Maß und Integral: Eine Einführung für Bachelor-Studenten
 9783110350647, 9783110348149

Table of contents :
Vorwort
Mathematische Grundlagen
Abhängigkeit der einzelnen Kapitel
Bezeichnungen
Inhalt
1 Einleitung
2 Sigma-Algebren
3 Maße
4 Eindeutigkeit von Maßen
5 Existenz von Maßen
6 Messbare Abbildungen
7 Messbare Funktionen
8 Das Integral positiver Funktionen
9 Das Integral messbarer Funktionen
10 Nullmengen
11 Konvergenzsätze
12 Parameter-Integrale
13 Riemann vs. Lebesgue
14 Die Räume Lp und Lp
15 Produktmaße
16 Der Satz von Fubini–Tonelli
17 Unendliche Produkte
18 Bildintegrale und Faltung
19 Der Satz von Radon–Nikodým
20 Der allgemeine Transformationssatz
21 Maßbestimmende Familien
22 Die Fouriertransformation
23 Dichte Teilmengen in Lp(1 = p < >8)
24 Die Rieszschen Darstellungssätze
25 Konvergenz von Maßen
A Anhang
Literatu|
Stichwortverzeichnis

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René L. Schilling Maß und Integral De Gruyter Studium

René L. Schilling

Maß und Integral

| Eine Einführung für Bachelor-Studenten

Mathematics Subject Classification 2010 Primary: 28-01. Secondary: 26B10; 26B15; 42B10; 60A10. Autor Prof. Dr. René L. Schilling Technische Universität Dresden Institut für Mathematische Stochastik D-01062 Dresden Germany [email protected] www.math.tu-dresden.de/sto/schilling Weiterführendes Material www.motapa.de/mint

ISBN 978-3-11-034814-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-035064-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038332-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Die vorliegende Einführung in die Maß- und Integrationstheorie richtet sich an Studierende der Mathematik und Physik ab dem zweiten Studienjahr. Mein Ziel ist es, in kompakter und eingänglicher Form die wesentlichen Ergebnisse der Lebesgueschen Maß- und Integrationstheorie darzustellen, die eine wichtige Grundlage für die höhere Analysis, Wahrscheinlichkeitstheorie oder mathematische Physik ist. Der Text folgt meinen Vorlesungen an der TU Dresden, er kann als Begleittext für eine Vorlesung aber auch zum Selbststudium verwendet werden. Als Fortsetzung werden in gleicher Ausstattung die Bände Wahrscheinlichkeit und Martingale & Prozesse erscheinen. Die Maßtheorie ist kein Selbstzweck, sondern ein Hilfsmittel für weiterführende Vorlesungen. Daher verzichte ich auf einen allzu systematischen Aufbau, der oft den Charakter des „Lernens auf Vorrat“ mit sich bringt, und konzentriere mich gleich auf die zentralen Begriffe. Um schnell relevante Beispiele zu haben, wird das Lebesgue– Maß schon in den ersten Kapiteln eingeführt und untersucht, die Existenz und Eindeutigkeit in ℝ und ℝ𝑑 wird dann schrittweise im Laufe der Vorlesung nachgewiesen. Bei der Auswahl des Stoffs habe ich mich von der Frage „Was wird später im Studium und in den Anwendungen wirklich gebraucht?“ leiten lassen. Die Auswahl ist natürlich subjektiv, aber ich hoffe, eine vernünftige Balance zwischen einer knappen Einführung und einer gründlichen Darstellung gefunden zu haben. Für das tiefere Verständnis ist es wichtig, dass der Leser sich mit der Materie selbständig auseinandersetzt. Zum einen sind dafür die Übungsaufgaben gedacht (vollständige Lösungen gibt es unter www.motapa.de/mint), andererseits weise ich im laufenden Text mit dem Symbol [] auf (bisweilen nicht ganz so offensichtliche) Lücken hin, die der Leser selbst ausfüllen sollte. Auf 󳶳 wichtige Schreibweisen, 󳶳 Gegenbeispiele, 󳶳 typische Fallen und versteckte Schwierigkeiten

wird durch derart markierte Absätze aufmerksam gemacht. Vom Umfang entsprechen die Kapitel 1–19 einer dreistündigen Vorlesung, etwa 4– 5 Textseiten können in einer Vorlesungs-Doppelstunde durchgenommen werden. Die mit dem Symbol ⧫ gekennzeichneten Kapitel sind als Ergänzung gedacht und können je nach Zeit und Zielsetzung ausgewählt werden. Sie sind auch als Themen für ein Proseminar geeignet. Eine Übersicht über die Abhängigkeit der einzelnen Kapitel findet sich auf Seite vii. An diesem Manuskript haben direkt und indirekt viele Studenten, Kollegen und Freunde mitgewirkt. Mein Dank gilt vor allem Julian Hollender, der mir bei den Aufgaben geholfen und die Abbildungen erstellt hat, Franziska Kühn, die das gesamte

vi | Vorwort Manuskript durchgearbeitet hat, sowie Dr. Anita Behme, Dr. Georg Berschneider, Vera Schade und Michael Schwarzenberger für die kritische Durchsicht des Texts. Die Zusammenarbeit mit den Lektoren des Verlags de Gruyter, Frau Dittberner, Frau Hutt und Herrn Lindenhain, war sehr angenehm und hat wesentlich zur Entstehung dieses Buchs beigetragen. Meiner Frau danke ich für das große Verständnis, das sie immer wieder für meine Arbeit aufbringt. Dresden, Februar 2015

René L. Schilling

Mathematische Grundlagen Voraussetzung für das Studium der Maß- und Integrationstheorie sind Kenntnisse in Analysis und linearer Algebra, wie sie üblicherweise im ersten Studienjahr des Mathematik- oder Physikstudiums vermittelt werden. Zur Orientierung gebe ich hier eine Auswahl von Standard-Lehrbüchern an.

Analysis Forster, O.: Analysis 1, 2. Springer Spektrum, Wiesbaden 11 2012, 10 2013. (Frühere Auflagen: Vieweg, Braunschweig.) Heuser, H.: Lehrbuch der Analysis. Teil 1. Vieweg + Teubner, Wiesbaden 17 2009. (Frühere Auflagen: B. G. Teubner, Stuttgart.) Hildebrandt, S.: Analysis 1, 2. Springer, Berlin 2 2006, 2003. Königsberger, K.: Analysis 1, 2. Springer, Berlin 6 2006, 5 2006. Rudin, W.: Analysis. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 4 2009.

Lineare Algebra Beutelspacher, A.: Lineare Algebra: Eine Einführung in die Wissenschaft der Vektoren, Abbildungen und Matrizen. Springer Spektrum, Wiesbaden 8 2014. Bosch, S.: Lineare Algebra. Springer, Berlin 4 2008. Fischer, G.: Lineare Algebra: Eine Einführung für Studienanfänger. Springer Spektrum, Wiesbaden 18 2014. (Frühere Auflagen: Vieweg, Braunschweig.) Jänich, K.: Lineare Algebra. Springer, Berlin 11 2008. Kowalsky, H.-J., Michler, G. O.: Lineare Algebra. de Gruyter, Berlin 12 2003. Lorenz, F.: Lineare Algebra 1, 2. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 4 2003, 3 1996.

Abhängigkeit der einzelnen Kapitel Maße und Mengensysteme 1

2

3

4

5

meßbare Abbildungen 7

6

𝐿𝑝 -Räume

Integrationstheorie 8

9

10

11

12 13

⧫∞ Produkte

Produktmaße & Fubini

17

15 16 18

14

Radon–Nikodým 19

⧫Maßbestimmung 21

⧫Transformationssatz

⧫Fourier

⧫Dichtheit in 𝐿𝑝

20

22

23

⧫Riesz & vage Konvergenz 24 25

Bezeichnungen Bezeichnungen, die nur lokal oder in einem Kapitel auftreten, sind nicht aufgeführt; alle Zahlenangaben beziehen sich auf Seitennummern. Binäre Operationen 𝑓 ± 𝑔, 𝑓 ⋅ 𝑔, 𝑓 ∧ 𝑔, 𝑓 ∨ 𝑔, Vergleiche 𝑛→∞

𝑓 ⩽ 𝑔, 𝑓 < 𝑔 und Grenzwerte 𝑓𝑛 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝑓, lim𝑛 𝑓𝑛 , lim inf 𝑛 𝑓𝑛 , lim sup𝑛 𝑓𝑛 , sup𝑛 𝑓𝑛 oder inf 𝑛 𝑓𝑛 von Funktionen sind stets punktweise gemeint, d. h. für jedes 𝑥. Allgemeines & Konventionen

𝜇⊗𝜈

positiv negativ ℕ inf 0 𝑎∨𝑏 𝑎∧𝑏 |𝑥|

𝟙𝐴

⟨𝑥, 𝑦⟩ GL(𝑑, ℝ) O(𝑑) (SO(𝑑))

stets im Sinne ⩾ 0 stets im Sinne ⩽ 0 1, 2, 3, . . . inf 0 = +∞ Maximum von 𝑎 und 𝑏 Minimum von 𝑎 und 𝑏 Euklidische Norm in ℝ𝑑 , |𝑥|2 = 𝑥12 + ⋅ ⋅ ⋅ + 𝑥𝑑2 Skalarprodukt ∑𝑑𝑖=1 𝑥𝑖 𝑦𝑖 invertierbare Matrizen ∈ ℝ𝑑×𝑑 (spezielle) orthogonale Matrizen ∈ ℝ𝑑×𝑑

Mengen # ⊂ ⋃



𝐴𝑐 𝐴 𝐵𝑟 (𝑥) 𝐴𝑛 ↑ 𝐴 𝐵𝑛 ↓ 𝐵 A A ×B A ⊗B B(𝐸) B(ℝ) C , C (𝐸) I , I 𝑜 , Irat K , K (𝐸) O, O(𝐸) P(𝐸)

Kardinalität Teilmenge (inkl. „=“) Vereinigung paarweise disjunkter Mengen Komplement der Menge 𝐴 Abschluss der Menge 𝐴 offene Kugel um 𝑥, Radius 𝑟 𝐴 𝑛 ⊂ 𝐴 𝑛+1 ⊂ . . . & 𝐴 = ⋃𝑛 𝐴 𝑛 𝐵𝑛 ⊃ 𝐵𝑛+1 ⊃ . . . & 𝐵 = ⋂𝑛 𝐵𝑛 generische 𝜎-Algebra {𝐴 × 𝐵 : 𝐴 ∈ A , 𝐵 ∈ B} „Rechtecke“ Produkt-𝜎-Algebra, 77 Borelmengen in 𝐸, 6 Borelmengen in ℝ, 34 abgeschlossene Mengen „Rechtecke“ im ℝ𝑑 , 6 kompakte Mengen offene Mengen Potenzmenge von 𝐸

Maße & Funktionen 𝜇, 𝜈 𝛿𝑥 𝜆, 𝜆𝑑

generische Maße Dirac-Maß in 𝑥, 11 Lebesgue–Maß (in ℝ𝑑 ), 12

𝑢+ 𝑢− {𝑢 ∈ 𝐵}, {𝑢 ⩾ 𝑎} supp 𝑢 𝐶(𝐸) 𝐶𝑏 (𝐸) 𝐶∞ (𝐸)

Produkt von Maßen, 80, 89 1, 𝑥 ∈ 𝐴 𝟙𝐴 (𝑥) = { 0, 𝑥 ∉ 𝐴 Positivteil: 𝑢 ∨ 0, 36 Negativteil: −(𝑢 ∧ 0), 36 {𝑥 : 𝑢(𝑥) ∈ 𝐵}, {𝑥 : 𝑢(𝑥) ⩾ 𝑎} usw. Träger {𝑢 ≠ 0} stetige Funktionen auf 𝐸 beschränkte — — — — mit lim 𝑢(𝑥) = 0 |𝑥|→∞

E, E(A )

— — mit kompaktem Träger einfache Funktionen, 35

M, M(A ) Mℝ , Mℝ (A ) L 1 , L 1 (𝜇) Lℝ1 , Lℝ1 (𝜇) L 𝑝, L ∞ 𝐿𝑝 , 𝐿∞ ‖𝑢‖𝐿𝑝 ‖𝑢‖𝐿∞ ‖𝑢‖∞

messbare Funktionen, 34 — —, ℝ-wertig, 34 integrierbare Funktionen, 47 — —, ℝ-wertig, 47 67 69 1/𝑝 (∫ |𝑢|𝑝 𝑑𝜇) , 1 ⩽ 𝑝 < ∞ inf {𝑐 > 0 : 𝜇{|𝑢| ⩾ 𝑐} = 0} sup𝑥 |𝑢(𝑥)|

𝐶𝑐 (𝐸)

Definitionen (𝛴1 )–(𝛴3 ) (O1 )–(O3 ) (𝑀0 )–(𝑀2 ) (𝐷1 )–(𝐷3 ) (𝑆1 )–(𝑆3 ) (𝑂𝑀1 )–(𝑂𝑀3 )

𝜎-Algebra, 4 Topologie, 6 Maß, 9 Dynkin-System, 14 Halbring, 20 äußeres Maß, 21

Abkürzungen BL f. ü. mb. o. E. ∩/∪-stabil []

Beppo Levi fast überall messbar ohne Einschränkung(en) Familie enthält endliche Schnitte/Vereinigungen selbst rechnen!

Inhalt Vorwort | v Mathematische Grundlagen | vi Abhängigkeit der einzelnen Kapitel | vii Bezeichnungen | viii 1

Einleitung | 1

2

Sigma-Algebren | 4

3

Maße | 9

4

Eindeutigkeit von Maßen | 14

5

Existenz von Maßen | 20

6

Messbare Abbildungen | 28

7

Messbare Funktionen | 33

8

Das Integral positiver Funktionen | 40

9

Das Integral messbarer Funktionen | 47

10

Nullmengen | 52

11

Konvergenzsätze | 55

12

Parameter-Integrale | 59

13

Riemann vs. Lebesgue | 63

14

Die Räume L 𝑝 und 𝐿𝑝 | 67

15

Produktmaße | 76

16

Der Satz von Fubini–Tonelli | 81

x | Inhalt 17

⧫Unendliche Produkte | 89

18

Bildintegrale und Faltung | 93

19

Der Satz von Radon–Nikodým | 99

20

⧫Der allgemeine Transformationssatz | 104

21

⧫Maßbestimmende Familien | 116

22

⧫Die Fouriertransformation | 120

23

⧫Dichte Teilmengen in 𝐿𝑝 (1 ⩽ 𝑝 < ∞) | 134

24

⧫Die Rieszschen Darstellungssätze | 140

25

⧫Konvergenz von Maßen | 151

A A.1 A.2 A.3 A.4 A.5 A.6

Anhang | 159 Konstruktion einer nicht-messbaren Menge | 159 Berechnung des Spatvolumens | 160 Messbarkeit der Stetigkeitsstellen beliebiger Funktionen | 161 Das Integral komplexwertiger Funktionen | 162 Regularität von Maßen | 163 Separabilität des Raums 𝐶𝑐 (𝐸) | 167

Literatur | 168 Stichwortverzeichnis | 169

1 Einleitung Ein Ziel der Maßtheorie ist es, den geometrischen Begriffen von Länge, Fläche und Volumen eine exakte mathematische Bedeutung zu geben. Dabei ist es hilfreich, den Begriff des Messens weiter zu fassen und ganz allgemein Mengen in (abstrakten) Räumen ein Maß zuzuordnen. Dadurch können wir 󳶳 Längen, Flächen und Volumina bestimmen, 󳶳 zählen, 󳶳 Wahrscheinlichkeiten berechnen, 󳶳 integrieren („Arbeit“ in der Physik, „Fläche unter einer Kurve“). Wir wollen einige grundlegenden Eigenschaften von Maßen am Beispiel der Längenmessung herleiten. Mit 𝜆[𝑎, 𝑏) = 𝑏−𝑎 bezeichnen wir die Länge des Intervalls [𝑎, 𝑏) ⊂ ℝ und mit 𝜈[𝑎, 𝑏) = #([𝑎, 𝑏) ∩ ℤ) die Anzahl der ganzen Zahlen in 𝐼. Offensichtlich gilt 𝜈(0) = 0 und für Längen ist 𝜆(0) = 0 auch eine vernünftige Forderung. Weiterhin: [𝑎, 𝑏) = [𝑎, 𝑐) ∪ [𝑐, 𝑏) 󳨐⇒ {

𝜆[𝑎, 𝑏) = 𝑏 − 𝑎 = (𝑏 − 𝑐) + (𝑐 − 𝑎) = 𝜆[𝑎, 𝑐) + 𝜆[𝑐, 𝑏), 𝜈[𝑎, 𝑏) = 𝜈[𝑎, 𝑐) + 𝜈[𝑐, 𝑏).

Im Allgemeinen ist es wichtig, dass die Mengen [𝑎, 𝑐) ∩ [𝑐, 𝑏) = 0 disjunkt sind – wir schreiben für die Vereinigung disjunkter Mengen oft [𝑎, 𝑐) ∪⋅ [𝑐, 𝑏) –: Zum Beispiel gilt für 𝜈 und 𝑐 ∈ ℤ stets 𝜈{𝑐} = 1 (natürlich kann das im Fall von 𝜆 nicht auftreten). Die Berechnung von Flächen ist ungleich schwieriger, da sich nur wenige Flächen – z. B. die von Dreiecken und Rechtecken – elementar ausrechnen lassen; krummlinig berandete Gebiete 𝐹 können wir durch abzählbar viele Dreiecke 𝛥 𝑛 ausschöpfen (vgl. Abbildung 1.1), aber dann benötigen wir eine weitere Rechenregel, die sog. 𝜎-Additivität: Fläche (𝐹) = ∑ Fläche (𝛥 𝑛 ). 𝑛∈ℕ

󳶳 Gibt es immer abzählbare Triangulierungen/Parkettierungen? 󳶳 Warum ist die Fläche unabhängig von der speziellen Triangulierung/Parkettierung?

Abb. 1.1. Triangulierung der Menge 𝐹 = ⋃𝑛∈ℕ 𝛥 𝑛 .

2 | 1 Einleitung Diese Fragen führen dazu, dass wir i. Allg. Maße nicht auf P(ℝ), sondern nur auf einer Teilfamilie F ⊂ P(ℝ) definieren können. 󳶳 F ⊂ P(𝐸) heißt: F ist eine Teilfamilie von Mengen! 󳶳 Familien von Mengen bezeichnen wir i. Allg. mit Skriptbuchstaben A , F , G ...; 󳶳 Maße bezeichnen wir i. Allg. mit griechischen Buchstaben 𝜆, 𝜇, 𝜈....

Unsere Überlegungen zeigen, dass ein Maß 𝜇 auf einer beliebigen Menge 𝐸 folgende Eigenschaften besitzen sollte: a) 𝜇 : F → [0, ∞]; F ist eine Teilfamilie der Potenzmenge P(𝐸) = {𝐴 : 𝐴 ⊂ 𝐸}; b) 𝜇(0) = 0; c) 𝜇 ist additiv: 𝐼 ∩ 𝐽 = 0 󳨐⇒ 𝜇(𝐼 ∪⋅ 𝐽) = 𝜇(𝐼) + 𝜇(𝐽); d) 𝜇 ist 𝜎-additiv: 𝜇 (⋃𝑛∈ℕ 𝐼𝑛 ) = ∑𝑛∈ℕ 𝜇(𝐼𝑛 ) für abzählbar viele Mengen 𝐼𝑛 , die paarweise disjunkt sind.



Diese wenigen Axiome führen zu einer überraschend reichhaltigen Theorie, mit der wir auch „exotische“ Mengen messen können. Als Beispiel betrachten wir das Intervall [0, 1] und konstruieren das Cantorsche Diskontinuum. 1. 𝐶1 — Entferne aus [0, 1] das mittlere offene Drittel 𝐼2 := ( 13 , 23 ).

𝐶2 — Entferne aus den verbleibenden 2 abgeschlossenen Intervallen [0, 13 ] und [ 23 , 1] die offenen Mittel-Drittel 𝐼02 und 𝐼22 3. 𝐶3 — Entferne aus den verbleibenden 4 abgeschlossenen Intervallen die offenen Mittel-Drittel 𝐼002 , 𝐼022 , 𝐼202 , 𝐼222 4. 𝐶4 — . . . .. . ∞. 𝐶 := ⋂𝑛∈ℕ 𝐶𝑛 ist das Cantorsche Diskontinuum.

2.

Numerierung der entnommenen Intervalle: Im (𝑛 + 1)ten Schritt entfernen wir die Intervalle 𝐼𝑡1 𝑡2 ...𝑡𝑛−1 𝑡𝑛 2 , 𝑡1 , . . . , 𝑡𝑛 ∈ {0, 2}.

Abb. 1.2. Ein im Schritt 𝑛 + 1 entnommenes Intervall; die Endpunkte sind als triadische Zahlen geschrieben mit den Ziffern 𝑡1 , . . . , 𝑡𝑛 ∈ {0, 2}.

1 Einleitung

| 3

Abb. 1.3. Die 0-2-Folge im Index des Intervalls 𝐼𝑡1 ...𝑡𝑛−1 𝑡𝑛 2 der Generation (𝑛 + 1) kodiert dessen relative Position: 𝑡𝑛 = 0 oder 2 bedeutet, dass sich das Intervall links (0) bzw. rechts (2) des Intervalls 𝐼𝑡1 ...𝑡𝑛−1 2 befindet. Dadurch ergibt sich eine natürliche Baumstruktur.

Wenn wir

𝑛

(𝑡1 , . . . , 𝑡𝑛 , 2) → 0, 𝑡1 . . . 𝑡𝑛 2 = ∑ 𝑚=1

𝑡𝑚 2 + 3𝑚 3𝑛+1

als triadische Zahl interpretieren, dann ist das der rechte Endpunkt des entnommenen Intervalls (vgl. Abb. 1.2). Wir wollen nun die „Länge“ 𝜆(𝐶) der Menge 𝐶 bestimmen. Wie gehen wir hier vor? Intuitiv gilt (vgl. Abb. 1.3) 1. 𝜆(𝐶0 ) = 𝜆[0, 1] = 1 − 0 = 1 1 2. 𝜆(𝐶1 ) = 𝜆[0, 1] − 𝜆(𝐼2 ) = 1 − 3 1 1 3. 𝜆(𝐶2 ) = 𝜆[0, 1] − 𝜆(𝐼2 ) − 𝜆(𝐼02 ) − 𝜆(𝐼22 ) = 1 − − 2 × 3 9 ⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅ Länge des Intervalls

𝑛.

𝜆(𝐶𝑛+1 ) = 𝜆[0, 1] − 20 ×

⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞ 1 1 1 1 𝑛 − 2 × − ⋅ ⋅ ⋅ − 2 × ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 3𝑛+1 31 32 Zahl der Intervalle

und somit



𝜆(𝐶) = 1 − ∑ 𝑛=0

2𝑛 1 ∞ 2𝑛 1 1 ∑ 𝑛 =1− = 1 − 𝑛+1 3 3 𝑛=0 3 31−

2 3

= 0.

Das Cantorsche Diskontinuum hat also keine Länge im traditionellen Sinn, es ist aber dennoch nicht leer. Es gilt [] ∞

𝐶 = {∑ 𝑛=1

𝑡𝑛 : 𝑡𝑛 ∈ {0, 2}} , 3𝑛

(1.1)

d. h. 𝐶 ist sogar überabzählbar. Wir wollen im Folgenden Maße auf allgemeinen Mengen systematisch studieren.

2 Sigma-Algebren Es sei 𝐸 eine beliebige Grundmenge und F ⊂ P(𝐸) eine Familie von Mengen in 𝐸. Aus der Einleitung wissen wir, dass ein Maß eine Funktion 𝜇 : F → [0, ∞] mit den auf S. 2 genannten Eigenschaften a)–d) sein sollte; insbesondere muss dann F gewisse Stabilitätseigenschaften erfüllen. Solche Mengensysteme wollen wir nun einführen. 2.1 Definition. Eine 𝜎-Algebra auf einer Menge 𝐸 ≠ 0 ist eine Familie von Mengen A ⊂ P(𝐸) mit 𝐸∈A,

(𝛴1 )

𝑐

𝐴 ∈ A 󳨐⇒ 𝐴 := 𝐸 \ 𝐴 ∈ A ,

(𝛴2 )

(𝐴 𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ A 󳨐⇒ ⋃ 𝐴 𝑛 ∈ A .

(𝛴3 )

𝑛∈ℕ

Eine Menge 𝐴 ∈ A heißt messbar. Die Eigenschaften (𝛴1 )–(𝛴3 ) sind allgemein genug, dass A stabil ist, wenn wir die Operationen „∩“, „∪“ oder „\“ abzählbar oft wiederholen. 2.2 Eigenschaften (Sigma-Algebra). Es sei A eine 𝜎-Algebra in 𝐸. a) 0 ∈ A . Denn: 0 = 𝐸𝑐 ∈ A (wegen (𝛴1 ),(𝛴2 )). b) 𝐴, 𝐵 ∈ A 󳨐⇒ 𝐴 ∪ 𝐵 ∈ A . Denn: (𝛴3 )

𝐴 1 := 𝐴, 𝐴 2 := 𝐵, 𝐴 3 = 𝐴 4 = ⋅ ⋅ ⋅ = 0 󳨐⇒ 𝐴 ∪ 𝐵 = 𝐴 1 ∪ 𝐴 2 ∪ 𝐴 3 ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∈ A . c) (𝐴 𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ A 󳨐⇒ ⋂𝑛∈ℕ 𝐴 𝑛 ∈ A . Denn: (𝛴2 )

(𝛴3 )

𝑐

(𝛴2 )

𝐴 𝑛 ∈ A 󳨐⇒ 𝐴𝑐𝑛 ∈ A 󳨐⇒ ⋃ 𝐴𝑐𝑛 ∈ A 󳨐⇒ ⋂ 𝐴 𝑛 = ( ⋃ 𝐴𝑐𝑛 ) ∈ A . 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

d) 𝐴, 𝐵 ∈ A 󳨐⇒ 𝐴 \ 𝐵 ∈ A . Denn: 𝐴 \ 𝐵 = 𝐴 ∩ (𝐵 ) ∈ A wegen c), (𝛴2 ). 𝑐

2.3 Beispiel. Es sei 𝐸 eine beliebige Menge. a) P(𝐸) ist eine 𝜎-Algebra. Offensichtlich ist P(𝐸) die größte 𝜎-Algebra auf 𝐸. b) {0, 𝐸} ist eine 𝜎-Algebra. Offensichtlich ist das die kleinste 𝜎-Algebra auf 𝐸. c) {0, 𝐴, 𝐴𝑐 , 𝐸} ist eine 𝜎-Algebra für jedes 𝐴 ⊂ 𝐸. d) {0, 𝐵, 𝐸} ist i. Allg. keine 𝜎-Algebra, es sei denn 𝐵 = 0 oder 𝐵 = 𝐸. e) A := {𝐴 ⊂ 𝐸 : #𝐴 ⩽ #ℕ oder #𝐴𝑐 ⩽ #ℕ} ist eine 𝜎-Algebra. Denn: (𝛴1 ) 𝐸𝑐 = 0 ist abzählbar 󳨐⇒ 𝐸 ∈ A . (𝛴2 ) 𝐴 ∈ A ⇐⇒ #𝐴 ⩽ #ℕ oder #𝐴𝑐 ⩽ #ℕ

(𝛴3 )

⇐⇒ #𝐴𝑐 ⩽ #ℕ oder # ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ (𝐴𝑐 )𝑐 ⩽ #ℕ 𝑐 =𝐴 ⇐⇒ 𝐴 ∈ A Sei (𝐴 𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ A . Dann gibt es zwei Fälle. Fall 1: Jede der Mengen 𝐴 𝑛 ist abzählbar. Dann ist auch die Vereinigung 𝐴 = ⋃𝑛∈ℕ 𝐴 𝑛 von abzählbar vielen abzählbaren Mengen eine abzählbare Menge, also 𝐴 ∈ A .

5

2 Sigma-Algebren |

Fall 2: Eine Menge, z. B. 𝐴 𝑛0 , ist überabzählbar. Dann ist aber nach Definition von A das Komplement 𝐴𝑐𝑛0 abzählbar. Somit haben wir 𝑐

( ⋃ 𝐴 𝑛 ) = ⋂ 𝐴𝑐𝑛 ⊂ 𝐴𝑐𝑛0 , 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

also ist das Komplement von 𝐴 = ⋃𝑛∈ℕ 𝐴 𝑛 abzählbar, mithin 𝐴 ∈ A . (Spur-𝜎-Algebra) Es sei 𝐹 ⊂ 𝐸 eine beliebige Teilmenge und A eine 𝜎-Algebra. Dann ist A𝐹 := {𝐹 ∩ 𝐴 : 𝐴 ∈ A } eine 𝜎-Algebra. g) (Urbild 𝜎-Algebra) Es sei 𝑓 : 𝐸 → 𝐸󸀠 eine Abbildung und A 󸀠 eine 𝜎-Algebra auf 𝐸󸀠 . Dann ist A := {𝑓−1 (𝐴󸀠 ) : 𝐴󸀠 ∈ A 󸀠 } eine 𝜎-Algebra auf 𝐸.

f)

Es seien A𝑖 , 𝑖 ∈ 𝐼, beliebig viele Mengensysteme. Dann bezeichnet

⋂ A𝑖 = {𝐴 : 𝐴 ∈ A𝑖 ∀𝑖 ∈ 𝐼} . 𝑖∈𝐼

Diese Familie von Mengen unterscheidet sich i. Allg. von {⋂𝑖∈𝐼 𝐴 𝑖 : 𝐴 𝑖 ∈ A𝑖 , 𝑖 ∈ 𝐼}.

2.4 Satz. a) Der Schnitt ⋂𝑖∈𝐼 A𝑖 beliebig vieler 𝜎-Algebren auf 𝐸 ist eine 𝜎-Algebra. b) Für jede Familie G ⊂ P(𝐸) existiert eine minimale 𝜎-Algebra A mit G ⊂ A . A heißt die von G erzeugte 𝜎-Algebra. Bezeichnung: A = 𝜎(G ). Beweis. a) Wir zeigen (𝛴1 )–(𝛴3 ). (𝛴1 ) 𝐸 ∈ A𝑖 ∀𝑖 ∈ 𝐼 󳨐⇒ 𝐸 ∈ ⋂𝑖∈𝐼 A𝑖 . (𝛴2 ) 𝐴 ∈ A𝑖 ∀𝑖 ∈ 𝐼 󳨐⇒ 𝐴𝑐 ∈ A𝑖 ∀𝑖 ∈ 𝐼 󳨐⇒ 𝐴𝑐 ∈ ⋂𝑖∈𝐼 A𝑖 . (𝛴3 ) (𝐴 𝑘 )𝑘∈ℕ ⊂ A𝑖 ∀𝑖 ∈ 𝐼 󳨐⇒ ⋃ 𝐴 𝑘 ∈ A𝑖 ∀𝑖 ∈ 𝐼 󳨐⇒ ⋃ 𝐴 𝑘 ∈ ⋂ A𝑖 . 𝑘∈ℕ

b) Nach Teil a) ist

A :=

𝑘∈ℕ



F

eine 𝜎-Algebra.

𝑖∈𝐼

(*)

G ⊂F F 𝜎-Algebra

Existenz: Es gilt G ⊂ P(𝐸) und P(𝐸) ist eine 𝜎-Algebra. Daher ist P(𝐸) ein zulässiges F im Schnitt (*). Insbesondere ist der Schnitt nicht leer, und a) zeigt, dass A eine 𝜎-Algebra mit G ⊂ A ist. Minimalität: Angenommen A 󸀠 ist 𝜎-Algebra mit G ⊂ A 󸀠 . Dann ist A 󸀠 ein zulässiges F in (*). Insbesondere gilt A ⊂ A 󸀠 . Somit ist A minimal, d. h. eindeutig und die Bezeichnung A = 𝜎(G ) ist sinnvoll. 2.5 Bemerkung. a) Für eine 𝜎-Algebra A gilt 𝜎(A ) = A . b) Für jede Menge 𝐴 ⊂ 𝐸 gilt 𝜎({𝐴}) = {0, 𝐴, 𝐴𝑐 , 𝐸}. c) Für beliebige G ⊂ H ⊂ A gilt 𝜎(G ) ⊂ 𝜎(H ) ⊂ 𝜎(A ). Denn: G ⊂ H 󳨐⇒ G ⊂ H ⊂ 𝜎(H ) 󳨐⇒ 𝜎(G ) ⊂ 𝜎(H ) wegen der Minimalität. Im ℝ𝑑 (oder in allgemeinen topologischen Räumen) spielt die von der Topologie erzeugte 𝜎-Algebra eine besondere Rolle. Bezeichnet 𝐵𝜖 (𝑥) = {𝑦 ∈ ℝ𝑑 : |𝑥 − 𝑦| < 𝜖} die

6 | 2 Sigma-Algebren offene Kugel mit Radius 𝜖 und Zentrum 𝑥, dann gilt 𝑈 ⊂ ℝ𝑑 offen ⇐⇒ ∀𝑥 ∈ 𝑈 ∃𝜖 > 0 : 𝐵𝜖 (𝑥) ⊂ 𝑈. Das System der offenen Mengen O = O(ℝ𝑑 ) heißt Topologie. Abstrakt hat eine Topologie O auf 𝐸 die folgenden Eigenschaften. 0, 𝐸 ∈ O,

(O1 )

𝑈, 𝑉 ∈ O 󳨐⇒ 𝑈 ∩ 𝑉 ∈ O,

(O2 )

𝑈𝑖 ∈ O, 𝑖 ∈ 𝐼 (beliebig) 󳨐⇒ ⋃ 𝑈𝑖 ∈ O.

(O3 )

𝑖∈𝐼

𝑈𝑛 ∈ O, 𝑛 ∈ ℕ, dann muss 𝑈 := ⋂𝑛∈ℕ 𝑈𝑛 nicht mehr offen sein!

2.6 Definition. Die von den offenen Mengen O in ℝ𝑑 erzeugte 𝜎-Algebra 𝜎(O) heißt Borel(sche) 𝜎-Algebra. Bezeichnung: B(ℝ𝑑 ). Eine Menge 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) heißt Borelmenge oder Borel-messbar. Die Definition 2.6 überträgt sich wörtlich auf allgemeine topologische Räume (𝐸, O). Daher heißt B(𝐸) = 𝜎(O) auch topologische 𝜎-Algebra. 2.7 Satz. Es seien O, C , K die offenen, abgeschlossenen und kompakten Mengen des ℝ𝑑 . Dann gilt B(ℝ𝑑 ) = 𝜎(O) = 𝜎(C ) = 𝜎(K ). Beweis. [] Vgl. auch den Beweis der folgenden Aussage. Die Borelmengen werden von vielen verschiedenen Mengensystemen erzeugt. Für uns sind die folgenden Erzeuger besonders wichtig: I 𝑜 = {(𝑎1 , 𝑏1 ) × ⋅ ⋅ ⋅ × (𝑎𝑑 , 𝑏𝑑 ) : 𝑎𝑛 , 𝑏𝑛 ∈ ℝ} I = {[𝑎1 , 𝑏1 ) × ⋅ ⋅ ⋅ × [𝑎𝑑 , 𝑏𝑑 ) : 𝑎𝑛 , 𝑏𝑛 ∈ ℝ}

offene „Rechtecke“, halboffene „Rechtecke“;

𝑜 und Irat sind die Eckpunkte (𝑎1 , . . . , 𝑎𝑑 ), (𝑏1 , . . . , 𝑏𝑑 ) aus ℚ𝑑 , dann schreiben wir Irat

Für 𝑏 < 𝑎 vereinbaren wir, dass (𝑎, 𝑏) = 0. Weiterhin ist 𝐴 × ⋅ ⋅ ⋅ × 0 × ⋅ ⋅ ⋅ × 𝑍 = 0.

2.8 Satz. Auf ℝ𝑑 gilt

𝑜 B(ℝ𝑑 ) = 𝜎(I ) = 𝜎(I 𝑜 ) = 𝜎(Irat ) = 𝜎(Irat ).

Beweis. 1o ) Jedes offene Rechteck ist eine offene Menge, und daher 𝑜 𝑜 ⊂ I 𝑜 ⊂ O 󳨐⇒ 𝜎(Irat ) ⊂ 𝜎(I 𝑜 ) ⊂ 𝜎(O). Irat

2o ) Nun sei 𝑈 ∈ O offen. Dann gilt 𝑈=

⋃ 𝑜 𝐼󸀠 ∈Irat , 𝐼󸀠 ⊂𝑈

𝐼󸀠 .

(*)

2 Sigma-Algebren |

7

Abb. 2.1. 𝑈 wird durch offene Rechtecke mit rationalen Eckpunkten ausgeschöpft.

Denn: In (*) ist „⊃“ trivial. Für „⊂“ bemerken wir (vgl. Abb. 2.1) ∀𝑥 ∈ 𝑈 ∃𝜖 > 0 : 𝐵𝜖 (𝑥) ⊂ 𝑈. In 𝐵𝜖 (𝑥) finden wir ein 𝐼 ∈ I 𝑜 , so dass 𝑥 ∈ 𝐼. Durch „Zusammendrücken“ (ℚ𝑑 ⊂ ℝ𝑑 𝑜 𝑜 ist dicht) gibt es sogar ein 𝐼󸀠 ∈ Irat mit 𝑥 ∈ 𝐼󸀠 ⊂ 𝐼. Da jedes 𝐼󸀠 ∈ Irat durch die zwei Eckpunkte der Hauptdiagonalen bestimmt ist, ist (*) eine abzählbare Vereinigung: 𝑜 #Irat = #ℚ𝑑 × ℚ𝑑 = #ℕ. 𝑜 𝑜 ), also O ⊂ 𝜎(Irat ) und damit Wegen (*) und (𝛴3 ) folgt 𝑈 ∈ 𝜎(Irat 𝑜 ) ⊂ 𝜎(I 𝑜 ) ⊂ 𝜎(O). 𝜎(O) ⊂ 𝜎(Irat

3o ) Es gilt (𝑎1 , 𝑏1 ) × ⋅ ⋅ ⋅ × (𝑎𝑑 , 𝑏𝑑 ) = ⋃ [𝑎1 + 𝑛1 , 𝑏1 ) × ⋅ ⋅ ⋅ × [𝑎𝑑 + 𝑛1 , 𝑏𝑑 ) 𝑛∈ℕ

[𝛼1 , 𝛽1 ) × ⋅ ⋅ ⋅ × [𝛼𝑑 , 𝛽𝑑 ) = ⋂ (𝛼1 − 𝑚∈ℕ

1 , 𝑚

𝛽1 ) × ⋅ ⋅ ⋅ × (𝛼𝑑 −

1 , 𝑚

𝛽𝑑 ) ;

𝑜 𝑜 𝑜 ⊂ 𝜎(Irat ) und Irat ⊂ 𝜎(Irat ). Es folgt 𝜎(Irat ) = 𝜎(Irat ) und entspreund somit Irat 𝑜 o 𝑜 𝑜 chend auch 𝜎(I ) = 𝜎(I ). Zusammen mit 2 gilt 𝜎(I ) = 𝜎(Irat ) und alles ist gezeigt.

2.9 Bemerkung. Für dichte Teilmengen 𝐷 ⊂ ℝ wird B(ℝ) auch durch folgende Systeme erzeugt: {(−∞, 𝑎) : 𝑎 ∈ 𝐷} ,

{(−∞, 𝑏] : 𝑏 ∈ 𝐷} ,

{(𝑐, ∞) : 𝑐 ∈ 𝐷} ,

{[𝑑, ∞) : 𝑑 ∈ 𝐷} .

2.10 Bemerkung. 𝜎(G ) kann nur in wenigen Fällen explizit konstruiert werden (durch iteratives Hinzufügen von Komplementen, Vereinigungen etc. etc.). Allgemein braucht man hier transfinite (d. h. überabzählbare) Konstruktionen. Wir werden in Kapitel 4 Dynkin-Systeme einführen, um damit zurechtzukommen. 2.11 Bemerkung. Es gibt nicht-Borel-messbare Mengen, siehe Anhang A.1. Deren Konstruktion benötigt das Auswahlaxiom, vgl. die Diskussion in [8, Appendix D, S. 332 ff.].

8 | 2 Sigma-Algebren

Aufgaben 1.

Welche der folgenden Mengensysteme sind 𝜎-Algebren über {𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑}? (a)

2.

{𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑} ;

(b)

(c)

{0, {𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑}} ;

P ({𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑}) .

Gegeben sei eine Abbildung 𝜉 : 𝛺 → ℝ auf einer Menge 𝛺 und 𝐴, 𝐴 𝑖 ⊂ 𝛺 bzw. 𝐵, 𝐵𝑖 ⊂ ℝ wobei 𝑖 ∈ 𝐼 (𝐼 ist eine beliebige Indexmenge). Wie üblich schreiben wir 𝜉(𝐴) := {𝜉(𝜔) : 𝜔 ∈ 𝐴} und {𝜉 ∈ 𝐵} := 𝜉−1 (𝐵) = {𝜔 ∈ 𝛺 : 𝜉(𝜔) ∈ 𝐵}. Zeigen Sie: (a)

{𝜉 ∈ 𝐵𝑐 } = {𝜉 ∈ 𝐵}𝑐 ;

(b)

{𝜉 ∈ ⋃ 𝐵𝑖 } = ⋃ {𝜉 ∈ 𝐵𝑖 };

(c)

{𝜉 ∈ ⋂ 𝐵𝑖 } = ⋂ {𝜉 ∈ 𝐵𝑖 };

𝜉( ⋃ 𝐴 𝑖 ) = ⋃ 𝜉(𝐴 𝑖 );

(f)

𝜉( ⋂ 𝐴 𝑖 ) ⊂ ⋂ 𝜉(𝐴 𝑖 ).

𝑖∈𝐼

(d)

𝜉(𝐴𝑐 )

im Allg.



𝑐

(𝜉(𝐴)) ;

(e)

𝑖∈𝐼

3.

(d)

{0, {𝑎, 𝑏, 𝑐, 𝑑} , {𝑎} , {𝑐, 𝑑}} ;

𝑖∈𝐼

𝑖∈𝐼

𝑖∈𝐼

𝑖∈𝐼

𝑖∈𝐼

𝑖∈𝐼

Gegeben seien Mengen 𝑋 und 𝑌, eine Funktion 𝑓 : 𝑋 → 𝑌 und eine 𝜎-Algebra B auf 𝑌. Zeigen Sie, dass das folgende Mengensystem eine 𝜎-Algebra auf 𝑋 ist: A := 𝑓−1 (B) := {𝑓−1 (𝐵) : 𝐵 ∈ B} .

4.

Es sei 𝐸 = ℝ𝑑 , 𝐶 ⊂ ℝ𝑑 und A eine 𝜎-Algebra auf 𝐸. Weiterhin sei O das System der offenen Mengen in ℝ𝑑 . Zeigen Sie: (a) A𝐶 := {𝐴 ∩ 𝐶 : 𝐴 ∈ A } ist eine 𝜎-Algebra auf 𝐶; (b) O ist eine Topologie in ℝ𝑑 und O𝐶 := {𝑈 ∩ 𝐶 : 𝑈 ∈ O} ist eine Topologie in 𝐶; (c) B(ℝ𝑑 )𝐶 = B(𝐶) := 𝜎(O𝐶 ).

5.

Zeigen Sie, dass die Borelsche 𝜎-Algebra auf ℝ𝑛 erzeugt wird von (a) den abgeschlossenen Teilmengen in ℝ𝑛 ; (b) den kompakten Teilmengen in ℝ𝑛 ; (c) dem Mengensystem 𝔹 := {𝐵̄𝑟 (𝑞), 𝑟 ∈ ℚ+ , 𝑞 ∈ ℚ𝑛 }, wobei 𝐵̄𝑟 (𝑥) := {𝑦 ∈ ℝ𝑛 : |𝑥 − 𝑦| ⩽ 𝑟}.

6.

Es sei A eine 𝜎-Algebra, die nur endlich viele Elemente besitzt. (a) Beschreiben Sie die Struktur von A. (b) Kann A genau 7 Elemente besitzen? Hinweis: Für die Beantwortung von (a) ist folgender Begriff hilfreich: Eine Menge 𝐴 ∈ A heißt Atom, wenn aus 𝐵 ⊂ 𝐴, 𝐵 ∈ A folgt, dass 𝐵 = 0 oder 𝐵 = 𝐴.

7.

Zeigen Sie, dass es keine 𝜎-Algebra mit abzählbar unendlich vielen Mengen gibt.

8.

Es sei 𝐸 eine beliebige Menge und 𝐴 ⊂ 𝐸. Die Funktion 𝟙𝐴 , 𝟙𝐴 (𝑥) = 1 bzw. = 0 für 𝑥 ∈ 𝐴 bzw. 𝑥 ∉ 𝐴 heißt Indikatorfunktion. Zeigen Sie, dass für 𝐴, 𝐵, 𝐴 𝑖 ⊂ 𝐸, 𝑖 ∈ ℕ, gilt: (a) (d)

9.

𝟙𝐴∪𝐵 + 𝟙𝐴∩𝐵 = 𝟙𝐴 + 𝟙𝐵 ; 𝟙𝐴∪𝐵 = min {𝟙𝐴 + 𝟙𝐵 , 1} ;

(b) (e)

𝟙𝐴∩𝐵 = 𝟙𝐴 𝟙𝐵 = min {𝟙𝐴 , 𝟙𝐵 } ; sup𝑖 𝟙𝐴 𝑖 = 𝟙∪𝑖 𝐴 𝑖 ;

(c) (f)

𝟙 𝐴𝑐 = 1 − 𝟙 𝐴 ; inf 𝑖 𝟙𝐴 𝑖 = 𝟙∩𝑖 𝐴 𝑖 .

Es sei 𝛺 eine beliebige Menge und 𝐴, 𝐵, 𝐴 𝑖 ⊂ 𝛺, 𝑖 ∈ ℕ. Wir definieren den limes inferior und limes superior von Mengen: lim inf 𝐴 𝑖 := ⋃ ⋂ 𝐴 𝑖 𝑖→∞

und

lim sup 𝐴 𝑖 := ⋂ ⋃ 𝐴 𝑖 . 𝑖→∞

𝑘∈ℕ 𝑖⩾𝑘

(a) lim inf 𝟙𝐴 𝑖 = 𝟙lim inf 𝐴 𝑖 und lim sup 𝟙𝐴 𝑖 = 𝟙lim sup 𝐴 𝑖 . 𝑖→∞

𝑖→∞

𝑖→∞

𝑖→∞

(b)

𝜔 ∈ lim inf 𝐴 𝑖 ⇐⇒ 𝜔 liegt in schließlich allen 𝐴 𝑖 ’s;

(c)

𝜔 ∈ lim sup 𝐴 𝑖 ⇐⇒ 𝜔 liegt in unendlich vielen 𝐴 𝑖 ’s. {𝟙lim sup𝑖 𝐴 𝑖 = 1} = {∑𝑖 𝟙𝐴 𝑖 = ∞} .

𝑘∈ℕ 𝑖⩾𝑘

3 Maße In der Einleitung und im vorangehenden Kapitel haben wir bereits gesehen, welche Eigenschaften ein Maß besitzen sollte und auf welchen Mengensystemen Maße definiert werden können. Diese Überlegungen wollen wir nun systematisch weiterführen. Hierbei bezeichnet 𝐸 eine beliebige nicht-leere Grundmenge. 3.1 Definition. Ein Maß 𝜇 ist eine Abbildung 𝜇 : A → [0, ∞] mit den Eigenschaften A ist eine 𝜎-Algebra auf 𝐸,

(𝑀0 )

𝜇(0) = 0,

(𝑀1 )



(𝐴 𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ A paarweise disjunkt 󳨐⇒ 𝜇( ⋃ 𝐴 𝑛 ) = ∑ 𝜇(𝐴 𝑛 ). 𝑛∈ℕ

(𝑀2 )

𝑛∈ℕ

Gilt für 𝜇 : A → [0, ∞] nur (𝑀1 ), (𝑀2 ), dann heißt 𝜇 Prämaß. 󳶳 (𝑀1 ) verlangt implizit 0 ∈ A ; 󳶳 (𝑀2 ) verlangt implizit (𝐴 𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ A paarweise disjunkt 󳨐⇒ ⋃𝑛 𝐴 𝑛 ∈ A .



Für auf- und absteigende Folgen von Mengen schreiben wir auch 𝐴 𝑛 ↑ 𝐴 ⇐⇒ 𝐴 1 ⊂ 𝐴 2 ⊂ 𝐴 3 ⊂ . . .

und 𝐴 = ⋃𝑛∈ℕ 𝐴 𝑛 ,

𝐵𝑛 ↓ 𝐵 ⇐⇒ 𝐵1 ⊃ 𝐵2 ⊃ 𝐵3 ⊃ . . .

und

𝐵 = ⋂𝑛∈ℕ 𝐵𝑛 .

3.2 Definition. Es sei A eine 𝜎-Algebra auf 𝐸 und 𝜇 ein Maß. Dann heißt (𝐸, A ) Messraum und (𝐸, A , 𝜇) Maßraum. Ein Maß mit 𝜇(𝐸) < ∞ heißt endliches Maß und (𝐸, A , 𝜇) endlicher Maßraum. Gilt 𝜇(𝐸) = 1, dann sprechen wir von einem Wahrscheinlichkeitsmaß (W-Maß) und Wahrscheinlichkeitsraum (W-Raum). Gibt es eine Folge (𝐴 𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ A , so dass 𝐴 𝑛 ↑ 𝐸 und 𝜇(𝐴 𝑛 ) < ∞, dann heißen 𝜇 und (𝐸, A , 𝜇) 𝜎-endlich. Wir stellen im Folgenden die wichtigsten elementaren Eigenschaften von Maßen zusammen. 3.3 Satz. Es sei 𝜇 ein Maß auf (𝐸, A ) und 𝐴, 𝐵, 𝐴 𝑛 , 𝐵𝑛 ∈ A , 𝑛 ∈ ℕ. a) 𝐴 ∩ 𝐵 = 0 󳨐⇒ 𝜇(𝐴 ∪⋅ 𝐵) = 𝜇(𝐴) + 𝜇(𝐵); b) 𝐴 ⊂ 𝐵 󳨐⇒ 𝜇(𝐴) ⩽ 𝜇(𝐵); c) 𝐴 ⊂ 𝐵 & 𝜇(𝐴) < ∞ 󳨐⇒ 𝜇(𝐵 \ 𝐴) = 𝜇(𝐵) − 𝜇(𝐴); d) 𝜇(𝐴 ∪ 𝐵) + 𝜇(𝐴 ∩ 𝐵) = 𝜇(𝐴) + 𝜇(𝐵); e) 𝜇(𝐴 ∪ 𝐵) ⩽ 𝜇(𝐴) + 𝜇(𝐵); f) 𝐴 𝑛 ↑ 𝐴 󳨐⇒ 𝜇(𝐴) = sup 𝜇(𝐴 𝑛 ) = lim 𝜇(𝐴 𝑛 ); 𝑛∈ℕ

𝑛→∞

(additiv) (monoton) (stark additiv) (subadditiv) (stetig von unten)

10 | 3 Maße

Abb. 3.1. Links: Starke Additivität von Maßen (Satz 3.3.d). Rechts: Stetigkeit von unten vs. 𝜎Additivität (Satz 3.3.f).

g) 𝐵𝑛 ↓ 𝐵 & 𝜇(𝐵1 ) < ∞ 󳨐⇒ 𝜇(𝐵) = inf 𝜇(𝐵𝑛 ) = lim 𝜇(𝐵𝑛 );

(stetig von oben)

𝑛→∞

𝑛∈ℕ

h) 𝜇 ( ⋃ 𝐴 𝑛 ) ⩽ ∑ 𝜇(𝐴 𝑛 ). 𝑛∈ℕ

(𝜎-subadditiv)

𝑛∈ℕ

Beweis. a) Wir können die 𝜎-Additivität verwenden, indem wir die „fehlenden“ Mengen durch 0 ergänzen: (𝑀2 )

(𝑀1 )

𝜇(𝐴 ∪⋅ 𝐵) = 𝜇(𝐴 ∪⋅ 𝐵 ∪⋅ 0 ∪⋅ 0 ∪⋅ . . . ) = 𝜇(𝐴) + 𝜇(𝐵) + 𝜇(0) + . . . = 𝜇(𝐴) + 𝜇(𝐵). b) Wegen 𝐴 ⊂ 𝐵 ist auch 𝐵 = 𝐴 ∪⋅ (𝐵 \ 𝐴) = 𝐴 ∪⋅ (𝐵 \ (𝐴 ∩ 𝐵)). Aus a) folgt dann 𝜇(𝐵) = 𝜇(𝐴 ∪⋅ (𝐵 \ 𝐴)) = 𝜇(𝐴) + 𝜇(𝐵 \ 𝐴) ⩾ 𝜇(𝐴).

(3.1)

c) Subtrahiere in (3.1) 𝜇(𝐴) < ∞ auf beiden Seiten. d) Indem wir 𝐴 ∪ 𝐵 wie in Abbildung 3.1 zerlegen, sehen wir wegen a) und (3.1) 𝜇(𝐴 ∪ 𝐵) + 𝜇(𝐴 ∩ 𝐵) = 𝜇 (𝐴 ∪⋅ (𝐵 \ (𝐴 ∩ 𝐵)) + 𝜇(𝐴 ∩ 𝐵) a)

= 𝜇(𝐴) + 𝜇(𝐵 \ (𝐴 ∩ 𝐵)) + 𝜇(𝐴 ∩ 𝐵) . ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ =𝜇(𝐵) wegen (3.1)

e) Dies folgt aus d), da 𝜇(𝐴 ∩ 𝐵) ⩾ 0. f) Setze 𝐹1 := 𝐴 1 , 𝐹2 := 𝐴 2 \ 𝐴 1 , . . . , 𝐹𝑛+1 := 𝐴 𝑛+1 \ 𝐴 𝑛 . Da die Mengen 𝐹𝑛 paarweise disjunkt sind, folgt für 𝑚 → ∞ 𝑚









𝐴 𝑚 = ⋃ 𝐹𝑛 󳨐⇒ 𝐴 = ⋃ 𝐹𝑛 = ⋃ 𝐴 𝑛 𝑛=1

𝑛=1

𝑛=1

und ∞



(𝑀2 )

𝑚



𝑚

a)



𝜇(𝐴) = 𝜇 ( ⋃ 𝐹𝑛 ) = ∑ 𝜇(𝐹𝑛 ) = lim ∑ 𝜇(𝐹𝑛 ) = lim 𝜇 ( ⋃ 𝐹𝑛 ) = lim 𝜇(𝐴 𝑚 ). 𝑛=1

𝑛=1

𝑚→∞

𝑛=1

𝑚→∞

𝑛=1

𝑚→∞

g) 𝐵𝑛 ↓ 𝐵 󳨐⇒ 𝐵1 \ 𝐵𝑛 ↑ 𝐵1 \ 𝐵. Da 𝜇(𝐵1 ) < ∞, gilt nach f), c) 𝜇(𝐵1 \ 𝐵) ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ =𝜇(𝐵1 )−𝜇(𝐵)

= lim 𝜇(𝐵1 \ 𝐵𝑛 ) = lim (𝜇(𝐵1 ) − 𝜇(𝐵𝑛 )) = 𝜇(𝐵1 ) − lim 𝜇(𝐵𝑛 ). 𝑛→∞

𝑛→∞

𝑛→∞

3 Maße ∞

h)



e)

f)

| 11

𝜇 ( ⋃ 𝐴 𝑛 ) = lim 𝜇(𝐴 1 ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∪ 𝐴 𝑛 ) ⩽ lim (𝜇(𝐴 1 ) + ⋅ ⋅ ⋅ + 𝜇(𝐴 𝑛 )) = ∑ 𝜇(𝐴 𝑛 ). 𝑛=1

𝑛→∞

𝑛→∞

𝑛=1

3.4 Bemerkung. Die Aussagen von Satz 3.3 gelten auch für Prämaße, wenn das zu Grunde liegende Mengensystem groß genug ist. Genauer braucht man für a)–e) Stabilität unter endlich vielen Wiederholungen von „∪“, „∩“ und „\“; f) 𝐴 𝑛+1 \ 𝐴 𝑛 , ⋃∞ 𝑛=1 𝐴 𝑛 ∈ A ; ∞ g) 𝐵1 \ 𝐵𝑛 , 𝐵𝑛 \ 𝐵𝑛+1 , ⋂∞ 𝑛=1 𝐵𝑛 , 𝐵1 \ ⋂𝑛=1 𝐵𝑛 ∈ A ; ∞ h) ⋃𝑚 𝑛=1 𝐴 𝑛 , ⋃𝑛=1 𝐴 𝑛 ∈ A . 3.5 Beispiel. a) (Dirac-Maß). Es sei (𝐸, A ) ein beliebiger Messraum und 𝑥 ∈ 𝐸 fest. Dann ist {0, 𝑥 ∉ 𝐴, 𝛿𝑥 : A → {0, 1}, 𝛿𝑥 (𝐴) := { 1, 𝑥 ∈ 𝐴, { ist ein W-Maß, das sog. Dirac-Maß (auch 𝛿-Funktion, Einheitsmasse). b) Es sei 𝐸 = ℝ und A wie in Beispiel 2.3.e) (d. h. 𝐴 ∈ A ⇐⇒ 𝐴 oder 𝐴𝑐 abzählbar). Dann ist {0, 𝐴 abzählbar, 𝛾(𝐴) := { 𝐴∈A, 1, 𝐴𝑐 abzählbar, { W-Maß. c) Es sei (𝐸, A ) ein beliebiger Messraum. Dann ist {#𝐴, |𝐴| := { +∞, {

𝐴 endliche Menge,

𝐴∈A,

𝐴 unendliche Menge,

ein Maß, das sog. Zählmaß. d) (Diskretes W-Maß) Es sei 𝐸 = 𝛺 = {𝜔1 , 𝜔2 , . . . } eine abzählbare Menge, A = P(𝛺) und (𝑝𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ [0, 1] mit ∑∞ 𝑛=1 𝑝𝑛 = 1. Dann ist ℙ(𝐴) :=

∑ 𝑝𝑛 = ∑ 𝑝𝑛 𝛿𝜔𝑛 (𝐴),

𝑛 : 𝜔𝑛 ∈𝐴

𝐴 ⊂ 𝛺,

𝑛∈ℕ

ein W-Maß, ein sog. diskretes W-Maß; (𝛺, P(𝛺), ℙ) heißt diskreter W-Raum. Da ℙ({𝜔𝑛 }) = 𝑝𝑛 und ℙ(𝐴) = ℙ (⋃𝜔∈𝐴 {𝜔}) = ∑𝜔∈𝐴 ℙ({𝜔}), wird ℙ bereits eindeutig durch die Werte ℙ({𝜔𝑛 }) bzw. 𝑝𝑛 bestimmt. Daher definiert d) bereits das allgemeinste diskrete W-Maß.

e) (Triviale Maße) Es sei (𝐸, A ) ein beliebiger Messraum. Dann sind {0, 𝜇(𝐴) := { ∞, { Maße.

𝐴 = 0, 𝐴 ≠ 0,

und

𝜈(𝐴) = 0,

𝐴∈A,

12 | 3 Maße Ein Problem ist, dass wir im Augenblick nur wenige (und recht einfache) Beispiele von Maßen angeben können. Das liegt z. T. daran, dass sich 𝜎-Algebren relativ schwer explizit beschreiben lassen – und 𝜇 muss ja für alle 𝐴 ∈ A definiert sein! 3.6 Definition. Die Mengenfunktion 𝜆𝑑 auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )), die jedem halboffenen Rechteck X𝑑𝑛=1 [𝑎𝑛 , 𝑏𝑛 ) ∈ I , 𝑎𝑛 ⩽ 𝑏𝑛 den Wert 𝜆𝑑 (

𝑑

×

𝑑

[𝑎𝑛 , 𝑏𝑛 )) = ∏(𝑏𝑛 − 𝑎𝑛 )

𝑛=1

𝑛=1

zuordnet, heißt (𝑑-dimensionales) Lebesgue–Maß.

󳶳 󳶳 󳶳 󳶳

𝜆𝑑 ist nur auf I und noch nicht auf B(ℝ𝑑 ) definiert! Ist 𝜆𝑑 ein Prämaß auf I ? Kann man 𝜆𝑑 zu einem Maß auf 𝜎(I ) fortsetzen? Wenn ja, ist dann die Fortsetzung eindeutig?

Wir greifen an dieser Stelle der Antwort voraus: Das Lebesgue Maß existiert und ist durch seine Invarianzeigenschaften ein besonders ausgezeichnetes Maß auf ℝ𝑑 . Wir schreiben 𝑥 + 𝐵 = {𝑥 + 𝑏 : 𝑏 ∈ 𝐵} für die Verschiebung einer Menge 𝐵 ⊂ ℝ𝑑 . Eine Bewegung 𝑅 : ℝ𝑑 → ℝ𝑑 ist eine Kombination aus Translationen, Drehungen und Spiegelungen. Wie üblich schreiben wir GL(𝑑, ℝ) für die (Gruppe der) invertierbaren linearen Abbildungen auf ℝ𝑑 . 3.7 Satz. Das Lebesgue–Maß 𝜆𝑑 existiert als Maß auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) und ist durch die Werte auf I eindeutig bestimmt. Für alle 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) gilt a) 𝜆𝑑 ist translationsinvariant: 𝜆𝑑 (𝑥 + 𝐵) = 𝜆𝑑 (𝐵) für alle 𝑥 ∈ ℝ𝑑 . b) 𝜆𝑑 ist bewegungsinvariant: 𝜆𝑑 (𝑅−1 (𝐵)) = 𝜆𝑑 (𝐵) für alle Bewegungen 𝑅 auf ℝ𝑑 . c) 𝜆𝑑 (𝑀−1 (𝐵)) = |det𝑀|−1 𝜆𝑑 (𝐵) für alle 𝑀 ∈ GL(𝑑, ℝ). a)–c) sind nur sinnvoll, wenn 𝑥 + 𝐵, 𝑅−1 (𝐵), 𝑀−1 (𝐵) ∈ B(ℝ𝑑 ) für alle 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) gilt.

Wir zeigen abschließend, dass die 𝜎-Additivität (𝑀2 ) und die Stetigkeit von Maßen im Prinzip äquivalente Forderungen sind. Dieses Resultat ist oft hilfreich, wenn wir nachweisen müssen, dass gewisse Mengenfunktionen schon (Prä-)Maße sind. 3.8 ⧫ Lemma. Es sei (𝐸, A ) ein Messraum und 𝜇 : A → [0, ∞] eine additive Mengenfunktion mit 𝜇(0) = 0 und 𝜇(𝐸) < ∞. 𝜇 ist genau dann ein Maß, wenn eine der folgenden Stetigkeitseigenschaften erfüllt ist: a) 𝜇 ist stetig von unten (wie in 3.3.f). b) 𝜇 ist stetig von oben (wie in 3.3.g). c) 𝜇 ist stetig in 0 (wie in 3.3.g) mit 𝐵 = 0).

3 Maße

| 13

Beweis. Aus dem Beweis von Satz 3.3 wissen wir, dass jedes Maß a)–c) erfüllt und dass a)⇒b)⇒c). Wir nehmen jetzt c) an und zeigen (𝑀2 ). Sei (𝐴 𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ A paarweise disjunkt und 𝐴 = ⋃∞ 𝑛=1 𝐴 𝑛 . ⋅ ⋅ Offenbar gilt 𝐵𝑚 := 𝐴 \ (𝐴 1 ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∪ 𝐴 𝑚 ) ↓ 0. Dann



𝜇(𝐴)

additiv

=

additiv

=

𝜇(𝐴 \ (𝐴 1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝐴 𝑚 )) + 𝜇(𝐴 1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝐴 𝑚 ) 𝑚

c)



𝜇(𝐵𝑚 ) + ∑ 𝜇(𝐴 𝑛 ) 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ ∑ 𝜇(𝐴 𝑛 ). 𝑚→∞

𝑛=1

𝑛=1

Aufgaben 1.

Zeigen Sie, dass es sich bei den Beispielen 3.5.a)–d) tatsächlich um Maße handelt. Wenn man in 3.5.b) „abzählbar“ durch „endlich“ ersetzt, dann ist 𝛾 nur noch endlich additiv, aber nicht mehr 𝜎-additiv.

2.

Gegeben sei eine Menge 𝐸 und eine mindestens zweielementige Menge 𝑌 ⊂ 𝐸. Welche der folgenden Mengenfunktionen definiert ein Maß auf P(𝐸)? {1, 𝜇1 : 𝐴 󳨃→ { 0, {

3.

𝐴 ∩ 𝑌 ≠ 0 𝐴∩𝑌=0

;

{∞, 𝐴 ∩ 𝑌 ≠ 0 𝜇2 : 𝐴 󳨃→ { ; 0, 𝐴∩𝑌=0 {

{∞, 𝜇3 : 𝐴 󳨃→ { 0, {

𝑌⊂𝐴 𝑌⊈𝐴

.

Es sei 𝑓 : 𝐸 → [0, ∞] beliebig und ∑𝑥∈𝐸 𝑓(𝑥) := sup {∑𝑥∈𝐹 𝑓(𝑥) : 𝐹 ⊂ 𝐸, 𝐹 endlich}. (a) Ist ∑𝑥∈𝐸 𝑓(𝑥) < ∞, so ist die Menge {𝑥 : 𝑓(𝑥) > 0} abzählbar. (b) Zeigen Sie, dass durch 𝜇(𝐴) := ∑ 𝑓(𝑥), 𝐴 ∈ P(𝐸) 𝑥∈𝐴

(c)

ein Maß auf P(𝐸) definiert wird. (Das Zählmaß und das Dirac-Maß sind Spezialfälle.) Wann ist 𝜇 endlich bzw. 𝜎-endlich?

4.

Zeigen Sie, dass in 3.3.g) die Bedingung 𝜇(𝐵1 ) < ∞ nicht weggelassen werden kann.

5.

(Lebesgue–Stieltjes Prämaß) Es sei 𝑚 : ℝ → ℝ eine stetige wachsende Funktion; für 𝑎, 𝑏 ∈ ℝ mit 𝑎 ⩽ 𝑏 sei 𝜇(𝑎, 𝑏] := 𝑚(𝑏) − 𝑚(𝑎). Dann ist 𝜇 ein Prämaß auf den halboffenen Intervallen.

6.

−𝑖 Es seien (𝜇𝑖 )𝑖∈ℕ Maße auf einem Messraum (𝐸, A ). Zeigen Sie, dass 𝜇 := ∑∞ 𝑖=1 2 𝜇𝑖 wiederum ein Maß ist. Hinweis: Für den Nachweis der 𝜎-Additivität könnte man zeigen, dass für doppelt indizierte Folgen (𝛽𝑖𝑛 )𝑖,𝑛∈ℕ stets sup𝑖 sup𝑛 𝛽𝑖𝑛 = sup𝑛 sup𝑖 𝛽𝑖𝑛 gilt.

7.

(Vervollständigung) In einem Maßraum (𝐸, A , 𝜇) heißt 𝐴 ∈ A mit 𝜇(𝐴) = 0 eine 𝜇-Nullmenge. Zeigen Sie: (a) A := {𝐴 ∪ 𝑁 : 𝐴 ∈ A , 𝑁 ist Teilmenge einer 𝜇-Nullmenge aus A } ist eine 𝜎-Algebra mit A ⊂ A. ̄ ∗ ) := 𝜇(𝐴) für 𝐴∗ = 𝐴 ∪ 𝑁 ∈ A ist wohldefiniert, d. h. unabhängig von der Darstellung (b) 𝜇(𝐴 von 𝐴∗ als 𝐴 ∪ 𝑁 bzw. 𝐵 ∪ 𝑀 mit 𝐴, 𝐵 ∈ A und 𝑀, 𝑁 Teilmengen von Nullmengen. ̄ (c) 𝜇̄ ist ein Maß auf A und 𝜇(𝐴) = 𝜇(𝐴) für alle 𝐴 ∈ A . (d) Es gilt A = {𝐴∗ ⊂ 𝐸 : es existieren 𝐴, 𝐵 ∈ A mit 𝐴 ⊂ 𝐴∗ ⊂ 𝐵 und 𝜇(𝐵 \ 𝐴) = 0}. Der Maßraum (𝐸, A , 𝜇)̄ ist vollständig: alle Teilmengen von A - bzw. A -messbaren Nullmengen sind bereits in A enthalten. Wenn (𝐸, A , 𝜇) gegeben ist, heißt der in der Aufgabe konstruierte Maßraum (𝐸, A , 𝜇)̄ die Vervollständigung von (𝐸, A , 𝜇).

4 Eindeutigkeit von Maßen Ehe wir die Fortsetzbarkeit von 𝜆𝑑 und anderen Maßen diskutieren, untersuchen wir, ob es prinzipiell ausreicht, Maße auf einem Erzeuger G einer 𝜎-Algebra vorzugeben – z. B. 𝜆𝑑 auf I . Dabei stoßen wir auf ein grundlegendes Problem: man kann selten G konstruktiv zu 𝜎(G ) erweitern. Einen Ausweg bietet das folgende Hilfsmittel. 4.1 Definition. Eine Familie D ⊂ P(𝐸) heißt Dynkin-System, wenn gilt 𝐸 ∈ D,

(𝐷1 ) 𝑐

𝐷 ∈ D 󳨐⇒ 𝐷 ∈ D,



(𝐷𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ D paarweise disjunkt 󳨐⇒ ⋃ 𝐷𝑛 ∈ D.

(𝐷2 ) (𝐷3 )

𝑛∈ℕ

Vergleicht man (𝐷1 )–(𝐷3 ) mit (𝛴1 )–(𝛴3 ), dann folgt sofort, dass jede 𝜎-Algebra auch ein Dynkin-System ist. Wie in § 2.2.a), b) sieht man, dass 0∈D

und

𝐴, 𝐵 ∈ D, 𝐴 ∩ 𝐵 = 0 󳨐⇒ 𝐴 ∪⋅ 𝐵 ∈ D.

4.2 Satz. a) Für jede Familie G ⊂ P(𝐸) existiert ein minimales Dynkin-System D mit G ⊂ D. D heißt das von G erzeugte Dynkin-System. Bezeichnung: D = 𝛿(G ). b) Stets gilt G ⊂ 𝛿(G ) ⊂ 𝜎(G ). Beweis. Teil a) ist analog zu Satz 2.4. Zu b): Da die 𝜎-Algebra 𝜎(G ) ein Dynkin-System ist, für das G ⊂ 𝜎(G ) gilt, folgt wegen der Minimalität von 𝛿(G ), dass 𝛿(G ) ⊂ 𝜎(G ). Das folgende Lemma erklärt den Zusammenhang zwischen Dynkin-Systemen und 𝜎Algebren. 4.3 Lemma. Es sei D ein Dynkin-System. D ist eine 𝜎-Algebra ⇐⇒ D ist ∩-stabil (d. h. 𝐶, 𝐷 ∈ D 󳨐⇒ 𝐶 ∩ 𝐷 ∈ D). Beweis. „⇒“: Ist D eine 𝜎-Algebra, dann (𝛴1 )–(𝛴3 ) ⇒ (𝐷1 )–(𝐷3 ), und die ∩-Stabilität folgt aus § 2.2.c). „⇐“: Wir müssen (𝛴3 ) zeigen: (𝐷𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ D 󳨐⇒ ⋃𝑛∈ℕ 𝐷𝑛 ∈ D. Setze 𝐸1 := 𝐷1 und ∈D

𝐸𝑛+1

⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞ 𝑐 := (𝐷𝑛+1 \ 𝐷𝑛 ) \ 𝐷𝑛−1 \ ⋅ ⋅ ⋅ \ 𝐷1 = ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝐷𝑛+1 ∩ 𝐷𝑛𝑐 ∩ 𝐷𝑛−1 ∩ ⋅ ⋅ ⋅ ∩ 𝐷1𝑐 . ∈D, da ∩-stabil ∞





Mithin folgt 𝐷 = ⋃ 𝐷𝑛 = ⋃ 𝐸𝑛 ∈ D. 𝑛=1

𝑛=1

Erzeuger sind i. Allg. kleiner und handlicher als die davon erzeugte 𝜎-Algebra. Daher ist der folgende Satz von großer Bedeutung. 4.4 Satz. G ⊂ P(𝐸) ∩-stabil 󳨐⇒ 𝛿(G ) = 𝜎(G ).

4 Eindeutigkeit von Maßen | 15

Beweis. 1o ) Offensichtlich gilt 𝛿(G ) ⊂ 𝜎(G ) 2o ) Wäre 𝛿(G ) eine 𝜎-Algebra, dann hätten wir 𝜎(G ) ⊂ 𝛿(G ), da ja 𝜎(G ) die kleinste 𝜎Algebra ist, für die 𝜎(G ) ⊃ G gilt; wegen 1o ist 𝛿(G ) = 𝜎(G ). Im Hinblick auf Lemma 4.3 reicht es also zu zeigen, dass 𝛿(G ) ∩-stabil ist. 3o ) Wir zeigen: D𝐷 := {𝑄 ⊂ 𝐸 : 𝑄∩𝐷 ∈ 𝛿(G )} ist ein Dynkin-System für jedes 𝐷 ∈ 𝛿(G ). (𝐷1 ) Klar. (𝐷2 ) Für 𝑄 ∈ D𝐷 gilt auch 𝑄𝑐 ∈ D𝐷 . Das folgt so: 𝑐

𝑐 𝑄𝑐 ∩ 𝐷 = (𝑄𝑐 ∪ 𝐷𝑐 ) ∩ 𝐷 = (𝑄 ∩ 𝐷)𝑐 ∩ 𝐷 = ( (𝑄 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟∩ ⏟⏟⏟𝐷) ⏟⏟⏟⏟⏟ ∪⋅ ⏟⏟𝐷 ⏟⏟⏟⏟⏟ ) ∈ 𝛿(G ). ∈𝛿(G )

(𝐷3 )

∈𝛿(G )

(𝑄𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ D𝐷 disjunkt 󳨐⇒ (𝑄𝑛 ∩ 𝐷)𝑛∈ℕ ⊂ 𝛿(G )





󳨐⇒ ⋃ (𝑄𝑛 ∩ 𝐷) = ( ⋃ 𝑄𝑛 ) ∩ 𝐷 ∈ 𝛿(G ). 𝑛∈ℕ 𝑛∈ℕ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟



Somit ist ⋃𝑛∈ℕ 𝑄𝑛 ∈ D𝐷 .

∈𝛿(G )

4o ) Offensichtlich ist G ⊂ 𝛿(G ); da G ∩-stabil ist, gilt G ⊂ D𝐺

∀𝐺 ∈ G

󳨐⇒

𝛿(G ) ⊂ D𝐺

∀𝐺 ∈ G (da D𝐺 ein Dynkin-System ist)

󳨐⇒

𝐺 ∩ 𝐷 ∈ 𝛿(G )

∀𝐺 ∈ G , ∀𝐷 ∈ 𝛿(G ) (nach Def. von D𝐺 )

󳨐⇒

𝐺 ∈ D𝐷

∀𝐺 ∈ G , ∀𝐷 ∈ 𝛿(G )

󳨐⇒

G ⊂ D𝐷

∀𝐷 ∈ 𝛿(G )

󳨐⇒

𝛿(G ) ⊂ D𝐷

∀𝐷 ∈ 𝛿(G ) (da D𝐷 ein Dynkin-System ist).

Nun besagt 𝛿(G ) ⊂ D𝐷 für alle 𝐷 ∈ 𝛿(G ) gerade, dass 𝛿(G ) ∩-stabil ist. Einige Autoren verwenden monotone Klassen. Das sind Familien M ⊂ P(𝐸) mit (𝑀𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ M ,

𝑀𝑛 ↑ 𝑀 = ⋃ 𝑀𝑛 󳨐⇒ 𝑀 ∈ M

(𝑀𝐶1 )

𝑛∈ℕ

(𝐿 𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ M ,

𝐿 𝑛 ↓ 𝐿 = ⋂ 𝐿 𝑛 󳨐⇒ 𝐿 ∈ M .

(𝑀𝐶2 )

𝑛∈ℕ

Für monotone Klassen gilt folgende Aussage, die Satz 4.4 entspricht: Satz von der monotonen Klasse. Es sei F ⊂ P(𝐸) eine Familie von Mengen, die stabil unter Schnitten und Komplementbildung ist (𝐹, 𝐺 ∈ F 󳨐⇒ 𝐹𝑐 , 𝐹 ∩ 𝐺 ∈ F ). Dann gilt für jede monotone Klasse, dass aus M ⊃ F sofort M ⊃ 𝜎(F ) folgt. ([] Aufgabe 4.5)

Die Aussage und Beweistechnik von Satz 4.4 spielen in der Wahrscheinlichkeitstheorie eine wichtige Rolle. Wir verwenden Dynkin-Systeme zunächst nur im folgenden Satz.

16 | 4 Eindeutigkeit von Maßen 4.5 Satz (Eindeutigkeitssatz). Es seien (𝐸, A ) ein beliebiger Messraum, 𝜇, 𝜈 zwei Maße und A = 𝜎(G ) mit folgenden Eigenschaften: a) G ist ∩-stabil, b) ∃ (𝐺𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ G , 𝐺𝑛 ↑ 𝐸, 𝜇(𝐺𝑛 ), 𝜈(𝐺𝑛 ) < ∞ ∀𝑛. Dann 𝜇(𝐺) = 𝜈(𝐺) ∀𝐺 ∈ G 󳨐⇒ 𝜇(𝐴) = 𝜈(𝐴) ∀𝐴 ∈ A . 4.6 Bemerkung. a) Die Aussage von Satz 4.5 wird oft auch so geschrieben: 𝜇|G = 𝜈|G 󳨐⇒ 𝜇 = 𝜈. (Dabei ist 𝜇|G die Einschränkung von 𝜇 auf die Familie G .) b) Sind 𝜇 und 𝜈 W-Maße, dann kann Bedingung b) in Satz 4.5 weggelassen werden. Denn: 𝜇(𝐸) = 𝜈(𝐸) = 1. Füge o. E. 𝐸 zu G hinzu und wähle 𝐺𝑛 = 𝐸. Beweis von Satz 4.5. Setze D𝑛 := {𝐴 ∈ A : 𝜇(𝐺𝑛 ∩ 𝐴) = 𝜈(𝐺𝑛 ∩ 𝐴)} , 1o ) Behauptung: D𝑛 ist ein Dynkin-System. (𝐷1 ) Klar. (𝐷2 ) Sei 𝐴 ∈ D𝑛 ; dann ist 𝐴𝑐 ∈ D𝑛 , weil gilt

𝑛 ∈ ℕ.

0 und 𝐴 ∈ A gibt es ein 𝐺 ∈ G mit 𝜇(𝐴 󳵻 𝐺) ⩽ 𝜖. Hinweis: Die Familie {𝐴 ∈ A : ∀𝜖 > 0 ∃𝐺 ∈ G : 𝜇(𝐴 󳵻 𝐺) ⩽ 𝜖} ist ein Dynkin-System. (b) Es seien 𝜇, 𝜈 endliche Maße auf (𝐸, A ). Für jedes 𝜖 > 0 und 𝐴 ∈ A gibt es ein 𝐺 ∈ G mit 𝜇(𝐴 󳵻 𝐺) ⩽ 𝜖 und 𝜈(𝐴 󳵻 𝐺) ⩽ 𝜖. (c) Es sei 𝐸 = ℝ𝑑 , A = B(ℝ𝑑 ) und 𝜇 = 𝜆𝑑 . Für eine Menge 𝐴 ∈ A gilt 𝜇(𝐴) = 0 genau dann, wenn es für jedes 𝜖 > 0 eine Folge von Rechtecken (𝐼𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ I gibt, so dass 𝐴 ⊂ ⋃𝑛 𝐼𝑛 und 𝜇 (⋃𝑛 𝐼𝑛 ) ⩽ 𝜖.

7.

Es sei (𝛺, A , ℙ) ein Wahrscheinlichkeitsraum und B, C ⊂ A seien 𝜎-Algebren. B und C heißen (stochastisch) unabhängig, wenn ℙ(𝐵 ∩ 𝐶) = ℙ(𝐵)ℙ(𝐶) für alle Mengen

𝐵 ∈ B, 𝐶 ∈ C .

Seien B = 𝜎(G ) und C = 𝜎(H ), wobei G und H durchschnittsstabile Mengenfamilien sind. Zeigen Sie: B, C sind unabhängig ⇐⇒ ℙ(𝐺 ∩ 𝐻) = ℙ(𝐺)ℙ(𝐻) für alle Mengen

𝐺 ∈ G, 𝐻 ∈ H .

Hinweis: Beachten Sie die Struktur des Beweises von Satz 4.5. 8.

Zeigen Sie, dass Satz 4.5 auch dann gilt, wenn die Folge (𝐺𝑛 )𝑛∈ℕ den Raum 𝐸 überdeckt, d. h. 𝐸 = ⋃𝑛 𝐺𝑛 (aber nicht notwendig gegen 𝐸 aufsteigt), und 𝜇(𝐺𝑛 ) = 𝜈(𝐺𝑛 ) < ∞ erfüllt. Hinweis: Die Mengen 𝐺1 ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∪ 𝐺𝑛 erfüllen die Voraussetzungen von Satz 4.5.

9.

(Dilatationen) Adaptieren Sie den Beweis von Satz 4.7 und zeigen Sie, dass 𝑡 ⋅ 𝐵 := {𝑡𝑏 : 𝑏 ∈ 𝐵} für jede Borelmenge 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) und 𝑡 > 0 wiederum Borelsch ist. Weiter gilt 𝜆𝑑 (𝑡 ⋅ 𝐵) = 𝑡𝑑 𝜆𝑑 (𝐵).

10. (Invariante Maße) Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein endlicher Maßraum und A = 𝜎(G ) für einen ∩-stabilen Erzeuger G . Weiterhin sei 𝜃 : 𝐸 → 𝐸 eine Abbildung mit 𝜃−1 (𝐴) ∈ A für alle 𝐴 ∈ A . Zeigen Sie, dass 𝜇(𝐺) = 𝜇(𝜃−1 (𝐺)) ∀𝐺 ∈ G 󳨐⇒ 𝜇(𝐴) = 𝜇(𝜃−1 (𝐴)) ∀𝐴 ∈ A .

5 Existenz von Maßen Wir wollen nun untersuchen, wie wir Prämaße (also Maße mit „zu kleinem“ Definitionsbereich, d. h. keiner 𝜎-Algebra) zu Maßen fortsetzen können. Ein ganz typisches Beispiel liefert das Lebesgue–Maß 𝜆𝑑 , das wir bislang nur auf den Rechtecken I , aber nicht auf allen Borelmengen 𝜎(I ) definiert haben. Wenn 𝜆𝑑 auf (ℝ𝑑 , 𝜎(I )) ein Maß sein soll, dann muss mindestens die Einschränkung 𝜆𝑑 |I ein Prämaß sein. Es stellen sich folgende Fragen: 󳶳 Wie können wir Prämaße zu Maßen fortsetzen? 󳶳 Wann ist die Fortsetzung eindeutig? (Siehe dazu § 4.)

Wir beginnen mit der Frage, welche Erzeuger G für eine Fortsetzung geeignet sind. 5.1 Definition. Eine Familie S ⊂ P(𝐸) heißt Halbring auf 𝐸, wenn 0 ∈ S,

(𝑆1 )

𝑆, 𝑇 ∈ S 󳨐⇒ 𝑆 ∩ 𝑇 ∈ S ,

(𝑆2 ) 𝑚

∀𝑆, 𝑇 ∈ S



∃𝑚 ∈ ℕ, 𝑆1 , . . . , 𝑆𝑚 ∈ S disjunkt : 𝑆 \ 𝑇 = ⋃ 𝑆𝑛 .

(𝑆3 )

𝑛=1

Der zentrale Satz der Maßtheorie ist der Fortsetzungssatz von Carathéodory. 5.2 Satz (Carathéodory; Fortsetzungssatz). Es sei 𝜇 : S → [0, ∞] ein Prämaß1 auf einem Halbring S , dann existiert eine Fortsetzung von 𝜇 zu einem Maß auf 𝜎(S ). Gibt es eine Folge in S mit 𝑆𝑛 ↑ 𝐸 und 𝜇(𝑆𝑛 ) < ∞ für alle 𝑛 ∈ ℕ, dann ist die Fortsetzung eindeutig.

Abb. 5.1. Die Abbildung illustriert, dass die halboffenen Rechtecke I einen Halbring bilden (formaler Beweis in Lemma 15.1).

1 Das bedeutet, dass 𝜇(0) = 0 und dass 𝜇 auf S 𝜎-additiv ist, d. h. für alle Folgen (𝑆𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ S disjunkter Mengen, die zudem ⋃𝑛∈ℕ 𝑆𝑛 ∈ S erfüllen, gilt 𝜇 (⋃𝑛∈ℕ 𝑆𝑛 ) = ∑∞ 𝑛=1 𝜇(𝑆𝑛 ).





5 Existenz von Maßen |

21

5.3 Bemerkung. Es reicht also, ein Maß 𝜇 nur auf einem Halbring S zu kennen, und 𝜇 muss auch nur dort 𝜎-additiv sein, vgl. die Fußnote auf S. 20. Das zeigt die Stärke der Aussage von Satz 5.2: Alle Eigenschaften, einschließlich der 𝜎-Additivität, vererben sich von S auf 𝜎(S ). Der Beweis des Existenzsatzes ist sehr technisch. Daher empfiehlt es sich bei der ersten Lektüre, den eigentlichen Beweis zu überspringen, und nur die grundsätzliche Herangehensweise zu studieren. Beweisstrategie für Satz 5.2. Ein grundlegendes Problem ist die Frage, wie man eine Fortsetzung von 𝜇 definieren kann. Hier ist der Begriff des äußeren Maßes wesentlich, das zunächst auf allen Teilmengen von 𝐸 erklärt ist. Zu 𝐴 ⊂ 𝐸 betrachtet man die Überdeckungen durch Mengen aus S („S -Überdeckungen“) C(𝐴) := {(𝑆𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ S : ⋃ 𝑛∈ℕ 𝑆𝑛 ⊃ 𝐴}, ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ nicht notwendig disjunkt oder selbst in S

und definiert eine Mengenfunktion 𝜇∗ : P(𝐸) → [0, ∞] durch ∞

𝜇∗ (𝐴) := inf { ∑ 𝜇(𝑆𝑛 ) : (𝑆𝑛 )𝑛∈ℕ ∈ C(𝐴)} .

(5.1)

𝑛=1

Gibt es keine S -Überdeckung, dann ist C(𝐴) = 0 und 𝜇∗ (𝐴) = inf 0 = ∞. Schritt 1: 𝜇∗ ist ein äußeres Maß ist, d. h. eine Mengenfunktion mit folgenden Eigenschaften 𝜇∗ (0) = 0, ∗

(𝑂𝑀1 ) ∗

𝐴 ⊂ 𝐵 󳨐⇒ 𝜇 (𝐴) ⩽ 𝜇 (𝐵),

(𝑂𝑀2 )

𝜇∗ ( ⋃ 𝐴 𝑛 ) ⩽ ∑ 𝜇∗ (𝐴 𝑛 ),

(𝑂𝑀3 )

𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

und 𝜇∗ setzt 𝜇 fort: 𝜇∗ |S = 𝜇. Schritt 2: Nun definiert man die 𝜇∗ -messbaren Mengen A ∗ := {𝐴 ⊂ 𝐸 : 𝜇∗ (𝑄) = 𝜇∗ (𝑄 ∩ 𝐴) + 𝜇∗ (𝑄 \ 𝐴) ∀𝑄 ⊂ 𝐸}

(5.2)

und zeigt, dass A ∗ eine 𝜎-Algebra ist, die S und somit 𝜎(S ) enthält, und dass 𝜇∗ |A ∗ ein Maß ist. Insbesondere ist dann auch 𝜇∗ |𝜎(S ) ein Maß, das 𝜇 fortsetzt. Schritt 3: Die Eindeutigkeit der Fortsetzung folgt nun aus Satz 4.5. ⧫Beweis von Satz 5.2. 1o ) Behauptung: 𝜇∗ ist ein äußeres Maß. (𝑂𝑀1 ) Ist klar: Überdecke 0 mit (0, 0, 0 . . . ) ∈ C(0).

22 | 5 Existenz von Maßen (𝑂𝑀2 ) Da 𝐵 ⊃ 𝐴 folgt, dass jede S -Überdeckung von 𝐵 auch 𝐴 überdeckt, d. h. es ist C(𝐵) ⊂ C(𝐴). Daher gilt 𝜇∗ (𝐴) = inf { ∑ 𝜇(𝑆𝑚 ) : (𝑆𝑚 )𝑚∈ℕ ∈ C(𝐴)} 𝑚∈ℕ

⩽ inf { ∑ 𝜇(𝑇𝑚 ) : (𝑇𝑚 )𝑚∈ℕ ∈ C(𝐵)} = 𝜇∗ (𝐵). 𝑚∈ℕ

(𝑂𝑀3 ) O. E. darf 𝜇∗ (𝐴 𝑛 ) < ∞ für alle 𝑛 ∈ ℕ angenommen werden; somit ist C(𝐴 𝑛 ) ≠ 0. Wähle 𝜖 > 0; wegen der Definition des Infimums existiert zu 𝐴 𝑛 eine Überdeckung 𝑛 (𝑆𝑚 )𝑚∈ℕ ∈ C(𝐴 𝑛 ) mit 𝑛 ∑ 𝜇(𝑆𝑚 ) ⩽ 𝜇∗ (𝐴 𝑛 ) + 𝑚∈ℕ

𝜖 , 2𝑛

(5.3)

𝑛 ∈ ℕ.

𝑛 )𝑛,𝑚∈ℕ eine S -Überdeckung von 𝐴 := ⋃𝑛∈ℕ 𝐴 𝑛 , d. h. Nun ist (𝑆𝑚

𝜇∗ (𝐴) ⩽



𝑛 𝑛 𝜇(𝑆𝑚 ) = ∑ ∑ 𝜇(𝑆𝑚 ) 𝑛∈ℕ 𝑚∈ℕ

(𝑛,𝑚)∈ℕ×ℕ (5.3)

⩽ ∑ (𝜇∗ (𝐴 𝑛 ) + 𝑛∈ℕ

𝜖 ) 2𝑛

= ∑ 𝜇∗ (𝐴 𝑛 ) + 𝜖. 𝑛∈ℕ

Im Limes 𝜖 → 0 ergibt sich (𝑂𝑀3 ). 2o ) Fortsetzung von 𝜇 auf die Familie S∪ := {𝑆1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝑆𝑁 : 𝑁 ∈ ℕ, 𝑆𝑛 ∈ S }: Jede additive Mengenfunktion 𝜇̄ auf S∪ , die 𝜇 fortsetzt, erfüllt notwendigerweise 𝑁

̄ 1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝑆𝑁 ) := ∑ 𝜇(𝑆𝑛 ). 𝜇(𝑆

(5.4)

𝑛=1

Wenn (5.4) wohldefiniert ist – also unabhängig von der Darstellung der Menge aus S∪ ist –, dann ist (5.4) bereits eine eindeutige Fortsetzung. Angenommen, es gilt 𝑆1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝑆𝑁 = 𝑇1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝑇𝑀 ,

𝑁, 𝑀 ∈ ℕ, 𝑆𝑛 , 𝑇𝑚 ∈ S ,

dann ist 𝑀



𝑆𝑛 = 𝑆𝑛 ∩ (𝑇1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝑇𝑀 ) = ⋃ (𝑆𝑛 ∩ 𝑇𝑚 ) 𝑚=1

und die Additivität von 𝜇 in S zeigt 𝑀

𝜇(𝑆𝑛 ) = ∑ 𝜇(𝑆𝑛 ∩ 𝑇𝑚 ). 𝑚=1

5 Existenz von Maßen |

23

Summiere über 𝑛 = 1, 2, . . . , 𝑁, und vertausche die Reihenfolge der Summation: 𝑁

𝑀

𝑁

𝑀

∑ 𝜇(𝑆𝑛 ) = ∑ ∑ 𝜇(𝑆𝑛 ∩ 𝑇𝑚 ) = ∑ 𝜇(𝑇𝑚 ). 𝑛=1

𝑛=1 𝑚=1

𝑚=1

Es folgt, dass (5.4) unabhängig von der speziellen Darstellung ist. Nach Definition ist S∪ stabil unter der Vereinigung endlich vieler disjunkter Mengen. Wenn 𝑆, 𝑇 ∈ S∪ , dann gilt (Bezeichnungen wie vorher) 𝑁,𝑀



(𝑆𝑛 ∩ 𝑇𝑚 ) ∈ S∪ . 𝑆 ∩ 𝑇 = (𝑆1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝑆𝑁 ) ∩ (𝑇1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝑇𝑀 ) = ⋃ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑛,𝑚=1

∈S

Wegen (𝑆3 ) ist 𝑆𝑛 \ 𝑇𝑚 ∈ S∪ , also 𝑆 \ 𝑇 = (𝑆1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝑆𝑁 ) \ (𝑇1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝑇𝑀 ) 𝑁



𝑀

𝑁



𝑀

= ⋃ ⋂ (𝑆𝑛 ∩ 𝑇𝑚𝑐 ) = ⋃ ⋂ 𝑆⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑛 \ 𝑇𝑚 ∈ S∪ , 𝑛=1 𝑚=1 𝑛=1 𝑚=1 ∈ S ∪ ⏟⏟ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ∈S∪

da S∪ ∩- und ∪⋅-stabil ist. Somit2 𝑆 ∪ 𝑇 = (𝑆 \ 𝑇) ∪⋅ (𝑆 ∩ 𝑇) ∪⋅ (𝑇 \ 𝑆) ∈ S∪ , und wir können 𝜇 durch (5.4) auf endliche Vereinigungen von beliebigen S -Mengen fortsetzen. 3o ) Wir zeigen: 𝜇̄ ist ein Prämaß auf S∪ . Es bleibt die 𝜎-Additivität zu zeigen. Sei (𝑇𝑚 )𝑚∈ℕ ⊂ S∪ mit 𝑇 := ⋃𝑚∈ℕ 𝑇𝑚 ∈ S∪ . Gemäß der Definition von S∪ gibt es eine Folge disjunkter Mengen (𝑆𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ S und natürliche Zahlen 0 = 𝑖(0) < 𝑖(1) < 𝑖(2) < . . . , so dass 𝑇𝑚 = 𝑆𝑖(𝑚−1)+1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝑆𝑖(𝑚) , 𝑚 ∈ ℕ,





und 𝑇 = 𝑈1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝑈𝐿 , wo 𝑈ℓ = ⋃𝑛∈𝐽ℓ 𝑆𝑛 ∈ S , ℓ = 1, . . . , 𝐿, und mit disjunkten Indexmengen 𝐽1 ∪⋅ 𝐽2 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝐽𝐿 = ℕ. Weil 𝜇 auf S 𝜎-additiv ist, gilt Def

𝐿

𝜎-add.

̄ = ∑ 𝜇(𝑈ℓ ) = 𝜇(𝑇)

𝑖(𝑚)

𝐿

∑ ∑ 𝜇(𝑆𝑛 ) = ∑ ℓ=1 𝑛∈𝐽ℓ

ℓ=1



𝑚∈ℕ 𝑛=𝑖(𝑚−1)+1

Def

̄ 𝑚 ). 𝜇(𝑆𝑛 ) = ∑ 𝜇(𝑇 𝑚∈ℕ

4o ) Wir zeigen: 𝜇|S = 𝜇∗ |S . Das Prämaß 𝜇̄ ist 𝜎-subadditiv. Daher gilt für jede Überdeckung (𝑆𝑛 )𝑛∈ℕ ∈ C(𝑆) von 𝑆 ∈ S ̄ 𝑛 ∩ 𝑆) = ∑ 𝜇(𝑆𝑛 ∩ 𝑆) ⩽ ∑ 𝜇(𝑆𝑛 ). ̄ = 𝜇̄ ( ⋃ 𝑆𝑛 ∩ 𝑆) ⩽ ∑ 𝜇(𝑆 𝜇(𝑆) = 𝜇(𝑆) 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

2 Das zeigt, dass S∪ der von S erzeugte Ring ist, d. h. der kleinste Ring, der S enthält.

24 | 5 Existenz von Maßen Das Infimum über C(𝑆) zeigt 𝜇(𝑆) ⩽ 𝜇∗ (𝑆). Wählen wir (𝑆, 0, 0, . . . ) ∈ C(𝑆) als Überdeckung von 𝑆, dann sehen wir 𝜇∗ (𝑆) ⩽ 𝜇(𝑆), also 𝜇|S = 𝜇∗ |S . 5o ) Behauptung: S ⊂ A ∗ . Es seien 𝑆, 𝑇 ∈ S ; wegen (𝑆3 ) gilt 𝑁



𝑇 = (𝑆 ∩ 𝑇) ∪⋅ (𝑇 \ 𝑆) = (𝑆 ∩ 𝑇) ∪⋅ ⋃ 𝑆𝑛 ,

𝑆𝑛 ∈ S , 𝑛 = 1, 2, . . . , 𝑁.

𝑛=1

Da 𝜇 auf S additiv und 𝜇∗ (𝜎-)subadditiv ist, gilt 𝑁

𝜇∗ (𝑆 ∩ 𝑇) + 𝜇∗ (𝑇 \ 𝑆) ⩽ 𝜇(𝑆 ∩ 𝑇) + ∑ 𝜇(𝑆𝑛 ) = 𝜇(𝑇).

(5.5)

𝑛=1

Sei 𝑄 ⊂ 𝐸 und (𝑇𝑛 )𝑛∈ℕ ∈ C(𝑄) eine Überdeckung. Da 𝜇∗ (𝑇𝑛 ) = 𝜇(𝑇𝑛 ) gilt, können wir 𝑇 = 𝑇𝑛 in (5.5) verwenden; indem wir über 𝑛 ∈ ℕ summieren, erhalten wir ∑ 𝜇∗ (𝑇𝑛 \ 𝑆) + ∑ 𝜇∗ (𝑇𝑛 ∩ 𝑆) ⩽ ∑ 𝜇(𝑇𝑛 ). 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

Wegen 𝑄 ⊂ ⋃𝑛∈ℕ 𝑇𝑛 gilt (𝑂𝑀2 )

𝜇∗ (𝑄 \ 𝑆) + 𝜇∗ (𝑄 ∩ 𝑆) ⩽ 𝜇∗ ( ⋃ 𝑇𝑛 \ 𝑆) + 𝜇∗ ( ⋃ 𝑇𝑛 ∩ 𝑆) 𝑛∈ℕ (𝑂𝑀3 )



𝑛∈ℕ

∑ 𝜇∗ (𝑇𝑛 \ 𝑆) + ∑ 𝜇∗ (𝑇𝑛 ∩ 𝑆) 𝑛∈ℕ



𝑛∈ℕ

∑ 𝜇(𝑇𝑛 ). 𝑛∈ℕ

Wir bilden nun das Infimum über C(𝑄) und erhalten 𝜇∗ (𝑄 \ 𝑆) + 𝜇∗ (𝑄 ∩ 𝑆) ⩽ 𝜇∗ (𝑄)

∀𝑄 ⊂ 𝐸, 𝑆 ∈ S .

Die Ungleichung „⩾“ folgt aus der (𝜎-)Subadditivität (𝑂𝑀3 ) von 𝜇∗ ; also ist 𝑆 ∈ A ∗ . 6o ) Behauptung: A ∗ ist eine 𝜎-Algebra und 𝜇∗ ein Maß auf A ∗ . (𝛴1 ) Offensichtlich gilt 0 ∈ A ∗ . (𝛴2 ) Die Äquivalenz 𝐴 ∈ A ∗ ⇐⇒ 𝐴𝑐 ∈ A ∗ folgt direkt aus der Definition von A ∗ . (𝛴3 ) Zunächst zeigen wir 𝐴, 𝐴󸀠 ∈ A ∗ 󳨐⇒ 𝐴 ∪ 𝐴󸀠 ∈ A ∗ . Für ein beliebiges 𝑃 ⊂ 𝐸 gilt 𝜇∗ (𝑃 ∩ (𝐴 ∪ 𝐴󸀠 )) + 𝜇∗ (𝑃 \ (𝐴 ∪ 𝐴󸀠 )) = 𝜇∗ (𝑃 ∩ (𝐴 ∪ [𝐴󸀠 \ 𝐴])) + 𝜇∗ (𝑃 \ (𝐴 ∪ 𝐴󸀠 )) (𝑂𝑀3 )

⩽ 𝜇∗ (𝑃 ∩ 𝐴) + 𝜇∗ (𝑃 ∩ (𝐴󸀠 \ 𝐴)) + 𝜇∗ (𝑃 \ (𝐴 ∪ 𝐴󸀠 ))

= 𝜇∗ (𝑃 ∩ 𝐴) + 𝜇∗ ((𝑃 \ 𝐴) ∩ 𝐴󸀠 ) + 𝜇∗ ((𝑃 \ 𝐴) \ 𝐴󸀠 ) (5.2)

= 𝜇∗ (𝑃 ∩ 𝐴) + 𝜇∗ (𝑃 \ 𝐴)

(5.2)

= 𝜇∗ (𝑃).

(5.6) (5.6󸀠 )

5 Existenz von Maßen |

25

In den zwei letzten Schritten verwendeten wir die Definition (5.2) von A ∗ mit 𝑄= ̂ 𝑃 \ 𝐴 bzw. 𝑄 = ̂ 𝑃. Die andere Ungleichung „⩾“ folgt aus (𝑂𝑀3 ). Somit folgt 𝐴 ∪ 𝐴󸀠 ∈ A ∗ . Ist 𝐴 ∩ 𝐴󸀠 = 0, dann erhalten wir aus der Gleichheit „(5.6󸀠 ) = (5.6)“ für 𝑄 ⊂ 𝐸 und 𝑃 := (𝐴 ∪⋅ 𝐴󸀠 ) ∩ 𝑄 𝜇∗ (𝑄 ∩ (𝐴 ∪⋅ 𝐴󸀠 )) = 𝜇∗ (𝑄 ∩ 𝐴) + 𝜇∗ (𝑄 ∩ 𝐴󸀠 )

∀𝑄 ⊂ 𝐸,

und durch Iteration ergibt sich für paarweise disjunkte 𝐴 1 , 𝐴 2 , . . . , 𝐴 𝑁 ∈ A ∗ 𝑁

𝜇∗ (𝑄 ∩ (𝐴 1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝐴 𝑁 )) = ∑ 𝜇∗ (𝑄 ∩ 𝐴 𝑛 ) ∀𝑄 ⊂ 𝐸.

(5.7)

𝑛=1



Nun sei 𝐴 = ⋃𝑛∈ℕ 𝐴 𝑛 für eine Folge (𝐴 𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ A ∗ paarweise disjunkter Mengen. Da 𝐴 1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝐴 𝑁 ∈ A ∗ , folgt aus (𝑂𝑀2 ) und (5.7) 𝜇∗ (𝑄) = 𝜇∗ (𝑄 ∩ (𝐴 1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝐴 𝑁 )) + 𝜇∗ (𝑄 \ (𝐴 1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝐴 𝑁 )) ⩾ 𝜇∗ (𝑄 ∩ (𝐴 1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝐴 𝑁 )) + 𝜇∗ (𝑄 \ 𝐴) 𝑁

= ∑ 𝜇∗ (𝑄 ∩ 𝐴 𝑛 ) + 𝜇∗ (𝑄 \ 𝐴). 𝑛=1

Die linke Seite hängt nicht von 𝑁 ab. Daher folgt aus 𝑁 → ∞ mit (𝑂𝑀3 ) ∞

𝜇∗ (𝑄) ⩾ ∑ 𝜇∗ (𝑄 ∩ 𝐴 𝑛 ) + 𝜇∗ (𝑄 \ 𝐴) ⩾ 𝜇∗ (𝑄 ∩ 𝐴) + 𝜇∗ (𝑄 \ 𝐴).

(5.8)

𝑛=1

Die umgekehrte Ungleichung 𝜇∗ (𝑄) ⩽ 𝜇∗ (𝑄 ∩ 𝐴) + 𝜇∗ (𝑄 \ 𝐴) ergibt sich sofort aus der Subadditivität von 𝜇∗ . Somit gilt überall in (5.8) „=“ und wir sehen, dass 𝐴 ∈ A ∗ . Wenn wir 𝑄 := 𝐴 in (5.8) wählen, folgt die 𝜎-Additivität von 𝜇∗ auf A ∗ . Bisher wurde gezeigt: A ∗ ist ein ∪-stabiles Dynkin-System. Da 𝐴 ∩ 𝐵 = (𝐴𝑐 ∪ 𝐵𝑐 )𝑐 gilt, ist A ∗ auch ∩-stabil und somit eine 𝜎-Algebra. 7o ) Wir zeigen: 𝜇∗ ist ein Maß auf 𝜎(S ), das 𝜇 fortsetzt. Gemäß 5o ist S ⊂ A ∗ , folglich gilt 𝜎(S ) ⊂ 𝜎(A ∗ ) = A ∗ , da A ∗ eine 𝜎-Algebra ist (vgl. 6o ). Wegen 6o ist 𝜇∗ |𝜎(S ) ein Maß, das (vgl. 4o ) 𝜇 fortsetzt. 8o ) Die Eindeutigkeit der Fortsetzung 𝜇∗ |𝜎(S ) folgt aus Satz 4.5. 󳶳 Im allgemeinen gilt: A = 𝜎(S ) ⊊ A ∗ . 󳶳 In der Regel ist es nicht möglich, ein nicht-triviales Maß auf ganz P(𝐸) zu definieren. Im Fall des Lebesgue–Maßes kennt man das Banach–Tarski Paradox: 𝐵1 (0), 𝐵2 (0) ⊂ ℝ𝑑 , 𝑑 ⩾ 3, können in endlich viele disjunkte Mengen zerlegt werden 𝑁



𝐵1 (0) = ⋃ 𝑆𝑛 𝑛=1

𝑁

und



𝐵2 (0) = ⋃ 𝑇𝑛 𝑛=1

26 | 5 Existenz von Maßen wobei die Mengen 𝑆𝑛 , 𝑇𝑛 sogar kongruent sind, vgl. [9]. Für kongruente Mengen gilt aber 𝜆𝑑 (𝑆𝑛 ) = 𝜆𝑑 (𝑇𝑛 ) 󳨐⇒ 𝜆𝑑 (𝐵1 (0)) = 𝜆𝑑 (𝐵2 (0)), was nicht möglich ist. Somit können nicht alle 𝑆𝑛 , 𝑇𝑛 Borelmengen sein. (Nicht einmal in B∗ (ℝ𝑑 ), vgl. (5.2) im Beweis von Satz 5.2).

5.4 Proposition. 𝜆1 ist ein Prämaß auf I . Beweis. Wir schreiben 𝜆 := 𝜆1 . Für [𝑎, 𝑎󸀠 ), [𝑏󸀠 , 𝑏) ∈ I mit 𝑎 < 𝑏󸀠 ⩽ 𝑎󸀠 < 𝑏 ist 𝜆 ([𝑎, 𝑎󸀠 ) ∪ [𝑏󸀠 , 𝑏)) = 𝜆[𝑎, 𝑏) = 𝑏 − 𝑎 ⩽ (𝑏 − 𝑏󸀠 ) + (𝑎󸀠 − 𝑎) = 𝜆[𝑏󸀠 , 𝑏) + 𝜆[𝑎, 𝑎󸀠 ). Das zeigt, dass 𝜆 auf I subadditiv ist. Wenn 𝑎󸀠 = 𝑏󸀠 , dann gilt in der vorausgehenden Rechnung „=“, d. h. 𝜆 ist endlich additiv. Nun seien 𝐼𝑛 = [𝑎𝑛 , 𝑏𝑛 ) paarweise disjunkt und ⋃𝑛∈ℕ 𝐼𝑛 = [𝑎, 𝑏). Für 0 < 𝜖 < 𝑏 − 𝑎



−𝑛



setzen wir 𝐼𝑛,𝜖 := [𝑎𝑛 − 2 𝜖, 𝑏𝑛 ). Die offenen Intervalle 𝐼𝑛,𝜖 überdecken [𝑎, 𝑏 − 𝜖]. Wegen Kompaktheit gibt es eine endliche Teilüberdeckung, d. h. ein 𝑁 = 𝑁𝜖 ∈ ℕ mit 𝑁 ∘

𝑁

[𝑎, 𝑏 − 𝜖) ⊂ [𝑎, 𝑏 − 𝜖] ⊂ ⋃ 𝐼𝑛,𝜖 ⊂ ⋃ 𝐼𝑛,𝜖 . 𝑛=1

𝑛=1

𝑛

Da 𝜆(𝐼𝑛 ) = 𝜆(𝐼𝑛,𝜖 ) − 𝜖/2 ist, gilt 𝑁 𝑁 𝑁 𝜖 𝜆[𝑎, 𝑏) − ∑ 𝜆(𝐼𝑛 ) = 𝜖 + 𝜆[𝑎, 𝑏 − 𝜖) − ∑ 𝜆(𝐼𝑛,𝜖 ) + ∑ 𝑛 ⩽ 2𝜖. 2 𝑛=1 𝑛=1 𝑛=1 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟

(*)

⩽ 0 Subadditivität

Andererseits sehen wir wegen der Monotonie und der Additivität von 𝜇, dass 𝑁



⋃ 𝐼𝑛 ⊂ [𝑎, 𝑏) 𝑛=1

𝑁

󳨐⇒

𝑁



∑ 𝜆(𝐼𝑛 ) = 𝜇( ⋃ 𝐼𝑛 ) ⩽ 𝜆[𝑎, 𝑏), 𝑛=1

𝑛=1

weswegen die linke Seite der Ungleichung (*) positiv ist. Indem wir in (*) zuerst den Grenzwert 𝑁 → ∞ und danach 𝜖 → 0 bilden, folgt ∑𝑛∈ℕ 𝜆(𝐼𝑛 ) = 𝜆[𝑎, 𝑏), d. h. 𝜆 ist 𝜎-additiv auf I . 5.5 Korollar. 𝜆1 ist ein Maß auf 𝜎(I ) = B(ℝ). Es ist das einzige Maß mit 𝜆[𝑎, 𝑏) = 𝑏 − 𝑎. Beweis. Da die halboffenen Intervalle I ein Halbring sind, [] folgt die Behauptung aus Satz 5.2. Man kann, z. B. mit Induktion, die Beweise von Proposition 5.4 und Korollar 5.5 auch auf höhere Dimensionen 𝑑 > 1 übertragen, allerdings wird dann die Notation deutlich schwerfälliger. Ein Beweis findet sich z. B. in [8, Proposition 6.5, S. 45 f.]. Wir werden die Existenz und Eindeutigkeit des 𝑑-dimensionalen Lebesgue–Maßes 𝜆𝑑 mit Hilfe des Satzes von Tonelli–Fubini in Kapitel 16 zeigen. Die Eindeutigkeitsaussage in (der 𝑑-dimensionalen Version von) Korollar 5.5 zeigt insbesondere, dass der geometrische Volumenbegriff (Länge, Fläche, Volumen, ...) eindeutig ist.

5 Existenz von Maßen |

27

Aufgaben 1.

(Verteilungsfunktion; Lebesgue–Stieltjes Maß) (a) Es sei 𝜇 ein beliebiges Maß auf (ℝ, B(ℝ)). Zeigen Sie, dass 𝜇[0, 𝑥), { { { 𝐹𝜇 (𝑥) := {0, { { {−𝜇[𝑥, 0),

für 𝑥 > 0 für 𝑥 = 0 für 𝑥 < 0

eine monoton wachsende und linksstetige Funktion 𝐹𝜇 : ℝ → ℝ definiert. (b) Es sei 𝐹 : ℝ → ℝ eine wachsende, linksstetige Funktion. Zeigen Sie, dass 𝜈𝐹 [𝑎, 𝑏) := 𝐹(𝑏) − 𝐹(𝑎),

∀𝑎, 𝑏 ∈ ℝ, 𝑎 < 𝑏,

eine eindeutige Fortsetzung zu einem (sog. Lebesgue–Stieltjes) Maß auf B(ℝ) besitzt. Hinweis: Zeigen Sie die Voraussetzungen von Satz 5.2 für S = {[𝑎, 𝑏) : 𝑎 ⩽ 𝑏}. (c) Folgern Sie, dass jedes Maß 𝜇 auf (ℝ, B(ℝ)) mit 𝜇[−𝑛, 𝑛) < ∞, 𝑛 ∈ ℕ, von der Form 𝜈𝐹 aus Teil (b) mit einer Funktion 𝐹 = 𝐹𝜇 wie in Teil (a) ist. (d) Welches 𝐹 gehört zum eindimensionalen Lebesgue-Maß 𝜆? (e) Welches 𝐹 gehört zum Dirac-Maß 𝛿0 auf ℝ? (f) Zeigen Sie, dass die Funktion 𝐹𝜇 aus (a) genau dann stetig in 𝑥 ∈ ℝ ist, wenn 𝜇{𝑥} = 0 gilt. 2.

Es sei 𝜇∗ ein äußeres Maß auf 𝐸 und 𝐴 1 , 𝐴 2 , . . . eine Folge disjunkter 𝜇∗ -messbarer Mengen, d. h. 𝐴 𝑖 ∈ A∗ , 𝑖 ∈ ℕ. Dann gilt ∞

𝜇∗ (𝑄 ∩ ⋃𝑖 𝐴 𝑖 ) = ∑ 𝜇∗ (𝑄 ∩ 𝐴 𝑖 )

für alle Mengen

𝑄 ⊂ 𝐸.

𝑖=1

3.

Beweisen Sie für 𝐵 ∈ B(ℝ𝑛 ) die Äquivalenz folgender Aussagen: (a) 𝐵 ist eine 𝜆𝑛 -Nullmenge: 𝜆𝑛 (𝐵) = 0. (b) Für jedes 𝜖 > 0 gibt es eine Folge halboffener Rechtecke (𝐼𝑘 )𝑘∈ℕ , die 𝐵 überdeckt und für die 𝑛 ∑∞ 𝑘=1 𝜆 (𝐼𝑘 ) ⩽ 𝜖 ist.

4.

(Vervollständigung) In Aufgabe 3.7 wurde die Vervollständigung eines Maßraums (𝐸, A , 𝜇) konstruiert. Wir nennen einen Maßraum vollständig, wenn alle Teilmengen von Nullmengen wiederum Nullmengen sind, d. h. insbesondere sind Teilmengen von Nullmengen automatisch messbar. Wir geben hier eine weitere Konstruktion für einen vollständigen Maßraum an. Dazu sei (𝐸, A , 𝜇) 𝜎-endlich, d. h. es gibt eine aufsteigende Folge 𝐴 𝑛 ↑ 𝐸, 𝐴 𝑛 ∈ A und 𝜇(𝐴 𝑛 ) < ∞. Mit 𝜇∗ bezeichnen wir das äußere Maß (5.1), das wir durch S = A -Überdeckungen erhalten. Die zugehörige 𝜎-Algebra ist dann A ∗ . Zeigen Sie: (a) Für jedes 𝑄 ⊂ 𝐸 gibt es ein 𝐴 ∈ A , so dass 𝜇∗ (𝑄) = 𝜇(𝐴) und 𝜇(𝑁) = 0 für alle 𝑁 ⊂ 𝐴 \ 𝑄 mit 𝑁 ∈ A . Hinweis: Auf Grund der Definition gibt es zu 𝑄 mit 𝜇∗ (𝑄) < ∞ eine approximierende Folge 𝐵𝑘 ∈ A mit 𝐵𝑘 ⊃ 𝑄 und 𝜇(𝐵𝑘 ) → 𝜇∗ (𝑄); für 𝜇∗ (𝑄) = ∞ verwende man die 𝜎-Endlichkeit. (b) Der Raum (𝐸, A ∗ , 𝜇∗ |A ∗ ) ist ein vollständiger Maßraum. (c) Der Raum (𝐸, A ∗ , 𝜇∗ |A ∗ ) stimmt mit der Vervollständigung aus Aufgabe 3.7 überein.

5.

Es sei (ℝ, A , 𝛾) der Maßraum aus Beispiel 3.5.b). Verwenden Sie Satz 5.2 mit S = A und bestimmen Sie 𝛾∗ . Zeigen Sie, dass (0, 1) ∉ A ∗ .

6.

Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein endlicher Maßraum, B ⊂ A eine Boolesche Algebra (d. h. 𝐸 ∈ B, B ist ∩-, ∪− und ∁-stabil) und 𝑚 sei eine additive Mengenfunktion auf B mit 0 ⩽ 𝑚(𝐵) ⩽ 𝜇(𝐵). Dann ist 𝑚 ein Prämaß.

6 Messbare Abbildungen In diesem Kapitel seien (𝐸, A ) und (𝐸󸀠 , A 󸀠 ) zwei Messräume und 𝑇 : 𝐸 → 𝐸󸀠 eine Abbildung. Wir interessieren uns dafür, wann 𝑇 mit den 𝜎-Algebren A und A 󸀠 verträglich ist – so wie eine stetige Abbildung mit den Topologien verträglich ist: „Urbilder offener Mengen sind offen.“ Dieser Frage sind wir bereits im Beweis von Satz 4.7 in folgender Form begegnet ?!

𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ), 𝑥 ∈ ℝ𝑑 󳨐⇒ 𝑥 + 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ). 6.1 Definition. Eine Abbildung 𝑇 : 𝐸 → 𝐸󸀠 heißt A /A 󸀠 -messbar (kurz: messbar), wenn 𝑇−1 (𝐴󸀠 ) ∈ A ∀𝐴󸀠 ∈ A 󸀠 . (6.1) 󳶳 Alternative Notation für (6.1): 𝑇−1 (A 󸀠 ) ⊂ A . Dabei ist 𝑇−1 (A 󸀠 ) := {𝑇−1 (𝐴󸀠 ) : 𝐴󸀠 ∈ A 󸀠 } eine symbolische Kurzschreibweise. 󳶳 𝑇 : (𝐸, A ) → (𝐸󸀠 , A 󸀠 ) ist eine weitere Bezeichnung für „𝑇 ist A /A 󸀠 -messbar.“

Mit Hilfe von Definition 6.1 können wir das Problem von Satz 3.7 so formulieren: Für die Abbildungen 𝜏𝑥 : ℝ𝑑 → ℝ𝑑 , 𝑦 󳨃→ 𝑦 − 𝑥

und

𝜏𝑥−1 = 𝜏−𝑥 : ℝ𝑑 → ℝ𝑑 𝑦 󳨃→ 𝑦 + 𝑥

gilt 𝑥 + 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) ∀𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) ⇐⇒ 𝜏−𝑥 (𝐵) = 𝜏𝑥−1 (𝐵) ∈ B(ℝ𝑑 ) ∀𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) 𝑑 )/B(ℝ𝑑 )-messbar. ⇐⇒ 𝜏𝑥 ist B(ℝ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ „Borel-messbar“

Die Messbarkeit von 𝜏𝑥 haben wir in Satz 4.7 ad hoc bewiesen, indem wir uns auf den Erzeuger I der 𝜎-Algebra zurückgezogen haben. Das geht jedoch immer. 6.2 Lemma. Es sei A 󸀠 = 𝜎(G 󸀠 ). Dann ist 𝑇 : 𝐸 → 𝐸󸀠 genau dann A /A 󸀠 -messbar, wenn 𝑇−1 (𝐺󸀠 ) ∈ A

∀𝐺󸀠 ∈ G 󸀠

[Kurz: 𝑇−1 (G 󸀠 ) ⊂ A ] .

Beweis. Da G 󸀠 ⊂ A 󸀠 gilt (6.1)⇒(6.2). Umgekehrt gelte nun (6.2). Definiere 𝛴󸀠 := {𝐴󸀠 ⊂ 𝐸󸀠 : 𝑇−1 (𝐴󸀠 ) ∈ A } . Wegen (6.2) ist G 󸀠 ⊂ 𝛴󸀠 ; außerdem ist 𝛴󸀠 eine 𝜎-Algebra. [] Somit findet man 𝜎(G 󸀠 ) ⊂ 𝛴󸀠 󳨐⇒ A 󸀠 ⊂ 𝛴󸀠 󳨐⇒ (6.1).

(6.2)

6 Messbare Abbildungen

| 29

Der Begriff der messbaren Abbildung ähnelt dem der stetigen Abbildung. Zur Erinnerung: 𝑓 : ℝ𝑑 → ℝ𝑛 stetig. ⇐⇒ ∀𝑥 ∈ ℝ𝑑 𝑑

⇐⇒ ∀𝑥 ∈ ℝ 󸀠

∀𝜖 > 0

∃𝛿 = 𝛿𝜖,𝑥 > 0

∀|𝑥 − 𝑦| < 𝛿 : |𝑓(𝑥) − 𝑓(𝑦)| < 𝜖;

∀𝜖 > 0

∃𝛿 = 𝛿𝜖,𝑥 > 0 : 𝑓(𝐵𝛿 (𝑥)) ⊂ 𝐵𝜖 (𝑓(𝑥));

𝑛

⇐⇒ ∀𝑈 ⊂ ℝ offen ist 𝑓−1 (𝑈󸀠 ) ⊂ ℝ𝑑 offen. In allgemeinen topologischen Räumen (𝐸, O), (𝐸󸀠 , O 󸀠 ) verwendet man die letzte Äquivalenz als Definition für die (globale) Stetigkeit einer Funktion. Def

𝑓 : 𝐸 → 𝐸󸀠 stetig ⇐⇒ 𝑓−1 (O 󸀠 ) ⊂ O.

(6.3)

Wiederum ist 𝑓−1 (O 󸀠 ) := {𝑓−1 (𝑈󸀠 ) : 𝑈󸀠 ∈ O 󸀠 } symbolisch zu verstehen. 6.3 Beispiel. Jede stetige Abbildung 𝑓 : ℝ𝑑 → ℝ𝑛 ist Borel- (B(ℝ𝑑 )/B(ℝ𝑛 )-) messbar. Denn: B(ℝ𝑛 ) = 𝜎(O 𝑛 ) für die offenen Mengen O 𝑛 des ℝ𝑛 . Dann gilt stetig

6.2

∀𝑈󸀠 ∈ O 𝑛 : 𝑓−1 (𝑈󸀠 ) ∈ O 𝑑 ⊂ B(ℝ𝑑 ) 󳨐⇒ 𝑓 messbar.

Achtung: Stetige Funktionen sind Borel-messbar. Umgekehrt folgt aus der Messbarkeit nicht die Stetigkeit. Hier ist ein typisches Gegenbeispiel: Die Funktion 𝑓 : ℝ → ℝ, 𝑓(𝑥) := 𝟙[−2,2] (𝑥) ist messbar aber nicht stetig! Die Messbarkeit folgt aus 0, { { { { { { [−2, 2], 𝑓−1 (𝐵) = { { {[−2, 2]𝑐 , { { { {ℝ

0, 1 ∉ 𝐵; 1 ∈ 𝐵, 0 ∉ 𝐵; 1 ∉ 𝐵, 0 ∈ 𝐵; 1 ∈ 𝐵, 0 ∈ 𝐵.

6.4 Satz. Es seien (𝐸𝑛 , A𝑛 ), 𝑛 = 1, 2, 3, Messräume und 𝑆, 𝑇 messbare Abbildungen 𝑇

𝑆

(𝐸1 , A1 ) 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ (𝐸2 , A2 ) 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ (𝐸3 , A3 ). Dann ist auch die Komposition 𝑆 ∘ 𝑇 : (𝐸1 , A1 ) → (𝐸3 , A3 ) messbar. 𝑆−1 (𝐴) ∈ 𝑇−1 (A2 ) ⊂ A1 . Beweis. Für alle 𝐴 ∈ A3 gilt (𝑆 ∘ 𝑇)−1 (𝐴) = 𝑇−1 ∘ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ∈A2

Oft kennen wir für eine Abbildung 𝑇 : 𝐸 → 𝐸 die 𝜎-Algebra A 󸀠 in 𝐸󸀠 und suchen eine 𝜎-Algebra A in 𝐸, so dass 𝑇 messbar wird. Derartige Fragestellungen finden wir typischerweise in der Wahrscheinlichkeitstheorie. 󸀠

(ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) entspricht dem (real existierenden) Raum der Beobachtungen mit einer (wenigstens

30 | 6 Messbare Abbildungen theoretisch) beobachtbaren Wahrscheinlichkeitsverteilung 𝜇. Der W-Raum (𝛺, A , ℙ) ist dann ein mathematisches Modell und 𝑋 : 𝛺 → ℝ𝑑 ist eine Abbildung zwischen Modell und Realität. Damit wir mit 𝑋 und (𝛺, A , ℙ) arbeiten können, müssen wir folgende Fragen klären: Mit welchem A wird 𝑋 messbar? Wie bildet 𝑋 die Maße ℙ und 𝜇 ineinander ab?

6.5 Lemma (und Definition). Es seien (𝑇𝑖 )𝑖∈𝐼 beliebig viele Abbildungen 𝑇𝑖 : 𝐸 → 𝐸𝑖 und (𝐸𝑖 , A𝑖 ), 𝑖 ∈ 𝐼, Messräume. Dann ist 𝜎(𝑇𝑖 : 𝑖 ∈ 𝐼) := 𝜎 ({𝐴 : ∃𝑖 ∈ 𝐼, 𝐴 ∈ 𝑇𝑖−1 (A𝑖 )}) = 𝜎( ⋃ 𝑇𝑖−1 (A𝑖 )) 𝑖∈𝐼

die kleinste 𝜎-Algebra in 𝐸, die alle 𝑇𝑖 gleichzeitig messbar macht. 𝜎(𝑇𝑖 : 𝑖 ∈ 𝐼) heißt die von den (𝑇𝑖 )𝑖∈𝐼 erzeugte 𝜎-Algebra. Beweis. Für jedes 𝑖 ∈ 𝐼 ist 𝑇𝑖 : 𝐸 → 𝐸𝑖 genau dann A /A𝑖 -messbar, wenn 𝑇𝑖−1 (A𝑖 ) ⊂ A . Also ist 𝑇𝑖 nur dann messbar ∀𝑖 ∈ 𝐼 wenn ⋃ 𝑇𝑖−1 (A𝑖 ) ⊂ A . ⏟⏟𝑖∈𝐼 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ i. Allg. keine 𝜎-Algebra

Die Minimalität folgt aus der Definition von 𝜎(. . . ). Messbare Abbildungen transportieren insbesondere Maße von (𝐸, A ) nach (𝐸󸀠 , A 󸀠 ). 6.6 Satz (Bildmaß). Es sei 𝑇 : (𝐸, A ) → (𝐸󸀠 , A 󸀠 ) messbar und 𝜈 ein Maß auf (𝐸, A ). Dann definiert −1 𝜈󸀠 (𝐴󸀠 ) := 𝜈(𝑇 (𝐴󸀠 )), ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟

∀𝐴󸀠 ∈ A 󸀠

(6.4)

∈A

ein Maß auf (𝐸󸀠 , A 󸀠 ). Beweis. (𝑀0 ) 𝑇−1 (A 󸀠 ) ⊂ A ist eine 𝜎-Algebra, d. h. (6.4) wohldefiniert. (𝑀1 ) Wir haben 𝐴󸀠 = 0 󳨐⇒ 𝑇−1 (0) = 0 ∈ A 󳨐⇒ 𝜈󸀠 (0) = 𝜈(0) = 0. (𝑀2 ) Für (𝐴󸀠𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ A 󸀠 disjunkt sind die 𝑇−1 (𝐴󸀠𝑛 ) ∈ A auch disjunkt3 . Da 𝜈 ein Maß ist, gilt







𝜈󸀠 (⋃ 𝐴󸀠𝑛 ) = 𝜈 (𝑇−1 (⋃ 𝐴󸀠𝑛 )) = 𝜈 (⋃ 𝑇−1 (𝐴󸀠𝑛 )) = ∑ 𝜈(𝑇−1 (𝐴󸀠𝑛 )) = ∑ 𝜈󸀠 (𝐴󸀠𝑛 ). 𝑛

𝑛

𝑛

𝑛

𝑛

6.7 Definition. Das Maß 𝜈󸀠 aus Satz 6.6 heißt Bildmaß (image measure, push-forward) von 𝜈 unter 𝑇. Übliche Bezeichnungen: 𝑇(𝜈) oder 𝑇∗ 𝜈 oder 𝜈 ∘ 𝑇−1 . 6.8 Beispiel. a) Für alle 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) gilt 𝜆𝑑 (𝑥 + 𝐵) = 𝜆𝑑 (𝜏𝑥−1 (𝐵)) = 𝜏𝑥 (𝜆𝑑 )(𝐵). b) Es sei (𝛺, A , ℙ) ein W-Raum. Dann heißt

3 Klar: 𝑇−1 (𝐶 ∩ 𝐷) = 𝑇−1 (𝐶) ∩ 𝑇−1 (𝐷)

6 Messbare Abbildungen

| 31

messbar

Zufallsvariable (ZV); 𝜉 : (𝛺, A ) 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) −1 𝑑 𝜉(ℙ)(𝐵) = ℙ ∘ 𝜉 (𝐵) = ℙ(𝜉 ∈ 𝐵), 𝐵 ∈ B(ℝ ) Verteilung von 𝜉. Wir haben hier die in der Wahrscheinlichkeitstheorie üblichen Bezeichnungen {𝜉 ∈ 𝐵} = 𝜉−1 (𝐵)

und

ℙ(𝜉 ∈ 𝐵) = ℙ({𝜉 ∈ 𝐵})

verwendet. c) Konkretes Beispiel: Zweimaliges Würfeln (z. B. beim Monopoly) A = P(𝛺),

𝛺 = {(𝑛, 𝑚) : 1 ⩽ 𝑛, 𝑚 ⩽ 6},

𝜉 : 𝛺 → {2, 3, . . . , 12},

ℙ({(𝑛, 𝑚)}) =

1 , 36

𝜉((𝑛, 𝑚)) := 𝑛 + 𝑚.

Die Verteilung von 𝜉 (das Bildmaß unter 𝜉) ist in Tabelle 6.1 angegeben. Tab. 6.1. Wahrscheinlichkeitsverteilung beim zweimaligen Würfeln 𝑛

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

ℙ(𝜉 = 𝑛)

1 36

1 18

1 12

1 9

5 36

1 6

5 36

1 9

1 12

1 18

1 36

Für A = P(𝛺) ist jede Abbildung 𝜉 : (𝛺, P(𝛺)) → (⋆, ⋆) messbar, da 𝜉−1 (𝐵) ∈ P(𝛺) stets gilt.

6.9 Satz. Es sei 𝑇 ∈ O(𝑑) eine orthogonale Matrix, d. h. 𝑇 ∈ ℝ𝑑×𝑑 , 𝑇⊤ 𝑇 = idℝ𝑑 . Dann gilt 𝑇(𝜆𝑑 ) = 𝜆𝑑 . Beweis. Jede Abbildung 𝑇 ∈ O(𝑑) ist wegen ‖𝑇𝑥 − 𝑇𝑦‖ = ‖𝑥 − 𝑦‖

∀𝑥, 𝑦 ∈ ℝ𝑑 ,

(Lipschitz-)stetig und somit Borel-messbar. Daher ist das Bildmaß 𝜇(𝐵) = 𝜆𝑑 (𝑇−1 (𝐵))

∀𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 )

wohldefiniert und es gilt 𝜇(𝑥 + 𝐵) = 𝜆𝑑 (𝑇−1 (𝑥 + 𝐵))

𝑦=𝑇−1 𝑥 𝑇−1

=

linear

3.7.a)

𝜆𝑑 (𝑦 + 𝑇−1 (𝐵)) = 𝜆𝑑 (𝑇−1 (𝐵)) = 𝜇(𝐵).

Aus Satz 4.7.b) folgt dann 𝜇(𝐵) = 𝜅𝜆𝑑 (𝐵) für alle 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ). Wir müssen noch die Konstante 𝜅 bestimmen. Setze 𝐵 = 𝐵1 (0). Da 𝑇 ∈ O(𝑑), folgt 𝐵1 (0) = {𝑥 : ‖𝑥‖ < 1} = {𝑥 : ‖𝑇𝑥‖ < 1} = 𝑇−1 (𝐵1 (0)) Def

󳨐⇒ 𝜆𝑑 (𝐵1 (0)) = 𝜆𝑑 (𝑇−1 (𝐵1 (0))) = 𝜇(𝐵1 (0)) = 𝜅𝜆𝑑 (𝐵1 (0)) Weil 0 < 𝜆𝑑 (𝐵1 (0)) < ∞ ist, ergibt sich durch Division, dass 𝜅 = 1.

32 | 6 Messbare Abbildungen 6.10 Satz. Für 𝑆 ∈ GL(𝑑, ℝ) gilt 𝑆(𝜆𝑑 ) = |det 𝑆−1 | ⋅ 𝜆𝑑 = |det 𝑆|−1 𝜆𝑑 . Beweis. Lineare Abbildungen (in endlich-dimensionalen Räumen) sind stetig, also messbar (Beispiel 6.3). Wie im Beweis von Satz 6.9 sieht man für 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) 𝜇(𝐵) := 𝜆𝑑 (𝑆−1 (𝐵)) 󳨐⇒ 𝜇(𝑥 + 𝐵) = 𝜇(𝐵) und wegen Satz 4.7 gilt dann schon 𝜇(𝐵) = 𝜇([0, 1)𝑑 ) ⋅ 𝜆𝑑 (𝐵) = 𝜆𝑑 (𝑆−1 [0, 1)𝑑 ) ⋅ 𝜆𝑑 (𝐵). Nun ist 𝑆−1 [0, 1)𝑑 ein Spat (Parallelepiped) mit Kanten 𝑆−1 𝑒𝑛 ,

𝑒𝑛 = (0, . . . , 0, 1, 0 . . . ), ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟

𝑛 = 1, . . . , 𝑑,

𝑛

dessen Volumen4 bekanntlich |det 𝑆−1 | ist. 6.11 Korollar. Das Lebesgue–Maß 𝜆𝑑 ist invariant unter Bewegungen. Beweis. Eine Bewegung ist eine Komposition aus Verschiebungen 𝜏𝑥 und 𝑇 ∈ ℝ𝑑×𝑑 mit det 𝑇 = ±1. Die Behauptung folgt also aus Satz 6.10.

Aufgaben 1.

Es sei (𝐸, A ) ein Messraum, 𝐵 ⊂ 𝐸, 𝐴, 𝐴 1 , 𝐴 2 , ⋅ ⋅ ⋅ ∈ A disjunkt. Welche der folgenden Abbildun−𝑖 gen sind messbar? (a) 𝟙𝐴 ; (b) 𝟙𝐵 ; (c) 𝑇 : 𝐸 → ℝ, 𝑥 󳨃→ sin 𝑐; (d) ∑∞ 𝑖=1 2 𝟙𝐴 𝑖 .

2.

Es sei 𝐸 = ℤ = {0, ±1, ±2, . . . }. Zeigen Sie: (a) A := {𝐴 ⊂ ℤ | ∀𝑛 > 0 : 2𝑛 ∈ 𝐴 ⇐⇒ 2𝑛 + 1 ∈ 𝐴} ist eine 𝜎-Algebra. (b) 𝑇 : ℤ → ℤ, 𝑇(𝑛) := 𝑛 + 2 ist A /A -messbar und bijektiv, aber 𝑇−1 ist nicht messbar.

3.

Es sei 𝐸 eine Menge und (𝐸𝑖 , A𝑖 ) Messräume, (𝐼 beliebig, 𝑖 ∈ 𝐼) und 𝑇𝑖 : 𝐸 → 𝐸𝑖 Abbildungen. (a) Zeigen Sie: Eine Abbildung 𝑓 von einem Messraum (𝐹, F ) nach (𝐸, 𝜎(𝑇𝑖 : 𝑖 ∈ 𝐼)) ist genau dann messbar, wenn alle Abbildungen 𝑇𝑖 ∘ 𝑓 F /A𝑖 -messbar sind. (b) Es gilt 𝜎(𝑇𝑖 : 𝑖 ∈ 𝐼) = ⋃𝐾⊂𝐼, #𝐾⩽#ℕ 𝜎(𝑇𝑘 : 𝑘 ∈ 𝐾). (c) Folgern Sie aus (a): Eine Funktion 𝑓 : ℝ𝑛 → ℝ𝑚 , 𝑥 󳨃→ (𝑓1 (𝑥), . . . , 𝑓𝑚 (𝑥)) ist genau dann messbar, wenn alle Koordinatenabbildungen 𝑓𝑖 : ℝ𝑛 → ℝ, 𝑖 = 1, 2, . . . , 𝑚 messbar sind.

4.

Es seien (𝐸, A ) und (𝐸󸀠 , A 󸀠 ) Messräume und 𝑇 : 𝐸 → 𝐸󸀠 eine Abbildung. Zeigen Sie: (a) 𝟙𝑇−1 (𝐴󸀠 ) (𝑥) = 𝟙𝐴󸀠 ∘ 𝑇(𝑥) ∀𝑥 ∈ 𝐸; (b) 𝑇 ist genau dann messbar, wenn 𝜎(𝑇) ⊂ A ; (c) 𝑇 messbar, 𝜈 endliches Maß auf (𝐸, A ) 󳨐⇒ 𝜈 ∘ 𝑇−1 endliches Maß auf (𝐸󸀠 , A 󸀠 ). Gilt das auch für 𝜎-endliche Maße?

5.

Es sei (𝐸, A ) ein Messraum. 𝐴 ∈ A heißt Atom, wenn 𝐵 ⊂ 𝐴, 𝐵 ∈ A 󳨐⇒ 𝐵 = 0 oder 𝐵 = 𝐴. Zeigen Sie: Messbare Funktionen sind konstant auf Atomen.

6.

Es sei 𝑇 : 𝐸 → 𝑌 eine Abbildung und G ⊂ P(𝑌). Zeigen Sie, dass 𝑇−1 (𝜎(G )) = 𝜎(𝑇−1 (G )).

4 Hier geht ein, dass das Lebesgue–Maß das eindeutige geometrische Volumen ist. Diese Formel sollte aus der linearen Algebra bekannt sein. Ein elementarer Beweis ist im Anhang A.2 angegeben.

7 Messbare Funktionen In diesem Kapitel ist (𝐸, A ) ein beliebiger Messraum. Im Gegensatz zum vorangehenden Kapitel betrachten wir nun messbare Abbildungen mit Werten in ℝ. 7.1 Definition. Eine messbare Abbildung 𝑢 : (𝐸, A ) → (ℝ, B(ℝ)) heißt messbare (reelle) Funktion. Die Klasse der messbaren Funktionen ist für die Integrationstheorie von fundamentaler Bedeutung. Zur Erinnerung: 𝑢 messbar ⇐⇒ 𝑢−1 (𝐵) ∈ A 6.2

⇐⇒ 𝑢−1 (𝐺) ∈ A

∀𝐵 ∈ B(ℝ) ∀𝐺 ∈ G wobei 𝜎(G ) = B(ℝ).

Meist werden wir G = {[𝑎, ∞) : 𝑎 ∈ ℚ} wählen; die Mengen [𝑎, ∞) können auch durch (𝑏, ∞), (−∞, 𝑐), (−∞, 𝑑] für 𝑏, 𝑐, 𝑑 ∈ ℝ oder ∈ ℚ ersetzt werden, vgl. Bemerkung 2.9. Bezeichnung. Für 𝑢, 𝑣 : 𝐸 → ℝ und 𝐵 ∈ B(ℝ) schreiben wir: 󳶳 {𝑢 ∈ 𝐵} := {𝑥 ∈ 𝐸 : 𝑢(𝑥) ∈ 𝐵} = 𝑢−1 (𝐵); 󳶳 {𝑢 ⩾ 𝑣} := {𝑥 ∈ 𝐸 : 𝑢(𝑥) ⩾ 𝑣(𝑥)} (analog für: >, 𝑎} ∈ A ∀𝑎 ∈ ℝ oder ∈ ℚ; d) {𝑢 < 𝑎} ∈ A ∀𝑎 ∈ ℝ oder ∈ ℚ. Wir werden oft in ℝ = [−∞, +∞] mit den „Werten“ ±∞ rechnen. Dazu erweitern wir die üblichen Rechenregeln. Tab. 7.1. Rechenregeln in ℝ = [−∞, +∞] mit 𝑥, 𝑦 ∈ ℝ und 𝑎, 𝑏 ∈ (0, ∞). +

0

𝑥

+∞

−∞



0

±𝑎

+∞

−∞

0

0

𝑥

+∞

−∞

0

0

0

0

0

𝑦

𝑦

𝑥+𝑦

+∞

−∞

±𝑏

0

𝑎⋅𝑏

±∞

∓∞

+∞

+∞

+∞

+∞



+∞

0

±∞

+∞

−∞

−∞

−∞

−∞



−∞

−∞

0

∓∞

−∞

+∞

1 = 0. ±∞ 󳶳 Besondere Konvention in der Maßtheorie: 0 ⋅ (±∞) = 0 (ist sonst nicht üblich). ±∞ 󳶳 Nicht definiert sind: ∞ − ∞ und . ±∞ 󳶳 ℝ ist kein Körper. 󳶳 Übliche Konvention:

34 | 7 Messbare Funktionen 7.3 Definition. Die Borel 𝜎-Algebra B(ℝ) auf ℝ ist definiert durch 𝐵∗ ∈ B(ℝ) ⇐⇒ {

𝐵∗ = 𝐵 ∪ 𝑆 wobei 𝐵 ∈ B(ℝ), 𝑆 ∈ {0, {+∞}, {−∞}, {−∞, +∞}} .

Die Definition der Borel-Mengen in ℝ ist im folgenden Sinn verträglich mit den BorelMengen in ℝ []: 7.4 Lemma. Es gilt B(ℝ) = ℝ ∩ B(ℝ), d. h. B(ℝ) ist die Spur-𝜎-Algebra (vgl. Beispiel 2.3f) bezüglich B(ℝ). Da [−∞, 𝑎) und (𝑏, ∞] offene Umgebungen (bezüglich der Zweipunktkompaktifizierung [−∞, ∞] von ℝ) der Elemente ±∞ sind, gilt auch B([−∞, ∞]) = B(ℝ) = 𝜎(Oℝ ). Diese Bemerkung ist für uns nicht so wichtig, wichtiger ist vielmehr die folgende Aussage. 7.5 Lemma. Die Borelmengen B(ℝ) werden von allen Intervallen [𝑎, ∞], 𝑎 ∈ ℝ oder 𝑎 ∈ ℚ, (bzw. von (𝑎, ∞], [−∞, 𝑎), [−∞, 𝑎], 𝑎 ∈ ℝ oder 𝑎 ∈ ℚ) erzeugt. Beweis. Setze 𝛴 := 𝜎 ([𝑎, ∞] : 𝑎 ∈ ℚ). Es seien 𝑎, 𝑏 ∈ ℚ und 𝐵 ∈ B(ℝ). Dann gilt 󳶳 [𝑎, ∞] = [𝑎, ∞) ∪ {∞} ∈ B(ℝ) 󳨐⇒ 𝛴 ⊂ B(ℝ). 󳶳 [𝑎, 𝑏) = [𝑎, ∞] \ [𝑏, ∞] ∈ 𝛴 󳨐⇒ B(ℝ) ⊂ 𝛴. 󳶳 {+∞} = ⋂ [𝑛, ∞] ∈ 𝛴 und {−∞} = ⋂ [−𝑛, ∞]𝑐 ∈ 𝛴 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

󳨐⇒ 𝐵, 𝐵 ∪ {∞}, 𝐵 ∪ {−∞}, 𝐵 ∪ {±∞} ∈ 𝛴 und somit B(ℝ) ⊂ 𝛴. Damit ist 𝛴 = B(ℝ) gezeigt. Die anderen Fälle behandelt man entsprechend. 7.6 Definition. M = M(A ) bzw. Mℝ = Mℝ (A ) bezeichnet die Menge aller messbaren Funktionen 𝑢 : (𝐸, A ) → (ℝ, B(ℝ)) bzw. (ℝ, B(ℝ)). 7.7 Beispiel. a) 𝟙𝐴 (𝑥) ist genau dann messbar, wenn 𝐴 ∈ A (d. h. wenn 𝐴 messbar ist).

Abb. 7.1. Links: Messbarkeit der Funktion 𝑥 󳨃→ 𝟙𝐴 (𝑥). Rechts: Messbarkeit einer Treppenfunktion (mit 𝑁 = 3 Stufen).

7 Messbare Funktionen |

35

0, 𝜆 ⩾ 1, { { { Denn: {𝟙𝐴 > 𝜆} = {𝐴, 0 ⩽ 𝜆 < 1, (vgl. Abb. 7.1). { { {𝐸, 𝜆 < 0, b) Es seien 𝐴 1 , . . . , 𝐴 𝑁 ∈ A disjunkte Mengen, 𝑦1 , . . . , 𝑦𝑁 ∈ ℝ. Dann ist 𝑁

𝑔(𝑥) := ∑ 𝑦𝑛 𝟙𝐴 𝑛 (𝑥)

messbar.

𝑛=1

Denn: Offensichtlich ist 𝑔(𝑥) = 0 für 𝑥 ∈ 𝐴 0 := 𝐸 \ (𝐴 1 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝐴 𝑁 ). Wenn wir 𝑦0 := 0 setzen, gilt 𝑔(𝑥) = ∑𝑁 𝑛=0 𝑦𝑛 𝟙𝐴 𝑛 (𝑥) und daher ist {𝑔 > 𝜆} = ⋃𝑛 : 𝑦𝑛 >𝜆 𝐴 𝑛 ∈ A (vgl. Abb. 7.1).



7.8 Definition. Eine einfache Funktion auf (𝐸, A ) ist eine Treppenfunktion der Form 𝑀

𝑔(𝑥) = ∑ 𝑦𝑚 𝟙𝐴 𝑚 (𝑥),

𝑦𝑚 ∈ ℝ, 𝐴 𝑚 ∈ A disjunkt.

(7.1)

𝑚=1

Gilt sogar 𝑁

𝑁

𝑔(𝑥) = ∑ 𝑧𝑛 𝟙𝐵𝑛 (𝑥),



𝑧𝑛 ∈ ℝ, 𝐵𝑛 ∈ A , 𝐸 = ⋃ 𝐵𝑛 ,

𝑛=0

(7.2)

𝑛=0

dann heißt (7.2) Standarddarstellung; E = E(A ) bezeichnet die Familie der einfachen Funktionen.

Die Darstellungen (7.1) und (7.2) sind nicht eindeutig.

7.9 Beispiel. a) Jede messbare Funktion ℎ ∈ M(A ) mit endlicher Wertemenge ℎ(𝐸) = {𝑦1 , . . . , 𝑦𝑚 } ist eine einfache Funktion. Da die Mengen {ℎ = 𝛼} = {ℎ ⩽ 𝛼} \ {ℎ < 𝛼} ∈ A disjunkt sind, ist nämlich ℎ(𝑥) = ∑ 𝛼𝟙{ℎ=𝛼} (𝑥) eine Standarddarstellung. 𝛼∈ℎ(𝐸)

Folgerung: Jedes ℎ ∈ E(A ) besitzt eine Standarddarstellung. b) Es gilt 𝑓, 𝑔 ∈ E(A ) 󳨐⇒ 𝑓 ± 𝑔, 𝑓 ⋅ 𝑔 ∈ E(A ). 𝑀

𝑁

Für die Standarddarstellungen 𝑓 = ∑ 𝑦𝑚 𝟙𝐴 𝑚 und 𝑔 = ∑ 𝑧𝑛 𝟙𝐵𝑛 ist 𝑚=0

𝑓 ± 𝑔 = ∑ ∑(𝑦𝑚 ± 𝑧𝑛 )𝟙𝐴 𝑚 ∩𝐵𝑛 𝑚

𝑛

𝑛=0

und

𝑓 ⋅ 𝑔 = ∑ ∑ 𝑦𝑚 𝑧𝑛 𝟙𝐴 𝑚 ∩𝐵𝑛 . 𝑚

𝑛

Beachte: (𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 )𝑛,𝑚 ist die gemeinsame Verfeinerung der Partitionen (𝐴 𝑚 )𝑚 und (𝐵𝑛 )𝑛 . Auf jeder der Mengen 𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 sind 𝑓 und 𝑔 konstant. c) 𝑓 ∈ E(A ) 󳨐⇒ 𝑓+ , 𝑓− , |𝑓| ∈ E(A ) (vgl. Definition 7.10 und Abbildung 7.2).

36 | 7 Messbare Funktionen

Abb. 7.2. Positiv- und Negativteil einer Funktion 𝑢 : 𝐸 → ℝ. Offenbar gilt 𝑢 = 𝑢+ − 𝑢− und |𝑢| = 𝑢+ + 𝑢− .

7.10 Definition. Es sei 𝑢 : 𝐸 → ℝ. Dann heißt 𝑢+ (𝑥) := max(𝑢(𝑥), 0) = 𝑢(𝑥) ∨ 0

Positivteil der Funktion 𝑢



𝑢 (𝑥) := − min(𝑢(𝑥), 0) = − (𝑢(𝑥) ∧ 0)

Negativteil der Funktion 𝑢

Offenbar ist jede einfache Funktion auch messbar. Wir zeigen nun, dass jede Funktion 𝑢 ∈ M(A ) durch einfache A -messbare Funktionen approximiert werden kann. 7.11 Satz (Sombrero-Lemma). Jede A /B(ℝ)-messbare Funktion 𝑢 : 𝐸 → [0, ∞] ist aufsteigender Limes einer Folge 𝑓𝑛 ∈ E(A ), 𝑓𝑛 ⩾ 0, d. h. 𝑢(𝑥) = sup 𝑓𝑛 (𝑥), 𝑛∈ℕ

𝑓1 ⩽ 𝑓2 ⩽ 𝑓3 ⩽ . . .

𝑛2𝑛

Beweis. Setze 𝑓𝑛 (𝑥) := ∑𝑘=0 𝑘2−𝑛 𝟙𝐴𝑛 (𝑥) wobei 𝑘

{{𝑘2−𝑛 ⩽ 𝑢 < (𝑘 + 1)2−𝑛 } , 𝐴𝑛𝑘 := { {𝑢 ⩾ 𝑛}, {

𝑘 = 0, 1, 2, . . . , 𝑛2𝑛 − 1, 𝑘 = 𝑛2𝑛 .

Offensichtlich (vgl. Abb. 7.3) gilt dann 󳶳 𝑓𝑛 (𝑥) ⩽ 𝑢(𝑥); 󳶳 |𝑓𝑛 (𝑥) − 𝑢(𝑥)| ⩽ 2−𝑛 ∀𝑥 ∈ {𝑢 < 𝑛}; 󳶳 𝑓𝑛 ∈ E(A ) da 𝐴𝑛𝑘 = {𝑘2−𝑛 ⩽ 𝑢} ∩ {𝑢 < (𝑘 + 1)2−𝑛 } ∈ A bzw. {𝑢 ⩾ 𝑛} ∈ A ; 󳶳 0 ⩽ 𝑓𝑛 ⩽ 𝑓𝑛+1 ⩽ 𝑢 und 𝑓𝑛 ↑ 𝑢 (aufsteigender Limes).

Abb. 7.3. Der Wertebereich der Funktion 𝑢 wird in horizontale Stufen zerlegt.

7 Messbare Funktionen |

37

7.12 Korollar. Für jede A /B(ℝ)-messbare Funktion 𝑢 : 𝐸 → ℝ existiert eine Folge (𝑓𝑛 )𝑛 ⊂ E (A ), so dass |𝑓𝑛 | ⩽ |𝑢| und 𝑢 = lim𝑛 𝑓𝑛 . Beweis. Für messbare Funktionen gilt {𝑢+ > 𝜆} = {𝑢 > 𝜆} (für 𝜆 ⩾ 0) bzw. {𝑢+ > 𝜆} = 𝐸 (für 𝜆 < 0). Das zeigt, dass 𝑢± positive messbare Funktionen sind. Die Behauptung des Korollars folgt nun, indem wir Satz 7.11 auf 𝑢± anwenden. Die folgenden Korollare zeigen grundlegende Eigenschaften messbarer Funktionen. 7.13 Korollar. Es sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ Mℝ (A ) eine Folge messbarer Funktionen. Dann gilt sup 𝑢𝑛 , 𝑛∈ℕ

inf 𝑢𝑛 ,

𝑛∈ℕ

lim sup 𝑢𝑛 , 𝑛→∞

lim inf 𝑢𝑛 ∈ Mℝ (A ) 𝑛→∞

und, wenn der Limes existiert, lim𝑛→∞ 𝑢𝑛 ∈ Mℝ (A ). 󳶳 sup𝑛 𝑢𝑛 ist die punktweise definierte Funktion sup𝑛 𝑢𝑛 (𝑥) ∀𝑥 ∈ 𝐸 (analog: inf usw.). 󳶳 Zur Erinnerung: Der Limes inferior und superior sind folgendermaßen definiert: lim sup 𝑢𝑛 (𝑥) := inf sup 𝑢𝑛 (𝑥), 𝑛→∞

𝑚 𝑛⩾𝑚

lim inf 𝑢𝑛 (𝑥) := sup inf 𝑢𝑛 (𝑥), 𝑛→∞

𝑚 𝑛⩾𝑚

lim sup 𝑢𝑛 (𝑥) = − lim inf (−𝑢𝑛 (𝑥)) 𝑛→∞

𝑛→∞

und für den Limes gilt: ∃ lim 𝑢𝑛 (𝑥) ⇐⇒ lim inf 𝑢𝑛 (𝑥) = lim sup 𝑢𝑛 (𝑥) 𝑛→∞ 𝑛→∞ 𝑛→∞ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ∈ℝ bzw. ℝ

∈ℝ bzw. ℝ

Beweis von Korollar 7.13. 1o ) Behauptung: sup𝑛 𝑢𝑛 ∈ Mℝ (A ). Das folgt aus der Gleichheit {sup𝑛 𝑢𝑛 > 𝜆} = ⋃𝑛 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ {𝑢𝑛 > 𝜆} ∈ A , die man folgendermaßen beweist: ∈A

𝑥 ∈ ⋃𝑛 {𝑢𝑛 > 𝜆} ⇐⇒ ∃𝑛0 : 𝜆 < 𝑢𝑛0 (𝑥) ⩽ sup𝑛 𝑢𝑛 (𝑥) ⇐⇒ 𝑥 ∈ {sup𝑛 𝑢𝑛 > 𝜆} . 2o ) Es ist −𝑢𝑛 ∈ Mℝ (A ), da {−𝑢𝑛 > 𝜆} = {𝑢𝑛 < −𝜆} ∈ A . 3o ) 1o und 2o zeigen inf 𝑛 𝑢𝑛 = − sup𝑛 (−𝑢𝑛 ) ∈ Mℝ (A ). Wegen der Definition von lim inf und lim sup ist dann lim𝑛inf 𝑢𝑛 , lim sup 𝑢𝑛 ∈ Mℝ (A ). 𝑛

4 ) Wenn lim𝑛 𝑢𝑛 existiert, dann gilt lim𝑛 𝑢𝑛 = lim inf 𝑛 𝑢𝑛 ∈ Mℝ (A ). o

7.14 Korollar. 𝑢, 𝑣 : 𝐸 → ℝ A /B(ℝ)-messbar. Dann sind 𝑢 ± 𝑣,

𝑢 ⋅ 𝑣,

𝑢 ∨ 𝑣 = max{𝑢, 𝑣},

messbar – sofern diese Ausdrücke definiert5 sind.

5 In ℝ gibt es ja das „∞ − ∞“ und „ ∞ “–Problem. ∞

𝑢 ∧ 𝑣 = min{𝑢, 𝑣}

38 | 7 Messbare Funktionen Beweis. Nach Satz 7.11 gibt es E(A ) ∋ 𝑓𝑛 → 𝑢, E(A ) ∋ 𝑔𝑛 → 𝑣. Nun gilt 𝑓𝑛 ± 𝑔𝑛 ,

𝑓𝑛 ⋅ 𝑔𝑛 ,

𝑓𝑛 ∨ 𝑔𝑛 ,

𝑓𝑛 ∧ 𝑔𝑛 ∈ E(A )

und für 𝑛 → ∞ sind die Grenzwerte 𝑢 ± 𝑣, 𝑢 ⋅ 𝑣, 𝑢 ∨ 𝑣, 𝑢 ∧ 𝑣 nach Korollar 7.13 messbar.6 7.15 Korollar. Es ist 𝑢 ∈ Mℝ (A ) genau dann, wenn 𝑢+ , 𝑢− ∈ Mℝ (A ). 7.16 Korollar. Wenn 𝑢, 𝑣 ∈ Mℝ (A ), dann sind folgende Mengen messbar: {𝑢 < 𝑣},

{𝑢 ⩽ 𝑣},

{𝑢 = 𝑣},

{𝑢 ≠ 𝑣} ∈ A .

Beweis. Es gilt {𝑢 ⩽ 𝑣} = ({𝑢 ⩽ 𝑣} ∩ {𝑢 = ∞}) ∪ ({0 ⩽ 𝑣 − 𝑢} ∩ {𝑢 < ∞}) = ({𝑣 ⩾ ∞} ∩ {𝑢 ⩾ ∞}) ∪ ({0 ⩽ 𝑣 − 𝑢} ∩ {𝑢 < ∞}) ∈ A . Daher sind auch {𝑢 = 𝑣} = {𝑢 ⩽ 𝑣} ∩ {𝑢 ⩾ 𝑣} und {𝑢 ≠ 𝑣} = {𝑢 = 𝑣}𝑐 messbar. Den Fall {𝑢 < 𝑣} erledigt man ganz ähnlich. Am Ende dieses Kapitels zeigen wir noch ein Resultat, das für die Wahrscheinlichkeitstheorie wichtig sein wird. 7.17 ⧫ Lemma (Faktorisierungslemma). Es sei 𝑇 : (𝐸, A ) → (𝐸󸀠 , A 󸀠 ) messbar. Dann { 𝑢 = 𝑤 ∘ 𝑇 für eine Funktion } ⇐⇒ { 󸀠 󸀠 mb. 𝜎(𝑇)/B(ℝ)-mb. 󳨀󳨀→ (ℝ, B(ℝ)) { 𝑤 : (𝐸 , A ) 󳨀 𝑢 : 𝐸 → ℝ ist

Beweis. „⇐“: Nach Definition ist 𝑇 𝜎(𝑇)-messbar. Also ist auch die Komposition 𝑇

𝑤

messbar

messbar

𝑤 ∘ 𝑇 : (𝐸, 𝜎(𝑇)) 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ (𝐸󸀠 , A 󸀠 ) 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ (ℝ, B(ℝ))

messbar.

„⇒“: Es sei 𝑢 𝜎(𝑇)-messbar. Wir müssen ein geeignetes 𝑤 finden. 1o ) Angenommen 𝑢 = 𝟙𝐴 . Es ist 𝐴 ∈ 𝜎(𝑇) ⇐⇒ ∃𝐴󸀠 ∈ A 󸀠 : 𝐴 = 𝑇−1 (𝐴󸀠 ) 󳨐⇒ 𝑢 = 𝟙𝐴 = 𝟙𝑇−1 (𝐴󸀠 ) = 𝟙𝐴󸀠 ∘ 𝑇. Damit erhalten wir 𝑤 = 𝟙𝐴󸀠 . 2o ) Nun sei 𝑢 ∈ E(𝜎(𝑇)). Für eine Standarddarstellung von 𝑢 finden wir mit Hilfe von 1o und der Linearität ein geeignetes 𝑤 ∈ E(A 󸀠 ). 3o ) Schließlich sei 𝑢 ∈ Mℝ (𝜎(𝑇)). Das Sombrero-Lemma (Satz 7.11) zeigt 𝑢 = lim𝑛→∞ 𝑓𝑛 für eine Folge 𝑓𝑛 ∈ E(𝜎(𝑇)). Aus Schritt 2o wissen wir aber, dass 𝑓𝑛 = 𝑤𝑛 ∘ 𝑇 für einfache Funktionen 𝑤𝑛 ∈ E(A 󸀠 ). Wir definieren 𝑤 := lim inf 𝑛→∞ 𝑤𝑛 ∈ Mℝ (A 󸀠 ). Dann gilt 𝑤 ∘ 𝑇 = ( lim inf 𝑤𝑛 ) ∘ 𝑇 = lim (𝑤 𝑛 ∘ 𝑇) = 𝑢. 𝑛→∞ 𝑛→∞ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ =𝑓𝑛

6 Beachte bei ∨ und ∧: 𝑎 ∨ 𝑏 = 12 (𝑎 + 𝑏 + |𝑎 − 𝑏|) und 𝑎 ∧ 𝑏 = 12 (𝑎 + 𝑏 − |𝑎 − 𝑏|) [].

7 Messbare Funktionen |

39

Aufgaben 1.

Auf 𝐸 ∈ B(ℝ) sei die Funktion 𝑄 : 𝐸 → ℝ, 𝑥 󳨃→ 𝑥2 , und das Lebesgue-Maß 𝜆 𝐸 := 𝜆(𝐸 ∩ ⋅) gegeben. (a) Zeigen Sie, dass 𝑄 eine B(𝐸)/B(ℝ)-messbare Abbildung ist (vgl. Aufgabe 2.4). (b) Bestimmen Sie das Bildmaß 𝜈 ∘ 𝑄−1 für 𝐸 = [0, 1], 𝜈 = 𝜆 𝐸 und 𝐸 = [−1, 1], 𝜈 = 12 𝜆 𝐸 .

2.

Gegeben sei der Messraum (ℝ, B(ℝ)). Finden Sie 𝜎(𝑢) für (a) (c)

𝑢 : ℝ → ℝ, 𝑢(𝑥) = |𝑥|; 𝑢 : ℝ × ℝ → ℝ, 𝑢(𝑥, 𝑦) = 𝑥 + 𝑦;

(b) (d)

𝑢 : ℝ → ℝ, 𝑢(𝑥) = 𝑥; 𝑢 : ℝ × ℝ → ℝ, 𝑢(𝑥, 𝑦) = 𝑥2 + 𝑦2 .

3.

Beweisen Sie, dass jede lineare Abbildung 𝑓 : ℝ𝑛 → ℝ𝑚 Borel-messbar ist. Gilt das auch, wenn wir B(ℝ𝑚 ) und B(ℝ𝑛 ) vervollständigen?

4.

Beweisen Sie, dass B(ℝ) aus Definition 7.3 eine 𝜎-Algebra ist, und zeigen Sie Lemma 7.4.

5.

(a) Es sei 𝑢 : ℝ → ℝ Borel-messbar. Zeigen Sie: |𝑢|, 𝑢+ , 𝑢− sind messbar. Gilt die Umkehrung? (b) Es sei 𝑢 : ℝ → ℝ differenzierbar. Sind dann 𝑢 und 𝑢󸀠 messbar?

6.

Es sei (𝑓𝑖 )𝑖∈𝐼 (𝐼 beliebig) eine Familie von Abbildungen von einer gemeinsamen Menge 𝐸 nach ℝ. Zeigen Sie (a) {sup𝑖 𝑓𝑖 > 𝜆} = ⋃𝑖 {𝑓𝑖 > 𝜆} ; (b) {sup𝑖 𝑓𝑖 < 𝜆} ⊂ ⋂𝑖 {𝑓𝑖 < 𝜆} ; (c) {sup𝑖 𝑓𝑖 ⩾ 𝜆} ⊃ ⋃𝑖 {𝑓𝑖 ⩾ 𝜆} ; (d) {sup𝑖 𝑓𝑖 ⩽ 𝜆} = ⋂𝑖 {𝑓𝑖 ⩽ 𝜆} ; (e) {inf 𝑖 𝑓𝑖 > 𝜆} ⊂ ⋂𝑖 {𝑓𝑖 > 𝜆} ; (f) {inf 𝑖 𝑓𝑖 < 𝜆} = ⋃𝑖 {𝑓𝑖 < 𝜆} ; (g) {inf 𝑖 𝑓𝑖 ⩾ 𝜆} = ⋂𝑖 {𝑓𝑖 ⩾ 𝜆} ; (h) {inf 𝑖 𝑓𝑖 ⩽ 𝜆} ⊃ ⋃𝑖 {𝑓𝑖 ⩽ 𝜆} .

7.

Zeigen Sie, dass die Konvergenz im Sombrero-Lemma (Satz 7.11) sogar gleichmäßig ist, falls die Funktion 𝑢 beschränkt ist, d. h. |𝑢(𝑥)| ⩽ 𝑐 für alle 𝑥 und eine Konstante 𝑐 ⩾ 0.

8.

Zeigen Sie, dass im Beweis des Faktorisierungslemmas (Lemma 7.17) im Allgemeinen nicht mit lim𝑛 𝑤𝑛 (an Stelle von lim inf 𝑤𝑛 ) gearbeitet werden kann. Hinweis: Finden Sie eine Folge von Funktionen (𝑤𝑛 )𝑛 und eine Abbildung 𝑇, so dass (𝑤𝑛 ∘ 𝑇)𝑛 konvergiert und (𝑤𝑛 )𝑛 divergiert.

9.

Zeigen Sie, dass jede monotone Funktion 𝑢 : ℝ → ℝ Borel-messbar ist. Wann gilt 𝜎(𝑢) = B(ℝ)?

10. Zeigen Sie, dass jede linksseitig (oder rechtsseitig) stetige Funktion 𝑢 : ℝ → ℝ Borel-messbar ist. −𝑖 11. Auf 𝐸 sei eine 𝜎-Algebra A = 𝜎(G ) gegeben, wo G = {𝐺𝑖 : 𝑖 ∈ ℕ}. Definiere 𝑔 := ∑∞ 𝑖=1 2 𝟙𝐺𝑖 . Dann gilt 𝜎(𝑔) = A .

12. Es sei (𝛺, A ) ein Messraum und 𝑋 : ℝ × 𝛺 → ℝ eine Abbildung, so dass 𝜔 󳨃→ 𝑋(𝑡, 𝜔) A /B(ℝ) messbar ist und 𝑡 󳨃→ 𝑋(𝑡, 𝜔) linksseitig (oder rechtsseitig) stetig ist. Zeigen Sie, dass auch die folgenden Funktionen messbar sind: 𝑡 󳨃→ 𝑋(𝑡, 𝜔)

und

𝜔 󳨃→ sup 𝑋(𝑡, 𝜔). 𝑡∈ℝ

Hinweis: Approximieren Sie 𝑡 󳨃→ 𝑋(𝑡, 𝜔) durch Treppenfunktionen. 13. Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum und (𝐸, A , 𝜇)̄ seine Vervollständigung (Aufgabe 3.7). Zeigen Sie, dass eine Funktion 𝜙 : 𝐸 → ℝ genau dann A /B(ℝ)-messbar ist, wenn es zwei A /B(ℝ)messbare Funktionen 𝑓, 𝑔 : 𝐸 → ℝ mit 𝑓 ⩽ 𝜙 ⩽ 𝑔 und 𝜇{𝑓 ≠ 𝑔} = 0 gibt. Hinweis: Verwenden Sie zunächst Treppenfunktionen und dann das Sombrero-Lemma.

8 Das Integral positiver Funktionen In diesem Kapitel seien (𝐸, A , 𝜇) ein beliebiger Maßraum und E(A ), M(A ), Mℝ (A ) die Familien der einfachen bzw. messbaren Funktionen. Die positiven (d. h. „⩾ 0“) Elemente dieser Mengen bezeichnen wir mit E+ (A ), M+ (A ) und M+ℝ (A ). Wir wollen, dass das Integral die „Fläche unter einer Kurve“ beschreibt.

Abb. 8.1. Das Integral einer positiven Treppenfunktion.

Daher (vgl. Abbildung 8.1) ist folgende Definition naheliegend. 𝑀

𝑀

Integral

0 ⩽ 𝑓 = ∑ 𝑦𝑚 𝟙𝐴 𝑚 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ ∑ 𝑦𝑚 𝜇(𝐴 𝑚 ) 𝑚=0 𝑚=0 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟

(0 ⋅ ∞ = 0).

Standarddarstellung

Problem: Ist das so definierte Integral wohldefiniert?

𝑁 8.1 Lemma. Es seien 𝑓 = ∑𝑀 𝑚=0 𝑦𝑚 𝟙𝐴 𝑚 = ∑𝑛=0 𝑧𝑛 𝟙𝐵𝑛 zwei Standarddarstellungen von 𝑓 ∈ E+ (A ). Dann gilt 𝑀

𝑁

∑ 𝑦𝑚 𝜇(𝐴 𝑚 ) = ∑ 𝑧𝑛 𝜇(𝐵𝑛 ). 𝑚=0

𝑛=0

Beweis. Wegen 𝐸 = 𝐴 0 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝐴 𝑀 = 𝐵0 ∪⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ∪⋅ 𝐵𝑁 gilt 𝑁

𝑀



𝐴 𝑚 = ⋃ (𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 )



und 𝐵𝑛 = ⋃ (𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 )

𝑛=0

𝑚=0

und, da 𝑦𝑚 = 𝑧𝑛 wenn 𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 ≠ 0, 𝑀

𝑁

𝑀

∑ 𝑦𝑚 𝜇(𝐴 𝑚 ) = ∑ 𝑦𝑚 ∑ 𝜇(𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 ) 𝑚=0

𝑚=0 𝑀

𝑛=0 𝑁

𝑦𝑚 𝜇(𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 ) = ∑ ∑ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑚=0 𝑛=0 𝑁

𝑀

=𝑧𝑛 𝜇(𝐴 𝑚 ∩𝐵𝑛 ) 𝑁

= ∑ ∑ 𝑧𝑛 𝜇(𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 ) = ∑ 𝑧𝑛 𝜇(𝐵𝑛 ). 𝑛=0 𝑚=0

𝑛=0

8 Das Integral positiver Funktionen |

41

Jede positive Funktion in E besitzt eine Standarddarstellung; daher ist folgende Definition sinnvoll. + 8.2 Definition. Es sei 𝑓 = ∑𝑀 𝑚=0 𝑦𝑚 𝟙𝐴 𝑚 ∈ E (A ) in Standarddarstellung. Dann heißt 𝑀

𝐼𝜇 (𝑓) := ∑ 𝑦𝑚 𝜇(𝐴 𝑚 ) ∈ [0, ∞] 𝑚=0

das (𝜇-)Integral von 𝑓. Tatsächlich hat 𝐼𝜇 bereits die wesentlichen Eigenschaften, die wir von einem Integral erwarten. 8.3 Lemma. Es seien 𝑓, 𝑔 ∈ E+ (A ). Dann gilt a) 𝐼𝜇 (𝟙𝐴 ) = 𝜇(𝐴) ∀𝐴 ∈ A ; b) 𝐼𝜇 (𝜆𝑓) = 𝜆𝐼𝜇 (𝑓) ∀𝜆 ⩾ 0; c) 𝐼𝜇 (𝑓 + 𝑔) = 𝐼𝜇 (𝑓) + 𝐼𝜇 (𝑔); d) 𝑓 ⩽ 𝑔 󳨐⇒ 𝐼𝜇 (𝑓) ⩽ 𝐼𝜇 (𝑔).

(positiv homogen) (additiv) (monoton)

Beweis. Die Eigenschaften a), b) sind klar. 𝑁 c) Wenn 𝑓 = ∑𝑀 𝑚=0 𝑦𝑚 𝟙𝐴 𝑚 , 𝑔 = ∑𝑛=0 𝑧𝑛 𝟙𝐵𝑛 Standarddarstellungen sind, dann ist 𝑀

𝑁

𝑓 + 𝑔 = ∑ ∑ (𝑦𝑚 + 𝑧𝑛 )𝟙𝐴 𝑚 ∩𝐵𝑛 ∈ E+ (A ) 𝑚=0 𝑛=0

auch eine Standarddarstellung (Beispiel 7.9.b). Dann gilt aber 𝑀

𝑁

𝐼𝜇 (𝑓 + 𝑔) = ∑ ∑ (𝑦𝑚 + 𝑧𝑛 )𝜇(𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 ) 𝑚=0 𝑛=0 𝑀

𝑁

𝑀

𝑁

= ∑ ∑ 𝑦𝑚 𝜇(𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 ) + ∑ ∑ 𝑧𝑛 𝜇(𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 ) 𝑚=0 𝑛=0 𝑀

𝑚=0 𝑛=0 𝑁

𝑁

𝑀

= ∑ 𝑦𝑚 ∑ 𝜇(𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 ) + ∑ 𝑧𝑛 ∑ 𝜇(𝐴 𝑚 ∩ 𝐵𝑛 ) 𝑚=0

𝑛=0

𝑀

𝑛=0

𝑚=0

𝑁

= ∑ 𝑦𝑚 𝜇(𝐴 𝑚 ) + ∑ 𝑧𝑛 𝜇(𝐵𝑛 ) 𝑚=0

𝑛=0

= 𝐼𝜇 (𝑓) + 𝐼𝜇 (𝑔). d) Für 𝑓 ⩽ 𝑔 gilt 𝑔 = 𝑓 + (𝑔 − 𝑓) und nach Teil c) ist dann ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ∈E+ (A )

𝐼𝜇 (𝑔 − 𝑓) ⩾ 𝐼𝜇 (𝑓). 𝐼𝜇 (𝑔) = 𝐼𝜇 (𝑓) + ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ⩾0

M+ℝ (A +

Allgemeine 𝑢 ∈ ) lassen sich mit Hilfe des Sombrero-Lemma 7.11 durch aufsteigende Folgen von E -Funktionen approximieren. Insbesondere gibt es positive einfache Funktionen unterhalb einer positiven messbaren Funktion.

42 | 8 Das Integral positiver Funktionen 8.4 Definition. Das (𝜇-)Integral von 𝑢 ∈ M+ℝ (A ) ist gegeben durch ∫ 𝑢 𝑑𝜇 := sup {𝐼𝜇 (𝑔) : 𝑔 ∈ E(A ), 0 ⩽ 𝑔 ⩽ 𝑢} ∈ [0, ∞].

(8.1)

Wenn wir die Integrationsvariable hervorheben wollen, dann schreiben wir auch ∫ 𝑢(𝑥) 𝜇(𝑑𝑥)

oder

∫ 𝑢(𝑥) 𝑑𝜇(𝑥).

Beachte: (8.1) ist stets wohldefiniert, da wir Werte in [0, ∞] zulassen.

8.5 Lemma. Das Integral ∫⋅ ⋅ ⋅ 𝑑𝜇 aus Definition 8.4 setzt 𝐼𝜇 (⋅) fort: ∀𝑓 ∈ E+ (A ) : ∫ 𝑓 𝑑𝜇 = 𝐼𝜇 (𝑓). Beweis. Sei 𝑓 ∈ E+ (A ). Dann ist 𝑔 := 𝑓 ⩽ 𝑓 zulässig im Supremum in (8.1), d. h. 𝐼𝜇 (𝑓) ⩽ sup {𝐼𝜇 (𝑔) : 𝑔 ∈ E(A ), 0 ⩽ 𝑔 ⩽ 𝑓} = ∫ 𝑓 𝑑𝜇. Umgekehrt gilt: E+ (A ) ∋ 𝑔 ⩽ 𝑓 󳨐⇒ 𝐼𝜇 (𝑔) ⩽ 𝐼𝜇 (𝑓), d. h. ∫ 𝑓 𝑑𝜇 =

sup

𝑔⩽𝑓, 𝑔∈E+

𝐼𝜇 (𝑔) ⩽ 𝐼𝜇 (𝑓).

Der folgende Satz ist der erste in einer Reihe von sogenannten Konvergenzsätzen, die die Vertauschung von Integration und Grenzwerten behandeln. 8.6 Satz (Beppo Levi, BL). Es sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ M+ℝ (A ) eine aufsteigende Folge positiver messbarer Funktionen 0 ⩽ 𝑢1 ⩽ 𝑢2 ⩽ 𝑢3 ⩽ . . . ⩽ 𝑢𝑛 ⩽ 𝑢𝑛+1 ⩽ . . . Dann ist 𝑢 := sup𝑛∈ℕ 𝑢𝑛 ∈ M+ℝ (A ) positiv und messbar und es gilt ∫ sup 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = sup ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇. 𝑛∈ℕ

𝑛

󳶳 𝑢𝑛 ⩽ 𝑢𝑛+1 bedeutet,dass 𝑢𝑛 (𝑥) ⩽ 𝑢𝑛+1 (𝑥) für alle 𝑥 ∈ 𝐸. 󳶳 𝑢𝑛 ↑ 𝑢 ist kurz für 𝑢𝑛 ⩽ 𝑢𝑛+1 ⩽ . . . , lim 𝑢𝑛 = 𝑢. 𝑛→∞

󳶳 𝑢𝑛 ↑ 𝑢, dann gilt 𝑢 = lim𝑛 𝑢𝑛 = sup𝑛 𝑢𝑛 (aufsteigender Limes).

Beweis. In Korollar 7.13 sahen wir, dass 𝑢 = sup𝑛 𝑢𝑛 ∈ Mℝ (A ).

(8.2)

8 Das Integral positiver Funktionen |

43

1o ) Behauptung: 𝑢, 𝑤 ∈ M+ℝ , 𝑢 ⩽ 𝑤 󳨐⇒ ∫ 𝑢 𝑑𝜇 ⩽ ∫ 𝑤 𝑑𝜇. Wenn 𝑢 ⩽ 𝑤, dann gilt für jede einfache Funktion 𝑓 mit 𝑓 ⩽ 𝑢 auch 𝑓 ⩽ 𝑤. Daher ist ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = sup {𝐼𝜇 (𝑓) : 𝑓 ⩽ 𝑢, 𝑓 ∈ E+ } ⩽ sup {𝐼𝜇 (𝑔) : 𝑔 ⩽ 𝑤, 𝑔 ∈ E+ } = ∫ 𝑤 𝑑𝜇. 2o ) Behauptung: sup𝑛 ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 ⩽ ∫ sup𝑛 𝑢𝑛 𝑑𝜇. Nach 1o ) ist das Integral monoton. Daher folgt 1o

∀𝑚 : 𝑢𝑚 ⩽ sup 𝑢𝑛 󳨐⇒ ∀𝑚 : ∫ 𝑢𝑚 𝑑𝜇 ⩽ ∫ sup 𝑢𝑛 𝑑𝜇 𝑛 𝑛 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ unabhängig von 𝑚

󳨐⇒ sup ∫ 𝑢𝑚 𝑑𝜇 ⩽ ∫ sup 𝑢𝑛 𝑑𝜇. 𝑚

𝑛

3o ) Behauptung: 𝑓 ⩽ 𝑢, 𝑓 ∈ E+ 󳨐⇒ 𝐼𝜇 (𝑓) ⩽ sup𝑛 ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇. Wähle 𝑓 ∈ E+ mit 𝑓 ⩽ 𝑢 und ein festes 𝛼 ∈ (0, 1). 𝑢 = sup 𝑢𝑛 󳨐⇒ ∀𝑥

∃𝑁(𝑥, 𝛼) ∈ ℕ

𝑛

∀𝑛 ⩾ 𝑁(𝑥, 𝛼) : 𝛼𝑓(𝑥) ⩽ 𝑢𝑛 (𝑥)

: 𝛼𝑓(𝑥) ⩽ 𝑢𝑛 (𝑥)} ↑𝑛→∞ 𝐸 󳨐⇒ 𝐵𝑛 := {𝑥 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ∈A

󳨐⇒ 𝛼𝟙𝐵𝑛 ⋅ 𝑓

Def. 𝐵𝑛



𝟙𝐵𝑛 ⩽1

𝟙𝐵𝑛 ⋅ 𝑢𝑛 ⩽ 𝑢𝑛 .

Für alle einfachen Funktionen der Form 𝑓 = ∑𝑀 𝑚=0 𝑦𝑚 𝟙𝐴 𝑚 gilt nun 𝑀

𝛼 ∑ 𝑦𝑚 𝜇(𝐵𝑛 ∩ 𝐴 𝑚 ) = 𝐼𝜇 (𝛼𝟙𝐵𝑛 ⋅ 𝑓) ⩽ ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 ⩽ sup ∫ 𝑢𝑚 𝑑𝜇 . 𝑚 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑚=0 unabhängig von 𝑛

Die rechte Seite hängt nicht von 𝑛 ab. Nach Konstruktion gilt 𝐵𝑛 ↑ 𝐸. Wenn wir auf der linken Seite 𝑛 → ∞ streben lassen, finden wir 𝜇(𝐵𝑛 ∩ 𝐴 𝑚 ) → 𝜇(𝐴 𝑚 ) und daher gilt 𝑀

𝛼𝐼𝜇 (𝑓) = 𝛼 ∑ 𝑦𝑚 𝜇(𝐴 𝑚 ) ⩽ sup ∫ 𝑢𝑚 𝑑𝜇 𝑚=0

𝑚

∀𝛼 ∈ (0, 1).

Da die rechte Seite nicht von 𝛼 abhängt, folgt die Behauptung für 𝛼 → 1. 4o ) Bilde in der Aussage von 3o das Supremum über alle 𝑓 ∈ E+ mit 𝑓 ⩽ 𝑢. Dann folgt ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = sup 𝐼𝜇 (𝑓) ⩽ sup ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 𝑛

und der Satz ist gezeigt. Hier ist noch ein wichtiger Spezialfall von Satz 8.6.

44 | 8 Das Integral positiver Funktionen 8.7 Korollar. Sei 𝑢 ∈ M+ℝ (A ). Dann gilt für jede Folge (𝑓𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ E+ (A ) mit 𝑓𝑛 ↑ 𝑢 (8.3)

∫ 𝑢 𝑑𝜇 = lim ∫ 𝑓𝑛 𝑑𝜇. 𝑛→∞

Oft wird (8.3) als Definition von ∫ 𝑢 𝑑𝜇 verwendet. Dann hat man aber das Problem der Wohldefiniertheit: Ist das Integral unabhängig von der approximierenden Folge (𝑓𝑛 )𝑛∈ℕ ? Unsere Definition (8.1) liefert das „kostenlos“. Trotzdem ist (8.3) wichtig, da es zeigt, dass das Supremum ein Limes ist, und insbesondere 𝑢 󳨃→ ∫ 𝑢 𝑑𝜇 linear ist.

8.8 Lemma. Es seien 𝑢, 𝑣 ∈ M+ℝ (A ). Dann gilt a) ∫ 𝟙𝐴 𝑑𝜇 = 𝜇(𝐴) ∀𝐴 ∈ A ; b) ∫ 𝛼𝑢 𝑑𝜇 = 𝛼 ∫ 𝑢 𝑑𝜇

(positiv homogen)

∀𝛼 ⩾ 0;

c) ∫(𝑢 + 𝑣) 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇 + ∫ 𝑣 𝑑𝜇;

(additiv)

d) 𝑢 ⩽ 𝑣 󳨐⇒ ∫ 𝑢 𝑑𝜇 ⩽ ∫ 𝑣 𝑑𝜇.

(monoton)

Beweis. Das folgt aus Lemma 8.3, Korollar 8.7 und dem Sombrero-Lemma 7.11. Die folgende Version des Satzes von Beppo Levi für Reihen ist oft hilfreich. + 8.9 Lemma. Für jede Folge (𝑣𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ M+ℝ (A ) ist ∑∞ 𝑛=1 𝑣𝑛 ∈ Mℝ (A ) und es gilt ∞



∑ ∫ 𝑣𝑛 𝑑𝜇 = ∫ ∑ 𝑣𝑛 𝑑𝜇 ∈ [0, ∞]. 𝑛=1

𝑛=1

∞ Beweis. [] Hinweis: ∑𝑁 𝑛=1 𝑣𝑛 ↑ ∑𝑛=1 𝑣𝑛 für 𝑁 → ∞.

8.10 Beispiel. a) Auf einem beliebigen Messraum (𝐸, A ) betrachten wir 𝜇 = 𝛿𝑦 für ein festes 𝑦 ∈ 𝐸. Dann gilt für alle 𝑢 ∈ M+ℝ (A ) (8.4)

∫ 𝑢 𝑑𝛿𝑦 = ∫ 𝑢(𝑥) 𝛿𝑦 (𝑑𝑥) = 𝑢(𝑦). Denn: Für E+ ∋ 𝑓 = ∑𝑁 𝑛=0 𝜙𝑛 𝟙𝐴 𝑛 in Standarddarstellung ist 𝑁

(*)

∫ 𝑓 𝑑𝛿𝑦 = ∑ 𝜙𝑛 𝛿𝑦 (𝐴 𝑛 ) = 𝜙𝑛0 = 𝑓(𝑦). 𝑛=0



An der mit (*) gekennzeichneten Stelle verwenden wir, dass 𝐸 = ⋃ 𝐴 𝑛 , d. h. wir finden ein 𝑛0 mit 𝑦 ∈ 𝐴 𝑛0 . Aufgrund des Sombrero-Lemmas (Satz 7.11) gibt es eine Folge E+ ∋ 𝑓ℓ ↑ 𝑢, und für diese gilt BL

𝑢(𝑦) = lim 𝑓ℓ (𝑦) = lim ∫ 𝑓ℓ 𝑑𝛿𝑦 = ∫ 𝑢 𝑑𝛿𝑦 . ℓ→∞

ℓ→∞

b) Es seien (𝐸, A ) = (ℕ, P(ℕ)) und 𝜇 = ∑∞ ℓ=1 𝛼ℓ 𝛿ℓ mit 𝛼ℓ ⩾ 0. Wir wissen bereits, dass

8 Das Integral positiver Funktionen |

󳶳 󳶳 󳶳

45

𝜇 ein Maß auf ℕ ist. jede Funktion 𝑢 : (ℕ, P(ℕ)) → (ℝ+ , B(ℝ+ )) messbar ist. 𝑢(𝑚) = ∑ 𝑢𝑛 𝟙{𝑛} (𝑚) für eine geeignete Folge (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ ℝ+ gilt. 𝑛∈ℕ

Somit finden wir BL

∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ ∑ 𝑢𝑛 𝟙{𝑛} 𝑑𝜇 = ∑ 𝑢𝑛 ∫ 𝟙{𝑛} 𝑑𝜇 = ∑ 𝑢𝑛 𝜇({𝑛}) ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ = ∑ 𝑢𝑛 𝛼𝑛 . 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

=𝛼𝑛

𝑛∈ℕ



c) Insbesondere zeigt b), dass

𝑛∈ℕ



∑ 𝑢𝑛 = ∫ 𝑢 𝑑𝜈 mit 𝜈 = ∑ 𝛿ℓ . 𝑛=1 ℓ=1 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ Reihe

Integral

gegen

Zählmaß

Der folgende Konvergenzsatz für positive messbare Funktionen wird „Lemma von Fatou“ genannt. Er wird häufig verwendet, um die Endlichkeit gewisser Integralausdrücke zu zeigen. + 8.11 Satz (Fatou). Es sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ Mℝ (A ) eine Folge positiver messbarer Funktionen. + Dann ist 𝑢 := lim inf 𝑛→∞ 𝑢𝑛 ∈ Mℝ (A ) und es gilt

∫ lim inf 𝑢𝑛 𝑑𝜇 ⩽ lim inf ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇. 𝑛→∞

𝑛→∞

(8.5)

Beweis. Nach Definition ist lim inf 𝑛→∞ 𝑢𝑛 = sup𝑚∈ℕ inf 𝑛⩾𝑚 𝑢𝑛 ∈ ℝ. Korollar 7.13 zeigt, dass diese Funktion messbar ist. Wegen inf 𝑛⩾𝑚 𝑢𝑛 ↑ 𝑢 (𝑚 → ∞) gilt BL

∫ lim inf 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = sup ∫ inf 𝑢𝑛 𝑑𝜇 ⩽ sup ( inf ∫ 𝑢ℓ 𝑑𝜇) 𝑛→∞ 𝑛⩾𝑚 𝑚∈ℕ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑚∈ℕ ℓ⩾𝑚 ⩽∫ 𝑢ℓ 𝑑𝜇

∀ℓ⩾𝑚

= lim inf ∫ 𝑢ℓ 𝑑𝜇. ℓ→∞

Im Beweis von Satz 8.11 wird die Positivität der 𝑢𝑛 verwendet, um ∫ inf 𝑛⩾𝑚 𝑢𝑛 𝑑𝜇 > −∞ sicherzustellen. Das Lemma von Fatou gilt also auch für alle Folgen (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ , die die Bedingung 𝑢𝑛 ⩾ −𝑤 für alle 𝑛 ∈ ℕ und eine messbare Funktion 𝑤 ⩾ 0 mit ∫ 𝑤 𝑑𝜇 < ∞ erfüllen.

Aufgaben 1.

Der Satz von Beppo Levi (Satz 8.6) gilt für eine „wachsende Folge positiver Funktionen“. Zeigen Sie, dass die Aussage im Allgemeinen für „eine Folge wachsender positiver Funktionen“ falsch ist.

2.

Auf einem Maßraum (𝐸, A , 𝜇) seien (𝑢𝑛 ) ⊂ M+ (A ) eine Folge positiver messbarer Funktionen. Zeigen Sie, dass ∞



∫ ∑ 𝑢𝑛 (𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) = ∑ ∫ 𝑢𝑛 (𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) 𝑛=0

𝑛=0

äquivalent zum Satz von Beppo Levi (Satz 8.6) ist.

46 | 8 Das Integral positiver Funktionen 3.

Auf einem Maßraum (𝐸, A , 𝜇) sei 𝑢 ∈ M+ (A ). Zeigen Sie, dass 𝐴 󳨃→ ∫ 𝟙𝐴 (𝑥)𝑢(𝑥)𝜇(𝑑𝑥), 𝐴 ∈ A , ein Maß ist. Hinweis: Verwenden Sie Aufgabe 8.2.

4.

(Fatou) Es sei (𝐴, A , 𝜇) ein Maßraum und (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ M+ (A ). Wenn 𝑢𝑛 ⩽ 𝑢 für alle 𝑛 ∈ ℕ und ein 𝑢 ∈ M+ (A ) mit ∫ 𝑢 𝑑𝜇 < ∞ gilt, dann gilt auch lim sup ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 ⩽ ∫ lim sup 𝑢𝑛 𝑑𝜇. 𝑛→∞

5.

𝑛→∞

(Fatou für Maße) Es sei (𝐴, A , 𝜇) ein endlicher Maßraum und (𝐴 𝑖 )𝑖∈ℕ ⊂ A . In Aufgabe 2.9 wurde der limes inferior und limes superior von Mengen eingeführt. Zeigen Sie: def



(a) 𝜇( lim inf 𝐴 𝑖 ) = 𝜇 ( ⋃ ⋂ 𝐴 𝑖 ) ⩽ lim inf 𝜇(𝐴 𝑖 ). 𝑖→∞

def

𝑘=1 𝑖⩾𝑘 ∞

𝑖→∞

(b) 𝜇( lim sup 𝐴 𝑖 ) = 𝜇 ( ⋂ ⋃ 𝐴 𝑖 ) ⩾ lim sup 𝜇(𝐴 𝑖 ). 𝑖→∞

(c)

𝑘=1 𝑖⩾𝑘

𝑖→∞

Zeigen Sie, dass die Endlichkeit des Maßes für Teil (b) wesentlich ist. ∞

(d) ∑ 𝜇(𝐴 𝑖 ) < ∞ 󳨐⇒ 𝜇( lim sup 𝐴 𝑖 ) = 0.

(Lemma von Borel)

𝑖→∞

𝑖=1

6.

Es sei (𝐸, A ) ein Messraum und 𝜇1 , 𝜇2 , . . . abzählbar viele Maße. Zeigen Sie: (a) Für jede Folge (𝑐𝑖 )𝑖 ⊂ [0, ∞] ist 𝜇 := ∑𝑖 𝑐𝑖 𝜇𝑖 ein Maß auf (𝐸, A ). (b) Für jede Funktion 𝑢 ∈ M+ (A ) gilt ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∑𝑖 𝑐𝑖 ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑖 . (c) Für jede Doppelfolge (𝑎𝑖𝑘 )𝑖,𝑘∈ℕ ⊂ [0, ∞) gilt ∑𝑖 ∑𝑘 𝑎𝑖𝑘 = ∑𝑘 ∑𝑖 𝑎𝑖𝑘 . Hinweis: Teil (c) kann elementar oder mit Hilfe des Zählmaßes und von Teil (b) bewiesen werden.

7.

(Kerne) Es seien (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum und (𝐹, F ) ein Messraum. Ein (Maß-)Kern oder Übergangskern ist eine Abbildung 𝑁 : 𝐸 × F → [0, ∞], so dass 𝑄 󳨃→ 𝑁(𝑥, 𝑄)

ein Maß auf (𝐹, F ) ist für jedes feste 𝑥 ∈ 𝐸;

𝑥 󳨃→ 𝑁(𝑥, 𝑄)

eine messbare Funktion auf 𝐸 ist für jedes feste 𝑄 ∈ F .

(a) Zeigen Sie, dass F ∋ 𝑄 󳨃→ 𝜇𝑁(𝑄) := ∫ 𝑁(𝑥, 𝑄) 𝜇(𝑑𝑥) ein Maß auf (𝐹, F ) ist. (b) Für 𝑓 ∈ M+ (F ) definieren wir 𝑁𝑓(𝑥) := ∫ 𝑓(𝑦) 𝑁(𝑥, 𝑑𝑦). Zeigen Sie, dass 𝑓 󳨃→ 𝑁𝑓 additiv, positiv homogen und A /B(ℝ)-messbar ist. Es sei 𝜇𝑁 das in Teil (a) definierte Maß auf (𝐹, F ). Zeigen Sie, dass ∫ 𝑓 𝑑(𝜇𝑁) = ∫ 𝑁𝑓 𝑑𝜇 für 𝑓 ∈ M+ (F ) gilt. Hinweis: Betrachten Sie zunächst messbare Treppenfunktionen und verwenden Sie dann das Sombrero-Lemma. (c)

8.

Ein Maßraum (𝐸, A , 𝜇) heißt 𝜎-endlich, wenn es eine Folge A ∋ 𝐴 𝑖 ↑ 𝐸 mit 𝜇(𝐴 𝑖 ) < ∞ gibt. (a) Wenn (𝐸, A , 𝜇) 𝜎-endlich ist, dann gibt es eine strikt positive messbare Funktion 𝑓 > 0 mit ∫ 𝑓 𝑑𝜇 < ∞. (b) Zeigen Sie die sog. Markovsche Ungleichung: Für 𝑢 ∈ M+ (A ) gilt 𝜇{𝑢 ⩾ 𝑐} ⩽

1 𝑐

∫ 𝑢 𝑑𝜇.

Verwenden Sie Teil (b), um die Umkehrung von (a) zu zeigen: Wenn es ein 𝑓 ∈ M+ (A ) mit 𝑓 > 0 und ∫ 𝑓 𝑑𝜇 < ∞ gibt, dann ist (𝐸, A , 𝜇) 𝜎-endlich. Hinweis: Betrachten Sie Funktionen der Art 𝑓 := ∑𝑖 𝑐𝑖 𝟙𝐴 𝑖 bzw. die Mengen 𝐴 𝑖 := {𝑓 ⩾ 1/𝑖}.

(c)

9 Das Integral messbarer Funktionen In diesem Kapitel bezeichne (𝐸, A , 𝜇) einen Maßraum. Wir wollen nun das Integral von M+ℝ (A ) auf Mℝ (A ) fortsetzen. Da das Integral linear sein soll, werden wir das Integral durch Linearität fortsetzen. Wie bisher bezeichnen wir mit 𝑢± ∈ M+ℝ (A ) den Positiv- und Negativteil von 𝑢 ∈ Mℝ (A ). 9.1 Definition. 𝑢 : 𝐸 → ℝ heißt (𝜇-)integrierbar, wenn 𝑢 ∈ Mℝ (A )

und

∫ 𝑢+ 𝑑𝜇 < ∞,

∫ 𝑢− 𝑑𝜇 < ∞.

In diesem Fall definieren wir ∫ 𝑢 𝑑𝜇 := ∫ 𝑢+ 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢− 𝑑𝜇 ∈ ℝ.

(9.1)

∫ 𝑢 𝑑𝜇 heißt (𝜇-)Integral von 𝑢. Die Familie der 𝜇-integrierbaren Funktionen ist Lℝ1 (𝜇), mit L 1 (𝜇) bezeichnen wir die ℝ-wertigen integrierbaren Funktionen.

Abb. 9.1. Vom Maß zum Integral – und zurück. Die Abbildung zeigt alle Schritte, wie man vom Maß zum Integral gelangt. Da 𝜇(𝐴) = ∫ 𝟙𝐴 𝑑𝜇, können wir aus dem Integral das ursprüngliche Maß rekonstruieren.

9.2 Bemerkung. a) Weitere Schreibweisen: ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢(𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) = ∫ 𝑢(𝑥) 𝑑𝜇(𝑥). b) Wenn 𝜇 = 𝜆𝑑 , dann nennen wir 𝑢 Lebesgue-integrierbar und schreiben oft 𝜆𝑑 (𝑑𝑥) = 𝑑𝑥, d. h. ∫ 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥 usw. c) Die Forderung ∫ 𝑢± 𝑑𝜇 < ∞ in Definition 9.1 schließt den Fall „∞ − ∞“ aus. Beachte, dass wir für 𝑢 ⩾ 0 auch ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∞ zulassen, dass dann aber nur 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇) gilt, wenn ∫ 𝑢 𝑑𝜇 < ∞.

48 | 9 Das Integral messbarer Funktionen d) Wenn 𝑢 = 𝑓 − 𝑔 eine weitere Darstellung von 𝑢 als Differenz positiver messbarer Funktionen ist, dann gilt auch ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑓 𝑑𝜇 − ∫ 𝑔 𝑑𝜇 (sofern die Differenz definiert ist). Das sieht man so: Indem wir 𝑢+ − 𝑢− = 𝑓 − 𝑔 umstellen, erhalten wir 𝑢+ + 𝑔 = 𝑢− + 𝑓 ∈ M+𝑅 , und damit ∫ 𝑢+ 𝑑𝜇 + ∫ 𝑔 𝑑𝜇 = ∫ 𝑓 𝑑𝜇 + ∫ 𝑢− 𝑑𝜇 ⇐⇒ ∫ 𝑢+ 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢− 𝑑𝜇 = ∫ 𝑓 𝑑𝜇 − ∫ 𝑔 𝑑𝜇. 9.3 Satz (Integrabilitätskriterium). Für eine messbare Funktion 𝑢 ∈ Mℝ (A ) sind folgende Aussagen äquivalent:

Beweis. b)⇒c) c)⇔d) d)⇒b)

a)

𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇);

c) |𝑢| ∈ Lℝ1 (𝜇);

b)

𝑢+ , 𝑢− ∈ Lℝ1 (𝜇);

d)

∃𝑤 ∈ Lℝ1 (𝜇), 𝑤 ⩾ 0 : |𝑢| ⩽ 𝑤.

a)⇔b) Das ist gerade die Definition des Integrals. |𝑢| = 𝑢+ + 𝑢− 󳨐⇒ ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢+ 𝑑𝜇 + ∫ 𝑢− 𝑑𝜇 < ∞. Wähle 𝑤 := |𝑢|. 𝑢± ⩽ |𝑢| ⩽ 𝑤 󳨐⇒ ∫ 𝑢± 𝑑𝜇 ⩽ ∫ 𝑤 𝑑𝜇 < ∞.

Die Definition des Integrals ist gerade so gewählt, dass sich die Eigenschaften des Integrals von M+ℝ (A ) auf Lℝ1 (𝜇) übertragen. 9.4 Satz. 𝑢, 𝑤 ∈ Lℝ1 (𝜇) und 𝛼 ∈ ℝ. Dann a) 𝛼𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇), ∫ 𝛼𝑢 𝑑𝜇 = 𝛼 ∫ 𝑢 𝑑𝜇; b) 𝑢 + 𝑤 ∈ Lℝ1 (𝜇) (wenn definiert), ∫(𝑢 + 𝑤) 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇 + ∫ 𝑤 𝑑𝜇; c) 𝑢 ∨ 𝑤, 𝑢 ∧ 𝑤 ∈ Lℝ1 (𝜇); d) 𝑢 ⩽ 𝑤 󳨐⇒ ∫ 𝑢 𝑑𝜇 ⩽ ∫ 𝑤 𝑑𝜇; 󵄨 󵄨 e) 󵄨󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨󵄨 ⩽ ∫ |𝑢| 𝑑𝜇.

(homogen) (additiv) (Verband) (monoton) (Dreiecks-Ungl.)

Beweis. Da 𝑢 und 𝑤 messbar sind, sind auch die Funktionen 𝛼𝑢, 𝑢 + 𝑤 (sofern definiert – „∞ − ∞“-Problematik!), 𝑢 ∨ 𝑤 und 𝑢 ∧ 𝑤 wiederum messbar. Es reicht daher, die Integrierbarkeit der Beträge zu prüfen. a) |𝛼𝑢| = |𝛼| ⋅ |𝑢| ∈ Lℝ1 (𝜇) wegen Satz 9.3 und Lemma 8.8.b). Die Formel für das Integral folgt nun aus (𝛼𝑢)± = 𝛼𝑢± (für 𝛼 ⩾ 0) bzw. (𝛼𝑢)± = −𝛼𝑢∓ (für 𝛼 < 0). b) |𝑢 + 𝑤| ⩽ |𝑢| + |𝑤| ∈ Lℝ1 (𝜇) wegen Satz 9.3 und Lemma 8.8.c). Die Formel für das Integral folgt nun mit Hilfe von Bemerkung 9.2.d) und der Zerlegung 𝑢 + 𝑤 = (𝑢 + 𝑤)+ − (𝑢 + 𝑤)− = (𝑢+ + 𝑤+ ) − (𝑢− + 𝑤− ). c) |𝑢 ∨ 𝑤|, |𝑢 ∧ 𝑤| ⩽ |𝑢| + |𝑤| ∈ Lℝ1 (𝜇). d) Aus 𝑢 ⩽ 𝑤 folgt 𝑢+ ⩽ 𝑤+ und 𝑤− ⩽ 𝑢− . Wegen der Monotonie des Integrals gilt ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢+ 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢− 𝑑𝜇 ⩽ ∫ 𝑤+ 𝑑𝜇 − ∫ 𝑤− 𝑑𝜇 = ∫ 𝑤 𝑑𝜇. 󵄨 󵄨 e) 󵄨󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨󵄨 = max {∫ 𝑢 𝑑𝜇, − ∫ 𝑢 𝑑𝜇} ⩽ max {∫ |𝑢| 𝑑𝜇, ∫ | − 𝑢| 𝑑𝜇} = ∫ |𝑢| 𝑑𝜇.

9 Das Integral messbarer Funktionen |

49

9.5 Bemerkung. Wenn 𝛼𝑢 + 𝛽𝑤 in ℝ definiert ist (d. h. „∞ − ∞“ tritt nicht auf), dann besagt Satz 9.4.a), b) (Linearität)

∫(𝛼𝑢 + 𝛽𝑤) 𝑑𝜇 = 𝛼 ∫ 𝑢 𝑑𝜇 + 𝛽 ∫ 𝑤 𝑑𝜇. Für 𝑢, 𝑤 ∈ L 1 (𝜇) gilt das immer. 󳶳 L 1 (𝜇) = Lℝ1 (𝜇) ist ein Vektorraum. 󳶳󳶳 Addition: (𝑢 + 𝑤)(𝑥) = 𝑢(𝑥) + 𝑤(𝑥), 𝑥 ∈ 𝐸 󳶳󳶳 skalare Multiplikation: (𝛼𝑢)(𝑥) = 𝛼𝑢(𝑥), 𝑥 ∈ 𝐸, 𝛼 ∈ ℝ 󳶳 L 1 (𝜇) ∋ 𝑢 󳨃→ ∫ 𝑢 𝑑𝜇 ist positives lineares Funktional.

9.6 Beispiel (Fortsetzung von Beispiel 3.5 und 8.10). a) Sei (𝐸, A ) ein beliebiger Messraum und 𝑦 ∈ 𝐸 fest. Dann gilt ∫ 𝑢(𝑥) 𝛿𝑦 (𝑑𝑥) = 𝑢(𝑦) und 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝛿𝑦 ) ⇐⇒ 𝑢 ∈ Mℝ (A ) und |𝑢(𝑦)| < ∞. b) Im Maßraum (ℕ, P(ℕ), 𝜇 = ∑∞ 1 𝛼𝑛 𝛿𝑛 ) sind alle Funktionen 𝑢 : ℕ → ℝ messbar. Wegen 8.10.b) gilt ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 = ∑∞ 𝑛=1 𝛼𝑛 |𝑢(𝑛)| und es folgt 𝑢 ∈ L 1 (𝜇) ⇐⇒ ∑∞ 1 𝛼𝑛 |𝑢(𝑛)| < ∞. Für 𝛼1 = 𝛼2 = ⋅ ⋅ ⋅ = 1 ist L 1 (𝜇) der Raum aller absolut-summierbaren Folgen:7 L 1 (∑𝑛∈ℕ 𝛿𝑛 ) = ℓ1 (ℕ) = {(𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ : ∑∞ 𝑛=1 |𝑢𝑛 | < ∞} . c) Es sei (𝛺, A , ℙ) ein W-Raum und 𝑌 : 𝛺 → ℝ eine Zufallsvariable (d. h. eine messbare Funktion). Dann heißt 𝔼𝑌 := ∫ 𝑌 𝑑ℙ der Erwartungswert von 𝑌 (wenn 𝑌 ∈ L 1 (ℙ)). Wichtiger Sonderfall: Es sei sup𝜔∈𝛺 |𝑌(𝜔)| < ∞, d. h. 𝑌 sei beschränkt. Dann gilt ∫ |𝑌| 𝑑ℙ ⩽ ∫ sup |𝑌(𝜔)| ℙ(𝑑𝜔) = sup |𝑌(𝜔)| ∫ 1 ℙ(𝑑𝜔) < ∞. ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝜔∈𝛺 𝜔∈𝛺 =ℙ(𝛺)=1

Konsequenz: Für jede beschränkte Zufallsvariable 𝑌 : 𝛺 → ℝ gilt 𝑌 ∈ L 1 (ℙ) und 𝔼𝑌 existiert. Die Umkehrung der Aussage c) ist falsch! Betrachte, z. B. in b) die Folge 𝛼𝑛 = 2−𝑛 (damit erhalten wir −𝑛 einen W-Raum) und 𝑢 = 𝑌 : ℕ → ℝ mit 𝑌(𝑛) = 𝑛. Dann ist 𝑌 nicht beschränkt, aber 𝔼𝑌 = ∑∞ 1 𝑛2 konvergiert.

7 Das ist ein wichtiger Folgenraum in der Funktionalanalysis!

50 | 9 Das Integral messbarer Funktionen 9.7 Definition. Es sei 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇) oder 𝑢 ∈ M+ℝ (A ). Dann ∫ 𝑢 𝑑𝜇 := ∫ 𝑢𝟙 ⏟⏟⏟⏟⏟𝐴⏟⏟ 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢(𝑥)𝟙𝐴 (𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) 𝐴

∀𝐴 ∈ A .

messbar wg. 7.14

Beachte: Wir haben ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇, da ja 𝟙𝐸 ≡ 1. 𝐸

Definition 9.7 erlaubt es uns insbesondere, das Integral als Funktion des Integrationsbereichs zu verstehen, also 𝐴 󳨃→ ∫𝐴 ⋅ ⋅ ⋅, und dadurch viele neue Maße und Mengenfunktionen zu konstruieren, z. B. wie im folgenden Lemma. [] 9.8 Lemma. Es sei 𝑢 ∈ M+ℝ (A ). Dann ist 𝜈(𝐴) := ∫ 𝑢 𝑑𝜇 := ∫ 𝑢𝟙𝐴 𝑑𝜇,

𝐴∈A

𝐴

ein Maß auf (𝐸, A ). 𝜈 heißt Maß mit der Dichte(funktion) 𝑢 (bzgl. 𝜇). 9.9 Bemerkung. Folgende Bezeichnungen sind üblich: 𝜈 = 𝑢 ⋅ 𝜇 oder 𝑑𝜈 = 𝑢 ⋅ 𝑑𝜇. Oft 𝑑𝜈 . Diese Bezeichnung kommt vom Hauptsatz der Differential- und schreibt man 𝑢 = 𝑑𝜇 Integralrechnung: 𝑥 𝑑𝑈 𝑈(𝑥) − 𝑈(𝑎) = ∫ 𝑢(𝑦) 𝑑𝑦 󳨐⇒ =𝑢 𝑑𝑥 𝑎

Mit den Bezeichnungen 𝜆 = 𝜆1 und 𝜆(𝑑𝑥) = 𝑑𝑥 erhalten wir 𝑑(𝑢𝜆) 𝑑𝑈 = = 𝑢. 𝑑𝜆 𝑑𝑥 Die positive Dichte 𝑢 ⩾ 0 induziert das Maß 𝜈: 𝜈(𝑎, 𝑏] = 𝑈(𝑏) − 𝑈(𝑎) = ∫ 𝑢 𝑑𝜆. (𝑎,𝑏]

Aufgaben 1.

Es sei 𝑢 : (𝐸, A ) → (ℝ, B(ℝ)) eine messbare Funktion. Zeigen Sie, dass für ein Maß 𝜇 𝑢 ∈ L 1 (𝜇) ⇐⇒ ∑ 2𝑛 𝜇 {2𝑛 ⩽ |𝑢| < 2𝑛+1 } . 𝑛∈ℤ

2.

(Komplexwertige Integranden) Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum und ℂ der Körper der komplexen Zahlen. Wir bezeichnen mit 𝑥 = Re 𝑧 und 𝑦 = Im 𝑧 den Real- bzw. Imaginärteil von 𝑧 = 𝑥 + 𝑖𝑦 ∈ ℂ und mit Oℂ die Euklidische Topologie auf ℂ, die die „übliche“ Konvergenz in ℂ beschreibt. Weiter sei 𝑔 : ℂ → ℝ2 , 𝑧 = 𝑥 + 𝑖𝑦 󳨃→ (𝑥, 𝑦). Zeigen Sie: (a) C := 𝑔−1 (B(ℝ2 )) := {𝑔−1 (𝐵) : B(ℝ2 )} stimmt mit B(ℂ) := 𝜎(Oℂ ) überein.

9 Das Integral messbarer Funktionen

|

51

(b) Eine Abbildung ℎ : 𝐸 → ℂ ist genau dann A /C -messbar, wenn Re ℎ und Im ℎ A /B(ℝ)messbar sind. Eine Funktion ℎ : 𝐸 → ℂ heißt 𝜇-integrierbar, falls Re ℎ und Im ℎ 𝜇-integrierbar sind; wir schreiben Lℂ1 (𝜇) für die komplexwertigen 𝜇-integrierbaren Funktionen. Das Integral ist definiert als ∫ ℎ 𝑑𝜇 := ∫ Re ℎ 𝑑𝜇 + 𝑖 ∫ Im ℎ 𝑑𝜇. Dann gilt: (c) ℎ 󳨃→ ∫ ℎ 𝑑𝜇 definiert auf Lℂ1 (𝜇) eine ℂ-lineare Abbildung. (d) Re ∫ ℎ 𝑑𝜇 = ∫ Re ℎ 𝑑𝜇 und Im ∫ ℎ 𝑑𝜇 = ∫ Im ℎ 𝑑𝜇. 󵄨 󵄨 (e) 󵄨󵄨󵄨󵄨∫ ℎ 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨󵄨 ⩽ ∫ |ℎ| 𝑑𝜇. Hinweis: Da ∫ ℎ 𝑑𝜇 ∈ ℂ gibt es ein 𝜃 ∈ (−𝜋, 𝜋], so dass 𝑒𝑖𝜃 ∫ ℎ 𝑑𝜇 ⩾ 0. (f) 3.

Lℂ1 (𝜇) = {ℎ : 𝐸 → ℂ : ℎ ist A /C -messbar und |ℎ| ∈ Lℝ1 (𝜇)}.

(Reihenvergleichskriterium)Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein endlicher Maßraum. Zeigen Sie: (a) 𝑢 ∈ L 1 (𝜇) ⇐⇒ 𝑢 ∈ M(A ) & ∑∞ 𝑖=0 𝜇{|𝑢| ⩾ 𝑖} < ∞; ∞ (b) ∑∞ 𝑖=1 𝜇{|𝑢| ⩾ 𝑖} ⩽ ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 ⩽ ∑𝑖=0 𝜇{|𝑢| ⩾ 𝑖}.

4.

Es sei (𝛺, A , ℙ) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Zeigen Sie, dass eine ℙ-integrierbare Funktion nicht beschränkt sein muss.

5.

(Fatou – verallgemeinert) Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum und (𝑢𝑖 )𝑖∈ℕ , (𝑣𝑖 )𝑖∈ℕ , (𝑤𝑖 )𝑖∈ℕ ⊂ M(A ). (a) Wenn es ein 𝑢 ∈ L 1 (𝜇) mit 𝑢𝑖 (𝑥) ⩾ 𝑢(𝑥), 𝑖 ∈ ℕ, 𝑥 ∈ 𝐸 gibt, dann gilt: lim inf ∫ 𝑢𝑖 (𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) ⩾ ∫ lim inf 𝑢𝑖 (𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) 𝑖→∞

𝑖→∞

(b) Wenn es ein 𝑣 ∈ L 1 (𝜇) mit 𝑣𝑖 (𝑥) ⩽ 𝑣(𝑥), 𝑖 ∈ ℕ, 𝑥 ∈ 𝐸 gibt, dann gilt: ∫ lim sup 𝑣𝑖 (𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) ⩾ lim sup ∫ 𝑣𝑖 (𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) 𝑖→∞

(c)

𝑖→∞

Wenn 𝑤(𝑥) = lim𝑖 𝑤𝑖 (𝑥) für alle 𝑥 ∈ 𝐸 existiert und wenn |𝑤𝑖 (𝑥)| ⩽ 𝑔(𝑥) für ein 𝑔 ∈ L 1 (𝜇) und alle 𝑥 ∈ 𝐸 gilt, dann ist 𝑤 ∈ L 1 (𝜇) und ∫ 𝑤(𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) = ∫ lim 𝑤𝑖 (𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) = lim ∫ 𝑤𝑖 (𝑥) 𝜇(𝑑𝑥). 𝑖→∞

𝑖→∞

(d) Zeigen Sie durch ein Gegenbeispiel, dass die halbseitige Beschränktheit durch integrierbare Funktionen eine wesentliche Annahme in (a) und (b) ist. 6.

(Satz von Egorov) Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein endlicher Maßraum und 𝑓𝑛 : 𝐸 → ℝ, 𝑛 ∈ ℕ, eine Folge messbarer Funktionen. ∞ ∞ 1 (a) 𝐶𝑓 := {𝑥 ∈ 𝐸 : 𝑓(𝑥) = lim𝑛 𝑓𝑛 (𝑥) existiert} = ⋂∞ 𝑘=1 ⋃ℓ=1 ⋂𝑚,𝑛=ℓ {|𝑓𝑚 − 𝑓𝑛 | ⩽ 𝑘 }. (b) Wir nehmen an, dass 𝜇(𝐸 \ 𝐶𝑓 ) = 0, d. h. 𝑓𝑛 (𝑥) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝑓(𝑥) für alle 𝑥 außerhalb einer Null𝑛→∞

1 menge. Dann gilt für die Mengen 𝐴𝑘𝑛 := ⋃𝑛ℓ=1 ⋂∞ 𝑚=ℓ {|𝑓𝑚 − 𝑓| ⩽ 𝑘 }

∀𝜖 > 0 ∀𝑘 ∈ ℕ ∃𝑛(𝑘, 𝜖) ∈ ℕ : 𝜇(𝐸 \ 𝐴𝑘𝑛(𝑘,𝜖) ) ⩽ 𝜖2−𝑘 . (c)

Satz (Egorov). Auf einem endlichen Maßraum sei (𝑓𝑛 )𝑛∈ℕ eine Folge messbarer Funktionen, die punktweise (überall oder außerhalb einer Menge vom Maß Null) gegen eine Funktion 𝑓 konvergiert. Dann gibt es für jedes 𝜖 > 0 eine Menge 𝐴 𝜖 ∈ A , 𝜇(𝐸 \ 𝐴 𝜖 ) ⩽ 𝜖, so dass 𝑓𝑛 → 𝑓 gleichmäßig auf 𝐴 𝜖 (also: lim𝑛→∞ sup𝑥∈𝐴 𝜖 |𝑓𝑛 (𝑥) − 𝑓(𝑥)| = 0).

(d) Geben Sie ein Beispiel an, dass die Voraussetzung 𝜇(𝐸) < ∞ für den Satz von Egorov wesentlich ist (betrachten Sie etwa das Zählmaß auf ℕ oder das Lebesgue-Maß auf ℝ).

10 Nullmengen Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein beliebiger Maßraum. In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit (messbaren) Mengen, die von dem Maß 𝜇 „nicht gesehen“ werden und in diesem Sinn Ausnahmemengen sind. 10.1 Definition. a) Die (messbaren) Nullmengen sind N𝜇 := {𝑁 ∈ A : 𝜇(𝑁) = 0}. b) Eine Eigenschaft 𝛱(𝑥) gilt (𝜇-)fast überall (𝜇-f. ü.) oder für (𝜇-)fast alle 𝑥, wenn {𝑥 ∈ 𝐸 : 𝛱(𝑥) gilt nicht} ⊂ 𝑁 ∈ N𝜇 .

󳶳 Die (Ausnahme-)Menge {𝑥 ∈ 𝐸 : 𝛱(𝑥) gilt nicht} muss nicht messbar sein. 󳶳 𝑢 = 𝑤 f. ü. ⇐⇒ {𝑢 ≠ 𝑤} ⊂ 𝑁 ∈ N𝜇 . 󳶳 𝑢, 𝑤 messbar, 𝑢 = 𝑤 f. ü. ⇐⇒ {𝑢 ≠ 𝑤} ∈ N𝜇 . 󳶳 𝑢 = 𝑤 f. ü. erlaubt z. B., dass 𝑢 messbar und 𝑤 beliebig ist. Dann kann {𝑢 ≠ 𝑤} ∉ A auftreten.

10.2 Satz. Es sei 𝑢 ∈ Mℝ (A ). Dann gilt a) ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 = 0 ⇐⇒ |𝑢| = 0 f. ü. ⇐⇒ 𝜇{𝑢 ≠ 0} = 0. b) 𝑁 ∈ N𝜇 󳨐⇒ ∫𝑁 𝑢 𝑑𝜇 = 0. Beweis. Wir beginnen mit b). Wegen |𝑢| ∧ 𝑛 ↑ |𝑢| (𝑛 → ∞) folgt mit dem Satz von Beppo Levi (Satz 8.6) und Satz 9.3 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 ∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 = 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢𝟙 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 ⩽ ∫ |𝑢|𝟙 𝑑𝜇 BL = sup ∫(|𝑢| ∧ 𝑛)𝟙𝑁 𝑑𝜇 = 0. 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝑁 𝑁 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 𝑛∈ℕ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑁

⩽∫ 𝑛𝟙𝑁 𝑑𝜇=𝑛𝜇(𝑁)=0

Nun zu a). Offensichtlich sind |𝑢| = 0 f. ü., 𝑢 = 0 f. ü. und 𝜇{𝑢 ≠ 0} = 0 gleichwertig. Es genügt daher, die erste Äquivalenz von a) zu zeigen. „⇐“: ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 = ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 + ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 = ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 + ∫ 0 𝑑𝜇 = 0. {𝑢=0} ̸

{𝑢=0}

{𝑢 =0} ̸ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟

{𝑢=0} ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟

=0 wg. b)

=0

„⇒“: Hier brauchen wir die sogenannte Markov-Ungleichung: Für alle 𝐴 ∈ A und 𝑐 > 0 gilt 𝜇 ({|𝑢| ⩾ 𝑐} ∩ 𝐴) = ∫ 𝟙{|𝑢|⩾𝑐}∩𝐴 𝑑𝜇 =∫ 𝐴

⩽∫ 𝐴

𝑐 𝟙 𝑑𝜇 𝑐 {|𝑢|⩾𝑐} |𝑢| 1 𝟙{|𝑢|⩾𝑐} 𝑑𝜇 ⩽ ∫ |𝑢| 𝑑𝜇. 𝑐 𝑐 𝐴

10 Nullmengen

|

53

Insbesondere haben wir für 𝐴 = 𝐸 𝜇(|𝑢| > 0) = 𝜇 (⋃𝑛∈ℕ {|𝑢| ⩾ 𝑛1 }) ⩽ ∑ 𝜇 {|𝑢| ⩾ 𝑛1 } ⩽ ∑ 𝑛 ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 = 0. 𝑛∈ℕ 𝑛∈ℕ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ =0

10.3 Korollar. Es seien 𝑢, 𝑤 ∈ Mℝ (A ) mit 𝑢 = 𝑤 f. ü. a) 𝑢, 𝑤 ⩾ 0 󳨐⇒ ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑤 𝑑𝜇 ∈ [0, ∞]. b) 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇) 󳨐⇒ 𝑤 ∈ Lℝ1 (𝜇) und ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑤 𝑑𝜇. Beweis. Da 𝑢, 𝑤 messbar sind, gilt {𝑢 ≠ 𝑤} ∈ N𝜇 . Daher a)

∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇 +

∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑤 𝑑𝜇 + {𝑢 =𝑤} ̸ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟

{𝑢=𝑤}

∫ 𝑤 𝑑𝜇 = ∫ 𝑤 𝑑𝜇. {𝑢 ̸ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ⏟⏟⏟=𝑤} ⏟⏟⏟⏟⏟

{𝑢=𝑤}

=0 wg. Satz 10.2

=0 wg. Satz 10.2

b) 𝑢 = 𝑤 f. ü. gibt sofort 𝑢± = 𝑤± f. ü.; Teil a) für 𝑢± , 𝑤± zeigt die Behauptung. 10.4 Korollar. Für 𝑢 ∈ Mℝ (A ) und 𝑤 ∈ Lℝ1 (𝜇) gilt |𝑢| ⩽ 𝑤 f. ü. 󳨐⇒ 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇). Beweis. Es ist ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 = ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 + ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 ⩽ ∫ 𝑤 𝑑𝜇 + 0 ⩽ ∫ 𝑤 𝑑𝜇 |𝑢|⩽𝑤

|𝑢|>𝑤

|𝑢|⩽𝑤

und daraus folgt dann 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇). 10.5 Korollar (Markov-Ungleichung). Für 𝑢 ∈ Mℝ (A ) gilt 𝜇 ({|𝑢| ⩾ 𝑐} ∩ 𝐴) ⩽

1 ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 𝑐

∀𝑐 > 0, 𝐴 ∈ A ,

𝐴

1 𝜇 (|𝑢| ⩾ 𝑐) ⩽ ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 𝑐

∀𝑐 > 0.

Beweis. Vgl. Beweis von 10.2.a) „⇒“. 10.6 Korollar. Jedes 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇) ist f. ü. reellwertig. Insbesondere existiert ein 𝑢̃ ∈ Lℝ1 (𝜇) mit 𝑢 = 𝑢̃ f. ü. Beweis. Definiere 𝑁 := {|𝑢| = ∞} = ⋂𝑛∈ℕ {|𝑢| ⩾ 𝑛} ∈ A . Aufgrund der Maßstetigkeit (Satz 3.3.g) gilt 10.5 1 𝜇(𝑁) = lim 𝜇(|𝑢| ⩾ 𝑛) ⩽ lim ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 = 0. 𝑛→∞ 𝑛→∞ 𝑛 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 0 gilt (a) 𝜇{|𝑢| > 𝑐} ⩽ 1𝑐 ∫ |𝑢| 𝑑𝜇; (b) 𝜇{|𝑢| > 𝑐} ⩽ (c)

∫ |𝑢|𝑝 𝑑𝜇

(0 < 𝑝 < ∞);

𝜇{𝑢 > 𝛼 ∫ 𝑢 𝑑𝜇} ⩽ 1/𝛼, 𝑢 ⩾ 0;

(d) 𝜇{|𝑢| > 𝑐} ⩽

1 𝜙(𝑐)

∫ 𝜙(|𝑢|) 𝑑𝜇

(𝜙 > 0 wachsend);

(e) 𝜇{|𝑢| < 𝑐} ⩽

1 𝜓(𝑐)

∫ 𝜓(|𝑢|) 𝑑𝜇

(𝜓 > 0 fallend);

(f)

5.

1 𝑐𝑝

(Chebyshevsche Ungleichung) Es sei 𝜇 = ℙ ein W-Maß, 𝑋 : 𝐸 → ℝ eine messbare Funktion („Zufallsvariable“), 𝔼𝑋 = ∫ 𝑋 𝑑ℙ der Erwartungswert und 𝕍𝑋 := 𝔼 ((𝑋 − 𝔼𝑋)2 ) die Varianz. Dann gilt: ℙ (|𝑋 − 𝔼𝑋| ⩾ 𝛼√𝕍𝑋) ⩽ 𝛼−2 .

(Vervollständigung) Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein endlicher Maßraum. Wir definieren für jede Menge 𝑄 ⊂ 𝐸 das innere bzw. äußere Maß 𝜇∗ (𝑄) := inf{𝜇(𝐴) : 𝐴 ∈ A , 𝐴 ⊃ 𝑄} und 𝜇∗ (𝑄) := sup{𝜇(𝐴) : 𝐴 ∈ A , 𝐴 ⊂ 𝑄}. Zeigen Sie: (a) 𝜇∗ (𝑄) ⩽ 𝜇∗ (𝑄) und 𝜇∗ (𝑄) + 𝜇∗ (𝑄𝑐 ) = 𝜇(𝐸). (b) 𝜇∗ (𝑄 ∪ 𝑅) ⩽ 𝜇∗ (𝑄) + 𝜇∗ (𝑅) und 𝜇∗ (𝑄) + 𝜇∗ (𝑅) ⩽ 𝜇∗ (𝑄 ∪⋅ 𝑅). (c)

Zu jedem 𝑄 ⊂ 𝐸 gibt es Mengen 𝑄∗ , 𝑄∗ ∈ A mit 𝜇(𝑄∗ ) = 𝜇∗ (𝑄) und 𝜇(𝑄∗ ) = 𝜇∗ (𝑄). Hinweis: Auf Grund der Definition des Infimums gibt es messbare Mengen 𝑄𝑛 ⊃ 𝑄 mit 𝜇(𝑄𝑛 ) − 𝜇∗ (𝑄) ⩽ 1/𝑛; betrachten Sie nun ⋂ 𝑄𝑛 .

(d) Die Familie A ∗ := {𝑄 ⊂ 𝐸 : 𝜇∗ (𝑄) = 𝜇∗ (𝑄)} ist eine 𝜎-Algebra. (e) Der Maßraum (𝐸, A ∗ , 𝜇)̄ mit 𝜇̄ := 𝜇∗ |A ∗ = 𝜇∗ |A ∗ ist die Vervollständigung von (𝐸, A , 𝜇) (vgl. Aufgabe 3.7, 5.4). 6.

Es sei 𝜇 ein 𝜎-endliches Maß auf dem Messraum (𝐸, A ). Konstruieren Sie ein Wahrscheinlichkeitsmaß ℙ auf (𝐸, A ), das dieselben Nullmengen wie 𝜇 hat.

11 Konvergenzsätze In diesem Kapitel ist (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum. Wir untersuchen nun die Möglichkeit, Grenzwerte und Integrale zu vertauschen. Da das Integral selbst als Grenzprozess definiert wurde (vgl. Definition 8.4), ist das eine weitere Variation des bekannten Themas „Vertauschung von Limiten“. Zwei solcher Aussagen kennen wir schon: Den Satz von Beppo Levi (Satz 8.6) und das Lemma von Fatou (Satz 8.11). Gute Konvergenzsätze sind auch einer der Gründe, warum das Lebesgue-Integral gegenüber der Riemannschen Theorie bevorzugt wird.8 11.1 Beispiel. Das Standardbeispiel für eine nicht Riemann-integrierbare Funktion ist die Dirichletsche Sprungfunktion {1, 𝑓(𝑥) = 𝟙ℚ∩[0,1] (𝑥) = { 0, {

𝑥 ∈ [0, 1] ∩ ℚ, sonst. ∗

Da Ober- und Unterintegrale9 nicht übereinstimmen, ∫ 𝑓 𝑑𝑥 ≠ ∫∗ 𝑓 𝑑𝑥, ist 𝑓 nicht Riemann-integrierbar. Es ist nicht schwer einzusehen, dass 𝟙[0,1] die kleinste Ober∗ funktion und 0 ⋅ 𝟙[0,1] die größte Unterfunktion ist. Insbesondere ist also ∫ 𝑓 𝑑𝑥 = 1 und ∫∗ 𝑓 𝑑𝑥 = 0. Für den Lebesgueschen Zugang wählen wir eine Abzählung (𝑞𝑛 )𝑛∈ℕ = ℚ ∩ [0, 1] und erhalten BL

∫ 𝑓 𝑑𝜆 = ∫ sup 𝟙{𝑞1 ,...,𝑞𝑛 } (𝑥) 𝜆(𝑑𝑥) = sup ∫ 𝟙{𝑞1 ,...,𝑞𝑛 } (𝑥) 𝜆(𝑑𝑥) = 0. 𝑛 𝑛 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ =𝜆{𝑞1 ,...,𝑞𝑛 }=∑𝑛𝑚=1 𝜆{𝑞𝑚 }=0

Wegen ℚ ∩ [0, 1] ∈ B(ℝ) ist 𝑓 messbar und 𝑓 ∈ L 1 (𝜆). Wir beginnen mit einer Verallgemeinerung des Satzes von Beppo Levi auf Funktionen mit beliebigem Vorzeichen. 11.2 Satz (monotone Konvergenz). a) Es sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ L 1 (𝜇) eine monoton aufsteigende Folge integrierbarer Funktionen: 𝑢1 ⩽ 𝑢2 ⩽ . . . und 𝑢 := sup𝑛 𝑢𝑛 . Dann gilt 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇) ⇐⇒ sup ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 < ∞. 𝑛∈ℕ

In diesem Fall ist ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ sup 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = sup ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 ∈ ℝ. 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

(sup𝑛∈ℕ = lim𝑛→∞ )

8 Die Entwicklung des Integralbegriffs wurde im 19. Jhdt. wesentlich durch die Theorie der Fourierreihen beeinflusst. Das trifft sowohl auf das Riemann–Integral (ca. 1860) als auch auf das Lebesgue– Integral (ca. 1900) zu. 9 Ein kurzer Abriss der Riemann–Integration mit Hilfe von Ober- und Unterintegralen wird am Anfang des Kapitels 13 gegeben.

56 | 11 Konvergenzsätze b) Es sei (𝑤𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ L 1 (𝜇) eine monoton absteigende Folge integrierbarer Funktionen: 𝑤1 ⩾ 𝑤2 ⩾ . . . und 𝑤 := inf 𝑛 𝑤𝑛 . Dann gilt 𝑤 ∈ Lℝ1 (𝜇) ⇐⇒ inf ∫ 𝑤𝑛 𝑑𝜇 > −∞. 𝑛∈ℕ

In diesem Fall ist ∫ 𝑤 𝑑𝜇 = ∫ inf 𝑤𝑛 𝑑𝜇 = inf ∫ 𝑤𝑛 𝑑𝜇 ∈ ℝ. 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

(inf 𝑛∈ℕ = lim𝑛→∞ )

Beweis. Für 𝑢𝑛 := −𝑤𝑛 ergibt sich b) aus a). Daher reicht es aus a) zu zeigen. Der Grenzwert 𝑢 ist messbar und 0 ⩽ 𝑢𝑛 − 𝑢1 ∈ L 1 (𝜇),

𝑢𝑛 − 𝑢1 ↑ 𝑢 − 𝑢1

BL

󳨐⇒ 0 ⩽ sup ∫(𝑢𝑛 − 𝑢1 ) 𝑑𝜇 = ∫(𝑢 − 𝑢1 ) 𝑑𝜇.

(*)

𝑛

Fall 1 „⇒“: Da 𝑢1 , 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇), gilt wegen (*) sup ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢1 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢1 𝑑𝜇 𝑛

󳨐⇒ sup ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇 < ∞. 𝑛

Fall 2 „⇐“: Wenn sup𝑛 ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 < ∞, dann gilt wieder wegen (*) 𝑢 − 𝑢1 ∈ Lℝ1 (𝜇) 󳨐⇒ 𝑢 = (𝑢 − 𝑢1 ) + 𝑢1 ∈ Lℝ1 (𝜇) (beachte, dass 𝑢1 reellwertig ist, d. h. der Fall „∞ − ∞“ kann nicht auftreten!), und sup𝑛 ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇 folgt wie in Fall 1. Der wohl wichtigste Konvergenzsatz ist der Satz von Lebesgue, der auch als Satz von der dominierten Konvergenz bekannt ist. 11.3 Satz (Lebesgue; dominierte Konvergenz). Es sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ M(A ) eine Folge von messbaren Funktionen mit 󳶳 𝑢𝑛 (𝑥) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝑢(𝑥) ∀𝑥 𝑛→∞

󳶳󳶳 |𝑢𝑛 (𝑥)| ⩽ 𝑤(𝑥) für ein 𝑤 ∈ Lℝ1 (𝜇) ∀𝑛 ∈ ℕ ∀𝑥 (𝑤 heißt Majorante). Dann gilt 𝑢𝑛 , 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇) und a) b)

lim ∫ |𝑢 − 𝑢𝑛 | 𝑑𝜇 = 0;

𝑛→∞

lim ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = ∫ lim 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇.

𝑛→∞

𝑛→∞

Beweis. 1o ) Behauptung: 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇). Das folgt mit dem Kriterium 9.3.d) aus |𝑢𝑛 | ⩽ 𝑤

und

󵄨 󵄨 |𝑢| = 󵄨󵄨󵄨 lim 𝑢𝑛 󵄨󵄨󵄨 = lim |𝑢𝑛 | ⩽ 𝑤 𝑛→∞ 𝑛→∞

da auch 𝑢 ∈ Mℝ (A ) (Limes messbarer Funktionen).

11 Konvergenzsätze

| 57

2o ) a)⇒b): Das folgt aus 󵄨󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 a) 󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 = 󵄨󵄨󵄨∫(𝑢 − 𝑢 ) 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 9.4.e) 󳨀󳨀󳨀→ 0. 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 ⩽ ∫ |𝑢 − 𝑢𝑛 | 𝑑𝜇 󳨀𝑛→∞ 𝑛 𝑛 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 3o ) Zeige a): Wegen |𝑢𝑛 − 𝑢| ⩽ |𝑢𝑛 | + |𝑢| ⩽ 2𝑤 gilt 2𝑤 − |𝑢𝑛 − 𝑢| ⩾ 0 und mit Fatous Lemma (Satz 8.11) erhalten wir ∫ 2𝑤 𝑑𝜇 = ∫(2𝑤 − lim |𝑢 − 𝑢𝑛 |) 𝑑𝜇 𝑛→∞ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ =0

= ∫ lim(inf)(2𝑤 − |𝑢 − 𝑢𝑛 |) 𝑑𝜇 𝑛→∞

⩽ lim inf ∫(2𝑤 − |𝑢 − 𝑢𝑛 |) 𝑑𝜇 𝑛→∞

= ∫ 2𝑤 𝑑𝜇 − lim sup ∫ |𝑢 − 𝑢𝑛 | 𝑑𝜇. 𝑛→∞

Daraus folgt lim sup ∫ |𝑢 − 𝑢𝑛 | 𝑑𝜇 = 0, mithin lim ∫ |𝑢 − 𝑢𝑛 | 𝑑𝜇 = 0. 𝑛→∞

𝑛→∞

11.4 Bemerkung. a) Wir dürfen in 11.3 󳶳, 󳶳󳶳 „∀𝑥“ durch „f. ü.“ ersetzen. Dann ist 𝑁 = {𝑥 : lim 𝑢𝑛 (𝑥) ex. nicht} ∪ ⋃ {𝑥 : |𝑢𝑛 (𝑥)| > 𝑤(𝑥)} 𝑛→∞

𝑛∈ℕ

eine 𝜇-Nullmenge. Die Funktionen 𝑢𝟙𝑁𝑐 , 𝑢𝑛 𝟙𝑁𝑐 erfüllen dann die Voraussetzungen von Satz 11.3 für alle 𝑥. Da 𝜇(𝑁) = 0 ist, gilt auch ∫ 𝑢𝑛 𝟙𝑁𝑐 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 und wir erhalten die Aussage des Satzes auch in diesem Fall. b) Die Existenz einer Majorante in 11.3 󳶳󳶳 ist wesentlich. Gegenbeispiel: Betrachte auf (𝐸, A , 𝜇) = ([0, 1], B[0, 1], 𝑑𝑥) die Funktionen f. ü.

𝑢𝑛 (𝑥) := 𝑛𝟙[0, 1 ] (𝑥) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ ∞𝟙{0} (𝑥) = 0, 𝑛

𝑛→∞

aber ∀𝑛

∫ 𝑢𝑛 (𝑥) 𝑑𝑥 = 𝑛𝜆 [0, 𝑛1 ] = 1 ≠ 0 = ∫ ∞𝟙{0} (𝑥) 𝑑𝑥.

Aufgaben 1.

2.

Übertragen Sie den Beweis von Satz 11.3 auf die folgende Situation: Auf einem Maßraum (𝐸, A , 𝜇) sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ M(A ), so dass lim𝑛 𝑢𝑛 = 𝑢 und |𝑢𝑛 | ⩽ 𝑔 für ein 𝑔 ⩾ 0 mit 𝑔𝑝 ∈ L 1 (𝜇), 𝑝 > 0. Dann gilt lim𝑛 ∫ |𝑢𝑛 − 𝑢|𝑝 𝑑𝜇 = 0. 󵄨󵄨 󵄨󵄨 Es sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ eine Folge integrierbarer Funktionen auf (𝐸, A , 𝜇), so dass ∑∞ 𝑛=1 ∫ 󵄨󵄨𝑢𝑛 󵄨󵄨 𝑑𝜇 < ∞. Zeigen Sie, dass die Reihe ∑∞ 𝑢 fast überall gegen eine reellwertige Funktion 𝑢 konvergiert; 𝑛=1 𝑛 in diesem Fall gilt: ∞



∫ ∑ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = ∑ ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇. 𝑛=1

𝑛=1

58 | 11 Konvergenzsätze Hinweis: Zeigen Sie mittels Beppo Levi, dass ∑∞ 𝑛=1 𝑢𝑛 (𝑥) für fast alle 𝑥 ∈ 𝐸 absolut konvergiert, und nutzen Sie anschließend dominierte Konvergenz.) 3.

Es sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ eine Folge in L+1 (𝐸, A , 𝜇), die gegen 0 absteigt: 𝑢𝑛 ⩾ 𝑢𝑛+1 ⩾ . . . ↓ 0. Zeigen Sie, 𝑛 1 dass ∑∞ 𝑛=1 (−1) 𝑢𝑛 konvergiert, eine integrierbare Funktion 𝑢 ∈ L (𝜇) definiert, und dass ∞



𝑛=1

𝑛=1

∫ ∑ (−1)𝑛 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = ∑ (−1)𝑛 ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇. 4.

Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf ([0, ∞), B[0, ∞)). Bestimmen Sie lim𝑟→∞ ∫[0,∞) 𝑒−𝑟𝑥 𝜇(𝑑𝑥).

5.

Es sei 𝜆 das Lebesgue-Maß in ℝ𝑛 . (a) Es sei 𝑓 ∈ L 1 (𝜆) und 𝐾 ⊂ ℝ𝑛 kompakt. Zeigen Sie: lim|𝑥|→∞ ∫𝐾+𝑥 |𝑓| 𝑑𝜆 = 0. (b) Es sei 𝑓 eine gleichmäßig stetige Funktion und |𝑓|𝑝 ∈ L 1 (𝜆) für ein 𝑝 > 0. Dann gilt lim|𝑥|→∞ 𝑓(𝑥) = 0.

6.

Es sei 𝜆 das Lebesgue-Maß auf ℝ𝑛 und 𝑓 ∈ L 1 (𝜆). Zeigen Sie: (a) Für jedes 𝜖 > 0 gibt es ein 𝐵 ∈ B(ℝ𝑛 ), 𝜆(𝐵) < ∞, so dass sup𝐵 |𝑓| < ∞ und ∫𝐵𝑐 |𝑓| 𝑑𝜆 < 𝜖. (b) Folgern Sie aus Teil (a), dass lim𝜆(𝐵)→0 ∫𝐵 |𝑓| 𝑑𝜆 = 0.

7.

Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum und (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ L 1 (𝜇) eine gleichmäßig konvergente Folge. (a) Zeigen Sie: Wenn 𝜇(𝐸) < ∞, dann gilt lim𝑛 ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = ∫ lim𝑛 𝑢𝑛 𝑑𝜇. (b) Angenommen wir wissen, dass 𝑢 = lim𝑛 𝑢𝑛 ∈ L 1 (𝜇) und lim𝑛 ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 existiert. Gilt dann lim𝑛 ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇?

8.

Es sei 𝑓 ∈ L 1 (0, 1) positiv und monoton. Finden Sie lim ∫ 𝑓(𝑡𝑛 ) 𝑑𝑡.

1 𝑛

0 1

9.

Es sei 𝑓 ∈ L 1 (0, 1). Finden Sie lim ∫ 𝑡𝑛 𝑓(𝑡) 𝑑𝑡. 𝑛

0 ∞

10. Zeigen Sie: ∫ 0

∞ sin 𝑡 1 𝑑𝑡 = ∑ 2 . 𝑒𝑡 − 1 𝑛=1 𝑛 + 1

11. Es sei 𝑓 : ℝ → ℝ eine Borel-messbare Funktion und 𝑥 󳨃→ 𝑒𝜆𝑥 𝑓(𝑥) sei integrierbar für alle 𝜆 ∈ ℝ. Zeigen Sie, dass für alle 𝑧 ∈ ℂ ∞

∫ 𝑒𝑧𝑥 𝑓(𝑥) 𝑑𝑥 = ∑ ℝ

𝑛=0

𝑧𝑛 ∫ 𝑥𝑛 𝑓(𝑥) 𝑑𝑥. 𝑛! ℝ

12. Zeigen Sie folgenden Satz von W. H. Young, der auch als Lemma von Pratt bekannt ist: Satz. (Young; Pratt) Auf einem Maßraum (𝐸, A , 𝜇) seien (𝑓𝑛 )𝑛 , (𝑔𝑛 )𝑛 und (𝐺𝑛 )𝑛 drei Folgen integrierbarer Funktionen, die folgende Annahmn erfüllen: – lim𝑛 𝑓𝑛 = 𝑓, lim𝑛 𝑔𝑛 = 𝑔, lim𝑛 𝐺𝑛 = 𝐺 punktweise auf 𝐸; –

𝑔𝑛 ⩽ 𝑓𝑛 ⩽ 𝐺𝑛 für alle 𝑛;



lim𝑛 ∫ 𝑔𝑛 𝑑𝜇 = ∫ 𝑔 𝑑𝜇 ∈ ℝ und lim𝑛 ∫ 𝐺𝑛 𝑑𝜇 = ∫ 𝐺 𝑑𝜇 ∈ ℝ.

Dann gilt lim𝑛 ∫ 𝑓𝑛 𝑑𝜇 = ∫ 𝑓 𝑑𝜇 ∈ ℝ. 13. Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum und 𝑓 ∈ L 1 (𝜇). Zeigen Sie: Für jedes 𝜖 > 0 existiert ein 𝛿 > 0, so dass 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨 𝐴 ∈ A , 𝜇(𝐴) < 𝛿 󳨐⇒ 󵄨󵄨󵄨󵄨 ∫ 𝑓 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨󵄨 ⩽ ∫ |𝑓| 𝑑𝜇 < 𝜖. 󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝐴 𝐴

12 Parameter-Integrale In diesem und im folgenden Kapitel zeigen wir einige wichtige Anwendungen der Konvergenzsätze. Hier untersuchen wir die Frage, unter welchen Bedingungen sich die Stetigkeit und Differenzierbarkeit eines Integranden (bezüglich eines Parameters) auf das Integral vererbt. Wie immer ist (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum. 𝜇-integrierbar

↓ 𝑢(𝑡, 𝑥) ↑

󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→

stetig / differenzierbar!

𝑉(𝑡) = ∫ 𝑢(𝑡, 𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) ↑

stetig? / differenzierbar?

Offenbar handelt es sich wieder um ein Problem vom Typ Grenzwert–Vertauschung. 12.1 Satz (Stetigkeitslemma). Es sei 𝑢 : (𝑎, 𝑏) × 𝐸 → ℝ, (𝑎, 𝑏) ⊂ ℝ offen, und a) 𝑥 󳨃→ 𝑢(𝑡, 𝑥) ist in L 1 (𝜇) b) 𝑡 → 󳨃 𝑢(𝑡, 𝑥) ist stetig c) |𝑢(𝑡, 𝑥)| ⩽ 𝑤(𝑥)

∀𝑡 ∈ (𝑎, 𝑏) fest; ∀𝑥 ∈ 𝐸 fest; ∀(𝑡, 𝑥) ∈ (𝑎, 𝑏) × 𝐸 und ein 𝑤 ∈ L 1 (𝜇).

Dann ist 𝑡 󳨃→ 𝑉(𝑡) := ∫ 𝑢(𝑡, 𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) stetig für alle 𝑡 ∈ (𝑎, 𝑏). Beweis. Wegen Annahme c) ist 𝑉 wohldefiniert. Die Funktion 𝑉(⋅) ist genau dann an der Stelle 𝑡 stetig, wenn 𝑉(𝑡𝑛 ) → 𝑉(𝑡) für jede Folge (𝑡𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ (𝑎, 𝑏) mit 𝑡𝑛 → 𝑡 gilt.10 Sei also 𝑡 fest und (𝑡𝑛 )𝑛 ⊂ (𝑎, 𝑏) eine Folge mit 𝑡𝑛 → 𝑡. Setze 𝑢𝑛 (𝑥) := 𝑢(𝑡𝑛 , 𝑥). Dann ist 󳶳 𝑢𝑛 ∈ L 1 (𝜇) wegen a) 󳶳 𝑢𝑛 (𝑥) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝑢(𝑡, 𝑥) wegen b) 𝑛→∞ 󳶳 |𝑢𝑛 (𝑥)| ⩽ 𝑤(𝑥) wegen c). Der Satz von Lebesgue (Satz 11.3) zeigt dom. Konv.

Def

𝑉(𝑡𝑛 ) = ∫ 𝑢(𝑡𝑛 , ⋅) 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ ∫ 𝑢(𝑡, ⋅) 𝑑𝜇 = 𝑉(𝑡). 𝑛→∞

Eine ähnlich einfache Idee, wenn auch mit einem etwas aufwendigeren Beweis, hat der folgende Satz. 12.2 Satz (Differenzierbarkeitslemma). Es sei 𝑢 : (𝑎, 𝑏) × 𝐸 → ℝ, (𝑎, 𝑏) ⊂ ℝ offen, und a) 𝑥 󳨃→ 𝑢(𝑡, 𝑥) ist in L 1 (𝜇) b) 𝑡 → 󳨃 𝑢(𝑡, 𝑥) ist diff’bar c) |𝜕𝑡 𝑢(𝑡, 𝑥)| ⩽ 𝑤(𝑥)

∀𝑡 ∈ (𝑎, 𝑏) fest; ∀𝑥 ∈ 𝐸 fest; ∀(𝑡, 𝑥) ∈ (𝑎, 𝑏) × 𝐸 und ein 𝑤 ∈ L 1 (𝜇).

Dann ist 𝑡 󳨃→ 𝑉(𝑡) := ∫ 𝑢(𝑡, 𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) differenzierbar in 𝑡 ∈ (𝑎, 𝑏) und es gilt 𝑑 𝑑 𝜕 ∫ 𝑢(𝑡, 𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) = ∫ 𝑢(𝑡, 𝑥) 𝜇(𝑑𝑥). 𝑉(𝑡) = 𝑑𝑡 𝑑𝑡 𝜕𝑡 10 Stetigkeit ist eine lokale Eigenschaft, d. h. nur eine (kleine) Umgebung von 𝑡 ist relevant.

(12.1)

60 | 12 Parameter-Integrale Beweis. Wir zeigen die Differenzierbarkeit von 𝑉 und (12.1) für ein festes 𝑡 ∈ (𝑎, 𝑏). Wähle (𝑡𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ (𝑎, 𝑏) mit 𝑡𝑛 → 𝑡, 𝑡𝑛 ≠ 𝑡, und setze 𝑢𝑛 (𝑥) :=

𝑢(𝑡𝑛 , 𝑥) − 𝑢(𝑡, 𝑥) wg. b) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝜕𝑡 𝑢(𝑡, 𝑥). 𝑛→∞ 𝑡𝑛 − 𝑡

Insbesondere ist 𝑥 󳨃→ 𝜕𝑡 𝑢(𝑡, 𝑥) messbar (Limes messbarer Funktionen) und die rechte Seite von (12.1) ist wohldefiniert. Nach dem Mittelwertsatz gilt 󵄨 󵄨 󵄨 c) |𝑢𝑛 (𝑥)| = 󵄨󵄨󵄨𝜕𝑠 𝑢(𝑠, 𝑥)󵄨󵄨󵄨𝑠=𝜃 󵄨󵄨󵄨 ⩽ 𝑤(𝑥)

∀𝑛, ∀𝑥.

Daher ist 𝑢𝑛 ∈ L 1 (𝜇) und wir können dominierte Konvergenz in dem mit (#) gekennzeichneten Schritt anwenden: 𝑉󸀠 (𝑡) = lim

𝑛→∞

𝑉(𝑡𝑛 ) − 𝑉(𝑡) 𝑢(𝑡𝑛 , 𝑥) − 𝑢(𝑡, 𝑥) = lim ∫ 𝜇(𝑑𝑥) 𝑛→∞ 𝑡𝑛 − 𝑡 𝑡𝑛 − 𝑡 = lim ∫ 𝑢𝑛 (𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) 𝑛→∞

(#)

= ∫ lim 𝑢𝑛 (𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) 𝑛→∞

= ∫ 𝜕𝑡 𝑢(𝑡, 𝑥) 𝜇(𝑑𝑥). Für das folgende Beispiel benötigen wir eine Tatsache, die wir erst im nächsten Kapitel 13 beweisen werden: Eine Riemann-integrierbare Funktion 𝑓 ist auch Lebesgueintegrierbar. In diesem Fall gilt, dass Riemann-∫ 𝑓(𝑥) 𝑑𝑥 = Lebesgue-∫ 𝑓(𝑥) 𝑑𝑥. Somit stehen uns alle Rechenregeln der Riemannschen Theorie zur Verfügung. 12.3 Beispiel. Es sei 𝑓𝛼 (𝑥) := 𝑥𝛼 , 𝑥 > 0, 𝛼 ∈ ℝ. Dann gilt a) 𝑓𝛼 ∈ L 1 ((0, 1), 𝑑𝑥) ⇐⇒ 𝛼 > −1; b) 𝑓𝛼 ∈ L 1 ((1, ∞), 𝑑𝑥) ⇐⇒ 𝛼 < −1. Beweis. a) Da 𝑥 󳨃→ 𝑥𝛼 stetig ist, ist 𝑥𝛼 𝟙(0,1) (𝑥) Borel-messbar. Daher ((𝑅)∫ . . . bezeichnet das Riemann–Integral) haben wir 1

Riemann-int’bar

⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞ ∫ 𝑥 𝑑𝑥 = lim ∫ 𝟙[1/𝑗,1) (𝑥) 𝑥𝛼 𝑑𝑥 = lim (R)∫ 𝑥𝛼 𝑑𝑥 𝛼

BL

𝑗→∞

𝑗→∞

(0,1)

1/𝑗

= lim

𝑗→∞

𝛼+1 󵄨1

𝑥 1 󵄨󵄨 󵄨󵄨 = −1).

b) wird ganz ähnlich bewiesen. [] 12.4 Beispiel. Die Funktion 𝑓(𝑥) := 𝑥𝛼 𝑒−𝛽𝑥 , 𝑥 > 0, ist Lebesgue-integrierbar auf (0, ∞), wenn 𝛼 > −1 und 𝛽 > 0. Beweis. 1o ) Da 𝑓 stetig auf (0, ∞) ist, ist 𝑓 auch Borel-messbar.

12 Parameter-Integrale |

61

2o ) Mit der exp-Reihe sehen wir für alle 𝑥 > 0 und 𝛽 > 0 ∞ (𝛽𝑥)𝑁 (𝛽𝑥)𝑗 𝑁! ⩽∑ = 𝑒𝛽𝑥 󳨐⇒ 𝑒−𝛽𝑥 ⩽ 𝑁 𝑥−𝑁 𝑁! 𝑗! 𝛽 𝑗=0

und somit

𝑁! 𝑓(𝑥) = 𝑥𝛼 𝑒−𝛽𝑥 ⩽ 𝑥𝛼 𝟙(0,1) (𝑥) + 𝑁 𝑥𝛼−𝑁 𝟙[1,∞) (𝑥); ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝛽 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ∈L 1 wenn 𝛼>−1

∈L 1 wenn 𝛼−𝑁 0.

(12.2)

(0,∞)

a) b) c) d)

𝛤 ist stetig in (0, ∞). 𝛤 ist beliebig oft differenzierbar in (0, ∞). 𝑡𝛤(𝑡) = 𝛤(𝑡 + 1), insbesondere ist 𝑛! = 𝛤(𝑛 + 1). ln 𝛤(𝑡) ist konvex.

Beweis. Wir zeigen hier nur a), b) (und auch nur für die erste Ableitung), der Rest bleibt als Übung. [] Beispiel 12.4 zeigt, dass 𝛤(𝑡), 𝑡 > 0, wohldefiniert ist. Da Stetigkeit und Differenzierbarkeit lokale Eigenschaften sind, zeigen wir a), b) für alle 𝑡 in beliebigen Intervallen (𝑎, 𝑏) ⊂ [𝑎, 𝑏] ⊂ (0, ∞) – nur so können wir die Majoranten im Stetigkeits- und Differenzierbarkeitslemma finden. a) Wir verwenden Satz 12.1. Sei 𝑡 ∈ (𝑎, 𝑏) fest. Dann 𝑢(𝑡, 𝑥) := 𝑥𝑡−1 𝑒−𝑥 ,

𝑢(𝑡, ⋅) ∈ L 1 ((0, ∞), 𝑑𝑥) (Beispiel 12.4)

und 𝑡 󳨃→ 𝑢(𝑡, 𝑥) ist stetig. Weiter: 𝑥𝑡−1 𝑒−𝑥 ⩽ 𝑥𝑡−1 𝟙(0,1) (𝑥) + 𝑁!𝑥𝑡−1−𝑁 𝟙[1,∞) (𝑥) 𝑥𝑏−1−𝑁 𝟙[1,∞) (𝑥) ⩽ 𝑥𝑎−1 𝟙(0,1) (𝑥) + 𝑁! ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ⩽𝑥−2 wenn 𝑁 = 𝑁(𝑏) groß

und somit gibt es eine Majorante, die gleichmäßig in 𝑡 ∈ (𝑎, 𝑏) ist (die aber von 𝑎, 𝑏 abhängen darf). Daher können wir Satz 12.1 lokal auf (𝑎, 𝑏) anwenden. Das zeigt die Stetigkeit von 𝛤 im Intervall (𝑎, 𝑏). Da 0 < 𝑎 < 𝑏 < ∞ beliebig sind, folgt die Stetigkeit von 𝛤 auf (0, ∞). b) Wir verwenden Satz 12.2. Es sei 𝑡 ∈ (𝑎, 𝑏) fest. Dann ist 󳶳 𝑢(𝑡, ⋅) integrierbar; 󳶳 𝑢(⋅, 𝑥) differenzierbar; 󳶳 𝜕𝑡 𝑢(𝑡, 𝑥) = 𝜕𝑡 (𝑥𝑡−1 𝑒−𝑥 ) = 𝑥𝑡−1 𝑒−𝑥 ln 𝑥.

62 | 12 Parameter-Integrale Wir müssen noch eine Majorante finden. Für jedes 𝑥 ∈ (1, ∞) gilt ln 𝑥 ⩽ 𝑥 󳨐⇒ |𝜕𝑡 𝑢(𝑡, 𝑥)| ⩽ 𝑥𝑡 𝑒−𝑥 ⩽ 𝑥𝑏 𝑒−𝑥 und für 𝑥 ∈ (0, 1) haben wir | ln 𝑥| = ln |𝜕𝑡 𝑢(𝑡, 𝑥)| = 𝑒

−𝑥

𝑥

𝑡−1

1 𝑥

ln

vgl. 12.4



L 1 ([1, ∞), 𝑑𝑥)

und somit

1 𝑥

⩽ 𝑥𝑎−1 ln

1 𝑥

= 𝑥𝑎−1−𝜖 𝑥𝜖 ln 𝑥1 .

Hier ist 𝑎 − 1 − 𝜖 > −1, was für kleines 𝜖 > 0 stets möglich ist, da 𝑎 > 0. Nun ist 𝑀 := sup 𝑥𝜖 ln 𝑥∈(0,1)

1 𝑥

< ∞.11

Somit gilt für alle 𝑡 ∈ (𝑎, 𝑏) |𝜕𝑡 𝑢(𝑡, 𝑥)| ⩽ 𝑀𝑥𝑎−1−𝜖 𝟙(0,1) (𝑥) + 𝑥𝑏 𝑒−𝑥 𝟙[1,∞) (𝑥) ∈ L 1 ((0, ∞), 𝑑𝑥). Jetzt greift Satz 12.2 und wir finden 𝛤󸀠 (𝑡) = ∫ 𝑥𝑡−1 𝑒−𝑥 ln 𝑥 𝑑𝑥. (0,∞)

Da 0 < 𝑎 < 𝑏 < ∞ beliebig sind, folgt die Differenzierbarkeit von 𝛤 auf dem Intervall (0, ∞).

Aufgaben 1.

Es seien 𝜇 ein Maß auf (ℝ, B(ℝ)), 𝑢 : ℝ → ℂ eine messbare (vgl. Aufgabe 9.2) Funktion und 𝑑𝑥 das Lebesgue-Maß auf ℝ. Finden Sie Bedingungen für 𝜇 und 𝑢, so dass die Fouriertransformationen 1 1 ̂(𝜉) := 𝜇̂(𝜉) := ∫ 𝑒−𝑖𝑥𝜉 𝜇(𝑑𝑥) und 𝑢 ∫ 𝑒−𝑖𝑥𝜉 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥 2𝜋 2𝜋 ℝ



existieren bzw. stetig sind bzw. 𝑛-fach differenzierbar sind. 2.

Es sei 𝜇 ein Maß auf (ℝ, B(ℝ)) und 𝑢 ∈ L 1 (𝜇), 𝑢 > 0. Zeigen Sie, dass 𝑥 󳨃→ ∫(0,𝑥) 𝑢(𝑡) 𝜇(𝑑𝑡) genau dann an der Stelle 𝑥 = 𝑥0 stetig ist, wenn 𝜇{𝑥0 } = 0.

3.

Mit Hilfe von 𝜙 ∈ L 1 ([0, 1], 𝑑𝑥) definieren wir 𝑓(𝑡) := ∫[0,1] |𝜙(𝑥) − 𝑡| 𝑑𝑥. Zeigen Sie: (a) 𝑓 ist stetig. (b) 𝑓 ist differenzierbar an der Stelle 𝑡 ∈ ℝ genau dann, wenn 𝜆{𝜙 = 𝑡} = 0.

4.

Es sei 𝑓(𝑡) := ∫0 𝑥−2 sin2 𝑥 𝑒−𝑡𝑥 𝑑𝑥, 𝑡 ⩾ 0. (a) Zeigen Sie, dass 𝑓 auf [0, ∞) stetig und auf (0, ∞) zweimal differenzierbar ist. (b) Finden Sie 𝑓󸀠󸀠 und berechnen Sie lim𝑡→∞ 𝑓(𝑡) und lim𝑡→∞ 𝑓󸀠 (𝑡). (c) Verwenden Sie die vorangehenden Teilaufgaben, um eine einfache Darstellung für 𝑓 zu finden.



Weitere Aufgaben zum Thema „parameterabhängige Integrale“ finden sich im folgenden Kapitel.

11 Die Funktion ist stetig und lim𝑥→0 𝑥𝜖 ln

−𝑡 1 𝑥=𝑒 = 𝑥

lim𝑡→∞ 𝑒−𝜖𝑡 𝑡 = 0 für 𝜖 > 0.

13 Riemann vs. Lebesgue Die Lebesguesche Integrationstheorie wurde entwickelt, weil der Riemannsche Integralbegriff sich für viele Anwendungen als zu eng erwies. In diesem Kapitel zeigen wir, dass das Lebesgue–Integral das Riemann–Integral fortsetzt. Das erlaubt es uns, in vielen Situationen Stammfunktionen „Riemannsch“ zu berechnen und so die Vorzüge beider Theorien zu verbinden. Wir werden auch eine notwendige und hinreichende Charakterisierung aller Riemann-integrierbaren Funktionen angeben (dazu benötigt man interessanterweise den Begriff der Lebesgue–Nullmenge). Wir schreiben R- / L-integrierbar = Riemann- / Lebesgue-integrierbar, 𝑏

(R) ∫⋅ ⋅ ⋅ = Riemann–Integral,

∫ ⋅ ⋅ ⋅ = Lebesgue–Integral.

𝑎

[𝑎,𝑏]

Zunächst erinnern wir kurz an die Definition des Riemann–Integrals. Auf einem endlichen Intervall [𝑎, 𝑏] ⊂ ℝ sei eine beschränkte Funktion 𝑢 : [𝑎, 𝑏] → ℝ gegeben. Dann heißt Partition von [𝑎, 𝑏];

𝛱 = {𝑎 = 𝑡0 < 𝑡1 < ⋅ ⋅ ⋅ < 𝑡𝑘 = 𝑏} 𝑘

𝑆𝛱 [𝑢] = ∑ 𝑚𝑛 (𝑡𝑛 − 𝑡𝑛−1 )

wo

𝑚𝑛 := inf 𝑢

(Darbouxsche) Untersumme;

wo

𝑀𝑛 := sup 𝑢

(Darbouxsche) Obersumme.

[𝑡𝑛−1 ,𝑡𝑛 ]

𝑛=1 𝑘

𝑆𝛱 [𝑢] = ∑ 𝑀𝑛 (𝑡𝑛 − 𝑡𝑛−1 )

[𝑡𝑛−1 ,𝑡𝑛 ]

𝑛=1

13.1 Definition. Eine beschränkte Funktion 𝑢 : [𝑎, 𝑏] → ℝ heißt R-integrierbar, wenn ∗

∫ 𝑢 := sup 𝑆𝛱 [𝑢] = inf 𝑆𝛱 [𝑢] =: ∫ 𝑢 ∈ ℝ. ∗

𝛱

𝛱

𝑏



Der gemeinsame Wert (R)∫𝑎 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥 := ∫∗ 𝑢 = ∫ 𝑢 ist das R-Integral von 𝑢. Offensichtlich haben wir 𝑘

𝑘

𝑘

𝑆𝛱 [𝑢] = ∑ 𝑚𝑛 (𝑡𝑛 − 𝑡𝑛−1 ) = ∑ 𝑚𝑛 ∫ 𝟙[𝑡𝑛−1 ,𝑡𝑛 ) 𝑑𝜆 = ∫ ∑ 𝑚𝑛 𝟙[𝑡𝑛−1 ,𝑡𝑛 ) 𝑑𝜆 𝑛=1 𝑛=1 𝑛=1 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ =: 𝜎𝑢𝛱 ⩽ 𝑢, 𝜎𝑢𝛱 ∈ E und entsprechend ist 𝑆𝛱 [𝑢] = ∫ 𝛴𝑢𝛱 𝑑𝜆,

𝑢 ⩽ 𝛴𝑢𝛱 ∈ E.

Für jede Verfeinerung 𝛱󸀠 ⊃ 𝛱 der Partition 𝛱 gilt dann 󸀠

󸀠

𝛱↑

𝜎𝑢𝛱 ⩽ 𝜎𝑢𝛱 ⩽ 𝛴𝑢𝛱 ⩽ 𝛴𝑢𝛱 󳨐⇒ 𝜎𝑢𝛱 ↑ ,

𝛴𝑢𝛱 ↓ .

64 | 13 Riemann vs. Lebesgue

Abb. 13.1. Beim R-Integral werden die Stützstellen 𝑡𝑛 im Definitionsbereich des Integranden fest gewählt, während beim Lebesgue–Integral der Wertebereich fest aufgeteilt wird, und somit die Werte von 𝑢 die Partitionierung des Definitionsbereichs bestimmen.

13.2 Satz. Es sei 𝑢 : [𝑎, 𝑏] → ℝ Borel-messbar und R-integrierbar. Dann 𝑏 1

𝑢 ∈ L (𝜆)

und

(R) ∫ 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥 = ∫ 𝑢 𝑑𝜆. 𝑎

[𝑎,𝑏]

Beweis. Es sei 𝑢 R-integrierbar. Dann gibt es eine Folge von Partitionen 𝛱𝑛 mit ∗

lim 𝑆 [𝑢] 𝑛→∞ 𝛱𝑛

= ∫ 𝑢 = ∫ 𝑢 = lim 𝑆𝛱𝑛 [𝑢]. 𝑛→∞



Wir dürfen o. E. annehmen, dass 𝛱𝑛 ⊂ 𝛱𝑛+1 ⊂ . . . (sonst betrachten wir 𝛱1 ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∪ 𝛱𝑛 ). Daher gilt 𝜎𝑢 := sup 𝜎𝑢𝛱𝑛 ⩽ 𝑢 ⩽ inf 𝛴𝑢𝛱𝑛 =: 𝛴𝑢 𝑛 𝑛

und mit monotoner Konvergenz (MK) sehen wir Def

MK

∫ 𝜎𝑢𝛱𝑛 𝑑𝜆 = ∫ 𝜎𝑢 𝑑𝜆 ∫ 𝑢 = lim 𝑆𝛱𝑛 [𝑢] = lim 𝑛 𝑛 ∗ ∗

[𝑎,𝑏] Def

𝛱𝑛

∫ 𝑢 = lim ∫ 𝑆 [𝑢] = lim 𝑛 𝑛

[𝑎,𝑏]

𝛴𝑢𝛱𝑛

𝑑𝜆 = ∫ 𝛴𝑢 𝑑𝜆.

[𝑎,𝑏]

Es folgt

MK

(*)

[𝑎,𝑏]

∫ (𝛴 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑢 − 𝜎𝑢 ) 𝑑𝜆 = 0 󳨐⇒ {𝑢 ≠ 𝛴𝑢 } ∪ {𝑢 ≠ 𝜎𝑢 } ⊂ {𝜎𝑢 ≠ 𝛴𝑢 } ∈ N𝜆 ⩾0

󳨐⇒ 𝑢 = 𝛴𝑢 f. ü. mit 𝛴𝑢 ∈ L 1 (𝜆) wegen (*). Da 𝑢 zudem Borel-messbar war, sehen wir 𝑢 ∈ L 1 (𝜆). Der Beweis von Satz 13.2 zeigt noch mehr: Wenn 𝑢 R-integrierbar (aber nicht notwendig Borel-messbar) ist, dann gibt es eine messbare Funktion 𝛴𝑢 ∈ L 1 (𝜆) mit 𝑢 = 𝛴𝑢 f. ü. 𝑏 und (R)∫𝑎 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥 = ∫ 𝛴𝑢 𝑑𝜆.

13 Riemann vs. Lebesgue

|

65

13.3 Satz. Es sei 𝑢 : [𝑎, 𝑏] → ℝ beschränkt. Dann gilt 𝑢 R-integrierbar ⇐⇒ {

{𝑥 ∈ [𝑎, 𝑏] : 𝑢(𝑥) ist unstetig} ist (Teilmenge einer) 𝜆-Nullmenge.

Die Menge der Stetigkeitsstellen {𝑥 : 𝑢 stetig in 𝑥} einer beliebigen Funktion 𝑢 : [𝑎, 𝑏] → ℝ ist sogar eine Borelmenge, vgl. Anhang A.3.

Beweis von Satz 13.3. „⇒“: Für eine R-integrierbare Funktion 𝑢 seien 𝛱𝑛 und 𝜎𝑢 , 𝛴𝑢 wie im Beweis von Satz 13.2. Wegen der Eigenschaften von sup und inf gilt ∀𝜖 > 0

∀𝑥 ∈ [𝑎, 𝑏]

∃𝑛𝜖,𝑥 ∈ ℕ, 𝑡𝑛0 −1 , 𝑡𝑛0 ∈ 𝛱𝑛𝜖,𝑥 :

a) 𝑥 ∈ [𝑡𝑛0 −1 , 𝑡𝑛0 ] 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 b) 󵄨󵄨󵄨𝜎𝑢𝛱𝑛 (𝑥) − 𝜎𝑢 (𝑥)󵄨󵄨󵄨 + 󵄨󵄨󵄨𝛴𝑢𝛱𝑛 (𝑥) − 𝛴𝑢 (𝑥)󵄨󵄨󵄨 ⩽ 𝜖

∀𝑛 ⩾ 𝑛𝜖,𝑥 .

Somit erhalten wir für 𝑥 ∈ [𝑎, 𝑏] \ ⋃𝑛∈ℕ 𝛱𝑛 und 𝑡𝑛0 −1 , 𝑡𝑛0 wie oben ∀𝑦 ∈ (𝑡𝑛0 −1 , 𝑡𝑛0 ) : |𝑢(𝑥) − 𝑢(𝑦)| ⩽ 𝑀𝑛0 − 𝑚𝑛0 𝛱𝑛𝜖,𝑥

= 𝛴𝑢

𝛱𝑛𝜖,𝑥

(𝑥) − 𝜎𝑢

(𝑥)

⩽ 𝜖 + |𝛴𝑢 (𝑥) − 𝜎𝑢 (𝑥)|. Nun gilt {𝛴𝑢 ≠ 𝜎𝑢 } ∈ N𝜆 da 𝑢 R-integrierbar ist (vgl. Beweis von 13.2), und daher ist ∈N

𝜆 ⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞ {𝑥 : 𝑢(𝑥) ist unstetig} ⊂ ⋃ 𝛱𝑛 ∪ {𝛴𝑢 ≠ 𝜎𝑢 } ∈ N𝜆 . 𝑛∈ℕ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟

abzählbar, ∈N𝜆

„⇐“: Umgekehrt sei {𝑥 : 𝑢(𝑥) ist unstetig} Teilmenge einer Nullmenge. ∀𝑥 ∉ {𝑢 unstetig}

∀𝛱 ⊂ [𝑎, 𝑏] Partition

∃𝑘 = 𝑘(𝑥, 𝛱) : 𝑥 ∈ [𝑡𝑘−1 , 𝑡𝑘 ]

𝑢 stetig in 𝑥

󳨐⇒ 𝛴𝑢 (𝑥) − 𝜎𝑢 (𝑥) ⩽ 𝑀𝑘 − 𝑚𝑘 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ 0 |𝛱|:=max𝑖 |𝑡𝑖 −𝑡𝑖−1 |↓0

󳨐⇒ {𝛴𝑢 = 𝜎𝑢 } ⊃ {𝑢 stetig} 󳨐⇒ {𝛴 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑢 ≠ 𝜎𝑢 } ⊂ {𝑢 unstetig} messbar !

󳨐⇒ {𝛴𝑢 ≠ 𝜎𝑢 } ∈ N𝜆 ∗

Def

Def

󳨐⇒ ∫ 𝑢 = ∫ 𝛴𝑢 𝑑𝜆 = ∫ 𝜎𝑢 𝑑𝜆 = ∫ 𝑢. ∗

Es folgt, dass die Funktion 𝑢 R-integrierbar ist.

Die Sätze 13.2 und 13.3 gelten i. Allg. nicht für uneigentliche Riemann–Integrale.

66 | 13 Riemann vs. Lebesgue

Aufgaben 1.



Zeigen Sie, dass ∫0 𝑥𝑛 𝑒−𝑥 𝑑𝑥 = 𝑛! für alle 𝑛 ∈ ℕ gilt. ∞

Hinweis: Zeigen Sie ∫0 𝑒−𝑥𝑡 𝑑𝑥 = 1𝑡 , 𝑡 > 0, und differenzieren Sie diese Identität. 2.

1 (a) Zeigen Sie, dass ∫(0,1) (𝑥 ln 𝑥)𝑘 𝜆(𝑑𝑥) = (−1)𝑘 ( 𝑘+1 )

(b) Verwenden Sie Teil (a), um ∫(0,1) 𝑥

−𝑥

−𝑥𝛼

𝜆(𝑑𝑥) =

∑∞ 𝑘=1

𝑘+1 −𝑘

𝑘

𝛤(𝑘 + 1) für alle 𝑘 = 0, 1, 2, . . . gilt. zu zeigen.

3.

Zeigen Sie, dass die Funktion 𝑥 󳨃→ 𝑒

4.

Untersuchen Sie, ob die folgenden Funktionen auf den angegebenen Intervallen Lebesgueintegrierbar sind: (a)

𝑓(𝑥) =

(d)

𝑖(𝑥) =

sin(𝑥) , 𝑥 sin(𝑥) , 𝑥

[1, ∞); (0, 1];

, 𝑥 ⩾ 0, für jedes 𝛼 > 0 Lebesgue-integrierbar ist.

(b)

𝑔(𝑥) =

sin(𝑥2 ) , 𝑥2

(e)

𝑗(𝑥) =

1 , 𝑥

[1, ∞);

(0, 1];

(c)

ℎ(𝑥) =

cos(𝑥) , √𝑥

(f)

𝑘(𝑥) =

sin(𝑎𝑥) , 𝑒𝑥 −1

(0, 1]; (0, ∞).

[ 12 , 2]

Was würde sich ändern, wenn wir stattdessen wählen? Hinweis: Betrachten Sie zunächst 𝑓𝑛 = 𝑓𝟙[1,𝑛] bzw. ℎ𝑛 = ℎ𝟙[1/𝑛,1] etc. und nutzen Sie monotone Konvergenz sowie Aussagen über den Zusammenhang von Riemann- und Lebesgue-Integralen. 5.

∞ sin(𝑎𝑥) 𝑒𝑥 −1

Beweisen Sie folgende Gleichheit: ∫0

𝑑𝑥 = ∑∞ 𝑛=1

𝑎 . 𝑎2 +𝑛2

Hinweis: Verwenden Sie die geometrische Reihe und bestimmen Sie Im 𝑒−𝑥(𝑛−𝑖𝑎) . 1 1+𝑛𝑥2 𝑑𝑥. (1+𝑥2 )𝑛

6.

Berechnen Sie den Grenzwert lim𝑛→∞ ∫0

7.

𝑡 Es sei 𝑓(𝑡) = ∫0 arctan ( sinh ) 𝑑𝑥, 𝑡 > 0, wobei sinh 𝑥 = 12 (𝑒𝑥 − 𝑒−𝑥 ). 𝑥 (a) Zeigen Sie, dass 𝑓 auf (0, ∞) differenzierbar, dass aber 𝑓󸀠 (0+) nicht existiert. (b) Finden Sie eine geschlossene Darstellung für 𝑓󸀠 sowie für 𝑓(0) und lim𝑡→∞ 𝑓(𝑡).

8.

Finden Sie eine Folge von Riemann-integrierbaren Funktionen (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ , so dass 𝑢(𝑥) = lim𝑛 𝑢𝑛 (𝑥) für alle 𝑥 ∈ ℝ existiert, aber nicht mehr Riemann-integrierbar ist.

9.

Eine Funktion 𝑢 : (𝑎, 𝑏) → ℝ, −∞ ⩽ 𝑎 < 𝑏 ⩽ ∞, heißt uneigentlich Riemann-integrierbar, wenn 𝑑 sie für alle Intervalle [𝑐, 𝑑] ⊂ (𝑎, 𝑏) Riemann-integrierbar ist und lim𝑐→𝑎, 𝑑→𝑏 ∫𝑐 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥 existiert. Zeigen Sie: Jede messbare, uneigentlich Riemann-integrierbare Funktion 𝑢 : (0, ∞) → [0, ∞) ist Lebesgue-integrierbar.



10. (Fresnelsche Integrale) Zeigen Sie, dass die folgenden Integrale als uneigentliche RiemannIntegrale existieren ∞

∫ sin(𝑥2 ) 𝑑𝑥 0



und

∫ cos(𝑥2 ) 𝑑𝑥. 0

Existieren diese Integrale auch als Lebesgue-Integrale? Bemerkung: Mit Hilfe des Residuenkalküls kann man zeigen, dass beide Integrale den Wert √ 𝜋8 haben. 11. (Frullanisches Integral) Es sei 𝑓 : (0, ∞) → ℝ eine stetige Funktion mit lim𝑥→0+ 𝑓(𝑥) = 𝑚 und lim𝑥→∞ 𝑓(𝑥) = 𝑀. Zeigen Sie, dass das uneigentliche Riemann-Integral 𝑅

lim ∫

𝑟→0 𝑅→∞ 𝑟

𝑓(𝑏𝑥) − 𝑓(𝑎𝑥) 𝑏 𝑑𝑥 = (𝑀 − 𝑚) ln , 𝑥 𝑎

existiert. Existiert das Integral auch im Lebesgueschen Sinne? Hinweis: Mittelwertsatz für Riemann-Integrale.

𝑎, 𝑏 > 0,

14 Die Räume L 𝑝 und 𝐿𝑝 Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum. Analog zu den integrierbaren Funktionen L 1 (𝐸, A , 𝜇) führen wir nun die 𝑝-fach integrierbaren Funktionen ein. Diese Räume spielen auch in der Funktionalanalysis eine große Rolle. 14.1 Definition. Es sei 𝑝 ∈ [1, ∞). Dann sind L 𝑝 (𝐸, A , 𝜇) = {𝑢 : 𝐸 → ℝ : 𝑢 messbar, ∫ |𝑢|𝑝 𝑑𝜇 < ∞} , L ∞ (𝐸, A , 𝜇) = {𝑢 : 𝐸 → ℝ : 𝑢 messbar, ∃𝑐 > 0, 𝜇{|𝑢| ⩾ 𝑐} = 0}

(1 ⩽ 𝑝 < ∞) (𝑝 = ∞)

die Räume der 𝑝-fach integrierbaren Funktionen. Wir schreiben ‖𝑢‖𝐿𝑝 = (∫ |𝑢|𝑝 𝑑𝜇)

1/𝑝

(1 ⩽ 𝑝 < ∞)

,

‖𝑢‖𝐿∞ = inf {𝑐 > 0 : 𝜇{|𝑢| ⩾ 𝑐} = 0} .

(𝑝 = ∞)

Je nachdem, ob wir das Maß 𝜇, die Grundmenge 𝐸 oder die Messbarkeit bezüglich A hervorheben möchten, schreiben wir auch L 𝑝 (𝜇), L 𝑝 (𝐸), L 𝑝 (A ) oder nur L 𝑝 . Die Abbildung 𝑢 󳨃→ ‖𝑢‖𝐿𝑝 , 𝑝 ∈ [1, ∞], verhält sich im Wesentlichen wie eine Norm: a) ‖𝑢‖𝐿𝑝 = 0 ⇐⇒ 𝑢 = 0 f. ü. (Satz 10.2.a) für 𝑝 < ∞, trivial für 𝑝 = ∞). b) ‖𝛼𝑢‖𝐿𝑝 = |𝛼|‖𝑢‖𝐿𝑝 , 𝛼 ∈ ℝ. Nur die Dreiecksungleichung für die Norm ist nicht offensichtlich. Dazu benötigen wir eine elementare Ungleichung, die direkt aus Abb. 14.1 abgelesen werden kann. 14.2 Lemma (Youngsche Ungleichung). Die Exponenten 𝑝, 𝑞 ∈ (1, ∞) seien konjugiert, d. h. 𝑝−1 + 𝑞−1 = 1 (also: 𝑞 = 𝑝/(𝑝 − 1)). Dann 𝐴𝐵 ⩽

𝐴𝑝 𝐵𝑞 + 𝑝 𝑞

∀𝐴, 𝐵 ⩾ 0.

(14.1)

Zusatz: In (14.1) gilt „=“ genau dann, wenn 𝐵 = 𝐴𝑝−1 .

Abb. 14.1. Youngsche Ungleichung.

68 | 14 Die Räume L 𝑝 und 𝐿𝑝 Mit Hilfe der Youngschen Ungleichung können wir die folgende fundamentale Ungleichung für Integrale beweisen. 14.3 Satz (Höldersche Ungleichung). Für 𝑢 ∈ L 𝑝 (𝜇) und 𝑤 ∈ L 𝑞 (𝜇) mit

1 𝑝

+

1 𝑞

= 1,

𝑝, 𝑞 ∈ [1, ∞], gilt 𝑢 ⋅ 𝑤 ∈ L (𝜇) und 1

󵄨󵄨 󵄨 󵄨󵄨∫ 𝑢𝑤 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 ⩽ ∫ |𝑢𝑤| 𝑑𝜇 ⩽ ‖𝑢‖ 𝑝 ‖𝑤‖ 𝑞 . 󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝐿 𝐿 󵄨 󵄨

(14.2)

Beweis. Die erste Ungleichung in (14.2) ist klar, die zweite Ungleichung folgt so: Fall 1: 𝑝, 𝑞 ∈ (1, ∞). Setze 𝐴 :=

|𝑢(𝑥)| , ‖𝑢‖𝐿𝑝

𝐵 :=

|𝑤(𝑥)| . ‖𝑤‖𝐿𝑞

Wegen (14.1) erhalten wir |𝑢(𝑥)𝑤(𝑥)| |𝑢(𝑥)|𝑝 |𝑤(𝑥)|𝑞 ⩽ 𝑞 . 𝑝 + ‖𝑢‖𝐿𝑝 ‖𝑤‖𝐿𝑞 𝑝‖𝑢‖𝐿𝑝 𝑞‖𝑤‖𝐿𝑞 Wir integrieren nun auf beiden Seiten ∫

∫ |𝑢(𝑥)|𝑝 𝜇(𝑑𝑥) ∫ |𝑤(𝑥)|𝑞 𝜇(𝑑𝑥) 1 1 |𝑢(𝑥)𝑤(𝑥)| 𝜇(𝑑𝑥) ⩽ + = + =1 𝑞 𝑝 ‖𝑢‖𝐿𝑝 ‖𝑤‖𝐿𝑞 𝑝 𝑞 𝑞‖𝑤‖𝐿𝑞 𝑝‖𝑢‖𝐿𝑝

woraus die behauptete Ungleichung durch Multiplikation mit ‖𝑢‖𝐿𝑝 ‖𝑤‖𝐿𝑞 folgt. Fall 2: 𝑝 = 1, 𝑞 = ∞. Definitionsgemäß haben wir ‖𝑤‖𝐿∞ ⩾ |𝑤| f. ü., also ∫ |𝑢𝑤| 𝑑𝜇 ⩽ ‖𝑤‖𝐿∞ ∫ |𝑢| 𝑑𝜇. 14.4 Korollar (Cauchy–Schwarz Ungleichung). Für 𝑢, 𝑤 ∈ L 2 (𝜇) gilt 𝑢 ⋅ 𝑤 ∈ L 1 (𝜇) und (14.3)

∫ |𝑢𝑤| 𝑑𝜇 ⩽ ‖𝑢‖2 ‖𝑤‖2 . Beweis. Verwende Satz 14.3 mit 𝑝 = 𝑞 = 2.

14.5 Korollar (Minkowski-Ungleichung). Für beliebige 𝑢, 𝑤 ∈ L 𝑝 (𝜇) und 𝑝 ∈ [1, ∞] gilt 𝑢 + 𝑤 ∈ L 𝑝 (𝜇), sowie (14.4)

‖𝑢 + 𝑤‖𝐿𝑝 ⩽ ‖𝑢‖𝐿𝑝 + ‖𝑤‖𝐿𝑝 .

Beweis. Der Fall 𝑝 = ∞ ist eine Übung. [] Sei 𝑝 ∈ [1, ∞). Zunächst folgt die 𝑝-fache Integrierbarkeit aus |𝑢 + 𝑤|𝑝 ⩽ (|𝑢| + |𝑤|)𝑝 ⩽ (2 max{|𝑢|, |𝑤|})𝑝 = 2𝑝 max{|𝑢|𝑝 , |𝑤|𝑝 } 𝑝 𝑝 1 ⩽ 2𝑝 ( ⏟⏟|𝑢| ⏟⏟⏟⏟⏟ + |𝑤| ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ) ∈ L (𝜇). ∈L 1 (𝜇)

∈L 1 (𝜇)

14 Die Räume L 𝑝 und 𝐿𝑝

|

69

Weiterhin haben wir ∫ |𝑢 + 𝑤|𝑝 𝑑𝜇

=

∫ |𝑢 + 𝑤| ⋅ |𝑢 + 𝑤|𝑝−1 𝑑𝜇



∫ |𝑢| ⋅ |𝑢 + 𝑤|𝑝−1 𝑑𝜇 + ∫ |𝑤| ⋅ |𝑢 + 𝑤|𝑝−1 𝑑𝜇 (für 𝑝 = 1 endet der Beweis hier

Hölder



)

‖𝑢‖𝐿𝑝 ‖|𝑢 + 𝑤|𝑝−1 ‖𝐿𝑞 + ‖𝑤‖𝐿𝑝 ‖|𝑢 + 𝑤|𝑝−1 ‖𝐿𝑞 .

Da 𝑞 = 𝑝/(𝑝 − 1) gilt auch ‖|𝑢 + 𝑤|𝑝−1 ‖𝐿𝑞 = (∫ |𝑢 + 𝑤|(𝑝−1)𝑞 𝑑𝜇)

1/𝑞

= (∫ |𝑢 + 𝑤|𝑝 𝑑𝜇)

1−1/𝑝

und die Behauptung folgt durch Division mit ‖|𝑢 + 𝑤|𝑝−1 ‖𝐿𝑞 . 14.6 Bemerkung. a) Korollar 14.5 besagt insbesondere, dass für 𝑢, 𝑤 ∈ L 𝑝 (𝜇) und 𝛼, 𝛽 ∈ ℝ wiederum 𝛼𝑢 + 𝛽𝑤 ∈ L 𝑝 (𝜇) gilt, d. h. L 𝑝 (𝜇) ist ein Vektorraum. b) ‖𝑢‖𝐿𝑝 = 0 ⇐⇒ 𝑢 = 0 f. ü., d. h. L 𝑝 (𝜇) ist nur ein quasi-normierter Raum, da nicht notwendig 𝑢 ≡ 0 gilt. Es gibt aber ein Standardverfahren, um L 𝑝 (𝜇) zu einem echten normierten Raum zu machen. Def 󳶳 𝑢, 𝑤 ∈ L 𝑝 (𝜇) sind äquivalent, 𝑢 ∼ 𝑤, ⇐⇒ 𝜇(𝑢 ≠ 𝑤) = 0. 󳶳 [𝑢] = {𝑤 ∈ L 𝑝 (𝜇) : 𝑤 ∼ 𝑢} Äquivalenzklasse mit Repräsentant 𝑢. 10.3.b)

󳶳 ‖[𝑢]‖𝐿𝑝 := inf {‖𝑤‖𝐿𝑝 : 𝑤 ∈ [𝑢]} = ‖𝑢‖𝐿𝑝 . 󳶳 𝐿𝑝 (𝜇) = L 𝑝 (𝜇)/∼ = {[𝑢] : 𝑢 ∈ L 𝑝 (𝜇)}. 󳶳 𝐿𝑝 (𝜇) ist ein Vektorraum [] und ‖[𝑢]‖𝐿𝑝 darauf eine Norm. Und hier ist die übliche Standardschlamperei (der wir uns aber anschließen werden): Es ist üblich, von 𝐿𝑝 -Funktionen zu sprechen und [𝑢] mit einem guten Repräsentanten 𝑢0 ∈ [𝑢] zu identifizieren. Beachte [𝑢] = [𝑢0 ]

∀𝑢0 ∈ [𝑢].

󳶳 Es reicht aus, mit den Repräsentanten von 𝐿𝑝 -Funktionen zu rechnen. 󳶳 Jeder Repräsentant ist nur bis auf eine Nullmenge bestimmt. 𝑝 𝑝 𝑝 󳶳 𝐿 ℝ = 𝐿 , da gilt 𝑢 : 𝐸 → ℝ, 𝑢 ∈ L (𝜇) 󳨐⇒ |𝑢|𝑝 < ∞ f. ü. 󳨐⇒ |𝑢| < ∞ f. ü. ℝ



c) 𝑢, 𝑤 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇). Dann sind Ausdrücke der Art 𝑢 = 𝑤,

𝑢 ≠ 𝑤,

𝑢 ⩽ 𝑤, . . .

stets bis auf eine Ausnahme-Nullmenge, also „f. ü.“ zu verstehen. d) 𝑢 ∈ L 𝑝 (𝜇) ⇐⇒ 𝑢 messbar und |𝑢|𝑝 ∈ L 1 (𝜇). Wir wollen nun L 𝑝 (𝜇) als quasi-normierten Raum studieren.

70 | 14 Die Räume L 𝑝 und 𝐿𝑝 14.7 Definition (𝐿𝑝 -Konvergenz). Es seien (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ L 𝑝 (𝜇), 𝑢 ∈ L 𝑝 (𝜇), 𝑝 ∈ [1, ∞]. a) Die Folge (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ konvergiert in 𝐿𝑝 gegen 𝑢 ∈ L 𝑝 (𝜇), wenn lim𝑛→∞ ‖𝑢𝑛 − 𝑢‖𝐿𝑝 = 0. 𝐿𝑝

Wir schreiben 𝑢𝑛 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝑢 oder 𝐿𝑝 -lim𝑛→∞ 𝑢𝑛 = 𝑢. 𝑛→∞

b) Die Folge (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ heißt 𝐿𝑝 -Cauchy-Folge, wenn ∀𝜖 > 0

∃𝑁 = 𝑁𝜖 ∈ ℕ

∀𝑛, 𝑚 ⩾ 𝑁 : ‖𝑢𝑛 − 𝑢𝑚 ‖𝐿𝑝 ⩽ 𝜖.

14.8 Bemerkung. a) Jede in 𝐿𝑝 konvergente Folge (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ist auch eine CauchyFolge. Wenn 𝑢 den 𝐿𝑝 -Grenzwert bezeichnet, dann sehen wir mit der MinkowskiUngleichung ‖𝑢𝑛 − 𝑢𝑚 ‖𝐿𝑝 ⩽ ‖𝑢𝑛 − 𝑢‖𝐿𝑝 + ‖𝑢 − 𝑢𝑚 ‖𝐿𝑝 ; die rechte Seite konvergiert für 𝑚, 𝑛 → ∞ gegen Null. b) Es sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ L 𝑝 (𝜇) eine Folge, die für alle (oder 𝜇-fast alle) 𝑥 ∈ 𝐸 einen punktweisen Grenzwert 𝑢(𝑥) = lim𝑛→∞ 𝑢𝑛 (𝑥) hat. Dann folgt i. Allg. nicht die 𝐿𝑝 Konvergenz! Hinreichend wäre, wenn zusätzlich |𝑢𝑛 | ⩽ 𝑤 ∈ L 𝑝 ∀𝑛 (Satz 11.3 bzw. Satz 14.12). Wir zeigen nun die Umkehrung von 14.8.a): Der Raum L 𝑝 (𝜇), 𝑝 ∈ [1, ∞], ist vollständig. Zur Vorbereitung brauchen wir folgendes Hilfsresultat. 14.9 Lemma. Es seien (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ L 𝑝 (𝜇), 𝑝 ∈ [1, ∞], 𝑢𝑛 ⩾ 0. Dann 󵄩󵄩 ∞ 󵄩󵄩 ∞ 󵄩󵄩 󵄩 󵄩󵄩 ∑ 𝑢𝑛 󵄩󵄩󵄩 ⩽ ∑ ‖𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 . 󵄩󵄩 󵄩 󵄩󵄩𝑛=1 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 𝑛=1 Beweis. Wir verwenden die Minkowski-Ungleichung 𝑁 mal: 󵄩󵄩 𝑁 󵄩󵄩 𝑁 ∞ 󵄩 󵄩󵄩 󵄩󵄩 ∑ 𝑢𝑛 󵄩󵄩󵄩 ⩽ ∑ ‖𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 ⩽ ∑ ‖𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 . 󵄩󵄩󵄩𝑛=1 󵄩󵄩󵄩 𝑝 𝑛=1 𝑛=1 󵄩𝐿 󵄩 ∞ Da ∑𝑁 𝑛=1 𝑢𝑛 ↑ ∑𝑛=1 𝑢𝑛 (𝑁 → ∞), folgt mit Beppo Levi 𝑝 𝑝 󵄩󵄩 𝑁 󵄩󵄩𝑝 𝑁 𝑁 󵄩󵄩 󵄩󵄩 󵄩 󵄩 sup 󵄩󵄩 ∑ 𝑢𝑛 󵄩󵄩 = sup ∫ ( ∑ 𝑢𝑛 ) 𝑑𝜇 = ∫ (sup ∑ 𝑢𝑛 ) 𝑑𝜇 𝑁 󵄩 𝑁 𝑁 𝑛=1 󵄩󵄩𝑛=1 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 𝑛=1 󵄩󵄩 ∞ 󵄩󵄩𝑝 𝑝 ∞ 󵄩󵄩 󵄩󵄩 = ∫ ( ∑ 𝑢𝑛 ) 𝑑𝜇 = 󵄩󵄩󵄩 ∑ 𝑢𝑛 󵄩󵄩󵄩 . 󵄩 󵄩 𝑛=1 󵄩󵄩𝑛=1 󵄩󵄩𝐿𝑝

14.10 Satz (Riesz–Fischer). Der Raum L 𝑝 (𝜇), 𝑝 ∈ [1, ∞], ist vollständig, d. h. jede Cauchy-Folge (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ L 𝑝 (𝜇) konvergiert gegen ein 𝑢 ∈ L 𝑝 (𝜇). Beweis. 1o ) Hauptproblem: Wie sieht der Grenzwert 𝑢 aus? Nach Annahme ist (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ eine Cauchy-Folge, und daher existieren natürliche Zahlen 1 < 𝑛(1) < 𝑛(2) < ⋅ ⋅ ⋅ < 𝑛(𝑘) < . . . mit ‖𝑢𝑛(𝑘+1) − 𝑢𝑛(𝑘) ‖𝐿𝑝 < 2−𝑘

∀𝑘 ∈ ℕ.

14 Die Räume L 𝑝 und 𝐿𝑝

| 71

Wir finden 𝑢, indem wir 𝑢𝑛(𝑘+1) als Teleskopsumme schreiben: 𝑘

𝑢𝑛(𝑘+1) = ∑ (𝑢𝑛(𝑖+1) − 𝑢𝑛(𝑖) ) ,

𝑢𝑛(0) := 0.

𝑖=0 𝐿𝑝

𝐿𝑝

Falls 𝑢𝑛 󳨀󳨀→ 𝑢 gilt, dann gilt auch 𝑢𝑛(𝑘+1) 󳨀󳨀→ 𝑢, d. h. ∞

𝑢 = ∑ (𝑢𝑛(𝑖+1) − 𝑢𝑛(𝑖) ) 𝑖=0

ist ein Kandidat für den Grenzwert. 2o ) 𝑢 ist wohldefiniert. Das folgt aus 󵄩󵄩 󵄩󵄩 ∞ ∞ 󵄩 14.9 ∞ 󵄩󵄩 󵄨 󵄩󵄩∑ 󵄨󵄨𝑢𝑛(𝑖+1) − 𝑢𝑛(𝑖) 󵄨󵄨󵄨󵄩󵄩󵄩 ⩽ ∑ 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢𝑛(𝑖+1) − 𝑢𝑛(𝑖) 󵄩󵄩󵄩󵄩 𝑝 ⩽ 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢𝑛(1) 󵄩󵄩󵄩󵄩 𝑝 + ∑ 2−𝑛 󵄨󵄩󵄩 󵄩󵄩 󵄨 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 𝐿 𝐿 󵄩󵄩𝐿𝑝 󵄩󵄩𝑖=0 𝑛=1 𝑖=0 𝑝



10.6 󵄨 󵄨 󳨐⇒ (∑ 󵄨󵄨󵄨𝑢𝑛(𝑖+1) − 𝑢𝑛(𝑖) 󵄨󵄨󵄨) < ∞ f. ü. 𝑖=0 ∞

󳨐⇒ ∑ (𝑢𝑛(𝑖+1) − 𝑢𝑛(𝑖) )

konvergiert f. ü. absolut.

𝑖=0

Also ist 𝑢 f. ü. definiert, und auf der Ausnahmemenge setzen wir 𝑢 = 0. 𝐿𝑝

3o ) Wir zeigen: 𝑢𝑛(𝑘) 󳨀󳨀→ 𝑢. Es gilt 󵄩󵄩 󵄩󵄩 ∞ 󵄩󵄩 󵄩󵄩 ∞ 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩󵄩 󵄩 󵄩󵄩𝑢 − 𝑢𝑛(𝑘) 󵄩󵄩󵄩 𝑝 = 󵄩󵄩󵄩󵄩∑ (𝑢𝑛(𝑖+1) − 𝑢𝑛(𝑖) )󵄩󵄩󵄩󵄩 ⩽ 󵄩󵄩󵄩󵄩∑ 󵄨󵄨󵄨󵄨𝑢𝑛(𝑖+1) − 𝑢𝑛(𝑖) 󵄨󵄨󵄨󵄨󵄩󵄩󵄩󵄩 󵄩 󵄩𝐿 󵄩󵄩 𝑝 󵄩󵄩𝑖=𝑘 󵄩󵄩 𝑝 󵄩󵄩𝑖=𝑘 󵄩𝐿 󵄩 󵄩𝐿 󵄩 14.9 ∞ 󵄩 󵄩 ⩽ ∑ 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢𝑛(𝑖+1) − 𝑢𝑛(𝑖) 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 𝑖=𝑘 ∞

𝑘→∞

⩽ ∑ 2−𝑖 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 0. 𝑖=𝑘 𝐿𝑝

4o ) Wir zeigen: 𝑢𝑛 󳨀󳨀→ 𝑢. Für alle 𝜖 > 0 und 𝑛, 𝑛(𝑘) ⩾ 𝑁𝜖 gilt 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩󵄩 󵄩󵄩𝑢 − 𝑢𝑛 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 ⩽ 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑢𝑛(𝑘) 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 + 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢𝑛(𝑘) − 𝑢𝑛 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 󵄩 󵄩 ⩽ 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑢𝑛(𝑘) 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 + 𝜖 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 0 + 𝜖 󳨀󳨀󳨀→ 0. 𝑘→∞

𝜖→0

Der Beweis von Satz 14.10 zeigt auch: 𝐿𝑝

14.11 Korollar. Es sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ L 𝑝 (𝜇), 𝑝 ∈ [1, ∞], 𝑢𝑛 󳨀󳨀→ 𝑢, dann existiert eine Teilfolge (𝑢𝑛(𝑘) )𝑘∈ℕ , so dass 𝑢𝑛(𝑘) (𝑥) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝑢(𝑥) für fast alle 𝑥. 𝑘→∞

72 | 14 Die Räume L 𝑝 und 𝐿𝑝 Wir notieren noch die 𝐿𝑝 -Version des Konvergenzsatzes von Lebesgue (Satz 11.3). 14.12 Satz (𝐿𝑝 -dominierte Konvergenz). Es sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ L 𝑝 (𝜇), 𝑝 ∈ [1, ∞). Wenn 󳶳 𝑢𝑛 (𝑥) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝑢(𝑥) f. ü., 𝑛→∞

󳶳󳶳 |𝑢𝑛 | ⩽ 𝑤 f. ü. für alle 𝑛 ∈ ℕ und ein 𝑤 ∈ L 𝑝 (𝜇), dann ist 𝑢 ∈ L 𝑝 (𝜇) und es gilt a) ‖𝑢 − 𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 0. 𝑛→∞ b) ‖𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 󳨀󳨀󳨀󳨀→ ‖𝑢‖𝐿𝑝 . 𝑛→∞

Beweis. [] Hinweis: 𝑢 ∈ L 𝑝 ⇐⇒ 𝑢 messbar & |𝑢|𝑝 ∈ L 1 . Beachte wo Nullmengen auftreten und wie sie sich aufbauen. Wende den Satz von der dominierten Konvergenz auf |𝑢 − 𝑢𝑛 |𝑝 → 0 an. Konvergenz in 𝐿𝑝 ( lim ‖𝑢 − 𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 = 0) ≠ Konvergenz der 𝐿𝑝 -Normen ( lim ‖𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 = ‖𝑢‖𝐿𝑝 ). 𝑛→∞

𝑛→∞

Den genauen Zusammenhang zwischen der „Normkonvergenz“ und „Konvergenz der Normen“ gibt der folgende Satz von F. Riesz. 14.13 Satz (Riesz). Es sei (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ L 𝑝 (𝜇), 𝑝 ∈ [1, ∞). Wenn 𝑢𝑛 (𝑥) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝑢(𝑥) f.ü. und 𝑛→∞

𝑢 ∈ L 𝑝 (𝜇), dann gilt lim ‖𝑢 − 𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 = 0 ⇐⇒ lim ‖𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 = ‖𝑢‖𝐿𝑝 .

𝑛→∞

𝑛→∞

Beweis. „⇒“: Es ist ‖𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 = ‖𝑢𝑛 − 𝑢 + 𝑢‖𝐿𝑝 ⩽ ‖𝑢𝑛 − 𝑢‖𝐿𝑝 + ‖𝑢‖𝐿𝑝 . Indem wir die Rollen von 𝑢𝑛 und 𝑢 vertauschen, erhalten wir die Dreiecks-Ungleichung „nach unten“ 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨‖𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 − ‖𝑢‖𝐿𝑝 󵄨󵄨󵄨 ⩽ ‖𝑢𝑛 − 𝑢‖𝐿𝑝 , woraus die Behauptung unmittelbar folgt. „⇐“: Wegen |𝑢𝑛 − 𝑢|𝑝 ⩽ 2𝑝 (|𝑢𝑛 |𝑝 + |𝑢|𝑝 ) können wir Fatous Lemma auf die Funktionen 2𝑝 (|𝑢𝑛 |𝑝 + |𝑢|𝑝 ) − |𝑢𝑛 − 𝑢|𝑝 ⩾ 0 anwenden, und erhalten 2𝑝+1 ∫ |𝑢|𝑝 𝑑𝜇 = ∫ lim inf {2𝑝 (|𝑢𝑛 |𝑝 + |𝑢|𝑝 ) − |𝑢𝑛 − 𝑢|𝑝 } 𝑑𝜇 𝑛→∞

⩽ lim inf (∫ 2𝑝 |𝑢𝑛 |𝑝 𝑑𝜇 + ∫ 2𝑝 |𝑢|𝑝 𝑑𝜇 − ∫ |𝑢𝑛 − 𝑢|𝑝 𝑑𝜇) 𝑛→∞

= 2𝑝 ∫ |𝑢|𝑝 𝑑𝜇 + 2𝑝 ∫ |𝑢|𝑝 𝑑𝜇 − lim sup ∫ |𝑢𝑛 − 𝑢|𝑝 𝑑𝜇 . ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑛→∞ =2𝑝+1 ∫ |𝑢|𝑝 𝑑𝜇

=0, vergleiche beide Seiten!

Daher ist lim𝑛→∞ ∫ |𝑢𝑛 − 𝑢|𝑝 𝑑𝜇 = 0, da für positive Folgen 𝑎𝑛 ⩾ 0 aus lim sup𝑛 𝑎𝑛 = 0 sofort lim𝑛 𝑎𝑛 = 0 folgt.

14 Die Räume L 𝑝 und 𝐿𝑝

| 73

𝑝 14.14 Beispiel. Es sei 𝜇 = ∑∞ 𝑛=1 𝛿𝑛 das Zählmaß auf (ℕ, P(ℕ)). Der zugehörige 𝐿 Raum ist ein Folgenraum, der Raum der 𝑝-summierbaren Folgen:

ℓ𝑝 (ℕ) = L 𝑝 (𝜇) = {𝑢 : ℕ → ℝ : ‖𝑢‖𝐿𝑝 < ∞}

(1 ⩽ 𝑝 < ∞)



= {(𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ ℝ : ∑ |𝑢𝑛 |𝑝 < ∞} 𝑛=1

ℓ∞ (ℕ) = {𝑢 : ℕ → ℝ : sup |𝑢𝑛 | < ∞}

(𝑝 = ∞)

𝑛∈ℕ

Die Hölder- und Minkowski-Ungleichungen für das Zählmaß werden dann zu den aus der Analysis bekannten Ungleichungen für Reihen. Hölder-Ungleichung (für Reihen): 1/𝑝



1/𝑞



{ { ( ∑ |𝑎 |𝑝 ) ( ∑ |𝑏𝑛 |𝑞 ) { ∞ { { 𝑛=1 𝑛 𝑛=1 ∑ |𝑎𝑛 𝑏𝑛 | ⩽ { ∞ { { 𝑛=1 { {sup |𝑏𝑛 | ∑ |𝑎𝑛 | {𝑛∈ℕ 𝑛=1

für

1 1 + = 1, 𝑝, 𝑞 ∈ (1, ∞), 𝑝 𝑞

für 𝑝 = 1, 𝑞 = ∞.

Minkowski-Ungleichung (für Reihen): 1/𝑝



( ∑ |𝑎𝑛 + 𝑏𝑛 |𝑝 ) 𝑛=1



1/𝑝

⩽ ( ∑ |𝑎𝑛 |𝑝 )



1/𝑝

+ ( ∑ |𝑏𝑛 |𝑝 )

𝑛=1

(1 ⩽ 𝑝 < ∞)

𝑛=1

(𝑝 = ∞)

sup |𝑎𝑛 + 𝑏𝑛 | ⩽ sup |𝑎𝑛 | + sup |𝑏𝑛 | 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

Wir wollen nun noch eine praktische Konvexitätsungleichung herleiten. Dazu benötigen wir ein einleuchtendes – aber unangenehm zu beweisendes – Resultat. Def

𝑉 : (𝑎, 𝑏) → ℝ konvex ⇐⇒ 𝑉(𝑡𝑥 + (1 − 𝑡)𝑦) ⩽ 𝑡𝑉(𝑥) + (1 − 𝑡)𝑉(𝑦) ∀𝑥, 𝑦 ∈ (𝑎, 𝑏), 𝑡 ∈ (0, 1). Def

𝛬 : (𝑎, 𝑏) → ℝ konkav ⇐⇒ −𝛬 konvex.

Abb. 14.2. Konvexe Funktion.

74 | 14 Die Räume L 𝑝 und 𝐿𝑝

Abb. 14.3. Jede konvexe Funktion ist die obere Einhüllende affinlinearer Funktionen.

Lemma. ([8, Lemma 12.13, S. 115 f.]) . Es sei 𝑉 : (𝑎, 𝑏) → ℝ konvex. Dann gilt a) 𝑉(𝑥) = sup {ℓ(𝑥) : ℓ affin-linear, ℓ(𝑦) ⩽ 𝑉(𝑦) ∀𝑦}. b) 𝑉 ist stetig und hat an jeder Stelle 𝑥 ∈ (𝑎, 𝑏) einseitige Ableitungen. 14.15 Satz (Jensen-Ungleichung). Es sei 𝑉 : [0, ∞) → [0, ∞) konvex, 𝜇 ein W-Maß auf (𝐸, A ). Dann gilt ∀𝑢 ∈ M+ (A ).

𝑉 (∫ 𝑢 𝑑𝜇) ⩽ ∫ 𝑉(𝑢) 𝑑𝜇

Beweis. 𝑉(𝑢) = 𝟙{𝑢=0} 𝑉(0) + 𝟙{𝑢>0} 𝑉(𝑢) ist messbar, da 𝑉|(0,∞) stetig ist. Daher sind alle Integrale definiert. Weiter sei 𝑉(∞) := lim𝑥→∞ 𝑉(𝑥). Ist ∫ 𝑉(𝑢) 𝑑𝜇 = ∞, dann ist nichts zu zeigen. Sei also ∫ 𝑉(𝑢) 𝑑𝜇 < ∞. Für eine affin-lineare Funktion ℓ(𝑥) = 𝛼𝑥 + 𝛽 gilt ℓ (∫ 𝑢 𝑑𝜇) = 𝛼 ∫ 𝑢 𝑑𝜇 + 𝛽

W-Maß

=

∫(𝛼𝑢 + 𝛽) 𝑑𝜇 = ∫ ℓ(𝑢) 𝑑𝜇.

∫ 𝛽 𝑑𝜇=𝛽

Somit (ℓ bezeichnet stets eine affin-lineare Funktion) ℓ⩽𝑉

𝑉 (∫ 𝑢 𝑑𝜇) = sup ℓ (∫ 𝑢 𝑑𝜇) = sup ∫ ℓ(𝑢) 𝑑𝜇 ⩽ ∫ 𝑉(𝑢) 𝑑𝜇. ℓ⩽𝑉

ℓ⩽𝑉

Wir erwähnen noch einige wichtige Spezialfälle. 14.16 Beispiel. Es sei 𝜇 ein W-Maß und 𝜈, 𝜌 beliebige Maße. 𝑝 󵄨󵄨 󵄨󵄨𝑝 (𝑝 ⩾ 1). a) 󵄨󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨󵄨 ⩽ (∫ |𝑢| 𝑑𝜇) ⩽ ∫ |𝑢|𝑝 𝑑𝜇 󵄨 󵄨 b) exp (∫ 𝑢 𝑑𝜇) ⩽ ∫ exp(𝑢) 𝑑𝜇. c) „Jensen konkav“: 𝑢 ∈ L+1 (𝜇), 𝛬 : [0, ∞) → [0, ∞) konkav (z. B. √𝑥). Dann gilt ∫ 𝛬(𝑢) 𝑑𝜇 ⩽ 𝛬 (∫ 𝑢 𝑑𝜇) . d) Oft kann man durch geschickte Normierungen die Jensensche Ungleichung auch für allgemeinere Maße anwenden. Für 𝜅 := 𝜈(𝐸) < ∞ ist 𝜇 := 𝜅−1 𝜈 ein W-Maß. Dann gilt 𝑉 (∫ 𝑢 𝑑𝜈) = 𝑉 (∫ 𝜅𝑢 𝑑𝜇) ⩽ ∫ 𝑉(𝜅𝑢) 𝑑𝜇 =

1 ∫ 𝑉(𝜅𝑢) 𝑑𝜈. 𝜅

14 Die Räume L 𝑝 und 𝐿𝑝

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Für ein beliebiges Maß 𝜌 wählen wir 𝑓 ∈ L 1 (𝜌), 𝑓 > 0 und 𝜅 = ∫ 𝑓 𝑑𝜌 < ∞. Dann ist 𝜇 := 𝜅−1 𝑓𝜌 ein W-Maß, und 𝑉 (∫ 𝑢 𝑑𝜌) = 𝑉 (∫ 𝜅

𝑢 𝑢 1 𝑢 𝑑𝜇) ⩽ ∫ 𝑉 (𝜅 ) 𝑑𝜇 = ∫ 𝑉 (𝜅 ) 𝑓 𝑑𝜌. 𝑓 𝑓 𝜅 𝑓

Aufgaben 1.

Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein endlicher Maßraum und 1 ⩽ 𝑞 ⩽ 𝑝 ⩽ ∞. Zeigen Sie, dass 1

‖𝑢‖𝑞 ⩽ 𝜇(𝐸) 𝑞 𝑝

− 𝑝1

‖𝑢‖𝑝 ,

𝑞

und folgern Sie, dass L (𝜇) ⊂ L (𝜇) für 𝑝 ⩾ 𝑞 ⩾ 1. 2.

Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum, 1 ⩽ 𝑝 ⩽ 𝑟 ⩽ 𝑞 ⩽ ∞ und 𝜆 = ( 1𝑟 − 𝑞1 ) / ( 𝑝1 − 𝑞1 ). Zeigen Sie: ‖𝑢‖𝐿𝑟 ⩽ ‖𝑢‖𝜆𝐿𝑝 ⋅ ‖𝑢‖1−𝜆 𝐿𝑞

3.

und

L 𝑝 (𝜇) ∩ L 𝑞 (𝜇) ⊂ L 𝑟 (𝜇).

(Verallgemeinerte Hölder-Ungleichung) Zeigen Sie, dass in einem Maßraum (𝐸, A , 𝜇) 󵄨 󵄨 ∫ 󵄨󵄨󵄨𝑢1 ⋅ 𝑢2 . . . 𝑢𝑛 󵄨󵄨󵄨 𝑑𝜇 ⩽ ‖𝑢1 ‖𝐿𝑝1 ⋅ ‖𝑢2 ‖𝐿𝑝2 . . . ‖𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝𝑛 für alle messbaren 𝑢𝑖 ∈ M(A ) und alle 𝑝𝑖 ∈ (1, ∞) mit ∑𝑖 𝑝𝑖−1 = 1 gilt.

4.

Es seien (𝐸, A , 𝜇) ein endlicher Maßraum und 𝑢 ∈ L 1 (𝜇) mit 𝑢 > 0 und ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = 1. Zeigen Sie: ∫(log 𝑢) 𝑑𝜇 ⩽ 𝜇(𝐸) log

1 . 𝜇(𝐸)

Wie lautet die entsprechende Aussage für ein Wahrscheinlichkeitsmaß? 5.

Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum und 𝑓, 𝑔 ∈ L 𝑝 (𝜇). Finden Sie Bedingungen dafür, dass (a) 𝑓𝑔, 𝑓 + 𝑔 und 𝛼𝑓, 𝛼 ∈ ℝ, wieder in L 𝑝 (𝜇) sind. (b) Zeigen Sie, dass L 1 (𝜇) und L 2 (𝜇) keine Funktionenalgebren sind. 󵄨 󵄨 (c) Zeigen Sie die Dreiecksungleichung nach unten: 󵄨󵄨󵄨‖𝑓‖𝐿𝑝 − ‖𝑔‖𝐿𝑝 󵄨󵄨󵄨 ⩽ ‖𝑓 − 𝑔‖𝐿𝑝 .

6.

Es sei 𝛺 eine Menge mit mindestens zwei Elementen und 𝐵, 𝐵𝑐 ⊂ 𝛺 seien nicht leer. (a) Bestimmen Sie alle messbaren Abbildungen 𝑢 : (𝛺, {0, 𝛺}) → (ℝ, A ), wenn (i) A := {0, ℝ}, (ii) A := B(ℝ), (iii) A := P(ℝ). (b) Charakterisieren Sie für alle 𝑝 > 0 den Raum L 𝑝 (𝛺, 𝜎(𝐵), 𝜇).

7.

Für welche 𝑝 ⩾ 1 ist 𝑢(𝑥) := 1/(𝑥𝛼 + 𝑥𝛽 ), 𝑥, 𝛼, 𝛽 > 0, 𝑝-fach Lebesgue-integrierbar?

8.

Zeigen Sie, dass (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ L 2 (𝐸, A , 𝜇) genau dann in L 2 konvergiert, wenn lim𝑛,𝑚 ∫ 𝑢𝑛 𝑢𝑚 𝑑𝜇 existiert.

9.

Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum und 𝑢 ∈ ⋂𝑝⩾1 L 𝑝 (𝜇). Zeigen Sie, dass lim𝑝→∞ ‖𝑢‖𝐿𝑝 = ‖𝑢‖𝐿∞ (für unbeschränktes 𝑢 gilt ‖𝑢‖𝐿∞ = ∞).

10. Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein Wahrscheinlichkeitsraum und ‖𝑢‖L 𝑞 < ∞ für ein 𝑞 > 0. Zeigen Sie, dass lim𝑝→0 ‖𝑢‖𝐿𝑝 = exp (∫ log |𝑢| 𝑑𝜇) (wir setzen 𝑒−∞ = 0). 11. Es seien (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum, 𝑝 ∈ (0, 1) und 𝑤 ∈ L 𝑞 (𝜇) mit 𝑢, 𝑣, 𝑤 > 0 ‖𝑢𝑤‖𝐿1 ⩾ ‖𝑢‖𝐿𝑝 ‖𝑤‖𝐿𝑞

1 𝑞

und

= 1 − 𝑝1 . Zeigen Sie, dass für 𝑢, 𝑣 ∈ L 𝑝 (𝜇) und ‖𝑢 + 𝑣‖𝐿𝑝 ⩾ ‖𝑢‖𝐿𝑝 + ‖𝑣‖𝐿𝑝 .

15 Produktmaße In diesem Kapitel wollen wir Maße auf endlichen Produkträumen konstruieren. Die zu Grunde liegende Idee lässt sich anhand des Lebesgue–Maßes sehr einfach erklären: 𝜆2 ([𝑎1 , 𝑏1 ) × [𝑎2 , 𝑏2 )) = (𝑏1 − 𝑎1 )(𝑏2 − 𝑎2 ) = 𝜆1 [𝑎1 , 𝑏1 ) ⋅ 𝜆1 [𝑎2 , 𝑏2 ) d. h. das Lebesguesche (Prä-)Maß im ℝ2 ist das Produkt von eindimensionalen Lebesgueschen (Prä-)Maßen. Für allgemeinere Mengen können wir so argumentieren: Unsere Vorüberlegung legt nahe, dass 𝜆2 (𝑑(𝑥, 𝑦)) = 𝜆2 (𝑑𝑥×𝑑𝑦) = 𝜆1 (𝑑𝑥)𝜆1 (𝑑𝑦) gilt. Somit ist für beliebige 𝐵 ∈ B(ℝ2 ) – vgl. Abb. 15.1 – 𝜆(𝐵) = ∫ 𝟙𝐵 (𝑥, 𝑦) 𝜆2 (𝑑(𝑥, 𝑦)) = ∫ 𝟙𝐵 (𝑥, 𝑦) 𝜆1 (𝑑𝑥)𝜆1 (𝑑𝑦) ℝ2

ℝ×ℝ

= ∫ { ∫ 𝟙𝐵 (𝑥, 𝑦0 ) 𝜆1 (𝑑𝑥)}𝜆1 (𝑑𝑦0 ). ℝ



󳶳 Gilt B(ℝ) × B(ℝ) = B(ℝ × ℝ)? 󳶳 Können wir 𝜆1 (𝐴)𝜆1 (𝐵) = 𝜆2 (𝐴 × 𝐵), 𝐴, 𝐵 ∈ B(ℝ), zu einem Maß erweitern? (Wenn ja, dann haben wir einen Existenzbeweis für 𝜆2 .)

Zur Erinnerung. Es seien A , B Mengensysteme auf 𝐸 bzw. 𝐹, 𝐼 eine beliebige Indexmenge und 𝐴, 𝐴󸀠 , 𝐴 𝑖 ∈ A , 𝐵, 𝐵󸀠 , 𝐵𝑖 ∈ B (𝑖 ∈ 𝐼). Dann gelten folgende Beziehungen für die kartesischen Produkte: [] (⋃𝑖 𝐴 𝑖 ) × 𝐵 = ⋃𝑖 (𝐴 𝑖 × 𝐵) (⋂𝑖 𝐴 𝑖 ) × 𝐵 = ⋂𝑖 (𝐴 𝑖 × 𝐵) (𝐴 × 𝐵) ∩ (𝐴󸀠 × 𝐵󸀠 ) = (𝐴 ∩ 𝐴󸀠 ) × (𝐵 ∩ 𝐵󸀠 ) 𝐴𝑐 × 𝐵 = (𝐸 × 𝐵) \ (𝐴 × 𝐵) 𝐴 × 𝐵 ⊂ 𝐴󸀠 × 𝐵󸀠 ⇐⇒ 𝐴 ⊂ 𝐴󸀠 und 𝐵 ⊂ 𝐵󸀠 .

Abb. 15.1. Das Cavalieri-Prinzip für Produktmaße.

15 Produktmaße

| 77

Bezeichnung: A × B = {𝐴 × 𝐵 : 𝐴 ∈ A , 𝐵 ∈ B}. Das ist i. Allg. keine 𝜎-Algebra. []

15.1 Lemma. Es seien A und B Halbringe (Definition 5.1), dann ist A × B ein Halbring. Beweis. Wir überprüfen die Eigenschaften (𝑆1 )–(𝑆3 ) für A × B. Dazu seien 𝐴, 𝐴󸀠 ∈ A und 𝐵, 𝐵󸀠 ∈ B. (𝑆1 ) Wir haben 0 = 0 × 0 ∈ A × B. (𝑆2 ) Die Schnittstabilität folgt aus (𝐴 × 𝐵) ∩ (𝐴󸀠 × 𝐵󸀠 ) = (𝐴 ∩ 𝐴󸀠 ) × (𝐵 ∩ 𝐵󸀠 ) ∈ A × B.

(*)

(𝑆3 ) Es gilt (𝐴 × 𝐵)𝑐 = {(𝑥, 𝑦) : 𝑥 ∉ 𝐴, 𝑦 ∈ 𝐵 oder 𝑥 ∈ 𝐴, 𝑦 ∉ 𝐵 oder 𝑥 ∉ 𝐴, 𝑦 ∉ 𝐵} = (𝐴𝑐 × 𝐵) ∪⋅ (𝐴 × 𝐵𝑐 ) ∪⋅ (𝐴𝑐 × 𝐵𝑐 ). und wegen (*) ist (𝐴×𝐵) \ (𝐴󸀠 × 𝐵󸀠 ) = (𝐴 × 𝐵) ∩ (𝐴󸀠 × 𝐵󸀠 )𝑐 = [(𝐴 \ 𝐴󸀠 ) × (𝐵 ∩ 𝐵󸀠 )] ∪⋅ [(𝐴 ∩ 𝐴󸀠 ) × (𝐵 \ 𝐵󸀠 )] ∪⋅ [(𝐴 \ 𝐴󸀠 ) × (𝐵 \ 𝐵󸀠 )] . Nach Voraussetzung sind 𝐴 \ 𝐴󸀠 und 𝐵 \ 𝐵󸀠 endliche disjunkte Vereinigungen von Mengen aus A bzw. B. Daraus folgt die Behauptung. 15.2 Definition. Es seien (𝐸, A ), (𝐹, B) Messräume. Dann heißt A ⊗ B := 𝜎(A × B) (𝐸, A ) ⊗ (𝐹, B) := (𝐸 × 𝐹, A ⊗ B)

Produkt-𝜎-Algebra, Produkt-Messraum.

Wir wollen nun wiederum alles auf die Erzeuger der 𝜎-Algebren zurückführen. Das folgende Lemma besagt: „Das Produkt der Erzeuger ist der Erzeuger des Produkts.“ 15.3 Lemma. Es seien A = 𝜎(G ) und B = 𝜎(H ) mit (𝐺𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ G , 𝐺𝑛 ↑ 𝐸 und (𝐻𝑚 )𝑚∈ℕ ⊂ H , 𝐻𝑚 ↑ 𝐹. Dann gilt 𝜎(G × H ) = 𝜎(A × B) = A ⊗ B. Def

Beweis. 1o ) Aus G × H ⊂ A × B ⊂ A ⊗ B folgt 𝜎(G × H ) ⊂ 𝜎(A × B) = A ⊗ B. 2o ) Behauptung: 𝛴 := {𝐴 ∈ A : 𝐴 × 𝐻 ∈ 𝜎(G × H ) ∀𝐻 ∈ H } ist eine 𝜎-Algebra. Um das zu zeigen, seien 𝑆, 𝑆𝑛 ∈ 𝛴 und 𝐻 ∈ H . Dann gilt 󳶳 𝐸 × 𝐻 = ⋃𝑛 𝐺 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑛 × 𝐻 ∈ 𝜎(G × H ) 󳨐⇒ 𝐸 ∈ 𝛴. ∈𝜎(G ×H )

󳶳

𝑆𝑐 × 𝐻 = ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝐸 × 𝐻 \ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑆 × 𝐻 ∈ 𝜎(G × H ) 󳨐⇒ 𝑆𝑐 ∈ 𝛴. ∈𝜎(G ×H )

∈𝜎(G ×H )

78 | 15 Produktmaße 󳶳

(⋃𝑛 𝑆𝑛 ) × 𝐻 = ⋃𝑛 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ (𝑆𝑛 × 𝐻) ∈ 𝜎(G × H ) 󳨐⇒ ⋃𝑛 𝑆𝑛 ∈ 𝛴. ∈𝜎(G ×H )

Insbesondere ist G ⊂ 𝛴 ⊂ A = 𝜎(G ) und daher 𝛴 = A . Aufgrund der Definition von 𝛴 gilt nun A × H ⊂ 𝜎(G × H ). 3o ) Ähnlich wie in 2o zeigt man G × B ⊂ 𝜎(G × H ). 4o ) Für 𝐴 ∈ A und 𝐵 ∈ B gilt ∈G ×B⊂𝜎(G ×H )

𝐴 × 𝐵 = (𝐴 × 𝐹) ∩ (𝐸 × 𝐵) = ⋃

(𝐴 × 𝐻𝑚 ) ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟



⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞ (𝐺𝑛 × 𝐵)

∈ 𝜎(G × H ).

𝑛,𝑚 ∈A ×H ⊂𝜎(G ×H ) Def

Das zeigt A × B ⊂ 𝜎(G × H ), woraus A ⊗ B = 𝜎(A × B) ⊂ 𝜎(G × H ) folgt. Nun betrachten wir zwei Maßräume (𝐸, A , 𝜇) und (𝐹, B, 𝜈). Wir wollen auf A ⊗ B ein Maß 𝜌 durch die Vorschrift 𝜌(𝐴 × 𝐵) := 𝜇(𝐴)𝜈(𝐵)

𝐴 ∈ A , 𝐵 ∈ B,

erklären. 15.4 Satz (Eindeutigkeit von Produktmaßen). Es seien (𝐸, A , 𝜇), (𝐹, B, 𝜈) 𝜎-endliche12 Maßräume mit A = 𝜎(G ), B = 𝜎(H ) und 󳶳 G , H sind ∩-stabil; 󳶳󳶳 ∃𝐺𝑛 ∈ G , 𝐻𝑚 ∈ H , 𝐺𝑛 ↑ 𝐸, 𝐻𝑚 ↑ 𝐹, 𝜇(𝐺𝑛 ) < ∞, 𝜈(𝐻𝑚 ) < ∞. Dann gibt es höchstens ein Maß 𝜌 auf (𝐸 × 𝐹, A ⊗ B), so dass 𝜌(𝐺 × 𝐻) = 𝜇(𝐺)𝜈(𝐻)

∀𝐺 ∈ G , 𝐻 ∈ H .

Beweis. Wir führen die Aussage auf den Eindeutigkeitssatz für Maße (Satz 4.5) zurück. 󳶳 G × H erzeugt A ⊗ B (Lemma 15.3). 󳶳 G × H ist ∩-stabil. 󳶳 𝐺𝑛 × 𝐻𝑛 ↑ 𝐸 × 𝐹, 𝐺𝑛 × 𝐻𝑛 ∈ G × H und 𝜌(𝐺𝑛 × 𝐻𝑛 ) = 𝜇(𝐺𝑛 )𝜈(𝐻𝑛 ) < ∞. Das eigentliche Problem ist die Existenz von Produktmaßen. 15.5 Satz (Existenz von Produktmaßen). Es seien (𝐸, A , 𝜇), (𝐹, B, 𝜈) 𝜎-endliche1 Maßräume. Dann hat 𝜌 : A × B → [0, ∞],

𝜌(𝐴 × 𝐵) := 𝜇(𝐴)𝜈(𝐵)

eine eindeutige Fortsetzung zu einem 𝜎-endlichen Maß auf A ⊗ B.

12 Ein Maßraum (𝐸, A , 𝜇) heißt 𝜎-endlich, wenn es eine Folge (𝐴 𝑛 )𝑛 ⊂ A gibt, so dass 𝐴 𝑛 ↑ 𝐸 und 𝜇(𝐴 𝑛 ) < ∞.

15 Produktmaße

| 79

Für alle 𝐶 ∈ A ⊗ B gilt 𝜌(𝐶) = ∫ { ∫ 𝟙𝐶 (𝑥, 𝑦) 𝜈(𝑑𝑦)}𝜇(𝑑𝑥) = ∫ { ∫ 𝟙𝐶 (𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥)}𝜈(𝑑𝑦). 𝐸

𝐹

𝐹

𝐸

Insbesondere sind die folgenden Funktionen A - bzw. B-messbar: 𝑦 󳨃→ 𝟙𝐶 (𝑥, 𝑦),

𝑥 󳨃→ 𝟙𝐶 (𝑥, 𝑦),

𝑥 󳨃→ ∫ 𝟙𝐶 (𝑥, 𝑦) 𝜈(𝑑𝑦),

𝑦 󳨃→ ∫ 𝟙𝐶 (𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥).

𝐹

𝐸

Beweis. 1 ) Die Eindeutigkeit folgt aus Satz 15.4 mit G = A und H = B. o

2o ) Da 𝜇, 𝜈 𝜎-endlich sind, gibt es 𝐶𝑛 := 𝐴 𝑛 × 𝐵𝑛 ↑ 𝐸 × 𝐹 mit 𝜇(𝐴 𝑛 ), 𝜈(𝐵𝑛 ) < ∞. Wir sagen, dass eine Menge 𝐷 ∈ A ⊗ B zur Familie D𝑛 gehört, wenn i) 𝑥 󳨃→ 𝟙𝐷∩𝐶𝑛 (𝑥, 𝑦), 𝑦 󳨃→ 𝟙𝐷∩𝐶𝑛 (𝑥, 𝑦) messbar sind; ii) 𝑦 󳨃→ ∫ 𝟙𝐷∩𝐶𝑛 (𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥), 𝑥 󳨃→ ∫ 𝟙𝐷∩𝐶𝑛 (𝑥, 𝑦) 𝜈(𝑑𝑦) messbar sind; iii) ∬ 𝟙𝐷∩𝐶𝑛 (𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥)𝜈(𝑑𝑦) = ∬ 𝟙𝐷∩𝐶𝑛 (𝑥, 𝑦) 𝜈(𝑑𝑦)𝜇(𝑑𝑥). 3o ) Wir zeigen: A × B ⊂ D𝑛 . Für 𝐴 × 𝐵 ∈ A × B gilt ∬ 𝟙(𝐴×𝐵)∩𝐶𝑛 𝑑𝜇 𝑑𝜈 = ∬ 𝟙𝐴∩𝐴 𝑛 𝟙𝐵∩𝐵𝑛 𝑑𝜇 𝑑𝜈 = ∫ 𝜇(𝐴 ∩ 𝐴 𝑛 )𝟙𝐵∩𝐵𝑛 𝑑𝜈 = 𝜇(𝐴 ∩ 𝐴 𝑛 )𝜈(𝐵 ∩ 𝐵𝑛 ) und analog: ∬ 𝟙(𝐴×𝐵)∩𝐶𝑛 𝑑𝜈 𝑑𝜇 = 𝜈(𝐵 ∩ 𝐵𝑛 )𝜇(𝐴 ∩ 𝐴 𝑛 ). Also gilt iii) für 𝐴 × 𝐵. Die Bedingungen i), ii) sind wegen der Produktstruktur offensichtlich: 𝟙𝐴×𝐵 (𝑥, 𝑦) = 𝟙𝐴 (𝑥)𝟙𝐵 (𝑦),

∫ 𝟙𝐴×𝐵 (𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥) = 𝜇(𝐴)𝟙𝐵 (𝑦),

...

4o ) Wir zeigen: D𝑛 ist ein Dynkin-System. (𝐷1 ) 𝐸 × 𝐹 ∈ D𝑛 (𝐷2 ) Wegen 3o ist 𝐶𝑚 = 𝐴 𝑚 × 𝐵𝑚 ∈ D𝑛 für jedes 𝑚. Sei 𝐷 ∈ D𝑛 . Dann gilt ∬ 𝟙𝐷𝑐 ∩𝐶𝑛 𝑑𝜇 𝑑𝜈 = ∫ {∫ (𝟙𝐶𝑛 − 𝟙𝐷∩𝐶𝑛 ) 𝑑𝜇} 𝑑𝜈 = ∬ 𝟙𝐶𝑛 𝑑𝜇 𝑑𝜈 − ∬ 𝟙𝐷∩𝐶𝑛 𝑑𝜇 𝑑𝜈 iii)

= ∬ 𝟙𝐶𝑛 𝑑𝜈 𝑑𝜇 − ∬ 𝟙𝐷∩𝐶𝑛 𝑑𝜈 𝑑𝜇 = ∬ 𝟙𝐷𝑐 ∩𝐶𝑛 𝑑𝜈 𝑑𝜇.

Somit ist 𝐷𝑐 ∈ D𝑛 , da die Rechnung oben implizit (alle Integrale sind wohldefiniert) zeigt, dass auch i), ii) für 𝐷𝑐 gelten.

80 | 15 Produktmaße (𝐷3 )



Es sei (𝐷𝑚 )𝑚∈ℕ ⊂ D𝑛 eine Folge disjunkter Mengen und 𝐷 := ⋃𝑚∈ℕ 𝐷𝑚 . Dann ∞

∬ 𝟙𝐷∩𝐶𝑛 𝑑𝜇 𝑑𝜈

∬ ∑ 𝟙𝐷𝑚 ∩𝐶𝑛 𝑑𝜇 𝑑𝜈

=

𝑚=1

2×BL

=

𝐷𝑚 ∈D𝑛

=



∑ ∬ 𝟙𝐷𝑚 ∩𝐶𝑛 𝑑𝜇 𝑑𝜈

𝑚=1 ∞

BL

∑ ∬ 𝟙𝐷𝑚 ∩𝐶𝑛 𝑑𝜈 𝑑𝜇 = ∬ 𝟙𝐷∩𝐶𝑛 𝑑𝜈 𝑑𝜇. 2×

𝑚=1

Somit ist 𝐷 ∈ D𝑛 , da i), ii) für 𝐷 bei der Summenbildung ∑∞ 1 erhalten bleiben. 5o ) Wir wissen, dass A × B ⊂ D𝑛 ⊂ A ⊗ B für alle 𝑛 ∈ ℕ gilt. Da A × B ∩-stabil und D𝑛 ein Dynkin-System ist, gilt auch 𝜎(A × B)

Satz 4.4

=

𝛿(A × B) ⊂ D𝑛

∀𝑛.

Das heißt, dass die Aussage des Satzes für alle Mengen aus (A ⊗ B) ∩ 𝐶𝑛 , 𝑛 ∈ ℕ, gilt. Da 𝐶𝑛 ↑ 𝐸 × 𝐹 folgt die Behauptung für A ⊗ B. 15.6 Definition. (𝐸, A , 𝜇), (𝐹, B, 𝜈) seien 𝜎-endliche Maßräume. Dann heißt das in 15.5 konstruierte Maß 𝜌 := 𝜇⊗𝜈 Produktmaß und (𝐸, A , 𝜇)⊗(𝐹, B, 𝜈) := (𝐸×𝐹, A ⊗B, 𝜇⊗𝜈) Produktmaßraum. En passant haben wir auch das 𝑑-dimensionale Lebesgue–Maß 𝜆𝑑 konstruiert. 15.7 Korollar. Für 𝑑 = 𝑚 + 𝑛 gilt 𝑑

(ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 ), 𝜆𝑑 ) = ⨂(ℝ, B(ℝ), 𝜆1 ) = (ℝ𝑚 , B(ℝ𝑚 ), 𝜆𝑚 ) ⊗ (ℝ𝑛 , B(ℝ𝑛 ), 𝜆𝑛 ). 𝑖=1

Aufgaben 1.

Es seien (𝐸, A , 𝜇) und (𝐹, B, 𝜈) zwei 𝜎-endliche Maßräume. Zeigen Sie, dass jedes Rechteck 𝐴 × 𝑁 mit 𝐴 ∈ A und 𝑁 ∈ B mit 𝜈(𝑁) = 0 eine 𝜇 ⊗ 𝜈-Nullmenge ist.

2.

(Vervollständigung) Es seien (𝐸, A , 𝜇) und (𝐹, B, 𝜈) zwei Maßräume; weiter sei A ≠ P(𝐸) und B enthalte nicht-leere Nullmengen. Zeigen Sie: (𝐸 × 𝐹, A ⊗ B, 𝜇 ⊗ 𝜈) muss selbst dann nicht vollständig sein, wenn (𝐸, A , 𝜇) und (𝐹, B, 𝜈) vollständig sind. Insbesondere sind weder (ℝ2 , B(ℝ2 ), 𝜆2 ) noch (ℝ2 , B∗ (ℝ2 ), 𝜆̄ 2 ) vollständig.

3.

Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf ([0, ∞), B[0, ∞)). Zeigen Sie: (a) 𝐴 ∈ B[0, ∞) ⊗ P(ℕ) genau dann, wenn 𝐴 = ⋃𝑛 𝐵𝑛 × {𝑛} für eine Folge (𝐵𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ B[0, ∞). (b) Es existiert genau ein Maß 𝜋 auf B[0, ∞) ⊗ P(ℕ), so dass 𝜋(𝐵 × {𝑛}) = ∫𝐵 𝑒−𝑡 𝑡𝑛 /𝑛! 𝜇(𝑑𝑡).

4.

Es seien 𝜇, 𝜈 zwei 𝜎-endliche Maße auf (ℝ, B(ℝ)). Zeigen Sie: (a) Die Menge 𝐷 := {𝑥 ∈ ℝ : 𝜇{𝑥} > 0} ist (höchstens) abzählbar. (b) Die Diagonale 𝛥 ⊂ ℝ2 hat das Maß 𝜇 ⊗ 𝜈(𝛥) = ∑𝑥∈𝐷 𝜇{𝑥}𝜈{𝑥}.

16 Der Satz von Fubini–Tonelli Wie im vorangehenden Kapitel seien (𝐸, A , 𝜇) und (𝐹, B, 𝜈) zwei 𝜎-endliche Maßräume. Wir können die Formel für 𝜌(𝐶) im Satz 15.5 als „Vertauschungssatz für Doppelintegrale“ über eine einstufige Treppenfunktion lesen: 𝜌(𝐶) = ∫ 𝟙𝐶 𝑑𝜇 ⊗ 𝜈 = ∬ 𝟙𝐶 𝑑𝜇 𝑑𝜈 = ∬ 𝟙𝐶 𝑑𝜈 𝑑𝜇. Mit den üblichen Techniken (Sombrero-Lemma, Beppo Levi; vgl. Abbildung 9.1) lässt sich diese Aussage auf positive messbare Funktionen erweitern. 16.1 Satz (Tonelli). Es seien (𝐸, A , 𝜇) und (𝐹, B, 𝜈) zwei 𝜎-endliche Maßräume. Für jede A ⊗ B-messbare, positive Funktion 𝑢 : 𝐸 × 𝐹 → [0, ∞] gilt a) 𝑥 󳨃→ 𝑢(𝑥, 𝑦), 𝑦 󳨃→ 𝑢(𝑥, 𝑦) (𝑦 bzw. 𝑥 ist fest) sind A - bzw. B-messbar. b) 𝑦 󳨃→ ∫ 𝑢(𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥), 𝑥 󳨃→ ∫ 𝑢(𝑥, 𝑦) 𝜈(𝑑𝑦) sind B- bzw. A -messbar. c)

∫ 𝑢(𝑥, 𝑦) 𝜇 ⊗ 𝜈(𝑑𝑥, 𝑑𝑦) = ∫ { ∫ 𝑢(𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥)}𝜈(𝑑𝑦) 𝐸×𝐹

𝐹

𝐸

= ∫ { ∫ 𝑢(𝑥, 𝑦) 𝜈(𝑑𝑦)}𝜇(𝑑𝑥) ∈ [0, ∞]. 𝐸 𝐹 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ Zwiebelschalenprinzip: ∫𝐹 . . . 𝜈(𝑑𝑦) wirkt wie eine Klammer Integrale von positiven messbaren Funktionen darf man immer vertauschen, wenn man +∞ als Wert zulässt. Wenn ein (Doppel-)Integral endlich ist, dann sind alle Integrale endlich.

Beweis. 1o ) Zunächst sei 𝑓(𝑥, 𝑦) = 𝟙𝐶 (𝑥, 𝑦) für ein 𝐶 ∈ A ⊗ B. Für solche 𝑓 folgt die Behauptung aus Satz 15.5. 2o ) Nun sei 𝑔 ∈ E+ (A ⊗ B). Wir wählen eine Standarddarstellung 𝑀

𝑔(𝑥, 𝑦) = ∑ 𝛼𝑚 𝟙𝐶𝑚 (𝑥, 𝑦),

𝛼𝑚 ⩾ 0, 𝐶𝑚 ∈ A ⊗ B.

𝑚=0

Da M(A ⊗ B) ein Vektorraum ist und da Messbarkeit unter Vektorraum-Operationen erhalten bleibt, folgen a), b) (für 𝑢 = 𝑔) aus den entsprechenden Aussagen für die einzelnen Treppenstufen. Wegen der Linearität des Integrals gilt das auch für c). 3o ) Schließlich sei 𝑢 ∈ M+ℝ (A ⊗ B). Mit dem Sombrero-Lemma (Satz 7.11) finden wir eine Folge einfacher Funktionen 𝑔𝑛 ∈ E+ (A ⊗ B) mit 𝑔𝑛 ↑ 𝑢. Der Satz von Beppo Levi (Satz 8.6) zeigt nun, dass die Aussagen a)–c) unter aufsteigenden Limiten bestehen bleiben.

82 | 16 Der Satz von Fubini–Tonelli 16.2 Korollar (Satz von Fubini). Es seien (𝐸, A , 𝜇), (𝐹, B, 𝜈) zwei 𝜎-endliche Maßräume und 𝑢 : 𝐸 × 𝐹 → ℝ sei A ⊗ B-messbar. Wenn eines der folgenden drei Integrale endlich ist ∬ |𝑢| 𝑑𝜇 𝑑𝜈, ∬ |𝑢| 𝑑𝜈 𝑑𝜇, ∫ |𝑢| 𝑑(𝜇 ⊗ 𝜈), dann sind alle Integrale endlich, und es gilt a) 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇 ⊗ 𝜈); b) 𝑥 󳨃→ 𝑢(𝑥, 𝑦) ∈ Lℝ1 (𝜇) für 𝜈-fast alle 𝑦; c) 𝑦 󳨃→ 𝑢(𝑥, 𝑦) ∈ Lℝ1 (𝜈) für 𝜇-fast alle 𝑥; d) 𝑦 󳨃→ ∫𝐸 𝑢(𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥) ∈ Lℝ1 (𝜈); e) 𝑥 󳨃→ ∫𝐹 𝑢(𝑥, 𝑦) 𝜈(𝑑𝑦) ∈ Lℝ1 (𝜇); f)

∫ 𝑢(𝑥, 𝑦) 𝜇 ⊗ 𝜈(𝑑𝑥, 𝑑𝑦) = ∫ { ∫ 𝑢(𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥)}𝜈(𝑑𝑦) = ∫ { ∫ 𝑢(𝑥, 𝑦) 𝜈(𝑑𝑦)}𝜇(𝑑𝑥). 𝐸×𝐹

𝐹

𝐸

𝐸

𝐹

󳶳 „𝑃(𝑥) gilt für 𝜇-fast alle 𝑥“ bedeutet: {𝑥 : 𝑃(𝑥) gilt nicht} ist Teilmenge einer 𝜇-Nullmenge. 󳶳 In Korollar 16.2 ist f) nur wegen a) sinnvoll!

Beweis. Satz 16.1 (Tonelli) zeigt ∫ |𝑢|𝑑(𝜇 ⊗ 𝜈) = ∬ |𝑢| 𝑑𝜇 𝑑𝜈 = ∬ |𝑢| 𝑑𝜈 𝑑𝜇, d. h. wenn ein Integralausdruck endlich ist, dann sind alle Integrale endlich. In diesem Fall gilt 𝑢 ∈ Lℝ1 (𝜇 ⊗ 𝜈). Aus Satz 16.1 folgt auch die Messbarkeit von 𝑥 󳨃→ 𝑢± (𝑥, 𝑦)

und

𝑦 󳨃→ ∫ 𝑢± (𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥).

Da 𝑢± ⩽ |𝑢|, folgt wegen ∫𝐹 {∫𝐸 |𝑢(𝑥, 𝑦)| 𝜇(𝑑𝑥)} 𝜈(𝑑𝑦) < ∞, dass ∫ 𝑢± (𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥) ⩽ ∫ |𝑢(𝑥, 𝑦)| 𝜇(𝑑𝑥) < ∞ 𝐸

(für 𝜈-fast alle 𝑦).

𝐸

Weiterhin gilt ∫ ∫ 𝑢± (𝑥, 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥) 𝜈(𝑑𝑦) ⩽ ∫ ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 𝑑𝜈 < ∞. 𝐹 𝐸

𝐹 𝐸

Das zeigt b), d). c), e) folgen analog. f) folgt aus 𝑢 = 𝑢+ − 𝑢− , aus der Linearität des Integrals ∬ 𝑢 = ∬ 𝑢 + − ∬ 𝑢− und mit Satz 16.1 angewendet auf 𝑢± .

16 Der Satz von Fubini–Tonelli |

83

16.3 Beispiel (Partielle Integration (PI)). Der Satz von Fubini kann auch verwendet werden, um klassische Integrationsformeln zu zeigen. Es seien 𝑓, 𝑔 ∈ M(ℝ) Funktionen, die über jeder kompakten Menge von ℝ integrierbar sind (d. h. lokal-integrierbar, 𝑓, 𝑔 ∈ 𝐿1 (𝐾, 𝑑𝑥) für alle Kompakta 𝐾 ⊂ ℝ). Wir setzen 𝑥

{∫ 𝑓(𝑡)𝟙[0,𝑥] (𝑡) 𝑑𝑡, 𝐹(𝑥) := ∫ 𝑓(𝑡) 𝑑𝑡 := { 0 {− ∫ 𝑓(𝑡)𝟙[𝑥,0] (𝑡) 𝑑𝑡,

𝑥

𝑥 ⩾ 0,

und 𝐺(𝑥) := ∫ 𝑔(𝑡) 𝑑𝑡.

𝑥 < 0,

0

Dann gilt für alle −∞ < 𝑎 < 𝑏 < ∞ 𝑏

𝑏

(16.1)

𝐹(𝑏)𝐺(𝑏) − 𝐹(𝑎)𝐺(𝑎) = ∫ 𝑓(𝑡)𝐺(𝑡) 𝑑𝑡 + ∫ 𝐹(𝑡)𝑔(𝑡) 𝑑𝑡. 𝑎

𝑎

Beweis. Wir haben 𝑏

𝑏

𝑡

∫ 𝑓(𝑡)(𝐺(𝑡) − 𝐺(𝑎)) 𝑑𝑡 = ∫ 𝑓(𝑡){ ∫ 𝑔(𝑠) 𝑑𝑠}𝑑𝑡 𝑎

𝑎

𝑎

𝑏 𝑏

= ∫ ∫ 𝑓(𝑡)𝑔(𝑠)𝟙[𝑎,𝑡] (𝑠) 𝑑𝑠 𝑑𝑡 𝑎 𝑎 𝑏 𝑏 F

= ∫ ∫ 𝑓(𝑡)𝑔(𝑠)𝟙[𝑠,𝑏] (𝑡) 𝑑𝑡 𝑑𝑠 𝑎 𝑎 𝑏

𝑏

= ∫ (∫ 𝑓(𝑡) 𝑑𝑡) 𝑔(𝑠) 𝑑𝑠 𝑎

𝑠

𝑏

= ∫ 𝑔(𝑠)(𝐹(𝑏) − 𝐹(𝑠)) 𝑑𝑠. 𝑎

Durch einfaches Umstellen erhalten wir (16.1). Bei der mit „F“ gekennzeichneten Gleichheit haben wir den Satz von Fubini angewendet. Beachte hierbei, dass |𝑓(𝑡)𝑔(𝑠)| 𝑑𝑡 𝑑𝑠 = ∫ |𝑓(𝑡)| 𝑑𝑡 ⋅ ∫ |𝑔(𝑠)| 𝑑𝑠 < ∞.

∬ [𝑎,𝑏]×[𝑎,𝑏]

[𝑎,𝑏]

[𝑎,𝑏]

16.4 Beispiel. Mit Hilfe des Satzes von Tonelli können wir ein wichtiges Integral einfach berechnen. 2 ∫ 𝑒−𝑥 /2 𝑑𝑥 = √2𝜋. (16.2) ℝ 2

Beweis. Wir setzen 𝐼 := ∫ℝ 𝑒−𝑥

/2

𝑑𝑥. Dann gilt ∞∞

∞ ∞

𝐼2 = ∫ 𝑒−𝑥 ℝ

2

/2

𝑑𝑥 ∫ 𝑒−𝑦 ℝ

2

/2

𝑑𝑦 = ∫ ∫ 𝑒−(𝑥 −∞ −∞

2

+𝑦2 )/2

2

𝑑𝑦 𝑑𝑥 = 4 ∫ ∫ 𝑒−(𝑥 0 0

+𝑦2 )/2

𝑑𝑦 𝑑𝑥.

84 | 16 Der Satz von Fubini–Tonelli Wir dürfen diese Integrale als (uneigentliche) Riemann–Integrale behandeln. Der Variablenwechsel 𝑦 = 𝑡𝑥, 𝑑𝑦 = 𝑥 𝑑𝑡 zeigt ∞∞

∞∞

𝐼2 = 4 ∫ ∫ 𝑥𝑒−𝑥

2

(1+𝑡2 )/2

𝑑𝑡 𝑑𝑥 = 4 ∫ ∫ 𝑥𝑒−𝑥

0 0

2

(1+𝑡2 )/2

𝑑𝑥 𝑑𝑡.

0 0

Das innere Integral können wir durch eine Stammfunktion ausdrücken ∞



𝐼2 = 4 ∫ [− 0

𝑑𝑡 1 −𝑥2 (1+𝑡2 )/2 ∞ ] 𝑒 𝑑𝑡 = 4 ∫ = 4 [arctan 𝑡]∞ 0 = 2𝜋. 1 + 𝑡2 1 + 𝑡2 𝑥=0 0

𝑇

16.5 Beispiel (Integralsinus). lim ∫ 𝑇→∞

0

Beweis. Beachte, dass

1 𝜉

=

∞ ∫0 𝑒−𝑡𝜉

𝜋 sin 𝜉 𝑑𝜉 = . 𝜉 2

𝑑𝑡 sowie Im 𝑒𝑖𝜉 = sin 𝜉. Der Satz von Fubini zeigt

𝑇

𝑇 ∞

∞ 𝑇



𝑇

0

0 0

0 0

0

0

sin 𝜉 ∫ 𝑑𝜉 = ∫ ∫ 𝑒−𝑡𝜉 sin 𝜉 𝑑𝑡 𝑑𝜉 = ∫ ∫ 𝑒−𝑡𝜉 Im 𝑒𝑖𝜉 𝑑𝜉 𝑑𝑡 = ∫ Im ∫ 𝑒−(𝑡−𝑖)𝜉 𝑑𝜉 𝑑𝑡. 𝜉 Das innere Integral ergibt 𝑇

𝑇

𝑒−(𝑡−𝑖)𝜉 𝑒(𝑖−𝑡)𝑇 − 1 (𝑒(𝑖−𝑡)𝑇 − 1)(−𝑖 − 𝑡) ]. ] = Im [ ] = Im [ Im [∫ 𝑒−(𝑡−𝑖)𝜉 𝑑𝜉] = Im [ 𝑖−𝑡 0 𝑖−𝑡 1 + 𝑡2 0 [ ] Somit erhalten wir mit dem Satz von der dominierten Konvergenz (Satz 11.3) 𝑇



0

0 ∞

sin 𝜉 −𝑡𝑒−𝑡𝑇 sin 𝑇 − 𝑒−𝑡𝑇 cos 𝑇 + 1 ∫ 𝑑𝜉 = ∫ 𝑑𝑡 𝜉 1 + 𝑡2 𝑠=𝑡𝑇

= ∫ 0



−𝑠𝑒−𝑠 sin 𝑇 −𝑒−𝑡𝑇 cos 𝑇 + 1 ∫ 𝑑𝑠 + 𝑑𝑡 𝑇2 + 𝑠2 1 + 𝑡2 0

∞ dom. Konv.

󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ ∫ 𝑇→∞

0

󵄨󵄨∞ 𝜋 1 𝑑𝑡 = arctan 𝑡󵄨󵄨󵄨󵄨 = . 2 1+𝑡 2 󵄨0

Verteilungsfunktionen Das Cavalierische Prinzip besagt, dass wir das Volumen eines Körpers durch die Summation der Volumina seiner Niveauflächen berechnen können. Das ist auch die Idee, die dem Konzept der Verteilungsfunktion zu Grunde liegt. Die Menge {𝑢 ⩾ 𝑡} beschreibt die Werte des Definitionsbereichs einer messbaren Funktion 𝑢 : 𝐸 → ℝ, wo das Niveau mindestens 𝑡 erreicht, und die Verteilungsfunktion gibt das zugehörige 𝜇Maß an.

16 Der Satz von Fubini–Tonelli |

85

16.6 Definition. Für 𝑢 ∈ M(A ) heißt 𝑡 󳨃→ 𝜇𝑢 (𝑡) := 𝜇{𝑢 ⩾ 𝑡}, 𝑡 ∈ ℝ, (obere) Verteilungsfunktion oder Verteilungsfunktion (nach oben) von 𝑢 unter 𝜇.

Vor allem in der Wahrscheinlichkeitstheorie wird 𝑡 󳨃→ 𝜇{𝑢 ⩽ 𝑡} als Verteilungsfunktion bezeichnet. Um die Begriffe sauber zu trennen, sprechen wir daher von einer unteren/oberen Verteilungsfunktion bzw. von einer Verteilungsfunktion nach unten/oben.

Wir könnnen nun das Integral von 𝑢 (also das „Volumen unter dem Graphen von 𝑢“) durch „Aufsummieren“ der Volumina der Niveauflächen berechnen. 16.7 Satz. Für 𝑢 ∈ M+ (A ) gilt ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝜇{𝑢 ⩾ 𝑡} 𝜆(𝑑𝑡) ∈ [0, ∞]. (0,∞)

Beweis. Setze 𝑈(𝑥, 𝑡) := (𝑢(𝑥), 𝑡). Dann ist 𝑈 A ⊗ B[0, ∞)-messbar: 𝑈−1 (𝐴 × 𝐼) = 𝑢−1 (𝐴) × 𝐼 ∈ A ⊗ B[0, ∞)

∀𝐴 ∈ B(ℝ), 𝐼 ∈ B[0, ∞).

Insbesondere sehen wir 𝐹 = {(𝑥, 𝑡) : 𝑢(𝑥) ⩾ 𝑡} ∈ A ⊗ B[0, ∞). Eine direkte Rechnung ergibt, dass 𝟙𝐹 (𝑥, 𝑡) = 𝟙(0,𝑢(𝑥)] (𝑡) ist, da 𝟙(0,𝑢(𝑥)] (𝑡) = 1 genau für 𝑢(𝑥) ⩾ 𝑡 gilt. Mit dem Satz von Tonelli folgt nun 𝑢(𝑥)

∫ 𝑢(𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) = ∫ ∫ 𝑑𝑡 𝜇(𝑑𝑥) 0

= ∬ 𝟙(0,𝑢(𝑥)] (𝑡) 𝑑𝑡 𝜇(𝑑𝑥) ∬ 𝟙𝐹 (𝑥, 𝑡) 𝑑𝑡 𝜇(𝑑𝑥)

=

𝐸×(0,∞)

= ∫ { ∫ 𝟙𝐹 (𝑥, 𝑡) 𝜇(𝑑𝑥)} 𝑑𝑡. 𝐸 (0,∞) ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ =𝜇{𝑥 : 𝑢(𝑥)⩾𝑡}

16.8 Korollar. Es sei 𝜙 : [0, ∞) → [0, ∞) stetig differenzierbar, 𝜙(0) = 0, 𝜙󸀠 > 0. Dann gilt für messbare positive Funktionen 𝑢 : 𝐸 → [0, ∞) ∞

∫ 𝜙 ∘ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝜙󸀠 (𝑠)𝜇{𝑢 ⩾ 𝑠} 𝑑𝑠 ∈ [0, ∞].

(16.3)

0

Insbesondere: 𝜙 ∘ 𝑢 ∈ L 1 (𝜇) ⇐⇒ 𝜙󸀠 (𝑠) 𝜇{𝑢 ⩾ 𝑠} R-integrierbar. Einen der wichtigsten Sonderfälle stellt die konvexe Funktion 𝜙(𝑡) = 𝑡𝑝 , 𝑡 > 0, mit ∞ 1 ⩽ 𝑝 < ∞ dar: 𝑝 ∫ |𝑢| 𝑑𝜇 = ∫ 𝑝𝑠𝑝−1 𝜇{|𝑢| ⩾ 𝑠} 𝑑𝑠, 𝑝 ⩾ 1. (16.4) 𝐸

0

86 | 16 Der Satz von Fubini–Tonelli Beweis. Die Funktion 𝜙 ∘ 𝑢 ist messbar, da 𝜙 stetig ist. ∫ 𝜙 ∘ 𝑢 𝑑𝜇

16.7

=

∫ 𝜇{𝜙(𝑢) ⩾ 𝑡} 𝜆1 (𝑑𝑡) (0,∞) ∞

(*)

=

(𝑅) ∫ 𝜇{𝜙(𝑢) ⩾ 𝑡} 𝑑𝑡 0 ∞

𝑡=𝜙(𝑠)

=

𝑑𝑡=𝜙󸀠 (𝑠) 𝑑𝑠

(𝑅) ∫ 𝜇{𝜙(𝑢) ⩾ 𝜙(𝑠)} 𝜙󸀠 (𝑠) 𝑑𝑠 0 ∞

=

(𝑅) ∫ 𝜙󸀠 (𝑠)𝜇{𝑢 ⩾ 𝑠} 𝑑𝑠. 0

An der Stelle (*), wo wir Riemann– und Lebesgue–Integrale gleichsetzen, gibt es eine Lücke. Hier benötigen wir nämlich, dass 𝑡 󳨃→ 𝜇{𝜙(𝑢) ⩾ 𝑡} f. ü. stetig (siehe a) und beschränkt (siehe b) ist. a) Wird mit dem folgenden Lemma erledigt: Lemma. Eine monotone Funktion 𝛷 : ℝ → ℝ hat höchstens abzählbar viele Sprünge und ist somit f. ü. stetig. [] b) Verwendet eine Stutzungstechnik: 𝟙[𝜅−1 ,𝜅] (𝑡) ⋅ 𝜇{𝜙(𝑢) ⩾ 𝑡} ∧ 𝜅 ist für alle 𝜅 ∈ ℕ beschränkt und nur auf einem kompakten Intervall ≠ 0. Wir führen die obige Rechnung mit dieser Funktion durch, und gehen dann mit Beppo Levi auf beiden Seiten zum Limes 𝜅 ↑ ∞ über. Da alles positiv ist, reicht es für die Integrierbarkeit, wenn ein Integralausdruck endlich ist.

⧫Anmerkungen zur Produkt-𝜎-Algebra Wir diskutieren noch eine weitere Charakterisierung der Produkt-𝜎-Algebra. Dazu seien (𝐸𝑛 , A𝑛 ), 𝑛 = 1, 2, 3, Messräume und 𝜋𝑛 : 𝐸1 × 𝐸2 → 𝐸𝑛 ,

(𝑥1 , 𝑥2 ) 󳨃→ 𝑥𝑛 ,

𝑛 = 1, 2,

die kanonischen Koordinatenprojektionen. Nach Definition 6.5 ist 𝜎(𝜋1 , 𝜋2 ) = 𝜎 (𝜋1−1 (A1 ), 𝜋2−1 (A2 )) die kleinste 𝜎-Algebra in 𝐸1 × 𝐸2 , die 𝜋1 , 𝜋2 simultan messbar macht. 16.9 Satz. Es seien (𝐸𝑛 , A𝑛 ) und 𝜋𝑛 , 𝑛 = 1, 2, 3, wie oben. a) A1 ⊗ A2 = 𝜎(𝜋1 , 𝜋2 ) b) 𝑇 : (𝐸3 , A3 ) → (𝐸1 × 𝐸2 , A1 ⊗ A2 ) ist genau dann messbar, wenn die Abbildungen 𝜋𝑛 ∘ 𝑇 : (𝐸3 , A3 ) → (𝐸𝑛 , A𝑛 ), 𝑛 = 1, 2, messbar sind.

16 Der Satz von Fubini–Tonelli |

87

c) Wenn 𝑆 : (𝐸1 × 𝐸2 , A1 ⊗ A2 ) → (𝐸3 , A3 ) messbar ist, dann ist 𝑆(𝑥1 , ⋅) A2 /A3 -messbar und 𝑆(⋅, 𝑥2 ) A1 /A3 -messbar. Beweis. a) Wegen 𝜋1−1 (A1 ) = A1 × 𝐸2 , 𝜋2−1 (A2 ) = 𝐸1 × A2 gilt 𝜎(𝜋1 , 𝜋2 ) = 𝜎 ({𝐴 1 × 𝐸2 , 𝐸1 × 𝐴 2 : 𝐴 1 ∈ A1 , 𝐴 2 ∈ A2 }) . Insbesondere ist A1 × A2 ⊂ 𝜎(𝜋1 , 𝜋2 ) ⊂ A1 ⊗ A2 und Def

A1 ⊗ A2 = 𝜎(A1 × A2 ) ⊂ 𝜎(𝜋1 , 𝜋2 ) ⊂ A1 ⊗ A2 . messbar

b) Aus 𝑇 : (𝐸3 , A3 ) 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ (𝐸1 × 𝐸2 , A1 ⊗ A2 ) folgt, dass 𝜋𝑛 ∘ 𝑇 messbar ist (𝑛 = 1, 2). Umgekehrt seien 𝜋𝑛 ∘ 𝑇 : (𝐸3 , A3 ) → (𝐸𝑛 , A𝑛 ) messbar (𝑛 = 1, 2); dann ist 𝑇−1 (𝐴 1 × 𝐴 2 ) = 𝑇−1 (𝜋1−1 (𝐴 1 ) ∩ 𝜋2−1 (𝐴 2 )) = 𝑇−1 (𝜋1−1 (𝐴 1 )) ∩ 𝑇−1 (𝜋2−1 (𝐴 2 )) = (𝜋1 ∘ 𝑇)−1 (𝐴 1 ) ∩ (𝜋2 ∘ 𝑇)−1 (𝐴 2 ) ∈ A3 . Da A1 × A2 die 𝜎-Algebra A1 ⊗ A2 erzeugt, folgt die Behauptung. c) Sei 𝑥1 ∈ 𝐸1 fest. Definiere 𝑦 󳨃→ 𝑆(𝑥1 , 𝑦) = 𝑆 ∘ 𝚤𝑥1 (𝑦),

𝚤𝑥1 : 𝐸2 → 𝐸1 × 𝐸2 , 𝑦 󳨃→ (𝑥1 , 𝑦).

Nun gilt 𝚤𝑥−11 (𝐴 1 × 𝐴 2 ) = {

0,

𝑥1 ∉ 𝐴 1

𝐴 2,

𝑥1 ∈ 𝐴 1

} ∈ A2 ,

und es folgt, dass 𝑆 ∘ 𝚤𝑥1 messbar ist; 𝑆 ∘ 𝚤𝑥2 behandelt man analog.

Aufgaben 1.

Zeigen Sie, dass die folgenden iterierten Integrale existieren und übereinstimmen: ∫ [ ∫ 𝑒−𝑥𝑦 sin(𝑥) sin(𝑦) 𝜆(𝑑𝑥)]𝜆(𝑑𝑦) = ∫ [ ∫ 𝑒−𝑥𝑦 sin(𝑥) sin(𝑦) 𝜆(𝑑𝑦)]𝜆(𝑑𝑥). (0,∞)

(0,∞)

(0,∞)

(0,∞)

Zeigen Sie, dass das Doppelintegral bezüglich 𝜆 × 𝜆 existiert. 2.

Zeigen Sie, dass die folgenden iterierten Integrale existieren, aber nicht übereinstimmen. Folgern Sie daraus, dass das Doppelintegral nicht existiert. ∫ [ ∫ (0,1)

(0,1)

𝑥2 − 𝑦2 𝑥2 − 𝑦 2 𝜆(𝑑𝑦)] 𝜆(𝑑𝑥) ≠ ∫ [ ∫ 𝜆(𝑑𝑥)] 𝜆(𝑑𝑦). 2 2 2 (𝑥 + 𝑦 ) (𝑥2 + 𝑦2 )2 (0,1)

(0,1)

Hinweis: Der Integrand besitzt eine Stammfunktion und der Wert des linken Integrals ist 𝜋/4. Zusatz: Zeigen Sie direkt, dass das zugehörige Doppelintegral nicht existiert.

88 | 16 Der Satz von Fubini–Tonelli 3.

Zeigen Sie, dass die folgenden iterierten Integrale existieren und übereinstimmen: ∫ [ ∫ (−1,1)

(−1,1)

𝑥𝑦 𝑥𝑦 𝜆(𝑑𝑦)] 𝜆(𝑑𝑥) = ∫ [ ∫ 𝜆(𝑑𝑥)] 𝜆(𝑑𝑦). (𝑥2 + 𝑦2 )2 (𝑥2 + 𝑦2 )2 (−1,1)

(−1,1)

Zeigen Sie, dass das Doppelintegral dennoch nicht existiert. 1

1

1

1

4.

Berechnen Sie ∫0 ∫0 𝑓(𝑥, 𝑦) 𝑑𝑥 𝑑𝑦, ∫0 ∫0 𝑓(𝑥, 𝑦) 𝑑𝑦 𝑑𝑥 und ∫[0,1]2 |𝑓(𝑥, 𝑦)| 𝑑(𝑥, 𝑦) für folgende Funktionen: 𝑥−𝑦 −3 1 (a) (𝑥 − 12 ) 𝟙{0 0):

𝑥𝑖 ⩾0,

𝛼 −1

𝑥1 1

⋅ ⋅ ⋅ 𝑥𝑛𝛼𝑛 −1 𝑑𝑥1 . . . 𝑑𝑥𝑛 =

𝑝 𝑝 ∑𝑛𝑖=1 𝑥𝑖 𝑖 /𝑎𝑖 𝑖 ⩽1

𝛼

𝛤 ( 𝑝1 ⋅ ⋅ ⋅

𝛼

𝛼

∫⋅⋅⋅∫

𝑎1 1 . . . 𝑎𝑛 𝑛 𝑝1 . . . 𝑝𝑛

1



𝛤 (1 +

𝛼1 𝑝1

𝛼𝑛 ) 𝑝𝑛

+ ⋅⋅⋅ +

𝛼𝑛 ) 𝑝𝑛

.

Hinweis: Integraldarstellung der Eulerschen Beta-Funktion, vgl. Aufgabe 20.2. 9.

Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein 𝜎-endlicher Maßraum und 𝑓 : 𝐸 → [0, ∞) eine reelle Funktion. Der Subgraph von 𝑓 ist die Menge 𝛤𝑓 := {(𝑥, 𝑡) : 0 ⩽ 𝑡 ⩽ 𝑓(𝑥)} ⊂ 𝐸 × ℝ, der Graph ist 𝐺𝑓 := {(𝑥, 𝑓(𝑥)) : 𝑥 ∈ 𝐸}. (a) 𝑓 ist genau dann Borel-messbar, wenn 𝛤𝑓 ∈ A ⊗ B(ℝ). (b) Wenn 𝑓 Borel-messbar ist, dann ist 𝐺𝑓 eine 𝜇 ⊗ 𝜆1 -Nullmenge. Hinweis: Satz 16.7 sowie {𝑓 > 𝜆} × {𝑡 > 0} = ⋃𝑛 {(𝑥, 𝜆 + 𝑡/𝑛) ∈ 𝛤𝑓 }.

10. (Minkowskische Ungleichung für Doppelintegrale) Es seien (𝐸, A , 𝜇) und (𝐹, B, 𝜈) zwei 𝜎-endliche Maßräume und 𝑢 : 𝐸 × 𝐹 → ℝ eine messbare Funktion. Dann gilt für alle 𝑝 ∈ [1, ∞) 𝑝

1/𝑝

(∫ (∫ |𝑢(𝑥, 𝑦)| 𝜈(𝑑𝑦)) 𝜇(𝑑𝑥)) 𝐸

𝐹

1/𝑝 𝑝

⩽ ∫ (∫ |𝑢(𝑥, 𝑦)| 𝜇(𝑑𝑥)) 𝐹

𝜈(𝑑𝑦).

𝐸

Hinweis: Wenden Sie Tonelli und Hölder auf 𝑈𝑘 (𝑥) := (∫𝐹 |𝑢(𝑥, 𝑦)| 𝜈(𝑑𝑦) ∧ 𝑘) 𝟙𝐴 𝑘 (𝑥) an, wobei 𝑘 ∈ ℕ und 𝐴 𝑘 ↑ 𝐸 mit 𝜇(𝐴 𝑘 ) < ∞. Für den Grenzwert 𝑘 → ∞ verwenden Sie Beppo Levi.

17 ⧫Unendliche Produkte Wir wollen nun Maße auf unendlichen Produkten konstruieren. Dazu betrachten wir eine beliebige Indexmenge 𝐼 sowie die Wahrscheinlichkeitsräume (𝛺𝑖 , A𝑖 , ℙ𝑖 ), 𝑖 ∈ 𝐼. 17.1 Definition. Für 0 ≠ 𝐾 ⊂ 𝐼 ist 𝛺𝐾 :=

×𝛺 := {𝑓 : 𝐾 → ⋃ 𝛺 𝑖

𝑖

𝑖∈𝐾

: 𝑓(𝑖) ∈ 𝛺𝑖

∀𝑖 ∈ 𝐾}

𝑖∈𝐾

das Produkt der (𝛺𝑖 )𝑖∈𝐾 . Weitere Bezeichnungen (𝐾 ⊂ 𝐽 ⊂ 𝐼): 𝑖-te Koordinate von 𝑓 ∈ 𝛺𝐾 Koordinatenprojektion

𝑓(𝑖); 𝜋𝑖 : 𝛺𝐼 → 𝛺𝑖 , 𝑓 󳨃→ 𝑓(𝑖), 𝑖 ∈ 𝐼; 𝜋𝑖𝐾 : 𝛺𝐾 → 𝛺𝑖 , 𝑓 󳨃→ 𝑓(𝑖), 𝑖 ∈ 𝐾; 𝐽 𝜋𝐾 : 𝛺𝐽 → 𝛺𝐾 , 𝑓 󳨃→ 𝑓|𝐾 ; 𝐼 𝜋𝐾 := 𝜋𝐾 : 𝛺𝐼 → 𝛺𝐾 ; H := H (𝐼) := {𝐾 ⊂ 𝐼 : 0 < #𝐾 < ∞}.

Projektion auf 𝛺𝐾 endliche Indexmengen

𝐽 𝐾 𝐼 𝐿 Für 0 ≠ 𝐾 ⊂ 𝐿 ⊂ 𝐽 ⊂ 𝐼 gilt insbesondere 𝜋𝑖𝐾 = 𝜋{𝑖} , 𝜋𝑖 = 𝜋{𝑖} , und 𝜋𝐾 = 𝜋𝐾 ∘ 𝜋𝐿𝐽 .

17.2 Definition. Das unendliche Produkt A𝐼 := ⨂𝑖∈𝐼 A𝑖 der 𝜎-Algebren (A𝑖 )𝑖∈𝐼 ist definiert als A𝐼 := 𝜎(𝜋𝑖 : 𝑖 ∈ 𝐼) = 𝜎 (𝜋𝑖−1 (A𝑖 ) : 𝑖 ∈ 𝐼) . (17.1) 17.3 Bemerkung. a) Die Definition 17.2 ist verträglich mit der bisherigen Definition endlicher Produkte aus § 15, vgl. auch Satz 16.9. b) Die Projektionen 𝜋𝐻 : 𝛺𝐼 → 𝛺𝐻 sind für jedes 𝐻 ∈ H A𝐼 /A𝐻 -messbar. Eine typische Erzeugermenge von A𝐻 ist nämlich von der Form

× 𝐴 = ⋂ (𝜋 )

𝐻 −1 (𝐴 𝑖 ), 𝑖

𝑖

𝑖∈𝐻

𝐴 𝑖 ∈ A𝑖

𝑖∈𝐻

und daher gilt auch −1 ( 𝜋𝐻

×𝐴 ) = 𝜋 𝑖

𝑖∈𝐻

−1 𝐻(

−1 −1 ⋂ (𝜋𝑖𝐻 )−1 (𝐴 𝑖 )) = ⋂ 𝜋𝐻 ∘ (𝜋𝑖𝐻 )−1 (𝐴 𝑖 ) = ⋂ 𝜋 𝑖 (𝐴 𝑖 ) ∈ A𝐼 . ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑖∈𝐻 𝑖∈𝐻 ⏟⏟𝑖∈𝐻 ⏟⏟⏟⏟⏟ ∈A𝐼 #𝐻 0. Wir zeigen ⋂𝑛 𝐶𝑛 ≠ 0 (das ist äquivalent zur 𝑛

13 Beachte, dass für großes 𝐻 ∈ H alles auf Z𝐻 reduziert werden kann und dass ℙ𝐻 ein Maß ist.

92 | 17 ⧫Unendliche Produkte Stetigkeit in 0). Ohne Einschränkung gelte 𝐻1 ⊂ 𝐻2 ⊂ . . . Wegen wegen 6o und Fubini ist dann 𝑄𝑛 := {𝜔𝐻1 ∈ 𝛺𝐻1 : ℙ(𝐶𝑛 (𝜔𝐻1 )) ⩾ 𝛿/2} ∈ A𝐻1 . Offenbar fällt die Folge 𝑄𝑛 , da die Folge 𝐶𝑛 absteigend ist. Weiterhin gilt 𝛿 ⩽ ℙ(𝐶𝑛 ) = ∫ ℙ(𝐶𝑛 (𝜔𝐻1 )) ℙ𝐻1 (𝑑𝜔𝐻1 ) + ∫ . . . ℙ𝐻1 (𝑑𝜔𝐻1 ) 𝑄𝑛𝑐

𝑄𝑛

𝛿 ⩽ ℙ𝐻1 (𝑄𝑛𝑐 ) + 1 ⋅ ℙ𝐻1 (𝑄𝑛 ). 2 Das zeigt, dass ℙ𝐻1 (𝑄𝑛 ) ⩾ 𝛿2 für alle 𝑛 ∈ ℕ; wegen der Maßstetigkeit ist dann aber ℙ𝐻1 (⋂𝑛 𝑄𝑛 ) ⩾ 𝛿2 und daher ist ⋂𝑛 𝑄𝑛 nicht leer. Also gilt 1 𝛿. 2 ist stetig in 0 (Teil 3): Wir wenden 7o auf folgende Situation an: ∃𝜔1 ∈ 𝛺𝐻1 ∀𝑛 : ℙ(𝐶𝑛 (𝜔1 )) ⩾

8o ) ℙ|Z

𝐶𝑛 󴁄󴀼 𝐶𝑛 (𝜔1 )

(𝜔1 wie in 7o )

𝐻1 󴁄󴀼 𝐻2 \ 𝐻1 1 𝛿 󴁄󴀼 𝛿. 2 Dann sehen wir

1 𝛿 ⋅ 2 2 und wir definieren nun 𝐶(𝜔1 , 𝜔2 ) := 𝐶(𝜔1 )(𝜔2 ) für (𝜔1 , 𝜔2 ) ∈ 𝛺𝐻2 . Rekursiv finden wir ∃𝜔2 ∈ 𝛺𝐻2 \𝐻1 ∀𝑛 : ℙ(𝐶𝑛 (𝜔1 )(𝜔2 )) ⩾

∃(𝜔1 , . . . , 𝜔𝑚 ) ∈ 𝛺𝐻𝑚 ∀𝑛 : ℙ(𝐶𝑛 (𝜔1 , . . . , 𝜔𝑚 )) ⩾

𝛿 . 2𝑚

Da dann für 𝑛 = 𝑚 auch 𝐶𝑚 (𝜔1 , . . . , 𝜔𝑚 ) ≠ 0, gilt ∀𝜔 ∈ 𝛺𝐼 : (𝜔1 , . . . , 𝜔𝑚 , 𝜋𝐼\𝐻𝑚 (𝜔)) ∈ 𝐶𝑚 . Andererseits gibt es ein 𝜔0 ∈ 𝛺𝐼 , so dass ∀𝑚 : 𝜋𝐻𝑚 (𝜔0 ) = (𝜔1 , . . . , 𝜔𝑚 ). Das zeigt schließlich 𝜔0 ∈ ⋂𝑚 𝐶𝑚 , also ist ⋂𝑚 𝐶𝑚 ≠ 0. 9o ) Wir können nun Lemma 3.8 und den Satz von Carathéodory (Satz 5.2) verwenden, um ℙ|Z (in eindeutiger Weise) zu einem Maß ℙ auf 𝜎(Z ) fortzusetzen.

Aufgaben 1.

Es seien 𝐸 = {0, 1}, 𝜇 = 12 (𝛿0 + 𝛿1 ) und (𝛺, A , ℙ) = ⨂𝑛∈ℕ (𝐸, P(𝐸), 𝜇). Für (𝑥𝑛 )𝑛 ∈ 𝛺 wird 𝑓 : 𝛺 → [0, 1] definiert durch 𝑓((𝑥𝑛 )𝑛 ) := ∑𝑛 𝑥𝑛 2−𝑛 . Zeigen Sie, dass ℙ ∘ 𝑓−1 das Lebesgue-Maß auf [0, 1] ist.

18 Bildintegrale und Faltung In diesem Kapitel seien (𝑆, S ) ein Messraum und (𝛺, A , ℙ) ein W-Raum, d. h. ein Maßraum mit einem W-Maß ℙ. Eine (𝑆-wertige) Zufallsvariable (ZV) ist eine messbare Funktion 𝑋 : (𝛺, A ) → (𝑆, S ). Die Verteilung von 𝑋 ist das Bildmaß von ℙ unter 𝑋, ℙ𝑋 (𝐵) := 𝑋(ℙ)(𝐵) = ℙ(𝑋−1 (𝐵)) = ℙ(𝑋 ∈ 𝐵),

𝐵 ∈ S,

vgl. Satz 6.6 und Definition 6.7. Wir wollen nun eine Formel für das Integral bezüglich eines Bildmaßes finden. 18.1 Satz (Transformationssatz). Sei 𝑢 : 𝑆 → ℝ eine messbare Funktion und 𝑋 : 𝛺 → 𝑆 eine ZV. Dann gilt die Formel (18.1)

∫ 𝑢(𝑋(𝜔)) ℙ(𝑑𝜔) = ∫ 𝑢(𝑠) ℙ𝑋 (𝑑𝑠). 𝛺

𝑆

Dabei ist (18.1) folgendermaßen zu lesen: Entweder ist 𝑢 ⩾ 0 und (18.1) gilt in [0, ∞] oder 𝑢 ∈ 𝐿1 (ℙ𝑋 ) genau dann, wenn 𝑢(𝑋) ∈ 𝐿1 (ℙ). Beweis. Wie bei der Konstruktion des Integrals (vgl. Abb. 9.1 auf Seite 47) zeigen wir die Aussage erst für 𝑢 = 𝟙𝐵 und für einfache Funktionen, dann für positive messbare Funktionen und schließlich für integrierbare Funktionen. 1o ) Zunächst sei 𝑢 = 𝟙𝐵 für ein 𝐵 ∈ S . Dann ist wegen 𝟙{𝑋∈𝐵} = 𝟙𝑋−1 (𝐵) = 𝟙𝐵 (𝑋) ∫ 𝑢 𝑑ℙ𝑋 = ∫ 𝟙𝐵 𝑑ℙ𝑋 = ℙ𝑋 (𝐵) = ℙ(𝑋 ∈ 𝐵) = ∫ 𝟙{𝑋∈𝐵} 𝑑ℙ = ∫ 𝟙𝐵 (𝑋) 𝑑ℙ. 𝑆

𝑆

𝛺

𝛺

1

Somit gilt (18.1) und 𝑢(𝑋) = 𝟙𝐵 (𝑋) ∈ 𝐿 (ℙ) genau dann, wenn 𝑢 ∈ 𝐿1 (ℙ𝑋 ). + o 2o ) Nun sei 𝑢 = ∑𝑁 𝑛=0 𝛼𝑛 𝟙𝐵𝑛 ∈ E (S ). Wegen 1 und der Linearität des Integrals gilt die Aussage des Satzes für solche 𝑢.

3o ) Nun sei 𝑢 ∈ M+ (S ). Mit dem Sombrero-Lemma (Satz 7.11) finden wir eine Folge 𝑢𝑚 ∈ E+ (S ), so dass 𝑢𝑚 ↑ 𝑢. Daher zeigt 2o

BL

∫ 𝑢 𝑑ℙ𝑋 = sup ∫ 𝑢𝑚 𝑑ℙ𝑋 = sup ∫ 𝑢𝑚 (𝑋) 𝑑ℙ = ∫ 𝑢(𝑋) 𝑑ℙ, 𝑚

𝑆

𝑚

𝑆

𝛺

𝛺

dass (18.1) in [0, ∞] gilt. 4o ) Schließlich sei 𝑢 ∈ 𝐿1 (ℙ𝑋 ). Für die Zerlegung 𝑢 = 𝑢+ − 𝑢− gilt dann 𝑢± ∈ M+ (S ) und ∫ 𝑢 𝑑ℙ𝑋 = ∫ 𝑢+ 𝑑ℙ𝑋 − ∫ 𝑢− 𝑑ℙ𝑋 𝑆

𝑆 3o

𝑆 +

= ∫ 𝑢 (𝑋) 𝑑ℙ − ∫ 𝑢− (𝑋) 𝑑ℙ = ∫ 𝑢(𝑋) 𝑑ℙ. 𝛺 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝛺 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝛺 0 die Funktion 𝜙𝜖 (𝑥) := 𝜖−𝑛 𝜙(𝑥/𝜖). Die Funktion 𝜙𝜖 ⋆𝑢 wird als Friedrichsglättung von 𝑢 ∈ L 𝑝 bezeichnet, wobei 1 ⩽ 𝑝 < ∞. Zeigen Sie: (a) 𝜙(𝑥) := 𝜅 exp(1/(|𝑥|2 − 1)) 𝟙𝐵1 (0) (𝑥) hat für ein geeignetes 𝜅 > 0 die oben beschriebenen Eigenschaften. Bestimmen Sie 𝜅. (b) 𝜙𝜖 ∈ 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑛 ), supp 𝜙𝜖 = 𝐵𝜖 (0) und ‖𝜙𝜖 ‖1 = 1. (c) supp 𝑢 ⋆ 𝜙𝜖 ⊂ supp 𝑢 + supp 𝜙𝜖 = {𝑦 | ∃ 𝑥 ∈ supp 𝑢 : |𝑥 − 𝑦| ⩽ 𝜖}. ∀𝜖 > 0. (d) 𝜙𝜖 ⋆ 𝑢 in 𝐶∞ ∩ L 𝑝 und ‖𝜙𝜖 ⋆ 𝑢‖𝑝 ⩽ ‖𝑢‖𝑝 (e) 𝐿𝑝 -lim𝜖→0 𝜙𝜖 ⋆ 𝑢 = 𝑢. Hinweis: Unterteilen Sie den Integrationsbereich, damit Sie die gleichmäßige Beschränktheit aus Teil (d) nutzen können.

19 Der Satz von Radon–Nikodým Es sei 𝜇 ein Maß auf dem Messraum (𝐸, A ). Wenn 𝑓 : 𝐸 → [0, ∞) messbar ist, dann wissen wir wegen Lemma 9.8, dass 𝐴∈A,

𝜈(𝐴) := ∫ 𝑓 𝑑𝜇, 𝐴

wieder ein Maß ist. Wir haben dafür 𝜈 = 𝑓𝜇 geschrieben. Wenn 𝜇 = 𝜆1 das eindimensionale Lebesgue–Maß, 𝐴 = [𝑎, 𝑥) ein Intervall und 𝑓 eine stetige Funktion ist, dann ist der Integrand 𝑓 die Ableitung der Funktion 𝑥 󳨃→ 𝜈(𝑥) := 𝜈[𝑎, 𝑥); es gilt also 𝑓(𝑥) = 𝑑𝜈(𝑥) . Diese Idee werden wir nun verallgemeinern. 𝑑𝑥 Gemäß Satz 10.2 gilt 𝜇(𝑁) = 0 󳨐⇒ 𝜈(𝑁) = ∫ 𝑓 𝑑𝜇 = 0, 𝑁

d. h. {𝜇-Nullmengen} = N𝜇 ⊂ N𝜈 . 19.1 Definition. Es seien 𝜇, 𝜈 zwei Maße auf (𝐸, A ). Wenn ∀𝑁 ∈ A : 𝜇(𝑁) = 0 󳨐⇒ 𝜈(𝑁) = 0, dann heißt 𝜈 absolutstetig bezüglich 𝜇. Notation: 𝜈 ≪ 𝜇. Mithin: Wenn 𝜈 = 𝑓𝜇, d. h. wenn 𝜈 eine Dichte bzgl. 𝜇 hat, dann gilt stets 𝑓𝜇 ≪ 𝜇. Es gilt aber auch die Umkehrung. 19.2 Satz (Radon–Nikodým). Es seien 𝜇, 𝜈 zwei endliche Maße auf (𝐸, A ). Dann sind äquivalent: a) 𝜈(𝐴) = ∫𝐴 𝑓 𝑑𝜇 gilt für ein 𝜇-f. ü. eindeutiges 𝑓 ∈ M+ (A ); b) 𝜈 ≪ 𝜇. 𝑑𝜈 Die Dichte 𝑓 heißt Radon–Nikodým-Ableitung und wird oft als 𝑓 = geschrieben. 𝑑𝜇 Beweis. Die Richtung a)⇒b) haben wir bereits gesehen; wir zeigen nun b)⇒a). Dazu konstruieren wir eine A /B(ℝ)-messbare Funktion 𝑓∗ ⩾ 0, so dass ∫ 𝑢 𝑑𝜈 = ∫ 𝑢𝑓∗ 𝑑𝜇

für alle

𝑢 ∈ M+ (A ).

1o ) Wir definieren 𝜌 := 𝜇 + 𝜈, 𝛷(𝑢) := ∫ 𝑢2 𝑑𝜇 + ∫(1 − 𝑢)2 𝑑𝜈

∀𝑢 ∈ 𝐿2 (𝜌) = 𝐿2 (𝜇) ∩ 𝐿2 (𝜈)

(19.1)

100 | 19 Der Satz von Radon–Nikodým und schreiben für das Infimum des Funktionals 𝛷 𝑑2 := inf 𝛷(𝑢). 2 𝑢∈𝐿 (𝜌)

Offenbar gilt 𝑑2 ⩽ 𝛷(0) = ∫ 1 𝑑𝜈 = 𝜈(𝐸) < ∞, sowie 𝛷(𝑢+𝑤) + 𝛷(𝑢 − 𝑤) = ∫ [(𝑢 + 𝑤)2 + (𝑢 − 𝑤)2 ] 𝑑𝜇 + ∫ [((1 − 𝑢) − 𝑤)2 + ((1 − 𝑢) + 𝑤)2 ] 𝑑𝜈 (19.2) = 2 ∫ 𝑢2 𝑑𝜇 + 2 ∫ 𝑤2 𝑑𝜇 + 2 ∫(1 − 𝑢)2 𝑑𝜈 + 2 ∫ 𝑤2 𝑑𝜈 = 2𝛷(𝑢) + 2‖𝑤‖2𝐿2 (𝜌) . 2o ) Behauptung: Es gibt einen Minimierer 𝑓 ∈ 𝐿2 (𝜌) : 𝑑2 = 𝛷(𝑓). Gemäß der Definition des Infimums existiert eine Folge (𝑓𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ 𝐿2 (𝜌) mit 𝑑2 = lim𝑛→∞ 𝛷(𝑓𝑛 ). Wählen wir in (19.2) 𝑢 = 12 (𝑓𝑛 + 𝑓𝑚 ) und 𝑤 = 12 (𝑓𝑛 − 𝑓𝑚 ), dann ist 󵄩󵄩 𝑓 − 𝑓 󵄩󵄩2 󵄩 𝑚󵄩 󵄩󵄩 𝑑2 + 󵄩󵄩󵄩 𝑛 󵄩󵄩 2 󵄩󵄩󵄩𝐿2 (𝜌)

󵄩󵄩 𝑓 − 𝑓 󵄩󵄩2 𝑓𝑛 + 𝑓𝑚 󵄩 𝑚󵄩 󵄩󵄩 ) + 󵄩󵄩󵄩 𝑛 󵄩󵄩 2 󵄩󵄩󵄩𝐿2 (𝜌) 2 𝑛,𝑚→∞ 1 1 𝛷(𝑓𝑛 ) + 𝛷(𝑓𝑚 ) 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝑑2 . 2 2

inf

𝛷(



(19.2)

=

Somit

󵄩󵄩

lim 󵄩𝑓 𝑛,𝑚→∞ 󵄩 𝑛

󵄩 − 𝑓𝑚 󵄩󵄩󵄩𝐿2 (𝜌) = 0,

d. h. (𝑓𝑛 )𝑛 ist eine 𝐿2 (𝜌) Cauchy-Folge. Da 𝐿2 (𝜌) vollständig ist, existiert der Grenzwert 𝑓 := 𝐿2 (𝜌)-lim𝑛→∞ 𝑓𝑛 . Wir wenden (19.2) nun für 𝑢 = 𝑓𝑛 und 𝑤 = 𝑓 − 𝑓𝑛 an: (19.2)

𝑛→∞

𝛷(𝑓) + 𝑑2 ⩽ 𝛷(𝑓) + 𝛷(2𝑓𝑛 − 𝑓) = 2𝛷(𝑓𝑛 ) + 2‖𝑓 − 𝑓𝑛 ‖2𝐿2 (𝜌) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 2𝑑2 + 0 d. h. 𝛷(𝑓) = 𝑑2 und 𝑓 minimiert 𝛷(⋅). 3o ) Behauptung: Der Minimierer ist 𝜇-f. ü. eindeutig. Angenommen 𝑔 ist ein weiterer Minimierer, dann ergibt sich mit 𝑢 = 12 (𝑓 + 𝑔) und 𝑤 = 12 (𝑓 − 𝑔) in (19.2) 󵄩󵄩 𝑓 − 𝑔 󵄩󵄩2 󵄩󵄩 𝑓 − 𝑔 󵄩󵄩2 𝑓+𝑔 1 (19.2) 1 󵄩󵄩 󵄩 󵄩󵄩 󵄩 ) + 󵄩󵄩󵄩 𝑑2 + 󵄩󵄩󵄩 𝛷 (𝑓) + 𝛷 (𝑔) = 𝑑2 . ⩽ 𝛷( = 󵄩󵄩 󵄩 󵄩󵄩 2 󵄩󵄩󵄩𝐿2 (𝜌) 󵄩󵄩 2 󵄩󵄩𝐿2 (𝜌) 2 2 2 Daher ist ‖𝑓 − 𝑔‖𝐿2 (𝜌) = 0 oder 𝑓 = 𝑔 (𝜇 + 𝜈)-fast überall. 4o ) Behauptung: Der Minimierer ist ⩾ 0 und ⩽ 1. Wegen (0 ∨ 𝑓 ∧ 1)2 = 0 ∨ 𝑓2 ∧ 1 ⩽ 𝑓2

und

(0 ∨ (1 − 𝑓) ∧ 1)2 = 0 ∨ (1 − 𝑓)2 ∧ 1 ⩽ (1 − 𝑓)2

folgt 𝑑2 ⩽ 𝛷(0 ∨ 𝑓 ∧ 1) ⩽ 𝛷(𝑓) = 𝑑2 . Aufgrund der Eindeutigkeit des Minimierers gilt daher 0 ⩽ 𝑓 ⩽ 1.

19 Der Satz von Radon–Nikodým | 101

5o ) Konstruktion der Dichte. Für 𝑢 ∈ M+ (A ), 𝑢𝑛 := 𝑢 ∧ 𝑛 und alle 𝑡 ∈ ℝ gilt 0 ⩽ 𝛷(𝑓 + 𝑡𝑢𝑛 ) − 𝛷(𝑓) = ∫ [(𝑓 + 𝑡𝑢𝑛 )2 − 𝑓2 ] 𝑑𝜇 + ∫ [(1 − 𝑓 − 𝑡𝑢𝑛 )2 − (1 − 𝑓)2 ] 𝑑𝜈 = 𝑡2 ∫ 𝑢𝑛2 𝑑𝜇 + 𝑡2 ∫ 𝑢𝑛2 𝑑𝜈 + 2𝑡 ∫ 𝑓𝑢𝑛 𝑑𝜇 − 2𝑡 ∫(1 − 𝑓)𝑢𝑛 𝑑𝜈 oder, nach Division durch 𝑡2 , 0 ⩽ ∫ 𝑢𝑛2 𝑑𝜇 + ∫ 𝑢𝑛2 𝑑𝜈 +

2 (∫ 𝑓𝑢𝑛 𝑑𝜇 − ∫(1 − 𝑓)𝑢𝑛 𝑑𝜈) 𝑡

∀𝑡 ∈ ℝ \ {0}.

Es folgt, dass der Ausdruck in Klammern Null sein muss, und mit Beppo Levi ist für alle 𝑢 ∈ M+ (A ) ∫ 𝑓𝑢 𝑑𝜇 = sup ∫ 𝑓𝑢𝑛 𝑑𝜇 = sup ∫(1 − 𝑓)𝑢𝑛 𝑑𝜈 = ∫(1 − 𝑓)𝑢 𝑑𝜈. 𝑛

𝑛

Wählen wir 𝑢 = 𝟙𝑁 mit 𝑁 = {𝑓 = 1}, dann gilt 𝜇(𝑁) = ∫𝑁 1 𝑑𝜇 = ∫𝑁 0 𝑑𝜈 = 0 und es + folgt 𝜈(𝑁) = 0, 𝜈 ≪ 𝜇. Für 𝑓∗ := 𝑓/(1 − 𝑓)𝟙{𝑓=1} ̸ ∈ M (A ) gilt ∫ 𝑢𝑓∗ 𝑑𝜇 = ∫ 𝑓

𝑢 𝑢 𝟙 𝑐 𝑑𝜇 = ∫(1 − 𝑓) 𝟙 𝑐 𝑑𝜈 1−𝑓 𝑁 1−𝑓 𝑁 = ∫ 𝑢 𝟙𝑁𝑐 𝑑𝜈

𝜈(𝑁)=0

=

∫ 𝑢 𝑑𝜈.

19.3 Korollar. Satz 19.2 gilt auch für 𝜇 endlich und 𝜈 beliebig. Beweis. Wir müssen nur b)⇒a) zeigen. Wir setzen F := {𝐹 ∈ A : 𝜈(𝐹) < ∞}. Offensichtlich ist F ∪-stabil. Daher können wir 𝑐 := sup 𝜇(𝐹) ⩽ 𝜇(𝐸) < ∞ 𝐹∈F

durch eine aufsteigende Folge (𝐹𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ F approximieren, d. h. 𝑐 = 𝜇( ⋃ 𝐹𝑛 ) = sup 𝜇(𝐹𝑛 ). 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

𝑐 Setze 𝐹∞ := ⋃𝑛∈ℕ 𝐹𝑛 . Dann ist (𝟙𝐹∞ 𝜈) 𝜎-endlich und für 𝐴 ⊂ 𝐹∞ , 𝐴 ∈ A , gilt

entweder

𝜇(𝐴) = 𝜈(𝐴) = 0

oder

0 < 𝜇(𝐴) < 𝜈(𝐴) = ∞.

(19.3)

In der Tat: Wenn 𝜈(𝐴) < ∞, dann ist 𝐹𝑛 ∪ 𝐴 ∈ F für alle 𝑛 ∈ ℕ. Somit gilt 𝑐 ⩾ sup 𝜇(𝐹𝑛 ∪⋅ 𝐴) = sup (𝜇(𝐹𝑛 ) + 𝜇(𝐴)) = 𝜇(𝐹∞ ) + 𝜇(𝐴) = 𝑐 + 𝜇(𝐴), 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

also 𝜇(𝐴) = 0 und 𝜈(𝐴) = 0, da 𝜈 ≪ 𝜇. Wenn 𝜈(𝐴) = ∞, dann folgt notwendigerweise (da 𝜈 ≪ 𝜇) auch 𝜇(𝐴) > 0.

102 | 19 Der Satz von Radon–Nikodým Wir definieren nun 𝜈𝑛 := 𝜈 (⋅ ∩ (𝐹𝑛 \ 𝐹𝑛−1 )) ,

𝜇𝑛 := 𝜇 (⋅ ∩ (𝐹𝑛 \ 𝐹𝑛−1 )) .

(𝐹0 := 0)

Offenbar gilt 𝜈𝑛 ≪ 𝜇𝑛 für alle 𝑛 ∈ ℕ. Da 𝜇𝑛 , 𝜈𝑛 endliche Maße sind, zeigt Satz 19.2 𝜈𝑛 = 𝑓𝑛 𝜇𝑛 . Für {𝑓𝑛 (𝑥) für 𝑥 ∈ 𝐹𝑛 \ 𝐹𝑛−1 , 𝑓(𝑥) := { (19.4) 𝑐 ∞ für 𝑥 ∈ 𝐹∞ , { gilt 𝜈 = 𝑓𝜇. Da die 𝑓𝑛 eindeutig waren, ist auch 𝑓 auf der Menge 𝐹∞ eindeutig. Weil aber jede Dichte 𝑓̃ von 𝜈 bezüglich 𝜇 der Beziehung 𝑐 )= 𝜈 ({𝑓̃ ⩽ 𝑛} ∩ 𝐹∞



𝑐 ) 0 1 + 𝜇(𝐴 𝑛 ) 𝐴 𝑛

∀𝑥

haben die Maße ℎ 𝜇 und 𝜇 dieselben Nullmengen. Daher gilt 𝜈 ≪ 𝜇 ⇐⇒ 𝜈 ≪ ℎ 𝜇. Mit dem Satz von Beppo Levi sehen wir, dass ∞

∫ ℎ 𝑑𝜇 = ∑ 𝐸

𝑛=1

∞ ∞ 𝜇(𝐴 𝑛 ) 2−𝑛 ∫ 𝟙𝐴 𝑛 𝑑𝜇 = ∑ 2−𝑛 ⩽ ∑ 2−𝑛 = 1. 1 + 𝜇(𝐴 𝑛 ) 𝑛=1 1 + 𝜇(𝐴 𝑛 ) 𝑛=1 𝐸

Nun ist ℎ 𝜇 ein endliches Maß, d. h. Korollar 19.3 zeigt (*)

𝜈 = 𝑓 ⋅ (ℎ 𝜇) = (𝑓ℎ) 𝜇 für ein 𝑓 ∈ M+ (A ). Überlegen wir uns noch die mit (*) gekennzeichnete Gleichheit: Für eine einfache Funktion 𝑓 = ∑𝑁 𝑛=0 𝑦𝑛 𝟙𝐵𝑛 ⩾ 0 gilt 𝑁

𝑁

𝜈(𝐴) = ∫ ∑ 𝑦𝑛 𝟙𝐵𝑛 𝑑(ℎ 𝜇) = ∑ 𝑦𝑛 ∫ 𝟙𝐵𝑛 ∩𝐴 ℎ 𝑑𝜇 = ∫(𝑓ℎ) 𝑑𝜇, 𝐴

𝑛=0

𝑛=0

𝐴

und der allgemeine Fall folgt dann mit dem Sombrero-Lemma und Beppo Levi. Zur Eindeutigkeit: 𝑓 ist (ℎ 𝜇)-f. ü. eindeutig und damit ist 𝑓ℎ auch 𝜇-f. ü. eindeutig, da ℎ > 0 und da 𝜇 und ℎ𝜇 dieselben Nullmengen haben.

19 Der Satz von Radon–Nikodým | 103

Aufgaben 1.

Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein 𝜎-endlicher Maßraum und 𝜈 = 𝑓𝜇 für eine positive messbare Funktion. (a) 𝜈 ist ein endliches Maß ⇐⇒ 𝑓 ∈ L 1 (𝜇). (b) 𝜈 ist ein 𝜎-endliches Maß ⇐⇒ 𝜇{𝑓 = ∞} = 0.

2.

Zwei Maße 𝜌, 𝜎 auf einem Messraum (𝐸, A ) heißen singulär, wenn es eine Menge 𝑁 ∈ A gibt mit 𝜌(𝑁) = 𝜎(𝑁𝑐 ) = 0. In diesem Fall schreiben wir 𝜌⊥𝜎. Die Schritte (a)–(d) zeigen die sogenannte Lebesgue-Zerlegung: Für zwei 𝜎-endliche Maße 𝜇, 𝜈 gibt es eine (bis auf Nullmengen eindeutige) Zerlegung 𝜈 = 𝜈∘ + 𝜈⊥ mit 𝜈∘ ≪ 𝜇 und 𝜈⊥ ⊥𝜇. (a) 𝜈 ≪ 𝜈 + 𝜇 und 𝑓 = 𝑑𝜈/𝑑(𝜈 + 𝜇) existiert. (b) Es gilt 0 ⩽ 𝑓 ⩽ 1 und (1 − 𝑓)𝜈 = 𝑓𝜇. (c)

𝜈∘ (𝐴) := 𝜈(𝐴 ∩ {𝑓 < 1}) und 𝜈⊥ (𝐴) = 𝜈(𝐴 ∩ {𝑓 = 1}).

(d) Aus 𝑑𝜈∘ /𝑑𝜇 = 𝑓/(1 − 𝑓)𝟙{𝑓 2(1 + |𝜌(𝐴)|). Setze 𝐵 = ⋃𝑛𝑖=1 𝐴 𝑖 wobei wir über die Mengen mit 𝜌(𝐴 𝑖 ) > 0 vereinigen. Dann gilt |𝜌(𝐵)| ⩾ 1 und |𝜌(𝐴 \ 𝐵)| ⩾ 1 und wir können 𝐶 als 𝐵 oder 𝐴 \ 𝐵 wählen.



(e) |𝜌|(𝐸) < ∞ Hinweis: Wäre |𝜌|(𝐸) = ∞, dann gäbe es wegen Teil (d) eine disjunkte Folge (𝐶𝑛 )𝑛 mit |𝜌(𝐶𝑛 )| ⩾ 1; das ist im Widerspruch zur 𝜎-Additivität von 𝜌. (f)

𝜌 = 𝜌+ − 𝜌− wobei 𝜌+ = 12 (|𝜌| + 𝜌) und 𝜌− = 12 (|𝜌| − 𝜌) Maße sind.

(g) 𝜌± ≪ |𝜌| und 𝜌+ ⊥𝜌− . Insbesondere „leben“ 𝜌± auf disjunkten Teilmengen 𝐸+ ∪⋅ 𝐸− = 𝐸. Hinweis: Die Dichte 𝑑𝜌± /𝑑|𝜌| kann nur den Wert 1 annehmen. (h) Wenn 𝜌 = 𝜇 − 𝜈 für zwei Maße 𝜇, 𝜈, dann gilt 𝜇 ⩽ 𝜌+ und 𝜈 ⩽ 𝜌− , d. h. die Zerlegung in (f) ist minimal. (i)

(j)

Es seien 𝜌, 𝜎 signierte Maße. Dann ist 𝜌 ⩽ 𝜎 ⇐⇒ ∀𝐴 ∈ A : 𝜌(𝐴) ⩽ 𝜎(𝐴). Mit 𝜌 ∨ 𝜎 bezeichnen wir das kleinste signierte Maß, das größer ist als 𝜌 und 𝜎, mit 𝜌 ∧ 𝜎 bezeichnen wir das größte signierte Maß, das kleiner ist als 𝜌 und 𝜎. Zeigen Sie 𝜌 ∨ 𝜎(𝐴) = sup {𝜌(𝐵) + 𝜎(𝐴 \ 𝐵) : 𝐵 ⊂ 𝐴, 𝐵 ∈ A } ,

𝐴 ∈ A;

𝜌 ∧ 𝜎(𝐴) = inf {𝜌(𝐵) + 𝜎(𝐴 \ 𝐵) : 𝐵 ⊂ 𝐴, 𝐵 ∈ A } ,

𝐴 ∈ A.

Für Wahrscheinlichkeitsmaße 𝜇, 𝜈 gilt |𝜇 − 𝜈|(𝐸) = 2 sup {𝜇(𝐴) − 𝜈(𝐴) : 𝐴 ∈ A } = 2 ∫ (1 −

𝑑𝜈 + ) 𝑑𝜇

𝑑𝜇

(𝑑𝜈/𝑑𝜇 ist eine schlampige, aber übliche Bezeichnung für 𝑑𝜈∘ /𝑑𝜇, vgl. Aufgabe 19.2.) (k) Nun sei 𝐸 = ℝ𝑑 und 𝜌 ein signiertes Maß. Dann gilt |𝜌|(𝐸) = sup {∫ 𝑓 𝑑𝜌 : 𝑓 ∈ 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ), ‖𝑓‖∞ ⩽ 1} .

20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit dem Variablenwechsel bei Lebesgue– Integralen. Als wichtige Anwendung betrachten wir dann noch mehrdimensionale Polarkoordinaten. Aus der Theorie des (eindimensionalen) Riemann–Integrals kennen wir die Substitutionsregel 𝜙(𝑏)

𝑏

∫ 𝑢(𝑦) 𝑑𝑦 = ∫ 𝑢(𝜙(𝑥)) 𝜙󸀠 (𝑥) 𝑑𝑥,

(20.1)

𝑎

𝜙(𝑎)

wobei wir voraussetzen, dass 𝜙 : [𝑎, 𝑏] → [𝜙(𝑎), 𝜙(𝑏)] = 𝜙([𝑎, 𝑏]) stetig differenzierbar und strikt monoton wachsend ist. Wenn wir lediglich strikte Monotonie annehmen, dann ist ∫ 𝑢(𝑦) 𝑑𝑦 = ∫ 𝑢(𝜙(𝑥)) |𝜙󸀠 (𝑥)| 𝑑𝑥. 𝜙([𝑎,𝑏])

[𝑎,𝑏]

Die entsprechende Formel für Bildmaße und affin-lineare Funktionen 𝛷(𝑥) = 𝐴𝑥 + 𝑏 mit 𝐴 ∈ GL(𝑑, ℝ), 𝑏 ∈ ℝ𝑑 kennen wir bereits aus Satz 3.7. Für Bildintegrale ergibt sich: 20.1 Lemma. Es sei 𝛷(𝑥) = 𝐴𝑥 + 𝑏, 𝐴 ∈ ℝ𝑑×𝑑 mit det 𝐴 ≠ 0 und 𝑏 ∈ ℝ𝑑 . Dann gilt ∫ 𝑢(𝑦) 𝑑𝑦 = ∫ 𝑢(𝐴𝑥 + 𝑏) |det 𝐴| 𝑑𝑥,

∀𝑢 ∈ L 1 (𝜆𝑑 ), 𝑈 ⊂ ℝ𝑑 offen.

(20.2)

𝑈

𝛷(𝑈)

Beweis. Wir wenden Korollar 18.2 auf die rechte Seite von (20.2) an: ∫ 𝑢(𝐴𝑥 + 𝑏)|det 𝐴| 𝑑𝑥 = ∫ 𝑢(𝛷(𝑥))𝟙𝛷(𝑈) (𝛷(𝑥))|det 𝐴| 𝑑𝑥 ℝ𝑑

𝑈

= ∫ 𝑢(𝑦)𝟙𝛷(𝑈) (𝑦) 𝛷(|det 𝐴| ⋅ 𝜆𝑑 )(𝑑𝑦). ℝ𝑑

Das zeigt, dass die Aussage des Lemmas äquivalent ist zu 𝛷(|det 𝐴| ⋅ 𝜆𝑑 ) = 𝜆𝑑 . Das folgt aber aus Satz 3.7, da für alle 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) wegen 𝛷−1 (𝑦) = 𝐴−1 𝑦 − 𝐴−1 𝑏 3.7.a)

𝛷(|det 𝐴| ⋅ 𝜆𝑑 )(𝐵) = |det 𝐴| 𝜆𝑑 (𝐴−1 (𝐵) − 𝐴−1 𝑏) = |det 𝐴| 𝜆𝑑 (𝐴−1 (𝐵)) 3.7.c)

= |det 𝐴| ⋅ |det 𝐴|−1 𝜆𝑑 (𝐵).

Wenn wir (20.2) mit der Formel für das Riemann–Integral vergleichen, sehen wir, dass |det 𝐴| gerade |𝜙󸀠 (𝑥)| entspricht; in der Tat ist 𝐴 die Jacobi-Matrix (d. h. Ableitung) 𝑑

𝐷𝛷(𝑥) = ( 𝜕𝑥𝜕 𝛷𝑘 (𝑥)) 𝑖

𝑖,𝑘=1

der affin-linearen Funktion 𝛷(𝑥) = 𝐴𝑥 + 𝑏.

20.2 Definition. Es seien 𝑈, 𝑉 ⊂ ℝ𝑑 offene Teilmengen. Eine Bijektion 𝛷 : 𝑈 → 𝑉 heißt 𝐶1 -Diffeomorphismus, wenn 𝛷 und 𝛷−1 stetig differenzierbare Abbildungen sind.

20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz | 𝑑

Die Ableitung an der Stelle 𝑥 ∈ 𝑈, 𝐷𝛷(𝑥) = ( 𝜕𝑥𝜕 𝛷𝑘 (𝑥)) 𝑖

𝑖,𝑘=1

105

ist die Jacobi-Matrix, die

Determinante det 𝐷𝛷(𝑥) heißt Jacobi-Determinante oder Funktionaldeterminante. Da 𝛷 stetig invertierbar ist, ist 𝛹 := 𝛷−1 Borel-messbar und wir sehen, dass 𝛷(𝐵) = 𝛹−1 (𝐵), 𝐵 ∈ B(𝑈), eine Borelmenge ist. Beachte auch, dass B(𝑈) = 𝑈 ∩ B(ℝ𝑑 ), vgl. Beispiel 2.3.f). []

Wir erinnern noch an den wichtigen Satz von der Umkehrabbildung aus der Analysis, vgl. Rudin [7, Theorem 9.24, S. 259 ff.]. 20.3 Satz. Es sei 𝑈 ⊂ ℝ𝑑 offen. Eine Abbildung 𝛷 : 𝑈 → ℝ𝑑 ist genau dann ein 𝐶1 Diffeomorphismus 𝛷 : 𝑈 → 𝑉 = 𝛷(𝑈), wenn a) 𝛷 : 𝑈 → ℝ𝑑 injektiv ist; b) 𝛷 stetig differenzierbar ist; c) 𝐷𝛷(𝑥) für alle 𝑥 ∈ 𝑈 invertierbar ist. In diesem Fall gilt 𝐷(𝛷−1 )(𝑦) = (𝐷𝛷)−1 (𝛷−1 (𝑦)) für alle 𝑦 ∈ 𝑉. Eine 𝐶1 -Funktion 𝛷 : 𝑈 → 𝑉 hat eine Taylor-Entwicklung der Gestalt 𝛷(𝑥) = 𝛷(𝑥0 ) + 𝐷𝛷(𝑥0 )(𝑥 − 𝑥0 ) + 𝑜(|𝑥 − 𝑥0 |)

(20.3)

∀𝑥, 𝑥0 ∈ 𝑈.

Damit können wir heuristisch die Form des 𝑑-dimensionalen Transformationssatzes herleiten. Wir schöpfen 𝑈 durch Würfel der Kantenlänge < 𝛿 aus: 𝑈 = ⋃∞ 𝑛=1 𝐼𝑛 . Mit 𝑥𝑛 ∈ 𝐼𝑛 bezeichnen wir das Zentrum von 𝐼𝑛 . Dann gilt





∫ 𝑢(𝑦) 𝑑𝑦

=

∑ ∫ 𝑢(𝑦) 𝑑𝑦 𝑛=1

𝑉 𝑦≈𝛷(𝑥𝑛 )



𝑦∈𝛷(𝐼𝑛 )

𝛷(𝐼𝑛 )



∑ ∫ 𝑢(𝛷(𝑥𝑛 )) 𝑑𝑦 𝑛=1

𝛷(𝐼𝑛 )



= (20.3)



20.1

=

𝑥≈𝑥𝑛



𝑥∈𝐼𝑛



∑ 𝑢(𝛷(𝑥𝑛 )) 𝜆𝑑 (𝛷(𝐼𝑛 )) 𝑛=1 ∞

∑ 𝑢(𝛷(𝑥𝑛 )) 𝜆𝑑 (𝛷(𝑥𝑛 ) + 𝐷𝛷(𝑥𝑛 ) ⋅ (𝐼𝑛 − 𝑥𝑛 ))

𝑛=1 ∞

∑ 𝑢(𝛷(𝑥𝑛 )) |det 𝐷𝛷(𝑥𝑛 )| 𝜆𝑑 (𝐼𝑛 )

𝑛=1 ∞

∑ ∫ 𝑢(𝛷(𝑥)) |det 𝐷𝛷(𝑥)| 𝑑𝑥 𝑛=1

𝐼𝑛

∫ 𝑢(𝛷(𝑥)) |det 𝐷𝛷(𝑥)| 𝑑𝑥. 𝑈

Tatsächlich lässt sich diese heuristische Rechnung rechtfertigen.

106 | 20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz Für 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) bezeichnen wir mit 𝜆 𝐵 := 𝜆𝑑 (⋅ ∩ 𝐵) = 𝟙𝐵 ⋅ 𝜆𝑑 das 𝑑-dimensionale Lebesgue–Maß auf (𝐵, B(𝐵)). 20.4 Satz (Allgemeiner Transformationssatz). Es seien 𝑈, 𝑉 ⊂ ℝ𝑑 offene Mengen und 𝛷 : 𝑈 → 𝑉 ein 𝐶1 -Diffeomorphismus. Dann ist (20.4)

𝜆 𝑉 = 𝛷 (|det 𝐷𝛷(⋅)| 𝜆 𝑈 ) oder äquivalent dazu ∫ 𝑢(𝑦) 𝑑𝑦 = ∫ 𝑢(𝛷(𝑥)) |det 𝐷𝛷(𝑥)| 𝑑𝑥 𝑉

∀𝑢 ∈ M+ (B(𝑉)).

(20.5)

𝑈

Insbesondere gilt 𝑢 ∈ L 1 (𝜆 𝑉 ) genau dann, wenn |det 𝐷𝛷| 𝑢 ∘ 𝛷 ∈ L 1 (𝜆 𝑈 ). Für den Beweis des Transformationssatzes benötigen wir einige Vorbereitungen. Im Folgenden schreiben wir |𝑥|ℓ∞ := max1⩽𝑛⩽𝑑 |𝑥𝑛 | für die Maximum-Norm eines Vektors 𝑥 = (𝑥1 , . . . , 𝑥𝑑 ) ∈ ℝ𝑑 ; I bezeichnet die halboffenen Rechtecke der Form X𝑑𝑛=1 [𝑎𝑛 , 𝑏𝑛 ). 20.5 Lemma. Es sei 𝛷 = (𝛷1 , . . . , 𝛷𝑑 ) : ℝ𝑑 → ℝ𝑑 eine Lipschitz-stetige Abbildung, d. h. |𝛷(𝑥) − 𝛷(𝑦)|ℓ∞ ⩽ 𝐿|𝑥 − 𝑦|ℓ∞

∀𝑥, 𝑦 ∈ ℝ𝑑 .

Dann gilt für alle 𝑐 ∈ ℝ𝑑 und 𝑠 > 0 𝑑

𝑑

×

𝛷(

[𝑐𝑛 − 𝑠, 𝑐𝑛 + 𝑠]) ⊂

𝑛=1

×[𝛷 (𝑐) − 𝐿𝑠, 𝛷 (𝑐) + 𝐿𝑠] , 𝑛

𝑛

𝑛=1

insbesondere ist 𝜆𝑑 (𝛷(𝐼)) ⩽ 𝐿𝑑 𝜆𝑑 (𝐼) für alle Würfel (Rechtecke mit gleicher Kantenlänge) 𝐼 ∈ I. Beweis. Die Behauptung folgt unmittelbar aus der Beobachtung, dass 󳶳 X𝑑𝑛=1 [𝑐𝑛 − 𝑠, 𝑐𝑛 + 𝑠] = {𝑦 ∈ ℝ𝑑 : |𝑐 − 𝑦|ℓ∞ ⩽ 𝑠}, 󳶳 (𝑑 − 1)-dimensionale Hyperebenen 𝜆𝑑 -Maß Null haben. 20.6 Lemma. Es seien 𝜇, 𝜈 zwei Maße auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )). Dann gilt 𝜇(𝐼) ⩽ 𝜈(𝐼) < ∞

∀𝐼 ∈ I 󳨐⇒ 𝜇(𝐵) ⩽ 𝜈(𝐵)

∀𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ).

Beweis. Wir schreiben 𝜇I , 𝜈I für die Einschränkung von 𝜇, 𝜈 auf I . Da 𝜇, 𝜈 Maße sind, sind 𝜇I , 𝜈I Prämaße. Diese erfüllen die Voraussetzungen des Eindeutigkeitssatzes für Maße (Satz 4.5) auf dem Halbring I , der B(ℝ𝑑 ) erzeugt. Somit können wir die auf I definierten Prämaße 𝜇I ,

𝜈I ,

𝜌I := 𝜈I − 𝜇I ⩾ 0,

eindeutig zu Maßen 𝜇, 𝜈 und 𝜌 auf B(ℝ𝑑 ) fortsetzen (bzw. rekonstruieren). Insbesondere gilt 0 ⩽ 𝜌(𝐵) = 𝜈(𝐵) − 𝜇(𝐵) für alle 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ), woraus die Behauptung folgt.

20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz |

107

20.7 Lemma. Es seien 𝑈, 𝑉 ⊂ ℝ𝑑 offene Mengen und 𝛷 : 𝑈 → 𝑉 ein 𝐶1 -Diffeomorphismus. Dann gilt ∀𝐼 ∈ I , 𝐼 ⊂ 𝑈.

𝜆 𝑉 (𝛷(𝐼)) ⩽ ∫ |det 𝐷𝛷(𝑥)| 𝜆 𝑈 (𝑑𝑥)

(20.6)

𝐼

Beweis. Es sei 𝐼 ∈ I mit 𝐼 ⊂ 𝑈. Für 𝐴 ∈ ℝ𝑑×𝑑 bezeichne ‖𝐴‖ := sup|𝑥|ℓ∞ ⩽1 |𝐴𝑥|ℓ∞ die mit |⋅|ℓ∞ verträgliche Matrixnorm. Mit dem Satz von der inversen Abbildung (Satz 20.3) sehen wir, dass 𝐿 := sup ‖(𝐷𝛷)−1 (𝑥)‖ ⩽ sup ‖𝐷(𝛷−1 )(𝑦)‖. 𝑥∈𝐼

𝑦∈𝛷(𝐼)

Da 𝐷𝛷 auf 𝐼 ⊂ 𝑈 gleichmäßig stetig ist, gilt ∀𝜖 > 0

∃𝛿 > 0 :

sup |𝑥−𝑥󸀠 |ℓ∞ ⩽𝛿 𝑥,𝑥󸀠 ∈𝐼

‖𝐷𝛷(𝑥) − 𝐷𝛷(𝑥󸀠 )‖ ⩽

𝜖 . 𝐿

(20.7)



Wir unterteilen nun 𝐼 = ⋃𝑁 𝑛=1 𝐼𝑛 in disjunkte halboffene Würfel 𝐼𝑛 ∈ I gleicher Kantenlänge < 𝛿. Da 𝐷𝛷 und det 𝐷𝛷 stetig sind, gilt ∀𝑛 ∃𝑥𝑛 ∈ 𝐼𝑛 : |det 𝐷𝛷(𝑥𝑛 )| = inf |det 𝐷𝛷(𝑥)|. 𝑥∈𝐼𝑛

(20.8)

Nun ist 𝐴 𝑛 := 𝐷𝛷(𝑥𝑛 ) eine invertierbare 𝑑 × 𝑑-Matrix, und es gilt für die davon induzierte lineare Abbildung −1 𝐷 (𝐴−1 𝑛 ∘ 𝛷) (𝑥) = 𝐴 𝑛 ∘ (𝐷𝛷) (𝑥)

= id𝑑 +𝐴−1 𝑛 ∘ (𝐷𝛷(𝑥) − 𝐷𝛷(𝑥𝑛 )) (id𝑑 ist die 𝑑×𝑑-Einheitsmatrix). Aus den Abschätzungen (20.7), (20.8) ergibt sich dann 𝜖 󵄩󵄩 󵄩 󵄩 ⩽ 1 + 𝐿 = 1 + 𝜖, sup 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐷 (𝐴−1 𝑛 ∘ 𝛷) (𝑥)󵄩 󵄩 𝐿 𝑥∈𝐼

𝑛 = 1, . . . , 𝑁.

𝑛

Mit dem Mittelwertsatz finden wir für geeignete Zwischenstellen 𝜉 ∈ 𝐼 von 𝑥, 𝑥󸀠 ∈ 𝐼 󵄨󵄨 −1 󵄨󵄨 󸀠 󵄨󵄨 −1 󸀠 󵄨󵄨 󵄨󵄨𝐴 𝑛 ∘ 𝛷(𝑥) − 𝐴−1 󵄨 󵄨 󵄨 𝑛 ∘ 𝛷(𝑥 )󵄨󵄨ℓ∞ ⩽ 󵄨󵄨(𝐷(𝐴 𝑛 ∘ 𝛷)(𝜉)) (𝑥 − 𝑥 )󵄨󵄨ℓ∞ 󵄨 󵄩󵄩 󵄩 󵄩󵄩 ⋅ |𝑥 − 𝑥󸀠 | ∞ . ⩽ 󵄩󵄩󵄩𝐷(𝐴−1 ℓ 𝑛 ∘ 𝛷)(𝜉)󵄩 󵄩 Somit ist 𝐴−1 𝑛 ∘ 𝛷 Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante 1 + 𝜖. Wegen Lemma 20.1 und Lemma 20.5 folgt dann 𝜆 𝑉 (𝛷(𝐼𝑛 )) = 𝜆 𝑉 (𝐴 𝑛 ∘ 𝐴−1 𝑛 ∘ 𝛷(𝐼𝑛 )) = |det 𝐴 𝑛 | 𝜆 𝐴−1 (𝐴−1 𝑛 ∘ 𝛷(𝐼𝑛 )) 𝑛 𝑉 ⩽ |det 𝐴 𝑛 |(1 + 𝜖)𝑑 𝜆 𝑈 (𝐼𝑛 ).

108 | 20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz



Nun gilt 𝐼 = ⋃𝑁 𝑛=1 𝐼𝑛 und |det 𝐴 𝑛 | ⩽ |det 𝐷𝛷(𝑥)| für 𝑥 ∈ 𝐼𝑛 , also 𝑁

𝑁

𝑛=1

𝑛=1

𝜆 𝑉 (𝛷(𝐼)) ⩽ ∑ 𝜆 𝑉 (𝛷(𝐼𝑛 )) ⩽ (1 + 𝜖)𝑑 ∑ |det 𝐴 𝑛 | 𝜆 𝑈 (𝐼𝑛 ) 𝑁

⩽ (1 + 𝜖)𝑑 ∑ ∫ |det 𝐷𝛷(𝑥)| 𝜆 𝑈 (𝑑𝑥) 𝑛=1

𝐼𝑛

= (1 + 𝜖)𝑑 ∫ |det 𝐷𝛷(𝑥)| 𝜆 𝑈 (𝑑𝑥). 𝐼

Die Behauptung folgt für 𝜖 → 0. Beweis von Satz 20.4. 1o ) (20.4)⇔(20.5): Mit 𝑢 = 𝟙𝐵 wird (20.5) zu (20.4), während (20.5) aus (20.4) mit der üblichen Konstruktion „vom Maß zum Integral“ folgt, vgl. Abb. 9.1 (S. 47). Wir zeigen also nur (20.4). 2o ) Da 𝛷 invertierbar ist mit 𝛹 := 𝛷−1 , können wir 𝜇 := 𝜆 𝑉 ∘ 𝛷 = 𝜆 𝑉 ∘ 𝛹−1 = 𝛹(𝜆 𝑉 ) als Bildmaß schreiben. Andererseits ist 𝜈(𝐵) := ∫𝐵∩𝑈 |det 𝐷𝛷(𝑥)| 𝜆 𝑈 (𝑑𝑥) ein Maß mit der stetigen Dichtefunktion |det 𝐷𝛷(𝑥)|. Gemäß Lemma 20.7 gilt 𝜇 ⩽ 𝜈 auf I , und Lemma 20.6 gibt dann 𝜇 ⩽ 𝜈 auf B(ℝ𝑑 ). Das ist bereits die Ungleichung „⩽“ in (20.4), was wir wegen 1o auch so schreiben können: ∫ 𝑢(𝑦) 𝜆 𝑉 (𝑑𝑦) ⩽ ∫ 𝑢(𝛷(𝑥))|det 𝐷𝛷(𝑥)| 𝜆 𝑈 (𝑑𝑥)

∀𝑢 ∈ M+ (B(𝑉)).

(20.9)

3o ) Für die Umkehrung verwenden wir den inversen 𝐶1 -Diffeomorphismus 𝛹 = 𝛷−1 , tauschen in (20.9) 𝑈 ↔ 𝑉 und 𝑥 ↔ 𝑦, und betrachten 𝑢(𝑥) = 𝟙𝛷(𝐴) ∘ 𝛷(𝑥) |det 𝐷𝛷(𝑥)| wo 𝐴 ∈ B(𝑈). Dann folgt ∫ 𝑢(𝑥) 𝜆 𝑈 (𝑑𝑥) = ∫ 𝟙𝛷(𝐴) ∘ 𝛷(𝑥)|det 𝐷𝛷(𝑥)| 𝜆 𝑈 (𝑑𝑥) (20.9)

⩽ ∫ (𝟙𝛷(𝐴) ∘ 𝛷|det 𝐷𝛷|) ∘ 𝛹(𝑦)|det 𝐷𝛹(𝑦)| 𝜆 𝑉 (𝑑𝑦)

󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 = ∫ 𝟙𝛷(𝐴) (𝑦) 󵄨󵄨󵄨det(𝐷𝛷) ∘ 𝛹(𝑦)󵄨󵄨󵄨 ⋅ 󵄨󵄨󵄨det 𝐷𝛹(𝑦)󵄨󵄨󵄨 𝜆 𝑉 (𝑑𝑦) 󵄨 󵄨 (𝐷𝛷) ∘ 𝛹(𝑦) ⋅ 𝐷𝛹(𝑦) = ∫ 𝟙𝛷(𝐴) (𝑦)󵄨󵄨󵄨det [ ⏟⏟ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ⏟⏟ ]󵄨󵄨󵄨 𝜆 𝑉 (𝑑𝑦) id𝑑 =𝐷(id𝑑 )=𝐷(𝛷∘𝛹)=(𝐷𝛷)∘𝛹⋅𝐷𝛹

= ∫ 𝟙𝛷(𝐴) (𝑦) 𝜆 𝑉 (𝑑𝑦) = 𝜆 𝑉 (𝛷(𝐴)). Das entspricht der Ungleichung „⩾“ in (20.4).

Eine einfache Erweiterung des Transformationssatzes Die Formel (20.1) für die Substitutionsregel gilt auch für 𝜙, die nur stückweise streng monotone 𝐶1 -Funktionen sind. Das funktioniert deshalb, weil wir diese Stellen als

20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz |

109

Endpunkte der Integration wählen können und weil die Menge dieser Stellen eine Riemann– bzw. Lebesgue–Nullmenge bilden. Eine entsprechende Verallgemeinerung gilt auch im ℝ𝑑 und für Abbildungen 𝛷 : 𝑈 → 𝑉, die nur Lebesgue-fast überall 𝐶1 Diffeomorphismen sind. Die Behandlung der auftretenden Nullmengen benötigt nun etwas Vorsicht. Wir schreiben N (𝜆𝑑 ) := {𝑁 ∈ B(ℝ𝑑 ) : 𝜆𝑑 (𝑁) = 0} für die BorelNullmengen. 20.8 Lemma. Es sei 𝛷 : ℝ𝑑 → ℝ𝑑 eine Lipschitz-stetige Abbildung. 𝑁∗ ⊂ 𝑁 ∈ N (𝜆𝑑 ) 󳨐⇒ ∃𝑀 ∈ N (𝜆𝑑 ) : 𝛷(𝑁∗ ) ⊂ 𝑀. Beweis. Aus der Carathéodoryschen Konstruktion von 𝜆𝑑 wissen wir (vgl. Beweis von Satz 5.2), dass 𝑁 ∈ N (𝜆𝑑 ) ⇐⇒ ∀𝜖 > 0



∃𝐼𝑛𝜖 ∈ I : 𝑁 ⊂ ⋃ 𝐼𝑛𝜖 𝑛=1



und

∑ 𝜆𝑑 (𝐼𝑛𝜖 ) < 𝜖. 𝑛=1

𝐼𝑛𝜖

O. E. dürfen wir annehmen, dass die Würfel sind, sonst könnten wir sie feiner unterteilen. Lemma 20.5 zeigt nun, dass 𝛷(𝐼𝑛𝜖 ) ⊂ 𝐽𝑛𝜖 ∈ I mit 𝜆𝑑 (𝐽𝑛𝜖 ) ⩽ 𝐿𝑑 𝜆𝑑 (𝐼𝑛𝜖 ). Somit folgt die Behauptung, da ∞



𝛷(𝑁∗ ) ⊂ 𝛷(𝑁) ⊂ ⋃ 𝛷(𝐼𝑛𝜖 ) ⊂ ⋃ 𝐽𝑛𝜖 𝑛=1

𝑛=1

und





𝑛=1

𝑛=1

∑ 𝜆𝑑 (𝐽𝑛𝜖 ) ⩽ 𝐿𝑑 ∑ 𝜆𝑑 (𝐼𝑛𝜖 ) ⩽ 𝐿𝑑 𝜖.

20.9 Bemerkung. Lemma 20.8 besagt, dass unter Lipschitz-stetigen Abbildungen 𝛷 die Nullmengen der vervollständigten Borel-𝜎-Algebra erhalten bleiben: B(ℝ𝑑 )∗ = {𝐵∗ = 𝐵 ∪ 𝑁∗ : 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ), 𝑁∗ ⊂ 𝑁 ∈ B(ℝ𝑑 ), 𝜆𝑑 (𝑁) = 0} , 𝜆̄ 𝑑 (𝐵∗ ) := 𝜆𝑑 (𝐵)

und

N (𝜆̄ 𝑑 ) = {𝑁∗ : ∃𝑁 ∈ N (𝜆𝑑 ), 𝑁∗ ⊂ 𝑁} .

Man kann ganz einfach zeigen, [] dass (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )∗ , 𝜆̄ 𝑑 ) ein Maßraum ist. 20.10 Satz. Es sei 𝐵 ∈ B ∗ (ℝ𝑑 ), 𝑈 := 𝐵∘ das offene Innere von 𝐵 und 𝑈󸀠 ⊃ 𝐵 eine offene Umgebung. Weiter sei 𝛷 : 𝑈󸀠 → ℝ𝑑 Lipschitz-stetig. Wenn 𝐵 \ 𝑈 ∈ N (𝜆̄ 𝑑 ) und 𝛷 : 𝑈 → 𝛷(𝑈) ein 𝐶1 -Diffeomorphismus ist, dann gilt ∫ 𝑢(𝑦) 𝜆̄ 𝑑 (𝑑𝑦) = ∫ 𝑢 ∘ 𝛷(𝑥) |det 𝐷𝛷(𝑥)| 𝜆̄ 𝑑 (𝑑𝑥) 𝛷(𝐵)

∀𝑢 ∈ M+ (B(𝛷(𝐵))∗ ).

(20.10)

𝐵

Insbesondere ist 𝑢 ∈ L 1 (𝜆̄ 𝑑 , 𝛷(𝐵)) genau dann, wenn |det 𝐷𝛷| ⋅ 𝑢 ∘ 𝛷 ∈ L 1 (𝜆̄ 𝑑 , 𝐵). Beweis. Zunächst zur Messbarkeit von 𝛷(𝐵). Es gilt 𝛷(𝐵) = 𝛷(𝑈) ∪ 𝛷(𝐵 \ 𝑈). Nach Lemma 20.8 ist 𝛷(𝐵 \ 𝑈) ∈ N (𝜆̄ 𝑑 ), während 𝛷(𝑈) eine Borelmenge ist, da ja 𝛷|𝑈 stetig invertierbar ist. Daher gilt 𝛷(𝐵) ∈ B(ℝ𝑑 )∗ . Der Beweis von Satz 20.4 ließe sich fast wörtlich auf die Vervollständigung 𝜆̄ 𝑑 übertragen, d. h. die Schwierigkeiten kommen von der Tatsache, dass 𝛷 nur fast überall ein Diffeomorphismus ist.

110 | 20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz Andererseits gilt 𝜆̄ 𝑑 (𝐵 \ 𝑈) = 0 und daher ist 𝛷(𝐵) \ 𝛷(𝑈) ⊂ 𝛷(𝐵 \ 𝑈) ∈ N (𝜆̄ 𝑑 ). Nun können wir aber L 1 -Funktionen auf Nullmengen abändern, ohne das Integral zu ändern, also gilt insbesondere ∫ 𝑢 𝑑𝜆̄ 𝑑 = ∫ 𝑢 𝑑𝜆̄ 𝑑 = ∫ 𝑢 𝑑𝜆𝑑 , 𝛷(𝐵)

sowie

𝛷(𝑈)

𝛷(𝑈)

∫ (𝑢𝟙𝛷(𝐵) ) ∘ 𝛷 |det 𝐷𝛷| 𝑑𝜆̄ 𝑑 = ∫ (𝑢𝟙𝛷(𝑈) ) ∘ 𝛷 |det 𝐷𝛷| 𝑑𝜆̄ 𝑑 = ∫ (𝑢𝟙𝛷(𝑈) ) ∘ 𝛷 |det 𝐷𝛷| 𝑑𝜆𝑑 . Nun folgt die Gleichheit (20.10) mit Hilfe von Satz 20.4.

Polarkoordinaten im ℝ𝑑 Wechsel des Koordinatensystems sind eine der wichtigsten Anwendungen des allgemeinen Transformationssatzes. Zur Illustration werden wir die verallgemeinerten Polarkoordinaten (oder Kugelkoordinaten) betrachten. 20.11 Definition (Polar- oder Kugelkoordinaten). Es seien 𝑥 = (𝑥1 , . . . , 𝑥𝑑 ) ∈ ℝ𝑑 und (𝑟, 𝜃) = (𝑟, 𝜃1 , . . . , 𝜃𝑑−1 ) mit 𝑟 ∈ (0, ∞), 𝜃1 , . . . , 𝜃𝑑−2 ∈ (0, 𝜋) und 𝜃𝑑−1 ∈ (−𝜋, 𝜋). Die verallgemeinerten Polar- oder Kugelkoordinaten sind gegeben durch 𝑥1 = 𝑟 cos 𝜃1 , { { { { { { 𝑥2 = 𝑟 sin 𝜃1 cos 𝜃2 , { { { { { { 𝑥3 = 𝑟 sin 𝜃1 sin 𝜃2 cos 𝜃3 , 𝛹 : (𝑟, 𝜃) 󳨃→ 𝑥 = { { ⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅ { { { { { { 𝑥𝑑−1 = 𝑟 sin 𝜃1 sin 𝜃2 ⋅ ⋅ ⋅ sin 𝜃𝑑−2 cos 𝜃𝑑−1 , { { { { { 𝑥𝑑 = 𝑟 sin 𝜃1 sin 𝜃2 ⋅ ⋅ ⋅ sin 𝜃𝑑−2 sin 𝜃𝑑−1 .

(20.11)

Man sieht ohne Schwierigkeiten, dass 𝛹 : 𝑉𝑑 → 𝑈𝑑 ,

𝑉𝑑 = (0, ∞) × (0, 𝜋)𝑑−2 × (−𝜋, 𝜋),

𝑈𝑑 = ℝ𝑑 \ {𝑥 : 𝑥𝑑 = 0 & 𝑥𝑑−1 ⩽ 0} .

Als Beispiel geben wir die ebenen und räumlichen Polarkoordinaten explizit an: 𝛹 : (0, ∞) × (−𝜋, 𝜋) → ℝ2 \ ((−∞, 0] × {0}) 𝑥1 = 𝑟 cos 𝜃1 ,

𝑥2 = 𝑟 sin 𝜃1 ,

und 𝛹 : (0, ∞) × (0, 𝜋) × (−𝜋, 𝜋) → ℝ3 \ {(𝑥1 , 𝑥2 , 𝑥3 ) : 𝑥3 = 0 & 𝑥2 ⩽ 0} 𝑥1 = 𝑟 cos 𝜃1 ,

𝑥2 = 𝑟 sin 𝜃1 cos 𝜃2 ,

𝑥3 = 𝑟 sin 𝜃1 sin 𝜃2 .

20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz |

111

20.12 Lemma. Die Polarkoordinatentransformation 𝛹 : 𝑉𝑑 → 𝑈𝑑 im ℝ𝑑 ist ein 𝐶1 Diffeomorphismus mit der Jacobi-Determinante det 𝐷𝛹(𝑟, 𝜃) = 𝑟𝑑−1 sin𝑑−2 𝜃1 sin𝑑−3 𝜃2 ⋅ ⋅ ⋅ sin 𝜃𝑑−2 .

(20.12)

Beweis. Wir prüfen die Bedingungen a)–c) von Satz 20.3. Die Differenzierbarkeit von 𝛹 ist klar. Die Injektivität zeigen wir durch Induktion nach 𝑑. Der Fall 𝑑 = 2 ist klar. Wir nehmen an, dass die (𝑑 − 1)-dimensionalen Polarkoordinaten eindeutig sind. Wir schreiben 𝑥 = (𝑥1 , 𝑥2 , . . . , 𝑥𝑑 ) = (𝑥1 , 𝑥󸀠 ) ∈ 𝑈𝑑 . Nach Induktionsannahme gibt es eindeutig bestimmte Polarkoordinaten (𝜌, 𝜃2 , . . . , 𝜃𝑑−1 ), die 𝑥󸀠 ∈ ℝ𝑑−1 darstellen. Somit gilt 𝑟2 := 𝑥12 + 𝑥22 + ⋅ ⋅ ⋅ + 𝑥𝑑2 = 𝑥12 + 𝜌2

und

𝑥1 ∈ (−1, 1). 𝑟

Diese Gleichungen können wir eindeutig auflösen: 𝑥1 = 𝑟 cos 𝜃1

und

𝜌 = √𝑟2 − 𝑥12 = √𝑟2 (1 − cos2 𝜃1 ) = 𝑟 sin 𝜃1 ,

𝜃1 ∈ (0, 𝜋).

Für die Umkehrbarkeit von 𝐷𝛹(𝑟, 𝜃) bestimmen wir die Jacobi-Determinante. Eine direkte Berechnung ist ausgesprochen unangenehm, der folgende elegante Beweis ist dem Buch von Fichtenholz [5, Band III, XVIII.676.8] entnommen. Zunächst leiten wir aus (20.11) das folgende Gleichungssystem ab: 𝐹1 (𝑟, 𝜃, 𝑥) = 𝑟2 − (𝑥12 + ⋅ ⋅ ⋅ + 𝑥𝑑2 ) = 0, { { { { { { 𝐹2 (𝑟, 𝜃, 𝑥) = 𝑟2 sin2 𝜃1 − (𝑥22 + ⋅ ⋅ ⋅ + 𝑥𝑑2 ) = 0, { { { 𝐹(𝑟, 𝜃, 𝑥) = { 𝐹3 (𝑟, 𝜃, 𝑥) = 𝑟2 sin2 𝜃1 sin2 𝜃2 − (𝑥32 + ⋅ ⋅ ⋅ + 𝑥𝑑2 ) = 0, { { { { ⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅⋅ { { { { 2 2 2 2 { 𝐹𝑑 (𝑟, 𝜃, 𝑥) = 𝑟 sin 𝜃1 ⋅ ⋅ ⋅ sin 𝜃𝑑−1 − 𝑥𝑑 = 0. Wir wenden nun den Satz über implizit definierte Funktionen auf 𝐹(𝑟, 𝜃, 𝑥) = 0 an und erhalten 𝜕𝑥 𝜕𝐹(𝑟, 𝜃, 𝑥) −1 𝜕𝐹(𝑟, 𝜃, 𝑥) ) 𝐷𝛹(𝑟, 𝜃) = = −( . 𝜕(𝑟, 𝜃) 𝜕𝑥 𝜕(𝑟, 𝜃) Die Funktionaldeterminanten lassen sich aber einfach berechnen, da beide JacobiMatrizen Dreiecksmatrizen sind: Für 𝜕𝐹(𝑟,𝜃,𝑥) haben wir 𝜕(𝑟,𝜃) 2𝑟

0

0

2

...

0

...

0

...

0 .. .

∗ ( (∗ ( ( .. .

2𝑟 cos 𝜃1 sin 𝜃1 ∗ .. .

2𝑟 cos 𝜃2 sin 𝜃2 sin 𝜃1 .. .

..

(∗





...

0 2

2

.

) ) ) )

2 2𝑟2 cos 𝜃𝑑−1 sin 𝜃𝑑−1 ∏𝑑−2 𝑛=1 sin 𝜃𝑛 )

112 | 20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz sowie −2𝑥1 0 𝜕𝐹(𝑟, 𝜃, 𝑥) ( 0 =( 𝜕𝑥 .. . 0 (

∗ −2𝑥2 0 .. . 0

∗ ∗ −2𝑥3 .. . 0

... ... ... .. . ...

∗ ∗ ∗ ) ) .. . −2𝑥𝑑 )

und somit det 𝐷𝛹(𝑟, 𝜃) = =

2𝑑 𝑟2𝑑−1 sin2𝑑−3 𝜃1 cos 𝜃1 sin2𝑑−5 𝜃2 cos 𝜃2 ⋅ ⋅ ⋅ sin 𝜃𝑑−1 cos 𝜃𝑑−1 2𝑑 𝑥1 ⋅ ⋅ ⋅ 𝑥𝑑 2𝑑 𝑟2𝑑−1 sin2𝑑−3 𝜃1 cos 𝜃1 sin2𝑑−5 𝜃2 cos 𝜃2 ⋅ ⋅ ⋅ sin 𝜃𝑑−1 cos 𝜃𝑑−1 2𝑑 𝑟𝑑 sin𝑑−1 𝜃1 cos 𝜃1 sin𝑑−2 𝜃2 cos 𝜃2 ⋅ ⋅ ⋅ sin 𝜃𝑑−1 cos 𝜃𝑑−1

= 𝑟𝑑−1 sin𝑑−2 𝜃1 sin𝑑−3 𝜃2 ⋅ ⋅ ⋅ sin 𝜃𝑑−2 ≠ 0. Das zeigt zugleich, dass 𝐷𝛹(𝑟, 𝜃) auf 𝑉𝑑 umkehrbar ist. Das folgende Korollar ist nun eine direkte Folgerung aus dem Transformationssatz (Satz 20.10), Lemma 20.12 und dem Satz von Fubini (Korollar 16.2). Die Interpretation von 𝜎𝑑−1 als geometrisches Oberflächenmaß auf der Sphäre 𝕊𝑑−1 folgt aus dem Cavalierischen Prinzip (Satz von Fubini) und der Bemerkung, dass ℝ𝑑 \ {0} = ⋃𝑟>0 𝜕𝐵𝑟 (0). 20.13 Korollar. Wir bezeichnen mit 𝑥 = 𝛹(𝑟, 𝜃) die kartesischen und mit (𝑟, 𝜃) die Kugelkoordinaten des ℝ𝑑 ; weiterhin sei |𝐽(𝑟, 𝜃)| die Jacobische Determinante (20.12). Dann ist 𝑢(𝑥) ∈ L 1 (𝑑𝑥) genau dann, wenn |𝐽(𝑟, 𝜃)| 𝑢(𝛹(𝑟, 𝜃)) ∈ L 1 (𝑑𝑟 ⊗ 𝑑𝜃), sowie ∞ 𝜋 𝜋

𝜋

∫ 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥 = ∫ ∫ ∫ . . . ∫ 𝑢(𝛹(𝑟, 𝜃1 , 𝜃2 . . . , 𝜃𝑑−1 )) |𝐽(𝑟, 𝜃)| 𝑑𝜃𝑑−1 . . . 𝑑𝜃2 𝑑𝜃1 𝑑𝑟. ℝ𝑑

0 0 0

−𝜋

Bezeichnet 𝕊𝑑−1 = 𝜕𝐵1 (0) die (𝑑 − 1)-dimensionale Sphäre im ℝ𝑑 , dann ist 𝜋 𝜋

𝜋

𝜎𝑑−1 (𝛤) = ∫ ∫ . . . ∫ 𝟙𝛤 (𝛹(1, 𝜃1 , 𝜃2 , . . . , 𝜃𝑑−1 )) |𝐽(1, 𝜃)| 𝑑𝜃𝑑−1 . . . 𝑑𝜃2 𝑑𝜃1 , 0 0

𝛤 ∈ B(𝕊𝑑−1 ),

−𝜋

das kanonische Oberflächenmaß auf 𝕊𝑑−1 . Weiter gilt 𝑢 ∈ L 1 (𝑑𝑥) genau dann, wenn 𝑟𝑑−1 𝑢(𝑟𝑠) ∈ L 1 (𝑑𝑟 ⊗ 𝑑𝜎𝑑−1 ) und ∞

∫ 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥 = ∫ ∫ 𝑟𝑑−1 𝑢(𝑟𝑠) 𝜎𝑑−1 (𝑑𝑠) 𝑑𝑟. ℝ𝑑

0 𝕊𝑑−1

Ein wichtiger Spezialfall ist die Formel für Polarkoordinaten für rotationsinvariante Funktionen.

20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz |

113

20.14 Korollar. Es sei 𝑓(𝑥) = 𝜙(|𝑥|) eine rotationssymmetrische Funktion. Dann ist 𝑓(𝑥) ∈ L 1 (𝑑𝑥) genau dann, wenn 𝑟𝑑−1 𝜙(𝑟) ∈ L 1 ((0, ∞), 𝑑𝑟), und es gilt ∞

∫ 𝑓(𝑥) 𝑑𝑥 = 𝑑 ⋅ 𝜔𝑑 ∫ 𝑟𝑑−1 𝜙(𝑟) 𝑑𝑟, ℝ𝑑

0

wobei 𝑑 ⋅ 𝜔𝑑 = 𝜎𝑑−1 (𝜕𝐵1 (0)) die Oberfläche der (𝑑 − 1)-dimensionalen Einheitssphäre und 𝜔𝑑 = 𝜆𝑑 (𝐵1 (0)) das Volumen der 𝑑-dimensionalen Einheitskugel ist. Beweis. Aus den Formeln in Korollar 20.13 sehen wir, dass 𝜋 𝜋

𝜋

𝜎𝑑−1 (𝜕𝐵1 (0)) = ∫ ∫ . . . ∫ |𝐽(1, 𝜃)| 𝑑𝜃𝑑−1 . . . 𝑑𝜃2 𝑑𝜃1 0 0

−𝜋

und 1 𝜋 𝜋

𝜋

𝑑

𝜆 (𝐵1 (0)) = ∫ ∫ ∫ . . . ∫ |𝐽(𝑟, 𝜃)| 𝑑𝜃𝑑−1 . . . 𝑑𝜃2 𝑑𝜃1 𝑑𝑟 0 0 0

−𝜋 𝜋 𝜋

1

𝜋

= ∫ 𝑟𝑑−1 𝑑𝑟 ∫ ∫ . . . ∫ |𝐽(1, 𝜃)| 𝑑𝜃𝑑−1 . . . 𝑑𝜃2 𝑑𝜃1 = 0

−𝜋

0 0

1 𝜎 (𝜕𝐵 (0)). 𝑑 𝑑−1 1

Prinzipiell könnte man 𝜔𝑑 mit den Formeln im Beweis von Korollar 20.14 ausrechnen, allerdings ist folgende Technik einfacher. Aus Symmetriegründen gilt für 𝑑 ⩾ 2 (∫ 𝑒

−𝑥2



𝑑

𝑑𝑥) = ∫ ⋅ ⋅ ⋅ ∫ 𝑒

−(𝑥12 +⋅⋅⋅+𝑥𝑑2 )

2

20.14

𝑑𝑥1 . . . 𝑑𝑥𝑑 = 𝑑 ⋅ 𝜔𝑑 ∫ 𝑟𝑑−1 𝑒−𝑟 𝑑𝑟. 0

𝑑−1 −𝑟2

Da 𝑟

𝑒

(uneigentlich) Riemann-integrierbar ist (vgl. § 13), ergibt sich ∞ 2

∫ 𝑟𝑑−1 𝑒−𝑟 𝑑𝑟



𝑠=𝑟2

=

𝑑𝑠=2𝑟 𝑑𝑟

0

1 (12.2) ∫ 𝑠𝑑/2−1 𝑒−𝑠 𝑑𝑠 = 12 𝛤 ( 𝑑2 ) . 2 0

2

Bekanntlich ist 𝜔2 = 𝜋. Für 𝑑 = 2 zeigen die beiden Formeln, dass ∫ 𝑒−𝑥 𝑑𝑥 = √𝜋; wenden wir die Formeln für beliebige Dimensionen 𝑑 ⩾ 2 an, sehen wir 12.5.c)

(√𝜋)𝑑 = 𝑑 ⋅ 𝜔𝑑 12 𝛤 ( 𝑑2 ) = 𝜔𝑑 𝛤 ( 𝑑2 + 1) . 20.15 Korollar. Die Einheitskugel im ℝ𝑑 hat das Volumen 𝜔𝑑 = 𝜋𝑑/2 /𝛤 ( 𝑑2 + 1) und die Oberfläche 𝑑 ⋅ 𝜔𝑑 = 2𝜋𝑑/2 /𝛤 ( 𝑑2 ). 20.16 Beispiel. (Fouriertransformation einer rotationssymmetrischen Funktion.) Es sei 𝑢 ∈ 𝐿1 (ℝ𝑑 , 𝑑𝑥) und 𝑢(𝑥) = 𝑓(|𝑥|). Dann gilt ∞

∫ 𝑓(|𝑥|) 𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑑𝑥 = ℝ𝑑

(2𝜋)𝑑/2 ∫ 𝑓(𝑟)𝑟𝑑/2 𝐽𝑑/2−1 (𝑟|𝜉|) 𝑑𝑟, |𝜉|𝑑/2−1 0

𝜉 ∈ ℝ𝑑 ,

(20.13)

114 | 20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz wobei 𝐽𝜈 (𝑧) die Bessel-Funktion (der ersten Art) der Ordnung 𝜈 ist (vgl. NIST Handbook [6, S. 217 ff.], insbesondere S. 224, 10.9.4.) 𝐽𝜈 (𝑧) =

( 𝑧2 )

𝜈

1

√𝜋 𝛤 (𝜈 + 12 )

∫ (1 − 𝑡2 )𝜈−1/2 cos 𝑧𝑡 𝑑𝑡,

𝑧 ⩾ 0, Re 𝜈 > − 12 .

−1

Beweis (Bochner [3, S. 187 f.]). Zu festem 𝜉 ∈ ℝ𝑑 wählen wir eine Drehmatrix 𝑅 ∈ ℝ𝑑×𝑑 , so dass 𝑅𝜉 = |𝜉|𝑒1 wo 𝑒1 = (1, 0, . . . , 0). Da 𝑅⊤ 𝑅 = id, |det 𝑅| = 1 und |𝑅𝑥| = |𝑥|, sehen wir mit Lemma 20.1 20.1

∫ 𝑓(|𝑥|) 𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑑𝑥 = ∫ 𝑓(|𝑥|) 𝑒𝑖⟨𝑅𝑥,𝑅𝜉⟩ 𝑑𝑥 = ∫ 𝑓(|𝑅𝑥|) 𝑒𝑖𝑥1 |𝜉| 𝑑𝑥 = ∫ 𝑓(|𝑥|) 𝑒𝑖𝑥1 |𝜉| 𝑑𝑥. ℝ𝑑

ℝ𝑑

ℝ𝑑

ℝ𝑑

Wir schreiben 𝑥󸀠 = (𝑥2 , . . . , 𝑥𝑑 ) ∈ ℝ𝑑−1 , |𝑥|2 = |𝑥󸀠 |2 + 𝑥12 und wenden Korollar 20.14 auf 𝑥󸀠 an. ∞

∫ 𝑓(|𝑥|) 𝑒𝑖𝑥1 |𝜉| 𝑑𝑥 = (𝑑 − 1)𝜔𝑑−1 ∫ ∫ 𝑓 (√𝜌2 + 𝑥12 ) 𝑒𝑖𝑥1 |𝜉| 𝜌𝑑−2 𝑑𝑥1 𝑑𝜌. ℝ𝑑

0 ℝ

Wir drücken (𝑥1 , 𝜌) ∈ ℝ × (0, ∞) in Polarkoordinaten (𝑟, 𝛼) ∈ (0, ∞) × (0, 𝜋) aus ∞ 𝜋

∫ 𝑓(|𝑥|) 𝑒𝑖𝑥1 |𝜉| 𝑑𝑥 = (𝑑 − 1)𝜔𝑑−1 ∫ ∫ 𝑓 (𝑟) 𝑒𝑖𝑟|𝜉| cos 𝛼 𝑟𝑑−1 sin𝑑−2 𝛼 𝑑𝛼 𝑑𝑟 ℝ𝑑

0 0 𝜋



= ∫ 𝑓(𝑟) 𝑟

𝑑/2

{(𝑑 − 1)𝜔𝑑−1 ∫ 𝑒𝑖𝑟|𝜉| cos 𝛼 𝑟𝑑/2−1 sin𝑑−2 𝛼 𝑑𝛼}𝑑𝑟.

0

0

Im Klammerausdruck { . . . } führen wir nun den Variablenwechsel 𝑡 = − cos 𝛼 durch, wobei wir sin2 𝛼 = 1 − 𝑡2 beachten. Dann sehen wir, dass die Klammer { . . . } reell ist und den Wert (2𝜋)𝑑/2 |𝜉|−𝑑/2+1 𝐽𝑑/2−1 (𝑟|𝜉|) hat.

Aufgaben 1.

−2 (a) Zeigen Sie, dass ∫[0,1]2 (1 − 𝑥𝑦)−1 𝑑(𝑥, 𝑦) = ∑∞ 𝑛=1 𝑛 .

𝜃−𝑟), um ∑∞ 𝑛−2 = 𝜋2 /6 zu zeigen (vgl. (b) Verwenden Sie den Variablenwechsel (𝑦𝑥) = (cos 𝑛=1 sin 𝜃+𝑟 Apostol [2]).

2.

(Eulersche Integrale) Die Eulersche Gamma- und Beta-Funktion sind für 𝑥, 𝑦 > 0 durch folgende Integrale definiert: ∞

1

𝛤(𝑥) := ∫ 𝑒−𝑡 𝑡𝑥−1 𝑑𝑡

und

𝐵(𝑥, 𝑦) := ∫ 𝑡𝑥−1 (1 − 𝑡)𝑦−1 𝑑𝑡.

0

(a) Es gilt 𝛤(𝑥)𝛤(𝑦) = 4 ∫(0,∞)2 𝑒−𝑢

0 2

−𝑣

2

𝑢2𝑥−1 𝑣2𝑦−1 𝑑(𝑢, 𝑣).

20 ⧫Der allgemeine Transformationssatz |

(b) Verwenden Sie (a), um 𝐵(𝑥, 𝑦) =

115

𝛤(𝑥)𝛤(𝑦) zu zeigen. 𝛤(𝑥 + 𝑦)

3.

Berechnen Sie das Integral ∫𝑥2 +𝑦2 ⩽1 𝑥𝑛 𝑦𝑚 𝑑(𝑥, 𝑦) für alle 𝑚, 𝑛 ∈ ℕ.

4.

Zeigen Sie, dass (20.13) in Dimension 𝑑 = 1 folgende Form hat: ∞

∫ 𝑓(|𝑥|) 𝑒𝑖𝑥𝜉 𝑑𝑥 = 2 ∫ cos(𝑟|𝜉|)𝑓(𝑟) 𝑑𝑟,

𝜉∈ℝ

0



Bemerkung: 𝐽−1/2 (𝑧) = √2/√𝜋𝑧 cos 𝑧, vgl. [6, 10.16.1, S. 228]. 5.

(Bogenlänge) Es sei 𝑓 : ℝ → ℝ eine 𝐶2 -Funktion. Wir schreiben 𝐺𝑓 = {(𝑡, 𝑓(𝑡)) : 𝑡 ∈ ℝ} für den Graph von 𝑓 und definieren 𝛷 : ℝ → ℝ2 , 𝛷(𝑥) = (𝑥, 𝑓(𝑥)). Zeigen Sie: (a) 𝛷 : ℝ → 𝐺𝑓 ist ein 𝐶1 -Diffeomorphismus mit |𝐷𝛷(𝑥)|2 = 1 + (𝑓󸀠 (𝑥))2 . (b) 𝜎 := 𝛷(|𝐷𝛷| 𝜆1 ) ist ein Maß auf 𝐺𝑓 . (c)

∫𝐺 𝑢(𝑥, 𝑦) 𝑑𝜎(𝑥, 𝑦) = ∫ℝ 𝑢(𝑡, 𝑓(𝑡))√1 + (𝑓󸀠 (𝑡))2 𝑑𝑡 sofern die Integrale definiert sind. 𝑓

Das Maß 𝜎 ist das kanonische Oberflächenmaß auf 𝐺𝑓 . Diese Bezeichnung ist auf Grund der folgenden Kompatibilität mit 𝜆2 gerechtfertigt: Es sei 𝑛(𝑥) eine Einheitsnormale für die Fläche ̃ 𝑟) := 𝛷(𝑥) + 𝑟𝑛(𝑥). Dann gilt: 𝐺𝑓 im Punkte (𝑥, 𝑓(𝑥)) und 𝛷(𝑥, 𝑟𝑓󸀠󸀠 (𝑥) ̃ 𝑟) = √1 + (𝑓󸀠 (𝑥))2 − . Für jedes (d) 𝑛(𝑥) = (−𝑓󸀠 (𝑥), 1)/√1 + (𝑓󸀠 (𝑥))2 und det 𝛷(𝑥, 1 + (𝑓󸀠 (𝑥))2 󵄨 1 󵄨 ̃󵄨 Intervall [𝑐, 𝑑] gibt es ein 𝜖 > 0, so dass 𝛷 󵄨(𝑐,𝑑)×(−𝜖,𝜖) ein 𝐶 -Diffeomorphismus ist. ̃ (𝛷−1 (𝐶) × (−𝑟, 𝑟)) eine (e) Es sei 𝐶 ⊂ 𝐺𝑓|(𝑐,𝑑) und 𝑟 < 𝜖 wie in Teil (d). Zeigen Sie, dass 𝐶(𝑟) = 𝛷 (f)

Borelmenge ist. Zeigen Sie, dass für jedes 𝑥 ∈ (𝑐, 𝑑) lim 𝑟↓0

1 󵄨 ̃ 𝑠)󵄨󵄨󵄨󵄨 𝑑𝑠 = 󵄨󵄨󵄨󵄨det 𝛷(𝑥, ̃ 0)󵄨󵄨󵄨󵄨 . ∫ 󵄨󵄨󵄨󵄨det 𝐷𝛷(𝑥, 󵄨 󵄨 󵄨 2𝑟 (−𝑟,𝑟)

(g) Verwenden Sie den allgemeinen Transformationssatz (Satz 20.4), den Satz von Tonelli (Satz 16.1), Teilaufgabe (f) und dominierte Konvergenz, um folgende Formel zu zeigen: lim 𝑟↓0

1 2 𝜆 (𝐶(𝑟)) = 2𝑟

󵄨󵄨 ̃ 0)󵄨󵄨󵄨󵄨 𝑑𝑥. 󵄨󵄨det 𝐷𝛷(𝑥, 󵄨 󵄨

∫ 𝛷−1 (𝐶)

(h) Folgern Sie, dass ∫ √1 + (𝑓󸀠 (𝑡))2 𝑑𝑡 die Bogenlänge des Graphen 𝐺𝑓 ist. 6.

Es sei 𝛷 : ℝ𝑑 → 𝑀 ⊂ ℝ𝑛 , 𝑑 ⩽ 𝑛, ein 𝐶1 -Diffeomorphismus. (a) Zeigen Sie, dass 𝜇 := 𝛷(| det 𝐷𝛷| 𝜆𝑑 ) ein Maß auf 𝑀 ist. Vereinfachen Sie ∫𝑀 𝑢 𝑑𝜇. (b) Für eine Dilatation 𝜃𝑟 : ℝ𝑛 → ℝ𝑛 , 𝑥 󳨃→ 𝑟𝑥, 𝑟 > 0, gilt ∫ 𝑟𝑛 𝑢(𝑟𝜉) 𝜆𝑛 (𝑑𝜉) = ∫ 𝑢(𝜉) 𝜇(𝑑𝜉). 𝑀

(c)

𝜃𝑟 (𝑀)

Nun sei 𝑀 = 𝑆𝑛−1 = {|𝑥| = 1} die Einheitssphäre in ℝ𝑛 , d. h. 𝑑 = 𝑛 − 1. Zeigen Sie, dass für 𝑢 ∈ L 1 (ℝ𝑛 ) und 𝜎 := 𝜇 gilt ∫ 𝑢(𝑥)𝜆𝑛 (𝑑𝑥) = ∫

∫ 𝑢(𝑥) 𝜎(𝑑𝑥) 𝜆1 (𝑑𝑟) = ∫

(0,∞) {|𝑥|=𝑟}

∫ 𝑟𝑛−1 𝑢(𝑟𝑥) 𝜎(𝑑𝑥) 𝜆1 (𝑑𝑟).

(0,∞) {|𝑥|=1}

21 ⧫Maßbestimmende Familien Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein Maßraum. Wir interessieren uns nun für die Frage, ob wir ein Maß durch seine Integrationseigenschaften eindeutig bestimmen können. Zum Beispiel wird jedes Maß 𝜇 durch die Kenntnis der Integrale 𝜇(𝐴) = ∫ 𝟙𝐴 𝑑𝜇 für alle Funktionen 𝟙𝐴 , 𝐴 ∈ A , eindeutig charakterisiert. messbar

21.1 Definition. Es sei (𝐸, A ) ein Messraum. Eine Familie F ⊂ {𝑢 | 𝑢 : 𝐸 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ ℂ} heißt maßbestimmend, wenn für zwei Maße 𝜇, 𝜈 gilt ∫ |𝑓| 𝑑𝜇 + ∫ |𝑓| 𝑑𝜈 < ∞

und

∫ 𝑓 𝑑𝜇 = ∫ 𝑓 𝑑𝜈 ∀𝑓 ∈ F 󳨐⇒ 𝜇 = 𝜈.

󳶳 Man beachte die Forderung, dass die Integrale von Funktionen in F endlich sind. 󳶳 Komplexwertige Integranden behandelt man, indem man den Real- und Imaginärteil separat integriert: ∫ 𝑓 𝑑𝜇 = ∫ Re 𝑓 𝑑𝜇 + 𝑖 ∫ Im 𝑓 𝑑𝜇. Es gelten dieselben Rechenregeln wie im Reellen. Da die Abbildung (Re 𝑧, Im 𝑧) ∈ ℝ2 󳨃→ 𝑧 ∈ ℂ bi-stetig und damit bi-messbar ist, können wir B(ℂ) mit B(ℝ2 ) identifizieren, und es gibt auch keine Messbarkeitsprobleme. Eine ausführliche Darstellung findet sich im Anhang A.4.

21.2 Beispiel. a) F = {𝟙𝐺 : 𝐺 ∈ G } ist maßbestimmend, wenn A = 𝜎(G ) für einen ∩-stabilen Erzeuger G , so dass eine Folge (𝐺𝑚 )𝑚⩾1 ⊂ G mit 𝐺𝑚 ↑ 𝐸 existiert. Beweis: Eindeutigkeitssatz für Maße (Satz 4.5). b) F = {𝟙𝐾 : 𝐾 ⊂ ℝ𝑑 kompakt} ist maßbestimmend auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )). Beweis: Teil a), da 𝜎(kompakte Mengen) = B(ℝ𝑑 ) und [−𝑛, 𝑛]𝑑 ↑ ℝ𝑑 . c) F = {𝟙𝐻1 ∩⋅⋅⋅∩𝐻𝑛 : 𝑛 ⩾ 1, 𝐻𝑚 ∈ H ∪ {𝐸}} ist maßbestimmend wenn A = 𝜎(H ). Beweis: Verwende a) mit G = {𝐻1 ∩ ⋅ ⋅ ⋅ ∩ 𝐻𝑛 : 𝑛 ⩾ 1, 𝐻𝑚 ∈ H ∪ {𝐸}}. d) F = M+𝑏 (A ) (Familie der positiven messbaren Funktionen) ist maßbestimmend. Beweis: Es gilt 𝟙𝐴 ∈ M+𝑏 (A ) für alle 𝐴 ∈ A . Vergrößert man eine maßbestimmende Familie, dann ist auch die vergrößerte Familie maßbestimmend. Wir wollen nun interessantere Familien F untersuchen. Dazu brauchen wir aber mehr Struktur auf dem Messraum (𝐸, A ), z. B. eine Topologie oder eine Metrik. Viele der folgenden Aussagen gelten in polnischen Räumen14 , aber wir formulieren die Aussagen der Einfachheit halber für (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )). Wir beginnen mit einer topologischen Vorbereitung. Wir schreiben 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) = {𝑢 : ℝ𝑑 → ℝ stetig und supp 𝑢 = {𝑢 ≠ 0} kompakt} , 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 ) = {𝑢 : ℝ𝑑 → ℝ stetig und beschränkt} .

14 vollständig metrisierbare Räume mit abzählbarer dichter Teilmenge

21 ⧫Maßbestimmende Familien |

117

Mit 𝐶𝑐+ (ℝ𝑑 ) und 𝐶𝑏+ (ℝ𝑑 ) bezeichnen wir die positiven Elemente in 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) und 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 ). 21.3 Lemma (Urysohn). Es sei 𝐾 ⊂ ℝ𝑑 kompakt. Dann existiert eine Folge von Funktionen (𝑢𝑛 )𝑛 ⊂ 𝐶𝑐+ (ℝ𝑑 ) mit 𝑢𝑛 ↓ 𝟙𝐾 . Beweis. Der Abstand von 𝑥 ∈ ℝ𝑑 zu einer Menge 𝐴 ⊂ ℝ𝑑 ist 𝑑(𝑥, 𝐴) := inf 𝑎∈𝐴 |𝑥 − 𝑎|, und für kompakte Mengen 𝐾 ⊂ ℝ𝑑 ist 𝑈𝑛 := {𝑥 ∈ ℝ𝑑 : 𝑑(𝑥, 𝐾) < 𝑛1 } = 𝐾 + 𝐵1/𝑛 (0) eine Folge von offenen Mengen mit 𝐾 = ⋂𝑛⩾1 𝑈𝑛 . [] Weiter gilt 𝑑(𝑥, 𝐴) = inf |𝑥 − 𝑎| ⩽ inf (|𝑥 − 𝑦| + |𝑦 − 𝑎|) = |𝑥 − 𝑦| + 𝑑(𝑦, 𝐴) 𝑎∈𝐴

𝑎∈𝐴

und somit |𝑑(𝑥, 𝐴) − 𝑑(𝑦, 𝐴)| ⩽ |𝑥 − 𝑦|

∀𝑥, 𝑦 ∈ ℝ𝑑 .

Das zeigt, dass die Funktion 𝑢𝑛 (𝑥) :=

𝑑(𝑥, 𝑈𝑛𝑐 ) 𝑑(𝑥, 𝑈𝑛𝑐 ) + 𝑑(𝑥, 𝐾)

stetig ist. Außerdem gilt 𝑢𝑛 |𝐾 ≡ 1, 𝑢𝑛 |𝑈𝑛𝑐 ≡ 0 und 𝑢𝑛 (𝑥) ↓ 𝟙𝐾 (𝑥). 21.4 Satz. In (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) sind die Familien 𝐶𝑐+ (ℝ𝑑 ), 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ), 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 ), 𝐶𝑏+ (ℝ𝑑 ) maßbestimmend. Beweis. Es genügt, die Aussage für 𝐶𝑐+ (ℝ𝑑 ) zu zeigen. Es gelte ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜈 < ∞

∀𝑢 ∈ 𝐶𝑐+ (ℝ𝑑 ).

Sei 𝐾 ⊂ ℝ𝑑 kompakt. Wähle eine Folge (𝑢𝑛 )𝑛⩾1 ⊂ 𝐶𝑐+ (ℝ𝑑 ) mit 𝑢𝑛 ↓ 𝟙𝐾 . Wegen monotoner Konvergenz gilt ∫ 𝟙𝐾 𝑑𝜇 = lim ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = lim ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜈 = ∫ 𝟙𝐾 𝑑𝜈 𝑛→∞

𝑛→∞

und die Behauptung folgt aus Beispiel 21.2.b). 21.5 Korollar. In (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) ist 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ) maßbestimmend. Beweis. Es seien 𝜇, 𝜈 zwei Maße auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )), so dass ∫ 𝑢 𝑑𝜇 + ∫ 𝑢 𝑑𝜈 < ∞ für alle Funktionen 𝑢 ∈ 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ). Insbesondere gilt dann, dass 𝜇(𝐾) + 𝜈(𝐾) < ∞ für alle kompakten Teilmengen 𝐾 ⊂ ℝ𝑑 . Es sei 𝜒 ∈ 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ), 𝜒 ⩾ 0, supp 𝜒 ⊂ 𝐵1 (0) und ∫ 𝜒 𝑑𝑥 = 1. Setze 𝜒𝑛 (𝑥) := 𝑛𝑑 𝜒(𝑛𝑥).

118 | 21 ⧫Maßbestimmende Familien Mit dem Differenzierbarkeitslemma (Satz 12.2) sehen wir, [] dass 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) 󳨐⇒ 𝑢 ∗ 𝜒 ∈ 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ). (Beachte, dass 𝑥 ∉ supp 𝑢 + supp 𝜒 󳨐⇒ 𝑢 ∗ 𝜒(𝑥) = 0 󳨐⇒ supp 𝑢 ∗ 𝜒 ⊂ supp 𝑢 + supp 𝜒 gilt.) Daher ist für 𝑢 ∈ 𝐶𝑐+ (ℝ𝑑 ) ∫ 𝑢 ∗ 𝜒𝑛 𝑑𝜇

=

∬ 𝑢(𝑥 − 𝑦)𝜒𝑛 (𝑦) 𝑑𝑦 𝜇(𝑑𝑥)

=

∬ 𝑢(𝑥 − 𝑦)𝑛𝑑 𝜒(𝑛𝑦) 𝑑𝑦 𝜇(𝑑𝑥)

𝑧=𝑛𝑦

∬ 𝑢 (𝑥 − 𝑛−1 𝑧) 𝜒(𝑧) 𝑑𝑧 𝜇(𝑑𝑥)

=

𝑑𝑧=𝑛𝑑 𝑑𝑦

dom. Konv.

󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ ∫ 𝑢(𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) ∫ 𝜒(𝑧) 𝑑𝑧 . 𝑛→∞ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ =1

Daher ist für alle 𝑢 ∈

𝐶𝑐+ (ℝ𝑑 )

∫ 𝑢 𝑑𝜇 = lim ∫ 𝑢 ∗ 𝜒𝑛 𝑑𝜇 = lim ∫ 𝑢 ∗ 𝜒𝑛 𝑑𝜈 = ∫ 𝑢 𝑑𝜈, 𝑛→∞

𝑛→∞

und wir können nun Satz 21.4 anwenden. Wir kommen jetzt zu einer Familie wichtiger Funktionen, die auch maßbestimmend sind: 𝑑

𝑒𝜉 (𝑥) = 𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ , 𝑥, 𝜉 ∈ ℝ𝑑 ,

⟨𝑥, 𝜉⟩ = ∑ 𝑥𝑛 𝜉𝑛 . 𝑛=1

𝑑

21.6 Lemma. Es gilt für alle 𝑥, 𝜉 ∈ ℝ und 𝑡 > 0 2

𝑔𝑡 (𝑥) := (2𝜋𝑡)−𝑑/2 𝑒−|𝑥|

/2𝑡

(21.1) 2

𝑔q𝑡 (𝜉) := ∫ 𝑔𝑡 (𝑥) 𝑒𝜉 (𝑥) 𝑑𝑥 = 𝑒−𝑡|𝜉|

/2

.

(21.2)

ℝ𝑑

Beweis. Offenbar genügt es wegen Fubini, den Fall 𝑑 = 1 zu betrachten. [] Es gilt wegen Satz 12.2 (Differenzierbarkeitslemma) 2 𝑑 𝑑 𝑖𝑥𝜉 1 ∫ 𝑒−𝑥 /2𝑡 𝑒 𝑑𝑥 𝑔q (𝜉) = 𝑑𝜉 𝑡 𝑑𝜉 √2𝜋𝑡 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ℝ

=𝑖𝑥𝑒𝑖𝑥𝜉

𝑑 −𝑥2 /2𝑡 𝑖𝑥𝜉 1 ] 𝑒 𝑑𝑥 [𝑒 ∫(−𝑖𝑡) = 𝑑𝑥 √2𝜋𝑡 ℝ

2 𝑑 1 ∫(𝑖𝑡)𝑒−𝑥 /2𝑡 𝑒𝑖𝑥𝜉 𝑑𝑥 = 𝑑𝑥 √2𝜋𝑡

PI



2 1 ∫(−𝑡𝜉)𝑒−𝑥 /2𝑡 𝑒𝑖𝑥𝜉 𝑑𝑥 = √2𝜋𝑡



= −(𝑡𝜉)𝑔q𝑡 (𝜉).

21 ⧫Maßbestimmende Familien |

119

2

Die eindeutige Lösung dieser Differentialgleichung ist 𝑔q𝑡 (𝜉) = 𝑔q𝑡 (0)𝑒−𝑡𝜉 /2 . Aus Bei2 spiel 16.4 wissen wir, dass 𝑔q𝑡 (0) = (2𝜋𝑡)−1/2 ∫ℝ 𝑒−𝑥 /2𝑡 𝑑𝑥 = 1 gilt, und die Behauptung folgt. 21.7 Satz. In (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) ist F = {𝑒𝜉 (⋅) : 𝜉 ∈ ℝ𝑑 } maßbestimmend. Beweis. Sei 𝑢 ∈ 𝐶𝑐+ (ℝ𝑑 ) und 𝜇, 𝜈 endliche Maße (damit ∫ 𝑒𝜉 𝑑𝜇, ∫ 𝑒𝜉 𝑑𝜈 definiert sind). Dann gilt mit Lemma 21.6 1

2

∫ 𝑢 ∗ 𝑔q𝑡 𝑑𝜇 = ∬ 𝑢(𝑦)𝑒− 2 𝑡|𝑥−𝑦| 𝑑𝑦 𝜇(𝑑𝑥) = ∬ 𝑢(𝑦) ∫ 𝑔𝑡 (𝜂)𝑒𝑥−𝑦 (𝜂) 𝑑𝜂 𝑑𝑦 𝜇(𝑑𝑥) Fubini

= ∬ 𝑢(𝑦)𝑔𝑡 (𝜂) ∫ 𝑒𝑥−𝑦 (𝜂) 𝜇(𝑑𝑥) 𝑑𝜂 𝑑𝑦. ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ =∫ 𝑒𝑥−𝑦 (𝜂) 𝜈(𝑑𝑥)

Mithin folgt aus ∫ 𝑒𝜉 𝑑𝜇 = ∫ 𝑒𝜉 𝑑𝜈 auch ∫ 𝑢 ∗ 𝑔q𝑡 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 ∗ 𝑔q𝑡 𝑑𝜈

∀𝑢 ∈ 𝐶𝑐+ (ℝ𝑑 ),

𝑡 > 0.

Nun gilt aber 𝑡𝑑/2 ∫ 𝑢 ∗ 𝑔q𝑡 𝑑𝜇

= 𝑧=√𝑡𝑦

=

𝑑𝑧=𝑡𝑑/2 𝑑𝑦

1

2

∬ 𝑢(𝑥 − 𝑦)𝑡𝑑/2 𝑒− 2 𝑡|𝑦| 𝑑𝑦 𝜇(𝑑𝑥) 1

2

1

2

∬ 𝑢 (𝑥 − 𝑡−1/2 𝑧) 𝑒− 2 |𝑧| 𝑑𝑧 𝜇(𝑑𝑥)

dom. Konv.

󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ ∫ 𝑢(𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) ∫ 𝑒− 2 |𝑧| 𝑑𝑧 𝑡→∞ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ =(2𝜋)𝑑/2

(verwende ‖𝑢‖∞ 𝟙supp 𝑢 (𝑥) als Majorante). Damit folgt die Behauptung aus Satz 21.4.

Aufgaben 1.

Es sei 𝜙 ∈ 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ), supp 𝜙 ⊂ 𝐵1 (0) und ∫ 𝜙 𝑑𝑥 = 1. Setze 𝜙𝑛 (𝑥) := 𝑛−𝑑 𝜙(𝑛𝑥). Bestimmen Sie supp 𝜙𝑛 und zeigen Sie, dass ∫ 𝜙𝑛 (𝑥) 𝑑𝑥 = 1.

2.

Die folgenden Schritte zeigen, dass die Familie 𝜖𝜆 (𝑡) := 𝑒−𝜆𝑡 , 𝜆, 𝑡 > 0, auf ([0, ∞), B[0, ∞)) maßbestimmend ist. (a) Der klassische Approximationssatz von Weierstraß besagt, dass die Polynome auf [0, 1] gleichmäßig dicht in den stetigen Funktionen 𝐶[0, 1] sind (vgl. Rudin [7, Satz 7.26, S. 185]). (b) Betrachten Sie für 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 [0, ∞) die Funktion 𝑢 ∘ (− log) : (0, 1] → ℝ und approximieren Sie diese mit einer Folge von Polynomen 𝑝𝑛 , 𝑛 ∈ ℕ. (c)

Zeigen Sie, dass aus ∫ 𝜖𝜆 𝑑𝜇 = ∫ 𝜖𝜆 𝑑𝜈 auch ∫ 𝑝𝑛 (𝑒−𝑡 ) 𝜇(𝑑𝑡) = ∫ 𝑝𝑛 (𝑒−𝑡 ) 𝜈(𝑑𝑡) folgt und somit ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜈.

22 ⧫Die Fouriertransformation In diesem Kapitel betrachten wir Maße auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )). Die Fouriertransformation (FT) ist ein universelles Hilfsmittel, das in verschiedenen mathematischen Disziplinen angewendet wird, z. B. in der Analysis, der Wahrscheinlichkeitstheorie oder der mathematischen Physik. Je nach Anwendung sind die (Normierungs-)Konventionen etwas unterschiedlich; unsere Darstellung ist so gewählt, dass die inverse Fouriertransformation mit der charakteristischen Funktion aus der Wahrscheinlichkeitstheorie übereinstimmt. Wir bezeichnen mit 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 ) bzw. 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) die Familien der beschränkten stetigen Funktionen und der stetigen Funktionen mit kompaktem Träger; ⟨𝑥, 𝜉⟩ = ∑𝑑𝑛=1 𝑥𝑛 𝜉𝑛 ist das Euklidische Skalarprodukt von 𝑥, 𝜉 ∈ ℝ𝑑 . 22.1 Definition. Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )). Dann heißt ̂ := F𝜇(𝜉) := (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝜇(𝑑𝑥) 𝜇(𝜉)

(22.1)

ℝ𝑑

Fouriertransformation des Maßes 𝜇. Für 𝑓 ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥) heißt ̂ = F𝑓(𝜉) = (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑓(𝑥) 𝑑𝑥 𝑓(𝜉)

(22.2)

ℝ𝑑

Fouriertransformation der Funktion 𝑓. ̂ 󳶳 𝜇(𝑑𝑥) = 𝑓(𝑥) 𝑑𝑥 󳨐⇒ 𝜇̂ = 𝑓. 󳶳 Für 𝑢 : ℝ𝑑 → ℂ definiert man ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ Re 𝑢 𝑑𝜇 + 𝑖 ∫ Im 𝑢 𝑑𝜇. Somit gelten dieselben Rechenregeln wie im Reellen. Da die Abbildung (Re 𝑧, Im 𝑧) ∈ ℝ2 󳨃→ 𝑧 ∈ ℂ bi-stetig und damit bi-messbar ist, können wir B(ℂ) mit B(ℝ2 ) identifizieren, und es gibt auch keine Messbarkeitsprobleme. Eine ausführliche Darstellung findet sich im Anhang A.4. 󳶳 (22.2) gilt für alle 𝑓 ∈ 𝐿1ℂ (𝑑𝑥): 𝑓 = Re 𝑓 + 𝑖 Im 𝑓.

−𝑖𝜉𝑎 ̂ 22.2 Beispiel. a) 𝟙 − 𝑒−𝑖𝜉𝑏 ) /2𝜋𝑖𝜉, 𝑎 < 𝑏. [𝑎,𝑏] (𝜉) = (𝑒 b) 𝛿̂ (𝜉) = (2𝜋)−𝑑 𝑒−𝑖⟨𝑐,𝜉⟩ , 𝑐 ∈ ℝ𝑑 . 𝑐

2

2

c) Für 𝑔𝑡 (𝑥) = (2𝜋𝑡)−𝑑/2 𝑒−|𝑥| /2𝑡 ist 𝑔̂𝑡 (𝜉) = (2𝜋)−𝑑 𝑒−𝑡|𝜉| Nach Definition der Fouriertransformation ist

𝑔̂𝑡 (𝜉) = (2𝜋)−𝑑 ∫ (2𝜋𝑡)−𝑑/2 𝑒−|𝑥|

/2

2

.

/2𝑡 −𝑖⟨𝑥,𝜉⟩

𝑒

𝑑𝑥.

ℝ𝑑 2

Beweis 1. Verwende (21.2): 𝑔̂𝑡 (𝜉) = (2𝜋)−𝑑 𝑔q𝑡 (−𝜉) = (2𝜋)−𝑑 𝑒−𝑡|𝜉| Beweis 2. Zunächst sei 𝑑 = 1 angenommen. Dann gilt ∞ −𝑥2 /2𝑡 −𝑖𝑥𝜉

∫ 𝑒 −∞

𝑒

𝑑𝑥 √2𝜋𝑡

𝑡𝑦2 =𝑥2

=

√𝑡 𝑑𝑦=𝑑𝑥

∫ 𝑒

.





−∞

/2

−𝑦2 /2 −𝑖𝑦√𝑡𝜉

𝑒

2 𝑑𝑦 𝑑𝑦 √ 2 = 𝑒−𝑡𝜉 /2 ∫ 𝑒−(𝑦+𝑖 𝑡𝜉) /2 . √2𝜋 √2𝜋

−∞

22 ⧫Die Fouriertransformation |

121

Abb. 22.1. Nach dem Cauchyschen 2 Integralsatz gilt ∮ 𝑒−𝑧 /2 𝑑𝑧 = 0. 2

Da der Integrand 𝑧 󳨃→ 𝑒−𝑧 /2 holomorph ist, hängt der Wert des Integrals nicht vom Parameter 𝜉 ab. Für 𝜉 = 0 ist ∞

∞ −𝑥2 /2𝑡 −𝑖𝑥𝜉

∫ 𝑒

𝑒

−∞

2 2 𝑑𝑦 (16.2) −𝑡𝜉2 /2 𝑑𝑥 = 𝑒 . = 𝑒−𝑡𝜉 /2 ∫ 𝑒−𝑦 /2 √2𝜋𝑡 √2𝜋

−∞

Diese Überlegung kann man so rechtfertigen: Nach dem Cauchyschen Integralsatz 2 gilt für den geschlossenen Integrationsweg aus Abb. 22.1 ∮ 𝑒−𝑧 /2 𝑑𝑧 = 0, d. h. 𝑛

𝑛

∫ 𝑒−(𝑥+𝑖

√𝑡𝜉)2 /2

−𝑛

2 2 𝑑𝑥 𝑑𝑥 𝑑𝑧 = ∫ 𝑒−𝑥 /2 + ∫ 𝑒−𝑧 /2 . √2𝜋 √2𝜋 √2𝜋

−𝑛

𝛾2 ∪𝛾4

Jedes 𝑧 ∈ 𝛾2 ist von der Form 𝑧 = 𝑛 + 𝑖𝑦, 0 < 𝑦 < √𝑡𝜉, und wegen |𝑒𝑖𝑦𝑛 | = 1 gilt 󵄨 󵄨󵄨 √𝑡𝜉 󵄨󵄨 󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨󵄨 √𝑡𝜉 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 −𝑧2 /2 𝑑𝑧 󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨󵄨 −(𝑛+𝑖𝑦)2 /2 𝑖 𝑑𝑦 󵄨󵄨󵄨 −𝑛2 /2 𝑦2 /2 𝑑𝑦 𝑒 󵄨󵄨 = 󵄨󵄨 ∫ 𝑒 󵄨󵄨 ⩽ ∫ 𝑒 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑒 󵄨 󵄨 󵄨 √ √ √2𝜋 2𝜋 󵄨󵄨 󵄨󵄨 2𝜋 󵄨󵄨 󵄨󵄨𝛾 󵄨 󵄨󵄨 0 󵄨2 󵄨󵄨 0 2 2 1 𝑛→∞ 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 0. ⩽ √𝑡𝜉 𝑒−𝑛 /2 𝑒𝑡𝜉 /2 √2𝜋 2

Entsprechend ist ∫𝛾 𝑒−𝑧 4

/2

𝑛→∞

𝑑𝑧 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 0. Daraus folgt die Behauptung, da





∫ 𝑒

−(𝑥+𝑖√𝑡𝜉)2 /2

−∞

2 𝑑𝑥 𝑑𝑥 (16.2) = 1. = ∫ 𝑒−𝑥 /2 √2𝜋 √2𝜋

−∞

Der multivariate Fall folgt nun mit Hilfe des Satzes von Fubini: ∫ (2𝜋𝑡)−𝑑/2 𝑒−|𝑥| ℝ𝑑

2

/2𝑡 𝑖⟨𝑥,𝜉⟩

𝑒

𝑑

2

𝑑𝑥 = ∏ ∫ 𝑒−𝑥𝑛 /2𝑡 𝑒𝑖𝑥𝑛 𝜉𝑛 𝑛=1



𝑑 2 2 𝑑𝑥𝑛 = ∏ 𝑒−𝑡𝜉𝑛 /2 = 𝑒−𝑡|𝜉| /2 . √2𝜋𝑡 𝑛=1

22.3 Proposition (Eigenschaften der FT). Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )). ̂ ̂ = (2𝜋)−𝑑 𝜇(ℝ𝑑 ). a) |𝜇(𝜉)| ⩽ 𝜇(0) ̂ ist stetig. b) 𝜉 󳨃→ 𝜇(𝜉) ̂̃ (𝜉) = 𝜇(𝜉) ̂ wobei 𝜇(𝐴) ̃ c) 𝜇 = 𝜇(−𝐴) die Reflexion am Ursprung bezeichnet.

122 | 22 ⧫Die Fouriertransformation ̂ d) 𝜇̂ ∘ 𝑇−1 (𝜉) = 𝑒−𝑖⟨𝑏,𝜉⟩ 𝜇(𝜆𝜉) wobei 𝑇𝑦 := 𝜆𝑦 + 𝑏, 𝜆 ∈ ℝ, 𝑏, 𝑦 ∈ ℝ𝑑 . Beweis. a) folgt direkt aus der Definition der FT. ̂ b) 𝜇(𝜉) = (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝜇(𝑑𝑥). Da |𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ | = 1 ∈ 𝐿1 (𝜇) und da 𝜉 󳨃→ 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ stetig ist, folgt die Behauptung aus dem Stetigkeitslemma für Parameter-Integrale (Satz 12.1). ̂ ̂ beachten. c) Das folgt aus d), wenn wir 𝑏 = 0, 𝜆 = −1 setzen und 𝜇(−𝜉) = 𝜇(𝜉) d) Es gilt 𝜇̂ ∘ 𝑇−1 (𝜉) = (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝜇 ∘ 𝑇−1 (𝑑𝑥) 18.2

= (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑒−𝑖⟨𝑇𝑥,𝜉⟩ 𝜇(𝑑𝑥)

= (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑒−𝑖⟨𝜆𝑥+𝑏,𝜉⟩ 𝜇(𝑑𝑥) ̂ = 𝑒−𝑖⟨𝑏,𝜉⟩ 𝜇(𝜆𝜉). Viele Rechenregeln der FT sind für Funktionen 𝑓 einfacher als für Maße. ̂ ⩽ (2𝜋)−𝑑 ‖𝑓‖𝐿1 . 22.4 Korollar. Es sei 𝑓 ∈ 𝐿1 (ℝ𝑑 , 𝑑𝑥). Dann ist 𝑓̂ ∈ 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 ) und |𝑓(𝜉)| a) b) c) d)

𝑓(𝑥 + 𝑏) 𝑓(𝑥) 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝑏⟩ 𝑓(𝜃𝑥) 𝑓(𝑅𝑥)

(𝑏 ∈ ℝ𝑑 ) (𝑏 ∈ ℝ𝑑 ) (𝜃 > 0) (𝑅 ∈ SO(𝑑))

FT

󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→

̂ 𝑒𝑖⟨𝜉,𝑏⟩ 𝑓(𝜉) ̂ + 𝜉) 𝑓(𝑏 ̂ −1 𝜉) 𝜃−𝑑 𝑓(𝜃 ̂ 𝑓(𝑅𝜉)

̂ sieht man wie in Proposition 22.3.b). Für 𝜉 ∈ ℝ𝑑 Beweis. Die Stetigkeit von 𝜉 󳨃→ 𝑓(𝜉) ist 󵄨󵄨 󵄨 ̂ 󵄨󵄨 󵄨󵄨󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 = 󵄨󵄨∫ 𝑓(𝑥) 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑑𝑥󵄨󵄨󵄨 ⩽ ∫ 󵄨󵄨󵄨𝑓(𝑥) 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 󵄨󵄨󵄨 𝑑𝑥 = ∫ 󵄨󵄨󵄨󵄨𝑓(𝑥)󵄨󵄨󵄨󵄨 𝑑𝑥 = ‖𝑓‖𝐿1 . (2𝜋)𝑑 󵄨󵄨󵄨󵄨𝑓(𝜉) 󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨 Die Eigenschaften a), b) sind offensichtlich; c) folgt aus (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑓(𝜃𝑥) 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑑𝑥

𝑦=𝜃𝑥

=

𝑑𝑦=𝜃𝑑 𝑑𝑥

(2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑓(𝑦) 𝑒−𝑖⟨𝜃

−1

𝑦,𝜉⟩

̂ −1 𝜉). 𝜃−𝑑 𝑑𝑦 = 𝜃−𝑑 𝑓(𝜃

d) Für 𝑅 ∈ SO(𝑑) haben wir |det 𝑅| = 1 und 𝑅−1 = 𝑅T , d. h. (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑓(𝑅𝑥) 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑑𝑥 = (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑓(𝑦) 𝑒−𝑖⟨𝑅

−1

𝑦,𝜉⟩

= (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑓(𝑦) 𝑒−𝑖⟨𝑦,(𝑅 ̂ = 𝑓(𝑅𝜉).

𝑑𝑦

−1 T

) 𝜉⟩

𝑑𝑦

123

22 ⧫Die Fouriertransformation |

Injektivität und Umkehrformeln Die Fouriertransformation bestimmt ein endliches Maß eindeutig: 𝜇̂ = 𝜈̂ 󳨐⇒ 𝜇 = 𝜈. Das folgt aus der Tatsache, dass die Familie (𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ )𝜉∈ℝ𝑑 maßbestimmend ist (Definition 21.1, Satz 21.7). Wir verfolgen hier eine andere Beweisstrategie, die zusätzlich Umkehrformeln für die FT liefert. Dazu benötigen wir ein klassisches Lemma. 𝑇

22.5 Lemma (Integralsinus).

lim ∫

𝑇→∞

0

sin 𝜉 𝜋 𝑑𝜉 = . 𝜉 2

Beweis. Siehe Beispiel 16.5. Insbesondere ist für 𝑥, 𝑎 ∈ ℝ 𝑇

(𝑎−𝑥)𝑇

0

0

sin((𝑎 − 𝑥)𝜉) 𝑑𝜉 = lim ∫ lim ∫ 𝑇→∞ 𝑇→∞ 𝜉

𝜋 , { { {2 sin 𝜂 𝑑𝜂 = {0, { 𝜂 { 𝜋 {− 2 ,

𝑥𝑎

22.6 Satz (Lévy). Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf (ℝ, B(ℝ)). Dann gilt für alle 𝑎 < 𝑏 𝑇

1 𝑒𝑖𝑏𝜉 − 𝑒𝑖𝑎𝜉 1 ̂ 𝑑𝜉. 𝜇{𝑎} + 𝜇(𝑎, 𝑏) + 𝜇{𝑏} = lim ∫ 𝜇(𝜉) 𝑇→∞ 2 2 𝑖𝜉

(22.4)

−𝑇

Das hier auftretende Integral ist ein sog. uneigentlicher Cauchyscher Hauptwert. Mit der Verteilungsfunktion (nach unten) 𝐹(𝑡) = 𝜇(−∞, 𝑡] können wir die linke Seite von (22.4) auch in der folgenden Form schreiben: 1 1 (𝐹(𝑏) + 𝐹(𝑏−)) − (𝐹(𝑎) + 𝐹(𝑎−)). 2 2

Beweis von Satz 22.6. 1o ) Wegen Im 𝑒𝑖𝜉 = sin 𝜉 gilt für 𝑎 < 𝑏: 𝑇

∫ −𝑇

0

𝑇

𝑒𝑖(𝑏−𝑥)𝜉 − 𝑒𝑖(𝑎−𝑥)𝜉 𝑒𝑖(𝑏−𝑥)𝜉 − 𝑒𝑖(𝑎−𝑥)𝜉 𝑒𝑖(𝑏−𝑥)𝜉 − 𝑒𝑖(𝑎−𝑥)𝜉 𝑑𝜉 = ∫ 𝑑𝜉 + ∫ 𝑑𝜉 𝑖𝜉 𝑖𝜉 𝑖𝜉 0

−𝑇

𝑇

𝑇

𝑒−𝑖(𝑏−𝑥)𝜉 − 𝑒−𝑖(𝑎−𝑥)𝜉 𝑒𝑖(𝑏−𝑥)𝜉 − 𝑒𝑖(𝑎−𝑥)𝜉 = −∫ 𝑑𝜉 + ∫ 𝑑𝜉 𝑖𝜉 𝑖𝜉 0

𝑇

= 2∫ 0

0

𝑇

sin((𝑏 − 𝑥)𝜉) sin((𝑎 − 𝑥)𝜉) 𝑑𝜉 − 2 ∫ 𝑑𝜉. 𝜉 𝜉 0

Durch Zusammensetzen finden wir wegen (22.3), dass 0, wenn 𝑥 < 𝑎 oder 𝑥 > 𝑏 { { { 𝑒𝑖(𝑏−𝑥)𝜉 − 𝑒𝑖(𝑎−𝑥)𝜉 lim ∫ 𝑑𝜉 = {𝜋, wenn 𝑥 = 𝑎 oder 𝑥 = 𝑏 . { 𝑇→∞ 𝑖𝜉 { −𝑇 {2𝜋, wenn 𝑎 < 𝑥 < 𝑏 𝑇

124 | 22 ⧫Die Fouriertransformation 2o ) Wir rechnen nun formal weiter: 𝑇

𝑇

−𝑇

−𝑇

𝑒𝑖𝑏𝜉 − 𝑒𝑖𝑎𝜉 1 𝑒𝑖𝑏𝜉 − 𝑒𝑖𝑎𝜉 ̂ 𝑑𝜉 = lim ∫ 𝑒−𝑖𝑥𝜉 𝜇(𝑑𝑥) 𝑑𝜉 ∫ 𝜇(𝜉) lim ∫ 𝑇→∞ 𝑇→∞ 2𝜋 𝑖𝜉 𝑖𝜉 𝑇

(F)

= lim

𝑇→∞

1 𝑒𝑖𝑏𝜉 − 𝑒𝑖𝑎𝜉 −𝑖𝑥𝜉 ∫∫ 𝑒 𝑑𝜉 𝜇(𝑑𝑥) 2𝜋 𝑖𝜉 −𝑇 𝑇

1 𝑒𝑖(𝑏−𝑥)𝜉 − 𝑒𝑖(𝑎−𝑥)𝜉 ∫∫ = lim 𝑑𝜉 𝜇(𝑑𝑥) 𝑇→∞ 2𝜋 𝑖𝜉 −𝑇

1 1 = ∫ [ 𝟙{𝑎} + 𝟙(𝑎,𝑏) + 𝟙{𝑏} ] 𝑑𝜇 2 2

(L)

1 𝜇{𝑎} 2

=

+ 𝜇(𝑎, 𝑏) + 12 𝜇{𝑏}.

In den mit (F) und (L) gekennzeichneten Umformungen wird der Satz von Fubini (Satz 16.2) bzw. Lebesgue (Satz 11.3) angewendet; die Voraussetzungen prüfen wir in den folgenden Schritten. 3o ) Zu (F): Wegen der elementaren Ungleichung 󵄨󵄨 𝑡 󵄨󵄨 𝑡 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 𝑖𝑡 󵄨 𝑖𝑠 󵄨󵄨 𝑖𝑢 󵄨 󵄨󵄨𝑒 − 𝑒 󵄨󵄨 = 󵄨󵄨∫ 𝑖 𝑒 𝑑𝑢󵄨󵄨󵄨󵄨 ⩽ ∫ 󵄨󵄨󵄨𝑖 𝑒𝑖𝑢 󵄨󵄨󵄨 𝑑𝑢 = 𝑡 − 𝑠 󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝑠 󵄨󵄨 𝑠

∀𝑠 ⩽ 𝑡

folgt 𝑇 󵄨 𝑇 󵄨󵄨 𝑒𝑖(𝑏−𝑥)𝜉 − 𝑒𝑖(𝑎−𝑥)𝜉 󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝑑𝜉 ⩽ ∫ (𝑏 − 𝑎) 𝑑𝜉 = 2(𝑏 − 𝑎)𝑇 ∈ 𝐿1 (𝜇). ∫ 󵄨󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝑖𝜉 󵄨󵄨 󵄨󵄨 −𝑇 −𝑇

(Konstanten sind 𝜇-integrierbar). Daher ist der Satz von Fubini anwendbar. 𝑇

4o ) Zu (L): Der Integrand ist von der Form 𝑇 󳨃→ ∫0 sin𝑢 𝑢 𝑑𝑢, und wegen Lemma 22.5 ist dieser Ausdruck beschränkt. Daher ist dominierte Konvergenz anwendbar. Mit dem Satz von Fubini erhalten wir die 𝑑-dimensionale Version von Satz 22.6. Wie bisher bezeichne I 𝑜 die Menge aller offenen Rechtecke in ℝ𝑑 , 𝑑

𝐼 :=

𝑑

×

(𝑎𝑛 , 𝑏𝑛 )

und

𝑛=1

𝜕𝐼 :=

×

[𝑎𝑛 , 𝑏𝑛 ] \

𝑛=1

𝑑

×(𝑎 , 𝑏 ). 𝑛

𝑛

𝑛=1

22.7 Korollar. Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )). Für alle offenen Rechtecke 𝐼 ∈ I 𝑜 mit 𝜇(𝜕𝐼) = 0 gilt 𝑇

𝑇

𝑑

𝜇(𝐼) = lim ∫ . . . ∫ ∏ 𝑇→∞

−𝑇

−𝑇

𝑛=1

𝑒𝑖𝑏𝑛 𝜉𝑛 − 𝑒𝑖𝑎𝑛 𝜉𝑛 ̂ 𝑑𝜉1 . . . 𝑑𝜉𝑑 . 𝜇(𝜉) 𝑖𝜉𝑛

(22.5)

22 ⧫Die Fouriertransformation |

125

22.8 Korollar. a) Es seien 𝜇, 𝜈 endliche Maße. Dann gilt 𝜇̂ = 𝜈̂ 󳨐⇒ 𝜇 = 𝜈. b) Es seien 𝑓, 𝑔 ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥). Dann gilt 𝑓̂ = 𝑔̂ 󳨐⇒ 𝑓 = 𝑔 fast überall. Beweis. a) Es sei 𝐼 = (𝑎1 , 𝑏1 )×⋅ ⋅ ⋅×(𝑎𝑑 , 𝑏𝑑 ) und 𝐼𝜖 := (𝑎1 +𝜖, 𝑏1 −𝜖)×⋅ ⋅ ⋅×(𝑎𝑑 +𝜖, 𝑏𝑑 −𝜖) ⊂ 𝐼, wobei 𝜖 < 21 min1⩽𝑖⩽𝑑 (𝑏𝑖 − 𝑎𝑖 ). Da das Maß 𝜇 + 𝜈 endlich ist, können höchstens endlich viele Mengen 𝜕𝐼𝜖 Maß > 𝑛1 haben, d. h. für höchstens abzählbar viele der 𝜕𝐼𝜖 gilt 𝜇(𝜕𝐼𝜖 ) + 𝜈(𝜕𝐼𝜖 ) > 0. [] Somit existiert eine Folge und daher

𝐼𝑛 ↑ 𝐼, 𝜇(𝜕𝐼𝑛 ) + 𝜈(𝜕𝐼𝑛 ) = 0,

𝜇(𝐼𝑛 ) ↑ 𝜇(𝐼),

𝜈(𝐼𝑛 ) ↑ 𝜈(𝐼).

Mit Korollar 22.7 sehen wir, dass 𝜇(𝐼) = 𝜈(𝐼)

∀𝐼 ∈ I 𝑜 .

Da I 𝑜 ein ∩-stabiler Erzeuger von B(ℝ𝑑 ) ist, folgt die Behauptung aus Satz 4.5. a)

+ + 𝑔− = 𝑓̂ − + 𝑔+ 󳨐⇒ (𝑓+ + 𝑔− )𝜆𝑑 = (𝑓− + 𝑔+ )𝜆𝑑 . Daher gilt b) Es gilt 𝑓̂ = 𝑔̂ 󳨐⇒ 𝑓̂

∫(𝑓 − 𝑔) 𝑑𝜆𝑑 = 0

∀𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ).

𝐵

Wählen wir 𝐵 = {𝑓 > 𝑔}, dann sehen wir 𝜆𝑑 {𝑓 > 𝑔} = 0. Analog ist 𝜆𝑑 {𝑓 < 𝑔} = 0 und somit 𝑓 = 𝑔 f. ü. Für Funktionen ergibt sich aus Satz 22.6 bzw. Korollar 22.7 eine Umkehrformel für die Fouriertransformation. 22.9 Korollar. Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) und 𝜇̂ ∈ 𝐿1 (𝑑𝜉). Dann ist 𝜇(𝑑𝑥) = 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥 mit ̂ 𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑑𝜉. 𝑢(𝑥) = ∫ 𝜇(𝜉)

(22.6)

Wenn 𝑢 ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥) und 𝑢̂ ∈ 𝐿1 (𝑑𝜉), dann ist 𝑢(𝑥) = ∫ 𝑢̂(𝜉) 𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑑𝜉. 1 ̂ Beweis. Es sei 𝐼 = X𝑑𝑛=1 (𝑎𝑛 , 𝑏𝑛 ) ∈ I 𝑜 mit 𝜇(𝜕𝐼) = 0. Da 𝜇(𝜉)𝟙 𝐼 (𝑥) ∈ 𝐿 (𝑑𝑥, 𝑑𝜉), können wir den Satz von Fubini anwenden. Mit Korollar 22.7 sehen wir

̂ 𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑑𝜉 𝑑𝑥 ∫ 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥 = ∫ ∫ 𝜇(𝜉) 𝐼

𝐼

̂ ∫ 𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑑𝑥 𝑑𝜉 = ∫ 𝜇(𝜉) 𝐼 𝑑

= lim

𝑇→∞

̂ ∏ ∫ 𝜇(𝜉) [−𝑇,𝑇]𝑑

𝑛=1

𝑒𝑖𝑏𝑛 𝜉𝑛 − 𝑒𝑖𝑎𝑛 𝜉𝑛 𝑑𝜉 = 𝜇(𝐼). 𝑖𝜉𝑛

Wie in Korollar 22.8 folgt, dass 𝜇(𝑑𝑥) = 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥, wobei 𝑢 ⩾ 0, da 𝐵 󳨃→ ∫𝐵 𝑢(𝑥) 𝑑𝑥 ein (positives) Maß definiert. Die Aussage für 𝑢 ∈ 𝐿1 folgt analog, indem wir 𝑢 in (Re 𝑢)± und (Im 𝑢)± zerlegen.

126 | 22 ⧫Die Fouriertransformation 22.10 Definition. Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) und 𝑢 ∈ 𝐿1 (𝑑𝜉). Dann heißt 𝜇q(𝑥) = F−1 𝜇(𝑥) = ∫ 𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝜇(𝑑𝜉) (22.7) ℝ𝑑

inverse Fouriertransformation des Maßes 𝜇 und q(𝑥) = F−1 𝑢(𝑥) = ∫ 𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑢(𝜉) 𝑑𝜉 𝑢

(22.8)

ℝ𝑑

inverse Fouriertransformation der Funktion 𝑢. Vergleichen wir die Definitionen der Fourier- und der inversen Fouriertransformation, dann sehen wir sehr leicht [] folgende Zusammenhänge: ̂ 𝜇q(𝑥) = (2𝜋)𝑑 𝜇(−𝑥),

q ̂ 𝜇(𝑥) = (2𝜋)−𝑑 𝜇q(𝑥) und 𝑢̂(𝑥) = (2𝜋)−𝑑 𝑢(𝑥).

Der Faltungssatz Eine wichtige Eigenschaft der (inversen) Fouriertransformation ist, dass sie das Faltungsprodukt trivialisiert. Für zwei (endliche) Maße 𝜇, 𝜈 hatten wir (Definition 18.5) die Faltung definiert als 𝜇 ∗ 𝜈(𝐵) = ∬ 𝟙𝐵 (𝑥 + 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥)𝜈(𝑑𝑦)

∀𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ).

Offensichtlich ist 𝜇 ∗ 𝜈 wiederum ein endliches Maß. 22.11 Satz (Faltungssatz). Es seien 𝜇, 𝜈 endliche Maße auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )). Dann gilt ̂ 𝜈(𝜉) 𝜇̂ ∗ 𝜈(𝜉) = (2𝜋)𝑑 𝜇(𝜉)̂

und

𝜇~ ∗ 𝜈(𝜉) = 𝜇q(𝜉)𝜈q(𝜉).

(22.9)

Beweis. Nach Definition der Faltung ist ∫ 𝟙𝐵 (𝑧) 𝜇 ∗ 𝜈(𝑑𝑧) = ∬ 𝟙𝐵 (𝑥 + 𝑦) 𝜇(𝑑𝑥)𝜈(𝑑𝑦). Diese Gleichheit überträgt sich durch Linearität auf (positive) einfache Funktionen E+ , mit Hilfe des Sombrero-Lemmas und BL auf M+ und wieder durch Linearität auf 𝐿1 und 𝐿1ℂ (vgl. Abbildung 9.1 auf Seite 47). Somit ist ∫ 𝑒−𝑖⟨𝑧,𝜉⟩ 𝜇 ∗ 𝜈(𝑑𝑧) = ∬ 𝑒−𝑖⟨𝑥+𝑦,𝜉⟩ 𝜇(𝑑𝑥)𝜈(𝑑𝑦) = ∫ 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝜇(𝑑𝑥) ∫ 𝑒−𝑖⟨𝑦,𝜉⟩ 𝜈(𝑑𝑦), woraus beide Formeln in (22.9) folgen. 22.12 Satz. Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) und 𝑢 ∈ 𝐿1 (ℝ𝑑 , 𝑑𝜉). Dann gilt ̂ 𝑑𝜉. ∫ 𝑢̂(𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) = ∫ 𝑢(𝜉)𝜇(𝜉) Beweis. Nach Voraussetzung gilt 𝑢 ∈ 𝐿1 (ℝ𝑑 , 𝑑𝜉),

𝜇̂ ∈ 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 )

und

𝑢 ∈ 𝐿1 (ℝ𝑑 , 𝑑𝜉) 󳨐⇒ 𝑢̂ ∈ 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 ),

22 ⧫Die Fouriertransformation |

127

d. h. beide Seiten der Identität aus dem Lemma sind wohldefiniert. Daher können wir auch den Satz von Fubini anwenden: ∫ 𝑢̂(𝑥) 𝜇(𝑑𝑥) = (2𝜋)−𝑑 ∬ 𝑢(𝜉)𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑑𝜉 𝜇(𝑑𝑥) = (2𝜋)−𝑑 ∬ 𝑒−𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝜇(𝑑𝑥)𝑢(𝜉) 𝑑𝜉 ̂ 𝑑𝜉. = ∫ 𝑢(𝜉)𝜇(𝜉)

Das Riemann–Lebesgue Lemma Wir wollen nun den Wertebereich der FT auf 𝐿1 (𝑑𝑥) bestimmen. Wir wissen bereits aus Korollar 22.4, dass F(𝐿1 (𝑑𝑥)) ⊂ 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 ). Für 𝑓(𝑥) = 𝟙[𝑎1 ,𝑏1 )×⋅⋅⋅×[𝑎𝑑 ,𝑏𝑑 ) (𝑥) gilt nach Beispiel 22.2.a) 𝑑 −𝑖𝜉𝑛 𝑎𝑛 − 𝑒−𝑖𝜉𝑛 𝑏𝑛 ̂ [𝑎 ,𝑏 )×⋅⋅⋅×[𝑎 ,𝑏 ) (𝜉) = ∏ 𝑒 𝟙 . (22.10) 1 1 𝑑 𝑑 2𝜋𝑖 𝜉𝑛 𝑛=1 Diese Funktion konvergiert für |𝜉| → ∞ gegen 0, ist also eine stetige, im Unendlichen verschwindende Funktion: 𝐶∞ (ℝ𝑑 ) := {𝑢 ∈ 𝐶(ℝ𝑑 ) : lim |𝑢(𝑥)| = 0} . |𝑥|→∞

22.13 Satz (Riemann–Lebesgue). Es sei 𝑢 ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥). Dann gilt 𝑢̂ ∈ 𝐶∞ (ℝ𝑑 ). Beweis. Nach unseren Vorüberlegungen reicht es, lim|𝜉|→∞ 𝑢̂(𝜉) = 0 zu zeigen. Setze 𝐼𝑅 := [−𝑅, 𝑅)𝑑 und wähle 𝑢 ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥). ̂ 𝐵 ∈ 𝐶∞ (ℝ𝑑 )} = B(𝐼𝑅 ), 𝑅 > 0. Wir zeigen, dass D ein Dynkin1o ) D := {𝐵 ∈ B(𝐼𝑅 ) : 𝟙 System ist. (𝐷1 ) 𝐼𝑅 ∈ D folgt aus (22.10). ̂ 𝐷𝑐 = 𝟙 ̂𝐼 − 𝟙 ̂ 𝐷 ∈ 𝐶∞ (ℝ𝑑 ). Es folgt 𝐷𝑐 ∈ D. (𝐷2 ) Sei 𝐷 ∈ D. Wegen (𝐷1 ) ist 𝟙 𝑅 (𝐷3 ) Sei (𝐷𝑛 )𝑛 ⊂ D eine disjunkte Folge und 𝐷 = ⋃𝑛 𝐷𝑛 . Da ∑∞ 𝑛=1 𝟙𝐷𝑛 ⩽ 𝟙𝐼𝑅 , folgt aus 1 dem Satz von der dominierten Konvergenz, dass lim𝑁→∞ ∑𝑁 𝑛=1 𝟙𝐷𝑛 = 𝟙𝐷 in 𝐿 (𝑑𝑥). Mithin 𝑁 𝑁 󵄩󵄩󵄩 󵄩󵄩󵄩 Kor. 22.4 󵄩󵄩 󵄩󵄩󵄩 −𝑑 󵄩 󵄩󵄩󵄩𝟙 󵄩󵄩󵄩𝟙𝐷 − ∑ 𝟙𝐷 󵄩󵄩󵄩 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ 0 ̂𝐷 − ∑ 𝟙 ̂ 𝐷 󵄩󵄩󵄩 ⩽ (2𝜋) 󵄩󵄩 󵄩󵄩 𝑛󵄩 𝑛󵄩 󵄩󵄩 󵄩󵄩 1 𝑁→∞ 󵄩󵄩 󵄩󵄩 𝑛=1 𝑛=1 󵄩∞ 󵄩𝐿



𝑑 𝑑 ̂ ̂ und ∑𝑁 𝑛=1 𝟙𝐷𝑛 ∈ 𝐶∞ (ℝ ) 󳨐⇒ 𝟙𝐷 ∈ 𝐶∞ (ℝ ) 󳨐⇒ 𝐷 ∈ D.

Mit (22.10) sehen wir, dass I ∩ 𝐼𝑅 ⊂ D. Da I ∩ 𝐼𝑅 ein ∩-stabiler Erzeuger der Borelmengen B(𝐼𝑅 ) = 𝐼𝑅 ∩ B(ℝ𝑑 ) ist, folgt die Behauptung aus Satz 4.4. 2o ) Schritt 1o zeigt, dass F(𝑓𝟙𝐼𝑅 ) ⊂ 𝐶∞ (ℝ𝑑 ) für alle 𝑓 ∈ E(B(ℝ𝑑 )) und 𝑅 > 0. Sei 𝑢 ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥). Nach Konstruktion des Integrals gibt es eine Folge (𝑓𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ E(B(ℝ𝑑 )) mit

128 | 22 ⧫Die Fouriertransformation 𝑓𝑛 → 𝑢 und |𝑓𝑛 | ⩽ |𝑢| (Korollar 7.12). Mit dem Satz von der dominierten Konvergenz folgt daher 󵄩 󵄩 lim 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑓𝑛 𝟙𝐼𝑛 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿1 = 0. 𝑛→∞

3o ) Für festes 𝜖 > 0 finden wir ein 𝑁𝜖 , so dass für alle 𝑛 ⩾ 𝑁𝜖 und 𝜉 ∈ ℝ𝑑 󵄨󵄨 ̂ 󵄨󵄨 󵄨󵄨𝑢(𝜉)󵄨󵄨

󵄨󵄨 󵄨󵄨 ̂ 󵄨󵄨 󵄨󵄨 ̂ 󵄨󵄨𝑢̂(𝜉) − 𝑓 𝑛 𝟙𝐼𝑛 (𝜉)󵄨󵄨󵄨 + 󵄨󵄨󵄨𝑓𝑛 𝟙𝐼𝑛 (𝜉)󵄨󵄨󵄨 󵄨 Kor. 22.4 󵄨 ̂ 󵄨󵄨 󵄩 󵄩 ⩽ (2𝜋)−𝑑 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑓𝑛 𝟙𝐼𝑛 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿1 + 󵄨󵄨󵄨󵄨𝑓 𝑛 𝟙𝐼𝑛 (𝜉)󵄨󵄨󵄨 󵄨 ̂ 󵄨󵄨 ⩽ 𝜖 + 󵄨󵄨󵄨󵄨𝑓 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝜖 󳨀󳨀󳨀→ 0. 𝑛 𝟙𝐼𝑛 (𝜉)󵄨󵄨󵄨 󳨀 𝜖→0 |𝜉|→∞ ⩽

Die Wiener-Algebra. Konvergenz von Maßen. Satz von Plancherel. 22.14 Definition. Die Familie komplexwertiger Funktionen A(ℝ𝑑 ) = {𝑢 ∈ 𝐿1 (ℝ𝑑 , 𝑑𝑥) : 𝑢̂ ∈ 𝐿1 (ℝ𝑑 , 𝑑𝜉)} heißt Wiener-Algebra. Das folgende Lemma zeigt, dass A(ℝ𝑑 ) tatsächlich eine Algebra ist. 22.15 Lemma (Eigenschaften der Wiener-Algebra). a) 𝑢 ∈ A(ℝ𝑑 ) ⇐⇒ 𝑢̂ ∈ A(ℝ𝑑 ). b) 𝑢 ∈ A(ℝ𝑑 ) 󳨐⇒ 𝑢 ∈ 𝐶∞ (ℝ𝑑 ). c) 𝑢 ∈ A(ℝ𝑑 ) 󳨐⇒ 𝑢 ∈ 𝐿𝑝 (ℝ𝑑 ), 1 ⩽ 𝑝 < ∞. d) 𝑢, 𝑤 ∈ A(ℝ𝑑 ) 󳨐⇒ 𝑢 ∗ 𝑤 ∈ A(ℝ𝑑 ). e) 𝑢, 𝑤 ∈ A(ℝ𝑑 ) 󳨐⇒ 𝑢𝑤 ∈ A(ℝ𝑑 ). Beweis. a) Das folgt aus dem Zusatz zu Korollar 22.9. b) Folgt wegen A(ℝ𝑑 ) ⊂ 𝐿1 (ℝ𝑑 ) und a) aus Satz 22.13. 𝑝−1

c) Wegen Teil b) gilt ∫ |𝑢(𝑥)|𝑝 𝑑𝑥 ⩽ ‖𝑢‖𝐿∞ ∫ |𝑢(𝑥)| 𝑑𝑥 < ∞. d) Die Youngsche Ungleichung (Satz 18.7) und Teil c) zeigen, dass 𝑢 ∗ 𝑤 ∈ 𝐿1 (ℝ𝑑 ). Mit dem Faltungssatz (Satz 22.11) und Teil b) sehen wir 󵄩󵄩 ̂ 󵄩󵄩 𝑑 ̂‖𝐿1 ⩽ (2𝜋)𝑑 ‖̂ 𝑢𝑤 𝑢‖𝐿∞ ‖̂ 𝑤‖𝐿1 < ∞. 󵄩󵄩𝑢 ∗ 𝑤󵄩󵄩𝐿1 = (2𝜋) ‖̂ ̂ ∈ A(ℝ𝑑 ). Der Faltungssatz (Satz 22.11) zeigt daher e) Nach a), d) gilt 𝑢̂ ∗ 𝑤 22.9

q q = 𝑢𝑤 󳨐⇒ 𝑢 ̂­ ̂= 𝑢 ̂⋅𝑤 ̂ ̂∗𝑤 ̂=𝑢 ̂ 𝑢 ∗𝑤 𝑤. 22.9

̂ ∈ A(ℝ𝑑 ), folgt die Behauptung aus Teil a). Da 𝑢̂ ∗ 𝑤 2

Zur Erinnerung: 𝑔𝑡 (𝑥) = (2𝜋𝑡)−𝑑/2 𝑒−|𝑥|

/2𝑡

hat die FT 𝑔̂𝑡 (𝜉) = (2𝜋)−𝑑 𝑒−𝑡|𝜉|

2

/2

(Bsp. 22.2.c).

22 ⧫Die Fouriertransformation |

129

22.16 Lemma. Für 𝑢 ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥) ist 𝑢 ∗ 𝑔𝑡 ∈ A(ℝ𝑑 ). Beweis. Da 𝑢 ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥) und 𝑔𝑡 ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥), folgt mit Hilfe der Youngschen Ungleichung (Satz 18.7) auch 𝑢 ∗ 𝑔𝑡 ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥). Wegen 𝑔̂𝑡 ∈ 𝐿1 (𝑑𝜉) gilt Kor. 22.4

(22.9)

𝑢| ⋅ |𝑔̂𝑡 | |̂ 𝑢 ∗ 𝑔𝑡 | = (2𝜋)𝑑 |̂



2

(2𝜋)−𝑑 ‖𝑢‖𝐿1 𝑒−𝑡|⋅|

/2

∈ 𝐿1 (𝑑𝜉),

und die Behauptung folgt. 22.17 Lemma (Approximation der Identität). Es sei 𝑢 ∈ 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 ) gleichmäßig stetig. Dann gilt lim𝑡→0 ‖𝑢 − 𝑢 ∗ 𝑔𝑡 ‖∞ = 0. Beweis. Sei 𝑢 ∈ 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 ) gleichmäßig stetig, d. h. ∀𝜖 > 0

∃𝛿 > 0

∀|𝑥 − 𝑦| < 𝛿 : |𝑢(𝑥) − 𝑢(𝑦)| < 𝜖.

Wegen ∫ 𝑔𝑡 (𝑦) 𝑑𝑦 = ∫ 𝑔𝑡 (𝑥 − 𝑦) 𝑑𝑦 = 1 sehen wir 󵄨󵄨 󵄨󵄨 |𝑢(𝑥) − 𝑢 ∗ 𝑔𝑡 (𝑥)| = 󵄨󵄨󵄨󵄨∫(𝑢(𝑥) − 𝑢(𝑦))𝑔𝑡 (𝑥 − 𝑦) 𝑑𝑦󵄨󵄨󵄨󵄨 󵄨 󵄨 ⩽



|𝑢(𝑥) − 𝑢(𝑦)| 𝑔𝑡 (𝑥 − 𝑦) 𝑑𝑦 + 2‖𝑢‖𝐿∞ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ⩽𝜖

|𝑥−𝑦| 0 existiert ein 𝑢𝜖 ∈ A(ℝ𝑑 ) mit ‖𝑢 − 𝑢𝜖 ‖∞ ⩽ 𝜖 (Lemma 22.17). Somit 󵄨󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 ⩽ ∫ |𝑢 − 𝑢 | 𝑑𝜇 + ∫ |𝑢 − 𝑢 | 𝑑𝜇 + 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝜖 𝑛 󵄨󵄨 𝑛 𝜖 𝑛 𝜖 𝜖 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝑑 𝑑 ⩽ [𝜇𝑛 (ℝ ) + 𝜇(ℝ )] 𝜖 + 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢𝜖 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢𝜖 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 󵄨 󵄨 1o , 2o

󳨀󳨀󳨀󳨀→ 2𝜇(ℝ𝑑 )𝜖 󳨀󳨀󳨀→ 0. 𝑛→∞

𝜖→0

4o ) Schließlich sei 𝑢 ∈ 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 ). Für 𝑅 > 0 wähle 𝜒𝑅 ∈ 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) mit 𝜒𝑅 |[−𝑅,𝑅]𝑑 ≡ 1 und 0 ⩽ 𝜒𝑅 ⩽ 1. Setze 𝑢𝑅 := 𝑢𝜒𝑅 . Dann 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 ⩽ ∫ |𝑢 − 𝑢 | 𝑑𝜇 + ∫ |𝑢 − 𝑢 | 𝑑𝜇 + 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝑅 𝑛 󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝑛 𝑅 𝑛 𝑅 𝑅 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 ⩽ ‖𝑢‖∞ ∫(1 − 𝜒𝑅 ) 𝑑𝜇𝑛 + ‖𝑢‖∞ ∫(1 − 𝜒𝑅 ) 𝑑𝜇 + 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢𝑅 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢𝑅 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨󵄨 󵄨 󵄨 1o , 3o

dom. Konv.

𝑛→∞

𝑅→∞

󳨀󳨀󳨀󳨀→ 2‖𝑢‖∞ ∫(1 − 𝜒𝑅 ) 𝑑𝜇 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ 0. Wir zeigen noch zwei wichtige Dichtheitsaussagen für die Wiener-Algebra. 22.19 Lemma. Die Wiener-Algebra A(ℝ𝑑 ) ist dicht in 𝐶∞ (ℝ𝑑 ). Beweis. 1o ) Wir zeigen zunächst: 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) ist dicht in 𝐶∞ (ℝ𝑑 ). Sei 𝜖 > 0 und 𝑢 ∈ 𝐶∞ (ℝ𝑑 ). Nach Definition von 𝐶∞ (ℝ𝑑 ) gibt es ein 𝑅 = 𝑅𝜖 > 0, so dass |𝑢(𝑥)| < 𝜖 für alle |𝑥| ⩾ 𝑅. Es sei 𝜒 = 𝜒𝑅 eine stetige Funktion mit 𝟙𝐵𝑅 (0) ⩽ 𝜒𝑅 ⩽ 𝟙𝐵2𝑅 (0) . Dann ist 𝑢𝑅 := 𝑢𝜒𝑅 ∈ 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 )

und

‖𝑢 − 𝑢𝑅 ‖∞ = sup (|𝑢(𝑥)|(1 − 𝜒𝑅 (𝑥))) ⩽ 𝜖. |𝑥|⩾𝑅

2o ) Es seien 𝑢, 𝑢𝑅 wie in 1o . Nach Lemma 22.17 gilt für alle 𝑡 ⩽ ℎ(𝑅, 𝜖) 1o

22.17

‖𝑢 − 𝑢𝑅 ∗ 𝑔𝑡 ‖∞ ⩽ ‖𝑢 − 𝑢𝑅 ‖∞ + ‖𝑢𝑅 − 𝑢𝑅 ∗ 𝑔𝑡 ‖∞ ⩽ 𝜖 + ‖𝑢𝑅 − 𝑢𝑅 ∗ 𝑔𝑡 ‖∞ ⩽ 2𝜖. Da 𝑢𝑅 ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥), ist 𝑢𝑅 ∗ 𝑔𝑡 ∈ A(ℝ𝑑 ) (vgl. Lemma 22.16), und die Behauptung folgt. 22.20 Lemma. Die Wiener-Algebra A(ℝ𝑑 ) ist dicht in 𝐿𝑝 (𝑑𝑥), 𝑝 ∈ [1, ∞). Beweis. Ohne Beschränkung betrachten wir nur reellwertige Funktionen, da wir uns stets auf den Real- und Imaginärteil zurückziehen können. Wir wählen 𝑢 ∈ 𝐿𝑝 (𝑑𝑥) und 𝜖 > 0 fest. Da die stetigen Funktionen mit kompaktem Träger dicht in 𝐿𝑝 (𝑑𝑥) sind, vgl. Satz 23.7, gilt ∀𝜖 > 0 ∃𝜙𝜖 ∈ 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) : ‖𝑢 − 𝜙𝜖 ‖𝐿𝑝 < 𝜖.

22 ⧫Die Fouriertransformation |

131

Gemäß Lemma 22.16 ist 𝜙𝜖 ∗ 𝑔𝑡 ∈ A(ℝ𝑑 ). Weiterhin gilt wegen ∫ 𝑔𝑡 (𝑥) 𝑑𝑥 = 1 und der Jensen-Ungleichung 𝑝

‖𝜙𝜖 − 𝜙𝜖 ∗ 𝑔𝑡 ‖𝐿𝑝

󵄨󵄨 󵄨󵄨𝑝 ∫ 󵄨󵄨󵄨󵄨𝜙𝜖 (𝑦) − ∫ 𝜙𝜖 (𝑦 − 𝑥)𝑔𝑡 (𝑥) 𝑑𝑥󵄨󵄨󵄨󵄨 𝑑𝑦 󵄨 󵄨 󵄨󵄨𝑝 󵄨󵄨 󵄨 = ∫ 󵄨󵄨󵄨∫ (𝜙𝜖 (𝑦) − 𝜙𝜖 (𝑦 − 𝑥)) 𝑔𝑡 (𝑥) 𝑑𝑥󵄨󵄨󵄨󵄨 𝑑𝑦 󵄨 󵄨 Jensen 󵄨󵄨 󵄨󵄨𝑝 ⩽ ∬ 󵄨󵄨𝜙𝜖 (𝑦) − 𝜙𝜖 (𝑦 − 𝑥)󵄨󵄨 𝑔𝑡 (𝑥) 𝑑𝑥 𝑑𝑦 =

󵄨 󵄨𝑝 = ∫ {∫ 󵄨󵄨󵄨󵄨𝜙𝜖 (𝑦) − 𝜙𝜖 (𝑦 − √𝑡𝑧)󵄨󵄨󵄨󵄨 𝑑𝑦} 𝑔1 (𝑧) 𝑑𝑧.

√𝑡𝑧=𝑥 Fubini

Mit Satz 18.9.a) sehen wir daher, dass das innere Integral eine stetige und beschränkte Funktion (bezüglich der Variablen √𝑡𝑧) ist. Daher können wir den Satz von der dominierten Konvergenz anwenden und finden lim ‖𝜙𝜖 − 𝜙𝜖 ∗ 𝑔𝑡 ‖𝐿𝑝 = 0. 𝑡→0

Für hinreichend kleine 𝑡 ⩽ 𝑡(𝜖) ist somit ‖𝑢 − 𝜙𝜖 ∗ 𝑔𝑡 ‖𝐿𝑝 ⩽ ‖𝑢 − 𝜙𝜖 ‖𝐿𝑝 + ‖𝜙𝜖 − 𝜙𝜖 ∗ 𝑔𝑡 ‖𝐿𝑝 ⩽ 2𝜖. 22.21 Satz (Plancherel). Es sei 𝑢 ∈ 𝐿2ℂ (𝑑𝑥) ∩ 𝐿1ℂ (𝑑𝑥). Dann gilt 𝑢‖𝐿2 = (2𝜋)−𝑑/2 ‖𝑢‖𝐿2 . ‖̂

(22.12)

Insbesondere kann die FT zu einer stetigen Abbildung F : 𝐿2ℂ (𝑑𝑥) → 𝐿2ℂ (𝑑𝑥) erweitert werden. Beweis. Es sei 𝑢 ∈ A(ℝ𝑑 ). Dann ist 𝑢 ∈ 𝐿2 (𝑑𝑥) ∩ 𝐿1 (𝑑𝑥) und 𝑢̂ ∈ 𝐿1 (𝑑𝜉). Daher sehen wir mit Satz 22.12 󵄨 󵄨2 q 𝑑𝜉 ∫ 󵄨󵄨󵄨𝑢̂(𝜉)󵄨󵄨󵄨 𝑑𝜉 = ∫ 𝑢̂(𝜉)̂ 𝑢(𝜉) 𝑑𝜉 = (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑢̂(𝜉)𝑢(𝜉) q (𝑥) 𝑑𝑥 = (2𝜋)−𝑑 ∫ 𝑢(𝑥)F [𝑢]

22.12

22.9

= (2𝜋)−𝑑 ∫ |𝑢(𝑥)|2 𝑑𝑥.

Gemäß Lemma 22.20 ist die Wiener-Algebra A(ℝ𝑑 ) eine dichte Teilmenge von 𝐿2 (𝑑𝑥), d. h. wir finden zu 𝑢 ∈ 𝐿2 (𝑑𝑥) eine Folge (𝑢𝑛 )𝑛 ⊂ A(ℝ𝑑 ) mit lim𝑛→∞ ‖𝑢 − 𝑢𝑛 ‖𝐿2 = 0. Mit der gerade bewiesenen Identität folgt 󵄩󵄩 󵄩 −𝑑/2 󵄩 󵄩󵄩𝑢𝑛 − 𝑢𝑚 󵄩󵄩󵄩 2 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ 0. 󵄩󵄩F𝑢𝑛 − F𝑢𝑚 󵄩󵄩󵄩𝐿2 = (2𝜋) 󵄩 󵄩𝐿 𝑛,𝑚→∞ Das zeigt, dass (F𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ eine 𝐿2 -Cauchy-Folge ist. Wegen der Vollständigkeit existiert daher der Grenzwert 𝐿2 -lim𝑛→∞ F𝑢𝑛 . Wie man leicht sieht, [] hängt dieser Limes nicht von der approximierenden Folge ab und definiert F𝑢 ∈ 𝐿2ℂ (𝑑𝑥); aufgrund der Stetigkeit der 𝐿2 -Norm bleibt die Gleichheit (22.12) erhalten.

132 | 22 ⧫Die Fouriertransformation

Die Fouriertransformation im Raum S(ℝ𝑑 ) Wir schreiben 𝜕𝑛 für die partielle Ableitung 𝜕𝑥𝜕 , 𝑛 = 1, . . . , 𝑑. Das folgende Lemma 𝑛 ist eine einfache Konsequenz aus dem Stetigkeits- und Differenzierbarkeitslemma für Parameter-Integrale, vgl. Satz 12.1 und 12.2. [] 22.22 Lemma. Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) und 1 ⩽ 𝑛 ⩽ 𝑑. ̂𝜇(𝜉). ̂ = (−𝑖)𝑥 a) ∫ |𝑥 | 𝜇(𝑑𝑥) < ∞ 󳨐⇒ 𝜕 𝜇̂ ∈ 𝐶 (ℝ𝑑 ) und 𝜕 𝜇(𝜉) 𝑛

𝑛

𝑏

𝑛

𝑛

̂𝑢(𝜉). b) 𝑢, 𝑥𝑛 𝑢 ∈ 𝐿 (𝑑𝑥) 󳨐⇒ 𝜕𝑛 𝑢̂ ∈ 𝐶𝑏 (ℝ ) und 𝜕𝑛 𝑢̂(𝜉) = (−𝑖)𝑥 𝑛 1 𝑑 1 ̂ c) 𝜕𝑛 𝑢 ∈ 𝐿 (𝑑𝑥), 𝑢 ∈ 𝐶∞ (ℝ ) ∩ 𝐿 (𝑑𝑥) 󳨐⇒ 𝜕𝑛 𝑢(𝜉) = 𝑖𝜉𝑛 𝑢̂(𝜉). 1

𝑑

Wenn 𝑢 hinreichend glatt ist, können wir Lemma 22.22 iterieren. Dazu ist folgende Multiindex-Schreibweise hilfreich: 𝑑

𝑥𝛼 := ∏ 𝑥𝑛𝛼𝑛

und

𝜕𝛽 :=

𝑛=1

𝜕𝛽1 +⋅⋅⋅+𝛽𝑑 𝛽

(𝑥 ∈ ℝ𝑑 , 𝛼, 𝛽 ∈ ℕ𝑑0 ) .

𝛽

𝜕𝑥1 1 . . . 𝜕𝑥𝑑𝑑

22.23 Definition. Der Schwartz-Raum S(ℝ𝑑 ) besteht aus Funktionen 𝑢 ∈ 𝐶∞ (ℝ𝑑 ) mit Werten in ℂ, die zusammen mit allen Ableitungen schneller als jedes Polynom fallen: 󵄨 󵄨 sup 󵄨󵄨󵄨󵄨𝑥𝛼 𝜕𝛽 𝑢(𝑥)󵄨󵄨󵄨󵄨 < ∞ ∀𝛼, 𝛽 ∈ ℕ𝑑0 . 𝑑 𝑥∈ℝ

Für 𝑢 ∈ S(ℝ ) ist also insbesondere (𝑑 + 𝑥12𝑑 + ⋅ ⋅ ⋅ + 𝑥𝑑2𝑑 )|𝑢(𝑥)| ⩽ 𝑐. Mit Hilfe der elementaren Ungleichung 𝑑

𝑑

𝑑

𝑑

∏(1 + 𝑥𝑛2 ) ⩽ ( max (1 + 𝑥𝑛2 )) ⩽ ∑ (1 + 𝑥𝑛2 )𝑑 𝑛=1

1⩽𝑛⩽𝑑

Hölder



𝑑

2𝑑−1 ∑ (1 + 𝑥𝑛2𝑑 )

𝑛=1

𝑛=1

und dem Satz von Tonelli sehen wir 𝑢 ∈ S(ℝ𝑑 ) 󳨐⇒ ∫ |𝑢(𝑥)| 𝑑𝑥 ⩽ 𝑐𝑑 ∫ ⋅ ⋅ ⋅ ∫

𝑑𝑥1 ⋅ ⋅ ⋅ 𝑑𝑥𝑑 ∏𝑑𝑛=1 (1

+

𝑥𝑛2 )

𝑑

= 𝑐𝑑 ∏ ∫ 𝑛=1

𝑑𝑥𝑛 < ∞. (1 + 𝑥𝑛2 )

22.24 Satz. Es gilt F : S(ℝ𝑑 ) → S(ℝ𝑑 ), d. h. für 𝑢 ∈ S(ℝ𝑑 ) ist auch 𝑢̂ ∈ S(ℝ𝑑 ). Beweis. Wegen S(ℝ𝑑 ) ⊂ 𝐿1 (𝑑𝑥) ist 𝑢̂(𝜉) ist wohldefiniert. Weiter gilt für 𝛼, 𝛽 ∈ ℕ𝑑0 𝛽1

𝛽𝑑

𝛾1 =0

𝛾𝑑 =0

𝜕𝑥𝛽 [(−𝑖𝑥)𝛼 𝑢(𝑥)] = ∑ ⋅ ⋅ ⋅ ∑ 𝑝𝛼,𝛽,𝛾 (𝑥)𝜕𝑥𝛾 𝑢(𝑥) wobei 𝑝𝛼,𝛽,𝛾 ein Polynom in 𝑥 ist (das man explizit mit Hilfe der Leibniz-Formel ausrechnen kann). Da 𝜕𝛾 𝑢 schneller als jedes Polynom fällt, gilt 𝜕𝑥𝛽 [(−𝑖𝑥)𝛼 𝑢(𝑥)] ∈ 𝐿1 (𝑑𝑥). Damit können wir aber Lemma 22.22 rekursiv anwenden und finden: (𝑖𝜉)𝛽 𝜕𝜉𝛼 𝑢̂(𝜉) = (𝑖𝜉)𝛽 F𝑥→𝜉 [(−𝑖𝑥)𝛼 𝑢(𝑥)] (𝜉) = F𝑥→𝜉 [𝜕𝑥𝛽 {(−𝑖𝑥)𝛼 𝑢(𝑥)}] (𝜉)

22 ⧫Die Fouriertransformation |

133

(F𝑥→𝜉 steht für die FT in der Variablen 𝑥). Weil 𝜕𝑥𝛽 {(−𝑖𝑥)𝛼 𝑢(𝑥)} in 𝐿1 ist, folgt 󵄨󵄨 𝛽 𝛼 󵄨 󵄨 󵄩 󵄨 22.4 󵄩 󵄨󵄨(𝑖𝜉) 𝜕𝜉 𝑢̂(𝜉)󵄨󵄨󵄨 = 󵄨󵄨󵄨F𝑥→𝜉 [𝜕𝑥𝛽 {(−𝑖𝑥)𝛼 𝑢(𝑥)}] (𝜉)󵄨󵄨󵄨 ⩽ (2𝜋)−𝑑 󵄩󵄩󵄩𝜕𝑥𝛽 {(−𝑖𝑥)𝛼 𝑢(𝑥)}󵄩󵄩󵄩 1 󵄨 󵄨 󵄨 󵄩 󵄨 󵄩𝐿 (𝑑𝑥) = 𝜅𝛼,𝛽 , wobei 𝜅𝛼,𝛽 < ∞ nicht von 𝜉 abhängt. 22.25 Korollar. Die FT ist eine Bijektion F : S(ℝ𝑑 ) → S(ℝ𝑑 ) und es gilt für 𝑢, 𝑤 ∈ S(ℝ𝑑 ) a) F−1 𝑤(𝜉) = ∫ 𝑤(𝑥)𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑑𝑥. ℝ𝑑

b) F−1 𝑤(𝜉) = (2𝜋)𝑑 F𝑤(−𝜉) und F ∘ F𝑢(𝑥) = (2𝜋)−𝑑 𝑢(−𝑥). Beweis. Teil a) folgt aus der Umkehrformel (22.6) und den Abbildungseigenschaften von F (Satz 22.24). Die Existenz der Umkehrabbildung beweist auch die Bijektivität. Teil b) zeigt man mit einer einfachen direkten Rechnung.

Aufgaben 1.

Berechnen Sie die Fouriertransformationen folgender Funktionen bzw. Maße auf ℝ: (a) 𝟙[−1,1] (𝑥) (b) 𝟙[−1,1] ∗ 𝟙[−1,1] (𝑥) (c) 𝑒−𝑥 𝟙[0,∞) (𝑥) (d) 𝑒−|𝑥| (e)

1 1+𝑥2

(f)

(1 − |𝑥|)𝟙[−1,1] (𝑥)

(g)

∑∞ 𝑘=0

𝑡𝑘 −𝑡 𝑒 𝛿𝑘 𝑘!

(h)

∑𝑛𝑘=0 (𝑛𝑘)𝑝𝑘 𝑞𝑛−𝑘 𝛿𝑘

2.

Es sei 𝐴 ∈ ℝ𝑛×𝑛 eine symmetrische, positiv definite Matrix. Berechnen Sie die FT von 𝑒−⟨𝑥,𝐴𝑥⟩ .

3.

Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )). Zeigen Sie P. Lévy’s truncation inequality: 𝑅 𝑑 𝜇 (ℝ𝑑 \ [−2𝑅, 2𝑅]𝑑 ) ⩽ 2 ( ) ∫ (𝜇(ℝ𝑑 ) − Re 𝜇q(𝜉)) 𝑑𝜉. 2 [−1/𝑅,1/𝑅]𝑑 Hinweis: Beginnen Sie mit dem Ausdruck auf der rechten Seite und zeigen Sie, dass der gerade sin(𝑥𝑛 /𝑅) 2 ∫ (1 − ∏𝑑1 𝑥 /𝑅 ) 𝜇(𝑑𝑥) ist. Verkleinern Sie nun den Integrationsbereich auf ℝ𝑑 \ [−2𝑅, 2𝑅]𝑑 𝑛 und beachten Sie, dass 0 ⩽ sin 2/2 ⩽ 1/2 und sin 𝑥/𝑥 < 1, 𝑥 ≠ 0, gilt.

4.

Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) und 𝜙(𝜉) := 𝜇̂(𝜉) seine Fouriertransformation. (a) 𝜙 ist positiv semidefinit: 𝜙(𝜉) = 𝜙(−𝜉) und für alle 𝑛 ∈ ℕ, 𝜉1 , . . . , 𝜉𝑛 ∈ ℝ𝑑 , 𝜆 1 , . . . , 𝜆 𝑛 ∈ ℂ gilt ∑𝑛𝑖,𝑘=1 𝜙(𝜉𝑖 − 𝜉𝑘 )𝜆 𝑖 𝜆̄ 𝑘 ⩾ 0 (⇔ (𝜙(𝜉𝑖 − 𝜉𝑘 ))𝑖𝑘 ) ist positiv hermitesch). Bemerkung: Tatsächlich gilt auch die Umkehrung, vgl. Aufgabe 24.4. (b) Es sei 𝑚 ∈ ℕ. Zeigen Sie: ∫ |𝑥|𝑚 𝜇(𝑑𝑥) < ∞ 󳨐⇒ 𝜙 ∈ 𝐶𝑚 (ℝ𝑑 ). (c)

Es sei 𝑛 ∈ ℕ. Zeigen Sie: 𝜙 ∈ 𝐶2𝑛 (ℝ𝑑 ) 󳨐⇒ ∫ |𝑥|2𝑛 𝜇(𝑑𝑥) < ∞. Hinweis: Es genügt den Fall 𝑑 = 1 und 𝑛 = 1 zu betrachten. Beachte 𝜙󸀠󸀠 (0) = limℎ→0 (𝜙(2ℎ) − 2𝜙(0)+𝜙(−2ℎ))/4ℎ2 , drücke das als Fouriertransformation aus und verwende Fatous Lemma.

(d) Der Träger von 𝜇 ist die kleinste abgeschlossene Menge 𝐾 ⊂ ℝ𝑑 mit 𝜇(𝑈) = 0 für alle offenen Mengen 𝑈 ⊂ 𝐾𝑐 . Zeigen Sie: Wenn supp 𝜇 kompakt ist, dann ist 𝑧 󳨃→ 𝜙(𝑧) auf ℂ𝑑 definiert und dort holomorph. 5.

Es sei 𝐵 ∈ B(ℝ). Zeigen Sie: ∫𝐵 𝑒𝑖𝑥/𝑛 𝑑𝑥 = 0

∀𝑛 = 1, 2, . . . 󳨐⇒ 𝜆1 (𝐵) = 0.

6.

Es sei 𝜇 ein endliches Maß auf (ℝ, B(ℝ)). Zeigen Sie ℤ) = 0 (a) ∃𝜉 ≠ 0, 𝜇̂(𝜉) = 𝜇̂(0) ⇐⇒ ∃𝜉 ≠ 0, 𝜇 (ℝ \ 2𝜋 𝜉 (b) ∃𝜉1 , 𝜉2 , 𝜉1 /𝜉2 ∉ ℚ : |̂ 𝜇(𝜉1 )| = |̂ 𝜇(𝜉2 )| = 𝜇̂(0) 󳨐⇒ |̂ 𝜇| ≡ 𝜇̂(0).

23 ⧫Dichte Teilmengen in 𝐿𝑝 (1 ⩽ 𝑝 < ∞) Es sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum, B(𝐸) die Borelmengen und 𝜇 ein Maß auf (𝐸, B(𝐸)). Wir schreiben 𝐵𝑟 (𝑥) := {𝑦 ∈ 𝐸 : 𝑑(𝑥, 𝑦) < 𝑟} für die offene Kugel mit Mittelpunkt 𝑥 und Radius 𝑟. Mit 𝐿𝑝 (𝜇) = 𝐿𝑝 (𝐸, B(𝐸), 𝜇) bezeichnen wir die Menge der (Äquivalenzklassen der) 𝑝-fach integrierbaren Funktionen, 1 ⩽ 𝑝 < ∞. Der Raum 𝐿𝑝 (𝜇) kann i. Allg. sehr groß sein und für viele Fragestellungen ist es vorteilhaft, mit guten Repräsentanten zu arbeiten. Das führt auf natürliche Weise zur Frage, welche „guten“ Funktionen dicht in 𝐿𝑝 liegen. Direkt aus der Konstruktion der Räume 𝐿𝑝 (𝜇) kommt die folgende Beobachtung. 23.1 Lemma. E(B(𝐸)) ∩ 𝐿𝑝 (𝜇) ist dicht in 𝐿𝑝 (𝜇). Beweis. Sei 𝑢 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇) positiv. Mit dem Sombrero-Lemma (Satz 7.11) finden wir eine Folge 𝑓𝑛 ↑ 𝑢, 𝑓𝑛 ∈ E(B(𝐸)). Wegen 𝑓𝑛 ⩽ 𝑢 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇) gilt nach dem Satz von der dominierten Konvergenz (Satz 11.3 bzw. 14.12), dass lim ‖𝑓𝑛 − 𝑢‖𝐿𝑝 = 0.

𝑛→∞

Beliebige 𝑢 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇) zerlegt man 𝑢 = 𝑢+ − 𝑢− und behandelt 𝑢± separat.

𝐶𝑏 (𝐸) ist dicht in 𝐿𝑝 (𝜇) Wir wenden uns jetzt stetigen Funktionen zu. Mit 𝐶𝑏 (𝐸) bezeichnen wir die Familie der stetigen und beschränkten Funktionen 𝑢 : 𝐸 → ℝ, mit 𝐶𝑏+ (𝐸) deren positive (⩾ 0) Elemente. Der Abstand von 𝑥 ∈ 𝐸 zu einer Menge 𝐴 ⊂ 𝐸 ist 𝑑(𝑥, 𝐴) := inf 𝑎∈𝐴 𝑑(𝑥, 𝑎). Wegen 𝑑(𝑥, 𝐴) = inf 𝑑(𝑥, 𝑎) ⩽ inf (𝑑(𝑥, 𝑦) + 𝑑(𝑦, 𝑎)) = 𝑑(𝑥, 𝑦) + 𝑑(𝑦, 𝐴) 𝑎∈𝐴

𝑎∈𝐴

folgt |𝑑(𝑥, 𝐴) − 𝑑(𝑦, 𝐴)| ⩽ 𝑑(𝑥, 𝑦)

∀𝑥, 𝑦 ∈ 𝐸

(23.1)

und somit ist 𝑥 󳨃→ 𝑑(𝑥, 𝐴) Lipschitz-stetig. 23.2 Lemma. Es sei 𝐵 ∈ B(𝑈) für eine offene Menge 𝑈 ⊂ 𝐸 mit 𝜇(𝑈) < ∞. Dann existiert eine Folge (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ 𝐶𝑏 (𝐸) ∩ 𝐿𝑝 (𝜇), so dass lim𝑛→∞ ‖𝟙𝐵 − 𝑢𝑛 ‖𝐿𝑝 = 0. Beweis. 1o ) Sei 𝑈 ⊂ 𝐸 offen mit 𝜇(𝑈) < ∞. Die Funktionen 𝑢𝑛 (𝑥) := min{𝑛𝑑(𝑥, 𝑈𝑐 ), 1} sind stetig und beschränkt. Offensichtlich gilt 𝑢𝑛 ↑ 𝟙𝑈 und mit dem Satz von der dominierten Konvergenz (Satz 11.3 bzw. 14.12) folgt 𝐿𝑝 -lim𝑛→∞ 𝑢𝑛 = 𝟙𝑈 . 2o ) Es sei 𝑈 ⊂ 𝐸 offen mit 𝜇(𝑈) < ∞. Setze D := {𝐷 ∈ B(𝑈) : ∃(𝑢𝑛𝐷 )𝑛∈ℕ ⊂ 𝐶𝑏 (𝐸) ∩ 𝐿𝑝 (𝜇), 𝐿𝑝 - lim 𝑢𝑛𝐷 = 𝟙𝐷 } . 𝑛→∞

23 ⧫Dichte Teilmengen in 𝐿𝑝 (1 ⩽ 𝑝 < ∞)

|

135

Wir zeigen, dass D ein Dynkin-System ist. (𝐷1 ) Wegen 1o haben wir 𝑈 ∈ D. (𝐷2 ) Sei 𝐷 ∈ D. Nach Voraussetzung und wegen 1o gibt es Folgen 𝑢𝑛𝑈 → 𝟙𝑈 und 𝑢𝑛𝐷 → 𝟙𝐷 im 𝐿𝑝 -Sinn. Mithin gilt 𝑢𝑛𝑈 − 𝑢𝑛𝐷 → 𝟙𝑈 − 𝟙𝐷 = 𝟙𝐷𝑐 in 𝐿𝑝 und es folgt 𝐷𝑐 ∈ D. (𝐷3 ) Sei (𝐷𝑘 )𝑘∈ℕ ⊂ D disjunkt und 𝐷 := ⋃𝑘 𝐷𝑘 . Es sei 𝜖 > 0 fest. Nach Voraussetzung



󵄩 󵄩 ∀𝑘 ∈ ℕ ∃𝑢𝜖𝐷𝑘 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸) ∩ 𝐿𝑝 (𝜇) : 󵄩󵄩󵄩󵄩𝟙𝐷𝑘 − 𝑢𝜖𝐷𝑘 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 ⩽ 𝜖2−𝑘 . Weil ∑𝑛𝑘=1 𝟙𝐷𝑘 ↑ 𝟙𝐷 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇), gibt es ein 𝑁(𝜖) mit 󵄩󵄩 󵄩󵄩 𝑁(𝜖) 󵄩󵄩 󵄩 󵄩󵄩𝟙𝐷 − ∑ 𝟙𝐷 󵄩󵄩󵄩 ⩽ 𝜖 󵄩󵄩 𝑘󵄩 󵄩󵄩 𝑝 󵄩󵄩 𝑘=1 󵄩𝐿 (verwende z. B. dominierte Konvergenz). Somit 󵄩󵄩 󵄩󵄩 󵄩󵄩 󵄩󵄩𝑁(𝜖) 󵄩󵄩 󵄩󵄩 𝑁(𝜖) 𝑁(𝜖) 𝑁(𝜖) 󵄩󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩󵄩𝟙𝐷 − ∑ 𝑢𝐷𝑘 󵄩󵄩󵄩 ⩽ 󵄩󵄩󵄩𝟙𝐷 − ∑ 𝟙𝐷 󵄩󵄩󵄩 + 󵄩󵄩󵄩 ∑ 𝟙𝐷 − ∑ 𝑢𝐷𝑘 󵄩󵄩󵄩 𝜖 󵄩 𝜖 󵄩󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩󵄩 𝑘 𝑘 󵄩󵄩 𝑝 󵄩󵄩 󵄩󵄩 𝑝 󵄩󵄩 𝑘=1 󵄩󵄩 󵄩󵄩𝐿𝑝 𝑘=1 𝑘=1 𝑘=1 󵄩𝐿 󵄩 󵄩𝐿 󵄩 𝑁(𝜖)

󵄩 󵄩 ⩽ 𝜖 + ∑ 󵄩󵄩󵄩󵄩𝟙𝐷𝑘 − 𝑢𝜖𝐷𝑘 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 𝑘=1 ∞

⩽𝜖+∑ 𝑘=1

𝜖 = 2𝜖. 2𝑘

𝐷𝑘 Da ∑𝑁(𝜖) 𝑘=1 𝑢𝜖 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸), folgt 𝐷 ∈ D.

3o ) Schritt 1o zeigt, dass die offenen Mengen 𝑈 ∩ O ⊂ D. Weil 𝑈 ∩ O ein ∩-stabiler Erzeuger von B(𝑈) ist, folgt mit Satz 4.4 und 2o die Behauptung. Um Lemma 23.2 anwenden zu können, müssen wir sicherstellen, dass jede Borelmenge 𝐵 mit 𝜇(𝐵) < ∞ eine offene Obermenge 𝑈 ⊃ 𝐵 mit 𝜇(𝑈) < ∞ besitzt. Dazu brauchen wir in der Regel weitere Annahmen. 23.3 Satz. Für ein endliches Maß 𝜇 ist 𝐶𝑏 (𝐸) ⊂ 𝐿𝑝 (𝜇) dicht bezüglich ‖ ⋅ ‖𝐿𝑝 . Beweis. 1o ) Für 𝑤 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸) oder 𝑤 ∈ E(B(𝐸)) sehen wir 𝑝

∫ |𝑤|𝑝 𝑑𝜇 ⩽ ‖𝑤‖𝐿∞ 𝜇(𝐸) < ∞ 󳨐⇒ 𝐶𝑏 (𝐸) ⊂ 𝐿𝑝 (𝜇) und E(B(𝐸)) ⊂ 𝐿𝑝 (𝜇). 2o ) Es sei 𝑓 ∈ E(B(𝐸)) mit der Standarddarstellung 𝑓 = ∑𝑀 𝑚=0 𝛼𝑚 𝟙𝐵𝑚 . Mit Lemma 23.2 und 𝑈 = 𝐸 sehen wir ∀0 ⩽ 𝑚 ⩽ 𝑀

𝐿𝑝

∃𝜙𝑛𝐵𝑚 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸) : 𝜙𝑛𝐵𝑚 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝟙𝐵𝑚 .

𝐵𝑚 𝑝 Es folgt, dass ∑𝑀 𝑚=0 𝛼𝑚 𝜙𝑛 → 𝑓 in 𝐿 .

𝑛→∞

136 | 23 ⧫Dichte Teilmengen in 𝐿𝑝 (1 ⩽ 𝑝 < ∞) 3o ) Es seien 𝜖 > 0 und 𝑢 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇) fest. Wegen Lemma 23.1 gilt 󵄩 󵄩 ∃𝑓𝜖 ∈ E(B(𝐸)) : 󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑓𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 < 𝜖. Schritt 2o zeigt

󵄩 󵄩 ∃𝜙𝜖 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸) ∩ 𝐿𝑝 (𝜇) : 󵄩󵄩󵄩𝑓𝜖 − 𝜙𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 < 𝜖, 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 woraus die Behauptung wegen 󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝜙𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 ⩽ 󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑓𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 + 󵄩󵄩󵄩𝑓𝜖 − 𝜙𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 ⩽ 2𝜖 folgt.

23.4 Korollar. Es sei 𝜇 ein Maß mit 𝜇(𝐵𝑅 (0)) < ∞ für alle 𝑅 > 0. Dann ist 𝐶𝑏 (𝐸) ∩ 𝐿𝑝 (𝜇) dicht in 𝐿𝑝 (𝜇) bezüglich ‖ ⋅ ‖𝐿𝑝 . Beweis. 1o ) Es seien 𝜖 > 0 und 𝑢 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇). Der Satz von der dominierten Konvergenz (Satz 11.3 bzw. 14.12) zeigt ∃𝑅(𝜖) > 0

󵄩 󵄩 ∀𝑅 ⩾ 𝑅(𝜖) : 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑢𝟙𝐵𝑅 (0) 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 < 𝜖.

2o ) Wir wenden Satz 23.3 auf 𝜇4𝑅 := 𝟙𝐵4𝑅 (0) 𝜇, 𝑢𝟙𝐵𝑅 (0) und 𝐿𝑝 (𝐸, 𝜇4𝑅 ) an (𝑅 ⩾ 𝑅(𝜖) fest): 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 ∃𝜙𝜖 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸) ∩ 𝐿𝑝 (𝐸, 𝜇4𝑅 ) : 󵄩󵄩󵄩󵄩(𝑢𝟙𝐵𝑅 (0) − 𝜙𝜖 )𝟙𝐵4𝑅 (0) 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 (𝜇) = 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢𝟙𝐵𝑅 (0) − 𝜙𝜖 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 (𝜇 ) < 𝜖. 4𝑅 Indem wir 𝜙𝜖 mit 𝜒𝑅 (𝑥) :=

𝑐 (0)) 𝑑(𝑥, 𝐵2𝑅 𝑐 (𝑑(𝑥, 𝐵2𝑅 (0)) + 𝑑(𝑥, 𝐵𝑅 (0)))

𝑐 multiplizieren (bemerke: 𝜒𝑅 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸), 𝜒𝑅 |𝐵𝑅 (0) ≡ 1 und 𝜒𝑅 |𝐵2𝑅 (0) ≡ 0), können wir

supp 𝜙𝜖 ⊂ 𝐵2𝑅 (0) annehmen. Daher ist 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩󵄩 󵄩󵄩𝑢𝟙𝐵 (0) − 𝜙𝜖 󵄩󵄩󵄩 𝑝 ⩽ 󵄩󵄩󵄩(𝑢𝟙𝐵 (0) − 𝜙𝜖 )𝟙𝐵 (0) 󵄩󵄩󵄩 𝑝 < 𝜖. 𝑅 𝑅 4𝑅 󵄩𝐿 (𝜇) 󵄩 󵄩𝐿 (𝜇) 󵄩 3o ) Es gilt 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩󵄩 󵄩󵄩𝑢 − 𝜙𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 (𝜇) ⩽ 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑢𝟙𝐵𝑅 (0) 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 (𝜇) + 󵄩󵄩󵄩󵄩𝑢𝟙𝐵𝑅 (0) − 𝜙𝜖 󵄩󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 (𝜇) < 2𝜖. Wir können 𝜇(𝐵𝑅 (0)) < ∞ durch Regularität von außen ersetzen. 23.5 Definition. Es sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum. Ein Maß 𝜇 auf (𝐸, B(𝐸)) heißt regulär von außen, wenn gilt 𝜇(𝐵) = inf {𝜇(𝑈) : 𝑈 ⊃ 𝐵, 𝑈 offen}

∀𝐵 ∈ B(𝐸).

(23.2)

23.6 Satz. Für ein von außen reguläres Maß 𝜇 ist 𝐶𝑏 (𝐸) ∩ 𝐿𝑝 (𝜇) dicht in 𝐿𝑝 (𝜇) bezüglich ‖ ⋅ ‖𝐿𝑝 . Beweis. Es seien 𝜖 > 0 und 𝑢 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇) fest. Wegen Lemma 23.1 gilt 󵄩 󵄩 ∃𝑓𝜖 ∈ E(B(𝐸)) ∩ 𝐿𝑝 (𝜇) : 󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑓𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 < 𝜖. Offensichtlich gilt ∀𝑓 ∈ E(B(𝐸)) : 𝑓 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇) ⇐⇒ 𝜇{𝑓 ≠ 0} < ∞.

23 ⧫Dichte Teilmengen in 𝐿𝑝 (1 ⩽ 𝑝 < ∞)

|

137

Die äußere Regularität garantiert, dass wir eine offene Menge 𝑈 ⊃ {𝑓 ≠ 0} mit endlichem Maß finden. Daher ergibt sich wie im Beweis von Satz 23.3 (Schritt 2o ), 󵄩 󵄩 ∃𝜙𝜖 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸) ∩ 𝐿𝑝 (𝜇) : 󵄩󵄩󵄩𝑓𝜖 − 𝜙𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 < 𝜖, 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 woraus die Behauptung wegen 󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝜙𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 ⩽ 󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑓𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 + 󵄩󵄩󵄩𝑓𝜖 − 𝜙𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 ⩽ 2𝜖 folgt.

𝐶𝑐 (𝐸) ist dicht in 𝐿𝑝 (𝜇) Wir nehmen nun an, dass (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum ist, der 𝜎-kompakt ist, d. h. es gibt eine Folge kompakter Mengen 𝐾𝑛 ↑ 𝐸. Wir schreiben 𝐶𝑐 (𝐸) = {𝑢 : 𝐸 → ℝ stetig und supp 𝑢 = {𝑢 ≠ 0} kompakt} . In allgemeinen metrischen Räumen können wir nicht erwarten, dass die abgeschlossenen Kugeln 𝐵𝑅 (0) kompakt sind.

23.7 Satz. Es sei 𝜇 ein Maß, das von außen regulär (bzw. 𝜇(𝐵𝑅 (0)) < ∞ für alle 𝑅 > 0) und auf kompakten Mengen endlich ist. Dann ist 𝐶𝑐 (𝐸) ⊂ 𝐿𝑝 (𝜇) dicht. Beweis. Es sei 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) und 𝐾 := supp 𝑢. Dann 𝑝

∫ |𝑢|𝑝 𝑑𝜇 = ∫ |𝑢|𝑝 𝑑𝜇 ⩽ ‖𝑢‖𝐿∞ 𝜇(𝐾) < ∞ 󳨐⇒ 𝐶𝑐 (𝐸) ⊂ 𝐿𝑝 (𝜇). 𝐾

Die Funktionen 𝜒𝑛 (𝑥) :=

𝑐 ) 𝑑(𝑥, 𝐾𝑛+1 𝑐 𝑑(𝑥, 𝐾𝑛+1 ) + 𝑑(𝑥, 𝐾𝑛 )

sind offenbar stetig, vgl. (23.1), supp 𝜒𝑛 ⊂ 𝐾𝑛+1 , 𝜒𝑛 |𝐾𝑛 ≡ 1 und 𝜒𝑛 ↑ 1. Mit Hilfe von Korollar 23.4 bzw. Satz 23.6 finden wir eine Folge (𝑢𝑛 )𝑛 ⊂ 𝐶𝑏 (𝐸)∩𝐿𝑝 (𝜇) mit 𝑢𝑛 → 𝑢 in 𝐿𝑝 . Daher haben wir 󵄩󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󳨀󳨀󳨀→ 0. 󵄩󵄩𝑢 − 𝑢𝑛 𝜒𝑛 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 ⩽ 󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑢𝜒𝑛 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 + 󵄩󵄩󵄩𝑢𝜒𝑛 − 𝑢𝑛 𝜒𝑛 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 ⩽ 󵄩󵄩󵄩(1 − 𝜒𝑛 )𝑢󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 + 󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑢𝑛 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 󳨀𝑛→∞ Die Konvergenz des ersten Summanden folgt aus dominierter Konvergenz, die des zweiten wegen der Konstruktion der Folge (𝑢𝑛 )𝑛 . Da supp(𝑢𝑛 𝜒𝑛 ) ⊂ 𝐾𝑛+1 kompakt ist, folgt die Behauptung.

𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ) ist dicht in 𝐿𝑝 (ℝ𝑑 , 𝜇) Zunächst überlegen wir uns, dass es hinreichend viele Testfunktionen 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ) gibt. Durch direktes Nachrechnen [] sieht man, dass 𝜙(𝑟) := exp (−

1 ) 𝟙(−1,1) (𝑟), 1 − 𝑟2

𝑟 ∈ ℝ,

138 | 23 ⧫Dichte Teilmengen in 𝐿𝑝 (1 ⩽ 𝑝 < ∞) eine 𝐶∞ -Funktion auf ℝ mit supp 𝜙 = [−1, 1] ist. Da ℝ𝑑 ∋ 𝑥 󳨃→ ‖𝑥‖2 glatt ist, ist die Funktion 𝑥 󳨃→ 𝜒(𝑥) := 𝜅−1 𝜙(‖𝑥‖2 ) positiv und in 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ) mit supp 𝜒 = 𝐵1 (0); für die Konstante 𝜅 := ∫ 𝜙(‖𝑥‖2 ) 𝑑𝑥 gilt zudem ∫ 𝜒(𝑥) 𝑑𝑥 = 1. Wir kommen nun zu einem klassischen Approximationsargument. 23.8 Lemma. 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ) ist dicht in 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) bezüglich der gleichmäßigen Konvergenz. Beweis. Es sei 𝜒 ∈ 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ) mit supp 𝜒 ⊂ 𝐵1 (0) und ∫ 𝜒(𝑥) 𝑑𝑥 = 1. Für 𝜒𝑡 := 𝑡−𝑑 𝜒(𝑥/𝑡) gilt ∫ 𝜒𝑡 (𝑥) 𝑑𝑥 = 1 und supp 𝜒𝑡 ⊂ 𝐵𝑡 (0). Mit Hilfe des Differenzierbarkeitslemmas (Satz 12.2) sehen wir [] 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) 󳨐⇒ 𝑢 ∗ 𝜒𝑡 ∈ 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ) (beachte: 𝑥 ∉ supp 𝑢 + supp 𝜒𝑡 󳨐⇒ 𝑢 ∗ 𝜒𝑡 (𝑥) = 0 󳨐⇒ supp 𝑢 ∗ 𝜒𝑡 ⊂ supp 𝑢 + supp 𝜒𝑡 ). Wir können nun wie im Beweis von Lemma 22.17 argumentieren: 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) ist gleichmäßig stetig, ∀𝜖 > 0

∃𝛿 > 0

∀|𝑥 − 𝑦| < 𝛿 : |𝑢(𝑥) − 𝑢(𝑦)| < 𝜖,

und wegen ∫ 𝜒𝑡 (𝑦) 𝑑𝑦 = ∫ 𝜒𝑡 (𝑥 − 𝑦) 𝑑𝑦 = 1 ist dann 󵄨󵄨 󵄨󵄨 |𝑢(𝑥) − 𝑢 ∗ 𝜒𝑡 (𝑥)| = 󵄨󵄨󵄨󵄨∫(𝑢(𝑥) − 𝑢(𝑦))𝜒𝑡 (𝑥 − 𝑦) 𝑑𝑦󵄨󵄨󵄨󵄨 󵄨 󵄨 ⩽





|𝑢(𝑥) − 𝑢(𝑦)| 𝜒𝑡 (𝑥 − 𝑦) 𝑑𝑦 + 2‖𝑢‖𝐿∞ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟

|𝑥−𝑦| 0 ∃𝑢𝜖 ∈ 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) : 󵄩󵄩󵄩𝑢 − 𝑢𝜖 󵄩󵄩󵄩𝐿𝑝 < 𝜖. (Der Beweis von) Lemma 23.8 zeigt ∀0 < 𝜖 < 1

󵄩 󵄩 ∃𝜙𝜖 ∈ 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ) : 󵄩󵄩󵄩𝑢𝜖 − 𝜙𝜖 󵄩󵄩󵄩∞
0 gibt es ein 𝜙𝜖 ∈ 𝐶Lip (𝐸) mit ‖𝑓 − 𝜙𝜖 ‖𝐿𝑝 < 𝜖. (b) Für 𝑓 ∈ L 𝑝 (𝜇), 𝑓 ⩾ 0 gibt es ein 𝜙𝜖 ∈ 𝐶Lip (𝐸) mit ‖𝑓 − 𝜙𝜖 ‖𝐿𝑝 < 𝜖. Hinweis: Verwenden Sie Teil (a) und das Sombrero-Lemma (Satz 7.11). (c) Zeigen Sie: 𝐶Lip (𝐸) ∩ L 𝑝 (𝜇) ist dicht in L 𝑝 (𝜇).

6.

Es sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum, der eine abzählbare dichte Teilmenge besitzt („separabel“) und wo jeder Punkt eine relativ-kompakte offene Umgebung („lokal-kompakt“) besitzt; mit O bezeichnen wir die offenen Mengen in 𝐸, mit B(𝐸) = 𝜎(O) die Borelmengen und 𝜇 sei ein Maß auf (𝐸, B(𝐸)), das auf kompakten Mengen endlich ist. (a) Zeigen Sie, dass es eine Folge relativ-kompakter, offener Mengen (𝑈𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ O gibt, so dass jedes 𝑈 ∈ O als Vereinigung von Mengen 𝑈𝑛 geschrieben werden kann. (b) Es sei D = span {𝟙𝑈 : 𝑈 = ⋃𝑛∈𝐹 𝑈𝑛 , 𝐹 ⊂ ℕ endlich}; D ist der Abschluss im Raum L 𝑝 (𝜇), 1 < 𝑝 < ∞. Dann gilt 𝟙𝑈 ∈ D für jedes 𝑈 ∈ O mit 𝜇(𝑈) < ∞. (c) Teil (b) gilt auch für alle 𝐵 ∈ B(𝐸) mit 𝜇(𝐵) < ∞. (d) Zeigen Sie, dass D = L 𝑝 (𝜇) und folgern Sie, dass L 𝑝 (𝜇) separabel ist.

7.

(Satz von Lusin) Die folgenden Schritte skizzieren einen Beweis für den Satz von Lusin.

𝑏

1 2ℎ

𝑥+ℎ

∫𝑥−ℎ 𝑓(𝑡) 𝑑𝑡.

Satz (Lusin). Es sei 𝜇 ein von außen reguläres Maß auf dem metrischen Raum (𝐸, 𝑑). Dann gibt es für jedes 𝑓 ∈ L 𝑝 (𝜇), 1 ⩽ 𝑝 < ∞, und jedes 𝜖 > 0 eine stetige Funktion 𝜙𝜖 ∈ L 𝑝 (𝜇) ∩ 𝐶𝑏 (𝐸), so dass ‖𝜙𝜖 ‖∞ ⩽ ‖𝑓‖𝐿∞ ⩽ ∞, 𝜇{𝑓 ≠ 𝜙𝜖 } ⩽ 𝜖 und ‖𝑓 − 𝜙𝜖 ‖𝐿𝑝 ⩽ 𝜖. (a) Zunächst sei 𝐴 ∈ B(𝐸) mit 𝟙𝐴 ∈ L 𝑝 (𝜇). Dann gibt es eine offene Menge 𝑈 ⊃ 𝐴 mit 𝜇(𝑈) < ∞ und 𝜙𝜖 kann wie in Lemma 23.2 konstruiert werden. (b) Nun sei 𝑓 ∈ L 𝑝 (𝜇) mit 0 ⩽ 𝑓 ⩽ 1. Mit dem Sombrero-Lemma (Satz 7.11, Aufgabe 7.7) kann man eine gleichmäßig konvergente Folge von Treppenfunktionen finden, die dann mit Teil (a) „ausgeglättet“ werden können. (c) Nun sei 𝑓 ∈ L 𝑝 (𝜇) mit 𝑐 = ‖𝑓‖𝐿∞ (𝑑𝑥) < ∞. Wenden Sie Teil (b) auf 𝑓± an. (d) Nun sei 𝑓 ∈ L 𝑝 (𝜇). Wenden Sie Teil (c) auf 𝑓𝑅 := (−𝑅) ∨ 𝑓 ∧ 𝑅 an.

24 ⧫Die Rieszschen Darstellungssätze Die Rieszschen Darstellungssätze beschreiben die Struktur stetiger linearer Funktionale in den Räumen integrierbarer bzw. stetiger Funktionen. In diesem Kapitel ist (𝐸, A , 𝜇) ein 𝜎-endlicher Maßraum; wenn wir stetige Funktionen betrachten, werden wir zusätzlich (𝐸, 𝑑) als metrischen Raum voraussetzen, wobei A = B(𝐸) = 𝜎(O) die Borelmengen sind, die von den durch die Metrik 𝑑 definierten offenen Mengen O erzeugt werden. Positive lineare Funktionale. Es sei (𝐸, A ) ein messbarer Raum bzw. ein metrischer Raum (𝐸, 𝑑) mit A = B(𝐸). Weiter sei 𝜇 ein Maß auf (𝐸, A ) und (𝑋, ‖ ⋅ ‖) bezeichne einen der folgenden Funktionenräume: 󳶳 Die 𝑝-fach integrierbaren Funktionen (𝐿𝑝 (𝜇), ‖ ⋅ ‖𝐿𝑝 ), 1 ⩽ 𝑝 < ∞. 󳶳 Die stetigen Funktionen mit kompaktem Träger (𝐶𝑐 (𝐸), ‖ ⋅ ‖∞ ). 󳶳 Die stetigen Funktionen, die im Unendlichen verschwinden (𝐶∞ (𝐸), ‖ ⋅ ‖∞ ), ‖⋅‖∞

󳶳

𝐶∞ (𝐸) := 𝐶𝑐 (𝐸) . Die beschränkten stetigen Funktionen (𝐶𝑏 (𝐸), ‖ ⋅ ‖∞ ).

24.1 Definition. Ein positives lineares Funktional auf (𝑋, ‖⋅‖) ist eine lineare Abbildung 𝐼 : 𝑋 → ℝ, so dass 𝐼(𝑢) ⩾ 0 für alle 𝑢 ∈ 𝑋 mit 𝑢 ⩾ 0. Offensichtlich ist ein positives lineares Funktional auch monoton 𝑢, 𝑣 ∈ 𝑋, 𝑢 ⩽ 𝑣 󳨐⇒ 𝐼(𝑢) ⩽ 𝐼(𝑣) (verwende die Positivität von 𝐼 und 𝑣 − 𝑢 ⩾ 0) und es gilt |𝐼(𝑢)| ⩽ 𝐼(|𝑢|)

∀𝑢 ∈ 𝑋

(verwende ±𝑢 ⩽ |𝑢| und die Monotonie von 𝐼). 24.2 Beispiel. 𝐼(𝑢) := ∫ 𝑢 𝑑𝜇 ist ein positives lineares Funktional a) auf 𝐿1 (𝜇), vgl. Satz 9.4; b) auf 𝐶∞ (𝐸) oder 𝐶𝑏 (𝐸), wenn 𝜇 ein endliches Maß ist; c) auf 𝐶𝑐 (𝐸), wenn 𝜇 ein Maß mit 𝜇(𝐾) < ∞ für alle Kompakta 𝐾 ⊂ 𝐸 ist. Wir werden später sehen, dass die Integrale tatsächlich die einzigen positiven linearen Funktionale auf diesen Räumen sind. 24.3 Lemma. Es sei (𝑋, ‖⋅‖) einer der Räume (𝐿𝑝 (𝜇), ‖⋅‖𝐿𝑝 (𝜇) ), 1 ⩽ 𝑝 < ∞, (𝐶∞ (𝐸), ‖⋅‖∞ ) oder (𝐶𝑏 (𝐸), ‖ ⋅ ‖∞ ).15 Dann ist jedes positive lineare Funktional 𝐼 : 𝑋 → ℝ beschränkt: |𝐼(𝑢)| ⩽ 𝑐‖𝑢‖ für alle 𝑢 ∈ 𝑋; insbesondere ist 𝐼 stetig.

15 Der Beweis zeigt, dass die Vollständigkeit und die Existenz einer mit der Norm verträglichen Ordnung „⩽“ wesentlich sind.

24 ⧫Die Rieszschen Darstellungssätze

|

141

Wie üblich schreiben wir ‖𝐼‖ für die kleinste Schranke 𝑐, so dass |𝐼(𝑢)| ⩽ 𝑐‖𝑢‖ gilt. Beweis. Angenommen, 𝐼 ist unbeschränkt. Dann gibt es eine Folge (𝑢𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ 𝑋 mit ‖𝑢𝑛 ‖ ⩽ 1 und

|𝐼(𝑢𝑛 )| ⩾ 4𝑛 .

Da ‖|𝑢𝑛 |‖ = ‖𝑢𝑛 ‖ und |𝐼(𝑢𝑛 )| ⩽ 𝐼(|𝑢𝑛 |), können wir annehmen, dass 𝑢𝑛 ⩾ 0. Wir definie−𝑛 ren 𝑢 := ∑∞ 𝑛=1 2 𝑢𝑛 . Aus 󵄩󵄩 𝑁 󵄩󵄩 󵄩󵄩 𝑁 󵄩󵄩 𝑀 ∞ ∞ 󵄩󵄩 󵄩 󵄩 󵄩 󵄩󵄩 ∑ 2−𝑛 𝑢𝑛 − ∑ 2−𝑛 𝑢𝑛 󵄩󵄩󵄩 = 󵄩󵄩󵄩 ∑ 2−𝑛 𝑢𝑛 󵄩󵄩󵄩 ⩽ ∑ 󵄩󵄩󵄩2−𝑛 𝑢𝑛 󵄩󵄩󵄩 ⩽ ∑ 2−𝑛 󳨀 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀 →0 󵄩󵄩 󵄩󵄩 󵄩󵄩 󵄩󵄩 󵄩 󵄩 𝑁>𝑀→∞ 󵄩󵄩𝑛=1 󵄩󵄩 󵄩󵄩𝑛=𝑀+1 󵄩󵄩 𝑛=𝑀+1 𝑛=1 𝑛=𝑀+1 folgt wegen der Vollständigkeit von 𝑋, dass 𝑢 ∈ 𝑋; für alle 𝑛 ∈ ℕ ist 𝐼(𝑢) ⩾ 𝐼(2−𝑛 𝑢𝑛 ) = 2−𝑛 𝐼(𝑢𝑛 ) 󳨐⇒ 𝐼(𝑢) ⩾ 2−𝑛 𝐼(𝑢𝑛 ) ⩾ 2−𝑛 4𝑛 = 2𝑛 . Somit ist 𝐼(𝑢) = ∞, was der Voraussetzung 𝐼 : 𝑋 → ℝ widerspricht. Für 𝑢, 𝑤 ∈ 𝑋 gilt wegen der Linearität und Beschränktheit von 𝐼 |𝐼(𝑢) − 𝐼(𝑤)| = |𝐼(𝑢 − 𝑤)| ⩽ 𝑐‖𝑢 − 𝑤‖, was die (Lipschitz-)Stetigkeit von 𝐼 beweist.

Der Darstellungssatz von Riesz für 𝐿𝑝 (𝜇) In diesem Abschnitt ist (𝐸, A , 𝜇) ein 𝜎-endlicher Maßraum, d. h. es existiert eine Folge (𝐶𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ A , so dass 𝐶𝑛 ↑ 𝐸 und 𝜇(𝐶𝑛 ) < ∞, und 𝑝 ∈ [1, ∞), 𝑞 ∈ (1, ∞] sind konjugierte Indizes: 𝑝−1 + 𝑞−1 = 1, wobei 𝑞 = ∞ wenn 𝑝 = 1. Mit der Hölderschen Ungleichung sehen wir, dass für jedes feste 𝑓 ∈ 𝐿𝑞 (𝜇), 𝑓 ⩾ 0, 𝐼𝑓 (𝑢) := ∫ 𝑢𝑓 𝑑𝜇

∀𝑢 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇)

(24.1)

ein (stetiges) positives lineares Funktional auf 𝐿𝑝 (𝜇) definiert. Umgekehrt gilt 24.4 Satz (Riesz). Es sei (𝐸, A , 𝜇) ein 𝜎-endlicher Maßraum, 𝑝 ∈ [1, ∞) und 𝑞 ∈ (1, ∞] konjugierte Indizes. Jedes positive lineare Funktional 𝐼 : 𝐿𝑝 (𝜇) → ℝ ist von der Form (24.1), d. h. es existiert ein eindeutig bestimmtes 𝑓 ∈ 𝐿𝑞 (𝜇), 𝑓 ⩾ 0, mit 𝐼 = 𝐼𝑓 . Beweis. 1o ) Eindeutigkeit: Angenommen 𝐼𝑓 = 𝐼𝑔 , dann gilt 𝐼𝑓−𝑔 = 0. Setze ℎ := 𝑓 − 𝑔 und 𝐸𝑛 := {|ℎ| ⩽ 𝑛}; dann gilt sgn(ℎ)|ℎ|𝑞−1 𝟙𝐸𝑛 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇) und wir finden mit Beppo Levi 0 = 𝐼ℎ (sgn(ℎ)|ℎ|𝑞−1 𝟙𝐸𝑛 ) 󳨐⇒ ∫ |ℎ|𝑞 𝑑𝜇 = lim ∫ ℎ sgn(ℎ)|ℎ|𝑞−1 𝟙𝐸𝑛 𝑑𝜇 𝑛→∞

= lim 𝐼ℎ (sgn(ℎ)|ℎ|𝑞−1 𝟙𝐸𝑛 ) = 0. 𝑛→∞

Mithin ist 𝜇(ℎ ≠ 0) = 𝜇(𝑓 ≠ 𝑔) = 0.

142 | 24 ⧫Die Rieszschen Darstellungssätze 2o ) Existenz wenn 𝜇(𝐸) < ∞: Weil 𝟙𝐴 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇), wird durch 𝜈(𝐴) := 𝐼(𝟙𝐴 )

∀𝐴 ∈ A

eine Mengenfunktion 𝜈 : A → [0, ∞) definiert. Offenbar gilt 𝜈(0) = 0 und für disjunk∞ te (𝐴 𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ A gilt wegen dominierter Konvergenz (Satz 14.12) ∑𝑁 𝑛=1 𝟙𝐴 𝑛 → ∑𝑛=1 𝟙𝐴 𝑛 𝑝 𝑝 in 𝐿 (𝜇). Da 𝐼 auf 𝐿 (𝜇) stetig ist (Lemma 24.3), folgt ∞





𝑁

𝑁



𝜈 ( ⋃ 𝐴 𝑛 ) = 𝐼 ( ∑ 𝟙𝐴 𝑛 ) = lim 𝐼 ( ∑ 𝟙𝐴 𝑛 ) = lim ∑ 𝐼 (𝟙𝐴 𝑛 ) = ∑ 𝜈(𝐴 𝑛 ). 𝑛=1

𝑁→∞

𝑛=1

𝑁→∞

𝑛=1

𝑛=1

𝑛=1

Somit ist 𝜈 ein Maß. Weiter gilt für 𝐴 ∈ A 𝜇(𝐴) = 0 󳨐⇒ 𝟙𝐴 = 0

(𝜇-f. ü.) 󳨐⇒ 𝜈(𝐴) = 𝐼(𝟙𝐴 ) = 0.

Das zeigt, dass 𝜈 ≪ 𝜇, und nach dem Satz von Radon–Nikodým (Satz 19.2) gibt es eine positive messbare Funktion 𝑓 ∈ M+ (A ) mit 𝐼(𝟙𝐴 ) = 𝜈(𝐴) = ∫ 𝟙𝐴 𝑓 𝑑𝜇 ∀𝐴 ∈ A .

(24.2)

Aufgrund der Linearität ist 𝐼(𝑢) = ∫ 𝑢𝑓 𝑑𝜇 für alle einfachen 𝑢 ∈ E + (A ) ∩ 𝐿𝑝 (𝜇), und da jedes 𝑢 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇), 𝑢 ⩾ 0, als aufsteigender Grenzwert von einfachen Funktionen dargestellt werden kann (Sombrero-Lemma, Satz 7.11), folgt mit monotoner Konvergenz, der Stetigkeit und der Linearität von 𝐼 𝐼(𝑢) = ∫ 𝑢𝑓 𝑑𝜇

∀𝑢 ∈ 𝐿𝑝 (𝜇).

(24.3)

3o ) Wir zeigen: 𝑓 ∈ 𝐿∞ (𝜇) wenn 𝜇(𝐸) < ∞ und 𝑝 = 1. Wegen (24.2) ist ∫ 𝑓 𝑑𝜇 = 𝐼(𝟙𝐴 ) ⩽ ‖𝐼‖ ⋅ ‖𝟙𝐴 ‖𝐿1 (𝜇) = ‖𝐼‖ ⋅ 𝜇(𝐴) ∀𝐴 ∈ A . 𝐴

Insbesondere gilt für 𝐴 = {𝑓 ⩾ 𝑛}, dass 𝑛𝜇(𝐴) ⩽ ∫𝐴 𝑓 𝑑𝜇 ⩽ ‖𝐼‖ ⋅ 𝜇(𝐴). Für 𝑛 → ∞ ist das nur möglich, wenn 𝜇(𝐴) = 0, d. h. 𝑓 ∈ 𝐿∞ (𝜇). 4o ) Wir zeigen: 𝑓 ∈ 𝐿𝑞 (𝜇) wenn 𝜇(𝐸) < ∞ und 1 < 𝑝 < ∞. Setze 𝐸𝑛 := {𝑓𝑞−1 ⩽ 𝑛} ∈ A . Dann ist 𝑢𝑛 := 𝑓𝑞−1 𝟙𝐸𝑛 beschränkt und (24.3) zeigt für 𝑢 = 𝑢𝑛 ∫ 𝑓𝑞 𝟙𝐸𝑛 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢𝑛 𝑓 𝑑𝜇 = 𝐼(𝑢𝑛 ) ⩽ ‖𝐼‖ ⋅ (∫ 𝑢𝑛𝑝 𝑑𝜇)

1/𝑝 𝑝(𝑞−1)=𝑞

=

Das ergibt wegen 𝑞−1 = 1 − 𝑝−1 (∫ 𝑓𝑞 𝟙𝐸𝑛 𝑑𝜇)

1/𝑞

⩽ ‖𝐼‖

monotone

󳨐󳨐󳨐󳨐󳨐󳨐󳨐󳨐⇒ Konvergenz

‖𝑓‖𝐿𝑞 = sup ‖𝑓𝟙𝐸𝑛 ‖𝐿𝑞 ⩽ ‖𝐼‖. 𝑛∈ℕ

1/𝑝

‖𝐼‖ ⋅ (∫ 𝑓𝑞 𝟙𝐸𝑛 𝑑𝜇)

.

24 ⧫Die Rieszschen Darstellungssätze

|

143

5o ) Schließlich betrachten wir den Fall 𝜇(𝐸) = ∞. Wie im Beweis des Satzes von Radon–Nikodým (Korollar 19.4) definieren wir für die Folge 𝐶𝑛 ↑ 𝐸 mit 𝜇(𝐶𝑛 ) < ∞ (hier geht die 𝜎-Endlichkeit ein) ∞

ℎ(𝑥) := ∑ 𝑛=1

2−𝑛 𝟙 (𝑥) > 0 1 + 𝜇(𝐶𝑛 ) 𝐶𝑛

∀𝑥 ∈ 𝐸.

Nach Konstruktion ist ℎ ∈ 𝐿1 (𝜇) und 𝜇̃ := ℎ ⋅ 𝜇 ist ein endliches Maß. Offensichtlich gilt 𝑢̃ ∈ 𝐿𝑝 (𝜇)̃ ⇐⇒ 𝑢 := ℎ1/𝑝 𝑢̃ ∈ 𝐿𝑝 (𝜇). ̃ Nach den Daher definiert 𝐽(𝑢)̃ := 𝐼(ℎ1/𝑝 𝑢)̃ ein positives lineares Funktional auf 𝐿𝑝 (𝜇). 𝑞 ̃ ersten vier Schritten gibt es genau ein 𝑓 ∈ 𝐿 (𝜇)̃ mit ̃ 𝑓 ̃ 𝑑𝜇. = ∫ ℎ1/𝑝 𝑢ℎ ̃ 1/𝑞 𝑓 ̃ 𝑑𝜇. 𝐼(ℎ1/𝑝 𝑢)̃ = 𝐽(𝑢)̃ = ∫ 𝑢̃𝑓 ̃ 𝑑𝜇̃ = ∫ 𝑢ℎ Für 𝑢 = ℎ1/𝑝 𝑢̃ ∈ 𝐿𝑝 (𝜇) folgt dann 𝐼(𝑢) = ∫ 𝑢𝑓 𝑑𝜇, wobei 𝑓 = ℎ1/𝑞 𝑓 ̃ ∈ 𝐿𝑞 (𝜇) (mit der Konvention, dass 1/∞ = 0 und ℎ0 ≡ 1). 24.5 Bemerkung. Satz 24.4 benötigt nur für 𝑝 = 1 einen 𝜎-endlichen Maßraum. Allerdings wird dann der Beweis etwas aufwendiger, die Argumentation ähnelt der von Korollar 19.3 (siehe z. B. Alt [1, Satz 4.12] oder Yosida [10, Chapter IV.9, Example 3]). Die positiven linearen Funktionale auf 𝐿∞ (𝜇) sind von der Form 𝐼𝛼 (𝑢) = ∫ 𝑢 𝑑𝛼, wo 𝛼 ein endlich-additives Maß ist. Der Beweis nutzt das Auswahlaxiom, vgl. Dunford– Schwartz [4, Chapter IV.8.16] oder Yosida [10, Chapter IV.9, Example 5].

Der Darstellungssatz von Riesz für 𝐶𝑐 (𝐸) Wir betrachten jetzt positive lineare Funktionale auf Räumen stetiger Funktionen. Nunmehr sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum. Wir schreiben O, C und B(𝐸) für die offenen, abgeschlossenen und Borelschen Mengen. Mit 𝐵𝑟 (𝑥) = {𝑦 ∈ 𝐸 : 𝑑(𝑥, 𝑦) < 𝑟} bezeichnen wir die offene Kugel mit Radius 𝑟 > 0 und Zentrum 𝑥. Topologische Vorbereitungen. Eine Menge 𝐴 ⊂ 𝐸 heißt relativ kompakt, wenn 𝐴 kompakt ist. Der Raum (𝐸, 𝑑) heißt lokal-kompakt, wenn jeder Punkt 𝑥 ∈ 𝐸 eine relativ kompakte offene Umgebung 𝑉(𝑥) besitzt. Da 𝑉(𝑥) eine offene Kugel 𝐵𝑟 (𝑥) mit 𝑟 = 𝑟(𝑥) enthält und 𝐵𝑟 (𝑥) ⊂ 𝑉(𝑥) wieder kompakt ist, können wir o. E. 𝑉(𝑥) = 𝐵𝑟 (𝑥) mit 𝑟 = 𝑟(𝑥) fordern. Wie im Beweis von Lemma 21.3 sieht man in einem metrischen Raum (𝐸, 𝑑), dass für 𝐾 ⊂ 𝑈 (𝐾 kompakt, 𝑈 offen) die Funktionen 𝑓𝐾,𝑈 (𝑥) :=

𝑑(𝑥, 𝑈𝑐 ) 𝑑(𝑥, 𝑈𝑐 ) + 𝑑(𝑥, 𝐾)

und

𝑑(𝑥, 𝐴) := inf 𝑑(𝑥, 𝑎) 𝑎∈𝐴

(gleichmäßig) stetig sind mit 𝟙𝐾 ⩽ 𝑓𝐾,𝑈 ⩽ 𝟙𝑈 . Wenn (𝐸, 𝑑) lokal-kompakt ist, können wir zudem erreichen, dass supp 𝑓𝐾,𝑈 kompakt ist.

144 | 24 ⧫Die Rieszschen Darstellungssätze 24.6 Lemma (Urysohn). Es sei (𝐸, 𝑑) ein lokal-kompakter metrischer Raum. a) Zu jeder kompakten Menge 𝐾 ⊂ 𝐸 gibt es eine Funktion 𝑢𝜖 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) und eine relativ kompakte offene Menge 𝑈𝜖 mit 𝟙𝐾 ⩽ 𝑢𝜖 ⩽ 1𝑈𝜖 und lim𝜖→0 𝑢𝜖 = 𝟙𝐾 (sogar: 𝑢𝜖 ↓ 𝟙𝐾 ); b) Zu jeder relativ kompakten offenen Menge 𝑈 ⊂ 𝐸 gibt es 𝑤𝜖 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit 0 ⩽ 𝑤𝜖 ⩽ 𝟙𝑈 und lim𝜖→0 𝑤𝜖 = 𝟙𝑈 (sogar: 𝑤𝜖 ↑ 𝟙𝑈 ). Beweis. a) Es sei 𝐾 eine kompakte Menge und 𝜖 > 0. Diese überdecken wir mit Kugeln 𝐵𝜖(𝑥) (𝑥), wobei 𝜖(𝑥) ⩽ 𝜖 und 𝐵𝜖(𝑥) (𝑥) kompakt; hier verwenden wir, dass 𝐸 lokalkompakt ist. Da 𝐾 kompakt ist, gibt es Punkte 𝑥1 , . . . , 𝑥𝑛 ∈ 𝐾 mit 𝑛

𝐾 ⊂ ⋃ 𝐵𝜖(𝑥𝑖 ) (𝑥𝑖 ) =: 𝑈𝜖 . 𝑖=1

Offensichtlich ist 𝐾𝜖 := ⋃𝑛𝑖=1 𝐵𝜖(𝑥𝑖 ) (𝑥𝑖 ) kompakt, 𝑈𝜖 ⊂ 𝐾𝜖 und 𝑈𝜖 → 𝐾. Somit finden wir in 𝑢𝜖 (𝑥) := 𝑓𝐾,𝑈𝜖 (𝑥), 𝜖 > 0, die gesuchten Funktionen. b) Es sei 𝑈 ⊂ 𝐸 relativ kompakt und offen. Da 𝑥 󳨃→ 𝑑(𝑥, 𝑈𝑐 ) stetig ist, sind die Mengen 𝑈𝜖 := {𝑥 ∈ 𝑈 : 𝑑(𝑥, 𝑈𝑐 ) > 𝜖} offen und 𝐾𝜖 := 𝑈𝜖 ⊂ 𝑈 ist kompakt. Die gesuchten Funktionen sind z. B. 𝑤𝜖 (𝑥) = 𝑓𝐾𝜖 ,𝑈 (𝑥). ̂ bezeichnen wir die relativ Wir schreiben 𝜒 ≺ 𝟙𝐴 , wenn 𝜒 ⩽ 𝟙𝐴 und supp 𝜒 ⊂ 𝐴. Mit O kompakten offenen Mengen: 𝑈 ∈ O und 𝑈 ist kompakt. 24.7 Lemma (Partition der Eins). Es sei (𝐸, 𝑑) ein lokal-kompakter metrischer Raum, 𝐾 ⊂ 𝐸 eine kompakte Menge und 𝐾 ⊂ ⋃𝑛𝑖=1 𝑈𝑖 eine Überdeckung mit offenen Mengen 𝑈𝑖 . Dann gibt es 𝜒1 , . . . , 𝜒𝑛 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) derart, dass 𝑛

0 ⩽ 𝜒𝑖 ≺ 𝟙𝑈𝑖

und

∑ 𝜒𝑖 (𝑥) = 1

∀𝑥 ∈ 𝐾.

𝑖=1

Beweis. Da 𝐸 lokal-kompakt ist und 𝐾 ⊂ ⋃𝑛𝑖=1 𝑈𝑖 , gilt ∀𝑥 ∈ 𝐾

̂ : 𝑥 ∈ 𝑉(𝑥) ⊂ 𝑉(𝑥) ⊂ 𝑈 . ∃𝑖(𝑥) ∈ {1, . . . , 𝑛} ∃𝑉(𝑥) ∈ O 𝑖(𝑥)

Folglich ist 𝐾 ⊂ ⋃𝑥∈𝐾 𝑉(𝑥); wegen der Kompaktheit gibt es eine endliche Teilüberdeckung 𝐾 ⊂ 𝑉(𝑥1 ) ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∪ 𝑉(𝑥𝑚 ). Setze 𝑊𝑖 :=



𝑉(𝑥𝑘 ) 󳨐⇒ 𝑊𝑖 =

𝑘 : 𝑉(𝑥𝑘 )⊂𝑈𝑖

⋃ 𝑉(𝑥 𝑘) ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑘 : 𝑉(𝑥𝑘 )⊂𝑈𝑖 kompakt

⊂ 𝑈𝑖 .

Da 𝑊𝑖 kompakt ist, haben die Mengen 𝑊𝑖 und 𝑈𝑖𝑐 strikt positiven Abstand. Daher finden wir mit dem Urysohn-Lemma 24.6 𝜙𝑖 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸)

mit 𝟙𝑊𝑖 ⩽ 𝜙𝑖 ≺ 𝟙𝑈𝑖 .

Für die Funktionen 𝜒𝑖 = (1 − 𝜙1 ) ⋅ ⋅ ⋅ (1 − 𝜙𝑖−1 )𝜙𝑖 ,

𝑖 = 1, . . . , 𝑛,

24 ⧫Die Rieszschen Darstellungssätze

|

145

gilt dann 0 ⩽ 𝜒𝑖 ≺ 𝟙𝑈𝑖 sowie (1 − 𝜙1 ) ⋅ ⋅ ⋅ (1 − 𝜙𝑛−1 )(1 − 𝜙𝑛 ) = (1 − 𝜙1 ) ⋅ ⋅ ⋅ (1 − 𝜙𝑛−1 ) − 𝜒𝑛 = (1 − 𝜙1 ) ⋅ ⋅ ⋅ (1 − 𝜙𝑛−2 ) − 𝜒𝑛−1 − 𝜒𝑛 = ⋅ ⋅ ⋅ = 1 − 𝜒1 − 𝜒2 − ⋅ ⋅ ⋅ − 𝜒𝑛 . Da 𝐾 ⊂ ⋃𝑛𝑖=1 𝑊𝑖 folgt (1 − 𝜙1 (𝑥)) . . . (1 − 𝜙𝑛 (𝑥)) = 0 für 𝑥 ∈ 𝐾. Ein Maß 𝜇 auf (𝐸, B(𝐸)) heißt regulär, wenn 𝜇(𝐾) < ∞ für alle Kompakta und 𝜇(𝐵) = inf {𝜇(𝑈) : 𝑈 ⊃ 𝐵, 𝑈 offen}

∀𝐵 ∈ B(𝐸),

𝜇(𝑈) = sup {𝜇(𝐾) : 𝐾 ⊂ 𝑈, 𝐾 kompakt}

∀𝑈 ∈ O.

(24.4)

Unser Ziel ist der folgende Darstellungssatz für lineare Funktionale auf 𝐶𝑐 (𝐸). 24.8 Satz (Riesz). Sei (𝐸, 𝑑) ein lokal-kompakter metrischer Raum und 𝐼 : 𝐶𝑐 (𝐸) → ℝ ein positives lineares Funktional. Dann gibt es ein eindeutig bestimmtes reguläres Maß 𝜇 auf (𝐸, B(𝐸)), so dass 𝐼(𝑢) = 𝐼𝜇 (𝑢) = ∫ 𝑢 𝑑𝜇

∀𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸).

(24.5)

Für den Beweis von Satz 24.8 benötigen wir einige Hilfssätze. 24.9 Lemma. Sei 𝐼 : 𝐶𝑐 (𝐸) → ℝ ein positives lineares Funktional. Dann wird durch ∀𝑈 ∈ O

𝜈(𝑈) := sup {𝐼(𝑢) : 𝑢 ≺ 𝟙𝑈 }

(24.6)

eine Mengenfunktion 𝜈 : O → [0, ∞] mit folgenden Eigenschaften definiert. ̂ a) 𝜈(0) = 0 und 𝜈(𝑈) < ∞ für alle 𝑈 ∈ O; ∞ ∞ b) 𝜈 (⋃𝑖=1 𝑈𝑖 ) ⩽ ∑𝑖=1 𝜈(𝑈𝑖 ) für (𝑈𝑖 )𝑖∈ℕ ⊂ O; (𝜎-subadditiv) ⋅ c) 𝜈(𝑈 ∪ 𝑉) = 𝜈(𝑈) + 𝜈(𝑉) für alle 𝑈, 𝑉 ∈ O mit 𝑈 ∩ 𝑉 = 0; (endlich additiv) ̂ d) 𝜈(𝑈) = sup {𝜈(𝑉) : 𝑉 ⊂ 𝑈, 𝑉 ∈ O}. Beweis. a) 𝜈(0) = 0 ist klar. Wenn 𝑈 kompakt ist, dann existiert nach Lemma 24.6.a) eine Funktion 𝑓 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit 𝟙𝑈 ⩽ 𝑓 ⩽ 1. Da 𝐼 monoton ist, folgt 𝜈(𝑈) = sup {𝐼(𝑢) : 𝑢 ≺ 𝟙𝑈 } ⩽ 𝐼(𝑓) < ∞. b) Es seien (𝑈𝑖 )𝑖∈ℕ ⊂ O, 𝑈 = ⋃𝑖∈ℕ 𝑈𝑖 und 𝑓 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit 𝑓 ≺ 𝟙𝑈 . Da supp 𝑓 kompakt ist, gibt es ein 𝑛 ⩾ 1 mit 𝑓 ≺ 𝟙⋃𝑛𝑖=1 𝑈𝑖 . Für die zu 𝑈1 , . . . , 𝑈𝑛 gehörige Partition der Eins 𝜒1 , . . . , 𝜒𝑛 (Lemma 24.7) gilt 𝑛

𝜒𝑖 𝑓 ≺ 𝟙𝑈𝑖

und

𝑓 = ∑ 𝜒𝑖 𝑓. 𝑖=1

146 | 24 ⧫Die Rieszschen Darstellungssätze Somit ist

𝑛

𝑛



𝐼(𝑓) = ∑ 𝐼(𝜒𝑖 𝑓) ⩽ ∑ 𝜈(𝑈𝑖 ) ⩽ ∑ 𝜈(𝑈𝑖 ), 𝑖=1

𝑖=1

𝑖=1

und die Behauptung folgt, wenn wir das Supremum über alle 𝐶𝑐 (𝐸) ∋ 𝑓 ≺ 𝟙𝑈 bilden. c) Es seien 𝑈, 𝑉 ∈ O disjunkt und 𝑓 ≺ 𝟙𝑈 , 𝑔 ≺ 𝟙𝑉 , 𝑓, 𝑔 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸). Dann gilt 𝑓 + 𝑔 ≺ 𝟙𝑈∪⋅𝑉 und 𝐼(𝑓) + 𝐼(𝑔) = 𝐼(𝑓 + 𝑔) ⩽ 𝜈(𝑈 ∪⋅ 𝑉). Bilden wir das Supremum über alle zulässigen 𝑓, 𝑔, dann folgt 𝜈(𝑈) + 𝜈(𝑉) ⩽ 𝜈(𝑈 ∪⋅ 𝑉). Gleichheit folgt dann wegen b). ̂ Wir müssen 𝜈(𝑈) = 𝛼 zeigen. Für d) Es sei 𝑈 ∈ O und 𝛼 := sup {𝜈(𝑉) : 𝑉 ⊂ 𝑈, 𝑉 ∈ O}. 𝑓0 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit 𝟙𝑉 ⩽ 𝑓0 ≺ 𝟙𝑈 gilt Def

𝜈(𝑉) ⩽ 𝐼(𝑓0 ) ⩽ sup {𝐼(𝑓) : 𝑓 ≺ 𝟙𝑈 } = 𝜈(𝑈). Folglich ist 𝛼 = sup𝑉⊂𝑈, 𝑉∈̂ O 𝜈(𝑉) ⩽ 𝜈(𝑈). Für die umgekehrte Ungleichung 𝜈(𝑈) ⩽ 𝛼 können wir o. E. 𝛼 < ∞ annehmen. Aufgrund der Definition von 𝜈 gibt es für jedes 𝜖 > 0 ein 𝑓𝜖 ≺ 𝟙𝑈 , 𝑓𝜖 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit ̂ und supp 𝑓𝜖 ⊂ 𝑉𝜖 ⊂ 𝑉𝜖 ⊂ 𝑈, 𝑉𝜖 ∈ O, 𝜈(𝑈) ⩽ 𝐼(𝑓𝜖 ) + 𝜖 ⩽ 𝜈(𝑉𝜖 ) + 𝜖 ⩽ 𝛼 + 𝜖. Die zweite Ungleichung folgt wieder aus der Definition von 𝜈. Die Behauptung ergibt sich im Limes 𝜖 → 0. 24.10 Lemma. Es seien 𝐼 und 𝜈 wie in Lemma 24.9. Dann ist 𝜈∗ (𝐴) := inf {𝜈(𝑈) : 𝑈 ⊃ 𝐴, 𝑈 ∈ O} ,

𝐴 ⊂ 𝐸,

(24.7)

ein äußeres Maß ((𝑂𝑀1 )–(𝑂𝑀3 ), S. 21), das von innen regulär ist, d. h. 𝜈∗ (𝑈) = sup {𝜈∗ (𝐾) : 𝐾 ⊂ 𝑈, 𝐾 kompakt} ,

𝑈 ∈ O.

Beweis. Die Definition von 𝜈∗ zeigt, dass 𝜈∗ monoton ist (𝐴 ⊂ 𝐵 󳨐⇒ 𝜈∗ (𝐴) ⩽ 𝜈∗ (𝐵)) und 𝜈∗ |O = 𝜈; insbesondere ist 𝜈∗ (0) = 0. Damit sind (𝑂𝑀1 ), (𝑂𝑀2 ) gezeigt. Für (𝑂𝑀3 ) seien 𝐴 𝑛 ⊂ 𝐸, 𝑛 ∈ ℕ, gegeben. Wegen (24.7) gilt ∀𝜖 > 0

∃𝑈𝑛 ∈ O, 𝐴 𝑛 ⊂ 𝑈𝑛 : 𝜈(𝑈𝑛 ) ⩽ 𝜈∗ (𝐴 𝑛 ) + 𝜖2−𝑛 .

Da 𝜈 𝜎-subadditiv ist, gilt ∞









𝑛=1

𝑛=1

𝑛=1

𝑛=1

𝑛=1

𝜈∗ ( ⋃ 𝐴 𝑛 ) ⩽ 𝜈∗ ( ⋃ 𝑈𝑛 ) = 𝜈 ( ⋃ 𝑈𝑛 ) ⩽ ∑ 𝜈(𝑈𝑛 ) ⩽ ∑ 𝜈∗ (𝐴 𝑛 ) + 𝜖. Der Grenzwert 𝜖 → 0 zeigt, dass 𝜈∗ 𝜎-subadditiv ist.

24 ⧫Die Rieszschen Darstellungssätze

|

147

Es sei 𝑈 ∈ O. Die Abschätzung sup {𝜈∗ (𝐾) : 𝐾 ⊂ 𝑈, 𝐾 kompakt} ⩽ 𝜈∗ (𝑈) folgt direkt aus der Monotonie von 𝜈∗ . Umgekehrt gilt 𝜈∗ (𝑈) = 𝜈(𝑈)

24.9.d)

=

𝜈∗ (𝑉)⩽𝜈∗ (𝑉)



̂ sup {𝜈(𝑉) : 𝑉 ⊂ 𝑈, 𝑉 ∈ O} sup {𝜈∗ (𝐾) : 𝐾 ⊂ 𝑈, 𝐾 kompakt} .

𝑉 kompakt

Im Beweis des Carathéodoryschen Fortsetzungssatzes – Satz 5.2, (5.2) – hatten wir die 𝜈∗ -messbaren Mengen eingeführt: A𝜈∗ = {𝐴 ⊂ 𝐸 : 𝜈∗ (𝑄) = 𝜈∗ (𝑄 ∩ 𝐴) + 𝜈∗ (𝑄 \ 𝐴) ∀𝑄 ⊂ 𝐸} . 24.11 Lemma. Es seien 𝜈, 𝜈∗ wie in Lemma 24.10. Dann gilt B(𝐸) ⊂ A𝜈∗ . Beweis. Wir zeigen, dass die abgeschlossenen Mengen C in A𝜈∗ enthalten sind. Dazu sei 𝐹 ∈ C und 𝑄 ⊂ 𝑈 ∈ O. Wegen Lemma 24.9.d) gilt ∃𝑈𝑛 ∈ O, 𝑈𝑛 ⊂ 𝑈 \ 𝐹 : 𝜈(𝑈𝑛 ) ↑ 𝜈(𝑈 \ 𝐹). Weil 𝜈 endlich additiv ist und 𝑈𝑛 ∪⋅ (𝑈 \ 𝑈𝑛 ) = 𝑈 \ 𝜕𝑈𝑛 , sehen wir 𝜈(𝑈) ⩾ 𝜈(𝑈 \ 𝜕𝑈𝑛 ) = 𝜈(𝑈𝑛 ) + 𝜈(𝑈 \ 𝑈𝑛 ) ⩾ 𝜈(𝑈𝑛 ) + 𝜈∗ (𝑈 ∩ 𝐹) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝜈(𝑈 \ 𝐹) + 𝜈∗ (𝑈 ∩ 𝐹) 𝑛→∞ ∗

⩾ 𝜈 (𝑄 \ 𝐹) + 𝜈∗ (𝑄 ∩ 𝐹). Indem wir zum Infimum über alle offenen 𝑈 ⊃ 𝑄 übergehen, erhalten wir wegen (24.7), dass 𝜈∗ (𝑄) ⩾ 𝜈∗ (𝑄 \ 𝐹) + 𝜈∗ (𝑄 ∩ 𝐹). Da 𝜈∗ (𝜎-)subadditiv ist, gilt auch die umgekehrte Ungleichung, und wir sehen 𝐹 ∈ A𝜈∗ . Aus dem Beweis von Satz 5.2 wissen wir, dass A𝜈∗ eine 𝜎-Algebra ist. Da C ein Erzeuger von B(𝐸) ist, folgt B(𝐸) = 𝜎(C ) ⊂ A𝜈∗ . Wir können jetzt den Beweis für den Rieszschen Darstellungssatz führen. Beweis von Satz 24.8. Existenz: Ausgehend von 𝐼 konstruieren wir 𝜈 und 𝜈∗ wie in Lemma 24.9–24.11. Mit dem (Beweis des) Carathéodoryschen Fortsetzungsatz (Satz 5.2, insbesondere Schritt 2 auf Seite 21) sehen wir, dass 𝜇 := 𝜈∗ |B(𝐸) ein Maß ist, das wegen Lemma 24.10 regulär ist. Wir müssen noch die Darstellung 𝐼(𝑢) = ∫ 𝑢 𝑑𝜇, 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸), zeigen. Wegen der Linearität können wir 0 ⩽ 𝑢 ⩽ 1 annehmen, sonst würden wir 𝑢± /‖𝑢‖∞ betrachten. Setze 𝑢𝑘𝑛 (𝑥) := (𝑛𝑢(𝑥) − 𝑘)+ ∧ 1

und

𝑈𝑘𝑛 := {𝑛𝑢 > 𝑘} = {𝑢𝑘𝑛 > 0}

148 | 24 ⧫Die Rieszschen Darstellungssätze

Abb. 24.1. Der schattierte Bereich ist der Subgraph der Funktion 1 𝑛 𝑢 (𝑥) + 𝑛𝑘 ; bis auf vertikale 𝑛 𝑘 Verschiebungen zerlegen die Funktionen 𝑛1 𝑢𝑘𝑛 (𝑥), 𝑘 = 0, . . . , 𝑛, den Graphen der Funktion 𝑢(𝑥) in horizontale Streifen der Breite 𝑛1 .

(vgl. Abb. 24.1). Es gilt 𝑛 𝑈𝑛𝑘+1 = {𝑢𝑘+1 > 0} ⊂ {𝑢𝑘𝑛 = 1} .

Daher ist (24.6)

𝑛 𝑛 𝑛 ) ⩽ 𝐼(𝑢𝑘𝑛 ) ⩽ 𝜇 (𝑈𝑛𝑘 ) ⩽ ∫ 𝑢𝑘−1 ∫ 𝑢𝑘+1 𝑑𝜇 ⩽ ∫ 𝟙𝑈𝑛 𝑑𝜇 = 𝜇 (𝑈𝑘+1 𝑑𝜇. 𝑘+1 𝜇|O =𝜈|O ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ beachte 𝟙𝑈𝑛 ⩽𝑢𝑘𝑛 ⩽𝟙𝑈𝑛 𝑘+1

Setze 𝑈0 =

𝑈0𝑛

= {𝑢 > 0}. Mit 𝑛𝑢 =

∑𝑛𝑘=0

𝑢𝑘𝑛

𝑘

folgt

(𝑈0 ) . 𝑛 ∫ 𝑢 𝑑𝜇 − 𝜇(𝑈0 ) ⩽ 𝑛𝐼(𝑢) ⩽ 𝑛 ∫ 𝑢 𝑑𝜇 + 𝜇 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 1.

(Stetigkeitssatz von P. Lévy) Auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) sei (𝜇𝑛 )𝑛∈ℕ eine Folge von endlichen Maßen. Man sagt, dass 𝜇𝑛 schwach gegen ein Maß 𝜇 konvergiert, wenn lim𝑛→∞ ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇 für alle Funktionen 𝑢 ∈ 𝐶𝑏 (ℝ𝑑 ) gilt. Die folgenden Schritte ergeben einen Beweis für den Stetigkeitssatz von P. Lévy. Es sei (𝜇𝑛 )𝑛∈ℕ eine Folge von endlichen Maßen. Wenn die Folge der Fouriertransformationen (̂ 𝜇𝑛 )𝑛∈ℕ punktweise gegen eine Funktion 𝜙 konvergiert, die bei 𝜉 = 0 stetig ist, dann gibt es ein endliches Maß 𝜇, so dass 𝜇𝑛 → 𝜇 schwach. Insbesondere ist dann die Konvergenz der Fouriertransformationen bereits lokal gleichmäßig. (a) Wenn lim𝑛→∞ 𝜇̂𝑛 (𝜉) = 𝜙(𝜉) für jedes 𝜉 ∈ ℝ𝑑 , dann ist 𝜙(𝜉) positiv semidefinit (vgl. Aufgabe 22.4 oder 24.4). Insbesondere gilt |𝜙(𝜉)| ⩽ 𝜙(0).

150 | 24 ⧫Die Rieszschen Darstellungssätze 𝜙(0) 𝜙(𝜉)

Hinweis: Verwenden Sie für die Abschätzung, dass die Matrizen (𝜙(0)) und (

𝜙(−𝜉) ) 𝜙(0)

positiv semidefinit sind. (b) Zeigen Sie, dass 𝑢 󳨃→ 𝛬𝑢 := lim𝑛 ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 , 𝑢 ∈ 𝐶𝑐∞ (ℝ𝑑 ), ein positives lineares Funktional definiert. Hinweis: Verwenden Sie u. a. Satz 22.12. (c)

Zeigen Sie, dass für 𝛬 aus Teil (b) die Abschätzung |𝛬𝑢| ⩽ (2𝜋)𝑑 𝜙(0)‖𝑢‖∞ gilt und setzen Sie 𝛬 zu einem positiven linearen Funktional auf 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) fort. Daher können Sie 𝛬 mit einem Maß 𝜇 identifizieren.

(d) Wenn lim𝑛→∞ 𝜇̂𝑛 (𝜉) = 𝜙(𝜉) für jedes 𝜉 ∈ ℝ𝑑 , und wenn 𝜙 an der Stelle 𝜉 = 0 stetig ist, dann ist die Folge (𝜇𝑛 )𝑛∈ℕ straff, d. h. ∀𝜖 > 0 ∃𝑅 = 𝑅𝜖 > 0 : sup 𝜇𝑛 (ℝ𝑑 \ [−𝑅, 𝑅]𝑑 ) ⩽ 𝜖. 𝑛

Hinweis: Verwenden Sie das Resultat von Aufgabe 22.3. (e) Zeigen Sie, dass 𝜇 ein endliches Maß ist und dass 𝜇𝑛 → 𝜇 schwach. (f)

Nun sei (𝜇𝑛 )𝑛∈ℕ eine schwach konvergente Folge endlicher Maße. Zeigen Sie, dass die Folge (̂ 𝜇𝑛 )𝑛⩾0 gleichgradig gleichmäßig stetig ist.

(g) Zeigen Sie, mit Hilfe von Teil (f) und der Straffheit (d), dass die Folge (𝜇𝑛 )𝑛∈ℕ gegen ein endliches Maß 𝜇 konvergiert, und dass 𝜇̂𝑛 (𝜉) → 𝜇̂(𝜉) gleichmäßig auf kompakten Mengen konvergiert. 4.

(Satz von Bochner) Eine Funktion 𝜙 : ℝ𝑑 → ℂ heißt positiv semidefinit, wenn die Matrizen 𝑛 (𝜙(𝜉𝑖 − 𝜉𝑘 ))𝑖,𝑘=1 für alle 𝑛 ⩾ 1 und 𝜉1 , . . . , 𝜉𝑛 ∈ ℝ𝑑 positiv hermitesch sind. Mit anderen Worten: 𝜙(𝜉) = 𝜙(−𝜉) und ∑𝑛 𝜙(𝜉 −𝜉 )𝜆 𝜆̄ ⩾ 0 für alle 𝜆 , . . . , 𝜆 ∈ ℂ. Die folgenden Schritte skizzieren 𝑖,𝑘=1

𝑖

𝑘

𝑖 𝑘

1

𝑛

einen Beweis für den Satz von Bochner. Eine stetige Funktion 𝜙 : ℝ𝑑 → ℂ ist genau dann die Fouriertransformation eines endlichen Maßes 𝜇 auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )), wenn 𝜙 positiv semidefinit ist. (a) Es sei 𝜇 ein endliches Maß. Dann ist 𝜇̂(𝜉) stetig und positiv semidefinit. (b) Es sei 𝜙 stetig und positiv semidefinit. Dann ist 𝜙(0) ⩾ 0 und |𝜙(𝜉)| ⩽ 𝜙(0). 𝜙(0) 𝜙(𝜉)

Hinweis: Verwenden Sie für die Abschätzung, dass die Matrizen (𝜙(0)) und (

𝜙(−𝜉) ) 𝜙(0)

positiv semidefinit sind. 2

2

Zeigen Sie, dass 𝜈𝜖 (𝑥) := ∬ 𝜙(𝜉 − 𝜂) (𝑒𝑖⟨𝑥,𝜉⟩ 𝑒−2𝜖|𝜉| ) (𝑒𝑖⟨𝑥,𝜂⟩ 𝑒−2𝜖|𝜂| ) 𝑑𝜉 𝑑𝜂 positiv ist und dass gilt 2 1 𝜈𝜖 (𝑥) = ∫ 𝜙𝜖 (𝜂)𝑒𝑖⟨𝑥,𝜂⟩ 𝑑𝜂 wobei 𝜙𝜖 (𝜂) = 𝑒−𝜖|𝜂| 𝜙(𝜂). 𝑐 (d) Zeigen Sie, dass die Funktion 𝜈𝜖 integrierbar ist.

(c)

(e) Somit ist 𝜙𝜖 die Fouriertransformation der Funktion 𝑐𝜈𝜖 . Wenden Sie nun Lévys Stetigkeitssatz (Aufgabe 24.3) für 𝜙𝜖 (𝑥) → 𝜙(𝑥) an.

25 ⧫Konvergenz von Maßen In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit der schwachen und vagen Konvergenz von Maßen. Es sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum und mit M+ (𝐸) bezeichnen wir die (positiven) Maße auf (𝐸, B(𝐸)). Weiter setzen wir M+𝑏 (𝐸) := {𝜇 ∈ M+ (𝐸) : 𝜇(𝐸) < ∞}

endliche Maße,

M+1 (𝐸)

Wahrscheinlichkeitsmaße.

+

:= {𝜇 ∈ M (𝐸) : 𝜇(𝐸) = 1}

Ein Maß 𝜇 heißt lokal endlich, wenn für jedes 𝑥 ∈ 𝐸 eine offene Umgebung 𝑈 = 𝑈(𝑥) existiert mit 𝜇(𝑈) < ∞. Da wir jede kompakte Menge 𝐾 mit endlich vielen derartigen Umgebungen überdecken können, gilt 𝜇(𝐾) < ∞ für lokal endliche Maße.

Schwache Konvergenz 25.1 Definition. Eine Folge (𝜇𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ M+𝑏 (𝐸) konvergiert schwach gegen 𝜇 ∈ M+𝑏 (𝐸) w

→ 𝜇), wenn (Notation: 𝜇𝑛 󳨀 lim ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇

𝑛→∞

∀𝑢 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸).

Die in Definition 25.1 eingeführte schwache Konvergenz ist nicht die aus der Funktionalanalysis bekannte schwache Konvergenz im Dualpaar (𝐶𝑏 (𝐸), M𝑏 (𝐸)), wobei M𝑏 (𝐸) := {𝜇 − 𝜈 : 𝜇, 𝜈 ∈ M+𝑏 (𝐸)}.

25.2 Bemerkung. Da die Familie 𝐶𝑏 (𝐸) maßbestimmend ist (im Sinne von Definition 21.1), sind schwache Grenzwerte eindeutig: Es seien 𝜇, 𝜈 ∈ M+𝑏 (𝐸) und es gelte ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜈 für alle 𝑢 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸). Für eine abgeschlossene Menge 𝐹 ⊂ 𝐸 bezeichnet 𝑑(𝑥, 𝐹) := inf 𝑦∈𝐹 𝑑(𝑥, 𝑦) den Abstand von 𝑥 zur Menge 𝐹; dann gilt 𝑢𝑛 (𝑥) := (1 − 𝑛𝑑(𝑥, 𝐹))+ 󳨐⇒ 𝑢𝑛 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸), 𝑢𝑛 ↓ 𝟙𝐹 und wir sehen mit monotoner Konvergenz 𝜇(𝐹) = inf ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜇 = inf ∫ 𝑢𝑛 𝑑𝜈 = 𝜈(𝐹). 𝑛∈ℕ

𝑛∈ℕ

Aus dem Eindeutigkeitssatz für Maße (Satz 4.5) folgt dann 𝜇 = 𝜈. Für 𝑢 ≡ 1 sehen wir, dass schwache Konvergenz die Gesamtmasse von Maßen erhält: lim 𝜇𝑛 (𝐸) = lim ∫ 1 𝑑𝜇𝑛 = ∫ 1 𝑑𝜇 = 𝜇(𝐸).

𝑛→∞

𝑛→∞

(25.1)

Andererseits kann man lim𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝐵) = 𝜇(𝐵) nicht für beliebige Mengen 𝐵 ∈ B(𝐸) erwarten. Betrachte 𝑥𝑛 ∈ 𝐸 mit lim𝑛→∞ 𝑥𝑛 = 𝑥 und 𝜇𝑛 := 𝛿𝑥𝑛 sowie 𝜇 := 𝛿𝑥 . Dann

152 | 25 ⧫Konvergenz von Maßen w

konvergiert 𝛿𝑥𝑛 schwach gegen 𝛿𝑥 , 𝛿𝑥𝑛 󳨀 → 𝛿𝑥 , da ∫ 𝑓 𝑑𝛿𝑥𝑛 = 𝑓(𝑥𝑛 ) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝑓(𝑥) = ∫ 𝑓 𝑑𝛿𝑥 𝑛→∞

∀𝑓 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸),

aber 𝛿𝑥𝑛 (𝐵) = 𝟙𝐵 (𝑥𝑛 ) muss i. Allg. nicht gegen 𝟙𝐵 (𝑥) konvergieren (z. B. wenn 𝑥𝑛 ≠ 𝑥 und 𝐵 = {𝑥}). Trotzdem kann man schwache Konvergenz mit Hilfe von Mengen charakterisieren. Dazu benötigen wir den Begriff des Randes einer Menge 𝜕𝐵 = 𝐵 \ 𝐵∘ , wobei 𝐵 den Abschluss und 𝐵∘ das offene Innere von 𝐵 bezeichnet. 25.3 Satz (Portmanteau-Theorem). Sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum und 𝜇, 𝜇𝑛 ∈ M+𝑏 (𝐸), 𝑛 ∈ ℕ. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent: w a) 𝜇𝑛 󳨀 → 𝜇. b) lim𝑛→∞ ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇 für alle gleichmäßig stetigen 𝑢 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸). c) lim sup𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝐹) ⩽ 𝜇(𝐹) für alle abgeschlossenen 𝐹 ⊂ 𝐸 und lim𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝐸) = 𝜇(𝐸). d) lim inf 𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝑈) ⩾ 𝜇(𝑈) für alle offenen 𝑈 ⊂ 𝐸 und lim𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝐸) = 𝜇(𝐸). e) lim𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝐵) = 𝜇(𝐵) für alle Borelmengen 𝐵 ⊂ 𝐸 mit 𝜇(𝜕𝐵) = 0. Beweis. Die Implikation a)⇒b) ist klar. b)⇒c): Definiere für 𝑘 ∈ ℕ 𝑢𝑘 (𝑥) := (1 − 𝑘𝑑(𝑥, 𝐹))+

wo

𝑑(𝑥, 𝐹) := inf 𝑑(𝑥, 𝑦). 𝑦∈𝐹

Dann ist 𝑢𝑘 gleichmäßig stetig (vgl. das Argument im Beweis von Lemma 21.3), beschränkt und es gilt 𝑢𝑘 ⩾ 𝟙𝐹 sowie 𝑢𝑘 ↓ 𝟙𝐹 . Somit b)

lim sup 𝜇𝑛 (𝐹) = lim sup ∫ 𝟙𝐹 𝑑𝜇𝑛 ⩽ lim sup ∫ 𝑢𝑘 𝑑𝜇𝑛 = ∫ 𝑢𝑘 𝑑𝜇. 𝑛→∞

𝑛→∞

𝑛→∞

Mit monotoner Konvergenz folgt nun lim sup 𝜇𝑛 (𝐹) ⩽ inf ∫ 𝑢𝑘 𝑑𝜇 = ∫ 𝟙𝐹 𝑑𝜇 = 𝜇(𝐹). 𝑛→∞

𝑘∈ℕ

Die Masseerhaltung 𝜇𝑛 (𝐸) → 𝜇(𝐸) haben wir schon in (25.1) gesehen. c)⇔d): Für 𝑈 ⊂ 𝐸 offen ist 𝑈𝑐 = 𝐸 \ 𝑈 abgeschlossen und wir finden lim inf 𝜇𝑛 (𝑈) = lim inf [𝜇𝑛 (𝐸) − 𝜇𝑛 (𝑈𝑐 )] = lim 𝜇𝑛 (𝐸) − lim sup 𝜇𝑛 (𝑈𝑐 ) 𝑛→∞

𝑛→∞

𝑛→∞

𝑛→∞

c)

𝑐

⩾ 𝜇(𝐸) − 𝜇(𝑈 ) = 𝜇(𝑈). Die Umkehrung wird ganz ähnlich bewiesen. c) & d)⇒e): Wir haben 𝐵∘ ⊂ 𝐵 ⊂ 𝐵 und somit lim sup 𝜇𝑛 (𝐵) ⩽ lim sup 𝜇𝑛 (𝐵) ⩽ 𝜇(𝐵) 𝑛→∞

𝑛→∞

𝜇(𝜕𝐵)=0

=

𝜇(𝐵∘ ) ⩽ lim inf 𝜇𝑛 (𝐵∘ ) ⩽ lim inf 𝜇𝑛 (𝐵). 𝑛→∞

𝑛→∞

e)⇒a): Es sei 𝑢 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸) eine positive Funktion. Da 𝜕{𝑢 ⩾ 𝑡} ⊂ {𝑢 = 𝑡} und 𝜇(𝐸) < ∞, gilt 𝜇(𝜕{𝑢 ⩾ 𝑡}) > 0 für höchstens abzählbar viele 𝑡. Mit Satz 16.7, dominierter Konvergenz

25 ⧫Konvergenz von Maßen |

153

und der Tatsache, dass abzählbare Mengen Lebesgue–Nullmengen sind, erhält man ‖𝑢‖∞

‖𝑢‖∞

16.7

lim ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 = lim ∫ 𝜇𝑛 (𝑢 ⩾ 𝑡) 𝑑𝑡 =

𝑛→∞

𝑛→∞

0

‖𝑢‖∞ e)

∫ lim 𝜇𝑛 (𝑢 ⩾ 𝑡) 𝑑𝑡 =

∫ 𝜇(𝑢 ⩾ 𝑡) 𝑑𝑡

0

0

𝑛→∞

16.7

= ∫ 𝑢 𝑑𝜇.

Der allgemeine Fall folgt nun mit Linearität.

Vage Konvergenz Schwache Konvergenz setzt endliche Maße voraus, was für viele Anwendungen nicht erfüllt ist. Daher verwendet man oft das Konzept der vagen Konvergenz, das auf stetigen Funktionen mit kompakten Trägern 𝐶𝑐 (𝐸) beruht. Wir betrachten hier nur reguläre Maße, vgl. Anhang A.5: Ein Maß 𝜇 ∈ M+ (𝐸) ist regulär, also 𝜇 ∈ M+reg (𝐸), wenn 󳶳 𝜇(𝐾) < ∞ ∀𝐾 ⊂ 𝐸 kompakt; 󳶳 𝜇(𝐵) = inf {𝜇(𝑈) : 𝑈 ⊃ 𝐵, 𝑈 offen} ∀𝐵 ∈ B(𝐸); 󳶳 𝜇(𝑈) = sup {𝜇(𝐾) : 𝐾 ⊂ 𝑈, 𝐾 kompakt} ∀𝑈 ∈ O. 25.4 Definition. Eine Folge (𝜇𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ M+reg (𝐸) konvergiert vag gegen 𝜇 ∈ M+reg (𝐸) (Nov

tation: 𝜇𝑛 → 󳨀 𝜇), wenn lim ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇

𝑛→∞

∀𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸).

Im Gegensatz zu 𝐶𝑏 (𝐸) kann der Raum 𝐶𝑐 (𝐸) relativ klein sein. Für eine sinnvolle Theorie müssen wir weitere topologische Annahmen machen. Eine Menge 𝐴 ⊂ 𝐸 heißt relativ kompakt, wenn 𝐴 kompakt ist. Ein metrischer Raum (𝐸, 𝑑) heißt lokal-kompakt, wenn jeder Punkt 𝑥 ∈ 𝐸 eine relativ kompakte offene Umgebung 𝑉(𝑥) besitzt. Unter diesen Annahmen garantiert das Lemma von Urysohn (Lemma 24.6), dass der Raum 𝐶𝑐 (𝐸) hinreichend reichhaltig ist. 25.5 Bemerkung. In lokal-kompakten Räumen 𝐸 folgt – wie in Bemerkung 25.2 – mit Lemma 24.6.a) und dem Satz von der monotonen Konvergenz, dass ∫ 𝑢 𝑑𝜇 = ∫ 𝑢 𝑑𝜈

∀𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) 󳨐⇒ 𝜇(𝐾) = 𝜈(𝐾)

∀𝐾 ⊂ 𝐸 kompakt.

Wenn 𝜇, 𝜈 regulär sind, dann gilt 𝜇(𝐵) = 𝜈(𝐵) für alle 𝐵 ∈ B(𝐸), d. h. in M+reg (𝐸) sind vage Grenzwerte eindeutig. Mit Hilfe von Lemma 24.6 können wir auch ein Portmanteau-Theorem für vage Konvergenz zeigen. 25.6 Satz. Sei (𝐸, 𝑑) ein lokal-kompakter metrischer Raum und 𝜇, 𝜇𝑛 ∈ M+reg (𝐸), 𝑛 ∈ ℕ. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:

154 | 25 ⧫Konvergenz von Maßen v

a) 𝜇𝑛 → 󳨀 𝜇. b) lim sup𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝐾) ⩽ 𝜇(𝐾) und lim inf 𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝑈) ⩾ 𝜇(𝑈) für alle kompakten Mengen 𝐾 ⊂ 𝐸 und alle relativ kompakten offenen Mengen 𝑈 ⊂ 𝐸. c) lim𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝐵) = 𝜇(𝐵) für alle relativ kompakten Borelmengen 𝐵 ⊂ 𝐸 mit 𝜇(𝜕𝐵) = 0. Beweis. a)⇒b): Es sei 𝐾 eine kompakte Menge und 𝑢𝜖 ↓ 𝟙𝐾 mit 𝑢𝜖 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) aus Lemma 24.6. Nun folgt lim sup𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝐾) ⩽ 𝜇(𝐾) wie im Beweis von Satz 25.3, b)⇒c). Zu jeder offenen und relativ kompakten Menge 𝑈 gibt es nach Lemma 24.6 Funktionen 𝑤𝜖 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit 𝑤𝜖 ↑ 𝟙𝑈 . Somit ∫ 𝑤𝜖 𝑑𝜇 = lim inf ∫ 𝑤𝜖 𝑑𝜇𝑛 ⩽ lim inf ∫ 𝟙𝑈 𝑑𝜇𝑛 = lim inf 𝜇𝑛 (𝑈). 𝑛→∞

𝑛→∞

𝑛→∞

Monotone Konvergenz zeigt dann 𝜇(𝑈) = sup ∫ 𝑤𝜖 𝑑𝜇 ⩽ lim inf 𝜇𝑛 (𝑈). 𝑛→∞

𝜖>0

b)⇒c)⇒a) folgt nun wie im Beweis der entsprechenden Aussagen von Satz 25.3. Beachte, dass die Mengen {𝑢 ⩾ 𝑡}, 𝑡 > 0, für positive 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) kompakt sind. Im Gegensatz zur schwachen Konvergenz erhält die vage Konvergenz nicht immer die Gesamtmassen. Ein typisches Beispiel ist die Folge (𝛿𝑛 )𝑛∈ℕ auf (0, ∞), die vag gegen das Maß 𝜇 ≡ 0 konvergiert.

25.7 Lemma. Es sei (𝐸, 𝑑) ein lokal-kompakter metrischer Raum, 𝜇, 𝜇𝑛 ∈ M+reg (𝐸) und v

𝜇𝑛 → 󳨀 𝜇. Dann gilt 𝜇(𝐸) ⩽ lim inf 𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝐸). Beweis. Für alle 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit 0 ⩽ 𝑢 ⩽ 1 gilt vag

∫ 𝑢 𝑑𝜇 = lim inf ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 ⩽ lim inf ∫ 1 𝑑𝜇𝑛 = lim inf 𝜇𝑛 (𝐸). 𝑛→∞

𝑛→∞

𝑛→∞

Nach Lemma 24.6 gibt es zu jedem Kompaktum 𝐾 ein 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit 𝟙𝐾 ⩽ 𝑢 ⩽ 1. Somit 𝜇(𝐸)

regulär

=

sup 𝐾⊂𝐸, kompakt

𝜇(𝐾) ⩽ sup {∫ 𝑢 𝑑𝜇 : 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸), 𝑢 ⩽ 1} ⩽ lim inf 𝜇𝑛 (𝐸). 𝑛→∞

Wir schreiben 𝐶∞ (𝐸) := 𝐶𝑐 (𝐸) für den Abschluss von 𝐶𝑐 (𝐸) bezüglich der sup-Norm. Da gleichmäßige Konvergenz die Stetigkeit erhält, ist 𝑢 ∈ 𝐶∞ (𝐸) stetig. Andererseits ist die Menge {|𝑢| ⩾ 𝜖} kompakt, da es nach Konstruktion ein 𝑢𝜖 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit ‖𝑢 − 𝑢𝜖 ‖∞ < 𝜖 gibt. Daher verschwindet 𝑢 im Unendlichen. Man sieht leicht, dass (𝐶∞ (𝐸), ‖ ⋅ ‖∞ ) ein Banachraum ist. [] 25.8 Satz. Es sei (𝐸, 𝑑) ein lokal-kompakter metrischer Raum und 𝜇, 𝜇𝑛 ∈ M+reg (𝐸). Dann gilt v

𝜇𝑛 → 󳨀 𝜇 und

sup 𝜇𝑚 (𝐸) < ∞ 󳨐⇒ ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 󳨀󳨀󳨀󳨀→ ∫ 𝑢 𝑑𝜇 ∀𝑢 ∈ 𝐶∞ (𝐸).

𝑚∈ℕ

𝑛→∞

25 ⧫Konvergenz von Maßen |

155

Beweis. Seien 𝑢 ∈ 𝐶∞ (𝐸) und 𝜖 > 0. Nach der Vorbemerkung zu Satz 25.8 und Lemma 24.6 gibt es ein 𝜒 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸), 0 ⩽ 𝜒 ⩽ 1, so dass |𝑢| ⩽ 𝜖 auf der Menge {𝜒 < 1} = {𝜒 = 1}𝑐 . Somit 󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 ⩽ 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 + 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢(1 − 𝜒) 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢(1 − 𝜒) 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 ⩽ 󵄨󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨󵄨 + 𝜖 [𝜇𝑛 (𝐸) + 𝜇(𝐸)] 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 25.7 󵄨󵄨 󵄨 ⩽ 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨󵄨 + 2𝜖 sup 𝜇𝑚 (𝐸). 󵄨 󵄨 𝑚∈ℕ Da 𝑢𝜒 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) ist, ergibt sich für 𝑛 → ∞ 󵄨󵄨 󵄨󵄨 lim sup 󵄨󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨󵄨 ⩽ 2𝜖 sup 𝜇𝑚 (𝐸) 󳨀󳨀󳨀→ 0. 𝜖→0 󵄨 𝑛→∞ 󵄨 𝑚∈ℕ Abschließend behandeln wir den Zusammenhang zwischen vager und schwacher Konvergenz. 25.9 Satz. Es sei (𝐸, 𝑑) ein lokal-kompakter metrischer Raum und 𝜇, 𝜇𝑛 ∈ M+reg (𝐸). Dann sind äquivalent: w a) 𝜇𝑛 󳨀 → 𝜇. v b) 𝜇𝑛 → 󳨀 𝜇 und Masseerhaltung: lim𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝐸) = 𝜇(𝐸). v c) 𝜇𝑛 → 󳨀 𝜇 und Straffheit: ∀𝜖 > 0 ∃𝐾 ⊂ 𝐸 kompakt : sup𝑛∈ℕ 𝜇𝑛 (𝐾𝑐 ) < 𝜖. Insbesondere fallen vage und schwache Konvergenz für Wahrscheinlichkeitsmaße auf lokal- und 𝜎-kompaktem 𝐸 zusammen. Beweis. Die Implikation a)⇒b) ist offensichtlich. b)⇒c) Da die Maße 𝜇𝑛 und 𝜇 von innen regulär sind, gilt ∀𝜖 > 0

∀𝑛 ∈ ℕ

𝑐 ) ⩽ 𝜖; ∃𝐾𝑛,𝜖 ⊂ 𝐸 kompakt : 𝜇𝑛 (𝐾𝑛,𝜖

entsprechend finden wir eine kompakte Menge 𝐾0,𝜖 für das Maß 𝜇. Mit dem Lemma von Urysohn (Lemma 24.6.a) gibt es eine relativ kompakte offene Menge 𝑈𝜖 ⊃ 𝐾0,𝜖 und eine kompakte Menge 𝐾𝜖 ⊃ 𝑈𝜖 , und wegen Satz 25.6.b) ist dann 𝜇(𝐸) ⩽ 𝜇(𝐾0,𝜖 ) + 𝜖 ⩽ 𝜇(𝑈𝜖 ) + 𝜖 ⩽ lim inf 𝜇𝑛 (𝑈𝜖 ) + 𝜖 ⩽ lim inf 𝜇𝑛 (𝐾𝜖 ) + 𝜖. 𝑛→∞

𝑛→∞

Da nach Voraussetzung 𝜇(𝐸) = lim𝑛→∞ 𝜇𝑛 (𝐸) gilt, sehen wir lim sup 𝜇𝑛 (𝐸 \ 𝐾𝜖 ) = lim 𝜇𝑛 (𝐸) − lim inf 𝜇𝑛 (𝐾𝜖 ) ⩽ 𝜖. 𝑛→∞

𝑛→∞

𝑛→∞

Daher gibt es ein 𝑁 = 𝑁(𝜖) ∈ ℕ mit sup𝑛>𝑁 𝜇𝑛 (𝐸 \ 𝐾𝜖 ) ⩽ 2𝜖. Da die Maße 𝜇1 , . . . , 𝜇𝑁 regulär sind, ist 𝐾 := 𝐾𝜖 ∪ 𝐾1,𝜖 ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∪ 𝐾𝑁,𝜖 die gesuchte kompakte Menge. c)⇒a) Sei 𝑢 ∈ 𝐶𝑏 (𝐸), 𝜖 > 0 und 𝐾 ⊂ 𝐸 eine kompakte Menge mit sup𝑛 𝜇𝑛 (𝐾𝑐 ) ⩽ 𝜖 (nach Annahme) und 𝜇(𝐾𝑐 ) ⩽ 𝜖 (wegen der Regularität). Mit dem Lemma von Urysohn

156 | 25 ⧫Konvergenz von Maßen konstruieren wir eine Funktion 𝜒 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit 𝟙𝐾 ⩽ 𝜒 ⩽ 1. Dann ist 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 ⩽ 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 + 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢(1 − 𝜒) 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢(1 − 𝜒) 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝑛 𝑛 𝑛 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨 ⩽ 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 + ‖𝑢‖∞ [∫ 𝟙𝐾𝑐 𝑑𝜇𝑛 + ∫ 𝟙𝐾𝑐 𝑑𝜇] 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 ⩽ 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢𝜒 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨󵄨 + 2‖𝑢‖∞ 𝜖. 󵄨 󵄨 Da 𝑢𝜒 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) ist, ergibt sich für 𝑛 → ∞ 󵄨󵄨 󵄨󵄨 lim sup 󵄨󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨󵄨 ⩽ 2‖𝑢‖∞ 𝜖 󳨀󳨀󳨀→ 0. 𝜖→0 󵄨 𝑛→∞ 󵄨 Der Zusatz folgt aus der Tatsache, dass W-Maße auf 𝜎-kompakten Räumen regulär sind, Satz A.10. Viele Existenzbeweise lassen sich auf Kompaktheitsaussagen zurückführen. Für die vage Konvergenz (und die dadurch induzierte vage Topologie) kann man Kompaktheit durch vage Beschränktheit kennzeichnen. In allgemeinen Räumen gilt allerdings nicht, dass Kompaktheit die Existenz von konvergenten (Teil-)Folgen impliziert. Wenn aber der Raum 𝐶𝑐 (𝐸) eine abzählbare dichte Teilmenge enthält (also separabel ist, vgl. Satz A.14), dürfen wir mit Folgen arbeiten. Typischerweise ist 𝐶𝑐 (𝐸) separabel, wenn der Grundraum (𝐸, 𝑑) selbst ein metrischer Raum mit einer abzählbaren dichten Teilmenge ist. 25.10 Lemma (Einfangtrick). Es sei (𝐸, 𝑑) ein lokal-kompakter und 𝜎-kompakter metrischer Raum. Dann existieren kompakte Mengen (𝐿 𝑛 )𝑛∈ℕ , so dass 𝐿 𝑛 ⊂ 𝐿∘𝑛+1 ⊂ 𝐿 𝑛+1 und ⋃𝑛∈ℕ 𝐿 𝑛 = 𝐸 gilt. Insbesondere gibt es für jede kompakte Menge 𝐾 ⊂ 𝐸 ein 𝑁 = 𝑁(𝐾) mit 𝐾 ⊂ 𝐿 𝑁 . Beweis. Da 𝐸 𝜎-kompakt ist, gibt es eine Folge kompakter Mengen 𝐾𝑛 ↑ 𝐸. Mit dem Urysohn-Lemma 24.6.a) finden wir Funktionen 𝜒𝑛 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit 𝟙𝐾𝑛 ⩽ 𝜒𝑛 ⩽ 1; o. E. können wir 𝜒𝑛 ↑ 1 annehmen, sonst betrachten wir die Folge max{𝜒1 , . . . , 𝜒𝑛 }. Wir definieren nun 𝐿 𝑛 := {𝜒𝑛 ⩾ 1/𝑛}. Diese Mengen sind abgeschlossen (𝜒𝑛 ist stetig), kompakt (𝐿 𝑛 ⊂ supp 𝜒𝑛 ) und wegen 𝜒𝑛 ⩽ 𝜒𝑛+1 gilt auch 𝐿 𝑛 = {𝜒𝑛 ⩾ 𝑛1 } ⊂ {𝜒𝑛 >

1 } 𝑛+1

1 {𝜒𝑛+1 > 𝑛+1 } ⊂ {𝜒𝑛+1 ⩾ ⊂ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟

1 } 𝑛+1

= 𝐿 𝑛+1 .

=:𝑈𝑛 offen

Da die Menge 𝑈𝑛 offen ist, folgt 𝐿 𝑛 ⊂ 𝐿∘𝑛+1 ⊂ 𝐿 𝑛+1 . Wegen 𝜒𝑛 ↑ 1 gilt 𝐿∘𝑛 ↑ 𝐸. Nun sei 𝐾 ⊂ 𝐸 kompakt. Offensichtlich ist 𝐾 ⊂ ⋃𝑛∈ℕ 𝐿∘𝑛 und wegen der Kompaktheit gibt es eine endliche Teilüberdeckung, d. h. es existiert ein 𝑁 = 𝑁(𝐾), so dass 𝐾 ⊂ 𝐿 1 ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∪ 𝐿 𝑁 = 𝐿 𝑁. Wir kommen nun zum angekündigten Kompaktheitsresultat.

25 ⧫Konvergenz von Maßen |

157

25.11 Satz. Es sei (𝐸, 𝑑) ein lokal-kompakter und 𝜎-kompakter metrischer Raum, so dass (𝐶𝑐 (𝐸), ‖ ⋅ ‖∞ ) separabel ist. Wenn N ⊂ M+reg (𝐸) vag beschränkt ist, d. h. sup ∫ |𝑢| 𝑑𝜈 = 𝑐(𝑢) < ∞ 𝜈∈N

(25.2)

∀𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸), v

󳨀 𝜇. dann gibt es eine Folge (𝜇𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ N und ein Maß 𝜇 ∈ M+reg (𝐸), so dass 𝜇𝑛 → Beweis. 1o ) Mit dem Lemma von Urysohn (Lemma 24.6) und dem Einfangtrick (Lemma 25.10) konstruieren wir eine Folge (𝜒𝑛 )𝑛∈ℕ ⊂ 𝐶𝑐 (𝐸) mit 0 ⩽ 𝜒𝑛 ↑ 1 und

∀𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸)

∃𝑁 = 𝑁𝑢 : 𝟙supp 𝑢 ⩽ 𝜒𝑁 .

Es sei D = {𝑤1 , 𝑤2 , . . . } eine abzählbare dichte Teilmenge von 𝐶𝑐 (𝐸). Dann ist auch ̃ := {𝑤 𝜒 : 𝑘, 𝑛 ∈ ℕ} eine abzählbare dichte Teilmenge von 𝐶 (𝐸). D 𝑘 𝑛 𝑐 ̃ aus 1o . Wir kon2o ) Mit {𝑢1 , 𝑢2 , 𝑢3 , . . . } bezeichnen wir eine Abzählung der Menge D struieren die Folge (𝜇𝑛 )𝑛∈ℕ rekursiv: Für ⟨𝜈, 𝑢⟩ := ∫ 𝑢 𝑑𝜈 gilt nach Voraussetzung (⟨𝜈, 𝑢𝑖 ⟩)𝜈∈N ⊂ [−𝑐(𝑢𝑖 ), 𝑐(𝑢𝑖 )]

∀𝑖 ∈ ℕ.

Weil die rechte Seite ein kompaktes Intervall ist, finden wir durch wiederholte Anwendung des Satzes von Bolzano–Weierstraß (⟨𝜈, 𝑢1 ⟩)𝜈∈N ⊂ [−𝑐(𝑢1 ), 𝑐(𝑢1 )] (⟨𝜈𝑛1 , 𝑢2 ⟩)𝑛∈ℕ ⊂ [−𝑐(𝑢2 ), 𝑐(𝑢2 )]

󳨐⇒ ∃(𝜈𝑛1 )𝑛∈ℕ ⊂ N :

𝐼(𝑢1 ) = lim ⟨𝜈𝑛1 , 𝑢1 ⟩;

󳨐⇒ ∃(𝜈𝑛2 )𝑛∈ℕ ⊂ (𝜈𝑛1 )𝑛∈ℕ :

𝐼(𝑢2 ) = lim ⟨𝜈𝑛2 , 𝑢2 ⟩;

󳨐⇒ ∃(𝜈𝑛𝑖 )𝑛∈ℕ ⊂ (𝜈𝑛𝑖−1 )𝑛∈ℕ :

𝐼(𝑢𝑖 ) = lim ⟨𝜈𝑛𝑖 , 𝑢𝑖 ⟩.

𝑛→∞ 𝑛→∞

.. . (⟨𝜈𝑛𝑖−1 , 𝑢𝑖 ⟩)𝑛∈ℕ ⊂ [−𝑐(𝑢𝑖 ), 𝑐(𝑢𝑖 )]

𝑛→∞

Da wir die Teilfolgen immer weiter ausgedünnt haben, gilt 𝐼(𝑢𝑘 ) = lim𝑛→∞ ⟨𝜈𝑛𝑖 , 𝑢𝑘 ⟩ für alle 𝑘 = 1, . . . , 𝑖. Somit erhalten wir für die Diagonalfolge 𝜇𝑛 := 𝜈𝑛𝑛 𝐼(𝑢) = lim ⟨𝜇𝑛 , 𝑢⟩ = lim ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 𝑛→∞

𝑛→∞

̃ ∀𝑢 ∈ D.

3o ) Es sei 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) und 𝜖 > 0. Wie in Schritt 1o finden wir Funktionen 𝑤𝜖 ∈ D und ̃ 𝜒𝑁 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸), so dass für 𝑓𝜖 := 𝑤𝜖 𝜒𝑁 ∈ D ‖𝑢 − 𝑓𝜖 ‖∞ < 𝜖 und

|𝑢 − 𝑓𝜖 | ⩽ 𝜖𝜒𝑁

gilt. Somit 󵄨󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇 − ∫ 𝑢 𝑑𝜇 󵄨󵄨󵄨 ⩽ 󵄨󵄨󵄨∫(𝑢 − 𝑓 ) 𝑑𝜇 󵄨󵄨󵄨 + 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑓 𝑑𝜇 − ∫ 𝑓 𝑑𝜇 󵄨󵄨󵄨 + 󵄨󵄨󵄨∫(𝑓 − 𝑢) 𝑑𝜇 󵄨󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 𝜖 𝑛 󵄨󵄨 𝑛 𝑚 󵄨󵄨 𝜖 𝑛 󵄨󵄨 𝜖 𝑚 󵄨󵄨 𝜖 𝑚 󵄨󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨 󵄨 ⩽ ∫ 󵄨󵄨𝑢 − 𝑓𝜖 󵄨󵄨 𝑑𝜇𝑛 + 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑓𝜖 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑓𝜖 𝑑𝜇𝑚 󵄨󵄨󵄨 + ∫ 󵄨󵄨󵄨𝑓𝜖 − 𝑢󵄨󵄨󵄨 𝑑𝜇𝑚 󵄨 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 ⩽ 𝜖 (∫ 𝜒𝑁 𝑑𝜇𝑛 + ∫ 𝜒𝑁 𝑑𝜇𝑚 ) + 󵄨󵄨󵄨∫ 𝑓𝜖 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑓𝜖 𝑑𝜇𝑚 󵄨󵄨󵄨󵄨 . (*) 󵄨 󵄨

158 | 25 ⧫Konvergenz von Maßen ̃ Für 𝑚, 𝑛 → ∞ ergibt sich dann wegen (25.2) und 𝑓𝜖 ∈ D 󵄨󵄨 󵄨󵄨 lim sup 󵄨󵄨󵄨󵄨∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 − ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑚 󵄨󵄨󵄨󵄨 ⩽ 2𝜖𝑐(𝜒𝑁 ) 󳨀󳨀󳨀→ 0. 𝜖→0 󵄨 𝑚,𝑛→∞ 󵄨

(**)

Also konvergiert 𝐼(𝑢) := lim𝑛→∞ ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 für alle 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) und definiert ein positives lineares Funktional. Die Behauptung folgt nun aus dem Rieszschen Darstellungssatz, Satz 24.8. Wenn die Familie N aus endlichen Maßen mit sup𝜈∈N 𝜈(𝐸) < ∞ besteht, dann ist die vage Beschränktheit offensichtlich erfüllt, und wir können sogar auf die 𝜎Kompaktheit von 𝐸 verzichten. Das folgt einfach aus der Tatsache, dass wir im Beweis von Satz 25.11 an den mit (*) und (**) gekennzeichneten Stellen 𝜒𝑁 ≡ 1 und 𝑐(1) = sup𝜈∈N 𝜈(𝐸) wählen können. 25.12 Korollar. Es sei (𝐸, 𝑑) ein lokal-kompakter metrischer Raum, so dass (𝐶𝑐 (𝐸), ‖⋅‖∞ ) separabel ist. Dann hat jede Folge von Maßen in M+⩽1 (𝐸) := {𝜇 ∈ M+reg (𝐸) : 𝜇(𝐸) ⩽ 1} eine vag konvergente Teilfolge, mit Grenzwert 𝜇 ∈ M+⩽1 (𝐸). (M. a. W.: Die Familie M+⩽1 (𝐸) ist vag folgenkompakt.) Beweis. Wie in Satz 25.11 finden wir für jede Folge in M+⩽1 (𝐸) eine vag konvergente Teilfolge mit vagem Grenzwert 𝜇 ∈ M+reg (𝐸). Wegen Lemma 25.7 gilt 𝜇(𝐸) ⩽ 1 und somit 𝜇 ∈ M+⩽1 (𝐸). In vielen Anwendungen ist 𝐸 ein 𝜎-kompakter metrischer Raum. Dann sind nach Satz A.10 die endlichen Maße bereits regulär. Korollar 25.12 ist in der Wahrscheinlichkeitstheorie, z. B. für den Stetigkeitssatz von P. Lévy oder beim Beweis der Lévy– Khintchine Formel, ein wichtiges Hilfsmittel.

Aufgaben 1.

Verwenden Sie Satz 25.11, um einen weiteren Beweis für den Stetigkeitssatz von Lévy (Aufgabe 24.3) zu führen. (a) Zeigen Sie (ähnlich wie in Aufgabe 24.3), dass der Grenzwert lim𝑛→∞ ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 für alle Funktionen 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) existiert. Da 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) 󳨐⇒ |𝑢| ∈ 𝐶𝑐 (ℝ𝑑 ) ist die Folge vag beschränkt und es gibt ein Maß 𝜇 und eine vag konvergente Teilfolge 𝜇𝑛(𝑖) → 𝜇 (vag). (b) Teil (a) lässt sich auf jede Teilfolge von (𝜇𝑛 )𝑛 anwenden und es folgt, dass alle Teilfolgen wiederum vag konvergente Teilfolgen mit demselben Grenzwert 𝜇 zulassen. Daher konvergiert 𝜇𝑛 → 𝜇 vag. (c) Mit Lévys truncation inequality (Aufgabe 22.3) folgt die Straffheit der Maße (𝜇𝑛 )𝑛 , und Satz 25.9 zeigt, dass 𝜇𝑛 → 𝜇 schwach konvergiert.

2.

Es seien (𝐸, 𝑑) ein lokal-kompakter metrischer Raum und 𝜇, 𝜇𝑛 ∈ M+reg (𝐸), 𝜇𝑛 󳨀󳨀→ 𝜇. Dann gilt

v

lim ∫ 𝑢 𝑑𝜇𝑛 = ∫ 𝑢 𝑑𝜇 𝑛

𝐵

für alle 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) und 𝐵 ∈ B(𝐸) mit 𝜇(𝜕𝐵) = 0.

𝐵

Hinweis: Vgl. den Beweis von Satz 25.6.c).

A Anhang A.1 Konstruktion einer nicht-messbaren Menge Es sei 𝜆𝑑 das Lebesgue–Maß auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) und N𝜆𝑑 := {𝑁 ∈ B(ℝ𝑑 ) : 𝜆𝑑 (𝑁) = 0} die Familie der Nullmengen. Die Vervollständigung von (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 ), 𝜆𝑑 ) ist definiert durch B ∗ (ℝ𝑑 ) := {𝐵∗ = 𝐵 ∪ 𝑀 : 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ), 𝑀 ⊂ 𝑁, 𝑁 ∈ N𝜆𝑑 } , 𝜆̄ 𝑑 (𝐵∗ ) := 𝜆𝑑 (𝐵)

∀𝐵∗ ∈ B ∗ (ℝ𝑑 );

eine Menge 𝐵∗ ∈ B ∗ (ℝ𝑑 ) heißt Lebesgue-messbar. Man sieht leicht, dass B ∗ (ℝ𝑑 ) eine 𝜎-Algebra ist,16 und dass 𝜆̄ 𝑑 wohldefiniert ist und 𝜆𝑑 fortsetzt. A.1 Satz. Es gibt Mengen in ℝ𝑑 , die nicht Lebesgue-messbar sind: B ∗ (ℝ𝑑 ) ⊊ P(ℝ𝑑 ). Beweis. Zunächst sei 𝑑 = 1. Wir nennen 𝑥, 𝑦 ∈ [0, 1) äquivalent, wenn 𝑥 − 𝑦 ∈ ℚ. Mit [𝑥] bezeichnen wir die Äquivalenzklassen {𝑦 ∈ [0, 1) : 𝑦 − 𝑥 ∈ ℚ} = (𝑥 + ℚ) ∩ [0, 1). Nach Konstruktion gilt [0, 1) = ⋃𝑖∈𝐼 [𝑥𝑖 ], wobei ([𝑥𝑖 ])𝑖∈𝐼 alle Äquivalenzklassen sind. Mit Hilfe des Auswahlaxioms finden wir eine Menge 𝐿, die aus jeder Klasse [𝑥𝑖 ] genau ein 𝑚𝑖 enthält. Insbesondere gilt



∀𝑥 ∈ [0, 1)

∃𝑖𝑥 ∈ 𝐼 : [𝑥] ∩ 𝐿 = {𝑚𝑖𝑥 }.

Daher ist 𝑥 = 𝑚𝑖𝑥 + 𝑞 für ein 𝑞 ∈ ℚ ∩ (−1, 1), also [0, 1) ⊂ 𝐿 + [ℚ ∩ (−1, 1)] ⊂ [0, 1) + (−1, 1) = (−1, 2) oder ⋃

[0, 1) ⊂

(𝑞 + 𝐿) ⊂ (−1, 2).

𝑞∈ℚ∩(−1,1)

Weiterhin ist (𝑟 + 𝐿) ∩ (𝑞 + 𝐿) = 0 für 𝑟 ≠ 𝑞, 𝑟, 𝑞 ∈ ℚ – sonst wäre 𝑟 + 𝑥 = 𝑞 + 𝑦 für 𝑥, 𝑦 ∈ 𝐿 mit 𝑥 ≠ 𝑦 und damit 𝑥 − 𝑦 ∈ ℚ, was nach Konstruktion von 𝐿 ausgeschlossen ist. Angenommen, 𝐿 wäre Lebesgue-messbar, dann sehen wir wegen der 𝜎-Additivität des Lebesgueschen Maßes, dass 1 = 𝜆̄ 1 [0, 1) ⩽

𝜆̄ 1 (𝑞 + 𝐿) ⩽ 𝜆̄ 1 [−1, 2) = 3.

∑ 𝑞∈ℚ∩(−1,1)

̄1

Andererseits ist 𝜆 invariant unter Translationen, 𝜆̄ 1 (𝑞 + 𝐿) = 𝜆̄ 1 (𝐿) (Satz 4.7), d. h. 1⩽



𝜆̄ 1 (𝐿) ⩽ 3,

𝑞∈ℚ∩(−1,1)

was offensichtlich nicht möglich ist. Somit ist 𝐿 nicht Lebesgue-messbar. Für 𝑑 > 1 sieht man so, dass [0, 1)𝑑−1 × 𝐿 nicht Lebesgue-messbar sein kann.

16 Die Carathéodory-Erweiterung (Satz 5.2) des Lebesgue–Maßes auf den Rechtecken I liefert übrigens A ∗ = B∗ (ℝ𝑑 ).

160 | A Anhang

A.2 Berechnung des Spatvolumens Wir wollen das Volumen eines 𝑑-dimensionalen Parallelepipeds (Spat) bestimmen. Es sei 𝐴 ∈ GL(𝑑, ℝ) eine invertierbare 𝑑 × 𝑑-Matrix und 𝐴 ([0, 1)𝑑 ) := {𝐴𝑥 ∈ ℝ𝑑 : 𝑥 ∈ [0, 1)𝑑 } der von 𝐴 aufgespannte Spat. A.2 Satz. Für alle 𝐴 ∈ GL(𝑑, ℝ) gilt 𝜆𝑑 [𝐴 ([0, 1)𝑑 )] = |det 𝐴|. Für den Beweis von Satz A.2 benötigen wir zwei Hilfssätze. A.3 Lemma. Es sei 𝐷 = diag [𝜆 1 , . . . , 𝜆 𝑑 ], 𝜆 𝑛 > 0, eine 𝑑 × 𝑑 Diagonalmatrix. Dann ist 𝜆𝑑 (𝐷(𝐵)) = det 𝐷 ⋅ 𝜆𝑑 (𝐵) für alle Borelmengen 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ). Beweis. Sowohl 𝐷 als auch 𝐷−1 definieren stetige Abbildungen. Daher ist 𝐷(𝐵) für jedes 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) eine Borelmenge. Wegen des Eindeutigkeitssatzes für Maße (Satz 4.5) genügt es, die Aussage für halboffene Rechtecke X𝑑𝑛=1 [𝑎𝑛 , 𝑏𝑛 ), −∞ < 𝑎𝑛 < 𝑏𝑛 < ∞, zu zeigen. Offenbar gilt 𝑑

𝑑

×[𝑎 , 𝑏 )) = ×[𝜆 𝑎 , 𝜆 𝑏 )

𝐷(

𝑛

𝑛

𝑛 𝑛

𝑛=1

𝑛 𝑛

𝑛=1

und 𝑑

𝑑

𝑑

×[𝑎 , 𝑏 ))] = ∏ (𝜆 𝑏 − 𝜆 𝑎 ) = 𝜆 ⋅ ⋅ ⋅ 𝜆 ∏(𝑏 − 𝑎 ) = det 𝐷 𝜆 [× [𝑎 , 𝑏 )] .

𝜆𝑑 [𝐷 (

𝑛

𝑛

𝑛 𝑛

𝑛=1

𝑛 𝑛

1

𝑑

𝑛=1

𝑛

𝑛

𝑛=1

𝑑

𝑑

𝑛

𝑛

𝑛=1

A.4 Lemma. Zu jeder Matrix 𝐴 ∈ GL(𝑑, ℝ) gibt es orthogonale Matrizen 𝑆, 𝑇 ∈ O(𝑑) und eine Diagonalmatrix 𝐷 = diag [𝜆 1 , . . . , 𝜆 𝑑 ] mit strikt positiven Einträgen 𝜆 𝑛 > 0, so dass 𝐴 = 𝑆𝐷𝑇. Beweis. Die Matrix 𝐴⊤ 𝐴 ist symmetrisch. Daher gibt es eine Matrix 𝑈 ∈ O(𝑑) mit ̃ = diag [𝜇1 , . . . , 𝜇𝑑 ] . 𝑈⊤ (𝐴⊤ 𝐴)𝑈 = 𝐷 . . . , 0, 1, 0 . . . , 0)⊤ den 𝑛-ten Einheitsvektor und mit | ⋅ | die Wir bezeichnen mit 𝑒𝑛 := (0, ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ 𝑛

Euklidische Norm. Dann ist ̃ 𝑛 = (𝑒⊤ 𝑈⊤ 𝐴⊤ )(𝐴𝑈𝑒𝑛 ) = |𝐴𝑈𝑒𝑛 |2 > 0. 𝜇𝑛 = 𝑒𝑛⊤ 𝐷𝑒 𝑛 ̃ = diag[𝜆 1 , . . . , 𝜆 𝑑 ] mit 𝜆 𝑛 := √𝜇𝑛 . Dann gilt Setze 𝐷 := √𝐷 𝐷−1 𝑈⊤ 𝐴⊤ 𝐴𝑈𝐷−1 = id𝑑 und daher ist 𝑆 := 𝐴𝑈𝐷−1 ∈ O(𝑑). Da 𝑇 := 𝑈⊤ ∈ O(𝑑), gilt zudem 𝑆𝐷𝑇 = (𝐴𝑈𝐷−1 )𝐷 𝑈⊤ = 𝐴.

A.3 Messbarkeit der Stetigkeitsstellen beliebiger Funktionen |

161

Beweis von Satz A.2. Mit Hilfe von Lemma A.3 und A.4 ergibt sich für 𝐴 ∈ GL(𝑑, ℝ) 𝜆𝑑 [𝐴 ([0, 1)𝑑 )] = 𝜆𝑑 [𝑆𝐷𝑇 ([0, 1)𝑑 )] = 𝜆𝑑 [𝐷𝑇 ([0, 1)𝑑 )] = det 𝐷 ⋅ 𝜆𝑑 [𝑇 ([0, 1)𝑑 )] 6.9

= det 𝐷 ⋅ 𝜆𝑑 ([0, 1)𝑑 ) .

Wegen 𝑆, 𝑇 ∈ O(𝑑) gilt für die Determinanten |det 𝑆| = |det 𝑇| = 1. Somit erhält man |det 𝐴| = |det(𝑆𝐷𝑇)| = |det 𝑆| ⋅ |det 𝐷| ⋅ |det 𝑇| = det 𝐷.

A.3 Messbarkeit der Stetigkeitsstellen beliebiger Funktionen Es sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum. Bezüglich der Metrik 𝑑 bezeichnen wir mit 𝐵𝑟 (𝑥) := {𝑦 ∈ 𝐸 : 𝑑(𝑥, 𝑦) < 𝑟} die offene Kugel mit Radius 𝑟 > 0 und Zentrum 𝑥 ∈ 𝐸. Für eine beliebige Funktion 𝑓 : 𝐸 → ℝ (Messbarkeit wird nicht vorausgesetzt) setzen wir 𝑤𝑓 (𝑥) := inf (diam 𝑓 (𝐵𝑟 (𝑥))) = inf ( sup 𝑓(𝑧) − inf 𝑓(𝑧)) 𝑟>0

𝑟>0

𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

(diam 𝐵 = sup𝑥,𝑦 |𝑥 − 𝑦| ist der Durchmesser der Menge 𝐵 ⊂ ℝ). Weil 𝑟 󳨃→ diam 𝑓(𝐵𝑟 (𝑥)) eine fallende Funktion von 𝑟 ist, können wir in der Definition von 𝑤𝑓 (𝑥) das Infimum inf 𝑟>0 durch inf 0 0 ∀𝑟 < 𝑟𝜖 : ( sup 𝑓(𝑧) − 𝑓(𝑥)) + (𝑓(𝑥) − inf 𝑓(𝑧)) < 2𝜖. 𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

Somit 𝜖→0

𝑤𝑓 (𝑥) ⩽ sup 𝑓(𝑧) − inf 𝑓(𝑧) < 2𝜖 󳨀󳨀󳨀→ 0. 𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

„⇐“: Für alle 𝑟 > 0 und 𝑥, 𝑥󸀠 mit 𝑥󸀠 ∈ 𝐵𝑟 (𝑥) gilt 𝑓(𝑥) − 𝑓(𝑥󸀠 ) ⩽ sup 𝑓(𝑧) − inf 𝑓(𝑧). 𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

Indem wir 𝑥 und 𝑥󸀠 vertauschen, erhalten wir |𝑓(𝑥) − 𝑓(𝑥󸀠 )| ⩽ sup 𝑓(𝑧) − inf 𝑓(𝑧). 𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

162 | A Anhang Nun sei 𝑤𝑓 (𝑥) = 0 angenommen. Dann gibt es für jedes 𝜖 > 0 ein 𝑟𝜖 , so dass für alle 𝑟 < 𝑟𝜖 und 𝑥󸀠 ∈ 𝐵𝑟 (𝑥) |𝑓(𝑥) − 𝑓(𝑥󸀠 )| ⩽ sup 𝑓(𝑧) − inf 𝑓(𝑧) ⩽ 𝜖 + 𝑤𝑓 (𝑥) = 𝜖 𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥)

gilt. Das zeigt die Stetigkeit von 𝑓 an der Stelle 𝑥. A.6 Lemma. 𝑤𝑓 ist oberhalbstetig, d. h. {𝑤𝑓 < 𝛼} ist für jedes 𝛼 > 0 eine offene Menge. Beweis. Es sei 𝑥0 ∈ {𝑤𝑓 < 𝛼}. Dann gibt es ein 𝑟 = 𝑟(𝛼) > 0 mit sup 𝑓(𝑧) − inf 𝑓(𝑧) < 𝛼. 𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥0 )

𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥0 )

Wähle 𝑦 ∈ 𝐵𝑟/3 (𝑥0 ). Wegen 𝐵𝑟/3 (𝑦) ⊂ 𝐵𝑟 (𝑥0 ) gilt 𝑤𝑓 (𝑦) ⩽

sup 𝑓(𝑧) − 𝑧∈𝐵𝑟/3 (𝑦)

inf

𝑧∈𝐵𝑟/3 (𝑦)

𝑓(𝑧) ⩽ sup 𝑓(𝑧) − inf 𝑓(𝑧) < 𝛼. 𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥0 )

𝑧∈𝐵𝑟 (𝑥0 )

Daher ist 𝑦 ∈ {𝑤𝑓 < 𝛼}, also 𝐵𝑟/3 (𝑥0 ) ⊂ {𝑤𝑓 < 𝛼}. A.7 Satz. Es sei 𝑓 : 𝐸 → ℝ eine beliebige Funktion. Die Menge der Stetigkeitsstellen 𝐶𝑓 := {𝑥 : 𝑓 ist stetig in 𝑥} ist eine Borelmenge. Beweis. Lemma A.5 zeigt 𝐶𝑓 = ⋂ {𝑤𝑓 < 𝛿} = ⋂ {𝑤𝑓 < 𝑛1 } 𝑛∈ℕ

𝛿>0

und gemäß Lemma A.6 sind die Mengen {𝑤 < 𝑛1 } offen, also Borelsch. Daher ist auch deren abzählbarer Schnitt 𝐶𝑓 eine Borelmenge. 𝑓

A.4 Das Integral komplexwertiger Funktionen Bisweilen müssen wir das Integral auf komplexwertige Integranden erweitern, z. B. für die Fouriertransformation (Kapitel 22). Da die Abbildung (Re, Im) : ℂ → ℝ2 ,

̄ 𝑧 = 𝑥 + 𝑖𝑦 󳨃→ (𝑥, 𝑦) = ( 12 (𝑧 + 𝑧),

1 (𝑧 2𝑖

̄ − 𝑧))

messbar ist und eine messbare Inverse (𝑥, 𝑦) = (Re 𝑧, Im 𝑧) 󳨃→ Re 𝑧 + 𝑖 Im 𝑧 besitzt, können wir B(ℝ2 ) und B(ℂ) identifizieren. Damit lässt sich das Integral durch ℂLinearität fortsetzen. Es sei 𝑓 : (𝐸, A ) → (ℂ, B(ℂ)) eine messbare Funktion und 𝜇 ein Maß auf (𝐸, A ). Wir definieren 𝑝

Def

𝑝

𝑝

𝑓 ∈ Lℂ (𝜇) ⇐⇒ 𝑓 messbar und |𝑓| ∈ Lℝ (𝜇) ⇐⇒ Re 𝑓, Im 𝑓 ∈ Lℝ (𝜇). Das Integral komplexwertiger Funktionen wird dann definiert durch ∫ 𝑓 𝑑𝜇 := ∫ Re 𝑓 𝑑𝜇 + 𝑖 ∫ Im 𝑓 𝑑𝜇,

𝑓 ∈ Lℂ1 (𝜇).

163

A.5 Regularität von Maßen |

Es ist eine leichte Übung zu zeigen, dass das so fortgesetzte Integral ℂ-linear ist; insbesondere gilt und

Re ∫ 𝑓 𝑑𝜇 = ∫ Re 𝑓 𝑑𝜇 Die Dreiecksungleichung

Im ∫ 𝑓 𝑑𝜇 = ∫ Im 𝑓 𝑑𝜇.

󵄨󵄨 󵄨 󵄨󵄨∫ 𝑓 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 ⩽ ∫ |𝑓| 𝑑𝜇 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨

sieht man so: Da ∫ 𝑓 𝑑𝜇 ∈ ℂ ist, gibt es ein 𝜃 ∈ (−𝜋, 𝜋], so dass 𝑒𝑖𝜃 ∫ 𝑓 𝑑𝜇 ⩾ 0. Daher 󵄨 󵄨󵄨 󵄨󵄨∫ 𝑓 𝑑𝜇󵄨󵄨󵄨 = 𝑒𝑖𝜃 ∫ 𝑓 𝑑𝜇 = ∫ 𝑒𝑖𝜃 𝑓 𝑑𝜇 = Re (∫ 𝑒𝑖𝜃 𝑓 𝑑𝜇) = ∫ Re (𝑒𝑖𝜃 𝑓) 𝑑𝜇 ⩽ ∫ |𝑓| 𝑑𝜇. 󵄨󵄨 󵄨󵄨 󵄨 󵄨

A.5 Regularität von Maßen Es sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum, O bezeichne die (bezüglich der Metrik 𝑑) offenen, C die abgeschlossenen und B(𝐸) = 𝜎(O) die Borelschen Teilmengen von 𝐸. A.8 Definition. Es sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum. Ein Maß 𝜇 auf (𝐸, B(𝐸)) heißt regulär von außen, wenn 𝜇(𝐵) = inf {𝜇(𝑈) : 𝑈 ⊃ 𝐵, 𝑈 offen}

∀𝐵 ∈ B(𝐸)

(A.1)

und regulär von innen, wenn 𝜇(𝐾) < ∞ für alle kompakten Mengen 𝐾 ⊂ 𝐸 und 𝜇(𝑈) = sup {𝜇(𝐾) : 𝐾 ⊂ 𝑈, 𝐾 kompakt}

∀𝑈 ∈ O.

(A.2)

Ein von außen und innen reguläres Maß heißt regulär. Regularität hängt wesentlich von der topologischen Ausgangslage ab. Wir beweisen hier nur einige elementare Zusammenhänge, die für Anwendungen wichtig sind. Der Raum 𝐸 heißt 𝜎-kompakt, wenn es eine aufsteigende Folge kompakter Mengen 𝐾𝑛 ↑ 𝐸 gibt. Manchmal wird für die innere Regularität die Gültigkeit von (A.2) für alle Borelmengen 𝑈 gefordert. Allerdings gilt A.9 Lemma. Es sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum und 𝜇 ein reguläres Maß. Dann gilt 𝜇(𝐵) = sup {𝜇(𝐾) : 𝐾 ⊂ 𝐵, 𝐾 kompakt}

∀𝐵 ∈ B(𝐸), 𝜇(𝐵) < ∞.

(A.3)

Ist 𝐸 𝜎-kompakt, dann gilt (A.3) für alle 𝐵 ∈ B(𝐸). Beweis. Es sei 𝐵 ∈ B(𝐸) mit 𝜇(𝐵) < ∞. 1o ) Es sei 𝐵 ⊂ 𝐾 für ein Kompaktum 𝐾 und 𝜖 > 0 fest. Wegen (A.1) existiert eine offene Menge 𝑈 ⊃ 𝐾 \ 𝐵, so dass 𝜇(𝑈) ⩽ 𝜇(𝐾 \ 𝐵) + 𝜖. Nun gilt 𝐵⊂𝐾

𝐵⊂𝐾

𝐵 \ (𝐾 \ 𝑈) = 𝐵 ∩ 𝑈 ⊂ 𝑈 \ (𝐾 ∩ 𝐵𝑐 ) = 𝑈 \ (𝐾 \ 𝐵). ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ kompakt

164 | A Anhang Somit folgt 𝜇(𝐵) − 𝜇(𝐾 \ 𝑈) = 𝜇(𝐵 \ (𝐾 \ 𝑈)) ⩽ 𝜇(𝑈 \ (𝐾 \ 𝐵)) ⩽ 𝜖, was (A.3) für die hier betrachteten Mengen 𝐵 impliziert. 2o ) Es sei 𝜇(𝐵) < ∞ und 𝜖 > 0 fest. Wegen (A.1) und (A.2) gilt ∃𝑈 ∈ O, 𝑈 ⊃ 𝐵, 𝜇(𝑈) < ∞

∃𝐾 ⊂ 𝑈 kompakt : 𝜇(𝑈) ⩽ 𝜇(𝐾) + 𝜖.

Wenden wir 1o auf die Menge 𝐵 ∩ 𝐾 ⊂ 𝐾 an, dann erhalten wir ∃𝐿 ⊂ 𝐵 ∩ 𝐾, 𝐿 kompakt : 𝜇(𝐵 ∩ 𝐾) ⩽ 𝜇(𝐿) + 𝜖. Nun ist 𝐵 \ 𝐿 ⊂ (𝑈 \ 𝐾) ∪ (𝐵 ∩ 𝐾) \ 𝐿 und somit 𝜇(𝐵) − 𝜇(𝐿) = 𝜇(𝐵 \ 𝐿) ⩽ 𝜇(𝑈 \ 𝐾) + 𝜇((𝐵 ∩ 𝐾) \ 𝐿) ⩽ 2𝜖, was (A.3) impliziert. 3o ) Nun sei 𝐸 𝜎-kompakt. Nach Voraussetzung existieren kompakte Mengen 𝐾𝑛 ↑ 𝐸. Da 𝜇(𝐾𝑛 ) < ∞ ist, gilt für 𝐵 ∈ B(𝐸) wegen der Maßstetigkeit 1o ,2o

3.3.f)

𝜇(𝐵) = sup 𝜇(𝐵 ∩ 𝐾𝑛 ) ⩽ sup 𝑛∈ℕ

sup

𝑛∈ℕ 𝐿⊂𝐵∩𝐾𝑛 , kpt

𝜇(𝐿) ⩽ sup 𝜇(𝐾) 𝐾⊂𝐵, kpt

(beachte: für 𝐾 ⊂ 𝐵 kompakt gilt 𝐿 := 𝐾 ∩ 𝐾𝑛 ⊂ 𝐾 ∩ 𝐵 und 𝐿 ist kompakt). Die umgekehrte Ungleichung ist wegen der Monotonie von 𝜇 trivial. A.10 Satz. Es sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum. Jedes endliche Maß 𝜇 auf (𝐸, B(𝐸)) ist von außen regulär. Wenn 𝐸 𝜎-kompakt ist, dann ist 𝜇 auch von innen regulär, also regulär. Beweis. Setze 𝛴 := {𝐴 ⊂ 𝐸 | ∀𝜖 > 0 ∃𝐹 ∈ C , 𝑈 ∈ O, 𝐹 ⊂ 𝐴 ⊂ 𝑈 : 𝜇(𝑈 \ 𝐹) < 𝜖} . 1o ) Wir zeigen: 𝛴 ist eine 𝜎-Algebra. (𝛴1 ) 0 ∈ 𝛴 ist klar. (𝛴2 ) Sei 𝐴 ∈ 𝛴 und 𝜖 > 0. ∃𝐹𝜖 ∈ C , 󳨐⇒

𝑈𝜖𝑐

∈ C,

𝑈𝜖 ∈ O, 𝐹𝜖𝑐

∈ O,

𝐹𝜖 ⊂ 𝐴 ⊂ 𝑈𝜖 : 𝜇(𝑈𝜖 \ 𝐹𝜖 ) < 𝜖. 𝑈𝜖𝑐

⊂ 𝐴𝑐 ⊂ 𝐹𝜖𝑐

und 𝐹𝜖𝑐 \ 𝑈𝜖𝑐 = 𝑈𝜖 \ 𝐹𝜖 .

Mithin gilt 𝜇(𝐹𝜖𝑐 \ 𝑈𝜖𝑐 ) = 𝜇(𝑈𝜖 \ 𝐹𝜖 ) < 𝜖, und es folgt 𝐴𝑐 ∈ 𝛴. (𝛴3 ) Seien 𝐴 𝑛 ∈ 𝛴, 𝑛 ∈ ℕ, und 𝜖 > 0. ∃𝐹𝑛 ∈ C , 𝑈𝑛 ∈ O, 𝐹𝑛 ⊂ 𝐴 𝑛 ⊂ 𝑈𝑛 : 𝜇(𝑈𝑛 \ 𝐹𝑛 ) < 𝜖/2𝑛 . Somit abgeschlossen

offen

⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞ ⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞ 𝛷𝑛 := 𝐹1 ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∪ 𝐹𝑛 ⊂ 𝐴 1 ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∪ 𝐴 𝑛 ⊂ 𝑈 := ⋃ 𝑈𝑖 . 𝑖∈ℕ

A.5 Regularität von Maßen |

165

Mit Hilfe der Inklusion ⋂ 𝑈 \ 𝛷𝑛 = ⋃ 𝑈𝑖 \ ⋃ 𝐹𝑘 = ⋃ (𝑈𝑖 \ ⋃ 𝐹𝑘 ) ⊂ ⋃ (𝑈𝑖 \ 𝐹𝑖 ) 𝑛∈ℕ

𝑖∈ℕ

𝑖∈ℕ

𝑘∈ℕ

𝑘∈ℕ

𝑖∈ℕ

sehen wir mit der Maßstetigkeit und der 𝜎-Subadditivität von 𝜇 lim 𝜇(𝑈 \ 𝛷𝑛 ) = 𝜇 (⋃ 𝑈𝑖 \ ⋃ 𝐹𝑘 ) ⩽ ∑ 𝜇(𝑈𝑖 \ 𝐹𝑖 ) ⩽ ∑

𝑛→∞

𝑖∈ℕ

𝑖∈ℕ

𝑘∈ℕ

𝑖∈ℕ

𝜖 = 𝜖. 2𝑖

Mithin folgt 𝜇(𝑈 \ 𝛷𝑛 ) < 2𝜖 für alle 𝑛 > 𝑛(𝜖) und daher gilt ⋃𝑛 𝐴 𝑛 ∈ 𝛴. 2o ) Wir zeigen: C ⊂ 𝛴 und B(𝐸) ⊂ 𝛴. Für abgeschlossene Mengen 𝐹 ⊂ 𝐸 ist 𝑈𝑛 := ⋃ 𝐵1/𝑛 (𝑥) ∈ O

und

⋂ 𝑈𝑛 = 𝐹. 𝑛

𝑥∈𝐹

Wegen der Maßstetigkeit haben wir lim𝑛→∞ 𝜇(𝑈𝑛 ) = 𝜇(𝐹), d. h. 𝐹 ⊂ 𝑈𝑛 und 𝜇(𝑈𝑛 \𝐹) < 𝜖 für hinreichend große 𝑛 > 𝑁(𝜖). Das zeigt, dass 𝐹 ∈ 𝛴 und B(𝐸) = 𝜎 (C ) ⊂ 𝜎 (𝛴) = 𝛴. 3o ) Wir zeigen: 𝜇 ist von außen regulär. Wegen 2o gibt es für 𝐵 ∈ B(𝐸) Folgen (𝑈𝑛 )𝑛 ⊂ O und (𝐹𝑛 )𝑛 ⊂ C mit 𝐹𝑛 ⊂ 𝐵 ⊂ 𝑈𝑛 und lim𝑛→∞ 𝜇(𝑈𝑛 \ 𝐹𝑛 ) = 0. Somit 𝜇(𝐵 \ 𝐹𝑛 ) + 𝜇(𝑈𝑛 \ 𝐵) ⩽ 2 𝜇(𝑈𝑛 \ 𝐹𝑛 ) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 0, 𝑛→∞

d. h. das Infimum in (A.1) (Regularität von außen) wird angenommen. 4o ) Wir zeigen: Wenn 𝐸 𝜎-kompakt ist, dann ist 𝜇 regulär. Es sei 𝐵 ∈ B(𝐸) und 𝐿 𝑚 ↑ 𝐸 eine aufsteigende Folge kompakter Mengen und 𝐹𝑛 wie in Schritt 3o . Setze 𝐾𝑛,𝑚 := 𝐹𝑛 ∩ 𝐿 𝑚 . Wegen der Maßstetigkeit gilt lim𝑚→∞ 𝜇 (𝐹𝑛 \ 𝐾𝑛,𝑚 ) = 0, sowie 𝜇(𝐵 \ 𝐾𝑛,𝑚 ) ⩽ 𝜇(𝐵 \ 𝐹𝑛 ) + 𝜇(𝐹𝑛 \ 𝐾𝑛,𝑚 ) 󳨀󳨀󳨀󳨀󳨀→ 𝜇(𝐵 \ 𝐹𝑛 ) 󳨀󳨀󳨀󳨀→ 0. 𝑚→∞

𝑛→∞

Daher gilt auch die Formel (A.2) (sogar für beliebige Mengen 𝑈 = 𝐵 ∈ B(𝐸)). A.11 Satz. Es sei (𝐸, 𝑑) ein metrischer Raum und 𝜇 ein Maß auf (𝐸, B(𝐸)) mit 𝜇(𝐾) < ∞ für alle kompakten Mengen 𝐾 ⊂ 𝐸. a) Wenn 𝐸 𝜎-kompakt ist, dann ist 𝜇 von innen regulär. b) Wenn es eine Folge 𝐺𝑛 ∈ O, 𝐺𝑛 ↑ 𝐸 mit 𝜇(𝐺𝑛 ) < ∞ gibt, dann ist 𝜇 von außen regulär. Beweis. a) Es sei 𝐾𝑛 ↑ 𝐸 eine Folge kompakter Mengen. Dann ist 𝜇𝑛 (𝐵) := 𝜇(𝐵 ∩ 𝐾𝑛 ), 𝐵 ∈ B(𝐸), für jedes 𝑛 ∈ ℕ ein endliches Maß. Wir finden mit der Maßstetigkeit und Satz A.10 für jede Menge 𝐵 ∈ B(𝐸) 3.3.f)

𝐴.10

𝜇(𝐵) = sup 𝜇𝑛 (𝐵) = sup sup 𝜇𝑛 (𝐾) = sup sup 𝜇𝑛 (𝐾) = sup 𝜇(𝐾). 𝑛

𝑛 𝐾⊂𝐵, kpt

𝐾⊂𝐵, kpt 𝑛

𝐾⊂𝐵, kpt

166 | A Anhang b) Es sei 𝐵 ∈ B(𝐸) und 𝜖 > 0. Aus dem Beweis von Satz A.10 (Definition der Familie 𝛴 für die Maße 𝜇(⋅ ∩ 𝐺𝑛 )) wissen wir ∀𝑛 ∈ ℕ

∃𝑈𝑛 ∈ O, 𝐵 ⊂ 𝑈𝑛 : 𝜇((𝑈𝑛 \ 𝐵) ∩ 𝐺𝑛 ) < 𝜖2−𝑛 .

(A.4)

Für 𝑛 = 1 ist das der Induktionsanfang für die folgende Aussage 𝑛

𝑛

𝑖=1

𝑖=1

𝜇 (⋃ 𝑈𝑖 ∩ 𝐺𝑖 ) ⩽ 𝜇(𝐵 ∩ 𝐺𝑛 ) + ∑ 𝜖2−𝑖 .

(A.5)

Induktionsschritt 𝑛 󴁄󴀼 𝑛 + 1: Wegen der starken Additivität von Maßen gilt 𝑛+1

𝜇( ⋃ 𝑈𝑖 ∩ 𝐺𝑖 ) 𝑖=1 𝑛

= 𝜇((𝑈𝑛+1 ∩ 𝐺𝑛+1 ) ∪ ⋃ 𝑈𝑖 ∩ 𝐺𝑖 ) 𝑖=1 𝑛

3.3.d)

𝑛

= 𝜇 (𝑈𝑛+1 ∩ 𝐺𝑛+1 ) + 𝜇(⋃ 𝑈𝑖 ∩ 𝐺𝑖 ) − 𝜇((𝑈𝑛+1 ∩ 𝐺𝑛+1 ) ∩ ⋃ 𝑈𝑖 ∩ 𝐺𝑖 ) 𝑖=1 𝑖=1 ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟⏟ ⊃𝐵∩𝐺𝑛+1 ⊃𝐵∩𝐺𝑛

⊃𝐵∩𝐺𝑛

𝑛

(A.4)

⩽ 𝜇 (𝐵 ∩ 𝐺𝑛+1 ) + 𝜖2−𝑛−1 + 𝜇 (𝐵 ∩ 𝐺𝑛 ) + ∑ 𝜖2−𝑖 − 𝜇 (𝐵 ∩ 𝐺𝑛 )

(A.5)

𝑖=1 𝑛+1

= 𝜇 (𝐵 ∩ 𝐺𝑛+1 ) + ∑ 𝜖2−𝑖 . 𝑖=1

Es ist 𝐵 =

⋃∞ 𝑖=1 (𝐵

∩ 𝐺𝑖 ) ⊂ ∞

⋃∞ 𝑖=1 (𝑈𝑖

∩ 𝐺𝑖 ) ∈ O. Somit 𝑛

3.3.f)

𝜇(𝐵) ⩽ 𝜇 (⋃ 𝑈𝑖 ∩ 𝐺𝑖 ) = sup 𝜇 (⋃ 𝑈𝑖 ∩ 𝐺𝑖 ) 𝑛∈ℕ

𝑖=1

𝑖=1 𝑛

(A.5)

⩽ sup(𝜇 (𝐵 ∩ 𝐺𝑛 ) + ∑ 𝜖2−𝑖 ) ⩽ 𝜇(𝐵) + 𝜖. 𝑛∈ℕ

𝑖=1

Da 𝜖 > 0 beliebig ist, folgt die Regularität von außen. Die 𝜎-Endlichkeit ist im Beweis von Satz A.11 wesentlich: Auf (ℝ, B(ℝ)) ist das Zählmaß 𝜇(𝐵) := #𝐵 offensichtlich von innen regulär, jedoch gilt die äußere Regularität nicht einmal für einpunktige Mengen.

A.12 Beispiel. a) Das Lebesgue–Maß 𝜆𝑑 auf (ℝ𝑑 , B(ℝ𝑑 )) ist regulär. Offensichtlich ist ℝ𝑑 𝜎-kompakt (𝐵𝑛 (0) ↑ ℝ𝑑 ) und die offenen Mengen 𝐵𝑛 (0) ↑ ℝ𝑑 . Da 𝜆𝑑 (𝐵𝑛 (0)) < ∞, folgt die Behauptung aus Satz A.11. b) Für jede Borelmenge 𝐵 ∈ B(ℝ𝑑 ) gibt es eine 𝐹𝜎 -Menge (= abzählbare Vereinigung abgeschlossener Mengen) 𝐹 und eine 𝐺𝛿 -Menge (= abzählbarer Durchschnitt offener Mengen) 𝐺 mit 𝐹 ⊂ 𝐵 ⊂ 𝐺 und 𝜆𝑑 (𝐺 \ 𝐹) = 0. Das folgt aus dem Beweis von Satz A.10 (Schritt 3o ) und Satz A.11. []

A.6 Separabilität des Raums 𝐶𝑐 (𝐸)

|

167

A.13 Bemerkung. Satz A.11 kann auf verschiedene Arten verallgemeinert werden, wobei stets die Topologie eine besondere Rolle spielt. a) Wenn das Maß 𝜇 lokal-endlich ist (d. h. jedes 𝑥 ∈ 𝐸 besitzt eine offene Umgebung 𝑈𝑥 mit 𝜇(𝑈𝑥 ) < ∞), dann gilt 𝜇(𝐾) < ∞ für alle Kompakta 𝐾 ⊂ 𝐸. b) Ein lokal-endliches Maß auf einem separablen Raum 𝐸 (d. h. 𝐸 enthält eine abzählbare dichte Teilmenge) ist 𝜎-endlich. c) Ein separabler und lokal-kompakt Raum 𝐸 ist 𝜎-kompakt.

A.6 Separabilität des Raums 𝐶𝑐 (𝐸) Ein topologischer Raum (𝐸, O), O bezeichnet die Topologie oder Familie der offenen Mengen, heißt lokal-kompakt, wenn jeder Punkt 𝑥 ∈ 𝐸 eine offene Umgebung 𝑈(𝑥) hat, deren Abschluss kompakt ist. Der Raum 𝐸 hat eine abzählbare Basis, wenn es eine abzählbare Familie G ⊂ O mit 𝑈 = ⋃𝐺∈G ,𝐺⊂𝑈 𝐺 für alle offenen Mengen 𝑈 ∈ O gibt. Typische Beispiele sind lokal-kompakte metrische Räume (𝐸, 𝑑), die eine abzählbare dichte Teilmenge haben. Wir schreiben 𝐶𝑐 (𝐸) für die stetigen Funktionen 𝑢 : 𝐸 → ℝ mit kompaktem Träger supp 𝑢 = {𝑢 ≠ 0}. Wir nennen 𝐶𝑐 (𝐸) separabel, wenn es eine bezüglich der gleichmäßigen Konvergenz dichte abzählbare Teilmenge in 𝐶𝑐 (𝐸) gibt. A.14 Satz. Es sei (𝐸, O) ein lokal-kompakter topologischer Raum mit abzählbarer Basis. Dann ist der Raum (𝐶𝑐 (𝐸), ‖ ⋅ ‖∞ ) separabel. Beweis. Es sei G eine abzählbare Basis von O und I := {(𝑎, 𝑏) : 𝑎 < 𝑏, 𝑎, 𝑏 ∈ ℚ}. Es seien 𝐺1 , . . . , 𝐺𝑛 ∈ G und 𝐼1 , . . . , 𝐼𝑛 ∈ I . Eine Funktion 𝑓 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) mit 𝑓(𝐺𝑖 ) ⊂ 𝐼𝑖

(𝑖 = 1, . . . , 𝑛) und

supp 𝑓 ⊂ 𝐺1 ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∪ 𝐺𝑛

nennen wir an (𝐺𝑖 , 𝐼𝑖 )𝑖=1,...,𝑛 adaptiert. Zu jedem solchen Tupel wählen wir eine feste adaptierte Funktion (sofern es eine gibt) und schreiben F für diese Familie. Da die Familie ⋃𝑛∈ℕ G 𝑛 × I 𝑛 abzählbar ist, ist F höchstens abzählbar. Für 𝑢 ∈ 𝐶𝑐 (𝐸) gilt ∀𝑥 ∈ 𝐸

∀𝜖 > 0

∃𝑈(𝑥) ∈ G , 𝑥 ∈ 𝑈(𝑥)

∀𝑦 ∈ 𝑈(𝑥) : |𝑢(𝑥) − 𝑢(𝑦)| < 𝜖.

Da supp 𝑢 kompakt ist, wird supp 𝑢 durch 𝑈(𝑥1 ) ∪ ⋅ ⋅ ⋅ ∪ 𝑈(𝑥𝑛 ), also für endlich viele 𝑥1 , . . . , 𝑥𝑛 , überdeckt. Andererseits ist für alle 𝑖 = 1, . . . , 𝑛 sup |𝑢(𝑥) − 𝑢(𝑦)| < 2𝜖 󳨐⇒ ∃𝐽𝑖 ∈ I , 𝜆1 (𝐽𝑖 ) < 3𝜖 : 𝑢(𝑈(𝑥𝑖 )) ⊂ 𝐽𝑖 .

𝑥,𝑦∈𝑈(𝑥𝑖 )

Also ist 𝑢 an (𝑈(𝑥𝑖 ), 𝐽𝑖 )𝑖=1,...,𝑛 adaptiert. Nun sei 𝑓 ∈ F auch an (𝑈(𝑥𝑖 ), 𝐽𝑖 )𝑖=1,...,𝑛 adaptiert. Dann gilt 𝑛

sup |𝑢(𝑥) − 𝑓(𝑥)| < 3𝜖 𝑥∈𝑈(𝑥𝑖 )

∀𝑖 = 1, . . . , 𝑛 und

𝑓 = 𝑢 = 0 wenn 𝑥 ∉ ⋃ 𝑈(𝑥𝑖 ).

Mithin ist ‖𝑓 − 𝑢‖∞ < 3𝜖, d. h. F ist eine dichte Teilmenge.

𝑖=1

Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10]

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Stichwortverzeichnis Alle Zahlenangaben beziehen sich auf Seitennummern, (Pr. 𝑚.𝑛) verweist auf die Aufgabe 𝑛 (im Kapitel 𝑚) auf der jeweils angegebenen Seite. absolutstetig, 99 äußeres Maß, 21, 146 allgemeiner Transformationssatz, 106, 109 Approximation der Identität, 98 (Pr. 18.7), 129 Atom, 8, 32 Banach–Tarski Paradox, 25 Beppo Levi, 42 – für Reihen, 44, 45 (Pr. 8.2) Beta-Funktion, 114 (Pr. 20.2) Bildintegral, 93, 94 Bildmaß, 30 Borel 𝜎-Algebra – auf ℝ, 34 – Spur, 8 (Pr. 2.4), 34 – für Teilmenge, 8 (Pr. 2.4) Borel-messbar, 6, 29 Borelmenge, 6 – Approximation, 166 Cantor-Menge, 2–3 Cauchy–Schwarz Ungleichung, 68 Cavalieri-Prinzip, 76, 84, 112 Chebyshevsche Ungleichung, 54 (Pr. 10.4) 𝛿-Funktion, 11 Dichte(funktion), 50, 99 Dichtheit – 𝐶𝑏 ∩ 𝐿𝑝 dicht in 𝐿𝑝 , 136 – 𝐶𝑐 dicht in 𝐿𝑝 , 137 – 𝐶𝑐∞ dicht in 𝐶𝑐 , 138 – 𝐶𝑐∞ dicht in 𝐿𝑝 , 138 – 𝐶Lip ∩ 𝐿𝑝 dicht in 𝐿𝑝 , 139 (Pr. 23.5) – A dicht in 𝐶∞ , 130 – A dicht in 𝐿𝑝 , 130 – E ∩ 𝐿𝑝 dicht in 𝐿𝑝 , 134 Diffeomorphismus, 104 – Kriterium, 105 Differenzierbarkeitslemma, 59 Dirac-Maß, 11 Dirichletsches Integral, 88 (Pr. 16.8) diskretes W-Maß, 11 dominierte Konvergenz (Satz), 56

Dynkin-System, 14, 18 (Pr. 4.4) – vs. 𝜎-Algebra, 14 – Erzeuger, 14 – minimales Dynkin-System, 14 Eindeutigkeitssatz (Maße), 16 Eindeutigkeitssatz (Produktmaße), 78 einfache Funktion, 35 – dicht in 𝐿𝑝 , 134 – Standarddarstellung, 35 Erzeuger – Borel-𝜎-Algebra, 6, 7, 34 – Dynkin-System, 14 – Produkt-𝜎-Algebra, 77 – 𝜎-Algebra, 5 Eulersches Integral, 114 (Pr. 20.2) Existenzsatz (Produktmaße), 78 Faktorisierungslemma, 38 Faltung, 95 – Eigenschaften, 95–96 – Friedrichsglättung, 98 (Pr. 18.7) – in ([0, ∞), ⋅), 98 (Pr. 18.5) Faltungssatz, 126 fast überall (f. ü.), 52 Fatous Lemma, 45, 46 (Pr. 8.4), 46 (Pr. 8.5), 51 (Pr. 9.5) Fortsetzungssatz (Produktmaße), 78 Fouriertransformation, 120 – Differenzierbarkeit, 133 (Pr. 22.4) – Fortsetzung auf 𝐿2 , 131 – Injektivität, 125 – inverse Fouriertransformation, 126 – Normalverteilung, 118, 120 – positiv semidefinit, 133 (Pr. 22.4), 150 – Rechenregeln, 121–122 – rotationssymmetrische Funktion, 113 – Satz von Bochner, 150 – und schwache Konvergenz, 129, 149 (Pr. 24.3) – Schwartz-Raum, 132 – Symmetrie, 126 – trivialisiert Faltung, 126 – Umkehrformel für Funktionen, 125

170 | Stichwortverzeichnis – Umkehrformel von Lévy, 123, 124 – Zusammenhang mit inverser FT, 126 Fresnelsches Integral, 66 (Pr. 13.10) Friedrichsglättung, 98 (Pr. 18.7) Frullanisches Integral, 66 (Pr. 13.11) 𝐹𝜎 -Menge, 166 Fubini (Satz), 82 Gamma-Funktion, 61, 114 (Pr. 20.2) 𝐺𝛿 -Menge, 166 Höldersche Ungleichung, 68, 75 (Pr. 14.3) – für 0 < 𝑝 < 1, 75 (Pr. 14.11) – für Reihen, 73 Halbring, 20, 77 – kartesisches Produkt, 77 Indikatorfunktion, 34 – Messbarkeit, 34 Integral – bzgl. Bildmaß, 93, 94 – Eigenschaften, 48 – einfache Funktion, 41 – komplexe Funktion, 50 (Pr. 9.2), 162 – messbare Funktion, 47 – positive Funktion, 42 – rotationssymmetrische Funktion, 113 – bzgl. Zählmaß, 49 Integralsinus, 84, 123 integrierbare Funktion, 47 – 𝑝-fach integrierbar, 67 – auf einer Menge, 50 – ist f. ü. reell, 53 – Raum L 1 , 47 – Raum L 𝑝 , 67 – Raum 𝐿𝑝 , 69 inverse Fouriertransformation, 126 Jacobi-Determinante, 104 Jacobi-Matrix, 104 Jensensche Ungleichung, 74 Kern/Übergangskern, 46 (Pr. 8.7) Konvergenz (Maße), 129, 151, 153, 155 – siehe auch schwache Konv., vage Konv., Konvergenz in 𝐿𝑝 , 70 – f. ü. konvergente Teilfolge, 71 – schwach, 149 (Pr. 24.2) Konvergenzsatz

– von Lebesgue, 56 – von Riesz, 72 – von Young, 58 (Pr. 11.12) konvexe Funktion, 73 Kugelkoordinaten, 110–112 L 1 -Raum, 47 L 𝑝 /𝐿𝑝 -Raum, 67, 69 – Dreiecksungleichung, 68 – ist vollständig, 70 Lebesgue–Maß, 12 – bewegungsinvariant, 12, 32 – Dilatationen, 19 (Pr. 4.9) – Existenz (auf ℝ𝑑 ), 80, 148 – Existenz (auf ℝ), 26, 92 (Pr. 17.1) – lineare Transformation, 32 – Nullmenge, 18 (Pr. 4.1), 27 (Pr. 5.3), 65 – orthogonale Transformation, 31 – ist regulär, 166 – translationsinvariant, 12, 17 Lebesgue–Prämaß, 26 Lebesgue–Stieltjes Maß, 27 (Pr. 5.1) Lebesguescher Konvergenzsatz, 56 Lemma – von Fatou, 45, 46 (Pr. 8.4), 46 (Pr. 8.5), 51 (Pr. 9.5) – von Pratt, 58 (Pr. 11.12) – von Riemann–Lebesgue, 127 – von Urysohn, 117, 144 liminf/limsup von Mengen, 8 (Pr. 2.8), 46 (Pr. 8.5) Markovsche Ungleichung, 53, 54 (Pr. 10.4) Maß, 9 – absolutstetig, 99 – additiv, 9 – äußeres Maß, 21 – mit Dichte, 50 – Eindeutigkeit, 16 – endlich, 9 – Fortsetzung, 20 – monoton, 9 – Produkt, 80 – regulär, 136, 145, 163 – 𝜎-endlich, 9, 46 (Pr. 8.8), 103 (Pr. 19.1) – 𝜎-subadditiv, 10 – signiertes, 103 (Pr. 19.3) – singulär, 103 (Pr. 19.2) – stetig, 9, 10, 12

Stichwortverzeichnis

– subadditiv, 9 – unendliches Produkt, 89 – Vervollständigung, 13 (Pr. 3.7), 27 (Pr. 5.4), 54 (Pr. 10.5), 80 (Pr. 15.2), 159 – Vollständigkeit, 39 (Pr. 7.13) – W-Maß, 9 maßbestimmende Familie, 116 Maßraum, 9, 80 – endlich, 9 – 𝜎-endlich, 9 – W-Raum, 9 messbar – Borel-messbar, 29 – Lebesgue-messbar, 159 – bzgl. eines Maßes, 21 – Menge, 4 – nicht-messbare Menge, 159 – Stetigkeitsstellen einer Funktion, 162 messbare Abbildung/Funktion, 28, 33 – Eigenschaften, 37 – halbseitig stetig ⇒ messbar, 39 (Pr. 7.10) – Komposition, 29 – Messbarkeitskriterium, 28, 33 – stetig ⇒ messbar, 29 Messraum, 9, 77 Minkowskische Ungleichung, 68 – für 0 < 𝑝 < 1, 75 (Pr. 14.11) – für Doppelintegrale, 88 (Pr. 16.10) – für Reihen, 73 monotone Klasse, 15, 18 (Pr. 4.5) monotone Konvergenz (Satz), 55 Negativteil (Funktion), 36 Negativteil (Maß), 103 (Pr. 19.3) Normalverteilung, 118, 120 Nullmenge, 13 (Pr. 3.7), 27 (Pr. 5.3), 52, 69, 99 offene Menge, 6 𝑝-fach integrierbare Funktion, 67 Parameterintegral – Differenzierbarkeit, 59 – Stetigkeit, 59 partielle Integration, 83 Partition der Eins, 144 Plancherel (Satz), 131 Polarkoordinaten, 110–112 Portmanteau-Theorem, 152, 153 positives lineares Funktional, 140

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– in 𝐶𝑐 , 145 – in 𝐿𝑝 , 1 ⩽ 𝑝 < ∞, 141 – ist stetig, 140 Positivteil (Funktion), 36 Positivteil (Maß), 103 (Pr. 19.3) Prämaß, 9, 27 (Pr. 5.6) – Fortsetzung, 20 – Lebesguesches, 26 Produkt-𝜎-Algebra, 77, 86, 89 – Erzeuger, 77 Produktmaß, 80 – Eindeutigkeit, 78, 89 – Existenz, 78, 89 – unendliches, 89 Produktmaßraum, 80 Produktmessraum, 77 Radon–Nikodým (Satz), 99, 101, 102 Radon–Nikodým Ableitung, 99 Rechtecke (in ℝ𝑑 ), 6, 20 – sind Halbring, 20 Regularität von Maßen, 136, 145, 163 Reihenvergleichskriterium, 51 (Pr. 9.3) Riemann–Lebesgue Lemma, 127 Riemann-integrierbar, 63 – Kriterium, 65 – uneigentlich, 66 (Pr. 13.9) Rieszscher Darstellungssatz – für 𝐶𝑐 , 145 – für 𝐿𝑝 , 1 ⩽ 𝑝 < ∞, 141 rotationssymmetrische Funktion – Fouriertransformation, 113 – Integral, 113 Satz – von Beppo Levi, 42 – von Beppo Levi (Reihen), 44, 45 (Pr. 8.2) – von Bochner, 150 – von Carathéodory, 20 – von der dominierten Konvergenz, 56 – von der monotonen Klasse, 19 (Pr. 4.5) – von der monotonen Konvergenz, 55 – von Egorov, 51 (Pr. 9.6) – von Fubini, 82 – von Kolmogorov, 89 – von Lusin, 139 (Pr. 23.7) – von Plancherel, 131 – von Radon–Nikodým, 99, 101, 102 – von Riesz–Fischer, 70

172 | Stichwortverzeichnis – von Tonelli, 81 schwache Konvergenz (Maße), 129, 151 – vs. vage Konvergenz, 155 – Kriterien, 152 Schwartz-Raum, 132 Separabilität von L 𝑝 , 139 (Pr. 23.6) Separabilität von 𝐶𝑐 , 167 𝜎-additiv, 9 𝜎-Algebra, 4 – Approximation, 19 (Pr. 4.6), 166 – Borelsche, 6 – Erzeuger, 5 – erzeugt von Abbildung, 30 – erzeugt von einem (äußeren) Maß, 21 – minimale 𝜎-Algebra, 5 – Produkt, 77 – Spur, 5, 8 (Pr. 2.4) – topologische, 6 – unendliches Produkt, 89 – Urbild, 5 𝜎-endlich, 9 𝜎-subadditiv, 10 signiertes Maß, 103 (Pr. 19.3) Sombrero-Lemma, 36 Stetigkeit – impliziert Borel-messbar, 29 Stetigkeit (Maß), 9, 10, 12 Stetigkeitslemma, 59 Stetigkeitssatz von Lévy, 149 (Pr. 24.3) Straffheit, 155

Ungleichung – Cauchy–Schwarz, 68 – Chebyshev, 54 (Pr. 10.4) – 𝐿𝑝 -Dreiecksungleichung, 68 – Hölder, 68, 75 (Pr. 14.3) – Hölder (0 < 𝑝 < 1), 75 (Pr. 14.11) – Hölder (Reihen), 73 – Jensen, 74 – Markov, 53 – Minkowski, 68 – Minkowski (0 < 𝑝 < 1), 75 (Pr. 14.11) – Minkowski (Doppelintegrale), 88 (Pr. 16.10) – Minkowski (Reihen), 73 – Young, 67 – Young (Faltung), 96, 98 (Pr. 18.6) Urysohnsches Lemma, 117, 144 vage Konvergenz (Maße), 153 – vs. schwache Konvergenz, 155 – Kriterien, 153 – vage Beschränktheit, 157 – vage Kompaktheit, 158 Verteilung, 31, 93 Verteilungsfunktion, 27 (Pr. 5.1), 85, 123 Vollständigkeit von 𝐿𝑝 , 70 Volumen – Einheitskugel, 113 – Einheitssphäre, 113 – Spat, 32, 160 Wiener-Algebra, 128

Tonelli (Satz), 81 Topologie, 6 Transformationssatz für Integrale, 93, 94 – für affin-lineare Transformationen, 104 – für Diffeomorphismen, 106, 109 truncation inequality, 133 (Pr. 22.3)

Youngsche Ungleichung, 67 – für Faltung, 96, 98 (Pr. 18.6) Zählmaß, 11 Zuvallsvariable, 30, 49, 93, 94