echte komplexe Zahlen. Im Fall eines reellen Polynoms q(x) treten aber die echten komplexen Nullstellen paarweise mit den zugeh¨origen konjugiert komplexen Zahlen auf. Mit anderen Worten: Ist a + bi eine Nullstelle des Polynoms, so ist auch a − bi eine Nullstelle. Dieser Sachverhalt hat Folgen. Man kann die Summanden mit den konjugiert komplexen Nullstellen zusammenfassen und erh¨alt dann eine reelle Summe von reellen gebrochenen rationalen Funktionen, welche zwar nicht mehr den ganz so einfachen Aufbau haben wie in den bisherigen F¨allen, aber doch noch relativ u¨ berschaubar sind. Im Nenner treten quadratische Polynome auf, im Z¨ahler affine. Wir verdeutlichen das Verfahren an einem Beispiel.

Partialbruchzerlegung mit weniger als m Nennernullstellen

Beispiel 13.12 Wir bestimmen das unbestimmte Integral Z

2x3 − 3x2 + x − 1 dx. x4 + x2

13.2

Man sieht sofort, dass der Nenner die Faktorisierung x4 + x2 = x2 (x2 + 1) zul¨asst. Daraus erkennt man, dass x1 = 0 eine doppelte Nullstelle ist und es zwei weitere komplexe Nullstellen x2 = i und x3 = −i gibt. Demzufolge erlaubt der Integrand die Partialbruchzerlegung 2x3 − 3x2 + x − 1 A B C D = + 2+ + . 4 2 x +x x x x−i x+i Fasst man die beiden letzten Summanden mit den konjugiert komplexen Nullstellen i und −i zusammen, so erh¨alt man A B C(x + i) + D(x − i) 2x3 − 3x2 + x − 1 = + 2+ 4 2 x +x x x (x − i)(x + i) A B (C+D)x + (Ci−Di) = + 2+ . x x x2 + 1 ¯ so erhalten wir den Nennen wir nun C+D =: C¯ und Ci−Di =: D, Ansatz ¯ + D¯ A B Cx 2x3 − 3x2 + x − 1 = + 2+ 2 . 4 2 x +x x x x +1 Die Koeffizienten bestimmen wir wie u¨ blich durch Umformen auf Hauptnenner und Koeffizientenvergleich. Es ergibt sich ¯ + D)x ¯ 2 2x3 − 3x2 + x − 1 Ax(x2 + 1) + B(x2 + 1) + (Cx = 4 2 2 2 x +x x (x + 1) 3 ¯ 3 + Dx ¯ 2 A(x + x) + B(x2 + 1) + Cx = 4 2 x +x ¯ 3 + (B+ D)x ¯ 2 + Ax + B (A+C)x = x4 + x2 und damit als lineares Gleichungssystem C¯

A+ B A B

= 2 + D¯ = −3 = 1 = −1.

Die L¨osung dieses Gleichungssystems ist A = 1

B = −1

C¯ = 1

D¯ = −2.

Demzufolge lautet die Partialbruchzerlegung 2x3 − 3x2 + x + 1 1 −1 x−2 = + 2 + 2 . x4 + x2 x x x +1

Integrationsmethoden

455

456

13 Unbestimmtes Integral

Die Integration der drei rechts stehenden Summanden ist einfacher zu handhaben als das Integral u¨ ber die urspr¨ungliche gebrochene rationale Funktion. In unserem Fall ist 2x3 − 3x2 + x − 1 dx x4 + x2 Z Z Z 1 1 x−2 = dx − dx + dx x x2 x2 + 1  Z  Z x 1 1 + dx − 2 dx = ln(|x|) − − 2 x x +1 x2 + 1 1 1 = ln(|x|) + + ln(x2 +1) − 2 arctan(x) +C, x 2

Z

wobei im letzten Schritt bei der Auswertung des ersten Integrals die Substitutionsregel verwendet wurde und wegen x2 + 1 > 0 der Betrag unter dem Logarithmus entfallen kann. ◭

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 13.1 13.1 Ein Ball wird mit der Geschwindigkeit von 15 ms vom Erdboden vertikal in die H¨ohe geworfen. Zu welchem Zeitpunkt erreicht er die maximale H¨ohe und wie groß ist diese? 13.2 Berechnen Sie die nachfolgenden unbestimmten Integrale. Z Z Z   a) 2x dx b) x2 + 4 dx c) x3 − 12x + 4 dx  Z  Z Z √  √ 2 d) + x dx e) −2 x dx f) (x − 1) x dx x  Z Z Z   √ 3 2 x+a 3 3 g) 1 + x dx h) e dx i) x + 5 cos(x) + dx x 1 + x2 13.3

¨ a) Uberlegen Sie sich, dass durch die zus¨atzliche Forderung, dass die Stammfunktion F einer Funktion f durch den Punkt mit den Koordinaten (x0 | y0 ) geht, die Stammfunktion eindeutig festgelegt wird. b) Berechnen Sie die Stammfunktion F von f (x) =

2x3 + 1 mit der Zusatzbedingung F(2) = 2. x2

Abschnitt 13.2 13.4 Berechnen Sie mithilfe partieller Integration die folgenden Integrale. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit denjenigen aus einer Formelsammlung und einem Computeralgebrasystem. Z Z Z √ a) x cos(x) dx b) (x3 + 2x) sinh(x) dx c) x ln(x) dx d)

Z

sin(x) cos(x) dx

e)

Z

sin2 (x) dx

f)

Z

(ln(x))2 dx

13.5 Berechnen Sie mithilfe der Substitutionsregel die nachfolgenden Integrale. Gleichen Sie Ihre Ergebnisse mit einer Formelsammlung und einem Computeralgebrasystem ab. √ Z Z Z  sin ( x) 6x √ √ dx c) a) x2 sin x3 dx b) dx x 3x2 + 2 Z Z Z cos (ln(x)) e2x 1 √ d) dx e) dx f) dx x ex + 1 1 − x2

13.6 Berechnen Sie mithilfe einer Partialbruchzerlegung die folgenden unbestimmten Integrale gebrochener rationaler Funktionen. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit den Ergebnissen, welche ein Computeralgebrasystem ausgibt. Z Z Z x+2 x+1 x3 a) dx b) dx c) dx 2 2 2 x − 2x x − 2x + 1 x −1 Z Z Z 6x2 − 26x + 8 1 2x3 + 2x + 24 d) dx e) dx f) dx x3 − 3x2 − x + 3 x4 + 3x3 + 3x2 + x (x2 + 1)(x2 + 9)

457

458

13 Unbestimmtes Integral

13.7 Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale. a)

Z

arctan(x) dx

Hinweis. Verwenden Sie Produktintegration mit Faktor 1. b)

c)

Z

sin(mx) sin(nx) dx ; m= 6 ±n     α +β α −β 1 Hinweis. sin sin = (cos(β ) − cos(α )) 2 2 2 Z

dx sin2 (x) cos4 (x) Hinweis. Dr¨ucken Sie den Integranden mithilfe der Tangensfunktion aus und substituieren Sie dann u = tan(x).

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Bestimmtes Integral

14

Was versteht man unter dem bestimmten Integral? Welche Funktionen sind ¨ uber [a,b] integrierbar? Welcher Zusammenhang besteht zwischen bestimmten und unbestimmten Integralen?

Gebirgsbach

14.1 14.2 14.3

Was ist ein uneigentliches Integral?

Fl¨ acheninhaltsproblem und bestimmtes Integrals 460 Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung 466 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . 476 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_14 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_14

459

460

14 Bestimmtes Integral Bei der Bestimmung von Fl¨acheninhalten, aber auch bei Rekonstruktionen von Bestandsgr¨ oßen auf Basis der Ver¨anderungen, muss man auf das bestimmte Integral zur¨ uckgreifen. In diesem Kapitel werden die Grundideen des bestimmten Integrals einer Funktion u ¨ber einem Intervall erkl¨art. In dem Fall, dass eine Stammfunktion existiert, kann man damit das bestimmte Integral relativ einfach berechnen. Dies ist Inhalt des sogenannten Hauptsatzes der Differenzial- und Integralrechnung.

14.1

Fl¨ acheninhaltsproblem und bestimmtes Integrals

Wir beginnen diesen Abschnitt wieder mit Beispielen, um exemplarisch zu demonstrieren, wo die neu zu entwickelnde Theorie n¨utzlich ist.

Fl¨acheninhalt einer Ellipse

Beispiel 14.1 Eine Ellipse in Normallage mit dem Mittelpunkt im Ursprung und den beiden Hauptachsen auf den Koordinatenachsen l¨asst sich durch die Gleichung x2 y2 + = 1 a2 b2 beschreiben, wobei a und b die halben Durchmesser der beiden Hauptachsen sind. y

−a

A

b b

a

a x

−b Interessant ist die Frage, welchen Fl¨acheninhalt A diese Ellipse besitzt. Es ist klar, dass sich der Gesamtfl¨acheninhalt aufgrund der Symmetrie der Figur als das Doppelte des Fl¨acheninhalts A1 oberhalb der x-Achse ergibt. Und diese Fl¨ache oberhalb der x-Achse wird begrenzt durch die Funktion r x2 y = b 1− 2. a

14.1

Fl¨acheninhaltsproblem und bestimmtes Integrals

Es stellt sich also die Frage, wie groß die Fl¨ache zwischen dem Graphen dieser Funktion und der horizontalen x-Achse in den Grenzen von −a bis a ist. Wir werden dieses Problem sp¨ater l¨osen. ◭

Zuruckgelegter ¨ Weg aus Fahrtenschreiber

Beispiel 14.2 Auf dem Fahrtenschreiber eines Lastkraftwagens wird die gefahrene Momentangeschwindigkeit u¨ ber der Zeit protokolliert. v(t) v0

t1

t

In einer gewissen Zeitperiode wird die skizzierte Kurve aufgenommen. Uns interessiert, welchen Weg der LKW in der beschriebenen Zeit zur¨uckgelegt hat. Offensichtlich ist der LKW bis zum Zeitpunkt t1 die konstante Geschwindigkeit v0 gefahren. Der zur¨uckgelegte Weg berechnet sich demzufolge als s1 = v0 · t1 und entspricht genau der Fl¨ache des Rechtecks unter der geradlinigen Kurve bis zum Zeitpunkt t1 . Anschließend wird der LKW abgebremst und wieder beschleunigt. Auch in diesem Zeitraum fragen wir uns nach der zur¨uckgelegten Wegstrecke. Wir k¨onnen zur n¨aherungsweisen Bestimmung diesen Bereich in n kleine Zeitabschnitte der L¨ange ∆t aufteilen und in diesen Bereichen die Geschwindigkeit als konstant mit den Geschwindigkeiten vk annehmen. Wir erhalten dann n¨aherungsweise als zur¨uckgelegte Wegstrecke die Summe n

s2 ≈

∑ vk ∆t. k=1

461

14 Bestimmtes Integral

v(t)

t0

t

Geometrisch gesprochen handelt es sich um die Summe der Fl¨acheninhalte der skizzierten Rechtecke. Die Berechnung wird um so genauer, je schmaler die Rechtecke sind. Im Grenzfall geht die Fl¨ache der Rechtecke in die Fl¨ache unterhalb der krummlinigen Funktionskurve u¨ ber, sodass wir feststellen k¨onnen, dass der Fl¨acheninhalt unter der Geschwindigkeitskurve gerade die zur¨uckgelegte Wegstrecke wiedergibt. Offensichtlich f¨uhrt auch dieses Problem der Wegl¨angenbestimmung aus der Geschwindigkeitskurve auf ein Fl¨achenproblem unterhalb einer Kurve in gewissen Grenzen. ◭

Beide Beispiele belegen, dass es durchaus von Interesse ist, nach Berechnungsm¨oglichkeiten f¨ur Fl¨achen unter Funktionsgraphen zwischen zwei festen Werten zu suchen. Der Weg hierzu ist im letzten Beispiel bereits angeklungen. Man zerlegt das Intervall [a,b], u¨ ber welchem der Fl¨acheninhalt berechnet werden soll, in n Teile. Man bildet also eine Zerlegung der Form a = x0 < x1 < x2 < . . . < xn−1 < xn = b, wobei jedoch im Gegensatz zum obigen Beispiel die Schritte dieser Zer¨ legung nicht unbedingt gleich groß sein m¨ussen. Uber jedem dieser Teilintervalle [xk−1 ,xk ] errichtet man jetzt ein Rechteck, welches in etwa so groß ist wie der Fl¨acheninhalt unter der Kurve im entsprechenden Abschnitt. Die H¨ohe dieser Rechtecke geben wir sinnvollerweise durch den Funktionswert an einer Zwischenstelle ξk ∈ [xk−1 ,xk ] vor. y f (x)

a . . . xk−1 ξk xk | {z } x0 ∆xk

...

b x

=

Zerlegung eines Intervalls

=

462

xn

14.1

Fl¨acheninhaltsproblem und bestimmtes Integrals

Mit dieser Vereinbarung erhalten wir n¨aherungsweise den Fl¨acheninhalt A unter der Funktion f in den Grenzen a und b als A ≈ (x1 −x0 ) · f (ξ1 ) + (x2 −x1 ) · f (ξ2 ) + . . . + (xn −xn−1 ) · f (ξn ) = f (ξ1 ) ∆x1 + f (ξ2 ) ∆x2 + . . .. . . + f (ξn ) ∆xn n

=

∑ f (ξk ) ∆xk , k=1

wobei ∆xk := xk − xk−1 gesetzt wurde. F¨uhren wir nun einen Grenz¨ubergang derart durch, dass die Anzahl der Zerlegungsstreifen gegen unendlich und die maximale Streifenbreite gegen null geht, so werden wir wohl den exakten Fl¨acheninhalt unter dem Funktionsgraphen erhalten. Dies gibt Anlass f¨ur die folgende Definition, die in dieser Form auf Riemann1 zur¨uckgeht.

Definition Die Funktion f heißt integrierbar uber ¨ dem Intervall [a,b] [a,b], wenn es eine Zahl A gibt, sodass zu jedem ε > 0 ein δ > 0 existiert mit der Eigenschaft, dass f¨ur jede Zerlegung des Intervalls [a,b] mit einer maximalen Streifenbreite kleiner als δ n A − ∑ f (ξk ) ∆xk < ε k=1 gilt, ganz egal wie die Zwischenstellen ξk ∈ [xk−1 ,xk ] gew¨ahlt werden. Man schreibt dann n

A = n→∞ lim



∆xk →0 k=1

f (ξk ) ∆xk =

Zb

f (x) dx

a

und spricht vom bestimmten Integral u¨ ber dem Intervall [a,b].

Man kann diese Definition folgendermaßen in die Umgangssprache umformulieren. Die Funktion f ist dann integrierbar, wenn es eine Zahl A n

gibt, wogegen die Summe ∑ f (ξk ) ∆xk strebt, unabh¨angig davon, auf k=1

welche Art die Zerlegung gebildet wird und wie konkret die Zwischenstellen ξk gew¨ahlt werden. Es soll ausdr¨ucklich darauf hingewiesen werden, dass bestimmte Integrale sich von der Idee und der Definition vollst¨andig von den unbestimmten 1

Georg Friedrich Bernhard Riemann, 1826–1866, deutscher Mathematiker, entwickelte u. a. die mathematischen Grundlagen, auf welchen Einstein seine Relativit¨atstheorie aufbaute.

Integrierbarkeit uber ¨ einem Intervall Bestimmtes Integral

463

464

14 Bestimmtes Integral

Integralen unterscheiden. Die unbestimmte Integration ist die Umkehrung der Differenziation, w¨ahrend bestimmte Integrale die Fl¨acheninhalte unter Funktionsgraphen berechnen. Die a¨ hnliche Schreib- und Sprechweise r¨uhrt aus einem Sachverhalt, auf den wir sp¨ater noch zu sprechen kommen.2 Hinter der Definition des bestimmten Integrals verbirgt sich eine ganze Menge an Forderungen f¨ur die Integrierbarkeit einer Funktion f in den Grenzen von a bis b. Ganz egal, wie man das Intervall [a,b] zerlegt, und ganz egal, wie man in jedem Teilintervall [xk−1 ,xk ] die Zwischenstelle ξk w¨ahlt, wenn nur die maximale Streifenbreite kleiner als δ ist, dann ist die Summe n¨aher als ε an dem stets gleichen Wert A. Umso verbl¨uffender ist es, dass fast alle in der Praxis relevanten Funktionen u¨ ber [a,b] integrierbar sind.

Integrierbarkeit stetiger Funktionen

Satz Jede auf dem Intervall [a,b] beschr¨ankte und bis auf endlich viele Stellen stetige Funktion ist u¨ ber [a,b] integrierbar.

Damit sind insbesondere auch alle u¨ ber dem Intervall [a,b] stetigen Funktionen integrierbar. Der Beweis kann mit den vorhandenen Hilfsmitteln nicht gef¨uhrt werden und soll aus diesem Grund u¨ bergangen werden. Allerdings sind nicht alle Funktionen u¨ ber einem Intervall [a,b] integrierbar, wie folgendes Beispiel belegt.

Dirichlet-Funktion

Beispiel 14.3 Wir betrachten die Dirichlet3 -Funktion  1 f¨ur x ∈ Q f (x) := 0 f¨ur x ∈ R\Q. Da die rationalen und irrationalen Zahlen dicht“ in den reellen Zah” len liegen, bedeutet dies, dass man in jedem Intervall eine rationale Zahl und eine irrationale Zahl finden kann. Dies wiederum heißt, dass es f¨ur jede Wahl einer Zerlegung a = x0 < x1 < x2 < . . . < xn−1 < xn = b des Intervalls [a,b] in jedem Teilintervall [xk−1 , xk ]

2

vgl. Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung in Abschnitt 14.2.

14.1

Fl¨acheninhaltsproblem und bestimmtes Integrals

sowohl eine rationale als auch eine irrationale Zahl gibt. Demzufolge kann man in jedem Teilintervall als Zwischenstelle eine rationale Zahl ξk ∈ Q w¨ahlen und erh¨alt n

n

n

∑ f (ξk ) ∆xk

=

∑ 1 · ∆xk

=

= b − a.

k=1

k=1

k=1

∑ ∆xk

Andererseits ist es auch m¨oglich, in jedem Teilintervall [xk−1 , xk ] eine irrationale Zwischenstelle ξ¯k 6∈ Q zu finden. Mit diesen Zwischenstellen erh¨alt man n

∑f k=1

 ξ¯k ∆xk =

n

n

∑ 0 · ∆xk

=

∑0

= 0.

k=1

k=1

Da diese beiden Werte verschieden sind und f¨ur jede noch so feine Zerlegung so lauten, kann der Grenzwert des bestimmten Integrals nicht existieren, d. h. die Dirichlet-Funktion ist auf keinem Intervall integrierbar. ◭

Der mithilfe des bestimmten Integrals berechnete Fl¨acheninhalt kann durchaus auch negativ sein. So ist z. B. in dem Fall, dass f (x) auf dem Intervall [a,b] negativ ist, Zb

n

f (x) dx = n→∞ lim

∆xk ∑ |f ({zξk}) |{z}

∆xk →0 k=1

a

y

< 0.

0

a

b x f (x)

Auch im Fall a > b kann der Fl¨acheninhalt negativ werden, da dann die Gr¨oßen ∆xk < 0 sind. Man sagt, dass durch das bestimmte Integral der sog. orientierte Fl¨acheninhalt berechnet wird. Aufgrund der Definition des bestimmten Integrals als Zb a

3

n

f (x) dx = n→∞ lim

∑ f (ξk ) ∆xk ,

∆xk →0 k=1

Peter Lejeune-Dirichlet, 1805–1859, deutscher Mathematiker.

Orientierter Fl¨acheninhalt

465

466

14 Bestimmtes Integral

also als Grenzwert der Summe von unendlich vielen N¨aherungsrechtecken, ist es einsichtig, dass folgender Satz gilt.

Satz

F¨ur bestimmte Integrale gelten folgende Regeln: Zb

f (x) dx =

Za

f (x) dx = −

a

b

Zb a

a

14.2

f (x) dx +

a



f (x) ± g(x) dx = Zb

Zc

Zb a

Zb

f (x) dx

Zb

g(x) dx

c

Zb

f (x) dx

a

f (x) dx ±

a

b

Z  c · f (x) dx = c · f (x) dx a

(c ∈ R)

Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung

Die Berechnung von Integralen mithilfe der Definition ist extrem schwierig, wie schon folgendes einfache Beispiel belegt.

Nutzlosigkeit der Integraldefinition furs ¨ praktische Rechnen

Beispiel 14.4 Wir wollen das bestimmte Integral u¨ ber die Funktion f (x) = x, genauer Zb a

bestimmen.

x dx

14.2

Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung

f(

x) =

x

y

a

x

b

In diesem speziellen Fall ist dies auch elementargeometrisch m¨oglich, da die Fl¨ache ein Trapez bildet und sich der Fl¨acheninhalt u¨ ber die Trapezinhaltsformel zu Zb

x dx =

a

=

b+a f (b) + f (a) · (b − a) = · (b − a) 2 2  1 2 b − a2 2

berechnet. Wir wollen dieses Ergebnis aber auch mithilfe der Definition des bestimmten Integrals herleiten. Aufgrund der Stetigkeit wissen wir, dass der Fl¨acheninhalt existiert, sodass es egal ist, welche Art der Zerlegung wir w¨ahlen und wie wir die zugeh¨origen Zwischenstellen aussuchen. Wir w¨ahlen naheliegenderweise die Zerlegung a¨ quidistant, d. h. wir setzen ∆xk =

b−a , n

wobei n die Anzahl der Teilintervalle ist. Die Zerlegungsstellen lauten damit xk = a + k ∆xk = a + k

b−a . n

Als Zwischenstellen ξk w¨ahlen wir den rechten Rand des entsprechenden Teilintervalls [xk−1 , xk ]:

ξk = xk = a + k

b−a n

Damit ergibt sich unter Benutzung des Kommutativgesetzes (KG) der Addition und des Distributivgesetzes (DG)

467

468

14 Bestimmtes Integral

Zb

n

x dx = n→∞ lim

n

∑ f (ξk ) ∆xk

∆xk →0 k=1

a

= n→∞ lim

∑ f (xk ) ∆xk

∆xk →0 k=1

  b−a b−a = n→∞ lim ∑ xk ∆xk = lim ∑ a + k n→∞ n n k=1 ∆xk →0 k=1 !   n b−a 2 b−a +k = lim ∑ a n→∞ n n k=1  !  n n b−a b−a 2 KG = lim ∑a n +∑k n n→∞ k=1 k=1 | {z } b−a = n·a ! n  b−a 2 n DG = lim a(b − a) + ∑k . n→∞ n k=1 n

n

Nun ist n

∑k=

1

+

n

+(n−1)+(n−2)+. . . . . .+

2

+

3

+. . . . . .+(n−1)+

n

k=1 n

∑k=

2

+

1

k=1 n

2 ∑ k = (n+1)+(n+1)+(n+1)+. . . . . .+(n+1)+(n+1) k=1

= n · (n+1), d. h. es gilt n

∑k k=1

=

1 n(n+1). 2

Setzen wir dies in das letzte Ergebnis ein, so erhalten wir !  b−a 2 1 · n(n+1) x dx = lim a(b − a) + n→∞ n 2 a   b−a 1 2 = (b − a) · lim 2a + 2 · (n +n) n→∞ 2 n   1 b−a = (b − a) · lim 2a + (b − a) + n→∞ 2 n } | {z →0 1 = (b − a) · (a + b) 2  1 2 b − a2 , = 2 was mit dem elementargeometrisch berechneten Ergebnis u¨ berein◭ stimmt. Zb



14.2

Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung

Das geschilderte Beispiel belegt, dass es in der Praxis schwierig ist, bestimmte Integrale mithilfe der Definition zu berechnen. Selbst die Integration der einfachen affinen Funktion artet in eine extrem langwierige Rechnung unter Ausnutzung diverser Raffinessen aus. Gl¨ucklicherweise gibt es in den meisten F¨allen eine relativ einfache Methode zur Berechnung bestimmter Integrale.

Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung

Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung Hat die auf dem Intervall [a,b] integrierbare Funktion f die Stammfunktion F, so berechnet sich das bestimmte Integral gem¨aß Zb a

f (x) dx = F(b) − F(a).

Beweis Wir gehen von einer Zerlegung a = x0 < x1 < x2 < . . . < xn−1 < xn = b des Intervalls [a,b] aus. In jedem Teilintervall [xk−1 , xk ] gilt f¨ur die Stammfunktion F der Mittelwertsatz der Differenzialrechnung (vgl. Abschnitt 11.3), d. h. es ist F(xk ) − F(xk−1 ) = F ′ (ξk ) xk − xk−1

mit einer geeigneten Zwischenstelle ξk ∈ ]xk−1 , xk [ . Damit gilt folgende Gleichheitskette: F(b) − F(a) = F(xn ) − F(x0 ) = F(xn ) − F(xn−1 ) + F(xn−1 ) − F(xn−2 ) + F(xn−2 ) − + . . . − F(x1 ) + F(x1 ) − F(x0 ) = F(x1 ) − F(x0 ) + F(x2 ) − F(x1 ) + . . . + F(xn−1 ) − F(xn−2 ) + F(xn ) − F(xn−1 ) n  = ∑ F(xk ) − F(xk−1 ) k=1

MWS

=

n

∑ F ′ (ξk ) · (xk − xk−1 )

k=1 n

=

∑ f (ξk ) · ∆xk

k=1

mit ∆xk = xk −xk−1 . Machen wir nun die Zerlegung beliebig fein, so ergibt sich daraus gem¨aß der Definition des bestimmten Integrals n

F(b) − F(a) = n→∞ lim



∆xk →0 k=1

f (ξk ) · ∆xk =

Zb

f (x) dx.

a



469

470

14 Bestimmtes Integral

Jetzt ist klar, warum bestimmte und unbestimmte Integrale a¨ hnlich bezeichnet werden. Es gibt einen Zusammenhang zwischen bestimmten und unbestimmten Integralen, man kann bestimmte Integrale mithilfe von Stammfunktionen berechnen. Man hat eigens eine entsprechende Schreibweise f¨ur die Berechnung bestimmter Integrale mittels Stammfunktionen eingef¨uhrt:4 Zb a

f (x) dx = [F(x)]ba := F(b) − F(a)

Welche konkrete Stammfunktion man w¨ahlt, ist gleichg¨ultig. W¨ahlt man anstatt der Stammfunktion F(x) eine andere Stammfunktion G(x) = F(x) +C, so ergibt sich ebenfalls Zb

f (x) dx = [G(x)]ba

a

= G(b) − G(a)   = F(b) +C − F(a) +C = F(b) +C − F(a) −C = F(b) − F(a).

Beispiel 14.5 (Fortf¨uhrung von Beispiel 14.4). Wir berechnen nochmals das InteR gral ab x dx, jetzt aber mithilfe des Hauptsatzes. Eine Stammfunktion von f (x) = x ist F(x) = 12 x2 . Demzufolge ist Zb

x dx =

a



1 2 x 2

b a

=

 1 2 1 2 1 2 b − a = b − a2 . 2 2 2 ◭

Beispiel 14.6 Z1

−1

3

1 1 dx = [arctan(x)]−1 = arctan(1) − arctan(−1) 1 + x2 π  π π = − − = 4 4 2

Man verwendet manchmal auch die alternative Schreibweise F(b) − F(a).

Rb a

b f (x) dx = F(x) a :=

14.2

Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung

y 1 1+x2

−1

1

x ◭

Beispiel 14.7 Wir interessieren uns f¨ur die Fl¨ache unter der Sinuskurve im Intervall [0,2π ] und berechnen daher Z2π 0

sin(x) dx = [− cos(x)]20π = − cos(2π ) − (− cos(0)) = −1 − (−1) = 0. y sin(x)

1



+ −

x

Der Grund f¨ur dieses zun¨achst u¨ berraschende Ergebnis liegt darin, dass der Fl¨acheninhalt der zweiten Halbwelle negativ gewertet wird und sich mit dem Fl¨acheninhalt der ersten positiven Halbwelle aufhebt. M¨ochte man den realen Fl¨acheninhalt, muss man die Sinusfunktion betragsm¨aßig integrieren und erh¨alt Z2π 0

| sin(x)| dx = = = = =

Zπ 0

sin(x) dx +

Z2π

(− sin(x)) dx

π

[− cos(x)]π0 + [cos(x)]2ππ − cos(π ) − (− cos(0)) + cos(2π ) − cos(π ) −(−1) − (−1) + 1 − (−1) 4.

Der Fl¨acheninhalt unter der Sinuskurve im Intervall betr¨agt also 4 und ist damit sogar eine nat¨urliche Zahl, was verwunderlich ist, da die Sinusfunktion eine transzendente, d. h. nicht algebraische Funk◭ tion ist.

471

472

14 Bestimmtes Integral

Beispiel 14.8 Wir wollen das bestimmte Integral Ze

ln(x) dx x

1

berechnen und suchen hierzu zun¨achst mittels der Substitution u = ln(x) eine Stammfunktion. Es ist du 1 = dx x und nach der Substitutionsregel 1 du dx = dx. dx x Wir erhalten also als unbestimmtes Integral du =

Z

Z

ln(x) 1 1 dx = u du = u2 +C = (ln(x))2 +C. x 2 2 Der Wert des gesuchten bestimmten Integrals betr¨agt somit e  Ze 1 1 1 ln(x) dx = (ln(x))2 = (ln(e))2 − (ln(1))2 x 2 2 2 1 1

1 2 1 2 1 ·1 − ·0 = . 2 2 2 Wir k¨onnen auf einem zweiten Weg das bestimmte Integral berechnen, ohne das unbestimmte Integral bzgl. der urspr¨unglichen Variablen x explizit bestimmen zu m¨ussen. Wir k¨onnen n¨amlich auch die Grenzen des bestimmten Integrals auf den neuen Parameter u transformieren und das Integral mit diesem Parameter auswerten. Es ergibt sich =

u(1) = ln(1) = 0

u(e) = ln(e) = 1

und damit x=e Z

x=1

ln(x) dx = x

u=1 Z

u du =

u=0



1 2 u 2

u=1 u=0

=

1 2 1 2 1 ·1 − ·0 = . 2 2 2

Welchen der beiden Wege man letztendlich einschl¨agt, ist egal. Bei der ersten Methode muss man nach der unbestimmten Integration die Variable u durch die urspr¨ungliche Variable x resubstituieren, kann aber die Grenzen unver¨andert lassen. Bei der zweiten Methode entf¨allt die Resubstitution und die m¨oglicherweise rechenaufwendige Auswertung an den urspr¨unglichen Grenzen, doch muss man ◭ daf¨ur die zwei Grenzen auf den Parameter u transformieren.

14.2

Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung

Beispiel 14.9 Wir kommen auf das einleitende Beispiel 14.1 aus Abschnitt 14.1 zur¨uck und wollen die Fl¨ache der Ellipse mit der Gleichung x2 y2 + = 1 a2 b2 berechnen. Wir hatten dort auch schon festgestellt, dass aufgrund der Symmetrie der Ellipse sich der Gesamtfl¨acheninhalt A gerade als das Doppelte der Fl¨ache A1 oberhalb der x-Achse ergibt. y b −a

A1

q 2 b 1− ax2 a x

−b Diese Fl¨ache oberhalb der x-Achse wird begrenzt durch die Kurve mit der Gleichung r x2 y = b 1− 2, a sodass sich der Fl¨acheninhalt A1 als Za r A1 =

b

−a

1−

x2 dx a2

ergibt. Dieses Integral berechnet man analog zu demjenigen in Beispiel 13.9 in Abschnitt 13.2 mit der zun¨achst nicht nahe liegenden Substitution x u = arcsin bzw. x = a sin(u). a Ein derartiger Ansatz f¨uhrt h¨aufig dann zum Erfolg, wenn man quadratische Ausdr¨ucke unter einer Wurzel hat. In unserem Fall ergibt sich dx = a cos(u) du bzw. nach der Substitutionsregel dx =

1 du dx

du =

dx du = a cos(u) du. du

Fortfuhrung ¨ Fl¨acheninhalt einer Ellipse

473

474

14 Bestimmtes Integral

Wir interessieren uns f¨ur den Fl¨acheninhalt und nicht f¨ur die Stammfunktion und transformieren aus diesem Grund die Grenzen auf den neuen Parameter u. Es ist  u(−a) = arcsin −a = arcsin(−1) = − π2 a  a u(a) = arcsin a = arcsin(1) = π2 . Damit erhalten wir x=a r Z A1 =

1−

b

x=−a

=

π u= Z 2

u=− π2

x2 a2

u= π2

dx =

Z

u=− π2

b

s

1−

a2 sin2 (u) · a cos(u) du a2 π

u= Z 2 q 2 b cos (u) · a cos(u) du = ab | cos(u)| · cos(u) du. u=− π2

Im Integrationsbereich ist − π2 ≤ u ≤ bedeutet wiederum f¨ur unser Integral

π 2

und damit cos(u) ≥ 0. Das

π

A1 = ab

Z2

− π2 π Z2

= ab

π

| cos(u)| · cos(u) du = ab

Z2

− π2

cos(u) · cos(u) du

cos2 (u) du.

− π2

Dieses zuletzt genannte Integral hatten wir als unbestimmtes Integral bereits im Beispiel 13.5 in Abschnitt 13.2 mittels Produktintegration berechnet. Es ergibt sich π

A1 = ab

Z2

− π2

cos2 (u) du = ab



1 1 u + sin(u) cos(u) 2 2



π 2

− π2



π  π  1 π 1 · + sin cos 2 2 2 2 2  π  π  1  π 1 − · − − sin − cos − 2 2 2 2 2   π 1 π 1 = ab + · 1 · 0 + − · (−1) · 0 4 2 4 2 π = ab. 2 Der Fl¨acheninhalt der Ellipse betr¨agt somit = ab

A = 2A1 = π ab. F¨ur den Sonderfall des Kreises mit a = b = r erhalten wir die altbekannte Kreisfl¨achenformel A = π r2 . ◭

14.2

Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung

Es gibt u¨ ber einem Intervall [a,b] durchaus integrierbare Funktionen, welche jedoch keine Stammfunktion besitzen. Das bedeutet, dass es zwar einen definierten Fl¨acheninhalt gibt, aber dass sich dieser nicht mithilfe des Hauptsatzes der Differenzial- und Integralrechnung berechnen l¨asst.

Beispiel 14.10 Wir betrachten die Funktion  0 f (x) = 1

Integrierbare Funktion ohne Stammfunktion x 0

mit gewissen Konstanten C und D. Nun ist F als Stammfunktion differenzierbar und daher insbesondere stetig. Diese Stetigkeit gilt auch an der Stelle x = 0. Daraus resultiert die Gleichheit C = lim F(x) = F(0) = lim F(x) = D. x→0−

Die Funktion F hat also die Form  C F(x) = x +C

x→0+

f¨ur f¨ur

x≤0 x > 0.

475

476

14 Bestimmtes Integral

y F(x) C −1

1

x

Betrachtet man den Graphen dieser Funktion, so stellt man sofort fest, dass dieser an der Stelle x = 0 nicht differenzierbar sein kann. Wir haben den gew¨unschten Widerspruch, denn F muss als Stammfunktion u¨ berall differenzierbar sein. Da alle gemachten Schl¨usse korrekt waren, muss demzufolge unsere Annahme falsch sein. Dies bedeutet aber, dass f keine Stammfunktion hat. Das gesuchte bestimmte Integral ist damit insbesondere nicht u¨ ber den Hauptsatz berechenbar. ◭

14.3 Uneigentliche Integrale

Uneigentliche Integrale

Es ist durchaus m¨oglich, mithilfe des Hauptsatzes der Differenzial- und Integralrechnung auch Fl¨acheninhalte u¨ ber unbeschr¨ankte Bereiche zu berechnen. Dabei sind zwei Grundtypen m¨oglich: 1. Das Integrationsintervall ist unbeschr¨ankt; 2. Die Funktion f ist am Rand des Integrationsintervalls unbeschr¨ankt. Man spricht in diesem Zusammenhang gerne von uneigentlichen Integralen. Wir werden die beiden Typen uneigentlicher Integrale getrennt anhand von Beispielen behandeln und beginnen mit der Variante der unbeschr¨ankten Integrationsintervalle.

Beispiel 14.11 Wir berechnen die Fl¨ache unter der Hyperbel f (x) = im Bereich [1,∞[.

1 x2

14.3

y 1 x2

1

x

Hierzu berechnen wir mit dem Integral Zb

f (x) dx

1

die Fl¨ache in den Grenzen 1 und b und f¨uhren anschließend den Grenz¨ubergang b → ∞ durch. Es ist   Zb 1 1 b 1 dx = − = − + 1. 2 x x 1 b 1

Damit ergibt sich die gesuchte Fl¨ache als Z∞

1 dx = lim b→∞ x2

Zb 1

1

  1 1 − dx = lim + 1 = 1, b→∞ x2 b

d. h. die nach rechts offene Fl¨ache bleibt beschr¨ankt. Nun betrachten wir eine ganz a¨ hnliche Fl¨ache, n¨amlich die entsprechende Fl¨ache unter der zweiten Hyperbel 1 g(x) = . x y 1 x

1

x

Der Graph der Funktion g entspricht qualitativ demjenigen von f . Als Fl¨ache ergibt sich aber hier Z∞ 1

Zb

1 dx = lim [ln(|x|)]b1 b→∞ x 1  = lim ln(b) − ln(1) = lim ln(b) = ∞. b→∞ b→∞ | {z } =0

1 dx = lim b→∞ x

Uneigentliche Integrale

477

478

14 Bestimmtes Integral

Der Fl¨acheninhalt w¨achst also u¨ ber alle Grenzen, obwohl sich die Funktion g nur minimal von f unterscheidet. ◭

Es ist durchaus auch denkbar, dass das Integrationsintervall nach beiden Seiten unbeschr¨ankt ist und trotzdem ein beschr¨ankter Fl¨acheninhalt vorliegt.

Beispiel 14.12 Wir berechnen die zweiseitig offene Fl¨ache unterhalb der gebrochenen rationalen Funktion 1 . 1 + x2

f (x) = y

1 1+x2

x Mithilfe der Integralrechnung ergibt sich Z∞

−∞

1 dx = 1 + x2

= lim

a→−∞

Z0 a

Z0

−∞

1 dx + 1 + x2

1 dx + lim b→∞ 1 + x2

lim [arctan(x)]0a + a→−∞

Zb 0

Z∞ 0

1 dx 1 + x2

1 dx 1 + x2

lim [arctan(x)]b0   = lim arctan(0) − arctan(a) + lim arctan(b) − arctan(0) a→−∞ b→∞   π  π  = 0− − −0 + 2 2

=

b→∞

= π.



Wie bereits zu Beginn des Abschnitts angedeutet, gibt es noch einen zweiten Typ uneigentlicher Integrale. Es ist auch m¨oglich, dass die Funktion am Rand des Integrationsintervalls gegen unendlich strebt und damit die Fl¨ache nach oben unbeschr¨ankt ist.

14.3

Beispiel 14.13 Wir berechnen die Fl¨ache unter der Funktion 1 f (x) = √ x im Intervall [0,1]. y

√1 x

1

x

Da die Funktion nicht auf dem ganzen Integrationsintervall definiert ist, f¨uhren wir wieder einen Grenz¨ubergang durch. Der gesuchte Fl¨acheninhalt ergibt sich als Z1 0

1 √ dx = lim a→0+ x = 2.

Z1 a

 √  √ 1 √  1 √ = lim 2 x a = lim 2 1 − 2 a a→0+ a→0+ x

Wir wollen wie in Beispiel 14.11 die Funktion etwas ver¨andern und suchen jetzt die entsprechende Fl¨ache unter der Funktion g(x) =

1 . x

y

1 x

1

x

Uneigentliche Integrale

479

480

14 Bestimmtes Integral

Diese Funktion hat qualitativ das gleiche Aussehen wie f , aber das zugeh¨orige Integral berechnet sich als Z1 0

1 dx = lim a→0+ x

Z1

1 dx = lim [ln(|x|)]1a a→0+ x a  = lim ln(1) − ln(a) = −(−∞) = ∞. a→0+ | {z } =0

¨ Offensichtlich ist die Offnung nach oben nun so stark ge¨offnet, dass der Fl¨acheninhalt nicht mehr beschr¨ankt bleibt, sondern u¨ ber alle Grenzen w¨achst. ◭

481

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 14.1 14.1 Berechnen Sie elementargeometrisch die nachfolgenden Integrale der skizzierten Funktionen. a)

b)

Z3

f (x) dx

1

Z1

Z5

f (x) dx

3

Z5

Z1

f (x) dx

f (x) dx

0

Z3

Z5

f (x) dx

f (x) dx

3

Z5

Z5

Z5

f (x) dx

f (x) dx

0

f (x) dx

y 2

f (x)

1

0

1 y 2

f (x)

1

1 1

1

f (x) dx

0

5x

3

5x

3

2

Hinweis. Bei den nicht geradlinigen St¨ucken handelt es sich um Kreisb¨ogen.

14.2 Ein Fahrzeug beschleunigt zun¨achst in einem Zeitraum von 20 Sekunden mit linear wachsender Geschwindigkeit von 0 auf 50 km ahrt dann 2 Minuten mit konstanter Geschwindigkeit und h , f¨ bremst anschließend mit linear fallender Geschwindigkeit in einem Zeitraum von 30 Sekunden zum Stand. Welchen Weg hat das Fahrzeug zur¨uckgelegt?

Abschnitt 14.2 ¨ 14.3 Berechnen Sie nachfolgende bestimmte Integrale. Uberpr¨ ufen Sie Ihre Ergebnisse mit einem Computeralgebrasystem.  Z3 Z1 Z5    1 a) x + x3 dx b) −3x7 + 5x3 + 2x2 dx c) x − 2 dx x 1 −1 1 4 −1 1     Z Z Z √ 2 1 2 x2 − x dx √ + x dx d) e) − dx f) x x2 x 1

g)

π

Z2 0

sin(x) p dx 1 + cos(x)

h)

−4 2 Ze e

1 dx x(ln(x) − 3)

i)

−1 Z0 −1

x+1

x2 − 2x + 1

dx

14.4 Ein Auto f¨ahrt aus der Ruhe mit einer konstanten Beschleunigung von a = 3 sm2 an. a) Welche Geschwindigkeit v hat das Auto nach 10 Sekunden? Rechnen Sie das Ergebnis in die gel¨aufige Einheit km h um. b) Welchen Weg hat das Auto innerhalb von 10 Sekunden zur¨uckgelegt? Wie groß ist die Wegstrecke, die in den zweiten 5 Sekunden zur¨uckgelegt wurde?

482

14 Bestimmtes Integral

14.5 Berechnen Sie die Fl¨acheninhalte der skizzierten Fl¨achen. y y √ √ y = 3x y = 3x

1

x

2

y

x

3

y 3

3 y = ex − 2

y = 41 x2 1

x x

14.6 Ein Kanal hat einen parabelf¨ormigen Querschnitt. Wie viel Prozent der urspr¨unglichen Wassermenge f¨uhrt noch der Kanal, wenn die Wasserh¨ohe auf 50% absinkt?

Abschnitt 14.3 14.7 Berechnen Sie die nachfolgenden uneigentlichen Integrale. a)

Z∞

1 dx x3

b)

1

d)

Z∞

e−|x| dx

−∞

e)

Z1

−∞ Z∞

ex dx

c)

Z∞

1 dx (1 + 2x)2

f)

Z∞

arctan(x) dx 1 + x2

0

e−x sin(x) dx

0

0

14.8 Berechnen Sie folgende uneigentliche Integrale. Lassen Sie sich zun¨achst von einem Computeralgebrasystem die Graphen der Integranden zeichnen. a)

Z8

d)



0

π 2

1 √ dx 3 x cos(x) dx sin(x)

b)

Z1

e)

Z2

0

−2

1 √ dx x x 1 p dx |x|

14.9 Beweisen Sie folgende Aussagen. Z∞ 1 a) dx ist f¨ur α > 1 endlich und f¨ur 0 < α ≤ 1 unendlich. xα

c)

Z3

f)

Z6

2

−1

1 dx x−3 1 p dx |x − 2|

1

b)

Z1 0

1 dx ist f¨ur 0 < α < 1 endlich und f¨ur α ≥ 1 unendlich. xα

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Numerische Integration

15

Welche bestimmten Integrale kann man nicht exakt berechnen? Welche numerischen Verfahren zur n¨ aherungsweisen Berechnung bestimmter Integrale sind gebr¨ auchlich? Wie groß sind die Fehler bei Verwendung der numerischen Verfahren?

Fallender W¨ urfel in ein Wasserglas

15.1 15.2 15.3

Problemstellung . . . Trapezregel . . . . . Kepler-Fassregel und Aufgaben . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . Simpson-Regel . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

484 486 490 495

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_15 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_15

483

484

15 Numerische Integration Es ist nur in den seltensten F¨allen m¨ oglich, eine Stammfunktion einer Funktion anzugeben. Damit versagt im Normalfall die M¨ oglichkeit, bestimmte Integrale mit dem Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung zu bestimmen. Dann muss man auf numerische Verfahren zur¨ uckgreifen. In diesem Kapitel werden die gebr¨auchlichen Methoden der Trapezregel sowie der Kepler-Fassregel mit der darauf aufbauenden Simpson-Regel vorgestellt.

15.1

Problemstellung

Es gibt Problemstellungen, bei welchen es unm¨oglich ist, bestimmte Integrale mithilfe des Hauptsatzes der Differenzial- und Integralrechnung zu berechnen. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn wir keine exakte Funktionsvorschrift des Integranden haben. Bei wissenschaftlichen Experimenten werden h¨aufig Kurvenverl¨aufe aufgezeichnet, u¨ ber die dann in einem bestimmten Intervall das Integral zu berechnen ist. Dieses Problem tritt bereits beim Fahrtenschreiber eines LKWs auf.

Fahrtenschreiber

Beispiel 15.1 Der Fahrtenschreiber eines Lastkraftwagens hat die skizzierte Geschwindigkeitstskurve aufgezeichnet. v(t)

t0 t Es geht darum, aus dieser Kurve die zur¨uckgelegte Wegstrecke zu bestimmen, die sich ja als Integral der Geschwindigkeitskurve s =

Zt0

v(t) dt

0

ergibt. F¨ur die Geschwindigkeit v(t) haben wir keine Funktionsvorschrift, nur die skizzierte Kurve. Aus diesem Grund versagt nat¨urlich auch die Berechnung mit der Stammfunktion. ◭

15.1

Es gibt auch Funktionen, deren Abbildungsvorschrift f (x) bekannt ist, wir aber trotzdem keine Stammfunktion angeben k¨onnen. Dabei ist es zuerst einmal m¨oglich, dass es eine derartige Stammfunktion gar nicht gibt (vgl. Beispiel 14.10 in Abschnitt 14.2). Viel h¨aufiger ist jedoch der Fall, dass eine Funktion f zwar eine Stammfunktion F besitzt, diese aber nicht mithilfe der elementaren Funktionen wie den ganzen rationalen Funktionen, den Wurzelfunktionen, den trigonometrischen Funktionen oder auch der Exponential- und der Logarithmusfunktion gebildet werden kann. Dies tritt bereits bei sehr einfachen Integralen auf wie z. B. Z x Z Z Z e 1 sin(x) 2 dx dx dx e−x dx. x ln(x) x In diesen F¨allen muss ein entsprechendes bestimmtes Integral u¨ ber einen anderen Weg berechnet werden. Meistens geschieht dies n¨aherungsweise. Dass derartige Integrale durchaus in der Anwendung eine Rolle spielen, zeigt das nachfolgende Beispiel.

Beispiel 15.2

Problemstellung

Funktionen mit nicht angebbarer Stammfunktion

Normalverteilung

Bei der Fertigung eines Produkts schwankt produktionstechnisch der exakte Wert einer Kenngr¨oße. So wird der Durchmesser eines Bolzens einmal minimal dicker und einmal etwas d¨unner sein als der Sollwert. Eine Abf¨ullmaschine f¨ur Mineralwasser wird einmal ein wenig mehr und das n¨achste Mal etwas weniger in die Flaschen abf¨ullen. Selbst die Messung eines Wertes unterliegt Schwankungen. Man wird einmal etwas u¨ ber dem exakten Wert und bei der n¨achsten Messung etwas unter dem exakten Wert messen. All diese aufgez¨ahlten Beispiele sind Zufallsexperimente gleicher Bauart. Die Ergebnisse streuen um einen gewissen Sollwert herum. Je n¨aher man an dem Sollwert ist, desto h¨aufiger wird dieser Wert auftreten. Gauß stellte fest, dass sich derartige Wahrscheinlichkeiten sehr gut mithilfe der Normalverteilung  1 x−µ 2 1 − 2 σ √ f (x) = e 2π σ beschreiben lassen. Dabei ist µ der erwartete Sollwert und σ die sog. Standardabweichung. Diese Standardabweichung beschreibt die Breite der Kurve, also wie scharf das Extremum an der Stelle µ sich in der Kurve herausbildet. y f (x)

µ

x

Gauß’sche Glockenkurve

485

486

15 Numerische Integration

Aufgrund der Form des Graphen spricht man h¨aufig auch von der Gauß’schen Glockenkurve. Die Wahrscheinlichkeit, einen Wert zwischen den Werten a und b zu erhalten, berechnet sich nach Gauß als p(a ≤ x ≤ b) =

Zb

f (x) dx =

a

Zb a



x−µ 2 σ

1 1 e− 2 2π σ

dx.

Mithilfe der Substitution u =

x−µ σ

du =

1 dx σ

kann man das Integral zwar noch auf die Form b−µ



b−µ a−µ p(a ≤ x ≤ b) = p ≤u≤ σ σ



=



a−µ σ

1 2 1 √ e− 2 u du 2π

vereinfachen, doch ist auch dieses Integral nicht elementar integrierbar. Man ist auf ein numerisches N¨aherungsverfahren angewiesen. Die Bedeutung, die diesem Integral zugemessen wird, erkennt man u. a. daran, dass die Glockenkurve links neben seinem Erfinder Gauß auf dem letzten 10-DM-Schein der deutschen Bundesbank zu sehen war.



15.2

Trapezregel

M¨ochte man das bestimmte Integral einer Funktion bestimmen, welches nicht elementar integrierbar ist, so ist man auf N¨aherungsverfahren angewiesen. Ein von der Idee recht einfaches und doch sehr effektives Verfahren ist das folgende. Man zerlegt das Integrationsintervall [a,b] in n

15.2

Trapezregel

gleich breite Teile der Breite h = b−a ahert die Fl¨acheninhalte in n und n¨ den dadurch bestimmten Streifen durch Trapeze an. Hierzu wird in jedem Streifen die Funktionskurve durch die Strecke, die durch die beiden Endfunktionswerte im Streifen bestimmt ist, ersetzt. y

f (x)

| {z } h

b

x

=

a

a+nh

Die Fl¨ache eines Trapezes berechnet sich bekanntlich als arithmetisches Mittel der beiden parallelen Seitenl¨angen multipliziert mit der H¨ohe h des Trapezes. Als N¨aherung f¨ur das gesuchte Integral ergibt sich dann die Summe dieser Trapezinhalte. Zb

Trapezregel

f (x) dx

a

f (a) + f (a+h) f (a+h) + f (a+2h) f (a+2h) + f (a+3h) h+ h+ h 2 2 2 f (a+(n−1)h) + f (a+nh) +...+ h 2  h = f (a) + f (a+h) + f (a+h) + f (a+2h) + f (a+2h) + f (a+3h) 2   + . . . + f a+(n−1)h + f (a+nh)   h = f (a) + 2 f (a+h) + 2 f (a+2h) + . . .+ 2 f a+2(n−1)h + f (b) 2 ! n−1 h f (a) + 2 ∑ f (a+kh) + f (b) = 2 k=1



Diese Berechnungsformel ist unter dem Namen Trapezregel bekannt. Es stellt sich nat¨urlich die Frage nach dem Fehler, den man durch die Anna¨herung durch Trapeze gemacht hat. Hierzu gibt die mathematische Sparte der numerischen Mathematik die Antwort, dass die betragsm¨aßige Abweichung |∆F| vom exakten Wert durch |∆F| ≤ abgesch¨atzt werden kann.

b−a 2 · h · max f ′′ (x) 12 a≤x≤b

Fehlerabsch¨atzung fur ¨ die Trapezregel

487

488

15 Numerische Integration

Wir wollen die Anwendung der Trapezregel mit einem Beispiel verdeutlichen.

Fortfuhrung ¨ Normalverteilung Gauß’sche Glockenkurve

Beispiel 15.3 Wir kehren zur Gauß’schen Glockenkurve aus Beispiel 15.2 des vorangegangenen Abschnitts zur¨uck und berechnen f¨ur die vereinfachte Form 1 2 1 f (x) = √ e− 2 x 2π

die Wahrscheinlichkeit, einen Wert zwischen 0 und 1 zu erhalten, also das bestimmte Integral Z1

f (x) dx =

0

Z1 0

1 2 1 √ e− 2 x dx. 2π

Hierzu zerlegen wir zun¨achst das Integrationsintervall [0,1] in n = 2 Streifen. Die Schrittweite betr¨agt dementsprechend h =

1−0 = 0,5. 2

Nach der Trapezregel ergibt sich als N¨aherung Z1 0

f (x) dx ≈

 0,5  f (0) + 2 f (0,5) + f (1) 2

  ≈ 0,25 0,398 942 280 + 2 · 0,352 065 327 + 0,241 970 724 = 0,336 260 914.

Zur Absch¨atzung des gemachten Fehlers ben¨otigen wir die zweite Ableitung von f . Diese ergibt sich als  1 2 1 f ′′ (x) = √ −1 + x2 e− 2 x . 2π

Da betragsm¨aßig das Maximum gesucht wird, bestimmt man zun¨achst das absolute Maximum und das absolute Minimum von f ′′ im Intervall [0,1]. Nach etwas Rechnung stellt sich heraus, dass an der Stelle x = 0 das absolute Minimum m = − √12π und an der Stelle x = 1 das absolute Maximum M = 0 von f ′′ angenommen wird. Dies bedeutet, dass max | f ′′ (x)| = √12π gilt. Nach der obigen Feh0≤x≤1

lerformel kann der gemachte Fehler ∆F abgesch¨atzt werden durch |∆F| ≤

1−0 1 · 0,52 · √ ≈ 0,008 311 297, 12 2π

15.2

Trapezregel

d. h. wir haben grob gesprochen bereits eine Genauigkeit von einer, vielleicht sogar von zwei Nachkommastellen. Erh¨ohen wir nun die Anzahl der Trapeze auf n = 10, so ergibt sich mit der analogen Rechnung Z1 0

f (x) dx ≈

 0,1  f (0) + 2 f (0,1) + 2 f (0,2) + . . .+ 2 f (0,9) + f (1) 2

≈ 0,341 143 036. Der gemachte Fehler betr¨agt hier |∆F| ≤

1−0 1 · 0,12 · √ ≈ 0,000 332 452, 12 2π

d. h. wir haben jetzt eine Genauigkeit von zwei bis drei Nachkom◭ mastellen.

Man k¨onnte auf die Idee kommen, dass man nur die Anzahl der Teilintervalle und damit der Trapeze n gen¨ugend hoch setzen muss, um jede beliebige Genauigkeit zu erreichen. Der erforderliche erh¨ohte Rechenaufwand spielt ja im Zeitalter des Computers keine Rolle mehr.

un gs feh

ler

er ehl gsf dun Run

Fehler

Leider ist diese Aussage so nicht ganz korrekt. Bei jeder Rechenoperation stellen sich Rundungsfehler ein. Bei jeder Verkleinerung der Schrittweite h erh¨oht sich die Anzahl der Rechenoperationen und damit auch die Anzahl der Rundungsfehler, die sich schlimmstenfalls alle aufsummieren. Irgendwann einmal wird der Genauigkeitsgewinn, der durch eine Erh¨ohung der Anzahl der Teilintervalle erzielt wird, durch die dadurch hinzugekommenen Rundungsfehler mehr als kompensiert. Es gibt also eine vom konkreten Computersystem abh¨angige optimale Schrittweite hopt , die man nicht unterbieten sollte.

r he ¨ a N

hopt

h

Genauigkeitsbetrachtung

489

490

15 Numerische Integration

15.3

Kepler-Fassregel und Simpson-Regel

Die Kepler1 -Fassregel beruht auf einer recht einfachen Idee. Man ersetzt die im Intervall [a,b] zu integrierende Funktion f durch eine Parabel p, welche mit der Funktion f an der Stelle a, b und in der Mitte a+b 2 geR meinsame Punkte hat. Dann berechnet man anstatt ab f (x) dx das Integral R u¨ ber die Parabel ab p(x) dx. Die Fl¨ache unter der Funktion f wird also durch die Fl¨ache unter der Parabel p angen¨ahert. y b

f (x) b

p(x)

a |

b

a+b 2

{z h

}|

Das Polynom p(x) setzen wir in der Form

{z h

b x }

p(x) = β0 + β1 (x−a) + β2 (x−a)2 an. Eigentlich m¨ussten wir zun¨achst aus den drei Bedingungen p(a) = f (a)    a+b a+b p = f 2 2 p(b) = f (b) 

die unbekannten Koeffizienten β0 , β1 , β2 bestimmen, doch wollen wir R einen anderen Weg einschlagen und zun¨achst das Integral ab p(x) dx berechnen. Hierzu verwenden wir die abk¨urzende Schreibweise h :=

1

b−a , 2

Johannes Kepler, 1571–1630, deutscher Astronom, entdeckte die nach ihm benannte Regel bei der Berechnung des Volumens von Weinf¨assern.

15.3

Kepler-Fassregel und Simpson-Regel

d. h. wir bezeichnen die halbe Intervallweite mit h. Es ist Zb a

f (x) dx ≈

Zb

p(x) dx

a

=

a+2h Z  a



 β0 + β1 (x−a) + β2 (x−a)2 dx

a+2h 1 1 = β0 x + β1 (x−a)2 + β2 (x−a)3 2 3 a 1 1 2 3 = β0 (a+2h) + β1 (2h) + β2 (2h) 2 3 1 1 2 − β0 a − β1 · 0 − β2 · 03 2 3 8 2 = 2β0 h + 2β1 h + β2 h3 3  h = 6β0 + 6β1 h + 8β2 h2 . 3

Auf der anderen Seite ist

f (a) = p(a) = β0 4 f (a+h) = 4p(a+h) = 4β0 + 4β1 h + 4β2 h2 f (a+2h) = p(a+2h) = β0 + 2β1 h + 4β2 h2 . Durch Summation dieser drei Gleichungen erhalten wir f (a) + 4 f (a+h) + f (a+2h) = 6β0 + 6β1 h + 8β2 h2 . Vergleichen wir das Ergebnis der obigen Integration mit diesem Resultat, so stellen wir fest, dass der zuletzt erhaltene Klammerausdruck aus der Integration exakt mit der rechten Seite u¨ bereinstimmt. Es gilt also Zb a

f (x) dx ≈

Zb

p(x) dx

a

 h f (a) + 4 f (a+h) + f (a+2h) 3     b−a a+b = f (a) + 4 f + f (b) . 6 2

=

Kepler-Fassregel

491

492

15 Numerische Integration R

Diese N¨aherungsformel f¨ur das bestimmte Integral ab f (x) dx ist mit dem Namen Kepler-Fassregel belegt. Die etwas seltsam anmutende Vorgehensweise erm¨oglichte eine Herleitung dieser Formel, ohne die Koeffizienten β0 , β1 und β2 der Parabel p(x) explizit berechnen zu m¨ussen. Fehlerabsch¨atzung fur ¨ die Kepler-Fassregel

Der gemachte Fehler ∆F aufgrund des Ersetzens der urspr¨unglichen Funktion f (x) durch die Parabel p(x) kann wieder abgesch¨atzt werden. Es kann gezeigt werden, dass (b − a)5 b−a 4 · h · max f (4) (x) = · max f (4) (x) . |∆F| ≤ 180 a≤x≤b 2 880 a≤x≤b

Fortfuhrung ¨

Beispiel 15.4

Normalverteilung

Wir wollen das Beispiel aus dem vorangegangenen Abschnitt aufgreifen und das Integral

Gauß’sche Glockenkurve

Z1

f (x) dx =

0

Z1 0

1 2 1 √ e− 2 x dx 2π

mithilfe der Kepler-Fassregel berechnen. Es ist Z1

 1 f (0) + 4 f (0,5) + f (1) 6 0  ≈ 0,166 666 667 0,398 942 280 + 4 · 0,352 065 327  + 0,241 970 724 f (x) dx ≈

= 0,341 529 052.

Zur Absch¨atzung des gemachten Fehlers ben¨otigen wir die 4. Ableitung von f , welche sich als  1 2 1 3 − 6x2 + x4 e− 2 x f (4) (x) = √ 2π

berechnet. Das betragsm¨aßige Maximum bestimmt man wieder u¨ ber die Berechnung der Extremwerte von f (4) im Intervall (4) √3 [0,1]. Es ergibt sich max f (x) = 2π , sodass man als Fehler0≤x≤1

absch¨atzung mit der obigen Formel |∆F| ≤

(1 − 0)5 3 ·√ ≈ 0,000 415 565 2 880 2π

erh¨alt. Wir haben also durch die einfache Methode der KeplerFassregel bereits eine Genauigkeit von zwei bis drei Nachkommastellen erzielt, eine Genauigkeit, die wir bei der Trapezregel erst bei ◭ 10 Teilintervallen hatten.

15.3

Kepler-Fassregel und Simpson-Regel

Zur Erh¨ohung der Genauigkeit ist es m¨oglich, die Kepler-Fassregel mehrfach anzuwenden. Hierzu unterteilt man das Integrationsintervall [a,b] in 2n Teilintervalle der L¨ange h = b−a 2n und wendet auf jeweils zwei benachbarten Segmenten die Kepler-Fassregel an.

Simpson-Regel

y b

f (x) b

b

b b b

b

a+h a+2h

b x

=

a

a+2nh Man erh¨alt dann Zb

f (x) dx

a

 h f (a)+4 f (a+h)+ f (a+2h) 3  h + f (a+2h)+4 f (a+3h)+ f (a+4h) 3    h +...+ f a + (2n−2)h +4 f a+(2n−1)h + f (a+2nh) 3 h = f (a) + 4 f (a+h) + 2 f (a+2h) + 4 f (a+3h) + 2 f (a+4h) 3    + . . . + 2 f a + (2n−2)h + 4 f a+(2n−1)h + f (b) . ≈

Diese N¨aherungsformel ist unter dem Namen Simpson2 -Regel bekannt geworden. Der Fehler ∆F, der durch die Ersetzung der Funktion f durch die Parabeln gemacht wurde, leitet sich aus dem Fehler der Kepler-Fassregel ab. Es gilt |∆F| ≤

1

b−a 4 · h · max f (4) (x) . 180 a≤x≤b

Thomas Simpson, 1710–1761, englischer Mathematiker, beschrieb 1743 erstmalig dieses Verfahren.

Fehlerabsch¨atzung fur ¨ die Simpson-Regel

493

494

15 Numerische Integration

Fortfuhrung ¨ Normalverteilung Gauß’sche Glockenkurve

Beispiel 15.5 (Fortf¨uhrung von Beispiel 15.4). Wir berechnen wieder das Integral u¨ ber die Gauß’sche Glockenkurve Z1

f (x) dx =

0

Z1 0

1 2 1 √ e− 2 x dx, 2π

dieses Mal mit der Simpson-Regel, wobei wir 10 Teilintervalle w¨ahlen, d. h. wir setzen h =

1−0 = 0,1. 10

Als N¨aherung f¨ur das gesuchte Integral ergibt sich somit Z1 0

f (x) dx ≈

0,1  f (0) + 4 f (0,1) + 2 f (0,2) + 4 f (0,3) 3 + 2 f (0,4) + 4 f (0,5) + 2 f (0,6)  + 4 f (0,7) + 2 f (0,8) + 4 f (0,9) + f (1)

≈ 0,341 345 016.

Der gemachte Fehler l¨asst sich wegen max f (4) (x) = 0≤x≤1

|∆F| ≤

√3 2π

mittels

(1 − 0) 3 · 0,14 · √ ≈ 0,000 000 665 180 2π

absch¨atzen. Wir haben eine Genauigkeit von 5 bis 6 Nachkommastellen. ◭

Wie bei der Trapezregel kann auch bei der Simpson-Regel die Genauigkeit durch Erh¨ohung der Intervallanzahl nicht beliebig gesteigert werden, da irgendwann die Rundungsfehler den theoretischen Genauigkeitsgewinn zunichte machen.

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 15.2 15.1 Berechnen Sie folgende nicht elementar berechenbare Integrale mithilfe der Trapezregel. Setzen Sie dabei zur Berechnung der Trapezsummen ein Computeralgebrasystem ein. Sch¨atzen Sie jeweils den Fehler ab. Steigern Sie stufenweise die Anzahl der Teilintervalle und beurteilen Sie das Ergebnis. a)

Z1 0

2

cos x



b)

dx

Z4 2

1 dx ln(x)

c)

Z6 x e

x

2

3

1

2

0

1

−1 2

x

3

1 − x4 dx

0

15.2 Berechnen Sie n¨aherungsweise mit der Trapezregel das Integral f , die durch folgende Schaubilder gegeben sind. y y

1

d)

dx

Z0,8p

R4 0

f (x) dx f¨ur die Funktionen

x

1

2

3

Abschnitt 15.3 15.3 Berechnen Sie die Integrale aus Aufgabe 15.1 mithilfe der Kepler-Fassregel bzw. der SimpsonRegel. Steigern Sie bei der Simpson-Regel stufenweise die Anzahl der Teilintervalle. Sch¨atzen Sie jeweils den Fehler ab und beurteilen Sie den Genauigkeitsgewinn gegen¨uber der Anwendung der Trapezregel. 15.4 Berechnen Sie n¨aherungsweise mithilfe der Kepler-Fassregel bzw. der Simpson-Regel die InR tegrale 04 f (x) dx der in Aufgabe 15.2 grafisch gegebenen Funktionen f . 15.5 Berechnen Sie das Integral

Z1 0

 x2 cos x3 dx

mithilfe einer Stammfunktion; mithilfe der Trapezregel (10 Teilintervalle); mithilfe der Kepler-Fassregel; mithilfe der Simpson-Regel (10 Teilintervalle). Sch¨atzen Sie bei den N¨aherungsverfahren die gemachten Fehler mithilfe der Fehlerabsch¨atzungen ab und vergleichen Sie die Ergebnisse mit den tats¨achlichen Fehlern. Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

495

Anwendungen der Integralrechnung

16

Wie kann man mit bestimmten Integralen beliebige Fl¨ acheninhalte berechnen? Wie berechnet man Volumina von Rotationsk¨ orpern? Wo sind bestimmte Integrale in Anwendungen n¨ utzlich?

Golden Gate Bridge bei San Francisco

16.1 16.2 16.3 16.4

Fl¨ achenberechnungen . . . . . . Volumina von Rotationsk¨ orpern . Physikalische Anwendungen . . . Wahrscheinlichkeitsrechnung . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

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. . . . .

498 503 507 514 518

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_16 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_16

497

498

16 Anwendungen der Integralrechnung Mit der Integralrechnung kann man fast jeden beliebig berandeten Fl¨acheninhalt bestimmen, ggf. muss man andere Koordinatensysteme einf¨ uhren. Auch Volumina von Rotationsk¨ orpern k¨ onnen berechnet werden. Die Integralrechnung spielt aber auch in ganz anderen Zusammenh¨angen eine Rolle. So basiert die L¨ osung diverser physikalischer Probleme wie die physikalische Arbeit, die Kraftwirkung aufgrund des hydrostatischen Drucks oder die Bestimmung des Schwerpunkts auf bestimmten Integralen. Selbst in der Wahrscheinlichkeitsrechnung muss auf die Technik der Integralrechnung zur¨ uckgreifen.

16.1

Fl¨ achenberechnungen

Wie wir schon in Kapitel 14 festgestellt haben, ist es mithilfe der Integralrechnung m¨oglich, Fl¨acheninhalte zu berechnen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine echte Fl¨achenberechnung oder um eine physikalische Anwendung handelt wie z. B. die Wegberechnung aus einem Geschwindigkeitsverlauf, was sich auf die Bestimmung des Fl¨acheninhalts unter der Geschwindigkeitskurve zur¨uckf¨uhren l¨asst. Wir wollen diesen Anwendungsbereich nochmals mit zwei Beispielen vertiefen. Wir beginnen mit einer Fl¨achenberechnung zwischen zwei durch Funktionen gegebene Kurven.

Fl¨achenberechnung

Beispiel 16.1 Wir interessieren uns f¨ur den Fl¨acheninhalt A, welcher zwischen der Sinus- und der Kosinuskurve jeweils eingeschlossen wird. Wegen der Symmetrieeigenschaften k¨onnen wir uns auf den Bereich zwischen den Schnittpunkten bei x1 = π4 und x2 = 54 π beschr¨anken. y

sin(x)

1 A

5 4π

2π x

π 4

cos(x)

16.1

Fl¨achenberechnungen

Damit ergibt sich als gesuchter Fl¨acheninhalt 5

A =

Z4 π π 4

(sin(x) − cos(x)) dx 5

π

= [− cos(x) − sin(x)] 4π 4     π  π  5 5 = − cos π − sin π + cos + sin 4 4 4 4 √ ! √ ! √ √ 2 2 2 2 = − − − − + + 2 2 2 2 √ = 2 2. ◭

Es ist mithilfe der Integralrechnung auch m¨oglich, Fl¨achen zu berechnen, die nicht durch Graphen von gew¨ohnlichen Funktionen begrenzt werden.

Fl¨achenberechnung in Polarkoordinaten

Beispiel 16.2 Manche Kurven lassen sich gut durch die Polarkoordinaten (r,ϕ ) mit x = r · cos(ϕ ) y = r · sin(ϕ ) beschreiben. Es ist also r der Abstand eines Kurvenpunkts zum Ursprung und ϕ der Winkel zur horizontalen x-Achse.1 y b

r

ϕ x Ber¨uhmte Kurven, welche einfach durch Polarkoordinaten beschrieben werden k¨onnen, sind

499

500

16 Anwendungen der Integralrechnung

die Spirale des Archimedes r = ϕ ; die Kardioide r = 1 + cos(ϕ ); p die Lemniskate r = cos(2ϕ ). y x

Spirale des Archimedes y

x

Kardioide y

x

Lemniskate Der durch solche Kurven eingeschlossene Fl¨acheninhalt kann ebenfalls mithilfe der Integralrechnung berechnet werden. Hierzu betrachten wir zun¨achst einen Abschnitt des Winkelbereichs ϕ , auf dem der Radius r(ϕ ) monoton w¨achst. y

r( ∆ϕ

ϕ+

) ∆ϕ ∆A r (ϕ

)

ϕ x

16.1

Der Fl¨acheninhalt ∆A, welcher durch den Winkel ϕ und ϕ +∆ϕ begrenzt wird, liegt sicher zwischen den Fl¨achen der entsprechenden Kreisausschnitte mit den Radien r(ϕ ) und r(ϕ +∆ϕ ), d. h. es gilt 2 ∆ϕ 2 ∆ϕ π · r(ϕ ) · ≤ ∆A ≤ π · r(ϕ +∆ϕ ) · 2π 2π bzw. ∆A 1 1 2 ≤ ·r2 (ϕ +∆ϕ ). ·r (ϕ ) ≤ 2 ∆ϕ 2 F¨uhrt man nun den Grenz¨ubergang ∆ϕ → 0 durch, so ergibt sich 1 2 ∆A 1 ·r (ϕ ) ≤ lim ≤ ·r2 (ϕ ), ∆ϕ →0 ∆ϕ 2 2 d. h. es ist 1 dA ∆A = lim = ·r2 (ϕ ). ∆ϕ →0 ∆ϕ dϕ 2 Nat¨urlich kann die obige Argumentation analog auf monoton fallende Abschnitte von r(ϕ ) u¨ bertragen werden, sodass die obige Formel u¨ berall g¨ultig ist. Der Fl¨acheninhalt einer durch Polarkoordinaten beschriebenen Fl¨ache ergibt sich damit im Winkelbereich von ϕ1 bis ϕ2 zu

A =

Zϕ2

ϕ1

1 2 r (ϕ ) d ϕ . 2

Diese sog. Leibniz’sche Sektorformel erlaubt es, nun die Fl¨acheninhalte zu bestimmen, welche durch die obigen Kurven begrenzt sind. Wir beginnen mit der Spirale des Archimedes r = ϕ , welche wir durch den Winkelbereich 0 ≤ ϕ ≤ 2π begrenzen. Es ergibt sich AArchimedes =

Z2π 0

1 2 ϕ dϕ = 2



1 3 ϕ 6

2π 0

=

1 4 · (2π )3 − 0 = π 3 . 6 3

Die Kardioide r = 1 + cos(ϕ ) wird durch den Winkelbereich 0 ≤ ϕ ≤ 2π begrenzt. Somit erhalten wir den von dieser Kurve umschlossenen Fl¨acheninhalt als

Fl¨achenberechnungen

501

502

16 Anwendungen der Integralrechnung

AKardioide =

Z2π 0

=

1 (1 + cos(ϕ ))2 d ϕ 2

Z2π 0

1 1 + cos(ϕ ) + cos2 (ϕ ) 2 2





2π 1 1 = ϕ + sin(ϕ ) cos(ϕ ) 2 2 0  2π 3 1 = ϕ + sin(ϕ ) + sin(ϕ ) cos(ϕ ) 4 4 0 3 1 3 1 = π +0+ ·0·1− ·0−0− ·0·1 2 4 4 4 3 = π. 2 p Bei der Lemniskate r = cos(2ϕ ) ist der Sachverhalt ein wenig komplizierter. Der Ausdruck unter der Wurzel muss positiv sein. Dies ist f¨ur − π4 ≤ ϕ ≤ π4 der Fall, was auf den rechten Teil der Kurve f¨uhrt. Der Winkelbereich 34 π ≤ ϕ ≤ 45 π f¨uhrt auf den linken Teil der Kurve. Als umschlossenen Fl¨acheninhalt erhalten wir somit 

1 1 ϕ + sin(ϕ ) + 2 2

π

ALemniskate =

Z4

− π4





Z4 2 2 1p 1p cos(2ϕ ) d ϕ + cos(2ϕ ) d ϕ 2 2 3π 4

π

=

Z4

− π4

5

1 cos(2ϕ ) d ϕ + 2

Z4 π

1 cos(2ϕ ) d ϕ 2

3π 4

π  5π 4 4 1 1 sin(2ϕ ) + sin(2ϕ ) 4 4 3π −π 4   4  1 1 1 1 = + + + 4 4 4 4 =



= 1.



1

vgl. auch die trigonometrische Darstellung bei den komplexen Zahlen, Abschnitt 1.4.

16.2

16.2

Volumina von Rotationsk¨ orpern

Volumina von Rotationsk¨ orpern

Mit der Integralrechnung ist es m¨oglich, das Volumen V von rotationssymmetrischen K¨orpern zu berechnen. Die Argumentation verl¨auft dabei ganz analog zur Berechnung des Fl¨acheninhalts in Abschnitt 14.1 mithilfe des bestimmten Integrals. Zun¨achst legen wir den Rotationsk¨orper so in ein r¨aumliches Koordinatensystem, dass die Rotationsachse mit der x-Achse zusammenf¨allt. Der Rotationsk¨orper entsteht dadurch, dass der Meridian in der (x,y)-Ebene um die x-Achse gedreht wird. Diesen Meridian kann man nat¨urlich als Funktion y = f (x) im Bereich eines Intervalls [a,b] auffassen.

Meridian

y f (x)

a

x

b

Nun zerlegen wir das Intervall [a,b] gem¨aß a = x0 < x1 < x2 < . . . < xn−1 < xn = b in n Teile und ersetzen in den Teilintervallen [xk−1 , xk ] das Volumen durch Kreiszylinder der L¨ange ∆xk = xk − xk−1 und der Radien rk = f (ξk ), wobei ξk eine Zwischenstelle im Intervall [xk−1 , xk ] ist. Mit dieser Ann¨aherung gilt n¨aherungsweise n

V ≈

∑ π rk2 · ∆xk =

k=1

−− −−→ π n→∞ ∆xk →0

Zb

n

2 ∑ π f (ξk ) · ∆xk = π

k=1

n

∑ f 2 (ξk )∆xk

k=1

f 2 (x) dx,

a

wobei wir im letzten Schritt auf die Definition des bestimmten Integrals zur¨uckgegriffen haben.

Satz Das Volumen V eines Drehk¨orpers, welcher durch Rotation eines Meridians y = f (x), x ∈ [a,b], um die x-Achse entsteht, berechnet sich gem¨aß V = π

Zb a

f 2 (x) dx.

Volumen eines Rotationsk¨orpers

503

504

16 Anwendungen der Integralrechnung

Volumen eines Drehkegels

Beispiel 16.3 Wir wollen das Volumen eines Drehkegels mit dem Grundradius r und der H¨ohe h berechnen. y r

α x

h

Legen wir die Spitze in den Ursprung, so hat die erzeugende Meridianmantellinie die Steigung tan(α ) =

r h

und damit die Gleichung f (x) =

r x. h

Der Meridian ist durch die x-Werte 0 und h begrenzt. Dementsprechend ist das Volumen V = π

Zh  0

= π =

r2 h2



Zh r 2 r2 x dx = π 2 x2 dx h h 0

1 3 x 3

1 2 π r h. 3

h 0

= π

r2 h2



1 3 h −0 3

 ◭

Volumen einer Kugel

Beispiel 16.4 Die Kugel mit dem Radius r entsteht durch Rotation des Halbkreises mit der Gleichung x2 + y2 = r2 ,

y≥0

16.2

Volumina von Rotationsk¨ orpern

bzw. y =

p r2 − x2 .

y

√ r2 −x2

−r

r x

Demzufolge betr¨agt das Kugelvolumen Zr p

Zr

 r  1 r2 − x2 dx = π r2 x − x3 3 −r −r −r   1 1 = π r2 · r − r3 − r2 · (−r) + (−r)3 3 3 4 = π r3 . 3

V = π

2

r2 − x2 dx = π



Beispiel 16.5 Es ist sogar m¨oglich, das Volumen eines Torus zu berechnen. Ein Torus entsteht durch Rotation eines Kreises mit dem Radius r um eine Achse mit dem Radius R > r. Typische Realisierungen derartiger Tori sind ein Schwimmring oder ein Fahrradschlauch.

Volumen eines Torus

505

506

16 Anwendungen der Integralrechnung

y R −r

r x

Der rotierende Meridiankreis hat in einem geeigneten Koordinatensystem die Darstellung x2 + (y−R)2 = r2 bzw. in expliziter Darstellung y = R±

p r2 −x2 .

Zur Berechnung des Torusvolumens m¨ussen wir vom Volumen des a¨ ußeren rotierenden Halbkreises dasjenige des inneren rotierenden Halbkreises abziehen. Es ist also V = π

Zr 

R+

−r Zr

= π

−r

= π

Zr

−r

Zr  2 2 p p r2 −x2 dx − π R − r2 −x2 dx −r

  p R2 +2R r2 −x2 +(r2 −x2 )

  p dx − R2 −2R r2 −x2 +(r2 −x2 )

p 4R r2 −x2 dx.

Mithilfe der schon mehrmals benutzten Substitution x u = arcsin bzw. x = r sin(u) r dx dx = du = r cos(u) du du π u(−r) = arcsin(−1) = − 2 π u(r) = arcsin(1) = 2

16.3

Physikalische Anwendungen

ergibt sich damit V = π

Zx=r

p 4R r2 −x2 dx

x=−r

= π

π u= Z 2

u=− π2

= π

π u= Z 2

q 4R r2 −r2 sin2 (u) r cos(u) du 4Rr

u=− π2

q 1−sin2 (u) r cos(u) du

u= π2

= 4π Rr2

Z

u=− π2

q cos2 (u) cos(u) du

u= π2

= 4π Rr2

Z

u=− π2

|cos(u)| cos(u) du.

  Im Integrationsintervall − π2 , π2 ist cos(u) ≥ 0 und damit letztendlich mit dem Ergebnis aus Beispiel 13.5 in Abschnitt 13.2 π

V = 4π Rr

2

Z2

cos2 (u) du

− π2

π 2 1 1 = 4π Rr u + sin(u) cos(u) 2 2 − π2    1 π 1 1 π 1 = 4π Rr2 · + ·1·0− · − − · (−1) · 0 2 2 2 2 2 2 2



= 2π 2 Rr2 .



16.3

Physikalische Anwendungen

Neben der Wegberechnung aus einem Geschwindigkeitsverlauf gibt es in der Physik noch viele weitere Anwendungen des Integrals. In diesem Abschnitt sollen einige wenige dieser Anwendungen anhand von Beispielen angesprochen werden.

507

508

16 Anwendungen der Integralrechnung

Die Arbeit Beim Ziehen einer Masse von einer Stelle sa zu einer Stelle se wird physikalische Arbeit verrichtet.

F sa Begriff der physikalischen Arbeit

se

s

Im einfachsten Fall wird die Arbeit u¨ ber die Formel W = F · ∆s berechnet, wobei F die konstant in Bewegungsrichtung angreifende Kraft und ∆s = se − sa die zur¨uckgelegte Wegstrecke ist. Im Allgemeinen ist aber die Beschaffenheit des Bodens nicht homogen, sodass man an der einen Stelle etwas mehr und an einer anderen Stelle etwas weniger Kraft ben¨otigt. Die Kraft ist also eine Funktion F(s) des Weges s. Zur Berechnung der jetzt ben¨otigten Arbeit unterteilt man die Wegstrecke in n Teile ∆sk und behandelt jeden Abschnitt so, als ob die ben¨otigte Kraft dort konstant w¨are. Es ergibt sich als N¨aherung f¨ur die geleistete Arbeit n

W ≈

∑ F(σk )∆sk , k=1

wobei F(σk ) der Wert der Kraft an einer Zwischenstelle σk im betrachteten Bereich ist. Um die geleistete Arbeit exakt zu berechnen, muss der Grenz¨ubergang n → ∞, ∆sk → 0 durchgef¨uhrt werden. Das f¨uhrt wieder genau auf die Definition des bestimmten Integrals: n

W = n→∞ lim

∑ F(σk )∆sk

∆sk →0 k=1

=

Zse

F(s) ds

sa

Dies ist die allgemeine Form der Arbeit, wobei F(s) nat¨urlich lediglich die Komponente des Kraftvektors in Bewegungsrichtung ist.

Beispiel 16.6 Wir wollen exemplarisch die ben¨otigte Arbeit berechnen, um ein an einer Tischkante h¨angendes Seil der L¨ange L auf den Tisch zu ziehen. Die angreifende Kraft F muss einerseits die Gewichtskraft des h¨angenden Teils und andererseits auch die Reibungskraft des auf dem Tisch liegenden Teils u¨ berwinden. Bezeichnen wir die L¨ange des auf dem Tisch liegenden Seils mit s, so berechnet sich die Gewichtskraft des h¨angenden Teils als

16.3

s

Physikalische Anwendungen

F

FG = mg ·

L−s , L

wobei m die Gesamtmasse des Seils und g = 9,81 sm2 die Erdbeschleunigung ist. Die zu u¨ berwindende Reibungskraft betr¨agt FR = µ · mg ·

s L

mit dem Gleitreibunsgkoeffizienten µ des Seils auf der Tischoberfl¨ache. Die zu erbringende Arbeit ergibt sich somit als W =

ZL

(FG + FR ) ds =

0

ZL 

mg ·

0

L−s s + µ · mg · L L



ZL

   mg µ −1 2 L L + (µ −1)s ds = Ls + s L 2 0 0   1+ µ mg µ −1 2 L2 + L − 0 − 0 = mg L. = L 2 2

=

mg L

ds



Hydrostatischer Druck Es ist eine bekannte Erfahrung, dass sich der Druck erh¨oht, je tiefer man sich unter der Wasseroberfl¨ache befindet.

h H

A

509

510

16 Anwendungen der Integralrechnung

Dieser hydrostatische Druck wird in der Physik als FG A definiert, wobei FG die Gewichtskraft des u¨ ber dem K¨orper stehenden Wassers und A die horizontale Querschnittsfl¨ache ist. Damit l¨asst sich der Druck abh¨angig von der Tiefe h als p =

mg ρ Ahg = = ρ hg A A mit der Dichte ρ des Wassers und der Erdbeschleunigung g = 9,81 sm2 berechnen. Es ist ferner ein physikalischer Erfahrungssatz, dass der Druck an jeder Stelle in alle Richtungen wirkt. Wir k¨onnen uns nun fragen, welche Kraft F auf die Berandung eines Wasserbeh¨altnisses dr¨uckt. Hierzu bezeichnen wir die Gesamttiefe mit H und den von der aktuellen Tiefe h abh¨angigen Umfang des Beh¨alters mit U(h). Teilen wir die gesamte Wassermasse in n Teile der Dicke ∆hk , so hat jede Scheibe eine Berandungsoberfl¨ache von Ak ≈ U(ξk ) · ∆hk , wobei ξk eine Zwischentiefe im entsprechenden Bereich ist. Die Gesamtkraft auf die Außenwand ergibt sich aufgrund der Definition des hydrostatischen Drucks zu p =

n

n

F ≈ Kraft durch den hydrostatischen Druck

∑ Ak · pk

k=1

=

n

∑ U(ξk ) ∆hk · ρ ξk g

k=1

k=1

Durch den Grenz¨ubergang n → ∞, ∆hk → 0 ergibt sich schließlich als Kraft auf die Außenwand F = ρg

ZH 0

Kraft auf ein Trinkglas

= ρ g ∑ U(ξk ) · ξk ∆hk .

U(h) · h dh.

Beispiel 16.7 Wir wollen die auf die Berandung eines kreisrunden Trinkglases wirkende Kraftbestimmen, wenn dieses bis zum Rand mit Wasser  ρ = 1 000 mkg3 gef¨ullt ist. Wir gehen dabei davon aus, dass dieses Trinkglas die Form eines Kegelstumpfes mit einem oberen Radius von ro = 35 mm und einem unteren Radius von ru = 20 mm hat. Die H¨ohe des Glases betr¨agt H = 100 mm. ro

H

h

ru

16.3

Physikalische Anwendungen

Der von der Eintauchtiefe h abh¨angige Radius betr¨agt damit in der in der Physik u¨ blichen SI-Einheit m nat¨urlich r(h) = ro +

ru − ro 0,020 m−0,035 m h = 0,035 m + h. H 0,100 m

Der Umfang hat demzufolge den Wert   0,02 m−0,035 m h U(h) = 2π ·r(h) = 2π 0,035 m + 0,1 m = 2π (0,035 m − 0,15 h). Als Kraft, welche auf die Außenberandung wirkt, ergibt sich ZH

U(h) · h dh

= 1 000

m kg · 9,81 2 m3 s

F = ρg

0m

= 9 810 = = = ≈ =

kg ·π m2 s2

0,1 Z m

0m

0,1 Z m

0m

2π (0,035 m − 0,15 h) · h dh

 0,07 m · h − 0,3 h2 dh

 0,1 m kg 9 810 2 2 · π 0,035 m · h2 − 0,1 h3 0 m m s  kg 9 810 2 2 · π 0,035 m · 0,01 m2 − 0,1 · 0,001 m3 m s kg 9 810 2 2 · π · 0,000 250 m3 m s kg m 7,705 2 s 7,705 N. ◭

Schwerpunkt Viele Gesetze der Physik werden f¨ur Massenpunkte definiert, so z. B. die Bewegungsgesetze oder das Gravitationsgesetz. Die K¨orper sind aber keine Massenpunkte, sondern ausgedehnte K¨orper. Gl¨ucklicherweise gelten die meisten Gesetze trotzdem, wenn man sich die Gesamtmasse M im Schwerpunkt konzentriert denkt. Damit stellt sich die Frage, wie man diesen Schwerpunkt bestimmt.

511

512

16 Anwendungen der Integralrechnung

Hebelgesetz

Beginnen wir mit dem einfachen Hebelgesetz. Ein an der Stelle x¯ gest¨utzter massenloser Balken mit zwei Gewichten befindet sich dann im Gleichgewicht, wenn die angreifenden Drehmomente gleich groß sind, also wenn m1 g · (x¯ − x1 ) = m2 g · (x2 − x) ¯ 0 x1

x2



m1

x

m2 m2 g

m1 g

bzw. (m1 + m2 )x¯ = m1 x1 + m2 x2 gilt. Daraus ergibt sich als Auflagestelle x¯ =

m1 x1 + m2 x2 . m1 + m2

¨ Die Uberlegungen sind auch dann korrekt, wenn wir es nicht mit zwei angreifenden Kr¨aften, sondern mit n derartigen Gewichten zu tun haben. Wir erhalten dann als Auflagestelle n

∑ mk xk x¯ =

k=1 n

.

∑ mk k=1

Dies ist der Wert des Punkts, an welchem sich alle Drehmomente aufheben, also die Koordinate des Schwerpunkts des Systems in x-Richtung. Haben wir es nun mit einer kontinuierlichen Massenverteilung zu tun, so l¨asst sich diese durch eine stetige Verteilungsfunktion f (x) beschreiben. Dabei dr¨uckt diese Funktion f (x) die Massenzunahme mit wachsendem x aus, d. h. es ist f (x) = lim

∆x→0

dM ∆M = ∆x dx

die Ableitungsfunktion der Funktion M(x), welche die Masse bis zur Abszisse x beschreibt. y f (x)

a

b x

16.3

Physikalische Anwendungen

513

Die x-Koordinate des Schwerpunkts berechnen wir nun mit der gewohnten Vorgehensweise zun¨achst wieder n¨aherungsweise. Wir zerlegen das relevante Intervall [a,b] auf der x-Achse in n Teilintervalle der L¨ange ∆xk und nehmen in diesen Abschnitten an, dass dort die Massenverteilung konstant ist. Als Masse in einem solchen Abschnitt erhalten wir dann mk ≈ f (ξk ) ∆xk mit einer Zwischenstelle ξk . Damit erhalten wir n¨aherungsweise als xKoordinate des Schwerpunkts n

n

∑ mk ξk x¯ ≈

k=1 n

∑ f (ξk ) ∆xk ξk =

k=1

=

M

∑ mk

1 n ∑ ξk f (ξk ) ∆xk , M k=1

k=1

wobei M die Gesamtmasse des K¨orpers ist. F¨uhren wir nun den Grenz¨ubergang n → ∞, ∆xk → 0 durch, so bekommen wir schließlich die exakte x-Koordinate des Schwerpunkts als x¯ =

1 M

Zb

Schwerpunktskoordinaten

x f (x) dx.

a

Nat¨urlich werden die Schwerpunktskoordinaten in y und z-Richtung ganz analog berechnet.

Schwerpunkt eines Drehkegels

Beispiel 16.8 Wir bestimmen den Schwerpunkt eines Drehkegels mit dem Grundkreis r und der H¨ohe h. Die x-Achse legen wir der Einfachheit wegen in Richtung der Rotationsachse und den Ursprung in die Kegelspitze. Aufgrund der Rotationssymmetrie ist klar, dass der Schwerpunkt auf der Drehachse und damit auf der x-Achse liegen muss, sodass nur diese Schwerpunktskoordinate von Interesse ist. y r

α h

x

514

16 Anwendungen der Integralrechnung

Nach Beispiel 16.3 in Abschnitt 16.2 betr¨agt das Volumen eines Drehkegels VKegel =

1 2 π r h. 3

und damit die Masse bei einer als homogen angenommenen Dichte ρ des Kegelmaterials 1 MKegel = ρ ·VKegel = ρ · π r2 h. 3 Demnach betr¨agt die Masse des Kegels bis zu einem Wert x 1  x 2 1 r2 M(x) = ρ · π r x = ρ · π 2 x3 . 3 h 3 h

¨ Die Anderung der Masse mit wachsendem x und damit die von uns ben¨otigte Massenverteilungsfunktion f (x) erhalten wir mithilfe der Ableitung: f (x) =

dM r2 = ρ π 2 x2 dx h

Jetzt k¨onnen wir die ben¨otigte Schwerpunktskoordinate u¨ ber die obige Formel berechnen. Es ist x¯ =

=

1 MKegel 3 h3

Zh 0

Zh 0

1 x f (x) dx = ρ · 13 π r2 h

x3 dx =



3 1 4 x h3 4

h 0

=

Zh

xρ π

r2 2 x dx h2

0

3 1 4 3 · h = h. 3 h 4 4

Richtet man den Kegel auf, bedeutet dies, dass der Schwerpunkt des Drehkegels sich auf einem Viertel der Gesamth¨ohe auf der Rotationsachse befindet. ◭

16.4

Wahrscheinlichkeitsrechnung

Wirft man einen gew¨ohnlichen W¨urfel, so hat man sechs verschiedene M¨oglichkeiten eines Ergebnisses e. Jedes Ergebnis e = k tritt mit der gleichen Wahrscheinlichkeit 16 auf. Man erh¨alt also mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 p(k) = (k = 1,2, . . . ,6) 6

16.4

Wahrscheinlichkeitsrechnung

jede der m¨oglichen Augenzahlen von 1 bis 6. M¨ochte man die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, eine Zahl zwischen 3 und 5 zu w¨urfeln, so ergibt sich diese als 5

p(3 ≤ e ≤ 5) = p(3) + p(4) + p(5) =

∑ p(k)

=

k=3

1 1 1 1 + + = . 6 6 6 2

Es gibt aber auch Zufallsexperimente, bei welchen die Auspr¨agungen des Ergebnisses beliebige Werte annehmen. So ist bei der Herstellung von Bolzen jeder positive Durchmesser m¨oglich. Elektronische Ger¨ate k¨onnen verschiedene Lebensdauern haben, und die Ergebnisse ein und derselben Messung k¨onnen zufallsbedingt beliebig viele unterschiedliche Auspr¨agungen besitzen. Derartige Zufallsexperimente heißen kontinuierliche oder stetige Wahrscheinlichkeitsverteilungen und werden durch eine Wahrscheinlichkeitsdichte f (x) beschrieben. Dabei dr¨uckt f (x) die Zunahme der Wahrscheinlichkeit f¨ur ein Ergebnis ≤ x mit wachsendem x aus, d. h. es ist f (x) = lim

∆x→0

Stetige Wahrscheinlichkeitsverteilungen Wahrscheinlichkeitsdichte

p(e ≤ x+∆x) − p(e ≤ x) dp = . ∆x dx

Die Wahrscheinlichkeit, einen Wert zwischen x1 und x2 zu erhalten, ergibt sich demzufolge als p(x1 ≤ e ≤ x2 ) =

Zx2

f (x) dx.

x1

Da Wahrscheinlichkeiten nie negativ werden k¨onnen, ist es einleuchtend, dass f (x) ≥ 0 gelten muss. Die Wahrscheinlichkeit, irgendeinen beliebigen Wert zu bekommen, ist nat¨urlich 100 %. Dies hat zur Folge, dass R∞ f (x) = 1 gilt. Eine h¨aufig auftretende stetige Wahrscheinlichkeitsver−∞ teilung ist die Gauß’sche Normalverteilung, deren Dichtefunktion  1 x−µ 2 1 f (x) = √ e− 2 σ 2π σ wir bereits in Abschnitt 15.1, Beispiel 15.2 angesprochen hatten. Von besonderem Interesse bei einem Wahrscheinlichkeitsexperiment ist der Erwartungswert µ , dem sich der Mittelwert der erhaltenen Ergebnisse ann¨ahern wird, wenn man das Zufallsexperiment nur gen¨ugend oft wiederholt. Im W¨urfelbeispiel werden sich beim vielmaligen Wiederholen des Experiments alle Zahlen mit der gleichen H¨aufigkeit einstellen. Man erh¨alt als Erwartungswert 1 1 1 1 1 1 +2· +3· +4· +5· +6· 6 6 6 6 6 6 6 6 1 = ∑ k · = ∑ xk p(k), 6 k=1 k=1

µ = 1·

wobei xk = k die m¨oglichen Ergebniswerte des Zufallsexperiments sind.

Erwartungwert

515

516

16 Anwendungen der Integralrechnung

Im Fall einer kontinuierlichen Wahrscheinlichkeitsverteilung gehen wir wie u¨ blich vor. Wir gehen zun¨achst davon aus, dass das Ergebnis des Zufallsexperiments nur zwischen zwei festen Werten a und b liegen kann, und unterteilen dieses Intervall in n Teile der L¨ange ∆xk . Wir gehen ferner davon aus, dass die Funktion f (x) in einem solchen Bereich [xk−1 , xk ] n¨aherungsweise konstant ist und mit dem Wert f (ξk ) u¨ bereinstimmt. Die Wahrscheinlichkeit, ein Ereignis in diesem Intervall [xk−1 , xk ] zu erhalten, betr¨agt somit n¨aherungsweise p(xk−1 ≤ e ≤ xk ) =

Zxk

xk−1

f (x) dx ≈

Zxk

f (ξk ) dx = f (ξk )

xk−1

Zxk

dx

xk−1

= f (ξk ) [x]xxkk−1 = f (ξk ) (xk −xk−1 ) = f (ξk ) ∆xk . Man erh¨alt damit als N¨aherung f¨ur den Erwartungswert n

µ ≈

n

∑ ξk p(xk−1 ≤ e ≤ xk )

k=1



∑ ξk f (ξk )∆xk . k=1

Durch den Grenz¨ubergang n → ∞, ∆xk → 0 geht diese Summe wieder in das bestimmte Integral u¨ ber und wir erhalten

µ =

Zb

x f (x) dx.

a

Lassen wir nun beliebige Werte f¨ur das Ergebnis des Zufallsexperiments zu, d. h. lassen wir die Grenzen b und a beliebig groß bzw. beliebig klein werden, so erhalten wir letztendlich als Erwartungswert

µ =

Z∞

x f (x) dx.

−∞

Lebensdauer elektrischer Haushaltsger¨ate

Beispiel 16.9 F¨ur die Lebensdauer x von elektrischen Haushaltsger¨aten wie Waschmaschine oder K¨uhlschrank gibt die folgende Wahrscheinlichkeitsdichte eine gute Beschreibung der Erfahrung:  0 f¨ur x < 0 f (x) = (x in Jahren) −0,1x 0,1 · e f¨ur x ≥ 0 Man kann leicht nachpr¨ufen, dass f (x) ≥ 0

und

Z∞

−∞

f (x) dx =

Z∞ 0

f (x) dx = 1

16.4

Wahrscheinlichkeitsrechnung

gilt, dass also die nat¨urlichen Voraussetzungen f¨ur eine Wahrscheinlichkeitsdichte gegeben sind. Wir fragen uns zun¨achst nach der Wahrscheinlichkeit, dass ein derartiges Haushaltsger¨at nach 10 Jahren noch funktionst¨uchtig ist. Diese ergibt sich als p(e > 10) = 1 − p(e ≤ 10) = 1 − = 1−

Z10

f (x) dx

0

Z10 0

 10 0,1 · e−0,1x dx = 1 − −e−0,1x 0

 1 = 1 − −e−1 + 1 = ≈ 0,368, e

d. h. mit einer Wahrscheinlichkeit von 36,8% ist ein Haushaltsger¨at nach 10 Jahren noch im Einsatz. Nun fragen wir uns nach der mittleren Lebensdauer, also nach dem Erwartungswert µ . Dieser berechnet sich mithilfe von Produktintegration (Abschnitt 13.2) als

µ =

Z∞

x f (x) dx =

−∞

h

Z∞ 0

x · 0,1 · e−0,1x dx |{z} | {z } f¯ g¯′

 i∞

Z∞

 x · −e − |{z} 1 · −e−0,1x dx |{z} | {z } 0 | {z } 0 f¯′ f¯ g¯ g¯  ∞ 1 −0,1x 1 = (−0 + 0) − e = −0 + 0,1 0,1 0 =

−0,1x

= 10,

wobei lim x e−0,1x = lim x→∞

x 0,1x x→∞ e

= 0 (Nachweis mit der Regel von

Bernoulli-de l’Hospital) benutzt wurde. Das Ergebnis besagt, dass Haushaltsger¨ate gew¨ohnlich auf eine durchschnittliche Lebensdauer von 10 Jahren konzipiert werden. ◭

517

518

16 Anwendungen der Integralrechnung

Aufgaben Abschnitt 16.1 16.1 Berechnen Sie die Fl¨ache, welche jeweils von den folgenden Kurven eingeschlossen wird. Fertigen Sie hierzu zun¨achst eine Skizze an. a) k1 : y = x2 − 4 k2 : y = −x2 + 4 b) k1 : y = −x3 + x √ c) k1 : y = x + 1 2

d) k1 : y = x sin x e) k1 : y = x2

k2 : y = x4 − 1 k2 : y = cos x



k2 : y = |x| k2 : x = y2

f) k1 : x = y2 − 1

k3 : y = 0 π k3 : x = 2

k4 : x = −

π 2

k2 : x = 3 − y2

16.2 Lassen Sie sich durch ein Computeralgebrasystem die Kurven skizzieren, welche durch folgende Polardarstellungen gegeben sind. Berechnen Sie den Fl¨acheninhalt, den diese Kurven im Bereich 0 ≤ ϕ ≤ 2π einschließen. √ 1 a) r = ϕ b) r = c) r = | sin(ϕ )| d) r = 1 + cos(3ϕ ) ϕ +1 16.3 Die Geschwindigkeiten zweier Autos entwickeln sich nach folgenden Gesetzm¨aßigkeiten:   2 sm2 · t f¨ur 0 s ≤ t ≤ 15 s  30 ms f¨ur 15 s < t ≤ 270 s Auto 1: v1 (t) =   30 m − 1 m · (t −270 s) f¨ur 270 s < t ≤ 300 s s s2 Auto 2:

v2 (t) =

        

0,2 sm3 · t 2 20 + 0,4 sm2 · (t −10 s) 32 ms 32 ms − 0,125 sm3 · (t −284 s)2 m s

f¨ur f¨ur f¨ur f¨ur

0 s ≤ t ≤ 10 s 10 s < t ≤ 40 s 40 s < t ≤ 284 s 284 s < t ≤ 300 s

a) Skizzieren Sie die Graphen der beiden Geschwindigkeitsverl¨aufe. b) Berechnen Sie die Fl¨achen, welche durch die beiden Geschwindigkeitskurven eingeschlossen werden. Interpretieren Sie die Fl¨acheninhalte physikalisch. Welches Auto ist nach den 300 Sekunden weiter gefahren?

Abschnitt 16.2 16.4 Lassen Sie sich von einem Computeralgebrasystem die Rotationsk¨orper zeichnen, die durch die Rotation folgender Meridiane um die x-Achse entstehen. Berechnen Sie das Volumen dieser Rotationsk¨orper. √ π π 3 a) y = x, 0 ≤ x ≤ h b) y = cos(x), − ≤ x ≤ c) y = , 1≤x≤3 2 2 4−x

Aufgaben

16.5 Berechnen Sie das Volumen des Drehellipsoids, welches durch Rotation der Ellipse mit der Gleichung x2 y2 + = 1 a2 b2 um die x-Achse entsteht.

16.6 Berechnen Sie das Volumen des dargestellten rotationssymmetrischen Halbrundniets.

d

R b

l L

16.7 Leiten Sie analog zur Volumenformel f¨ur Rotationsk¨orper eine entsprechende Formel f¨ur achsensymmetrische K¨orper mit quadratischen Querschnitten her. Berechnen Sie mithilfe dieser Formel das Volumen einer quadratischen Pyramide mit der Grundseite a und der H¨ohe h. Welcher Anteil des Volumens liegt in der unteren H¨alfte einer aufrecht stehenden Pyramide?

Abschnitt 16.3 16.8 Eine Spiralfeder wirkt mit der Kraft F = −D · s gegen ein Auslenken. Dabei ist D die Federkonstante und s die Auslenkungsposition aus der Ruhelage. Berechnen Sie die ben¨otigte Arbeit, um eine derartige Feder um die Strecke s0 aus der Ruhelage zu dehnen.

16.9 Eine Masse m wird aufgrund der Gravitation abh¨angig von der Entfernung s vom Erdmittelpunkt mit der Kraft F = G

Mm s2 2

angezogen. Dabei ist M = 5,98 · 1024 kg die Erdmasse und G = 6,670 · 10−11 Nkgm2 die Gravitationskonstante. Berechnen Sie die physikalische Arbeit, welche man ben¨otigt, um die Masse m = 1 kg von der Erdoberfl¨ache aus dem Schwerefeld der Erde zu bringen, d. h. bis ins Unendliche zu transportieren. Der Einfluss anderer Planeten soll vernachl¨assigt werden. Der Erdradius betr¨agt R = 6 370 km.

519

520

16 Anwendungen der Integralrechnung

16.10 Eine Staumauer hat die Form eines Trapezes mit einer unteren Breite von 300 m und einer oberen Breite von 500 m. Die H¨ohe der Staumauer betr¨agt 50 m. Berechnen Sie die Kraft, welche auf die Mauer wirkt, wenn der Stausee bis oben gef¨ullt ist. Die Dichte des Wassers betr¨agt ρ = 1 000 mkg3 . 500 m 50 m 300 m

16.11 Berechnen Sie die Schwerpunkte folgender geometrischer Figuren. W¨ahlen Sie jeweils zun¨achst ein geeignetes Koordinatensystem und schlagen Sie die ben¨otigten Formeln f¨ur die Volumina in einer Formelsammlung nach. a) Drehzylinder mit dem Radius r und der H¨ohe h b) Senkrechte quadratische Pyramide mit der H¨ohe h und der Seitenl¨ange a des Grundquadrats c) Drehkegel mit Grundkreisradius r und H¨ohe h, der in der H¨ohe

h 2

abgeschnitten wird.

d) Halbkugel mit dem Radius r

Abschnitt 16.4 16.12 Die individuelle Bearbeitungszeit der Studierenden bei einer auf 2 Stunden angesetzten Klausur kann durch eine Dichtefunktion der Form  c x3 f¨ur 0 ≤ x ≤ 2 f (x) = (x in Stunden) 0 sonst angen¨ahert beschrieben werden. a) Bestimmen Sie die Konstante c. b) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Student in der letzten Viertelstunde der zul¨assigen Bearbeitungszeit abgibt? c) Berechnen Sie den Erwartungswert µ der Bearbeitungszeit.

16.13 In einer Abfu¨llanlage wird Mineralwasser in 0,7-Liter-Flaschen gefu¨llt. Das Abfu¨llvolumen x kann als ein Gauß-normalverteiltes Zufallsexperiment mit der Dichtefunktion  1 x−µ 2 1 f (x) = √ e− 2 σ 2π σ betrachtet werden, wobei µ der Erwartungswert und σ die sog. Standardabweichung ist. a) Weisen Sie mithilfe eines Computeralgebrasystems nach, dass Erwartungswert der Gauß-Normalverteilung ist.

R∞

−∞

f (x) = 1 gilt und dass µ der

b) Die Abf¨ullanlage hat eine Standardabweichung von σ = 25 ml. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass eine gef¨ullte Flasche weniger als 5 % Abweichung von der Sollf¨ullmenge von 700 ml hat? Wie groß d¨urfte die Standardabweichung sein, damit die Wahrscheinlichkeit hierf¨ur 99 % betr¨agt? Benutzen Sie f¨ur die Auswertung der Integrale ein Computeralgebrasystem. Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Reihen

17

Wo treten Summen mit unendlich vielen Summanden auf? Was versteht man unter einer Reihe? Wie lauten die Reihensummen der geometrischen und der harmonischen Reihe? Wann sind Reihen konvergent?

Bl¨ uhende Alpenrosen

17.1 17.2

Der Reihenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 Konvergenzkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_17 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_17

521

522

17 Reihen Es gibt Situationen, in denen man unendlich viele Summanden aufaddieren muss. Die entstehende Reihe kann konvergent oder divergent sein. In diesem Kapitel besprechen wir in Vorbereitung auf die Anwendung bei Potenzreihen insbesondere das Konvergenzverhalten von unendlichen Reihen.

17.1

Der Reihenbegriff

Wir beginnen gleich mit einem einleitenden Beispiel, welches den Begriff einer Reihe verdeutlicht.

Wegl¨ange einer springenden Stahlkugel

Beispiel 17.1 Eine Stahlkugel wird aus einer H¨ohe h0 = 1 m auf den Tisch fallen gelassen. Die Kugel prallt von der Tischoberfl¨ache zur¨uck und erreicht eine H¨ohe von 80 % der Ausgangsh¨ohe. Jetzt wiederholt sich der Vorgang, d. h. die Kugel f¨allt erneut auf die Tischplatte und erreicht anschließend wieder 80 % der vorangegangenen H¨ohe usw. Der Prozess ist in dem folgenden Diagramm skizziert, wobei die H¨ohe h der Kugel zu verschiedenen Zeitpunkten abh¨angig von der Zeit t aufgetragen ist. h

t Man kann sich jetzt fragen, welchen Gesamtweg L die Stahlkugel insgesamt zur¨ucklegt. Der einfacheren Lesbarkeit wegen lassen wir im Folgenden die L¨angeneinheit weg. Die erreichte H¨ohe nach dem ersten Aufprall betr¨agt h1 = 0,8 · h0 = 0,8 · 1 = 0,8, die erreichte H¨ohe nach dem zweiten Aufprall h2 = 0,8 · h1 = 0,82 · h0 = 0,82 ,

17.1

Der Reihenbegriff

usw. Allgemein betr¨agt die H¨ohe nach dem n-ten Aufprall hn = 0,8n · h0 = 0,8n . Als Gesamtweg bis zum (n+1)-ten Aufprall erhalten wir also Ln = h0 + 2h1 + 2h2 + . . . + 2hn = 1 + 2 · 0,8 + 2 · 0,82 + . . . + 2 · 0,8n n

= 1 + ∑ 2 · 0,8k k=1 n

= 1 + 2 ∑ 0,8k . k=1

Da sich aber die Spr¨unge bis ins Unendliche wiederholen, heißt dies, dass wir zur Berechnung der Gesamtwegl¨ange n gegen unendlich gehen lassen m¨ussen. Wir erhalten damit letztendlich ! n

L = lim Ln = lim n→∞

n→∞

1 + 2 ∑ 0,8k k=1



= 1 + 2 ∑ 0,8k , k=1

also einen Ausdruck mit einer Summe mit unendlich vielen Summanden. Den Wert dieser unendlichen Summe m¨ussen wir zur Beantwortung der Frage nach der Gesamtwegl¨ange der Kugel berechnen. Wir werden sp¨ater auf dieses Beispiel zur¨uckkommen. ◭

Beispiel 17.2 Wir kehren zu der Schneeflockenkurve aus Beispiel 10.2 in Abschnitt 10.1 zur¨uck. Dort gingen wir von einem gleichseitigen Dreieck der Seitenl¨ange 1 aus, teilten die Seiten in drei gleich lange Teile, f¨ugten an die mittleren St¨ucke ein neues gleichseitiges Dreieck an und betrachteten die H¨ullkurve der entstehenden Figur. Dieses Verfahren wurde sukzessive wiederholt.

Fl¨acheninhalt der Koch’schen Kurve

523

524

17 Reihen

Dieses Mal fragen wir aber nicht nach der L¨ange der entstehenden Berandungskurve, sondern nach dem Fl¨acheninhalt des entstehenden Fraktals. Die H¨ohe eines gleichseitigen Dreiecks der Seitenl¨ange a ergibt sich nach dem Satz des Pythagoras als r r √  a 2 3 2 3 2 h = a − a = a. = 2 4 2

a a 2

√ 3 2 a

a

a Der Fl¨acheninhalt eines solchen gleichseitigen Dreiecks betr¨agt somit √ √ 1 1 3 3 2 ADreieck = · a · h = · a · a = ·a . 2 2 2 4 Nun k¨onnen wir den Fl¨acheninhalt der sukzessive entstehenden Figuren berechnen. Das Ausgangsdreieck hat die Seitenl¨ange 1 und damit den Fl¨acheninhalt √ 3 A0 = . 4 Im ersten Schritt wird die Fl¨ache um die Fl¨acheninhalte dreier gleichseitiger Dreiecke mit der Seitenl¨ange a1 = 31 erh¨oht. Der Fl¨acheninhalt der entstehenden Figur betr¨agt somit √ 3 2 · a1 A1 = A0 + 3 · 4 √ √ 3 3 1 +3· · = 4 4 32 √ 3 1 √ 3. = + 4 3·4 Im zweiten Schritt wird an jede der 3 · 4 Seiten ein Dreieck mit der Seitenl¨ange a2 = 31 a1 = 312 angef¨ugt. Man erh¨alt damit als Fl¨acheninhalt der neuen Figur √ 3 2 A2 = A1 + 3 · 4 · · a2 4 √ √ 1 √ 3 3 1 + · 3+3·4· = 4 3·4 4 34 √ 1 √ 1√ 3 + 3 + 3 3. = 4 3·4 3

17.1

Im n¨achsten Schritt erhalten wir 3 · 4 · 4 = 3 · 42 neue Dreiecke der Seitenl¨ange a3 = 31 a2 = 313 und damit als Gesamtfl¨acheninhalt √

3 2 A3 = A2 + 3 · 4 · · a3 4 √ √ 1 √ 1√ 3 3 1 + · 3 + 3 3 + 3 · 42 · = 4 3·4 3 4 36 √ 1 √ 1√ 4√ 3 + = 3 + 3 3 + 5 3. 4 3·4 3 3 2

Im darauf folgenden vierten Schritt haben wir 3 · 42 · 4 = 3 · 43 neue Dreiecke der Seitenl¨ange a4 = 31 a3 = 314 . Als Fl¨ache ergibt sich damit √ 3 2 A4 = A3 + 3 · 43 · · a4 4 √ √ 1 √ 1√ 4√ 3 3 1 3 + 3+ 3 3+ 5 3+3·4 · · = 4 3·4 3 3 4 38 √ 2 1 √ 1√ 4√ 4 √ 3 + 3 + 3 3 + 5 3 + 7 3. = 4 3·4 3 3 3 Es ist damit klar, wie sich der Gesamtfl¨acheninhalt entwickeln wird. Mit jedem Schritt k + 1 kommt ein weiterer Summand der Bauart 4k−1 √ 3 32k+1 hinzu, sodass wir im Grenzfall als Gesamtfl¨acheninhalt √ 1 √ 1√ 4√ 42 √ 3 + 3+ 3 3+ 5 3+ 7 3 A = 4 3·4 3 3 3 43 √ 44 √ + 9 3 + 11 3 + . . . 3 3 √ ∞ 3 4k−1 √ = + ∑ 2k+1 3 4 k=0 3 √ √ ∞ k 3 3 4 = + ∑ 32k 4 3 · 4 k=0 √ ∞  k √ 4 3 3 + = ∑ 4 12 k=0 9 erhalten. Auch hier stellt sich die Frage nach dem Wert der auftretenden unendlichen Summe. ◭

Der Reihenbegriff

525

526

17 Reihen

Die geschilderten Beispiele belegen, dass es offensichtlich Sinn macht, sich mit Summen mit unendlich vielen Summanden zu besch¨aftigen. Dabei wurden diese Summen schrittweise aufgebaut, es wurde immer wieder ein weiterer Summand hinzugenommen. Dies legt folgende Definition einer derartigen Summe nahe.

Partialsumme Reihe

Definition Summe

Es sei (an ) = (a0 , a1 , a2 , . . .) eine Folge. Dann heißt die

Reihensumme

n

sn = a 0 + a 1 + a 2 + . . . + a n =

∑ ak k=0

die n -te Partialsumme der Folge (an ). F¨uhrt man den Grenz¨ubergang lim sn durch, so nennt man die entn→∞

stehende Summe mit unendlich vielen Summanden ∞

n

∑ ak

∑ ak n→∞

:= lim

k=0

k=0

die zur Folge (an ) geh¨orige (unendliche) Reihe und den ggf. existierenden Grenzwert die Reihensumme.

Geometrische Reihe

Eine besonders h¨aufig ben¨otigte und ber¨uhmte Reihe ist die geometrische Reihe ∞

∑ qk

= 1 + q + q2 + q3 + q4 + . . . ,

k=0

|q| < 1.

Zur Berechnung der Reihensumme bilden wir zun¨achst die Differenz der n-ten Partialsumme sn und dem q-fachen derselben. n

∑ qk = 1 + q + q2 + q3 + . . . + qn

sn =

k=0 n

q + q2 + q3 + . . . + qn + qn+1

qsn = q ∑ qk = k=0

(1−q)sn

− qn+1

= 1

Demzufolge l¨asst sich die n-te Partialsumme geschlossen in der Form sn =

1 − qn+1 1−q

schreiben. Wegen |q| < 1 gilt nat¨urlich lim qn+1 = 0, d. h. als Reihensumn→∞ me der geometrischen Reihe ergibt sich s = lim sn = n→∞

1 . 1−q

17.1

Reihensumme der geometrischen Reihe he hat f¨ur |q| < 1 die Reihensumme ∞

∑ qk

=

k=0

Die geometrische Rei-

Der Reihenbegriff

Reihensumme der geometrischen Reihe

1 . 1−q

Mit diesem Ergebnis k¨onnen wir die Reihensummen der beiden einf¨uhrenden Beispiele bestimmen.

Beispiel 17.3 (Fortf¨uhrung von Beispiel 17.1). Der Gesamtweg der auf einer Tischplatte springenden Kugel, deren H¨ohe immer das 0,8-Fache der vorangegangenen H¨ohe erreicht, betr¨agt nach Beispiel 17.1 ∞

L = 1 + 2 ∑ 0,8k . k=1

Mithilfe der Reihensumme der geometrischen Reihe f¨ur q = 0,8 l¨asst sich die auftretende Reihe berechnen als ∞

∑ 0,8k k=1



= 0,80 + ∑ 0,8k − 1 k=1 1

0

= 0,8 + 0,8 + 0,82 + 0,83 + . . . . . . − 1 ∞

=

∑ 0,8k − 1

k=0

1 −1 1 − 0,8 = 5−1 = 4. =

Demzufolge betr¨agt die Gesamtl¨ange des zur¨uckgelegten Weges der Kugel ∞

L = 1 + 2 ∑ 0,8k = 1 + 2 · 4 = 9 [m]. k=1



Fortfuhrung ¨ Wegl¨ange einer springenden Stahlkugel

527

528

17 Reihen

Fortfuhrung ¨ Fl¨acheninhalt der Koch’schen Kurve

Beispiel 17.4 (Fortf¨uhrung von Beispiel 17.2). Wir fragten uns in Beispiel 17.2 nach dem Fl¨acheninhalt eines Fraktals, welches aus einem gleichseitigen Dreieck mit der Seitenl¨ange 1 mittels sukzessiven Anf¨ugens weiterer gleichseitiger Dreiecke entsteht. Als Fl¨acheninhalt erhielten wir √ √ ∞  k 3 3 4 A = + . ∑ 4 12 k=0 9 Die auftretende Reihe hat die Form einer geometrischen Reihe mit q = 49 . Demzufolge hat sie die Reihensumme ∞  k 4 1 9 ∑ 9 = 1− 4 = 5. k=0 9 Als Gesamtfl¨acheninhalt des Fraktals bekommen wir somit √ √ √   3 3 9 3 3√ 5 3 √ A = + · = + 3 = + 3 4 12 5 4 20 20 20 8√ 2√ = 3 = 3. 20 5

Harmonische Reihe



Eine weitere sehr ber¨uhmte Reihe ist die sog. harmonische Reihe ∞

1

∑k

= 1+

k=1

1 1 1 1 1 + + + + + . . .. 2 3 4 5 6

Die Reihe beginnt hier erst mit k = 1, was aber keinen prinzipiellen Unterschied zur obigen Reihendefinition darstellt. Ob bei einer Summe mit unendlich vielen Summanden das erste Glied fehlt oder nicht, spielt nur eine untergeordnete Rolle; ggf. muss man einen Summanden addieren bzw. subtrahieren. Wir fragen uns nun nach der Reihensumme der harmonischen Reihe und machen dazu folgende Absch¨atzung: ∞

1

∑k

k=1

= 1+

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + + + + + + +...+ +... 2 |3 {z 4} |5 6 {z 7 8} |9 10 {z 16} 2 Summanden

4 Summanden

8 Summanden

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 > 1+ + + + + + + + + +...+ +... 2 |4 {z 4} |8 8 {z 8 8} |16 16 {z 16} 2 Summanden

4 Summanden

1 1 1 1 = 1+ + + + +... 2 2 2 2 = ∞

8 Summanden

17.2

Konvergenzkriterien

Offensichtlich kann man die Reihensumme der harmonischen Reihe nach unten durch ∞ absch¨atzen, d. h. die harmonische Reihe hat selbst die Reihensumme ∞ 1 ∑ k = ∞. k=1 Die harmonische Reihe ist also divergent.

Reihensumme der harmonischen Reihe Die harmonische Reihe hat die uneigentliche Reihensumme ∞ 1 ∑ k = ∞. k=1

Es gibt durchaus auch divergente Reihen, welche nicht die Reihensumme ±∞ haben.

Beispiel 17.5 ∞

Wir betrachten die Reihe ∑ ak mit k=0

ak =



1 −1

f¨ur k gerade f¨ur k ungerade.

Die Partialsummen dieser Reihe berechnen sich als n

sn =

∑ ak k=0

=



1 0

= 1 − 1 + 1 − 1 + 1 − 1 + − . . .+ (−1)n f¨ur n gerade f¨ur n ungerade.

Demzufolge existiert der Grenzwert der Partialsummen nicht, die ◭ Reihe ist divergent.

17.2

Konvergenzkriterien

Leider ist es nur in den seltensten F¨allen m¨oglich, Reihensummen direkt zu bestimmen. Im Grunde ist die geometrische Reihe die einzige konvergente Reihe, deren Wert man mit einfachen elementaren Methoden berechnen kann. Im Gegensatz zur expliziten Berechnung der Reihensumme ist dagegen die Frage nach der Existenz einer Reihensumme, also nach der Konvergenz, viel leichter zu beantworten. Diese Konvergenzkriterien erlauben uns dann ein zweistufiges Vorgehen bei der Berechnung von Reihensummen.

Reihensumme der harmonischen Reihe

529

530

17 Reihen

1. Schritt: Man pr¨uft mit einem geeigneten Konvergenzkriterium, ob die zu untersuchende Reihe u¨ berhaupt konvergiert. 2. Schritt: Erst nach einer positiven Antwort auf das Konvergenzverhalten wendet man sich der schwierigen Frage nach der Berechnung der Reihensumme zu. Wir werden im Folgenden einige Kriterien f¨ur das Vorliegen von Konvergenz bzw. Divergenz formulieren. Wir beginnen mit einem Kriterium f¨ur die Divergenz, das auf folgendem Satz beruht.

Summanden konvergenter Reihen sind Nullfolgen



Satz Ist die Reihe ∑ ak konvergent, so bildet die Folge der Reihenk=0

glieder ak eine Nullfolge: lim ak = 0

k→∞



Beweis Wir gehen also davon aus, dass die Reihe ∑ ak konvergent ist k=0

und bezeichnen die Reihensumme mit s, d. h. es ist ∞

n

∑ ak

s =

∑ ak . n→∞

= lim

k=0

k=0

Nat¨urlich gilt auch n−1

s = lim

n→∞

∑ ak k=0

und damit ist wegen der g¨ultigen Rechenregeln f¨ur das Rechnen mit Grenzwerten 0 = s−s

n−1

n

lim ∑ ak ∑ ak − n→∞ n→∞

= lim

k=0

n

= lim

n→∞

k=0

n−1

∑ ak − ∑ ak

k=0

k=0

!

  = lim (a0 + a1 + . . . + an−1 + an ) − (a0 + a1 + . . . + an−1 ) n→∞

= lim an , n→∞

womit der Satz bewiesen ist.



17.2

Konvergenzkriterien

Die Umkehrung des obigen Satzes ist leider nicht richtig, wie das Beispiel der harmonischen Reihe belegt. Es gilt zwar lim 1k = 0, aber es ist k→∞



∑ k=1

1 k

= ∞, d. h. die Reihe ist divergent. Trotz alledem ist dieser Satz –

wie oben bereits angedeutet – hilfreich f¨ur den Nachweis der Divergenz ∞

einer Reihe. Wenn wir es mit einer Reihe ∑ ak zu tun haben, deren Sumk=0

manden ak nicht gegen null streben, so kann die Reihe nicht konvergent sein. Denn w¨are sie konvergent, so m¨ussten nach dem obigen Satz diese Summanden gegen null konvergieren, was aber nicht der Fall ist.

Divergenzkriterium



Ist lim ak 6= 0, so ist die Reihe ∑ ak diverk→∞

k=0

gent.

Beispiel 17.6 Die Reihe ∞

1

∑ k=1

1 + 1k

ist divergent, da lim

k→∞

1 1+

 1 k k

=

k

1 lim 1 +

k→∞

 1 k k

=

1 6= 0. e

Demzufolge ist es u¨ berfl¨ussig, weiteren Aufwand in die Suche nach dem Wert der Reihensumme zu investieren. ◭

Beispiel 17.7 Wir betrachten nochmals die geometrische Reihe, jetzt aber mit |q| ≥ 1: ∞

∑ qk , k=0

|q| ≥ 1

Divergenzkriterium

531

532

17 Reihen

Diese Reihe kann nicht konvergent sein, da lim |qk | = lim |q|k ≥ lim 1k = 1 = 6 0

k→∞

k→∞

k→∞

und damit nat¨urlich auch lim qk 6= 0

k→∞



ist. Wir k¨onnen also feststellen, dass die geometrische Reihe ∑ qk k=0

nur f¨ur |q| < 1 konvergent ist.

Alternierende harmonische Reihe



Beispiel 17.8 Wir betrachten die sog. alternierende harmonische Reihe, also die Reihe 1−

1 1 1 1 1 + − + − +−... = 2 3 4 5 6



1

∑ (−1)k−1 k .

k=1

F¨ur die Folge der Summanden gilt hier 1 lim (−1)k−1 = 0. k→∞ | {z } k |{z} = ±1 → 0

Aus dem Divergenzkriterium erhalten wir demzufolge keine Information. Da die Summanden gegen null streben, kann die Reihe konvergent oder divergent sein. ◭

Solche alternierende Reihen wie im vorangegangenen Beispiel 17.8 treten o¨ fter auf. Gl¨ucklicherweise gibt es f¨ur die Untersuchung auf die Konvergenz derartiger Reihen ein Kriterium, welches nach Leibniz benannt ist. Leibniz-Kriterium



Leibniz-Kriterium

Ist ∑ ak eine alternierende Reihe, d. h. k=0

wechselt bei jedem Summanden das Vorzeichen von ak (sgn (ak+1 ) = −sgn(ak )), und bilden die Betr¨age der Sum∞

manden (|ak |) eine monotone Nullfolge, so ist die Reihe ∑ ak k=0

konvergent.

17.2

Konvergenzkriterien

Beweisskizze Wir wollen den Beweis nicht exakt f¨uhren, sondern als Begr¨undung nur eine erl¨auternde Skizze anf¨uhren, welche die wesentliche Idee wiedergibt. Wir beschr¨anken uns hierzu auf den Fall, dass der erste Summand positiv ist. Die Argumentation verl¨auft im Fall eines negativen ersten Summanden anlog. Wir gehen also davon aus, dass folgende drei Voraussetzungen gelten:  a > 0, a1 < 0, a2 > 0, a3 < 0, . . .   0 lim |ak | = 0   k→∞ |a0 | ≥ |a1 | ≥ |a2 | ≥ |a3 | ≥ . . . . n

Skizzieren wir auf der Zahlengeraden die Partialsummen sn = ∑ ak , so k=0

ergibt sich nachfolgendes Bild. a0 a2 a4 a6 s1

0

s3

s5 s7 · · · s · · · s6

s4

s2

s0

a7 a5 a3 a1 Offensichtlich springen die Werte der Partialsummen sn auf der Zahlengeraden abwechselnd von links nach rechts und dann von rechts nach links. Da die Summanden ak betragsm¨aßig immer kleiner werden, werden die Spr¨unge auch immer kleiner und wegen ak → 0 gehen sie sogar gegen null. Damit ist es plausibel, dass sich die Partialsummen auf einen Wert s ∞

stabilisieren m¨ussen, d. h. dass die alternierende Reihe ∑ ak konvergent k=0



ist.

Beispiel 17.9 (Fortf¨uhrung von Beispiel 17.8). Jetzt ist es m¨oglich, die Konvergenz der alternierenden harmonischen Reihe ∞

1

∑ (−1)k−1 k

k=1

= 1−

1 1 1 1 1 + − + − +−... 2 3 4 5 6

zu untersuchen. Diese Reihe ist offensichtlich alternierend. Ferner gilt f¨ur die Summanden ak = (−1)k−1 1k 1 k−1 1 |ak | = (−1) = −−−→ 0 k k k→∞

Fortfuhrung ¨ Alternierende harmonische Reihe

533

534

17 Reihen

und 1 1 k 1 k−1 1 |ak+1 | = (−1) = < = (−1) = |ak |, k+1 k+1 k k

sodass die beiden weiteren Voraussetzungen (|ak | → 0, monoton) f¨ur das Leibniz-Kriterium ebenfalls erf¨ullt sind. Demzufolge ist die alternierende harmonische Reihe im Gegensatz zur gew¨ohnlichen harmonischen Reihe konvergent, und es macht Sinn, nach der Reihensumme zu suchen. Wir werden nach Weiterentwicklung der Theorie die Reihensumme der alternierenden harmonischen Reihe in Abschnitt 18.3 berechnen. ◭

Sehr schlagkr¨aftige, aber leider auch schwierig anzuwendende Kriterien sind die Vergleichskriterien.

Vergleichskriterien Minorantenkriterium Majorantenkriterium

Vergleichskriterien ∞

Gesucht ist das Konvergenzverhalten der

Reihe ∑ ak . k=0 ∞

Minorantenkriterium

Gibt es eine Reihe ∑ bk mit der Reihenk=0



summe ∑ bk = ∞, sodass f¨ur alle Summanden k=0

ak ≥ bk ,

k = 0,1,2, . . .

gilt, so ist auch ∞

∑ ak

= ∞.

k=0 ∞

Majorantenkriterium

Gibt es eine konvergente Reihe ∑ ck mit k=0

der Eigenschaft, dass f¨ur alle Summanden |ak | ≤ ck ,

k = 0,1,2, . . .



gilt, so ist auch die Reihe ∑ ak konvergent. k=0

Beweisskizze Die Richtigkeit des Minorantenkriteriums ist unmittelbar einsichtig. Dieses Kriterium hatten wir u¨ brigens bereits verwendet, als wir im vorangegangenen Abschnitt 17.1 zeigten, dass die harmonische Reihe eine unendlich große Reihensumme hat.

17.2

Komplizierter ist der Sachverhalt beim Majorantenkriterium. Gehen wir ∞

also davon aus, dass wir eine konvergente Reihe ∑ ck mit der Reik=0



hensumme ∑ ck = c und der Bedingung ck ≥ |ak | gefunden haben. Es k=0

n

leuchtet ein, dass sowohl die Folge der Partialsummen ∑ |ak | der urk=0 n

spr¨unglichen Reihe als auch die Folge der Partialsummen ∑ ck der Verk=0

gleichsreihe monoton wachsend sind, da mit jedem zus¨atzlichen Summanden die Partialsumme gr¨oßer wird. Damit gilt n

∑ |ak |

k=0



n



∑ ck k=0



∑ ck

= c.

k=0

n

Die Partialsummen ∑ |ak | bilden also eine monoton wachsende Folge k=0

und sind nach oben durch den Wert c beschr¨ankt. Damit muss diese Fol∞ ge sich stabilisieren, d. h. die Reihe ∑ |ak | ist konvergent. Nach einem k=0

hier nicht bewiesenen Sachverhalt von Cauchy1 ist damit auch die ur∞

spr¨ungliche Reihe ∑ ak konvergent.



k=0

Wie bereits angedeutet, kann man mithilfe der Vergleichskriterien die Konvergenz bzw. Divergenz vieler Reihen beweisen, doch ist die Anwendung derselben sehr schwierig. Man ben¨otigt zun¨achst eine Vermutung, ob Konvergenz oder Divergenz vorliegt und muss dann mit geschickten Absch¨atzungen mit einer geeigneten Reihe vergleichen, deren Konvergenzverhalten man kennt. Das Vorgehen soll anhand der zwei folgenden Beispielen verdeutlicht werden.

Beispiel 17.10 Wir wollen die Reihe ∞

1

∑ √k

k=1

1 1 1 1 1 = √ + √ + √ + √ + √ +... 3 1 2 4 5

auf Konvergenz bzw. Divergenz untersuchen. Da die Summanden der Reihe offensichtlich gegen null gehen, versagt das Divergenzkriterium. Trotzdem ist die Reihe divergent, denn es ist f¨ur alle

1

Gemeint ist das Cauchy-Konvergenzkriterium. Augustin Louis Baron Cauchy, 1789– 1857, franz¨osischer Mathematiker. Er f¨uhrte die mathematische Strenge und die ε - bzw. (ε ,δ )-Schreibweise in die Analysis ein.

Konvergenzkriterien

535

536

17 Reihen

nat¨urlichen Zahlen



k ≤ k und damit 1 1 √ ≥ . k k ∞

Wir wissen, dass die harmonische Reihe ∑ k=1

1 k

die Reihensumme ∞

hat. Nach dem Minorantenkriterium ist damit auch ∞

1

∑ √k

= ∞.

k=1



Beispiel 17.11 Jetzt betrachten wir die Reihe ∞

1

∑ kk

= 1+

k=1

∞ 1 1 1 1 1 + 3 + 4 + 5 +... = 1+ ∑ k . 2 2 3 4 5 k k=2

Nun ist f¨ur k ≥ 2 1 1 ≤ k = kk 2

 k 1 2

und nach der Berechnungsformel f¨ur die geometrische Reihe ist ! ∞  k ∞  k 1 1 1 1 3 1 3 −1− = − = 2− = ∑ 2 = ∑ 2 1 2 2 2 1− 2 2 k=0 k=2 konvergent. Dies bedeutet nach dem Majorantenkriterium, dass ∞

1 und kk ∞ 1 + ∑ k1k k=2

auch die Reihe ∑ ∞

Reihe ∑ k=1

damit letztendlich auch die urspr¨ungliche

k=2 1 kk

=

konvergent ist. Es macht also Sinn, nach

der Reihensumme dieser Reihe zu suchen.



Es gibt gl¨ucklicherweise auch Kriterien, mit welchen man ohne diffizile Absch¨atzungen einfach nur durch eine Rechnung die Konvergenz bzw. Divergenz nachweisen kann. Leider k¨onnen diese Kriterien auch versagen.

17.2

Quotientenkriterium von

d’Alembert2

Quotientenkriterium



Es sei ∑ ak eine Reihe k=0

und es existiere der Grenzwert

Dann gilt:

ak+1 . α := lim k→∞ ak ∞

a) Ist α < 1, so ist die Reihe ∑ ak konvergent. k=0 ∞

b) Ist α > 1, so ist die Reihe ∑ ak divergent. k=0

Im Fall α = 1 erhalten wir keine Information. Die Reihe kann dann sowohl konvergent als auch divergent sein, wobei beide F¨alle auch auftreten ∞

k¨onnen, wie die Beispiele der divergenten harmonischen Reihe ∑ der konvergenten alternierenden harmonischen Reihe 1 k+1 1 k→∞ k

a gen. In beiden F¨allen ist α = lim k+1 a = lim k→∞

k

k=1 ∞ k−1 ∑ (−1) 1k k=1 k k→∞ k+1

= lim

1 k

und

bele-

= 1.

Beweis Zum Beweis des Quotientenkriteriums gehen wir zun¨achst davon aus, dass α < 1 gilt. Es existiert damit eine Zahl c mit der Eigenschaft α < c < 1. a Wegen lim k+1 ak = α existiert eine Stelle k0 , ab welcher k→∞

|ak+1 | < c |ak |

gilt. Dies bedeutet insbesondere, dass |ak0 +1 | < c |ak0 |

|ak0 +2 | < c |ak0 +1 | < c2 |ak0 | |ak0 +3 | < c |ak0 +2 | < c3 |ak0 |

2

Konvergenzkriterien

Jean Le Rond d’Alembert, 1717–1783, franz¨osischer Mathematiker, Physiker und Philosoph.

537

538

17 Reihen

bzw. allgemein |ak0 +i | < ci |ak0 |. Nun ist ∞

n

n



i=0

i=0

i=0

i=0

1

lim ∑ ci |ak0 | = lim |ak0 | ∑ ci = |ak0 | ∑ ci = |ak0 | ∑ ci |ak0 | = n→∞ n→∞ 1−c

konvergent und damit konvergiert nach dem Majorantenkriterium auch die Reihe ∞



∑ ak0+i

= ak0 + ak0 +1 + ak0 +2 + ak0 +3 + . . . =

i=0

∑ ak . k=k0

Da einige weitere Summanden a0 , a1 , . . . , ak0 −1 nur eine Erh¨ohung der Reihensumme um die entsprechenden Werte bewirken und das Konvergenzverhalten nicht beeinflussen, muss auch die urspr¨ungliche Reihe ∞

∑ ak k=0

=

k0 −1



k=0

k=k0

∑ ak + ∑ ak

konvergent sein. In dem Fall, dass α > 1 ist, gilt ab einem gewissen k0 |ak+1 | > 1 |ak |

und damit f¨ur alle k > k0

|ak | > |ak0 | 6= 0. Dies bedeutet insbesondere, dass die Folge der Summanden (ak ) keine Nullfolge ist. Nach dem Divergenzkriterium kann keine Konvergenz der ∞

Reihe ∑ ak vorliegen, die Reihe ist divergent. k=0

Beispiel 17.12 Wir betrachten die Reihe ∞

k

∑ 2k

k=1

=

1 2 3 4 5 + + + + + . . .. 2 22 23 24 25

Der Grenzwert zweier aufeinander folgender Summanden ist im Grenzfall betragsm¨aßig k+1 ak+1 (k + 1) · 2k k+1 k+1 2 = lim lim = lim = lim k k→∞ ak k→∞ k · 2k+1 k→∞ k · 2 k→∞ k 2

1 + 1k 1 = < 1, = lim k→∞ 2 2



17.2

Konvergenzkriterien

d. h. nach dem Quotientenkriterium ist die Reihe konvergent. Damit stellt sich nat¨urlich die schwierig zu beantwortende Frage nach der Reihensumme. ◭

Beispiel 17.13 Wir untersuchen nun die Konvergenz der Reihe ∞

(−3)k

∑ 2k · k 3

k=1

= −

3 32 33 34 + − + − + . . .. 2 · 13 22 · 23 23 · 33 24 · 43

Wir gehen wieder mit dem Quotientenkriterium an die Untersuchung und erhalten (−3)k+1 2k+1 ·(k+1)3 ak+1 3k+1 · 2k · k3 = lim = lim lim k (−3) k→∞ k→∞ 3k · 2k+1 · (k + 1)3 k→∞ ak 2k ·k3 !3 3 !  3 3 1 k = lim · = · lim k→∞ 2 k+1 2 k→∞ 1 + 1k =

3 3 3 ·1 = > 1. 2 2

Die Reihe ist demzufolge divergent, die Frage nach der Reihensumme damit obsolet. ◭

Ganz a¨ hnlich zum Quotientenkriterium arbeitet das folgende Konvergenzkriterium.



Wurzelkriterium von Cauchy

Es sei ∑ ak eine Reihe und es k=0

existiere der Grenzwert

α := lim

k→∞

Dann gilt:

p k

|ak |.



a) Ist α < 1, so ist die Reihe ∑ ak konvergent. k=0 ∞

b) Ist α > 1, so ist die Reihe ∑ ak divergent. k=0

Wurzelkriterium

539

540

17 Reihen

Auch das Wurzelkriterium versagt im Fall α = 1. Die zugrunde liegende Reihe kann dann konvergent oder divergent sein. Den Beweis des Wurzelkriteriums wollen wir u¨ bergehen. Er wird ganz a¨ hnlich zum Beweis des Quotientenkriteriums gef¨uhrt. Wichtig f¨ur die Arbeit mit dem Wurzelkriterium sind die folgenden Grenzwerte, welche hier ohne Beweis angegeben werden. √ k lim k = 1 k→∞ √ (a > 0) lim k a = 1 k→∞ √ lim k ak + b = 1 (a > 0) k→∞

Beispiel 17.14 Die Reihe ∞

(2k)k+1 22 43 64 85 106 + + + + +... = 12 24 36 48 510 k2k k=1



ist wegen s s k+1 k+1 k (2k) = lim k (2k) 2k 2 k→∞ k→∞ k (k )k s  k 2k √ 2k k k · 2k = lim 2 2k = lim k→∞ k k2 k→∞ 2 √ k 2k = 0 < 1 = lim k→∞ k |{z} |{z} →1

p lim k |ak | = lim

k→∞

→0

konvergent.



Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 17.1 17.1 Berechnen Sie die folgenden Reihensummen. ∞  k ∞  k 1 5 a) ∑ b) ∑ c) k=0 2 k=0 6 ∞

1 e) ∑ √ k k=0 2



1 f) ∑ k+1 (−2) k=0

g)

  2 k − ∑ 3 k=0 ∞





d)

k=0 ∞

1

∑ (−1)k 52k+1

h)

k=1

17.2 Zeigen Sie f¨ur |q| < 1 die G¨ultigkeit folgender Berechnungsformeln. ∞ ∞ q qn0 a) ∑ qk = b) ∑ qk = 1−q 1−q k=1 k=n0

1

∑ 32k 6

∑ (−7)2k−1

k=2



c)

cqn0

∑ cqk = 1 − q

k=n0

17.3 Ein Fadenpendel wird um 10 cm aus der Ruhelage ausgelenkt. Aufgrund der Luftreibung wird die Auslenkung bei jeder Halbschwingung um 2 % kleiner. Welchen Gesamtweg legt die Masse am Ende des Fadenpendels zur¨uck? Nach wie vielen Halbschwingungen betr¨agt die Auslenkung weniger als 1 mm?

17.4 Der Philosoph Zenon von Elea3 stellte folgendes nach ihm benannte Paradoxon auf: Achilles, der schnellste L¨aufer der griechischen Sage, verfolgt eine Schildkr¨ote, die einen Vorsprung von 1 Stadion (≈ 185 m) hat. Die Geschwindigkeit v0 des Achilles ist 12-mal so groß wie die Geschwindigkeit der Schildkr¨ote. Wenn nun Achilles an die Stelle gelangt, an der die Schildkr¨ote an1 fangs war, so ist diese um eine L¨ange von 12 Stadien weiter gekrochen. Hat Achilles diese Strecke 1 1 1 zur¨uckgelegt, so ist die Schildkr¨ote um 12 · 12 = 144 Stadien voraus usw. Dieser Vorgang wiederholt sich bis ins Unendliche. Immer wenn Achilles die Stelle erreicht hat, an der die Schildkr¨ote zuvor war, ist diese bereits ein St¨uck weiter gelaufen. Zenon schloss daraus, dass Achilles die Schildkr¨ote nie einholen kann. Worin liegt der Trugschluss des Zenon? An welcher Stelle erreicht Achilles die Schildkr¨ote? 3

Zenon von Elea, ca. 490 – ca. 430 v. Chr., griechischer Philosoph.

¨ 17.5 Uberlegen Sie sich, wie man mithilfe der geometrischen Reihe folgende periodische Zahlen in einen Bruch umwandeln kann. a) 0,1 b) 0,9 c) 0,15 d) −0,00 31 e) 1,6 123

541

542

17 Reihen

17.6 Warum ist der folgende Beweis“ f¨ur 0 = 1 nicht richtig? ” 0 = 0+0+0+0+... = (1 − 1) + (1 − 1) + (1 − 1) + (1 − 1) + . . . = 1 − 1 + 1 − 1 + 1 − 1 + 1 − 1 +−... = 1 + (−1 + 1) + (−1 + 1) + (−1 + 1) + . . . = 1+0+0+0+... = 1

Abschnitt 17.2 17.7 Pr¨ufen Sie das Konvergenzverhalten folgender alternierender Reihen. ∞

a)

(−1)k−1 √ k k=1

∑ ∞

d)

(−1)k−1

∑ k − ln(k)

k=2



b)



(−1)k

∑ 2k − 1

c)

k=1 ∞

e)

k=3

k=0 ∞

(−1)k

∑ cos

π k

k

∑ (−1)k 2k + 3



f)

k

∑ (−1)k (k−3)2 + 1

k=4

¨ 17.8 Uberlegen Sie sich, dass die alternierende Reihe ∞

k2 + 3

∑ (−1)k (10k + 5)2

k=0

divergent ist. Warum ist dies kein Widerspruch zum Leibniz-Kriterium? ¨ 17.9 Uberpr¨ ufen Sie folgende Reihen mithilfe der Vergleichskriterien auf Konvergenz bzw. Divergenz. ∞ ∞ ∞ ∞ 1 1 1 a) ∑ b) ∑ k c) ∑ √ d) ∑ (−k)−k 2 k=2 ln(k) k=0 2 +k k=2 k −k k=1

17.10 Untersuchen Sie folgende Reihen mithilfe des Quotientenkriteriums auf das Konvergenzverhalten. ∞ ∞ ∞ ∞ k (−3)k 100k 1 · 2 · · ·k a) ∑ k b) ∑ c) ∑ d) ∑ 2 2k + 1 1 · 2 · · ·k kk k=1 k=0 k=1 k=1 17.11 Untersuchen Sie folgende Reihen mithilfe des Wurzelkriteriums auf das Konvergenzverhalten.   k2 ∞ ∞  ∞ √ ∞  1 2k − 1 k 1 k k a) ∑ k−1 b) ∑ c) ∑ k k−1 − d) ∑ k 2 k=1 k k=1 k=1 k=0 3k + 3 17.12 Beweisen Sie das Wurzelkriterium von Cauchy. Hinweis. Der Beweis l¨auft a¨ hnlich zum Beweis des Quotientenkriteriums von d’Alembert. ¨ 17.13 Uberpr¨ ufen Sie folgende Reihen mit einem geeigneten Kriterium auf Konvergenz bzw. Divergenz. r   ∞ 2 ∞ ∞ ∞ k k 1 k a) ∑ k b) ∑ c) ∑ sink d) ∑ 2 k + 1 k k −1 2 k=1 k=1 k=1 k=2 π ∞ ∞ ∞ ∞ 1 ln(k) 4k − 3 e) ∑ f) ∑ (−1)k g) ∑ √ h) ∑ k2 sin k  2 k k k 2 k=1 1 + 1 k=2 k=1 k · 3 k=1 k

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Potenzreihen

18

Was versteht man unter einer Potenzreihe? Wie l¨ asst sich eine elementare Funktion als Potenzreihe darstellen? Wo kann man Potenzreihen gewinnbringend nutzen?

Steinkunstwerke

18.1 18.2 18.3 18.4

Der Begriff der Potenzreihe . . . . . . . . . . . . Potenzreihen und Funktionen – Satz von Taylor Wichtige Potenzreihenentwicklungen . . . . . . . Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

544 551 556 568 579

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_18 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_18

543

18 Potenzreihen Der Taschenrechner und alle digitalen Hilfsmittel beherrschen aufgrund ihrer Hardware technisch nur die vier Grundrechenarten. Trotzdem k¨ onnen sie elementare Funktionen wie Exponentialfunktion oder Sinus an diversen Stellen beliebig genau auswerten. Die Grundlage daf¨ ur ist die Darstellbarkeit der elementaren Funktionen als Potenzreihen, welche in diesem Kapitel diskutiert wird. Zentral daf¨ ur ist der Satz von Taylor. Anschließend werden exemplarisch diverse Anwendungsm¨ oglichkeiten der Potenzreihendarstellung von Funktionen besprochen.

18.1

Der Begriff der Potenzreihe

Wie u¨ blich beginnen wir diesen Abschnitt mit einem Beispiel, welches darlegt, warum wir uns u¨ berhaupt mit Potenzreihen besch¨aftigen.

Beispiel 18.1 Taschenrechner und Computer beherrschen hardwarem¨aßig lediglich die vier Grundrechenarten der Addition, Subtraktion, Multiplikation und der ganzzahligen Division. Alle anderen Funktionsauswertungen m¨ussen auf diese Grundrechenarten zur¨uckgef¨uhrt werden. M¨ochte man also die Funktion f (x) = ex an der Stelle x = 0,2 auswerten, so ben¨otigt man eine Darstellung der Exponentialfunktion, welche nur mit diesen Grundrechenarten arbeitet. Die einfachsten Funktionen, die dies gew¨ahrleisten, sind die ganzen rationalen Funktionen p(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn . Es liegt daher nahe, die gesuchte Exponentialfunktion durch ein solches Polynom anzun¨ahern. Wir setzen das Polynom zun¨achst so an, dass es im Ursprung mit der Exponentialfunktion in Funktionswert und erster Ableitung u¨ bereinstimmt. In diesem Fall gen¨ugt eine affine Funktion p1 (x) = a0 + a1 x. y

ex

(x )

N¨aherungsweise Berechnung von e0,2 mit den vier Grundrechenarten

p1

544

1

1

x

18.1

Der Begriff der Potenzreihe

Wir bestimmen die Koeffizienten a0 und a1 so, dass p1 (0) = f (0) = e0 = 1 p′1 (0) = f ′ (0) = e0 = 1 gilt. Man pr¨uft leicht nach, dass das Polynom p1 (x) = 1 + x diese Bedingungen erf¨ullt, es stimmt also an der Stelle x0 = 0 mit der e-Funktion in Funktionswert und erster Ableitung u¨ berein. Werten wir dieses Polynom an der gesuchten Stelle x = 0,2 aus, so erhalten wir als N¨aherung f¨ur den gesuchten Funktionswert e0,2 ≈ p1 (0,2) = 1,2. Ein Taschenrechner mit 10-stelliger Dezimalanzeige liefert zum Vergleich e0,2 = 1,221 402 758. M¨ochte man die Genauigkeit steigern, so fordert man von dem approximierenden Polynom, dass es an der Stelle x0 = 0 nicht nur bis zur ersten Ableitung, sondern auch noch in der zweiten Ableitung u¨ bereinstimmt. Wir ben¨otigen dann ein Polynom zweiten Grades und machen den Ansatz p2 (x) = a0 + a1 x + a2 x2 . ex p2 (x)

p1

(x )

y

1

1

x

Bestimmen wir nun u¨ ber p2 (0) = f (0) = e0 = 1 p′2 (0) = f ′ (0) = e0 = 1 p′′2 (0) = f ′′ (0) = e0 = 1

545

546

18 Potenzreihen

die Koeffizienten a0 , a1 , a2 , so erhalten wir als N¨aherungspolynom p2 (x) = 1 + x +

x2 . 2

Der gesuchte N¨aherungswert ergibt sich jetzt zu e0,2 ≈ p2 (0,2) = 1,22, was bereits eine gewisse Genauigkeitssteigerung bedeutet. Es ist klar, wie das Verfahren weiter geht. Man erh¨oht sukzessive die Anzahl der u¨ bereinstimmenden Ableitungen an der Stelle x0 = 0, muss aber daf¨ur auch den Grad n des ann¨ahernden Polynoms steigern. Um den exakten Wert von e0,2 zu erhalten, m¨ussen wir vermutlich die Anzahl der u¨ bereinstimmenden Ableitungen und damit den Grad des Polynoms bis ins Unendliche anwachsen lassen. Wir ben¨otigen dann eine ganze rationale Funktion vom Grad unendlich und haben es mit einer Summe mit unendlich vielen Summanden, also einer Reihe zu tun. ◭

Naiver Begriff der Potenzreihe

Potenzreihen sind grob gesprochen Polynome vom Grad unendlich: ∞

∑ ak xk

= a0 + a1 x + a2 x2 + a3 x3 + a4 x4 + . . .

k=0

Wir werden sehen, dass es mithilfe solcher Potenzreihen m¨oglich ist, diverse Aufgaben zu l¨osen, welche mit den u¨ blichen Funktionen nicht gel¨ost werden k¨onnen. Mehr noch: Potenzreihen werden sich als Verallgemeinerung der elementaren Funktionen herausstellen, d. h. die allgemein verwendeten Funktionen wie die Exponentialfunktion oder die trigonometrischen Funktionen lassen sich als Potenzreihen ausdr¨ucken. Manchmal ist es zweckm¨aßig, Polynome bzgl. eines Entwicklungspunkts x0 darzustellen, d. h. umzuformen in die Gestalt a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn = b0 + b1 (x−x0 ) + b2 (x−x0 )2 + . . . + bn (x−x0 )n .

Beispiel 18.2 Durch die vier Punkte A, B,C, D mit den Koordinaten A(2,5 | 0)

B(3,5 | 2)

C(4,5 | − 1)

D(5,5 | − 3)

soll ein Polynom dritten Grades gelegt werden. Naiv setzt man das Polynom als p(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + a3 x3

18.1

Der Begriff der Potenzreihe

an und setzt die bekannten Punkte ein. Man erh¨alt p(2,5) p(3,5) p(4,5) p(5,5)

= = = =

a0 + 2,5 a1 + 6,25 a2 + 15,625 a3 a0 + 3,5 a1 + 12,25 a2 + 42,875 a3 a0 + 4,5 a1 + 20,25 a2 + 91,125 a3 a0 + 5,5 a1 + 30,25 a2 + 166,375 a3

= 0 = 2 = −1 = −3,

also ein lineares Gleichungssystem f¨ur die Koeffizienten a0 , a1 , a2 , a3 , welches nur mit großem Rechenaufwand seitens des Menschen bzw. der Maschine gel¨ost werden kann. Anders verh¨alt sich die Sachlage, wenn wir das Polynom als p(x) = b0 + b1 (x − 3,5) + b2(x − 3,5)2 + b3 (x − 3,5)3 ansetzen. Jetzt ergibt sich p(2,5) p(3,5) p(4,5) p(5,5)

= = = =

b0 − b1 + b2 − b3 b0 b0 + b1 + b2 + b3 b0 + 2b1 + 4b2 + 8b3

= 0 = 2 = −1 = −3,

also ein sehr viel leichter zu l¨osendes Gleichungssystem.



Ebenso wie man Polynome bzgl. eines Entwicklungspunkts x0 darstellen kann, ist dies in analoger Weise auch f¨ur Potenzreihen m¨oglich.

Definition Ist (ak )∞ k=0 eine Folge von reellen Zahlen, so nennt man die Reihe ∞

∑ ak (x−x0 )k

Potenzreihe

= a0 + a1 (x−x0 ) + a2 (x−x0 )2 + a3 (x−x0 )3 + . . .

k=0

eine Potenzreihe mit dem Entwicklungspunkt x0 und den Koeffizienten ak .

Eine Potenzreihe mit dem allgemeinen Entwicklungspunkt x0 kann mittels der Substitution t = x − x0 in die Standardform ∞



∑ ak (x−x0 )k k=0

=

∑ ak t k k=0

¨ Uberf uhrung ¨ einer allgemeinen Potenzreihe in die Standardform

547

548

18 Potenzreihen

u¨ berf¨uhrt werden. Aus diesem Grund werden wir uns im Folgenden wieder im Allgemeinen auf diese einfache Form beschr¨anken. Wir gehen also ab sofort immer davon aus, dass die Potenzreihe die Standardform ∞

∑ ak xk

= a0 + a1 x + a2 x2 + a3 x3 + . . .

k=0

hat, sofern nicht ausdr¨ucklich etwas anderes vereinbart wird. ∞

Potenzreihen ∑ ak xk haben gegen¨uber gew¨ohnlichen Polynomen das k=0

Problem, dass es sich um Summen mit unendlich vielen Summanden handelt. Und wir wissen aus der Theorie des vorangegangenen Kapitels, dass eine derartige unendliche Reihe konvergent oder divergent sein kann.

Konvergenzbereich der geometrischen Reihe

Beispiel 18.3 Wir betrachten die Potenzreihe ∞

∑ xk

= 1 + x + x2 + x3 + . . . ,

k=0

also die Potenzreihe, bei welcher alle Koeffizienten ak = 1 sind. Hier handelt es sich gerade um die geometrische Reihe – gegen¨uber dem vorangegangenen Kapitel verwenden wir hier lediglich den Buchstaben x anstatt des dort verwendeten q. Wir wissen ebenfalls aus dem vorangegangenen Kapitel, dass diese geometrische Reihe genau f¨ur |x| < 1 mit der Reihensumme ∞

∑ xk

k=0

=

1 1−x

konvergiert. F¨ur x ≥ 1 bzw. x ≤ −1 ist die Reihe divergent. Wir k¨onnen dann der Reihe keine reelle Reihensumme zuordnen. Der Konvergenzbereich, also der Bereich jener Werte von x, f¨ur welche die Potenzreihe konvergiert, ist demzufolge genau das Intervall B = ]−1,1[ . ◭



Wie dieses einfache Beispiel bereits zeigt, kann die Potenzreihe ∑ ak xk k=0

f¨ur gewisse Werte der Variablen x konvergent und f¨ur andere Werte von x divergent sein. Da f¨ur x = 0 und k ≥ 1 stets xk = 0 gilt, ist offensichtlich, dass die Stelle x = 0 immer im Konvergenzbereich liegt. Unklar ist aber, welche weiteren Werte von x noch zum Konvergenzbereich geh¨oren.

18.1

Der Begriff der Potenzreihe

Nat¨urlich ist es nicht m¨oglich, jeden denkbaren Wert der Variablen x in die Potenzreihe einzusetzen und mit den Konvergenzkriterien f¨ur Zahlenreihen das Konvergenzverhalten zu u¨ berpr¨ufen. Dies ist nur f¨ur endlich viele Werte von x durchf¨uhrbar. Man ben¨otigt also ein Berechnungsverfahren, wie man den Konvergenzbereich im Wesentlichen in einem Schritt bestimmen kann.

Konvergenzradius



Satz

Ist ∑ ak xk eine Potenzreihe, so gibt es ein r ∈ [0,∞[ ∪ {∞} k=0

mit der Eigenschaft, dass die Potenzreihe f¨ur |x| < r konvergent f¨ur |x| > r divergent ist. Dieser Konvergenzradius r berechnet sich gem¨aß der Formel ak r = lim k→∞ ak+1 oder

1 , r = lim p k k→∞ |ak |

sofern die Grenzwerte existieren.

Beweis Wir wollen den Beweis nur f¨ur den Fall f¨uhren, dass der Grenz wert lim aak existiert. k+1

k→∞

Nach dem Quotientenkriteriumf¨ur Zahlenreihen ist f¨ur ein beliebiges,  ∞ konvergent k , wenn aber festes x die Reihe ∑ ak x divergent k=0   ak+1 xk+1 ak+1 x ak+1 ak+1 lim lim = lim |x| = |x| lim = k→∞ k→∞ ak xk k→∞ k→∞ ak ak ak   < 1, >

also wenn |x|



< >

= r.



a 1 1 = lim = lim k a k→∞ ak+1 k→∞ ak+1 lim k+1 ak ak

k→∞

Der Beweis f¨ur die zweite Berechnungsformel von r verl¨auft analog mithilfe des Wurzelkriteriums f¨ur Reihen. Sollte keiner der beiden zitierten

549

550

18 Potenzreihen

Grenzwerte existieren, so muss der Beweis f¨ur die Gestalt des Konvergenzbereichs mithilfe der Vergleichskriterien gef¨uhrt werden, worauf wir aber hier verzichten.  ∞

Der Satz besagt, dass eine Potenzreihe ∑ ak xk im Bereich −r < x < r k=0

konvergent und f¨ur x > r bzw. x < −r divergent ist. ? ? Divergenz Konvergenz Divergenz z }| {z }| {z }| { −r

r

0

x

An den Stellen x = ±r haben wir keine Information. Man muss diese beiden Werte in die Potenzreihe einsetzen und die jeweils entstehende Zahlenreihe mit den bekannten Konvergenzkriterien f¨ur gew¨ohnliche Reihen untersuchen.

Beispiel 18.4 Wir betrachten die Potenzreihe ∞

xk x2 x3 x4 = x + + + + .... 2 3 4 k=1 k



Hier lauten die Koeffizienten ak = radius den Wert

1 k

und damit hat der Konvergenz-

√ 1 1 k r = lim p = lim q = lim k = 1. k k→∞ k→∞ k→∞ k 1 |ak | k

Diese Potenzreihe ist also f¨ur |x| < 1 konvergent und f¨ur |x| > 1 divergent. Um das Konvergenzverhalten an den Stellen x = ±1 zu untersuchen, setzen wir diese Werte in die Potenzreihe ein. Es ergibt sich im Fall x = 1 ∞

1k = k=1 k





1

∑k

= 1+

k=1

1 1 1 1 + + + +... 2 3 4 5

die harmonische Reihe, d. h. die Potenzreihe ist an dieser Stelle divergent. Im Fall x = −1 erhalten wir die Reihe (−1)k = k k=1 ∞





1

∑ (−1)k k

k=1

= −1 +

1 1 1 1 − + − + − . . ., 2 3 4 5

18.2

Potenzreihen und Funktionen – Satz von Taylor

also die zweite Variante der alternierenden harmonischen Reihe mit beginnendem negativen Vorzeichen. Nach dem Leibniz-Kriterium ist diese Zahlenreihe konvergent. Insgesamt k¨onnen wir also feststellen, dass die Potenzreihe genau f¨ur −1 ≤ x < 1 konvergiert. Der Konvergenzbereich ist somit das halboffene Intervall B = [−1,1[ .

◭ ∞

Obwohl wir gegen¨uber der geometrischen Reihe ∑ xk aus Beispiel 18.3 k=0 k

die einzelnen Summanden von xk auf xk stark verkleinert haben, hat sich der Konvergenzbereich nur um den einen Punkt x = −1 vergr¨oßert. Im n¨achsten Beispiel verkleinern wir jetzt nochmals die Summanden.

Beispiel 18.5 Wir suchen jetzt den Konvergenzbereich der Potenzreihe ∞

xk

∑ 1 · 2 · · ·k

= x+

k=1

x2 x3 x4 + + + . . .. 1·2 1·2·3 1·2·3·4

1 In diesem Fall lauten die Koeffizienten ak = 1·2···k . Als Konvergenzradius ergibt damit 1 ak 1 · 2 · · ·k · (k+1) 1·2···k = lim r = lim = lim 1 k→∞ ak+1 k→∞ k→∞ 1 · 2 · · ·k 1·2···k·(k+1)

= lim (k+1) = ∞. k→∞

Die Konvergenz der Potenzreihe ist also f¨ur jeden Wert von x gegeben, der Konvergenzbereich ist ganz R. ◭

18.2

Potenzreihen und Funktionen – Satz von Taylor

Eine Potenzreihe ist innerhalb des Konvergenzbereichs B eine Funktion   B −→ R ∞ f: k  x 7−→ f (x) = ∑ ak x k=0

und damit stellt sich die Frage nach der Differenziation bzw. Integration derselben. Gl¨ucklicherweise verhalten sich Potenzreihen diesbez¨uglich so, wie man es erwartet.

551

552

18 Potenzreihen

Differenzieren und Integrieren von Potenzreihen

Rechenregeln zum Differenzieren und Integrieren von Potenzreihen Potenzreihen d¨urfen im Innern des Konvergenzbereichs gliedweise differenziert und integriert werden, d. h. es ist !′  ′ ∞ ∞ ∞ k ∑ ak x = ∑ ak xk = ∑ ak · k xk−1 k=0

k=0

Z



∑ ak xk k=0

!

k=1



∑ ak

dx =

k=0

Z

xk dx =



xk+1

∑ ak k+1

+ C.

k=0

Der Beweis dieser Tatsachen ist nicht einfach und kann mit den bereitgestellten Mitteln nicht gef¨uhrt werden. Es handelt sich jeweils um die Vertauschung zweier Grenzprozesse.

Beispiel 18.6 ∞

Wir kommen nochmals auf die geometrische Reihe ∑ xk zu sprek=0

chen, welche f¨ur |x| < 1 konvergiert und die Reihensumme ∞

∑ xk

=

k=0

1 1−x

besitzt. Differenzieren wir die Potenzreihe gliedweise, so erhalten wir !′ ∞  ′ ∞ ∞ k ∑ x = ∑ xk = ∑ k xk−1 = 1 + 2x + 3x2 + 4x3 + . . . k=0 ∞

k=0

=

k=1

¯

k ¯ . ∑ (k+1)x

¯ k=0

Wir haben hierbei eine sog. Indextransformation k¯ = k − 1 durchgef¨uhrt. Da der Name dieses Indexes keine Rolle spielt, k¨onnen wir den neuen Index k¯ auch wieder gleich k nennen und so ergibt sich letztendlich !′ ∞



∑ xk

k=0

=

∑ (k+1)xk .

k=0

18.2

Auf der anderen Seite ist !′  ∞

k

∑x

=

k=0

=

1 1−x

′

1

(1 − x)2

= −

Potenzreihen und Funktionen – Satz von Taylor

1

· (−1)

(1 − x)2

,

sodass wir insgesamt ∞

∑ (k+1)xk

= 1 + 2x + 3x2 + 4x3 + . . . =

k=0

1 (1 − x)2

erhalten. Wir haben durch gliedweise Differenziation der geometrischen Reihe f¨ur eine weitere Potenzreihe eine geschlossene Funkti◭ onsformel angegeben.

Beispiel 18.7 Wir betrachten die Potenzreihe ∞

∑ (−1)k xk

k=0

= 1 − x + x2 − x3 + − . . . =



∑ (−x)k .

k=0

Es handelt sich wieder um eine geometrische Reihe, dieses Mal mit der Reihensumme ∞



∑ (−1)k xk k=0

=

∑ (−x)k

=

k=0

1 1 = , 1 − (−x) 1+x

wobei nur f¨ur | − x| = |x| < 1 Konvergenz vorliegt. Integrieren wir die Potenzreihe gliedweise, so erhalten wir ! Z ∞ ∞ xk+1 k k ∑ (−1) x dx = ∑ (−1)k k+1 + C k=0 k=0 x2 x3 x4 + − + − . . . +C 2 3 4 ∞ k¯ ¯k−1 x = ∑ (−1) +C k¯ ¯ = x− k=1 ∞

=

xk

∑ (−1)k−1 k

k=1

+ C,

553

554

18 Potenzreihen

wobei wir im letzten Schritt wieder die R¨uckumbenennung des Indexes k¯ in k vorgenommen haben. Auf der anderen Seite ist ! Z Z ∞ 1 ∑ (−1)kxk dx = 1 + x dx k=0 = ln (|1+x|) + D |x| 1 gegeben ist. F¨ur x = 1 ergibt sich ∞

1k

∑ (−1)k−1 k

k=1



=

(−1)k−1 1 1 1 1 1 = 1 − + − + − + − . . ., k 2 3 4 5 6 k=1



also die alternierende harmonische Reihe. Demzufolge liegt dort noch Konvergenz vor.3 F¨ur x = −1 erhalten wir dagegen   ∞ ∞ k 1 1 1 1 1 1 k−1 (−1) = − ∑ = − 1+ + + + + +... ∑ (−1) k 2 3 4 5 6 k=1 k=1 k = −∞ und damit Divergenz.

Logarithmusreihe

Logarithmusreihe Der nat¨urliche Logarithmus l¨asst sich innerhalb des Intervalls ] − 1,1] in die Potenzreihe x2 x3 x4 x5 x6 + − + − +−... 2 3 4 5 6 ∞ k k−1 x = ∑ (−1) k k=1

ln(1+x) = x −

entwickeln. Außerhalb des Intervalls ] − 1,1] ist die Potenzreihe divergent.

Divergenz der Logarithmusreihe fur ¨ x>1

Der zuletzt genannte Sachverhalt im obigen Satz ist von besonderem Interesse. Obwohl die modifizierte Logarithmusfunktion ln(1+x) auch f¨ur x > 1 definiert ist, ist die zugeh¨orige Potenzreihe dort divergent. Die Taylor-Polynome x2 x3 xn + −+...± 2 3 n n k x = ∑ (−1)k−1 k k=1

Tn (x) = x −

n¨ahern sich also nur im Bereich ] − 1,1] der Funktion an. F¨ur x > 1 wird das N¨aherungsverhalten sogar immer schlechter, was man eindrucksvoll mit einem Computeralgebrasystem visualisieren kann. 3

Eigentlich muss man noch zeigen, dass die Potenzreihe an dieser Stelle x = 1 noch stetig ist, dass also am Rand kein Sprung auftritt. Dieser Schritt erfordert weitergehende Mathematikkenntnisse und wird daher u¨ bergangen.

18.3

y

T5 T3

Wichtige Potenzreihenentwicklungen

T1

x) ln(1+ 1

x

1

T2

T100

T6 T4

Ein interessanter Wert ergibt sich durch Einsetzen des Wertes x = 1 in die Logarithmusreihe: ∞

ln(2) =

1

∑ (−1)k−1 k

k=1

= 1−

1 1 1 1 1 + − + − +−... 2 3 4 5 6

Die alternierende harmonische Reihe hat also ln(2) = 0,693 147 180 . . . als Reihensumme.

Binomische Reihe Wir wollen auch die Wurzelfunktion √

x

in eine Potenzreihe entwickeln. Dies ist mit dem Entwicklungspunkt x0 = 0 nicht m¨oglich, da die Ableitungen der Wurzelfunktion an dieser Stelle nicht definiert sind. Aus diesem Grund entwickeln wir analog zur Logarithmusreihe um die Stelle x0 = 1 oder nach der Substitution t = x−1

x = 1+t

bzw.

und Umbenennung der neuen Variablen t zur¨uck in x die Funktion √

1

1+x = (1+x) 2

565

566

18 Potenzreihen

um die Stelle x0 = 0. Wir behandeln gleich einen allgemeineren Fall und betrachten Funktionen der Form (1+x)α ,

α ∈ R.

Hierzu ben¨otigen wir wie u¨ blich zun¨achst alle Ableitungen der Funktion: f (x) = (1+x)α f ′ (x) = α (1+x)α −1 f ′′ (x) = α (α −1) (1+x)α −2

f ′′′ (x) = α (α −1)(α −2) (1+x)α −3

f (4) (x) = α (α −1)(α −2)(α −3) (1+x)α −4 .. . An der auszuwertenden Stelle x0 = 0 ergibt sich: f (0) = 1 f ′ (0) = α f ′′ (0) = α (α −1)

f ′′′ (0) = α (α −1)(α −2)

f (4) (0) = α (α −1)(α −2)(α −3) .. .

Demzufolge lautet die gesuchte MacLaurin-Reihe f ′ (0) f ′′ (0) 2 f ′′′ (0) 3 f (4) (0) 4 x+ x + x + x +... 1! 2! 3! 4! α α (α −1) 2 α (α −1)(α −2) 3 = 1+ x+ x + x 1! 2! 3! α (α −1)(α −2)(α −3) 4 + x + . . .. 4!

(1+x)α = f (0) +

Diese Reihenentwicklung ist f¨ur alle α ∈ R m¨oglich. Im Fall eines nat¨urlichen Exponenten α ∈ N tritt ab einer gewissen Potenz beim zugeh¨origen Koeffizienten stets der Faktor α − α = 0 auf, die Reihe bricht also dann ab. Dagegen hat im Fall α 6∈ N die Reihe unendlich viele Summanden. Die Potenzreihe kann man formal noch vereinfachen, wenn man eine Schreibweise f¨ur einen mathematischen Ausdruck vereinbart, der in verschiedenen Teilgebieten der Mathematik eine Rolle spielt.4 4

Die Binomialkoeffizienten treten z. B. in der Statistik bei der sog. Binomialverteilung auf. Mithilfe der Binomialkoeffizienten l¨asst sich auch die verallgemeinerte binomische n  Formel als (a+b)n = ∑ nk an−k bk schreiben. k=0

18.3

Wichtige Potenzreihenentwicklungen

 Definition Unter dem Binomialkoeffizienten αk (gesprochen α u¨ ber k“) mit einer nat¨urlichen Zahl k versteht man den Ausdruck ”      α · (α −1) · (α −2) · · ·(α −k + 1) f¨ur k ≥ 1 α k! =  k  1 f¨ur k = 0.

Binomialkoeffizient

Mit dieser Vereinbarung l¨asst sich die obige Potenzreihendarstellung umformen in           α α α 2 α 3 α 4 (1+x)α = + x+ x + x + x +... 0 1 2 3 4 ∞   α k = ∑ x. k=0 k Der Konvergenzradius dieser Potenzreihe ist nat¨urlich nur im Fall α 6∈ N interessant, da wir ansonsten ein Polynom vorliegen haben. Er betr¨agt nach dem Quotientenkriterium der Konvergenzradiusberechnung  α ·(α −1)·(α −2)···(α −k+1) α ak k! = lim k  = lim r = lim α α ·( α −1)·( α −2)···( α −k+1)·( α −k) k→∞ k→∞ k→∞ ak+1 k+1 (k+1)! α · (α −1) · (α −2) · · ·(α −k+1) · 1 · 2 · 3 · · ·k · (k+1) = lim k→∞ α · (α −1) · (α −2) · · ·(α −k+1) · (α −k) · 1 · 2 · 3 · · ·k 1+ 1 k+1 1 k = 1. = lim = lim α = k→∞ α − k k→∞ k − 1 −1

Demzufolge ist die obige Potenzreihe f¨ur |x| < 1 konvergent. Man kann nachweisen, dass in diesem Bereich auch das Restglied Rn+1 der Taylor-Entwicklung u¨ berall gegen null geht und damit die Reihensumme tats¨achlich mit (1+x)α u¨ bereinstimmt. Diese Konvergenz gilt f¨ur α > −1 auch noch an der Stelle x = 1, nicht aber f¨ur x = −1. F¨ur |x| > 1 divergiert die Potenzreihe.

Binomische Reihe Die allgemeine Potenzfunktion (1+x)α l¨asst sich innerhalb des Intervalls ] − 1,1[ in die Potenzreihe ∞   α k α (1+x) = ∑ x k=0 k entwickeln. Im Fall α > −1 ist die Potenzreihe auch an der Stelle x = 1 konvergent. Außerhalb des Intervalls ] − 1,1] ist die Potenzreihe f¨ur α 6∈ N divergent.

Binomische Reihe

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568

18 Potenzreihen

Wurzelreihe

Wir kehren nun zu unserem Ausgangsproblem zur¨uck und entwickeln √ 1+x in eine binomische Reihe. Nach dem obigen Satz gilt innerhalb des Konvergenzbereichs ∞ 1 √ 1 1+x = (1+x) 2 = ∑ 2 xk k=0 k 1 1 1 1 1 1 = 2 + 2 x + 2 x2 + 2 x3 + 2 x4 + 2 x5 + . . . 0 1 2 3 4 5       1 1 3 1 1 1 1 · − 2 2 2 · − 2 · − 2 3 2 · − 21 · − 32 · − 52 4 x + x + x = 1+ 2 x+ 2 1! 2! 3! 4!     1 · − 21 · − 32 · − 25 · − 72 5 x +... +2 5! 1 1 2 1·3 3 1·3·5 4 1·3·5·7 5 = 1+ x− x + x − x + x − + . . .. 1 2 1!·2 2!·2 3!·23 4!·24 5!·25 Diese Form der Reihenentwicklung hat ein gewisses Bildungsgesetz und ist daher in den meisten Formelsammlungen so zu finden.

Divergenz der Wurzelreihe fur ¨ x>1

Nat¨urlich kann man die Konvergenz der Taylor-Polynome n 1 Tn (x) = ∑ 2 xk k=0 k nur im Intervall ] − 1,1] erwarten. F¨ur x > 1√ divergiert die Potenzreihe, d. h. das N¨aherungsverhalten an die Funktion 1+x wird immer schlechter. y

T5

T3

T1 √

1

T2 x

1 T100

18.4

1+x

T6

T4

Anwendungen

N¨ aherungsweise Berechnung von Funktionswerten Wie bereits zu Anfang des Kapitels erw¨ahnt, beherrschen Taschenrechner und Computer hardwarem¨aßig lediglich die vier Grundrechenarten.

18.4

Anwendungen

Der Grund, warum diese Maschinen trotzdem die Funktionswerte der u¨ blichen elementaren Funktionen berechnen k¨onnen, liegt in der TaylorEntwicklung derselben.

Beispiel 18.8 Wir kommen nochmals auf das einleitende Beispiel 18.1 in Abschnitt 18.1 zur¨uck und berechnen e0,2 mithilfe der Potenzreihenentwicklung der Exponentialfunktion ex =



Fortfuhrung ¨ N¨aherungsweise Berechnung von e0,2 mit den vier Grundrechenarten

xk

∑ k!

k=0

= 1+

x x2 x3 x4 x5 x6 x7 x8 x9 + + + + + + + + + .... 1! 2! 3! 4! 5! 6! 7! 8! 9!

Bei einer Berechnungsgenauigkeit von 12 Nachkommastellen, mit der viele Taschenrechner intern arbeiten, ergibt sich 0,2 0,22 0,23 0,24 0,25 0,26 + + + + + 1! 2! 3! 4! 5! 6! 0,27 0,28 0,29 + + + +... 7! 8! 9! = 1,000 000 000 000 + 0,200 000 000 000 + 0,020 000 000 000 + 0,001 333 333 333 + 0,000 066 666 667 + 0,000 002 666 667 + 0,000 000 088 889 + 0,000 000 002 540 + 0,000 000 000 063 + 0,000 000 000 001 + . . ..

e0,2 = 1 +

Da der Taschenrechner nur zehn Dezimalstellen anzeigt, k¨onnen wir an dieser Stelle die Rechnung abbrechen. Wir erhalten e0,2 ≈ 1,221 402 758 160 ≈ 1,221 402 758. ◭

Beispiel 18.9 √

F¨ur die n¨aherungsweise Berechnung von 39 verwendet man nat¨urlich die Sonderform der binomischen Reihe √ 1 1+x = (1+x) 2 1 1 2 1·3 3 1·3·5 4 1·3·5·7 5 = 1+ x− x + x − x + x − + . . .. 1!·21 2!·22 3!·23 4!·24 5!·25

N¨aherungsweise √ Berechnung von 39 mit den vier Grundrechenarten

569

570

18 Potenzreihen

Naiv k¨onnte man die Idee haben, das Argument gem¨aß √

1

39 = 39 2 = 1 + |{z} 38 x

1 2

zu zerlegen und dann x = 38 in die Reihe einzusetzen. Da aber die binomische Reihe den Konvergenzradius r = 1 besitzt, befinden wir uns mit diesem Ansatz außerhalb des Konvergenzbereichs, sodass dieser Weg nicht m¨oglich ist. Wir k¨onnen aber trotzdem innerhalb des Konvergenzbereichs kommen und mit der obigen Reihenentwicklung arbeiten, indem wir die n¨achst kleinere Quadratzahl des Arguments abspalten: s  r 1   2 √ √ 3 3 3 = 6 1+ = 6 1+ 39 = 36 + 3 = 36 1 + 36 36 36 |{z}  2  x 3 1 3 1 · − · = 6 1+ 1!·21 36 2!·22 36  3  4 1·3 1·3·5 3 3 + − · · 3!·23 36 4!·24 36  5  6 1·3·5·7·9 1·3·5·7 3 3 − · · + 5!·25 36 6!·26 36  +−... = 6 (1,000 000 000 000 + 0,041 666 666 667 − 0,000 868 055 556 + 0,000 036 168 981 − 0,000 001 883 801 + 0,000 000 109 888 − 0,000 000 006 868 + 0,000 000 000 450 − 0,000 000 000 030 + 0,000 000 000 002 − + . . .) ≈ 6 · 1,040 832 999 733 = 6,244 997 998 398 ≈ 6,244 997 998

Dieser Wert stimmt mit der 10-stelligen Ausgabe eines Taschenrechners u¨ berein. ◭

Grenzwertberechnung Mithilfe von Potenzreihen ist es manchmal m¨oglich, Grenzwerte leichter zu berechnen als mit anderen Methoden.

18.4

Beispiel 18.10 Wir fragen nach dem Grenzwert lim

x→0

2x + x cos(x) − 3 sin(x) . x4 sin(x)

Es handelt sich um einen Grenzwert der Form 00 “ und ist da” mit pr¨adestiniert f¨ur die Anwendung der Regel von Bernoulli-de l’Hospital. Die Rechnung zeigt jedoch, dass diese f¨unfmal angewendet werden muss, und da die Ableitungen von Z¨ahler und Nenner immer komplizierter werden, ist dies eine aufwendige Angelegenheit. Einfacher geht es mit Potenzreihen. 2x + x cos(x) − 3 sin(x) x4 sin(x)     2 4 6 3 5 7 2x + x 1− x2! + x4! − x6! + −. . . − 3 x− x3! + x5! − x7! + −. . .   = lim 3 5 7 x→0 x4 x− x3! + x5! − x7! + −. . .

lim

x→0

5

3

= lim

x→0

= lim

x→0

= lim

x→0

=

7

3

5

7

2x + x − x2! + x4! − x6! + − . . . − 3x + 3 x3! − 3 x5! + 3 x7! − + . . . 7

9

11

x5 − x3! + x5! − x7! + − . . .   7 3 3 1 1 5 4! − 5! x + − 6! + 7! x + . . . 9

7

11

x5 − x3! + x5! − x7! + − . . .   2 1 3 3 1 4! − 5! + − 6! + 7! x + . . .

3 1 4! − 5!

2

4

6

1 − x3! + x5! − x7! + − . . .

1 1 1 − = 24 40 1 = 60 ◭

Beispiel 18.11 Die Berechnung von lim

x→∞

!   1 2 x · ln 1+ 2 − x x 4

Anwendungen

571

572

18 Potenzreihen

gestaltet sich mit Potenzreihen recht einfach. Es ist n¨amlich mit der Logarithmusreihe !   1 lim x4 · ln 1+ 2 − x2 x→∞ x      2  3  4  1 = lim x4 ·  2 − x→∞ x

1 x2

2

+

1 x2

3



1 x2

4

  + − . . . − x2

    1 1 1 1 = lim x4 · 2 − 4 + 6 − 8 + − . . . − x2 x→∞ x 2x 3x 4x   1 1 1 2 2 = lim x − + 2 − 4 + − . . . − x x→∞ 2 3x 4x   1 1 1 = lim − + 2 − 4 + − . . . x→∞ 2 3x 4x 1 =− . 2



Integration elementar nicht integrierbarer Funktionen Mithilfe von Potenzreihen ist es m¨oglich, Integrale auszuwerten, welche mit den u¨ blicherweise verwendeten elementaren Funktionen nicht l¨osbar sind.

Integration der GaußNormalverteilung

Beispiel 18.12 Wir kehren nochmals zu dem Integral u¨ ber die Gauß’sche Glockenkurve Z1 0

1 2 1 √ e− 2 x dx 2π

zur¨uck, welches die Wahrscheinlichkeit beschreibt, einen Wert einer standardnormalverteilten Zufallsgr¨oße zwischen den Grenzen 0 und 1 zu erhalten (vgl. Beispiel 15.2 in Abschnitt 15.1). Der Integrand ist nicht elementar integrierbar, doch l¨asst sich mithilfe von

18.4

Potenzreihen eine Stammfunktion berechnen. Es ist n¨amlich Z

Z

1 2 1 2 1 1 √ e− 2 x dx = √ e− 2 x dx 2π 2π 2 3 4 Z  1 2 − 21 x2 − 21 x2 − 21 x2 −2x 1 = √ + + + 1+ 1! 2! 3! 4! 2π   5 − 21 x2 + +. . . dx 5! Z  x2 1 x4 x6 x8 1− 1 + 2 − 3 + 4 = √ 2 ·1! 2 ·2! 2 ·3! 2 ·4! 2π  x10 − 5 + − . . . dx 2 ·5!  x3 1 x5 x7 x9 = √ x− + − + 1 2 3 3·2 ·1! 5·2 ·2! 7·2 ·3! 9·24 ·4! 2π  x11 − + − . . . +C. 11·25 ·5!

Wir k¨onnen also das unbestimmte Integral zwar nicht mithilfe der elementaren Funktionen ausdr¨ucken, sehr wohl aber als Potenzreihe. Als gesuchtes bestimmtes Integral erhalten wir Z1

1 2 1 √ e− 2 x dx 2π 0   x3 x5 x7 x9 1 x− + − + = √ 1 2 3 3·2 ·1! 5·2 ·2! 7·2 ·3! 9·24 ·4! 2π 1 x11 − +−... 11·25 ·5! 0  1 1 1 1 1 = √ 1− + − + 3·21 ·1! 5·22 ·2! 7·23 ·3! 9·24 ·4! 2π  1 + − . . . −0 − 11·25 ·5! 1 = √ 1,000 000 000 − 0,166 666 667 2π + 0,025 000 000 − 0,002 976 190  + 0,000 289 352 − 0,000 023 674 + − . . .

≈ 0,341 344 746.

Wir haben mit Potenzreihenentwicklungen demzufolge ein weiteres Verfahren, um bestimmte Integrale numerisch auszuwerten. ◭

Anwendungen

573

574

18 Potenzreihen

Integralsinus

Beispiel 18.13 In der Elektrotechnik spielt z. B. im Umfeld des Tiefpasses der sog. Integralsinus Si (x) =

Zx

sin(t) dt t

0

eine zentrale Rolle. Leider ist das Integral im Rahmen der elementaren Funktionen nicht berechenbar, sehr wohl aber mithilfe von Potenzreihen. Das zugeh¨orige unbestimmte Integral ergibt sich zu 5

3

7

9

11

Z t t t − t7! + 9! − 11! +−... t − t3! + 5! sin(t) dt = dt t t  Z  t 2 t 4 t 6 t 8 t 10 1− + − + − = + − . . . dt 3! 5! 7! 9! 11!

Z

= t−

t5 t7 t9 t 11 t3 + − + − + − . . . +C. 3·3! 5·5! 7·7! 9·9! 11·11!

Damit erhalten wir als Potenzreihendarstellung der Integralsinusfunktion  x t3 t5 t7 t9 t 11 Si (x) = t − + − + − +−... 3·3! 5·5! 7·7! 9·9! 11·11! 0 = x−

x5 x7 x9 x11 x3 + − + − + − . . .. 3·3! 5·5! 7·7! 9·9! 11·11!

Jetzt kann man nat¨urlich auch den Funktionsverlauf dieser Funktion beliebig genau bestimmen. Als Graph des Integralsinus erh¨alt man das nachfolgende Bild. y 1

10

x



18.4

Anwendungen

Klassische und relativistische kinetische Energie In der klassischen Physik lernt man, dass sich die kinetische Energie eines bewegten K¨orpers mit der Geschwindigkeit v als

Kinetische Energie in der klassischen Physik

1 m0 v2 2 berechnet, wobei m0 die konstante Masse des K¨orpers ist. Ekin,k =

m0

v

Auf der anderen Seite weiß man seit Einsteins5 spezieller Relativit¨atstheorie, dass die Gesamtenergie eines K¨orpers als

Kinetische Energie in der Relativit¨atstheorie

E = mc2 gegeben ist, wobei die Masse m des K¨orpers mit wachsender Geschwindigkeit gem¨aß m0 m = q 2 1 − vc2

zunimmt. Hierbei ist m0 die Ruhemasse und c = 300 000 km s die Lichtgeschwindigkeit. Demzufolge berechnet sich die kinetische Energie einer bewegten Masse als Ekin,r = mc2 − m0 c2 m0 = q c2 − m0 c2 v2 1 − c2   1 = m0 c2  q − 1 . 2 1 − vc2 F¨ur im Verh¨altnis zur Lichtgeschwindigkeit kleine Geschwindigkeiten v muss sich aus dieser relativistischen Formel der kinetischen Energie die obige klassische Formel Ekin,k = 12 m0 v2 herleiten lassen. Hierzu entwickeln wir den Bruch mit der Wurzel in eine binomische Reihe:  2  !− 12 k ∞  1 1 v −2 v2 q = 1+ − 2 = ∑ − 2 2 c k c k=0 1− v c2

 1   2   1   2 2 −2 v −2 v = 1+ − 2 + − 2 +... 1 c 2 c

5

Albert Einstein, 1879–1955, j¨udischer Mathematiker und Physiker, geboren in Deutschland, sp¨ater mit schweizer und amerikanischer Staatsb¨urgerschaft.

¨ Uberf uhrung ¨ der relativistischen Formel in die klassische Formel

575

576

18 Potenzreihen 2

F¨ur uns umgebende Geschwindigkeiten ist der Quotient vc2 immer sehr ¨ klein. Selbst die Geschwindigkeit eines Uberschallflugzeugs erreicht mit m etwa 350 s nur etwa ein Millionstel der Lichtgeschwindigkeit. Aus diesem Grund d¨urfen wir die obige Potenzreihenentwicklung nach den ersten beiden Summanden abbrechen und machen in Realit¨at einen Fehler unterhalb der Nachweisgrenze.   2   1 2  1 1 v2 v −2 1 v q − 2 = 1+ 2 ≈ 1+ − 2 = 1+ − 2 c 2 c 2c 1 1 − cv2 Als relativistische Energie erhalten wir damit     1 1 v2 Ekin,r = m0 c2  q − 1 ≈ m0 c2 1 + 2 − 1 2 2c 1 − vc2 = m0 c2 ·

1 1 v2 = m0 v2 = Ekin,k . 2 c2 2

Die klassische Formel der kinetischen Energie l¨asst sich also mittels binomischer Reihe aus der relativistischen ableiten.

Viertelsmethode zum Abstecken von Kreisb¨ ogen ¨ Im Straßenbau wird man des Ofteren vor das Problem gestellt, Kreise durch vorgegebene Punkte abstecken zu m¨ussen. Dabei ist es aufgrund der o¨ rtlichen Gegebenheiten (Bebauung, Gebirge etc.) in den seltensten F¨allen m¨oglich, mit dem Mittelpunkt O des Kreises zu arbeiten. Kennt man allerdings drei gleich weit voneinander getrennte Punkte des abzusteckenden Kreises, so k¨onnen weitere Punkte dieses Kreises durch ein einfaches Verfahren bestimmt werden. Wir gehen also davon aus, dass wir drei Punkte A, B,C des abzusteckenden Kreises kennen, die vom Mittelpunkt aus gesehen jeweils durch den Winkel α voneinander getrennt sind. Den Radius des Kreises bezeichnen wir mit r. Wir suchen nach einer einfachen M¨oglichkeit, den Neupunkt N auf dem Kreis in der Mitte zwischen den Punkten A und B zu bestimmen.

18.4

C

H

r co

O

α α

d

B d¯ N



α /2 α /2

A

r

In einem ersten Schritt suchen wir die L¨ange d der Strecke HB, um die der Punkt B außerhalb der Verbindungslinie AC liegt. Da es sich bei dem Dreieck OHA um ein rechtwinkliges Dreieck mit dem rechten Winkel in der Ecke H handelt, hat die Seite OH die Seitenl¨ange r cos(α ). Damit betr¨agt die Exzentrit¨atsstrecke d = r − r cos(α ) = r (1 − cos(α )) . Entwickeln wir cos(α ) in eine Potenzreihe, so ergibt sich  ! α2 α4 α6 α8 d = r 1− 1− + − + −+... 2! 4! 6! 8!   2 α α4 α6 α8 − + − +−... . = r 2! 4! 6! 8! ¯ um welche der Neupunkt N Ganz entsprechend ergibt sich die Strecke d, außerhalb der Verbindungslinie AB liegt, als   α  α  = r 1 − cos d¯ = r − r cos 2 2 !! 2 4 6 8 = r 1− 1−

= r



α 2

2!

+

α 2

4!



α 2

6!

α2 α4 α6 α8 − 4 + 6 − 8 2 2 ·2! 2 ·4! 2 ·6! 2 ·8!

+

α 2

8!  +−... .

−+...

Liegen die gegebenen Kreispunkte A,B,C nicht zu weit auseinander, so kann man die jeweilige Reihenentwicklung bereits nach dem ersten Summanden abbrechen. Betr¨agt n¨amlich der Winkel α zwischen diesen Punkten z. B. 10◦ , d. h. ist

α =

10◦ · π, 180◦

Anwendungen

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578

18 Potenzreihen

so ist

α4 = 4!



10◦ 180◦

·π

4!

4

≈ 0,000 039.

Das bedeutet, dass bei einem großen Radius von r = 100 m der gemachte Fehler in d nur 100 m · 0,000 039 = 3,9 mm betr¨agt. Dies u¨ bertrifft alle Genauigkeitsanspr¨uche, die im freien Feld gestellt werden. Der Fehler in der neuen Exzentrit¨atsstrecke d¯ ist nat¨urlich noch kleiner. Es gilt also mit gen¨ugend großer Genauigkeit

α2 α2 = r· 2! 2 2 2 α α d¯ = r · 2 = r· 2 ·2! 8 d = r·

und damit d d¯ = . 4 Verfahren zum Abstecken von Kreisb¨ogen

Wir haben somit ein einfaches Verfahren zur Absteckung von Kreisb¨ogen erhalten. Kennt man drei gleich weit voneinander entfernte Punkte A,B,C des Kreises, so misst man die Exzentrit¨atsstrecke d, um welche der zweite Punkt B außerhalb der Verbindungslinie AC liegt und weiß, dass der Kreispunkt N in der Mitte zwischen A und B (bzw. auch in der Mitte zwischen B und C) um ein Viertel dieser Strecke außerhalb der Verbindung AB (bzw. BC) liegt. Durch sukzessives Wiederholen dieses Verfahrens l¨asst sich der vollst¨andige Kreisbogen in beliebiger Genauigkeit abstecken.

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 18.1 18.1 N¨ahern Sie sin(x) schrittweise durch Polynome pn (x) = a0 + a1 x + . . . + an xn an, welche an der Stelle x = 0 mit der Funktion y = sin(x) bis zur n-ten Ableitung u¨ bereinstimmen. Berechnen Sie mithilfe dieser Polynome N¨aherungen f¨ur sin(0,3). Wann haben Sie eine Genauigkeit von 7 Nachkommastellen erreicht? 18.2 Schreiben Sie die ersten Summanden folgender Potenzreihen auf. Bestimmen Sie dann den Konvergenzbereich dieser Potenzreihen. Untersuchen Sie insbesondere auch die Randpunkte des Konvergenzbereichs. ∞ ∞ ∞ ∞ 2k xk a) ∑ k2 xk b) ∑ xk c) ∑ √ d) ∑ kk xk k=1 k=1 k k=1 k k=1 ∞ ∞ ∞ ∞ 4 10k 3k k k k k k e) ∑ x f) ∑ k+1 x g) ∑ (−2) (x−1) h) ∑ k (x+3)k 1 · 2 · · ·k 2 k=1 k=0 k=0 k=0 3 18.3 Beweisen Sie mit dem Wurzelkriteriums f¨ur Zahlenreihen: Existiert der Grenzwert ∞

1 k ur |x| < r konvergent und f¨ r = lim √ ur |x| > r divergent. k |a | , so ist die Potenzreihe ∑ ak x f¨ k→∞

k

k=0

Hinweis. Der Beweis l¨auft a¨ hnlich zum oben durchgef¨uhrten Beweis mit dem Quotientenkriterium.

Abschnitt 18.2 18.4 a) Bestimmen Sie den Konvergenzbereich der Reihe ∞

∑ (−1)k x2k . k=0

b) Weisen Sie innerhalb des Konvergenzbereichs die G¨ultigkeit der Reihensummenformel ∞

∑ (−1)k x2k

k=0

=

1 1 + x2

nach. c) Leiten Sie mithilfe der obigen Reihensummenformel f¨ur die Funktion y = arctan(x) eine Potenzreihendarstellung her.

18.5 Berechnen Sie f¨ur die folgenden Funktionen jeweils das Taylor-Polynom 4. Grades mit dem Entwicklungspunkt x0 . √ 2 a) f (x) = cos(x), x0 = 0 b) f (x) = ex , x0 = 0 c) f (x) = x, x0 = 1

579

580

18 Potenzreihen

18.6 a) Berechnen Sie das Taylor-Polynom 4. Grades mit dem Entwicklungspunkt x0 = 0 f¨ur die Funktion f (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + a3 x3 + a4 x4 . Was f¨allt Ihnen auf? b) Wie lautet allgemein das k-te Taylor-Polynom mit dem Entwicklungspunkt x0 = 0 f¨ur ein Polynom n-ten Grades? Welche Gestalt hat demzufolge die MacLaurin-Reihe f¨ur ein derartiges Polynom?

18.7 Zeigen Sie, dass das Taylor-Polynom n-ten Grades n



Tn (x) =

k=0

f (k) (x0 ) (x − x0 )k k!

mit der Funktion f an der Stelle x0 in Funktionswert und den ersten n Ableitungen u¨ bereinstimmt.

18.8 Gegeben ist die Funktion f (x) =

(

−1 e x2 0

f¨ur f¨ur

x 6= 0 x = 0.

a) Lassen Sie sich den Graphen dieser Funktion von einem Computeralgebrasystem zeichnen. b) Weisen Sie nach, dass f an der Stelle x0 = 0 differenzierbar ist und der Wert der Ableitung f ′ (0) = 0 ist. c) Machen Sie sich plausibel, dass alle Ableitungen von f an der Stelle x0 = 0 verschwinden. Wie lautet demnach das n-te Taylor-Polynom von f mit dem Entwicklungspunkt x0 = 0? ¨ d) Uberlegen Sie sich, dass in der Taylor-Entwicklung n

∑ k=0

f (k) (0) k x + Rn+1 (x) k!

das Restglied Rn+1 (x) f¨ur x 6= 0 nicht gegen null strebt.

Abschnitt 18.3 18.9 Zeigen Sie mithilfe der Exponentialreihe, dass sich die Zahl e auch als unendliche Reihe ∞

e =

1

∑ k!

= 1+

k=0

1 1 1 1 1 + + + + +... 1! 2! 3! 4! 5!

berechnen l¨asst. Welcher Wert ergibt sich bei der alternierenden Reihe ∞

1

∑ (−1)k k!

k=0

= 1−

1 1 1 1 1 + − + − + − . . .? 1! 2! 3! 4! 5!

18.10 Leiten Sie die Potenzreihendarstellungen der hyperbolischen Funktionen sinh und cosh her. Zeigen Sie insbesondere auch, dass diese Potenzreihen auf ganz R konvergieren.

Aufgaben

18.11 Weisen Sie mithilfe von Potenzreihen f¨ur alle x ∈ R folgende Identit¨aten nach. a) e−ix = cos(x) − i sin(x)

b) eix + e−ix = 2 cos(x)

b) cosh(ix) = cos(x)

c) sinh(ix) = i sin(x)

d) cos(ix) = cosh(x) e) sin(ix) = i sinh(x) √ 18.12 Wie lauten die Taylor-Entwicklungen von ln(x) und x mit dem Entwicklungspunkt x0 = 1? Wie groß ist jeweils der Konvergenzbereich?

18.13 Berechnen Sie die MacLaurin-Reihe folgender Funktionen. Wie groß ist jeweils der Konvergenzbereich? 2 1 a) cos(x2 ) b) e−x c) sin(2x) d) √ e) ln(2+x2 ) 1+x 18.14 a) Berechnen Sie mittels der binomischen Reihe eine Potenzreihendarstellung der Funktion y =

1 . 1 + x2

Wie groß ist der Konvergenzbereich? b) Bestimmen Sie mithilfe des Aufgabenteils (a) eine Potenzreihendarstellung der Funktion y = arctan(x). Wie groß ist der Konvergenzbereich?

Abschnitt 18.4 18.15 Berechnen Sie n¨aherungsweise folgende Funktionswerte unter ausschließlicher Verwendung der Grundrechenarten. Brechen Sie bei einer Genauigkeit von 10 Dezimalen ab und vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit den Ausgaben eines Taschenrechners. a) e0,5 b) e−1 c) cos(0,2) d) sin (24◦ ) e) sinh(1) √ √ 3 f) ln(1,5) g) ln(0,1) h) 56 i) 28 j) ln(2,25) √ 18.16 Berechnen Sie mithilfe der binomischen Reihe die Wurzel 24 als  1  1 √ √ 8 2 1 2 24 = 4 1 + und als 24 = 5 1 − . 16 25 ¨ Bei welcher Methode erreichen Sie schneller die gew¨unschte Genauigkeit? Uberlegen Sie sich eine Strategie, wie man beliebige Wurzeln mithilfe der binomischen Reihe m¨oglichst schnell berechnen kann. 18.17 Berechnen Sie mithilfe von Potenzreihen folgende Grenzwerte.  1 − x sin 1x cos(x) − 1 xex x2 − x ln(1+x)  a) lim b) lim c) lim d) lim x→∞ 1 − cos 1 x→0 x→0 1 − ex x→0 x2 sin (x3 ) x 18.18 Bestimmen Sie mithilfe von Potenzreihenentwicklungen die nachfolgenden Integrale auf 9 Nachkommastellen genau.  0,75 Z1 Z0,5 Z 2 x − sin x2 1 − cos x2 1 √ a) dx b) dx c) dx 4 x4 x6 1−x3 0

0

0,25

581

582

18 Potenzreihen

18.19 Bestimmen Sie eine Darstellung aus Logarithmus und Potenzreihendarstellung des Integralkosinus Zx cos(t) − 1 Ci (x) = γ + ln(x) + dt t 0

mit der Euler’schen Konstanten γ = 0,577 215 664 901 . . .

18.20 Ein Fadenpendel mit der Fadenl¨ange l und der angeh¨angten Masse m schwingt zyklisch hin und her. ϕ l

s

FR

ϕ

FG

  a) Die R¨uckstellkraft FR ergibt sich als tangentialer Anteil der Gewichtskraft FG = mg g = 9,81 sm2 . Zeigen Sie, dass sich diese R¨uckstellkraft sets als FR = mg · sin(ϕ )

berechnet, wobei ϕ der Auslenkungswinkel aus der Ruhelage ist. b) Zeigen Sie, dass bei kleinen Ausschl¨agen n¨aherungsweise f¨ur die r¨ucktreibende Kraft s FR = mg · l gilt, wobei s die Auslenkung aus der Ruhelage ist. Wie groß ist der prozentuale Fehler bei einem Auslenkungswinkel von ϕ = 1◦ /5◦ /10◦ /30◦ ?

18.21 Die Geschwindigkeit v einer ebenen Wasserwelle mit der Wellenl¨ange λ in einem Becken der Tiefe h berechnet sich gem¨aß der Formel s   gλ 2π h m v = tanh , g = 9,81 2 . 2π λ s ¨ a) Uberlegen Sie sich, dass sich die Geschwindigkeit der Welle in tiefem Wasser n¨aherungsweise als r gλ v ≈ 2π berechnet. b) Zeigen Sie, dass in einem seichten Becken die Geschwindigkeit der Welle n¨aherungsweise p v ≈ gh betr¨agt und damit unabh¨angig von der Wellenl¨ange λ ist.

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

19

Was versteht man unter einer trigonometrischen Reihe? Kann man jede periodische Funktion als trigonometrische Reihe darstellen? Was ist die FourierTransformation und wo kann sie genutzt werden?

Bemalter Kanaldeckel

19.1 19.2 19.3 19.4

Trigonometrische Reihen . . . . . . . . . . . Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . Komplexe Schreibweise der Fourier-Reihen Fourier-Transformation . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

584 587 598 606 613

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_19 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_19

583

584

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation Da man die elementaren Funktionen mithilfe von Potenzreihen ausdr¨ ucken kann, stellt sich die Frage, ob man beliebige periodische Funktionen auch als unendliche Reihe der klassischen periodischen Funktionen Sinus und Kosinus darstellen kann. Dies ist in einem gewissen Rahmen tats¨achlich m¨ oglich und f¨ uhrt auf den Begriff der Fourier-Reihen. Beim ¨ Ubergang zu nicht periodischen Funktionen durch den Grenz¨ ubergang der Periode gegen unendlich entsteht daraus die Theorie der FourierTransformation.

19.1

Trigonometrische Reihen

Es gibt periodische Vorg¨ange, die sich nicht durch eine klassische trigonometrische Funktion ausdr¨ucken lassen. Schon in den u¨ blichen Wechselstromgeneratoren werden meistens keine reine sinusf¨ormige Spannungen erzeugt. Transformatoren und Eisenkerne verzerren die erwartete Sinusspannung. Aber es gibt auch Beispiele, bei welchen der entstehende Vorgang weit weg vom Verhalten einer trigonometrischen Funktion ist.

S¨agezahnkurve

Beispiel 19.1 Ein S¨agezahngenerator erzeugt eine Spannung, die linear ansteigt und anschließend abrupt zusammenbricht. Sie kann durch das Aufladen eines Kondensators u¨ ber einen entsprechenden Widerstand R erzeugt werden. Bei Erreichen einer Grenzspannung Ugr schaltet der parallel zum Kondensator C angelegte Schalter S diesen kurz und der Kondensator entl¨adt sich, d. h. die Spannung U am Kondensator geht auf null zur¨uck. Sofort o¨ ffnet sich der Schalter und das Spiel des Ladens und Entladens beginnt von Neuem. R b

C S U b

Da das Aufladen des Kondensators bei kleinen Grenzspannungen n¨aherungsweise linear erfolgt, ergibt sich nachfolgender von der Zeit t abh¨angige Spannungsverlauf.

19.1

Trigonometrische Reihen

U(t) Ugr

t Zwar l¨asst sich diese S¨agezahnkurve nicht mithilfe endlich vieler Sinus- und Kosinusterme ausdr¨ucken, doch stellt sich die Frage, ob sie sich als Summe von unendlich vielen derartigen Summanden kombinieren l¨asst, ganz a¨ hnlich wie sich die elementaren Funktionen als Potenzreihen darstellen lassen. Wir werden auf dieses Beispiel im Verlauf dieses Kapitels zur¨uckkommen. ◭

Es gibt auch Anwendungsf¨alle, in welchen sich das Resultat eines Vorgangs als unendliche Summe trigonometrischer Funktionen ergibt.

Beispiel 19.2

Schwingende Saite

Wird eine Saite der L¨ange L gezupft, so schwingt sie hin und her und erzeugt einen Ton. Dieser Ton besteht nat¨urlich haupts¨achlich aus der Grundschwingung mit der halben Wellenl¨ange L und der ortsabh¨angigen Amplitude π  A1 (x) = b1 · sin x . L Dar¨uber hinaus tragen auch Obert¨one zur Klangfarbe des entstehenden Tones bei. Deren Wellenl¨angen sind gerade die k-ten Teile der Grundwellenl¨ange und demzufolge haben diese Obert¨one die Amplituden   kπ Ak (x) = bk · sin x , k = 2,3,4, . . .. L Ak (x)

A1 (x)

A2 (x) A (x) A4 (x) 3 A5 (x)

x

585

586

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

Die ortsabh¨angige Gesamtamplitude ergibt sich als Summe dieser Amplituden, also als   ∞ ∞ kπ A(x) = ∑ Ak (x) = ∑ bk · sin x . L k=1 k=1 ◭

Dieses letzte Beispiel legt nahe, unendliche Summen von Sinustermen genauer zu untersuchen. Da die Kosinusfunktion gegen¨uber der Sinusfunktion die gleiche Bedeutung hat und eine Beschr¨ankung auf Sinusterme k¨unstlich erscheint, untersuchen wir gleich Funktionenreihen einer allgemeineren Gestalt.

Trigonometrische Reihe

Definition Eine trigonometrische Reihe ist eine unendliche Reihe der Form1    ! ∞ a0 2π 2π + ∑ ak cos k x + bk sin k x , p > 0. 2 k=1 p p

    Die trigonometrischen Terme sin k 2pπ x und cos k 2pπ x haben die Periode p, denn es ist       2π 2π 2π cos k (x+ p) = cos k x + k·2π = cos k x p p p       2π 2π 2π sin k (x+ p) = sin k x + k·2π = sin k x . p p p Damit hat auch die trigonometrische Reihe selbst die Periode p. Im Sonderfall der Periode p = 2π vereinfacht sich die trigonometrische Reihe zu ∞  a0 + ∑ ak cos(kx) + bk sin(kx) . 2 k=1

Wir werden uns der einfacheren Form wegen zun¨achst auf diese Periode beschr¨anken und erst sp¨ater auf die allgemeine Periode zur¨uckkommen. 1 Es wir im n¨ achsten Abschnitt noch a0 anstatt mit a0 bezeichnet wird. 2

klar werden, warum der konstante Summand mit

19.2

19.2

Fourier-Reihen

Trigonometrische Reihen mit der Standardperiode 2π bilden innerhalb ihres Konvergenzbereichs eine Funktion f (x) =

∞  a0 + ∑ ak cos(kx) + bk sin(kx) . 2 k=1

¨ Ahnlich wie bei Potenzreihen ist es auch bei trigonometrischen Reihen im Normalfall m¨oglich, die Reihe gliedweise zu differenzieren und zu integrieren. Von diesem Sachverhalt machen wir Gebrauch, wenn wir jetzt einen Zusammenhang zwischen den Koeffizienten ak , bk und der Funktion f (x) herstellen. Zu diesem Zweck berechnen wir zun¨achst ! Z2π Z2π ∞ a0 + ∑ (ak cos(kx) + bk sin(kx)) dx f (x) dx = 2 k=1 0

0

=

Z2π 0

∞ a0 dx + ∑ 2 k=1

Z2π

(ak cos(kx) + bk sin(kx)) dx

0

Z2π Z2π h a i2π ∞ 0 + ∑ ak cos(kx) dx +bk sin(kx) dx x = 2 0 k=1 0 0 {z } {z } | | =0 =0 a0 = · 2π 2 = a0 π .

!

Das Verschwinden der obigen Integrale entnimmt man einer Formelsammlung oder rechnet man mit einem Computeralgebrasystem nach. Nat¨urlich ist es auch m¨oglich, diese Identit¨aten mit der Substitutionsregel der Integralrechnung nachzuweisen. Aus der Gleichungskette ergibt sich letztendlich der Zusammenhang a0 =

1 π

Z2π

f (x) dx.

0

F¨ur n ≥ 1 ergibt sich durch eine a¨ hnliche Rechnung das Folgende: Z2π

f (x) cos(nx) dx

=

Z2π

=

Z2π

0

0

0

Fourier-Reihen

! ∞  a0 cos(nx) + ∑ ak cos(kx) cos(nx) + bk sin(kx) cos(nx) dx 2 k=1 ∞ a0 cos(nx) dx + ∑ 2 k=1

Z2π 0

 ak cos(kx) cos(nx) + bk sin(kx) cos(nx) dx

Periode 2π

587

588

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

! Z2π Z2π Z2π ∞ a0 = cos(nx) dx + ∑ ak cos(kx) cos(nx) dx +bk sin(kx) cos(nx) dx 2 k=1 0 0 0 | | | {z } {z } {z }  =0 =0 0 f¨ur k 6= n = π f¨ur k = n

= an π

Die Ergebnisse der hier ben¨otigten Integrale kann man wieder einer Formelsammlung entnehmen bzw. mit einem Computeralgebrasystem berechnen. Aus der obigen Rechnung resultiert die Identit¨at an =

1 π

Z2π

f (x) cos(nx) dx.

0

Wegen cos(0) = 1 l¨asst sich in diese Formel auch der Fall n = 0 einordnen: 1 π

Z2π

f (x) cos(0x) dx =

0

1 π

Z2π 0

f (x) · 1 dx =

1 π

Z2π

f (x) dx = a0

0

Die hergeleitete Formel f¨ur a0 ist also nur ein Sonderfall der allgemeinen Formel. Dies ist der Grund, warum wir trigonometrische Reihen mit dem Summanden a20 anstatt dem nahe liegenden Absolutglied a0 definiert haben. In ganz analoger Weise zur Berechnung von an erh¨alt man Z2π

f (x) sin(nx) dx = bn π

0

bzw. bn =

1 π

Z2π

f (x) sin(nx) dx.

0

Wir haben also die obigen Abh¨angigkeiten der Koeffizienten ak , bk einer trigonometrischen Reihe von der damit gebildeten Funktion f (x) =

∞  a0 + ∑ ak cos(kx) + bk sin(kx) 2 k=1

hergeleitet. Es liegt die Vermutung nahe, dass sich jede 2π -periodische Funktion in eine trigonometrische Reihe entwickeln l¨asst, wenn man nur die Koeffizienten entsprechend der obigen Gleichungen ansetzt. Bevor wir uns diesem Problem zuwenden, versehen wir zun¨achst die so eingef¨uhrten Koeffizienten mit einem Namen.

19.2

Definition Es sei f eine u¨ ber dem Intervall [0,2π ] integrierbare 2π -periodische Funktion. Dann heißen die Zahlen ak =

bk =

1 π

Z2π

f (x) cos(kx) dx,

k = 0,1,2, . . .

1 π

Z2π

f (x) sin(kx) dx,

k = 1,2,3, . . .

Fourier-Reihen

Fourier-Koeffizienten Fourier-Reihe

0

0

die Fourier2 -Koeffizienten der Funktion f und die mit diesen Koeffizienten gebildete trigonometrische Reihe ∞  a0 + ∑ ak cos(kx) + bk sin(kx) 2 k=1

die zur Funktion f geh¨orende Fourier-Reihe.

Jetzt k¨onnen wir die Frage kl¨aren, ob sich jede 2π -periodische Funktion f bei einer entsprechenden Wahl der Koeffizienten in eine trigonometrische Reihe entwickeln l¨asst. Die Vermutung, dass die entsprechende FourierReihe u¨ berall mit der urspr¨unglichen Funktion u¨ bereinstimmt, ist leider nicht ganz richtig. Insbesondere an den Sprungstellen von f kommt es zu Problemen. Die trotzdem im Wesentlichen positive Antwort gibt der nachfolgende ber¨uhmte Satz.

Satz von Fourier fur ¨ 2π -periodische Funktionen Es sei f eine 2π -periodische Funktion, welche auf dem Intervall [0,2π ] bis auf endlich viele Sprungstellen stetig differenzierbar ist, und die Ableitungsfunktion f ′ sei an allen Stellen, an welchen sie existiert, beschr¨ankt. Dann ist die zugeh¨orige Fourier-Reihe s(x) =

∞  a0 + ∑ ak cos(kx) + bk sin(kx) 2 k=1

u¨ berall konvergent und es gilt  f (x),   s(x) = f (x+∆x)+ f (x−∆x)   lim , ∆x→0 2 2

falls f in x stetig falls f in x unstetig.

Jean-Baptiste Joseph Baron de Fourier, 1768–1830, franz¨osischer Mathematiker und Physiker, entwickelte die Theorie der trigonometrischen Reihen.

Satz von Fourier fur ¨ 2π -periodische Funktionen

589

590

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

Man schreibt dann f (x) ∼

∞  a0 + ∑ ak cos(kx) + bk sin(kx) . 2 k=1

Der Beweis dieser Tatsache ist extrem schwierig und soll aus diesem Grund hier nicht gef¨uhrt werden. Wir wenden uns stattdessen einem Beispiel zu.

Fourier-Reihe der Rechteckkurve

Beispiel 19.3 Wir wollen die Rechteckkurve, welche durch die periodische Fortsetzung von  1 f¨ur 0 ≤ x < π f (x) = −1 f¨ur π ≤ x < 2π gegeben ist, in eine Fourier-Reihe entwickeln. y 1

π

0







x

−1 In den meisten F¨allen ist es sinnvoll, den Koeffizienten a0 separat zu behandeln. Dies ist auch hier der Fall. Es ist   Z2π Zπ Z2π 1 1 a0 = f (x) dx =  1 dx + (−1) dx π π 0

0

π

 1 π 1 = [x]0 + [−x]π2π = (π − 0 − 2π + π ) π π

= 0.

19.2

F¨ur k ≥ 1 ergibt sich   Zπ Z2π 1 f (x) cos(kx) dx = cos(kx) dx + (− cos(kx)) dx π π 0 0  π  2π ! 1 1 k6=0 1 = sin(kx) + − sin(kx) π k k 0 π   1 1 1 1 1 sin(kπ ) − sin(0) − sin(2kπ ) + sin(kπ ) = π k | {z } k | {z } k | {z } k | {z } =0 =0 =0 =0 = 0.

1 ak = π

Z2π

Ganz analog erhalten wir   Zπ Z2π 1 f (x) sin(kx) dx = sin(kx) dx + (− sin(kx)) dx π π 0 0  π  2π ! 1 1 k6=0 1 = − cos(kx) + cos(kx) π k k π 0   1 1 1 1 1 − cos(kπ ) + cos(0) + cos(2kπ ) − cos(kπ ) = π k | {z } k | {z } k | {z } k | {z } = ±1 =1 =1 = ±1   1 2 2 − cos(kπ ) = π k k  2 = 1 − cos(kπ ) kπ  2  = 1 − (−1)k kπ  2  (1 − 1) = 0 f¨ur k gerade  kπ =   2 (1 + 1) = 4 f¨ur k ungerade. kπ kπ

1 bk = π

Z2π

Die Fourier-Reihenentwicklung der obigen Rechteckfunktion lautet somit f (x) ∼

∞  a0 + ∑ ak cos(kx) + bk sin(kx) 2 k=1

4 4 4 4 sin(x) + sin(3x) + sin(5x) + sin(7x) + . . . π 3π 5π 7π  ∞ 2 · 1 − (−1)k = ∑ sin(kx). kπ k=1 =

Fourier-Reihen

591

592

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

L¨asst man sich durch ein Computeralgebrasystem die entsprechenn 2·(1−(−1)k ) den trigonometrischen Polynome Sn (x) = ∑ sin(kx) kπ k=1

zeichnen, so erkennt man, dass sich diese immer mehr der gegebenen Rechteckfunktion f ann¨ahern. Eine Ausnahme bilden die Sprungstellen. W¨ahrend die Rechteckfunktion f an diesen Stellen rechtsseitig stetig ist und damit dort die Funktionswerte ±1 annimmt, hat die Fourier-Reihe an diesen Stellen den Funktionswert f (x+∆x)+ f (x−∆x) 1+(−1) s(kπ ) = lim = 2 = 0. 2 ∆x→0

y

S1 S3 S 5

1

π

0





4π x

−1 Steigert man sukzessive den Grad des trigonometrischen Polynoms, so erkennt man eine weitere Besonderheit. Nahe der Sprungstellen schwingen die trigonometrischen Polynome u¨ ber die Funktion f ¨ hinaus. Mit steigendem Grad lokalisiert sich dieses Uberschwingen zwar immer mehr auf die Sprungstelle, doch bleibt das Ph¨anomen bestehen. Diese Erscheinung ist typisch f¨ur das N¨aherungsverhalten der trigonometrischen Polynome in der Umgebung von Unstetigkeitsstellen und ist unter dem Namen Gibbs’sches3 Ph¨anomen bekannt. y 1

S25

0

π





4π x

−1 ◭

Wie bereits dieses einfache Beispiel zeigt, ist die Berechnung der FourierKoeffizienten meistens sehr aufwendig. Von daher ist es beruhigend, dass man den Rechenaufwand im Fall gewisser Symmetrien erheblich reduzieren kann. 3

Josiah Willard Gibbs, 1839–1903, amerikanischer Mathematiker und Physiker.

19.2

Satz

Auswirkungen von Symmetrien auf die Fourier-Koeffizienten

Es sei f (x) ∼

∞  a0 + ∑ ak cos(kx) + bk sin(kx) 2 k=1

die Fourier-Reihe der 2π -periodischen Funktion f . Dann gilt: a) Ist der Graph von f symmetrisch zur y-Achse, so verschwinden alle Koeffizienten bk . b) Ist der Graph von f punktsymmetrisch zum Ursprung, so verschwinden alle Koeffizienten ak .

Beweis Ist der Graph von f symmetrisch zur y-Achse, so gilt f (x) = f (−x). Demzufolge ist f (−x) · sin(−kx) = f (x) · (− sin(kx)) = − f (x) · sin(kx), d. h. f (x) sin(kx) hat einen zum Ursprung punktsymmetrischen Graphen. Demzufolge ist 1 bk = π

Z2π

f (x) sin(kx) dx

0

  Zπ Z2π 1 = f (x) sin(kx) dx + f (x) sin(kx) dx π π 0   Zπ Z0 1 Periode 2π  f (x) sin(kx) dx + f (x) sin(kx) dx = π −π

0

Punktsymmetrie

=

= 0.





1 π

0

f (x) sin(kx) dx −

Zπ 0

Fourier-Reihen



f (x) sin(kx) dx

Der Fall, dass der Graph von f punktsymmetrisch ist, wird ganz analog bewiesen (vgl. Aufgabe 19.4).  Im vorangegangenen Beispiel h¨atten wir also die Koeffizienten ak nicht explizit berechnen m¨ussen. Es war von vorn herein klar, dass diese null sind.

593

594

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

Beliebige Perioden

Wir wenden uns nun beliebigen periodischen Funktionen zu, also Funktionen, bei welchen f (x+ p) = f (x) mit einer positiven Konstanten p > 0 gilt. Die Fourier-Reihenentwicklung derartiger Funktion f¨uhren wir auf die Fourier-Reihen von 2π -periodischen Funktionen zur¨uck. Dazu betrachten wir die Funktion  p  F(x) := f x . 2π Diese Funktion ist 2π -periodisch, denn es ist  p   p   p  (x+2π ) = f x+ p = f x = F(x). F(x+2π ) = f 2π 2π 2π

Damit gestattet F eine Fourier-Reihenentwicklung der bekannten Art. Wir dr¨ucken nun die Funktion f durch F aus. Es ist f (x) = F(t) mit x =

p t 2π

t =

bzw.

2π x. p

Mit der Fourier-Reihenentwicklung von F ergibt sich f (x) = F(t) ∼

∞  a0 + ∑ ak cos(kt) + bk sin(kt) 2 k=1

mit den Fourier-Koeffizienten 1 π

Z2π

F(t) cos(kt) dt

1 bk = π

Z2π

F(t) sin(kt) dt.

ak =

0

0

Ersetzen wir in der Fourier-Reihe die Variable t durch x = wir die Fourier-Reihenentwicklung von f als

p 2π t, so erhalten

   ! ∞ a0 2π 2π f (x) ∼ + ∑ ak cos k x + bk sin k x . 2 k=1 p p Die Koeffizienten ak , bk ergeben sich u¨ ber die Substitutionsregel der Integralrechnung. Mit x =

p t 2π

19.2

Fourier-Reihen

ist dx p = dt 2π dx dt

und damit wegen

dt = dx dt =

1 dx dt

dx =

2π dx. p

Die transformierten Grenzen ergeben sich zu p ·0 = 0 2π p · 2π = p. x(2π ) = 2π x(0) =

Somit lauten die Fourier-Koeffizienten letztendlich 1 ak = π =

2 p

t=2 Z π

1 F(t) cos(kt) dt = π

t=0 x=p Z

x=0

bk =

=

1 π 2 p

F(t) sin(kt) dt =

x=0

x=0

  2π 2π dx f (x) cos k x · p p

x=p Z

  2π 2π dx f (x) sin k x · p p

  2π f (x) cos k x dx p

t=2 Z π

t=0 x=p Z

x=p Z

1 π

x=0

  2π f (x) sin k x dx. p

Satz von Fourier fur ¨ beliebige Perioden p-periodischen Funktion f lautet

Die Fourier-Reihe einer

   ! ∞ 2π a0 2π f (x) ∼ + ∑ ak cos k x + bk sin k x 2 k=1 p p mit den Fourier-Koeffizienten ak =

bk =

2 p

Zp

k = 0,1,2, . . .

0

  2π f (x) cos k x dx, p

2 p

Zp

  2π f (x) sin k x dx, p

k = 1,2,3, . . ..

0

Satz von Fourier fur ¨ beliebige Perioden

595

596

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

Fourier-Reihe der S¨agezahnkurve

Beispiel 19.4 Wir greifen jetzt das einleitende Beispiel 19.1 in Abschnitt 19.1 auf und berechnen die Fourier-Reihe einer S¨agezahnkurve. Der Einfachheit wegen nehmen wir die S¨agezahnkurve mit der Periode p = 1 und der Steigung 1. Im Periodenintervall [0,1[ gilt also f (x) = x. y 1

x 1 Wir berechnen den Fourier-Koeffizienten a0 wieder separat.  1 Z1 Z1 2 1 a0 = f (x) cos(0) dx = 2 x dx = 2 x2 1 2 0 0 0  1 = 2· −0 = 1 2 F¨ur k ≥ 1 erhalten wir

  Z1 2π f (x) cos k x dx = 2 x cos(2kπ x) dx 1 0 0 cos(2kπ x) x sin(2kπ x) 1 k6=0 = 2 + 4k2 π 2 2kπ 0   cos(2kπ ) 1·sin(2kπ ) cos(0) 0·sin(0) = 2 + − 2 2 − 4k2 π 2 2kπ 4k π 2kπ   1 1 = 2 + 0 − 2 2 − 0 = 0, 4k2 π 2 4k π

ak =

2 1

Z1

wobei wir die Stammfunktionen durch eine Formelsammlung oder durch ein Computeralgebrasystem bestimmt haben. Ganz analog ergeben sich die anderen Koeffizienten zu   Z1 Z1 2 2π bk = f (x) sin k x dx = 2 x sin(2kπ x) dx 1 1 0 0 sin(2kπ x) x cos(2kπ x) 1 k6=0 = 2 − 4k2 π 2 2kπ 0   sin(2kπ ) 1·cos(2kπ ) sin(0) 0·cos(0) = 2 − − + 4k2 π 2 2kπ 4k2 π 2 2kπ   1 1 = 2 0− −0+0 = − . 2kπ kπ

19.2

Die Fourier-Reihenentwicklung der obigen S¨agezahnfunktion lautet demnach    ! ∞ a0 2π 2π f (x) ∼ + ∑ ak cos k x + bk sin k x 2 k=1 1 1 ∞ 1 1 −∑ sin (2kπ x) 2 k=1 kπ

=

1 1 1 1 − sin(2π x) − sin(4π x) − sin(6π x) 2 π 2π 3π 1 − sin(8π x) − . . . . 4π

=

Um das N¨aherungsverhalten dieser Funktionen gegen die S¨agezahnkurve zu demonstrieren, lassen wir uns wieder durch ein Computeralgebrasystem die entsprechenden trigonometrischen Polynome n

Sn (x) = 12 − ∑

k=1

1 kπ

y 1 S1

sin (2kπ x) zeichnen.

S2

S4

x

1

Auch in diesem Fall macht sich mit wachsendem Grad das ¨ Gibbs’sche Ph¨anomen des Uberschwingens an den Sprungstellen bemerkbar. y 1

1

x



Fourier-Reihen

597

598

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

19.3

Komplexe Schreibweise der Fourier-Reihen

Die Berechnung der Fourier-Koeffizienten ak , bk in der Fourier-Reihenentwicklung    ! ∞ a0 2π 2π f (x) ∼ + ∑ ak cos k x + bk sin k x 2 k=1 p p einer p-periodischen Funktion f gestaltet sich wegen der auszuwertenden Integrale 2 ak = p

Zp 0

  2π f (x) cos k x dx p

2 p

Zp

  2π f (x) sin k x dx p

bk =

0

als eine sehr aufwendige Angelegenheit. Von daher ist es nahe liegend, nach Methoden zu suchen, die den Rechenaufwand reduzieren. Dieser Wunsch hatte insbesondere zu den Zeiten, als es noch keine Computeralgebrasysteme gab, eine zentrale Bedeutung. Man kann tats¨achlich die doppelte Berechnung der Koeffizienten auf die H¨alfte reduzieren, muss aber dazu den Weg u¨ ber die komplexen Zahlen gehen. Nach der Definition der komplexen Exponentialfunktion (Abschnitt 3.6) gilt f¨ur jedes beliebige y eiy = cos(y) + i sin(y). Damit gilt wegen der Symmetrien der trigonometrischen Funktionen auch e−iy = ei(−y) = cos(−y) + i sin(−y) = cos(y) − i sin(y). Durch Addition bzw. Subtraktion der beiden Gleichungen erh¨alt man eiy + e−iy = 2 cos(y) eiy − e−iy = 2i sin(y) bzw.  1 iy e + e−iy 2   1 iy i sin(y) = e − e−iy = − eiy − e−iy . 2i 2

cos(y) =

19.3

Komplexe Schreibweise der Fourier-Reihen

Setzen wir diese Darstellung der Sinus- und Kosinusfunktion in die reelle Fourier-Reihenentwicklung ein, so erhalten wir     ∞  a0 2π 2π f (x) ∼ + ∑ ak cos k x + bk sin k x 2 k=1 p p     ∞  2 2 π π 1 ik p x −ik p x a0 i ik 2π x −ik 2pπ x = e e p −e + ∑ ak − bk +e 2 k=1 2 2  ∞  π π 2 2 ak ik p x ak −ik p x ibk ik 2pπ x ibk −ik 2pπ x a0 +∑ e + e − e + e = 2 k=1 2 2 2 2  ∞  a0 ak −ibk ik 2pπ x ak +ibk −ik 2pπ x = . +∑ e + e 2 k=1 2 2 F¨uhren wir nun die neuen Konstanten ck :=

ak −ibk 2

ak +ibk 2

c−k :=

c0 :=

a0 2

ein, so k¨onnen wir die obige Reihe umschreiben in die Form  ∞  ik 2π x −ik 2pπ x f (x) ∼ c0 + ∑ ck e p + c−k e k=1

i·0· 2pπ x

= c0 e



ik 2pπ x

+ ∑ ck e k=1



=

ik 2pπ x

∑ ck e k=0



−ik 2pπ x

+ ∑ c−k e k=1



−ik 2pπ x

+ ∑ c−k e

.

k=1

Wenn wir jetzt in der zweiten Summe noch den neuen Summationsindex k¯ = −k einf¨uhren, so ergibt sich ∞

f (x) ∼



−∞

∑ ck eik p x + ∑

ik¯ 2pπ x

ck¯ e

=

¯ k=−1

k=0

−1



ik¯ 2pπ x

ck¯ e

¯ k=−∞



ik 2pπ x

+ ∑ ck e

.

k=0

Benennen wir schließlich den Summationsindex k¯ wieder in k um, so erhalten wir f (x) ∼

−1

∑ k=−∞

ik 2pπ x

ck e



ik 2pπ x

+ ∑ ck e k=0



=



ik 2pπ x

ck e

.

k=−∞

Wir haben also eine unendliche Reihendarstellung mit einer einheitlichen Art von Exponentialfunktionen erhalten. Allerdings ist diese unendliche Reihe doppelt so lang wie die reelle Fourier-Reihendarstellung. Die Koeffizienten ck ergeben sich im Fall k ≥ 1 zu

599

600

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

ak −ibk 2

ck =

    ! Zp 2π 2 2π f (x) cos k x dx − i f (x) sin k x dx p p p 0 0    ! Zp 1 2π 2π = f (x) cos k x − i f (x) sin k x dx p p p 0    ! Zp 1 2π 2π = f (x) cos k x − i sin k x dx p p p 2 p

1 = 2

Zp

0

1 p

=

Zp

−ik 2pπ x

f (x) e

dx.

0

F¨ur k ≤ −1 erh¨alt man aufgrund der obigen Einf¨uhrung von k¯ = −k und der anschließenden Umbenennung von k¯ in k ck =

a−k +ib−k 2

    ! Zp 2π 2 2π f (x) cos −k x dx + i f (x) sin −k x dx p p p 0 0    ! Zp 2π 2π 1 f (x) cos k x − i f (x) sin k x dx = p p p 0    ! Zp 1 2π 2π = f (x) cos k x − i sin k x dx p p p

1 = 2

2 p

Zp

0

=

1 p

Zp

−ik 2pπ x

f (x) e

dx,

0

also die gleiche Darstellung wie im Fall k ≥ 1. Schließlich ist auch a0 1 2 c0 = = · 2 2 p

Zp 0

1 f (x) dx = p

Zp

−i·0· 2pπ x

f (x) e

dx,

0

sodass wir als Gesamtergebnis den nachfolgenden Satz formulieren k¨onnen.

19.3

Komplexe Schreibweise der Fourier-Reihen

Satz Die Fourier-Reihe einer p-periodischen Funktion f l¨asst sich in der Form ∞

f (x) ∼



ik 2pπ x

ck e

k=−∞

mit den komplexen Fourier-Koeffizienten Zp

1 ck = p

−ik 2pπ x

f (x) e

dx

0

schreiben.

Wir haben es also bei der komplexen Darstellung der Fourier-Reihe nur mit einer Sorte von Summanden und nur einer Art von Koeffizienten zu tun. Der Rechenaufwand zur Berechnung der Fourier-Koeffizienten reduziert sich gegen¨uber der reellen Darstellung im Wesentlichen auf die H¨alfte. Leider hat diese Form den Nachteil, dass es sich um eine komplexe Darstellung handelt und man sich infolgedessen nur wenig darunter vorstellen kann – und das, obwohl es sich um eine reelle Funktion handelt. Insbesondere vermisst man die Demonstration des N¨aherungsverhaltens der trigonometrischen Polynome. Von daher stellt sich die Frage, wie man aus der komplexen Darstellung der Fourier-Reihe die reelle Form wiedergewinnen kann. Wir hatten die komplexen Fourier-Koeffizienten als ck :=

ak −ibk 2

c−k :=

ak +ibk 2

c0 :=

a0 2

(k ≥ 1)

eingef¨uhrt. Daraus lassen sich die reellen Fourier-Koeffizienten ak , bk rekonstruieren. Es ist ck + c−k = ak

ck − c−k = −ibk

(k ≥ 1)

und dar¨uber hinaus 2c0 = c0 + c−0 = a0 . Damit haben wir ein einfaches Verfahren, aus der komplexen FourierReihendarstellung die reelle Fourier-Reihe zu berechnen.

Komplexe Darstellung einer Fourier-Reihe

601

602

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

Rekonstruktion der reellen Fourier-Reihe aus der komplexen Darstellung

Satz Aus der komplexen Darstellung der Fourier-Reihe einer pperiodischen Funktion f ∞

f (x) ∼

ik 2pπ x



ck e

k=−∞

l¨asst sich die reelle Darstellung    ! ∞ 2π 2π a0 + ∑ ak cos k x + bk sin k x f (x) ∼ 2 k=1 p p u¨ ber die Beziehungen ak bk

= =

ck + c−k , i (ck − c−k ) ,

k = 0,1,2, . . . k = 1,2,3, . . .

bestimmen.

Fourier-Reihe des Einweggleichrichters

Beispiel 19.5 Wir k¨onnen jetzt mit vertretbarem Aufwand die Fourier-Reihe des Einweggleichrichters herleiten.

U(t) ∼

R

Durch die skizzierte Diodenschaltung wird gew¨ahrleistet, dass beim Anlegen einer Wechselspannung U(t) = U0 sin(ω t) Kreisfrequenz

mit der Kreisfrequenz

ω =

2π T

19.3

Komplexe Schreibweise der Fourier-Reihen

im Periodenintervall [0,T [ durch den Lastwiderstand R der zeitabh¨angige Strom ( I0 sin(ω t) f¨ur 0 ≤ t < T2 U0 I(t) = , I0 = R 0 f¨ur T2 ≤ t < T fließt. Als Graph der zu entwickelnden Funktion ergibt sich das folgende Bild: I0

I(t)

T

T 2

t

Nach dem obigen Satz berechnen sich die Koeffizienten ck in der komplexen Fourier-Reihe ∞

I(t) ∼

ck eik



2π t T

k=−∞

als ck =

1 T

ZT

I(t) e−ik

2π t T

dt

0

=



1  T

T

Z2 0

I0 sin(ω t) · e−ik

T

I0 = T

Z2

2π t T

dt +

ZT T 2



2π  0 · e−ik T t dt 

e−ikω t sin(ω t) dt.

0

Aus einer Formelsammlung oder einem Computeralgebrasystem entnimmt man die ben¨otigte Integrationsformel Z  eax eax sin(bx) dx = 2 a sin(bx) − b cos(bx) +C, a + b2 welche aber aufgrund des sonst verschwindenden Nenners nur f¨ur k 6= ±1 auf unsere Integrale angewendet werden darf. Es ergibt sich dann T   2 I0 e−ikω t ck = − ikω sin(ω t) − ω cos(ω t) T (−ikω )2 + ω 2 0 T " 2π    # 2  I0 e−ik T t 2π 2π = t − ω cos t −ikω sin T (−k2 +1)ω 2 T T 0

603

604

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

I0 = T



 e−ikπ − ikω sin(π ) − ω cos(π ) (1−k2 )ω 2

  e0 − ik ω sin(0) − ω cos(0) (1−k2 )ω 2   I0 −ikπ (−0 + ω ) − (−0 − ω ) e T (1−k2 )ω 2   I0 ω e−ikπ + ω 2 2 T (1−k )ω   I0 −ikπ + 1 e T (1−k2 )ω   I0 −ikπ e + 1 T (1−k2 ) 2Tπ   I0 −ikπ + 1 e 2(1−k2 )π  I0 cos(kπ ) − i sin(kπ ) +1 2 2(1−k )π | {z } | {z } =0 = (−1)k  I0 1 + (−1)k . 2(1−k2 )π −

= = = = = =

=

Die F¨alle c1 und c−1 m¨ussen getrennt behandelt werden. Es ist T

I0 c1 = T

Z2

I0 = T

Z2

e−iω t sin(ω t) dt

0

T

0

T

I0 = T

Z2 0

 cos(ω t) − i sin(ω t) sin(ω t) dt  cos(ω t) sin(ω t) − i sin2 (ω t) dt

  T 2 I0 1 1 t 2 = sin (ω t) − i − sin(ω t) cos(ω t) T 2ω 2 2ω 0    T     2 t i 2π I0 1 2π 2π t −i + t cos t = sin2 sin T 2ω T 2 2ω T T 0  T I0 i 1 2 sin (π ) − i + sin(π ) cos(π ) = T 2ω 4 2ω  1 i − sin2 (0) + i · 0 − sin(0) cos(0) 2ω 2ω 

19.3

=

I0 T

Komplexe Schreibweise der Fourier-Reihen



T i 1 · 02 − i + · 0 · (−1) 2ω 4 2ω  i 1 · 02 + 0 − ·0·1 − 2ω 2ω

I0 = − i. 4 Mit ganz analogen Rechenschritten ergibt sich

I0 i. 4 der komplexen

c−1 = Die

Fourier-Koeffizienten ∞

ik 2pπ t

I(t) ∼ ∑ ck e

Fourier-Reihe

lauten also

k=−∞

ck =

              

I0 − i 4 I0 i 4  I0 1 + (−1)k 2(1−k2 )π

f¨ur

k=1

f¨ur

k = −1

sonst.

Aus diesen komplexen Koeffizienten lassen sich nun die FourierKoeffizienten der reellen Fourier-Reihendarstellung     ∞  a0 2π 2π I(t) ∼ + ∑ ak cos k t + bk sin k t 2 k=1 T T =

∞  a0 + ∑ ak cos(kω t) + bk sin(kω t) 2 k=1

herleiten. Es ist

 I0 1 + (−1)0 I0 = 2 a0 = c0 + c−0 = 2c0 = 2 2π (1−02 ) π I0 I0 a1 = c1 + c−1 = − i + i = 0 4 4  I0 I0 I0 I0 b1 = i (c1 − c−1 ) = i − i − i = −i2 = 4 4 2 2 und f¨ur k > 1 ak = ck + c−k

  I0 1 + (−1)−k I0 1 + (−1)k  + = 2(1−k2 )π 2 1−(−k)2 π   k I0 1 + (−1) I0 1 + (−1)k = + 2(1−k2 )π 2(1−k2 )π

605

606

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

 I0 1 + (−1)k = (1−k2 )π  I0 (1 + 1) 2I0    (1−k2 )π = (1−k2 )π f¨ur k gerade =  I (1 − 1)   0 = 0 f¨ur k ungerade 2(1−k2 )π bk = i (ck − c−k )  ! I0 1 + (−1)k I0 1 + (−1)−k  = i − 2(1−k2 )π 2 1−(−k)2 π  ! I0 1 + (−1)k I0 1 + (−1)k = i − 2(1−k2 )π 2(1−k2 )π = 0. Die reelle Fourier-Reihe lautet also I(t) ∼

I0 I0 + sin(ω t) π 2 2I0 2I0 + cos(2ω t) + cos(4ω t) (1−22 )π (1−42 )π 2I0 2I0 + cos(6ω t) + cos(8ω t) + . . .. 2 (1−6 )π (1−82 )π ◭

19.4

Fourier-Transformation

Bevor wir mit der Theorie der Fourier-Transformation beginnen, soll wie u¨ blich die N¨utzlichkeit der Theorie an einem einfachen Beispiel demonstriert werden.

Telefonverbindungen uber ¨ eine Leitung

Beispiel 19.6 ¨ Telefonverbindungen u¨ bertragen bei analoger Ubermittlung akustische Signale in einem Bereich von 0 bis zu 4 000 Hz.4 Es w¨are aber zu aufwendig, wenn nicht gar unm¨oglich, f¨ur jede Verbindung von einem Ort A zum Ort B eine eigene Kabelverbindung zu legen. Es muss also eine M¨oglichkeit geben, u¨ ber ein und dieselbe Verbindung gleichzeitig mehrere Telefonate zu f¨uhren. Die aus den diversen Gespr¨achen resultierenden Signale werden also am einen Ende

19.4

zusammengef¨uhrt. Am anderen Ende muss es dann m¨oglich sein, die Gespr¨ache wieder zu trennen.

A

B

Prinzipiell das gleiche Problem tritt auch beim terrestrischen Rund¨ funk bzw. bei der Ubertragung per Satellit auf. Hier werden mehrere Programme u¨ ber die einzig m¨ogliche Funkverbindung zwischen Sender und Empf¨anger u¨ bertragen. Der Empf¨anger muss in der Lage sein, aus der Vielfalt der Signale die f¨ur ihn relevanten zu extrahieren. Die hierf¨ur ben¨otigte Technik beruht auf der FourierTransformation, die wir im Folgenden entwickeln werden. ◭

Periodische Signale f (t) mit der Periodendauer T bzw. der Kreisfrequenz ω = 2Tπ kann man mithilfe einer Fourier-Reihenentwicklung in eine Fourier-Reihe f (x) ∼

∞  a0 + ∑ ak cos(kω t) + bk sin(kω t) 2 k=1 ∞

=



ck eikω t

k=−∞

entwickeln. Das periodische Signal l¨asst sich also in die trigonometrischen Grundfunktionen bzw. in die komplexen Exponentialfunktionen mit den Kreisfrequenzen

ωk := kω zerlegen. Im reellen Fall bedeutet dies, dass man das Signal (bis auf Sprungstellen) als unendliche Summe von harmonischen Schwingungen dieser Kreisfrequenzen ωk kombinieren kann. Wir haben es demzufol¨ ge mit einer Uberlagerung von unendlich vielen Schwingungen mit den Kreisfrequenzen ωk zu tun. Man sagt, dass ein periodisches Signal ein diskretes Spektrum“ besitzt. ” ∧

1Hz = 1 Hertz = 1 1s ; benannt nach Heinrich Rudolf Hertz, 1857–1894, deutscher Physiker. Hertz gelang der experimentelle Nachweis elektromagnetischer Wellen.

4

Fourier-Transformation

607

608

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

Amplitude

ω0

ω1

ω2

ω3

ω4

···

Kreisfrequenz

¨ Bei der Ubermittlung von Signalen mittels Rundfunk, Mobiltelefon oder Satellit treten im Normalfall nicht periodische Signale auf. Es stellt sich damit die Frage, ob sich das obige Verfahren der Spektralzerlegung auch auf nicht periodische Vorg¨ange u¨ bertragen l¨asst. Wir werden hierzu den Grenz¨ubergang T → ∞

ω =

bzw.

2π →0 T

durchf¨uhren. Bevor wir jedoch dies tun, werden wir zun¨achst die komplexe Fourier-Reihenentwicklung ∞

f (t) ∼



ck eikω t =

∑ k=−∞



ck eiωk t

k=−∞

und die zugeh¨origen komplexen Fourier-Koeffizienten ck umformen. We  2π gen der T -Periodizit¨at von f und e−ik T t = cos k 2Tπ t − i sin k 2Tπ t gilt ck =

1 T

ZT



f (t) e−ik T t dt =

0



1 =  T

T

Z2 0

−iωk t

f (t) e

dt +



T

Z2

1  T

Z0

f (t) e −ikω t dt +

T 2

0

−iωk t

f (t) e

− T2

ZT



1  dt  = T



 f (t) e−ikω t dt 

T

Z2

f (t) e−iωk t dt.

− T2

Da der Name der Integrationsvariablen bei der Berechnung eines bestimmten Integrals keine Rolle spielt, k¨onnen wir diese auch mit s bezeichnen. Wir erhalten damit T

1 ck = T

Z2

− T2

f (s) e−iωk s ds.

19.4

Setzen wir diese so umgeformten Fourier-Koeffizienten in die FourierReihe ein, so erhalten wir T



f (t) ∼

iωk t



ck e

k=−∞



1 = ∑ T k=−∞

Z2

f (s) e−iωk s ds · eiωk t

− T2

T

1 = 2π



2π ∑ T k=−∞

Z2

− T2

f (s) e−iωk s ds · eiωk t .

|

{z gt (ωk )

}

Bezeichnen wir – wie oben angedeutet – den geklammerten Bereich mit gt (ωk ) und ber¨ucksichtigen, dass wir den Vorfaktor des Integrals in die Gestalt 2π = ω = kω − (k−1)ω = ωk − ωk−1 =: ∆ωk T umschreiben k¨onnen, so ergibt sich f (t) ∼

1 2π





gt (ωk ) ∆ωk .

k=−∞

Jetzt f¨uhren wir den angek¨undigten Grenz¨ubergang T → ∞ durch. Es gilt dann auch ∆ωk = ω =

2π −−−→ 0. T T →∞

Nach der Definition des bestimmten Integrals (vgl. Abschnitt 14.1) geht die obige unendliche Reihe in ein solches Integral u¨ ber, d. h. es gilt f (t) −−−→ T →∞

1 2π

Z∞

gt (ω ) d ω =

−∞

1 2π

Z∞ Z∞

−∞ −∞

f (s) e−iω s ds · eiω t d ω .

Wir f¨uhren nun noch die neue Gr¨oße F(ω ) :=

Z∞

f (s) e−iω s ds =

−∞

Z∞

f (t) e−iω t dt

−∞

ein. Die Umbenennung der Integrationsvariablen s zur¨uck in t ver¨andert den Wert des Integrals nat¨urlich nicht. Wir erhalten damit 1 f (t) ∼ 2π

Z∞

F(ω ) eiω t d ω .

−∞

Die Funktion F(ω ) entspricht bis auf den konstanten Vorfaktor 21π den Fourier-Koeffizienten ck in der Fourier-Reihe einer periodischen Funktion. Sie spiegelt also im komplexen Fall die Spektralzerlegung des Signals wider.

Fourier-Transformation

609

610

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

FourierTransformation

Definition

Ist f (t) eine Funktion, so heißt

Spektraldichte

Z∞

F(ω ) =

f (t) e−iω t dt

−∞

die Fourier-Transformierte oder Spektraldichte von f , sofern dieses Integral existiert. Die gegebene Zuordnung f (t) 7−→ F(ω ) heißt Fourier-Transformation. Man sagt f korrespondiert mit F“ ” und schreibt F = F{f}

oder

f (t) ◦−• F(ω ).

Mit der Fourier-Transformation ist es m¨oglich, gewisse von der Zeit t abh¨angige Probleme in den von ω abh¨angigen Frequenzbereich zu transformieren. Umgekehrt haben wir schon gezeigt, dass man im Wesentlichen die urspr¨ungliche Funktion f aus der Fourier-Transformierten F(ω ) wiedergewinnen kann.

Inverse FourierTransformation

Satz Ist F(ω ) die Fourier-Transformierte einer Funktion f , so l¨asst sich die Funktion f bis auf Sprungstellen als 1 f (t) = 2π

Z∞

F(ω ) eiω t d ω

−∞

rekonstruieren.

Mithilfe der Fourier-Transformation kann man also von der Zeit t abh¨angige Probleme in den von ω abh¨angigen Frequenzbereich transformieren. Die Praxis zeigt, dass viele zeitabh¨angige Probleme direkt schwierig oder gar nicht l¨osbar sind. Nach der Fourier-Transformation k¨onnen diese Probleme aber im Frequenzbereich h¨aufig relativ leicht gel¨ost werden. Das Ergebnis muss dann mittels der inversen FourierTransformation in den Zeitbereich zur¨uck transformiert werden und so hat man das urspr¨ungliche Problem ebenfalls gel¨ost. Bevor wir auf eine praktische Anwendung der Fourier-Transformation zu sprechen kommen, wollen wir zun¨achst in einem Beispiel eine FourierTransformierte berechnen.

19.4

Beispiel 19.7 Wir berechnen die Fourier-Transformierte des Rechtecksignals  1 f¨ur 0 ≤ t ≤ t0 f (t) = 0 sonst.

Fourier-Transformation

FourierTransformierte eines Rechtecksignals

f (t) 1

t0

t

Es ist F(ω ) =

Z∞

f (t) e−iω t dt =

−∞



e−iω t dt =

0

t0



1 −iω t e −iω

t0 0

i −iω t0 i e − e0 ω ω 0  i i = cos(ω t0 ) − i sin(ω t0 ) − ω ω sin(ω t0 ) + i − 1 + cos(ω t0 ) = . ω =

i −iω t e ω

Zt0

=

Man erkennt an dieser Rechnung, dass die Fourier-Transformierte F(ω ) im Normalfall ein echt komplexer Ausdruck ist. ◭

¨ Wir kommen jetzt auf das einleitende Problem der Ubertragung mehrerer Telefonate u¨ ber eine Telefonleitung zur¨uck.

Beispiel 19.8 (Fortf¨uhrung von Beispiel 19.6). Wir wollen ein Telefongespr¨ach u¨ ber eine analoge Telefonleitung u¨ bertragen. Dazu werden die Druckwellen des Schalls in der Sprechmuschel in ein Spannungssignal us (t) umgewandelt. Dieses Signal wird auf eine harmonische Schwingung uh (t) = u0 · cos(ω0t) mit der konstanten Kreisfrequenz ω0 aufmoduliert. Insgesamt ergibt sich als in der Leitung u¨ bertragenes Spannungssignal u(t) = us (t) · uh (t) = us (t) · u0 cos(ω0t).

Fortfuhrung ¨ Telefonverbindungen uber ¨ eine Leitung

611

612

19 Fourier-Reihen und Fourier-Transformation

Wegen der Identit¨at   cos(ω0t) + i sin(ω0 t) + cos(ω0 t) − i sin(ω0t)

eiω0 t + e−iω0t =

= 2 cos(ω0 t)

¨ l¨asst sich das Ubertragungssignal in die Gestalt  u0 iω0 t u(t) = us (t) · e + e−iω0 t 2 umformen. Als Fourier-Transformierte dieses Signals ergibt sich U(ω ) =

Z∞

−∞

u0 = 2 =

us (t) · Z∞

−∞



u0  2

 u0 iω0 t e + e−iω0 t e−iω t dt 2

 us (t) eiω0 t−iω t + us (t) e−iω0 t−iω t dt

Z∞

−∞

us (t) e−i(ω −ω0 )t dt +

Z∞

−∞



us (t) e−i(ω +ω0 )t dt 

 u0 = Us (ω − ω0 ) +Us (ω + ω0 ) , 2 wobei Us (ω ) die Fourier-Transformierte des reinen Gespr¨achsspannungssignals us (t) ist. Nun wissen wir, dass bei Telefonaten nur Frequenzen f = T1 zwischen 0 und 4 000 Hz u¨ bertragen werden. Es treten also nur Kreisfrequenzen im Bereich von 2π 1 ω = = 2π f ≈ 0 . . .25 000 T s auf. Demzufolge bewegt sich die Kreisfrequenz der Fourier¨ Transformierten U(ω ) des modulierten Ubertragungssignals im Bereich von 1 ±ω0 bis ± ω0 + 25 000 . s Außerhalb dieser Bereiche verschwindet die Fourier-Transformierte ¨ (Spektraldichte) U(ω ) des Ubertragungssignals. Mit dieser Erkenntnis ist es jetzt m¨oglich, auf ein und derselben Leitung mehrere Telefongespr¨ache gleichzeitig zu u¨ bermitteln. Stellt man sicher, dass die Tr¨agerfrequenzen ω0 und ω¯ 0 zweier Gespr¨ache sich jeweils mehr als um 25 000 1s unterscheiden, so sind die nicht verschwindenden Bereiche der Fourier-Transformierten disjunkt. Man muss aus der Fourier-Transformierten der u¨ berlagerten Gespr¨ache lediglich die entsprechenden Kreisfrequenzbereiche herausgreifen, und hat damit die Fourier-Transformierten der einzelnen Gespr¨ache. Durch die inverse Fourier-Transformation kann man daraus wieder die urspr¨unglichen Schallwellen us (t) und damit die am anderen Ende der Telefonleitung gesprochenen Worte rekonstru◭ ieren.

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 19.1 ¨ 19.1 Uberlegen Sie sich einige periodische Funktionen, die sich nicht mithilfe von endlich vielen trigonometrischen Funktionen bilden lassen.

19.2 Schreiben Sie die ersten Glieder der trigonometrischen Reihe  ∞ 2 · 1 − (−1)k sin(kx) ∑ kπ k=1 explizit auf. Lassen Sie sich die trigonometrischen Polynome, also nur die Summe der ersten n Glieder der Reihe, von einem Computeralgebrasystem zeichnen. Was f¨allt Ihnen beim Graphen mit Steigerung des Polynomgrades auf?

Abschnitt 19.2 19.3 Berechnen Sie jeweils die Fourier-Reihenentwicklung der 2π -periodischen Funktionen f , welche im Periodenintervall [0,2π [ folgendermaßen gegeben ist.  a) 0 f¨ur 0 ≤ x < π b) f (x) = 2π − x f¨ur 0 ≤ x < 2π f (x) = 1 f¨ur π ≤ x < 2π c)

f (x) =



x 2π − x

f¨ur f¨ur

0≤x 0 ergibt sich daraus |dA| = |b da + a db| ≤ |b| |da| + |a| |db| = b |da| + a |db| = b · | ± 0,01 a| + a · | ± 0,01 b| = b · 0,01 a + a · 0,01 b = 0,02 ab = 0,02 A. Der mittels A = ab berechnete Fl¨acheninhalt ist demzufolge maximal mit einem Fehler von 0,02 A bzw. einer Ungenauigkeit von 2% behaftet. ◭

Die im Beispiel geschilderte Methode der Fehlerabsch¨atzung einer abgeleiteten Gr¨oße ist mit einem eigenen Namen versehen.

Lineares Fehlerfortpflanzungsgesetz

Lineares Fehlerfortpflanzungsgesetz Berechnet sich eine Gr¨oße als z = f (x1 ,x2 , . . . ,xn ) und sind die Eingangsgr¨oßen x1 ,x2 , . . . ,xn mit den Fehlern dx1 ,dx2 , . . . ,dxn versehen, so l¨asst sich die Ungenauigkeit der abgeleiteten Gr¨oße durch ∂f ∂f ∂f |dxn | |dz| ≤ |dx1 | + |dx2 | + . . . + ∂ x1 ∂ x2 ∂ xn absch¨atzen.

Fortfuhrung ¨ Ortsbestimmung mittels Tachymeter

Beispiel 20.15 (Fortf¨uhrung von Beispiel 20.11 und 20.13). Wir kehren nochmals zu den mithilfe eines Tachymeters bestimmten Koordinaten x = r cos(ϕ ) y = r sin(ϕ ) zur¨uck. Wir fragen uns, wie genau das Tachymeter die Gr¨oßen r und ϕ messen muss, um eine geforderte Genauigkeit g in den Koordinaten x und y zu erreichen.

20.4

Wir wissen nach dem linearen Fehlerfortpflanzungsgesetz, dass sich die Ungenauigkeiten in der Abstands- und Winkelmessung h¨ochstens gem¨aß ∂x ∂x |d ϕ | = | cos(ϕ )| |dr| + | − r sin(ϕ )| |d ϕ | |dx| ≤ |dr| + ∂r ∂ϕ ∂y ∂y |d ϕ | = | sin(ϕ )| |dr| + |r cos(ϕ )| |d ϕ | |dy| ≤ |dr| + ∂r ∂ϕ auf die Koordinaten x,y auswirken. Da die Genauigkeit g in x und y erreicht werden soll, bedeutet dies, dass die Unsicherheiten dx und dy gerade so groß werden d¨urfen. Wir m¨ussen also das lineare Gleichungssystem g = | cos(ϕ )| |dr| + r| sin(ϕ )| |d ϕ | g = | sin(ϕ )| |dr| + r| cos(ϕ )| |d ϕ |

f¨ur die Unbekannten |dr|, |d ϕ | l¨osen. Nach der Cramer’schen Regel (Abschnitt 8.6) ergibt sich g r| sin(ϕ )| g r| cos(ϕ )| gr| cos(ϕ )| − gr| sin(ϕ )| = |dr| = r| cos(ϕ )|2 − r| sin(ϕ )|2 | cos( ϕ )| r| sin( ϕ )| | sin(ϕ )| r| cos(ϕ )| g (| cos(ϕ )|−| sin(ϕ )|) (| cos(ϕ )|+| sin(ϕ )|)(| cos(ϕ )|−| sin(ϕ )|) g = | cos(ϕ )|+| sin(ϕ )| | cos(ϕ )| g | sin(ϕ )| g | cos(ϕ )| g − | sin(ϕ )| g = |d ϕ | = r| cos(ϕ )|2 − r| sin(ϕ )|2 | cos( ϕ )| r| sin( ϕ )| | sin(ϕ )| r| cos(ϕ )| =

g (| cos(ϕ )|−| sin(ϕ )|) r(| cos(ϕ )|+| sin(ϕ )|)(| cos(ϕ )|−| sin(ϕ )|) g = . r(| cos(ϕ )|+| sin(ϕ )|) =

F¨ur die Unsicherheiten in der Entfernungsmessung r und der Winkelbestimmung ϕ m¨ussen also die Bedingungen 1 ·g | cos(ϕ )|+| sin(ϕ )| 1 |d ϕ | ≤ ·g r(| cos(ϕ )|+| sin(ϕ )|) |dr| ≤

gelten. Demzufolge h¨angt die geforderte Genauigkeit in der Abstandsmessung r nur vom gemessenen Winkel ab, w¨ahrend die Genauigkeitsanforderung an den Winkel ϕ zus¨atzlich mit wachsendem Abstand r zunimmt. ◭

Totales Differenzial

637

638

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Es soll noch bemerkt werden, dass neben dem geschilderten linearen Fehlerfortpflanzungsgesetz ein weiteres Fehlerfortpflanzungsgesetz h¨aufig Verwendung findet. In der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird die Streuung, mit welcher sich die Messwerte einstellen, meistens mithilfe der sog. Standardabweichung σ beschrieben. Bei normalverteilten Zufallsgr¨oßen kann man mit einer Wahrscheinlichkeit von 68% erwarten, dass das Ergebnis maximal um σ vom Erwartungswert µ der Gr¨oße abweicht. Gauß’sches Fehlerfortpflanzungsgesetz

Man kann mithilfe des totalen Differenzials sowie Methoden der Statistik zeigen, dass sich das Quadrat der Standardabweichung σ einer abgeleiteten Gr¨oße f (x1 ,x2 , . . . ,xn ) aus den Standardabweichungen σxk der Eingangsgr¨oßen n¨aherungsweise u¨ ber 2

σ =



∂f ∂ x1

2

σx21



∂f + ∂ x2

2

σx22



∂f +...+ ∂ xn

2

σx2n

berechnet. Diese Berechnungsformel der Standardabweichung einer abgeleiteten Gr¨oße ist unter dem Namen Gauß’sches Fehlerfortpflanzungsgesetz bekannt geworden.

Ableitung impliziter Funktionen Wie wir bereits in Abschnitt 3.4 gesehen haben, sind nicht alle Funktionen in der expliziten Form y = f (x), sondern manchmal auch in der impliziten Darstellung F(x,y) = 0 gegeben. Oft ist es nicht einmal m¨oglich, die explizite Form herzuleiten. Trotzdem kann man mithilfe des totalen Differenzials die Ableitung der Funktion an beliebigen Stellen berechnen.

Tangente an eine Ellipse

Beispiel 20.16 Wir betrachten die Ellipse mit der Gleichung x2 y2 + = 1 a2 b2 und wollen eine Parameterdarstellung der Tangente t in einem beliebigen Ellipsenpunkt (x0 | y0 ) berechnen. Um Sonderf¨alle zu vermeiden, schließen wir dabei die Punkte mit y0 = 0 aus.

20.4

y b b

(x0 | y0 ) a

t x

Nat¨urlich kann man in diesem speziellen Fall die implizite Darstellung in die explizite Form r x2 y = ±b 1− 2 a umformen und mit der Ableitung   b 1 x 2x dy = ±b q · − 2 = ∓ 2·q 2 dx a a x2 2 1 − a2 1 − ax2

arbeiten. Als Vorzeichen muss man hierbei zun¨achst dasjenige von y0 w¨ahlen, welches sich letztendlich aber in das alternative umkehrt. Die Steigung der Tangente im besagten Punkt (x0 | y0 ) ergibt sich damit als ∓

b x0 x b2 b2 x0 q0 ·q = − 2· = − 2· , 2 2 2 x x a a a y0 1 − a02 ±b 1 − a02

d. h. eine Parameterdarstellung der Tangente lautet !   1 x0 2 λ ∈ R. , +λ ~x = y0 − ab2 xy0 0

Es gibt aber auch eine zweite M¨oglichkeit, die Tangente t zu bestimmen, und das ohne die Abbildungsvorschrift explizit zu bestimmen und ohne Vorzeichenunterscheidung. Hierzu betrachten wir die Funktion F(x,y) =

x2 y2 + −1 a2 b2

und berechnen das totale Differenzial dieser Funktion F. dF =

2x 2y ∂F ∂F dx + dy = 2 dx + 2 dy ∂x ∂y a b

Totales Differenzial

639

640

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Auf der Ellipse gilt u¨ berall F(x,y) = 0, d. h. es ist dF = 0 und damit 2x 2y dx + 2 dy = 0. a2 b ¨ Das tangentiale Anderungsverhalten im Ber¨uhrpunkt (x0 | y0 ) der Ellipse hat also den Wert 2x

0 dy b2 x0 a2 = − 2· , = − 2y 0 dx a y0 2

b

d. h. die Tangente hat diese Steigung. Genau so wie bei der ersten Berechnungsmethode erhalten wir daraus wieder die obige Parame◭ terdarstellung der Tangente.

Das Verfahren, den Wert der Ableitungen mithilfe des totalen Differenzials zu berechnen, ist auch auf die Berechnung der partiellen Ableitungen von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher anwendbar.

Implizite Funktion

Beispiel 20.17 Eine Funktion z = f (x,y) ist implizit durch die Gleichung sin(z−x) + ez−y − 1 = 0 gegeben. Durch Einsetzen stellt man fest, dass der Punkt (x0 ,y0 ,z0 ) = (1,1,1) auf der dadurch gegebenen Fl¨ache liegt, dass also f (1,1) = 1 gilt. In diesem Fall ist es nicht m¨oglich, rechnerisch die implizite Gleichung in die explizite Darstellung z = f (x,y) zu u¨ berf¨uhren. Dazu m¨usste man die obige Gleichung nach der Variablen z aufl¨osen, was nicht machbar ist. Trotzdem k¨onnen wir die partiellen Ableitungen an der Stelle (x0 ,y0 ) = (1,1) berechnen. Wir betrachten analog zum vorangegangenen Beispiel die Funktion F(x,y,z) = sin(z−x) + ez−y − 1

20.4

und bestimmen zun¨achst das zugeh¨orige totale Differenzial:

∂F ∂F ∂F dx + dy + dz ∂x ∂y ∂z  = − cos(z−x) dx − ez−y dy + cos(z−x) + ez−y dz

dF =

Auf der gegebenen Fl¨ache ist u¨ berall F(x,y,z) = 0 und damit nat¨urlich auch dF = 0. Insbesondere ist dies an der betrachteten Stelle (x0 ,y0 ,z0 ) = (1,1,1) so:  0 = dF(1,1,1) = − cos(1−1) dx − e1−1 dy + cos(1−1) + e1−1 dz = −1 dx − 1 dy + 2 dz

Daraus ergibt sich dz =

1 1 dx + dy. 2 2

Variiert man also auf der Tangentialebene die x- und y-Koordinate um dx bzw. dy, so a¨ ndert sich die H¨ohe um dz. Die partielle Ableitung nach der Variablen x ist die Steigung der Tangente in dieser Tangentialebene in x-Richtung. Die y-Koordinate bleibt dann konstant, d. h. es ist dy = 0. Auf dieser Tangente gilt also dz =

1 dx. 2

Die partielle Ableitung der implizit gegebenen Funktion f (x,y) nach x ist damit fx (1,1) =

dz 1 = . dx 2

Mit der gleichen Argumentation ist bei der partiellen Ableitung nach der Variablen y die Gr¨oße dx = 0. Es ergibt sich dann aus dz =

1 dy 2

als Wert der partiellen Ableitung nach y fy (1,1) =

1 dz = . dy 2 ◭

Totales Differenzial

641

642

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

20.5

Richtungsableitung

Bei der Einf¨uhrung der partiellen Ableitungen bei Funktionen zweier Ver¨anderlicher hatten wir uns von der Frage leiten lassen, wie stark die Tangenten in Richtung der x- und y-Koordinate wachsen. Allerdings ist die Beschr¨ankung auf die Richtung der Koordinatenachsen k¨unstlich. Man stellt sich zu Recht die allgemeinere Frage, wie groß die Steigung der Tangente ist, wenn man sich in eine beliebige Richtung3   r1 ~r = r2 in der (x,y)-Ebene bewegt. z ∂f ∂~e b

b

y b

x

e1  e2

Da es nur auf die Bewegungsrichtung ankommt, k¨onnen wir uns die Richtung auch durch den entsprechenden Einheitsvektor     1 r1 e1 ~e = = r2 e2 |~r |

repr¨asentiert denken. Die Steigung der zugeh¨origen Tangente in einem Punkt ~x0 = (x0 ,y0 ) ergibt sich aufgrund der Definition des Differenzialquotienten als

∂f f (x0 +∆t ·e1 ,y0 +∆t ·e2 ) − f (x0 ,y0 ) := lim ∆t→0 ∂~e ∆t f (~x0 +∆t ·~e) − f (~x0 ) = lim . ∆t→0 ∆t Nat¨urlich kann man diesen Grenzwert auf beliebige Dimensionen erweitern. 3

Wir verwenden in diesem Zusammenhang f¨ur Vektoren wieder die u¨ bliche Spaltenschreibweise.

20.5

n Die Richtungsableitung einer Funktion   f :A⊂R e1   −→ R in Richtung eines Einheitsvektors ~e =  ...  ist der Difen ferenzialquotient

Definition

f (~x+∆t ·~e) − f (~x) ∂f := lim ∆t→0 ∂~e ∆t  f x1 +∆t e1 , x2 +∆t e2 , . . . , xn +∆t en − f (x1 ,x2 , . . . ,xn ) = lim . ∆t→0 ∆t

Die Berechnung von Richtungsableitungen mithilfe der Grenzwertdefinition des Differenzialquotienten ist sehr aufwendig.

Beispiel 20.18 Wir suchen die Richtungsableitung der Funktion f (x,y) = 2x2 − y in die Richtung ~r =



3 4



.

Hierzu m¨ussen wir zun¨achst den zu ~r geh¨origen Einheitsvektor ~e bestimmen:     3   1 3 1 1 3 5 = ~e = ~r = √ = 4 4 |~r | 5 4 32 + 42 5 Damit ergibt sich

∂f f (x+∆t ·e1 ,y+∆t ·e2 ) − f (x,y) = lim ∆t→0 ∂~e ∆t     3 2 2 x + ∆t · 5 − y + ∆t · 54 − 2x2 − y = lim ∆t→0 ∆t 18 12 2 2x + 5 x·∆t + 25 (∆t)2 − y − 45 ∆t − 2x2 + y = lim ∆t→0 ∆t 2 12 18 4 x·∆t + 25 (∆t) − 5 ∆t = lim 5 ∆t→0 ∆t   12 18 4 = lim x + ∆t − ∆t→0 5 25 5 12 4 = x− . 5 5 ◭

Richtungsableitung

Richtungsableitung

643

644

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Man fragt sich, ob man Richtungsableitungen nicht einfacher bestimmen kann. Dazu beschr¨anken wir uns zun¨achst wieder auf den Fall einer Funktion von zwei Ver¨anderlichen. z ∂f ∂y

∂f ∂x b

∂f ∂~e

y 1 0

x

b

0 1

e1  e2

Der Einheitsvektor ~e, der in der (x,y)-Ebene die Richtung der gesuchten Richtungsableitung bestimmt, l¨asst sich durch die Einheitsvektoren 1 0 , linear kombinieren: 0 1       e1 1 0 ~e = = e1 + e2 e2 0 1 Es ist plausibel, dass sich diese Linearkombination auf die Tangentialebene der durch f bestimmten Fl¨ache u¨ bertr¨agt:       0 e1 1  e2  = e1  0  + e2  1  ∂f ∂~e

∂f ∂x

∂f ∂y

Aus dieser Gleichheit folgt insbesondere die Identit¨at

∂f ∂f ∂f = e1 · + e2 · . ∂~e ∂x ∂y Nach der Berechnungsformel f¨ur das Skalarprodukt (Abschnitt 6.1) und f¨ur den Gradienten (Abschnitt 20.3) ergibt sich daraus f¨ur die Richtungsableitung !   ∂f ∂f e1 ∂x = · = ~e · grad f . ∂f e2 ∂~e ∂y Dies ist eine einfache Berechnungsm¨oglichkeit f¨ur die Richtungsableitung in beliebige Richtungen, ohne auf die Grenzwertdefinition des Differenzialquotienten zur¨uckgreifen zu m¨ussen. Diese Formel l¨asst sich in nahe liegender Weise auf beliebige Dimensionen verallgemeinern.

20.5

n Die Richtungsableitung einer Funktion  f : A ⊂ R −→ R in e1   Richtung des Einheitsvektors ~e =  ...  l¨asst sich als das Skaen larprodukt

Satz

∂f ∂f ∂f ∂f = ~e · grad f = e1 · + e2 · + . . . + en · ∂~e ∂ x1 ∂ x2 ∂ xn berechnen.

Beispiel 20.19 (Fortf¨uhrung von Beispiel 20.18). Wir wollen nochmals f¨ur die Funktion f (x,y) = 2x2 − y die Richtungsableitung in Richtung des Einheitsvektors  3  5 ~e = 4 5

berechnen, jetzt aber mithilfe des obigen Skalarprodukts. Es ist !   ∂f 4x ∂ x grad f = = ∂f −1 ∂y und damit

∂f = ~e · grad f ∂~e  3    4x 5 = · 4 −1 5 3 4 · 4x + · (−1) 5 5 12 4 = x− , 5 5 =

was dem obigen Ergebnis entspricht, aber ohne aufwendige Grenzwertberechnung bestimmt wurde. ◭

Mithilfe des obigen Satzes ist es nun m¨oglich, dem in Abschnitt 20.3 eingef¨uhrten Begriff des Gradienten im Fall einer Funktion von zwei

Richtungsableitung

Richtungsableitung und Gradient

645

646

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Ver¨anderlichen eine geometrische Bedeutung zu geben. Dazu fragen wir uns, in welche Richtung man in der (x,y)-Ebene gehen muss, um auf der zugeh¨origen Fl¨ache den steilsten Anstieg zu erhalten. Wir m¨ussen also pr¨ufen, in welcher Richtung ~e die Richtungsableitung ∂∂~ef maximal wird. z ∂f ∂~e b

y ~e b

x

(x0 ,y0 )

Nach der Definition in Abschnitt 6.1 berechnet sich das Skalarprodukt zwischen zwei Vektoren ~a,~b mithilfe des eingeschlossenen Winkels ϕ als ~a ·~b = ~a · ~b · cos(ϕ ). In unserem Fall bedeutet dies, dass sich die Richtungsableitung als

∂f = ~e · grad f = |~e| · |grad f | · cos(ϕ ) ∂~e mit dem von den beiden Vektoren ~e, grad f eingeschlossenen Winkel ϕ berechnet. Da es sich bei ~e um einen Einheitsvektor handelt, ist |~e | = 1 und damit

∂f = |grad f | · cos(ϕ ). ∂~e Dieser Wert wird maximal, wenn cos(ϕ ) = 1

bzw.

ϕ = 0

ist. Dies bedeutet, dass die Richtungsableitung dann maximal ist, wenn ~e und grad f in der (x,y)-Ebene in die gleiche Richtung weisen.

20.6

oherer Ordnung Partielle Ableitungen h¨

Satz Der Gradient einer Funktion f : A ⊂ R2 −→ R weist in die Richtung des st¨arksten Anstiegs der Funktion im betreffenden Punkt. Die zugeh¨orige maximale Steigung betr¨agt

Geometrische Deutung des Gradienten

∂f ∂f  = |grad f | . =  1 ∂~e max ∂ |grad f | ·grad f

20.6

Partielle Ableitungen h¨ oherer Ordnung

Nat¨urlich kann man im Normalfall die partiellen Ableitungen fxi einer Funktion mehrerer Ver¨anderlicher wieder partiell differenzieren. F¨ur die entstehenden zweiten partiellen Ableitungen haben sich Schreibweisen ¨ etabliert, die auf folgende formale Uberlegungen zur¨uckgehen:  ∂f ∂∂ f ∂2 f = = ∂ xi (∂ x j )(∂ xi ) ∂ x j ∂ xi   ∂ ∂f ∂∂ f ∂2 f ∂2 f = = = = 2 ∂ xi ∂ xi (∂ xi )(∂ xi ) (∂ xi ) ∂ x2i

( fxi )x j = fxi x j = ( fxi )xi = fxi xi

∂ ∂xj



Die Bindung von ∂ xi bzw. ∂ x j wird als so stark angesehen, dass man die entsprechenden Klammern wegl¨asst. Man schreibt also f¨ur die partiellen Ableitungen zweiter Ordnung fxi x j =

∂2 f ∂ x j ∂ xi

fxi xi =

∂2 f . ∂ x2i

Entsprechend schreibt man die partiellen Ableitungen dritter Ordnung als fxi x j xk =

∂3 f ∂ xk ∂ x j ∂ xi

fxi xi xi =

∂3 f ∂ x3i

usw. Die jeweils erste Schreibweise mit den Indizes ist in mathematischen Kontexten gebr¨auchlich, w¨ahrend die Schreibweise mit den Differenzialen insbesondere bei technischen Anwendungen sehr beliebt ist.

Schreibweise partieller Ableitungen h¨oherer Ordnung

647

648

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Beispiel 20.20 Wir wollen alle partiellen Ableitungen zweiter Ordnung der Funktion f (x,y,z) = xy2 + yexz berechnen. Dazu ben¨otigen wir zun¨achst die partiellen Ableitungen erster Ordnung. Es ist

∂f = y2 + yzexz ∂x ∂f = 2xy + exz fy = ∂y ∂f fz = = xyexz . ∂z fx =

Die partiellen Ableitungen zweiter Ordnung ergeben sich damit zu fxx = fxy = fxz = fyx = fyy = fyz = fzx = fzy = fzz =

∂2 f = yz2 exz ∂ x2 ∂2 f = 2y+zexz ∂ y∂ x ∂2 f = (y+xyz) exz ∂ z∂ x ∂2 f = 2y+zexz ∂ x∂ y ∂2 f = 2x ∂ y2 ∂2 f = xexz ∂ z∂ y ∂2 f = (y+xyz) exz ∂ x∂ z ∂2 f = xexz ∂ y∂ z ∂2 f = x2 yexz . ∂ z2



Leider w¨achst die Anzahl der h¨oheren partiellen Ableitungen exponentiell. Hat man, wie im vorangegangenen Beispiel, eine Funktion von drei Ver¨anderlichen f (x,y,z), so gibt es mit fx , fy , fz drei partielle Ableitungen erster Ordnung. Da man jede dieser partiellen Ableitungen wieder nach allen drei Variablen partiell differenzieren kann, haben wir es mit 3 · 3 = 9 partiellen Ableitungen zweiter Ordnung fxx , fxy , . . . , fzz zu tun. Nun kann

20.6

Partielle Ableitungen h¨ oherer Ordnung

man jede dieser Funktionen wieder nach allen drei Variablen differenzieren, d. h. wir bekommen 9 · 3 = 27 partielle Ableitungen dritter Ordnung, dann 27 · 3 = 81 Ableitungen vierter Ordnung usw. Bei Funktionen in Abh¨angigkeit von noch mehr Variablen steigt die Anzahl der partiellen Ableitungen noch rasanter. Allerdings f¨allt beim obigen Beispiel auch auf, dass die gemischten partiellen Ableitungen gleich sind: fxy = fyx

fxz = fzx

fyz = fzy

Dies ist kein Zufall. Unter gewissen schwachen Zusatzvoraussetzungen l¨asst sich die Reihenfolge der Ableitungen vertauschen. Dazu m¨ussen wir zun¨achst eine Sprechweise vereinbaren.

Definition Eine Funktion f : A ⊂ Rn −→ R heißt p -mal stetig partiell differenzierbar oder von der Klasse C p , wenn alle partiellen Ableitungen bis zur Ordnung p existieren und stetig sind.4

Stetige partielle Differenzierbarkeit

Die Funktion f heißt stetig partiell differenzierbar, wenn sie einmal stetig partiell differenzierbar ist. Die Funktion heißt von der Klasse C0 oder von der Klasse C , wenn sie stetig ist.

Gl¨ucklicherweise sind fast alle Funktionen, mit denen wir gew¨ohnlich arbeiten, beliebig oft stetig partiell differenzierbar. Mit dieser Vereinbarung k¨onnen wir jetzt den oben schon angedeuteten Satz formulieren.

Satz von Schwarz5 Ist f : A ⊂ Rn −→ R eine p-mal stetig partiell differenzierbare Funktion, so h¨angen die partiellen Ableitungen bis zur Ordnung p nicht von der Differenziationsreihenfolge ab. Insbesondere ist fxi x j = fx j xi fxi x j xk = fxi xk x j = fx j xi xk = fx j xk xi = fxk xi x j = fxk x j xi .

4

Im Gegensatz zur Definition der p-maligen stetigen Differenzierbarkeit von Funktionen in Abh¨angigkeit von einer Variablen (vgl. Abschnitt 11.3) muss hier die Stetigkeit aller partiellen Ableitungen bis zur Ordnung p gefordert werden. Ein einfaches Beispiel einer partiell beliebig oft differenzierbaren Funktion, welche nicht einmal stetig ist, ist die Funktion  1 f¨ur x = 0 oder y = 0 f (x,y) = 0 f¨ur x 6= 0 und y = 6 0. 5

Hermann Amandus Schwarz, 1843–1921, deutscher Mathematiker.

Satz von Schwarz zur Vertauschung der Differenziationsreihenfolge

649

650

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Die Anzahl der zu berechnenden partiellen Ableitungen steigt also doch nicht so schnell an, wie zun¨achst vermutet. Nach der Berechnung einer partiellen Ableitung zweiter Ordnung kennt man also gew¨ohnlich gleich eine weitere. Nach der Berechnung einer partiellen Ableitung dritter Ordnung kennt man dann sogar bis zu 5 weitere derartige partielle Ableitungen. Ebenso, wie wir alle ersten partiellen Ableitungen in Form des Gradienten zu einem Vektor zusammengefasst haben, ist es u¨ blich, die zweiten partiellen Ableitungen in Form einer Matrix zu schreiben.

Hesse-Matrix

Definition Unter der Hesse6 -Matrix einer zweimal partiell differenzierbaren Funktion f : A ⊂ Rn −→ R versteht man die (n,n)Matrix   fx1 x1 fx1 x2 · · · fx1 xn  fx2 x1 fx2 x2 · · · fx2 xn    H f :=  . .. ..  . ..  .. . . .  fxn x1 fxn x2 · · · fxn xn

Diese Matrix ist zun¨achst wieder nur ein Schema, in welches man alle partiellen Ableitungen zweiter Ordnung schreibt. Wir werden aber noch sehen, dass diese Matrix durchaus auch eine praktische Bedeutung besitzt (vgl. Abschnitt 21.1). Bemerkenswert ist, dass die Hesse-Matrix im Normalfall wegen des Satzes von Schwarz symmetrisch ist, d. h. die Matrix H f stimmt mit ihrer Transponierten H Tf u¨ berein.

20.7

Divergenz und Rotation

Zur Beschreibung physikalischer Ph¨anomene ben¨otigt man Ausdr¨ucke, welche auf den partiellen Ableitungen basieren. So l¨asst sich die gesamte Elektrodynamik aus den sog. Maxwell7 -Gleichungen ableiten, welche die nachstehenden Differenzialoperatoren ben¨otigen. Bevor wir aber diese Operationen einf¨uhren, m¨ussen wir zun¨achst definieren, was man unter einem dreidimensionalen Vektorfeld versteht.

6

Ludwig Otto Hesse, 1811–1874, deutscher Mathematiker.

7

James Clerk Maxwell, 1831–1879, englischer Physiker.

20.7

Divergenz und Rotation

Vektorfeld Definition Der aus drei Funktionen F1 , F2 , F3 : A ⊂ R3 −→ R gebildete Funktionenvektor   F1 (x,y,z) ~ F(x,y,z) =  F2 (x,y,z)  F3 (x,y,z)

heißt ein dreidimensionales Vektorfeld.

Derartige Vektorfelder treten immer dann auf, wenn jedem Ort des Anschauungsraums eine vektorielle Gr¨oße zugeordnet wird.

Gravitationskraft

Beispiel 20.21 Die Gravitationskraft, die ein sich im Ursprung befindender Planet mit der Masse M auf einen K¨orper mit der Masse m aus¨ubt, berechnet sich gem¨aß F = G

Mm , r2

wobei r der Abstand der Masse m vom Ursprung und G = 6,67 · m3 10−11 kg·s 2 die Gravitationskonstante ist. Die Richtung der Kraft weist nat¨urlich in Richtung des Planeten, also in Richtung des Ursprungs. Wir k¨onnen die vektorielle Kraftwirkung auch folgendermaßen beschreiben:     x Mm 1 Mm 1 ~F = G  y  p · − ~ r = −G · r2 |~r| x2 +y2 +z2 x2 +y2 +z2 z   x 3

 (x2 +y2 +z2 ) 2   y  = −GMm  2 2 2 32  (x +y +z )  z  3

(x2 +y2 +z2 ) 2

       

Offensichtlich haben wir es mit einem Vektor mit drei Funktionen ◭ als Komponenten, also mit einem Vektorfeld zu tun.

651

652

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Gradient als Vektorfeld

Ein typisches Vektorfeld ist der Gradient einer Funktion f . Auch hier wird jedem Punkt im Raum ein gewisser Vektor zugeordnet:  ∂f   grad f = ∇ f = 

∂x ∂f ∂y ∂f ∂z

 

Man kann u¨ brigens nachweisen, dass sich das Gravitationsfeld als Gradient eines sogenannten Potenzials ableiten l¨asst. Neben dem Kraftfeld ~ F spielen in der Physik insbesondere das elektrische Feld ~E und das magnetische Feld ~B als Vektorfelder eine große Rolle. Auf solchen Vektorfeldern f¨uhrt man nun folgende Gr¨oßen ein. Divergenz Rotation

Definition

Es sei  F1 (x,y,z) ~ F(x,y,z) =  F2 (x,y,z)  F3 (x,y,z) 

ein Vektorfeld und mit ~∇ werde der Operatorenvektor   ∂ ∂x ∂ ∂y ∂ ∂z

~∇ =  

 

bezeichnet. Dann nennt man das formal gebildete Skalarprodukt     ∂ F1 ∂x ∂ F1 ∂ F2 ∂ F3   + + div ~ F := ~∇ · ~ F =  ∂∂y  ·  F2  = ∂x ∂y ∂z ∂ F3 ∂z

die Divergenz des Vektorfelds. Das formal gebildete Vektorprodukt 

 rot ~ F := ~∇ × ~F = 

∂ ∂x ∂ ∂y ∂ ∂z



  F1    F2  =  × F3 

∂ F3 ∂y ∂ F1 ∂z ∂ F2 ∂x

− ∂∂Fz2



 − ∂∂Fx3  − ∂∂Fy1

heißt die Rotation des Vektorfelds.

Maxwell-Gleichungen

Mit diesen Differenzialoperatoren ist es nun z. B. m¨oglich, die sog. Maxwell-Gleichungen zu formulieren, aus welchen sich alle Gesetze der Elektrodynamik herleiten lassen. Sie stellen einen Zusammenhang zwischen elektrischen Feldern ~E und magnetischen Feldern ~B her und lauten

20.7

div ~E =

Divergenz und Rotation

∂ ~B ∂t ∂ ~E 1 + µ0~j, rot ~B = 2 c ∂t

ρ ε0

rot ~E = −

div ~B = 0

wobei ε0 , µ0 Naturkonstanten, ρ die Ladungsdichte, c die Lichtgeschwindigkeit und ~j die elektrische Stromdichte ist. Die partiellen Ableitungen ∂ ~ ~ ∂ t der Vektorfelder B und E sind komponentenweise zu interpretieren. Auf die Bedeutung dieser Gleichungen soll nicht weiter eingegangen werden. Wesentlich ist, dass sich aus den Maxwell-Gleichungen viele physikalische Gesetze ableiten lassen. Sogar die Existenz elektromagnetischer Wellen ließ sich vor deren experimentellem Nachweis aufgrund der Maxwell-Gleichungen postulieren. Wir wollen diesen Abschnitt mit einem Beispiel beschließen.

Stromdurchflossener Leiter

Beispiel 20.22 Das Magnetfeld eines mit der Stromst¨arke I durchflossenen, in zRichtung verlaufenden Stromleiters wird durch  −y  ~B = µ0 I   2π

x2 +y2 x x2 +y2

0

 

beschrieben. Wir wollen die f¨ur die Maxwell-Gleichungen ben¨otigten Gr¨oßen div ~B und rot ~B berechnen. Es ergibt sich  −y     div ~B = ~∇ · ~B = 

∂ ∂x ∂ ∂y ∂ ∂z

 µ0 I   · 2π

x2 +y2 x x2 +y2

 

0       −y x ∂ ∂ 2 2 2 2 µ0 I  ∂ (0)  x +y x +y = + + 2π ∂x ∂y ∂z ! µ0 I y x = · 2x − · 2y + 0 = 0, 2 2π (x2 +y2 )2 (x2 +y2 )

was in vollem Einklang mit dem entsprechenden Maxwell’schen Gesetz steht. Weiter ist

653

654

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher



 rot ~B = ~∇ × ~B =  

  µ0 I   =  2π    =



µ0 I   2π





∂ ∂x ∂ ∂y ∂ ∂z





 µ0 I   × 2π

∂ (0) ∂ y

−y x2 +y2

 ∂z  x ∂ 2 2 x +y ∂x



− −

x x2 +y2

∂z

∂ (0) ∂x ∂





−y

0−0 0−0

(x2 +y2 )·1−x·2x



x2 +y2

∂y

−y x2 +y2 x x2 +y2



0 

  

       

(x2 +y2 )·(−1)−(−y)·2y

  

− 2 2 (x2 +y2 ) (x2 +y2 )     0 0 µ0 I   0 =  −x2 +y2  =  0  = ~0. −x2 +y2 2π − 0 2 2 (x2 +y2 ) (x2 +y2 ) Offensichtlich verschwindet auch die Rotation. Auch dieses Ergebnis war von vorn herein zu erwarten. Da sich der Stromfluss zeitlich nicht a¨ ndert, ist auch das elektrische Feld ~E zeitlich konstant. Außerdem gibt es außerhalb des Leiters, also f¨ur (x,y) 6= 0, keine Stromdichte ~j. Von daher wird das obige Ergebnis von der entspre◭ chenden Maxwell-Gleichung vorausgesagt.

Auch wenn die Behandlung dieses Abschnitts den Eindruck erweckt, dass diese Differenzialoperatoren nur im Umfeld der Maxwell-Gleichungen eine Rolle spielen, ist dies nicht der Fall. Die Divergenz und die Rotation treten auch in anderen Gebieten der Physik, z. B. in der Mechanik und bei Wellen auf. Die Hauptanwendung liegt aber zweifelsohne in der Elektrodynamik.

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 20.1 20.1 Diskutieren Sie, von welchen und damit von wie vielen Variablen folgende Gr¨oßen abh¨angen. a) Der Benzinverbrauch in Abh¨angigkeit von Entfernung und Geschwindigkeit. b) Die Bodentemperatur in Abh¨angigkeit von Ort. c) Die Berechnung der Temperatur in Grad Celsius aus der Temperatur in Grad Fahrenheit. d) Der aktuelle Luftdruck in Abh¨angigkeit von Lage, H¨ohe und Zeit. e) Die Produktionskosten einer n-elementigen Charge als Summe der Fixkosten und der Fertigungskosten pro St¨uck. f) Der Mittelwert einer L¨angenmessung bei n durchgef¨uhrten Messungen. ¨ 20.2 Uberlegen Sie sich Beispiele aus Alltag und Technik, in welchen Funktionen in Abh¨angigkeit von mehreren Ver¨anderlichen auftreten.

20.3 Die Celsius-Temperatur ϑ einer mit einem Teelicht beheizten Warmhalteplatte berechnet sich in einem geeigneten Koordinatensystem n¨aherungsweise als ϑ = 20 ◦ C +

80 ◦ C . 1 + 0,025 x2 + 0,025 y2

a) Fertigen Sie eine Skizze an. An welcher Stelle befindet sich das Teelicht? b) Lassen Sie sich den Graphen des Temperaturverlaufs von einem Computeralgebrasystem zeichnen. c) Wie hoch ist die Temperatur an den Stellen (0,0), (6,8), (10,0), (−8,2)? d) Wogegen strebt die Temperatur, wenn man sich unendlich weit vom Teelicht entfernt? Ist diese Grenztemperatur von der Richtung abh¨angig? e) Zeichnen Sie in der (x,y)-Ebene die Isothermen, also die Kurven konstanter Temperatur ein. Um welche Art von Kurven handelt es sich?

20.4 Bestimmen Sie den maximalen Definitionsbereich folgender Funktionen und skizzieren Sie diesen jeweils in der (x,y)-Ebene. Lassen Sie sich den Graphen der Funktion jeweils durch ein Computeralgebrasystem zeichnen. p 1 a) f (x,y) = b) f (x,y) = ln(1−x+y) c) f (x,y) = y−2x x−y √ q p x+y d) f (x,y) = (x2 −1) (9−y2 ) e) f (x,y) = f) f (x,y) = x2 +y2 −4 x−y

655

656

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Abschnitt 20.2 20.5 Lassen Sie sich die Graphen folgender Funktionen durch ein Computeralgebrasystem zeichnen und entscheiden Sie aufgrund dessen, ob die Funktionen stetig sind. 2

a) f (x,y) = ex−y

b) f (x,y) = ln(1−x−y)

1 c) f (x,y) = 1+x2 +y2

d) f (x,y) = |xy| (

e) f (x,y) = sgn(x) · cos(x+y)

f) f (x,y) =

sin(x+y) x+y

1

f¨ur f¨ur

x+y > 0 x+y ≤ 0

20.6 F¨ur eine Funktion f : R2 −→ R gilt lim

|(x,y)−(1,2)|→0

f (x,y) = −3.

Was k¨onnen Sie u¨ ber den Funktionswert f (1,2) aussagen? Was a¨ ndert sich, wenn f an der Stelle (1,2) stetig ist?

Abschnitt 20.3 20.7 Berechnen Sie alle partiellen Ableitungen folgender Funktionen. a) f (x,y) = −4x3 y2 + 3xy4 − 3x + 2y + 5  c) f (x,y) = ln x+y2 − e2xy + 3x p e) f (x,y,z) = 2xeyz + x2 +y2 +z2

b) f (x,y) = arcsin(xy) d) f (x,y,z) = sin (x−y) · cos (2z) p f) f (x,y,z) = x yz

20.8 Berechnen Sie u¨ berall die partiellen Ableitungen der folgenden Funktionen. ( y f¨ur (x,y) = 6 (0,0) 2 +y2 x a) f (x,y) = e 0 f¨ur (x,y) = (0,0)   (x+1)3 − 2y3 f¨ur (x,y) 6= (−1,0) 2 2 b) f (x,y) =  (x+1) + y 0 f¨ur (x,y) = (−1,0)

20.9 Im Jahr 1928 beschrieben der Mathematiker Charles Cobb und der Wirtschaftswissenschaftler Paul Douglas die Entwicklung des Bruttosozialprodukts B mit der nach ihnen beschriebenen CobbDouglas-Formel B = c · K α · L1−α .

Dabei ist K das investierte Kapital, L die geleistete Arbeit und α eine geeignet zu w¨ahlende Konstante. a) Berechnen Sie die partiellen Ableitungen nisse.

∂B ∂K

und

∂B ∂L

und interpretieren Sie die erhaltenen Ergeb-

b) Zeigen Sie, dass die Cobb-Douglas-Formel der Gleichung B = K

∂B ∂B +L ∂K ∂L

gen¨ugt. Beschreiben Sie die Bedeutung dieser Gleichung.

Aufgaben

20.10 Beim idealen Gas berechnet sich der Druck p abh¨angig von der Masse m, der Temperatur T und dem Volumen V als p =

mRT V

mit der Gaskonstanten R. Berechnen Sie die partiellen Ableitungen Sie die Resultate physikalisch.

∂p ∂p ∂m , ∂T

und

∂p ∂V

und interpretieren

20.11 Zwei ohmsche Widerst¨ande R1 , R2 werden parallel geschaltet. R1 R2 Der Gesamtwiderstand R dieser Schaltung berechnet sich nach dem Kirchhoff’schen Gesetz als 1 1 1 = + . R R1 R2 ∂R ¨ ¨ Wie groß ist die Anderungsrate ur welches R1 ist die Anderungsrate am gr¨oßten? Wie k¨onnen ∂ R1 ? F¨ Sie ohne weitere Rechnung die entsprechenden Aussagen f¨ur R2 formulieren? Wie a¨ ndert sich der Sachverhalt, wenn man drei Widerst¨ande parallel schaltet? Formulieren Sie eine Vermutung f¨ur die weitere Verallgemeinerung auf n Widerst¨ande und beweisen Sie diese Vermutung.

20.12 Gibt es eine Funktion f : R2 −→ R mit der Eigenschaft fx (x,y) = x + y2

und

fy (x,y) = sin(x) + 2xy?

Begr¨unden Sie Ihre Antwort.

20.13 Beweisen Sie: F¨ur die Funktion f (x,y,z) =

p

x2 +y2 +z2 · ln

  y z

gilt an jeder Stelle f¨ur das Skalarprodukt ~x · grad f = f .

Abschnitt 20.4 20.14 Berechnen Sie das totale Differenzial folgender Funktionen y x a) f (x,y) = xy b) f (x,y) = c) f (x,y) = x · e− x x+y s d) f (x,y) = xy

e) f (x) = ln(arccot x)

f) f (x1 ,x2 , . . . ,xn ) =

n

∑ x2k

k=1

657

658

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

20.15 Ein zylinderf¨ormiger Pfeiler kann nur mit einer Ungenauigkeit dr im Radius geschalt und einer Ungenauigkeit dh in der H¨ohe betoniert werden. Wie wirken sich diese Ungenauigkeiten auf das Volumen V des ben¨otigten Betons aus? Wie groß ist die maximale Unsicherheit, wenn der Radius r = 2 m auf 2% und die H¨ohe h = 12,50 m auf 0,5% bestimmt sind? 20.16 Zur Bestimmung des Fl¨acheninhalts A eines Dreiecks werden die Seiten b und c sowie der von diesen Seiten eingeschlossene Winkel α gemessen. Es ergibt sich b = 40,3 ± 0,2 m

c = 21,7 ± 0,1 m

α = 53,5◦ ± 0,2◦ .

Berechnen Sie den Fl¨acheninhalt A und sch¨atzen Sie den maximalen Fehler nach dem linearen Fehlerfortpflanzungsgesetz ab.

20.17 In der Optik lernt man, dass zwischen der Brennweite f einer Konvexlinse, der Gegenstandsweite g und der Bildweite b der Zusammenhang 1 1 1 = + f g b besteht. In einer Messung wurde f¨ur die Gegenstandsweite ein Wert von g = 9 ± 0,2 cm und f¨ur die zugeh¨orige Bildweite ein Wert von b = 5 ± 0,2 cm gemessen. Berechnen Sie die Brennweite f der Linse und sch¨atzen Sie mithilfe des linearen Fehlerfortpflanzungsgesetzes den absoluten und den prozentualen Fehler der bestimmten Brennweite ab.

20.18 Der Radius einer Kugel kann mit einer relativen Genauigkeit von 0,1% bestimmt werden. Mit wie vielen Dezimalen der Zahl π muss man mindestens rechnen, damit das Volumen der Kugel mit einem relativen Fehler von h¨ochstens 0,5% behaftet ist? 20.19 Schlaumeier sagt: Das lineare Fehlerfortpflanzungsgesetz ist bei Funktionen von zwei ” Ver¨anderlichen vollkommen u¨ berfl¨ussig. Wenn ich eine abgeleitete Gr¨oße z = f (x,y) habe und die Eingangsgr¨oßen x,y mit den Unsicherheiten dx und dy behaftet sind, so berechne ich einfach f (x+dx,y+dy) sowie f (x−dx,y−dy). Aus den Differenzen zum berechneten Wert f (x,y) erhalte ich den Wert der Unsicherheit in der abgeleiteten Gr¨oße z.“ Hat Schlaumeier recht? 20.20 Gegeben ist die Funktion √ F(x,y,z) = x4 + 2x cos(y) − 2 sin(y) cos(z). a) Berechnen Sie das totale Differenzial dF. b) Durch die Gleichung F(x,y,z) = 0 ist lokal um die Stelle (1, π2 , π4 ) eine Funktion z = f (x,y) gegeben. Berechnen Sie das totale Differenzial dz = d f dieser Funktion an der genannten Stelle. Wie a¨ ndert sich demzufolge n¨aherungsweise die Variable z, wenn man x und y jeweils um 0,1 erh¨oht?

20.21 Berechnen Sie an den angegebenen Stellen die (partiellen) Ableitungen folgender implizit gegebenen Funktionen. a) y2 ex−y − 1 = 0 , (x0 ,y0 ) = (1,1)  √  x + y tan(xy) = 0 , (x0 ,y0 ) = (1,0) b) 2 ln y+1 c) xey + x ln(z) = 2 ,

(x0 ,y0 ,z0 ) = (1,0,e)

Aufgaben

20.22 Berechnen Sie eine Parameterdarstellung der Tangentialebene an das Ellipsoid mit der Gleichung x2 y2 z2 + + = 1 a2 b2 c2 im Ber¨uhrpunkt mit den Koordinaten (x0 ,y0 ,z0 ), z0 6= 0. Wie lautet diese Tangentialebene im Sonderfall der Kugel a = b = c = r?

Abschnitt 20.5 20.23 Berechnen Sie f¨ur folgende Funktionen an den gegebenen Stellen ~x0 die Richtungsableitung in Richtung~r.   x 1 ~x0 = (1,2) ~r = a) f (x,y) = 1 x+y   0 b) f (x,y,z) = x sin(z) − y cos(2z) ~x0 = (0,0,0) ~r =  −3  4   2 c) f (x,y,z) = sin(x−y) · cos(2y+z) ~x0 = (π ,0, − π ) ~r =  1  −2 √ d) f (x1 ,x2 ,x3 ,x4 ) = x21 x2 + x4 ex3

~x0 = (−1,1,0,2)



 1  −1  ~r =  −1  1

20.24 Berechnen Sie f¨ur die folgenden Funktionen f an den entsprechenden Stellen (x0 ,y0 ) die Richtungsableitung in Richtung~r. In welcher Richtung ist die Richtungsableitung maximal und wie groß ist dieser Wert?   x2 3 a) f (x,y) = + xy (x0 ,y0 ) = (3, − 2) ~r = −4 2   −5 2 b) f (x,y) = ln(x +y) (x0 ,y0 ) = (0,1) ~r = 12   1 2 3 −x c) f (x,y) = e sin(y) + y (x − 1) (x0 ,y0 ) = (−1,0) ~r = 4 2 20.25 Durch die Funktion f (x,y) = c(x2 + y2 ),

c>0

ist eine Fl¨ache gegeben. Bestimmen Sie die Konstante c so, dass der steilste Anstieg der Fl¨ache an der Stelle (x0 ,y0 ) = (2,1) mit dem Neigungswinkel ϕ = π4 erfolgt. In welche Richtung erfolgt dieser steilste Anstieg?

659

660

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

20.26 In einem Meter-Koordinatensystem entwickelt sich die Temperatur an einem Lagerfeuer gem¨aß ϑ (x,y) = 20 ◦ C +

350 ◦ C . 1 + x2 + y2

Ein Pfadfinder befindet sich an der Stelle P(3|4). a) Welche Temperatur wird an der Stelle P gemessen? b) Wo befindet sich das Lagerfeuer und wie groß ist dort die Temperatur? c) Wie a¨ ndert sich die Temperatur, wenn sich der Pfadfinder in Richtung (2,1) bewegt? d) In welche Richtung muss der Pfadfinder gehen, damit die Temperatur unver¨andert bleibt? e) In welcher Richtung ist der Temperaturanstieg am gr¨oßten und wie groß ist dieser? K¨onnen Sie ohne weitere Rechnung auch die Richtung und die Gr¨oße des steilsten Temperaturabfalls angeben?

20.27 Sie kennen von einer unbekannten Funktion f (x,y) in einem Punkt (x0 ,y0 ) zwei Richtungsableitungen ∂∂~ef und ∂∂~ef mit den zwei nicht parallelen Einheitsvektoren~e1 ,~e2 . Wie k¨onnen Sie daraus 1 2 die partiellen Ableitungen ellen Ableitungen f¨ur

∂f ∂x

∂f ∂



1 2

1 2 √

3

und

∂f ∂y

 = 1

in diesem Punkt bestimmen? Berechnen sie konkret die parti-

∂f ∂



1 2√ 1 −2 3

 = −1.

20.28 Ein Gel¨ande ist durch eine Funktion z = f (x,y) gegeben. ¨ a) Uberlegen Sie sich, dass l¨angs der H¨ohenlinien z = const. folgende Identit¨at gilt:

∂f ∂f dx + dy = 0 ∂x ∂y b) Leiten Sie aus Aufgabenteil (a) her, dass in der (x,y)-Ebene der Gradient grunds¨atzlich orthogonal zu den H¨ohenlinien ist. Interpretieren Sie dieses Ergebnis geometrisch.

Abschnitt 20.6 20.29 Berechnen Sie f¨ur folgende Funktionen alle partiellen Ableitungen bis zur Ordnung 3 und best¨atigen Sie damit exemplarisch den Satz von Schwarz. a) f (x,y) = e−x cos(y)

x

b) f (x,y) = sin(x−y) cos(2x+1)

c) f (x,y,z) = z e y

Aufgaben

20.30 Die Ausbreitung einer Welle mit der Geschwindigkeit c in x-Richtung in Abh¨angigkeit der verstrichenen Zeit t kann mithilfe der Wellengleichung ∂ 2a 1 ∂ 2a = 2· 2 2 ∂x c ∂t beschrieben werden, wobei a = a(x,t) die Auslenkung an der Stelle x zum Zeitpunkt t ist. a x

a) Zeigen Sie, dass die Funktion a(x,t) = sin(x−ct) die Wellengleichung erf¨ullt. b) Weisen Sie nach, dass jede Funktion der Form a(x,t) = f (x−ct) + g(x+ct) mit irgendwelchen zweimal differenzierbaren Funktionen f ,g die Wellengleichung erf¨ullt.

Abschnitt 20.7 20.31 Berechnen Sie f¨ur folgende Vektorfelder die Divergenz und die Rotation.    y    a) yz b) xe c) ln(x) · sin(y) ~F(x,y,z) =  xz  ~F(x,y,z) =  yez  ~ F(x,y,z) =  ln(x) · cos(y)  x xy ze z

~ Vektorfelder und f eine Funktion von drei Ver¨anderlichen. Welche der folgenden 20.32 Es seien ~F,G Ausdr¨ucke sind sinnvoll? a) div ~F b) div f c) div grad f d) div rot ~ F   ~ ~ ~ ~ ~ ~ e) rot rot F f) F × rot G g) rot F × div grad G h) f · grad div (~ F × G)

20.33 Eine elektrische Punktladung im Ursprung mit der Ladung Q erzeugt ein ortsabh¨angiges elektrisches Feld   x 3

 (x2 +y2 +z2 ) 2   y Q  ~E =  2 2 2 32 4πε0  (x +y +z )  z  3

(x2 +y2 +z2 ) 2

Berechnen Sie div ~E und rot ~ E.

    .   

661

662

20 Differenzialrechnung von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

20.34 Weisen Sie folgende allgemein g¨ultige Sachverhalte nach. a) Ist f eine zweimal stetig partiell differenzierbare Funktion von drei Ver¨anderlichen, so ist rot grad f = ~0. b) Ist ~F ein dreidimensionales Vektorfeld und sind alle Komponenten zweimal stetig partiell differenzierbar, so gilt div rot ~F = 0.

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨ anderlicher

21

Wie bestimmt man Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨ anderlicher? Welche Analogien zum Eindimensionalen gibt es? Was versteht man unter Lineare ” Regression“? Wie ver¨ andert sich das Vorgehen, wenn Nebenbedingungen zu erf¨ ullen sind?

Peitlerkofelgruppe in den Dolomiten

21.1 21.2 21.3

Extrema ohne Nebenbedingungen Anwendung: Lineare Regression . . Extrema mit Nebenbedingungen . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

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Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_21 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_21

663

664

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher H¨aufig m¨ ussen Extrema von Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher zur Optimierung von Anwendungsproblemen bestimmt werden. Dazu kann wie im Eindimensionalen die Differenzialrechnung hilfreich sein. In diesem Kapitel werden wir besprechen, wie die bekannten Methoden zur Bestimmung lokaler Extrema aufs Mehrdimensionale ¨ ubertragen und modifiziert werden k¨ onnen. Im Mehrdimensionalen gibt es zudem die M¨ oglichkeit, bei der Extremwertbestimmung einzuhaltende Nebenbedingungen zu fordern. Auch daf¨ ur gibt es eine L¨ osungsmethode, die unter dem Namen ”Lagrange’sche Multiplikatorenregel“ bekannt ist.

21.1

Extrema ohne Nebenbedingungen

Wie im Eindimensionalen ist man auch bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher oft daran interessiert, die Extrema zu bestimmen. Die lokalen Extrema lassen sich bei Funktionen von einer Ver¨anderlichen mithilfe der Differenzialrechnung berechnen. Man sucht die Nullstellen der ersten Ableitung und pr¨uft dann, ob die zweiten Ableitungen an diesen station¨aren Stellen positiv oder negativ sind. Wir fragen uns, ob sich dieses Vorgehen auf Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher u¨ bertragen l¨asst. Dazu betrachten wir zun¨achst wieder eine Funktion f (x,y) von zwei Ver¨anderlichen, da wir uns dann den Sachverhalt in Form des Graphen im Raum vorstellen k¨onnen. z

∂f ∂y

∂f ∂x b

y

x

1 0 b

0 1

Es ist einleuchtend, dass an einer Extremalstelle im Innern des Definitionsbereichs die Tangentialebene an die durch die Funktion beschriebene Fl¨ache horizontal sein muss. Damit haben alle Tangenten an die Fl¨ache verschwindende Steigung. Insbesondere verschwinden die partiellen Ableitungen, die ja im Mehrdimensionalen den gew¨ohnlichen Ableitungen der Funktionen einer Variablen entsprechen. Dieser Sachverhalt l¨asst sich auch auf Funktionen von mehr als zwei Variablen verallgemeinern.

21.1

Extrema ohne Nebenbedingungen

Satz Hat eine partiell differenzierbare Funktion f : A ⊂ Rn −→ R an einer nicht auf dem Rand liegenden Stelle ~x0 ein lokales Extremum, so verschwinden dort alle partiellen Ableitungen

Notwendige Bedingung fur ¨ ein lokales Extremum im Innern

∂f ∂f ∂f (~x0 ) = (~x0 ) = . . . = (~x0 ) = 0, ∂ x1 ∂ x2 ∂ xn d. h. es ist grad f (~x0 ) = ~0.

Wie bei Funktionen von einer Ver¨anderlichen ist auch hier die Umkehrung falsch. Aus dem Verschwinden aller partiellen Ableitungen folgt noch lange nicht, dass an der entsprechenden Stelle ein lokales Extremum vorliegt.

Beispiel 21.1

Sattelpunkt

Die Funktion f (x,y) = xy hat die partiellen Ableitungen

∂f = y ∂x

∂f = x, ∂y

welche an der Stelle (x0 ,y0 ) = (0,0) beide verschwinden. Betrachtet man den Graphen dieser Funktion, so sieht man, dass an der besagten Stelle ein echter Sattel vorliegt, genau so wie er beim Pferdesattel oder bei einem Pass¨ubergang im Gebirge entsteht. Die Fl¨ache hat zwar eine horizontale Tangentialebene, steigt aber in gewissen Richtungen an und f¨allt in anderen Richtungen ab. Wir haben demzufolge an dieser Stelle keinen lokalen Extremwert der Funktion.

b



665

666

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Station¨are Stellen

Leider ist es sogar so, dass bei mehreren Ver¨anderlichen im Normalfall an den station¨aren Stellen, also an den Stellen mit verschwindenden partiellen Ableitungen, keine lokalen Extrema vorliegen. Trotz alledem ist das Aufsuchen der Stellen mit verschwindenden partiellen Ableitungen ein erster Schritt zum Auffinden der lokalen Extrema.

Beispiel 21.2 Wir suchen die lokalen Extrema der Funktion f (x,y) = xy − x2 y − xy2 . Da die Funktion auf der ganzen Ebene R2 definiert ist, kommen keine Randpunkte und damit als Extremalstellen nur solche mit verschwindenden partiellen Ableitungen in Frage. Nun ist fx = y − 2xy − y2 = y(1 − 2x − y) fy = x − x2 − 2xy = x(1 − x − 2y), sodass wir das Gleichungssystem !

fx = y(1 − 2x − y) = 0 !

fy = x(1 − x − 2y) = 0 l¨osen m¨ussen. Leider ist dieses Gleichungssystem nicht linear, und damit k¨onnen wir nicht mit dem Gauß’schen Eliminationsverfahren arbeiten. Allerdings ist bekanntlich ein Produkt genau dann null, wenn mindestens einer der Faktoren verschwindet. Daher k¨onnen wir in diesem speziellen Fall Folgendes feststellen. Es ist fx = 0 fy = 0

genau wenn genau wenn

y = 0 oder 1 − 2x − y = 0 x = 0 oder 1 − x − 2y = 0.

Demzufolge haben wir vier M¨oglichkeiten, dass sowohl fx = 0 als auch fy = 0 ist, n¨amlich 1.

y = 0

und

2.

y = 0

und 1 − x − 2y = 0

3. 1 − 2x − y = 0

4. 1 − 2x − y = 0

und

x = 0 x = 0

und 1 − x − 2y = 0.

Daraus resultieren die vier station¨aren Stellen (0,0)

(1,0)

(0,1)

1 1 3,3



.

Von den unendlich vielen Stellen in der (x,y)-Ebene bleiben also aufgrund der Bedingung, dass die partiellen Ableitungen verschwinden m¨ussen, nur noch vier Stellen u¨ brig, die als lokale Extremalstellen in Frage kommen. Offen ist die Frage, ob an diesen Stellen tats¨achlich lokale Extrema vorliegen. ◭

21.1

Extrema ohne Nebenbedingungen

Bei Funktionen einer Ver¨anderlichen f (x) u¨ berpr¨ufen wir durch die zweite Ableitung, ob an einer station¨aren Stelle x0 ein lokales Extremum vorliegt. Im Fall f ′′ (x0 ) < 0 haben wir eine lokales Maximum, im Fall f ′′ (x0 ) > 0 ein lokales Minimum. Anstelle der zweiten Ableitung stehen uns im Mehrdimensionalen die partiellen Ableitungen zweiter Ordnung bzw. die zugeh¨orige Hesse-Matrix zur Verf¨ugung. Es stellt sich aber die Frage, was hier das Analogon zu < 0 bzw. > 0 darstellt. Hierzu m¨ussen wir einen kleinen Ausflug in die Matrizentheorie machen.

Definition

Eine quadratische (n,n)-Matrix  α11 α12 · · · α1n  α21 α22 · · · α2n  A =  . .. .. ..  .. . . .

αn1

heißt

αn2

···

αnn

Definitheit von Matrizen     

positiv definit, wenn f¨ur alle ~x 6= ~0 die Beziehung ~xT A~x > 0 gilt; negativ definit, wenn f¨ur alle~x 6=~0 die Beziehung~xT A~x < 0 gilt; indefinit, wenn Vektoren ~x,~y existieren, sodass ~xT A~x > 0 und ~yT A~y < 0 gilt.

An dieser Definition sind zwei Dinge bemerkenswert. Zum einen ist~xT A~x streng genommen als Matrizenprodukt einer (1,n)-Matrix ~xT mit einer (n,n)-Matrix A und einer (n,1)-Matrix ~x eine (1,1)-Matrix. Diese Ergebnismatrix mit einer Zeile und einer Spalte wird mit einer reellen Zahl identifiziert und kann damit mit der Zahl 0 verglichen werden. Zum zweiten gibt es (n,n)-Matrizen, die weder positiv definit noch negativ definit noch indefinit sind. So gilt im Fall der Nullmatrix   0 ··· 0   O =  ... . . . ...  0

f¨ur alle Vektoren ~x

∈ Rn

···

0

~xT O~x = 0,

d. h. diese Matrix f¨allt in keine der obigen Kategorien. Aber es gibt auch Matrizen ungleich der Nullmatrix, die weder positiv definit noch negativ definit noch indefinit sind. So gilt f¨ur die Matrix   1 0 A = 0 0

positiv definit negativ definit indefinit

667

668

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

f¨ur alle Vektoren

x y

    x x (x,y)A = (x,y) = x2 ≥ 0. y 0 Zudem ist   0 (0,1)A = 0, 1 d. h. auch diese Matrix A f¨allt in keine der obigen Kategorien. Leider ist es im Allgemeinen nicht mit einem ertr¨aglichen Aufwand m¨oglich, mittels der Definition die Definitheit von Matrizen zu bestimmen. Gl¨ucklicherweise gibt es jedoch f¨ur symmetrische Matrizen ein leichtes Verfahren, um die Definitheit zu pr¨ufen.

Definitheitskriterium fur ¨ symmetrische Matrizen

Definitheitskriterium Es sei  α11  α21  A =  .  ..

αn1

α12 α22 .. .

··· ··· .. .

α1n α2n .. .

αn2

···

αnn

    

eine quadratische symmetrische (n,n)-Matrix und es bezeichne Dk ihre k-te Unterdeterminante, d. h. es sei D1 = det(α11 ) = α α12 D2 = 11 α21 α22 α11 α12 D3 = α21 α22 α31 α32 .. .

α11

α13 α23 α33



Dn = det A. Dann gilt: a) A ist genau dann positiv definit, wenn alle Unterdeterminanten Dk positiv sind. b) A ist genau dann negativ definit, wenn die Vorzeichen der Unterdeterminanten Dk alternieren (sgn Dk+1 = −sgnDk ) und D1 < 0 ist. c) A ist sicher indefinit, wenn Dn 6= 0 und weder (a) noch (b) erf¨ullt ist.

21.1

Extrema ohne Nebenbedingungen

Der allgemeine Beweis dieser Tatsache tr¨agt an dieser Stelle wenig zum Verst¨andnis bei und soll aus diesem Grund u¨ bergangen werden. Stattdessen soll der Satz f¨ur den h¨aufig ben¨otigten Fall n = 2 nochmals explizit formuliert werden, wobei sich in diesem Fall die dritte Aussage sogar noch versch¨arfen l¨asst.

Satz

Es sei A =



α11 α21

α12 α22



=



α11 α12

α12 α22



Konkretisierung des Definitheitskriteriums fur ¨ (2,2) (2,2)-Matrizen

eine symmetrische (2,2)-Matrix. Dann gilt: a) A ist genau dann positiv definit, wenn α11 α11 > 0 und α21

b) A ist genau dann negativ definit, wenn α11 α11 < 0 und α21 c) A ist genau dann indefinit, wenn α11 α12 α21 α22

α12 > 0. α22 α12 > 0. α22

< 0.

Mit dieser Kenntnis der Definitheit von Matrizen k¨onnen wir nun das f¨ur lokale Extrema hinreichende Kriterium mittels der zweiten partiellen Ableitungen formulieren. Es gilt der zum Eindimensionalen analoge Sachverhalt, wenn man anstatt der zweiten Ableitung f ′′ die Hesse-Matrix H f der partiellen Ableitungen zweiter Ordnung nimmt und die Begriffe positv und negativ durch positiv definit und negativ definit ersetzt.

Satz Ist die Funktion f : A ⊂ Rn −→ R zweimal stetig partiell differenzierbar und gilt grad f (~x0 ) = ~0    negativ definit  positiv definit , so hat die und ist die Hesse-Matrix H f (~x0 )   indefinit    ein lokales Maximum  ein lokales Minimum Funktion f an dieser Stelle ~x0 .  kein lokales Extremum 

Kriterium fur ¨ lokale Extrema

669

670

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Neben den Nachweism¨oglichkeiten eines lokalen Maximums und eines lokalen Minimums haben wir bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher also noch eine weitere M¨oglichkeit: Wir k¨onnen pr¨ufen, ob kein Extremum vorliegt. Hierf¨ur gibt es bei Funktionen mit einer Ver¨anderlichen keine Entsprechung, da es dort nicht m¨oglich ist, dass f ′′ (x0 ) gleichzeitig positiv und negativ ist. Auf den allgemeinen Beweis des Satzes verzichten wir. Im Fall n = 2 wird ein Teil des Beweises in Aufgabe 21.7 angeleitet.

Beispiel 21.3 (Fortf¨uhrung von Beispiel 21.2). Wir pr¨ufen, ob an den in Beispiel 21.2 gefundenen station¨aren Stellen der Funktion f (x,y) = xy − x2 y − xy2 lokale Extrema vorliegen. Diese extremwertverd¨achtigen Stellen fanden wir durch L¨osung von fx = y − 2xy − y2 = 0 fy = x − x2 − 2xy = 0 als (0,0)

(1,0)

(0,1)

1 1 3,3



.

Um jetzt nachzupr¨ufen, ob dort tats¨achlich lokale Extrema vorliegen, m¨ussen wir die Hesse-Matrix H f an diesen Stellen auf die entsprechende Definitheit testen. Es ist fxx = −2y

fxy = 1 − 2x − 2y = fyx

fyy = −2x

und somit H f (x,y) =



fxx fyx

fxy fyy



=



−2y 1 − 2x − 2y

1 − 2x − 2y −2x

Wir beginnen mit der Stelle (0,0). Es ergibt sich   0 1 H f (0,0) = . 1 0 Damit erhalten wir als Unterdeterminanten D1 (0,0) = det(0) = 0 0 1 = 0 · 0 − 1 · 1 = −1 < 0. D2 (0,0) = 1 0



.

21.1

Extrema ohne Nebenbedingungen

Demzufolge ist die Hesse-Matrix an dieser Stelle (0,0) indefinit, d. h. es liegt kein lokales Extremum, sondern ein Sattelpunkt vor. Wir gehen zum zweiten station¨aren Punkt (1,0) und erhalten   0 −1 H f (1,0) = , −1 −2 also D1 (1,0) = det(0) = 0 0 −1 D2 (1,0) = −1 −2

= 0 · (−2) − (−1) · (−1) = −1 < 0.

Wir haben erneut Indefinitheit. Auch an der Stelle (1,0) gibt es somit kein lokales Extremum von f . Beim dritten Punkt (0,1) ergibt sich  −2 H f (0,1) = −1

−1 0



und demzufolge D1 (0,1) = det(−2) = −2 −1 D2 (0,1) = −1 0

−2 < 0 = (−2) · 0 − (−1) · (−1) = −1 < 0.

Es liegt schon wieder Indefinitheit vor, d. h. auch der dritte station¨are Punkt (0,1) hat sich als Sattelpunkt und nicht als lokales Extremum erwiesen.  Die Hesse-Matrix des letzten station¨aren Punktes 31 , 13 lautet schließlich  2   − 3 − 13 . H f 31 , 13 = − 31 − 23 Die Unterdeterminanten haben damit die Werte  D1 31 , 13 = det(− 32 ) = − 32 < 0  −2 −1     1 1 3 3 = −2 · −2 − −1 · −1 D2 3 , 3 = 1 3 3 3 3 −2 − 3

=

4 9

− 91 =

3 1 3

> 0.

Die Hesse-Matrix ist negativ definit. Es liegt also an der Stelle  1 1 3 , 3 ein lokales Maximum vor mit dem Wert 2 2 1 1 − 27 f ( 31 , 31 ) = 13 · 31 − 13 · 31 − 31 · 13 = 91 − 27 =

1 27 .



671

672

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Das vorangegangene Beispiel belegt, dass in h¨oheren Dimensionen an den station¨aren Stellen mit grad f = ~0 im Normalfall keine lokalen Extrema, sondern lediglich Sattelpunkte vorliegen. Wir wollen noch ein zweites, mehr anwendungsorientiertes Beispiel behandeln.

Methode der kleinsten Quadrate

Beispiel 21.4 Eine Firma hat drei Niederlassungen, die sich in einem geeigneten Koordinatensystem durch N1 (50 | 20)

N2 (160 | 20)

N3 (120 | 140)

beschreiben lassen (Einheiten in km). Die drei Niederlassungsleiter wollen sich an einem zentralen Ort Z treffen. Damit niemand zu weit fahren muss und die gesamte Wegstrecke nicht zu groß wird, vereinbaren sie, die Methode der kleinsten Quadrate anzuwenden, um den Treffpunkt festzulegen. y

N3 b

d3 b

Z

50 d1 N1

d2

b

50

b

N2 x

Sie w¨ahlen die Koordinaten des Punktes Z so, dass die Summe der Quadrate der Wegstrecken minimal wird. Es soll also d12 + d22 + d32 minimiert werden, wobei dk die Entfernung vom zentralen Punkt Z zu der Niederlassung Nk (Luftlinie) ist. Bezeichnen wir die Koordinaten des Treffpunkts Z mit (x,y), so berechnet sich nach dem Satz der Pythagoras die Summe der Abstandsquadrate zu f (x,y) = d12 + d22 + d32 = (x−50)2 + (y−20)2 + (x−160)2 + (y−20)2 + (x−120)2 + (y−140)2 .

21.1

Extrema ohne Nebenbedingungen

Um das Minimum dieser Funktion zu bestimmen, ben¨otigen wir zun¨achst die station¨aren Stellen mit verschwindenden partiellen Ableitungen. Es ist !

fx = 2 (x−50) + 2 (x−160) + 2 (x−120) = 6x − 660 = 0 !

fy = 2 (y−20) + 2 (y−20) + 2 (y−140) = 6y − 360 = 0. Damit ergibt sich nur eine station¨are Stelle mit ( fx , fy ) = (0,0), n¨amlich (x0 ,y0 ) = (110,60). Um nachzupr¨ufen, ob es sich hier um das Minimum der Summe der Abstandsquadrate handelt, pr¨ufen wir zun¨achst, ob es sich um ein lokales Minimum handelt. Hierzu ben¨otigen wir die Hesse-Matrix, welche sich allgemein als     6 0 fxx fxy = Hf = 0 6 fyx fyy und damit unabh¨angig von der betrachteten Stelle ergibt. Insbesondere hat also die Hesse-Matrix an der station¨aren Stelle (x0 ,y0 ) = (110,60) die obige Gestalt. Berechnet man die Unterdeterminanten, so bekommt man D1 = det(6) = 6 > 0 6 0 = 6 · 6 − 0 · 0 = 36 > 0. D2 = 0 6

Die Hesse-Matrix ist also positiv definit, d. h. es liegt an der Stelle (x0 ,y0 ) = (110,60) tats¨achlich ein lokales Minimum der Summe der Abstandsquadrate zu den Niederlassungen vor. Offen ist noch, ob es sich bei dieser Stelle um ein absolutes Minimum handelt. Diese Frage ist jetzt aber mit gesundem Menschenverstand zu beantworten. Die Summe der Abstandsquadrate ist immer positiv, d. h. nach unten beschr¨ankt. Dies bedeutet, dass die Funktion f (x,y) nicht beliebig klein werden kann. Umgekehrt wird diese Summe beliebig groß, wenn man sich von den Niederlassungen entfernt, also f¨ur wachsende |x| bzw. |y|. Es muss demzufolge irgendwo ein absolutes Minimum vorliegen und es kommt nur eine Stelle in Frage, n¨amlich die gefundene lokale Minimumstelle (x0 ,y0 ) = (110, 60). Nat¨urlich kann man jetzt noch nach dem minimalen Funktionswert, also der Summe der Abstandsquadrate zu diesem Punkt Z(110 | 60) fragen, doch ist dieser Sachverhalt in unserem Zusammenhang gegenstandslos. Wir waren nur an den Koordinaten von Z interessiert. ◭

673

674

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

21.2

Anwendung: Lineare Regression

Es gibt viele Anwendungen, bei welchen zwei Gr¨oßen durch eine affine Vorschrift y = f (x) = a0 + a1 x miteinander verbunden sind. Die Koeffizienten a0 und a1 werden meistens experimentell u¨ ber eine Messreihe (x1 ,y1 ), (x2 ,y2 ), . . ., (xn ,yn ) bestimmt. Theoretisch m¨ussten diese Messpunkte zwar alle exakt auf der Geraden liegen, doch aufgrund von Messungenauigkeiten ergibt sich eine Punktwolke, die sich nur n¨aherungsweise um die Gerade gruppiert. Es stellt sich die Frage, wie die Gleichung der Geraden lautet. y b b b

b

(xn ,yn ) (x1 ,y1 ) b

b

b

x

Bestimmung von Rust¨ und Fertigungszeit aus Messdaten

Beispiel 21.5 Um an einer Maschine Teile fertigen zu k¨onnen, muss sie zun¨achst eingerichtet werden. Diese R¨ustzeit nennen wir tr . Da nach der Fertigung der ersten paar Teile die Maschine jeweils noch nachjustiert werden muss, ist es nicht m¨oglich, die gesamte reine R¨ustzeit zu messen. Stattdessen wird die insgesamt verstrichene Zeit gemessen, bis x Teile hergestellt sind. In einem konkreten Fall wird die jeweils verstrichene Zeit Tk bei sechs verschiedenen Herstellmengen bestimmt. Es ergeben sich folgende Messwerte: k xk [Stk.] Tk [min]

1 20 139

2 40 204

3 60 269

4 80 331

5 100 378

6 120 439

Wir interessieren uns f¨ur die gesamte Einrichtungszeit tr sowie die Zeit te , die man im Schnitt ben¨otigt, um ein Teil zu fertigen. Da die reine Fertigungszeit te der einzelnen Teile im Idealfall immer gleich lang ist, berechnet sich die Gesamtzeit T , um x Teile herzustellen, gem¨aß der affinen Funktion T (x) = tr + te · x.

21.2

Anwendung: Lineare Regression

Leider kennen wir nicht die Parameter tr ,te der Geradengleichung. Um diese zu bestimmen, verwendet man h¨aufig die Methode der kleinsten Quadrate, welche auf Gauß zur¨uckgeht. Man w¨ahlt die Gr¨oßen tr ,te so, dass die Summe der Quadrate der Abweichungen dk der gemessenen Gr¨oßen von denen auf der zu bestimmenden Ausgleichsgeraden minimal wird: 6

∑ dk2

!

= d12 + d22 + d32 + d42 + d52 + d62 = min!

k=1

T b

d4 b

b

d1

d3 b

d5

b

d6

d2 b

x

Diese Methode erscheint zun¨achst willk¨urlich. Nahe liegender w¨are z. B., die Summe der Betr¨age |dk | zu minimieren, doch ist es schwierig, mit Betr¨agen zu rechnen. Die Methode der kleinsten Quadrate hat zudem den Vorteil, dass kein Messpunkt zu weit von der ausgleichenden Geraden entfernt ist, da der Abstand dk zu der Geraden quadratisch in das Extremalproblem eingeht. In unserem konkreten Fall berechnen sich die Abweichungen dk von der Ausgleichsgerade als dk = Tk − (tr + te · xk ) = Tk − tr − xk te , d. h. es ist die Funktion 6

f (tr ,te ) =

∑ (Tk − tr − xkte )2

k=1

zu minimieren. Wir habe es mit einem Minimierungsproblem einer Funktion von zwei Variablen zu tun, welches wir mit der im vorangegangenen Abschnitt entwickelten Methode l¨osen. Wir berechnen zun¨achst die ersten partiellen Ableitungen und setzen diese null. Es ist

675

676

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

∂f = ∂ tr

6

6

∑ 2 (Tk − tr − xkte ) · (−1) = ∑ (−2Tk + 2tr + 2xkte ) k=1

k=1

6

6

6

6

6

= −2 ∑ Tk + 2 ∑ tr + 2te ∑ xk = −2 ∑ Tk + 12tr + 2te ∑ xk k=1

k=1

∂f = ∂ te

k=1

k=1

| {z } = 6tr

6

6

∑ 2 (Tk − tr − xkte ) · (−xk ) = ∑

k=1

k=1

6

= −2 ∑ xk Tk + 2tr k=1

6

6

k=1

k=1

k=1

−2xk Tk + 2tr xk + 2x2k te



∑ xk + 2te ∑ x2k .

In unserem konkreten Fall ist 6

∑ Tk k=1

= 139 + 204 + 269 + 331 + 378 + 439 = 1 760

6

∑ xk

k=1

= 20 + 40 + 60 + 80 + 100 + 120 = 420

6

∑ xk Tk k=1

6

∑ x2k

k=1

= 20·139 + 40·204 + 60·269 + 80·331 + 100·378 + 120·439 = 144 040 = 202 + 402 + 602 + 802 + 1002 + 1202 = 36 400,

sodass sich als Gleichungssystem f¨ur die station¨aren Stellen

∂f = −3 520 + 12tr + 840te = 0 ∂ tr ∂f = −288 080 + 840tr + 72 800te = 0 ∂ te ergibt. Wir haben es in diesem Fall sogar mit einem linearen Gleichungssystem zu tun, welches man manuell mit dem Gauß’schen Eliminationsverfahren oder auch mithilfe eines Rechners l¨osen kann. Als eindeutige L¨osung ergibt sich auf jeden Fall tr =

1 274 ≈ 84,9 15

te =

521 ≈ 3,0. 175

Wir haben nur eine station¨are Stelle f¨ur ein Extremum. Als partielle Ableitungen zweiter Ordnung erhalten wir

21.2

Anwendung: Lineare Regression

∂2 f = 12 ∂ tr2 6 ∂2 f ∂2 f = 2 ∑ xk = 840 = ∂ te ∂ tr ∂ tr ∂ te k=1 6 ∂2 f 2 = 2 ∑ xk = 72 800, ∂ te2 k=1 d. h. als Hesse-Matrix ergibt sich  2 2 H f (tr ,te ) = 

∂ f ∂ tr2 ∂2 f ∂ tr ∂ te

∂ f ∂ te ∂ tr ∂2 f ∂ tr2



 =



12 840

840 72 800



unabh¨angig von der betrachteten Stelle. Die Definitheit dieser Hesse-Matrix untersucht man wieder mit den Unterdeterminanten. Man erh¨alt D1 = det(12) = 12 > 0 12 840 D2 = = 12 · 72 800 − 840 · 840 840 72 800 = 168 000 > 0.

Die Hesse-Matrix ist somit insbesondere an der gefundenen station¨aren Stelle positiv definit. Es liegt demzufolge an dieser Stelle ein lokales Minimum von f , also der Summe der Abstandsquadrate vor. Nat¨urlich kann die Summe der Abstandsquadrate nicht beliebig klein werden, sondern ist durch null begrenzt. Auf der anderen Seite wird diese Summe beliebig groß, wenn der Achsenabschnitt tr oder die Steigung te der Geraden extreme Werte annehmen. Dies bedeutet, dass ein absolutes Minimum vorliegen muss. Wir haben nur einen Kandidaten f¨ur dieses absolute Minimum, n¨amlich unser gefundenes lokales Minimum. Die Summe der Abstandsquadrate wird demnach tats¨achlich f¨ur T (x) = tr + te x =

1 274 521 + x ≈ 84,9 + 3,0 x 15 175

minimal.1 Mit der durchgef¨uhrten Methode erhalten wir also als Sch¨atzung f¨ur die R¨ustzeit 84,9 Minuten und f¨ur die Fertigungszeit pro Teil 3 Minuten. ◭

1

Nat¨urlich h¨atten wir mit der gleichen Argumentation schon nach der Berechnung der station¨aren Stellen festhalten k¨onnen, dass es sich bei der gefundenen Stelle um die gesuchte Minimalstelle unseres Problems handelt.

677

678

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Allgemeine Formeln der linearen Regression

Das im Beispiel geschilderte Verfahren l¨asst sich f¨ur die Bestimmung einer Geraden y = a0 + a1 x aus beliebig vielen Messpunktpaaren (x1 ,y1 ), (x2 ,y2 ), . . .(xn ,yn ) verallgemeinern. Es ist dann die Funktion n

f (a0 ,a1 ) =

∑ (yk − a0 − xk a1 )2

k=1

zu minimieren. Man erh¨alt mit der identischen Methode als Gleichungssystem f¨ur die station¨aren Stellen   n n ∂f = −2 ∑ yk + 2n a0 + 2 ∑ xk a1 = 0 ∂ a0 k=1   k=1  n n n ∂f = −2 ∑ xk yk + 2 ∑ xk a0 + 2 ∑ x2k a1 = 0 ∂ a1 k=1 k=1 k=1 und als L¨osung n

a1 =

¯ k − y) ¯ ∑ (xk − x)(y

k=1

a0 = y¯ − a1 x¯

n

¯2 ∑ (xk − x)

k=1

mit den arithmetischen Mittelwerten x¯ =

21.3

1 n ∑ xk n k=1

und

y¯ =

1 n ∑ yk . n k=1

Extrema mit Nebenbedingungen

Bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher gibt es h¨aufig Randbedingungen, welche die Extremwertsuche einschr¨anken.

Minimale Oberfl¨ache eines Kastens mit gegebenem Volumen

Beispiel 21.6 Eine Firma m¨ochte nach oben offene, quaderf¨ormige Beh¨alter mit einem Fassungsverm¨ogen von V = 4 l = 4 dm3 = 4 000 cm3 herstellen. Dabei soll aus Kostengr¨unden das ben¨otigte Material und damit die Oberfl¨ache A minimiert werden.

21.3

z

Extrema mit Nebenbedingungen

y

x Dieses Problem muss zun¨achst in eine mathematische Formulierung gebracht werden. Bezeichnet man die Kantenl¨angen in der vertrauten Einheit cm mit x,y,z, so bedeutet dies, dass das Minimierungsproblem !

A = xy + 2xz + 2yz = min!

(x,y,z > 0)

unter der Nebenbedingung V = xyz = 4 000 zu l¨osen ist. Das Extremalproblem ist also durch die Zusatzbedingung eines vorgegebenen Volumens eingeschr¨ankt worden. Wir k¨onnen dieses Problem mit den bisherigen Hilfsmitteln l¨osen, indem wir die Nebenbedingung nach einer Variablen aufl¨osen und diese Beziehung dann in die Minimierungsgleichung einsetzen. In unserem konkreten Fall ergibt sich aus der Nebenbedingung z. B. z =

4 000 xy

und damit als Minimierungsproblem A = xy + 2x ·

4 000 8 000 8 000 ! 4 000 + 2y · = xy + + = min! xy xy y x

Wir haben also die zus¨atzlich zu erf¨ullende Bedingung in unsere Extremalproblem eingearbeitet. Das Ergebnis ist eine Funktion von zwei Variablen A(x,y), d. h. die Anzahl der unabh¨angigen Variablen hat sich um eins reduziert. Um die station¨aren Stellen dieser Funktion zu erhalten, m¨ussen wir wie u¨ blich die partiellen Ableitungen null setzen:

∂A 8 000 ! = y− 2 = 0 ∂x x 8 000 ! ∂A = x− 2 = 0 ∂y y L¨ost man die erste Gleichung nach der Variablen y auf, so erh¨alt man 8 000 y = . x2

679

680

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Nutzt man dies in der zweiten Gleichung aus, so ergibt sich   1 4 1 3 x− x = x 1− x = 0 8 000 8 000 bzw. wegen x > 0 x3 = 8 000. Diese Gleichung ist eindeutig l¨osbar. Es ergibt sich als erste Kantenl¨ange √ 3 x = 8 000 = 20. Die zweite Kantenl¨ange erh¨alt man jetzt gem¨aß der vorgenommenen Ersetzung als y =

8 000 8 000 = = 20. x2 202

Wir haben also in diesem Fall nur eine station¨are Stelle bekommen, n¨amlich (x,y) = (20,20). Man kann jetzt mithilfe der Hesse-Matrix der zweiten partiellen Ableitungen nachpr¨ufen, dass es sich bei dieser Stelle tats¨achlich um ein lokales Minimum der Oberfl¨ache handelt, doch wollen und m¨ussen wir dies hier nicht durchf¨uhren. Wir k¨onnen n¨amlich argumentieren, dass die Oberfl¨ache des Kastens zwar beliebig groß, aber nicht beliebig klein werden kann. Demzufolge muss es ein Minimum geben und wir haben nur eine m¨ogliche L¨osung f¨ur diese Minimalstelle gefunden, n¨amlich unsere station¨are Stelle.2 Demzufolge muss diese station¨are Stelle das gesuchte Minimum der Oberfl¨ache liefern. Die zugeh¨orige H¨ohe des Beh¨alters ergibt sich als z =

4 000 4 000 = = 10. xy 202

Die gesuchten optimalen Ausmaße unseres Beh¨alters betragen also 20 cm in der Breite, 20 cm in der Tiefe und 10 cm in der H¨ohe. Die minimale Oberfl¨ache betr¨agt   Amin = 20 · 20 + 2 · 20 · 10 + 2 · 20 · 10 = 1 200 cm2 . ◭

2 Genau genommen m¨ usste man noch zeigen, dass die Oberfl¨ache f¨ur |x| + |y| → ∞ beliebig groß wird.

21.3

Extrema mit Nebenbedingungen

Die Rechnung in diesem Beispiel war ziemlich langwierig und m¨uhselig. Die L¨osung war zudem nur dadurch zu realisieren, dass wir die Nebenbedingung nach einer Variablen aufl¨osen konnten und das resultierende, nicht lineare Gleichungssystem in seiner Komplexit¨at u¨ berschaubar war. Man kann nicht immer davon ausgehen, dass dies der Fall ist. Noch komplizierter wird es, wenn man nicht nur eine, sondern mehrere Nebenbedingungen zu erf¨ullen hat. Es stellt sich die Frage, wie man dann vorgeht. Eine Antwort liefert der folgende Satz, der sich in der Anwendung als a¨ ußerst n¨utzlich erweist.

Multiplikatorenregel von Lagrange3 len Extrema der Funktion

Gesucht werden die loka-

Multiplikatorenregel von Lagrange

f (x1 , . . . ,xn ) unter den p Nebenbedingungen g1 (x1 , . . . ,xn ) = 0 g2 (x1 , . . . ,xn ) = 0 .. . g p (x1 , . . . ,xn ) = 0 und alle Funktionen seien stetig partiell differenzierbar. Dann findet man diese lokalen Extrema unter den station¨aren Stellen der Funktion p

F(x1 , . . . ,xn ,λ1 , . . . ,λ p ) = f (x1 , . . . ,xn ) + ∑ λk gk (x1 , . . . ,xn ), k=1

d. h. unter den L¨osungen des Gleichungssystems p ∂F ∂f ∂ gk = + ∑ λk = 0, ∂ xi ∂ xi k=1 ∂ xi ∂F = gj = 0, ∂λj

i = 1, . . . ,n j = 1, . . . ,p.

Diese Regel legt eine Vorgehensweise zur Extremwertberechnung unter geforderten Nebenbedingungen nahe. Man bestimmt die station¨aren Stellen der Funktion F und hat damit die M¨oglichkeiten f¨ur die lokalen Extrema des urspr¨unglichen Problems bereits sehr eingeschr¨ankt. Allerdings m¨ussen die gefundenen L¨osungen noch keine lokalen Extrema 3

Joseph Louis Lagrange, 1736–1813, italienisch-franz¨osischer Mathematiker.

Lagrange’sche Multiplikatoren

681

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

des Problems sein, doch l¨asst sich meistens aufgrund der Problemstellung entscheiden, ob und ggf. welche Art eines Extremums vorliegt. Die neu eingef¨uhrten Gr¨oßen λk werden als Lagrange’sche Multiplikatoren bezeichnet. Wir k¨onnen diesen Satz nicht beweisen. Wir k¨onnen ihn aber im Sonderfall einer Funktion von zwei Ver¨anderlichen und einer Nebenbedingung plausibel machen.

Beweisskizze (Plausibilit¨atsherleitung der Multiplikatorenregel). Wir suchen die lokalen Extrema der Funktion f (x,y) unter der Nebenbedingung g(x,y) = 0. Die Funktion f (x,y) stellt bekanntermaßen im Raum eine Fl¨ache dar. Ein typischer H¨ohenlinienverlauf dieser Fl¨ache ist in folgendem Bild skizziert. y {

g(x,y) = 0

(7) (6)

}|

(5)

f (x,y)

(x0 ,y0 )

(4) b

(3)

z

682

x Die Gleichung g(x,y) = 0 beschreibt in der (x,y)-Ebene eine Kurve, die ebenfalls im Bild eingezeichnet ist. Bewegt man sich nun im Definitionsbereich l¨angs der durch g(x,y) = 0 bestimmten Kurve, so bewegt man sich auf der durch f (x,y) beschriebenen Fl¨ache auf und ab. An einer lokalen Extremalstelle (x0 ,y0 ) der H¨ohe sind nat¨urlich die Tangenten der Kurve g(x,y) = 0 sowie der entsprechenden H¨ohenlinie von f (x,y) identisch. Es ist plausibel, dass der Gradient einer Fl¨ache als Richtung des steilsten Anstiegs in eine Richtung orthogonal zu den H¨ohenlinien weist (vgl. auch Aufgabe 20.28). Da es sich bei der Kurve g(x,y) = 0 um eine spezielle H¨ohenlinie der Fl¨ache g(x,y) handelt, bedeutet dies, dass in (x0 ,y0 ) die Gradienten von f und g parallel und damit Vielfache voneinander sind. Wir k¨onnen also den Gradienten von f als Vielfaches desjenigen von g ausdr¨ucken, wobei wir dieses Vielfache gleich mit −λ bezeichnen: grad f = −λ grad g Bringt man den rechts stehenden Ausdruck auf die linke Seite, so ergibt sich in Koordinatenschreibweise daraus ! !   ∂f ∂g 0 ∂x ∂x +λ = . ∂f ∂g 0 ∂y

∂y

21.3

Extrema mit Nebenbedingungen

Ber¨ucksichtigt man nun noch, dass die Extremalstelle (x0 ,y0 ) auf der Kurve g(x,y) = 0 liegt, so ergibt sich letztendlich die G¨ultigkeit der Gleichungen

∂f ∂g +λ = 0 ∂x ∂x

∂f ∂g +λ = 0 ∂y ∂y

g(x,y) = 0.

Diese drei Gleichungen lassen sich auf der anderen Seite so ausdr¨ucken, dass alle partiellen Ableitungen der Funktion F(x,y,λ ) = f (x,y) + λ g(x,y) verschwinden, was in diesem Fall gerade die Aussage der Lagrange’schen Multiplikatorenregel ist.  Wir wollen die Anwendung der Lagrange’schen Multiplikatorenregel anhand zweier Beispiele verdeutlichen.

Beispiel 21.7 (Fortf¨uhrung von Beispiel 21.6). Wir betrachten nochmals die Aufgabe des nach oben offenen quaderf¨ormigen Beh¨alters mit dem Volumen V = 4 000 cm3 , dessen Oberfl¨ache A zu minimieren ist.

z

y

x Die mathematische Formulierung dieses Problems lautet !

A(x,y,z) = xy + 2xz + 2yz = min!

(x,y,z > 0)

unter der Nebenbedingung g(x,y,z) = xyz − 4 000 = 0. Entsprechend der Lagrange’schen Multiplikatorenregel setzen wir eine neue Funktion F(x,y,z,λ ) = A(x,y,z) + λ g(x,y,z) = xy + 2xz + 2yz + λ (xyz−4 000)

Fortfuhrung ¨ Minimale Oberfl¨ache eines Kastens mit gegebenem Volumen

683

684

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

an. Da gem¨aß der Nebenbedingung g(x,y,z) = 0 gilt, haben wir bei der Aufstellung dieser neuen Funktion F zu der zu minimierenden Funktion A(x,y,z) nur das λ -Fache von 0 hinzuaddiert. F stimmt also im Wesentlichen mit A u¨ berein. Wir suchen nun alle Stellen, an welchen die partiellen Ableitungen dieser Funktion verschwinden:

∂F ∂x ∂F ∂y ∂F ∂z ∂F ∂λ

!

= y + 2z + λ yz = 0 !

= x + 2z + λ xz = 0 !

= 2x + 2y + λ xy = 0 !

=

xyz − 4 000 = 0

Dieses nicht lineare Gleichungssystem muss gel¨ost werden. L¨osen wir z. B. die dritte Gleichung nach λ auf, so erhalten wir

λ = −

2 2 2x + 2y = − − . xy y x

Setzen wir diese Beziehung in die u¨ brigen Gleichungen ein, so ergibt sich   2 2 yz y + 2z + − − yz = y − 2 = 0 y x x   xz 2 2 xz = x − 2 = 0 x + 2z + − − y x y xyz − 4 000 = 0. Aus der letzten Gleichung erhalten wir z =

4 000 . xy

Setzen wir dies in die u¨ brigen Gleichungen ein, so bekommen wir 8 000 = 0 x2 8 000 x − 2 = 0. y y−

Nutzen wir die aus der ersten Gleichung resultierende Identit¨at y =

8 000 x2

in der zweiten Gleichung aus, so ergibt sich x−

x4 = 0. 8 000

21.3

Extrema mit Nebenbedingungen

Da x = 0 keine L¨osung ist, erhalten wir daraus x3 = 8 000 bzw. x = 20. Gehen wir mit diesem Ergebnis in die Identit¨aten, welche wir sukzessive eingesetzt haben, so erhalten wir der Reihe nach 8 000 8 000 = = 20 2 x 202 4 000 4 000 z = = = 10 xy 20 · 20 2 2 1 2 2 = − . λ = − − = − − y x 20 20 5 y =

Als einzige station¨are Stelle der Funktion F haben wir also (x0 ,y0 ,z0 ,λ0 ) = (20,20,10,− 15 ) und nach der Lagrange’schen Multiplikatorenregel damit als einzige L¨osungsm¨oglichkeit f¨ur unser Minimierungsproblem der Oberfl¨ache A die Stelle (x0 ,y0 ,z0 ) = (20, 20, 10). Da die minimale Oberfl¨ache vorhanden sein muss und nur eine m¨ogliche Stelle daf¨ur in Frage kommt, muss diese die minimale Oberfl¨ache unter der gegebenen Nebenbedingung liefern, welche sich nat¨urlich als Amin = A(20, 20, 10) = 20 · 20 + 2 · 20 · 10 + 2 · 20 · 10   = 1 200 cm2

berechnet. Es soll noch erw¨ahnt werden, dass wir uns die explizite Berechnung von λ h¨atten sparen k¨onnen, da wir nur an den Koordi◭ naten x,y,z interessiert waren.

Beispiel 21.8 Im dreidimensionalen Raum ist durch die Gleichung x2 + y2 = 1

Extremale Abst¨ande einer Schnittellipse zum Ursprung

685

686

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

ein senkrechter Drehzylinder mit der z-Achse als Drehachse und dem Kreisradius 1 gegeben. Wird dieser Drehzylinder mit der Ebene mit der Gleichung x+y−z = 0 geschnitten, so ergibt sich eine Schnittellipse e. Wir fragen nach den Punkten auf dieser Schnittellipse, welche den k¨urzesten bzw. weitesten Abstand vom Ursprung haben.

e

Der Abstand eines Punktes mit den Koordinaten (x,y,z) vom Ursprung berechnet sich als p d = x2 + y2 + z2 .

Da durch Quadrieren von d sich die Lage der Extrema nicht a¨ ndert, k¨onnen wir anstatt der Minimum-/Maximumsuche des Abstands auch die Extrema des Abstandsquadrats d 2 suchen. Wir haben also das Extremalproblem !

f (x,y,z) = d 2 (x,y,z) = x2 + y2 + z2 = extremal unter den zwei Nebenbedingungen g1 (x,y,z) = x2 + y2 − 1 = 0 g2 (x,y,z) = x + y − z = 0 zu l¨osen. Nach der Lagrange’schen Multiplikatorenregel m¨ussen wir die Funktion F(x,y,z,λ1 ,λ2 ) = f (x,y,z) + λ1 g1 (x,y,z) + λ2 g2 (x,y,z)  = x2 + y2 + z2 + λ1 x2 +y2 −1 + λ2 (x+y−z)

auf station¨are Stellen untersuchen. Wir haben also das nicht lineare Gleichungssystem

21.3

∂F ∂x ∂F ∂y ∂F ∂z ∂F ∂ λ1 ∂F ∂ λ2

Extrema mit Nebenbedingungen

!

= 2x + 2λ1 x + λ2 = 0 !

= 2y + 2λ1 y + λ2 = 0 !

=

2z − λ2

= 0

=

x2 + y2 − 1

= 0

=

x+y−z

= 0

!

!

zu l¨osen. Aus der dritten Gleichung ergibt sich hier

λ2 = 2z. Setzen wir diese Beziehung in die u¨ brigen Gleichungen ein, so erhalten wir 2x + 2λ1 x + 2z = 0 2y + 2λ1 y + 2z = 0 x2 + y2 − 1 = 0 x + y − z = 0. Aus der letzten Gleichung resultiert z = x + y. Setzen wir dies in die u¨ brigen Gleichungen ein und dividieren die ersten beiden Gleichungen noch durch 2, so erhalten wir x + λ1 x + x + y = (λ1 +2) x + y = 0 y + λ1 y + x + y = x + (λ1 +2) y = 0 x2 + y2 − 1 = 0. Aus der ersten Gleichung ergibt sich y = − (λ1 +2) x, sodass wir durch Einsetzen dieser Identit¨at in die u¨ brigen Gleichungen schließlich x − (λ1 +2)2 x = 0

x2 + (λ1 +2)2 x2 − 1 = 0 erhalten. Da x = 0 keine L¨osung dieses Gleichungssystems ist, k¨onnen wir die erste Gleichung durch x dividieren und erhalten durch Umstellen (λ1 +2)2 = 1.

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688

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Setzen wir dies in die zweite Gleichung ein, so ergibt sich 2x2 − 1 = 0 bzw. √ 2 1 √ x = ± = ± . 2 2 Aus der Gleichung x2 + y2 − 1 = 0 ergibt sich damit r r √ p 1 1 1 2 2 = ±√ = ± . y = ± 1−x = ± 1− = ± 2 2 2 2 Wegen der Beziehung z = x+y und den jeweils zwei M¨oglichkeiten f¨ur x und y resultieren somit vier M¨oglichkeiten f¨ur das Tripel (x,y,z), n¨amlich √ √ √  (x1 ,y1 ,z1 ) = 22 , 22 , 2  √ √  (x2 ,y2 ,z2 ) = − 22 , 22 , 0 √  √ (x3 ,y3 ,z3 ) = 22 , − 22 , 0  √ √ √  (x4 ,y4 ,z4 ) = − 22 , − 22 , − 2 .

Nur diese Stellen kommen als Extremalstellen des Abstandsquadrats zum Ursprung in Frage. Die Hilfsvariablen λ1 ,λ2 k¨onnten wir zwar berechnen, interessieren uns aber nicht. Um die Extrema von f = d 2 auf der Ellipse e vom Ursprung zu bestimmen, berechnen wir die Funktionswerte  √ 2  √ 2 √ 2 2 f (x1 ,y1 ,z1 ) = + 22 + 2 = 3 2  √ 2  √ 2 f (x2 ,y2 ,z2 ) = − 22 + 22 + 02 = 1  √ 2  √ 2 2 + − 22 + 02 = 1 f (x3 ,y3 ,z3 ) = 2  √ 2  √ 2  √ 2 f (x4 ,y4 ,z4 ) = − 22 + − 22 + − 2 = 3.

Aus der Anschauung weiß man, dass das Maximum und das Minimum des Abstands und damit auch des Abstandsquadrats auf der Ellipse existieren m¨ussen. Die obige Rechnung besagt, dass das Maximum von f = d 2 an den Stellen (x1 ,y1 ,z1 ) und (x4 ,y4 ,z4 ) und das Minimum an den Stellen (x2 ,y2 ,z2 ) und (x3 ,y3 ,z3 ) angenommen

21.3

Extrema mit Nebenbedingungen

wird. Da das Quadrieren des Abstands die Lage der Extrema unver¨andert ließ, haben wir auch die Lage der Extrema des normalen Abstands. An den Stellen √ √ √  (x1 ,y1 ,z1 ) = 22 , 22 , 2  √ √ √  (x4 ,y4 ,z4 ) = − 2 2 , − 22 , − 2 wird der Abstand zum Ursprung jeweils maximal und betr¨agt √ dmax = 3,

w¨ahrend an den Stellen  √ √  − 22 , 22 , 0 √  √ (x3 ,y3 ,z3 ) = 22 , − 22 , 0

(x2 ,y2 ,z2 ) =

der Abstand minimal wird mit dem Wert √ dmin = 1 = 1.



689

690

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

Aufgaben Abschnitt 21.1 21.1 Berechnen Sie die lokalen Extrema folgender Funktionen. Sind die gefundenen lokalen Extrema auch absolute Extrema? a) f (x,y) = x3 + y3 − 3x − 12y + 20 b) f (x,y) = x3 − 3x + 2y3 − 3y2 + 5 c) f (x,y) = 2y2 − x (x − 1)2 2 −y2

e) f (x,y) = e4y−x

d) f (x,y) = (x2 + y2 ) e−x

f) f (x,y) = (x3 + 2x) sin(y)

21.2 F¨ur welche Werte von a,b hat die Funktion f (x,y) = 2 (x + a)2 + y (y + b)2 an der Stelle (x0 ,y0 ) = (2, − 1) ein lokales Extremum? Von welcher Art und wie groß ist dieses Extremum? 21.3 Durch die Funktion √ y 1−a2 −(x−a)2 f (x,y) = 2 e , |a| < 1 y +1−a2 ist eine von a abh¨angige Schar von Fl¨achen gegeben. a) Berechnen Sie abh¨angig von a die Stellen lokaler Extrema von f . Um welche Art von Extrema handelt es sich und wie groß sind die Extrema? b) Auf welcher Kurve liegen die von a abh¨angigen Urbildkoordinaten (xa ,ya ) der lokalen Extrema von Funktionen f ?

21.4 Berechnen Sie die Punkte auf der Fl¨ache mit der Gleichung 1 z = , xy welche vom Ursprung das minimale Abstandsquadrat und damit auch den minimalen Abstand haben. 21.5 Suchen Sie drei positive Zahlen mit der Summe 60 derart, dass das Produkt dieser Zahlen maximal wird. 21.6 Um ein Gas mit der Masse m vom Druck pa auf den Druck pe > pa zu komprimieren, wird die Energie     κ −1 κ κ  pe W = mRT0 − 1 κ −1 pa

ben¨otigt. Dabei ist R die Gaskonstante und T0 die vom absoluten Nullpunkt gemessene Temperatur vor der Kompression und κ > 1 eine Konstante (Adiabatenexponent). F¨uhrt man nun die Kompression in drei Stufen pa → p1 → p2 → pe durch und l¨asst zwischen den Schritten die Temperatur jeweils wieder auf T0 absinken, so ben¨otigt man demzufolge die Energie         κ −1   κ −1   κ −1 κ κ κ   p1 κ p p 2 e W = mRT0 − 1 +  − 1 +  − 1 . κ −1 pa p1 p2 Wie sind die Gr¨oßen p1 ,p2 zu w¨ahlen, damit bei gegebenen T0 , pa und pe die ben¨otigte Energie W m¨oglichst klein wird? Nutzen Sie f¨ur die Rechnungen ein Computeralgebrasystem.

Aufgaben

21.7 Es sei f : A ⊂ R2 −→ R zweimal stetig partiell differenzierbar, und an einer Stelle (x0 ,y0 ) seien grad f (x0 ,y0 ) = 0 und die Hesse-Matrix H f (x0 ,y0 ) positiv definit. Zeigen Sie mit folgenden Schritten, dass dann an der Stelle (x0 ,y0 ) ein lokales Minimum der Funktion vorliegt. ∂f ∂~e

an der Stelle (x0 ,y0 ) verschwindet in jede Richtung ~e.    b) Die Richtungsableitung der Richtungsableitung ∂∂~e ∂∂~ef in eine Richtung ~e = ee1 an der Stelle a) Die Richtungsableitung

2

(x0 ,y0 ) berechnet sich als

∂ ∂~e



∂f ∂~e



= fxx e21 + 2 fxy e1 e2 + fyy e22

und l¨asst sich umformen in    2  fxy ∂ ∂f e2 2 = fxx e1 + e2 + 2 fxx fyy − fxy . ∂~e ∂~e fxx fxx c) Schließen Sie aus den Aufgabenteilen (a) und (b), dass die Funktion f an der Stelle (x0 ,y0 ) in jede Richtung w¨achst und damit an dieser Stelle ein lokales Minimum vorliegt.

Abschnitt 21.2 21.8 Nach dem Hooke’schen4 Gesetz berechnet sich die Gesamtl¨ange einer mit der Kraft F belasteten Spiralfeder als s = L + D · F. Dabei ist L die L¨ange der entspannten Feder und D die sog. Federkonstante.

sk s Zur Bestimmung der unbelasteten L¨ange L und der Federkonstanten D einer konkreten Spiralfeder l¨asst man nacheinander verschiedene Kr¨afte Fk angreifen und misst jeweils die Gesamtl¨ange sk . Man erh¨alt folgende Wertetabelle: k Fk [N] sk [cm]

1 10 39,6

2 20 44,6

3 30 49,4

4 40 54,5

5 50 59,7

Berechnen Sie mit der Methode der kleinsten Quadrate eine Sch¨atzung f¨ur die L¨ange L der unbelasteten Feder und f¨ur die Federkonstante D. 4

Robert Hooke, 1635–1703, englischer Physiker, Mathematiker und Architekt.

691

692

21 Extrema bei Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher

21.9 ¨ a) Uberlegen Sie sich, ob man die Methode der kleinsten Quadrate auch f¨ur Datenreihen anwenden kann, um eine nicht affine Funktion mit unbekannten Parametern zu bestimmen. b) Die jahreszeitbedingte Schwankung der Sonnenintensit¨at auf der Erde kann man n¨aherungsweise mithilfe einer Kosinusfunktion der Form   2π I(t) = a − b · cos t + 0,03 365 beschreiben. Dabei ist t die Zeit ab Jahresbeginn in Tagen. An einem Standort werden innerhalb eines Jahres folgende Intensit¨atswerte Ik in kWh gemessen: m2 k tk Ik

1 15 0,80

2 75 2,62

3 135 4,92

4 195 5,23

5 255 3,46

6 315 0,90

Sch¨atzen Sie mithilfe der Methode der kleinsten Quadrate die Parameter a und b.

Abschnitt 21.3 21.10 Berechnen Sie mithilfe der Multiplikatorenregel von Lagrange die station¨aren Stellen folgender Funktionen f unter den entsprechenden Nebenbedingungen. Handelt es sich um absolute Extrema? a) f (x,y) = (x+1)2 + (y−1)2 g(x,y) = x2 + y2 − 1 = 0 b) f (x,y,z) = x + y + z c) f (x,y,z) = x2 + y2 + z2 d) f (x,y,z) = 2x − y − z

g(x,y,z) = x2 + y2 + z2 − 9 = 0 g(x,y,z) = x + 2y − z − 1 = 0 g1 (x,y,z) = x2 + y2 − 8 = 0

g2 (x,y,z) = y − z = 0

21.11 Bestimmen Sie auf dem Einheitskreis x2 + y2 = 1 die Punkte, welche vom Punkt P(1|1) minimalen bzw. maximalen Abstand haben. Wie groß sind diese extremalen Abst¨ande? 21.12 Eine Firma m¨ochte Konservendosen mit dem Volumen V = 1 l = 1 dm3 = 1 000 cm3 herstellen. Wie m¨ussen der Radius r und die H¨ohe h der zylinderf¨ormigen Konservendose gew¨ahlt werden, damit m¨oglichst wenig Metall ben¨otigt wird? L¨osen Sie diese Aufgabe a) mithilfe der Lagrange’schen Multiplikatorenregel; b) durch Einsetzen der Nebenbedingung in die zu minimierende Gr¨oße.

Aufgaben

21.13 Beschreiben Sie der Ellipse mit der Gleichung x2 y2 + = 1 a2 b2 ein achsenparalleles Rechteck mit m¨oglichst großem Fl¨acheninhalt ein. Wie groß ist diese maximale Rechteckfl¨ache? y b

a x

21.14 Gegeben ist die Funktion f (x,y) = x2 + 2y2 − x. a) Bestimmen Sie im Inneren des Einheitskreises x2 + y2 < 1 alle Stellen, an welchen die Funktion f ein lokales Extremum hat. Von welcher Art und wie groß sind diese Extrema? b) Bestimmen Sie auf dem Rand des Einheitskreises x2 + y2 = 1 alle Stellen, an welchen die Funktion f ein lokales Extremum hat. Von welcher Art und wie groß sind diese Extrema? c) Bestimmen Sie mithilfe der Ergebnisse aus (a) und (b) auf der Kreisscheibe des Einheitskreises x2 + y2 ≤ 1 alle Stellen, an welchen die Funktion f ein absolutes Extremum hat. Von welcher Art und wie groß sind diese Extrema?

Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

693

Bereichsintegrale

22

Wie ist das bestimmte Integral im Mehrdimensionalen definiert? Wie berechnet man das mehrdimensionale bestimmte Integral? Wie berechnet man bestimmte Integrale in anderen Koordinatensystemen?

Containerschiff im Hamburger Hafen

22.1 22.2 22.3

Bereichsintegrale . . . . . . . . . . . . . Bereichsintegrale ¨ uber Normalbereichen Polar-, Zylinder und Kugelkoordinaten . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

696 699 706 715

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_22 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_22

695

22 Bereichsintegrale Analog zur Integralrechnung im Eindimensionalen ist es auch m¨ oglich, bestimmte Integrale u ¨ber Funktionen mehrerer Ver¨anderlicher zu definieren. Damit k¨ onnen insbesondere Volumina von Raumk¨ orpern berechnet werden. Leider ist die Berechnung dieser Integrale in vielen F¨allen sehr ¨ schwierig. Abhilfe schafft ggf. der Ubergang zu Polar-, Zylinder- oder Kugelkoordinaten.

22.1

Bereichsintegrale

Ebenso, wie wir Fl¨acheninhalte mit der Integration u¨ ber Funktionen einer Ver¨anderlichen berechnen konnten, ist es m¨oglich, im Raum Volumina mit einer erweiterten Variante der Integralrechnung zu bestimmen. Bevor wir jedoch zur Behandlung dieser Volumenberechnung kommen, wollen wir uns in Erinnerung rufen, wie wir in Kapitel 14 das bestimmte Integral u¨ ber eine Funktion in Abh¨angigkeit von einer Ver¨anderlichen eingef¨uhrt hatten. Um die Fl¨ache A unter einer Funktion f in den Grenzen von a bis b zu berechnen, hatten wir das Intervall [a,b] gem¨aß a = x0 < x1 < . . . < xn−1 < xn = b in n Teile zerlegt und auf jedem Teilintervall [xk−1 ,xk ] die Fl¨ache durch ein Rechteck ersetzt. Die H¨ohe des Rechtecks u¨ ber dem Intervall [xk−1 ,xk ] wurde durch den Funktionswert an einer Zwischenstelle ξk bestimmt. y f (x)

...

b x

=

a . . . xk−1 ξk xk | {z } x0 ∆xk

=

696

xn

Der gesuchte Fl¨acheninhalt unter der Kurve war dann n¨aherungsweise die Summe u¨ ber die Rechteckfl¨achen. Diese Ann¨aherung war umso genauer, je feiner man die Zerlegung machte und im Grenzfall ergab sich n

A = n→∞ lim



∆xk →0 k=1

f (ξk ) ∆xk =:

Zb

f (x) dx.

a

Wir hatten das bestimmte Integral als diesen Grenzwert der Summe der Rechteckfl¨achen eingef¨uhrt. Wir versuchen nun, diesen Gedankengang auf den Raum zu u¨ bertragen.

22.1

Wir fragen uns hierzu nach dem Volumen, welches sich unter dem Graphen einer Fl¨ache  A ⊂ R2 −→ R f: (x,y) 7−→ f (x,y) befindet. Dazu zerlegen wir analog zum Vorgehen bei Funktionen einer Ver¨anderlichen den Definitionsbereich A in n Teile Ak mit den zugeh¨origen Fl¨acheninhalten |Ak |. z

Graph f

V y A2

b

(ξ2 ,η2 ) b

(ξ1 ,η1 )

A3

A1

x

···

A

(ξ3 ,η3 ) b

¨ Uber diesen Grundfl¨achen Ak errichten wir senkrechte zylinderf¨ormige Gebilde, deren H¨ohen durch die Funktionswerte an gewissen Zwischenstellen (ξk ,ηk ) ∈ Ak bestimmt sind. Das Volumen Vk eines solchen Zylinders ergibt sich nat¨urlich u¨ ber die Formel Grundfl¨ache mal H¨ohe“ zu ” Vk = |Ak | · f (ξk ,ηk ). Als N¨aherung f¨ur das durch den Graphen der Funktion bestimmte Volumen V erhalten wir somit durch Summenbildung n

n

V ≈

∑ Vk

∑ f (ξk ,ηk ) · |Ak |.

=

k=1

k=1

Die N¨aherung wird umso besser, je feiner die Zerlegung des Definitionsbereichs ist, also je kleiner die Fl¨acheninhalte |Ak | werden. Im Grenzfall erh¨alt man schließlich n

V = n→∞ lim

∑ f (ξk ,ηk ) · |Ak |.

|Ak |→0 k=1

Bezeichnen wir nun noch die Zwischenstellen mit der vektoriellen Schreibweise ~ξk = (ξk ,ηk ),

Bereichsintegrale

Idee des Bereichsintegrals

697

698

22 Bereichsintegrale

so l¨asst sich diese Volumenberechnung noch in die Gestalt n

V = n→∞ lim

∑f

|Ak |→0 k=1

  ~ξk · |Ak |

umschreiben. Wir wissen, dass Grenzwerte nicht unbedingt existieren m¨ussen. Und ¨ nat¨urlich kann man die oben durchgef¨uhrten Uberlegungen auch auf den n Fall einer Funktion f : A ⊂ R −→ R mit n > 2 u¨ bertragen. Daraus resultiert eine Definition, welche sich als Verallgemeinerung des gew¨ohnlichen bestimmten Integrals interpretieren l¨asst.

Integrierbarkeit uber ¨ einem Bereich Bestimmtes Integral Bereichsintegral

Definition Die Funktion f : A ⊂ Rn −→ R heißt integrierbar uber ¨ dem Bereich A , wenn es eine Zahl V gibt, sodass zu jedem ε > 0 ein δ > 0 existiert mit der Eigenschaft, dass f¨ur jede Zerlegung (A1 ,A2 , . . . ,An ) des Bereichs A mit den maximalen Durchmessern d(Ak ) < δ stets   n V − ∑ f ~ξk |Ak | < ε k=1 gilt, ganz egal wie die Zwischenstellen ~ξk ∈ Ak gew¨ahlt werden. Man schreibt dann V =

Z

f (~x) d~x

Z

f (x1 ,x2 , . . . ,xn ) d(x1 ,x2 , . . . ,xn )

A

=

A

und spricht vom bestimmten Integral oder Bereichsintegral von f u¨ ber A.

Wie im Eindimensionalen kann man auch diese Definition folgendermaßen in die Umgangssprache umformulieren. Die Funktion f ist genau dann u¨ ber A integrierbar, wenn es eine Zahl V gibt, wogegen die Summe   n ∑ f ~ξk |Ak | strebt, unabh¨angig davon, auf welche Art die Zerlegung k=1

gebildet wird und wie konkret die Zwischenstellen ~ξk gew¨ahlt werden.

22.2

22.2

Bereichsintegrale u ¨ber Normalbereichen

Bereichsintegrale u ¨ber Normalbereichen

Leider ist die Definition des Bereichsintegrals wie bei gew¨ohnlichen bestimmten Integralen f¨ur das praktische Berechnen von Volumina unbrauchbar. Es ist de facto unm¨oglich, mit dieser Definition irgendein Volumen zu berechnen. Im Eindimensionalen hatten wir im Normalfall die M¨oglichkeit, mithilfe des Hauptsatzes der Differenzial- und Integralrechnung u¨ ber Stammfunktionen bestimmte Integrale auszuwerten. Gl¨ucklicherweise gibt es auch im Mehrdimensionalen in vielen F¨allen eine entsprechende M¨oglichkeit, n¨amlich dann, wenn der Integrationsbereich zwischen zwei festen Grenzen durch zwei stetige Funktionen eingeschlossen ist. Normalbereiche

Definition Eine Menge des A ⊂ R2 heißt ein Normalbereich vom Typ 1, wenn die x-Werte zwischen zwei festen Werten a und b und die y-Werte zwischen zwei stetigen Funktionen g(x) und h(x) liegen: A = {(x,y) | a ≤ x ≤ b und g(x) ≤ y ≤ h(x)} Die Menge B ⊂ R2 heißt ein Normalbereich vom Typ 2, wenn sie durch Vertauschen der Variablen x und y zu einem Normalbereich vom Typ 1 wird: B = {(x,y) | a ≤ y ≤ b und g(y) ≤ x ≤ h(y)}

Normalbereich vom Typ 1 y

Normalbereich vom Typ 2 y b

h(x) B A

a

g(x) a

b x

x

699

700

22 Bereichsintegrale

Einheitskreisscheibe als Normalbereich

Es soll bemerkt werden, dass es durchaus Normalbereiche gibt, denen man diesen Sachverhalt nicht sofort ansieht. So ist z. B. die Einheitskreisscheibe  A = (x,y) | x2 + y2 ≤ 1 ein Normalbereich, da die x-Variable durch die Grenzen a = −1 ≤ x ≤ 1 = b und die y-Variable durch die Funktionen p p g(x) = − 1 − x2 ≤ y ≤ 1 − x2 = h(x) begrenzt sind.

y 1



1−x2

A

1 x

√ − 1−x2 ¨ Uber solchen Normalbereichen ist ein Bereichsintegral mithilfe der gew¨ohnlichen eindimensionalen Integration l¨osbar.

Satz von Fubini

Satz von Fubini1 Ist f : A ⊂ R2 −→ R eine auf dem Normalbereich A definierte stetige Funktion, so ist f u¨ ber A integrierbar und je nach Typ des Normalbereichs gilt    x=b y=h(x)  Z Z       f (x,y) dy dx     Z  x=a y=g(x)   f (x,y) d(x,y) =  y=b x=h(y)  Z Z  A      f (x,y) dx dy.     y=a

x=g(y)

1 Guido Fubini, 1879–1943, italienischer Mathematiker. Eigentlich handelt es sich hier um eine einfache Folgerung aus dem klassischen Satz von Fubini.

22.2

Bereichsintegrale u ¨ber Normalbereichen

Man kann also Bereichsintegrale u¨ ber zweidimensionale Normalbereiche auf zwei gew¨ohnliche bestimmte Integrationen in Abh¨angigkeit von einer Ver¨anderlichen zur¨uckf¨uhren. Daher r¨uhrt auch der h¨aufig synonym zum Bereichsintegral benutzte Name der mehrfachen Integration bzw. des mehrfachen Integrals. Man integriert zun¨achst nach der einen Variablen in den Grenzen, welche durch die beiden Funktionen g und h bestimmt werden. Anschließend wird das Ergebnis in einem zweiten Schritt nach der anderen Variablen in den fixen Grenzen a und b integriert. ¨ Ublicherweise l¨asst man die Klammern um das innere Integral ebenso wie die Variablenkennung an den Integralgrenzen weg. Man schreibt also   h(x) Zb Z

x=b Z

f (x,y) dy dx :=

a g(x)

x=a

 

y=h(x) Z

y=g(x)

 f (x,y) dy dx.

Den Satz k¨onnen wir mit den zur Verf¨ugung stehenden Mitteln nicht beweisen. Stattdessen wollen wir das praktische Vorgehen zur Berechnung von Bereichsintegralen an zwei Beispielen verdeutlichen.

Beispiel 22.1 Wir berechnen u¨ ber dem Normalbereich o n π A = (x,y) | 0 ≤ x ≤ und sin(x) ≤ y ≤ x 2 das Bereichsintegral der Funktion f (x,y) = 2y cos(x). y

A

y=

x

π 2

(x) sin = y

π 2

x

Es ist nach dem Satz von Fubini Z A

f (x,y) d(x,y) =

Z A

2y cos(x) d(x,y) =

π x= Z 2

y=x Z

2y cos(x) dy dx,

x=0 y=sin(x)

wobei wir zur Verdeutlichung die Integrationsgrenzen wieder mit den zugeh¨origen Variablennamen versehen haben.

Mehrfaches Integral

701

702

22 Bereichsintegrale

Wir werten zun¨achst das innere Integral aus. Es ergibt sich y=x Z

 y=x 2y cos(x) dy = y2 cos(x) y=sin(x)

y=sin(x)

= x2 cos(x) − sin2 (x) cos(x).

Setzen wir dieses Ergebnis ein, so erhalten wir π x= Z 2

y=x Z

2y cos(x) dy dx

x=0 y=sin(x) x= π2

=

Z

 x2 cos(x) − sin2 (x) cos(x) dx

x=0



1 = x sin(x) + 2x cos(x) − 2 sin(x) − sin3 (x) 3   2 1 π − (0 + 0 − 0 − 0) +0−2− = 4 3 2



x= π

2

x=0

π2 7 − 4 3 ≈ 0,134,

=

wobei wir die ben¨otigten Stammfunktionen z. B. einer Formelsammlung entnommen haben. ◭

Cheops-Pyramide

Beispiel 22.2 Die ber¨uhmte Cheops-Pyramide steht in Gizeh, etwa 10 km s¨udwestlich von Kairo.

22.2

Bereichsintegrale u ¨ber Normalbereichen

Die Pyramide hat einen quadratischen Grundriss mit einer Seitenl¨ange L = 230 m und eine H¨ohe von H = 140 m. Der Kalkstein, aus welchem sie gebaut ist, hat eine durchschnittliche Dichte von ρ = 2 400 mkg3 . Wir fragen nach dem Volumen V der Pyramide sowie der Masse m, welche beim Bau der Pyramide vor u¨ ber 4 000 Jahren bewegt werden musste. y

y=

x

L 2

H

L 2

A

y=

L

x

− x

L

Mithilfe der mehrdimensionalen Integralrechnung berechnen wir zun¨achst das Volumen V einer allgemeinen quadratischen Pyramide. Hierzu legen wir ein Koordinatensystem so, dass der Ursprung genau unter der Pyramidenspitze liegt und die x- und y-Achse parallel zum Grundriss der Pyramide sind (vgl. obige Grundrissskizze). Aufgrund der Symmetrie gen¨ugt es, das Volumen V1 im Bereich der farblich gekennzeichneten Fl¨ache zu bestimmen und das Ergebnis mit 4 zu multiplizieren. Die gekennzeichnete Seitenfl¨ache der Pyramide l¨asst sich mithilfe der Funktionsdarstellung z = f (x,y) = H − 2

H x L

beschreiben. Das Volumen V1 unter dieser Seitenfl¨ache ergibt sich damit nach der Definition des Bereichsintegrals und der Berechnungsmethode u¨ ber Normalbereichen zu  Z Z  H H − 2 x d(x,y) V1 = f (x,y) d(x,y) = L A

=

A

L x= y=x  Z 2 Z

x=0 y=−x

=

L x= Z 2

x=0

L x=  y=x Z 2 H H dx Hy − 2 xy H − 2 x dy dx = L L y=−x

x=0

   ! H 2 H 2 Hx − 2 x − −Hx + 2 x dx L L

703

704

22 Bereichsintegrale

x= L2 

   L 4 H 3 x= 2 H 2 2 dx = Hx − x = 2Hx − 4 x L 3L x=0 x=0  2    3 L 4HL 1 2 1 = H 2− −0 = L H − L2 H 2 3 L 23 4 6 1 2 = L H. 12 Z

Demzufolge betr¨agt das Volumen V einer derartigen Pyramide V = 4V1 =

1 2 L H, 3

eine Formel, die man in jeder Formelsammlung findet. F¨ur unseren Fall der Cheops-Pyramide ergibt sich als Volumen V =

1 · 2302 m2 · 140 m ≈ 2 470 000 m3 . 3

Die Masse betr¨agt demzufolge m = V ·ρ ≈ 2 470 000 m3 · 2 400

kg m3

≈ 5 930 000 000 kg = 5 930 000 t, d. h. es wurden fast 6 Millionen Tonnen Gestein bewegt, um die ◭ Pyramide zu erbauen.

Verallgemeinerung auf h¨ohere Dimensionen

Der Begriff des Normalbereichs l¨asst sich auf h¨ohere Dimensionen erweitern. Die erste Variable x1 muss sich zwischen zwei festen Werten a und b bewegen, die zweite Variable x2 zwischen zwei Funktionen g1 (x1 ) und h1 (x1 ) in Abh¨angigkeit nur von der ersten Variablen x1 , die dritte Variable x3 zwischen zwei Funktionen g2 (x1 ,x2 ) und h2 (x1 ,x2 ) in Abh¨angigkeit von den ersten beiden Variablen x1 ,x2 usw. Es muss also a g1 (x1 ) g2 (x1 ,x2 ) .. .

≤ ≤ ≤ .. .

x1 x2 x3 .. .

≤ ≤ ≤ .. .

b h1 (x1 ) h2 (x1 ,x2 ) .. .

gelten, wobei die Reihenfolge der Variablen auch vertauscht sein darf. Bereichsintegrale u¨ ber solchen Normalbereichen lassen sich wieder auf gew¨ohnliche eindimensionale bestimmte Integrale zur¨uckf¨uhren. Im Fall

22.2

Bereichsintegrale u ¨ber Normalbereichen

von drei Variablen gilt in Verallgemeinerung der entsprechenden Formel f¨ur zwei Variable Z

f (x,y,z) d(x,y,z) =

x=b y=h Z Z 1 (x) z=hZ2 (x,y)

f (x,y,z) dz dy dx.

x=a y=g1 (x) z=g2 (x,y)

A

F¨ur h¨ohere Dimensionen gelten analoge Formeln. Wir wollen das Verfahren in einem abschließenden Anwendungsbeispiel verdeutlichen.

Beispiel 22.3

Volumenintegral

Ein Tetraeder hat in einem geeigneten Koordinatensystem die Koordinaten O(0 | 0 | 0), A(1 | 0 | 0), B(0 | 1 | 0) und C(0 | 0 | 1). Die Dichte ρ ist unabh¨angig von der horizontalen Lage (x,y), nimmt aber mit wachsender H¨ohe gem¨aß

ρ (x,y,z) = 1 − z ab. z C

O

B y

x

A

Wir interessieren uns nach der Masse m dieses Tetraeders. Diese berechnet sich als Bereichsintegral – h¨aufig spricht man auch vom Volumenintegral – der Dichtefunktion ρ u¨ ber dem Volumen V des Tetraeders: m =

Z

ρ (x,y,z) d(x,y,z)

V

Das Volumen V , u¨ ber welchem integriert wird, ist ein Normalbereich mit den Begrenzungen 0 ≤ x ≤ 1 0 ≤ y ≤ 1−x 0 ≤ z ≤ 1 − x − y. Dementsprechend berechnet sich die gesuchte Masse als

705

706

22 Bereichsintegrale

m=

Z

ρ (x,y,z) d(x,y,z) =

V

=

x=0 y=0

x=1 y=1−x Z Z 

x=0 y=0

=

 1 1 2 1 2 1 − x − y − − x − y + x + y − xy dy dx 2 2 2  1 1 2 1 2 − x − y − xy dy dx 2 2 2

x=1 Z

1 1 1 1 (1−x) − x2 (1−x) − (1−x)3 − x (1−x)2 2 2 6 2

x=1 Z

x=0

=

dy dx

1 1 1 1 y − x2 y − y3 − xy2 2 2 6 2

x=0

=



x=1 Z

x=0

=

dy dx

z=0

1 (1−x−y) − (1−x−y)2 2

x=1 y=1−x Z Z 

x=0 y=0

=

z=1−x−y

x=1 y=1−x Z Z 

x=0 y=0

=

1 z − z2 2

(1 − z) dz dy dx

z=0

x=1 y=1−x Z Z 

x=0 y=0

=

x=1 y=1−x Z Z z=1−x−y Z

dx

y=0



dx

 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 − x− x2 + x3 − + x− x2 + x3 − x+x2 − x3 dx 2 2 2 2 6 2 2 6 2 2

x=1 Z

x=0

y=1−x

1 1 1 − x + x3 3 2 6



dx =



1 1 1 x − x2 + x4 3 4 24

x=1 x=0

1 8−6+1 3 1 1 1 − + = = = 3 4 24 24 24 8 = 0,125.

=

22.3 Polarkoordinaten



Bereichsintegrale in Polar-, Zylinder- und Kugelkoordinaten

Integrationsbereiche lassen sich oft in einfacher Weise mithilfe der Polarkoordinaten (r,ϕ ) beschreiben, wobei diese Polarkoordinaten u¨ ber x = r cos(ϕ ) y = r sin(ϕ )

22.3

Polar-, Zylinder und Kugelkoordinaten

mit den kartesischen Koordinaten (x,y) zusammenh¨angen (vgl. auch Beispiel 16.2 in Abschnitt 16.1). y r

b

ϕ x

H¨aufig handelt es sich beim Integrationsbereich A bzgl. der Polarkoordinaten (r,ϕ ) um einen Normalbereich vom Typ 2. In diesem Fall ist das Bereichsintegral einer Funktion auf nachfolgende Weise bestimmbar.

Satz Ist der Integrationsbereich A in Polarkoordinaten (r,ϕ ) begrenzt durch

Bereichsintegral in Polarkoordinaten

a ≤ ϕ ≤ b g(ϕ ) ≤ r ≤ h(ϕ ), so l¨asst sich das Bereichsintegral einer stetigen Funktion f u¨ ber A gem¨aß Z

f (x,y) d(x,y) =

A

Zb h( Zϕ) a g(ϕ )

 f r cos(ϕ ), r sin(ϕ ) · r dr d ϕ

berechnen.

Hinter dem Beweis verbirgt sich die mehrdimensionale Substitutionsregel der Integration, die wir nicht behandelt haben. Wir wollen anstelle des Beweises die praktische Vorgehensweise bei der Berechnung derartiger Integrale mit einem Beispiel verdeutlichen.

Beispiel 22.4 Beim F¨allen eines Baums wird meistens ein Keil aus dem Stamm ausgeschnitten. Wir wollen das Volumen eines derartigen Keils berechnen, wobei wir die Grundfl¨ache A kreisrund annehmen. Den

Baumkeil

707

708

22 Bereichsintegrale

Radius des Grundkreises bezeichnen wir mit R und die Maximalh¨ohe des Keils mit h. z h b

R y

A R

x

In dem skizzierten Koordinatensystem hat der Grundkreis in der (x,y)-Ebene die Gleichung x2 + y2 = R2 . Die obere Begrenzungsfl¨ache hat die Darstellung z =

h h + y. 2 2R

Das gesuchte Volumen l¨asst sich somit als V =

Z  A

 h h + y d(x,y) 2 2R

berechnen, wobei A die Grundkreisfl¨ache ist. Unter ausschließlicher Nutzung der kartesischen Koordinaten (x,y) m¨ussten wir dieses Volumen u¨ ber

V =

y= x=R Z

x=−R y=−



2 2 ZR −x 



R2 −x2

 h h + y dy dx 2 2R

berechnen, was eine aufwendige Angelegenheit ist und aus diesem Grund hier nicht durchgef¨uhrt wird. Einfacher geht es mit Polarkoordinaten. Die Grundkreisfl¨ache A ist beschr¨ankt durch die Bedingungen 0 ≤ r ≤ R

und

0 ≤ ϕ ≤ 2π .

Wegen der G¨ultigkeit des obigen Satzes sowie der Beziehung y = r sin(ϕ ) ergibt sich damit

22.3

V =

Z  A

=

 h h + y d(x,y) 2 2R

ϕZ=2π r=R Z 

ϕ =0 r=0

h = 2 h = 2 h = 2

=

 h h + ·r sin(ϕ ) · r dr d ϕ 2 2R

ϕZ=2π r=R Z 

r+

ϕ =0 r=0 ϕZ=2π

ϕ =0

ϕ =0

R2 h 2

ϕ =0



dr d ϕ

r=R

R2 sin(ϕ ) 3 + R 2 3R

ϕZ=2π



sin(ϕ ) 2 r R

r2 sin(ϕ ) 3 + r 2 3R

ϕZ=2π

R2 h = 2

Polar-, Zylinder und Kugelkoordinaten



r=0





 1 sin(ϕ ) dϕ + 2 3

ϕ cos(ϕ ) − 2 3

ϕ =2π ϕ =0

  cos(2π ) cos(0) π− −0+ = 2 3 3   2 R h 1 1 = π− + 2 3 3 h = π R2 · . 2 R2 h

Das erhaltene Ergebnis kann man bei dieser einfachen Problemstellung elementargeometrisch verifizieren. Das Volumen des K¨orpers ist n¨amlich gerade der Fl¨acheninhalt der Grundfl¨ache |A| multipli¯ Dabei bedeutet mittlere H¨ohe, dass ziert mit der mittleren H¨ohe h. genau so viel Volumen des K¨orpers u¨ ber dieser mittleren H¨ohe liegt, wie auf der anderen Seite an Volumen unter dieser H¨ohe fehlt. In unserem einfachen Fall betr¨agt der Fl¨acheninhalt der Grundfl¨ache |A| = π R2 und die mittlere H¨ohe aus Symmetriegr¨unden h¯ = h2 . Damit ergibt sich insgesamt ebenfalls h V = |A| · h¯ = π R2 · . 2 ◭

709

710

22 Bereichsintegrale

Bei der Integration u¨ ber dreidimensionale Bereiche vereinfachen h¨aufig Zylinder- bzw. Kugelkoordinaten die Berechnung von Bereichsintegralen. Zylinderkoordinaten

Bei Zylinderkoordinaten (r,ϕ ,z) werden die x- und y-Koordinate in Form von Polarkoordinaten der Ebene angegeben, w¨ahrend die zKoordinate unver¨andert bleibt. Der Zusammenhang mit den u¨ blichen kartesischen Koordinaten lautet also x = r cos(ϕ ) y = r sin(ϕ ) z = z. z b

ϕ

y

r

x b

Bei Zugrundelegung dieser Koordinaten ist es plausibel, dass man wie bei Polarkoordinaten einen Faktor r bei der Bereichsintegralberechung hinzuf¨ugen muss.

Bereichsintegral in Zylinderkoordinaten

Satz Ist der Integrationsbereich A in Zylinderkoordinaten (r,ϕ ,z) begrenzt durch a ≤ ϕ ≤ b g 1 (ϕ ) ≤ r ≤ h 1 (ϕ ) g2 (r,ϕ ) ≤ z ≤ h2 (r,ϕ ), so l¨asst sich das Bereichsintegral einer stetigen Funktion f u¨ ber A gem¨aß Z

f (x,y,z) d(x,y,z) =

A

berechnen.

Zb hZ1 (ϕ ) h2Z(r,ϕ )

 f r cos(ϕ ), r sin(ϕ ), z · r dz dr d ϕ

a g1 (ϕ ) g2 (r,ϕ )

22.3

Polar-, Zylinder und Kugelkoordinaten

Volumen eines Drehkegels

Beispiel 22.5 Wir wollen mithilfe der Integration in Zylinderkoordinaten das Volumen eines Drehkegels mit dem Grundkreisradius R und der H¨ohe h bestimmen. z h

R y R

x

Dieses Volumen kann man mit dem Bereichsintegral V =

Z

Z

1 d(x,y,z) =

A

d(x,y,z)

A

berechnen, wobei A der vom Drehkegel eingeschlossene Bereich ist. Der zu integrierende Bereich ist in dem skizzierten Koordinatensystem bzgl. Zylinderkoordinaten (r,ϕ ,z) gegeben durch die Ungleichungen h 0 ≤ z ≤ h− r R 0 ≤ r ≤ R 0 ≤ ϕ ≤ 2π .

Damit ergibt sich gem¨aß dem obigen Satz das Volumen des Drehkegels als h

V =

Z

d(x,y,z) =

ϕZ=2π

ϕ =0

=

z=0

ϕZ=2π r=R Z

ϕ =0 r=0

=

r dz dr d ϕ

ϕ =0 r=0

A

=

ϕZ=2π r=R Z z=h− Z Rr

ϕZ=2π

ϕ =0

ϕZ=2π r=R  Z   z=h− Rh r h hr − r2 dr d ϕ rz z=0 dr d ϕ = R ϕ =0 r=0

h 2 h 3 r − r 2 3R

h 2 R dϕ = 6

r=R



dϕ =

r=0

h 2 R ϕ 6

ϕZ=2π

ϕ =0

ϕ =2π ϕ =0

=

h 2 h 2 R − R 2 3





h 2 1 R · 2π = π R2 h. 6 3



711

712

22 Bereichsintegrale

Kugelkoordinaten

Bei der Verwendung von Kugelkoordinaten (r,ϕ ,ϑ ) wird ein Punkt durch seinen Abstand r vom Ursprung, dem Winkel ϕ zwischen der xAchse und der Projektion in die (x,y)-Ebene sowie dem Neigungswinkel ϑ zur (x,y)-Ebene bestimmt.2 In Bezug zu den u¨ blichen kartesischen Koordinaten (x,y,z) gilt x = r cos(ϕ ) cos(ϑ ) y = r sin(ϕ ) cos(ϑ ) z = r sin(ϑ ). z b

r

ϕ x

ϑ y b

Auch hier gibt es eine Formel, mit welcher man Bereichsintegrale bei Nutzung dieser Koordinaten berechnen kann.

Bereichsintegral in Kugelkoordinaten

Satz Ist der Integrationsbereich A in Kugelkoordinaten (r,ϕ ,ϑ ) begrenzt durch a ≤ ϑ ≤ b g 1 (ϑ ) ≤ ϕ ≤ h 1 (ϑ ) g2 (ϕ ,ϑ ) ≤ r ≤ h2 (ϕ ,ϑ ), so l¨asst sich das Bereichsintegral einer stetigen Funktion f u¨ ber A gem¨aß Z

f (x,y,z) d(x,y,z)

A

=

Zb hZ1 (ϑ ) h2Z(ϕ ,ϑ )

f r cos(ϕ ) cos(ϑ ),r sin(ϕ ) cos(ϑ ), r sin(ϑ )

a g1 (ϑ ) g2 (ϕϑ )



· r2 cos(ϑ ) dr d ϕ d ϑ berechnen.

2

Manchmal f¨uhrt man den dritten Winkel ϑ auch als Winkel zur vertikalen z-Achse ein. Es ergeben sich dann gegen¨uber unserer Festlegung leicht modifizierte Formeln.

22.3

Polar-, Zylinder und Kugelkoordinaten

Beispiel 22.6 Die Dichte einer speziellen kugelf¨ormigen Gasverteilung vom Radius R betr¨agt   r2 ρ0 · 1 − 2 , R wobei r der Abstand vom Zentrum und ρ0 eine Konstante ist. z

y x

Wir suchen nach der Masse m diese Objekts. Dazu legen wir den Ursprung eines kartesischen Koordinatensystems in das Zentrum der Kugel. In Kugelkoordinaten ist das Gasvolumen begrenzt durch 0 ≤ r ≤ R 0 ≤ ϕ ≤ 2π π π − ≤ ϑ ≤ . 2 2 Als Gesamtmasse ergibt sich somit m =

Z

ρ (x,y,z) d(x,y,z)

A

=

ϑ = π2 ϕ =2π r=R Z Z Z

ϑ =− π2 ϕ =0 r=0

= ρ0

  r2 ρ0 · 1 − 2 · r2 cos(ϑ ) dr d ϕ d ϑ R

ϑ = π2 ϕ =2π r=R Z Z Z

ϑ =− π2 ϕ =0 r=0

= ρ0

ϑZ= π2 ϕZ=2π

ϑ =− π2 ϕ =0

r4 r − 2 R 2



1 3 1 r5 r − 3 5 R2

cos(ϑ ) dr d ϕ d ϑ



cos(ϑ )

r=R r=0

dϕ dϑ

Masse einer kugelf¨ormigen Gasverteilung

713

714

22 Bereichsintegrale

= ρ0

ϑZ= π2 ϕZ=2π

ϑ =− π2

= ρ0

ϕ =0

ϑZ= π2 ϕZ=2π

ϑ =− π2 ϕ =0

= ρ0

ϑZ= π2

ϑ =− π2 ϑ = π2 Z

= ρ0

ϑ =− π2

= = = =





1 3 1 R5 R − 3 5 R2



cos(ϑ )

!

dϕ dϑ

2 3 R cos(ϑ ) d ϕ d ϑ 15

2 3 R cos(ϑ ) · ϕ 15

ϕ =2π



ϕ =0

4 π R3 cos(ϑ ) d ϑ 15

ϑ = π 2 4 3 ρ0 π R sin(ϑ ) 15 ϑ =− π2     π  4 4 π ρ0 π R3 sin − π R3 sin − 15 2 15 2   4 4 ρ0 π R3 + π R3 15 15 8 ρ0 · π R3 . 15 



Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 22.2 22.1 Skizzieren Sie die Integrationsbereiche in der Ebene und berechnen Sie das Bereichsintegral. a) A = {(x,y) | 0 ≤ x ≤ 1 und 0 ≤ y ≤ 2}

Z

ex+y d(x,y)

b) A = {(x,y) | 0 ≤ x ≤ 1 und 0 ≤ y ≤ x}

Z

xy d(x,y)

A

A

n o π c) A = (x,y) | − π ≤ x ≤ und 0 ≤ y ≤ 1 2 d) A = {(x,y) | 0 ≤ x ≤



y und 0 ≤ y ≤ e}

Z

y cos(xy) d(x,y)

A

Z

x d(x,y) y

A

Z

x

e) A = {(x,y) | − 2 ≤ x ≤ 0 und e ≤ y ≤ 1}

e−x ln(y) d(x,y)

A

Z

 f) A = (x,y) | − 1 ≤ x ≤ 1 und x2 + y2 ≤ 1 und y ≥ 0

x3 y3 d(x,y)

A

22.2 Berechnen Sie u¨ ber dem Dreieck A(1|1), B(5|1), C(5|3) das Volumen unter der Oberfl¨ache z = xy. Visualisieren Sie den Sachverhalt zun¨achst mit einem Computeralgebrasystem. 22.3 In der Ebene ist durch die Eigenschaften x ≤ 1 ein Bereich A gegeben.

y ≤ 1

x+y ≥ 1

a) Skizzieren Sie diesen Bereich A. b) Berechnen Sie

Z

d(x,y).

A

22.4 Ein Kunde hat im Supermarkt eine gewisse Wartezeit von x Minuten an der Wurst-/FleischTheke und eine gewisse Wartezeit von y Minuten an der Kasse. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Wartezeiten in einem gewissen Bereich A der (x,y)-Ebene liegen, l¨asst sich durch die Formel pA =

Z

1 −x−y e 5 2 d(x,y), 10

x,y > 0

A

modellieren. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kunde insgesamt maximal 10 Minuten wartet? y

A

x

715

716

22 Bereichsintegrale

22.5 R ¨ a) Es sei A eine Fl¨ache in der (x,y)-Ebene. Uberlegen Sie sich, dass durch A d(x,y) gerade der Fl¨acheninhalt von A bestimmt wird. Gilt eine entsprechende Formel auch f¨ur dreidimensionale Volumina? b) Leiten Sie mithilfe von Aufgabenteil (a) die Fl¨acheninhaltsformel der Kreisscheibe x2 + y2 = r2 her. 22.6 Ein K¨orper ist durch den Keil x = |y| und die Ebenen z = 0 und x + z = 1 begrenzt. a) Skizzieren Sie diesen K¨orper. Nehmen Sie ggf. ein Computeralgebrasystem zu Hilfe. b) Berechnen Sie die Masse dieses K¨orpers, wenn sich seine Dichte gem¨aß ρ = 1 − x − z entwickelt.

Abschnitt 22.3 22.7 ¨ a) Uberlegen Sie sich, dass der skizzierte Bereich in Polarkoordinaten durch 0 ≤ r ≤ sin(ϕ ) bestimmt ist. y 1

π 4

≤ ϕ ≤ 34 π ,

0,5 x

b) Berechnen Sie mithilfe von Polarkoordinaten das Bereichsintegral Z  x2 + y2 d(x,y) A

u¨ ber den skizzierten Bereich A. 22.8 Berechnen Sie das Volumen des Keils aus Beispiel 22.4 mithilfe von Zylinderkoordinaten.

22.9 Von einer Kugel mit der Gleichung x2 + y2 + z2 = 22 wird ein Drehzylinder mit der Gleichung x2 + y2 = 1 entfernt. a) Fertigen Sie eine Skizze des entstehenden K¨orpers an. Nehmen Sie ggf. ein Computeralgebrasystem zu Hilfe. b) Berechnen Sie das Volumen des K¨orpers. Verwenden Sie hierzu Zylinderkoordinaten.

22.10 Eine K¨aseglocke besteht aus dem Teil einer Kugelschale, welche in einem geeigneten Koordinatensystem durch R21 ≤ x2 + y2 + z2 ≤ R22 , z≥0 beschrieben werden kann. Berechnen Sie mithilfe von Kugelkoordinaten das Volumen dieser K¨aseglocke. Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Allgemeine Kurven

23

Was versteht man allgemein unter einer Kurve? Wie berechnet man die L¨ ange einer Kurve? Kann man den Begriff der Kr¨ ummung mit einer Maßzahl belegen? Was versteht man unter dem Kurvenintegral? Autobahn bei Nacht

23.1 23.2 23.3 23.4 23.5

Der Kurvenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . Tangentenvektor und Tangente . . . . . . . . . Bogenl¨ ange und Bogenl¨ angenparametrisierung Die Kr¨ ummung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das allgemeine Kurvenintegral . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

718 723 728 738 747 751

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_23 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_23

717

23 Allgemeine Kurven Kurven sind nicht nur die Graphen von Funktionen. In diesem Kapitel kl¨aren wir, wie man allgemeine Kurven beschreiben und wie man die L¨ange einer Kurve bestimmen kann. Dem qualitativen Begriff der Kr¨ ummung wird dar¨ uber hinaus eine Maßzahl zugeordnet. Abschließen werden wir das Kapitel mit der manchmal notwendigen Integration entlang einer Kurve, dem sogenannten Kurvenintegral.

23.1

Der Kurvenbegriff

Kurven hatten wir bisher lediglich als Graphen von Funktionen in Abh¨angigkeit von einer Variablen betrachtet. y

f( x)

718

y=

x Doch gibt es dar¨uber hinaus weitere lineare Gebilde, welche man landl¨aufig ebenfalls als Kurven bezeichnet. Es ist nicht einzusehen, dass z. B. ein Kreis keine Kurve sein soll, nur weil zu einem x-Wert im Allgemeinen zwei y-Werte geh¨oren. Man stellt sich zu Recht die Frage, wie man derartige Kurven beschreiben kann.

Kreis

Beispiel 23.1 Wir wollen einen Kreis mit dem Radius R und dem Ursprung als Mittelpunkt in mathematischer Form darstellen. y R

R x

23.1

Der Versuch mit einer Funktion f schl¨agt fehl, da zu jedem Wert x ∈ ]−R,R[ zwei y-Werte geh¨oren. Wir k¨onnen aber in diesem Fall die Kurve in einen oberen und einen unteren Teil aufspalten und diese Teile jeweils durch Funktionen beschreiben. So l¨asst sich der u¨ ber der x-Achse gelegene Teil durch p y = f1 (x) = R2 − x2 und der unterhalb der x-Achse gelegene Teil durch p y = f2 (x) = − R2 − x2

darstellen. Diese Beschreibungsart der Kreislinie ist aber nicht sch¨on, da die Kurve willk¨urlich in zwei Teile zerlegt wird. Eine andere Beschreibung des Kreises ist die bekannte implizite Darstellungsart x2 + y2 = R2 , doch hat auch diese Form ihre T¨ucken. So ist es relativ schwierig, mit dieser Darstellung die Koordinaten einzelner Punkte der Kurve zu berechnen. Dazu muss man die implizite Darstellung nach der Variablen y aufl¨osen, was hier gl¨ucklicherweise abschnittsweise m¨oglich ist, letztendlich aber auf die erste Darstellungsform f¨uhrt. Eine weitere Beschreibung gelingt mithilfe des vom Ursprung aus gemessenen Winkels zur x-Achse, welchen wir mit t bezeichnen. y b

t R cos(t)

R sin(t)

R

P

x

Die x-Koordinate eines Kreispunkts P berechnet sich gem¨aß der Definition der trigonometrischen Funktionen im Einheitskreis als x = R · cos(t) und die y-Koordinate als y = R · sin(t).

Der Kurvenbegriff

719

720

23 Allgemeine Kurven

Umgekehrt erhalten wir alle Punkte des Kreises, wenn wir den Winkel t in den Grenzen von 0 bis 2π variieren und jeweils die Koordinaten mithilfe der obigen Formeln berechnen. Wir k¨onnen folglich den Kreis in der Form  x(t) = R cos(t) , t ∈ [0,2π [ y(t) = R sin(t) darstellen. Es ist also m¨oglich, die Koordinaten des Kreises mittels zweier Funktionen x(t), y(t) zu beschreiben, welche vom gleichen Winkel t abh¨angig sind. Mithilfe von Vektoren k¨onnen wir diese Darstellung noch in die Form       x(t) R cos(t) cos(t) ~x(t) = = = R , t ∈ [0,2π [ y(t) R sin(t) sin(t) umschreiben. Wir werden sehen, dass diese Beschreibungsform des Kreises f¨ur die weitere Behandlung optimal ist. Es soll noch explizit darauf hingewiesen werden, dass hier wie auch im Folgenden die Bezeichnungen x(t) und ~x(t) nur bedingt etwas miteinander zu tun haben. W¨ahrend x(t) die 1. Koordinate des Vektors bezeichnet, ist ~x(t) der komplette Vektor. ◭

Es wird sich herausstellen, dass mit der Darstellung der Koordinatenfunktionen x(t), y(t), wie sie in dem vorangegangenen Beispiel zuletzt verwendet wurde, alles beschrieben werden kann, was man u¨ blicherweise als Kurve bezeichnet. Dar¨uber hinaus kann man mit dieser Darstellungsart die Eigenschaften einer Kurve wie L¨ange und Kr¨ummung gut berechnen.

Kurve Parameterdarstellung einer Kurve

Definition Es seien x(t), y(t) stetige Funktionen auf dem Intervall I. Dann bezeichnet man die Punktmenge {(x,y) | x = x(t), y = y(t), t ∈ I} als (ebene) Kurve. Die Darstellung   x(t) ~x(t) = y(t) heißt eine Parameterdarstellung der Kurve.

23.1

Nat¨urlich ist diese Definition nur dann sinnvoll, wenn man z. B. auch den Graphen einer Funktion mithilfe einer Parameterdarstellung beschreiben kann. Wir gehen also jetzt davon aus, dass wir eine Funktion

Der Kurvenbegriff

Parameterdarstellung einer Funktion

y = f (x) vorliegen haben, f¨ur die wir eine Parameterdarstellung einf¨uhren wollen. Dazu w¨ahlen wir als Parameter t die x-Koordinate. Dann gilt  x(t) = t y(t) = f (t) bzw. in Vektorschreibweise ~x(t) =



x(t) y(t)



=



t f (t)



.

Es ist folglich m¨oglich, Graphen von Funktionen mit Parameterdarstellungen zu beschreiben. Wie wir in Beispiel 23.1 gesehen haben, gestatten auch Kreise eine Parameterdarstellung. Dar¨uber hinaus lassen sich aber auch recht komplizierte Kurven mithilfe von Parameterdarstellungen darstellen, bei welchen man unter ausschließlicher Nutzung von Funktionsdarstellungen y = f (x) chancenlos w¨are.

Beispiel 23.2 Eine im Maschinenbau h¨aufig ben¨otigte Kurve ist die Epizykloide. Diese Kurven spielen bei Zahnr¨adern eine Rolle. Setzt man sich auf ein Zahnrad und beschreibt von dort aus in einem lokalen, sich mit dem Zahnrad drehenden Koordinatensystem die Bahn der Z¨ahne der in dieses Rad greifenden Zahnr¨ader, so beschreiben diese Z¨ahne gerade eine Epizykloide. Den Mittelpunkt eines ortsfesten Kreises (das Zahnrad, auf welches man sich setzt) legen wir der Einfachheit wegen in den Ursprung, den zugeh¨origen Radius bezeichnen wir mit R. Auf diesem Kreis rollt ein zweiter Kreis mit dem Radius r ab. Die Ausgangslage sei so, dass der abrollende Kreis anfangs seinen Mittelpunkt gerade auf der x-Achse hat. Wir beobachten den Punkt, der zu Beginn den ortsfesten Kreis ber¨uhrt. Rollt nun der variable Kreis auf dem ortsfesten, so beschreibt der Punkt X eine Kurve, welche in der folgenden Skizze gezeichnet wurde.

Epizykloide

721

722

23 Allgemeine Kurven

y

M r ϕ b

b

X

R O

t b

x

Wir suchen nach einer Parameterdarstellung dieser Kurve und f¨uhren hierzu den Winkel zwischen der x-Achse und der Verbindung des Ursprungs O zum Mittelpunkt M des abrollenden Kreises als Parameter t ein. Den Winkel, welchen der Punkt X in Bezug zur Verbindung MO u¨ berstrichen hat, bezeichnen wir mit ϕ (vgl. Skizze). y

π t ϕ b

r

M b

X

l R t O

L

b

x

Mit diesen Benennungen k¨onnen wir den Ortsvektor zum Kurvenpunkt X als −→ −−→ −−→ ~x = OX = OM + MX

23.2

Tangentenvektor und Tangente

beschreiben, wobei sich die auftretenden Vektoren als   −−→ (R+r) cos(t) OM = (R+r) sin(t)     −−→ r cos(π +t + ϕ ) −r cos(t + ϕ ) MX = = r sin(π +t + ϕ ) −r sin(t + ϕ ) ausdr¨ucken lassen. Damit ergibt sich als Ortsvektor zum Kurvenpunkt X     (R+r) cos(t) −r cos(t + ϕ ) ~x = + (R+r) sin(t) −r sin(t + ϕ )     cos(t) cos(t + ϕ ) . = (R+r) −r sin(t + ϕ ) sin(t) Es bleibt die Frage, wie sich der Winkel ϕ in Abh¨angigkeit des Parameters t berechnet. Dazu ber¨ucksichtigen wir, dass die abgerollte L¨ange L = R · t auf dem ortsfesten Kreis mit der abgerollten L¨ange l = r · ϕ auf dem abrollenden Kreis u¨ bereinstimmt. Daraus resultiert, dass R·t = r ·ϕ bzw.

ϕ =

R t r

gilt. Letztendlich erhalten wir somit als Ortsvektor zum Kurvenpunkt X abh¨angig vom Parameter t und damit als Parameterdarstellung der Epizykloide

~x(t) =

23.2



x(t) y(y)









 cos t + Rr t R sin t + r t     t cos(t) cos R+r r . = (R+r) −r sin(t) sin R+r r t = (R+r)

cos(t) sin(t)

−r



Tangentenvektor und Tangente

In diversen Kurvenpunkten m¨ochte man die Tangente kennen, um die momentane Richtung der Kurve zu bestimmen.

723

724

23 Allgemeine Kurven

Tangentenrichtung beim schiefen Wurf

Beispiel 23.3 Der schiefe Wurf eines Balls l¨asst sich in dem skizzierten Koordinatensystem abh¨angig von der Zeit t durch   v0 cos(α ) · t ~x(t) = 1 2 v0 sin(α ) · t − 2 gt beschreiben. Dabei ist v0 die Abwurfgeschwindigkeit, α der Abwurfwinkel und g = 9,81 sm2 die Erdbeschleunigung. y b

α x Mit wachsendem t wird die ganze Bahnkurve des geworfenen Balls durchlaufen. Wir fragen uns nun nach der Richtung des Balls zu einem Zeitpunkt t0 , also nach der Richtung der Tangente. Zum momentanen Zeitpunkt k¨onnen wir diese Frage lediglich mithilfe der Ableitung einer Funktion beantworten. Wir m¨ussen hierzu aus der Parameterdarstellung den Parameter t eliminieren, um so zu einer Funktionsdarstellung der Kurve zu kommen. In Koordinaten gilt x = v0 cos(α ) · t

1 y = v0 sin(α ) · t − gt 2 . 2 Aus der ersten Gleichung folgt t =

x v0 cos(α )

und so ergibt sich als Funktionsgleichung 2  1 x x − g v0 cos(α ) 2 v0 cos(α ) g 2 x . = tan(α ) · x − 2 2 2v0 cos (α )

y = v0 sin(α ) ·

Als Steigung der Kurve erhalten wir abh¨angig von der Stelle x g dy x, = tan(α ) − 2 2 dx v0 cos (α )

23.2

Tangentenvektor und Tangente

d. h. die Tangente hat die Richtung ~r =



1 dy dy



1 tan(α ) − v2 cosg2 (α ) x

=

0

!

.

Wir wollen jedoch die Richtung zu einem gewissen Zeitpunkt t0 und nicht an einer gewissen Stelle x0 haben. Nun ist x0 = v0 cos(α ) · t0 und damit ergibt sich als Richtungsvektor zum Zeitpunkt t0 ! 1 ~r = tan(α ) − v2 cosg2 (α ) · v0 cos(α ) · t0 0   1 = . tan(α ) − g t v0 cos(α ) 0



Das geschilderte Beispiel belegt, wie schwerf¨allig die Tangentenberechnung mithilfe von Funktionen sein kann. Zudem ist es im Normalfall gar nicht m¨oglich, Kurven auf eine Funktion zur¨uckzuf¨uhren, was die Sachlage zus¨atzlich kompliziert. Es stellt sich die Frage, ob man die Richtung der Tangente nicht einfacher bestimmen kann. Dazu gehen wir ganz a¨ hnlich zur Einf¨uhrung des Begriffs der Ableitung in Abschnitt 11.1 vor. Wir legen zun¨achst die Sekante durch die Kurvenpunkte, welche durch die Ortsvektoren ~x(t) und ~x(t +∆t), also durch den Verbindungsvektor ~x(t +∆t) −~x(t) bestimmt wird. y

t+ ~x( t) x( −~

~x(t )

) ∆t ~x(t +

∆t )

x

725

726

23 Allgemeine Kurven

Lassen wir nun ∆t gegen null streben, so erhalten wir zwar einen Vektor, der immer mehr in Richtung der Tangente weist, auf der anderen Seite aber auch immer k¨urzer wird. Im Grenzfall erhalten wir gerade den Nullvektor ~0, der nat¨urlich keine ausgezeichnete Richtung besitzt. Aus diesem Grund m¨ussen wir den Vektor immer wieder verl¨angern, sodass sich im Grenzfall nicht mehr der Nullvektor ergibt. Dies erreichen wir durch die S-Multiplikation mit ∆t1 . Der Vektor  1 ~x(t +∆t) −~x(t) ∆t

weist f¨ur ∆t → 0 in Richtung der Tangente, entartet aber im Normalfall nicht mehr zum Nullvektor. Wir erhalten letztendlich den Vektor    1 1 x(t +∆t) − x(t) lim ~x(t +∆t) −~x(t) = lim y(t +∆t) − y(t) ∆t→0 ∆t ∆t→0 ∆t ! x(t+∆t)−x(t) ∆t y(t+∆t)−y(t) ∆t

= lim

∆t→0

=



x(t) ˙ y(t) ˙

˙ =: ~x(t).



Zur Berechnung eines Vektors in Richtung der Tangente m¨ussen wir also gerade die beiden Koordinatenfunktionen x(t) und y(t) differenzieren.

Tangentenvektor und Tangente

Definition

Der Vektor ˙ ~x(t) =



x(t) ˙ y(t) ˙



heißt Tangentenvektor an die parametrisierte Kurve ~x(t) im entsprechenden Punkt. Die dadurch bestimmte Gerade ˙ ~x(t) + λ ~x(t),

λ ∈R

ist die Tangente an die Kurve im betreffenden Punkt.

Fortfuhrung ¨ Tangentenrichtung beim schiefen Wurf

Beispiel 23.4 (Fortf¨uhrung von Beispiel 23.3). Wir wollen nochmals zu einem beliebigen Zeitpunkt t die Tangentenrichtung eines Balls berechnen,

23.2

Tangentenvektor und Tangente

der unter dem Winkel α zur Erdoberfl¨ache abgeworfen wird. Die Flugbahn wird durch     m v0 cos(α ) · t x(t) ~x(t) = = , g = 9,81 2 y(t) v0 sin(α ) · t − 21 gt 2 s beschrieben. Zur L¨osung der Aufgabe beschreiben wir dieses Mal aber nicht mehr die Kurve in Form einer Funktion y = f (x), sondern berechnen einfach den Tangentenvektor. Es ist     x(t) ˙ v0 cos(α ) ˙ ~x(t) = = . y(t) ˙ v0 sin(α ) − gt Dieser Vektor stimmt bis auf ein skalares Vielfaches mit dem Ergebnis aus Beispiel 23.3 u¨ berein. Es ist n¨amlich zu einem festen Zeitpunkt t0     1 v0 cos(α ) ˙ 0) = ~x(t = v0 cos(α ) tan(α ) − g t . v0 sin(α ) − gt0 v0 cos(α ) 0 ◭

Tangentenvektor an die Epizykloide

Beispiel 23.5 Wir berechnen f¨ur einen beliebigen Parameterwert t den Tangentenvektor an die Epizykloide mit der Parameterdarstellung       cos R+r t x(t) cos(t) r ~x(t) = = (R+r) −r . y(t) sin(t) sin R+r r t y

˙ ~x(t) b

ϕ

r b

R t b

x

727

728

23 Allgemeine Kurven

Es ergibt sich   x(t) ˙ ˙ ~x(t) = y(t) ˙    R+r   − sin(t) · − sin R+r t r r  = (R+r) −r R+r R+r cos(t) r · cos r t      R+r − sin(t) sin r t  = (R+r) + (R+r) cos(t) − cos R+r r t    R+r − sin(t) + sin r t = (R+r) . cos(t) − cos R+r r t

Bemerkenswert ist noch ein Sachverhalt, der im Folgenden hergeleitet wird. F¨ur

ϕ = 2kπ ,

k∈N

ber¨uhrt die Epizykloide den ortsfesten Kreis. Wegen der Beziehung ϕ = Rr t (vgl. Beispiel 23.2 in Abschnitt 23.1) ist dies gerade f¨ur r t = 2 kπ R der Fall. Als Tangentenvektor an diesen Ber¨uhrstellen ergibt sich daher     − sin 2 Rr kπ + sin R+r ·2 Rr kπ r ˙ r ~x 2 R kπ = (R+r) r cos 2 Rr kπ − cos R+r r ·2 R kπ    − sin 2 Rr kπ + sin 2kπ +2 Rr kπ = (R+r) cos 2 Rr kπ − cos 2kπ +2 Rr kπ    − sin 2 Rr kπ + sin 2 Rr kπ = (R+r) cos 2 Rr kπ − cos 2 Rr kπ = ~0. An den Ber¨uhrpunkten der Epizykloide mit dem ortsfesten Kreis verschwindet offensichtlich der Tangentenvektor, was sich in den Spitzen der Kurve a¨ ußert. ◭

23.3

Bogenl¨ ange und Bogenl¨ angenparametrisierung

Von besonderem Interesse ist die L¨ange einer Kurve. So ist man daran interessiert, wie lang eine krummlinig verlaufende Straße ist oder welche Strecke ein Zeichenstift beim Zeichnen einer Kurve zur¨ucklegt.

23.3

Bogenl¨ange und Bogenl¨angenparametrisierung

Um n¨aherungsweise die L¨ange L eines Kurvenst¨ucks ~x(t) zwischen den Punkten A und B mit den Ortsvektoren ~x(tA ) und ~x(tB ) zu berechnen, n¨ahern wir die Kurve durch einen Streckenzug an. Die zugeh¨origen Polygonpunkte legen wir durch eine Zerlegung des Parameterintervalls [tA ,tB ] fest: tA =: t0 < t1 < t2 < . . . < tn−1 < tn := tB y b

A

b

B x

Wir erhalten damit L ≈ |~x(t1 )−~x(t0 )| + |~x(t2 )−~x(t1 )| + . . . + |~x(tn )−~x(tn−1 )| n

=

∑ |~x(tk )−~x(tk−1 )| .

k=1

Die L¨ange der Differenzvektoren berechnet sich nach den Regeln der Vektorrechnung als     x(tk ) x(tk−1 ) |~x(tk )−~x(tk−1 )| = − y(tk ) y(tk−1 ) q 2 2 = x(tk )−x(tk−1 ) + y(tk )−y(tk−1 ) .

Nach dem Mittelwertsatz der Differenzialrechnung (Abschnitt 11.3) ist dar¨uber hinaus x(tk ) − x(tk−1 ) y(tk ) − y(tk−1 ) = x( ˙ ξk ) = y( ˙ ηk ) tk − tk−1 tk − tk−1 mit Zwischenstellen ξk ,ηk ∈ ]tk−1 ,tk [. Mit diesen Kenntnissen k¨onnen wir die obige N¨aherungsformel f¨ur die Bogenl¨ange L weiter umformen in n

L ≈ = = = =

∑ |~x(tk )−~x(tk−1 )|

k=1 n q

x(tk )−x(tk−1 )



x( ˙ ξk )·(tk −tk−1 )



k=1 n q k=1 n q



k=1

+ y(tk )−y(tk−1 ) 2

2

+ y( ˙ ηk )·(tk −tk−1 )

x˙2 (ξk )·(∆tk )2 + y˙2 (ηk )·(∆tk )2

k=1 n q



2

x˙2 (ξk ) + y˙2 (ηk ) · ∆tk

2

729

730

23 Allgemeine Kurven

mit ∆tk = tk −tk−1 . F¨uhrt man nun den Grenzwert n → ∞, ∆tk → 0 durch, so erinnert dies sehr an die Definition des bestimmten Integrals in Abschnitt 14.1. Tats¨achlich gilt auch hier n

L ≈



k=1

q

ZtB q

−− −−→ n→∞ ∆tk →0

=

x˙2 (ξk ) + y˙2 (ηk ) · ∆tk x˙2 (t) + y˙2 (t) dt

tA

ZtB q

~x˙ 2 (t) dt.

tA

Wir k¨onnen also den nachfolgenden Satz formulieren.

L¨ange einer Kurve

Satz Die L¨ange einer Kurve mit der Parameterdarstellung ~x(t), deren Endpunkte durch die Parameterwerte tA und tB gegeben sind, berechnet sich gem¨aß ZtB q L = ~x˙ 2 (t) dt tA

=

ZtB q

x˙2 (t) + y˙2 (t) dt.

tA

Kreisumfang

Beispiel 23.6 Wir berechnen die Bogenl¨ange eines Kreises mit dem Radius R. Dieser Kreis l¨asst sich bekanntlich mit dem vom Ursprung zur xAchse gemessenen Winkel als     x(t) R cos(t) ~x(t) = = y(t) R sin(t) parametrisieren. Der geschlossene Kreis wird durch die Parametergrenzen 0 ≤ t ≤ 2π vollst¨andig beschrieben.

23.3

Bogenl¨ange und Bogenl¨angenparametrisierung

y

R t x

Als Tangentenvektor erhalten wir     x(t) ˙ −R sin(t) ˙ ~x(t) = = y(t) ˙ R cos(t) und damit als Bogenl¨ange L =

Z2πq

=

Z2πq

~x˙ 2 (t) dt =

0

0

=

Z2πq

(−R sin(t))2 + (R cos(t))2 dt

0

Z2π√ Z2π  R2 sin2 (t) + cos2 (t) dt = R2 · 1 dt = R dt

[Rt]02π

0

0

= R·2π − 0 = 2π R,

also die bekannte Kreisumfangsformel.



Beispiel 23.7 Wir wollen nun die L¨ange eines Bogens der Epizykloide mit der Parameterdarstellung        x(t) cos(t) cos R+r r t ~x(t) = = (R+r) −r y(t) sin(t) sin R+r r t bestimmen.

L¨ange eines Epizykloidenbogens

731

732

23 Allgemeine Kurven

y

b

ϕ

r b

R t b

x

Da aus Symmetriegr¨unden alle B¨ogen gleich lang sind, gen¨ugt es, die L¨ange des ersten Bogens zu berechnen, welcher durch bzw. wegen ϕ =

R rt

0 ≤ ϕ ≤ 2π

(vgl. Beispiel 23.2 in Abschnitt 23.1) durch r 0 ≤ t ≤ 2 π R begrenzt ist. Dazu ben¨otigen wir zun¨achst den Tangentenvektor (vgl. Beispiel 23.5 in Abschnitt 23.2)      x(t) ˙ − sin(t) + sin R+r ˙ r t ~x(t) = = (R+r) . y(t) ˙ cos(t) − cos R+r r t

Daraus ergibt sich ~x˙ 2 (t) = x˙2 (t) + y˙2 (t)   2 R+r = (R+r)2 − sin(t) + sin t r   2 ! R+r + cos(t) − cos t r      R+r 2 2 2 R+r = (R+r) sin (t) − 2 sin(t) sin t + sin t r r    R+r R+r + cos2 (t) − 2 cos(t) cos t + cos2 t r r       ! R+r R+r 2 = (R+r) 1 − 2 cos t cos(t) + sin t sin(t) + 1 r r  ! R+r 2 = (R+r) 2 − 2 cos t −t r    R = 2 (R+r)2 1 − cos t . r

23.3

Bogenl¨ange und Bogenl¨angenparametrisierung

Diese Formel l¨asst sich mithilfe der Doppelwinkelformel cos(2α ) = cos2 (α ) − sin2 (α ) (vgl. Abschnitt 3.5) noch weiter umformen:      ! R R 2 2 2 2 ˙ ~x (t) = 2 (R+r) 1 − cos t − sin t 2r 2r     R R = 2 (R+r)2 1 − cos2 t + sin2 t 2r 2r | {z }  R = sin2 2r t   R = 4 (R+r)2 sin2 t 2r Als L¨ange des Bogens erhalten wir damit rπ 2R

L =

Z q

~x˙ 2 (t) dt =

0

r πs 2R

Z

2

2

4 (R+r) sin

0



R t 2r

rπ 2R

=

Z 0



dt

r

2 R π    Z  R sin R t dt. 2 (R+r) sin t dt = 2 (R+r) 2r 2r 0





Im Integrationsbereich 0,2 Rr π ist 0 ≤

R R r t ≤ ·2 π = π 2r 2r R

und damit 

R sin t 2r



≥ 0.

So ergibt sich letztendlich als gesuchte Bogenl¨ange eines Epizykloidenbogens rπ 2R

L = = = =

 2 r π R 2r R 2 (R+r) dt = 2 (R+r) − cos t R 2r 0 0   2r 2r 2 (R+r) − cos(π ) + cos(0) R R  (R+r)r (R+r)r 4 − cos(π ) + cos(0) = 4 (1 + 1) R R (R+r)r 8 . R Z



R sin t 2r







733

734

23 Allgemeine Kurven

Von Interesse ist die Bogenl¨ange eines Funktionsgraphen, also einer Kurve, welche durch eine Funktion y = f (x),

a≤x≤b

gegeben ist. Eine derartige Kurve l¨asst sich gem¨aß Abschnitt 23.1 in der Form     x(t) t ~x(t) = = , a≤t ≤b y(t) f (t) parametrisieren. Die L¨ange der Kurve betr¨agt demzufolge L =

Zb q

x˙2 (t) + y˙2 (t) dt =

a

Zb q

12 + f˙2 (t) dt.

a

Ersetzen wir nun die Integrationsvariable t wieder durch die urspr¨ungliche Bezeichnung x, so erhalten wir den als Bogenl¨angenformel fur ¨ Funktionen bekannten Sachverhalt: Bogenl¨angenformel fur ¨ Funktionen

Satz Die L¨ange eines Funktionsgraphen f (x) in den Grenzen a ≤ x ≤ b berechnet sich als L =

Zb q

1 + f ′ (x)

a

Bogenl¨ange als Parameter

2

dx.

Beispiel 23.8 (Fortf¨uhrung von Beispiel 23.6). Wir betrachten nochmals den Kreis mit der Parameterdarstellung   R cos(t) ~x(t) = R sin(t) und berechnen die von der x-Achse gemessene Bogenl¨ange s bis zu einem Endwinkel t. y

R

s

t x

23.3

Bogenl¨ange und Bogenl¨angenparametrisierung

Es ergibt sich s =

Zt q

=

Zt q

~x˙ 2 (t) dt =

0

0

Zt q

(−R sin(t))2 + (R cos(t))2 dt

0

Zt  R2 sin2 (t) + cos2 (t) dt = R dt = [Rt]t0 = Rt. 0

Dies bedeutet, dass man den Parameter t durch die Bogenl¨ange s ausdr¨ucken kann. Es gilt t =

s . R

Gehen wir mit dieser Beziehung in die urspr¨ungliche Parameterdarstellung, so erhalten wir      R cos(t) R cos Rs  = ~x(s). ~x(t) = = R sin(t) R sin Rs

Damit haben wir die urspr¨ungliche Kreisdarstellung umparametrisiert. Wir haben die vom Parameterwert t0 = 0 aus gemessene Bogenl¨ange s als neuen Parameter eingef¨uhrt. ◭

Die im vorangegangenen Beispiel vorgestellte Methode der Einf¨uhrung der Bogenl¨ange s als Parameter l¨asst sich auf beliebige Kurven verallgemeinern. Fixiert man auf einer Kurve mit der Parameterdarstellung ~x(t) durch den Parameterwert t0 eine feste Stelle, so kann man jedem Punkt auf der Kurve die von dieser Stelle aus gemessene Bogenl¨ange s zuordnen. Wir haben damit eine Abbildung s : t 7−→ s(t) =

Zt q

~x˙ 2 (t) dt

t0

definiert. Wenn zu zwei verschiedenen Parameterwerten unterschiedliche Bogenl¨angen geh¨oren, kann man diese Funktion umkehren. Durch Einsetzen der Umkehrfunktion t = t(s) in die urspr¨ungliche Parameterdarstellung haben wir die von ~x(t0 ) aus gemessene Bogenl¨ange s als Parameter eingef¨uhrt, d. h. es liegt eine Bogenl¨angenparametrisierung ~x(s) vor.

Bogenl¨angenparametrisierung

735

736

23 Allgemeine Kurven

Bogenl¨angenparametrisierung der Epizykloide

Beispiel 23.9 (Fortf¨uhrung von Beispiel 23.7). Die Epizykloide mit ihrer Standardparameterdarstellung        cos R+r x(t) cos(t) r t ~x(t) = = (R+r) −r y(t) sin(t) sin R+r r t

soll auf Bogenl¨ange s umparametrisiert werden, wobei diese vom Startpunkt t0 = 0 gemessen wird. Mit den Rechenergebnissen aus Beispiel 23.7 ergibt sich s   Zt q Zt R 2 2 2 ˙ s = ~x (t) dt = 4 (R+r) sin t dt 2r 0

0

= 2 (R+r)

Zt 0



 sin R t dt. 2r

Beschr¨anken wir uns auf den ersten Epizykloidenbogen, so ist 0 ≤

R R r t ≤ ·2 π = π 2r 2r R

und damit sin



R t 2r



≥ 0.

Daraus resultiert als Bogenl¨angenfunktion Zt

 R t dt 2r 0   t 2r R = 2 (R+r) − cos t R 2r   0  2r R 2r = 2 (R+r) − cos t + R 2r R    (R+r) r R = 4 1 − cos t . R 2r

s = 2 (R+r)

sin



Die ben¨otigte Umkehrfunktion t(s) erhalten wir durch Aufl¨osen nach t. Es ergibt sich nacheinander   R R s = 1 − cos t 4(R+r)r 2r   R R cos t = 1− s 2r 4(R+r)r   2r R t = arccos 1 − s . R 4(R+r)r

23.3

Bogenl¨ange und Bogenl¨angenparametrisierung

Die Bogenl¨angenparametrisierung erhalten wir durch Einsetzen dieser Beziehung in die urspr¨ungliche Parameterdarstellung:      R cos 2r arccos 1− s R 4(R+r)r     ~x(s) = (R+r)  2r R s sin R arccos 1− 4(R+r)r      2(R+r) R cos s arccos 1− 4(R+r)r R     −r R sin 2(R+r) arccos 1− s R 4(R+r)r ◭

Man stellt sich nach diesem Beispiel zu Recht die Frage, welchen Nutzen eine Umparametrisierung auf Bogenl¨ange hat. Die im Beispiel erhaltene Parameterdarstellung hat eine Form, mit welcher rechentechnisch nicht mehr zu arbeiten ist. Mehr noch: Es gibt relativ einfache Beispiele, bei welchen die Bogenl¨angenparametrisierung~x(s) theoretisch zwar vorhanden ist, man diese aber nicht explizit berechnen kann, weil entweder das Bogenl¨angenintegral elementar nicht auswertbar ist oder die Aufl¨osung der Gleichung s = f (t) nach t nicht gelingt. Die Bogenl¨angenparametrisierung hat aber Eigenschaften, die andere Parametrisierungen nicht haben.

Satz Ist ~x(s) eine auf Bogenl¨ange parametrisierte Kurve, so hat der Tangentenvektor u¨ berall die L¨ange ′ ~x (s) = 1.

Beweis Haben wir eine beliebige Parameterdarstellung~x(t), so berechnet sich die von einem fixen Parameterwert t0 aus gemessene Bogenl¨ange als s =

Zt q

~x˙ 2 (t) dt.

t0

Damit ist nat¨urlich ds = dt

q ~x˙ 2 (t).

Haben wir nun eine Kurve, welche einmal auf den beliebigen Parameter t und einmal auf den Bogenl¨angenparameter s bezogen ist, so gilt nach der

L¨ange des Tangentenvektors bei Bogenl¨angenparametrisierung

737

738

23 Allgemeine Kurven

Kettenregel der Differenzialrechnung und der Regel von der Ableitung der Umkehrfunktion  ′   dx   dx dt   dx  dt x (s) ds dt · ds dt ~x ′ (s) = = = = dy dy dt dy y′ (s) · ds ds dt ds dt   1 1 x(t) ˙ ˙ = ds = q ~x(t). y(t) ˙ dt ~x˙ 2 (t)

Daraus ergibt sich die L¨ange des Tangentenvektors bei Bogenl¨angenparametrisierung als s q √ ′ 2 1 ˙2 ′ ~x (s) = ~x (s) = ~x (t) = 1 = 1. 2 ˙ ~x (t) 

23.4

Die Kr¨ ummung

Jeder hat eine qualitative Vorstellung von Kr¨ummung. So spricht man im Straßenverkehr von einer gering oder stark gekr¨ummten Kurve. Man hat auch die Vorstellung, dass ein Kreis u¨ berall die gleiche Kr¨ummung besitzt. Mithilfe der Bogenl¨angenparametrisierung ist es m¨oglich, den qualitativ bekannten Begriff der Kr¨ummung mit einer Maßzahl zu quantifizieren. Hierzu m¨ussen wir aber zun¨achst die Herleitung von Eigenschaften f¨ur die Bogenl¨angenparametrisierung noch etwas weiter treiben.

Satz Ist ~x(s) eine auf Bogenl¨ange parametrisierte Kurve, so ist u¨ berall ~x ′ (s) · ~x ′′ (s) = 0, d. h. der Vektor ~x ′′ (s) ist zum Tangenteneinheitsvektor ~x ′ (s) orthogonal.

Beweis Dieser Sachverhalt folgt unmittelbar aus der Tatsache, dass bei Bogenl¨angenparametrisierung u¨ berall ′ ~x (s) = 1 gilt. Quadriert man n¨amlich diese Gleichung, so erh¨alt man    ′  ′ 2 2 x (s) x (s) · 1 = ~x ′ (s) = ~x ′ (s) = ~x ′ (s) · ~x ′ (s) = y′ (s) y′ (s)   2 2 = x′ (s) + y′ (s) .

23.4

Die Kr¨ ummung

Durch Differenzieren ergibt sich daraus 0 = 2x′ (s)x′′ (s) + 2y′ (s)y′′ (s) bzw. nach der Division durch 2 in Vektorschreibweise  ′   ′′  x (s) x (s) ′ ′′ ′ ′′ 0 = x (s)x (s) + y (s)y (s) = · = ~x ′ (s) · ~x ′′ (s). y′ (s) y′′ (s)  Wir wollen diesen Sachverhalt geometrisch interpretieren. Eine auf Bogenl¨ange parametrisierte Kurve ~x(s) hat als Tangentenvektor ~x ′ (s) einen Einheitsvektor. Wir f¨uhren nun einen dazu orthogonalen Normaleneinheitsvektor ~n(s) in der Art  ein, dass dieser ebenfalls die L¨ange 1 hat und das Vektorpaar ~x ′ ,~n ein sog. Rechtssystem bildet, also dass sie entgegen dem Uhrzeigersinn orientiert sind. Hat der Tangentenvektor die Koordinaten  ′  2 2 x ~x ′ = , x′ + y′ = 1, y′

Normaleneinheitsvektor

so lautet der Normaleneinheitsvektor     −y′ n1 = . ~n = x′ n2 y −y′ ~n

x′ ′

~x

y′

x′ x Mithilfe der Determinante l¨asst sich diese Wahl des zu ~x ′ (s) orthogonalen Einheitsvektors unter den zwei m¨oglichen Alternativen durch die Bedingung ′ x n1  ′ = x′ n2 − y′ n1 = x′ · x′ − y′ · (−y′ ) det ~x ,~n = ′ y n2 2 2 = x′ + y′ = 1

charakterisieren. Diese Determinante wird u¨ blicherweise mit einem eigenen Namen belegt.

Definition Unter dem a¨ ußeren Produkt der Vektoren ~a,~b ∈ R2 versteht man den Ausdruck, den man durch Determinantenbildung der Komponenten der beiden Vektoren erh¨alt: h i   ~a,~b = det ~a,~b

¨ Außeres Produkt

739

740

23 Allgemeine Kurven

~x ′′ (s) als Vielfaches des Normaleneinheitsvektors

Nach dem obigen Satz ist die zweite Ableitung ~x ′′ (s) der Bogenl¨angenparametrisierung ~x(s) orthogonal zum Tangentenvektor ~x ′ (s). Dies bedeutet, dass ~x ′′ (s) ein Vielfaches κ des Normaleneinheitsvektors ~n(s) ist, wobei der Wert dieses Vielfachen von Stelle zu Stelle variieren kann. Es ist also ~x ′′ (s) = κ (s) ·~n(s). y ~x ′′ ~n

~x ′ x

Krummung ¨ und Krummungsradius ¨

Definition Ist ~x(s) eine auf Bogenl¨ange parametrisierte Kurve, so nennt man den Proportionalit¨atsfaktor κ (s) in der Beziehung ~x ′′ (s) = κ (s) ·~n(s) die Krummung ¨ der Kurve an der Stelle s. Der Betrag des Kehrwerts

ρ (s) :=

1 |κ (s)|

heißt der Krummungsradius ¨ der Kurve an der Stelle s.

Dieser Kr¨ummungsbegriff κ quantifiziert die naive Vorstellung von Kr¨ummung. Er leistet genau das, was man von einer Maßzahl f¨ur die Kr¨ummung erwartet.

Geometrische Deutung der Krummung ¨

Satz Ist ~x(s) eine auf Bogenl¨ange parametrisierte Kurve und α der Neigungswinkel der Tangente, so gilt f¨ur die Kr¨ummung κ die Beziehung ∆α = dα . |κ | = lim ∆s→0 ∆s ds

23.4

y b

ds



b

α x Je st¨arker also auf einem differenziell kurzen St¨uck ds der Kurve der Neigungswinkel α variiert, desto gr¨oßer ist dort betragsm¨aßig die Kr¨ummung κ , was durchaus mit unserer naiven Vorstellung der Kr¨ummung u¨ bereinstimmt. Das Vorzeichen von κ gibt an, ob es sich um eine Links- (+) oder um eine Rechtskr¨ummung (−) handelt.

Beweisskizze Zeichnet man die Tangenteneinheitsvektoren ~x ′ (s) und ~x ′ (s+∆s) als Ortsvektoren in ein Koordinatensystem, so stellt man fest, dass bei kleinem ∆s und damit kleinem ∆α die L¨ange des Differenzvektors ~x ′ (s+∆s) − ~x ′ (s) n¨aherungsweise mit der L¨ange des entsprechenden Kreisbogens und daher mit |∆α | u¨ bereinstimmt: ′ ~x (s+∆s) − ~x ′ (s) ≈ |∆α | y



~x ′( s+

∆s)

∆α

α

′ s) ~x (

x Diese N¨aherung ist um so genauer, je kleiner ∆s und damit ∆α ist. Multi1 plizieren wir diese Gleichung mit |∆s| , so erhalten wir  ′  x (s+∆s) − x′ (s) ∆α 1    ′ ′ ∆s =  . ~ x (s+∆s) − ~ x (s) ≈  ∆s y′ (s+∆s) − y′ (s) ∆s ∆s Im Grenzfall ∆s → 0 ergibt sich daraus  ′′  1 x (s)  ′ ′ = ~x ′′(s) lim ~x (s+∆s) − ~x (s) = ′′ y (s) ∆s→0 ∆s ∆α = dα = lim ∆s→0 ∆s ds und wegen ~x ′′(s) = κ (s) ·~n(s) schließlich

|κ (s)| = |κ (s)| · |~n(s)| = |κ (s) ·~n(s)| = ~x ′′(s) ∆α = dα . = lim ∆s→0 ∆s ds



Die Kr¨ ummung

741

742

23 Allgemeine Kurven

Wir ben¨otigen noch eine Berechnungsformel f¨ur die Kr¨ummung. Hierzu beschr¨anken wir uns zun¨achst auf eine Bogenl¨angenparametrisierung ~x(s). Dann gilt nach den Rechenregeln f¨ur Determinanten    κ = κ · ~x ′ ,~n = κ · det ~x ′ ,~n | {z } =1     = det ~x ′ ,κ~n = det ~x ′ , ~x ′′ = ~x ′ , ~x ′′ ′ x x′′ = x′ y′′ − x′′ y′ . = ′ y y′′

Damit haben wir eine Formel f¨ur die Kr¨ummung im Fall des Parameters Bogenl¨ange. Haben wir es mit einer allgemeinen Parametrisierung~x(t) zu tun, so berechnen wir die ben¨otigten Ableitungen nach der Bogenl¨ange indirekt. Nach der Kettenregel gilt  ′   dx   dx dt   dx  x (s) dt ds dt · ds dt ~x ′ (s) = = = = · ′ dy dy dy dt ds y (s) ds dt · ds dt   x(t) ˙ dt dt ˙ = ds · = ds ·~x(t) y(t) ˙  ′′   d dx    d dx dt   x (s) ′′ ds ds ds dt · ds   = ~x (s) = = d dy d dy dt y′′ (s) ds ds ds dt · ds !   d dx  dt dx d dt   dx d 2 t d dx dt dt · + · · + · · 2 dt dt ds ds dt ds ds dt  ds dt ds ds = =  dy d dt  d dy dt dy d 2 t d dy dt dt ds dt · ds + dt · ds ds dt dt · ds · ds + dt · ds2 !     dx   d2 x   x(t) ¨ x(t) ˙ 2 dt 2 d2t dt 2 d2t dt dt = ds · + ds2 · = ds · d 2 y + ds2 · dy y(t) ¨ y(t) ˙ dt dt 2  2 2 ¨ ˙ + d 2t ·~x(t). = dt ·~x(t) ds

ds

Somit ergibt sich nach den Berechnungsformeln f¨ur Determinanten als Kr¨ummung h i       dt ˙ dt 2 ¨ d 2 t ˙ dt 2 ¨ d 2 t ˙ dt ˙ κ = ~x ′ , ~x ′′ = ds ·~x , ds ·~x , ds ·~x + ds2 ·~x = det ds ·~x + ds2 ·~x    2  2 = det dt ·~x˙ , dt ·~x¨ + det dt ·~x˙ , d 2t ·~x˙ ds

=

 dt 3

ds

ds

ds

ds

  ˙ ~x¨ + dt d 22t ·det ~x, ˙ ~x˙ = ·det ~x, ds ds | {z } =0

Nun ist wegen s =

   dt 3 ˙ ¨ ~x,~x . ds

Zt q

~x˙ 2 (t) dt

t0

1 1 dt . = ds = q ds dt ~x˙ 2 (t)

23.4

Die Kr¨ ummung

Als Kr¨ummungsformel ergibt sich letztendlich     3 3 ˙ ~x¨   ~x, 1 dt  ˙ ¨ ˙ ¨ ~x,~x = √ κ = ~x,~x = 3 ds ~x˙ 2 ~x˙ 2 2 x˙ x¨ y˙ y¨ x˙y¨ − x¨y˙ = 3 = 3 . (x˙2 + y˙2 ) 2 (x˙2 + y˙2 ) 2

Satz Die Kr¨ummung einer Kurve mit der Parameterdarstellung ~x(t) berechnet sich als   ˙ ~x¨ ~x, κ = 3 ~x˙ 2 2 x˙y¨ − x¨y˙

=

3

Berechnungsformel der Krummung ¨

.

(x˙2 + y˙2 ) 2

Beispiel 23.10 Wir berechnen die Kr¨ummung des Kreises mit der u¨ blichen Parameterdarstellung     x(t) R cos(t) ~x(t) = = . y(t) R sin(t) y

R t x

Dazu ben¨otigen wir die Ableitungsvektoren. Es ist     −R sin(t) −R cos(t) ~x˙ = ~x¨ = R cos(t) −R sin(t) und damit

Krummung ¨ des Kreises

743

744

23 Allgemeine Kurven

  ˙ ~x¨ = x˙ ~x, y˙

−R sin(t) x¨ = R cos(t) y¨

−R cos(t) −R sin(t)

= (−R sin(t))2 − (R cos(t)) (−R cos(t)) = R2 sin2 (t) + R2 cos2 (t)  = R2 sin2 (t) + cos2 (t) = R2

~x˙ 2 = (−R sin(t))2 + (R cos(t))2 = R2 sin2 (t) + R2 cos2 (t)  = R2 sin2 (t) + cos2 (t) = R2 .

Als Kr¨ummung erhalten wir   ˙ ~x¨ ~x, R2 R2 1 κ = = . 3 =  32 = 3 R R (R2 ) 2 ~x˙ 2

Die Kr¨ummung ist also konstant und stimmt mit dem Kehrwert des Radius u¨ berein. Umgekehrt bedeutet dies, dass der Kr¨ummungsradius des Kreises mit dem Kreisradius u¨ bereinstimmt, was nochmals die Sinnhaftigkeit der obigen Definition der ◭ Kr¨ummung belegt.

Krummung ¨ der Epizykloide

Beispiel 23.11 Wir berechnen nun die Kr¨ummung der Epizykloide mit der Parameterdarstellung        cos(t) cos R+r x(t) r t −r ~x(t) = = (R+r) , R+r sin(t) y(t) sin r t

wobei wir uns, um Fallunterscheidungen zu vermeiden, auf den ersten Epizykloidenbogen beschr¨anken. y

b

ϕ

r b

R t b

x

23.4

Die Ableitungsvektoren lauten ~x˙ = 

~x¨ = 

−(R+r) sin(t) + (R+r) sin (R+r) cos(t) − (R+r) cos 2

−(R+r) cos(t) + (R+r) cos r 2

−(R+r) sin(t) + (R+r) sin r

Damit ergibt sich

  ˙ ~x¨ = ~x,

−(R+r) sin(t)+(R+r) sin(R+r r t)

(R+r) cos(t)−(R+r) cos(R+r r t)

=(R+r)2 sin2 (t)− (R+r) r +

3

(R+r)2 r (R+r)2 −(R+r) sin(t)+ r

−(R+r) cos(t)+

cos(R+r r t) R+r sin( r t)

(R+r)3 r

2 R+r cos(t) cos(R+r r t)−(R+r) cos( r t) cos(t)+ (R+r)3 − r

=(R+r)2 (sin2 (t)+cos2 (t))

sin2 (R+r r t)

(R+r)3 r

cos2 (R+r r t)

R+r (cos(R+r r t) cos(t)+sin( r t) sin(t))

R+r −(R+r)2 (cos(R+r r t) cos(t)+sin( r t) sin(t))+ 3

  .

R+r r t  R+r r t

2 R+r sin(t) sin(R+r r t)−(R+r) sin( r t) sin(t)+

(R+r)3 (R+r)2 cos2 (t)− r

=(R+r)2 − (R+r) r

 !

R+r r t R+r r t

(R+r)3 r

2 R+r (sin2 (R+r r t)+cos ( r t))

2 R+r cos( R+r r t−t )−(R+r) cos( r t−t )+

(R+r)3 r

3

=(R+r)2 (1−cos( Rr t ))+ (R+r) (1−cos( Rr t )) r   3 = (R+r)2 + (R+r) (1−cos( Rr t )) r R =(R+r)2 (1+ R+r r )(1−cos( r t )) R =(R+r)2 R+2r r (1−cos( r t )).

Mit der Doppelwinkelformel cos(2α ) = cos2 (α ) − sin2 (α ) ergibt sich daraus      ˙ ~x¨ = (R+r)2 R+2r 1 − cos2 R t + sin2 R t ~x, r 2r | {z 2r }  2 R = sin 2r t 2 R = 2 (R+r)2 R+2r r sin 2r t.

Das ben¨otigte Quadrat des Tangentenvektors hatten wir bereits in Beispiel 23.7 in Abschnitt 23.3 berechnet. Aus diesem Grund soll die Rechnung nicht wiederholt, sondern nur das Ergebnis angegeben werden. Es ist  R ~x˙ 2 = 4 (R+r)2 sin2 2r t . Da wir uns auf den ersten Epizykloidenbogen beschr¨anken, ist 0 ≤

R R r t ≤ ·2 π = π 2r 2r R

Die Kr¨ ummung

745

746

23 Allgemeine Kurven

und damit 

R sin t 2r



≥ 0.

Als Kr¨ummung ergibt sich somit    2 R ˙ ~x¨ ~x, 2 (R+r)2 R+2r r sin 2r t κ = =  3  32 R ~x˙ 2 2 4 (R+r)2 sin2 2r t  2 R 2 (R+r)2 R+2r r sin 2r t =  R 8 (R+r)3 sin3 2r t R+2r . = R t 4 r (R+r) sin 2r



Wir werden zum Abschluss des Kapitels noch die Kr¨ummungsformel f¨ur Funktionen y = f (x) herleiten. Derartige Funktionen gestatten bekanntlich eine Parameterdarstellung der Form     x(t) t ~x(t) = = . y(t) f (t) Die Ableitungsvektoren lauten somit   1 ˙ ~x(t) = f˙(t)

¨ ~x(t) =

Als Kr¨ummung erhalten wir dann 1 0   ˙ ~x¨ f˙(t) f¨(t) ~x, κ (t) = 3 3 = 1+ f˙2 (t) 2 ~x˙ 2 2



=



0 f¨(t)



f¨(t) 1+ f˙2 (t)

.

3 . 2

Unter Ausnutzung der Identit¨at x = t erhalten wir schließlich die Krummungsformel ¨ fur ¨ Funktionen:

Krummungsformel ¨ fur ¨ Funktionen

Satz als

Die Kr¨ummung eines Funktionsgraphen f (x) berechnet sich f ′′ (x) κ (x) =  . 2  23 1+ f ′ (x)

23.5

23.5

Das allgemeine Kurvenintegral

Das allgemeine Kurvenintegral

In Abschnitt 16.3 hatten wir die physikalische Arbeit als W =

Zsb

F(s) ds

sa

eingef¨uhrt. Dabei hatten wir den Weg s aber immer als geradlinig und die wegabh¨angige Kraft F immer in Richtung des Weges gerichtet vorausgesetzt. In Abschnitt 6.1 hatten wir im Rahmen der Vektorrechnung festgestellt, dass nur die in Richtung des Weges weisende Komponente einer konstanten Kraft f¨ur die geleistete physikalische Arbeit eine Rolle spielt und die Arbeit sich als Skalarprodukt der konstanten Kraft ~ F mit dem Wegvektor ~s ergibt: W = ~ F ·~s Die beiden Sonderf¨alle der Arbeitsberechnung lassen sich f¨ur allgemeinere Problemstellungen kombinieren.

Elektron im Magnetfeld

Beispiel 23.12 Ein Elektron mit der Geschwindigkeit v0 durchquert ein homogenes elektrisches Feld der L¨ange L. Wir legen das Koordinatensystem so, dass das Elektron sich bis zum Eintritt in das elektrische Feld entlang der x-Achse bewegt. Das elektrische Feld mit der Feldst¨arke E wirkt auf dem Streifen 0 ≤ x ≤ L entgegen der y-Achse. Aufgrund des Feldes wird das Elektron mit der Kraft F = eE in Richtung der y-Achse abgelenkt, wobei e = 1,602 · 10−19 As die elektrische Elementarladung ist. y ~E

L

x

Wir fragen uns nach der am Elektron verrichteten Arbeit bzw. dem Energiegewinn des Elektrons. Durch die vertikale Kraft wirkt nach

747

748

23 Allgemeine Kurven

dem Newton’schen Grundgesetz eine Beschleunigung ay in vertikaler Richtung von ay =

F eE = , me me

wobei me = 9,109 · 10−31 kg die Elektronenmasse ist. Legen wir den Zeitpunkt t = 0 mit Eintritt des Elektrons in das elektrische Feld fest, so ergeben sich innerhalb des Feldes durch Integration daraus die Geschwindigkeit vy in y-Richtung sowie die H¨ohe y als eE t me eE 2 y = t . 2me

vy =

Nun beschreiben wir den Sachverhalt vektoriell. Auf das Elektron wirkt im Bereich 0 ≤ x ≤ L die Kraft   0 ~ ~ F = eE = . eE Die Bahn k des Elektrons innerhalb des Feldes kann beschrieben werden durch     v0t x(t) ~x(t) = = , eE 2 y(t) 2me t wobei die Zeit t innerhalb des Feldes durch 0 = ta ≤ t ≤ te =

L v0

begrenzt ist. Da nur der zur Bewegungsrichtung tangentiale Anteil der Kraft ~ F f¨ur die Arbeit von Bedeutung ist, ergibt sich auf einem differenziell kleinen Wegst¨uck d~x die Arbeit1 !     dx · dt dx ˙ dt ~ · d~x = F ~· ~ · x(t) dW = F = ~F · = F dt dy dy y(t) ˙ dt · dt ˙ dt. =~ F ·~x(t)

Summiert man diese unendlich vielen kleinen Arbeitsbeitr¨age in Form eines Integrals auf, so ergibt sich als insgesamt geleistete Arbeit W =

Z k

~F · d~x =

Zte

ta

˙ dt. ~F ·~x(t)

23.5

Das allgemeine Kurvenintegral

In unserem konkreten Fall erhalten wir L

W =

Z k

=

0

L

˙ dt = ~ F ·~x(t)

eE 0·v0 + eE· t me

e2 E 2 L2 2me v20

Zv0 

0 eE

0

   v0 · dt eE me t

L

L Zv0  0

=

~ F · d~x =

Zv0



dt =

Zv0 2 2 e E 0

me

t dt =



e2 E 2 2 t 2me

.

L

v0

0



In Verallgemeinerung dieses Beispiels ist die nachfolgende Definition nahe liegend.

Definition Ist durch die Parameterdarstellung~x(t), ta ≤ t ≤ te eine Kurve k gegeben und ist jedem Punkt dieser Kurve ein Vektor ~F zugeordnet, so nennt man den Ausdruck Z k

~ F · d~x :=

Zte

ta

˙ dt ~F ·~x(t)

das Kurvenintegral oder Linienintegral des Vektorfeldes F l¨angs der Kurve k.

Es soll noch darauf hingewiesen werden, dass sich der Begriff des Kurvenintegrals nat¨urlich auch auf drei und mehr Dimensionen verallgemeinern l¨asst.

Beispiel 23.13 Wir wollen das Kurvenintegral des  Vektorfeldes  −y ~ F = x

entlang des Ellipsenbogens k mit der Parameterdarstellung     π a cos(t) x(t) , 0≤t ≤ = ~x(t) = b sin(t) y(t) 2

berechnen.

1

Eigentlich m¨usste man wieder mit einer Zerlegung und dem Mittelwertsatz der Differenzialrechnung mit anschließendem Grenz¨ubergang arbeiten.

Kurvenintegral Linienintegral

749

750

23 Allgemeine Kurven

y b

k

a

x

Entlang der Kurve gilt nat¨urlich f¨ur das Vektorfeld     −b sin(t) −y ~F = . = x a cos(t) Der Tangentenvektor an die Kurve ergibt sich ferner als   −a sin(t) ˙ ~x(t) = . b cos(t) Insgesamt berechnet sich somit das gesuchte Kurvenintegral zu π

Z k

~F · d~x =

Z2

=

π Z2

0

π

~F ·~x˙ dt =

0

π

=

Z2 0

Z2 

−b sin(t) a cos(t)

0

   −a sin(t) · dt b cos(t)

 (−b sin(t))(−a sin(t)) + (a cos(t))(b cos(t)) dt  ab sin2 (t) + ab cos2 (t) dt π

= ab

Z2

 sin2 (t) + cos2 (t) dt

0

π

= ab

Z2

1 dt

0

π

= ab [t]02 π = ab . 2 ◭

Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 23.1 23.1 Zeigen Sie: Die durch die Parameterdarstellung   1 −t 2 ~x(t) = 1 1 + t2 gegebene Kurve erf¨ullt die implizite Gleichung x + xy − y2 + 1 = 0.

23.2 Der Durchhang eines Seils bzw. einer Kette kann durch die sog. Kettenlinie x y = a · cosh (a > 0) a beschrieben werden.

a) Bestimmen Sie eine Parameterdarstellung der Kettenlinie. b) Zeigen Sie, dass auch ~x(t) = eine Parameterdarstellung der Kettenlinie ist.



a ln(t)  a 1 2 t+ t



c) Folgern Sie aus den Aufgabenteilen (a) und (b), dass die Parameterdarstellungen einer Kurve nicht eindeutig bestimmt sind.

23.3 a) Zeigen Sie: Hinter der Parameterdarstellung   a cos(t) ~x(t) = , b sin(t)

0 ≤ t < 2π

(a,b > 0)

verbirgt sich die Ellipse mit der Gleichung x2 y2 + = 1. a2 b2 b) Verifizieren Sie f¨ur den Parameterwert t = π4 , dass der Parameter t im Allgemeinen nicht mit dem Winkel ϕ u¨ bereinstimmt, unter welchem der Ellipsenpunkt und die positive x-Achse vom Ursprung aus gesehen werden.

751

752

23 Allgemeine Kurven

23.4 Beim Abrollen eines Rades mit dem Radius R auf einer Straße beschreibt ein Punkt auf dem ¨ berandenden Kreis eine sog. (gew¨ohnliche) Zykloide oder Radlinie. Uberlegen Sie sich, dass bei einem Abrollen entlang der x-Achse der anfangs im Ursprung liegende Punkt eine Zykloide beschreibt, welche beschrieben werden kann durch die Parameterdarstellung   t − sin(t) ~x(t) = R . 1 − cos(t) y X b

t

b

R

b

x

Abschnitt 23.2 23.5 Durch die Parameterdarstellung ~x(t) =



t2 − 1 t3 − t



ist eine ebene Kurve gegeben. a) Lassen Sie sich die Kurve durch ein Computeralgebrasystem f¨ur −1,5 ≤ t ≤ 1,5 zeichnen. b) Berechnen Sie die Tangentenvektoren f¨ur die Parameterwerte t = −0,5 und t = 1,5. c) Berechnen Sie die Parameterwerte und die zugeh¨origen Kurvenpunkte, an welchen die Kurventangente parallel zu einer Koordinatenachse ist. d) Unter welchem Winkel schneidet sich die Kurve selbst?

23.6 Durch die Parameterdarstellung ~x(t) = R



cos3 (t) sin3 (t)



,

R>0

ist die sog. Astroide (Sternkurve) gegeben. a) Lassen Sie sich die Kurve durch ein Computeralgebrasystem zeichnen. F¨ur welche Parameterwerte wiederholt sich der Kurvenverlauf? b) Zeigen Sie, dass die Astroide die implizite Gleichung 2

2

2

x3 +y3 = R3 erf¨ullt. c) Berechnen Sie f¨ur einen allgemeinen Parameterwert t den Tangentenvektor. F¨ur welche Parameterwerte verschwindet der Tangentenvektor und welche Kurvenpunkte geh¨oren dazu? Interpretieren Sie das Ergebnis geometrisch.

Aufgaben

23.7 Eine Taschenuhr mit einer Kette der L¨ange L wird entlang der y-Achse derart angelegt, dass die Uhr auf der positiven y-Achse liegt und das Ende der Kette sich gerade im Ursprung befindet. Nun wird das Ende der Kette in Richtung der positiven x-Achse gezogen. y

L L x ¨ Uberlegen Sie sich, dass die Uhr die Bahn einer Traktrix (Schleppkurve) mit der Parameterdarstellung   t − tanh(t) ~x(t) = L −1 cosh (t) beschreibt. Weisen Sie dazu nach, dass der Abschnitt der Tangente an die Kurve zwischen Ber¨uhrpunkt und der x-Achse immer konstant ist.

Abschnitt 23.3 23.8 Berechnen Sie die L¨ange folgender Kurven. Lassen Sie sich zur Illustration die Kurven auch von einem Computeralgebrasystem zeichnen.     4 ln(t) a) b) t − 13 t 3 ~x(t) = , t ∈ [0,3] ~x(t) = , t ∈ [1,4] 2 2 2t + t t c)

t

~x(t) = e



cos(t) sin(t)



,

t ∈ [0,2π ]

23.9 Berechnen Sie die L¨ange der Kettenlinie x y = a cosh , a

im Intervall [−a,a].

d)

~x(t) =

a>0

2t 1+t 2 1−t 2 1+t 2

!

,

t ∈ [−1,1]

753

754

23 Allgemeine Kurven

23.10 Mittels der Parameterdarstellung ~x(t) = e−t



cos(t) sin(t)



,

t∈R

ist eine sog. logarithmische Spirale gegeben. a) Lassen Sie sich die Kurve durch ein Computeralgebrasystem zeichnen. b) Zeigen Sie, dass diese logarithmische Spirale in Polarkoordinaten (r,ϕ ) die Bedingung r(ϕ ) = e−ϕ erf¨ullt. c) Wie lang ist die L¨ange eines Zyklus der Spirale, also zwischen den Parameterwerten 2kπ ≤ t ≤ 2(k + 1)π

(k ∈ Z)?

Welcher Wert ergibt sich f¨ur den ersten Zyklus k = 0? d) Parametrisieren Sie die logarithmische Spirale auf den von t0 = 0 gemessene Bogenl¨angenparameter s um.

23.11 Beim Abrollen eines Rades mit dem Radius R auf der Straße beschreibt ein Punkt auf dem berandenden Kreis eine gew¨ohnliche Zykloide mit der Parameterdarstellung   t − sin(t) ~x(t) = R . 1 − cos(t) a) Wie lange ist ein Zykloidenbogen von einem Ber¨uhrpunkt mit der x-Achse bis zum n¨achsten? b) Parametrisieren Sie die Zykloide auf einen Bogenl¨angenparameter s um. W¨ahlen Sie einen geeigneten Startparameter t0 . c) Verifizieren Sie bei der in Aufgabenteil (b) bestimmten Bogenl¨angenparametrisierung, dass der Tangentenvektor u¨ berall die L¨ange 1 hat.

Abschnitt 23.4 23.12 Berechnen Sie die Kr¨ummung folgender Kurven abh¨angig vom Parameter t. Lassen Sie sich die Kurven durch ein Computeralgebrasystem zeichnen und u¨ berlegen Sie, ob Ihre Ergebnisse plausibel sind.     a) t − t3 b) t cos(t) − sin(t) ~x(t) = ~ x(t) = t sin(t) + cos(t) − 1 t2 c)

t

~x(t) = e



cos(t) sin(t)



d)

~x(t) =



ln(1+t 2 ) t − 2 arctan(t)



Aufgaben

23.13 Berechnen Sie die Kr¨ummung κ der logarithmischen Spirale   cos(t) ~x(t) = e−t , t∈R sin(t) abh¨angig vom Parameter t. Wie groß ist die Kr¨ummung an der Stelle t = 0? Wie groß sind die Grenzwerte lim κ (t) und lim κ (t)? t→∞

t→−∞

23.14 Ein Punkt auf dem berandenden Kreis eines Rades beschreibt beim Abrollen auf der Straße eine gew¨ohnliche Zykloide mit der Parameterdarstellung   t − sin(t) ~x(t) = R . 1 − cos(t) Berechnen Sie auf dem ersten Zykloidenbogen abh¨angig vom Parameter t die Kr¨ummung der Zykloide. An welcher Stelle ist der Betrag der Kr¨ummung minimal und wie lauten die zugeh¨origen Koordinaten?

23.15 Berechnen Sie die Kr¨ummung der Kurve mit der Parameterdarstellung   R 2t ~x(t) = , R > 0. t2 − 1 1+t 2 Was vermuten Sie aufgrund des Ergebnisses? Weisen Sie Ihre Vermutung explizit nach.

23.16 Berechnen Sie die Kr¨ummung der folgenden Funktionen. a) f (x) = x2

b) f (x) = sin(x)

c) f (x) = ln(x)

d) f (x) = a cosh

x a

,

a>0

Abschnitt 23.5 23.17 Berechnen Sie die folgenden Kurvenintegrale

Z k

~F =



1 1

b)

~F =



y y−x

c)

~F =



ey xey

a)



; 



;

;



~ F · d~x.

~x(t) =



cos(t) sin(t)

~x(t) =



t t2



,

0≤t ≤1

~x(t) =



t2 t



,

−1 ≤ t ≤ 1

,

0≤t ≤

π 2

23.18 Zeigen Sie, dass sich die Bogenl¨ange L einer Kurve k mit der Parameterdarstellung ~x(t), ta ≤ t ≤ te , als das Kurvenintegral L =

Z k

ausdr¨ucken l¨asst.

1 √ ~x˙ · d~x ~x˙ 2

755

756

23 Allgemeine Kurven

23.19 Ein von der Stelle (x,y) abh¨angiges Kraftfeld ist durch   6xy ~ F = 2 2 3x − 3y gegeben. Berechnen Sie das Kurvenintegral

Z k

~ F · d~x, wenn man sich von der Stelle (0,0) zu der Stelle

(x1 ,y1 ) zun¨achst entlang der x-Achse und anschließend parallel zur y-Achse zun¨achst entlang der y-Achse und anschließend parallel zur x-Achse auf einer Geraden zwischen den beiden Punkten bewegt. Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Gewo ¨hnliche Differenzialgleichungen

24

Was versteht man unter einer Differenzialgleichung? Was versteht man unter der Trennung der Ver¨ anderlichen und der Variation der Konstanten? Wie l¨ ost man die Schwingungsdifferenzialgleichung?

Altarkreuz am See Genezareth

24.1 24.2 24.3

Der Begriff der Differenzialgleichung . . . . . . Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung Schwingungsdifferenzialgleichung . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

758 761 780 789

Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_24 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1_24

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758

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen H¨aufig tritt in Anwendungen eine Gleichung mit einer gesuchten Funktion auf, die zus¨atzlich mindestens eine Ableitung der Funktionen enth¨alt. Wir werden uns in diesem Kapitel mit L¨ osungsm¨ oglichkeiten von solchen Differenzialgleichungen besch¨aftigen, die in Anwendungen oft auftreten.

24.1

Der Begriff der Differenzialgleichung

¨ In der Praxis treten des Ofteren Gleichungen auf, welche eine Funktion sowie deren Ableitungen beinhalten. Logistisches Wachstum

Beispiel 24.1 Die Verbreitungsgeschwindigkeit eines neuen technischen Produkts verl¨auft anfangs proportional zum Bekanntheitsgrad und damit zur Anzahl n der bis dahin verkauften Ger¨ate. Mit zunehmender Verbreitung gehen die Verkaufszahlen zur¨uck und erreichen letztendlich die Markts¨attigung g. n(t) g

t Nahe dieser S¨attigungsgrenze gilt f¨ur die Verbreitungsgeschwindigkeit eine Proportionalit¨at zum Defizit g−n. Beide Bedingungen kann man in der Gleichung  dn = k · n(t) · g−n(t) dt mit einer geeigneten Konstanten k > 0 kombinieren. Ist n¨amlich n klein, so ist g−n ≈ g und es gilt

dn ≈ kg · n(t), dt d. h. die Verbreitungsgeschwindigkeit ist etwa proportional zum Bestand n. Ist dagegen n nahe der S¨attigungsgrenze g, so ist n ≈ g. F¨ur die Geschwindigkeit heißt dies

 dn ≈ kg · g−n(t) , dt also ist sie proportional zum verbleibenden Defizit bis zur S¨attigungsgrenze.

24.1

Der Begriff der Differenzialgleichung

Verkaufszahlen, aber auch das Wachstum von biologischen Vorg¨angen mit beschr¨ankten Ressourcen werden h¨aufig durch dieses Modell beschrieben, welches meistens als logistisches Wachstum bezeichnet wird. Man ist daran interessiert, wie sich n(t) abh¨angig von der Zeit entwickelt. Und f¨ur dieses Problem haben wir eine Modellgleichung entwickelt, welche die Funktion n(t) und deren Ableitung dn ◭ alt. dt enth¨

Beispiel 24.2

Schwingendes Federpendel

Spiralfedern haben nach dem Hooke’schen Gesetz die Eigenschaft, dass sie bei einer Auslenkung um die Strecke s aus der Ruhelage gerade mit der Kraft F = −D · s in die Ruhelage zur¨uckgezogen werden. Dabei ist D die von der konkreten Feder abh¨angige Federkonstante.

0 s Wird eine solche Feder mit einer angeh¨angten Masse m aus der Ruhelage ausgelenkt und sich selbst u¨ berlassen, so bewirkt diese R¨uckstellkraft zu jedem Zeitpunkt t eine Beschleunigung a der Masse, welche u¨ ber das Newton’schen Grundgesetz F = ma bestimmt werden kann. Setzt man die beiden Kraftgesetze gleich, so ergibt sich die Schwingungsgleichung des Systems als ma = −Ds bzw. mit a = s¨ und unter expliziter Kenntlichmachung der zeitabh¨angigen Gr¨oßen ms(t) ¨ + Ds(t) = 0.

759

760

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

Auch in dieser Gleichung tritt neben der Auslenkungsfunktion s(t) eine Ableitung dieser Funktion auf, dieses Mal von zweiter Ordnung. Und wir sind wieder an der L¨osung dieser Gleichung interessiert, um eine Aussage dar¨uber zu treffen, nach welchem Zeitgesetz die Masse m an der Spiralfeder schwingt. ◭

Diese Beispiele belegen, dass es Sinn macht, sich mit L¨osungsverfahren von Gleichungen zu besch¨aftigen, die neben der gesuchten Funktion zus¨atzlich noch deren Ableitungen beinhalten.

(Gew¨ohnliche) Differenzialgleichung

Definition Eine Gleichung zur Bestimmung einer Funktion y = f (x) heißt (gew¨ohnliche) Differenzialgleichung,1 wenn sie mindestens eine Ableitung der gesuchten Funktion enth¨alt. Der Grad der h¨ochsten Ableitung der gesuchten Funktion heißt die Ordnung der Differenzialgleichung.

Ordnung einer Differenzialgleichung

Leider ist es im Normalfall extrem schwierig, Differenzialgleichungen exakt zu l¨osen, doch ist es gl¨ucklicherweise so, dass viele in der Anwendung auftretende Differenzialgleichungen mit einfachen Mitteln l¨osbar sind. Einige wenige dieser h¨aufig zum Erfolg f¨uhrenden L¨osungsmethoden werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt. Insbesondere werden wir die in Beispiel 24.1 und Beispiel 24.2 vorgestellten Differenzialgleichungen l¨osen. Bei der mathematischen Behandlung von Differenzialgleichungen gibt es eine Besonderheit bzgl. der Bezeichnungen. Die gesuchte Funktion wird im Allgemeinen nicht mehr mit f (x) sondern mit y bzw. y(x) bezeichnet. Man schreibt also beispielsweise anstatt f ′ (x) = x − f (x) u¨ blicherweise y′ = x − y.

1

Es gibt auch Gleichungen, die eine Funktion y = f (x1 , . . .,xn ) von mehreren Ver¨anderlichen und deren partiellen Ableitungen beinhalten. Solche partiellen Differenzialgleichungen betrachten wir hier nicht.

24.2

24.2

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

Unter einer expliziten Differenzialgleichung erster Ordnung versteht man eine Differenzialgleichung, bei welcher die Ableitung y′ der gesuchten Funktion y = f (x) isoliert auf einer Seite des Gleichheitszeichens steht oder zum Mindesten in diese Form gebracht werden kann. Es handelt sich also um Differenzialgleichungen der Form

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

y′ = F(x,y) mit einem Ausdruck F, in welchem die unabh¨angige Variable x und die abh¨angige Variable y auftreten.

Geometrische L¨ osung Wir erl¨autern das Verfahren gleich an einem Beispiel.

Beispiel 24.3 Wir suchen eine L¨osung der Differenzialgleichung y′ = x − y. Gibt es eine L¨osung y = y(x) durch den Punkt (0 | 1), so hat diese nach der Differenzialgleichung an dieser Stelle die Steigung y′ (0) = 0 − 1 = −1. ¨ Diese Uberlegung kann man nat¨urlich nicht nur an der Stelle (0 | 1), ¨ sondern an jeder beliebigen Stelle (x0 | y0 ) anstellen. Uberall kann man die Steigung in der Form y′ (x0 ) = x0 − y0 berechnen, sofern die L¨osung durch diese Stelle geht. Zeichnet man diese Steigungen in Form von kleinen Tangentenst¨ucken in ein Koordinatensystem, so erh¨alt man das sog. Richtungsfeld der Differenzialgleichung. Die zentrale Aussage der Differenzialgleichung y′ = x − y ist, dass sich die gesuchte L¨osung an diese Tangentenst¨ucke anschmiegen muss. Dies beinhaltet aber, dass die L¨osung gar nicht

Richtungsfeld

761

762

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

eindeutig ist. In der Skizze sind einige L¨osungen der Differenzialgleichung eingezeichnet. Erst wenn man sich einen Punkt (x0 | y0 ) vorgibt, durch welchen die L¨osung gehen soll, wird die L¨osung eindeutig. y

x



Anfangswertproblem

Dem vorangegangenen Beispiel k¨onnen wir entnehmen, dass erst durch Festlegung eines Startpunkts (x0 | y0 ) die L¨osung der Differenzialgleichung eindeutig bestimmt ist. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem Anfangswertproblem y0 = y(x0 ). Dieser Sachverhalt ist allgemein g¨ultig und spiegelt sich im folgenden Satz wider.

Satz

Das Anfangswertproblem y′ = F(x,y)

y(x0 ) = y0

mit einer stetig partiell differenzierbaren Funktion F(x,y) ist in einer Umgebung von x0 eindeutig l¨osbar.

Auf den exakten Beweis dieser Tatsache m¨ussen wir verzichten. Die Probleme, welche in der Praxis auftreten, haben u¨ blicherweise einen vorgegebenen Startwert und sind damit eindeutig l¨osbar. Die L¨osung kann man grafisch durch das Einzeichnen in das Richtungsfeld bestimmen.

24.2

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

Man kann die L¨osung eines Anfangswertproblems auch n¨aherungsweise folgendermaßen angeben. Man geht vom Startwert (x0 | y0 ) aus und geht ein St¨uck ∆x in Richtung der Tangente weiter. Dort bestimmt man aus der Differenzialgleichung die Steigung und geht wieder ein St¨uck ∆x weiter, jetzt aber auf der neu bestimmten Tangente. Jetzt bestimmt man wieder die Steigung der Tangente und geht auf dieser ein weiteres St¨uck ∆x voran usw. Man erh¨alt einen Streckenzug, der n¨aherungsweise die exakte L¨osung beschreibt. Dieses relativ einfache Verfahren ist unter dem Namen Euler-Polygonzugverfahren bekannt.

Beispiel 24.4 (Fortf¨uhrung von Beispiel 24.3). Wir bestimmen mithilfe des EulerPolygonzugverfahrens n¨aherungsweise eine L¨osung des Anfangswertproblems y′ = x − y

y(0) = 1.

Wir starten also an der Stelle (x0 | y0 ) = (0 | 1). Als Schrittweite w¨ahlen wir ∆x = 0,25. Gehen wir von der Startstelle um diese Schrittweite in Richtung der Tangente mit der Steigung y′ (0) = 0 − 1 = −1, so erreichen wir den y-Wert y1 = y(0,25) = y0 + y′ (0) · ∆x = 1 − 1 · 0,25 = 0,75. Nun wiederholen wir das Verfahren, ausgehend von der Stelle (x1 | y1 ) = (0,25 | 0,75). Die Tangente in diesem Punkt hat die Steigung y′ (0,25) = 0,25 − 0,75 = −0,5. Als zum n¨achsten x-Wert x2 = 0,5 geh¨origer y-Wert erhalten wir damit y2 = y(0,5) = y1 + y′ (0,25) · ∆x = 0,75 − 0,5 · 0,25 = 0,625. Ausgehend von dieser N¨aherungsstelle (x2 | y2 ) = (0,5 | 0,625) wird das Verfahren wiederholt usw. Man erh¨alt letztendlich die Punktfolge

Euler-Polygonzugverfahren

763

764

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

(x0 | y0 ) (x1 | y1 ) (x2 | y2 ) (x3 | y3 ) (x4 | y4 ) (x5 | y5 ) (x6 | y6 ) (x7 | y7 ) (x8 | y8 )

.. .

= = = ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈

(0 | 1) (0,25 | 0,75) (0,5 | 0,625) (0,75 | 0,594) (1 | 0,633) (1,25 | 0,725) (1,5 | 0,856) (1,75 | 1,017) (2 | 1,200)

y b

1

b b b b b b

0,25

b

b

1

x

Der Streckenzug, der durch diese Punkte bestimmt ist, ist eine gute N¨aherung f¨ur das gesuchte Anfangswertproblem. ◭

L¨ osung durch Trennung der Ver¨ anderlichen Separable Differenzialgleichung

Eine gewisse Art von Differenzialgleichungen l¨asst sich mit einem relativ einfachen Verfahren l¨osen, welches unter dem Namen Trennung der ” Ver¨anderlichen“ bekannt wurde. Die so l¨osbaren Differenzialgleichungen sind von der Bauart y′ = f (x) · g(y) und heißen separable Differenzialgleichungen.

24.2

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

Satz Die L¨osungen einer separablen Differenzialgleichung der Form y′ = f (x) · g(y),

g(y) = 6 0

mit den zwei stetigen Funktionen f , g erf¨ullen genau die Gleichung Z

1 dy = g(y)

Z

f (x) dx.

Beweis Hinter dem Beweis verbirgt sich im Wesentlichen lediglich die Substitutionsregel der Integralrechnung. Die gegebene separable Differenzialgleichung l¨asst sich unter Ber¨ucksichtigung von y′ = dy dx in die Gestalt 1 dy · = f (x) g(y) dx umformen. Wendet man nun auf beiden Seiten die unbestimmte Integration nach der Variablen x an, so ergibt sich Z

1 dy · dx = g(y) dx

Z

f (x) dx.

Wegen der Substitutionsregel der Integralrechnung (Abschnitt 13.2) ist dy asst sich umschreiben in dx dx = dy, d. h. die Gleichung l¨ Z

1 dy = g(y)

Z

f (x) dx. 

Dieser Satz beinhaltet das nachfolgende Rechenverfahren zur L¨osung von separablen Differenzialgleichungen.

Trennung der Ver¨anderlichen ferenzialgleichung y′ =

Zum L¨osen einer separablen Dif-

dy = f (x) · g(y), dx

werden folgende Schritte durchgef¨uhrt:

g(y) = 6 0

Trennung der Ver¨anderlichen

765

766

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

1. Man trennt formal die Ver¨anderlichen inklusive der Differenziale: 1 dy = f (x) dx g(y) 2. Man f¨uhrt auf beiden Seiten eine unbestimmte Integration nach der entsprechenden Variablen durch: Z

1 dy = g(y)

Z

f (x) dx

3. Man l¨ost die erhaltene Gleichung nach der Variablen y auf.

Die Anwendung dieses Verfahrens soll an einigen Beispielen verdeutlicht werden.

Beispiel 24.5 Wir suchen alle L¨osungen der separablen Differenzialgleichung y′ =

dy = y2 · cos(x). dx

Trennen wir die Ver¨anderlichen, so erhalten wir 1 dy = cos(x) dx. y2 Die Integration nach der jeweiligen Variablen liefert Z

1 dy = y2

Z

cos(x) dx

bzw. −

1 = sin(x) +C, y

wobei wir nur auf einer Seite die Integrationskonstante ber¨ucksichtigen m¨ussen. L¨osen wir nun noch diese letzte Gleichung nach der gesuchten Funktion y = y(x) auf, so erhalten wir als allgemeine L¨osung der Differenzialgleichung y = −

1 sin(x) +C

mit einer beliebigen reellen Zahl C.



24.2

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

Beispiel 24.6 Wir suchen die L¨osung des Anfangswertproblems y ′ 1 + y2 y = x 1 + x2

y(2) = −7.

Auch hier handelt es sich um eine separable Differenzialgleichung, denn die Gleichung l¨asst sich in die Form y′ =

x 1 + y2 dy = · dx 1 + x2 y

umschreiben. Wir suchen zun¨achst die allgemeine L¨osung dieser Differenzialgleichung ohne auf den Anfangswert R¨ucksicht zu nehmen. Die Variablen der Differenzialgleichung lassen sich gem¨aß y x dy = dx 1 + y2 1 + x2 trennen. Integration nach der jeweiligen getrennten Variablen liefert Z

y dy = 1 + y2

Z

x dx 1 + x2

bzw.   1 1 ln |1+y2 | = ln |1+x2 | +C. 2 2

Da das Quadrat einer Zahl stets positiv ist, k¨onnen wir die Betragsstriche weglassen und erhalten nach einer zus¨atzlichen Multiplikation mit dem Faktor 2 ln(1+y2 ) = ln(1+x2 ) + 2C. Nun m¨ussen wir diese Gleichung nach der gesuchten L¨osungsfunktion y = y(x) aufl¨osen. Durch Anwenden der Exponentialfunktion erhalten wir 2 )+2C

1 + y2 = eln(1+x

 2 = eln(1+x ) · e2C = e2C 1+x2 .

F¨uhren wir die neue Konstante

K := e2C > 0 ein, so ergibt sich als allgemeine L¨osung der obigen Differenzialgleichung q y = ± K (1+x2 ) − 1, K > 0.

767

768

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

Um nun unter all diesen L¨osungen die L¨osung herauszufiltern, welche zus¨atzlich die Anfangswertbedingung y(2) = −7 erf¨ullt, m¨ussen wir K so bestimmen, dass diese Gleichung erf¨ullt wird, also dass q −7 = ± K (1+22 ) − 1

gilt. Es ist offensichtlich, dass nur das negative Vorzeichen vor der Wurzel in Frage kommt. Die Gleichung l¨asst sich in √ −7 = − 5K − 1

umschreiben. Durch Quadrieren erhalten wir 49 = 5K − 1 bzw. K = 10. Demzufolge lautet die eindeutige L¨osung des Anfangswertproblems q p y = − 10 (1 + x2 ) − 1 = − 10x2 + 9. ◭

Wir beschließen diesen Abschnitt u¨ ber die Methode der Trennung der Ver¨anderlichen mit einem Anwendungsbeispiel.

Freier Fall mit Luftwiderstand

Beispiel 24.7 Beim freien Fall wird bei Ber¨ucksichtigung des Luftwiderstands die beschleunigende Gewichtskraft FG = mg,

g = 9,81

durch den Luftwiderstand Fw =

1 cw Aρ v2 2

m s2

24.2

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

abgeschw¨acht. Dabei ist A der Querschnitt senkrecht zur Bewegungsrichtung, ρ die Dichte der Luft und cw eine formabh¨angige Konstante. Wir fragen uns nach der Entwicklung der Fallgeschwindigkeit v(t). Die Differenz FG − Fw ist als resultierende Kraft nach dem Newton’schen Grundgesetz f¨ur die Beschleunigung a = dv orpers dt des K¨ verantwortlich. Es gilt also dv 1 mg − cw Aρ v2 = m 2 dt bzw. dv 1 = g− cw Aρ v2 . dt 2m Um im Folgenden einfacher rechnen zu k¨onnen, f¨uhren wir die neue Konstante k :=

1 cw Aρ 2m

ein. Die Bewegungsgleichung lautet damit dv = g − kv2 . dt Auch wenn es zun¨achst nicht den Anschein hat, so ist diese Differenzialgleichung f¨ur die zu bestimmende Funktion v(t) doch separabel, und man kann die Variablen trennen. Es ist n¨amlich 1 dv = 1 dt. g − kv2 bzw. Z

1 dv = g − kv2

Z

1 dt.

Aus einer Formelsammlung oder mit einem Computeralgebrasystem erh¨alt man das linke, nicht einfach auszuwertende Integral. Es ergibt sich √   kv + gk 1 √ ln √ = t +C. 2 gk −kv + gk Da die Gewichtskraft FG = mg stets gr¨oßer als die Reibungskraft Fw = mkv2 ist, gilt g > kv2 und damit √ p −kv + gk > −kv + kv2 ·k = −kv + kv = 0.

769

770

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

Demzufolge ist der Ausdruck zwischen den Betragsstrichen positiv, und man kann in der obigen Gleichung den Betrag weglassen. Man erh¨alt √   p kv + gk √ ln = 2 gk (t +C) . −kv + gk Diese Gleichung m¨ussen wir jetzt nach der gesuchten Geschwindigkeit v aufl¨osen. Es ergibt sich nacheinander √ √ kv + gk √ = e2 gk(t+C) −kv + gk  √ p p  kv + gk = e2 gk(t+C) −kv + gk    √ p  √ kv e2 gk(t+C) + 1 = gk e2 gk(t+C) − 1 √ r g e2 gk(t+C) − 1 v = · √ . k e2 gk(t+C) + 1

Wegen der Identit¨at  e2x − 1 e−x e2x − 1 ex − e−x = 2x = x = 2x −x e +1 (e + 1) e e + e−x =

ex −e−x 2 ex +e−x 2

sinh(x) = tanh(x) cosh(x)

l¨asst sich die Geschwindigkeit v abh¨angig von der Zeit t als r p  g tanh gk (t +C) v(t) = k

darstellen. Gehen wir davon aus, dass der freie Fall zum Zeitpunkt t = 0 aus der Ruhe erfolgt, so ergibt sich die Anfangsbedingung r p  g tanh gkC , 0 = v(0) = k woraus

C = 0 folgt. Setzen wir zus¨atzlich noch die Bedeutung der Konstanten k ein, so erhalten wir letztendlich die Geschwindigkeit des freien Falls unter Ber¨ucksichtigung des Luftwiderstands als s ! r 2mg gcw Aρ v(t) = tanh t . cw Aρ 2m ◭

24.2

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

Lineare Differenzialgleichung erster Ordnung H¨aufig treten Differenzialgleichungen erster Ordnung auf, die zwar nicht separabel sind, aber trotzdem relativ einfache L¨osungsverfahren zulassen. Es sind Differenzialgleichungen, bei welchen die gesuchte Funktion y und deren Ableitung nur linear auftreten.

Definition Unter einer linearen Differenzialgleichung erster Ordnung versteht man eine Differenzialgleichung der Form

Lineare Differenzialgleichung erster Ordnung

y′ + f (x) y = g(x) mit den zwei stetigen Funktionen f , g. Ist g(x) = 0, so nennt man die Differenzialgleichung homogen, ansonsten inhomogen mit dem St¨orglied g(x).

Laden eines Kondensators

Beispiel 24.8 Eine Reihenschaltung, bestehend aus einem ohmschen Widerstand R und einem Kondensator C, wird zum Zeitpunkt t = 0 geschlossen und der Kondensator u¨ ber die angelegte Spannung U aufgeladen. Diese Spannung f¨allt summarisch an Widerstand und Kondensator ab. R C U

I Der Spannungsabfall am ohmschen Widerstand hat wegen des ohmschen Gesetzes und der Eigenschaft, dass die Stromst¨arke I als ¨ Anderungsrate der Ladung Q die Ableitung derselben nach der Zeit t ist, folgende Gr¨oße: UR = R · I = R ·

dQ dt

771

772

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

Die Kapazit¨at eines Kondensators ist als Quotient der Ladung durch die am Kondensator anliegende Spannung, also als C = UQC definiert. Daraus erhalten wir die am Kondensator abfallende Spannung als UC =

Q . C

Wegen der Additivit¨at der Spannungsabf¨alle ergibt sich damit U = UR +UC = R ·

dQ Q + dt C

bzw. 1 U dQ + Q = . dt RC R Dies ist eine inhomogene lineare Differenzialgleichung f¨ur die sich auf dem Kondensator befindliche Ladung Q mit dem St¨orglied UR . Bei Kenntnis dieser Funktion Q(t) k¨onnen wir u¨ ber die Ableitung auch den Stromfluss I(t) vorhersagen. Wir werden sp¨ater diese Dif◭ ferenzialgleichung l¨osen.

Homogene lineare Differenzialgleichungen sind separabel und man kann sie mittels der Methode der Trennung der Ver¨anderlichen l¨osen. Aus y′ + f (x) y = 0 folgt n¨amlich dy = − f (x) y dx bzw. Z

1 dy = − y

Z

f (x) dx.

Bei der L¨osung von inhomogenen Differenzialgleichungen y′ + f (x) y = g(x) versagt jedoch diese Methode. Interessant ist aber, dass man die Gesamtheit der L¨osungen der inhomogenen Differenzialgleichung besitzt, wenn man alle L¨osungen der zugeh¨origen homogenen Differenzialgleichung y′ + f (x) y = 0 sowie eine einzige spezielle L¨osung der inhomogenen Differenzialgleichung kennt. Die Differenz zweier L¨osungen y1 , y2 der inhomogenen Differenzialgleichung l¨ost n¨amlich gerade die zugeh¨orige homogene Differenzialgleichung:

24.2

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

y′2 + f (x) y2 = g(x) y′1 + f (x) y1 = g(x) (y2 −y1 )′ + f (x)(y2 −y1 ) = g(x)−g(x) = 0 Dies bedeutet, dass die L¨osung y2 durch Addition einer homogenen L¨osung yh = y2 − y1 aus y1 hervorgeht: y2 = y1 + yh Ist umgekehrt y1 eine L¨osung der inhomogenen Differenzialgleichung und yh eine L¨osung der zugeh¨origen homogenen Differenzialgleichung, so l¨ost auch die Funktion y1 + yh die inhomogene Differenzialgleichung: (y1 +yh )′ + f (x) (y1 +yh ) = y′1 + f (x) y1 + y′h + f (x) yh = g(x) | {z } | {z } =0 = g(x)

Fasst man diese beiden Ergebnisse zusammen, so erh¨alt man nachfolgende Aussage.

Satz Ist ys eine L¨osung der inhomogenen linearen Differenzialgleichung

L¨osungsvielfalt einer inhomogenen linearen Differenzialgleichung

y′ + f (x) y = g(x) und Yh die Menge aller L¨osungen der zugeh¨origen homogenen Differenzialgleichung, so besteht die Menge Y aller L¨osungen der inhomogenen Differenzialgleichung aus den Summen der speziellen L¨osung ys mit allen homogenen L¨osungen: Y = {ys + yh | yh ∈ Yh }

Da wir die L¨osung der homogenen Differenzialgleichung mithilfe der Trennung der Ver¨anderlichen bestimmen k¨onnen, konzentriert sich die Arbeit nun auf das Auffinden einer speziellen L¨osung. Das hierzu eingesetzte Verfahren soll im Rahmen eines Beispiels erl¨autert werden.

Variation der Konstanten

Beispiel 24.9 (Fortf¨uhrung von Beispiel 24.3). Wir suchen analytisch die allgemeine L¨osung der inhomogenen linearen Differenzialgleichung y′ = x − y

773

774

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

bzw. in die Standardform linearer Differenzialgleichungen umgeformt y′ + y = x. Hierzu betrachten wir zun¨achst die zugeh¨orige homogene lineare Differenzialgleichung y′ + y = 0 und l¨osen diese durch Trennung der Ver¨anderlichen. Es ergibt sich: dy = −y dx 1 dy = −1 dx y Z Z 1 dy = −1 dx y ln (|y|) = −x +C

|y| = e−x+C = eC · e−x y = ±eC · e−x

F¨uhren wir die neue Konstante K := ±eC ein, so erhalten wir y = K e−x ,

K 6= 0.

Bei der Durchf¨uhrung der Trennung der Ver¨anderlichen hatten wir durch y dividiert und damit y = 0 ausgeschlossen. Wie man aber leicht feststellt, ist die konstante L¨osung y = 0 ebenfalls eine L¨osung der homogenen Differenzialgleichung, sodass wir als allgemeine L¨osung der homogenen Differenzialgleichung y = K e−x ,

K∈R

bekommen. Um alle L¨osungen der urspr¨unglichen inhomogenen Differenzialgleichung zu erhalten, ben¨otigen wir aufgrund des obigen Satzes nur noch eine einzige L¨osung ys der inhomogenen Differenzialgleichung y′ + y = x. Diese spezielle L¨osung erh¨alt man mit einem Verfahren, welches unter dem Namen Variation der Konstanten bekannt wurde. Wir

24.2

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

setzen hierzu diese L¨osung in der Form der homogenen L¨osung an, wobei die Gr¨oße K jetzt aber eine von der Variablen x abh¨angige Funktion ist. Wir machen also den Ansatz ys = K(x) e−x . Gehen wir mit diesem Ansatz in die Differenzialgleichung, so ergibt sich ′ K(x) e−x + K(x) e−x = x

bzw.

K ′ (x) e−x − K(x) e−x + K(x) e−x = x. Die Summanden mit der Gr¨oße K(x) heben sich gegenseitig auf und wir erhalten K ′ (x) = x ex . Durch Integration (partielle Integration, Formelsammlung oder Computeralgebrasystem) bekommen wir K(x) = (x − 1) ex , wobei wir auf die Integrationskonstante verzichten k¨onnen, da wir nur eine einzige L¨osung ben¨otigen. Als eine spezielle L¨osung der inhomogenen Differenzialgleichung haben wir damit ys = K(x) e−x = (x − 1) ex e−x = x − 1. Nach dem obigen Satz kennen wir jetzt alle L¨osungen als Addition dieser speziellen L¨osung mit den homogenen L¨osungen. Die allgemeine L¨osung der inhomogenen Differenzialgleichung lautet also y = ys + K e−x = x − 1 + K e−x ,

K ∈ R. ◭

Das in diesem Beispiel praktizierte Verfahren der Variation der Konstanten funktioniert immer. Es kann gezeigt werden, dass beim Einsetzen des entsprechenden Ansatzes in die inhomogene Differenzialgleichung die Summanden mit dem Ausdruck K(x) sich stets aufheben und man dann u¨ ber Integration von K ′ (x) zu einer speziellen L¨osung kommt.

775

776

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

Beispiel 24.10 Wir wollen das Anfangswertproblem y′ + y tan(x) = sin(x) cos(x)

y(0) = 1

l¨osen. Wir m¨ussen hierzu folgende 3 Schritte durchf¨uhren: Schritt 1: L¨osung der zugeh¨origen homogenen Differenzialgleichung. Schritt 2: Bestimmung einer L¨osung der inhomogenen Differenzialgleichung mittels Variation der Konstanten. Schritt 3: Bestimmung der konkreten L¨osung des Anfangswertproblems. Schritt 1. Wir l¨osen also die homogene Differenzialgleichung dy + y tan(x) = 0. dx Durch Trennung der Ver¨anderlichen erhalten wir nacheinander 1 dy = − tan(x) dx y Z Z Z 1 − sin(x) dy = − tan(x) dx = dx y cos(x) ln (|y|) = ln (| cos(x)|) +C |y| = eln(| cos(x)|)+C = eC · eln(| cos(x)|) = eC | cos(x)| y = ±eC cos(x).

Mit der neuen Konstanten K = ±eC erhalten wir y = K cos(x),

K 6= 0.

Da wir durch die Trennung der Ver¨anderlichen den Fall y = 0 ausgenommen hatten und dies auch eine L¨osung der homogenen Differenzialgleichung ist, haben wir als allgemeine L¨osung der homogenen Differenzialgleichung y = K cos(x),

K ∈ R.

Schritt 2. Zum Auffinden einer L¨osung der inhomogenen Differenzialgleichung variieren wir die Konstante und machen den Ansatz ys = K(x) cos(x). Setzen wir diese Funktion in die inhomogene Differenzialgleichung ein, so erhalten wir K ′ (x) cos(x) + K(x) (− sin(x)) + K(x) cos(x) tan(x) {z } |

sin(x)

= K(x) cos(x) cos(x)

= sin(x) cos(x).

24.2

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

Offensichtlich heben sich die beiden Summanden mit K(x) weg, sodass K ′ (x) cos(x) = sin(x) cos(x) bzw. K ′ (x) = sin(x) folgt. Daraus resultiert K(x) = − cos(x). Auf die Integrationskonstante k¨onnen wir wieder verzichten, weil wir nur eine L¨osung ben¨otigen. Eine spezielle L¨osung der inhomogenen Differenzialgleichung lautet also ys = K(x) cos(x) = − cos2 (x). Die allgemeine L¨osung ergibt sich als Summe dieser speziellen L¨osung mit allen homogenen L¨osungen: y = − cos2 (x) + K cos(x),

K∈R

Schritt 3. Wir bestimmen jetzt die Konstante K so, dass y(0) = − cos2 (0) + K cos(0) = 1 gilt. Dies f¨uhrt auf −1 + K = 1 bzw. K = 2. Damit haben wir die L¨osung unseres Anfangswertproblems. Sie lautet y = − cos2 (x) + 2 cos(x).



Beispiel 24.11 (Fortf¨uhrung von Beispiel 24.8). Wir kommen auf das Beispiel einer Reihenschaltung aus ohmschem und kapazitivem Widerstand zur¨uck. Der Schalter wird zum Zeitpunkt t = 0 geschlossen, und es kommt aufgrund der angelegten Spannung U zu einem Stromfluss, der Kondensator wird aufgeladen.

Fortfuhrung ¨ Laden eines Kondensators

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24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

R C U

I Wir hatten hergeleitet, dass die sich auf dem Kondensator befindende Ladung Q der Differenzialgleichung 1 U dQ + Q = dt RC R gen¨ugt. Aufgrund der Bedingung, dass zum Zeitpunkt t = 0 sich noch keine Ladung auf dem Kondensator befindet, gilt zus¨atzlich Q(0) = 0. Wir haben es mit einem Anfangswertproblem zu tun. Dieses wollen wir nun l¨osen, um u¨ ber die Ableitung von Q(t) eine Aussage u¨ ber die zeitabh¨angige Stromst¨arke I(t) zu erhalten. Wir f¨uhren analog zum vorangegangenen Beispiel die 3 Schritte durch. Schritt 1. Wir l¨osen die homogene Differenzialgleichung dQ 1 + Q = 0 dt RC mittels Trennung der Ver¨anderlichen. Es ergibt sich: 1 1 dQ = − dt Q RC Z Z 1 1 dQ = − dt Q RC t ln (|Q|) = − +D (D = const.) RC t t |Q| = e− RC + D = eD · e− RC t Q = ±eD · e− RC

Da bei der Trennung der Ver¨anderlichen die triviale L¨osung Q = 0 wieder ausgeschlossen wurde, ergibt sich als allgemeine L¨osung der homogenen Differenzialgleichung t Q = K e− RC ,

K ∈ R.

24.2

Explizite Differenzialgleichung erster Ordnung

Schritt 2. Mittels Variation der Konstanten bestimmen wir eine spezielle L¨osung der inhomogenen Differenzialgleichung. Wir setzen also t Q = K(t) e− RC s

an und gehen damit in die Differenzialgleichung. Wir erhalten t t t ˙ e− RC − K(t) e− RC · 1 + 1 K(t) e− RC = U K(t) RC RC R

bzw. U t ˙ K(t) = e RC . R Daraus ergibt sich als ein m¨ogliches K t

K(t) = CUe RC und damit als spezielle L¨osung t t t Qs = K(t) · e− RC = CUe RC · e− RC = CU.

Die allgemeine L¨osung der inhomogenen Differenzialgleichung lautet also als Summe der speziellen L¨osung mit allen homogenen L¨osungen t Q = CU + K e− RC ,

K ∈ R.

Schritt 3. Wir suchen nun aufgrund der Bedingung, dass sich zum Zeitpunkt t = 0 noch keine Ladung auf dem Kondensator befindet, die Konstante K. Es gilt also die Anfangsbedingung Q(0) = 0. Setzen wir dies in unsere gefundene allgemeine L¨osung ein, so erhalten wir 0 CU + K e− RC = 0

bzw. K = −CU. Damit ergibt sich als L¨osung des Anfangswertproblems f¨ur die Ladung Q   t t Q(t) = CU −CU e− RC = CU 1 − e− RC . Die fließende Stromst¨arke berechnet sich nun als Ableitung der Ladung zu     t U − t dQ 1 = = CU −e− RC · − e RC . I(t) = dt RC R ◭

779

780

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

24.3

Schwingungsdifferenzialgleichung

In Anwendungen treten h¨aufig Schwingungen auf. So sind die Stoßd¨ampfer im Auto schwingende Systeme, und bei Bauwerken m¨ussen potenzielle Schwingungen ber¨ucksichtigt werden. Bei der Konstruktion von Maschinen, Fahrzeugen und Br¨ucken wird versucht, das Vibrieren und damit das Schwingen des Systems zu vermeiden.

Schwingendes Federpendel

Beispiel 24.12 Als einfachstes Beispiel einer Schwingung betrachten wir eine Spiralfeder mit der Federkonstanten D, an der eine Masse m aufgeh¨angt ist.

0 s Dieses Beispiel hatten wir bereits als Motivation f¨ur Differenzialgleichungen in Abschnitt 24.1 angesprochen. Bei einer Auslenkung um s aus der Ruhelage wirkt nach dem Hooke’schen Gesetz eine R¨uckstellkraft der Gr¨oße F = −Ds entgegen der Auslenkungsrichtung, welche in eine beschleunigte Bewegung mit der Beschleunigung a = s¨ umgesetzt wird, d. h. es gilt ma = −Ds bzw. wegen a = s¨ ms(t) ¨ + Ds(t) = 0. Diese Schwingungsgleichung wird z. B. durch die Funktion r ! D s1 (t) = s0 cos t m mit einer beliebigen Konstanten s0 gel¨ost. Es ist n¨amlich r r ! D D s˙1 (t) = −s0 sin t m m r ! D D s¨1 (t) = −s0 cos t m m

24.3

Schwingungsdifferenzialgleichung

und damit tats¨achlich ms¨1 (t) + Ds1 (t) D = m −s0 cos m r = −s0 D cos

r

D t m !

!!

+ Ds0 cos

D t + Ds0 cos m

r

D t m

r

D t m

!

!

= 0. Wie man unschwer nachpr¨uft, l¨ost aber auch die Funktion r ! D s2 (t) = s0 sin t m die obige Differenzialgleichung. Somit stellt sich die Frage, wie die allgemeine L¨osung dieser Differenzialgleichung lautet. Man kann das Problem der Schwingung derart modifizieren, dass man noch die D¨ampfung ber¨ucksichtigt. Bei vielen Reibungsvorg¨angen (z. B. Reibung mit Fl¨ussigkeiten, geringe Geschwindigkeiten) ist die Reibungskraft proportional zur Geschwindigkeit v und nat¨urlich der Bewegungsrichtung entgegengesetzt. Bezeichnen wir die Proportionalit¨atskonstante mit k, so gilt also ma = −Ds − kv bzw. mit a = s¨ und v = s˙ ms(t) ¨ + ks(t) ˙ + Ds(t) = 0. Es stellt sich auch hier das Problem nach der allgemeinen L¨osung dieser ged¨ampften Schwingungsgleichung. ◭

Wir betrachten jetzt gleich die allgemeine Schwingungsgleichung zweiter Ordnung ay′′ + by′ + cy = 0. Man kann zeigen, dass diese Differenzialgleichung eine zweidimensionale L¨osungsvielfalt besitzt.

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782

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

Schwingungsdifferenzialgleichung

Satz Sind y1 (x) und y2 (x) zwei L¨osungen der allgemeinen Schwingungsdifferenzialgleichung ay′′ + by′ + cy = 0

(a, b, c ∈ R)

und sind diese L¨osungen keine Vielfachen voneinander, so besteht die Menge aller L¨osungen dieser Differenzialgleichung aus y(x) = c1 y1 (x) + c2 y2 (x),

c1 , c2 ∈ R.

Den Beweis m¨ussen wir leider u¨ bergehen. Es bleibt aber die Frage, wie wir zu den L¨osungen dieser Differenzialgleichung kommen. Hierzu machen wir den Ansatz y = eλ x . Die ben¨otigten Ableitungen lauten y′ = λ eλ x

y′′ = λ 2 eλ x .

Gehen wir damit in die Schwingungsdifferenzialgleichung, so erhalten wir  ay′′ + by′ + cy = aλ 2 eλ x + bλ eλ x + c eλ x = aλ 2 + bλ + c eλ x = 0. Wegen eλ x > 0 muss also

aλ 2 + bλ + c = 0 gelten. Wir haben es also mit einer quadratischen Gleichung zu tun, deren L¨osungen man nach Abschnitt 3.2 als √ −b ± b2 − 4ac λ1/2 = 2a berechnet. Je nachdem, ob der Ausdruck b2 − 4ac unter der Wurzel positiv, negativ oder null ist, erhalten wir jeweils zwei spezielle L¨osungen, aus welchen sich die allgemeine L¨osung gem¨aß dem obigen Satz zusammensetzt. 1. Fall: Der Ausdruck unter der Wurzel ist positiv, d. h. es gibt zwei reelle L¨osungen:

λ1 , λ2 ∈ R

(λ1 = 6 λ2 )

Dann sind y1 = eλ1 x

und

y2 = eλ2 x

24.3

Schwingungsdifferenzialgleichung

die zwei gesuchten L¨osungen der Schwingungsdifferenzialgleichung, und die allgemeine L¨osung lautet y = c1 eλ1 x + c2 eλ2 x ,

c1 , c2 ∈ R.

2. Fall: Der Ausdruck b2 − 4ac unter der Wurzel ist negativ. Dann gibt es zwar keine reellen, aber zwei komplexe L¨osungen, die konjugiert komplex sind:

λ1 = α + iβ

λ2 = α − iβ

(α ∈ R, β ∈ R\{0})

Wir haben damit z. B. die komplexe L¨osung y¯1 = eλ1 x = e(α +iβ )x gefunden. Aufgrund der Definition der komplexen Exponentialfunktion (vgl. Abschnitt 3.6) l¨asst sich diese komplexe L¨osung auch als y¯1 = e(α +iβ )x = eα x (cos(β x) + i sin(β x)) = eα x cos(β x) + ieα sin(β x) schreiben. Dies ist also eine L¨osung der Schwingungsdifferenzialgleichung, d. h. es gilt 0 = ay¯′′1 + by¯′1 + cy¯1 = a (eα x cos(β x))′′ + b (eα x cos(β x))′ + c (eα x cos(β x))   + i a (eα x sin(β x))′′ + b (eα x sin(β x))′ + c (eα x sin(β x)) . Diese Gleichung ist nat¨urlich nur dann korrekt, wenn Real- und Imagin¨arteil verschwinden: a (eα x cos(β x))′′ + b (eα x cos(β x))′ + c (eα x cos(β x)) = 0 a (eα x sin(β x))′′ + b (eα x sin(β x))′ + c (eα x sin(β x)) = 0 Wir haben damit die zwei unabh¨angigen L¨osungen gefunden, n¨amlich y1 = eα x cos(β x)

und

y2 = eα x sin(β x).

Die zweite komplexe L¨osung der Schwingungsdifferenzialgleichung y¯2 = e(α −iβ )x liefert mit derselben Argumentation die gleichen L¨osungen (Aufgabe!). Die allgemeine L¨osung lautet damit y = c1 eα x cos(β x) + c2 eα x sin(β x),

c1 , c2 ∈ R.

3. Fall: Der Ausdruck b2 − 4ac unter der Wurzel verschwindet, d. h. es ist

λ := λ1 = λ2 = − In diesem Fall ist also y1 = eλ x

b . 2a

783

784

24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

eine L¨osung der Differenzialgleichung. Nach dem obigen Satz muss es aber noch eine zweite L¨osung y2 geben, die kein Vielfaches von y1 ist. Eine derartige L¨osung ist y2 = xeλ x Es gilt n¨amlich y′2 = eλ x + λ xeλ x y′′2 = 2λ eλ x + λ 2 xeλ x und damit tats¨achlich ′′  ′  ay′′2 + by′2 + cy2 = a xeλ x + b xeλ x + cxeλ x

    = a 2λ eλ x + λ 2 xeλ x + b eλ x + λ xeλ x + cxeλ x   λ + b eλ x + aλ 2 + bλ + c xeλ x = 2a · |{z} | {z } b =0 = − 2a = 0.

Die allgemeine L¨osung lautet also in diesem dritten Fall y = c1 eλ x + c2 xeλ x ,

c1 , c2 ∈ R.

Wir fassen die Ergebnisse zusammen. L¨osung der Schwingungsdifferenzialgleichung

Satz Zur L¨osung der allgemeinen Schwingungsdifferenzialgleichung ay′′ + by′ + cy = 0, berechnet man die L¨osungen λ1 , λ2 der charakteristischen Gleichung aλ 2 + bλ + c = 0. Die allgemeine L¨osung der Differenzialgleichung setzt sich dann aus den Basisl¨osungen y1 , y2 in der Form y = c1 y1 + c2 y2 ,

c1 , c2 ∈ R

zusammen, wobei sich diese Basisl¨osungen je nach L¨osbarkeit der charakteristischen Gleichung folgendermaßen berechnen. Zwei reelle L¨osungen λ1 6= λ2 ∈ R: y1 = eλ1 x

y2 = eλ2 x

24.3

Schwingungsdifferenzialgleichung

Zwei konjugiert komplexe L¨osungen λ1/2 = α ± iβ : y1 = eα x cos(β x)

y2 = eα x sin(β x)

Eine reelle L¨osung λ = λ1 = λ2 ∈ R: y1 = eλ x

y2 = xeλ x

Beispiel 24.13 Wir suchen die L¨osungen der Schwingungsdifferenzialgleichung y′′ + 2y′ + ay = 0,

a ∈ R.

Dazu stellen wir die zugeh¨orige charakteristische Gleichung

λ 2 + 2λ + a = 0 auf. Aus der L¨osungsformel ergibt sich √ √ −2 ± 22 − 4 · 1 · a = −1 ± 1−a. λ1/2 = 2·1

Je nach dem Wert von a ergeben sich unterschiedliche L¨osungen der Differenzialgleichung. 1. Fall: a < 1 In diesem Fall lauten die Basisl¨osungen y1 = e(−1+

√ 1−a)x

y2 = e(−1−

√ 1−a)x

und damit die allgemeine L¨osung y = c1 y1 + c2 y2 = c1 e(−1+

√ 1−a)x

+ c2 e(−1−

√ 1−a)x

,

c1 , c2 ∈ R.

2. Fall: a > 1 Hier haben wir zwei komplexe L¨osungen der charakteristischen Gleichung, n¨amlich √ λ1/2 = −1 ± i a−1. Dementsprechend heißen die Basisl¨osungen √  √  a−1 x a−1 x y1 = e−x cos y2 = e−x sin

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24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

und die allgemeine L¨osung y = c1 y1 + c2 y2 √  √  = c1 e−x cos a−1 x + c2 e−x sin a−1 x ,

c1 , c2 ∈ R.

3. Fall: a = 1 Wir haben in diesem Fall f¨ur die charakteristische Gleichung nur die L¨osung

λ = λ1/2 = −1. Also lauten die Basisl¨osungen y1 = e−x

y2 = xe−x

und die allgemeine L¨osung y = c1 y1 + c2 y2 = c1 e−x + c2 xe−x ,

c1 , c2 ∈ R. ◭

Fortfuhrung ¨ Schwingendes Federpendel

Beispiel 24.14 (Fortf¨uhrung von Beispiel 24.12). Wir berechnen jetzt die allgemeine L¨osung der an einer Spiralfeder schwingenden Masse m. Im Fall einer fehlenden D¨ampfung lautet die zugeh¨orige Differenzialgleichung ms¨ + Ds = 0, wobei D die Federkonstante ist. Diese Differenzialgleichung k¨onnen wir jetzt l¨osen. Die charakteristische Gleichung lautet mλ 2 + D = 0.

0 s0 s

24.3

Schwingungsdifferenzialgleichung

Daraus ergibt sich

λ1/2 = ±

r D D − = ±i m m

r

und damit als Basisl¨osungen r ! D s1 = cos t m

s2 = sin

r

! D t . m

Die allgemeine L¨osung der Differenzialgleichung lautet also r ! r ! D D t + c2 sin t , c1 , c2 ∈ R. s = c1 cos m m Da wir jetzt zwei frei w¨ahlbare Konstanten haben, k¨onnen wir zwei Startbedingungen festlegen. Durch die m¨ogliche Anfangsbedingung, dass zum Zeitpunkt t = 0 die Masse m um s0 ausgelenkt und aus der Ruhe losgelassen wird, also dass s(0) = s0

s(0) ˙ = 0

c1 = s0

c2 = 0

gilt, ergibt sich

bzw. als spezielle L¨osung s = s0 cos

r

! D t . m

Im Fall einer vorhandenen D¨ampfung haben wir es mit der Differenzialgleichung ms¨ + ks˙ + Ds = 0 zu tun, wobei k die Reibungskonstante in der Beziehung FR = −kv f¨ur die Reibungskraft ist. Stellen wir in diesem Fall die zugeh¨orige charakteristische Gleichung auf, so erhalten wir mλ 2 + kλ + D = 0. Aus der L¨osungsformel f¨ur quadratische Gleichungen ergibt sich r √ k D −k ± k2 −4mD k2 = − ± − . λ1/2 = 2m 2m 4m2 m Bei geringer D¨ampfung, wie sie im Normalfall vorliegt, ist k2 − 4mD < 0.

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24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

Als Basisl¨osungen der Differenzialgleichung erhalten wir somit ! r k D k2 − t 2m − t s1 = e cos m 4m2 ! r k D k2 − t 2m s2 = e − t sin m 4m2 und als allgemeine L¨osung ! r k D k2 − t s = c1 e 2m cos − t m 4m2 ! r k D k2 − t + c2 e 2m sin − t , m 4m2

c1 , c2 ∈ R.

Gehen wir wieder davon aus, dass zum Zeitpunkt t = 0 die Masse um s0 ausgelenkt und aus der Ruhe losgelassen wird, also dass s(0) = s0

s(0) ˙ = 0

gilt, so erh¨alt man aus diesen Anfangsbedingungen die eindeutige L¨osung ! r k D k2 − t 2m s = s0 e − t cos m 4m2 ! r k D k2 k − t s0 e 2m sin +√ − t . m 4m2 4Dm−k2 Offensichtlich schwingt das ged¨ampfte System gegen¨uber dem unged¨ampften langsamer und die Schwingung kommt nie zum Stillstand. Allerdings sind die Auslenkungen irgendwann so klein, dass sie nicht mehr wahrnehmbar sind. s s0

t



Aufgaben

Aufgaben Abschnitt 24.2 24.1 Lassen Sie sich von einem Computeralgebrasystem die Richtungsfelder folgender Differenzialgleichungen zeichnen. Skizzieren Sie in diesen Richtungsfeldern einige L¨osungen. 1 a) y′ = −xy b) y′ = y(y − 1) c) y′ = y2 − x d) y′ = y sin(2x) 2 24.2 L¨osen Sie folgende Anfangswertprobleme. a) y′ = −xy y(0) = 1 b) y′ = x2 (y2 + 1) y(0) = −1 1 1 ′ ′ c) y = y(y − 1) y(0) = d) y = y sin(2x) y(0) = 1 2 2  √ xy e) y′ = y(2) = 1 f) xyy′ + y2 + 1 = 0 y − 12 = 3 1 − x2 24.3 Gegeben ist das Anfangswertproblem 1 + y2 y′ = y(0) = 1. 1+x a) Skizzieren Sie das Richtungsfeld der Differenzialgleichung und skizzieren Sie die L¨osung. Nehmen Sie ggf. ein Computeralgebrasystem zu Hilfe. b) L¨osen Sie das Anfangswertproblem mit dem Euler-Polygonzug-Verfahren. W¨ahlen Sie als Schrittweite einmal ∆x = 0,5 und einmal ∆x = 0,1. c) L¨osen Sie das Anfangswertproblem analytisch. Beurteilen Sie damit die N¨aherungen aus Aufgabenteil (b).

24.4 L¨osen Sie folgende lineare Differenzialgleichungen. y 1 2 a) y′ − 2y = ex b) y′ + = 2 c) y′ + 2xy = 4xex d) xy′ + y = x cos(x) x x 24.5 Eine Spule mit der Induktivit¨at L wird mit einem Widerstand R in Reihe geschaltet und an eine Spannungsquelle mit der konstanten Spannung U gelegt. L

U

R

I Zum Zeitpunkt t = 0 wird der Schalter geschlossen. In der Spule wird aufgrund der elektromagnetischen Induktion eine Spannung UL = L dI arke ist. Da die dt erzeugt, wobei I die augenblickliche Stromst¨ angelegte Spannung an beiden Schaltelementen abf¨allt und die Spannung am ohmschen Widerstand nach dem ohmschen Gesetz UR = RI betr¨agt, gilt dI + RI = U. dt Berechnen Sie die im Stromkreis abh¨angig von der Zeit t fließende Stromst¨arke I(t). Wogegen strebt I(t) f¨ur t → ∞? L

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24 Gew¨ ohnliche Differenzialgleichungen

Abschnitt 24.3 24.6 Berechnen Sie die allgemeine L¨osung der Schwingungsgleichung des Federpendels aus Beispiel 24.14 ms(t) ¨ + ks(t) ˙ + Ds(t) = 0 bei starker D¨ampfung, also in den F¨allen k2 − 4mD > 0; k2 − 4mD = 0.

24.7 Berechnen Sie alle L¨osungen folgender Differenzialgleichungen. a) y′′ + y′ − 2y = 0

b) y′′ + y = 0

d) y′′ + 4y′ + 8y = 0

c) y′′ + 6y′ + 9y = 0 9 f) y′′′ + 3y′′ + y′ = 0 4

e) y′′ − 2y′ + 17y = 0

24.8 Eine Spule mit der Induktivit¨at L, ein ohmscher Widerstand der Gr¨oße R und einen Kondensator mit der Kapazit¨at C werden an eine Spannungsquelle der Gr¨oße U gelegt. L

U

R

C I Aufgrund der Tatsache, dass die Gesamtspannung an allen drei Schaltelementen summarisch abf¨allt, gilt f¨ur die Stromst¨arke I und die auf den Kondensator geflossene Ladung die Gleichung L

dI Q + RI + = U. dt C

Durch Differenzieren erh¨alt man daraus unter Ber¨ucksichtigung von I = L

dQ dt

die Differenzialgleichung

d2I dI I + R + = 0. dt 2 dt C

Diskutieren Sie diese Schwingungsdifferenzialgleichung f¨ur die Stromst¨arke I. Interpretieren Sie Ihre Ergebnisse physikalisch. Wann schwingt das System und wann nicht? Die L¨osungen zu den Aufgaben finden Sie auf der Produktseite zum Buch unter link.springer.com.

Sachverzeichnis a¨ ußeres Produkt, 739 e-Funktion, 94 10er-Logarithmus, 97 Abbildung, 31 abelsche Gruppe, 153 Abgeschlossenheit, 152 abh¨angige Variable, 34 Ableitung, 352 Ableitung der Umkehrfunktion, 377 Ableitung impliziter Funktionen, 638 Ableitung, 2., 356 Ableitung, n-te, 356 Ableitungsfunktion, 355 Abszisse, 34 Achsenspiegelung, 272 Additionstheoreme, 80 affine Funktion, 59 algebraische Form einer komplexen Zahl, 15 algebraische Funktion, 77 alternierende harmonische Reihe, 532 Anfangswertproblem, 762 Areafunktionen, 105 Areakosinus hyperbolikus, 106 Areakotangens hyperbolikus, 106 Areasinus hyperbolikus, 106 Areatangens hyperbolikus, 106 Argument einer komplexen Zahl, 14 Arkusfunktionen, 87 Arkuskosinus, 87 Arkuskotangens, 87 Arkussinus, 87 Arkustangens, 87 Assoziativgesetz, 152 B´ezier-Kurven, 58 barometrische H¨ohenformel, 100 Basis, 164 Bereichsintegral, 698 Bernstein-Polynome, 58 Beschleunigung, 360 beschr¨ankt, 42

bestimmtes Integral, 463 bestimmtes Integral, mehrdimensionales, 698 Betrag einer komplexen Zahl, 14 Betragsfunktion, 55 Betragssummenungleichung, 56 bijektiv, 37 Bildmenge, 31 bin¨arer Logarithmus, 97 Binomialkoeffizient, 567 Binomische Reihe, 567 Bisektionsverfahren, 342 Bogenl¨ange, 728 Bogenl¨angenformel f¨ur Funktionen, 734 Bogenl¨angenparametrisierung, 735 Bogenmaß, 78 Brechungsgesetz, 89, 410 charakteristische Gleichung, 784 charakteristisches Polynom, 308 Cramer’sche Regel, 290 De Moivre’sche Formel, 17 Definitheit, 667 Definitheitskriterium, 668 Definitionsbereich, 31 Definitionsmenge, 31 dekadischer Logarithmus, 97 Determinante einer (2,2)-Matrix, 285 Determinante einer (3,3)-Matrix, 285 Determinante einer (n,n)-Matrix, 286 Differenz von Mengen, 3 Differenzenregel der Differenzialrechnung, 363 Differenziale, 352 Differenzialgleichung, 760 Differenzialquotient, 352 Differenzierbarkeit, 355 Differenzierbarkeit an einer Stelle, 352 Dimension, 164 divergente Folge, 321 Divergenz, 652 Divergenzkriterium, 531 Doppelwinkelformeln, 80

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 K. Dürrschnabel, Mathematik für Ingenieure, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32231-1

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Sachverzeichnis Drehung um den Koordinatenursprung, 273 Drehung um die Koordinatenachsen, 278 Dreiecksungleichung, 56 Durchschnitt von Mengen, 3 Eigenvektor, 306 Eigenwert, 306 Einheitsmatrix, 263 elementare Zeilenoperationen, 121 Ellipse, 302, 460 Epizykloide, 721 Erwartungswert, 515 Erzeugendensystem, 164 Euler’sche Formel, 107 Euler-Diagramm, 2 Euler-Polygonzugverfahren, 763 explizite Differenzialgleichung erster Ordnung, 761 Exponentialfunktion zur Basis a, 92 Exponentialreihe, 557 Extremum, 45 Extremum, lokales, 398 Faktorregel der Differenzialrechnung, 363 Fakult¨at, 554 Fehlerfortpflanzungsgesetz, Gauß’sches, 638 Fehlerfortpflanzungsgesetz, lineares, 636 Folge, 317 Fourier-Koeffizienten, 589, 595 Fourier-Koeffizienten, komplexe, 601 Fourier-Reihe, 589, 595 Fourier-Reihe, komplexe, 601 Fourier-Transformation, 610 Fourier-Transformierte, 610 Fubini, Satz von, 700 Fundamentalsatz der Algebra, 454 Funktion, 30, 31 ganze rationale Funktion, 59 ganze Zahlen, 5 Gauß’sche Glockenkurve, 486 Gauß’sche Normalform, 123 Gauß’sche Zahlenebene, 12 Gauß’sches Eliminationsverfahren, 121 Gauß-Kr¨uger-Koordinatensystem, 250 gebrochene rationale Funktion, 73 geometrische Reihe, 526 Grad einer ganzen rationalen Funktion, 59 Gradient, 630 Graph, 34 Grenzsteuersatz, 359 Grenzwert einer Folge, 320 Grenzwert einer Funktion, 332 Grenzwert, einseitiger, 335 Grenzwert, linksseitiger, 335 Grenzwert, rechtsseitiger, 335 Gruppe, 152

harmonische Reihe, 528 Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung, 469 hebbare L¨ucke, 75 Hesse-Matrix, 650 homogene lineare Differenzialgleichung erster Ordnung, 771 Horner-Schema, 68 hyperbolische Funktionen, 102 hyperbolische Reihen, 562 Hyperebene, 209 imagin¨are Einheit, 11 Imagin¨arteil einer komplexen Zahl, 12 implizite Darstellung einer Funktion, 77 indefinit, 667 inhomogene lineare Differenzialgleichung, 771 injektiv, 37 Integralsinus, 574 Integrierbarkeit, 463 Integrierbarkeit, mehrdimensionale, 698 Intervall, 8 Intervallhalbierungsverfahren, 342 inverse hyperbolische Funktionen, 106 inverse trigonometrische Funktionen, 87 inverses Element, 152 Kardioide, 500 Kepler-Fassregel, 490 Kettenlinie, 103 Kettenregel, 373 Klasse C, 389, 649 Klasse C p , 389, 649 Koeffizienten einer ganzen rationalen Funktion, 59 Koeffizienten eines linearen Gleichungssystems, 121 kommutative Gruppe, 153 komplexe Zahlen, 10 konjugiert komplexe Zahl, 11 konkave Kr¨ummung, 416 konvergente Folge, 321 Konvergenzbereich, 548 Konvergenzradius, 549 konvexe Kr¨ummung, 416 Koordinatengleichung einer Ebene, 211 Koordinatengleichung einer Geraden, 210 Kosinus hyperbolikus, 102 Kosinusfunktion, 82 Kosinusreihe, 560 Kosinussatz, 80 Kotangens hyperbolikus, 102 Kotangensfunktion, 82 Kr¨ummung, 740 Kr¨ummungsformel f¨ur Funktionen, 746 Kr¨ummungsradius, 740 Kreisfrequenz, 20, 602 Kreisgleichung, 235 Kreuzprodukt, 183 kubische Funktion, 59

Sachverzeichnis Kugelgleichung, 238 Kugelkoordinaten, 712 Kurve, 720 Kurvenintegral, 749 Lagrange’sche Multiplikatoren, 682 Lagrange’sche Multiplikatorenregel, 681 Laplace’scher Entwicklungssatz, 288 Laufindex, 59 leere Menge, 3 Leibniz’sche Sektorformel, 501 Leibniz-Kriterium, 532 Lemniskate, 500 Limes einer Folge, 320 Limes einer Funktion, 332 linear abh¨angig, 160 linear unabh¨angig, 160 lineare Differenzialgleichung erster Ordnung, 771 lineare Funktion, 59 lineares Gleichungssystem, 118, 121 Linearisierung einer Funktion, 634 Linearkombination, 157 Linienintegral, 749 Linkskr¨ummung, 416 Lissajous-Figuren, 13 Logarithmengesetze, 99 Logarithmusfunktion zur Basis a, 96 Logarithmusreihe, 564 logistische Wachstumsfunktion, 386 logistisches Wachstum, 759 MacLaurin-Reihe, 556 Majorantenkriterium, 534 Matrix, 124, 252 Matrizenaddition, 254 Matrizenmultiplikation mit einem Skalar, 254 Matrizenprodukt, 258 Maximum, 44 Maximum, lokales, 398 mehrfache Nullstelle, 72 mehrfaches Integral, 701 Menge, 2 Meridian, 503 Minimum, 45 Minimum, lokales, 398 Minorantenkriterium, 534 Mittelwertsatz der Differenzialrechnung, 388 Mitternachtsformel, 65 Monome, 166 monoton fallend, 47 monoton wachsend, 47 Multiplikatorenregel von Lagrange, 681 Nabla, 630 nat¨urliche Exponentialfunktion, 94 nat¨urliche Exponentialfunktion, komplexe, 107 nat¨urliche Zahlen, 4

nat¨urlicher Logarithmus, 97 negativ definit, 667 neutrales Element, 152 Newton-Verfahren, 429 Normalbereich, 699 Normaleneinheitsvektor, 739 Normalenvektor einer Ebene, 229 Normalverteilung, 485, 515 Nullstelle, 64 Nullstellensatz von Bolzano, 342 Nullvektor, 144 Ordinate, 34 Ordnung einer Differenzialgleichung, 760 Ortsvektor, 202 Parallelflach, 189 Parameterdarstellung einer Ebene, 205 Parameterdarstellung einer Geraden, 202 Parameterdarstellung einer Kurve, 720 Partialbruchzerlegung, 450 Partialsumme, 526 partielle Ableitung, 626 partielle Differenzierbarkeit, 626 partielle Integration, 442 Periode, 83 Polardarstellung einer komplexen Zahl, 15 Polarkoordinaten, 499, 706 Polstelle, 74 Polynom, 59 positv definit, 667 Potenzfunktion, 56 Potenzgesetze, 76 Potenzreihe, 547 Produktintegration, 442 Produktregel, 370 Punkt-Richtungs-Form einer Ebene, 205 Punkt-Richtungs-Form einer Geraden, 202 quadratische Funktion, 59 quadratische Matrizen, 260 Quotientenkriterium von d’Alembert, 537 Quotientenregel, 370 rationale Zahlen, 5 Realteil einer komplexen Zahl, 12 Rechtskr¨ummung, 416 Rechtssystem, 181, 739 reelle Zahlen, 5 Regel von Bernoulli-de l’Hospital, 422 regul¨are Matrix, 265 Reihe, 526 Reihensumme, 526 Rekursionsformel, 325 Richtungsableitung, 643 Richtungsfeld, 761 Rotation, 652

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Sachverzeichnis S-Multiplikation, 145 Sarrus-Regel, 285 Sattelpunkt, 399 Satz vom Maximum und Minimum, 343 Scherung entlang einer Koordinatenachse, 274 Scherung entlang einer Koordinatenebene, 280 Schwarz, Satz von, 649 Schwingungsdifferenzialgleichung, 782 Schwingungsgleichung, 759, 780 Schwingungsgleichung, ged¨ampfte, 781 separable Differenzialgleichung, 764 Signumfunktion, 54 Simpson-Regel, 493 Sinus hyperbolikus, 102 Sinusfunktion, 82 Sinusreihe, 559 Sinussatz, 80 skalare Multiplikation eines Vektors, 145 Skalarprodukt, 175, 178 Skalierung in Richtung der Koordinatenachsen, 273, 279 Spaltenvektor, 146 Spat, 189 Spatprodukt, 190, 191 Spektraldichte, 610 Spiegelung an den Koordinatenebenen, 277 Spirale des Archimedes, 500 St¨orglied einer linearen Differenzialgleichung, 771 St¨orglieder eines linearen Gleichungssystems, 121 Stammfunktion, 440 Standardbasis, 164 station¨are Stelle, 402, 666 stetig fortsetzbar, 75 stetige Differenzierbarkeit, 389 stetige Funktion, 339 stetige partielle Differenzierbarkeit, 649 Stetigkeit an einer Stelle, 339 Stetigkeit einer Funktion mehrerer Ver¨anderlicher, 624 Substitutionsregel, 446 Summen- und Faktorregel, 363 Summenregel der Differenzialrechnung, 363 Summenzeichen, 59 surjektiv, 37 symmetrische Matrix, 262

Taylor-Reihe, 555 Teilmenge, 4 Torus, 505 totales Differenzial, 633 Translation, 275, 280 Transponierte einer Matrix, 261 Trapezregel, 486 Trennung der Ver¨anderlichen, 765 trigonometrische Form einer komplexen Zahl, 15 trigonometrische Funktionen, 82 trigonometrische Reihe, 586 trigonometrischer Satz des Pythagoras, 83

Tangens hyperbolikus, 102 Tangensfunktion, 82 Tangente, 726 Tangentenvektor, 726 Taylor, Satz von, 555 Taylor-Polynom, 555

Zahlenbereiche, 4 Zerlegung eines Intervalls, 462 Zielbereich, 31 Zielmenge, 31 Zwischenwertsatz, 342 Zylinderkoordinaten, 710

Umkehrabbildung, 37 Umkehrfunktion, 37 unabh¨angige Variable, 34 unbestimmtes Integral, 441 uneigentlicher Grenzwert, 320 uneigentliches Integral, 476 Untermenge, 4 Variation der Konstanten, 774 Vektor, 142 Vektorfeld, 651 Vektorprodukt, 183 Vektorraum, 155 Venn-Diagramm, 2 Vereinigung von Mengen, 3 Vergleichskriterien, 534 Verschiebung, 275, 280 Viertelsmethode, 576 Volumenintegral, 705 Vorzeichenfunktion, 54 Wahrscheinlichkeitsdichte, 515 Wendepunkt, 416 Wertebereich, 31 windschief, 216 Winkel zwischen Gerade und Ebene, 229 Winkel zwischen zwei Ebenen, 231 Winkel zwischen zwei Geraden, 229 Wurzelkriterium von Cauchy, 539

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