Mannsbilder: Eine geschlechterhistorische Betrachtung von Hollywoodfilmen 1946-1960 [1. Aufl.] 9783839408490

»What can you do when you have to be a man?«, fragt Jim (James Dean) seinen Vater in »Rebel Without a Cause« (1955), dem

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Mannsbilder: Eine geschlechterhistorische Betrachtung von Hollywoodfilmen 1946-1960 [1. Aufl.]
 9783839408490

Table of contents :
INHALT
1 EINLEITUNG
2 THEORETISCHE UND METHODISCHE PRÄMISSEN
2.1 Film als historische Quelle
2.1.1 Die angespannte Beziehung Film – Geschichtswissenschaft
2.1.2 Zur dokumentarischen Funktion des Films
2.1.3 Filme in der Kulturgeschichte:Prämissen des New Historicism
2.2 Die Diskursivität von Gender oder das Erzählenvon Geschlecht
2.2.1 Die Theoretisierung von Gender
2.2.2 Der Mann als der Andere
2.2.3 Das Erzählen von Geschlecht
2.3 Psychoanalyse und feministische Filmtheorie
2.3.1 Lacansche Vorgaben
2.3.2 Rewriting der Psychoanalyse aus feministischer Sicht
Blickregime: Wer sieht was?
Perspektiven für die Männerstudien
2.3.3 Dominante Fiktion
2.4 Möglichkeiten einen Film zu lesen
3 ANTWORTEN AUF DEN KRIEG
3.1 Kriegsheimkehrer: »Few men will emerge untouched by their experience«
3.1.1 CRACK-UP (1946)
3.1.2 KEY LARGO (1948)
3.1.3 THE MEN (1950)
3.1.4 Fazit
3.2 Die große Freiheit: »The mass of men leads lives of quiet desperation«
3.2.1 THE FOUNTAINHEAD (1949)
3.2.2 SANDS OF IWO JIMA (1949)
3.2.3 ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955)
3.2.4 Fazit
3.3 Verantwortung übernehmen - Das bürgerliche Modell: »Men or Mice«
3.3.1 THE MARRYING KIND (1952)
3.3.2 THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT (1956)
3.3.3 THE MAGNIFICENT SEVEN (1960)
3.3.4 Fazit
4 AUSREISSVERSUCHE
4.1 Der Kampf der Geschlechter: »How does one drowning man help another?«
4.1.1 Vom Sozialen Problemfilm zum Melodrama
4.1.2 WRITTEN ON THE WIND (1956)
4.1.3 CAT ON A HOT TIN ROOF (1958)
4.1.4 THE INCREDIBLE SHRINKING MAN (1957)
4.1.5 Fazit
4.2 Autoritäten unter Beschuss: »What are you rebelling against?«
4.2.1 THE WILD ONE und BLACKBOARD JUNGLE in der Diskussion um Juvenile Delinquency
4.2.2 THE WILD ONE (1953)
Johnny – The White Negro?
4.2.3 BLACKBOARD JUNGLE (1955)
Zur Rezeption von BLACKBOARD JUNGLE
4.2.4 Fazit
4.3 Geschlechter-Verwirrung: »Is the U.S. Moviegoer old enough to be told that there is such a thing as homosexuality!«
4.3.1 TEA AND SYMPATHY (1956)
Der Streit um die Produktion des Films
Filmanalyse
4.3.2 Fazit
4.4 Der Junggesellen-Playboy: »Life should be gay and light and bubbly like champagne«
4.4.1 MY DEAR SECRETARY (1948)
4.4.2 AN AMERICAN IN PARIS (1951)
4.4.3 AN AFFAIR TO REMEMBER (1957)
4.4.4 Fazit
5 ZUSAMMENFASSUNG
6 FILMO- UND BIBLIOGRAPHIE

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Uta Fenske Mannsbilder

2008-02-22 10-14-02 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0302171630713460|(S.

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) T00_01 schmutztitel - 849.p 171630713468

Uta Fenske (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im SFB »Kriegserfahrungen – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit« an der Universität Tübingen.

2008-02-22 10-14-02 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0302171630713460|(S.

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) T00_02 seite 2 - 849.p 171630713508

Uta Fenske

Mannsbilder Eine geschlechterhistorische Betrachtung von Hollywoodfilmen 1946-1960

2008-02-22 10-14-02 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0302171630713460|(S.

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) T00_03 titel - 849.p 171630713596

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommene Dissertation. Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2008 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Alexandra Schnell Umschlagabbildung: Freigestellt aus »THE MEN« (1950) Lektorat & Satz: Uta Fenske Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-849-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2008-02-22 10-14-02 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0302171630713460|(S.

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I N H AL T

1 EINLEITUNG

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2 THEORETISCHE UND METHODISCHE PRÄMISSEN 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3

Film als historische Quelle Die angespannte Beziehung Film – Geschichtswissenschaft Zur dokumentarischen Funktion des Films Filme in der Kulturgeschichte: Prämissen des New Historicism

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Die Diskursivität von Gender oder das Erzählen von Geschlecht 2.2.1 Die Theoretisierung von Gender 2.2.2 Der Mann als der Andere 2.2.3 Das Erzählen von Geschlecht

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2.3 Psychoanalyse und feministische Filmtheorie 2.3.1 Lacansche Vorgaben 2.3.2 Rewriting der Psychoanalyse aus feministischer Sicht Blickregime: Wer sieht was? Perspektiven für die Männerstudien 2.3.3 Dominante Fiktion

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Möglichkeiten einen Film zu lesen

3 ANTWORTEN AUF DEN KRIEG 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4

Kriegsheimkehrer: »Few men will emerge untouched by their experience« CRACK-UP (1946) KEY LARGO (1948) THE MEN (1950) Fazit

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Die große Freiheit: »The mass of men leads lives of quiet desperation« THE FOUNTAINHEAD (1949) SANDS OF IWO JIMA (1949) ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955) Fazit

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Verantwortung übernehmen - Das bürgerliche Modell: »Men or Mice« THE MARRYING KIND (1952) THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT (1956) THE MAGNIFICENT SEVEN (1960) Fazit

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4 AUSREISSVERSUCHE 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4

Der Kampf der Geschlechter: »How does one drowning man help another?« Vom Sozialen Problemfilm zum Melodrama WRITTEN ON THE WIND (1956) CAT ON A HOT TIN ROOF (1958) THE INCREDIBLE SHRINKING MAN (1957) Fazit Autoritäten unter Beschuss: »What are you rebelling against?« THE WILD ONE und BLACKBOARD JUNGLE in der Diskussion um Juvenile Delinquency THE WILD ONE (1953) Johnny – The White Negro? BLACKBOARD JUNGLE (1955) Zur Rezeption von BLACKBOARD JUNGLE Fazit

Geschlechter-Verwirrung: »Is the U.S. Moviegoer old enough to be told that there is such a thing as homosexuality!« 4.3.1 TEA AND SYMPATHY (1956) Der Streit um die Produktion des Films Filmanalyse 4.3.2 Fazit

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Der Junggesellen-Playboy: »Life should be gay and light and bubbly like champagne« MY DEAR SECRETARY (1948) AN AMERICAN IN PARIS (1951) AN AFFAIR TO REMEMBER (1957) Fazit

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5 ZUSAMMENFASSUNG

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6 FILMO- UND BIBLIOGRAPHIE

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Danksagung Wenn man sich über einige Jahre mit einem Thema auseinandersetzt, wären viele Menschen anzuführen, die mitunter, ohne es zu wissen, zum Fortkommen des Projektes beigetragen haben, sei es durch Kritik oder durch Gespräche und durch die damit einhergehenden Anregungen. Einige von Ihnen möchte ich hier besonders nennen. Von Anfang an hat sich Sabine Schrader sehr konstruktiv mit der Arbeit auseinandergesetzt. Sie hat, wie später auch Olaf Stieglitz, kritisch Stellung zu meinen Thesen bezogen. Bei beiden möchte ich mich dafür herzlich bedanken. Auch meinem Doktorvater Prof. Norbert Finzsch, der die Arbeit mit großem Interesse betreut hat und, wenn ›Not am Manne‹ war, jederzeit auch motivierend zur Seite stand, sei dafür herzlich gedankt. Prof. Margit Szöllösi-Janze hat freundlicherweise das Zweitgutachten übernommen. Auch ihr gebührt mein Dank. Gemeinsam haben sie die Arbeitsgruppe Geschichte und Film an der Anglo-Amerikanischen Abteilung des Historischen Seminars an der Kölner Universität ins Leben gerufen und dazu beigetragen, einen Raum für Diskussionen in produktiver Atmosphäre zu schaffen. Prof. Horst Tonn hat mir freundlicherweise in der Schlussphase der Arbeit den Rücken frei gehalten. Für den weiteren Feinschliff der Arbeit erhielt ich Hilfe von Silvia Kutscher, Ralph Winkle, Susanne Dettmar, Meike Hoffmann, Johanna Roering, sowie meiner Mutter Richmuth Fenske. Ganz besonderer Dank gebührt Alex Schnell und K.H., die mich beständig unterstützt haben. Das gilt natürlich auch für meine Eltern. Die Archivreisen nach Berkeley und Los Angeles waren nur durch die Finanzierung des Deutschen Historischen Institutes in Washington, DC. möglich. Ausnehmend gastfreundlich haben mich in Berkeley Vicky Leonards, Noah, Miranda und Bryn Kahn aufgenommen. Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommene Dissertation. Die Drucklegung wurde durch die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften ermöglicht.

1 EINLEITUNG

Bei der Verleihung der Academy Awards 2006 konnte der mit acht Nominierungen hoch favorisierte Film BROKEBACK MOUNTAIN (2005) nur drei der Preise gewinnen.1 Der »Oscar« für den besten Film war nicht darunter. Wenige Tage nach der Preisverleihung starteten seine enttäuschten Anhänger eine höchst ungewöhnliche Aktion: Sie schalteten für über $15.000 eine ganzseitige Anzeige im Daily Variety, einer der wichtigsten Filmzeitschriften der Vereinigten Staaten. Darin dankten sie dem Film dafür, zahlreiche Leben verändert zu haben. Diese Anzeige führt eindrucksvoll vor Augen, wie Fiktion und Lebenswirklichkeit beim Medium Film miteinander verzahnt sind. BROKEBACK MOUNTAIN hatte bereits vor seinem Start großes Interesse und vielfältige Diskussionen ausgelöst, denn er erzählt die Liebesgeschichte zwischen zwei Cowboys in Wyoming in den Jahren von 1963 bis 1983. Treffender formuliert, erzählt er die Unmöglichkeit dieser Liebe. Aufsehen erregend an dem Film ist nicht, dass er eine homosexuelle Geschichte erzählt, sondern dass sein Regisseur Ang Lee ihn im weitesten Sinn im Genre des Westerns inszeniert hat. Damit trägt er männliches homosexuelles Begehren ins »Herz« (Heartland) der Vereinigten Staaten, denn er zielt auf zwei zentrale US-amerikanische Mythen: auf den zu ›zivilisierenden Wilden Westen‹ und auf seine Helden, die Cowboys. BROKEBACK MOUNTAIN macht die in zahlreichen Western existierende homoerotische Spannung zwischen den Protago-

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BROKEBACK MOUNTAIN (2005), Regie: Ang Lee. Das Drehbuch basiert auf einer Erzählung von Annie Proulx, verfasst wurde es von Larry McMurtry und Diana Ossana. Produziert wurde der Film in Farbe von Diana Ossana und James Schamus. 9

MANNSBILDER

nisten zum ersten Mal in der Geschichte Hollywoods explizit. Die letzte Bastion raubeiniger Männlichkeit scheint gefallen zu sein. Vielleicht noch bemerkenswerter als der Film ist die Rede über ihn. Die deutschen oder US-amerikanischen Feuilletons widmen ihm ungewöhnlich viel Raum; der Weltspiegel nimmt den Film zum Anlass, über homosexuelle Männer in Utah und Wyoming zu berichten.2 Die Marketingstrategien wiederum und die Aussagen des Regisseurs Ang Lee hingegen wollen den Film nicht auf Homosexualität beschränkt wissen.3 Stattdessen proklamieren sie den Film als ein Romeo-Julia-Drama bzw. als eine universell gültige Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, die in diesem Falle eben zufällig Männer sind.4 Nicht die Homosexualität steht im Vordergrund, sondern das, was auch die Protagonisten im Film selbst vorführen: Das Ringen um intelligible Geschlechtsidentitäten, zu denen auch die sexuelle Orientierung gehört (Kap. 2.2.1). BROKEBACK MOUNTAIN fragt, welche Konzepte von Männlichkeiten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts existieren bzw. über welchen Spielraum differente Männlichkeitskonzepte verfügen. Der Film inszeniert den Gegensatz Individuum – Gesellschaft als einen im Individuum geführten Kampf mit übermächtigen Geschlechtermodellen und sanktioniert die Abweichung von der Norm als ein Scheitern. Doch die Botschaft des Films ist deutlich: die romantisch erzählte Liebesgeschichte stellt das homosexuelle Begehren auch im großen Filmmythos des Cowboys ins Recht.5 In den Western der 1940er und 50er Jahre traten keine homosexuellen Cowboys auf. Nichtsdestotrotz bewegte vor allem eine Frage die Hollywoodfilme der Nachkriegszeit: »What can you do when you have to be a man?«, fragt Jim (James Dean) – repräsentativ für viele andere – seinen Vater in REBEL WITHOUT A CAUSE (1955), dem wohl bekanntesten Jugendfilm der 50er Jahre.6 Doch sein Vater kann ihm weder ein Vorbild sein noch seine Frage beantworten.

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Weltspiegel, ARD 5. März 2006. Der Begriff der Homosexualität taucht bezeichnenderweise in den PRKampagnen nicht auf. Vgl. zu diesen Beobachtungen Daniel Mendelsohn (2006): »An Affair to Remember«, in: The New York Review of Books 53 (3), 13.3.2006. URL: www.nybooks.com/articles/18712 (14.3.2006). Christina Nord: »Als Ersatz bleibt ein Hemd«, in: tageszeitung 9.3.06. URL: www.taz.de/pt/2006/ 03/09/a0228.1/text (14.3.2006). Romantisch auch im Sinne seiner Gestaltung, namentlich der Parallelisierung von Landschaft und Seelenleben. REBEL WITHOUT A CAUSE (1955), Regie: Nicholas Ray, Produzent: David Weisbart, Drehbuch: Stewart Stern. Der Film ist in Farbe gedreht.

EINLEITUNG

Diese Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, nachträglich nach Antworten auf die Frage Jims zu suchen; mit anderen Worten: Es ist ihr Ziel, anhand von Spielfilmen zu untersuchen, welche Bedeutungen Mann-Sein in den Jahren 1945 bis 1960 haben konnte. Es wird dabei zu sehen sein – das sei hier vorweggenommen – dass eine beträchtliche Anzahl verschiedener Entwürfe inszeniert wurde, die ein breites Spektrum an Konflikten und Paradoxa bieten und sich einer allzu einfachen und widerspruchsfreien Kategorisierung entziehen. Das Jahr 1945 ist ohne Frage von epochaler Bedeutung; ihm folgen tiefgreifende Veränderungen: Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt in den USA ein Prozess des sozialen Umbruchs, der gleichermaßen durch die Demobilisierung, die Spannungen des aufkommenden Kalten Krieges, sowie die wachsende Wirtschaft gekennzeichnet war. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, dass der Untersuchungszeitraum dieser Arbeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt. In Zeiten des gesellschaftlichen Wandels stellen Sexualität bzw. Gender eine Schnittstelle dar, an der sich politische und soziale Spannungen manifestieren und entladen. So beeinflussten in der unmittelbaren Nachkriegszeit gesellschaftliche Veränderungen die Konzepte von Gender in entscheidender Weise und vice versa. Mehrere Aspekte sind dabei als maßgeblich anzuführen. Die 1930er und 1940er hatten nachhaltige Auswirkungen: Durch die Weltwirtschaftskrise und die nachfolgende Große Depression sowie den Weltkrieg erfuhren die Geschlechterverhältnisse einen Wandel. Einerseits führte der Zweite Weltkrieg zur Aufweichung der Geschlechterordnung, indem aufgrund der hohen Zahl erwerbstätiger Frauen die Aufteilung in die reproduktive und produktive Sphäre sowie in den privaten und öffentlichen Raum destabilisiert wurde – die, das hat ja zahlreiche Forschung gezeigt, ohnehin nur ein idealisierter Mittelklassemythos war. Andererseits entstand während des Krieges ein maskulines Ideal, das als nationales Symbol die Wehrbereitschaft und Stärke der USA verkörperte.7 Im Spannungsfeld dieser Pole mussten sich sowohl Männer als auch Frauen in der Nachkriegszeit neu verorten und ihre Beziehung zueinander neu definieren. Im Lichte der gender-orientierten Geschichtswissenschaft wiederum gelten die 50er Jahre als »golden age of the American family«.8 Gekennzeichnet ist diese in den späten 40er Jahren einsetzende Entwicklung durch die große Zahl der Eheschließungen im jungen Alter, die ho7 8

Christina S. Jarvis (2004): The Male Body at War. American Masculinity during World War II. DeKalb, IL. Steven Mintz/Susan Kellog (1989): Domestic Revolutions. A Social History of American Family Life. London/New York, S. 178. 11

MANNSBILDER

he Geburten- und die niedrige Scheidungsrate. Damit heben sie sich deutlich von den Zeiten vorher und nachher ab. Die Historikerin Elaine Tyler May hat in ihrer bis heute gültigen Studie über die amerikanische Familie im Kalten Krieg das Konzept des »domestic containment« herausgearbeitet, welches für Männer und Frauen gleichermaßen Gültigkeit hatte.9 Im Lichte der Spielfilme der Nachkriegszeit scheint die von ihr postulierte Alternativlosigkeit dieses Modells, wie die Arbeit zeigen wird, allerdings zu einseitig. Eng mit dem Konzept des »domestic containment« verknüpft ist die Funktion des Mannes als Ernährer. Diese bürgerliche ›Versorger-Ethik‹, nach welcher sich Männlichkeit durch Erwerbsarbeit und Familie konstituiert, hatte bereits vor dem Zweiten Weltkrieg als gesellschaftliches Ideal existiert. Insbesondere die Jahre der Depression, in welchen Männer diesen Anforderungen nicht entsprechen konnten, haben die Zentralität dieses Modells aufgezeigt.10 In der Nachkriegszeit gewann analog zur allmählich aufblühenden Wirtschaft auch die ›Versorger-Ethik‹ wieder Konjunktur.11 Der Mann als Vater und Ernährer der Familie wird in der historischen Forschung als das hegemoniale Männlichkeitsmodell der Nachkriegszeit angesehen.12 Es ist der Entwurf der weißen Mittelschicht. Der Untersuchungszeitraum wird 1960 beschlossen. Mit der Wahl Kennedys und dem von ihm pos9

»It is all the more important, then, to understand the standards of appropriate behaviour established by the middle class. During the postwar years, there were no groups in the United States for whom these norms were irrelevant.« Elaine T. May (1999): Homeward Bound. American Families in the Cold War Era. New York (Orig. 1988), S. 13. 10 Viele New Deal Programme folgten explizit oder implizit dieser Leitlinie. Vgl. dazu Suzanne Metzler (1998): Dividing Citizens. Gender and Federalism in New Deal Public Policy. Ithaca/London, und Olaf Stieglitz (1999): 100 Percent American Boys. Disziplinierungsdiskurse und Ideologie im Civilian Conservation Corps, 1933-1942. Stuttgart. 11 Im Amerikanischen wird in diesem Zusammenhang vom breadwinner bzw. der breadwinner-ethic gesprochen. 12 Als Pionierarbeit dieser These ist die einflussreiche Arbeit der Soziologin Barbara Ehrenreich zu nennen. Barbara Ehrenreich (1983): The Hearts of Men: American Dreams and the Flight from Commitment. New York. Den Fokus auf Vaterschaft im 20. Jahrhundert legt Robert L. Griswold (1993): Fatherhood in America. A History. New York. Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit geht auf Robert W. Connell zurück. Nach ihm fußt hegemoniale Männlichkeit in einer Form doppelter Machtentfaltung. Sie ist an Autorität gegenüber Frauen und marginalisierte Männlichkeiten geknüpft. Demzufolge muss die hegemoniale Männlichkeit nicht der Lebenswirklichkeit der Mehrheit der Männer entsprechen, aber sie muss auch von jenen Gruppen, die nicht an ihr teilhaben, als Ideal akzeptiert werden. Tim Carrigan/Bob Connell/John Lee (2002): »Toward a New Sociology of Masculinity«, in: Rachel Adams/David Savran (Hg.): The Masculinity Studies Reader. Malden, MA, S. 99-118. 12

EINLEITUNG

tulierten Aufbruch zur New Frontier schien insbesondere der Männlichkeit ein neuer Horizont geöffnet. Darüber hinaus erfolgte in den 50erJahren ein grundlegender Wandel in der US-amerikanischen Medienwelt. Der Siegeszug des Fernsehens setzte ein und in Zusammenhang damit begann auch das ›Kinosterben‹. 1960 hatten schon 90% der USamerikanischen Haushalte ein Fernsehgerät. Insofern können die hier behandelten Jahre als die letzte große Zeit des amerikanischen Kinos betrachtet werden. An dieser Stelle sei ein zweiter Blick auf den Film REBEL WITHOUT A CAUSE erlaubt. Wie erwähnt bleibt Jims Vater die Antwort auf die Frage, wie männliches Verhalten auszusehen habe, schuldig. Allein die visuelle Inszenierung betont in jener Szene die nicht phallische Männlichkeit des Vaters, denn er ist mit einer Rüschenschürze bekleidet. Er ist die Verkörperung des konformistischen Jasagers und offenbart damit die Kehrseite des weißen Mittelschichtmodells: eine stark verunsicherte Männlichkeit. Dieses Modell wurde weit über den Film hinaus im zeitgenössischen Diskurs der 50er Jahre als ›Krise der Männlichkeit‹ diskutiert, wie u.a. die Artikelserie der Zeitschrift LOOK, die unter dem Titel LOOK, The Decline of the American Male 1958 in Buchform erschienen ist oder der im gleichen Jahr publizierte Essay des Historikers Arthur Schlesinger Jr. The Decline of Greatness zeigen.13 Die These einer ›Krise der Männlichkeit‹ tritt in der US-amerikanischen Geschichte in regelmäßigen Abständen auf. Die 50er Jahre zählen zu einer solcherart als krisenhaft wahrgenommenen Zeit. Der Begriff der ›Krise‹ ist in zweierlei Hinsicht bedenklich. Martschukat und Stieglitz haben überzeugend herausgearbeitet, dass eine krisenhafte Männlichkeit nur auf der Folie einer stabilen, ontologischen Männlichkeit konstatiert werden kann.14 Ausgehend davon, dass sich die zeitgenössische Genderforschung seit geraumer Zeit von essentiellen Geschlechtermodellen verabschiedet hat, plädieren sie für die Konstitution von Geschlecht als einem performativen Akt (vgl. Kap. 2.2). Aus diesem Grunde ist es meines Erachtens auch unergiebig, die Filme daraufhin zu befragen, ob sich Männlichkeit im Film der späten 40er und der 50er Jahre in einer Krise befindet. Stattdessen analysiere ich die nachfolgenden Filme auf der Folie dessen, welche Funktionen die Rede über eine Krise erfüllen kann. Überprüft man, welche Art von Männlichkeit generell im Zentrum dieses Krisen-Diskurses steht, zeigt sich, 13 Look (Hg.) (1958): LOOK, the Decline of the American Male. New York. Arthur Schlesinger Jr.: »The Decline of Greatness«, in: ders. (1962): The Politics of Hope. Cambridge, MA. 14 Jürgen Martschukat/Olaf Stieglitz (2005): Es ist ein Junge! Einführung in die Geschichte der Männlichkeiten in der Neuzeit. Tübingen, S. 84. 13

MANNSBILDER

dass die hegemoniale Männlichkeit, d.h. die bürgerliche, »weiße, christliche, heterosexuelle« Männlichkeit der Mittelklasse gemeint ist.15 Damit drängt sich die Frage auf, ob nicht durch die Rede über die Krise, und damit ist auch die historiographische Rede gemeint, genau jene hegemoniale Männlichkeit gestärkt wird. Denn indem das dominante Männlichkeitsmodell als in der Krise befindlich diskursiviert wird, klingt implizit mit, dass dieses System wieder hergestellt und somit die Macht dieser Gruppe stabilisiert werden müsse. Mit anderen Worten: Der Begriff der Krise ist längst nicht nur deskriptiv. Ihm ist vielmehr eine Bewertung der Ereignisse inhärent, da die Rede über die Krise auf die Rehabilitierung der alten Ordnung zielt. Konkret auf die Nachkriegszeit übertragen, und von der Prämisse ausgehend, dass die Umstellung von der Kriegs- zur Friedenslebenswirklichkeit die vorherrschenden Identitäts- und damit auch Männlichkeitskonzepte ins Wanken gebracht hat, bleibt zu fragen, wie die Umstellung auf die Anforderungen der Nachkriegszeit hätte erfolgen können, wenn Männlichkeit nicht performativ wäre? Es ist unbestreitbar, dass der Schritt vom Krieg zur Nachkriegszeit zu Veränderungen in den Gender-Konzeptionen geführt hat. In Frage zu stellen ist jedoch, ob die Historiographie diese Veränderungen ebenfalls aus der hegemonialen Perspektive als Krise beschreiben sollte. In dieser Arbeit wird der Krisenbegriff nicht im oben skizzierten traditionellen Sinne verwendet, sondern als Ausdruck der Angst vor »Verschiebungen in der Geschlechterkonstellation«16 verstanden. Nicht mehr die Wieder- bzw. Neuherstellung alter Ordnungen steht daher im Vordergrund, stattdessen kann die von Zeitgenossen beschriebene Krise der hegemonialen Männlichkeit zugleich als eine Chance subordinierter Männlichkeiten verstanden werden. Andererseits bleibt der Krisenbegriff in dieser Arbeit auch als zeitgenössischer Quellenbegriff präsent.17 Als Quellenbasis dienen Spielfilme der Nachkriegszeit, also ein Medium, das von den Geschichtswissenschaften lange vernachlässigt wur15 Ebd., S. 82. Zu den unterschiedlichen Funktionen der Krisenrhetorik s. auch Sabine Sielke (2007): »›Crisis? What Crisis?‹ Männlichkeit, Körper, Transdisziplinarität«, in: Jürgen Martschukat/Olaf Stieglitz (Hg.): Väter, Soldaten, Liebhaber. Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas. Ein Reader. Bielefeld, S. 43-65. 16 Martschukat/Stieglitz: Es ist ein Junge, S. 89. 17 Ähnliches gilt für den in der jüngeren Forschung häufig verwendeten Begriff der Abweichung bzw. Devianz. Auch er ist aus der hegemonialen Perspektive formuliert und demzufolge negativ konnotiert. In den zeitgenössischen Texten taucht er nicht auf, aber dafür die gleichbedeutenden Begriffe abnormal, aberrant oder anomalous. Sofern ich diese Begriffe benutze, sind sie als Quellenbegriffe zu verstehen. 14

EINLEITUNG

de. Folgerichtig werde ich der Arbeit grundsätzliche Überlegungen zum Kinofilm als historische Quelle vorangehen lassen (Kap. 2.1). Spielfilme vermögen in idealer Form Geschlechtermodelle zu verhandeln, weil sie aufgrund ihrer Narrativität Geschlecht nicht nur ›abbilden‹, sondern auch inszenieren. In Anlehnung an den New Historicism gehe ich davon aus, dass Filme, genau wie andere narrative Strukturen, historisch bedingt sind.18 Sie werden demgemäss als Produkte ihres Entstehungszeitraumes angesehen, denen aber gleichzeitig eine gesellschaftsbildende Funktion zugesprochen wird (vgl. Kap. 2.1). Vera und Ansgar Nünning haben in ihrem einführenden Aufsatz »Von der feministischen Narratologie zur gender-orientierten Erzähltextanalyse« gefordert, Texte danach zu befragen, wie sie gesellschaftliche und geschlechtsspezifische Probleme sowie das soziokulturelle Wissen der jeweiligen Epoche aufgreifen und mit literaturspezifischen Gestaltungsmitteln kommentierend sowie interpretierend verarbeiten.19 Diese Forderung kann auf die Filmanalyse übertragen werden und bildet eine Leitfrage in meinen Analysekapiteln, d.h. die Filmanalysen werden in den historischen und kulturellen Kontext eingebunden und die Wechselwirkung zwischen ihnen und jenen Diskursfeldern untersucht. Für genderspezifische Fragestellungen sind Filme in meinen Augen besonders geeignet: Aufgrund ihrer Mehrschichtigkeit, die sowohl die Bild- als auch die Tonebene sowie den Plot umfasst, können sie Körper sicht- und hörbar, gewissermaßen erlebbar machen. Körpersprache, angespannte und lockere Körper materialisieren sich zum Beispiel in Filmen in einer Form, die in schriftlichen Texten nicht möglich ist (Kap. 2.2). Die feministische Filmwissenschaft hatte bis weit in die 90er Jahre ihren Fokus auf die Analyse von Weiblichkeitsrepräsentationen gelegt und Männlichkeit weitgehend unbeachtet gelassen (Kap.2.2). Diesem Defizit soll in meiner Arbeit, die sich auf die filmische Repräsentation von historischen Männlichkeiten konzentriert, begegnet werden. Eng verzahnt mit dem feministischen Erkenntnisinteresse an der Analyse von Weiblichkeitsrepräsentationen war die große Diskussion der feministischen, psychoanalytisch ausgerichteten Filmtheorie. Sie kreist(e) um die Theorie des dreifachen männlichen Blickes, nach dem die Frau immer das Objekt jenes Blickes ist und sie durch die männliche Schaulust auf eine bestimmte filmische (und damit auch gesellschaftliche) Position 18 Mit Film ist in dieser Arbeit immer der Kino- und nicht der Fernsehfilm gemeint. 19 Vera Nünning/Ansgar Nünning (2004): »Von der feministischen Narratologie zur gender-orientierten Erzähltextanalyse«, in: Dies. (Hg.): Erzähltextanalyse und Gender Studies. Stuttgart/Weimar, S. 1-29, S. 25. 15

MANNSBILDER

gebannt wird. Auch wenn diese Arbeiten danach strebten, den Konstruktionscharakter von Gender zu offenbaren und damit implizit die Veränderbarkeit dieser Kategorie zu beschreiben, bergen sie doch die Gefahr, dass sie, indem sie ihr Erkenntnisinteresse auf die ›subordinierten‹ gesellschaftlichen Gruppen richtet, deren Differenz neu festschreibt.20 Ein solches Vorgehen führt auf Umwegen gleichsam dazu, die Norm der dominanten Gruppe ebenfalls festzuschreiben. Männlichkeit erschien im Lichte dieser Studien, sowohl von Seite des Repräsentierten, als auch des Zuschauers unproblematisch und stabil zu sein. Seit den 1990er Jahren wird jedoch vor allem in der englischsprachigen filmwissenschaftlichen Forschung auf die Komplexität männlich-heterosexueller Identität verwiesen und eine kritische Auseinandersetzung mit Repräsentationen von Männlichkeit eingefordert.21 Die kurz hintereinander erschienen Anthologien von Steven Cohan und Ira Rae Hark Screening the Male sowie von Pat Kirkham und Janet Thumin You Tarzan. Masculinity, Movies and Men und der Nachfolgeband Me Jane. Masculinity, Movies and Women stehen am Beginn dieser Diskussion.22 Die Bandbreite der in den Anthologien herausgegebenen Aufsätze zeigt auf, dass Männlichkeit keineswegs eine monolithische Größe ist. Den Aspekt der Vaterschaft im Hollywoodkino von 1945 bis heute untersucht Stella Bruzzi.23 Einen Blick auf das europäische Kino indes wirft die Anthologie The Trouble with Men.24 Die deutschsprachige Forschung zur filmischen Repräsentation von Männlichkeit steckt hingegen noch in den Kinderschuhen. Der von Christian Hißnauer und Thomas Klein herausgegebene Band Männer – Machos – Memmen, der einem filmsoziologischen

20 Vgl. dazu die grundsätzliche Kritik bei Butler. Judith Butler (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. (Orig. 1990), S. 15-22. 21 Constance Penley/Sharon Willis (Hg.) (1993): Male Trouble. London/Minneapolis. Von deutschsprachiger Seite ist zu nennen: Siegfried Kaltenecker (1993): Spiegelformen. Männlichkeit und Differenz im Kino. Basel/Frankfurt a.M, insb. S. 7-13. 22 Steven Cohan/Ira Rae Hark (Hg.) (1993): Sreening the Male. Exploring Masculinities in Hollywood Cinema. London. Pat Kirkham/Janet Thumin (Hg.) (1993): You Tarzan. Masculinity, Movies and Men. London. Dies. (Hg.) (1995): Me Jane. Masculinity, Movies and Women. London. Ebenfalls zentral für die frühe kritische Männerforschung in den Filmwissenschaften ist Peter Lehman (1993): Running Scared. Masculinity and Representation of the Male Body. Philadelphia, PA, und ders. (Hg.) (2001): Bodies. Movies, Culture. New York. 23 Stella Bruzzi (2005): Bringing Up Daddy. Fatherhood and Masculinity in Post-War Hollywood. London. 24 Phil Bowrie/Ann Davies/Bruce Babington (Hg.) (2004): The Trouble with Men. Masculinities in European and Hollywood Cinema. London/New York. 16

EINLEITUNG

Ansatz folgt, widmet sich dem deutschem, aber auch dem internationalen Kino.25 Die genannten Anthologien verhandeln eine große Bandbreite an Themen, Zeiten und nationalen Kinematographien, wobei sie unterschiedlichen methodischen Ansätzen folgen. Neben diesen Studien, die alle einer kritischen Männerforschung zuzurechnen sind, existiert eine Reihe filmwissenschaftlicher Arbeiten, die sich mit einzelnen Filmen, Genres oder Stars auseinandersetzt, und damit mehr oder minder explizit die Frage nach männlichen Repräsentationen stellt. In diesem Zusammenhang seien die Monographie von Peter Verstraten Screening Cowboys. Reading Masculinities in Westerns und die Arbeiten von Susan Jeffords zum Vietnamkrieg und Action Kino in der Reagan Ära genannt.26 Die meisten der erwähnten Arbeiten konzentrieren sich jedoch auf jüngere Filme und vernachlässigen die historische Perspektive. Zu Männlichkeiten im 50er-Jahre-Kino liegt die gelungene Arbeit von Steven Cohan Masked Men vor.27 Der Autor verknüpft darin Filmanalysen mit einem diskursanalytischen, historiographischen Blick auf die 50er Jahre. Seine Arbeit ist im methodischen Rahmen der Star Studies angesiedelt. Auch wenn sein epistemologischer Zugriff Vorteile hat, da Stars als die Verkörperung von Männlich- bzw. Weiblichkeitsidealen angesehen werden können, also als der Ort, an dem sich die Genderdiskurse in idealisierter und mächtiger Form in den Körper einschreiben, hat diese Methode den Nachteil, dass letztlich nur Filme betrachtet werden können, die mit Stars besetzt sind. Im Zentrum seines Interesses stehen also zumeist erfolgreiche und deshalb in der Regel kanonisierte Filme. Robert Corber legt in seiner kulturwissenschaftlichen Studie den Akzent 25 Christian Hißnauer/Thomas Klein (Hg.) (2002): Männer – Machos – Memmen. Männlichkeit im Film. Mainz. Das von Filmkritiker/innen verfasste Buch Göttliche Kerle ist eher populärwissenschaftlich. Sabine Horst/Constanze Kleis (Hg.) (2002): Göttliche Kerle. Männer – Sex – Kino. Berlin. Außerdem sind einzelne Aufsätze zu Männlichkeiten in Anthologien erschienen, die sich mit Gender oder Körpern beschäftigen. Christine Rüffert/Irmbert Schenk/Karl-Heinz Schmid/Alfred Tews/Bremer Symposium zum Film (Hg.) (2003): WO/MAN. Kino und Identität. Berlin, oder Margit Frölich/Reinhard Middel/Karsten Visarius (Hg.) (2001): No Body is Perfect. Körperbilder im Kino. Marburg. 26 Vgl. zu Stars: Dennis Bingham (1994): Acting Male. Masculinities in the Films of James Stewart, Jack Nicholson and Clint Eastwood. New Brunswick, NJ. Peter Verstraten (1999): Screening Cowboys. Reading Masculinities in Westerns. Amsterdam. Susan Jeffords (1989): The Remasculinisation of America. Gender and the Vietnam War. Bloomington, IN. Dies. (1993): Hard Bodies. Hollywood Masculinity in the Reagan Era. New Brunswick, NJ. Weitere Literaturangaben finden sich in den einzelnen Analysekapiteln. 27 Steven Cohan (1997): Masked Men. Masculinitiy and Movies in the Fifties. Bloomington, IN. 17

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ebenfalls auf die Nachkriegsjahre. Anhand von Literatur und Film untersucht er, wie sich homosexuelle Männer den normativen Anforderungen widersetzen. Dabei richtet er sein Augenmerk auf die Repräsentation von Homosexuellen im Film Noir, einem Genre, das einerseits bestehende homophobe Stereotype verstärkt, andererseits aber durch den ›dreifachen Blick‹ ein homosexuelles Vergnügen beim Zuschauen ermöglicht.28 Mein Forschungsprojekt befindet sich an der Schnittstelle der Geschichts-, Kultur- und Filmwissenschaften. Den Literaturwissenschaften verdankt sie u.a. narratologische Zugriffe auf die Erzählweisen. So werden bei den konkreten Filmanalysen zum einen erzähltheoretische Aspekte aus der gender-orientierten Narratologie berücksichtigt. Zum anderen stützt sich die Arbeit auf die in der feministischen Filmtheorie weiterhin dominante Psychoanalyse. Auch wenn ein psychoanalytischer Zugriff insbesondere für historische Arbeiten nicht unproblematisch ist (vgl. Kap. 2.3), bietet er doch weitgehend die Terminologie und damit auch das Werkzeug, um jene Aspekte zu analysieren, die von anderen Methoden vernachlässigt werden. Ein interdisziplinärer Zugriff verlangt – vielleicht stärker als ein aus einem Fach her resultierender – eine Offenlegung der diversen für die Arbeit relevanten Methoden, die im Folgenden kursorisch skizziert werden. Dazu zählt das oben schon erwähnte Kapitel zum »Film als historische Quelle«, das sich auch grundsätzlich mit der Trennung von Fiktion/Narrativität und ›Realität‹ auseinandersetzt (Kap.2.1). Anschließend folgt ein kurzer Überblick über die Entstehung der Men studies, die ohne die Frauenforschung der 80er Jahre nicht denkbar sind (Kap.2.2). Die Theoretischen und methodischen Vorannahmen werden durch eine Diskussion der feministischen Filmtheorie und die problematische Erforschung der Rezeption abgeschlossen (Kap. 2.3 und 2.4). Den Filmanalysen liegt eine Auswahl von knapp 20 Filmen zugrunde, die im zweiten Teil der Arbeit in Form von close readings analysiert werden. Bei den Filmen handelt es sich sowohl um inzwischen kanonisierte Filme wie AN AMERICAN IN PARIS (1951) als auch weitgehend unbekannte B-Filme wie CRACK-UP (1946).29 Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie als Hollywoodfilme ein wesentlicher Bestandteil der 28 Robert J. Corber (1997): Homosexuality in Cold War America. Resistance and Crisis of Masculinity. Durham/London. Zum ›dreifachen Blick‹ s. Kap. 2.3.2.1 29 AN AMERICAN IN PARIS (1951). Regie: Vincente Minnelli. Produziert wurde der Film für MGM. CRACK-UP wurde für RKO produziert. Regie bei diesem Film führte Irving Reis. 18

EINLEITUNG

Populärkultur jener Jahre sind. Für die bekannten Filme wird unter dem Blickwinkel der Männerforschung eine Relektüre vorgenommen (vgl. AN AMERICAN IN PARIS oder ALL THAT HEAVEN ALLOWS),30 die anderen werden erstmals ausgewertet. Ergänzend zu den konkreten Filmanalysen arbeite ich die zeitgenössischen (populär-)wissenschaftlichen Diskussionen um Männlichkeit auf, um die jeweiligen Filme in ihren Kontexten zu verorten. Dazu werden sowohl Primärquellen als auch Sekundärliteratur herangezogen. Schließlich verhandeln Filme zwar auf sehr prägnante Art und Weise Geschlechterkonstruktionen, greifen dabei aber die zeitgenössischen Diskurse auf, verwerfen oder sanktionieren sie. Mit Hilfe der diskursanalytischen Perspektive kann die Beziehung von Aussagen zueinander untersucht werden, die scheinbar keiner gemeinsamen Familie angehören. Entsprechend erfolgt die Verknüpfung der Analysen mit dem historischen Kontext in den jeweiligen Analysekapiteln, statt den Analysekapiteln ein allgemeines Kapitel zur ›Geschlechtergeschichte der USA 1945-1960‹ voranzustellen. So können Redundanzen vermieden werden. Flankierend zu den Filmanalysen ziehe ich, soweit vorhanden, Quellen zu den Produktions- und Rezeptionsbedingungen zu den Filmen hinzu (vgl. THE WLD ONE oder TEA AND SYMPATHY). Dieses Verfahren ermöglicht Aufschlüsse darüber, welche Lesarten des Films von Seiten der Produktionsfirmen anvisiert waren und wie sie von der professionellen Kritik wahrgenommen wurden. Die Analysekapitel sind entlang im Untersuchungszeitraum relevanter Leitfragen strukturiert. Dabei folge ich einer Zweiteilung. In den unter Kapitel drei subsumierten Unterkapiteln analysiere ich maßgebliche Männlichkeitsentwürfe der Nachkriegszeit: den Kriegsheimkehrer, den selbstbestimmten Mann und den Familienmann. Im Kapitel vier hingegen werden jene Entwürfe betrachtet, die an diesen Vorgaben scheiterten oder aber sie ablehnten und ein Gegenmodell zu ihnen entwarfen: Kranke Männer, jugendliche Wilde, Homosexuelle und Junggesellen-Playboys. Ich habe in den Kapiteln zumeist drei repräsentative Filme unterschiedlicher Genres gebündelt und analysiert. In der Regel beschränkt sich die Forschung auf die Untersuchung eines Filmgenres.31 So ist es 30 ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955). Regie: Douglas Sirk. Das Melodrama wurde von den Universal Studios produziert. 31 Die Genretheorie befasst sich mit der Frage, wie Genres theoretisch fundiert sind. Altman geht von einem semantisch/syntaktischen Genrebegriff aus, nach dem Genres bestimmten formalen und inhaltlichen Merkmalen unterliegen. Diese Motive und Strukturen sind jedoch historisch wandelbar. Zum Genre vgl. Rick Altman (1995): »A Semantic/Syntactic Approach to Film Genre«, in: Barry K. Grant (Hg.): Film Genre Reader II. Austin, TX, S. 26-40. Rick Altman (2000): Film/Genre. London (Orig. 19

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zwar zutreffend, dass Genrefilme grundsätzlich spezifische narrative und inszenatorische Merkmale aufweisen und inhaltlichen Konventionen folgen. An diese Produktionsstandards sind folglich auch die Seherwartungen des Publikums und die wirtschaftlichen Hoffnungen der Produktionsfirmen geknüpft. Doch hat die Sichtung und Auswertung der Filme gezeigt, dass wichtige gesellschaftliche Themen der Nachkriegszeit wie z.B. der Kriegsheimkehrer oder die Frage nach dem Ernährer-Modell interessanterweise genreübergreifend verhandelt werden. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war der Veteran bzw. die befürchteten Schwierigkeiten seiner Wiedereingliederung ein in der Öffentlichkeit viel diskutiertes Thema. Die Ablagerungen dieser Diskussionen finden sich demzufolge in zahlreichen Filmen. So analysiere ich in Kapitel 3.1. einen Film Noir, einen Gangsterfilm und einen Social Problem-Film. Die Idealvorstellung unabhängiger Männlichkeit kann hingegen anhand eines Melodramas, eines Kriegsfilms und eines Social Problem-Films aufgezeigt werden (Kap.3.2). Auch die Relevanz des Ernährer-Modells im Geschlechterdiskurs der Nachkriegszeit wird deutlich, betrachtet man die Vielzahl der Filme, die diesen Entwurf thematisieren. In dieser Arbeit habe ich aus der Fülle der Filme eine Komödie, ein Drama und einen Western ausgewählt, die unterschiedliche Aspekte des Familienmannes beleuchten. In Kapitel vier wird die genreübergreifende Perspektive bei der Filmauswahl beibehalten. So nähere ich mich z.B. den kranken Männern über die Analyse von Melodramen und einem Sciencefiction-Film an. In dieser Arbeit werden also Filme zusammengedacht, die bislang unabhängig voneinander wahrgenommen wurden. Es ist gerade ihre Kombination, die neue und interessante Erkenntnisse ermöglicht.

1999). Jörg Schweinitz (1994): »Genre und lebendiges Genrebewusstsein. Geschichte eines Begriffs und Probleme seiner Konzeptionalisierung«, in montage/av 3 (2), S. 99-118. 20

2 THEORETISCHE

UND METHODISCHE

P R ÄM I S S E N

2.1 Film als historische Quelle Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich durch Kino, Fernsehen und Internet zum Zeitalter der audiovisuellen Medien entwickelt. Der vermeintliche Siegeszug der visuellen Medien sowie die Erfindung neuer Bildtechniken haben dazu geführt, Bilder als Bestandteil der Alltagskultur zu erforschen. So steht auch die Historiker/innenzunft vor der Herausforderung, diesem Phänomen, das unter dem Schlagwort des Pictorial oder Iconic Turn diskutiert wird, Rechnung zu tragen.1 Der Kinofilm war bis in die 50er Jahre, wesentlich stärker als heute, ein Massenmedium. Der Gang ins Kino zählte zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Geht man davon aus, dass es, um gesamtgesellschaftliche Strukturen und Prozesse zu begreifen, notwendig ist, sich auch der Massenkultur zuzuwenden, eignet sich der Film besonders gut dazu, Aufschlüsse über Leitvorstellungen und Mentalitäten zu erlangen, da er den Konventionen und Codes der Kultur unterliegt.2

1

2

Der Begriff Pictorial Turn wurde in Analogie zum Terminus Linguistic Turn von W.J.T. Mitchell geprägt; vgl. Mitchell (1997): »Der Pictorial Turn«, in: Christian Kravagna (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur. Berlin, S. 15-40. Der Iconic Turn wurde Mitte der 90er von Gottfried Boehm formuliert. Während der Linguistic Turn alle menschliche Erkenntnis durch Sprache strukturiert sieht, steht im Mittelpunkt des Iconic Turn die zeigende (deiktische) Kraft der Bilder, die immer ein bestimmtes Wissen implizieren. Vgl. zum Iconic Turn: Christa Maar/Hubert Burda (Hg.) (2004): Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder. Köln. Richard Dyer (1993): The Matter of Images. Essays on Representations. New York/London, S. 2. 21

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2.1.1 Die angespannte Beziehung Film – Geschichtswissenschaft Die Erkenntnis, dass elektronische Massenmedien unsere Auffassungen von Geschichte nachhaltig prägen3 und dass die Präsentation von Gegenwart als historisches Ereignis wie sie durch das Fernsehen ständig vorgenommen wird, unsere Wahrnehmung von Geschichte verändert, steht heute außer Frage. Infolgedessen haben medienwissenschaftliche Perspektiven seit den 90er Jahren innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft zunehmend Interesse geweckt. Dennoch kann man ihr Verhältnis zum Medium Film immer noch als angespannt beschreiben.4 Bezeichnend dafür ist z.B., dass in den ›großen‹ deutschen historischen Zeitschriften keine Rubriken zum Thema Film und Geschichte existieren,5 eine Tatsache, die sich in den USA bereits seit geraumer Zeit anders darstellt.6 Schon 1970 wurde The Historians Film Committee als Zweiggesellschaft der American Historical Association begründet, wel3

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22

Vgl. dazu z.B. die Diskussionen um den Film DER UNTERGANG (Hirschbiegel 2004), die von Historikern und Journalisten sowohl in den Feuilletons der Tageszeitungen, wie auch auf dem Historikertag 2004 in Kiel geführt wurden, z.B. Torsten Körner (2004): »Viel Spaß mit Hitler! Big Bunker: Einst bot das Fernsehen den NS-Staat wie ein Pädagoge an, nun werden die braunen Machthaber dort menschlich«, in: Süddeutsche Zeitung, 16.9.2004, S.9 oder Frank Schirrmacher (2004): »Die zweite Erfindung des Adolf Hitler. Bernd Eichingers Risiko und Lohn: Sein Film »Der Untergang« macht das sichtbar, was uns bis heute verfolgt.« Hier heißt es: »Das Interesse der Menschen gewinnt man nur durch Geschichten. Und Eichingers Film wird in Deutschland ein neues, überwältigendes Interesse an dem, was war, wachrufen. Was wir verstehen können, spielt sich am Ende immer nur in Zwischenreichen ab, die von Kunst offengehalten werden...« in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.9.2004, S. 33. Vgl. dazu Günter Riederer (2003): »Den Bilderschatz heben – Vom schwierigen Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und Film«, in: Moshe Zuckermann (Hg.): Medien – Politik – Geschichte. Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, XXXI. Göttingen, S. 15-40, und ders. (2006): »Film und Geschichtswissenschaft. Zum aktuellen Verhältnis einer schwierigen Beziehung«, in: Gerhard Paul (Hg.): Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen, S. 96-113. Als einzige mir bekannte deutschsprachige Zeitschrift, die regelmäßig Filme analysiert, ist die Werkstattgeschichte zu nennen. Auch in Frankreich wurden Spielfilme bereits in den 70er Jahren zum Gegenstand historischer Forschungen, was insbesondere dem Historiker Marc Ferro und dem Soziologen Pierre Sorlin zu verdanken ist. Marc Ferro (1977): »Der Film als Gegenanalyse der Gesellschaft«, in: Claudia Honegger (Hg.): M. Bloch, F. Braudel, L. Febvre u.a., Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse. Frankfurt a. M. (Orig. 1973), S. 247-271. Pierre Sorlin (1977): Sociologie du cinéma. Paris.

PRÄMISSEN

che seit 1971 die Zeitschrift Film and History: An Interdisciplinary Journal of Film and Television Studies publiziert. Die renommierte American Historical Review bietet seit 1988 ein Forum zur Diskussion der Beziehung von Film und Geschichte und rezensiert seither Spielfilme.7 Allerdings muss konzediert werden, dass dort in erster Linie Filme zur Besprechung kommen, die geschichtliche Ereignisse behandeln.8 Im Vordergrund steht dort also die Frage, welche Möglichkeiten der Historienfilm historiographisch bietet. Film fungiert demnach in diesem Verständnis als eine weitere Metaerzählung, nicht aber als historische Quelle, die über die Zeit ihrer Entstehung berichtet. Inzwischen mehren sich auch in der deutschen Geschichtswissenschaft die Plädoyers dafür, Filme in den Quellencorpus aufzunehmen.9 Dass Filme bislang auf so wenig Gegenliebe gestoßen sind, liegt sicherlich in ihrer Nicht-Schriftlichkeit begründet, darüber hinaus wird die Komplexität des Mediums zu einem weiteren Hindernis. Das audiovisuelle Medium Film trifft seine Aussagen auf verschiedenen Ebenen. Es genügt nicht es nur über seine narrative Gestaltung zu erfassen. Grundlegend für das Medium Film ist seine Fähigkeit der visuellen und akustischen Informationsvermittlung. Die Plurimedialität von Filmen erfordert von Historiker/innen zunächst einmal, sich mit Filmtheorien und der filmischen Formensprache auseinanderzusetzen sowie die Methoden der 7 8

9

American Historical Review 93 (5), 1988, S. 1173-1227. Das gilt auch für das Journal of American History. Diese Feststellung trifft auch für einen guten Teil der in den 90er Jahren erschienen Literatur zum Komplex Film und Geschichte zu. Exemplarisch für die USA ist Robert A. Rosenstone (1995): Visions of the Past. The Challenge of Film to our Idea of History. Cambridge, MA zu nennen. Ebenso die Diskussion in Cineaste: Robert A. Rosenstone (2004): »Inventing Historical Truth on the Silver Screen«, in: Cineaste, Spring, S. 2933; Robert B. Toplin: »Cinematic History. An Anatomy of the Genre«, in: ebd., S. 34-39 und Mark C. Carnes: »Shooting (Down) the Past. Historians vs. Hollywood«, in: ebd., S. 45-49; für Deutschland Rainer Rother (Hg.) (1991): Bilder schreiben Geschichte. Der Historiker im Kino. Berlin. Detlef Endeward/Peter Stettner (1988): »Film als historische Quelle«, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (39), S. 496-498. Margit Szöllösi-Janze (1993): »Aussuchen und Abschießen« – der Heimatfilm der fünfziger Jahre als historische Quelle«, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (44), S. 308-321 und Rolf Aurich (1995): »Wirklichkeit ist überall. Zum historischen Quellenwert von Spiel- und Dokumentarfilmen«, in: Irmgard Wilharm (Hg.): Geschichte in Bildern. Von der Miniatur bis zum Film als historische Quelle. Pfaffenweiler, S. 112-128, sowie Riederer: Bilderschatz heben, und ders.: Film und Geschichtswissenschaft. Michael Wildt (2005): »Der Untergang: Ein Film inszeniert sich als Quelle«, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online Ausgabe (2), H.1, URL: http://www.zeithistorische-forschungen. de/16126041-Wildt-1-2005 (3.10.2007). 23

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Filmanalyse zu erlernen.10 Die inzwischen zum häufig zitierten Bonmot avancierte Aussage des Filmtheoretikers Christian Metz: »Ein Film ist schwer zu erklären, da er leicht zu verstehen ist«11 thematisiert genau jene Widersprüchlichkeit filmhistorischen Arbeitens und verweist auf die Notwendigkeit interdisziplinärer Anleihen. Gerade weil Filme Bestandteil der Massenkultur sind und sie aufgrund ihrer Plurimedialität Aussagen auf verschiedenen Ebenen treffen, dank derer sie eine unmittelbare Wirkung erzielen, sollten sie ein fester Bestandteil des historischen Quellencorpus werden. Doch steht einem freien Zugriff auf Spielfilme von Seiten der Historiker/innen nicht nur ihre Ungeübtheit bei der Bildanalyse im Wege. Wesentlicher erscheint mir, dass gerade Spielfilme aufgrund ihres hohen Fiktionalitätsgrades als höchst problematische Quellengattung wahrgenommen wurden und werden. Diese quasi natürlich erscheinende Trennung von ›Fiktion‹ und ›Wirklichkeit‹ gilt es zunächst durch grundsätzliche Überlegungen zu problematisieren, will man über den Quellenwert von (Spiel)filmen sprechen. Anschließend werde ich auf die Beziehung von Film und Geschichtsschreibung eingehen und ein Modell vorstellen, das auch einen historischen Zugang zu ›Nicht-Historienfilmen‹ schafft.

2.1.2 Zur dokumentarischen Funktion des Films Die Trennung von Dokumentar- und Spielfilmen ist genauso zweifelhaft wie jegliche Trennung von Geschichtsschreibung und Fiktion, zu der insbesondere seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts viel gearbeitet worden ist.12 Die Gegenüberstellung des Paares ›Fiktion und Wirklich10 Zusätzliche Gründe, warum sich die deutsche Geschichtswissenschaft mit der Analyse von Filmen schwer tut, benennt Riederer: Als der Film Ende des 19. Jhds. erfunden wurde, waren die Instrumentarien der Historiker/innen bereits voll ausgebildet, so dass der Film nicht in die klassische Quellenkritik passte. Außerdem bewirke der Film durch die Aneinanderreihung bewegter Einzelbilder die ›Dynamisierung des Raums‹ und die ›Verräumlichung der Zeit‹ (E. Panofsky), wodurch der/die Betrachtende gezwungen wird, komplexe Rezeptionsleistungen zu erbringen. Die Analyse dieser Vorgänge entspricht nicht dem an Kausalität orientierten Stil der Historiker/innen. Des Weiteren, und dies ist sicherlich ein nicht zu unterschätzendes Argument, liegt die Wirkung von Filmen im Bereich des Gefühls. Historiker/innen, die bevorzugt mit ›harten Fakten‹ arbeiten, tun sich gerade auch deswegen schwer, sich dem Medium Film anzunähern. Vgl. Riederer: »Bilderschatz heben«, S. 25ff. 11 zit. nach James Monaco (1980): Film Verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films. Hamburg (Orig. 1977), S. 144. 12 Für die Geschichtswissenschaft sind maßgeblich zu nennen: Hayden White (1991): Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Frankfurt a.M. (Orig. 1973). Ders. (1994): »Der historische 24

PRÄMISSEN

keit‹ ist grundsätzlich aus erkenntnistheoretischer und poststrukturalistischer Warte, u.a. vom New Historicism, angegriffen worden. Aus erkenntnistheoretischer Sicht ist es schon allein aufgrund der Existenz des Betrachters nicht möglich, die Welt ohne Veränderung wahrzunehmen, sodass Inszenierung »immer schon vorhanden« ist.13 So formuliert Godard: »Man glaubt zu wissen, was das heißt, fiktiv und dokumentarisch. Ich glaube in Wirklichkeit sind es nur zwei verschiedene Momente. [...] Wann ist die Geste eines Arbeiters Fiktion oder die Geste einer Mutter, wenn sie ihr Kind berührt [...]? Man sagt, etwas ist dokumentarisch, wenn die Person im Augenblick, wo sie gefilmt wird, selbst etwas gesagt hat, wenn man es ihr nicht in den Mund gelegt hat, der Regisseur es ihr nicht vorgesagt hat. Aber wenn ein Kind Mama zu seiner Mutter sagt, vielleicht hat die Mutter ihm das vorgesagt, in dem Fall wäre die Mutter der Regisseur.«14

Film kann keine Reflexion oder Repräsentation einer Wirklichkeit sein, sondern die Repräsentation jener Welt/Wirklichkeit erfolgt immer nur in inszenierter bzw. fiktiver Form, als Repräsentation der Repräsentation. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive resümiert u.a. Andreas Kablitz die post- und strukturalistischen Argumente zur Unterscheidung Realität – Fiktion, die ich für den Film fruchtbar machen möchte. Kablitz diskutiert die strukturalistischen Prämissen über das Funktionieren von Sprache,15 nach denen die Trennung ›Fiktion und Wirklichkeit‹ nicht aufrechterhalten werden kann, da die Sprache selbst als Fiktion entlarvt wird. Denn erst sie erzeugt, indem sie das Denken von Unterschieden ermöglicht, jene Wirklichkeit, die für uns wahrnehmbar ist. Denn die Bedeutung der Zeichen entsteht aus der Beziehung der Zeichen untereinander, aus Oppositionsbeziehungen. Aus dieser sprachlich begründeten unendlichen Kette von Oppositionen gibt es keinen Weg zu einer außersprachlichen Wirklichkeit. Diese auf Saussure zurückgehende These von der Beliebigkeit der Sprache zieht die Vorstellung der Textualität der Welt nach sich, da der Zugang zur Welt nur durch SpraText als literarisches Kunstwerk«, in: Christoph Konrad/ Martina Kessel (Hg.): Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion. Stuttgart, S. 123-161. Paul Ricoeur (1988): Zeit und Erzählung, Bd.I: Zeit und historische Erzählung. München (Orig. 1983). Dominick LaCapra (1985): History and Criticism. Ithaca, NY. 13 Aurich: Wirklichkeit ist überall, S. 121. 14 Jean-Luc Godard (1984): Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos. Frankfurt a.M., S. 126. 15 Andreas Kablitz (2003): »Kunst des Möglichen. Prolegomena zu einer Theorie der Fiktion«, in: Poetica (23), S. 251-273. 25

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che möglich ist. Indessen werden sprachliche Zeichen erst durch Äußerungen referentiell. Nach Kablitz wird diese »pragmatische Seite« der Referenz nicht genügend berücksichtigt, wenn man aus den strukturellen Merkmalen der Sprache eine grundsätzliche Fiktionalität ableitet.16 Insofern führt er eine Unterscheidung zwischen dem Sprachsystem und der praktischen Rede an, nach der nicht nur alle Rede Fiktion ist, sondern die fiktionale Rede »eine spezifische Form der Sprachverwendung« ist. Das heißt, jede sprachliche Äußerung produziert Referenz, jede sprachliche Äußerung behauptet etwas. Denn allein die Tatsache, dass etwas gesagt wird, impliziert, »dass es etwas gibt, worüber etwas ausgesagt wird.«17 Diesen Behauptungsgestus bezeichnet Kablitz in Anlehnung an Musil als Wirklichkeitssinn der Sprache. Die Funktion eines fiktionalen Textes besteht nun darin: »den unhintergehbaren Behauptungsgestus der Sprache – also ihren Wirklichkeitssinn – mit ihrem Möglichkeitssinn, also der Fähigkeit, mehr zu sagen, als sich behaupten läßt, zu verbinden. Wenn fiktionale Texte behaupten, es habe sich ereignet, was sich de facto nicht zugetragen hat – und sich nach Maßgabe unseres Wirklichkeitsverständnisses vielleicht nicht einmal ereignen konnte – so behaupten sie doch zumindest, daß es sich hätte ereignen können. Diesen Grad an Realismus schafft kein Hinweis auf ihre Fiktivität aus der Welt. So lässt sich das Mögliche der Literatur auch als eine Kategorie definieren, in der sich das Erdachte behaupten lässt; als ein potentiell Wirkliches.«18

Fiktion ist demnach eine Kategorie, die mögliche Welten erschafft und dadurch unser Wirklichkeitsverständnis modelliert. Diese Aussage hat auch für filmische Darstellungen Gültigkeit, denn auch dem filmischen Apparat ist ein struktureller Behauptungsgestus eingeschrieben. In diesem Sinne sind alle Filme, unabhängig davon, ob sie als Dokumentaroder Spielfilme bezeichnet werden, in ihrer Inszenierung und ihrem Behauptungsgestus gefangen und stellen doch einen Fundus historischen Materials dar, da sie unzählige Wirklichkeiten offenbaren.19 Um dies weiter auszuführen, möchte ich mich dem Verhältnis von Film und Welt in Rekurs auf Clifford Geertz annähern, dessen Kultur16 17 18 19

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Ebd., S. 266. Ebd., S. 267. Ebd., S. 271f. Dennoch werden Dokumentar- und Spielfilme von Seiten der Rezipient/innen voneinander abgegrenzt. Dies geschieht durch die Seherwartung des Publikums, die ich hier als den ›dokumentarischen Pakt‹ bezeichnen möchte. Die an einen Dokumentarfilm gestellten Erwartungen sind wesentlich konkreter als die an Spielfilme gerichteten: Der/die Zuschauer/in erwartet Authentisches zu sehen.

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modell für filmwissenschaftliche Betrachtungen nutzbringend angewandt werden kann. Laut Geertz ist Kultur: »ein historisch überliefertes System von Bedeutungen, ein System weitergegebener Vorstellungen, die in symbolischer Gestalt auftreten, ein System überkommener Vorstellungen, die sich in symbolischen Formen ausdrücken, ein System, mit dessen Hilfe die Menschen ihr Wissen vom Leben und ihre Einstellungen zum Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln.«20

Kulturmuster tragen also dazu bei, die sozialen und psychologischen Prozesse, die das gesellschaftliche Verhalten steuern, zu lenken. Das bedeutet aber nicht, dass Kulturmuster ›Modelle‹ sind, die ›nachbilden‹, indem sie ›abbilden‹. Geertz versteht den Begriff der Modellhaftigkeit der Kulturmuster in zweifacher Hinsicht, als ›Modell von etwas‹ und ›Modell für etwas‹.21 Das Verständnis von Kultur als ›symbolisches System‹ oder als ›textuelles Geflecht‹ lädt dazu ein,22 jene Praktiken zu untersuchen, durch die eine Kultur ihre Erfahrungen und ihr spezifisches Wissen weitergibt und tradiert, und dazu zählt im 20. Jahrhundert der Film. Dennoch war die lange Zeit bevorzugte historiographische Betrachtungsweise von Filmen die Analyse von Dokumentarfilmen. 1898 hatte der polnische Fotograf und Kameramann Boleslaw Matuszewski in seiner Schrift Une nouvelle source de l’histoire. Création d’un dépot cinématographique gefordert, Filme als historische Dokumente zu verstehen. Damit war eine der beiden grundlegenden Argumentationslinien gelegt, Filme in die historische Forschung einzubeziehen: Dem Film wurde die Fähigkeit zugesprochen, die Welt präzise abzubilden bzw. in seiner einmaligen Form, die anderen Quellen nicht möglich sei, zu dokumentieren.23 Insbesondere Siegfried Kracauer ist als einer der Pioniere anzusehen, die davon überzeugt waren, dass es im Kino mehr als ›nur‹ Filme zu sehen gibt,24 und dem damit das Verdienst zukommt, auch Spielfilme als 20 Clifford Geertz (1994): Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a.M., S. 46. Zur Definition des Symbolbegriffs, vgl. ebd., S. 46ff. 21 Ebd., S. 52. 22 Moritz Baßler (2003): »New Historicism, Cultural Materialism and Cultural Studies«, in: Ansgar und Vera Nünning (Hg.): Konzepte der Kulturwissenschaften. Stuttgart, S. 132-150, S. 143. 23 In den Worten Matuszewskis heißt das: »Die bewegliche Fotografie besitzt Merkmale der Echtheit, der Genauigkeit und Präzision, die nur ihr eigen sind.« Zit. nach Aurich: Wirklichkeit ist überall, S. 112-114. 24 So Michèle Lagny, nach Ulrich Kriest (1996): »›Gespenstergeschichten‹ von Texten, die Texte umstellen. New Historicism und Filmgeschichtsschreibung«, in: montage/av 5 (1), S. 89-119. 27

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historische Dokumente zu betrachten. Allerdings hat Kracauer selbst nicht von Spielfilmen gesprochen, sondern allgemein vom deutschen Film, zu dem er eine Motivgeschichte vorlegen wollte. In Von Caligari zu Hitler sucht er anhand von Spielfilmen der Weimarer Zeit mittels einer sozialpsychologischen Methode »Hitlers Aufstieg und Machtergreifung zu verstehen«.25 Kracauers Vorhaben liegt folgende Überlegung zugrunde: »Die Filme einer Nation reflektieren ihre Mentalität unvermittelter als andere künstlerische Medien.«26 Seine These gründet er auf zwei Prämissen: Erstens sind Filme als Kollektivprodukte Ausdruck gemeinsamer Interessen und Neigungen. Zweitens müssen sie als Konsumprodukte ein großes Publikum ansprechen, weswegen ihre »populären Motive [...] herrschende Massenbedürfnisse befriedigen« müssen.27 Deswegen bietet sich jeglicher Film als Quelle dafür an »jene Tiefenschichten der Kollektivmentalität, die sich mehr oder weniger unterhalb der Bewusstseinsdimension erstrecken« zu untersuchen.28 Nun erfüllen nach Kracauer auch andere Medien wie Zeitschriften, Rundfunksendungen etc. diese Bedingungen, aber das Medium Film übertreffe alle anderen aufgrund seiner »Einschließlichkeit«29 an Aussagewert. Mit dem Begriff der Einschließlichkeit argumentiert Kracauer stringent filmtheoretisch. Denn das Medium Film ist dadurch charakterisiert, »unzählige Bestandteile der Welt« wie »riesige Massenaufzüge, zufällige Konfigurationen menschlicher Körper und unbelebter Objekte und eine endlose Folge unaufdringlicher Phänomene« zu erfassen.30 Durch die Analyse dieser »kaum wahrnehmbaren Oberflächenerscheinungen«, die er in Anlehnung an Horace M. Kallen auch als »sichtbare Hieroglyphen« bezeichnet, wird es möglich, jene »verborgenen geistigen Prozesse« aufzuspüren, die kennzeichnend für das »innere Leben einer Nation« sind.31 Und als besonderes Moment jener filmischen Einschließlichkeit benennt Kracauer wiederum in Anlehnung an Kallen die »bislang nicht wahrgenommene Dynamik menschlicher Beziehungen.« 32 Die Stärke des Mediums Film als historische Quelle liegt demnach im Sichtbar-Machen und Lesen jener »Hieroglyphen«. Das heißt, Kracauer hat Filme in bis dato unbekannter Weise als nationalen und kulturellen Bedeutungsträger 25 Siegfried Kracauer (1995): Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt a. M. (Orig. 1947), S. 7. 26 Ebd., S. 11. 27 Ebd. 28 Ebd., S. 14. 29 Ebd., S. 12. 30 Ebd., S. 13. 31 Ebd. 32 Ebd. Kracauer zitiert hier Horace M. Kallen (1942): Art and Freedom. New York. 28

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ernst genommen und damit den Anfang gemacht, auch Spielfilme als historische Quellen zu sehen. Insbesondere Marc Ferro führte den in der Einschließlichkeit-Metapher formulierten Gedanken fort: »Festgestellt wurde bereits, daß ein Film über die Gegenwart ein Werk über die Geschichte sein kann, oder genauer gesagt, über die Gegen-Geschichte, da ein Bild, ob nun Fiktion oder nicht, immer von seinem Inhalt überschritten wird. [...] Diese Gegen-Analyse kann auf mehreren Ebenen vonstatten gehen: zunächst in Form eines Museums der Gesten, der Gegenstände und der gesellschaftlichen Verhaltensweisen; dann als eine Gegen-Analyse der gesellschaftlichen Strukturen und Organisationsformen.«33

Ferro unterscheidet sich von Kracauer allerdings darin, dass er eine Gegengeschichte im Gegensatz zur Herrschaftsgeschichte aufspüren will, Kracauer hingegen nach der geheimen psychischen Geschichte sucht, die hinter der offen daliegenden Geschichte »der ökonomischen Schwankungen, sozialen Erfordernisse und politischen Machenschaften« liegt.34 Der polnische Fotograf Boleslaw Matuszewski und Siegfried Kracauer treffen sich in der Annahme, dass der Film ›Lebenswirklichkeit‹ abbildet und sie reflektiert.35 Während die auf Matuszewski zurückgehende ›Schule‹ jedoch eine materielle ›Wirklichkeit‹ in Form historischer Ereignisse meint, spricht Kracauer von »psychologischen Dispositionen«36, die durch Technik, Story und Motivik reflektiert werden.37 Damit erkannte er die kulturelle Funktion von Kino und schuf etwa 50 Jahre nach der Entwicklung von Filmen die Basis, Filme für die Mentalitätsgeschichtsschreibung nutzbar zu machen.

33 Marc Ferro: »Gibt es eine filmische Sicht der Geschichte?«, in: Rother: Bilder schreiben Geschichte, S. 23. 34 Kracauer: Caligari zu Hitler, S. 17f. 35 Diese Kritik an Kracauers Vorgehen in Von Caligari zu Hitler ist seit längerem bekannt. Kracauer hat jedoch in seinem späteren Werk Theorie des Films die Widerspiegelungsthese revidiert. So beschreibt er dort, was er in Von Caligari zu Hitler (S. 12) nur andeutet, nämlich dass es zu einer »Wechselwirkung zwischen Massenträumen und Filminhalten« kommt. Siegfried Kracauer (1964): Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Frankfurt a.M., S. 223. 36 Kracauer: Caligari zu Hitler, S. 12. 37 Ebd., S. 11. 29

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2.1.3 Filme in der Kulturgeschichte: Prämissen des New Historicism Der Germanist und Filmwissenschaftler Anton Kaes bereitete in den 1980er Jahren den Weg für eine neue Filmgeschichte als Kulturgeschichte, wobei er seine Überlegungen auf den New Historicism stützt. Es geht ihm weniger um eine ausschließlich werkimmanente Interpretation und um die Erstellung von Kausalketten, »als um die konkrete Beschreibung dessen, was zu einem spezifischen Zeitpunkt die Grenzen und Formen des filmischen Diskurses waren.«38 Zu jenem Diskurs zählt nicht nur der Film selbst, sondern die Rahmenbedingungen der Institution Kino, der Filmproduktion, sowie die Alltagswelt des Publikums. »Der Film nimmt diese Diskurse, die vor dem Film schon da waren und auch unabhängig vom Film existieren, selektiv auf und verknüpft sie in einer ästhetisch kodierten Form (Kameraführung, Beleuchtung, Dekor, Ton, usw.), die selbst wieder der Interpretation bedarf.«39 Mit anderen Worten: Der Film muss in der Vielschichtigkeit der Diskurse verortet werden. Die Verknüpfung der Diskursfäden, wie es der New Historicism formuliert, die aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen in einen Film hinein und wieder aus ihm herausführen, lassen die Komplexität des Mediums erkennen. Deshalb richtet sich das Erkenntnisinteresse des New Historicism gerade nicht darauf, eine Kollektivmentalität zu erkunden, sondern er ist »an der karnevalesken und widersprüchlichen Vielfalt der Vorstellungen, Redeweisen und Betrachtungsformen, die in einen Film eingehen und dort symbolisch verfremdet zum Ausdruck kommen« interessiert.40 Filme sind in diesem Sinne Medien der Weltaneignung und Weltauslegung. Die mit ihnen erzählten Geschichten werden so zu Formen der Gesellschafts- und Kulturgeschichte. Filme sind, genau wie andere ›Kunstwerke‹ historische Quellen und es gilt, sie mit jenen »sozialen Energien« aufzuladen, die ihnen zu ihrer Entstehungszeit zu Eigen waren.41 Nun kann man einwenden, dass es die 38 Anton Kaes (1992): »Filmgeschichte als Kulturgeschichte: Reflexionen zum Kino der Weimarer Republik«, in: Uli Jung/Walter Schatzberg: Filmkultur zur Zeit der Weimarer Republik. Beiträge zu einer internationalen Konferenz vom 15. bis 18. Juni 1989 in Luxemburg. München, S. 54-64, S. 62. 39 Ebd., S. 57. 40 Ebd., S. 58f. 41 Der Ausdruck der »sozialen Energien« entstammt Stephen Greenblatt (1993): »Die Zirkulation Sozialer Energie«, in: Ders: Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance. Frankfurt a.M. (Orig. 1988), S. 9-34. 30

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normale Arbeit von Historiker/innen ist, Quellen mit den »Energien ihrer Zeit« aufzuladen und dass der New Historicism als ursprünglich literaturwissenschaftliche Forschungsrichtung, das Pferd sozusagen vom anderen Ende her aufgezäumt hat. Sein Ziel war es, die in den USA lange dominierende werkimmanente Interpretationsweise des New Criticism durch eine sozial-historische Betrachtung abzulösen.42 Dieser Einwand hat zwar wissenschaftshistorisch eine gewisse Berechtigung, doch richtet sich das Interesse von Historiker/innen in der Regel vordringlich auf Texte, die nicht zur Populärkultur zählen. Insofern existiert immer noch eine Hierarchie der Archivalien, die darüber bestimmt, welche Texte dafür geeignet sind, mit den »sozialen Energien« ihrer Zeit aufgeladen zu werden, und welche nicht.43 Die Annäherung an Filme über den New Historicism, der, folgt man den von Greenblatt formulierten Prämissen, keine Hierarchisierung der kulturellen Praktiken vornimmt, führt folglich zur Erweiterung des Quellen Corpus in den Geschichtswissenschaften. Gemäß der von Greenblatt und Kaes vertretenen These des New Historicism liegt eine ›Geschichtlichkeit von Texten‹ allen Texten zugrunde, d.h. sie sind historisch-kulturell bestimmt. Das gilt sowohl für jene, die Gegenstand der jeweiligen analytischen Untersuchung sind, wie auch für die, die sie analytisch behandeln. Damit verschränkt ist die These der ›Textualität von Geschichte‹, nach der Welt bzw. Geschichte ein System entzifferbarer Zeichen ist. Sie postuliert, dass »es keinen Zugang zu einer vollen und authentischen Vergangenheit« geben kann, »die nicht über die überlebenden textuellen Spuren der betreffenden Gesellschaft vermittelt wäre – Spuren, deren Überleben wir nicht für rein zufällig nehmen können, sondern wenigstens teilweise als Folge komplexer und subtiler Bewahrungs- und Auslöschungsvorgänge ansehen müssen.«44 So formuliert es der New Historicist Louis Montrose. Das 42 Ein knapper Überblick über die Entstehung des New Historicism findet sich bei Baßler: New Historicism, Cultural Materialism und bei Anton Kaes (1995): »New Historicism: Literaturgeschichte im Zeichen der Postmoderne?«, in: Moritz Baßler (Hg.): New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Frankfurt a.M., S. 251-269. 43 Text wird hier in einem semiotischen Sinn verstanden. Das heißt als System von Zeichen, die der Kommunikation dienen, unabhängig davon ob sie sprachlich oder nicht-sprachlich, mündlich oder schriftlich verfasst sind. Vgl. dazu: Jurij Lotman (1973): Die Struktur des künstlerischen Textes. Frankfurt a.M. 44 »Und daß zweitens diese textuellen Spuren selber weiteren textuellen Vermittlungen unterworfen werden, wenn man sie als ›Dokumente‹ liest, auf die Historiker ihre eigenen, ›Geschichten‹ genannten Texte gründen.« Louis A. Montrose (1995): »Die Renaissance behaupten. Poetik und Politik der Kultur«, in: Baßler: New Historicism, S. 60-93, S. 67. 31

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heißt, der Text wird auf das kulturelle Feld zurückbezogen, das selbst wiederum nur durch andere Texte zugänglich ist, der literarische Text wird damit ›deprivilegiert‹.45 Die dieser These zugrunde liegenden Überlegungen richten sich gegen eine Abbildtheorie von Literatur, oder in diesem Falle von Film. Der Text wird wie jeder andere zu einer Möglichkeit der Weltaneignung. Damit wird der kulturelle Kontext im Sinne des New Historicism zu einem dynamischen Feld, dessen Texte miteinander durch Austausch und Verhandlung in Beziehung stehen: »Praktisch bedeutet dieses Projekt eine Neuausrichtung der Achse der Intertextualität: Der diachrone Text einer autonomen Literaturgeschichte wird ersetzt durch den synchronen Text eines kulturellen Systems.«46 Versteht man Kultur als in diesem Sinne konstituiert, ist sie, wie Gertrud Lehnert schreibt ein »nie zum Stillstand kommender Prozess der Bedeutungsstiftung«47, ein Prozess, der auch durch die Arbeit der Kulturwissenschaftler/innen fortgeführt wird. Zentral für das Kulturverständnis des New Historicism ist demnach die Zirkulation von Diskursen, die Verhandlungen, in die diese miteinander treten und die dadurch entstehende Dynamisierung des Verhältnisses von Text und Kontext, die deren Grenzen verschwimmen lässt.48 Gleichzeitig attraktiv und problematisch ist an dieser Theorie m.E. die Aufhebung der Text – Kontext Dichotomie; attraktiv deshalb, weil sie auf die Konstruiertheit des Kontextes hinweist und ihn selbst zum Gegenstand der Analyse macht und für kreative Verknüpfungen öffnet, aber auch heikel, denn es ist fraglich, wie die Verortung von überlieferten materiellen Texten in der Geschichte erfolgen kann, wenn Geschichte selbst als nicht definiertes textuelles Geflecht verstanden wird.49 Eine willkürliche Verknüpfung von Texten miteinander droht zu beliebigen Assoziationen zu werden. Denn auch bei der Erstellung eines intertextuellen Feldes muss es einen Fixpunkt geben, auf den sich jede Aussage bezieht. Hinzu kommt die Frage, wie repräsentativ die Verbindungen

45 Kaes: New Historicism, Literaturgeschichte, S. 256. Diese Deprivilegierung lässt sich selbstverständlich auf andere Quellen übertragen. 46 Montrose: Renaissance behaupten, S. 63. 47 Gertrud Lehnert (2007): »Kulturwissenschaft als Gespräch mit Toten? Der New Historicism«, in: Iris Därmann/Christoph Jamme (Hg.): Kulturwissenschaften. Konzepte, Theorien, Autoren. München, S. 105-119, S. 111. 48 Zur Text-Kontext Thematik s. Jürg Glauser/Annegret Heitmann (Hg) (1999): Verhandlungen mit dem New Historicism. Das Text-KontextProblem in der Literaturwissenschaft. Würzburg. 49 Eine fruchtbare Diskussion dessen, was die These der ›Textualität von Geschichte‹ für die Geschichtswissenschaft impliziert, liefert Gabriele M. Spiegel (1990): »History, Historicism, and the Social Logic of the Text in the Middle Ages«, in: Speculum 65, S. 59-86. 32

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sein können, wenn man davon ausgeht, dass es keine Metaerzählung gibt. Diese Fragen könnten nur durch ein rein anekdotisches Verfahren beantwortet werden. Nur bliebe dann die Frage, welchen Aussagewert ein solcher Text noch hätte. Insofern scheint diese Kernfrage nicht lösbar zu sein. Diese Arbeit geht aus diesem Grunde von einer analytischen Trennung von Text und Kontext aus, allerdings im Bewusstsein seiner historischen Komplexität und der Möglichkeit vieler paralleler Erzählungen und Repräsentationen, die ihn speisen und hervorbringen.50 Um die analysierten Filme verorten zu können, werden sie, soweit möglich, hinsichtlich ihrer Entstehungsbedingungen und der Fährten, die sie hinterlassen, untersucht, z.B. durch Paratexte, wie sie sich in Filmkritiken finden. d.h. auf einer situativen Ebene. Darüber hinaus werden historischen Daten, wie sie durch die Politik- und Kulturgeschichte und gesellschaftliche Ereignisse etc. etabliert werden, berücksichtigt. Die filmischen Fiktionen werden analog zum Kulturmodell von Geertz als Teil eines Prozesses verstanden, in dem sie einerseits gesellschaftliche Realität erschaffen und andererseits ein Produkt dieser Realität sind, wodurch sie auch das erhellen können, was auf den ersten Blick in einer Gesellschaft verborgen zu sein scheint. »Das heißt, gefangen in ihrer historischen Diskursivität sind die Inszenierungen keineswegs willkürlich. Ihre Fiktionalität kann nur auf die Vorstellungen, die zu einer bestimmten Zeit existieren, zurückgreifen.«51 Und gerade weil Fiktionen immer ein Behauptungsgestus eingeschrieben ist, haben Filme die Möglichkeit, die Diskurse, die sie verhandeln, mit Lösungen zu versehen, die in der Lebenswirklichkeit sehr unwahrscheinlich, märchenhaft oder gebrandmarkt seien können – es ist dies die gestalterische Freiheit der Fiktion. So sei abschließend festgehalten, dass Filme in dieser Arbeit als Schnittstelle verschiedenster Diskurse, die zu einem historischen Zeitpunkt wesentlich waren, begriffen werden, dass sie diese Diskurse miteinander verbinden und in künstlerisch verschlüsselter Weise durcharbeiten. Das heißt, es geht nicht darum, eine nationale Mentalität aufzuspüren, sondern gerade auch die möglicherweise widersprüchlichen, miteinander streitenden lauteren und leiseren Genderdiskurse nachzuvollziehen. Insbesondere weil Filme gemeinschaftlich produziert werden, scheinen sie mir für das Durcharbeiten von Diskursen besonders in50 Zu einer kritischen Betrachtungsweise des New Historicism vgl. Kriest: Gespenstergeschichten, S. 89-119. Und Baßler: New Historicism, Cultural Materialism. 51 Massimo Perinelli (1999): Liebe ’47 – Gesellschaft ’49. Geschlechterverhältnisse in der deutschen Nachkriegszeit. Eine Analyse des Films Liebe 47. Hamburg, S. 46. 33

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teressant. Das heißt, Filme gewähren dadurch Einblicke in die Diskurse ihrer Zeit, in die Wünsche, Hoffnungen und Sorgen der Menschen. »In Bildern kann sich auf ungekürzte Weise die Fantasie manifestieren«, so Gottfried Boehm,52 und, so sei ergänzt, materialisieren. Zur Analyse dieses materialisierten Imaginären bedarf es, wie in Kapitel 2.3. zu zeigen ist, Anleihen aus der Literatur- und Filmwissenschaft. Damit verortet sich diese Arbeit in der neuen Kulturgeschichte, die dem Visuellen gesteigerte Aufmerksamkeit widmet und sich seiner Analyse mit Hilfe von Theorien anderer Disziplinen zuwendet. Sie will so einen Beitrag dazu leisten, die Spannung zwischen Film und Geschichtswissenschaft zu lockern.

2 . 2 D i e D i s k u r s i v i t ä t vo n G e n d e r o d e r d a s E r z ä h l e n vo n G e s c h l e c h t Eine im Rahmen der Gender-Forschung angesiedelte Arbeit steht zunächst vor der Klärung des ihr zugrunde liegenden Konzept von Gender.53 Der Begriff Gender wird oft als allgemeinverständlich vorausgesetzt, tatsächlich aber mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen verwendet, woraufhin Joan Scott in ihrem Millenium Aufsatz »Die Zukunft von Gender. Fantasien zur Jahrtausendwende« nachdrücklich hingewiesen hat.54 Gender umfasst sowohl Konstruktionen von Weiblichkeit als auch Männlichkeit, aber erst seit den 1990er Jahren ist die Bedeutung der Männerstudien gewachsen. Um meine Fragestellung, die um die filmischen Repräsentationen von Männlichkeit kreist, in diesem Forschungsfeld zu verorten, werde ich die wichtigsten Etappen der Gender-Studien kursorisch zusammenfassen. Anschließend umreiße ich das dieser Arbeit zugrunde liegende Gender-Konzept und frage nach dem ›Erzählen von Geschlecht‹, d.h. nach der Verzahnung von Fiktion und Lebenswelt. Mit der Neuen Frauenbewegung der 1960er Jahre entstand in den USA und Westeuropa eine gesellschaftliche Bewegung, die in vielfälti52 Gottfried Boehm (2005): »Iconic Turn – Pictorial Turn?«. URL: www. iconicturn.de/article.php?story =20050426105450151 (26.04.2005). 53 Ich benutze die englischen Begriffe Sex und Gender, da insbesondere eine exakte Übersetzung von Gender, die die Konnotationen dieses Begriffes umfasst, problematisch ist. In dem englischen Ausdruck Gender klingen die ›Konstruktion‹ von Gender und die Komplexität der Geschlechterverhältnisse schon mit. Am nächsten käme der deutsche Ausdruck der Geschlechtsidentität. 54 Joan W. Scott (2001): »Die Zukunft von Gender. Fantasien zur Jahrtausendwende«, in: Claudia Honegger/Caroline Arni (Hg.): Gender – Die Tücken einer Kategorie. Zürich, S. 39-63. 34

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ger Weise gegen die soziale Benachteiligung von Frauen protestierte. Parallel dazu begannen Historiker/innen die Geschichte von Frauen ›sichtbar‹ zu machen, um die Mechanismen dieser Benachteiligung aufzudecken und verändern zu können.55 Eine grundlegende Frage dieser Forschung war die nach spezifisch weiblichen Erfahrungen und damit verknüpft nach weiblichen Identitäten.56 Als Ausgangspunkt der unterschiedlichen Identitäten wurde der ›kleine Unterschied‹ zwischen den Geschlechtern ausgemacht – die vermeintlich biologische Differenz: Sex.

2.2.1 Die Theoretisierung von Gender Sex fungierte in der Forschung bis in die 90er Jahre als biologische Klassifikation, während Gender als alles ›Kulturelle‹ verstanden wurde. Diese Theoretisierung erfolgte langsam und nahm erst Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre eine zentrale Rolle ein. Damit wurde die Aufmerksamkeit auf die soziokulturelle Konstruktion von Geschlecht gerichtet, um der biologisch-deterministischen Auffassung zu entgehen, nach der Unterschiede zwischen Männern und Frauen als Konsequenz der Anatomie betrachtet wurden und damit als schicksalhaft.57 Sex galt demnach als natürliches, konstantes Substrat, Gender hingegen als historisch variable Größe, die eine vielfältigere Interpretation der Geschlechtsidentitäten ermöglichen sollte. Diesem Sex-Gender System liegt das vorherrschende heterosexuelle Geschlechtermodell zugrunde sowie die Einteilung in zwei biologisch verifizierbare Geschlechter. Die Auffassung des unveränderbaren Phänomens Körper wurde seit den 80er Jahren in den USA namentlich von Joan Scott und im deutschsprachigen Raum von Gisela Bock zunehmend kritisiert,58 da gerade die

55 Maßgeblich für die frühe Frauengeschichte ist Gerda Lerner. Gerda Lerner (1995): »Neue Ansätze zur Forschung über Frauen in der Geschichte der Vereinigten Staaten«, in: Dies.: Frauen finden ihre Vergangenheit. Grundlagen der Frauengeschichte. Frankfurt a.M./New York, S. 39-49. 56 Carroll Smith-Rosenberg (1975): »The New Woman and the New History«, in: Feminist Studies 3, S. 185-198. 57 Joan Kelly-Gadol (1976): »The Social Relations of the Sexes. Methodological Implications of Women’s History«, in: Signs 1 (4), S. 809-824. Gayle Rubin (1975): »The Traffic in Women: Notes on the ›Political Economy‹ of Sex«, in: Rayna Rapp (Hg.): Toward an Anthropology of Women. New York, S. 157-210. 58 Joan W. Scott (1986): »Gender. A Useful Category of Historical Analysis, in: American Historical Review 91 (5), S. 1053-1075. Gisela Bock (1988): »Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte«, in: Geschichte und Gesellschaft 14, S. 364-391. Bock bezeichnet auch die Biologie als 35

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Vorstellung einer soziokulturellen Konstruktion von Geschlecht davon ausgeht, dass es ›den Körper‹ oder ›die Sexualität‹ gibt, »auf dem dann kulturelle Einschreibungen vorgenommen werden«.59 Die Historikerin Joan Scott plädierte dafür, Gender als historische Analysekategorie fruchtbar zu machen, um die in der Gesellschaft existierenden Machtverhältnisse zu begreifen. In dem auch heute noch wegweisenden Aufsatz von 1986 formuliert sie bereits die These, dass Geschlecht eine nützliche Kategorie historischer Analyse sei. Denn Geschlecht bzw. die wahrgenommenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, sind einerseits das bestimmende Element in den sozialen Beziehungen zwischen Männern und Frauen und andererseits entscheidend daran beteiligt, Machtbeziehungen zu konstituieren und dadurch die Erfahrungen der Menschen zu formen, durch die wiederum Subjekte als Männer und Frauen konstituiert werden. Zur konkreten Analyse der Kategorie Geschlecht schlägt Scott vier miteinander verwobene Aspekte vor, von denen für diese Arbeit zwei besonders relevant sind. Zunächst sind die historisch kulturell verfügbaren Symbole zu untersuchen. Konkret muss in diesem Zusammenhang danach gefragt werden, welche Repräsentationen von Männlichkeit wie und wann aktiviert werden. Zweitens müssen die normativen Konzepte, die die Bedeutung dieser Symbole bestimmen und damit ihre Interpretation vornehmen, beleuchtet werden, denn normative Konzepte tendieren dazu, die dominanten Positionen als Ergebnis eines Konsenses zu präsentieren, nicht aber als Ergebnis von Konflikten. Insofern gilt es zu untersuchen, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen diese Konflikte stattgefunden haben.60 Mithin ist die Kategorie Geschlecht in Geschichte und Gesellschaft strukturbildend und es gilt den Prozess zu untersuchen, wie Geschlecht mit Bedeutung aufgeladen wird. Auf dieses Erkenntnisinteresse machte Scott 2001 noch einmal nachdrücklich aufmerksam: »wie die Bedeutungen von ›Frauen‹ und ›Männern‹ diskursiv gebildet und verfestigt werden, welche Widersprüche diese Bedeutungen durcheinander bringen, was die Begriffe ausschließen, welche Variationen subjektiv erfahrener ›Weiblichkeit‹ in verschiedenen normativen Geschlechterregimes sinnfällig gewesen sind.«61 »genuin soziale Kategorie mit einem genuin sozialen Sinnzusammenhang«, ebd., S. 375. 59 Renate Hof (1995): »Die Entwicklung der Gender Studies«, in: Hadumod Bußmann/dies. (Hg.): Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften. Stuttgart, S. 2-34, S. 23. 60 Vgl. Scott: Gender, S. 1067 ff. 61 Scott: Die Zukunft von Gender, S. 59. In ihrem Aufsatz setzt sich Scott kritisch mit der Gender Forschung der 1980 und 90er Jahre auseinander 36

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Wenngleich der Begriff Gender den linearen, kausalen Zusammenhang von Sex und ›Geschlechterrolle‹ aufheben und den biologistischen Erklärungsansätzen den Boden entziehen wollte, blieb die Trennung von Sex und Gender doch »dem traditionellen Dualismus Natur und Kultur verhaftet«, was wiederum die anvisierten Möglichkeiten zur Veränderbarkeit der Geschlechtsidentität begrenzt.62 Dies widerspricht dem ursprünglichen Anliegen der feministischen Forschung, der deterministischen Verknüpfung von Biologie und Kultur zu entgehen – die sich über den Umweg der Trennung doch immer wieder als Letztbegründung in die Forschung einschlich.63 Mit der Aufforderung, den Körper nicht länger als Art »stummer Diener«64 für die diskursiven Praktiken zu verstehen, die gemäß des jeweiligen historischen Kontextes Gender konstruieren, verschob sich der Schwerpunkt der Geschlechterforschung in den 90er Jahren. Untermauert wurde dieses Anliegen auch durch historische Studien wie die von Thomas Laqueur Auf den Leib geschrieben, in welcher er anhand medizinischer Texte die Geschichte der Körperwahrnehmung nachzeichnet und dabei die These einer über alle Zeiten hinweg gültigen Körperlichkeit, insbesondere Zweigeschlechtlichkeit für unhaltbar erklärt.65 Unstrittig ist jedoch, dass die Kategorie Geschlecht ein zentraler Faktor bei der Konstitution von Identität ist. Das dieser Arbeit zugrunde liegende Gender-Konzept lehnt sich an die Arbeiten Judith Butlers an, die sich aus philosophischer Perspektive gegen die als stabil angenommenen biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen wendet, um jene Kategorien, die in unserem Denken als selbstverständlich angenommen werden, deutlich zu machen und

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und plädiert für die Historisierung der Biologie bzw. ein Verständnis, das Körper und Kultur als miteinander verwobene Kategorien ansieht. Andrea Griesebner/Christina Lutter (2000): »Geschlecht und Kultur. Ein Definitionsversuch zweier umstrittener Kategorien«, in: Geschlecht und Kultur. Beiträge zur historischen Sozialkunde, Sondernummer, S. 58-64, S. 58. Beispiele dazu finden sich bei Andrea Maihofer (1994): »Geschlecht als Existenzweise. Einige kritische Anmerkungen zu aktuellen Versuchen zu einem neuen Verständnis von Geschlecht«, in: Institut für Sozialforschung (Hg.): Geschlechterverhältnisse und Politik. Frankfurt a.M., S. 168-188 oder auch in dem im selben Band erschienenen Aufsatz von Linda Nicholson: »Was heißt Gender?«, in: Ebd. S. 188-220, S. 189. Ebd. Thomas Laqueur (1992): Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Frankfurt a.M. (Orig. 1990). Laqueur belegt in seiner Arbeit, dass erst im 18. Jahrhundert das ›ZweiGeschlechter-Modell‹ das bis dato gültige ›Ein-Geschlecht-Modell‹ ablöste. Ausgangspunkt der Studien zur Geschichtlichkeit der ›natürlichen‹ Körper ist Michel Foucault (1976): Sexualität und Wahrheit. Frankfurt a.M. 37

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zu destabilisieren. Denn wenn eine besondere weibliche Erfahrung für die Identitätsstiftung von Frauen grundlegend ist, hat das auch gegenläufige Folgen: Mit der Festschreibung der Besonderheit von Frauen lässt sich auch immer wieder deren Ausschluss begründen. Deswegen fragt Butler danach, wie sich Geschlechtskörper konstituieren und materialisieren. Sie stellt die These auf, dass Geschlecht diskursiv produziert sei, dass Gender mithin die Wahrnehmung der Körper organisiere, so dass das biologische Geschlecht nur über kulturelle Zuschreibungen zugänglich sei66 und bestreitet damit grundsätzlich die Natürlichkeit der gegebenen Geschlechterkörper. Butler versteht diese vielmehr als Effekte bestimmter Machtwirkungen. Die Subjektivierung findet durch Akte der Aufführung statt. Diese performativen Akte, also die Momente, in denen Geschlecht und damit der Körper inszeniert werden, sind zentral für die Bildung der Geschlechtsidentität – der Körper selbst wird nicht länger als passiver Ort begriffen, auf den die Natur einwirkt: »Wenn die Attribute der Geschlechtsidentität nicht expressiv, sondern performativ sind, wird die Identität, die sie angeblich nur ausdrücken oder offenbaren sollen, in Wirklichkeit durch diese Attribute konstituiert. [...] Wenn die Attribute und Akte der Geschlechtsidentität, die verschiedenen Formen, in denen ein Körper seine kulturelle Bezeichnung zum Vorschein bringt oder produziert, performativ sind, gibt es keine vorgängig existierende Identität, an der ein Akt oder Attribut gemessen werden könnte.«67

In einem solchen Konzept werden Körper und soziale Geschlechtsidentität eins – sie müssen als »biokulturelle Einheit«68 gedacht werden. Die Materialität des Geschlechts wird durch die ritualisierte Wiederholung von Normen konstruiert.69 Gender meint demnach den diskursiven Effekt einer sich ständig wiederholenden Abfolge performativer Akte des Körpers, wodurch die Geschlechtsidentität Mann oder Frau und das damit einher gehende he-

66 »Die Geschlechtsidentität umfasst auch jene diskursiven/kulturellen Mittel, durch die eine ›geschlechtliche Natur‹ oder ein ›natürliches Geschlecht‹ als ›vordiskursiv‹, d.h. als der Kultur vorgelagert oder als politisch neutrale Oberfläche, auf der sich die Kultur einschreibt, hergestellt und etabliert wird,« vgl. Judith Butler: Unbehagen, S. 24. 67 Ebd., S. 207f. 68 Barbara Hey (1995): Women’s History und Poststrukturalismus. Zum Wandel der Frauen- und Geschlechtergeschichte in den USA. Pfaffenweiler, S. 117. 69 Judith Butler (1997): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt a.M. (Orig. 1993), S. 15. 38

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terosexuelle Begehren hervorgebracht wird. Wesentlich am Butlerschen Performativitätskonzept ist, dass performative Akte nur dann wirkungsmächtig werden, wenn sie Normen stetig wiederholen. Erst jenes Zitieren begründet den »handlungsfähigen Status« der Performativität, erst durch sie werden die »Konventionen, deren Wiederholung sie ist« verschleiert oder verborgen.70 Insofern sind jene performativen Akte als Naturalisierungsstrategien zu begreifen. Mit anderen Worten: Die Geschlechtsidentität (Körper, Geschlecht und Begehren) gründet sich auf die Naturalisierung von Sex und Gender. Das ist, wie gezeigt, kein bewusster Akt eines einzelnen Individuums, sondern die »Praxis, durch die der Diskurs die Wirkung erzeugt, die er benennt«.71 Die so geschaffene Zweigeschlechtlichkeit wird durch die Übereinstimmung von Sex, Gender und gegengeschlechtlichem Begehren abgesichert.72 Denn das heterosexuelle Begehren scheint ein Garant dafür zu sein, dass die Einheit von Sex und Gender nicht in Frage gestellt wird. Um zu erklären, wie sich ›sinnvolle‹ Geschlechtsidentitäten durchsetzen, benutzt Butler den Begriff der »intelligiblen Geschlechtsidentitäten«: Es sind solche, »die in einem bestimmten Sinne Beziehungen der Kohärenz und Kontinuität zwischen dem anatomischen Geschlecht (Sex), der Geschlechtsidentität (Gender), der sexuellen Praxis und dem Begehren stiften und aufrechterhalten.«73 Intelligibilität bezeichnet demnach das, was sozial sinnvoll und anerkannt ist, das, was den dominanten Genderdiskursen entspricht.74 Jedoch erzeugt das Zitieren nicht nur intelligible Körper, sondern auch das ›Verworfene‹ (abject), das ›konstitutive Außen‹, durch das jene erst affimiert werden.75 Die in Kapitel 4.3.1 vorgenommene Analyse des Films TEA AND SYMPATHY (1956) zeigt beispielsweise eine nicht-intelligible Männlichkeit. Deutlich wird dabei, dass heterosexuelles Begehren nicht notwendigerweise vor dem Verdacht der Homosexualität schützt, wenn das alltägliche Verhalten als effeminiert wahrgenommen wird. Tatsächliches homosexuelles Begehren hingegen bringt die einfache Logik der männlichen und weiblichen Geschlechtsidentitäten gänzlich ins Wanken und konnte im Film der 50er Jahre nur verdeckt oder als ›Abartigkeit‹ auftreten, das zeigen Filme wie THE STRANGE ONE (1957) oder SUDDENLY LAST SUMMER (1959).

70 71 72 73 74

Ebd., S. 36. Ebd., S. 22. Vgl. Butler: Unbehagen, S. 45f. Ebd., S. 38. Vgl. dazu Paula-Irene Villa (2003): Judith Butler. Frankfurt a.M., S. 5977. 75 Vgl. Butler: Körper von Gewicht, S. 16. 39

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Spricht man über Identität und Wiederholung muss jedoch auch die Frage gestellt werden, wie historischer Wandel denkbar ist, wenn das Subjekt ein Effekt sich ständig wiederholender Normen ist. Wie ist es dann möglich, die Bedingungen, die das Subjekt konstituieren, zu verändern? Wie kann subjektive Handlungsfähigkeit (agency) entstehen?76 Butler sieht im Prozess der Performativität an sich die Möglichkeit zur Veränderung gegeben.77 Handlungsfähigkeit »findet sich genau an solchen Schnittpunkten, wo der Diskurs sich erneuert.«78 Die Wiederholbarkeit ist demnach selbst die Bedingung der Veränderung, da es im Moment der Wiederholung zu Umdeutungen (resignification), subversiven Zitaten oder Unterbrechungen kommen kann. Die Kategorie Zeit spielt eine wesentliche Rolle in diesem Prozess, in dem sich die Macht von der Bedingung des Subjekts zu ihrer Wirkung hin verschiebt. »Die Reiteration der Macht verzeitlicht nicht nur die Bedingungen der Unterordnung, sondern erweist diese Bedingungen auch als nichtstatisch, als temporalisiert – aktiv und produktiv.«79 Die in dieser Arbeit vorgestellten unterschiedlichen Männlichkeitskonzepte, welche sich chronologisch überlappen, sind nur aufgrund der sich im stetigen Wiederholungsfluss vollziehenden Umdeutungen möglich. Jedoch ist nicht nur die Zeit in diesem Zusammenhang wichtig, sondern zentrales Moment ist die Psyche, um die produktive Dimension von Macht zu begreifen, um zu verstehen, was mit Normen passiert, wenn sie verinnerlicht werden.80 76 Der Kritikpunkt des Determinismus ist verschiedentlich an Butler herangetragen worden. Eine ihrer bekanntesten Kritikerinnen ist Seyla Benhabib, die genau jene Frage stellt: »Die Frage ist in der Tat: Wie kann man von einem Diskurs konstituiert sein, ohne von ihm determiniert zu werden? […] Was befähigt das Selbst, die Geschlechtercodes zu ›variieren‹, hegemonischen Diskursen zu widerstehen?« Seyla Benhabib (1993): »Subjektivität, Geschichtsschreibung und Politik«, in: Seyla Benhabib/Judith Butler/Drucilla Cornell/Nancy Fraser: Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart. Frankfurt a.M., S. 105122, S. 9. 77 Butler erörtert das Paradox der Subjektivation, nämlich die Abhängigkeit des Subjekts vom Diskurs, der gleichzeitig die Handlungsfähigkeit des Subjekts ermöglicht, in Judith Butler: »Für ein sorgfältiges Lesen«, in: Benhabib: Streit, S. 122-133, sowie in Die Psyche der Macht. Hier fragt sie u.a. danach wie »…in Begriffen der Wiederholung Widerstand zu denken« ist. Judith Butler (2001): Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Gender Studies. Frankfurt a.M. (Orig. 1997), S. 17. 78 Benhabib: Streit, S. 125. 79 Butler: Psyche der Macht, S. 21. 80 Ausführlich kann im Rahmen dieser Arbeit darauf nicht eingegangen werden, vgl. aber dazu J. Butler: Psyche der Macht. Hier diskutiert sie in Auseinandersetzung mit Freud und Nietzsche, Foucault und Althusser, welche psychische Form Macht annimmt. 40

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Es dürfte deutlich geworden sein, dass mit Performativität kein schauspielerischer Akt gemeint ist.81 Dennoch ist unbestreitbar, dass der Komplex Kino mit seiner Inszenierung der Figuren auf der Leinwand und von Star-Persönlichkeiten außerhalb derselben ein Teil der diskursiven Praxis ist, die Gender performativ herstellt.82 Gender entsteht also durch das Handeln im Sinne konkreter Interaktionen, durch ikonographische Darstellungen und durch Sprache. »Sprache handelt«, im Sinne des illokutionären Sprechaktes, nach dem »die Äußerungen tun, was sie sagen, im Ereignis des Sagens.«83 Aber Sprache nimmt nicht nur durch illokutionäre Äußerungen bei der Hervorbringung der Geschlechtsidentität eine wichtige Rolle ein, sondern auch über die Performativität des Erzählens. Bevor ich auf diesen Punkt in 2.2.3 eingehen werde, möchte ich darlegen, aus welchem Grunde Männlichkeiten im Zentrum dieser Arbeit stehen.

2.2.2 Der Mann als der Andere In den 80er Jahren war zwar, wie gezeigt, von J.W. Scott gefordert worden, Geschlecht als zentrale historische Kategorie zu etablieren, und Scotts verdienstvoller Beitrag lag darin, eine Definition von Gender als historische Kategorie erarbeitet zu haben, indem sie verstreut existierende Gedanken gebündelt und für die Geschichtswissenschaft aufbereitet

81 Den schauspielerischen Akt bzw. die ›darstellerische Realisierung‹ bezeichnet Butler als performance. »Performativität ist weder freie Entfaltung noch theatralische Selbstdarstellung, und sie kann auch nicht einfach mit darstellerischer Realisierung (performance) gleichgesetzt werden. Darüber hinaus ist Zwang nicht notwendig das, was der Performativität eine Grenze setzt; Zwang verleiht der Performativität Antrieb und hält sie aufrecht.« Ebd., S. 133. 82 Als Beispiel sei die Namensgebung der Star Person John Wayne genannt: Mit bürgerlichem Namen Marion Michael Morrison heißend, rieten ihm die Verantwortlichen von 20th Century Fox, einen weniger weiblich klingenden Namen zu wählen, um als Cowboy überzeugender zu sein. Daraus wurde John Wayne geboren, ein prägnanter, ›männlicher‹, amerikanischer und kurzer Name, vgl. Emanuel Levy (1998): John Wayne. Prophet of the American Way of Life. Lanham/London, S. 104f. 83 Judith Butler (1998): Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin (Orig. 1997), S. 11. Butler analysiert in diesem Buch die performative Kraft der Sprache in Anlehnung an die Sprechakttheorie Austins. Dieser unterscheidet zwischen illokutionären und perlokutionären Sprechakten. Erstere erlangen ihre Wirksamkeit im Moment der Äußerung aufgrund der Tatsache, dass sie ritualisiert und legitimiert sind. Letztere rufen bestimmte Folgeerscheinungen hervor. 41

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hat.84 Trotzdem wurde die nun sich langsam etablierende Geschlechtergeschichte auch weiterhin überwiegend als Frauengeschichte betrieben, so dass sie zur ›Mogelpackung‹ avancierte.85 Wenngleich die Perspektive auf Frauen ohne jeden Zweifel gesellschaftlich, wissenschaftlich und wissenschaftspolitisch notwendig war und ist, und in erheblichem Maße am Universalitätsanspruch der konventionellen Geschichtsschreibung gerüttelt hat, hat sie auch ihre Kehrseite. Ein Untersuchungsinteresse, welches sich lediglich auf die nicht dominanten Gruppen einer Gesellschaft richtet, hat zur Folge, dass die Differenz dieser Gruppe erneut sanktioniert wird. Insofern muss in aller Deutlichkeit ein Paradigmenwechsel vorgenommen werden und der Blick von der Divergenz auf die Norm gerichtet werden. In einer sich als gesellschaftspolitisch verstehenden Geschlechterforschung soll die Möglichkeit zum Vergleich sowie zur Analyse der Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern gegeben sein, damit Frauen nicht als weiteres Subsystem, sondern als ein integraler Bestandteil der Gesellschaft betrachtet werden.86 In den USA wurde, inspiriert durch die Gay Liberation und die Neue Frauenbewegung, seit den 70er Jahren vereinzelt über Männer und Männlichkeiten geforscht. In den 90er Jahren etablierten sich die Men’s Studies in den angelsächsischen Ländern als wissenschaftliche Disziplin – ihr Schwerpunkt liegt auf dem ›Studium‹ heterosexueller, weißer Männlichkeiten.87 Im deutschen akademischen Raum ist zwar gerade in 84 Vgl. Scott: Gender. Interessanterweise wurde der Aufsatz erst 1994 ins Deutsche übersetzt. 85 Ute Frevert (1991): »Männergeschichte oder die Suche nach dem ersten Geschlecht«, in: Manfred Hettling (Hg.): Was ist Gesellschaftsgeschichte? Positionen, Themen, Analysen. München, S. 31-43, S. 34. Frevert war eine der ersten deutschsprachigen Historiker/innen, die die historische Männerforschung einforderte. Sie versteht Männergeschichte, wie Frauengeschichte auch, als dezidiert politisches Anliegen. »In dieser kritischen Perspektive auf die Vergangenheit liegt – wie immer das Experiment ausgehen mag – ein beträchtliches innovatorisches Potential, und das nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch fürs Leben,« ebd., S. 35. 86 Hanna Schissler (1993): »Einleitung: Soziale Ungleichheit und historisches Wissen. Der Beitrag der Geschlechtergeschichte«, in: Dies. (Hg.): Geschlechterverhältnisse im historischen Wandel. Frankfurt a.M./New York, S. 9-36. 87 Bryce Traister (2000): »Academic Viagra. The Rise of American Masculinity Studies«, in: American Quarterly (52), S. 274-304. Traister nennt außer den durch die Schwulen- und die Frauenbewegung gewonnenen Anstößen die ›menz’ movement als weiteren Grund für die Popularität der Men’s Studies in den USA. Die Anhänger der menz movement wünschen eine ›Wiederkehr‹ der ›wahren Männlichkeit‹, die sie durch Feminist/innen und Schwule bedroht sehen. Die Men’s Studies verstehen sich als aka42

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den späten 90er Jahren die Männerforschung ebenfalls präsenter geworden, aber im Vergleich mit den USA nicht an den Universitäten institutionalisiert. International wie auch national liegt der Schwerpunkt der Männerstudien im sozialwissenschaftlichen Bereich.88 Für die Geschichtswissenschaft gilt, dass sich die Frauengeschichte im deutschsprachigen Raum zwar in den 80er Jahren als eigener Themen- und Forschungsschwerpunkt etablieren konnte.89 Die ersten Arbeiten zur Männergeschichte hingegen erschienen hierzulande, analog zur gesamten Männerforschung, erst Mitte der 90er Jahre. 90 Ein wesentliches Anliegen der Männerforschung ist es, eine relationale Geschlechtergeschichte zu betreiben. Männlichkeit als historische demische Antwort auf die rückschrittliche Politik dieser Gruppe, die zunehmend an Einfluss gewinnt. Ebd., S. 277. 88 Einen Schwerpunkt dieser Forschung stellt die Patriarchatsanalyse dar. Den zweiten Kernpunkt bildet die Forschung, die sich mit den Machtverhältnissen unter Männern auseinandersetzt. Wichtigster Vertreter jener Schule ist Robert W. Connell, der das Modell der ›hegemonialen Männlichkeiten‹ entwickelt hat. Robert W. Connell (1987): Gender and Power. Society, the Person and Sexual Politics. Cambridge und ders (1995): Masculinities. Cambridge. Eine sehr gute Einführung in die (historische) Männerforschung im englischen und deutschen Sprachraum bieten Martschukat/Stieglitz: Es ist ein Junge. Ein knapperer Überblick zur englischsprachigen Forschung findet sich in: Dies.: »Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas: Eine Einleitung«, in: Dies.: Väter, Soldaten, Liebhaber, S. 11-27; eine kurze Übersicht zur deutschen Historiographie in: Dies (2001): »Mannigfaltigkeit: Perspektiven einer historischen Männlichkeitsforschung«, in: WerkstattGeschichte, 10 (29), S. 4-7. 89 Einen guten Überblick über die historische Frauenforschung bis 1995, mit zahlreichen Literaturangaben versehen, gibt Bea Lundt (1995): »Einleitung«, in: Historische Mitteilungen, 8 (1), S. 1-14. Den Übergang von der Frauen- zur Geschlechtergeschichte beschreibt Ute Daniel (2002): »Frauen- und Geschlechtergeschichte«, in: Dies: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter. Frankfurt a.M. (Orig. 2001), S. 313330. Zum Überblick über die jüngste Literatur vgl. Martschukat/Stieglitz: Es ist ein Junge. 90 Als Ausnahme ist zu nennen Klaus Theweleit: Männerphantasien, 2 Bde. Frankfurt a.M., 1977/78. In den USA gilt diese Arbeit als ein Klassiker der Männergeschichte. Unter den deutschen Historiker/innen wurde das Buch weniger stark rezipiert. Breitere Resonanz fand es jedoch in der feministischen Forschung sowie der Männerforschung. Als historische Männerstudien aus den 90er Jahren sind zu nennen: Thomas Kühne (Hg.) (1996): Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne. Frankfurt a.M./New York. Walter Ehrhart/Britta Herrmann (Hg.) (1997): Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit. Stuttgart/Weimar. Wolfgang Schmale (Hg.) (1998): MannBilder. Ein Lese- und Quellenbuch zur historischen Männerforschung. Berlin. Ute Frevert u.a. (Hg.) (1993): »Männerleben Lebemänner«, in: WerkstattGeschichte (6). 43

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Analysekategorie zu etablieren, muss einerseits in ihrer Beziehung zu Weiblichkeit geschehen. Gleichzeitig sind aber weder Männlichkeit noch Weiblichkeit monolithische Kategorien, sondern die Identität eines Individuums wird durch zahlreiche andere Differenzkriterien, wie z.B. Ethnizität, Klasse, Religion oder Alter bestimmt. Demzufolge kann Gender als identifikatorisches Merkmal niemals alleine Gültigkeit haben, sodass stattdessen von Männlichkeiten und Weiblichkeiten gesprochen werden muss. Hinzu kommt, dass sich das Geschlecht eines Individuums auch immer in Beziehung zu Mitgliedern der eigenen Genusgruppe bestimmt, die sich wiederum durch jene Differenzkriterien definieren, bzw. definiert werden. Männlichkeit konstituiert sich schließlich in der Verschränkung dieser vielfältigen Beziehungen. Diese Überlegungen müssen demnach wichtige Bausteine einer relationalen Geschlechtergeschichte sein.91 Sie werden deshalb auch in dieser Arbeit ihren methodischen Niederschlag finden. So wird konkret in den nachfolgenden Filmanalysen, über die notwendigen Charakterisierungen der Figuren hinaus, auch danach gefragt werden müssen, wie die Figuren zueinander gestellt sind. Mit der Figurenkonstellation ist auch die Frage nach den so genannten Stars verknüpft. Stars sind nach Dyer intertextuell und intermedial konstruierte Produkte, die sowohl auf der Leinwand als auch außerhalb der Leinwand verschiedene gesellschaftliche Themen ihrer Zeit verhandeln.92 An ihre Starkörper werden unterschiedliche Konzepte von Gender, Class oder Race geknüpft, die zu einem spezifischen historischen Zeitpunkt im Umlauf sind.93 Indem das Star Image mit einer bestimmten Person verknüpft wird, erscheint das, was diskursiv konstruiert ist, als natürlich und kann somit wirkungsmächtig werden. Gender wird mithin auch über Stars erzählt. Deswegen wird in dieser Arbeit an verschiedenen Punkten auf die Star Images der Protagonist/innen hingewiesen werden. Mit Butler davon ausgehend, dass Gender eine kulturelle Handlung ist, ist Männlichkeit wie Weiblichkeit keine ontologische Kategorie. 91 Zur ›mehrfachen Relationalität‹ von Geschlecht vgl. Martschukat/ Stieglitz: Es ist ein Junge, S. 72-75. 92 Richard Dyer (1979): Stars. London und ders (1986): Heavenly Bodies. Film Stars and Society. London. Einführungen in die Star Studien sind: Paul McDonald (1995): »Star Studies«, in: Hollows/Jancovich: Approaches to popular Film, S. 79-99, sowie Stephen Lowry/Helmut Korte (2000): Der Filmstar. Brigitte Bardot, James Dean, Götz George, Heinz Rühmann, Romy Schneider, Hanna Schygulla und neuere Stars. Stuttgart/Weimar, S. 5-28. 93 Ich verwende den englischen Begriff Race, da er ein größeres semantisches Feld hat als der deutsche Begriff ›Rasse‹. So wird er auch als kritischer Analysebegriff für rassistische Strukturen verwendet. 44

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Stattdessen erlangt sie durch die Identifikation mit männlich konnotierten Repräsentationsformen Bedeutung. Daraus lässt sich in den Worten Eve Kosofsky Sedgwick’s folgern, »when something is about masculinity, it is not always ›about men‹«.94 Denn nicht der Geschlechtskörper ›an sich‹ ist bedeutsam, sondern die performative Inszenierung von Geschlecht. So können auch Frauen männlich codierte Repräsentationsformen annehmen – wie es sich in der augenfälligsten Form die zeitgenössische Welle der drag kings zeigt.95 Entscheidend für die Beziehung zwischen ›Männlichkeit‹ und ›Mann‹ ist demnach, dass die jeweilige Repräsentation von Männlichkeit nur dann Gültigkeit hat, wenn sie von Anderen bestätigt wird. Dies wird deutlich sichtbar, betrachtet man drag bzw. die Annahme einer butch Identität, wie sie z.B. von Leslie Feinberg geschildert wurde.96 Auch im Film spielt die Bestätigung von Männlichkeit durch Andere im gesellschaftlichen Prozess eine wichtige Rolle. Dieses Verfahren zieht sich – unabhängig vom Genre – durch das Gros der Filme. Genannt seien so unterschiedliche Filme wie der gesellschaftliche Problemfilm THE MEN (1950), der Gangsterfilm KEY LARGO (1948) oder der Kriegsfilm SANDS OF IWO JIMA (1949) (Kap. 3.1 und 3.2). In dieser Arbeit bezeichnet der Begriff ›Mann‹ den männlichen Körper, als den Ort, der Teile der sich im Umlauf befindenden Diskurse über Männlichkeit in sich vereinigt. Denn inwieweit ein bestimmtes Verhalten zu einer Geschlechterkategorie als zugehörig betrachtet wird, wird in der Regel in Bezug auf konventionalisierte Gender Prototypen beurteilt. Oder, um in den Worten Butlers zu sprechen, auf das, was intelligibel ist. Indem die Perspektive von der Suche nach Differenzen auf Normierungsprozesse gerichtet wird, wird die Norm selbst als Konstrukt sichtbar gemacht. Ein solcher Ausgangspunkt – nach dem alle Männlichkeit performativ und instabil ist – ignoriert die Hierarchien der Geschlechterordnung nicht,97 vielmehr widersetzt er sich genau der einseitigen Zuschreibung Geschlecht = Frau, welche den weißen heterosexuellen Mittelschichtsmann als allgemeinmenschliche Norm versteht und sein be94 Eve Kosofsky Sedgwick (1995): »Gosh, Boy George, You Must Be Awfully Secure in Your Masculinity«, in: Maurice Berger/Brian Wallis/Simon Watson (Hg.): Constructing Masculinity. New York/London, S. 11-21, S. 12. 95 Zur filmischen Umsetzung vgl. den Dokumentarfilm VENUS BOYZ (2001) oder den Spielfilm BOYS DON’T CRY (1999). 96 Leslie Feinberg (2003): Stone Butch Blues: A Novel. Los Angeles, CA. In ihrem autobiographischen Roman beschreibt Feinberg die Probleme, denen eine Frau in den 50er Jahren ausgesetzt war, die mit einer butch bzw. transgender Identität lebte. 97 Traister sieht genau dies als Gefahr; Traister: Academic Viagra, S. 296f. 45

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sonderes Verhältnis zur Macht missachtet.98 Betrachtet man Männlichkeit nicht länger als die unhintergehbare Norm, kann nur erstaunen, dass Männlichkeiten bislang in der deutschsprachigen Forschung so wenig historisiert wurden.

2.2.3 Das Erzählen von Geschlecht Während sich die eher strukturalistisch orientierte Narratologie in erster Linie der Analyse formaler und struktureller Aspekte eines Textes gewidmet hatte, fragt die Gender-orientierte Erzähltheorie »nach der narrativen Konstruktion von Geschlechtsidentitäten, der performativen Qualität allen Erzählens und der Performativität von Geschlecht«.99 Damit begreift sie Narrativität als transmediale kulturelle Praxis, die von außerordentlicher Bedeutung für Geschlechterverhältnisse ist, da sie jene erst hervorbringt und stabilisiert. Gender nimmt also eine zentrale Stellung ein und wird somit auf verschiedenen Ebenen produktiv: Neben der audiovisuellen auf der narrativen, auf der der Produktion und der Rezeption. An diesem Ort soll nun in knapper Form auf Narrativität in Hinblick auf die Butlerschen Begriffe der Performativität und des Intelligiblen eingegangen werden.100 Davon ausgehend, dass Filme eine Schnittstelle verschiedener Diskurse bilden, verhandeln sie die Diskurse des Körpers, von Begehren und Gender – indem sie sie entwerfen, verwerfen und neu gestalten. Filme, wie die Literatur, können als eine kulturelle Form der »technologies of gender« verstanden werden. Sie sind demnach einer jener »spezifischen Schauplätze, an denen die ideologische Konstituierung von Geschlecht stattfindet«101 und sie bieten sich als Erzählung von/über Gender aufgrund ihrer Plurimedialität besonders an. Die Bild- und die Tonebene sind gerade auch bei der Inszenierung von Körpern, Sexualität und Gender durch die Fähigkeit der Montage, des Zeigens102 und Hörbarmachens maßgeblich beteiligt, wobei diese 98

Vgl. dazu Sabine Schrader (1999): ‹Mon cas n’est pas unique‹. Der homosexuelle Diskurs in französischen Autobiographien des 20. Jahrhunderts. Stuttgart/Weimar, S. 43. 99 Nünning: Von der feministischen Narratologie, S. 22. 100 Narrativität bezeichnet die formalen und thematischen Charakteristika durch die sich Erzählungen auszeichnen. Der Begriff beinhaltet ebenfalls die Frage nach den Funktionen von diesen Erzählstrukturen in Hinblick auf ihre Bedeutung der Darstellung von Wirklichkeit. 101 Chris Weedon (1991): Wissen und Erfahrung. Feministische Praxis und poststrukturalistische Theorie. Zürich, S. 209. 102 Bereits Béla Balázs betonte in seinem anti-linguistischen Filmverständnis die Kraft der Visualität des Medium Films. Mit der Erfindung des 46

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dem Plot durchaus widersprechen können. Die spezifisch filmische Qualität, Materialität sichtbar/hörbar zu machen, also das, was Siegfried Kracauer mit dem Ausdruck der ›Einschließlichkeit‹ bezeichnet hat, darf insbesondere für eine Analyse von Geschlechterverhältnissen nicht unterschätzt werden. Wenn zum Beispiel John Stryker, gespielt von John Wayne, in SANDS OF IWO JIMA keine männlichen Verhaltensmuster entwickelt, die den an Männlichkeit gestellten Anforderungen in Friedens- und Kriegszeiten genügt, ist er trotzdem aufgrund seines Körpers ein inner- wie außerfilmische Vorbild (Kap. 3.2.3).103 Denn den audiovisuell erfahrbaren Körpern, den Bewegungen, den Blicken, den Stimmen, der visuell und auditiv erfahrbaren Erotik, den Schönheitsvorstellungen, der Verkrampftheit und Lässigkeit – um nur einige Punkte zu nennen – wohnt eine ganz andere Aussagekraft inne, als sie durch schriftliche Texte vermittelt werden kann.104 Filme, wie die sie produzierenden Industrien arbeiten also daran, Körper für ein Publikum sichtbar zu machen und verweisen damit auf die Performativität von Gender. Folgt man Paul Ricœur stehen Erzählungen an der Kreuzung zwischen der ›Welt des Textes‹ und der ›Welt des Lesers‹.105 Da die Welt Stummfilms feierte er einen medialen Umbruch zu einer neuen visuellen Kultur. In dem 1924 erschienenen ›Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films‹ beschreibt er wie Filmbilder den Menschen wieder sichtbar und lebendig machen und der Sprache überlegen sind. »Die Erfindung der Buchdruckkunst hat die Gesichter der Menschen allmählich unleserlich gemacht. Sie konnten nunmehr so viel von bedrucktem Papier lesen, daß sie die Mimik der Mitteilung vernachlässigen durften. [...] Aus dem sichtbaren Geist wurde so ein lesbarer Geist, und aus der visuellen Kultur entstand die begriffliche Kultur. [...] Es wird nun an einer neuen Erfindung, einer neuen Maschine gearbeitet, die die Menschen wieder der visuellen Kultur entgegenführen und ihnen ein neues Gesicht geben soll: an der Filmkamera. [...] Viele Menschen saßen allabendlich im Kino und durchlebten, nur sehend, Schicksale, Charaktere, Gefühle und Stimmungen, ja auch Gedanken, ohne dabei auf das Wort angewiesen zu sein. Die Menschheit lernte bereits die wunderbare, vielleicht schon dagewesene reiche Sprache des Mienenspiels, der Bewegung und der Gesten. Das war nicht eine die Taubstummensprache ersetzende, Worte anzeigende Zeichensprache, sondern die visuelle Korrespondenz der unmittelbar Gestalt gewordenen Seelen. Der Mensch wurde wieder sichtbar.« Béla Balázs (1998): »Der sichtbare Mensch«, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films. Stuttgart (Original 1979), S. 224-234, S. 224, 225, 226. 103 Ähnliches gilt für Johnny/Marlon Brando in THE WILD ONE, Kap. 4.2. 104 Vgl. Heike Klippel (2002): »Feministische Filmtheorie«, in: Jürgen Felix (Hg.): Moderne Film Theorie, Mainz, S. 168-186. 105 Paul Ricœur (1991): »Life in Quest of Narrative«, in: David Wood (Hg.): On Paul Ricœur. Narrative and Interpretation. London/New York, S. 20-34, S. 26. 47

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des Textes einen Horizont möglicher Erfahrung eröffnet, ist der/die Leser/in gleichzeitig Teil ihrer persönlichen Erfahrungswelt, wie auch der Welt des Textes. Der Text vermittelt zwischen Mensch und Welt. Aber noch auf eine andere Weise vermittelt Narrativität zwischen Mensch und Welt: Zur Interpretation unseres Lebens spielt Fiktion eine wichtige Rolle. Denn Narrativität (emplotment) vereinigt zufällige und heterogene Ereignisse zu einer einheitlichen Geschlossenheit und weist dadurch den ursprünglich voneinander losgelösten Elementen einen Sinn zu. Das Leben wird erst durch unser Geschick, die alltäglichen Erlebnisse aneinanderzureihen, zu ordnen und zu interpretieren letztendlich zu einer Lebensgeschichte. Das heißt, Erfahrung wird nur verstehbar, indem wir sie zu einer Geschichte formen, in der wir – wie in der Fiktion auch – einzelne Ereignisse herausgreifen, erinnern und Anfangs- und Endpunkte festlegen, auf die hin sie strukturiert wird.106 Diese konstruierende Aktivität bezeichnet Ricœur als ›narrative Identität‹. Definiert man Subjektivität als solche, hat das verschiedene Implikationen, deren eine es ist, dass die narrative Identität nur im Lichte der Geschichten erzählt werden kann, die im Rahmen unserer Kultur zur Verfügung stehen. Erzählen als strukturierende und sinngebende Aktivität ist deswegen in unserem Leben von großer Bedeutung. Aus feministischer Perspektive ist eine Auseinandersetzung mit Erzählmustern und ihren Themen von Nöten, da sich die individuellen Erzählungen an jenen Narrativen orientieren, die die jeweilige Kultur anbietet. Denn gerade sie sind es, die die »geschlechtsspezifischen Handlungsmuster« vermitteln,107 und damit aufzeigen, wie intelligible Geschlechtsidentitäten entstehen. Gender wird demnach nicht nur durch Erzählungen repräsentiert und inszeniert, sondern ist gleichermaßen ein Produkt dieser textuellen bedeutungsbildenden Prozesse. Um die politische Reichweite dieses Effektes zu erkennen, müssen Filmanalysen gerade auch jene Filme ins Blickfeld rücken, die konventionellen und stark schematisierten Erzählmustern folgen, wie z.B. das Melodrama oder der originär amerikanische Western, da sie geschlechtsspezifische Diskurse verhandeln, die auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen. Wenn z.B. der Westernheld das Symbol des unabhängigen Mannes ist, der moralisch und körperlich stark seiner Wege in jenem ›jungfräulichen‹ Land, dem Wilden Westen zieht und es sich untertan macht, verweist ein solches Muster auf den gesellschaftlichen Wunsch, dass dieses Schema weiterhin Bestand habe bzw. auf das nostalgische Gedenken

106 Vgl. dazu auch Andrea Gutenberg (2000): Mögliche Welten. Plot und Sinnstiftung im englischen Frauenroman. Heidelberg, S. 23f. 107 Ebd., S. 24. 48

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daran. Eine diskursanalytische Lesart dieser Genrefilme kann aber auch in ihnen enthaltene widersprüchliche Aussagen zu Tage fördern (vgl. THE MAGNIFICENT SEVEN in Kap. 3.3.3) und stellt dadurch die Frage nach gesellschaftlich sinnvollen Geschlechtsidentitäten neu.

2.3 Psychoanalyse und feministische Filmtheorie Geschlecht und Film wurden bislang weniger in der Geschichts- als vielmehr in der Filmwissenschaft betrachtet. In dieser Forschung hat sich vor allem die psychoanalytisch orientierte feministische Filmanalyse durchsetzen können. Da sie bislang weitgehend die Erklärungshoheit der Beziehung Geschlecht – Film innehat, seien ihre Prämissen im Hinblick auf eine an Butler angelehnte geschlechterhistorische Betrachtung skizzenhaft dargestellt. Grundlegend für die feministische Filmtheorie ist die in den 1970 und 80er Jahren stattgefundene Hinwendung zu Fragen nach der Wahrnehmung des Films, wie sie durch die Apparatustheorie formuliert wurden.108 Wenngleich die Wahrnehmung des Films in der demokratisierenden Dunkelheit der Kinosäle seit seinen Anfängen für Befürworter/innen und Kritiker/innen des Mediums eine genauso wichtige Rolle wie der Film selbst spielte, verbanden namentlich JeanLouis Baudry und Christian Metz den Blick auf die Rezeption mit dem Denkmodell der Psychoanalyse und begründeten die sogenannte Apparatustheorie.109 Für die feministische Filmtheorie sind diese Theorien at108 Historisch ist das Aufkommen dieser strukturalistischen und psychoanalytischen Filmtheorien als Antwort auf die bis dato vorherrschende Autorentheorie zu verstehen, die davon ausging, dass der einzelne Autor (Regisseur) die Aussage eines Films bestimmt. Da man in diesem Konzept die Bedeutungsproduktion in erster Linie dem Autor zuspricht, wird jener Teil der Sinngebung, der in der Institution Kino und im Akt der Rezeption gleichermaßen angelegt ist, vernachlässigt. (Dieser Paradigmenwechsel fand gleichzeitig auch in der deutschen Literaturwissenschaft statt.) Vgl. Hans Robert Jauß (1970): Literaturgeschichte als Provokation. Frankfurt a.M.. Ebenfalls kritisch argumentieren auch die Star Studies und die Historical Poetics (Neoformalistische Filmanalyse) gegen die Autorentheorie. Zur Autorentheorie Helen Stoddart (1995): »Auteurism and Film Autorship«, in: Hollows/Jancovich: Approaches to popular Film, S. 37-59. Zu Historical Poetics Henry Jenkins: »Historical Poetics«, in: ebd. S. 99-122. 109 Jean-Louis Baudry (1985): »Ideological Effects of the Basic Cinematographic Apparatus«, in: Bill Nichols: Movies and Methods. Vol. II. Berkeley, CA, S. 531-542, oder in Peter Rosen (Hg.) (1986): Narrative, Apparatus, Ideology. New York, S. 286-298 und Ders.: »The Apparatus: Metaphysical Approaches to Ideology«, in: ebd., S. 299-318. Stephen Heath (Hg.) (1980): The Cinematic Apparatus. London. Christian Metz 49

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traktiv, da sie eine Analogie zwischen der Funktionsweise der menschlichen Psyche und der der kinematographischen Repräsentation sehen und damit die Beziehung zwischen Zuschauer/in und Film zu verstehen versuchen. Ihr Ansatz kann in ein grundsätzlich politisches Anliegen eingebettet werden, denn sie sehen jene Beziehung als ideologischen Prozess. Die Apparatustheorie basiert auf der Annahme des Kinos als Apparat, der in mehrfacher Hinsicht funktioniert: als technische und industrielle Maschinerie, als ›Filmtext‹ und als mentaler, bzw. psychischer Apparat. In dieser Verfasstheit übt die Institution des Kinos eine bürgerliche, ideologische Praxis aus und konstituiert gleichzeitig durch die ihm eigene Funktionsweise den/die Zuschauer/in als begehrendes Subjekt. Baudry erklärt den Identifikationseffekt der Zuschauer/in unter Zuhilfenahme Lacanscher Theorien, nach der die Verortung im Kinosaal mit Blick auf die Leinwand die Zuschauenden in den Bereich des Imaginären versetzt. Indem sich der Zuschauer mit dem Kamerablick identifiziert, durchlebt er die von Lacan beschriebene Spiegelphase erneut (auch wenn die Zuschauer/innen natürlich nicht sich selbst sehen) und wird in diesem Moment in die Position des omnipotenten Subjektes versetzt. Dieser Moment ist also gleichzeitig ein Moment der Verkennung, sodass nach der Apparatustheorie »das Funktionieren des Films auf eine Struktur regelhafter Verkennungen zurückzuführen« ist.110 Im dunklen Kino Filme zu schauen ist demnach ein Verführtwerden, eine Einladung, in einen kindheitsähnlichen Zustand zurückzukehren, in welchem die Phantasie regiert. Es ist die Deutung des Films als das Unbewusste und als das Subjekt konstituierender Faktor, die die psychoanalytischen Ansätze für die Filmwissenschaften so fruchtbar machen. Die von Metz und Baudry in der Apparatusdebatte vorgenommene Konzentration auf psychoanalytische Modelle hat, wie erwähnt, auch den Weg für die feministische Filmtheorie geebnet. Die unterschiedlichen Versuche, Film- und Psychoanalyse miteinander zu verbinden, gehen in der – im englischsprachigen Raum – auch Screen Theory genannten Forschung auf.111 Insbesondere die Fragen der Signifikation und des

(1982): The Imaginary Signifier: Psychoanalysis and the Cinema. Bloomington, IN (Orig. 1975). 110 Hartmut Winkler (1992): Der filmische Raum und der Zuschauer. ›Apparatus‹ – Semantik – ›Ideologie‹. Heidelberg, S. 13. 111 Die Screen Theory umfasst unterschiedliche theoretische Ansätze, die namentlich durch die Erkenntnisse Saussures, Althussers und Lancans inspiriert sind. Ihr Namen geht auf die britische Filmzeitschrift Screen zurück, in der viele der Aufsätze veröffentlicht worden sind, unter anderem auch die von Christian Metz oder von Laura Mulvey. Vgl. Mark Jancovich (1995): »Screen Theory«, in: Hollows/Jancovich: Approaches 50

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Zuschauens sind für die feministischen Filmtheorien »as a political weapon« von großer Bedeutung.112 Sie untersuchen einerseits, wie sexuelle Differenz in die klassische Filmerzählung eingeschrieben ist, d.h. wie Gender in Filmen hergestellt wird, und andererseits die Wirkung dieses Prozesses auf den/die Zuschauer/in, um das »patriarchale Unbewusste« zu analysieren.113 Die zentrale Frage der Apparatustheorie nach der Konstituierung des Subjekts, also‚ »was passiert eigentlich mit den Zuschauer/innen im Kinosaal?«114 reformuliert die feministisch orientierte Filmtheorie dahingehend, ›wie werden Filme vergeschlechtlicht rezipiert?‹ Insbesondere die Ausführungen Lacans wie ›Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion‹,115 in der er auf Freuds Theorie des Narzissmus rekurriert und den Begriff des Imaginären systematisiert sowie die Ausführungen zum Phallus in ›Die Bedeutung des Phallus‹ sind maßgebliche Texte, da sie den Vorgang der Identitätsbildung beschreiben.116

2.3.1 Lacansche Vorgaben Nach Lacan wird das Kind in die Erfahrung des Mangels geboren – Verlust kennzeichnet das Selbst. Dieser Zustand beginnt mit dem Moment der Geburt und wird im weiteren Verlauf des Lebens durch verschiedene psychische Szenarien fortgeführt und gleichzeitig zu überwinden versucht. Insofern ist dem Menschen eine Sehnsucht, ein Begehren nach Vollständigkeit eingeschrieben. Die Versuche, die Unvollkommenheit zu überwinden – das Fehlen der Mutter zu ersetzen – finden sich in der Suche nach unerreichbarer Vollständigkeit wieder. Die stetig begehrten Objekte, die die Ganzheit wieder herstellen sollen, bezeichnet Lacan als »objet petit a«. Dieses Objekt a »derives its value from its identifaction with some missing component of the subject’s self.«117 Das bedeutet,

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to popular Film, S. 123-151, und Screen Editorial Colletive (Hg.) (1991): The Sexual Subject: A Screen Reader in Sexuality. London. Laura Mulvey: »Visual Pleasure and Narrative Cinema«, in: Screen Editorial Colletive: The Sexual Subject, S. 22-33, S. 22. Ann Kaplan (1984): »Ist der Blick männlich?«, in: Frauen und Film 36, (Orig. 1983), S. 45-61, S. 49. Christina v. Braun (2000): »Medienwissenschaft«, in: Dies./Inge Stephan (Hg.): Gender Studien. Eine Einführung. Stuttgart/Weimar, S. 300312, S. 301. Jacques Lacan (1973): »Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint«, in: Norbert Haas (Hg.): Jacques Lacan. Schriften I. Frankfurt a.M., S. 61-70. Jacques Lacan (1975): »Die Bedeutung des Phallus«, in: Norbert Haas (Hg.): Jacques Lacan. Schriften II. Olten/Freiburg Br., S.119-132. Kaja Silverman (1983): The Subject of Semiotics. New York, S. 156. 51

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dass das Begehren nie erfüllt werden wird, sondern immer im Bereich der Fantasie, im Bereich des Imaginären bleiben muss und den Menschen sein ganzes Leben hindurch begleitet. Nachfolgend werden die für die Filmtheorie zentralen psychoanalytischen Konzepte, die Spiegelphase, die ödipale Krise und die daraus hervorgehende unterschiedliche Beziehung von Männern und Frauen zum Phallus in gebotener Kürze vorgestellt. Anschließend sollen ihre wissenschaftlichen Implikationen diskutiert werden.

Die Spiegelphase Die Entwicklung des Subjekts durchläuft mehrere Stufen und beginnt im Bereich des Imaginären. Die Konstituierung des Subjekts in der Spiegelphase beruht auf visueller Aktivität. Im frühesten Kindesalter konzipiert das Kind beim Blick in den Spiegel ein imaginäres Bild seines Körpers. Mit diesem gesehenen Bild identifiziert sich der Mensch und nimmt sich als Einheit wahr, er stellt sich als Subjekt her, auch wenn die tatsächlichen Fähigkeiten des Menschen in diesem Stadium noch nicht sehr weit entwickelt sind, und er auf Hilfe von außen angewiesen ist. Dadurch erfolgt: »die triumphale Setzung eines Ideal-Ich, vermittelt durch das Spiegel-Imago, die dem Kind als Garant jener Einheit und Dauerhaftigkeit, jener Präsenz und Omnipotenz dient, die seine körperliche Existenz ihm noch nicht verleihen kann.«118

Das Sich-Erkennen (me connaître) und die dazu gehörende Vorstellung des ›Perfekt-Seins‹ ist aber gleichzeitig auch ein Moment des Verkennens (méconnaître), da die Einheit nur imaginiert und nicht real ist. So muss das Subjekt seine gespaltene Identität feststellen, denn es kann sich nur eines Bildes vergewissern, welches an einem anderen Ort ist. Identifikation kann demnach nur gespalten sein, macht sich am Äußeren fest und bedarf eines Anderen zur Sanktionierung, z.B. »by the mother who points out the mirror-image and says‚ that’s you».119 Von diesem Moment an wird das Selbst als gespalten erfahren. Für Lacan ist die im Spiegelstadium gemachte Erfahrung nur der Beginn der Subjektbildung. Jeglicher identifikatorische Prozess wird auf der Matrix dieses Modells vollzogen, d.h. immer wieder versucht das Subjekt »mit sich selbst als einem anderen« eins zu sein.120 Die in der Spiegelphase begonnene 118 Gerda Pagel (2002): Jacques Lacan. Zur Einführung. Hamburg (Orig. 1989), S. 23. 119 Jancovich: »Screen Theory«, S. 135. 120 Pagel: Jacques Lacan, S. 30. 52

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Konstituierung des Subjekts wird später durch den Eintritt in die Sprache, also in die symbolische Ordnung fortgeführt, deren Existenz und Bedeutung dem Subjekt bereits vorgängig ist. Darüber hinaus bietet der Rekurs auf die Freudsche Theorie des Ödipalen Systems auch einen nach Geschlechtern unterschiedenen Zugang zum Zuschauen und zur Identifikation und wurde deswegen zum Ausgangspunkt feministischer Theoriebildung und Diskussion.

Das phallische Subjekt Nach Freud und Lacan ist die ödipale Phase entscheidend für die geschlechtliche Identitätsbildung. Während der Säugling in der präödipalen Phase ›eins‹ mit der Mutter ist und – als Objekt, das die Mutter komplettiert – nur begehrt, von ihr begehrt zu werden, wird diese Identifikation in der ödipalen Phase zerstört. Bis zur ödipalen Phase imaginiert sich das Kind also als ›der Phallus Sein‹. Die ödipale Krise beginnt damit, dass der Vater die Mutter-Kind-Dyade zertrennt, indem er die Identifikation mit (das Begehren) der Mutter untersagt. Dieser Vorgang hat für beide Geschlechter schwerwiegende Auswirkungen: Der Eintritt in die symbolische Ordnung, also die Ordnung der Sprache, bedeutet für den Jungen, sich dem Gesetz des Vaters zu unterwerfen und das auf die Mutter gerichtete Begehren durch ein anderes Begehren zu ersetzen – gleichzeitig erkennt er die Kastration der Mutter. Dieses ›ersetzte‹ Begehren findet durch Zeichen, Signifikanten statt. Und dieser Signifikant ist der Phallus. Wenn das Kind ein Mädchen ist, identifiziert es sich mit der Mutter und erfährt sich als mangelhaft. Ihr Verhältnis zur symbolischen Ordnung ist demnach durch einen Mangel gekennzeichnet, die Frau wird zum ›Anderen‹, zum Rätselhaften und Geheimnisvollen. Nur indem die Frau das männliche Begehren internalisiert und sich als weiblich maskiert, tritt sie in die symbolische Ordnung ein und wird so zur Matrix männlicher unbewusster Entwürfe.121 Während der Junge vom Vater den symbolischen Phallus verliehen bekommt, also den ›Phallus hat‹, repräsentieren Frauen den Phallus, sie ›sind der Phallus‹.122 Folglich definieren sich beide Geschlechter in Beziehung zum Phallus. Das Kastrationsszenario erschafft: »the division between masculine and feminine that possession of the phallus signifies. […] The phallus can be seen to have two interrelated meanings, cor121 Die eindeutigen Rollenzuweisungen, was die Sphäre der Mutter und des Vaters anbelangt, bezeugen, dass die Freudsche Theorie des Ödipuskomplexes tief in der heterosexuell bürgerlichen Wertewelt des frühen 20. Jahrhunderts verankert ist. 122 Perinelli: Liebe ’47, S. 63. 53

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responding to the pre-Oedipal and Oedipal phases. First, as an imaginary and detachable organ – the penis that the child believes the mother to posses – it is an effect of fantasy of unity and completion. Second, as a result of the recognition of castration, the phallus comes to signify the law of the father and entry into the symbolic. As such it is a presence representing an absence, a signifier of loss and thus a later version of the originary lost object.«123

Das Problematische an dieser Logik ist, dass sie aus einem männlichen Blickwinkel formuliert wurde, da die Frau immer die Kastrierte ist und nur über eine Verschleierung ihrer Kastration in die symbolische Ordnung eintreten kann. Auch die Ausrichtung der Vater-Mutter-Kind Triade mit ihren festgelegten Rollen, der Säugling wolle stets von der Mutter begehrt werden, der Vater sei derjenige, der die Mutter-Kind Dyade trenne, der das ›non du père‹ formuliere, verweist auf das bürgerliche und patriarchal hierarchische Gefüge dieser Theorie. Der ödipale Komplex bei Lacan bezieht sich, im Unterschied zu Freud, nicht auf eine bestimmte Entwicklungsstufe, sondern wird als grundlegende Struktur verstanden, die das Sein des Subjekts bestimmt. Dementsprechend lässt er sich nicht auf das reale Handeln von Vater und Mutter beschränken. Vielmehr ist der Vater Repräsentant der symbolischen Ordnung, der das ›Gesetz‹, das in dieser Logik nicht umsonst das des Vaters heißt, ausspricht. »Im Namen des Vaters müssen wir die Grundlage der Symbolfunktion erkennen, die seit Anbruch der historischen Zeit seine Person mit der Figur des Gesetzes identifiziert.«124 Die Verknüpfung von ahistorischer Festschreibung mit dem Begriff des Gesetzes verdeckt, dass es gesellschaftliche Normen sind und keineswegs schon immer feststehende Gesetze, die die Zweigeschlechtlichkeit definieren.125 Außer dieser ahistorischen Festschreibung ist es aber auch aus erkenntnistheoretischen Gründen problematisch, das Narrativ des Ödipus als grundlegend für die menschliche Ordnung an sich anzunehmen, wie es z.B. Lacan tut. Die Gefahr, die in einem solchen Universalanspruch liegt, besteht darin, dass schlussendlich jede Narration, jedes Begehren irgendwie durch den Ödipuskomplex erklärbar sein müs123 Robert Stam/Robert Burgoyne/Sandy Flitterman-Lewis (1992): New Vocabularies in Film Semiotics. Structuralism, Post-Structuralism and Beyond. London/New York, S. 134. 124 Jacques Lacan (1996): »Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse«, in: Norbert Haas/Hans-Joachim Metzger (Hg.): Jacques Lacan. Schriften I. Freiburg Br. 1996, S. 71-131, S. 119. 125 Butler hat, indem sie die Materialisierung und Veränderbarkeit von Körpern und Gender betont, aufgezeigt, wie in dem wirkungsmächtigen Diskurs der Psychoanalyse Kulturelles mit Materiellem verzahnt ist (vgl. Kap. 2.2.1). 54

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se. Allerdings sollte spätestens dann gefragt werden, welchen Erkenntnisgewinn eine solche Theorie leisten kann. Für die Filmanalyse fruchtbarer ist jedoch die Ausgangsprämisse, nach der Identitätsbildung in der psychoanalytischen Filmtheorie immer in Auseinandersetzung mit dem ›Anderen‹ stattfindet. Filmisch wird die Subjektivierung vor allem durch ein bestimmtes Verfahren erzeugt, die Suture.126 Sie bezeichnet die Verbindung zwischen dem Symbolischem und dem Imaginärem, in dem sich das Subjekt während des Filmschauens befindet und innerhalb dessen es begründet wird. Abgeleitet von Kameraeinstellungen, Schnittfolgen und insbesondere vom Schuss/Gegenschussverfahren, Techniken, die analog zur Erfahrung des Spiegelstadiums und der imaginären Vollständigkeit gesetzt werden, ist die Suture das Werkzeug, durch das im filmischen Verfahren die Subjektposition des Zuschauenden konstituiert wird.127 Dies geschieht, indem der/ die Zuschauer/in beim Betrachten der ›gerahmten‹ Bilder erkennt, dass es außerhalb seines Blickes einen fremden Blick geben muss, von welchem dieses Bild bereits gesehen wurde. Diese Erkenntnis endet im Gefühl des Mangels, da der durch die Kamera vorgegebene fremde Blick, die eigene Machtlosigkeit und die Macht des ›Abwesenden‹ offenbart.128 Durch den Auftritt des/der Darsteller/in im Gegenschuss wird diese Lücke aufgefangen, der Blick quasi neu konstituiert. Gleichzeitig wird dadurch aber der Konstruktionscharakter des Mediums Film und damit der seiner Aussagen verschleiert.

126 Suture ist aus dem Französischen aus der Medizin entlehnt und bedeutet eigentlich Wundnaht. 127 Die Schwerpunkte innerhalb der Suture-Theorien sind unterschiedlich gesetzt worden. Während für einige Theoretiker/innen das Schuss/Gegenschussverfahren im Zentrum steht, richten andere ihre Aufmerksamkeit auf die Narration bzw. auf die psychischen Prozesse während des Zuschauens. Silverman stellt die unterschiedlichen, sich überschneidenden Theorien vor. Silverman: Subject of Semiotics, S. 194-222. Und: URL: http://www.auniviec.at/Medienwissenschaft/reichert/dipl/09Suture. htm (15.4.06) 128 »However, as has been established, whether it is called the absent one or not, there is always an invisible discursive agency in any cinematic construction. In a film »someone looking« is always the representation of someone looking, and the notion of enunciative source connects this representation to desire.« Stam/Burgoyne/Flitterman-Lewis: New Vocabularies in Film Semiotics, S.170. 55

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2.3.2 Rewriting der Psychoanalyse aus feministischer Sicht Blickregime: Wer sieht was? Laura Mulvey machte die Theorien von Freud und Lacan und die Apparatustheorie für eine feministische Analyse des klassischen Erzählkinos fruchtbar. Jedoch ging es ihr, im Gegensatz zu Freud und Lacan, darum, zu zeigen, wie die signifizierende Praxis in der westlichen patriarchalen Gesellschaft die Mythen über Frauen und männliche Schaulust organisiert. Ich werde im Folgenden ihren sehr einflussreichen Text kurz skizzieren, der die Filmtheorie bis heute maßgeblich prägt. Anschließend sollen einige Kritikpunkte daran in knapper Form aufgezeigt werden, um abschließend zu einer kritischen Würdigung zu kommen. Der Schlüsseltext in diesem Zusammenhang ist Mulveys Aufsatz »Visual Pleasure and Narrative Cinema«129, in dem sie den Akt des Zuschauens theoretisiert. In Erweiterung der Apparatustheorie fragt Mulvey nach der sexuellen Differenz. Ziel ihrer Analyse war es, aufzuzeigen, wie »the unconscious of patriarchal society has structured film form«.130 Ihrer Argumentation zufolge repräsentiert das klassische Hollywoodkino die patriarchalen Verhältnisse, nach denen ›aktiv‹ bekannterweise mit männlich und ›passiv‹ mit weiblich gleichgesetzt ist. Diese Gleichsetzung von männlich/aktiv und weiblich/passiv findet sich einerseits in der narrativen Struktur der Filme, die dementsprechend den männlichen Protagonisten als aktiven Teil inszeniert, der die Handlung vorantreibt, wohingegen die Frau als ohnmächtiges Objekt des männlichen Begehrens in Szene gesetzt wird. Andererseits funktioniert das Medium Film, indem es die Lust der Zuschauer/innen am Voyeurismus nutzt. Der dreifache Blick – der Blick im Film, genauso wie der der Kamera und der des/der Zuschauer/in auf den Film – wird als ein männlicher beschrieben. Der Mann ist also der ›Träger des Blicks‹ (male gaze), während die Frau dadurch zum Objekt wird – der ihr vorbehaltene Status ist der des Angeschautwerdens, des »to-be-looked-at-ness«.131 129 Laura Mulvey (1975): »Visual Pleasure and Narrative Cinema«, in: Screen 16 (3), S. 6-18. 130 Ebd., S. 7. 131 Dies beschreibt Mulvey wie folgt: »pleasure in looking has been split between active/male and passive/female. The determining male gaze projects its fantasy onto the female figure which is styled accordingly. In their traditional exhibitionist role women are simultaneously looked at and displayed, with their appearance coded for strong visual and erotic impact so that they can be said to connote to-be-looked-at-ness.« Ebd., S. 11. 56

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Die voyeuristische Betrachtungsweise ist folglich immer durch die Distanz zwischen dem Betrachter und dem zu Betrachtenden gekennzeichnet. Diese Blickstruktur vermittelt dem Betrachter ein Machtgefühl über das, was gesehen wird. Die Frau kann nur als kastriert, als Mangel, existieren und wahrgenommen werden. Denn in Anlehnung an die Theorie des Ödipuskomplexes kann die Frau immer nur der Phallus sein und damit steht sie für die Kastration bzw. die Angst vor derselben. Nach Mulvey ist das Faszinierende am Kino die narzisstische Identifikation des Zuschauers mit der idealen Figur auf der Leinwand, und da der männliche Protagonist der aktive Teil ist, identifizieren sich die Zuschauer mit ihm. Die Konsequenzen daraus sind für die Zuschauerinnen schmerzhaft, denn ihnen bleibt nur die Möglichkeit der identifikatorischen Position mit dem passiven Objekt auf der Leinwand – eine eigene Position weiblicher Schaulust ist nicht vorgesehen.132 Da die Frau den Kastrationskomplex materialisiert, muss das Kino die männliche Angst vor Kastration auflösen. Dies geschieht auf zweifache Weise: Die Frau wird in einen Fetisch verwandelt, wodurch die Kastration negiert und die Aufmerksamkeit vom Mangel abgewendet wird. Oder aber die Erzählstruktur deckt das ›weibliche Geheimnis‹ auf, und bestraft die Frau durch Tod oder Heirat, das heißt ein sadistischer Blick ist erforderlich, der die Frau abwertet. Diese beiden Strategien: Fetischismus und Voyeurismus sind demnach die Antwort auf männliche Kastrationsängste. In diesem Sinne ist die Frau: »reiner Signifikant für das männliche Unbewußte, kreist um dessen Haupttrauma, den Kastrationskomplex, und wird zum Schauplatz verschiedenster Bewältigungsstrategien.«133

Um dieses System, in dem es keinen aktiven Platz für Frauen gibt, zu verändern, forderte Mulvey eine neue Filmsprache des Blicks in einem avantgardistischen Gegenkino ein, wodurch die männliche Schaulust angegriffen werden könne. Mulveys Aufsatz hatte erheblichen Einfluss auf die feministische Filmtheorie und löste starke Kontroversen aus, die hier in kurzer Form 132 In dem Artikel »Afterthoughts on Visual Pleasure and Narrative Cinema« hat Mulvey sich der Frage der Zuschauerin zugewandt. Basierend auf Freuds Libido Theorie kommt sie zu dem Schluss, dass sich Zuschauerinnen nicht nur mit dem weiblichen Objekt auf der Leinwand identifizieren können, sondern auch eine männliche Position einnehmen können. Laura Mulvey (1989): »Afterthoughts on ›Visual Pleasure and Narrative Cinema‹ inspired by DUEL IN THE SUN«, in: Dies.: Visual and Other Pleasures. London, S. 29-38. 133 Heike Klippel: »Feministische Filmtheorie«, S. 171. 57

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zusammengetragen werden.134 Ein feststehender männlicher Blick hat Implikationen für die Bedeutungsproduktion. Demzufolge ist die Frage nach den Zuschauer/innen neu zu stellen. In dem Mulveyschen Konzept gibt es keinen Raum für ein weibliches Publikum. Aber dennoch gehen und gingen Frauen gerne ins Kino.135 So wurde/wird insbesondere das Konzept des male gaze heftig diskutiert. Ruby Rich formulierte in polemischer Form ihre Hoffnung auf andere Möglichkeiten für die Zuschauerin als »sich entweder mit Marilyn Monroe zu identifizieren oder mit dem Mann, der hinter mir sitzt und mir sein Knie in den Sitz rammt.«136 Kritisiert wurde Mulvey vor allem für den Essentialismus, der der rigiden aktiv/passiv Anordnung und der Unmöglichkeit jeglicher weiblicher Subjektivität zugrunde liegt.137 Denn sowohl der Zuschauer als auch die auf der Leinwand dargestellte Männlichkeit werden als monolithische Einheiten beschrieben, als gäbe es nur eine Form des Zuschauens, eine Form von Männlichkeit und nur eine Form der Sexualität, nämlich Heterosexualität. So betonte Jackie Stacey, dass in diesem analytischen System der Zuschauerin nur die »three rather frustrating options of masculinisation, masochism or marginality« blieben und plädierte für ein komplexeres Verständnis vom Zuschauen.138 Die ›Antworten‹ auf Mulveys Theorie und ihre Weiterführung durch andere Forscher/innen rücken so unterschiedliche Themen wie die weibliche ödipale Erfahrung, die die Möglichkeit des fluiden, bisexuellen Blicks in sich birgt,139 oder die Analyse von Filmfrauen als aktive, 134 Einen sehr guten Überblick über die psychoanalytische Filmtheorie und die Reaktionen auf Mulveys Aufsatz bieten Barbara Creed: »Film and Psychoanalysis«, in: John Hill und Pamela Church Gibson (Hg.) (1998): The Oxford Guide to Film Studies. Oxford, S. 77-90 und Patricia White: »Feminism and Film«, in: ebd. S. 117-131. Sowie die Kapitel zu Psychoanalyse und feministischer Filmtheorie in: Pam Cook/Mieke Bernink (Hg.) (1999): The Cinema Book. London, S. 341-366. 135 Darauf verwies Heide Schlüpmann bereits 1990 in dies (1990): Unheimlichkeit des Blicks. Das Drama des frühen deutschen Kinos. Frankfurt a.M.. 136 Michelle Citron/Julia Lesage/B. Ruby Rich/Anna Maria Taylor (1978): »Women and Film: A Discussion of Feminine Aesthetics«, in: New German Critique 13, S. 83-108, S. 87. 137 Teresa de Lauretis (1984): Alice doesn’t. Feminism, Semiotics, Cinema. Bloomington, IN. 138 Z.B. Jackie Stacey (1987): »Desperatly Seeking Difference«, in: Screen 28 (1), S. 48-61, S. 51. 139 Tania Modleski (1982): »Never to Be Thirty-Six Years Old«, in: Wide Angle 5 (1), S. 34-41. Der/Die Zuschauer/in hat in diesem Modell die Möglichkeit zwischen männlichen und weiblichen Positionen abzuwechseln. 58

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mächtige und kastrierende Monster in den Fokus des Interesses.140 Außerhalb der psychoanalytischen Kritik beanstanden stärker filmhistorisch motivierte Analysen die Gleichung Frau = Objekt. Judith Mayne untersuchte zum Beispiel die Erzählstrategien des frühen Kinos, die jene Gleichung nicht unbedingt bestätigen.141 Auf einen gänzlich blinden Fleck in der psychoanalytisch inspirierten feministischen Filmtheorie machte u.a. bell hooks aufmerksam: »Feminist film theory rooted in an ahistorical psychoanalytic framework that privileges sexual difference and actively suppresses recognition of race.«142 Da sich psychoanalytische Filmtheorien in erster Linie auf das Differenzkriterium Geschlecht konzentrieren und jene als unabdingbar zur Subjektkonstitution begreifen, kann die Filmerfahrung schwarzer Frauen mit dem Vokabular der Psychoanalyse nicht wirklich erfasst werden. Letztendlich wird, so der Vorwurf von bell hooks, durch eine solche Filmtheorie die NichtAnerkennung einer afro-amerikanischen weiblichen Subjektivität weiterhin verstärkt, zumal schwarze Frauen lange Zeit gänzlich von der filmischen Repräsentation ausgeschlossen waren. Eine solche Kritik öffnet den Blick für die Notwendigkeit einer stärkeren Historisierung auch von sexueller Differenz.

Perspektiven für die Männerstudien Wenngleich an diesem Ort die Auseinandersetzungen innerhalb der feministischen Filmtheorie nur grob gestreift werden konnten, möchte ich nachfolgend einige Aspekte den Blick, die Repräsentation von Männlichkeit und das phallische Subjekt betreffend, aufzeigen, die in dieser Arbeit eine Rolle spielen werden. Wenn der dominante Blick der ›männliche‹ ist, hat das nicht nur Konsequenzen für die weibliche Schaulust, sondern auch für die Beziehung zwischen Zuschauer und männlichem Körper auf der Leinwand. In der von Mulvey entwickelten Theorie gestaltet sich Weiblichkeit zwar als höchst problematisch, Männlichkeit hingegen scheint unproblematisch und sowohl filmintern und extern mit Macht ausgestattet zu sein. Im Wissen um die Performativität von Diskursen ist diese Setzung be-

140 Zum letzteren Punkt vgl. Tania Modleski (1988): The Women Who Knew Too Much: Hitchcock and Feminist Theory. New York. Barbara Creed: The Monstrous-Feminine: Film, Feminism and Psychoanalysis. New York 1993. 141 Judith Mayne (1986): »Der primitive Erzähler«, in: Frauen und Film 41, S. 4-17. 142 bell hooks (1992): Black Looks: Race and Representation. Boston, S. 123. 59

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denklich und es muss das Ziel einer Filmanalyse sein, zu untersuchen, unter welchen Bedingungen auch der männliche Körper erotisiert und Objekt des voyeuristischen (männlichen und weiblichen) Blickes wird, unter welchen Bedingungen der männliche Körper phallisch, bzw. nichtphallisch wirkt, und in welcher Beziehung die Repräsentation von Männern zu Macht, Sexismus und Frauen steht. Richard Dyer und Steve Neale beschäftigten sich als erste mit dem männlichen Körper als Objekt des Blickes. Zwar teilen beide die Prämisse, dass der Zuschauerblick im Kino implizit männlich ist, untersuchen aber die Möglichkeiten, unter denen eine Erotisierung des männlichen Körpers möglich ist.143 Neale analysiert klassische Männergenres wie zum Beispiel Western und Abenteuerfilme hinsichtlich der Identifikation, dem voyeuristischen und fetischistischen Blick unter der Prämisse, dass es im Kino zwei Formen der Identifikation gibt, die phantastische und die narzisstische, weshalb widersprüchliche und geschlechtsübergreifende Identifikationen möglich sind. Die narzisstische Identifikation, die aus Vorstellungen von Macht, Omnipotenz und Kontrolle gespeist wird, ruft ein mächtiges, ideales Ego hervor.144 Aber genau die Konstruktion des ›ideal ego‹ ist ein widersprüchlicher, mit Fallstricken versehener Prozess, denn wenngleich es die Möglichkeit gibt, dass das Subjekt sich mit dem Modell identifiziert, kann eben dieses ideal ego auch Ängste auslösen, da das Subjekt dem Vorbild nie adäquat sein kann. Insofern kann es keine unproblematische Identifikation geben, weder für Frauen, noch für Männer. Der durch Macht und Distanz gekennzeichnete voyeuristische Blick, der von Laura Mulvey u.a. anhand von Hitchcock- und SternbergFilmen untersucht worden ist, existiert sowohl als Blick der Figuren zueinander als auch als Zuschauer/innen-Blick in Männergenres. In diesen Momenten, in denen der männliche Körper zur Schau gestellt wird, wird der Blick aber sowohl durch die narrative Struktur als auch durch die visuelle Inszenierung abgelenkt, weil den Zuschauer/innen der direkte Blick auf den männlichen Körper außer in Actionszenen nicht gestattet wird. Szenen, die den fetischistischen Blick erlauben, durch den nach Mulvey nur der weibliche Körper zur Schau gestellt und überhöht wird,

143 Richard Dyer (1992): »Don’t look now. The Male Pin-up,« in: The Sexual Subject: A Screen Reader in Sexuality. London/New York (Original 1982), S. 265-277. Steve Neale (1983): »Masculinity as Spectacle: Reflections on Men and Mainstream,« in: Screen 24 (6), S. 2-16, ebenfalls Screen Reader, S. 277-291. 144 Allerdings gibt es auch in Filmen mit einem ›allmächtigen Helden‹ immer den Moment, in dem die Männlichkeit des Protagonisten getestet wird. 60

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finden in den sogenannten Männerfilmen wie dem Western, z.B. im Shoot-Out oder den ausschweifenden historischen Epen jedoch Anwendung. Allerdings wird dem Zuschauenden auch hier der direkte Blick verwehrt; der Blick wird durch andere Charaktere getragen und ist meist nicht durch Bewunderung, sondern durch Aggression motiviert. Dessen ungeachtet werden bestimmte Stars wie Rock Hudson in Douglas Sirks Melodramen dem erotischen Blick freigegeben.145 Das Gleiche gilt für das Musical, das den männlichen Körper ebenfalls zur Schau stellt (vgl. Kap. 4.4.2). Nach Steve Neale ist Hudsons Körper bzw. der Körper des Musical Stars jedoch in diesem Moment feminisiert. Denn es sei im Hollywood Kino nur unter gewissen Bedingungen statthaft, den männlichen Körper zum erotischen Subjekt zu machen. Diese weitreichende These soll in der vorliegenden Arbeit überprüft werden. Kann es wirklich sein, dass Erotisierung im Film ausschließlich Feminisierung bedeutet? Wenn Weiblichkeit mit Mangel gleichzusetzen ist, und nur die Frau Fetisch ist, führt das zu dem zirkulären Schluss, dass das, was der erotischen Betrachtung freigestellt wird, feminisiert ist. Deswegen müsste es das Ziel sein, Abstand von diesem geschlossenen System mit den »traditionellen Gegensatzpaaren«146 zu nehmen und stattdessen zu fragen, unter welchen Bedingungen auch die erotische Darstellung des männlichen Körpers legitim ist. Des Weiteren müssen die Symbole und Handlungsweisen aufgespürt werden, die das feste Gefüge der Zweigeschlechtlichkeit in Frage stellen können.147 Die Bedingungen, unter denen der männliche Körper dem weiblichen Blick zur Schau gestellt werden kann, hat Richard Dyer anhand von Pin-Ups und anderen Fotografien untersucht.148 Im Gegensatz zu Frauen, die, sobald sie dem kontrollierenden Blick ausgesetzt sind, die Augen abwenden, weicht der Mann dem Blick aus, indem er entweder nach oben oder konzentriert in die Ferne schaut. Letzteres verweist auf ein wichtiges Ziel, das die Aufmerksamkeit des Schauenden ganz in Anspruch nimmt, während der Blick noch oben spirituelle Gebundenheit suggeriert. Schaut er zurück, ist der Blick ein starker, durchdringender. Der Diskurs, nach dem ›Angeschaut-werden‹ mit Passivität und Schauen mit Aktivität, Männlichkeit aber mit Aktivität verknüpft wird, bringt es mit sich, dass der Eindruck von Passivität beim angeschauten Mann vermieden werden muss. Deswegen sind die von Männern existierenden 145 Neale: »Masculinity as Spectacle«, S. 14. 146 Kaplan: »Ist der Blick männlich?«, S. 58. 147 Ein solcher Ansatz entspricht dem Vorhaben der queer theory. Vgl. dazu auch: Alexander Doty (1998): »Queer Theory«, in: Hill/Gibson: The Oxford Guide to Film Studies, S. 148-152. 148 Dyer: »Don’t look now«. 61

MANNSBILDER

Bilder oftmals Bilder des Mannes in Bewegung, oder aber zumindest wird der Körper in muskulöser Anspannung gezeigt. Denn angespannte Muskeln sind neben dem Versprechen auf baldige Aktivität hart und, als Zeichen für Macht, phallisch. Die phallische Repräsentation von Männern durch angespannte Muskeln, geballte Fäuste und kantige Gesichter, um nur einige Kennzeichen zu nennen, hat nach Dyer in ihrer Übertreibung oftmals eine fast hysterische Qualität.149 Deren Grund liegt in der Korrelation von Penis und Phallus. Auch wenn der Phallus nach Lacan nicht an ein bestimmtes Organ gebunden ist,150 ist der Phallus doch nicht zufällig das für männliche Macht gewählte Symbol. Wenn zwischen Penis und Phallus eine Symbolbeziehung existiert, bedeutet das zwar, dass das eine nicht das andere ist, gleichzeitig besagt die Symbolbeziehung aber auch: »Wenn der Phallus nur in dem Ausmaß signifiziert, in dem er nicht der Penis ist, und der Penis als derjenige Körperteil beschrieben wird, der der Phallus nicht sein soll, dann ist der Phallus grundlegend auf den Penis angewiesen, um überhaupt symbolisieren zu können. Tatsächlich wäre der Phallus ohne den Penis nichts.«151

Und genau hierin liegt eine weitere Instabilität des männlichen Bildes: Der Penis kann dem Phallus nie gewachsen sein, er kann niemals dessen mystische Macht erreichen.152 In diesem Sinne strebt jede phallische Darstellung nach der Verkörperung des Phallus, die doch nie erlangt werden kann.153

149 Ebd., S. 274. 150 »Er ist als solcher ebenso wenig ein Objekt (ein partiales, internes, gutes, böses etc.), insofern dieser Begriff die Realität hervorhebt, die in einer Beziehung angesprochen wird. Noch weniger wohl ist er ein Organ, Penis oder Klitoris, das er symbolisiert. Nicht ohne Grund hat Freud hier sich auf jenes Simulacrum bezogen, das der Phallus für die Antike war. Denn der Phallus ist ein Signifikant.« Jacques Lacan: »Die Bedeutung des Phallus«, S. 125f. 151 Butler: Körper von Gewicht, S. 124. 152 Dies ist auch der Grund, warum in Film und Fernsehen das ›Tabu‹ weitgehend besteht, Männer nicht allzu oft nackt zu zeigen. 153 Dyer: »Don’t look now«, S. 275. Nach Butler eröffnet genau diese unerreichbare Idealisierung die Möglichkeit, die Verknüpfung von Phallus mit männlicher Morphologie in Frage zu stellen. Der Phallus kann in ihren Augen entprivilegisiert werden und dadurch die signifizierende Kette durchbrechen. Er kann vom Penis losgelöst werden und von jedem anderen Körperteil angenommen werden. Butler entwirft das Modell des lesbischen Phallus, der den Phallus resignifiziert. Vgl. Butler: Körper von Gewicht, S. 129ff. 62

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2.3.3 Dominante Fiktion Trotz aller Einschränkungen geht diese Arbeit von der Verknüpfung von Penis und Phallus aus, da die Korrelation von Penis und Phallus wesentlich unsere Gesellschaft konstituiert, oder wie Silverman sagt: »Our entire ›world‹ then, depends upon the alignement of phallus and penis.«154 Diese Verbindung kann als eine der ›dominanten Fiktionen‹ unserer Gesellschaft bezeichnet werden.155 Der Begriff der ›dominanten Fiktion‹ zielt sehr eingängig auf das, was in einer Gesellschaft für wahr, als ›Realität‹ gilt. Dabei verknüpft er das kulturelle Bilderrepertoire, zu dem die filmischen Repräsentationen zählen, mit der Frage nach der Beziehung von Gender und Macht. Die ›dominante Fiktion‹ konstituiert sich aber nicht nur aus bewussten Überzeugungen, sondern vielmehr aus dem psychischen Bereich des Unbewussten, des Imaginären – gemeint sind jene Bilder und Narrative einer Kultur, durch die das einzelne Subjekt mit der symbolischen Ordnung verbunden ist. Jedoch ist die ›dominante Fiktion‹ nicht nur das System, durch das das Subjekt durch Formung eines normativen Begehrens und einer ebensolchen Identifikation mit der symbolischen Ordnung verknüpft wird, vielmehr ist sie durch ihren ›Willen zur Totalität‹ gekennzeichnet, das heißt sie ist jener Mechanismus, durch den eine Gesellschaft »tries to institute itself as such on the basis of closure, of the fixation of meaning, of the non-recognition of the infinite play of differences«.156 Nachkriegszeiten können als Zeiten verstanden werden, in denen diese Gleichung, sowie andere Elemente der ›dominanten Fiktion‹ vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. Während der Soldat an der Front durch die kämpferische Kameradschaft die Fiktion einer phallischen Männlichkeit in der Regel aufrecht erhalten kann, gelingt dies nach Rückkehr in die zivile Gesellschaft nicht mehr unbedingt.157 Insbesondere der traumatisierte oder körperlich versehrte Veteran entspricht nicht mehr der Vorstellung einer phallischen Männlichkeit, er wird zu dem sichtbaren Beweis dafür, dass Penis und Phallus nicht übereinstimmen. 154 Kaja Silverman (1992): Male Subjectivity at the Margins. New York/London, S. 16. 155 Silverman entwickelte das Konzept der ›dominanten Fiktion‹ in: Silverman: Male Subjectivity, Kap. 1 und 2. 156 In dieser Weise erklärt Ernesto Laclau den Begriff der Ideologie. Zit. nach Silverman: Male Subjectivity, S. 54. 157 Norbert Finzsch/Michaela Hampf (2001): »Männlichkeit im Süden, Männlichkeit im Norden. Zur Genese moderner amerikanischer Männlichkeitskonzepte in der Epoche des Bürgerkriegs (1861-1865)«, in: Martschukat/Stieglitz: »Mannigfaltigkeit«, S. 53. 63

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Was kennzeichnet die ›dominante Fiktion‹ nun konkret nach 1945? In ihrem Zentrum stehen das männliche Subjekt bzw. seine ihm angemessenen Repräsentationsformen und die Einheit der Familie. Das männliche Subjekt ist im Rahmen dieser Konzeption dann adäquat, wenn es die Übereinstimmung von Penis und Phallus gewährleistet. Sein Hauptdifferenzierungsmerkmal ist die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich, »its most fundamental equation is that of penis and phallus; and its most central signifier is the family«.158 Wie in Kapitel 3.1 gezeigt werden wird, ringen die Filmmänner in der unmittelbaren Nachkriegszeit um diese Übereinstimmung. Allerdings kann das sowohl als Bedrohung (THE MEN) wie auch als Chance (CRACK UP) begriffen werden. Die Verknüpfung von Penis und Phallus funktioniert jedoch nur, weil sie stetig wiederholt wird. Diese Reiteration lässt, wie gezeigt (vgl. Kap. 2.2), auch immer die Möglichkeit der subversiven Wiederholung zu. Eine Möglichkeit, die Gleichsetzung von Penis und Phallus zu durchbrechen, bietet die masochistische Männlichkeit159 oder auch die Homosexualität. Die ›dominante Fiktion‹ hat nur solange Bestand, wie sie von der Gesellschaft getragen wird. Dieses geschieht weniger durch bewusste Überzeugungen als durch die psychische Verbindung mit der symbolischen Ordnung. Dennoch ist auch jenes intelligible System der ›dominanten Fiktion‹ auf der Leinwand nicht unumstritten: »It figures there more prominently than any other system of intelligibility, but is often sharply contested by competing views of ›reality‹. Indeed, I will go so far as to suggest that the screen conventionally consists not only of normative representations, but also of all kinds of oppositional and subcultural representations.«160

Filme haben die Möglichkeit eine ›andere‹ Männlichkeit als die hegemoniale zu idealisieren und sogar begehrenswert zu machen und damit letzten Endes gegebenenfalls in die ›dominante Fiktion‹ einzuschreiben. Ziel dieser Arbeit ist es, jenen Auseinandersetzungen und Neueinschreibungen nachzuspüren, die im Pool der Repräsentationen stattgefunden haben.

158 Kaja Silverman (1996): The Threshold of the Visible World. New York, S. 178. Weitere Konstituenten der ›dominanten Fiktion‹ sind Race und Class, aber natürlich auch andere Differenzkriterien. 159 Silverman: Male Subjectivity, S. 213. 160 Silverman: Threshold of the Visible World, S. 179. 64

PRÄMISSEN

Auf Lacans Psychoanalyse fußende Filmanalysen haben einen wertvollen Beitrag in der Filmwissenschaft geleistet. Ihre Probleme liegen aber in ihrem Anspruch auf Allgemeingültigkeit ödipaler Strukturen. Aus diesem Grund können sie in einer geschlechterhistorischen Arbeit allein nicht befriedigend sein. Grundsätzlich ist dennoch festzuhalten, dass sie Themen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt hat, wie die Blickstruktur, das Begehren und die Korrelation von Penis und Phallus, die von anderen filmtheoretischen Zugängen vernachlässigt worden sind. Deswegen werde ich ihre Terminologie in Teilen auch für diese Arbeit nutzbar machen. Dabei geht es weniger darum, eine weitere psychoanalytische Interpretation der einzelnen Filme zu liefern, stattdessen werden z.B. mit Hilfe des analytischen Konstruktes des Phallus die Strukturen herausgearbeitet, die die Geschlechterbeziehungen dominieren. Darüber hinaus ist die Psychoanalyse eines der wirkungsmächtigsten Episteme in der westlichen Welt des 20. Jahrhunderts. Insofern sind die von ihr beschriebenen psychischen Strukturen durch ihre performative Kraft maßgeblich daran beteiligt, Gender und sexuelle Orientierung, insbesondere die Vorstellung einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit, zu konstituieren. Auch die Logik der Suturetheorie soll historisiert werden. Nicht der/die ›Zuschauer/in als ahistorisches Subjekt an sich‹ steht im Zentrum des Interesses, sondern das historische Publikum und die damit verbundene Frage, wie spezifische Subjekte in einer spezifischen Gesellschaft konstituiert werden. Die Rezeption soll dementsprechend ihre historische Dimension zurückerhalten. Auch wenn die Geschichte des Publikums sehr schwer zu schreiben ist,161 wird im folgenden Unterkapitel dargelegt, wie jener monolithische Begriff des Publikums mit den Überrestquellen Rezensionen, Zuschauerzahlen etc. verbunden wird.

2.4 Möglichkeiten einen Film zu lesen Wie gezeigt, begreift diese Arbeit Film erstens als einen Ort, in dem verschiedene Diskurse zirkulieren und zweitens als signifizierende Praxis, die auf die Konstitution von Subjekten zielt. Menschen, die ins Kino gehen, sind Teil einer bestimmten historischen und sozialen Konstellation und keine transhistorischen Subjekte. Deswegen drängt sich auch die 161 Um exakt zu sein, kann es auch gar keine ›Geschichte des Publikums‹ geben, da das Publikum sich aus verschiedenen Menschen aus verschiedenen sozialen Gruppierungen zusammensetzt. Insofern muss auch der Begriff des Publikums aufgebrochen werden. 65

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Frage nach der Wahrnehmung der Filme auf. Um herauszufinden, wie die Zeitgenossen einen Film verstanden haben, ist es notwendig, die Aufmerksamkeit weg vom ›Text‹ bzw. von allgemeingültigen psychischen Strukturen zu verlagern, und das Interesse auf die Zuschauer/innen zu richten,162 denn sie sind keine passive Masse, die von einem ›Text‹ beherrscht wird, sondern einzelne Subjekte, die im Akt der Rezeption selbst aktiv werden. Sie eignen sich den Film an und versehen ihn, gemäß ihrer Lebenswirklichkeit, mit Bedeutungen. Geht man davon aus, dass Filme relativ offene ›Texte‹ sind, bedeutet das, dass unterschiedliche Menschen in unterschiedlicher Weise auf sie reagieren.163 So kann ein Film in einer bestimmten Intention gedreht worden sein, kann aber gleichwohl von den Zuschauer/innen in anderer Weise verstanden werden, wie am Beispiel des Films BLACKBOARD JUNGLE gezeigt werden wird (Kap. 4.2.3). Gemäß Stuart Hall, der in seinem einflussreichen Text Encoding/Decoding (1973) ein Modell diverser Lesarten eines Textes entwickelt hat,164 entscheidet die soziale Klasse des/der Zuschauende(n) darüber, welche Lesart gewählt wird.165 Am Beispiel des Fernsehens entwirft Hall ein Muster, nach dem die Bedeutungsproduktion ein Prozess des Aushandelns zwischen Zuschauer/in und Text ist. Es gibt drei hypothetische Positionen, die die Zuschauenden hinsichtlich der dominanten Ideologie, die seiner Meinung nach vom Fernsehen immer reproduziert wird, einnehmen können. Zunächst die dominante Position, die der/die Zuschauerin einnimmt, der diese Position akzeptiert und verinnerlicht hat. Die zweite Position ist die der ausgehandelten Lesart, eine Zuschauposition, die zwar in großen 162 Der Begriff Zuschauer/in (spectator) umfasst ein anderes Konzept als das des Publikums (audience). Zuschauer/in meint das (auch) durch den Film konstituierte Subjekt, womit auch die Beziehungen zwischen Zuschauer/in und Film berücksichtigt werden. D.h. die Zuschauer/in versieht den Film aktiv mit Bedeutung und ist nicht nur die Empfänger/in einer im Film enthaltenen Botschaft. Der Begriff der audience hingegen hat soziale Implikationen und betont das Kino als soziale und wirtschaftliche Institutionen. Vgl. Annette Kuhn (1992): »Women’s Genres«, in: Screen Editorial Colletive: The Sexual Subject, S. 301-312. 163 Das bedeutet aber auch, dass Filme aus einer heutigen Perspektive ganz anders wahrgenommen werden können als aus der zeitgenössischen Betrachtung. 164 Stuart Hall (1999): »Kodieren/Dekodieren«, in: Roger Bromley/Udo Göttlich/Carsten Winter (Hg.): Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung. Lüneburg (Orig. 1973), S. 92-113. 165 Die Überbewertung der Kategorie Klasse hat David Morley in seinen Arbeiten zur Publikumsforschung konstatiert. Seinen ethnographischen Forschungen zufolge spielen die Kategorie Ethnie und Gender eine ebenso wichtige Rolle in der Rezeption von Texten. David Morley (1980): The Nationwide Audience. London. 66

PRÄMISSEN

Zügen die dominante Position akzeptiert, aber an bestimmten Punkten eine andere Wahrnehmung produzieren muss, also dort widerständig wird.166 Bei der dritten Lesart handelt es sich um die Oppositionelle, die gänzlich im Widerspruch zum System steht. Das Hallsche System ist insofern nützlich, als dass es die Aufmerksamkeit vom werkimmanenten Sinnangebot des Textes ablenkt.167 John Fiske hat dieses etwas statische, ausschließlich auf Klassen bezogene System erweitert, indem er grundsätzlich davon ausgeht, dass alle Lesarten ausgehandelte sind.168 Denn es gibt erstens keine Gruppierung, die ideologisch »völlig zentral positioniert« ist.169 Zweitens muss jeder Film polysem sein, um überhaupt von einer entsprechend großen Menge angeschaut zu werden. So schlägt er vor, die immanente Lektüre eines Textes zu erweitern, um sich den unterschiedlichen Lesarten anzunähern. Mit anderen Worten: Zur Analyse eines Films zählen auch die zeitgenössischen Dokumente, die ebenfalls von der Filmindustrie produziert wurden, wie Werbung, Kommentare, Pressehefte etc. Sie verhelfen ebenso wie andere Rezeptionsdokumente, z.B. Filmkritiken und Zuschauerzahlen dazu, Aufschlüsse über die »Rekonstruktion der konkreten Bedeutungskonstitution zur Entstehungszeit des jeweiligen Films« zu erlangen.170 Allerdings sind Zuschauerzahlen nur bedingt aussagekräftig, da sie lediglich konstatieren, wie viele Menschen ein Film (aus welchen Gründen auch immer) interessiert hat, jedoch sagen sie nichts über ihre Meinung zu dem Gesehenen aus.171 Die beiden Analyseebenen 166 Da der Ausgangspunkt Halls die soziale Klasse ist, beziehen sich auch die Punkte, an denen Lesarten ausgehandelt werden müssen, auf die soziale Situation. 167 In Deutschland hat Hans Robert Jauß etwa zeitgleich dafür plädiert, die Wirkung und Rezeption von Literatur in der Literaturgeschichtsschreibung zu berücksichtigen. Vgl. Jauß: Literaturgeschichte als Provokation, S. 144-208. 168 John Fiske (2001): »Die britischen Cultural Studies und das Fernsehen«, in: Rainer Winter/Lothar Mikos: Die Fabrikation des Populären. Der John Fiske Reader. Bielefeld (Orig. 1992), S. 17-69. 169 Ebd., S. 34. 170 Helmut Korte (1997): »Historische Wahrnehmung und Wirkung von Filmen. Ein Arbeitsmodell«, in: Hickethier, Knut/Müller, Eggo/Rother, Rainer: Der Film in der Geschichte. Dokumentation der GFF Tagung, Berlin, S. 154-166, S. 158. 171 Ein eindrückliches Beispiel für die begrenzte Aussagekraft von Zuschauer/innenzahlen findet sich in Nachkriegsgesellschaften, deren Städte komplett zerstört worden sind. So waren Kinos zum Beispiel in den Westzonen und Westberlin bis zur Währungsreform 1948 ein beliebter Aufenthaltsort. Da Kinobesuche sehr günstig waren und somit zu den wenigen erschwinglichen Freizeitangeboten zählten und da Kinos beheizt waren, was zumindest in dem kalten Winter 1946/7 ihre Attraktivi67

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– Produktanalyse und Rezeptionsanalyse anhand von weiteren Texten – können idealiter durch die vom Zuschauer selbst produzierte Bedeutung ergänzt werden. Eine solche Bedeutungsproduktion wäre z.B. in Leserbriefen und in der Aneignung des Gesehenen durch Übernahme von Kleidungs-, Sprach- oder Verhaltensstilen durch die Zuschauer/innen zu finden. Für das Kino der 1940 und 50er Jahre ist letztere Analyse in den meisten Fällen nur sehr schwer durchzuführen, da kaum ›nicht-offizielle‹ Aussagen zu den Filmen erhalten sind. Deswegen konzentriert sich diese Arbeit in erster Linie auf die Untersuchung der erstgenannten Ebene, auf die Analyse des Produktes Films. Flankierend dazu wird eine Rezeptionsanalyse anhand von Filmkritiken unternommen. Allerdings sind verfügbare Filmkritiken zu Spielfilmen der 1940er und 50er Jahre nur in sehr unterschiedlicher Anzahl erhalten.172 Da ich, wie im vorhergehenden Kapitel (Kap. 2.1) dargelegt, mit dem New Historicism davon ausgehe, dass in verschiedenen Filmen bestimmte Diskurse verhandelt werden, möchte ich mit einem diskursanalytischen Ansatz auf das Dilemma der Rezeptionsquellen antworten. Indem die Filme über Sekundärliteratur und andere Quellen in einem diskursiven Zusammenhang verortet werden, wird ein möglicher sinnvoller Rezeptionszusammenhang eröffnet. Eine kulturhistorische Filmanalyse kann natürlich keinen ›Nachweis‹ im sozialwissenschaftlichen Sinne anbieten, wie die Filme verstanden worden sind, stattdessen kann sie jedoch die verschiedenen zeitgenössischen Bedeutungsangebote herausarbeiten.

tät steigerte, sagen die Zahlen nicht unbedingt etwas über die Beliebtheit eines Filmes aus. 172 Ein großer Bestand an Materialien zu den Filmen findet sich in der Margaret Herrick Library der Academy of Motion Picture Arts and Science (AMPAS) in Los Angeles. Auch das Pacific Film Archive (PFA) in Berkeley beherbergt eine große Zahl an Filmbesprechungen. Im Folgenden nutze ich die Abkürzungen AMPAS und PFA. 68

3 AN T W O R T E N

AU F D E N

KRIEG

3.1 Kriegsheimkehrer: »Few men will emerge untouched by their experience«1 Unmittelbar nach dem Angriff auf Pearl Harbor hatte Präsident Roosevelt Hollywood dazu aufgefordert, den Krieg zu unterstützen, und sicherte in diesem Falle Freiheit von staatlicher Zensur zu. Innerhalb kurzer Zeit hatten die Studios mit Regierung und Armee durch das Office of War Information (OWI) eine Form der Zusammenarbeit gefunden, die sich für beide Seiten höchst erfolgreich entwickelte. 1943 wiesen über 29% der Filme einen direkten Bezug zum Zweiten Weltkrieg auf und spielten den Studios gleichzeitig gute Gewinne ein.2 Im August 1945 löste Präsident Truman das Office of War Information wieder auf, sodass die staatliche Einflussnahme auf die Filmindustrie in dieser Form nach Kriegsende nicht weiter fortgeführt wurde. 1 2

Robert A. Nisbet (1945): »The Coming Problem of Assimilation,« in: The American Journal of Sociology (4), S. 261-270, S. 262. Dazu Thomas Schatz (1997): Boom and Bust. American Cinema in the 1940s. History of the American Cinema. Vol. 6. Berkeley/Los Angeles, CA, S. 131-282, S. 240. Zu Hollywood und dem Zweitem Weltkrieg vgl. Thomas Doherty (1993): Projections of War. Hollywood, American Culture, and World War II. New York. Clayton R. Koppes/Gregory D. Black (1987): Hollywood goes to War: How Politics, Profits, and Propaganda Shaped World War II Movies. New York. George H. Roeder (1993): The Censored War. American Visual Experience During World War Two. London/New Haven, CT. Lawrence H. Suid (2002): Guts & Glory. The Making of the American Military Image in Film. Lexington, KY. Roland Schäfli (2003): Hollywood führt Krieg. So verfilmt Hollywood den Zweiten Weltkrieg. Eine Anthologie der Kriegsfilme, ihrer Stars und Regisseure. Gau-Heppenheim. 69

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Dessen ungeachtet wurde die Rolle, die die Massenmedien im Zuge der Demobilisierung spielen sollten, von verschiedener Seite diskutiert. So schrieb der Soziologe Alfred Schuetz: »They have to learn through the press, the radio, the movies, that the man whom they await will be another and not the one they imagined him to be. It will be a hard task to use the propaganda machine in the opposite direction, namely, to destroy the pseudotype of the combatant’s life and the soldier’s life in general and to replace it by the truth. But it is indispensable to undo the glorification of a questionable Hollywood-made heroism by bringing out the real picture of what these men endure, how they live, and what they think and feel – a picture no less meritorious and no less evocative.«3

Franklin Fearing, Psychologieprofessor an der UCLA und Vize-Vorsitzender der Hollywood Writers Mobilization, sah die Massenmedien ebenfalls gefordert und schätzte sie als die wichtigste gesellschaftliche Kraft im Prozess der Umerziehung ein. Er verknüpfte den Bildungsauftrag der Medien mit einer Abkehr von sentimentalen, auf das Individuum konzentrierten Darstellungen und forderte stattdessen eine stärker gesellschaftspolitisch ausgerichtete Orientierung der Filme. Ihr Ziel müsse es sein, eine Aussage über den Krieg zu treffen. »What are we trying to say about the war? How do we see ourselves and our future in the postwar world?«4 Diese Fragen beantwortete er, indem er eine positive Interpretation des Krieges verlangte. Außerdem warnte er davor, ein Bild zu entwerfen, das den Kriegsheimkehrer als therapiebedürftigen, psychotischen Mann zeige. Hollywoodfilme der unterschiedlichsten Genres hatten sich seit 1944 der Kriegsheimkehrerthematik angenommen und verhandelten die möglichen Folgen ihrer Rückkehr für die US-amerikanische Gesellschaft – in optimistischer wie auch in pessimistischer Form. Die Filmindustrie hatte bereits, als das siegreiche Kriegsende absehbar wurde, ihren Produktionsschwerpunkt auf Filme verlagert, die ein Leben ohne bzw. nach dem Krieg zeigten. Während der Kriegsfilm fast gänzlich von den Leinwänden verschwand, produzierte Hollywood ab 1946 verstärkt männerzentrierte Dramen, die man mit Thomas Schatz als »prestigelevel male melodrama« bezeichnen kann.5 Prinzipiell verwandt war das male melodrama dem gleichzeitig entstehenden Gesellschafts-Problem-

3 4 5 70

Alfred Schuetz (1945): »The Homecomer«, in: The American Journal of Sociology (5), S. 369-376, S. 376. Franklin Fearing (1945): »Warriors Return: Normal or Neurotic?«, in: Hollywood Quarterly 1 (1), S. 97-109, S. 108. Schatz: Boom and Bust, S. 369.

ANTWORTEN AUF DEN KRIEG

film6 und dem Film Noir. Ein Anzeichen für die Beliebtheit und Relevanz dieser männerzentrierten und gleichzeitig an gesellschaftlichen Problemen orientierten Filme in der unmittelbaren Nachkriegszeit sind die »Best-Film-Oscar« Gewinner der Jahre 1945-47 THE LOST WEEKEND (1945), THE BEST YEARS OF OUR LIVES (1946) und GENTLEMAN’S AGREEMENT (1947). Im Mittelpunkt dieser Filme stehen Männer, die Schwierigkeiten haben, sich in die Gesellschaft einzupassen, Alkoholismus, die Wiedereingliederung der Veteranen, körperliche Behinderungen und Antisemitismus. Doch bevor ich ausführlich auf die Wiedereingliederungsfilme eingehe, möchte ich einige Bemerkungen zu den Kriegsheimkehrern voranstellen. Die Umstellung von der Kriegs- auf die Friedensgesellschaft und die Aufgabe, die zurückkehrenden Soldaten einzugliedern7, eine Veränderung, die auch die Geschlechterbeziehungen entscheidend beeinflussen musste, hatte die öffentliche Meinung schon während des Krieges beschäftigt. In den ersten sechs Monaten nach Kriegsende kamen 11 Millionen Soldaten zurück in die USA. 1947 zählte die U.S. Veteran’s Administration (VA) 16.000.000 Veteranen. Das entspricht ca. 10% der Bevölkerung von 1940. Auch wenn 350.000 Frauen in der US-Armee gedient hatten, änderte dies nichts an der großen Dominanz männlicher Kriegsheimkehrer.8 Hinsichtlich der Demobilisierung wurden von den Regierungsverantwortlichen und großen Teilen der amerikanischen Öf6

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Der Gesellschafts-Problemfilm wird auch als Subgenre des Melodramas begriffen. Wichtiger als diese Klassifizierung ist aber die Tatsache, dass er in den späten 40er Jahren – ähnlich wie der Film Noir – boomte. 1947 machte er 28% der gesamten Hollywoodproduktion aus. Im Zuge der HUAC-Anhörungen ließ dieser Boom jedoch nach. 1954 waren nur noch 9,2% der produzierten Filme Gesellschafts-Problemfilme. Soldaten bezeichnet hier alle, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft bzw. im Dienst der Armee gestanden hatten, unabhängig davon, ob in der Army, Marine oder Luftwaffe. Die Frauen, die im Krieg waren, wurden überwiegend im Sanitätsbereich und der Verwaltung eingesetzt. 73% der Soldaten hatten ihren Dienst in Übersee versehen. Der Großteil von ihnen war jedoch nie in Kampfhandlungen verwickelt. Nach Schätzungen des Historikers Gerald F. Linderman nahmen nur 800 000 bis eine Million Soldaten an Kampfhandlungen teil. Zit. nach: Mark D. Van Ells (2001): To Hear Only Thunder Again. Americas World War II Veterans Come Home. Lanham, MA, S. V. Einen höheren Prozentsatz nannte das Verteidigungsministerium nach dem Krieg. »It is important to remember that in modern combat, the vast majority of troops do not engage in combat. In the U.S. Army in World War II, no more than 25 percent of those who served ever came under enemy fire. The infantrymen, the real fighters, comprise less than 10 percent of armed-forces strength.« Zit. nach Frank J. Wetta/Stephen J. Curley (1992): Celluloid Wars. A Guide to Film and the American Experience of War. Westport, CT, S. 44. 71

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fentlichkeit gesellschaftliche Schwierigkeiten erwartet. Diese bezogen sich auf die Gesundheit der Heimkehrer, ökonomische Probleme bei der Wiedereingliederung und auf die Tatsache, dass Veteranen traditionell als sozialer und politischer Unruhefaktor galten. Deshalb begannen die Planungen der US-Regierung zur Reintegration der Männer und Frauen bereits während des Zweiten Weltkriegs und fanden ihren wichtigsten gesetzgeberischen Abschluss im Serviceman’s Readjustment Act von 1944, auch GI Bill of Rights genannt. 9 Mit den Entlassungen aus der Armee gingen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt einher: Da die Produktivität der Wirtschaft nach Kriegsende um die Hälfte sank, stieg die Zahl der Arbeitslosen stetig an. Frauen waren von dieser Entwicklung wesentlich betroffen, die Zahl der berufstätigen Frauen sank in der Demobilisierungsphase von 19,5 Millionen auf 15,5 Millionen und entsprach damit in etwa den Zahlen der Vorkriegszeit.10 Aber auch die ehemaligen Soldaten sahen sich mit Arbeitslosigkeit konfrontiert – einer in der Armee im Mai 1945 durchgeführten Umfrage zufolge bestand die Hauptsorge der entlassenen GIs darin, keine Erwerbsarbeit finden zu können. Allerdings konnten sie, im Unterschied zu Rosie the Riveter staatliche Unterstützung durch die 1944 verabschiedete G.I. Bill of Rights erwarten. Viele Paare und Familien waren im Zweiten Weltkrieg hohen Belastungen ausgesetzt. Durch die Trennung der Soldaten von den Familien und aufgrund der Berufstätigkeit von Frauen und Jugendlichen und der damit einhergehenden Entfremdung voneinander veränderten sich die Beziehungen. Die Scheidungsrate stieg zum Kriegsende steil an, 1946 wurden 25% aller Ehen geschieden.11 Dementsprechend überrascht es nicht, dass die Integration der Kriegsheimkehrer in die Zivilgesellschaft in der Endphase des Krieges und in der Nachkriegszeit ein immens wichtiges Thema war, das nicht nur die damit befassten Regierungsstellen beschäftigte, sondern auch die öffentliche Meinung.12 Bereits in der

Die GI Bill of Rights stellte einen Kompromiss zwischen New Dealern und Konservativen dar, indem sie für finanzielle Unterstützung bei der Ausmusterung sorgte, Arbeitslosengeld, berufliches Training, finanzielle Anleihen etc. vorsah. Zur GI Bill of Rights vgl. Van Ells: To Hear Only Thunder, insbesondere Kap. 1, oder Richard Severo/Lewis Milford (1989): The Wages of War: When American Soldiers Came Home – from Valley Forge to Vietnam. New York. 10 Andrea S. Walsh (1984): Women’s Film and Female Experience, 19401950. Westport, CT, S. 76. 11 Steven Mintz/Susan Kellog: Domestic Revolutions, S. 170. 1947 ließen sich Veteranen doppelt so oft scheiden wie Nicht-Veteranen. 12 Zum Beispiel: »Annual Forum on Current Problems,« in: New York Herald Tribune, 22.10. 1944. Schuetz: »The Homecomer«.

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ANTWORTEN AUF DEN KRIEG

Spätphase des Krieges wurde, in erster Linie von Soziologen, eine populärwissenschaftliche Ratgeberliteratur – zumeist für die Zuhausegebliebenen – verfasst.13 Allerdings existierten auch speziell für die Soldaten geschriebene Ratgeber wie z.B. Psychology for the Returning Serviceman.14 Mit diesem aus psychologischer Perspektive geschriebenen Buch erhielten die heimkehrenden Soldaten einen Ratgeber an die Hand, der ihnen helfen sollte, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie der Krieg sie veränderte habe und wie sie die gemachten Erfahrungen in einen persönlichen Reifeprozess umwandeln könnten. Außerdem erhielten sie eine Reihe konkreter Anleitungen und Hilfestellungen z.B. dafür, wie sie Entscheidungen treffen könnten, wie eine neue Arbeit zu finden sei, wie sie in ihre Ehen und Familien zurückkehren und mit Verletzungen umgehen könnten. Dass sich das Gros dieser Literatur jedoch an die Zuhausegebliebenen richtete und weniger an die heimkehrenden Soldaten, liegt in der Überzeugung begründet, dass sich erstere Gruppe weniger verändert habe und deswegen Hilfestellungen bei der Wiedereingliederung geben könne. So bezeichnet z.B. Schuetz die Veteranen als Fremde. »He believes himself to be in a strange country, a stranger among strangers, until the goddess dissipates the veiling mist. […] the homecomer has just to recur to the memories of his past. So he feels; and because he feels, so he will suffer the typical shock described by Homer.«15

Das impliziert, dass die geglückte Zusammenführung der beiden Bevölkerungsgruppen letztendlich davon abhängig war, inwieweit es gelingen würde, die demobilisierten Soldaten aus ihrem Schock und ihrer Entfremdung zu lösen und in die Gesellschaft aufzunehmen. Über die Frage, was erfolgreiche Reintegration bedeuten könne, diskutierten zwar die Soziologen,16 im Sinne der GI Bill of Rights war damit gleichwohl die Wiederherstellung von althergebrachten Arbeits- und Geschlechterverhältnissen gemeint. Die Prognosen für den Prozess der Demobilisierung schwankten zwischen gelungener Assimilation und vollkommenem 13 Zum ›Veteranenproblem‹ und zur Ratgeberliteratur, vgl. William Friedman Fagelson (2004): Nervous out of Service: 1940s American Cinema, World War II Veteran Adjustment, and Postwar Masculinity. Dissertation, University of Texas at Austin, vgl. insbesondere Kap. 3, S.145-199 und Kap. 4, S. 211-235. 14 Irvin L. Child/Marjorie van de Water (1945): Psychology for the Returning Serviceman. New York. 15 Schuetz: »The Homecomer«, S. 369. Schuetz spielt hier auf die Heimkehr des Odysseus an. 16 Walter H. Eaton (1945): »Research on Veteran´s Adjustment«, in: The American Journal of Sociology (5), S. 483-487. 73

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Chaos. Zwei 1944 erschienene Bücher prägten die Diskussionen über die Wiedereingliederung der Soldaten maßgeblich und warnten davor, das Thema der Reintegration zu unterschätzen. Der Historiker Dixon Wecter vertrat in When Johnny Comes Marching Home die These, dass der Staat nach vergangenen Kriegen die Veteranen bei ihrer Integration nicht genügend unterstützt habe.17 Der an der Columbia University Sozialarbeit lehrende Willard Waller warnte in Veteran Comes Back vor dem Hintergrund nationaler und internationaler Erfahrungen wie dem Bonus March von 1932 und der Situation in Europa nach dem Ersten Weltkrieg ebenfalls vor einer gescheiterten Integration, die dazu führen könne, dass sich die Veteranen in Sturmtruppen organisierten.18 Sollte die Eingliederung nicht gelingen, seien die USA der Bedrohung durch den »mass man« ausgesetzt, wie in Nachfolge Wallers Robert A. Nisbet schrieb. Jener sei eine »disinherited creature in whom restlessness becomes sullenness, flaring finally into open rebelliousness. The mass man, being no longer a part of society, becomes its enemy.«19 Wecter und Waller unterschieden sich in ihrer Bewertung der Veteranen und ihrer möglichen Probleme. Wecter war der Überzeugung, dass sie den Zivilisten moralisch überlegen seien, da sie gegen die Nationalsozialisten und Japaner gekämpft hatten. Sollten die Veteranen dennoch Verbitterung gegenüber der amerikanischen Gesellschaft zeigen, läge das nicht an ihren Verwundungen oder neuropsychologischen Schädigungen, denn Wecter bewertete die zeitgenössischen Behandlungsmethoden als Erfolg versprechend. Stattdessen sah er die größere Gefahr darin, dass die USA nicht die Werte repräsentierten, für die die Soldaten gekämpft hatten. »On one point and perhaps only one is he unmistakably clear. When the war is over he does not want to be called a fool, or look like one. Whatever the cost to him personally of this war, in time and happiness and wholeness of body or mind, he wants to know that it has all been to some purpose. This war in the long view has got to make sense.«20

Als wichtige gesellschaftliche und politische Werte, an denen sich die Vereinigten Staaten nun messen lassen müssten, benannte er konkret die Rassentrennung, die Möglichkeit, dass sich die USA wie nach dem Ersten Weltkrieg in eine isolationistische Politik zurückzögen sowie die Ge17 Dixon Wecter (1944): When Johnny Comes Marching Home. Cambridge, MA. 18 Willard Waller (1944): Veteran Comes Back. New York. 19 Nisbet: »The Coming Problem of Assimilation«, S. 267. 20 Wecter: When Johnny Comes, S. 555/6. 74

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fahr einer Red Scare und appellierte an die Regierung, sich diesen Problemen offensiv zu stellen. Das heißt, nach Wecter liegen mögliche Probleme der Integration weniger an individuellen Faktoren als vielmehr an gesellschaftlichen. Er argumentierte damit – ähnlich wie Fearing aus einer liberalen, progressiven Perspektive. Waller ging ebenfalls von der moralischen Integrität der Soldaten aus, betonte aber, dass die Lebensweise und der psychologische Zustand eines Soldaten im Krieg mit der zivilen Lebensweise unvereinbar seien, d.h., dass die Adaptionsfähigkeit der Soldaten bei der Umstellung vom Leben im Krieg auf ein Leben im Frieden sehr ausgeprägt sein müsse. Wohingegen Wecter die idealistische Prägung der Veteranen betonte, konzentrierte sich Waller stärker auf die durch die Traumata des Krieges hervorgerufenen Änderungen der Persönlichkeit. Die Unterstützer seiner These waren vornehmlich Psychiater, welche während des Krieges mit traumatisierten und an Neurosen leidenden Soldaten gearbeitet hatten und ihre Erkenntnisse auf alle Soldaten übertrugen, auch wenn die Erkenntnisse nicht für alle gleichermaßen Gültigkeit haben konnten. Veteranen waren in ihren Augen Opfer des Krieges, die der mentalen und psychologischen Behandlung bedurften. Das Gros der Veteranenliteratur folgte der Argumentation Wallers,21 sodass dieser Aussage eine besonders wirkungsmächtige Stellung im Diskurs zukam. In der Ratgeberliteratur, die sich in erster Linie an Ehefrauen und Mütter richtete, entwickelten sich nachfolgend zwei Darstellungsweisen der Kriegsstörungen: a) Dem Veteranen gelingt es nicht, seinen Kriegstraumata zu entkommen, oder b) er ist nicht dazu imstande, seine kriegerische Männlichkeit abzulegen, weswegen den USA eine Gewaltwelle drohe. Um diese Probleme zu überwinden, wurden Liebesbeziehungen mit Frauen für die Reintegration der Männer als zentral angesehen. Die Frauen sollten zentrale Hilfestellungen beim Prozess der Wiederumstellung von der ›Kriegsmännlichkeit‹ zur zivilen Männlichkeit leisten und sich in die häusliche Sphäre einfügen. Dabei sollten sie laut Ratgeberliteratur den Spagat zwischen der Funktion als Sexualpartnerin und Mutter meistern. In diesem Sinne riet eine Kolumne im Ladies’ Home Journal: »Right now Ed needs pampering and love […] but Stella must see that her husband becomes master and not baby in the household.«22 Andere Ratgeber rieten den Ehefrauen, ihren Männern Untreue während 21 Fagelson: Nervous out of Service, S. 157. Dies kann u.a. damit erklärt werden, dass Sozialwissenschaftler und Psychiater während des Zweiten Weltkrieges stark an Einfluss gewonnen hatte. 22 Ladies’ Home Journal Feb. 1945, S. 141-147, zit. nach Emily S. Rosenberg (1994): »Foreign Affairs’ after World War II: Connecting Sexual and International Politics«, in: Diplomatic History 18 (1), S. 59-71, S. 67. 75

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des Krieges zu verzeihen.23 Die hier skizzierten Gebote der Wiederumstellung verlangten jedoch nicht nur Einsatz von den Frauen. Von den Veteranen wurde gefordert, die zivilen Pflichten zu übernehmen, die die Gesellschaft bzw. ihre Frauen an sie herantrugen. Gleichzeitig sollten die Veteranen die homosozialen Bindungen, die unter den Kameraden bestanden hatten, lockern. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Literatur davon ausging, dass die Veteranen eine Form der Behandlung, oder doch zumindest Unterstützung benötigten, um sich wieder in die Gesellschaft integrieren zu können.24 Diese Überzeugung entsprach dem gängigen psychiatrischen Modus, nach dem nicht länger in ›verrückt‹ und ›gesund‹ unterschieden wurde.25 Stattdessen fand – beginnend in den 1920ern – ein Wandel zu einer Psychiatrie statt, die menschliches Verhalten nach Abweichungen von der gesellschaftlichen Norm klassifizierte und deswegen zu dem Ergebnis kam, dass jede/r in bestimmten Lebensphasen professionelle Hilfe brauchen könne. Sowie die GIs selbst der ›vertrauten – unvertrauten‹ Welt mit Skepsis entgegenblickten, da sie Angst vor den sozialen und ökonomischen Folgen der Demobilisierung hatten, wurde demnach auch ihre Heimkehr durchaus ambivalent erwartet. Der Historiker David Gerber fasst diesen Zwiespalt wie folgt zusammen, »On the one hand, the veteran’s heroism and sacrifices are celebrated and memorialized and debts of gratitude, both symbolic and material, are paid to him. On the other hand, the veteran also inspires anxiety and fear and is seen as a threat to the social order and stability.«26

Die Rückkehr der Veteranen wurde in etlichen Filmen explizit thematisiert. Analog zu den Kriegsfilmen, die anhand eines bestimmten Narrativs die Umstellung von Friedenszeiten auf Kriegszeiten beschrieben 23 Howard Kitching (1946): Sex Problems of the Returned Veteran. New York, S. 59. 24 Nach Fagelson erregte der in der Ratgeberliteratur geführte Diskurs großen Unmut bei den Veteranen, da er ihnen wenig Spielraum für nichtkonformes Verhalten ließ, vgl. Fagelson: Nervous out of Service, S. 213. Ebenfalls auffällig an der Veteranenliteratur ist, dass sie die Heimkehrer als homogene Gruppe beschreibt. Die Tatsache, dass viele Soldaten nicht an der Front im Kampfeinsatz waren, kommt genauso wenig zur Sprache, wie andere Unterschiede zwischen den Veteranen. 25 Zum Wandel in der US-amerikanischen Psychiatrie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts s. Elizabeth Lunbeck (1994): The Psychiatric Persuasion. Knowledge, Gender, and Power in Modern America. Princeton, NJ.. 26 David A. Gerber (1994): »Heroes and Misfits: The Troubled Social Reintegration of Disabled Veterans in THE BEST YEARS OF OUR LIVES«, in: American Quarterly (4) 6, S. 545-579, S. 546. 76

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hatten,27 erzählten die Wiedereingliederungsfilme die Geschichte umgekehrt – mit einem positiven Ende.28 Der Schlüssel zur geglückten Reintegration ist meist die Liebe einer Frau. Die Gruppe der male melodrama, in dessen Zentrum ein verzagter Mann steht, der auf der Suche nach sich selbst ist, greift gleichwohl die generelle Verunsicherung, die bezüglich der Demobilisierung bestand, auf. Barbara Deming ist sicherlich zuzustimmen, dass das bekannte Plot Muster boy gets girl in den meisten dieser Filme nicht mehr funktioniert. Denn nun war es plötzlich die ›normale Frau‹, die den Mann umwarb, verführte und heiraten wollte. Der Mann hingegen war durch Ruhelosigkeit und Zweifel geplagt.29 Kaja Silverman führt diese Überlegungen fort. Nach ihr sprechen all diese Filme »in some way to the failure of the paternal function«30, dies manifestiert sich u.a. darin, dass die Protagonistinnen das Agens der Handlung und die Protagonisten heimatlos geworden sind. Eine Untergruppe der Wiedereingliederungsfilme machte versehrte Veteranen zu ihrem Thema. Sie konzentrierte sich auf die psychischen und physischen Schwierigkeiten der GIs in der Reintegrationssphase. Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen die konkreten Probleme der Protagonisten und die bis zur erfolgreichen Rehabilitierung unternommenen Lösungsstrategien. Grundsätzlich wurden die behinderten Veteranen in dieser ›Untergruppe‹ von ihrem Umfeld positiv aufgenommen und ihre Eingliederung zu einem positiven Ende gebracht. Der bekannteste Film dieser Art ist sicherlich THE BEST YEARS OF OUR LIVES (1946), der viel Geld und sieben Oscars einspielte, u.a. den für den besten Film.31 In THE BEST YEARS OF OUR LIVES gelingt es anhand dreier Protagonisten, zentrale Veteranen-Probleme aufzuarbeiten.

27 Vgl. zum Kriegsfilm: Jeanine Basinger (2003): The World War II Combat Film. Anatomy of a Genre. Middletown, CT (Original 1986). 28 Die ersten Filme dieser Art liefen im Frühjahr 1946 an, so z.B. THIS DAY FORWARD; JOHNNY COMES FLYING HOME; COURAGE OF LASSIE; IT SHOULDN’T HAPPEN TO A DOG. Kriegsfilme wurden in diesem Zeitraum gar nicht mehr gedreht. Erst 1949 erfuhren sie ein Comeback. 29 Barbara Deming (1969): Running Away from Myself. A Dream Portrait of America Drawn from the Films of the Forties. New York, S. 39. (Die ersten Kapitel wurden bereits 1953, 1954 und 1955 in City Lights veröffentlicht.) Als Beispiele nennt sie LOVE LETTERS, STATE AFFAIR, THOSE ENDEARING YOUNG CHARMS, ADVENTURE, LOST WEEKEND, SPELLBOUND und PRIDE OF THE MARINES. 30 Kaja Silverman: Male Subjectivity, S. 52. 31 Genrezuschreibungen sind in den meisten Fällen problematisch und man wird THE BEST YEARS OF OUR LIVES nicht gerecht, betrachtet man ihn lediglich als ›Versehrter-Veteranen-Film‹. Er ließe sich genauso dem nachfolgend beschriebenen Genre des ›männlichen Melodrams‹ und dem 77

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Neben den Spielfilmen wurden auch einige wenige Dokumentarfilme gedreht, die die Reintegration der Soldaten zum Thema hatten. Der berühmteste Dokumentarfilm über die Schwierigkeiten traumatisierter Soldaten ist der 1946 von John Huston im Auftrag der US-Armee gedrehte Film LET THERE BE LIGHT, indem er psychosomatische Lähmungen, Stottern, Amnesie usw. zeigt. Obwohl der Film für Verständnis für psychisch Kranke plädieren sollte, wurde LET THERE BE LIGHT von der Armee zensiert und erst 1980 für öffentliche Vorführungen freigegeben. Als Grund wurde der Schutz der Privatsphäre der Betroffenen angegeben, wenngleich diese zuvor einer Veröffentlichung zugestimmt hatten. So scheint es eher darum gegangen zu sein, den Mythos aufrecht zu erhalten, nach dem ein Soldat kämpft, in Gefangenschaft gerät oder getötet wird, aber nicht unter den Belastungen des Krieges zusammenbricht.32 Wenngleich nicht ausdrücklich als Wiedereingliederungsfilm zu verstehen, gilt der Film Noir als das Genre, das sich implizit mit der Problematik des Übergangs von der Kriegs- in die Friedenswelt beschäftigt. Er wird »as a black slate on which the culture could inscribe its ills and in the process produce a catharsis to help relieve them« verstanden.33 Im Gegensatz zum Wiedereingliederungsfilm ist seine Grundstimmung jedoch nicht optimistisch, sondern durch einen tiefen Pessimismus bestimmt. Der Film Noir boomte in den späten 40er Jahren.34 Er betont ›Sozialen Problemfilm‹ beiordnen. Unabhängig von der Zuordnung war THE BEST YEARS OF OUR LIVES bei der Kritik und an der Kinokasse ein immenser Erfolg. Tatsächlich war er der kommerziell erfolgreichste Film des gesamten Jahrzehnts! Andere Filme, die einen physisch oder psychisch versehrten Veteranen ins Zentrum stellten, sind: PRIDE OF THE MARINES (1945), TILL THE END OF TIMES (1946), HOME OF THE BRAVE (1949), THE MEN (1950), BRIGHT VICTORY (1951), BAD DAY AT BLACK ROCK (1954) und THE ETERNAL SEA (1955). Zu behinderten Veteranen vgl. Martin F. Norden (1982): »The Disabled Vietnam Veteran in Hollywood Films«, in: Journal of Popular Film and Television 13 (1), S. 16-24 und Sonya Michel (1992): »Danger on the Home Front: Motherhood, Sexuality and the Disabled Veterans in American Postwar Films«, in: Journal of the History of Sexuality 3 (1), S. 109128. 32 Vgl. AMPAS Ordner zu LET THERE BE LIGHT und Gary Edgerton (1987): »Revisiting the Recordings of Wars Past. Remembering the Documentary Trilogy of John Huston«, in: Journal of Popular Film and Television 15 (1), S. 27-42. 33 Alain Silver/Elizabeth Ward (Hg.) (1989): Film Noir. An Encyclopedic Reference to the American Style. Woodstock (Original 1979), S. 1. 34 Als erster Film Noir wird THE MATESE FALCON (1941) angesehen. Die Literatur zum Film Noir ist sehr umfangreich. Einen guten Überblick bieten Steve Neale (2000): »Film Noir«, in: Ders: Genre and Hollywood. 78

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Gewalt, Tod und Verbrechen sowie die physische und psychische Verwundbarkeit der Charaktere. Er ist gekennzeichnet durch expressive Kameraarbeit, low-key bzw. high contrast Ausleuchtung, Rückblendenstruktur, Bevorzugung urbaner Settings, klaustrophobischer Innenräume und ein oftmals zweideutiges Ende, um nur einige seiner Stilelemente zu nennen. Über dem gesamten Geschehen liegt eine Stimmung der Angst, des Misstrauens und der Entfremdung. Sein Protagonist ist häufig ein ehemaliger Soldat, dessen Kriegsvergangenheit jedoch eher beiläufig erwähnt wird. In vielen der Noir Filme ist die männliche Hauptfigur angeschlagen und verunsichert; ihr vom phallischen Ideal abweichendes Verhalten hat ihre Ursachen in den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit. Im Mittelpunkt der folgenden Analysen stehen die Filme CRACKUP (1946), KEY LARGO (1948) und THE MEN (1950). Sie werden danach befragt, welche Männlichkeiten, welche Körper und Geschlechterbeziehungen in der Nachkriegszeit existierten und welche Probleme des Demobilisierungsdiskurses die filmische Repräsentation verhandelte. Außerdem wird zu überprüfen sein, inwieweit widersprüchliche Genderdiskurse nebeneinander Bestand hatten, bzw. ob bis dato nur schwach sichtbare Genderdiskurse an die Oberfläche traten und welche Konzepte von Gender als erstrebenswert beschrieben wurden. Die in den USA seit Kriegsende geführten Diskussionen um die Rückkehr der Veteranen stellen die Basis dar, auf der diese Filme gesehen und verstanden wurden. CRACK-UP ist ein Film Noir, der ein halbes Jahr nach Kriegsende gedreht wurde. Es handelt sich bei dem Film um einen B-Film, der aber gerade aufgrund seiner modellhaften Produktionsweise als repräsentativ gelten kann. Er erzählt die Geschichte eines an Amnesie leidenden Kunsthistorikers, der sowohl dafür kämpft, seine Erinnerung wieder zu erlangen, als auch gegen das Böse personifiziert durch eine Kunstfälscherbande. CRACK-UP ist ein typischer Film Noir, das heißt, er spielt in der Großstadt, meist nachts und in beengenden Räumen. Unmittelbar nach Kriegsende gedreht, scheint der Diskurs über die Kriegs- und Nachkriegszeit in diesem Film sehr dicht zu sein. Auch wenn es nicht explizit um die Wiedereingliederung eines ehemaligen Soldaten geht, wabert der ›Nebel des Krieges‹ durch den gesamten Film.

London, S. 151-179; Alain Silver/Elizabeth Ward (1992): Film Noir, und Ian Cameron (Hg.): The Movie Book of Film Noir. London. Vgl. zu Männlichkeit im Film Noir Deborah Thomas (1992): »How Hollywood Deals With the Deviant Male«, in: Ian Cameron (Hg.): The Movie Book, S. 59-70; und Frank Krutnik (1991): In a Lonely Street. Film Noir, Genre, Masculinity. London. Vgl. zur Weiblichkeit: James F. Maxfield (1996): The Fatal Woman: Sources of Male Anxiety in American Film Noir 19411991. Cranburry, N.Y. 79

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Die in CRACK-UP anhand des an partieller Amnesie leidenden Protagonisten aufgeworfenen Schreckensszenarien der Wiedereingliederung finden sich in KEY LARGO nicht mehr. Auch in KEY LARGO wird eher am Rande erwähnt, dass die Hauptfigur im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat. Die Beiläufigkeit, mit der dies in beiden Filmen angeführt wird, verweist meines Erachtens darauf, wie allgegenwärtig und deshalb selbstverständlich das Thema der Kriegsheimkehrer in den USA zu diesem Zeitpunkt gewesen ist. Der Gangsterfilm KEY LARGO thematisiert anhand eines zynischen resignierten Heimkehrers die Frage, inwieweit die USA ihren eigenen Kriegszielen im Inland gerecht werden. Bei einer Geiselnahme in einem Hotel in Key Largo muss sich der Protagonist entscheiden, ob er willens ist, gegen das Böse und damit für die USA zu kämpfen. Mit dem gewachsenen zeitlichen Abstand zum Kriegsende scheint deutlich geworden zu sein, dass die schlimmstmöglichen Szenarien einer missglückten Wiedereingliederung nicht eingetroffen waren, der Held von KEY LARGO ist zwar resigniert, aber nicht mehr neurotisch. THE MEN ist ein repräsentativer Film über versehrte Kriegsteilnehmer, der die Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung eines Querschnittgelähmten explizit thematisiert. Indem er durch den Krieg verwundete Körper thematisiert, zeigt er auf, dass Kriege alternative Männlichkeiten produzieren, die auch als abject empfunden werden können.35 Sie existieren neben den in der Populärkultur lebendigen Darstellungen von kriegerischer Männlichkeit. Damit wird deutlich, dass die kulturelle Definition von Männlichkeit als eine ihrer Prämissen den unversehrten, heilen Körper annimmt. THE MEN macht stilistische Anleihen aus dem Genre des Dokumentarfilms und versucht auf diesem Wege die Probleme authentischer erscheinen zu lassen als die zuvor besprochenen Filme.

3.1.1 CRACK-UP (1946) »Shattered Memory, Haunting Fear!«36

CRACK-UP wurde im Winter 1945/46 gedreht und gelangte im Herbst 1946 in die amerikanischen Kinos.37 Der von der Production Code Administration als Melo-Murder Mystery klassifizierte Film ist in verschiedener Weise durch den Zweiten Weltkrieg inspiriert. Bevor ich 35 Vgl. zu versehrten Körpern Jarvis: The Male Body, S. 86-119. 36 Crack-Up Production File, AMPAS. 37 Der Film basiert auf der Geschichte MADMAN’S HOLIDAY von Frederic Brown. Regie führte Irving Reis. Produziert wurde CRACK-UP von RKO. 80

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mich dem Film selbst zuwende, möchte ich eine kurze Erklärung zur Production Code Administration vorausschicken, da sie im Untersuchungszeitraum eine bedeutsame Rolle in der Filmproduktion einnahm. Der Oberste Gerichtshof hatte 1915 entschieden, dass Spielfilme nicht durch die Verfassung im Sinne der Redefreiheit geschützt seien. Diese Entscheidung bedeutete, dass sie Zensurmaßnahmen unterliegen könnten. Um staatliche Zensur zu verhindern, wurde in den 20er Jahren das Studio Relations Committee (SRC) gegründet. Die Production Code Administration (PCA) wurde dann 1934 von den Motion Picture Producers and Distributers of America (MPPDA) ins Leben gerufen, um zu gewährleisten, dass die produzierten Filme moralisch nicht mehr beanstandet wurden. Mit der Umwandlung der SRC in die PCA reagierte die Filmindustrie auf einige Skandale und schuf sich selbst eine effektive Kontrollstelle, mit der sie der wieder drohenden staatlichen Zensur zuvorkam. Die Produzenten reichten seither Exposés, Drehbücher und die gedrehten Filme zur Überprüfung ein.38 CRACK-UP erzählt die Geschichte des am Metropolitan Museum in New York arbeitenden Kunsthistorikers George Steele (Pat O’Brien), der sich nach seinem Einbruch in das Museum nicht mehr erinnern kann, was er getan hat und sein eigenes Verhalten nur dadurch zu erklären vermag, dass er in ein Zugunglück involviert war. Nachdem er erfahren musste, dass es seit Jahren kein Solches gegeben hat, versucht er, die Ereignisse des Tages zu rekonstruieren, die zu dem Einbruch führten – was in Form einer Rückblende erzählt wird: Suspendierung vom Dienst, da er bei einem Vortrag einen egalitären Kunstzugang propagiert hatte, ein Anruf, der ihn an das Krankenbett seiner Mutter rief, und jene Zugfahrt, die ihn nie zu seinem Ziel brachte. Am nächsten Tag wiederholt er die Zugfahrt, um seine Zurechnungsfähigkeit zu überprüfen und dem mysteriösen Blackout auf die Spur zu kommen. Dabei erkennt er, dass er diskreditiert werden sollte und nach der Ermordung seines Freundes, des Museumskurators, entdeckt er, dass bei einer Gruppe Kunstfälscher und -sammler die Fäden zusammenlaufen. Der Plot von CRACK-UP mutet heute, wie damals, absurd an: »Crack-Up’s slam-bang plot never makes a great deal of sense – but it 38 Der Code selbst ist abgedruckt in: Leonard J. Leff/Jerold L. Simmons (1990): The Dame in the Kimono. Hollywood, Censorship, and the Production Code. From the 1920s to the 1960s. London, S. 283-292. Zur Geschichte des Codes vgl. auch Robert Sklar (1994): Movie Made America. A Cultural History of American Movies. New York. Richard Maltby (1998): »Zensur und Selbstkontrolle«, in: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.): Geschichte des Internationalen Films. Stuttgart/Weimar, S. 215-226. Dawn B. Sova (2001): Forbidden Films. Censorship Histories of 125 Motion Pictures. New York. 81

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contains some good, fast chases, a fire, a corpse in the dark museum basement and a train crash.«39 Wie ich nachfolgend zeigen werde, zeigt sich in der Absurdität des Plots die innere Zerrissenheit des Protagonisten. Und so vereinigt der Film außer den hier gelobten Verfolgungsjagden gleichwohl einige Motive in sich, die mir hinsichtlich des Zweiten Weltkriegs und in Bezug auf Kriegsheimkehrer zentral zu sein scheinen. Zu nennen sind die häufigen Verweise auf psychologische Verfahren, Parallelen zwischen dem Vorgehen der Kunstfälscherbande und den Methoden der Nazis im Krieg und insbesondere das Motiv der Amnesie, das im Mittelpunkt der folgenden Analyse steht. Die Werbung für CRACK-UP betonte durch Werbezeilen wie »Shattered Memory, Haunting Fear!« oder »Could I Kill and not Remember?« die Verknüpfung von Erinnerungs- und Kontrollverlust.40 Wenngleich sich auf einigen Plakaten die weibliche Hauptdarstellerin (Claire Trevor) lasziv in der Bildmitte räkelt, zeigen andere Plakate, um was es für die Hauptfigur geht: Entweder ist der Schriftzug CRACK-UP zersplittert, oder sogar der Protagonist selbst! Mithin übersetzen die Plakate den doppeldeutigen Titel des Films, und bewerben einen Film, der sich sowohl auf ein Zugunglück beziehen kann, als auch auf den Zusammenbruch des Protagonisten. Die laszive Claire Trevor trifft ebenso wenig wie die Frage »Could I Kill and not Remember?« den Inhalt von CRACK-UP. Während die femme fatale ein gängiger Film Noir-Topos ist, verweist letztere Frage auf eine neu entstehende und sehr beliebte Untergattung, den Amnesie Thriller.41 Gedächtnisverlust war Anfang der 1940er Jahre ein nur hin und wieder vorkommender Filmstoff. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs aber stieg seine Beliebtheit sprunghaft an. Der Filmkritiker der New York Times Bosley Crowther kommentierte das entrüstet: »Certainly in medical experience, the occurence of amnesia is nothing like as alarming as it has recently been in films. As a matter of fact there is some question whether there actually is such a thing. According to responsible authority, ›amnesia is a condition in which there is loss of memory for a group of expierences centering around a particular occasion or event [...].‹ Yet the number of films in which amnesia is the key dramatic device is almost as large as the number in which the telephone is used as a prop. [...] Without even

39 Filmbesprechung ohne Angaben, Production File CRACK-UP, AMPAS. 40 Production File zu CRACK-UP, AMPAS. 41 Andere Amnesie Filme sind z.B. TWO O’CLOCK COURAGE (1945); SPELLBOUND (1945); SOMEWHERE IN THE NIGHT (1946), DEADLINE AT DAWN (1946); THE HIGH WALL (1947); FALL GUY (1947); THE CROOKED WAY (1949); FEAR IN THE NIGHT (1947). 82

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bothering to be truthful about the way people actually behave when afflicted with so called loss of memory, they have shown us amnesiacs whose lapses have only been proportioned by the necesseties of the plot.«42

Die Empörung Crowthers bezüglich der unwahrscheinlichen Plots ist nachvollziehbar. Aber an diesem Ort soll nicht der ›Wirklichkeitssinn‹ eines Films untersucht werden, sondern die Frage gestellt werden, warum das Motiv der Amnesie so häufig verwendet wird und für was sie steht? In CRACK-UP wird eher beiläufig erwähnt, dass der Protagonist ein Kriegsveteran ist. Sein Leben wird stattdessen über Amnesie erzählt und ordnete den Protagonisten dadurch – für jedermann verständlich – der Gruppe der Kriegsheimkehrer zu. Bei der folgenden Analyse steht die Inhaltsanalyse im Vordergrund, da sie im Vergleich mit einer stilistischen Analyse bezüglich Männlichkeit die interessanteren Rückschlüsse erlaubt.43 Die Eröffnungsszene zeigt den ins Museum einbrechenden George Steele und seine Gefangennahme.44 Anschließend wacht er mit vor Anstrengung schweißnassem Gesicht auf einer Couch auf und wird von Polizeileutnant Cochrane (Wallace Ford) befragt bzw. gebeten, sich zu erinnern, was geschehen ist. Die Inszenierung erinnert weniger an ein Polizeiverhör als vielmehr an eine psychotherapeuthische Sitzung. Dadurch wird Steele zum Analysierenden, der versuchen muss, seine eigene Geschichte und, damit verknüpft, seine eigene Identität herauszufinden. Polizeileutnant Cochrane hingegen nimmt die Rolle des Analytikers ein. Ziel der Handlung ist es von nun an, die Hysterie des Protagonisten zu untersuchen.45 Filmisch wird dies durch eine Rückblende gelöst, also durch ein Stilmittel, das an sich schon als Anlehnung an ein Therapiemuster bezeichnet werden kann.46 Dadurch vollziehen die Zuschauer/innen die Ereignisse des Tages gemäß Steele’s Erinnerung nach und 42 Bosley Crowther (1946): »The Movies Forget Something«, in: The New York Times 16.6.1946. 43 CRACK-UP ist im klassischen Film Noir Stil gedreht und arbeitet demzufolge mit low-key Ausleuchtung und einengenden Innenräumen. Dadurch wird ein Gefühl des Gefangenseins und der Bedrohung hervorgerufen. 44 Der beim Einbruch umstürzende antike Männertorso ist eine visuelle Metapher für den Zusammenbruch von Männlichkeit. 45 Hysterie wird hier im allgemein medizinischen Sinn als »auf psychotischer Grundlage beruhende od. aus starken Gemütserregungen entstehende, abnorme seelische Verhaltensweise mit vielfachen Symptomen ohne genau umschriebenes Krankheitsbild« verstanden. Duden, Bd.5, 1990. 46 Zur Rückblende und ihren verschiedenen Funktionen, vgl. Maureen Turim (1989): Flashbacks in Film. Memory & History. New York. 83

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versuchen mit ihm gemeinsam, der Vergangenheit durch eine stringente Erzählung Sinn zu verleihen, um dann jedoch, wie er selbst, zu erfahren, dass seine Geschichte nicht stimmt, da es nie ein Zugunglück gegeben hat. Das Rätsel des Films ist demnach mit der Aufsplitterung der männlichen Identität verknüpft. Die bislang vertraute Welt ist für den Protagonisten unvertraut geworden und der Sinn des eigenen Tuns bzw. der Welt ist nicht mehr entschlüsselbar. Außer dem mise-en-scène, das an das Umfeld einer Therapie denken lässt, und der Rückblende, die die Erlebnisse des Tages wieder wachrief, erinnern auch die gestellten Fragen an eine Gesprächstherapie. Steele wird einerseits danach gefragt, ob er in den drei Jahren in Übersee ungewöhnliche Erfahrungen gemacht habe – was heißt, ob er traumatisiert worden ist; andererseits nach verstörenden Kindheitserlebnissen. Mit dem Hinweis, dass er überarbeitet sei und Ruhe brauche, wird Steele zunächst nach Hause geschickt und kurz darauf wegen seiner anti-elitären Kunstvorträge und des Einbruchs entlassen. Die Szene ist aufschlussreich inszeniert. George steht im Mittelpunkt aller Augenpaare und versucht müde seine Jacke anzuziehen, was ihm kaum gelingen mag. Nach der Kündigung tritt seine Freundin Terry (Claire Trevor) an seine Seite, um ihn zu stützen und (»You need some sleep«) nach Hause zu bringen. Die Entfremdung von sich selbst, der Arbeit und die Kündigung erscheinen gleichsam als eine für alle sichtbare Kastration. Seine Abweichung vom phallischen Ideal verunsichert George maßgeblich, wie er Terry enthüllt: »George: What do you think? What’s happening? Terry: I don’t know, forget it for a while. George: All of a sudden I don’t know myself. In 24 hours everything has become unfamiliar. Terry: It will clear up. [...] George: See, a lot of good guys crack-up in this war. Cool compose cookies one day and the next snap like a tight violin string. The one fear anybody had – they kept thinking, it might happen to me. Terry [beschwörend, die Verf.]: George! There is nothing wrong with your mind. Your ego is a little bruise because for once you don’t know all the answers. But there is nothing wrong with your mind.47 George: I still don’t know whether I have been in a train wreck – and I got to find out.

47 Bei einem Blick durch die heruntergelassenen Jalousien hat Terry gesehen, dass Georges Appartement von der finsteren, menschenleeren Straße aus beobachtet wird. 84

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Terry [schreit, die Verf.]: All right find out! Do handstands, knock your head against the wall. Show muscels, do anything you like. […] I don’t know what happened anymore than you do and I don’t really care. I just resent it.«

Das interessante an dieser Szene ist einmal die Verunsicherung Georges ob seines Kontrollverlusts, die sich, wie wir im weiteren Dialog erfahren, auch darauf bezieht, ob Terry ihm, während er im Krieg war, treu geblieben ist. Andererseits aber die Haltung Terrys. Zum einen erkennt sie, dass Georges Verunsicherung aus seiner Abweichung von einer mächtigen Männlichkeit resultiert. Trotzdem will sie nicht, dass George der mysteriösen Geschichte auf den Grund geht. Sie akzeptiert ohne Probleme seine Müdigkeit, seinen Erinnerungsverlust und seine Kündigung. Ihr Ziel ist nicht die Wiederherstellung dieses Ideals, sondern einfach ein friedliches Leben mit George. Trotzdem entscheidet sich Steele, gegen den Wunsch seiner Freundin, die Ereignisse des Vortages neu zu erleben. Damit wird ein gängiges Verfahren der Psychoanalyse zitiert, die Patienten werden aufgefordert, ihre Traumata anzuschauen oder neu zu durchleben, damit der Heilungsprozess einsetzen kann. George wiederholt die Zugfahrt, sieht wieder die auf ihn zurasenden Lichter des entgegenkommenden Zuges, aber im Unterschied zum Vortag passiert kein Unglück. So erkennt er, dass er mit Drogen manipuliert wurde, um ins Museum einzubrechen und sich selbst zu diskreditieren. Hintergrund dieser Aktion war, dass er einer Bande von Kunstfälschern auf der Spur war, die ihn dadurch aus dem Weg schaffen wollten. In diesem Zusammenhang wird auf NaziDeutschland angespielt. Auch für die Armee hatte Steele als Kunsthistoriker gearbeitet und war damit beschäftigt, von den Nazis gefälschte Kunst, mit denen sie die geraubte Kunst ersetzt hatten, aufzuspüren. Schlussendlich fällt er den Gangstern noch einmal in die Hände. Und da sie wissen wollen, was er der Polizei verraten hat, betäuben sie ihn erneut. Dr. Lowell: »Odd, isn’t it, that truth should be a byproduct of war? Only in the recent war did we perfect a direct method of communication with a man’s true self. It’s called ›narcosynthesis‹ [...] One small injection of this and the brain is illuminated with accuracy [...] the subconsciuos mind takes over.«

Mit der Nennung von ›Narcosynthesis‹ wurde dem Publikum ein weiterer Hinweis auf psychologische Kriegsfolgeschäden gegeben. Narcosynthesis beschreibt einen Zustand, der das Bewusste mit dem Unbewussten vereinigt und dadurch die ›Ganzheit‹ der behandelten Person wiederherstellt. Während des Krieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit wa85

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ren als Behandlungsmethoden neuropsychologischer Störungen, die durch Kriegstraumata verursacht waren, Hypnose und Injektionen mit Pentothal eingesetzt worden.48 Damit unterschied sich die Behandlung traumatisierter Soldaten von der nach dem Ersten Weltkrieg, als weniger das Bewusstmachen schmerzhafter Erinnerungen als eher das Vergessen propagiert wurde.49 Die Figur des George Steele vereinigt – wie viele ›Film NoirHelden‹ – nur wenige heldenhafte Qualitäten in sich. Die Männlichkeit Steeles ist von Unvollständigkeit gekennzeichnet: Arbeitslosigkeit, Angst, partielle Amnesie, Kontrollverlust und Misstrauen von Seiten seiner Freundin. Phasenweise ist er sogar von den Gangstern fremdbestimmt und verfügt nicht über Kontrolle von Körper und Geist. Der Raum übernimmt dabei eine unterstützende Funktion. So wird die Entfremdung Steeles von sich selbst und seiner Umwelt auch durch den Schauplatz betont: Der gesamte Film spielt nachts in der Stadt oder im Zug.50 Und insbesondere die Szenen, in denen George im Zug fährt, vermitteln eine sehr beängstigende Stimmung. In der einzigen Szene, in der man Steele zuhause sieht, ist seine Wohnung von Einbrechern verwüstet und vermittelt deswegen nicht den Privatraum eines Zuhauses. Gleichwohl ist die Amnesie die Antriebsfeder für Georges’ Handeln (»I got to find out!«). Es liegt in seinem Interesse, wieder Kontrolle über sich zu erlangen und den Zustand der Entfremdung zu beenden. Denn der Kontrollverlust hindert ihn daran, in die Gesellschaft eingebunden zu sein. Erst das Überwinden jenes hysterischen/neurotischen Verhaltens wird ihm wieder die Möglichkeit einer gesellschaftlich anerkannten Identität bieten. Obwohl die Tatsache, dass Steele ein Veteran ist, in CRACK-UP nur leise angesprochen wird, durchziehen an den Zweiten Weltkrieg gemahnende Diskursfäden den gesamten Film. Allein die Figur Steele entspricht dem Heimkehrertypus, der an neuropsychologischen Störungen

48 So heißt es in dem Dokumentarfilm LET THERE BE LIGHT: »20% of all battle casualties in the American Army during World War II were of neuro-psychiatric nature. The special treatment methods shown in this film, such as hypnosis and narcosynthesis, have been particularly successful in acute cases, such as battle neurosis. Equal success is not to be expected when dealing with peacetime neurosis which are usually of a chronic nature.« LET THERE BE LIGHT präsentiert einen unverrückbaren Glauben an die Psychiatrie und bewarb die Arbeitskraft der (meist) kurzzeitig erkrankten Soldaten. Zu ›Narcosynthesis‹ s. auch Menninger: Psychiatrie, S. 310f. 49 Wecter: When Johnny Comes, S. 546. 50 Zur Stadt im Film Noir vgl. Nicholas Christopher (1997): Somewhere in the Night: Film Noir and the American City. New York. 86

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leidet.51 Aber interessanterweise folgt die Konzeption der Figur nicht nur dem wirkungsmächtigen psychiatrischen Diskurs, auch wenn dieser im Film im Vordergrund steht. Auch das von Wecter entworfene Bild des enttäuschten Soldaten, der erkannt hat, dass die demokratischen Kriegsziele der USA in den USA selbst nicht eingelöst werden, ist Teil von Steele. Mit seinen gegen ein elitäres Kunstverständnis gehaltenen Lesungen provoziert er gleich zu Beginn die ›Kunstelite‹ New Yorks. Später entdeckt er Parallelen zwischen den Methoden der New Yorker Kunstfälscher und denen der Nazis – es scheint fast, als hätten deren Methoden sie an einem anderen Ort überdauert. Bereits der Name George Steele verweist auf den kämpferischen Aspekt der Figur: Der heilige Georg ist der Helfer in der Not, der über das Böse triumphiert. Der Nachname Steele hingegen ist ein sprechender Name und erinnert an Stahl. Damit ist der Protagonist ein hart kämpfender Mann, der nicht unterzukriegen ist. So mutet der Plot der Figur viel zu. Steele steht im Spannungsfeld der Pole ›Kämpfer gegen das Böse‹, wozu kriegerische Qualitäten, wie Kampfbereitschaft und Mut erforderlich sind. Andererseits muss er das eigene hysterische Verhalten überwinden und sich in die Gesellschaft wiedereingliedern. Zur erfolgreichen Umstellung auf ein ziviles Leben gehört nicht zuletzt die Verstetigung der Liebesbeziehung und so wünscht der Scottland Yard Experte am Ende des Films, zur Hochzeit eingeladen zu werden. In ironischer Verdrehung des Plots und des klassischen Happy Ends kontert George diesen Vorschlag jedoch mit »What wedding? Everybody is nuts here at this place, but me!« Wenn jeder verrückt ist, der an Hochzeit denkt, gelingt der ödipale Zirkelschluss in CRACK-UP nicht. So verweist dieser ironische Schluss darauf, dass die normative Eingliederung in die Zivilgesellschaft nicht ohne Widerstände erfolgen kann. Abschließend sei der Blick erneut auf das Leitmotiv der Amnesie gelenkt. Wie gesehen fungiert Amnesie als Zeichen für Veteran-Sein. Darüber hinaus verweist das Thema der Amnesie sehr konkret auf ein Phänomen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Insofern möchte ich mich der Frage zunächst über den medizinisch-psychologischen Diskurs der Zeit annähern. Bereits bei der Einziehung zum Wehrdienst wurden von 5,2 Millionen Amerikanern 1,6 Millionen wegen ›mental deficiencies‹ abgelehnt.52 Dadurch versuchten die Streitkräfte die Zahl der psychologischen Erkrankungen, welche im Ersten Weltkrieg hoch gewesen war,

51 Vgl. dazu Waller: Veteran Comes Back. 52 Roger J. Spiller (1990): »Shell Shock«, in: American Heritage 41 (4), S. 75-87, S. 85. 87

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von vornherein niedrig zu halten. Das Motiv der mentalen Gesundheit, bzw. der neuropsychiatric casualties, combat fatigue oder traumatic neurosis wie es während des Zweiten Weltkrieges genannt wurde, war dementsprechend von Beginn des US-amerikanischen Kriegseintrittes ein Thema, das weit verbreitete Aufmerksamkeit erfuhr. Trotz dieser Maßnahme war die Zahl der neuropsychiatrischen Patienten auch im Zweiten Weltkrieg hoch. Laut einer Schätzung litten 1,3 Millionen der im Dienst der Armee Tätigen während des Krieges an psychischen Störungen.53 Diese Störungen wurden meist mit dem Ziel, die Kampfstärke der Truppe aufrecht zu erhalten, vor Ort behandelt, sodass der Großteil der Patienten, nämlich 90%, wieder in die Schlacht, bzw. zu ihrem Dienst zurückkehren konnte und nicht entlassen werden musste.54 Eine Heilung von den neurotischen Mustern, die Weinberg (1946) in die Kategorien anxiety, anxiety and hysteria (mixed) und hysteria – mit jeweils unterschiedlichen Symptomen – aufteilte, wurde dementsprechend während des Krieges nicht angestrebt. Seit 1980 werden die auf extreme Traumata zurückgeführten Angststörungen als Post-Traumatic Stress Disorder (PTSD) bezeichnet. Auch wenn der Begriff in den 1940er Jahren noch nicht existierte und als ein typisches Post-Vietnam Produkt begriffen werden muss, können die von den Psychiatern nach dem Zweiten Weltkrieg beschriebenen Symptome mit denen der PTSD Patienten verglichen werden. Nach William Menninger, der zusammen mit seinem Bruder Karl zwischen 1943 und 1946 für das mental health Programm des Militärs verantwortlich war, war Amnesie unter neuropsychiatrischen Patienten sehr weit verbreitet »particularly in combat«.55 Da Erinnerungsverlust

53 Van Ells: To hear only Thunder, S. 107. In der Literatur aus dem Zweiten Weltkrieg wurde zumeist von psychiatrischen Krankheitsbildern gesprochen. Der Begriff der Psychologie taucht seltener auf. 54 Kirson Weinberg (1946): »The Combat Neuroses«, in: The American Journal of Sociology (5), S. 465-478, S. 465. Das eventuelle Ausscheiden wegen »nervous exhaustion« aus der Truppe sollte in keinem Falle positiv erscheinen, damit sich in der Truppe kein Nachahmungseffekt einstelle, ebd., S. 473. Allerdings war die Zahl derer, die weiterkämpfen konnten bzw. entlassen werden mussten, abhängig vom Einsatzort und der Führung der Truppe. So waren z.B. über 40% der Ausfälle bei der 43. Infanterie Division im Südpazifik auf neuropsychiatrische Störungen zurückzuführen, vgl. dazu auch Spiller: »Shell Shock«, S. 86. Wecter nennt geringfügig andere Zahlen, er spricht davon, dass 80% in den Einsatz zurückkehren konnten. Wecter: When Johnny Comes, S. 547. 55 William C. Menninger (1948): Psychiatry in a Troubled World: Yesterday’s War and Today’s Challenge. New York S. 129. Menninger beschreibt Amnesie hier als Teil mehrerer klinischer Symptome, die als Reaktion auf Kampfhandlungen auftreten könnten. 88

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konkret vorstellbar und präsentierbar ist, fungiert Amnesie in den Filmen der unmittelbaren Nachkriegszeit meines Erachtens als Metapher für combat fatigue (Kriegsneurosen) bzw. die Gesamtheit der PTSDSymptome.56 Folgte man dem psychoanalytischen Diskurs, der sich in den Medien etabliert hatte, war es – wie gezeigt – möglich, dass eine große Zahl der Veteranen mit psychischen Störungen heimkehren würde. Diese Sorge war unabhängig von der tatsächlichen Zahl der erkrankten Veteranen.57 Sie ist Ausdruck der Ängste der Zivilbevölkerung um die Wiedereingliederung.58 Gedächtnisverlust ist hier jedoch nicht nur ein Zeichen für PTSDSymptome. Aus einer narratologischen Perspektive erfüllt er, ähnlich wie die Rückblende, die Funktion, die stabile Erzählperspektive des männlichen Erzählers zu durchbrechen. Folglich verliert jener die Kontrolle über die und innerhalb der Erzählung, wodurch seine ambivalente Position zur und innerhalb der Gesellschaft Ausdruck verliehen bekommt.59 Diese Erzähltechnik korrespondiert mit der oben genannten Lesart, da beide Amnesie als Zeichen für eine ambivalente Position des Protagonisten, bzw. des Kriegsheimkehrers, zur Gesellschaft begreifen. Amnesie kann außer konkret als eines der PTSD-Symptome und damit als Entfremdung von der Welt noch in einer anderen Form verstanden werden. Geht man von der wörtlichen Bedeutung von Amnesie als einer Gedächtnisstörung bzw. Erinnerungsstörung aus, die auch in 56 So auch Fagelson: Nervous out of Service, S. 297. 57 Ein Befehl des Kriegsministeriums vom 7. Mai 1945 zur Produktion von LET THERE BE LIGHT, der ja wie beschrieben für Verständnis für neuropsychiatrische Patienten werben sollte, verordnete, dass der Film, auf die tatsächliche Größenordnung aufmerksam machen sollte: »The film on the »Nervously Wounded (or Psychoneurotic)« should (1) point out what a small proportion fall into this category; (2) eliminate the stigma now attached to the psychoneurotic through a thorough explanation of the conditions of what it really is – thus to offset the exaggerated picture that has already been given to the public through the press, magazine and radio stories; and (3) explain that in many cases the reason that makes a psychoneurotic unsatisfactory for the Army is the very reason for which this same person could be a real success in civilian life. (It has been stated by separatees that those qualities which made them a success as a civilian were the very things that made them crack up as a soldier.)« [Hervh. der Verf.]. Zit. nach Edgerton: »Revisiting the Recordings of Wars Past«, S. 33. 58 Die Zahl der auch nach Kriegsende noch an PTSD-Symptomen Leidenden ist schwer zu benennen, da davon ausgegangen werden kann, dass viele Patienten aus Angst vor Stigmatisierung keine ärztliche Hilfe suchten. Van Ells spricht von der nicht näher eingeschränkten Zahl von Tausenden. Van Ells: To hear only Thunder, S. 109. 59 Thomas: »How Hollywood Deals With the Deviant Male«, S. 67f. 89

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Folge unangenehmer Erinnerungen bei abnormen Erlebnissen eintreten kann, impliziert Amnesie Verdrängung.60 Die frühe Traumaforschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat den Nexus von ›Geschichten erzählen‹ und Erinnerung betont.61 Indem sich die Traumapatienten, wie auch die Protagonisten der Filme, ihre eigenen Geschichten ›erarbeiten‹, müssen sie herausfinden, welche Version ihres Lebens diejenige ist, mit der sie leben wollen und/oder können. Das heißt, Erinnerung gestaltet die eigene Lebensgeschichte in der Form, dass ein Selbst geschaffen wird, welches mit der Idee vom eigenen Selbst vereinbar ist. Ein wichtiger Aspekt in diesem Prozess ist der Umgang mit Schuld. Da Soldat/innen in einem Krieg nicht nur Opfer, sondern auch Täter/innen sein können, liegt die Vermutung nahe, dass individuell ausgeübtes Unrecht, sowie ein kollektives Schuldgefühl wegen des Abwurfs der Atombomben vergessen werden soll.62 Für diese These spricht meines Erachtens, dass die Protagonisten nach ihrer Vergangenheit suchen, da sie sich nicht mehr erinnern können, was sie getan haben. Meist geht es um die Frage, ob sie getötet haben oder nicht oder ob sie sich anderer Verbrechen schuldig gemacht haben (z.B. in SOMEWHERE IN THE NIGHT, 1946). Das Schuldgefühl kann sich zum anderen auch darauf beziehen, den Krieg überlebt zu haben, während die Kameraden gefallen sind (z.B. HOME OF THE BRAVE, 1949). Nach Fagelson ist Gedächnisverlust »simply another attempt by men to run away«.63 Er geht demzufolge von einer Flucht der Heimkehrer sowohl vor der Kriegsvergangenheit wie auch vor zukünftigen Aufgaben aus. Dieser Gedanke impliziert die Weigerung Verantwortung zu übernehmen und zwar auch für eine neu aufzubauende Nachkriegsidentität. In vielen Amnesie-Filmen ist der Protagonist jedoch mit der Lösung des Rätsels, das mit seiner eigenen Person verknüpft ist, beschäftigt. Deswegen verstehe ich das Motiv der Amnesie gerade nicht als Versuch davon zu laufen sondern als eine ›sortierende Ruhephase‹ zwischen dem Leben in Uniform und dem Leben in Zivil. In dieser ›Ruhe nach dem Sturm‹ muss der Protagonist eine sinngebende Erzählung seines Lebens finden und sich für die kommenden Aufgaben wappnen. Die von etlichen Kri60 Diese Form der Amnesie wird in der Medizin als psychogene Amnesie bezeichnet. Vgl. Pschyrembel (1994). Klinisches Wörterbuch. Berlin/New York, S. 55. 61 Timothy G. Ashplant (2000): »War Commemoration in Western Europe: Changing Meanings; Divisive Loyalties, Unheard Voices«, in: Ders./Graham Dawson/Michael Roper (Hg.): The Politics of War Memory and Commemoration. London, S. 241-259. 62 Vgl. hierzu Paul Jensen (1971/72): »The Return of Dr. Caligarie. Paranoia in Hollywood«, in: Film Comment (7), S. 36-46, S. 39. 63 Fagelson: Nervous out of Service, S. 297. 90

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tikern konstatierte Absurdität des Plots zeigt die Entfremdung des Protagonisten vom zivilen Alltag und die damit einhergehende Absurdität des Daseins auf der formalen Ebene. Insofern ist es gerade die höchst verwirrende Handlung des Films, die ganz im Sinne der These ›the media is the message‹ ergiebig ist. Die Männlichkeit, die in CRACK-UP präsentiert wird – der psychisch angeschlagene ›Held‹, der deswegen nicht in der zivilen Gesellschaft funktioniert – offenbart die Verwundbarkeit und/oder Überforderung jener konventionellen Männlichkeit, die ein halbes Jahr zuvor noch in Kriegsfilmen gefeiert worden war.

3.1.2 KEY LARGO (1948) »Home sweet Home«

Der Gangsterfilm KEY LARGO (1948) beginnt mit Luftaufnahmen auf die Straße, welche die Florida Keys miteinander verbindet und zum Ort des Geschehens, der Insel Key Largo, führt.64 Die ersten Bilder, die dem Vorspann unterlegt sind, zeigen den Fahrdamm aus verschiedenen Perspektiven und sind ineinander geblendet. Währenddessen klärt ein kurzer Text die Zuschauer/innen über die Insel auf: »At the southermost point of the United States are the Florida Keys, a string of small islands held together by a concrete causeway. Largest of these remote coral islands is Key Largo.« Bedeutsam an dieser Einführenden Einstellung (Establishing Shot) ist die Abgelegenheit des Handlungsortes – eine Metapher für den Platz, den der Protagonist Frank McCloud (Humphrey Bogart) in der amerikanischen Gesellschaft einnimmt.65 Der Filmanfang bereitet aber noch auf weitere Themen vor: Die Montage der aus der Vogelperspektive aufgenommenen Straße lässt Diagonalen entstehen, die den Raum (das Meer) zerteilen. Nach Joseph Mascelli stehen harte

64 Regie führte John Huston, der das Drehbuch mit Richard Brooks in Anlehnung an das gleichnamige Theaterstück von Maxwell Anderson verfasst hatte. Produziert wurde KEY LARGO von Jerry Wald bei Warner/First National. Wenngleich der Film sowohl bei der Kritik als auch an der Kinokasse erfolgreich war, existiert keine retrospektive systematische Analyse von KEY LARGO. Die einzig mir bekannte Besprechung des Films findet sich in Fagelson: Nervous out of Service. Allerdings handelt es sich weniger um eine Filmanalyse, als um die Produktionsgeschichte des Films vor dem Hintergrund der HUAC Anhörungen in Hollywood. S. 355-364. 65 Als Establishing Shot wird die erste Einstellung des Films, oder auch einer neuen Sequenz bezeichnet. Er ist meist in der Totalen gedreht und stellt den Ort des Geschehens vor. Seine Funktion besteht darin, eine räumliche und zeitliche Orientierung im Film zu geben. 91

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Geraden als filmisches Kompositionselement für Männlichkeit und Kraft, während gegeneinander gesetzte Diagonalen für Aktion und Konflikt stehen.66 In diesem Sinne ist auch der Einstieg in die Geschichte gestaltet: die rasante Verfolgungsjagd eines Busses, in welchem sich auch McCloud befindet, durch ein Polizeiauto. Gesucht werden zwei junge, aus dem Gefängnis ausgebrochene Indianer, die immer wieder in ihre Heimat zurückkehren. Damit sprechen die ersten Worte McClouds’ »Home being Key Largo« ein zentrales Thema des Films an. Die Geschichte wird in KEY LARGO im Gegensatz zu CRACK-UP, in dem der Raum nur unterstützende Funktion hatte, über den Raum erzählt. Bei der nachfolgenden Analyse des Films geht es mir darum herauszuarbeiten, welche Position und Funktion die Erzählung dem Protagonisten über den Raum zuweist. D.h. die Untersuchung konzentriert sich darauf, welche Themen anhand der Figur McClouds verhandelt werden. Wie im Establishing Shot bereits angedeutet geht es um die Frage nach einem Zuhause, dem Platz von Veteranen in der US-amerikanischen Gesellschaft, womit die Frage nach adäquater Männlichkeit genauso verknüpft ist wie die nach dem Sinn des Krieges und der Desillusionierung von Frontkämpfern.67 In der Absicht, den Vater und die Witwe (Nora) seines im Krieg getöteten Kameraden George Temple zu besuchen, unterbricht Frank seine Reise in Key Largo für einige Stunden.68 Entgegen seinen ursprünglichen Plänen nimmt er aber die Einladung von James Temple (Lionel Barrymore) an und entschließt sich zu bleiben. Er erzählt Mr. Temple und Nora (Lauren Bacall) von der letzten gemeinsamen Schlacht bei San Pietro und dem Tode Georges bei Monte Cassino.69 Anschließend hilft

66 Vgl. Knut Hickethier (2001): Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart/Weimar, S. 51. 67 Zum Inhalt von KEY LARGO: Frank McCloud, ehemaliger Major der US Armee besucht in Key Largo den Vater und die Witwe seines im Krieg getöteten Kameraden George Temple. Das Hotel der Temples ist geschlossen, dennoch verweilen dort fünf Männer und eine Frau – wie sich später herausstellt, handelt es sich um die Gangsterbande von Johnny Rocco und um seine Geliebte Gaye Dawn. Ziel der Gangster ist es, einen Falschgeldcoup durchzuführen und anschließend nach Kuba zu fliehen. Ein Hurrican jedoch schließt die Menschen im Hotel ein und analog zur Steigerung des Sturms spitzt sich die Lage der Eingeschlossenen zu. Am Ende entschließt sich McCloud die Gangster nach Kuba zu fahren. Während der Überfahrt gelingt es ihm alle zu erschießen, worauf er nach Key Largo zurückkehrt. 68 Bemerkenswert, dass auch hier der Name George auftaucht. Auch George Temple hatte gegen das ›Böse‹ gekämpft, musste dabei allerdings sein Leben lassen. 69 John Huston hatte selbst als Major im Army Signal Corps am Zweiten Weltkrieg teilgenommen und die drei Dokumentarfilme REPORT FROM 92

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er Nora während des aufkommenden Sturmes, die Boote zu vertäuen und das Haus wetterfest zu machen. Interessant an diesen Szenen ist die Position, die Frank von Mr. Temple und Nora zugewiesen bekommt. Für Mr. Temple ist Frank der kommandierende Offizier seines Sohnes. In dem Bericht über die gemeinsame Soldatenzeit schildert Frank George als born hero und hebt dessen Engagement in der Armee hervor. Die Rede Franks und die Inszenierung betonen die Achtung vor dem gekämpften ›gerechten‹ Krieg und den Taten Georges. Das Gespräch ist mit Blick auf die Tapferkeitsmedaille und ein Photo des Sohnes in Szene gesetzt, das in diesem Arrangement noch zwischen den Temple’s und Frank steht. Mr. Temple räumt Frank sofort einen Platz in der beschädigten Familie ein. Symbolisiert wird das durch eine Einladung, in Georges Zimmer zu verweilen, »He can have Georges room«: Frank wird somit zum Sohnersatz. Am Ende des Films wird Mr. Temple ihn tatsächlich bitten, für immer zu bleiben und ein Teil der Familie zu sein. Auch für Nora bietet die Ankunft Franks die Chance, das familiäre Ideal wiederherzustellen. Allerdings drückt sie ihren Wunsch zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht expressis verbis aus. Die Kamera übersetzt ihn, indem Noras Reaktionen auf Frank von Anfang an häufig in Nahund Großaufnahmen gezeigt werden, wobei Nora durch das weiche Ausleuchten weiblich und sanft wirkt und zumeist voller Wohlwollen und Bewunderung auf Frank blickt. Jene Szene, als Nora und Frank gemeinsam das Boot festmachen – durch die Taue gleichsam miteinander verbunden sind, symbolisiert ebenso die Zusammengehörigkeit der beiden wie die nachfolgende Szene des Hausabsicherns wegen des aufkommenden Hurricans. Hierbei bewegen sie sich spiegelbildlich zueinander, während er die Fensterläden von außen schließt und damit für Schutz sorgt, zündet sie im Haus die Lampen an. Die Szenen sind jedoch nicht nur als Indiz der Zusammengehörigkeit über die symbolische Anordnung des Raums zu lesen, sondern auch als Hinweis auf Geschlechterbeziehungen. Wenngleich Nora, da Mr. Temple im Rollstuhl sitzt, die Arbeit im Hotel alleine verrichtet, übernimmt sie in der Interaktion mit Frank eher die Hilfsarbeiten: Sie wirft ihm das Tau zu, er befestigt das Boot; sie schafft Licht im Innern des Hauses, er sorgt für den Schutz von außen. Auf diese Weise arbeitet KEY LARGO gemäß dem Wiedereingliederungsdiskurs daran, das Bild einer Frau zu propagieren, die sich in die häusliche Sphäre zurückzieht und den heimkehrenden Mann mit Aufgaben betraut. THE ALEUTIANS (1943), THE BATTLE OF SAN PIETRO (1945) und LET THERE BE LIGHT (1946) gedreht. 93

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Die eigene Figurenrede70 Franks benennt ein weiteres wichtiges Charakteristikum seiner Person, das auch im Folgenden immer wieder betont wird. Er hat kein festes Zuhause, sondern ist unterwegs, um in Key West Arbeit zu finden, da ihm das Leben an Land zu kompliziert geworden ist.71 Die Frage nach einem Zuhause, die in CRACK-UP nur am Rande gestreift wurde, wird, wie noch zu sehen sein wird, in THE MEN das zentrale Thema sein. Die Entwurzelung Franks wird insbesondere im Kontrast zu Nora herausgestellt. Seine Frage, ob sie in Key Largo glücklich oder doch einsam sei, beantwortet sie mit Blick auf die Mangroven »George gave me roots, when he went overseas I came down here to stay with father, now I’m like one of those mangroves«, womit sie gleichzeitig den Wert der Familie betont. So repräsentiert Frank auf den ersten Blick einen möglichen Sohn, Partner oder Schwiegersohn, einen Mann, der ehrenvoll in einem sinnvollen Krieg gekämpft hat und nun versucht ein neues Leben aufzubauen. Das heißt, der Glaube an die dominante Fiktion wird zu diesem Zeitpunkt noch aufrechterhalten. Erst die veränderte Situation, nachdem die Gangster das Hotel übernommen haben, erfordert eine klare Positionierung McClouds, welche zu Folge hat, dass die bisher stabil erscheinende Welt ins Wanken gerät. Mit Hilfe des (Un)wetters wird dieser Aspekt unterstrichen. Der aufziehende Sturm kann einerseits in dem Sinne verstanden werden, die sich im Haus zuspitzende Situation zu symbolisieren. Andererseits kann der Hurrican auch als Metapher für die Zerrissenheit McClouds und sein vorübergehendes Abweichen von der dominanten Fiktion gelesen werden. Der Gegenspieler Franks ist Johnny Rocco (Edward G. Robinson) – der Anführer einer Bande,72 die in den Worten des Kritikers James Agee

70 Als Figurenrede bezeichnet man die Äußerung einer fiktionalen Figur, mit der sie sich oder andere charakterisiert. Das Konzept ist deswegen für Gender-orientierte Fragestellungen aufschlussreich, da die Äußerung im Widerspruch zum Handeln einer Figur stehen kann. Gerade diese Diskrepanz verweist auf die Wirkmacht gesellschaftlicher Kontrollmechanismen, vgl. dazu Marion Gymnich: »Konzepte literarischer Figuren und Figurencharakterisierung«, in: Nünning: Erzähltextanalyse und Gender Studies, S. 122-140. S. 135f. 71 Dieses Thema tritt im Laufe des Films immer wieder auf. So erfährt man auch, dass Frank nicht nur entwurzelt, sondern auch ganz alleine ist. Die Frage Noras »Have you any folks?« verneint er. Korrespondierend mit dieser Beobachtung hat Bruzzi aufgezeigt, dass Kriegsheimkehrer im 1940er Jahre Kino z.B. nur sehr selten Väter waren. Bruzzi: Bringing Up Daddy, S. 2. 72 Die Figur Johnny Roccos war dem Gangsterboss Lucky Luciano nachempfunden. 94

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für »practically everything that is wrong with post-war America« steht.73 Rocco ist damit das personifizierte Böse und die Gefährdung, an der sich Frank messen lassen muss, nachdem die Eindringlinge das Hotel übernommen haben. Das Hotel fungiert als öffentlicher und zugleich abgeschlossener Raum und ist damit ein Mikrokosmos, dessen Figuren und Geschehnisse auf die amerikanische Gesellschaft übertragbar sind. Infolgedessen sind die Reaktionen der Anwesenden auf Rocco insbesondere in Hinblick auf Frank von Interesse, da sie als gesellschaftliche Erwartungen in Bezug auf Kriegsheimkehrer verstanden werden können. James Temple reagiert mit Abscheu auf Rocco »You are right you shouldn’t have been deported, you should have been exterminated«. Er selbst kann aber den Gangstern, weil er im Rollstuhl sitzt, keine Gegenwehr leisten. Mr. Temple symbolisiert auf diese Weise das ›alte‹, rechtschaffene, ländliche Amerika, das einst mächtig war, dem Verfall der Nachkriegszeit aber ohnmächtig gegenüber steht.74 Ähnlich wie ihr Schwiegervater verhält sich Nora. Sie versucht sich gegen Rocco und seine Übergriffe zu wehren, allerdings offenbart sich dabei nur, dass sie und Mr. Temple ohnmächtig ausgeliefert sind. Das anständige Amerika wird infolgedessen von einem gelähmten alten Mann und einer sich zwar wehrenden aber trotzdem hilflosen Frau symbolisiert. Aufschlussreich ist dabei die Aufteilung nach Geschlechtermodellen: Das feminisierte Amerika wird von der Gewalt einer Männergruppe bedroht, die wahlweise als kommunistische oder faschistische Bedrohung angesehen werden kann.75 73 Zit. nach: »Key Largo« URL: http://www.moviediva.com/MD-root/review pages/MDKey-Largo.htm (16.03.05). Ein Teil dessen, das im Nachkriegsamerika ›falsch‹ war, waren die 1947 in Hollywood durchgeführten Anhörungen des House on Un-American Activities Committee (HUAC). Bogart, Bacall und Lionel Barrymoore waren Mitglieder des von Huston ins Leben gerufenen Committee for the First Amendment (CFA) zur Wahrung der Meinungsfreiheit. Aus Empörung über die Kommunistenjagd wollte Huston mit dem während der Anhörungen produzierten KEY LARGO eine Allegorie auf faschistische Gewalt gegen unschuldige Zivilisten schaffen. Zu Bogarts Verhalten im Rahmen der Kommunistenhatz in Hollywood, vgl. Andrea Thain/Michael O. Huebner (1996): Humphrey Bogart. Der Mann hinter der Maske. Eine Biographie. Reinbek bei Hamburg, S. 214-222. 74 Frank bezeichnet Mr. Temples Wunsch in einem Amerika ohne Johnny Roccos zu leben als »hopelessly oldfashioned. Your ideas date back years« und die Gangster begrüßen die Tatsache, dass er im Rollstuhl sitzt, denn »he would be lots of trouble.« 75 Beide Interpretationen sind möglich. Rocco selbst spricht davon als »undesirable alien [...] like I was a dirty red« behandelt worden zu sein. Das Theaterstück von Anderson hingegen erzählt die Heimkehr eines amerikanischen Veteranen aus dem Spanischen Bürgerkrieg, der desertiert war 95

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Für Frank bliebe demnach die Rolle als Kämpfer gegen das ›Böse‹ und als Beschützer der Familie. Er indes will diese Herausforderung nicht annehmen, sondern begegnet der Bande desillusioniert. Obwohl er einst an eine bessere Welt geglaubt habe, in der es keinen Platz für Korruption und Verbrechen gäbe, weigert er sich gegen Rocco zu kämpfen, selbst als dieser ihn zum Duell herausfordert. Frank ähnelt in Grundzügen der weitaus bekannteren Figur des ebenfalls von Humphrey Bogart gespielten Rick aus CASABLANCA (1941). Auch Rick präsentiert sich lange Zeit als desillusionierter Zyniker, der nicht bereit ist, sich für sein Land, bzw. höhere Ziele, in Gefahr zu bringen, sich letztlich aber doch für die ›gute‹ Sache engagiert. Drei Jahre nach Kriegsende wurde der Zweite Weltkrieg aber nicht mehr nur positiv wahrgenommen, was die Figur Franks versinnbildlicht. Frank sieht die Versprechungen, für die der Krieg angeblich gefochten wurde, als nicht erfüllt an, weswegen er resigniert hat. Er interpretiert seinen Einsatz im Krieg als Kampf für leere Worte.76 Um dies zu verdeutlichen, sagt er in Anlehnung an Roosevelt, der im Januar 1942 als Kriegsziel eine bessere Welt in Aussicht gestellt hatte: »They [the words, die Verf.] went like this: When we do not make all this effort of human sacrifice and human life we are turned to that kind of world we had after the last world war.«77 So hat der Krieg aus Franks Perspektive kein besseres Amerika hervorgebracht. Mit dieser Haltung entspricht er dem von Wecter gezeichneten Typ. So möchte er weder für höhere Ziele noch für die Idee der Familie kämpfen. »Rocco wants to come back to America, let him! Let him be president! I fight nobody’s battles but my und dadurch zum Tod seiner Kameraden beigetragen hat. Als Wiedergutmachung kämpft er später gegen eine Gangstergruppe, deren Chef Mussolini heißt, und fällt, während er die Familie eines gefallenen Kameraden verteidigt. 76 Diese Haltung wurde von vielen Soldaten geteilt, vgl. Nisbet: »The Coming Problem of Assimilation«, S. 262. Dass die US-amerikanischen Kriegsziele vielen Soldaten unbekannt waren, und die Bereitschaft zu kämpfen stattdessen aus der Kameradschaft erwuchs, macht Studs Terkel deutlich. Studs Terkel (1984): The Good War. An Oral History of World War II. New York. 77 Bei Roosevelt hieß es: »But we of the United Nations are not making all this sacrifice of human effort and human lives to return to the kind of world we had after the last World War.« Address to the Congress on the State of the Union, 6. Jan. 1942: »The Militarists of Berlin and Tokyo Started This War. But the Massed, Angered Forces of Common Humanity Will Finish it,« in: The Public Papers and Addresses of Franklin D. Roosevelt, vol. 11, New York 1950, S. 32-42, S. 41. Der Gedanke, dass sich die Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs wiederholen könne, taucht auch in kurzen Gesprächen der Gangster immer wieder auf, z.B. wenn sie darüber diskutieren, ob die Prohibition wiederkomme oder nicht. 96

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own.« Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass Frank mit seiner Verweigerungshaltung zum weiteren gesellschaftlichen Verfall beiträgt, da die Roccos der Welt nach freiem Gutdünken handeln können. Seine Haltung wird von Nora aufs schärfste abgelehnt. Zum einen bezichtigt sie Frank ein Feigling zu sein. Sie schenkt seiner Rechtfertigung keinen Glauben, sondern versteht diese nur als Weg, um die eigene Feigheit zu vertuschen. Sie ist nicht bereit, die Verweigerungshaltung Franks zu akzeptieren. Damit symbolisiert Franks Passivität im übertragenen Sinne nicht nur den weiteren Niedergang der Gesellschaft, sondern unterbindet ebenfalls die Wiederherstellung des Familienideals, da die Bewunderung Noras für ihn erloschen ist. Während die Hoffnungen, die Nora in Frank setzt, ganz der dominanten Fiktion entsprechen und ihre maßlose Enttäuschung die Wichtigkeit dieser Idee betont, entzieht sich Frank diesen Wünschen, da sie nicht mehr seiner Welt gemäß sind. Die an Frank bzw. die Kriegsheimkehrer gestellten Anforderungen erweisen sich meines Erachtens als nicht miteinander vereinbar. Während der Protagonist von CRACK-UP noch zwischen den Polen ›Kampf gegen die innere Bedrohung‹ und ›Überwindung der eigenen Neurosen‹ hin und her gerissen ist, hat sich der Schwerpunkt in dem wenige Jahre später gedrehten KEY LARGO verschoben. Nun ist einerseits die familiäre Bindung erwünscht, andererseits werden die Männer zum Schutz vor und zum Kampf gegen die äußere Bedrohung aufgefordert, auch wenn dies ihr Leben kostet. Damit ist KEY LARGO repräsentativ für die Spannung zwischen den beiden Polen, die über die gesamten 50er Jahre existieren sollte. Die Einzige, die außer den Gangstern Verständnis für Franks Weigerung zu kämpfen aufbringt, ist die alkoholabhängige Gaye (Claire Trevor), die Geliebte Roccos. In ihrer Weltsicht ist es »better to be a live coward than a dead hero«. Pointiert überträgt Rocco diese Einstellung auf die Kriegsvergangenheit: »A live war hero. Now I know how you did it.« Durch die ›Gangsterbraut‹ Gaye, die selbst aus dem bürgerlichen Rahmen herausfällt, und durch Rocco wird demnach der ›negative‹ Kriegsheimkehrerdiskurs vertreten, der zwar gesellschaftlich existent ist, aber nicht dominant werden soll: Dass die Soldaten im Krieg Angst gehabt und nicht gekämpft haben. Im weiteren Verlauf des Films macht Frank eine psychologische Entwicklung durch. Am Ende entscheidet er sich, seine Pflicht als USBürger zu erfüllen und gegen die Gangster zu kämpfen – symbolisiert durch die Tapferkeitsmedaille Georges, die er nachdenklich in den Händen hält, als er diesen Entschluss fasst. Er setzt sich damit für die freiheitlichen Werte der USA ein und überwindet seine bisherige Resigna97

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tion und Enttäuschung. Bereits zuvor hatte er Gaye in einer sie demütigenden Situation unterstützt, wodurch er erneut die Zuneigung Noras erlangte. Zur Bekräftigung dessen lädt auch sie ihn nun ein, bei ihr und Mr. Temple zu bleiben. Doch bevor er dieser Einladung folgt, erschießt er auf der Überfahrt nach Kuba alle Bandenmitglieder. Der Rückzug der Gangster nach Kuba ist ein Ausbrechen aus dem Mikrokosmos des Hotels und damit aus der amerikanischen Gesellschaft. Frank jedoch wählt diesen Mikrokosmos freiwillig und kehrt von der Weite des Meeres nach Key Largo zurück, um dort Wurzeln zu schlagen. Ihm gelingt es in der Schlussszene folglich, die beiden widersprüchlichen Ansprüche an Männlichkeit – Kampf und Familie – miteinander zu verbinden. Abschließend lohnt der Blick auf die Figur des Rick aus CASABLANCA. Auch er hatte sich zum Schluss des Filmes für die ›gute‹ Sache engagiert. Allerdings ging dieser Einsatz einher mit dem Beginn einer ›wunderbaren Männerfreundschaft‹: die geliebte Frau ließ er an der Seite eines anderen ziehen. Am Ende von KEY LARGO setzt sich auch Frank für die demokratischen Werte der USA ein. Allerdings findet er sieben Jahre und einen Weltkrieg später sein neues Zuhause nicht in einer Männerfreundschaft sondern in einer Familie. Die Vorstellung intelligibler Männlichkeit hatte sich demzufolge gewandelt: Während der Einsatz fürs Vaterland weiterhin wichtig war, war die heteronormative Geschlechterordnung, die während des Zweiten Weltkrieges vernachlässigt werden musste, wieder in den Vordergrund getreten und forderte ihren Platz ein.

3.1.3 THE MEN (1950) Marlon Brando, der am Broadway mit A STREETCAR NAMED DESIRE bekannt geworden war und 1953 mit der Verfilmung dieses Stückes auch als Filmschauspieler den Durchbruch erzielte, stand in THE MEN (1950) zum ersten Mal vor der Kamera.78 THE MEN wurde zwar von der Kritik hoch gelobt,79 hatte jedoch Schwierigkeiten einen Verleiher zu finden und war an den Kinokassen wenig erfolgreich. Die Gründe dafür liegen zum einen darin, dass er im Juli 1950 zwei Wochen

78 THE MEN basiert auf dem Drehbuch von Carl Foreman, Fred Zinnemann führte Regie. Produziert wurde der Film von Stanley Kramer bei United Artists. Später wurde der Film in BATTLE STRIPE umbenannt. 79 Die New York Times veröffentlichte jährlich eine Liste der zehn besten Filme des Jahres. Für das Jahr 1950 wurde THE MEN darin aufgenommen. Andere Filme des Jahres waren der Kriegsfilm TWELVE O’CLOCK HIGH, die Komödie FATHER OF THE BRIDE oder das komödiantische Drama ALL ABOUT EVE sowie der Film Noir SUNSET BOULEVARD. 98

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nach Beginn des Koreakriegs anlief, und dass ein Film, der das Leben querschnittsgelähmter Weltkriegsveteranen zeigt und dabei keine proKriegs-Perspektive einnimmt, zu diesem Zeitpunkt nicht opportun war. Zum anderen ist auch ein Blick auf das Subthema des Filmes aufschlussreich, nämlich auf die Frage, was passiert, »when a man can’t do what a man’s gotta do?«, um die Abwehr gegen den Film zu verstehen. In diesem Sinne schreibt die Zeitschrift Sight and Sound im Dezember 1950: »A valid enough theme of our times and useful, one would think, even in an atmosphere echoing with war drums, for the films are honest and sanguine. But it seems to have been felt that a film which shows a man so incapacitated by war that his readjustment demands the highest exercise of self-discipline and faith, might be damaging to the recruiting drive. [...] For the hero of Fred Zinneman’s THE MEN is a paraplegic whose injury has made him, almost certainly, impotent. One approaches a film of this sort almost with eyes averted.«80

Wenn das ›Unsagbare‹ gezeigt wird, möchte man die Augen abwenden, meint der Autor dieses Artikels und es scheint, als habe er Recht behalten. Denn im öffentlichen Bildergedächtnis sind keine Bilder von Brando in der Rolle des gelähmten Ken gespeichert. Brando ist stattdessen bis heute der ›zerrissene-T-Shirt-Träger‹ Stanley aus A STREETCAR NAMED DESIRE (1951), der ›Lederjacken-Träger‹ Johnny aus THE WILD ONE (1954) oder der Mafioso aus THE GODFATHER (1972).81 Der Film ist, wie nur einige wenige andere amerikanische Spielfilme der frühen Nachkriegszeit, in dem Verlangen gedreht, ein authentisches Bild von Veteranen zu zeigen.82 Das impliziert einen an den dokumentarischen Stil angelehnten Filmstil. Zu diesem Zwecke recherchierte Fred 80 Richard Winnington (1950): »THE MEN and THE UNDEFEATED«, in: Sight and Sound, December, S. 329-330, S. 329. THE UNDEFEATED ist ein britischer Kurzfilm, der das Schicksal eines Veteranen erzählt, welcher im Krieg beide Beine und seine Stimme verloren hat. Das Thema Impotenz wird in diesem Film nicht angesprochen. Trotzdem unterlag der Film 1950 der britischen Zensur. 81 Auch in der Literatur über Filme der Nachkriegszeit findet der Film keine Beachtung. Allein Jarvis spricht über den Film. Jarvis: The Male Body, S. 107ff. 82 Als weiteres Beispiel ist der mit mehrfachen Oscars ausgezeichnete Film THE BEST YEARS OF OUR LIVES (1946) zu nennen. Er versucht nicht nur durch filmische Mittel einen realistischen Anspruch zu erfüllen, sondern auch dadurch, dass der Veteran Harold Russell, der eine der drei Protagonistenrollen besetzte, tatsächlich beide Hände im Zweiten Weltkrieg amputiert bekommen hatte. Russell erhielt zwei ›Oscars‹, einen für seine schauspielerische Leistung, einen weiteren als Dank dafür, anderen Veteranen Lebensmut gegeben zu haben. 99

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Zinnemann etliche Wochen im Birmingham Veterans Hospital in Van Nuys, Kalifornien.83 Brando selbst lebte dort in der Vorbereitungsphase des Films einen Monat mit den versehrten Kriegsheimkehrern zusammen, um bei den Dreharbeiten möglichst realitätsnah zu wirken.84 In der Werbung für den Film wurde immer wieder betont, dass THE MEN auf Ereignissen beruht, wie sie sich im Birmingham Veterans Hospital zugetragen haben oder haben könnten.85 Zu Großteilen ist der Film dort gedreht worden. Die semi-dokumentarische Atmosphäre, die der Film zu Zeiten erzeugt, resultiert darüber hinaus – mit Ausnahme dreier Hauptfiguren – aus der Besetzung mit Laiendarstellern, den Insassen des Krankenhauses. Damit erlangt die Versehrtheit der Männer eine Glaubwürdigkeit, die anderenfalls nicht möglich gewesen wäre und THE MEN erschwert es solcherart den Zuschauer/innen den Film in dem Wissen zu verlassen, dass es nur ein Film sei.86 Stattdessen zeigt THE MEN die tatsächlichen Wunden eines stattgefundenen Krieges und, dass Männer, die invalide aus diesem Krieg heimkehren, ein anderes Leben erwartet, als das, welches sie zuvor gekannt hatten – womit nicht nur die körperlichen Verwundungen gemeint sind, sondern auch ihr Sozial- und Sexualleben. 83 In seinen Notizen finden sich Beobachtungen, atmosphärische und thematische Anweisungen für den Film, z.B. »The general mood must be preoccupation, brisk, businesslike, IMPERSONAL quality.« »Show them as individuals, themselves, only more so through intensifying experience. Discrimination against them as a minority group.« Hinsichtlich der Ehefrauen benennt er die Schwierigkeiten: »Wife is breadwinner and economic head of the family« und die Frage der Sexualität. Auch das Anliegen des Chefarztes der Klinik (Dr. Bors) geht aus diesen Notizen hervor, »Show in film that the US takes very good care of paraplegics!« Zinnemann File 49-f.656 Research, AMPAS. 84 UCLA Festival of Preservation 1994, Zinnemann File 49-f.656 Research, AMPAS; und Peter Manso (1998): Marlon Brando. Eine Biographie. Reinbek bei Hamburg (Original 1994), S. 183f.. 85 »As far as I was concerned, the main prerequisite was to make the picture absolutely authentic. Any unrealistic drama which exaggerated the fact, misrepresented the truth, or portrayed paraplegics in a false light, would have been rank injustice. [...] »The Men« is based largely on actual happenings and incidents within our own Paraplegic Section. The leading role, portrayed by Marlon Brando, is more or less a composite story of individual experiences. Even the death of Arthur »Angel« Jurado is based on actuality, with only slight variation. Certainly all of the film is within the realm of possibility; consequently, there can be no doubt about its authenticity.« Ted Anderson (1950): »Paraplegia in Review«, in: PVA NewsBulletin, April, S. 5., Zinnemann File, AMPAS. (Ted Anderson war zu diesem Zeitpunkt der Herausgeber des PVA News-Bulletin. = Paraplegic Veterans Association.) 86 TILL THE END OF TIMES (1946) ist ein Beispiel für nicht gelungene Glaubwürdigkeit. 100

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Die Kinowerbung bewarb den Film folgerichtig mit: »A completely new experience between men and women!«87 Der männliche Mangel, bzw. die Unfähigkeit und/oder das Widerstreben in die Alltagswelt zurückzukehren und eine Männlichkeit zu leben, die den Anforderungen der »konventionellen Männlichkeit« genügt, wird in THE MEN auf mehreren Ebenen gezeigt. Der dafür gewählte realistisch anmutende Filmstil verweist immer auf subversive, bzw. kritische Momente. Insofern ist zu fragen, ob THE MEN eine Alternative zu jener vorherrschenden Erzählung bietet, die in Form von Ratgeberliteratur und anderen Filmen die geglückte Umstellung von einer soldatischen zu einer zivilen Männlichkeit predigte.

»I don’t want to take my proper place in society« Der Film beschreibt den Prozess, neuen Lebensmut zu finden und sich in die Alltagswelt einzugliedern, als einen schwierigen Kampf und fungiert phasenweise als Aufklärungsfilm über Querschnittslähmung.88 Das Ziel, versehrte Veteranen wieder in die Gesellschaft einzugliedern, wurde durch ein im März 1943 erlassenes Gesetz unterstützt (Public Law 16, 78th Congress), das den Versehrten finanzielle Unterstützung und eine freie Berufsausbildung ermöglichte. Dahinter stand die Überzeugung, dass insbesondere eine berufliche Tätigkeit einen großen therapeutischen Nutzen habe. Ende 1947 erhielten 1,996,327 Veteranen eine finanzielle Kompensation für ihre im Kriege erworbenen Behinderungen. Die Zahl der Querschnittsgelähmten wurde mit 1,400 angegeben; ihnen wurde aufgrund der Schwere ihrer Behinderung spezielle Unterstützung zugesagt.89 THE MEN zeigt anhand mehrerer Protagonisten verschiedene Einstellungen zur geforderten Rückkehr in die Gesellschaft. Ein Opfer ist der im Zentrum des Films stehende Ken Wiltocek (Marlon Brando). Während er zum Zeitpunkt seiner Verwundung Angst hatte zu sterben, ist es seither der Gedanke an das Leben als gelähmter Mann, der ihm Angst macht. Symbolisch führt der Weg seiner Rehabilitation aus einem dunklen Krankenhaus-Einzelzimmer mit vergitterten Fenstern über den Gemeinschaftsschlaf- und Solidarraum der gelähmten Männer zur hete87 Production File zu THE MEN, AMPAS. 88 Vorangestellt ist dem Film jene Widmung: »In all Wars, since the beginning of History, there have been men who fought twice. The first time the battled with club, sword or machine gun. The second time they had none of these weapons. Yet, this by far, was the greatest battle. It was fought with abiding faith and raw courage and in the end, Victory was achieved. This is the story of such a group of men. To them this film is dedicated.« Auch diese Widmung ist eine Authentifizierungsstrategie des Films. 89 Menninger: Psychiatry, S. 376f. 101

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ronormativen Paarbildung. Inwieweit diesem Weg eine Wiederherstellung des männlichen Subjekts zugrunde liegt, wird aufzuzeigen sein. Während eines Informations-Termins des Arztes Dr. Brock mit den Müttern, Ehefrauen und Freundinnen der verletzten Männer am Anfang des Films schildern die Frauen die Probleme, die sie mit ihren Männern und Söhnen erleben und stellen die entscheidenden Fragen, um zu erfahren, wie das Leben mit einem gelähmten Mann aussehen wird. Das aus heutiger Perspektive Überraschende an dieser in der Krankenhauskapelle spielenden Szene ist das ausschließlich weibliche Auditorium. Wirft man jedoch einen Blick in die das ›Veteranen-Problem‹ betreffende zeitgenössische Literatur, wird deutlich, dass THE MEN an diesem Punkt die vorherrschende Auffassung des sozial-psychologischen Kriegsheimkehrer-Diskurses aufnimmt. Große Teile der Ratgeberliteratur richteten sich explizit an Frauen, da die Autor/innen davon ausgingen, dass die Reintegration der Männer zu dem Aufgabenbereich der Frauen gehöre.90 Die Mütter, Freundinnen und Ehefrauen jener Gelähmten in THE MEN lernen denn auch die gesamte Bandbreite der psychischen und physischen Verwundungen der Männer kennen. So hören sie, dass ihre Männer immer im Rollstuhl sitzen werden, Schmerzen haben, Blase und Darm zunächst gelähmt sind und dass sie höchstwahrscheinlich keine Kinder mehr zeugen können. Aufgrund ihrer Depressionen erscheinen sie ihren Frauen fremd.91 Die Offenheit, mit der die physischen und psychischen Schwierigkeiten der Männer geschildert werden, erstaunt insbesondere vor dem Hintergrund des 1950 noch gültigen Production Codes, dessen Prinzipien regelten, was in einem Film gezeigt werden durfte und was nicht – die körperliche Versehrtheit in dieser Form gehörte nicht zu dem Zeigbaren. Aber da dem Film vom Breen Office eine aufklärerische Funktion zugestanden wurde, kritisierte Breen zwar die folgenden Themen, ließ sie aber doch zu: »We note in this script a number of lines of dialoge relative to the bladder, the bowels, and the question of whether or not a paraplegic can father children. As you know under different circumstances much of this dialog might prove offensive, and hence not acceptable under the requirements of the Code. However, in view of the fact, within the framework of the story, these references

90 Gerber: »Heroes and Misfits«, S. 550. 91 Vgl. folgenden Dialog: Ehefrau: »[...] and I want to keep our marriage going, but he is so changed, he’s different.« Doc: »He isn’t different. He’s the same man with a spinal cord injury. Oh, I know, right now he is unhappy, he’s depressed, he feels himself totally dependend on others. He says to himself: Oh I am not a man any longer, I can’t make a woman happy. Is it any wonder he finds it difficult to adjust to the situation?« 102

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seem to be used in a dignified, clinical manner, we are disposed to raise no objection to them.«92

Leo Die Männer, die im Gemeinschaftssaal leben, sind wie schon der Protagonist von CRACK-UP durch sprechende Namen gekennzeichnet – Leo, also der Löwe (Richard Erdman), Norm, also die Norm (Jack Webb) und Angel, der Engel »Tarzan« (Arthur Jorado). Sie versuchen auf unterschiedliche Arten mit ihrer Krankheit und ihrem Alltag umzugehen. Leo probiert seine neue Lebensrealität mit Humor in den Griff zu kriegen und das Leben durch Nichtstun zu genießen. Schon seine Kleidung weist darauf hin. Im Gegensatz zu den anderen Patienten trägt er Hawaiihemden und raucht im Bett liegend Zigarre. An den Sporteinheiten nimmt er nur widerwillig teil, lieber verbringt er seine Zeit scherzend mit seinen Bettnachbarn oder Pferdewetten am Telefon abschließend, um dadurch gutes Geld zu verdienen, oder aber sich Bilder nackter Frauen anschauend. Aus der Perspektive des Arztes stellt sich seine Haltung als die eines Schmarotzers dar, was seiner eigenen Vorstellung eines nützlichen Lebens widerspricht. »Doc: »When are you going to stop taking advantage of the government?«, was Leo wie folgt kontert: »What do you want me to do? Walk? I had enough of that in the infantry.« [...] Doc: »You’re a moron, you’re nothing good. You are making more money now than you made in your whole life and all you wanna do is lie in your bed, smoke cigarres, and bet on horses and look on naked women, you’re impossible.«

Leo widersetzt sich mit dem von ihm gewählten Lebensstil der bürgerlichen Vorstellung, anhand eines erlernten Berufes Geld verdienen zu wollen. Auch strebt er es nicht an, das Krankenhaus zu verlassen. Damit ist indirekt ein weiteres Thema dieses Filmes angesprochen, und zwar die auch in KEY LARGO formulierte Frage, wo und was ›Zuhause‹ ist.

Norm Während Leo der Clown der Gruppe ist, ist Norm der eher zynische Intellektuelle. Er artikuliert gleich zu Beginn seine Abneigung gegen die Integration ins zivile Leben. »No, I don’t wanna be rehabilitated, readjusted, reconditioned, re-anything. And if you don’t mind I don’t want to take my proper place in society either. Does that make my position clear?« Das, was Leo gelassen im Alltag praktiziert, wird also von Norm explizit formuliert und als Lebensmaxime verfochten. Norm spielt hier mit 92 Briefwechsel Breen Office an Stanley Kramer, Okt. 1949, AMPAS. 103

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der Aufzählung verschiedener Wiedereingliederungsstrategien auf eine in der Fachliteratur geführte Diskussion an. So schreibt Wecter: »›Rehabilitation‹ is growing outmoded. […] ›Retraining,‹ ›reconstruction,‹ ›reconditioning,‹ are currently in better favor.«93 Letztere bestechen seiner Meinung durch ihre Konzentration auf die Wiederherstellung eines gesunden Selbstbewusstseins durch körperliches Training und das Gefühl von gesellschaftlicher Nützlichkeit, z.B. durch die Ausübung eines Berufes. Die Zweifel von Norm gehen jedoch darüber hinaus. So äußert er sich zu Liebesbeziehungen zwischen gesunden Frauen und gelähmten Männern. Seiner Auffassung nach kann eine solche Beziehung nicht funktionieren, denn »it is not in the nature of a normal woman to be in love with one of us.« Er kommt zu dem Schluss, dass jene Krankenschwester, die einen Patienten geheiratet hatte, dies nur wegen der Entschädigung getan habe. Gleichzeitig verknüpft diese Szene die Funktion der Ehefrau und Krankenschwester miteinander, in ähnlicher Weise, in der in der Ratgeberliteratur die Idee der Mütterlichkeit propagiert worden war. Grundsätzlich aber stimmt die eigene Figurenrede Norms nicht mit seinem Handeln überein. Denn als Mitglied der Paralyzed Veterans of America (PVA) übernimmt er organisatorische und identitätspolitische Aufgaben innerhalb des Krankenhauses. Außerdem geht er später entgegen seiner theoretischen Vorsätze eine Beziehung mit einer gesunden Frau ein, um schmerzlich erfahren zu müssen, dass sich seine These, »that cripple and normal never shall meet« bestätigt. Seine Freundin hatte ihn tatsächlich nur wegen der Entschädigung hofiert, um ihn anschließend zu verlassen. Das klassische Filmmotto boy gets girl hat hier keine Gültigkeit, Norm scheitert in dieser Hinsicht daran, eine angemessene Männlichkeit zu leben. Jene Szene, als er abends, nachdem er verlassen wurde, betrunken in seinem Rollstuhl in den Schlafsaal zurückkommt, unterstreicht sein Scheitern auch auf der visuellen Ebene. Während er Leo und Ken seine Geschichte erzählt, nestelt er an seiner Krawatte herum, um sich dieses Männlichkeit signifizierenden Kleidungsstückes zu entledigen. Beim anschließenden Versuch die Schuhe zu öffnen, stürzt er kopfüber aus seinem Rollstuhl, womit sein Schiffbruch offensichtlich wird.

Angel Angel, auch Tarzan genannt, wählt einen dritten Weg.94 Beide seiner Namen sind Programm. Einerseits ist er ein gutmütiger Mann, der ver-

93 Wecter: When Johnny Comes, S. 541. 94 Der nicht-professionelle Arthur Jurado, welcher Angel spielt, war zu jener Zeit Patient im Birmingham Veterans Hospital. 104

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sucht allem etwas Positives abzugewinnen, zwischen den Patienten vermittelt und sich hilfsbereit um andere kümmert. Andererseits trainiert er seinen Körper extrem hart (Abb.1), um das Krankenhaus so bald wie möglich verlassen zu können, da er sich für seine Mutter und die sechs jüngeren Geschwister verantwortlich fühlt. Interessanterweise wird der Körper Angels von Anfang an zur Schau gestellt. Sein Oberkörper, der extrem muskulös ist und dem eines Bodybuilders gleicht, ist wiederholt nackt zu sehen. Auch wird Angel mehrfach beim intensiven Training gefilmt. Das Zeigen der körperlichen Aktivität führt dazu, die dominante Vorstellung von »masculinity-asactivity« heraufzubeschwören.95 Gleichzeitig lenkt die visuelle Betonung des trainierten Oberkörpers in Aktion von dem tatsächlich versehrten Körper Arthur Jurados ab, der Angel spielt. Damit erfüllt die visuelle Repräsentation folgende Funktion: Angel ist einerseits versehrt, wodurch auf etwas außerhalb des Films Liegendes referiert wird, auf den Krieg, und andererseits fungiert der Körper als Blickfang. Ursache des Blicks ist aber nicht der beschädigte Körper, sondern im Gegenteil seine physische Stärke. D.h. Angel/Arthur Jurado greift auf der visuellen Ebene nicht die Repräsentation einer adäquaten Männlichkeit an. Im Gegenteil, das wiederholte Zeigen seines trainierten, schönen Körpers symbolisiert Angels Wunsch und Fähigkeit, das Krankenhaus verlassen und ein normales Leben führen zu können. Doch überraschend stirbt Angel eines Nachts.

Ken Der mit Mangel behaftete männliche Körper findet sich umso mehr in der Figur Kens und zwar sowohl auf der Ebene der Narrativität wie auch auf der der Bilder. Ken ist derjenige der Männer, der am stärksten mit seiner neuen Lebenssituation hadert und nicht akzeptieren möchte, dass er gelähmt ist. Er ist sich seiner Andersartigkeit bewusst und damit auch der Entfremdung von seinem früheren Leben.96 Aus diesem Grund verweigert er jegliche Kommunikation, außer mit dem medizinischen Personal. Er protestiert heftig, als er aus dem Einzelzimmer in den Gemeinschaftssaal verlegt wird, ein Akt, der ihn zwingen wird anzuerkennen, dass sein Schicksal kein Einzelschicksal ist. Ebenfalls lehnt er es ab, seine Verlobte zu empfangen. Er hat die alte Verbindung aufgelöst und damit auch den Weg zu seinem ehemaligen Zuhause abgebrochen. 95 Dyer: »Don’t look now«, S. 269. 96 Aus einem Gespräch zwischen Ellen und dem Arzt erfährt man Details aus seiner Vergangenheit, in welchem er mit einem Sportstipendium am College war. Die Beziehung der beiden charakterisiert Ellen wie folgt: »With me he always wanted to be boss. I let him«. 105

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Abbildung 1: THE MEN (1950)

Grund dieser Entscheidung ist sein Wunsch, dass sie seinen defekten Körpers nicht sehen soll. Denn er geht davon aus, dass sie ihn – ebenso wie er – nicht annehmen kann. Beim Besuch Ellens (Teresa Wright) offenbart er sich gezwungenerweise. Er schlägt wütend die Bettdecke zurück und gestattet einen Blick auf seine gelähmten Beine: »Allright, I give you what you want. You wanna see? Allright look! I said look at me! And get a good look, if this makes you feel healthy. Is that what you want?« Mit diesem Akt fordert er Ellen dazu auf, seinen Mangel bzw. seine Kastration wahrzunehmen und anzuerkennen. Ellens zögerliches Hinsehen und ihr verstörter Blick offenbart denn auch ihre Schwierigkeit, den Mangel anzuerkennen. Auch im Folgenden formuliert sie wiederholt 106

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ihre Hoffnung, dass er wieder laufen lerne, was sie in der Konsequenz davor bewahren würde, seine beschädigte Männlichkeit akzeptieren zu müssen. Im Gegensatz zur Darstellung von Angels Körper, wird Kens Körper in dieser Szene als mangelhaftes Objekt des Blickes inszeniert, denn während er im Bett liegt, blickt die Kamera über ihre Schulter auf ihn hinunter. Verstärkt wird dieser durch die Kamerainszenierung hervorgerufene Effekt durch Kens Blick, der dem Blick Ellens nichts entgegenzusetzen hat, sondern indem er seine Augen abwendet, sich dem prüfenden Blick der Betrachterin aussetzt.97 Doch nicht nur die visuelle Inszenierung offenbart Kens Andersartigkeit, sondern er betont sein Anderssein wiederholt. »I mean what would I be doing? […] I get a job weaving baskets. […] I am like a baby.« Ken formuliert explizit seine Hilflosigkeit und die Tatsache, dass seine Querschnittslähmung ihn davon abhält, ein ›normales‹ Leben zu führen. Sie lasse es z.B. nicht zu, dass er den Lebensunterhalt verdiene, wie es dem traditionellen männlichen Aufgabenbereich entspricht. Dies beeinträchtigt Ellen jedoch nicht, da sie schon während des Krieges Geld verdient habe, könne sie das jetzt auch. Gleichzeitig fordert sie ihn aber auf, an sich zu arbeiten.98 Auch im Folgenden ist es Ellen, die ihre Wünsche immer wieder an Ken heranträgt, sie will von ihm hören, dass er sie liebt, und sie fragt ihn schließlich, ob er sie heiraten wird. Sie treibt also die Handlung des Films voran und ihre Funktion dabei ist es als ›Heilerin‹ zu fungieren. Ihr Handeln soll dazu dienen, Ken in die Zivilgesellschaft zu reintegrieren, oder grundsätzlich gesprochen, das männliche Subjekt wieder intellegibel zu machen. Auf diese den Frauen vorbehaltene Aufgabe hatte schon jene Eingangszene hingedeutet, in der Dr. Brock vor den Angehörigen der Gelähmten referierte: die Gruppe bestand ausschließlich aus Frauen. Damit untrennbar verknüpft scheint jedoch zu sein, dass die Frau den männlichen Mangel nicht akzeptieren darf. Ken nimmt die Ermutigung seiner Freundin an. Nach ihrem Besuch beginnt er zu trainieren, lernt sich selbständig im Rollstuhl fortzubewegen und testet das Alltagsleben außerhalb des geschützten Krankenhausraumes. Letztlich entscheidet er sich sogar für die von Ellen gewünschte Hochzeit – allerdings auch dabei seinen Mangel betonend. »We are not the same as other people.« Erst als sie ihm versichert, »I am not marrying a wheelchair I am marrying a man«, willigt er ein. Und es ist genau diese Aussage, die durch die nachfolgende Hochzeit getestet wird. 97 Vgl. zu Blickstrukturen, die den männlichen Körper ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken Dyer: »Don’t look now«. 98 Ellen: »You could build yourself up, others do. You could try. You might even walk again if you try.« 107

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Während zahlreiche Hollywoodfilme mit einer Hochzeit oder einem Heiratsversprechen enden, wodurch der Glaube an die dominante Fiktion bestätigt wird, offenbart die Eheschließung in THE MEN die Schwierigkeiten des Paares. Denn in der Thematik Ehe finden sich die Probleme der beiden und die Fragen nach Kens’ Männlichkeit in sedimentierter Form – Hochzeit und Hochzeitsnacht lassen jegliche Illusionen einer wiederhergestellten Männlichkeit wie Seifenblasen zerspringen. Doch vor der Hochzeit zeigen die Bemühungen insbesondere von Ken, wie die im Hochzeitsversprechen enthaltene Vorstellung von intelligibler Geschlechtlichkeit Kräfte in ihm freisetzt. »I’m gonna be marrying standing up!« ist seine Devise für die Trauung und im Folgenden setzt er alles daran, diesen Wunsch zu verwirklichen und beginnt sehr ehrgeizig zu trainieren. Er übt sogar mit Leo, während der Zeitspanne des Hochzeitrituals stehen zu können. Der Körper Kens wird in dieser aktiven Phase nicht mehr als versehrt vorgeführt. Analog zu der vorherigen Inszenierung von Angels Körper wird der Oberkörper Kens nun als gleichsam vollkommen trainierter Körper präsentiert. Das heißt, Identität, bzw. die phallische Repräsentation von Männlichkeit wird hier über den Körper hergestellt. Entsprechend dieser Darstellung des Körpers, die einem Erwachen gleichkommt, beginnt Ken auch mit einem selbständigeren Leben. Dass er jetzt zum ersten Mal selbst Auto fährt, sich demnach eigenständig fortbewegt, während Ellen Beifahrerin ist, symbolisiert seine Wandlung. Bezeichnenderweise fahren die beiden zu ihrem im Rohbau befindlichen Haus, womit ein weiteres Mal die Frage nach dem ›Zuhause‹ anklingt,99 dessen Lösung in der bürgerlichen Idee des Einfamilienhauses zu liegen scheint.100 Die Heirat selbst findet gegen den erklärten Willen von Ellens Eltern statt. Sie machen genau jenes Argument gegen die Ehe geltend, das direkt auf den Kern von Männlichkeit zielt: mangelnde Potenz und Zeugungskraft.101 Bei der Trauung sind die Eltern konsequenterweise nicht dabei. Die Eheschließung wird in der Abgeschlossenheit des Krankenhauses im Kreise der gelähmten Veteranen und des Personals vollzogen. Die Wahl des Ortes und die Abwesenheit von Ellens Eltern betonen die 99

Ken ist Waise, wie am Anfang des Filmes mitgeteilt wird. Der Topos des Alleinseins ist deswegen für die Figur der Kriegsheimkehrer wichtig, da er ihre Entwurzelung betont. Vgl. dazu auch KEY LARGO. 100 Verstärkt wird die Aufbruchsstimmung dieser Szene durch die optimistische Musik, die ihr unterlegt ist. 101 In Reaktion auf die Auseinandersetzung mit den Eltern versichert sich Ellen beim Arzt, ob Ken jemals Kinder zeugen könne, was dieser negativ beantwortet. Dr. Brock: »In Kens case it isn’t very probable [...] I don’t think. I’d rather say I don’t know.« Ellen: »It doesn’t really matter.« 108

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Ausnahmestellung des Hochzeitpaares in der Gesellschaft. Gleichzeitig aber hebt die Inszenierung auch die Unsicherheit und Fremdheit des Paares voneinander heraus. Zu Beginn der Zeremonie steht Ken auf und hält sich am Altar fest. Dabei schaut er Ellen an. Sie hingegen sieht mit angespanntem Gesicht den Priester an. Bei jenem Satz »the bride and groom may join hands«, schaut sie skeptisch auf seine Hände und ergreift dann eine Hand, sodass er sich mit der zweiten Hand weiter festhalten kann. Er jedoch gibt ihr auch die zweite Hand – er will freistehend heiraten. Dies gelingt nicht: Ken fällt um und wird vom Doktor abgefangen. Sowohl Kens als auch Ellens Gesicht zeigen den Schrecken und die Verstörung ob dieser für alle sichtbaren Offenbarung von Kens Schwäche und der impliziten Erinnerung an den beschädigten männlichen Körper. Das schwierige Miteinander des Paares, das während der Trauung bereits offensichtlich wurde, wird in der Hochzeitsnacht unüberwindbar und führt zum Eklat. Der Einzug ins gemeinsame Haus wird aus dem Inneren des Hauses gefilmt. In dem Moment, in dem sich die Tür öffnet, mag das an Filmhochzeiten gewöhnte Publikum von 1950 erwarten, dass der Bräutigam die Braut nun über die Schwelle trägt. Dies funktioniert hier selbstverständlich nicht, sondern Ellen betritt den Raum zuerst, schaltet das Licht ein, dann folgt Ken und schaut sich neugierig in dem neuen Zuhause um, das sie eingerichtet hat. Die Unsicherheit zwischen den beiden wächst, als sie merken, dass sein Rollstuhl auf dem Teppichboden quietscht und sich nicht so einfach bewegen lässt wie auf den Holzböden der Klinik. Als Ken anschließend das Fotoalbum durchblättert, von dem sie meint, »no home is complete without one« bleibt er fassungslos an den Bildern seiner Sportlervergangenheit hängen. So verdeutlicht das Album, dass für Ellen die Vergangenheit ein wesentlicher Teil der Gegenwart ist, und dass sie, um das Gefühl von Heimat zu konstituieren, unabdingbar ist. Für Ken hingegen ist der Moment, der die Vergangenheit wachruft, unerträglich. Sein gegenwärtiges Leben ist losgelöst von der Vergangenheit und damit verbunden ist das Gefühl, nicht zu wissen, wo sein Zuhause ist. Die durch das Fotoalbum ausgelöste Szene, die einmal mehr die Beklommenheit, die zwischen den beiden herrscht, verdeutlicht, ist der Ausgangspunkt eines Streites, an dessen Ende Ken das gemeinsame Haus verlässt und ins Krankenhaus zurückkehrt. Während dieses Streits setzt Ken Ellen durch seinen harschen Ton unter Druck und tritt gewalttätig auf. Interessant ist die Inszenierung des Streites. Ken ist in dieser Szene eindeutig dominant, was Marlon Brando u.a. durch die Variationen in seiner Stimme überzeugend vermittelt. Visuell wird die »he wants to be boss« Position dadurch gelöst, dass auch Ellen sitzt und zwar in einer 109

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niedrigeren Position als er – oder sogar vor ihm kniet (um verschütteten Champagner aufzuwischen) und zu ihm aufschaut. Indem so der Blick Kens auf Ellen herabfällt, kann sie als Unterlegene inszeniert werden. Als sie später aufsteht, was bedeutet, dass sie aus ihrer stehenden Position auf ihn herabschauen würde, vermeidet die Kamera es, Ken in eine schwächere Lage zu bringen. Nun wird er aus Untersicht aufgenommen, während er zu ihr hoch schaut. Der Streit endet mit dem Eingeständnis Ellens, dass sie die Hochzeit bereue, worauf Ken das Haus verlässt. Die Hochzeit wird beiderseits als Illusion entlarvt. Ken zieht darauf hin wieder in den Gemeinschaftssaal im Krankenhaus und bezeichnet diesen Ort von nun an als sein Zuhause.102 Ellens Versuch, ihn zurück zu gewinnen, scheitert. Das Paarleben ist nicht der Ort, dem er sich zugehörig fühlt. Stattdessen kehrt er heim in die Männerwelt der Veteranen – in die Welt homosozialer Bindungen, in welcher sein Status dadurch geprägt ist, nicht anders zu sein als die Anderen. Diese Welt scheint ihm die einzige zu sein, in der er leben kann. Als er jedoch aufgrund massiver Regelverstöße einige Zeit später aus dem Krankenhaus ausgeschlossen wird, stellt sich die Frage erneut, wohin er gehen soll. Wieder ist er mit seiner Heimatlosigkeit konfrontiert, welche der Krieg und die Lähmung verursacht haben. Und diesmal ist es Dr. Brock als gesellschaftliche Instanz, der ihm den Weg in Richtung ehelichen Hafen als zukünftiges Zuhause weist. »Look Ken, you are a married man, you got a home. That’s where you wanna be.« Interessanterweise wird Ken in diesem Moment zum ersten Mal man und nicht mehr boy genannt wie zuvor. Wenngleich die im Krieg kämpfenden Soldaten in der Regel boys genannt wurden, bezeichnete der Begriff in der Nachkriegszeit diejenigen, die nicht willens waren, ihrer Rolle als Ernährer gerecht zu werden.103 Ken streitet dies ab: »I haven’t got anything« und erklärt, weswegen er von Zuhause weggelaufen ist: »She couldn’t take it. That’s why. She looked at me like I was a bug.« Es gelingt Dr. Brock schließlich, Ken in ›bester Hollywoodmanier‹ davon zu überzeugen, sein Leben zu leben – und Ken macht sich auf, mit Ellen einen Neuanfang zu wagen. Mit der Entscheidung, die Ehe

102 Ellen unternimmt noch einen Versuch, sich mit Ken zu versöhnen. Sie entschuldigt sich und behauptet, sie wisse nun, was sie wolle. »The important thing is to know what you are willing to settle for. To be really sure. I am sure now. I want you. I want you to come home.« Ken will zu diesem Zeitpunkt von einem Neuanfang nichts wissen. »I’m home, this is my home. This is where I belong. [...] You go home. Go far away from me, pretend it never happened and we both are better off.« 103 Ehrenreich: The Hearts of Men, S. 20. 110

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und sein Haus als Zuhause anzunehmen, kann Ken nun zu einem ›richtigen‹ Mann werden. So zeigt die Schlussszene den erneuten Versuch der Paarbildung. Bemerkenswert ist, dass zum ersten Mal im gesamten Film die Initiative von Ken ausgeht. Das heißt, auf der narrativen Ebene bietet der Film keine wirkliche Alternative zu jenen Erzählungen an, die die Eingliederung des Kriegsheimkehrers entlang der tradierten Geschlechtervorstellungen predigten. Damit sind die Bemühungen von Ellen und Dr. Brock, dass Ken seinen adäquaten Platz in der Gesellschaft einnehme, erfolgreich. Aber die visuelle Inszenierung des Schlusses erzählt im Unterschied zu KEY LARGO einen anderen Ausgang. Die Schwierigkeiten, die vor dem Paar liegen, werden nur schwer zu über-

Abbildung 2: THE MEN (1950) 111

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winden sein. Symbolisiert werden diese Probleme durch die mühevolle Art, mit der Ken seinen Rollstuhl die Auffahrt zum Haus der Schwiegereltern empor fährt. An der Stufe vor dem Eingang muss er anhalten, da er sie mit seinem Rollstuhl alleine nicht überwinden kann. Erst als Ellen hinauskommt und ihn fragt, ob sie ihm helfen solle, kann er den ersten ›Schritt‹ in die gemeinsame Zukunft unternehmen (Abb.2). So endet der Film mit einem zweiten Versuch die dominante Fiktion zu erfüllen. Aber das Ende zeigt gleichermaßen, dass es die Heilung des männlichen Subjekts durch die Frau nicht gibt. Vielmehr sind Ellen und Ken am Ende des Films dazu in der Lage, womit sie den ganzen Film über gerungen hatten, nämlich den männlichen Mangel anzuerkennen.

3.1.4 Fazit Die besprochenen Filme verhandeln die Ungewissheit der Kriegsheimkehrer bezüglich ihrer Position in der US-amerikanischen Gesellschaft und damit einhergehend eine verunsicherte Männlichkeit. Sie zeigen die Unfähigkeit, das Widerstreben oder das Desinteresse der Hauptpersonen, in die Alltagswelt zurückzukehren und dort eine bürgerliche Rolle einzunehmen. Alle drei Protagonisten sind mit der Aufgabe konfrontiert, sich zurecht zu finden in einer Welt, die von der ihnen ehemals vertrauten abweicht. CRACK-UP und THE MEN machen diese Entfremdung anhand psychischer bzw. physischer Behinderungen deutlich und rücken damit die Aufgabe der Männer in den Mittelpunkt, ihrem Leben, das vom Krieg gezeichnet ist, selbst wieder einen Sinn zu geben. Während die Kastration von Ken in THE MEN im wahrsten Sinne des Wortes durch seine Impotenz vermittelt wird, kreist der Plot in CRACK-UP um das Motiv der Amnesie und bescheinigt dem Protagonisten damit gleichermaßen einen Kontrollverlust. Die durch seine Behinderung markierte Andersartigkeit verweist auf das Normative des gesunden Männerkörpers, welcher zur Erfüllung des phallischen Ideals unabdingbar ist.104 Interessanterweise – und das unterscheidet CRACK-UP von THE MEN und kann in dem geringeren Zeitabstand zum Kriegsende begründet sein – erkennt die Freundin des Protagonisten in CRACK-UP den männlichen Mangel an, ohne eine Wiederherstellung dieses Ideals einzufordern. Die Kehrseite dieser Medaille scheint allerdings die Infragestel104 Michel: »Danger on the Home Front« versteht Behinderungen von Veteranen als Signifier für Männlichkeit, da nur Männer im Kampf dienen konnten. Diese Sichtweise ist meines Erachtens problematisch, da Behinderungen auch als Zeichen für Schwäche und Entmännlichung verstanden werden, wie THE MEN eindrucksvoll vorführt und das Verbot, den Film LET THERE BE LIGHT aufzuführen, vermuten lässt. 112

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lung der Institution der Ehe und Familie zu sein, denn Steele ist, wie gezeigt, nicht Willens, am Ende des Films zu heiraten. Die Anerkennung des männlichen Mangels und die Bereitschaft der Frauen damit leben zu können, ist in den späteren Filmen nicht mehr gegeben. Insofern hat eine Schwerpunktverschiebung stattgefunden. Intelligible Männlichkeit wird nun nicht länger allein durch die Aufgabe, sich selbst mit Sinn zu versehen, konstituiert, sondern auch durch die heteronormative Geschlechterordnung. Auch wenn die Erfüllung dieser Norm besonders in THE MEN nicht unproblematisch ist, wie selbst die Schlussszene noch verdeutlicht, ist das Anpassen an diese Ordnung wesentlich für ein in die Zukunft weisendes ziviles Leben. Damit geht das Herauslösen aus der männlichen Kameradschaft der Soldaten einher, wie sie sowohl in THE MEN als auch in KEY LARGO vorgenommen wird. Gleichermaßen wird die Anpassung an sich verändernde Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit gefordert, in dem Sinne, dass die Filme die Fragen von Aktivität und Passivität nicht mehr eindeutig beantworten können. Mit der Aufforderung zur Paarbildung ist eine Fährte gelegt, die in den folgenden Jahren immer wieder beschritten werden sollte.105 Eng verknüpft mit der Frage der Partnerschaft ist die Frage nach dem Platz des Heimkehrers in der Gesellschaft. Sie wird neben der privaten Perspektive des Ehelebens damit beantwortet, auch weiterhin für die demokratischen Werte der USA einzutreten. KEY LARGO und THE MEN haben überdies gezeigt, dass zum Zeitpunkt ihrer Produktion die Angst vor neuropsychischen Störungen nicht mehr dominant war. Diese 1944/45 noch vorherrschende Furcht hatte sich einige Jahre später überholt. In diesem Sinne urteilte auch Menninger 1948, »The popular claim that many veterans would be problem children or that they would continue to turn loose their overt aggressiveness into crime has been proved nonsense.«106 Filme, die die Heimkehr von Soldaten behandeln, tendieren dazu, alle Veteranen als der kämpfenden Truppe zugehörig zu beschreiben, möglicherweise sogar als besonders gute Kämpfer.107 Vor dem Hintergrund dessen, dass der Großteil der Soldaten niemals in Kampfhandlungen verwickelt war, verwundert dieses Erzählmuster. So bleibt abschließend festzuhalten, dass sogar die Veteranenfilme, ähnlich wie Kriegsfilme, darum bemüht sind, die Erinnerung an eine kämpferische, helden105 Freilich und das wird zu zeigen sein, gab es auch in den Filmen der 50er Jahre eine Reihe attraktiver Alternativen zur normativen Heterosexualität. 106 Menninger: Psychiatry, S. 366. 107 Wie z.B. in KEY LARGO, THE BEST YEARS OF OUR LIVES und TILL THE END OF TIME. 113

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hafte Kriegsmännlichkeit wach zu halten. Auch wenn Männlichkeit durch die Kriegserlebnisse und den Übergang von der Kriegs- in die Friedenswelt immens verunsichert ist, bleibt im Kino doch die Erinnerung an ›bessere‹ Zeiten und damit die Hoffnung auf deren Wiederkehr.

3.2 Die große Freiheit: »The mass of men leads l i v e s o f q u i e t d e s p e r a t i o n « 108 Während das vorangegangene Kapitel dazu diente, die maßgeblichen Modelle des Kriegsheimkehrers in den ersten Jahren der Nachkriegszeit aufzuzeigen, wird nachfolgend eine Form von Männlichkeit dargelegt, die als ›idealtypisch‹ begriffen werden kann. Besprochen werden die drei Filme THE FOUNTAINHEAD (1949), SANDS OF IWO JIMA (1949) und ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955), die jeweils Merkmale des individualistischen und ›idealen Mannes‹ in sich vereinigen. Die Zuschreibung ›ideal‹ bezieht sich zunächst ganz konkret darauf, dass die Protagonisten im Film eine Vorbildfunktion übernehmen. Liest man die Filme jedoch in Zusammenschau mit der in den 50er Jahren viel beachteten Studie David Riesmans zum amerikanischen Charakter The Lonely Crowd, die als eine der wichtigsten soziologischen Arbeiten des 20. Jahrhunderts gelten kann, und Henry D. Thoreaus Walden, so zeigt sich, dass der hier propagierte Männertyp auch gesellschaftlich gewünscht war. Im Mittelpunkt des Interesses steht das Thema des Individualismus, sei es, in Form eines Einzelkämpfers, der sich gegen die konforme Masse zur Wehr setzt, sei es als Kriegsheld, der die ihm unterstellten Männer trotz ihrer Antipathie straff führt oder sei es als ›Naturbursche‹, der nicht in Einklang mit den gesellschaftlichen Normen lebt. Da sich die Filme sowohl an verschiedenartiges Publikum richteten, als auch aus unterschiedlichen politischen Richtungen stammen, sind sie für die Analyse einer idealtypischen Männlichkeit sehr ertragreich. Denn sie vermögen Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Individualismuskonzeptes zu offenbaren. Das Drama THE FOUNTAINHEAD kreist um einen Architekten und dessen Kampf mit der ihm feindlich gesonnenen Umwelt. Es basiert auf dem gleichnamigen Bestseller (1943) von Ayn Rand und war in den späten 40er und 50er Jahren ein in Schulen viel gelesenes Buch, da es als Warnung vor Massengesellschaft und Kommunismus verstanden

108 Henry D. Thoreau (2004): Walden. New Haven, CT (Original. 1854), zit. nach ALL THAT HEAVEN ALLOWS. 114

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wurde.109 Ayn Rand schrieb das Drehbuch zu dem Film selbst, der Film war in den Augen der Kritiker jedoch lange nicht so erfolgreich wie das Buch.110 Kritisiert wurde unter anderem, dass die direkte Umsetzung der sperrigen und langatmigen Dialoge für den Film ungeeignet sei und die Kompromisslosigkeit, mit der die Botschaft des Films formuliert wurde.111 THE FOUNTAINHEAD ist ein Hohelied auf den Individualismus und ein massiver Angriff auf gesellschaftliche Konformität – in sehr plakativer Form vorgebracht. Die Angst vor Konformität und Sozialismus/Kommunismus wird im Film mit der Angst vor dem Niedergang von Männlichkeit verknüpft. Der FOUNTAIHEAD ist trotz des Verrisses in der Presse eine spannende Quelle, denn er nahm die öffentlich geführte Diskussion in den folgenden 50er Jahren über den Verfall von Männlichkeit vorweg und kann als ein Extrembeispiel aus dem politischen rechten Spektrum angesehen werden. Während der Film THE FOUNTAINHEAD nicht an den Erfolg des Buches heranreichte, war im Gegensatz dazu SANDS OF IWO JIMA (1949) ein großer finanzieller Erfolg und kam auch bei der Kritik gut an. Er ist einer der ersten nach dem Weltkrieg wieder produzierten Kriegsfilme, die groß herauskamen, und begründete die Kriegsfilmwelle der 50er Jahre mit. Die Frage, welche Männlichkeiten präsentiert werden, wie und ob sie zwischen einer Kriegs- und Friedenswelt oszillieren und inwieweit die auf einer Gemeinschaftsstruktur fußende Institution Militär und Individualismus vereinbar sind, wird im Zentrum der Analyse des Films stehen. SANDS OF IWO JIMA schildert die heldenhafte Einnahme der Inseln Tarawa und Iwo Jima durch die Marines der USArmee und stellt damit eine deutliche Verbindung zwischen Nation und Männlichkeit her.

109 Richard A. Schwartz (1998): Cold War Culture. Media and the Arts, 1945-1990. New York, S. 253f. THE FOUNTAINHEAD ist inzwischen mehr als fünf Millionen Mal verkauft worden. 110 Dennoch spielte er an der Kinokasse gutes Geld ein. Dies mag daran liegen, dass dem Film eine aufwendige Werbekampagne vorausgegangen war, die sowohl das erfolgreiche Buch, als auch Gary Cooper in ihren Mittelpunkt gestellt hatte. Der Film brachte kurz nach seinem Start das meiste Geld ein. Daraus lässt sich folgern, dass die Werbung erfolgreich war, aber auch, dass die Mund-zu-Mund-Propaganda schlecht war. Vgl. dazu auch Robert Spadoni (1999): »Guilty by Omission: Girding The Fountainhead for the Cold War«, in: Literature and Film Quarterly 12 (3), S. 223-232, S. 225f. 111 »The Fountainhead«, in: Variety, 24.6.1949, oder »Architecture and Love in Mix-Up«, in: Cue, 9.7.1949. (Beide The Fountainhead Production File, AMPAS) 115

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Der sechs Jahre später produzierte ALL THAT HEAVEN ALLOWS ist im Gegensatz zu SANDS OF IWO JIMA ein für ein weibliches Publikum produziertes Melodram.112 Der Film war in den 50er Jahren ebenfalls sehr beliebt und erzählt die Geschichte einer Witwe, die sich in ihren jüngeren Gärtner verliebt. Die sozialen Zwänge bringen sie dazu, die Verbindung zunächst zu lösen. Obwohl ALL THAT HEAVEN ALLOWS ein sogenannter ›Frauenfilm‹ ist, trifft er eine deutliche Aussage bezüglich ›idealer‹ Männlichkeit.113 Im Gegensatz zu der in THE FOUNTAINHEAD formulierten Männlichkeit entstammt ALL THAT HEAVEN ALLOWS eher der linken politischen Richtung.

3.2.1 THE FOUNTAINHEAD (1949) Der Titel steht programmatisch für den im Film stetig wiederholten Grundsatz des Protagonisten Howard Roark (Gary Cooper), dass eines »Man’s ego […] the fountainhead of human progress« sei.114 Versteht man man’s ego als das eines Mannes und nicht in der weiteren Bedeutung als Mensch – eine Lesart, die auch im Film angelegt ist, wird der Nexus von Männlichkeit und zivilisatorischem Vorwärtsstreben deutlich. Deshalb muss danach gefragt werden, welche Männlichkeiten und welches ego notwendig sind, um die USA in der Nachkriegszeit zu stabilisieren oder voranzubringen. Flankierend zur Filmanalyse werde ich den Film in Beziehung zu Riesmans zeitgenössisch einflussreichem Text The Lonely Crowd setzen. Die in diesem soziologischen Werk dargestellten Typen dienen sowohl für THE FOUNTAINHEAD als auch für die beiden nachfolgenden Filme als Folie. »Do you want to stand alone against the whole world?« Mit dieser Eingangsfrage ist das Thema von THE FOUNTAINHEAD vorgegeben.115 Die drei nahezu identischen, schnell montierten Anfangseinstellungen hämmern diese Frage in die Köpfe der Zuschauenden. Drei

112 Der Film beruht auf der gleichnamigen Erzählung von Edna und Harry Lee, die 1951 im Woman’s Home Companion erschienen war, bevor sie 1952 als Buch herauskam. 113 Das als ›Frauenfilm‹ inszenierte Melodrama bringt es mit sich, dass Frauen in diesem Genre nicht mehr das Rätselhafte und Unbekannte sind, sondern in ihrer Komplexität inszeniert werden. Da das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit aber auf Männlichkeit liegt, wird die Protagonistin des Films in der folgenden Analyse explizit in Relation zur dargestellten Männlichkeit betrachtet werden. 114 Zit. nach: »The Fountainhead«, URL: http://en.wikipedia.org/wiki/The_ Fountainhead, (9.8.2005). 115 Verfilmt wurde THE FOUNTAINHEAD bei Warner Bros. unter der Regie von King Vidor (s/w). Produziert von Henry Blanke. 116

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Männer reden jeweils aufgeregt auf den – wie ein Fels in der Brandung – stehenden, schweigenden Protagonisten Roark ein. Die Kameraeinstellung ist hier bezeichnend: Während Roark aufrecht steht, sitzen seine Gegenüber und sind demzufolge gezwungen, zu ihm aufzuschauen, wodurch die Frage auf der visuellen Ebene bereits positiv beantwortet wird: Ja, Roark möchte es mit der ganzen Welt aufnehmen! Er scheint der Gegenspieler aller zu sein. Betrachtet man den Film entlang der Figurenkonstellation, wird deutlich, dass die anderen Hauptfiguren graduelle Abstufungen dieses Einzelkämpfers sind. Ein weiteres Merkmal ist das Dreiecksverhältnis der Protagonist/innen, das ebenfalls dazu angetan ist, die Größe des ›Helden‹ zu unterstreichen. Auf das Verhältnis der Figuren zueinander wird später ausführlicher eingegangen werden. Der ›Rest‹ des Films fügt die einzelnen Bausteine der Geschichte des Architekten Roark zusammen. Nach seiner Entlassung aus der Universität wegen zu großer Kreativität nimmt er Arbeit bei dem ebenfalls außergewöhnlichen Architekten Henry Cameron (Henry Hull) an, der aufgrund seiner Originalität in den Ruin und Alkohol getrieben wird. Bevor sein Mentor stirbt, warnt er Roark: »Howard there is no use, give in, compromise now […] you’re on your way to hell«. Wie um dies zu bestätigen, wird das Projekt, an dem Roark arbeitet, das Enright Building, von der meinungsbildenden Boulevardzeitung The Banner unter der Ägide des Medienmoguls Gail Wynand (Raymond Massey) zerrissen. Allein die Kolumnistin Dominique Francon (Patricia Neal), Exverlobte seines Architekten-Freundes Peter Keating (Kent Smith), erkennt seine Größe und verliebt sich zwar in Roark, heiratet aber den Inhaber des Banner Wynand. Zum Höhepunkt des Films kommt es, als Roark zusagt als ›Ghostzeichner‹ für Keatings Entwurf zum Sozialen Wohnungsbau, dem Courtland Projekt zu fungieren – unter der Bedingung, dass bei der Ausführung keine Veränderungen vorgenommen werden. Als dies dennoch geschieht, sprengt Roark das gesamte Projekt in die Luft und stellt sich dem Gericht. Seine leidenschaftliche Verteidigungsrede, die den Individualismus im Sinne der Randschen Philosophie des objectivism beschwört, überzeugt die Geschworenen: Er wird freigesprochen. Er hatte auf Selbstverwirklichung plädiert und individuelle Rechte und das Glück des Individuums über die Gruppe und die Interessen des Individuums über das Wohl der Gemeinschaft gestellt. Wynand tötet sich (aus Gründen, die später dargelegt werden) selbst, so dass Dominique und Roark heiraten können. Zuvor wird er von Wynand jedoch noch mit der Planung des höchsten Hochhauses der Welt beauftragt, dem Wynand Building. Roark personifiziert mithin den kompromisslosen Mann, den schöpferischen Visionär, der ein schweres Erbe angetreten hat. Sein Mentor Cameron war an der Aufgabe, sich gegen 117

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alle erdenklichen Widerstände durchzusetzen, zugrunde gegangen. Dass Roark nicht in der Hölle landet, wie von jenem prophezeit, sondern im Schlussbild des Films auf dem höchsten Wolkenkratzer New Yorks steht, unterstreicht seine Größe, sein Heldentum. In diesem Zusammenhang sei ein Blick auf den Production Code erlaubt, »The unconditional approbation of Roark’s serious violation of the law and transgression of the rights of others is too flagrant an instance of presenting something which is wrong as being right to warrant approval under the express provisions of the Production Code,«

schrieb Stephen Jacksons von der Production Code Administration und forderte einen modifizierten Schluss.116 Trotz des Einwandes wurde das Filmende mit nur geringfügigen Änderungen freigegeben,117 was unter Beweis stellt, wie groß in Hollywood 1948 die Unsicherheit in Hinblick auf die Rechte und Freiheiten des Individuums gewesen ist. Gegenstand der Gerichtsverhandlung war der Vorwurf des Egoismus bzw. die Frage, »Has a man the right to exist, if he refuses to serve society?« Diese Frage mutet im Amerika des Jahres 1948 komisch an und scheint als Kind des Kalten Krieges die Angst vor sozialistischen, bzw. kommunistischen Staatsformen auszudrücken.118 Roark argumentiert im Grunde, dass es verschiedene Arten gibt, nützlich zu sein, unabhängig von der Zustimmung der Gesellschaft. Der Grundkonflikt ist der des Individuums gegen die Gemeinschaft, wobei das ›Kollektiv‹ im FOUNTAINHEAD entweder als einheitliche, arbeitende Gruppe (in den Groß116 Memorandum For The Files, 30.6.1948 (The Fountainhead Production File, AMPAS). 117 Die PCA hatte Vorschläge gemacht, die den Freispruch rechtfertigen sollten. Die Argumentation des Richters sollte hervorheben, dass es sich um eine moralische Frage handele und der Angeklagte nicht in krimineller Absicht gehandelt habe, sondern nicht anders habe handeln können. Brief von Stephen S. Jackson an Mr. J. L. Warner vom 6.7.1948. (The Fontainhead Production File, AMPAS). Im verfilmten Schluss heißt es nur noch, dass eine zweite Klage wegen finanzieller Entschädigung folgen wird und dass in dem gegenwärtigen Verfahren nur über die criminal action geurteilt werde, bzw. über die Frage, ob ein Individuum das Recht an seinen Ideen habe und inwieweit es der Gesellschaft dienen müsse. 118 Im Buch wurde die Angst vor den Massen weniger betont als die von den europäischen Diktatoren ausgehende Gefahr. Die Verschiebung im Film ist eine Antwort auf die veränderte politische Lage. Der Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien war beendet und der kalte Krieg prägte das Denken. Vgl. Spadoni: »Guilty by Omission«, S. 224. 118

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raumbüros des Banners) oder als randalierender Mob (vor dem Banner) gezeigt wird. Den Einzelnen gibt es in dieser Menge nicht mehr. Um diese einförmige Gruppe zu führen und zu bändigen, bedarf es Männer im Stile eines Howard Roark. So sieht er sich selbst nicht als Teil der Gesellschaft, sondern als Schöpfer, als Individuum, das gegen sie kämpft, um ihr letztlich Gutes zu tun: »The great creators stood alone against the men of their time. They lived for themselves, and only by living for themselves did they achieve the glory of mankind. [...] The creator stands on his own judgement, the parasite follows the opinion of others. The creator thinks, the parasite copies. The creator produces, the parasite loots. […] The parasite seeks power. He wants to bind all men together in common action and common slavery. He claims that man is only a tool for the use of others – that he must think as they think, act as they act, and live in selfless joyless servitude to any need but his own. […] Every horror and destruction came from attempts to force men into a herd of brainless soulless robots, without personal rights, without personal ambitions, without will, hope or dignity.«119

Die den gesamten Film durchziehende Verachtung der Gesellschaft als amorphe Masse, deren Mitglieder hier unverhohlen als Parasiten bezeichnet werden, wird an dieser Stelle sehr deutlich. Aufschlussreich ist auch die Verknüpfung von ›Massen‹ und der Zeitung The Banner, nach der Medien lediglich als Manipulationsinstrumente dienen. Die Verknüpfung ist noch unter einem weiteren Aspekt interessant, denn Massenmedien waren – genauso wie die Vororte und das Konsumverhalten der dort lebenden Ehefrauen – weiblich konnotiert.120 Aber zurück zur Ausgangsfrage: Welche Männlichkeit benötigen die USA, wenn sie nach Fortschritten strebt? Wie gezeigt, ist die erforderliche Männlichkeit gekennzeichnet durch Individualismus, durch das feste Wissen, was zu tun ist, durch Unabhängigkeit und Egoismus – wie es im Film immer wieder heißt. Dieser Egoismus ist ein wichtiger Bestandteil der Roarkschen Figur. Er ist notwendig, damit sich das Individuum selbst verwirklichen kann und nicht Teil einer hirnlosen Masse wird. Doch Roark ist nicht der einzige Egoist des Films. So soll anschließend untersucht werden, was seinen Egoismus vom dem der anderen Personen unterscheidet und warum der Roarksche Egoismus positiv ist. Den Gegenpol Roarks stellt der Verleger Gail Wynand dar, der im Gegensatz zu Howard Roark, der sich lediglich verwirklichen will, am 119 So Roark während seines Plädoyers. 120 James Gilbert (2005): Men in the Middle. Searching for Masculinity in the 1950s. Chicago, IL, S. 54. 119

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Profit und an Macht interessiert ist, die er über seine Zeitung ausüben kann. Bereits die Berufe der beiden Männer heben diese Gegensätzlichkeit hervor: Als Verleger hat Wynand eine verwaltende und geschäftsführende Aufgabe inne, der Architekt Roark hingegen arbeitet schöpferisch. Die Brüchigkeit der Wynandschen Macht, die auf dem Grundsatz aufgebaut ist, »I give the public what it wants«, wird in jener Szene enthüllt, als der Banner nach der Sprengung von Courtland als einzige New Yorker Zeitung das Handeln Roarks verteidigt. Die daraufhin gegen ihn einsetzenden Medienkampagnen, die zum Boykott seiner Zeitung aufrufen und ihn fast ruinieren, bringen ihn zu der Erkenntnis: »I wasn’t the ruler of the mob, I was his tool. I have no power. I never ran the Banner, they did, the men on the street.« Die Macht, die er besitzt, ist demnach abhängig von den Massen – es ist die Macht der Massen: Wynand hat sich verkauft. Um nicht alles zu verlieren, gibt Wynand nach und beteiligt sich an den Kampagnen gegen seinen Freund Roark. Nach dessen Freispruch wird Wynand das eigene Versagen, nämlich nicht nach seinen Überzeugungen gehandelt zu haben, bewusst und er beauftragt Roark, das Wynand Building zu bauen: »Build it as a monument to the spirit which is yours and could have been mine«, und tötet sich aus Scham selbst. Wynand »isn’t egoistic enough to seek both spiritual profit and social power, which would require him to benefit the community by leading it«.121 Sein Egoismus ist – im Gegensatz zu Roark´s – nicht intrinsisch, sondern er dient der Profitmaximierung, und Wynand bedarf der Anerkennung durch Andere. Ihm gelingt es zwar, die Massen zu beeinflussen, aber nicht zu führen. Roark hingegen will seine Schöpfungen verwirklicht sehen und überzeugt mit seinem Abschlussplädoyer die Jury von der ›richtigen‹ Weltsicht – er hat also auch Führungsqualitäten. Der auf diesem Weg positiv konnotierte Egoist ist demnach der, der unabhängig von materiellem Gewinn und der Anerkennung durch andere handelt,122 es ist derjenige, der sich selbst als Individualisten begreift. Das impliziert, dass er sich außerhalb der Gesellschaft stellt. Der Tod Wynands hebt die herausgehobene Stellung Roarks hervor und schließt interessanterweise gleichzeitig ein Stück Kapitalismuskritik ein, indem die Wertlosigkeit der Wynandschen Werte offenbart wird.123

121 Zit. nach: »The Fountainhead (1949)«, in: Film Comment, Sept./Oct. 1973, S. 29-35, S. 31. 122 Auch jene Unabhängigkeit von der Meinung anderer wiederholt Roark durch Sätze wie »I don’t care what they think about architecture or something else« mehrfach. 123 Damit einhergeht auch eine Kritik am amerikanischen Traum ›Vom Tellerwäscher zum Millionär‹. Auch die Verwirklichung dieses Traumes ist nach Rand wertlos, solange sie sich an materiellen Dingen erschöpft. 120

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Der FOUNTAINHEAD lässt sich sehr gut mit der viel beachteten zeitgenössischen soziologischen Studie Riesmans’ verknüpfen, er scheint fast ein Exemplum zu sein. Howard Roark kann als der Prototyp des von David Riesman beschriebenen inner-directed Typs, der von dem Soziologen in seiner wegweisenden Studie von 1950 beschrieben wurde, gelten: The Lonely Crowd. A Study of the Changing American Character.124 Das Buch wurde in den 50er Jahren über eine Million Mal verkauft – und auch in der Fachwelt breit rezipiert. Es beschreibt den Wandel der amerikanischen Gesellschaft von einer produzierenden zu einer konsumierenden Gesellschaft. In seinem Mittelpunkt stehen die signifikanten Merkmale der dominierenden gesellschaftlichen Gruppe und die Frage, warum der Typus, der im 19. Jahrhundert dominant war, im 20. Jahrhundert durch einen anderen Typus ersetzt wurde und welche Konsequenzen das für die amerikanische Gesellschaft hat. Riesman knüpft die gesellschaftlichen Veränderungen an demographische Entwicklungen und zählt drei unterschiedliche Gesellschaftstypen auf, den traditiondirected (traditionell orientierten), den inner-directed (selbstbestimmten) und den other-directed (fremdbestimmten) Typ.125 Die Verknüpfung von Demographie und Sozialcharakter wurde von der zeitgenössischen Forschung bald widerlegt,126 aber das, was die Zeitgenossen eigentlich an dem Text faszinierte, war die psychosoziale Kategorisierung in jene drei Typen. Den tradition-directed Typ ordnet Riesman dem europäischen Mittelalter, archaischen Gesellschaften oder Entwicklungsländern zu. Er charakterisiert diese Gesellschaften als stabil und an traditionellen Werten festhaltend. Der gesellschaftliche Status ihrer Mitglieder wird durch Geburt bzw. Verwandtschaftsbeziehungen bestimmt. Auch wenn es in diesen Gesellschaften keine Vorstellung von Individualität gibt, ist der/die Einzelne gleichwohl geschätzt, da er/sie einen festen Platz in der Gesellschaft einnimmt. Der selbstbestimmte Typ ist der europäische und damit auch USamerikanische Mensch der Neuzeit. Aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen, wurden neue Verhaltensformen notwendig. Die Entscheidungen, die in den traditionell orientierten Gesellschaften noch durch gesell124 David Riesman (mit Nathan Glazer und Reuel Denney) (1950): The Lonely Crowd. A Study of the Changing American Character. New Haven, CT. Das Buch erschien 1953 als Paperback und wurde sofort zu einem Bestseller. Die von mir herangezogene Ausgabe ist die Taschenbuchausgabe von 1967. 125 Nachfolgend werden sowohl die Originalausdrücke als auch die deutschen Begriffe verwendet. 126 Vgl. dazu »Introduction« von Todd Gitlin zu ›The Lonely Crowd‹ in der Ausgabe von 2001. 121

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schaftliche Gefüge gefällt wurden, müssen nun durch Einzelne vorgenommen werden. Das heißt, der Einfluss der Primärgruppe sinkt, sodass ein neuer psychologischer Mechanismus erforderlich wird. Diesen bezeichnet Riesman als inneren Gyroskopen. Er lenkt den inner-directed Typ durchs Leben. Der Kern seines Verhaltens wird in der Kindheit gelegt, indem die Erziehung darauf ausgerichtet ist, individuelle Ziele anzustreben – der selbstbestimmte Typ denkt sich folgerichtig als Individuum. Der fremdbestimmte Typ hingegen ist eine Erscheinung der wohlhabenden Mittelschicht in den Großstädten des 20. Jahrhunderts. Er ist geprägt durch die Tatsache, dass Ereignisse nicht mehr persönlich, sondern medial vermittelt und wahrgenommen werden. Auch die sozialen Institutionen wie Schule, das Leben in den Suburbs und insbesondere die Peer Groups prägen diesen Typ: »What is common to all the other-directed people is that their contemporaries are the source of direction for the individual – either those known to him or those with whom he is indirectly acquainted, through friends and through the mass media. This source is of course ›internalized‹ in the sense that dependence on it for guidance in life is implanted early. The goals toward which the other-directed person strives shift with that guidance: it is only the process of striving itself and the process of paying close attention to the signals from others that remain unaltered throughout life.«127

Das Entscheidende an einer solcherart geprägten Person ist folglich ihr Wunsch von anderen anerkannt und geliebt zu werden und ihr Desinteresse daran, Macht auszuüben. »It is perhaps the insatiable force of this psychological need for approval that differentiates people of metropolitan, American upper middle class, whom we regard as other-directed.«128 Während die alte Mittelschicht zur Zeit des selbstbestimmten Menschen durch Berufe wie Bankier, Händler, Unternehmer und Ingenieur konstituiert wurde, sind für die neue Mittelschicht andere Berufsfelder wie Angestellte kennzeichnend, d.h. Riesman unterscheidet hier in Sekundär- vs. Tertiärberufe. Er räumt ein, dass auch der Mensch des 19. Jahrhunderts um seinen guten Ruf besorgt gewesen sei, allerdings habe sich sein Streben um Anerkennung allein auf Äußerlichkeiten beschränkt und nicht wie das der modernen Mittelschicht auch auf das Bedürfnis, innere Erfahrungen mit seinen Peers zu teilen. Gleichwohl sei

127 Riesman: The Lonely Crowd, S. 21. 128 Ebd., S. 23. 122

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auch der selbstbestimmte Typ weniger unabhängig durchs Leben gegangen als es erscheint, da er von seiner internen Steuerung abhängig war. Riesman entwickelte in The Lonely Crowd noch einen weiteren Typus, den autonomen Charakter. Jener werde in Zukunft möglicherweise die positiven Aspekte der beiden Vorgängertypen miteinander verbinden: »The ›autonomous‹ are those who on the whole are capable of conforming to the behavioural norms of their society – a capacity the anomics usually lack – but are free to choose whether to conform or not. […] The person here defined as autonomous may or may not conform outwardly, but whatever his choice, he pays less of a price, and he has a choice: he can meet both the culture’s definitions of adequacy and those which […] slightly transcend the norm for the adjusted.«129

Autonomie sei immer das Ergebnis der Auseinandersetzung des Einzelnen mit den Werten seiner Gesellschaft. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt versuchten die Menschen auf dem Gebiet der Sexualität, der Toleranz und durch einen bohème-haften Lebensstil Autonomie zu leben. Dazu sei allerdings ein großes Selbstbewusstsein nötig; dieser Typ erschien ihm eher als eine in die Zukunft gerichtete Utopie. Das Interessante an der Rezeption seines Buches ist, dass jener Typ des Autonomen kaum wahrgenommen wurde. Stattdessen wurde der Unterschied vom selbst- zum fremdbestimmten Mensch intensiv diskutiert, sodass beide Begriffe ins Alltagsvokabular der Amerikaner übergingen.130 The Lonely Crowd wurde häufig als Schreckensvision der amerikanischen Gesellschaft und als Angriff auf den fremdbestimmten Typen bzw. auf Konformität gelesen. Tatsächlich aber war der Angriff keineswegs so eindeutig, sondern Riesman pries auch Werte wie Rücksicht, Toleranz und Sensibilität, die jenen auszeichnen. Unabhängig von der Positionierung Riesmans demonstriert die Rezeption, dass seine Einschätzung, nach der »the characterological struggle that holds the center of the stage today is that between other-direction and inner-direction«131 von vielen seiner Zeitgenossen geteilt wurde und er die Sorgen der Mittelschicht wie den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben schien. Riesman benennt Gender und Race selten explizit, stattdessen spricht er von person oder typ. Implizit aber geht es um weiße Männer,

129 Ebd., S. 242f. 130 Zur Entstehung des Buches und seinem intellektuellen Umfeld in den 50er Jahren, vgl. auch Gilbert: Men in the Middle, S. 34-62. Gründe für den Erfolg des Buches nennt auch Gitlin: »Introduction«. 131 Riesman: The Lonely Crowd, S. 260. 123

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da sich seine Kategorien aus einer auf Männer konzentrierten Geschichtsbetrachtung ergeben. Charakterologische Veränderungen in einer Gesellschaft treten folgerichtig seiner Meinung nach zuerst bei Männern auf.132 Wenn der Individualist als historischer Prototyp des 19. Jahrhunderts männlich war, was bedeutet das für den fremdbestimmten Mann des 20. Jahrhunderts? In der Logik der binären Denkweise muss er demnach feminisiert sein. Und tatsächlich sind die ihm zugedachten Charakterzüge, wie Hinwendung zum Gefühl, Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme auf die Umwelt weiblich konnotiert. Welchen Zweck hätte es, über other-directedness als neue Gesellschaftsform zu schreiben, wenn Frauen per se als fremdbestimmt wahrgenommen wurden?133 Diese Implikation des other-directed Typs als feminisierten, konformistischen Mann schien sich durch die Vermengung mit anderen kulturellen Diskursen zu bestätigen. Gleichzeitig beschwor Riesman durch seine Begrifflichkeiten eine ›gegenderte‹ Lesart der amerikanischen Geschichte und Gesellschaft, eine Einteilung in männliche und weibliche Elemente. Die gesellschaftlichen Veränderungen wie das Leben in den Vororten, Konsum und Massenkultur wurden ebenfalls weiblich und mit dem fremdbestimmten Mann in Verbindung gebracht. »He [Riesman, die Verf.] had depicted the contemporary world – other-direction – as a situation that particularly threatened masculinity. His lonely crowd was principally an assembly of vulnerable men described in words that launched a signal of distress over the feminizing changes in modern culture.«134 Nach diesem Exkurs zur Riesmanschen Typologie sollen auch die anderen Figuren des FOUNTAINHEAD unter dieser Perspektive betrachtet werden. Roark ist demnach die Verkörperung des selbstbestimmten Mannes. Seine Antithese, der fremdbestimmte Mann, der Konformist, der den selbstbestimmten Mann nun abzulösen schien, war weiblich konnotiert. In THE FOUNTAINHEAD finden sich bei den anderen Protagonisten Attribute des other-directed Typs. Wynand scheint dem traditionellen Männlichkeitsideal noch am nächsten zu kommen. Er ist zwar nicht von einem internal gyroscope angetrieben, aber gleichwohl hat er sich vom Tellerwäscher zum Millionär hochgearbeitet und ein großes Zeitungsimperium erschaffen. Das Merkmal des Aufsteigers teilt 132 Ebd., S. 41. 133 Zu Gender und Riesman vgl. Ehrenreich: The Hearts of Men, S. 32ff., und James Gilbert: »David Riesman und die ›Krise‹ der Männlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg«, in: Martschukat/Stieglitz: Väter, Soldaten, Liebhaber, S. 277-291. 134 Gilbert: Men in the Middle, S. 37. 124

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er mit Roark. Es scheint wichtiger Bestandteil dieser idealisierten Männlichkeit zu sein, da es die Schaffenskraft unter Beweis stellt. Auch wenn Wynand später konformistisch mit den Massen zieht, erkennt er seine Schwäche, besser gesagt seine Unfähigkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, und tötet sich deswegen. Peter Keating verkörpert den konformistischen Typ weitaus stärker. Von vornherein als mittelmäßig beschrieben, schafft er es, gesellschaftliche Verbindungen so zu nutzen, dass er auf der Erfolgsleiter nach oben gereicht wird. So löst er z.B., um einen wichtigen Auftrag zu bekommen, die Verlobung zu Dominique Francon auf135 oder bittet Roark, für Courtland als ›Ghostzeichner‹ zu fungieren. Er ist »the totally selfless man«, was nach Ansicht Roarks verdammenswert und in der Meinung seines Gegenspielers Ellsworth Toohey (Robert Douglas) begrüßenswert ist. Toohey, der Architekturkritiker des Banners, ist die zwiespältigste Figur. Er ist der Gegenspieler Roarks und fördert Mittelmäßigkeit und Konformität aus Angst vor der Unbeherrschbarkeit ›wahrer‹ Größe. Zugleich möchte er selbst Macht ausüben. Er unterwandert das Banner, indem er die Belegschaft gegen Wynand mobilisiert und versucht gleichzeitig, in den Besitz der Zeitung zu kommen. Als Architekturkritiker ist er nicht kreativ, sondern beurteilt lediglich die Kreativität anderer Menschen. Ebenso hat er selbst nichts geschaffen, sondern versucht nur das Banner mit Hilfe der Gewerkschaften zu übernehmen. Dadurch wird er zu jenem Parasiten, vor dem Roark in seiner Abschlussrede warnt. Er verkörpert den linken Intellektuellen, der vorgibt, die Interessen der Gesellschaft zu vertreten, in Wahrheit aber nur an sich denkt: »Society needed a housing project. It was his duty to sacrifice his own desire. […] Who is society? We are! Man can be permitted to exist only in order to save others. […] Self sacrifice is the law of our age!«136 Toohey predigt die Unterordnung des Einzelnen unter die Gesellschaft und damit ein konformes Verhalten. Linkssein wird demnach als other-directed und als parasitär konnotiert. THE FOUNTAINHEAD 135 Die Szene ist höchst aufschlussreich. Keating bekommt von Wynand die Möglichkeit, einen wichtigen Auftrag zu erhalten, unter der Bedingung, seine Verlobung zu lösen. Davon abgesehen, dass sich Wynand für Dominique interessiert, möchte er damit beweisen, dass jedermann bestechlich ist. Aus einer genre-mäßigen Perspektive verweist diese Szene auf den Film Noir. Im Film Noir werden Frauen oftmals wie Besitz gehandelt. Auch Dominique Francon scheint hier so etwas wie eine Trophäe zu sein, womit ihr ein Platz zugewiesen wird, der außerhalb der aktiven Handlungsmacht liegt. 136 So bei einer Anti-Roark Veranstaltung. Der Ort der Veranstaltung ist eine Oper (oder ein Theater), wodurch die Szene feminin konnotiert wird. Die Sequenz endet mit einer Totalen auf die jubelnden Massen. 125

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greift somit die Angst vor sozialistischer, bzw. kommunistischer Unterwanderung auf. Er beschwört durch den Verlust an Individualität die Gefahr des Sozialismus/Kommunismus herauf. Als Antipode zu dieser Gefahr präsentiert er das traditionelle Männlichkeitsideal, den innerdirected Mann. Doch Männlichkeit konstituiert sich nicht nur in Beziehung zu anderen Männern, sondern auch in ihrem Verhältnis zur Weiblichkeit. Dominique Francon lebt, bis sie Roark trifft, ein sie langweilendes Leben. Auch sie teilt die gesellschaftsverachtenden Ansichten der selbstbestimmten Personen: Sie strebt nach Freiheit, will sich emotional nicht binden und weiß Größe von Mittelmäßigkeit zu unterscheiden.137 Allerdings hat sie im Unterschied zu Roark kein persönliches Ziel oder, um in der Sprache der Lonely Crowd zu bleiben, keinen ›internen Piloten‹ der sie leitet. Inner-direction ist mithin eine männliche Eigenschaft, was man sehr schön an Dominique Francon, der Verlobten Roarks, sehen kann. Sie wird zu Beginn des Films im Stile der Film Noir Protagonistinnen fetischisiert138 und ist an Gefühlen komplett desinteressiert: »I’ll never fall in love«. Aber bereits die erste Begegnung mit Roark belehrt sie eines Besseren. Filmisch wird das wechselseitige Begehren beider eindeutig dargestellt. In ihrem Zimmer hört sie bezeichnenderweise Explosionen vom Steinbruch ihres Vaters. In der nächsten Einstellung sieht man Männer, die mit großen Schlagbohrern im Steinbruch arbeiten. Die Beziehung der Beiden wird symptomatisch über den Blickwechsel in der ersten Szene verdeutlicht und ist damit nicht nur auf der inhaltlichen Ebene fassbar. Dominique läuft, als Besitzerin nicht nur des Steinbruchs, sondern scheinbar auch der bohrenden Männer, oberhalb des Bruchs und lässt ihren Blick über die arbeitenden Männerkörper schweifen, die so zum Objekt des weiblichen Blickes werden. Ihr Blick bleibt am schwitzenden Roark hängen, der sich als Tagelöhner verdingt hat und dessen sowieso schon phallisch inszenierter Männerkörper durch den Bohrer noch hervorgehoben wird (Abb.3).139 Als er ihren Blick endlich bemerkt, folgt ein langer Blickwechsel in Nahaufnahmen, nach dem sie jedoch geht, um anschließend von ihm 137 Sie spricht z.B. voller Abscheu von einer Welt, in der »beauty, genius, greatness have no chance – the world of the mob and the bad.« 138 In der psychoanalytischen Lesart erfolgt die Fetischisierung der Frau, um sie der von ihr ausgehenden Bedrohung zu berauben. Ihre bedrohliche Weiblichkeit kann so kontrolliert und eingedämmt werden. Vgl. zur Frau im Film Noir auch Ann E. Kaplan (1983): Women and Film. Both Sides of the Camera. London/New York, S. 60-73. 139 Aufgrund seiner außergewöhnlichen Entwürfe und seiner Kompromisslosigkeit findet er keine Auftraggeber, so dass ihm nur die Arbeit im Steinbruch blieb. 126

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und seinem Bohrer zu träumen, was in Überblendungen gezeigt wird. Ihre darauf folgende Rückkehr zum Steinbruch ist als Unterwerfungsgestus inszeniert: Mit Hosen und Reitpeitsche in der Hand läuft sie wie eine Aufseherin, so scheint ihr Name als Domina Programm zu sein, Roark suchend, an der oberen Kante des Steinbruchs entlang. Doch nun ändert sich die Besetzung des Blickes, sie wird zum Objekt des männlichen, Roarkschen Blickes, wenngleich sein Blick immer noch aus Untersicht aufgenommen wird. Denn Roark hat sie gesehen, bevor sie ihn entdeckt hat und verbirgt sich im Schatten der Wand, um sie in Ruhe betrachten zu können. Die Wiederherstellung der klassischen Weiblichkeit, hier als Unterordnung unter Männlichkeit verstanden, wird in den folgenden Szenen zum Abschluss gebracht. Nachdem Roark einen ihrer Aufträge nicht ordnungsgemäß ausgeführt hat, schlägt sie ihm zwar zur Strafe ihre Reitpeitsche durchs Gesicht, am darauffolgenden Abend dringt er jedoch in ihr Schlafzimmer ein und vergewaltigt sie (Abb.4).140 Mit dieser Unterwerfung ist die klassische Machtbeziehung zwischen den Geschlechtern wiederhergestellt, was in Dominiques Domestizierung resultiert. Allerdings heiratet sie nicht Roark, sondern Gail Wynand, um sich in einem letzten Kraftakt gegen ihre Gefühle zu wehren. Die folgende Dreiecksgeschichte ist zum einen durch die Liebe zwischen Roark und Dominique bestimmt, die aber erst zusammen leben können/wollen, wenn sie gelernt hat, keine Angst vor der Macht der anderen mehr zu haben,141 und zum anderen durch die Freundschaft zwischen Roark und Gail Wynand, die in Konkurrenz zu dieser Liebe tritt. Dominique ist insgesamt die ideale Gegenspielerin für Howard Roark, da sie für ähnliche Werte eintritt und ihm auf Augenhöhe begegnen will. Aber da sie eine Frau ist, verfolgt sie in der Logik des Films keine beruflichen Ziele, der ihr zugewiesene Raum ist der der Häuslichkeit. Trotzdem muss sie gänzlich unterworfen und erzogen werden, bevor sie seine Partnerin werden kann. Als all dies vollzogen ist, wird sie seine Frau. Mit diesem Schritt ist die Zurückdrängung der Frau in die häusliche Sphäre vollzogen; Dominique Francon kann nun eine erfüllte Ehefrau werden – ein Zustand, den sie in ihren bisherigen Bindungen nicht

140 Diese Szene konnte aufgrund des PCA natürlich nur angedeutet werden. Dominique versucht zunächst zu entkommen, was ihr aber nicht gelingt. Interessant ist, dass die PCA keine Einwände gegen diese so offensichtlich angedeutete Vergewaltigung hatte, sondern nur gegen die Rede im Gerichtssaal votierte. 141 Die vermeintliche Angst vor den Anderen verwundert, da Dominique zu Anfang des Films in keiner Weise ängstlich, sondern nur desinteressiert war. 127

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erlebt hatte.142 Im Schlussbild, in dem er auf dem höchsten Wolkenkratzer-Rohbau der Welt – dem Wynand Building – steht, fährt sie, zu ihm emporblickend, im Fahrstuhl hoch. Die Blickrichtung ist eindeutig, es ist der weibliche Blick auf den aufrecht im Wind stehenden Protagonisten, der dadurch eine phallische Erhöhung als Führer erfährt – eine Einstellung, die auch aus faschistischen und nationalsozialistischen Filmen bekannt ist.143 Neben der Protagonistin, die an eine Film Noir-Figur erinnert, weist auch die visuelle Inszenierung des Films auf den Film Noir hin, u.a. durch die harte, kontrastreiche Ausleuchtung und durch die hohe visuelle Stilisierung.144 Die Tatsache, dass THE FOUNTAINHEAD eine Low Budget Produktion ist, führt z.B. dazu, dass die Kulisse manchmal gemalt ist. All dies trägt zu einer irrationalen Atmosphäre im Film bei. Die stilistischen Anleihen an den Film Noir weisen auch auf thematische Parallelen hin. Das Grundthema des Film Noir, die existentielle Einsamkeit, Verunsicherung und Paranoia des Menschen, findet sich in THE FOUNTAINHEAD wieder. Letztlich sind alle Protagonisten des Films im existentialistischen Sinne allein, aber dennoch unfrei. Denn sie scheinen nur in einer Art und Weise handeln zu können und wirken bei ihren (emotionalen) Entscheidungen häufig gequält. Doch anders als der Film Noir, der sich an der pessimistischen Grundstimmung und existentiellen Einsamkeit abarbeitet, zelebriert THE FOUNTAINHEAD diese Tatsache. Denn zu der von Roark verkörperten Vorstellung von selbstbestimmter Männlichkeit gehört die Apotheose der Führungsfigur; Roark soll gegen all jene Kräfte kämpfen, die zum Niedergang des Individualismus und damit zum Untergang der klassischen Männlichkeit und zur Schwächung der Gesellschaft beitragen. Dementsprechend wird ein Idealbild von Männlichkeit entwickelt, das in seiner Übertreibung heute skurril anmutet. THE FOUNTAINHEAD enthält einen doppelten Diskurs. In Hinblick auf den Begriff der Nation verhandelt er vom rechten politischen Rand kommend, was ‹amerikanisch‹ und was ›unamerikanisch‹ ist. Hinsichtlich Gender etabliert der Film eine Geschlechterord142 Ihr Wandel wird auch durch die Kleidung verdeutlicht. Während sie zu Anfang des Films schwarze, enge, ausgeschnittene Kleider trug, trägt sie nun ein weißes, schlichtes Sommerkleid. 143 Zur Ikonographie Mussolinis und der Repräsentation faschistischer Männlichkeit vgl. Richard Dyer (1997): White. New York/London, S. 170 ff. und Gigliora Gori (2000): »Model of Masculinity: Mussolini, the New Italian of the Fascist Era«, in: James Anthony Mangan (Hg.): Superman Supreme. Fascist Body as Political Icon – Global Fascism. London, S. 27-61, S. 37. 144 Raymond Durgnat/Scott Simmon (1988): King Vidor, American. Berkeley/Los Angeles, CA, S. 299. 128

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nung, die durch ein eindeutiges Machtgefälle gekennzeichnet ist. Der selbstbestimmte amerikanische Mann beweist seine Führungsqualitäten folglich sowohl in der Führung des ›schwachen‹ Geschlechts, als auch der dumpfen Masse, die als fremdgesteuert ebenfalls feminisiert ist. Vor dem Hintergrund der Frage, welche Funktion die Rede über die Männlichkeitskrise, die in den 50er Jahren einen großen Raum einnahm, erfüllt, muss hier festgehalten werden, dass mit der Figur Roarks dem Individualismus ein Denkmal gesetzt wird, um vor dessen Untergang zu warnen. Somit wurde ein von Kreativität geprägtes Männlichkeitsideal heraufbeschworen, das befähigt erschien, die US-amerikanische Gesellschaft vor verweiblichten Männern und gleichmacherischen, gar sozialistischen Strömungen zu bewahren –kurzum ein Ideal, das den Vereinigten Staaten zu ihrer Macht verholfen hatte. Die Besetzung der Rolle mit Gary Cooper förderte die Glaubwürdigkeit der inner-directedness von Roark. Neben James Stewart, Clark Gable und John Wayne zählt Cooper zu den amerikanischen Filmstars dieser Zeit, die als Verkörperung amerikanischer Werte als wahre amerikanische ›Helden‹ betrachtet wurden. Der anschließend besprochene SANDS OF IWO JIMA präsentiert einen weiteren dieser ›Helden‹: John Wayne. Seine Rollenbiographie ist seither untrennbar mit jenem Film verbunden.

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Abbildung 3 und 4: THE FOUNTAINHEAD (1949)

3.2.2 SANDS OF IWO JIMA (1949) Ende 1949 erfuhr der Kriegsfilm, bzw. Gefechtsfilm (Combat Film), ein Comeback. In der Nachkriegszeit produzierte Kriegsfilme »bedeuten immer auch ein Stück Rückgewinnung von ziviler Ordnung«.145 Sie rechtfertigen den Krieg noch einmal nachträglich und der Stolz auf das Erreichte tritt in den Vordergrund. Darüber hinaus verknüpfen in der Nachkriegszeit gedrehte Kriegsfilme den geführten Krieg mit Momenten der zivilen Ordnung. So spielen die filmischen Kriegsdiskurse nach 1945 eine wichtige stabilisierende Rolle bei der gesellschaftlichen Rückkehr in die Normalität.146 Gleichzeitig erfüllt die Betonung von Werten wie Sicherheit, Kampfbereitschaft, Loyalität und Autorität auch eine propagandistische Funktion im Kalten Krieg. Nicht zuletzt haben die Kriegsfilme, die ab 1949 wieder produziert wurden, durch den gemeinsamen Kinobesuch von Soldaten und Zivilisten dazu beigetragen, 145 Gerhard Paul (2003): »Krieg und Film im 20. Jahrhundert. Historische Skizze und methodologische Überlegungen«, in: Bernhard Chiari/Matthias Rogg/Wolfgang Schmidt (Hg.): Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts. (Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes), München, S. 3-79, S. 43f. 146 Knut Hickethier (2001): »Kriegserlebnis und Kriegsdeutung im bundesdeutschen Fernsehen der fünfziger Jahre«, in: Ursula Heukenkamp (Hg.): Schuld und Sühne? Kriegserlebnis und Kriegsdeutung in deutschen Medien der Nachkriegszeit (1945-1961). Bd. 2, Amsterdam/Atlanta, S. 759-775, S. 763ff. 130

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die Kriegserinnerungen jener, die den Krieg miterlebt hatten, mit denen jener zu verbinden, die ihn nur aus dem Kino kannten.147 SANDS OF IWO JIMA (1949)148 zählte mit dem Gefechtsfilm BATTLEGROUND (1949) und der Kriegs-Komödie I WAS A MALE WAR BRIDE (1949) zu den fünf finanziell erfolgreichsten Filmen des Jahres 1949 und wurde von der Kritik überwiegend positiv besprochen. Der Kriegsfilm ist per se ein Männergenre, in ihm kommen Frauen kaum vor. Aber auch die Merkmale Mut, Stärke, Ausdauer, Leidensfähigkeit, Risikobereitschaft und Aktion, die er feiert, kennzeichnen ihn als Männergenre. Das gilt auch für die Sequenzen, die die Männerkörper in Bewegung und Anspannung zeigen, im Prozess des ›Männerkörpererschaffens‹. Trotzdem differenzieren einige Kriegsfilme das Spektrum der verhandelten Männlichkeiten. SANDS OF IWO JIMA verknüpft den heroisch geführten Krieg mit dem Thema der Vaterschaft. So scheint sich in SANDS OF IWO JIMA ein leiserer Diskurs über Männlichkeit eingeschlichen zu haben. Nachfolgend werde ich die Männlichkeitsmodelle, die SANDS OF IWO JIMA anbietet, vorstellen, um daran anknüpfend sowohl nach dem Nexus von Männlichkeit und Nationalität als auch nach der Genese von Männlichkeit zu fragen.149 Diese Analyse wird innerfilmisch anhand der Figur des Protagonisten John Stryker durchgeführt und mit der außerfilmischen Star-Person John Waynes verknüpft. SANDS OF IWO JIMA erzählt die Geschichte einer Einheit Marines, die von ihrem Sergeanten schonungslos für den Einsatz im Pazifik ausgebildet wird und anschließend auf Tarawa und Iwo Jima landet.150 Der konkrete politische Hintergrund, welcher auch in den Medien diskutiert wurde, ist aufschlussreich, betrachtet man die Produktion von IWO 147 Basinger: The World War II Combat Film, S. 140ff. 148 Produziert wurde der Film von Merian C. Cooper für Republic Pictures mit Unterstützung des Marine Corps, Regie führte Allan Dwan, (s/w). 149 Insofern hätte SANDS OF IWO JIMA auch im nachfolgenden Kapitel behandelt werden können. Und es ist zweifellos bedeutsam, dass Vaterschaft in diesem Kriegsfilm eine so wichtige Rolle spielt. Da der Film aber auch nach der Verbindung von Männlichkeit und Nation, sowie nach Konformität und Individualität fragt, wird er hier behandelt. 150 Der mehrtägige Kampf um Iwo Jima hatte hohe Verluste auf beiden Seiten gefordert. Von den ca. 20 000 dort stationierten Japanern überlebten nur etwa 200. Die Marines hatten ca. 25 000 Verletzte und 6 000 Tote zu beklagen. Vgl. Gerhard L. Weinberg (1994): A World at Arms. A Global History of World War II. Cambridge, MA, S. 866ff. und Derek W. Frisby (2005): »Iwo Jima, Battle for (19. February - 26. March 1945)«, in: Spencer C. Tucker (Hg.): The Encyclopedia of World War II. A Political, Social, and Military History. Santa Barbara, CA, S. 766768. 131

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JIMA. Denn 1949 überlegte die Truman Regierung das Marine Corps aufzulösen. Der Film ist daher ohne Zweifel eine Hommage an diese Eliteeinheit. Er beginnt mit der Widmung: »To the United States Marine Corps, whose exploits and valor have left a lasting impression on the world and in the hearts of their countrymen. Appreciation is gratefully acknowledged for their assistance and participation which made this picture possible […].« Das Ganze läuft vor dem Hintergrund der Insignien ›Semper Fidelis‹, während ihre Hymne gesungen wird.151 Der Film betont die heroische Seite des Kämpfens und trägt damit dazu bei, die Traumata des Krieges vergessen zu machen. Genauso werden die Skepsis und die Zweifel daran, dass der Krieg ein besseres Amerika hervorgebracht habe, wie sie in den Kriegsheimkehrerfilmen geäußert worden waren, ignoriert (vgl. Kap. 3.1). Die Ordnung, die hier in den Worten Pauls ›zurückgewonnen‹ wird, ist stark und maskulin. Der Held des Krieges, der gefeiert wird, kann als Kalte-Kriegs-Antwort auf die an Leib und Seele versehrten Kriegsheimkehrer verstanden werden. In dieser Perspektive ist die Besetzung der Hauptfigur bedeutsam: John Wayne, der in SANDS OF IWO JIMA die Hauptrolle des Sergeanten John Stryker spielt, erschien 1949 zum ersten Mal auf der Liste der Top Ten Stars, auf der er bis 1974 blieb.152 Auch wenn Wayne bis dato noch nicht zu dieser Gruppe gehört hatte, war er gleichwohl kein unbekannter Schauspieler. Er hatte sich in den späten 30er Jahren als Westernheld 151 Außerdem erscheint im Vorspann, dass die drei Überlebenden (Doc Bradley, Rene Gagnon, Ira Hayes) des historischen Flagge-Aufrichtens im Film mitwirken. Dies sowie die Verwendung von historischem Filmmaterial der Kampfszenen dient dazu, den Film authentisch wirken zu lassen, während er an dem Mythos der Marines bastelt. Die im Film vorgenommenen Strategien zur Authentifizierung waren auch Bestandteil der Werbung für den Film. Im Presseheft des Films, das in patriotischen weiß/rot/blau gehalten ist, finden sich Zitate wie das von Major General Graves B. Erskine: »SAND OF IWO JIMA is the finest production of its kind that I have ever seen. It is realistic, exciting, and is an accurate portrayal of the Marine´s War in the Pacific. I know because I was there.« Im Premierentheater in San Francisco wurde eine Wache des Marine Corps neben der Originalflagge aufgestellt. Press Book im SANDS OF IWO JIMA Production File (AMPAS). 152 Der Erfolg des Westerns RED RIVER (1948) und SANDS OF IWO JIMA (1949) hatten diesen Popularitätssprung von John Wayne verursacht. So heißt es in der Zeitschrift Fortnight: »This is John Wayne’s year. Long relegated to the »B« cowboy circuit, his pleasingly rugged virility has finally paid off. In this one he portrays the tough Marine Sergeant to end all tough Marine Sergeants. A diamond in the rough, of course, who occasionally looks as if he were wishing for his horse.« »New Movies«, in: Fortnight, 20.1.1950. SANDS OF IWO JIMA Production File (AMPAS). 132

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einen Ruf erworben und damit ein die amerikanischen Werte signifizierendes Rollenprofil entwickelt: Moralisch und physisch stark, ehrlich, einfach, einsam, verantwortungsbewusst, viril und unbesiegbar.153 Am Ende von SANDS OF IWO JIMA aber ist John Wayne besiegt, er ist tot. Der von ihm gespielte Sergeant Stryker wird nach geschlagener Schlacht von einem Heckenschützen fast beiläufig erschossen. Der Tod des John Stryker ist mithin nicht einmal heroisch. SANDS OF IWO JIMA problematisiert die ›harte‹ Männlichkeit Strykers durch diesen Schluss, aber auch in der Gegenüberstellung mit dem jungen Marine, Peter Conway (John Agar). Stryker ist der hartgesottene Sergeant,154 der die jungen Marines stetig fordert: »And they told me to get you into some kind of shape, so you can handle a piece of this war. […] And that means I’m gonna tell you what to do. Every day and every minute of the day. […] You’re gonna be Marines!« Erst in der Schlacht erkennen seine Soldaten, dass die harte Ausbildung zu ihrem Vorteil gereicht. Stryker ist ein einfacher Mann, der aufgrund seiner Tapferkeit und Ausbildungsqualitäten Sergeant ist. Da Stryker seine soldatische Pflicht immer schon über sein Privatleben gestellt hat, liegt sein Privatleben in Scherben vor ihm: Seine Frau hat ihn mit dem gemeinsamen Sohn verlassen und er selbst betrinkt sich besinnungslos, sobald er Heimaturlaub hat. Die Ausübung seiner soldatischen Pflicht wird dadurch jedoch nicht angegriffen. Somit wird sein ›einsames Heldentum‹ nicht eindimensional glorifiziert. Der Preis, den er dafür bezahlt hat, ein gefürchteter Sergeant der Marines zu werden, ist allerdings beträchtlich, misst man ihn an der Werteskala der Nachkriegszeit, in der Vaterschaft und Familie weit oben rangieren (vgl. dazu Kap. 3.3).155

153 Emanuel Levy (1998): John Wayne. Prophet of the American Way of Life. Lanham, MD, S. 100ff. Die Kriegsfilme, in denen Wayne während des Zweiten Weltkriegs mitwirkte, spielen in diesem Zusammenhang keine so große Rolle. Es sind: FLYING TIGERS (1942), REUNION IN FRANCE (1942), THE FIGHTING SEABEES (1944) und BACK TO BATAAN (1945). Kurz nach Kriegsende kam noch THEY WERE EXPENDABLE in die Kinos, der allerdings in den letzten Kriegstagen gedreht worden war. Vgl. dazu: Garry Wills (1997): John Wayne’s America. New York, S. 102-114. 154 Bereits der Name Stryker verweist auf den harten Aspekt des Sergeanten (striker = Schläger, Hammer). Im Kino-Trailer heißt es, während Soldaten beim Training zu sehen sind, »These are your boys, who John Wayne as Sergeant Stryker forced into fighting men. Men who said he was as hard, harder than steel.« 155 Dass seine Frau ihn verlassen hat, stößt im Film immer wieder auf Verständnis. Somit wird hier kein ›die-Frau-ist-schuld-Szenario‹ entworfen. 133

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Doch Stryker ist nicht nur der harte Ausbilder und Soldat, sondern er wird für den jungen Marine Peter Conway zur Vaterfigur, die jener braucht, um ein Mann zu werden. Und das, obwohl Conway die von Stryker vertretene Männlichkeit vollkommen ablehnt, da er sich als Zivilist begreift: »I wasn’t tough enough […], too soft«. So wird der Kriegsfilmplot um einen Vater-Sohn Konflikt erweitert.156 Hierbei handelt es sich um ein typisches Verfahren: Indem John Wayne mit einem jungen Mann als Gegenpart konfrontiert wird, den er zur Männlichkeit nach seinem Bilde führt, fungiert Wayne in den Filmen der Nachkriegszeit oftmals als männliches Vorbild. »This role defines masculinity as a product of male expertise [...] and homosocialization«,157 was zum Schluss dieser Analyse zu überprüfen sein wird. Der junge Conway hingegen lehnt das Strykersche Konzept des harten, soldatischen Mannes zunächst ab und legt seine Vorstellung von Männlichkeit und Erziehung, nachdem er geheiratet und einen Sohn gezeugt hat, wie folgt dar.158 [Ausgangspunkt des Dialoges ist, dass der Sohn von Stryker dessen Briefe nie beantwortet]: »No I won’t Stryker, because he won’t have to write. I’ll be where he is. And I won’t insist that he be tough. Instead I’ll try to make him intelligent. And I won’t insist that he read the Marine Corps Manual, instead I’ll give him a set of Shakespeare. In short I don’t want him to be a Colonel Sam Conway or Sergeant John Stryker. I want him to be intelligent, considerate, cultured and a gentleman.«

Trotz aller Zweifel an der ›harten Männlichkeit‹ kämpft Conway bei den Marines, um seinem toten Vater etwas zu beweisen, woran er selbst große Zweifel hat: Dass er ein ›richtiger‹ Mann ist. Hier sei wie schon in THE MEN oder KEY LARGO ein Blick auf die Bedeutung der Frauen im Film der 50er Jahre geworfen. Die Wichtigkeit des Glaubens der Frauen an die phallische Männlichkeit, die zu deren Konstitution maßgeblich beiträgt, wird auch in SANDS OF IWO JIMA angedeutet. Peter 156 Dieser Konflikt wird noch dadurch gesteigert, dass der inzwischen gefallene Vater Conway der Ausbilder Strykers war und von diesem verehrt wurde, sodass Stryker z.B. seinen Sohn nach ihm benannt hat. Gleichzeitig ist in den Worten Peter Conways Stryker »the kind of man my father always wanted me to be.« In gewisser Weise haben Stryker und Conway also denselben Vater, wodurch die Einheit der Marines als Familie beschworen wird. Vgl. dazu Basinger: The World War II Combat Film, S. 149. 157 Cohan: Masked Men, S. 207 analysiert in diesem Zusammenhang RED RIVER mit John Wayne und Montgomery Clift. 158 Bezeichnend ist, dass es in diesem Film nur Söhne und keine Töchter gibt. 134

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fragt seine Verlobte, »Do you think I’m a brave man?« und erst als sie ihm das bestätigt, beschließen die beiden zu heiraten und eine Familie zu gründen. Howard Roark hatte in THE FOUNTAINHEAD die Bestätigung seiner Männlichkeit durch Andere nicht nötig, da er seiner selbst so sicher war, dass er um seine Identität wusste. Das Gleiche gilt in SANDS OF IWO JIMA für John Stryker. Auch er hat eine innere Steuerung, die ihn, koste es was es wolle, ›richtig‹ und das heißt hier männlich handeln lässt. Peter Conway hingegen ist unsicher, er bedarf des Glaubens einer Frau an seine Männlichkeit. Dennoch steht der Beweis dafür, dass er ein mutiger Mann ist, noch aus. Die Landung auf Iwo Jima und der mehrtätige Kampf um den Suribachi gibt Conway die Möglichkeit, seine soldatischen Fähigkeiten zu beweisen. Das führt Stryker und Conway zusammen. Als der Gipfel eingenommen ist, sitzen die Marines zusammen mit Stryker, der so zufrieden ist, wie noch nie in seinem Leben, auf dem Berg. Von der Schlacht gezeichnet, sind sie ihm nun nicht nur im Kampf ebenbürtiger, sondern auch äußerlich ähnlicher geworden. In dem Moment, als Stryker Conway eine Zigarette anbietet und beide glücklich sind, überlebt zu haben, wird Stryker von einem Heckenschützen von hinten erschossen. Der Brief an seinen Sohn, den sie in seiner Jackentasche finden, wird laut vorgelesen. Stryker schreibt: »For a long time I’ve wanted to tell you many things. Now that you’re a big boy, I will. If we could have been together for a little while, I could have explained many things much better than writing. You’ve got to take care of your mother, love her and make her happy. Never hurt her or anyone as I did. Always do what your heart tells you is right! […] I want you to be like me in some things, but not like me in others because when you grow older and get to know more about me, you’ll see that I’ve been a failure in many ways. […] If there was only more time, I’d… // Guess he never finished it,«

so der Vorleser. Conway nimmt ihm daraufhin mit den Worten »I’ll finish it for him« den Brief aus den Händen. Der Tod Strykers lädt zu mehreren Lesarten ein: Er kann als klare Aussage über die gesellschaftliche Verfasstheit von Gender und Männlichkeiten in der Nachkriegszeit verstanden werden. Männer wie Stryker werden in Kriegszeiten benötigt, nicht aber im Frieden: »To avoid this kind of macho mindlessness, they must change the world and prevent war«.159 Allerdings stehen einer solchen Interpretation, die eine ›Entweder-Oder-Männlichkeit‹ propagiert, zwei Betrachtungsweisen entgegen. Zuerst ist der Erzählschluss zu nennen: Der Satz »I’ll finish it for him« 159 So z.B. Basinger: The World War II Combat Film, S. 153. 135

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hatte sich nicht nur auf den Brief bezogen. Im Umschnitt jener Szene sieht man das Aufstellen der amerikanischen Flagge auf Suribachi. Es ist jenes Bild, das durch die Fotografie von Joe Rosenthal zu weltweiter Bekanntheit und einer amerikanischen Ikone des Zweiten Weltkriegs geworden ist.160 In SANDS OF IWO JIMA beginnt ein Trommelwirbel, und ein Marine nach dem anderen schaut zur amerikanischen Flagge empor (von Nah- in Großeinstellungen übergehend). Als die Fahnenstange aufgestellt ist, setzt die Hymne der Marines mit »fight for right and freedom« ein und das entschlossene, inzwischen kantigere Gesicht Conways verrät die Wandlung, die er durchgemacht hat. »Allright, saddle up, let’s get back in the war!« ruft er in ähnlicher Stimmlage wie John Stryker, dreht sich um und führt die Männer wieder in den Krieg. Die Schlussszene verbindet Privates mit Nationalem. Reflektionen über Erziehung, Familie und den richtigen Lebensweg werden in den großen Rahmen der Nation eingebunden. Die Marines sind bereit, für die Nation zu kämpfen und zu sterben und durch diesen Einsatz die Werte der Nation (Recht und Freiheit) gleichermaßen zu schützen wie herzustellen. Neben der Hymne zeigt der Brief an den Sohn, für was die Männer konkret kämpfen, nämlich für ihre Frauen und Familien.161 Die Frauen sind in SANDS OF IWO JIMA nur als Gebärende vorhanden. Damit sind sie zwar einer der Grundpfeiler der Nation, darüber hinaus

160 Am 23.2.1945 war der Mt. Suribachi von den Amerikanern eingenommen worden. Da die zunächst gehisste Flagge zu klein war, wurde die Flagge einige Stunden später ein zweites Mal aufgerichtet. Der Kriegsfotograf Joe Rosenthal, der inzwischen zugegen war, fotografierte diesen Akt. Das Bild wurde von Associated Press veröffentlicht und Rosenthal erhielt den Pulitzerpreis dafür. Es wurde mehrfach als Briefmarke gedruckt und zur Bewerbung des Verkaufs der letzten Kriegsanleihe eingesetzt. Außerdem steht es als in Stein gemeißeltes Mahnmal auf dem Soldatenfriedhof Arlington. Zur Geschichte der Ikonographie vgl. Karal Ann Marling/John Wetenhall (1991): Iwo Jima: Monuments, Memories, and the American Hero. Cambridge, MA. Wills: John Wayne’s America, S. 150ff. »Bilder, die lügen. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.« Hg. (1998): Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, S. 46f. Jost Dülffer (2006): »Über-Helden – Das Bild von Iwo Jima in der Repräsentation des Sieges. Eine Studie zur US-amerikanischen Erinnerungskultur seit 1945«, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 3 (2), URL: , (27.3.2007). 161 Vgl. zur Verknüpfung von Kriegszielen und Familienwerten Sonya Michel: »American Women and the Discourse of the Democratic Family in World War II«, in: Margaret R. Higonnet u.a. (Hg.) (1987): Behind the Lines: Gender and the Two World Wars. New Haven, CT, S. 154-167. 136

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jedoch nicht daran beteiligt, für aktiv für sie einzutreten.162 Die Verwebung des Vaterschaftsthemas mit dem Korps der Marines und der Nation führt hingegen dazu, ein ›familiäres-Wir-Gefühl‹ zu propagieren – Amerikanismus bleibt Männersache. Conway tritt auf Iwo Jima in die Fußstapfen von Stryker. Aus diesem Grunde kann man nicht wie Basinger davon sprechen, dass die harte Männlichkeit ausgedient habe, da sie in Conway fortleben wird. Stryker und Conway haben sich wechselseitig beeinflusst, wie an dem Fehler-Eingeständnis in Strykers Brief ersichtlich wurde. Beide Männlichkeiten scheinen notwendig zu sein, oder analog zur Terminologie von Riesman, sowohl die selbstbestimmte als auch die fremdgesteuerte Männlichkeit müssen Kompromisse eingehen, um einen Typ hervorzubringen, der den komplexen Anforderungen an Männlichkeit Mitte des 20. Jahrhunderts gewachsen ist. Ein zweiter Aspekt schränkt die These ein, nach der die weiche Männlichkeit die harte verdrängt. Löst man sich von der narrativen Ebene und betrachtet die Inszenierung der Körper, so wird deutlich: Sergeant Stryker ist der Blickfang. Dies wird durch zahlreiche Naheinstellungen betont. Und, was entscheidender ist: Er ist der stattlichere und körperlich präsentere Mann. Die Strykersche Männlichkeit wird nicht nur über seine Statur inszeniert, sondern vor allem durch die ausdrucksstarke Art und Weise, seinen Körper zu bewegen. »Nobody walked like John Wayne« titelte die Tribune im Todesjahr von Wayne 1979.163 Für den Film ist Bewegung zentral, und durch seine ruhige, gelassene und geschmeidige Art sich zu bewegen, wird Stryker zum Blickfang. Sowohl sein Gang als auch sein Stand werden zum Inbegriff von Sicherheit, Festigkeit und Bereitschaft. »His body spoke a highly specific language of ›manliness‹, of self-reliant authority. It was a body impervious to outside force, expressing a mind narrow but focussed, fixed on the task, impatient with complexity.«164

162 Zu Nation und Gender ist inzwischen einige Literatur erschienen. Zur Übersicht vgl. Anne McClintock (1996): »No Longer in a Future Heaven: Nationalism, Gender, and Race«, in: Geoff Eley/Ronald Grigor Suny (Hg.): Becoming National. A Reader. New York/Oxford, S. 260286 und Heidrun Zettelbauer (2002): »Geschlecht. Nation. Körper. Kulturwissenschaftliche Aspekte in der historischen Frauen- und Geschlechterforschung«, in: Lutz Musner/Gotthard Wunberg (Hg.): Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen. Wien, S. 237-265. 163 Ed Levitt (1979): »Nobody Walked like John Wayne. A Tribute to the Duke. John Wayne 1907-1979«, in: The Tribune, 12.6.1979. John Wayne File, PFA. 164 So beschreibt Wills John Wayne, vgl. Garry Wills (1996): »John Wayne’s Body«, in: New Yorker, 19.8.1996, S. 39-49, S. 45. John Wayne File, PFA. 137

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Er wird aufgrund seines Körpers zum Objekt des Blicks sowohl fürs männliche als auch fürs weibliche Publikum. Dasselbe gilt für die übrigen Männer, vor allem während den Trainings- oder Waschsequenzen, also in den Momenten, die dem Körperaufbau bzw. der -pflege dienen. Der ideale Körper ist, das wird dabei sehr deutlich, jung, weiß und muskulös. Da es diese Männer sind, die ihr Leben für die Nation geben, verweist die Idealisierung der Körper auf das Selbstverständnis der USA als weiße, starke und männliche Nation. Gleichzeitig verstärkt die Idealisierung auch die herrschende Auffassung, dass Männlichkeit unversehrt und stark ist. Strykers Körper hingegen wird in diesen Phasen des Körperaufbaus nicht gezeigt – ein Hinweis darauf, dass weder sein Körper noch seine Männlichkeit erarbeitet werden müssen. Sie existieren schon immer. Auch John Wayne behauptete von sich, dass seine Männlichkeit natürlich sei. Seine Rollenbiographie lässt sich an diesem Punkt sehr gut mit seiner außerfilmischen Person verbinden. »Well, at one time in my career, I guess sexuality was part of my appeal. […] All that crap comes from the way I walk, I guess. There’s evidently a virility in it. Otherwise, why do they keep mentioning it? But I’m certainly not conscious of any particular walk.«165 Letztere Aussage ist mit Vorsicht zu genießen. Mehrere Personen erklären, Wayne habe bei ihnen ›gehen‹ gelernt.166 Die Abwehrreaktion Waynes erklärt sich damit, dass ein Zugeständnis seinerseits die Performativität von Gender offenbaren würde. Doch eine Männlichkeit wie die von John Wayne beruht auf der Prämisse, nicht performativ, sondern immer schon da gewesen zu sein, sie beruht auf dem Körper, auf Sex. Wenn man darüber hinaus wie seine unzähligen Fans davon ausgeht, dass er der Inbegriff des amerikanischen Helden ist, und es so scheint, als verknüpfe sich Amerikanismus mit männlichen Stars und nicht mit weiblichen, muss diese Männlichkeit ursprünglich sein. Im Unterschied zu der von Cooper in THE FOUNTAINHEAD verkörperten Männlichkeit, ist die Figur Strykers durchaus durch Brüche und Konflikte gekennzeichnet. Trotzdem erscheint sie nicht wie ein performativer Effekt, was meines Erachtens daran liegt, dass sie, analog zu den amerikanischen Werten, für die seine Figur steht, als natürlich gegeben erscheinen muss. An anderen Figuren hingegen exerziert der Film durch, wie Männlichkeit hergestellt wird. Conway wird im Laufe des Films erst zum 165 »Playboy Interview: John Wayne. A Candid Conversation with a Straight-Shooting Superstar / Superpatriot«, in: Playboy Magazine, May 1971, S. 75-92, S. 92. John Wayne File, PFA. 166 Levy: John Wayne, S. 107 und Wills: »John Wayne’s Body«, S. 44. 138

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Mann im Strykerschen Sinn. Er macht eine Entwicklung durch vom ›Zivilisten im Geiste‹ zum überzeugten Marine und vom Anhänger der other-directedness zur Führungsfigur. An seinen Gesichtszügen ist diese Wandlung sichtbar, sie verändern sich von einer weichen, jungenhaften Ausstrahlung zu einem kantigeren, unrasierten Gesicht. Seine Männlichkeit scheint damit diskursiv erzeugt zu sein, sie ist nicht innewohnend. Sie beruht nicht auf Sex wie bei Stryker, sondern auf Gender. Die Mannwerdung Conways ist eine Grenzerfahrung und kann über geographische Räume erfasst werden. Sie erfolgt viele tausend Kilometer von den USA entfernt in der ›Wildnis‹ und Weite des Krieges, die in den Kampf- und Trainingszenen in Totalen erfasst werden. Analog zum Raum im Western ist der Ort des Krieges hier ein Zwischenraum, der Entwicklung und Vorwärtsbewegung verspricht. Die in SANDS OF IWO JIMA vorgenommene Konstruktion von Männlichkeit bestätigt die vorherrschende Auffassung, dass ›wahre‹ Männlichkeit ›natürlich‹ ist. Gleichzeitig, und das ist die paradoxe Kehrseite dessen, verrät der Prozess des Formens von Conway, bzw. die Formung der Männerkörper in der Armee das Gegenteil. Die Tatsache, dass Stryker über seinen Körper und seine innere Sicherheit als der ›richtige‹ Mann repräsentiert wird, während Conway erst ein solcher werden muss, erklärt das Paradox, dass Wayne in SANDS OF IWO JIMA sterben kann und gleichzeitig das innerfilmische Vorbild ist. Dieses Vorbild wusste das Marine Corps auch außerfilmisch zu nutzen. Durch die Begeisterung, die der Film hervorrief, motiviert, stellte es 1950 Rekrutierungsbüros in den Kinofoyers auf.167 Der Schauspieler Wayne hat die von ihm selbst gewählte Aufgabe, als charismatische Führungsfigur ein patriotisches Vorbild zu sein, erfüllt. In diesem Sinne bestätigte ihm General Douglas MacArthur auf einem Treffen der American Legion, »you represent the American Serviceman better than the American Serviceman himself«.168 Die Vorbildfunktion John Waynes beschränkte sich jedoch nicht nur auf den Korea Krieg, sondern wirkte bis in den Vietnamkrieg hinein. So wurde die Figur des Sergeanten Strykers in späteren Büchern und Filmen reflektiert. Der wohl bekannteste intermediale Verweis findet sich in der 40 Jahre nach SANDS OF IWO JIMA von Oliver Stone verfilmten Autobiographie des Vietnamkriegsveteranen Ron Kovic BORN ON THE 4th OF JULY.169 Ron zieht als begeisterter Marine in den Krieg und kehrt als querschnittsgelähmter Mann zurück, der sich zum Anti-Kriegs- und Bürgerrechtsaktivisten 167 Jarvis: The Male Body, S. 188. 168 Zit. nach: »Playboy Interview«, S. 80. 169 Regie: Oliver Stone; Buch: Stone und Kovic; produziert von Ixtlan Corporation 1989. 139

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wandelt. Sein Wunsch, ein amerikanischer Held zu werden, geht auf John Wayne zurück. Ron sagt im Film, »I got shot in the foot – I got up to run around like I was […] John fucking Wayne. […] I could have laid down. A hero who cares? I was paralysed, castrated that day. Why? It’s all so stupid.«170 Das Interessante an SANDS OF IWO JIMA ist, dass er die Männlichkeitsideale, die er an die zeitgenössischen soziologischen Erklärungsmodelle von inner- und other-directedness anlehnt, im Rahmen des Militärs reflektiert. Zugespitzt werden diese Positionen am Anfang und Ende des Films von Stryker formuliert, »You got to learn right and you got to learn fast. And any man who doesn’t want to cooperate I make him wish he hadn’t been born. Before I am through with you, you gonna move like one man and think like one man.« Stryker propagiert ein militärisches Ideal, das sich in der zivilen Lebenswelt der 50er Jahre, folgt man dem soziologischen Diskurs, immer mehr durchzusetzen begann, aber mit großer Sorge betrachtet wurde. Nur ein Jahr, nachdem Riesman The Lonely Crowd veröffentlicht hatte, erschien White Collar: The American Middle Classes von dem Soziologen C. Wright Mills. Auch er beklagte die Abhängigkeit der städtischen Massen und die damit einhergehende Demoralisierung und Schwäche der Gesellschaft.171 Dass die Angst vor einer solchen Gesellschaft nicht nur Soziologen vorbehalten war, zeigen THE FOUNTAINHEAD und ALL THAT HEAVEN ALLOWS gleichermaßen. Dennoch ist Disziplin und Konformität in der Sonderwelt des Militärs die erste zu meisternde Aufgabe. Militärische Zucht und militärischer Erfolg beruhen geradezu auf dem Prinzip der Aufgabe von Individualität. Das Militär folgt demnach anderen Regeln als die Zivilgesellschaft. Umso erstaunlicher ist das Filmende.

170 Im Buch heißt es: »The Marine Corps hymn was playing in the background as we sat glued to our seats, humming the hymn together and watching Sergeant Stryker, played by John Wayne, charge up the hill and get killed just before he reached the top. And then they showed the men raising the flag on Iwo Jima with the Marines’ hymn still playing, and Castiglia and I cried in our seats. I loved the song so much, and every time I heard it I would think of John Wayne and the brave men who raised the flag on Iwo Jima that day.« Ron Kovic (1976): Born on the Fourth of July. New York, S. 43. Andere Beispiele für Männer, die sich John Wayne zum Vorbild nahmen, nennen Wetta/Curley: Celluloid Wars, S. 44ff. Außerdem wurde John Wayne in der Unterstützung des Vietnamkriegs auch selbst aktiv. Er führte bei dem Kriegsfilm THE GREEN BERETS Regie und spielte auch selbst die Hauptrolle. 171 C. Wright Mills: White Collar (1951): The American Middle Classes. New York. 140

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Denn der Film schließt mit dem vorgelesenen Vermächtnis, das sich konkret an seinen Sohn, implizit aber an alle richtet, »always do what your heart tells you that’s right!« Kollektivität wird dem Individualismus hier gegenüber gestellt, wobei das individualistische das attraktivere Modell ist. Dieses Spannungsfeld zwischen Kollektivität und Individualität blieb während der gesamten 50er Jahre bestehen. Allerdings wurde das Militär als Symbol der kollektiven Organisation durch die Arbeitsorganisationen der Mittelschicht, die Großraumbüros und Firmen ersetzt. Der Zusammenhang von Gemeinschaftlichkeit und Konformität einerseits und dem Militär andererseits wurde jedoch im soziologischen oder populärwissenschaftlichen Diskurs selten problematisiert und war auch – wie gezeigt – kein Bestandteil des Heimkehrerdiskurses.172 SANDS OF IWO JIMA, der das Marines Corps verherrlicht, zeigt Disziplin und Anpassungsfähigkeit wie dargelegt als positive, notwendige Eigenschaften. Denn erstens kann sich vor dem Hintergrund dieser Gruppe eine Führungspersönlichkeit erst abheben. Und zweitens machen der militärische Drill und die Grenzerfahrung des Krieges die Auszubildenden erst zu Männern. In diesem Sinne kommuniziert der Film anhand der konform sozialisierten Männerkörper die Macht und Stärke der USA in der Nachkriegzeit. Sinnbild der US-amerikanischen Stärke ist demnach der männliche Körper. Der Männerkörper steht für den Staatskörper und verweist auf die maskuline Eigenwahrnehmung der USA.

3.2.3 ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955) Während SANDS OF IWO JIMA als Kriegsfilm in erster Linie ein männliches Publikum anzusprechen hoffte, richtete sich ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955) an ein weibliches Publikum.173 Im Gegen172 »He had lost his individuality. […] When had the theft started? Gary thought back to World War II, when he, with hundreds of others, had been compelled to ride in trucks like cattle and stand naked in long lines waiting for mass physical examinations. But this was not when it started. Coercion in the Army was too obvious, too open. You followed orders, but your inner self held to its privacy. Now he had no private inner self. Who had taken it? Who was the enemy?« George B. Leonhard, Jr. (1958): »Why Is He Afraid to Be Different?«, in: LOOK (Hg.): The Decline of The American Male. New York. (o.S.) 173 Produziert von Ross Hunter für Universal Studios. Regie: Douglas Sirk. Nach einer Erzählung von Edna und Harry Lee. ALL THAT HEAVEN ALLOWS wurde in relativ kurzer Zeit produziert, um an den Erfolg von MAGNIFICENT OBSESSION anzuschließen. Mit MAGNIFICENT OBSESSION war Rock Hudson zum Star geworden. Zu ALL THAT HEAVEN ALLOWS und Sirk vgl. Michael Stern (1979): Douglas Sirk. 141

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satz zum Männergenre Kriegsfilm zählt er als Melodram zu den so genannten Frauenfilmen. Für die Erzählstruktur ist in diesem Zusammenhang wichtig: Er wird aus der Perspektive der Protagonistin Cary Scott (Jane Wynand) erzählt.174 Im Unterschied zu den Männergenres, die notfalls auch ganz ohne Frauen auskommen können, spielt der Mann im Frauenfilm der 50er Jahre jedoch immer eine zentrale Rolle. Nachfolgend wird über eine Analyse der Figuren und der visuellen Stilmittel wie Farbgebung und Kameraführung die Position des männlichen Protagonisten im Gefüge der Geschlechter herausgearbeitet. Der Plot von ALL THAT HEAVEN ALLOWS ist sehr einfach. Die wohlhabende 40 jährige Witwe Cary Scott lebt in einer verschlafenen WASP-Kleinstadt in Neu-England. Ihre Kinder sind bereits im College, so dass ihre Tage durch Einsamkeit gekennzeichnet sind, welche jedoch ein Ende findet, als sie sich in den wesentlich jüngeren Gärtner Ron Kirby (Rock Hudson) verliebt. Diese unkonventionnelle Liebe stößt auf soziale Sanktionen. Die Empörung der fast erwachsenen Kinder und der gesellschaftliche Druck bringen sie dazu, die Verbindung zu lösen. Erst nach einem Unfall des Geliebten entscheidet sie sich gegen die Konventionen und für die Beziehung. Im Zusammenhang dieses Filmes ist die Technik von besonderem Interesse: ALL THAT HEAVEN ALLOWS ist in Technicolor gedreht. Dies hatte 1955 eine durchaus andere Bedeutung als heute, nur etwa 50% aller Filme wurden zu diesem Zeitpunkt in Farbe produziert. In den 40er und 50er Jahren wurden Farbfilme mit Fantastik und Schaustellung assoziiert, sodass Farbe überwiegend in den ›fiktiven‹ Genres wie Western, Abenteuerfilmen, Musicals und Disney Zeichentrickfilmen einge-

Boston, MA, zu Rock Hudson vgl. Jerry Oppenheimer/Jack Vitek (Hg.) (1986): Idol Rock Hudson. The True Story of an American Film Hero. New York. 174 Tatsächlich hat die Tatsache, dass er ein Frauenfilm ›ist‹, noch weitere Implikationen, denn diese Klassifizierung beeinflusste auch seine Rezeption in cineastischen Kreisen. Sirk selbst bezeichnete ihn (und ähnliche Filme) als trash. Dieser Fährte folgten auch Teile der akademischen Filmkritik, die ihn als banal und sentimental abtaten. Vgl. dazu John Mercer/Martin Shingler (2004): Melodrama. Genre, Style, Sensibility. London. New York, S. 57. Und Walter C. Metz (1993): »Pomp(ous) Sirk-umstance: Intertextuality, Adaption, and All That Heaven Allows«, in: Journal of Film and Video, 45 (4), S. 3-22, S. 3-6. Diese Kritik argumentiert, dass erst die marxistisch orientierte, und zumeist männliche Kritik der 70er Jahre die ironisch verpackten Seitenhiebe auf die bürgerliche Gesellschaft der Eisenhower Zeit verstanden habe. Diese Argumentation setzt jedoch voraus, dass das Publikum der 50er Jahre, zumeist Frauen, dazu nicht in der Lage gewesen sei! 142

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setzt wurde,175 und, wie ich ergänzen möchte, in Melodramen. Nicht aber in den ernsten, ›authentischen‹ Genres wie Kriegsfilmen, Sozialdramen und Dokumentarfilmen. Im Handbuch Elements of Color in Professional Motion Pictures von 1957 hieß es, »Musicals and fantasy pictures are open to unlimited opportunities in the creative use of color. Here we are not held down by reality, past or present, and our imaginations can sour.«176 Sirk setzt in ALL THAT HEAVEN ALLOWS die Farbe in sehr bewusster Form ein. Entgegen der vorherrschenden Auffassung, dass ihr Gebrauch der Handlung unterzuordnen sei, ist Farbe bei Sirk ein stilistisches Mittel, das große Bedeutung trägt, da in ALL THAT HEAVEN ALLOWS, wie auch in anderen Melodramen, die Farbgebung auf eine psychische bzw. soziale Realität hindeutet, die unter der Oberfläche liegt.177 In ALL THAT HEAVEN ALLOWS wird dies u.a. anhand der den Personen zugeordneten Farben und der Lichtsetzung deutlich, wie nachfolgend zu zeigen sein wird. Die einleitenden Szenen des Films etablieren die Thematik des Films, weswegen sie hier kurz dargelegt werden. Besonders aufschlussreich ist dabei eine Analyse der Kameraeinstellungen. Nach einer Luftaufnahme, die die Kleinstadt als friedlichen Ort im warmen, rötlichen Herbstlicht präsentiert, folgt die Kamera einem blauen Wagen, aus dem die ebenfalls blau gekleidete Sara Warren (Agnes Moorehead) steigt. Die Luftaufnahme scheint vorzuschlagen, dass man sich diesen Ort genauer betrachten solle, und indem sich die Kamera langsam der Erde nähert, wird dieser Vorschlag umgesetzt. Der sozialkritische Blick, den ALL THAT HEAVEN ALLOWS auf das Kleinstadt-Amerika der gehobenen Mittelschicht wirft, wird hier eingeführt. Während Sara zum Haus ihrer Freundin Cary geht, wirft sie einen beiläufigen Blick nach rechts auf den im Garten arbeitenden Gärtner Ron, der erdfarbene Kleidung trägt und schon dadurch auf seine Naturverbundenheit verweist. Im folgenden Dialog stellt sich heraus, dass Ca175 Steve Neale (1985): Cinema and Technology. Image, Sound, Colour. London, S. 139. Der Einsatz von Farbe war eine Reaktion gegen das Aufkommen des Fernsehens. Kino sollte so gegenüber dem neuen Medium an Attraktivität gewinnen. Als aber Mitte der 50er Jahre deutlich wurde, dass die Zuschauer/innenzahlen weiterhin rückläufig waren, wurde wieder verstärkt in s/w gedreht. Denn die Kinofilme wurden nun dem Fernsehen verkauft, und dieses sendete noch in s/w. Die Umstellung dort erfolgte erst Mitte der 60er Jahre. 176 Ebd., S. 146. 177 Vgl. dazu auch die Analysen der Filme TEA AND SYMPATHY in Kap. 4.3.1 und WRITTEN ON THE WIND in 4.1.2. 143

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ry ihm bislang noch keine Beachtung geschenkt hat. Gleichzeitig unterstreicht der Dialog, dass sie anders ist als ihre Umgebung: Sie ist Witwe und hat kein wirkliches Interesse an dem elitären Country Club, dem Ort des gesellschaftlichen Lebens der oberen Mittelschicht. Aber sie ist einsam und nimmt deswegen die Essenseinladung ihrer Freundin zusammen mit dem Junggesellen und Freund ihrer Familie Harvey (Conrad Nagel) an. Jane trägt ein graues Kostüm, das der Farbe ihres Hauses entspricht und vermittelt damit ihren zurückhaltenden und konservativen Lebensstil (Abb.5). Die erste Begegnung mit Ron erfolgt, als Cary einen großen Karton Geschirr zum Haus trägt und er seine Hilfe anbietet. Die Kameraeinstellung in dieser Szene ist eine Subjektive,178 sodass Ron plötzlich in ihrem Blickfeld erscheint, sich herumdreht und Hilfe anbietet. Nach dem Schnitt erfolgt eine Einstellung aus Untersicht auf beide, die den breiten Rücken Rons – und damit seine Stärke – betont. Nach einem erneuten Schnitt folgt man den beiden auf die Veranda, wo sie ihn zum Lunch einlädt. Nun wird sie aus einer over shoulder Einstellung aufgenommen. Demzufolge ist die Kamera in dieser Eingangssequenz immer sehr nahe bei Cary, entweder zeigt sie deren Subjektive oder sie fokussiert sie. Damit wird die Perspektive Carys eingenommen, was ihre Kontrolle über die Handlung impliziert. Während des Essens zeigt sich Ron sehr wenig gesprächsbereit und hinterlässt damit den Eindruck eines in sich gekehrten Mannes, der nicht mehr Worte als nötig verliert. Zwei Einstellungen in dieser als Schuss/Gegenschuss inszenierten Szene sind hinsichtlich Rons bemerkenswert. Als er über den Tod seines Vaters spricht, ist er in einer halbnahen Einstellung mit nach unten abgewendeten Augen zu sehen. Er weicht dem prüfenden Blick Carys aus und nimmt dadurch ein weiblich konnotiertes Verhalten ein. Ganz anders die Szene, als er über seine Pläne spricht, eine Baumschule aufzubauen. In diesem Moment wird er in einer halbnahen Einstellung mit erhobenem Kopf und in die Ferne schweifendem Blick eingefangen, er vermittelt dadurch Tatkraft und Männlichkeit. Gleichwohl zeigt der Wunsch, Bäume zu ziehen und zu pflegen, eine eher Frauen zugewiesene, sich kümmernde Seite in ihm. Die Figur Ron wird in dieser Eingangszene als in sich ruhender, starker, naturverbundener Mann entwickelt, der dessen ungeachtet weiblich konnotierte Eigenschaften haben mag, worauf später noch zurückzukommen ist.

178 Subjektive bezeichnet eine Kameraeinstellung, die aus dem Blickwinkel einer Person aufgenommen ist. 144

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Abbildung 5: ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955)

Die sich entwickelnde Zuneigung zwischen Cary und Ron wird jedoch nicht nur durch die Kameraeinstellung und den Blickwechsel angedeutet, sondern auch durch das Gespräch über den Goldregen-Baum, der nur dort wächst, »where there’s love.« Die nächste Sequenz beginnt folgerichtig mit einem Bild eines in einer Vase stehenden Goldregenzweiges. Jane ist im Begriff sich für den Abend zurechtzumachen, als ihre Kinder zum Wochenendbesuch nach Hause kommen. Das Schlafzimmer Carys ist in blaues Dämmerlicht getaucht und vermittelt dadurch eine gewisse Kälte. Cary selbst trägt einen blauen Morgenmantel. Nachdem die Kinder zuhause eingetroffen sind, fällt Licht vom Flur in das Zimmer, wodurch es nun in goldenem und blauem Licht erstrahlt. Währenddessen beginnt Cary sich umzuziehen. Als die Tochter Kay (Gloria Talbott) die Nachttischlampe anmacht, um mit ihrer Mutter zu reden, ist das Licht im Raum schwach golden. Die Einstellungen der beiden Frauen sind jedoch im Folgenden unterschiedlich farbig: Cary erscheint nun in ihrem roten Kleid in eher rötlichem Licht, Kay hingegen in Weiß oder Blau. Diese unterschiedliche Farbgebung, die nicht zusammenpasst, betont die sich widersprechende Haltung beim diskutierten Thema, dem Leben als Witwe.179 Die Kinder freuen sich über die Verabredung ihrer Mutter,180 179 Gleichzeitig bewirkt die unrealistische Farbgebung eine Distanz zum Plot des Films und verstärkt damit seine dramatischen Effekte. 180 Kay bestätigt ihre Mutter darin, wieder in das gesellschaftliche Leben zurückzukehren und erklärt, »I don’t subscribe to the old Egyptian custom […] of walling up the widow alive in the funeral chamber of her 145

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insbesondere da Harvey zwar ein Hypochonder, aber »remarkably civilized« sei, was im bürgerlichen Umfeld des Ortes als wohlhabend, amüsant, angenehm und höflich zu verstehen ist. Kay bringt noch einen weiteren Aspekt ins Spiel: Harvey verhalte sich seinem Alter gemäß, was sie, Freud zitierend, folgendermaßen formuliert: »when we reach a certain age, sex becomes incongruos. I think Harvey understands that«. Das leuchtend rote Kleid, das ihre Mutter für den Abend wählt, kündigt hingegen Carys Bedürfnis nach Leben, Liebe und Sexualität an. Aus eben diesem Grunde betrachtet ihr Sohn Ned (William Reynolds) das Kleid mit der Sorge, es könne Harvey Angst einjagen. So wird deutlich, dass Harvey von den Kindern als der standesgemäße Partner angesehen wird und die Aufgabe der Mutter darin besteht, die Klasse des verstorbenen Mannes weiterhin zu repräsentieren. Mit Harvey kann die ›dominante Fiktion‹ aufrechterhalten werden, was in diesem Falle für Cary bedeutet, nicht zu begehren, sondern ihre Domestiziertheit zu leben und zur Schau zu stellen. Die visuelle Inszenierung betont jedoch einen anderen Aspekt: Das Haus wirkt insgesamt kühl und leblos.181 Und das Verhältnis der Personen zueinander wird durch Spiegelungen und den Gebrauch von Totalen, bzw. Halbtotalen als extrem distanziert beschrieben. Diese beiden Eingangsszenen entwickeln den Konflikt: Cary ist in einer Gesellschaft gefangen, deren Vorstellungen über Gender, Sexualität und Klasse einengend und unterdrückend sind.182 Die Alternative zu dieser Welt ist Ron Kirby. Seine Männlichkeit entfaltet sich auf der Folie des örtlichen gesellschaftlichen Lebens der oberen Mittelschicht. Ron gehört als Gärtner nicht zu dieser white collar world, an der er auch kein Interesse hat. Er teilt ihre Werte und kulturellen Normen nicht, deren Hauptzweck darin bestehen zu scheint, Genderund Klassenschranken zu reproduzieren. Eine gute berufliche Stellung, die Ansehen verspricht, Geld, Sicherheit und Mitgliedschaft im exklusi-

dead husband along with his other possessions […] of course that doesn’t happen anymore«. Ihre Mutter antwortet darauf entlarvend, »Doesn’t it? Well perhaps not in Egypt.« 181 Die Leblosigkeit des Hauses, die das Haus als Begräbnisstätte erscheinen lässt, wird auch durch die Einrichtung hervorgerufen. Auf dem Kaminsims im repräsentativen Wohnzimmer befinden sich verschiedene Pokale des verstorbenen Mannes, die an Urnen erinnern. 182 Das Tragen des roten Kleides kann als Zeichen des Protestes verstanden werden. Die folgende Szene im Country Club zeigt das Ungewöhnliche dieses Verhaltens, Cary wird von der Klatschbase des Ortes direkt auf ihre Kleiderwahl angesprochen, »There is nothing like red for attracting attention I suppose that’s why so few widows wear it. They’d have to be careful.« 146

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ven Country Club sind für Ron unwichtig. Er folgt analog zu Riesman einer inneren Steuerung, was in seinem Fall bedeutet, in der Natur zu leben und Bäume zu züchten. Die Unabhängigkeit Rons wird durch einen intermedialen Verweis auf Henry David Thoreaus autobiografisches Buch Walden untermauert.183 Thoreau, der 1849 in Resistance to Civil Government die Idee des zivilen Ungehorsams formulierte, hatte sich zuvor 1845-47 in die Natur Neu Englands an den Walden Pond zurückgezogen und dort ein Leben gemäß der Emersonschen Ideale in enger Beziehung mit der Natur und dem Mut zur Selbstbestimmung gelebt. Seine Eindrücke, Ideen und Beobachtungen hielt er in jenem 1854 als Walden publizierten Buch fest. Höchste moralische Autorität war nach seinem Entwurf das individuelle Gewissen, nicht politische oder staatliche Autoritäten. Das Leben in der Natur, die Abkehr von der zivilisierten Welt und ihren künstlichen Bedürfnissen der Warenwelt, sollte zur spirituellen Selbsterneuerung des Menschen führen – das auf Äußerlichkeiten gerichtete Wertesystem ad absurdum geführt werden. Diesen alternativen Lebensentwurf, ein Leben unabhängig von der auf Äußerlichkeiten bedachten Gesellschaft, bietet Ron Cary an. Ron ist damit wie Roark in THE FOUNTAINHEAD eindeutig als inner-directed markiert. Die Inszenierung erzählt dies über den Raum: Ron wird häufig im Freien gezeigt, Cary hingegen meist in ihrem einem Mausoleum ähnlichen Haus. Der Moment, der die Eingeschlossenheit von Cary in diesem ›Mausoleum‹ am deutlichsten unterstreicht, spielt an Weihnachten. Cary, die alleine zuhause ist, schaut traurig den fröhlich im Schnee spielenden Kindern zu. Die Kamera wählt dabei eine Perspektive von außen durch das zugefrorene Fenster, sodass das Eingesperrtsein Carys offensichtlich wird. Ihre geistige Gefangenschaft in dieser Gesellschaft wird durch das Fernsehen symbolisiert, das ihr Sohn ihr zu Weihnachten schenkt. Während der Verkäufer ihr erklärt, dass sie »drama, comedy, life’s parade at your fingertips« hat, sieht man ihr Spiegelbild auf dem leeren Fernsehbildschirm und damit die Leere ihres Lebens. Die solcherart vorgebrachte Kritik am Massenkonsum der other-directed Gesellschaft wird außerdem pointiert vorgeführt, indem die bürgerliche Mittelschicht meist im snobistischen Country Club gezeigt wird. Ron hingegen lebt einsam auf dem Land, wo er eine aufgegebene Mühle wieder aufbaut. Explizit wird auf die Besonderheit Rons in einem Gespräch mit dem befreundeten Paar Mick (Charles Drake) und Alida (Virginia Grey) hingewiesen. Bei einem Besuch dort sieht Cary Walden 183 Thoreau: Walden. Die Taschenbuchausgabe von 1954 warb um das Buch mit »Return to Nature: An American Classic.« 147

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und liest den zentralen Passus laut vor: »The mass of men leads lives of quiet desperation. Why should we be in such desperate haste to succeed? If a man does not keep pace with his companions, perhaps it is because he hears a different drummer. Let him step to the music which he hears, however measured far away.« 184 Während Walden die Bibel Micks’ ist, hat Ron das Buch nie gelesen, er lebt es vielmehr. Für Mick, der das rat race aufgegeben hat, ist Ron zum großen Vorbild und Lehrer geworden, wie er auch zum Lehrer für Cary werden wird.185 In ALL THAT HEAVEN ALLOWS wird die Gleichung selbstbestimmt = männlich, die bei Riesman und im soziologischen Diskurs mitschwingt, explizit aufgestellt. In einem Gespräch, in dem Ron Cary ermutigt, trotz des sozialen Drucks zu ihrer Liebe zu stehen, nennt er Mick als Beispiel: »Mick discovered for himself that he had to make his own decisions. That he had to be a man!« Darauf antwortet Cary: »And you want me to be a man?« Ron: »Only in that one way.« Am Ende des Filmes gelingt es Cary tatsächlich auf ihre innere Stimme zu hören und sie kehrt zu Ron zurück. Sie erkennt, dass sie nur glücklich sein wird, wenn sie frei von Angst ist: »I feel like such a coward. […] I let others make my decisions«. 186 Am Ende kann sie sich dem gesellschaftlichen Druck, der Gleichschaltung, der other-direction entziehen und selbständig handeln.187 Folgt man der Logik innerdirection = männlich, ist Cary in dieser Hinsicht vermännlicht. Neben seiner Unabhängigkeit ist das zweite Ron charakterisierende Merkmal seine Fürsorglichkeit und Verletzbarkeit. Insbesondere in jener Szene, als er Cary einen Heiratsantrag macht, wird die fürsorgliche Seite seiner Persönlichkeit hervorgehoben: Um mit ihr zu leben, baut er die verfallene Mühle aus, er baut also ein gemeinsames Zuhause auf. Ron repariert das kaputte Wedgewood-Kännchen in mühevoller Kleinarbeit

184 Im Vorwort der Taschenbuchausgabe von 1954 heißt es, dass Thoreau zur gegenwärtigen Zeit besonders wichtig sei: »When his phrase the mass of men leads lives of quiet desperation – is particularly applicable.« Ebd. 185 Der Begriff ›rat race‹ war in den 50ern sehr geläufig. Er bezeichnet die berufliche Tretmühle und den Wunsch vorwärtszukommen gleichermaßen. 186 Hier findet sich eine interessante Parallele zu THE FOUNTAINHEAD. Auch Roark wollte, dass seine spätere Frau ihre Angst verlöre und unabhängig leben würde. Beide Männer nehmen gegenüber ihren Frauen eine Vorbildfunktion ein. 187 Ron hatte auf diese Wandlung gehofft. Als Mick ihm vorschlägt, Cary anzurufen und zur Rückkehr zu überreden, lehnt er mit »she does have to make up her own mind« ab. 148

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nur, weil sie so gerne Wedgewood mag (Später wird sie es, als Symbol ihrer zerbrechlichen Liebe, versehentlich vom Tisch werfen). Bei ihrem Besuch in seiner Mühle kümmert er sich um sie, zieht ihr die Schuhe aus... Als sie ihm viel später mitteilt, dass sie ihn nicht heiraten kann, setzt er sich und beginnt zu weinen. All diese Verhaltensformen sind traditionell weiblich konnotiert. In diesem Sinne ist Ron effeminiert. Darüber hinaus ist es im Film der Nachkriegszeit eigentlich die Aufgabe der Frauen, durch Liebe ein Zuhause zu erschaffen, und es ist der Mann, der nach Hause zurückkehrt (vgl. dazu Kap.3.1). Die gängigen Vorstellungen von Mann- und Frausein werden demnach in Frage gestellt. Damit die Geschlechter trotzdem intellegibel bleiben, bedarf es zum Happy End einiger Anstrengungen. Zum Schluss kehrt Cary zu Ron zurück. Sie kommt in das von Ron gebaute Haus und erkennt erst in diesem Moment die Schönheit und Liebe, die in dem Haus stecken. Das Filmende ist überraschend und hat im Sinne eines stringenten Plots dramaturgische Schwächen. Plötzlich gelingt es Cary, die an starken anhaltenden Kopfschmerzen erkrankt war, ein Zeichen für ihr Leiden an einer sie einschränkenden und bevormundenden Umgebung, allen gesellschaftlichen Konventionen zum Trotz, zu ihrer Liebe zu stehen. Ron liegt bei Carys Rückkehr krank im Bett, er benötigt Ruhe und Pflege, die Cray ihm angedeihen lässt.188 Damit wird sie eher zu einer Mutter-Krankenschwester als zu einer Geliebten. Ihre Weiblichkeit wird nicht durch Sexualität, sondern durch Mütterlichkeit betont. Die Kritik, die der Film bis dato an der Unterdrückung der Frau formuliert hat, wird durch diesen Schluss also konterkariert. »How can a mother of grown children overcome the taboo against her continued sexual activity in civilised society, when the object of her desire is reduced to child-like dependence on her ministrations?«189 Der Schluss ist ambivalent. Rons Verhalten bietet Anlass für unterschiedliche Lesarten. Auf der einen Seite zeigt der Film Ron als die Personifizierung des starken, unabhängigen, gleichwohl gefühlsbetonten Mannes. Auf der anderen Seite wird das Ideal dieses ›Helden‹ durch seine Verletzung gebrochen, die ihn in eine abhängige Position bringt.190 Ron ist auf Hilfe angewiesen und erfährt nicht wie Roark in THE

188 Als ihn Cary am Tag zuvor besuchen wollte (zu ihm zurückkehren wollte), war er draußen auf der Jagd – und in seiner Freude, sie zu sehen – an einem verschneiten Abhang abgestürzt. 189 Vgl. dazu auch Laura Mulvey (1977/78): »Notes on Sirk & Melodrama«, in: Movie 25, S. 53-56, insbesondere S. 56. 190 Es ist zu überlegen, inwieweit diese Sichtweise nicht eher das dominante Verständnis von Männlichkeit entlarvt, nach dem Männlichkeit ›ganz‹, das heißt gesund sein muss, vgl. THE MEN. 149

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FOUNTAINHEAD die Apotheose des Führers. Analog zu Cary ist auch Ron zum Schluss entsexualisiert und nicht mehr der begehrende Mann. Hätte sich ALL THAT HEAVEN ALLOWS konsequent an das Buch von Thoreau angelehnt, hätte Ron ein Single bleiben müssen. Die Gewalt, mit der der Film zur Paarbildung drängt, verweist auf die Unstimmigkeit zwischen dem Ideal des ›different drummer‹ und der gelebten Wirklichkeit sowie auf die Wichtigkeit, die dieses Thema in den 50er Jahren einnahm. Eine mögliche Lesart des Films erwächst entlang einer normativen Vorstellung von Geschlechterbeziehungen: Die Figur Ron Kirby verkörpert Stabilität und traditionelle Werte, und am Ende des Filmes findet das Paar glücklich zueinander. Ein solches Verständnis wird durch den Star Rock Hudson unterstützt. Hudson war seit MAGNIFICENT OBSESSION äußerst erfolgreich und wurde aufgrund seines sanften Blickes und seiner Körpergröße als begehrenswerter, verantwortungsbewusster und romantischer Mann angesehen.191 In diesem Sinne liest sich z.B. ein Leserbrief in der Saturday Review: »I wouldn’t always approve of a woman of forty marrying a man a good ten years younger, but it’s plain as the nose on your face that Rock Hudson would never go for the usual flibbertygibberty blonde young thing who is only out to have a good time and spend a man’s money. He would want peace and companionship.«192

Möglich wäre es in einer zweiten Lesart, das Hauptaugenmerk auf Cary zu richten und ihren Ausbruch aus der einengenden Gesellschaft zu feiern. Mit dieser Perspektive kann man dem Film durchaus subversives Potential zugestehen.193 Und eine dritte Betrachtungsweise des Films sollte sich auf Ron konzentrieren.

191 Barbara Klinger (1994): Melodrama & Meaning. History, Culture and the Films of Douglas Sirk. Bloomington, IN, S. 104. 192 Hollis Alpert: (Letter to the Editor), in: Saturday Review 3.12.1955, ALL THAT HEAVEN ALLOWS Production File, AMPAS. 193 Auch wenn in der Rezeption darüber Einigkeit herrschte, dass der Film von Universal produziert worden war, um an den Erfolg von MAGNIFICENT OBSESSION anzuknüpfen und er folgerichtig als rührender Frauenfilm angenommen wurde, wurde doch auch die Kritik an Kleinstadt-Amerika gesehen. So z.B. Philip K. Scheurer (1955): »All That Heaven Allows Reunites Wyman, Hudson«, in: Los Angeles Times, 26.12.1955, Jack Moffitt (1955): »All That Heaven Allows Strong Popular Appeal«, in: Hollywood Reporter, 25.10.1955 oder »All That Heaven Allows«, in: Variety, 26.10.1955, alle ALL THAT HEAVEN ALLOWS Production File, AMPAS. 150

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Im Rahmen einer Analyse, deren Fokus auf Gender und insbesondere auf Männlichkeit liegt, muss danach gefragt werden, wie groß die von Ron verkörperte Alternative wirklich ist. Diese Frage ist sowohl in Bezug auf den privaten Bereich, wie auch für sein gesellschaftliches Leben zu stellen. In Blick auf Liebe und Partnerschaft bietet das von Ron verkörperte Modell keine große Alternative: Alle Figuren des Films streben die Ehe als Lebensform an; außergewöhnlich an Ron ist jedoch, dass er jünger als seine zukünftige Frau ist und nicht derselben gesellschaftlichen Schicht angehört. Hinsichtlich des korrekten gesellschaftlichen Verhaltens stellt er im Film jedoch eine Ausnahme dar, weswegen Jack Moffitt seine Gestalt in einer weiteren Besprechung im Hollywood Reporter als »an extremely important man’s picture« bezeichnet.194 Er hat als personifiziertes Thoreausches Ideal eine charakterliche Stärke, die ihn unabhängig von gesellschaftlichen Normen handeln lässt. Dieses Wissen behält er jedoch nicht nur für sich, sondern gibt es an Cary weiter. Da inner-direction in letzter Konsequenz bedeutet, dass es keine Kompromisse gibt, muss Cary ihr Haus und bisheriges Leben aufgeben und ihren Lebensstil ändern, nicht er. Allerdings ist Ron ein dezidiert sensibler Mann und sein Verhalten muss in diesem Sinn als Herausforderung an traditionelle Männlichkeitsvorstellungen verstanden werden (vgl. dazu auch Kap. 4.3). Die Unterschiede hinsichtlich Gender zwischen den gegenübergestellten Gruppen, den unbeschwerten Freunden Rons, die auf dem Land leben, und der snobistischen Stadtbevölkerung auf der anderen Seite, sind demnach eher gradueller als absoluter Natur. So ist Rons Männlichkeit trotz seiner Sensibilität, rückwärts gewandt. Sie hängt dem Walden-Ideal des 19. Jahrhunderts an. Das mag hinsichtlich liberalen Gedankenguts, Naturverbundenheit und dem Durchbrechen von Klassenschranken durchaus attraktiv sein, bezüglich der Beziehung zwischen den Geschlechtern aber trägt sie nur wenig Neues in sich. 194 Denn während in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das männliche Ideal der Mann gewesen sei, der in seinem Leben etwas erreicht habe, habe sich diese Haltung durch die Zentralisierung des privaten und öffentlichen Lebens in der Nachkriegszeit und durch die Teilnahme vieler Männer am Zweiten Weltkrieg verändert. Der nun stattfindende Paradigmenwechsel (»gather ye pleasures while ye may«) werde von Rock Hudson perfekt verkörpert. »He represents the dream of many of today’s men. He is a sort of modern Rousseau, without Rousseau’s weekness, for unlike his 18th century model he can love humanity and still like human beings. There is a danger of course in his philosophy for the more good men relax, the greater the invitation for bad men to become pushing. But it is a prevalent philosophy and the movies do well to give it consideration.« Jack Moffitt (1955): »Talking Shop«, in: Hollywood Reporter, 27.10.1955, ALL THAT HEAVEN ALLOWS Production File, AMPAS. 151

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3.2.4 Fazit Die Protagonisten aller drei Filme sind aus einfachen Verhältnissen kommende Männer. Sie unterscheiden sich jedoch darin, dass Roark im Unterschied zu den beiden anderen als herausragender Mensch inszeniert wird. Der Film verbindet also Genialität mit Männlichkeit, körperliche mit geistiger Stärke und Potenz mit Begehrt-Werden. Und er konstituiert in der Person des Howard Roark einen intellektuellen ›Macho‹, der seinesgleichen sucht. Im Gegensatz dazu sind die Protagonisten von SANDS OF IWO JIMA und ALL THAT HEAVEN ALLOWS normale Männer. Beide sind einfach, gerade und bodenständig. Die entscheidende Übereinstimmung liegt jedoch in dem Spannungsfeld Individuum – feindliche Umgebung. Alle drei Protagonisten sind Einzelgänger und folgen ihrem inneren Antrieb, gemäß dem zeitgenössischen Diskurses können sie als inner-directed bezeichnet werden. Alle Filme suggerieren, dass diese Männlichkeit der Gesellschaft vorgängig, gleichsam natürlich ist. Unterstrichen wird dies durch die Wahl der Schauspieler, insbesondere durch Gary Cooper und John Wayne. Ein performatives Geschlechterverständnis demaskiert diese Naturalisierung jedoch als Illusion. Auf die Tatsache, dass keine dieser Männlichkeiten ›natürlich‹ ist, verweist SANDS OF IWO JIMA mit der Figur Conway am deutlichsten. In einem politisch extrem konservativen Diskurs wird die selbstbestimmte Männlichkeit mit Belangen der Nation verknüpft. Da sie nötig ist, um die Nation nach innen und nach außen zu schützen, muss sie mit Härte verbunden werden; die Familie spielt dafür überhaupt keine Rolle, wie THE FOUNTAINHEAD suggeriert. Der Protagonist bedarf ihrer nicht, um ein heldenhafter Führer zu sein. Die Frau hingegen wird von der Figur einer femme fatale in die häusliche Sphäre zurückgedrängt und so ihrer verführerischen Bedrohlichkeit beraubt. Im konservativ gemäßigteren SANDS OF IWO JIMA wird zwar ebenfalls eine ›harte‹, wehrbereite Männlichkeit und eine Führungspersönlichkeit propagiert, die insbesondere im Kontext des Kalten Krieges vonnöten schien. Aber gleichzeitig weist der Film ausdrücklich auf die Bedeutung der Familie und Vaterschaft hin. ›Harte‹ Männlichkeit ist demgemäß ein tragendes Charakteristikum einer wehrbereiten Nation.195 Das heißt aber nicht, dass die selbstbestimmte Männlichkeit notwendigerweise ›hart‹ sein muss. Das Gegenteil beweist der einige Jahre 195 Die Begriffe ›harte‹ und ›weiche‹ entlehne ich Cohan. Als ›harte‹ Männlichkeit bezeichnet er die Männlichkeit, die von Nöten ist, um das Land zu verteidigen, also um Krieg zu führen. ›Weiche‹ Männlichkeit ist hingegen erforderlich, um ein verantwortungsvolles Leben zuhause zu führen. Cohan: Masked Men, S. xii. 152

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später entstandene ALL THAT HEAVEN ALLOWS. In einem sozialkritischen Diskurs verankert, kann sie auch ›weich‹ sein. Dass die Verkettung von inner-direction mit weiblich konnotierten Merkmalen jedoch nicht ganz unproblematisch ist, hat das Ende von ALL THAT HEAVEN ALLOWS bewiesen. Denn hier wurde offensichtlich, dass diverse dramaturgische Anstrengungen unternommen werden mussten, um eine intelligible Geschlechtsidentität zu etablieren. Es wird deutlich, dass der Film in einem anderen historischen Kontext gedreht wurde: Zehn Jahre nach Kriegsende existierten etliche Männlichkeitsentwürfe, die einem ›different drummer‹ folgten (vgl. Kapitel 4). Marlon Brando, Montgomery Clift und James Dean verkörperten z.B. eine Männlichkeit, die durch psychische Spannungen gekennzeichnet war. Sie waren wahlweise gefühlsbetont und gewaltbereit und hinterfragten ihre eigene Identität wie die der gesellschaftlichen Konventionen gleichermaßen.196 Betrachtet man Rock Hudson und den von ihm dargestellten Ron Kirby vor diesem Hintergrund, bleibt festzuhalten, dass er eine ›normale‹ Männlichkeit darstellt. Hudson/Kirby garantierte also trotz der ›weichen Abweichung‹ eine traditionelle Männlichkeit, die sich, im Gegensatz zu THE FOUNTAINHEAD, direkt auf das 19. Jahrhundert, nämlich auf das Waldensche Ideal berief.197 Auch das Riesmansche Ideal der selbstbestimmten Männlichkeit ist im 19. Jahrhundert begründet. Somit fußen beide in anachronistisch gewordenen Idealen, die verklärt werden. Allerdings weist Walden auch schon in die Zukunft. In den 60er Jahren wurde das Buch zu einem wichtigen Text der Gegenkultur.

3.3 Verantwortung übernehmen – D a s b ü r g e r l i c h e M o d e l l : » M e n o r M i c e « 198 Eines der US-amerikanischen Kriegsziele des Zweiten Weltkrieges war bekanntlich der Kampf für Freiheit und Demokratie. Konkret nachvollziehbar wurden diese abstrakten Werte, wie SANDS OF IWO JIMA (Kap.3.2.2) gezeigt hat, durch die zuhause gebliebenen Familien der 196 Dyer: Heavenly Bodies. S. 13. Klinger: Melodrama & Meaning, S. 104ff. Cohan: Masked Men, S. 201ff. 197 Dass dieses Waldensche Ideal den Regierenden nicht geheuer war, zeigt sich daran, dass Walden im Zuge des McCarthyism 1954 auf die Liste der als sozialistisch eingestuften, und somit gefährlichen Literatur gesetzt wurde und nicht länger in den Überseebibliotheken des United States Information Services (USIS) stehen durfte. 198 Aus: Ernest Havemann (1955): »To love, honour, obey … and study«, in: LIFE, 23.5.1955, S. 152-166, S.166. 153

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Männer, für welche sie ihr Leben aufs Spiel setzten. Gleichzeitig benannte SANDS OF IWO JIMA eine wichtige männliche Identität der Nachkriegszeit: Vaterschaft. Der Wert der Familie und damit einhergehend die männlichen Aufgaben vor allem als Ehemann, Vater und Versorger hatten bereits in der patriotischen Rhetorik des Zweiten Weltkrieges eine bedeutende Rolle gespielt, wie kommerzielle Werbung und Kriegspropaganda gleichermaßen beweisen.199 In den im Herbst 1943 im amerikanischen Kongress geführten Diskussionen um die Einberufung in die Armee war z.B. explizit über die Frage gestritten worden, ob Väter eingezogen werden dürften. Die Frage wurde zwar positiv beschieden, da ansonsten zuviel manpower verloren ginge, aber realiter wurden Väter wesentlich seltener einberufen als unverheiratete Männer.200 Kritiker der Einberufung von Ehemännern fürchteten, dass Jungen ohne Väter entweder kriminell oder schwul würden, oder wie z.B. Senator Burton Wheeler sagte, dass mit der Einberufung der Väter die Nation im Inneren nicht abwehrbereit gegen die Gefahren des Totalitarismus sei: »the home is the backbone of a democratic republic, is it not? […] If you destroy the home, you destroy your country, you destroy America.«201 Ähnliche Stimmen wurden wenig später auch im Zuge der Diskussion um die Wiedereingliederung der Veteranen laut. »The strength and stability of any community depends upon the strength and stability of its component units. These units are its families. If in any country family life flourishes and is happy and secure then the country flourishes.«202 Als gesellschaftspolitisches Instrument trug die GI Bill of Rights erheblich dazu bei, die ehemaligen Soldaten als Versorger und Väter in die Gesellschaft zu reintegrieren (Kap. 3.1). Vaterschaft und Familie wurden dementsprechend auch nach dem Krieg als für die Stabilität der Nation immens wichtige Faktoren angesehen: Vaterschaft ermöglichte eine erfolgreiche männliche Identität. Die Aufmerksamkeit, die der Mann nun innerhalb der Familie erfuhr, hatte verschiedene Ursachen. Neben der bereits während des Krieges geführten Diskussion über abwesende Väter spielte die demographische Entwicklung in den 50er Jahren eine wichtige Rolle. Männer und Frauen waren zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit jünger als in den zwei Jahrzehnten zuvor, Frauen heirateten durch199 Vgl. Michel: »American Women« und Griswold: Fatherhood in America, S. 164f. 200 Vgl. John Modell/Duane Steffey (1988): »Waging War and Marriage: Military Service and Family Formation 1940-1950«, in: Journal of Family History 13 (2), S. 195-218. 201 Zit. nach Griswold: Fatherhood in America, S. 170. 202 Kitching: Sex Problems, S. VII. 154

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schnittlich als 20jährige, Männer mit 22 Jahren. Demzufolge konnten die Paare früher Kinder bekommen und größere Familien gründen.203 Den Umfragen des Gallup Instituts zufolge sprachen sich Amerikaner/innen schon 1945 für eine ideale Familiengröße mit vier Kindern aus. 1953 sank die Zahl der Wunschkinder auf drei und blieb auf diesem Level konstant.204 Der Baby Boom begann 1946 und erfuhr seinen Höhepunkt 1957. Die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie belief sich auf 3,7 Kinder; jährlich wurden eine Million mehr Kinder geboren als in den 30er Jahren. Parallel zu den sich verändernden Geburtenzahlen veränderte sich auch der Stellenwert von Vaterschaft. Folgt man den populärwissenschaftlichen Ratgebern, war Vaterschaft nun auch eine Erziehungsaufgabe.205 Eng gekoppelt an die Vaterschaft sah der gesellschaftliche Geschlechterdiskurs die männliche Aufgabe, den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Insbesondere im psychologischen Diskurs wurde die Verbindung von Ehe und dem Ideal des Versorgers als zwingend angesehen. Mit den Zuschreibungen Ehemann, Vater und Versorger ist ein gesellschaftliches Leitmodell der Nachkriegsmännlichkeiten definiert. Dieses Modell hatte in wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Texten gleichermaßen Konjunktur. So schreibt Ernest Havemann in LIFE: »We used to urge our boys to apply themselves, work late at the office, save their money and in general make more of themselves before getting married. A good many young men, unburdened by family, have moved hither and thither, from job to job and area to area, and have thus helped settle the undevelopped 203 Zu Familien und Vaterschaft in der Nachkriegszeit vgl. Michael Kimmel (1996): Manhood in America. A Cultural History. New York. Joseph H. Pleck (1987): »American Fathering in Historical Perspective«, in: Michael Kimmel (Hg.): Changing Men. New Directions in Research on Men and Masculinity. Newbury Park, CA, S. 83-98. Mintz/Kellog (1986): Domestic Revolutions. Peter Filene: Him/Her/Self. Baltimore, MD (Original 1974). Jessica Weiss (1999): »A Drop-In Catering Job: Middle Class Women and Fatherhood, 1950-1980«, in: Journal of Family History 24 (3), S. 374-390 und Dies. (2000): To Have and to Hold. Marriage, the Baby Boom, and Social Change. University of Chicago Press. May: Homeward Bound. 204 George Gallup (1972): The Gallup Poll. Public Opinion 1935-1971. New York. Vol. 1.1. S. 524 und Vol. 1.2. S. 1156. 205 Rachel Ann Elder (1949): »Traditional and Developmental Conceptions of Fatherhood«, in: Marriage and Family Living 11 (3), S. 98-100/106. William M. Cooper (1949): »Education for a Responsible Husbandhood«, in: Marriage and Family Living 12 (3), S. 96-98. Judd Marmor: »Psychological Trends in American Family Relationships«, in: Marriage and Family Living 13 (4), S. 145-147. 155

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industries and sections of the countries. The new generation of young married students seems to have less urge to travel, in any way, shape or form. As one thoughtful father said recently: I don’t know whether I’d be encouraging them to become men or mice.«206

Die Gültigkeit dieses Modells wurde nicht nur in den Printmedien, sondern auch im Radio und im Fernsehen durch Serien wie Father Knows Best (1954-63), Ozzie and Harriet (1952-66) sowie im Kino mit seinen Vor- und Nachteilen diskutiert.207 Ich möchte mich nachfolgend den Filmen THE MARRYING KIND (1952), THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT (1956) und THE MAGNIFICENT SEVEN (1960) zuwenden. THE MARRYING KIND ist eine Komödie, THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT kann als Drama klassifiziert werden. Da beide Filme in einem häuslichen Kontext situiert sind, bieten sie sich an, um sie hinsichtlich Geschlechterbeziehungen und Familienstrukturen zu untersuchen. THE MAGNIFICENT SEVEN hingegen ist ein Western. Aber, wie zu zeigen seien wird, verhandelt auch er mit großer Selbstverständlichkeit den Diskurs der häuslichen Verantwortung und ist gerade deswegen eine ergiebige Quelle für die Frage nach der Ernährer-Ethik. Die Komödie THE MARRYING KIND (1952) zählt nicht zu den romantischen Komödien, für die ein hervorstechendes Merkmal die Umkehrung der Geschlechterpositionen ist,208 sondern sie erinnert eher an die sozialen Satiren der 20er Jahre. Von der PCA wurde THE MARRYING Kind als domestic comedy klassifiziert. THE MARRYING KIND greift die Schlagworte der 50er Jahre maturity (Reife) und togetherness (Zusammengehörigkeit) spielerisch auf und erzählt von den Problemen eines Ehepaares der unteren Mittelschicht.209 Damit nimmt er eine andere Perspektive als THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT ein, der stellvertretend für die dominierende Männlichkeit der mittleren Mittelschicht analysiert wird. Interessanterweise wurde THE

206 Havemann: »To love«, S.166. 207 Zu Ozzie and Harriet vgl. Gilbert: Men in the Middle. Zu den Serien allgemein vgl. Kimmel: Manhood in America, S. 247f. 208 Vgl. Kathleen Rowe (1994): »Comedy, Melodrama and Gender: Theorizing the Genres of Laughter«, in: Henry Jenkins/Kristine Karnick (Hg.): Classical Hollywood Comedy. London/ New York, S. 39-59. Vgl. auch Kap. 4.4. 209 Der Begriff togetherness wurde 1954 von der Zeitschrift McCall’s geprägt. Er meint die Idealvorstellung eines Paares, nämlich die Hochzeit im jungen Alter sowie eine große Familie, um die sich die Aufmerksamkeit des Paares dreht. 156

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MARRYING KIND 1952 jedoch nicht als sonderlich komisch wahrgenommen. Dieser Tatsache wird anschließend nachgegangen. Der Kinofilm THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT (1956) verhandelt das Modell des Versorgers am Beispiel einer weißen Mittelschichtmännlichkeit in mehrfacher Hinsicht. Ein Themenstrang beschäftigt sich mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. In Zentrum des Films steht der Typ des Organization Man, dessen domestizierte Männlichkeit am Filmende bestätigt wird. Ein zweiter Plot fragt nach den Auswirkungen des Krieges auf die Heimgekehrten, was hier am Beispiel einer außerehelichen Affäre in Kriegszeiten konkretisiert wird. Der Film ist deswegen eine dankbare Quelle, da er in der Figur des Tom Rath (Gregory Peck) zwei Perspektiven auf Männlichkeit und Amerika erlaubt. Eine ›innere‹ Perspektive richtet den Blick auf Tom als den Archetyp des Organization-Mannes, der den Druck aushalten muss, den die sich verändernde Gesellschaftsstruktur erzeugt. Dabei werden die in den 50er Jahren als virulent empfundenen Widersprüche, einerseits guter Vater und Versorger, aber gleichzeitig nicht konformistischer Ja-Sager zu sein, überaus deutlich.210 Eine ›äußere‹ Perspektive hingegen lenkt die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang von Nationalität und Gender. Dass THE MAGNIFICENT SEVEN die Frage der Ernährer-Ethik verhandelt und damit in einer für den 30-und-40er-Jahre Western untypische Art auftritt, beweist die Allgegenwärtigkeit des Ideals der Kernfamilie einerseits. Andererseits setzt er diesem Ideal durch die Repräsentation der männlichen Körper, die er als Spektakel inszeniert, eine Alternative entgegen. So ist in den drei nachfolgend besprochenen Filmen der Rückzug an den Thoreauschen Walden Pond, wie er noch im vorhergehenden Kapitel idealisiert wurde, nicht mehr uneingeschränkt positiv möglich. Die bürgerliche Männlichkeit und die eng mit ihr verbundene Familie übernimmt das Zepter.

3.3.1 THE MARRYING KIND (1952) Wie wird/bleibt man ein guter Ehemann, Versorger und Familienvater in Zeiten einer »nervösen Welt«, ohne selbst nervös zu werden?211 Diese

210 Da THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT an anderem Ort bereits ausführlich besprochen worden ist, erfolgt hier nur eine knappe Analyse des Films. Vgl. Cohan: Masked Men, S. 69-77. 211 Beide Protagonist/innen des Films haben das Gefühl in einer ›nervösen Welt‹ zu leben. Selbstverständlich könnte man den Film auch unter dem Aspekt der Weiblichkeit betrachten. Auch unter dieser Perspektive würden die Schwierigkeiten eine gute Ehefrau und Mutter zu sein sichtbar. 157

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Frage wirft die Komödie THE MARRYING KIND von 1952 anhand einer weißen Familie der unteren Mittelschicht auf.212 Der Film beantwortete die Frage jedoch keineswegs mit einem allgemeingültigen Erfolgsrezept. Stattdessen kommt er zu dem Schluss, dass der Erfolg von Ehe und Familie nicht automatisch gegeben, sondern das Ergebnis harter Arbeit ist und passt sich damit in den Diskurs der Eheratgeberliteratur ein. Die Themen, die der Film verhandelt, reichen von der Umstellung eines Junggesellenlebens zum verantwortungsbewussten Familienvater, von der Angst vor finanzieller Not über den Traum vom gesellschaftlichen Aufstieg hin zur Angst vor der Kastration durch die Frau. Erzählt wird der Film in episodenhaften Erinnerungen an einzelne Phasen der Ehe. Ein wichtiges stilistisches Mittel von THE MARRYING KIND ist die Rückblende. Sie hat jedoch eine über die – in die Themenblöcke Ehealltag, Streit, Kinder etc. – gliedernde Funktion hinausgehende Bedeutung: Sie verweist meines Erachtens auf den in den 50er Jahren popularisierten psychologischen Diskurs. Durch die Rückblende werden jener und der Film miteinander verwoben. Die Psychoanalyse verwendet ebenso wie THE MARRYING KIND das Mittel der Heilung durch erneutes ›Durchleben‹. In diesem Sinne ist der Plan der Richterin Carroll (Madge Kennedy) zu verstehen, die das Paar am Ende des ersten Verhandlungstages bittet, ihr ihre gemeinsame Geschichte zu erzählen. Im Laufe der Erzählung erkennen beide, dass sie sich lieben und sich nicht scheiden lassen wollen. Die Erzählstruktur ›Gespräch mit der Richterin‹ – ›Rückblende‹, die mit einer Erzählung von ihm oder ihr aus dem Off eingeleitet wird, bzw. ›Gespräch – Rückblende‹ wird dadurch aufgelockert, dass sie und er die einzelnen Erlebnisse unterschiedlich erinnern. Aufgrund dieser Erzählstruktur sieht man Bilder, die nicht zu dem Erzählten passen.213 Damit wird deutlich, dass weder Florence Keefer (Judy Holliday) noch Chet Keefer (Aldo Ray) Recht haben, dass es eine solch eindeutige Position möglicherweise gar nicht gibt. Gleichzeitig erinnert die Personenkonstellation an eine therapeutische Situation, die Richterin nimmt stellvertretend die Position des Therapeuten ein. Gerade indem der Film den psychologischen Diskurs über die Rückblenden und über Traumsequenzen inszeniert, wird der Prozess der Psychologisierung zum wesentlichen Bestandteil der Aussage.214 212 Produziert von Bert Granet für Columbia Pictures in s/w. Regie: George Cukor. 213 Dieses Verfahren trägt wiederum zur Komik des Films bei. 214 Das Stilmittel der Rückblenden wurde auch in CRACK-UP und im MAN IN THE GRAY FLANELL SUIT angewandt. Insbesondere in CRACK-UP können die Rückblenden ebenfalls psychoanalytisch ge158

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THE MARRYING KIND beginnt mit einer Einstellung auf das New York Court of Domestic Relations,215 in welchem die Scheidung Keefer vs. Keefer verhandelt wird. Die Zentralität, die das Gerichtsgebäude in der ersten Einstellung einnimmt, ist ein Verweis darauf, wie wichtig Ehe und Familie für den Staat sind: »What makes you incompatible?« werden die beiden Scheidungswilligen gefragt. »Because we’re married« antwortet Florence Keefer (Judy Holliday) und damit scheint alles gesagt zu sein. Doch am Ende geht der Plan der Richterin auf, beide kommen überein, einen Neuanfang zu wagen. Nachfolgend möchte ich einige Szenen beschreiben, an der die spannungsgeladene Ernährer-Männlichkeit, bzw. Familienvater-Männlichkeit ersichtlich wird. Ein von Anfang an wichtiges Thema des Films ist die Armut des Paares. Die Keefers können sich weder die Flitterwochen noch die Wohnungseinrichtung erlauben, d.h. eigentlich können sie sich keine Ehe leisten. Denn Chet ist ein einfacher, wenngleich ehrgeiziger Angestellter bei der Post, Florence hingegen ist nicht erwerbstätig. Das Festhalten an dieser Aufteilung: Berufstätigkeit für ihn, Haushalt für sie, wird von Beiden nicht hinterfragt. Chet leidet jedoch stärker an dem unzulänglichen Verdienst – er weiß um seine Aufgabe als Versorger. Nach den von Unsicherheit geprägten Jahren der Depression und des Zweiten Weltkrieges folgte die Mittelschicht in der Nachkriegszeit dem Ideal, das männliche Identität mit Berufstätigkeit, also der Fähigkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen einerseits und der Familie andererseits verband. Eine solche Männlichkeit wurde auch durch wissenschaftliche, insbesondere soziologische und psychologische Diskurse ausgearbeitet.216 In der Zeitschrift Marriage and Family Living beschrieb Rachel Ann Elder die Veränderung der amerikanischen Familien und die damit einhergehende neue Konzeption von Ehemann und Vaterschaft.217 William Cooper bestätigte in derselben Ausgabe, dass Ehemänner wenig über ihre Aufgaben wüssten und dass es zu ihren vordringlichen Aufgaben gehöre, zur finanziellen Sicherheit der Familie beizutragen: »According to present day standards, this is a major order for most men to fill.«218 Chet ist hin-und-hergerissen zwischen dem amerikanischen Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen und der Abnei-

215

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lesen werden. Denn auch hier dienten sie dazu, durch das Wiedererleben der Vergangenheit dieselbe zu verstehen und Heilung zu erfahren. Vgl. Kap. 3.1. Die Einstellung ist mit dem Geschrei eines vor dem Gericht streitenden Ehepaares unterlegt, während aus dem Off der Hochzeitsmarsch erklingt. Ehrenreich: The Hearts of Men, S. 15. Elder: »Traditional and Developmental Conceptions«, S. 98. Cooper: »Education«, S. 96. 159

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gung gegenüber der Oberschicht. Der erste große Konflikt zwischen Florence und Chet tritt auf, als sie zu einer Party bei ihrer Schwester und deren sehr reichem Mann eingeladen sind. Während er dort nicht hin möchte, ist es ein großer Wunsch von ihr, die Einladung anzunehmen. Schließlich gibt Chet nach und begleitet sie. Doch der Besuch steht unter ungünstigen Vorzeichen. Aufgrund einer Panne muss Chet Überstunden bei der Arbeit machen, sodass Florence verärgert ist, dass sie zu spät kommen. Trotz dieser Sorge sind sie die ersten Gäste und so wird klar, dass sie die gesellschaftlichen Spielregeln der High Society nicht beherrschen. Aus Nervosität darüber betrinkt sich Chet, was wiederum dazu führt, dass er ausgiebig flirtet. Er bricht also, durch den Alkohol befreit, aus seiner Position als verantwortungsbewusster Ehemann aus. Die Party wird für das Paar ein Debakel, im Streit gehen sie schlafen. Nachts hat Chet einen Albtraum, der seine Versagensängste deutlich macht: Er träumt, von seinem Bett direkt auf das Paketförderband in der Post gezogen zu werden, und schafft es gerade noch geistesgegenwärtig seine Jacke mitzunehmen. Hilflos krabbelt er auf den Fließbändern umher, bis er wieder festen Boden unter die Füße bekommt. Die Kameraführung betont in dieser Szene seine Hilflosigkeit. Da er nur mit Unterwäsche und Jacket bekleidet ist und aus der Aufsicht krabbelnd gefilmt ist, erinnert er an ein Kleinkind. Er ist vom Mann zum Jungen regrediert. Die Rettung, die der feste Boden verspricht, ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn plötzlich rollen von überall Kügelchen herbei. Chet beginnt wie wild zu fegen, als ihm der Präsident der Vereinigten Staaten angekündigt wird, der eine vorbildliche Post besuchen wolle. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der Präsident jedoch als sein Schwager, der prompt auf den Kügelchen ausrutscht und zu Fall kommt (Abb.6). Der Ruf »shoot him at sunrise!« gellt ihm hinterher, als es ihm gelingt, den Polizisten zu entkommen und das Postgebäude zu verlassen. Doch anstatt Rettung kündigt die Musik schon neues Unheil an. Auf der Straße erwartet ihn seine Frau in dreifacher Ausführung. Während er in Unterwäsche, mit Strumpfbändern und nur einer Jacke bekleidet vor ihr steht und ihr alles erklären will, gibt sie, in einen schwarzen Anzug gekleidet, das Kommando ihn zu erschießen. Auch von der anderen Seite ist der Fluchtweg versperrt, jener Flirt des Abends tanzt lasziv auf ihn zu. Chet ist also gefangen zwischen zwei ihn zerstörenden Frauen. Der Schuss fällt, Chet fällt schreiend zurück.

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Abbildung 6: THE MARRYING KIND (1952)

Florence weckt ihn auf, befreit ihn von seinem Traum und gibt ihm ein Glas Milch.219 Damit wird sie zur heilenden mütterlichen Instanz, die ihm das Angebot macht, sich fallen lassen zu können. Sofort kehren sich die Positionen der beiden aber wieder um. Chet hat nun eine Vision, wie er reich werden könne (Rollschuhe!), Florence kocht ihm Kaffee und lässt ihn ungestört ›entdecken‹, womit die patriarchale Ordnung wieder hergestellt wird. Allerdings ist diese Wiederherstellung in THE MARRYING KIND nur vordergründig. Chet wird mit seiner Zukunftsvorstellung geschäftlich nicht erfolgreich sein und ein späterer Unfall wird ihn zwingen, seine Berufsarbeit vorübergehend aufzugeben. Das Ereignis, das die Beiden endgültig aus der Bahn wirft, ist der Unfalltod ihres ältesten Kindes Joey (Barry Curtis/Christy Olsen). Anschließend ist Chet selbst in einen Unfall verwickelt und muss Monate im Krankenhaus verbringen. Die Bettlägerigkeit und seine spätere Gehbehinderung symbolisieren die Disfunktionalität seiner Männlichkeit. Während dieser Zeit beginnt Florence wieder zu arbeiten. Darüber kommt es zu einer erneuten Auseinandersetzung mit Chet, bei der er schließlich nachgibt. Es scheint, als konzentriere Chet seine Energie seit

219 Zu Milch und Alkohol vgl. Massimo Perinelli/Olaf Stieglitz (2006): »Liquid Laughter. A Gender History of Milk & Alcohol in West German and US Film Comedies«, in: Gender Forum. An Internet Platform for Gender & Women’s Studies. URL: http://www.genderforum.uni-koeln.de/ 161

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dem Tod seines Sohnes darauf, die Kontrolle über seine Frau und Familie wieder zu erlangen, die ihm entglitten ist. Es folgt der nächste Streit, als sie von ihrem ehemaligen Chef die Summe von 1284.65 $ vererbt bekommt und er dahinter eine Affäre vermutet. 220 Als er sich letztlich dazu durchringt, ihr zu erlauben, das Erbe anzunehmen, muss er erfahren, dass sie das Geld bereits abgeholt hat. Somit zeigt sich der Kontrollverlust seiner patriarchalen Position. Seine Entmachtung deutlich vor Augen, will er die Wohnung seiner Gewohnheit entsprechend im Streit fluchtartig verlassen. Allerdings wehrt sich Florence diesmal dagegen und brüllt ihn an »What kind of father are you?« Er antwortet darauf »No kind of father, no kind of husband – no kind of man! Nothing!« worauf sie ihm beipflichtet »You may be right!« Dieser Schlussakkord begründet die Entscheidung des Paares die Scheidung einzureichen. Gleichzeitig benennt er ungeschminkt die Kriterien des Versagens: Er ist weder ein guter Vater noch ein guter Ehemann. Besonders ersteres ist erstaunlich, denn Vater-Sein ist im Film nicht mit konkreten Inhalten aufgefüllt. So scheint es, als kennzeichne einen Vater weniger sein Einsatz in der Erziehung der Kinder, als die einfache Tatsache, Kinder gezeugt zu haben.221 Gemäß der narrativen Struktur, die durch die Rückblenden vorgegeben ist, gibt es zwar einen Block, in welchem es um das Familienleben geht, aber in diesem wird deutlich, wie unterschiedlich sie und er die Familie wahrgenommen haben. Während sie viele schöne Erinnerungen hat, spricht Chet von der Belastung, finanziell für die Familie sorgen zu müssen. Chet erlebt die Aufgabe, Versorger, guter Ehemann und Vater sein zu müssen, als Herausforderung, der er nicht gewachsen ist, wodurch die Krise ausgelöst wird.

Komödie – Drama? Interessanterweise waren die Kritiken uneinig darüber, als was für ein Genre THE MARRYING KIND einzustufen sei. So titelten die Hollywood Citizen-News mit »Marrying Kind Excellent Drama with Comedy Touches«, und Variety schrieb »a domestic comedy-drama, with the emphasis on drama….«222 Nur einige wenige Kritiken betonten den komödiantischen Effekt, wie z.B. die Zeitschrift Newsweek, »a domestic comedy-drama (lower income division) with plenty of drama but with 220 Für Florence ist Chets Verhalten nicht nachvollziehbar. Sie freut sich über das Geld, das die Familie gut gebrauchen kann. 221 Eine Parallele dazu findet sich in THE MAN IN THE GRAY FLANELL SUIT. 222 »Marrying Kind excellent Drama with Comedy Touches«, in: Hollywood Citizen-News 1.12.1952 und »The Marrying Kind«, in: Variety 3.12.1952. The Marrying Kind Production File, AMPAS. 162

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the odds still in favor of comedy content«.223 Der Film wurde von dem Gros der Kritiken nicht als Komödie verstanden. Er schien zu nahe an der gelebten Wirklichkeit zu liegen. So tendierten die Kritiken überwiegend dazu, die im Film gezeigten Probleme als dem Durchschnittsmenschen bekannte aufzufassen, die auch authentisch repräsentiert wurden. In der Zeitschrift Boxoffice wurde er sogar als »a sincere marital study with Blondie-Dagwood undertones« beschrieben.224 Die Filmkomödie definiert sich in Abgrenzung dazu jedoch als nicht zu ›ernste‹ Unterhaltung, zumindest wird sie solcher Art von der Filmindustrie vermarktet.225 Die existierenden Theorien zur Komödie sind vielfältig und können an diesem Ort nicht ausgebreitet werden. Ich möchte hier mit Geoff vom kleinsten gemeinsamen Nenner unterschiedlicher Definitionen ausgehen: »That comedy tends to involve departures of a particular kind – or particular kinds – from what are considered to be the ›normal‹ routines of life of the social group in question. In order to be marked out as comic, the events represented – or the mode of representation – tend to be different in characteristic ways from what is usually expected in the non-comic world.«226

THE MARRYING KIND erfüllt diese beiden Voraussetzungen kaum. Mögliche Stilmittel, wie Übertreibung oder Entfremdung von der vertrauten Welt werden weder inhaltlich noch formal ausgeschöpft. Das in Komödien oftmals eingesetzte Spiel mit Gender wie z.B. der maskulinisierten Frau, ist in THE MARRYING KIND kein dominantes Thema, sieht man einmal von der Traumsequenz ab. Die befreiende Abkehr von der Norm, die das subversive Potential von Komödien ausmachen kann und damit auf eine bessere Welt hoffen lässt, zeigt der Film nicht. Deswegen muss gefragt werden: »welche Performanz in welchen Kontexten zwingt uns, erneut die […] Stabilität von Männlichkeit und Weiblichkeit zu betrachten?«227 Die zeitgenössische Wahrnehmung des nicht als ko-

223 »The Marrying Kind«, in: Newsweek 21.3.1952. The Marrying Kind Production File, AMPAS. 224 »The Marrying Kind«, in: Boxoffice 15.3.1952. The Marrying Kind Production File, AMPAS. 225 Zur Filmkomödie vgl. Steve Neale (2000): Genre and Hollywood. London/New York, S. 65-71 Sowie Geoff King (2002): Film Comedy. London/New York. Diese Haltung hat auch Auswirkungen auf den akademischen Bereich, der sich der Komödie weit weniger zugewandt hat, als so genannten ›ernsthaften‹ Genres wie z.B. dem Film Noir. Ähnliches gilt für die akademische Rezeption von Musicals. Vgl. Kap. 4.4.2. 226 Geoff: Film Comedy, S. 5. 227 Butler: Unbehagen, S. 204. 163

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misch wahrgenommenen Films THE MARRYING KIND weist deutlich auf die Fragilität von Geschlechtsidentitäten hin. Denn die Inkongruenz zwischen dem normativen Männlichkeitsentwurf des Ernährers und Familienvaters und dem hier inszenierten Modell wurde in der Rezeption als tragisch, nicht aber als komisch empfunden. In der Komödie werden bestimmte Aspekte der Lebenswirklichkeit dem Gelächter preisgegeben. Folgt man dem Konzept der ›Komik der Herabsetzung‹, kann das Publikum anhand des herabgesetzten ›Helden‹ gesellschaftliche Normen in Frage stellen und verlachen.228 Das Verlachen von Chets herabgesetzter Männlichkeit hat bei THE MARRYING KIND meines Erachtens deswegen nicht funktioniert, da Chets Anstrengungen, der normativen Geschlechtsidentität der Mittelschicht zu entsprechen, scheitern. Damit zeigt der Film auf, wie unrealistisch diese Erwartungen möglicherweise sind und rückt zu nahe an die Vorstellung überforderter Männlichkeit, wie sie z.B. von Helen Hacker beschrieben wurde. »The ideal man is considered by men as being, among other things, a good provider, the ultimate source of knowledge and authority, and strong in character so that he may give a feeling of security, not only financially but emotionally, to his wife and children, and it was evident from their further responses that the respondents found themselves deficient in meeting these demands.«229

Im Zentrum der romantischen Komödien in den 30er und 40er-Jahren hatte oftmals eine starke, unabhängige Frau gestanden, welche den männlichen Protagonisten zum Handeln motivierte. Dieser Plot veränderte sich in der Nachkriegszeit, da die unabhängige Frau als zu gefährlich erschien.230 Stattdessen betrat die ›dumme Blondine‹,231 also die Sexbombe die Leinwand und sorgte für große Lacherfolge. Die Macht der unabhängigen Frau des vorherigen Jahrzehnts wurde so auf ihre sexuelle Verführungskraft eingeschränkt. Judy Holliday hatte für ihre Rolle als ›dumme Blondine‹ in BORN YESTERDAY (1950) einen Oskar erhalten. BORN YESTERDAY ist ein Film, der den Übergang von der starken Heldin der 40er Jahre zur domestizierten der 50er Jahre erzählt. THE MARRYING KIND, der von demselben Team produziert wurde, wurde in der Presse zum überwiegenden Teil als Vehikel verstanden, um 228 Bernhard Greiner (1992): Die Komödie, eine theatralische Sendung: Grundlagen und Interpretationen. Tübingen, S. 97. 229 Helen Hacker (1957): »The New Burdens of Masculinity«, in: Marriage and Family Living 19 (3), S. 227-233, S. 277 230 Vgl. Kathleen Rowe (1995): The Unruly Woman. Gender and the Genres of Laughter. Austin, TX, S. 193. 231 Im Amerikanischen wird von der »dumb blonde« gesprochen. 164

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Holliday aus diesem Rollentypus der ›Blondine‹ zu befreien. Damit beraubte sich der Film eines als sehr witzig antizipierten Plots. Weder zeigte er in Florence die unabhängige Frau noch die ›dumme Blondine‹, sondern eine Mischung aus beidem. Ähnliches gilt für Chet: Auch er ist weder der trottelige, passive, feminisierte Mann der 30er und 40er Jahre noch gelingt es ihm die patriarchale Ordnung wiederherzustellen. Geworben wurde um den Film mit »He wasn’t the marrying kind – until he met Judy Holliday« und »She was only a Postman’s Holliday. But she knew all about the male«. Die Werbestrategie betont einerseits das Star Vehikel Judy Holliday. Andererseits rückt sie den Mann, der eigentlich nicht heiraten wollte und nun mit den Widrigkeiten des Alltags zu kämpfen hatte, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Relevanz und die Schwierigkeiten, die der Versorger und Familienvater in ›nervösen‹ Zeiten hatte, werden dadurch miteinander verknüpft.

3.3.2 THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT (1956) »Don’t let anything get in the way of spending time with your family!«232

THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT wurde als ernsthafter, sozialkritischer Film ähnlich dem 10 Jahre zuvor produzierten THE BEST YEARS OF OUR LIVES beworben: »Like that film, it is filled with disturbing and thought provoking social comment (though with no political propaganda) and its situation will come close to home to almost every person in the audience [...] In its larger sense, the film shows America [...] standing at the moment of crisis where all great organizations have stood at their climax. Has it become so organized that only the professional yes-men, the courtiers and the unprincipled robots can happily adapt themselves to it? [...] The film concludes that human decency is more important than success in this era when either has been difficult to maintain.«233

Diese Filmkritik ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Zunächst geht sie, ähnlich wie die Rezeption von THE MARRYING KIND, davon aus, dass die im Film gezeigte Geschichte den Menschen vertraut ist. Das heißt, sie wird als eine Art amerikanische Standardfamilienbiographie verhandelt: Vorstadtleben und Büroarbeit des Vaters auf der einen Seite, 232 Zitat aus THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT. 233 Besprechung im Hollywood Reporter vom 30. März 1956 von Jack Moffitt. Der Hollywood Reporter ist ein guter Indikator dafür, wie die Studios ihre Filme verstanden wissen wollten. Zit. nach Cohan: Masked Men, S. 71f. 165

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und nicht überwundene Kriegserfahrungen, die das Eheleben beeinträchtigen, auf der anderen Seite.234 Zudem beschreibt sie die USA als in einer Krisensituation befindlich; einer Krisensituation, die daher rührt, dass das ganze Land als allgewaltige Organisation wahrgenommen wird, sodass dem Einzelnen nur konformistisches Verhalten bleibt. In diesem Zusammenhang ist drittens der Gender-Aspekt der Besprechung aufschlussreich. Denn wie bereits gezeigt worden ist, war konformistisches, fremdbestimmtes Verhalten weiblich konnotiert. Die Krise, in der sich die USA nach Auffassung des Autors befinden, ist demnach eine Gender Krise, denn in THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT ist es das Leben des Protagonisten Tom Rath, das in Unordnung geraten ist. Der Film bedient sich zahlreicher Rückblenden, um die subjektive Sichtweise Toms zu vermitteln und gleichzeitig zu erklären, woher die Schwierigkeiten des Ehepaares Rath rühren. Toms Alltag wird immer noch von Kriegserinnerungen beherrscht. Er leidet an seinen Erinnerungen an das brutale Töten. Er weiß aber auch um die menschliche Wärme und Liebe im Krieg, da er in Italien eine außereheliche Affäre mit einer Italienerin gehabt hatte, aus der ein Kind hervorgegangen ist – eine Tatsache, die er seiner Frau allerdings verheimlicht. Der Krieg wird durch diese sehr früh im Film gezeigte Rückblende als Zeit emotionaler Intensität dargestellt, im Guten wie im Schlechten. Gleichzeitig straft die außereheliche Affäre den Mythos des zufriedenen Familienvaters und Ernährers, der seine sexuellen Bedürfnisse nur innerhalb der Ehe befriedigt, Lüge. Auch wenn der Film die Affäre in der Ausnahmesituation des Krieges stattfinden lässt, und sie damit in gewisser Weise rechtfertigt, ist die Erwähnung (außer)ehelicher Sexualität durchaus bemerkenswert, da sie zeitgenössische Diskurse bekräftigt. Denn zum einen greift das Thema des Seitensprungs die Kriegsheimkehrer Ratgeberliteratur auf, nach der die Ehefrauen die Affären ihrer Männer entschuldigen sollten (vgl. Kap. 3.1), zum anderen hatte Sexualität auf eine ungewöhnlich offene Art und Weise in den 50er Jahren die öffentliche Bühne erobert. 1948 war die Studie Sexual Behavior in the Human Male von Alfred Kinsey erschienen, die allergrößte Aufmerksamkeit erregte.235 Innerhalb von zwei Wochen wurden 40,000 Exemplare verkauft – innerhalb von

234 Der Film hätte natürlich auch im Kapitel 3.1. analysiert werden können, aber da die Hauptfigur bereits soweit in die Gesellschaft eingegliedert ist, dass sie ein bürgerliches Leben führt, wird der THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT an dieser Stelle untersucht. 235 Alfred C. Kinsey/Wardell B. Pomeroy/Clyde E. Martin (1948): Sexual Behaviour in the Human Male. Philadelphia/London. 166

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zwei Monaten 200,000.236 Das Buch eroberte rasch die Bestseller Listen und blieb dort viele Wochen lang. Ziel Kinseys war es, die männliche Sexualität fern von gesellschaftlichen Normierungen mit Hilfe einer groß angelegten empirischen Studie zu beschreiben. Er befragte 12,000 Euro-Amerikaner zu ihren Sexualpraktiken und versuchte ihre Antworten systematisch zu ordnen. Als Kategorien nennt er: »There is self stimulation (masturbation), nocturnal dreaming to the point of climax, heterosexual petting to climax (without intercourse), true heterosexual intercourse, homosexual intercourse, and contact with animals of other species.«237

Bemerkenswert war für viele seiner Zeitgenossen das Ergebnis, dass Masturbation, homosexuelle Aktivitäten und außerehelicher Sex weit verbreitet waren. Demnach definierte er die Ehe als die institutionalisierte Form lediglich eines spezifischen sexuellen Verhaltens neben anderen. Ebenfalls für Aufsehen sorgte seine Beobachtung, dass sich die sexuellen Praktiken, abhängig von der gesellschaftlichen Schicht, unterschieden. So kam er z.B. zu dem Schluss, dass die Häufigkeit außerehelichen Sexes bei Amerikanern der Mittel- und Oberschicht mit zunehmendem Alter stieg, während sie bei Männern der Unterschicht abnahm. Indem sich Kinsey mit zählbaren Orgasmen beschäftigte und eine Taxonomie männlicher Sexualität entwarf, entfernte er sich radikal von der existierenden Literatur über Sexualität, die sich in erster Linie mit den Folgen sexuellen Verhaltens, wie Schwangerschaft, Geschlechtskrankheiten und Scheidungen beschäftigte. Da Kinsey scheinbar auf eine moralische Einschätzung seiner Ergebnisse verzichtete und stattdessen jeglichen sexuellen Akt als Ventil beschrieb, war sein Werk letztlich ein Angriff auf die Vorstellungen von Normalität und eine Verteidigung von vielfältiger Sexualität, sowie ein Plädoyer für einen offeneren Umgang mit ihr.238 Doch nun zurück zum Film.

236 Gilbert: Men in the Middle, S. 85. 237 Kinsey: Sexual Behaviour in the Human Male, S. 157. Heterosexuelle Sexualität unterteilte Kinsey dann in die Kategorien vorehelichen, ehelichen, außerehelichen Geschlechtsverkehr, sowie Verkehr mit Prostituierten. 238 Zum Kinsey-Report vgl. D’Emilio/Freedman: Intimate Matters, und Gilbert: Men in the Middle sowie Paul Robinson (1989): The Modernization of Sex. Havelock Ellis, Alfred Kinsey, William Masters and Virginia Johnson. Ithaca, N.Y. (Original 1976). Das Buch wurde zum Großteil positiv besprochen, aber auch heftig kritisiert wegen der angewandten Methoden und wegen moralischer Einwände. 167

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Die Erinnerung an die Geschehnisse des Krieges überfällt Tom im Zug zur Arbeit, wodurch der Kontrast zwischen dieser intensiv erlebten Zeit und seinem Arbeitsalltag als Pendler besonders betont wird.239 Die Kriegserinnerungen halten Tom davon ab, sein ziviles Leben zielstrebig oder ehrgeizig zu verfolgen, stattdessen begnügt er sich mit einer sicheren Arbeit, auch wenn sein Gehalt spärlich ist. Wie Ron Kirby in ALL THAT HEAVEN ALLOWS hat auch Tom Rath kein Interesse am ratrace teilzunehmen.240 Allerdings ist er im Unterschied zu diesem kein selbstbestimmter Mann, der sein Glück außerhalb der vorgegebenen Normen sucht. Vielmehr wird er von seiner Frau als dessen Gegenstück charakterisiert. Betsy (Jennifer Jones) lebt in der Hoffnung auf ein bisschen Glück und auf Verbesserung der familiären Lebensbedingungen, weswegen sie ihren Mann auffordert: »I wanted you to go out and fight for something again – like the man I married. Not to turn into a cheap, slippery yes-man.« Ihre Ablehnung des perfekten Angestellten, den sie als Ja-Sager abqualifiziert, wird hier offensichtlich. Toms Bedürfnis nach Sicherheit sowie sein Unwillen für etwas zu kämpfen, lässt ihn unmännlich erscheinen. Letztlich bringt sie Tom aber dazu, an seiner Arbeitsstelle wieder eine eigene Meinung zu vertreten und seine Affäre zu beichten. Ähnlich wie in THE MEN ist es demnach auch in THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT die Ehefrau, die nicht gewillt ist, den männlichen Mangel anzuerkennen, und damit die dominante Fiktion sanktioniert und aktiv unterstützt. Innerhalb dieses Spannungsfeldes muss sich Tom Rath positionieren. Der Film verhandelt nicht nur die Frage des Konformismus, sondern diskutiert auch die Frage nach dem Stellenwert von Arbeit und von Familienleben. Indem Tom seinem Chef, dem Präsidenten der United Broadcasting Company, Ralph Hopkins (Fredric March) gegenüber gestellt wird, werden zwei gegensätzliche Pole präsentiert. Die Ehe seines Chefs ist gescheitert und die Beziehung zu seiner Tochter ist sehr distanziert.241 Sich dieses Versagens durchaus bewusst, rät er Tom: »Don’t let anything get in the way of spending time with your family!« Mit dieser Aussage aus dem Munde des älteren, erfolgreichen, mächtigen Man239 Die Länge der Rückblende beweist, wie wichtig die Kriegserfahrung im Leben Toms ist. Auch eine spätere Rückblende zeigt die Kampfhandlungen sehr ausführlich. 240 Vgl. dazu Anm. 185, Kap. 3.2. 241 Hopkins Sohn hingegen ist im Krieg gefallen, in dem er – trotz seines Reichtums – unprivilegiert als einfacher Soldat gekämpft hatte. Hopkins fühlt sich durch Tom an seinen Sohn erinnert, sodass die Beziehung zwischen den beiden eine Vater-Sohn Komponente erhält. Diese Beziehung kann als Verwischen der Klassengrenzen gelesen werden, die zwischen Hopkins und Rath bestehen. 168

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nes (mit Vaterfunktion) formuliert THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT seine Botschaft verbal sehr deutlich. Denn, daran lässt der Film keinen Zweifel: Beruflicher und privater Erfolg sind unvereinbar, sodass sich jeder entscheiden muss, wie er seine Prioritäten setzt. Hopkins formuliert das folgendermaßen: »You know where I made my mistake. And yet [...] somebody’s got to dedicate himself to it! Big successful business just aren’t built by men like you, nine to five and home and family! [...] Big successful businesses are built by men like me, who give everything they’ve got to it, and live it, body and soul, lift it up regardless of anybody or anything else. Without men like me there wouldn’t be any successful business. My mistake was in being one of those men.«

Die ›großen Geschäfte‹ werden mithin von Männern gemacht, die ihr Leben und ihre Seele dafür geben; kurzum von Männern, die dem unternehmerischen Ideal des 19. Jahrhunderts entsprechen – dem Riesmanschen selbstbestimmten Typus. Tom Rath entscheidet sich gegen dieses Ideal. Als er auf eine Dienstreise gehen soll, sagt er ab: »Tom Rath: I have to be home with my family this evening. Remember those nine to five fellows you were talking about? I’m afraid I’m one of them. Ralph Hopkins: [...] No need to be sorry [...] We have to have both kinds, you know. One can’t do anything without the other. And if I had my choice again, I have a feeling that’s what I’d be. Nine to five, home, family.«

Allerdings zeigt der Film die Macht und den Reichtum von Hopkins in nicht unsympathischer Weise, wodurch die Aussagen von Hopkins auf der visuellen Ebene unterlaufen werden. Tatsächlich relativiert Hopkins die oben gemachte Aussage selbst, indem er betont, dass beide Verhaltensmuster nötig sind. Der Film benennt die Zwangslage der bürgerlichen Männlichkeit als zwischen unterschiedlichen Idealen aufgerieben zu werden: Erfolg in der Familie und im Beruf zu haben. Er votiert zugunsten der Familienväter und legt das Lippenbekenntnis »Nine to five, home, family« ab. Konkret gezeigt wird Tom Rath – wie auch schon Chet Keefer – mit seinen Kindern jedoch nur selten. Zwar beginnt der Film damit, dass Tom nach Hause kommt und von seinen Kindern mit Daddy begrüßt wird. Dadurch wird seine Vaterrolle etabliert, gleichzeitig bleibt sie jedoch inhaltlich leer. Es scheint, wie bereits in THE MARRYING KIND gesehen, als begründe sich der Erfolg allein in der Erzeugerschaft. Die erzieherische Arbeit hingegen scheint den Frauen überlassen zu sein. 169

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THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT ist ein Film, der die Wichtigkeit der Normen der weißen Mittelschicht hervorhebt. Da er aber gleichzeitig die Kompromisse, die diese Männlichkeit eingehen muss, namentlich: berufliche Sicherheit – geringes Verdienst, familiäre Pflichten – kein beruflicher Erfolg, entsexualisierte Ehe – außerehelicher Sex, nicht verschweigt, zeigt er durchaus auch auf, wie konfliktreich diese Männlichkeit ist.

Die italienische Affäre Einen ergänzenden Blick auf den Film hat Emily Rosenberg geworfen. Sie verknüpft die Geschlechter– und die Außenpolitik miteinander.242 Die italienische Affäre Toms wird von ihr nicht nur auf persönlicher Ebene gedeutet, sondern sie steht für die internationalen Beziehungen der USA. Die Italienerin verursacht sowohl Spannungen im Mikrokosmos der Familie Rath, als auch symbolisch im internationalen Makrokosmos. Als das ›Fremde‹ zerstört sie das heimische Glück und fordert dadurch zu einer Stellungnahme in dem Feld von isolationistischer und internationalistischer Politik auf. Die Affäre von Tom und die Spannungen, die seine Kriegserlebnisse und diese Beziehung in seine Ehe mit Betsy tragen, können nur abgebaut werden, wenn Betsy Verständnis für Toms Verhalten aufbringt. Das Problem wird letztlich gelöst, indem Betsy Tom verzeiht und sie sein uneheliches Kind in Italien gemeinsam finanziell unterstützen. Damit ist gewährleistet, dass Tom seine Stellung als Familienvater und Ehemann unbeschadet wieder einnehmen kann. Mit Beistand seiner Frau gelingt es ihm, seine Familie wieder zu stabilisieren. Da die Familie in den 50er Jahren als Kern der amerikanischen Nation gilt, wird sie durch diesen Akt gleichermaßen stabilisiert. Insofern übernimmt Tom nicht nur für seine Familie Verantwortung, sondern auch für die USA. Gleichzeitig muss er sich aus seiner früheren Verbindung nicht zurückziehen, sondern unterstützt diese weiterhin. So wird eine Analogie hergestellt, nach der das besiegte Italien weiblich konnotiert ist. Die USA hingegen sind durch Tom männlich konnotiert. Analog zu den amerikanischen Männern, die für das ›schwächere‹ Geschlecht sorgen, kümmern sich die Vereinigten Staaten um ›schwächere‹ Nationen. Die Diskurse Männlichkeit und Amerikanismus überlappen sich in THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT in ähnlicher Weise wie in SANDS OF IWO JIMA: Die amerikanischen Männer, und auf einer symbolischen Ebene auch die amerikanische Nation, werden als bereit und im Stande gezeigt, Verantwortung in privaten, wie nationalen oder 242 Rosenberg: »Foreign Affairs«. 170

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internationalen Belangen zu übernehmen. Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ist also ein wichtiges Kennzeichen von Männlichkeit. Betrachtet man die Symbole, die in THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT eingesetzt werden, um die USA und besiegte Nationen zu repräsentieren, wird die gegenderte Wahrnehmung der US-amerikanischen Position in der Welt erkennbar. Parallel dazu wird aber auch deutlich, dass diese Position nicht konfliktfrei entstanden ist. Es bleibt letztlich das Paradox bestehen, nach dem der weiße Mittelschichtsmann als moralisches und ökonomisches Bollwerk die Nation sichert; seine Domestizität ist hingegen dazu angetan, genau diese Stärke zu gefährden.

3.3.3 THE MAGNIFICENT SEVEN (1960) In den 50er Jahren waren gut 25% aller produzierten Filme Western, der Western war das Genre schlechthin.243 Der Western wurde in diesem Jahrzehnt auch zum bewussten Ort der Auseinandersetzung mit sozialen und moralischen Problemen, wie z.B. mit der Lynchjustiz oder den Beziehungen zwischen Weißen und Indianern.244 THE MAGNIFICENT SEVEN (1960)245 zählt nicht zu den Western, deren vordringliches Interesse in der Sozialkritik liegt, auch wenn es einige ironisch-kritische Momente gibt. Stattdessen erzählt er die im Grunde einfache Geschichte von sieben angeheuerten Revolverhelden, die ein mexikanisches Dorf gegen eine Gruppe Banditen zu verteidigen versuchen. Nach einigen Rückschlägen gelingt es ihnen auch, allerdings überleben nur drei der sieben Kämpfer. THE MAGNIFICENT SEVEN 243 Lee Clark Mitchell (1996): Westerns. Making the Man in Fiction and Film. Chicago, IL, S. 203. Und Peter Homan (1961)s: »Puritanism Revisited: An Analysis of the Contemporary Screen-Image Western«, in: Studies in Public Communication (3), S. 73-84, S. 73. Aufgrund technischer Innovationen wie Widescreen entwickelte sich der Western im Kino zu einem beliebten Genre. Jedoch reichen die technischen Entwicklungen nicht aus, um seine Beliebtheit zu erklären. Denn auch im Fernsehen gehörten Western zu den erfolgreichen Sendungen. Bereits 1949 gab es die erste Western-Serie im Fernsehen, 1959 liefen 48 Serien! Dass mit der Beliebtheit des Genres auch spielerisch in anderen Filmen umgegangen wurde, zeigt z.B. THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT. Hier werden die Kinder von Tom Rath mehrfach vor dem Fernseher sitzend, einen Western anschauend, gezeigt, was ihn zu der Bemerkung veranlasst, es scheint, als gäbe es nur einen Film im Fernsehen. 244 Diese Entwicklung hatte bereits in den 40er Jahren begonnen. Vgl. Edward Buscomb (1998): »Der Western«, in: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.): Geschichte des Internationalen Films. S. 260-268, S. 264. 245 Regisseur und Produzent: John Sturges für MGM. Eastman Color. Widescreen. 171

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ist ein Remake von Akira Kurosawas’ SHICHININ NO SAMURAI (1953) – DIE SIEBEN SAMURAI. Er folgt seinem Vorbild relativ eng; zeitweise werden sogar dieselben Dialoge gesprochen.246 1955 hatte SHICHININ NO SAMURAI den Oscar für den besten ausländischen Film erhalten, insofern scheint es gewagt, dass Sturges diese epische Geschichte so kurz darauf als Western adaptierte. Aber auch Sturges Film wurde sehr erfolgreich und regte ebenfalls Nachfolgefilme (1966, 1968 und 1972) und ein Fernseh-Remake (1998-2000) an. Auch wenn THE MAGNIFICENT SEVEN in enger Anlehnung an sein japanisches Vorbild gedreht worden ist, kann er trotzdem als Beispiel eines amerikanischen Hollywoodfilmes gelesen werden, der die gesellschaftlichen Leitbilder der 50er Jahre diskutiert. THE MAGNIFICENT SEVEN ist demnach keine unveränderte Übertragung des japanischen Epos.247 Vielmehr haben die ›sozialen Energien‹ der USA der 50er Jahre ihre Spuren in ihm hinterlassen und als Diskursfäden in ihn gewoben: Fragen nach Sesshaftigkeit, Verantwortung, Heimat und Familie durchziehen den Film unüberhörbar. Betrachtet man den Film unter einem Gender Aspekt, ist die entscheidende Frage, welche Männlichkeit verantwortungsvoll und damit vorbildlich ist. Ist es die ›harte‹, kämpferische, oder die ›weiche‹, versorgende? Ich möchte mich zunächst der Art und Weise zuwenden, wie diese beiden Männlichkeitsmodelle zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Dabei ist, ähnlich wie in SANDS OF IWO JIMA (Kap.3.2), eine Unterscheidung zwischen der verbal artikulierten Aussage und der visuell präsentierten zu treffen. Der Film beginnt analog zu DIE SIEBEN SAMURAI mit der Entscheidung der waffenlosen Bauern eines mexikanischen Dorfes, sich gegen die jährlich wiederkehrenden Banditen zu wehren, obwohl sie nicht wissen, wie sie das tun sollen. »We know how to plant and grow. We don’t know how to kill.« Worauf sie der Dorfälteste vor die Entscheidung stellt: »Then learn or die«. Anschließend gelingt es ihnen in der nahe gelegenen Grenzstadt den Revolvermann Chris (Yul Brunner) für ihr Projekt zu gewinnen, obwohl sie nicht viel bezahlen können. 246 DIE SIEBEN SAMURAI (s/w) spielt im vom Bürgerkrieg gezeichneten Japan des 16. Jahrhunderts. Sieben herrenlose Samurai lassen sich von einem armen Bauerndorf anheuern, um gegen die jährlich wiederkehrenden Banditen zu kämpfen. Die Motivation der einzelnen Samurai ist sehr unterschiedlich, aber am Ende kämpfen sie aus wahrer Solidarität mit den Bauern gemeinsam gegen deren Unterdrückung. 247 Kurosawa selbst war erklärter Fan der Filme von John Ford. Insofern kann hier von einer transpazifischen Intermedialität gesprochen werden. 172

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Die Szene, die den ›Helden‹ Yul Brunner und gleichzeitig Steve McQueen in der Rolle des Vin einführt, ist hinsichtlich der inhaltlichen und visuellen Konstitution von Männlichkeit aufschlussreich und soll deswegen kurz skizziert werden. In der vermeintlich zivilisierten Stadt wird darüber gestritten, ob ein toter Indianer auf dem Friedhof beerdigt werden kann. Die Meinungsmacher des Ortes wollen dies notfalls mit Gewalt verhindern. Chris entscheidet sich, den Leichnam zum Friedhof zu fahren, und erhält dabei Unterstützung von Vin. Diese Szene, die den Mut der Männer hervorhebt, ist auch entsprechend formal bedeutsam. Während sie auf der Kutsche mit dem Sarg durch den Ort fahren, folgen die Einwohner in gebührendem Abstand, um zu sehen, was passiert. Die Kamera nimmt großteils den Blick der Bevölkerung ein, das Publikum kann die beiden Männer wohlwollend betrachten.248 Die beiden werden zum Objekt des Blickes aller. Das Gefühl des Wohlwollens wird zum einen durch ›unser‹ Wissen, dass sie moralisch im Recht sind, hervorgerufen, zum anderen durch die Männer, die dem Wagen folgen, allen voran Chico (Horst Buchholz), der sie mit Bewunderung und Freude anschaut. Am Friedhof angekommen, beginnt eine Schießerei, bei der Chris der Schnellste ist: Der Indianer kann beigesetzt werden. Männlichkeit wird hier auf der inhaltlichen Ebene konstituiert, indem gezeigt wird, dass Chris und Vin mutig und die besseren Schützen sind.249 Formal wichtig, und das scheint mir entscheidender, ist, dass die Taten der Beiden für alle sichtbar sind. In diesem Sinne schreibt Verstraten über das Wesen des Western-Helden, »masculinity only gains content as a textual construction […] His friends see him as he wanted to be seen beforehand: a cool man, fast on the draw. It is this characteristic which conventionally makes a cowboy a real man.«250 Die Männlichkeit von Chris und Vin wird demnach durch das ›Betrachtetwerden‹ und die positive Reaktion der Zuschauenden konstituiert. So ist es konsequent, dass die drei Mexikaner sich Hilfe suchend an Chris wenden, denn er ist ein ›richtiger‹ Mann. Die Umkehr dieser Be248 Außerdem wird Chris überwiegend aus Untersicht gefilmt, was seine Charaktergröße hervorhebt. Die Menge hingegen wird meist aus Aufsicht gezeigt. 249 Weitere Attribute, durch die Vin und Chris in dieser Szene charakterisiert werden, sind Schweigsamkeit und Ungebundenheit. Beides sind Charakteristika des Western Helden. 250 Verstraten: Screening Cowboys, S. 32. Er bezieht sich allerdings auf die Funktion des Shoot-Outs am Ende des Films, die die Männlichkeit des ›Helden‹ endgültig unter Beweis stellt. Dass dies hier bereits am Anfang des Films geschieht, mag an der Nähe zum Original liegen. Auch in DIE SIEBEN SAMURAI beweist der Protagonist zu Beginn seinen Mut, seine List und seine Stärke. 173

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trachtungsweise bringt es mit sich, dass die mexikanischen Bauern nicht als ›richtige‹ Männer gelten, denn sie können zwar pflanzen und hegen, sind dafür aber wehrlos und hilfesuchend, kurzum, feminisiert. Sie sind ›Nicht-Männer‹. Diese Vergeschlechtlichung ist auch hinsichtlich der geographischen Gegebenheiten aufschlussreich. Während die Grenzstadt auf texanischem Boden ist, befindet sich das Dorf in Mexiko. Während es in Texas ›richtige‹ Männer gibt, gibt es dort nur ›Nicht-Männer‹. Mexiko wird dadurch, ähnlich wie Italien in THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT weiblich konnotiert und zu einem Ort, der geschützt werden muss. Nachdem THE MAGNIFICENT SEVEN auf diese Weise gesetzt hat, was ›wahre Männlichkeit‹ ist und was nicht, klingt das Alternativmodell der 50er Jahre leise durch. Auf die Frage, ob Vin sich an dem Projekt beteiligen würde, antwortet er, dass das Angebot finanziell lächerlich sei und er eine Arbeit in einem Geschäft antreten wolle. Dafür haben die Mexikaner Verständnis: »We understand. You would get much more in a grocery store and it’s good steady work.« Erst das ungläubige, ironisch zustimmende »Yup« von Chris bringt Vin dazu, sich ihm anzuschließen: Er hat gerade noch erkannt, was es bedeutet ein Mann zu sein. Lee Clark Mitchell hat herausgearbeitet, dass die Western der 50er Jahre einen starken pädagogischen Impetus hatten. Die Plots seien durch die nach ihren Vätern suchenden Söhnen (oder vice versa) bestimmt gewesen, der Prozess des Aufwachsens und der Erziehung sei immer wieder betont worden. Eine zentrale Frage z.B. von SHANE (1953) oder HONDO (1953) sei die, wie ein Junge zum Mann wird. Insbesondere HONDO zeigt das männliche Bedürfnis, Söhne zu Männern erziehen. »So strongly is this urge presented that it comes to seem innate, with the impulse toward cultural transmission itself identified as biological – and usually as a gesture opposed to whatever women are proposing.«251 Söhne zu Männern zu machen, ist demnach eines der Nebenthemen von Western der 50er-Jahre. In HONDO wird die männliche Hauptrolle von John Wayne gespielt. Der Rollentyp entspricht dem in SANDS OF IWO JIMA von ihm gespielten. Die Gegenüberstellung mit einem jungen Mann oder in HONDO mit einem Jungen, zeigt, dass Waynes Männlichkeit außer auf seiner Körperlichkeit auch darauf beruht, dass er erfahrener ist. Auch in THE MAGNIFICENT SEVEN spielt die Frage, wie aus Jungen Männer werden, eine Rolle. Das Problem ist nur, welche Männlichkeit soll vermittelt werden? Ist es die eines John Wayne oder die des Vin, der eine Stelle als Verkäufer anstrebt?

251 Mitchell: Westerns, S. 220. 174

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Abbildung 7: THE MAGNIFICENT SEVEN (1960)

Diese Frage wird über mehrere Personen des Films thematisiert. Zum einen reflektieren die Revolvermänner ihr Leben selbst. Da ist Vin und seine beruflichen Überlegungen. Später im Kampf, als ein Mexikaner ihm seine Angst gesteht und gleichzeitig seine Freude benennt, dass er etwas hat, für das es wert ist zu sterben, beneidet Vin ihn. Denn er kämpfe nur des Kämpfens wegen, ohne etwas zu haben, das verteidigungswert sei. Als sich die Mexikaner später kampf los ergeben, versteht er, dass sie an ihre Familien denken, weil auch er darüber nachdenkt, sesshaft zu werden. Auch in der Figur des Lee (Robert Vaughn) wird die Superiorität der Revolverhelden als eine zweifelhafte dargestellt. Lee erwacht schreiend aus seinen von traumatischen Erlebnissen herrührenden Albträumen. Seither ist er ein nervliches Wrack ohne wirklichen Lebensinhalt. Und schließlich erstaunt Bernardo (Charles Bronson). Er entgegnet Calvera, der seinen Überfall damit begründet, er brauche Essen für den Winter: »Maybe […] work for it!« Zum anderen spielen in THE MAGNIFICENT SEVEN die Jungen und Jungmänner, die noch erwachsen werden müssen, eine erhebliche Rolle. Wie im japanischen Vorbild befindet sich auch im amerikanischen Remake ein junger Mann (Chico) in der Gruppe, der an der Schwelle zum

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Erwachsenen steht.252 Gespielt von Horst Buchholz ist Chico ein verspielter Draufgänger, der noch lernen muss gut zu kämpfen.253 In Analogie zum Erziehungsdiskurs der 50er Jahre muss er ebenfalls lernen, seinem Leben die richtige Wendung zu geben. THE MAGNIFICENT SEVEN verstärkt das Motiv der Erziehung vom Sohn zum Mann außerdem durch eine Jungengruppe aus dem Dorf.254 Die drei Jungen suchen ständig die Nähe zu Bernardo (Charles Bronson) und ›adoptieren‹ ihn gleichsam als Vaterfigur (Abb.7). Sie wollen ebenfalls kämpfen und von ihm Männlichkeit erlernen. Sowohl sie als auch Chico haben in den Revolverhelden ihre Vorbilder gefunden. Die ›Helden‹ belehren Chico aber eines besseren, indem sie die Schattenseiten ihres Daseins aufzählen und ihre vermeintliche Überlegenheit selbst problematisieren: »Chico [enthusiastisch, die Verf.]: Your gun is everything you have? Isn’t that true? Vin: Yeah, sure everything. […] Home: none, wife: none, kids: none. Prospects: zero…. Chris: Places you’re tied down to: none. People with a hold on you: none. Men you step aside for: none. Lee: Insults: none. Enemies: none. Chris: No enemies? Lee: Alive. Chico: Yeah, this is the kind of arithmetic I like. Chris: Yeah, so did I at your age.«

Die Resignation der Helden hält Chico dennoch nicht davon ab, sie weiterhin als Vorbilder zu betrachten. Dazu zählt auch sein Wunsch mit den Männern zu leben und nicht sesshaft zu werden. Als Petra (Rosenda Monteros) eine junge Frau des Ortes, in die er verliebt ist, ihm ihre Zuneigung gesteht, erwidert er, dass er nie als Farmer leben könne, und dass er immer mit den Männern gehen werde.

252 Der junge Mann in DIE SIEBEN SAMURAI muss noch lernen, sich diszipliniert wie ein Samurai zu verhalten und auch so zu kämpfen. Die Initiation zum Mann vollzieht er, als er mit einer jungen Frau des Ortes schläft, was nicht unbemerkt bleibt. So heißt es, als er sich zur nachfolgenden Schlacht sammelt, dass er, da er nun ein Mann sei, auch wie ein Mann kämpfen solle. 253 Interessant ist die Besetzung der Rolle mit dem Deutschen Horst Buchholz. Chico ist Mexikaner und damit doppelt als ›Nicht-Mann‹ konnotiert. 254 Die Jungs kommen in DIE SIEBEN SAMURAI nicht vor. Diese Ausschmückung des Themas betont seine Wichtigkeit für die Filmemacher, da sie sich grundsätzlich eng an die Filmvorlage gehalten hatten. 176

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Die drei Jungen müssen ihre Vorstellung von idealer Männlichkeit ebenfalls revidieren. Dem Banditen Calvera (Eli Wallach) gelingt es nach der zunächst erfolgreichen Verteidigung des Dorfes, das Dorf zu besetzen. Die Mexikaner hatten sich aus Angst den Kampf zu verlieren, dafür entschieden, sich kampflos zu ergeben, wodurch sie einmal mehr als weiblich konnotiert werden.255 Die sieben ›Helden‹ werden von Calvera entwaffnet und sollen das Dorf verlassen. Da sich die Jungen wegen der kampflosen Übergabe, bzw. der Weiblichkeit ihrer Väter schämen, fragen sie Bernardo, ob sie mit ihm kommen könnten, denn: »Our fathers are cowards!« Worauf Bernardo den Sprechenden schlägt und ansetzt, ihnen die Werte von Verantwortung und Familie zu vermitteln: »Your fathers are much braver because they are carrying responsibility! [...] They do it because they love you and because they want to [...] I never had this kind of courage [...] This is bravery!« Bernardo wird hier zum Sprachrohr des 50er Jahre Diskurses, nach dem sich Männlichkeit über die Ernährer-Ethik definiert. Diesem Ideal entsprach es, männliche Identität anhand der Fähigkeit die Familie zu ernähren, zu definieren. Der amerikanische Soziologe Talcott Parson schrieb z.B. 1959: »Virtually the only way to be a real man in our society is to have an adequate job and earn a living.«256 Dass dieses Geld nicht alleine aufgebraucht werden sollte, beschrieben auch andere Wissenschaftler und die reichhaltige Ratgeberliteratur. Der Soziologe Morris Zelditch wusste, dass der amerikanische Mann »must provide for his family«257 und ein beliebter Ratgeber formulierte: »The family is the center of your living. If it isn’t, you’ve gone far astray.«258 Im psychologischen Diskurs wurde dieses Ideal, das von den Zeitgenossen mit dem Schlagwort der maturity beschrieben wurde, ebenfalls hochgehalten.259 In Erik H. Eriksons Modell des Lebenskreislaufes entwickelt sich das Individuum durch verschiedene Zeitspannen hindurch, indem es unterschiedliche Aufgaben bewältigt, bis es eine gewisse Form

255 Es gehört zu den narrativen Strukturen des Westerns, dass Frauen nicht der Konvention folgen, die Aufforderung zum Kämpfen anzunehmen bzw. dass sie den Männern vom Kampf abraten, da sie der zivilisierten Welt verhaftet sind. Vgl. Verstraten: Screening Cowboys, S. 30. 256 Talcott Parson: »The Social Structure of the Family«, in: Ruth Nanda Anshen (Hg.): The Family: Its Function and Destiny. New York 1959, S. 271, zit. nach Kimmel: Manhood in America, S. 245. 257 Morris Zelditch (1955): »Role Differentiation in the Nuclear Family: A Comparative Study«, in: Talcott Parsons/Robert F. Bales (Hg.): Family Socialization and Interaction Process. New York, S. 339. 258 Zit. nach Stephanie Coontz (1992): The Way We Never Were. American Families and the Nostalgia Trap. New York. 259 Vgl. Ehrenreich: The Hearts of Men, S. 14-28. 177

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der Reife (maturity) erlangt hat. »Maturity itself required the predictable, sober ingredients of wisdom, responsibility, empathy, (mature) heterosexuality and a sense of function, or, as a sociologist would have put it, acceptance of sex roles.«260 Der Psychologe Robert J. Havighurst hatte 1953 acht Schritte aufgelistet, die zur Reife des Erwachsenseins vollzogen werden müssen und die sich in vielen populären Veröffentlichungen wieder finden. Diese Schritte kreisen, bis auf einen, alle um Ehe, Familie und Berufstätigkeit. Demzufolge ist die Ehe gleichzeitig ein Zeichen für die individuelle Reife wie auch die Arena, in der immer wieder anhand neuer Aufgaben, diese Reife unter Beweis gestellt werden konnte. Wenn reife Männlichkeit untrennbar mit der Aufgabe des Versorgers und Familienvaters verknüpft ist, bedeutet das aber auch, dass Männer, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, entweder nicht wirklich erwachsen oder nicht wirklich männlich sind. Bernardo formuliert in seiner kleinen Ansprache an die Jungen den Gedanken der maturity punktgenau: Ihre Väter sind bereit Verantwortung für ihre Familien zu übernehmen, und für das Publikum von 1960 hieß das: Sie sind Erwachsen. Er selbst ist nach dieser Definition nicht ›reif‹, sondern gehört, wie die anderen sechs ›Helden‹, zu jenen Männern, die sich der Verantwortung entziehen. Allein Chico beschließt am Ende des Filmes doch nicht, mit den beiden Überlebenden – Chris und Vin – zu reiten, sondern seinem Herzen zu folgen und bei Petra im Dorf zu bleiben. So flüchtet er nicht vor der männlichen Aufgabe, eine Familie zu gründen und Ernährer zu werden, sondern ist am Ende im besten Sinne der 50er Jahre ein erwachsener Mann geworden. Allerdings schränkt der Film diese Aussage dadurch ein, dass er als Mexikaner zumindest latent feminisiert bleibt. Auch wenn Chris diesen Schritt nicht vollzieht, bleibt ihm doch die Erkenntnis, dass er gescheitert ist: »Only the farmers have won. We lost. We always loose.«261 Mit diesen Worten reiten Vin und er allein in die Weite der Landschaft hinein. Ähnlich SANDS OF IWO JIMA wird die Aussage des Films zugunsten einer reifen, weichen und domestizierten Männlichkeit durch mehrere Faktoren in Frage gestellt. Auch wenn Chico und die drei Jungs

260 Ebd., S. 17. 261 Diese Aussage steht auch am Ende von DIE SIEBEN SAMURAI. Allerdings ist sie hier filmisch verknüpft mit einem Blick auf die Gräber der gefallenen Samurai. In THE MAGNIFICENT SEVEN wiederholt Chris den Satz mit Blick auf das Dorf und die arbeitenden Frauen und Chico. Damit wird eine Verbindung hergestellt zum sesshaften Leben und Ideal der Kleinfamilie und nicht wie im Original zur Frage nach einem zivilen oder kämpferischen Lebensstil. 178

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lernen mussten, welche Form der Männlichkeit erstrebenswert ist, hatten sie zunächst intuitiv erkannt, welche die Attraktivere ist: »The magnificent seven fight like sevenhundred« versprach der Kinotrailer und fokussierte damit auf das, was man im Western sehen will: Gefahr und Abwehr der Gefahr, Gewalt, Kämpfe und Männer. Bereits der Handlungsraum des Westerns, der Westen, ist ein Ort ohne Zivilisation, es ist der Platz »where men are men«.262 Der Westen in seiner Funktion als Grenze der weißen, zivilisierten Welt ist Bestandteil des Gründungsmythos der USA. Er steht für weite, offene Landschaften und männliche Vorwärtsbewegung, die untrennbar miteinander verknüpft werden. Es ist der Raum, der eingenommen werden kann. »The desert flatters the human figure by making it seem dominant and unique, dark against light, vertical against horizontal, solid against plain, detail against blankness. And the openness of space means that domination can take place virtually through the act of opening one’s eyes, throgh the act, even, of watching a representation on screen.«263

Zentral für den Western ist demnach der weiße, männliche Körper, der sich aufrecht durch die Weiten des Westens bewegt. Insofern kann man davon sprechen, dass es das Wesen des Westerns ist, die Möglichkeit zu schaffen, Männer und Landschaften gleichermaßen anzuschauen. Der Westernheld ist von einer Aura von Kraft und Herrschaft umgeben. Dazu trägt die phallische Inszenierung seines Körpers bei, die das Aufrechte und Harte, sei es in Form muskulöser Körper oder anhand markanter Gesichtszüge betont.264 Der männliche Körper wird aufgrund dieser Inszenierung zu einem schönen begehrenswerten Objekt, das dem fetischistischen Blick ausgesetzt wird. Dies ist nicht nur in Momenten der Aktion und des Kampfes der Fall, in denen der Blick durch die Aggression der Anderen getragen wird, sondern insbesondere auch in den bewundernden Blicken Chicos oder der Jungen. Die Kamera hebt von Anfang an auf die physische Präsenz insbesondere von Chris und Vin ab.265 Beide werden häufig aus Untersicht gefilmt und bekommen die Gele262 Robert Warshow (2001): »Movie Chronicle: The Westerner«, (1954) in: Ders. (Hg.): The Immediate Experience. Movies, Comics, Theatre & Other Aspects of Popular Culture. Cambridge, MA, S. 105-124, S. 108. 263 Jane Tompkins (1992): Prairies, Forests, and Wetlands: The Restoration of Natural Landscape Communities in Iowa. Iowa City, IA, S. 74. 264 In THE MAGNIFICENT SEVEN werden z.B. die leuchtenden blauen Augen Steve McQueens häufig in Nahaufnahmen gezeigt. 265 Die visuelle Inszenierung von Britt (James Coburn) und Bernardo ist ähnlich geartet. Harry (Brad Dexter) und Lee sind insgesamt im Film weniger präsent. 179

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genheit, ihren Körper auch in für das Fortkommen der Handlung wenig relevanten Situationen zu präsentieren – zum Beispiel, als Vin den Saloon betritt und im Zentrum der Totalen kurz stehen bleibt, um seinen tief sitzenden Revolvergurt zu verschieben. Auch Chris verlagert, während er in seinem Zimmer allein gezeigt wird, langsam sein Gewicht in den Hüften. Ähnlich posiert Vin beim ersten Zusammentreffen mit Calveras Männern. Das Posieren wird durch die Kleidung und die Assecoires der Männer verstärkt, insbesondere durch die angeschnallten ledernen Beinschützer, die Vin trägt, welche seine Genitalien und sein Gesäß betonen.266 Auch das ständige Nesteln an der Revolverhalterung – an Hüfte und Oberschenkel gleichermaßen – betont die Genitalien der Männer. Das Schauen des männlichen Körpers im Western und die Freude daran wurden zuweilen als unterdrückter homosexueller Blick gedeutet. Die Gewalt und der Sadismus, die z.B. in den Western Anthony Manns gezeigt werden, werden in dieser Logik als Mittel angesehen, um den männlichen Körper vom Objektstatus zu befreien. Damit würde auch der Zuschauer möglicher homosexueller Freuden beraubt.267 Mitchell hat anhand einer intertextuellen Analyse herausgearbeitet, dass der attraktiv anzuschauende Mann zum narrativen Grundmuster des frühen literarischen Western gehört. »Literary Westerns thus invented a dream man, a tiger in high-heeled boots and chaps, and then placed him prominently as the target of all eyes. In no other genre is such an emphasis laid upon youthful male good looks.«268 Dessen Erscheinung wird noch dadurch betont, dass die zyklische Struktur von Western genügend Freiraum lässt, um die Aufmerksamkeit allein auf den Blick zu richten. Allerdings konstatiert Mitchell, dass sich mit den Lederstrumpf Erzählungen von James F. Cooper der Stellenwert der Attraktivität weißer Männer in den Western verändert hat, in dem Sinne, dass er nicht mehr uneingeschränkt schön sein kann. Er erklärt dieses Phänomen jedoch nicht psychoanalytisch sondern mit den narrativen Strukturen des Genres. Aufgrund der Frage, was mit den männlichen Körpern geschieht, nachdem sie geschunden wurden, entdeckt er als Grundmuster des Westerns ein ›Konvaleszenz Narrativ‹. Das heißt,

266 Dazu trägt auch die Farbe des Films bei, denn die Jeans heben sich von dem hellen Leder auffällig ab. 267 Vgl. Bingham: Acting Male, S. 57. Neale: »Masculinity as spectacle...«, S. 8. Neale rekurriert hier auf einen Aufsatz von Paul Willemen über die Western von Anthony Mann. Es muss ergänzt werden, dass auch die Zuschauerin der Freude des male gaze beraubt würde und dafür bestraft würde, den Männerkörper zu begehren. 268 Mitchell: Westerns, S. 161. 180

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die Rehabilitation der ›Helden‹ nimmt einen zentralen Platz in der Erzählung ein. Damit können sie vor den Augen der Leser– und Zuschauer/innen zu dem werden, was sie immer schon sind, nämlich zu ›wahren‹ Männern. Entscheidenden Anteil an der Genesung des ›Helden‹ hat die Frau, bzw. ihr heilender Blick. Psychoanalytisch gewendet heißt das, sie übernimmt auch in diesem Genre die Funktion, den Phallus zu sehen, selbst wenn er nicht vorhanden ist und bestätigt damit die dominante Fiktion. Gewalt gegen den Körper des ›Helden‹ ist demnach letztlich eine Voraussetzung seiner Männlichkeit. THE MAGNIFICENT SEVEN stellt die Prüfung der Männlichkeit symbolisch dar.

Abbildung 8: THE MAGNIFICENT SEVEN (1960) 181

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Die sieben werden von Calvera entwaffnet – gleichsam kastriert. In dieser Szene ist es nicht der Blick einer Frau, der sie dazu bringt, zum Kampf zurückzukehren, sondern die Enttäuschung Chicos, also eines ›Noch-Nicht-Mannes‹ und sein Glaube an eine bessere Welt. Letztlich entscheiden sich alle für den notwendigen Kampf.269 Die richtigen Männer sind demnach die Revolverhelden und nicht, wie ihre Lippenbekenntnisse glauben machen wollen, die sesshaften Mexikaner. Auch wenn sich der Diskurs, der die domestizierte Männlichkeit feiert, durch den gesamten Film und viele andere seiner Zeit zieht. »The kind of man who is suitable to the new society of settlers or consumers is the unheroic ›sod buster‹, the domesticated family man who is better with a hoe than a gun. [...] Like Shane, the tough guys were on their way out of town, [...] Almost every major star of the thirties and forties associated with this version of masculinity took the roles with which he was synonymous and transformed them, in the fifties, into neurotics or psychotics.«270

Die prominentesten und in Nachfolge Biskinds häufig zitierten Beispiele dieser Verschiebung sind sicherlich Humphrey Bogart, der den besessenen Captain Queeg in THE CAINE MUTINY (1954) spielt und James Stewart in den Western BEND OF THE RIVER (1952) und besonders in THE NAKED SPUR (1953) von Anthony Mann.271 Sogar der von John Wayne gespielte Ethan Edwards in THE SEARCHERS (1956) entspricht diesem Typ.272 Insbesondere Cohan hat unter dem schönen Titel Tough Guys Make the Best Psychopaths die These weiterverfolgt und am Beispiel des Filmstars Bogart überzeugend herausgearbeitet, dass der tough guy in den 50er Jahren zwar weiterhin beliebt gewesen sei,273 allerdings bestand seine Funktion darin, aggressive Männlichkeit durch einen psychopathologischen Diskurs als Abnormalität zu definieren. Diese ab269 In DIE SIEBEN SAMURAI musste diese Entscheidung nicht getroffen werden. Denn es gab weder Zweifel an der Aufgabe, noch stand Männlichkeit zur Disposition. 270 Peter Biskind (2000): Seeing is Believing. How Hollywood Taught Us to Stop Worrying and Love the Fifties, New York, S. 252. 271 Zu James Stewart in der Nachkriegszeit vgl. Bingham: Acting Male, S. 49–68. In THE NAKED SPUR spielt Stewart zwar den moralisch fragwürdigen, besessenen Kopfgeldjäger. Nichtsdestotrotz wird seine Männlichkeit als erotisch betont. Neben Stimme und Gesicht, spielt auch hier die Kleidung eine maßgebliche Rolle und insbesondere die angeschnallten ledernen Beinschützer. 272 Vgl. Verstraten: Screening Cowboys, S. 70. und Coontz: The Way We Never Were, S. 27. 273 Cohan: Masked Men, S. 79-122. 182

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normale, asoziale männliche Aggressivität kommt in den home-invasion Filmen wie z.B. SUDDENLY (1954) deutlich zum Ausdruck. Dennoch stimmt die Aussage nur eingeschränkt. Zum einen spricht die Quantität der Filme, die kämpfende Männer in diversen Genres präsentierten, dagegen, dass das Ideal des domestizierten Mannes vorherrschend war. Meines Erachtens zeigt die Menge dieser Filme, dass dieses Ideal möglicherweise allgegenwärtig war, es aber eben nicht reibungslos angenommen wurde. Zum anderen ist der Anziehungspunkt dieser Filme eben der nicht-domestizierte Männerkörper: »It is not violence at all which is the ›point‹ of the western movie, but a certain image of man, a style, which expresses itself most clearly in violence. Watch a child with his toy guns and you will see: what most interests him is not (as we so much fear) the fantasy of hurting others, but to work out how a man might look when he shoots or is shot. A hero is one who looks like a hero.«274

Und mexikanische Bauern sehen genauso wenig wie ›Helden‹ aus, wie Horst Buchholz, der als Deutscher und ehemaliger Halbstarker (1955) einen Mexikaner spielt, der sich gegen das Revolverheldentum und für die Landwirtschaft entscheidet. So scheint THE MAGNIFICENT SEVEN genauso wie SANDS OF IWO JIMA und die Filme, die auf Action setzen, nur das Paradox anbieten zu können, ein Lippenbekenntnis zugunsten einer ›weichen‹ häuslichen Männlichkeit abzugeben und gleichzeitig in ästhetischen Bildern das Ideal einer harten Männlichkeit zu erzählen.

3.3.4 Fazit THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT ist zum Synonym amerikanischer Mittelschichtmännlichkeit geworden. Die heutige Forschung beschreibt dieses Modell als die hegemoniale Männlichkeit der 50er Jahre.275 Während das junge Medium des Fernsehens nach May dieses Leitmodell durch die Gleichsetzung von Männlichkeit und Vaterschaft durch zahlreiche Serien förderte,276 offenbart das Kino die Spannungen innerhalb dieses Modells, indem es beschreibt wie mühsam der Weg ist, seinen Anforderungen zu genügen.

274 Warshow: »Movie Chronicle«, S. 123. 275 Cohan: Masked Men, Kimmel: Manhood in America, Verstraten: Screening Cowboys, Griswold: Fatherhood in America. 276 »Particularly on television, the home entertainment, fatherhood became the center of a man’s identity.« May: Homeward Bound, S. 146. 183

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In seiner idealen Verkörperung sollte der Mittelschichtmann das Spannungsfeld von Vaterschaft und Ernährer spielerisch meistern. Dass die Protagonisten von THE MARRYING KIND und THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT die Leichtigkeit abhanden gekommen ist, diese Aufgabe zu bewerkstelligen, weist auf die Komplexität dieser männlichen Identität hin. Dass die Ernährer-Ethik trotz dieser Komplexität auch in dem Western THE MAGNIFICENT SEVEN das Ideal ist, veranschaulicht gleichzeitig die Wirkungsmacht dieses bürgerlichen Diskurses. Alle drei Filme betonen den Gedanken der maturity. THE MARRYING KIND und THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT sind Filme, die die Geschlechterverhältnisse explizit zum Thema haben. Beide Filme romantisieren die Ehe nicht, sieht man einmal von ihren glücklichen Enden ab. Sie verhandeln dementsprechend auch das Motiv der Zusammengehörigkeit. Vor allem THE MARRYING KIND arbeitet diese beiden Schlagworte auf und konzentriert sich auf die working partnership, die sehr wenig romantisch auf bürgerliche Tugenden wie Arbeit, Disziplin und Reife setzt. Gleichzeitig zeigt der Film, genauso wie sein in der Mittelschicht angesiedeltes Pendant, auch die Grenzen der togetherness und der Vaterschaft. Bei genauerem Hinsehen wird offensichtlich, dass die tatsächliche von den Männern geleistete Familienarbeit, z.B. die Erziehung der Kinder, minimal ist.277 THE MAGNIFICENT SEVEN hingegen kann das Ernährer-Ideal propagieren, muss sich als Western aber weder mit togetherness noch mit Fragen des beruflichen Erfolgs beschäftigen. Und darin mag einer der Gründe für die Beliebtheit des Westerns in den 50er Jahren liegen. Denn der Westernheld kann über seine Zeit verfügen, er ist unabhängig und in der Regel nicht berufstätig, er muss nicht vorankommen und am beruflichen Konkurrenzkampf teilnehmen, das heißt, er ist frei. Tom Rath und Chet Keefer wären beinahe an den Aufgaben dieses Leitmodelles gescheitert. Insofern ist zu hinterfragen, ob THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT – trotz seiner Präsenz – der Repräsentant der hegemonialen Männlichkeit ist. Denn wie gezeigt wurde, kann selbst in dem gleichnamigen Film das Paradox nicht wirklich aufgelöst werden, dass der weiße Mittelschichtmann einerseits der moralische und ökonomische Grundpfeiler der Nation ist, er aber andererseits nicht zu gezähmt sein darf, da er damit die Stärke und Stabilität der Nation gefährden würde. Indem die drei besprochenen Filme den Konstruktionscharakter der bürgerlichen, vermeintlich ›natürlichen‹, Männlichkeit disku277 In diesem Sinne auch Weiss: »A Drop-In Catering Job«. Sie hat Elternzeitschriften und Interviews im Zeitraum 1950 bis 1980 ausgewertet und ist zu dem Schluss gekommen, dass es keine wirkliche Arbeitsteilung zwischen den Eltern gab. 184

ANTWORTEN AUF DEN KRIEG

tieren und damit offen legen, offenbaren sie die Zerbrechlichkeit dieses Entwurfes. Aber selbst außerhalb des Westerns, dessen Helden nach geschlagener Schlacht wieder unabhängig in die Weite der Landschaft reiten dürfen, und somit nur ideell verfügbar sind, bewegten sich etliche Alternativen zu diesem bürgerlichen Modell auf den Leinwänden der 50er Jahre, wie die nächsten Kapitel zeigen.

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4 AU S R E I S S V E R S U C H E

»Scientists who study human behaviour [...] worry that in the years since the end of World War II he [the american man, die Verf.] has changed radically and dangerously; that he is no longer the masculine, strong-minded man who pioneered the continent and built America’s greatness.«1

Robert Moskin bringt in dem Artikel The American Male: Why do Women dominate him? seine Sorge um die US-amerikanischen Männer Ende der 50er Jahre zum Ausdruck, die von vielen seiner Zeitgenossen geteilt wurde. Indem er indirekt auf den frontiers-man und den entrepreneur des 19. Jahrhunderts anspielt, verknüpft er die Bedeutung von Männlichkeit mit dem Wohlergehen der amerikanischen Nation. Damit wirft er implizit die Frage danach auf, wohin die USA in Zeiten des Kalten Krieges steuern, wenn sich die Geschlechterverhältnisse weiter verschieben. Doch Moskin geht es nicht allein darum, auf die Veränderungen der Geschlechterverhältnisse aufmerksam zu machen, sondern gleichermaßen um Ursachenforschung und um die Suche nach Lösungen. Nachdem in Kap. 3.2. und 3.3. eine Idealvorstellung von Männlichkeit, sowie ein Modell aufgezeigt wurde, das am ehesten eine gesellschaftliche Leitfunktion einnehmen konnte, kurzum Männlichkeiten, die im Wahren sind, werden im Folgenden jene Filmtypen aufgezeigt, die in ihrer Abweichung von der gewünschten Norm für Unruhe sorgten. Als kranke, nicht-phallische Körper oder als jugendliche, virile Noch-nichtMänner offenbaren sie die Widersprüche, die in der Regel von der ›dominanten Fiktion‹ verdeckt werden und fordern diese damit heraus. Es

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Robert J. Moskin (1958): »The American Male: Why do Women dominate him?«, in: LOOK, 4.2.1958, S. 77-80, S. 77. 187

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werden also Brüche bzw. alternative Entwürfe vorgestellt. Die einzelnen Filme lassen sich aufgrund der vielschichtigen Aussagen, die sie treffen, nicht nur einer Kategorie zuordnen, wie im Laufe der Analysen zu sehen sein wird. Aus heuristischen Gründen erscheint mir jedoch eine Klassifizierung nach dominanten Merkmalen sinnvoll, nämlich: ›Kranke Männer‹, ›Jugendliche‹, ›Homosexuelle‹ und ›Junggesellen-Playboys‹.

4 . 1 D e r K a m p f d e r G e s c h l e c h t e r : » H ow d o e s o n e d r ow n i n g m a n h e l p a n o t h e r ? « 2 4.1.1 Vom Sozialen Problemfilm zum Melodrama Bereits durch den Social Problem Film der unmittelbaren Nachkriegszeit waren Männer gelaufen und gestolpert, um ihre durchaus gesellschaftlich bedingten Schwierigkeiten zu meistern.3 Neben Problemen wie Rassismus, der z.B. in PINKY oder in HOME OF THE BRAVE (beide 1949) angesprochen wurde,4 und gesellschaftlich sanktioniertem Antisemitismus, der in CROSSFIRE oder GENTLEMAN’S AGGREEMENT (beide 1947) untersucht wurde,5 fanden auch Themen wie körperliche Behinderung, z.B. in THE MEN (1950) (Kap. 3.1.) oder des Alkoholismus Beachtung. So erzählt THE LOST WEEKEND (1945) in

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Zitat aus A CAT ON A HOT TIN ROOF. Vgl. Kap. 3.1. PINKY wurde von 20th Century Fox produziert, Regie führte Eliah Kazan. Bei HOME OF THE BRAVE hatte Mark Robson für United Artists Regie geführt. Die Bestenliste der zehn englischsprachigen Filme der New York Times des Jahres 1949 wurde durch Filme mit ernsten Themen dominiert. Bemerkenswert ist, dass sich vier der Filme mit Afroamerikanern beschäftigten, zu denen auch PINKY zählte. HOME OF THE BRAVE steht zwar nicht auf der Liste, wird aber immerhin als »close runners-up« bezeichnet, der sich ebenso gut auf der Liste hätte finden können. Laut Bosley Crowther (1949): »Best Films of 1949«, in: The New York Times, 25.12.1949, o.A. (PFA). CROSSFIRE wurde von RKO produziert und basiert auf der Erzählung The Brick Foxhole von Richard Brooks. Regie führte Edward Dmytryk. Für GENTLEMAN’S AGREEMENT führte Eliah Kazan Regie, produziert wurde er von 20th Century Fox nach dem Roman von Laura Hobson. Beide Filme gehörten der Bestenliste der New York Times an. Bosley Crowther: »Ten Best Films. Hollywood Leads, 7-3, Against Foreign Productions on Critic’s List«, in: The New York Times, 28.12.1947, o.A. (PFA). Kazan bekam von den New Yorker Filmkritikern auch den Preis für die beste Regie zugesprochen. »Film Critics Hold ›Agreement‹ Best«, in: The New York Times, 30.12.1947, S. 17.

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eindringlicher Klarheit über die Alkoholsucht und den Verfall eines New Yorker Schriftstellers.6 Diese Filme nahmen alle mehr oder minder deutlich liberale bzw. linke Standpunkte ein, die sie mit dem Stilmittel des filmischen Realismus verknüpften. Ab 1951 wurden jedoch in Hollywood keine Filme dieser Art mehr gedreht. Der Hauptgrund dafür liegt in der Arbeit des House Un-American Activities Committee (HUAC), dem vom Repräsentantenhaus organisierten Untersuchungsausschusses zum Aufspüren von Mitgliedern der Kommunistischen Partei und deren Sympathisanten in der Unterhaltungsindustrie.7 Obwohl die Schwarze Liste der sog. Hollywood Ten bereits im Oktober 1947 erstellt worden war und die Motion Picture Association of America (MPAA) zugesagt hatte, die Betroffenen mit Berufsverbot zu belegen und keinen Kommunisten oder ›Staatsfeind‹ mehr zu beschäftigen sowie nichts unamerikanisches auf der Leinwand zu zeigen, wurde die sog. Graue Liste ständig erweitert.8 Im Frühjahr 1951 begannen erneut HUAC-Nachforschungen in Hollywood, in Folge derer letztendlich sowohl die Schwarze als auch die Graue Liste mit 250 bzw. 100 Personen immens erweitert wurden. Aufgrund dieser Listen wurde die Linke Hollywoods sehr geschwächt und die sozialrealistische Filmbewegung brach zusammen. Einige Liberale und Linke, wie Charles Chaplin oder John Huston gingen ins Exil oder mussten

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Bei THE LOST WEEKEND führte Billy Wilder nach einem Roman von Charles R. Jackson Regie. Der im realistischen Stil gedrehte Film musste aufgrund der Vorgaben von Paramount allerdings mit einem positiven Happy End enden. Das House Un-American Activities Committee (HUAC) war die Fortführung eines bereits 1938 unter Martin Dies eingesetzten Ausschusses. Zunächst befasste dieser sich damit, der angenommenen kommunistischen Infiltration der amerikanischen Regierung nachzugehen. Ende November 1946 wurde HUAC zu einer einflussreichen politischen Kraft. 1947 wandte es sich Hollywood zu, um die Filmindustrie von kommunistischen Einflüssen zu ›säubern‹. Es waren 19 Regisseure und Drehbuchautoren vor den Untersuchungsausschuss geladen worden, um die Frage zu beantworten, ob sie Mitglieder der Kommunistischen Partei seien oder gewesen wären. Die Anhörungen wurden jedoch abgebrochen, da sie nicht im Sinne des Komitees verliefen, sodass nur elf von ihnen in den Zeugenstand mussten. Allein Berthold Brecht, der sich als Nicht-Amerikaner nicht auf den ersten Verfassungszusatz berufen konnte, beantwortete die Fragen des Untersuchungsausschusses, die anderen zehn, die sog. Hollywood Ten verweigerten die Aussage und wurden daraufhin mit Berufsverbot belegt. Die Hollywood Ten waren: Herbert Biberman, John Howard Lawson, Dalton Trumbo, Albert Maltz, Alvah Bessie, Samuel Ornitz, Edward Dmytryk, Adrian Scott, Ring Lardner Jr. und Lester Cole. 189

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Hollywood verlassen, während andere, wie z.B. Edward Dmytryk 1951 als sog. ›freundliche Zeugen‹ aussagten.9 Das Ende der ›neorealistischen‹ Social Problem Filme war demnach politisch motiviert. Dennoch wurden auch weiterhin Filme produziert, die den sich in der Nachkriegszeit entwickelt habenden Vorstellungen von Realismus und Plausibilität genüge taten – dabei verschob sich die Perspektive jedoch von gesellschaftliche auf psychologische Probleme. Bosley Crowther, einer der bekanntesten Filmkritiker des Landes, der für die New York Times schrieb und Vorsitzender der New York Film Critics war, hat für sie 1952 den Terminus downbeat Filme geprägt.10 Damit bezeichnete er Filme, zumeist Dramen, die anstelle der obligatorischen Romanze einen düsteren Realismus setzten und ohne ein Happy End auskamen, wie z.B. A STREETCAR NAMED DESIRE und DEATH OF A SALESMAN (beide 1951). Solche Filme waren beim Publikum und bei der Kritik außerordentlich beliebt. Es verwundert nicht, dass sie, wie auch die oben genannten gesellschaftlichen Problemfilme, immer wieder in den jährlichen Bestenlisten der New York Times auftauchten, denn neben geistreichen Komödien und kostspieligen Musicals gehörten Dramen, die im Stile des ästhetischen Realismus gedreht worden waren, zu den Genres, die insbesondere in der New York Times sehr geschätzt wurden. Barbara Klinger hat überzeugend herausgearbeitet, warum diese Dramen für die zeitgenössische Kritik so maßgeblich waren und positiv bewertet wurden. In den Augen vieler Kritiker/innen stellten sie eine Abkehr von der kommerziellen Filmindustrie dar, wodurch sie als ernstzunehmende Kunst betrachtet werden konnten und nicht länger als kommerzielle Produkte der Filmindustrie.11 Die Kanonisierung jener Filme beruht demnach auf dem Zusammentreffen des spezifischen Produktionsstiles mit der Skepsis, die viele Kritiker/innen den ›künstlichen Traumprodukten‹ Hollywoods entgegenbrachten, weswegen sie die Ausrichtung auf Inhalt und insbesondere auf gesellschaftliche Themen favorisierten. Die Dramen wurden in der Regel als Filme für Erwachsene produziert, beworben und rezipiert, d.h. sie sprachen in oftmals sensationshei9

Vgl. zur Verfolgung der Linken in Hollywood: Österreichisches Filmmuseum (Hg.) (2000):. Blacklisted. Movies by the Hollywood Blacklist Victims, Wien und Schatz: Boom and Bust. David Bordwell/Kristin Thompson (2003): Film History. An Introduction. New York (Orig. 1994). 10 Zit. Nach Klinger: Melodrama & Meaning, S. 72. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Klinger. 11 Diese Einschätzung trifft selbstverständlich nicht zu. Die Filme waren nicht nur bei der Kritik beliebt, sondern auch an den Kinokassen erfolgreich. Außerdem waren sie zweifelsohne genauso ›künstlich‹ wie andere Filme bzw. andere Repräsentationen. 190

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schender Aufmachung psychologische, sexuelle und gesellschaftliche Themen an, wie Sucht, Dreiecksbeziehungen, Jugendkriminalität, Familienkonflikte, sexuelle und psychische Probleme. Auf diese Art und Weise konnten sie als ›Erwachsenen-Filme‹ verkauft werden, was gleichzeitig eine wichtige Werbestrategie war.12 Heute ist ein Großteil dieser Filme als Melodramen bekannt. Nachfolgend wird das Augenmerk auf eine Gruppe von Filmen gerichtet, in deren Zentrum schwache, gepeinigte, möglicherweise impotente, alkoholsüchtige Männer stehen, die sich weit vom patriarchalen phallischen Ideal entfernt haben. In den nun zu untersuchenden Filmen ist das Zuhause und die Familie der Ort, an dem die sich verändernden Geschlechter- und Klassenverhältnisse verhandelt werden. Ich möchte dazu die Filme THE INCREDIBLE SHRINKING MAN (1957), WRITTEN ON THE WIND (1956), CAT ON A HOT TIN ROOF (1958) betrachten und ergänzend THE LONG HOT SUMMER (1956) hinzuziehen. Während THE INCREDIBLE SHRINKING MAN ein Sciencefiction ist, gelten letztere als ›aristokratische Familienmelodramen‹.13 Sie spielen im Süden der USA, bzw. im Südwesten: Texas. Damit werden Regionen gewählt, die in der (weißen) amerikanischen Geschichte und Mythologie mit starker Bedeutung aufgeladen sind. Der Süden evoziert den Plantagen-Mythos und damit einhergehend ein weißes Männlichkeitsideal, das von dem Glauben an wirtschaftliche Unabhängigkeit und Paternalismus geprägt ist. Das Komplement dazu findet sich in der Ikonographie der weißen, unschuldigen und femininen Südstaatenfrau, die vor der sexuellen Aggressivität der Schwarzen geschützt werden muss.14 Die Idee der ›reinen‹ weißen Frau im Süden impliziert einen Widerspruch: Einerseits muss sie zurückhaltend sein, andererseits muss sie Kinder gebären, um die weiße Ahnenfolge zu garantieren. Alle Filme sind während der beginnenden Bürgerrechtsbewegung gedreht worden, nehmen aber auf diese gesellschaftliche Lebenswirklichkeit keinerlei direkten Bezug. Stattdessen, oder vielleicht deshalb, beschreiben sie einen vom Zerfall gekennzeichneten Süden. Als Ausdruck dieses Zerfalls fungieren sexuell abweichendes Verhalten und die innerhalb der Oberschichtfamilien ausgetragenen Kämpfe. Wie ich später zeigen werde, können die in den 12 Während die Werbekampagnen der Studios den Schwerpunkt auf das Sensationelle legten, betonte die Filmkritik in ihrem Bemühen, sie dem realistischen Kanon zuzuordnen, eher die gesellschaftspolitischen Aspekte der Filme. Vgl. Klinger: Melodrama & Meaning, S. 75f. 13 Thomas Schatz (1981): Hollywood Genres: Formulas, Filmmaking and the Studio System. Philadelphia, PA. 14 Vgl. zum Süden: Allison Graham (2001): Framing the South. Hollywood, Television, and Race during the Civil Rights Struggle. Baltimore, MD und Richard Dyer (1997): White. London/New York. 191

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Filmen gezeigten Disfunktionen auch als Angst vor dem Verlust der ›weißen Reinheit‹ gelesen werden. Insofern gilt die Repräsentation des Südens in den Medien auch als »liminal ground on which to criticize its own values, to challenge the acceptable way of life with other attitudes«.15 Das Aufeinanderprallen verschiedener Lebensformen wird in den Filmen durchexerziert und zum patriarchalen Ideal in Beziehung gesetzt. Die patriarchale Ordnung, die durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Macht sowie Machtbeziehungen zwischen Männern und Frauen gekennzeichnet ist,16 kann dadurch in diesen Filmen in Frage gestellt werden, aber zumindest in CAT ON A HOT TIN ROOF und THE LONG HOT SUMMER wird sie rehabilitiert. In beiden Filmen, aber auch in WRITTEN ON THE WIND sind die erwachsenen Söhne nicht in der Lage, oder nicht Willens, das Erbe ihrer Väter anzutreten. Stattdessen ertränken sie ihre Schwierigkeiten in Alkohol.17 Grundsätzlich bietet die Narration ihnen zwei Möglichkeiten: Entweder sie meistern ihre missliche Lage und übernehmen die Verantwortung, die ihnen vom patriarchalen Diskurs angetragen wird, oder sie schlagen fehl und gehen zugrunde – was allerdings die Möglichkeit bietet ein alternatives Modell anzupreisen, wie bei WRITTEN ON THE WIND zu sehen sein wird. Die Filme weisen durchaus gemeinsame Motive auf. Dazu zählen Alkoholsucht, Zeugungsunfähigkeit oder die sexuelle Verweigerung des männlichen Protagonisten, die sexuelle Aggressivität einer der Protagonistinnen, das Ignorieren von Afro-Amerikanern bzw. das Festschreiben ihrer Position als Dienstpersonal und die verschwenderische Darstellung von Reichtum. Da sie sich aber in ihrem Problemlösung unterscheiden, werden WRITTEN ON THE WIND und CAT ON A HOT TIN ROOF einzeln betrachtet werden. THE INCREDIBLE SHRINKING MAN behandelt aus der Perspektive des Sciencefiction B-Films die Ängste und den möglichen Zerfall der Mittelschichtmännlichkeit. Die 50er Jahre sind das Jahrzehnt, in welchem der Sciencefiction boomte, da er es verstand, die Paranoia der 50er Jahre in eine Bildsprache zu übersetzen. Der Protagonist in THE INCREDIBLE SHRINKING MAN wird radioaktiver Strahlung ausge15 Horace Newcomb (1979/80): »Appalachia on Television: Region as Symbol in American Popular Culture«, in: Appalachian Journal 7, S. 155-64, S. 158. Vgl. dazu auch: Jackie Byars (1991): All That Hollywood Allows. Re-Reading Gender in 1950s Melodram. Chapel Hill, NC, S. 227f. 16 Gleichwohl sind auch Machtbeziehungen zwischen Männern Bestandteil der patriarchalen Ordnung. 17 Da die Söhne erwachsene, verheiratete Männer sind, habe ich diese Filme nicht der Kategorie ›Jugendliche‹ zugeordnet, unter der in dieser Arbeit jugendliche, allein stehende Jungmänner gefasst werden. 192

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setzt, leidet als Folge davon an einem Anti-Krebs und beginnt zu schrumpfen bis er sich schließlich ganz auflöst. Anhand der Schrumpfungsmetapher verdeutlicht der Film visuell, was es bedeutet, den Anforderungen, die an die Mittelschichtmännlichkeit gestellt wurden, nicht mehr gewachsen zu sein, namentlich den Handlungs- und Potenzverlust. Für den Protagonisten gibt es weder die im Rahmen Hollywoods übliche Rettung durch seine Frau, einen Arzt oder die Wissenschaft noch eine überraschende Wiederherstellung seiner normalen Größe. Stattdessen überwindet er seine Probleme, zu denen insbesondere auch die Frage nach intelligibler Männlichkeit zählt, indem er die alltägliche Welt transzendiert. Alle Filme beschreiben somit das physische Leiden, das durch ein normatives Männlichkeitsideal hervorgerufen wird.

4.1.2 WRITTEN ON THE WIND (1956) Die Produzenten von WRITTEN ON THE WIND hatten in ihrer Verkaufsstrategie gänzlich auf ihren Star Rock Hudson und auf die sog. erwachsenen Themen gesetzt.18 In diesem Sinne wurde der Film mit seinem Star und den sensationellen Aufmachern: Ehebruch, Alkoholismus, Unfruchtbarkeit und Nymphomanie beworben. Das Spektrum variantenreicher Sexualität sollte ein möglichst großes Publikum für den Film interessieren. Damit bettet sich der Film in die Rede über Sexualität ein, die in den 50er Jahren geführt wurde.19 Um verstärkt Frauen anzusprechen, wurde WRITTEN ON THE WIND parallel dazu als romantische Liebesgeschichte angepriesen.20 Nicht zuletzt konnte auch der Reichtum und Lebensstil der Oberschicht für die Werbung ausgeschlachtet werden. Die folgende Analyse nimmt sich besonders der durch die Figuren verkörperten Gegensätze an. Anhand der Familie Hadley wird in WRITTEN ON THE WIND ein intaktes Gesellschaftsmodell mit einem zerfallenen kontrastiert: Arbeit und Bodenständigkeit contra Dekadenz und Niedergang. Die Tochter Marylee (Dorothy Malone) und der Sohn

18 WRITTEN ON THE WIND wurde bei Universal in Farbe produziert. Regie führte Douglas Sirk. 19 Klinger: Melodrama & Meaning, S. 51-57. 20 Universal folgte einer 1956 erhobenen Marktanalyse, nach der die rückläufige Zahl der Kinobesuche mit dem Kinoverhalten von Frauen verknüpft wurde. Zur Werbung und Rezeption des Filmes, vgl. Barbara Klinger (1989): »Much Ado About Excess: Genre, Mise-en-Scene and The Woman in WRITTEN ON THE WIND«, in: Wide Angle 11 (4), S. 422, und Klinger: Melodrama & Meaning, S. 47. 193

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Kyle (Robert Stack) symbolisieren den Zerfall der Familie.21 Kyle ist ein Playboy mit einem Alkoholproblem, in den Worten seiner Schwester »the weakest of us all«, während Marylee nymphoman ist, da der Mann ihrer Träume, Mitch (Rock Hudson), sie nicht liebt. Ihre Inszenierung erfolgte in Anlehnung an Marylin Monroe als Sexsymbol und der gesamte Film betont ihre Sexualität, wodurch weibliche Sexualität zum Signifikanten für Sexualität überhaupt wird. Den Kontrast zu dem Geschwisterpaar bildet Mitch, der, aus einer armen Familie kommend, mit den Hadley-Kindern groß geworden und gleichsam ihr Bruder ist. Trotzdem unterscheidet er sich von ihnen aufgrund seiner finanziellen Möglichkeiten. Kyle beschreibt ihn mithin als »eccentric. He’s poor. […] Mitch is just a country-boy«.22 Da Kyle nicht die Fähigkeiten hat, in der Firma tatkräftig mitzuarbeiten, nimmt Mitch diesen Platz ein und ist zu einer wichtigen Stütze des alten Hadley geworden. Den zweiten Kontrapunkt zu den Geschwistern stellt Lucy (Lauren Bacall) dar, die von beiden Männern geliebt wird, sich aber für Kyle entscheidet. Beruflich Chefsekretärin, symbolisiert sie die moderne Mittelschichtfrau der 1950er Jahre. Nach ihrer Zukunft gefragt, entwirft sie zunächst ein gewöhnliches Bild: »I’ll probably walk down the aisle and end up in a suburb with a husband, mortgage, and children«, um anschließend deutlich zu machen, dass sie Langeweile in ihrem Leben zu verhindern sucht, weswegen sie an eine Karriere als Werbedesignerin denkt. Zunächst ist es jedoch die Heirat mit Kyle und sein reicher, exotischer Lebensstil, die keine Langeweile aufkommen lassen und nicht ihre berufliche Karriere. Lucy lebt folglich im Gegensatz zu ihren Träumen als dessen Ehefrau und offenbart damit ihre freiwillige Domestiziertheit. Zunächst scheint sich für Kyle durch die Hochzeit alles zum Guten zu wenden. Ihm gelingt es, mit dem Trinken aufzuhören und im Alltagsleben Fuß zu fassen. In seiner Zeit als Junggeselle hatte er sich nur als Hobbypilot beim Fliegen frei und selbstbestimmt gefühlt. Diese Charakterisierung lädt zu zweierlei Lesarten ein. Sie zeigt, dass Freiheit und 21 Malone erhielt für die Darstellung der Marylee den Oscar für die beste Nebendarstellerin. 22 Diese Szene, die im exklusiven Club 21 spielt, ist ironisch aufgebrochen. Nachdem Kyle Mitch als exzentrisch bezeichnet hat, steht er auf, um ihn und Lucy zu begrüßen, allerdings nicht ohne seine Zigarette zuvor in seinem Champagner gelöscht zu haben. Mitch hingegen sieht in seinem vornehmen braunen Anzug so wenig exzentrisch aus, wie es ein solcher erlaubt. Rock Hudson ist hier in einem ähnlichen Rollenfach wie in ALL THAT HEAVEN ALLOWS besetzt. Ein Verweis auf den Vater von Mitch unterstreicht das. Er ist ein »great hunter«, der in den Fußstapfen von Daniel Boone wandelt. Daniel Boone war das Vorbild für James Fenimore Coopers’ ›Lederstrumpf‹ und verkörpert damit das Wildnis-Ideal. 194

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Glück für Kyle nur außerhalb der gesellschaftlichen Enge möglich sind. Gleichzeitig sind die Technikbeherrschung und Sachkenntnis, die zum Fliegen nötig sind, in den 1950er Jahren männlich konnotierte Fähigkeiten und verweisen somit auf Kyles’ Potenzial. Den Revolver, den er gewohnheitsmäßig unter dem Kopfkissen liegen hat, wirft er Lucy zuliebe nach der Hochzeit weg. Das Wegwerfen des Revolvers, also des phallischen Symbols schlechthin, ist ebenfalls ein Akt der Befreiung und der Potenz,23 denn Kyle benötigt das Substitut nun nicht mehr. Er scheint nun im Besitz des Phallus zu sein. Diese Illusion ist aber nur von kurzer Dauer, denn der Wendepunkt des Filmes wird dadurch herbeigeführt, dass er erfährt, dass die Kinderlosigkeit des jungen Paares nicht an Lucy liegt, sondern er möglicherweise zeugungsunfähig ist. Dieser Potenzverlust verursacht sein neuerliches Trinken und er regrediert in ein jungenhaftes Verhalten. Als endlich die erlösende Nachricht der Schwangerschaft kommt, rastet Kyle aus und schlägt Lucy zu Boden, da er seinen besten Freund Mitch als Erzeuger des Kindes wähnt. Durch Schlag und Sturz verliert Lucy ihr Kind. Kyle, der inzwischen von Mitch aus dem Haus gejagt wurde, rast mit seinem gelben Sportwagen, Whiskey trinkend auf einer Straße inmitten einer Vielzahl von Bohrtürmen umher, um letztendlich wieder nach Hause zu finden und seine Pistole zu suchen. Die visuelle Inszenierung betont an dieser Stelle die Kastration Kyles besonders, indem er mit allen Substituten des Phallus (Sportwagen, Alkohol, Bohrtürme und Pistole) versehen wird. Der ultimative Höhepunkt ist der nachfolgende Kampf mit Mitch, der versucht, Kyle zur Besinnung zu bringen. Es löst sich ein Schuss und Kyle stirbt.24 Die Figur des Kyle hat also zwei Möglichkeiten: Entweder die Wandlung vom trinkenden Playboy zum Familienvater, der das Erbe der 23 Michael Stern (1979): »Patterns of Power and Potency, Repression and Violence: An Introduction of Douglas Sirk’s Films of the 1950s«, in: The Velvet Light Trap (16), S. 15-21, S. 18. 24 Zuvor hatte er Mitch noch mit der Pistole bedroht und ihn als »lousy white trash« bezeichnet, der ihm alles genommen habe, was er jemals begehrt habe – seinen Vater, seine Schwester und nun seine Frau. Das ›Kain-und Abel‹ Motiv ist hinsichtlich von Gender nur insofern von Bedeutung, als dass der von Mitch verkörperte Typ des hart arbeitenden aus der Mittelschicht aufgestiegenen Mannes den mit dem Silberlöffel im Mund geborenen, der mit Dekadenz gleichgesetzt wird, verdrängt. Die Sehnsucht Kyles nach ›reinen‹, unschuldigen Zeiten formuliert dieser kurz bevor er stirbt: Er erinnert er sich wehmütig an die glücklichen Tage der gemeinsam verbrachten Kindheit in der Natur am Fluss, wodurch Glück – ähnlich wie in ALL THAT HEAVEN ALLOWS – einmal mehr mit Naturverbundenheit gleichgesetzt wird. Es wird also auch hier ein Ideal evoziert, das jenseits der gesellschaftlichen Zwänge liegt. 195

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Hadley-Öl Dynastie antritt, zu vollziehen und damit zum phallischen Mann bzw. Patriarchen. Oder den eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten, sei es aus Gründen der Verweigerung oder der Unfähigkeit, und im Verfall zu enden. In diesem Sinne ist Kyle ein Opfer der patriarchalen Gesellschaft,25 deren Anforderungen an Männlichkeit er nicht erfüllen kann, auch wenn er in seiner Ehefrau Lucy eine Frau hatte, die nicht auf die Wiederherstellung der phallischen Männlichkeit gedrängt hatte. Kyles Mangel wird anhand von Mitch und Marylee besonders offensichtlich. Wie bereits angedeutet, ist Mitch das Gegenstück zur neurotischen Männlichkeit Kyles. Er steht für Stabilität, geht einer geregelten Arbeit pflichtbewusst und engagiert nach, verzichtet zugunsten seines Freundes auf seine Liebe und möchte trotz der Aussicht auf ein gewaltiges Erbe nicht Marylee heiraten. Außerdem ist er in der Lage sich zu prügeln und siegreich aus einem solchen Kampf hervorzugehen, was Kyle nicht gelingt. Obwohl er seine Potenz nicht unter Beweis stellen muss, ist man geneigt, mit Kyle die Vaterschaft anzuzweifeln. Nach dem Tode Kyles hat Mitch kein Interesse an der Hadley-Öl Kompanie, sondern verlässt mit Lucy das reiche Anwesen der Hadleys. Es scheint, als schlagen beide nun den Weg in die Welt ein, aus der sie gekommen sind, in die Welt der Mittelschicht. Auch wenn Mitch aufgrund seiner Fähigkeiten – im Gegensatz zu Kyle – dazu in der Lage gewesen wäre, der Hadley-Dynastie vorzustehen, zeigt er dazu keinerlei Ambitionen. Klinger hat darauf verwiesen, dass die in den Melodramen thematisierte Sexualität ein Mittel war, um das Publikum anzulocken und insbesondere die Figur Marylees erfüllte diese Funktion: »Dorothy Malone as Marylee, even a woman will find it hard to understand why she did the things she did!« propagierte ein Werbeposter.26 Doch was hat sie getan, dass so schwer zu verstehen ist? Marylee verkörpert die begehrende Sexualität wie niemand anders in WRITTEN ON THE WIND, sei es durch die Inszenierung ihres Körpers beim Tanzen, beim Hinaufschreiten der Treppe oder durch ihre expliziten Verführungsversuche.27 Ihre sexuellen Aktivitäten führen schließlich

25 Laura Mulvey (1977/78): »Notes on Sirk & Melodrama«, in: Movie (25), S. 53-57, S. 54. 26 Zit. nach Klinger: Melodrama & Meaning, S. 41. 27 Bei der Treppe, die in der Villa der Hadleys einen zentralen Platz einnimmt und häufig zu sehen ist, handelt es sich um die als »stairway of the stars« bekannte Treppe. Es ist eine geschwungene Treppe, die dazu eingesetzt wurde, um Stars, insbesondere Frauen, besser zur Geltung zu bringen. Folgerichtig hieß es in der Werbung »It takes a circular staircase to bring out a girl’s sex appeal [...] That stairs and sex appeal go together, 196

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zum Tod ihres Vaters. In dieser als Temptation Dance bekannten Szene wird Marylee von der Poilzei nach Hause gebracht, da sie mit einem jüngeren Mann aufgegriffen wurde. Ihr Vater erfährt daher von ihrem Tun und möchte sie zur Rede stellen. Währendessen tanzt Marylee zum immer schneller werdenden Klang von Temptation – sich das Abendkleid aus- und ein rosa Negligé anziehend – durch ihr Zimmer. Durch die Parallelmontage sieht man abwechselnd die ekstatische Marylee und den sich mühsam die Treppe hochschleppenden Vater. Kurz bevor er den Treppenabsatz erreicht hat, erleidet er jedoch einen Herzinfarkt und fällt die Treppe hinunter. Weibliche Sexualität ist demnach nicht nur fordernd, wie durch das nymphomane Verhalten symbolisiert, sondern auch als mörderisch konnotiert. Dadurch kehrt Marylee den Mythos der reinen, zu beschützenden Südstaatenfrau um. Ihre freie, nicht domestizierte Sexualität bedeutet für das Patriarchat eine Bedrohung, wie eindrücklich in dieser Szene vorgeführt wird. Die psychoanalytisch feministische Lesart von WRITTEN ON THE WIND führt das Funktionieren von Melodramen auf die Unterdrückung der weiblichen Sexualität zurück, wie sie in den Eisenhower-Jahren Bestand gehabt habe.28 So beschreibt Christopher Orr Marylee als »symbol for the return of the repressed«.29 Auch wenn diese Lesart zutreffend ist, meine ich, dass die Figur Marylees nicht nur als übersprudelndes Symbol für sexuelle Unterdrückung zu verstehen ist, sondern dass ihre Sexualität eine Synekdoche für selbstbewusste und nicht zu kontrollierende Weiblichkeit ist. Nach dem Tod ihres Vaters und Bruders ist sie die einzige Überlebende der Hadley-Dynastie und tritt die Nachfolge des Vaters an. Und es scheint, als sei ein weibliches Oberhaupt der Hadley-Öl Kompanie eher zu akzeptieren, als eine außerhalb der Ehe sexuell aktive Frau. Die Wandlung in ihrer Figur manifestiert sich in ihrer Kleidung. Während sie zuvor immer weit ausgeschnittene, enge, auffällige Kleider trug, ist sie im Schlussbild in einem gedeckten, zugeknöpften Kostüm – um Mitch trauernd – am Schreibtisch ihres Vaters unter dessen Porträt zu sehen. Genau wie er mit einem Ölbohrturm abgebildet ist, hält sie einen Turm in ihrer rechten Hand, über den sie nachdenklich mit der linken Hand streicht. Das Fehlen des Mannes (Mitch) wird kompensiert durch den Besitz des Öls und des symbolischen Phallus. So bleibt sie einerseits im ›Gesetz des Vaters‹ gefangen, denn ihre unkontrollierbare Sexualität ist gebrochen. Andererseits ist die traditionelle patriarchale that curves seem curvier as the owner ascends with well-modulated swing and sway has been proven many times over.« Ebd., S. 60. 28 Mulvey: »Notes on Sirk«. 29 Christopher Orr (1980): »Closure and Containment: Marylee Hadley in WRITTEN ON THE WIND«, in: Wide Angle 4 (2), S. 29-37, S. 33. 197

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Struktur nicht mehr funktionsfähig, wie an dem ›eingefrorenen‹ Bild des Vaters, der eben nun nur noch ein Gemälde, und damit tot ist, deutlich wird. Die Alternative zu dieser patriarchalen, dynastischen Struktur bietet das solide, ›exzentrische‹ Mittelschichtmodell.

4.1.3 CAT ON A HOT TIN ROOF (1958) CAT ON A HOT TIN ROOF bestätigt im Gegensatz zu WRITTEN ON THE WIND dynastische Familienstrukturen.30 Gleichwohl muss diese Bestätigung hart erkämpft werden, denn in den Augen des Protagonisten Brick Pollitt (Paul Newman) sind diese Strukturen zunächst alles andere als erstrebenswert. Im Frühjahr des gleichen Jahres war auch schon THE LONG HOT SUMMER angelaufen,31 der eine sehr ähnliche Geschichte erzählt. Somit entstanden relativ zeitnah zwei Filme, die etliche Gemeinsamkeiten haben: In beiden Filmen wird die männliche Hauptrolle des jungen Mannes von Paul Newman gespielt. Außerdem kehrt in beiden Filmen ein alterndes, gewaltiges Familienoberhaupt aus dem Krankenhaus auf das weite Südstaatenanwesen zurück und versucht, seine Familien in seinem Sinne zu modellieren. Und schließlich funktionieren die Familien nicht so, wie sie es sich wünschen; in beiden wird viel über sexuelle Beziehungen gesprochen, und am Ende sind die Familien doch im Sinne der pater familias gestaltet und »it all ends with them all settling down to raise babies and love their homes«.32 In CAT ON A HOT TIN ROOF steht die Geschichte der Südstaaten Familie Pollitt im Mittelpunkt, deren Mitglieder sich durch Eifersucht, Lebenslügen, Krankheit und Alkoholismus zerstören. An einem heißen Sommerabend, der sich in einem gewaltigen Gewitter entlädt, kommt es in der Familie zum dramatischen, aber bereinigenden Streit. Der Trailer beschreibt CAT als eine »passionate story of the conflict between people« und als eine »intimate revealing story of the conflict within people«. Wenngleich hiermit einerseits die Konflikte zwischen Brick und seiner Frau Maggie (Elizabeth Taylor) und zwischen Brick und seinem Vater Big Daddy (Burl Ives) gemeint sind, wird andererseits auch die innere Zerrissenheit von Brick angesprochen, die die Ursache des Ehe-

30 Das Drehbuch verfassten Richard Brooks und James Poe nach dem Theaterstück von Tennessee Williams. Regie führte ebenfalls Richard Brooks und produziert wurde bei Avon/MGM. 31 Nach Kurzgeschichten von William Faulkner drehte Martin Ritt den Film für 20th Century Fox. 32 Bosley Crowther, Besprechung zu THE LONG HOT SUMMER, The New York Times 4.4.1958, PFA. 198

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konfliktes ist. Der Establishing Shot stellt das Thema Bricks sehr anschaulich dar: Der ehemalige Football-Profi versucht nachts, auf einem menschenleeren Sportplatz betrunken Hürden zu laufen, er stürzt und verletzt sich den Knöchel. Aus dem Off hört man währenddessen Beifallrufe – eine Erinnerung an erfolgreiche, aber vergangene Zeiten. Die Sehnsucht nach Erfolg und Anerkennung sowie das Scheitern kennzeichnen Brick. Von nun an benötigt er Krücken, um sich fortzubewegen, und hält sich Whiskey trinkend nur mit einem Pyjama oder Morgenrock bekleidet in seinem Zimmer auf, scheinbar desinteressiert an den um ihn herum stattfindenden Ereignissen. Im Gegensatz zu ihm erwartet die gesamte Familie den aus dem Krankenhaus heimkehrenden Big Daddy voller Aufregung, um dessen Geburtstag zu feiern. Da alle davon ausgehen, dass er nicht mehr lange zu leben habe, haben die Verteilungskämpfe um sein Erbe unterschwellig begonnen. Die treibenden Kräfte sind die Schwägerin May (Madeleine Sherwood), die ihren Mann Cooper (Jack Carson), den Bruder von Brick antreibt, sich einen Großteil des Erbes zu sichern, sowie Maggie, die das Feld nicht kampflos aufgeben und der verhassten Schwägerin überlassen möchte. Maggie, die aus armen Verhältnissen kommt, möchte nie mehr dorthin zurück, sondern will die neu erworbene Klasse angemessen repräsentieren und sich für den Verbleib in dieser Klasse einsetzen. Maggie ist jedoch nicht nur die treibende Kraft, was die Besitzstandwahrung angeht, sondern sie treibt auch die Ehe voran, sie sucht die Nähe zu Brick – emotional und körperlich – wird aber immer wieder von ihm zurückgewiesen. Ihre Klagen, dass sie einsam sei, weist er mit dem Vorschlag ab, sie solle sich doch einen Liebhaber suchen. Ihr weiteres Begehr, Kinder zu bekommen, um ihrer Aufgabe als Schwiegertochter Genüge zu tun, ignoriert er völlig. All ihren Annäherungsversuchen weicht er aus, er weigert sich schlichtweg, mit ihr zu schlafen.33 Dieser Akt der Verweigerung ist ein wichtiges Thema, da damit die Frage der Nachkommenschaft angesprochen ist. In diesem Sinne spricht Big Mama (Judith Anderson) Maggie an: »That’s what marriage is for – family. […] Do you make Brick happy? Something’s wrong. You’re childless and my son drinks.«34 Obwohl Cooper und seine Frau bereits fünf Kinder haben, gilt Cooper, der ›Mann im grauen 33 Ähnliche Filme hinsichtlich einer sexuell anspruchsvollen und/oder unzufriedenen Frau sind die Melodramen von Minnelli THE COBWEB (1955), TEA AND SYMPATHY (1956) vgl. Kap. 4.3 und HOME FROM THE HILL (1959). 34 Und Big Daddy hatte zuvor schon zu Maggie gesagt, dass sie, wenn er ihr Mann wäre, bereits einige Kinder zur Welt gebracht hätte. 199

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Flanell‹ als Schwächling, der nicht wirklich in der Lage ist, dem Grundbesitz vorzustehen, da er schon seine Frau nicht beherrschen kann. Cooper stellt demnach nicht wie Mitch in WRITTEN ON THE WIND eine attraktive Alternative dar. Stattdessen ist er das Abbild des konformistischen Familienvaters, der von seiner Frau beherrscht wird und einer white collar Arbeit nachgeht (vgl. Kap. 3.3). Nur Brick wird die Führungsaufgabe zugetraut. Allerdings hat er weder daran Interesse noch daran, Nachkommen zu zeugen. Damit stellt er sich gegen die zugrunde liegende Idee, dass der Zweck einer Ehe in der Familiengründung liegt und die Aufgabe der Frau im Kinderkriegen. So sind beide Söhne in gewisser Weise gescheitert: Cooper ist zu schwach, das Oberhaupt der Pollitts zu sein und Brick verweigert sich. In beiden Fällen sind es die Frauen, die von ihren Männern mehr fordern. Maggie, die von der Überzeugung getragen ist, dass sie letzten Endes siegen wird, sieht in ihrem trinkenden, sich verweigernden, nicht arbeitenden, humpelnden Mann weiterhin den Phallus und fordert ihn auf, sich demgemäß zu verhalten. Diese Einschätzung Bricks wird auch von Big Daddy geteilt. Damit unterscheidet sich der Film einmal mehr von WRITTEN ON THE WIND. Denn der Glaube an Kyles phallische Männlichkeit wird dort weder von Lucy noch von Mitch oder seinem Vater so formuliert. Ganz im Gegenteil, Marylee spricht Kyle diese mehrfach vollständig ab. Auch in THE LONG HOT SUMMER ist das Zeugen von Kindern zum Erhalt der Dynastie ein zentrales Thema. Der eigentliche Erbe Jody Varner ist, wenngleich verheiratet, doch kinderlos. Für seinen Vater eine Enttäuschung auf ganzer Linie, flüchtet auch er sich in den Alkohol. Vater Varner sucht deshalb recht explizit einen Mann für seine unabhängige Tochter Clara. Deren Freund Alan wiederum hat kein sexuelles Interesse an Clara und beendet die Beziehung mit ihr. Clara erklärt sich das Verhalten ihres Freundes mit dem immensen Einfluss, den seine Mutter auf ihn hat und spricht damit eine in den 50er Jahren immer wieder formulierte Sorge aus: die schädigende Wirkung des Momism.35 Gerettet wird die Dynastie schließlich durch den aus der Unterschicht kommenden Ben, der sowohl das Erbe antreten als auch Clara heiraten und damit ›zähmen‹ wird. Ben wird als möglicherweise krimineller Arbeiter eingeführt, er kann ›anpacken‹, ist attraktiv und sowohl sexuell verfügbar als auch aggressiv,36 und arbeitet sich hoch. Doch zurück zu CAT ON A HOT TIN ROOF.

35 Philip Wylie (1942): Generation of Vipers. New York. 36 Damit weist er Parallelen zu den ›Helden‹ der Juvenile Delinquency Filme auf. (Kap. 4.2). 200

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Erst als klar wird, dass Big Daddy sterben wird, ist Brick in der Lage, sich mit seiner Verweigerungshaltung auseinanderzusetzen. »You started drinking with your friends Skipper death« konfrontiert ihn sein kranker, der Lebenslügen überdrüssiger Vater, worauf Brick ausrastet: »What are you suggesting?« »Nothing, but…« »But what, say what’s on your mind.« Dieser offene Dialog erlaubt es, an eine mehr als freundschaftliche Beziehung zwischen Brick und Skipper zu denken.37 Am Ende wird jedoch deutlich, dass Brick glaubte, dass seine Frau eine Affäre mit Skipper gehabt habe, und er sich für den Selbstmord seines Freundes, der lange Zeit – bis zu einer großen Enttäuschung – ein Idol für ihn war, verantwortlich fühlt.38 Zum Höhepunkt kommt es in dem anschließenden Streit zwischen Brick und seinem Vater, in dem er jenem seinen Materialismus, und als Kehrseite desselben, mangelnde Liebe vorwirft.39 Während dieser Auseinandersetzung, die bezeichnenderweise im Keller des Hauses stattfindet, erkennen beide den Wert der Liebe, und ein Positionswechsel findet statt. Brick trägt nun zum ersten Mal Tageskleidung, während Big Daddy einen Morgenmantel trägt. Auch ist Brick jetzt ohne Krücken unterwegs, sein Vater hingegen leidet zunehmend an starken Schmerzen – verzichtet aber auf Medikamente, um zu spüren, dass er lebt. Selbst das Trinkverhalten hat sich umgekehrt. In einem Wutanfall, in dem Brick die im Keller angehäuften Güter zerschlägt, zerstört er ebenfalls 37 Tatsächlich wurde dieses im Film nur angedeutete Problem der möglichen Homosexualität im Theaterstück von 1955 etwas offener angesprochen. Die Filmkritiken thematisierten diese Frage. Uneinigkeit herrschte jedoch darüber, ob die filmische Lösung, warum Brick sich dem ehelichen Geschlechtsverkehr verweigere, überzeugend sei, oder nicht. Der Großteil der Kritiken vertrat die Auffassung, dass die oben genannte Erklärung zu schwach sei. Außerdem wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das Publikum, das das Theaterstück kenne, sowieso wisse, dass unterdrückte Homosexualität der Kern des Problems sei. Vgl. dazu: Chon Noriega (1990): »Something’s Missing Here!: Homosexuality and Film Reviews during the Production Code Era, 1934-1962« in: Cinema Journal (30), S. 20-41. 38 »I could depend on him.« »He was a crutch for you, too? Wasn’t he?« »Yes Sir.« Brick konnte demnach noch nie ohne Krücken selbständig bzw. erwachsen leben. Zunächst übernahm Skipper diese Funktion und nach dessen Tod der Alkohol. Die Enttäuschung, die Skipper Brick zugefügt hatte, war die Erkenntnis, dass Skipper, ebenfalls alkoholabhängig, nicht der große Held war, sondern Angst hatte: »How does one drowning man help another drowning man?« 39 Die Sehnsucht nach Vaterliebe und Anerkennung durch den Vater, die hier genauso angesprochen wird wie in WRITTEN ON THE WIND, ist ein beliebtes Motiv der 50er Jahre, vgl. dazu auch die Filme mit James Dean EAST OF EDEN (1955) und REBEL WITHOUT A CAUSE (1955). 201

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ein lebensgroßes Bild von sich als Footballspieler. Damit befreit er sich von seiner Vergangenheit, öffnet die Tür für die Zukunft und versucht einen Neuanfang. Mit guten Vorsätzen ausgestattet, helfen sich die beiden angeschlagenen Männer gegenseitig die Treppe hoch. Im Wohnzimmer empfängt sie Maggie mit der Ankündigung »A child is coming, sired by Brick out of Maggie the Cat […] and that is my present to you!« Brick fordert sie daraufhin auf, ins Schlafzimmer zu kommen, um ein Kind zu zeugen, worauf sie mit einem erfreuten »Yes, Sir!« antwortet. Die Autorität Bricks ist somit etabliert: Brick tritt das Erbe des Vaters an.

4.1.4 THE INCREDIBLE SHRINKING MAN (1957) Das Genre der Sciencefiction legt gattungsgemäß andere Schwerpunkte als die vorherigen Filme. Nicht dynastische Familienstrukturen stehen im Zentrum des Interesses;40 der Sciencefiction der 50er Jahre verhandelt vielmehr Konflikte zwischen einer menschlichen Gemeinschaft und einer fremden, monströsen Kraft, die eine Katastrophe auslöst und damit eben diese Gemeinschaft bedroht. Das Entscheidende an der Bedrohung ist, dass sie globaler Art ist und die gesamte Zivilisation zerstören könnte. Ein weiteres Thema der phantastischen Filme der 50er Jahre sind die aus Fehlern der Wissenschaft und/oder Technologie herrührenden Probleme. Insofern resultiert der Sciencefiction jener Zeit aus einem Gefühl der Paranoia, die durchaus verschiedene Ursachen haben kann. Hinter ihr verbergen sich so unterschiedliche Ängste wie die vor der Ausbreitung des Kommunismus oder vor einem atomaren Krieg. Demzufolge verwundert es nicht, dass die Sciencefiction der 50er Jahre in der filmwissenschaftlichen Forschung zumeist als Metaphern für diese Ängste gelesen werden. Cyndy Hendershot hat herausgearbeitet, wie maßgeblich das atomare Zeitalter die Sciencefictionfilme der 50er Jahre geprägt hat.41 Die neu entwickelte Atomtechnologie und der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki eröffnete zwei gedankliche Möglichkeiten: Entweder den zivilisatorischen Aufschwung aufgrund der friedlichen Nutzung der Kernenergie oder aber die Zerstörung der Welt mittels der

40 Jack Arnold führte bei dem Film Regie, s/w. Produziert wurde der B-Film von Albert Zugsmith für Universal International Picture. Das Drehbuch verfasste Richard Matheson nach der von ihm geschriebenen Erzählung. 41 Cyndy Hendershot (1999): Paranoia, the Bomb, and 1950s Science Fiction Films. Chicago, IL. 202

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Atom- bzw. Wasserstoffbombe.42 THE INCREDIBLE SHRINKING MAN ist einer jener Filme, in denen die Bedrohung durch eine atomare Wolke entsteht. Allerdings bedroht diese Wolke, eine Mischung aus Radioaktivität und Insektiziden, hier nicht die ganze Welt, sondern allein den Protagonisten Scott Carey (Grant Williams). Damit artikuliert der Film das Gefühl der Angst zwar in der Metapher der atomaren Bedrohung, reduziert sie aber gleichzeitig auf eine private Ebene und kann, wie noch zu sehen sein wird, aus einer Gender-Perspektive als Sorge der Männer, den normativen Anforderungen des Familienmannes nicht gewachsen zu sein, verstanden werden. Die Spannung zwischen rein persönlicher und gesellschaftlicher Ebene findet sich auch in der Erzählform des Films. Er arbeitet immer wieder mit Scotts aus dem Off vorgetragenen Gedanken. Mit diesem Stilmittel betont er die subjektive Erfahrung und die Realität des Geschehenen gleichermaßen. Insbesondere im zweiten Teil des Films, in welchem Scott alleine im Keller ist, wird die Off-Stimme eingesetzt. Der Film beginnt damit, dass Scott und Louise (Randy Stuart) ihren Urlaub auf dem Boot von Charlie (Paul Langton), Scott´s Bruder, verleben und darüber diskutieren, wer Bier holen geht. Schon hier wird anhand der Figurenkonstellation deutlich: Scott, der anders als sein Bruder der Bootsbesitzer, keinen gesellschaftlichen Erfolg verkörpert, wird von Louise in seine Schranken verwiesen. Erst als er einen Vorschlag macht, sich zu revanchieren, lässt sie sich darauf ein, das Bier zu holen. Just in jenem Moment, in dem sie im Inneren des Bootes verschwindet, wird Scott der radioaktiven Wolke ausgesetzt, die ihn später schrumpfen lassen wird. Diese kurze Eingangsszene zeigt zwar einerseits ein glücklich miteinander scherzendes Paar, andererseits deutet sie den Konflikt an: Scott leidet unter den an ihn gestellten Anforderungen. Nach sechs Mo42 Bereits die Regierung Truman hatte als einzigen Zweck der Bombe die Sicherheit und Verteidigung der USA und ihrer Alliierten genannt. Nichtsdestotrotz verunsicherte das zerstörerische Potenzial der Bombe große Teile der Bevölkerung. So formulierte der Psychiater Jules Masserman 1947 »no sentient man or woman can really find peace of mind and body.« Dieses Gefühl der Verunsicherung und Bedrohung wuchs, nachdem die Sowjetunion im Jahr 1949 ebenfalls im Besitz einer Atombombe war. Zivile Verteidigungsprogramme (civil defense programs) hoben auf die Notwendigkeit von Schutzeinrichtungen ab, insbesondere auch auf die Errichtung von unterirdischen Schutzanlagen. Filme wie der in Schulen gezeigte Film DUCK AND COVER (1951) gaben, wenn man um die absolut zerstörerische Kraft von Atombomben weiß, (zynische) Anweisungen, wie sich die Menschen im Falle eines Atomschlages verhalten sollten. Zur nervösen Angst im atomaren Zeitalter, Margot A. Henriksen (1997): Dr. Strangelove’s America. Society and Culture in the Atomic Age. Berkeley/ Los Angeles, CA. 203

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naten beginnt Scott Gewicht und Körpergröße zu verlieren, was ihn – im Gegensatz zu Louise und seinem Arzt, die diese Veränderung zunächst nicht wahrhaben wollen43 – unter extremen Druck setzt. Die zunächst nur leichten Veränderungen in Gewicht und Körpergröße führt der Arzt auf Stress zurück. Damit spricht er eine in den 50er Jahren weit verbreitete Sorge über den physischen Zustand von Männern an. So schreibt Lawrence K. Frank in einem 1955 in der Zeitschrift Look publizierten Artikel, dass Männer zwar größer und stärker als Frauen seien, aber gleichzeitig auch schwächer: »We are all familiar with the successful executive or professional man who, in middle age, develops a variety of ills – high blood pressure, heart disease, stomach ulcers and various emotional disorders. These are not necessarily caused by intense work. Rather, the intense work and continual worry may themselves be expressions of the male personality – which does, on the whole develop bodily ills and personality conflicts more frequently than is the case for women.«44

Während Frank die physische Instabilität von Männern nicht notwendigerweise auf die Arbeitsbelastungen zurückführt, beschreiben andere Autoren Krankheiten wie Bluthochdruck und Herzinfarkt als eindeutig stressspezifische Krankheiten.45 Im Film werden also zeitgenössische psychosomatische Diskurse aufgegriffen. Um Louise zu beweisen, dass er kleiner wird, bittet Scott sie, ihn zu küssen, wodurch auch sie merkt, dass sie sich nicht mehr auf die Zehenspitzen stellen muss. Metaphorisch gesprochen muss sie nicht mehr zu ihm aufschauen. Der Machtverlust, der von Anfang an latent mitschwang, wird nun offensichtlich. Nachdem auch die wissenschaftlich abgesicherten Ergebnisse seines Schrumpfens vorliegen, bietet er Louise an, die Ehe zu beenden, da er nun nicht mehr derselbe Mann sei.46 Louise will davon nichts hören und versichert ihm ihre Liebe. Solange er den Ehering trage, gehöre sie ihm. Kurz darauf rutscht ihm der Ring vom kleiner werdenden Finger. Sein Status als Ehemann ist nun nicht mehr legitim und die Ehe symbolisch verloren. Die Regression Scotts ist ab da unaufhaltbar. Er verwandelt sich von einem freundlichen, erwerbstätigen, verheirateten Mann in einen frustrierten, schimpfenden, arbeitslo43 Beide begründen ihr Unverständnis mit der Unmöglichkeit des Vorgangs: »People just don’t get smaller.« 44 Lawrence K. Frank (1955): »How much do we know about men?«, in: Look 17.5.1955, S. 52-56, S. 52. 45 Cohan: Masked Men, S. 56. 46 »There’s a limit to your obligation. [...] You loved Scott Carey. He has a size and a shape and a way of thinking. All that is changing now.« 204

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sen tyrannischen Freak.47 Damit vollzieht er eine Wandlung von männlich wahrgenommenen Eigenschaften zu weiblich konnotierten. Die Entmächtigung Scotts und damit sein Scheitern werden nun auf allen Ebenen offenbar. Um die Schulden des Paares bezahlen zu können, verkauft er seine Geschichte an die Presse. Darüber hinaus kann er seiner Frau kein Liebhaber mehr sein. Louise schmust nun ausschließlich mit ihrem Kater, der bezeichnenderweise Butch heißt – und damit auf das verweist, das Scott fehlt: Männlichkeit. Als er eines Abends aus dem Off sein Bedürfnis nach Louise eingesteht, geht sie gefolgt von dem Kater ins Bett und beweist damit ihre Unabhängigkeit von ihm. »I felt puny and absurd. A ludicrous magic. Easy to talk of soul and spirit and essential worth but not when you’re three feet tall. I loathed myself, our home, the caricature my life with Lou had become. I had to get out. I had to get away.«

Abbildung 9: THE INCREDIBLE SHRINKING MAN (1957)

Das Eingeständnis seiner Impotenz lässt ihn aus dem Haus fliehen. Durch die Begegnung mit der von Geburt an zwergenhaften Clarice Bruce (April Kent), schöpft er neuen Lebensmut. Der zentrale Aspekt dabei: Clarice ist kleiner als er. Durch diese Tatsache wird das Gefühl 47 Paul Wells (1983): »The Invisible Man: Shrinking Masculinity in the 1950s Science Fiction B-Movie«, in: Kirkham/Thumin: You Tarzan, S. 188. 205

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seiner Kastration für einen Moment aufgehoben. Schlussendlich aber schrumpft er soweit, dass er in einem Puppenhaus nächtigt. Die Vertreibung aus diesem letzten zivilisatorischen Refugium unternimmt die Katze Butch.48 Sie zerstört das Haus und jagt Scott wie eine Maus durch das Wohnzimmer bis er die Kellertreppe hinunterstürzt. Als Louise nach Hause kommt, findet sie nur noch die Spuren des Kampfes und geht deswegen vom Tod ihres Mannes aus.49 Paul Wells versteht die Sciencefiction B-Filme der 50er Jahre als systematische Destabilisierung filmischer Männlichkeit in dem Sinne, dass die hier gezeigten Männer nicht in der Lage sind, ihre Macht zu sichern und Kontrolle über ihre Lebenssituation zu bewahren. Den Verlust ihrer Männlichkeit bezeichnet er als: »punishment for some past sin, it is probably the sin of patriarchy in its oppression and devaluation of women. Through the collaps and humiliation of the male body, the limitations of the patriarchal body politic are revealed and female affectivity and power recognized.«50 Dieser Sichtweise kann aus feministischer Perspektive gefolgt werden. Gleichwohl setzt die zweite Hälfte des Filmes andere Akzente: Scott muss im Keller sein Überleben sichern, bis er – wie er hofft – von Louise gerettet wird. Mit anderen Worten, ab dem Moment, an dem er in den Keller stürzt, organisiert er sein Leben auf das neue Ziel des Überlebens hin. Auf sich alleine angewiesen, muss er seine Fähigkeiten und verbleibenden Kräfte sinnvoll nutzen. Er ist auf die existentiell wichtigen Dinge zurückgeworfen: Wasser, Nahrung, Unterschlupf und Abwehr von Feinden. Konkret handelt es sich in diesem Falle um eine ebenfalls im Keller lebende Spinne, denn Scott ist inzwischen so klein geworden, dass er in einer Streichholzschachtel leben kann. Der Keller hatte Louise dazu gedient, Näharbeiten durchzuführen. Indem Scott in dem weiblich besetzten Raum gelandet ist, besetzt er ihn neu, was er wie folgt ausdrückt: »As man had dominated the world of the sun, so I would dominate my world.« Während er also in der zivilisierten Welt durch sein Schrumpfen entmächtigt wurde, muss er hier die Macht über sich und die Welt zurückgewinnen und den Raum neu besetzen. Gleichzeitig kann die Unterscheidung zwischen Keller und Wohnraum auch als 48 Die Katze Butch tritt in der ersten Filmhälfte immer wieder auf. In einer frühen Szene sieht man, wie Louise ihr Milch gibt, wodurch das Band etabliert wird, das zwischen den beiden besteht. Später als der ›Noch-Mann‹ Scott ins Bett geht, wirft er Butch aus dem Bett und zeigt damit seine Machtposition an. 49 Die Tür symbolisiert hier die Grenze zwischen Sicherheit und Bedrohung. Denn während Louise das Haus verlässt, kommt die Katze durch die Tür herein. Als Louise später nach Hause kommt, ist es der durch das Türöffnen entstehende Luftzug, der Scott zum Absturz bringt. 50 Wells: »The Invisible Man«, S. 192. 206

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Anspielung auf das in den zivilen Verteidigungsprogrammen propagierte unterirdische Schutzsystem verstanden werden. Bezeichnend ist, dass Scott hier weder Schutz noch Rettung erfährt. Um die Anpassung an die neuen Lebensumstände erfolgreich zu meistern, stattet er sich wie ein Urmensch aus. Er zerreißt seine bisherigen Kleider, weil sie, wie er meint, dem Zweck des Überlebens nicht dienlich seien und bastelt sich stattdessen eine Art Urmenschenumhang (Abb.9). Sodann funktioniert er Stecknadeln zu Waffen um: »With these bits of metal I was a man again« und schreitet zum Kampf gegen die Spinne, die von ihm nicht als monströser Gegner sondern als natürlicher Feind wahrgenommen wird. Im Roman ist die Spinne eine schwarze Witwe, wodurch der ›männerfeindliche‹ Aspekt der Spinne betont wird. Im Film hingegen ist sie eine Tarantel. Sein Denken wird nun bestimmt durch Instinkt, Reflex und die Notwendigkeit zu handeln. Scott wird so auf der einen Seite über die Rückkehr zum ›Ursprünglichen‹, durch den Überlebenskampf remaskulinisiert. Das impliziert auf der anderen Seite aber auch, dass in den atomaren, zivilisierten 50er Jahren eine maskuline Existenz nicht möglich war. Allerdings bleibt Scott nicht bei dieser Remaskuliniserung stehen. Stattdessen gewinnt er über das Schrumpfen Einsichten in philosophische Fragen der Existenz und anstatt reduziert zu sein, wächst er metaphysisch über sich hinaus. »What was I? [Er steht im Dunkeln, die Verf.] Still a human being? Or was I the man of the future? [Tritt ins Licht, die Verf.]« Inzwischen ist Scott so klein geworden, dass er durch die Fenstergitter ins Freie treten kann. Der geistige Erkenntnisgewinn wird somit auch visuell untermauert. Er erkennt, dass unvorstellbare Kleinheit und Unendlichkeit die beiden Seiten einer Medaille sind und dass er weiter existiert, auch wenn sein menschlicher Körper zerfällt. In dem Wissen, dass er, obwohl er verschwinden wird, etwas bedeutet, löst er sich auf und wird eins mit dem Universum.

4.1.5 Fazit Die hier besprochenen Filme zeigen die Schwierigkeiten der Protagonisten den Anforderungen phallischer Männlichkeit zu entsprechen, und die damit einhergehenden physischen Folgen des Scheiterns: Sie werden krank bzw. sterben – Männlichkeit steckt offensichtlich in einer tiefen Krise. Die an Männlichkeit gestellten Ansprüche unterscheiden sich, abhängig von der Klassenzugehörigkeit: In den Plantagen- oder Öldynastien des Südwestens steht die Konstitution eines patriarchalen, dynastischen Oberhauptes im Vordergrund. Damit gehen die Wahrung des Besitzes und die Sicherung der Nachkommenschaft einher. Im Gegensatz zu Kyle aus WRITTEN ON THE WIND kann Brick seine nicht-phalli207

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sche Männlichkeit überwinden. Er steigt wie ein Phönix aus der Asche auf und nimmt die Aufgabe an, das nächste Familienoberhaupt zu werden. Trotzdem verweist auch CAT ON A HOT TIN ROOF weiterhin auf den Todeskampf der idealtypischen paternalistischen Männlichkeit: Der Vater wird an Krebs sterben und die behauptete Schwangerschaft ist nur eine Lüge. In den Filmen steht der Alkohol für die nicht-phallische Männlichkeit der Protagonisten. Er symbolisiert Unproduktivität, Luxus, Krankheit und die Flucht aus gesellschaftlichen Zwängen. Während Brick trinkt, um aus der Gesellschaft fliehen zu können und sich der normativen Vorstellung von heterosexueller Reproduktion zu verschließen, beginnt Kyle wieder zu trinken, als er erkennt, dass er keine Kinder zeugen kann ist. Das heißt, Alkohol ist hier weniger ein Symbol für die Verweigerung der bestehenden Ordnung, als vielmehr Ausdruck dafür, ihre Forderungen nicht erfüllen zu können.51 Insofern fungiert Alkohol in beiden Fällen als Reaktion auf eine Ordnung, die für Protagonisten unerträglich ist. Alkohol wird zum Richtmesser für Männlichkeit. Er scheint hier eine ähnliche Funktion einzunehmen wie die Verletzungen des Männerkörpers im Western. Der verletzte Körper wird durch die Heilung zu dem, was er eigentlich schon ist – zum Männerkörper. Seine Verwundung ist demnach essentiell für das männliche Heldentum.52 Analog dazu scheint in diesen Melodramen der Umgang mit Alkohol einem Initiationsritus gleichzukommen. Schafft der Mann es, den Alkohol zu beherrschen oder umgekehrt?53 So wie Alkohol die nicht-phallische Männlichkeit markiert, sind auch die sexuellen Disfunktionen der Männer und Frauen in diesen Filmen Zeichen für den Zerfall des weißen patriarchalen Lebensstils. Die Frage nach der männlichen Zeugungsfähigkeit und das Thema Alkohol bestimmen die Filme CAT ON A HOT TIN ROOF, THE LONG HOT SUMMER und WRITTEN ON THE WIND und kennzeichnen, wer ein Mann ist und wer nicht. Aber, wie ich meine, können sie auch noch in anderer Weise verstanden werden. Zentrales Thema aller Filme ist die Zeugungsfähigkeit. Reproduktion ist immer mit Race verknüpft. Betrachtet man das Konzept Race 51 In Umkehrung dessen, hatte Kyle nicht getrunken, als seine Beziehung mit Lucy noch nicht von Kinderlosigkeit überschattet war. 52 Vgl. Dazu Mitchell: Westerns. 53 Zum Alkohol im Film, vgl. Norman K. Denzin (1991): Hollywood Shot By Shot. Alcoholism in American Cinema. New York und Massimo Perinelli/Olaf Stieglitz (2006): »Liquid Laughter. A Gendered History of Milk & Alcohol. Drinking in West-German and US Film Comedies of the 1950s«, in: gender forum, Imagendering II, 13. URL: http://www.gender forum.uni-koeln.de/. (13.2.2007). 208

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hinsichtlich Heterosexualität und Fortpflanzungsfähigkeit, sind die Identifikationsmerkmale in den Körper eingeschrieben. Die nahezu besessen anmutende Fokussierung auf die Zeugungsfähigkeit der Männer lässt die Kategorie Race durch die Hintertür in die Filme einschleichen. Es geht in ihnen nicht nur um die Reproduktion und den Fortbestand der Dynastien, sondern auch darum, Weißheit nicht zu gefährden. Dieses Projekt gelingt schließlich in zwei Filmen. Die Massivität, mit der in CAT ON A HOT TIN ROOF – und in ganz ähnlicher Form auch in THE LONG HOT SUMMER – paternale Geschlechterbeziehungen und Familienstrukturen wieder hergestellt werden, deuten auf die Heftigkeit hin, mit der in den 50er Jahren um Gender und Race gekämpft wurde. Abschließend möchte ich mich der Frage zuwenden, an wen der in den Filmen geführte Krisendiskurs appelliert. Die im Süden bzw. Südwesten angesiedelten Melodramen beschreiben den Niedergang der gesellschaftlichen Oberschicht inklusive ihrer patriarchalen Familienstrukturen. Die Filme entwerfen ein Zerfallsszenario, das durch disfunktionale Sexualität, nämlich Impotenz der Männer und sexuelle Aggressivität der Frauen, durch Alkoholsucht und Desinteresse am Fortbestand der existierenden Ordnung gekennzeichnet ist. In WRITTEN ON THE WIND gelingt es nicht, die einstmals intakte Welt der Oberschicht zu bewahren. Als einzige Alternative überlebt das Mittelschichtmodell diese Krise und empfiehlt sich damit als nachahmenswerter Entwurf. In CAT ON A HOT TIN ROOF hingegen gelingt es, den Zerfall der paternalistischen, dynastischen Männlichkeit zu stoppen. Die Anrufung der Krise, die hier fast apokalyptisch anmutet, dient wie ich meine, jedoch nicht nur dem Erhalt von patriarchaler Männlichkeit, sondern darüber hinaus dem Erhalt einer weißen Gesellschaft. Die an die Mittelschichtmännlichkeit gestellten Ansprüche unterscheiden sich von den an die Männer der Südstaatendynastien gestellten Anforderungen. Das Ziel, dem hier zugestrebt wird, ist das ErnährerIdeal und eine befriedigende Partnerschaft (vgl. Kap. 3.3). Wie schwierig es ist, dieses Bestreben im atomaren Zeitalter zu erfüllen, zeigt THE INCREDIBLE SHRINKING MAN. Der Film verweist einerseits auf die Angst, den einmal erreichten Mittelschichtstatus zu halten bzw. den damit verknüpften Gendervorstellungen zu entsprechen, andererseits darauf, dass eine maskuline Existenz im Sinne einer naturhaften, archaischen Männlichkeit nicht möglich ist. Indem der Film Männlichkeit zwischen diesen beiden Polen aufzeigt, schafft er ein Bewusstsein für die Relativität von Männlichkeit und konstituiert sie schließlich spirituell, nicht gesellschaftlich hergestellt, neu. Der Historiker und Pulitzerpreisträger Arthur Schlesinger Jr. beschäftigte sich 1958 in seinem Artikel The Crisis of American Masculi209

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nity mit genau diesen Spannungen um Gender, welche er folgendermaßen beschrieb: »today men are more and more conscious of maleness not as a fact but as a problem«. Schlesinger bettet die von seinen Zeitgenossen wahrgenommene Krise der Männlichkeit in seinem Artikel in eine übergeordnete Gender-Krise ein. Er versucht dieses Phänomen anhand von Filmen und Theaterstücken, die er als »faithful mirror of a society’s preoccupations« verstand, zu erklären.54 Brick Pollitt ist in seinen Augen ein typischer moderner Held, da er die sexuelle Ambiguität der Zeit personifiziere und nicht in der Lage sei: »of dealing with the woman in his life: Brick surrenders to a strong woman. [...] Now not many American males have been reduced to quite the PollittPorter condition. Still the intentness with which the audiences have watched these plays suggests that exposed nerves are being plucked – that the PollittPorter dilemma expresses in vivid and heightened form something that many spectators themselves feel or fear.«55

Das, was die Zuschauer/innen fürchten oder fühlen, benennt er kurz darauf: Die Entmännlichung des amerikanischen Mannes, deren Ursache die starke amerikanische Frau ist – so zumindest die gängigste Erklärung. Nach dieser Logik spüre der amerikanische Mann seit seiner Geburt die allumfassende Macht der Frau. Durch Krankenschwestern, Mütter und Lehrerinnen sei er von Anbeginn dieser Dominanz ausgesetzt, klagt Moskin in der Zeitschrift LOOK.56 Damit rekurriert er auf den von Philip Wylie während des Zweiten Weltkriegs geprägten Begriff des Momism, der auch in den Jahren des Kalten Kriegs Konjunktur hatte. Er kritisiert die weibliche Erziehung, die anstelle unabhängiger, ›rauher‹ Individuen, ›weiche‹ Männer hervorbringe. Von Seiten der Psychiatrie und Sozialwissenschaft wurde diese These in der Nachkriegszeit unterstützt. So erklärte z.B. der Psychiater Edward Strecker die hohe Anzahl neuropsychiatrischer Störungen in der US-Armee mit übertriebener Mütterlichkeit.57 Die solcherart herbeigeführte Entmännlichung bzw. die

54 Arthur Schlesinger Jr. (1958): »The Crisis of American Masculinity«, in: Ders.: The Politics of Hope. Cambridge, MA. 1962, S. 237-246, S. 237 und 238. 55 Schlesinger bezog sich allerdings auf das Theaterstück und nicht auf den Film. Porter ist der Protagonist von LOOK BACK IN ANGER, das von Schlesinger ebenfalls herangezogen wird. Da er sich auf das Theaterstück bezieht, versteht er unter dem Pollitt-Porter Zustand auch die angedeutete Homosexualität, vgl. Schlesinger: »The Crisis«, S. 239. 56 Moskin: »The American Male«, S. 77. 57 Vgl. dazu auch die Einträge von Rebecca Jo Plant (2003): »Momism« und Allison Perlam (2003): »Mother-Son Relationship« in: Bret E. Carroll 210

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damit einhergehende neurotische Männlichkeit bedrohe jedoch auch in Friedenszeiten die gesellschaftliche Stabilität der USA, denn so aufgewachsene Jungen und Männer seien besonders gefährdet, kriminell oder homosexuell zu werden. Da diese im Gender-Diskurs der 50er Jahre als abweichend klassifizierten Verhaltensschemata in den Filmen der Zeit großen Raum einnahmen, werden sie in den Kap. 4.2. und 4.3. eigens betrachtet. An dieser Stelle soll das Augenmerk hingegen noch einmal auf die in WRITTEN ON THE WIND und in CAT ON A HOT TIN ROOF beschriebenen sexuellen Disfunktionen gerichtet werden. Sexualität war in den 50er Jahren ein zunehmend wichtiges Thema und die Krise der Männlichkeit wurde durchaus mit ihr in Verbindung gebracht. Durch das Escheinen der Kinsey-Reporte Sexual Behavior in the Human Male (1948) und Sexual Behavior in the Human Female (1953), war Sexualität massiv ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt worden. Beide Berichte offenbarten, dass gelebte Sexualität in großem Widerspruch zu den überkommenen Wertvorstellungen stand. Dementsprechend beschreiben John D’Emilio und Estelle Freedman in Intimate Matters die Arbeiten Kinseys als »cultural landmarks«.58 Ein in TIME nach der Veröffentlichung des Berichts zur Sexualität der Frau erschienener Artikel hebt hervor, dass sich das Sexualverhalten der Frauen weitaus stärker verändert habe als das der Männer: »They are by no means as frigid as they have been made out« und während Männer ihre sexuell aktivste Phase hätten, noch bevor sie zwanzig Jahre alt würden, seien Frauen ab den 20ern aktiv, was bis ins hohe Alter anhalte.59 Männliche Sexualität, das was einst Männlichkeit an sich ausgemacht habe, erschien im Lichte dieser Betrachtungen asymmetrisch zur weiblichen Sexualität und höchst gefährdet zu sein. Denn: »Virility used to be conceived as a unilateral expression of male sexuality, but it is regarded today in terms of the ability to evoke a full sexual response in part of the female. Men as the dominant group feel the strains of accomodating to the changing status of the minority group, and meeting the challenge presented by the sexual emancipation of women.«60

(Hg.): American Masculinities. A Historical Encyclopedia. Stanislaus, CA, S. 318-319, 319-322. 58 John D’Emilio/Estelle B. Freedman (1989): Intimate Matters. A History of Sexuality in America. New York (Orig. 1988), S. 286. 59 »5,940 Woman«, in: TIME 24.8.1953, S. 51-58, S. 51. 60 Helen Mayer Hacker: »The New Burdens«, S. 231. 211

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Als männliche Reaktion auf diesen Druck notierte die Soziologin Helen Mayer Hacker Impotenz oder die Flucht in die Homosexualität. In ähnlicher Weise argumentiert auch Robert Moskin. Doch während Hacker versucht, die Verschiebungen zu analysieren, durch die sich die Kriterien für Männlichkeit verändern, beklagt Moskin, dass die Frau »is now winning the battle of the sexes in America«.61 In seiner Argumentation ist »women’s aggressiveness and demand for sexual satisfaction« Schuld am Niedergang der Männer, die deswegen müde, passiv, ängstlich und impotent würden.62 Moskin entwirft ein düsteres Szenario für dieses ›besiegte Geschlecht‹ und für die US-amerikanische Gesellschaft gleichermaßen, solange niemand den Frauen Einhalt gebiete. Er ruft dazu auf, neue Mythen und Bedeutungen für Männlichkeit zu erschaffen, da sich die US-amerikanische Gesellschaft sonst zu einer Gesellschaft entwickle »made up of he-women and she-men.«63 Doch bevor ich auf die scheinbar drohende Sexualität zu sprechen komme (Kap. 4.3), sei auf ein weiteres Filmparadigma eingegangen, in dem explizit der Niedergang der Gesellschaft thematisiert wird: die Kriminalität Jugendlicher.

4 . 2 Au t o r i t ä t e n u n t e r B e s c h u s s : » W h a t a r e yo u r e b e l l i n g a g a i n s t ? « 64 Nachdem im vorhergehenden Kapitel das Unvermögen, phallischer Männlichkeit zu entsprechen, als Filmmotiv thematisiert wurde, möchte ich nachfolgend dem Leitmotiv jugendlicher Rebellion nachspüren, welche als Kontrapunkt zu jener leidenden Männlichkeit verstanden werden kann. Ich konzentriere mich dabei auf die Filme THE WILD ONE (1953) und BLACKBOARD JUNGLE (1955).65 Marlon Brandos Johnny in THE WILD ONE war bereits zwei Jahre, bevor James Dean zum amerikanischen Jugendlichen Nr.1 wurde, der eigentliche Rebel without a cause. Brando spielte in THE WILD ONE den Anführer einer Motorradgang, die eine kalifornische Kleinstadt verwüstet. THE WILD ONE war als Social Problem-Film konzipiert. Trotzdem wurde Marlon Brando mit ihm zum Prototyp des harten, aber gleichzeitig zarten, verletzli-

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Moskin: »The American Male«, S. 80. Ebd., S. 78f. Irene Josselyn zit. nach ebd., S. 80. Zitat aus THE WILD ONE. THE WILD ONE wurde von Stanley Kramer für Columbia Pictures produziert. Regie führte László Benedek. Pandro S. Berman produzierte BLACKBOARD JUNGLE für MGM. Regie führte Richard Brooks. Beide Filme sind in s/w gedreht.

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chen jungen Wilden. Die Forschung reflektiert das insofern, als Brando zwar neben Dean als Archetyp des jungen Rebellen der 50er Jahre gilt, der Film in der Juvenile Delinquency-Literatur gleichwohl kaum Beachtung erhält.66 THE WILD ONE ist ein konservativer Film. Er greift Plotstrukturen des Westerns auf. Aus dieser Perspektive betrachtet erzählt der Film das Scheitern der institutionellen Autorität und eröffnet wie z.B. HIGH NOON (1952) den Blick auf eine nicht mehr funktionierende, schwache Gesellschaft. Erst der wie ein Phönix aus der Asche erscheinende Sheriff kann die Gesellschaft retten. Aber der Film entpuppt sich auf den zweiten Blick wesentlich zweideutiger. Wie die Analyse zeigen wird, dominiert der Protagonist Johnny, ein nihilistischer, arroganter und sexualisierter Jugendlicher, den Film: »In this infant stage, the teen film emerges (already) at cross-purposes: providing a reassuring or alarming, or reassuring and alarming message to adults while at the same time providing an irresistible and charismatic, antisocial rebel hero for its young (at heart) audience.«67 Auch der zweite hier zu untersuchende Film BLACKBOARD JUNGLE (1955) behandelt den Generationenkonflikt, allerdings aus der Perspektive einer Autoritätsperson. Ein Lehrer kämpft an einer Großstadtschule gegen die Gewalt und Kriminalität einiger Schüler. Schlussendlich gelingt es ihm jedoch, das Vertrauen der meisten Schüler zu gewinnen und die Kriminellen von der Schule zu verweisen. Damit kann auch dieser Film als konservativ bezeichnet werden. Dennoch wurde er, ebenso wie THE WILD ONE, von den meisten Jugendlichen nicht als Bestätigung der bestehenden Ordnung gelesen, sondern mit oppositionellen Lesarten versehen, wie später zu zeigen sein wird. Beide Filme kreisen um das Thema des Generationenkonfliktes, das mit Kriminalität verknüpft und anhand von Geschlechtergrenzen verhandelt wird: Rebell sein heißt, männlich und jung sein. Es war zunächst sehr schwierig, für THE WILD ONE einen Verleih zu finden, da viele Kinobesitzer befürchteten, der Film würde das falsche Publikum in ihre Theater führen und junge Männer zum Randalieren verleiten.68 Tatsächlich erwies sich der Film in den USA aber als 66 Vgl. Murray Pomerance/Frances Gateward (Hg.) (2005): Where the Boys are. Cinemas of Masculinity and Youth. Detroit, MI, und Leerom Medovoi (2005): Rebels. Youth and the Cold War Origins of Identity. Durham/London. David M. Considine (1981): »The Cinema of Adolescence«, in: Journal of Popular Film and Television 9 (3), S. 123-136. 67 Jon Lewis (1992): The Road to Romance and Ruin. Teen Films and Youth Culture. New York/London, S. 30. 68 Aus diesem Grund wurde er auch in Großbritannien verboten. Die Zensur wurde erst nach 14 Jahren aufgehoben. 213

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sehr erfolgreich. Zusammen mit den großen Hits BLACKBOARD JUNGLE und REBEL WITHOUT A CAUSE begründete er eine neue Filmgattung, die Juvenile Delinquency-Filme (JD-Filme), deren Produktionshöhepunkt um 1960 erreicht wurde.69 Das jugendliche Publikum wurde in der Nachfolge dieser Hits mit Filmen wie RUNNING WILD (1955), TEENAGE CRIME WAVE (1955), CRIME IN THE STREETS (1956) oder YOUNG AND WILD (1958) hofiert. Somit erschloss sich das unter sinkenden Zuschauer/innenzahlen leidende Hollywood eine neue Zielgruppe, die Jugendlichen. Nachfolgend werde ich die Rede über Juvenile Delinquency und die davon geprägten Produktionsbedingungen der Filme skizzieren. Die anschließende Filmanalyse von THE WILD ONE konzentriert sich auf die Diskrepanz zwischen audiovisueller Inszenierung und Narrativ. Abschließend möchte ich den Film anhand zweier Schriften, Norman Mailers The White Negro (1957) und Robert Lindners Rebel Without a Cause (1945) diskursivieren. BLACKBOARD JUNGLE wird im Anschluss daran als Interracial Buddy-Movie untersucht, dessen Ergebnis der Konfliktlösung weißer Interessen dient.70 Dabei wird deutlich, dass die Gemeinschaft zwischen weißen und afroamerikanischen Männern über die Anerkennung weißer Mittelschichtwerte hergestellt wird. Daran anschließend werde ich die Rezeption des Filmes beschreiben, um der Frage nachzugehen, in welchem Verhältnis juvenile delinquency und race gesehen wurden.

4.2.1 THE WILD ONE und BLACKBOARD JUNGLE in der Diskussion um Juvenile Delinquency Einige Motorradfahrer verwüsteten im Rahmen eines Motorradtreffens im Juli 1947 die kalifornische Stadt Hollister. Auf diesem Ereignis, das schon in der Kurzgeschichte »Cyclists Raid« von Frank Rooney fiktionalisiert wurde, basiert der 1953 gedrehte Spielfilm. THE WILD ONE war programmatisch. Das Schlagwort Juvenile Delinquency stand 1953 im Fokus des öffentlichen Interesses. Im psychologischen, juristischen, soziologischen Diskurs wurde nach Erklärungen für das sich verändernde Verhalten der Jugendlichen gesucht. Der Ausdruck Juvenile Delinquency (Jugendkriminalität) existierte als stehender Begriff zwar seit dem beginnenden 20. Jahrhundert, das 69 Thomas Doherty (2002): Teenager and Teenpics. The Juvenilization of American Movies in the 1950s. Philadelphia, PE, S. 2. 70 Vgl. zu dem Konzept Beth McCoy (1998): »Manager, Buddy, Delinquent: Blackboard Jungle’s Desegregating Triangle«, in: Cinema Journal 38 (1), S. 25-39. 214

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Thema erlangte aber erst in den Kriegsjahren 1942 und 1943 große öffentliche Aufmerksamkeit. So schien die Zahl der von Jugendlichen begangenen Verbrechen gestiegen zu sein. Gleichzeitig warnten Expert/innen und Publizist/innen vor dem Phänomen. Uneinigkeit herrschte allerdings darüber, ob die Zahl der kriminellen Delikte tatsächlich gestiegen sei oder ob das Thema nur eine diskursive Aufladung erfahren habe. Besorgte Stimmen warnten davor, dass die Mobilmachung eine Entwurzelung der amerikanischen Bevölkerung mit sich bringe, als deren Konsequenz Jugendliche vernachlässigt und zu Kriminellen würden. Das heißt, Kriminalität wurde letztlich als ein von der Familienstruktur abhängiger Faktor gesehen: eine Störung derselben führe zu sozialen Veränderungen, was wiederum Jugendkriminalität fördere.71 James Gilbert kommt in seiner überzeugenden Studie zur Jugendkriminalität in den 50er Jahren zwar zu dem Schluss, dass die Fakten, die zu dem Thema Jugendkriminalität existierten, nicht ausreichten, um die öffentliche Aufregung zu rechtfertigen, dass aber die Veröffentlichungen in der Presse, die Statistiken des FBI und insbesondere die Reden J. Edgar Hoovers, der seit 1934 Direktor des FBIs war, dazu beitrugen, das Thema nicht von der Tagesordnung verschwinden zu lassen.72 Die Angst um die Jugendlichen war politisch begründet. Man fürchtete, dass die vernachlässigten Jugendlichen – ähnlich den entwurzelten Veteranen – anfällig für totalitäre Ideen seien. Insbesondere in der Psychologie wurde dieser Ansatz vertreten, wie z.B. von Robert Lindner in seiner Schrift Rebel Without a Cause,73 aber auch von dem damals federführenden Kriminologenpaar Sheldon und Eleanor Glueck.

71 Der Soziologe Sorokin beschreibt dies folgendermaßen: »Die Familien, in denen sie [die Jugend, die Verf.] aufwächst, sind haltlos, aufgewühlt und zerrüttet; sie atmet die Luft einer atomistischen Moral; und da Jugend nun einmal leicht erregbar ist, bestätigt sie ihren Tatendrang dadurch, daß sie ihr Streben nach utilitaristischen und hedonistischen Zielen in unmittelbare Handlung umsetzt. Sie will möglichst rasch reich werden, damit sie es sich leisten kann, gut zu essen und zu trinken, mit Mädchen zu verkehren und auf genießerische bequeme Weise durchs Leben zu gehen.« Pitirim A. Sorokin (1950): Die Krise unserer Zeit. Ihre Entstehung und Überwindung. Frankfurt a.M. (amerik. Orig. 1941), S. 193. Zahlreiche der von Sorokin aufgestellten Thesen sind jedoch spekulativ, so schreibt er z.B., dass die Tatsache, dass die Kriminalität angestiegen sei, nicht bewiesen werden müsse, da man es ohnehin wisse; vgl. Sorokin: Die Krise unserer Zeit, S. 191. 72 James Gilbert (1986): A Cycle of Outrage. America’s Reaction to the Juvenile Delinquent in the 1950s. New York, S. 25-37. 73 1946 kaufte Warner Bros. die Rechte an dem Buch, so dass die Arbeit in den 50er Jahren durch den gleichnamigen Film Widerhall in der Öffentlichkeit fand. Allerdings hat der später mit James Dean gedrehte Film inhaltlich kaum etwas mit dem Buch gemeinsam. 215

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In den frühen 50er Jahren vermeldeten die meisten Experten einen tatsächlichen Anstieg der Jugendkriminalität, obgleich die durch die Kriegsjahre bedingte familiäre Zerrissenheit zu einem Ende gekommen war. Wenngleich die dieses Wachstum belegenden Statistiken angezweifelt werden können, führten sie doch dazu, dass sich das öffentliche Interesse an dem Thema nicht erschöpfte.74 Als Gründe dafür nennt Gilbert die Tatsache, dass Jugendliche in der Nachkriegszeit generell vermehrte Aufmerksamkeit erfuhren. So waren sie in der Nachkriegszeit finanziell unabhängiger geworden75, wodurch auch ihre Lebensweise und Kultur einflussreicher wurde, während die der Eltern gleichzeitig an Einfluss verlor. Insofern kann der Begriff Juvenile Delinquency als Metapher für ein neues Selbstbewusstsein und Verhalten der Jugendlichen verstanden werden, das von Erwachsenen nicht gut geheißen wurde. Als weitere Ursache wurde die Berufstätigkeit von Müttern diskutiert. Dieses Argument hatte die Diskussionen der Kriegsjahre überlebt und diente nun dazu, Mütter aus der Erwerbsarbeit herauszudrängen. Insbesondere 1953 bis 1956 wurde das Problem der Juvenile Delinquency in allen Medien verstärkt thematisiert. Versteht man Juvenile Delinquency unter diesen Prämissen als diskursiven Begriff, muss man davon ausgehen, dass das Unbehagen, mit dem Jugendliche nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtet wurden, auch die Verunsicherung und Unzufriedenheit der Erwachsenen mit den sozialen und kulturellen Veränderungen der Zeit repräsentiert. In Verbindung mit der Angst vor Jugendkriminalität wurde auch die seit den 20er Jahren sehr populäre These erneut aufgewärmt, nach der die Massenmedien Jugendkriminalität verursachen, indem sie zur Nachahmung von gewalttätigem Verhalten anregen.76 »It was an outside force

74 Zum Umgang mit Statistiken, Gilbert: A Cycle of Outrage, S. 66-70. 75 Während der Kriegsjahre haben nicht nur Frauen verstärkt am Arbeitsmarkt teilgenommen, sondern auch Jugendliche. Das U.S. Children’s Bureau stellte 1943 fest, dass die Zahl junger Arbeiter genauso gestiegen sei, wie die erwerbstätiger Frauen über 35 Jahre. Demnach gingen 1942 schon drei Millionen 14-17jährige Erwerbsarbeit nach, 1940 hatte die Zahl noch unter der Millionengrenze gelegen. Nach 1945 waren die Zahlen erwerbstätiger Jugendlicher zwar wieder rückläufig, aber die Gesellschaft entwickelte sich nun dahin, dass mehr und mehr Schüler/innen während des Schuljahres arbeiten gingen. Vgl. dazu Gilbert: A Cycle of Outrage, Kap. I, insb. S. 20 und Arthur Marwick (1998): The Sixties. Cultural Revolution in Britain, France, Italy and the United States, c.1958-c.1974. Oxford/New York, S. 45f. 76 Die Sorge, dass insbesondere Spielfilme negative Auswirkungen auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen hätten, begleitet die gesamte Geschichte des Kinos. Die bekannteste Studie zu diesem Thema aus der ers216

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guided from media centers in New York and Hollywood. It penetrated the home. And it appeared to promote values contrary to those of many parents. It seemed, in other words, to be the catalyst that provoked generational conflict.«77 Ein Indikator für die Bedeutung dieser These sind die Senatsanhörungen, die seit 1953 zu Juvenile Delinquency und den möglicherweise schädlichen Medieneinflüssen durchgeführt wurden. 1955 übernahm Senator Estes Kefauver (D, Tenn.) den Vorsitz. Unter seiner Ägide erschienen drei Veröffentlichungen, die sich mit der Wirkung von Comics, Fernsehen und Kinofilmen beschäftigten. Der 1956 veröffentlichte Bericht Motion Pictures and Juvenile Delinquency kam zu einem zweideutigen Urteil: Die Behauptung, dass Filme zusätzliche Kriminalität schaffen, stimme nicht mit der zeitgenössischen Sozialwissenschaft und Psychologie überein. Ein kausaler Zusammenhang lasse sich mithin nicht feststellen. Andererseits vermeldete der Bericht aber eine spürbare Bedrohung durch Massenmedien. Zur Unterstützung dieser These wurde der Film BLACKBOARD JUNGLE herangezogen, der nicht nur abschreckend auf Jugendliche wirke, wie es die Produzenten behaupteten, sondern eine kriminalitätsfördernde Wirkung habe, da die Figur des Artie West eine positive Ausstrahlung habe. So bezeichnete William Mooring, der Herausgeber der Catholic Tidings, den Film als verführerisch: »I doubt whether a film of this dramatic intensity can fail to arouse some imitative behavior. At least, it must set loose inherent tendencies to violence, even if, when it reaches constructive conclusions, is commensurate in dramatic power with its graphic exposures of violence and hoodlumism. I do not think that Blackboard Jungle has this balance, although I will say it was an intelligent, well-directed, beautifully produced picture, technically, and in a certain sense artistically.«78

Dass die in BLACKBOARD JUNGLE gezeigte Gewalt von Mooring als schwerwiegender als die in THE WILD ONE vorkommende eingestuft wurde, lag u.a. an der versuchten Vergewaltigungsszene des Films und an der Schlussszene, in der Artie West (Vic Morrow) ein Messer gegen seinen Lehrer Richard Dadier (Glenn Ford) zieht. In diesen Punkten stimmt die Kritik Moorings mit der Kritik der PCA überein, die den ten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Henry James Forman (1934): Our Movie Made Children. New York. 77 Gilbert: A Cycle of Outrage, S. 77/8. 78 »Juvenile Delinquency«, in: Film Culture 1 (5-6), Winter 1955, S. 14-16, S. 14. (Exzerpt der ›Hearings Before The Subcommittee To Investigate Juvenile Delinquency Of The Committee Of The Judicary, United States Senate, 84th Congress, First Session‹.) 217

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Film an den entsprechenden Stellen gerne geändert gesehen hätten.79 Allerdings konnte sich Breen mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzen, was bereits auf die Schwächung seiner Institution, der Production Code Administration, hinweist, die 1956 offiziell einer Lockerung des Production Codes zustimmen musste. Aus THE WILD ONE hingegen war drei Jahre zuvor wegen Beanstandungen durch die PCA noch ein Großteil der Härte genommen worden, so dass Mooring lediglich das Nachahmen der Lederkleidung, die Lässigkeit und das rücksichtslose Motorradfahren durch Zuschauer des Films beklagte. Auf Grund dessen ist es verständlich, dass THE WILD ONE nicht solch starke Entrüstung hervorrief wie der nachfolgende BLACKBOARD JUNGLE. Laut Aussage des Regisseurs László Benedek hatte THE WILD ONE jedoch folgendes, über den Themenkreis der Jugendkriminalität hinausgehendes Ziel: »The subject isn’t juvenile delinquency, it’s youth without ideals, without goals, which doesn’t know what to do with the enourmous energy which it possesses. What I tried to do in my picture was show that if you react with similar violence, you lose. The film is not only about the cyclists, it’s about townspeople, merchants and policemen who behave badly and it’s about the dangers of the white backlash mentality.«80

THE WILD ONE war, wie dieser Aussage zu entnehmen ist, als gesellschaftlicher Problemfilm konzipiert. Das Ansinnen Benedeks, nicht nur die Gewalt der Jugendlichen zu zeigen, sondern auch die reagierende Umwelt anzuprangern, führte allerdings zu Auseinandersetzungen mit der PCA, die letztlich darin resultierten, dass kein reiner Social ProblemFilm entstand, sondern ein Hybrid, der den gesellschaftlichen Problemen eine persönliche Ebene gegenüber stellte.81 Die Produktionsfirma war den Änderungswünschen der PCA in nicht unerheblichem Maße gefolgt: Die Gewaltszenen wurden um 50% reduziert und die Jugend des Anführers Johnny herausgehoben. Außerdem betont die Schluss-Szene die Stärke des Sheriffs und ein eingebautes Vorwort nimmt dem Film die Schärfe und erklärt seine Absicht.82 79 Joseph Breen Brief an Dore Schary, 20.9.1954, S. 1, MPPA-File, AMPAS. 80 Zit. nach Tony Thomas (1973): The Films of Marlon Brando. Secaucus, N.J., S. 71. 81 THE WILD ONE wurde bei seiner Abnahme durch die Production Code Administration (PCA) am 15.6.1953 demgemäß als Melodram-Social Problem Film klassifiziert. PCA-File, AMPAS. 82 Memo for the Files, 17.12.1952, S. 2. PCA-File, AMPAS. Der Text, der dem Film dann tatsächlich vorangestellt wurde, lautete: »This is a shocking story. It could never take place in most American towns – but it did in this one. It is a public challenge not to let it happen again.« Dieser 218

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Außerdem wurde die Figur des Polizisten von Wrightsville gegenüber dem ursprünglichen Drehbuch verändert. Als Trinker und komplett lächerliche Figur geplant, ist er in der revidierten Fassung lediglich ein schwacher und unentschlossener Mann. Auch sind die Einwohner des Ortes aufgewertet worden. Im Gegensatz zum Skript, in dem sie von der Gruppe in weitaus stärkerem Maße terrorisiert werden, bilden sie im Film eine wehrhafte Einheit.83

4.2.2 THE WILD ONE (1953) Der Star Marlon Brando war das Zugpferd für THE WILD ONE.84 Spätestens seit seinem Filmerfolg als Stanley Kowalski in A STREETCAR NAMED DESIRE (1951) war Brando auch ein Star der Kinokasse, »a real drag-em-in big tenner like nobody since Clark Gable«, oder wie es ein Produzent formulierte: »Two more like Brando and television can crawl back in the tube.«85 (Abb.10). Der enorme finanzielle Erfolg des Films wurde seinem Sex-Appeal zugesprochen, er galt als brutaler Macho und »Sex-Boat«86 oder wie es ein weiterer Produzent formulierte »He’s a walking hormone factory«.87 Das Image, das er durch die Figur des Stanley Kowalski gewonnen hatte, lag während des gesamten Jahrzehnts der Ikonographie Brandos zugrunde. Im Fandiskurs wurde dieses Image mit der Person Brandos gleichgesetzt, obgleich er seit Mitte der 50er Jahre versuchte, sich von dieser Zuschreibung zu befreien.88 Die Reklame für THE WILD ONE inszenierte die Macho-Identität Brandos und bewarb den Film mit:

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Vorspann dient dazu, dem Film einen dokumentarischen Charakter zu verleihen – was durch die Tatsache, dass er in schwarz-weiß gedreht ist, unterstützt wird. Gleichzeitig liefert die Ankündigung die Rechtfertigung, um die Gewalt, die der Film darbietet, anzuschauen. Durch ihre offene Darstellung erhält der Film eine sensationelle Note, die wiederum verkaufsfördernd wirken sollte. Aus heutiger Perspektive ist die Aufregung um die Gewalttätigkeit des Films schwer verständlich. Veränderungsvorschläge der Stanley Kramer Productions, Inc. (Dez. 1952). Befindet sich im PCA-File, AMPAS. Brando hatte, seit er 1950 zum Film gekommen war, bis 1953 in fünf Filmen gespielt. THE MEN (Kap. 3.1.3.), A STREETCAR NAMED DESIRE; VIVA ZAPATA!; JULIUS CAESAR; THE WILD ONE. 1954 sollten die Filme ON THE WATERFRONT und DÉSIRÉE folgen, in dem er Napoleon spielte. »A Tiger in the Reeds«, in: Time 11.10.1954, S. 58-66, S. 58. Zit. nach Cohan: Masked Men, S. 241. »A Tiger in the Reeds«, S. 58. Cecelia Ager (1954): »Brando in Search of Himself«, in: New York Times Magazin 25.7.1954, S. 24 und S. 33, S. 24. Cohan: Masked Men, S. 243. 219

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»That ›Streetcar‹ Man has a new Desire«. Im Mittelpunkt der Plakate/Anzeigen findet sich das entschlossen in die Ferne blickende Gesicht Brandos.89 Kleinere Bilder betonen die Macht, die Johnny über Kathie (Mary Murphy) hat. Während sie auf dem Boden liegend zu ihm hoch schaut, steht er in fordernder Haltung, in Jeans und Lederjacke, die Hände in die Hüften gestützt über ihr: »C’mon, baby, let’s have fun!« Eine Alternative zu dieser Version ist der auch im Kino-Trailer vorkommende Satz: »After a while you got to have fun... and if someone gets hurt, that’s just tough«. Diese auf eine Vergewaltigung anspielende Variante reflektierte jedoch, wie zu zeigen seien wird, weniger den neuen Film, als dass sie aus der bisherigen Rollenbiographie Brandos Profit schlagen wollte.

Abbildung 10: THE WILD ONE (1953) 89 Vgl. dazu The Wild One Production File, AMPAS. 220

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Erzählung – Film Die Kinowerbung betont die Sexualität und sexuelle Gewalt im Film, wohingegen das Rowdytum der Gang nur nebensächlich erscheint. Betrachtet man jedoch die zugrunde liegende Erzählung, offenbart sich, dass – wohl aus verkaufstrategischen Gründen – eine Schwerpunktverschiebung stattgefunden hat. Im Zentrum der Erzählung »Cyclists’ Raid« steht die neofaschistische Bedrohung des American Way of Life durch die Motorradfahrer, die eine straff geführte para-militärische Einheit sind. Die Motorradgang wird als Privatarmee bezeichnet, die ihre Individualität zugunsten einer vollständigen Unterordnung unter die Gruppe aufgegeben hat; ihr Anführer ist ein kalter, charismatischer Mann, durch den sich der Erzähler der Geschichte Bleeker erheblich einschüchtern lässt.90 Im Film hingegen finden sich nur noch Anklänge an das militärische Verhalten der Gruppe, so z.B. wenn die Gruppe beim Motorradfahren gezeigt wird: in einer aus Dreier-Reihen bestehenden Formation.91 Während die Angst vor dem militärischen Verhalten der Gruppe durch den Erzähler Bleeker in der Erzählung explizit thematisiert wird, ist die neofaschistische Bedrohung durch Psychopathen oder Hipster in dem Film nicht mehr das beherrschende Thema. In dem Ausmaß, wie der Film die Bedrohung entmilitarisiert und politisiert, verlagert er das Machtgefälle in die private Sphäre und ordnet auch die Beziehung zwischen den Personen neu. Der Erzähler der Kurzgeschichte, Bleeker, ist gleichzeitig Besitzer des später zerstörten Hotels und Vater von Kathie, für die er einerseits väterlich beschützende Gefühle hegt, sich andererseits körperlich zu ihr hingezogen fühlt.92 Im Film hingegen ist Harry Bleeker der Polizist des Ortes und Kathies Vater, allerdings ohne inzestuöse Konnotation. Hinzu kommt und das ist entscheidend, dass sich die Erzählperspektive verändert. Konsequenterweise ist das inzestuöse Begehren des Vaters, das sich aufgrund der Erzählposition Bleekers auf die Leser/in von »Cyclists’ Raid« überträgt, nicht in THE WILD ONE eingeschrieben. Nachfolgend wird anhand von vier Sequenzen die Blickstruktur innerhalb des Films untersucht, um die Begehrensstrukturen aufzudecken.

90 Frank Rooney (1951): »Cyclists’ Raid«, in: Harper’s Magazin, CCII, S. 34-44, S. 38. 91 In der Erzählung beschreibt Bleeker dies als »flanking action« und fühlt sich sofort an das Militär erinnert, S. 34. 92 Am Ende der Erzählung muss sie sterben. 221

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Wer sieht wen? Die Frage nach dem Blickregime ist eine der zentralen Fragen der Filmtheorie (vgl. Kap. 2.2). Nachfolgend werden die Figur und der Körper Johnnys ins Zentrum des Interesses gestellt und der Frage des männlichen Blickes nachgegangen. Der Film beginnt mit der Perspektive von Johnny: Die eröffnende Einstellung zeigt eine leere Landstraße und aus dem Off ist die weiche, zögernde, hohe Stimme Marlon Brandos zu hören: »It begins here for me on this road. How the whole mess happened I don’t know. But I know it couldn’t happen again in a million years. [...] Mostly I remember a girl – I can’t explain it, a sad chick like that, but something changed in me, she got to me [...] But that’s later anyway. This is where it begins for me, right on this road.«93

Die hier angewandte Perspektive mentaler Subjektivität94 führt dazu, die Identifikation mit der erzählenden Person, also Johnny, zu steigern sowie die Erwartung auf ihre Handlungen zu richten. Doch obwohl der Film mit ihm beginnt, wechselt die Erzählperspektive im Folgenden zu einer objektiven Erzählweise,95 die zwar nicht Johnnys Gedanken und Gefühle vermittelt, aber dafür seinen Körper zur Schau stellt. Die dicht über dem Boden positionierte Kamera hat die leere Straße im Blick, dann rasen die Motorräder heran, wodurch, obwohl der Film noch nicht richtig begonnen hat, schon eine Atmosphäre von Gewalt aufgebaut wird.96 Während der Vorspann abläuft, sieht man die Gang und immer wieder zentral in Naheinstellungen Johnny. Bereits der Establishing Shot rückt damit Brando ins Zentrum der Aufmerksamkeit und setzt ihn den Blicken der Zuschauer/innen aus. Als weiteres Beispiel sei eine der ersten Szenen genannt, in der die Gruppe aus Freude an der Provokation ein Motorradrennen stört und die Straße, auf der das Rennen stattfindet, überquert. Brandos lässig schlendernder Gang und sein Sex-Appeal werden dabei betont sowie immer wieder sein Gesicht in Naheinstellungen gezeigt. Nachdem der Sheriff des Ortes die Jungen aus der Stadt geworfen hat, werden Johnny und 93 Die Zitate entstammen der von mir erstellten Mitschrift. 94 David Bordwell/Kristin Thompson (1997): Film Art. An Introduction. New York (Orig. 1979), S. 105. 95 Objektive Erzählweise bedeutet, dass die Zuschauer/innen lediglich das erfahren, was die Figuren sagen oder tun, nicht aber das, was die einzelnen Personen denken, fühlen oder auch hören und sehen. Bordwell/Thompson: Film Art, S. 106. 96 Unterstützt wird das durch die Kleidung der Gang, dunkle Jeans und schwarze Lederjacken. 222

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zwei andere in einer Totale gezeigt. Brando posiert dabei, indem er ein Bein über den Motorradsitz legt und gleichzeitig das Becken nach vorne schiebt, wodurch er Erotik in eine Szene bringt, die außer zur Charakterisierung Johnnys nicht nötig ist. Und ein weiteres Moment von Johnnys Persönlichkeit wird in dieser einleitenden Szene angedeutet: Der Hauch von Kindlichkeit, die in der Rezeption immer wieder als Sensibilität und Verwundbarkeit wahrgenommen wurde und viel zur Star-Person Brandos und der nachfolgenden Jugendidole, wie James Deans beitrug. Als der Sheriff des Ortes die Gruppe mit klarer Stimme auffordert, den Ort zu verlassen, ist die Einstellung als Over-Shoulder inszeniert. Der Größe des Sheriffs ist es geschuldet, dass die Gang wie eine Jugendgruppe wirkt. Verstärkt wird diese Wahrnehmung durch Brandos Schauspiel, der sich inmitten der Strafpredigt verlegen an der Nase kratzt. Die Szene endet mit dem Aufbruch der Motorradfahrer, allerdings nicht, ohne den Sheriff und Johnny bei einer wechselseitigen Musterung zu präsentieren, zwei AlphaMännchen, die ihren gegenseitigen Wert abschätzen und dem/der Zuschauer/in damit die Möglichkeit geben, dasselbe zu tun. Der Wechsel zwischen mentaler Subjektivität und objektiver Erzählweise entspricht den gängigen Schnitt- und Erzählverfahren. An diesem Ort sei er jedoch besonders betont, da er die Zurschaustellung des Körpers von Johnny mit sich bringt. Doch wie steht es nun um die Blickstruktur? Wie in Kapitel 2.3.2.1 beschrieben ist nach der dominanten Filmtheorie die Frau das Objekt des vermännlichten Blickes und gleichzeitig das Ziel des Protagonisten. Um dies hier zu überprüfen, ist die erste Begegnung zwischen Johnny und Kathie aufschlussreich, da sie die Bedingungen zu bestimmen scheint, unter denen die Beziehung der beiden verlaufen wird. Ist Brando der filmische Herr der Blicke, wie man es von einem Sex-Boat erwarten kann? Im Folgenden werden Strategien der filmischen Identifikation aufgezeigt. Johnny, der Kathie vor dem Café stehen sieht, mustert sie abschätzend von Kopf bis Fuß, um ihr dann ins Café hinein zu folgen.97 Diese Subjektive Johnnys macht Kathie für einen Moment zum Objekt seines Blickes, der damit auch dem Publikum eingeschrieben wird. Dies entspricht der klassischen phallozentrischen Blickorganisation. Jedoch ist dies nicht die ganze Wahrheit, denn die anschließende Begegnung im Café ist aus einer objektiven Sichtweise gefilmt und richtet den Blick 97 Im Gegensatz zu Johnny haben die Zuschauer/innen Kathie bereits in objektiven Einstellungen gesehen, bevor Johnny sie entdeckt. D.h. Kathie wird nicht erst durch Johnnys Blick ins Bild geholt und dem Publikum präsentiert, sondern existiert auch ohne ihn. 223

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auf Brandos Körper, der zunächst im hell erleuchteten Türrahmen stehen bleibt und lässig den beim Motorradrennen gestohlenen Pokal schwingt, um dann bis zum Ende des Tresens zu schlendern. Der Pokal kann im Sinne der psychoanalytischen Filmtheorie als ›Objekt klein a‹ bezeichnet werden. Er steht für erfolgreiche, sieghafte Männlichkeit und symbolisiert damit den Mangel des Protagonisten. Später bietet er den Anlass zur Prügelei zwischen Johnny und Chino (Lee Marvin) und verdeutlich damit das Begehren, etwas Haben zu wollen, um etwas Sein zu können. Die Café-Szene verdeutlicht zudem die Spannung, die zwischen den Beiden existiert, da nur sie in der Bar sind und sich zunächst am jeweils entgegen gesetzten Ende der Theke befinden, um sich dann in der Mitte des Tresens zu treffen. Im mehrfachen Schuss-Gegenschussverfahren wird sodann die unausweichliche Romanze angedeutet.98 So wie der gesamte Film wird auch die Beziehung zu Kathie zumeist aus der Perspektive Johnnys erzählt. Allerdings sind die folgenden Szenen, in denen Johnny versucht, Kathie für sich zu gewinnen bzw. zu beeindrucken, in den entscheidenden Momenten aus Kathies Perspektive gefilmt und zeigen somit das ›Ausfransen‹ von Johnnys Blick auf. Die Blickbeherrschung ist damit mitnichten eine Einbahnstraße. Die Funktion dieser durch Kameraführung und Montage hervorgerufenen Wirkung liegt darin, die ambivalente Faszination zu erklären, die Kathie, in Stellvertretung für das Publikum, für Johnny empfindet. Auch das nächste Ereignis, das dazu angetan ist, die Eskalation weiter voranzutreiben, die Schlägerei mit Chino und der zweite Autounfall, ist an zentralen Stellen aus einer Position der identifikatorischen Nähe zu Kathie gezeigt. Ohne auf alle Einstellungen einzugehen, lässt sich die Szene in drei Abschnitte einteilen. Zunächst einmal ist da die Schlägerei zwischen Johnny und Chino um die gestohlene Trophäe, die Johnny selbstverständlich gewinnt. Hierbei ist eine deutliche Systemreferenz an den Western gegeben, da der Faustkampf auf der Hauptsstraße inmitten eines großen Kreises aus Zuschauern stattfindet, sodass für alle offensichtlich wird, dass Johnny kein Feigling, sondern ein ›richtiger‹ Kerl ist.99 Um die Nähe zu Kathie 98

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Gleichzeitig veranschaulicht der Bildaufbau den Kontrast zu den Rowdys und hebt dadurch die eigene Geschichte Johnnys und Kathies hervor, denn durch das Fenster sieht man draußen die lärmenden Anderen. »The shot reflects, in its way, the structure of the film as a whole, its operation on both personal and social levels, and its confusion of the two.« George Lellis (1975): »The Wild One«, in: CinemaTexas Program Notes 9 (1), 2.9.1975, S. 4. THE WILD ONE Production File, AMPAS. Die Kampfszene war ursprünglich weitaus ausführlicher geplant. Aber die PCA erhob dagegen Einspruch. Dies lässt sich den Veränderungsvorschlägen der Stanley Kramer Productions, Inc. entnehmen. Darin heißt

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herzustellen, wird sie zu Beginn etwas erhöht auf einer Treppenstufe stehend eingeblendet. Dies geschieht noch ein zweites Mal, direkt bevor der Faustkampf beginnt.100 Somit wird daraufhin gearbeitet, dass auch die Zuschauer/innen die Schlägerei zugunsten Johnnys beendet sehen wollen. Gleichzeitig bieten der Kampf und die verbalen Scharmützel, die zu ihm führen, die Möglichkeit, den Körper Johnnys zur Schau zu stellen. Die Verachtung Johnnys für Kathies Vater erlebt der/die Zuschauer/in ebenfalls durch sie. Während die Auseinandersetzung zwischen Johnny, Chino und Harry zu hören ist, sieht man Kathie den Blick senken, sich abwenden und gehen. Mit dieser Einstellung wird wieder Kathies Position eingenommen und das ambivalente Gefühl gegenüber Johnny verstärkt. Denn während am Anfang der Szene eine mit Johnny sympathisierende Perspektive eingenommen wurde, endet sie mit Distanzierung von ihm.101 Die hier zitierten Filmszenen zeigen die Möglichkeiten des Wahrnehmungsprozesses auf – der/die Zuschauer/in pendelt zwischen den Positionen Anziehung und Ablehnung hin und her. Die Erzählperspektive verschiebt sich demnach und es wird deutlich, dass Kathie im Laufe des Films zu »the film’s inscription of the viewer into the story« wird.102 Abschließend möchte ich die nächtliche Parkszene zwischen Johnny und Kathie besprechen, die mit der Andeutung sexueller Gewalt Gegenstand der Kinowerbung war. Darin wird die Anziehung und Abwehr, die Kathie Johnny gegenüber empfindet, sehr klar inszeniert. Gleichzeitig wird ein letztes Mal versucht, Kathie als Objekt von Johnnys Begierde zu zeigen, was aber nur in Grenzen gelingt. Während sie in der vorangegangenen Szene eindeutig durch die lüsternen Augen der Gang gesehen,103 von dieser mit Motorrädern verfolgt und eingekreist wird und ihr Status als Beute der Männer in einer Art

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es: »We will cut away from the fight, thus minimizing its importance and go to an entirely new scene.« Die Szene ist folgendermaßen entwickelt: Chino gibt ihr die Trophäe, um die nun gekämpft werden soll, mit den Worten »and see how she fights back her tears while her hero bleeds to death in the streets.« Anschließend dreht er sich sofort um und schlägt Johnny nieder. Der Kampf findet demnach direkt vor Kathies Füßen statt. Gleichzeitig arbeitet der Film jedoch weiter daran, die Attraktivität Johnnys zu akzentuieren. Denn nachdem Kathie das Geschehen verlassen hat, tritt die zweite Frau des Films, Bridget, auf und himmelt Johnny an. Lellis: »The Wild One«, S. 4. Die expressionistische Lichtsetzung unterstützt dabei das Bedrohungsgefühl. 225

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Vorspiel offengelegt wird, behält Johnny diesen Blick auf sie nicht bei. Nachdem er sie aufgefordert hat, mit ihm wegzufahren, erreichen beide einen Park, in dem Kathie lächelnd vom Motorrad absteigt und sich auf die Erde setzt. Aus einer objektiven Kameraposition, die allerdings eine Over-Shoulder Position von Kathie einnimmt und damit eher Johnnys als ihren Körper betont, sieht man Johnny auf sie zugehen, sie hochreißen und sie gewaltsam küssen. Während ihr Körper teilnahmslos in der gewaltsamen Umarmung verschwindet, drückt ihr Gesicht für einen kurzen Moment Freude aus. Diese widersprüchliche Reaktion kann als das Männerphantasien entsprungene Wunschdenken, dass Frauen gewaltsam genommen werden wollen, interpretiert werden. Mit diesem Erklärungsansatz begründete die spätere Rezeption, z.B. Jeanine Basinger, die Beliebtheit des jungen Brandos. Sie postuliert, dass nur die sexuelle Aggressivität eines Brandos junge Frauen aus dem langweiligen Alltag der 50er Jahre befreien konnte.104 Doch zurück zum Film. Kathie wehrt sich nicht gegen diesen Übergriff, sondern sagt lediglich »I am sorry, I can’t fight back, I’m too tired. Would be better, wouldn’t it? Then you could hit me.« Das ›Ausfransen‹ von Johnnys Blick, der in dieser Szene nie die ausschließliche Blickbeherrschung innehatte, findet seine Entsprechung also auf der narrativen Ebene, denn Kathie übernimmt nun die Initiative und teilt ihm mit: »It’s crazy, isn’t it? You are afraid of me. I don’t know why but I’m not afraid of you now. [...] I wanted to touch you, wanted to try anyway.« Dabei setzt sie sich auf den Boden und lehnt sich ans Motorrad an, während Johnny auf dem Motorrad sitzt und auf sie herunter schaut. Der Großteil der folgenden Szene, in der Kathie gesteht, dass sie immer auf jemanden gewartet habe, der im Café vorbei kommt, sie mag und einfach mitnimmt, ist nun aus Johnnys Perspektive gesehen, allerdings ohne jegliches Begehren. Stattdessen zeigt sein mehrfach in den Monolog

104 »For women the fifties were dull times; their lives stretched ahead like prairie road maps, without a curve or a hill in sight. Just one long straight line through respectable schools and respectable jobs into even more respectable marriages. A lifetime sentence with only the dimmest possibility of time off for bad behaviour. A boy with a motorcycle and no moral judgement looked like the chance of a lifetime. It has been suggested that young women liked Brando because they thought they could reform him. In fact, they really dreamed of how he might make them worse.« Jeanine Basinger (1977): »A Farewell To The Male Mystique«, in: American Film, 2 (6), S. 18-24, S. 20. Zu jungen Frauen in den 50er Jahren vgl. Wini Breines (1993): Young, White and Miserable. Growing up Female in the Fifties. Boston, MA. Joan Jacobs Brumberg (1997): The Body Project. An Intimate History of American Girls. New York. 226

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Kathies geschnittenes Gesicht in Großaufnahme seine Empfindsamkeit und Verletzbarkeit. Abschließend wirft sie sich ihm weinend an den Hals, worauf er nicht mit der erhofften Entgegnung reagiert, sondern sie mit schmerzerfülltem Gesicht wegstößt. Die erotischen Nicht-Bedürfnisse Johnnys geraten in dieser Szene in Konflikt mit seiner bis dato etablierten Identität als viriler ›Wilder‹, genauso wie Kathies Identität als gute Tochter und brave Frau mit ihren erotischen Bedürfnissen in Widerstreit tritt. Bemerkenswert an dieser Sequenz ist, dass der Wunsch nach Sexualität oder einer Beziehung von Kathie geäußert wird und Johnny darauf nicht reagieren kann, was auf der visuellen Ebene durch Johnnys Blicke eine Entsprechung findet.105 Die Gleichung, dass Männlichkeit aktiv besetzt ist, während Weiblichkeit passiv besetzt wird, hat hier keine Gültigkeit. Es ist Johnny/Brando, der passiv besetzt wird, der von der Frau ausgesucht wird. Während die visuelle Inszenierung demnach daran arbeitet, ihn als Sex-Symbol zu konstituieren, unterläuft die narrative Struktur dieses Anliegen, indem sie den Mangel Johnnys betont.

Johnny – The White Negro? Ich möchte den Film nun an zwei Texte rückbinden, die den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen abstecken, innerhalb dessen das Thema Juvenile Delinquency verhandelt wurde. Es handelt sich um den Essay Norman Mailers The White Negro (1957) und um Robert Lindners Studie Rebel Without a Cause (1945).

Von Rebel Without a Cause zu The White Negro 1957 erschien in der Zeitschrift Dissent Norman Mailers Essay The White Negro. In diesem existentialistischen Aufsatz beschreibt Mailer den Hipster als Agens gesellschaftlicher Veränderung und artikuliert eine Theorie individueller Gewalt. Schwarze Männlichkeit wird dabei als Ort des Widerstands gegen die Domestizierung von weißer Mittelschichtmännlichkeit in der Nachkriegszeit aufgefasst. In seinem Erscheinungsjahr erfuhr The White Negro keine große Beachtung. Dies änderte sich jedoch 1959, als er in Advertisements for Myself wiederveröffentlicht und plötzlich als Kern des Buches betrachtet und rege rezipiert wurde. The White Negro wurde von der überwiegenden Zahl seiner Leser- und

105 Die nachfolgenden Episoden sind zunehmend aus Kathies Perspektive erlebt oder aber aus einer neutralen Position heraus erzählt, was dem Film verstärkt die Möglichkeit eröffnet, Johnnys Körper zu zeigen. 227

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Kritiker/innen als unverantwortlich, gefährlich und verrückt bezeichnet, da er den Umsturz der amerikanischen Gesellschaft propagiere.106 In Mailers Schema ist der Hipster ein amerikanischer Existentialist, der verstanden hat, dass die Nachkriegsgesellschaft die Menschen vor die Alternative stellt, entweder einen schnellen Tod durch die Atombombe oder einen langsamen Tod durch Konformität zu sterben.107 Unter dieser Prämisse ist die einzige Lösung, »to divorce oneself from society, to exist without roots, to set out on that uncharted journey into the rebellious imperatives of the self. In short, whether the life is criminal or not, the decision is to encourage the psychopath in oneself, to explore the domain of experience where security is boredom.«108 Denn für Mailer gibt es nur die beiden Möglichkeiten: »One is hip or one is square [...] one is a rebel or one conforms, one is a frontiersman in the Wild West of American night life, or else a Square cell, trapped in the totalitarian tissues of American society, doomed willy-nilly to conform if one is to succeed.«109 Da zum unkonventionellen Handeln sehr viel Mut benötigt wird, ist der Ursprung der amerikanischen existentiellen Lebensweise der Negro. Nach Mailer ist er der einzig verbliebene Träger des Geistes der Grenze. Auf diese Weise wird ihm eine widerständige Männlichkeit zugeschrieben, deren sexuelle Potenz in klarem Kontrast zur Sexualität des domestizierten Mittelschichtmannes steht. Schwarze Männer werden damit zu Outlaws, deren Überlebenskampf im Ghetto sie davor bewahre, wie der weiße Mittelschichtmann vom Konsum abhängig zu werden. Auch seien sie nicht gewillt, ihre Sexualität auf den häuslichen Raum zu begrenzen. »He, [die Verf.] could rarely afford the sophisticated inhibitions of civilization, and so he kept for his survival the art of the primitive, he lived in the enormous present, he substituted for his Saturday night kicks, relinquishing the pleasures of the mind for the more obligatory pleasures of the body.«110 Somit berge seine Wut auf die amerikanische Gesellschaft die Sprengkraft, nicht nur die Gesellschaft verändern zu können, sondern 106 Vgl. Laura Adams (1976): Existential Battles. The Growth of Norman Mailer. Athens, OH, S. 52-54. 107 Die Begeisterung Mailers für den Hipster zeigt Mailers Enttäuschung von der kommunistischen Partei der USA. Als Stellvertreter für die Arbeiterklasse als Anstoß gesellschaftlicher Veränderung setzte Mailer den Hipster ein. Vgl. dazu Corber: Homosexuality in Cold War America, S. 44f. 108 Norman Mailer (1957): The White Negro. San Francisco, CA, o. S. 109 Ebd., o. S. 110 Ebd., o. S. 228

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auch die herrschenden Vorstellungen von Männlichkeit. Die hip Philosophie sei über den Jazz ins weiße Leben eingetreten und habe die Avantgarde erreicht. In den Großstädten sei durch das Aufeinandertreffen des Bohemien und des juvenile delinquent mit dem Negro der Hipster entstanden, der in kultureller Hinsicht dem Negro nacheifere, der immer unterdrückt wurde, dessen Leben schon immer Krieg und Kampf bedeutet hat. Durch die weiße Gesellschaft gezwungen in einer ständigen Grenzsituation zu leben, lehne der Schwarze die weiße Gesellschaft ab und zeige diese Ablehnung, indem er die eigene Sexualität betone und seiner Existenz durch eigene Musik Ausdruck verleihe: »and in his music he gave voice to the character and quality of his existence, to his rage and the infinite variations of joy, lust, languor, growl, cramp, pinch, scream and despair of orgasm. For Jazz is orgasm.«111 Die primitive, furchtlose Lebensweise, die Mailer dem Schwarzen zuschreibt, hätten die Abenteurer der Stadt von ihm übernommen, weswegen er den Hipster als White Negro bezeichnet. Der Mailerschen Beschreibung des Negro als sozialem und sexuellem Outlaw liegt ein rassistisches Konzept schwarzer Männlichkeit zugrunde. Mailers Bedürfnis, eine Triebkraft historischer Veränderung zu finden, die nicht der Warenwelt erliegen könnte, brachte ihn dazu, den Mythos des bedrohlichen schwarzen Phallus wachzurufen. 112 111 Ebd., o. S. 112 Das Konzept des White Negro ist in verschiedener Hinsicht problematisch. Zum einen romantisiert es das Stereotyp des schwarzen Mannes als wandelndes Sex-Symbol und reduziert damit den Schwarzen auf einen instinktgeführten, animalischen Typ. Zum anderen reduziert es schwarze Existenz in den USA auf ein Leben auf der Straße. Und drittens impliziert Mailers Beschreibung des Hipsters als White Negro, dass Hip-Sein, was bei Mailer rebellisch und letztlich elitär sein bedeutet, eine Sache weißer Männer ist. Das Konzept des White Negro kritisierte James Baldwin, der sich sowohl dagegen verwahrte, dass Mailer das veraltete Stereotyp, dass Schwarze »als eine Art wanderndes phallisches Symbol« begreift, übernommen hatte, als auch anzweifelte, inwieweit Weiße überhaupt ein schwarzes Lebensgefühl nachvollziehen könnten. Auch werde ein Weißer, selbst wenn er Jazz höre, von Schwarzen nicht als hip angesehen – auch nicht Mailer selbst. Außerdem kritisierte er den von Mailer vorgetragenen mystischen Gedanken einer Abkehr vom Leben durch die »Erfüllung des infantilen Traums von der Liebe« und durch Gewalttätigkeit, was er als Selbsttäuschung bezeichnete. Schließlich hinterfragte Baldwin auch, warum »die Sprache entrechteter Neger der Depressionszeit« dazu herhalten müsse, dass System der Selbsttäuschung zu übernehmen, und warum »die ernstlich bedrohte Sexualität des Negers verleumdet werden (musste), nur um die sexuelle Panik des weißen Mannes zu rechtfertigen.« James Baldwin (1977): »Der Negerjunge betrachtet den weißen Jungen«, in: Ders.: Schwarz und Weiß. Oder was es heißt, ein Amerikaner zu sein. 11 Essays. Reinbek bei 229

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Der Hipster beerbt jedoch nicht nur den Negro, sondern weist auch Wesensmerkmale eines Psychopathen auf. Allerdings hebt er sich von einem gewöhnlichen Psychopathen ab, der ohne Sinn in kindlicher Art und Weise nach der sofortigen Befriedigung seiner Bedürfnisse strebt. Denn der gewöhnliche Psychopath sei nicht in der Lage seine Handlungen zu kontrollieren, der philosophische Psychopath Mailers hingegen hat im Gegensatz zum unbewusst agierenden Psychopathen sein Handlungsmotiv, nämlich die Selbstverwirklichung, immer vor Augen. So kommt Mailer zu dem Schluss, dass die Vereinigten Staaten ein Staat seien, der zwar jährlich Millionen von gewöhnlichen Psychopathen produziere, aber es kaum mehr als 100 000 Psychopathen in seinem Sinne, also Hipster gäbe. »[…] but their importance is that they are an elite with the potential ruthlessness of an elite, and a language most adolescents can understand instinctively for the hipster’s intense view of existence matches their experience and their desire to rebel.«113 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Hipster ein junger Mann ist, der, motiviert durch die atomare Bedrohung in der Nachkriegszeit, den mutigen Entschluss gefasst hat, sich selbst zu verwirklichen und aus dem weißen Mittelschichtleben auszusteigen. Sich an der sinnlichen Überlegenheit des Schwarzen orientierend und ähnlich wie der Psychopath vor Gewalt und sexueller Befriedigung jeglicher Art nicht zurückschreckend, befriedigt der White Negro seine eigenen Bedürfnisse, um als Person vollständig zu werden und gegen die Gesellschaft zu protestieren. Denn sie ist es, durch deren Gesetze die individuelle Freiheit zerstört wird. Damit gehört der Hipster zu einer Elite, die eine Gegenkultur bildet, geeint durch die Ablehnung traditioneller Werte und Konventionen. Verbaler Ausdruck dieser Kultur ist die Sprache, konkret der Slang, welcher schwarzen Jazz-Musikern nachempfunden ist; musikalischer Ausdruck ist der Jazz. Die Überlegungen zum Psychopathen, die in Mailers Text eine zentrale Rolle einnehmen, fußen auf den Arbeiten des Psychologen Robert Lindner, der Mitte der 50er als eine Koryphäe auf diesem Gebiet sowie als Spezialist für Jugendpsychologie galt. 1945 veröffentlichte er seine Hamburg. S. 114-132. Der Essay war ursprünglich 1961 in Esquire erschienen. Zu einer ausführlichen Kritik Baldwins an Mailers rassistischer Konstruktion schwarzer Männlichkeit, vgl. auch Corber: Homosexuality in Cold War America, Kap. 6. In den 60er Jahren wurde Baldwin aus der radikalen Black Panther Bewegung von Eldridge Cleaver in einer homophoben Attacke scharf angegriffen, in der ihm Uncle Tomism vorgeworfen wurde. Die Mailerschen Phantasien, schwarze Männlichkeit betreffend, wurden demnach durchaus nicht nur von weißen Linken geteilt. 113 Mailer: The White Negro, o.S. 230

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Studie Rebel without a Cause,114 in der er anhand des Beispiels eines jugendlichen Kriminellen, welcher den Hass auf seinen Vater auf die Gesellschaft übertragen hat, eine neue Behandlungsmethode für Psychopathen, die Hypnoanalyse, vorstellt. Ohne nachfolgend auf die Behandlungsmethode einzugehen, möchte ich die Grundgedanken Lindners zum Psychopathen darlegen, da mit dieser Studie ein weiterer wichtiger Prätext zur Analyse der Filme vorliegt. Noch während des Zweiten Weltkriegs verfasst, hat das Buch in zweifacher Hinsicht einen starken Zeitbezug. Einerseits geht es von der Prämisse aus, dass aufgrund der Kriegssituation psychopathisches Verhalten in den USA stärker verbreitet sei als jemals zuvor. Andererseits verknüpft es psychopathy mit der gegenwärtigen Weltsituation, insbesondere mit der Anziehungskraft, die der Faschismus auf Psychopathen ausüben könne: »This is the menace of psychopathy: The psychopath is not only a criminal; he is the embryonic Storm-Trooper; he is the disinherited betrayed antagonist whose aggressions can be mobilized on the instant at which the properlyaimed and frustration evoking formula is communicated by that Leader under whose tinselled aegis license becomes law.«115

Damit rückt Lindner Psychopathie aus dem rein psychologischen Umfeld und betont, dass sie ein schwerwiegendes soziales und politisches Problem darstellt, das innen- und außenpolitisch zu bekämpfen ist. Ähnlich wie Mailer zwölf Jahre später führt auch Lindner das seiner Meinung nach verstärkte Auftreten der Psychopathen auf zeithistorische Umstände zurück. Als soziologische Gründe führt er die stetig wachsende Urbanisierung und das Ende der frontier an,116 denn gerade die Ränder einer Gesellschaft brächten anti-soziales Verhalten hervor: »they sparkle with the glitter of personal freedom.«117 Wenngleich weniger di114 Der Autor geht davon aus, dass der Zweite Weltkrieg die Menschen sowohl in der Armee wie auch an der Heimatfront verstärkten Belastungen aussetzt. Robert Lindner (1945): Rebel Without A Cause. The Hypnoanalysis Of A Criminal Psychopath. London. 115 Ebd., S. 12. 116 Im Text heißt es dazu: »Concentration in the cities coincident with the disappearance of frontiers – both physical and psychological – is the responsible social factor in the genesis of the psychopathic pattern. Behaviourally regarded, the psychopath’s performance is of the frontier type.« Ebd., S. 11. Allerdings macht Lindner klar deutlich, dass psychopathisches Verhalten nur auftrete, wenn physiologische Dispositionen vorliegen. Das soziale Milieu allein könne Psychopathie nicht zum Ausbruch bringen. 117 Ebd., S. 12. 231

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rekt als Lindner setzt auch Mailer den Hipster mit dem Mann an der Grenze in Beziehung: Der Hipster ist sozusagen der moderne Abenteurer der Städte. Dieser von Beiden unternommene Bezug auf den Mann der Grenze ist insbesondere unter dem Gender Aspekt interessant. Denn ganz banal wird damit zum Ausdruck gebracht, dass der Psychopath und der Hipster männlich sind, beide leben im Grenzbereich der Legalität und insbesondere der Hipster ist mit jenem Mythos umgeben, der dem Westerner anhaftet und dadurch immer positiv konnotiert ist: Einsamkeit, Individualismus, Härte und Gewalttätigkeit, Gelassenheit und Unabhängigkeit. Insofern ist es sehr aufschlussreich, dass Lindner das von ihm beschriebene Phänomen der criminal psychopathy als relatives Phänomen begreift. Mit anderen Worten, eine psychopathische Persönlichkeit kann nur begriffen werden, wenn man sie in Beziehung zur bestehenden sozialen Ordnung stellt. Kann der Psychopath, aus welchen Gründen auch immer, den Normen und Werten der Gesellschaft nicht nachkommen, leidet er an Frustration, die in Aggressivität umschlägt: »He becomes, then, a wanderer and a nomad, always frantically searching out an avenue of escape.«118 Und wenn diese Ausflucht in physischer Hinsicht nicht gangbar ist, hilft er sich, indem er sich psychologische Auswege sucht. Das heißt, Lindner lehnt es ab, einen Katalog spezieller Verhaltensweisen aufzustellen, die den Psychopathen kennzeichnen, sondern beschreibt das Phänomen in allgemeineren Begriffen: »Moreover, clinical experience with such individuals makes it appear that the psychopath is a rebel without a cause, an agitator without a slogan, a revolutionary without a programme: in other words, his rebelliousness is aimed to achieve goals satisfactory to himself alone; he is incapable of exertions for the sake of others. All his efforts, hidden under no matter what guise, represent investments designed to satisfy his immediate wishes and desires. Now, the wish for immediate satisfaction is an infantile characteristic. Unlike more or less matured adults, the child cannot wait upon suitable circumstances for the fulfilment of its needs. [...] The psychopath, like the child, cannot delay the pleasures of gratification; and this trait is one of his underlying, universal characteristics. He cannot wait upon erotic gratification which convention demands should be preceded by the chase before the kill: he must rape. He cannot wait upon the development of prestige in society: his egoistic ambitions lead him to leap into headlines by daring performances.«119

118 Ebd., S. 4. 119 Ebd., S. 2. 232

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Die in diesem Abschnitt angesprochene Infantilität des Psychopathen betont Lindner auch an anderen Stellen seines Buches. Kindliche Verhaltensweisen, die dem Psychopathen eigen sind, sind z.B. Ziellosigkeit, die dazu führt, dass er nicht erwerbstätig sein kann. Auch stimmt Lindner mit einem Großteil der zeitgenössischen Literatur darin überein, dass der Psychopath in der Regel kein ›normales‹ Sexualleben führt, sondern auf einem infantilen Level stehen geblieben sei. Falls es für ihn überhaupt Zuneigung zu einem anderen Menschen gebe, sei diese »frequently homoerotic or perverse in some other sense.«120 Ebenfalls Konsens herrscht in der Forschung der 40er Jahre darüber, dass das Super-Ego des Psychopathen schwach ausgebildet sei. Lindner erklärt diese Tatsache mit dem Hass des Betroffenen auf den Vater.121 Sein Verhalten richtet sich demnach nach seinen eigenen Bedürfnissen und gegen die Gesellschaft als Ganze. Gleichzeitig hat der Psychopath ein labiles Super-ego und eine unreife Libido. All dies trägt dazu bei, dass die Zurückhaltung und die Rücksicht, die nötig sind, um konfliktfrei in einer Gesellschaft zu leben, bei ihm fehlen. Stattdessen bricht das wilde, zügellose, anti-soziale Verhalten durch. Inwieweit sich Diskursfäden dieser Modelle durch THE WILD ONE ziehen, soll anschließend untersucht werden.

Die Attraktivität des Hipsters – eine neue Männlichkeit? Johnnys Verhältnis zu anderen Männern ist weniger eine Frage inter pares, sondern in erster Linie eine Frage seines Verhältnisses zur Autorität. Die Figuren, mit denen er konfrontiert wird, sind der schwache Polizist Harry Bleeker in Wrigthsville und am Filmanfang und -ende eine starke Sheriff-Figur. Sie avancieren zu diametral entgegengesetzten Polen. Die bereits erwähnte Eingangsszene, in der Johnnys Figur charakterisiert und in Szene gesetzt wird, erfüllt mehrere Funktionen, deren eine ist, Johnny als Anführer der Black Motor Cycle Rebels einzuführen. Parallel dazu wird aber auch die Beziehung der Gruppe und damit auch die Johnnys zum Gesetz markiert. Aufgrund des bestimmten Auftretens und der natürlichen Autorität des Sheriffs lenken die jungen Männer sofort ein und verlassen den Ort. In Antizipation der nachfolgenden Ereignisse 120 Ebd., S. 5. 121 »There seems to be little doubt that the special features of psychopathic behaviour derive from a profound hatred of the father, analytically determined by way of the inadequate resolution of the Oedipus conflict and strengthened through fears of castration. Now since the father (or his surrogate) is the channel through which society – construed in its broadest sense and including all precepts, commands and conditions for satisfactory social living – is introjected, and since the father is hated and resented, the super-ego is correspondingly under-developed.« Ebd., S. 6. 233

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schaut der Sheriff ihnen beim Abfahren nach und murmelt: »Looking for somebody to push them around so they can get sour and show how tough they are.« Die gesamte Begegnung mit dem Sheriff ist als Generationskonflikt, d.h. Kräftemessen zwischen Vater und Kindern konzipiert. Nicht nur das verlegen kindliche an der Nase Reiben Brandos verweist darauf, sondern auch die Art und Weise, in denen der Sheriff mit der Gruppe spricht »one more cute remark and....« macht die Hierarchisierung deutlich. Die Darstellung der Motorradfahrer als Kinder wird in THE WILD ONE an verschiedenen Stellen wiederholt, z.B. durch das Springen der Jungs auf Pogo Stöcken oder das Wettrennen um Bier. Setzt man den Film in Beziehung zu den oben dargelegten Diskursen, lassen sich die Hinweise auf infantiles Gehabe im Film als Fingerzeig auf die Nähe zu psychopathischem Verhalten lesen. Der psychopathische Diskurs nach Lindner ordnet neben der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung, die sich auf jeden Lebensbereich erstreckt, auch die Ziellosigkeit und die damit verbundene Abkehr von sozial akzeptierten Werten sowie die leicht entfachbare Begeisterung als kindliche Wesenszüge des Psychopathen ein. So kommt Lindner zu der allgemeinen Aussage: »As a matter of fact, psychopathy is, in essence, a prolongation of infantile patterns and habits into the stage of physiological adultism.«122 Nun kann man die Überlegungen Lindners zur Infantilität des Psychopathen sicherlich nicht eins zu eins auf das kindliche Verhalten der Motorradfahrer im Film übertragen. Aber die hier gezeigte Kindlichkeit symbolisiert eine Unreife, die im Diskurs über jugendliche Rebellion Mitte der 50er Jahre immer wieder auftauchte. Diese kindliche Unreife wurde, sobald aggressives Verhalten hinzutrat, als Anzeichen psychopathischen Verhaltens wahrgenommen.123 »Somebody to push around« findet Johnny in Wrightsville. Sowohl er als auch die Gruppe erkennen schnell, dass der »phony cop« ihnen nichts entgegensetzen kann. Mit dem kompletten Versagen Harry Bleekers wirft der Film die Fragen auf, welche Alternativen existieren, wenn die traditionellen Orte von Recht und Ordnung nicht funktionsfähig sind, und welche Alternativen bestehen, wenn die bislang gültigen Männlichkeitskonzepte nicht mehr funktionieren. Das väterliche Gesetz, verkörpert im Polizisten Harry Bleeker, wird in aller Deutlichkeit als impotent vorgeführt. THE WILD ONE findet jedoch keine innovative Antwort auf diese Frage, sondern just als der Höhepunkt der Eskalation 122 Ebd., S. 2. 123 Die Zeitschrift Time veröffentlichte z.B. am 6.12.1954 einen Artikel mit dem Titel »Rebels or Psychopaths«, S. 64/65. »Rebels or Psychopaths«, in: TIME 6.12.1954. 234

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erreicht ist, taucht wie ein deus ex machina ein zweiter Sheriff auf, der die Situation in den Griff bekommt. Dadurch wird dem patriarchalen Gesetz wieder zu seinem Recht verholfen. Johnny sowie die anderen beugen sich diesem höheren, neuen, immer währenden Gesetz. Auf horizontaler Ebene ist die Beziehung Johnnys zu Kathie bestimmend, denn sie ist durch seinen Versuch, sie zu beeindrucken und für sich zu gewinnen, gekennzeichnet. Erschwert wird das Bestreben Johnnys durch die Tatsache, dass Kathie die Tochter des Polizisten ist. Damit ist eine Ausgangssituation geschaffen, die Kathie in die schwierige Situation bringt, zwischen den beiden Männern wählen zu müssen. Die Wahl, die Kathie hat, ist demnach die zwischen einem fetischisierten Jungmann und einem nicht-phallischen Vater, den sie unterstützen und zum Handeln aufmuntern muss.124 Von Anfang an baut der Film wie gezeigt eine Anziehung Kathies zu Johnny auf, die mit ihrer Faszination für den Lebensstil der Motorradfahrer zusammenhängt, der Ungebundenheit und Freiheit suggeriert. Johnny verweigert das bürgerliche konforme Leben, er entzieht sich der Gesellschaft, indem er mit einer Gruppe von Motorradfahrern ziellos durch Kalifornien fährt. Damit entzieht er sich gleichzeitig der bürgerlichen Vorstellung nach Erwerbsarbeit sowie nach Ehe (vgl. Kap. 3.3.) und nimmt die von Mailer beschriebenen Merkmale des Hipsters vorweg. Das Thema des On the road-Seins macht die Unterschiede zwischen Bleeker und Johnny sehr deutlich und damit den Unterschied zwischen dem ›Bürger‹ und dem Hipster: »Kathie: »Where do you go? Do you just drive around or do you go to some sort of a picnic or something?« Johnny: »Oh, a picnic, you’re to square. I guess I have to straighten you out. Oh, listen you don’t go any special place [...]. You just go. [...] You gotta make some jive, don’t you know what I am talking about?« Kathie: »Oh ya, my father was going to take me out on a fishing trip to Canada once.« Johnny: »Yeah?« Kathie: »We didn’t go.« Johnny: »Crazy.« 124 An seinem Schreibtisch sitzend und Whiskey trinkend, hin und her gerissen zwischen seiner Pflicht und seiner Unfähigkeit und Feigheit, beschließt Bleeker erst in dem Moment etwas zu tun, als Kathie, die sich Sorgen um den von der Bürgerwehr gefangenen Johnny macht, ihn dazu drängt. Kathie: »You’ve just been sitting here? Weren’t you going to do anything?« Harry: »There isn’t anything to do Kathie [...] What can I do?« Kathie: »Just nothing I guess. But if you don’t do something, you’re worse than any of them.« 235

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Während der ›Bürger‹ zuhause bleibt, ist der Hipster unterwegs. Mailer versteht das In-Bewegung-Sein als erstrebenswerten Zustand. Es ist Ausdruck der Loslösung von der konformen Gesellschaft und deswegen dem Verharren immer vorzuziehen. »›Go‹ with its sense that after hours or days or months or years of monotony, boredom, and depression one has finally had one’s chance, […] Movement is always to be preferred to inaction. In motion a man has a chance.«125 Das Unterwegssein macht den Hipster bei Mailer zum Außenseiter. Auch Johnny steht außerhalb der Gesellschaft. Nach Ansicht einiger Forscher/innen ist das der Grund dafür, warum er zum Ende des Films von der Bürgerwehr des Ortes verprügelt wird126: »punishment for being an outsider and sensitive – a hip messiah in the pop mythology of the time.«127 Betrachtet man den Film jedoch unter einer Gender-Perspektive, liegt es nahe, eine Neuinterpretation vorzunehmen. Johnny wird nicht nur für sein Außenseitertum, sondern auch für das Zur-SchauStellen seiner Männlichkeit bestraft. Auch in diesem Zusammenhang lohnt ein Blick auf den White Negro: Körperliche Präsenz und SexAppeal sind dessen unverkennbare Merkmale. Neben dem Unterwegssein ist die Sprache des White Negro wichtiger Bestandteil der Hip-Philosophie. Laut Mailer ist Hip eine besondere Sprache, da sie nicht wirklich gelehrt werden könne. Nur wenn man einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund besitze, sei sie verständlich. Häufige Vokabeln sind: »man«, »beat«, »cool«, »swing«, »crazy«, »hip«, »square«. THE WILD ONE unterstützt in überzeugender Weise die These des gemeinsamen Erfahrungshorizontes. Die Dialoge zwi-

125 Mailer: The White Negro, o.S. 126 Jene Szene, in der Johnny von der Bürgerwehr brutal zusammengeschlagen wird, gewährt auch Einblicke in die (Ab)Gründe seiner Persönlichkeit: »My old man hit harder than that.« Unter den Muskeln und der Lederjacke liegt demnach ein verwundeter Kern. Seine provozierende Art und Kleidung überdecken die inneren Schmerzen, die er nur den Zuschauer/innen zeigt, wenn er neben seinem Motorrad weinend zusammenbricht. Die Empfindsamkeit Johnnys, seine Unfähigkeit zu kommunizieren und zu lieben stammen aus seiner Kindheit und erscheinen damit in der Vorstellung der 50er Jahre heilbar zu sein, oder wie es Weekly Variety polemisch formulierte, »Marlon Brando contributes another hard-faced »hero« who never knew love as a boy and is now plainly in need of psychoanalysis.« Die Autorin des Artikels walzt das Thema später noch einmal genüsslich aus. »Motivated by a desperate need to escape from the beer tavern environment where she works for her uncle, the girl makes a romantic pitch at Brando. But he don’t feel nuttin’ remember, just nuttin’. His mama never loved him.« »The Wild One«, in: Weekly Variety (o.A.) File zu THE WILD ONE, PFA. 127 Richard Schickel (1991): Brando. A Life in Our Times. New York, S. 84. 236

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schen Kathie und Johnny sind wie obiges Beispiel zeigt, durch Missverständnisse charakterisiert. Der Gedanke des Unterwegsseins setzt Freiheit gegen Bürgerlichkeit, wobei die Freiheit für das Bürgertum und insbesondere für Frauen unerreichbar scheint und deswegen als das Andere begehrenswert ist. Dennoch weist Kathie Johnny auch in seine Schranken. Ein erster Wendepunkt des Films und die wesentliche Szene in dieser Hinsicht ist die Anschluss-Szene nach der Schlägerei mit Chino und dessen Verhaftung. Kathie hatte den Tumult vor dem Café verlassen, um eine erneute Niederlage ihres Vaters nicht miterleben zu müssen. Aufgebracht kommt Johnny, der den Pokal holen möchte, zu ihr. Sie gibt ihn ihm mit den Worten: »Fine, go some place else and cause trouble«, worauf er erwidert: »Listen, he put Chino on the can, why didn’t he put that frogface on the can?« Kathie: »He was afraid to make a mistake. He was afraid of loosing his job. He’s the towns joke and I am stuck with him. He has no business being a cop. No more than you have – with that. He’s a fake, like you!«

In der Wahrnehmung Kathies, der ja, wie gezeigt, im Laufe des Filmes immer stärker die Perspektive des Publikums eingeschrieben wird, wird Johnny mit dem Vater gleichgesetzt: Beide geben vor etwas zu sein, was sie nicht sind. Beide werden demaskiert, die Konstitution von Männlichkeit wird als Maskerade entlarvt. THE WILD ONE stellt die Frage nach Alternativen, wenn die traditionellen Orte von Recht und Ordnung nicht mehr gegeben sind. Die Lösung, die der Film findet, ist jedoch in gewisser Weise unbefriedigend. Analog dazu wird durch die Figuration die Frage aufgeworfen, ob eine neue Männlichkeit traditionelle Männlichkeitsvorstellungen herausfordern kann. Die Antwort, die THE WILD ONE vorzuschlagen scheint, ist die des Rebellen Johnny, der die Frage »What are you rebelling against?« mit der Gegenfrage »What’ve ya got?« beantwortet. Jene Zeile, die heute wie Camp anmutet, in den 50er Jahren aber zum Inbegriff des Ausdrucks entfremdeter Jugend wurde, schien eine Möglichkeit zu sein, sich von den überlieferten Modellen zu verabschieden. Die zeitgenössische Rezeption belegt dies: Jugendliche taten im Kino bei dieser Szene durch begeisterte Zwischenrufe und Applaus ihre Zustimmung kund.128 Jene Gegenfrage Johnnys und die von der Gruppe ausgeübte Gewalt ist der Inbegriff der Mailerschen Hip-Philosophie. Sie bringt die Ablehnung des Hipsters der weißen bürgerlichen Mittelschicht zum 128 Dane Wilsonne: »THE WILD ONE«, in: File zu THE WILD ONE, PFA. 237

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Ausdruck und die Angst, dass die partiell totalitären Mechanismen der US-amerikanischen Gesellschaft die Freiheit des Einzelnen zu zerstören drohen.129 Unter diesen Umständen ist die individuelle Rebellion bzw. Ausübung von Gewalt die Aufgabe all jener, die nicht eines langsamen Todes sterben und der kollektiven staatlichen Gewalt etwas entgegensetzen wollen (vgl. zum Individualismus Kap. 3.2). So stiehlt sich auch in diesen Gegenentwurf die Kategorie Race durch die Projektionen Mailers hinein. Afroamerikanische Männlichkeit für Weiße, kurzum The White Negro scheint ein Ausweg bzw. eine Antwort auf die Krise der weißen Mittelschichtmännlichkeit zu sein. Der Satz »He’s a fake, like you« demontiert jedoch diese Abgrenzung, schlimmer noch, er setzt Vater und Rebell miteinander in Beziehung. Der junge Rebell ist wie der Vater nicht echt. Auch ist er nicht jener von Kathie ersehnte Retter, der sie aus ihrem Leben befreien kann. Aber im Gegensatz zu dem aus dem Nichts erscheinenden Sheriff wartet der Plot des Films nicht mit einem ›Wunder-Mann‹ auf, der überkommene und moderne Männlichkeitsvorstellungen miteinander vereinbart. Mit der Unmöglichkeit einer Beziehung zwischen Johnny und Kathie und dem gleichzeitigen starken Bedürfnis Kathies, die Stadt zu verlassen, siedelt THE WILD ONE die Antwort auf die Frage nach einer neuen Männlichkeit irgendwo zwischen den beiden Polen an, macht dadurch aber auch deutlich, dass für Frauen ein Leben ohne Mann nicht denkbar ist. Schließlich bleibt Kathie in Wrightsville zurück. »I wasn’t trying to get away from him – I was trying to get away!« Kathie wiederholt ihren Wunsch, dem langweiligen Leben in Wrightsville zu entkommen, zum Ende des Films. Ihr Satz kennzeichnet den Wunsch auszubrechen aus einer Gegenwart, die Anfang der 50er Jahre für Frauen zunehmend durch das gesellschaftliche Bemühen gekennzeichnet war, die während des Zweiten Weltkriegs gewonnenen Freiheiten wieder rückgängig zu machen. Männliche Sex-Symbole scheinen das Bedürfnis von Frauen nach Freiheit zu repräsentieren. Damit sie diese Position einnehmen können, leben sie jenseits der gesellschaftlichen Norm, sie sind Außenseiter.130 Marlon Brando erfüllt diese Bedingungen: »He, too, was the secret night raider, modernly mounted and more a sheik from Anaheim than Araby, but still the dangerous love thief who rode by moonlight and offered sex-as-fun instead of social obligation.«131

129 Mailer: The White Negro, o.S. Abschnitt II. 130 Vgl. auch Basinger: »A Farewell…«, S. 20. 131 Ebd. 238

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Am Ende des Films übergibt Johnny Kathie den Pokal mit einem verlegenen Lächeln. Nicht in der Lage, seinen Dank dafür, dass sie ihn vor dem Sheriff verteidigt hat, verbal zu artikulieren, gibt er in dieser symbolischen Form sein bisheriges Leben auf und zeigt ihr seine Zuneigung. Gleichzeitig verweist die Aufgabe dieses ›kleinen Objektes a‹ darauf, dass das Streben nach einer siegreichen, etwas vortäuschenden Männlichkeit für Johnny die Bedeutung verloren hat. Der Anfang zu einem neuen, sozialen Leben ist gemacht. Allerdings muss er das nicht mehr in diesem Film leben, sondern fährt allein in den Sonnenaufgang davon. So erinnert auch das Filmende an das Genre des Westerns. Kathie, die das Leben in der Gesellschaft symbolisiert, kann ihn, der vor genau diesem Leben flieht, nur einschränken.132 In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf die im Film verwendete Musik erhellend. Jazz dominiert die Filmmusik bis zu jenem Zeitpunkt, als Johnny Kathie vor den eigenen Männern rettet. Bereits als die Gruppe zu Beginn des Films in den Ort eingefahren ist, wird das Hauptthema in einer Jazz-Version gespielt, was die Fremdheit der Motorradfahrer von den Bewohnern unterstreicht. Ebenso sind die meisten der in Bleekers Cafe gespielten Juke-Box Stücke Jazz-Themen. Nach der ›Rettungsszene‹ wird kein einziges Jazzstück mehr gespielt. Die ab da unterlegte Musik orientiert sich zwar thematisch am Hauptmotiv, allerdings ohne Jazz-Elemente. In Mailers Hip-Philosophie nimmt Jazz einen zentralen Raum ein. Er versteht Jazz als den Ausdruck afroamerikanischen Lebensgefühls und als Katalysator, durch den Hip zu einer lebbaren Philosophie geworden sei. Die Tatsache, dass, nachdem Johnny Kathie vor seiner Gang gerettet hat, kein Jazz mehr erklingt, unterstreicht, dass diese Tat mit dem Abschied von seinem eigenen Rebellen-Dasein gleichgesetzt werden kann. Johnny weicht somit auch musikalisch vom Weg des Hipsters ab.

4.2.3 BLACKBOARD JUNGLE (1955) »I started off to make a picture about a teacher, not about juvenile delinquency at all. If you see the picture again, watch how the spokes of the wheel keep on coming back to what the teacher is about.«133 Diese Aussage des Regisseurs Brooks verweist auf die zentrale Position des Protagonisten Dadier (Glenn Ford), der als Repräsentant der weißen Mittelschicht auftritt, und damit auf den Ort verweist, den der weiße Mittelschichtmann in der Gesellschaft einnimmt. Der methodi-

132 Lewis: The Road to Romance, S. 31. 133 Richard Brooks (1965): »Interview«, in: Movie (12), S. 6. 239

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sche Zugriff konzentriert sich deswegen zunächst auf den Raum, in welchem er sich bewegt. Da ist zum einen der Ort der Öffentlichkeit, des Geldverdienens, nämlich die Schule, in der sich Dadier beweisen muss. Daneben stehen sein Privatleben, seine Wohnung und seine Familie, wo er die Kraft schöpfen möchte, um im Berufsleben zu bestehen. Seine Position ist zu Beginn des Films jedoch alles andere als eindeutig. Während Dadier zu Anfang eine Art ›Zwitterwesen‹ ist, das sich weder beruflich noch privat, seiner Kraft sicher ist, wird er zum Repräsentanten phallischer Männlichkeit erst im Laufe des Films. Bereits die ihn einführenden Szenen offenbaren die Differenzen in seiner Person. Das Vorstellungsgespräch in der Schule zeigt ihn als wenngleich neugierigen, jedoch auch eingeschüchterten Mann, der auf einem Mädchen-College sein Examen gemacht hat, auf der anderen Seite aber bei der Marine war. Während er sehr leise spricht, rezitiert er Henry V. mit einer Stelle zur männlichen Wehrbereitschaft klar und mit lauter Stimme. Anhand des Mikrokosmos Schulklasse werden die Bemühungen des Lehrers, der Unterschicht die Werte der amerikanischen Gesellschaft zu vermitteln, durchgespielt. »I thought I could help to shape young minds, sort of sculpt lives.« Dieser Wunsch gestaltet sich sehr schwierig. Nachdem Dadier auf dem Heimweg von einer Schülergruppe brutal zusammengeschlagen wurde, sucht er bei seinem ehemaligen Professor Kraal moralische Unterstützung zur Frage, wie wild animals zu unterrichten seien. Neben der humanistischen Haltung des Professors, dass jede(r) das Recht auf Bildung habe, zeigt die Szene vor allem, dass neben der gewaltbereiten Welt der Jungenschule noch ein anderes Amerika existiert. Der Kontrast könnte nicht größer sein. Die Northern Manual High School der Delinquenten liegt mitten in der lärmenden heißen Großstadt, Züge rattern vorbei; vor dem an ein Gitter erinnernden Schulhofzaun spielen halbnackte Kinder an geöffneten Hydranten, hinter dem Zaun tanzen Jungn miteinander zu dem Titelsong Rock’ around the Clock und als eine (weiße) Frau am Zaun entlanggeht, johlen und pfeifen sie. Durch diese visuellen und auditiven Kommentare können die Kinder und Jugendlichen als Wilde oder Tiere hinter Gittern, sprich als nächste Generation der Kriminellen assoziiert werden. Sie sind das Andere der Gesellschaft und bergen in sich die ›Saat der Gewalt‹,134 die es zu zerstören gilt, bevor sie aufgehen kann.135

134 ›Saat der Gewalt‹ ist der deutsche Verleihtitel des Films. 135 In »Tigers In The Classroom” werden sie beschrieben als: »The kids who are not square enough to fit the ordinary high school and not quite round enough – most of them – for reform school.« »Tigers In The Classroom«, in: Saturday Review, 2.4.1955 240

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Die Differenz der Jugendlichen wird noch dadurch betont, dass die Zusammensetzung der Klasse multiethnisch ist. Die ›Vorzeigeschule‹ hingegen repräsentiert die weiße Mittelschicht Amerikas. Vor einem wie eine Festung anmutenden Gebäude gehen die fast ausnahmslos weißen Schüler und Schülerinnen in geordneter Form diversen Sportarten nach. Es scheint nicht so heiß zu sein wie in der Stadt, die Schüler/innen sind ordentlich gekleidet und im Gegensatz zu Rock’ around the Clock singen sie die Hymne der Vereinigten Staaten und drücken damit ihren Patriotismus und die Verbundenheit zu den Werten der USA aus. Richard Dadier, der in der Lage ist, die Grenzen zwischen den Welten immer wieder zu überschreiten, tritt nun an, um die Jungen der Manual High genau wie die Schüler/innen der Schule der weißen Mittelschicht zu patriotischen und gehorsamen Bürgern zu erziehen. Die Gleichsetzung der integrierten Schule als Brutstätte von Jugendkriminalität bekundet die Ängste des weißen Amerikas vor dem Ende der Segregation. Ihre Aufhebung war selbst für liberale Weiße nur als Anpassung an die Werte der weißen Mittelschicht möglich. Und genau dieses Verfahren, welches weißen Interessen dient, exerziert der Film durch. 136 Die Handlung, das Zähmen der Schüler, wird explizit gemacht durch die Bemühungen Dadiers, mit dem schwarzen Schüler Miller (Sidney Poitier) eine Allianz zu schließen und den Hauptrebellen West (Vic Morrow) zu besiegen. Nachfolgend gilt mein Augenmerk zunächst dem Thema Race. Anschließend wird die Herstellung von Gender unter besonderer Berücksichtigung der sexuellen Konnotierungen untersucht.

»All the trouble you caused« – Miller oder West? Schwarz oder Weiß? Ohne Zweifel ist BLACKBOARD JUNGLE ein wesentlicher Grundstein in der Entwicklung des Interracial Buddy Movies.137 Als BuddyFilme werden Filme jeglicher Genres verstanden, in denen zwei Männer unterschiedlicher Herkunft etc. ihre Differenzen überwinden und Freunde werden. Nach Robyn Wiegman gelingt die Partnerschaft zwischen weißen und schwarzen Männern in diesen Filmen, weil die »economic,

136 Leerom Medovoi (1997): »Reading the Blackboard. Youth, Masculinity, and Racial Cross-Identification«, in: Harry Stecopoulos/Michael Uebel (Hg.): Race and the Subject of Masculinities. Durham/ London, S. 138169, S. 143. Sowie Medovoi: Rebels, S. 135-167. 137 McCoy: »Manager, Buddy, Delinquent«, hat diesen Punkt sehr präzise herausgearbeitet. Zum Buddy-Film vgl. Philippa Gates (2003): »Buddy Film«, in: Carroll: American Masculinities, S. 73-75. 241

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social, and political differences among men are ultimately displaced by the prevailing framework of gender.«138 Realisiert wird die Partnerschaft im Film in der Regel über ein aus zwei Männern und einer weißen Frau bestehendes Dreieck. Die Frau scheidet an einem gewissen Punkt der Erzählung aus, worauf der dadurch freigewordene Raum von den beiden Männern gefüllt werden kann. Der Ausschluss der Frau fungiert demnach als Prämisse, um die durch Race verursachte Differenz zu überwinden. In BLACKBOARD JUNGLE ist nicht das klassische Dreieck zugrunde gelegt, sondern anstelle der Frau übernimmt ein weißer jugendlicher Delinquent die Funktion des Anderen. Auch er muss am Ende aus der Erzählung aussteigen.139 Doch nun zur Ausgangssituation: Die Schüler Miller und West begegnen Dadier von Anfang an desinteressiert und konfrontativ. Sie sind das, was man damals wie heute als ›cool‹ bezeichnen würde, und nehmen beide eine Führungsposition wahr. In diese Konstellation stößt Dadier, der versucht, Miller auf seine Seite zu ziehen. Bereits nach der ersten Schulstunde sucht er das Gespräch mit ihm und nennt ihn einen geborenen Anführer, der ein wenig intelligenter sei als der Rest der Klasse und der deswegen eine Führungsposition einnehmen und Klassensprecher werden solle. Dabei ist die Quadrierung aufschlussreich: West schaut aus dem Hintergrund argwöhnisch diesem Gespräch zu – argwöhnend, dass sich Miller zum einen auf die ›falsche‹ Seite stellen könnte und zum anderen, dass ein Bund zwischen Miller und Dadier geknüpft werden könnte, von dem er ausgeschlossen wäre. Mit anderen Worten: Die Bildgestaltung verweist bereits auf die Dreiecksbeziehung der Kontrahenten. Dadiers Bemühungen um Miller hindern ihn jedoch nicht daran, Miller aufgrund seiner Hautfarbe aller möglichen Untaten zu verdächtigen. Damit schreibt er sich in den weißen rassistischen Diskurs ein und offenbart die Ängste des weißen Amerikas. Die Kameraführung dient ebenfalls einer rassistischen Perspektive. Bei dem Versuch, einem weinenden, weißen, im Anzug gekleideten Jungen mit blondem Haar und Seitenscheitel zu helfen, gelangt Dadier und mit ihm die Kamera wie auch der Blick des Publikums auf die Schultoilette, in der sich einige rauchende Schüler befinden. Diese Szene ersten Kontaktes zwischen Miller und Dadier ist so konstruiert, dass plötzlich Miller im Zentrum des Bildes erscheint: ein schwarzer Mann mit einem leuchtend weißen

138 Robyn Wiegman (1995): American Anatomies: Theorizing Race and Gender. Durham, N.C., S.119. 139 McCoy: »Manager, Buddy, Delinquent«, S. 26. 242

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T-Shirt bekleidet. Das In-Szene-Setzen von Millers Schwarzheit zeigt sowohl seine Führungsqualitäten, als auch die Bedrohung, die möglicherweise von ihm ausgehen könnte. In der sich daran anschließenden Schulstunde verfolgt der Film eine ähnliche Strategie. Während Dadier seinen Namen an die Tafel schreibt, wird ein Baseball an die Tafel geschleudert, der den gerade geschriebenen Namen zerstört und ein Loch in die Tafel reißt. Während Dadier sich mit den Worten »Whoever threw that: you’ll never pitch for the Yanks, boy« umdreht, wird auf Miller geschnitten – wiederum suggerierend, er könne der Übeltäter sein. Diese rassistische Suggestion wird anschließend verbalisiert, als Dadier fragt, ob der Baseball ihm gehöre. Während Dadier versucht, in seinem Unterricht Anti-Rassismus zu vermitteln, unterläuft er mit seinem eigenen Handeln seinen AntiRassismus. Zentral ist jene Szene, in der Dadier zum Direktor gerufen wird, da ihn ein Schüler des Rassismus beschuldigt hat. Verärgert darüber, dass der Direktor ihm die Identität des ihn bezichtigt habenden Schülers nicht enthüllt, begegnet er auf dem Flur Miller, den er sofort verdächtigt: »Dadier: »You went to Mr. Warnecke today? And you told him a lot of lies, a lot of deliberate lies. [...] You twisted everything I said [...] There was no racial issue until you made one [...]« Miller: »What is it chief? [...] Why you got the knife out for me?« Dadier: »[...] After all the trouble you caused. After all you’ve done [...] After the way you and West [...]« Miller: »The way me and West what?« Dadier: »Why you black...« Miller: »Go ahead and say it. You say it now.« Dadier: »There is no excuse. I just lost my head. – Miller.«140

Der Pakt Der Offenbarungseid von Dadier und seine darauffolgende Entschuldigung stellen den Wendepunkt in der Beziehung der beiden dar. Zwar ist es in der Logik der bisherigen Erzählung nicht überzeugend, aber nun beginnt Miller Dadier zu unterstützen, indem er z.B. bei dessen Weihnachtsfeier mitmacht: »Dadier: »What are the rules Miller?« Miller: »Rules?«

140 Parallel zu dem verbalen Angriff attackiert Dadier Miller auch physisch, indem er ihn am Kragen packt und kräftig schüttelt. 243

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Dadier: »Yeah ... I mean you can be so cooperative on a thing like this and in my classroom... [lacht verlegen, die Verf.]. [...] You wanna walk up with me?« Miller: »I’ll be along.« [zögernd ablehnend, die Verf.] Dadier: »Yeah« [dabei berührt er Miller kurz am Arm und geht, die Verf.].«

Dieses Gespräch ist der erste Schritt in der Formierung des Bundes zwischen Miller und Dadier. Auch anhand der Kleidung wird dies ersichtlich. Während Miller zu Beginn des Films noch in Jeans und T-Shirt als Teil der Klasse gekennzeichnet wurde, beginnt seine Garderobe nun immer stärker der des Lehrers zu ähneln. In aller Klarheit formuliert wird der Pakt, als Dadier Miller nach einer Probe zur Weihnachtsaufführung zu dessen Job als KFZ Mechaniker in eine coloured Nachbarschaft begleitet und ihn davon zu überzeugen sucht, weiterhin zur Schule zu gehen.141 Miller, der der Meinung ist, dass Afroamerikaner gesellschaftlich benachteiligt sind und es deswegen gleichgültig sei, ob er die Schule verlasse, muss sich von Dadier belehren lassen, dass diese Entschuldigung im gegenwärtigen Amerika nicht mehr zähle!142 Diese Auffassung trifft für die US-amerikanischen 50er Jahre nicht zu. Sie entspringt einem Wunschdenken und impliziert, dass die Ursache der Segregation bei den Afroamerikanern liege. Darüber hinaus kann man die Äußerung auch in gegenläufiger Art verstehen und darin eine verklausulierte Hoffnung erkennen: Dass sich Afroamerikaner nicht absichtlich außerhalb der weißen Gesellschaft stellen, sondern sich integrieren lassen würden, anstatt gegen die weiße Dominanzgesellschaft zu rebellieren. In jener Szene also schlägt Dadier Miller den Pakt vor, der das ›Kumpeltum‹ etablieren wird: Dadier: »...have a sort of pact, you and I: neither of us quit.« Obwohl Miller verbal nicht auf diesen Vorschlag reagiert, verlässt Dadier – und damit auch das Publikum – die Werkstatt mit dem Glauben an den geschlossenen Pakt. Die narrative Lösung der Buddy-Filme besteht darin, dass die beiden Männer ihre jeweiligen Schwierigkeiten bewältigen und ihre Unterschiede akzeptieren. Programmatisch ist es, dass sie auf dem Weg dorthin voneinander lernen und die eigene Persönlichkeit an dem eingegangenen Bund wächst.143 Auch in BLACKBOARD JUNGLE ist dies der Fall, denn Dadier muss sich seinem eigenen Rassismus stellen und mit der Frage »What are the rules, Miller?« erkennt er ein Regelwerk außer141 Ein interessanter Aspekt dieser Szene liegt darin, dass er, um mit Miller zu gehen, die Verführungsversuche der Lehrerin Hammond beendet, sie quasi stehen lässt. 142 Dadier: »That’s not a good enough excuse, not nowadays, and you know it, Miller.« 143 Gates: »Buddy Film«, S. 74. 244

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halb seines eigenen an. Miller auf der anderen Seite lässt sich darauf ein, ein folgsamer Schüler und Verfechter weißer Mittelschichtenwerte zu werden. Trotz dieser gegenseitigen Befruchtung kommt die paternalistische Haltung des weißen erwachsenen Mannes gegenüber dem schwarzen jungen Mann deutlich zum Ausdruck und veranschaulicht, wer in diesem Bund das Sagen hat. Filmisch in Szene gesetzt wird dies insbesondere in jener Szene, in der die schwarzen Schüler für die Weihnachtsaufführung proben. Denn es ist Dadier, der die Anweisungen gibt, sie gruppiert und den Scheinwerfer auf ihre Gesichter richtet, kurzum, der die Kontrolle behält: »The teacher has ›integrated‹ the show but he has done so in a way that emphasizes his control [...] of the situation, for the light freezes the black participants in place. Blackboard Jungle’s spectators see nothing but the carefully contained and positioned rehearsal, as if promised that the black youths will move neither from their prescribed spots on the stage nor from their prescribed roles as performers.«144

Die Differenz zwischen Weißen und Afroamerikanern löst BLACKBOARD JUNGLE auf, indem die nicht weißen Schüler dem Vorbild des weißen Mittelschichtmannes folgen. Am Ende des Films, als der Gegenspieler Artie West vor versammelter Klasse das Messer gegen Dadier zieht, und dieser sich im Kampf »Mann gegen Mann« zunächst alleine erfolgreich wehrt, unterstützen später auch die anderen Schüler Dadier, allen voran Miller. Die Szene ist an Symbolik kaum zu übertreffen: Einer der Schüler, Santini, hilft Dadier, indem er dem einzigen Verbündeten von West, Belazi, die amerikanische Flagge in die Brust rammt und ihn damit außer Gefecht setzt! Anschließend verkündet Dadier: »There is no place for these two in your classroom. [...] Whether you like it or not I’m taking these two downstairs.« Miller: »I think maybe we’ll give you a hand Mr. Dadier, o.k. fellows?« Miller sowie die anderen nicht weißen Delinquenten sind damit integriert, sie versammeln sich unter der amerikanischen Flagge und legen so Bekenntnis ab für die Werte der USA. Die Identität junger Männer wurde in der amerikanischen Geschichte häufig mit Fragen der nationalen Zukunft verbunden. Der jugendliche Kriminelle erfuhr deswegen besondere Aufmerksamkeit, da er als ausgesprochene Bedrohung für die

144 McCoy: »Manager, Buddy, Delinquent«, S. 31. Hier soll ergänzt werden, dass die Hoffnung darauf, dass die schwarzen Jugendlichen an ihrem Platz »eingefroren« werden, in erster Linie unter den weißen Zuschauer/innen existiert haben dürfte. 245

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ganze Nation wahrgenommen wurde.145 Das Ende von BLACKBOARD JUNGLE beseitigt diese Sorge und die Angst vor integrierten Schulen in einem, da der weiße Querulant gefasst wird und sich die multiethnischen Schüler hinter ihrem Lehrer versammeln. Dadurch wird ein liberaler, intergenerationeller Konsens hergestellt, und die Sprengkraft, mit der jugendliche Delinquenten die nationale Sicherheit gefährden könnten, entschärft. Da es ein Ziel des Filmes ist, die weißen Ängste vor der Aufhebung der Segregation zu minimieren, kann er keinen afroamerikanischen Antagonisten präsentieren. Insofern muss der Widersacher weiß sein. Jedoch, wie weiß ist Artie West? Auf den ersten Blick ist West ein Weißer. Allerdings liegt ein Subtext unter dieser sichtbaren Erscheinung. Denn im Laufe des Filmes wird mitgeteilt, dass er irischer Abstammung ist. Irische Immigrant/innen, die in den späten 1840 und 1850er Jahren sowie zwischen 1870 und 1900 in großen Zahlen in die USA kamen, wurden in der Rhetorik der nativistischen Bewegung weniger als weiße Angelsachsen, als vielmehr als Kelten und somit als ›rassisch Andere‹ beschrieben. Damit einher gingen Vorstellungen der Minderwertigkeit, der Unverantwortlichkeit und Faulheit, die wiederum dazu führten, Iren als nicht wirklich männlich anzusehen und ihre Qualifikation zur Staatsbürgerschaft anzuzweifeln. Tatsächlich wurden sie im öffentlichen Diskurs häufig als »schwarze Iren« bezeichnet, eine Darstellung, die ihre Wurzeln in der britischen Geschichte hat. Dieses Bild wurde in den USA übernommen, sodass sie auch hier zusammen mit Schwarzen als minderwertig behandelt wurden.146 Parallel dazu gab es jedoch auch historische Momente, in denen Iren als weiß galten.147 Dass Artie West Ire ist, ist in mehrfacher Hinsicht instruktiv. Zum einen wurden Iren im 19. Jahrhundert häufig für die steigende Kriminalität in Städten verantwortlich gemacht, weswegen eine assoziative Verbindung von Jugendkriminalität und Irisch existiert. Zum anderen werden durch diese vorhandene Assoziationskette ›echte‹ weiße Jugendliche rehabilitiert. Damit kann die Gefahr, die von Juvenile Delinquency ausgeht, obschon nicht den Afro-Amerikanern zugeschrieben werden, so doch zumindest den Einwanderern und unter ihnen einer Gruppe, die in langen Phasen der US-amerikanischen Geschichte mit Black assoziiert 145 Olaf Stieglitz (2003): »Juvenile Delinquency«, in: Carroll: American Masculinities, S. 253-254, S. 253. 146 Zur Geschichte der irischen Weißwerdung vgl. Noel Ignatiev (1995): How the Irish became White. New York/London. 147 Vgl. Roediger (1991): Wages of Whiteness. Race and the Making of the American Working Class. London/New York, S. 133ff. 246

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wurde. Und drittens existiert, ähnlich dem Stereotyp des hypermaskulinen virilen Schwarzen, das Bild des irischen Vergewaltigers. Damit möchte ich mich dem nächsten Punkt zuwenden, der Sexualität.

Sexualität Der Film unterstreicht von Anfang an die Sexualität, die in North Manual High in der Luft liegt und in dem aggressiven Versuch, die Lehrerin Hammond (Margaret Hayes) zu vergewaltigen, ihren Höhepunkt findet. So ist z.B. ein Kollege der Meinung, der Unterricht finde nur statt, um die ›Wilden‹ einige Stunden des Tages wegzusperren, damit die Frauen der Stadt sich wenigstens dann frei bewegen könnten, und »The only thing they know how to multiply is themselves.« Die versuchte Vergewaltigung scheint diese Aussagen zu bestätigen. Sie lässt aber auch andere Interpretationen zu. So scheint es für Frauen gefährlich zu sein, Kontakt mit jugendlichen Delinquenten zu haben. Pointierter ließe sich sagen, dass sie am besten keiner Erwerbsarbeit nachgehen sollten. Stattdessen könnten sie den Arbeitsplatz einem männlichen Kollegen überlassen. Aus dieser Perspektive betrachtet, reiht sich der Film in den Domestizierungsdiskurs der 50er Jahre ein. Außerdem wird aufgrund der Fetischisierung – kurz vor dem Vergewaltigungsversuch richtet Hammond auf der Treppe ihre Strumpfbänder und zeigt so dem voyeuristischen Schüler ihre Beine – ihre Mitschuld suggeriert.148 Drittens verknüpft der Film hier sexuelle Aggressivität und Frauenfeindlichkeit mit Widerstand gegen institutionalisierte Autorität. Dadurch wird sie zu einem festen Bestandteil jungmännlicher Rebellion (vgl. dazu die Gang in THE WILD ONE). Um dies zu unterstreichen, wird Dadier, der die Kollegin gerettet hat, anschließend von der Klasse boykottiert, überfallen und zusammengeschlagen. Aufgrund ihrer physischen und sexuellen Aggressivität können die Jungen dem zeitgenössischen Diskurs über Psychopathen, wie er u.a. von Lindner beschrieben wurde, im weitesten Sinne zugeordnet werden. Dass sich dieser psychologische Diskurs auch im juristischen Diskurs niederschlug, zeigt sich in den zwischen 1937 und 1940 sowie zwischen 1947 und 1955 in den USA erlassenen Gesetzen gegen sexual psycho148 Was die Frauenfiguren anbelangt, arbeitet der Film mit einer sehr einfachen Symbolik. Die erwerbstätige, fast vergewaltigte Lehrerin Hammond, die später noch versuchen wird, Dadier zu verführen, ist dunkelhaarig. Anne Dadier hingegen ist blond und sehr hellhäutig ausgeleuchtet. Sie ist nicht erwerbstätig. Die Farbsymbolik, die weiß mit ›gut‹ und schwarz mit ›schlecht‹ gleichsetzt, wird bis heute immer wieder eingesetzt. Vgl. dazu Dyer: White, S. 58-61. 247

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paths.149 Die Angst vor Psychopathen hatte zu einer regelrechten Panik vor Sexualverbechen geführt, in deren Verlauf 21 Einzelstaaten von 1947 bis 1955 ›Psychopathen-Gesetze‹ erließen. In der rechtlichen Definition hieß es, ein Psychopath sei jemand, dessen »utter lack of power to control his sexual impulses« ihn höchstwahrscheinlich dazu führe »to attack [...] the objects of his uncontrolled and uncontrollable desire«.150 Das im Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts entstandene Konzept des Psychopathen hatte sich dort weder ausschließlich auf Männer noch auf Sexualverhalten bezogen. Stattdessen erfasste es umherwandernde Arbeitslose, die ein auffälliges Sozialverhalten an den Tag legten, Bettler und Kleinkriminelle, die außerhalb der sozialen Normen standen und damit Anarchie repräsentierten. Die Sexualisierung dieses umherwandernden Mannes fußte in der inzwischen etablierten Sexualforschung und der Psychoanalyse Freuds sowie in wirtschaftlichen Ängsten. In den Jahren der Depression, als Millionen von Männern ihre Arbeit verloren und Männlichkeit dadurch ins Zentrum der soziologischen und kriminologischen Aufmerksamkeit rückte, wurde der männliche Psychopath sexualisiert. Im Zentrum der Klassifizierung standen der effeminierte Homosexuelle und der aggressive hypermaskuline Mann, da beide Kinder angreifen würden und damit letztlich die gesellschaftliche Ordnung gefährdeten. Die Klassifizierung als Sexualpsychopath konnte für die Betroffenen zur zeitlich unbegrenzten Einweisung in die Psychiatrie führen anstatt zur Inhaftierung im Gefängnis. Obwohl die Zahl der Verhaftungen aufgrund sexueller Übergriffe während des Zweiten Weltkriegs gestiegen war, erhielten die Gesetze in dieser Periode wenig Aufmerksamkeit. Stattdessen wurde der Begriff nun auf ›hypersexuelle‹ Frauen übertragen, auf Frauen, die Sex mit stationierten Soldaten hatten oder sich prostituierten. In der Nachkriegszeit wurden weiterhin insbesondere die Dispositive der Homosexualität (vgl. Kap. 4.2.) und Hypermaskulinität als abweichend untersucht. Die Sexualverbrechen-Panik der Nachkriegszeit erreichte Mitte der 50er Jahre ihren Höhepunkt. Analog zum Vorgehen von Linder, der keinen Katalog konkreter Verhaltensweisen zur Kategorisierung von Psychopathen aufgestellt hatte, verzichteten auch die meisten Gesetzestexte auf eine Nennung spezieller Taten. Entscheidend war auch hier die Persönlichkeitsstruktur des Täters. So wurden sexuell aggressive Männer als Psychopathen kategorisiert, deren 149 Estelle B. Freedman (1989): »Uncontrolled Desires«: The Response to the Sexual Psychopath, 1920-1960«, in: Kathy Peiss/Christina Simmons (Hg.): Passion and Power. Sexuality in History. Philadelphia, PA, S. 199-226. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf diesen Aufsatz. 150 Ebd., S. 200. 248

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Handlungen von Exhibitionismus bis zur Vergewaltigung reichen konnten. Außerdem wurde im Zuge dieser Diskursivierung auch das polizeiliche Vorgehen gegen sogenannte Perverse, oftmals Homosexuelle, verstärkt, sodass seit den späten 40er Jahren die Ausdrücke Psychopath und Homosexueller fast synonym verwendet wurden. Hypermaskulinität und Homosexualität wurden demnach als Endpunkte auf einer PsychopathieSkala verstanden, die sich zu weit von dem Modell des Ernährers entfernt hatten und gegen die demzufolge vorgegangen werden musste. Ganz im Sinne dieser Verknüpfung verdient der Film BLACKBOARD JUNGLE auch unter dem Aspekt der Homosexualität einen kurzen Blick. In der Eingangsszene tanzen Jungen miteinander zu Rock’ around the Clock. Jedoch, wie Meedovoi richtig bemerkt, wird die Homoerotik durch die Montage unterdrückt. Denn an jede als homoerotisch zu lesende Einstellung wird eine Einstellung des heterosexuellen Begehrens angeschlossen.151 Trotz dieser Zurücknahme gibt es weitere homoerotische Anspielungen in BLACKBOARD JUNGLE. Sie konzentrieren sich überwiegend auf West und Dadier. Schon in der Eingangsszene pfeift West Dadier hinterher, als jener den Schulhof betritt. Die anderen Schüler hingegen pfeifen hinter einer Frau her, die am Zaun vorbeigeht. Die Blicke, die West Dadier zuwirft, können als ablehnend und begehrend gelesen werden. Außerdem kommt es zu Frotzeleien zwischen ihnen. West: »Hey, Teach – you’re coming back here tomorrow?« Dadier: »Well sure, I’m coming back – you know why? Because I’ll miss you West.«152 Die Figur West trägt demnach homosexuelle Untertöne, wodurch ihre Abweichung von der Norm markiert wird. Diese Abweichung kennzeichnet jedoch nicht nur West, sondern kann auch den normativen Gegenpol Dadier gefährden. Die Gefährdung, die von Wests latenter Homosexualität ausgeht, wird durch weitergehende zerstörerische Attacken gegen die Familie Dadiers noch verstärkt. Dadier wird als glücklich verheirateter Ehemann gezeichnet, dessen Ehefrau Anne einen Sohn erwartet. Damit entspricht er dem Konzept des Familienvaters und Ernährers (Vgl. Kap. 3.3.). Indes, seine Frau hat das erste Kind während der Schwangerschaft verloren und beide sind seither von der Sorge beherrscht, dass sich das wiederholen könne. In

151 »The threatened eruption of homoerotic meaning is repressed by extending the shot so that it concludes with a representation of the delinquent’s heterosexual desire.« Medovoi: »Reading the Blackboard«, S. 162. In THE WILD ONE findet sich eine ähnliche Szene, in der die Männer teilweise als Frauen verkleidet miteinander tanzen, um sich in dem Moment, als die weibliche Hauptdarstellerin kommt, auf sie zu stürzen. 152 Diese Bemerkung sorgt bei den Mitschülern für große Heiterkeit, da sie sich vorstellen, wie West den Nachmittag mit Dadier verbringt. 249

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diese Kerbe stoßen die Attacken Wests. Mit an Anne gerichteten anonymen Briefen und Anrufen bezichtigt er Dadier, eine Affäre zu haben. Der Film suggeriert, dass die Aufregung zu einer erneuten Frühgeburt führt. Während der Sohn in Lebensgefahr schwebt, entscheidet sich Dadier seine Arbeit aufzugeben und damit auch den Pakt mit Miller, um der Gefährdung seiner Person und seiner Familie ein Ende zu bereiten. Erst der Schlusskampf im Klassenzimmer und die tätliche Unterstützung von Miller sowie dessen Beschwörung des Paktes in der Schluss-Szene bestätigen den Bund auch für die Zukunft.153 Dass die Attacken Wests, die auf die männliche Reproduktionskraft, die Familie und den Stammhalter – und damit auf die Zukunft der Nation zielen, ausschlaggebend dafür sind, dass Dadier seine Arbeit und seine Ideale aufgeben möchte, beweist die Schwere des Angriffs: »Significantly, having penetrated both the white bourgeoisie’s home and its pregnant female body, the harasser’s tactics leave Dadier’s heir near death and a patronymic and national future on the edge of oblivion. This penetration is the key crime impelling the film’s social exhortations, for more than destroying material property, more than assaulting white men in an alley, and more than attempting to rape [...], threatening bourgeois white reproduction (and, by extension, the future of postwar America) is to compromise the germination of managerial democracy.«154

Artie West wird, je nach Fokus, lässiges Auftreten, Furchtlosigkeit, Desinteresse an seinen Pflichten als Staatsbürger, Homosexualität und physische sowie sexuelle Aggressivität zugeschrieben. Insbesondere durch die letztgenannten Attribute bewegt er sich im Umfeld des Psychopathie-Diskurses. Die Tatsache, dass er als Irisch-Amerikaner einen weiteren Diskurs als nicht Weißer, möglicher Delinquent und/oder Vergewaltiger bedient, prädestiniert ihn dafür, das Andere zu sein. Die vermeintliche Bedrohung durch Schwarze, denen ebenfalls Hypermaskulinität und Gewaltbereitschaft zugeschrieben wird, wird dadurch von den Schultern Millers genommen. Der schwarze und der weiße Mann können den Kampf gegen das zerstörerische Andere gemeinsam beenden. Dadier hat schließlich sein Ziel »to shape young minds« erreicht. Der Beweis, dass der männliche jugendliche Delinquent keinen Platz in der amerikanischen Gesellschaft hat, ist erbracht.

153 Dass der Pakt nun Gültigkeit hat, zeigt sich auch in der äußeren Metamorphose der beiden Männer, sie tragen nun fast identische Mäntel. 154 McCoy: »Manager, Buddy, Delinquent«, S. 29. 250

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Zur Rezeption von BLACKBOARD JUNGLE Innerhalb der Produktionsgesellschaft MGM hatte es im Vorfeld Widerstände gegen den Film gegeben. Diese gründeten einerseits auf der Sorge, dass der Film in Zeiten des Kalten Krieges im Ausland ein falsches und zu negatives Bild der USA vermitteln würde. Ursprünglich war von Seiten des Produzenten Dore Schary deswegen zunächst eine Szene vorgesehen, die auf die wesentlich höhere Jugendkriminalität in der Sowjetunion hinweisen sollte. Allerdings weigerte sich Brooks diese Szene zu verfilmen. Ein weiteres Indiz für die Skepsis, mit der dem Film begegnet wurde, offenbarte sich mit den Schwierigkeiten einen Hauptdarsteller zu finden.155 Obwohl der Film ursprünglich für ein erwachsenes Publikum gedreht worden war, wurde er auch von Jugendlichen begeistert aufgenommen. Bei der Voraufführung tanzten Jugendliche auf den Gängen Rock’n Roll und die Gewaltszenen wurden mit Beifall bedacht.156 Unter amerikanischen Schülern war BLACKBOARD JUNGLE der beliebteste Film des Jahres 1956, wie eine von Gilbert Youth Research geführte Umfrage ausführte. Die Begeisterung der Jugendlichen erklärt sich mit einer gegenläufigen Lesart. In ihren Augen war nicht die ›Zähmung‹ der Schüler attraktiv, sondern die als widerständig wahrgenommenen Momente des Films und insbesondere der Rock’n Roll. Diese Einschätzung wurde auch in der Diskussion um den Film immer wieder hervorgehoben: »It is felt that many of the type of delinquents portrayed in this picture will derive satisfaction, support, and sanction from having made society sit up and take notice of them. Although the tough individual portrayed by Artie West is used to show the crime-does-not-pay requirement by the end of the film, even the producer [...] agreed that the type of individual portrayed by Artie West upon viewing this film will in no way receive the message purportedly presented in the picture and would identify with him no matter what the outcome of the film.«157

Wie bereits gezeigt, richtet sich die ›Rebellion‹ allgemein gegen Autoritäten, sei es die Gesellschaft generell oder die sie vertretenden Institutionen wie Schulen und Lehrer/innen. Der Rezensent der New Republic erklärt dieses Phänomen als normales jugendliches Verhalten. 155 Brooks: »Interview«, S. 6. 156 Gilbert: A Cycle of Outrage, S. 184. 157 Aus dem Kefauver Bericht Motion Pictures and Juvenile Delinquency, zit. nach Meedovoi: »Reading the Blackboard«, S. 153. 251

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»Authority is bound to be hated unless it is loved, particularly in adolescence; and the natural inclination of the adolescent to identify prestige with power, strength, poise, confidence and selfmastery is such that the gangster becomes the most available image of the heroic and masculine ideal, and the cruelty which authority exercises to maintain itself in the family or school seems to be the only genuine kind of power worthy of admiration.«158

Bei genauerer Lektüre handelt es sich jedoch nicht um allgemein jugendliches Gebaren, sondern um geschlechtsspezifisches Verhalten. Denn der sich selbst verwirklichende Rebell, in diesem Artikel Gangster genannt, wird zum heroisch maskulinen Ideal. Männliches Verhalten wird somit privilegiert und zum Synonym für Rebellion. BLACKBOARD JUNGLE unterstreicht dies durch die ausgeübte physische Gewalt, wie sie sich in dem Überfall auf Dadier und seinen Kollegen zeigt, aber auch in der versuchten Vergewaltigung. Letztere erweitert den rebellischen Aspekt auf sexuelle Gewalt und verknüpft damit heterosexuelle Hypermaskulinität mit Rebellion. Darin findet sich zwar zum einen der sexuelle Psychopathiediskurs der 40er und 50er Jahre, zum anderen schließt diese Verknüpfung Frauen und Homosexuelle von der Idee des jugendlichen Rebellen aus,159 und schreibt Frauen als Objekte fest. BLACKBOARD JUNGLE wurde u.a. von Lehrerorganisationen, der kommunistischen Labor Youth League, den Girl Scouts, den Daughters of the American Revolution und der American Legion abgelehnt.160 1956 verhinderte Clare Boothe Luce, die amerikanische Botschafterin in Italien sogar, dass der Film als offizieller Wettbewerbsfilm auf der Biennale in Venedig gezeigt wurde, wogegen sich MGM vergeblich wehrte.161 Daraufhin wurden auch öffentlich Diskussionen darüber

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New Republic, 11.4.1955, S. 29-30, S. 30. (Review). Medovoi: »Reading the Blackboard«. Gilbert: A Cycle of Outrage, S. 184. Frau Luce hatte gegen den Film interveniert, da er einen verfälschten Eindruck von der amerikanischen Jugend und dem Schulsystem abgebe und damit der Propaganda italienischer Kommunisten in die Hände spiele. Der Präsident von MGM Arthur M. Loew protestierte gegen diese Aktion beim Außenminister John Foster Dulles, indem er Frau Luce Machtmissbrauch, staatliche Zensur, sowie die Gefährdung der Produktionsfreiheit und des Vertriebs vorwarf. Der Briefwechsel vom September 1955 wurde kurz vor Anlaufen des Films in der Bundesrepublik im Oktober 1955 von MGM als Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit genutzt, um den Film zu bewerben. So heißt es in einem MGM Werbeheftchen: »Der Film, der einen internationalen diplomatischen Zwischenfall provozierte: DIE SAAT DER GEWALT; BLACKBOARD JUNGLE trotzdem jetzt in Deutschland.« Sowohl der Briefwechsel, als auch das

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geführt, ob es schädlich sei, einen solchen Film im Ausland zu zeigen und ob er antiamerikanische Gefühle wecke. Die Kehrseite dieses Verbots war der ungeheure Werbeeffekt, den der Film dadurch im europäischen Ausland erfuhr. Innerhalb nur eines Jahres spielte er ca. sieben Millionen Dollar ein. Die Rezensionen zeigen, dass BLACKBOARD JUNGLE direkt mit THE WILD ONE in Verbindung gebracht wurde und zwar nicht nur als Juvenile Delinquency-Film, sondern weil die Schauspielweise Vic Morrows als Imitation Marlon Brandos angesehen wurde.162 Unabhängig davon, wie die einzelnen Rezensent/innen die schauspielerische Leistung Morrows bewerteten, herrschte Konsens darüber, dass der Film mit der Verarbeitung eines zeitgemäßen Stoffes gute Erfolgsaussichten habe. So schreibt die Zeitschrift Film Culture: »The fact that Mr. Brooks, for example, has tolerated the histrionics of a young actor [Vic Morrow, die Verf.] based on an unconvincing imitation of Marlon Brando’s style, proves that this film has been made more with an idea to exploit a news item than to deal seriously with a phenomenon which the camera could have expressed and fixed, with realistic ferocity.«163

Dieses mit ›Wildheit‹ abzuhandelnde Phänomen Juvenile Delinquency stand denn auch im Zentrum sämtlicher Besprechungen und Inhaltsangaben. Stellvertretend für andere Inhaltsangaben mag die der Zeitschrift New Republic herhalten. »The film itself concerns the experience of Glenn Ford as an innocent and high-minded prig who has begun to teach at a vocational school in a big city. He is immediately insulted and assaulted by his students and told by the other teachers that he had better concentrate upon policing the barbarians and forget his exalted conception of education.«164

Hingegen hieß es in der Werbung der deutschen Niederlassung der MGM:

Werbematerial befinden sich im Schriftgutarchiv der Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin. 162 Film Culture 1, (3), 1955, S. 25f.; Films in Review 6, (4), April 1955, S. 188f; The New York Times 21.3.1955, S. 21; The Nation 2.4.1955, S. 294f.; Sight and Sound 25, (3), Winter 1955-1956, S. 150; Saturday Review 2.4.1955, S. 31. 163 Film Culture, 1, (3), Spring 1955, S. 25f., S. 25. (Review). Blackboard Jungle File, PFA. 164 New Republic, 11.4.1955, S. 29f. (Review). Blackborad Jungle File, PFA. 253

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»Man kann nicht einmal von einem geistigen Kampf zwischen Lehrer und Schutzbefohlenen sprechen, denn die Ursache liegt weit tiefer. Hier offenbaren sich die schrecklichen Folgen von Kriegs- und Nachkriegszeit. Vater an der Front, die Mutter im Rüstungsbetrieb, der heranwachsende Sohn auf dem Weg zum Berufsverbrecher.«

Der hier als Kern des Übels angesehene Zweite Weltkrieg wird im Film zwar auch als mögliche Ursache der Kriminalität angegeben, allerdings ohne die zentrale Rolle einzunehmen, die ihm in der deutschen Werbung zugesprochen wird. Weiter heißt es in dem Presseheft: »Hinzu treten andere Spannungen, vorweg eines der schwersten Probleme Nordamerikas, der Rassenhass. Nicht zu verwundern, dass darum ein junger Neger zu den tragenden Figuren der Handlung zählt.«165 Diese Bemerkungen, die in Deutschland als werbewirksam angesehen wurden, lenken das Augenmerk auf die Frage, was die zeitgenössische amerikanische Rezeption ein- bzw. ausschließt. Da kein Werk so für sich selbst steht, dass jede/r Rezipierende zu jedem Zeitpunkt das gleiche darüber denken würde, es also nicht »monologisch sein zeitloses Wesen offenbart«166, gibt eine synchrone und diachrone Analyse Aufschlüsse über den jeweiligen Horizont, der zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Entfaltung des im Film angelegten Sinnpotentials ermöglicht. Frappierend an der US-amerikanischen Wahrnehmung des Films, die sich in fast ausschließlicher Form auf das Thema Juvenile Delinquency konzentriert, ist die Tatsache, dass BLACKBOARD JUNGLE nicht nur das Thema Jugendkriminalität verhandelt, sondern auch Race zum Gegenstand hat bzw. die beiden Motive miteinander verknüpft. Jedoch wurde der Film mit Schlagzeilen wie »Drama of the Teen Age Terror« als Jugendfilm angekündigt und das Publikum durch gewisse Signale auf eine bestimmte Art der Rezeption vorbereitet. Analog zu THE WILD ONE konzentrierte sich die Plakatwerbung von BLACKBOARD JUNGLE zu guten Teilen auf die Vergewaltigungsszene oder auf das markante Gesicht Vic Morrows, dessen Blick ähnlich dem Brandos in die Ferne schweift. Ebenfalls fortgesetzt wird die Tradition, dem Film einen erklärenden Text voranzustellen, welcher durch die starke Betonung des Personalpronomens we versucht, eine Einheit all jener herzustellen, die Juvenile Delinquency als Problem erkannt haben und dagegen vorgehen möchten:

165 Presseheft MGM, Schriftgutarchiv der Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin. 166 Jauß: Literaturgeschichte als Provokation, S. 172. 254

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»We in the United States are fortunate to have a school system that is a tribute to our communities and our faith in American youth. Today we are concerned with juvenile delinquency – its causes – its effects. We are especially concerned when this delinquency boils over into our schools. The scenes and incidents here are fictional. However, we believe that public awareness is a first step toward a remedy for any problem. It is in this spirit and with this faith that THE BLACKBORAD JUNGLE was produced.«167

Die auf diese Art vorgegebene Wahrnehmung bezeichnet Jauß als »vorgängigen Erwartungshorizont«.168 Der Erwartungshorizont, vor dem BLACKBOARD JUNGLE aufgenommen wurde, war demnach Jugendkriminalität und nicht Race.169 Dies ist umso verwunderlicher, da im Film selbst das Thema Rassismus in einer Unterrichtsstunde thematisiert wird. Noch überraschender mutet es in Bezug zu den historischen Ereignissen an: Zehn Monate vor Filmstart hatte 1954 in den USA ein juristischer Paradigmenwechsel begonnen, denn mit Brown v. Board of Education of Topeka entschied der Oberste Gerichtshof, dass Rassentrennung in öffentlichen Schulen verfassungswidrig sei und hob damit den seit 1896 geltenden Grundsatz separate but equal auf.170 Im Sommer

167 Der Text, der der deutschen Fassung des Films voran gestellt ist, betont hingegen wie auch schon die Werbung die Ursachen der Jugendkriminalität. So heißt es: »Seit Ende des zweiten Weltkrieges ist jedoch in vielen Ländern die Jugendkriminalität sowie deren Gründe und Auswirkungen zu einem ernsten Problem geworden. Dieses Problem gewinnt an Schärfe, wenn Jugendkriminalität in die Schule drängt. Wir glauben, dass eine aufmerksame Öffentlichkeit zur Lösung jedes Problems beiträgt. Aus dieser Überzeugung heraus wurde »Die Saat der Gewalt« hergestellt.« 168 Jauß: Literaturgeschichte als Provokation, S. 175. 169 Die einzige von mir gefundene Besprechung, die die multiethnische Zusammensetzung der Klasse beschreibt, ist »Tigers In The Classroom«, S. 31. Hier heißt es: »Its characters, too, are scaled for easy recognition without the use of a magnifying glass. Raising Cain and the teacher’s temper in the classroom are a Marlon Brando facsimile (Vic Morrow) with a furtive tendency toward sadism; a jeering Spanish boy (Rafael Campos); a belligerent Italian (Dan Terranova), and an enigmatic Negro boy played skillfully by Sidney Poitier.« 170 Die Entscheidung ruhte auf der sozialwissenschaftlichen Annahme, dass Segregation negative Auswirkungen auf die schwarze Psyche habe. So betonte der Text des Urteils, dass Rassentrennung falsch sei und allen Amerikanern schade, aber besonders den Afroamerikanern, außerdem sei sie Mitte des 20. Jahrhunderts moralisch und intellektuell nicht mehr haltbar. Waldo E. Martin Jr. (Hg.) (1998): Brown v. Board of Education. A Brief History with Documents. Bedford/St. Martins, Boston/New York. S. 29f. Auch James T. Patterson (2001): Brown v. Board of Edu255

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1955 wurde außerdem verfügt, dass die Segregation in Schulen schnellst möglich aufgehoben werden müsse, was faktisch aber noch viele Jahre dauerte und von schweren Unruhen begleitet wurde.171 Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass das Thema Race in den Besprechungen nicht aufgegriffen wurde. Denn dass es im Bewusstsein war, zeigt sich sehr deutlich an dem versuchten Verbot für BLACKBOARD JUNGLE im Staate Georgia. Hauptargument war, dass ein Afroamerikaner eine tragende Rolle spielte. Für den Regisseur Brooks war die Intensität der Kämpfe um Integration überraschend. »They went to the Supreme Court of the State of Georgia before they got that picture played there. I didn’t know at that time how severe the battle was going to be for integration. To me, it was second nature…«172 Geht man davon aus, dass Integration an Schulen nicht für alle Amerikaner zur ›zweiten Natur‹ geworden war, bleibt die Frage bestehen, warum dieser Aspekt des Films in den Kritiken nicht berücksichtigt wurde. Oder, anders formuliert, wie kann es sein, dass im zeitlichen Umfeld des »most important Supreme Court ruling in United States history«173 das Thema Race so wenig im Wahren war, dass es keinerlei Erwähnung erfuhr.174 Sämtliche Kommentare zu BLACKBOARD JUNGLE betonen allein den Diskurs zur Jugendkriminalität. Das bedeutet gleichzeitig aber auch eine »Einschränkung des Diskurses«,175 deren Kehrseite die Tatsache ist, dass Rassismus nicht zur Sprache kommt. In den 1970er und 80er Jahren begann eine Akzentverschiebung innerhalb derer die Triade Race, Class und Gender ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte, um auch Eingang in die kulturwissenschaftliche Forschung zu finden. So behandeln zwei Aufsätze vom Ende der 90er

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cation. A Civil Rights Milestone and Its Troubled Legacy. Oxford/New York. Zur Bürgerrechtsbewegung vgl. Norbert Finzsch/James O. Horton/Louis E. Horton (1999): Von Benin nach Baltimore. Die Geschichte der African Americans. Hamburg, S. 447-490. Brooks: »Interview«, S. 6. Martin Jr.: Brown v. Board of Education, S. 1. Den Begriff ›im Wahren‹ sein hat Foucault von Georges Canguilhem übernommen. Er meint, dass bestimmte Sätze, Tatsache etc. nur gehört und damit wirkungsmächtig werden, wenn sie dem jeweiligen diskursiven Umfeld der Epoche entsprechen. Michel Foucault (1993): Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt a. M., S. 24f. (Original 1972). Natürlich ist es auch möglich zu argumentieren, dass Rassendiskriminierung ein so alltäglicher Bestandteil des Lebens war, dass deshalb auf diesen Aspekt des Films nicht näher eingegangen wurde. Diese Auffassung halte ich jedoch für nicht überzeugend, wie z.B. an den Schwierigkeiten, die der Film in Georgia hatte, ersichtlich wird. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 17.

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Jahre BLACKBOARD JUNGLE auch unter dem Aspekt Race.176 In Zeitungsartikeln wird das Thema nun ebenfalls klar benannt. »Made on the cusp of the civil rights movement, it also attempted to deal openly with white racism. Poitier, who plays a rebellious student that noble teacher Glenn Ford spots as a potential member of the ›talented 10‹.«177 Dennoch, wie auch schon in der zeitgenössischen Betrachtung scheint auch hier der Blick aus den 90er Jahren mit weißen Augen gesehen. In dem Dreieck der männlichen Hauptfiguren Richard Dadier, Gregory Miller und Artie West bleibt entweder Glenn Ford der positive ›Held‹ oder aber Vic Morrow zwar die negative, aber gleichzeitig faszinierende Figur in der Nachfolge Brandos. »Glenn Ford is a grim-faced bwana surrounded by restless youth, including Vic Morrow as a Brando sound-alike who wields a knife instead of an apple for the Teacher, and Sidney Poitier as an unwitting teacher’s pet who embodies all the tensions of his precarious position.«178

Als Haustier des Lehrers beschrieben wird Miller als positive Identifikationsfigur hier nicht in Erwägung gezogen. Allein der Literatur, die sich explizit mit Afroamerikaner/innen im Hollywoodfilm auseinandersetzt und einen emanzipatorischen Impetus hat, ist eine Neubewertung der Personen zu verdanken. So beschreibt Donald Boyle Poitier als eindeutigen ›Helden‹: »Yet at the same time Poitier’s Miller was an easily hurt, sensitive young man forced to live outside society. He was the classic loner of the 1950s, much like Marlon Brando and James Dean.«179 Und trotz des Unbehagens mit der assimilierten Position Millers ignoriert der Autor das Identifikationspotenzial der Figur als junger sensibler Mann nicht und fährt fort, dass gerade die Schlussszene die Anständigkeit Millers unter Beweis stelle und ihn damit zum ›Helden‹ mache. Zu einem ähnlichen Schluss kommt etwa 20 Jahre später Nelson George: »The Sidney I saw in the Blackboard Jungle was a lithe, restless, smart but unmotivated kid with contempt for authority. This was someone I knew […], 176 Bei den Aufsätzen handelt es sich um die bereits zitierten von McCoy: »Manager, Buddy, Delinquent« und Medovoi: »Reading the Blackboard«. 177 Amy Taubin (1995): »Men on the Verge«, in: Village Voice, 29.8.1995. (PFA-File). 178 Ankündigung des Pacific Film Archive, 2.10.1985. (PFA-File) 179 Donald Boyle (1974): Toms, Coons, Mulattoes, Mammies and Bucks: An Interpretive History of Blacks in American Films. New York, S. 255. 257

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someone I could project myself to be in a rebellious moment, precisely the kind of kid my mother had taken me to TO SIR WITH LOVE […] to prevent me from becoming.«180

4.2.4 Fazit THE WILD ONE und BLACKBOARD JUNGLE weisen etliche Gemeinsamkeiten auf. In beiden Filmen sind es Gruppen junger Männer, die gegen die bestehende Ordnung rebellieren. Während es sich in BLACKBOARD JUNGLE jedoch um eine Schulklasse handelt, sind die Rebellen in THE WILD ONE fast erwachsene Männer, die aber, wie bereits gezeigt, kindlich-jugendlich konnotiert werden, um sie in dem diskursiven Feld Psychopath – Delinquent – Hipster zu verorten.181 Beide Gruppen kommen aus der Unterschicht. In BLACKBOARD JUNGLE spielt das Geschehen in einer in einem Slum gelegenen Schule, in THE WILD ONE wird suggeriert, dass es sich um eine Gruppe junger Arbeiter handelt. Ihre jeweilige Gewalt richtet sich gegen bestehende Autoritäten, entweder gegen die Lehrer oder gegen den Sheriff des Ortes.182 Dass jedoch mehr unter Beschuss genommen wird als einzelne konkrete Autoritätspersonen, argwöhnt bereits die zeitgenössische Rezeption. »Fundamentally, though, criticism seems to be directed less at specific abuses than at the forms of society itself, the institutions through which a community coheres and protects itself. Analyse the content of some recent films, and you have the impression that it is authority, in a variety of aspects, that is coming under fire.«183

180 Nelson George (1994): Blackface. Reflections on African-Americans and the Movies. New York, S. 21. 181 Brando war 1953 bereits 29 Jahre alt. Auch wenn es eine Gepflogenheit ist, dass Schauspieler jüngere Charaktere spielen, ist es in diesem Film auffällig, dass alle Darsteller keine Jugendlichen mehr sind. So war auch der Gegenspieler Brandos Lee Marvin 1953 bereits 29-jährig. Sidney Poitier war, als BLACKBOARD JUNGLE anlief, ebenfalls schon 31. Allerdings wirkte er durch das Mise-en-Scène, Schule, Kleidung, T-Shirt und Hose vergleichsweise jünger. Auch wenn der Begriff ›Jugend‹ für Anfang 20 bis Mitte 20jährige benutzt wurde, entfallen die genannten Hauptdarsteller damit dieser Kategorie. Zur Jugend Marwick: The Sixties, S. 44. 182 Darin unterscheiden sich diese Filme von REBEL WITHOUT A CAUSE, der in der Mittelschicht angesiedelt ist. 183 Penelope Houston (1956): »Rebels Without Causes«, in: Sight and Sound 25 (4), S. 178-181, S. 179. 258

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Mit anderen Worten, die einzelnen Akte der Rebellion werden in dieser Sammelbesprechung sozialkritischer Filme als grundsätzlicher Widerstand gegen gesellschaftliche Zwänge verstanden, als Angriff auf die Konsensgesellschaft des Kalten Krieges. Die zentralen Sätze der Filme geben ebenfalls darüber Auskunft. Brandos legendäres »What’ve ya got?« deutet an, dass der Grund der Rebellion unbestimmt ist. Artie West in BLACKBOARD JUNGLE hingegen sieht sein Verhalten als konkrete Möglichkeit, sich dem Staat, bzw. der Armee zu verweigern. »A year from now the army comes along, and they say Artie West you get on a uniform and you get your lousy head blowed right off. Or maybe I get a year in jail and when I come out, the army, they don’t want Artie West to be a soldier no more. Maybe what I get is out.« Die Fluchtbewegungen der Jugendlichen werden in beiden Filmen von den Autoritäten bekämpft und bestraft. Dennoch setzte sich die anvisierte Lesart des Films nicht durch, wie die Rezeption von BLACKBOARD JUNGLE gezeigt hat. Ebenso täuschten sich die Verantwortlichen bei Columbia Pictures, die meinten, aufgrund des Filmendes würde Johnny nicht zum ›Helden‹ des Films. »It would seem that [...] the fact that Johnny did not turn out to be a hero shows that boys of his character are not glorified and that if any youngsters are thinking of emulating him they better think twice because Johnny was lucky. They might not be.«184 Wie die Filmanalyse gezeigt hat, ist Johnny trotzdem der begehrenswerte ›Held‹ des Films, was in der Inszenierung und Zur-SchauStellung seines Körpers begründet liegt. Dadurch wird seine physische Stärke und sein Sex Appeal betont, sodass Johnny/Brando als Objekt des Begehrens fungieren kann. In dieser Hinsicht ist er mit Einschränkungen Rudolfo Valentino – dem filmischen Sex-Symbol der 20er Jahre – vergleichbar, dessen Attraktivität »auf der Verbindung der ›weiblichen‹ Qualität des Angesehen-werden-Wollens (»to-be-looked-at-ness«) mit den ›männlichen‹ Qualitäten der Blickbeherrschung und narrativer Aktivität«185 beruhte. Allerdings hat Johnny die Blickbeherrschung nur begrenzt inne. Der Preis, den er dafür zahlen muss, zum Objekt des Blickes zu werden und als passiv besetzter, sexueller Fehlschlag das Objekt des Mangels zu sein, ist hoch: Am Ende des Films wird er von der Bürgerwehr zusammengeschlagen.186 Das verhindert jedoch nicht, dass die 184 Brief von Raymond Bell (Columbia Pictures, N.Y.) an Ben J. Lourie (Columbia Pictures, Hollywood) (ohne Datum), MPPA File, AMPAS. 185 Miriam Hansen (1982): »S.M. Rodolfo«, in: Frauen und Film (33), S. 19-34, S. 20. 186 Für Ron in ALL THAT HEAVEN ALLOWS gilt Vergleichbares. Er liegt am Schluss des Films krank in seinem Bett. vgl. Kap. 3.2.3. 259

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physische Präsens Brandos, die wieder und wieder betont wird, zum Fundament wird, in dem Johnnys Männlichkeit fußt. Andererseits kann die visuelle Inszenierung nicht überdecken, dass der hier unternommene Versuch, Männlichkeit im männlichen Körper zu fundieren, schließlich offenbart, dass die physische Repräsentation eine performative Inszenierung ist. Dies wird nicht zuletzt durch die Posen und das ›Kostüm‹ Brandos – enge Hosen, hüft-betonende Lederjacke und Mütze – angezeigt. Wie wirkungsmächtig diese Inszenierung ist, zeigt sich darin, dass die Tatsache, dass Johnny als sexueller Fehlschlag gezeichnet wird, in der Wahrnehmung des Filmes keine Rolle spielt. So übersieht die von den Machern des Films intendierte Lesart die Tatsache, dass die Identifikation mit Johnny niemals in Frage gestellt ist und dass Marlon Brando zu diesem Zeitpunkt der jugendliche Star schlechthin ist. Brando wandelt, ähnlich wie später James Dean in REBEL WITHOUT A CAUSE, die beabsichtigte Aussage des Films um. In den folgenden Jahren werden Jugendliche auf der Straße und andere junge Schauspieler – wie am Beispiel Vic Morrows gezeigt – als Imitationen von Brando wahrgenommen.187 Die Diskursivierung der Filme hat gezeigt, dass Johnny eher als Hipster denn als jugendlicher Rebell zu sehen ist.188 So reagiert dieser Entwurf auf die viel beschworene Männlichkeitskrise mit der Überhöhung eines den Afroamerikanern zugeschriebenen Ideals. Und er vereinigt in sich zwei wichtige Facetten des männlichen Protestes der BeatGeneration: Zum einen die Abgrenzung gegen das bürgerliche Leben in Form seiner Auflehnung gegen die white collar Arbeit. Die zweite Abwehrhaltung zielt gegen das Familienleben der Mittelschicht, das von Johnny und seiner Gang abgelehnt wird. So begründet er eine neue Tradition von Männlichkeit für junge Männer, die sexuelle Ausstrahlung, 187 »In the film ›East of Eden‹ a ›seriously disturbed‹ young man is played by the newcomer James Dean; and in »The Blackboard Jungle« an even more shocking delinquent is played by the newcomer, Vic Morrow. Dean is directed by Elia Kazan and Morrow by Richard Brooks, but the mentor of both appears to be Marlon Brando.« Etwas später heißt es in der selben Besprechung »and it could be argued that the leatherjacket gangs all move and sound today like Brando«, in: The Nation, 2.4.1955, S. 294f., S. 294. 188 Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Hauptdarsteller keine Jugendlichen mehr sind. Dies Phänomen ist auch einigen zeitgenössischen Rezensenten aufgefallen. So schrieb LIFE 1953: »In THE WILD ONE Marlon Brando plays the role of an inarticulate but not-so-juvenile delinquent, leader of an outlaw motorcycle club called the ›Black Rebels‹ which terrorize a small town when its irresolute, lone cop fails to kick them out.« Der Artikel befindet sich ohne exakte Datumsangabe im File zu THE WILD ONE, PFA. 260

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Sensibilität und Rebellion auf ihre Fahnen geschrieben hat. West hingegen kann gemäß des psychologischen Diskurses im rebellischpsychopathischen Umfeld verortet werden, womit er sich ebenso dem bürgerlichen Ideal entzieht. Unstrittig ist in beiden Filmen jedoch, dass Rebellion Männern vorbehalten ist. Das neue Leitbild wird damit zu einer Alternative zum Modell des männlichen Ernährers.

4 . 3 G e s c h l e c h t e r - V e rw i r r u n g : » I s t h e U . S . M o vi e g o e r o l d e n o u g h t o b e t o l d t h a t t h e r e i s s u c h a t h i n g a s h o m o s e x u a l i t y! « 189 Wie in der Einleitung bereits formuliert, beschreibt REBEL WITHOUT A CAUSE (1955) die Suche nach männlicher Identität, die in diesem Falle zwischen dem Bestehen lebensgefährlicher Mutproben und Fürsorglichkeit hin und her schwankt. Die Verwirrung über die männliche Identität vermischt der Film mit einem Subtext erotischer Implikationen – Jim (James Dean) wird sowohl von Judy (Natalie Wood) als auch von Plato (Sal Mineo) begehrt.190 Symbolisiert wird diese GenderVerwirrung z.B. durch eine Szene am ersten Schultag, in der Jim in seiner neuen Schule die Toilette aufsucht. Fast hat er die Damentoilette betreten, bemerkt aber noch rechtzeitig seinen Irrtum und versichert sich anschließend am Piktogramm an der Tür, dass er nun im Begriff ist, in die richtige Toilette hineinzugehen. Bei dieser Aktion wird er von Plato durch einen Spiegel in dessen Spind beobachtet, sodass man sowohl den Blick Platos auf Jim wie auf das Pin Up von Alan Ladd sieht. Ladd war einer der hart gesottenen ›Helden‹ der 40er Jahre und wie Biskind bemerkt, ersetzt Dean ihn nun in Platos Augen. »But Ladd’s was a hard act to follow; it was difficult to be a hero in the fifties [...] Jim is uncomfortable with macho, but where does that leave him? Is being a girl the only alternative to being a boy?«191 Diese Frage ist auch für die folgende Filmanalyse erkenntnisleitend, denn sie verweist auf einen neu entstehenden Geschlechterdiskurs, der durch Zweideutigkeit gekennzeichnet ist.

189 »Tea and Sympathy«, in: TIME 8.10.1956. Tea and Sympathy Production File, AMPAS. 190 Die Bisexualität Deans und die Homosexualität Mineos haben sicher dazu beigetragen, dass diese im Film nur angedeuteten Implikationen vom Publikum auch so verstanden wurden. 191 Biskind: Seeing is Believing. S. 261f. 261

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Diese Frage ist auch für die folgende Filmanalyse erkenntnisleitend, denn sie verweist auf einen neu entstehenden Geschlechterdiskurs, der durch Zweideutigkeit gekennzeichnet ist.

4.3.1 TEA AND SYMPATHY (1956) TEA AND SYMPATHY (1956) ist für die Analyse von Männlichkeiten ein sehr aufschlussreicher Film, denn er zeigt in eindrücklicher Weise, wie ein normatives Modell von ›Mannsein‹ in den 50er Jahren entworfen wird und seine Abweichungen durchgespielt werden.192 Außerdem verdeutlicht er die Performativität von Männlichkeit in spielerischer Weise. Der Film beruht auf dem äußerst erfolgreichen Broadway-Theaterstück von Robert Anderson, welches die Geschichte des Studenten Tom erzählt, eines sensiblen Jungen, der nicht den Klischeevorstellungen von jugendlich-männlichem Verhalten entspricht. Als er mit einem der Homosexualität verdächtigen Lehrer nackt beim Baden gesehen wird, wird geargwöhnt, er sei ebenfalls homosexuell. Die Verleumdungen und der soziale Druck lassen ihn an seiner heterosexuellen Männlichkeit zweifeln, die scheinbar nicht ›richtig‹ markierte Identität führt zu Selbstmordgedanken. Erlöst und bestätigt in seiner Heterosexualität wird er durch den Ehebruch mit der von ihm geliebten Mrs. Reynolds, der Frau des Hausvaters, die ihn von dieser Unsicherheit befreit.

Der Streit um die Produktion des Films Nachdem TEA AND SYMPATHY im September 1953 mit gewaltigem Erfolg am Broadway gelaufen war, bemühten sich alle großen Produktionsgesellschaften um den Erwerb der Filmrechte und die Erlaubnis der Production Code Administration (PCA), das Stück verfilmen zu können.193 Die PCA genehmigte die Verfilmung nicht, da der Inhalt des Theaterstückes in zwei Punkten gegen den Production Code verstieß: 192 Regie: Vincente Minelli, Produzent: Pandro S. Berman, Drehbuch: Robert Anderson. 193 Erste Anstrengungen wurden von Columbia Pictures im Oktober 1953 unternommen. Nur wenige Tage später machte Dore Schary von MGM einen Vorstoß bei der PCA. Danach folgten Paramount, Jack L. Warner, Samuel Goldwyn, 20th Century Fox, Stanley Meyer and William Goetz. Vgl. dazu den Brief von Geoffrey M. Shurlock, 1955 Direktor der Production Code Administration an Eric Johnston, den Präsidenten der Motion Picture Association of America vom 26.4.1955 im MGM-File (AMPAS). Weitere Unterlagen zu den Verhandlungen finden sich im MPAAFile zu TEA AND SYMPATHY, ebenfalls AMPAS. Die Entstehungs262

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»It touches upon homosexuality, which subject under the code is absolutely taboo. Any variation of this would require an alternation of the Code by the Board of Directors. The solution of the play lies in the young man finding his manhood through an act of adultery, which is consequently made justifiable and condoned. This is an obvious Code violation.«194

Während der Production Code die Aufführung von Ehebruch untersagte, mit der Einschränkung, dass er, falls es für den Plot unabdingbar sei, negativ dargestellt werden müsse, taucht das Stichwort Homosexualität im Code gar nicht auf. Homosexualität wurde unter dem Oberbegriff der Perversionen wahrgenommen, von denen es im Code heißt »Sex perversion or any inference to it is forbidden«.195 Und wenngleich die Zeitschrift Variety richtig erkannt hatte, dass, »there’s no actual sexual deviation in the Anderson play, it does focus on a student at a boy’s school who is falsely accused of homosexuality«196 war der Verweis auf Homosexualität zunächst das vordringliche Argument gegen die Verfilmung des Stoffes. Denn unabhängig von der vermeintlichen Homo- oder Heterosexualität Toms wurde bereits die Nennung des Wortes homosexuell von der PCA moniert. So ist David Gerstner zuzustimmen, dass die zweijährige Vorgeschichte von TEA AND SYMPATHY das beschreibt, was Eve Sedgwick als das »spectacle of the homosexual closet« bezeichnet hat, nämlich die Erzeugung des Verschweigens und die Unsichtbarmachnung von Homosexualität.197 Während die übrigen Produktionsgesellschaften sich nach und nach von der Undurchführbarkeit des Projektes überzeugen ließen, verhandelte Dore Schary von MGM weiter und betonte, dass das Problem des Jungen nicht Homosexualität sei, sondern sein Außenseitertum.198

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geschichte des Films beschreibt auch Jerold Simmons (1994): »Geoffrey Shurlock, THE BAD SEED and TEA AND SYMPATHY«, in: The Journal of Popular Film and Television 22 (1), S. 2-10. Brief von Luigi Luraschi an Russell Holman vom 14.10.1953. MPAAFile zu Tea & Sympathy, AMPAS. Leff/Simmons: »The Dame in the Kimono«, S. 285. »Prod’n Code Reps Offer Scant ›Sympathy‹ to Pix«, in: Variety 2.12.1953, PCA-File zu Tea & Sympathy, AMPAS. Vgl. dazu David Gerstner (1997): »The Production and Display of the Closet. Making Minnelli’s TEA AND SYMPATHY«, in: Film Quarterly 50 (3), S. 13-27. »[..] who liked long-hair music, who did not date girls like other boys did, who was reticent, and pretty much of a »sissy«. He kept saying that what he wanted to emphasize in the boy’s character was that he was a non-conformist. We told him that in our opinion it was theoretically possible to create this kind of character in a boy without violating the Code, but that it was an extremely risky and difficult task, particularly in view of the fact that the Code forbids even the inference of sex perversion.We 263

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Trotzdem sah die PCA die homosexuelle Konnotation weiterhin gegeben und akzeptierte die gemachten Vorschläge nicht, es sei denn Feigheit rücke als Hauptproblem des Jungen in den Mittelpunkt der Geschichte. MGM behielt jedoch – bis auf einen thematisch neuen Vorschlag vom Januar 1955, nach dem das Problem des Jungen die Angst vor Impotenz seien sollte, die Argumentationsstrategie bei, dass es im Film nicht um Homosexualität, sondern lediglich um nicht-konformes männliches Verhalten gehe.199 Das Thema des Filmes sei deswegen ein wesentlich grundsätzlicheres und zwar die Frage ›Was heißt es ein Mann zu sein?‹ Diese Thematik wurde Mitte der 50er Jahre in den Printmedien ausgiebig diskutiert, sodass Schary die Frage stellte, warum dieselbe Diskussion im Film nicht geführt werden könne. Damit verknüpften die Produzenten ihre Argumentation direkt mit jenem Genderdiskurs, der über weiße städtische Männlichkeit und Effeminisierung im privaten wie im politischen Raum geführt wurde. Um seine Argumentation zu unterstreichen, sandte Schary der PCA den in LOOK erschienen Artikel HOW MUCH DO WE KNOW ABOUT MEN? zu,200 der das Dilemma ein ›wirklich männliches‹ Leben zu führen, im Sinne von ›moderner Männlichkeit‹, benennt: »As for psychology, there is a difference between being male and acting what we call ›masculine‹, [...] Masculinity, therefore, is what his society expects the male to do and be [...] and many men find it very hard to meet the exacting masculine requirements of their parents or teachers or fellows. [...] Boys and men growing up today are much more confused about what they should and should not do to fulfill their masculine roles. Being uncertain, men face many conflicts, trying to be both tough and tender, successful but not ruthless, strong but not dominating, virile but not ›wolves‹.«201

Über die Verfilmung des Stücks wurde insgesamt fast zwei Jahre lang verhandelt und letztendlich einigten sich MGM und die PCA darauf, dass klar benannt werden solle, »what the boy’s problem is« und »that there should be no spot where it could be inferred that anybody is afraid he is a homosexual.«202

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did say, however, that the character he described seemed to us a legitimate one, particularly if the crux of the problem were placed in cowardice, and that we could not say it was a violation of the Code.« Memo 2.11.1953. MPAA-File, AMPAS. Der Vorschlag, die Angst vor Impotenz ins Zentrum des Films zu rücken, wurde ebenfalls von der PCA abgelehnt. Frank (1955). MPAA-File zu Tea & Sympathy, AMPAS. Ebd., S. 54 und 57. Memo, 26.8.1955, PCA-File zu Tea & Sympathy, AMPAS.

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Punkt zwei der PCA-Kritik, der Ehebruch von Mrs. Reynolds (Deborah Kerr) wurde in der endgültigen Fassung durch einen Epilog ins rechte Licht gesetzt. Die Rahmenhandlung setzt nun heterosexuelle Standards. Am Ende des Films liest Tom (John Kerr) einen Brief von Mrs. Reynolds, in welchem sie ihm schreibt, dass das, was sie getan haben, falsch war und sie ihren Mann verlassen habe. Dadurch seien nun beide unglücklich, aber wenigstens sei Tom ja glücklich verheiratet. Die lange Verhandlungsdauer demonstriert, welch wichtiger und hart umkämpfter Bestandteil der dominanten Fiktion die Kinoleinwand ist. Ebenso belegt sie, dass Homosexualität, auch wenn sie nur phantasiert wird, und Ehebruch, der von der Frau vollzogen wird, die weiße Mittelschichtmännlichkeit erheblich gefährden kann. Ansonsten müsste ihre Thematisierung – auch wenn sie ein sanktionierendes Ende hat, nicht verboten werden. So ist die nun zu untersuchende Frage, in welcher Weise die normative Männlichkeit bedroht wird. Gleichzeitig aber zeigt die abschließend gefundene Lösung, dass sich Hollywood veränderte. Es wurde zwar ein Mittel gefunden, den im Code vorgeschriebenen Bestimmungen Rechnung zu tragen, sodass der Code formal erfüllt wurde, wie überzeugend die filmische Umsetzung war, ist jedoch eine andere Frage.

Filmanalyse Die Einigung zwischen MGM und der PCA wurde in den Medien begrüßt. In der New York Times wird Pandro Berman, der Produzent des Films damit zitiert, dass die wesentlichen Bestandteile des Stückes im Film nicht verloren gegangen seien: »›The theme of the play‹, he elaborated, ›is essentially this: What is manliness? We haven’t changed that at all. The boy is regarded by fellow students and the housemaster as an ›off horse‹ because he doesn’t flex his muscles and knock himself out climbing mountains or playing basketball. To them he is soft physically and becomes suspect. They conveniently pigeonhole their standards for manliness and anyone who doesn’t conform is an odd ball. We never say in the film that the boy has homosexual tendencies – I don’t believe the word homosexual was actually spoken in the play either – but any adult who has ever heard of the word and understands its meaning will clearly understand this suspicion in the film‹.«203

203 Thomas M. Pryor (1955): »Hollywood Clicks. M-G-M Solves Its ›Tea and Sympathy‹ Script Problem«, in: New York Times 15.9.1955. Tea & Sympathy File, AMPAS. 265

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Das Interessante an dieser Aussage ist die Verknüpfung des Filmthemas ›Was ist Männlichkeit?‹ mit Homosexualität, als könne diese Frage nur durch einen Abgleich von Homo- und Heterosexualität beantwortet werden. Durch die ständige Rede über Homosexualität in den Diskussionen über den Films war jener Erwartungshorizont geprägt worden, der Homosexualität untrennbar auch mit dem Film TEA AND SYMPATHY verknüpft hat; zumindest die Vorstellung von Homosexualität, die in den 50er Jahren ›im Wahren‹ war: die des effeminierten Mannes. So geht es nicht um die sexuelle Orientierung des Jungen, sondern um eine Idee von Homosexualität, und wie später zu zeigen sein wird um die Angst vor Homosexuellen. Vito Russo hat dies sehr treffend auf den Punkt gebracht, als er TEA AND SYMPATHY als den ›ultimativen Sissy Film‹ bezeichnet hat.204 »It confirms what the creators and portrayers of sissies have always sought to deny, that iconography for sissies and for sexual deviates is the same and that the one has come to mean the other.«205 Nach Anderson ist die Zielrichtung des Films folgende, »I attack the often movie-fostered notion that a man is only a man if he can carry Vivien Leigh up a winding staircase,«206 was bedeutet, dass ein Mann auch sanft und zart seien kann, aber auf jeden Fall heterosexuell ist. Genau solch ein junger Mann ist Tom. Er ist auf der Suche nach ›der Besten aller möglichen Welten‹ und nach sich selbst. Von Anfang an wird Tom als ›Anderer‹ markiert. Während sich die ›normalen‹ Jungen sportlicher Betätigung, Raufereien und ihrer kumpelhaften homosozialen Welt hingeben, interessiert sich Tom für Bach, Poesie und folk music. Auch durch andere Zuschreibungen wird er feminin konnotiert: er ist Mitglied einer Schauspielgruppe, in der er eine weibliche Rolle spielt und er hat Gardinen am Fenster. Außerdem trägt er seine Haare länger als die anderen Jungen und sein Körper ist wesentlich weniger muskulös. Die Ausgrenzung und Verleumdung Toms beginnt damit ,dass Tom von seinen Mitschülern mit drei Lehrergattinnen am Strand beim Nähen gesehen wird, was eine der Frauen dazu veranlasst, ihn mit »You make some girl a good wife« zu verspotten. Weniger freundlich reagieren seine Kommilitonen, er wird ab diesem Zeitpunkt als sister-boy verlacht und systematisch ausgeschlossen. Die Undurch-

204 Sissy oder Siss ist eine Abkürzung von Sister. Ende des 19. Jahrhunderts verschob sich die Bedeutung jedoch und bezeichnete einen feigen, schwachen, effeminierten Jungen oder Mann. 205 Vito Russo (1987): The Celluloid Closet. Homosexuality in the Movies. New York (Original 1981), S. 113. 206 Zit. nach Vincente Minnelli (mit Hector Arce) (1974): I Remember it Well. Hollywood, CA 1990, S. 300. Minnelli spielt damit auf Clark Gable im großen Kinohit GONE WITH THE WIND an. 266

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lässigkeit der Kategorien männlich und weiblich wird in dieser Szene auch visuell schön aufgelöst. Denn Tom folgt Ms. Reynolds Aufforderung, mit den Jungs Football zu spielen, und muss, um zu ihnen zu gelangen, über einen Felshaufen klettern. Aber seine Klassenkameraden ignorieren seine Integrationsversuche und lassen ihn alleine zurück: Tom hat sich als sister-boy geoutet und damit als Mann desavouiert.

Abbildung 11: TEA AND SYMPATHY (1956)

Die nächste Sequenz führt in die Männerwelt. Mr. Reynolds (Leif Erickson) und die anderen Jungen sind am Strand beim Armdrücken zu sehen. Fast alle tragen ihre Sportkleidung und trainierten Körper stolz zur Schau. Diese von Mr. Reynolds propagierte Männlichkeit ist definiert durch Kraft, Bewegung und muskulöse Körper, die hier explizit präsentiert werden (Abb.11). Spaß, Sport und die damit verbundene körperliche Nähe zwischen Mr. Reynolds und den Jungs charakterisieren die homosoziale Welt, die die einzig mögliche männliche zu sein scheint. Bemerkenswert ist, dass das Schauspiel der Körper wie ein ausnahmsloses Flirten erscheint und dass demzufolge genau die Szene, die Männlichkeit als Hypermaskulinität etabliert, eine homoerotische Note hat. Der Übergang von Homosozialität zu Homoerotik ist fließend. Zweierlei betont das: Erstens, als die Jungs erfahren, dass Tom mit den Lehrerfrauen beim Nähen ist, beschließen sie ihn zu holen. Das unter267

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sagt Mr. Reynolds mit der Begründung »Well, if he prefers the company of women...«, worauf alle spöttisch lachen und als Test von Toms Männlichkeit das Quiz ›Bist du männlich?‹ mit ihm durchführen wollen. Was im Umkehrschluss heißt, dass ein richtiger Mann männliche Gesellschaft (und möglicherweise das auf sie gerichtete Begehren) den Frauen vorzieht. Des Weiteren ist das überraschende Auftauchen von Ms. Reynolds am ›Männerstrand‹ zu nennen. Ihr Erscheinen ist ihrem Mann offensichtlich peinlich und offenbart beim Begrüßungskuss, dass ihm die körperliche Nähe mit den Jungs leichter fällt als Zärtlichkeit mit seiner Frau. Als er ihr erzählt, dass Tom wegen des Nähens nun sister-boy genannt werde, reagiert sie sehr empört und fragt ihn »I hope you set them straight?«, was auch als Wortspiel über die Queerness der Gruppe verstanden werden kann. Außerdem lehnt er ihren Vorschlag ab, ein gemeinsames Wochenende in Kanada zu verbringen, da er mit den Schülern bereits eine Wandertour geplant habe und sie nicht enttäuschen könne. Die Enttäuschung seiner Frau spielt hingegen keine Rolle. Die hier entwickelten Motive treten im weiteren Film immer wieder auf: Tom Lee ist als Sissy abgestempelt, er wird von der wahren Männerwelt ausgeschlossen, und das Gerede über ihn hat begonnen. Und obwohl die PCA dafür gesorgt hatte, dass Homosexualität nicht thematisiert wird, verweist der Film darauf, dass sich Tom angeblich nicht für Mädchen interessiert. Während die anderen z.B. jeden Nachmittag Elly (Norma Crane) beim Umziehen beobachten, beteiligt er sich an dem Voyeurismus nicht. Mr. Reynolds definiert, was wahre Männlichkeit ist, und in seinem Konzept hat die Homosozialität mit den Jungen Priorität, Nähe und Zärtlichkeit mit seiner Frau hingegen haben keinen Platz. Mrs. Reynolds sucht trotzdem die Nähe zu ihrem Mann, sie wird aber immer wieder scheitern und bleibt letztlich unverstanden und einsam. Tom hingegen hat in ihr eine Fürsprecherin gefunden. Die den Plot motivierenden Triebfedern sind jedoch die Gefühle Toms für Mrs. Reynolds. Tom ist in Mrs. Reynolds verliebt, sucht ihre Nähe und macht ihr Geschenke. Dies ist ein Grund für die Feindschaft, die Mr. Reynolds gegen ihn hegt. Der Hauptgrund ist jedoch ein anderer. Die von Tom gelebte Männlichkeit fordert sein eigenes Männlichkeitsverständnis heraus und gefährdet ihn dadurch. Der Zweck von Toms Schulaufenthalt, einen Mann aus ihm zu machen,207 scheint nicht zu fruchten. Auch das Eingreifen seines Vaters, der ihn zwingt, das Schauspielen aufzugeben, und

207 Das ist das erklärte Anliegen von Toms Vater. 268

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ihn dazu auffordert, seine Haare zu schneiden, Mädchen zu treffen, und sich beim Bonfire zu prügeln, macht keinen ›richtigen Kerl‹ aus Tom.208 Nachdem sich die Ächtung Toms erheblich zugespitzt hat, unternimmt Al, sein Zimmergenosse einen Versuch, Tom zu helfen, indem er ihm zu einem männlicheren Haarschnitt und Gang rät.209 In dieser Szene wird offenkundig, dass Gender performativ ist. Denn Al führt Tom seinen Gang vor, den Tom dankbar zu imitieren versucht. Der Gang Als ist deswegen wirkungsmächtig, da er die richtige Norm zitiert. Das einmalige Üben von Tom offenbart aber genau diesen männlichen Gang als Konvention, die durch die ständige Zitation aller jedoch verschleiert ist. Kontrapunktisch zu dieser Lehrstunde in Macho-Männlichkeit ist der Raum gewählt, das Musikzimmer. Die Übung eines Ganges à la John Wayne zwischen den Büsten von Bach und Beethoven ironisiert die Übertreibung, die in dieser Männlichkeit liegt. Mit diesem Verfahren bietet Minnelli eine widersprüchliche Lesart zur Narration an; während die Geschichte erzählt, dass eine ›harte‹ Männlichkeit nötig ist, betont das mise-en-scène die Ironie dieser Täuschung. Die Zufälligkeit der Gendernormen »Why should a guy with a crew cut look more manly than with this kind of hair?« ist weder für Tom noch für Al erklärbar. Überdeutlich wird in diesem Moment, in dem normative Männlichkeit mit ihrer eigenen Künstlichkeit konfrontiert wird, das Unbehagen und die Unsicherheit darüber, was Männlichkeit ausmacht.210 Abschließend empfiehlt Al Tom, mit einer Frau zu schlafen, um damit zu beweisen, dass er ein ›normaler‹ Mann ist. Gleichzeitig gesteht er ihm, dass er selbst noch nie bei einer Frau war, dass alles Reden darüber nur erfunden war. Al beherrscht also das Wissen darüber, wie wichtig es ist, eine intellegible Geschlechtsidentität aufzubauen und setzt dieses Wissen um, indem er sich mit dem Nimbus von Virilität umgibt. Tom hingegen verkörpert das Misslingen, was nicht nur durch seinen Körper oder die Frisur in Szene gesetzt wird, sondern in den entscheidenden Momenten auch durch die Kleidung: Nachdem er die Gehübungen aufgegeben hat und Al ihm mitgeteilt hat, dass er ausziehen wird, bindet

208 Das Bonfire fungiert als Initiationsritus für die jüngeren Schüler. Sie werden abends in Schlafanzügen ins Freie geführt und müssen sich den Angriffen der Älteren erwehren, die versuchen, ihnen die Pyjamas vom Körper zu reißen. Auch Tom muss mitmachen, wird aber von seinen Mitschülern dadurch gedemütigt, dass ihn niemand angreift, da er kein ›gewöhnlicher Kerl‹ ist. 209 Al: »It’s the way people look at things, you could do a lot for yourselves!« 210 Vgl. Cohan: Masked Men, S. 258. 269

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Tom die von Al geliehene Krawatte los und hält sie mit weit gestrecktem Arm von sich weg, um sie später wütend wegzuwerfen. Der Höhepunkt seines Scheiterns und gleichzeitig der Wendepunkt der Geschichte ist der Besuch bei Elly, die die Funktion der Dorfhure erfüllt. Der Fehlschlag wird angekündigt, als er auf dem Weg zu ihr mit Mrs. Reynolds spricht und das Unwohlsein in seinem blauen Anzug kommentiert.211 Bei Elly verhält er sich dementsprechend unsicher wie ein Kind, es kommt nicht zum Sex und als sie ihn wegen seiner femininen Hände auslacht, wird er hysterisch und versucht sich zu töten. Die nun auch für ihn selbst unumstößlichen Zweifel an seiner (heterosexuellen) Männlichkeit beseitigt Mrs. Reynolds kurz darauf mit jenem viel diskutierten Ehebruch. Das Interessante an TEA AND SYMPATHY ist die Diskrepanz zwischen dem Wahrnehmungsdiskurs, der die Figur Toms mit Homosexualität verknüpft und der Handlung, nach der Tom kein sexuell abweichendes Verhalten zeigt. Da es Tom nicht gelingt, Sex und Gender als Einheit zu präsentieren, wird er als sister-boy verlacht und ihm wird ein heterosexuelles Begehren abgesprochen. Dies birgt eine gewisse Ironie in sich, da Tom der Einzige in dem Film ist, der heterosexuell begehrt. Das heißt, dass in TEA AND SYMPATHY sexuelle Orientierung nicht der Gradmesser für normative Männlichkeit ist, sondern die Zitation der virilen Normen bestimmt die intellegible Geschlechtsidentität, die wiederum das Begehren erst zu ermöglichen scheint. Und wenngleich Sissy und Homosexueller nach Russo austauschbare Begriffe sind, ist Tom kein Homosexueller. TEA AND SYMPATHY plädiert folglich für einen heterosexuell-männlichen Gegenentwurf, für eine quere, differenziertere Männlichkeit.212 Mrs. Reynolds ist im Film die einzige, die Verständnis für diese Alternative aufbringt, da sie selbst unter der harten Männlichkeit ihres Mannes leidet.213 So wirft sie ihm Mitschuld an dem Selbtsmordversuch Toms vor und benennt die Qualitäten dieser ›leiseren‹ Männlichkeit: 211 »Put me in a blue suit and I look like a kid.» 212 Der amerikanische Soziologe Robert Heasley nennt dieses Konzept Straight–Queer-Masculinities. Nach seiner Terminologie ist Tom ein straight sissy-boy. Robert Heasley (2005): »Crossing the Borders of Gendered Sexuality: Queer Masculinities of Straight Men«, in: C. Ingraham (Hg.): Thinking Straight. New York, S. 109-129. 213 Der Film betont die Sehnsucht von Mrs. Reynolds nach Zärtlichkeit und Verständnis wiederholt, so z.B. Sie: »We don’t touch anymore.« [Stille, die Verf.] »You don’t feel that?« Er [wie erstarrt, die Verf.]: »Can’t always be a honeymoon.« Auch enden die Szenen, in denen beide auftreten, zumeist damit, dass sie allein zurückbleibt. Ihre Isolation wird dadurch auch visuell herausgehoben. 270

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»He is not one of us, a member of the tribe. So the tribe has to find a scapegoat to reaffirm your shaky position. [...] Because if he was right than you had to be wrong. If he could be manly than you had to question your own definition of manliness. [...] He is right [...] Manliness is not all swagger and swearing and mountain climbing. Manliness is also tenderness and gentleness and consideration.«214

Ästhetische Strategien Nicht nur Mrs. Reynolds kritisiert die bis dato dominierende MachoMännlichkeit. Die von Minnelli angewandten ästhetischen Verfahren bieten ebenfalls die Möglichkeit diese zu unterlaufen, wie bereits am Beispiel der Musikzimmerszene gezeigt wurde. Ähnlich wie REBEL WITHOUT A CAUSE (1955) ist auch TEA AND SYMPATHY in Cinemascope und Technicolor bzw. Metrocolor gedreht. Mit diesen neuen technischen Entwicklungen reagierte Hollywood auf Veränderungen im Nachkriegsamerika, u.a. auf die Notwendigkeit, mit dem noch jungen Fernsehen ums Publikum zu konkurrieren. Gleichzeitig boten Cinemascope und Technicolor die Möglichkeit, eine neue Filmsprache zu entwickeln, die auch dafür genutzt wurde, die Bestimmungen des Production Code zu umgehen. Die neuen technischen Ausdrucksmittel erschufen ein großes Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten der Beziehungen der Personen untereinander. Die intensive Farbgebung lenkt die Aufmerksamkeit auf die psychologische Entwicklung der Figuren und bringt gleichzeitig die Vorstellung eines unabänderlichen Realismus ins Wanken, wie er noch von dem in schwarz/weiß gedrehten gesellschaftlichen Problemfilm propagiert wurde. Farbe wurde von Minnelli und Anderson symbolisch und expressiv eingesetzt. Mrs. Reynolds hatte als Grundfarbe Gelb zugewiesen bekommen, um ihre sanfte und freundliche Art zu betonen. Im Gegensatz dazu ist Blau die Farbe der jungen Männer, die in dem Sinne keine ›wirklichen‹ Männer sind, als dass sie den sozio-kulturellen Anforderungen an Männlichkeit noch nicht entsprechen.215 Entgegen der allgemeingültig gesellschaftlichen Konnotierung von Blau, die die Genderidentität von Jungen und Männern eindeutig anzeigt, fungiert Blau hier als Signifikant für eine unsichere Genderidentität. Tom trägt durch den Film hindurch demnach überwiegend blaue Kleidungsstücke, die er interessanter Weise öfter mit einem gelben Pulli kombiniert. Auffällig ist ebenfalls, dass er während der Rahmenhandlung, die zehn Jahre nach den im Film gezeigten Ereignissen angesiedelt ist, einen grauen Anzug 214 In diesem Gespräch gesteht sie auch ihre Einsamkeit und ihren Wunsch, dass Bill emotionaler und weicher werden solle. 215 Vgl. Gerstner: »The Production and Display...«, S. 24. 271

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trägt. Damit ist er in der Gruppe der ›grauen-Anzug-Träger‹ angekommen.216 Das blaue und gelbe Motiv werden im Laufe der Erzählung immer wieder miteinander verknüpft, wie bereits an der Kleidung Toms ersichtlich wurde. Insofern verwundert es nicht, dass auch die Farbe Grün eine bedeutende Rolle spielt.217 Bei der ersten Begegnung von Mrs. Reynold und Tom trägt er ein blaues Hemd und Mrs. Reynolds ein gelblichorangenes Kleid und einen gelben Hut. Das Zusammentreffen findet im grünen Garten statt und sie kommentiert ihren Garten damit, dass er mehr Blau bräuchte.218 Folgt man Gerstners Überlegungen zur Farbe Blau, verweist dieser Satz bereits auf Mrs. Reynolds Bedürfnis nach einer Männlichkeit, die sich nicht im Bedienen gesellschaftlicher Zwänge erschöpft. Tom erfüllt wenig später dieses Bedürfnis, indem er ihr ein Päckchen Vergissmeinnichtsamen, die in leuchtendem Blau auf der Packung erstrahlen, ins grüne Auto stellt. Neben dem Bedürfnis nach einer anderen Männlichkeit symbolisiert diese Farbgebung, das Mischen von Blau und Gelb ergibt Grün, auch den Wunsch nach körperlicher Vereinigung, was durch das Saatgut ebenfalls prononciert wird. Auch jene Szene, in der Tom beweisen will, dass er ein ›gewöhnlicher Kerl‹ ist, verstärkt diese Lesart. Mrs. Reynolds, die um seine Pläne zu Elly zu gehen weiß, passt ihn (im blauen Anzug) ab.219 Allerdings trägt sie diesmal ein tief ausgeschnittenes, grünes Abendkleid, während auf dem Tisch gelbe Blumen stehen. Sie versucht seinen Besuch bei Elly zu verhindern und gesteht ihrem Mann am nächsten Tag, dass sie sich gewünscht habe, Tom würde seine Männlichkeit an ihr beweisen, worauf ihr grünes Kleid bereits hingedeutet hatte. So symbolisiert die Farbgebung einerseits den Wunsch der Protagonist/innen nach körperlicher Vereinigung. Andererseits stehen die Komplementärfarben Gelb und Blau für das Bedürfnis nach Ergänzung. So wie Gelb ohne Blau nicht vollständig ist, ist Blau ohne Gelb nicht abgeschlossen. Auf Gender rückbezogen bedeutet dies, dass die einzelnen voneinander isolierten Positionen miteinander verknüpft werden müssen, um zufriedenstellend zu sein.

216 Zu THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT, vgl. Kap. 3.3.2 217 Schon der Eingangsschriftzug zu Beginn des Films ist in grüner Schrift gehalten. 218 »But I need some more blue in the garden«. 219 Auch unter farblichen Aspekten musste der Besuch Toms bei Elly scheitern: Elly trägt ein schwarzes Kleid. 272

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Rosarot Über die Kritik an der Macho-Männlichkeit hinaus möchte ich noch einen weiteren Blick auf den Film werfen. Er thematisiert an einigen Stellen explizit den Sprechakt der Verleumdung und üblen Nachrede,220 was von einem Teil der Filmbesprechungen aufgenommen wurde. So schreibt die Los Angeles Times: »It carries a strong message against calumny through gossip« und der Beverly Hills Citizen sieht dies sogar als Hauptaussage des Films.221 Allerdings kreisen die meisten Rezensionen um den Ehebruch und um Homosexualität, wobei die Tatsache, dass diese im Film im Gegensatz zum Theaterstück nicht direkt angesprochen wird, unterschiedlich bewertet wird. Interessanterweise stellt kaum eine Rezension, die Gleichung sensibler Mann = verweiblicht = Homosexueller in Frage. Allein ein Leserbrief in der New York Times benennt dieses Dilemma: »...that sensitivity in the human male, whether moral, intellectual or aesthetic, is not necessarily an »effeminate« characteristic, nor is it indicative of homosexuality. The human misery caused by popular terms of effeminancy being equated with homosexuality adds greatly to the workload of the church and other agencies.«222

Die Besprechungen stimmen weitgehend in der Ablehnung von Homosexualität als Perversion überein und sind damit fest in der KaltenKriegs Rhetorik der 50er Jahre verankert.223 In diesem Sinne warnt der bereits zitierte Leserbrief vor der Heimtücke der Homosexualität, »ho220 Ein erster Hinweis darauf wird schon zu Beginn gegeben, als Tom in seinem ehemaligen Zimmer an einem Schild mit der Aufschrift ›Stop listen look‹ vorbeigeht. Während des ›Männlichkeitstestes‹ verweist Mr. Reynolds scherzend auf sein durch die Verfassung garantiertes Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen. Später versucht Ms. Reynolds Al davon zu überzeugen Tom beizustehen, indem sie ihm vor Augen hält, wie schnell auch er als sister-boy verleumdet werden könne, wenn sie bestimmte Gerüchte in die Welt setze. 221 Edwin Schallert (1956): »TEA AND SYMPATHY likely to provoke mixed reaction«, in: Los Angeles Times, 4.10.1956. Hazel Flynn (1956): »Tea sans sympathy!«, in: Beverly Hill Citizen, 5.10.1956. Barbara L. Goldsmith (1956): »Fall Films and a New Star«, in: Woman’s Home Companion, 5.10.1956. »A Fine Drama. Tea and Sympathy«, in: Cue, 29.9.1956. Alle im Tea & Sympathy Production File, AMPAS. 222 Rev. C.E. Egan Jr. (1956): »Opinions from Readers. TEA AND SYMPATHY Elicits Diverse Reactions to Theme and Content«, in: New York Times 14.10.1956, o.A. Tea & Sympathy Production File, AMPAS. 223 Allerdings wird in einigen Besprechungen Verständnis für die mögliche Homosexualität aufgebracht. Denn die Anforderungen an Männlichkeit seien so rigide, dass Homosexualität als Ausweg verstanden wurde. 273

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mosexuality is most vicious in its latent form, i.e. when it is unconscious or unrecognized.«224 Durch den McCarthyism war der politische Akt der Verleumdung und Diskriminierung Bestandteil des politischen Lebens.225 Eine Komponente dieser Politik war die Verknüpfung von Kommunisten mit Homosexuellen. Das Licht der Welt erblickte Homosexualität als politisches Thema durch die Senatsanhörungen vom Februar 1950, in denen Staatssekretär John Peurifoy ausgesagt hatte, dass das Gros der 91 wegen moralischer Schwäche aus dem Außenministerium entlassenen Angestellten Homosexuelle gewesen seien. Am Ende dieser Prüfungen stand der Bericht Employment of Homosexuals and Other Sex Perverts in Government, dessen Hauptaussage die emotionale Instabilität und die damit verknüpfte moralische Angreifbarkeit von Homosexuellen war. Mit diesen Untersuchungen schienen die seit längerem kursierenden Gerüchte über das diplomatische Korps Bestätigung zu finden.226 Fortan wurde der Vorwurf der homosexuell-kommunistischen Unterwanderung von Republikanern und der Rechten genutzt, um die Fähigkeiten der Regierung, die nationale Sicherheit zu gewähren, in Zweifel zu ziehen.227 Der Vorsitzende der Republikaner schrieb in einem Brief an die Mitglieder der Partei, »sexual perverts [...] have infiltrated our government« und sie seien »perhaps as dangerous as the actual Communists«.228

224 Egan: »Opinion from Readers«. 225 Der Begriff McCarthyism wird hier als Synonym für extremen Antikommunismus benutzt. Die Zeit der Kommunistenverfolgung beginnt in den USA vor 1950 und endet nach 1954, umfasst also eine größere Zeitspanne als jene Jahre, in denen McCarthy zu einem maßgeblichen Faktor der politischen Landschaft geworden war. Zum McCarthyism vgl.: Richard M. Fried (1990): Nightmare in Red. The McCarthy Era in Perspective. New York/Oxford. Auch: Robert Griffith (1989): »American Politics and the Origins of »McCarthyism«, in: Allan M. Winkler: The Recent Past. Readings on America Since World War II. Oxford, OH, S. 41-50. Ellen Schrecker (1998): Many are the Crimes. McCarthyism in America. Princeton, NJ. 226 Das Außenministerium war allerdings schon seit den frühen 1940er Jahren mit Homosexualität verknüpft worden. Zu dieser Zeit bezogen sich die Anschuldigungen auf Sumner Welles. Cuordileone: »Politics in the Age of Anxiety«. Robert R. Dean (2007): »Politik und Sexualität: John F. Kennedy und die »Krise« der Männlichkeit im Kalten Krieg«, in: Martschukat/Stieglitz: Väter, Soldaten, Liebhaber, S. 335-253. 227 Vgl. dazu: John D’Emilio (1989): »The Homosexual Menace: The Politics of Sexuality in Cold War America«, in: Peiss/Simmons: Passion and Power, S. 226-241. 228 Zit. nach Cuordileone: »Politics in the Age of Anxiety«, S. 532. 274

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Im Diskurs der Rechten wurde Homosexualität mit einer Epidemie gleichgesetzt, die die Nation infiziere. Die Angst wurde durch verschiedene Faktoren geschürt. Alfred Kinsey hatte in seinem Bestseller Sexual Behaviour in the Human Male konstatiert, dass die Zahl der Männer, die homosexuelle Kontakte gehabt hatten, wesentlich höher war als erwartet, dass nämlich 37% der amerikanischen Männer homosexuelle Erfahrungen bis zum Orgasmus gemacht hätten. »This accounts for nearly 2 males out of every 5 that one may meet.«229 Außerdem beobachtete er, dass das Erscheinungsbild des Homosexuellen sich nicht von dem des Heterosexuellen unterscheide. Kinsey wollte mit seinen Studien homosexuelles Verhalten als Normalität verstanden wissen, indem er die starke Verbreitung von homosexuellen Aktivitäten aufzeigte. »In view of the data which we now have on the incidence and frequency of the homosexual, and in particular on its co-existence with the heterosexual in the lives of a considerable portion of the male population, it is difficult to maintain the view that psychosexual reactions between individuals of the same sex are rare and therefore abnormal or unnatural, or that they constitute within themselves evidence of neuroses or even psychoses.«230

Trotzdem wuchs auch aufgrund seiner Untersuchung zunächst die Angst vor Homosexualität. In dieser Atmosphäre der Angst wurden sowohl der unsichtbare Kommunist als auch der unsichtbare Homosexuelle als Bedrohung der nationalen Sicherheit gesehen. So formulierte Senator Wherry 1950 in der New York Post, »You can’t hardly separate homosexuals from subversives. Mind you, I don’t say every homosexual is a subversive, and I don’t say every subversive is a homosexual. But a man of low morality is a menace in the government, whatever he is, and they are all tied up together.«231 Wie die Liberalen der Ostküste, denen der Vorwurf gemacht wurde ›soft on Communism‹ zu sein, was zum ›Verlust‹ Chinas und Osteuropas geführt habe, galten auch Homosexuelle als moralisch schwach und effeminiert, als Gruppe, die die USA ihrer männlichen Kraft beraube. Denn schwule Männer wurden als anfällig für Erpressung angesehen: Aus Angst vor Stigmatisierung seien sie bereit, als Spione für kommunistische Agenten zu arbeiten. Die Farben rot und rosa markieren also das, was Angst macht. In TEA AND SYMPATHY ist es die Farbe rosa, es wird zwar kein Homosexueller gezeigt, nur die Angst vor ihm. Wie gezeigt ist Toms Gender 229 Kinsey/Pomeroy/Martin: Sexual Behaviour in the Human Male, S. 650. 230 Ebd., S. 659. 231 Cuordileone: »Politics in the Age of Anxiety«, S. 532. 275

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nicht intellegible. Das liegt nicht daran, dass er homosexuell ist. Aber der Diskurs der Zeit straft das Auseinanderdriften von Sex und Gender ab, indem er Homosexualität unterstellt. In diesem Sinne gelingt es Tom in den Worten Butlers gender trouble zu verursachen. D.h. es geht nicht wirklich um Homosexualität. Stattdessen wird nicht-konformes Verhalten als Bedrohung der normativen Männlichkeit gesehen, die eine Krise gewaltigen Ausmaßes heraufbeschwört. Die Mittelschichtmännlichkeit scheint das einzig gültige Geschlechtermodell zu sein. TEA AND SYMPATHY verhandelt die ausfransenden Ränder von Gender. Durch das Aufzeigen einer vermeintlich sexuell abweichenden Identität kann die Norm umso deutlicher definiert werden. Gleichzeitig scheint das vorgegebene Modell nicht mehr zeitgemäß zu sein, das zeigen die Bedürfnisse von Mrs. Reynolds und die Scheidung des Ehepaares, d.h. Männlichkeit muss sich andere Performativitäten als jene rigide Macho-Männlichkeit suchen. Ausgeschlossen von den alternativen Männlichkeitsentwürfen bleibt jedoch Homosexualität – sie ist das Verworfene, das Äußere, dessen Aufgabe darin besteht, den Status des Subjektes und der intelligiblen Körper zu definieren. Verstärkt wird dieser Status des ›abjecten‹ in der Ära des McCarthyism durch die Kongruenz von Kommunismus und Homosexualität.

4.3.2 Fazit Zurück zur Ausgangsfrage, wohin gelangt ein junger Mann, der weder ein Macho, noch ein ›Mann im grauen Flanell‹ sein möchte? TEA AND SYMPATHY verhandelt die Unsicherheit der weißen normativen Mittelschichtmännlichkeit über ihre eigene Position und zeigt damit, dass diese Position Mitte der 50er Jahre alles andere als gesichert war. Der Film ist, wie REBEL WITHOUT A CAUSE ein Plädoyer für eine sensiblere Form von Männlichkeit. Interessanterweise wird dieses Anliegen innerfilmisch nur von Mrs. Reynolds, der weiblichen Hauptperson des Filmes unterstützt. Tom, auf der Suche nach der Besten aller möglichen Welten, hat ähnlich wie James Dean in REBEL WITHOUT A CAUSE keine männlichen Vorbilder, denen er auf der Suche nach einem alternativen Männlichkeitsentwurf nacheifern kann. So ist es auch in jenem Film die Frau, die Jim erklärt, was es bedeutet ein Mann zu sein. »But a man who can be gentle and sweet, like you. […] Someone who doesn’t run away when you want them. Like being Plato’s friend when nobody else liked him. That’s being strong.« Desinteressiert an der körperbetonten, homosozialen und vermeintlich virilen Männlichkeit seiner Klassenkameraden und auch nicht überzeugt von der Gray-Flannel-Männ-

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lichkeit seines Vaters, die aus der selben Schule kommt,232 versucht Tom einen dritten Weg zu gehen. Ebenso wie REBEL WITHOUT A CAUSE führt jedoch auch TEA AND SYMPATHY vor, was geschieht, wenn die GeschlechterVerwirrung zu weit geht. Beide Filme finden ein konservatives Ende. In ersterem muss Plato, der homosexuell konnotiert ist, am Ende sterben und erst durch seinen Tod wird die Möglichkeit eröffnet, die perfekte Kleinfamilie wiederherzustellen. Judy und Jim sind ein Paar und der schwache Vater verspricht sich zu bessern und von nun an den Ton in der Familie anzugeben. Tom wird durch eine Frau von seiner vermeintlichen Homosexualität geheilt und ist in der Schlusseinstellung selbst der ›Mann im grauen Flanell‹. Homosexualität bleibt demnach von der Resignifikation von Männlichkeit ausgeschlossen, da sie analog zur kommunistischen Bedrohung der nationalen Sicherheit die moralische Sicherheit der Nation bedroht.233 Und trotzdem hat gerade der Star James Dean, wie auch Marlon Brando oder Montgomery Clift, eine Wirkung, die weit über das gesellschaftsstabilisierende Narrativ des Films hinausgeht. Alle drei galten als neurotisch, entfremdet und nicht konform. Die Ursache daran liegt in ihrer androgynen Männlichkeit und Bisexualität.234 Wenngleich sie in ihren Filmen keine männlichen Vorbilder haben, wurden sie selbst zu gesellschaftlichen Idolen, indem sie auf und außerhalb der Leinwand eine Männlichkeit erschufen, die weit entfernt von den Vorstellungen des Versorgers und selbstbestimmten Mannes war und stattdessen weichere, weiblichere Eigenschaften integrierte. Und, indem sie als androgyn, exzentrisch und sexuell nicht eindeutig festgelegt galten, wirbelten sie die in den 50er Jahren geläufigen Kategorien männlich – weiblich, heterosexuell – homosexuell ebenso durcheinander wie die vermeintliche Einheit von Sex und Gender.

232 Mr. Lee hat genauso wie Bill Reynolds und die Väter anderer Schüler die Schule besucht und ist dort durch die ›harte Schule der Männer‹ gegangen. Von der Notwendigkeit dieser Schulung überzeugt, sind die Väter bestrebt jene Ideale an ihre Söhne weiterzugeben, alles andere wird als peinlich angesehen. So spricht Mr. Lee von seiner Scham seinen Kollegen gegenüber, dass Tom Sänger werden wolle. »Well he is going to run with the other horses. I wanna be proud of him. That’s why I had him in the first place. But he makes it so difficult for me.« Die patriarchale Ordnung ist in der Welt der Väter noch intakt. 233 Vgl. D’Emilio/B. Freedman: »The Homosexual Menace«, S. 294. 234 Zu Clift und Brando, z.B. Cohan: Masked Men, S. 201-263. Zu Dean: Stephen Lowry/Helmut Korte (2000): »James Dean – der ewige Teenager«, in: Dies: Der Filmstar. Stuttgart/Weimar, S. 147-175. 277

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4 . 4 D e r J u n g g e s e l l e n - P l a yb o y: » L i f e s h o u l d b e g a y a n d l i g h t a n d b u b b l y l i k e c h a m p a g n e « 235 Dass eine homosexuelle bzw. straight-queer Männlichkeit Irritationen auslöst, die demzufolge mit Sanktionen bestraft werden muss, wurde im vorherigen Kapitel gezeigt. An diesem Ort soll es um Männer gehen, die ebenfalls ein von der Gesellschaft als ›unreif‹ wahrgenommenes Männlichkeitskonzept leben, dieses jedoch als Quelle der Freude begreifen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht der Junggeselle, bzw. der Junggesellen-Playboy. Das heißt in diesem Kapitel wird die hedonistische Alternative zum Ehemann und Versorger untersucht, der sich in Kap. 3.3. (mühsam) seinen Weg durch das Geflecht Ehe – Familie – Karriere gebahnt hatte. Der Topos des ›einsamen Helden‹, der, um einsam sein zu können, notwendigerweise ein Junggeselle ist, ist ein selbstverständlicher Bestandteil vieler Filme, insbesondere auch jener, die wie z.B. der Western zu den harten Genres gezählt werden.236 Gleichwohl steht das Junggesellendasein in diesen Genres nicht im Vordergrund. Ich möchte nachfolgend drei Filme betrachten, in denen der Junggeselle bzw. der Junggesellen-Playboy die zentrale Figur ist: Die Komödie MY DEAR SECRETARY (1948), das Musical AN AMERICAN IN PARIS (1951) und den romantischen Liebesfilm AN AFFAIR TO REMEMBER (1957), der sowohl komödiantische wie auch melodramatische Elemente enthält. Obwohl alle drei Filme mit der Paarbildung enden, treffen sie dezidierte Aussagen zum Thema Junggesellen und/oder Playboy. Die Komödie MY DEAR SECRETARY wurde 1948 wenig kostspielig von United Artists produziert.237 Sie erzählt die Geschichte eines Playboys und Schriftstellers, dessen Verschleiß an Sekretärinnen enorm hoch ist. Obwohl er sich in eine seiner Sekretärinnen verliebt und sie heiratet, ändert er sein Verhalten nach der Hochzeit kaum. Gleichzeitig muss er jedoch erkennen, dass sie die bessere Schriftstellerin ist. Chaotische Entwicklungen führen zur Trennung des Paares, bis die beiden am Happy End wieder zusammen finden. Im Zentrum der Filmanalyse steht die Frage nach der Dynamik der Geschlechterbeziehungen, bzw. danach, welche Verhaltensweisen als nicht intellegibel gekennzeichnet werden. In meinen Augen ist MY DEAR SECRETARY ein interessanter Film zum Thema Playboys, da er aus den späten 40er Jahren stammt. So 235 Zitat aus AN AFFAIR TO REMEMBER. 236 Auch wenn, wie in Kap. 3.2 und 3.3 ausgeführt wurde, selbst in diesen Filmen das Thema der Partnerschaft verhandelt wird. 237 Folgt man der zeitgenössischen Rezeption, muss der Film als durchschnittliches Produkt betrachtet werden. Vgl. dazu: My Dear Secretary Production File, AMPAS. 278

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nimmt er einerseits die Themen, die die Zeitschrift Playboy ab Dezember 1953 mit dem bachelor-playboy verband, wie z.B. das luxuriöse Junggesellen-Appartement oder die Angst, in der Ehe gefangen zu sein, vorweg. Andererseits kann er in einer zehn Jahre später kaum mehr vorstellbaren Freiheit mit der Tatsache umgehen, dass die Frau beruflich erfolgreicher ist als der Mann. Hinzu kommt, dass MY DEAR SECRETARY eine Komödie ist. Und obwohl Komödien in der Regel beim Publikum beliebt sind, werden sie selten als filmhistorische Quellen herangezogen, da sie als nicht ernsthafte Unterhaltung abgetan werden.238 Dasselbe Denkmuster führt auch dazu, dass sie selten den höchsten Filmpreis, den Oscar, für den besten Film gewinnen. Und tatsächlich hat in den Jahren nach 1945 keine einzige Komödie diesen Oscar gewonnen. Dies gelang erst 1960 Billy Wilder mit THE APARTMENT. Da Komödien aber oftmals die bestehenden Machtverhältnisse umkehren, sind sie gerade für geschlechterhistorische Fragestellungen lohnende Quellen. Das Musical wird ebenfalls von Seiten der Filmindustrie wie auch vom Publikum als pure Unterhaltung wahrgenommen. Diese Feststellung enthält folgende Implikationen: Musicals werden produziert, um Gewinne einzuspielen,239 sie wollen ein möglichst großes Publikum erreichen und sie sind eskapistisch. Richard Dyer argumentiert dagegen, dass sie das nicht seien, sondern aufgrund ihrer Form, also mit ihren Tanz- und Gesangseinlagen die Widersprüche einer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft offen legen.240 Unter dieser Prämisse betrachte ich AN AMERICAN IN PARIS. Er ist 1951 mit großem Erfolg gelaufen und hat auch den Oscar für den besten Film erhalten. Ich möchte anhand des Filmes, der voller Anspielungen zum Thema Geschlechtsidentitäten steckt, zeigen, inwieweit die Geschlechterverhältnisse Anfang der 50er Jahre wieder in Richtung einer patriarchalen Struktur in Bewegung waren. Gleichzeitig offenbart der Film aber auch die Brüchigkeit dieses Konzepts, indem er den Körper des Hauptdarstellers zur Schau stellt und die Jungenhaftigkeit des Protagonisten betont. Allerdings, und damit unterscheidet sich der Film von den beiden anderen, ist der Protagonist eher ein unbekümmerter Junggeselle als ein Frauenheld.

238 Auch in der Filmkritik und Filmwissenschaft erfuhr das Genre der Komödie bis in die 1990er Jahre wenig Aufmerksamkeit. Vgl. dazu: Rowe: The Unruly Woman. 239 Dies gilt selbstverständlich für andere Filme auch, auch wenn diese sich nicht selbst als Unterhaltung qualifizieren. 240 Richard Dyer (2002): »Entertainment and Utopia«, in: Steven Cohan: Hollywood Musicals. The Film Reader. London/New York, S. 19-31. (Der Aufsatz erschien im Orig. 1977). 279

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AN AFFAIR TO REMEMBER gewährt aus der Perspektive der späten 50er Jahre Einblicke in den Junggesellendiskurs. Der Film, der an der Kinokasse ebenfalls extrem erfolgreich war, beschreibt die Wandlung vom Playboy zum Mittelschichtmann. Diese durch die wahre Liebe hervorgerufene Veränderung hat Ende der 50er Jahre ganz andere Implikationen als ein Jahrzehnt zuvor. Da Komödien, in deren Zentrum der Junggesellen-Playboy stand, Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre Konjunktur hatten, wird am Ende des Kapitels ein knapper Ausblick unternommen, um zu zeigen, welche Alternativen dieser Typus noch hatte.

4.4.1 MY DEAR SECRETARY (1948) »He didn’t need a wife. He needed a psychiatrist.«241

Die 1948 gedrehte Komödie MY DEAR SECRETARY zeigt die Dynamik, die den Geschlechterbeziehungen drei Jahre nach Kriegsende innewohnte, in turbulenter Weise.242 MY DEAR SECRETARY erinnert an die Screwball Komödien der 30er Jahre, da sich die Ereignisse in dem Film zu überschlagen scheinen.243 Grundsätzlich gilt die Komödie als das Genre, das neben dem Melodrama am häufigsten genutzt wird, um Geschichten von Frauen, insbesondere von deren Grenzüberschreitungen zu erzählen. Die Erzählstrategie ist dabei in der Regel eine Liebesgeschichte, an deren Ende die Formierung des heterosexuellen Paares steht. Allerdings wird dieses die Gesellschaft affirmierende Ziel in der Regel nur über große Widerstände und die Störung der traditionellen Geschlechterordnung erreicht, sodass Komödien durchaus subversives, antiautoritäres Potential in sich bergen. Die strukturellen Merkmale der romantischen Komödie hat Kathleen Rowe herausgearbeitet. »Making fun of and out of inflated and self-deluded notions of heroic masculinity, romantic comedy is often structured by gender inversion, a disruption of

241 Zitat aus MY DEAR SECRETARY. 242 MY DEAR SECRETARY ist eine United Artists Produktion. Produziert wurde der Film von Leo C. Popkin, Regie führte Charles Martin, s/w. 243 Screwball Komödien waren ein sehr beliebtes Hollywood Genre, das seinen Höhepunkt Mitte der 1930 bis Anfang der 40er Jahre hatte. Sie sind temporeiche Beziehungskomödien mit viel Wortwitz, die sehr offene sexuelle Anspielungen machen. Die Frau ist dem Mann in diesen Komödien zumeist überlegen. 280

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the social hierarchy of male over female through what might be called the topos of the unruly woman or the ›woman on top‹. When romantic comedy most fully realizes the potential of this topos, it dramatizes a resistance to the law of Oedipus, a carnivalizing of sexual identities and gender hierarchies that posits a new and more inclusive basis for community than the social order it takes as its point of reference.«244

Die romantische Komödie ist demnach gekennzeichnet durch das kreative Spiel mit Geschlechterkonzepten, durch das Wissen um bestimmte Regeln sowie die Phantasie und Fähigkeit diese zu umgehen, durch das Eröffnen eines liminalen Raumes. Orientiert man sich an dieser Charakterisierung, rückt auch die Frage, welche Bedeutung Männlichkeit in der Komödie einnimmt, in den Blickpunkt des Interesses. In MY DEAR SECRETARY scheint für Frauen, aber mehr noch für Männer, vieles möglich zu sein. Nachfolgend soll über das Verhältnis der Figuren anhand der Kategorien Buddy und Playboy herausgearbeitet werden, welche Genderkonzepte der Film ent- und verwirft. Der Plot von MY DEAR SECREATRY ist einfach und dient oberflächlich betrachtet wie in vielen Komödien lediglich als Rahmen für die Witze der Personen. Stephanie Gaylord (Laraine Day), Sekretärin und Schülerin in einer Schriftstellerklasse, hat das in ihren Augen große Glück, von dem erfolgreichen Schriftsteller Owen Waterbury (Kirk Douglas) als Sekretärin eingestellt zu werden. Doch schon bald muss sie erkennen, dass der von ihr geschätzte Schriftsteller in Wirklichkeit ein unernster Playboy ist. Über diese Tatsache und seine Annäherungsversuche empört, kündigt sie die Stellung, nur um kurze Zeit später auf seinen Heiratsvorschlag einzugehen. Nach einer Trennung, die durch die Eifersucht Owens motiviert ist, und allerhand Verwicklungen findet das Paar schließlich wieder zusammen. Allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Owen bietet sich an, als Sekretär bei der inzwischen erfolgreichen Stephanie zu arbeiten. Auch wenn in einzelnen Momenten des Filmes die unabhängige Frau dem Gelächter ausgesetzt wird, zielt der Angriff des Witzes in MY DEAR SECRETARY im Kern auf den unreifen, gleichwohl von sich selbst eingenommenen Mann. Der Playboy ist hier die bedrohliche Kraft, dessen Genderidentität intellegibel gemacht werden muss. In diesem Zusammenhang ist die Nebenhandlung aufschlussreich, die den Film neben der Beziehung von Owen und Stephanie trägt, nämlich das Verhältnis zwischen Owen und seinem faktisch bei ihm leben-

244 Kathleen Rowe: »Comedy«, S. 41f. 281

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den Nachbarn Ronnie Hastings (Keenan Wynn). Die beiden Männer bilden eine verschworene Junggeselleneinheit, in der Ronnie die weiblich konnotierten Aufgaben übernimmt: Er kümmert sich um den Haushalt oder versucht es zumindest. Seine Unfähigkeit diese Aufgaben erfolgreich auszuführen, bewahrt ihn davor, gänzlich effeminiert zu erscheinen. Wie anhand von TEA AND SYMPATHY in Kap. 4.3.1 aufgezeigt worden ist, erfolgte in den 50er Jahren die Kategorisierung von Männern als Sissies und damit als Homosexuelle gemäß ihrem weiblich konnotierten Verhalten. In dem acht Jahre zuvor produzierten MY DEAR SECRETARY scheint diese Gleichung ebenfalls zu funktionieren. Der Film spielt mit den Räumen zwischen homosozialen und homoerotischen Beziehungen und macht immer wieder Andeutungen, die aufgrund der Gleichung effeminiert = homosexuell als homoerotisch zu lesen sind. Als Owen z.B. überlegt nach New York zu ziehen, reagiert Ronnie panisch und fragt, was dann aus ihm werde. Die Witze, die auf Kosten Ronnies gehen, fördern den Gedanken der Gender-Inversion. Am Ende des Films beschließt er aus Ärger über Owen zu heiraten und auf dessen überraschte Frage, »Whom?« antwortet er: »It’s gonna be a female, that’s about all I can say!« Die Tatsache, dass der zweitwichtigste Aufgabenbereich Ronnies darin besteht, Owen mit Frauen zu versorgen, bestätigt zwar die hyperaktive Heterosexualität Owens und verneint infolgedessen jede homoerotische Lesart. Aber gleichzeitig bringt diese Tätigkeit die beiden Männer enger zusammen. Folgt man den von Eve Kosofsky Sedgwick angestellten Überlegungen zum erotischen Dreieck, ist das Band, das zwei Rivalen miteinander verbindet, genauso stark, wie das Band zwischen den sich Liebenden.245 Der Film beschreibt zwar nur in seinen Anfangssequenzen eine Rivalität zwischen den beiden Männern bezüglich Stephanie, gleichwohl legitimiert die Jagd nach Frauen das offensichtliche Vergnügen, das die Männer während ihres Zusammenseins empfinden. So ist es Ronnie, der immer wieder bei Arbeitsagenturen anruft, um gut aussehende Sekretärinnen zum Vorstellungsgespräch einzuladen, und der das Interview führt.246 Die gemeinsam gefällte Entscheidung, welche Frau für Owen in Frage kommt, bestärkt somit ihre enge gegenseitige Bindung. MY DEAR SECRETARY bezieht einen Teil seines Witzes aus der Beziehung zwischen den beiden Männern, die wie gezeigt auch eine homoerotische Lesart anbietet. Damit verweist der Film auf das Konzept

245 Eve Kosofsky Sedgwick (1985): Between Men: English Literature and Male Homosocial Desire. New York, insb. Kap. 1. 246 Dazu zählt die Frage danach, ob die Aspirantin verheiratet sei. 282

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des ›Kumpels‹, des buddy, das durch den Zweiten Weltkrieg begünstigt worden war. Denn die Armee hatte, um auf einer persönlichen Ebene Loyalitäten zu schaffen, die Bildung von Männerpaaren gefördert und damit enge Bindungen hervorgerufen. Durch jenes Verfahren war diese Art der Homosozialität institutionalisiert worden. Diese Verbindungen waren zum Teil sehr eng und wurden von den Veteranen auch in Liebesbegriffen beschrieben. Allerdings drückte sich darin, wie Bérubé ausführt, weniger eine Toleranz gegenüber Homosexualität aus, als vielmehr das Bedürfnis nach Nähe in lebensbedrohlichen Situationen.247 Nichtsdestotrotz führte die Institutionalisierung von Homosozialität zu einer Verwischung der rigiden Hetero- und Homosexualitätsgrenzen. Die solcherart vom Staat betriebene ›Verunschärfung‹ von Gender, die sich im buddy manifestierte, musste in der Nachkriegszeit im Interesse der Heteronormativität zurückgedrängt werden, was auch schon in den Filmen KEY LARGO und THE MEN durchexerziert wurde (vgl. Kap. 3.1). Nur in diesem Sinne, nämlich dem Ziel der Marginalisierung des buddies, ist die unvermittelte Hochzeit Ronnies mit der Vermieterin am Filmende zu verstehen.248 Wie bereits beschrieben veranschaulicht die hyperaktive Heterosexualität Owens seine Virilität: Owen ist als Playboy gezeichnet. Auch wenn das Wort playboy im Film selbst nie fällt, sondern stattdessen vom bachelor die Rede ist, erschafft der Film in seiner Darstellung des Junggesellenlebens die beiden Begriffe als Synonyme.249 Der hohe Verschleiß von Sekretärinnen, die eindeutig als sexuelle Objekte gehandelt werden, evoziert Owen als phallisches Ideal. Fünf Jahre, bevor dem Playboy durch die gleichnamige Zeitschrift ein Denkmal gesetzt wurde, erscheint der Playboy in MY DEAR SECRETARY in der Gestalt des sorglosen Junggesellen. Um diese Sorglosigkeit zu unterstreichen, wird Owen auch als Spieler charakterisiert. Genauso verschwenderisch, wie er mit Frauen umgeht, geht er mit Geld um. Die 20,000 Dollar Vorschuss, die er von seinem Verleger für das zu schreibende Buch erhalten hat, sind bereits ausgegeben, als Stephanie in sein Leben tritt. So versucht Owen, sich durch

247 Alan Bérubé (1990): Coming Out under Fire. The History of Gay Men and Women in World War II. New York, S. 186. 248 Gleichzeitig bedeutet diese Hochzeit einen sozialen Aufstieg. Denn der bislang mittellose Ronnie treibt nun gemeinsam mit seiner wohlhabenden Frau die fällige Miete ein. 249 Auch etliche Witze auf Nebenschauplätzen spielen darauf an. Die Sekretärin des Nachbars weigert sich z.B. bei ihm zu arbeiten mit der Begründung »I don’t work in men’s bedrooms«. Worauf dieser entrüstet mit »It’s not a bedroom. It’s a bachelor appartment« reagiert. 283

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Geldspiele oder Pferdewetten zu finanzieren.250 Als nach der Hochzeit die Miete bezahlt werden muss, muss er sich das Geld von Stephanie leihen. Sie kommentiert diese Tatsache mit dem Witz, dass er sie möglicherweise wegen ihres Geldes geheiratet habe. Für Owen ist infolgedessen das Ernährer-Ethos uninteressant, er betrachtet es weder vor noch nach der Eheschließung als seine Aufgabe, ein regelmäßiges Einkommen sicherzustellen. Stattdessen ist er in erster Linie an seinem Vergnügen interessiert. Zu diesem sorgenfreien Leben von der Hand in den Mund passt der Topos des kreativen Künstlers: Owen ist ein Schriftsteller. Und tatsächlich sind auch die Protagonisten in AN AMERICAN IN PARIS und AN AFFAIR TO REMEMBER Künstler.251 Die Berufswahl ist meines Erachtens nicht zufällig. Denn so rücken die Filme das sorgenfreie Unverheiratetendasein in jenen Randbereich der Gesellschaft, der mit Kreativität und Boheme assoziiert wird und sowieso nicht von vielen Menschen bevölkert ist. Auf diese Weise kann das Ideal oder je nach Perspektive der bedrohliche Charakter des Junggesellen-Playboys marginalisiert werden. Im November 1953 erschien die Zeitschrift Playboy zum ersten Mal und wurde binnen kürzester Zeit zu einem extrem erfolgreichen Magazin.252 Sein Erfolg beruhte darauf, dass es der Zeitschrift gelang, Lifestyle und Pornographie in sich zu vereinigen. So präsentierte die Zeitschrift eine Welt des Konsums, der Lebensfreude und der sexuell aktiven Frauen. Gleichwohl sollten die Playboys beruflich erfolgreich sein. Die Zeitschrift Playboy versuchte, weiße junge Männer anzusprechen und sich als viriler zu vermarkten als herkömmliche Männerzeitschriften wie z.B. Esquire, verstand sich aber analog zu Esquire von Anfang an als Zeitschrift für ›Appartement-Männer‹.253 So hieß es in der ersten 250 Vgl. die Figur des Leo in THE MEN (1950), Kap. 3.1.3, die vom Arzt Dr. Brock in dem um die Integration versehrter Kriegsheimkehrer bemühten Film als parasitär charakterisiert wird. 251 Ein weiteres Beispiel für einen Künstler als Playboy ist der Protagonist des Films THE BACHELOR AND THE BOBBY SOXER (1947). Auch er ist Schriftsteller. 252 Bereits 1956 war der Playboy das am meisten verkaufte Männermagazin. 1959 lagen die monatlichen Verkaufszahlen schon bei einer knappen Million. Zur Zeitschrift Playboy vgl. Bill Osgerby (2001): Playboys in Paradise. Masculinity, Youth and Leisurestyle in Modern America. New York/Oxford. Zu Männerzeitschriften und Konsum bis 1950 vgl. Tom Pendergast (2000): Creating the Modern Man. American Magazines and Consumer Culture 1900-1950. Columbia/London. 253 Auch die 1933 gegründete Zeitschrift Esquire war ein Magazin für den weißen Mann der Mittelschicht, das sich auf Konsum und Freizeitleben des modernen Mannes spezialisiert hatte. »The magazine offered an attitude to match, encouraging men to think of themselves as tough noncon284

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Ausgabe: »But we don’t mind telling you in advance – we plan spending most of our time inside. WE like our apartment«. Denn, so hieß es weiter: »We enjoy mixing up cocktails and an hors d’oeuvre or two, putting a little mood music on the phonograph and inviting in a female acquaintance for a quiet discussion on Picasso, Nietzsche, jazz, sex.«254 Barbara Ehrenreich hat den Erfolg der Zeitschrift damit erklärt, dass das Magazin sich ändernde Männlichkeitsvorstellungen antizipierte. Der Junggeselle wurde im Playboy zum Gegensatz des Ernährers stilisiert und hedonistische Bedürfnisse in den Vordergrund gerückt. In diesem Sinne interpretiert sie den Junggesellen-Playboy der Zeitschrift als Rebellen gegen die dominante Fiktion, weil er der Ehe aus dem Weg geht.255 Denn laut Playboy sollte der Junggesellen-Playboy seine sexuellen Bedürfnisse außerhalb der Ehe befriedigen. In diesem Sinne wurde Männern geraten »to enjoy the pleasures the female has to offer without becoming emotionally involved«.256 Trotz dieser Maßgabe war der überwiegende Teil der Playboy Leser der 50er Jahre verheiratet.257 Das heißt, der Zeitschrift gelang es, jugendliche, virile Energie mit geistiger und emotionaler Unabhängigkeit zu verknüpfen und ihre Leserschaft damit von einem unbekümmerten Hedonismus träumen zu lassen. Denn die von der Zeitschrift gebildete Figur des Playboys war weit mehr als nur ein Verführer. Obwohl das Magazin im Dezember 1953 noch ein offensichtlich sehr sexualitätsorientiertes Blatt war, veränderte sie bis 1956 die Darstellung von Sexualität. Pornographie spielte zwar immer noch eine Rolle in der Zeitschrift, aber sie wurden wesentlich subtiler präsentiert als 1953.258 In einer Ausgabe von 1956 wurde die Frage »What is a playboy?« wie folgt beantwortet: »Is he simply a wastrel, ane’er-do-well, a fashionable bum? Far from it. He can be a sharp minded young business executive, a worker in the arts, a university professor, an architect or an engineer. He can be many things, provided he possesses a certain kind of view. He must see life not as a vale of tears, but

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formists, iconoclasts, sophisticates unspoiled by their knowledge. And the magazine threw into the mix a fascination with sexuality never before seen in a respectable publication.« Pendergast: Creating the Modern Man, S. 206. Ehrenreich: The Hearts of Men, S. 44. Ebd., S. 42-51. Um den Junggesellen trotzdem der Homosexualität unverdächtig erscheinen zu lassen, waren Nacktfotos von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil der Zeitschrift. Zit. nach ebd., S. 47. Bill Osgerby (2003): »Playboy Magazine«, in: Carroll: American Masculinities, S. 361-362. Vgl. dazu Martin Ryan (1957): »Portrait of Playboy«, in: Studies in Public Communication (1), S. 11-21. 285

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as a happy time, he must take joy in his work, without regarding it as the end to all living, he must be an alert man, a man of taste, a man sensitive to pleasure, a man who – without acquiring the stigma of the voluptuary or dilettante – can live to the hilt. This is the sort of man we mean when we use the word playboy.«259

Der Playboy ist demnach eine kulturelle Figur, die gekennzeichnet ist durch sexuelle Offenheit, Urbanität und Kultiviertheit. Gemäß dem herrschenden kulturellen Diskurs, nach dem Ehe mit Reife und Verantwortungsbewusstsein assoziiert wurde (vgl. Kap. 3.3), signifizierte die Lebensweise eines Junggesellen Unreife und Verantwortungslosigkeit und war somit eine Abweichung von den bestehenden Mittelschichtwerten. So schrieben die Psychologen Lundberg und Farnham 1947, dass, »Bachelors of more than thirty, unless physically deficient, ... be encouraged to undergo psychotherapy [und dass sie, die Verf.] be subjected to differential tax rates so that they at least might enjoy no economic advantage over married men and fahters.«260 Folgt man dieser Linie, musste das auf Vergnügen ausgerichtete Junggesellenleben entweder geheilt oder bestraft werden, da es als defizitär galt. Owen Waterbury in MY DEAR SECRETARY vereinigt nur Teile der hier beschriebenen Merkmale des Playboys in sich. Er folgt seinen hedonistischen Bedürfnissen, sucht Sex außerhalb der Ehe und lehnt das Ideal des Familienmannes ab. Das Zuhause des Protagonisten und damit der zentrale Raum des Films ist sein Junggesellenapartment. Gleichwohl fehlt der kultivierte Aspekt. Auch wenn Owen Schriftsteller ist, wird er nicht als Schöngeist dargestellt. Stattdessen betont die Inszenierung an seiner Figur das unreife und regredierte Verhalten. In diesem Sinne beschreibt Stephanie Owen am Ende des Films als »egotistical, attractive, with childish frustrations and complexes. He didn’t need a wife, he needed a psychiatrist«. MY DEAR SECRETARY macht deutlich, dass das Konzept des Playboys, das hier synonym mit der Bezeichnung bachelor gebraucht wird, als Chiffre für die in der Gesellschaft existierenden Sorgen bezüglich intelligibler Männlichkeit und ihrer Sexualität existierte, bevor die Zeitschrift Playboy diese Modell massenwirksam machte.261 259 Zit. nach Osgerby: Playboys in Paradise, S. 127. 260 Zit. ebd., S. 67. 261 Pendergast und Osgerby zeigen auf, dass Zeitschriften wie Esquire und Stag Party das Konzept des Playboys prägten. Bedingt durch den Zweiten Weltkrieg fand sich auf dem US-amerikanischen Zeitschriftenmarkt eine Reihe von Pin-Up Magazinen. Allerdings war es keinem dieser Magazine so gut wie dem Playboy gelungen, kulturelle Trends mit Pornographie zu verknüpfen. 286

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Als Gegenpol zum Junggesellen Spaß-Diskurs verkörpert Stephanie die bürgerliche Mittelschicht, zumindest hinsichtlich der Vorstellungen von Sexualität. Denn für Stephanie ist die Ehe etwas Heiliges, und Sex ist nur in ihr denkbar. Als sie Owen auf seine Vermutung, sie heirate einen anderen Mann, mitteilt, dass sie gar nicht heiraten werde, antwortet er ihr in Verkennung der Tatsachen: »Now I respect you«. Nachdem sie ihm jedoch klar gemacht hat, dass für sie Ehe, Liebe und Sexualität zusammengehören, erklärt er ihr seine Liebe und die beiden heiraten kurz darauf. Folglich ist die Frau hier das domestizierende, zivilisierende Element, während der Mann der zu zähmende ist. MY DEAR SECRETARY greift in diesem Punkt den 50er Jahre Komödien vor, in denen Sex nur in der Ehe möglich ist.262 Freilich geschieht dies noch nicht in der Ernsthaftigkeit und Konsequenz jener Jahre, denn bereits kurz nach der Hochzeit versucht Owen sein Playboyleben fortzusetzen. Das heißt, die Entscheidung entweder in der Ehe mit seiner Frau zu schlafen oder außerhalb der Ehe als Junggeselle mit vielen Frauen scheint für Owen in dieser Form nicht zu existieren. Promiskuität mutet hier als ein natürlicher Bestandteil von Männlichkeit an, wohingegen das weibliche Begehren kaum vorkommt. Dennoch möchte ich im Folgenden argumentieren, dass Stephanie keineswegs der Spielball männlicher Gelüste ist. Von Anfang an versucht sie, sein Begehren und damit auf narrativer Ebene den Plot zu kontrollieren, indem sie sich gegen seine Annäherungsversuche wehrt. Dass sie darin erfolgreich ist, gipfelt letztlich in der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Hochzeit. Ihre Reaktion auf das kurz darauf wieder einsetzende Playboyverhalten ist eine Umkehrung des geschlechtsspezifischen Verhaltens. So versucht sie bereits beim ersten Vorstellungsgespräch für Sekretärinnen die Funktion Ronnies zu übernehmen, kann sich jedoch gegen die beiden Männer nicht durchsetzen. Daraufhin sucht sie selbst eine Anstellung als Sekretärin bei einem benachbarten Schriftsteller, was wiederum Owen die Möglichkeit ihrer Untreue vor Augen führt. Seine krankhafte Eifersucht lässt ihn daraufhin die Beziehung beenden, da sie ihn nie geliebt habe. Interessanterweise findet die Trennung vor einem Spiegel statt und macht damit die Möglichkeit des Verkennens deutlich. Die Umkehrung der Gender-Verhältnisse wird jedoch weniger durch diesen Moment der angeblichen weiblichen Promiskuität demonstriert, als vielmehr durch den beruflichen Erfolg Stephanies. Demzufolge wird die Welt hier nicht durch das sexuelle Begehren der

262 Frank Krutnick (1990): »The Faint Aroma of Performing Seals: The Nervous Romance and the Comedy of the Sexes,« in: Velvet Light Trap (26), S. 51-71. 287

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Frau auf den Kopf gestellt, sondern durch die Kreativität und Produktivität der Frau. Obwohl Stephanie zunächst aus Rücksicht auf ihren unproduktiven Noch-Ehemann, dessen Manuskript abgelehnt worden war, darauf verzichtet hatte, ihr Manuskript zu veröffentlichen,263 publiziert sie nach der endgültigen Trennung ihren Roman und wird dafür gefeiert. Bildlich wird die Geschlechterinversion durch eine Fotographie Stephanies prägnant in Szene gesetzt, auf der die Männer ihr Gesicht mit einem Bart bemalt haben. Außerdem bezieht Stephanie das Appartement über Owen und tanzt ihm damit buchstäblich auf dem Kopf herum. Damit nicht genug: Sie beschäftigt auch noch einen männlichen Sekretär. Schlussendlich stellt Owen jedoch seine Liebe zu ihr fest und kehrt zu ihr zurück. Er erkennt ihre schriftstellerische Qualitäten an und bietet sich mit den Worten »You’re better than I am. But don’t tell anybody because I’ll deny« an, als Sekretär für sie zu arbeiten. Diese freiwillige Unterordnung ermöglicht es ihm, die eigene Schriftstellerei sowie die damit verknüpften Komplexe, in der Berufswelt nicht gut genug zu sein, zweitrangig werden zu lassen und sich hinter seiner Frau zu verstecken. Gleichzeitig trägt Owen nicht mehr die Verantwortung des Versorgers und verdeutlicht damit sein Desinteresse an den gesellschaftlichen Anforderungen. So endet der Film einerseits mit der Wiederherstellung der Ehe und der Auflösung des buddy Systems und zeigt damit, ähnlich wie die Kriegsheimkehrerfilme KEY LARGO und THE MEN (Kap. 3.1.), ein wie wichtiger Bestandteil intelligibler Geschlechtervorstellungen die heteronormative Ordnung ist. Aber gleichzeitig kann der Film mit der Umkehrung der Welt in beruflicher Hinsicht schließen: Die Frauen des Films sind nicht nur selbstverständlich berufstätig und finanziell autonom, sondern sie sind in diesem Bereich besser als die Männer. MY DEAR SECRETARY unterläuft und überholt in dieser Hinsicht gleichsam die patriarchal formierte Welt, indem das Außen nach Innen gekehrt wird und umgekehrt. Er wählt somit einen Weg, der zwar privat ohne weiteres gangbar anmutet, aber als gesellschaftliches Modell (wieder) indiskutabel zu werden scheint.

263 »If this happens on top of that it would just about destroy him. He has to have a sense of importancy. He’s lost all faith in himself.« Dieser Satz wirkt im Slap Stick-Witz dieser Komödie deplaziert und scheint mir auf den unsicheren Boden zu verweisen, auf dem Männer 1948 standen. 288

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4.4.2 AN AMERICAN IN PARIS (1951) »Brother if you can’t paint in Paris you better give up and marry the boss’ daughter.«264

»The SCREEN has found a bright NEW MOOD. There’s a NEW sort of thrill to be FELT... NEW and EXCITING BEAUTY to be SEEN«.265 Die Kinovorschau wirbt um AN AMERICAN IN PARIS (1951), indem sie auf die Stimmung und Schönheit des Films verweist.266 Damit steht die Werbestrategie in deutlichem Gegensatz zur Werbung für gesellschaftliche Problemfilme oder Melodramen, die in effekthaschender Weise als Erwachsenenfilme verkauft wurden (vgl. Kap. 4.1.1). Während es bei der Öffentlichkeitsarbeit jener Filme darum ging, ihre zumeist psychosexuelle Thematik in den Vordergrund zu rücken und damit das Interesse am Inhalt der Filme zu wecken, appelliert die Werbung von AN AMERICAN IN PARIS an die Sinne. Vor dem Hintergrund von prächtigen Ballettszenen betonen die Schrifttafeln neben der visuellen Schönheit die verzaubernde Musik und die prachtvollen Technicolor Farben. In der zweiten Hälfte der Vorschau wird mit einem Schwenk über Paris, der Nennung der Stars, zahlreichen Tanzeinlagen und dem Versprechen »The Greatest Dance Entertainment ever Projected on the Screen« die Lust auf den Film noch gesteigert. Die Vorschau konzentriert sich demnach auf das Spektakel des Films, auf die Freude an der Musik, am Tanz und Gesang. Zentral ist das Schauspiel und nicht der Plot. Über die Geschichte erfährt man lediglich, dass sie von einem als Künstler in Paris lebenden Amerikaner handelt. Diese Werbestrategie wurde von MGM auch in den Printmedien oder auf Postern fortgeführt. »Paris Glamor! Hollywood Magic! Gershwin Music! TECHNICOLOR Glory!« oder »The Academy Award-Winning Musical. With Some of the Greatest Names in Show Business – Gershwin Melodies – Story and Screen Play by Alan Jay Lerner – the Dancing Magic of Gene Kelly and Leslie Caron!« ist in den Anzeigen beispielsweise zu lesen.267 Interessanterweise betont die Werbekampagne nicht die Freude am Spektakel allein, sondern auch die Tatsache, dass die Faszination am 264 Zitat aus AN AMERICAN IN PARIS. 265 Hervorhebungen im Kino-Trailer. 266 AN AMERICAN IN PARIS wurde von Arthur Freed für MGM 1950/51 produziert. Regie führte Vincente Minnelli. Das Drehbuch stammte aus der Feder von Alan Jay Lerner und die Musik war von George Gershwin komponiert worden. Die Uraufführung dieser Suite hatte 1928 in New York stattgefunden. MGM sicherte sich die Rechte an der Musik 1949. 267 Zahlreiche Werbevorschläge finden sich im Presseheft des Films. An American in Paris Production File, AMPAS. 289

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Film durch die geballte Kraft der Unterhaltungsindustrie hervorgerufen wurde. Das gelieferte Fest für die Sinne wurde denn auch im Großteil der Rezensionen mit Begeisterung beschrieben. »The music alone is worth the price of admission, but when there is so much piled on top of it, the only result is entertainment-plus« urteilte z.B. der Hollywood Reporter.268 Für eine geschlechterhistorische Betrachtungsweise ist diese Werbung insofern interessant, als das sie die Künstlichkeit des Mediums Film nicht verschleiert und damit darauf hindeutet, dass auch Gender ein performativer Effekt ist. Bevor AN AMERICAN IN PARIS genauer hinsichtlich Gender betrachtet wird, müssen noch einige Grundzüge des Genres vorgestellt werden. Das Gros der klassischen Hollywood Filme erzählt seine Geschichte in linearer Form – als Ausnahme der in der Nachkriegszeit beliebten Genres kann der Film Noir gelten. Neben dem Film Noir steht auch das Musical im Gegensatz zu der dominanten linearen Erzählweise, die auf kausalen Verknüpfungen der einzelnen Szenen und der psychologischen Motivation der Protagonist/innen beruht. Rick Altmann hat in seiner Untersuchung des Genres herausgearbeitet, dass die Erzählstrategie im Musical sich grundsätzlich von der linearen Erzählform unterscheidet.269 Er plädiert dafür, die Szenen nicht in ihrer chronologischen Abfolge zu betrachten, denn eine solche Betrachtungsweise fördere in der Regel lediglich den Plot einer Liebesgeschichte zu Tage, sondern die narrativen Einheiten als Parallelstruktur wahrzunehmen. Die Struktur des Musicals stellt sich nämlich dann anders dar, wenn man den Schwerpunkt der Betrachtung auf die beiden Pole männlich und weiblich legt. Nach Altmann beruht die Struktur des Musicals auf den Gegensätzen und Gemeinsamkeiten von Mann und Frau, die in den einzelnen Szenen aufgebaut werden und deren jeweilige Handlungen Aktivitäten von der Gegenseite hervorrufen. Ausgehend von dieser dualen Struktur entwickelt sich ein dynamisches Prinzip, das die Handlung vorantreibt. Die

268 »An American in Paris«, in: Hollywood Reporter, 28.8.1951. Auch der Rezensent in Cue wollte seine Begeisterung nicht verbergen: »I can’t recall among the hundreds of Hollywood musicals I’ve seen any that I enjoyed as much as »An American in Paris.« It seems to have everything: a wonderful core by George Gershwin, (...) an exciting blend of solo, duet and ensemble dancing sparked by inspired choreography – and all climaxed by a breathlessly beautiful, seventeen-minute, ten-scene ballet drama [...] To match the technical perfection of the production, which includes a Technicolor tour of Paris in spring, the picture has a cast that could not, conceivably, be bettered.« »An American in Paris«, in: Cue 10.6.1951. Beide im An American in Paris Production File, AMPAS. 269 Rick Altmann (1989): The American Film Musical. Bloomington/Indianapolis, IN (Orig. 1987). Vgl. dazu insbesondere die Kapitel II und III. 290

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»dual focus structure of the American film musical«270 beschränkt sich nicht nur auf den Gegensatz weiblich – männlich und auf die ihnen jeweils zugedachten Attribute, sondern auch auf andere Dichotomien, wie z.B. arm – reich. Ziel des Musicals ist es, die Gegensätze zum Ende des Films hin in Einklang zu bringen. Auch die Tanz- und Gesangseinlagen der Protagonist/innen betonen die Zweitrangigkeit der Erzählung. Männer wie Frauen unterbrechen die Handlung, um eine Einlage zu geben und sich zur Schau zu stellen. Damit wird der männliche Körper zum Ort des Betrachtetwerdens. Mehr noch, die Showeinlagen sind für das Genre unabdingbar, nur durch sie kann der Darsteller zum Star werden. Im Lichte der psychoanalytischen Filmtheorie ist dies bemerkenswert und gleichzeitig problematisch, da es, wie in Kapitel 2.3 beschrieben, die Frau ist, die mit AngeblicktWerden assoziiert wird, während der Mann den Blick innehat.271 Eine Umkehr dieser Positionen stellt im Rahmen dieses Systems immer eine Feminisierung dar.272 Diese Besonderheiten des Genres machen eine Analyse von Männlichkeit in AN AMERICAN IN PARIS sehr interessant, da das Genre sich einerseits in seiner Erzählstrategie von anderen Genres unterscheidet und andererseits die Zuordnungen männlich – weiblich aufgebrochen zu sein scheinen. Im Mittelpunkt der nachfolgenden Filmanalyse steht die Frage nach der Stabilität von Genderkonzepten. Gene Kelly spielt in der Rolle des Jerry Mulligan einen mittellosen Künstler, der als Ex-GI nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris geblieben ist, um dort Malerei zu studieren. Der Film beginnt mit einem OffKommentar Kellys, in welchem er sich und seine Pariser Welt vorstellt, während die Kamera über Paris schwenkt. Die Kamera, die schließlich an einem Haus hängen bleibt und irrtümlich in ein Fenster schaut, in dem sich ein Paar küsst, wird sodann von ihm ein Stockwerk höher dirigiert, um in seinem eigenen Zimmer anzukommen. Nachdem man ihn beim Aufstehen beobachtet hat, was er in quasi tänzerischer Weise vollführt, schließt die Szene damit, dass er ein Selbstporträt von sich ausradiert. 270 Ebd., S. 21. 271 Mulvey hatte das Musical als Paradebeispiel des »to-be-looked-at-ness« ausgewählt. »Woman displayed as sexual object is the leit-motif of erotic spectacle: from pin-ups to strip-tease, from Ziegfeld to Busby Berkeley, she holds the look, plays to and signifies male desire.« Mulvey: »Visual Pleasure«, S. 11. 272 Vgl. dazu Neale: »Masculinity as Spectacle«, der dies folgendermaßen beschreibt. »Such instances of ›feminisation‹ tend also to occur in the musical, the only genre in which the male body has been unashamedly put on display in mainstream cinema in any consistent way.« S. 15. 291

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Diese Eingangszene enthält in komprimierter Form die wichtigen Aspekte des Films. Das Publikum erfährt, dass er sich mit der Malerei einen lang gehegten Traum erfüllt – »Brother if you can’t paint in Paris you better give up and marry the boss’ daughter« – aber wahrscheinlich unbegabt ist. Kunst ist demnach die große Liebe Jerry Mulligans. Eine schlechte Alternative zu dem hier romantisierten freien, künstlerischen Leben ist demnach die Ehe, die er nur als Versorgungsgemeinschaft denken kann. Bemerkenswert ist der Ort der Selbstverwirklichung: Sie ist nur in Paris, im französischen Ausland, also außerhalb der eigenen Gesellschaft und der von ihr vorgeschriebenen Normen möglich. Das Ausradieren des eigenen Bildnisses verweist auf die Identitätsproblematik des Protagonisten. Sie wird in spielerischer Form auch durch die visuelle Inszenierung angedeutet: Die Kamera landet zunächst im falschen Raum bei einem Liebespaar und zeigt damit die Seite des Lebens, die dem Protagonisten fehlt. Dieser spielerische Umgang mit Identität kann in Hinblick auf die Lacansche Spiegel-Theorie als Moment des Erkennens (me connaître) und Verkennens (méconnaître) verstanden werden, nach der die identitäre Einheit immer fern ist. Die Einführung der beiden männlichen Co-Stars folgt demselben Muster, beide erörtern die Kameraführung. Adam Cook von Oscar Levant gespielt, kommentiert das Bild eines lachenden Mannes mit »No that can’t be me. He’s too happy«, während anstelle Henri Baurels (Georges Guetary) ein jüngerer Mann in den Spiegel schaut, was von Henri damit kommentiert wird, dass er so jung doch nicht sei. Die sich direkt anschließende Einführung der Protagonistin Lise Bouvier (Leslie Caron) unterscheidet sich von der ihrer männlichen Kollegen in einem zentralen Punkt: Der Objektivierung. Lise verkennt und kommentiert sich nicht selbst, sondern wird von ihrem Freund Henri beschrieben. Die Szene beginnt damit, dass Henri und Adam über Lise sprechen, wobei sich beide in einem Spiegel spiegeln. Dann fährt die Kamera an den Spiegel heran und quasi durch ihn hindurch und in dem Rahmen erscheint Lise. Jede von Henris Charakterisierungen, die von seinem Freund Adam kommentiert werden, stellt sie tänzerisch dar. Die durch männliche Projektionen erschaffene Lise ist mithin das Ergebnis männlicher Wünsche. Als romantisches und sexuelles Objekt des Begehrens tanzt sie in dieser Szene im Wortsinne nach der Pfeife der Männer, d.h. die Thematik des Erkennens und Verkennens wird zwar fortgeführt, aber die Frau wird dabei zur Passivität verdammt. Gleichwohl wird Lise in dieser Szene als Komplement zu Jerry aufgebaut. Jerry ist ein durchschnittlich begabter Künstler, dem die Kunst über alles geht und der das Leben eines mittellosen Bohemiens führt, der

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dabei noch tanzen kann.273 Lise ist eine Angestellte in einer Parfümerie, die ihrer täglichen Arbeit nachgeht und dessen ungeachtet tanzen kann. Als Projektionsfläche männlicher Wünsche ist sie passiv. Der Film verknüpft die Thematik der identitären Einheit eng mit der Frage nach intelligiblen Gender Vorstellungen. Dies lässt sich gut an der Antagonistin von Lise, Milo (Nina Foch) und ihrer Beziehung zu Jerry darstellen. Das Gegenstück zur Französin Lise ist die reiche Amerikanerin Milo Roberts. Milo will Jerry protegieren und zu einem bekannten Pariser Künstler machen – gleichzeitig begehrt sie ihn und will ihn zum Liebhaber.274 Ihr Versuch, Jerry für sich zu gewinnen, bedroht jedoch Jerrys Männlichkeit: Nachdem sie ihn zu einer Party in ihr Hotel eingeladen hat, bei der er aber, wie sich herausstellt, der einzige Gast ist, will er das Hotel empört verlassen, mit dem Hinweis, dass es Männer gäbe, die sich für so etwas bezahlen ließen. Ihre Aussage, dass sie ihn lediglich künstlerisch protegieren und ihn nicht seiner »precious male initiative« berauben wolle, überzeugt ihn schließlich.275 Die Tatsache, dass sie älter ist als er, unterstreicht für das 50er Jahre Publikum die Unmöglichkeit ihres Wunsches, Jerry zu erobern. Durch ihr Alter, ihren Reichtum und ihre Initiative als kastrierende Frau gezeichnet, kehrt sie die Geschlechterverhältnisse komplett um. So kommentiert Adam die Tatsache, dass Jerry von einer Frau ausgehalten wird, mit der ironischen Frage, ob er nach der Hochzeit seinen Mädchennamen behalte. Dass Milos Verhalten nicht intellegibel ist, wird ihr bei der ersten Verabredung mit Jerry vor Augen geführt und bestraft. Einerseits rät Jerry ihr, wieder zu heiraten, da eine Ehe die Persönlichkeit zusammenhalte, zumindest wenn jemand nicht arbeite – womit deutlich auf Frauen verwiesen wird.276 Zum anderen entdeckt er Lise, mit der er ungestüm flirtet, ob273 Da Gene Kelly 1951 bereits ein anerkannter Star war, wusste das Publikum natürlich um seine tänzerischen Fähigkeiten, auch wenn er sie in den Anfangssequenzen des Films noch nicht unter Beweis gestellt hatte. 274 Bereits der Name Milo verweist auf ihre Funktion als schöne Verführende, da er die Assoziation der Aphroditestatue Venus von Milo hervorruft. Bei ihrer ersten Begegnung mit Jerry spricht Milo diese Assoziation selbst an. 275 Allerdings strafen die Blicke, die Milo ihm zuvor zugeworfen hat, diese Aussage Lügen. 276 Auch wenn die Zahl der erwerbstätigen Frauen bis Mitte der 50er-Jahre wieder auf den Level der Zeit des Zweiten Weltkriegs gestiegen war, waren doch erheblich mehr Männer berufstätig als Frauen. Daraus lässt sich schließen, dass hiermit Frauen gemeint sind, die zur Ehe angeregt werden. Zur Erwerbsarbeit vgl. Susan M. Hartmann (1994): »Women’s Employment and the Domestic Ideal in the Early Cold War Years«, in: Joanne Meyerowitz (Hg.): Not June Cleaver. Women and Gender in Postwar America, 1945-1960. Philadelphia, PA. 293

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wohl diese erstens kein Interesse an ihm zeigt und zweitens Milo anwesend ist. Außerdem erschleicht er sich – analog zu Milo – unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Lises Telefonnummer. Im Gegensatz zur Bestrafung, die Milo für ihre Initiative erfährt, werden Jerrys Anstrengungen schlussendlich von Erfolg gekrönt sein. Seine von Draufgängertum, jungenhaftem Charme, Zuversicht und Hartnäckigkeit gekennzeichneten Versuche stellen seine »precious male initiative« wieder her und bewahren ihn davor, verweiblicht zu scheinen.277 »Our love is here to stay«, das später gemeinsam getanzte Duett stellt den Wendepunkt in der Beziehung von Jerry und Lise dar. Allein am Ufer der Seine besingt Jerry Lise mit »Our love is here to stay« und fordert sie zum Tanzen auf. Nachdem sie sich zunächst darauf eingelassen hatte und in seine Arme sank, versucht sie wegzulaufen, was aber von Jerry verhindert wird. Er zieht sie zurück, ›platziert‹ und umkreist sie am Ufer, worauf sie sich wieder in den Tanz einfügt, ihr Widerstand gebrochen ist und beide eine Art Balztanz vollführen, an dessen Ende auch sie in ihn verliebt zu sein scheint. Wenngleich die Szene am Ufer der Seine spielt, ist außer den beiden niemand dort, wodurch das Flussufer zu einem sehr privaten Ort wird. Gleichzeitig ist die sich hier auf tänzerische Weise offenbarende Liebe weiterhin durch Täuschungen gekennzeichnet, mehr noch, das Verkennen scheint eine Grundbedingung ihrer Liebe zu sein. Denn Lise gibt nichts von sich preis – auch nicht, dass sie mit Henri verlobt ist. Somit wird das Flussufer zu dem einzigen Ort, an dem ihre Liebe Bestand haben kann und verweist gleichzeitig auf die Illusion der beiden Liebenden. In dem Moment, in dem Jerry später an genau diesem Ort seine Liebe in Worte fasst, zerplatzt die Selbsttäuschung. Denn Lise muss nun Jerry die Verlobung mit Henri eingestehen und Jerry beschließt, seine wirtschaftliche Abhängigkeit von Milo in eine Liebesbeziehung umzuwandeln. Durch diesen Moment des Erkennens ist die Handlung wieder offen und es ist die Aufgabe des Schlussballetts, die Geschichte zu einem Abschluss und Happy End zu bringen. Die Deutlichkeit, mit der sich AN AMERICAN IN PARIS anhand der ›Eroberungsgeschichten‹ Milo-Jerry, Jerry-Lise zugunsten einer aktiven und aggressiven Männlichkeit ausspricht und genau diese Seiten Frauen abspricht, zeigt auf die Virulenz, die die Frage nach intelligiblen Genderkonzepten Anfang der 50er Jahre hatte. Insofern verwundert es

277 In diesem Sinne auch Kirsten Hatch (2005): »Movies and the New Faces of Masculinity«, in: Murray Pomerance: American Cinema of the 1950s. Themes and Variations. Oxford, S. 43-64. 294

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nicht, dass sich Kommentare und Witze über die Instabilität von Gender durch den gesamten Film ziehen. So wird gleich zu Beginn des Films betont, dass Jerry ein ehemaliger Soldat ist, wodurch seine Männlichkeit außer Frage gestellt zu sein scheint. Als Jerry seinem Freund Adam später mitteilt, dass er Probleme mit Frauen habe, beruhigt dieser ihn, »that proves you’re a man«, was einmal mehr darauf verweist, dass diese Tatsache in Zweifel gezogen werden könnte. Außerdem spielt die Bemerkung natürlich auf den psychologischen Diskurs an, nach dem abweichende Männlichkeit mit Homosexualität gleichgesetzt wird (vgl. Kap. 4.2 und 4.3). In einem ähnlichen Licht erscheint dieser Satz, wenn man den außerfilmischen Tänzer-Sissy Diskurs berücksichtigt. Insbesondere in den 40er Jahren wurde in der Presse die Frage gestellt, ob Kellys Tanzen nicht seine offensichtlich virile Physis unterminiere.278 Dieser Überlegung liegt die Gleichung zugrunde, dass Tanzen eine weibliche Tätigkeit ist, weswegen Männer, die tanzen, effeminiert sind, was in dieser Logik gleichbedeutend mit homosexuell ist. Kurz nachdem Adam Jerry bezüglich seiner Geschlechtsidentität getröstet hat, verweist er auf die Kehrseite der Medaille, »I told you this sponsoring business was complicated. See what happens today: Women act like men and want to be treated like women«. Und als Adam seinen Freund Henri begrüßt, sagt er, »Don’t kiss me. You’ll spoil my make-up.« In ähnlich spielerischer Weise verweisen die Tanz- und Gesangseinlagen auf die Instabilität von Gender. In »Why Strauss« wechselt Jerry zwischen Mann- und Frausein hin und her, indem er sich mit Hilfe einer Tischdecke in eine Frau verkleidet. Die Leichtigkeit, mit der in dieser Einlage mit den Grenzen von Geschlecht gespielt wird, wird jedoch am Ende der Szene aufgebrochen, als sich sowohl Jerry als auch Henri eine der zuschauenden alten Frauen als Tanzpartnerinnen wählen. Die Tanz- und Gesangseinlagen sind jedoch – wie anfänglich angedeutet – darüber hinausgehend bedeutsam, da sie als das zentrale Element des Musicals die Narration unterbrechen und die Aufmerksamkeit auf den Auftritt und Körper des Stars lenken. In AN AMERICAN IN PARIS ist Gene Kelly der Star und die Übermacht seiner Bühnenpräsenz ist offensichtlich.279 Dies zeigt sich auch an der Zahl seiner Auftritte: 278 Steven Cohan (2004): »Dancing with Balls in the 1940s: Sissies, Sailors and the Camp Masculinity of Gene Kelly«, in: Phil Powrie/Ann Davies/Bruce Babington (Hg.): The Trouble with Men. S. 18-33. 279 Der Hollywood Reporter beschrieb das wie folgt: »At times, ›An American in Paris‹ seems simply a Kelly tour de force.« Vgl. Anm. 268. Andere Besprechungen äußerten sich ebenfalls von Kelly begeistert. Im New 295

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Von den neun Einlagen ist er an sechsen beteiligt. Ein weiterer Auftritt gehört Henri, bzw. Adam. Lise ist in drei Darbietungen zu sehen. Wie Cohan anhand von Fred-Astaire-Musicals herausgearbeitet hat, geschieht bei der Zurschaustellung des Mannes im Musical mehr als lediglich eine Objektivierung für den erotischen Blick. Stattdessen werde Männlichkeit selbstbewusst »out of the showbusiness values of spectatorship and spectacle« konstruiert und damit die theatralisierte Repräsentation von Männlichkeit und Weiblichkeit betont.280 Sue Rickard hat die Überlegungen von Cohan fortgeführt und dargelegt, wie die Tanzszenen in den Astaire – Rogers Filmen dazu angetan sind, Astaires Männlichkeit zu sexualisieren, indem sie durch die Augen von Ginger Rogers gesehen werden.281 Die Tanzszenen in AN AMERICAN IN PARIS sind im Gegensatz zu den Astaire-Rogers-Filmen allerdings weniger darauf angelegt, Gene Kelly durch die Augen einer Frau zu sexualisieren, da wie erwähnt, die meisten Tanzszenen sogar ohne Frauen stattfinden – nur das Duett und das Abschlussballett tanzt er mit Lise.282 Stattdessen tanzt er z.B. in »I got Rhythm« vor Kindern und in »Tra-la-la« vor Adam und in »S’Wonderful« mit Henri. Seine Auftritte betonen demnach einen anderen Aspekt der Person Kellys und der von ihm verkörperten Figur Jerry: Es geht nicht um sexuelle Verführung, als viel mehr um Unabhängigkeit, um Clownerie und Athletik.283 Kellys muskulöser Körper, der Un-

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Yorker heißt es: »In the center spot during most of the film is Gene Kelly, who has never been nimbler or more ingratiatin.« »The Current Cinema«, in: New Yorker, 6.10.1951. Und Dorothy Manners schreibt im Los Angeles Examiner: »The work of Kelly in the title role is superb. Not only does he dance his heart out – but he has considerably more sex appeal than he has ever previously displayed on the screen.« »An American in Paris Superb«, in: Los Angeles Examiner, 10.11.1951. Alle im An American in Paris Production File, AMPAS. Steven Cohan (2002): »›Feminizing‹ the Song-and-Dance Man. Fred Astaire and the spectacle of masculinity in the Hollywood Musical«, in: Ders. (Hg.): Hollywood Musicals. S. 87-101, S. 88. (Orig. 1993) Sue Rickard (1996): »Movies in Disguise: Negotiating Censorship and Patriarchy through the dances of Fred Astaire and Ginger Rogers,« in: Robert Lawson-Peebles (Hg.): Approaches to the American Musical. University of Exeter Press, S. 72-88. Auch sonst hatte Kelly in seinen Musicals im Gegensatz zu Astaire keine feste Tanzpartnerin. Ein anderes Beispiel für diese Art der Zurschaustellung von Männerkörpern aus den frühen 50er Jahren bietet das Männerballett aus Howard Hawks GENTLEMEN PREFER BLONDS (1953). In dieser Szene inszeniert Hawks die filmische Olympiamannschaft der USA als fast nackten männlichen Blickfang. Die Männer formieren sich in ihrer getanzten Trainingseinheit, ähnlich der Busby Berkeley Ballette, in immer neuen

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bekümmertheit signifiziert, wird durch die legere Kleidung, weite helle Hosen, ein Sweatshirt und eine Baseballkappe noch betont. Insofern wird er in den Szenen, in denen er mit Kindern oder anderen Männern tanzt, als Ausbund von Vitalität in Aktion inszeniert. In dem Duett mit Lise hingegen betont bereits die Kleidung, ein enges Hemd und eine engere Hose, seinen Körper als Objekt des Begehrens, auch wenn er es ist, der in diesem Tanz führt. Diese Strategie wird in dem Schlussballett fortgesetzt, in dem er schließlich in einem hautengen Kostüm auftritt (Abb.12). Allerdings stehen auch in diesen Szenen der muskulöse, phallisch inszenierte Körper und die Athletik Kellys im Vordergrund. Michael Wood hat Kelly als die Verkörperung des amerikanischen Versprechens, als ›Geisteszustand‹ und ›unermüdlichen Amerikaner‹ bezeichnet und als lebendes Beispiel dafür, dass fachliche Kompetenz und Training die Schlüsselfaktoren zum Erfolg seien.284 Dem ist sicherlich zuzustimmen. Hinsichtlich von Gender ist jedoch neben der Zuversicht ein weiterer Aspekt sehr wichtig, seine Jungenhaftigkeit und Verspieltheit (Abb.13/14). Auf der tänzerischen Ebene wird sie in »I got Rhythm« sehr deutlich, als er für die französischen Kinder Begriffe pantomimisch darstellt. Ebenso in »Tra-la-la«, als er trunken vor Liebe in Adams Appartement auf dem Flügel tanzt, bzw. mit Adams Hut rumkaspert. Die Tanznummern dienen also dazu, freudvolle Energie freizusetzen. Aber auch außerhalb dessen wird Jerry als ewig junger, strahlender Mann gezeichnet, wenn er etwa laut pfeifend die Straße entlang läuft. Diese fröhliche Jungenhaftigkeit kann auch als Unreife, oder ›Noch-nicht-Erwachsensein‹ gelesen werden und ist unter diesem Aspekt hinsichtlich des Junggesellen Playboys interessant. Wie bereits aufgezeigt, wurde verantwortungsvolle, reife Männlichkeit mit Ehe, Versorgertum und Vaterschaft assoziiert. Für Jerry hingegen ist diese Männlichkeit vollkommen nebensächlich, da er sein Glück in der Kunst wähnt und weder finanzielle Sicherheit noch Konformität anstrebt. Erst die finanzielle Unterstützung Milos bringt ihn dazu, konsequent auf eine Ausstellung hin zu arbeiten. Und erst die Liebe zu Lise bringt ihn dazu, sich binden zu wollen. Im Lichte des Reife-Diskurses der 50er Jahre betrachtet, wird Jerry zum Ende des Formen. Dorothy (Jane Russell), die durch die trainierenden/tanzenden Männerkörper hindurch schreitet und sich dabei »sweet love« wünscht und die Männerkörper begehrlich betrachtet, wird von den Männern nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Stattdessen sind sie mit ihrer ›körper-bildenden‹ Arbeit beschäftigt. 284 Michael Wood (1975): America in the Movies. New York, S. 150. Ähnlich auch: Bruce Babington/Peter William Evans (1985): Blue Skies and Silver Linnings. Aspects of the Hollywood Musical. Manchester, insbesondere Kap. 8. 297

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Abbildung 12: AN AMERICAN IN PARIS (1951)

Filmes hin demnach durch die Hilfe zweier Frauen auf die Fährte gesetzt, erwachsen zu werden. Die anfangs gestellte Frage nach der Stabilität von Gender beantwortet der Film zum Schluss, der das Paar vereint, mit der Wiederherstellung einer heteronormativen Männlichkeit. Allerdings spielt er, wie gezeigt, ständig auf die Unbeständigkeit dieses Konzeptes an, nicht zuletzt dadurch, dass Jerry am Schluss des Films weder beschließt, einen bürgerlichen Beruf zu ergreifen, mit dem er seinen Lebensunterhalt verdienen kann, noch zum Traualtar schreitet. Überzeugender als die Narration wirkt meines Erachtens jedoch der athletische 298

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Körper und Tanzstil Gene Kellys dieser Instabilität entgegen. Sein Mitarbeiter Stanley Donen schilderte Kelly in diesem Sinne. »He had a cockiness in himself, and a ruthlessness in a way he went about things that to someone as young and green as myself, was astonishing. […] He was the only song and dance man to come out of that period who had balls. [...] it was the athlete in him that gave him his uniqueness.«285

Anfang der 50er Jahre hatte sich demnach mit Gene Kelly ein Musical Star durchgesetzt, der aufgrund seines Körpers so wahrgenommen werden konnte, dass er nicht als Tänzer automatisch als effeminiert galt. Löst man sich von dem Reife-Diskurs und stellt stattdessen jedoch die Jungenhaftigkeit, die Lebensfreude und nicht zuletzt die Tatsache, dass der Körper Jerrys zum Ort des Spektakels wird, in den Mittelpunkt der Filmbetrachtung, bietet AN AMERICAN IN PARIS eine freudvolle, energiegeladene Alternative zu jenen Filmmännern, die sich an der Aufgabe abarbeiten, der domestizierten Norm zu entsprechen.286

285 Zit. nach Babington/Evans: Blue Skies, S. 166. 286 Der Schluss führt das Paar Jerry und Lise zwar zusammen. Nach einem langen Ballett, in welchem Jerry Lise sucht, kehrt sie zu ihm zurück. Allerdings findet die Zusammenkunft auf einem Maskenball statt, auf dem beide in Clownskostümen gekleidet sind. Das rückt das Happy End in den Bereich des Phantastischen. 299

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Abbildung 13 und 14: AN AMERICAN IN PARIS (1951)

4.4.3 AN AFFAIR TO REMEMBER (1957) Welche Möglichkeiten eröffneten sich dem bachelor-playboy nun Ende der 50er Jahre? Dieser Frage soll anhand des Liebesfilms AN AFFAIR TO REMEMBER (1957), der laut Motion Picture Herald and Motion Picture Daily zu den zehn finanziell erfolgreichsten Filmen der 50er Jahre gehörte, nachgegangen werden.287 Auffällig an AN AFFAIR TO REMEMBER ist, dass er zweigeteilt ist. Die erste Hälfte ist eine Komödie, in der das Spiel der Geschlechter, das Flirten und Verlieben im Mittelpunkt steht. Die zweite Hälfte ist ein Melodrama. Sie ist gekennzeichnet durch einen Schicksalsschlag und die daran fast zerbrechende Liebe. Diese Zweiteilung ist für die Filmanalyse bedeutsam, denn sie scheint folgende Lesart vorzuschlagen, nach der nur das leichte Playboyleben als Komödie erzählt werden kann, nicht aber die ernsthafte Liebe. Folglich orientiert sich die Analyse an der Frage, worauf der Witz des Filmes zielt, aber auch, welche Stoßrichtung der melodramatische Teil hat. In AN AFFAIR TO REMEMBER treffen sich Nicky Ferrante (Cary Grant) und Terry McKay (Deborah Kerr) auf einem Luxusdampfer und verlieben sich ineinander. Da beide bereits verlobt sind, beschließen sie am Ende der Reise, sich nach sechs Monaten auf dem Empire State

287 AN AFFAIR TO REMEMBER wurde 1957 von Jerry Wald und Leo McCarey für 20th Century Fox produziert. Regie führte Leo McCarey. Der Film ist in Cinemascope gedreht. 300

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Building zu treffen, falls sich ihre Gefühle füreinander nicht verändert hätten. Doch ein Unfall verhindert dieses Wiedersehen. Erst nach einem weiteren halben Jahr finden die beiden wieder zueinander. Interessanterweise spielt die erste Filmhälfte auf einem Kreuzfahrtschiff an der französischen Mittelmeerküste, bzw. auf der Überfahrt in die USA. Damit sind, ähnlich wie in AN AMERICAN IN PARIS, die Momente der Selbstverwirklichung und des Glücks ins europäische Ausland und in den Raum des Dazwischen verlagert. Das Finden des eigenen Glücks und die Überschreitung gesellschaftlicher Regeln scheinen dort, außerhalb normativer Zwänge, einfacher zu sein. Das Motiv des Auslandes, zumeist Europa, verknüpft mit dem Wachsen der eigenen Persönlichkeit und/oder dem Übertreten gesellschaftlicher Regeln in Form einer Affäre, findet sich auch in anderen Komödien jener Zeit. So z.B. in GENTLEMEN PREFER BLONDES (1953), in dem die beiden Showgirls Lorelei (Marilyn Monroe) und Dorothy (Jane Russell) ebenfalls auf einem Luxusdampfer Richtung Europa die Aufmerksamkeit zahlreicher Männer auf sich ziehen. Loreleis erklärtes Ziel ist es, möglichst einen Millionär zu heiraten. In SABRINA (1954) hingegen verwandelt sich die Protagonistin gleichen Namens (Audrey Hepburn) in Paris von einem unscheinbaren unglücklichen Mädchen in eine attraktive selbstbewusste junge Frau. Um sie kämpfen nach ihrer Rückkehr in die USA die beiden reichen Brüder Larrabee (Humphrey Bogart und William Holden), die sie zuvor wegen des Klassenunterschiedes nicht wahrgenommen hatten. Zum Schluss reist der ›Sieger‹ wieder mit ihr nach Paris. In INDISCREET (1958) wiederum geben sich der angeblich verheiratete Diplomat Philip Adams (Cary Grant) und die Schauspielerin Anna Kalman (Ingrid Bergman) einer vermeintlich außerehelichen Affäre in London hin. Als ein letztes Beispiel sei THAT TOUCH OF MINK (1962) genannt, in welchem der erfolgreiche Geschäftsmann Philip Shayne (Cary Grant) mehrfach versucht, die einfache Angestellte Cathy Timberlake (Doris Day) auf den Bermudas zu verführen. Dieser gelingt es jedoch, seine Versuche abzuwehren und ihre Jungfräulichkeit in die Ehe zu retten – mit dem Ergebnis, dass er in der Hochzeitsnacht aus Angst vor sexuellem Versagen krank wird. Die Regelmäßigkeit des Motivs Ausland deutet auf einen utopischen Ort hin, welcher außerhalb der eigenen Gesellschaft liegt. Gleichzeitig mag der häufige Einsatz des Motivs auch marktstrategische Gründe gehabt haben. Denn die Filmindustrie konnte mit den zumeist in Farbe und einem Breitwandverfahren gedrehten, glamourös im Ausland oder auf Kreuzfahrtschiffen spielenden Filmen ihre bildliche Überlegenheit gegenüber dem Fernsehen aufzeigen. Damit reagierte sie auf den sich in den 50er Jahren ändernden kinematographischen Kontext. 301

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Doch nun zur Frage, worüber sich AN AFFAIR TO REMEMBER amüsiert? Im Mittelpunkt des Films steht von Anfang an Nicky Ferrante und seine immense Bedeutung für Männer und Frauen gleichermaßen. Denn der Film beginnt mit einer Sequenz von Nachrichtensendungen, in denen die für Junggesellen gute Nachricht mitgeteilt wird, dass der attraktive »big dame hunter« Nicky Ferrante die Multimillionärin Lois (Neva Patterson) heiraten wird und damit vom Markt der Möglichkeiten verschwindet. Dass dem nicht so ist, beweisen die nächsten Szenen. Nicky erhält auf dem Luxusdampfer den wütenden Anruf seiner italienischen Geliebten, mit der er gerade drei unvergessliche Nächte verbracht hat. Sodann trifft er Terry, der er unverblümt eine Affäre vorschlägt. Nicky wird in diesen Anfangssequenzen demnach als Playboy und als Person von öffentlichem Interesse eingeführt. Als er z.B. eingangs auf dem Schiff ausgerufen wird, erregt er die Aufmerksamkeit aller, wird um Autogramme gebeten und erhält Einladungen zum Bridgespielen, die er aber elegant mit der doppelbödigen Bemerkung »I cheat. It’s an addiction« ausschlägt. Nicky wird jedoch nicht nur durch den Plot als attraktiver und begehrenswerter Mann eingeführt, sondern auch durch die audiovisuelle Inszenierung. Indem andauernd über ihn gesprochen wird und sich die Menschen nach ihm umdrehen, wird er in einer verkehrten BlickObjekt-Konstellation inszeniert. Dementsprechend erinnert seine Vorstellung eher an die Inszenierung eines weiblichen Stars und folglich ist es nicht überraschend, dass die Kamera ihn von Anfang an mit halbnahen und nahen Einstellungen bedenkt. Die Aufmerksamkeit, die die Leinwandperson Grant hier, wie auch in seinen anderen 50er-Jahre Filmen genießt, liegt in seinem Aussehen und damit verbunden in seiner Rollenbiographie begründet. Meist spielte er den Gentleman, der doch nie zum Casanova werden musste. Er war die »strahlende Verkörperung eines Ideals entspannter Männlichkeit«.288 Denn Grant pflegte, wenngleich 1957 schon 53jährig, sehr erfolgreich das Image des ewig braun gebrannten, jugendlichen, heterosexuellen, charmanten, hübschen, eleganten Amerikaners.289 Des Weiteren ist Nicky im Begriff durch seine Heirat sozial aufzusteigen. Auch damit kehrt der Film ein beliebtes 50er Jahre Komödienmuster um, nämlich das der attraktiven Frau, die einen reichen Mann zum Heiraten sucht. Am bekanntesten sind in diesem Zusammenhang sicherlich die Komödien mit Marilyn Monroe wie GENTLEMEN PREFER BLONDES und HOW TO MARRY A MILLIONAIRE (1953). 288 Daniel Kothenschulte (2004): »Über den Dächern der Schönheit«, in: Frankfurter Rundschau, 16.1.2004, S. 17. 289 Zum Star Cary Grant vgl. Steven Cohan (1992): »Cary Grant in the Fifties: Indiscretion of the Bachelor’s Masquerade«, in: Screen 33 (4), S. 394-412. 302

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Der Filmwissenschaftler Christopher Beach hat darauf aufmerksam gemacht, dass es den Komödien der 50er Jahre im Unterschied zu denen der 30er Jahre nicht mehr daran gelegen ist, in realistischer Form Klassenunterschiede aufzugreifen, bzw. neue Visionen zu entwickeln. Stattdessen wird der Klassenbegriff mit all seinen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Implikationen durch Geld ersetzt. Das heißt statt eines Klassenbewusstseins manifestiert sich der Glauben an eine nivellierte Mittelstandsgesellschaft in der Individualisierung des Status, bzw. in einer gewissen Statuspanik. Diese Panik, also die Angst den Status der Mittelschicht entweder nicht zu erreichen oder nicht halten zu können, wurde nach Beach darüber gelöst, dass sich die Frauen auf die Suche nach einem reichen Ehemann begaben, um so ihr scheinbar individuelles Problem zu lösen. Diese Lösungsstrategie brachte jedoch eine Verschärfung der Geschlechtergrenzen mit sich. Frauen, insbesondere blonde Frauen, oftmals von Marylin Monroe oder Jayne Mansfield gespielt, wurden so zu Sexobjekten, die den Männern außer ihren Körpern wenig zu bieten hatten. Damit heftete sich der Klassenstatus mehr und mehr an den extrem fetischisierten Frauenkörper und die Beziehungen zwischen den Klassen verschoben sich in die Rubrik Geschlechterbeziehungen.290 AN AFFAIR TO REMEMBER dreht dieses Plot-Muster um, da es, wie bereits erwähnt, der begehrenswert gezeichnete Nicky ist, der durch die Hochzeit zu den oberen Zehntausend aufsteigen wird. Zwar steht auch Terry durch die Eheschließung mit dem erfolgreichen Geschäftsmann Kenneth (Richard Denning) ein sozialer Sprung bevor. Dieser wird jedoch nicht so groß wie Nickys. Kenneth hatte sie aus ihrem Beruf als Nachtclub-Sängerin herausgeholt, ihr eine hauswirtschaftliche Ausbildung ermöglicht und ein Penthouse an der Park Avenue in New York in Aussicht gestellt. Während also Nicky durch die Heirat vor einem gesellschaftlichen Quantensprung steht, bewegt sich Terry im Rahmen der oberen Mittelschicht auf eine Zukunft als Ehefrau und Hausfrau zu. Kurzum AN AFFAIR TO REMEMBER macht sich in milder satirischer Form über das Dasein eines Playboys und die Statuspanik der 50er Jahre lustig. Gleichzeitig lädt der Film aber dazu ein, von der Welt der Reichen zu träumen.291 Die Liebe zwischen Nicky und Terry zerstört diese sozialen Aufstiegsphantasien. Am Ende der Reise bittet Nicky Terry, seine Frau zu werden. Zuvor möchte er jedoch ein halbes Jahr versuchen, ob er in der Lage dazu ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen; dies war bislang 290 Christopher Beach (2002): Class, Language, and American Film Comedy. Cambridge/New York, insb. Kap. 5. 291 In diesem Sinne formuliert Nicky seine Lebensmaxime: »Life should be gay and light and bubbly like champagne.« 303

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noch nie nötig. Der Film stellt somit die Männlichkeit Nicky Ferrantes nicht in sexueller Hinsicht in Frage. Ganz im Gegenteil ist die Antriebsfeder – wie in MY DEAR SECRETARY – sein Begehren, das er zielsicher auf jede attraktive Frau richtet, bis er Terry und damit die Liebe seines Lebens kennen lernt. AN AFFAIR TO REMEMBER zieht dafür etwas anderes in Zweifel, was in MY DEAR SECRETARY noch denkbar war, nämlich die Frage, ob Nicky in der Lage ist, eine Frau zu ernähren? Während es in jenem Film noch vorstellbar war, eine Frau zu heiraten, ohne ihren Lebensunterhalt sichern zu können, gestaltet sich das neun Jahre später in AN AFFAIR TO REMEMBER als problematisch. Das liegt nicht zuletzt an den veränderten Vorstellungen von Ehe, denn Mitte/Ende der 50er Jahre gehörten dazu Kinderreichtum (vgl. Kap. 3.3). Ganz diesem Paradigma entsprechend antwortet Terry auf den Heiratsantrag: »Marriage is a very serious step for a girl like me. […] Do you like children?« Die Liebe zu Terry verändert Nicky grundlegend. Er beschließt, sein Playboyleben aufzugeben, verzichtet darauf, sich aushalten zu lassen und damit auch auf Luxus und versucht stattdessen als Künstler Geld zu verdienen. Da sich das jedoch schwierig gestaltet, nimmt er im Unterschied zu den Protagonisten der vorherigen Filme auch andere Jobs an. Die Wandlung Nickys zum ernsthaften Künstler symbolisiert demnach auch die Hinwendung zu Werten der Erwachsenenwelt und damit zu der Einsicht, dass der Broterwerb ein wichtiger Bestandteil dieser Welt ist.292 Da der Film jedoch starke melodramatische Elemente hat, kann das Happy End mit der Domestizierung des Junggesellen nicht so einfach herbeigeführt werden. So kommt es nach den sechs Monaten nicht zu dem verabredeten Treffen auf dem Empire State Building, denn Terry verunglückt auf dem Weg dorthin und ist seither gelähmt. Allerdings benachrichtigt sie ihn nicht, da er sie finanziell sowieso nicht unterstützen könnte und sie ihn nicht unter Druck setzen wolle. Stattdessen nimmt sie eine Stelle als Musiklehrerin an. Erst nach ihrer Genesung wolle sie ihn kontaktieren.293 Das masochistische Verhalten Terrys wird durch einen ähnlichen Masochismus von Nicky gespiegelt, denn auch er 292 In diesem Moment, in dem sich Nicky den gesellschaftlichen Regeln anpasst, verschiebt sich auch die Wahrnehmung seiner eigenen Männlichkeit. Denn nun hat er Angst, von der Öffentlichkeit verurteilt zu werden, wie er Terry in der Schlussszene mitteilt: »There’s something the matter with him. He doesn’t like women.« Terry: »Why would people say that?« Nicky: »Why? Because he sails the seven seas and to every woman he meets he says, where would you be in six months?« Terry: »Everywhere. […] And where is he all the time?« Nicky: »Waiting!«. 293 Der Film lässt vollkommen offen, ob eine Genesung möglich ist oder nicht. 304

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unternimmt zunächst nichts, um Terry aufzusuchen. Erst eine Verkettung unglaubwürdiger Ereignisse führt die beiden wieder zusammen und bringt die Wahrheit ans Licht. So endet der Film mit Terrys Hoffnung, dass, wenn er nun malen könne, sie auch bald wieder laufen könne. Damit gleitet der Film gänzlich ins Märchenhafte ab. Der Unfall und das selbstzerstörerische Verhalten der beiden betonen die romantische und konservative Sicht des Films auf die Liebe. Liebe wird hier als Schicksal und Leiden begriffen und damit als essentielle Gegebenheit, die unabhängig von jeglichen gesellschaftlichen Normen existiert.294 Betrachtet man das Filmende noch einmal genauer unter einem geschlechterhistorischen Aspekt, ist es offensichtlich, dass es die Frau ist, die hier bestraft wird. Zwar hatte die Großmutter von Nicky (Cathleen Nesbitt) die Sorge geäußert, dass das Leben ihrem Enkel irgendwann die Quittung für seine Eskapaden präsentieren werde. Aber es fällt schwer sich vorzustellen, dass Terry verunglücken muss, um Nicky zu bestrafen. Stattdessen scheint sie für ihr eigenes transgressives Verhalten bestraft worden zu sein. Denn sie hatte die Ehe mit einem verantwortungsbewussten und gut verdienenden Mann aufgegeben für eine ungewisse Zukunft an der Seite eines ehemaligen Playboys und gegenwärtigen Künstlers. Diese Grenzüberschreitung fasst der Film in folgende Metapher: Zum Empire State Building rennend, hatte Terry in Vorfreude auf Nicky nur nach oben geschaut, weil sie mit ihm dort dem Himmel am nächsten sei. In der Ebene Manhattans hatte sie, weil sie zu hoch hinaus wollte, die Bodenhaftung verloren und musste deswegen verunglücken. Nicky hingegen hat den umgekehrten Weg beschritten. Er hat sich vom Playboy zu einem verantwortungsbewussten Mann gewandelt und entgeht deswegen einer Bestrafung.

4.4.4 Fazit MY DEAR SECRETARY, AN AMERICAN IN PARIS und AN AFFAIR TO REMEMBER lassen die Situation des Junggesellen Playboys in einem jeweils unterschiedlichen Licht erscheinen. Spannend sind die Konstanten und Verschiebungen, die diese Figur zwischen den späten 40er und 50er Jahren erfahren hat. So ist es bemerkenswert, dass der Protagonist aller drei Filme ein Künstler ist, wodurch er in einem gesellschaftlichen Randbezirk angesiedelt wird. Genauso endet jeder der drei Filme mit der heteronormativen Paarbildung und demzufolge mit dem voraussichtlichen Ende des Playboylebens. Und doch sind die Schwer-

294 Bruce Babington/Peter William Evans (1989): Affairs to Remember. The Hollywood Comedy of the Sexes. Manchester, S. 181. 305

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punkte unterschiedlich gesetzt, sowohl hinsichtlich der Beziehung zu Männern wie auch zu Frauen. In MY DEAR SECRETARY von 1948 ist die Auflösung der homosozialen Bindung ein wesentliches Anliegen des Films, so dass die Nähe zur Demobilisierung noch spürbar ist. Diese Thematik spielt in den beiden 50er-Jahre-Filmen keine Rolle mehr. Betrachtet man die Beziehungen von den Junggesellen und Playboys zu den Frauen, lassen sich ebenfalls interessante Unterschiede zwischen den Filmen festmachen. Während Stephanie in MY DEAR SECRETARY im wahrsten Sinne des Wortes the woman on top ist und Owen ihre Qualitäten anerkennt und sich unterordnet, gestaltet sich die Lage in den beiden anderen Filmen grundsätzlich anders. Die Geschlechterbeziehungen können bereits in AN AMERICAN IN PARIS als repatriarchalisierend beschrieben werden. Dies manifestiert sich einerseits in der Art und Weise wie Lise in den Film eingeführt wird, und andererseits in der Figur der Milo, deren aktives Verlangen mit Nicht-Erfüllung bestraft wird. Im Gegensatz dazu sind die Aktivitäten Jerrys erfolgreich und bestätigen die Idee der männlichen Initiative. In AN AFFAIR TO REMEMBER wird das Paradigma, die grenzüberschreitende Frau zu maßregeln, schließlich ins Extrem getrieben: Terry wird dafür bestraft, dass sie eine sichere Ehe gegen eine unsichere Ehe eintauscht. Während also das komödiantische Ende von MY DEAR SECRETARY die Autonomie Stephanies belohnt, straft das melodramatische Ende von AN AFFAIR TO REMEMBER die Autonomie und Lebensfreude der Frau ab. Auch der Playboy Owen in MY DEAR SECRETARY hat größere Freiheiten als sein Pendant Nicky neun Jahre später. Er kann die Ansprüche des Ehemanns als Versorger ignorieren und sich hinter seine Frau zurückziehen. Nicky hingegen muss sich dem Ideal der Mittelschicht beugen. Er kann erst dann heiraten, wenn er in der Lage ist, eine Frau zu ernähren. Diese Freiheiten werden auch über die Wahl des Ortes erzählt: 1948 sind sie noch auf amerikanischem Boden möglich, 1957 wird der spielerische Teil der Affäre ins europäische Ausland, bzw. auf See verlagert. MY DEAR SECRETARY und AN AFFAIR TO REMEMBER markieren also das Spannungsfeld, auf dem sich die Leinwand-Playboys zwischen 1948 und 1957 bewegen konnten. AN AMERICAN IN PARIS aus den frühen 50er Jahren steht nicht nur zeitlich zwischen den beiden Filmen. Denn einerseits rückt er die Geschlechterbeziehungen wieder in alte patriarchale Bahnen, andererseits verkehrt er jedoch die Blick-Konstellation und bietet mit der Figur des unbekümmerten, jungenhaften Mannes eine Alternative zum Ideal der Mittelschicht. Die Mehrdeutigkeit der geschlechterspezifischen Aussage zeigt sich meines Erachtens auch in dem gewählten Genre. Denn das Musical unterbricht, ähnlich wie der Film Noir, die lineare Erzählweise. Nach Cohan ist es kein Zufall, dass das 306

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Musical und der Film Noir etwa gleichzeitig große Beliebtheit erlangten, wobei er das 40er-Jahre-Musical als Gegenstück zum Film Noir begreift, nämlich als Plattform für effeminierte Männer.295 Wie ich gezeigt habe, präsentiert AN AMERICAN IN PARIS Gene Kelly nicht als effeminierten Mann. Gleichwohl beruht die hier inszenierte Männlichkeit auf dem Spektakel. Sie gründet auf der Zur-Schau-Stellung des Körpers in Tanz, der Bewegung und Musik. Durch die Unterbrechung der linearen Erzählweise zeigt sie aber auch auf der formalen Ebene die Inkohärenz von Männlichkeit auf. Nach Krutnick hat sich die Beziehung zwischen den Geschlechtern in den romantischen Komödien der 50er Jahre im Vergleich zu den Screwball Komödien der 30 und 40er Jahre deutlich verändert. Während in den 30er Jahren die gegenseitige Erotik und mögliche Kompatibilität spielerisch ausgetestet wurde, wurde diese verspielte Ebene in den 50er Jahren durch einen offenen ›Kampf‹ zwischen den Geschlechtern ersetzt. Ziel war es, den/die Partner/in soweit zu manipulieren, dass er/sie zu den jeweils eigenen Bedingungen in die Liebesbeziehung einsteigen würde. Der Rahmen dieser Bedingungen war relativ eng gesteckt. Zumeist ging es um die Kernfrage, ob es zu Sex in oder außerhalb der Ehe kommen würde. In dieser Auseinandersetzung fiel dem Mann die Rolle des Aggressors zu, der die Jungfräulichkeit der Frau bedrohte. Die Frau wiederum musste in diesen sich um Sexualität drehenden Komödien den Angriff abwehren und den Mann zur Ehe verführen.296 Das von Krutnick beschriebene Modell trifft meines Erachtens in erster Linie auf die Komödien des auslaufenden Jahrzehnts und der frühen 60er Jahre zu. Dieses Muster findet sich z.B. in dem bereits erwähnten Film THAT TOUCH OF MINK von 1962. Als repräsentativ und prägend muss meines Erachtens der Film PILLOWTALK (1959) mit Rock Hudson und Doris Day angesehen werden, welcher zu Beginn ganz deutlich die Lebensform des bachelor-playboys aufwertet und damit implizit die Institution der Ehe kritisiert. Im Laufe des Films verschiebt sich aber die Richtung des Lachens dahingehend, dass der unreife Mann ausgelacht wird, der aus Angst vor der Ehe nicht heiraten möchte. Insbesondere die Hudson-Day Komödien stehen für diesen Plot. Doch nicht nur der sexuelle Spielraum der Protagonist/innen hatte sich verändert, sondern auch ihre Stellung in der Gesellschaft. In den Komödien der späten 50er und frühen 60er-Jahre sind die Playboys in der Regel beruflich erfolgreiche Männer. So scheint es, als sei die Figur des Playboys zu diesem Zeitpunkt ideell in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 295 Cohan: »›Feminizing‹«, S. 97f. 296 Krutnick: »The Faint Aroma«. 307

5 Z U S AM M E N F AS S U N G

Zu Beginn dieser Untersuchung stand die Frage »What can you do when you have to be a man?« Ich habe in dieser Arbeit anhand von Spielfilmen aus den Jahren 1945 bis 1960 gezeigt, dass eine widersprüchliche Vielzahl von Männlichkeitsentwürfen existierte und dass Männlichkeit immer wieder neu inszeniert und errungen werden musste. Die Reduzierung auf eine Antwort wäre eine Vereinfachung in Anbetracht der doch recht zahlreichen, wenn auch nicht selten verworfenen Identifikationsmodelle. Mit der Verknüpfung von Film und Gender stand ein Erkenntnisinteresse im Mittelpunkt meiner Arbeit, das im deutschen Sprachraum bislang eher in den Filmwissenschaften oder Philologien als in den Geschichtswissenschaften untersucht wurde. Da Gender eine strukturbildende Kategorie für die individuelle und kollektive Identitätsstiftung, sprich in der Gesellschaft und damit auch in der Geschichte, ist, galt es, die Orte zu untersuchen, an welchen Gender hergestellt wird. Die Bedeutung der audiovisuellen Medien im 20. Jahrhundert, und für die 1940er bis 1960er-Jahre ist insbesondere der Kinofilm zu nennen, macht es dringend erforderlich, Spielfilme als Elemente der Alltagskultur zu erforschen. Denn eine Erweiterung des von der Geschichtswissenschaft ernst genommenen Quellenkorpus um das Medium Film führt zu einer Veränderung der Beurteilungshierachie der Quellen und eröffnet neue Forschungsperspektiven. Einer Geschichtswissenschaft, die sich des Mediums Film oder auch des Fernsehens annimmt, darf es mithin nicht nur daran gelegen sein, zu analysieren, wie Geschichte medial produziert und vermittelt wird, sondern sie sollte auch ›NichtHistorienfilme‹ als fest verankerten Bestandteil der Alltagskultur untersuchen. Geht man von der performativen Qualität allen Erzählens aus, 309

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sind Filme aufgrund ihrer Narrativität unverzichtbare Bestandteile der kulturellen Praxis, durch die Geschlecht ›konstruiert‹ wird. Sie inszenieren Gender gemäß bestimmter Modelle und bringen Gender gleichzeitig hervor. Ihre Plurimedialität, oder, um noch einmal in den Worten Kracauers zu sprechen, ihre ›Einschließlichkeit‹, die Körper und Gender gleichsam plastisch erfahrbar machen, lassen Filme insbesondere für gender-orientierte Fragestellungen zu einer sehr ergiebigen Quelle werden. In der vorliegenden Studie habe ich die Bandbreite der ent- und verworfenen Männlichkeitsentwürfe herausgearbeitet. Dies geschah als Antwort auf die in der Forschung immer noch weit verbreitete Vorstellung der Nachkriegszeit als Zeit des Konsenses und damit einer Zeit eines monolithischen Männlichkeitsmodells. Eine Forschungsrichtung wie z.B. von Ronald Oakley vertreten, betrachtet die 50er Jahre mit einem nostalgischen Blick als ›goldene‹ Periode in der US-amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, in der die Welt – insbesondere für den weißen Mann der Mittelschicht – noch in Ordnung war.1 Im Gegensatz zu dieser Geschichtsschreibung positionieren sich Arbeiten wie die von Douglas T. Miller und Marion Nowack, welche mit einem kritischen Blick der 1970er Jahre die dunklen Flecken jenes Jahrzehnts beschreiben.2 Die revisionistische Geschichtsschreibung stellt das Konsens-Paradigma seit den 1970er Jahren also durchaus in Frage. In diesen Forschungskontext hat sich die vorliegende Arbeit eingereiht. Das auf Carl Degler zurückgehende Begriffspaar Affluence and Anxiety, mit dem er die sich ändernden wirtschaftlichen Bedingungen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beschreibt, scheint immer noch Gültigkeit zu besitzen.3 Mit ihm lässt sich das Spannungsfeld abstecken, in dem sich die US-amerikanische Gesellschaft jener Jahre bewegte. Analog dazu kann auch die historiographische Einordnung von Männlichkeiten verstanden werden. Wie gezeigt, sieht die geschlechterhistorische Forschung den bürgerlichen Entwurf des Mannes als Vater und Ernährer als das hegemoniale Modell einer intelligiblen Geschlechtsidentität, das in der Nachkriegszeit wieder auflebt. Als sein Gegenmodell und als Alternative wird zuweilen der Entwurf des Playboys angesehen, ein Modell, das seit den frühen 50er Jahren zumindest als Wunschphantasie existier1

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»For most white, middle-class Americans, and particularly white, middleclass males, the fifties was perhaps the best decade in the history of the republic.« Ronald J. Oakley (1990): God’s Country: America in the Fifties. New York, S. 434. Douglas T. Miller/Marion Nowack (1977): The Fifties: The Way We Really Were. Garden City, N.Y. Carl N. Degler (1968): Affluence and Anxiety. 1945-Present. London.

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te.4 Im Großteil der untersuchten Filme kreist die verhandelte Männlichkeit denn auch um den Fluchtpunkt des bürgerlichen Ideals hegemonialer Männlichkeit, sei es aus affirmativer oder ablehnender Perspektive. So ist es ein Ergebnis der Arbeit, dass die Filme sich zwar mit diesem Männlichkeitstyp auseinandersetzten, aber ihren Spielraum nutzten und dass die meisten entworfenen Modelle dieses Konzept problematisierten. Auch wenn in den meisten Fällen am Filmende bürgerliche, intellegible Geschlechtsidentitäten entstanden sind, weist die Vehemenz, mit der die Narration am Schluss des Films diese Lösung bereitstellt, wie z.B. in THE MEN, in ALL THAT HEAVEN ALLOWS, in CAT ON A HOT TIN ROOF oder in TEA AND SYMPATHY, darauf hin, wie umkämpft dieses Modell Ende der 40er Jahre und in den 50er Jahren war. Eng verknüpft mit dem hegemonialen Modell ist die Rede über die Krise der Männlichkeit, wie sie sowohl von den Zeitgenossen vorgenommen als auch in der Historiographie fortgeführt wurde. Davon ausgehend, dass Männlichkeit noch nie stabil gewesen ist, wurde in dieser Arbeit nicht nur das Spektrum der Männlichkeitsentwürfe dargelegt, sondern auch die Frage mitgedacht, welche Funktion der Krisendiskurs in einer bestimmten Zeit erfüllt und wem er dienlich ist. Inwieweit sind bestimmte Darstellungen von Männern eine Herausforderung an Privilegien oder Besitzstände? Gleichzeitig greift das genreübergreifende Corpus die Verhandlung zeitgenössischer (pseudo)wissenschaftlicher Diskurse auf. Psychologische und soziologische Schriften scheinen in den Filmen exemplifiziert oder widerlegt zu werden. Am Beispiel der Repräsentation von Kriegsheimkehrern in den Jahren zwischen 1946 und 1950 (Kap. 3.1) konnte ich die Verunsicherung zeigen, mit der diese auf der Suche nach ihrem Platz in der USamerikanischen Nachkriegsgesellschaft waren. Andererseits wurde in den Filmanalysen den nicht-phallischen Männerkörpern Beachtung geschenkt. Dabei ist deutlich geworden, wie fremd den Veteranen diese Nachkriegswelt geworden war, ein Phänomen, das auch noch 1956 im MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT Gültigkeit hat. Alle Filme zeigten die Unwilligkeit, das Zögern oder die Unfähigkeit der männlichen Protagonisten, sich wieder in die bürgerliche Gesellschaft einzugliedern. Ihre physischen bzw. psychischen Behinderungen sind eine Metapher für diese Schwierigkeiten. In dem Amnesie Thriller CRACK-UP (1946) wurde die beschädigte Männlichkeit und der damit einhergehende Kontrollverlust über das Motiv des Gedächtnisverlustes erzählt. Amnesie wurde hier zur Chiffre für eine Art ›Auszeit‹, eine ›sortierende Ruhe4

Vgl. dazu Kimmel: Manhood in America, S. 224-258. Osgerby: Playboys in Paradise, Cohan: Masked Men, Ehrenreich: The Hearts of Men. 311

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phase‹, in welcher der Protagonist sein Dasein zwischen seinem Einsatz als Soldat und seinem zivilen Leben mit einem neuen Sinnentwurf versehen muss. Auch in THE MEN (1950) stand ein durch Mangel gezeichneter Körper im Vordergrund. Anhand der Lähmung und Impotenz des Protagonisten wurde dessen ›Kastration‹ sehr deutlich gemacht. Besonders ergiebig war die Untersuchung der Protagonisten in der im jeweiligen Film angelegten Figurenkonstellation, v.a. in ihrer Beziehung zu ihrer Lebensgefährtin bzw. Freundin. Während die Freundin des Protagonisten in CRACK-UP kurz nach Kriegsende noch bereit dazu war, die ›beschädigte Männlichkeit‹ ihres Freundes anzuerkennen und den Protagonisten nicht in Richtung einer phallischen Männlichkeit zu drängen, war dies den Frauen weder in KEY LARGO (1948) noch in THE MEN (1950) länger möglich. Letztgenannte Filme machen klar, dass intellegible Männlichkeit nicht mehr länger nur darin bestehen kann, eine sinngebende Erzählung des eigenen Lebens zu finden. Stattdessen knüpften beide Filme an ein in die Zukunft weisendes, erfülltes Leben, das sich durch die heterosexuelle Paarbildung und die aktive Partizipation am gesellschaftlichen Leben auszeichnet, auch wenn die visuelle Inszenierung des Schlusses von THE MEN die mit dieser Lösung einhergehenden Schwierigkeiten nicht verschwieg. KEY LARGO und THE MEN weisen ein weiteres gemeinsames Motiv auf, das mit der heteronormativen Ordnung in direktem Zusammenhang steht: In beiden Narrativen wird der Heimkehrer aus dem Verbund der soldatischen Gemeinschaft herausgelöst. Das Leben mit der Ehefrau sollte ab nun ihren Ort in der US-amerikanischen Gesellschaft markieren. Bemerkenswert an THE MEN ist, dass er in aller Deutlichkeit zeigt, dass Kriege Männerkörper produzieren, die als abject wahrgenommen werden. Damit laufen sie dem während des Krieges von der Propaganda hergestellten Bild einer virilen Maskulinität entgegen. Insofern kann die Repräsentation der versehrten, (symbolisch) kastrierten Körper auch dahingehend verstanden werden, dass die Veteranen ihre kriegerische Männlichkeit abgelegt haben und einer erfolgreichen Wiedereingliederung nichts im Wege steht. Abschließend soll festgehalten werden, dass in allen drei Filmen ein Unbehagen mit dem bürgerlichen Ideal mitschwingt. Alle Filme verhandeln die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion zur Wiedereingliederung der Veteranen, die mit den Namen Dixon Wecter und Willard Waller verbunden ist und nach der die Integration mit Schwierigkeiten behaftet sei. Darüber hinaus gibt KEY LARGO dem Heimkehrer einen weiteren Platz in der Gesellschaft, indem er an seine Bereitschaft, für die freiheitlichen Werte der USA zu kämpfen, appelliert. Der Film steckt somit die beiden Kräftepole ab, innerhalb derer Männlichkeit auch in den folgenden Jahren oszilliert: selbstbestimmtes Handeln und 312

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bedingungsloser, notfalls auch kämpferischer Einsatz für die Nation auf der einen Seite und familiäre Bindung auf der anderen Seite. Um dieses Spannungsfeld auszuloten, wurden im nachfolgenden Kapitel Die große Freiheit: »The mass of men leads lives of quiet desperation« (Kap. 3.2) ›idealtypische‹ Männlichkeiten vorgestellt. In Anlehnung an das von Riesman in The Lonely Crowd entworfene Modell versteht diese Arbeit darunter einen selbstbestimmten (inner-directed) Typus. So sind die Protagonisten der an diesem Ort besprochenen Filme THE FOUNTAINHEAD (1949), SANDS OF IWO JIMA (1949) und ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955) Männer, die, ihrer inneren Stimme folgend, wissen, was sie tun müssen und sich dabei auch gegen die ihnen feindlich gesonnene Umwelt zur Wehr setzen. Die Tatsache, dass die Filme politisch unterschiedlich verortet werden können, machten sie zu dankbaren Quellen. THE FOUNTAINHEAD verknüpft selbstbestimmte Männlichkeit mit dem Wohl der US-amerikanischen Nation. Die gezeigte Gesellschaft, insbesondere das Streben der Einzelnen nach Erfolg, Macht und Besitz, das nur darauf hinauszulaufen scheint, gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen, wird im Film scharf kritisiert. Der Gruppierung fremdbestimmter Männer stellt THE FOUNTAINHEAD in der Figur des Architekten Roark einen Gegenspieler gegenüber, dessen Lebensinhalt nicht aus der Jagd nach Anerkennung, also letztlich gleichgeschaltetem Verhalten besteht, sondern dessen Handeln intrinsisch motiviert ist. Seine Unabhängigkeit stellt ihn zwar außerhalb der Gesellschaft, aber gleichzeitig erhebt sie ihn zum Vorbild und zur Führungspersönlichkeit. Die Deutlichkeit, mit der sich der Film gegen eine opportunistische Selbstaufgabe des Individuums wendet und diese sowie die Bevölkerung als amorphe Masse mit weiblichen und negativen Attributen konnotiert, verweist auf die Gefahr, die den USA drohen, wenn die ›Feminisierung‹ der Gesellschaft weiter voranschreite. Welche Funktion der Diskurs der Krise der Männlichkeit erfüllt, konnte am Beispiel dieses Filmes und seiner Diskursivierung durch The Lonely Crowd exemplarisch gezeigt werden: Ein anachronistisch gewordenes Männlichkeitsideal wurde heraufbeschworen, dessen Wurzeln im 19. Jahrhundert lagen. Der Film spricht nur demjenigen, der diesem Ideal entspricht, die Fähigkeit zu, ein Bollwerk gegen konformistische Kräfte zu sein. Im Zusammenhang des Filmes sind damit konkret liberale oder auch sozialistische Einflüsse gemeint. Auch SANDS OF IWO JIMA hat in der Person des Sergeanten Stryker auf die Notwendigkeit selbstbestimmter, ›harter‹ Männlichkeit in den Zeiten des Kalten Krieges aufmerksam gemacht. Allerdings predigt er, gemäß dem Genre ›Kriegsfilm‹, wie unentbehrlich Disziplin und Anpassung für eine wehrbereite Männlichkeit sind. Damit löst er das Militär aus den Institutionen 313

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(organizations) heraus, die als Orte der Fremdbestimmung betrachtet wurden, wie z.B. die während der 50er-Jahren zunehmende Zahl der Großraumbüros. Stattdessen signifizieren gerade die trainierten Männerkörper die Stärke der USA. Aber, indem der Film vorführt, wie junge Rekruten zu diesem Ideal hin erzogen werden, verweist er mit aller Deutlichkeit auf die Konstruiertheit von Männlichkeit. Die Gegenüberstellung dieser konservativen Filme vom Ende der 40er Jahre mit einem Film aus dem liberalen Umfeld Mitte der 50er Jahre zeigte bei allen Unterschieden auch eine interessante Übereinstimmung. Analog zu der von Riesman beschriebenen und Roark verkörperten selbstbestimmten Männlichkeit wurzelt auch das Männlichkeitsideal in ALL THAT HEAVEN ALLOWS im 19. Jahrhundert: als Vorbild fungiert das von Henry D. Thoreau in Walden formulierte Ideal, das aufgrund seines Plädoyers für die Rückkehr zur Natur und für individuelle Unabhängigkeit in den 60er-Jahren zu einem wichtigen Text der Gegenkultur werden sollte. Im Kapitel Verantwortung übernehmen: Das bürgerliche Modell – »Mice or men« (Kap. 3.3.) rückte der Wert der Familie und das damit verknüpfte Thema der Vaterschaft – kurzum der Familienmann – ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Protagonisten der Filme THE MARRYING KIND (1952) und THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT (1956) haben zur Selbstvergewisserung ihrer männlichen Qualitäten die Herausforderungen der hegemonialen Männlichkeit angenommen und sich der bürgerlichen ›Ernährer-Ethik‹ unterworfen. Die Dichte, mit der dieser Diskurs der verbürgerlichten Männlichkeit in den 50er Jahren geführt wurde, zeigte sich auch an der Direktheit, mit der seine Belange, insbesondere das Thema der Vaterschaft auch in dem Western THE MAGNIFICENT SEVEN (1960) immer wieder angesprochen wird. THE MAGNIFICENT SEVEN propagiert das Ideal des männlichen Ernährers, in dem er das dazu nötige Verantwortungsbewusstsein und den Mut der Männer betont, die diesen Weg wählen. In seinem Versuch, dieses Konzept zu implementieren, verstrickt sich der Film jedoch in Widersprüche. So suggeriert der Film, dass es schwieriger sei, ein Familienvater zu sein, als ein idealistischer und/oder professioneller Revolverheld, der im Kampf sein Leben aufs Spiel setzt. Allerdings drängt sich genau hier die Frage auf, warum dieses Ideal dennoch bestehen bleibt. Die Antwort, die der Film gibt, ähnelt der in KEY LARGO oder THE MEN gegebenen: Der Gewinn, den Männern aus diesem verbürgerlichten Männlichkeitsmodell ziehen können, liegt darin, einen festen Platz in der Gesellschaft zu haben, oder in den Worten der Cowboys gesprochen, etwas zu haben, wofür es sich zu leben (und zu sterben) lohnt. Anhand einer auf die Männerkörper konzentrierten Filmanalyse des Vi314

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suellen konnte gezeigt werden, dass der Film seine verbal getroffene Aussage auf der visuellen Ebene konterkariert. Ähnlich wie SANDS OF IWO JIMA, der ebenfalls leise für die ›weiche‹ Versorger-Männlichkeit plädiert, erzählt THE MAGNIFICENT SEVEN die Attraktivität von Männlichkeit über die Zur-Schau-Stellung der Körper der Westernhelden. Die Ambivalenz, mit der die getroffene Aussage zugunsten der Ernährer-Männlichkeit demzufolge betrachtet werden muss, wurde in den oben genannten Filmen in aller Deutlichkeit formuliert. Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren ist aber selbst für das Synonym hegemonialer Männlichkeit, den ›Mann im grauen Flanell‹ höchst problematisch und bedarf zahlreicher Kompromisse. Auch die Rezeption der Komödie THE MARRYING KIND führt die Ambivalenz dieser Position hegemonialer Männlichkeit vor Augen. Die komödiantische Aufarbeitung des ›Kampfes‹ mit dem Ideal wurde nicht als komisch, sondern als tragisch wahrgenommen. Dennoch sanktionieren alle Filmenden dieses Ideal. Ähnlich wie die in den beliebten Zeitschriften wie Life oder LOOK erschienenen populärwissenschaftlichen Artikel verhehlen jedoch auch die Filme die damit einhergehenden Probleme nicht. Die heikle Position des weißen amerikanischen Mittelschichtmannes hat im Kino der Nachkriegszeit mehrere Gegenentwürfe produziert. Diese Entwürfe haben gemeinsam, dass sie von der gewünschten Norm abweichen und für Aufruhr in der ›Ordnung der Geschlechter‹ sorgen. Während also einerseits das bürgerliche Ideal fortgeschrieben wurde, zeigt gerade das Ringen damit seine Brüchigkeit. Insbesondere die Filme, die im Süden der USA angesiedelt sind, erzählen die Bedrohung eines eher paternalistischen Männlichkeitsideals durch eine bedrohte Sexualität. In den Familiendramen WRITTEN ON THE WIND (1956) und CAT ON A HOT TIN ROOF (1958) steht der Niedergang bzw. die Rekonstitution patriarchaler Männlichkeit im Vordergrund (Kap. 4.1). Der Untergang der patriarchalen Männlichkeit wird anhand der nicht-phallischen Männlichkeit der Söhne jener sterbenden Patriarchen verhandelt. Die Protagonisten beider Filme sind alkoholabhängig und impotent wie Kyle Hadley in WRITTEN ON THE WIND oder aber verweigern sich sexuell wie Brick Pollitt in CAT ON A HOT TIN ROOF. Zusätzlich zu diesen beiden den Mangel signifizierenden Merkmalen schwingt in CAT ON A HOT TIN ROOF das Motiv der Homosexualität mit, wodurch der Verfall phallischer Männlichkeit ein weiteres Mal heraufbeschworen wird. Somit symbolisieren beide Entmännlichung und personifizieren die viel beschworene Krise USamerikanischer Männlichkeit, als deren eine Ursache die Zeitgenossen die starke Stellung der amerikanischen Frau ausgemacht hatten. Insbesondere WRITTEN ON THE WIND betont die Bedrohung des Patriar315

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chats durch die entfesselte und fordernde Sexualität der Frau, aber zeigt auch deren Eindämmung. Trotzdem ist der Film als Abgesang auf paternalistische und dynastische Männlichkeit zu verstehen. Indem er letztendlich jedoch als einzig gangbare Alternative zu der sterbenden dynastischen Männlichkeit die Mittelschichtsmännlichkeit ins Spiel bringt, zeigt der Film das Ausgreifen mittelständischer Werte auf die gesamte US-Gesellschaft. Im Gegensatz dazu gelingt es in CAT ON A HOT TIN ROOF und in THE LONG HOT SUMMER die patriarchale Männlichkeit zu reinstallieren. Die Analysen der Filme haben darüber hinaus die Vehemenz hervorgehoben, mit der die Filme um das Thema der Zeugungsfähigkeit der Protagonisten kreisten. Diese Thematik eröffnet die Hintertür für die Kategorie Race und zeigt, dass sich die Diskurse von Race und Gender wechselseitig bedingen. So handeln die Filme nicht nur davon, den Fortbestand der Dynastien zu gewährleisten, sondern davon, die whiteness der Familien nicht zu gefährden. Mit anderen Worten, Reproduktion ist in diesen Filmen ein so wichtiges Thema, da sie sowohl die Existenz der weißen Gesellschaft sichern als auch gefährden kann. Vor dem Hintergrund des Bus Boykotts in Montgomery (1955/56) oder dem Versuch, schwarzen Schüler/innen mit Hilfe der Nationalgarde den Zugang zu einer High School in Little Rock zu verwehren (1957), also vor dem Hintergrund der schwarzen Bürgerrechtsbewegung müssen die Filme in einem anderen Licht gelesen werden: Die Entmännlichung des weißen, amerikanischen Mannes bedroht nicht nur seine patriarchale Stellung, sondern sie ist durch einen rassifizierenden Diskurs besetzt, nach dem auch die weiße Gesellschaft bedroht ist. Die Rede über die Männlichkeitskrise ist demnach hier eindeutiger Ausdruck der Ängste des weißen Amerikas. THE INCREDIBLE SHRINKING MAN (1957) stellt die Bedrohung weißer Männlichkeit im atomaren Zeitalter noch pointierter dar und endet mit der physischen Auslöschung des Protagonisten. Anhand einer Analyse der heute als Juvenile Delinquency-Movies bekannten Filme THE WILD ONE (1953) und BLACKBOARD JUNGLE (1955) konnte eine weitere Variante von Männlichkeit gezeigt werden, die die ›häusliche Männlichkeit‹ massiv herausforderte (Kap. 4.2). In BLACKBOARD JUNGLE gelingt es, die Angriffe auf die weiße Mittelschichtsmännlichkeit durch einen zwischen dem weißen und dem schwarzen Protagonisten geschlossenen Pakt abzuwehren, nach dem beide Seiten die weißen Mittelschichtswerte anerkennen. Allerdings hat die Analyse der Rezeption erstens gezeigt, dass diese intendierte Aussage, von den Jugendlichen nicht in diesem Sinne verstanden wurde und zweitens hat sie das vollkommene Fehlen der Kategorie Race in der amerikanischen zeitgenössischen Filmkritik offenbart. Im Fokus des In316

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teresses von THE WILD ONE hingegen stand einerseits eine filmanalytische Betrachtung, die sich auf das Blickregime konzentrierte, andererseits die Diskursivierung der Filme durch die Texte The White Negro von Norman Mailer und Rebel Without a Cause von Robert Lindner. Die Analyse der Blickstruktur von THE WILD ONE deckt den Widerspruch von audiovisueller Inszenierung und Narration auf. Denn obwohl der Protagonist Johnny als Sexsymbol inszeniert wird, beschreibt ihn die Handlung als sexuell ängstlich, so dass am Ende des Films die Besetzung der Begehrensstrukturen, nach denen Weiblichkeit passiv und Männlichkeit aktiv ist, umgekehrt wird. Indem das Blickregime des Films analysiert wurde, konnte der Konstruktionscharakter von Männlichkeit und die Fetischisierung des Männerkörpers deutlich herausgearbeitet werden. Johnnys Gegenentwurf zur Gesellschaft liegt darin, dass er unterwegs ist und sich von seinen Bedürfnissen treiben lässt, kurzum darin, dass er die mit einem häuslichen Leben verbundene Verantwortung ablehnt. Durch die Verknüpfung von THE WILD ONE mit dem Essay von Mailer habe ich dargelegt, dass auch in diesem Männlichkeitsentwurf die Kategorie Race eine Rolle spielt und zwar in verklausulierter Form als ›positiver‹ Gegenentwurf. Der Film nimmt hier in sehr auffälliger Form zeitgenössische Gegenentwürfe für die US-amerikanische männliche Jugend vorweg. Die Diskursivierung des Films hat ihn im Feld der hipster verortet und weist damit auf das virile, rebellische Außenseitertum der Figur hin. Im Lichte einer solchen Betrachtung ist der ›Wilde‹ vielmehr als Beatnik denn als Juvenile Delinquent zu verstehen.5 Des Weiteren konnte dargelegt werden, dass die Auseinandersetzung mit normativer Männlichkeit nicht nur auf der Ebene der kranken Männer, der Hipster oder Kriminellen stattgefunden hatte, sondern auch über den Entwurf der Straight-Queer-Sissy (Kap. 4.3). Am Beispiel des Filmes TEA AND SYMPATHY (1956) habe ich gezeigt, inwieweit eine ›weiche‹ Männlichkeit, die sowohl das homosoziale vermeintlich virile Modell der männlichen Jugend ablehnt als auch die daraus resultierende Mittelschichtsmännlichkeit, immense Verunsicherungen auslöst. Bereits die Entstehungsgeschichte des Films macht deutlich, ein wie bedeutender Ausschnitt der dominanten Fiktion die Kinoleinwand ist. So musste, 5

Auch wenn die Autoren der Beat Generation, namentlich Jack Kerouac und Alan Ginsberg den Essay ›The White Negro‹ aufgrund seiner Verherrlichung psychopathischer Gewalt kritisiert hatten, finden sich in ihren Texten ebenfalls Tendenzen, afroamerikanische Männlichkeit als Projektionsfolie ihrer Freiheitsphantasien zu nutzen und ähneln demzufolge sehr den Motiven in Mailers Essay. Vgl. dazu Corber: Homosexuality in Cold War America, S. 50ff. 317

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auf Drängen der PCA, der im Theaterstück offen formulierte Verdacht der Homosexualität aus dem Drehbuch gestrichen werden und der Ehebruch der Frau mit Sanktionen belegt werden. Beide Abweichungen von der heteronormativen Ordnung schienen eine zu große Gefahr für dieselbe zu sein, um sie auf der Leinwand zeigen zu können. Das in TEA AND SYMPATHY vorgebrachte Plädoyer für eine sensible Männlichkeit wird dennoch an das Motiv der Homosexualität geknüpft. Denn der Hauptperson Tom wird Heterosexualität abgesprochen, da es ihm nicht gelingt, eine intelligible Geschlechtsidentität aufzubauen. Anders ausgedrückt: Tom zitiert die ›falschen‹ Normen. Sowohl die im Film versteckten Anspielungen auf Verleumdung und Rufmord als seine Rezeption erlauben es, eine über die filmimmanente Analyse herausgehende Perspektive auf den Film zu werfen. Da in der Ära des McCarthyism nichtkonformes Verhalten wahlweise mit Homosexualität oder Kommunismus gleichgesetzt wurde, verstärkt die Beschreibung Toms als Sissy seinen Status als das ›Außen‹ der Gesellschaft. In diesem Denken wurde Homosexualität mit ›weicher‹ Politik, mit Gefährdung durch Kommunismus gleichgesetzt, was dem politischen Diskurs der Rechten entspricht, Homosexualität infiziere die Gesellschaft. Abschließend habe ich mich mit jenem Modell befasst, das in der historischen Männerforschung als Gegenentwurf zur Mittelschichtsmännlichkeit angesehen wird: dem Playboy (Kap. 4.4). Er wurde in den psychologischen und soziologischen Diskursen der Nachkriegszeit als Mann beschrieben, der vor der ehelichen Verantwortung und allen damit einhergehenden Anforderungen flieht. Sein Auftritt wird aus einer filmhistoriographischen Perspektive eher auf Mitte, Ende der 50er Jahre datiert. Dass es diesen Typ auch vor dieser Zeit gab, steht außer Frage, auch wenn er in früheren Filmen wie MY DEAR SECRETARY (1948) oder THE BACHELOR AND THE BOBBY SOXER (1947) noch nicht Playboy, sondern Junggeselle genannt wird. Insofern war es mein Erkenntnisinteresse, die Konstanten und Veränderungen in der Figur des Playboys, die ähnlich wie die Sissy bzw. der Homosexuelle als Metapher für die tiefsitzenden Ängste bezüglich männlicher Sexualität verstanden werden kann, herauszuarbeiten. Dass der Playboy letztendlich ein utopischer Entwurf ist, lässt sich daran ablesen, dass im Film der Topos des Künstlers bemüht wurde, um ihn zu charakterisieren. Die Playboys der analysierten Filme haben ebenfalls – wie der Begriff Playboy bereits zum Ausdruck bringt – eine verspielte, unbekümmerte, jungenhafte Art gemeinsam. Sie müssen ihre Männlichkeit nicht durch Arbeit, sondern durch ›Spiel‹ unter Beweis stellen: durch die spielerische Art Frauen zu erobern. Interessanterweise findet, wie gezeigt werden konnte, zum Ende der 50er- und Anfang der 60er-Jahre eine Verschiebung in der Veror318

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tung der Playboys statt. Die Protagonisten von Filmen wie INDESCREET (1958), PILLOW TALK (1959) oder THAT TOUCH OF MINK (1962) sind als Diplomaten oder Unternehmer beruflich sehr erfolgreiche Männer. Dies weist meines Erachtens darauf hin, dass die Figur des Playboys zu diesem Zeitpunkt zumindest ideell in der Mitte der Gesellschaft angekommen war, was sich auch an den hohen Verkaufszahlen der Zeitschrift Playboy am Ende des Jahrzehnts zeigte. Bezeichnend für diese Veränderungen der Figur des Playboys ist ebenfalls, dass seine Wirkungsstätte nicht mehr notwendigerweise ins Ausland verlegt werden muss. Parallel dazu verändert sich allerdings auch die spielerische Komponente. Bereits AN AMERICAN IN PARIS deutet diesen Wandel an, indem er versucht, patriarchale Strukturen wiederherzustellen. Diese Entwicklung verschärft sich in den 50er Jahren und gegen Ende des Jahrzehnts ist das Dasein des Playboys durch den aus der fast klassischen Diskrepanz herrührenden Konflikt zwischen viriler Männlichkeit und jungfräulicher Weiblichkeit, bestimmt. Die Frage nach Männlichkeiten, insbesondere nach ›Männlichkeit in der Krise‹ hat, heute wie damals, Konjunktur, wie sich an einer Vielzahl von Publikationen ablesen lässt.6 Die vorliegende Studie zeigt die Anfälligkeit der normativen Modelle, indem sie auch jene filmischen Akteure untersucht hat, die abweichende, unterschiedliche Geschlechtermodelle auf der Leinwand lebten. Gleichzeitig ist deutlich geworden, dass sich auch die normativen, bürgerlichen Modelle permanent im Prozess befinden und längst nicht so monolithisch waren, wie oft angenommen. Die Performativität von Gender wurde demnach nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr als gegeben angenommen und in der Regel als Bedrohung verstanden. Die Hoffnung auf ›krisenfreie‹ Zeiten ist nichts anderes als die Hoffnung, Gender allem besseren Wissen zum Trotz naturalisieren zu können.

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Als Beispiele seien genannt: Sally Robinson (2000): Marked Men. White Masculinity in Crisis. New York. Leanne Payne (2002): Krise der Männlichkeit. Neukirchen. Ernst Hanisch (2005): Männlichkeiten. Eine andere Geschichte. Köln/Weimar. 319

6 FILMO-

UND

B I B L I O G R AP H I E

Filmographie A STREETCAR NAMED DESIRE, Elia Kazan, 1951 ALL ABOUT EVE , Joseph L. Mankiewicz , 1950 ALL THAT HEAVEN ALLOWS, Douglas Sirk, 1955 ALONG CAME JONES, Stuart Heisler, 1945 AN AFFAIR TO REMEMBER, Leo McCarey, 1957 AN AMERICAN IN PARIS, Vincente Minnelli, 1951 APARTMENT (THE), Billy Wilder, 1960 BACHELOR AND THE BOBBY SOXER (THE), Irving Reis, 1947 BACK TO BATAAN, Edward Dmytryk, 1945 BAD DAY AT BLACK ROCK, John Sturges, 1955 BAD SEED (THE), Mervyn LeRoy, 1956 BATTLE OF SAN PIETRO (THE), John Huston (1945) BATTLEGROUND, William A. Wellman, 1949 BEND OF THE RIVER, Anthony Mann, 1952 BEST YEARS OF OUR LIVES (THE), William Wyler, 1946 BLACKBOARD JUNGLE, Richard Brooks, 1955 BORN ON THE 4th OF JULY, Oliver Stone, 1989 BORN YESTERDAY, George Cukor, 1950 BOYS DON’T CRY, Kimberly Peirce, 1999 BRIGHT VICTORY, Mark Robson, 1951 BROKEBACK MOUNTAIN, Ang Lee, 2005 BROKEN LANCE, Edward Dmytryk, 1954 BUCHANAN RIDES ALONE, Budd Boeticher, 1954 CAINE MUTINY (THE), Edward Dmytryk, 1954 CASABLANCA, Michael Curtiz, 1941 321

MANNSBILDER

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FILMO-/BIBLIOGRAPHIE

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Bildnachweise: Abbildung 1 und 2: THE MEN (1950), Regie: Fred Zinnemann. (Deutsche Kinemathek.) Abbildung 3 und 4: THE FOUNTAINHEAD (1949), Regie: King Vidor. (Deutsche Kinemathek.) Abbildung 5: ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955), Regie: Douglas Sirk. (Deutsche Kinemathek.) Abbildung 6: THE MARRYING KIND (1952), Regie: George Cukor. (Deutsche Kinemathek.) Abbildung 7 und 8: THE MAGNIFICENT SEVEN (1960), Regie: John Sturges. (Deutsche Kinemathek.) Abbildung 9: THE INCREDIBLE SHRINKING MAN (1957), Regie: Jack Arnold. (Deutsche Kinemathek.) Abbildung 10: THE WILD ONE (1953), Regie: Laszlo Benedek. (Deutsche Kinemathek.) Abbildung 11: TEA AND SYMPATHY (1956), Regie: Vincente Minnelli. (Deutsche Kinemathek.) Abbildung 12, 13 und 14: AN AMERICAN IN PARIS (1951), Regie: Vincente Minnelli. (Deutsche Kinemathek.) Nicht in allen Fällen konnten Rechteinhaber ermittelt werden.

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Gender Studies Ines Kappert Der Mann in der Krise oder: Eine konservative Kapitalismuskritik in der Mainstreamkultur Mai 2008, ca. 232 Seiten, kart., ca. 23,80 €, ISBN: 978-3-89942-897-1

Paula-Irene Villa (Hg.) Schön Normal Sozial- und kulturwissenschaftliche Blicke auf somatische Selbsttechnologien Mai 2008, ca. 250 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-889-6

Elke Frietsch, Christina Herkommer (Hg.) Nationalsozialismus und Geschlecht Zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper, »Rasse« und Sexualität im »Dritten Reich« und nach 1945 Mai 2008, ca. 450 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,80 €, ISBN: 978-3-89942-854-4

Marie-Luise Angerer, Christiane König (Hg.) Gender goes Life Die Lebenswissenschaften als Herausforderung für die Gender Studies April 2008, ca. 250 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-832-2

Uta Fenske Mannsbilder Eine geschlechterhistorische Betrachtung von Hollywoodfilmen 1946-1960 März 2008, 346 Seiten, kart., ca. 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-849-0

Sigrid Adorf Operation Video Eine Technik des Nahsehens und ihr spezifisches Subjekt: die Videokünstlerin der 1970er Jahre März 2008, 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., 36,80 €, ISBN: 978-3-89942-797-4

Gabriele Dietze Weiße Frauen in Bewegung Genealogien und Konkurrenzen von Race- und Genderpolitiken

Katrin Oltmann Remake | Premake Hollywoods romantische Komödien und ihre Gender-Diskurse, 1930-1960

April 2008, ca. 450 Seiten, kart., ca. 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-517-8

Februar 2008, 356 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-700-4

Christine Thon Frauenbewegung im Wandel der Generationen Eine Studie über Geschlechterkonstruktionen in biographischen Erzählungen April 2008, ca. 486 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-845-2

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Gender Studies Rita Casale, Barbara Rendtorff (Hg.) Was kommt nach der Genderforschung? Zur Zukunft der feministischen Theoriebildung Februar 2008, 266 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-748-6

Margarete Menz Biographische Wechselwirkungen Genderkonstruktionen und »kulturelle Differenz« in den Lebensentwürfen binationaler Paare Januar 2008, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-767-7

Sylvia Pritsch Rhetorik des Subjekts Zur textuellen Konstruktion des Subjekts in feministischen und anderen postmodernen Diskursen Januar 2008, 514 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN: 978-3-89942-756-1

Ursula Mıhçıyazgan Der Irrtum im Geschlecht Eine Studie zu Subjektpositionen im westlichen und im muslimischen Diskurs Januar 2008, 290 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-815-5

Ute Frietsch, Konstanze Hanitzsch, Jennifer John, Beatrice Michaelis (Hg.) Geschlecht als Tabu Orte, Dynamiken und Funktionen der De/Thematisierung von Geschlecht 2007, 270 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-713-4

Ulrike Brunotte, Rainer Herrn (Hg.) Männlichkeiten und Moderne Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900 2007, 294 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-707-3

Daniel Devoucoux Mode im Film Zur Kulturanthropologie zweier Medien 2007, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-813-1

Anette Dietrich Weiße Weiblichkeiten Konstruktionen von »Rasse« und Geschlecht im deutschen Kolonialismus 2007, 430 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-807-0

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de