Macht der Korruption: Eine philosophische Spurensuche 9783787338078, 9783787338061

Korruption ist ein faszinierendes Thema, das sich für Kriminalgeschichten eignet und den Blick in den furchterregenden A

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Macht der Korruption: Eine philosophische Spurensuche
 9783787338078, 9783787338061

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Macht der Korruption Eine philosophische Spurensuche Heiner Hastedt

Meiner

Heiner Hastedt

Macht der Korruption Eine philosophische Spurensuche

Meiner

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-3806-1 ISBN eBook: 978-3-7873-3807-8

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag Hamburg 2020. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspei­cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, s­ oweit es nicht §§  53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Jens-Sören Mann. Druck und Bindung: Druckhaus Nomos, Sinzheim. Werk­druck­­papier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

Inhalt Einleitung   War Abraham Lincoln korrupt ?



Und was kann ein Philosoph dazu sagen ? . . . . . . . . . . . . .

7

1 Selbstverständigung mit einer Gedankenreise auf die

­Galapagos-Inseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2 Gibt es legitime Korruption ? Von einem russischen

Benzinkönig, braunen Umschlägen in Japan und der süditalienischen Liebe zur Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3 »Missbrauch von Macht zum privaten Nutzen« :

Begutachtung einer Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4 Neue Horizonte : Korrupt sind im Kumpel-Kapitalismus

nicht nur die Anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 5 Weniger gut und vernünftig als unterstellt :

Der Mensch neigt zum Machtmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . 51 6 Frei oder nicht frei : Der „Eichmann in uns“ . . . . . . . . . . . . 58 7 Das Grauzonenproblem und die Kritik der

abstrakten Moralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 8 Kölscher Klüngel, bayerische Verirrungen und die

»Schweiz ­Afrikas« : Über Macht und Ohnmacht des ­Rechtsstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 9 Inwiefern der korrupte Mensch unter den eigenen

sittlichen ­Möglichkeiten bleibt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87   Kein Ort, nirgends – ganz irdisch : Utopien einer 10 Welt ohne Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Einleitung War Abraham Lincoln korrupt ? Und was kann ein Philosoph dazu sagen ?

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orruption ist ein faszinierendes Thema, das sich für Kriminal­ geschichten eignet und zu einem Blick in den furchterregenden Abgrund von Gesellschaften führt. Dieses Buch will gleichwohl nicht zur Gattung des Aufdeckungsjournalismus gerechnet werden, der über die Machenschaften von Mafia und anderer Formen der organisierten Kriminalität zu informieren sucht oder sogar reißerisch und bloß oberflächlich die Enthüllung als Selbstzweck betreibt. Es bietet vielmehr die Gelegenheit zur philosophischen Spurensuche, um auf der Basis von bereits Aufgedecktem so nachzudenken, dass es uns und unser Zusammenleben insgesamt betrifft. Die Philosophie schafft die Möglichkeit, mittels erprobter Denkfiguren wichtige Details unterscheidbar zu machen, ohne das große Ganze aus dem Auge zu verlieren. Sie erhofft sich damit, nicht nur zu sensibilisieren, sondern auch die Mittel der Auseinandersetzung zu verbessern. Nicht wie ein Bericht von einem fremden Planeten soll das Thema dabei entwickelt werden, sondern als eines, das in unserer Mitte relevant ist. Und das Ganze in der vielleicht utopischen Perspektive : Wie lässt sich Korruption überwinden ? Abraham Lincoln hat sich ausgehend vom amerikanischen Bürgerkrieg des 19. Jahrhunderts in unserem kulturellen Gedächtnis den Platz eines Helden des Humanismus erobert, der mutig die rechtliche Abschaffung der Sklaverei auch in den Südstaaten auf den Weg brachte. Es war jedoch Korruption im Spiel, als am 31. Januar 1865 nach dramatischen Auseinandersetzungen der ent­sprechende 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika die Zustimmung der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit des Repräsentantenhauses fand. Die kontroverse Abstimmung stand pragmatisch ganz im Kontext der Frage, wie weiteres Blutvergießen in dem verlustreichen Bürgerkrieg vermieden und die Einheit der Bundesstaaten wiederhergestellt werden kann. Dass der Name Lin7

colns in einem Buch über Korruption auftaucht, hat nichts damit zu tun, ihm vorzuwerfen, in Machenschaften der privaten Bereicherung verwickelt zu sein. Vielmehr haben er und seine Unterstützer mehr oder weniger direkt die rechtliche Abschaffung der Sklaverei in der entscheidenden Parlamentsabstimmung nur durch Stimmenkauf und damit durch korrupte Bestechungspraktiken realisieren können. Korruption im Namen der Moralität also ? Wenn hier ein vorsichtiges Ja im Raum steht, dann ist damit eine erste Warnung ausgesprochen, beim Korruptionsthema nicht zu früh den Ritualen der Verurteilung zu folgen, sondern ganz philosophisch auch mit Irritierendem zu rechnen. Das Bestechungshandeln von Abraham Lincoln wird uns gerade in seinem Ausnahmecharakter, das sich vom Normalfall der korrupten Bereicherung unterscheidet, in diesem Buch immer wieder zur Schärfung des Urteils beschäftigen.1 Obwohl Korruption in der gesellschaftlichen Realität eine bedeutende Rolle spielt, wird sie innerhalb der intellektuellen Auseinandersetzung kaum thematisiert. Die öffentliche Debatte dominiert die Skandalisierung bekannt werdender Einzelfälle und die abstrakte moralische Verurteilung, die – wie sich zeigen wird – genauso zum Problem gehören kann wie zu seiner Lösung. Im Folgenden wird die Perspektive auf den korrupten Menschen verknüpft mit einer Herangehensweise, die das Thema in verschiedenen Kulturen sowie in Vergangenheit und Gegenwart in seiner Unterschiedlichkeit aufsucht. Diese Ausweitung der Untersuchung wird es erleichtern, ebenso Hintergründe der Korruption zu erschließen wie auch bisher übersehene Formen als solche zu erkennen und diese nicht in der Welt des von vornherein Unmoralischen isoliert vom Verstehen für unseren Alltag fernzuhalten. Lässt sich – so eine zentrale Frage des Buches – die oft folgenlose Moralisierung zugunsten eines Umgangs überwinden, der die Allgegenwart der Korruption schon von den Anfängen eines partei­ischen und voreingenommenen Denkens her erschließt, statt sie nur mit einigen gegenwärtigen Erscheinungsformen zu identifizieren ? Entsprechend ist zu diskutieren, ob der Mensch als generell korrupt anzusehen ist oder doch zumindest als korrumpierbar. Diese philosophische Frage führt unter Einbeziehung von humanwissenschaftlichen Studien zu der Untersuchung, wie dann Korruption 8  |  Einleitung 

im Sinne von mangelnder Unabhängigkeit bis hin zur Bestechlichkeit vermieden werden kann. Die Behauptung, dass alle Menschen dauernd korrupt sind, wird sich vielleicht nicht halten lassen. Menschen neigen jedoch zur Korruption und sind im Zweifelsfall nicht davor gefeit, sich von ihrer Macht gefangen nehmen zu lassen und dies wie bei Abraham Lincoln sogar für rechtfertigungsfähig zu halten. Von Korruption zu sprechen, heißt diese zu kritisieren. Wenn wir Menschen ebenso wie deren Gedanken, Einstellungen und Praktiken als ›korrupt‹ bezeichnen, dann lehnen wir das so Bezeichnete ab. Wir können kaum ernsthaft sagen, meine Freundin Laura ist so herrlich korrupt, dafür bewundere ich sie. In der Bewertung gibt es in dieser Hinsicht wenig zu entdecken und auch bei Abraham Lincoln wird man die Zuschreibung des Korrupten trotz der Ambivalenz seines Bestechungshandelns zu vermeiden suchen. Es zeugt daher auch nicht von Wagemut, allemal in Sonntagsreden, sich gegen Bestechlichkeit auszusprechen. Spannend wird es jedoch, wenn wir fragen, ob wir es tatsächlich mit Korruption zu tun haben. Es geht schnell ans Eingemachte, wenn sich zeigt, dass nicht immer nur die Anderen betroffen sind – seien es die von der Mafia Bestochenen oder die in Ländern mit schlecht geführten Regierungen dazu womöglich Verdammten. Ohne sich eingangs zu sehr in Definitionsfragen zu verstricken, soll in Übereinstimmung mit Transparency International, der großen gegen Korruption engagierten Nichtregierungsorganisation und Zivilbewegung, diese verstanden werden als Missbrauch von Macht zum privaten Nutzen.2 In dieser Definition von Korruption taucht der Begriff der Macht auf : Mein Buch zur Korruption beschäftigt sich also mit der Macht des Machtmissbrauches. Später wird noch genauer zu erforschen sein, was Macht, privater Nutzen und deren Missbrauch genau ausmachen und ob diese erste Definition, nach der Lincolns Handeln wegen des fehlenden Nutzens für ihn als Privatperson nicht als korrupt zu bezeichnen ist, vollständig überzeugt. Da Definitionsfragen dem behandelten Gegenstand nicht nur äußerlich sind, werden mit ihrer Beantwortung auch Deutungen transportiert, die selbst wiederum mächtig werden können. So werden Deutungen des Machtmissbrauches thematisiert, die selbst Macht ausüben können und die es schwer genug   Einleitung  |  9

machen, wie der Fall Lincolns zeigt, einen legitimen von einem illegitimen Gebrauch von Macht abzugrenzen. Ob wir etwas unter das Banner der Korruption stellen und so negativ bewerten, ist ebenso ein Akt der Deutungsmacht wie Versuche, sich über das Thema interkulturell auseinanderzusetzen und den Menschen überhaupt anthropologisch in seiner Verderbtheit einzuschätzen. Deutungen sind wie Scheinwerfer : Sie akzentuieren die jeweilige Umgebung, tauchen sie vielleicht geradezu in ein gleißendes Licht und lassen anderes dabei umso mehr im Dunkeln. Beim Thema Korruption führen sie leicht zu Situationen, wie sie Paul Watzlawick als konstruktivistischer Psychologe gerne erzählt : Ein Mann sucht im Licht der Straßenlaterne nach seinem verlorenen Schlüssel, obwohl er weiß, dass er den Schlüssel woanders verloren hat.3 Einmal formuliert neigen Deutungen zur Selbstverifikation, die dem Verstärkereffekt unterliegen – viel gebraucht werden sie immer plausibler. Über kurz oder lang schaffen sie eine Filterblase, in der man nur noch diejenigen Aspekte einer vermeintlich oder tatsächlich korrupten Wirklichkeit wahrnimmt, die zu der schon etablierten Deutung passen. Deutungen haben daher etwas Gefährliches. Zugleich können sie wie das fokussierende Licht aber auch von großer Nützlichkeit sein; denn ohne Akzentuierungen unterschiedslos auf alles und nichts gerichtet sieht man schlechter. Gedanken über Macht und Deutungsmacht kommen oft in einem Diskurs-Sound daher, der von Friedrich Nietzsche geprägt ist : Die Machtorientierung zieht sich durch Nietzsches Werk, auch wenn das vermeintliche Nachlasswerk Wille zur Macht mehr das Produkt einer editorischen Konstruktion ist als Ausdruck einer Autorintention. Zentriert auf die mittlere Werkphase dominiert die Macht als Thema auch die Schriften von Michel Foucault : Macht ist demnach allgegenwärtig und keine Deutung bleibt außerhalb dieser Dimension.4 Im Folgenden besteht im Gegensatz zu dem von Nietzsche ausgehenden Macht-Diskurs ein besonderes Interesse, den Gedanken der Macht in einer Form zu thematisieren, die eine Verurteilung der Korruption nicht ausschließt. Gerade wenn viele unangemessene oder schlicht falsche Deutungen über Korruption in der öffentlichen Debatte mächtig werden, ist die Frage dringlich, wie ihnen gegenüber angemessene ausgezeichnet werden können. So geht es nicht um die Machtfrage als Selbstzweck, sondern um 10  |  Einleitung 

den Versuch, die Macht der Korruption zu verstehen und womöglich durch mächtig werdende Deutungen an ihrer Überwindung mitzuarbeiten.5 Gedanklich folgt das Buch bei seiner Analyse der Macht der Korruption einem Dreischritt, der in der Philosophie mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel assoziiert wird : Nach einer moralischen, geradezu moralistischen Verschärfung und begründeten, relativen Ausweitung der Korruptionsmaßstäbe mit der mitgeführten Frage, ob die so ausgeweitete Korruption, wie schon der Blick auf Lincoln nahelegt, eventuell sogar legitim ist (Kapitel 1 – 4), folgt eine Beschäftigung mit der Faktizität der menschlichen Schwäche, die mit interkulturellen und historischen Belegen zu weiteren mildernden Umständen der Anklage führt (Kapitel 5 und 6). Die anschließende Vermittlung zwischen Moralität und Faktizität orientiert sich an einer Überwindung der Hürden zur Unbestechlichkeit im realen Leben (Kapitel 7 – 10). In diesem dritten Teil leitet ein weiterer Dreischritt auf den Spuren Hegels die Gedankenführung bis zum Utopie-Ausklang des Buches : Im Kapitel 7 wird die Moralität kritisiert, im Kapitel 8 der Rechtsstaatsgedanke stark gemacht und im Kapitel 9 wird der Sittlichkeitsgedanke mit dem von Amartya Sen und Martha Nussbaum konzipierten Fähigkeitenansatz weiterentwickelt, um Moralität und das Konzept des Rechtsstaates vermittelnd auszugestalten und Einseitigkeiten durch deren Aufhebung zu vermeiden.

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Selbstverständigung mit einer Gedankenreise auf die ­Galapagos-Inseln  1

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estechlichkeit ist nur eine Frage des Preises«, sagt eine alte Weisheit. In der Erwägung der These, dass wir letztlich alle korrupt sind, liegt eine Provokation, die zu einer Gedankenreise einlädt, bei der zu Beginn noch offenbleibt, wo wir landen werden und wie die Antwort lautet. Geschwind in eigener Sache mit durchaus banalen Beobachtungen angefangen : Im Alltag benutze ich meinen Professoren- und Doktortitel nicht, mir käme das angeberisch vor. Schließlich sind wir alle gleichermaßen Menschen und das Bestehen auf Distinktion ist arrogant. Doch wenn ich mich beim Facharzt erstmals anmelde, achte ich sorgfältig darauf, dass beide Titel in den Praxisunterlagen erscheinen. Was verspreche ich mir davon ? Im Zweifelsfall doch wohl eine aufmerksamere Behandlung. Ist das korrupt ? Oder müsste, um diese Charakterisierung zu rechtfertigen, zusätzlich Geld fließen ? Wie damals, als ich zu Zeiten des Sozia­lismus in Budapest nur mit einem Geldschein, vorab still auf den Anmeldetresen gelegt, ein freies Hotelzimmer ergattern konnte. Bei sich selbst loslegen im Nachdenken über Korruption heißt möglicherweise auf Verfehlungen zu stoßen, aber auch selbst bewertend Stellung zu nehmen zur beobachteten und erlebten Bestechlichkeit in der Welt. Dabei mag Philosophie, als Einübung in Nachdenklichkeit6, helfen; sie stellt jedoch zugleich für die Frage nach Korruptheit einen ersten zu betrachtenden Gegenstand dar. Wenn nämlich Gedanken genauso wie Menschen und deren Taten korrupt sein können, dann auch die Disziplin, die mich prägt. Für mich selbst gilt, dass mich schon etwas auf die Palme bringen kann, was andere noch als normale, nicht zu beanstandende Netzwerkerei und Beziehungspflege ansehen. Diese Selbstdiagnose führt zur selbstkritischen Frage : Bin ich ein verbohrter Moralist, der vor lauter Individualismus die üblichen Gepflogenheiten zwischen Menschen geringschätzt und dem das rechte Maß im



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Hinblick auf die Irrungen und Wirrungen des Lebens verlorengegangen ist ? Manchmal reicht mir schon der auf Macht zielende Versuch, die Welt in Parteigänger und Andere einzuteilen, um einen Missbrauch des Denkens zum privaten Nutzen festzustellen. So geeicht, sehe ich den gleichen Typ von korrupter Parteilichkeit auch gegenwärtig noch fast immer als allgegenwärtig an. Gemäß dieser weitgehenden Einschätzung ist es aber schon korrupt, vorgegebene Richtigkeiten und jede Art von Selbstverständlichkeiten zu akzeptieren, falls sie vor allem den eigenen Interessen dienen, weil damit die Wahrheit in ihrer Dimension der Berücksichtigung aller Menschen ignoriert wird. Verwechsle ich mit dieser rigorosen Ausrichtung aber nicht beispielsweise Politik, in der es um die robuste Realisierung des als richtig Erkannten geht, mit einer unpolitischen, passiv bleibenden Weltbetrachtung ? Wird also von mir ein moralisierender Zugriff mit der Tendenz zur schöngeistigen Selbstbespiegelung oder – schlimmer noch – der folgenlosen allgemeinen Weltanklage gepflegt, der das Wesen der Politik in der Formulierung des Soziologen Max Weber als Kampf um Macht zur Durchsetzung von Zielen verfehlt ?7 Zur Versachlichung dieser selbstkritischen Frage hilft ein Blick auf Aristoteles. Dieser hatte eine Lehre der Mitte und des Maßes formuliert, die empfiehlt, das Richtige beispielsweise bei der Tapferkeit zwischen Tollkühnheit und Feigheit zu suchen. Demnach beraubt sich der Urteilende der umfassenden Einsichten der Flügel, wenn er oder sie sich nur auf die eine Seite des zu Beurteilenden fixiert. In seiner politischen Philosophie rechnet Aristoteles in seiner Formenlehre, in der Monarchie, Aristokratie und Demokratie potentiell als legitime Formen des Politischen angesehen werden, ständig mit der Verderbtheit – und nichts anderes ist Korruption in der Antike – aller drei Formen. Es geht ihm also weniger um die Frage, ob die Monarchie oder die Aristokratie oder die Demokratie immer als richtige Form anzusehen sind, sondern um die Fähigkeit zu beurteilen, wann das potentiell Richtige in die Verderbtheit abrutscht. Vor ihr kann man nicht ein für alle Mal sicher sein, sondern sie droht quasi immer. So stellt sich die Aufgabe, dem Korrupten immer neu zu entkommen, weil die Gefahr nie völlig gebannt ist. Ist hingegen eine überängstliche Korruptionsvermeidung nicht geeignet, das Wesen des Politischen zu verfehlen ? Und die hier er14  |  Kapitel 1 

forderliche Fähigkeit zur List zu übersehen ? Niccolò Machiavelli stellt als Philosoph des frühen 16. Jahrhunderts nicht die tiefschürfende Erkundung des eigenen Selbst in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, sondern die Empfehlungen an den Fürsten, taktisch-strategische Überlegungen geschickt und die List nutzend zu realisieren. Die Beachtung der Moral ist für das politische Personal kein positives Auswahlkriterium. Daher ist Korruption wohl für Machiavelli selbst, aber auf jeden Fall für Machiavellisten legitim, wenn sie wie bei Lincoln die Ziele des Politischen zu erreichen hilft. In einem Handbuch »Machiavelli für Demokraten« wären machtorientierte, vielleicht sogar korrupte Politiker nicht grundsätzlich zu kritisieren, sondern lediglich ihr Unvermögen, Skeptiker erfolgreich und unter Einsetzung taktisch versierter Mittel überzeugt zu haben. Der Zweck der Zielerealisierung und auf dem Weg dazu auch der Machterringung heiligt für den kompetenten Politiker nicht nur bei Machiavelli viele auch ethisch problematische Mittel, solange die Ziele akzeptabel sind und der persönliche Machterhalt nicht das einzige Ziel ist. Die »Kunst der List« – seit vielen Jahrhunderten in China gepflegt – gehört für den Machiavellisten ebenso im neuzeitlichen Europa ins Repertoire der Politik. »Im Osten lärmen, im Westen angreifen«, »Aus einem Nichts etwas erzeugen« und »Hinter einem Lächeln den Dolch verbergen« mögen als Listen bis heute zur Schule des Umgangs nicht nur mit Parteifreunden gehören.8 Michel de Montaigne ist anders als der ältere Machiavelli im 16. Jahrhundert der Inbegriff des skeptischen Philosophen, der sich in der Beschäftigung mit sich selbst zugleich mit der Welt auseinandersetzt und in seinem Urteil in Distanz zu den üblichen Meinungen bleibt. Mit Blick auf die zeitgenössischen Religionskriege, in denen sich selbst Nachbarn abschlachten, wehrt er sich vehement dagegen, dass wir die eigenen Fehler nicht mit gleicher Schärfe angehen wie die der Anderen. Mit diesem Gedanken wird Montaigne zum idealen Gewährsmann für die Fahndung nach der Korruptheit von Menschen und deren Einstellungen.9 Ihm geht es darum, nicht blindlings vorherrschenden Meinungen und dem Brauch des Landes zu folgen, sondern ganz unabhängig dem offenen, nachdenklichen Urteil. Er kultiviert eine erprobende Form des Philosophierens, die das Ich als Erfahrungsquelle konsequent   Kapitel 1  |  15

zum Nachdenken über sich und über vieles in der Welt nutzt. Für eine kurze Zeit Bürgermeister von Bordeaux, zieht er sich, nicht untypisch für einen französischen Landadeligen seiner Zeit, zurück und betrachtet sich und die Welt aus dem Turm seines Anwesens, in dem er sich frei macht von allen Abhängigkeiten und seine Einsamkeitsfähigkeit kultiviert. Dabei entwickelt er ein Muster der Nachdenklichkeit, das in seiner Intensität und Beweglichkeit für die Unabhängigkeit des Urteilens vorbildlich ist. Eine solche Unabhängigkeit ist sicher ein hoher Wert, für den die Philosophie, vielleicht überhaupt die Wissenschaft, aber auch das öffentliche Wirken von Intellektuellen stehen. Wahrheit und nicht Kampf um Macht als Selbstzweck bildet hier die Orientierung. Sind Menschen, die wie ich schnell zu dem Urteil, dass Korruption vorliegt, kommen, also für die Politik nicht geeignet und sollten tatsächlich – wie bei mir der Fall – lieber in die vermeintlich oder tatsächlich weniger anfällige Wissenschaft gehen ? Eine Erinne­ rung an Max Weber, der als Gelehrter Großes geleistet hat, aber in der Politik trotz einiger Versuche nie richtig Fuß fassen konnte, legt solches nahe. Weber betont die Leidenschaft in der Wissenschaft und die Fähigkeit, unbequeme Wahrheiten anzuerkennen : »Wenn jemand ein brauchbarer Lehrer ist, dann ist es seine erste Aufgabe, seine Schüler unbequeme Tatsachen anerkennen zu lehren, solche, meine ich, die für seine Parteimeinung unbequem sind; und es gibt für jede Parteimeinung – z. B. auch für die meinige – solche äußerst unbequemen Tatsachen.«10 Während es in der mittelalterlichen Disputation zum Arrange­ ment gehört, dass zunächst vor der eigenen Stellungnahme die These des Kontrahenten angemessen wiedergegeben werden muss, ist es in der politischen Auseinandersetzung, und zwar im Parlament ebenso wie in der Talk-Show – ganz zu schweigen von der digitalen Welt der Netze heute –, oft grotesk, auf welch niedrigem Niveau die Wiedergabe der Sichtweise der gegnerischen Partei erfolgt. Die Fortschritte der Gegenwart scheinen diesbezüglich mit Rückschritten gegenüber dem vermeintlich so »dunklen« Mittel­a lter verbunden zu sein. Dabei ist es intellektuell doch eigentlich klar, dass Einwände nicht gegen die schwächste, sondern die stärkste Stelle der Gegenpartei vorzubringen sind. In einem solchen von falscher Parteilichkeit freien Prinzip der Milde oder Nachsicht geht 16  |  Kapitel 1 

es um ein wohlwollendes Verständnis des Anderen und ein Maßhalten in der Auseinandersetzung mit fremden Positionen.11 Nach diesem Prinzip ist zunächst anzunehmen, dass andere Menschen keine unsinnigen und offensichtlich falschen Positionen vertreten. Dementsprechend ist ihren Argumenten Rationalität, Verständlichkeit, Relevanz und Überzeugungskraft zuzuschreiben, damit das Bemühen um Verständnis nicht zu schnell abgebrochen wird. Abgelehnte Meinungen und welterschließende Perspektiven dürfen bei der Wahrheitssuche nicht nur als Karikatur vorkommen. Dies gilt nicht nur beim Aufeinanderprallen von Religionen und politischen Auffassungen, sondern auch zwischen Wissenskulturen, wenn Mediziner um die richtige Erklärung des Magengeschwürs ringen und Psychologen verhaltensbasiert oder neurobiologisch forschen. Gerade wahrheitsverpflichtete Wissenschaftler müssen daran interessiert sein, Toleranz im Kopf hinzubekommen, um das Wahre im Abgelehnten nicht zu übersehen. Alles andere – so ganz dezidiert die zu erprobende Behauptung – wird zum Missbrauch von Macht. Wie sieht es jedoch trotz des hehren Anspruches eines Prinzips der Nachsicht und von Webers Plädoyer zur Anerkennung des Unbequemen in meinem heutigen Berufsfeld der Wissenschaft im Allgemeinen und der Philosophie im Besonderen aus ? Wenn ich mich umschaue, sehe ich ausgerechnet im vermeintlichen Kerngebiet der Wahrheitssuche Spuren der Verderbtheit : Plagiate, Fälschungen von Laborergebnissen und besonders verbreitet die Neigung, die eigene Denkschule in den Mittelpunkt der Welt zu setzen und sich am liebsten mit den Gedanken der Leute vom eigenen Schlag zu beschäftigen. Wirkliche Unabhängigkeit und selbständige Urteilskraft sind selten. Dies ist fatal, weil durch das Ignorieren von Gegenargumenten und abweichenden Perspektiven die Wahrheit korrumpiert wird. Heiligt der Zweck die Mittel ? Im Streit zwischen Jean-Paul Sartre und Albert Camus wird diese schon seit Machiavellis Zeiten zentrale und von Abraham Lincoln bereits bejahte Frage ganz gegensätzlich beantwortet und zugleich indirekt nach der Korruptheit von Philosophen gefragt. Nach anfänglicher, wenn auch distanzierter Freundschaft findet der eigentliche Bruch zwischen den beiden statt, als die zwischen beiden Philosophen völlig unter  Kapitel 1  |  17

schiedliche Auffassung zum Stalinismus anlässlich der Publikation von Camus’ »Der Mensch in der Revolte« zu Tage tritt.12 Das Buch erscheint 1951 und wird in Sartres Zeitschrift »Les Temps Modernes« kritisch rezensiert. Camus glaubt, dass diese Besprechung von Sartre selbst veranlasst ist, und antwortet mit grundsätzlicher Kritik an der Ausrichtung der ganzen Zeitschrift, die nur Konzentrationslager der Rechten anprangere und die russischen Lager totschweige. In seiner Antwort, die sich indirekt ganz auf die Seite von Lincoln stellt, wirft Sartre seinem früheren Freund und jetzigen Gegner einen unhistorischen Moralismus vor und empfiehlt ihm, sich doch auf die Galapagos-Inseln zurückzuziehen, von wo er ja die Versklavung der Menschheit neutral beobachten könne. Im Kern streiten sich die beiden um die Frage, ob ein vermeintlich oder tatsächlich hehres Ziel wie der Sozialismus Gewalt rechtfertigt. Sartre hat ein instrumentelles Verhältnis zu dieser Frage und Camus ein moralisches. In dieser Alternative wird die Zuordnung von Lincoln unübersichtlich, da dieser nicht grundsätzlich die Meinung vertritt, der Zweck heilige die Mittel, sondern dies nur für den ausweglosen Einzelfall nach pragmatischen Abwägungen aus moralischen Gründen befürwortet. Die Camus-Sartre-Kontroverse ist eine Debatte nicht über Notlagen des Politischen, sondern über intellektuelle Korruption und die Frage, wie lange man gerade in der Philosophie angesichts der Übel der eigenen Partei schweigen darf. Sartre verteidigt eine Art Solidarität gegenüber den eigenen Leuten, während Camus für Unvoreingenommenheit und, letztlich wie Montaigne in seinem Turm, für skeptische Distanz plädiert. Wenn die sogenannten eigenen Leute bei einem gemeinsamen Ziel Verbrechen begehen, dann sind sie für Camus anschließend nicht mehr die eigenen Leute, sondern Verbrecher, die sich in nichts von denen der anderen Seite unterscheiden. Wer dies in Wort und Tat vertuscht, missbraucht Macht zum Zweck der eigenen Partei und ist daher als korrupt zu bezeichnen. Wenn man die abfällige Bemerkung von Sartre durchdenkt, kann man das Motiv eines Turmblicks von den Galapagos-Inseln zwar nicht im Ernst als Auswanderungsempfehlung verstehen, aber doch zur Korruptionskritik nutzen. Die eigenen Involviertheiten verlassen und Verstricktheiten von außen betrachten, kann auf dem Weg zur Unbestechlichkeit helfen. In den »Schmutzigen 18  |  Kapitel 1 

Händen« von Sartre gibt es eine Stelle, die von Camus sein könnte und die ganz existenzphilosophisch die Rolle des Mitmenschen als Opfer hervorhebt : »Mir sind Leute lieb, die Angst vor dem Tod der anderen haben : Das zeigt, dass sie zu leben verstehen.«13 Camus hat diese ursprünglich gemeinsam geteilte Sichtweise in den fünfziger Jahren beibehalten – eine aufrechte Haltung, die ihn, den NichtKorrupten, zunehmend isoliert hat. Bernard-Henri Lévy bringt in der Deutung der Kontroverse seine persönliche und politische Sympathie zum Ausdruck : »Sartre oder Camus ? Natürlich Camus. Seine Großzügigkeit. Seine Würde. Diese Art, sich an der scharf schießenden sektiererischen Linken zu rächen, indem er, wie er sagte, ›wütend glücklich‹ war.«14 In seinem politischen und moralischen Urteil ist Camus der Verlässliche, während Sartre beschwipst von seinem Engagement auf dem Holzweg umherirrt. Unabhängigkeit ist bei Camus das Gütezeichen der Philosophie, während sich Sartre nach seiner eigenen Auffassung zwar engagiert, tatsächlich aber das Philosophische dabei aufgibt und sich von außerphilosophischen Zwecken instrumentalisieren lässt. Als Infragestellung von Selbstverständlichkeiten ist Philosophie auf den Spuren von Montaigne und Camus ein Denken ohne festen Wohnsitz, während intellektuelle Sesshaftigkeit Korruption zu begünstigen scheint. In diesem Sinne dürfte noch nicht einmal der Turm auf den Galapagos-Inseln zu einem festen Domizil werden, sondern lediglich zwischendurch die distanzierte Sicht begünstigen. Wenn Philosophie wichtige Erfahrungen des menschlichen Lebens begreifen will, zielt sie nicht auf eine Sonderwelt neben dem Leben, sondern durchdenkt alltägliche Erfahrungen, um diese, wenn sinnvoll, verändern zu können. Da Korruption mehr oder weniger zu den menschlichen Erfahrungen gehört, verdient auch sie die ihr zustehende philosophische Aufmerksamkeit. Die Philosophie muss versuchen, selbst unabhängig und nicht korrupt zu sein, um auch die eigene Perspektive nicht zum Selbstzweck zu machen, sondern in ständigen Selbstinfragestellungen über die alltägliche Welt nachzudenken. Der Zweck einer besseren Welt rechtfertigt dabei nicht das Mittel der korrupten Parteilichkeit, die die Unabhängigkeit des Nachdenkens unterminiert.

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G   ibt es legitime Korruption ?  on einem russischen Benzinkönig, braunen Umschlägen in V Japan und der süditalienischen Liebe zur Familie  2

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ladimir Makanin beschreibt in seinem 2008 erschienenen Roman »Benzinkönig« einen russischen Offizier im Tsche­ tschenien-Krieg, der als Verantwortlicher für Lagerhaltung den kostbaren und knappen Treibstoff an beide Seiten verkauft. Ein Inbegriff höchster Korruption ! Aber der Roman, der voller Düsternis und bedrückender Schilderungen der Gefahren des Getötet-Werdens ist, relativiert diese Wertung und stellt sie in den Kontext der Aussichtslosigkeit und des Zynismus, die die Akteure gerade auf der russischen Seite angesichts verlustreicher Hinterhalte prägen. Major Schilin, die Hauptperson, versucht sich von Exzessen fernzuhalten und wird als ein maßvoller Mensch stilisiert, der es anstrebt, sich auch im Krieg human zu verhalten. Dabei wird behauptet, dass Korruption nicht mit Chaos gleichzusetzen sei : »Korruption bedeutet bereits ein gewisses Niveau, ist schon eine gewisse Kultur.«15 Wie kann das sein ? Korruption im Krieg folgt nicht nur für Major Schilin verlässlichen Regeln und ist so Ausdruck einer eigenen Kultur, die den Handelnden jedenfalls in einem gewissen Rahmen Verlässlichkeit bietet. Korruption als Ordnungsfaktor – diese Deutung ist gewöhnungsbedürftig. Im regellosen Chaos des Krieges entwickelt Bestechlichkeit eine eigene Form der Vertrauenswürdigkeit, die auf der Basis von Eigeninteresse Verhalten abschätzbar werden lässt. Der Korrupte ist in seinem Tun berechenbar und schützt so sich und andere vor Schlimmerem. So jedenfalls die romanhaft entfaltete Suggestion, die auch Norbert Gstrein für die Zeit des Jugoslawien-Krieges 1991 – 1995 aufgreift.16 Hier nimmt die Stelle des parteiübergreifend verschacherten Benzins der frische Adria-Fisch ein, der auch im Landesinneren hinter den Linien ganz ohne Beachtung der Kriegsgegnerschaften verkauft wird, als wenn sich über diese geschätzte Ware eine Gemeinsamkeit des Profitstrebens erschließen lässt, die das Interesse aller am Überleben bekundet.17 20

Ein Blick in die Geschichte, der sich zugleich interkulturell weitet, belehrt uns, dass das für uns Gewöhnungsbedürftige weithin als eigene Normalität verstanden worden ist. Um Korruption umfassend zu erschließen, müssen wir sie wegführen von den vordergründigen, lediglich skandalträchtigen Einzelempörungen der hiesigen Schlagzeilen wie »Baubehörde auf der Anklagebank« und »Bundespräsident der Vorteilsnahme angeklagt«. Korrupt sind nach der so ausgeweiteten Perspektive nicht nur einzelne Sünder oder organisierte Mafiosi, sondern Menschen wie Du und ich, oft in anderen historischen und kulturellen Konstellationen. Eine gedankliche Enttabuisierung der Korruption könnte innerund interkulturell in Vergangenheit und Gegenwart einen unverfälschten Blick auf ihre Verbreitung ermöglichen, die im Kleinen anfängt. Sie wäre dann mehr als das, was in nord- und westeuropäischen Gesellschaften strafrechtlich sanktioniert wird. Ob das alte Prinzip »Ich gebe, damit Du gibst« Ausdruck einer gemeinschaftlichen Zugewandtheit oder etwa bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eine nicht-legitime Form der Bereicherung darstellt, ist weltweit weniger eindeutig, als diese grobe Kontrastierung suggeriert. Der Gabentausch wird vom Ethnologen Marcel Mauss als Konstante eines menschlichen Gebens und Nehmens erschlossen. Der Blick auf andere Kulturen als die eigene erweitert auch heute noch die von Mauss entworfene Sichtweise, indem er nicht nur die Allgegenwärtigkeit der Korruption aufdeckt, sondern vor allem die Negativbewertung nicht übernimmt : Die Auseinandersetzung mit heutigen Praktiken weltweit knüpft unmittelbar an die Sichtweise von Mauss an. Was dem Außenstehenden verblüffend korrupt vorkommt, wird in der Innenperspektive eher als Berücksichtigung des inneren Kreises gesehen, der selbstverständlich anders zu behandeln ist als Menschen von außen. Nicht wie in der europäischen Moderne, die auf Allgemeinheit und Distanz Wert legt, wird an anderen Orten und zu anderen Zeiten gerade das Singuläre als das Besondere geschätzt. Für das Verständnis von Korruption ist diese Divergenz zentral : Ist Involviertheit besonders in Nahbeziehungen der Inbegriff des gelungenen Lebens oder das Abrutschen auf einer schiefen Bahn, die letztlich dazu führt, dass man das Allgemeine vernachlässigt und so korrupt wird ?   Kapitel 2  |  21

Was ethisch in der Moderne inakzeptabel scheint, könnte gleich­ wohl wie andere Missetaten auch anthropologisch verständlich sein. Völlig gegenläufig zur Verurteilung der Korruption lässt sich nämlich Verständnis für Praktiken des Geneigtmachens aufbringen, wenn eine historische und interkulturelle Perspektive eingenommen wird : Gehören das Geben und Nehmen im Gabentausch nicht zum Kern des Menschlichen ? Ist es womöglich eine kritikwürdige Weltfremdheit, wenn man sich von den gemeinschaft­ lichen Praktiken der Verbreitung von Wohlgefühl distanziert ? Je nach gewählter Ebene der Thematisierung schwankt das Urteil. Solch ein Widerspruch ruft nach philosophischer Klärung. Wie pas­sen sanftes Verstehen von Verschiedenheit und ein hartes mora­ lisches Urteil zusammen ? Marcel Mauss schildert in seinem Werk zur Gabe aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, dass besonders in alten Gemeinschaften auf Samoa und bei den Maori, aber auch bei nordamerikanischen Indianern die wechselseitigen Verpflichtungen beim Schenken das soziale Miteinander strukturieren.18 Nicht die direkte Nähe von Personen oder der Austausch von Waren steht im Mittelpunkt, sondern jenseits des modernen Unterschieds von Person und Sache die Gabe, in die quasi die Seele des Schenkenden eingeht. Potlatsch ist der in der Ethnologie eingeführte Ausdruck für Geschenkgemeinschaften. Geschenkt wird eigentlich laufend : bei Heirat, Geburt und Bestattung sowieso, aber auch bei Krankheit, Pubertät der Mädchen und nicht zu vergessen beim einfachen Handel – so die Aufzählung von Mauss mit Blick auf Samoa. Schenken untermauert den eigenen Status und erkennt das Gegenüber als gleichwertig an : »Sich weigern, etwas zu geben, es versäumen, jemand [sic !] einzuladen, sowie es ablehnen, etwas anzunehmen, kommt einer Kriegserklärung gleich; es bedeutet, die Freundschaft und die Gemeinschaft zu verweigern.« Um die Gleichwertigkeit nicht zu verlieren, müssen Geschenke möglichst in gesteigertem Rahmen erwidert werden. Wer nicht schenkt, ist sozial tot. Und klar ist auch : Cooles Schenken ist gleichbedeutend mit nicht schenken. Die innere Beteiligung muss sich im Geschenk manifestieren; Mauss spricht von magischem Eigentum : »Das, was in dem empfangenen oder ausgetauschten Geschenk verpflichtet, kommt daher, dass die empfangene Sache nicht leblos ist. Selbst wenn der Ge22  |  Kapitel 2 

ber sie abgetreten hat, ist sie noch ein Stück von ihm. Durch sie hat er Macht über den Empfänger.« Wenn der Schenkende einen Teil von sich in der tief verankerten Erwartung gibt, dass es eine Gegengabe geben wird, geht es nicht um die individuelle Bestechung und Beeinflussung des Gegenübers, sondern um die Gewährleistung der Gemeinschaft. Auch die Korruptionsbeziehung kann vermutlich als Teil einer sozialen Gemeinschaft begriffen werden, aus der sich nicht so einfach aussteigen lässt.19 Die Welt des Gebens und Schenkens bei Mauss kontrastiert mit der heutigen seelenlosen Legalität der Verträge, die im Konzept des Rechtsstaates Perspektiven des Allgemeinen berücksichtigt und Partikularitäten zurückdrängt. Indirekt begünstigt die Kritik des Seelenlosen bei Mauss eine Neigung, Korruption unter anderem Namen mit positiven Charakterisierungen zu verbinden. Der einfache »Austausch von Gütern, Reichtümern und Produkten im Rahmen eines zwischen Individuen abgeschlossenen Handels« gilt als von distanzierter Kälte20 geprägt und als keineswegs wünschenswert. Die Beachtung der Regeln der Gabengemeinschaft mit ihren Praktiken des Geneigtmachens gilt demgegenüber als Ausdruck gemeinschaftlicher Wärme und für Menschen als attraktiver. Mauss zeichnet nach, dass von der Gabengemeinschaft der sogenannten Primitiven bis zum Handelskapitalismus immer noch viele Elemente des Alten erhalten bleiben, die dem Besonderen und Persönlichen im sozialen Miteinander eine Chance geben : »Die alten Prinzipien wirken der Härte, der Abstraktion und der Unmenschlichkeit unserer Gesetzbücher entgegen.« Eine komplette Reduktion des Sozialen auf das Vertragliche ist für ihn weder möglich noch erwünscht. Lässt sich hieraus folgern, dass eine Welt ohne einander verpflichtende Korruption, die private Zwecke wertschätzt und gegenüber dem Allgemeinen bevorzugt, gar nicht möglich oder zumindest gar nicht wünschenswert ist ? Der in Japan zu Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts als Bestseller bekannt gewordene Roman »Die Journalistin« von Maruya Saiichi erschließt das Thema der politischen Korruption als einer Form des allgemeinen Gabentausches, der nicht nur auf einen Ausnahmefall wie den von Abraham Lincoln begrenzt ist.21 Darin wird, formal geschickt als fiktives Manuskript ausgegeben, eine Bestechungspraxis beschrieben, deren direkte Behaup  Kapitel 2  |  23

tung in einem Sachbuchtext womöglich zu juristischen Auseinandersetzungen hätte führen können. Im Mittelpunkt stehen braune Umschläge. Sie werden in einer traditionellen Dorfgemeinschaft von Lokalpolitikern als Geschenke ohne Nennung von Gründen überreicht. In einem stecken vielleicht 5000 bis 10000 Yen. Das ist in Euro nicht ganz so viel, wie die Nullen suggerieren, es sind ungefähr 40 bis 80 Euro. Es gilt in Japan als nicht dezent, sozusagen nacktes Bargeld zu überreichen. Zugleich wäre es – wenn viele Geldgeschenke überreicht werden – ein Kostenfaktor, aufwändige Umschläge mit edlem Papier zu wählen. So kommt es zur Nutzung der einfachen Umschläge. Wie beim Potlatsch ist es selbstverständlich, dass Geschenke angenommen werden müssen. Und sie müssen erwidert werden : Was liegt also näher, als der schenkenden Person oder ihrem Gewährsmann seinerseits die eigene Wählerstimme zu geben ? Wer sich diesem Geben und Nehmen verweigert, schließt sich aus der Gemeinschaft aus. Von psychiatrischer und psychoanalytischer Forschung herkommend hat Takeo Doi das Konzept von amae entwickelt, das für das Nachdenken über Korruption interessant ist.22 Es steht im Kontrast zum westlichen Individualismus, wie er sich beispielsweise in der Aufforderung »please help yourself« äußert, die Doi bei Aufenthalten in den USA häufig zu hören bekam – ganz im Gegensatz zur japanischen Gepflogenheit, sich um Gäste bei Einladungen ganz selbstverständlich ständig zu kümmern. Besonders sinnfällig kommt das Konzept in der Geborgenheit des Kindes bei der Mutter zur Geltung, aber es begünstigt wohl ebenso Abwege der Korruption. Doi behauptet, dass eine besondere Nähe zwischen Mutter und Kind gerade im traditionellen Japan vor der Meiji-Restauration des 19. Jahrhunderts mit Fortwirkungen ins gegenwärtige Japan ungebrochen gelebt und akzeptiert wird. Amae spielt auch in Liebesverhältnissen und selbst im Miteinander von Untergebenen und Vorgesetzten in abgemilderter Form eine bedeutsame Rolle. Interkulturell ist interessant, dass für Doi amae in den USA und in Europa programmatisch zugunsten der Betonung von Selbstständigkeit ohne jede paternalistische Sorge unberücksichtigt bleibt. Zugleich meint er jedoch Elemente von amae auch dort identifizieren zu können, wo der Terminus selbst in übersetzten Varianten unbekannt ist. Auf Korruption kommt Doi indirekt 24  |  Kapitel 2 

über Cliquenbildung zu sprechen, die er in Japan mit dem starken Kontrast zwischen innen und außen bei gleichzeitigem Fehlen einer Unterscheidung zwischen privat und öffentlich begünstigt sieht. So werden Cliquen dazu verführt, für die Vorteile des inneren Kreises auch öffentliche Güter umzuleiten und politische Führung zu manipulieren. Wie kann man diesem inneren Cliquenzirkel entkommen, wenn amae zwar weiter im Inneren geschätzt, aber in der Dimension der Korruptionsfolgen überwunden werden soll ? Schlitzohrig ist der Hinweis eines von Saiichi zitierten katholischen Bischofs auf den Philippinen, wo vielleicht noch drastischere Formen der Wahlbestechung als in Japan anzutreffen sind : Die bischöfliche Empfehlung lautet, das Geldgeschenk einfach anzunehmen, sich bei der geheimen Wahl aber gleichwohl in der Stimmabgabe frei zu fühlen. Diese Empfehlung scheint in der Praxis kaum Beachtung zu finden. Wie ist dann ein Ausstieg aus den alten Praktiken in einer der Form nach modernen Gesellschaft möglich ? Juli Zeh arbeitet in »Unterleuten« ebenfalls mit dem Kontrast des dörflichen Lebens zur Großstadt als Inbegriff heutigen Lebens. Hilfsbereitschaft und Korruption, die sich in Gefälligkeiten äußern, liegen nah beieinander, wenn das eigene Geben – auf den Bürgermeister bezogen – wie eine Ansparung für den nächsten eigenen Vorteil eingesetzt wird. Die Überreichung von Geld ist für diesen Austausch von Gefälligkeiten nicht erforderlich.23 Im Dorf Montegrano, in der süditalienischen Provinz Potenza, spielen Briefumschläge erneut eine entscheidende Rolle. Dieses Mal handelt es sich um gelbe Umschläge. Wer dort ein Kino eröffnen will oder sonst irgendetwas bauen oder gründen will, tut gut daran, einen solchen Umschlag dem zuständigen Beamten vor Ort zukommen zu lassen. Ohne ihn läuft nichts. Dies hat der Politikwissenschaftler Edward C. Banfield bereits in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts in seinen vor Ort geführten Interviews erfahren. Theoretisch hat ihn seine Form der Feldforschung zu der Frage geführt, weshalb Analphabetismus und Armut so selbstverständlich mit Korruption korreliert zu sein scheinen. Sein Erklärungsmodell : Innerfamiliäre Beziehungen haben Vorrang und das Wohlergehen der Gemeinde und überhaupt der Allgemeinheit spielt keine Rolle.24 Wir haben es ethisch gesehen mit amorali  Kapitel 2  |  25

schen Familienorientierten zu tun, die Nahbeziehungen deutlich wichtiger nehmen als das große Ganze, das sich im Ungefähren der weiten Welt verliert, wobei die weite Welt potentiell schon im Nachbarhaus beginnen kann. Starkes Zutrauen in der Nähe ist verbunden mit Misstrauen gegenüber Menschen und Institutionen sowieso, die nicht in der unmittelbaren Nähe agieren. Begünstigung des eigenen Umfelds wird nicht als Korruption angesehen. So sind die täglichen Praktiken des Schiebens und des Begünstigens auf Kosten des Gemeinwohls ständig präsent. Sie zu kritisieren, stößt auf Unverständnis : Das Unrechtsbewusstsein fehlt weitgehend; Vetternwirtschaft gilt als Normalfall. Wie sieht jedoch die Richtung der Kausalität aus ? Neigt, wer arm ist, auch zur Korruption – oder : Macht Korruption arm ? Auffällig ist jedenfalls, dass auf der von Transparency International publizierten Liste,25 die auf der Wahrnehmung ausgewählter Personen aus den jeweiligen Ländern basiert, auch 2018 unverändert reiche Länder wie Dänemark und Neuseeland als am wenigsten korrupt geführt werden, während Länder wie Somalia und SüdSudan als besonders arme Länder die Korruptionshitliste anführen, in denen es für Politiker als Qualitätsmerkmal angesehen wird, dem eigenen Clan zu Pfründen zu verhelfen. Dies nicht zu tun, gilt als Versagen. Es gibt aber auch interessante Ausreißer : Italien ist ein solches Land, das relativ wohlhabend ist, aber auch heute noch eher ins Mittelfeld der Liste tendiert. Oder auch Argentinien, das – im späten 19. Jahrhundert noch eines der reichsten Länder der Welt – heute zwar weit zurückgefallen ist, aber gleichwohl mit Platz 85 erstaunlich weit oben in der Korruptionsliste steht. Historisch wird Korruption als negativer Bewertungsbegriff erst nach und nach in einer auf legale Vertraglichkeit und transparente Demokratie zielenden Gesellschaft entwickelt. In Europa markiert der Protestantismus für diese Entwicklung eine wichtige Einstiegsphase : Der Gabentausch im Ablasshandel mit der in den Himmel springenden Seele wird besonders von Martin Luther gebrandmarkt und als korrupt bezeichnet. Korruptionskritik bildet sich im Protest gegen allgemein verbreitete Missstände, wie sie das Papsttum der Renaissance-Zeit nicht zuletzt aus finanziellen Interessen geschaffen oder doch begünstigt hat. Nun werden Verhältnisse, die Nachgeborene als korrupt erleben, aus ihrer Selbstverständlichkeit 26  |  Kapitel 2 

entlassen. Mit dem Protestantismus werden allerdings sogleich auch Ambivalenzen der Korruptionskritik erahnbar, die in einer Innerlichkeitsorientierung die lebensweltlichen Maßstäbe verliert und zur Weltfremdheit neigt. Auf jeden Fall werden in der Neuzeit Korruption und Korruptionskritik zu einem Paar, das aufeinander fixiert ist, wobei die eine Seite die eigene Benennung als korrupt vehement leugnet und die andere den Korruptionsvorwurf umso mehr forciert. »Korrupte« Verhältnisse vor der »Korruption« in der europä­ ischen Vor- und Frühmoderne bedeutet vor allem Klientelismus, in dem die Differenz von »unser Mann« und »nicht unser Mann« gesellschaftliche Beziehungen strukturiert. Korruption kann – etwas missverständlich formuliert – einen Stand der Sittlichkeit im Sinne von Hegel markieren. Umgekehrt heißt dies auch : Auf NichtKorruption zu setzen, kennzeichnet einen erreichten gesellschaftlichen Stand, der bei Korruption rückfallartig unterschritten wird. Für den Historiker Jens Uwe Engels ist klar, dass unser heutiges Korruptionsverständnis erst in der Zeit um die Französische Revolution entstanden ist. Seitdem gilt Korruption als vorsintflutlich und als unbedingt zu überwinden.26 Ganz so eindeutig fällt in der Praxis die Verurteilung von Patronage und Klientelismus aus der Sonntagsrede dann aber doch nicht aus. Beispielsweise kehren in den USA die Aufmerksamkeiten der braunen Umschläge aus Japan im »Bossismus« als Patronagekultur für Immigranten wieder : »Im Gegenzug für Unterstützung im Alltag leisteten die Wähler dem Boss politische Gefolgschaft.« Aber immerhin gelten Klientelismus und Korruption in ihrer Bewertung nach und nach öffentlich immer weniger als gut und lobenswert. Seitdem schwankt die Korruptionsbekämpfung zwischen gutem Gewissen und Heuchelei. Theoretisch sind die Verhältnisse in puncto Verurteilung der Korruption klar, aber praktisch bleiben die Unübersichtlichkeit und die Vertuschung. Doch gering zu schätzen ist die Veränderung gleichwohl nicht : Es kann in der Regel keiner mehr aufstehen und sich stolz zur Bestechlichkeit bekennen. Korruption wandert immer mehr ins Verborgene, wird kriminalisiert und bietet so zugleich immer wieder Anlässe, sie als solche aufzudecken : »Das Wesen von Skandalgeschichten besteht in der Aufdeckung.« Zur Korruptionskritik gehört die Demaskierung des Verborgenen : »Skandale verdichten   Kapitel 2  |  27

die politische Korruption dramaturgisch«; denn »Aufdeckung und Empörung sind fest in der modernen Korruptionserzählung verankert.« Fast ironisch könnte man sagen, der moderne Gabentausch wird jetzt neu gefasst als die Gabe der Aufdeckung eines Skandals des Gebens. Wo in alter Zeit eine Selbstverständlichkeit zu beobachten war, ist gegenwärtig die Empörung schnell bei der Hand. Bedarf es aber – so fragt Engels – nicht auch der Netzwerke zur Durchsetzung des Guten ? Schon in der historischen Betrachtung ist für ihn klar, dass der frühneuzeitliche Klientelismus in der von ihm so genannten modernen Mikropolitik als »Paradox« fortlebt : »Ohne Mikropolitik wäre die moderne, auf rechtlicher Gleich­ behandlung und politischer Gleichheit beruhende Staatsidee nicht realisierbar gewesen.« Ausgeweitet und zugespitzt formuliert steht damit der Verdacht im Raum, dass Korruptionsüberwindung ganz nach dem Modell von Abraham Lincoln nur mit Hilfe von Korruption auf den Weg gebracht werden kann. Oder freundlicher formuliert : Ohne Macht geht es nicht; denn die Verurteilung der Korruption wird nur dann wirksam werden, wenn sie sich auch durchzusetzen vermag. Hierfür steht der Ausdruck der Mikro­poli­ tik, mit dem von Oswald Neuberger besonders in Unternehmen Taktiken des Sich-Durchsetzens bezeichnet werden.27 Im Hinblick auch auf andere Institutionen lässt sich sagen, dass niemand auf die Dauer Macht ausüben kann, wenn er oder sie die eigenen Situa­ tionsdeutungen nicht bei anderen platzieren kann. Damit dies gelingt, sind die Suche nach Verbündeten, die Einstellung fähiger und der eigenen Positionen zugeneigter Personen und auch die Sicherung von finanziellen Ressourcen wichtig. Das Gute setzt sich nicht ohne solche Unterstützungen in der Welt durch ! In der Politik sind immer wieder Menschen gescheitert, die in diesem Sinne zu wenige mikropolitische Begabungen hatten oder nicht bereit waren, diese dauerhaft anzuwenden. Beispielsweise lässt sich der Rücktritt von Willy Brandt als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1973 nach der Spionage-Affäre Guillaume als Ausdruck einer Amtsmüdigkeit mit nachlassender Fähigkeit zur Mikropolitik interpretieren, die den Alt-Stalinisten und damaligen Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag Herbert Wehner nach verbreiteter Überlieferung böse davon sprechen ließ, der »Herr badet gerne lau«. Andere sahen ihn als Figur, die sich nach den spektakulären 28  |  Kapitel 2 

Ereignissen des anfänglichen »Mehr Demokratie wagen«, der eindrucksvollen Geste des Niederkniens im Warschauer Ghetto, dem Erhalt des Friedensnobelpreises und dem nicht zuletzt mit der Hilfe der DDR-Stasi im Bundestag gescheiterten Misstrauens­votum am liebsten auf der Wolke über den alltäglichen Konflikten – sozusagen im Urlaub auf den Galapagos-Inseln – aufhält. Auch Jimmy Carter und in abgeschwächter Form später vielleicht sogar Barack Obama konnten als amerikanische Präsidenten ihre ab­strakte Förderung der Menschenrechte anders als Abraham Lincoln nur unzureichend in tagespolitischen Machtkämpfen realisieren und mussten mitansehen, dass nach ihnen in einer fundamental gespaltenen Gesellschaft wieder amerikanische Figuren wie Ronald Reagan und Donald Trump mit gegenteiligem Wirken Erfolg hatten. Wenn auf Macht in Institutionen jedoch nicht verzichtet werden kann und Mikropolitik auch noch zugunsten des Guten erforderlich ist, dann wird die im folgenden Kapitel ausdrücklich zu erörternde Frage immer dringlicher, wie sich Korruption und Mikropolitik als Machttechnik im Täglichen sinnvoll voneinander abgrenzen lassen.

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»Missbrauch von Macht zum privaten Nutzen« Begutachtung einer Definition  3

I 

n Brasilien sieht es so aus, als ob eine ganze politische Klasse korrupt ist – jedenfalls ist das der Eindruck, der von aktiven Staatsanwälten und von Richtern seit einigen Jahren mit Erfolg vermittelt wird. Besonders bekannt geworden ist der Bundesrichter Sérgio Moro, der seit Anfang 2019 unter dem neuen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro als Belohnung für sein Wirken oder – je nach Deutung – als Ausdruck seiner Fähigkeiten in der Korruptionsbekämpfung das mit erweiterten Kompetenzen ausgestattete Justizministerium übernimmt.28 Nicht nur die Mehrzahl von Ministern und Abgeordneten quer durch das politische Spektrum dürfte nach Einschätzung Moros und anderer von Korruptionspraktiken in Milliardenhöhe profitiert haben, sondern zusätzlich gleich drei Präsidenten vor dem jetzigen : Dilma Roussef ist bereits 2016 in diesem Zusammenhang zurückgetreten, ihr Vorgänger, Lula da Silva, ist zu einer langjährigen Gefängnisstraße verurteilt und wehrt sich auf dem Instanzenweg rechtlich noch gegen gleichlautende Vorwürfe sowie der bis Ende 2018 amtierende, Michel Temer, der trotz aller Vorwürfe bis zum regulären Ende seiner Präsidentschaft im Amt blieb. Offensichtlich ist – nach dieser in Brasilien allerdings hochgradig umstrittenen Einschätzung – fast die ganze politische Kaste betroffen. Wäre das weltweit Rekord ? Oder eher ein Zeichen dafür, dass sich ein Land gegen die Selbstverständlichkeit von Korruption zu wehren beginnt ? Auf der schon erwähnten Hitliste von Transparency International belegt Brasilien 2018 den Platz 105 (nach 96 im Vorjahr), was bei 180 Ländern wohl dafür spricht, dass die Aufklärungsbemühungen zwar eventuell positiv zu Buche schlagen, aber die Breite der wahrgenommenen Korruption in ihrer Entwicklung von einem Jahr zum nächsten sogar eher zugenommen hat. Auch wenn mit Jair Bolsonaro ein ziemlich zwielichtiger Rechts­ populist von den Korruptionsaufdeckungen profitiert zu haben 30

scheint, wäre es sicher eine große Verharmlosung, die brasilianischen Praktiken noch in die Rubrik Mikropolitik einzuordnen. Dies zeigt ein genauerer Blick auf die Details. Geld oder sonstige Vergünstigungen flossen jedenfalls nicht einfach und direkt vom Konto des Bestechenden auf das des Bestochenen. Es wurden also keine individuellen Zweierbeziehungen zwischen Korruptionsgeber und Korruptionsnehmer aufgebaut, sondern es handelte sich um ein weit gesponnenes Bestechungsgeflecht : Der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras stellte überhöhte Rechnungen besonders an die Firma Odebrecht, den größten, im Sommer 2019 zahlungsunfähig gewordenen Baukonzern des Landes und leitete dann einen Teil des so eingenommenen »Überschusses« an Politiker weiter. Nicht in jedem Fall komplett eindeutig ist, ob dieses Geld der privaten Bereicherung des politischen Personals diente oder »nur« der Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Die Merkmale des Korruptionsbegriffes lassen sich am brasilia­ nischen Beispiel anhand der Standarddefinition der Korruption bei Transparency International durchbuchstabieren. Worin besteht jedoch der private Nutzen, wenn das Geld gar nicht auf dem Konto des einzelnen Abgeordneten landet, sondern in der Netzwerk­ finan­zierung zum Beispiel der eigenen Partei verwendet wird ? Ich schlage vor, die Korruptionsdefinition nicht auf den Nutzen im Privaten zu beschränken, da sich diese Formulierung allzu sehr auf die persönliche Bereicherung des Bestochenen konzentriert. Zu den Überlegungen im Anschluss an die Gabe bei Marcel Mauss passt eine Ausweitung, die im brasilianischen Skandal die Möglichkeit der Unterstützung der Parteien nicht aus dem Begriff der Korruption ausschließt. Statt vom »privaten Nutzen« wäre also von einem »partikularen Vorteil« zu sprechen. »Partikular« ist dann alles, was nicht der Allgemeinheit und dem Gemeinwohl zu Gute kommt. Der Ausdruck des »Vorteils« unterstreicht stärker als der Nutzen die Beziehungsebene, wonach die Macht auf vielfältige und noch genauer zu beschreibende Weise eingesetzt wird, um in Relation zu anderen besser dazustehen. Daher lautet das Zwischenergebnis zur Überarbeitung des Vorschlags von Transparency International : »Korruption ist der Missbrauch von Macht zum partikularen Vorteil.« Das Bestechungshandeln von Abraham Lincoln bei der rechtlichen Abschaffung der Sklaverei wird ebenso wie der groß   Kapitel 3  |  31

dimensionierte brasilianische Korruptionsskandal im Zusammenspiel von Petrobras und Odebrecht in seinen unterschiedlichen Lesarten durch meinen Vorschlag einer Ausweitung der Definition gleichermaßen erfasst, da sowohl die private Bereicherung als auch die partikulare Parteienfinanzierung, die sich der Illusion des Humanitären wie bei Lincoln hingeben kann, eingeschlossen sind. Hingegen ist der explizite Geldfluss kein notwendiges Merkmal von Korruption. Wahrscheinlich spielt das gesteigerte Verlangen nach Geld für viele Formen der Korruption eine große Rolle, aber zu viel Bedeutung sollte man diesem Motiv auch nicht zuschreiben, da sonst die anderen Arten unsichtbar blieben. Grundsätzlich gibt es eher eng oder eher weit gefasste Definitionen von Korruption. Enge Definitionen haben den Vorteil der Praktikabilität und der Affinität zur rechtlichen Sanktionierung; so verwendet das deutsche Bundeskriminalamt eine sehr detaillierte Beschreibung von Korruption : Demnach definiere die kriminologische Forschung den Begriff »Korruption« als »Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats zugunsten eines anderen, auf dessen Veranlassung oder Eigeninitiative, zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten, mit Eintritt oder in Erwartung des Eintritts eines Schadens oder Nachteils für die Allgemeinheit (in amtlicher oder politischer Funktion) oder für ein Unternehmen (betreffend Täter als Funktionsträger in der Wirtschaft)«.29 Diese Charakterisierung verzichtet auf den Machtbegriff und konkretisiert stattdessen Politik, Wirtschaft und den öffentlichen Dienst als Missbrauchsfelder. Daran ist überzeugend, dass Korruptionstatbestände nicht auf öffentliche Ämter eingegrenzt werden, sondern insbesondere die Wirtschaft ausdrücklich erwähnt wird. Aus meiner Sicht ist dies aber immer noch zu eingegrenzt, weil weitere Felder wie Wissenschaft, Gesundheitssystem und Medien höchstens indirekt Berücksichtigung finden. Von daher bleibe ich bei dem Zugang zur Korruption über den allgemeineren Machtbegriff. Das Abzielen auf einen Vorteil teilt das Bundeskriminalamt mit meiner Erweiterung der Definition von Transparency International, verzichtet jedoch auf das Adjektiv »partikular« zugunsten einer semantischen Integration in den Missbrauchsbegriff, was aus meiner Sicht möglich, aber um Klarheit zu schaffen auch nicht zwin32  |  Kapitel 3 

gend ist. Der weitere Unterschied besteht darin, dass »Schaden« oder »Nachteil für Dritte« in die Definition aufgenommen werden. Hiergegen erhebe ich keine Einwände, aber zugunsten der Kürze der Definition halte ich an der bisherigen Formulierung fest, da der Sinn des Begriffes des Vorteils einschließt, dass andere einem Nachteil ausgesetzt werden. Gleichzeitig wird in einer Aufzählung wieder in Kauf genommen, dass Korruptionsfälle außerhalb von Unternehmen, Politik und öffentlichem Dienst nicht ausdrücklich in den Horizont treten.30 Wenn ich in diesem Buch für die Philosophie zunächst eine weitere und sehr allgemeine Definition der Korruption mit der Gefahr der Überdehnung verwende, will ich damit nicht leugnen, dass die engere Definition in vielen Kontexten vielleicht einen großen Nutzen hat, weil sie trennschärfer an der Überwindung zu kritisierender Praktiken arbeiten kann. Weite Definitionen fransen an den Rändern aus und neigen zu Familienähnlichkeiten im Sinne von Ludwig Wittgenstein, die sich nicht über notwendige und hinreichende Kriterien so genau festlegen lassen, wie es manchem wünschenswert erscheint.31 Der Tendenz nach fallen sie mit den Maßstäben eines ethischen Universalismus zusammen, so dass korrupt und unmoralisch deckungsgleich zu werden drohen. Auch wenn dies den Zustand aus der Antike erneuert, wo korrupt und moralisch verderbt zusammengehören, sehe ich doch die Gefahr einer Überziehung der Begriffsdefinition. Wie kann also eine plausible Definition der Korruption ohne Überdehnung weit sein ? »Macht« und »Missbrauch« fungieren als Einschränkungen in der Definition. Wie unterscheidet sich jedoch ein Gebrauch von einem Missbrauch ? Und wofür steht »Macht« ? Beim Nachdenken über den Machtbegriff drängt sich Max Webers Definition als erstes auf, der Macht positiv umschreibt als »Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht«.32 Jemand hat also Macht, wenn er die eigenen Pläne und Ziele mit Erfolg selbst dann realisieren kann, wenn andere dem entgegenarbeiten. Weber denkt bei seiner Untersuchung vor allem an Personen im Feld des Politischen, deren Kampf um Macht er verfolgt. Ein solches von den Chancen her denkendes positives Machtverständnis bleibt auf personale Akteure bezogen und   Kapitel 3  |  33

erschließt nur eine der möglichen Deutungen des Machtbegriffes. Können Missbräuche von Macht – zwar durch Personen ausgeführt – nicht auch systemisch bedingt sein, so dass die personale Zuschreibung einer individuellen Verantwortung schwerfällt ? An dieser Stelle wird die Freiheitsfrage berührt : Kann Missbrauch von Macht einfach so passieren, ohne dass eine Person sie freiwillig zu Wege bringt ? Im Alltagsverständnis ist der negative Aspekt von Macht als Unterdrückung von außen besonders verbreitet. Die Korruptionsdefinition als Missbrauch von Macht nutzt diesen Negativaspekt. Solche Machtverständnisse bleiben ebenfalls personenorientiert, insofern sie die nicht-personale, oft modal genannte Machttheorie noch nicht berücksichtigen. Im Sinne des modalen Begriffs von Macht, der zugleich die Tradition der potentia als Ermöglichung aufgreift und sich vom Begriff realer Macht besonders von Machthabern in ihrer potestas absetzt, untersucht Michel Foucault in seinem positiven Machtbegriff den »Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Verhalten«.33 Es müssen keine Personen sein, die Korruptionspraktiken in Freiheit erfinden, wahrscheinlich sind es im Sinne von Foucault sogar eher nicht personal zu beschreibende Mächte, die als Dispositive die Verhaltenswahrscheinlichkeit nicht unbedingt determinieren, aber doch Geneigtheiten schaffen und so Einstellungen und Handlungen ermöglichen. Theoretiker wie Foucault konzentrieren sich auf das Ermöglichende von Macht, die sich gerade auch im Wissen manifestieren kann. Wenn Macht so weit verstanden wird, ergibt sich das Anschlussproblem, dass ein Gebrauch von Macht und ein Missbrauch kaum noch voneinander abgegrenzt werden können. Entgegen der Tendenz zu einer einseitig modalen Ausrichtung lässt sich Macht weiterhin zugleich verstehen als auch personal gedachte Ermöglichung sowie als reale Macht von Personen und Institutionen. Der modale Machtbegriff allein läuft Gefahr, alle Katzen grau werden zu lassen, auch wenn er ausgehend von der potentia intellektuell besonders attraktiv sein mag. Allerdings neigt ein solcher modaler Machtbegriff dazu, das Leben in einer korrupten Gesellschaft bis hin zu damit verbundenen Grausamkeiten zu verharmlosen, wenn alles gleichermaßen unter die Überschrift der Macht gestellt wird. Handfestere Machtbegriffe, ausgehend von 34  |  Kapitel 3 

der potestas, tendieren jedoch in ihrer Anknüpfung an spezifische Herrschaftsverhältnisse zur begrifflichen Einseitigkeit.34 Der Machtbegriff und der Missbrauchsbegriff sollen geklärt werden, damit der Korruptionsbegriff nicht deckungsgleich mit Unmoralität im Sinne des ethischen Universalismus wird. Dies ist bisher trotz aller angedeuteten Klärungen des Machtbegriffs noch nicht geleistet. Denken wir also nun über Missbrauch nach. Wenn der modale Machtbegriff den Gebrauch und den Missbrauch von Macht nicht mehr verlässlich unterscheiden kann, drehen wir uns im Kreis, da der Bezug auf den ethischen Universalismus auch an dieser Stelle nicht vermieden werden kann : Ein Gebrauch von Macht wird zu einem Missbrauch, wenn er gegen die Kriterien des ethischen Universalismus verstößt. Demnach scheitert die Abgrenzung der Korruption definitorisch vom ethischen Universalismus erneut. Vor diesem Hintergrund entscheide ich mich zu einer Vertagung des Problems auf spätere Kapitel des Buches, nicht ohne schon an dieser Stelle zu betonen, dass die Abgrenzungsfrage eine der Deutungsmacht ist, die sich damit als nicht hintergehbar erweist. Erst nach der geplanten Differenzierung zwischen Moralität, Sittlichkeit und Rechtsstaatlichkeit, die auf den Spuren Hegels auch den Fähigkeitenansatz einbezieht, kann die Abgrenzung von Gebrauch und Missbrauch erneut versucht werden. Ist die vorgeschlagene Korruptionsdefinition als »Missbrauch von Macht zum partikularen Vorteil« nicht nur in Bezug auf den Machtbegriff, sondern auch in Beziehung darauf, was ein »partikularer Vorteil« sein könnte, zu weit geraten ? Ist es nicht legitim, Menschen in der eigenen Nähe möglichst nachhaltig und mächtig zu unterstützen ? Wo fängt die Korruption an ? Es ist wichtig, den Begriff der Korruption nicht nur in seiner definitorischen Allgemeinheit zu betrachten, sondern den Bewertungsstreit auch ganz konkret zuzulassen. Ziel wäre dann eine »dichte Beschreibung«, die diskutierbar macht, wie korrupte Einstellungen und Praktiken verfahren und wie sie sich von anderen Praktiken und Einstellungen abgrenzen lassen.35 Freunde und Familie spielen für das je eigene Leben eine besondere Rolle, sich von ihnen involvieren zu lassen, gehört zum Menschen dazu. Das ist zwar partikular, aber nicht korrupt. Doch die eigene Frau oder den eigenen Mann unter Ausnutzung eigener Macht zum Nachteil anderer auf einen attrak  Kapitel 3  |  35

tiven Posten in der öffentlichen Verwaltung zu hieven, kann es jenseits der Mikropolitik durchaus sein. Daraus zu folgern, dass sich ein Partner gar nicht erst auf eine Stelle im eigenen Betrieb bewerben darf, wäre allerdings übertrieben, sofern ein offenes Verfahren für andere gewährleistet ist. Die Abgrenzung von Korruption und zulässiger Mikropolitik bleibt bei solchen Bewerbungen aber auf jeden Fall in der Beurteilung grauzonenverdächtig. Neben den Involviertheiten durch menschliche Beziehungen spielt die Abgrenzung der Korruption vom Handel zum gegenseitigen Vorteil zur gedanklichen Klärung eine Rolle. Hier stellen der Wettbewerb, die vertragliche Ausgestaltung und die Wechselseitigkeit der Interessenwahrnehmung entscheidende Abgrenzungskriterien dar. Jede Interessenvertretung ist zwar partikular, aber damit noch nicht korrupt. In der Definition von Korruption droht andernfalls eine Übersteuerung : Nicht jeder individuelle Wagemut und jede Form der auch narzisstischen Kreativität darf als korrupt eingeschätzt werden. Sonst droht Korruptionsbekämpfung zum Stillstand der Gesellschaft beizutragen. Regeln einzuhalten kann aber von allen erwartet werden. Der Vergleich mit dem Leistungssport mag hier helfen : Wer einen Hundertmeterlauf nach fairem Wettbewerb gewinnt, ist keineswegs korrupt – wie überhaupt Gewinnen als solches nicht in diese Kategorie gehört. Wer allerdings gedopt und damit unfair gewinnt, stellt sich selbst ins Abseits. Das Urteil hängt also klar daran, ob die Regeln berücksichtigt werden. Gebrauch von Macht zu partikularen Zwecken ist dann legitim und kein Missbrauch, wenn diese beachtet werden. Diese Klarstellung setzt die Frage nach dem Missbrauch der Macht für partikulare Zwecke nochmals auf die Tagesordnung. Die Akteure des Handelskapitalismus folgen zweifelsohne partikularen Zwecken (im Zweifelsfall stets ihren eigenen), aber Korruption wird daraus erst, wenn dies auf der Basis von Regelverletzungen geschieht. Nicht die Einzelbenachteiligung im Ausmaß des Gewinns führt zu dem Urteil, dass es sich um Korruption handelt, sondern erst die Vernachlässigung von Regeln, die andere systematisch nicht zur Geltung kommen lässt. Ausbeutung ist in dem Sinne korrupt, dass die eigene Macht nicht nur zum partikularen Vorteil genutzt wird, sondern diese missbräuchlich anderen ganz grundsätzlich keine Chance lässt. Gibt es aber nicht beispielsweise Handelsprak36  |  Kapitel 3 

tiken, wo zwei sich auf Kosten eines dritten bereichern ? Gehören die Agrarsubventionen, die die Europäische Gemeinschaft und die USA jeder für sich den eigenen Produzenten zukommen lassen und die oft mit Zöllen nach außen einhergehen, nicht genau in diese Kate­gorie des Unfairen ? Wenn dies richtig beschrieben ist, dann handelt es sich um korrupte Praktiken, weil sich der partikulare Vorteil von ohnehin schon Privilegierten auf Kosten anderer Bahn bricht und so deren Macht missbraucht. Das erwähnte Beispiel lässt sich sogar als besonders zynisch erleben, weil EU und USA seit vielen Jahren in Sonntagsreden den Freihandel propagieren und ihn aber an vielen Stellen selbst nicht praktizieren. Auch dies ist eine Regelverletzung ! Dazu kommen gerade gegenüber Ländern in ­Afrika Praktiken der Nahrungsmittelhilfe, die mehr dazu beitragen, heimische Überschüsse abzubauen als in Krisengebieten dauerhaft Hunger zu überwinden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten gerade Landwirte in Afrika den Eindruck gewinnen, dass sich ihre Arbeit lohnt – was durch geschenkte Lebensmittel aber erschwert wird.36 Um einen Handel auf Kosten Dritter in seiner Korruptheit von fairem Handel abgrenzen zu können, wird noch genauer über Kartelle, Monopole, Oligopole und ihre Bekämpfung zu reden sein. Der Begriff der Korruption allein ist zu abstrakt, um eine differenzierte Beurteilung zu ermöglichen. Deshalb muss zwischen Gebrauch und Missbrauch der Macht in dem Bewusstsein unterschieden werden, dass schon durch eine Korruptionsdefinition selbst Deutungsmacht ausgeübt wird. Macht ist nicht in jedem Fall illegitim, aber deutungsmächtig festgestellter Missbrauch durchaus. Dementsprechend stellen sich ganz konkret folgenreiche Abgrenzungsherausforderungen beispielsweise bei der Beantwortung der Frage, ob Lobbyismus akzeptabel ist. Ein erster Antwortversuch : Interessenvertretung ist prinzipiell legitim und nicht korrupt. Sich zusammenschließen zur Vertretung von Interessen ist demnach ebenfalls legitim und nicht korrupt. Einen Lobbyverband aber mit seinen Vertretern ins Ministerium zu setzen, um beim Formulieren von Gesetzen zu helfen, könnte ein Korruptionstatbestand sein. Gesetze sollten in ihrer Regelorientierung ohnehin so einfach und allgemein sein, dass Hilfe vom Lobbyverband überflüssig wird. Falls das handwerklich nicht möglich ist, müsste quasi   Kapitel 3  |  37

in den Fußnoten des Gesetzes die Mitwirkung transparent gemacht werden. Weitere Fragen stellen sich im beruflichen Alltag : Wann wird ein kommunikatives Netzwerk, das mikropolitisch bedeutsam sein kann, zu einer abschottenden Seilschaft, die Macht missbraucht und nur dem partikularen Vorteil dient ? Wann wird aus einem Vitamin B durch Beziehung ein Vitamin K durch Korruption ? Einzelne Antworten auf solche Fragen nach der Korruption müssen in ein Verhältnis gesetzt werden zu Prinzipien und Definitionen. Dabei hilft die Methode des reflexiven Gleichgewichts, die John Rawls im Feld der Gerechtigkeitstheorie entwickelt hat, um prinzipien- und regelorientiert zu verfahren, aber gleichzeitig Raum für geklärte Intuitionen und Einzelurteile zu lassen. Diese Methode wird bei Rawls empfohlen, weil wir seiner Meinung nach oft in Einzelfragen mehr oder weniger gut begründete Urteile haben (»Lincoln ist ein Held und nicht korrupt«), die allerdings ebenso oft mit unseren Prinzipien und Definitionen nicht im Einklang stehen. Das Konzept des reflexiven Gleichgewichtes spitzt diese Ausgangslage anders als Immanuel Kant, der auch zum Schutz des unschuldig Verfolgten die Notlüge ethisch für unakzeptabel hält, nicht von vornherein in eine Richtung zu, sondern zielt auf einen Ausgleich zwischen Regel bzw. Definition und Einzelurteilen. Die geklärten Intuitionen und Einzelurteile haben bei ihm die Aufgabe, eine Art Test für formulierte Prinzipien abzugeben, deren dauerhafte Rechtfertigung nicht alleine über abstrakt formulierte notwendige und hinreichende Bedingungen gelingt.37 Der Vorteil dieser Vorgehensweise besteht darin, dass zwar einerseits prinzipienfest und konsistent geurteilt werden kann, die Formulierung von Prinzipien und Definitionen aber andererseits nicht unbeeindruckt bleiben muss von Einzelurteilen, die beispielsweise die Abgrenzung von Mikropolitik und Korruption möglichst genau in ihrem Konfliktcharakter beschreiben. Demnach macht es auch einen Unterschied, ob Abraham Lincolns Bestechungshandeln in einer spezifischen historischen Situation gerade noch als Ausnahmefall der Verurteilung entgeht oder ob jeder vermeintliche Mini-Lincoln jetzt entschuldigend unter Verweis auf die Entscheidung des Jahres 1865 demokratische Prinzipien missachtet und einen Freibrief für Bestechung in Anspruch nimmt. In diesem Sinne wird die weite 38  |  Kapitel 3 

Korruptionsdefinition im weiteren Fortgang der Überlegungen als Ausgangspunkt genommen – aber als einer, der sich durch Einzelurteile weiter korrigieren lassen will. In Brasilien beobachten wir eine weit verbreitete Korruption, die viele Individuen und Institutionen einschließt. Ob es sich um ein System der Korruption handelt, dem die Einzelnen in ihrer Verstricktheit aufgrund von äußerem Druck oder in ihren Mentalitäten gar nicht entgehen können, oder um eine Aufsummierung individueller Verbrechen, bleibt offen. Wahrscheinlich geht beides, sich wechselseitig begünstigend, Hand in Hand. Modale Macht lässt sich geradezu charakterisieren als eine, die das Wirken des Individuums in den Kontext des Überindividuellen stellt. Daher ist das personale Machtverständnis allein nicht geeignet, um Korruption angemessen zu erschließen, selbst wenn in der Modalität der Macht die Gefahr einer Verwischung der Differenz von Gebrauch und Missbrauch der Macht liegt. Zugleich verweist die modale Macht auf die Frage nach der Freiheit des menschlichen Handelns, die unten noch weiter einbezogen wird. Der fließende Übergang von individuellem Versagen zu systemischen Zwängen wird durch ein Beispiel verdeutlicht, das komplett anders gelagert ist als die geschilderten brasilianischen Korruptionspraktiken : In Deutschland gibt es im Gesundheits- und Pflegebereich nach verbreiteter Einschätzung viele Fehlanreize, die beispielsweise die sprechende Medizin gegenüber dem Apparate- und Laboreinsatz und die persönliche Betreuung gegenüber der bloßen Beachtung von hygienischen Minimalstandards beim täglichen Waschen mehr oder weniger pflegebedürftiger Menschen benachteiligen. Ein niedergelassener Arzt oder ein Pflegedienst, die sich mit den ihnen Anvertrauten nicht nur im mechanischen Schnelldurchgang beschäftigen, gefährden ihre ökonomische Überlebensfähigkeit oder nähern sich als Individuen der Armutsgrenze. Dahinter verbirgt sich – wie sich mit guten Gründen behaupten lässt – eine Fehlsteuerung im Gesundheits- und Pflegebereich. Doch ein solches Problem ist zunächst für sich betrachtet ein politisches Ärgernis, aber noch keine Korruption (höchstens im Kontrast zum Selbstbild von Medizin und Pflege, das auf Hilfe für die ganze Person ausgerichtet ist). Doch angesichts von systemischen Fehlanreizen ist es lobenswert und geradezu heroisch, wenn   Kapitel 3  |  39

sich die handelnden Personen diesen widersetzen und die menschliche Zuwendung hochhalten. Umgekehrt wird Korruption durch die falschen Anreize leichtgemacht, weil nicht die wirkliche Tat zählt, sondern lediglich die Dokumentation der Hilfe in den Abrechnungsdokumenten. Das System denkt abrechnungsbezogen, so dass die Realität in einem gewissen Sinne nicht vorkommt. Die Vortäuschung einer Behandlung oder einer Pflegeleistung ist nun allerdings offensichtlich korrupt. Anders als im weitverzweigten brasilianischen Korruptionsskandal besteht hier bei zunächst vermutlich wenig missbrauchsaffinen Personen ein systemischer Korruptionsanreiz, weil betrügerisches Handeln durch die Fehlkonstruktion der Anreize nahegelegt wird und sich dem zu widersetzen zu einer eigenen Leistung wird. Neben der individuellen Ebene ist daher bei der Korruption das Überindividuelle zu beachten, das Korruption begünstigt. Diese kann so weit in Konventionen eingelagert sein, dass das Verständnis von Korruption gar nicht mehr besteht, so dass zwischen systemischem Außendruck und Verinnerlichung ohne Distanzbewusstsein ein fließender Übergang besteht. Entsprechend gehört bei der Bekämpfung von Korruption die Betrachtung des Kontextes unbedingt dazu, wobei allerdings die Änderungen der Bedingungen modaler Macht selbst wiederum nicht ohne Bezug auf die personale Macht von Individuen verstanden werden können.

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Neue Horizonte Korrupt sind im Kumpel-Kapitalismus nicht nur die Anderen  4

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nvestmentbanker erhalten oft exorbitante Bonuszahlungen, die sie von ihren Kumpeln, den anderen Bankern, zugestanden bekommen, denen wiederum andere Kumpel in Aktiengesellschaften unter den Augen des Aufsichtsrates ähnliche Vergünstigungen einräumen – so geschehen auch bei Lehman Brothers, dem am 15. September 2008 in die Insolvenz gegangenen amerikanischen Bankhaus.38 Bonus-Banker mögen individuell nicht bestechlich im strafrechtlichen Sinne sein, da sich ihr alltägliches Handeln nicht durch direkte Bestechungszahlungen verändert, sondern durch die Aussicht auf Gewinne, die ganz vertragsgemäß mit Boni belohnt werden. Wer in einem Umfeld arbeitet, wo die Pleite ausgeschlossen scheint und echte Gefahren durch Fehlentscheidungen im Wettbewerb gar nicht drohen, für den ist es attraktiv, besonders hohe Risiken einzugehen; denn der Gewinn kommt auf jeden Fall der eigenen Seite zugute, und wenn es schief geht, steht die Allgemeinheit für die Verluste gerade. Diese Asymmetrie begünstigt es, beispielsweise beim Handeln mit Optionen und anderen Derivaten sehr offensiv vorzugehen. Boni als Gewinnbeteiligungen können Korruption als Missbrauch von Macht zum partikularen Vorteil darstellen, wenn mit dieser Aussicht eine missbräuchliche Schieflage in der Haftung verbunden ist. Eine solche Korruption, bei der sich der einzelne Bonus-Banker im Rahmen seines Arbeitsvertrages bewegt, ist weniger individuell als systemisch zu verurteilen : Das System des Bonus-Bankings steigert das Gesamtrisiko für das Bankensystem – nicht nur im Rückblick auf die Banken- und Finanzkrise des Jahres 2008 – so beträchtlich, dass die BankenMacht zu partikularen Zwecken missbraucht wird und die Risiken einseitig bei der Allgemeinheit landen. Ein Bonus als solcher mag manchmal eine gute Idee sein, insbesondere wenn er an das Erreichen von Zielen geknüpft ist, die der Allgemeinheit direkt oder indirekt zugutekommen. Eine Bonus-Gemeinschaft der Kumpel,   41

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die ganz partikular auf Kosten des Gemeinwohls unterwegs ist, steht jedoch unter Korruptionsverdacht, weil Macht zu partikularen Zwecken wie denen der Investmentbanker missbraucht wird. Inwiefern gehören Investmentbanker unter die Überschrift des Kumpel-Kapitalismus, wo sie doch geradezu Inbegriff eines anti-sozialen Egoismus sind ? Die Antwort lautet, dass ihre Politik der reinen Maximierung eigener Interessen nur in einem sozialen Geflecht funktioniert, das sie auffängt, wenn sie scheitern und vor der Pleite stehen. Das Motto too big to fail steht für die Perversion eines gewinnorientierten Kapitalismus, der im erhofften Normalfall dafür Sorge trägt, dass nicht nur die Gewinne, sondern auch die Verluste privatisiert bleiben. In dieser Symmetrie liegt die Quelle der Legitimation des Kapitalismus; denn die Risikobereitschaft Einzelner, die viel wagen, um viel zu gewinnen, ist genau dann gerechtfertigt, wenn das Scheitern auch individuell zugerechnet wird. Investmentbanker gehen jedoch in der Gewissheit, dass die Allgemeinheit sie rettet, wenn etwas fundamental schiefläuft, exorbitante Risiken ein. Wenn Banker wirklich komplett für die eingesetzten Summen haften würden, dann wären sie vermutlich in ihren Risikoabschätzungen von mehr Vorsicht geprägt (mit Ausnahme vielleicht von einigen berufsmäßig süchtigen und insofern irrationalen Zockern). Stellt der Teilverkauf von Air Berlin an die Lufthansa im Jahr 2017 ebenfalls eine Form des Kumpel-Kapitalismus dar ? War es nur mikropolitisch geschickt oder schon korrupt, den Manager der Lufthansa-Tochter »Eurowings« Thomas Winkelmann abgesichert auch noch durch ein Garantiegehalt kurz vor der Insolvenz vorausschauend bei »Air Berlin« zu platzieren und den Verkehrsminister, Alexander Dobrindt, für die »Lufthansa« als globalen Mitspieler aus Deutschland sprechen zu lassen ? Die Lufthansa als ehemaliger Konkurrent bekam im Insolvenzverfahren, das in Eigenverwaltung der bankrotten Firma durchgeführt wurde, eine so starke Stellung, dass Mitbewerber im Bieterverfahren zunächst keine angemessene Chance bekamen. Die Lufthansa konnte daher die meisten Flugzeuge von Air Berlin übernehmen und wichtige Rechte auf Starts und Landungen gleich mit. Der deutsche Staat hat sich die ganze Zeit intensiv eingemischt; im Ergebnis war ein vor den Bundestagswahlen im September 2017 gewährter Überbrückungskredit von 42  |  Kapitel 4 

150 Millionen Euro zwischendurch schon als verloren abzuschreiben.39 Im Geflecht von Staat, Insolvenzverwaltung und Lufthansa zogen Kumpels die Fäden, die es letztlich schafften, Mitbewerbern aus anderen Ländern nicht die gleiche Chance zu lassen.40 »Korruptionskritik war zwischen Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts weitgehend identisch mit Kapitalismuskritik«, so der Historiker Jens Ivo Engels.41 Gleichwohl haben Sozialisten und Linke trotz ihrer grundsätzlichen Kapitalismuskritik nur sehr zurückhaltend ein Interesse an der Korruptionskritik entwickelt. Der gedankliche Hintergrund hierfür ist wohl, dass sich der Korrup­ tionsgedanke vom Definitionselement des Missbrauchs von Macht erschließt. Dies bedeutet, dass der Gebrauch von Macht legitim sein kann und dass es neben einem illegitimen einen legitimen Kapitalismus gibt. Genau dies wird in der marxistischen Tradition jedoch nicht akzeptiert, da hier der Kapitalismus ab einer gewissen Entwicklungsstufe der Gesellschaft als solcher kritisiert wird. Den Kumpel-Kapitalismus als korrupt zu bezeichnen, bedeutet zugleich, dass der Begriff des Kapitalismus zur alleinigen Bewertung von Gesellschaften zu grobschlächtig ist. Es lohnt sich, in der globalen Perspektive von verschiedenen Formen eines korrupten und eines weniger korrupten Kapitalismus auszugehen und ihm kein überzeitliches Wesen zuzusprechen. Was George A. Akerlof und Robert J. Shiller Phishing for Fools nennen, dient als Form der Korruption nur dem partikularen Vorteil und verhindert »Märkte für Menschen«.42 Wenn kapitalistische Dynamik mit ihrer Anstachelung des selbstverantworteten Eigeninteresses und ihrer – marxistisch gesprochen – Entfaltung der Produktivkräfte aber nicht nur zur Wohlstandsvermehrung der jetzt Privilegierten gebraucht wird, sondern auch zur Altersversorgung schrumpfender Bevölkerungen, zur technischen Effizienzrevolution angesichts des Klimawandels und selbst zur Überwindung des Hungers in der Welt, dann gibt es gute Gründe, an ihr festzuhalten, aber zugleich Kumpel-Kapitalismus und Phishing for Fools zu überwinden. Daher bleibt sogar das Loblieb des Ökonomen Joseph Schumpeter auf den Unternehmer aktuell, der für ihn im Sozialismus und im fortentwickelten Kapitalismus gleichermaßen vom Untergang bedroht ist.43 Eine Unternehmerin heißt so, weil sie bereit ist, risikobehaftet etwas zu unternehmen, ohne im Fall des Misslingens die   Kapitel 4  |  43

Negativfolgen auf Andere abzuwälzen. Der Kumpel-Kapitalismus unter­miniert demgegenüber in seinem Missbrauch von Macht zu partikularen Zwecken die Gemeinwohlorientierung, die legitime Formen von Kapitalismus von anderen unterscheidet : Der korrupte, auf Ausbeutung zielende und allein den partikularen Gewinn auf Kosten der Allgemeinschaft befördernde Kapitalismus stellt das zu lösende Problem dar – der auf Wettbewerb beruhende Kapitalismus ist nicht grundsätzlich problematisch. Gegenstand der Korruptionskritik sind in der Ökonomie die kar­tellartigen Strukturen, die altmarxistisch oft als staatsmonopo­ listisch bezeichnet wurden und die den Kumpel-Kapitalismus in seiner Affinität zum Missbrauch von Macht zugleich in einem fließenden Übergang zum zentral gesteuerten Sozialismus zeigen.44 Statt marktwirtschaftlich immer neu aufstrebenden Mittelständlern und Existenzgründern den Weg frei zu machen, werden verkrustete Altstrukturen im Geflecht von großen Firmen und dem Staat oder sozialistisch gleich nur innerhalb des staatlichen Monopols bevorzugt. Man kennt sich und man stützt sich ! Ein Spezial­ aspekt ist dabei in Aktiengesellschaften das Verhältnis von Aufsichtsräten zu operativen Vorständen, die von ihnen kontrolliert werden sollen. Doch wirkliche Kontrolle findet oft nicht statt. Hier sind Kumpel unter sich. Nicht selten gehen alte Vorstände im höheren Alter in den Aufsichtsrat; es bleibt eine Großgemeinschaft der Manager auf Kosten der Allgemeinheit und manchmal auch zu Ungunsten der Eigentümer. Wer den Aktienkurs der Deutschen Bank in den letzten zehn Jahren anschaut, der im Zeitraum zwischen 2007 und 2019 von einem Stand um 100 Euro auf deutlich unter 10 Euro gefallen ist, könnte fast von einer Verschwörung der angestellten Banker gegen die Interessen der Eigentümer sprechen. Was in alten Zeiten in den arroganten Ruf »Immer Ärger mit dem Personal« mündete, gewinnt hier bei den Verlusten der Eigentümer von Banken eine eigentümliche Wendung. Die genaue Suche nach dem Missbrauch von Macht zu partikularen Zwecken erschließt den Blick auf die Allgegenwart der Korruption, um so für die vielen kleinen und großen Korruptionen im Kumpel-Kapitalismus zu sensibilisieren. Sie beschränken sich nicht allein auf gewinnorientierte Firmen, sondern lassen sich überhaupt auf alle Formen einer »Ökonomie der Aufmerksamkeit« beziehen, 44  |  Kapitel 4 

die manchmal, aber keineswegs immer in einer Geldwährung abgerechnet wird.45 Korrupt sind nicht nur die Anderen ! Daher lohnt es sich, den Blick schweifen zu lassen, um nach korrupten Einstellungen und Praktiken in unserer Gegenwart zu fahnden – gerade auf Feldern, die oft nicht mit Korruption in Zusammenhang gebracht werden. Wenn dies im Folgenden vor allem geschieht, indem Fragen aufgeworfen werden, steht dabei Rawls’ Methode des reflexiven Gleichgewichts und das Ziel der dichten Beschreibung im Hintergrund, um Korruption nicht nur im Allgemeinen zu belassen. Als Philosoph kann ich dabei Spuren suchen, aber die angesprochenen Themen nicht in ihrer ganzen Vielfalt abdecken. Der Arzt Matthias Thöns thematisiert das »Geschäft mit dem Lebensende«46, das sich als Korruptionstatbestand verstehen lässt, weil hier ärztliche Macht pekuniär, aber zum Teil wohl auch aufgrund der Unfähigkeit zu Entscheidungen und aufgrund von Allmachtsbedürfnissen zum eigenen Vorteil missbraucht wird. Der Fehler stecke dabei in unserem Gesundheitssystem, das Fehl­anreize schaffe, um Apparatemedizin anzuwenden, immer neue Chemo­ therapien einzusetzen und große Eingriffe durchzuführen. Thöns spricht von einer Logik des Systems, wenn Ärzte und die unter hohem Kostendruck arbeitenden Kliniken und Pflegedienste diese Rahmenbedingungen gezielt ausschöpfen. Übertherapie werde hierzulande honoriert und Leidensminderung bestraft – zumindest habituell und finanziell. Ein weiteres Beispiel aus dem Gesundheitssystem : Ärzte manipulieren an Universitätskliniken wie der in Göttingen die Warteliste für Lebertransplantationen zugunsten ihrer eigenen Patienten – so 2013 zur Anklage gebracht. In diesem Organspendeskandal fließt kein Geld, Bestechung kann zumindest nicht nachgewiesen werden. War die Motivation im Grunde altruistisch zugunsten der Seilschaft der eigenen Patienten, insbesondere solcher, die wegen Alkoholismus nach den Richtlinien der Bundesärztekammer in Deutschland von einer Transplantation ausgeschlossen sind ? Wurden die herrschenden Regeln verletzt, die selbst nicht neutral sind, weil in der medizinisch begründeten Reihenfolge für zur Verfügung stehende Organe nicht akzeptable Wertvorstellungen zur Geltung kommen ? Oder war es doch ein Handeln, um die eigenen Operationszahlen aus Ehrgeiz oder für das eigene Einkommen in   Kapitel 4  |  45

die Höhe zu treiben ? Die Anklage gegen den Leiter der Transplantationschirurgie der Uniklinik Göttingen ist nach einem erstinstanzlichen Freispruch, das den Vorwurf des versuchten Totschlags und der Körperverletzung mit Todesfolge trotz einer moralischen Fragwürdigkeit der Reihenfolgenmanipulation als nicht erwiesen ansieht, nun auch vom Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz abgewiesen worden.47 Die Auswirkungen des Skandals auf die Spendenbereitschaft der deutschen Bevölkerung waren unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit des Göttinger Tuns jedenfalls kurzfristig betrachtet erheblich und die Zahl der auf ein Organ wartenden Patienten steigt weiter. Der regelverletzende Transplantationsarzt verlängert durch sein Handeln zugunsten der eigenen Patienten jedenfalls nicht nur die Wartezeit der von ihm nicht begünstigten Patienten, sondern untergräbt ganz allgemein die Spendenbereitschaft von Menschen – jedenfalls ist dieser Zusammenhang so etabliert worden, ohne dass er gerichtlich im Rahmen einer Verurteilung fixiert worden wäre. So bleibt dieser Skandal unübersichtlich. Beging der Arzt in seiner Manipulation der Reihenfolge einen den Korruptionsvorwurf rechtfertigenden partikularen Machtmissbrauch oder sind sogar umgekehrt die Regeln der Bundesärztekammer korrupt, weil sie eine Menschengruppe stigmatisieren ? Vielleicht ist eine ganz andere Wendung des Korruptionsvorwurfes noch naheliegender : Bietet die mediale Skandalisierung der Unregelmäßigkeiten in Göttingen und anderen Orten, die die entlastende Lesart der Motivation des Transplantationsarztes in der Berichterstattung unter den Tisch fallen lässt, eine eigene Form der Korruption, weil zugunsten der einseitig aufgebauschten Nachrichtensensation, die den ethischen Konfliktfall ausblendet, Menschen in ihrer Hilfsbereitschaft irritiert werden ? Haben wir es also eher mit korrupten Journalisten als mit korrupten Ärzten zu tun ? Ist neben der aufklärerischen Bedeutung des Aufdeckungsjournalismus, die bis heute in mutigen und nicht selten gefährlichen Aktionen hoch zu schätzen ist, nicht zunehmend eine eigene Korruptheit der Medien festzustellen ? »Ein Schmiergeld namens Nähe«48 bezeichnet als Bonmot die Gefahren einer allzu großen Vertrautheit von Journalisten mit den Menschen, über die sie berichten und die sie beide als Kumpel dastehen lassen. Fakten, Fakten, Fakten, aber nur 46  |  Kapitel 4 

wenn sie sich als sensationell aufbereiten lassen, könnte als noch gravierenderes Motto von immer mehr journalistischen Produkten angesehen werden. Steht nicht der Aufdeckungsjournalismus letztlich in seinem partikularen Verkaufsinteresse an möglichst umfassender Skandalisierbarkeit sogar in der Gefahr, zum Kumpel der Korrupten zu werden ? Und unterminiert die digital noch erheblich gesteigerte Publikationsgeschwindigkeit nicht ganz generell die journalistische Wahrheitssuche ? Über Suchmaschinen muss auch diskutiert werden. Sie spielen eine immer größere Rolle bei der Welterschließung und wirken dabei so unabhängig. Doch ihre Algorithmen haben es in sich. Machen sie die Macht zugunsten von partikularen Zwecken nur unsichtbar ? Missbrauchen sie diese in Monopolen ? Würde eine Pluralität von Suchmaschinen etwas ändern ? Oder sitzt das Missbräuchliche schon in der algorithmischen Form der Suchmaschinen selbst, weil sie andere Formen der Welterschließung machtvoll verdrängen ? Auch die sich oft für unabhängig haltenden Wissenschaften kennen ihre eigenen Formen der Bestechlichkeit. So vertrat der Agrar­ wissenschaftler Trofim Denisovich Lysenko in der Sowjetunion seit den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, massiv unterstützt noch viele Jahre über Stalins Tod hinaus, die Auffassung, dass Charakteristika von Getreidesorten nicht genetisch, sondern nur durch ihre Umwelt bedingt werden; als Folge dieser Ablehnung der faschistisch genannten Genetik kam es nach Missernten zu Problemen bei der Getreideversorgung.49 Das Ethos eines Wissenschaftlers ist idealerweise ausgerichtet auf Wahrheit. ­Lysenko arbeitete in einem Umfeld, in dem die Berücksichtigung genetischer Bedingungen als politisch inkorrekt und abweichlerisch angesehen wurde. Veränderungen von Eigenschaften der Umwelt zuzuschreiben, galt demgegenüber als links und damit erwünscht. Die politische Aufladung, die die Frage nach der Bedeutung der Vererbung in das Links-Rechts-Schema einsortiert, findet heute noch in mancher Debatte um Umwelt und Bildung ein lebhaftes Echo. Ganz persönlich ermutigt durch Stalin machte sich Lysenko folgenträchtig auf den Weg, um den Getreideanbau zu revolutionieren, und ignorierte dabei die Forschungen über genetische Bedingtheit. Wegen des partikularen Zweckes, die eigene Ideologie auch auf dem Feld der Wissenschaft zur Geltung zu bringen, wird Macht   Kapitel 4  |  47

missbraucht, indem die Regeln der wissenschaftlichen Wahrheitssuche außer Kraft gesetzt werden. Korruption durch ideologische Verblendung, lautet die Diagnose. Hat sich gegenwärtig auch die internationale Klimaforschung mit vermutlich allerbesten Absichten in ein parteiisches Fahrwasser begeben, das in seiner Verquickung von Wissenschaft und Politik an Lysenko erinnert ? Der Klimaforscher Hans von Storch und der Ethnologe Werner Krauß legen eine solche Deutung nahe : Beide sind keine Klimaskeptiker, die das Menschengemachte der offensichtlichen und leicht messbaren Erwärmung der Erde bestreiten. Es geht ihnen vielmehr darum, dass die wissenschaftliche Komplexität von detaillierten Erforschungen des Klimas keine seriöse Basis für eindeutige Detailprognosen bietet.50 Das in vielen Dokumenten festgeschriebene Zwei-Grad-Ziel oder das Pariser Abkommen des Jahres 2015 mit der Beschränkung der Erwärmung auf 1,5 Grad mögen politisch überaus sinnvoll sein, doch die Festlegung von Grenzwerten enthält immer auch normative Anteile, die sich aus empirischen Einzelergebnissen wissenschaftlich nicht direkt ableiten lassen. Wenn von Storch und Krauß dementsprechend dafür plädieren, dass Klimamodelle nach rein wissenschaftlichen Maßstäben ergebnisoffen diskutiert werden sollten, können solche Modelle nicht bruchlos in die Welt politischer Entscheidungen übersetzt werden. Wenn hier zu schnell eine Überblendung erfolgt, könnte Korruptionsgefahr im Namen der vermeintlichen Weltrettung bestehen, die der angemessenen Erforschung des Klimawandels und seiner Folgen ebenso im Wege steht wie sie Klima­ skeptikern gegenüber der These vom Menschengemachten der Erwärmung unnötige Angriffspunkte liefert.51 Weitere Fragen stellen sich zum Wissenschaftssystem : Folgt die gegenwärtig in Deutschland so stark bevorzugte Drittmittelforschung ebenfalls einer ideologisch motivierten Korruption, die Wahrheitssuche durch externe Erfolgskriterien manipuliert ?52 Lassen sich Seilschaften erkennen, die die grenzbewusste Wahrheits­ suche gefährden ? Welche Rolle spielen Zitationskartelle ? Erleichtert die systemisch begünstigte Vielschreiberei Korruption, die zu einer verschwindend geringen Leserate des Geschriebenen führt und so eine kritische Auseinandersetzung gar nicht mehr stattfinden lässt ? Sind Experten besonders korrupt, weil sie in ihrer Ein48  |  Kapitel 4 

seitigkeit und gefangen im Denken der eigenen Gruppe den Machtmissbrauch des Partikularen fast gar nicht vermeiden können ? Interessant bleibt in der Politik für europäische Leser die Frage, ob die schon angesprochenen japanischen Praktiken womöglich bei uns Äquivalente haben, bei denen kein Geldtransfer stattfindet. Ist also ein Wahlkampf, in dem keine Konzepte für kontroverse Zukunftsfragen diskutiert, sondern nur Wohlfühl- und Angstparolen verbreitet werden, eine Form der Wahlbestechung ? Eine Art Bestechungsgeschenk ohne Geld ? Wie verhält es sich mit der in Wahlkämpfen üblichen Praktik, dass systematisch nach Skandalisierbarem beim politischen Gegner gesucht wird (und sei das Vergehen noch so klein) ? Ist Wahlkampf mit seiner Tendenz zum Populismus überhaupt ein Versuch der Korruption ? Kann eine Bewegung gegen Korruption selbst korrupt sein ? Da sich weltweit inzwischen kaum noch jemand zur Korruption bekennen mag, wird es in Wahlkämpfen und überhaupt in der politischen Auseinandersetzung zu einer scharfen Waffe, die Gegner der Korruption zu bezichtigen. Korruptionskritik mit ihrer Moralisierung kann geradezu ein Einfallstor für autoritäre und verbrecherische Regime sein. Wenn alle korrupt sind, lässt sich eine Sehnsucht nach dem vermeintlich nicht-korrupten, starken Führer erwecken. Es bleibt abzuwarten, ob in Brasilien nach dem Amtsantritt von Jair Bolsonaro als neuer Präsident genau diese Beschreibung zutrifft. Ganz grundsätzlich scheinen Praktiken der Steuerhinterziehung und der Selbstbereicherung beispielsweise in Russland und China verbreitet zu sein, aber sie werden nur bei denen kriminalisiert, die den Herrschenden oder einem Teil von ihnen nicht passen. Die Zustimmung für das Einsperren politischer Gegner wird breitflächig durch Korruptionskritik vorbereitet. In China gab es auffällig viele Korruptionsfälle wie den von Bo Xilai, der als hochrangiger, aber im Machtkampf wohl unterlegener Politiker mit Erfolg der Korruption bezichtigt wurde, weil öffentliche Korruptionskritik schnell auf Zustimmung stößt. Es dürfte allerdings so sein, dass in Wirklichkeit nicht primär korruptes Verhalten, sondern die abweichende politische Auffassung des Protagonisten das Motiv zur Anklage bildete.53 So lässt sich festhalten : Gerade die Korruptionskritik kann korrupt sein, wenn sie politisch selektiv instrumentalisiert wird. Deshalb muss der Satz »Korrupt sind nur die anderen«   Kapitel 4  |  49

auch auf Korruptionsbekämpfer selbst angewandt werden, sofern sie ihre Macht missbrauchen. Korruptionsdiagnosen sind scharfe Waffen, die im Kampf um Macht nur allzu gerne genutzt werden. Daher muss der Erkenntnisgewinn, der darin liegt, Korruption fast überall zu entdecken, ins Verhältnis zu der Gefahr gesetzt werden, dass die Sehnsucht nach ganz anderen Zuständen zu noch schlimmeren Auswüchsen sogar der Korruption führen kann.

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Weniger gut und vernünftig als unterstellt Der Mensch neigt zum Machtmissbrauch  5

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n diesem Kapitel geht es um Adam und Eva. Beide neigen zur Korruption. Aus dem Paradies vertrieben stand die Einschätzung in der jüdischen Tradition und später in unterschiedlicher Auslegung für christliche Theologen immer schon fest, dass sie Sünder sind. Anders als beim griechischen Philosophen Aristoteles, der den Menschen unbedingt den Ehrentitel eines vernünftigen Tieres zusprechen wollte, steht die vorgängige Sündhaftigkeit für die Endlichkeit und die begrenzte Vernunft von Adam und Eva. Immanuel Kant, der selbst für die vernünftige Seite steht, hat den Menschen – wie er meinte, ganz realistisch – als »krummes Holz« beschrieben.54 Mit dem Erbe von Adam und Eva ist demnach auch nach der Aufklärung weiter zu rechnen. Einfache Idealisierungen, wie herrlich weit es die Menschheit gebracht hat, gehen in die Irre. Gegen Korruption erfolgreich vorgehen zu wollen, erfordert die Vermeidung allzu optimistischer Menschenbilder. Der Erfinder der Psychoanalyse, Sigmund Freud, hat auf seiner Couch Adam und Eva mit begrenztem Erfolg davon überzeugen wollen, dass sie sich selbst oft etwas vormachen. Für ihn ist klar, dass bei Menschen mit Selbsttäuschungen immer zu rechnen ist. Er deutet die Sexualität als Teil der natürlichen Gattungsausstattung des Menschen, die so gegen eine reine Verstandestradition des Bewusstseins in Stellung gebracht wird. Zwischen der »Dampfkesseltheorie« des frühen Freud und der resignativen Einsicht des späten, dass Sublimierung geradezu der Regelfall ist, ergibt sich ein Spannungsverhältnis. Egal, ob der frühe oder der späte Freud recht hat : Klar ist, dass Adam Entschuldigungsgeschichten erzählt, wonach allein Eva Schuld sei. Eva verweist auf eine Schlange, von der sie ihrerseits nur verführt und so ebenfalls ganz unschuldig aus dem Paradies ausgewiesen wurde. Adam und Eva neigen wie andere Menschen dazu, sich etwas einzubilden und in narziss­tischen Allmachtsphantasien die Welt nach dem eigenen Muster zu erschlie  51

ßen. Wer sich schon selbst etwas vormacht und zur Selbstkorruption neigt, wird auch Wege finden, die eigene Korruptheit anderen gegenüber zu rechtfertigen. Gesellschaftliche Korruption findet so Unterstützung in der ebenfalls nicht korruptionsfreien Subjektivität der Individuen. Der Neurobiologe Gerhard Roth und der Verhaltensökonom Daniel Kahneman haben Adam und Eva wenig anzubieten, um den psychoanalytischen Schock zu kurieren, wonach sie nicht Herr und Frau in ihrem eigenen Hause sind.55 Im Gegenteil : Der Neurobiologe identifiziert im Gehirn des Menschen ein Belohnungssystem, das oft empfindlich wie eine Mimose reagiert und immer bedient werden muss. Wer von außen auf dieser Klaviatur zu spielen weiß, kann Adam und Eva zu vielen nicht besonders vernünftigen und moralischen Einstellungen und Handlungen bringen. Der Verhaltensökonom regt sich über seine Kollegen in den Wirtschaftswissenschaften auf, die Adam und Eva permanent als rationale Nutzenmaximierer sehen. Da kennt er die beiden besser ! Oft abgelenkt, oft ihre eigenen Ziele nicht kennend irren sie unstet umher und sind durch Manipulationen leicht vom eigenen Weg abzubringen. Nicht selten haben sie gar keinen eigenen Weg definiert. Dies alles stellt weit geöffnete Tore für zahlreiche Arten der Korruption dar. Wenn die Ansprüche an die gedankliche Unabhängigkeit des menschlichen Urteils zur Immunisierung gegen Korruption zu erhöhen sind, bleibt die Frage, ob diese Unabhängigkeit für Adam und Eva überhaupt erreichbar ist. Wenn sie durch Selbsttäuschungen und Nicht-Rationalität dominiert werden, dann hilft ein naiver Appell an ihre Moralität in der Korruptionsbekämpfung jedenfalls nicht. Gefragt ist für Sünder eine Perspektive, die zeigt, weshalb diese Moralität auch ihnen als nicht besonders altruistischen Wesen nützt. Wenn Adam und Eva bestenfalls gelegentlich zur Vernunft in der Lage sind, aber als Menschen im Alltag der Tendenz nach eher selten vernünftig sind, dann hat dies auch Konsequenzen für den Umgang mit Korruption. Vernünftige Einsicht eines Individuums reicht jedenfalls nicht zur Prävention. Das Unvernünftige ist ein Faktor, mit dem ständig zu rechnen ist. Dieser anthropologischen Einsicht muss Raum gegeben werden, gerade wenn ein Interesse daran besteht, der Vernunft bei der Gestaltung der Welt eine Chance zu geben. 52  |  Kapitel 5 

Was heißt es im Einzelnen, wenn Adam und Eva zur Korruption neigen ? Mindestens vier Varianten drängen sich zur Auslegung auf : Erstens kann es bei Eva auf eine Willensschwäche verweisen, das heißt sie will Korruption nach ihrem eigenen moralischen Selbstverständnis eigentlich vermeiden, folgt dieser Absicht im richtigen Leben aber nicht und lässt sich doch mit den bekannten Folgen durch den Apfel verführen. Zweitens kann Adam ganz verbrecherisch mit vollem Bewusstsein korrupt sein, obwohl er das Fragwürdige seiner Einstellungen und seines Tuns kennt. Drittens kann Eva von den Lehren des ökonomischen Nutzens gehört haben und ihnen folgend mit gutem Gewissen ihre Ziele mit Korruption realisieren (vielleicht arbeitet sie bei Siemens, wo man lange glaubte, dass zumindest im Ausland Korruption zur Sicherstellung von Aufträgen erlaubt ist). Viertens ist auch mit einer Korruption aus einem Irrtum heraus zu rechnen; dazu neigt Adam, der schnell überfordert ist und oft die Zusammenhänge falsch einschätzt und so das Missbräuchliche des eigenen Tuns bei allerbesten Absichten und ohne jede Willensschwäche einfach nicht erkennt. Auch alle vier Varianten gemischt bringen Adam und Eva zustande, wenn sie beim Ausfüllen von Formularen bei Subventionsanträgen oder bei Steuererklärungen schummeln : Deren oft überkomplexe Form macht es schwer, sie richtig und irrtumsfrei auszufüllen. Gepaart mit der Einschätzung, dass die Vergünstigungen ihnen doch zustehen, ist das Schönrechnen in Anträgen mit gutem Gewissen gepaart. Sie sind nicht eigentlich mit voller Absicht betrugswillig, aber sie widersetzen sich auch nicht mit letztem Nachdruck der Verführung. Halb zog es sie hin, aber zur anderen Hälfte ließen sie sich auch aktiv sinken. Der Journalist Hans Leyendecker hat sich vor allem mit Adam beschäftigt.56 In einer kleinen Typologie beschreibt er in der Einschätzung, dass Korruption vor allem ein Missstand unter Männern ist, drei Typen. Der eine aus dem »mittleren Management« ist mit »Strukturen der Korruption« vertraut, »empfindet sie aber nicht als solche, sondern betrachtet sie, wenn er davon profitiert, als Ausgleich für all die Arbeit, die ihm nicht ausreichend entgolten worden ist«. Eher selten in der heutigen Welt der Korruption in Deutschland, die von grauen Seelen geprägt sei, könne man den Bluffer und Hochstapler antreffen, der ganz aus Fassade bestehe,   Kapitel 5  |  53

früh vorbestraft sei und allgemein sichtbar über seine Verhältnisse lebe. Der dritte Typ schließlich sei selbst fast mehr Opfer als Täter, weil er prinzipiell eher weich und sensibel gebaut sei, sich aber in korrupten Verhältnissen nicht zu entziehen wisse. Leyendeckers Typologie ebenso wie die vier Varianten bei Adam und Eva betreffen eine Differenzierung aus der Sicht des Individuums, die aber noch zu erweitern ist durch die überindividuelle Perspektive in Sichtweisen und unbewusst gewordenen Selbstverständlichkeiten unserer Umgebung, die Macht ausüben. Wenn Adam im Stab von Major Schilin während des Tschetschenien-Krieges eingesetzt ist oder Eva in Montegrano in Lucania geboren wurde, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie das Wort Korruption zur Deutung ihres Weltumganges nutzen. Sprache erschließt aber den Weltzugang. Wer Begünstigungen unter der Überschrift des nackten Überlebens oder der Liebe im Nahbereich kategorisiert, wird gar nicht auf die Idee kommen, hierfür Deutungswörter aus dem Bedeutungsbereich von Korruption zu nutzen. Die Deutungsmacht der jeweiligen Umgebung kann es also verhindern, dass Adam und Eva sich selbst Fragen stellen, die die Selbstverständlichkeiten ihres Verhältnisses zur Korruption überwindbar werden lassen. Sich selbst zu durchschauen ist nicht nur für die Menschen schwierig, mit denen Sigmund Freud auf seiner Couch zu tun hatte. Doch langsam ! Stimmt es wirklich, dass der Mensch nicht vernünftig ist ? Ist nicht doch mit rationaler Interessenwahrnehmung zu rechnen, bei der im Hinblick auf gegebene Zwecke ganz klug passende Mittel zur Realisierung gesucht werden ? Vielleicht ist der Mensch im Kontrast zu emphatisch-moralischen Ansprüchen verderbt, aber ist er wirklich durchgängig irrational ? Die Verhaltensökonomie, der ich im Verein mit Psychoanalyse und Neurobiologie bisher gefolgt bin, könnte in ihrer Kritik der klassischen Ökonomie mit der Unterstellung eines homo oeconomicus ja falsch liegen. Die neurobiologischen Ergebnisse beispielsweise sind vielleicht weniger eindeutig als zunächst angenommen. Gerhard Roth hat in mehreren Büchern versucht, die Konsequenzen der Neurobiologie für ein neues Weltbild aufzuzeigen. Demnach ist Bewusstsein »nicht die Krone menschlichen Wesens« und »Denken und Planhandlungen« sind bei Menschen keineswegs »besonders stark entwickelt«; vielmehr wird die Sicht Sigmund Freuds durch die moderne Neu54  |  Kapitel 5 

robiologie in einer »Reihe von Kernaussagen bestätigt, vor allem was die Dominanz des Unbewussten gegenüber dem Bewussten, die Bedeutung frühkindlicher Erfahrungen, die sehr beschränkten Möglichkeiten des Selbstverstehens und die Neigung des bewussten Ich zu Pseudoerklärungen und Konfabulationen betrifft«.57 So ergibt sich ein Menschenbild, das von dem »vorherrschenden, vernunft- und ichzentrierten Menschenbild stark abweicht«. Neben diesen klaren Formulierungen finden sich bei Roth aber auch Ausführungen, die weniger eindeutig dem homo oeconomicus entgegenstehen : »Wir Menschen und wohl auch eine Reihe von Tieren besitzen in unserem Gehirn eine Fähigkeit, die uns fundamental von allen bisherigen ›Maschinen‹ unterscheidet, nämlich diejenige zur Selbstbewertung und zur sich daraus ergebenden erfahrungsgeleiteten Selbststeuerung, zur Autonomie.« Allerdings legt Roth Wert auf die Feststellung, dass eine solche durch Neurobiologie festgestellte Autonomie »unverträglich« mit »Willensfreiheit« sei. Nach diesen neu aufgetauchten Zweifeln bei der Beantwortung der Frage nach der Vernünftigkeit des Menschen folgt nun ein detaillierter Blick auf eine klassisch ökonomische Annäherung an das Thema der Korruption. Robert Klitgaard schaut als Ökonom sowohl auf Korruption als auch auf Korruptionsüberwindung. Er untersucht ganz nüchtern Korruption im Rahmen von Rationalitätsunterstellungen und erörtert dabei, wie Anreize zur Korruptionsvermeidung sinnvoll etabliert werden können.58 Als empirischen Ausgangspunkt nimmt er die durch und durch korrupte Finanzverwaltung der Philippinen um 1980, die nach einem Leitungswechsel ganz grundsätzlich von der Korruption weggeführt werden sollte. Klitgaard legt seine Studie in einem ökonomischen Rahmen vor und unterstellt, dass sich ein Mensch korrupt verhält, wenn die Vorteile die Nachteile überwiegen.59 Mit dieser einfachen Kategorisierung kann er sich – wie der neue, korruptionsbekämpfende Behördenleiter – die Verhaltensweisen der Untergebenen systemisch und zunächst gar nicht vordergründig moralisch anschauen. Dabei sieht er, dass fast alle Mitarbeiter zu Arrangements greifen, bei denen Steuerzahler nach Zahlung von erheblichen Summen an Angehörige der Steuerbehörde insgesamt deutlich günstiger taxiert werden, so dass auf Kosten der Steuereinnahmen des Staates der einzelne Steuerzahler und der Finanzbeamte glei  Kapitel 5  |  55

chermaßen profitieren. Ein Deal auf Kosten der Allgemeinheit, der für die unmittelbar Beteiligten große Vorteile bietet und in diesem Sinne für sie als Interessenmaximierer rational ist. In der ökonomischen Betrachtung wird zugleich mitgedacht, dass es einen enormen Aufwand bedeutet, in einer Behörde die Korruption komplett zu beseitigen. Korruptionsbekämpfung kann nicht die einzige Aufgabe einer Steuerbehörde sein, so dass auch deren ökonomische Kosten ins Verhältnis zum Ertrag gesetzt werden sollten. Angesichts dieser geradezu neutralen Kostenabwägung setzt sich Klitgaard sogar mit der Position auseinander, dass in schlecht organisierten Ländern Korruption vielleicht sogar das Funktionieren von Behörden verbessert, da der Bestechende eben zielstrebiger und leistungsbereiter als andere agiert. Auch können Verhältnisse so schlecht sein, dass ohne Schmiergeld gar nichts läuft. Auf der Basis solcher Überlegungen räumt Klitgaard tatsächlich ein, dass Korruption im Einzelfall vorteilhafter als Nicht-Korruption sein kann. Doch systemisch betrachtet ist dies keineswegs der Fall. Im Allgemeinen führt Korruption zu ineffizienter Verschwendung, begünstigt Privilegierte gegenüber Benachteiligten und fördert im Raum des Politischen zynische Einstellungen. Vor allem führt sie aber schlicht zu falsch gesetzten Anreizen : Die Interessenphantasie richtet sich bei Individuen auf möglichst geschickte Korruptionsausführung und nicht auf ein Arbeiten zugunsten der Allgemeinheit.60 Am Ende eines Prozesses kommen auch Personen, die zunächst wenig Neigung zur Korruption haben, zur Einsicht, dass es ohne sie nicht geht. Wie Gelegenheit Diebe macht, so wird auch Korruption durch Gelegenheiten erleichtert oder in der Phantasie des Handelnden sogar erst deutungsmächtig als möglich etabliert. Klitgaard fasst seine Einsichten in die Formel zusammen, dass es zu Korruption kommt, wenn in einem Monopol der einzelne Handelnde weitgehende Entscheidungsfreiheit hat, ohne für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen zu werden.61 Mit dieser Einschätzung wäre auch ein erster Fingerzeig verbunden, wie Korruption nach diesem ökonomischen Modell überwindbar ist, nämlich nach den Maximen »Vermeide Monopole !« und »Entscheidungsfreiheit nur mit entsprechender Haftung !« In späteren Kapiteln wird auf diesen Fingerzeig zurückzukommen sein. 56  |  Kapitel 5 

Wie verändert der ökonomische Blick die Einschätzung von Adam und Eva in ihrer Neigung zur Korruption ? Wenig – denn es spielt dabei keine große Rolle, ob Korruption aus überwiegend »rationalen« oder »emotionalen« Gründen begangen wird ! Es bleibt lediglich der Streitpunkt zwischen Verhaltensökonomie und klassischer Ökonomie nach der Rationalität des Menschen. Je enger Rationalität ausgelegt und als instrumentelle Vernunft verstanden wird, desto eher ist davon auszugehen, dass Adam und Eva rational handeln können. Auch umfassendere Ansprüche an die Vernunft sind gelegentlich zu erfüllen, aber im Alltag wird sie desto seltener beachtet, je anspruchsvoller sie verstanden wird. Auf den Spuren des Verhaltensökonomen Daniel Kahneman hat Rolf Dobelli weitverbreitete Bücher geschrieben, die die Klippen der Rationalität humorvoll in kleinen Geschichten transparent machen.62 Insgesamt dürfte die Verhaltensökonomie das realistischere und mit den Einsichten von Freud und Roth besser vereinbare Bild von Adam und Eva haben. Die Auffassung vom rationalen homo oeconomicus bleibt jedoch als mitgeführte Perspektive wichtig, um auch das Interessenmaximierende der Korruption im Blick zu behalten. Insgesamt dürfen Ansprüche an die Rationalität des praktischen Handelns schon aus Gründen der Vermeidung von Überlastung nicht übertrieben werden. Das Fazit, wonach der Mensch zur Verderbtheit neigt, hat Bestand in beiderlei Gestalt einer rationalen Kostenabwägung zugunsten der Korruption und einer unzureichend ausgeprägten Fähigkeit zur langfristigen Rationalität. Schauen wir uns nun dieses Zwischenergebnis mit Blick auf einen besonderen Verbrecher genauer an.

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Frei oder nicht frei »Der Eichmann in uns«  6

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as Böse fällt nicht vom Himmel und kommt auch nicht direkt aus der Hölle, sondern kennt neben der von Adam und Eva auch viele andere Geschichten, die es mehr oder weniger banal erklären. Auch korrupte Praktiken lassen allzu Menschliches und ganz individuelle Motive erkennen. Eine fast tägliche Tragik vor Gericht : Selbst bei bestialischen Verbrechen, die gerade Opfer nach harten Strafen rufen lässt, erscheinen »arme Würstchen« vor der Richterin, bei denen es allzu leicht passiert, dass die Differenz zwischen Tätern und Opfern verschwimmt. Die Extremversion des Bösen – der Massenmörder im Holocaust – eignet sich zum Durchdenken dieses Gegensatzes. Hannah Arendt hat mit ihrem Buch zur »Banalität des Bösen«63 weltweit einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen, weil sie genau dies getan hat. Anlässlich des Jerusalemer Prozesses gegen Adolf Eichmann, der als Schreibtischtäter den »Verwaltungsmassenmord« des Holocaust maßgeblich mit organisierte, arbeitet sie heraus, dass der Verbrecher nicht wie in einem Raumschiff von außen auf die Erde kommend zum bösen Massenmörder wird : »Außer einer ganz ungewöhnlichen Beflissenheit, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte«, stellt Hannah Arendt überhaupt keine besonderen Motive zum Bösen bei Eichmann fest, sondern lediglich »schiere Gedankenlosigkeit« und einen sehr weitgehenden »Mangel an Vorstellungskraft«. Für sie kommt es einer »Lektion« gleich, dass diese Eigenschaften mehr »Unheil« anrichten können »als alle die dem Menschen innewohnenden bösen Triebe zusammengenommen«. Während des Jerusalemer Prozesses behauptete Eichmann sogar, nicht nur keinen Menschen selbst getötet zu haben, sondern auch, sich ethisch immer am kategorischen Imperativ Kants orientiert zu haben, wofür er unter anderem Freundlichkeiten und Begünstigungen gegenüber ihm persönlich bekannten Juden als Beleg anführt. Die Perspektive von Arendt bleibt augenöffnend, selbst wenn 58

ihre Einschätzung der Figur Eichmann heute historisch angefochten wird. Insbesondere Bettina Stangneth hat die Sicht auf Eichmann unter Auswertung der Argentinien-Papiere aus dessen Zeit der Flucht ergänzt um den Aspekt, dass er durchaus als fanatischer Antisemit und Juden-Hasser anzusehen ist, der sich lediglich aus prozesstaktischen Gründen in Jerusalem in dieser Hinsicht getarnt habe. Stangneth nimmt diese Korrektur vor, ohne Arendts Banalitätsthese im Kern widersprechen zu wollen.64 So erscheint der Antisemitismus von Eichmann zwar als Disposition zum Verbrechen, aber der tatsächliche Weg zum Massenmörder behält Züge des Banalen im Sinne von Arendt. Die Pflichtbesessenheit Eichmanns orientiert sich gerade nicht am kategorischen Imperativ, den er nur als unverstandenes Kulturgut zitieren kann, sondern an einem vermeintlichen Gewissen, das an ihm genagt hätte, »wenn er den Befehlen nicht nachgekommen wäre und Millionen von Männern, Frauen und Kindern nicht mit unermüdlichem Eifer und peinlichster Sorgfalt in den Tod transportiert hätte«.65 Gerade seine »kompromisslose Haltung«, die keine Ausnahmen beim Morden duldet, sieht er selbst als Ausdruck einer ihn rechtfertigenden Gesinnung, die sich wohl eher an der Verballhornung des kategorischen Imperativs orientiert, die in der Nazi-Zeit kursierte : »Handle so, dass der Führer, wenn er von deinem Handeln Kenntnis hätte, dieses Handeln billigen würde.« Insgesamt sieht Arendt anders als der Staatsanwalt in Jerusalem Eichmann nicht als »Ungeheuer« : »Das Beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind.« Ganz wie Hegel, der darauf besteht, dass der Mörder nicht von Anfang an bloß als Mörder gesehen wird,66 baut Hannah Arendt Brücken des Verstehens zwischen dem Bösen und dem Nicht-­ Bösen, ohne dass hierbei die Gefahr der Billigung besteht. Das Böse ist insofern banal, als es bei Menschen wie Dir und mir zu einer verbrecherischen Entwicklung kommen kann. Der Umgang Arendts mit Eichmann und ihre These von der Banalität des Bösen haben ihr den ironischen Vorwurf eingetragen, dass sie in anthropologischer und existenzphilosophischer Perspektive einen Eichmann in uns allen unterstelle. Eine solche Perspektive sei gefährlich und verharmlosend zugleich. Da meine auf Ausweitung setzende He  Kapitel 6  |  59

rangehensweise an Korruption Analogien zur Sicht von Arendt aufweist, beschäftigen mich die gegen sie vorgebrachten Einwände, die allerdings nur unberechtigt sind, solange aus dem Verstehen keine normative Gleichgültigkeit wird. Dieses Kriterium lässt sich erfüllen, wenn die Suche nach den individuellen Motiven ausgeweitet wird und die überindividuelle Sicht erschließen hilft, dass das Leben in totalitären Diktaturen als Lehrstück für die Korrumpierbarkeit des Menschen einzuschätzen ist. Gerade weil der Mensch ein Wesen ist, das zur Verderbtheit neigt, sind Verhältnisse notwendig, die die Verführbarkeit eher minimieren, als aus ihr wie in von Ideologien geprägten Diktaturen ein Gestaltungsprinzip zu machen. Wo allgemein Furcht und Zittern herrschen, die auch noch ideologisch als Mittel zu einem legitimen Zweck gerechtfertigt werden, zeigen Menschen – von besonderen Ausnahmen abgesehen – ihre schlimmsten Seiten. Arendts Zielen auf Urteilskraft und Unabhängigkeit lässt sich aus der Totalitarismus-Debatte in den Kontext des Nachdenkens über Korruption überführen. Wer bei der Mafia landet, hat eventuell eine ähnlich ehrgeizige Karriere hinter sich wie Eichmann. Trotz aller Anthropologisierung, die das Verstehen von Korruptionspraktiken begünstigt und eine vollständige Überwindung als illusionär einschätzt, bleibt am Schluss doch »Empört Euch !«67; denn Korruption schadet der Menschheit. Um diese Empörung zu gestalten, bedarf es aber einer Vision für reale Menschen mit ihren Schwächen. Der zum Bösen neigende Mensch braucht Außenhalt, um genug Motive zu mobilisieren, die Welt der Korruption hinter sich zu lassen. Korruption hat demnach anthropologisch eine starke Komponente von Verführbarkeit – und verführbar ist vermutlich jeder. Je ethisch disziplinierter eine Person ist, desto schwieriger mag es sein, sie zu verführen, aber unmöglich wird es dadurch nicht. Wenn der Preis hoch genug ist, können wohl alle als verführbar gelten. Aus diesem funktionalen Zusammenhang folgt etwas für die Korruptionsprävention : Die Regeln des Zusammenlebens sollten möglichst wenige Verführungen zur Korruption bieten; denn auch umgekehrt gilt, je niedriger die Einstiegshürde zur Korruption ist, desto häufiger findet sie statt. Also spricht vieles dafür, die Hürden in den Gepflogenheiten einer Gesellschaft möglichst hoch aufzurichten. Dies kann – wie noch genauer zu erörtern sein 60  |  Kapitel 6 

wird  – unter­schiedlich aussehen : Stigmatisierung in der eigenen Lebenswelt, Strafandrohung mit hoher Wahrscheinlichkeit der Sofortrealisierung, Anknüpfbarkeit an eigene Interessen und Eröffnung besserer Alternativen. Das vom Historiker Jens Uwe Engels angesprochene »Rätsel der Korruptionsgeschichte« mit der »Frage, warum die Korruption trotz intensiver Debatten und weitreichender Reformen seit der Aufklärung nicht verschwand«,68 lässt sich mit Hilfe der Analyse von Hannah Arendt und ergänzt durch empirische Motivationsforschung wohl doch entschlüsseln. Der Korruptionsforscher Leslie Holmes bietet eine Übersicht über mögliche Antworten, die dem »Eichmann in uns« in Korruptionsfragen ansatzweise auf die Spur kommen.69 Aus meiner Sicht sind nicht alle von Holmes referierten Vorschläge gleich überzeugend, so signalisiert die auch in Auseinandersetzung mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/8 in tugendethischer Tradition so häufig angebotene Gier nur eine Verlegenheitsformulierung, die als Erklärung einer Motivation zur Korruption nahezu wertlos ist : Die starke Negativwertung verhindert ein offenes Nachdenken über ihre Entstehung und formuliert als Laster nur eine Überschrift für ein Syndrom, das es allererst zu verstehen gilt. Von Gier zu sprechen, erklärt etwas zu Entschlüsselndes mit etwas selbst nicht Geklärtem. Stärkere Ansätze zu einer Erklärung dürften Versuche bieten, die das fehlgeleitete Verlangen nach Anerkennung thematisieren.70 Adam und Eva vergleichen sich außerhalb des Paradieses mit ihren neuen Nachbarn und stellen fest : »Denen geht es besser«. Daher sind sie allzu leicht dazu bereit, ihren gesellschaftlichen Status um jeden Preis anheben und so ihre Lage verbessern zu wollen. ­Holmes spricht benachbart in diesem Zusammenhang auch von einer »Verlierer-Mentalität«, »was in etwa bedeutet, dass eine Person, die vom vorherrschenden Wertesystem als Außenseiter behandelt wird, dumm wäre, entsprechend den Werten dieses Systems zu ­leben«.71 Personen, die korrupte Handlungen ausführen, sehen sich daher selbst wohl nur selten als böse, sondern finden für das eigene Tun freundlichere Rechtfertigungen. Die Autorengruppe um Sven Litzcke72 konzentriert sich bei der Identifizierung der Korruption begünstigenden Faktoren ebenfalls auf solche Fehlwahrnehmungen des eigenen Verhaltens und dann vor allem auf etwas, was   Kapitel 6  |  61

die Autoren »organisationalen Zynismus« nennen. Demnach ist in ­einer Behörde, in einem Wirtschaftsunternehmen oder verall­ gemeinert sogar in einem ganzen Land die Bereitschaft zur Korruption dann als erhöht anzunehmen, wenn Menschen den Eindruck haben, dass sowieso vieles nicht gut läuft und ohnehin jeder primär an sich selbst denkt. Chaos fördert ebenso wie im eigenen Umfeld wahrgenommener allgemeiner Egoismus die Korruptionsneigung. Solche Aspekte verweisen insgesamt auf die Rolle der Umgebung einer korrupten Person : Ob Korruption als lässliche Sünde gilt oder als kriminell, hat nach der Etikettierungstheorie ebenso Einfluss wie die Zeugenschaft der Gruppe, die prinzipiell kontrollierend wirkt.73 Diese Überlegungen lassen sich so zusammenfassen, dass vor allem Gelegenheiten und Einschätzungen der eigenen Gruppe großen Einfluss auf die Motivation zur Korruption haben. Vor diesem Hintergrund ist auch für Holmes als Korruptionsforscher bei der Untersuchung der Motivation zum Bösen die Freiheitsfrage relevant : »Weder System noch handelnde Personen sind völlig autonom oder allein bestimmend : sie interagieren.« Die Freiheitsfrage steht im Zusammenhang mit der Entschlüsselung, wie es modal verstandene Macht schaffen kann, im Individuum korruptionsbegünstigend zu wirken, ohne dass es explizit einer freien Zustimmung der Person bedarf. Hannah Arendt hat ausgehend vom Eichmann-Prozess auf dem »Funktionieren der Urteilskraft« bestanden : »Was wir in diesen Prozessen fordern, ist, dass Menschen auch dann noch Recht von Unrecht zu unterscheiden fähig sind, wenn sie wirklich auf nichts anderes mehr zurückgreifen können als auf das eigene Urteil, das zudem unter solchen Umständen in schreiendem Gegensatz zu dem steht, was sie für die einhellige Meinung ihrer gesamten Umgebung halten müssen.«74 Um die Zumutung dieses Anspruches zu mildern, verweist sie darauf, dass die Verweigerung einer Mitwirkung an der Judenvernichtung in keinem einzigen Fall nachweisbar negative Konsequenzen für den Verweigerer gehabt habe und im Übrigen in Dänemark sogar ein ganzes Land erfolgreich in seiner Nicht-Kooperation bei der Vernichtung gewesen sei. Doch die Realisierung ihrer Erwartung erfordert eine Freiheitsunterstellung, zumal sie selbst in aller Schärfe betont, dass »es in Deutschland keine 62  |  Kapitel 6 

einzige Organisation oder öffentliche Institution gab, die nicht in verbrecherische Handlungen und Trans­a ktionen verwickelt gewesen wäre«.75 Kommen wir zur Vorbereitung einer Entscheidung bezüglich der Frage, ob die menschliche Urteilskraft auch unter den schwierigsten Umständen funktionieren kann, nochmals auf Freud mit seiner Einbeziehung des Unbewussten in das Verstehen des Menschen zurück. Ist es das Unbewusste, das Menschen korrumpiert und unfrei macht ? Trotz dieser berechtigten Frage kann Freud nicht als Vertreter einer ohne Deutungen auskommenden Reduk­ tions­these des Typs »menschliches Handeln ist nichts anderes als sexuelle Triebbefriedigung« in Anspruch genommen werden. Freud erweitert das Verständnis vom Menschen und verkürzt es nicht. Von daher ist mit Einflüssen des Unbewussten und seiner Wünsche ständig zu rechnen, aber im Sinne einer ausweglosen Unfreiheit lässt sich Freuds Verständnis vom Menschen als Naturwesen mit vielen unbewussten Anteilen nicht verstehen. Immerhin soll für ihn das bewusste Ich auch zum Herr im eigenen Hause werden und das Es mit seinen Triebenergien steuern. Bei dieser Einschätzung ergibt sich eine Anknüpfung der Gedanken Freuds an die heutige Neurobiologie, was nicht verwundert, da er in der damaligen Vorgängerdisziplin der Neurologie ausgebildet worden ist. Freud behauptet die zentrale Bedeutung der Sexualität, aber er neigt nicht zu Thesen vom Typ »Korruptionsgedanken und das Nicht-Funktionieren der Urteilskraft sind nichts anderes als der Ausdruck von Sexualität«. Vielmehr bleibt bei aller Natürlichkeit des Menschen und seiner Sexualität die Deutungsebene als eigenständige Dimension für ihn erhalten. Das Triebschicksal eines Menschen ist im Medium der Deutungen bearbeitbar, so dass Deutungen Veränderungsmacht haben, was eine Freiheitsmöglichkeit beinhaltet. Neurobiologen werden demgegenüber meist so verstanden, dass sie die harte These der Determination vertreten. Demnach hätten wir gegenüber unserem eigenen Innenleben – beispielsweise unseren Korruptionsneigungen – keine andere Chance, als ihnen zu folgen. Die These der Willensfreiheit im Sinne der klassischen Philosophie dürfte mit den Ergebnissen gegenwärtiger Neurobiologie tatsächlich nicht vereinbar sein; entsprechend zustimmend wird gerne Georg Christoph Lichtenberg   Kapitel 6  |  63

zitiert : »Ein Meisterstück der Schöpfung ist der Mensch auch schon deswegen, dass er bei allem Determinismus glaubt, er agiere als freies Wesen.«76 Wenn Jean-Paul Sartre über die Freiheit schreibt, wird er üblicherweise anders als Freud und die Neurobiologie als Vertreter der Willensfreiheit gelesen : »Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht.«77 Immer wieder findet sich bei ihm die Formulierung, dass im atheistischen Existentialismus die Existenz des Menschen seiner Essenz – seinem Wesen also – vorausgehe. Rhetorisch sind solche Passagen eindeutige Programme einer Freiheitsphilosophie, aber der sachliche Gehalt bleibt jenseits ihres aufrüttelnden Charakters zunächst unklar. Für die Frage, ob der Mensch sich frei gegen seinen Impuls zur Korruption und für das Eigenständige der Urteilskraft entscheiden kann, bringen sie wenig. Sartre kritisiert gleichwohl überzeugend den psychologischen Determinismus, der für ihn die Grundlage allen Entschuldigungsverhaltens und eine reflexive Abwehr der Existenzangst darstellt. Der psychologische Determinismus nimmt eine selbstobjektivierende Haltung ein und folgert eine durch Determination gegebene Ausweglosigkeit (»Kein Wunder, dass ich bei meiner Kindheit korrupt geworden bin«). Diese Schlussfolgerung ist für Sartre jedoch falsch, da die kulturelle Determination des Einzelnen im Medium der Freiheit erfolge. Es sei deshalb abwegig, sich die eigene Determination subjektiv psychologisch als Ausweglosigkeit aneignen zu wollen. In dieser Ausrichtung liegen Arendt und Sartre nahe beieinander : Niemand durchschaut existentiell vollständig und angemessen seine eigenen Determinationen. In Einschränkung der Freiheit ist nun jedoch für Sartre der Gedanke der (natürlichen und kulturellen) Faktizität wichtig. Für Sartre sollte man auch auf dem Feld der Korruptionsgepflogenheiten »gegen den gesunden Menschenverstand präzisieren, dass die Formel ›frei sein‹ nicht bedeutet ›erreichen, was man gewollt hat‹, sondern ›sich dazu bestimmen, durch sich selbst zu wollen‹«.78 Die Freiheit der Wahl bei Sartre, die in der Tradition der Willensfreiheit steht, leugnet nicht die Faktizität, das heißt das Haushalten-Müssen mit den eigenen Gegebenheiten : »Der Widrigkeitskoeffizient der Dinge kann kein Argument gegen unsere Freiheit sein, denn durch uns, das heißt durch die vorherige Setzung eines Zwecks, taucht 64  |  Kapitel 6 

dieser Widrigkeitskoeffizient auf.« Sartres bekannter Ausspruch »Wir sind zur Freiheit verurteilt« hat vor diesem Hintergrund immer als eine situierte Freiheit, die mit der Faktizität rechnet, zu gelten. Entsprechend erläutert er die situierte Faktizität als : »mein Platz, meine Vergangenheit, meine Umgebung, mein Nächster, mein Tod«. Wenn man Sartres Ausführungen zur Faktizität stark macht, verschiebt sich seine Freiheitsposition in Richtung auf eine überzeugende Zwischenstellung von Willensfreiheit und Determinismus. Daher passen sie gut zu dem Versuch, Korruption ohne die Entschuldigung einer deterministischen Fremdbestimmung in der Verantwortung von Individuen zu verstehen, ohne zu übersehen, wie stark in der Auslegung der individuellen Freiheit die Maßstäbe der Umgebung mitwirken. Modale Macht – so lässt sich Sartre aufgreifen – gestaltet Situationen mehr oder weniger subtil. Ob jemand wie Eichmann schon 1932 in Österreich in die NSDAP und sogar in die SS eintritt, hat etwas damit zu tun, wie eine Zeit zur Idee des Völkischen steht und in welchem Spektrum von Möglichkeiten der eigene Ehrgeiz realisiert werden kann. Auch Arendt akzeptiert die Bedeutung eines fehlenden Außenhaltes auf dem Weg zum Verbrechen : »So wie Eichmann die Dinge darstellte, hat kein Faktor so wirksam zur Beruhigung seines Gewissens beigetragen wie die schlichte Tatsache, dass er weit und breit niemanden, absolut niemanden entdecken konnte, der wirklich gegen die ›End­ lösung‹ gewesen wäre.«79 Jedes Diskutieren der Bedeutung oder womöglich der Überlegenheit des eigenen Volkes ebenso wie jeder Vorschlag zur Karriereplanung kann in einem modalen Sinne Macht entfalten. Freiheit wird gestaltet durch Machtverhältnisse, wobei diese nicht als reine Determinationsverhältnisse verstanden werden müssen. Die Freiheitsdebatte mündet so ein in die Einschätzung, dass Anreize für die Korruptionsvermeidung besonders zentral sind. Der Anspruch an eine solche Vermeidung bleibt auf den Spuren Arendts entscheidend, selbst wenn man mit Sartre die Macht der Faktizität nicht leugnen kann. Neben dem hochdramatischen Fall Eichmann kann die Frage, wie Individuen auf die Abwege der Korruption geraten, auch in anderen, grundsätzlich geradezu menschenfreundlichen Feldern   Kapitel 6  |  65

untersucht werden : Die Motivation in Medizin- und Pflegeberufen stammt oft aus dem Spektrum durchaus altruistischer Beweggründe – jedenfalls geben viele Angehörige dieser Berufe solche an. Der Weg vom Altruismus zur Korruption scheint weit. Daher lässt sich hieran studieren, dass systemische Falschausrichtungen die beste Motivation korrumpieren können. Fehlanreize erfordern dann geradezu heroische Formen des Gutseins, um Missbrauch von Macht zu partikularen Zwecken zu vermeiden. Daher bedarf es der richtig konstruierten Anreize, um das Gesundheits- und Pflegesystem nicht von den Erstattungsmöglichkeiten her zu praktizieren, sondern von den Bedürfnissen der Patienten. Auch Investmentbanker sind vermutlich weniger böse Menschen, als ihr öffentliches Image inzwischen suggeriert. Systemisch gehören die Anreize in diesem Arbeitsfeld auch zur Korruptionsvermeidung auf den Prüfstand. Aus dem Terrain der Korruption kommt man nach den bisherigen Überlegungen nie ganz heraus. Zur Schärfung des Urteils brauchen wir eine sensible Gradualisierung, die den Slogan »Alles korrupt« ebenso hinter sich lässt wie die systematische Entschuldigung mit ihrem Verweis aufs Allgemeinmenschliche. Der Vorwurf der Korruption lässt sich quasi erstinstanzlich leicht erheben; zur Bestätigung, aber auch zur Entdeckung mildernder Umstände lassen sich oft viele Gründe angeben. Nicht alle reichen jedoch für eine Entschuldigung.

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Das Grauzonenproblem und die Kritik der abstrakten Moralität   7

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mpörung und Moralisierung sind Reaktionen auf wahrgenommene Korruption, die deren Akzeptanz oder auch nur stillschweigende Duldung hinter sich lassen können. Wer sich empört, hat die Gleichgültigkeit überwunden. Immerhin ein guter Einstieg für die Änderung von Verhältnissen. Doch wie bei Medikamenten gibt es Risiken und Nebenwirkungen der Moralisierung; denn sie neigt zur Einseitigkeit und zur Fixierung, die dazu führt, dass immer häufiger nicht ein legitimer Gebrauch der Macht zum partikularen Vorteil, sondern ein Missbrauch gesehen wird. Die Macht der Moralisierung neigt zu Deutungen einer Allgegenwart von Korruption, vor der die Welt kaum gerettet werden kann. Einige der in diesem Text angestellten Überlegungen lassen sich beispielsweise in einem moralistischen Stakkato zusammenfassen, von dem trotz aller normativen Attraktion nicht sofort klar ist, wie es in der realen Welt mit realen Menschen berücksichtigt werden kann : 1. Zerschlagt mit dem Kartell- und Wettbewerbsrecht marktbeherrschende Großkonzerne – gerade die der Digitalisierung und die systemisch Gefährlichen im Bankensystem in der Hand von privaten und staatlichen Kumpeln !80 2. Aufsicht, zu der sich Aufsichtsräte wirkungsvoll aufmachen sollten, und operative Leitungen sind als dauerhaft getrennte Aufgaben zu verstehen. 3. Die Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative darf nicht nur auf dem Papier stehen. 4. Das Zuschanzen von Posten in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft ist als eigener Korruptionstatbestand strafrechtlich auszugestalten. 5. Politik als lebenslanger Beruf seit der Schulzeit ist keine gute Idee. 6. Vereinfacht die Bürokratie, damit Adam und Eva nicht in Versuchung geführt werden ! Klare und viel einfachere Regeln sollten auch im Gesundheitssystem die bürokratische Repräsentation von Realität weniger wichtig werden lassen – im Realkontakt zu Menschen, die Hilfe brauchen. 7. In der Wissenschaft muss ganz neu über Wahrheit geredet werden, damit   67

ihre Vernachlässigung durch Drittmittelforschung und Seilschaften wieder erfahrbar wird. 8. Zur Überwindung der Korruption verdienen gerade im Kampf gegen die groß dimensionierte Verderbtheit bei uns und woanders Strafverfolgung, Polizeiarbeit und auch seriöser Aufdeckungsjournalismus die Herausstellung ihrer Helden. 9. Überall ist Transparenz ein hoher Wert, der aber auch nicht grenzenlos praktiziert werden darf, damit Privatheit als Wert mit dem Argument der Korruptionsbekämpfung nicht vollkommen unter die Räder kommt. In den folgenden Kapiteln besteht die Aufgabe darin, die in diesem Stakkato zur Geltung kommende Moralisierung – thematisiert auf den Spuren von Hegel – als Moralität in ein Verhältnis zur Machbarkeit des Rechtsstaates und zur zivilgesellschaftlichen Sittlichkeit zu bringen. Demnach wäre Korruption nicht einfach erstens moralisierend, zweitens auf dem Wege des Rechtsstaates oder drittens des zivilgesellschaftlichen Engagements zu überwinden, sondern versuchsweise in einer zu klärenden Verknüpfung dieser drei Herangehensweisen. Die Deutungen von Gebrauch oder Missbrauch von Macht zum partikularen Vorteil sollen so bei der Korruptionszuschreibung in ein möglichst ausgewogenes Verhältnis gebracht werden. Wer moralisierend immer überall Korruption sieht, dürfte ebenso auf dem Holzweg sein, wie eine Person, die ständig verharmlost und diese für absolut selten hält. Ob die Überwindung vollständig, ansatzweise oder gar nicht gelingen kann, steht noch auf einem anderen Blatt, das abschließend in einer utopischen Perspektive in Augenschein genommen wird. Das so utopisch abgerundete Dreigestirn von Moralität, Rechtsstaat und Sittlichkeit könnte nicht nur für das Vorgehen gegen Korruption Bedeutung gewinnen, sondern überhaupt für den Umgang mit gesellschaftlichen Missständen und deren deutungsmächtiger Reform : Moralität ist wichtig als erster kritischer Impuls gegen Missstände. Der Rechtsstaat steht für handfeste Reformen, um diese Missstände durch Veränderung von Regeln überwindbar zu machen. Ohne eine Verankerung und Aufhebung von Moralität und Rechtsstaat in einer zivilgesellschaftlichen Sittlichkeit bleiben solche Regeln jedoch in der Schwebe und sind von Wirkungslosigkeit bedroht. Moralität, Rechtsstaat und Sittlichkeit haben als Formen des normativen Umgehens mit Korruption ihre je spezifischen Vor68  |  Kapitel 7 

und Nachteile : Moralität zielt, ganz auf den Spuren Immanuel Kants, auf eindeutige prinzipienorientierte Urteile, um Ausreden des interessenorientierten Akteurs vorzubeugen. Dieser Vorteil geht mit dem Nachteil einher, dass in konfliktträchtigen Einzelfällen mit Normenkonflikten die Anwendungsurteile schwerfallen. Der sich an Moralität orientierende Kantianer kann das Bestechungshandeln von Lincoln nur ohne Einschränkung verurteilen, selbst wenn ihm edle Motive attestiert werden. Die später zu debattierende Rechtsstaatsorientierung ermöglicht klare Regeln, die auch im juristischen Diskurs und auf dem Instanzenweg Anwendungen aller Art zur Beurteilung erschließt. Die Wahlbestechung Lincolns markiert – nachträglich aufgedeckt – vermutlich einen Strafrechtstatbestand, ohne dass die großen Menschheitsfragen bei einer entsprechenden Verurteilung thematisierbar würden. Die Sittlichkeit schließlich fügt den Ansprüchen der Moralität und den Kodifizierungen des Rechtsstaates eine weitere Perspektive hinzu, die den Entwicklungsstand menschlicher Fähigkeiten berücksichtigt, für deren Erweiterung eintritt und dabei die Konfliktlage Lincolns differenzierter mit dem Ziel ihrer historischen Überwindung in den Blick nehmen lässt. In diesem Buch bin ich nicht ausschließlich und vielleicht noch nicht einmal hauptsächlich interessiert an den großen, in ihrer Korruptheit offensichtlichen, womöglich aus der Mafiawelt stammenden Skandalen, sondern mehr am weniger Eindeutigen, das sich in Grauzonen abspielt. Nicht das gewaltsam Blutige oder in Geld groß Dimensionierte steht im Zentrum meiner Aufmerksamkeit, sondern die falschen Anreizstrukturen, die fehlende Gewaltenteilung und die als üblich angesehenen Seilschaften, die Unvoreingenommenheit im Denken und Handeln vereiteln. Dabei muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass eine Welt ohne Korruption für Adam und Eva nicht zu erlangen sein wird. Auch deshalb könnte eine überzogene Moralisierung in die Irre führen. Diese Über­legung veranlasst mich, meine schon eingangs thematisierte Neigung, sofort auf die Palme zu gehen, wenn ich Netzwerkerei und Beziehungspflege wittere, die die Welt in die eigenen Leute und die anderen einteilt, zunächst selbstkritisch zu überprüfen. Eine für mich typische Begebenheit, die mich beim Nachdenken über die Allgegenwart der Korruption beschäftigt, zeigt mich   Kapitel 7  |  69

streng und vielleicht allzu moralistisch : Im Herbst 1980 bin ich, frisch vom Studium aus Britannien zurück und politisches Engagement in Parteien als selbstverständlich sinnvoll nehmend, in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands eingetreten – doch bereits Anfang 1982 habe ich sie wieder verlassen. Was war passiert ? Schon der erste Realkontakt mit einer Versammlung der Jungsozialisten auf Hamburger Lokalebene war ernüchternd : Im Hinterzimmer einer Kneipe forderte der etwas weltfremd wirkende Vorsitzende uns andere Männer auf (Frauen waren nach meiner Erinnerung nicht anwesend), zu aktuellen politischen Debatten Argumente gegen Positionen der CDU möglichst schlagkräftig zu formulieren. Geübt wurde also Wahlkampf. Für mich als jungen Idealisten war die Befremdung groß, dass wir nicht zumindest mit der Erwägung anfingen, ob die diskutierten Positionen der CDU nicht eventuell richtig sein könnten. In britischen Debattierclubs gehört es an den dortigen Universitäten zur spielerisch geschulten Selbstverständlichkeit, mit Argumenten Pro und Contra möglichst das Abgelehnte argumentativ stark zu machen. In der erwähnten Versammlung der Jungsozialisten wurde demgegenüber noch nicht einmal darüber nachgedacht, welches politische Problem es überhaupt zu lösen galt. Wer Freund ist und wer Feind, war von vornherein klar. Diskutiert und nachgedacht wurde nur dem Scheine nach, das Wichtige war die Durchsetzung des von vornherein als richtig Unterstellten. Die Welt war übersichtlich : Der politische Gegner hatte unrecht und wir übten rhetorisch das Formulieren von etwas, das wie Argumente aussah, für Inhalte, deren Richtigkeit sowieso feststand. Kurze Zeit danach gab es ein weiteres Schlüsselerlebnis : Auf der Versammlung der SPD-»Erwachsenen« in Hamburg-Rotherbaum stellte jemand der Vortragenden, die später Finanzsenatorin des ganzen Stadtstaates wurde, die Frage, ob wir nicht gelegentlich auch einmal diskutieren sollten, wie staatliche Wohlfahrtsmaßnahmen eigentlich bei den Betroffenen ankommen und ob sie wirklich im Ergebnis helfen. Der Fragesteller wurde sofort abgekanzelt : Eine solche Frage überhaupt zu stellen, sei ja wohl deplatziert und solle lieber dem politischen Gegner überlassen bleiben. So etwas würde nur verwirren. Als dann noch inoffiziell die Hamburger SPD damit arbeitete, den linken und den rechten Parteiflügel nach vier 70  |  Kapitel 7 

politischen Aussagen wieder ohne Ansehung ihrer Richtigkeit zu sortieren, war meine Flucht aus der Parteipolitik nur eine Frage der Zeit. Ich war nicht bereit, das Viererpaket »Pro-Gesamtschule«, »Contra-Berufsverbote«, »Contra-Atomkraftwerke«, »ContraNato-Doppelbeschluss« insgesamt zu schlucken, um den damals noch als Ehrentitel empfundenen Begriff des Linken tragen zu dürfen. Warum nicht gegen die verpflichtende Gesamtschule für alle sein und zugleich Atomkraftwerke nicht für die Lösung des Menschheitsproblems der Energieerzeugung ansehen ? Und überhaupt : Gab es nicht noch andere politische Probleme als diese vier ? Ich habe die SPD, wie ich sie Anfang der achtziger Jahre sehr ausschnitthaft kennengelernt habe, als korrupt empfunden. ­Warum eigentlich ? Wo fand hier Missbrauch von Macht zum partikularen Vorteil statt ? Ein erster Klärungsversuch aus damaliger Sicht : Das eigene private oder besser gesagt partikulare politische Denken wurde kollektiv in einer verkürzten Form als das Richtige genommen und es wurde mit Macht alles dafür getan, unter systematischer Hintanstellung jedes Nachdenkens über das Allgemeinwohl die Anderen in ihrem Denken zu bekämpfen. Illegale Geldflüsse spielten dabei sicher keine Rolle, auch wenn der Ortsvereinsvorsitzende sich nach der Wende als Mitarbeiter der Stasi herausstellte, der sich – begünstigt durch eine komplizierte Familiengeschichte – an die DDR »verkaufte«. Für mich reichte der auf Macht zielende Versuch, die Welt in Parteigänger und Andere einzuteilen, um einen Missbrauch des Denkens zugunsten des Partikularen festzustellen. Moralistisch so geeicht, sehe ich den gleichen Typ von korrupter Parteilichkeit auch gegenwärtig noch fast immer als allgegenwärtig an. Mit vorgegebenen Richtigkeiten zu arbeiten oder Parteinahme als Selbstzweck zu betrachten, ist im Namen der Moralität als korrupt zu bezeichnen, weil es die Wahrheit in ihrer Dimension der Berücksichtigung aller Menschen ignoriert. Wäre es nicht besser, in einer Welt ohne Korruption zu leben ? Lässt sich eine solche Utopie realisieren ? Genau mit solchen Fragen bleibe ich wohl der bloßen Moralität verhaftet. Daher sollte ich mich vielleicht mehr damit beschäftigen, wie ich wegkomme von der reinen Moralität hin zur aktiven Gestaltung der Welt. Vielleicht ist sogar das Galapagos-Motiv des ersten Kapitels oben schon moralistisch : Wann wird Unabhängigkeit zur moralistischen Rechthaberei ? In   Kapitel 7  |  71

der Sartre-Camus-Kontroverse auf der Seite von Camus jedenfalls (noch) nicht; denn die Unabhängigkeit der Philosophie betrifft ihren Wesenskern. Eine gedanklich abhängige Philosophie gibt sich selbst auf. Doch in praktischen Zusammenhängen könnte es sein, dass in jeder Situation auf Unabhängigkeit zu achten auf eine Art und Weise weltfremd und passiv macht, die die mikropolitischen Fähigkeiten unterminiert und Abraham Lincoln zu früh verdammt, ohne die Konflikte in Grauzonen intellektuell zuzulassen. Moralität kann gefährlich sein. Arnold Gehlen hat in »Moral und Hypermoral« diesen Punkt herausgearbeitet – zum Zeitpunkt des Erscheinens seines Buches kurz nach 1968 wurde er dafür allgemein verächtlich gemacht.81 Für Gehlen ist die universalistische Moralität ein Herrschaftsinstrument von Intellektuellen, die die Pluralität der normativen Gesichtspunkte vernachlässigen und lediglich den Universalismus für die eigenen Zwecke instrumentalisieren. Dementsprechend befürchtet Gehlen, dass eine »spannungslose, gemeine Art von Gutherzigkeit« das »Leben des praktischen Menschen« mit seiner unentbehrlichen »Zugriffskraft«, das einen »aggressiven Kern« hat, unterminiert. Säße die Menschheit ohne Korruption also noch in den Höhlen ?82 Harro von Senger hat sich mit Blick auf die List in China83 einer entsprechenden Sicht von Gehlen angeschlossen und die Gefahr der abstrakten Moralität im Abendland seit Platon herausgestellt. Dass absolute Macht auch absolut korrumpiert, wird von beiden nicht geleugnet, aber Gehlen betont die Analogie im Umgekehrten; denn »bekanntlich korrumpiert Machtlosigkeit auch, und absolute Machtlosigkeit korrumpiert absolut«. Gerade bei gesteigertem Wohlstand wird die »zunehmende physische Sättigung« für ihn von »Kritik und moralisierender Querulanz begleitet«, die auf kleinste Verfehlungen empfindlich reagiert und zu einer Anspruchsüberlastung führt. Sie sorgt dafür, dass sich letztlich gar nichts ändert beziehungsweise dass sich Falsches oder nur Irrelevantes durchsetzt. Eine interessante Konkretisierung für Gehlens Kritik der Moralität liefert die Fallstudie der Korruptionsforscher Frank Anechiarico und James B. Jacobs, die sich bereits Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in New York City mit den Folgen der Korruptionsbekämpfung für die öffentliche Verwaltung beschäftigt haben.84 Dabei kommen sie zu dem Ergebnis, dass das Streben 72  |  Kapitel 7 

nach »absoluter Integrität« in der Verwaltung zu einem Übermaß an Kontrolle und Unterminierung der Selbstverantwortung führt, so dass die Administration in einer nach Weltmaßstäben eher korruptionsarmen Umgebung wie der New Yorker Stadtverwaltung insgesamt eher behindert wird. Zugleich sind die Ergebnisse solcher Überwachungen für die Korruptionsreduktion nicht als übermäßig beeindruckend einzuschätzen. Die beiden Autoren nehmen in der Auswertung ihrer Studie auch Bezug auf Michel Foucault, der in »Überwachen und Strafen« die Folgen eines »Panoptikums« erörtert hat. Überwachung begünstigt zwar Disziplinierung, ist aber nicht dazu geeignet, Menschen in ihrer selbstständigen und kreativen Arbeit zu unterstützen – ganz im Gegenteil. Moralismus – materialisiert in Überwachung – lähmt ! Zugleich reagieren Menschen auf Kontrolle oft mit Widerstand und Abtauchen, so dass sie keineswegs in ihrer aktiven Selbstständigkeit gefördert werden. Kontrolle ist Ausdruck von Misstrauen und sollte nicht leichthin in einer Institution verbreitet werden, da Verdächtigte beginnen, sich entsprechend eines Verdachtes zu verhalten, so das Fazit der beiden Autoren. Mit dem Historiker Jens Ivo Engels lässt sich der Blick weiten und erkennen, dass moralistische Korruptionskritik Koalitionen zur Etablierung von Diktatur und Totalitarismus einging, die gerade aus ethischen Gründen unbedingt vermieden werden sollten. So wurde seit etwa 1900 »Antisemitismus in den meisten Ländern integraler Bestandteil der Korruptionsdebatte«, indem Juden als besonders korrupt dargestellt wurden.85 Diese Verknüpfung bekam in der Weimarer Republik Nahrung durch die Sklarek- und Barmat-Skandale, bei denen Haupttäter als Juden identifiziert wurden, so dass sich mit der Korruptionsdiagnose »komplizierte Zusammenhänge scheinbar einfach auflösen in einem Schema von der Unmoral und der Schuld einzelner Finanziers und Politiker«. In Italien und später in Deutschland war Korruptionsbekämpfung »ein wichtiges Versprechen des faschistischen Regimes«. Moralismus kann als Umschlagsphänomen den Totalitarismus begünstigen und den Weg dorthin ebnen. Eine heile und saubere Welt wird versprochen und auf der Basis tatsächlicher Missstände wird dieses Versprechen von vielen gerne geglaubt. Ein solcher Zusammenhang wurde in jüngster Zeit – wie oben schon angedeutet – durch   Kapitel 7  |  73

die Entwicklung in Brasilien bestätigt. Der am 28. Oktober 2018 gewählte Präsident Jair Bolsonaro entwickelt sich nach seinem Amtsantritt am 1. Januar 2019 hoffentlich nicht zum Diktator, aber seine rechtspopulistischen Parolen wurden von vielen Wählern geglaubt und als Möglichkeit begriffen, der Allgegenwart der Korruption in Brasilien zu entkommen : »Die Hoffnungslosigkeit der Bürger kann für die Wähler die Anziehungskraft extremer Politiker erhöhen, ob linke oder rechte, die die Ausrottung der Korruption versprechen. Empirische Forschungen zeigen, dass solche Extremisten – wenn sie gewählt werden – sich im Allgemeinen als unwirksam bei der Verringerung der Korruption erweisen; es gibt aber in einigen Ländern den weitverbreiteten Glauben, dass sie über eine Zauberwaffe verfügen.«86 Insgesamt kann Korruptionskritik entpolitisierend wirken, weil reale Konflikte moralisierend in einem Schwarz-Weiß-Schema traktiert werden. Daher ist es falsch, in einer Gesellschaft alle Debatten unter der Perspektive der Korruption oder Nicht-Korruption diskutieren zu wollen. Doch landen wir mit diesen Über­legungen nicht bei der Apologie der Korruption ? Zum Ausgleich für die Kehrseiten der Moralisierung schlage ich vor, dass das Maß der Moralisierung selbst ethisch rechtfertigungsbedürftig ist. Dies heißt nicht, dass es heute eine wirklich gute, aber korrupte Gesellschaft geben kann; denn Nicht-Korruption bleibt eine notwendige Bedingung für eine gerechte Gesellschaft. Die Aufgabe der Grenzziehung zwischen dem Gebrauch und dem Missbrauch von Macht zur Korruptionsfeststellung erweist sich trotz dieser Notwendigkeit jedoch als Grauzone, deren deutungsmächtige Ausleuchtung mit einer Tendenz zur Willkürentscheidung nicht vermieden werden kann. An dieser Stelle hilft Hegel bei der weiteren Problemdiagnose, wenn er – gegen Kant gerichtet – die abstrakte Moralität kritisiert, um den Weg frei zu machen für die Sittlichkeit. Seine Vorwürfe gegen die Kantische Moralität lauten zusammengefasst : diese sei ahistorisch, einseitig verstandesorientiert und bezöge daher nicht den ganzen Menschen mit ein, sie sei bloß formal und daher inhaltsleer, bloß gewissensorientiert und auf die Innerlichkeit beschränkt, erreiche reale Verhältnisse mit ihren Sitten und Gebräuchen nicht, sie sei utopistisch und begünstige unreife Revolutionen.87 Hegel ist daran interessiert, dass eine moralische Kritik auch die Chance be74  |  Kapitel 7 

kommt, dass sie nicht beim bloßen Fordern bleibt, sondern die reale Welt verändert, denn »der Mensch muss sich handelnd mit der Äußerlichkeit abgeben«. Die Moralität neigt zu markigen Forderungen der Korruptionsbekämpfung, die aber keine Wirkung entfalten und alles so korrupt lassen, wie es ist. Nicht nur Korruptionskritik ist oft von dieser Art, sonntags formuliert, wird sie schon montags ignoriert : »Die Lorbeeren des bloßen Wollens sind trockene Blätter, die niemals gegrünt haben.« Gute Absichten reichen nicht und überlassen in ihrer Weltfremdheit womöglich sogar den Falschen die Gestaltung der Verhältnisse : »Man kann von der Pflicht sehr erhaben sprechen, und dieses Reden stellt den Menschen höher und macht sein Herz weit; aber wenn es zu keiner Bestimmung fortgeht, wird es zuletzt langweilig.« Aus der allgemeinen Verurteilung der Korruption muss also unter Nennung von Ross und Reiter ein bestimmter Handlungsweg erwachsen. Niklas Luhmann hat durchaus im Anschluss an Arnold Gehlen Hegels Kritik der Moralität in seiner Reflexionstheorie der Moral indirekt ein zustimmendes Echo gegeben : »Man darf es auch mit Moral nicht zu doll treiben, sondern muss von der rechten Mitte aus auf die Umstände achten.«88 Daher fordert Luhmann einen klugen Umgang mit Moral, da – ganz im Sinne von Max Webers Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik89 – die »gute« Moral in gesellschaftlichen Umständen durchaus üble Folgen haben kann. Reflektieren der Moral heißt daher bei Luhmann auch, die Folgen einer moralischen Aufladung von gesellschaftlichen Konflikten zu bedenken. Wer den anderen moralisch verächtlich macht und als korrupt ansieht, wird anschließend kaum noch kompromissfähig sein. Die moralische Verurteilung selbst verändert ohnehin noch nicht das Verurteilte – diese Differenz von Anspruch und Realität wird durch keine Forcierung der moralischen Kritik überwunden. So geübt in der Kritik der Moralität beschäftigen wir uns jetzt erneut mit dem Filz als dem »Halbbruder« der Korruption90 und dem Klüngelwesen, um möglichst differenziert einen gedanklichen Weg zwischen Moralismus und Apologie der Korruption zu finden. Dabei wird der Rechtsstaatsgedanke – weiterhin mit Hegel im Hintergrund – in seinen Chancen und Grenzen eine besondere Bedeutung erlangen. In der Perspektive von Moralität und Sittlichkeit   Kapitel 7  |  75

gibt es eine Affinität zu weiten Zuschreibungen von Korruption mit der Missbrauchsfeststellung, während der Rechtsstaat eine präzise und enge Zuschreibung auf der Basis möglichst eindeutiger Gesetze vornehmen muss.

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Kölscher Klüngel, bayerische Verirrungen und die »Schweiz Afrikas« Über Macht und Ohnmacht des Rechtsstaats  8

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in bisschen Köln ist überall«, so das Fazit einer Debatte, die die Politikwissenschaftler Erwin K. und Ute Scheuch 1991 mit einer Parteienstudie ausgelöst haben, die durch die Wirtschaftsvereinigung der CDU Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebenen worden war.91 Das Beispiel Köln nimmt in dem die Studie zusammenfassenden Papier nur wenige Seiten ein, aber die Reaktionen darauf waren gerade in der Domstadt so heftig, dass die Kritisierten in ihrer scharfen, von dem Bewusstsein des Ertappten geprägten Reaktion geradezu die Berechtigung der Vorwürfe zu bestätigen schienen. Das Ehepaar Scheuch arbeitet heraus, dass Politik als Beruf dem politischen Personal andere Lebens- und Berufsräume verschließt und sie systematisch dazu verführt, in Hinterzimmern wechselseitige Begünstigungsstrukturen zu schaffen. Im Ergebnis ist eine »Feudalisierung des politischen Systems« zu diagnostizieren, in der sich vor allem die beiden großen Parteien – CDU und SPD – systematisch politische Posten und solche in kommunalen Wirtschaftsunternehmen zuschanzen. Qualifikation in Sachfragen nützt demnach bei der Postenvergabe wenig. Der Kölsche Klüngel markiert das Gefälle zwischen liebenswertem Gemeinschaftsgefühl – oft auch karnevalistisch ausgelegt – des »Trink doch einen mit« bis hin zur kriminellen Machenschaft. Dieses Gefälle macht es zur Herausforderung, legitime Anwendung von Macht und Machtmissbrauch bei der Korruptionsfeststellung klar voneinander abzugrenzen; denn Attraktionen der Lebenskunst können verwoben sein mit Einstellungen und Praktiken der Korruption. Die Unübersichtlichkeit liegt nicht zuletzt darin begründet, dass positiv zu Bewertendes mit Kritikwürdigem verbunden ist. Diese Ambivalenz erinnert an Potenza in Italien, wo die Familienorientierung im inneren Kreis das Leben zwar verschönern mag, aber auf Kosten des Gemeinwohls geht.   77

Der Kölsche Klüngel kann kriminell sein und wird so zu Recht durch den Rechtsstaat verfolgt. Besonders bekannt geworden ist um das Jahr 2000 herum das Wirken des Unternehmers Hellmut Trienekens, der den Kölnern mit politischer Unterstützung zu einer teuren und angesichts der Überversorgung im Umland überflüssigen Müllverbrennungsanlage verholfen hat.92 Im Ergebnis haben die Kölner nicht nur besonders hohe Gebühren zu zahlen, sondern müssen durch Mülltourismus die eigene Anlage durch Importe am Laufen halten. Die Kosten der Anlage beliefen sich auf 800 Millionen DM, wobei zur politischen Umfeldpflege – vermittelt ganz wie in Brasilien über eine dritte Firma – 29 Millionen genutzt wurden. In der Beurteilung haben wir es klar mit einem strafwürdigen Tatbestand zu tun, der nach dem Strafrecht im Kontext von Vorteilsannahme (§ 331 im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland), Vorteilsgewährung (§ 333), Bestechlichkeit (§ 332) und Bestechung (§ 334) relevant ist.93 Das Strafrecht hat mit diesen Paragraphen keine grundsätzlichen Probleme, den Gebrauch und den Missbrauch zu unterscheiden, auch wenn die Grauzonen in der richterlichen Anwendung des Rechtes wiederkehren können. Erwähnenswert bleibt, dass Korruption allerdings ein Kontrolldelikt ist, das nur auffällig wird, wenn Dritte den Korruptionstatbestand zwischen Korruptionsgeber und Korruptionsnehmer zur Anzeige bringen. Da Geber und Nehmer aber in der Regel ein gemeinschaftliches Interesse an der Verheimlichung ihres Tuns haben, besteht eine Einschränkung bezüglich der Wirksamkeit rechtsstaatlicher Sanktionen darin, dass ein großer Unterschied zwischen Hell- und Dunkeldaten der Korruption bestehen dürfte. Nur der angezeigte und so auffällig werdende Teil der Korruption kann zum Gegenstand des Strafrechtes werden, während der empörten Moralität oft jeder Verdacht und jede Vermutung reichen. Bei den strafrechtlich einschlägigen Formen der Korruption spielen explizite Geldflüsse eine herausgehobene Rolle, nicht zuletzt, weil sie aufgedeckt am ehesten individuell zugerechnet werden können. So weit, so gut. Klar ist aber auch, dass in einem Klüngelsystem die Protagonisten nach dem Aufdecken von bedauernswerten Einzelfällen sprechen werden. Eine Mauer des Schweigens und erstaunliche Erinnerungslücken sind dann typisch. Daher ist es wichtig, dass die strafrechtliche Sanktionierung, die sich in 78  |  Kapitel 8 

einem Rechtsstaat immer auf individuell nachweisbare Schuld konzentrieren muss, ergänzt wird durch Änderungen im Umfeld des ganzen Klüngels, dessen Verhalten strafrechtlich meist nicht mehr erfassbar ist, obwohl es die auffällig gewordenen Straftaten Einzelner mehr oder weniger explizit unterstützt. Die aufzu­deckenden Fälle von Korruption sind ein Problem, wie auch andere Verbrechen von Totschlag bis Raubüberfall ein Übel darstellen. Die richtige Antwort darauf sind Strafverfolgung und gute Polizei­arbeit, die nicht selten in gefährlicher Mission Heldentaten erfordern. Für eine Gesamtgesellschaft stellt systemische Korruption, die durch Klüngel getragen wird, ein schwer zu beseitigendes Übel dar; dies gilt besonders für ihre in den jeweiligen Umgebungen nicht evidenten Versionen. Bei der Überwindung der systemischen Korruption wird das individuelle Strafrecht allein nicht ausreichen, auch wenn es als Einstieg mit möglichst signalgebenden Verurteilungen oft wichtig ist. Das Recht beantwortet ausgehend von den erwähnten Strafrechtsparagraphen in Konkretisierung einer weiten Korruptionsdefinition, was als Missbrauch von Macht zum partikularen Vorteil zu gelten hat. Seine Stärke gegenüber der zur immer größeren Ausweitung neigenden Moralität besteht in der klaren Eingrenzung. Wenn Gewaltenteilung philosophisch heißt, nicht aus einer Selbstüberschätzung des Theoretikers heraus alles moralistisch bewältigen zu wollen, sondern zu einer skeptischen Zurückhaltung in der Einschätzung der Moralität zu kommen, ist es sinnvoll, deren Hochachtung besonders in der kantischen Tradition zu relativieren und die verbreitete Verachtung bloßer Legalität aufzugeben.94 Eine solche an den Rechtspositivismus erinnernde Legalität hat heute nicht nur im konkreten Strafrecht zur Korruptionsdefinition einen sicheren Halt, sondern – verallgemeinert verstanden – auch in vielen Verfassungen, im Völkerrecht und in den UN-Menschenrechtskonventionen, die universale Prinzipien beinhalten, was die Orientierung an der Legalität keineswegs auf partikulare Interessen fixiert. Die prinzipiell weiter geltende Divergenz von positivem Recht und Gerechtigkeit fällt materialiter immer weniger ins Gewicht; deshalb ist der Rechtspositivismus, der die Legalität zum einzigen Prinzip der Legitimität erklärt, nicht so abwegig, wie es in der Philosophie meist unterstellt wird.95 Hans Kelsen rechtfertigt   Kapitel 8  |  79

den Rechtspositivismus mit dem Argument, dass uns starke ethische Begründungen nicht zur Verfügung stehen, also »solche, die die Möglichkeit« ausschließen, auch »das gegenteilige Verhalten für gerecht zu halten«. Er lobt den Rechtsstaat, weil er ein Skeptiker ist, was die ethische Normenbegründung angeht, ohne damit die faktische Wirkung von Moralität und Sittlichkeit bei der Handlungsorientierung zu leugnen : »Absolute Gerechtigkeit ist ein irrationales Ideal. Vom Standpunkt rationaler Erkenntnis gibt es nur menschliche Interessen und daher Interessenkonflikte.«96 Beim Nachdenken über Korruption bietet die Orientierung am positiven Recht eine wichtige Hilfe, auch wenn sie die Bedeutung von Moralität und Sittlichkeit nicht neutralisiert : Während lokale Sitten und Gebräuche letztlich für die Urteilskraft nicht ausschlaggebend sind und die Moralität ihre Ansprüche oft überzieht, kann der Blick auf das positive Recht zur genaueren Fassung von normativen Ansprüchen dienen. Eine unaufgeregte Orientierung am positiven Recht erspart eventuelle Verstiegenheiten der Moralität, auch wenn grundsätzlich gegen den Rechtspositivismus wichtig bleibt, nicht grundsätzlich jedes Gesetz mit dem Ehrentitel des Gerechten auszuzeichnen. Deshalb ist die prinzipielle Gleichsetzung von Gesetz und Gerechtigkeit ebenso wenig überzeugend wie die Verachtung der Legalität aus dem Geist der Moralität. Entsprechend irreführend sind manche öffentlichen Debatten, in denen Menschen gerügt werden, wenn sie legale Möglichkeiten beispielsweise des Steuer- und Sozialrechts für sich in Anspruch nehmen. Solche oft heiß diskutierten Fälle sind aber keine wirklichen Missbräuche, sondern bestenfalls Aufforderungen zur Gesetzesänderung. Moralische Grauzonen bei der Wahrnehmung des Rechtes sind angesichts der Komplexität der verrechtlichten Moderne selbst bei besten Absichten oft nicht zu vermeiden. Deshalb ist es auch wichtig, Rechtsmechanismen, die dem nüchternen Interessenabgleich dienen, nicht anschließend auf Individuen bezogen doch wieder zu moralisieren. Legalität kann gegenüber Moralisierung auf dem eigenen Legitimitätsstatus bestehen; Moralität kann aber einen Beitrag leisten, die Legalität in der Zukunft anders zu gestalten. Der Rechtsstaat stellt über die Legaldefinition von Korruption hinaus eine prinzipiell friedliche Möglichkeit bereit, Konflikte der Individuen mit rechtlichen Verfahren zu regeln und vor allem 80  |  Kapitel 8 

auch die Einzelnen vor Übergriffen des Staates zu schützen. Der ursprüngliche Anfangsvorteil der Verrechtlichung – Entmoralisierung eines Konfliktes und dadurch Beitrag zu seiner Entschärfung – ermöglicht allerdings auch eine überzogene, rein taktische Instrumentalisierung des Rechtes. Sogar der Rechtsstaat enthält eine Dimension der Machtausübung, selbst wenn er legitim ist. Mit den Augen der Machttheorie von Michel Foucault, nach der jedes Legitimationskonzept immer auch Macht ausübt, kann man den eigenen Blick dafür schulen, dass dies auch für den Rechtsstaat gilt.97 Der schon erwähnte Nachteil von Foucaults modaler Machttheorie ist allerdings, dass sie aufgrund ihres latenten Anarchismus kein Kriterium zur Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Macht bietet. Deshalb sind Vertreter des Rechtsstaates, die diesen prinzipiell zu Recht als legitim ansehen, ihrerseits sehr dünnhäutig, wenn eine Angleichung von Rechts- und Unrechtsverhältnissen unter der Überschrift der Macht vorgenommen wird. Neben dem Strafrecht kommen prinzipiell im Rechtsstaat auch das Zivilrecht und das öffentliche Recht für eine Einbeziehung in die Korruptionsbekämpfung in Frage. Generell ist in allen drei Rechtsgebieten das whistleblowing als Verpfeifen von Korrup­tions­ praktiken mit Kronzeugenregelungen im Strafrecht und durch Beförderungen in Organisationen anzuerkennen und zu loben.98 Gerade das Klüngelwesen bedarf zu seiner Überwindung der Bereitschaft von Menschen, die Korruption aus dem Dunkel durch Anzeige ins Helle zu überführen. In einem »Handbuch der Korruptionsbekämpfung«99 lässt sich nachlesen, welche Formen der Korruptionsprävention in öffentlichen und privaten Institutionen sinnvoll sind und wie Arbeits- und Steuerrecht Nicht-Korruption begünstigen können. Auch das Kartellrecht kann eine besondere Bedeutung bei der Zerschlagung der korruptionsbegünstigenden Monopole des Kumpel-Kapitalismus gewinnen, wenn es tatsächlich für Wettbewerb auf von Konzernen dominierten Märkten sorgt.100 Zivilrechtliche Bestimmungen wie im Kartellrecht verdeutlichen, wie Regeln in die gesellschaftliche Gestaltung eingreifen. Wenn beispielsweise ein striktes Kartellrecht die Regel enthält, dass Umsatzanteile in Märkten von über 25 Prozent zum Beispiel bei digitalen Suchmaschinen unzulässig sind und den Verkauf von Unternehmensantei  Kapitel 8  |  81

len des dominanten Unternehmens oder sonstige Lösungen erfordern, dann gibt es eine klare Handlungsaufforderung. Je einfacher und klarer Gesetze mit ihren Regeln sind, desto eindeutiger ist trotz aller verbleibenden Auslegungsprobleme die von ihnen ausgehende Regelungsmacht. Umgekehrt haben komplizierte Gesetze die Tendenz, die hinter ihnen stehenden Regeln zu verschleiern und Missbrauch zu begünstigen. Gesetzliche Regelklarheit vermindert die Spielräume für Korruption und erfordert auch weniger mikropolitische Anstrengungen bei ihrer Realisierung. Rechtsstaatlichkeit verlangt, dass keine Sanktionen ohne Regelung ausgesprochen werden dürfen. Was nicht rechtlich geregelt ist, darf als zulässig betrachtet werden. Die in Gesetzen kodifizierten Regeln sind explizit ausbuchstabiert (im Gegensatz zu den impliziten Regeln, die in Formen der Sittlichkeit erschlossen werden können). Nicht alle Korruptionspraktiken werden allerdings mit den Mitteln des Rechtes überwunden werden können, so dass die klare Abgrenzung legitimen Gebrauchs vom Missbrauch auch Nachteile hat. So bleibt die Frage, wie der systemische Kölner Klüngel ethisch zu bewerten ist. In der Kontrastierung von Ethik und Strafrecht geht es darum, die ethische Beurteilung sehr differenziert und zugleich umfassend vornehmen zu können, während sich das Strafrecht trotz des Zieles möglichst restloser Sanktionierung schon aus Gründen der Nachweisbarkeit auf gravierende Fälle von Korruption beschränkt. Im Kontext des Kölner Müll- und Spendenskandals verhält sich jeder, der Kenntnis von diesen Praktiken hatte, unethisch, selbst wenn keine strafrechtliche Verantwortung zur Beihilfe nachweisbar ist. Das wichtigste ethische Kriterium in der philosophischen Diskussion, das besonders von Immanuel Kant formuliert worden ist und auch den Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes mit seiner Unantastbarkeit der menschlichen Würde prägt, ist die Universalisierbarkeit, die sich am Gemeinwohl orientiert und damit Korruption schon in ihrer weiten Definition ganz grundsätzlich kritisiert. Mit dieser Überlegung wird deutlich, dass Moralität und Sittlichkeit trotz aller Bedeutung des Rechtsstaates bei der Thematisierung der Korruption nicht aus dem Spiel sind. Doch ziehen wir von Köln aus zunächst weiter in den Süden. Gibt es ausweislich des Falles von Gustl Mollath neben dem Kölschen Klüngel auch einen bayerischen Klüngel ?101 Bayerisch oder 82  |  Kapitel 8 

nicht bayerisch ist dieser Fall für die Einschätzung der Reichweite des Rechtsstaates bedeutsam, weil hier ein Individuum für sieben Jahre letztlich schuldlos in den geschlossenen Maßregelvollzug der forensischen Psychiatrie gerät. Zwischen der Verurteilung am 8. August 2006 durch das Landgericht Nürnberg-Fürth und dem Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren durch das Landgericht Regensburg am 14. August 2014 liegen Jahre, in denen wechselnde Gutachter unter Billigung von Richtern an der Psychiatrisierung Mollaths mitwirkten. Aus der klärenden Sicht des freisprechenden Urteils ergibt sich das Bild, dass Mollath letztlich durch die Intrige seiner Frau und eine schlampig arbeitende Justiz seiner Freiheit beraubt wurde. Mollath selbst sieht den entscheidenden Grund für das Wirken seiner Frau darin, dass er die systematische Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Schwarzgeldkuriere zu Schweizer Tochterunternehmen deutscher Banken angeprangert hat. Mollaths Frau war nicht nur wie viele andere Banker an diesen Machenschaften beteiligt, sondern selbst so aktiv, dass sie zu ihren Gunsten und auf Kosten ihres Arbeitsgebers eigene Beihilfewege mit Konkurrenzbanken beschritten hat (was zu ihrer Kündigung führte). Was ist im Fall Mollath als Korruption zu bezeichnen ? Wo findet hier Missbrauch von Macht zum partikularen Vorteil statt ? Ihre Macht missbraucht haben außer Mollath fast alle Beteiligten, die an seiner Psychiatrie-Unterbringung mitgewirkt haben, nämlich die vertuschenden Banker ebenso wie die vor allem an der eigenen ungestörten Berufsausübung interessierten Richter und Gutachter. Aber war dies korrupt im Sinne der Förderung des eigenen partikularen Vorteils ? Vermutlich ist es begrifflich nicht sinnvoll, Fehlurteile überhaupt immer als korrupt zu bezeichnen, aber im Laufe der Verfahrensjahre wurde die Korruption im Fall Mollath doch überdeutlich, weil Richter und Gutachter das Unrecht der Erstverurteilung immer weiter fortschrieben und damit die Spuren verwischten. Hier liegt nach dem Motto »eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus« der partikulare Vorteil im Missbrauch der Macht, um die eigene Institution nicht negativ dastehen zu lassen. Die Beihilfe zur Steuerhinterziehung als Geschäftsmodell deutscher Banken als drastisch wahrzunehmender Hintergrund der Eskalation ist ebenfalls als Korruptionstatbestand zu werten.   Kapitel 8  |  83

Beim Kölschen Klüngel im Fall Trienekens gibt es die Hoffnung, bei der Korruptionsüberwindung auf den Rechtsstaat setzen zu können. Anders sieht es beim thematisierten bayerischen Justiz-und-Psychiatrie-Klüngel aus : Die Akteure und des Machtmissbrauchs Schuldigen im Fall Mollath sind selbst durchgängig Protagonisten des Rechtsstaates. Daher lässt sich an diesem Fall verdeutlichen, dass sogar der Rechtsstaat nicht letztinstanzlich die Gewähr bietet, dass Korruption nach einer entsprechenden Aufdeckung auch zuverlässig verurteilt wird. Verschleierung und Rechtsbeugung gibt es auch im Rechtsstaat. So zeigt der Fall Mollath mindestens zwei Grenzen des Rechtsstaates auf : Zum einen gibt es Anlass zu der Befürchtung, dass das Wegsperren in der Psychiatrie mit Hilfe von Gutachtern viel einfacher ist als eine strafrechtliche Verurteilung mit ihrer doch eher transparenten Überprüfbarkeit. Dies ist besonders fatal, wenn der Gutachter selbst später als Klinikleiter von einer Einweisung profitiert und wenn der Richter die Schlussfolgerungen des Gutachters ohne wirklich eigene Würdigung »durchwinkt«. Dieser Machtmissbrauch ist systemisch und verweist auf eine problematische Konstellation im Strafprozessrecht. Zum anderen macht der Fall überdeutlich, dass Recht von Personen angewandt wird. Der Rechtsstaat kann nur so gut sein wie die Personen, die für ihn arbeiten. Schlampige Richter und Gutachter ruinieren den Rechtsstaat. Dies zeigt, dass der Rechtsstaat nicht quasi cool von selbst zu guten Ergebnissen führt, sondern nur durch die ihn angemessen tragenden Menschen. Im Jargon Hegels bedarf der Rechtsstaat der Sittlichkeit als Ergänzung; denn »das Gesetz handelt nicht, es ist nur der wirkliche Mensch, der handelt«.102 Kodifizierung ist noch nicht mit der Realisierung einer Norm gleichzusetzen; allein in diesem Gedanken liegt eine Begrenztheit des Rechtsstaatsgedankens. In vielen Gesellschaften ist eine Überlastung oder auch Überforderung der Verfolgungsbehörden zu diagnostizieren, so dass Normverstöße ohne Konsequenzen bleiben. Kommt es zu einer Anklage, tritt oft das alte Übel in Erscheinung, dass die Mühlen der Justiz allzu langsam mahlen. Eine Verurteilung am Sankt Nimmerleinstag – womöglich noch fern des Gefängnisses im normalen Leben verbracht – kann entweder trotz der Unschuldsvermutung zu einer sozialen Stigmatisierung führen oder gerade umgekehrt zu einem Triumph des Mis84  |  Kapitel 8 

setäters, der den Rechtsstaat bei einem Weiterleben auf freiem Fuß als schwach erlebt. Die erwähnten Mängel machen den Rechtsstaat aber keineswegs obsolet – im Gegenteil ! Dies verdeutlich der faszinierende Gegensatz zwischen Botswana und Äquatorialguinea, zwei Ländern südlich des Äquators in Afrika, die zwar von ihrer Größe und ihrem Rohstoffreichtum vergleichbar sind, die aber zugleich in ihrer Schätzung beziehungsweise Missachtung des Rechtsstaates ebenso unterschiedlich dastehen wie hinsichtlich des Ausmaßes der wahrgenommenen Korruption. Botswana ist ein Staat ohne Meereszugang im südlichen Afrika, so groß wie Frankreich, allerdings nur mit etwas über 2 Millionen Einwohnern. Das Land hat die niedrigste Korruptionsrate in Afrika103 und glänzt, im afrikanischen Kontext herkommend aus größter Armut nach der Unabhängigkeit im Jahr 1966, bei ökonomischen Daten wie dem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, der Stabilität der Währung und dem internationalen Kreditrating (mit A2 meilenweit besser dastehend als Portugal, Spanien und Italien).104 Wie ist das möglich ? Die Antwort lautet vor allem : wegen funktionierender Rechtsstaatlichkeit; denn verlässliche Gesetze sind entscheidend für die Korruptionsbekämpfung.105 Auch Demokratie, die über einen bloß äußerlichen Institutionenimport hinausgeht, ist wichtig. Die traditionelle Dorfversammlung Kgotla wird in Botswana als Kristallisationskern für die Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungen genutzt. Dann halfen dem Land Diamanten, die seit 1967 in Minen ausgegraben werden und die anders als in anderen rohstoffreichen Ländern Afrikas und in anderen Teilen der Welt nicht korruptionsbegünstigend wirken.106 Allerdings besteht kein Anlass, alles in Botswana euphorisch wahrzunehmen (und das nicht nur wegen der extrem hohen Infektionsrate mit Aids, die die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten von über 60 Jahren zwischenzeitlich auf unter 50 drückte). Doch eine ermutigende Geschichte zur nicht unumschränkten Macht der Korruption bietet die rechtsstaatliche Entwicklung des Landes allemal.107 Einen markanten Kontrast zu Botswana bildet das nordwestlich gelegene Küsten- und Inselland Äquatorialguinea, das durchaus entfernt vom Äquator in seinem Namen zu Unrecht auf ihn Bezug   Kapitel 8  |  85

nimmt. Es handelt sich mit ca. 1,2 Millionen Einwohnern ebenfalls um ein afrikanisches Land mit relativ geringer Bevölkerungszahl. Bei der Konsultation der statistischen Daten fällt sofort auf, dass ein hohes Pro-Kopf-Einkommen zu Buche schlägt, das ganz wesentlich auf Erdöleinnahmen zurückgeht; gleichzeitig leidet das Land unter extremer Armut. Auf der Transparency-Liste des Jahres 2018 steht das Land auf dem Rang 172 fast schon am Ende aller Staaten der Welt. Das 1968 unabhängig gewordene Land ist faktisch eine Diktatur und von fehlender Rechtsstaatlichkeit geprägt.108 So markiert Äquatorialguinea wegen der hohen Korruptionsrate einen bemerkenswerten Kontrast zu dem Ausnahmeland Botswana.109 Insgesamt steht Äquatorialguinea stellvertretend für die Misere vieler Länder Afrikas : »Mangels guter Regierungsführung, d. h. Transparenz, Verantwortlichkeit, Effizienz, demokratischer Teilhabe an den Entscheidungen und vor allem Rechtsstaatlichkeit, haben die meisten Länder Afrikas auch nach fast 60 Jahren Unabhängigkeit den Kampf gegen Armut und Korruption und die Überwindung ihres Stillstands nicht angepackt.«110 Die Deutung der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in Äquatorialguinea – ersichtlich schon am Fehlen von verlässlichen Urkunden, dem Prinzip »Keine behördliche Genehmigung ohne Extrazahlung« und illegalen Mautsta­tionen auf Straßen111 – als Erklärung für Armut in der breiten Bevölkerung und bei der Korruption drängt sich entsprechend auf. Daher dürfte klar sein : Ohne Rechtsstaat ist ein Ende der Korruption nicht in Sicht. Die Rechtsstaatlichkeit ist ein schlagkräftiges Mittel der Korruptionsbekämpfung, wenn auch kein hinreichendes und unfehlbares. An diesem Sachverhalt ändern alle Begrenzungen, die trotz allem für die Wirksamkeit des Rechtsstaates bestehen, nichts.

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Inwiefern der korrupte Mensch unter den eigenen sittlichen Möglichkeiten bleibt  9

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n früheren Kapiteln haben wir nicht nur Major Schilin und andere zumindest korruptionsaffine Konstellationen aus Japan oder Italien kennengelernt, sondern auch eine Ahnung von selbstverständlichen Korruptionspraktiken in unserer Vergangenheit erhalten. So ließ sich in historischer und interkultureller Perspektive ein Verständnis davon entwickeln, dass nicht alles, was aus heutiger europäischer Sicht als Korruption daherkommt, immer schon genauso bewertet worden ist. Nun wäre die oft gezogene relativistische Konsequenz hieraus sehr unbefriedigend, weil sich dann jeder Korrupte dahinter verstecken könnte, dass Menschen mit dieser Bewertung eben ganz unterschiedlich umgehen. Von daher ist eine interkulturelle und historische Sensibilität zwar wichtig, aber anzustreben ist eine, die nicht ihre Urteilsfähigkeit zwischen Kulturen und Zeiten verliert. Auch wenn Grauzonen bei unterschiedlichem Hintergrund bleiben, wäre es falsch, sofort unter der Überschrift »Der Akteur kommt eben aus einer anderen Kultur« die Brücken zwischen Akzeptieren und Ablehnen in der Auseinandersetzung gar nicht erst bauen zu wollen. Gerade Praktiker, die sich in Afrika gegen Korruption engagieren, weisen zu Recht darauf hin, dass es eine unverzeihliche Beleidigung von unter Korruption leidenden Menschen ist, wenn diese unter Vermeidung jeden Streites pauschal als in Afrika eben üblich bezeichnet wird.112 Die Hegel’sche Sittlichkeit wird in diesem Kapitel nicht nur als Komplettierung des Dreischritts zur Ergänzung von Moralität und Rechtsstaat genommen, sondern sie bietet zugleich eine Möglichkeit, über die Veränderung von Maßstäben der Sittlichkeit nachzudenken. Sittlichkeit rechnet mit der grundsätzlichen Verschiedenheit der Kulturen – anders als der Rechtsstaat, der trotz überstaatlicher Vereinbarungen vor allem spezifische Kulturen in ihrer Verschiedenheit im Blick hat, und anders als die abstrakte Moralität in der kantischen Tradition, die zumindest in ihrem Be  87

gründungsdesign sehr mitteleuropäisch daherkommt. Oft wird genau dies der Sittlichkeit als Nachteil gegenüber der Moralität unterschoben, da Vorstellungen von Sittlichkeit historisch und kulturell besonders stark variieren. Zugegebenermaßen gibt es tatsächlich Bezugnahmen auf die Sittlichkeit (und selbst Hegel ist nicht frei von solchen Neigungen), die strukturkonservativ aristotelisch das Bestehende unterstützen. Idealerweise lässt sich demgegenüber aber eine entwicklungsfähige Sittlichkeit herausstellen, die von den erwähnten Standards bei Major Schilin wegführt und auch mit ihrer Verankerung in der Alltäglichkeit interkulturell attraktiv werden kann. Im Folgenden wird zunächst ganz plump im Sinne einer ökonomischen Perspektive vorgegangen, um anschließend philosophisch anspruchsvoller über den relativ jungen Fähigkeitenansatz113 voranzukommen, der – im Prinzip über den Gedanken entwickelter und gebildeter Fähigkeiten – eine Sittlichkeit ohne Korruption für alle attraktiv machen kann. Die Perspektive der Sittlichkeit bezieht die Verschiebbarkeit der Grenze zwischen dem legitimen Gebrauch und dem Missbrauch von Macht in die Überlegungen mit ein und setzt auf eine Bildung der Fähigkeiten, die mit Deutungsmacht zunehmend Missbräuche erkennt und versucht, diese in soziale Interaktionen eines legitimen Gebrauches von Macht umzuwandeln. Der ökonomische Ansatz, wie wir ihn bereits im Werk von Robert Klitgaard kennengelernt haben, versucht nachzuweisen, dass es ein rationales Interesse an Korruptionsüberwindung geben kann. Dieses Interesse hängt in kollektiver Perspektive mit den Kosten der Korruption zusammen. Auch wenn Einzelne zu ihren Profiteuren gehören, so schaden sie der Gemeinschaft – und zwar nicht nur irgendwie und bloß marginal, sondern ganz fundamental. Wenn Armut ohne Korruptionsüberwindung in Afrika nicht besiegt werden kann, hebt dies nur besonders markant einen Zusammenhang hervor, der auch in Deutschland und Europa über strafrechtlich relevante Einzelfälle hinaus die falsch gesetzten Anreize besonders in Politik, Medien, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesundheitswesen betrifft. Die genaue Quantifizierung des Schadens ist nicht nur wegen des schieren Ausmaßes der Korruption in Gänze unmöglich, sondern wegen der hohen Dunkelziffer selbst in ausgewählten Feldern schwierig. Die »Grünen« im Europäischen 88  |  Kapitel 9 

Parlament haben gleichwohl im Dezember 2018 eine Studie vorgelegt, in der die Korruptionskosten differenziert und in der Summe für alle Länder der Europäischen Union geschätzt werden.114 Die Gesamtsumme für diesen Teil Europas kommt jährlich auf 904 Milliarden Euro bei großen Differenzen in der Verteilung auf die einzelnen Länder : Italien steht mit der höchsten absoluten Summe von gerundet 237 im Kontrast zu den 104 Milliarden Deutschlands. Dies entspricht im Fall von Deutschland immerhin vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Gegensatz zu den 0,76 Prozent der Niederlande als proportional niedrigstem Wert, während die entsprechende Zahl in Rumänien als dem Spitzenreiter in der EU bei über 15 Prozent und im stark verschuldeten Griechenland bei ungefähr 14 Prozent liegt. Wir reden also schon rein ökonomisch nicht über Peanuts ! Auch wenn eine solche Quantifizierung methodisch auf schwankendem Grund steht, scheint sie mir immer noch eine Unterschätzung der Dimension von Korruption zu begünstigen, da so die nicht-quantitativen Schäden gar nicht in den Horizont treten. Kosten im pekuniären und nicht-pekuniären Sinne haben jedenfalls ein Ausmaß, das den Einsatz für die Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten als lohnenswert empfiehlt, der die Korruption an Macht verlieren lässt. Wer die Welt verbessern oder auch nur einfach wohlhabender machen will, tut gut daran, das Korruptionsthema in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Am Ende des fünften Kapitels heißt es oben mit Bezug auf das Spektrum der Korruption bereits, »dass es zu Korruption kommt, wenn in einem Monopol der einzelne Handelnde weitgehende Entscheidungsfreiheit hat, ohne für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Mit dieser Einschätzung wäre auch ein erster Fingerzeig verbunden, wie Korruption nach diesem ökonomischen Modell überwindbar ist, nämlich nach den Maximen ›Vermeide Monopole !‹ und ›Entscheidungsfreiheit nur mit entsprechender Haftung !‹« In Brasilien waren die Staatsanwälte und auch der jetzige Justizminister Sérgio Moro, als früherer Bundesrichter auf deren Spuren, erfolgreich durch rasche Strafverfahren mit konsequenten Verurteilungen, dem Angebot von Strafmilderung für Kronzeugen und einer umfassenden Einbeziehung der Öffentlichkeit : »Erst fingen sie die kleinen Fische, dann fragten sie nach deren   Kapitel 9  |  89

Chefs und anderen Auftraggebern, bis die Ermittlungen schließlich zu Industriekapitänen« und zum politischen Personal führten.115 In der von Klitgaard ausführlich beschriebenen Steuerbehörde geht die neue Leitung trotz aller kulturellen Verschiedenheit auf den Philippinen gegen die allgegenwärtige, zunächst genau beobachtete Korruption vor, indem sie neue Maßstäbe der Leistungsmessung für Beamte einführt, wonach es sich individuell lohnt, viele Steuern einzutreiben. Einmal außer Acht lassend, dass damit ein Korruptionsanreiz anderer Art gesetzt sein könnte, ist hieran bedeutsam, dass die Behördenmitarbeiter nicht zu moralisch guten Menschen werden, sondern einfach nur ihren eigenen Interessen folgen müssen. Das Anliegen ist allerdings nur in einem bescheidenen Rahmen realisierbar, da die Gehälter der Mitarbeiter vom Leiter der Steuerbehörde nicht beeinflusst werden können, sondern er auf nicht-pekuniäre Anreize und auf Beförderungen für Nicht-Korrupte setzen muss. Auch deshalb ist es wichtig, dass einige der Korruption überführte höhere Angestellte symbolträchtig und öffentlich bestraft werden. Die womöglich ausschließliche Bestrafung »kleiner Fische« wäre eher von Nachteil, da dies bloß die zynische Erwartung befördert, wonach man nur die Kleinen hängt und die Großen nicht nur laufen lässt, sondern sogar befördert. Insgesamt setzt sich der Behördenleiter nicht das Ziel einer kompletten Korruptionsüberwindung, sondern will mit den neuen Leistungsanreizen und der Bestrafung im Einzelfall das Klima in der Behörde drehen, was ihm trotz des Kontextes der allgemeinen Korruption auf den Philippinen zur Marcos-Zeit auch erstaunlich gut gelang. Für Klitgaard ist klar, dass die so zu verzeichnenden Erfolge eintreten, ohne dass die ideologisch aufgeladenen Debatten zu Markt oder Staat, privat oder öffentlich sowie zu den kulturellen Besonderheiten einzelner Regionen der Welt geführt werden müssen. Wichtig ist vielmehr, jenseits der leicht ideologisch werdenden Alternativen, eine gesellschaftliche Organisation, die auf Wettbewerb statt Monopole oder Oligopole und auf Zurechenbarkeit statt Verantwortungsdiffusion setzt. Über die ökonomische Perspektive von Klitgaard hinausgehend eignet sich die durch den Fähigkeitenansatz erweiterte Orientierung an Sittlichkeit, um die Verurteilungsgrade der Korruption ethisch zu durchdenken und von einem Schwarz-Weiß-Denken 90  |  Kapitel 9 

zwischen völliger moralistischer Verdammung und gänzlichem Freispruch aus Mangel an rechtsstaatlichen Beweisen wegzuführen. Entsprechende Überlegungen sind auch für die Korruptionsdefinition bedeutsam, da jetzt die Abgrenzung zwischen legitimem Gebrauch und Missbrauch von Macht als wandelbar im Rahmen der Fähigkeitenentwicklung verstanden werden kann : Der korrupte Mensch bleibt sowohl als Korrumpierender als auch als Korrumpierter unter seinen Möglichkeiten, nutzt die eigene Macht nicht zur Entwicklung von Chancen und Befähigungen und fixiert sich auf dem Niveau einer kurzfristigen Interessenverfolgung. Dies gilt genauso für eine Gesellschaft, in der Korruption nicht nur vorkommt, sondern die systemisch darauf basiert. Das mögliche Niveau der Fähigkeiten wird unnötigerweise nicht erreicht. Über Korruption im Kontext der menschlichen Fähigkeiten nachzudenken, ermöglicht in der Einschätzung ein graduelles Mehr oder Weniger. Korrupt oder nicht korrupt ist hier nicht mehr die Frage, sondern die Entwicklung von Fähigkeiten zu einem Zusammenleben mit weniger Korruption. Diese Verschiebung ist schon für die Einschätzung der Bestechungshandlungen von Abraham Lincoln folgenreich, weil die Verurteilung der Korruptionshandlung beim Stimmenkauf koexistieren kann mit einem Gesamtlob seiner historischen Leistung, die zugleich das Versprechen auf eine egalitäre Entwicklung der Fähigkeiten ohne Sklaverei enthält. Je nach dem Ausmaß und den schädlichen Auswirkungen auf Dritte steigert sich der Grad der Verurteilung von Korruption. Dies hat den Vorteil, dass die kleinsten Anfänge der Korruption negativ beurteilt werden können, ohne sie in der Dimension mit den Machenschaften organisierter Korruptionskriminalität wie in Brasilien oder beim Kölner Müllskandal gleichzusetzen. Der Maßgedanke, der die kriminelle Energie ebenso wie die Schädigungsintensität berücksichtigt, spielt so bei den Graden der Verurteilung eine wichtige Rolle. Eine einschlägige Theorie und empirische Evidenzen, die einem in ihrem direkten Widerspruch zu eigenen Sichtweisen nicht passen, beispielsweise in einer Vorlesung absichtlich unberücksichtigt zu lassen, ist kein Straftatbestand. Aber es entsteht doch ein Schaden, der es verdient, nicht einfach nur achselzuckend mit »schade« kommentiert zu werden. Es bleibt Korruption, wenn die Deutungsmacht des Dozenten zu partikularen Zwecken miss  Kapitel 9  |  91

braucht wird. Die Ablehnung der Korruption erfolgt gradualisiert in Stufen : Das Strafrecht formuliert eine zwingende Verpflichtung, das Zivilrecht kann, wenn es angewandt wird, für die Verurteilten teuer werden, die Ethik sanktioniert ohne die Sofortgefahr von so etwas wie Gefängnis, kann aber die gesellschaftliche Anerkennung unterminieren und die Orientierung an der positiven Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten ermöglicht Lob und Ermutigung bei der Vermeidung von Korruption. Amartya Sen passt als Ökonom und Philosoph gut zu dieser vielschichtigen Herangehensweise, weil er sich intellektuell zum ethischen Pluralismus bekennt. Eine gewisse Berühmtheit erlangt hat seine Geschichte von den drei Kindern, die sich um eine Flöte streiten. Die Pointe der Geschichte ist, dass alle drei berechtigte Ansprüche erheben und dass keine Theorie der Gerechtigkeit als neutraler Schiedsrichter eine abschließende Beurteilung zu Wege bringt : Bob ist so arm, dass er ohne Flöte ohne jedes Spielzeug dastünde; Clara hat die Flöte in monatelanger Fleißarbeit selbst gebaut und Anne schließlich ist die Einzige von den dreien, die überhaupt Flöte spielen kann.116 Eine gleichheitsorientierte Gerechtigkeitstheorie würde zugunsten von Bob entscheiden, eine das Eigentum heraushebende für Clara und eine die zukünftigen Möglichkeiten betonende für Anne. So spiegelt sich der Konflikt der Ansprüche auf der Theorieebene wider, so dass deren Lösungspotential gering bleibt. Sen folgert hieraus nicht die Unwichtigkeit des theoretischen Nachdenkens, sondern sieht im Abwägen von Gesichtspunkten mit Anläufen zu einer »Mehrfachbegründung« die eigentlich ethische Aufgabe, die eingesteht, dass »Urteile unvollständig sein können«. Ganz in diesem Sinne hat die hier genutzte »Pluralität stichhaltiger Gründe« in den Perspektiven von Moralität, Rechtsstaatlichkeit und Sittlichkeit keinen »Platz« für den intellektuellen »Traum vom Handstreich, der alles mit einem Schlag verändert«. Amartya Sen hat in Kritik an der das Gegenteil von Pluralismus markierenden Orientierung am Bruttoinlandsprodukt in der Ökonomie117 und an allein auf dem Papier stehenden individuellen Rechten teilweise in Zusammenarbeit mit Martha Nussbaum das im Deutschen oft als »Fähigkeitenansatz« (»capability approach«) übersetzte Konzept entwickelt. Fähigkeiten werden bei Menschen nicht als von Anfang an gleichbleibend gedacht, sondern können 92  |  Kapitel 9 

sich entwickeln und verändern. Sen geht es dabei – anders als in einem bloß an Rechten orientierten Liberalismus – um reale und nicht nur potentiale Fähigkeiten, die zugleich in einem gewissen Maße als interkulturell variabel zu verstehen sind. Beim realen Steigern der menschlichen Fähigkeiten spielen Freiheit explizit und Bildung implizit eine zentrale Rolle : Freiheit ermöglicht die Bildung der Fähigkeiten und gebildete Fähigkeiten ermöglichen die reale Wahrnehmung von Freiheit. Ohne Freiheit kommt der Prozess des Bildens nicht in Gang, weil Menschen in traditioneller Rollenfixierung beim Überkommenen bleiben. Ohne Bildung stehen Chancen nur auf dem Papier und können nicht real wahrgenommen werden. Freiheit materialisiert sich für Sen in der Demokratie als der »Regierung durch Diskussion«.118 Die Freiheit der Demokratie erschließt sich demnach nicht primär über ein Institutionengefüge, sondern über eine formale Charakterisierung, deren institutionelle Realisierung unterschiedlich aussehen kann. Amartya Sen unterscheidet den Chancen- und den Prozessaspekt der Freiheit : »Freiheit ist kostbar aus mindestens zwei Gründen. Erstens gibt uns mehr Freiheit mehr Chancen, unsere Ziele zu verfolgen – die Dinge, die wir hochschätzen. … Zweitens können wir aber dem Entscheidungsprozess selbst Bedeutung beimessen.« Sen verdeutlicht seinen Punkt an einer Person, die sich selbst entscheidet, an einem Sonntag nicht das Haus zu verlassen, und der gleichen Person, die durch Verbrecher unter Hausarrest gestellt wird. Die Chancen der sonntäglichen Betätigung sind gleich, aber nach der Prozessperspektive sind beide Situationen vollkommen unterschiedlich zu betrachten. Wie bei der Bildung ist nicht nur zentral, was dabei herauskommt, sondern mehr noch der Prozess der Entwicklung selbst. Der Fähigkeitenansatz orientiert sich »an der Befähigung einer Person, die Dinge zu tun, die sie mit gutem Grund hochschätzt«. Bei der Konzentration auf die wirklichen Lebenschancen, die über den bloßen Lebensunterhalt hinausgehen, spielt Bildung eine große Rolle, weil sich hiermit die realen Chancen fundamental erweitern lassen; denn die Fähigkeit zur Orientierung an »guter Ernährung, Vermeidung eines vorzeitigen Sterbens bis zur Beteiligung am Leben der Gemeinschaft und zur Entwicklung der Kunst, die eigenen Arbeitspläne und Ambitionen zu verwirklichen«, korreliert stark   Kapitel 9  |  93

mit Bildung. Sen spricht von einer »Ausbildung der Befähigung zur Freiheit«. Der Fähigkeitenansatz unterstreicht die reale Freiheit von Menschen, also nicht allein die auf dem Papier garantierte, sondern die durch Bildung realisierbare. Zur Entwicklung der kollektiven Fähigkeiten gehört auch die Überwindung der Armut, die für Sen als »Mangel an Chancen« daherkommt. Der Korruptionsforscher Leslie Holmes bestätigt, was die Beschäftigung mit der Korruption in Süditalien schon nahe­legte, dass das »Ausmaß an Korruption umso höher« ist, »je ärmer ein Land ist« und je stärker es »hierarchische Systeme« prägen; denn es gilt : »Grundsätzlich korrelieren niedrige Niveaus von gesellschaftlichem Vertrauen mit höheren Niveaus an Korruption.« Wichtig ist die Beobachtung Sens, dass es in einer Demokratie in diesem Sinne noch nie zu einer schweren Hungersnot gekommen sei. Gebildete Menschen mit entwickelten Fähigkeiten, die Verhältnisse über Diskussionen in einer Demokratie beeinflussen können, wissen sich zu wehren und werden so nicht zum passiven Opfer von Hunger.119 Fehlende Rechtsstaatlichkeit und Korruption machen arm und umgekehrt erhöht sich die Korruptionsaffinität in Situationen der Aussichtslosigkeit durch Armut. Auch wenn die Richtung der Kausalität im Verhältnis von Armut und Korruption aus meiner Sicht weiterhin Fragen aufwirft, so reicht die festgestellte Korrelation zwischen beiden doch für die Schlussfolgerung, dass das System möglichst sowohl von der Seite der Armut als auch von der Seite der Korruption her aufgelöst werden muss. In kollektiver Hinsicht lässt sich schon aus der Korrelation eine aufgeklärte Eigeninteressiertheit an der Korruptionsüberwindung ableiten. Der Fähigkeitenansatz dynamisiert Georg Wilhelm Friedrich Hegels Begriff der Sittlichkeit aus der aristotelischen Tugendtradition – eine Fortschrittsorientierung, die bei Hegel selbst rund um den Bildungsbegriff schon angelegt ist. Hegel konzipiert die bei Kant kritisierte Denkdialektik, die spekulativ die Grenzen der Erfahrung überspringt, als Realdialektik neu und behauptet, dass sich die Sachen selbst und nicht nur ihre Erkenntnis in einer dialektischen Bewegung befinden. Eine Überlegung, die auf Moralität, Rechtsstaat und Sittlichkeit bezogen von mir nicht vollständig mitvollzogen werden muss. Es kann auf sich beruhen bleiben, ob die damit umschriebenen Sachverhalte von sich aus über sich »hinaus94  |  Kapitel 9 

treiben« (wie es Hegel wohl vertreten würde) oder ob wir als Interpreten diese Kontextualisierung vorantreiben. Bei Hegel entwickelt sich die kulturelle und natürliche Wirklichkeit selbst dialektisch und kann nur systemphilosophisch quasi als Bildungsgeschichte angemessen erfasst werden. In der »Phänomenologie des Geistes«120 wird Bildung so zu einem Grundprinzip der Welt überhaupt, das weit über die individuelle Selbstbildung hinausgeht. Besonders markant arbeitet bereits Hegel den Gedanken der Entfremdung heraus, der wirkungsgeschichtlich dann bei Karl Marx und überhaupt im Marxismus in den Mittelpunkt der Theorieentwicklung rückt. Für die Bildungstheorie ist der Entfremdungsgedanke wichtig, weil er betont, dass die Auseinandersetzung mit Widrigkeiten in besonderer Weise bilden kann. Wer nicht im Kontext des Großen und Ganzen denkt, verfährt für Hegel abstrakt (das heißt von den Kontexten abstrahierend) und gilt als ungebildet.121 Noch ein Wort zum Verhältnis von Moralität, Rechtsstaatlichkeit und Sittlichkeit. Sie sollten mit Hegel zunächst als Stufen einer Entwicklung der Aufhebung verstanden werden; denn ihr bloßes Nebeneinanderstellen ist gedanklich unbefriedigend und auch nicht so gemeint. In der Terminologie von Hegels Philosophie hat Aufhebung einen dreifachen Sinn : Wie in einer Stufenfolge führt die Aufhebung sowohl dazu, die vorherige Stufe hinter sich zu lassen, als auch zu einer Weiter- oder gar Höherentwicklung. Es wird also etwas negiert und etwas neu positiv entwickelt. Neben diesen beiden Aspekten ist fast am wichtigsten, dass in der Höherentwicklung zugleich das Überwundene aufbewahrt wird. Die Überwindung ist also nicht vollständig, sondern nur partiell. Viele Generationen von Hegel-Forschern haben aus der Dialektik, die mit der Aufhebung gedanklich verbunden ist, in Anknüpfung an Hegels eigenem Werk zur »Wissenschaft der Logik«122 eine dreiwertige Logik machen wollen, die den Dualismus von wahr und falsch beiseiteschiebt. So viel Aufwand muss man gedanklich nicht treiben; denn die Zweiwertigkeit der Logik lässt sich mit dem drei­fachen Sinn der Aufhebung durchaus vereinbaren : Das Aufgehobene behält teilweise seine Gültigkeit, wird nicht vollständig dementiert, aber in einen Kontext mit anderen Richtigkeiten gestellt und durch diese Kontextualisierung neu dimensioniert. Moralität, Rechtsstaatlichkeit und Sittlichkeit verkörpern in ihrer normativen Aus  Kapitel 9  |  95

richtung Teilwahrheiten, die zugleich Bestand haben und sich gegenseitig relativieren. So verstanden bestehen allerdings Zweifel, ob Sittlichkeit quasi Moralität und Rechtsstaatlichkeit ersetzen kann. Im Starkmachen des Bewahrenden der Aufhebung verstehe ich es eher so, dass diese beiden in ihrer Bedeutung nicht verschwinden, sondern dass die Sittlichkeit in zivilgesellschaftlicher Ausrichtung diese in sich vereint. Das Dreigestirn kann perspektiventheoretisch so in seinem Zielen auf Teilwahrheiten auch ohne eine wörtlich zu verstehende Dialektik im Sinne Hegels entfaltet werden. Für mich persönlich bleibt beim Thema der Korruption die Perspektive der Moralität als Durchgangsstadium attraktiv – im Wissen, dass diese durch andere Perspektiven sowieso relativiert wird. Weshalb habe ich die Reihenfolge der Behandlung gegenüber Hegel geändert ? Statt Rechtsstaat, Moralität und Sittlichkeit in dieser Folge zu erörtern, diskutiere ich die Korruptionsüberwindung abweichend als Moralität, Rechtsstaat und Sittlichkeit. In Hegels Philosophie selbst ist die Reihenfolge wohl nicht als beliebig gemeint, sondern als Erschließung einer notwendigen Entwicklung des geschichtlichen Seins. Ich greife Hegels Gedanken in einer offenen Form auf, die damit rechnet, dass Positionen auf Widerspruch treffen, der oft historisch nach längeren Auseinandersetzungen zu einer Vermittlung beider Seiten führt. Dabei können auch Generationsabfolgen eine Rolle spielen : Während die erste Generation einen Gesichtspunkt stark macht, übersteuert die nächste in Kritik daran einen eher gegenläufigen Gedanken, der wieder danach als genauso überspitzt angesehen wird wie der vom Anfang. In diese Schrittfolge kann man gedanklich beliebig einsteigen, um Vereinseitigungen und Übersteuerungen zu identifizieren. Gedanklich läuft es darauf hinaus, dass Moralität, Rechtsstaat und Sittlichkeit je für sich genommen für Teilwahrheiten stehen. Dies gilt nicht nur für die Auseinandersetzung mit Korruption, aber hier ergibt es sich aus meiner Sicht besonders sinnfällig. Wer nur im Namen der Moralität die Korruption kritisiert, wie ich es bei mir selbst tendenziell festgestellt habe, wird eher zum passiven Beobachten neigen, in seiner Kritik immer grundsätzlicher werden und so die Chancen auf die Verbesserung der Welt verpassen und deren Gestaltung anderen überlassen. Die Stärke der Moralität liegt gleichwohl darin, dass sie bisher Verkanntes aufdecken und so einen Verände96  |  Kapitel 9 

rungsimpuls liefern kann. Der wichtige Rechtsstaatsgedanke erdet die abstrakte Kritik der Korruption in der Moralität und gibt dem Zusammenleben die Sicherheit expliziter Regeln. Einseitig forciert wird die Rechtsbezogenheit jedoch zu einem leeren Ritual, das vergisst, wie sehr das Recht und die Institutionen von Menschen getragen werden müssen. Hegel sieht in der Sittlichkeit die harmonische Verbindung von Moralität und Rechtsstaat, die es ermöglicht, nicht alles zu verrechtlichen und nicht alles moralistisch zu kritisieren. Von daher gibt er eine gute Orientierung gegen eine überzogene Korruptionsfixierung und gegen eine bloße Interessenmaximierung im Namen des Rechts. Doch die Kehrseiten der Sittlichkeit – gerade wenn sie zur bloßen Konvention wird – liegen ebenfalls auf der Hand, weil sie allzu leicht bei einem »So haben wir es immer gemacht« landet. Insgesamt bietet die Trias von Moralität, Rechtsstaatsorientierung und Sittlichkeit eine gute Möglichkeit, die Überwindung der Korruption ausgewogen zu durchdenken. In unterschiedlichen gesellschaftlichen Konstellationen und Konflikten liegt es nahe, eine Perspektive in dieser Trias besonders stark zu machen, um mit Hilfe dieser Leitperspektive die gesellschaftliche Lage zu verbessern. Hierin liegt selbst eine Fähigkeitenentwicklung im Umgang mit Korruption. Die Entfaltung von Moralität, Rechtsstaat und Sittlichkeit lässt sich mit der Abgrenzung von Gebrauch und Missbrauch in der Definition »Korruption ist der Missbrauch von Macht zu partikularen Zwecken« verbinden : Die Moralität sieht überall schon Missbrauch, wo andere noch legitimen Gebrauch sehen. Der Rechtsstaatsgedanke grenzt die Feststellung des Missbrauchs ein auf die Legaldefinitionen besonders im Strafrecht und stellt die Frage nach Legitimität zurück. Die Sittlichkeit in der Auslegung des Fähigkeitenansatzes denkt in Potentialitäten und gradualisiert legitimen Gebrauch und Missbrauch, da Fähigkeiten immer steigerungsfähig sind. Missbrauch wird demgegenüber zum fähigkeitsmindernden Gebrauch. Das Apodiktische des Urteils wird zugunsten von Abwägungen aufgegeben. Die genauen Einteilungen können je nach Deutungsmacht nicht nur unterschiedlich diskutiert, sondern vor allem mit besseren Gründen entschieden werden.

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Kein Ort, nirgends – ganz irdisch Utopien einer Welt ohne Korruption  10

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en Ort, den sich klassische Utopien ausgemalt haben, gibt es nicht. Nirgends !123 Das sagt schon ihr griechisches Ursprungswort ausdrücklich. Um aber Korruption als Thema nicht rein negativ in ihrer moralistischen Kritik oder in der bloß pragmatischen Rechtsstaatsorientierung zu belassen, ist es eine erprobungswürdige Idee, eine sittliche Welt fortgebildet ohne Korruption ganz irdisch von der positiven Vision her zu denken. Als Utopie, die nicht als Sehnsucht nach dem ganz anderen anzusehen ist, sondern als eigensinniger Aufruf zu konkreten Phantasien bei der Überwindung des schwer Überwindbaren mit Menschen, wie sie sind.124 Seit der Philosoph Karl Raimund Popper Anhänger von Utopien als Feinde einer offenen Gesellschaft gebrandmarkt hat, gelten diese als freiheitsgefährdend. Er hat recht, wenn es um solche geht, die auf einen Schlag umgesetzt werden sollen; diese sind gefährlich, weil sie, auf dem Reißbrett entworfen, reale Gesellschaften und reale Menschen ignorieren. Von der Utopie zum Konzentrationslager für Nicht-Überzeugte ist es demnach nur ein kleiner Schritt.125 Wenn Utopien aber nicht als revolutionäre Entwürfe für ganze Gesellschaften verstanden werden, sondern fast spielerisch als Spurensuche für Verbesserungen gegen die Diktatur der Faktizität, dann können sie notwendige Energien zur Weiterentwicklung von Gesellschaften erzeugen. Bei Utopien einer Welt ohne Korruption geht es um konkrete Anregungen für einzelne Schritte, die Korruption in Gesellschaften wenn nicht ausschließen, so doch erschweren können. Solche Phantasien können die Moralisierung als Impulse für Veränderungen ebenso befeuern wie konkrete Ideen zur Fortentwicklung des Rechtes oder zur Ausgestaltung der zivilgesellschaftlichen Sittlichkeit entwerfen. Wenn eine Welt ohne Hunger nur in einer Welt mit deutlich weniger Korruption als in der jetzigen vorstellbar ist, dann ist dies aller Anstrengungen – auch der Realisierungsphantasie – wert : so etwa 98

die Utopie eines Afrikas ohne Armut durch Korruption. Gleiches gilt für die vielen Missstände, die durch falsche Anreize in unseren Gefilden nicht nur Korruption begünstigen, sondern diese dadurch am Leben erhalten. Korruption kann nicht allein mit dem Strafrecht oder mit verbiestertem Moralismus überwunden werden. Miesepetrige Pfennigfuchserei ist nicht das Ideal der Korruptionsbekämpfung; Leichtigkeit und nicht kleinliche Korrektheit ist das attraktivere Ideal der Lebenskunst, das bei der Überwindung der Hürden zur Verminderung der Korruption nicht einfach vergessen sein sollte. Daher ist die in deutschen Amtsstuben anzutreffende kleinteilige Regel, dass Geschenke im Wert bis zu 10 Euro angenommen werden dürfen, zwar gut gemeint, aber in ihrer Fixiertheit auf eine kleine Geldsumme fast lächerlich und bei der Wertbeurteilung von überreichten Blumensträußen auch nicht einfach anzuwenden.126 Die Korruptionsbekämpfung leidet im Alltag unter der Differenz von Strafandrohung und ethischer Verurteilung einerseits und den Schwierigkeiten der Durchsetzung von Ethik und Recht andererseits. Auch verwischte Spuren bei der Verantwortungszuschreibung erschweren sie, wenn die vom Soziologen Stephan Lessenich beschriebenen Externalisierungen mit ihren Schädigungen zum Teil weit weg von den Verursachern deren Haftung unterminieren.127 Strafe und Ethik müssen verankert sein in dem, was Hegel gelebte Sittlichkeit nennt, sonst bleiben beide abstrakt und ohne ausreichenden Einfluss im Alltag. Dies zu erreichen ist gar nicht so einfach in Kontexten, die geprägt sind von anderen Lebensformen, die womöglich von außen übernommenes Strafrecht und eine ebensolche Ethik ins Leere laufen lassen. Ziel bleibt die Ausbildung einer Sittlichkeit ohne Korruption mit Menschen, die dies nicht überfordert und in moralistische Heuchelei treibt. Das aufgeklärte Eigeninteresse von Adam und Eva muss bedient werden, sonst ist Korruptionsvermeidung nicht attraktiv genug. Wenn auf Regeln basierende Kooperation auf die Dauer erfolgreicher ist als lediglich kurzfristig erfolgreiche Missbräuche, dann kann es auch ganz egoistisch nützen, nicht korrupt zu sein. Nach diesen ersten Andeutungen konzentriere ich mich jetzt auf Utopien zur Überwindung des Kumpel-Kapitalismus, um sowohl diesen bedeutenden Korruptionsbeschleuniger zu attackieren als   Kapitel 10  |  99

auch solche Utopien daraufhin zu befragen, ob sie tatsächlich korruptionsüberwindend wirken. Viele werden bei einer Suche nach der utopischen Überwindung des Kapitalismus zuerst an Karl Marx und die sich auf ihn beziehende sozialistische Tradition denken. Dies scheint mir jedoch ein großer Irrtum zu sein, da Marx sich an Hegel orientierend gerade Utopien nicht als zielführend für die Kapitalismus-Überwindung einschätzt. Entsprechend verbietet sich Marx nach seiner Kritik der Utopie im Frühsozialismus sogar Gedanken, wie die Gesellschaft am Tag nach der Revolution aussehen soll. Statt sich Utopien auszudenken, wollte Marx ein solider Wissenschaftler sein. Daher muss er wie Karl Raimund Popper als bedeutender Kritiker der Utopie-Orientierung angesehen werden und nicht selbst als Utopist. Erst in seiner späteren Wirkungsgeschichte, bei der im »real existierenden« Sozialismus die Schwierigkeiten offensichtlich werden, kommt es zu einer Umdrehung, indem Marx – ganz entgegen seiner Intention – moralisiert und utopisiert wird. In seinem Werk selbst findet man eigentlich nur eine bedeutende Stelle in seiner frühen Schrift zur »Deutschen Ideologie«, die ganz utopisch nach einer Überwindung der Arbeitsteilung klingt, wenn vielleicht auch nur ironisch davon gesprochen wird, »heute dies, morgen jenes zu thun, Morgens zu jagen, Nachmittags zu fischen, Abends Viehzucht zu treiben u. nach dem Essen zu kritisiren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger Fischer Hirt oder Kritiker zu werden«.128 Systematisch spielt bei Marx diese Ausrichtung bei seinen ökonomischen Analysen keine Rolle. In der marxistischen Tradition war es vor allem Ernst Bloch, der Utopien in den Mittelpunkt seines Werkes stellte. Dabei fällt jedoch auf, dass diese in einem nicht gelösten Spannungsverhältnis zur historisch-materialistischen Ausrichtung stehen, so dass letztlich bei ihm der an den künstlerischen Expressionismus erinnernde Teil seines Frühwerkes zum »Geist der Utopie« auch in seinem Hauptwerk zum »Prinzip Hoffnung« weiter zur Geltung kommt.129 Marx ist also kein geeigneter Autor, um mit Phantasie und Eigensinn konkrete Utopien anzustoßen. Ist denn wenigstens ein Sozialismus, der von ihm und vor allem seinen Nachfolgern Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin auf den Weg gebracht wurde, ein Gesellschaftsmodell, das Korruption zu überwinden 100  |  Kapitel 10 

hilft ? Nein, im Gegenteil ! Weil sich Marx bei der Überwindung von Entfremdung und Kapitalismus primär von der Veränderung der Eigentumsverhältnisse einen Ausweg verspricht, neigt er zu einem Gesellschaftsmodell, das Monopole nicht wettbewerblich durch Pluralismus und Konkurrenz in Schach hält, sondern Monopolisierung verschärft und bei der Zentralinstanz ansiedelt, die sich wirkungsgeschichtlich faktisch als diktatorischer Staat herausstellte. Wenn Monopole jedoch Korruptionsbeschleuniger sind, dann ist der staatsmonopolistische Sozialismus genau das falsche Rezept zur Korruptionsüberwindung. Die marxistische Theorie der Klassenkämpfe unter Einschluss der Mehrwertlehre impliziert das Ausbeutungstheorem; denn für Marx beutet die eine Klasse immer die andere aus. Tatsächlich spielt Ausbeutung als Teil einer korrupten Gesellschaft in Vergangenheit und Gegenwart eine große Rolle; doch nicht selten ist »Ausbeutung« auch nur eine rhetorische Kampfparole in Interessenkonflikten, womit eine Seite für die eigene Besserstellung kämpft. Die meisten Gesellschaften haben zumindest Elemente der Kooperation entwickelt, in denen sich Wohlstand und Lebensperspektiven für alle positiv entwickeln können, ohne dass dies gleichförmig geschieht. Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung ist gerade die Abkehr von der Ausbeutung und die Entwicklung von Formen der Kooperation, die das Nullsummenspiel überwinden und bei der Gewinner nicht automatisch Verlierer hervorbringen. Es stimmt nicht immer notwendigerweise, wie klassentheoretisch unterstellt wird, dass einige reich sind, weil andere arm sind. Gesucht wird zur Anregung der Phantasie eine freiheitliche Utopie, die nicht der Gefahr eines neuen Totalitarismus ausgesetzt ist und sich daran orientiert, dass jenseits der großen zu Ideologie neigenden Systementwürfe eine gesellschaftliche Organisation angestrebt wird, die auf Wettbewerb statt Monopole oder Oligopole und auf Zurechenbarkeit statt Verantwortungsdiffusion setzt.130 In den Kapiteln zu Moralität, Rechtsstaat und Sittlichkeit sollte nämlich schon ganz pluralistisch deutlich werden, dass eine solche gesellschaftliche Entwicklung von einer Vielfalt der Herangehensweisen profitieren kann. Primär geht es dabei nicht um kleinteilige Regulierungen, sondern um richtige korruptionsvermeidende Anreize.   Kapitel 10  |  101

Der jetzt schon mehrfach angesprochene Begriff des Wettbewerbs bedarf noch der genaueren Betrachtung. Kapitalistischer Wettbewerb wird mit seiner ökonomischen Leistungsfixierung von vielen als zerstörerisch empfunden. Wird die Orientierung an Wettbewerblichkeit zur Korruptionsvermeidung nicht allzu teuer bezahlt, wenn dafür ein Raubtierkapitalismus droht ? Diese Frage basiert zur Hälfte auf einem Missverständnis und m ­ arkiert zugleich eine Gradwanderung. Das Missverständnis lässt sich terminologisch wohl leicht beheben, da eine raubtierähnliche Wettbewerbsorientierung nicht regelkonform ist und selbst in ihrer Missbräuchlichkeit der Macht als korrupt abgewiesen werden kann. Gleichzeitig ist es richtig, dass das Ziel, im Wettbewerb zu gewinnen, eine Leistungsorientierung bedeutet, die in übersteigertem Ehrgeiz zerstörerisch für einen selbst und für andere sein kann. Daher ist es wichtig, den Wettbewerb als Institution nicht gleichzusetzen mit wenig attraktiven psychischen Besetzungen des Konkurrierens um jeden Preis. Zugegebenermaßen verbirgt sich hinter dieser Differenzierung eine Gradwanderung, die zu meistern selbst eine Utopie darstellt. Wettbewerb als zu begrüßende Institution heißt zunächst einmal ganz schlicht, dass es in Handlungssituationen Alternativen gibt. Wettbewerb ist so Teil des Pluralismus. Wer von Alternativlosigkeiten spricht, missachtet Pluralismus und Wettbewerb gleichermaßen. Fair ist ein solcher pluralistischer Wettbewerb, wenn im Prinzip alle Lösungsmöglichkeiten eine Chance bekommen. So verstanden ist Wettbewerb nicht nur im Feld der Ökonomie einschlägig, sondern als Lebensform überhaupt. Es gibt ganz grundsätzlich gedacht einen Wettbewerb zwischen den Wegen eines guten Lebens ebenso wie zum Beispiel zwischen verschiedenen Methoden der Entspannung. Jetzt wäre es paradox und kontraproduktiv, wenn die Suche nach dem richtigen Leben und der gelingenden Entspannung leistungsfixiert und angespannt initiiert würde. Solche Versuche lassen sich im Alltag durchaus beobachten, aber als sinnvoll sind sie kaum einzuschätzen.131 Dieser Wettbewerb im eher Persönlichen als Wahlmöglichkeit zwischen Alternativen lässt sich ebenso denken im Gesellschaftlichen, wenn es um die Frage der Gestaltung von Schulen, sozialer Hilfe im Wohlfahrtsstaat und der Unterstützung bei Behinderung oder im Alter geht. Monopole und Oligopole zu vermeiden, heißt auch in 102  |  Kapitel 10 

diesen Feldern, Auswahl zu ermöglichen und verschiedene Wege ausprobieren zu können. Während das Ausprobierende und Experimentelle bei der Veränderung von Gesellschaften besonders wichtig ist, markiert die Möglichkeit des Auswählens auch ganz handfest einen Beitrag zur Korruptionsprävention, da der korrupte Missbrauch von Macht durch Bestechung erleichtert wird, wo es eine Amtsperson gibt – nur einen Sachbearbeiter in der Bauabteilung oder nur einen Prüfer in einem Universitätsfach. Eine plura­ listische Gesellschaft, die auf allen Ebenen Auswahl ermöglicht, ist attraktiver und auf Dauer wohl auch erfolgreicher als eine der Monokulturen, die verordnet oder durch Mangel an Phantasie nur auf einen einzigen Weg beispielsweise bei der Armutsüberwindung setzt. Es soll aber nicht beschönigend verschwiegen werden, dass auch ein solches Verständnis von Wettbewerblichkeit mit Verlierern rechnen muss : Wer sich gerade für eine institutionelle Form der Pflege mit ganzer Kraft engagiert hat und dann feststellt, dass dieser Weg von anderen kritisiert wird und im Wettbewerb der Alternativen keinen Erfolg hat, wird dies nicht leicht wegstecken können. Daher gehört im Rahmen einer utopisch ausgestalteten Wettbewerblichkeit auch die Möglichkeit, immer wieder neu anfangen zu können und in diesem Aufstehen auch unterstützt zu werden. Die Orientierung an Wettbewerblichkeit ist nicht gleichzusetzen mit einem direkten Plädoyer im Rahmen der ideologischen Dauerdebatte um die Priorität von Staat und Markt; denn nicht nur funktionierende Märkte sind von Wettbewerb geprägt, sondern auch über Wahlen organisierte demokratische Staaten. Dies sieht auch Michel Foucault, wenn er bei seiner Beschäftigung mit der Geschichte der Gouvernementalität den Ausdruck der Staatsphobie prägt.132 In seinen Analysen wehrt sich Foucault dagegen, staatliches Handeln ausschließlich in der Tradition des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts zu sehen, den er weniger als Ausdruck staatlichen Überschwanges sieht, denn als Ausdruck ideologischer Parteien. Stattdessen arbeitet er in Übereinstimmung mit der Freiburger Schule der Nationalökonomie133 heraus, dass gerade eine Marktökonomie enorm viel staatliche Wachsamkeit und ein geschicktes staatliches Rahmenhandeln benötigt; denn auch der Wettbewerb ist ein »Ziel der Regierungskunst«.134 Anders als eine Planwirtschaft, die es aufgrund ihrer permanenten Eingriffe in die   Kapitel 10  |  103

Entscheidungsfreiheit nicht vermeiden kann, »politisch kostspielig zu sein«, begünstigt die staatliche Ermöglichung des Wettbewerbs eine »Neuformierung der Gesellschaft nach dem Modell des Unternehmens«.135 Wenn man diesen Gedanken von Foucault aufgreift, dann ist im staatlichen Rahmenhandeln regelbasiert eine Form der Geschicklichkeit gefragt, die die freie Wahl von Alternativen ermöglicht. Die Frage ist demnach nicht Steuerung oder Nicht-Steuerung des Marktes, sondern seine kluge oder unkluge Steuerung. Auch wenn es in vielen gesellschaftlichen Feldern große Vorteile zeitigt, staatliches Handeln gerade bei Detailinterventionen zurückzudrängen, ist damit nicht impliziert, dass die staatliche Gesamtverantwortung für die Korruptionsüberwindung schwindet. Der Staat als Verantwortungsträger für die Rahmengestaltung bleibt gefordert, auch wenn er diese Verantwortung nicht durch eigenes Handeln garantiert, sondern privaten Trägern die Durchführung im Rahmen von Regeln ermöglicht. Foucault analysiert in überraschender Übereinstimmung mit den Freiburger Ökonomen geschickte »Disziplinartechniken« zur Gestaltung der Ökonomie.136 Gerade wenn direkte Eingriffe in die Ökonomie wie zum Beispiel bei der Subventionierung maroder Wirtschaftszweige ein Tabu bilden, kommt es umso mehr auf die Allgemeinheit der Spielregeln an. Setzen wir die Suche nach Utopien nach diesem Klärungsversuch zur Wettbewerblichkeit jenseits einer Leistungstyrannei zur Korruptionsvermeidung fort. Der Nobelpreisträger Paul Romer hat das Konzept der »Charter Cities« entwickelt, das in seinem neokolonialistischen Flair auf den ersten Blick befremden mag, das aber zugleich eine interessante Perspektive auf die Beantwortung der Frage nach der Überwindung der Korruption ermöglicht : Ein Land, das von allergrößter Armut geprägt ist, entschließt sich, einen – möglichst unbewohnten – Teil des Landes an ein anderes Land zu verchartern. Modellbildend ist dabei das ehemalige Hongkong als britische Kronkolonie, das in der früheren Umgebung eines von Hunger und Armut geprägten China von großem Wohlstand gekennzeichnet ist. Die These von Romer lautet, dass sich eine neu eingerichtete City, die verchartert wird, in kürzester Zeit als Wohlstandszone etablieren wird. Warum ? Das Haupt­argument besteht in der Sicherheit eines Rechtsstaates und der nicht-dikta104  |  Kapitel 10 

torischen politischen Gewaltenteilung. Oder umgekehrt : Ein fehlender Rechtsstaat sowie fehlende Gewaltenteilung begünstigen Korruption und Korruption macht arm. Botswana zeigt, dass eine solche Entwicklung auch ganz ohne Romers Chartermodell möglich ist. Interessant für Utopien scheint mir das Chartermodell nur deshalb, weil es das Ausprobieren im kleinen Rahmen herausstellt. Statt im gesellschaftlichen Großexperiment alles überall sofort ändern zu wollen, ist es attraktiv, im Kleinen manches zu versuchen. Schon Jean-Jacques Rousseau hat seinen Gesellschaftsvertrag137 im Grunde genommen nicht für das große Frankreich entwickelt, sondern für das überschaubare Genf, so dass Maximilien de Robes­ pierres vermeintlich unbestechliches Wirken in der französischen Revolution – durch Rousseau inspiriert – vielleicht schon aus diesem Grund im terreur endete. Der Titel eines Buches aus den siebziger Jahren »Small is beautiful«138 ist vor diesem Hintergrund nach wie vor aktuell, wenn er suggeriert, dass in der Praxis der Korruptionsbekämpfung nicht die eine große Kontrolle die vielversprechende Zukunft markiert, sondern die Kraft aus überschaubaren Verhältnissen, die nicht mit Provinzialität zu verwechseln ist, sondern auf die Auswahl im Wettbewerb setzt.139 Das ökologische Engagement in Schumachers Buch, das der technokratischen Lösung mit seiner »Vergötterung der Größe« misstraut, ist gepaart mit einem Verständnis von den Grenzen des Wissens, was gesellschaftliche Steuerung angeht : »Wer ›alles den Fachleuten überlässt‹, stellt sich auf die Seite derer, die kopflos nach vorn fliehen.«140 Die Fähigkeit zum Haushalten, das Zielen auf Nachhaltigkeit, die Beachtung nicht nur der menschlichen Endlichkeit und der schon von Aristoteles stark gemachte Maßgedanke prägen diese Form des ökologischen Denkens, die allerdings bei den Formen ökologischer Politik in der Gegenwart nicht beachtet wird, die wie in Teilen der deutschen Energiewende vom Verbieten und der großen Subventionierung mit den Anreizen zur Fehlsteuerung statt vom utopischen Ausprobieren in der Vielfalt der Ansätze geprägt wird.141 Kommen wir nun zum Geld als des Pudels Kern142 im Kapitalismus : Im herrschenden Kumpel-Kapitalismus haben Banken eine besonders große Macht, so dass sich ihnen durch deren Missbrauch besonders große Korruptionschancen bieten. Die Investitionsban  Kapitel 10  |  105

ker, die auf Kosten der Allgemeinheit Risiken eingehen, wurden ebenso schon erwähnt wie die bayerischen Banken, die mit ihrer Beihilfe zur Steuerhinterziehung das Umfeld für den Fall Gustl Mollath lieferten. Wäre es daher eine gute Idee, schon aus Gründen der Korruptionsvermeidung Banken abzuschaffen ? Zwei Autoren – ein anonym bleibender Banker und ein jetzt als Wirtschaftsjournalist bei der »Neuen Zürcher Zeitung« Tätiger – haben sich zusammengetan, um unter Pseudonym in einem gut durchdachten Buch das »Ende der Banken« zu propagieren und nachzuweisen, »warum wir sie nicht brauchen«.143 Dies geschieht keineswegs aus einer grundsätzlichen Feindschaft gegenüber dem Banking, sondern aufgrund der systemischen Risiken und der Missbrauchsmöglichkeiten, die mit dem jetzigen Bankensystem einhergehen. Wichtig ist für das Verständnis des Vorschlages, dass die beiden Autoren im Kern nicht über Aktivitäten wie das Führen eines Gehaltskontos nachdenken, sondern über »Banking als Geldschöpfung aus Kredit«. In einem subtilen Gefüge schöpfen im heutigen System Banken Geld, indem sie – grob gesagt – die von Kunden zur Verfügung gestellten Einlagen vervielfachen, indem sie anderen sozusagen vom gleichen Geld Kredit geben. Durch Verschachtelungen und Etablierung komplizierter Schattenbanksysteme lässt sich der Multiplikator steigern, so dass ein beeindruckendes System von Geldschöpfung etabliert wird, das zwar von Zentralbanken temperiert wird, das aber insgesamt extreme Risiken birgt, da es in Krisenzeiten zu negativen Kettenreaktionen neigt, wie sie in der Finanzkrise 2007/8 eingetreten sind und sich in der Eurokrise partiell wiederholt haben. Die ständige Gefährdung eines solchen Systems ist der eintretende oder auch nur der befürchtete bank run, wenn Geldgeber, deren Geld ja keineswegs auf der Bank liegt, alle gleichzeitig zur Bank rennen, um ihre Einlagen abzuheben – was nicht möglich sein wird, da das Geld als Kredit schon ganz woanders eingesetzt ist, so dass trotz aller sekundären Einlagensicherungen Bargeldbedürfnisse nur in einem relativ beschränkten Rahmen im System erfüllbar sind. Die Autoren legen Wert darauf, dass es keine gute Idee ist, die Geldschöpfungsfunktion schlicht abzuschaffen, da dies mit einem gigantischen Wohlstandsverlust nicht nur für Reiche, sondern mehr oder weniger für alle verbunden wäre. Daher interessiert sie, 106  |  Kapitel 10 

wie die Geldschöpfungsfunktion gesellschaftlich erhalten bleiben kann, ohne die Risiken mit dem jetzigen Bankensystem eingehen zu müssen. Das jetzige Bankensystem lässt sich durch die Änderung einer Regel des Gesellschaftsrechtes erstaunlich einfach abschaffen. Die Autoren schlagen vor, dass in einem Unternehmen der »Wert der realen Vermögenswerte« mindesten dem »Wert seiner Verbindlichkeiten in einer Worst-Case-Finanzlage entsprechen« muss.144 Was so technisch daherkommt, ist raffinert, da dieses Kriterium zwar normale solvente Firmen problemlos erfüllen, aber nach ihrem üblichen Geschäftsmodell keine Bank, da diese im Rahmen der Wertschöpfung weit mehr Kredite vergibt, als sie selbst wert ist. Doch wie kommen dann ohne Banken Kredite in die Welt, damit keine Wohlstandsverluste eintreten ? Hier sehen die Autoren den Durchbruch durch die Digitalisierung im Rahmen von Fintechs, die sich als Dienstleister ohne echte Banking-Aufgabe betätigen können. Danach kann im Extremfall klein gestückelt in 1-Euro-Größen jeder Sparer je nach eigenem Risikobedürfnis sein eigenes Geld an andere verleihen. Der Dienstleister bündelt mit Hilfe jetziger Rechnerfähigkeiten das Geld zur Weitergabe auch an Großkreditnehmer. Dies basiert auf der Einschätzung, dass Banken als Vermittler fürs Banking in der Rolle der Geldschöpfer schon technisch nicht mehr erforderlich sind, sondern sich mit Hilfe der digitalen Technik auf die Vermittlerrolle beschränken können. Wer schafft dann das Geld ? Die beiden Autoren schlagen ganz einfach vor, es durch gleiche Direktauszahlung an alle Bürger und Bürgerinnen zu schöpfen. Dies hat einen massiv egalitären Zug, indem auf diese Art und Weise ein bedingungsloses Grundeinkommen zur Verfügung gestellt wird. Allerdings ist dieses Grundeinkommen nicht unbedingt bedürfnisdeckend, da es nicht in jeder beliebigen Höhe ausgezahlt werden kann, ohne dass es zu einer verheerenden Inflation kommt. Die Direktauszahlung dient ökonomisch gesehen nämlich auch der Inflations- bzw. der Defla­ tionsregulierung. Wie jetzt die Zentralbanken über die Regulierung der Zinshöhe würde im Modell der Autoren der Staat die Geldmenge durch die Variation der Höhe des Grundeinkommens steuern. Gedanklich ist der Kreislauf zur Abschaffung der Banken als Geldschöpfer und ihre Rückstufung zu reinen Dienstleistern damit geschlossen. Deutlich wird auch, dass Geld nicht primär   Kapitel 10  |  107

über Verteilung einer fixen Summe gesellschaftlich als Armut oder Reichtum erscheint, sondern diese über Verteilungseffekte im Rahmen der Geldschöpfung zumindest partiell beeinflussbar ist. Soweit die relativ ausführliche Darstellung der utopischen Gedanken der beiden Autoren, die selbst sagen, dass sie ein Konzept vorlegen, dessen politische Realisierbarkeit sie nicht thematisieren, was sie selbst als Leerstelle sehen, um sich nicht zu überfordern. Was folgt aus dem »Ende der Banken« für die Frage der Korrup­ tions­überwindung ? Das aus meiner Sicht Attraktive ist die Möglichkeit einer Gesellschaftsänderung durch die im Rechtsstaat transparente Änderung bloß einer Regel; mehrfach wurde in diesem Buch angesprochen, dass in unübersichtlichen Regelungslagen ein eigener Anreiz zur Korruption besteht. Weniger korruptionsfern im Vorschlag der beiden Autoren ist allerdings die Festsetzung der Höhe des Grundeinkommens. Schon heute sind selbst unabhängige Zentralbanken starkem politischen Druck ausgesetzt, um Zinsen niedrig zu halten und so möglichst eine ausgeweitete Geldversorgung zu gewährleisten – ganz zu schweigen von der gigantischen Ausweitung der Geldmenge, die besonders in den USA und im Euroraum durch das wie Gelddrucken wirkende Aufkaufen von Staats- und sonstigen Schulden von Zentralbanken im letzten Jahrzehnt vorgenommen wurde. Unabhängige Zentralbanken konnten vor dem Hintergrund, dass sie selbst die Geldmenge schon stark ausgeweitet hatten, einem zusätzlichen politischen Druck in den letzten Jahren zwar in den USA zumindest teilweise standhalten, aber nicht in Indien und in der Türkei, wo deren Unabhängigkeit ungleich prekärer ist. Wie gewaltig muss der Druck erst sein, wenn die Höhe des Grundeinkommens, die für Menschen extrem relevant ist, zur Debatte steht, zumal keine unabhängige Zentralbank bei ihnen die Entscheidung trifft, sondern der Staat ? In einer Demokratie ist es schwer vorstellbar, dass dies als rein funktionale Entscheidung akzeptiert wird. Sind hier Demonstrationen, gar Aufstände nicht programmiert ? Grundsätzlich wäre dieses Pro­ blem nur dann lösbar, wenn es – wie beispielsweise in Deutschland bei der Regel zur jährlichen Anpassung der Rente in Relation zum allgemeinen Lohnniveau – keiner wirklichen Entscheidung bei der Festsetzung der Höhe des Grundeinkommens bedürfte. Die soziale Bedürftigkeitskomponente müsste also ebenso wie die Definition 108  |  Kapitel 10 

des Kreises der Begünstigten getrennt von der Geldschöpfungskomponente des Grundeinkommens politisch diskutiert und berücksichtigt werden. Monopole aller Art – eventuell sogar das soeben diskutierte neue Monopol im Falle der Bankenabschaffung – bieten in ihrer überkommenen Machtstellung als Staat oder Kartell wenig oder gar keinen Anreiz, bessere Formen des Zusammenlebens zu entwickeln und etwaige Korruption zu überwinden. Der Monopolist hat kein Veränderungsinteresse; denn er ist in seiner Interessen­ realisierung immer schon angekommen. Ihm fehlt der Hunger auf Veränderung und Verbesserung, so dass der »Wettbewerb als Entdeckungsverfahren« ausfällt.145 Dies gilt für den Staat als größtem Monopolisten ebenso wie für marktbeherrschende Konzerne. Die alte Parole in marxistischer Tradition »Zerschlagt die Macht der Konzerne« gilt demnach ebenso für den Staat als Konzern mit der allergrößten Machtkonzentration (sogar tendenziell unabhängig von der Frage, ob dieser demokratisch legitimiert ist oder nicht). Der Ökonom Friedrich August von Hayek spielt den Gedanken durch, dass auch die Geldschöpfung über Zentralbanken und sinngemäß auch die des Staates ein kritikwürdiges Monopol darstellt. Er tritt nicht für die Abschaffung der bisherigen Nationalwährungen ein, sondern für eine Konkurrenz von Währungen auch innerhalb eines bisherigen Währungsterritoriums – sei es in Form von Währungen anderer Länder oder durch privat geschaffene Währungen : So »würde jede Abweichung vom geraden Pfad der Versorgung mit gutem Geld sofort dazu führen, dass das schlechte Geld unmittelbar durch ein anderes verdrängt werden würde«.146 Der »Hauptmangel des Marktsystems und damit der Grund für wohl gerechtfertigte Vorwürfe – nämlich seine Empfänglichkeit für wiederkehrende Perioden von Depression und Arbeitslosigkeit« ist für Hayek eine »Konsequenz des uralten Regierungsmonopols der Geldemission«.147 Das Geldmonopol verleitet zum korrupten Missbrauch und begünstigt die Inflationierung, weil es immer bequeme Möglichkeiten gibt, Mangelsituationen ganz missbräuchlich durch Geldvermehrung zu kaschieren. Viele Ökonomen verharmlosen aus Hayeks Sicht die Inflation, die in ihren verkappten Realwertverlusten einen Niedergang verdeckt und so die Wahrnehmung der Lage korrumpiert, so dass ökonomisch schwache Projekte durch   Kapitel 10  |  109

die Inflationierung am Leben erhalten werden. Das Steigen der Zahlen suggeriert oberflächlich Wachstum, verschiebt Probleme in die Zukunft und verschleiert die Spätfolgen eines Lebens aus der Substanz.148 Eine skeptische Nachfrage zu Hayeks Vorschlag liegt nahe : Würden sich Monopole in Ersetzung des bisherigen nationalstaatlichen Monopols nach seinem Vorschlag nicht einfach neu kommerziell durchsetzen – als Googles und Facebooks149 des Geldes sozusagen, wie sie sich vielleicht im Anschluss an jetzige Kreditkartenkonzerne wie Visa und Mastercard entwickeln würden ? Die Frage nach der staatlichen Regulierung solcher Monopole würde den Staat an anderer Stelle wieder ins Spiel bringen. Außerdem könnte es sich als Problem herausstellen, dass die Vielfalt des Geldes seine Beliebigkeit in den Köpfen der Menschen verankern würde und sich ein generelles Misstrauen verbreitet. Vielleicht ist die gleichzeitige Nutzung verschiedenen Geldes auch pragmatisch gesehen eine unnötige Verkomplizierung. Oder doch mit Hayek geradezu erwünscht, weil sie Konkurrenz zulässt ? Weiterführend könnten Hayeks Gedanken zur Entnationalisierung des Geldes sein, wenn sie sich mit der gegenwärtigen Herausbildung von nicht so ohne Weiteres korrumpierbaren blockchains verbinden ließen, die ebenfalls auf eine zentrale Steuerungsinstanz verzichten und technisch hinter Kryptowährungen stehen. Die ohne zentrale Server auskommenden Blockketten ermöglichen einen transparenten Austausch von Werten ohne Zwischenhändler. Damit steckt in ihnen ein utopisches Potential, das Korruption erschwert, jedenfalls solange das Blockkettensystem als solches nicht gehackt oder von neuen Zentralinstanzen gekapert wird. Die entsprechenden Auswirkungen sind heute noch nicht überschaubar, aber potentiell ist eine Entwicklung denkbar, die nicht nur Banken durch den Direktaustausch von Krediten und Werten überflüssig macht, sondern auch traditionelle Entwicklungshilfe mit den Zwischeninstanzen der Organisationen auf der Geberseite ebenso wie auf der Empfängerseite zugunsten eines Direktaustausches radikal verändert. Eine blockchain-Wirtschaft kann in ihrer technologischen Ausgestaltung Vertrauen schaffen, weil sie Daten als Repräsentanten von Werten transparent, dezentral und unveränderlich speichert, so dass der Korruptionszugriff auf 110  |  Kapitel 10 

dem Weg zwischen Sender und Empfänger technisch nicht mehr möglich ist. Auch wenn Zentralinstanzen mit ihren Möglichkeiten zur korrupten Manipulation wegfallen, verbietet sich eine zu euphorische Einschätzung, weil im Hinblick auf viele Haftungsund Gestaltungsfragen die ganz normalen Konflikte und auch Korruptionschancen von Gesellschaften in Kraft bleiben, so dass diese technologische Utopie ebenfalls ihre Risiken und Nebenwirkungen entfalten wird.150 Gleichwohl bleibt das dahinterstehende Prinzip nicht nur aus Gründen der Korruptionserschwerung, sondern auch in seinem demokratischen Inklusionspotential bedeutsam : »Das System verteilt die Macht über ein ganzes Peer-to-Peer-Netzwerk ohne zentrale Steuerung.«151 Die utopischen Entwürfe zur Überwindung des Kumpel-Kapitalismus von Romer, McMillan und Hayek unter Einschluss des blockchain-Ausblicks sind aus meiner Sicht interessant, aber sie bleiben diskussionsbedürftig. Was für den einen eine Positivutopie ist, dürfte für den anderen eine Dystopie sein. Aus diesem Dilemma einer offenen Gesellschaft kann keine Utopie ein für alle Mal einen Ausweg zeigen, so dass Utopien zwar die Phantasie zum Überwinden von Missständen anregen, aber nicht einfach umsetzungsfertige Richtungsangaben bieten. Als Zukunftsträume können Utopien, bloß weil es sie gibt, keinen Anspruch auf Richtigkeit erheben. Vorgelegte Utopien entgehen selbst nicht der Wettbewerblichkeit, sondern müssen sich ganz pluralistisch der Auseinandersetzung stellen. Utopien werden oft als Ausstieg aus der Grauzone schwieriger Abwägungsentscheidungen gesehen, doch genau dies sind sie nicht; denn sie überwinden den Pluralismus nicht, sondern sie sind ein weiterer Ausdruck von ihm. Utopien sind so verschieden wie die Menschen, die in ihnen ihre Zukunft erträumen. In der notwendigen Debatte um ihre Stärken und Schwächen kehrt das moralistische Grauzonendilemma wieder, so dass auch Utopien keinen Ausweg aus dem Ergänzungsverhältnis von Moralität, Rechtsstaat und Sittlichkeit als drei Perspektiven bieten. In der Korruptionsbekämpfung bedarf es eines richtigen Maßes zwischen Abgestumpftheit und Überreaktion, das in der Hauptsache die Kritik an der Korruption intellektuell verschärft, aber im Realen keinen blinden Eifer gegen allzu menschliche Schwächen fördert. Großzügigkeit im Kleinen ohne Rigorismus, wenn   Kapitel 10  |  111

die großen Linien der Korruptionsbekämpfung und vor allem die Anreize stimmen. Anti-Korruptions-Rituale allein helfen nicht. Es wird geradezu problematisch, wenn sich, wie oft in der Medizin­ ethik, allein isolierte Ethik- oder Korruptionsbeauftragte um das Thema kümmern. Zum Beispiel wird es bei Anträgen auf staatliche Förderung oder auf Entwicklungshilfe zukünftig immer häufiger gefordert werden, Angaben zur Korruptionsbekämpfung zu machen, die man anschließend aber weitgehend wieder vergisst. AntiKorruptions-Rituale könnten nur die Gemüter beruhigen, ohne Korruption selbst zu überwinden. Es besteht Gefahr, wenn Korruptionsbekämpfung in ausgelagerten Einzelprojekten ohne Gestaltungsmacht betrieben wird. Anti-Korruption basiert auf einer Ordnung, die regelbasiert verfasst ist. Es ist jedoch eine Illusion, das menschliche Miteinander vollständig regelbasiert homogenisieren zu können. Alle menschlichen Regungen, Sympathien und Antipathien, haben ein Korruptionspotential. Wer dies übertrieben kritisiert, wird Adam und Eva nicht gerecht. Gleichwohl ist klar : Weniger korrupte Gesellschaften gehören weltweit zu den Gewinnern. Dies zeigt schon eine ökonomische Perspektive. Da­rüber hinaus sind Menschen, die ihre Fähigkeiten entwickeln, daran interessiert, dass die Macht der Korruption in Schranken gewiesen wird – sonst sind sie dazu gezwungen, ihre Möglichkeiten zu verschenken, oder werden sich gar in einer an Dystopien erinnernden Welt wiederfinden.

112  |  Kapitel 10 

Anmerkungen Einleitung 1 

Steven Spielberg stellt in seinem Film »Lincoln« 2012 die erwähnten Bestechungspraktiken besonders heraus. Siehe als Basis Doris Kearns Goodwin : Team of Rivals. The Political Genius of Abraham Lincoln. London u. a. 2009. Vgl. Eric Foner : The Fiery Trial. Abraham Lincoln and American Slavery. New York, London 2010. – Den Hinweis auf Abraham Lincoln verdanke ich Hanno Depner, der in mehrfacher Durcharbeitung früherer Versionen dieses Buches darüber hinaus zahlreiche Verbesserungsvorschläge unterbreitet hat. Mit großer Dankbarkeit sei auch die professionelle Lektorierung des Textes durch Marcel Simon-Gadhof hervorgehoben. 2  Die Korruptionsdefinition wird zitiert vom Gründer von Transparency International, Peter Eigen : Das Netz der Korruption. Wie eine weltweite Bewegung gegen Bestechung kämpft. Frank­furt/M., New York 2003, S. 11. 3  Paul Watzlawick : Anleitung zum Unglücklichsein. München 1983, S. 27. 4  Michel Foucault : Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frank­furt/M. 1976. Vgl. einführend : Byung-Chul Han : Was ist Macht ? Stuttgart 2005. 5  Siehe allgemein zu Macht und Deutungsmacht : Heiner Hastedt : Reflexion der Macht und Macht der Reflexion. Einleitende Bemerkungen. In : Heiner Hastedt (Hrsg.) : Macht und Reflexion. Deutsches Jahrbuch Philosophie. Band 6. Hamburg 2016, S. 17 – 40 sowie schon Philipp Stoellger (Hrsg.) : Deutungsmacht. Religion und belief systems in Deutungsmachtkonflikten. Tübingen 2013, dort S. 89 – 102 auch meinen Aufsatz »Was ist Deutungsmacht ? Philosophische Klärungsversuche« bzw. jetzt neu stärker anwendungsorientiert Heiner Hastedt (Hrsg.) : Deutungsmacht von Zeitdiagnosen. Interdisziplinäre Perspektiven. Bielefeld 2019, dort S. 11 – 33 mein Aufsatz »Deutungsmacht und Wahrheit als Qualitätskriterien von Zeitdiagnosen« (aus dem auch der vorhergehende Absatz in abgewandelter Form übernommen ist).

  113

1  Selbstverständigung mit einer Gedankenreise auf die Galapagos-Inseln 6  Vgl.

Hans Blumenberg : Nachdenklichkeit. In : Hastedt (Hrsg.) : Macht und Reflexion, a. a. O., S. 41 – 45. 7  Max Weber : Politik als Beruf. Stuttgart 1992, S. 7. Vgl. zum Folgenden Aristoteles : Politik. Übersetzt und herausgegeben von Olof Gigon. München 1973. 8  Eine kurze Erläuterung von 36 Listen findet sich bei Harro von Senger : Die Kunst der List. Strategeme durchschauen und anwenden. München 62016, S. 36 – 80. 9  Michel de Montaigne : Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett. Frank­f urt/M. 1998, I, 31 »Über die Menschenfresser«, S. 109 – 115, wo sich der Bezug auf das Korrupte indirekt herstellen lässt. 10  Max Weber : Wissenschaft als Beruf. In : Max Weber : Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen 31968, S. 603. Sperrung weggelassen. 11  Das »principle of charity« bei : Donald Davidson : Wahrheit und Interpretation. Frank­f urt/M. 1986, u. a. S. 14 f. und 280 f. 12  Siehe Heiner Hastedt : Sartre. Leipzig 2005, besonders S. 38 – 47. 13  Jean-Paul Sartre : Die schmutzigen Hände. Stück in sieben Bildern. Reinbek 1991, S. 125. 14  Bernard-Henri Lévy : Sartre. Der Philosoph des 20. Jahrhunderts. München, Wien 2002, S. 398. 2  Gibt es legitime Korruption? 15  Wladimir

Makanin : Benzinkönig. München 2011, S. 108. Gstrein : Das Handwerk des Tötens. Frank­f urt/M. 2003. 17  Siehe zur Rechtfertigung des Fiktionalen als Form der Welterschließung Thomas Etzemüller : Was wahr sein könnte. Plädoyer für eine fiktionale Empirie. In : Merkur, 72. Jg., 2018, S. 17 – 28 sowie Helmut Lethen und Sina Farzin mit ihren Aufsätzen in Hastedt (Hrsg.) : Deutungsmacht von Zeitdiagnosen, a. a. O., S. 123 – 148. Vgl. auch Axel Honneth : Das Recht auf Freiheit. Grundriss einer demokratischen Sittlichkeit. Berlin 2011 in seiner ausgedehnten Nutzung literarischer Beispiele. 18  Marcel Mauss : Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frank­f urt/M. 1968. Zitate der Reihe nach dort S. 37, 33, 21 und 159. 19  Vgl. Christian Höffling : Korruption als soziale Beziehung. Opladen 2002. 16  Nobert

114  |  Anmerkungen 

20  Vgl. Helmut Lethen : Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche

zwischen den Kriegen. Frank­f urt/M. 1994. 21  Maruya Saiichi : Die Journalistin. Frank­furt/M. 1997, dort zum Folgenden S. 19 – 22. 22  Takeo Doi : Amae. Freiheit in Geborgenheit. Zur Struktur japanischer Psyche. Frank­f urt/M. 1982. Siehe indirekt besonders S. 52 f. zur Korruption. 23  Juli Zeh : Unterleuten. München 2016. 24  Edward C. Banfield : The Moral Basis of a Backward Society. New York 1967. Auf Seite 92 f. führt er sein Erklärungsmodell des »amoral familist« ein. 25  Die aktuelle Liste ist jeweils auf der Homepage von Transparency International abrufbar. Da es sich in der Liste um eine Reihenfolge handelt, die auf subjektiven Wahrnehmungen basiert, drängen sich methodische Einwände auf. Prinzipiell könnte es sein, dass bekannte und mehr noch unbekannte Korruptionsfälle nicht genau mit der subjektiven Wahrnehmung der Bürger und Bürgerinnen korrelieren. Mit einzelnen Divergenzen ist vermutlich zu rechnen; gleichwohl eignet sich die Liste zur ersten Annäherung an das Thema der Korruption in einem Land. 26  Jens Ivo Engels : Die Geschichte der Korruption. Von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert. Frank­f urt/M. 2014. Die Zitate dort auf S. 91, 296, 293, erneut 296 und 90. 27  Siehe Oswald Neuberger : Mikropolitik und Moral in Organisationen. Herausforderung der Ordnung. Stuttgart 22006. Vgl. Andreas Reckwitz : Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin 2017, S. 213 : »In der spätmodernen Arbeitskultur hat die Pflege der Netzwerke, das networking, den Ruch der ›Hinterzimmerpolitik‹ verloren und wird als notwendig und bedeutsam anerkannt, um des Problems der Ungewissheit Herr zu werden, wenn es darum geht zu entscheiden, welcher Mitarbeiter wirklich passt. Ja, die Netzwerkarbeit erweist sich selbst als eine unverzichtbare Kompetenz des spätmodernen Arbeitssubjekts, das darauf angewiesen ist, an seiner Sichtbarkeit und Reputation zu feilen.« 3  »Missbrauch von Macht zum privaten Nutzen« 28  Carl

Moses : Volksheld oder Verräter ? In : FAZ vom 4. Januar 2019, S. 20. 29  Bundeslagebild 2017 verfügbar auf der Homepage des Bundeskriminalamtes.   Anmerkungen  |  115

30  Vgl.

Dieter Dölling : Grundlagen der Korruptionsprävention. In : Dieter Dölling (Hrsg.) : Handbuch der Korruptionsprävention für Wirtschaftsunternehmen und öffentliche Verwaltung. München 2007, S. 1 – 40, der S. 3 weite Korruptionsdefinitionen für zu »unspezifisch« hält, weil davon auch »Unterschlagung und Untreue erfasst werden und damit die Grenze zu den Eigentums- und Vermögensdelikten unscharf wird«. 31  Ludwig Wittgenstein : Philosophische Untersuchungen. Werkausgabe Band 1. Frank­f urt/M. 91993. 32  Max Weber : Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 51980. § 16, S. 28. 33  Michel Foucault : Die Maschen der Macht. In : Michel Foucault : Die Analytik der Macht. Frank­furt/M. 2005, S. 220 – 239, hier S. 224 und S. 256. 34  Vgl. Heiner Hastedt : Reflexion der Macht und Macht der Reflexion. Einleitende Bemerkungen. In : Heiner Hastedt (Hrsg.) : Macht und Reflexion. Deutsches Jahrbuch Philosophie. Band 6. Hamburg 2016, S. 17 – 40. 35  Clifford Geertz : Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frank­f urt/M. 1973. 36  Diese Kritik der Nahrungsmittelhilfe richtet sich nicht gegen jede Form von kurzfristiger Katastrophenhilfe. Vgl. die grundsätzlichen Vorbehalte gegen die kontraproduktiven Abhängigkeiten durch Hilfe nicht ohne Polemik : Dambisa Moyo : Dead Aid. Warum Entwicklungshilfe nicht funktioniert und was Afrika besser machen kann. Berlin 2011 sowie William Easterly : The Tyranny of Experts. Economists, Dictators, and the forgotten Rights of the Poor. New York 2013. 37  John Rawls : A Theory of Justice. Oxford, London, New York 1971, S. 20 f. und 48 ff. 4  Neue Horizonte 38  Luigi Zingales : A Capitalism for the People. Recapturing the Lost

Genius of American Prosperity. New York 2012, S. 28 – 47 zum »crony capitalism«, den ich in der Überschrift mit »Kumpel-Kapitalismus« übersetze. Siehe den gleichen Begriff auch bei Guy Standing : The Corruption of Capitalism. Why Rentiers Thrive and Work Does not Pay. London 2016. Vgl. Raghuram G. Rajan, Luigi Zingales : Saving Capitalism from the Capitalists : Unleashing the Power of Financial Markets to Create Wealth and Spread Opportunity. Princeton 2004. 116  |  Anmerkungen 

39  Im Herbst 2019 steht in Deutschland schon der nächste staatliche

Kredit für die Fluggesellschaft »Condor« in Höhe von 380 Millionen zur Abwendung von Insolvenzfolgen bei »Thomas Cook« im Raum. Siehe Dyrk Scherff : Warum nur rettet der Staat Condor ? Fliegen ist zu billig, klagt die Politik in der Klimadebatte. Trotzdem tut sie alles, damit nur ja keine Fluglinie pleitegeht. Das passt nur schwer zusammen. In : FAS vom 29. September 2019, S. 19. 40  Die Darstellung folgt weitgehend Gunther Schnabel, Klaus Siemon : Lufthansa untergräbt Wettbewerb. In : FAZ vom 5. Februar 2018, S. 16. 41  Engels : Die Geschichte der Korruption, a. a. O., S. 263 sowie S. 275 zum Folgenden. 42  George A. Akerlof, Robert J. Shiller : Phishing for Fools. Manipulation und Täuschung in der freien Marktwirtschaft. Berlin 2016; Robert J. Shiller : Märkte für Menschen. So schaffen wir ein besseres Finanzsystem. Frank­f urt/M. 2012. 43  Joseph Schumpeter : Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Tübingen, Basel 82005. 44  Nach Abschluss des Manuskriptes stoße ich auf ein bereits 2018 publiziertes Gespräch, das Mario Vargas Llosa mit René Scheu geführt hat. Dort lese ich zur von Vargas Llosa geteilten Diagnose des »crony capitalism« : »Unser System ist geprägt von wechselseitigen Allianzen zwischen Big Business und Big Government. Eine solche Ordnung, auch wenn sie nach demokratischen Regeln funktioniert, ist das Gegenteil einer freien und offenen Gesellschaft mit sozialer Mobilität. Wir haben nicht zu viel, wir haben zu wenig Wettbewerb. Hätten wir mehr, wäre die Gesellschaft gerechter. Unsere Gesellschaften sind viel zu kollektivistisch. Wir leben in einer Ordnung, in der Kapitalismus und Sozialismus zunehmend verschwimmen und ununterscheidbar werden.« (NZZ vom 20. Dezember 2018 zitiert nach https ://www.nzz. ch/feuilleton/mario-vargas-llosa-kapitalismus-und-sozialismus-werden-eines-ld.1445390 zuletzt aufgerufen am 30. November 2019). 45  Georg Franck : Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München, Wien 1998. 46  Matthias Thöns : Patient ohne Verfügung. Das Geschäft mit dem Lebensende. München 72016. Thöns zitiert S. 16 den Palliativmediziner Gian Domenico Borasio : »Bis zur Hälfte aller Sterbenskranken erhalten Behandlungen wie zum Beispiel Chemotherapie, Bestrahlung, künstliche Ernährung oder Antibiotika, die ihnen nichts bringen.« Die Paraphrase im Haupttext folgt fast wörtlich der dortigen Seite 17. 47  Siehe die Presseberichte über die Gerichtsverfahren im »Spie  Anmerkungen  |  117

gel« vom 6. Mai 2015 (https ://www.spiegel.de/panorama/justiz/organspende-skandal-in-goettingen-transplantations-arzt-freigesprochen-a-1032313.html zuletzt aufgerufen am 30. November 2019) und in der Süddeutschen Zeitung vom 28. Juni 2017 (https ://www.sueddeutsche.de/gesundheit/transplantationsskandal-bgh-bestaetigt-freispruch-fuer-goettinger-transplantationsmediziner-1.3565423 zuletzt aufgerufen am 30. November 2019) 48  Hans Leyendecker : Die Korruptionsfalle. Wie unser Land im Filz versinkt. Reinbek 2003, S. 153 greift dieses Bonmot in einem Kontext auf, in dem Leyendecker sich sonst vor allem auf journalistische Kollegen bezieht, die ihre Publikationsmacht nutzen, um beispielsweise ihre heimischen Badezimmer unter Androhung einer Negativberichterstattung gegenüber dem vermeintlichen Verursacher kostenlos reparieren und renovieren zu lassen. 49  Vgl. Shores A. Medwedjew : Der Fall Lysenko – eine Wissenschaft kapituliert. Hamburg 1971. 50  Hans von Storch, Werner Krauß : Die Klimafalle. Die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung. München 2013. 51  Auch unabhängig von Fragen der CO -Reduktion ist aus meiner 2 Sicht schon ganz grundsätzlich anzumerken, dass das in erstaunlich wenigen Jahrzehnten durchgeführte simple Verbrennen von Kohle und Öl, deren Entstehung Millionen von Jahren dauerte, sowieso nicht besonders intelligent daherkommt. 52  Siehe Christian Kreiß  : Gekaufte Forschung. Wissenschaft im Dienst der Konzerne. Berlin, München, Wien 2015. 53  Vgl. schon Engels : Die Geschichte der Korruption, a. a. O., S. 344 : »Gerade deshalb war die Denunziation von Korruptionsfällen ein beliebtes Mittel, um parteiinterne Machtkämpfe auszutragen.« 5  Weniger gut und vernünftig als unterstellt 54  Immanuel

Kant : Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. In : Immanuel Kant : Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1. Werkausgabe Band XI. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Frank­f urt/M. 1977, S. 31 – 50, hier S. 41 : »Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.« 55  Gerhard Roth : Aus Sicht des Gehirns. Frank­f urt/M. 2003; Gerhard Roth : Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Frank­f urt/M. 2001; Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken. München 72014. Vgl. den Verhaltensökonomen 118  |  Anmerkungen 

Dan Ariely : Denken hilft zwar, nützt aber nichts. Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen. München 2015 sowie Elisabeth Wehling : Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Köln 2016. 56  Leyendecker : Die Korruptionsfalle, a. a. O., S. 69 – 73. Vgl. demgegenüber sehr detailliert die ca. dreißig Korruptions-Typen in Maximilian Edelbacher, Christian Felsenreich, Karl Kriechbaum : Der korrupte Mensch. Ein psychologisch-kriminalistischer Blick in menschliche Abgründe. Berlin, Wien 2012, S. 258 – 262 sowie 267 – 270 zu korruptionsbegünstigenden Faktoren. 57  Roth : Fühlen, Denken, Handeln, a. a. O., S. 451 und 454. Die folgenden Zitate S. 453, 448 und 449. 58  Robert Klitgaard : Controlling Corruption. Berkeley, Los Angeles, London 1988. 59  »An agent will be corrupt when in her judgment her likely benefits from doing so outweigh the likely costs« (Klitgaard : Controlling Corruption, a. a. O., S. 69; vgl. schon S. 22). 60  Klitgaard : Controlling Corruption, a. a. O., S. 46 ff. 61  Klitgaard : Controlling Corruption, a. a. O., S. 75. 62  Rolf Dobelli : Die Kunst des klaren Denkens. 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen. München 2011; Rolf Dobelli : Die Kunst des klugen Handelns. 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen. München 2012. 6  Frei oder nicht frei 63  Hannah Arendt : Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Ba-

nalität des Bösen. München 71991. Die folgenden Zitate dort auf S. 17, 16, 16, 78, 16 und schließlich S. 54 die Paraphrase zum fehlenden Judenhass bei Eichmann. Vgl. die genaue Beschreibung der Tätigkeit von Eichmann auf S. 192 : »Eichmanns Büro hatte im Rahmen der ganzen Operation die Funktion eines äußerst wichtigen Umschlagplatzes, da es jederzeit von ihm und seinen Leuten abhing, wie viele Juden aus einer bestimmten Gegend abtransportiert werden konnten; durch sein Büro lief die endgültige Bestätigung jedes Transportes, obgleich nicht er die Entscheidung über den Bestimmungsort hatte.« 64  Bettina Stangneth : Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders. Reinbek 2011. 65  Arendt : Eichmann in Jerusalem, a. a. O., S. 53 sowie S. 175, 174, 83 und 326 die folgenden Zitate. 66  Siehe Georg Wilhelm Friedrich Hegel : Der ungebildete Mensch   Anmerkungen  |  119

denkt abstrakt. In : Heiner Hastedt : Was ist Bildung ? Eine Textanthologie. Stuttgart 2012, S. 125 – 131, dort S. 125 f. 67  Stéphane Hessel : Empört Euch ! Berlin 2011. 68  Engels : Die Geschichte der Korruption, a. a. O., S. 188. 69  Leslie Holmes : Korruption. Was sie anrichtet und wie wir sie bekämpfen können. Stuttgart 2017, S. 77 – 117. 70  Ebd., S. 78 f. 71  Ebd., S. 79. Die vorgenannten Aspekte finden sich dort auf den Seiten 78 f. Vgl. auch die folgenden Erklärungsmotive : Opportunität mit den sich bietenden Gelegenheiten (S. 79 f.), »Gefühl der Unsicherheit« (S. 80), »Angst« (S. 81), Bedürftigkeit (S. 80) und »Druck von außen« (S. 81). 72  Sven Litzcke, Ruth Linssen, Sina Maffenbeier, Jan Schilling  : Korruption. Risikofaktor Mensch : Wahrnehmung – Rechtfertigung – Meldeverhalten. Wiesbaden 2012, S. 16 ff. 73  Holmes : Korruption, a. a. O., S. 82 f. Das folgende Zitat dort S. 117. 74  Arendt : Eichmann in Jerusalem, a. a. O., S. 22 f. sowie die folgenden Paraphrasen dort S. 126 sowie 212 ff. 75  Ebd., S. 199. Vgl. die Ausweitung dieser These bei Götz Aly : Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Bonn 2014. 76  Zitiert nach : Gerhard Roth : Aus Sicht des Gehirns. Frank­f urt/M. 2003, S. 166. Vgl. Gerhard Roth : Bildung braucht Persönlichkeit. Wie Lernen gelingt. Stuttgart 2011; Vgl. Michael Pauen : Illusion Freiheit ? Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung. Frank­ furt/M. 2004; Uwe an der Heiden, Helmut Schneider (Hrsg.) : Hat der Mensch einen freien Willen ? Die Antworten der großen Philosophen. Stuttgart 2007. 77  Jean-Paul Sartre  : Der Existentialismus ist ein Humanismus. In : Jean-Paul Sartre : Philosophische Schriften I. Reinbek 1994, S. 121. Der ganze Vortrag dort S. 117 – 155. Siehe für den ganzen Kontext auch Hastedt : Sartre, a. a. O., besonders S. 51 – 57. 78  Jean-Paul Sartre : Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. Reinbek 1993, S. 836. Die folgenden Zitate dort S. 834 und 838. 79  Arendt : Eichmann in Jerusalem, a. a. O., S. 152. 7  Das Grauzonenproblem und die Kritik der abstrakten Moralität 80  Vgl.

als Begründung für diesen Imperativ neben der Kritik der Monopole im Kumpel-Kapitalismus Shoshana Zuboff : Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Frank­f urt/M., New York 2018. 120  |  Anmerkungen 

81  Arnold

Gehlen : Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik. Wiesbaden 51986. Die folgenden Zitate sind dort S. 41, 114 und 121 zu finden. 82  Siehe Hans Blumenberg : Höhlenausgänge. Frank­ f urt/M. 1989 mit seinen luziden Erwägungen zur Ambivalenz der Höhle und vor allem der Ausgänge aus ihr. 83  Senger : Die Kunst der List, a. a. O., u. a. S. 39 f. 84  Frank Anechiarico, James B. Jacobs : The Pursuit of Absolute Integrity. How Corruption Control makes Government Ineffective. Chicago, London 1996. 85  Engels : Die Geschichte der Korruption, a. a. O., S. 326. Die folgenden Zitate dort S. 347 und 344. 86  Holmes : Korruption, a. a. O., S. 47. 87  Georg Wilhelm Friedrich Hegel : Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlichen Zusätzen. Werke 7. Frank­furt/M. 1986. Die folgenden Zitate stammen aus den mündlichen Zusätzen S. 225, 236 und 254. 88  Niklas Luhmann : Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Band 3. Frank­ furt/M. 1989, S. 385 f. 89  Weber : Politik als Beruf, a. a. O., S. 70 f. 90  So Leyendecker : Die Korruptionsfalle, a. a. O., S. 9. 8  Kölscher Klüngel, bayerische Verirrungen und die »Schweiz Afrikas« 91  Gunter

Hofmann titelte so in DIE ZEIT vom 7. Februar 1992, S. 8. Aufgegriffen nach Erwin K. und Ute Scheuch : Cliquen, Klüngel und Karrieren. Über den Verfall der politischen Parteien. Eine Studie. Reinbek 1992. 92  Erwin K. Scheuch : Die Mechanismen der Korruption in Politik und Verwaltung. In : Hans Herbert von Arnim (Hrsg.) : Korruption. Netzwerke in Politik, Ämtern und Wirtschaft. München 2003, S. 31 – 75. Zu dem System um Trienekens dort besonders S. 31 ff. 93  § 335 bündelt zusätzlich besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und der Bestechung. § 108e akzentuiert zusätzlich Abgeordnetenbestechlichkeit und -bestechung im Hinblick auf den Stimmenverkauf und -kauf; sinngemäß und auf ein anderes Land in der Vergangenheit übertragen würde dieser Paragraph auf Abraham Lincoln zutreffen. 94  Zur Differenz zwischen Moralität und Legalität, die nicht mit Hegels Begrifflichkeit deckungsgleich ist, siehe besonders Immanuel   Anmerkungen  |  121

Kant : Die Metaphysik der Sitten. Werkausgabe Band VIII. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Frank­f urt/M. 41982. 95  Es gibt einen weitverbreiteten Konsens, dass die äußere Legalität der Machtusurpation der Nazis 1933 eine Diskreditierung des Rechtspositivismus darstellt. Deshalb ist nach 1945 die zeitgenössisch attraktive Konsequenz gezogen worden, dass »höhere« Begründungen des Rechts (sei es naturrechtlich, vernunftmetaphysisch oder religiös) notwendig sind. Die Außerkraftsetzung von Grundrechten durch das Ermächtigungsgesetz vom März 1933 verweist jedoch auf Mängel der Weimarer Verfassung; das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat darauf mit der Festlegung reagiert, dass Grundrechte nicht aufhebbar sind. Der verfassungsrechtliche Hintergrund ist daher angesichts der starken Grundrechtsorientierung des Grundgesetzes und der internationalen Kodifizierung von Menschenrechten für den Rechtspositivismus heute national und international günstiger geworden, als dies im Jahr 1933 der Fall war. 96  Hans Kelsen : Was ist Gerechtigkeit ? Stuttgart 2005, S. 49. Vgl. ähnlich in einem anderen Kontext schon Heiner Hastedt. Moderne Nomaden. Erkundungen. Wien 2009, S. 118 f. 97  Siehe Foucault : Überwachen und Strafen, a. a. O. und bereits Heiner Hastedt : Der Wert des Einzelnen. Eine Verteidigung des Individualismus. Frank­f urt/M. 1998, S. 40 f. Vgl. Michel Foucault : Die Ordnung des Diskurses. Frank­f urt/M., Berlin, Wien 1977. Siehe zum Beispiel die »Hypothese«, die den bei Foucault immer sehr weit zu verstehenden Diskursbegriff in einen Zusammenhang mit dem Machtbegriff bringt : »Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.« (S. 7). 98  Vgl. Frank Anechiarico, James B. Jacobs : The Pursuit of Absolute Integrity. How Corruption Control makes Government Ineffective. Chicago, London 1996, u. a. S. 72 mit dem einschränkenden Hinweis, dass einseitiges Fördern von whistleblowing Menschen, die in einer Institution nicht gut klarkommen, zu wenig substantiellen Beschwerden ermutigt. Eine solche Folge der geforderten Begünstigung müsste im Auge behalten werden, falls sie wirklich eintritt. 99  Dieter Dölling (Hrsg.) : Handbuch der Korruptionsprävention für Wirtschaftsunternehmen und öffentliche Verwaltung. München 2007. 122  |  Anmerkungen 

100  Ingo

Schmidt : Wettbewerbspolitik und Kartellrecht. Eine interdisziplinäre Einführung. Stuttgart 82005. 101  Siehe Gerhard Strate : Der Fall Mollath. Vom Versagen der Justiz und Psychiatrie. Zürich 2014. Als Anwalt, der als Verteidiger für Mollath im Wiederaufnahmeverfahren zunächst als Wahl- und dann als Pflichtverteidiger agiert, ist Strate sicher nicht unbefangen, aber sein Engagement macht gleichwohl überzeugend das Skandalöse der Mollath-Behandlung deutlich. Vgl. Sascha Pommrenke, Marcus B. Klöckner (Hrsg.) : Staatsversagen auf höchster Ebene. Was sich nach dem Fall Mollath ändern muss. Frank­f urt/M. 2013; Uwe Ritzer, Olaf Przybilla : Die Affäre Mollath. Der Mann, der zu viel wusste. München 2013 sowie in allgemeinerer Ausrichtung Thomas Darnstädt : Der Richter und sein Opfer. Wenn die Justiz sich irrt. München, Zürich 2013. 102  Hegel : Grundlinien der Philosophie des Rechts, a. a. O., S. 275. 103  Transparency International 2018 nennt das Land im Korrup­ tionswahrnehmungsindex auf Platz 34, so dass es besser dasteht als beispielsweise Italien (Platz 53) und andere europäische Länder. 104  Siehe Martin Beglinger : Wie Botswana zur »Schweiz Afrikas« wurde. In : Neue Zürcher Zeitung vom 23.11.2018. Der Artikel berichtet auch von dem schönen Bonmot, dass doch ebenso gefragt werden könnte, »wie die Schweiz zum ›Botswana Europas‹« wurde. Vgl. das Kompliment bei Eigen : Das Netz der Korruption, a. a. O., S. 22 : »Nie wieder sollte ich eine so offene und vernünftige Regierung in Afrika oder anderswo vorfinden wie damals in Botsuana« – einem Land also, das 1971 bei seinem dortigen langen Aufenthalt »von allen Seiten von rassistischen und undemokratischen Nachbarn umgeben« wurde. 105  Vgl. Paul Collier : Die unterste Milliarde. Warum die ärmsten Länder scheitern und was man dagegen tun kann. München 2018, S. 225, der nicht nur Korruption als besonders wichtige Armutsursache herausarbeitet, sondern auch Staaten ohne eigenen Meereszugang einem gesteigerten Armutsrisiko ausgesetzt sieht. Auch über das enorme Tempo des Bevölkerungswachstums wird speziell für viele afrikanische Länder als Ursache für Armut aus meiner Sicht zusätzlich zu diskutieren sein, auch wenn dies bisher vielfach als Tabubruch empfunden wird. 106  Siehe erneut Collier : Die unterste Milliarde, a. a. O., S. 58 ff. zum Korruptionsanreiz von Rohstoffen als Falle, egal ob in der Hand von internationalen Konzernen oder – fast noch gefährlicher – in verstaatlichter Form, da deren Einnahmen leicht zweckentfremdet in partikulare Kanäle umgeleitet werden können. Anders als Industrie- und Agrargewinne versprechen Rohstoffeinnahmen eine Sofortattraktion,   Anmerkungen  |  123

die einen Anreiz zum individuellen rentenartigen Verbrauch bietet, ohne an andere und die Zukunft zu denken. 107  Siehe auch den Kinofilm »A United Kingdom« mit der rührenden Geschichte der Verbindung des langjährigen Präsidenten von Bot­swana mit seiner ursprünglich englischen Frau. Vgl. insgesamt die empirische Evidenzbasierung zur Beantwortung der Frage der Armuts­überwindung bei Abhijit V. Banerjee, Esther Duflo : Poor Economics. A Radical Rethinking of the way to fight global poverty. Philadelphia 2011. Siehe allerdings zuletzt weniger erfreuliche Entwicklungen in Botswana nach Thilo Thielke : Schwächelndes Vorbild. In : FAZ vom 1. November 2019, S. 7. 108  Vgl. schon Robert Klitgaard : Tropical Gangsters. One Man’s Experience with Development and Decadence in Deepest Africa. Basic Books [o. O.] 1990. Siehe auch die zusammenfassenden Passagen zu Äquatorialguinea in Robert Klitgaard : Tropical Gangsters II. Adventures in Development in the World’s Poorest Places. 2013. 109  Volker Seitz. Afrika wird armregiert. Oder : Wie man Afrika wirklich helfen kann. Mit einem Vorwort von Rupert Neudeck und Asfa-Wossen Asserate. München 2018 (Neuausgabe), S. 136 : »Botswana hat gezeigt, wie es geht : Die Einnahmen aus dem Diamantenexport fließen in einen Fonds, in dem ein Teil der Einnahmen zur Verwendung für spätere Generationen ›eingefroren‹ wird. Für einen solchen Fonds benötigt man jedoch ein demokratisches Musterland wie Botswana.« In anderen rohstoffreichen Ländern befördern die durch Rohstoffe erzielten Einnahmen den schnellen Reichtum für einige wenige, da diese anders als strukturell zu erarbeitende Industrie- und Agrargewinne leicht als Renten für Privilegierte vereinnahmt werden können. 110  Seitz : Afrika wird armregiert, a. a. O., S. 30. 111  Siehe Seitz : Afrika wird armregiert, a. a. O., S. 32 und 106. 9 Inwiefern der korrupte Mensch unter den eigenen sittlichen Möglichkeiten bleibt 112  Seitz :

Afrika wird armregiert, a. a. O., S. 109. 113  In der Philosophie hat vor allem Martha Nussbaum den capability approach stark gemacht, der das individuelle Leben ebenso wie menschliche Gesellschaften danach bewertet, in welchem Maße die Entwicklung von Fähigkeiten tatsächlich ermöglicht wird. Nussbaum charakterisiert solche Fähigkeiten in Aufzählungen, die in ihrer Werkentwicklung leicht variieren. Siehe beispielsweise die erläuternde Liste von zehn zentralen Fähigkeiten in Martha C. Nussbaum : Die Grenzen 124  |  Anmerkungen

der Gerechtigkeit. Behinderung, Nationalität und Spezieszugehörigkeit. Berlin 2010, S. 103 – 119. 114  Siehe https : //www.greens-efa.eu/files/doc/docs/e46449daad bfebc325a0b408bbf5ab1d.pdf (zuletzt aufgerufen am 30. November 2019). 115  Moses : Volksheld oder Verräter ?, a. a. O. 116  Amartya Sen : Die Idee der Gerechtigkeit. München 2012, S. 41. Die folgenden Zitate dort S. 30, 117, 211 und 128. 117  Amartya Sen : Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft. München 2000. 118  Sen : Die Idee der Gerechtigkeit, a. a. O., S. 350. Die folgenden Zitate dort S. 256, 259, 260 und 262. 119  Sen : Die Idee der Gerechtigkeit, a. a. O., S. 282; Holmes : Korruption, a. a. O., S. 101, 85 und 86 sowie erneut Sen : Die Idee der Gerechtigkeit, a. a. O., S. 369. 120  Georg Wilhelm Friedrich Hegel : Phänomenologie des Geistes. Werke 3. Frank­f urt/M. 1986. 121  Hegel : Der ungebildete Mensch denkt abstrakt, a. a. O., S. 125 – 131. 122  Georg Wilhelm Friedrich Hegel : Wissenschaft der Logik. Werke 5 und 6. Frank­f urt/M. 1986. 10  Kein Ort, nirgends – ganz irdisch 123  Vgl.

Christa Wolf : Kein Ort. Nirgends. Frank­f urt/M. 2007. und Eigensinn werden von Alexander Kluge gedanklich entfaltet. Siehe Florian Wobser : Interviews und audiovisueller Essayismus Alexander Kluges. Ein ästhetisch-performatives Bildungsprojekt und seine Relevanz für schulisches Philosophieren (Dissertation). Rostock 2018, besonders S. 47 – 58. 125  Karl R. Popper : Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Band I : Der Zauber Platons; Band II : Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen. Tübingen 61980. Siehe den folgenden Gedanken bei Christian Klager : Spiel als Weltzugang. Philosophische Dimensionen des Spiels in methodischer Absicht. Weinheim 2016. 126  Leyendecker : Die Korruptionsfalle, a. a. O., S. 275 ist hier konsequenter, indem er ein »Totalverbot von Geschenken« in »korruptionsanfälligen Bereichen des öffentlichen Dienstes« verlangt. 127  Stephan Lessenich : Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. München 2016. 128  Karl Marx : Philosophische und ökonomische Schriften. Herausgegeben von Johannes Rohbeck und Peggy H. Breitenstein. Stuttgart 124  Phantasie

  Anmerkungen  |  125

2008, S. 56. Bei diesem im Reclam Verlag erschienenen Werk handelt es sich um eine für den Marx-Einstieg geeignete Leseausgabe, die editorisch – wo vorhanden – der wissenschaftlichen Marx-EngelsGesamtausgabe (MEGA) folgt und die die veraltete Rechtschreibung beibehält. 129  Hans Jonas hat die allzu optimistische Ausrichtung von Blochs »Prinzip Hoffnung« mit seinem alternativen, die Bestände der Welt stärker berücksichtigenden »Prinzip Verantwortung« kritisiert. Siehe zu diesem Komplex Hans Jonas : Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frank­furt/M. 1979; Ernst Bloch : Das Prinzip Hoffnung. Drei Bände. Frank­furt/M. 1959 sowie Ernst Bloch : Geist der Utopie. Erste Fassung. Berlin 2018. 130  Vgl. Robert Nozick : Anarchy, State, and Utopia. Oxford 1974, der darauf hinweist, dass es kaum liberale Utopien gibt. 131  Vgl. Alain Ehrenberg : Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart. Frank­furt/M. 2008, dem allerdings aus empirischen Gründen in wesentlichen Punkten meines Erachtens überzeugend widerspricht : Martin Dornes : Macht der Kapitalismus depressiv ? Über seelische Gesundheit und Krankheit in modernen Gesellschaften. Frank­f urt/M. 2016. 132  Michel Foucault : Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik, Frank­f urt/M. 2004, S. 113. 133  Vgl. besonders Walter Eucken  : Grundsätze der Wirtschafts­ politik. Tübingen 72004. 134  Foucault : Geschichte der Gouvernementalität II, a. a. O., S. 173. Vgl. schon Hastedt : Moderne Nomaden, a. a. O., S. 44 f. 135  Foucault : Geschichte der Gouvernementalität II, a. a. O., S. 250 und 334. 136  Foucault : Geschichte der Gouvernementalität II, a. a. O., S. 102. 137  Jean-Jacques Rousseau  : Der Gesellschaftsvertrag oder Die Grundsätze des Staatsrechtes. Stuttgart 1974. 138  E. F. Schumacher : Small is Beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Deutsch von Karl A. Klewer. Reinbek 1977. Das Original trägt den gleichen Haupttitel und im Untertitel heißt es »A Study of Economics as if People Mattered« (London 1973). Auf Deutsch 2013 neu herausgegeben. Vgl. nach Jahren des weitgehenden Vergessens jetzt auch Christian Geyer : Lest Schumacher ! So schön : Ein Bestseller, der die Welt retten kann. In : FAZ vom 10. Oktober 2019, S. 11. 139  Vgl. Holmes : Korruption, a. a. O., S. 85, der referiert, dass Menschen in kleinen Staaten weniger zur Korruption neigen als in großen. 140  Schumacher : Small is beautiful, a. a. O., S. 61 und 143. 126  |  Anmerkungen 

141  Vgl.

die wichtige Akzentsetzung schon durch den Haupttitel bei Harald Welzer : Selbst Denken. Eine Anleitung zum Widerstand. Frank­furt/M. 2013. Interessant ist auch die Frage, ob die verbreitete literarische Utopie von Ernest Callenbach : Ecotopia. The Notebooks and Reports of William Weston. Stuttgart 2011 das Kriterium »small is beautiful« auf allen Ebenen erfüllt. Generell dürfte gelten, dass eine Steuerung beispielsweise über eine Abgabe auf die Freisetzung von Kohlendioxid, die den Akteuren selbst überlässt, wie sie diesen für das Klima problematischen Stoff minimieren, vielleicht weiterführender ist als ein Modell, das subventioniert ohne Wettbewerb lediglich auf einen Weg der Realisierung setzt. 142  Vgl. mit weiteren Goethe-Anspielungen Hans Christoph Binswanger : Geld und Magie. Eine ökonomische Deutung von Goethes Faust. Hamburg 2005. 143  Jonathan McMillan : Das Ende der Banken. Warum wir sie nicht brauchen. Frank­f urt/M.; New York 2018. Das nächste Zitat dort S. 13. 144  McMillan : Das Ende der Banken, a. a. O., S. 176. 145  Friedrich August von Hayek : Entnationalisierung des Geldes. Eine Analyse der Theorie und Praxis konkurrierender Umlaufmittel. Tübingen 1977, S. 7 sowie Friedrich August von Hayek : Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. In : Viktor J. Vanberg (Hrsg.) : HayekLesebuch. Tübingen 2011, S. 188 – 205. Vgl. das bisher wenig rezipierte Spätwerk von Friedrich August von Hayek : Law, Legislation and Liberty. A New Statement of the Liberal Principles of Justice and Political Economy. London, New York 2013. 146  Hayek : Entnationalisierung des Geldes, a. a. O., S. 1. 147  Ebd., S. X. Die Gesichtspunkte der folgenden Sätze dort besonders S. 14 und 88 f. 148  Im Anschluss an Hayek noch ein anarchistischer Gedanke; denn Korruption kann Sand ins Getriebe von gesellschaftlichen Verhältnissen bringen, die sich an »idiotische« und amoralische Regeln halten. Klitgaard : Controlling Corruption, a. a. O., S. 34 zitiert Samuel Huntington : »In terms of economic growth the only thing worse than a society with a rigid, overcentralized, dishonest bureaucracy is one with a rigid, overcentralized, honest bureaucracy.« Selbst durch und durch korrupte Schwarzmärkte können für Klitgaard und Huntington effizienter sein als eine zentralisierte Planung. 149  Facebook hat sich mit Libra zwischenzeitlich seit Sommer 2019 bereits auf den Weg gemacht, um eine nicht-staatliche Währung in digitaler Form zu etablieren. 150  Die vorangehenden Passagen zu Hayek sind in abgewandelter   Anmerkungen  |  127

Form auch erschienen in Heiner Hastedt : Hayeks Sozialphilosophie : Neoliberaler Mainstream oder Quertreiberei ? In : Emmanuel Alloa, Michael G. Festl u. a. (Hrsg.) : Quertreiber des Denkens. Dieter Thomä – Werk und Wirken. Bielefeld 2019, S. 159 – 176. 151  Siehe Don Tapscott, Alex Tapscott : Die Blockchain Revolution. Wie die Technologie hinter Bitcoin nicht nur das Finanzsystem, sondern die ganze Welt verändert. Kulmbach 42018, S. 57. Vgl. S. 76 : »Die Wirtschaft funktioniert dann am besten, wenn sie für jeden funktio­ niert. Das bedeutet, dass die Barrieren für die Teilnahme abgebaut werden müssen … [durch] Plattformen für verteilten Kapitalismus.«

128  |  Anmerkungen 

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Edelbacher, Maximilian  119 Ehrenberg, Alain  126 Eichmann, Adolf  58 – 60, 62, 65, 119 Eigen, Peter  113, 123 Engels, Friedrich  100 Engels, Jens Uwe  27 f., 43, 61, 73, 115, 117 f., 120 f. Etzemüller, Thomas  114 Eucken, Walter  126 Farzin, Sina  114 Felsenreich, Christian  119 Foner, Eric  113 Foucault, Michel  10, 34, 73, 81, 103 f., 113, 116, 122, 126 Franck, Georg  117 Freud, Sigmund  51 f., 54 f., 57, 63 Geertz, Clifford  116 Gehlen, Arnold  72, 75, 121 Geyer, Christian  126 Goodwin, Doris Kearns  113 Gstrein, Nobert  20, 114 Han, Byung-Chul  113 Hayek, Friedrich August von 109 – 111, 127 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 11, 27, 35, 59, 68 f., 74 f., 84, 87 f., 95 – 97, 99 f., 119, 121, 123, 125 Heiden, Uwe an der  120 Hessel, Stéphane  120 Höffling, Christian  114 Hofmann, Gunter  121   141

Holmes, Leslie  61 f., 94, 120 f., 125 f. Honneth, Axel  114 Huntington, Samuel  127 Jacobs, James B.  72 f., 121 f. Jonas, Hans  126 Kahneman, Daniel  52, 57, 118 Kant, Immanuel  38, 51, 58 f., 69, 74, 79, 82, 87, 94, 118, 121 f. Kelsen, Hans  79 f., 122 Klager, Christian  125 Klitgaard, Robert  55 f., 88, 90, 119, 124, 127 Klöckner, Marcus B.  123 Kluge, Alexander  125 Krauß, Werner  48, 118 Kreiß, Christian  118 Kriechbaum, Karl  119 Lenin, Wladimir Iljitsch  100 Lessenich, Stephan  99, 125 Lethen, Helmut  114 f. Lévy, Bernard-Henri  19, 114 Leyendecker, Hans  53 f., 118 f., 121, 125 Lichtenberg, Georg Christoph 63 f. Lincoln, Abraham  7 – 11, 15, 17 f., 23, 28 f., 31 f., 38, 113, 69, 72, 91 Linssen, Ruth  120 Litzke, Sven  61, 120 Luhmann, Niklas  75, 121 Luther, Martin  26 Lysenko, Trofim Denisovich  47 f. Makanin, Wladimir  20, 114 Machiavelli, Niccolò  15 Maffenbeier, Sina  120 Marcos, Ferdinand  90 142  |  Personenregister 

Marx, Karl  95, 100 f., 125 f. Mauss, Marcel  21 – 23, 31, 114 McMillan, Jonathan  106 – 108, 111, 127 Medwedjew, Shores A.  118 Mollath, Gustl  82 – 84, 106, 123 Montaigne, Michel de  15 f., 18 f., 114 Moro, Sérgio  30, 89 Moses, Carl  115, 125 Moyo, Dambisa  116 Neuberger, Oswald  28, 115 Nietzsche, Friedrich  10 Nozick, Robert  126 Nussbaum, Martha  11, 92, 124 f. Obama, Barack  29 Pauen, Michael  120 Platon 72 Pommrenke, Sascha  123 Popper, Karl Raimund  98, 100, 125 Przybilla, Olaf  123 Rajan, Raghuram G.  116 Rawls, John  38, 45, 116 Reagan, Ronald  29 Reckwitz, Andreas  115 Ritzer, Uwe  123 Robespierre, Maximilien de  105 Romer, Paul  104 f., 111 Roth, Gerhard  52, 54 f., 57, 118 – 120 Rousseau, Jean-Jacques  105, 126 Roussef, Dilma  30 Saiichi, Maruya  23 – 25, 115

Sartre, Jean-Paul  17 – 19, 64 f., 72, 114, 120 Scherff, Dyrk  117 Scheu, René  117 Scheuch, Erwin K.  77, 121 Scheuch, Ute  77, 121 Schilling, Jan  120 Schmidt, Ingo  123 Schnabel, Gunther  117 Schneider, Helmut  120 Schumacher, E. F.  105, 126 Schumpeter, Joseph  43, 117 Seitz, Volker  124 Sen, Amartya  11, 92 – 94, 125 Senger, Harro von  72, 114, 121 Shiller, Robert J.  43, 117 Siemon, Klaus  117 Silva, Lula da  30 Spielberg, Steven  113 Stalin, Josef  47 Standing, Guy  116 Stangneth, Bettina  59, 119 Stoellger, Philipp  113 Storch, Hans von  48, 118 Strate, Gerhard  123

Tapscott, Alex  128 Tapscott, Don  128 Temer, Michel  30 Thielke, Thilo  124 Thöns, Matthias  45, 117 Trienekens, Hellmut  78, 84, 121 Trump, Donald  29 Vargas Llosa, Mario  117 Watzlawick, Paul  10, 113 Weber, Max  14, 16 f., 33, 75 114, 116, 121 Wehling, Elisabeth  119 Wehner, Herbert  28 Welzer, Harald  127 Winkelmann, Thomas  42 Wittgenstein, Ludwig  33, 116 Wobser, Florian  125 Wolf, Christa  125 Xilai, Bo  49 Zeh, Juli  25, 115 Zingales, Luigi  116 Zuboff, Shoshana  120

  Personenregister  |  143